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German Pages 349 [350] Year 1980
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 372
Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht Untersuchungen zu Inhalt und Geltungsbereich des verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots nach Art. 14 GG
Von
Lerke Schulze-Osterloh
Duncker & Humblot · Berlin
LERKE
SCHULZE-OSTERLOH
Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht
S c h r i f t e n zum ö f f e n t l i c h en B a n d 372
Recht
Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht Untersuchungen zu I n h a l t und Geltungsbereich des verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots nach Ârt. 14 6 G
Von D r . L e r k e Schulze-Osterloh
D U N C K E R
&
H Ü M B L O T
I
B E R L I N
Alle Redite vorbehalten © 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1980 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 04560 2
Vorwort Die Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg i m Sommersemester 1978 als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde Anfang 1978 abgeschlossen. Bis etwa Mitte 1979 veröffentlichte Literatur und Rechtsprechung sind i n begrenzter Ausw a h l i n den Fußnoten berücksichtigt. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung enthält die Einleitung. Dem Erstgutachter, Herrn Professor Dr. Peter Selmer, gilt mein besonderer Dank für stets großzügige und wohlwollende Unterstützung und Förderung während meiner Tätigkeit als Assistentin am Seminar für Finanz- und Steuerrecht der Universität Hamburg. Ebenso danke ich Herrn Professor Dr. Claus-Wilhelm Canaris für die ursprüngliche Anregung der Untersuchung und für seine Bereitschaft, trotz deren schwerpunktmäßiger Verlagerung i n verfassungsrechtliche Problembereiche, das Zweitgutachten zu übernehmen. Berlin, i m Dezember 1979 Lerke
Schulze-Osterloh
Inhaltsübersicht § 1 Einleitung u n d Übersicht
1 1. T e i l
Kritische Betrachtung des gegenwärtigen Meinungsstands zur Eigentumsaufopferung im Zivilrecht § 2 Begriff u n d Fragestellung
6
§ 3 Der I n h a l t eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung i m Z i v i l recht
13
§ 4 Das Verhältnis der zivilrechtlichen zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufopferung
42
§ 5 Die Allgemeinheit eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht
71
§ 6 Zusammenfassung u n d E n t w i c k l u n g der eigenen Fragestellung
73
2. T e i l Das verfassungsrechtliche Gebot der Eigentumsopferentschädigung § 7 Einleitung
88
§ 8 Haftungszurechnung bei der Eigentumsopferentschädigung (I): Der Grundsatz der sogenannten Begünstigtenhaftung
99
§ 9 Haftungszurechnung bei der Eigentumsopferentschädigung (II): Die K r i t e r i e n des „enteignungsrechtlichen Eingriffs" 131 § 10 Der Haftungsgrund bei der Eigentumsopferentschädigung: Die K r i terien des entschädigungspflichtigen Eigentumsopfers 189 § 11 Das Gebot der Eigentumsopferentschädigung i m System des A r t . 14 G G 232 3. T e i l Konsequenzen für die Zivilrechtsdogmatik § 12 Eigentumsopferentschädigung u n d Ausgleichshaftung i m Zivilrecht 295 Literaturverzeichnis
313
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Einleitung u n d Ubersicht
1
1. T e i l
Kritische Betrachtung des gegenwärtigen Meinungsstands zur Eigentumsaufopferung im Zivilrecht
§ 2 Begriff u n d Fragestellung
6
§ 3 Der I n h a l t eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung i m Z i vilrecht
13
A. Unterscheidung von Haftungsgrund u n d Haftungszurechnung . .
14
B. Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung als Haftungsgrund
16
I. Opferkriterien
als Haftungsgrund
16
I I . Entzug der Abwehrklage durch Sonderrechtsnormen — BGH, RG
17
1. Verhältnis dieser Formel zum Opferbegriff i m öffentlichen Recht
18
2. Mangelnde Abgrenzungskraft
19
3. Die wahre ratio der Formel: Haftungszurechnung
20
Inhaltsverzeichnis I I I . Ausgleich f ü r den Entzug von an sich zugewiesenem Eigentumsinhalt
23
1. Leerformelcharakter
24
2. Verknüpfung m i t dem Äquivalenzgedanken
26
I V . Vorteilsausgleichung, iustitia commutativa, Güterabwägungsprinzip
28
V. Einzelne sog. Entschädigungskriterien: Sonderopfer, Ortsüblichkeit, Z u m u t b a r k e i t — H. Schulte
32
1. Problem des Geltungsnachweises, insbesondere beim Beg r i f f des Sonderopfers
33
2. Systematik u n d Anwendungsbereich der Entschädigungskriterien
34
3. Verhältnis zu öffentlichrechtlichen rien
verschiedenen
Entschädigungskrite35
a) Sonderopfer
36
b) Ortsüblichkeit/Situationsgebundenheit
36
c) Zumutbarkeit
38
4. Ergebnis
39
V I . Ergebnis C. Eigentumsopferentschädigung nung (zum Begünstigten)
39 als Prinzip der
Haftungszurech39
D. Ergebnis
41
§ 4 Das Verhältnis der zivilrechtlichen zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufopferung
42
A . Die öffentlich- oder zivilrechtliche Rechtsnatur der eigentumsbeeinträchtigenden Maßnahme als Unterscheidungsmerkmal — die herrschende Meinung
42
I. Die K o m b i n a t i o n negativer u n d positiver male
Vergleichsmerk-
1. Die Rechtsnatur der eigentumsbeeinträchtigenden nahme als negatives Vergleichsmerkmal
42 Maß42
Inhaltsverzeichnis 2. Die unterschiedliche Zuordnung zu den Geltungsbereichen des A r t . 14 I 2 u n d 14 I I I G G
43
3. Das Eigentumsopfer als positives Vergleichsmerkmal
45
I I . Die entscheidende Frage: Gebot einheitlicher Bestimmung der Opferkriterien i m Zivilrecht u n d i m öffentlichen Recht nach Verfassungsrecht oder anderen Rechtsgrundsätzen? 46 1. Die nachbarrechtliche Rechtsprechung des B G H
47
a) Die Bedeutung zivilrechtlicher Opferkriterien f ü r das öffentliche Recht
47
b) Die Bedeutung enteignungsrechtlicher f ü r das Zivilrecht
50
Opferkriterien
2. Kritische Würdigung
53
a) A r g u m e n t der Vertauschbarkeit der rechtstechnischen Konstruktion
54
b) Gemengelage von Zivilrecht u n d öffentlichem Recht . .
56
B. Gegenkonzepte zur herrschenden Meinung — H. Schulte u n d Schwabe
61
I. Das konkrete öffentliche Interesse als Abgrenzungskriterium f ü r den Geltungsbereich des A r t . 14 I I I GG — H. Schulte . .
61
1. Das konkrete Öffentliche Interesse 2. Geltungsbereich eines verfassungsrechtlichen gungsgebots
62 Entschädi66
I I . Die „materielle Enteignung" als Abgrenzungskriterium für ein verfassungsrechtliches Entschädigungsgebot — Schwabe C. Ergebnis
67 70
§ 5 Die Allgemeinheit eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht
71
§ 6 Zusammenfassung u n d E n t w i c k l u n g der eigenen Fragestellung
73
A . Vorrang der Frage nach I n h a l t u n d Geltungsbereich eines verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots f ü r Eigentumsopfer
73
B. Zuordnung zu umfassenderen grundrechtsdogmatischen stellungen
74
Frage-
XII
Inhaltsverzeichnis I. Die Privatrechtswirkung der Grundrechte
75
1. Bindung des Zivilgesetzgebers als Problem grundrechtlicher Privatrechtswirkung
75
2. Generelle Beschränkungen grundrechtlicher Privatrechtsw i r k u n g auf objektivrechtliche Grundrechtsfunktionen . .
77
3. Hypothesencharakter allgemeiner Aussagen zur P r i v a t rechtswirkung der Grundrechte
81
4. Folgerungen für die Formulierung der eigenen Fragestellung
82
I I . Verfassungseigentum/Zivileigentum
84
2. T e i l
Das verfassungsrechtliche Gebot der Eigentumsopferentschädigung
§ 7 Einleitung
88
A. Fragestellung u n d Gang der weiteren Untersuchung
88
B. Beschränkung des unmittelbaren Anwendungsbereichs des Gebots der Eigentumsopferentschädigung auf rechtmäßige Beeinträchtigungen
90
I. Begründung aus A r t . 14 I I I G G I I . Bestätigung durch §§ 74, 75 E i n l A L R
91 94
I I I . Allgemeine Rechtfertigung einer dogmatischen Beschränkung auf rechtmäßige Eigentumsbeeinträchtigungen
96
§ 8 Haftungszurechnung bei der Eigentumsopferentschädigung (I): Der Grundsatz der sogenannten Begünstigtenhaftung
99
A. Die herrschenden Vorstellungen zum Grundsatz der Begünstigtenhaftung 100
Inhaltsverzeichnis I. Funktionsbestimmung der Eigentumsopferentschädigung als Begünstigungsausgleich i m zweiseitigen Interessenträgerkonflikt 100 I I . Der zweiseitige Interessenträgerkonflikt als notwendige, aber nicht ausreichende Voraussetzung für eine Haftungszurechnungsfunktion des Gedankens des Begünstigungsausgleichs 102 I I I . Die Untauglichkeit der Vorstellung des zweiseitigen I n t e r essenträgerkonflikts zur Beschreibung der Regelungsgegenstände des Gebots der Eigentumsopferentschädigung 106 1. Die beiden unterschiedlichen Begünstigtenbegriffe i n der Rechtsprechung 106 2. K o m p l e x i t ä t der tatsächlich den Eigentumsaufopferungsregelungen korrespondierenden Interessenlagen 109 B. Die wirkliche S t r u k t u r der Haftungszurechnung zum „ u n m i t t e l bar begünstigten" hoheitlichen Aufgabenträger 111 I. Die innerstaatliche Aufgabenverteilung als entscheidender Maßstab für die „unmittelbare Begünstigung" 111 I I . Der finanzverfassungsrechtliche Parallele
Konnexitätsgrundsatz
1. Die S t r u k t u r des finanzverfassungsrechtlichen tätsgrundsatzes als Folgenzurechnungsnorm
als 113
Konnexi115
2. Dogmatische Konsequenzen einer sinngemäßen Verwendung des Konnexitätsgedankens zur Bestimmung des entschädigungspflichtigen „Begünstigten" 117 I I I . Die Grundsätze zur Haftung des unmittelbar begünstigten Aufgabenträgers als Ausprägung des Gedankens der K o n nexität von Aufgabenwahrnehmung u n d Ausgabenverantwortung 118 1. Obliegenheitsentlastung u n d Veranlassungszusammenhang — Einzelwertungen der Rechtsprechung 118 2. Das Verhältnis von Regel- u n d Ausnahmetatbestand: H a f t u n g des allzuständigen Aufgabenträgers u n d Haftung des Vermögensträgers m i t einem durch Spezialaufgaben begrenzten Aufgabenkreis 121 I V . Zusammenfassung u n d Würdigung der Rationalität der V e r wendung des Konnexitätsgedankens bei der Haftungszurechnung 123
Inhaltsverzeichnis
XI
V. Verbleibende offene Fragen zur Haftungszurechnung bei der Eigentumsopferentschädigung 126
§ 9 Haftungszurechnung bei der Eigentumsopferentschädigung ( I I ) : Die K r i t e r i e n des „enteignungsrechtlichen Eingriffs" 131 A. Einleitung
Ï31
I. Die F u n k t i o n der Eingriffsmerkmale nungskriterien
als Haftungszurech131
I I . Fragestellung u n d Gang der weiteren Untersuchung
133
B. Überblick über I n h a l t u n d F u n k t i o n der Begriffe Finalität, I m perativität u n d U n m i t t e l b a r k e i t 134 I. F i n a l i t ä t als „Verschulden"
135
1. F i n a l i t ä t u n d Vorsatz
135
2. F i n a l i t ä t u n d Fahrlässigkeit
139
3. Ergebnis
141
I I . I m p e r a t i v i t ä t als formalisierte F i n a l i t ä t — Gallwas
142
I I I . U n m i t t e l b a r k e i t als B l a n k e t t
145
I V . Ergebnis
150
C. Die B i l d u n g von Haftungszurechnungskriterien als Problem der Grundrechtsrelevanz von Folgen staatlicher Maßnahmen 150 I. Kritische Betrachtung alternativer Positionen
151
1. Haftungszurechnungskriterien als Abgrenzungsmerkmale zwischen Enteignung u n d Inhalts- u n d Schrankenbestimm u n g des Eigentums 151 a) Die herrschende Terminologie: Zurechnungskriterien als Merkmale des Enteignungsbegriffs 151 b) Z u r Entstehungsgeschichte der herrschenden Terminologie 153 aa) F i n a l i t ä t u n d klassischer Enteignungsbegriff bb) Eingriffsterminologie Lerche c) Ergebnis
u n d Eingriffsdogmatik
153 bei 158 160
Inhaltsverzeichnis 2. Haftungszurechnungskriterien als Problem l o g i k " des Opferentschädigungsrechts
der
„Sach160
I I . Haftungszurechnungskriterien als Problem der Grundrechtsrelevanz — Begründung u n d Präzisierung der Ausgangsthese 162 1. Z u r Dogmatik der Grundrechtsrelevanz (I) — das System grundrechtlicher Gewährleistungs- u n d Vorbehaltsnormen 163 a) Grundrechtsbeeinträchtigung u n d Grundrechtsverletzung — zur Unterscheidung von grundrechtlichem Gew ä h r l e i s t u n g s - u n d Vorbehaltsbereich 164 b) Abhängigkeit der Anwendungsbereiche der Vorbehaltsnormen von denen der Gewährleistungsnormen 168 c) Das verfassungsrechtliche Gebot der Eigentumsopferentschädigung als grundrechtliche Vorbehaltsnorm — K r i t i k der abweichenden Auffassung von G a l lwas 170 d) Ergebnis
174
2. Z u r Bedeutung des Begriffs der Rechtmäßigkeit f ü r die B i l d u n g von Haftungszurechnungskriterien 176 a) Allgemeine F u n k t i o n u n d Fragestellung der Unrechtslehren 177 b) Grundrechtliche Vorbehaltsnormen als Bestimmungsnormen i m Sinne der Lehren v o m Verhaltensunrecht? 178 c) Ergebnis
181
3. Z u r Dogmatik der Grundrechtsrelevanz (II) — G r u n d rechte i m Interventions- u n d Leistungsstaat 181 4. Ergebnis
185
§ 10 Der Haftungsgrund bei der Eigentumsopferentschädigung: Die K r i terien des entschädigungspflichtigen Eigentumsopfers 189 A. Der Enteignungsbegriff des B G H : Enteignung als Verstoß gegen den Gleichheitssatz 191 I. Die A n w e n d u n g des Gleichheitssatzes als Problem der V o r entscheidung über zureichende Gründe einer Ungleichbehandlung 191 I I . Einzelakt oder Konkretisierung des A r t . 14 G G als Maßstab zulässiger Ungleichbehandlung — die zweispurige Enteignungsprüfung i n Β GHZ 6, 270 ff. 193
Inhaltsverzeichnis
XVI
I I I . Die Entscheidung für A r t . 14 I, I I GG als materieller Maßstab zulässiger Ungleichbehandlung — B G H Z 23, 30 f f 197 1. Situationsgebundenheit, Sozialgebundenheit, Pflichtigkeit u n d A r t . 14 GG 197 a) Situationsgebundenheit u n d Natur der Sache
198
b) Situationsgebundenheit u n d Sozialbindung — Pflichtigkeiten als Ergebnis einer an A r t . 14 I, I I GG orientierten Abwägung 200 2. Zwischenergebnis
208
3. Bedeutung des A r t . 19 I I GG für das Verfahren des B G H 209 I V . Einwände gegen die Abwägungsmethode des B G H
211
1. Verhältnis der Abwägung zur herrschenden Interpretation des A r t . 3 I GG 211 2. Z u m Problem Gleichheitsverstoß — Rechtmäßigkeit der Enteignung 213 a) Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Beeinträchtigungen des Eigentumsgegenstandes u n d des Eigentumswertes 214 b) Der spezifische Gegenstand der Pflichtigkeit: D u l d u n g der Eigentumswertbeeinträchtigung 218 c) E x k u r s : Begründungs- u n d Argumentationslast bei der Entschädigungsfrage 220 V. Ergebnis
221
B. Die Abwägungsmethode des B G H u n d sonstige materielle E n t eignungstheorien 223 C. Formale Abgrenzungsversuche
226
D. Ergebnis
231
§11 Das Gebot der Eigentumsopferentschädigung i m System des A r t . 14 GG 232 A. Herkömmliche Vorstellungen zur Systematik des A r t . 14 G G . . 233 B. Gegenthese: Geltung des Gebots der Eigentumsopferentschädigung i m Bereich des A r t . 14 I 2 GG 235
Inhaltsverzeichnis I. Entschädigungspflichtige Eigentumsbindung i n der sprechung des B G H u n d des B V e r f G
Recht. 236
I I . Die Übereinstimmung der A b w ä g u n g des B V e r f G bei der Begründung entschädigungspflichtiger Eigentumsbindung m i t der enteignungsrechtlichen Abwägung 240 1. Strukturelle Übereinstimmung
240
2. Bedeutung der Abwägungsstruktur f ü r die Enteignungsrechtsprechung 244 3. Inhaltliche Übereinstimmung
246
I I I . Die B i n d u n g des Gesetzgebers an Gleichheitssatz u n d Übermaßverbot als Geltungsgrund des Gebots der Eigentumsopferentschädigung i m Bereich des A r t . 14 I 2 GG 248 1. Gleichheitssatz u n d Übermaß verbot als verfassungsrechtliche Grenzen gesetzlicher Inhalts- u n d Schrankenbestimm u n g des Eigentums 249 2. Entschädigung als zulässiges u n d gebotenes M i t t e l zur Vermeidung gleichheitswidriger u n d übermäßiger Eigentumswertbeeinträchtigungen 255 3. Ergebnis
266
C. Einzelne Konsequenzen f ü r die Dogmatik des Eigentumsschutzes durch Entschädigung nach A r t . 14 G G 266 I. Rückorientierung der Enteignung i. S. d. A r t . 14 I I I 1 GG a m Typus der klassischen Enteignung als Güterbeschaffungsvorgang 267 I I . Z u m Anwendungsbereich u n d I n h a l t des Gebots der Eigentumsopferentschädigung nach A r t . 14 I 2 G G 268 1. Z u m Anwendungsbereich des Gebots der Eigentumsopferentschädigung 268 a) Keine tatbestandliche Beschränkung rechtliche Beeinträchtigungen
auf
öffentlich269
b) Keine tatbestandliche Beschränkung auf Beeinträchtigungen „ z u m Wohle der Allgemeinheit" 270 c) Ergebnis: „Privatrechtswirkung" u n d Gebot einheitlicher Bestimmung der Opferkriterien i m Zivilrecht u n d i m öffentlichen Recht 274
XVIII
Inhaltsverzeichnis 2. Z u m I n h a l t des Gebots der Eigentumsopferentschädigung 275 a) öffentlichrechtlicher Anwendungsbereich
275
aa) Charakter als Entschädigungs-Regelungs-Gebot . . 276 bb) Inhaltliche Anforderungen an die einfachgesetzliche Tatbestandsausgestaltung — A r t u n d Höhe der Entschädigung 278 cc) Formelle Anforderungen an die einfachgesetzliche Tatbestandsausgestaltung 281 dd) Ergebnis
286
b) Zivilrechtlicher Anwendungsbereich
286
aa) Fragen der Haftungszurechnung, insbesondere: subsidiäre Einstandspflicht des Staates? 286 bb) Anspruchsausgestaltung i m einzelnen
292
3. T e i l
Konsequenzen für die Zivilrechtsdogmatik
§ 12 Eigentumsopferentschädigung u n d Ausgleichshaftung i m Zivilrecht 295 A . Z u m I n h a l t des Prinzips der Eigentumsopferentschädigung Zivilrecht I. K e i n Prinzip der Haftungszurechnung
im 295 296
I I . Z u m Haftungsgrund: Neuansätze zur zivilrechtlichen Systembildüng 297 1. Verfassungsrechtliche Fragestellung: Z u r Qualifikation zivilrechtlicher Tatbestände der entschädigungspflichtigen Eigentumsaufopferung 297 2. Zivilrechtsdogmatische Fragestellung: Z u r Qualifikation zivilrechtlicher Tatbestände der Ausgleichshaftung 301 a) Ausgleichshaftung als formales S t r u k t u r p r i n z i p
301
b) Unterschiedliche materielle Haftungsgründe als Gegenstand einfachgesetzlicher Abwägungen 302
Inhaltsverzeichnis Β . Z u m Verhältnis der zivilrechtlichen Eigentumsaufopferung
zur
öffentlichrechtlichen
I. Ansprüche der Eigentumsopferentschädigung I I . Ansprüche sonstiger Ausgleichshaftung
305 305 306
C. Z u r Allgemeinheit eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht 308 I. Das allgemeine Prinzip der Eigentumsopferentschädigung als Verfassungsgebot 309 I I . K e i n allgemeines Prinzip der Ausgleichshaftung D. Ergebnis
310 310
Literaturverzeichnis
313
§ 1 Einleitung u n d Übereicht Die folgende Untersuchung beschäftigt sich m i t Inhalt und Geltungsbereich des verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots unter besonderer Berücksichtigung seiner Bedeutung für das Zivilrecht. Angesichts der Fülle bereits vorliegender enteignungsrechtlicher Literatur bedürfen Fragestellung und Untersuchungsgang der Erläuterung: Die sogenannte zivilrechtliche Aufopferungshaftung hat als eigenständiges Haftungsprinzip seit geraumer Zeit einen festen Platz i n der Zivilrechtsdogmatik bei der Beschreibung und Erklärung einer besonderen Gruppe von Schadensausgleichsnormen, die weder der Verschuldenshaftung noch der Gefährdungshaftung zugerechnet werden können. Kennzeichnend für diese Normen ist eine Schadenshaftung trotz Rechtmäßigkeit der Schadensverursachung; die Verwendung des Begriffs der Aufopferung signalisiert eine „Verwandtschaft" solcher Normen m i t der öffentlichrechtlichen Aufopferungshaftung, die auf die §§ 74, 75 E i n l A L R zurückgeht und als deren Geltungsgrund für den Bereich vermögenswerter Rechte die herrschende Meinung heute das Verfassungsgebot der Enteignungsentschädigung nach A r t . 14 I I I GG betrachtet. Die allgemeine Vorstellung einer „Parallele" zwischen zivilrechtlicher und öffentlichrechtlicher Aufopferungshaftung durchzieht i n der Tat das gesamte zivilrechtliche Schrifttum und die Rechtsprechung zur Aufopferungshaftung; dieser allgemeinen Vorstellung liegen jedoch nicht hinreichend präzise Aussagen über den Inhalt des verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots i n seiner heute herrschenden Ausprägung zugrunde. Die vorliegende Untersuchung betrachtet diesen Mangel an ausreichender Auseinandersetzung der zivilrechtlichen Lehre m i t dem verfassungsrechtlichen Gebot der Enteignungsentschädigung als einen der wesentlichen Gründe dafür, daß die zentralen Fragen einer Dogmatik der zivilrechtlichen Aufopferungshaftung heute nach wie vor unzureichend geklärt sind: Obwohl ein Prinzip der zivilrechtlichen Aufopferungshaftung und dessen „Verwandtschaft" m i t der öffentlichrechtlichen Aufopferung häufig für Fragen der Auslegung und Anwendung einzelner A n spruchstatbestände herangezogen wird, sind die Bemühungen, dieses Prinzip und dessen Gemeinsamkeit mit dem öffentlichrechtlichen Entschädigungsgebot inhaltlich abgrenzbar zu beschreiben, unbefriedigend geblieben. Insbesondere die für das Verhältnis von zivil- und öffent1 Schulze-Osterloh
2
§ 1 Einleitung u n d Übersicht
lichrechtlicher Eigentumsaufopferung zentrale Frage, ob und wieweit das verfassungsrechtliche Gebot der Enteignungsentschädigung auch für zivilrechtliche Aufopferungslagen Geltung beansprucht, ist bisher häufig ganz vernachlässigt oder doch mangels einer systematisch folgerichtigen Interpretation des A r t . 14 GG i n seiner Gesamtheit nicht überzeugend gelöst worden. Schließlich ist auch bei der Behandlung der i m Zivilrecht umstrittenen Frage nach einer von Einzeltatbeständen abgelösten Verallgemeinerungsfähigkeit eines Prinzips der Aufopferungshaftung die verfassungsrechtliche Problematik bislang zu Unrecht vernachlässigt worden. Diese i m ersten Teil der Arbeit näher ausgeführten Einwände gegen die derzeit herrschenden Vorstellungen zur sogenannten zivilrechtlichen Aufopferungshaftung gaben zu dem Versuch Anlaß, das verfassungsrechtliche Defizit der herrschenden Zivilrechtsdogmatik zu überwinden und zunächst klare Aussagen über Inhalt und Geltungsbereich des verfassungsrechtlichen Gebots der hier sogenannten Eigentumsopferentschädigung zu gewinnen. Dieser i m zweiten Teil der Arbeit ausgeführte Versuch führt trotz seines spezielleren Anlasses i n seinen Ergebnissen über die engere zivilrechtliche Thematik weit hinaus und stellt geläufige Vorstellungen zur enteignungsrechtlichen Dogmatik i n wesentlichen Punkten i n Frage. Das mag u. a. darauf zurückzuführen sein, daß die vorliegende Untersuchung des verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots — veranlaßt durch ihren Bezug zum Zivilrecht aber auch aus allgemeineren Erwägungen — eine dogmatische Rückbesinnung auf den engeren Anwendungsbereich des Entschädigungsgebots für rechtmäßige Eigentumsbeeinträchtigungen vollzieht. Dies ermöglicht es nämlich, einige zentrale Aspekte des verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots für Eigentumsopfer i n allgemeinere grundrechtsdogmatische Zusammenhänge wiedereinzubeziehen, die durch die derzeitige Ausweitung des Gebots der Enteignungsentschädigung zu einer praktisch weitgehenden unmittelbaren Staats(unrechts)haftung zu sehr i n Vergessenheit geraten sind. Der fortgeschrittene Stand der Reform des Staatshaftungsrechts läßt jedoch Bemühungen, die Konturen eines systematisch eigenständigen Gebots der Eigentumsopferentschädigung für rechtmäßige Eigentumsbeeinträchtigungen nachzuzeichnen, gegenwärtig durchaus wieder als zeitgemäß erscheinen. Die wichtigsten Ergebnisse dieser hier verfolgten Fragestellung betreffen zum einen Grund und Kriterien der Anspruchsverpflichtung und damit den Bereich der hier sogenannten Haftungszurechnung, zum anderen Grund und Kriterien der Anspruchsberechtigung, den Bereich des hier sogenannten Haftungsgrundes. Für die Frage der Haftungszurechnung w i r d zunächst der von der herrschenden Meinung für das Zivilrecht übernommene Grundsatz der
§ 1 Einleitung u n d Übersicht
3
Begünstigtenhaftung untersucht. Die entscheidende hierzu vertretene These ist dabei, daß der Grundsatz einer Begünstigtenhaftung nicht nur generell als Begründung einer Schadensverantwortlichkeit unzureichend ist, sondern daß der Begriff der Begünstigtenhaftung auch ein unzutreffendes Etikett für die tatsächlich i n der Rechtsprechung verwendeten Haftungszurechnungskriterien darstellt; diese tatsächlich das Enteignungsrecht beherrschenden Zurechnungskriterien stellen sich i n Wahrheit als Ausprägung des Gedankens der Konnexität von A u f gabenwahrnehmung und Ausgabenverantwortung dar. Ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Haftungszurechnung werden sodann die K r i t e rien des sogenannten enteignungsrechtlichen Eingriffs untersucht, die die für Entschädigungsansprüche primären und konstitutiven Haftungszurechnungskriterien enthalten. Hier kommt es der vorliegenden Untersuchung darauf an, zu zeigen, daß dem Gebot der Eigentumsopferentschädigung kein spezifisches Haftungszurechnungsprinzip zugrundeliegt, daß also die Entscheidung über die „richtigen" Zurechnungskriterien kein Problem des Inhalts des verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots ist, sondern als allgemeines Problem der Grundrechtsrelevanz von Folgen staatlicher Maßnahmen zu lösen ist. Die entscheidenden positiven Aussagen zu Inhalt und Geltungsbereich des Entschädigungsgebots werden anschließend i m Rahmen der Erörterung der Kriterien des entschädigungspflichtigen Eigentumsopfers, also für den Bereich des Haftungsgrundes bei der Eigentumsopferentschädigung entwickelt. I m Mittelpunkt dieser Betrachtung steht dabei das Verfahren, m i t dessen Hilfe die Rechtsprechung die jeweils maßgeblichen Merkmale des entschädigungspflichtigen Eigentumsopfers bestimmt. I m Einklang m i t der gegenwärtig wohl herrschenden Lehre w i r d dieses Verfahren als eine weitgehend offene A b wägung charakterisiert. Die nähere Betrachtung von Inhalt und Strukt u r dieser Abwägung führt hier indes zu weitreichenden Konsequenzen: M i t Rücksicht darauf, daß Gleichheitssatz und Übermaß verbot i. V. m. A r t . 141, I I GG den normativen Rahmen und die Grundlage der herrschenden Abwägung zur Abgrenzung des entschädigungspflichtigen Eigentumsopfers bilden, w i r d hier für eine tatbestandliche Ablösung des allgemeinen Gebots der Eigentumsopferentschädigung vom Geltungsbereich des A r t . 14 I I I GG plädiert. Das allgemeine Entschädigungsgebot wegen rechtmäßiger Eigentumsbeeinträchtigungen beansprucht — so die tragende Überlegung — gemäß seiner ratio Geltung unmittelbar i m Bereich des A r t . 1412 GG, seine zutreffende verfassungsrechtliche Begründung bildet die Bindung auch des eigentumsgestaltenden (Zivil-)Gesetzgebers an Übermaßverbot und Gleichheitssatz i. V. m. A r t . 1411 und I I GG. Die hieraus folgende systematische Konzeption des A r t . 14 GG bedeutet n u r einen notwendigen dogmati1*
4
§ 1 Einleitung u n d Übersicht
sehen Nachvollzug des von der herrschenden Meinung akzeptierten Funktionswandels des enteignungsrechtlichen Entschädigungsgebots zu einem allgemeinen Gebot der Vermeidung gleichheitswidriger und übermäßiger Eigentums Wertbeeinträchtigungen; diese Konzeption vermag deshalb auch i n ihren Konsequenzen wichtige innere Widersprüche der bislang herrschenden Enteignungsdogmatik zu überwinden. Die Ergebnisse der Untersuchung von Inhalt und Geltungsbereich des verfassungsrechtlichen Gebots der Eigentumsopferentschädigung bilden schließlich die Grundlage für die Beantwortung der i m letzten Teil der Arbeit wieder aufgegriffenen zentralen Fragen der Dogmatik der sogenannten zivilrechtlichen Aufopferungshaftung. Wichtig ist i n diesem Zusammenhang zunächst das Ergebnis, daß dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Gebot der Eigentumsopferentschädigung ein eigenständiges Haftungszurechnungsprinzip nicht zugrunde liegt, daß sich dessen Aussagegehalt vielmehr auf die Frage des Haftungsgrundes, also des Grundes und der Kriterien der Anspruchsberechtigung beschränkt. I m übrigen sind von tragender Bedeutung einerseits die verfassungsrechtlich begründete allgemeine Geltung des Gebots der Eigentumsopferentschädigung auch i m Zivilrecht i m Sinne einer allgemeinen Bindung des Zivilgesetzgebers, andererseits die weitgehende Offenheit dieses Gebots gegenüber seiner einfachgesetzlichen Konkretisierung. Die allgemeine Geltung des Gebots der Eigentumsopferentschädigung macht es sinnvoll und notwendig, die Frage nach der Qualität einer zivilrechtlichen Regelung als Fall entschädigungspflichtiger Eigentumsaufopferung als Verfassungsfrage zu stellen. Voraussetzungen und Konsequenzen einer solchen Qualifikation ergeben sich dabei unmittelbar aus den hier gewonnenen Erkenntnissen zum verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebot. Die inhaltliche Offenheit des Verfassungsgebots läßt zugleich aber auch ein Bedürfnis für eine eigenständige zivilrechtliche Systembildung bestehen, der die Aufgabe zukommt, einfachgesetzliche Differenzierungen, denen die Verfassung neutral gegenübersteht, sinnvoll darzustellen. Dies führt zu dem Vorschlag, unter dem neutralen Begriff der Ausgleichshaftung eine Gruppe von Anspruchsnormen zusammenzufassen, die weder der Verschuldenshaftung noch der Gefährdungshaftung noch der Bereicherungshaftung zuzurechnen sind. Die tragende Gemeinsamkeit dieser Anspruchsnormen ist formal-konstruktiver A r t : Entscheidend ist, daß der Ausgleichsanspruch Bestandteil einer Kollisionsregelung ist, nach der einerseits der Inhaber eines Vermögenswerten Rechts verpflichtet ist, eine Rechtsbeeinträchtigung hinzunehmen, andererseits aber zugleich einen Anspruch auf Ausgleich der durch die Rechtsbeeinträchtigung bewirkten Vermögenseinbuße erhält. Hierher gehören neben A n sprüchen der Eigentumsopferentschädigung i m verfassungsrechtlichen
§ 1 Einleitung u n d Übersicht
Sinne auch solche Fälle, i n denen der Gesetzgeber das flexible Instrument einer nach Gegenstands- und Wertschutz differenzierenden Ausgleichsregelung aus jeweils unterschiedlichen materiellen Erwägungen i m Vorfeld verfassungsrechtlicher Notwendigkeit einsetzt.
Erster Teil
Kritische Betrachtung des gegenwärtigen Meinungsstands zur Eigentumsaufopferung im Zivilrecht § 2 Begriff und Fragestellung Dem Haftungssystem des Zivilrechts werden eine Reihe von Normen zugerechnet, die i n erster Linie als Vorschriften der zivilrechtlichen Aufopferungshaftung bzw. als zivilrechtliche Aufopferungsansprüche, aber auch als „Haftung für erlaubte Eingriffe" 1 , als „Eingriffshaft u n g " 2 oder als „Ausgleichshaftung" 3 gekennzeichnet werden 4 . Die hier i m Mittelpunkt des Interesses stehenden Ansprüche 5 lassen sich grob i n zwei Gruppen einteilen 6 : i n solche des Notstands- und solche des Nachbarrechts. Z u r Gruppe des Notstandsrechts gehören als wichtigster Fall der Ersatzanspruch des Eigentümers nach § 904 S. 2 BGB (aggressiver Notstand), außerdem die Vorschriften des § 25 L u f t V G (Notlanderecht), der §§ 700 HGB, 78 Abs. 1 BSchG (große Haverei), der §§ 867, 1005, 962 BGB (Verfolgungsrechte) und des § 917 BGB (Notwegrecht) 7 . Zum Nachbarrecht zählen demgegenüber der dem früheren § 26 GewO weitgehend entsprechende § 14 BImSchG 8 (Anspruch auf Schadensersatz gegenüber Immissionen einer genehmigten Anlage), § 912 BGB (Überbau), § 906 I I 2 BGB (wesentliche ortsübliche und unzumutbare Immis1
Larenz, SchR I I , § 78, S. 648 ff. Esser / Schmidt, SchR I 1, § 7 I I 5, S. 75 ff. 3 Larenz, SchR I I , § 78, S. 649. 4 Vgl. hierzu die eingehende systematische Darstellung des Meinungsstands bei Konzen, Aufopferung, S. 24 ff.; Deutsch, Haftungsrecht I , § 23, S. 387 ff.; aus der neueren Rechtsprechung des B G H insbes. B G H Z 48, 98 ff. 5 Die folgende Übersicht über mögliche gesetzliche Aufopferungshaftungstatbestände erhebt weder den Anspruch der Vollständigkeit noch soll sie eine endgültige Stellungnahme zur richtigen dogmatischen Charakterisierung dieser Vorschriften bedeuten. 6 Nach Konzen, Aufopferung, S. 107 ff., 123 ff.; vgl. auch Larenz, SchR I I , § 78, S. 648 ff.; Deutsch, Haftungsrecht I, § 23, S. 389; Spyridakis, Festg. Sontis, S. 241 ff. 7 Vgl. hierzu i m einzelnen Konzen, Aufopferung, S. 107 ff.; H. Schulte, Eigentum, S. 35 ff. 8 Vgl. auch § 7 V A t o m G u n d § 11 L u f t V G jeweils i. V. m. § 14 BImSchG. 2
§ 2 Begriff u n d Fragestellung
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sionen) sowie der gesetzlich nicht geregelte nachbarrechtliche „ A n spruch auf Schadloshaltung" 9 wegen wesentlicher nicht ortsüblicher, aber aus besonderen Gründen duldungspflichtiger Immissionen 10 . Die Prototypen beider Normengruppen, § 904 BGB und § 14 BImSchG, zeigen gleichermaßen deutlich das gemeinsame Bauprinzip dieser Haftungsnormen: Nach § 904 S. 1 BGB ist „der Eigentümer einer Sache . . . nicht berechtigt, die Einwirkung eines anderen auf die Sache zu verbieten, wenn die Einwirkung zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden unverhältnismäßig groß ist". Diese Regelung zu Lasten des Eigentümers i m Falle des aggressiven Notstands w i r d ergänzt durch die Ausgleichsregelung zugunsten des Eigentümers i n § 904 S. 2 BGB: „Der Eigentümer kann Ersatz des i h m entstehenden Schadens verlangen." Das Bauprinzip dieser Vorschriften läßt sich als zweitaktige K o l l i sionsregelung kennzeichnen, die i n der Form eines „zwar — aber" verbunden ist: I m Kollisionsfall (aggressiver Notstand) hat zwar der Eigentümer gegenüber bestimmten Einwirkungen (abweichend von § 903 BGB) kein Verbietungsrecht — oder entsprechend: Bestimmte Einwirkungen sind zwar gegenüber dem Eigentümer erlaubt —, aber der Eigentümer kann Ersatz des entstehenden Schadens verlangen. Kurz: Der Ersatzanspruch des Eigentümers korrespondiert einem den Eigentümer belastenden Eingriffsrecht. Entsprechend bestimmt auch § 14 BImSchG, daß zwar gegenüber einer genehmigungsbedürftigen Anlage i m Sinne des § 4 BImSchG 1 1 , deren Genehmigung unanfechtbar geworden ist, „auf Grund privatrechtlicher, nicht auf besonderen Titeln beruhender Ansprüche zur Abwehr benachteiligender Auswirkungen von einem Grundstück auf ein benachbartes Grundstück . . . nicht die Einstellung des Betriebs . . . verlangt werden" kann, sondern nur „Vorkehrungen . . . , die die benachteiligenden Wirkungen ausschließen". Gleichwohl entsteht ein Schadensersatzanspruch, soweit schützende Abhilfemaßnahmen aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht durchführbar bzw. vertretbar sind. 9
B G H DVB1. 1972, 115 f.; B G H Z 54, 384 (387 f.); 58, 149 (158 ff.); 62, 361 (371); dazu z.B. Schwabe, DVB1. 1975, 42ff.; ders., DVB1. 1973, 103 (104) näher zur Terminologie. 10 Hierzu i m einzelnen Konzen, Aufopferung, S. 123 ff.; H. Schulte, Eigentum, S. 18 ff. m i t zusätzlichen Beispielen. — Beide Autoren zur Rechtslage vor I n k r a f t t r e t e n des Bundes-Immissionsschutzgesetzes v o m 1.4.1974. 11 Z u dieser u n d weiteren Einschränkungen des Geltungsbereichs des § 14 BImSchG vgl. n u r Feldhaus, Bundesimmissionsschutzreçht I, § 14 BImSchG A n m . 3.
1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m
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ivilrecht
Betrachtet man demgegenüber die klassischen sedes materiae des öffentlichen Aufopferungsrechts, die §§ 74, 75 EinlALR, so ist deren konstruktive Ähnlichkeit unverkennbar: § 74 E i n l A L R enthält ebenso wie § 904 BGB und § 14 BImSchG eine Kollisionsregel zu Lasten des nach § 75 E i n l A L R Ersatzberechtigten: „Einzelne Rechte und Vortheile der Mitglieder des Staats müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls, wenn zwischen beiden ein wirklicher Widerspruch (Collision) eintritt, nachstehen" (§ 74 EinlALR). „Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine besonderen Rechte und Vortheile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen gehalten" (§ 75 EinlALR). U m die prinzipielle Berechtigung, die angeführten notstands- und nachbarrechtlichen Normen bzw. zumindest einen Teil dieser Normen als Aufopferungsansprüche zu interpretieren, w i r d soweit ersichtlich, nirgends mehr gestritten 1 2 . Die verbreitete Zurückhaltung gegenüber dem Begriff der Aufopferungshaftung als solchem und die Bevorzugung neutralerer Begriffe wie Eingriffshaftung 1 3 , (nachbarrechtliche) Ausgleichshaftung 14 oder wie des dem § 26 GewO entlehnten „Anspruchs auf Schadloshaltung" 15 dürfte sich vor allem i m Hinblick auf die Terminologie des B G H zum öffentlichrechtlichen Entschädigungsrecht 16 erklären, wo bekanntlich die Aufopferung inhaltlich als allgemeineres Entschädigungsprinzip gegenüber der spezielleren Enteignung verstanden wird, als Terminus jedoch eingeschränkt ausschließlich für die außerhalb des Geltungsbereichs des A r t . 14 GG liegenden Fälle 1 7 der Beeinträchtigungen von nichtVermögenswerten Rechten verwendet wird. Da die zentralen Normen der sog. privatrechtlichen Aufopferungshaftung demgegenüber gerade solche Rechte betreffen, die ein12 Vgl. — m i t Abweichungen i m einzelnen — Esser / Schmidt, SchR I 1, § 7 I I 5, S. 75 ff.; Larenz, SchR I I , § 78, S. 648 ff.; Fikentscher, SchR, § 112, S. 689 ff., u n d Enneccerus / Nipper dey, B G B A T , § 218, S. 1345 ff.; Soergelf Baur, BGB, Rn. 77 ff. vor § 903 B G B ; Baur, SR, § 25 I V , S. 221 ff.; H. Westermann, SR, § 28 I I I , S. 122 ff.; Palandt / Bassenge, BGB, § 903 A n m . 3 c; H. Schulte, Eigentum, S. 107 ff.; Konzen, Aufopferung, S. 101 ff., 135, 150; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 13, S. 90 ff.; Deutsch, Haftungsrecht I , § 23, S. 387 ff.; aus der Rechtsprechung vor allem: BGHZ 16, 366 (369/370); 48, 98 (100/101); umfassende Nachweise der älteren höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Hemsen, Aufopferungsanspruch, S. 14/15, Fn. 5. 13
ζ. B. Esser / Schmidt, SchR I, § 7 I I 5, S. 75 ff. z.B. Larenz, SchR I I , § 78, S.649; BGHZ 48, 98 (100/101); B G H N J W 1979, 164. 15 Vgl. oben Fn. 9. 16 Vgl. insbes. BGHZ 13, 88 (91); 45, 58 (76 f.) m . w . N . ; Kröner, Eigentumsgarantie, S. 10 ff.; Kr eft, Aufopferung, S. 15/16; Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 37, 38, S. 16, 17 m. w . N. 17 Dazu vgl. unten m i t Fn. 21. 14
§ 2 Begriff u n d Fragestellung
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deutig dem Schutzbereich des A r t . 14 GG zuzuordnen sind, nämlich vor allem Eigentum i m Sinne des BGB, könnte es hier natürlich leicht zu terminologischen Mißverständnissen kommen 1 8 . I m Rahmen der vorliegenden Untersuchung soll deshalb, soweit es sich um Fälle einer Entschädigung wegen Beeinträchtigung vermögenswerter Rechte i m Sinne des A r t . 14 GG handelt, nicht generell von (möglicher) zivilrechtlicher Aufopferung, sondern deutlicher von Eigentumsaufopferung oder Eigentumsopferentschädigung gesprochen werden. Diese Begriffe ermöglichen einerseits eine jederzeit klare Bezeichnung i m Hinblick auf eine Unterscheidung von Vermögens- und NichtVermögensrechten. Andererseits verdeutlichen sie — anders als die Begriffe Eingriffs- oder Ausgleichshaftung — das zentrale dogmatische Problem einer „Parallele" zivilrechtlicher und öffentlichrechtlicher Eigentumsaufopferung, da dieser Begriff zugleich eine sinnvolle Beschreibung des herrschenden Enteignungsbegriffs darstellt 1 9 . Darüber hinaus bezeichnet der Begriff der Eigentumsopferentschädigung den Problembereich, auf den sich diese Untersuchung i m wesentlichen beschränkt. Prinzipiell außerhalb der Betrachtung bleiben Fragen einer zivilrechtlichen Aufopferungshaftung bei Beeinträchtigung nichtvermögenswerter Rechte 20 — der Sinn dieser Einschränkung ergibt sich aus dem entsprechenden Geltungsbereich des A r t . 14 GG 2 1 , 18
Diesbezügliche K r i t i k ζ. B. bei Kimminich, N J W 1973, 1479 (1480). Demgegenüber erscheint der inzwischen i m öffentlichrechtlichen Schriftt u m verbreitete Begriff der Aufopferungsenteignung — vgl. z. B. W. Weber, Grundrechte I I , S. 331 (350, 371); Forsthoff, V e r w R I, S. 339; Gronefeld, F i nalitätsmerkmal, S. 38 m i t zahlreichen Nachweisen — einerseits sprachlich weniger unmittelbar einleuchtend, andererseits ist dieser Begriff nach herrschendem Verständnis f i x i e r t auf die öffentlichrechtliche Enteignung. 20 Vgl. dazu n u r Deutsch, Haftungsrecht I , § 23, S. 387 f., 399 f. m. w. N. 21 Allerdings fehlt es nicht an Versuchen, das Gebot der Enteignungsentschädigung unmittelbar — so Bauschke / Kloepfer, N J W 1971, 1233 (1236 ff.) — oder mittelbar i. V. m. A r t . 2 I I GG u n d A r t . 1 G G — so Schiwy, Impfung, S. 29 ff. — auch auf Beeinträchtigungen nichtvermögenswerter Rechte auszudehnen. Eine unmittelbare A n w e n d u n g des A r t . 14 I I I GG auf NichtVermögensrechte widerspricht jedoch Gesetzeswortlaut u n d -systematik, die eindeut i g zwischen Vermögens- u n d NichtVermögensrechten unterscheiden. D a m i t verbietet es sich de lege lata, aus einer Beschränkung auch der Aufopferungsentschädigung wegen Beeinträchtigung nichtvermögenswerter Rechte auf den Ausgleich von Vermögensschäden generell einen einheitlichen, alle Rechte erfassenden Tatbestand der Vermögensopferentschädigung abzuleiten (so aber i m Ergebnis Bauschke / Kloepfer; k r i t . dazu Kreft, DVB1. 1975, 738) — unbeschadet der A n t w o r t auf die Frage, ob mittelbare Vermögensschäden zugleich die Voraussetzungen einer enteignungsrechtlichen Beeinträchtigung von Eigentumsrechten darstellen können. Aber auch einer mittelbaren Geltungserweiterung des A r t . 14 I I I GG etwa i m Sinne eines Modells verstärkten Rechtsschutzes steht der Umstand entgegen, daß der Entschädigung(sregelung) anders als bei der Enteignung grundsätzlich keine F u n k t i o n als Zulässigkeitsvoraussetzung f ü r die Aufopferung nichtvermögenswerter Rechte zukommen kann; vgl. dazu näher unten § 7 Fn. 20 u n d § 11 Fn. 116. 19
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1. Teil : Der Meinungsstand zur Eigentumsaufpferung i m
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der die spezifisch verfassungsrechtliche Problematik einer zivilrechtlichen Eigentumsaufopferung bestimmt. Weiterhin sollen lediglich Probleme außervertraglicher Eigentumsopferentschädigung 22 behandelt werden — diese Beschränkung erklärt sich ebenfalls m i t Rücksicht auf die hier entscheidenden verfassungsrechtlichen Probleme, die sich i m vertraglichen und außervertraglichen Bereich i n spezifischer Weise unterscheiden 28 . Die Probleme einer spezifischen zivilrechtlichen Eigentumsopferentschädigung sind bereits mehrfach Gegenstand eingehender Untersuchungen geworden, die sich vor allem auf zwei Fragenkreise konzentrierten: Z u m einen wurde — primär i m Rahmen zivilrechtlicher Dogmatik — die Frage untersucht, wie weit ein allgemeines, über einzelne gesetzliche Regelungen hinausgehendes Prinzip einer Eigentumsopferentschädigung (bzw. weiter: einer Opferentschädigung) i m Zivilrecht Geltung beanspruchen kann, u n d zwar i n der Form eines allgemeinen, von gesetzlichen Einzelnormierungen abstrahierten Eigentumsopferentschädigungsanspruchs. Angeregt wurden diese Untersuchungen vor allem durch einen i m Jahre 1958 veröffentlichten Aufsatz Hubmanns 24, der außerordentlich weitgehende Thesen über die Geltung eines allgemeinen, auf den Schutz bloßer Interessen ausgedehnten zivilrechtlichen Aufopferungssatzes aufstellte. Einen vorläufigen Abschluß der hieran anschließenden Diskussion 2 5 scheint die Arbeit von Konzen aus dem Jahre 1969 über „Aufopferung i m Zivilrecht" gebracht zu haben, die die weitgehenden Thesen Hubmanns — m i t der w o h l überwiegenden Meinung — i m wesentlichen ablehnt 2 6 und die Geltung eines zivil22
Übersicht über die Probleme einer zivilrechtlichen Aufopferungshaftung i m Vertragsrecht bei Konzen, Aufopferung, S. 213 f. 29 Letzteres dürfte unzweifelhaft sein. Selbst Schwabe, D r i t t w i r k u n g , der i m Ergebnis für eine prinzipielle Gleichschaltung unmittelbarer Grundrechtsgeltung i m vertraglichen und außervertraglichen Zivilrecht plädiert (vgl. die Zusammenfassung S. 154 ff.), verkennt i m Ansatz nicht die Besonderheit des Vertragsrechts, wonach „ f ü r die jeweiligen Befugnisse des einen die vertragliche Willenserklärung des davon betroffenen anderen je nach ihrer Freiwilligkeit mehr oder weniger konstitutiv ist" (S. 67). Entsprechend auch zur besonderen verfassungsrechtlichen Problematik des das zivilrechtliche Vertragsrecht beherrschenden Grundsatzes der Privatautonomie S. 75 ff. und S. 110 f. 24 „Der bürgerlichrechtliche Aufopferungsanspruch", JZ 1958, 489 ff. 25 Vgl. insbes. Hemsen, Aufopferungsanspruch (1961); Ziegler, Aufopferungsanspruch (1963); Tondorf, Aufopferungsanspruch (1965); H. Meyer, A u f opferungsentschädigungsgedanke (1965) ; Horst, Querverbindungen (1966) ; vgl. i m übrigen die Darstellung des Meinungsstands m i t umfassenden Nachweisen bei Konzen, Aufopferung, S. 24 ff. 26 Konzen, Aufopferung, insbes. S. 152 ff. m i t Nachweisen. Zustimmend insbes.: Canaris, JZ 1971, 399; Palandt ! Bassenge, BGB, § 903 Anm. 3 c; wohl
§ 2 Begriff u n d Fragestellung
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rechtlichen Aufopferungsprinzips auf den Geltungsbereich gesetzlich ausdrücklich normierter Aufopferungsansprüche und deren analoge Anwendung i n Einzelfällen beschränkt 27 . Neben diesen praktisch ausschließlich zivilrechtlich orientierten A r beiten zum Problem eines allgemeinen zivilrechtlichen Aufopferungsanspruchs hat vor allem Hans Schulte die Frage nach dem Verhältnis einer zivilrechtlichen und einer öffentlichrechtlichen Eigentumsaufopferung (besonders i m Nachbarrecht) unter spezifisch verfassungsrechtlichen Aspekten problematisiert 2 8 . Obwohl eine zivilrechtliche Eigentumsopferentschädigung als dogmatische Figur keineswegs neu ist, sondern bereits von der nachbarrechtlichen Rechtsprechung des Reichsgerichts entwickelt 2 9 und i n frühen Untersuchungen zu den Haftungsprinzipien des bürgerlichen Rechts 30 berücksichtigt worden ist, kann auch nach dem jetzigen Stand der einschlägigen Arbeiten nicht von einer befriedigenden klaren Dogmatik einer zivilrechtlichen Eigentumsopferentschädigung gesprochen werden. Drei zentrale Fragen zur Eigentumsaufopferung i m Zivilrecht müssen nach dem derzeitigen Stand von Rechtsprechung und Schriftt u m als problematisch und unbefriedigend gelöst gelten: Erstens die Frage nach dem Inhalt eines Prinzips einer Eigentumsopferentschädiauch Larenz, SchR I I , § 78 a. E., S. 651 f.; Deutsch, Haftungsrecht I, § 23, S. 392; a. Α.: Fikentscher, SchR, § 112, S. 690. 27 Ebd., S. 166 ff.; f ü r etwas weitergehende Fallgruppenbildung Larenz, SchR I I , § 78 a.E., S. 651 f.; i h m folgend: Deutsch, Haftungsrecht I, § 23, S. 392 f. 28 H. Schulte, Eigentum u n d öffentliches Interesse, 1970. Entscheidende A n sätze f ü r die von H. Schulte entwickelten Überlegungen sind bereits i n dessen Dissertation „Privatrechtliche Aufopferung u n d Enteignung" aus dem Jahre 1964 enthalten (vgl. auch dens., ZfB 106 (1965), 161 ff., u n d DVB1. 1965, 386 ff.). Zwischen beiden Untersuchungen bestehen eine Fülle von Parallelen, aber auch zahlreiche Abweichungen, die der Dissertation gegenüber der H a bilitationsschrift insgesamt den Charakter einer — thematisch enger begrenzten — Voruntersuchung verleihen. Die vorliegende A r b e i t beschränkt sich deshalb auf die ausdrückliche Auseinandersetzung m i t der späteren Schrift, ohne jeweils auf die entsprechenden früheren Ansätze zu verweisen. Als wesentliche Auseinandersetzung m i t den von H. Schulte speziell i n seiner Dissertation entwickelten Thesen s. Schwabe, D r i t t w i r k u n g , insbes. S. 133 ff. — Hinzuweisen ist insbes. auch auf Breuer, Die Bodennutzung i m K o n f l i k t z w i schen Städtebau u n d Eigentumsgarantie, 1976, S. 252 ff., dessen Untersuchung die verfassungsrechtliche Problematik einer privatrechtlichen Eigentumsopferentschädigung miterfaßt, allerdings — thematisch bedingt — weniger m i t Blick auf deren allgemeinere (auch zivilrechts-)dogmatische Bedeutung. 29 Zusammenfassend RGZ 159, 68 (72 f.), 129 (135 f.); umfassende Nachweise bei Hemsen, Aufopferungsanspruch, S. 12 ff.; vgl. auch unten § 3, Fn. 30, 36 ff. 30 V o r allem Rudolf Merkel, Die Kollision rechtmäßiger Interessen u n d die Schadensersatzpflicht aus unerlaubten Handlungen, 1895; M. Rümelin, Die Gründe der Schadenszurechnung, 1896; ders., Schadensersatz ohne Verschulden, 1910; Bienenfeld, Die Haftungen ohne Verschulden, 1933.
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m
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gung, zweitens nach dem Verhältnis zivilrechtlicher zu öffentlichrechtlicher Eigentumsaufopferung und schließlich die Frage nach Geltungsbereich und Ranghöhe eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht.
§ 3 Der I n h a l t eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht Wenn i m folgenden von einem Prinzip, Grundsatz oder Gedanken der Eigentumsaufopferungshaftung gesprochen wird, so ist damit die Beschreibung eines gemeinsamen „tragenden Grundgedankens" 1 von gesetzlich normierten oder durch Rechtsfortbildung geschaffenen Tatbeständen einer Eigentumsopferentschädigung gemeint. Zweck der Formulierung so verstandener Prinzipien ist es zunächst nur, übergreifende Sinnzusammenhänge rechtlicher Einzelentscheidungen darzustellen und zu begründen und dadurch dem Ziel wertungsmäßiger Einheit und Folgerichtigkeit der Rechtsanwendung zu dienen 2 . Das Problem der Formulierung eines den sogenannten Aufopferungsansprüchen zugrunde liegenden Prinzips betrifft i n erster Linie die Erklärung der Tatbestände dieser Anspruchsnormen, erst mittelbar auch deren Rechtsfolgen. Was die Rechtsfolgen, also Inhalt und Umfang der Aufopferungsansprüche angeht, bestehen sehr unterschiedliche gesetzliche Ausgestaltungen. So regelt z. B. § 904 S. 2 BGB einen A n spruch auf „Ersatz des . . . Schadens", § 906 I I 2 BGB einen Anspruch auf „angemessenen Ausgleich"; der frühere § 26 GewO gewährte einen Anspruch auf „Schadloshaltung"; der heute geltende § 14 BImSchG wiederum gibt „Schadensersatz". Gemeinsam ist allen diesen Ansprüchen, daß sie auf Schadensausgleich gerichtet sind und nicht etwa auf Ausgleich einer Bereicherung, die durch den Aufopferungstatbestand eingetreten sein könnte 3 . Wie weit sich i n Fällen unklarer oder offener gesetzlicher Regelungen des Anspruchsinhalts aus einem vorausgesetzten gemeinsamen Gedanken — einem Prinzip der Eigentumsopferentschädigung — Folgerungen für A r t und Ausmaß des Ersatzanspruchs ableiten lassen, ist umstritten 4 . Diese Frage w i r d i m folgenden jedoch bei der Betrachtung dieses Prinzips zunächst ausgeklammert, 1
Konzen, Aufopferung, S. 77. F ü r diesen allgemeinen Zweck k a n n deshalb hier von einer näheren terminologischen Abgrenzung der Begriffe „ P r i n z i p " u n d „Grundsatz", die i m Schrifttum unterschiedlich verwendet werden (vgl. insbes. Esser, Grundsatz, S. 51/52; Larenz, Methodenlehre, S. 458 ff., insbes. bei Fn. 65 m. w. N.; Canaris, Lücken, S. 93 ff.; ders., System, S. 46 ff.), abgesehen werden. 3 Z u m Bereicherungsanspruch aus §§ 951, 812 B G B s. unten § 11 bei Fn. 196 ff., § 12 nach Fn. 10. 4 Vgl. n u r m. w. N. Deutsch, Haftungsrecht I, § 23, S. 399 f. 2
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1. T e i l : Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m
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weil ihre Beantwortung eine sichere Umschreibung eines solchen Prinzips voraussetzt. A u f sie ist daher erst bei der Entwicklung des eigenen Lösungsvorschlags zurückzukommen 5 . A. Unterscheidung von Haftungsgrund und Haftungszurechnung Entschädigungsansprüche, wie sie hier zu betrachten sind, enthalten prinzipiell zwei begründungsbedürftige Entscheidungen: die Entscheidung über die Anspruchsberechtigung und die über die Anspruchsverpflichtung. Beide Entscheidungen beziehen sich typischerweise auf zwei unterschiedliche Interessensphären, nämlich jeweils auf die des Berechtigten und die des Verpflichteten. Obwohl i m Ergebnis, d. h. bei der Bildung des konkreten Anspruchstatbestands, beide Entscheidungen per definitionem voneinander abhängig sind — keine Anspruchsberechtigung ohne eine entsprechende Verpflichtung und umgekehrt —, können doch die Gründe, die einerseits für den Schutz der Interessensphäre des Berechtigten und andererseits für die Inanspruchnahme des Verpflichteten sprechen, jeweils sehr unterschiedlich und inhaltlich voneinander unabhängig sein. Als erläuterndes Beispiel mag hierfür der deliktische Schadensersatzanspruch nach § 823 I BGB dienen: Der wesentliche Gesichtspunkt für die Inanspruchnahme des Verpflichteten ist dessen Verschulden hinsichtlich der Tatbestandsverwirklichung 6 . Dieses Verschulden erklärt jedoch nicht, weshalb der Geschädigte von der Rechtsordnung geschützt wird. Der wesentliche Grund hierfür liegt i n der Anerkennung eines Rechts oder Rechtsgutes des Geschädigten, dessen Schutz gegen rechtswidrige Verletzung Aufgabe der Rechtsordnung ist. Beide Gesichtspunkte, deren Zusammenspiel erst die spezifische ratio des Schadensersatzanspruchs nach § 823 I BGB bestimmt 7 , stellen keine notwendige gedankliche Einheit dar: M i t dem Verschuldensgedanken wäre etwa der Gedanke einer über die Regelung des § 823 I BGB hinaus5
s. unten § 11 bei Fn. 158 ff., 196 ff. Vgl. m . w . N . n u r Larenz, JuS 1965, 373 f.; Esser / Schmidt, SchR I 1, § 7 I, I I , S. 68 ff., w o allerdings terminologisch von der h. M . u n d den V o r a u f lagen abweichend statt v o n Verschulden von Unrecht gesprochen w i r d ; Deutsch, Haftungsrecht I, § 3 I I , S. 26 ff. 7 Allerdings nicht erschöpfend: Insbesondere spielt auch das Risikoprinzip bei der A n w e n d u n g des objektiven Fahrlässigkeitsbegriffs u n d vor allem i m Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität eine entscheidende Rolle, Canaris , Vertrauenshaftung, S. 470, Fn. 8 m . w . N . — Dies k a n n jedoch für den vorliegenden Zusammenhang vernachlässigt werden, da es hier vor allem u m den Hinweis auf die Begrenztheit des Erklärungswerts jeweils einzelner Prinzipien geht. Vgl. allg. zur Notwendigkeit der gegenseitigen Ergänzung u n d Beschränkung allgemeiner Prinzipien, Canaris, System, S. 55 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 458 ff. 6
§ 3 Der I n h a l t des Prinzips
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gehenden Haftung für die Verletzung bloßer Interessen eines anderen ohne weiteres vereinbar, dies würde nur der Vorstellung eines beschränkten Rechts- und Rechtsgüterschutzes widersprechen. Dieser auf die Sphäre des Geschädigten bezogene Gedanke ließe sich umgekehrt ohne weiteres m i t dem Grundsatz einer verschuldensunabhängigen Risikohaftung verbinden. Sowohl der Verschuldensgedanke als auch der des Schutzes von Rechten und Rechtsgütern gegen rechtswidrige Verletzungen begründen also jeweils nur einen von zwei eigenständigen Teilaspekten der i m Tatbestand des deliktischen Anspruchs formulierten rechtlichen Regelung; der Sinn dieser Regelung läßt sich nur unter Berücksichtigung beider Aspekte jeweils i n ihrer begrenzten Eigenständigkeit und ihrem 'Zusammenspiel beschreiben. Die sorgfältige Unterscheidung beider Aspekte einer Anspruchsbegründung hat, wie sich zeigen wird, gerade auch für eine Untersuchung des Gedankens einer Eigentumsopferentschädigung eine außerordentliche Bedeutung. Zur deshalb notwendigen terminologischen Kennzeichnung dieser Unterscheidung soll, einem Vorschlag von Canaris 6 folgend, der Begriff Haftungsgrund gebraucht werden, soweit es u m die Frage danach geht, „ w a r u m und unter welchen Voraussetzungen die Rechtsordnung die eine Partei schützt". Soweit dagegen die Frage zu beantworten ist, „ w a r u m und unter welchen Voraussetzungen sie die andere Partei m i t einer entsprechenden Pflicht belastet" 9 , soll von Haftungszurechnung 10 die Rede sein. 8 Vertrauenshaftung, S. 469 f.; Canaris folgend auch Heinze, Rechtsnachfolge, S. 69 ff. — Diese Terminologie ist sicher nicht unproblematisch, w e i l üblicherweise beide Begriffe i n einem umfassenderen, beide Anspruchsgegner betreffenden Sinn gebraucht werden, vgl. n u r die bei Canaris, V e r trauenshaftung, S. 469 Fn. 7, genannten: Larenz, JuS 1965, 373ff.; Esserl Schmidt, SchR I , § 7, S. 68 ff.; Dubischar, Grundbegriffe, § 16, 3, S.48; sowie Deutsch, Haftungsrecht I , § 3, S. 22 ff. Andererseits erweist sich jedoch gerade auch f ü r die Zwecke der vorliegenden A r b e i t eine deutlich differenzierte Betrachtungsweise des Gedankens der Eigentumsopferentschädigung als sinnv o l l u n d notwendig, so daß mangels greifbarer sprachlich überlegener A l t e r nativen die Gefahr terminologischer Mißverständnisse i n K a u f zu nehmen ist. 9
Canaris, Vertrauenshaftung, S. 470. Nach dieser Faustformel hat der Begriff der Haftungszurechnung eine rein formale, sehr weite Bedeutung. E r b e t r i f f t jede A r t von Beziehung, die zwischen einem Haftungsgrund u n d dem Verpflichteten hergestellt w i r d . I n diesem weiten Sinne w i r d der Begriff auch i m Rahmen der vorliegenden Untersuchung verwendet werden, nämlich insbesondere auch bezogen auf das Problem der H a f t u n g des Begünstigten. Insofern weicht der hier verwendete Zurechnungsbegriff von dem bei Canaris — außerhalb seiner Faustregel — entwickelten Begriff entscheidend ab. Dort w i r d der Begriff der Zurechnung i n einem engeren, materiellen Sinne als V e r w i r k l i c h u n g des rechtsethischen Prinzips der Selbstverantwortung der Person verstanden, vgl. S. 468 ff. Als Folge dieser engeren Begriffsbildung meint Canaris, daß 10
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m
ivilrecht
Betrachtet man nun auf der Basis dieser Vorüberlegungen die herrschenden Vorstellungen über die Eigentumsaufopferungshaftung i m Zivilrecht als tragenden Grundgedanken verschiedener Einzelansprüche, so zeigt sich, daß üblicherweise diesem Grundgedanken sowohl die Funktion eines Haftungsgrundes i m hier erläuterten engen Sinne als auch die einer Haftungszurechnung bzw. zumindest eines notwendig mit einem bestimmten Zurechnungsprinzip, nämlich dem der Begünstigtenhaftung, verknüpften Haftungsgrundes zugemessen wird. Beide Funktionen, deren notwendige innere Verknüpfung keineswegs selbstverständlich ist, wie das Beispiel des deliktischen Schadensersatzanspruchs gezeigt hat, sollen bei der folgenden K r i t i k der heute herrschenden Vorstellungen über den Inhalt des Prinzips der Eigentumsaufopferungshaftung i m Zivilrecht jeweils getrennt für sich betrachtet werden. B. Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung als Haftungsgrund I . Opferkriterien als Haftungsgrund
A u f die Funktion als Haftungsgrund verweist bereits der bei der Kennzeichnung der (Eigentums-)Aufopferungshaftung i m Zivilrecht verwendete Opferbegriff. Entsprechend dem Begriff der Eigentumsverletzung deutet auch der des Eigentumsopfers auf spezifische, auf die Sphäre des Anspruchsberechtigten bezogene Anspruchsvoraussetzungen: Er enthält die Vorstellung, daß der Betroffene anspruchsberechtigt sein soll, weil und soweit er ein Eigentumsopfer erlitten hat. Dementsprechend steht auch i m Mittelpunkt der Problematik der öffentlichrechtlichen Eigentumsopferentschädigung die Frage, welches die entscheidenden Kriterien sind, die das entschädigungspflichtige Eigentumsopfer auszeichnen 11 . Bedenkt man, mit welcher Einmütigkeit der Begriff des zivilrechtlichen Aufopferungsanspruchs als dogmatische Kategorie prinzipiell anerkannt ist, könnte man vermuten, der entscheidende gemeinsame Nenner der Aussagen über Eigentumsaufopferung i m Zivilrecht sei i m f ü r den Aufopferungsgedanken, hinter dem der Gedanke des Begünstigtenausgleichs stehe, S. 473 Fn. 22, Zurechnungsgesichtspunkte keine Rolle spielten, S. 470. — Demgegenüber ordnet Canaris an anderer Stelle, S. 472/473, das Prinzip des Begünstigungsausgleichs als besondere Rechtfertigung einer Haftung doch wieder dem Zurechnungsgedanken zu u n d setzt damit w o h l einen weiteren Zurechnungsbegriff voraus; ebenso ders., System, S. 54; vgl. auch Deutsch, Haftungsrecht I, § 3 I, S. 24 („objektive Zurechnung" als Bezug zum „ W i l l e n einer Person"), aber auch S. 32 m i t § 23 I V , S. 397 f. (Zurechnung zum Begünstigten bei der zivilrechtlichen Aufopferungshaftung). 11 Dazu unten § 10.
§ 3 Der I n h a l t des Prinzips
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Bereich der Charakterisierung des Haftungsgrundes zu finden. Angesichts der diversen öffentlichrechtlichen Theorien zur Abgrenzung der entschädigungspflichtigen Enteignung von der entschädigungslosen Eigentumsbindung 12 verspricht die gemeinsame Verwendung des Begriffs der Aufopferung zwar keine Klarheit und Einigkeit über die „richtigen" konkreten Opferkriterien, aber zu erwarten wäre immerhin, daß die entsprechenden Konkretisierungen der Opfervorstellung klare Stellungnahmen zu den entsprechenden i m öffentlichen Recht vertretenen Opferkriterien enthalten, daß sich also die strittigen Positionen des öffentlichrechtlichen Aufopferungsrechts entsprechend i m Zivilrecht fortsetzen. Diese Vermutung w i r d indes bei näherer Lektüre der zivilrechtlichen Rechtsprechung und des Schrifttums enttäuscht. Die verschiedenen Formeln, m i t denen — unter dem gemeinsamen Etikett einer zivilrechtlichen Aufopferungshaftung — i n abstrahierender Form der Haftungsgrund solcher Aufopferungsansprüche umschrieben wird, sind nicht n u r untereinander gegensätzlich, sondern zeichnen sich durch prinzipielle Unsicherheiten bei der Erfassung von Opferkriterien überhaupt aus, so daß i m Ergebnis die gemeinsam vorausgesetzte Vorstellung, es handele sich hier u m einen dem öffentlichrechtlichen entsprechenden zivilrechtlichen Aufopferungsgedanken, zweifelhaft wird. I I . Entzug der Abwehrklage durch Sonderrechtsnormen — BGH, R G
Der Bundesgerichtshof 13 sieht, i m Anschluß an die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts 14 , den entscheidenden Grund für die Gewährung eines privatrechtlichen Aufopferungsanspruchs i m Entzug der i n § 1004 B G B 1 5 normierten Abwehrklage 1 6 durch „Sonderrechtsnormen" 1 7 . Voraussetzung für einen bürgerlichrechtlichen A u f Opferungsanspruch bzw. für den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch sei, „daß der Schaden durch Eingriffe i n das Eigentum des Geschädigten entstanden ist, die dieser nach allgemeinen bürgerlichrechtlichen Grundsätzen nicht zu dulden verpflichtet gewesen wäre und die er hätte untersagen können, wenn i h m nicht aus besonderen Gründen diese 12
Vgl. dazu unten § 10 bei Fn. 1 ff. Grundsätzlich: B G H Z 16, 366 (369/370); 48, 98 (101) m . w . N . ; 60, 119 (123); 63, 234 (236 f.). 14 Grundsätzlich: RGZ 58, 130 (134 ff.); 159, 68 (72) m . w . N . ; umfassende Rechtsprechungsnachweise bei Hemsen, Aufopferungsanspruch, S. 14/15 Fn. 5. 15 Bzw. auch allgemeiner „nach allgemeinen bürgerlichrechtlichen G r u n d sätzen", BGHZ 16, 366 (370); 60, 119 (123); „nach den Regeln des ordentlichen Rechts", RGZ 159, 68 (72). 18 B G H Z 60, 119 (123): „Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch". 17 Dieser Begriff i n B G H Z 16, 366 (369). 13
2 Schulze-Osterloh
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsaufpferung i m
ivilrecht
Abwehrmöglichkeit genommen wäre. Der Entschädigungsanspruch t r i t t an die Stelle des Abwehranspruchs und w i r d dem Geschädigten als Ersatz für den i m Einzelfall aus besonderen Gründen genommenen Abwehranspruch g e w ä h r t " 1 8 . 1. Verhältnis dieser Formel zum Opferbegriff im öffentlichen Recht Das Auffälligste an diesen Formulierungen des I I I . Zivilsenats des BGH, die die Voraussetzungen des gesetzlich nicht normierten, durch richterliche Rechtsfortbildung entwickelten nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs 19 beschreiben und zugleich eine Interpretation der „ i n § 26 GewO, i n § 904 B G B und insbesondere i n §§ 74, 75 E i n l A L R zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken" 20 darstellen, ist das Fehlen eines Opferkriteriums, das vom selben Senat i n gefestigter Rechtsprechung zum öffentlichrechtlichen Enteignungsrecht vertreten und durch die lapidare Feststellung, „der Verstoß gegen den Gleichheitssatz kennzeichnet die Enteignung" 2 1 , repräsentiert w i r d 2 2 . Während i m Enteignungsrecht der Grund f ü r den Entschädigungsanspruch i n einer ungleichen Belastung liegen, entsprechend der Sinn der Entschädigung ein Ausgleich dieser Ungleichheit sein soll, w i r d der Grund des p r i v a t rechtlichen Anspruchs i n der ausnahmsweisen Entziehung eines „an sich" gegebenen Abwehrrechts, der Sinn des Entschädigungsanspruchs i m „Ersatz" dieses Abwehrrechts gesehen. Versuche, diese beiden Positionen i n der Weise miteinander i n Einklang zu bringen, daß der Gesichtspunkt der ausnahmsweisen Entziehung des Abwehrrechts gleichsam als Konkretisierung des Gleichheitsgedankens interpretiert w i r d 2 3 , können nicht überzeugen. Eine solche Harmonisierung setzte zunächst eine Interpretation des Gleichheits18
BGHZ 16, 366 (370); vgl. auch Β GHZ 63, 234 (236). Vgl. dazu auch die Nachweise oben § 2 Fn. 9. Z u m Streitstand hinsichtlich dieser richterrechtlichen Rechtsbildung, insbesondere zur — i m öffentlichrechtlichen Schrifttum weitgehend abgelehnten — Voraussetzung einer nicht gesetzlich bestimmten Duldungspflicht m i t der Folge eines privatrechtlichen Ausgleichsanspruchs vgl. nur Breuer, Bodennutzung, S. 331 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 13, S. 91 f.; Erichsen / Martens, AllgVerwR, § 35, S. 241 f. 20 BGHZ 16, 366 (370). 21 B G H Z 6, 270 (280). 22 Näheres hierzu unten § 10 bei Fn. 7 ff. 23 I n dieser Richtung Konzen, Aufopferung, S. 88, dem als „richtiger K e r n " der „Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz" erscheint, „daß sie die Entschädigung als Gegenleistung für eine gesetzlich sanktionierte Ausnahmesituation kennzeichnet". F ü r den Bereich eines verfassungsrechtlichen Entschädigungsanspruchs meint Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 135, daß der Gedanke einer Kompensation für den „Verlust des durch das Grundrecht an sich gewährten 19
§ 3 Der I n h a l t des Prinzips
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satzes voraus, die generell nicht haltbar wäre und zudem auch nicht der Verwendung des Gleichheitssatzes i n der Rechtsprechung des B G H entspräche 24 . Vorauszusetzen wäre nämlich, daß ein für das Eigentumsopferentschädigungsrecht maßgeblicher Gleichheitssatz das Verbot enthielte, den Abwehranspruch nach § 1004 B G B 2 5 entschädigungslos durch Sonderrechtsnormen zu entziehen. Der entscheidende Begriff der „Sonderrechtsnorm" und die Vorstellung der „ausnahmsweisen" Entziehung eines an sich gegebenen Abwehrrechts verweisen für sich genommen jedoch lediglich auf ein formales Regel-Ausnahme-Schema bzw. auf den Gegensatz generell-speziell, der als solcher gerade nicht erheblich ist für den materiell zu interpretierenden Gleichheitssatz 26 . Der Gleichheitssatz — auch i n der Form des sog. Lastengleichheitssatzes — enthält unstreitig nicht das Gebot „schematischer" Gleichbelastung von Eigentümern, also auch nicht das Verbot, entschädigungslose Ausnahmeregelungen gegenüber § 1004 BGB zu schaffen. W i l l man indes die „Sonderrechtsnormen" materiell genauer kennzeichnen — und dies ist schon erforderlich, u m zu erklären, warum „normale" Rechtfertigungsgründe für Eigentumseingriffe, wie ζ. B. Notwehr, nicht m i t Entschädigungsregelungen verbunden sein müssen —, dann wäre zwar für die Kriterienbildung eine Orientierung am Gleichheitssatz denkbar, nicht aber an der Vorstellung der „Sonderrechtsnorm" oder der „ausnahmsweisen" Entziehung. 2. Mangelnde
Abgrenzungskraft
Die Formel vom Entzug der actio negatoria durch Ausnahmeregelungen ist denn auch nicht n u r m i t dem vom B G H i m öffentlichen Recht vertretenen Opferkriterium des Gleichheitsverstoßes nicht vereinbar, sondern generell ungeeignet, eine sinnvolle Erklärung für einen Haftungsgrund bei der Eigentumsopferentschädigung zu leisten, und ist auch i m öffentlichen Recht — von einer neueren Ausnahme 2 7 abgesehen — nie ernsthaft i m Rahmen der Enteignungstheorien i n Erwägung gezogen worden 2 8 . Das, was bei den sogenannten Aufopferungsansprüchen erklärungsbedürftig ist, nämlich der Unterschied zwischen solBeseitigungsanspruchs" unübersehbar „ i n den verschiedenen Enteignungslehren mitschwingt", ja, daß die entsprechenden verschiedenen Formeln durch diesen Gedanken erst „Gestalt gewinnen". 24 Hierzu unten § 10 bei Fn. 7 ff. 25 Oder nach sonstigen Normen des „allgemeinen" bürgerlichen Rechts, z. B. § 907 BGB. 26 Vgl. hierzu näher unten § 10 bei Fn. 14 ff. 27 Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 132 ff. (135). 28 Hierauf weist auch Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 135, hin, ohne jedoch deren Verwendung i m Zivilrecht zu erwähnen. 2*
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsaufpferung i m
ivilrecht
chen Normen, die Interessenkonflikte endgültig zu Lasten des Eigentümers regeln, wie etwa § 906 I, I I 1 B G B oder wie die „klassischen" Rechtfertigungsgründe, und solchen Normen, die zwar eine vorläufige Beeinträchtigung des Eigentümers gestatten, diesen aber m i t einem korrespondierenden Ausgleichsanspruch schützen, wie die sogenannten Aufopferungsnormen, w i r d durch die Vorstellung einer Kompensation f ü r die ausnahmsweise entzogene actio negatoria gerade nicht e r k l ä r t 2 9 — diese Abgrenzung ist vielmehr bereits vorausgesetzt. 3. Die wahre ratio der Formel: Haftungszurechnung Ihre entscheidende Bestätigung erfährt diese Beurteilung, betrachtet man einerseits ein wesentliches Element des m i t der Formel der Rechtsprechung umschriebenen Anspruchs genauer, nämlich die Voraussetzung einer rechtswidrigen Eigentumsverletzung, u n d berücksichtigt man andererseits das zentrale Problem, auf das der Gesichtspunkt eines Ausgleichs für die ausnahmsweise Entziehung der actio negatoria ursprünglich ausdrücklich und deutlich zugeschnitten war. Selbstverständliche, häufig ausdrücklich bezeichnete 80 Voraussetzung des Aufopferungsanspruchs wegen Versagung der Abwehrklage war nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts eine rechtswidrige Eigentumsverletzung 3 1 . Diese angebliche Anspruchsvoraussetzung ist seit langem als der schwächste Punkt i n der Formel der Rechtsprechung erkannt und kritisiert worden 3 2 : Die Vorstellung einer rechtswidrigen Rechtsverletzung läßt sich — gleichgültig, ob hierbei ein verhaltensoder erfolgsbezogener Rechtswidrigkeitsbegriff eingesetzt w i r d — zur Erklärung der gesetzlich geregelten sogenannten (Eigentums-)Aufopferungsansprüche nicht sinnvoll verwenden. Die dem Anspruch korrespondierende Duldungspflicht des Betroffenen ist die Konsequenz der 29
So zutr. bereits Hemsen, A u f opferungsanspruch, S. 67; i. E. auch Götz, Vergütungsanspruch, S. 138 f. m. w. N., der die Formel der Rechtsprechung — i n leicht modifizierter Form (vgl. zusammenfassend S. 142 f.) — als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung eines Aufopferungsanspruchs deutet. RGZ 63, 374 (376); 78, 202 (206); 84, 298 (303); 101, 102 (105); 122, 134 (138); 155, 154 (156); 159, 129 (135); 166, 218 (239). 31 Dazu, daß nach der Vorstellung des Reichsgerichts die Voraussetzungen der Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung identisch waren m i t den Voraussetzungen der „an sich" bestehenden Abwehrklage, vgl. zutreffend Konzen, Aufopferung, S. 42, der deshalb auch i. E. zu Recht i n der Rechtswidrigkeit „eine zwar terminologisch unglückliche, aber sachlich wichtige Anspruchsvoraussetzung" sieht; vgl. auch Schapp, Nachbarrecht, S. 96: „an sich" rechtswidrig. 32 Insbes. Hubmann f JZ 1958, 489 (490, 491); Hemsen, Aufopferungsanspruch, S. 41 ff.; Tondorf, A u f opferungsanspruch, S.30ff.; vgl. auch Konzen, A u f opferung, S. 41 ff. m. w. N.
§ 3 Der I n h a l t des Prinzips
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Entscheidung der Hechtsordnung für die Zulässigkeit der jeweiligen Hechtsbeeinträchtigung. Mag die Funktion der Rechtmäßigkeit i m Rahmen der Eigentumsaufopferung auch problematisch sein 33 , um rechtswidrige Rechtsverletzungen — das ist heute ganz unbestritten 3 4 — handelt es sich bei den fraglichen Beeinträchtigungen nicht. Für die hier gestellte Frage ist indes nicht entscheidend, ob das Merkmal der rechtswidrigen Rechtsverletzung als Voraussetzung des A u f opferungsanspruchs wegen Versagung der Abwehrklage richtig oder falsch ist, sondern diese dogmatische Beurteilung des Rechtsgerichts ist der entscheidende Beleg für die oben 35 aufgestellte Behauptung, daß die Formel der Rechtsprechung die Frage nach dem Haftungsgrund der zivilrechtlichen Eigentumsaufopferungsansprüche nicht beantworte, sondern deren Beantwortung bereits voraussetze. Das Merkmal der rechtswidrigen Eigentumsverletzung enthält nämlich den bereits vorausgesetzten Haftungsgrund. Sieht man die fraglichen Eigentumsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzungen an, so ist damit beantwortet, warum der betroffene Eigentümer anspruchsberechtigt sein soll, begründungsbedürftig bleibt dann nur noch die Anspruchsverpflichtung des Haftenden. Dementsprechend ist der Gesichtspunkt des Ausgleichs für die entzogene Abwehrklage denn auch zur Beantwortung der Frage nach dem Haftungsgrund i m Sinne der hier gebrauchten Terminologie gar nicht bestimmt, sondern allein zur Erklärung der Haftungszurechnung, also der Frage nach den Gründen einer Anspruchsverpflichtung entwickelt worden. Als Kernproblem des Aufopferungsanspruchs wegen Versagung der Abwehrklage bezeichnet das Reichsgericht regelmäßig deutlich und klar, zum Teil herausgehoben i n den Leitsatzformulierungen 3 6 , die Frage nach der Begründung einer Schadensersatz- bzw. Entschädigungspflicht 37 trotz fehlenden Verschuldens. Gefragt wird, ob „ . . . die Klage . . . auf Ersatz des . . . Schadens den Nachweis eines besonderen Verschuldens" erfordere 38 , ob dem „Eigentümer . . . ein vom 33
Vgl. dazu unten § 7 bei Fn. 14 ff., § 9 bei Fn. 193 ff. Vgl. n u r Konzen, Aufopferung, S. 42 m. w. N. 35 Bei Fn. 29. 36 Vgl. z.B. die Leitsätze von RGZ 58, 130; 63, 374; 101, 102; 122, 134; 145, 374; 159, 68; i m übrigen vgl. z. B. R G Warn. 1910, Nr. 447 (S. 474); 1911, Nr. 331 (S. 371); Nr. 405 (S.454); 1912, Nr. 342 (S.380); Nr. 343 (S.382); RGZ 81, 216 (224); R G Recht 1916, Nr. 229; RGZ 98, 347 (349); 100, 69 (74/75); 104, 18 (19/20) ; R G J W 1925, 2446 f. 37 Z u r Entwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts, nach der als Rechtsfolge des Anspruchs wegen Versagung der Abwehrklage ursprünglich Schadensersatz — insbes. RGZ 58, 130 ff.; 159, 68 (72) —, später Entschädigung — RGZ 167, 14 (26) — angenommen wurde, vgl. m. w. N. Hemsen, Aufopferungsanspruch, S. 30 ff. 38 RGZ 58, 130 (Leitsatz). 34
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1. Teil : Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m
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Verschuldensnachweis unabhängiger A u f opferungsanspruch . . . " zustehe 39 . Die Formel vom Ausgleich für den Entzug der Abwehrklage hat das Reichsgericht entwickelt, um zu begründen, warum und unter welchen Voraussetzungen dem Eigentümer wegen rechtswidriger Eigentumsverletzungen ein Schadensersatzanspruch gegen den „Störer" zustehe, ohne daß ein Verschulden des „Störers" erforderlich sei 40 . Das Reichsgericht 41 spricht zwar i n diesem Zusammenhang vom Haftungsgrund, den es m i t Hilfe seiner Formel beschreibt, doch handelt es sich dabei nach der hier benutzten Terminologie ohne Frage u m Haftungszurechnung. Diese Funktion des Gesichtspunkts eines Ausgleichs für die entzogene Abwehrklage als „Ersatz" des grundsätzlich für Schadensersatzverpflichtungen eines Störers nach § 823 BGB erforderlichen Verschuldens w i r d gerade auch i n solchen Entscheidungen des Reichsgerichts deutlich gesehen, die den „Begünstigten" haften lassen: Dort w i r d nämlich die Eigenschaft als Störer i m Sinne des § 1004 BGB durchaus als konsequente Voraussetzung einer Verpflichtung gegenüber dem Anspruch wegen Versagung der Abwehrklage betont, die Haftung des Begünstigten dagegen aus dem weiteren als ausschlaggebend bewerteten allgemeinen Gesichtspunkt der Aufopferung des Eigentums abgeleitet 42 . Konkretere Anspruchsbegründung — Ausgleich für Versagung der Abwehrklage — und allgemeine Rechtsnatur — Aufopferungsanspruch — treten hier also, was die Haftungszurechnung betrifft, durchaus i n einen Gegensatz zueinander, und erst die klare Entscheidung für die Maßgeblichkeit des allgemeinen Aufopfe3
® RGZ 159, 68 (Leitsatz 1). Den Störer als Verpflichteten nennen ausdrücklich R G Warn. 1911, Nr. 331 (S. 371 f.); R G J W 1915, 1125; R G Z 97, 290 (293: „Die Gedankenverbindung m i t § 1004 B G B bestätigt die A n n a h m e . . . " ) ; 98, 347 (348f.); 101, 102 (107: „gegenüber demjenigen, der i n sein Eigentum eingreift"); 155, 316 (319) — zu § 26 GewO; 159, 68 (74); 159, 129 (136). — Die frühe Grundsatzentscheidung RGZ 58, 130 ff., spricht zwar nicht ausdrücklich v o n Störerhaftung, läßt aber sinngemäß hieran k a u m einen Zweifel, vgl. die Ausführungen zur System a t i k der §§ 823, 1004 B G B (S. 131 f.), die Formulierungen, nach denen der Nachweis eines Verschuldens nicht erforderlich sei, u n d den abschließenden Hinweis (S. 136) auf RGZ 17, 103, dessen Endergebnis m i t der getroffenen Entscheidung übereinstimme — Leitsatz von RGZ 17, 103: „ K ö n n e n die A n lieger einer Eisenbahn bei einem durch L o k o m o t i v f u n k e n verursachten Brande m i t der actio negatoria Schadensersatz fordern?". — Irreführend i n diesem Zusammenhang Konzen, Aufopferung, S. 47 bei Fn. 253, der unter Hinweis auf n u r zwei Entscheidungen des RG, nämlich RGZ 101, 102 (107), u n d 155, 316 (319), meint, die Rechtsprechung habe „sporadisch v o n einer V e r pflichtung des Störers gesprochen", vgl. auch deus., S. 130. Zutreffend dagegen bereits Hemsen, Aufopferungsanspruch, S. 155, m i t ergänzenden Nachweisen auch solcher Entscheidungen, i n denen Begünstigtenhaftung angenommen wurde. 41 z. B. R G Warn. 1910, Nr. 447 (S. 474). 42 Insbes.: R G L Z 1921, Sp. 497; R G Z 167, 14 (28). 40
§ 3 Der I n h a l t des Prinzips
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rungsgedankens einschließlich dessen I n t e r p r e t a t i o n als H a f t u n g s z u rechnungsprinzip (Begünstigtenhaftung) führen zu einer Bejahung der H a f t u n g des B e g ü n s t i g t e n i m Gegensatz z u d e r des Störers. Schließlich d ü r f t e es auch n i c h t z u l e t z t d e r w a h r e n r a t i o des G e d a n kens des Ausgleichs f ü r d e n E n t z u g d e r A b w e h r k l a g e als B e g r ü n d u n g e i n e r H a f t u n g s z u r e c h n u n g z u m S t ö r e r zuzuschreiben sein, daß d e r B G H , d e r diesen G e s i c h t s p u n k t s t a r k b e t o n t 4 3 , bis h e u t e w i e d e r h o l t a u s d r ü c k l i c h offengelassen h a t , ob d e r B e g ü n s t i g t e oder d e r S t ö r e r a n s p r u c h s v e r p f l i c h t e t s e i 4 4 , o b w o h l doch a n d e r R e c h t s n a t u r des A n spruchs als E i g e n t u m s a u f o p f e r u n g s a n s p r u c h k e i n Z w e i f e l gelassen u n d z u g l e i c h auch das D o g m a d e r B e g ü n s t i g t e n h a f t u n g 4 5 b e i d e r E i g e n t u m s a u f o p f e r u n g als solches n i c h t i n F r a g e g e s t e l l t w i r d .
I I I . Ausgleich für den Entzug von an sich zugewiesenem Eigentumsinhalt D e r F o r m e l v o m A u s g l e i c h f ü r die ausnahmsweise E n t z i e h u n g d e r actio n e g a t o r i a v e r w a n d t u n d v o n dieser w e i t g e h e n d n i c h t a u s d r ü c k l i c h abgegrenzt i s t die i n der z i v i l r e c h t l i c h e n L i t e r a t u r i n verschiedenen V a r i a n t e n v e r b r e i t e t e V o r s t e l l u n g eines „ E n t z u g s p r i n z i p i e l l z u g e w i e senen E i g e n t u m s i n h a l t s " 4 6 z u r E r k l ä r u n g des A n s p r u c h s g r u n d e s d e r 43
B G H Z 16, 366 (369/370); 48, 98 (101) m. w. N.; 60, 119 (123). Zunächst unter Berufung auf RGZ 167, 14 (28) für H a f t u n g des Begünstigten: B G H Z 16, 366 (375). A n diesem Ergebnis dann aber offenbar zweifelnd — unter Hinweis auf die entgegenstehenden Entscheidungen des Reichsgerichts, RGZ 101, 102, 107 u n d RGZ 155, 316, 319 sowie auf die Entscheidung des V. Zivilsenats v o m 28. A p r i l 1967, V ZR 216/64 (veröffentlicht i n W M 1967, 727 f.) — läßt B G H Z 48, 98 (106 f.) die Frage nach dem richtigen Gegner des „bürgerlichrechtlichen A u f opferungsanspruchs" ausdrücklich offen; desgl. B G H Z 60, 119 (124). 45 Dazu unten bei Fn. 101 ff., § 8. 46 Kleindienst, Immissionsschutz, S. 44, i n bezug auf den Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 BGB, der als Eigentumsaufopferungsanspruch (S. 45: „privatrechtliche Enteignung") qualifiziert w i r d . Vgl. auch Liver, Festg. Gutzwiller, S. 753: Anspruch (bei „ p r i v a t e r Expropriation") auf volle Entschädigung, „ w e i l der Grundeigentümer verpflichtet ist, Befugnisse, die zum normalen I n h a l t des Eigentums gehören, nicht auszunützen...". H. Westermann, Maßnahmen, S. 55, i n bezug auf § 26 GewO, der als besonderer F a l l des allgemeinen Aufopferungsanspruchs bezeichnet w i r d (S. 18): „eine nach dem Eigentumsinhalt nicht hinzunehmende E i n w i r k u n g " — allerdings ist bei H. Westermann die tragende Bedeutung dieser Formel f ü r den I n h a l t des Aufopferungsgedankens zweifelhaft, da die Frage letztlich ungeklärt bleibt, ob nicht auch der Anspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB, der S. 18, 55 — de lege ferenda — „systematisch u n d wesensgemäß" v o m Anspruch nach § 26 GewO unterschieden w i r d , gleichwohl dogmatisch ebenfalls als Aufopferungsanspruch gekennzeichnet werden könnte, vgl. S. 56: „Schaffung von E i n w i r kungsbefugnissen i m Interesse D r i t t e r u n d gleichzeitige Begründung v o n ausgleichenden Ansprüchen kennt das B G B als I n h a l t einer Rechtsinstitution auch sonst, vgl. dazu §§ 867; 1005; 962, 997, 1216; vor allem auch 904." Vgl. 44
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m
ivilrecht
zivilrechtlichen Eigentumsaufopferungsentschädigung. Gemeinsam ist beiden Formeln die starke Betonung eines Regel-Ausnahme-Schemas, i n dem der Opferentschädigung (bzw. dem Schadensersatz) die Funktion eines Ausgleichs des Ausnahmetatbestands bzw. einer Bestätigung der „an sich" geltenden Regel zukommt 4 7 . Während jedoch, wie gezeigt, nach der Formel des Reichsgerichts i n ihrer eigentlichen Bedeutung der Grund für die Ausgleichsbedürftigkeit i n der rechtswidrigen Eigentumsverletzung liegen und der Hinweis auf die an sich gegebene actio negatoria primär die Haftungszurechnung rechtfertigen soll, zielt die Formel der Lehre m i t der Verlagerung des Gewichts vom Entzug des Rechtsbehelfs zum Entzug des Rechts unmittelbar auf eine spezifische Erklärung des Haftungsgrundes. Da auf dem Boden der Formel von der ausnahmsweisen Entziehung der actio negatoria nach deren ursprünglichem Sinn die Frage nach dem Haftungsgrund m i t der unterstellten Voraussetzung einer rechtswidrigen Eigentumsverletzung beantwortet ist, kann dort konsequenterweise nur noch gefragt werden, warum die Eigentumsbeeinträchtigung rechtswidrig sei, obwohl sie geduldet werden müsse, also von der Rechtsordnung ausdrücklich zugelassen werde. Auch diese Frage zielt zwar i m Ergebnis auf die entscheidenden spezifischen Kriterien des Haftungsgrundes, aber eben i n der Form der Frage nach Kriterien der rechtswidrigen Eigentumsverletzung, also unter einer falschen Überschrift. Die Vorstellung eines Entzugs an sich zugewiesenen Eigentumsinhalts — hierin liegt durchaus ein gewisser Fortschritt — beseitigt demgegenüber das falsche Etikett der rechtswidrigen Eigentumsverletzung und erleichtert so eine offenere Problematisierung der entscheidenden Frage, warum ein Ausgleichsgrund gegeben ist, obwohl keine rechtswidrige Eigentumsverletzung vorliegt, welches also die spezifischen Kriterien des entschädigungspflichtigen Eigentumsopfers sind. 1. Leerformelcharakter Eine A n t w o r t auf diese Frage enthält allerdings auch die Formel vom Entzug eines prinzipiell zugewiesenen Eigentumsinhalts nicht: Sie läßt nämlich offen, nach welchen Kriterien zu entscheiden ist, was prindens. insoweit insbes. auch SR, § 63 I I 3 d, bb (S. 310/311). Konzen, Aufopferung, S. 109, 129 f., wertet als „ I n d i z f ü r einen Aufopferungstatbestand" bei § 904 B G B u n d § 26 GewO deren systematische Bedeutung, nach der „ f ü r eine Ausnahmesituation von dem normalen gesetzlichen Güterschutz abzuweichen" erlaubt werde, entsprechend bezogen auf die öffentlichrechtliche E n t eignungsentschädigung, S. 88; desgl. Larenz, SchR I I , § 78, S. 649, 652; Deutsch, Haftungsrecht I, § 23 I, S. 388 m. w . N. 47 Besonders deutlich insoweit Konzen, Aufopferung, S. 88, 109, 129 f.; Larenz, SchR I I , § 78, S. 652; Deutsch, Haftungsrecht I, § 23 I, S. 388; vgl. auch Schapp, Nachbarrecht, S. 47; Spyridakis, Festg. Sontis, 241 (246).
§ 3 Der I n h a l t des Prinzips
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zipiell zugewiesener Eigentumsinhalt, was Entzug desselben sei. A l l e r dings verführt diese Formel mehr indirekt und assoziativ als klar und ausdrücklich zur Bildung von Gegensatzpaaren wie Regel/Ausnahme bzw. allgemein/besonders oder Eigentumsinhalt/Eigentumseingriff. Beide Begriffsbildungen führen indes nicht weiter, obwohl sie durchaus die Stellungnahmen zum Haftungsgrund der zivilrechtlichen Eigentumsopferentschädigung durchziehen 48 . Das Gegensatzpaar Regel/Ausnahme entspricht dem grundsätzlichen Regelungsmechanismus der gesetzgeberischen Ausgestaltung des Eigentums, wie sie i n den §§ 903, 1004 BGB (als Regelnormen) angelegt ist, und enthält, wie bereits oben 49 erwähnt, keine Aussage über die allein problematische Unterscheidung von ausgleichsbedürftigen und nichtausgleichsbedürftigen „Ausnahme"-Regelungen. Formal-schematische Konkretisierungen der Regel/Ausnahme-Vorstellungen etwa i m Sinne des Gegensatzes generell/individuell oder nach der formalen Zugehörigkeit der Normen zu unterschiedlichen „allgemeinen" oder „besonderen" Gesetzesmaterien, ζ. B. zum (allgemeinen) bürgerlichrechtlichen Nachbarrecht einerseits, (besonderen) Gewerberecht andererseits, — sprachlich angelegt bereits i n der Rechtsprechungsformel von der „nach allgemeinen bürgerlichrechtlichen Grundsätzen" an sich bestehenden Abwehrmöglichkeit — werden, soweit ersichtlich, i m Ergebnis nirgendwo als entscheidend angesehen 50 , sondern sind bereits wiederholt zu Recht ausdrücklich abgelehnt worden 51 . Solche Kriterien würden einerseits gegenüber anerkannten „bürgerlichrechtlichen" Aufopferungsnormen wie § 904 BGB versagen, andererseits und vor allem aber wären sie nicht geeignet, einen unter irgendeinem Gerechtigkeitsgesichtspunkt einleuchtenden Haftungs48
Vgl. bei den oben Fn. 46 Genannten. Bei Fn. 29. 50 So betont ζ. Β . H. Westermann, Maßnahmen, S. 18, zwar durchaus einen Gegensatz zwischen „Allgemeingültigkeit der Regelung" einerseits, "berechtigende(n) u n d verpflichtende(n) Beziehungen zwischen den verschiedenen Eigentümern" andererseits u n d tendiert damit w o h l zur grundsätzlichen U n terscheidung von generellen u n d individuellen Regelungen, kennzeichnet zugleich aber — u n d entscheidend — die allgemeine Regelung des § 906 B G B (a. F.) materiell (S. 19: Grundgedanke: „Jeder muß sich an die Eigenart des Raumes anpassen, i n dem sein Grundstück liegt") und bejaht i m übrigen auch f ü r § 906 B G B (a. F.) einen Ausgleichsgrund (S. 54 ff.) — vgl. hierzu auch oben Fn. 46. — Auch Schapp, Nachbarrecht, der die Formalität des Regel-Ausnahme-Schemas als wesentliches Element des „herkömmlichen" Aufopferungskonzepts begreift, lehnt die nach seiner Ansicht i n diesem Konzept enthaltene Wertung, wonach die „allgemeine" zivilrechtliche „Schädlichkeitsgrenze" für Immissionen gemäß §§ 1004, 906 B G B auch f ü r „besondere" öffentlichrechtliche Konfliktsentscheidungen maßgeblich sei, aufgrund konkreterer Normenanalyse ab, vgl. S. 85 f. u n d durchgehend. 51 Hubmann, JZ 1958, 489 (491); Kleindienst, Immissionsschutz, S. 44 m. w. N. 49
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsaufpferung i m
ivilrecht
grund zu beschreiben. Ähnliches g i l t i n diesem Zusammenhang für das Gegensatzpaar Eigentumsinhalt/Eigentumseingriff, dessen bildhaft überdeckten fehlenden Aussagewert i m Hinblick auf konkrete Entschädigungskriterien insbesondere H. Schulte 52 bereits eingehend kritisiert hat. Unbeantwortet bleibt i n beiden Fällen die entscheidende Frage nach den erforderlichen materiellen K r i t e r i e n für die Ausgleichsbedürftigkeit der eigentumsbelastenden „Ausnahme" oder des „ E i n griffs" oder der „Opferlage". 2. Verknüpfung
mit dem
Äquivalenzgedanken
Wenn auch die Formal vom Entzug prinzipiell zugewiesenen Eigentumsinhalts selbst keinen befriedigenden Ansatz zur Erklärung eines klaren spezifischen Haftungsgrundes liefert, so w i r d m i t i h r doch vor allem ein materieller Gesichtspunkt verknüpft, der gesonderter W ü r d i gung bedarf. Dieser läßt sich bezeichnen als Prinzip der Äquivalenz von V o r - und Nachteilen von Nutzungsbefugnissen i m Rahmen nachbarrechtlicher Beziehungen und ist insbesondere von Kleindienst und Liver betont worden. Kleindienst 53 n i m m t den „gesetzlichen Entzug eines an sich weiterreichenden subjektiven Eigentumsrechts" dann an, wenn „das objektive Recht Immissionen zuläßt, die — nach A r t oder Stärke — typischerweise nur einzelne Grundstückseigentümer eines gegebenen Raumes erzeugen können, während die anderen davon keinen Nutzen, sondern allein die Nachteile haben". Ähnlich sieht L i v e r 5 4 , auf den Kleindienst sich ausdrücklich bezieht, das Kennzeichen nichtausgleichsbedürftiger, von i h m sogenannter unmittelbarer gesetzlicher Eigentumsbeschränkungen darin, daß sie zwischen den Nachbargrundstücken ein Verhältnis „gegenseitiger Berechtigung und Verpflichtung" begründen, i n dem jedes Grundstück „zugleich den Nachteil aus der Beschränkung, der es selber unterliegt, und den V o r t e i l daraus, daß die 52 Eigentum, S. 48 ff., 58 ff. Der K r i t i k von H. Schulte ist indes einschränkend entgegenzuhalten, daß zwar nicht der Begriff des Eingriffs, aber doch der der Eigentumsinhaltsbestimmung verfassungsgesetzliches Tatbestandsmerkmal ist und deshalb nicht ohne weiteres aufgrund allgemeiner Erwägungen als „Bild(er) ohne eigenständige normative Bedeutung" (S. 52) qualifiziert werden darf. Der formale Inhaltsbegriff (S. 55 : »„Inhalt* ist die formale Regel des totalen Eigentümerbeliebens. ,Eingriff 4 sind alle Ausnahmen von dieser Regel."), den H. Schulte einzig gelten lassen w i l l , ist offenkundig nicht der des Art. 14 I 2 GG und deshalb auch nicht geeignet, von H. Schulte an sich zu Recht bekämpfte methodische Mißbräuche bei der Interpretation „bildhafter" gesetzlicher Tatbestandsmerkmale zu beseitigen. M i t der festgelegten formalen Kennzeichnung des Begriffs des Eigentumsinhalts, die durch Interpretation des A r t . 14 GG nicht abgesichert ist, w i r d i m Ergebnis lediglich eine Fehlerquelle durch eine andere ersetzt. 53 Immissionsschutz, S. 48. 54 Festg, Gutzwiller, S. 749 (751).
§ 3 Der Inhalt des Prinzips
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Nachbargrundstücke ebenfalls der gleichen Beschränkung unterliegen" habe. Mag der i n diesen Formulierungen ausgedrückte Äquivalenzgedanke als Maßstab für ausgleichsbedürftige Opferlagen auf den ersten Blick auch einleuchtend erscheinen, so versagt er doch, überprüft man i h n an solchen Vorschriften, deren Sinn er erklären soll: § 906 I I 1 B G B 5 5 normiert ein „Ortsüblichkeits-Privileg" 5 6 für wesentliche Beeinträchtigungen, dessen offenbar ungleiche Auswirkungen besonders i n gemischtwirtschaftlich genutzten Gebieten schon f r ü h zunächst der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dann auch dem Gesetzgeber ausgleichsbed ü r f t i g erschienen 57 , ohne daß jedoch die Äquivalenz von Vor- und Nachteilen ortsüblicher Nutzung selbst hierfür der Maßstab war. Die Grenze zwischen ausgleichslosen u n d ausgleichspflichtigen Beeinträchtigungen w i r d vielmehr durch den ganz anderen Gesichtspunkt der Zumutbarkeit gezogen 58 . Vor allem w i r d aber auch gerade der Maßstab der Ortsüblichkeit selbst von den Vertretern des Äquivalenzgedankens nicht angemessen verarbeitet: Die Ortsüblichkeit der Nutzung ist ein Merkmal, das gerade die jeweilige Mehrheit eines Nutzungsraums zu Lasten der jeweiligen Minderheit — prinzipiell entschädigungslos — privilegiert: Die Minderheit der nicht ortsüblich nutzenden Grundstückseigentümer trägt entschädigungslos die Last mangelnder Anpassung an die Mehrheit bis h i n zu unzumutbaren Beeinträchtigungen — ein E r gebnis, das, gemessen an einem Äquivalenzgedanken, rechtfertigungsbedürftig sein mag, nicht jedoch ohne weiteres durch diese allgemeine Formel erklärt werden kann 5 9 . Darauf, daß der Gedanke einer Äquivalenz von gegenseitigen V o r und Nachteilen infolge Nutzung nachbarlicher Grundstücke nicht nur als Maßstab für die Ausgleichsbedürftigkeit des gesetzlich geregelten nachbarlichen Ausgleichsanspruchs nach § 906 I I 2 BGB ungeeignet ist, 55 Kleindienst, Immissionsschutz, S. 42 ff., kennzeichnet den m i t § 906 I I 1 BGB korrespondierenden Ausgleichsanspruch nach § 906 I I 2 B G B der Sache nach als F a l l privatrechtlicher Eigentumsopferentschädigung (S. 45: „ p r i v a t rechtliche Enteignung"). Entsprechend Liver , Festg. Gutzwiller, S. 749 (753), m i t allgemeinerem Bezug: „private Expropriation". Desgl. zu § 906 I I 2 BGB besonders auch Konzen, Aufopferung, S. 145 ff., m i t ausführlichem Überblick über den Streit zur dogmatischen Einordnung des Ausgleichsanspruchs (S. 58, Fn. 320, 321). 69 Kleindienst, Immissionsschutz, S. 48. 57 Zur Entwicklung des „Ausgleichsanspruchs beim nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis" m i t ausführlichen Nachweisen Konzen, Aufopferung, S. 53 ff. 58 Kleindienst, Immissionsschutz, S. 49 f., äußert denn auch — insoweit konsequent — Bedenken gegen den gesetzlichen Maßstab der Zumutbarkeit. δ9 Die Qualifikation der prinzipiellen Raumordnungsentscheidung des § 906 I I 1 B G B als „Ortsüblichkeits-Privileg" (Kleindienst, Immissionsschutz, S. 48) spricht für sich.
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1 Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m
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sondern auch — entgegen Kleindienst — keine Parallele i n den Opferkriterien des B G H i m öffentlichrechtlichen Entschädigungsrecht findet, sei hier nur kurz hingewiesen: Der Äquivalenzgedanke leugnet im Grundsatz eine Pflicht des Grundeigentümers, Nachteile i n Kauf zu nehmen, denen keine entsprechenden Vorteile korrespondieren, während der vom B G H angewandte Lastengleichheitssatz lediglich solche Belastungen verbietet, die Eigentümer i n gleicher Lage ungleich treffen, und insbesondere i m Rahmen der sogenannten Sozialpflichtigkeit durchaus unausgeglichene Belastungen zuläßt 6 1 . I m Ergebnis bleibt somit auch die gängige Formel vom Ausgleich für den Entzug prinzipiell zugewiesenen Eigentumsinhalts als inhaltliche Erklärung eines Gedankens der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht unbefriedigend. Weder die Formel selbst noch der mit dieser Formel verbundene Äquivalenzgedanke liefern klare und diskutable Opferkriterien, m i t deren Hilfe sich der Haftungsgrund von Eigentumsaufopferungsansprüchen sinnvoll beschreiben läßt und deren Verhältnis zu den Opferkriterien einer öffentlichrechtlichen Eigentumsopferentschädigung klar bestimmt ist. I V . Vorteilsausgleichung, iustitia commutativa, Güterabwägungsprinzip
Die Unsicherheiten bei der Beschreibung des Haftungsgrundes einer zivilrechtlichen Eigentumsopferentschädigung m i t Hilfe von Opferkriterien werden besonders deutlich i n solchen Erklärungsversuchen, die sich unmittelbar auf Prinzipien allgemeinster A r t wie das der Vorteilsausgleichung 62 oder der iustitia commutativa 6 3 stützen, u m die Notwendigkeit eines Ausgleichs für solche Rechtsverluste zu begründen, die als Folgen von Interessenkonfliktslösungen mit Hilfe des Güterabwägungsprinzips eintreten. Zwar kann unterstellt werden, daß alle denkbaren Normierungen von Eigentumsaufopferungsfällen Interessenkonfliktslösungen nach dem Güterabwägungsprinzip enthalten, doch beseitigt diese Voraussetzung nicht die Notwendigkeit, nach spezifischen Gründen dafür zu suchen, weshalb ein Rechtsverlust oder eine Rechtsbeeinträchtigung als Folge der Konfliktslösung ein ausgleichsbedürftiges Opfer darstellt. Das zeigen folgende Überlegungen: Das bürgerliche Recht enthält i n verschiedenen Bereichen zahlreiche Fälle von Interessenkonfliktslösungen, bei denen aufgrund von Güterabwägungen Rechtsverlust und korrespondierender Rechtserwerb ein60
Immissionsschutz, S. 48. Z u m Ganzen vgl. näher unten § 10 nach Fn. 24. «2 Hubmann, J Z 1958, 489 (491). 63 Larenz, SchR I I , § 78 vor 1, S. 648 f. 61
§ 3 Der I n h a l t des Prinzips
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treten, die aber nicht „automatisch" durch spezifische Opferausgleichsregelungen, sondern allenfalls — nach unterschiedlichen konkreten Hegelungszwecken differenziert — durch einen Bereicherungsausgleich i m Rahmen der §§ 812 ff. BGB ergänzt werden. Hierher gehören ζ. B. die §§ 946 ff. BGB (Eigentumserwerb durch Verbindung, Vermischung, Verarbeitung), die §§ 879 I BGB (gesetzlicher Rangerwerb), 937 ff. BGB (Ersitzung) und § 964 BGB (Eigentumserwerb an einem fremden Bienenschwarm); auch die Vorschriften über Verjährung, Ausschlußf risten oder über den Wegfall des Unterhaltsanspruchs für die Vergangenheit lassen sich hier einordnen 64 . N u r für den Rechtsverlust nach §§ 946 ff. BGB enthält das Gesetz i n diesem Zusammenhang ausdrücklich eine die Interessen des benachteiligten Eigentümers berücksichtigende Ausgleichsregelung i n § 95111 BGB, wo dem ehemaligen Eigentümer ein Anspruch nach den Regeln der §§ 812 ff. BGB über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zugebilligt wird, — dies jedoch nach ganz überwiegender A n sicht nur dann, wenn der volle Tatbestand des § 812 BGB erfüllt ist; § 95111 BGB ist danach — als bloße Rechtsgrund Verweisung — keine selbständige Anspruchsgrundlage 65 . Ob i n den übrigen Fällen der gesetzlich bestimmte Rechtserwerb/ Rechtsverlust endgültig ist oder aber, weil „ohne rechtlichen Grund", nach § 812 BGB ausgeglichen werden muß, ist zum Teil, vor allem für die Ersitzung nach § 937 BGB, sehr bestritten 6 6 . Grundsätzlich anerkannt ist lediglich, daß es hierfür — i m Rahmen einer Abwägung zwischen dem Ausgleichsinteresse des Betroffenen und dem „Interesse an der Stabilität der einmal bestehenden Rechtslage" 67 — entscheidend darauf ankommt, ob der Zweck der gesetzlichen Regelung eine endgültige Güterverschiebung rechtfertigt oder ob lediglich eine vorläufige (dingliche) Zuordnung gewollt ist 6 8 . 64 Vgl. hierzu i m einzelnen m. w. N. Palandt / Thomas, BGB, Einf. 5 b vor § 812 BGB. 65 Palandt / Bassenge, BGB, § 951 B G B A n m . l a ; ausführliche Übersicht über Rspr. u n d L i t e r a t u r bei Götz, Vergütungsanspruch, S. 21 ff., — auch Götz, der § 951 I 1 B G B abweichend von der h. M. als privatrechtlichen A u f opferungsanspruch interpretiert (dazu auch unten § 11 bei Fn. 197 ff.) stimmt i m Ergebnis m i t dieser h. M . überein. E r sieht i n § 951 I 1 B G B nämlich eine „mittelbare" Rechtsgrundverweisung, da die Tatbestandsvoraussetzungen eines Bereicherungsanspruchs i m konkreten F a l l ihrerseits Voraussetzungen eines Aufopferungsanspruchs seien (S. 152 ff.). M Palandt / Bassenge, BGB, Vorbem. l a vor § 937 B G B m . w . N . ; Esser, SchR I I , § 100 I I I 1 c, S. 334 f. m. w. N. 67 Esser, SchR I I , § 100 I I I 1 c, S. 334. «« Esser, SchR I I , § 100 I I I 1 c, S.334f.; Palandt I Thomas, BGB, Einf. 5 b vor § 812 B G B ; Palandt / Bassenge, BGB, Vorbem. 1 a vor § 937 B G B ; H. Westermann, SR, § 51 I I I , S. 247 f. m i t zahlreichen Nachweisen; B G H Z 21, 98 (99), — Rangerwerb; 43, 1 (12), — Unterhalt für Vergangenheit, Verjährung.
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsaufpferung i m
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A l s w o h l wichtigstes B e i s p i e l der gesetzlichen R e g e l u n g eines I n t e r essenkonflikts, der einerseits besonders ausgeprägt d i e Züge einer A u f opferungslage i m Sinne h e r k ö m m l i c h e r V o r s t e l l u n g e n t r ä g t , b e i d e m andererseits aber der benachteiligte E i g e n t ü m e r n i c h t d u r c h eine spezifische Opferentschädigung, sondern m i t den M i t t e l n des bereicherungsrechtlichen Ausgleichs ( i m R e g e l f a l l nach § 816 1 1 B G B ) geschützt w i r d , lassen sich die V o r s c h r i f t e n der §§ 932 ff. B G B ü b e r d e n g u t g l ä u b i g e n E i g e n t u m s e r w e r b an beweglichen Sachen v o m N i c h t b e r e c h t i g t e n anf ü h r e n 6 9 . A u c h f ü r diese Regelungen ist das G ü t e r a b w ä g u n g s p r i n z i p i m allgemeinsten Sinne b e s t i m m e n d : Das Interesse des einzelnen a m B e s t a n d seines Rechts m u ß zurückstehen h i n t e r d e m Interesse der A l l g e m e i n h e i t a n der Sicherheit u n d L e i c h t i g k e i t des rechtsgeschäftlichen V e r k e h r s u n d h i n t e r d e m Vertrauensinteresse des g u t g l ä u b i g e n E r w e r bers 7 0 . Ä h n l i c h w i e i n d e n v o n d e r herrschenden M e i n u n g als z i v i l rechtliche A u f o p f e r u n g s n o r m e n q u a l i f i z i e r t e n F ä l l e n erleidet der E i g e n t ü m e r h i e r einen Rechtsverlust, der p r i m ä r n i c h t aus G r ü n d e n zu rechtfertigen ist, die i n seiner Sphäre l i e g e n u n d die z u einer rechtlichen M i ß b i l l i g u n g der Rechtsinhaberschaft a n sich f ü h r e n , sondern der entscheidend d u r c h die B e v o r z u g u n g v o n — aus der Sicht des E i g e n t ü m e r s — f r e m d e n Interessen b e g r ü n d e t i s t 7 1 . Das E i g e n t u m , so 69
BGB.
Entsprechendes gilt für vergleichbare Regelungen, insbes. für § 892
70 Für den vorliegenden Zusammenhang reicht diese grobe Formel für den i n §§ 932 ff. BGB geregelten Interessenwiderstreit, ohne daß es hier einer präziseren Abgrenzung u n d gegenseitigen Gewichtung der tragenden Regelungsprinzipien, die i n der Literatur nicht ganz einheitlich vorgenommen werden, bedürfte; vgl. i n diesem Zusammenhang nur Heck, SR, § 58 I, S. 246 f.; Wolff / Raiser, SR, § 68 I I , S. 249 ff.; Baur, SR § 52 I 2, S. 459 ff. m. w. Ν.; H. Westermann, SR, § 45 I I I , IV, V, S. 221 ff.; m i t zahlreichen Nachweisen auch Rebe, AcP 173, S. 186 ff. 71 Die Beschränkung des gutgläubigen Erwerbs nach § 935 I 1 BGB auf Sachen, die dem Eigentümer nicht „verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen" sind, enthält zwar deutlich ein auf die Sphäre des Eigentümers abstellendes spezifisches Zurechnungsmoment für den Rechtsverlust, vgl. hierzu insbes. Müller-Erzbach, AcP 106, 309 ff. (410 ff., 442 ff.); ders., AcP 109, I f f . (129ff.); ders., AcP 142, 5 f f . (20, 30), — zum sog. „Gefahrbeherrschungsprinzip"; ähnlich Brandt, Eigentumserwerb, S. 261 ff., und Hübner, Rechtsverlust, S. 105 ff.; vgl. auch H. Westermann, SR, § 45 I I I 2, S. 223 f.: „Veranlassungsprinzip"; Rebe, AcP 173, 186 ff.: „Verantwortlichkeit" (S.200); zum Ganzen auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 475 f., 479 f.: „Risikoprinzip"; weitere Nachweise u n d Überblick insbes. bei Rebe. Dieser Zurechnungsgesichtspunkt, der ja i m übrigen wegen § 935 I I BGB vom Gesetz nur eingeschränkt berücksichtigt wird, enthält jedoch keinen selbständigen „Rechtfertigungsgrund" für den Eigentumsverlust, sondern schränkt i m Rahmen der Abwägung der gegenseitigen Interessen lediglich die einseitige Bewertung des Verkehrs- und Vertrauensschutzes zugunsten des benachteiligten Eigentümers ein. Eine entsprechende Relativierung der Bedeutung des „Gefahrbeherrschungsprinzips" findet sich bereits bei dessen wichtigstem Vertreter, Müller-Erzbach, AcP 106, 309 (442), und dürfte heute w o h l als unbestritten gelten. Allerdings spricht Rebe, AcP 173, 186 (187, 196 ff.), i n diesem Zu-
§ 3 Der I n h a l t des Prinzips
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lassen sich die Regeln über den gutgläubigen Erwerb zwanglos charakterisieren, w i r d i m Interesse des Verkehrs- und Vertrauensschutzes zu Lasten des früheren Eigentümers und zugunsten des Erwerbers „aufgeopfert". I n der Literatur, die sich mit der Problematik des gutgläubigen Erwerbs kritisch auseinandergesetzt hat, ist denn auch häufig der Rechtsverlust des Eigentümers i n die Nähe zur Enteignung gerückt 7 2 und damit als „Eigentumsopfer" nach der hier benutzten Terminologie problematisiert worden, ohne daß dies jedoch bisher i m Zusammenhang m i t der allgemeinen Problematik zivilrechtlicher Aufopferungsansprüche ausreichend beachtet worden wäre. Insbesondere Formeln, die sich bei der Beschreibung des Haftungsgrundes einer Aufopferungshaftung auf die abstrakten Elemente: ausnahmsweise Interessenkonfliktlösung, Güterabwägung, Vorteilsausgleichung oder iustitia commutativa, beschränken, enthalten jedoch offenbar gegenüber den bereicherungsrechtlich gelösten Fällen des gutgläubigen Eigentumserwerbs — wie auch gegenüber den zuvor angeführten Beispielen gesetzlich geregelten Eigentumsverlustes — keine unterscheidungskräftigen Gesichtspunkte 73 . Solche Formeln ordnen einem einhellig als Prinzip des Schadensausgleichs angesehenen Gedanken der Eigentumsopferentschädigung keinen eindeutig abgegrenzten Anwendungsbereich gegenüber Bereicherungsansprüchen wie nach den §§ 812 11, 816 11 BGB zu. Damit erweisen sich indes entscheidende Aufgaben einer Dogmatik des Rechts der zivilrechtlichen Eigentumssammenhang zumindest mißverständlich von einem „Rechtfertigungsgrund" f ü r den Eigentumsverlust gegenüber dem bisherigen Eigentümer u n d legt damit die Folgerung nahe, daß nicht auch — u n d entscheidend — der V e r kehrsschutzgedanke u n d das Vertrauensschutzprinzip den Eigentumsverlust „rechtfertigen". Zutreffend ist jedoch allein, daß der Gedanke des Verkehrsu n d Vertrauensschutzes nicht ausreicht, u m die Beschränkung des gutgläubigen Erwerbs nach § 935 I B G B zu erklären. 72 Vgl. insbes. A. Menger, Das bürgerliche Recht, S. 124 ff.; Binding , Eigentumserwerb, insbes. S. 35 ff.; Hübner, Rechtsverlust, S. 13; Zweigert, RabelsZ 1958, 1 (15), — allerdings ausdrücklich gegen Enteignungscharakter der §§ 932 ff. BGB, statt dessen f ü r „Sozialbindung"; Baur, SR, § 52 I 2, S. 459/460; von einem „Opfer des Eigentümers" spricht z . B . auch Wolff I Raiser, SR, § 68 I I 1, S. 249; vgl. auch ff. Schulte, Dogmatik, S. 37; vgl. entsprechend zu §§ 946 ff. B G B die Nachweise bei Götz, Vergütungsanspruch, S. 113 f. bei u n d i n Fn. 556 ff.; zur verfassungsrechtlichen Würdigung des Problems vgl. unten § 11 bei Fn. 196 ff., § 12 bei Fn. 9. 73 Daß dieser E i n w a n d mangelnder TJnterscheidungskraft auch f ü r die zuvor erläuterten herrschenden Formeln zur E r k l ä r u n g des Haftungsgrundes einer Eigentumsopferentschädigung zusätzlich zur bereits entwickelten K r i t i k zu erheben ist, sei hier n u r kurz angemerkt: Auch f ü r die §§ 932 ff. B G B ließe sich davon sprechen, daß hier ein prinzipiell zugewiesenes Eigentum ausnahmsweise, nämlich i n bestimmten „Gefahrensituationen", dem Eigentümer zugunsten des Erwerbers entzogen w i r d . Der bereits oben erwähnte Versuch v o n Götz, Vergütungsanspruch (insbes. S. 133 ff.), die Vorschrift des § 951 I B G B als Aufopferungsanspruch zu deuten, ist deshalb i m Ansatz eine konsequente Anwendung dieser herrschenden Formeln.
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1 Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m
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Opferentschädigung mit dem Anspruch, systematische Einsichten i n differenzierte Regelungszusammenhänge zu vermitteln, als ungelöst: Entweder müßten zusätzliche allgemeine Gesichtspunkte zur Abgrenzung eines den spezifischen Anwendungsbereich für Opferentschädigungsansprüche bestimmenden Haftungsgrundes formuliert werden, die erklären, warum und unter welchen Voraussetzungen die Rechtsordnung so unterschiedliche Regelungen wie einerseits Schadensersatz bzw. Entschädigungsansprüche, andererseits Bereicherungsansprüche als Interessenkonfliktslösungen bereithält, oder aber der Gedanke eines allgemein abgrenzbaren, den Anwendungsbereich für spezifische Opferentschädigungsansprüche bestimmenden Haftungsgrundes wäre abzulösen 74 zugunsten einer umfassenderen und zugleich i n sich differenzierteren systematischen Erklärung für unterschiedliche gesetzliche Reaktionen auf Situationen einer Eigentumsaufopferung. V. Einzelne sog. Entschädigungskriterien: Sonderopfer, Ortsüblichkeit, Zumutbarkeit — H. Schulte
Gegenüber den bisher berücksichtigten Stellungnahmen zum Entschädigungsgrund bei der privatrechtlichen Eigentumsaufopferung stellt die Ansicht von H. Schulte i n mehrfacher Hinsicht eine Sonderposition dar. H. Schulte bemüht sich zum einen — i n scharfer Abgrenzung gegenüber den auch hier bereits kritisierten gängigen allgemeinen Formeln — um die Darstellung konkreterer, gesetzesnaher Entschädigungskriterien und versucht andererseits auch die „Parallelen" zwischen Entschädigungskriterien i m Zivilrecht und denen i m öffentlichen Recht genauer nachzuweisen. I m Ergebnis arbeitet nach seiner Ansicht das Gesetz zur Abgrenzung zwischen entschädigungspflichtigen und entschädigungslosen Eingriffen bei der privatrechtlichen Eigentumsaufopferung mit drei Kriterien: Sonderopfer, Ortsüblichkeit und Zumutbarkeit 7 5 . „Genau dieselben K r i t e r i e n " 7 6 würden auch „zur A b grenzung der zur Entschädigung verpflichtenden Enteignung von der entschädigungslos hinzunehmenden ,Sozialbindung' verwendet".
74 So i. E. Götz, Vergütungsanspruch, insbes. S. 152 ff., dessen Konstruktion, nach der die Voraussetzungen eines Bereicherungsanspruchs zugleich auch die Voraussetzungen des von i h m so qualifizierten Aufopferungsanspruchs nach § 951 I 1 B G B seien, die Eigenständigkeit eines Aufopferungsanspruchs gegenüber dem Bereicherungsanspruch beseitigt. Götz begründet dies allerdings zu vordergründig m i t H i l f e der hier kritisierten Formel von der F u n k t i o n des Aufopferungsanspruchs als Ausgleich f ü r einen „eigentlich" bestehenden „ A b w e h r - oder Herausgabeanspruch". Vgl. dazu auch unten § 11 Fn. 197. 75 H. Schulte, Eigentum, S. 126 ff., 137 ff. 76 Ebd., S. 137.
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So bestechend es zunächst erscheinen mag, die Darstellung der maßgeblichen Entschädigungskriterien bei der zivilrechtlichen Eigentumsaufopferung i n dieser Weise von den gängigen allgemeinen und fragwürdigen Formeln über den Sinn der Entschädigung zu entlasten 77 , so fordern doch Methode und Inhalt der Argumentation von H. Schulte zur K r i t i k heraus. 1. Problem des Geltungsnachweises, insbesondere beim Begriff des Sonderopfers Inkonsequent ist zunächst bereits die Methode des Nachweises der Geltung der genannten drei Kriterien für den Bereich der privatrechtlichen Eigentumsaufopferung. N u r für zwei Kriterien, für die Ortsüblichkeit und die Zumutbarkeit, benutzt H. Schulte, seinem eigenen Programm folgend 78 , zivilrechtliche Normen, nämlich den § 906 BGB als Geltungsgrund. Dagegen w i r d das dritte K r i t e r i u m des Sonderopfers nicht einer (zivil-)gesetzlichen Regelung entnommen 79 , sondern unmittelbar aus drei zur beliebigen Auswahl gestellten allgemeinen Gesichtspunkten abgeleitet: aus dem Gleichheitssatz, der Institutsgarantie des Eigentums und dem Wesensgehalt des Eigentums 80 . Weder die Ableitung des verwendeten Sonderopferbegriffs noch der Versuch, die Geltung dieses Kriteriums i n der zentralen nachbarrechtlichen Norm des § 906 BGB nachzuweisen, können jedoch überzeugen. Inhaltlich kennzeichnet H. Schulte das K r i t e r i u m des Sonderopfers durch den Satz: „Eine privatrechtliche Eingriffsbefugnis, die typisch dazu führt, daß nur einzelne belastet werden" 8 1 , verwendet den Begriff also i m Sinne der sog. formalen Einzelakttheorie, nach der die Be77 Z u entsprechenden Tendenzen, auch i m öffentlichen Recht auf allgemeine „Großformeln" bei der Kennzeichnung entschädigungspflichtiger T a t bestände zu verzichten, vgl. unten § 10 bei Fn. 4. 78 Vgl. Eigentum, S. 127: „Es geht darum, die Merkmale festzustellen, nach denen das Gesetz zwischen entschädigungslosen u n d entschädigungspflichtigen E i n w i r k u n g e n unterscheidet. Ist das geschehen, k a n n darüber diskutiert werden, ob m a n diese K r i t e r i e n als sinnvoll, p r a k t i k a b e l u n d gerecht ansehen w i l l " . 79 Dies geschieht höchstens sehr i n d i r e k t dadurch, daß H. Schulte i n diesem Zusammenhang (ebd., S. 127) an die Ausführungen von Kleindienst, Immissionsschutz, S. 48, zum — angeblich, vgl. hierzu oben bei Fn. 53 ff. — die Regelung des § 906 I I B G B bestimmenden Äquivalenzgedanken anknüpft. — Hierbei werden i m übrigen die Ausführungen von Kleindienst geradezu u m gedreht: Kleindienst stellt nicht, w i e H. Schulte, Eigentum, S. 126, 127, angibt u n d als Grundlage seines Sonderopferbegriffs weiterbenutzt, auf den Gesichtspunkt typischerweise vereinzelter Belastungen ab, sondern auf den typischerweise vereinzelter u n d einseitiger Begünstigung zu Lasten einer Mehrheit anderer. Beide Gesichtspunkte vermengt H. Schulte auch an anderer Stelle, ebd., S. 138 oben. 80 H. Schulte, Eigentum, S. 128 bei u n d i n Fn. 79. « Eigentum, S. 127/128.
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsaufpferung i m
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lastung „einzelner" entschädigungspflichtig sein soll . Daß jedoch die formale Einzelakttheorie als sinnvolle Basis einer Bestimmung entschädigungspflichtiger Sachverhalte weder m i t einem — notwendig materiell zu interpretierenden — Gleichheitssatz noch m i t dem Sinn der Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG zu vereinbaren ist, gehört i m Bereich des öffentlichen Entschädigungsrechts zu den wenigen Erkenntnissen, über die inzwischen allgemeine Übereinstimmung erzielt worden ist 8 3 . Wichtiger für den vorliegenden Zusammenhang ist indes die Unvereinbarkeit eines solchen formalen Sonderopferbegriffs m i t § 906 BGB. Wie bereits erwähnt 8 4 , schützt diese Vorschrift prinzipiell das Recht ortsüblich nutzender Mehrheiten gegenüber dem der nicht ortsüblich nutzenden Minderheiten. Der sein Grundstück nicht ortsüblich n u t zende einzelne Grundstückseigentümer muß selbst unzumutbare Beeinträchtigungen seiner Nutzung entschädigungslos hinnehmen. Diese Bevorzugung der ortsüblich nutzenden Grundstückseigentümer stellt per definitionem eine „Eingriffsbefugnis 8 6 , die typisch dazu führt, daß n u r einzelne belastet werden", dar, müßte also gegebenenfalls nach H. Schulte als an sich entschädigungspflichtige Sonderopferlage und damit konsequenterweise als Verstoß gegen den Gleichheitssatz gewertet werden. 2. Systematik und Anwendungsbereich der verschiedenen Entschädigungskriterien Auszuweichen wäre der gezeigten Diskrepanz n u r m i t der Erwägung, daß der Sonderopferbegriff nicht f ü r jede Entschädigungsentscheidung maßgeblich sein solle, sondern ζ. B. bei § 906 B G B durch die diese N o r m bestimmenden K r i t e r i e n der Ortsüblichkeit und der Zumutbarkeit verdrängt werde. Dieses Argument läßt sich zwar ohne Schwierigkeiten i n die Ausführungen H. Schultes einfügen, weist damit zugleich jedoch auf die entscheidenden inhaltlichen Schwächen der Beschreibung der sogenannten Entschädigungskriterien hin. Es fehlen dort nämlich klare Aussagen über die gegenseitige systematische Zuordnung, über den jeweiligen Anwendungsbereich und über die Maßgeblichkeit der gemeinsam als Entschädigungskriterien bezeichneten Begriffe. Bereits die gemeinsame Bezeichnung als Entschädigungskriterien erweist sich als eine zu undifferenzierte Aussage. Während das Sonderopfer unmittelbar ein Opferkriterium sein soll, nämlich ein Merkmal, an das 82
Hierzu näher unten § 10 bei Fn. 14 ff. Vgl. unten § 10 bei Fn. 122 ff. 84 Oben vor Fn. 59. 85 Eingriff hier i n dem weiten, von H. Schulte, Eigentum, S. 55, vertretenen Sinne verstanden. 83
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sich die Entschädigung unmittelbar als Rechtsfolge anschließt , ist die Ortsüblichkeit lediglich ein Gesichtspunkt, der i m Rahmen der Gesamtentscheidung über die Entschädigungsregelung eine zentrale Rolle spielt, ohne selbst einen entschädigungspflichtigen Sachverhalt (Opfer) zu kennzeichnen. Ortsüblichkeit ist kein Opferkriterium, sondern i m Gegenteil ein Gesichtspunkt zur Legitimation ungleich verteilter Berechtigungen und Belastungen. Die Unzumutbarkeit ist dagegen wieder ein Opferkriterium, jedoch nicht, wie das Sonderopfer, ein selbständiges Merkmal, dessen Vorliegen hinreicht, u m ein Entschädigungsrecht zu begründen. Die Entschädigungspflicht ergibt sich erst aus einem Zusammenspiel der Merkmale Ortsüblichkeit und Zumutbarkeit. Es handelt sich bei den genannten drei Merkmalen also u m eine Gruppierung von Entschädigungskriterien i m engeren Sinne (Opferkriterien) und i m weiteren Sinne (mittelbar für Opferkriterien relevante Bewertungskriterien), die so notwendig i n unterschiedlicher Weise auf eine Entschädigungsentscheidung einwirken. Aufgabe einer brauchbaren Beschreibung dieser Kriterien wäre es nun, die A r t des Zusammenspiels dieser unterschiedlichen Kriterien näher zu präzisieren und so Voraussetzungen und Begründung konkreter Entschädigungsregelungen zu erklären. Eine solche notwendige Präzisierung fehlt indes bei H. Schulte, dessen Ausführungen sich darauf beschränken, die Notwendigkeit eines Zusammenwirkens aller drei Kriterien als solche zu konstatieren 87 . Dieser Mangel an klarer systematischer gegenseitiger Zuordnung der Entschädigungskriterien ist u m so unbefriedigender, als die Ableitung des Sonderopferbegriffs aus verfassungsrechtlich relevanten Gesichtspunkten und dessen Eigenschaft als unmittelbares Opferkriterium diesem Merkmal nach herkömmlicher Vorstellung einen vorrangigen und generellen Geltungsanspruch zuweisen, der zugleich zu einer spezifischen Unterordnung und Relativierung insbesondere des Begriffs der Ortsüblichkeit führen müßte 8 8 . 3. Verhältnis zu öffentlichrechtlichen Entschädigungskriterien Die systematischen Unklarheiten bei der Beschreibung von sogenannten Entschädigungskriterien nehmen auch der interessanten These H. Schultes, nach der die gesetzlichen Entschädigungskriterien bei der 86
H. Schulte, Eigentum, S. 128, 137/138. Ebd., S. 140 f. 88 Nach ff. Schulte soll es umgekehrt so sein, daß der Sonderopferbegriff seinerseits durch den Gesichtspunkt der Ortsüblichkeit ergänzt bzw. differenziert w i r d , ebd., S. 138 ff. Dazu, daß dies dann i n ganz spezifischer Weise zutrifft, w e n n ein materieller Sonderopferbegriff verwendet w i r d , vgl. unten § 10 nach Fn. 24. 87
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsaufpferung i m
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privatrechtlichen Eigentumsaufopferung sozusagen zufällig übereinstimmten m i t den auch i m öffentlichen Recht tatsächlich verwendeten Gesichtspunkten 89 , i m Ergebnis die Uberzeugungskraft. a) Sonderopfer F ü r den Begriff des Sonderopfers i m Sinne der formalen Einzelakttheorie, wie H. Schulte i h n verwendet, ergibt sich die Fragwürdigkeit dieser These bereits daraus, daß, wie gezeigt, die Maßgeblichkeit dieses Sonderopferbegriffs i m Rahmen des § 906 B G B nicht nachzuweisen ist und auch i m öffentlichen Recht überholten Vorstellungen entspricht. b) Ortsüblichkeit/Situationsgebundenheit Besonderes Gewicht legt H. Schulte auf den Nachweis der Parallelität der K r i t e r i e n Ortsüblichkeit einerseits, Situationsgebundenheit andererseits 90 . Er sieht — unter Berufung auf das grundlegende Grünflächenurteil des B G H 9 1 — diese Parallele darin begründet, daß „ m i t dem M e r k m a l der Ortsüblichkeit i m § 906 B G B " nichts anderes als die Situationsgebundenheit i m Sinne der Entscheidung des BGH, nämlich die „Einbindung des Grundstücks i n die räumlichen Gegebenheiten seiner U m w e l t . . . angesprochen" werde 9 2 . Das k l i n g t an sich unmittelbar einleuchtend und mag auch richtig sein. Fraglich ist jedoch, ob hierm i t zugleich eine klare Beziehung zwischen „Ortsüblichkeit" einerseits, „Situatonsgebundenheit" andererseits i m Sinne der behaupteten Parallele oder weitergehend einer Identität beider K r i t e r i e n hergestellt ist. Das Tatbestandsmerkmal Ortsüblichkeit war h i e r 9 3 m i t Rücksicht auf die m i t i h m verbundenen Rechtsfolgen als ein lediglich mittelbar für die eigentlichen Opferkriterien relevantes Entschädigungskriterium „ i m weiteren Sinne" bezeichnet worden. Unmittelbare Folge der Ortsüblichkeit einer Grundstücksnutzung ist die erweiterte Möglichkeit, andere Grundstückseigentümer durch Immissionen auch wesentlich zu beeinträchtigen bzw. entsprechend eine erweiterte Duldungspflicht beeinträchtigter Nachbarn. Als „mittelbares Entschädigungskriterium" läßt sich das M e r k m a l Ortsüblichkeit also n u r exakt beschreiben, berücksichtigt man dessen konkrete gesetzliche Rechtsfolge. V o n Identität m i t dem M e r k m a l der Situationsgebundenheit dürfte n u n sicher dann 89
Ebd., S. 137 ff. Ebd., S. 138 ff.; vgl. dens., Dogmatik, S. 13. 91 BGHZ 23, 30 (32). 92 Eigentum, S. 139; ähnlich Leisner, NJW 1975, 233 (236); auch Aicher, Staatshaftung, insbes. S. 418 ff. 93 Oben nach Fn. 86. 90
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gesprochen werden, wenn auch dieses Merkmal dieselbe Rechtsfolge auslöste wie das der Ortsüblichkeit. Dies ist jedoch offenkundig nicht der Fall. Ausweislich der von H. Schulte 04 wörtlich zitierten Ausführungen des B G H hat das Merkmal zunächst eine allgemeine, auf den Gleichheitssatz bezogene Funktion. Es dient zur Rechtfertigung „vernünftiger" Differenzierung bei der Behandlung „ungleicher" Tatbestände, es liefert den Ausgangspunkt für die Bildung von vor dem Gleichheitssatz vergleichbaren Personengruppen. Ferner dient dieses Merkmal i n derselben Entscheidung zugleich als Basis für die Bildung konkreter Rechtsfolgen. Der B G H postuliert eine „Pflichtigkeit, u . U . eine unter den zahlreichen denkbaren, aus dem Eigentumsrecht fließenden Einzelbefugnissen zur Nutzung zu unterlassen", insbesondere müsse der Eigentümer entschädigungslos hinnehmen, „wenn . . . für die Zukunft eine bisher noch nicht verwirklichte Verwendungsart, die unvereinbar ist m i t jener Situationsgebundenheit, untersagt wird, während i h m die Fülle der Befugnisse aus dem Eigentum — Besitz, Verwaltung, Verfügungsmacht und Nutzung i m übrigen — ungeschmälert erhalten bleibt" 9 5 . Die konkreten Rechtsfolgen, für die der Begriff der Situationsgebundenheit hiernach K r i t e r i u m ist, bestehen also i n einer Beschränkung an sich bestehender Nutzungsmöglichkeiten des situationsgebundenen Grundstücks. Dagegen folgt aus der Ortsüblichkeit einer Grundstücksnutzung deren verstärkter Schutz gegen nachbarliche Abwehrmöglichkeiten. Darüber hinaus handelt es sich, anders als bei dem konkreten Tatbestandsmerkmal Ortsüblichkeit, bei der Situationsgebundenheit offenbar u m einen allgemeineren grundsätzlichen Gesichtspunkt, der einen prinzipiellen Rahmen für die Bewertung von Eigentumsbeeinträchtigungen darstellen soll. Beides — unterschiedliche Rechtsfolgen und unterschiedliche systematische Bedeutung von Ortsüblichkeit und Situationsgebundenheit — w i r d durch die einheitliche Bezeichnung beider Begriffe als parallele oder sogar identische „Entschädigungskriterien" verwischt. Die vage Formulierung bei H. Schulte 96 , nach der der Gesichtspunkt der Situationsgebundenheit m i t dem Merkmal der Ortsüblichkeit i n § 906 BGB „angesprochen" sei, bringt denn auch die unterschiedlichen Qualitäten beider Merkmale anschaulich zum Ausdruck. N i m m t man diese Formulierung wörtlich, so deutet sie einen — i m Ergebnis entscheidenden — Gedanken an, nämlich die Behauptung, daß die i n der Regelung des § 906 I I 1 BGB enthaltenen Wertungen vereinbar sind m i t der allgemeinen Vorstellung besonderer, m i t der Situationsgebundenheit des Eigentums verbundener Pflichtigkeiten, daß sie also — i n der Sprache 94 95 96
Eigentum, S. 138. B G H Z 23, 30 (33). Näheres dazu unten § 10 nach Fn. 24. Eigentum, S. 139.
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsaufpferung i m
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des B G H — eine gesetzliche Verdichtung einer allgemeinen Pflichtigkeit zur Pflicht darstellen. Die klare Formulierung und Begründung dieser Behauptung w i r d jedoch verhindert — das verdeutlichen die Ausführungen bei H. Schulte — durch die undifferenzierte, von konkreten Hechtsfolgen und systematischen Argumentationszusammenhängen absehende Verwendung der Bezeichnung „Entschädigungskriterien" f ü r die unterschiedlichen Begriffe Situationsgebundenheit und Ortsüblichkeit. c) Zumutbarkeit Vielleicht noch gravierender äußert sich schließlich die Methode unsystematisch isolierender Betrachtungsweise bei der Behandlung des dritten und letzten Entschädigungskriteriums, der Zumutbarkeit. Dieses M e r k m a l ist nach H. Schulte 9 7 i m öffentlichen Recht einerseits i n der Rechtsprechung des B G H als Unantastbarkeit des Wesenskerns des Eigentums 9 8 , andererseits als „Schwere-Theorie" i n der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verwirklicht. Zugleich sei dieses M e r k mal identisch m i t dem M e r k m a l der Zumutbarkeit i m Sinne des § 906 I I 2 B G B 9 9 . Hierbei werden wiederum unterschiedliche Elemente rechtlicher Wertungen miteinander identifiziert u n d dabei unzulässig vereinfacht. Die Wesenskerngarantie i m Sinne der zitierten Entscheidung des B G H und ebenso der Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffs enthalten einen allgemeinen Rahmen f ü r die Bewertung von Eigentumsbeeinträchtigungen. M i t dieser F u n k t i o n setzen sie prinzipielle Schutzgrenzen des Eigentums: Jede auf dieser Ebene als „unzumutbar" bewertete Eigentumsbeeinträchtigung geht über das Maß entschädigungslos zulässiger Sozialbindung des Eigentums hinaus. Ganz anders der Schutz des Eigentümers gegen E i n w i r k u n g e n i m Sinne des § 906 BGB, die diesen „über das zumutbare Maß hinaus" beeinträchtigen: Wie bereits betont, w i r d m i t dem Ausgleichsanspruch des § 906 I I 2 B G B n u r die „ortsübliche Benutzung" geschützt, nichtortsübliche Benutzung darf dagegen entschädigungslos auch „unzumutbar" beeinträchtigt werden. Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit i m Sinne des § 906 I I 2 B G B müssen also, sollen sich keine Widersprüche ergeben, etwas anderes sein als der prinzipielle Maßstab einer Zumutbarkeit i m öffentlichrechtlichen E n t schädigungsrecht, denn § 906 B G B bewertet die unzumutbare Beeinträchtigung nichtortsüblicher Grundstücksnutzung i m Ergebnis offenkundig als „ z u m u t b a r " 1 0 0 . Ansätze f ü r einen sinnvollen Vergleich der 97
Ebd., S. 139 f. Ebd., S. 140: „Substanzgarantie". 99 I n diesem Sinne auch Leisner, N J W 1975, 233 (235 f.). 100 Das schließt es nicht aus, den Begriff der Zumutbarkeit innerhalb seines gesetzlichen Anwendungsbereichs nach § 906 I I 2 BGB — m i t B G H DVB1. 98
§ 3 Der I n h a l t des Prinzips
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jeweiligen „Entschädigungskriterien" ergeben sich auch hier nur, fragt man nach den Wertungskriterien der gesetzlichen Regelung i n ihrem Zusammenhang und deren Übereinstimmung mit möglichen verfassungsrechtlichen, von B G H und BVerwG entwickelten Wertungsmaßstäben. 4. Ergebnis I m Ergebnis liefert H. Schulte hiernach zwar begrüßenswerte A n sätze, über unbefriedigende Leerformeln hinaus konkrete Opferkriterien i m Bereich privatrechtlicher Eigentumsaufopferung nachzuweisen und diese mit entsprechenden Opferkriterien öffentlichrechtlicher Enteignung zu konfrontieren, dieser Ansatz scheitert jedoch i m Ergebnis an einer allzu vordergründigen unsystematischen Betrachtungsweise einzelner für die Entschädigungsfrage „irgendwie" relevanter Begriffe, deren jeweilige innere Systematik sowohl i m privaten als auch i m öffentlichen Recht ungeklärt bleibt. V I . Ergebnis
Nach allem hat sich gezeigt, daß die anerkannte dogmatische Figur einer zivilrechtlichen Aufopferungshaftung, hier ausdrücklich einschränkend als Eigentumsaufopferung bezeichnet, i n Rechtsprechung und Schrifttum nicht durch klare und überzeugende Aussagen über einen gemeinsamen Haftungsgrund getragen wird. Weder die gängige, den Terminus Aufopferungshaftung bestimmende Vorstellung einer Parallelität zwischen zivilrechtlicher und öffentlichrechtlicher Eigentumsopferentschädigung noch die Eigenständigkeit eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung gegenüber anderen zivilrechtlichen Normenkomplexen, insbesondere bereicherungsrechtlichen Regelungen, haben bisher eine überzeugende Rechtfertigung gefunden. C. Eigentumsopferentschädigung als Prinzip der Haftungszurechnung (zum Begünstigten) Die ganz herrschende Meinung sieht, wie bereits erwähnt 1 0 1 , i m Gedanken der Eigentumsopferentschädigung auch ein spezifisches Haftungszurechnungsprinzip, und zwar i n der Weise, daß die Haftungszurechnung zum Begünstigten als dem Wesen der Aufopferungshaftung gemäß betrachtet w i r d 1 0 2 . 1976, 774 (776) — als Generalklausel für einen „Interessenausgleich unter Billigkeitsgesichtspunkten, bei dem alle Umstände des Einzelfalles zu beachten sind", zu bewerten, die s t r u k t u r e l l dem öffentlichrechtlichen Entschädigungsanspruch entspricht. 101 Oben nach Fn. 10. 102 Vgl. bei den i n den folgenden Fußnoten sowie unten § 8 Fn. 1, 2 Genannten.
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m
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E i n anschauliches Beispiel dafür, m i t welcher Selbstverständlichkeit i m zivilrechtlichen Schrifttum überwiegend von dieser Haftungszurechnungsfunktion ausgegangen wird, liefert die Diskussion u m die Frage nach dem Anspruchsverpflichteten beim Schadensersatzanspruch des Eigentümers nach § 904 S. 2 BGB: Hier w i r d einerseits die Rechtsnatur dieses Anspruchs als Aufopferungsanspruch unmittelbar als A r gument für eine Haftung des Begünstigten benutzt 1 0 3 , andererseits erscheint Vertretern einer Störerhaftung die Konsequenz unausweichlich, daß beim Anspruch des § 904 S. 2 BGB bereits deshalb, weil dort der Störer, nicht der Begünstigte, zu haften habe, von einer Aufopferungshaftung nicht gesprochen werden könne 1 0 4 . Begründet w i r d das Dogma der Begünstigtenhaftung i m wesentlichen durch die Überlegung, daß der Entschädigungsgrund, das Eigentumsopfer, Ergebnis einer Konfliktslösung i n einem zweiseitigen Interessenwiderstreit sei, die konsequenterweise durch einen entsprechenden Ausgleich innerhalb desselben zweiseitigen Interessen(träger)konflikts zu ergänzen sei 1 0 5 . Diese Begründung, die unmittelbar die Elemente eines allgemeinen Gedankens der Eigentumsopferentschädigung ohne einen spezifischen Bezug zu dessen zivilrechtlichem Geltungsbereich verwendet, soll i m Zusammenhang der Untersuchung der Eigentumsopferentschädigung i m öffentlichen Recht auf ihre Tragfähigkeit untersucht werden 1 0 6 . Hier sei zunächst nur vorläufig auf offenkundige Unstimmigkeiten hingewiesen, die speziell bei der zivilrechtlichen Eigentumsaufopferung i m Zusammenhang m i t dem grundsätzlichen Postulat einer Begünstigtenhaftung auftauchen. Problematisch erscheint dieses Postulat i m Zivilrecht schon deshalb, weil es unmittelbar als konsequenter Bestandteil des allgemeinen Gedankens der Eigentumsopferentschädigung, und zwar bezogen auf dessen Ausprägung i m öffentlichen Recht, abgeleitet wird, der Geltungsnachweis dieses allgemeinen Gedankens i m Zivilrecht jedoch, soweit nach einem Haftungsgrund gefragt wird, bisher nicht überzeugend gelungen ist. Als besonders fragwürdig erweist sich dabei, wie bereits oben 1 0 7 ausgeführt, die Verknüpfung des Gedankens einer ausnahmsweisen Entziehung der actio negatoria m i t dem der Begünstigtenhaf103
Konzen, Aufopferung, S. 108ff. m . w . N . ; Kraffert, A c P 165, 453 (460f.); Larenz, SchR I I , § 78, 1 a. E., S. 650; Esser / Schmidt, SchR I 1, § 7 I I 5, 2, S. 77 (gegen die Voraufl.); vgl. auch Deutsch, Haftungsrecht, § 23 I V , S. 397 f. 104 z.B. Esser, SchR I (4. Aufl.), § 10 I I 2, S. 76f.; anders z.B. Baur, SR, § 25 I I I 1 c, S. 218, jedoch m i t der Begründung, daß der Eingreifende gegenüber dem Eigentümer der Begünstigte sei. tos v g l hierzu näher m. w . N. unten § 8 bei Fn. 5 ff. 106 107
U n t e n § 8. Bei Fn. 30 ff.
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tung, berücksichtigt man die Entwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts zum nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch wegen Versagung der Abwehrklage. Danach stellt sich die Entscheidung für eine Haftung des Begünstigten ganz deutlich nicht als konsequente Folgerung aus dem Sinn der besonderen Anspruchsvoraussetzungen dar — diese zielen vielmehr unmittelbar auf die Begründung einer (verschuldenslosen) Haftung des Störers. Erst die dogmatische Zuordnung des Anspruchs zum allgemeinen Gedanken der Aufopferungshaftung und die Berücksichtigung des für diesen Gedanken i m öffentlichen Recht zum Durchbruch gelangten Grundsatzes der Begünstigtenhaftung führten demgegenüber dazu, daß dieser Grundsatz nachträglich auch auf den privaten nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch angewandt wurde. D. Ergebnis Die bisherige Untersuchung des Inhalts eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht hat ergeben, daß es der Z i v i l rechtslehre noch nicht gelungen ist, zum Haftungsgrund der Aufopferungsentschädigung, also zur Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen der betroffene Eigentümer geschützt wird, eine klare Dogmatik zu entwickeln, m i t deren Hilfe die tragenden Gemeinsamkeiten unterschiedlicher sog. Aufopferungsansprüche überzeugend formuliert werden könnten. Auch die bisherigen Aussagen zur Eigentumsopferentschädigung als eines Prinzips der Haftungszurechnung bedürfen unter Einbeziehung des öffentlichen Entschädigungsrechts einer Überprüfung.
§ 4 Das Verhältnis der zivilrechtlichen zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufopferung A. Die öffentlich- oder zivilrechtliche Rechtsnatur der eigentumsbeeinträchtigenden Maßnahme als Unterscheidungsmerkmal — die herrschende Meinung I . Die Kombination negativer und positiver Vergleichsmerkmale
Zum Verhältnis der privatrechtlichen zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufopferung lassen sich vor allem drei wesentliche Aussagen als Bestandteile der herrschenden Meinung i n Literatur und Rechtsprechung unterscheiden, die, wie zu zeigen ist, i n einem sehr problematischen Verhältnis zueinander stehen. 1. Die Rechtsnatur der eigentumsbeeinträchtigenden Maßnahme als negatives Vergleichsmerkmal Als entscheidender Gesichtspunkt bei der negativen Abgrenzung privatrechtlicher von öffentlichrechtlicher Eigentumsaufopferungshaftung w i r d ganz allgemein die Rechtsnatur der das Eigentum beeinträchtigenden, die Haftung auslösenden Maßnahme angesehen: Ein öffentlicher Entschädigungsanspruch nach Enteignungsgrundsätzen soll stets einen Eingriff „von hoher Hand", ein privatrechtlicher Eigentumsaufopferungsanspruch dagegen privatrechtlich zu beurteilende Schadensursachen voraussetzen 1 . Diese, vom B G H vor allem für den Bereich nachbarrechtlicher Ausgleichsansprüche wegen Grundstücksimmissionen herausgestellte Unterscheidung läßt zwar entscheidende Abgrenzungsfragen offen, so daß bei der konkreten Anwendung der Unterscheidungsformel nach wie vor eine Fülle von Streitfragen besteht. So ist etwa bestritten, ob, wie der B G H i n seiner neueren Rechtsprechung annimmt, Beeinträchti1 St. Rspr. des BGH, grundsätzlich: B G H Z 48, 98 (101 f.); vgl. auch B G H Z 49, 148 (150) m . w . N . ; 54, 384 (388); 60, 119 (121, 122); 70, 212 (216ff.). F ü r die h. M. i m Schrifttum n u r jeweils m. w. N. Konzen, Aufopferung, S. 127 ff., 132 ff., 137 f.; Breuer, Bodennutzung, insbes. S. 272 ff.; Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 134 ff., S. 54 ff.; Palandt / Bassenge, BGB, § 906 B G B A n m . 5 b, cc, dd; grunds. abw. Schapp, Nachbarrecht, S. 30 ff., 138 ff. u n d durchgehend, f ü r den letztlich allein entscheidend ist, welche konkrete gesetzliche K o n fliktsentscheidung der regelungsbedürftigen Konfliktslage jeweils adäquat ist. Z u den abw. Ansichten von H. Schulte u n d Schwabe vgl. unten bei Fn. 80 ff.
§ 4 Das Verhältnis zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufpferung
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gungen durch Baumaßnahmen der öffentlichen Hand, z.B. Straßenund U-Bahnbau, oder durch Verkehrsimmissionen von öffentlichen Straßen schon deshalb nach öffentlichrechtlichem Enteignungsrecht zu beurteilen sind, weil diesen Maßnahmen ein öffentlichrechtliches Planfeststellungsverfahren bzw. eine öffentlichrechtliche Widmung der Straße vorausgegangen ist 2 . Entsprechend taucht immer dann, wenn private Eingriffsbefugnisse öffentlichrechtliche Genehmigungsverfahren voraussetzen, die Frage nach der Bedeutung solcher öffentlichrechtlichen Genehmigungsakte auf 3 . Gegenüber solchen umstrittenen Folgeproblemen bei der Bestimmung der Rechtsnatur der für die Haftung maßgeblichen eigentumsbeeinträchtigenden Maßnahme herrscht jedoch weitgehende Einigkeit über deren entscheidende Voraussetzung, nach der es von der öffentlichrechtlichen oder privatrechtlichen Rechtsnatur dieser Maßnahme abhängt, ob Ansprüche wegen privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Eigentumsaufopferung i n Betracht kommen bzw. ob entsprechende Anspruchsnormen als solche des öffentlichen oder des privaten Rechts anzusehen sind. Soweit es bei dieser Formel nur darum ginge, jeweilige Anspruchsgrundlagen unterschiedlich als solche des öffentlichen oder des privaten Rechts einzuordnen, besagte sie i m Grunde auch eine über den Bereich der Eigentumsaufopferung hinaus geläufige Selbstverständlichkeit, die lediglich i m Rahmen der allgemeinen Frage nach der Berechtigung einer Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht überprüfungsbedürftig erschiene. 2. Die unterschiedliche Zuordnung zu den Geltungsbereichen des Art. 1412 und 14 III GG Ihre eigentliche Problematik erhält die herrschende Meinung erst dadurch, daß i n der genannten Formel zugleich eine zweite, spezifisch verfassungsrechtliche Aussage enthalten ist bzw. hiermit verbunden w i r d 4 . M i t dem Begriff der einen Eingriff von hoher Hand voraussetzenden Enteignung, dem enteignenden oder enteignungsgleichen Eingriff sind zugleich die Grenzen des Geltungsbereichs des A r t . 14 I I I GG bezeichnet. A l l e i n der öffentlichrechtliche Entschädigungsanspruch nach 2 B G H Z 54, 384 (387, 388); B G H N J W 1973, 2283 (2284) — insoweit i n B G H Z 61, 253 ff. nicht abgedruckt; B G H Z 64, 220 (222); B G H DVB1. 1976, 774; 1978, 110; anders noch B G H Z 49, 148 (150); zu Differenzierungen bei der Ausführung von Bauarbeiten B G H N J W 1979, 164 f.; vgl. m i t weiterführenden Nachweisen insbes. Schwabe, DVB1. 1973, 103 ff., u n d eingehend Breuer, Bodennutzung, S. 304 ff. 3 Vgl. hierzu n u r H. Schulte, Eigentum, insbes. S. 32 ff., 148 ff.; Schwabe, DVB1. 1973, 103 ff.; Breuer, Bodennutzung, S. 252 ff. 4 Dies übersieht Konzen, Aufopferung, insbes. S. 127 ff., 132 ff., der das Abgrenzungsproblem i n der Tat n u r als Problem der Abgrenzung zwischen öffentlichem u n d privatem Recht behandelt.
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m
ivilrecht
E n t e i g n u n g s g r u n d s ä t z e n s o l l verfassungsrechtlich d u r c h A r t . 14 I I I G G gesichert, n u r ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e B e e i n t r ä c h t i g u n g e n s o l l e n a n diese N o r m g e b u n d e n sein 5 . D i e z i v i l r e c h t l i c h e n N o r m e n d e r E i g e n t u m s a u f opferung sollen demgegenüber nicht Enteignung bzw. Enteignungse r m ä c h t i g u n g , s o n d e r n I n h a l t s - u n d S c h r a n k e n b e s t i m m u n g i. S. des A r t . 14 1 2 G G sein 6 . W i e w e n i g s e l b s t v e r s t ä n d l i c h diese verfassungsrechtlichen K o n s e q u e n z e n e i n e r Q u a l i f i k a t i o n als z i v i l - oder als ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e E i g e n t u m s a u f o p f e r u n g s n o r m sind, w i r d bereits sichtbar, w e n n m a n d i e unterschiedliche B e s t i m m u n g d e r A n w e n d u n g s b e r e i c h e d e r A b s ä t z e I u n d I I I des A r t . 14 G G u n t e r d e m a l l g e m e i n e n A s p e k t des P r o b l e m s d e r s o g e n a n n t e n D r i t t w i r k u n g d e r G r u n d r e c h t e b e t r a c h t e t : D i e herrschende M e i n u n g l ä ß t sich so n ä m l i c h als eine d i f f e r e n z i e r t e , spezifisch a u f A r t . 14 G G bezogene D r i t t w i r k u n g s t h e s e verstehen, n a c h d e r f ü r A r t . 14 I I I G G j e d e „ P r i v a t r e c h t s w i r k u n g " 7 geleugnet, f ü r A r t . 1 4 1 G G d a gegen — i n F o r m e i n e r B i n d u n g des Zivilgesetzgebers — i m A n s a t z bejaht wird 8. 5 Dies entspricht ganz allgemein der absolut herrschenden Auffassung vom Enteignungsbegriff, vgl. statt vieler BVerfGE 14, 263 (277: „Eine Enteignung muß stets v o m Staat oder doch von dem m i t staatlichen Zwangsrechten beliehenen Unternehmer ausgehen") — Feldmühle —. A l s Beispiel dafür, m i t welcher Selbstverständlichkeit dieses Element des Enteignungsbegriffs ü b l i cherweise vorausgesetzt w i r d , vgl. n u r aus neuerer Zeit Opfermann, Enteignungsentschädigung, S. 32, der das Problem privatrechtlicher Eigentumsbeeinträchtigungen nirgends ausdrücklich erwähnt. 6 B G H Z 48, 46 (50) — betr. §§ 906, 1004 B G B ; Kröner, Eigentumsgarantie, S. 66; Bender, N J W 1965, 1297 (1298 Fn. 6); Lorenz, D B 1973, Beilage 6, S. 13 f. m . w . N . ; Leisner, N J W 1975, 233 (235) m . w . N . ; Breuer, Bodennutzung, S. 252 ff. durchgehend; kritische Übersicht bei Schwabe, D r i t t w i r k u n g , S. 118 ff. Aus der Rspr. des B V e r f G insbes. BVerfGE 14, 263 (277) betr. § 15 U m w G ; vgl. auch Ipsen, AöR 91 (1966), 86 (93 f.), zur Geltung des A r t . 14 I 2 G G auch f ü r die „horizontale(n) Abgrenzung(en) privatrechtlicher Befugnisse" m. w . Rechtsprechungsbeispielen. Kloepfer, N J W 1973, 2097 (2098), hält die herrschende verfassungsrechtliche Qualifikation privatrechtlicher Eigentumsbeeinträchtigungen f ü r das Ergebnis einer möglichen „Umorientierung". H. Westermann, Festschr. Larenz, S. 1002 (1005 ff.), bezeichnet — repräsentativ für viele andere — das Nachbarrecht als „Inhaltsbestimmung" des Eigentums, ohne jedoch gleichzeitig klarzustellen, ob h i e r m i t Inhaltsbestimmung i. S. des A r t . 14 I 2 G G gemeint ist. Abweichend von der h. M. anscheinend Konzen, Aufopferung, S. 109, der § 903 B G B „als allgemeine Inhaltsbestimmung des Eigentums" bezeichnet, die „ i m Enteignungsrecht A r t . 14 Abs. 1 S. 2 GG zuzuordnen wäre", also (wohl unabsichtlich) eine Zuordnung des § 903 B G B zum Geltungsbereich des A r t . 14 I 2 GG tatsächlich ablehnt. Vgl. auch Spyridakis, Festg. Sontis, 241 (250). 7 Z u m Begriff näher unten § 6 bei Fn. 5 ff. 8 M i t der gängigen Bezeichnung des hoheitlichen Eingriffs als „Tatbestandsmerkmal" des Anspruchs auf Enteignungsentschädigung (vgl. f ü r viele Breuer, Bodennutzung, S. 288, 289) w i r d umgekehrt die D r i t t w i r k u n g s p r o b l e m a t i k schon terminologisch überspielt, da nicht deutlich w i r d , daß dieses M e r k m a l gerade nicht ausdrücklicher Bestandteil der gesetzlichen Tatbestandsformulierung, also besonders begründungsbedürftig ist.
§ 4 Das Verhältnis zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufpferung
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A u f die Bedeutung dieses allgemeineren grundrechtsdogmatischen Aspekts für die hier zu untersuchenden Fragen soll an späterer Stelle 9 näher eingegangen werden. 3. Das Eigentumsopfer
als positives Vergleichsmerkmal
Die besondere Fragwürdigkeit der herrschenden Zuordnung der Fälle privatrechtlicher Eigentumsaufopferung zum Geltungsbereich des A r t . 141 2 GG, die der öffentlichrechtlichen zu A r t . 14 I I I GG w i r d evident, berücksichtigt man die dritte, das Schrifttum zur zivilrechtlichen Eigentumsaufopferung beherrschende Vorstellung zum Verhältnis beider Normengruppen zueinander, nämlich die m i t dem einheitlichen Begriff der Aufopferung verbundene Annahme einer Parallelität der Aufopferungslage des betroffenen Eigentümers 10 . Da nun gerade das Eigentumsopfer das K r i t e r i u m ist, mit dem nach herrschender Meinung — bei öffentlichrechtlichen Einwirkungen — der Geltungsbereich des A r t . 1412 GG von dem des A r t . 14 I I I GG zu unterscheiden ist, erscheint es zumindest auf den ersten Blick wertungsmäßig allein folgerichtig, auch privatrechtliche Eigentumsopfer, weil und soweit sie „materielle Enteignungen" 1 1 darstellen, dem Bereich des A r t . 14 I I I GG zuzuordnen. Diese naheliegende Verknüpfung der These von einer inhaltlichen Parallele zwischen Eigentumsopfer i m Zivilrecht und Eigentumsopfer i m öffentlichen Recht mit einer wertungsmäßigen Zuordnung auch der zivilrechtlichen Eigentumsaufopferung zum Regelungsbereich des A r t . 14 I I I GG prägt denn auch unübersehbar die Formulierungen der einschlägigen zivilrechtlichen Aussagen. So gebraucht Liver 12 für das p r i vate Nachbarrecht den Begriff der „privaten Expropriation", da die „Analogie" zur Enteignung auf der Hand liege. Auch Kleindienst 13 bemerkt zu seiner Deutung des Grundes der Entschädigung nach § 906 I I 2 BGB, daß „die Parallele zu der vom B G H i n ständiger Rechtsprechung als K r i t e r i u m der Enteignung verwendeten Formel vom ungleich treffenden Sonderopfer" deutlich sei. Ganz entsprechend argumentierten i m Rahmen der — heute wohl überholten — Kontroverse u m den Haftungsgrund des § 906 I I 2 B G B 1 4 die Anhänger der Kennzeichnung des Anspruchs als Billigkeitsausgleich, der seine Grundlage i m nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis habe, folgendermaßen: Der Ausgleichs9
Unten § 6 bei Fn. 5 ff. Vgl. bei den unten Fn. 12 ff. Genannten. 11 Vgl. Schwabe, D r i t t w i r k u n g , S. 121 und öfter. 12 Festg. Gutzwiller, S. 749 (753). 13 Immissionsschutz, S. 48 A n m . 101. 14 Dazu m. N. Konzen, Aufopferung, S. 58, 145 ff.; Mühl, Festschr. L. Raiser, S. 159 (161 f.). 10
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m Zivilrecht
anspruch des § 906 I I 2 BGB ergebe sich aus der „Eigentumsbindung" 1 6 , § 906 (a. F.) BGB bestimme den „Inhalt des Eigentums" 1 6 , der Ausgleichsanspruch sei deshalb „systematisch und wesensgemäß" 17 vom Anspruch aus § 26 GewO zu unterscheiden, bei diesem handele es sich u m eine nach dem Eigentumsinhalt nicht hinzunehmende Einwirkung, er sei ein besonderer Fall des allgemeinen Aufopferungsanspruchs 18 . Schließlich führt Konzen 19 zur Begründung der Charakterisierung des § 904 BGB als Aufopferungstatbestand aus, die Vorschrift stehe i m A b schnitt über den „Inhalt des Eigentums" und durchbreche dessen Umschreibung i n § 903 BGB für einen Sonderfall. Wörtlich: „Der Vergleich mit der Enteignung liegt auch insoweit nahe. § 903 BGB enthält eine allgemeine Inhaltsbestimmung des Eigentums, die i m Enteignungsrecht A r t . 1412 GG zuzuordnen wäre. § 904 S. 2 BGB enthält dagegen einen Fall, i n dem einem Eigentümer ebenso wie i n A r t . 14 I I I GG ein Sonderopfer auferlegt wird." I I . Die entscheidende Frage: Gebot einheitlicher Bestimmung der Opferkriterien im Zivilrecht und im öffentlichen Recht nach Verfassungsrecht oder anderen Rechtsgrundsätzen?
Kennzeichnend für alle diese zivilrechtlich orientierten Stellungnahmen, am deutlichsten sichtbar vielleicht bei der umfassendsten monographischen Untersuchung von Konzen, ist, daß die Betrachtungen sich beschränken auf einen mehr oder weniger vagen inhaltlichen Vergleich der Eigentumsaufopferung i m Zivilrecht und i m öffentlichen Recht, ohne die sich unmittelbar aufdrängenden geltungsmäßigen Konkurrenzprobleme, insbesondere die Frage nach einer möglichen verfassungsrechtlichen Verbindlichkeit einer gleichermaßen i m Zivilrecht und i m öffentlichen Recht maßgeblichen Opfergrenze zu problematisieren. Gerade die „Entdeckung" einer angeblichen inhaltlichen Übereinstimmung zwischen zivil- und öffentlichrechtlicher Eigentumsopferentschädigung scheint hier die Untersuchung der wichtigen Frage danach, ob ein Verfassungsgebot oder doch zumindest ein Gebot wertungsmäßiger Folgerichtigkeit eine solche Übereinstimmung auch fordert, eher erschwert als angeregt zu haben.
15 16 17 18
50. 19
Mühl, NJW 1960, S. 2324. H. Westermann, Maßnahmen, S. 18. ff. Westermann, ff. Westermann,
Maßnahmen, S. 55 (zu § 906 n. F. de lege ferenda). Maßnahmen, S. 18, vgl. hierzu aber auch oben § 3 Fn. 46,
Aufopferung, S. 109.
§ 4 Das Verhältnis zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufopferung
1. Die nachbarrechtliche
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Rechtsprechung des BGH
Die zentrale Bedeutung dieser Fragestellung läßt sich besonders eindrucksvoll an der neueren Rechtsprechung des B G H zu Ausgleichsansprüchen i m Nachbarrecht ablesen. A u f diesem Rechtsgebiet hat das Fehlen einer klaren Dogmatik der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht und i m öffentlichen Recht zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt, die bislang auch trotz der inzwischen zahlreichen höchstrichterlichen Stellungnahmen keineswegs beseitigt ist. Die hier einschlägigen Entscheidungen betreffen vor allem die Bestimmung der Anwendungsbereiche des § 906 BGB sowie des gesetzlich nicht geregelten nachbarrechtlichen Anspruchs auf Schadloshaltung bei nicht ortsüblichen, aber duldungspflichtigen Grundstücksbeeinträchtigungen 20 gegenüber dem öffentlichrechtlichen Entschädigungsanspruch nach Enteignungsgrundsätzen. a) Die Bedeutung zivilrechtlicher Opferkriterien für das öffentliche Recht Der B G H benutzt hier zunächst durchgehend auch bei öffentlichrechtlichen Beeinträchtigungen die Normen des privaten Nachbarrechts, u m die Grenze zum entschädigungspflichtigen Opfer negativ abzustecken: E i n enteignungsrechtlich zu beurteilender Eingriff soll immer dann nicht i n Betracht kommen, wenn eine entsprechende Beeinträchtigung durch Private bereits nach privatrechtlichem Nachbarrecht entschädigungslos hätte geduldet werden müssen 21 . Die wichtige Beschränkung auf entschädigungslose zivilrechtliche Duldungspflichten 22 als auch für das öffentliche Recht maßgebliche 20
Vgl. dazu die Nachweise oben § 2 Fn. 9, 10. B G H Z 16, 366 (374); 48, 98 (101, 102); 54, 384 (388, 391); 59, 378 (379); 64, 220 (222); 69, 105 (114f.); N J W 1978, 1051 (1052); 1979, 164 m . w . N . ; zust. z . B . Breuer, Bodennutzung, S. 341. 22 Einige Entscheidungen lassen allerdings diese Beschränkung nicht ganz deutlich erkennen: B G H Z 48, 46 (50, 52); 57, 370 (373); DVB1. 1972, 675 (677); B G H Z 62, 361 (366). Als sachlich abweichend dürfte hierbei jedoch allenfalls B G H Z 48, 46 (50, 52) — Wannseefall — anzusehen sein, w o einerseits ein öffentlichrechtlicher Entschädigungsanspruch m i t der Begründung ausgeschlossen w i r d , daß die fraglichen Lärmbelästigungen i m Rahmen dessen lägen, was nach § 906 B G B zu dulden sei (S. 50/51), andererseits aber die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 906 I I 2 B G B f ü r überflüssig erklärt w i r d . Bei den übrigen Entscheidungen dürfte es sich dagegen — das zeigen zum T e i l bereits die jeweils dort i n Bezug genommenen V o r entscheidungen — lediglich u m Ungenauigkeiten der Formulierung handeln. Vgl. i n diesem Sinne auch die insoweit kritischen Bemerkungen von Schwabe, DVB1. 1973, 103 (104 Fn.8); ders., DVB1. 1973, 447 (448) — die dort kritisierte Entscheidung enthält allerdings zwar nicht i n der i n DVB1. 1973, 445 ff., abgedruckten, aber doch i n der Fassung der amtlichen Sammlung die vermißte Einschränkung auf entschädigungslose Duldungspflichten, vgl. B G H Z 59, 378 (379). 21
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1 Teil: Der Meinungsstand zur E i g e n t u m s a u f p f e r u n g i m Zivilrecht
Begrenzung von Entschädigungsansprüchen führt direkt zu der weiteren problematischeren Frage, ob dann auch die positive Entschädigungsgrenze, wie sie i m Zivilrecht m i t dem Anspruch nach § 906 I I 2 BGB und dem Anspruch auf Schadloshaltung wegen duldungspflichtiger nichtortsüblicher Immissionen markiert ist, die Opfergrenze gegenüber vergleichbaren öffentlichrechtlichen Beeinträchtigungen bestimmt. Z u dieser — i m Schrifttum sehr kontrovers beantworteten Frage 2 3 — hat der Bundesgerichtshof eine klar begründete Lösung bislang nicht entwickelt. So geht der I I I . Senat i n seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 196724 „zum Verhältnis des sogenannten bürgerlichrechtlichen Aufopferungsanspruchs (nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs) 25 zum öffentlichrechtlichen Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff . . . " davon aus, daß die Duldungsgrenze des § 906 (a. F.) BGB nicht nur negativ die entschädigungslos zulässigen Grundstücksimmissionen absteckt, sondern auch positiv bestimmt, ab wann — auch i m öffentlichen Recht — solche Immissionen nur gegen Entschädigung geduldet werden müssen. Jedenfalls prüft das Gericht, nachdem festgestellt ist, daß die fraglichen Einwirkungen das nach § 906 (a. F.) BGB zulässige Maß überschritten hätten 2 6 , als besondere Voraussetzung des öffentlichrechtlichen gegenüber dem privatrechtlichen Anspruch nur noch das Merkmal des unmittelbaren Eingriffs 2 7 , nicht aber zusätzlich für sich das des „Sonderopfers". Entgegengesetzt hat jedoch der V. Senat i n seiner Entscheidung vom 30. Oktober 197028 i n der Überschreitung des Rahmens des § 906 BGB durch Planfeststellungsbeschluß und Widmung einer neuen Straße für den Fernverkehr das Merkmal des unmittelbaren Eingriffs als erfüllt angesehen, während das für die Allgemeinheit abverlangte Sonderopfer als zusätzliche Voraussetzung eines A n spruchs auf Enteignungsentschädigung genannt w i r d 2 9 . Nicht weniger unsicher hat sich die Judikatur zum Verhältnis des § 906 I I 2 BGB zum öffentlichrechtlichen Anspruch auf Enteignungs23
Vgl. n u r Breuer, Bodennutzung, insbes. S. 339 ff. m. w. N. insbes. i n Fn. 154 u n d 158; Leisner > N J W 1975, 233 ff.; Aicher, Staatshaftung, S. 204 ff., 418 ff.; Schapp, Nachbarrecht, insbes. S. 47 ff., 108 ff., 123 ff.; vor allem zum Problem des Merkmals der Ortsüblichkeit i m öffentlichen Recht vgl. auch die Nachweise unten Fn. 61, sowie näher zur allgemeinen Fragestellung unten § 6 nach Fn. 49. 24 B G H Z 48, 98 ff. 25 Also zum Ausgleichsanspruch bzw. Anspruch auf Schadloshaltung wegen duldungspflichtiger wesentlicher u n d nichtortsüblicher Immissionen, vgl. ebd., S. 101. 26 Ebd., S. 103, 104. 27 Ebd., S. 104. 28 B G H Z 54, 384 ff. 20 Ebd., S. 388.
§ 4 Das Verhältnis zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufpferung
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entschädigung entwickelt. So gelten nach BGHZ 49, 148 (V. Senat), für beide Ansprüche „ i m wesentlichen dieselben Voraussetzungen" 30 ; nach BGHZ 54, 384 (V. Senat), „kann" bei „Einwirkungen durch hohe Hand" ein dem § 906 I I 2 BGB entsprechender öffentlichrechtlicher Entschädigungsanspruch begründet sein 81 . M i t Bezug u. a. auf die genannten Vorentscheidungen stellt auch der I I I . Senat i n der Entscheidung vom 5. J u l i 197132 zusammenfassend fest, daß dem „nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch des § 906 I I 2 BGB . . . i m allgemeinen, wenn die zu den genannten Immissionen führenden Arbeiten hoheitliche Maßnahmen der öffentlichen Hand und die durch sie ausgelösten Immissionen als Eingriff i n das Eigentum zu beurteilen sind, ein öffentlichrechtlicher Entschädigungsanspruch" entspreche. Schließlich heißt es i n BGHZ 59, 378 (V. Senat), sogar, daß „eine nach § 906 I I 2 BGB gebotene Ausgleichung i n Geld . . . die Grundlage des öffentlichrechtlichen Entschädigungsanspruchs bildet" 3 3 . Demgegenüber hat jedoch noch neuerdings der V. Senat zur Anwendung des § 906 I I 2 BGB betont 3 4 , „daß die Frage der Sozialpflichtigkeit des Eigentums i m öffentlichrechtlichen Bereich anders zu beurteilen sein kann als das Ausmaß der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme i m nachbarschaftlichen Verhältnis". „Bei der nach § 906 I I 2 BGB gebotenen Abwägung" stehe „weniger die Sozialpflichtigkeit des Eigentums i m Vordergrund als vielmehr der billige Ausgleich der widerstreitenden nachbarlichen Interessen" 35 . Ohne sich m i t dieser These des V. Senats auseinanderzusetzen und auch ohne 30
Ebd., S. 150. Ebd., Leitsatz b) u n d S. 391. Insbes. diese Entscheidung ist zuweilen so verstanden worden, daß der B G H hier unterscheide zwischen einem öffentlichrechtlichen Anspruch auf Enteignungsentschädigung, der wegen duldungspflichtiger nichtortsüblicher Immissionen entsprechend dem nicht normierten privatrechtlichen „Anspruch auf Schadloshaltung" entstehen kann, u n d einem weiteren öffentlichrechtlichen Ausgleichsanspruch wegen ortsüblicher unzumutbarer Immissionen, der seine Grundlage nicht i m Enteignungsrecht, sondern i n einer analogen A n w e n d u n g des § 906 I I 2 B G B i m öffentlichen Recht findet. Vgl. hierzu H. Westermann, SR i n der Fortentwicklung, Einf. I I I , S. 22, 23; anders jedoch i n Erman / Westermann, BGB, § 906 B G B Rn. 25, w o aber die analoge A n w e n d u n g des § 906 I I 2 B G B ausdrücklich gefordert w i r d . Weder der I I I . noch der V. Senat des B G H haben diesen Ansatz indes w e i t e r geführt, sondern i n den folgenden Entscheidungen auch den öffentlichrechtlichen Ausgleichsanspruch, soweit er i n seinen Voraussetzungen dem § 906 I I 2 B G B entspricht, ohne weiteren Kommentar eindeutig als Enteignungsentschädigung bezeichnet, vgl. B G H DVB1. 1972, 115 (116); B G H Z 59, 378 (386: „Anspruch auf Entschädigung wegen Enteignung nach Maßgabe eines A u s gleichsanspruchs i m Sinn des § 906 I I 2 BGB"). 81
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DVB1. 1972, 115 (116). S. 386. 34 B G H Z 62, 361 ff.; ebenso B G H Z 69, 105 (114). 35 B G H Z 62, 361 (369) — allerdings sind diese Formulierungen nicht als Aussagen zum allgemeinen Verhältnis des „Eigentumsopfers" i m Zivilrecht zu dem i m öffentlichrechtlichen Entschädigungsrecht gemeint, denn der Senat betont i n derselben Entscheidung (S. 370, 371) zugleich den Unterschied z w i 33
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1. Teil: Der Meinungsstand zur E i g e n t u m s a u f p f e r u n g i m Zivilrecht
die sprachlich zurückhaltenderen Formulierungen früherer Entscheidungen zu berücksichtigen, ist mittlerweile der I I I . Senat 36 zu der lapidaren Formel übergegangen, „nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs" stehe „dem Betroffenen ein öffentlichrechtlicher Anspruch auf Enteignungsentschädigung zu, wenn die Einwirkungen von hoher Hand erfolgen, sich als ein unmittelbarer Eingriff i n nachbarliches Eigentum darstellen und die Grenze dessen überschreiten, was der Nachbar nach § 906 BGB entschädigungslos hinnehmen muß". Hiernach soll also die Entschädigungsgrenze des § 906 I I 2 BGB ohne Einschränkung auch für den Anspruch auf Enteignungsentschädigung maßgeblich sein. b) Die Bedeutung enteignungsrechtlicher Opferkriterien für das Zivilrecht Die zuletzt genannten Entscheidungen des V. und des I I I . Senats behandeln zugleich die schließlich wichtigste Frage nach der Maßgeblichkeit der Opfergrenze bei der Enteignung für privatrechtlich zu beurteilende Eigentumsbeeinträchtigungen. Beide Entscheidungen stehen auch hier i n einem bemerkenswerten Gegensatz zueinander. Der V. Senat 37 betont ausdrücklich, daß aus der Rechtsprechung, nach der i n Immissionsfällen die Überschreitung der Duldungsgrenze des § 906 BGB auch Voraussetzung für einen öffentlichrechtlichen Enteignungsanspruch sei, nicht gefolgert werden könne, daß umgekehrt „der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch auch i n Fällen, die nicht unmittelbar den Tatbestand des § 906 BGB erfüllen, dann gewährt werden müsse, wenn eine entsprechende Beeinträchtigung durch Eingriff von hoher Hand einen öffentlichrechtlichen Entschädigungsanspruch begründen würde". Eine Privatperson als Störer könne dem Ausgleichsanspruch nur dann ausgesetzt sein, „wenn sich die entsprechende A n sehen dem Anspruch aus § 906 I I 2 BGB, dem „der Gedanke des Interessenausgleichs innerhalb eines nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zugrunde" liege, u n d dem „Anspruch wegen Aufopferung privater Rechte zugunsten höher bewerteter Interessen anderer auf Schadloshaltung". Der Unterscheidung der Entschädigungsgrenze des § 906 I I 2 B G B gegenüber etwaigen öffentlichrechtlichen Entschädigungsansprüchen korrespondiert also eine entsprechende Unterscheidung innerhalb der zivilrechtlichen Ausgleichsansprüche. I m m e r h i n zeigt diese Entscheidung jedoch deutlich das Bestreben, die Eigenständigkeit der zivilrechtlichen Ausgleichsansprüche gegenüber dem öffentlichrechtlichen Entschädigungsrecht wieder stärker i n den Vordergrund zu rücken. 36 B G H Z 64, 220 (222); desgl. DVB1. 1976, 774; 1976, 536 (537); N J W 1977, 894f.; 1978, 318 (319); DVB1. 1978, 110; vgl. auch B G H Z 66, 173 (178); B G H DVB1. 1978, 374 (375); N J W 1979, 164f.; demgegenüber zurückhaltender der V . Senat, DVB1. 1977, 34: „Allerdings kann d a n n . . . " , „Über das zumutbare Maß hinaus i. S. des Enteignungsrechts . . . " (Hervorhebung v. Verf.). 37 B G H Z 62, 361 (366); vgl. auch B G H Z 69, 105 (114).
§4 Das Verhältnis zur öff entlichrechtlichen Eigentumsauf Opferung
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wendung des § 906 I I 2 BGB aus dem Grundgedanken dieser Vorschrift ableiten lasse" 38 . Die entscheidende gedankliche Voraussetzung für diese Ausführungen, das Postulat einer gegenüber dem Entschädigungsgebot des A r t . 14 I I I GG unabhängigen Bestimmung des Anwendungsbereichs privatrechtlicher Ausgleichsansprüche, lehnt demgegenüber der I I I . Senat i n seinem i n vieler Hinsicht bemerkenswerten U r t e i l 3 9 zur „Rückberücksichtigung" 40 des § 42 BImSchG i m Ergebnis ab. I n dieser Entscheidung rückt der I I I . Senat von der bisherigen Rechtsprechung des V. Senats zum Merkmal der Zumutbarkeit i m Sinne des § 906 I I 2 BGB ab, wonach — bei ortsüblichen Immissionen — eine unzumutbare Beeinträchtigung nur ganz ausnahmsweise bei besonders schwerer Einwirkung anzunehmen w a r 4 1 . „Bei der Würdigung, welches Maß von Straßenlärm dem Eigentümer eines Wohngrundstücks entschädigungslos zugemutet werden" könne, sei nunmehr, so der I I I . Senat, „die Wertentscheidung des Bundesimmissionsschutzgesetzes für den Schutz von Wohngebieten vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu beachten" 42 . Der Senat qualifiziert die nach § 42 BImSchG gewährte Entschädigung für Schallschutzmaßnahmen als Enteignungsentschädigung 4 3 und betrachtet diese Vorschrift i m Zusammenhang m i t den allgemeinen Zielsetzungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes als eine Wertentscheidung des Gesetzgebers, m i t der über den Anwendungs38 Der Senat begründet diese Aussagen nicht ausdrücklich u n d setzt sich insbesondere auch nicht m i t dem Argument der Vorinstanz auseinander, w o nach die prinzipielle Gewährung eines dem öffentlichrechtlichen Entschädigungsanspruch entsprechenden zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs v o m Gleichheitssatz gefordert werde (vgl. ebd., S. 365, 366). Allerdings k a m es nach Ansicht des Senats auf die Begründung der Vorinstanz f ü r die konkrete E n t scheidung auch nicht an: Die Entscheidung (S. 367) bejaht nämlich i m Ergebnis eine analoge A n w e n d u n g des § 906 I I 2 B G B für einen Fall, i n dem, wäre er öffentlichrechtlich beurteilt worden, eine Enteignungsentschädigung gew ä h r t worden wäre: § 906 I I 2 B G B soll entsprechend anwendbar sein, w e n n „die aufgrund zeitweiliger Sondernutzung des Gehsteigs vor dem Nachbargrundstück verursachte E i n w i r k u n g auf dieses Grundstück seine ortsübliche Benutzung oder seinen Ertrag durch nachhaltige Behinderung des Kontakts nach außen über das zumutbare Maß hinaus" beeinträchtigt. 39 B G H Z 64, 220 ff. — Hierzu die überwiegend kritischen Stellungnahmen insbes. von v.Heyl, D Ö V 1975, 603 f.; Kersten, BayVBl. 1975, 625 f.; Kastner, N J W 1975, 2319 ff.; Kloepfer, JuS 1976, 436 ff.; Schroeter, DVB1. 1976, 759 (761 f.). 40 Kloepfer, JuS 1976, 436 (438 f.). 41 B G H Z 49, 148 (152 ff.) m i t Nachweisen der älteren Rspr. des B G H , w o nach — insbes. auch unter der Geltung des § 906 (a. F.) B G B noch strengere Anforderungen — schwere Beeinträchtigung des wirtschaftlichen F o r t k o m mens — zu stellen waren; B G H Z 54, 384 (391). 42 B G H Z 64, 220, Leitsatz a); desgl. B G H N J W 1977, 894 (895); 1978, 318 (319); DVB1. 1978, 110 f. m. w. N. 43 B G H Z 64, 220, 225; k r i t . Kastner, N J W 1975, 2319 (2321 f.); dagegen aber wiederum Battis , N J W 1976, 936 f.; vgl. dazu auch Korbmacher, D Ö V 1976, 1(7).
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1. T e i l : Der Meinungsstand zur E i g e n t u m s a u f p f e r u n g i m Zivilrecht
bereich der Norm selbst hinaus der Maßstab für Inhalt und soziale Schranken des Wohneigentums beeinflußt werde 4 4 . Diese Wertentscheidung sei zwar nicht verfassungsrechtlich durch A r t . 14 GG gefordert, die Verstärkung des Eigentumsschutzes i m Bereich der Verkehrsimmissionen bedeute jedoch eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums i m Sinne des A r t . 1412 GG, „die dem für Wohnzwecke genutzten Eigentum . . . einen Rang von Rechtsqualität zuweist, m i t dem es nicht zu vereinbaren ist, enteignende Eingriffe durch Verkehrsimmissionen nur ganz ausnahmsweise, d.h. bei besonders schwerer Beeinträchtigung i m Einzelfall, anzuerkennen" 45 . Für den vorliegenden Zusammenhang entscheidend an diesen Ausführungen des I I I . Senats ist die Betonung einer bestimmten Rechtsqualität einer Eigentumsposition, die konsequent i n verschiedenen Bereichen einheitlich zu beachten sei, wobei diese einheitlich zu schützende Eigentumsposition zwar nicht aus der Verfassungsnorm des A r t . 14 GG abgeleitet, dieser Norm aber doch i n spezifischer Weise zugeordnet w i r d und damit eine verfassungsrechtlich relevante Qualität erhält. Diese besondere Qualität einer bestimmten zu schützenden Eigentumsposition dient i m Zusammenhang der konkreten Entscheidung nicht zur Begründung eines nicht normierten zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs. Sie führt jedoch zum erstmals erhobenen Postulat einer der Interpretation des § 906 I I 2 BGB verbindlich vorgegebenen Opfergrenze 46 und erschließt — konsequent weitergeführt — die Möglichkeit zu einer entsprechenden Argumentation i m Hinblick auf Beeinträchtigungen, die weder von § 906 I I 2 BGB noch vom gesetzlich nicht normierten Anspruch auf Schadloshaltung wegen duldungspflichtiger nichtortsüblicher Immissionen erfaßt werden. Ob das Gericht selbst solche Konsequenzen gesehen oder sogar beabsichtigt hat, dürfte allerdings höchst zweifelhaft sein, zumal wenn man berücksichtigt, daß die konkrete Entscheidung nicht einen Anspruch nach § 906 I I 2 BGB betrifft, sondern einen öffentlichrechtlichen Entschädigungsanspruch, während § 906 I I BGB lediglich i m Rahmen seiner Funktion als negative Begrenzung des öffentlichrechtlichen A n spruchs interpretiert wird. Die verschlungene Argumentation des I I I . Senats ist jedoch hier nicht näher zu analysieren und zu kritisieren 4 7 . 44
Ebd., S. 226 f. Ebd., S. 228. 46 Z u B G H Z 53, 226 ff., eine Entscheidung, die diese Frage gerade nicht behandelt, vgl. u n t e n Fn. 74. 47 Insbes. ist hier der Gedanke, daß die Enteignungsschwelle nicht von einer Verfassungsnorm, sondern von einer „Wertentscheidung" des einfachen Gesetzgebers abhängig gemacht w i r d , die ihrerseits nicht verfassungsrechtlich gefordert sei, nicht näher zu problematisieren, vgl. dazu bei den oben Fn. 39 Genannten. 45
§ 4 Das Verhältnis zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufpferung
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I m Zusammenhang m i t den entgegengesetzten Entscheidungen des V. Senats gesehen rundet sie das B i l d einer Rechtsprechung ab, die ständig von neuem m i t Problemen der Bestimmung der Opfergrenzen bei bürgerlich- und öffentlichrechtlichen Ausgleichsansprüchen und deren Verhältnis zueinander konfrontiert wird, ohne jedoch eine dogmatisch klar begründete Konzeption gefunden zu haben. 2. Kritische Würdigung Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zu nachbarrechtlichen Ausgleichsansprüchen zeigt sich besonders deutlich die Fragwürdigkeit der oben 48 dargelegten verbreiteten Vorstellungen, wonach die Fälle der zivilrechtlichen Eigentumsaufopferung dem Geltungsbereich des Art. 1412 GG zuzuordnen sind, die der öffentlichrechtlichen dem des A r t . 14 I I I GG, dabei aber i n beiden Fällen ein zumindest vergleichbares Eigentumsopfer vorliegen und sich lediglich die Rechtsnatur der beeinträchtigenden Maßnahme unterscheiden soll: Wenn der zivilrechtliche Anspruch des § 906 I I 2 BGB zugleich, soweit eine hoheitliche Beeinträchtigung vorliegt, Grundlage eines — verfassungsrechtlich gebotenen — enteignungsrechtlichen Entschädigungsanspruchs sein soll, so entspricht dies zwar der Vorstellung übereinstimmender Opferkriterien i m Zivilrecht und i m öffentlichen Recht. Weshalb aber nur die „analoge" Anwendung einer Vorschrift i m öffentlichen Recht verfassungsrechtlich nach A r t . 14 I I I GG gefordert sein soll, während ihre unmittelbare Geltung i m Zivilrecht allein vom — allenfalls i m Rahmen des A r t . 1412 GG gebundenen — Willen des einfachen Gesetzgebers abhängen soll, ist angesichts der herrschenden Abgrenzung von Enteignung und Inhaltsbestimmung des Eigentums m i t Hilfe von Opferkriterien zumindest auf den ersten Blick wenig einsichtig. Andererseits dürfte die Vorstellung, die Verfassungsmäßigkeit ζ. B. des § 906 BGB sei an A r t . 14 I I I GG zu messen, m i t der wohl unausweichlichen Folge der Verfassungswidrigkeit jedenfalls des § 906 BGB a. F., nicht n u r die Senate des Bundesgerichtshofs schrecken und zwanglos erklären, warum der B G H trotz der starken Tendenz, die Voraussetzungen von Ausgleichsansprüchen wegen öffentlich- und zivilrechtlicher Grundstücksbeeinträchtigungen gleichartig zu bestimmen, eindeutige und allgemeine, insbesondere verfassungsrechtliche Aussagen offenkundig zu vermeiden sucht. Gerade auch die nachbarrechtlichen Problemlagen weisen indes auf zwei besondere Aspekte, die für eine einheitliche verfassungsrechtliche Bewertung von Eigentumsbeeinträchtigungen unabhängig von der Unterscheidung zwischen zivil- oder öffentlichrechtlicher Rechtsnatur der beeinträchtigenden Maßnahme sprechen könnten. Diese besonderen 48
Bei Fn. 1 ff.
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m Zivilrecht
Aspekte lassen sich m i t den Stichworten Vertauschbarkeit der rechtstechnischen Konstruktion und öffentlich-/zivilrechtliche Gemengelage bezeichnen. a) Argument der Vertauschbarkeit der rechtstechnischen Konstruktion Dem Gesichtspunkt der Vertauschbarkeit der rechtstechnischen Konstruktion, den vor allem H. Schulte 49 i n den Mittelpunkt seiner K r i t i k an der herrschenden Meinung gestellt hat, liegt die These zugrunde, daß die Rechtsnatur der maßgeblichen eigentumsbeeinträchtigenden Maßnahme das Ergebnis einer lediglich rechtstechnischen Konstruktion sei, die der Gesetzgeber unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten grundsätzlich frei auswählen könne 5 0 . Damit werde aber auch das Ausmaß der verfassungsrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers selbst beliebig manipulierbar, w e i l und soweit der Anwendungsbereich der Verfassungsnorm an das formale Merkmal der öffentlichrechtlichen Rechtsnatur einer Beeinträchtigung anknüpfe. Belegt w i r d die Vertauschbarkeit der rechtstechnischen Konstruktion durch eine vergleichende Betrachtung „privater" Eingriffsbefugnisse, die zum Teil unmittelbar aufgrund einer gesetzlichen Regelung bestehen, wie ζ. B. die Befugnisse nach § 906 oder § 917 BGB 5 1 , i n anderen Fällen dagegen eine besondere behördliche Genehmigung voraussetzen, wie z.B. die Einwirkungsbefugnisse aufgrund des dem heutigen § 14 BImSchG entsprechenden § 26 GewO, das sog. Durchleitungszwangsrecht i m Wasserrecht oder die Rechte aus einem baurechtlichen Dispens 52 . A l l e i n die formale Einschaltung von besonderen öffentlichrechtlichen Entscheidungsträgern, so w i r d argumentiert, bringe für die herrschende Meinung die Enteignungsproblematik ins Spiel 5 3 , da hier die behördliche Entscheidung als unmittelbare Ursache der Eigentumsbeeinträchtigung i n Betracht komme. Da aber die Beteiligung einer Verwaltungsbehörde an der Entstehung einer privaten Einwirkungsbefugnis i m Belieben des Gesetzgebers stehe, könne der Gesetzgeber somit dieselben Erfolge nach freier Wahl ohne oder m i t Bindung an A r t . 14 I I I GG herbeiführen 54 . 49 Eigentum, S. 18 ff., insbes. S. 32 ff., zusammenfassend S. 46 f.; zust. Schwabe, D r i t t w i r k u n g , S. 17 f., 128 ff.; Götz, Vergütungsanspruch, S. 118; Aicher, Staatshaftung, S. 240; i. E. ablehnend Schmidt- Aßmann, Grundfragen, S. 105 ff. 50 Einschränkungen der Wahlmöglichkeit sollen sich lediglich z . B . bei den notstandsrechtlichen Kollisionen aus der N a t u r der Sache ergeben, H. Schulte, Eigentum, S. 37; Schwabe, D r i t t w i r k u n g , S. 123, 128 f. 51 H. Schulte, Eigentum, S. 18 ff. m i t zahlreichen weiteren Beispielen. 52 Ebd., S. 32 ff. 53 Ebd., S. 32 ff., 46.
§ 4 Das Verhältnis zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufpferung
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Hierin läge sicher ein gewichtiger Einwand gegen die herrschende Meinung, wenn die entscheidende Voraussetzung dieser Überlegung zuträfe, wonach die Einschaltung eines konkreten hoheitlichen Entscheidungsakts i n die Entstehungsvoraussetzungen einer Einwirkungsbefugnis tatsächlich als rein „technische", i m wesentlichen zweckbezogene Regelungsmodalität anzusehen ist. Dann wäre nämlich nicht nur, wie H. Schulte und Schwabe als entscheidend hervorheben, die Möglichkeit einer Umgehung der Bindungen des A r t . 14 I I I GG eröffnet, der Anwendungsbereich dieser Norm wäre vielmehr bereits i m Grundsatz von Kriterien — solchen einer zweckmäßigen Regelungstechnik — abhängig gemacht, die schwerlich einen Sinnbezug zum Zweck der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie aufweisen. Indes wäre gerade zu untersuchen, was hier vorausgesetzt wird, daß nämlich der Einschaltung einer behördlichen Entscheidung keine spezifischen materiellen Eigenschaften der Eingriffsvoraussetzungen und damit der Gründe für die Rechtfertigung der jeweiligen Eigentumsbeeinträchtigungen korrespondieren. Für eine solche weitergehende materielle Bedeutung von „öffentlichrechtlichen" Konstruktionen von Einwirkungsbefugnissen ließe sich etwa anführen, daß die öffentliche Verwaltung regelmäßig dann über die Voraussetzungen privater Einwirkungsrechte zu entscheiden habe, wenn diese Voraussetzungen (zumindest auch) Gegenstand spezifisch öffentlichrechtlicher Regelungsprobleme seien — eine angesichts der öffentlichrechtlichen Genehmigung nach §§ 4 ff. BImSchG bzw. den früheren §§ 16 ff. GewO oder der Planfeststellung und Widmung bei öffentlichen Verkehrswegen sicher plausible Hypothese. Hiergegen verfängt nicht bereits der Nachweis der technischen Möglichkeit der Vertauschbarkeit von öffentlich- oder privatrechtlichen Regelungskonstruktionen oder der Hinweis auf einzelne tatsächlich bestehende, inhaltlich vergleichbare Regelungen jeweils m i t und ohne Einschaltung eines Hoheitsakts — solche Möglichkeiten besagen nichts über die sachliche Angemessenheit und die verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Regelungen. Entscheidend für das Argument der Vertauschbarkeit der rechtstechnischen Konstruktion ist vielmehr allein die allgemeine Grundfrage, ob zwischen öffentlichem und privatem Recht ein materieller Unterschied besteht, der eine unterschiedliche Bestimmung der Grundrechtsrelevanz der jeweiligen Regelungen rechtfertigen kann 5 5 . Besteht ein solcher Unterschied, dann ist eine verfassungsrechtlich zulässige öffentlichrechtliche Eingriffskonstruktion eben nicht 54
Ebd., S. 46 f.; Schwabe, D r i t t w i r k u n g , S. 129 f. Dieser Zusammenhang w i r d auch k l a r hergestellt bei Schwabe, D r i t t w i r kung, insbes. S. 26 ff., 45 ff.; ebenso bei Bullinger, öffentliches Recht, S. 75 ff, (insbes. S. 77). 65
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1. T e i l : Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m Zivilrecht
nur Ausdruck zweckbestimmter Regelungstechnik, sondern materielle Bewertung eines bestimmten Regelungsproblems, dessen Lösung i m konkreten Fall zum Gegenstand einer öffentlichen Aufgabe gemacht wird. N u r als Ausdruck einer prinzipiellen K r i t i k an einer materiellen Unterscheidung von öffentlichem Recht und Zivilrecht und einer korrespondierenden unterschiedlichen Bestimmung der Geltungsbereiche der Grundrechte kann deshalb die These von der Vertauschbarkeit der rechtstechnischen Konstruktion berücksichtigt werden. Darauf, ob und wieweit es für die vorliegende Fragestellung nach dem Geltungsbereich eines verfassungsrechtlichen Eigentumsopferentschädigungsgebots auf eine Stellungnahme zu dieser allgemeinen Problematik ankommt, w i r d i n späterem Zusammenhang zurückzukommen sein 56 . b) Gemengelage von Zivilrecht und öffentlichem Recht E i n speziellerer Gesichtspunkt, der gegen die Maßgeblichkeit der rechtlichen Qualifikation der eigentumsbeeinträchtigenden Maßnahme für das Ausmaß des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes spricht, ist demgegenüber die das Nachbarrecht prägende Gemengelage von Zivilrecht und öffentlichem Recht 57 . Von einer solchen öffentlich-zivilrechtlichen Gemengelage läßt sich immer dann sprechen, wenn A r t und Umfang einer Grundstücksnutzung i m wesentlichen durch öffentlichrechtliche Entscheidungen bestimmt werden, ohne daß jedoch die Nutzung selbst ohne weiteres als öffentlichrechtliche Betätigung angesehen werden kann. Diese Situation besteht besonders augenfällig ζ. B. bei Bau und Nutzung von Verkehrseinrichtungen und -anlagen, aber prinzipiell auch i m gesamten privaten Nachbarrecht, da die Regelungen dessen, wie der Eigentümer sein Grundstück nutzen, insbesondere bebauen darf, i m wesentlichen öffentlichrechtlicher Natur sind 5 8 . Mögliche nachbarrechtliche Konflikte erscheinen hier zumindest auch als Folge eindeutig öffentlichrechtlicher Normen oder sonstiger Maßnahmen. Die jeweilige Entscheidung für eine öffentlich- oder privatrechtliche Behandlung ist hier typischerweise das Ergebnis einer wertenden Gewichtung der verschiedenen, den nachbarrechtlichen K o n f l i k t beeinflussenden Aspekte, die sich den 69
Vgl. unten § 6 bei Fn. 5 ff., 50 ff. Hierzu insbes. Bartlsperger, DVB1. 1971, 745f. m . w . N . ; Badura, AcP 176 (1976), 119 (127 ff.); Schmidt-Aßmann, Grundfragen, S. 104 ff.; sowie m i t u m fassender Literaturübersicht Breuer, Bodennutzung, insbes. S. 166 ff., 257, 260, 272, 292; vgl. auch Baur, Festg. Sontis, 181 ff. 68 Diese allgemeine Aussage g i l t unbeschadet des Streits u m die zutreffende rechtliche Qualifikation der sog. „Baufreiheit", vgl. dazu m i t zahlreichen Nachw. Breuer, Bodennutzung, S. 162 ff. 57
§ 4 Das Verhältnis zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufpferung
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Kategorien einer klaren Unterscheidung von einerseits horizontalen zivilrechtlichen, andererseits vertikalen öffentlichrechtlichen Konfliktslagen nur schwerlich zuordnen läßt. Die häufig kritisierten Schwankungen der Rechtsprechung des B G H zur Qualifikation von Grundstücksbeeinträchtigungen 59 sind sichtbare Folge der objektiven Unterscheidungsschwierigkeiten und zumindest teilweise, so bei der Änderung der Beurteilung von Immissionen, die vom Bau und Betrieb von Straßen und Verkehrsanlagen ausgehen 60 , Ausdruck gewandelter Bewertung der „wesentlichen" und deshalb zurechnungsgeeigneten eigentumsbeeinträchtigenden Maßnahmen. Bereits die mangelnde Rechtssicherheit hinsichtlich richterlicher Qualifikationen von Grundstücksbeeinträchtigungen lassen es problematisch erscheinen, daß die entscheidenden Wertungsfragen über das Ausmaß materiellen Eigentumsschutzes durch Entschädigung abhängig sein sollen von der vorgeschalteten Qualifikation als öffentlich- oder zivilrechtlich, jedenfalls solange, als diese Qualifikation nicht ihrerseits offen von entsprechenden wertenden Kriterien abhängig gemacht wird. Aber auch unabhängig von den mit der richterlichen Entscheidungspraxis verbundenen Unsicherheiten legt der enge sachliche Zusammenhang der Regelungsgegenstände von privatem Nachbarrecht und öffentlichem Bau(planungs)recht die Forderung nach der Notwendigkeit einer gegenseitigen inhaltlichen Abstimmung der Regelungen beider rechtlicher Bereiche nahe: Dies zeigt ζ. B. die neuerdings — auch unter dem Eindruck der nachbarrechtlichen Rechtsprechung des B G H — stärker belebte Diskussion u m das Verhältnis der Voraussetzungen der Ortsüblichkeit i m Sinne des § 906 I I BGB zu den jeweiligen Festsetzungen der öffentlichrechtlichen Bauplanung, wo die Zahl der Stimmen, die für die Notwendigkeit inhaltlicher Übereinstimmung plädieren, deutlich zunimmt 6 1 . 59 Vgl. insbes. Martens, DVB1. 1968, 150, sowie — jeweils m. w. N. — Pestalozza, Formenmißbrauch, S. 178 f. bei u n d i n Fn. 122; Schwabe, DVB1. 1973, 103 (105 f.); Breuer, Bodennutzung, S. 253 ff., 309 ff. m i t eingehenden Darstellungen der einschlägigen Entscheidungen. 60 Nachweise oben Fn. 2. 61 Vgl. — jeweils m. w . N. — insbes. Bartlsperger, DVB1. 1971, 745 f. (für Vorrang des öffentlichen Baurechts); desgl. Schrödter, BBauG, § 31 Rn. 22; ähnlich Bullinger, VersR 1972, 599 (609 u n d i n Fn. 64) ; differenzierend Friauf, DVB1. 1971, 713 (718f.): keine direkte Abhängigkeit der Ortsüblichkeit von der öffentlichrechtlich-„planerischen Projektion" u n d der Baugenehmigung „als bloßer Rechtsakt", aber notwendig Ortsüblichkeit von Vorhaben, die auf der Grundlage des Bebauungsplans v e r w i r k l i c h t werden, sowie F i k t i o n der Ortsüblichkeit, soweit materieller Bestandsschutz als Folge einer Baugenehmigung e i n t r i t t ; ähnlich Erman/H. Westermann, BGB, § 906 B G B Rn. 14: V o l l zug der öffentlichrechtlichen Entscheidung bestimmt den f ü r die Ortsüblichkeit maßgebenden tatsächlichen Zustand; desgl. Breuer, Bodennutzung, S. 270 f.; Gehrmann, BauR 1972, 333 (342). Nach der st. Rspr. des B G H liefert
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m Zivilrecht
Das herrschende Differenzierungsschema bei der Anwendung des A r t . 14 GG auf Einwirkungsbefugnisse i m Rahmen nachbarlicher Grundstücksnutzung, wonach die zivil- oder öffentlichrechtliche Rechtsnatur der haftungsauslösenden Beeinträchtigung über die Anwendbarkeit entweder des A r t . 1412 GG oder des A r t . 14 I I I GG entscheidet, w i r d somit jedenfalls i m Hinblick auf die starken Interdependenzen zwischen privat- und öffentlichrechtlichen Regelungen der Grundstücksnutzung überprüfungsbedürftig. Daß die herrschende enteignungsrechtliche Dogmatik hier zur Zeit noch keine überzeugenden Lösungen gefunden hat, bestätigt ein Versuch aus neuester Zeit, diese Dogmatik m i t der Forderung nach einer einheitlichen, zivil- und öffentlichrechtliche Beeinträchtigungen erfassenden Entschädigungsgrenze i n Einklang zu bringen. Breuer geht i n seiner Untersuchung „Die Bodennutzung i m K o n f l i k t zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie" von der Notwendigkeit aus, daß „das teils öffentlich-, teils privatrechtlich geregelte bauliche Nachbarrecht als interdependente Einheit gewertet werden" 6 2 müsse und fordert insbesondere auch eine „einheitliche Toleranzgrenze, nach der sich bemißt, wie weit die korrespondierenden Duldungspflichten des Nachbarn eine Inhalts- und Schrankenbestimmung seines Eigentums bleiben" 6 3 . Gleichwohl hält er eine Beschränkung des Enteignungstatbestands auf hoheitliche Einwirkungen nicht nur i m Interesse klarer tatbestandlicher Konturen für notwendig 6 4 , sondern sieht i n der Zuordnung p r i vatrechtlicher Einwirkungsbefugnisse ausschließlich zum Geltungsbereich des A r t . 141 2 GG keinen Widerspruch zu der Ausgangsforderung nach einheitlicher Bewertung. Diese einheitliche Bewertung soll nämlich dadurch gewahrt sein, daß auch privatrechtliche Einwirkungsbefugnisse nach A r t . 1412 GG nur insoweit zulässig seien, als sie m i t einer „ausreichenden privatrechtlichen Kompensation" 6 5 verbunden sind. Die Voraussetzungen für dieses nach A r t . 1412 GG bestehende demgegenüber die öffentlichrechtliche Planung lediglich Anhaltspunkte f ü r die Ortsüblichkeit einer Grundstücksnutzung, vgl. B G H DVB1. 1971, 744 (745) m i t zahlr. Nachw. auch des zust. Schrifttums, sowie B G H DVB1. 1976, 536 (538). Wie B G H auch Leisner, N J W 1975, 233 (236), der aber gerade f ü r die Bestimmung der entschädigungsauslösenden Opfergrenze generell einheitliche K r i t e r i e n i m öffentlichen u n d i m privaten Nachbarrecht fordert u n d dabei den bürgerlichrechtlichen Normen ein entscheidendes Gewicht einräumt. Vgl. hierzu w e i t e r h i n H. Westermann, Festschr. Larenz, 1003 (1013/14); ders., Flexible Bestimmungen, 85 ff.; Baur, J Z 1974, 657 (660); Mühl, Festschr. L . Raiser, 159 (183). Grunds, zum Ganzen zuletzt Schapp, Nachbarrecht, insbes. S. 34 ff. 62 S. 271/272, vgl. auch S. 293 u n d öfter sowie zur allgemeineren Begründung S. 170 ff., 219 ff. « 3 S. 289. 64 S. 288, vgl. auch S. 284 oben. 65 S. 294, vgl. auch S. 273 f., 281 f., 288 f.
§ 4 Das Verhältnis zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufpferung
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Kompensationsjunktim sind nach Breuer identisch m i t denen, die auch für öffentlichrechtliche Beeinträchtigungen nach A r t . 14 I I I GG m i t dem Begriff der Enteignung bestimmt werden 0 6 . Zur Begründung für diese Identität der Kompensations- bzw. Entschädigungsgrenze jeweils i m Anwendungsbereich des A r t . 1412 GG und des A r t . 14 I I I GG führt Breuer ausschließlich — hierin liegt die entscheidende Schwäche seiner Konstruktion — wiederum unmittelbar das Postulat einheitlicher materieller Bewertung i m Nachbarrecht an 6 7 , unterstellt also, was zu beweisen wäre: daß die ausschließliche Anwendung des Act. 1412 GG auf privatrechtliche Einwirkungsbefugnisse eine solche einheitliche Bewertung ermöglicht und fordert. Wortlaut und systematischer Aufbau des A r t . 14 GG legen indes nach herkömmlichem und durchaus herrschendem Verständnis das Gegenteil nahe. Alle sogenannten „materiellen" Enteignungstheorien 68 basieren auf der Vorstellung, daß zwischen der bloßen Sozialbindung des Eigentums durch gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung i m Sinne des A r t . 1412 GG und der Enteignung i m Sinne des A r t . 14 I I I GG ein qualitativer Unterschied bestehe, der den Grund für die zusätzlichen weitergehenden Zulässigkeitsanforderungen des A r t . 14 I I I GG gegenüber denen des Abs. I bildet, daß insbesondere die Verfolgung des Wohls der Allgemeinheit i m Sinne des A r t . 14 I I I GG und das Entschädigungsjunktim ein spezielles Korrelat der — gegenüber A r t . 141 2 GG weitergehenden — Ermächtigung zu besonders bedeutsamen Eingriffen i n das Eigentum bilden. Entsprechend gelten die allgemeinen verfassungsrechtlichen Bindungen für Hegelungen i m Bereich des A r t . 1412 GG gegenüber denen des A r t . 14 I I I GG als weniger eng, gerade weil solche Regelungen die Qualität von Inhalts- und Schrankenbestimmungen haben 69 . Diese Grundkonzeption eines Gefälles von mehr und weniger engen verfassungsrechtlichen Bindungen von Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums einerseits, Enteignungen andererseits ist auch nicht i n solchen höchstrichterlichen Entscheidungen prinzipiell i n Frage gestellt worden, die i n Einzelfällen auch für Regelungen i m Bereich des A r t . 1412 GG einen verfassungsrechtlichen Entschädigungszwang angenommen haben, wie insbesondere das Bergschädenurteil des Bundesgerichtshofs 70 und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
«· Insbes. S. 293. 67 S. 293. «8 Hierzu m. N. unten § 10 bei Fn. 106 ff. 69 Vgl. unten § 11 bei Fn. 3 ff. 70 B G H Z 53, 226 ff.
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i m Feldmühle-Fall 7 1 und zu § 46 UrhG a. F. 7 2 : Auch diese Entscheidungen, deren Bedeutung für eine systemgerechte Interpretation des A r t . 14 GG an späterer Stelle zu würdigen ist 7 3 , entwickeln nämlich diesen Entschädigungszwang aus den allgemeinen verfassungsrechtlichen Bindungen, die nach herrschender Meinung, insbesondere nach der st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, i m Anwendungsbereich des A r t . 141 GG ohnehin bestehen, und vermeiden — angesichts des Fehlens entsprechender Vorarbeiten i m rechtswissenschaftlichen Schriftt u m verständlicherweise — allgemeine Aussagen über das Verhältnis privatrechtlicher Kompensation i m Geltungsbereich des A r t . 141 2 GG zum Gebot der Enteignungsentschädigung nach A r t . 14 I I I GG 7 4 . Auch Breuer selbst vertritt schließlich i m Zusammenhang der Entwicklung allgemeiner „systematischer L e i t l i n i e n " 7 5 seiner Untersuchung eine Interpretation des A r t . 14 GG, die die Notwendigkeit eines weiten Gestaltungsspielraums für gesetzliche Regelungen i m Bereich des A r t . 1412 GG betont 7 6 , und w i l l — insoweit abweichend von der herrschenden Meinung 7 7 — insbesondere die Geltung des allgemeinen verfassungsrechtlichen Übermaßverbots für solche Regelungen beschränken auf den allgemeineren Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da der Grundsatz der Erforderlichkeit i m Sinne eines Gebots des schonendsten Eingriffs den Gesetzgeber unangemessen einengen würde 7 8 . Solche Voraussetzungen stehen indes i n einem unerklärten Gegensatz zu dem gleichzeitig von Breuer vorgeschlagenen Transport des Entschädigungsjunktims i n Form eines Kompensationsjunktims aus dem Bereich des A r t . 14 I I I GG i n den des A r t . 1412 GG. E i n solches dem Entschädigungsgebot des A r t . 14 I I I GG hinsichtlich der Voraussetzungen analoges Kompensationsgebot führt zu inhaltlichen Beschränkungen des Gesetzgebers bei der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums, die m i t denen bei Enteignungen vergleichbar sind, und hebt 71
BVerfGE 14, 263 ff. BVerfGE 31, 229 ff. 73 U n t e n § 11 bei Fn. 15 ff. 74 Allerdings begründet B G H Z 53, 226 zwar nicht den Verstoß gegen A r t . 14 I 2 G G durch mangelhafte Entschädigungsregelung, w o h l aber eine sich hieraus ergebende öffentlichrechtliche (staatliche) „Entschädigungspflicht auf der Grundlage des A r t . 14" (S. 243) ausdrücklich m i t einer Analogie der Opferlage des v o n der Bergschädenregelung Betroffenen m i t einer Enteignung (insbes. S. 240 ff.). Gleichzeitig betont der Senat jedoch die Singularität dieser Regelung gegenüber sonstigen bekannten Fällen privatrechtlicher Eingriffsbefugnisse (S. 238 ff.). 75 Bodennutzung, S. 40. 76 Ebd., S. 33 ff. 77 Vgl. unten § 11 bei Fn. 57 ff. 78 Bodennutzung, S. 33 ff. 72
§ 4 Das Verhältnis zur öffentlichrechtlichen Eigentumsauf Opferung
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so den von der herrschenden Meinung stets vorausgesetzten Gegensatz von entschädigungsloser Eigentumsbindung und entschädigungspflichtiger Enteignung 7 9 auf. Das Dilemma der herrschenden enteignungsrechtlichen Dogmatik t r i t t hiernach deutlich zutage: Die unterschiedliche verfassungsrechtliche Beurteilung rechtmäßiger Eigentumsbeeinträchtigungen je nach ihrer zivil- oder öffentlichrechtlichen Rechtsnatur zwingt dazu, entweder sachlich einleuchtende Gründe für eine entsprechend unterschiedliche Bewertung hinsichtlich des Ausmaßes des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes durch Entschädigung anzuführen oder aber die Forderung nach einer einheitlichen, die A b sätze I und I I I des A r t . 14 GG übergreifenden Entschädigungsgarantie i m Rahmen einer systemgerechten Interpretation des A r t . 14 GG zu begründen. Die zweite Möglichkeit, die zumindest unter dem Aspekt öffentlich-zivilrechtlicher Gemengelagen i m Nachbarrecht näher zu liegen scheint, macht jedoch, wie bereits ein kurzer Blick auf die herrschende Dogmatik des A r t . 14 GG zeigt, eine grundsätzliche Überprüfung allgemeiner Grundannahmen dieser Dogmatik über das systematische Verhältnis der Absätze I und I I I des A r t . 14 GG zueinander und die Einordnung des verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots i n dieses System erforderlich. B. Gegenkonzepte zur herrschenden Meinung — H. Schulte und Schwabe I n betontem Gegensatz zur herrschenden Meinung ist i n neuerer Zeit vor allem von H. Schulte und Schwabe versucht worden, eigenständige geschlossene Konzepte zu entwickeln für eine Abgrenzung der Tatbestände der Eigentumsaufopferung, die die Schwächen der h. M. vermeiden und zu einer einleuchtenden, wertungsmäßig konsequenten Bestimmung des Anwendungsbereichs des A r t . 14 I I I GG i m Verhältnis zur Eigentumsaufopferung i m Zivilrecht führen. Beide Konzepte, die i m Ansatz teilweise voneinander abweichen, sollen i m folgenden kritisch gewürdigt werden. I . Das konkrete öffentliche Interesse als Abgrenzungskriterium für den Geltungsbereich des Art. 14 I I I G G — H. Schulte
Entscheidender Ausgangspunkt H. Schultes ist einerseits die Erwägung, daß die austauschbare formalrechtliche Ausgestaltung von Eingriffsbefugnissen nicht das entscheidende K r i t e r i u m für deren Bindung an A r t . 14 I I I GG sein kann, da sonst diese Bindung zur Disposition des Gesetzgebers stünde 80 , andererseits sei aber auch die prinzipielle 70
Vgl. unten § 11 bei Fn. 3 ff. Eigentum, S. 46, 309.
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m Zivilrecht
Zuordnung privater Eingriffsbefugnisse zum Bereich potentieller Enteignung kein gangbarer Weg, da die Bindungen des A r t . 14 I I I GG, insbesondere das Erfordernis eines konkreten öffentlichen Interesses an der Enteignung, dem Gesetzgeber sachgerechte Kollisionsregelungen i m Privatrecht i n den meisten Fällen unmöglich machen würden. Die spezifischen Zwecke etwa des Nachbarrechts, die Gewährleistung einer ökonomisch sinnvollen Raumnutzung und ebenso die spezifische A u f gabe des Privatrechts, freies, privatautonomes, i m konkreten Fall nicht notwendig gemeinwohlorientiertes Handeln zu ermöglichen, seien mit den Mitteln der nach A r t . 14 I I I GG zulässigen Enteignung nicht zu verwirklichen 8 1 . H. Schulte zieht aus diesen Voraussetzungen zwei entscheidende Schlüsse: Erstens lasse sich ein sinnvoller Anwendungsbereich des A r t . 14 I I I GG nur unter Anknüpfung an das zentrale Zulässigkeitsmerkmal einer Enteignung, nämlich Durchsetzung eines konkreten öffentlichen Interesses abgrenzen 82 . Zweitens verbiete sich damit eine Betrachtungsweise, die alle Eigentumsbelastungen allein dem Dualismus entschädigungslose Eigentumsbindung / entschädigungspflichtige Enteignung zuordne und damit zu einem vulgären Enteignungsbegriff komme 8 3 . 1. Das konkrete öffentliche
Interesse
Das spezifisch enteignungsrechtliche konkrete öffentliche Interesse und damit die entscheidende Voraussetzung für die Anwendung des A r t . 14 I I I GG beschreibt H. Schulte näher als „Konkretisierung eines Zwecks, der unmittelbar dem Gemeinwohl dient, i n einer Situation, aus der das M i t t e l des enteignungsrechtlichen Einzeleingriffs rational abgeleitet werden kann" 8 4 . Demgegenüber seien die privaten Eingriffsbefugnisse nicht an ein konkretes, sondern lediglich an ein abstraktes öffentliches Interesse gebunden. So dienten insbesondere die privaten nachbarrechtlichen Eingriffsbefugnisse dem abstrakten Interesse „an einer ökonomisch sinnvollen Raumnutzung", dieses lediglich abstrakte Interesse schließe es aus, solche Eingriffsbefugnisse an A r t . 14 I I I GG zu messen 85 . Unabhängig von einer Stellungnahme zu dessen für entscheidend erklärten Voraussetzungen 86 kann diesem Lösungsvorschlag H. Schultes 81
Ebd., S. 101, 105, 309 (u. 5). Ebd., insbes. S. 98 ff., 85 ff. 83 Ebd., S. 101, 312. 84 Ebd., S. 94. 85 Ebd., S. 97 ff. 86 Eingehende K r i t i k dazu bei Breuer, Bodennutzung, S. 280 ff. Breuer lehnt die Ausgangsthesen H. Schultes vor allem deshalb ab, w e i l er — als Konse82
§ 4 Das Verhältnis zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufpferung
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jedenfalls i m Ergebnis nicht gefolgt werden. Zum einen kann die B i l dung des entscheidenden Abgrenzungsgesichtspunkts — des konkreten öffentlichen Interesses — für sich nicht überzeugen, zum anderen trägt dieser Vorschlag aber auch nichts zu der für die vorliegende Arbeit zentralen Problematik des Verhältnisses einer Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht und i m Verfassungsrecht bei. Allerdings läßt sich der Lösungsansatz, nach dem eine Bestimmung des Anwendungsbereichs des A r t . 14 I I I GG an das Zulässigkeitsmerkmal des konkreten öffentlichen Interesses anknüpft, nicht ohne weiteres als „logischer Kreisverkehr" abtun 8 7 . Eine solche K r i t i k verkennt zumindest einen wesentlichen Teilaspekt der Konzeption H. Schultes. Sicher darf eine Zulässigkeitsvoraussetzung nicht unmittelbar — wie H. Schulte es i m Ergebnis unternimmt — zu deren Begriffsmerkmal deklariert werden, dies würde die normative Funktion dieses Merkmals gerade beseitigen. Demgegenüber ist es jedoch legitim, die Zulässigkeitsvoraussetzungen des A r t . 14 I I I GG zur Ermittlung des Anwendungsbereichs dieser Norm heranzuziehen, insbesondere danach zu fragen, ob sich aus Inhalt und Zweck der speziellen Zulässigkeitsvoraussetzung zugleich ein beschränkter Hegelungszweck der Norm ergibt 8 8 . I n diese Richtung führen auch zunächst die Überlegungen H. Schultes, wenn er erklärtermaßen auf den materiellen Hintergrund verschiedener Eingriffsbefugnisse, nämlich auf Inhalt und Qualität quenz der Annahme eines allgemeinen Kompensationsjunktims i m Bereich des A r t . 14 I 2 G G (vgl. oben bei Fn. 65) den Gesetzgeber generell bei öffentlich- u n d zivilrechtlichen Regelungen f ü r befugt hält, nicht n u r dem Gebot der Enteignungsentschädigung, sondern auch dem der Verfolgung eines öffentlichen Interesses i. S. des A r t . 14 I I I G G dadurch auszuweichen, daß E i n wirkungsbefugnisse m i t ausreichenden „privatrechtlichen Gegenansprüchen, notfalls m i t einem privatrechtlichen Entschädigungsanspruch" (S. 282) v e r bunden werden. I m praktischen Ergebnis entspricht dies der von Breuer, S. 281, abgelehnten These H. Schultes, wonach zulässige Eigentumsbelastungen nicht i n dem Dualismus entschädigungslose Eigentumsbindung / entschädigungspflichtige Enteignung erfaßt werden können. Das — von H. Schulte p r i m ä r ins Auge gefaßte — Problem der Bestimmung eines systemgerechten Anwendungsbereichs der Eingriffsvoraussetzung des öffentlichen Interesses i. S. des A r t . 14 I I I G G läßt Breuer indes ungelöst. Seine Annahme, daß dieser besonderen Zulässigkeitsvoraussetzung nach A r t . 14 I I I G G beliebig durch Regelung privatrechtlicher Kompensationen auszuweichen ist, w i r f t jedoch, ebenso w i e die Annahme eines generellen Kompensationsgebots, grundsätzliche Probleme einer systemgerechten Interpretation des A r t . 14 GG insgesamt auf, die v o n Breuer selbst, S. 289, deutlich m i t dem Satz gekennzeichnet werden: „ D i e Möglichkeit der Enteignung gegen Entschädigung bleibt auch hier ein eng eingegrenztes P r i v i l e g hoheitlichen Eingreifens." Vgl. hierzu bereits oben bei Fn. 62 ff. 87 So Schwabe, D r i t t w i r k u n g , S. 139 Fn. 383; ders., AöR 98 (1973), S. 143 f.; ebenso Breuer, Bodennutzung, S. 282 f.; dagegen zutr. H. Schulte, Dogmatik, S. 30 ff. 88 Vgl. insoweit auch die entsprechenden Überlegungen zur Bedeutung des Merkmals der Rechtmäßigkeit der Enteignung unten § 7 bei Fn. 17 ff.
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1. Teil : Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m Zivilrecht
der Eingriffszwecke abstellt, u m zu entscheiden, ob diese Zwecke sinnvollerweise i n den nach A r t . 14 I I I GG zulässigen Formen verfolgt werden können 8 9 . Die entscheidende Schwäche der Ausführungen H. Schultes ergibt sich jedoch daraus, daß diese Überlegungen zur Ermittlung eines struktur- oder sachgerechten Anwendungsbereichs des A r t . 14 I I I GG i m Hinblick auf inhaltlich unterschiedliche Problemlagen oder Eingriffskriterien i m Ansatz steckenbleiben und durch eine zusätzliche — doch wieder formale — Kriterienbildung überlagert werden. H. Schulte beschränkt sich nämlich bei der inhaltlichen Kennzeichnung verschiedener Eingriffszwecke darauf, den Anwendungsbereich des A r t . 14 I I I GG negativ abzugrenzen durch Aufzählung verfassungsrechtlich anerkannter Eingriffszwecke, die nach w o h l herrschender Meinung nicht „enteignungsrechtliche" Eingriffszwecke sind und deren Durchsetzung deshalb nicht an A r t . 14 I I I GG gebunden sei. So werden genannt: Notwendigkeit staatlichen Strafens als Zweck der Einziehung, Beschaffung der öffentlichen Haushaltsmittel als Zweck der Besteuerung, öffentliches Interesse an Gefahrenabwehr als Zweck polizeilicher Eingriffe, Notwendigkeit ökonomisch sinnvoller Raumnutzung als Zweck privatrechtlicher Eingriffsbefugnisse 90 . Eine weiterführende Analyse des A r t . 14 I I I GG daraufhin, welche A r t von Problemlagen und damit welche Eingriffszwecke m i t Rücksicht auf deren Inhalt und Qualität den normativen Strukturen des A r t . 14 I I I GG zugänglich sind, unterbleibt dagegen. Inhaltlich charakterisiert H. Schulte den enteignungsrechtlichen Zweck lediglich — mehr beiläufig — als öffentliches Interesse „an notwendigen Gestaltungen der U m w e l t " 9 1 — eine Kennzeichnung, deren mangelnde Unterscheidungskraft gerade gegenüber dem privatnachbarrechtlichen Zweck der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung unübersehbar ist. Der selbstgestellten Aufgabe, den materiellen Hintergrund, das materielle Eingriffskriterium der Enteignung näher zu untersuchen, entgeht H. Schulte dadurch, daß er auf eine ganz andere begrifflich abstrakte Ebene ausweicht durch Einführung der Unterscheidung von konkreten und abstrakten öffentlichen Interessen i m Zusammenhang m i t der Unterscheidung von konditionalen und Zwecknormierungen 92 . A l l e i n auf diese abstrakt begrifflichen Elemente beschränkt sich die bereits zitierte entscheidende Definition des öffentlichen Interesses „ i m Sinne des Enteignungsrechts": „Konkretisierung eines Zwecks, der unmittelbar dem Gemeinwohl dient, i n einer Situation, aus der das M i t t e l des enteignungsrechtlichen Einzeleingriffs ra89 90 91 92
Eigentum, S. 101 ff., 312. Eigentum, S. 65, 101 f. Ebd., S. 102. Ebd., S. 68 ff., 81 ff.; vgl. dazu auch Aicher, Staatshaftung, S. 281 ff.
§ 4 Das Verhältnis zur öffentlichrechtlichen E i g e n t m s a u f p f e r u n g
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tional abgeleitet werden kann 9 3 ." Soweit diese Definition durch das Merkmal des „enteignungsrechtlichen Einzeleingriffs" nicht ohnehin Verweisungsfunktion auf nicht näher präzisierte sonstige Merkmale hat, drückt sie i m Grunde nichts anderes aus als das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit einer gesetzlichen Ermächtigung an die Verwaltung: das Erfordernis einer hinreichend konkretisierten Zweckbindung von Verwaltungsakten, die einen „enteignungsrechtlichen Einzeleingriff " darstellen. Aus dem Postulat der Gesetzesbindung der Verwaltung leitet H. Schulte seine Definition denn auch i m wesentlichen 94 ab und erklärt auch konsequent, daß nur Enteignung durch Verwaltungsakt, nicht dagegen Enteignung durch Gesetz konkreter, spezifisch enteignungsrechtlicher öffentlicher Interessen bedürfe 95 . Ebenso konsequent: Die Unterscheidung Enteignung / Sozialbindung „würde besser i n der Frage formuliert, ob ein Gesetz ein Einzeleingriff ist oder nicht" 9 6 . Unausweichlich muß H. Schulte denn auch bei der konkreten Prüfung von Eingriffen durch Verwaltungsakt zu deren enteignungsrechtlicher Qualifikation auf zusätzliche Merkmale zurückgreifen, da seine auf die Unterscheidung konkret / abstrakt beschränkte Definition nicht weiterhilft. Hierfür schwenkt er nun wieder auf die Ebene der Unterscheidung von Eingriffszwecken nach deren Inhalt ein und stellt auf polizeiliche, konfiskatorische, einziehungsrechtliche Eingriffszwecke als maßgeblichen materiellen Hintergrund ab, ohne jedoch auch den enteignungsrechtlichen Zweck allgemein inhaltlich zu kennzeichnen 97 . Dort, wo eine positive Kennzeichnung des enteignungsrechtlichen Zwecks unumgänglich wird, weil begründet werden soll, warum bestimmte Eingriffe enteignungsrechtlich zu beurteilen seien — d i e s geschieht insbesondere bei der Untersuchung des „Nachbarrechts der öffentlichen Sachen" — greift H. Schulte bezeichnenderweise auf Elemente des „klassischen" Enteignungsbegriffs zurück: Als Kernbereich des spezifisch enteignungsrechtlichen Interesses erscheinen hier „konkrete Vorhaben" wie Reichsbahn, U-Bahnbau, Autobahn, „ f ü r die auch Enteignungen i m klassischen Sinne zulässig wären" 9 8 . Hiernach zeigt sich bei der konkreten Anwendung der Betrachtungsweise von H. Schulte, was bereits i n deren Entwurf deutlich angelegt ist. Der Ansatz, nach dem ein — gemessen am Tatbestandsmerkmal „zum Wohl der Allgemeinheit" — strukturgerechter sinnvoller AnwenM
Ebd., S. 94. Ebd., S. 71 ff. M Ebd., S. 312 (u. 6a). M Ebd., S. 312 (u. 6b). 87 Ebd., S. 312 (u. 6c). ®8 Ebd., S. 171, 172; vgl. auch dens., Dogmatik, S. 31, 34, 49. M
5 Schulze-Osterloh
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dungsbereich für A r t . 14 I I I GG zu bestimmen wäre, w i r d nicht konsequent ausgeführt. Die Vorstellung des „öffentlichen Interesses" als spezifisch enteignungsrechtliches Eingriffskriterium w i r d vielmehr ohne normative Ableitung aus A r t . 14 I I I GG aufgefüllt mit zwei unterschiedlichen und gegenseitig un verbundenen Gesichtspunkten: einmal m i t dem des formalen Einzeleingriffs durch Verwaltungsakt, zum anderen m i t dem materiellen K r i t e r i u m der klassischen (Grundstücks-) Enteignung, dem „ i m öffentlichen Interesse" konkreten begünstigten Unternehmen. 2. Geltungsbereich eines verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots Die Ansicht H. Schultes kann jedoch auch deshalb nicht überzeugen, weil das hier interessierende Hauptproblem der Reichweite eines verfassungsrechtlichen Entschädigungszwangs für Eigentumsopfer nicht bewältigt, sondern ausgeklammert wird. I m Zusammenhang der Grundannahme, daß ein sinnvoller Enteignungsbegriff es verbiete, alle Eigentumsbelastungen allein dem Dualismus entschädigungslose Eigentumsbindung / entschädigungspflichtige Enteignung zuzuordnen, w i r d das Problem der Abgrenzung entschädigungslos / entschädigungspflichtig überhaupt bei der verfassungsrechtlichen Prüfung des Geltungsbereichs des A r t . 14 I I I GG ausgeschlossen. Die Entschädigungspflichtigkeit einer Eigentumsbelastung erscheint nach dieser Betrachtungsweise nicht als eine Rechtsfolge, die die Enteignung gegenüber sonstigen Eigentumsbelastungen auszeichnet. Das Entschädigungsgebot des A r t . 14 I I I GG w i r d denn auch von H. Schulte nirgends zur Sinnermittlung des Enteignungsbegriffs benutzt, obwohl doch gerade diese Rechtsfolge der entscheidende Grund für die expansive Ausdeutung ist, die der Enteignungsbegriff i m Laufe seiner Geschichte erfahren hat. Die Bestimmung der für den herrschenden weiten Enteignungsbegriff entscheidenden Entschädigungskriterien weist H. Schulte — wie bereits oben" erörtert — einer topischen Diskussion zu, deren verfassungsrechtlich-systematischer Bezug offenbleibt. Diese Loslösung des Entschädigungsproblems von der Frage nach dem Geltungsbereich des Art. 14 I I I GG und nach dessen Verhältnis zu A r t . 141 GG kann um so weniger befriedigen, als, wie gezeigt, das Merkmal des besonderen enteignungsrechtlichen öffentlichen Interesses, das H. Schulte allein als entscheidend für den Geltungsbereich des A r t . 14 I I I GG erklärt, selbst nicht überzeugend konkretisiert wird. Die Unklarheit bzw. das Fehlen eines normativen Bezugs w i r k t sich denn auch i m Ergebnis bei der Untersuchung der maßgeblichen Ent99
§ 3 bei Fn. 78 ff.
§ 4 Das Verhältnis zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufopferung
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schädigungskriterien i m Enteignungsrecht einerseits, i m privaten A u f opferungsrecht andererseits aus. Wie bereits oben 1 0 0 kritisiert, führt die unsystematische Betrachtungsweise hier zu einer Interpretation und gegenseitigen Zuordnung angeblich paralleler bzw. identischer Entschädigungskriterien i n beiden Bereichen, die weder eindeutigen gesetzlichen Hegelungen wie dem § 906 BGB gerecht wird, auf die H. Schulte jedoch ausdrücklich abstellt, noch eine überzeugende Begründung für die behaupteten Parallelen i m Bereich des privaten A u f opferungs- und des Enteignungsrechts liefert. I I . Die „materielle Enteignung" als Abgrenzungskriterium für ein verfassungsrechtliches Entschädigungsgebot — Schwabe
I m Ergebnis nicht weit entfernt von der Konzeption H. Schultes ist diejenige von Schwabe, dessen zentraler Untersuchungsgegenstand und dogmatischer Ausgangspunkt allerdings ganz anderer A r t ist. Schwabe vertritt i m Rahmen seiner Untersuchungen über die „sogenannte D r i t t wirkung der Grundrechte" als entscheidende These, daß alle — auch die privatrechtlichen — Rechtsbeeinträchtigungen letztlich vom Staat ausgingen und deshalb ausnahmslos auch an den Grundrechten 1 0 1 zu messen seien 102 . Diese Grundthese bezieht er nun u. a. auch auf die Frage des Geltungsbereichs des A r t . 14 I I I GG speziell i m Hinblick auf Einwirkungsbefugnisse des Privatrechts 1 0 3 und folgert aus ihr die Unhaltbarkeit der herrschenden Meinung, nach der A r t . 14 I I I GG sich nur auf sogenannte modale Enteignungen, nämlich auf Eingriffe von hoher Hand beziehe 104 . Als allein maßgeblich für A r t . 14 I I I GG sieht Schwabe dagegen einen Begriff der materiellen Enteignung an, für den allein die Intensität der Eigentumsbelastung entscheidend sei 1 0 5 . Diese Betrachtungsweise soll jedoch andererseits zu der notwendigen Einsicht führen, daß A r t . 14 I I I GG i n Scherben liege 1 0 6 . Es sei ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber i n allen Bereichen materielle Enteignungen nur „zum Wohl der Allgemeinheit" bewirken bzw. zulassen dürfe. Ein solches Zulässigkeitserfordernis schließe nämlich Regelungen wie §§ 904, 906 BGB oder insbesondere Umwandlungen nach § 15 U m w G aus. Für materielle Enteignungen enthalte A r t . 14 I I I GG deshalb nur eines von 100
§ 3 nach Fn. 85. Ausgenommen A r t . 3 GG, vgl. D r i t t w i r k u n g , S. 149 ff., 157 f. 102 D r i t t w i r k u n g , S. 14 ff., 26 ff., zusammenfassend: S. 154 f.; vgl. auch dens., Grundrechtsdogmatik, S. 82 ff., 212 f., 235 f. * * D r i t t w i r k u n g , S. 118 ff.; zust. Aicher, Staatshaftung, S. 239 f. 104 Ebd., S. 120. 105 Ebd., S. 118 (Fn. 334), 123; differenzierend aber S. 133 (Fn. 369), vgl. ftiertu unten bei Fn. 114 f. 108 Ebd., S. 137, 138, 132. 101
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verschiedenen alternativ möglichen Zulässigkeitskriterien. Der Begriff der materiellen Enteignung soll dagegen entscheidend bleiben für die Auslösung einer Entschädigungspflicht. Schwabe verneint damit i m Ergebnis wie H. Schulte einen einheitlichen, für alle Zulässigkeitsvoraussetzungen des A r t . 14 I I I GG gleichermaßen geltenden Enteignungsbegriff, unterläßt es jedoch, dem Erfordernis „zum Wohl der Allgemeinheit" m i t Hilfe eines engeren Enteignungsbegriffs einen eindeutigen Anwendungsbereich zuzuordnen 1 0 7 . Unbefriedigend an der Stellungnahme Schwabes ist zunächst bereits der unmittelbare Schluß von einer allgemeinen Drittwirkungsthese auf den Geltungsbereich des A r t . 14 I I I GG. Die Geltungsbeschränkung des A r t . 14 I I I GG auf Eingriffe von hoher Hand wird, soweit ersichtlich, nirgends auf das allgemeine Postulat einer Staatsgerichtetheit der Grundrechte gestützt — vielmehr entspricht die prinzipielle Zuordnung der privatrechtlichen Eingriffsbefugnisse i n Eigentum zum Geltungsbereich des A r t . 141 GG, wie bereits angeführt 1 0 8 , ganz herrschender Ansicht. Ob der Gedanke einer prinzipiellen Verantwortlichkeit des Staates f ü r jedes „private" Recht und dessen „private" Ausübung ohne weiteres zur Begründung einer unmittelbaren D r i t t w i r k u n g der Grundrechte i m Privatrecht, insbesondere auch i m vertraglichen Bereich, ausreicht — so die Grundannahme Schwabes —, kann hier dahinstehen: Eine zwingende Interpretation des Enteignungsbegriffs liefert er gewiß nicht ohne weiteres 1 0 9 . Der sogenannte modale Enteignungsbegriff läßt sich nur m i t Hilfe einer konkreten Analyse des A r t . 14 GG bekämpfen: Es wäre der Nachweis erforderlich, daß der modale Enteignungsbegriff dem Sinn dieser Norm widerspricht. A u f dieser Ebene entwickelt allerdings Schwabe, unabhängig von seinem eigentlichen Ausgangspunkt, seine sachlich tragenden Argumente, so daß sich die allgemeine D r i t t wirkungsproblematik für sein Ergebnis letztlich als unerheblich erweist. Inhaltlich entscheidend nämlich sind die Erwägungen Schwabes, daß einerseits nur ein materieller Enteignungsbegriff eine wertungsmäßig folgerichtige und nicht manipulierbare Anwendung d e s A r t . 14 I I I GG erlaube, daß aber andererseits ein klares materielles K r i t e 107 Allerdings w i l l Schwabe, S. 138, a m Schluß seiner Ausführungen zu A r t . 14 I I I G G dieser Vorschrift entnehmen, „daß jedenfalls die durch Gesetz oder durch Einzëlakt v o n Staatsorganen vorgenommenen Eingriffe, die dem Staat zugüte kommen, ausschließlich zum W o h l der Allgemeinheit geschehen dürfen". F ü r diese Interpretation, nach der — ähnlich w i e bei H. Schulte (vgl. oben bei Fn. 98) — ein Kernbereich des A r t . 14 I I I G G i n Anlehnung an den klassischen Enteignungsbegriff beschrieben w i r d , gibt der vorangegangene Text keine Grundlage. 108 Oben bei Fn. 5 f. 109 I n diesem Sinne auch Breuer, Bodennutzung, S. 287 f.
§ 4 Das Verhältnis zur öf f entlichrechtlichen Eigentumsauf Opferung
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rium, das gleichzeitig dem Zulässigkeitserfordernis des Wohls der A l l gemeinheit und dem Entschädigungsgebot bzw. dem Gebot der Entschädigungsregelung einen sinnvollen Anwendungsbereich eröffne, nicht existiere 1 1 0 . I n dieser Überlegung liegt zugleich die wesentliche Übereinstimmung m i t H. Schulte 111. Ebensowenig wie H. Schulte gelingt es jedoch Schwabe, von dieser Ausgangsüberlegung aus eine überzeugende Konzeption für den A n wendungsbereich des i n A r t . 14 I I I GG enthaltenen Entschädigungsgebots zu entwickeln. Die These, jede materielle Enteignung sei entschädigungspflichtig 112 , enthält als Substanz nicht mehr als die allgemeine Forderung nach wertungsmäßiger Folgerichtigkeit bei der Bestimmung des Umfangs des Entschädigungsgebots, nicht jedoch eine dogmatisch präzise Ausführung dieser Forderung. Die Umrisse des Tatbestands der „materiellen Enteignung" bleiben bei Schwabe i m dunkeln. Einerseits w i r d davon gesprochen, daß allein die Intensität der Eigentumsbelastung entscheidend sei 1 1 3 , andererseits w i r d zur näheren Abgrenzung auf die „hierfür entwickelten materiellen Theorien" verwiesen 114 . Daß diese Theorien einheitlich auch auf Eingriffsbefugnisse Privater anwendbar seien, w i r d als Grundsatz zwar postuliert, gleichwohl w i r d jedoch für naheliegend gehalten, daß „die Sozialpflichtigkeit gegenüber Privatinteressen, also bei der Beurteilung von Befugnissen Privater, geringer zu veranschlagen (sei) als gegenüber öffentlichen Belangen" 1 1 5 . Diese Unklarheiten über die Merkmale der materiellen Enteignung erweisen die Grundthese, daß allein dieser Tatbestand für den Umfang der Entschädigungspflicht nach A r t . 14 I I I GG maßgeblich sein könne, selbst als unklar und unbegründet. Es verwundert denn auch kaum noch, daß nicht nur Inhalt, sondern auch Geltungsgrund des umfassenden Entschädigungsgebots letztlich offenbleiben. Während ursprünglich die umfassende Verbindlichkeit des A r t . 14 I I I GG postuliert wird, da nur A r t . 14 I I I GG den wichtigen Schwellenwert der Enteignung i m materiellen Sinn gegenüber einem Eingriff ins Spiel bringe 1 1 6 , erklärt Schwabe abschließend die Entschädigungspflicht als 110
Schwabe, D r i t t w i r k u n g , insbes. S. 128 ff. A b e r auch m i t Breuer trotz dessen ausdrücklicher K r i t i k (Bodennutzung, S. 289), da das v o n diesem postulierte Kompensationsgebot i m Bereich des A r t . 14 I 2 GG sich v o m Entschädigungsgebot des A r t . 14 I I I G G i. E. praktisch k a u m unterscheidet, vgl. oben bei Fn. 79. 112 Schwabe, D r i t t w i r k u n g , S. 135 (allerdings auch insoweit u n k l a r : „die meisten der . . . materiell enteignenden Einwirkungsrechte . . . " ) , 136, 138 ( „ . . . regelmäßig an ein Entschädigungsjunktim gebunden"). 119 Ebd., S. 118 (Fn. 334), 123. 114 Ebd., S. 133 (Fn. 369). 115 Ebd., S. 133 (Fn. 369). 118 Ebd., S. 129. 111
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nicht spezifisch für A r t . 14 I I I G G 1 1 7 — den er ja auch i m Prinzip für zertrümmert hält. Auch Schwabe liefert also i m Ergebnis gegenüber der herrschenden Meinung keine klare und überzeugende Alternative, durch die Inhalt und Geltungsgrund eines verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots, insbesondere dessen Bedeutung für die Beurteilung der Entschädigungspflicht von Eigentumsopfern aufgrund von Eingriffen Privater, deutlich bestimmt wäre. C. Ergebnis Die Bestimmung des Verhältnisses der zivilrechtlichen zur öffentlichrechtlichen Eigentumsaufopferung — so hat die bisherige Untersuchung ergeben — stellt die Dogmatik des Enteignungsrechts vor noch weitgehend ungelöste Probleme. Weder der herrschenden Meinung, die den Geltungsbereich des A r t . 14 I I I GG auf öffentlichrechtliche Eigentumsbeeinträchtigungen beschränkt, noch gegenläufigen Versuchen, die Anwendung des verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots an übergreifende materielle Kriterien zu binden, ist es bisher gelungen, entweder eine unterschiedliche oder aber eine einheitliche verfassungsrechtliche Bewertung von Eigentumsopfern i m Zivilrecht und i m öffentlichen Recht i m Zusammenhang m i t einer systematisch überzeugenden Interpretation des A r t . 14 GG zu begründen. Die herrschende Meinung vermag insbesondere nicht zu erklären, wie die zumindest i m zentralen Teilbereich des Nachbarrechts naheliegende und i n der Rechtsprechungspraxis zum Teil verwirklichte Forderung nach einer verfassungsrechtlichen Einheitsbehandlung von Eigentumsbeeinträchtigungen überzeugend zu widerlegen wäre, noch wie sich eine solche Forderung m i t der Zuordnung zivilrechtlicher Eigentumsaufopferung zum Geltungsbereich des A r t . 141 GG vereinbaren ließe. Aber auch die Befürworter einer „materiellen" Geltungsabgrenzung des A r t . 14 I I I GG haben es bisher nicht vermocht, eine entsprechende Ausdehnung des Gebots der Enteignungsentschädigung m i t Wortlaut und Systematik des A r t . 14 GG i n Einklang zu bringen.
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Ebd., S. 138 f.
§ 5 Die Allgemeinheit eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht Aus den i n Schrifttum und Rechtsprechung herrschenden Unklarheiten über den Inhalt eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht und über dessen Verhältnis zur Eigentumsopferentschädigung i m öffentlichen Recht resultieren zugleich notwendig die entscheidenden Schwächen von Aussagen über die „Allgemeinheit", also über Geltungsbereich und Ranghöhe (Verbindlichkeitsgrad) eines solchen Prinzips i m Zivilrecht. Dies bestätigt die bereits erwähnte Untersuchung zu diesem Fragenkreis von Konzen 1. Er ist zwar m i t der herrschenden Meinung der Ansicht, daß ein der öffentlichrechtlichen Enteignung entsprechendes Prinzip der Eigentumsaufopferung auch zahlreichen zivilrechtlichen Vorschriften zugrunde liege 2 . Für das Zivilrecht verneint er jedoch die Geltung eines allgemeinen — über den Geltungsbereich der gesetzlichen Einzelvorschriften und des tatbestandlich eingegrenzten richterrechtlichen Ausgleichsanspruchs auf Schadloshaltung 3 hinausgehenden — Aufopferungsanspruchs, der immer dann eingriffe, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung des Opferentschädigungsprinzips an sich vorlägen 4 . Das entscheidende Argument gegen eine allgemeine Geltung eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung w i r d i n einer Durchbrechung des Verschuldensprinzips gesehen5: Dieses Prinzip sei, wie ein1
Aufopferung i m Zivilrecht, 1969. Aufopferung, S. 135 ff., 150 f. — jeweils zusammenfassend. 3 Vgl. oben § 2 Fn. 9. 4 Aufopferung, insbes. S. 152 ff.; weitere Nachweise oben § 2 Fn. 26. 5 Die beiden weiteren von Konzen angeführten Gesichtspunkte einer Überlagerung des gesetzlichen Schutzes absoluter Rechte u n d einer Relativierung des Systems der gesetzlichen Rechtfertigungsgründe fallen demgegenüber nicht ins Gewicht. Sie richten sich nämlich offenkundig nicht gegen die von Konzen selbst vertretene relativ enge Formulierung des Opferentschädigungsgedankens — „Ausgleichspflicht des Begünstigten für einen Schaden, der i n folge eines i m überwiegenden Interesse gestatteten Eingreifens i n ein V e r mögens· oder i n ein Grundstücksrecht entsteht", S. 151, ähnlich S. 135 —, sondern gegen die sehr v i e l weitergehende Formel Hubmanns, die allerdings sowohl einen besonderen generalklauselartigen Rechtfertigungsgrund als auch die Ausdehnung des Opferschutzes auf bloße Interessen enthält: „ B e i bestehender Interessenkollisipn darf das überwiegende Interesse durch E i n 2
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1. T e i l : Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m Zivilrecht
zelne gesetzliche Vorschriften des Zivilrechts (§§ 276 ff., 823 ff. BGB) zeigten, höherrangig u n d verbiete deshalb eine verschuldensunabhängige Haftungszurechnung außerhalb gesetzlicher Tatbestände m i t Hilfe des Gedankens der Eigentumsopferentschädigung 6 . Dieser Erwägung liegt einmal als Aussage über den Inhalt des Prinzips der Eigentumsopferentschädigung die — wie gezeigt 7 überprüfungsbedürftige — verbreitete Vorstellung zugrunde, nach der die Eigentumsopferentschädigung Grundlage einer spezifischen verschuldensunabhängigen Haftungszurechnung sei, die i n Konkurrenz zum Verschuldensprinzip treten könnte. Zum anderen w i r d aber auch vorausgesetzt — hier liegt die entscheidende Problematik bereits i m Ansatz der Fragestellung —, daß es für die Geltung eines allgemeinen Aufopferungsanspruchs allein auf das Rangverhältnis zivilrechtlicher Grundsätze oder Prinzipien untereinander ankomme und daß dieses Rangverhältnis abhängig sei vom W i l l e n des einfachen Zivilgesetzgebers. Hierbei w i r d die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Vorentscheidung stillschweigend ausgeschlossen: Die Geltung eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Eigentumsopferentschädigungssatzes auch für privatrechtliche Eigentumsbeeinträchtigungen würde jedoch zugleich den auch für den Zivilgesetzgeber verbindlichen Rang des Opferentschädigungsgedankens bestimmen und die Problematik von Systembrüchen i m Bereich einfachgesetzlicher Grundsätze oder Prinzipien i n einem anderen Licht erscheinen lassen. Auch die Frage der Allgemeinheit eines zivilrechtlichen Prinzips der Eigentumsopferentschädigung bedarf deshalb einer erneuten Überprüfung.
g r i f f i n das geringere verfolgt werden, soweit dies unbedingt erforderlich ist. Der Verletzte k a n n jedoch Entschädigung f ü r das i h m dadurch auferlegte Sonderopfer verlangen", vgl. Hubmann, J Z 1958, 489 (492). Es ist jedoch w e der notwendig noch sinnvoll (mit Konzen, Aufopferung, S. 152, 154 ff.), die Frage nach der Geltung eines „allgemeinen" Aufopferungsanspruchs i m Z i v i l recht m i t der nach der Anerkennung der Formel Hubmanns zu verquicken. Daß die weite Formel Hubmanns bereits inhaltlich keine ausreichende Stütze i m Gesetz findet, hat Konzen selbst überzeugend dargetan, vgl. n u r die zusammenfassenden Bemerkungen S. 153 f., die Frage nach deren Verallgemeinerungsfähigkeit erübrigt sich also. 6 Konzen, Aufopferung, S. 159 f. 7 Oben § 3 bei Fn. 101 ff.
§ 6 Zusammenfassung und Entwicklung der eigenen Fragestellung Die kritische Betrachtung des gegenwärtigen Meinungsstands zur Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht hat gezeigt, daß die eingangs gestellten drei Grundfragen, nämlich die nach dem Inhalt eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht, nach dessen Verhältnis zur öffentlichrechtlichen Eigentumsopferentschädigung und nach der Allgemeinheit eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht gegenwärtig nicht überzeugend beantwortet sind. A. Vorrang der Frage nach Inhalt und Geltungsbereich eines verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots für Eigentumsopfer Als ganz entscheidend für die gesamte Problematik hat sich vor allem die Frage nach dem Verhältnis der öffentlichrechtlichen zur zivilrechtlichen Eigentumsauf Opferung erwiesen: Der von der herrschenden Meinung auf A r t . 14 I I I GG gestützte Verfassungsrang der öffentlichrechtlichen Eigentumsopferentschädigung weist der Frage nach Inhalt und Geltungsbereich dieses verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots Vorrang vor einseitig zivilrechtlich orientierten Überlegungen zur Verallgemeinerungsfähigkeit von induktiv ermittelten einfachgesetzlichen Regelungsprinzipien zu. Erst wenn überzeugend begründet ist, daß sich ein verfassungsrechtliches Entschädigungsgebot nicht auf Eigentumsbeeinträchtigungen des Zivilrechts erstreckt, kann sich eine Dogmatik einer zivilrechtlichen Eigentumsopferentschädigung auf zivilrechtsimmanente Überlegungen beschränken. Dies gilt zwar nicht ohne weiteres zwingend auch für die erste Frage nach dem Inhalt eines gegebenenfalls i n verschiedenen zivilrechtlichen Einzelvorschriften verwirklichten besonderen Haftungsprinzips. Praktisch beruhen jedoch die wesentlichen Schwächen der bisherigen Aussagen über den Inhalt eines Gedankens der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht ebenfalls auf der Vernachlässigung einer genaueren Betrachtung des Inhalts des verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots. Soweit die herrschende Meinung der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht die Bedeutung einer Haftungszurechnung (zum Begünstigten) zuspricht 1 , w i r d dies ohnehin unmittelbar aus dem inso1
Vgl. oben § 3 bei Fn. 103 ff.
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m Zivilrecht
weit überprüfungsbedürftigen allgemeinen öffentlichrechtlichen Opferentschädigungsgedanken abgeleitet. Soweit dagegen versucht wird, dieses Prinzip i m Zivilrecht als Haftungsgrund zu formulieren 2 , geschieht dies zwar überall gleichsam mit einem Seitenblick auf das verfassungsrechtliche Opferentschädigungsgebot und m i t zumeist kursorischen H i n weisen auf Übereinstimmungen der Opfergedanken i m Zivilrecht und i m öffentlichen Recht, es fehlt jedoch an genaueren Belegen für solche Übereinstimmungen. Daß den üblichen Formulierungen eines Haftungsgrundes der Eigentumsopferentschädigung i m Zivilrecht sogar bereits gegenüber den jeweils untersuchten sogenannten Aufopferungsansprüchen ein unzureichender Darstellungswert, weil mangelnde A b grenzungskraft gegenüber sonstigen, insbesondere bereicherungsrechtlichen Konfliktsregelungen des Zivilrechts, zukommt 3 , dürfte ebenfalls zu einem guten Teil zurückzuführen sein auf das Mißverhältnis zwischen dem Bemühen um verallgemeinernde, dem generellen öffentlichrechtlichen Entschädigungsgebot entsprechende Formeln einerseits und tatsächlich bestehenden Unklarheiten über die konkreten Elemente dieses verfassungsrechtlichen Gebots andererseits. B. Zuordnung zu umfassenderen grundrechtsdogmatischen Fragestellungen Die Frage nach dem gegenseitigen Verhältnis von zivil- und öffentlich-(verfassungs-)rechtlicher Eigentumsopferentschädigung, insbesondere die Frage nach der Bedeutung eines verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots auch für Eigentumsbeeinträchtigungen des Z i v i l rechts, berührt sich m i t zwei allgemeineren verfassungsrechtlichen Fragestellungen, nämlich zum einen mit dem allgemeinen Problemkreis der „Privatrechtswirkung" 4 der Grundrechte, zum anderen m i t der spezielleren einer Unterscheidung von Verfassungseigentum und Zivileigentum. Beiden allgemeineren Themenkreisen soll die hier zu untersuchende engere Frage zunächst systematisch zugeordnet werden, u m sodann mit Rücksicht auf die sich daraus ergebenden allgemeineren dogmatischen Zusammenhänge präzisiert zu werden.
2 3 4
Vgl. oben § 3 bei Fn. 11 ff. Vgl. oben § 3 bei Fn. 64 ff. Göldner, Verfassungsprinzip, S. 33.
§ 6 Zusammenfassung u n d eigene Fragestellung
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I . Die Privatrechtswirkung der Grundrechte
1. Bindung des Zivilgesetzgebers als Problem grundrechtlicher Privatrechtswirkung Daß die Frage der Geltung eines — nach herrschender Meinung i n A r t . 14 I I I GG begründeten — verfassungsrechtlichen Eigentumsopferentschädigungsgebots auch bei zivilrechtlichen Eigentumsbeeinträchtigungen von der allgemeineren Frage einer Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers miterfaßt wird, bedarf keiner näheren Begründung. Wollte man zum Beispiel eine Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers grundsätzlich verneinen, so hätte dies unmittelbar auch Bedeutung für die Bestimmung des Geltungsbereichs der verfassungsrechtlichen Entschädigungsnorm. Nicht ebenso selbstverständlich ist dagegen die Problematisierung der Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers als „PrivatrechtsWirkung" der Grundrechte. So w i r d eine solche Grundrechtsbindung von manchen für unproblematisch gehalten und insbesondere aus dem Problemkreis der sogenannten D r i t t w i r k u n g der Grundrechte i n dem engeren Sinne einer Bindung der Privatrechtssubjekte i m Privatrechtsverkehr ausgeklammert 5 . Die herrschende Meinung vollzieht eine solche Problemtrennung indes nicht, sondern sieht einen engen Sinnzusammenhang zwischen einer Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers und der Wirkung der Grundrechte i m Privatrechtsverkehr: Für beide Aspekte einer Privatrechtswirkung der Grundrechte ist — quer durch die Fronten zwischen Gegnern und Anhängern einer mittelbaren bzw. unmittelbaren D r i t t w i r k u n g der Grundrechte — als entscheidend die gemeinsame Frage danach erkannt worden, ob und inwieweit die Grundrechte verbindliche Aussagen über den Inhalt von privatrechtlichen Rechtsverhältnissen enthalten 6 . N u r insoweit als den Grundrechten eine 5 Vgl. insbes. Schumann, Verfassungsbeschwerde, S. 216 f., bei u n d i n Fn. 18, 20; desgl. Reimers, Grundrechte, S. 21 f., Fn. 12; Linders, Grundrechtsbestimmungen, S. 3 f.; ähnlich Vogt, D r i t t w i r k u n g , S. 146 f. — Die Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers (als Aspekt nur mittelbarer D r i t t w i r k u n g ) leitet ohne weiteres aus A r t . 1 I I I G G auch Stein, Staatsrecht, § 24 I I , S. 251, ab. Vgl. hierzu kritisch m. w . N. Schwabe, D r i t t w i r k u n g , S. 10, 88 ff., insbes. bei u n d i n Fn. 265. Schwabes Behauptung, es handele sich insoweit u m die Position der herrschenden Meinung, ist indes unhaltbar, w i e schon die wenig repräsentative A u s w a h l der von Schwabe selbst zitierten Stimmen indiziert, vgl. näher i m folgenden Text. Schwabe folgend Götz, Vergütungsanspruch, S. 115 f., der insoweit auf die Literaturnachweise bei Schwabe verweist. « V g l . Reuter, Kindesgrundrechte, S. 75 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 235 f., insbes. bei u n d i n Fn. 421; ders., AöR 101 (1976), 161 (170 ff.); ferner Dürig, M / D / H , GG, A r t . 3 I Rn. 506, w o gegen die staatliche Normsetzung als A n knüpfungspunkt f ü r eine Grundrechtsbindung (Schwabe) darauf verwiesen w i r d , daß das Privatrechtsgesetz „konstitutionell ein aliud i m Verhältnis zu öffentlichrechtlichen Gestattungen u n d Anordnungen" sei. Dürig hat jedoch
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1. Teil : Der Meinungsstand zur E i g n t u m s f Opferung i m Zivilrecht
entsprechende A u s s a g e k r a f t zugesprochen w i r d , k a n n s i n n v o l l auch v o n e i n e r G r u n d r e c h t s b i n d u n g des Zivilgesetzgebers gesprochen w e r d e n 7 . Es v e r w u n d e r t deshalb auch n i c h t , daß die auch h e u t e noch h e r r schenden U n k l a r h e i t e n ü b e r I n h a l t u n d A u s m a ß e i n e r P r i v a t r e c h t s w i r k u n g d e r G r u n d r e c h t e u n m i t t e l b a r auch d i e S t e l l u n g n a h m e n z u r G r u n d r e c h t s b i n d u n g des Zivilgesetzgebers prägen. N u r e i n g e r i n g e r T e i l des S c h r i f t t u m s e r k l ä r t , w i e b e r e i t s e r w ä h n t , d i e G r u n d r e c h t s b i n d u n g des Zivilgesetzgebers m i t B l i c k a u f A r t . 1 I I I G G f ü r u n p r o b l e m a tisch 8 , w ä h r e n d d i e e x t r e m e Gegenposition, d i e V e r n e i n u n g j e d e r P r i v a t r e c h t s w i r k u n g d e r G r u n d r e c h t e , s o w e i t ersichtlich, ü b e r h a u p t n i c h t v e r t r e t e n w i r d 9 . Sucht m a n nach e i n e r h e r r s c h e n d e n M e i n u n g , so f ä l l t zunächst v o r a l l e m auf, daß es h ä u f i g ü b e r h a u p t a n a u s d r ü c k l i c h e n S t e l l u n g n a h m e n z u r G r u n d r e c h t s b i n d u n g des Zivilgesetzgebers f e h l t . So w i r d beispielsweise i n d e r g ä n g i g e n K o m m e n t a r l i t e r a t u r z u m B e g r i f f d e r Gesetzgebung i m S i n n e des A r t . 1 I I I G G die Z i v i l g e s e t z g e b u n g ü b e r h a u p t n i c h t als besonderer F a l l e r w ä h n t 1 0 , erst b e i d e r auch bereits i n seinem grundlegenden Beitrag i n der Festschrift f ü r Nawiasky aus dem Jahre 1956 das D r i t t w i r k u n g s p r o b l e m k l a r formuliert als Frage nach der Beeinflussung der „Hechtsordnung gleichberechtigter Privater . . . durch das Grundrechtssystem" (S. 157) bzw. nach „der gegebenenfalls bestehenden Grundrechtsbindung des anzuwendenden materiellen Zivilrechts" (S. 158). Vgl. auch Leisner, Grundrechte, insbes. S. 57 ff., w o auf die Nähe der G r u n d rechtsbindung der Privatgesetzgebung zur unmittelbaren A n w e n d u n g der Grundrechte i m Privatrecht verwiesen w i r d . Besonders k l a r ist die hier entscheidende Frage von Raiser , 46. D J T I I Β 5 ff., herausgestellt worden, der v o m Problem der „privatrechtsgestaltenden K r a f t des Grundgesetzes" spricht. Zust. Göldner, Verfassungsprinzip, S. 33 f., Fn. 48; vgl. auch Hesse, G r u n d züge, § 11 I I , S. 149 ff.; Doehring, Staatsrecht, D I V 2, S. 198; Grabitz, F r e i heit, S. 48 f.; hierzu eingehend — jeweils aus unterschiedlicher Perspektive u n d m i t unterschiedlichen Folgerungen — Schwabe, D r i t t w i r k u n g , insbes. S. 88 ff.; vgl. auch deus., Grundrechtsdogmatik, S. 212 f. m i t Fn. 7, S. 234 ff. u n d Eckhold-Schmidt, Legitimation, S. 69 ff., 80 ff. m. w . N. 7 Daß Schwabe, D r i t t w i r k u n g , der die B i n d u n g des Zivilgesetzgebers an die Grundrechte zur entscheidenden Basis seiner Drittwirkungstheorie macht, die zentrale Frage nach dem I n h a l t einer solchen B i n d u n g allzu „elegant" umgangen hat, k r i t i s i e r t Leisner, JZ 1973, 187 f. Umfassendere K r i t i k an der formalen Argumentation Schwabes bei Eckhold-Schmidt, Legitimation, insbes. S. 78 f., 102 f.; vgl. auch Grabitz, Freiheit, S. 50 f. 8 Vgl. die oben § 6 Fn. 5 Genannten. 9 Forsthoff, Festschr. Carl Schmitt, S. 35 (45 ff.); dems., Verfassungsauslegung, S. 19 f., der von Eckhold-Schmidt, Legitimation, S. 70 Fn. 10, i n diesem Zusammenhang angeführt w i r d , geht es weniger u m die Bekämpfung jeder Privatrechtsorientierung der Grundrechte als u m eine K r i t i k einer an der Idee eines Wertsystems orientierten Verfassungsauslegung. Grundsätzlich kritisch zu jeder F o r m von — nicht ausdrücklich geregelter — Privatrechtsw i r k u n g neuerdings jedoch Doehring, Staatsrecht, D I V 2, S. 198 ff. 10 Vgl. Hamann/Lenz, GG, A r t . 1 A n m . 10, 11; v. Mangoldt / Klein, G G I, A r t . 1 A n m . V, S. 158 ff.; Leibholz / Rinck, GG, A n m . 4 vor A r t . 1 - 1 9 ; SchmidtBleibtreu / Klein, GG, A r t . 1 Rn. 19; Dürig, M / D / H , GG, A r t . 1 I I I Rn. 103 bis 106; Brinkmann, Grundrechts-Kömmentar, A r t . 1 A n m . I 8; Herdemerten in V. Münch, G G I, A r t . 1 Rn. 33; Wernicke, B K , A r t . 1 A n m . 4 b.
§ 6 Zusammenfassung u n d eigene Fragestellung
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Behandlung der Rechtsprechung w i r d die Grundrechtsbindung der Z i vilrechtsprechung und i m Zusammenhang damit die Bindung des materiellen Zivilrechts als Drittwirkungsproblem ausdrücklich berücksichtigt 11 . 2. Generelle Beschränkungen grundrechtlicher Privatrechtswirkung auf objektivrechtliche Grundrechtsfunktionen Trotz dieser allgemein verbreiteten Vernachlässigung der eigenständigen Thematisierung der Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers 12 , die sich erklärt aus der zu einseitigen Ausrichtung der Drittwirkungsdiskussion auf die Alternative unmittelbare / mittelbare D r i t t w i r k u n g 1 3 und der m i t dieser Alternative direkt verknüpften Frage der Anfechtbarkeit eines Zivilurteils m i t Hilfe der Verfassungsbeschwerde 14 , zeichnen sich doch i n Rechtsprechung und Schrifttum einige grundsätzliche Aussagen über eine generelle Einschränkung der Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers ab; sie beanspruchen ihrem Inhalt nach Beachtung auch für das speziellere Problem der Bestimmung des Geltungsbereichs einer verfassungsrechtlichen Eigentumsopferentschädigungsriorm. Den gemeinsamen Nenner der i m einzelnen sehr unterschiedlich akzentuierten Äußerungen zur Begrenzung der Privatrechtswirkung der Grundrechte bildet der Gedanke einer Beschränkung der Bindung des Zivilgesetzgebers auf objektivrechtliche Grundrechtsfunktionen 15 . Theoretische Voraussetzung einer Zuordnung jeder Privatrechts Wirkung der Grundrechte zu deren objektivrechtlichen Funktionen ist der vor allem durch die Status-Lehre Georg Jellineks geprägte negative Freiheitsbegriff 1 6 , der den grundgesetzlichen Freiheitsrechten die Funktion als subjektive öffentliche Abwehrrechte gegen die öffentliche Gewalt zuweist und deshalb eine grundrechtliche Privatrechtswirkung nur als Folge zusätzlicher — objektivrechtlicher — Grundrechtsfunktionen 11
Statt vieler: Dürig, M / D / H , GG, A r t . 1 I I I Rn. 121 ff. Hierauf nachdrücklich hingewiesen zu haben, ist ein wichtiges Verdienst der Untersuchimg Schwabes (vgl. D r i t t w i r k u n g , insbes. S. 88 ff.), auch w e n n diese ihrerseits eine entsprechende Problematisierung versäumt hat. 18 Insoweit zutreffende K r i t i k bei Eckholdt-Schmidt, Legitimation, durchgehend, vgl. zusammenfassend S. 117. 14 Vgl. hierzu m. w . N. Papier, Festschr. Bundesverfassungsgericht I, S. 432 (447 f.). 15 Vgl. n u r Hesse, Grundzüge, § 11 I I , S. 148 ff.; Leisner, Grundrechte, S. 2861; Enneccerus / Nipper dey, BGB A T , § 15 I I 4, S. 91 ff.; neuerdings insbes. Rupp, AöR 101 (1976), 161 (167 ff.); BVerfGE 7, 198 (205); 25, 256 (263) — dazu ζ. B. Schwabe, AöR 100 (1975), 442 (448 ff.) m. w . N.; vgl. auch m. w . N. Grabitz, Freiheit, S. 48 f. — Eingehende K r i t i k an diesem Begriff u n d seiner V e r w e n dung i n Rspr. u n d L i t e r a t u r bei Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 286 ff. 16 Dazu aus neuerer Zeit n u r Grabitz, Freiheit, S. 48 ff. 12
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1. Teil: Der Meinungsstand zur E i g e n t u m s a u f p f e r u n g i m Zivilrecht
möglich erscheinen läßt. Eine klare dogmatische Ausformung der i n diesem Zusammenhang entwickelten Vorstellung objektivrechtlicher Privatrechtswirkung der Grundrechte des Grundgesetzes bieten die insoweit auch heute noch grundlegenden Ausführungen von Friedrich Klein aus dem Jahre 195717. K l e i n 1 8 unterscheidet bei den „Rechtswirkungen" der „Grundrechtsbestimmungen" zwischen Grundrechten i m Sinne subjektiver öffentlicher Rechte einerseits und Einrichtungsgarantien und Grundsätzen des Staatslebens andererseits. Nur die letzteren — objektivrechtlichen — Rechts Wirkungen sollen verbindlich auch für das Privatrecht sein, Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte dem Zivilgesetzgeber also nicht entgegengehalten werden können. Die hier vollzogene strikte Trennung zwischen subjektiv- und objektivrechtlichen Grundrechtsfunktionen mit der wohl wichtigsten Konsequenz einer generellen Versagung individuellen Grundrechtsschutzes gegen den Zivilgesetzgeber hat sich allerdings i m Ergebnis nicht durchsetzen können 1 9 . Zum einen ist für die Praxis der Gegensatz zwischen subjektivem und objektivem Verfassungsrecht ganz allgemein durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu A r t . 2 I GG relativiert worden, die die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich auch gegen Verletzungen objektiven Verfassungsrechts eröffnet hat 2 0 . Auch wenn diese Rechtsprechungspraxis umstritten geblieben ist 2 1 , so w i r d doch jedenfalls i n bezug auf die unterschiedlichen Grundrechtsfunktionen allgemein deren enger Zusammenhang und gegenseitige „Wechselwirkung" betont 2 2 . Als ganz herrschend kann die Auffassung bezeichnet werden, daß jedenfalls insoweit, als den Grundrechtsbestimmungen verbindliche objektivrechtliche Direktiven an den Gesetzgeber zu entnehmen sind, solchen Direktiven auch ein subjektivrechtlicher Individualrechtsschutz — sei es auf der Grundlage der speziell betroffenen Grundrechtsbestimmung, sei es auf der Grundlage des Art. 2 I GG 2 3 — korrespondiert 2 4 : Die Grundrechtsbestimmungen vermitteln danach 17 v. Mangoldt / Klein, GG I, Die Grundrechte, Vorbem. A I I 4, S. 61 ff., A V I , S. 78 ff.; w i e Klein insbes. auch Küchenhof f, A l l g . Staatslehre, S. 53 ff. 18 Ebd., S. 78 f., 66 ff. 19 Kritisch zur Lehre Kleins aus neuerer Zeit insbes. Schwabe, D r i t t w i r kung, S. 147 m. w . N.; Eckholdt-Schmidt, Legitimation, S. 70 f. 20 St.Rspr., z.B. BVerfGE 6, 32 (41); 10, 89 (99); 11, 232 (236 f.); 24, 220 (235); vgl. näher m. w. N. Scholz, AöR 100 (1975), 80 (84 f., 101 ff.). 21 Vgl. n u r Scholz, AöR 100 (1975), 80 (84 f.) m. w. N. 22 ζ. B. Rupp, AöR 101 (1976), 161 (172); Hesse, Grundzüge, § 9 I I , S. 118, 124; Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 332 ff. m i t zahlr. Nachw. 23 So insbes. — m i t Bezug auf den Steuergesetzgeber — Selmer, Steuerinterventionismus, S. 332 ff. 24 Vgl. n u r i. E. entsprechend Rupp, AöR 101 (1976), 161 (175); Hesse, G r u n d züge, § 11 I I , S. 151.
§ 6 Zusammenfassung u n d eigene Fragestellung
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subjektive Rechte auch gegen den Zivilgesetzgeber auf Beachtung ihrer ob j ektivrechtlichen Aussagegehalte. Die Beschränkung einer Privatrechtswirkung der Grundrechte auf eine nur objektivrechtliche Bindung des Zivilgesetzgebers hat demgegenüber heute primär Bedeutung als eine inhaltliche Beschränkung gerichtlich nachprüfbarer materieller Aussagegehalte der Grundrechtsbestimmungen. Z u der danach entscheidenden Frage, wie solche Beschränkungen vorzunehmen sind bzw. umgekehrt, wie der objektivrechtliche Gehalt der Grundrechtsbestimmungen positiv zu ermitteln ist, sind allerdings bisher noch wenig allgemeine Übereinstimmungen erzielt worden. Begriffe wie „Einrichtungsgarantien und Grundsatznormen" 2 5 , „institutionelles Grundrechtsverständnis" 26 , Ausstrahlungswirkung einer „objektiven Wertordnung" 2 7 , „Elemente objektiver Ordnung des Gemeinwesens" 28 verweisen auf verschiedene theoretische A n sätze, markieren aber dabei eher offene Fragestellungen als deutliche Lösungsentwürfe für das zentrale Problem einer Bestimmung von Freiheit und Grenzen der Gestaltungsbefugnisse des Zivilgesetzgebers i m Hinblick auf die Grundrechte. Für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang entscheidend ist insoweit zunächst jedoch nur, ob aus einer nur objektivrechtlichen Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers zugleich eine allgemeine Vorentscheidung gegen die Verbindlichkeit eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots für Eigentumsopfer unabhängig von einer konkreten Inhaltsanalyse des A r t . 14 GG folgt. Z u einer solchen allgemeinen Vorentscheidung führt vor allem eine grundlegende inhaltliche These zur Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers, die besonders deutlich von Hesse 29 formuliert wird, zugleich aber auch einer verbreiteten Ansicht zur D r i t t w i r k u n g i m engeren Sinne 8 0 korrespondiert, die konsequent auch auf die Privatrechtswirkung der Grundrechte i m weiteren Sinne auszudehnen wäre. Hesse 31 sieht mit der h. M . 3 2 den Grundeinwand gegen eine unmittelbare Grundrechtsbindung Privater i m unausweichlichen K o n f l i k t einer sich unmittelbar gegenseitig begrenzenden Grundrechtsberechtigung und Grundrechtsver25
ν . Mangoldt / K l e i n , GG I, Die Grundrechte, Vorbem. A I I 4, S. 66. Rupp, AöR 101 (1976), 161 (172). 27 So insbes. das BVerfG i n st. Rspr. seit BVerfGE 7, 194 (205). 28 Hesse, Grundzüge, § 11 I I , S. 151. 29 Grundzüge, § 11 I I , S. 147 ff. 30 Vgl. insbes. Nipperdey, Grundrechte I V 2, S. 741, 752 ff.; ders., Festschr. Molitor, S. 27 ff.; kritisch m. w. N. Eckholdt-Schmidt, Legitimation, S. 84 ff. 31 Grundzüge, § 11 I I , S. 149 f. 32 Vgl. Grabitz, Freiheit, S. 49 m. w . N. ; vgl. eingehend auch Bethge, G r u n d rechtskollisionen, S. 393 ff. 26
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1. Teil : Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m Zivilrecht
pflichtung i m Verhältnis gleichgestellter Privater, der nicht n u r zu einer Einschränkung der Privatautonomie führen, sondern auch dem Richter die Aufgabe der jeweiligen Abgrenzung i m Einzelfall zuweisen würde. I m Interesse eines rechtsstaatlichen Privatrechts, das hinreichend klare, detaillierte und bestimmte Regelungen für Rechtsbeziehungen und richterliche Problemlösungen bereitzustellen habe, sei es deshalb notwendig, die Aufgabe gegenseitiger Abgrenzung grundrechtlicher Positionen Privater i n erster Linie dem Gesetzgeber vorzubehalten. N u r dort, wo der Zivilgesetzgeber seine Befugnis zur Grundrechtskonkretisierung gleichsam nicht v o l l ausschöpft und bei seinen Regelungen unbestimmte Begriffe oder Generalklauseln verwendet, könnten Grundrechte i m Sinne der herrschenden Lehre von der m i t telbaren D r i t t w i r k u n g „ f ü r deren Interpretation i m Einzelfall bedeutsam werden" 3 3 . Den hieraus folgenden Grundsatz, daß die Gerichte „die Entscheidungen und Abwägungen des Gesetzgebers nicht i m Durchgriff auf Grundrechte oder unter Berufung auf eigene Abwägungen korrigieren" 3 4 dürfen, w i l l Hesse demgegenüber jedoch i n dem Maße einschränken, als es auch i m Bereich des Privatrechts „ u m den Schutz personaler Freiheit gegen Ausübung wirtschaftlicher oder sozialer Macht"™ gehe. I n solchen Fällen sei nämlich, „nicht anders als i m Verhältnis des Einzelnen zu den staatlichen Gewalten, dasjenige M i n destmaß an Freiheit gefährdet, das die Grundrechte als Elemente objektiver Ordnung des Gemeinwesens gewährleisten sollen" 3 6 . Nach dieser allgemeinen Funktionsbestimmung der Privatrechtswirkung der Grundrechte wäre ein gerichtlich durchsetzbarer Grundrechtsschutz auch gegenüber zwingenden Regelungen des Privatrechts konsequenterweise dort zu verneinen, „ w o die Parteien nicht nur rechtlich, sondern auch der Sache nach i n einem Verhältnis der Gleichordnung stehen" 3 7 . Damit wäre aber zugleich auch die Möglichkeit der Geltung eines verfassungsrechtlichen Gebots der Eigentumsopferentschädigung gegenüber zentralen Normen der Eigentumsaufopferung i m Zivilrecht, wie den §§ 904, 906 BGB, prinzipiell i n Frage gestellt 3 8 .
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Hesse, Grundzüge, § 11 I I , S. 150. Ebd. 85 Ebd., S. 151, Hervorheb. i m Original. 36 Ebd. 37 Hesse, Grundzüge (8. Aufl.), § 11 I I , S. 151, nicht mehr entsprechend prononciert i n den späteren Auflagen. 88 Lediglich für § 906 I I 2 BGB verbliebe w o h l die Möglichkeit einer „grundrechtskonformen" Interpretation des unbestimmten Begriffs der Zumutbarkeit. 34
§ 6 Zusammenfassung u n d eigene Fragestellung
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3. Hypothesencharakter allgemeiner Aussagen zur Privatrechtswirkung der Grundrechte Eine umfassende Auseinandersetzung m i t der Konzeption Hesses — ebenso wie mit sonstigen möglichen allgemeinen Funktionsbestimmungen einer Privatrechtswirkung der Grundrechte —, die ihrem Inhalt nach notwendig auf eine generelle grundrechtsdogmatische Vorentscheidung auch der spezielleren Frage nach dem Geltungsbereich einer verfassungsrechtlichen Eigentumsopferentschädigungsnorm abzielte, erscheint indes aus folgenden Gründen nicht als sinnvoll. Sicher ist Hesse i n seinem methodischen Ausgangspunkt zuzustimmen, wonach die Frage der D r i t t w i r k u n g der Grundrechte mangels spezieller verfassungsrechtlicher Regelungen „ n u r i m Blick auf die Aufgabe und die Funktion der Grundrechte i n der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes beantwortet werden" 3 9 kann. Ebenso berechtigt mögen auch sonst erhobene Forderungen nach Bildung komplexer Theorien i m Zusammenhang m i t einzelnen Problemen der Grundrechtsinterpretation sein 40 . Zweifelhaft muß jedoch ein Verfahren erscheinen, bei dem zunächst auf relativ abstrakter Ebene allgemeine Sätze etwa über die Funktion der Grundrechte allgemein gebildet und aus solchen allgemeinen Sätzen dann konkrete Grundrechtsinterpretationen als verbindlicher Norminhalt abgeleitet werden. Fehlt es schon angesichts der notwendigen Vagheit allgemein formulierter theoretischer Ansätze regelmäßig an eindeutigen zwingenden Ableitungszusammenhängen, so besteht vor allem stets die Gefahr, daß konkrete Regelungsinhalte als „notwendige" Folge allgemeiner Sätze erscheinen, ohne daß diese Folgen bei der Bildung der allgemeinen Sätze überhaupt reflektiert worden wären, ohne daß also die Bildung der allgemeinen Sätze i m H i n blick gerade auf die sich ergebenden Folgerungen bei der konkreten Grundrechtsinterpretation und -anwendung legitimiert worden wäre 4 1 . Daß aber allgemeine Aussagen etwa über die „Funktion der Grundrechte i n der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes" 42 und daraus abgeleitete allgemeine Drittwirkungsthesen typischerweise h y pothetischen Charakter haben und deshalb i m Rahmen konkreterer Normenbildung durch Grundrechtsinterpretation legitimierungsbedürftig und wohl auch erst legitimierungsfähig sind, läßt sich gerade auch an den insoweit für viele beispielhaften Ausführungen Hesses zeigen: Er begründet die generelle Beschränkung eines gerichtlich .durchsetz39
Hesse, Grundzüge, § 11 I I , S. 148. Vgl. ζ. B. Branahl / Hoffmann-Riem, Redaktionsstatute, S. 29 m. w . N. 41 Entsprechende grundsätzliche K r i t i k an der bisherigen D r i t t w i r k u n g s diskussion hat v o r allem Eckhold-Schmidt, Legitimation, näher ausgeführt, vgl. zusammenfassend S. 117 ff. 42 Hesse, Grundzüge, § 11 I I , S. 148. 40
6 Schulze-Osterloh
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1. Teil: Der Meinungsstand zur E i g e n t u m s a u f p f e r u n g i m Zivilrecht
baren Grundrechtsschutzes gegenüber Regelungen des Zivilgesetzgebers i m außervertraglichen Bereich 43 i m wesentlichen m i t zwei unterschiedlichen Argumenten. Zum einen w i r d das prinzipielle Verbot richterlicher Korrektur privatgesetzlicher Konkretisierung der objektiven Rechtsgehalte der Grundrechte aus dem rechtsstaatlichen Gebot hinreichend bestimmter rechtlicher Regelungen des Privatrechts abgeleitet 4 4 . Dieser primär auf das Verhältnis Richter / Gesetz bezogene Gesichtspunkt w i r d ergänzt und differenziert durch die zweite entscheidende Aussage zum Inhalt der objektiven Grundrechtsgehalte: Schutzobjekt der Grundrechte als Elemente objektiver Ordnung des Gemeinwesens sei ein „Mindestmaß an Freiheit" (auch) „gegen Ausübung w i r t schaftlicher oder sozialer Macht". Z u r Verwirklichung dieses Schutzzwecks soll i m Ergebnis auch dem Richter der unmittelbare Durchgriff auf die Grundrechte zur Gesetzesauslegung und gegebenenfalls -korrektur gestattet sein 45 . Sowohl der funktionelle als auch der inhaltliche Aspekt dieser Begründung lassen sich weniger als gesetzlich zwingende oder sonst ohne weiteres unmittelbar einleuchtende Problemlösungsregeln, sondern eher als generelle Leitlinien verstehen, deren diskutierbarer Inhalt und Legitimation erst i n bezug zu konkreteren Norminterpretationen und entsprechenden Problemlösungen zu entwickeln ist. Wieweit insbesondere das verfassungsrechtliche Entschädigungsgebot für Eigentumsopfer eine auch für das Privatrecht relevante „objektivrechtliche" Komponente aufweist und ob diese Komponente inhaltlich nur dort tangiert ist, wo es u m Ausübung wirtschaftlicher und sozialer Macht geht, sind Fragen, die endgültig erst i m Rahmen einer Interpretation des A r t . 14 GG beantwortet werden können. I n diesem Zusammenhang ist dann auch dem Problem einer angemessenen Funktionsbeschränkung der Rechtsprechung bei der Kontrolle der Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers Rechnung zu tragen. 4. Folgerungen für die Formulierung der eigenen Fragestellung Die Untersuchung der hier gestellten Frage nach der Bedeutung eines verfassungsrechtlichen Eigentumsopferentschädigungsgebots für die Eigentumsaufopferung i m Zivilrecht setzt deshalb nicht auf der Ebene 43 Der vertragliche Bereich, i n dem die entscheidenden Bedenken gegen eine uneingeschränkte grundrechtliche Privatrechtswirkung aus dem Prinzip der Privatautonomie abgeleitet werden (Hesse, Grundzüge, § 11 I I , S. 149), k a n n für die vorliegende begrenzte Themenstellung (vgl. oben § 2 bei Fn. 22) außer Betracht bleiben. 44 Grundzüge, § 11 I I , S. 150. 45 Ebd., S. 151 m i t S. 150.
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allgemeiner Thesen über die Privatrechtswirkung der Grundrechte an, sondern bei der Prüfung des Inhalts eines verfassungsrechtlichen Eigentumsopferentschädigungsgebots, das heißt i m Ergebnis bei der Frage nach dem spezifischen Inhalt des A r t . 14 GG. Das i n dieser Grundrechtsnorm enthaltene Entschädigungsgebot soll daraufhin überprüft werden, ob es seinem Inhalt nach auch privatrechtliche Rechtsbeziehungen betrifft und so auch den Zivilgesetzgeber bei der Regelung solcher Rechtsbeziehungen bindet. Vorausgesetzt w i r d dabei m i t Rücksicht auf A r t . 1 I I I GG, daß eine Beschränkung der Bindung des Zivilgesetzgebers begründungsbedürftig ist. Gründe für eine Beschränkung des Geltungsbereichs des verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots brauchen sich zwar nicht ausschließlich aus dem spezifischen Norminhalt des A r t . 14 GG zu ergeben, sondern können auch ihre Grundlage i n allgemeineren Grundanschauungen über die Funktion der Grundrechte und über notwendige Sachstrukturen des Privatrechts haben. Solche allgemeineren grundrechtstheoretischen Gründe können deshalb nicht aus der Betrachtung ausgeklammert werden, sie sind jedoch m i t konkreten Norminhalten zu konfrontieren und daran zu kontrollieren. Es w i r d sich dabei zeigen, daß sich gerade beim verfassungsrechtlichen Eigentumsopferentschädigungsgebot die Problematik der Privatrechtswirkung i n „entschärfter" Form stellt und prinzipielle grundrechts- und verfassungstheoretische Kontroversen zum Verhältnis öffentliches Recht / Zivilrecht weitgehend unberührt läßt. Die Methode, die Privatrechtswirkung der Grundrechte als Problem spezieller Interpretation des jeweiligen Inhalts der verschiedenen Grundrechtsnormen zu behandeln, besonders prononciert gefordert von Ludwig Raiser 46, ist auch i m rechtswissenschaftlichen Schrifttum der Sache nach durchaus allgemein anerkannt: So entspricht es insbesondere ganz herrschender Ansicht, daß sich das Ausmaß der Bindung nach A r t . 1 I I I GG, zu der auch die des Zivilgesetzgebers gehört, erst aus den Einzelgrundrechten ermitteln läßt 4 7 und daß die Frage grundrechtlicher D r i t t w i r k u n g Gegenstand ausdrücklicher Einzelbestimmungen i n den Grundrechtsnormen sein kann 4 8 . Entsprechend hat sich auch die allgemeine Auseinandersetzung u m die Privatrechtswirkung der Grundrechte i n wesentlichen Bereichen inzwischen auf die Interpretation einzelner Grundrechtsbestimmungen verlagert, die Behandlung 4e
46.DJT I I B 11. Wernicke , B K , A r t . 1 Erl. 4 a, S. 35; Schmidt-Bleib treu / Klein, GG, A r t . 1 Rn. 19 w. w . Ν.; v. Mangoldt / Klein, GG I, A r t . 1 A n m . V 3 a, S. 159 m. w . N.; Hamann ! Lenz, GG, A r t . 1 A n m . Β 11; Brinkmann, Grundrechts-Kommentar, A r t . 1 A n m . I 8 b m. w. N. 48 Statt vieler: Hesse, Grundzüge, § 11 I I , S. 147 f. 47
6*
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1. Teil: Der Meinungsstand zur Eigentumsauf Opferung i m Zivilrecht
des Problems der sogenannten inneren Pressefreiheit liefert hierfür ein aktuelles Beispiel 49 . I I . Verfassungseigentum / Zivileigentum
Die vorangehenden Überlegungen sind zugleich auch entscheidend für die Zuordnung der vorliegenden Untersuchung zu dem oben erwähnten zweiten allgemeineren Fragenkreis, der m i t den Stichworten Verfassungseigentum / Privateigentum bezeichnet werden kann. Es handelt sich hierbei u m einen i m öffentlichen Hecht seit langem geführten allgemeineren Streit darüber, ob „die Grenzen des Eigentums dem Staate gegenüber dieselben sein müßten wie gegenüber Privaten" 5 0 . Eigentum i n Vertikalsicht, also als Recht gegenüber dem Staat, sei, so die eine Seite 51 , etwas prinzipiell anderes als die i m Z i v i l rechtsverkehr als Eigentum geschützte Rechtsposition. Für die Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und öffentlicher Gewalt sei nicht das Zivilrechtseigentum, sondern allein das ausschließlich durch öffentlichrechtliche Normen konstituierte Verfassungseigentum maßgeblich. Den Vertretern dieser Ansicht geht es hierbei weniger u m die Frage der Bedeutung des sogenannten Verfassungseigentums für zivilrechtliche Regelungen — insoweit w i r d i m Gegenteil trotz der Betonung der Eigenständigkeit des Verfassungseigentums wohl überwiegend davon ausgegangen, daß das Verfassungseigentum das Eigentum des Z i v i l rechts „mitbestimmt" 5 2 . Vielmehr richtet sich diese Lehre gegen eine 49 Vgl. hierzu insbes. m. w . N. Lerche, Rechtsgutachten, S. 16, 21 ff.; Dittrich, Pressekonzentration, S. 132 ff.; zuweilen w i r d hier die Drittwirkungsfrage ganz selbstverständlich n u r als Problem des Grundrechtsinhalts gesehen, vgl. Branahl / Hoffmann-Riem, Redaktionsstatute, S. 34. 50 Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 412. 51 Grundlegend hierzu die Lehre v o n der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung v o n Otto Mayer, Verwaltungsrecht I I , S. 118 ff. Vgl. i m ü b r i gen v o r allem Rupp, Grundfragen, S. 221 - 249; Ipsen, AöR 91 (1966), 86 (88ff.); Martens, Festschr. Schack, S.85 (91 ff.) — jeweils m . w . N . speziell zur Trennung v o n öffentlichem u n d p r i v a t e m baulichen Nachbarrecht Bartlsperger, V e r w A r c h 60 (1969), 35 (58 f.); ders., DVB1. 1971, 745 f. (im wesentlichen unter Beschränkung auf einfachgesetzliche Aspekte); eingehend m i t zahlr. Nachw. Breuer, Bodennutzung, S. 339 ff.; vgl. auch dens., S. 162 ff. m i t umfassendem Überblick über die Diskussion zur öffentlich- oder zivilrechtlichen Qualifikation baurechtlicher Rechtspositionen, i n der sich die grundsätzliche Fragestellung z u m Verhältnis Verfassungseigentum / Zivileigentum vielfält i g widerspiegelt. 52 Ipsen, AöR 91 (1966), 86 (91); auf einfachgesetzlicher Ebene zeigt sich dies besonders bei der Problematik des Verhältnisses des Begriffs der Ortsüblichkeit i. S. des § 906 I I B G B zu öffentlichrechtlichen Entscheidungen des Bau(planungs-)rechts, w o gerade die Anhänger eines auf der Idee des staatsgerichteten Eigentums aufbauenden eigenständigen öffentlichen Nachbarrechts eine Abhängigkeit der Bestimmung des Begriffs der Ortsüblichkeit v o m öffentlichen Bauplanungsrecht befürworten, vgl. v o r allem Bartlsperger, DVB1. 1971, 745 (746) m. w . N.
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Übertragung zivilrechtlicher Maßstäbe bei der Bestimmung des Eigentumsschutzes i n das öffentliche Recht, insbesondere gegen eine zivilrechtliche „Aufladung" der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie und damit gegen eine verfassungsrechtliche Verfestigung zivilrechtlich ausgeformter Eigentumspositionen 53 . Ihren treffenden Ausdruck findet diese entscheidende inhaltliche Tendenz der Lehre vom staatsgerichteten Verfassungseigentum i n der berühmten Formulierung Otto Mayers 54 von der „dem Eigentum allgemein und i m voraus anhängende^) Schwäche" gegenüber dem Staat. Demgegenüber neigt die wohl überwiegende Ansicht i n Rechtsprechung und Schrifttum dazu, den Begriff des privatrechtlichen Eigentums als wesentliche Grundlage auch des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs anzusehen. Danach schützt — m i t den Worten des Bundesverfassungsgerichts — „ A r t . 14 GG . . . das Rechtsinstitut des Eigentums, so wie es das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen A n schauungen geformt haben" 5 5 . Hiervon ausgehend w i r d insbesondere auch gefordert, zivilgesetzliche Entscheidungen über die Schutzgrenzen des Eigentums auch auf öffentlichrechtliche Konfliktslagen entsprechend anzuwenden und weiterhin zumindest zivilrechtliche Grundstrukturen des Eigentumsschutzes verfassungskräftig auch gegen Veränderungen durch den Gesetzgeber abzuschirmen 58 . Die spezifische Bedeutung der Lehre vom eigenständigen staatsgerichteten Verfassungseigentum für die vorliegend zu untersuchende Frage einer möglichen Privatrechtswirkung einer verfassungsrechtlichen Eigentumsopferentschädigungsnorm w i r d deutlich, vergegenwärtigt man sich das nicht ganz einfache Verhältnis der allgemeineren grundrechtlichen Drittwirkungslehren zur Lehre vom Verfassungseigentum. Bei beiden Problemkreisen geht es u m das Verhältnis von einfachem öffentlichen Recht, Verfassungsrecht und Zivilrecht zueinander, beim ersteren jedoch u m die Wirkung des Verfassungsrechts auf das Zivilrecht, beim zweiten u m die Wirkung des Zivilrechts auf das einfache öffentliche Recht und auf das Verfassungsrecht. Beide Problemkreise überschneiden sich i n der prinzipiellen Wertungsfrage da53 Rupp, Grundfragen, insbes. S. 232, 235; Martens, Festschr. Schack, S. 85 (93 f.); vgl. zum Ganzen auch Frantz, Verfassungseigentum, zusammenfassend S. 96 f. 54 Verwaltungsrecht I I , S. 118. 55 BVerfGE 1, 264 (LS 4 u n d S. 278), st. Rspr.; Nachweise bei SchmidtBleibtreu ί Klein, GG, A r t . 14 Rn. 3; vgl. i m übrigen bei den oben § 6 Fn. 51 angeführten Vertretern der Gegenmeinung sowie aus neuerer Zeit Papier, N J W 1974, 1797 (1799); Leisner, N J W 1975, 233 ff.; Aicher> Staatshaftung, S. 235 ff. 56 I n dieser Richtung w o h l a m weitesten gehend Leisner, N J W 1975, 233 ff. m. w. N.; ders,, Sozialbindung, insbes. S. 58 ff.
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1. Teil: Der Meinungsstand zur E i g e n t u m s a u f p f e r u n g i m Zivilrecht
nach, ob die Unterscheidung nach öffentlichem Hecht und Zivilrecht ein ausreichender Grund für inhaltlich unterschiedliche Regelungen ist. Konkret auf das Eigentum bezogen: ob der Eigentumsschutz von Verfassungswegen unterschiedlich ausgestaltet werden kann, je nachdem, ob es sich um öffentlichrechtliche oder zivilrechtliche Rechtsbeziehungen handelt. Sowohl die Lehre vom selbständigen Verfassungseigent u m als auch die von der Staatsrichtung der Grundrechte bejahen diese Frage grundsätzlich als Folge der gemeinsamen Idee einer prinzipiellen strukturellen Unterschiedlichkeit beider Rechtsbereiche, für die jeweils eigenständige, vom jeweils anderen Rechtsbereich unabhängige Wertentscheidungen gefordert werden. I n ihrem inhaltlichen Anliegen unterscheidet sich jedoch die Lehre vom öffentlichen Eigentum gegenüber der der Staatsgerichtetheit der Grundrechte. Während es den Gegnern einer grundrechtlichen D r i t t w i r k u n g — verkürzt formuliert — u m ein Weniger an Grundrechtsgeltung i m Zivilrecht geht, zielt jene Lehre auf ein Weniger an Z i v i l rechtsgeltung i m Verfassungsrecht und i m einfachen öffentlichen Recht, auf eine Schwächung des Eigentumsschutzes gegenüber öffentlichrechtlichen Beschränkungen. Die von Otto Mayer begründete Lehre ist deshalb richtigerweise nicht unmittelbar auf die Frage zu beziehen, ob der Schutz des A r t . 14 GG sich auf ausschließlich staatsgerichtetes Verfassungseigentum beschränkt, sondern auch das Eigentum i n seinen zivilrechtlichen Dimensionen erfaßt: Dies ist eine Frage der Privatrechtsw i r k u n g der Grundrechte, also des Aussagegehalts des Art. 14 GG für privatrechtliche Rechtsverhältnisse. Eine solche Privatrechtswirkung läßt sich i m Ansatz auch dann bejahen, wenn man öffentliches und privates Eigentum als je autonome unterschiedlich strukturierte Rechtsbeziehungen begreift 5 7 . Nur wenn der Begriff Verfassungseigentum bezogen w i r d auf die These der Eigenständigkeit des Verfassungseigentums gegenüber dem Zivilrecht i m Sinne mangelnder zivilrechtlicher Vorgeprägtheit des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs, bezeichnet er eine gegenüber der D r i t t w i r k u n g der Grundrechte eigenständige Fragestellung, die Gegenstand der auf Otto Mayer zurückgehenden Lehre von der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung ist. Diese Fragestellung hat für das Problem der Privatrechtswirkung einer verfassungsrechtlichen Eigentumsopferentschädigungsnorm — das ergibt sich aus den vorangegangenen Ausführungen — nur mittelbare Bedeutung, nämlich insofern, als gefragt wird, ob zivilrechtliche und öffentlichrechtliche Rechtsbeziehungen prinzipiell so unterschiedlich strukturiert sind, daß jeweils unterschiedliche Wertentscheidungen i n diesen Bereichen nicht i n Widerspruch geraten können zu einem δ7
So i. E. insbes. auch Rupp, AöR 101 (1976), 161 (168, 170 ff.).
§ 6 Zusammenfassung u n d eigene Fragestellung
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Gebot wertungsmäßiger Folgerichtigkeit einer als Einheit verstandenen Rechtsordnung. Diese Frage ist einmal bei der Untersuchung einer Privatrechtswirkung des A r t . 14 GG mitzuberücksichtigen, sie stellt sich aber auch selbständig, jedenfalls dann, wenn eine grundrechtliche Privatrechtswirkung abzulehnen wäre: Dann wäre nämlich gleichwohl zu prüfen, ob nicht doch auf einfachgesetzlicher Ebene für verschiedene Problembereiche i m öffentlichen Recht und i m Zivilrecht ein beide übergreifendes Prinzip einer Eigentumsopferentschädigung nach übereinstimmenden Wertentscheidungen verlangt. Noch deutlicher als die Diskussion einer grundrechtlichen D r i t t w i r kung liefern allgemeine Theorien zum Problemkreis Verfassungseigentum / Zivileigentum nicht unmittelbar verwertbare Argumente für die Frage nach einer — verfassungsrechtlich gebotenen — Allgemeinheit eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung, sondern lediglich überprüfungsbedürftige Hypothesen. Die zentrale Vorstellung, daß zivil- und öffentlichrechtliche Rechtsbeziehungen so unterschiedlich strukturiert seien, daß je voneinander unabhängige rechtliche Regelungen zu gelten hätten, ist eine Hypothese, die durch eine genauere Betrachtung und Bewertung der jeweiligen gesetzlichen Normen und deren Regelungsgegenständen zu begründen wäre.
Zweiter Teil
Das verfassungsrechtliche Gebot der Eigentumsopferentschädigung § 7 Einleitung A. Fragestellung und Gang der weiteren Untersuchung Aufgabe der folgenden Untersuchung des verfassungsrechtlichen Gebots der Eigentumsopferentschädigung ist es, die tragenden Elemente dieses Gebots inhaltlich zu bestimmen, um auf dieser Grundlage die Frage nach einer möglichen Privatrechtswirkung und deren Konsequenzen für die Dogmatik einer Eigentumsopferentschädigung i m Zi-^ vilrecht klären zu können. Hierfür wird, wie i m ersten Teil der Arbeit 1 , die Unterscheidung zwischen Haftungsgrund und Haftungszurechnung zugrunde gelegt, also zwischen der Frage danach, warum und unter welchen Voraussetzungen die Rechtsordnung die eine Partei des Anspruchsverhältnisses schützt (Haftungsgrund), und der Frage danach, warum und unter welchen Voraussetzungen die andere Partei m i t einer entsprechenden Ersatzbzw. Ausgleichspflicht belastet w i r d (Haftungszurechnung). Die Frage nach Haftungsgrund und Haftungszurechnung stellt sich allerdings für das verfassungsrechtliche Entschädigungsgebot i n etwas anderer Weise als i m Bereich des Zivilrechts: Die i m ersten Teil der Arbeit kritisch überprüften allgemeinen Formulierungen zur Beschreibung von Haftungsgrund und Haftungszurechnung bei Eigentumsaufopferungsansprüchen i m Zivilrecht haben den Charakter induktiv ermittelter allgemeiner Obersätze zur Darstellung und Begründung der tragenden Gemeinsamkeiten verschiedener gesetzlicher bzw. richterrechtlicher Einzeltatbestände 2 . Das Prinzip der Eigentumsaufopferung i m Zivilrecht ist somit nach der herrschenden Meinung, die die Geltung eines allgemeinen gesetzlich nicht geregelten Anspruchs wegen Eigentumsaufopferung ablehnt 3 , zu unterscheiden von den Einzeltatbeständen, i n denen der allgemeine Gedanke der Eigentumsopferentschädi1 8 5
Oben § 3 nach Fn. 5. Vgl. oben § 3 bei Fn. 1, 2. Vgl. oben § 5.
§7 Einleitung
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gung jeweils seine konkrete tatbeständliche Ausformung und Geltungsbegrenzung erfährt 4 . Gegenüber diesem, die bisherige zivilrechtliche Lehre zur Eigentumsaufopferung bestimmenden Verhältnis von Norm und induktiv ermitteltem allgemeinen Prinzip ist Inhalt und Geltungsbereich des verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots für Eigentumsopfer gekennzeichnet durch eine enge gegenseitige Verschmelzung von Norm und Prinzip. Bereits die §§ 74, 75 E i n l A L R sind zutreffend als Ausdruck der Neigung des dem A L R zugrunde liegenden Naturrechts „zur Formulierung allgemeiner Rechtsideen" bewertet worden 5 . Entsprechend hat auch das Gebot der Enteignungsentschädigung nach A r t . 14 I I I GG — i n seiner herrschenden weiten Interpretation — den Charakter eines allgemeinen Grundsatzes, eines zu allgemeinem Tatbestand und Rechtsfolge normativ gefestigten Prinzips 6 . Die durch die Auflösung des Enteignungsbegriffs zur „Eigentumsaufopferung" 7 bedingte generalklauselartige Weite des Enteignungstatbestands hat dazu geführt, daß die Rechtsanwendung auf diesem Gebiet — ähnlich wie auch sonst bei der Verfassungsinterpretation 8 — primär als Vorgang einer i m einzelnen gesetzlich nicht vorgeformten Konkretisierung allgemeiner Grundsätze und Prinzipien verstanden werden muß. I n diesem Zusammenhang hat das allgemeine Prinzip oder der Grundsatz der Entschädigung für Eigentumsopfer nicht wie i m Zivilrecht die Funktion eines aus konkreten gesetzlichen Regelungen induktiv ermittelten allgemeinen Obersatzes, sondern es bildet umgekehrt — wie die folgende Untersuchung bestätigen w i r d — die unmittelbare Basis für Deduktionen zur Bestimmung von Inhalt und Geltungsbereich des Entschädigungsgebots i m Einzelfall. Die herrschende Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebots ist als Richterrecht i n besonderem Maße durch ein Verfahren geprägt, bei dem der unmittelbare Rückgriff auf das „Wesen der Enteignung" und weiterhin auf Verfassungsprinzipien abstraktester A r t zur Legitimation der Normenkonkretisierung verwendet wird. Die Fragen nach dem Inhalt eines Prinzips der Eigentumsopferentschädigung i m Verfassungsrecht und die nach dem Inhalt des verfassungsgesetzlichen Gebots der Enteignungsentschädigung sind damit weitestgehend identisch geworden. Angesichts der tatsächlichen Funktion des allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Eigentumsopferentschädigung als Ablei4
Vgl. i n diesem Sinne insbes. Konzen, Aufopferung, S. 75 ff. m. w. N. Vgl. Janssen, Entschädigung, S. 23 m. w . N. — dort allerdings unzutreffend n u r auf § 75 E i n l A L R bezogen. 6 Z u r Begriffsbildung vgl. bei den oben § 3 Fn. 2 Genannten. 7 Vgl. dazu auch oben § 2 m i t Fn. 19. 8 Vgl. statt vieler Hesse, Grundzüge, § 2 I I I , S. 25 ff. 5
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2. Teil: Das Verfassungsgebot der Eigentumsopferentschädigung
tungs- und Legitimationsbasis für dessen konkretere richterrechtliche Ausprägungen geht es auch für die vorliegende Fragestellung nicht darum, etwa auf der Basis der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus einer systematischen Betrachtung der Vielzahl unterschiedlicher tatbestandlicher Abgrenzungen i n Einzelfällen induktiv auf die tatsächlichen tragenden Prinzipien dieser Enteignungsjudikatur rückzuschließen 9 . Vielmehr sind die Konturen des allgemeinen Entschädigungsgebots, so wie es i n der Praxis zur Begründung und Legitimierung von Einzelergebnissen herangezogen wird, kritisch zu betrachten. Dies geschieht zunächst i m Hinblick auf die das Entschädigungsgebot beherrschende Haftungszurechnung 10 — hier w i r d sich zeigen, daß dem Entschädigungsgebot ein spezifisches Zurechnungsprinzip, insbesondere das der Haftung des Begünstigten, nicht zugrunde liegt. Sodann sollen die Merkmale des Entschädigungsgebots betrachtet werden, die dessen Haftungsgrund konstituieren 1 1 . Anschließend ist die Stellung des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gebots der Eigentumsopferentschädigung i m Gesamtsystem des A r t . 14 GG neu zu bestimmen 12 , u m schließlich die Frage nach Ob und Wie einer Privatrechtswirkung dieses Gebots und nach dessen Bedeutung für die zivilrechtliche Dogmatik beantworten zu können 1 3 . B. Beschränkung des unmittelbaren Anwendungsbereichs des Gebots der Eigentumsopferentschädigung auf rechtmäßige Beeinträchtigungen Vor der Untersuchung von Haftungszurechnung und Haftungsgrund beim verfassungsrechtlichen Entschädigungsgebot für Eigentumsopfer ist ein Element der Enteignung bzw. des Eigentumsopfers genauer zu betrachten, das für beide Aspekte eines Entschädigungsanspruchs von zentraler Bedeutung ist: das Merkmal der Rechtmäßigkeit der Eigentumsaufopferung. Dieses Merkmal ist ursprünglicher Bestandteil des Kernbereichs des Aufopferungsgedankens gemäß seiner historischen Entwicklung; es ergibt sich aus der gegenwärtigen verfassungsgesetzlichen Regelung des A r t . 14 I I I GG sowie aus den §§ 74, 75 E i n l A L R und erfüllt wichtige Funktionen für die dogmatischen Strukturen dieses Entschädigungsprinzips. 9 Dies ist vor allem von entscheidender Bedeutung für die Berücksichtigung der Rechtsprechung zur Entschädigung bei rechtswidrigen enteignungsgleichen Eingriffen, vgl. dazu sogleich unten nach Fn. 13. 10 Unten §§ 8, 9. 11 U n t e n § 10. 12 Unten § 11. 13 Unten § 11 bei Fn. 122 ff., 183 ff., § 12.
§7 Einleitung
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I . Begründung aus Art. 14 I I I G G K e i n e dieser F e s t s t e l l u n g e n ist a l l e r d i n g s u n b e s t r i t t e n . D e n B e g r i f f d e r E n t e i g n u n g des A r t . 14 I I I G G unmittelbar n u r auf rechtmäßige E i g e n t u m s b e e i n t r ä c h t i g u n g e n z u beziehen, e n t s p r i c h t z w a r herrschend e r A n s i c h t 1 4 , i n d e r Rechtsprechung des B G H gerade d u r c h die L e i t entscheidungen z u r A u s d e h n u n g d e r E n t e i g n u n g s e n t s c h ä d i g u n g auch auf r e c h t s w i d r i g e enteignungsgleiche E i n g r i f f e d o k u m e n t i e r t 1 5 ; i n n e u e r e r Z e i t m e h r e n sich j e d o c h d i e S t i m m e n , n a c h d e n e n d e r B e g r i f f d e r E n t e i g n u n g des A r t . 14 I I I G G g l e i c h e r m a ß e n rechtmäßige w i e rechtsw i d r i g e B e e i n t r ä c h t i g u n g e n erfasse, d i e U n t e r s c h e i d u n g v o n (rechtmäßiger) E n t e i g n u n g g e g e n ü b e r d e m ( r e c h t s w i d r i g e n ) e n t e i g n u n g s g l e i chen E i n g r i f f v e r f e h l t s e i 1 6 . Diese K r i t i k h a t n u r scheinbar die L o g i k a u f i h r e r Seite, w e n n sie a r g u m e n t i e r t : A r t . 14 I I I 1 u n d 2 G G d e f i n i e r e d e n B e g r i f f d e r E n t e i g n u n g n i c h t , s o n d e r n setze i h n voraus, er f o r m u l i e r e n i c h t B e g r i f f s v o r aussetzungen, s o n d e r n Z u l ä s s i g k e i t s v o r a u s s e t z u n g e n d e r E n t e i g n u n g , d a r a u s f o l g e aber n o t w e n d i g , daß d e r B e g r i f f d e r entschädigungspflichtigen 17 E n t e i g n u n g u n a b h ä n g i g v o n seinen Z u l ä s s i g k e i t s v o r a u s setzungen, also r e c h t m ä ß i g k e i t s n e u t r a l , f o r m u l i e r t w e r d e n müsse. N i c h t 14 Vgl. dazu n u r — jeweils m. w. N. — Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 15, S. 136; Hesse, Grundzüge, § 12 I I I , S. 183 f.; Wolff ί Bachof, V e r w R I, § 60 I c, S. 528 f.; Forsthoff, V e r w R I, § 18.3, S. 353 ff.; Maunz, M / D / H , GG, A r t . 14 Rn. 71 ; Hamann / Lenz, GG, A r t . 14 A n m . 7. 15 B G H Z 6, 270 (280, 290 f.); 7, 296 ff.; 13, 395 ff.; 32, 208 ff. 16 So insbes. R. Schneider, V e r w A r c h 1967, 197 ff. (308); ähnlich ders., N J W 1968, 1320; Bauschke / Kloepfer, N J W 1971, 1233 (1234); zust. Kimminich, BK, A r t . 14 Rn. 120; Battis, N J W 1971, 1593, Fn. 6; ders., Erwerbsschutz, S. 75 bei Fn. 26 (widersprüchlich ist es jedoch, w e n n Battis, N J W 1971, 1593 bei Fn. 3, sich i n diesem Zusammenhang gleichzeitig zustimmend auf Wolff, V e r w R I, 4. A u f l . 1961, S. 378 — gemeint ist w o h l S. 372 —, beruft, da Wolff j a gerade die Enteignungsgleichheit bei rechtswidrigen Beeinträchtigungen verneint); vgl. ansatzweise bereits auch Lerche, JuS 1961, 237 (240 Fn. 27); i. E. ähnlich w i e hier i m folgenden dagegen H. Schulte, Dogmatik, S. 30 ff. 17 Z w a r spricht R. Schneider, V e r w A r c h 1967, 197 (308), nicht ausdrücklich von der entschädigungspflichtigen Enteignung. Daß dieses A t t r i b u t der E n t eignung f ü r i h n selbstverständliche Voraussetzung ist, ergibt sich jedoch eindeutig aus dem Zusammenhang seiner K r i t i k a m Enteignungsbegriff der h. M. (S. 307, 308) sowie insbesondere auch aus den späteren Ausführungen (S. 333, 335: „Der tiefere G r u n d dafür, daß die Enteignung entschädigt werden m u ß . . . " ) . Ebenso deutlich Bauschke / Kloepfer, N J W 1971, 1233 (1234 vor I I u n d unter I I a : „ . . . K e r n der Enteignung — der Entschädigungsanspruch — . . . " ) . Auch Lerche, JuS 1961, 237 (240), benutzt die dargestellte Argumentation zur Abstützung der These, daß Enteignungs- oder Aufopferungsentschädigung nicht an rechtmäßige Eingriffe „zurückzubinden" sei. U n k l a r insoweit Gronefeld, Finalitätsmerkmal, S. 42 Fn. 33, der sich einerseits den hier zitierten K r i t i k e r n des Begriffs der rechtmäßigen entschädigungspflichtigen E n t eignung anschließt, andererseits (S. 54, 55) aber i m H i n b l i c k auf die verfassungsrechtliche Rechtsfolge der Entschädigung zutreffend zwischen rechtmäßigen u n d rechtswidrigen Eingriffen unterscheidet — unter Hinweis auf den Sinn des Junktims.
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2. T e i l : Das Verfassungsgebot der Eigentumsopferentschädigung
erst die Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs erweist diese Folgerung als voreilig: Darauf, daß A r t . 14 I I I GG.gesetzliche Entschädigungsregelungen und Verfolgung des Allgemeinwohls zu Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Enteignung macht, folgt unmittelbar „logisch" lediglich, daß diese Merkmale nicht zum Begriff der Enteignung gehören, sondern eben zu dessen Zulässigkeitsvoraussetzungen 18 , und daß also eine Enteignung i m Sinne des A r t . 14 I I I GG auch dann vorliegen kann, wenn sie, gemessen an diesen Voraussetzungen, rechtswidrig ist. Hieraus folgt aber weder ohne weiteres notwendig, daß auch sonstige Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen nicht zum Begriff der Enteignung gehören könnten, noch folgt weiter, daß der Begriff der Enteignung unabhängig von den i n A r t . 14 I I I GG genannten oder anderen Zulässigkeitsmerkmalen formuliert werden könnte oder müßte, — denn möglicherweise ist ein besonderer Sinnzusammenhang zwischen dem Begriff und seinen Zulässigkeitsvoraussetzungen zu beachten. Vor allem ergibt sich aber nicht die entscheidende weitere Folgerung, daß die entschädigungspflichtige Enteignung notwendig rechtmäßigkeitsneutral zu definieren sei. Die Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs erweist vielmehr das Gegenteil, gerade die Junktim-Konstruktion zeigt Notwendigkeit und Funktion der Rechtmäßigkeit für Enteignung und Enteignungsentschädigung: Dadurch, Sozialbindung, S. 159, der die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (i. w . S.) als „besonders radikale F o r m " der von i h m abgelehnten „Abwägungslehren" bezeichnet; eingehend auch Harald Schneider, Güterabwägung, S. 202 ff. 34 Dafür aber insbes. Lerche, Übermaß, S. 181 ff.; besonders k l a r m . w . N . Suhr, Eigentumsinstitut, S. 27 f. unter Berufung namentlich auf Lorenz von Stein, Verwaltungslehre, V I I . Theil, S. 299 f.; neuerdings auch Battis , N J W 1976, 936 ff.; vgl. auch Salzwedel, Die V e r w a l t u n g 1972, 11 (23); sowie m i t speziellem Bezug auf § 95111 B G B Götz, Vergütungsanspruch, S. 127 ff.; vgl. auch allg. zur Maßgeblichkeit des Übermaßverbots f ü r die Frage der Zulässigkeit unentgeltlicher staatlicher Inanspruchnahme Privater namentlich Ipsen, AöR 90 (1965), 393 (433 ff.); ders., Europ. Gemeinschaftsrecht, S. 722, Fn. 16; Martens, V V D S t R L 30, 7 (19 bei Fn. 58); k r i t . Heinze, Verteilung, S. 99 f.; Ossenbühl, V V D S t R L 29, 137 (180 f.); vgl. auch Schlink (oben Fn. 32). 35 Vgl. oben § 10 Fn. 3, 4. 36 Vgl. oben § 10 bei Fn. 81 ff. 37 Eine solche — als selbstverständlich unterstellte — eingeschränkte Funktionsbestimmung des Üb ermaß Verbots k o m m t besonders deutlich bei Krumbiegel, Sonderopferbegriff, S. 61 ff., 148, zum Ausdruck. Vgl. auch Aicher, Staatshaftung, S. 194 ff. u n d entsprechend zum Verbot der Antastung des Wesensgehalts, S. 136, 197 ff. 38
So i. E. auch Battis, NJW 1976, 936 ff.
§ 11 Das Entschädigungsgebot i m System des A r t . 14 GG
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die Zulässigkeit der Wertbeeinträchtigung bezieht, wobei die Zulässigkeit, also auch die Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Z u m u t barkeit der Gegenstandsbeeinträchtigung, als gegeben vorausgesetzt ist. Gegen eine solche gesonderte Überprüfung von Wertbeeinträchtigungen anhand des Übermaßverbots läßt sich schließlich auch nicht einwenden, daß eine m i t einer Entschädigung verbundene Gegenstandsbeeinträchtigung letztlich immer „verhältnismäßiger" sei als eine entschädigungslose Beeinträchtigung, die Berücksichtigung der Wertbeeinträchtigung bei der Übermaßprüfung also zu untragbaren Ergebnissen führen müsse 39 . Hinter diesem Einwand, der richtigerweise w o h l so zu verstehen ist, daß eine entgeltliche Inanspruchnahme immer „schonender" wirke als eine unentgeltliche, verbirgt sich allerdings ein besonderes Problem einer Übermaßkontrolle von Wertbeeinträchtigungen: Stellt man bei dieser Prüfung allein auf den Zweck ab, der die Gegenstandsbeeinträchtigung als solche legitimiert, so dürfte die Zulässigkeit einer gleichzeitigen Wertbeeinträchtigung allerdings i m Zweifel regelmäßig bereits am Gebot der Erforderlichkeit, also am Gebot des schonendsten Eingriffs scheitern; der Zweck, dem die Inanspruchnahme des Eigentumsgegenstandes dient, w i r d regelmäßig nicht ohne weiteres zugleich auch dessen unentgeltliche Inanspruchnahme erforderlich machen. Stellt man dagegen weitergehend auf ein öffentliches Interesse an einer möglichst „billigen" Zweckverfolgung ab, so w i r d umgekehrt die Erf orderlichkeitsprüf ung leerlaufen : Jede Eigentums wertbeeinträchtigung kann dann zur Erreichung des angestrebten Zieles erforderlich sein 40 . Diese Alternative führt indes nicht die Übermaßprüfung von Wertbeeinträchtigungen insgesamt ad absurdum, sondern zwingt lediglich zur Entscheidung der Frage, ob und i n welchem Ausmaß ein öffentliches Interesse an einer „billigen" Zweckerreichung bei der Übermaßprüfung zu berücksichtigen ist, der umstrittenen Frage also, ob u n d wieweit „fiskalische" Interessen zugleich verfassungsrechtlich relevante „öffentliche" Interessen sind 4 1 . Bejaht man diese Frage generell, so läuft i n der Tat die Erforderlichkeitsprüfung von Wertbeeinträchtigungen notwendig leer, soweit fiskalische Interessen vom Gesetzgeber neben sonstigen Zwecken verfolgt werden. Verneint man sie dagegen 39 So aber Ossenbühl, V V D S t R L 29, 137 (181); ähnlich Heinze, Verteilung, S. 99 f. 40 Vgl. die entsprechenden Ausführungen bei Schlink, Abwägung, S. 93 u n d ähnlich S. 85; vgl. auch B G H N J W 1978, 2290 (2293). 41 Hierzu m . w . N . namentlich Martens, öffentlich, S. 199 ff., 188 m i t Fn. 97; Häberle, öffentliches Interesse, S. 512 ff.
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2. T e i l Das V e r f a s s g s g e o t der E i g e n t u m s p f e r e n t s c h i g u n g
generell, so läßt sich praktisch keine Wertbeeinträchtigung i m öffentlichen Interesse als erforderlich rechtfertigen. Letzteres, die generelle Ablehnung eines öffentlichen Interesses an möglichst kostenneutraler Zweckverfolgung, läßt sich indes jedenfalls für den Geltungsbereich des A r t . 141 und I I GG nicht vertreten. Die Sozialbindung des A r t . 14 I I GG, die j a nach herrschender Ansicht „wesensmäßig" entschädigungslos zulässig ist 4 2 , erfaßt das Eigentum i n allen seinen Funktionen, also insbesondere das Gegenstandsinteresse an freier Verfügung und Nutzung wie auch das Wertinteresse des Eigentümers. Anders ausgedrückt, die Eigentumsgarantie des A r t . 1411 GG schützt nicht jeden fiktiven Eigentumswert, der sich ergeben würde, wenn das Eigentum ohne Rücksicht auf das Wohl der Allgemeinheit i. S. d. A r t . 14 I I GG genutzt werden könnte, sondern nur einen mit dem Allgemeinwohl vereinbaren Eigentumswert. Die Frage kann hiernach nur lauten, i n welchem Ausmaß das Wertinteresse des Eigentümers gegenüber „fiskalischen" Allgemeinwohlinteressen i. S. d. A r t . 14 I I GG zurückstehen muß. Diese Frage berührt allerdings nicht die Erforderlichkeit, sondern die der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit einer „Sozialbindung" des eigentümerischen Wertinteresses und ist so mit den Problemen einer gegenseitigen Wertung und Gewichtung unterschiedlicher Zwecke und Mittel, also insbesondere dem Problem zulässiger (verfassungs-)gerichtlicher Gesetzeskontrolle durch „Abwägung" i m engeren Sinne befrachtet 43 . Diese Problematik ist jedoch kein Spezifikum der Übermaßprüfung von Wertbeeinträchtigungen, sondern folgt aus der ratio jeder Verhältnismäßigkeits- und Zumutbarkeitsprüfung gesetzlicher Rechtsbeeinträchtigungen und vermag deshalb auch nur Einwände gegen deren Zulässigkeit insgesamt, nicht aber speziell bezogen auf Wertbeeinträchtigungen zu begründen. 2. Bedeutung der Abwägungsstruktur für die Enteignungsrechtsprechung M i t Rücksicht darauf, daß jede allgemeine Abwägung zwischen öffentlichen und privaten Interessen zur Beurteilung der Entschädigungsbedürftigkeit von Eigentumsbeeinträchtigungen notwendig formal konstituiert w i r d durch Urteile über Geeignetheit, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit von Eigentumswertbeeinträchtigungen, könnte es zunächst so scheinen, als komme einer klaren und ausdrücklichen Konturierung solcher Interessenabwägungen m i t Hilfe der Elemente des Übermaßverbots, die die Abwägung des BVerfG i m Gegensatz zu der des B G H kennzeichnet, lediglich terminologische 42 43
Vgl. oben bei Fn. 3 ff. Dazu sogleich i m folgenden Text.
§ 11 Das Entschädigungsgebot i m System des A r t . 14 GG
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Bedeutung zu. Indes würde eine ausdrückliche Übernahme der die Verfassungsrechtsjudikatur beherrschenden Methode und Terminologie der Prüfung des Übermaßverbots i m Enteignungsrecht nicht nur eine sicher wünschenswerte terminologische Vereinheitlichung bedeuten, sondern wichtige Fortschritte für die Enteignungsrechtsprechung ermöglichen. Die Abgrenzung der entschädigungspflichtigen Enteignung könnte nämlich so klarer als ein Teilbereich richterlicher Konkretisierung verfassungsrechtlicher, namentlich grundrechtlicher Bindungen des Gesetzgebers i n Beziehung zur allgemeinen Grundrechts]udikatur gesetzt und i n diesem Kontext auf ihre Legitimation überprüft werden. Dies ist vor allem von Bedeutung für die sowohl allgemein i n der Grundrechtsrechtsprechung als auch speziell i m Enteignungsrecht zentrale Frage funktionellrechtlicher Schranken richterlicher Verfassungskonkretisierung 4 4 . Die Übereinstimmung der formalen Struktur des Verfahrens der Übermaßkontrolle, das sowohl die allgemeine Grundrechtsjudikatur, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts, als auch spezieller die materielle Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung beherrscht, ermöglicht und fordert nämlich, auch die enteignungsrechtliche Problematik m i t umfassenderen grundrechtsdogmatischen Fragestellungen zu konfrontieren. Die Frage nach Legitimation und Grenzen richterlicher Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Gebots der Enteignungs- bzw. Eigentumsopferentschädigung ist zugleich die Frage nach Legitimation und Grenzen richterlicher Übermaßkontrolle des Gesetzgebers. Fehlt es für diese Frage gegenwärtig auch noch an allgemein akzeptierten Lösungen, an einer allgemeinen Dogmatik des verfassungsrechtlichen Übermaß Verbots, so liegen doch jedenfalls seit langem differenzierte Fragestellungen und Lösungsvorschläge vor 4 5 , wie insbesondere auch neuerdings i n den Ansätzen einer Interpretation der Grundrechte als „Argumentationslastregeln" und „ A b w ä gungsvorbehalte", wie sie von Schlink 46 i m Anschluß namentlich an Podlech 47 entwickelt worden sind. 44
Hierzu allgemein insbes. Hans-Peter Schneider, DÖV 1975, 443 ff.; Roel-
lecke, VVDStRL 34, 7 ff., insbes. 34 ff.; Starck, VVDStRL 34, 43 ff., insbes.
64 ff.; Jörn Ipsen, Richterrecht, insbes. S. 117 ff.; ders., NJW 1977, 2289 ff.;
speziell zur Verfassungsrechtsprechung z.B. auch Rupp-von Brünneck, AöR 102 (1977), I f f . , insbes. 12ff., 17ff.; Häberle, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. I f f . , insbes. S. 12 ff.; Achterberg, DÖV 1977, 649 ff. — jeweils m. zahlr. Nachw. 45 Grundlegend noch immer Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961. Z u m gegenwärtigen Meinungsstand vgl. z.B. Grabitz, Freiheit, S. 84ff.; Hans Schneider, Festg. Bundesverfassungsgericht I I , S. 390 ff. 46 Abwägung, insbes. S. 192 ff.; vgl. dazu auch oben Fn. 32; vgl. auch die grundlegende Untersuchung von Harald Schneider, Güterabwägung. 47 Gleichheitssatz, insbes. S. 85 ff.; vgl. dazu auch bereits oben § 10 bei Fn. 103.
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2. Teil: Das V e r f a s s g s g e o t der E i g e n t u m s p f e r e n t s c h i g u n g
Entsprechende Fragestellungen haben für den Bereich der zivil- und verwaltungsrechtlichen Enteignungsrechtsprechung bisher nicht ausreichend Beachtung gefunden 48 . Die Erkenntnis, daß auch das herrschende Abwägungsverfahren zur Bestimmung der entschädigungspflichtigen Enteignung als Übermaß-Rechtsprechung zu legitimieren und zu kontrollieren ist, könnte jedoch auch hier das Bewußtsein dafür schärfen, daß die Aufgabe des Richters — zumal der ordentlichen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit — nicht darin besteht, dem Gesetzgeber bestimmte Grundrechtskonkretisierungen verbindlich vorzuschreiben, sondern daß sich die richterliche Kontrolle darauf zu beschränken hat zu prüfen, ob der Gesetzgeber bei der i h m verfassungsrechtlich zugewiesenen Normierung i m Grundrechtsbereich die Grenzen des Übermaßverbots beachtet hat 4 9 . 3. Inhaltliche
Übereinstimmung
Wichtiger noch als die formale Übereinstimmung des Abwägungsverfahrens des BVerfG bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Eigentumswertbeeinträchtigung i m Regelungsbereich des A r t . 1412 GG mit der Abwägung des B G H (und der herrschenden Meinung) bei der A b grenzung der entschädigungslos zulässigen Sozialbindung ist für die vorliegende Fragestellung jedoch die weitergehende inhaltliche Übereinstimmung, nämlich die Orientierung der Abwägungen jeweils an A r t . 14 11 und I I GG. Folgt man dem BVerfG, das seine Abwägung zur Grundlage eines unmittelbar den Geltungsbereich des A r t . 141 GG beherrschenden Entschädigungsgebots macht, so hätte konsequenterweise entsprechendes auch für die Abwägung des B G H zu gelten. Das verfassungsrechtliche Gebot der Eigentumsopferentschädigung ergäbe sich dann i m gesamten Geltungsbereich des A r t . 14 GG als Folge eines Abwägungsvorbehalts für zulässige Eigentumswertbeeinträchtigungen nicht erst aus A r t . 14 I I I GG, sondern unmittelbar bereits aus A r t . 14 I GG. Diese Annahme steht jedoch ersichtlich i m Widerspruch zu den herkömmlichen Vorstellungen zur allgemeinen Systematik des A r t . 14 GG und zur Einordnung des Begriffs der entschädigungspflichtigen Enteignung 48 Dies erklärt Äußerungen w i e die von Schmidt-Aßmann, DVB1. 1976, 170, wonach sich „ m i t der endgültigen H i n w e n d u n g zur Schweretheorie . . . eine Kompetenzverschiebung zwischen Gesetzgeber u n d Richter zu Lasten des ersteren" vollziehe, da die Sonderopferlehre " i m K r i t e r i u m der A l l g e meinheit" eine „Distanz zu gesetzgeberischen Grenzbestimmungen" wahre, „die die Schwerelehre m i t i h r e m direkten richterlichen Wägen u n d Werten nicht mehr kennt". 49 I n diesem Sinne namentlich auch Sendler, D Ö V 1971, 16 (18); ders., D Ö V 1974, 73 (81).
§ 11 Das Entschädigungsgebot i m System des A r t . 14 GG
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i n dieses System und würde deshalb eine grundsätzliche Neuformulierung des Gesamtsystems des A r t . 14 GG erforderlich machen. Wie bereits i m Zusammenhang der Erörterung des Enteignungsbegriffs des B G H angedeutet 50 , ergibt sich die Geltung eines allgemeinen Entschädigungsgebots i m Gesamtbereich des A r t . 14 GG nicht allein als Konsequenz der Konstruktion einer entschädigungspflichtigen Sozialbindung durch das BVerfG, vielmehr bedeutet die K o n struktion des BVerfG ihrerseits i m Ergebnis nichts anderes als ein folgerichtiges Weiterdenken des herrschenden, insbesondere i n der Hechtsprechung des B G H entwickelten Verfahrens zur Bestimmung der entschädigungspflichtigen Enteignung: Obwohl die Abwägungsformel des B G H nach ihrem Selbstverständnis eine Methode zur Konkretisierung des Begriffs der Enteignung i. S. d. A r t . 14 I I I GG darstellt, ist die Lösung des Entschädigungsgebots vom Geltungsbereich des A r t . 14 I I I GG, entsprechend die Lösung der Vorstellung des Eigentumsopfers vom Tatbestandsmerkmal der Enteignung, bereits i m methodischen Ansatz der Abwägung angelegt. Während nämlich aus A r t . 14 I I I GG unmittelbar nur folgt, daß eine Eigentumsbeeinträchtigung entschädigungspflichtig ist, w e i l und soweit sie eine Enteignung darstellt, nennt der B G H umgekehrt eine Maßnahme Enteignung, w e i l u n d soweit sie entschädigungspflichtig ist: Kennzeichen des weiten materiellen Enteignungsbegriffs i m Sinne eines Eigentumsopfers ist die durch den Gleichheitsverstoß bedingte Ausgleichsbedürftigkeit der Eigentumsbelastung 51 . Diese Umkehrung bedeutet einerseits eine rechtsfolgenbezogene, teleologische Interpretation des A r t . 14 I I I GG; die angeordnete Rechtsfolge Entschädigung w i r d zur Sinnermittlung des Begriffs der Enteignung herangezogen. Hiermit ist jedoch lediglich ein Teilaspekt des methodischen Interpretationsansatzes des B G H erfaßt. Die Umkehrung des Satzes „Entschädigungspflicht w e i l Enteignung" i n „Enteignung w e i l Entschädigungspflicht" führt über den Rückgriff auf die ratio legis zur Interpretation des A r t . 14 I I I GG hinaus. Der Charakter des als ratio legis des A r t . 14 I I I GG verwendeten A r t . 3 i. V. m. A r t . 141, I I GG als unmittelbar bindende Verfassungsnorm hat nämlich eine Auswechslung der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Entschädigungspflicht bewirkt: Diese ergibt sich nach der Konstruktion des B G H nicht aus einer spezifischen Aussage des A r t . 14 I I I GG, sondern unmittelbar aus dem Gleichheitssatz. Die Anordnung der Entschädigungspflicht i n A r t . 14 I I I GG vollzieht gleichsam nur, was bereits der allgemeine Gleichheitssatz ver50
Oben § 10 vor Fn. 104. Vgl. dazu auch Podlech, V V D S t R L 10, 74 (87). 51
Gleichheitssatz, S. 146, 147 m . w . N . ;
Ipsen >
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2. T e i l Das V e r f a s s g s g e o t der E i g e n t u m s p f e r e n t s c h i g u n g
l a n g t 6 2 : die Beseitigung eines gleichheitswidrigen Vermögensopfers. Auch die zur Konkretisierung des Gleichheitssatzes i m Rahmen der Interessenabwägung herangezogenen Aspekte weisen, wie gezeigt 53 , keinen spezifischen Bezug zu A r t . 14 I I I GG auf, sondern sind lediglich als eine Konkretisierung der Grenzen des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes nach A r t . 1411 GG und des Leitbildes vom sozialgebundenen Eigentum nach A r t . 14 I I GG interpretierbar. Betrachtet man m i t dem B G H das Entschädigungsgebot als Folge eines allgemeinen Verbots unzureichend begründeter Eigentumswertbeeinträchtigungen und ermittelt den Kreis zureichender Gründe i m Rahmen einer Konkretisierung des A r t . 141 und I I GG, so beherrscht konsequent der Anwendungsbereich dieser Vorschriften zugleich den des Entschädigungsgebots, der als formale Regel eingreift, soweit es an rechtfertigenden Gründen i. S. d. A r t . 141 und I I GG fehlt 5 4 . I I I . Die Bindung des Gesetzgebers an Gleichheitssatz und Übermaßverbot als Geltungsgrund des Gebots der Eigentumsopferentschädigung im Bereich des Art. 14 I 2 G G
Von dem Verfahren des BGH, nach dem die Rechtsfolge Entschädigungspflicht verbal zwar (auch) aus A r t . 14 I I I GG abgeleitet wird, der Sache nach aber als Konsequenz des allgemeinen Gleichheitssatzes i. V. m. A r t . 141, I I GG legitimiert wird, zu einer unmittelbaren Zuordnung des Entschädigungsgebots zum Geltungsbereich des A r t . 141 GG entsprechend dem Verfahren des BVerfG ist es nur ein kleiner Schritt, dessen Berechtigung i m wesentlichen von zwei Voraussetzungen abhängt, die zugleich entscheidend die verfassungsrechtliche Legitimation des herrschenden Abwägungsverfahrens selbst betreffen: Erste Voraussetzung ist die Geltung der allgemeinen Grundsätze, die das Verfahren der Abwägung zur E r m i t t l u n g entschädigungspflichtiger Tatbestände bestimmen, also die Geltung des allgemeinen Gleichheitssatzes und der Grundsätze des Übermaßverbots auch i m Regelungsbereich des A r t . 1412 GG (1.). Zweitens ist erforderlich, daß der Gesetzgeber diese allgemeinen verfassungsrechtlichen Bindungen i m Bereich des A r t . 1412 GG nicht nur i m Hinblick auf die Bestandsgarantie, sondern auch und gesondert i m Hinblick auf die Wertgarantie des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes zu beachten hat und vor allem, daß er auch die Befugnis besitzt, Entschädigung als M i t t e l einzusetzen, diesen Bindungen gerecht zu werden (2.).
52 63 64
I n der Analyse ebenso Leisner, Sozialbindung, S. 139. Oben § 10 bei Fn. 35 ff. Vgl. bereits oben § 10 vor Fn. 104.
§11 Das Entschädigungsgebot i m System des A r t . 14 G G
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1. Gleichheitssatz und Übermaßverbot als verfassungsrechtliche Grenzen gesetzlicher Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums Daß der Gesetzgeber auch bei Regelungen gemäß A r t . 1412 GG, die Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmen, den allgemeinen Gleichheitssatz nach A r t . 3 I GG zu beachten hat, w i r d — unbeschadet der allgemeinen Problematik einer justiziablen Bindungswirkung des A r t . 3 I GG gegenüber dem Gesetzgeber 55 — soweit ersichtlich, nirgends bezweifelt 56 . Auch die Geltung der Grundsätze des Übermaßverbots i m Geltungsbereich des A r t . 1412 GG und deren gerichtliche Nachprüfbarkeit entspricht ganz herrschender Ansicht 5 7 , namentlich der ständigen Rechtsprechung des BVerfG 5 8 , sie ist jedoch nicht unbestritten geblieben. Insbesondere Lerche hat i n seiner grundlegenden Schrift zum verfassungsrechtlichen Übermaßverbot die Geltung dieses Verbots für den Bereich des A r t . 1412 GG generell ausgeschlossen59. I h m hat sich Breuer 6 0 mit der Einschränkung angeschlossen, daß zwar das Gebot der Verhältnismäßigkeit von Zwecken und M i t t e l n belastender Regelungen, nicht aber das der Erforderlichkeit bzw. des schonendsten Mittels zulässigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums Grenzen setze. 55 56 57
Vgl. dazu bei den oben § 10 Fn. 76, 77 Genannten. Dazu insbes. BVerfGE 34, 139 (146); 37, 132 (143). Vgl. n u r — jeweils m . w . N . — Hesse, Grundzüge, § 121111c, S. 183;
Kimminich, BK, Art. 14, Rn. 98; E.-W. Böckenförde, Gerechtigkeit in der I n dustriegesellschaft, S. 215 (216 f.); Badura, 49. DJT II, Τ 5 (T 18 f.); für die
generelle Geltung des Übermaßverbots auch Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 225 ff. m i t Fn. 506, obwohl i m übrigen nur f ü r eine beschränkte Bindung des Gesetzgebers an eine Garantie der typusprägenden Elemente des Eigentums; w. N. auch bei Breuer, Bodennutzung, S. 24. 58 Vgl. insbes. die grundlegenden Formulierungen i n BVerfGE 14, 263 (278): „Es ist jedoch selbstverständlich, daß jede gesetzliche Inhalts- u n d Schrankenbestimmung sowohl die grundlegende Wertentscheidung des Grundgesetzes zugunsten des Privateigentums i m herkömmlichen Sinne . . . zu beachten hat als auch m i t allen übrigen Verfassungsnormen i n Einklang stehen muß, also insbesondere dem Gleichheitssatz, dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit u n d den Prinzipien der Rechts- u n d Sozialstaatlichkeit"; hierauf bezugnehmend insbes. BVerfGE 18, 121 (132); 20, 351 (355 f.); 21, 73 (79, 82); 21, 150 (155); 25, 112 (117); 34, 139 (146); 37, 132 (140); EuGRZ 1979, 121 (134). Z u r Bindung an den Grundsatz des Übermaßverbots, den das BVerfG als Ausprägung (auch) des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips deutet (dazu z . B . Grabitz, Freiheit, S. 84 ff.; Leibholz ! Rinck, GG, A r t . 20, Rn. 27 m . w . N . ) , auch bereits BVerfGE 8, 71 (80); vgl. auch B G H Z 64, 30 (38 ff.); N J W 1978, 2290 (2292) — jeweils m. w. N. 59 Übermaß, S. 140 ff.; dazu schon oben § 9 bei Fn. 116 ff. Lerche folgend
Däubler,
Mitbestimmung, S. 262 f.; Witzel, Eigentumsgarantie, S. 21; vgl.
dazu auch m i t allgemeinerem Bezug Grabitz, Freiheit, S. 85 ff., 94 ff. 60 Bodennutzung, S. 33 ff.
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2. Teil: Das V e r f a s s g s g e o t der E i g e n t u m s p f e r e n t s c h i g u n g
Das w o h l nur scheinbar entscheidende Argument für eine generelle Ablehnung der Anwendbarkeit des Übermaßverbots i m Bereich des A r t . 1412 GG liefert eine hier bereits i n früherem Zusammenhang 61 erwähnte allgemeine Aussage Lerches zur Qualität des verfassungsrechtlichen Begriffs des Eigentums: Der Eigentumsbegriff des A r t . 1411 GG sei ein „Blankettbegriff", dessen „Innenfläche prägungsbedürftig bleibt" 6 2 , für die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit, deren Anwendbarkeit an die Vorstellung des „gesetzgeberischen Eindringens i n einen Rechtsbezirk" 63 gebunden sei, fehle es daher überhaupt an einer Ansatzfläche. Die Interpretation des Begriffs des Eigentums i. S. d. A r t . 1411 GG als ein gesetzlich unbeschränkt disponibles Blankett dürfte indes i n ihrer Allgemeinheit heute nicht mehr als diskutabel anzusehen sein 64 . Sicher stellt die Weite des Regelungsvorbehalts nach A r t . 1412 GG die gerichtliche Kontrolle der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers vor besondere Schwierigkeiten. Wortlaut und Sinn des A r t . 14 GG bieten jedoch keine Grundlage dafür, diesen Grundsatz — wie es m i t der Annahme eines Blanketts i m Ergebnis geschieht — i m Bereich des A r t . 14 GG gänzlich außer K r a f t zu setzen. Ob ein gesetzlich nicht ausgeformtes Eigentum überhaupt denkbar ist, mag als theoretische Frage 6 5 zu stellen sein, praktisch relevant ist allein das Problem der verfassungsrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers innerhalb einer bereits gesetzlich hochdifferenziert ausgestalteten Eigentums- und Sozialordnung. Hier ist primär zu fragen, wieweit bereits ausdifferenzierte Rechtspositionen auch verfassungsrechtlichen Schutz genießen, bzw., wo die verfassungsrechtlichen Grenzen gesetzgeberischer A k t i v i t ä t e n liegen, die unter dem Titel und m i t dem Ziel erfolgen, Inhalte des Eigentums (neu) zu bestimmen. Für eine Übermaßkontrolle des Gesetzgebers ergeben sich hier vor allem zwei unterschiedliche Ansatzpunkte: Z u m einen können eigentumsrechtliche Neugestaltungen zugleich zu einer nachteiligen Veränderung bisher schon gesetzlich begründeter Rechtspositionen führen. Die Anwendung des Übermaßverbots bedeutet dann, daß der Gesetzgeber verpflichtet wird, nicht nur bei der Neugestaltung inhaltlich die Grenzen verfassungsrechtlich legitimer Gestaltungsfreiheit zu wahren, sondern mögliche Minderungen bisher begründeter Rechtspositionen 61
Oben § 9 bei Fn. 118. Übermaß, S. 141. 63 Ebd., S. 22, 23. 64 Ausdrücklich ablehnend auch Däubler, Mitbestimmung, S. 264, der hieraus jedoch n u r die Notwendigkeit einer B i n d u n g des Gesetzgebers an die Garantie des Wesensgehalts des Eigentums durch A r t . 19 I I GG folgert. 85 Dazu m. w. Ν . ζ. B. Kimminich, B K , A r t . 14 Rn. 97. 62
§11 Das Entschädigungsgebot i m System des A r t . 14 G G
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i m Rahmen des Verhältnismäßigen und Erforderlichen zu halten, also die Regelungsbetroffenen nicht m i t „übermäßigen" Kosten von Reformen zu belasten 66 . Ausschlaggebend für die inhaltlichen Maßstäbe der Übermaßbindung sind dann vor allem Voraussetzungen und Grenzen eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes. Neben dem Schutz gegen „übermäßige" nachteilige Veränderungen vorhandener Rechtspositionen bieten sich zum anderen — jedenfalls i n einer bereits hochdifferenzierten Eigentums- und Sozialordnung — Anknüpfungspunkte für eine Übermaßkontrolle aber auch bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung eigentumsrechtlicher Regelungen ohne Rücksicht auf mögliche nachteilige Bestandsveränderungen durch Reformgesetze. Jedenfalls dann, wenn man — wie es i n der herrschenden Abwägungsformel zur Bestimmung der entschädigungspflichtigen Enteignung i m Ergebnis geschieht — das Übermaßverbot m i t dem Gleichheitssatz verbindet, lassen sich einzelne gesetzliche Regelungen, die einem Rechtsinhaber den Schutz spezifisch eigentumsrechtlicher Funktionen vorenthalten, wie sie unter vergleichbaren Umständen anderen Rechtsinhabern gewährt werden, als Eigentumsbeschränkungen begreifen, für die, sollen sie den Anforderungen des Gleichheitssatzes und des Übermaßverbots genügen, legitimierende Gründe anzuführen sind 6 7 . Die Funktion einfachgesetzlicher Regelungen als konstitutive Inhaltsbestimmungen des Eigentums ist m i t einer solchen Gleichheits- und Ubermaßkontrolle jedenfalls nicht prinzipiell i n Frage gestellt. Eine solche inhaltliche Übermaßbindung des Gesetzgebers w i r d natürlich i n dem Maße verstärkt, als A r t . 1411 GG, insbesondere i n seiner die Rechtsstellungsgarantie ergänzenden Funktion als Institutsgarantie des Eigentums 6 8 , dem Gesetzgeber verbindliche Grundstrukturen der 66 Dieser eigenständige Anknüpfungspunkt f ü r eine Übermaßkontrolle w i r d besonders deutlich ζ. B. i n BVerfGE 31, 275 (insbes. 289 ff.) herausgestellt, w o das B V e r f G bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 135 U r h G unterscheidet zwischen der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit zuk ü n f t i g e n neuen Rechts „ a n sich" u n d der Verfassungsmäßigkeit der Überleitungsvorschrift des § 135 U r h G i m H i n b l i c k darauf, daß sie einen E i n g r i f f i n bestehende, durch A r t . 14 1 1 GG gewährleistete „konkrete Rechtspositionen" enthalte, u n d f ü r „diesen E i n g r i f f i n bisherige Rechte legitimierende Gründe" fordert. Vgl. dazu auch bei den i n Fn. 24 Genannten. Allgemein zum Problem „Verfassungsrechtlich geschützte Besitzstände u n d ihre »Überleitung 4 i n neues Recht" namentlich Salzwedel, Die V e r w a l t u n g 1972, 11 ff., dazu auch unten bei Fn. 172 ff. 87 So ansatzweise auch die angeführte Entscheidung zu § 46 U r h G a. F., B V e r f G E 31, 229 (246); vgl. i. d. Zusammenhang auch die Ausführungen des Sondervotums i n B V e r f G D Ö V 1979, 129 (130 f.). 68 Hierzu aus dem umfangreichen Schrifttum ζ. B. Badura, 49. D J T I I , Τ 5 (Τ 13 ff.); Herzog, Ev. Staatslexikon, Stichw. „Eigentum", Sp. 514 (515); Rittstieg, Eigentum, S. 383 ff.; Papier, V V D S t R L 35, 55 (88 ff.) — jeweils m. w . N.; aus der Rspr. des B V e r f G insbes. BVerfGE 20, 351 (355); 24, 367 (389); 26, 206