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German Pages 486 Year 1997
CHRISTOF SCHILLER
Das Oberlandesgericht Karlsruhe im Dritten Reich
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 69
Das Oberlandesgericht Karlsruhe im Dritten Reich
Von
Christof Schiller
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schiller, Christof: Das Oberlandesgericht Karlsruhe im Dritten Reich / von Christof Schiller. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zur Rechtsgeschichte; H. 69) Zug!.: Heidelberg, Univ., Diss., 1995/96 ISBN 3-428-08791-7 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-08791-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§
FürKim
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1995/19% von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universitätin Heidelberg als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt an erster Stelle Herrn Prof. Dr. iur. Dr. h.c. Adolf Laufs, der das Unternehmen über Jahre hinweg mit großem Wohlwollen betreut hat, sowie Herrn PD Dr. K. - P. Schröder für die Erstattung des Zweitgutachtens. Ferner habe ich ganz besonders den Mitarbeitern des Generallandesarchivs in Karlsruhe zu danken, ohne deren Sachkunde die Aufarbeitung des umfangreichen Quellenmaterials nicht möglich gewesen wäre. Wenn ich hier Herrn Dr. Hochstuhl, Herrn Dr. Rehm, die Herren Müller und Herrn Hennhöfer namentlicherwähne, so nur deshalb, weil ich deren Geduld und Hilfsbereitschaft in ganz besonders hohem Maße in Anspruch genommen habe. Schließlich habe ich dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Karlsruhe, Herrn Dr. Heinz Jordan, zu danken, der mir die Einsicht in die Zivilurteile des Oberlandesgerichts aus den Jahren 1933 bis 1945 ermöglichte, wodurch eine umfassende Darstellung des Themas erst gewährleistet wurde. Dank schulde ich auch Herrn Dr. Bornkamm vom Oberlandesgericht Karlsruhe für die erwiesene Förderung der Arbeit. Für das sorgfaI tige und geduldige Korrekturlesen habe ich meinen Kollegen, den Herren Martin Bender und Peter Stankewitsch, zu danken. Sasbachwalden, im Juli 19%
Christo! Schiller
Inhaltsverzeichnis Einführung ................................................................................... 15
Kapitell Die letzten Jahre der Weimarer Republik
17
A. Baden in den letzten Jahren der Weimarer Republik................................. 17 B.OLG und badische Justiz in der Endphase der Weimarer Republik................
20
Kapitel 2 1933-1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
31
A. Übernahme der Regierung und Ausschaltung des Landtags ......................... 31 B. Die neuen Machthaber und die Justiz, personelle "Säuberung" .................... 35 C. Einflußnahme auf Richter und Rechtsprechung..... .................. ....... ........ 49 D. Druck auf die Staatsdiener, Konflikte zwischen Partei und Staat.................. 53 E. Der beginnende Bedeutungsverlust der Justiz......................................... 63
F. Hierarchiekonflikte am Oberlandesgericht........................................... 71 G. Die Ambivalenz der Ermordung Röhms für die Stellung der Justiz ................ 74 H. Zusammenfassung.. ....... .......... .............. ......... ..... ..... .... .... ..... ... ..... 77
Kapitel 3 1935-1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
78
A. Verreichlichung der Justiz - Kompetenzverluste für das OLG Karlsruhe......... 78 B. Die endgültige Entlassung der jüdischen Richter und Staatsanwälte... .......... 91 C. Gericht und Partei nach der .. Verreichlichung"....................................... 98 D. Oberlandesgericht und Reichsjustizministerium ....................... .. ... ... ...... 113 E. Das Ende der Präsidentschaft Buzengeigers ........................................... 119
10
Inhalts verzeichni s Kapitel 4
1938-1939: Die ersten Jahre der Präsidentschaft Reinles
129
A. Der Oberlandesgerichts präsident Heinrich Reinle .................................. 129 B. Die Pressekampagne im .. Schwarzen Korps" und im .. StUrmer" ........... ........ 140 Kapitel 5
Die Kriegsjahre
156
A. Kriegsausbruch, Personalnot, Vereinfachung der Rechtspflege .................. 156 B. Neue Aufgaben im Elsaß ................................ .... .... .................. ....... 166 C. Die Deportation der badischen Juden .................................................. 170 D. Kriegseinwirkungen in Karlsruhe ...................................................... 174 Kapitel 6
Der endgültige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
179
A. Übergriffe auf die Justiz durch staatliche Stellen.... .... ......... ..... .... ..... .... 179 B. Übergriffe durch die Kreisleiter. ........................................................ 191 C. Die FUhrerrede vom 26. April 1942 .................................................... 199 D. Die Ernennung Thieracks, die Reformpläne Rothenbergers...... .... .. .... ...... 208 E. Die endgUltige Gleichschaltung der Justiz... ........................................ 213
F. Die endgUltige .. MachtUbernahme" durch die Kreisleiter.. .................. ...... 226 G. Zusammenfassung ........................................................................ 231 Kapitel 7
Die letzten Monate in Sinsheim
233
A. Umzug nach Sinsheim, EinfUhrung der Standgerichtsordnung...... ..... ........ 233 B. Die letzten Monate Reinles, letzte Konflikte mit der Partei ...................... 241
InhaItsverzeichni s
11
Kapitel 8 Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
249
A. Die Anwälte in den letzten Jahren der Weimarer Republik .................. .. .... 249 B. Die badischen AnwaItsvereine nach der "Machtergreifung" ...................... 252 C. Das Vorgehen gegen jUdische Anwälte ............................................... 256 D. Politisch verdächtige Anwälte, geändertes Prozeßklima .......................... 276 E. Die Anwaltschaft während des Krieges ................................................ 281 F. Vom Anwalt zum "FUrsprech" .............................. .. .......................... 287
G. Reinhold
Frank............................ ............................................... 292
H. Schluß.......... ... ......... .. ............... ........ ............ .... . ...... .. .. ............ 294 Kapitel 9 Personal und Personalpolitik
296
A. Quellenlage. ............................................................................... 296 B. Richterliches Personal und Personalpolitik ......................................... 296 Kapitel 10 Dr. Otto Levis
313
Kapitel 11 Die Rechtsprechung in Zivilsachen
322
A. Quellenlage und Untersuchungsgegenstand........ ... .. .... .. .. ... ... .. .. .......... 322 B. JUdische Parteien vor Gericht..................... .............. .................. ..... 323 1. Scheidungsurteile ...................................................................... 324 2. Sonstige Entscheidungen aus den ersten Jahren........ ...... ...... ...... ....... 335 3. Entscheidungen aus späteren Jahren, insbesondere im Zusammenhang mit der "Arisierung" ................................................................... 346 4. Zusammenfassung..... .......... ...................................................... 355 C. Entscheidungen Uber die GehaltsansprUche entlassener Beamter................ 357 D. Scheidungsurteile ......................................................................... 370 1. Scheidungsurteile vor Geltung des neuen Ehegesetzes .......................... 371
12
Inhaltsverzeichnis 2. Entscheidungen nach Erlaß des Ehegesetzes.. .. ............ ... ...... .. ... ... .... 380 3 .Zusammenfassung ..................................................................... 393
E. Sonstige Zivilentscheidungen.. ........... ......... ..... ..... ........ .......... ....... 393
1 . Parteifreundliche Entscheidung des 2. Senats ..... ................ ... .. .......... 394 2 . Nationalsozialistische Schlagworte gegen Gesetze und Verträge ...... ..... . 398 3.Gelenkte Zivilentscheidungen .................. ... .... .............. ....... ........ 410 F. Zusammenfassung.. .................... ..... .. .... .. .. ... ... .... .......... ... .... ........ 414 Kapitel 12 Die Urteile in Hoch- und Landesverratssachen
417
A. Quellenlage ........ . .. ........................................ . ......... .......... ...... ... 417
B. Das Oberlandesgericht als Revisions- und 8eschwerdegericht.. ... ...... ....... 418 C. Hoch- und Landesverratssachen .... ...... ..... .... ..................................... 419 Kapitel 13 Erbgesundheitsobergericht und Erbhofgericht
435
A. Erbgesundheitsobergericht. ... ........ ... ..... ......... .... ................... .. ....... 435 8. Erbhofgericht. ............... ... . ...... ... . .. ... ... .. . .......... ... ... ...... .. . .. . .. ...... . 446 Schluß ............. .. . .. ... . .. ....... ....... .... .... ... .. . ..... ... ... ........ .. .. ... .. ........ 451 Anhang 1: Verzeichnis der nach dem 9. November 1918 im Justizdienst tätig gewesenen höheren Beamten jüdischer Konfession oder Abstammung ,... .... .. ............... .. .. ... ..... ............. ...................... ......... 457 Anhang 2: Verzeichnis der deportierten und nicht deportierten Versorgungsempfänger ........................ .. ................................... .... .. .... 467 Anhang 3: Verzeichnis der Anwälte, die 1933 ihre Zulassung verloren.. .... .. ................. . .. . .... ............ .... .. .. .. . .. ...... .. .. ...... 469 Anhang 4: Verzeichnis der Anwälte, die 1938 ihre Zulassung verloren .. .......... .......... ................... ............... .... ............. 470 Literaturverzeichnis ..................... ................ ...... ...................... .. . .... . 472 Personenregister.. .. ... ........... .... . .. .... .. ...... . ... . ... .. .. .. .... . .. .... .. .. .. . .. .. .. .. .. 480 Sachregister. ..... .... .... ... . . . .. ...... . .... .. ......... .. ... ...... .. .......... . .... ... . .. .. ... 483
Abkürzungsverzeichnis aaO Abs. Abt. AG AGRat Anm. AV Az. BA BBG BGB BGH BNSDJ CdZ DAF DAV DBG DDP Dir. DJ DJZ DNVP DR DRiZ DVP G GBI. Gestapo gez. GLA GmbH GStA
am angegebenen Ort Absatz Abteilung Amtsgericht Amtsgerichtsrat Anmerkung Allgemeine VerfUgung Aktenzeichen Bundesarchiv Berufsbeamtengesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen Chef der Zivilverwaltung Deutsche Arbeitsfront Deutscher Anwaltsverein Deutsches Beamtengesetz Deutsche Demokratische Partei Direktor Deutsche Justiz Deutsche Juristenzeitung Deutschnationale Volkspartei Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung Deutsche Volkspartei Gesetz, Gericht Gesetzblatt Geheime Staatspolizei gezeichnet Generallandesarchi v Gesellschaft mit beschränkter Haftung Generalstaatsanwalt
GVBI. GVG HJ i.S. i. V. Jg. JuS NerwBI. JW JZ KG KJ
KPD KZ
I.G
LGDir LGR LGRat Mdl Min. MinDir. NS NSDAP NSFK NSKK NSRB NSV OAR ÖR
Gesetzes- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Hitlerjugend im Sinne in Vertretung Jahrgang Juristische Schulung Justizverwaltungsblatt Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kammergericht Kritische Justiz Kommunistische Partei Deutschlands Konzentrationslager Landgericht Landgerichtsdirektor Landgerichtsrat Minister(ium) des Innern Ministerium Ministerialdirektor Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistisches Aiegerkorps Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Oberamtsrichter Öffentliches Recht
14 OKH OKW OLG OLGPräs. OLGR, OLGRat OR, ORegR. ORegRat, ORR, ORRAt OStA Pg. Präs. RA RAD RBG ROB RdErI. RdSchr. Reg. RFiM RFSS RG RGBI. RGSt RJM RK
AbkUrzungsverzeichnis Oberkommando des Heeres Oberkommando der Wehrmacht Oberlandesgericht Oberlandes gerichts präsident Oberlandesgerichtsrat
RM RMBI. RMdI RRAK RSHA RStGB RStH RuPrJM RuPrMdI
Oberregierungsrat Oberstaatsanwalt Parteigenosse Präsident, Präsidium Rechtsanwalt Reichsarbeitsdienst Reichs bUrgergesetz Reichsbund der Deut sehen Beamten Runderlaß Rundschreiben Regierung Reichsfinanzministerium ReichsfUhrer SS Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Reichsjustizminister(ium) Reichskanzlei
RV RVK SA Schr. SD SenPräs. SPD SS StA StGB StPO Urt. VJZ VGH VO ZPO
Reichsmark Reichsministerial blatt Reichsminister des Innem Reichsrechtsanwaltskammer Reichssicherheitshauptamt Reichsstrafgesetzbuch Reichsstatthalter Reichs- und Preußischer(s) Justizminister(ium) Reichs- und Preußischer Minister des Innern RundverfUgung Reichsverteidigungskommissar Sturmabteilung der NSDAP Schreiben Sicherheitsdienst des ReichsfUhrers SS Senatspräsident Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel der NSDAP Staatsanwalt Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Urteil Vierteljahreshefte fUr Zei tgeschichte Volksgerichtshof Verordnung Zivilprozeßordnung
Einführung Die Literatur zum Thema "Justiz und Nationalsozialismus" ist kaum noch zu überblicken. Selten sind dennoch Darstellungen, die sich auf breites Quellenmaterial stützen. An erster Stelle ist hier sicher das Werk von Gruchmann zu nennen: "Justiz im Dritten Reich", in dem die Geschichte des Reichsjustizministeriums unter der Führung Gürtners eingehend behandelt wird. Was die Oberlandesgerichte anbelangt, so liegt eine Arbeit von Johe über das Oberlandesgericht Hamburg vor und eine Arbeit von Schütz über das Oberlandesgericht Bamberg. Mehrere Darstellungen gar befassen sich mit dem Oberlandesgericht Celle, so die Beiträge von Hamann, "Justizverwaltung und Personalwesen" , und Horneffer, "Die Rechtsprechung des Erbgesundheitsobergerichts bei dem Oberlandesgericht Celle". Beide sind in der Festschrift zum 275-jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Celle enthalten. Erforscht sind auch die Personalpolitik des Oberlandesgerichts Celle in der Arbeit von Kregel und die Zivilrechtsprechung in dem Werk von Schröder . Die vorliegende Arbeit möchte die Geschichte des Oberlandesgerichts Karlsruhe in der Zeit des Nationalsozialismus darstellen. Dabei geht es einmal um die Stellung des Gerichts zunächst unter badischer Justizverwaltung und nach der "Verreichlichung der Justiz" als Mittelbehörde der Reichsjustizverwaltung. Weiter wird die Rechtsprechung des Gerichts in Zivilsachen und in den politisch bedeutsamen Hochverratssachen untersucht, wobei aber der Schwerpunkt dem Tätigkeitsfeld des Gerichts entsprechend auf dem Zivilrecht liegt. Eine Einzelanalyse von Entscheidungen des Erbgesundheitsobergerichts und des Erbhofgerichts erfolgt dagegen nicht. Sie würde den Umfang der Arbeit sprengen. Ausgeklammertbleibt schließlich die Frage nach individueller Schuld von Beteiligten. Die Arbeit will weder anklagen noch entschuldigen. Ziel der Arbeit ist die Darstellung der Abläufe, wie sie aus dem Quellenmaterial ersichtlich sind. Für den Hauptteil der Arbeit, die Darstellung der Geschichte des Gerichts, wurden die Akten der Präsidialabteilung ausgewertet, die wohl im wesentli-
16
Einführung
chen vollständig überliefert und im Generallandesarchiv in Karlsruhe gesammelt sind. 1 Ergänzt wurden diese Bestände durch Akten der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe 2 und Akten der Gauleitung Badens, die von den amerikanischen Besatzungsbehörden beschlagnahmt, inzwischen aber an das Generallandesarchiv abgegeben wurden? Obwohl sicherlich einige Lücken vorhanden sind, so bot sich doch ein einigermaßen vollständiges Bild, das im folgenden wiedergegeben werden soll.
1 Die Akten sind im Bestand 240 enthalten, wobei der Großteil der Akten rur die Epoche des Dritten Reiches im Bestand 240, Zugang 1987, Nr. 53 Uberliefert ist. Der Verzeichner dieses Bestandes geht im Vorwort des Bestandsverzeichnisses davon aus, daß die Akten der Verwaltungsabteilung vorhanden, die der Präsidialabteilung dagegen verbrannt seien. Dem liegt wohl ein Irrtum zugrunde: die Verwaltungsabteilung wurde während des Krieges in ,,Präsidialabteilung" umbenannnt, die Abteilungen blieben aber identisch. FUr die Kapitel Uber Personal und Personalpolitik und die Entscheidungen in Zivil- und Strafsachen werden die Bestandshinweise jeweils am Kapitelanfang gegeben.
2
Bestand 309.
3
Bestand 465c.
Kapitell
Die letzten Jahre der Weimarer Republik A. Baden in den letzten Jahren der Weimarer Republik Der Verlust des ersten Weltkrieges mit seinen wirtschaftlichen Folgen hatte das Land Baden besonders schwer getroffen. Versorgungs- und Absatzmöglichkeiten, die mit dem nahegelegenen Elsaß-Lothringen bestanden hatten, waren jäh unterbrochen worden. Der Versuch, neue Absatzmärkte und Zulieferer im Reichsgebiet zu finden, erwies sich als schwierig, da Baden aufgrund der langen Transportwege zu diesen Märkten benachteiligt war. Baden befand sich in einer neuen, ungewohnten Grenzlandlage. 1 Während der Ruhrkrise im Jahre 1923 wurden auch weite Teile Badens, so insbesondere der Karlsruher Rheinhafen, durch französische Truppen besetzt, was eine zusätzliche Beeinträchtigung der Transportmöglichkeiten und eine Verunsicherung der Wirtschaftsunternehmen zur Folge hatte. Einige Firmen zogen denn auch ihre Unternehmensleitungen aus Baden zurück oder verlegten ihre Produktionsstandorte in das Kemgebiet des Reiches. 2 Trotz dieser ungünstigen wirtschaftlichen Voraussetzungen verfügte Baden bis kurz vor dem Ende der Weimarer Republik, im Gegensatz zu manchem anderen der Bundesstaaten, über relativ stabile politische Verhältnisse. Die Weimarer Koalition zwischen Zentrum und Sozialdemokraten war erst im November 1932 über der Frage des Abschlusses eines Konkordats zerbrochen.3
I
Schiljer in: Badische Geschichte S.174 - 176.
2
Schiljer in: Badische Geschichte S.I77 u. 180f.
3 Zum Bruch der Koalition, siehe Rehberger, S. 40 - 45. Das Konkordat kam dann noch buchstäblich in letzter Sekunde zu stande. Die Ratifikationsurkunden zwischen Landesregierung und Kurie wurden am 11.3.33 ausgetauscht, als der inzwischen er-
2 Schiller
18
Kap. 1: Die letzten lahre der Weimarer Republik
Das Zentrum regierte ab diesem Zeitpunkt bis zur Gleichschaltung des Landes Baden in einer Koalition mit der DVP und der Wrrtschaftspartei. 4 Diese relative politische Stabilität war sicher auch dadurch erreicht worden, daß die badische Regierung konsequent gegen den politischen Extremismus vorgegangen war.s Sie hatte sich 1932 vehement gegen die Aufbebung des Verbots von SA und SS eingesetzt und ein Uniformverbot gefordert. 6 Der Wille der badischen Regierung zur Verteidigung der Weimarer Reichsverfassung zeigte sich auch darin, daß man schon beim sogenannten ersten Preußenschlag am 20. Juli 19327 mit einer von dem Heidelberger Professor Dr. Anschütz als Sachbearbeiter formulierten und vom Land Baden beim Staatsgerichtshof eingereichten Klage versucht hatte, die Souveränität der Länder und damit auch Badens zu verteidigen. 8 Die fortschreitende politische Radikalisierung machte allerdings auch vor Baden nicht Halt, wie sich aus den Ergebnissen der Reichstagswahlen ergibt.
nannte Gauleiter Robert Wagner bereits amtierte und wenige Stunden bevor, wie er sich selbst ausdrUckte, "die Übernahme der gesamten Macht in Baden zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Lande" erfolgte. Robert Wagner berichtete Uber diesen Vorgang an das Innenministerium nach Berlin, siehe Schadt, S. .54. Siehe zu diesen Vorgängen auch Rehberger, S. 102 - 105; Ott, S. 186. 4 Rehberger, S.46. S
Rehberger, S. 18.
6
Rehberger, S. 19 - 31; OU, S. 185.
v. Papen hatte im Wege der Notverordnung als Reichskommissar die Macht in Preußen Ubernommen und die gewählte Minderheitsregierung Braun verdrängt. Hierzu Revermann, S. 58 - 65. 7
8
Rehberger, S.30 - 32, dort auch Abdruck des Feststellungsantrags.
19
A. Baden in den letzten Jahren der Weimarer Republik Ergebnisse der Reichstagswahlen in Baden seit 1924 in Prozent: 9 Juli
Nov.
März
1930
1932
1932
1933
32,8
29,9
27,8
25,4
25,4
19,9
22,S
17,9
13,6
13,0
11,9
9,3
7,0
9,7
2,2
2,3
1,5
63,7
62,3
57,S
44,9
43,1
38,8
Mai
Dez.
1924
1924
1928
Zentrum
34,6
34,S
SPD
15,2
DDP
7,8
57,6
(ab 30: DStP) zusammen
(Weimarer Koalition) NSDAP KPD
4,8
1,9
2,9
19,2
36,9
34,1
45,4
10.1
6,5
7,4
9,6
11,2
14,3
9,8
Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde die Lage für die Souveränität Badens immer bedrohlicher. Vor allem fürchtete man die Entsendung eines Reichskommissars. Bereits am 3. Februar 1933 war im "Führer" ein Artikel erschienen, in dem der badischen Regierung mangelnder Wille zum Einschreiten gegen "die Roten" vorgeworfen und offen mit der Ernennung eines Reichskommissars gedroht wurde. IONachdem bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 die NSDAP in Baden 45,5 % der Stimmen erlangt hatte (Reichsdurchschnitt43,9 %),11 wurde am 8. März vom Reichsinnenminister Frick ein Reichskommissar für Baden ernannt. Es war dies der Landtagsabgeordnete und Gauleiter der NSDAP Rohert Wagner. 12 Am 11. März 1933 trat dann das
9
Zahlen angeführt bei Schadt, S. 43 - 45.
"Der Führer" vom 3.2.33, S. 1. 11 Zahlen bei Rehberger, S.9O.
10
12 Rehberger, S. 97. Robert Wagner wurde am 13.10.1895 in Lindach geboren. Nach Teilnahme am Weltkrieg blieb er bis 1924 Reichswehroffizier. Wagner gehörte zu den ersten Anhängern Hitlers und nahm bereits am Hitlerputsch im Jahre 1923 teil. Ab 1925 war er Gauleiter der NSDAP in Baden, ab 1933 Reichstagsmitglied für den Wahlkreis Baden. Seit dem 8.8.40 war Wagner auch Chef der Zivilverwaltung (CdZ) im Elsaß. Wagner war
20
Kap. 1: Die letzten Jahre der Weimarer Republik
badische Kabinett zurück und leitete die Geschäfte nur noch kommissarisch. Das Kabinett hatte dabei die Hoffnung gehegt, es könne unter Beteiligung der NSDAP eine neue Regierung gebildet und vom Landtag bestätigt werden. Wagner hatte aber nicht die Absicht, die schon halb errungene Macht zu teilen. Er ließ dem Landtagspräsidenten mitteilen, daß er die Einberufung des Landtages vorerst nicht dulden werde. Am Vormittag des 12. März ernannte er eine kommissarische Regierung, untersagte der amtierenden jede Tätigkeit und besetzte unter Mithilfe von Polizei- und SA-Verbänden das badische Staatsministerium. 13
B. OLG und badische Justiz in der Endphase der Weimarer Republik Zum Zeitpunkt der nationalsozialisitischen Machtübernahme bestanden in Baden das Oberlandesgericht Karlsruhe,8 Landgerichte und 66 Amtsgerichte, ferner 4 Landesarbeitsgerichte und 18 Arbeitsgerichte, 3 Rheinschiffahrtsgerichte und 1 Obergericht. 14 Das Oberlandesgericht selbst war mit Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze im Jahre 1879 gegründet worden. 1 S Es hatte einen Vorläufer im Oberhofgericht, das seit 1803 bestanden hatte und zunächst in Bruchsal,seit 1810im Mannheimer Schloß untergebracht war. 1902 wurde das Oberlandesgericht in das Gebäude in der Hoffstraße 10 verlegt, das eigens für das Oberlandesgericht errichtet worden war .16 Das Oberlandesgericht verfügte über 20 Richter. Die vier Senate des Gerichts waren alle mit Zivilrecht befaßt,
für die Deportation der 6500 badischen und saarpfälzischen Juden verantwortlich. 1945 wurde Wagner verhaftet und von einem französischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt. Am 14.8.45 wurde er in Straßburg hingerichtet. Angaben zu Wagner bei Wistrich, S. 370. Zum System der Reichsstatthalter Diehl-Thie/e, S. 37 - 73, zu Baden, S. 46 f. 13 Beschreibung der Vorgänge bei Rehberger, S. 102 -105. 14 Zahlen aus der Rede des badischen Justizmnisters Wacker aus Anlaßder Überleitung der badischen Justiz auf das Reich. Die Zahlen hatten nach 1933 keine Änderung erfahren. Abdruck der Rede in der Zeitschrift "Der FUhrer" vom 9.1.35, S. 3, "Übergabe der badischen Justiz an das Reich". 1S
Henssler, S. 16 und 21.
16
Henssler, S. 38.
B. OLG und badische Justiz in der Endphase der Weimarer Republik
21
lediglich der dritte Senat bearbeitete etwa mit der Hälfte seiner Arbeitskraft auch Strafsachen. Es war oben festgestellt worden, daß man in Baden recht entschlossen gegen radikale politische Gruppierungen vorgegangen war. Bei diesem Kampf der demokratischen Regierungen um Selbstbehauptung spielte auch die Justiz eine entscheidende Rolle. So erging am 11. Juni 1930 von dem der SPD angehörenden Justizminister Remmele folgender Erlaß an die Staatsanwaltschaf ten: "In letzter Zeit haben sich Zusammenstöße zwischen Kampforganisationen radikaler politiSCher Parteien (... ) vermehrt. Das Staatsinteresse und der Schutz der Al1gemeinheit erfordern, daß gegen derartige Ausschreitungen energisch vorgegangen wird, und daß die Strafverfolgungsbehörden Strafverfahren dieser Art unverzüglich und zielbewußt durchführen. Die Staatsanwaltschaft hat derartige Ermittlungsverfahren tunlichst zu beschleunigen und bei Gericht auf die Anberaumung eines möglichst nahen Hauptverhandlungstermins hinzuwirken. Bei Gericht sind der Straftat angemessene Strafen, bei schweren Verfehlungen empfindliche Freiheitsstrafen zu beantragen; die erkannten Strafen sollen mit Entschiedenheit sofort nach Rechtskraft vol1streckt werden."
Erlasse dieser Are 7 an die Staatsanwaltschaften wurden vom Justizministeriom auch immer den Gerichten nachrichtlich übermittelt und am Oberlandes-
17 Am 7.8.30 folgte ein weiterer Erlaß (Nr. 52989) mit der Aufforderung, "energisch und unnachsichtig vorzugehen", am 14.8.30 erging die Weisung, bei Beschädigungen von Wahlplakaten öffentliche Klage zu erheben (Al1e GLA 240/598). In die gleiche Richtung weist ein Erlaß des badischen Justizministers vom 4.7.31 (GLA 240/286), indem folgender Hinweis an die Beamten erging: .. Mit der Pflicht des Beamten ist jede agitatorische oder sonstige politische Werbetätigkeit innerhalb der Diensträume unvereinbar (... ).Es muß deshalb erwartet werden, daß die Beamten jede Art solcher Tätigkeit unterlassen und zuwiderlaufenden Versuchen unterstellter Beamten alsbald nachdrücldich entgegentreten. (... ) Gegen Zuwiderhandlungen mUßte mit Dienstrafen eingeschritten werden." Diesem Erlaß folgte am 22.4.32 ein weiterer, diesmal des Staatsministeriums, abgedruckt im BadJMinBl., 22.Jahrgang, S. 51, der das Verbot der SA und der SS zum Gegenstand hatte. (GLA 240/286): .. Die badische Regierung begrüßt es, daß ihr seit Monaten wiederholt und nachdrücldich in Berlin vorgetragener Wunsch endlich erfül1t ist. Es geht nicht an, daß im
22
Kap. 1: Die letzten Jahre der Weimarer Republik
gericht vom Präsidenten bei den Richtern des Strafsenats zur Kenntnisnahme in Umlauf gesetzt. Sosehr man das entschlossene Einschreiten der demokratischen Regierung gegen den Extremismus lobend hervorheben muß, so war doch die Methode bedenklich. Mit der Bekanntgabe dieser Erlasse bei den Gerichten wurde eine Form der Einflußnahme eingeübt, die nach der Übernahme des Justizministeriums durch die Nationalsozialistenin verstärktem Maße ihre nahtlose Fortsetzung fand. Die Einschaltung der Justiz zur Verteidigung der Demokratie blieb nicht ohne Einfluß auf ihr Ansehen bei den Nationalsoziali sten. Die Weimarer Justiz hatte in aufsehenerregenden Verfahren nationalsozialistische Straftäter begünstigt und sah sich schon damals dem Vorwurf ausgesetzt, politisch einseitige Urteile zu fällen. I 8 Heute ist diese Einseitigkeit der Weimarer Rechtsprechung in politischen Delikten allgemein herrschende Ansiehe 9 Gleichwohl war das Ansehen der Justiz bei den badischen Nationalsozialisten keineswegs positiv.
Staat noch ein anderer Saat besteht. Die öffentliche Gewalt darf nur in der Hand der verfassungsmäßigen Regierung liegen. Es ist unerträglich, daß eine politische Partei eine militärisch organisierte Privatarmee besitzt, mit der sie ihre Umsturzbestrebungen durchzuführen versuchen kann. Der Staat hat das Recht, hier sogar die Pflicht zur Notwehr. Untätig zuzusehen, hieße für den Staat sich selbst aufgeben. (... ) Zahlreiche Beamte haben in der letzten Zeit ihre beschworene Treupflicht gegen den Staat gröblich verletzt. (... ) Die Regierung mahnt deshalb alle Beamten, den LegaJitätsbeteuerungen der nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei keinen Glauben mehr zu schenken." Der Erlaß enthielt ferner die Ankündigung dienstrafrechtlicher Konsequenzen fUr die Beamten, die sich in der NSDAP oder in der kommunistischen Partei weiter betätigen. Ein weiterer Erlaß des Staatsministeriums, der wiederum die politische Betätigung von Beamten zum Gegenstand hat, erging am 22.9.32, abgedruckt in BadJMinBl., 22. Jahrgang. S. 79 (GLA 240/286). 18 Siehe nur die Kempner zugeschriebene, unter dem Pseudonmym Procurator verfaßte Schrift: ,,Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich", Die Justiz, Band V, S. 678ff. 19 Siehe etwaAngermund, S. 32; Brut/ein, S. 4; Majer, Rechtssystem, S. 54f.; eingehendStaff, S. 13 - 40. Anderer Ansicht wohl nur Neusel, S.28 - 31; gegen ihn aber Jarper, S. 16 - 42.
B. OLG und badische Justiz in der Endphase der Weimarer Republik
23
Das Hauptpresseorgan der badischen Nationalsozialisten, die in Karlsruhe erscheinende Zeitschrift "Der Führer", kommentierte in dem untersuchten Zeitraum ab 1931 ausgiebig vor allem die auf strafrechtlichem Gebiet ergangenen Entscheidungen. Der Freispruch eines nationalsozialistischen Angeklagten wurde als Beweis für die Legalität "der Bewegung" ins Feld geführt, bot aber kaum Anlaß die Justiz besonders zu loben. Kam es dagegen zur Verurteilung eines Nationalsozialisten oder war ein Kommunist freigesprochen worden, so erging man sich in Vorwürfen gegen die, wie es in einem Artikel heißt, "gefesseltejustiz" 20 oder die "Rote Justiz" 21 Häufig war die Justiz auch Gegenstand politischer Karikaturen. 22 Gängig waren auch Vorwürfe gegen jüdische Richter und Staatsanwälte. Aufschlußreich für das Ansehen, das die Justiz bei den Nationalsozialisten und dabei insbesondere bei dem späteren Gauleiter Robert Wagner genoß, ist auch eine im "Führer" abgedruckte Rede Wagners zum Justizetat, die er 1930 vor dem badischen Landtag gehalten hatte. 23 Zunächst stellte Wagner fest, daß die Ursachen der politischen und wirtschaftlichen Not im Individualismus zu suchen seien, der seinen Ausdruck in der Demokratie und im Marxismusfinde. Auch das, wie Wagner es bezeichnete, "sogenannte deutsche Recht" sei Ausdruck dieser individualistischen Weltanschauung, die vom Nationalsozialismus aufs schärfste bekämpft werde. Die
20 "Der Führer" v. 10.6.31, S.4, Artikel: "Verweigerte Akteneinsicht für nationalsozialistische Verteidiger." 21 "Der Führer" v. 4.1.31, S.2, Artikel: "Rote Justiz", der sich allerdings nicht auf Vorgänge in Baden bezog. Siehe hierzu Krohne, S. 214ff. 22 Siehe Seite 24. Zum Verhältnis der NSDAP zur Justiz siehe auch Angermund, S. 40 - 44, insbesondere S. 41; Fieberg, S. 31 - 34. Zum Bild der Justiz in der von der NSDAP kontrollierten Tagespresse siehe die Untersuchung von Krohne, fUr die letzten Jahre der Weimarer Republik S. 167 - 248, zusammenfassend, S.284. Krohne geht von einem überwiegend negativen Bild der Justiz bei der NSDAP fUr die Jahre 1925 - 1930 aus, erst mit den Wahlerfolgen ab 1930 wurde neben Kritik auch zum teil Wohlwollen bekundet und die Justiz auch teilweise als Opfer politischer Machenschaften gesehen. 23 "Der Führer" v. 15.2.30, S. lOf.
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Der ,,Führer" vom 7. Juni 1930, S. 8. Nctho>\"'( .
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Der ,,Führer" vom 12. November 1930, S. 3.
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B. OLG und badische Justiz in der Endphase der Weimarer Republik
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Fehlentwicklung im deutschen Recht führte Wagner auch darauf zurück, daß zu viele Juden in der Rechtspflege tätig seien, was zwangsläufig zu einer Zerstörung deutscher Weltanschauung im Recht habe führen müssen. 24 Wagner diagnostiziert eine auf diese Ursachen zurückzuführende Vertrauenskrise in der Justiz. Schließlich warf Wagner den demokratischen Parteien vor, sie behandelten die str ~ nillig gewordenen Nationalsozialisten entgegen der von den Demokraten vertretenen humanistischen Weltanschauung als gemeine Verbrecher statt als politische Gefangene, wobei er sich hier auf seine eigenen Fnahrungen als Häftling in Freiburg berief. Die Diagnose Wagners über eine Vertrauenskrise in der Justiz war sicherlich so unzutreffend nicht. 2~ Die Wirren der Zeit waren auch an der Rechtspflege nicht spurlos vorübergegangen. Das badische Justizministerium hatte bereits 1928 ein Gutachten in Auftrag gegeben,26 um festzustellen, worin die Gründe für diese Krise zu suchen seien. Was die Strafjustiz angeht, so kann man sagen, daß die immer weiter zunehmende Polarisierung der politischen Verhältnisse und der Versuch, diese Konflikte auch mit Hilfe des Strafrechts zu lösen, die Gerichte in eine schwierige Lage brachten und dem Ansehen der Justiz abträg1ich waren. 27 Entscheidungen in derartigen Verfahren, wie sie auch immer ausfielen, wurden von weiten Teilen der Bevölkerung nicht mitgetragen und boten allemal Anlaß zu Justizschelte. Die Richter fanden sich zwischen den Fronten der sich immer weiter radikalisierenden politischen Gruppierungen. 28
24 Abgedruckt im "Führer" ist allem Anschein nach das Sitzungs protokoll , da auch sämtliche Zwischenrufe mit aufgeführt sind. Als Wagner sagte: "Uns trennen Unterschiede der Weltanschauung, die niemals zu überbrücken sind", wurde ihm aus dem Zentrum zugerufen: "Gott sei Dank !" In der Rede ist auch ein Antrag der Nationalsozialisten erwähnt, in dem um Feststellung gebeten wird, wieweit die "Verjudung" der Justiz fortgeschritten sei, wie die Rede überhaupt in großem Umfang antisemitische Ausfälle enthält. 2S Zur Krise der Justiz in der Endphase der Weimarer Zeit siehe Angermund, S. 20 31, der diese allerdings mehr dem nach seiner Ansicht antiquierten Selbstverständnis der Richterschaft zuschreibt als dem Druck der Verhältnisse; anders Weinkauf/. S. 25; Bästlein, S. 4.
26 Zu diesem von Dr. Levis erstatteten Gutachten siehe das Kapitel über Dr. Otto Levis. 27 Zu den Angriffen auf die Justiz auch Neusei, S. 1 - 18, siehe auch Bästlein, S. 4. 28 Genauso Krohne, S. 168.
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Kap. 1: Die letzten Jahre der Weimarer Republik
Bei dem Einsatz der Strafjustiz zur Stabilisierung der Republik stand das Oberlandesgericht wegen seiner ganz überwiegend zivilrechtlichen Ausrichtung sicherlich nicht im Brennpunkt des Interesses. 19 So war denn auch das Oberlandesgericht selbst dem "Führer" in der Zeit seit 1931 bis zum Januar 1933 nur einmal einen größeren Artikel wert. 30 Ein in Müllheim anberaumter Vortrags termin des Ministers Dr. Remmele, der den Beruf des Müllers erlernt hatte, war von den Nationalsozialisten gesprengt worden, indem das Lied ,,Das Wandern ist des Müllers Lust" abgesungen wurde. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Beleidigung, der sich der Minister als Nebenkläger anschloß. Weder das Amtsgericht Müllheim, das Landgericht Freiburg noch das Oberlandesgericht sahen in dem Absingen des Liedes eine Beleidigung, was dem "Führer" Gelegenheit bot, den Minister als humorlos zu verunglimpfen und ihm mimosenhafte Empfindlichkeit zu bescheinigen. Keinem der Gerichte wurde aber wegen dieser Entscheidung eine NSDAP-freundliche Gesinnung unterstellt, der Richterspruch wurde vielmehr als Selbstverständlichkeit hingenommen. Neben den politischen Wirren, die hauptsächlich die Strafjustiz betrafen, war es ein anderer Umstand, der gerade dem Oberlandesgericht schwer zu schaffen machte und der ebenfalls zu einer Minderung des Ansehens der Justiz beigetragen haben dürfte. Das Gericht hatte in den Jahren 1930 und 1931 mit einem bezogen auf die Zahl der richterlichen Kräfte immensen Geschäftsanfall in Zivilsachen zu kämpfen. 3 ! Waren im Jahre 1925 noch 1110 Fälle anhängig
29 Über die Tätigkeit der badischen Gerichte in politischen Strafsachen liegt ein Bericht des späteren Oberlandesgerichtsrats Dr. Heuß vor, in dem dieser etwa 20 politische Verfahren aus der Endphase der \\eimarer Zeit schildert (GLA 465c/16323). Der Bericht wurde vom NSRB erstellt und diente nicht zuletzt dazu, das Eintreten vor allem der frUhen Mitglieder des NSRB fUr "die Bewegung" zu dokumentierten. Der Bericht ist demzufolge stark tendenziös. FUr eine Einseitigkeit der Rechtsprechung bietet er keinen Anhaltspunkt, so wurde etwa ein Kommunist, der bei einer Auseinandersetzung mit Nationalsozialisten ein Tötungsdelikt begangen hatte, mit 18 Monaten bestraft, genau wie ein Nationalsozialist, den der gleiche Vorwurf bezUglieh eines kommunistischenOpfers traf (s. S. 5). Heuß verweist auch lediglich auf die Erfolge der nationalsozialistischen Anwälte, eine rechtslastige Rechtsprechung dokumentiert er nicht. Lediglieh dieses Verfahren, das bis zum Oberlandesgericht ging, konnte Heuß dafUr anfUhren, daß auch die Justiz gegen den "marxistischen Minister" gekämpft habe. 30
3!
"Der FUhrer" vom 17.11.31, S. 5. Das Oberlandesgericht verfUgte Uber vier Senate mit je runf Richtern.
B. OLG und badische Justiz in der Endphase der Weimarer Republik
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geworden. so waren es im Jahre 1930 1572. 32 Erst 1932 kam es infolge der Weltwirtschaftskrise zu einem starken Rückgang des Geschäftsanfalls. 1932 wurden 1079 Berufungen eingelegt. im Jahre 1933 sank die Zahl auf 879. Eine Erhöhung der Planstellenzahl von Richtern und Kanzleikräften oder eine bessere sächlicht; Ausstattung war wohl wegen der knappen Staatsfinanzen nicht möglich. 33 So stellten der Vorwurf allzulanger Verfahrensdauereinerseits und die jeweils mit ausführlicher Begründung versehenen Bitten um Zuweisung von Hilfsrichtern andererseits ein Dauerthema der Korrespondenz zwischen Justizministerium und Präsidium des Oberlandesgerichts dar. 34 Aber nicht nur das Justizministerium beklagte sich über die Verfahrensdauer. sondern auch die Anwaltschaft ergriff einen ungewöhnlichen Schritt. um die Verfahren abzukürzen. Am 31. März 1930 hatte sich der Vorsitzende der Anwaltskammer
32
Statistik der Tätigkeit des Gerichts (GLA 240/1166).
Siehe zu den Einsparungenin den Jahren 1931 und 1932J. Schmidt. JW 1932 und 1933, S. 9. 33
34 Am 3.12.31 etwa hatte der Präsident Buzengeiger dem Justizministerium mitgeteilt, daß ein Richter des vierten Zivilsenats 20 Berufungen zu bearbeiten habe. Die dauernde Belastung des vierten Senats sei zu hoch (GLA 240/78). Das Justizministerium wies dann zwar einen Hilfsrichter zu, merkte aber am 12.4.32 an: ..Im Ubrigen darf ich die bestimmte Erwartung aussprechen, daß die vorhandenen Rtickstände des vierten Zivilsenats spätestens bei Beginn der diesjährigen Gerichtsferien aufgearbeitet sind und daß neue RUckstände nicht mehr entstehen." Bereits im März des Jahres 1930 war es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem Vorsitzenden des vierten Senates Holzenthaler und dem des ersten Senates Dr. Levis gekommen. Holzenthaler glaubte sich durch die Geschäftsverteilung benachteiligt und wollte die Übertragung eines Teils der Geschäfte an den ersten Senat erreichen. Nach der Ablehnung dieses Gesuchs durch den Präsidenten am 9.4.30 erlitt Holzenthalereinen Schwindelanfall.(Vorgänge in 240/59). Er war dann wegen nervöser Depressionen dienstunfcihig bis zum 2.6.30, wie Uberhaupt der Krankenstand des Gerichts in jener Phase recht hoch war. Ärztliches Attest bezuglich Holzenthaler vom 31.3.30 (GLA 240/77 weitere Meldungen der Dienstunfähigkeit ebenda). Auch im Jahre 1928 war dem Oberlandesgericht schon bescheinigt worden, daß die Uberlange Verfahrensdauer dem Vertrauen in die badischen Justiz schweren Schaden zugefUgt habe. S. Schreiben vom 18.06.28 (GLA 240/77). Das Präsidium des Gerichts verwies demgegenUber in seiner Antwort vom 13.07.28 auf die Überlastung der Richter, was aber nur zu einer in äußerst scharfem Ton gehaltenen Replik des Justizministers (31.07.28) fUhrte, der bearbeitende Richter sei zu langsam, der Antrag auf Zuweisung eines Hilfsrichters zu spät gestellt worden.
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Kap. 1: Die letzten Jahre der Weimarer Republik
der beim Oberlandesgericht zugelassenen Anwälte an den Präsidenten des Gerichts gewandt und um die häufigere Abhaltung von Sitzungen gebeten, da die Prozesse zu lange Zeit in Anspruch nähmen und Tagesordnungen mit 20 bis 30 Fällen unhaltbare Zustände darstellten. Die Sache war der Anwaltschaft so wichtig, daß dem Antrag eine Aufstellung der Sitzungshäufigkeit von sämtlichen deutschen Oberlandesgerichten beigefügt war, die auf einer Umfrage bei den dortigen Anwaltskammern basierte.3s Die knappen Haushaltsmittel waren nicht nur ein Grund für eine oftmals überlange Verfahrensdauer, sondern zeigten sich auch in Mängeln der Räume und der Ausstattung, was das Erscheinungsbild der Justiz zusätzlich negativ beeinflußte. In einem 1930 erstatteten Bericht hatte der Oberlandesgerichtsprä sident Buzengeiger dem Justizministerium eindrücklich die Zustände am höchsten badischen Gericht geschildert. Die Einrichtung des Oberlandesgerichts biete ein zum Teil "klägliches Bild", da Einrichtungsgegenstände vorhanden seien, die bereits bei Bezug des Gebäudes im Jahre 1902 aus alten Beständen eingebracht worden waren. 36 Zur Ausstattung der Bücherei hatte Buzengeiger festgestellt: "Bedauerlich und kaum erträglich, daß gerade hier am meisten gespart werden mußte. Stete Unruhe in der Gesetzgebung, Schwierigkeiten und Wechselfalle der wirtschaftlichen Lage zwingen den Richter, sich durch neueste Literatur auf dem Laufenden zu halten."
Buzengeiger selbst hatte sein Amt am 1. Januar 1930 und damit in einer für die Justiz sicher schwierigen Zeit übernommen. Er war Nachfolger des am 18.September 1929 verstorbenen Präsidenten Dr. Ernst Bemauer?7 Buzengeiger, am 18. Februar 1872 in Gutach geboren, hatte das Gymnasium in Heidelberg besucht und in Heidelberg und Berlin studiert. Nach kurzer Verwendung im badischen Justizministerium war er im Jahre 1900 Amtsrichter in Karlsruhe geworden und 1914 zum Oberlandesgericht versetzt worden. Während des Krieges fand er als Militärrichter, später als Leiter der Rechtsabteilung beim Generalkommandodes XN. Armeekorps Verwendung. 1924 wurde Buzengei-
3S
(GLA 240/59).
Der Bericht vom 20.2.30 wurde erstattet, nachdem man Anfang des Jahres 1930 festgestellt hatte, daß der Etat des OLG um 650,- RM überschritten worden war, (GLA 240/84). Buzengeiger führte weiter an, daß wegen des erhöhten Geschäftsanfalls länger gearbeitet werden müsse, so daß Heiz- und Beleuchtungskosten stark angestiegen seien. 37 Präsident des OLG an Justizministerium vom 4.10.29 (Nr.1513) (GLA 240/77). 36
B. OLG und badische Justiz in der Endphase der Weimarer Republik
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ger zum Senatspräsidenten befördert und war seither, wie auch nach seiner Ernennung zum Oberlandesgerichtspräsidenten, Vorsitzender des dritten Zivilsenats und damit auch Vorsitzender des Strafsenats.38 War das Oberlandesgericht selbst auch nichtin weitem Umfang an der strafrechtlichen Aufarbeitung der politischen Wirren beteiligt, so waren die Richter doch als Teil der Justiz und von der immer weiter zunehmenden Radikalisierung betroffen, die von linker wie von rechter Seite gleichermaßen drohte. Am 29. Dezember 1932 warnte der Justizminister auch den Oberlandesgerichtspräsidenten davor, daß in nächster Zeit mit verstärkter Tätigkeit der Roten Hilfe Deutschlands zu rechnen sei. Unter dem Stichwort '"Kampf der Klassenjustiz" solle das Mittel der "Massenverteidigung" eingesetzt werden, worunter die Einflußnahme auf schwebende Verfahren zu verstehen sei. Als Mittel dienten Augblattverteilung, laufende besondere Prozeßberichterstattung durch die Presse, Delegationen, insbesondere auch von Frauen, an die Strafverfolgungsbehördenund Demonstrationen mit Sprechchören vor Gerichtsgebäuden. Auch bei dieser Warnung fehlte nicht der Versuch der Einflußnahme, denn der Justizminister wies darauf hin, daß jeder Freispruch, der beim Einsatz der "Massenverteidigung" erginge, agitatorisch ausgenützt wÜTde. 39 Als Indiz für die Verunsicherung der Richter mag gelten, daß neun der etwa 20 richterlichen Kräfte des Gerichts einen Waffenschein beantragten, nachdem Buzengeigerihnen am3. November 1932 mitgeteilt hatte, es bestehe die Möglichkeit, aus dienstlichen Gründen kostenlos einen solchen zu erhalten. In der Begründung zum Antrag vom ll.Januar 1933 schrieb Buzengeiger: 40 "Der Antrag erfolgt im Hinblick darauf, daß, wie allgemein bekannt, radikale Elemente unter der Bevölkerung gegen Mitglieder von Gerichten, sei es wegen eines ihnen ungünstigen Spruches, sei es wegen grundsätzlicher Einstellung gegen die Gerichte und ihre Tätigkeit schon tätlich geworden sind. Solchen Angriffen kann aber oftmals nur dadurch wirksam begegnet werden, daß der Angegriffene die Möglichkeit hat, dem Täter mit einer Waffe innerhalb und außerhalb des Gerichtsgebäudes entgegentreten zu können."
38 Die Angaben zu Buzengeigers beruflichem Werdegang entstammen einem Artikel im "Führer" vom 26.5.37, S.9. 39 (GLA 240/ffJ7). 40
Vorgänge bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1314).
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Kap. 1: Die letzten Jahre der Weimarer Republik
Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß der Justiz die politische Polari sierung schwer zusetzte. Sie war in die von Seiten der badischen Regierung unternommenen Bemühungen, die extremen politischen Kräfte niederzuhalten, einbezogen. Unabhängig davon, ob sie dieser Aufgabe immer gerecht wurde, sahen die badischen Nationalsozialisten die Justiz keinesfalls als Verbündete. Gleiches galt für linke Extremisten. Das Ansehen der Justiz war deshalb und wohl nicht zuletzt auch wegen der durch mangelnde personelle und sächliche Ausstattung bedingten Mängel gering. Das Wort von der Justizkrise machte die Runde.
Kapitel 2
1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre A. Übernahme der Regierung und Ausschaltung des Landtags Mit der Absetzung des badischen Staatsministeriums am 10. März 1933 hatte Wagner auch eine kommissarische Regierung ernannt. Er selbst übernahm zu seiner Funktion als kommissarischer Innenminister auch die des Staatspräsidenten. Der NSDAP-Fraktionsvorsitzende und stellvertretende Gauleiter Walter Köhler wurde zum kommissarischen Finanzminister ernannt. Der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Rechtsanwalt 10hannes Rupp übernahm als kommissarischer Minister das lustizministerium, der Hauptschriftleiterdes "Führer", Dr. Otto Wacker, erhielt die Stellung eines Kommissars für das Kultus- und Unterrichtsministerium. Ferner wurden der beauftrag te Personalreferentfür den gesamten badischen Polizei- und Sicherheitsdienst, der Polizeioberleutnant a.D. Pflaumer, zum Kommissar zur besonderen Verwendung ernannt sowie zu Hilfskommissaren je ein Vertreter der DNVP - Dr . Schmitthenner; M.d.L.- und des "Stahlhelm"- Hildebrand. I Am gleichen Tag erging ein Aufruf Wagners "An das badische Volk", der die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Baden rechtfertigen sol1te. 2 "Durch die Übernahme der Polizeigewalt am 9. und 10. März hatte sich zusehends eine Beruhigung der öffentlichen Meinung und der Massen des Volkes bemerkbar gemacht. Das wurde mit dem Augenblick anders, als die Regierung am 10. März, mittags, ihren RUcktritt erklärte. Die durch den Ausgang der Wahl vom 5. März heraufge-
I
Rehberger, S. 104.
2 Abgedruckt bei Rehberger, S.105 und "Karlsruher Zeitung - Badischer Staatsanzeiger" Nr . 60 vom 11.3.33, S.l.
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Kap. 2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
führten Spannungen traten dadurch in noch stärkere Erscheinung. Insbesondere ergaben sich gefährliche Meinungsverschiedenheiten zwischen örtlichen Polizeistellen und den Verbänden der nationalen Erhebung. Der in der Wahl vom 5. März zum Ausdruck gekommene Volkswille drohte sich über die Polizeigewalt hinweg in den Besitz der gesamten Macht zu setzen. Hinzu kam eine Menge unkontrollierbarer Gerüchte, die das Land durcheilten und die staatliche Ordnung noch mehr gefährden mußten. Ich habe mich daher veranlaßt gesehen, im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit des Landes die gesamte Regierungsgewalt in Baden auf Grund der mir von der Reichsregierung übertragenen Befugnisse zu übernehmen. (... )"
Mit der Wahl am 5.März hatte zwar eine radikale Partei auf Reichsebene große Stimmengewinne erzielt, es war aber in Baden weiterhin ein gewählter Landtag vorhanden, dessen Zusammensetzung zu ändern kein Anlaß bestand. Den Nationalsozialisten ging es nun darum, die Reichstagswahl als "Machtübernahme" zu inszenieren. Bereits am Morgen des 6. März, nachdem sich das Ergebnis der Reichstagswahl vom Tag zuvor abzuzeichnen begann, hatten die örtlichen Parteileitungen auf Weisung der Gauleitung Bürgermeister und Oberbürgermeister ersucht, die Hakenkreuzfahne auf kommunalen Gebäuden zu hissen. Um 9.30 Uhr war es einem SA-Trupp gelungen auf dem Turm des Karlsruher Schlosses eine Fahne aufzuziehen, womit erstmals auch ein staatliches Gebäude mit in die Aktion einbezogen worden war. Gerichtsgebäude waren zumindest nach Aktenlage nicht von der Beflaggungsaktion betroffen. 3 Das Oberlandesgericht war zwar von dieser ersten Beflaggungsaktion noch verschont geblieben. Am 13. März 1933 wurde jedoch dem neuenJustizminister Rupp seitens des Minsters des Innern mitgeteilt, daß erneut ein Flaggenerlaß des Regierungspräsidenten ergangen sei, wonach die Schwarz-Weiß-Rote Fahne und die Hakenkreuzfahne von Montag bis Mittwoch gemeinsam zu hissen seien. 4 Am 15. März ließ Rupp die lustizbehörden wissen, er unterstelle, daß dem Erlaß entsprechend verfahren wurde. Ob dies der Fall war, muß aber bezweifelt werden. Schwierigkeiten bereitete wohl hauptsächlich die Beschaffung der Flaggen. Rupp mußte seinem Erlaß nämlich den Hinweis hinzufügen: "soweit möglich ist zu versuchen, die erforderlichen Hakenkreuzfahnen bis zur endgültigen Regelung der Flaggenfrage in den örtlichen Organisationen der NSDAP zu beschaffen und die Rechnungen (... ) hierher vorzulegen." S
3
Zur Beflaggungsaktion Rehberger, S. 91ff.; Oft, S. 187.
Erlaß in "Karlsruher Zeitung-Badischer Staatsanzeiger" v. 13.3.33. S (Vorgänge in Gl.A 240/1987/531785). 4
A. Übernahme der Regierung und Ausschaltung des Landtags
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In der Folgezeit wurde dann von den neuen Machthabernjeder sich bietende Anlaß genutzt, durch das Aufziehen der Hakenkreuzfahne neben der SchwarzWeiß-Roten Fahne die neuen Machtverhältnisse im Staate jedermann vor Augen zu führen. 6 Ein Zwischenfall in Freiburg lieferte, ähnlich wie der Reichstagsbrand auf Reichsebene, den badischen Nationalsozialisten einen willkommenen Vorwand zum Einschreiten gegen SPD und KPD. Im Rahmen des Vorgehens gegen Funktionäre bei der Parteien waren zwei Kriminalbeamte am Abend des 16. März damit beauftragt worden, den SPD-Landtagsabgeordneten Daniel Nußbaum in Schutzhaft zu nehmen. Die Beamten läuteten um 4.15 Uhr morgens erfolglos an der Wohnungs türe und brachen diese dann schließlich auf. Nußbaum gab mehrere Schüsse auf die Eindringlinge ab und verletzte die beiden Kriminalbeamten tödlich. Später erwies sich, daß Nußbaum bei seiner Tat unzurechnungsfahiggewesen war. Bereits am 17. März befahl Wagner "mit aller brutalen Strenge" gegen Angehörige der SPD und KPD vorzugehen. Sämtliche dem Landtag angehörige Mitglieder beider Parteien sowie diejenigen, die in den neuen Reichstag gewählt worden waren, ferner alle Kommunisten, die auf den Reichstagswahlvorschlägen dieser Partei gestanden hatten, sollten verhaftet werden. Sozialdemokratische und kommunistische Zeitschriften und Verbände wurden verboten. 7 Die AfHire Nußbaum führte dann auch zum Rücktritt des kommissarischen Justizministers Rupp. Wagner hatte Rupp befohlen, unter allen Umständen ein Todesurteil zu erreichen, obwohl die Schuldunfahigkeit Nußbaums durch ein Gutachten erwiesen war. Als sich Rupp weigerte, einen Versuch der Einflußnahme zu unternehmen, befahl ihm Wagner kurzerhand, seinen Rücktritt einzureichen. Dem kam Rupp am 18. April 1933 nach. 8 In die Öffentlichkeit drangen diese Hintergründe nicht. "Der Führer" druckte lediglieh am 20.4.1933 auf S. 6 ein Dankschreiben Wagners an den "auf eigenen WInsch" aus dem Dienst scheidenden Justizminister Rupp und die Aufforderung Wagners an den Kommissar für das Kultus- und Unterrichtsministeriwn, Dr. Otto Wacker, die Geschäfte des J ustizministeriums mit zu übernehmen.
6 Siehe "Karlsruher Zeitung-Badischer Staatsanzeiger" No. 91 v. 19.4.33, Beflaggung am 20. April aus Anlaß von Hitlers Geburtstag und "Karlsruher ZeitungBadischer Staatsanzeiger" No. 96 v. 25.4.33, Beflaggung am 1.5.33 aus Anlaß des Feiertags der nationalen Arbeit, USW. 7
Zu den Vorgängen um die Affäre Nußbaum, siehe Rehberger, S. 122f.
8 Hierzu Rehberger, S. 123, der sich auf mUndliche AuskUnfte Rupps und Köhlers bezieht.
3 Schiller
34
Kap.2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
Am 26. April 1933 wurde dann von der Übernahme der Geschäfte durch Dr. Otto Wacker berichtet, der in einer Rede zu seinem neuen Amt Stellung nahm. 9 Wacker rechtfertigt darin die Zusammenlegung der Ministerien, die nicht deshalb erfolgt sei, weil "der neue Staat der Justiz geringere Bedeutung beimessen würde", sondern um dem nationalsozialistischen Grundsatz der Vereinheitlichung der Verwaltung Rechnung zu tragen. Nach Übernahme der Regierungsgewaltmußte das nächste Ziel der Nationalsozialisten die Ausschaltung des Landtags sein. Am 31. März 1933 war das "Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" ergangen,IO das in §§ 1 - 3 die Landesregierungen zum Erlaß von Gesetzen ermächtigte und in § 4 die Volksvertretungen der Länder auflöste, um sie nach dem Verhältnis der Reichstagswahl vom 5. März 1933 neu zu bilden. Am 7. April 1933 folgte dann das "Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Ländermit dem Reich",ll das in § 4 Mißtrauensbeschlüssedes Landtags gegen Mitgliedervon Landesregierungen ausschloß und in den §§ 1 - 3 mit dem Amt des Reichsstatthalters eine neue, gegenüber der Landesregierung dominierende Institution errichtete. Am Tag der konstituierenden Sitzung des badischen Landtages, dem 16. Mai 1933, setzten die Nationalsozialisten ein an Schändlichkeit und Niedertracht kaum zu überbietendes Schauspiel in Szene. Sieben sozialdemokratische Politiker und Publizisten, darunter auch der frühere Justiz- und Staatsminister Adam Remmele, der Reichstagsabgeordnete Rechtsanwalt Ludwig Marum und der Herausgeber des Volksfreunds, Sally Grünebaum, wurden in zwei offenen Polizei wagen durch Karlsruhe gefahren. Begleitet von Pfiffen und Buhrufen einer johlenden Menschenmenge und von Kapellen, die das Müllerlied spielten, was vor allem Remmele erneut demütigen sollte, wurden sie ins Konzentrationslager nach Kislau verschleppt. 1 2 Die einzige Sitzung des badischen Landtages von einiger politischer Bedeutung fand dann am 9. Juni 1933 statt. In dieser Sitzung wurde ein dem Vorbild des Reichsermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933 entsprechendes badisches Ermächtigungsgesetzmit den Stimmen der NSDAP, der Deutschnationa9 "DerFUhrer" vom 26.4.33, S. 3. Dort findet sich auch der Abdruck der von Wacker gehaltenen Rede.
10
RGBI. I S.153.
11
RGBI. I S.l73.
12
Siehe zu diesem Vorgang den zynischen Bericht im "FUhrer" vom 17. 5.33, S. 3.
B. Die neuen Machthaber und Justiz, personelle "Säuberung"
35
len sowie des Zentrums gegen die Stimmen der SPD-Abgeordneten verabschiedet. 13 Damit war das Schicksal des badischen Landtages endgültig besiegelt. Innerhalb von vier Wochen nach dieser Abstimmung waren alle politischen Parteien einschließlich ihrer Nebenorganisationen durch Selbstauflösung oder Verbot verschwunden, soweit dies nicht schon zuvor geschehen war.
B. Die neuen Machthaber und die Justiz, personelle "Säuberung" Mit der Übernahme der Regierungsgewaltdurch die Nazis und der Ausschaltung des Landtages war von den drei Staatsgewalten des demokratischen Systems nur noch die Justiz als Machtfaktorverblieben, der dem absoluten nationalsozialistischen Machtanspruch hätte gefahriich werden können. Wie sich der neue Justizminister Wacker die Rechtspflege im nationalsozialistischen Staat vorstellte, wird durch die bereits oben erwähnte Rede deutlich, die er anläßlich seiner Amtsübernahmeam 26. April 1933 gehalten hatte. Wacker erklärte sich zu seinen bisherigen Erfahrungenrnit der Justiz, eine Passage, die von Seiten der Richterschaft sicherlich nicht ohne Sorge zur Kenntnis genommenwurde. "Ich bin selbst nicht Jurist und bin mit der Justiz bisher nur passiv in der Rolle des Prozeßbeteiligten in BerUhrung gekommen. Es ist mit sehr wertvoll, denn das hat mir Einblicke in die Justiz vermittelt und ermöglicht, die gewöhnlich der Minister oder der Aufsichtsbeamte nicht zu haben pflegt. Ich sehe deshalb die Rechtspflege und vor allem ihre Handhabung nicht vom Standpunkt oder Blickpunkt des Richters oder Uberhaupt des ausUbenden Beamten, sondern ich habe sie bis jetzt gesehen, wie sie auf den StaatsbUrger, den Volksgenossen, wirkt, der die Dienste der Rechtspflege in Anspruch nimmt oder sonst von den Organen der Rechtspflege erfaßt wird."
Die Erfahrungen Wackers mit der Justiz rührten daher, daß er als Schriftleiter des "Führer" mehrmals wegen Beleidigung belangt und presserechtlich in Anspruch genommen worden war. 14 Wacker erklärte auch deutlich, welche Rolle der Rechtspflege seiner Auffassung nach im ,,oeuen Staate" zukam. 13 Zu diesen Vorgängen, insbesondere zudem vorausgegangenen Druck auf die Zentrumsabgeordneten und den sich anschließenden Verhandlungen zwischen Zentrum und NSDAPsiehe Rehberger, S.I28, 131 - 133; Du, S. 188f. 14 So war er durch Urteil des Schöffengerichts Karlsruhe vom 7.5.32 wegen öffentlicher Ubler Nachrede zu fUnf Monaten Gefängnis verurteilt worden. Siehe Kampfzeitbericht, S. 11 (GLA 465c/16323).
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Kap. 2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
"Auf dem Gebiet der Gerichtsbarkeit stehe ich grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß Uber den deutschen Volksgenossen nur der deutsche Richter deutsches Recht sprechen soll. Ich werde Sorge tragen, daß dieser Grundsatz in organischer Entwicklung verwirklicht wird.!n der bUrgerlichen Rechtspflege verfolge ich mit größter Aufmerksamkeit alle die Bestrebungen, die unserem deutschen Volke wieder ein deutsches Recht geben wollen. Der aus der nationalen Revolution geborene nationale Staat fußt auf der Scholle und dem aus dieser Scholle Herausgewachsenen; (... ). Die Strafrechtspflege soll das Mittel der im Staate organisierten Volksgemeinschaft sein, um sich gegen die Feinde ihres Bestandes zu schUtzen. Diesem Leitgedanken hat sich jede Theorie unterzuordnen. Was der Volksgemeinschaft schadet, was ihren VfJ:fall beschleunigen kann, was durch seinen Minderwert das Gesunde, Gute und Starke zu vergiften unternimmt, wird auch mit den Mitteln der Strafrechtspllege zu bekämpfen sein. Man wird sich daran gewöhnen mUssen, daß mit dem Ubertriebenen Individualismus, der in dem minderwertigsten Subjekt ein wertvolleres Objekt der FUrsorge sieht, als in dem wertvollsten Gute der Nation, aufgeräumt wird.( ... ). Ich verlange demgemäß von jedem, der als Strafrichter die heiligsten GUter der Nation zu schutzen berufen ist, daß er das Wohl des Staates zum Grundgedanken seines Richterspruches macht, denn nur die Volkgesamtheit hat ein absolutes Recht zu leben.( ... ) Meine Arbeit als verantwortlicher Minister der Justiz wird darauf gerichtet sein, daß diese Gedankengänge Gemeingut sowohl der Organe der Rechtspflege, wie andererseits auch aller Volksgenossen werden; dann wird, so hoffe ich, der starre Paragraph seine Macht und seine Schrecken verlieren und die bisher so vielfach festzustellende Entfremdung zwischen Volk und Recht aus dem Leben unseres Staates und Volkes verschwinden. Ich hoffe und erwarte von Ihnen, wie von allen mir unterstellten Beamten der badischen Justiz, daß Sie sich den Grundsatz, wonach Dienst am Recht Dienst am Volk bedeutet, voll und ganz zu eigen machen, wie ich Uberhaupt erwarte, daß die Beamtenschaft sich mit dem Ideengehalt des neuen nationalen und sozialen Volksstaates geistig auseinandersetzt und auf diesem Wege in ein inneres bejahendes Verhältnis zum neuen Staate kommt. Wer dies nicht kann, wolle die notwendigen Folgerungen ziehen. Allen Kräften aber, die bereit sind, am großen deutschen Aufbauwerk guten Willens mitzuarbeiten, will ich gerne die Hand reichen."
Sofort nach dem 11. März 1933. dem Tag der Übernahme der Macht durch Robert Wagner. war eine Vielzahl der staatlichen Stellen neu besetzt worden. Was die Justiz anbelangt. so wurde der Generalstaatsanwalt Hafner durch Emil Brettle ersetzt. Brettle leitete das Amt seit dem 13. März 1933 kommissarisch und wurde wohl am 27. April 1933 offiziell zum Ministerialrat im Justizministerium und zugleich mit Wirkung vom 1. August 1933 zum Generalstaatsan-
B. Die neuen Machthaber und Justiz, personelle "Säuberung"
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walt ernannt IS Bereits seit Anfang März 1933 hatten im ganzen Reichsgebiet Aktionen gegen Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte jüdischer Koufession oder jüdischer Abstammung und gegen ..marxistische" Juristen stattgefunden. Am 9. März hatten SA-Leute in Chemnitzdas örtliche Gerichtbesetzt, am Vormittag des 11. März waren eine Vielzahl uniformierter SA -Leute in das Gerichtsgebäude in Breslau eingedrungen und trieben alle Richter und Anwälte, die sie für jüdisch hielten, mit Gewalt und Drohungen aus dem Gebäude. Weitere derartige Aktionen erfolgten in Oels (Schlesien) am 18. März, in Gleiwitz am 24. März und in Görlitz am 29. März. 16 Karlsruhehatte keine derartigen Vorkommnisse erlebt. Am 28. März marschierte jedoch ein SA-Trupp vor dem Mannheimer Schloß auf, in dem das Amtsgericht bereits damals untergebracht war, und verlangte die Amtsenthebung des Richters Dr. Hugo Marx. 17 Auch in Konstanz waren am 31. März jüdische Anwälte am Betreten des Gerichtsgebäudes gehindert worden. 11 Parallel zu diesen Aktionen wurde unter dem Vorwand einer jüdischen Greuel- und Hetzpropaganda gegen das ,,neue Deutschland" für den 31. März zum ersten offiziell gebilligten Judenboykott in Baden aufgerufen. 19 Auch die Entlassung jüdischer Richter und Staatsanwälte
IS "Der Führer" v. 28.4.33, S. 3 und v. 19.6.37, S.5. Beide Artikel mit kurzem Lebenslauf Brettles. Siehe ferner Spruchkammerakte (GLA 465aJ51/69/452); Kaul, S. 6Of. Brettle war im Jahre 1877 in Schatthausen als Sohn eines Hauptlehrers geboren und hatte seine erste planmäßige Anstellung 1913 in Mannheim als Amtsrichter erhalten. Nach Teilnahme am \\eltkrieg, zuletzt als Batterieführer, wurde er 1918 zum Landrichter. 1920 zum Staatsanwal t, 1924 zum ersten Staatsanwalt in Mannheim ernannt. 1926 wurde er als Oberstaatsanwalt nach Waldshut versetzt und 1931 in gleicher Eigenschaft nach Mannheim. 1937 wurde Brettle Oberreichsanwalt. In die Partei war Brettle erst 1937 eingetreten. Er verstarb 1945 in einem amerikanischen Internierungslager 16 Siehe zu diesen Vorgängen, Göppinger, S.49 - 52; Angermund, S. 62f.; König, S. 36f. und 42f.; Krach, S. 172 - 184; zur Entlassung der jüdischen Richter in Heidelberg Vokckbecker, S. 424f. 17 Göppinger, S.52. 18 Bericht des Vorsitzenden des Konstanzer Anwaltsvereins vom 1.4.33 an den badischen Justizminister. (GLA 240/1987/53/399). 19 Siehe etwa Artikel im "Führer" vom 30.3.33, S.7: "Juda erklärt Deutschland den Krieg"; zum Boykott ebenfalls Rehberger, S.124f.; Grill, S.349; Vokckbecker, S. 427 429; zum Boykott in Preußen Krach, S. 188 - 190.
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Kap.2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
aus dem badischen Justizdienst wurde immer lautstarker gefordert. 20 Der von Parteiseite ausgeübte Druck von der Straße blieb auch in Baden nicht ohne Wirkung. Am Donnerstag, dem 30.März, konnte "Der Führer" auf Seite 1 euphorisch davon berichten, daß alle Juden aus der badischen Strafrechtspflege ausgeschaltet seien. 21 Demnach hatte Rupp "in Verfolg der Reinigung des deutschen Justizwesens von undeutschen Elementen" nach der Entlassung der jüdischen Staatsanwälte auch verfügt, daß "kein Jude mehr in Baden als Strafrichter amtieren darf." Weiterhin sei der marxistische Amtsgerichtsrat Hugo Marx entlassen worden. 22 Daß die "nationalsozialistische Revolution" in dieser Phase schwer zu kontrollieren war, beweist ein Absatz des Artikels, wo es heißt: "Bei dieser Gelegenheit weist der Justizminister darauf hin, daß er keine gesetzliehe Befugnis hat, in schwebende Verfahren einzugreifen oder Zwangsversteigerungen aufzuheben. Sämtliche Gesuche und Schreiben in dieser Richtung sind daher zwecklos."
Der Erlaß Rupps aber noch weiter gegangen und hatte sämtlichen Richter jüdischer Konfession oder Abstammung nahegelegt, sich beurlauben zu lassen. Denn am Freitag, den 31. März, berichtete Buzengeiger dem Justizminister: 23 "Ich lege als Ergebnis der von mir eingeleiteten Befragungen die Urlaubs gesuche der Herren Senatspräsident Dr. Levis, Oberlandesgerichtsrat Traumann und Dr. Kullmann vor. Aufgrund der mir erteilten Ermächtigung habe ich den genannten Herren die sofort wirksame Zustimmung erteilt, sich vom Dienst femzuhalten, vorbehaltlich der endgUltigen Entscheidung des Herrn Ministers. Die Herren tun bis auf weiteres keinen Dienst mehr."
20 Siehe "Der FUhrer" vom 30.3.33, S.7: "Säuberung der verjudeten Rechtspflege". In diesem Artikel wurden die Forderungen des Bundes nationalsozialistischer deutscher Juristen abgedruckt, wonach alle jüdischen Richter und Beamten zu entlassen seien. Sämtliche Zulassungen jüdischer Juristen zu juristischen Berufen sollten zurUckgenommen, die Anwaltskammern aufgelöst und diese Gremien neu besetzt werden. Ausnahmen seien nur fUr Frontkämpfer zuzulassen. 21
"Der FUhrer" v. 30.3.33, S.l.
Dr. Hugo Marx war es am 28.3.33 gelungen, in die Schweiz zu fliehen. Dabei war ihm der Ministerialdirektor im badischen Justizministerium Dr. H. W. Schmidt behilflieh. Siehe Göppinger, S.52 und 302. 23 (GLA 240/78). 22
B. Die neuen Machthaber und Justiz, personelle "Säuberung"
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Die Maßnahmen betrafen nicht nur die oben genannten Richter, sondern auch Oberlandesgerichtsrat Dr. Jordan, der aufgrund einer Unterredung mit dem OberlandesgerichtspräsidentenDr. Buzengeigeram 7. April ebenfalls ein Urlaubsgesuch einreichte. 24 Noch am gleichen Tag wurde dem Justizminister erneut von Buzengeiger berichtet, diesmal über das Ergebnis einer von Buzengeiger eilig für den gleiehen Tag um 12.00 Uhr einberufenen Präsidiumssitzung. 25 Sicherlich war man durch die von den Nationalsozialisten inszenierten Tumulte gegen die Justiz tief beunruhigt, die ja nicht nur die Justiz als ganzes betrafen, sondern die Richter auch einer physischen Bedrohung aussetzten. Es galt aber vor allem auch, die anfallende Arbeit neu zu verteilen. Durch die Beurlaubung der Richter war die ohnehin immer angespannte Personal lage des Gerichts noch prekärer geworden, und es mußte eine Lösung gefunden werden. Die Geschäftsverteilung war innerhalb der Senate geändert worden, und man hatte sich gezwungen gesehen, den Justizminister um die Zuweisung von zwei Hilfsrichtern zu bitten. Es fehlt auch nicht an der &gebenheitsadresse an den neuen Minister "Wir hoffen, daß diese -zunächst als vorläufiger Versuch gedachte- Regelung ohne allzugroße Störung und Belastung aller Beteiligten durchfUhrbar sein werde. Die Entwicklung muß zeigen, ob das eintrifft"
In Preußen waren ebenfalls Aktivitäten gegen jüdische Richter und Staatsanwälte im Gange. Der am 27. März zum kommissarischen preußischen Justizminister ernannte Nationalsozialist Hanns Kerrl erließ am 31. März eine Anordnung, wonach den jüdischen Richtern und Staatsanwälten nahegelegt werden sollte, um Urlaub nachzusuchen. 26 In Bayern war es der kommissarische Justizminister Hans Frank, der den Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälten am 25. März mitgeteilthatte, daß Richter jüdischer Abstammung nicht mehr mit der Strafrechtspflege und der Disziplinargerichtsbarkeit zu befassen seien. 27
24
Siehe Schreiben Buzengeigers an den Justizminister v. 7.4.33 (GLA 240/78).
25
(GLA 240/78).
26 Gruclunann, S.127; Krehl, S. 7ff. auch zum weiteren Vorgehen in Preußen; Krach ebenfalls zum Kerrl-Erlaß, S. 184 - 188. 27 Gruclunann, S. 128f.
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Kap. 2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
Am Samstag, dem 1. April, heizte wiederum ein Artikel im ,,Führer" die Stimmung auf. 28 Dort wurde von den Aktionen der Nationalsozialisten in Preußen berichtet. Freisler habe sich am vorausgegangenen Donnerstag, dem 30. März, nach Frankfurt begeben, "um dort die Reinigung des Gerichts von Juden und Marxisten selbst zu überwachen". Sämtliche jüdische Richter seien aufgefordert worden, um ihre Beurlaubungnachzusuchen. Auch von den jüdischen Anwälten könne nur ein geringer Prozentsatz verbleiben. Ferner wurde von einer Aktion gegen das Amts- und Landgericht Berlin Mitte berichtet, die wohl vor allem dem jüdischen Präsidenten des Landgerichts, Kurt Sölling, galt. 29 Infolge der Aktion sei es am Freitag und Samstag zur Aufhebung sämtlicher Termine gekommen. Beim Kammergericht habe eine ähnliche Aktion stattgefunden, in Königsberg seien von SA das Oberlandesgericht, das Amtsund das Landgericht besetzt worden. Der Erlaß des zu diesem Zeitpunkt noch amtierenden Kommissars für die badische Justiz, Rupp, der lediglich die Beurlaubung der jüdischen Richter zur Folge hatte, konnte keine dauerhafte Lösung darstellen. Obwohl es in Karlsruhe zu keinen Störungen der Rechtspflege gekommen war, so hatten doch zumindest in Mannheim und Konstanz die oben erwähnten Zwischenfälle stattgefunden. Rupp hegte sicher keine weltanschaulichen Bedenken, wenn es darum ging, jüdische Richter und Staatsanwälte aus dem Dienst zu entfernen, ob er aber die Art des Vorgehens billigte, daß Schlägertrupps der SA die Gerichte besetzten, oder ob er die Unruhen als Bedrohung seiner gerade erst gewonnenen ministerialen Macht empfand, kann nicht gesagt werden. Auf alle Fälle mußte eine dauerhafte Regelung gefunden werden. Am 4. April 1933 wandte sich Rupp in einem Schreiben30 an den Reichskommissar für die Justiz in Bayern, Hans Frank, und damit an den neben Hanns Kerrl zweiten prominenten Exponenten nationalsozialistischer Justizpolitik . .. Die Judenfrage in der Justiz schreit nach einer Lösung. Jedes Land unternimmt andere Maßnahmen. In WUrttemberg ist soviel wie nichts geschehen, in Bayern sind die Maßnahmen sehr weit vorgeschritten. Ich habe mich gestern mit dem Reichsjustizministerium ins Benehmen gesetzt, dort ist bisher nichts veranlaßt worden."
28 .. Der 29 30
FUhrer" vom 1.4.33, S.2.
Kurzer Lebenslauf Söllings bei Göppinger, S. 37l. Schreiben vom 4.4.33 (GLA 240/1987/53/399); s. a. Gruchmann, S. 129.
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Rupp gab seiner Auffassung Ausdruck, daß der Zustand, wie er in Bayern und Baden bestehe, nicht aufrecht erhalten werden könne, "wenn man nicht große Erschütterungen in Kauf nehmen will." Er wollte für die Zukunft vom Grundsatz ausgehen, daß es jüdische Staatsanwälte, Zivil- und Strafrichter nicht mehr geben dürfe. Ausnahmen sollten allenfalls für Schwerkriegsbeschädigte zugelassen werden. Besonders schwierig sei es, bei den Anwälten eine Regelung zu finden. Abschließend stellte Rupp fest: .. Meine Vorschläge sind nicht revolutionär, aber praktisch. Ich bitte sie zu prUfen und gegebenenfalls als Vorschlag an den Reichsjustizminister weiterzuleiten. Aber Eile tut not."
Allem Anschein nach wollte Reichsstatthalter Wagner aber keine Regelung aus Berlin abwarten, denn am 6. April berichtete der "Führer":31 .. Karlsruhe,5. April. Reichskommissar Robert Wagner hat sich mit RUcksicht auf die starke Beunruhigung der Öffentlichkeit veranlaßt gesehen, zum Schutze und im Interesse der in Baden lebenden Juden anzuordnen, daß alle im badischen Staatsdienst ( ... ) beschäftigten Angehörigen der jUdischen Rasse mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres vom Dienst zu beurlauben sind. Wie wir an anderer Stelle melden, ist diese Maßnahme in der badischen Rechtspflege bereits restlos durchgefUhrt und wurde heute auch auf die jUdischen Anwälte ausgedehnt."
Daß es Wagner nicht um den Schutz der Juden, sondern um die Durchsetzung nationalsozialistischen Rassenwahns ging, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Wie in Bayern und Preußen hatte man auch in Baden durch das Ersuchen an die jüdischen Richter, sich beurlauben zu lassen, vollendete Tatsachen geschaffen, ohne auf Regelungen aus dem Reichsjustizministerium zu warten. Mit dem Erlaß vom 5. April hatte Wagner die Lage der jüdischen Beamten weiter verschlechtert, da der Erlaß eine Beurlaubung von Amts wegen aussprach und einen Antrag des Betroffenen nicht mehr voraussetzte. Das Provisorium drohte durch die auf Länderebene vorpreschenden Verwaltungen zur endgültigen Regelung zu werden. 32 "Der Führer" konnte denn auch am 7. April 1933 stolz verkünden: "Die badische Rechtspflege ist gesäubert".33 In dem Artikel heißt es, die Umbildung der Rechtspflege habe auch in Baden ihren vorläufigen Abschluß gefunden. Es gebe in Baden keinen jüdischen Richter oder Staatsanwalt mehr. Angesichts der Sachlage, daß in einigen der 31 "Der FUhrer" vom 6.4.33, S.l. 32 Zu dem von den kommissarischen Justizministern ausgeUbten Druck, s. Gruchmann, S. 135.
33 "Der FUhrer" v. 7.4.33, S.3.
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Kap. 2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
Länder vollendete Tatsachen geschaffen worden waren, war eine Regehmg von seiten der Reichsregierung dringend erforderlich. Diese kam dann in Gestaltdes ersten "Gesetzes zu Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 193334 nebst einer Durchführungsverordnungvom 11. April 1933.35 Nach § 3 des Gesetzes waren Beamte, die ,,nicht arischer Abstammung" waren, in den Ruhestand zu versetzen. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift galt dies jedoch nicht für Beamte, die bereits seit dem 1. August 1914 Beamte gewesen waren oder die im Weltkrieg für das Deutsche Reich oder einen seiner Verbündeten an der Front gekämpft hatten oder deren Väter oder Söhne im Weltkrieg gefallen waren. § 4 ermöglichte die Entlassung von politisch ungenehmen Beamten, indem dort bestimmt wurde, daß Beamte, die ,,nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten", entlassen werden konnten. Nach § 5 mußte ,,sich jeder Beamte die Versetzung in ein anderes Amt derselben oder einer gleichwertigen Laufbahn, auch in ein solches von geringerem Rang und planmäßigem Diensteinkommen -( ... )- gefallen lassen, wenn es das dienstliche Bedürfnis erfordert." Nach Absatz 2 der gleichen Bestimmung konnte der Beamte statt dessen die Versetzung in den Ruhestand verlangen. Damit war die Möglichkeit geschaffen, Beamten, die wegen der Ausnahme nach § 3 Abs. 2 nicht entlassen werden konnten, eine Versetzung aufzuzwingen und sie so auf eine Stellung geringerer Bedeutung abzuschieben. Eine weitere Einschränkung der Rechte der Beamten brachte § 6. ,,Zur Vereinfachung der Verwaltung können Beamte in den Ruhestand versetzt werden, auch wenn sie noch nicht dienstunfähig sind. Wenn Beamte aus diesem Grunde in den Ruhestand versetzt werden, so dürfen ihre Stellen nicht mehr besetzt werden." Zur Frage des Ruhegehalts bestimmte § 8: ,,Den nach §§ 3, 4 in den Ruhestand versetzten oder entlassenen Beamten wird ein Ruhegeld nicht gewährt, wenn sie nicht mindestens eine zehnjährige Dienstzeit vollendet haben; dies gilt auch in den Fällen, in denen nach den bestehenden Vorschriften der Reichs- und Landesgesetzgebung Ruhegeld schon nach kürzerer Dienstzeit gewährt wird ( ... )" Was unter einem Beamten ,,nichtarischer Abstammung" zu verstehen war, bestimmte die Durchführungsverordnung zu § 3. Demnach genügte bereits ein 34 RGBI. 18.175. Über die Einzelheiten des Zustandekommensdieses Gesetzes berichtet Gruclunann auf den 8. 129 - 137; zu den Auswirkungen Majer, Fremdvölkische, 8. 157ff.; speziell zum OLG Celle Hamann, 8. 156 - 183; Krehl, 8. 15 - 19. 35 RGBI. I 8.195.
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jüdischer Eltem- oder Großelternteil. Absatz 2 der Durchfühnmgsverordnung zu § 3 erlegte den ,,nichtarischen" Beamten, die sich auf ihre Frontkämpfereigenschaft berufen mußten, die Beweislast für den Nachweis dieser Tatsache auf. Bereits zu diesem Zeitpunkt endgültig entlassen wurde am Oberlandesgericht der Oberlandesgerichtsrat Dr. Leo Kullmann. Ihm wurde am 20. April 1933 mitgeteilt, daß das Staatsministerium ihn mit Entschließung vom 18. d Mts. nach § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem Staatsdienst entlassen habe. Damit hatte man den Oberlandesgerichtsrat wegen politischer Unzuverlässigkeit entlassen, obwohl auch er jüdischer Abstammung war. 36 Kullmann war im Jahre 1903 als Gerichtsassessor aus dem Staatsdienst ausgeschieden und bis ins Jahr 1923 als Anwalt tätig gewesen. 1923 wurde er als Landgerichtsrat wieder in den Staatsdienst übernommen. Seit dem 1. April 1930 war er am Oberlandesgericht verwendet. Welcher Art die politische Betätigung Kullmanns war, geht aus den Akten nicht hervor. Es mag sein, daß man sich bei der Entlassung auf § 4 und nicht auf § 3 stützte, Wl die Berufung auf eine Ausnahme nach § 3 Abs. 2 auszuschließen. Kullmann hatte noch versucht, über eine Eingabe beim Justizministerium seine Weiterbeschäftigung zu erreichen, was aber ohne Erfolg geblieben war. 37 Der Oberlandesgerichtsrat Traumann wurde mit Entschließung des Justizministers vom 5. Mai wieder in den Dienst zurückbeordert. Traumann war im Jahre 190 1 zum Gerichtsassessor ernannt worden und nach einer Tätigkeit als Amtsrichterin Philippsburg, Bruchsal und Karlsruhe 1919 zum Landgerichtsrat und 1929 zum Oberlandesgerichtsraternannt worden, so daß er als sogenannter Altbeamter weiter im Dienst verbleiben konnte. 38 Am 21. Juli 1933 stellte Traumann, sicherlich zermürbt von den Vorgängen der vorausgegangenen Monate, den Antrag, ihn endgültig in den Ruhestand zu versetzen. Das 36 Dies ergibt sich aus einer seitens des Oberlandesgerichts angefertigten Liste aus dem Jahre 1938, die sämtliche seit dem 9.11.18 im richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Dienst tätig gewesenen Juden des Landes Baden aufzählt und auch eine kurze Beschreibung des beruflichen Werdegangs enthält. Die Liste war auf RY. des RJMv. 26.3.38 angefertigt worden. (GLA 240/1987/53/231). Abgedruckt im Anhang 1. Zu Kullmann kurze Anmerkung auch bei Schorn, S. 350. 37 Ablehnung vom 25.4.33, Eingabe vom 20.4., letztere ist allerdings nicht Uberliefert. (GLA 240/78).
38 Angaben zu Traumann in der Liste aus dem Jahre 1938, s. vorletzte FN (GLA 240/1987/53/231).
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Gesuch wurde von Buzengeiger im Hinblick auf das Alter Traumanns, dieser war 1875 geboren, befürwortet und dem Justizministervorgelegt. 39 Die Zurruhesetzungerfolgte dann am 29. August, nicht ohne Zynismus "unter Anerkennung des für den juristischen Nachwuchs bewiesenen Opfersinns" aufgrund des § 1 des Gesetzes überdie Zurruhesetzungder Beamten vom 17. Juli 1933 (GVBI. S.133). Weiterbeschäftigt wurde zunächst auch der Oberlandesgerichtsrat Dr. Karl Jordan.40 Er war seit 1911 Amtsrichter in Offenburg und Ettlingen gewesen und nach einer Tätigkeit am Landgericht Karlsruhe seit 1916 im Jahre 1929 ans Oberlandesgericht versetzt worden. 41 Endgültig entlassen wurde dagegen der Senatspräsident des ersten Senates Dr. OUo Levis. Auf seinen Lebensweg wird unten in einem gesonderten Kapitel eingegangen. Von den vier Richtemjüdischer Abstammung, die im März 1933 am Oberlandesgericht tätig waren, fielen mit Sicherheit drei unter die Ausnahme des § 3 Abs. 2 des Gesetzes. Ob Oberlandesgerichtsrat Kullmann, der ja erst im Jahre 1929 in die Richterlaufbahn übergewechselt war, als Frontkämpfer hätte weiterbeschäftigt werden können, geht aus den Akten nicht hervor. Dieser hohe Anteil von sogenannten Altbeamten stellt jedoch sicher eine Besonderheitdes Oberlandesgerichts dar, da nur Kräfte mit entsprechender Diensterfahrung an das Oberlandesgericht versetzt wurden.Der Landgerichtsdirektor Dr.
39
Vorgänge bei den Akten des Gerichts (GLA 240/78).
40
Aktennotiz Buzengeigers vom 29. 4.33 (GLA 240/78).
41 Die Angaben entstammen der oben erwähnten Liste der jUdischen Beamten aus dem Jahre 1938 (GLA 240/1987/53/231). EndgUltig in den Ruhestand versetzt wurde Dr. Jordan zum 31.12.35 aufgrund § 4 der ersten VO zum ReichsbUrgergesetz. Am 29.8.45 wurde Dr. Jordan mit Wiedereröffnung des LG Karlsruhe Landgerichtsdirektor, danach war er als Leiter der Rechtsabteilung der Präsidialabteilung des Oberlandesgerichts Stuttgart, Nebenstelle Karlsruhe tätig. Am 1.5.46 wurde er zum Ministerialrat im Justizministerium, Nebenstelle Karlsruhe ernannt, am 31.5.51 trat er in den Ruhestand. Zur Tätigkeit Dr. Jordans nach dem Kriege, siehe Göppinger, 8.342; Anmerkung zu Dr. Jordan auch bei Schom, 8. 309.
B. Die neuen Machthaber und Justiz, personelle "Säuberung"
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Jakob Bär42 wurde durch Entschließung des Justizministeriums vom 17. Mai 1933 zum Hilfsrichter beim Oberlandesgericht 43 und auf Entschließung des Reichsstatthalters vom 30. Mai 1933 44 zum Oberlandesgerichtsrat ernannt. Dies, obwohl er nach Lesart des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums und der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung ,,nichtarischer Abstammung" war. Diesem Vorgang lag aber keine eigentliche Beförderung Dr. Bärs zugrunde. Vielmehr war dieser Vorsitzender des Landesarbeitsgerichts gewesen und man hatte ihn von dieser herausragenden Position entfernen wollen.4s Wie Buzengeiger die Entlassung seiner jüdischen Kollegen aufnahm, kann nur vermutet werden. Dr. Buzengeiger war sicherlich kein Antisemit und konnte mit den nationalsozialistischen Rassevorstellungen wohl auch wenig anfangen. Aus der Weimarer Zeit etwa sind halboffizielle Briefe Buzengeigers, zumeist Geburtstagsschreiben, an jüdische Anwälte überliefert. Auch wenn man unterstellt, daß die "Geburtstagskartenperspektive" nicht unbedingt Anlaß zu kritischen Anmerkungen bietet, so fällt doch auf, daß diese Schreiben betont herzlich gehalten sind und daß sie die ehrlich gemeinte Hochachtung Bu-
42 Dr. Jakob Bär war 30.8.1875 in Bruchsal geboren worden (Göppinger, S. 231). Von 1904 bis 1908 war er als Amtsrichter in Mannheim, dann bis 1926 am Landgericht ebenda tätig gewesen. 1926 war er zum LandgerichtsdirektOf befördert worden (Liste der entlassenen jüdischen Richter, GLA 240/1987/53/231). 1927 wurde er Vorsitzender des neu geschaffenen Landesarbeitsgerichts (Göppinger, S.231, dessen Angaben aber mit der Liste nicht genau übereinstimmen). Bär war nicht nur "Altbeamter", sondern auch "Frontkämpfer", so daß auf ihn zwei der Ausnahmetatbestände zutrafen. (GLA 240/286, Verzeichnis "B", dem Justizminister am 20.6.33 vorgelegt). Am 28.10.40 meldete der Oberstaatsanwalt dem Generalstaatsanwalt: "Dem Oberlandesgerichtsrat aD. Bär, der Jude ist und zuletzt in Baden-Baden wohnhaft war, ist am 22.10.40 etwa um 9 Uhr von der Polizei eröffnet worden, daß er sich zum Abtransport bereithalten solle. Bär hat daraufhin durch Einnahme von Zyankali Selbstmord begangen." (GLA
3CE/87/54/29). 43
(GLA 240/78).
44
(GLA 240/78).
45 Siehe Schreiben des Justizministers vom 18.5.33 an das Staatsministerium (GLA 234/4053).
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Kap. 2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
zengeigers vor den Kollegen bezeugen. 46 In einem Fall ist auch von privaten Kontakten die Rede. Die Tochter von Dr. Levis erklärte, ihr Vater habe Buzengeiger menschlich und fachlich sehr geschätzt, diese Beurteilung der Person Buzengeigersänderte sich auch nach 1933 nicht. 47 Es darf auch nicht unbeachtet bleiben, daß im März 1933 im Reich starker Druck auf die Gerichtspräsidenten ausgeübt wurde. Die immer neuen Nachrichten von Gerichtsbesetzungen waren von den nicht direkt betroffenen Oberlandesgerichts präsidenten sicherlich mit Beklemmung zur Kenntnis genommen worden. Schließlich war ein Übergreifen der Unruhen auf das eigene Gericht jederzeit möglich. Die Besetzung der S teIle des kommissarischen Justizministers zunächst mit Rupp und dannmit Wacker, die beide ausgewiesene Nationalsozialisten waren, erschwerte die Position des Gerichtspräsidenten zusätzlich. Auch in der Folge wird etwa das niederträchtige Schauspiel der Verschleppung der SPD-Abgeordneten und Publizisten nach Kislau im Mai des gleichen Jahres einen bleibenden Fmdruck hinterlassen haben. Andererseits ist aus den Akten auch keine, wie auch immer geartete fürsprache Buzengeigers für seine Richter feststellbar. Ob eine solche etwa münd1ich stattfand, ob Buzengeiger sich vielleicht in der Präsidiumssitzung am 31. März kritisch äußerte, oder ob man sich nur darauf beschränkte, wie der Bericht an den Justizminister Glauben zu machen scheint, die Anordnungen aus46
Schreiben Buzengeigers an den Präsidenten der badischen Rechtsanwaltskammer
Dr. FUrst vom 24.2.32 aus Anlaß dessen 70. Geburtstages (GLA 240/310). Schrei ben an Dr. Max Hachenburg vom 30.09.30 zu dessen 70. Geburtstag (GLA 240/309). Eine Anfrage der JW v. 14.7.30, ob Buzengeiger einen Artikel zu einer Sondernummer aus
Anlaß des bevorstehenden Geburtstags Hachenburgs beisteuren wolle, wurde von Buzengeiger allerdings ablehnend beschieden (Schreiben vom 15.7.30). Aber auch hier versicherte Buzengeiger seine Hochachtung vor Hachenburg (Schriftwechsel in GLA 240/307). In einem Schreiben an den jüdischen Anwalt Dr. Seeligmann vom 17.8.31 aus Anlaß dessen 70. Geburtstags heißt es: "Es ist mir ein HerzensbedUrfnis, bei dieser Gelegenheit auszusprechen, daß in diesen langen Jahren, und zwar seit unserem ersten Zusammentreffen hier im Jahre 1905, keinen Augenblick die wechselseitigen ausgedehnten persönlich nahen Beziehungen zwischen Ihnen und mir eine TrUbung erfahren haben, mögen wir uns nun auf dienstlichem oder privatem Gebiete begegnet sein." (GLA 240/309). Gespräch vom 29.11.93. Buzengeiger konnte auch in seinem Spruchkammerverfahren sehr herzliche Schreiben des jUdischen Anwalts Marx und des Oberlandesgerichtsrats Traumann vorlegen, die sich beide in betont freundlichen Worten nach seinem Wohlergehen erkundigen. Siehe Schriftsatz Buzengeigers vom 28.10.48 (GLA 465aJ511681106). 47
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zuführen und die Geschäfte neu zu verteilen,48 um "ohne allzugroße Störung und Belastung aller Beteiligten" der neuen Sachlage gerecht zu werden, kann demzufolge auch nicht gesagt werden. Buzengeiger hielt in dieser ersten Phase der nationalsozialistischen Machtergreifung seine Position sicher für gefährdet. Richter, die bereits vor 1933 der NSDAP angehört hatten, drängten nun mit Macht darauf, Karriere zu machen. Und daß derartige Bestrebungen im Gange waren, ließ man Buzengeiger seitens des lustizministeriums auch wissen. Es geschah nämlich sicherlich nicht ohne Hintergedanken, wenn man Buzengeiger die Kopie zweier Schreiben des Justizministers an einen Landgerichtsdirektor Lutz und an einen Landgerichtsrat Maischhofer übermittelte. Im ersten Schreiben vom 19. Mai wird den beiden mitgeteilt, daß nur solche Richter für die Stelle eines Senatspräsidenten am Oberlandesgericht in Betracht kämen, die bereits zuvor einmal beim Oberlandesgericht eingesetzt waren. Auch bei der demnächst zu erwartenden Berufung, gemeint war offensichtlich der Ersatz für Dr. Levis, könne hiervon keine Ausnahme gemacht werden. Noch deutlicher ist das zweite Schreiben an Landgerichtsdirektor Lutz vom 24. Mai 1933. Dort heißt es: 49 "Die Erörterung der Frage, nach welchen Gesichtspunkten die Stelle des höchsten badischen Richters, des Chefpräsidenten am Oberlandesgericht, besetzt wird, lehne ich ab."
Wacker ließ Buzengeiger also auf Umwegen wissen, daß sehr wohl Bestrebungen zu seiner Absetzung im Gange seien, daß man aber bis auf weiteres an ihm festhalten wolle, wobei man sich den ungeschriebenen Hinweis"W ohlver48 s.O. Bericht vom 31.3.33 (GLA 240/78). 49 (GLA 240/78). Ende des Jahres 1933 mußte Wacker erneut klarstellen, daß die
Partei zugehörigkeit allein keine hinreichende Voraussetzung fUr die Beförderung sei: "Es ist selbstverständlich, daß bei der Neubesetzung aller leitenden Stellen (... ) auf unbedingte politische Zuverlässigkeit besonderer Wert gelegt werden muß. Ebensowichtige Voraussetzung (... ) ist ( ... ) aber auch seine [des Beamten, Verf.] dienstliche TUchtigkeit. Die Beförderung eines Beamten lediglich um seiner Parteizugehörigkeit willen steht im vollsten Widerspruch zu allen Grundsätzen des Nationalsozialismus. Beamte, die nur wegen ihrer Parteizugehörigkeit glauben, eine bevorzuge Behandlung beanspruchen zu können, haben den Geist der nationalsozialistischen Bewegung, die von ihren Anhängern zuerst Opfer verlangt, nicht verstanden." Siehe Schreiben vom 19.12.33 (GLA 240/286). Zu den Personalentscheidungen in Preußen in dieser Phase Angermund, S. 72f.
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halten vorausgesetzt" sicher hinzudenken darf. In der Folgezeit kam es dann zu genauen Befragungen der sonstigen Beamten50 sowie der Angestellten und Arbeiterüber ihre Abstammung. 51 Am2. Juni 1933 erging dann nochmals eine Ausführungsverordnung des badischen Justizministeriums, 52 wonach sämtliche Beamte eine Erklärung nach einem beigefügten Muster über die ,,arische Abstammung" abzugeben hatten. Bemerkenswert an dieser Anordnung ist vielleicht, daß die Erklärung nicht abgegeben zu werden brauchte, wenn der Beamte bereits seitdem 1. August 1914 ununterbrochen planmäßig angestellt war. 53 Offensichtlich ging man also nicht davon aus, daß die in § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums bestimmten Ausnahmen wieder wegfallen könnten. Zusammenfassend kann also festgestellt werden, daß die neue nationalsozialistische Regierung Badens der Justiz keinesfalls besonderes Wohlwollen entgegenbrachte. Der Druck von der Straße war ebenfalls geeignet, die Richter zu verunsichern. Bei der Entlassung der jüdischen Richter und Staatsanwälte hatte die badische Justizverwaltung zusammen mit der preußischen und bayerischen eine Vorreiterrolle übernommen. Am Oberlandesgericht vollzog sich die Zurruhesetzung der jüdischen Richter, ohne daß eine irgendwie geartete Solidarität ihrer nichtbetroffenen Kollegen oder des Oberlandesgerichtspräsidenten feststellbar gewesen wäre.
50 Anordnung Buzengeigers vom 10.5.33 gern. Ziff.2 zu § 7 der 3. DVO v. 6.5.33 zum Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtenturns (GLA 240/286). 51 Anordnung des Justizministers vom 20.6.33 (GLA 240/286). Nur die bei den Putzfrauen waren als Arbeiter am Gericht beschäftigt. Oberrechnungsrat Thum konnte am 28.6.33 feststellen: "Tatsachen, daß die Putzfrauen sich bisher politisch betätigt haben oder gar der kommunistischen Partei oder einer Untergliederung angehören oder angehört haben, sind mir nicht bekannt geworden." Auch Buzengeiger konnte bestätigen: "Nach meiner auf mehrere Jahre sich erstreckenden Beobachtung erscheint auch mir ausgeschlossen, daß die beiden Frauen kommunistisch sind." (GLA 240/361).
52 Die Erklärung beinhaltete unter anderem folgende Passage: "Ich versichere hiermit dienstlich: Mir sind trotz sorgfältiger PrUfung keine Umstände bekannt, welche die Annahme rechtfertigen könnten, daß ich nicht arischer Abstammung sei; insbesondere war keiner meiner Elternteile oder Großelternteile jUdischer Rasse oder hat zu irgend einer Zeit der jUdischen Religion angehört. Ich bin mir bewußt, daß ich mich dienststrafrechtlicher Verfolgung mit dem Ziele auf Dienstentlassung aussetzte, wenn diese Erklärung nicht der Wahrheit entspricht." (GLA 240/286). 53 Siehe Punkt 4 der Anordnung.
C. Einflußnahme auf Richter und Rechtsprechung
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c. Einflußnahme auf Richter und Rechtsprechung Mit der Übernahme des badischen Justizministeriums durch die Nationalsozialisten setzte sich die oben geschilderte Praxis, Anweisungen an die Staatsanwaltschaft bei den Gerichten und damit auch dem Oberlandesgericht in Umlauf zu setzen, nahtlos fort 54 Am 6. März 1933 wurde den Gerichten nachrichtlich vom badischen Justizministerium 55 eine Art Kommentar des Reichsministers der Justiz vom 1. März 1933 zur Verordnung gegen den Verrat am Deutschen Volk übermittelt. Bemerkenswerterweise wurde dieses Schreiben an das Gericht direkt übermittelt. Am 22. März übersandte das badische Justizministerium in einem Schreiben des Reichsministers der Justiz vom 18. März 193356 enthaltene Erläuterungen zur Verordnung über die Beschleunigung des Verfahrens in Hoch- und Landesverratssachen nebst sechs Abschriften dieser Verordnung. In diesen Erläuterungen ist auch der Hinweis über eine Zunahme hochverräterischer Umtriebe enthalten. Aus der gleichen Quelle stammt ein Schreiben vom 27. April 1933,57 den Gerichten vom badischen Justizministerium am 12. Mai 1933 direkt zugesandt, in dem es um die Auslegung des § 1 der Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe
54 Das Verfahren reichte bis weit in die Weimarer Zeit zurUck. S. 23.5.23 Schrei be n des lustizministeriums,in dem ein Beschluß des Staatsgerichtshofs Uber das Gesetz zum Schutz der Republik zur Kenntnis gebracht wird; 31.7.29 Rechtsauffassung des lustizministeriums zum Außerkrafttreten des Gesetzes zum Schutz der Republik. Beim OLG im Beratungszimmer aufgelegt und in Umlauf gesetzt; 7.4.30 Neunseitiges Schreiben des Generalstaatsanwalts v. 2.4.30, eine Art Kommentar zum Gesetz zum Schutz der Republik, gerichtet an die Staatsanwaltschaften, wird vom badischen lustizministerium zur Kenntnisnahme Ubermittelt, ausgehängt und in Umlauf gesetzt; 7.3.32 Schreiben des badischen lustizministeriums an die Staatsanwaltschaften betreffs die Rechtsau ffassung des Reichsminister des Innern zum Begriff der öffentlichen Versammlung; 17.2.33 Schreiben des badischen lustizministeriums an die Staatsanwaltschaften Uber die AuswUchse der Schmierpropaganda und des wilden Plakatierens während der Wahlen. Ersuchen um nachdrUckliches Einschreiten, nachrichtlich den Gerichten Ubermittelt. (Alle GLA 240/13(0).
55
(GLA 240/13(0).
56
(GLA 240/13(0).
57
(GLA 240/13(0).
4 Schiller
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Kap. 2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
gegen die Regierung der nationalen Erhebung geht. 58 Den gleichen Gegenstand betraf ein Schreibendes Reichsministers der Justiz vom 21. Juni 1933, den Gerichten am 8. Juli vorgelegt,59 das den Hinweis Schlegelbergers enthält: ,~ir dürfen anheimstellen, die zuständigen Stellen, namentlich die Sondergerichte, entsprechend zu verständigen." Ein eigenständiges Schreiben des badischen Justizministeriums,60 gerichtet an die Staatsanwaltschaften vom 16.Mai 1933, das den Gerichten nachrichtlich übermittelt wurde, fordert die Staatsanwaltschaften auf, ,,mit Nachdruck und größter Beschleunigung" gegen das Denunziantentum einzuschreiten. Oftmals seien die Betroffenen, namentlich Beamte,falschen Verdächtigungen ausgesetzt wegen Maßnahmen, die sie dienstlich zu verhängen hatten. Diese Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. Auf die Fragwürdigkeit dieses aus der Weimarer Zeit übernommenen Verfahrens wurde bereits hingewiesen. Neu war nach der Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten, daß die ministerialen Rechtsauffassungen den Gerichten gängigerweise direkt übermittelt wurden. 61 Man darf auch davon ausgehen, daß derartigen Hinweisen unter der neuen Herrschaft ein anderes Gewicht zukam, als dies in demokratischer Zeit der Fall gewesen war. Daß aus dem Justizministeriumein anderer Wind wehte, wird auch in zwei Schreiben des Ministeriums deutlich, in denen erstmals Einzelentscheidungen badischer Gerichte kritisiert wurden, ohne diese allerdings namentlich zu erwähnen. Am 16. März 1933 brachte Buzengeiger den Mitgliedern des Strafsenats am Oberlan58 Es ging um die Frage, welche Uniformteile von Kleiderherstellern abgegeben werden durften und wie das Einverständnis des betroffenen Verbandes beschaffen sein muß (GLA 240/13(0). 59 Gegenstand des Schreibens war das Problem, was unter einem Verband zu verstehen ist, der hinter der nationalen Erhebung steht. Das Reichsjustizministerium gab seiner Auffassung Ausdruck, daß hierzu auch die NSDAPzu zählen sei. (GLA 240/13(0). 60 (GLA 240/1312). 61 Aus dem Jahre 1932 ist ein ähnlicher Fall Uberliefert, in dem man sich an die Ge-
richte direkt wandte. Dabei war es aber nicht um die Rechtsauffassung des Justizministeriums, sondern wieder um die Einschaltung der Justiz zur Verteidigung der Republik gegangen. Am 19.7.32 hatte der badische Justizminister dazu aufgefordert, bei politisch motivierten Störungen der öffentlichen Ordnung rasch einzuschreiten. Dem sollten auch die Gerichte bei der Terminierung Rechnung tragen. Es war auf den Vorrang derartiger Verfahren hingewiesen worden und auf die Möglichkeit der Ablehnung UberflUssiger Beweisanträge nach der Notverordnung Uber die Maßnahmen auf dem Gebiet der Rechtspflege und Verwaltung vom 14.6.32 (RGB!. I S. 285). Am Gericht hatte man auch diese VerfUgung im Beratungszimmer ausgelegt und in Umlauf gesetzt. (GLA 240/13(0).
C. Einflußnahme auf Richter und Rechtsprechung
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desgericht ein an Gerichte und Staatsanwaltschaften gerichtetes Schreiben des badischen Justizministers zur Kenntnis. 62 Darin wurde ein Urteil geschildert, bei dem ein Gerichtin einem Verfahren wegen Devisenvergehen Strafaufschub auf Wohlverhalten gewährt hatte. Der Justizminister hierzu: "Ein solches Verfahren steht nicht im Einklang mit den Grundsätzen, welche in den nebenbezeichneten Erlassen zum Ausdruck gebracht sind. Der Zweck einer mit rtIcksichtsloser Strenge und größter Beschleunigung durchzuführenden Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Devisenvorschriften wird nicht erreicht, wenn rur die ganze Freiheitsstrafe Strafaufschub auf Wohlverhalten bewilligt wird. Ich ersuche diesem Gesichtspunkt bei der Stellung von Begnadigungsfragen Rechnung zu tragen."
In dem zweiten Schreiben ging es um das Tragen von Parteiuniformen während der Gerichtsverhandlung. Diesmal hatte man wieder den Umweg über die Staatsanwaltschaften gewählt. Der eigentliche Adressat der Verfügung wird aber aus dem Wortlaut deutlich. Wacker schrieb: "Der Führer der Untergruppe Baden der SA der NSDAP trägt einen Fall vor, in welchem eine Gerichtsverhandlung deshalb vertagt worden sei, weil zwei Geladene in SA-Uniform erschienen waren. Ich bin gebeten worden, die Frage prinzipiell zu regeln. Hierzu besteht keine gesetzliche Handhabe, da die Entscheidung dieser Frage in das Gebiet der Sitzungs polizei gehört und darnach allein dem Gerichtsvorsitzenden überlassen ist. Ich stehe aber nicht an, zu erklären, daß darin grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit kaum wird erblickt werden können, nachdem im neuen Staat allenthalben Beamte, auch solche in leitender Stellung, in der Uniform der Freiheitsbewegung ihren Dienst verrichten.".
Das Schreiben wurde am 26. Mai 1933 den Staatsanwaltschaften übersandt und am 30. Mai beim Oberlandesgericht in Umlauf gesetzt. 63 Derartige Fälle von Einzelkritik ergangener Entscheidungen hatte es bis dahin nicht gegeben. Und auch wenn man in Rechnung stellt, daß die Bekanntgabe von Rechtsauf fassungen des Justizministeriums nichts Neues war, so wird den Richtern die Besonderheit dieser Vorgehensweise nicht entgangen sein. Das Bestrebender neuen Machthaber, den übernommenen Justizapparatfür die eigene Sache zu gewinnen, war nur dann zu verwirklichen, wenn es gelang, Einfluß auf die richterliche Entscheidung zu nehmen. Neben den oben geschilderten Praktiken der Erlasse, die Urteils schelte betrieben oder ministerielle Rechtsauffassungen kundtaten, dienten diesem Ziel auch Schreiben des badischen Justizministeriums, die in deutlicher Sprache die Richterschaft auf 62
Schreiben vom 15.3.33 (GLA 240/598).
63
(GLA 240/607).
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Kap. 2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
ihre unter der neuen Führung veränderten Aufgaben hinweisen und die Richterschaft einschüchtern sollten. 64 "Die nationale Revolution (... ) hat in der Neuerung der Rechtspflege eine gewaltige Aufgabe vor sich. ( ... ) Es gilt, die neuen Rechtsgedanken, die sich im Umsturz siegreich durchgesetzt haben, zur neuen Rechtsordnung zu machen und dabei bis in die letzte Tiefe die einzigartigen Strömungen und Schöpfungen im Volke selbst zu erfassen. Der nationalsozialistische Staat wird sich ein Recht schaffen, das seinem Wesen und Wollen klar entspricht und eine Rechtsordnung, die nichts als dem Volksganzen dient, um es sich gleichzeitig streng zu unterwerfen. Schon dadurch ergibt sich, daß dieses Ziel nur durch die Mitarbeit aller an der Rechtspflege unmittelbar oder mittelbar Beteiligten erreicht werden kann.( ... ) Vom Richter, vom Staatsanwalt, Notar und Rechtspfleger muß der neue Staat wissen: sie haben die Überzeugung in sich aufgenommen, daß die Gesetze und Bestimmungen nicht dazu da sein können, EinzeIinteressen schroff zu dienen und ein Ergebnis im Einzelfall heraufzuführen, das der Billigkeit und einer unter dem Gesichtspunkt der volkhaften Verbundenheit Aller als gerecht empfundenen Entscheidung widerspricht. Das noch geltende Recht birgt (... ) Rechtssätze genug, um ein unerwUnschtes Ergebnis zu vermeiden; unbeschadet der richterlichen Unabhängigkeit, deren unbedingte wahrung die Grundlage der Rechtspflege ist und unbeschadet der Gewissensfreiheit aller Rechtsprechenden hat das Volk Anspruch darauf, daß diese Möglichkeiten Uberall da ausgeschöpft werden, wo der der Rechtshilfe bedürftige Volksgenosse in Gefahr ist oder wo ein Recht in unangemessener Weise verfolgt wird.( ... )"
Die Richter wurden also konkret angewiesen, so lange noch kein eigentlich nationalsozialistisches Recht in Geltung sei, mit dem Mittel der Auslegung des alten Rechts den Werten des ,,neuen Staates" zum Sieg zu verhelfen. Damit war auf die Generalklauseln hingewiesen. 6s Die Zusicherung, daß man die richterliche Unabhängigkeit und Gewissensfreiheit achten wolle, kann, vor allem im Hinblick auf die kaum noch zählbaren Erläuterungen der neuen Gesetze und die sich anbahnende Kri tik an Einzelentscheidungen, nicht darüber hinwegtäuschen, daß mit diesem Erlaß Einfluß auf jeden einzelnen Richter und Staatsanwalt ausgeübt werden sollte. Der Erlaß belegt aber auch, wie schwierig es etwa auf dem Gebiet des Zivilrechts war, das überkommene Rechtssystem im Sinne der neuen Machthaber zu modifizieren. 64 Badisches Justizministerialblatt 23.Jahrgang, v. 4.11.33, S.I27ff.; s.a. Akten des Gerichts (GLA 240/6AJ7).
6S Hierzu auch ein Artikel von Lange in der JW 33, S. 2858, "Generalldauseln und neues Recht", der etwa einen Monat nach dem Erlaß Wackers erschien.
D. Druck auf die Staatsdiener, Konflikte zwischen Partei und Staat
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Denn der Erlaß gibt dem Richter zwar einen Hinweis, wie er die neuen Werte in sein Urteil miteinbeziehen soll, nämlich über die Ausfüllung der Generalklauseln, bei der Frage aber, welches Ergebnis bei diesem Verfahren zu erzielen sei, wird der Richter allein gelassen. Außer Allgemeinplätzen, wie "volkhafte Verbundenheit", ,,Billigkeit", "Gerechtigkeit" wurde ihm nichts mit auf den Weg gegeben, was als Richtschnur für das gewünschte Ergebnis hätte dienen können. Gerade im Zivilrecht konnte jedoch dem einen "Volksgenossen" nur gegeben werden, was einem anderen "Volksgenossen" genommen wurde, so daß die Wünsche des badischen lustizministeriums nur schwierig einer praktischen Handhabung zugeführt werden konnten.
D. Druck auf die Staatsdiener, Konflikte zwischen Partei und Staat Mit der Übernahme der Staatsgeschäfte auf Regierungsebene war zwar in Baden eine neue, nationalsozialistische Regierung eingesetzt, man traf aber auf einen Verwaltungs- und Justizapparat, der in seiner Mehrheit nicht aus NSDAP-Anhängem bestand, auf dessen Mitarbeit man jedoch nicht verzichten konnte. 66 Es herrschten zwar sicher bei der NSDAP abstruse Vorstellungen, was die Möglichkeit der Ersetzung von Beamten und Angestellten durch NSDAP-Anhänger anbelangte. Die Verwirklichung solcher Pläne scheiterte aber an ihrer völligen Undurchführbarkeit. So hatte eine Anordnung Robert Wagners unter dem Stichwort Kampf gegen das ,,Doppelverdienertum" bestimmt 67 , daß Frauen, deren Männer eine Arbeitsstelle innehatten, zu entlassen und durch arbeitslose Männer, ins besondere ,,alte Kämpfer" und Versorgungsanwärter, zu ersetzen seien. Die Gerichte sollten die weiblichen Stenotypistinnen durch männliche Arbeitskräfte ersetzen, die zwar weder Stenographie noch Schreibmaschinenkenntnisse aufzuweisen hatten, bei denen es sich aber durchweg um bewährte Kämpfer für die
66
Majer, Rechtssystem, S. 220; Schütz, S. 57f.; Diehl-Thiele. S. 8 u. 14.
67 .. Der FUhrer" vom 30.3.33, S. 1. Artikel mit der Überschrift .. Ausschaltung der Juden aus der badischen Rechtspflege".
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Kap.2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
,,Bewegung" handelte. 68 Die praktische Umsetzung dieser Anordnung war jedoch unmöglich und konnte nach einigem Hin und Her abgewendet werden. 69 Genauso unmöglich wäre es 1933 gewesen, sämtliche Richter und Staatsanwälte durch Parteimitglieder zu ersetzen, da diese in dem hierzu erforderlichen Umfang nicht vorhanden waren. Damit blieb für die neuen Machthaber nur die Möglichkeit, in allen Bereichen des Staatsdienstes, und damit auch in der Justiz, die Beamten und die
68 Erlaß des badischen Justizministers vom 22.6.33 (GLA 240/361). Der Arbeitsmarkt war auch dadurch zusätzlich belastet worden, daß die Kanzleiangestellten der jUdischen Rechtsanwälte, die nicht mehr praktizieren konnten, entlassen worden waren. Eine an das Justizministerium gerichtete Eingabe belegt auch, daß die Erwartungen der "alten Kämpfer" an die neue FOhrung hoch waren: ,,( ... )Ich gestatte mir höflichst mich um eine solche Stelle zu bewerben. Unser FUhrer betont immer, dass es seine Ehrenpflicht ist, den älteren Parteigenossen Arbeit und Brot zu verschaffen. Ober 5 Jahre bin ich schon stellenlos, nachdem ich zuvor 18 Jahre bei der Firma Haid und Neu als Registrator tätig war und dann von dem Juden Moos entlassen wurde. Ich war Kriegsteilnehmer (... ). Seit 1929 bin ich Mitglied der Partei (Nr. 231326), seit 1930 Amtswalter (einer der besten) in der Oststadt. Von TOre zu TOre bin ich schon gegangen, um eine Stelle zu erhalten, leider vergeblich. Soll es uns älteren Angestellten immer noch so ergehen wie unter dem alten System; fast möchte man es glauben. So hat erst kUrzlieh ein SA-Mann eine Staatsstelle erhalten. Beitrag hat er aber seit Februar keinen mehr bezahlt. Sehr freudige Stimmung löst das nicht aus. Das Vertrauen und die Lust rur die Partei zu arbeiten schwinden. Ich bin jeder BUroarbeit gewachsen, wenn ich auch keine Stenographie und Maschinenschreiben kann. (... ). Ich bitte daher den Herrn Minister mir doch behilflich zu sein. Auch der Herr Reichsstatthalter unser verehrter Gauleiter Herr Wagner kennt meine Person." (GLA 240/361). 69 Das badische Justizministerium teilte dem Oberlandesgericht am 17.10.33 mit, man sei damit einverstanden, die Arbeitsverhältnisse der Kanzleiangestellten vorerst nicht zu kUndigen (GLA240/361). Einem Artikel der Frankfurter Zeitung vom 13.10.33 zufolge (Abdruck bei den Akten des Gerichts, GLA ibid.) war es bei der Ersetzung von Stenotypistinnen mit Versorgungsanwärtern mehrfach zu Störungen des Geschäftsablaufs bei den Landratsämtern gekommen, so daß der preußische Innenminister in einem Runderlaß klargestellt habe, daß die Arbeitsplätze der Stenotypistinnen nicht den Versorgungsanwärtern vorzubehalten seien.
D. Druck auf die Staatsdiener, Konflikte zwischen Partei und Staat
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Richter in die Pflicht zu nehmen und für die eigene Sache zu gewinnen. 70 Dem diente eine nicht enden wollende Flut von Veranstaltungen, die für nationalsozialistisches Gedankengut werben sollten, mit denen aber auch das Ziel verfolgt wurde, die Beamten an die nationalsozialistischen Verbände heranzuführen.71 Am 8. Mai 1933 erreichte das Oberlandesgerichtein Schreiben der Beamtenarbeitsgemeinschaft,72 Fachschaft Justiz, in dem zu einer Veranstaltung am 11. Mai 1933 in den Schwurgerichtssaal in Karlsruhe eingeladen wurde. Die Veranstaltung sollte die Beamten für die entsprechenden nationalsozialistischen Berufsorganisationen gewinnen. Der Weinheimer Rechtsanwalt Dr. Schüssler, Gauobmann des Nationalsozialistischen Juristenbundes (BNSDJ), und Regierungsoberinspektor Bogs, Gauleiter der Nationalsozialistischen Beamtenabteilung, waren als Redner geladen. Den Teilnehmern wurde die Mög1ichkeit zur freien Aussprache zugesichert, und sogar Minister Wacker hatte sein Erscheinen angekündigt. Buzengeiger konnte sich denn auch der Einladung nicht verschließen und setzte das Schreiben mit dem Anfügen in Umlauf: "(00') Ich erachte es für geboten, daß niemand die gebotene Gelegenheit versäumt, sich über die werdenden, die Beamten nahe angehenden Dinge zu unterrichten. " Schon am 26. April 1933 hatte das LandeskarteU Baden des deutschen Beamtenbundes die Beamten aufgerufen, anläßlich des am 1. Mai stattfindenden Umzugs zum "Feiertag der nationalen Arbeit" sich den Fachschaften der Beamtenabteilung der NSDAP anzuschließen. 73 Sicherlich hatte man damit das Ziel verfolgt, durch eine Loyalitätsbezeugung den eigenen Verband zu retten. Die Veranstaltungen wurden von den nationalsozialistischen Organisationen aber auch dazu benutzt, die eigene Macht gegenüber rivalisierenden staatli chen Institutionen zu demonstrieren. Am 24. Juni 1933 erschien im ,,Führer" 70 Bereits am 31.3.33 war den Beamten, Angestellten und Arbeitern des badischen Staates gestattet worden, auch im Dienst und in den Diensträumen Abzeichen und Unironnen von Parteien und Verbänden zu tragen, die hinter der Regierung der nationalen Erhebung stehen. Auszug aus dem Badischen lustizministerialblatt vom 31.3.33 bei den Akten des Gerichts (GLA 240/286). 71 Zu den Veranstaltungen und der damit bezweckten Einflußnahme auf die Beamten auch Schütz, S. 81 - 83.
72
(GLA 240/310).
73 Von Rechnungsrat Thum mit Zustimmung Buzengeigers in Umlauf gesetzt (GLA 240/310).
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Kap. 2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
ein in den Akten des Gerichts überlieferter Aufruf 74 des oben bereits erwähnten Gaubeamtenleiters der NSDAp, Bogs: .. Als Zeichen nationaler und sozialer Verbundenheit der Beamtenschaft mit der Arbeitsfront ordne ich an, daß die Beamten sämtlicher hiesigen Behörden sich an der Arbeitnehmerkundgebungam Samstag, den 25. Juni 1933 auf dem Schloßplatz beteiligen. Hierzu begeben sie sich, wie die Angehörigen der Betriebe, um 1 Uhr in geschlossenem Zuge von ihren Behörden aus nach dem Schloßplatz. "
Bei der Stelle des Gaubeamtenleiters der NSDAP handelte es sich um ein reines Parteiamt, die Anordnung (!) gegenüber sämtlichen Justizbeamten, am darauffolgenden Tag zu einer Kundgebung zu erscheinen, stieß denn auch auf Widerstand bei Buzengeiger. Eine eigene Entscheidung traute er sich allerdings nicht zu, sondern er vergewisserte sich der Rückendeckung des Ministeriums. Ein Vermerk Buzengeigers vom 24. Juni besagt: .. Das Ministerium hätte es lieber gesehen, wenn von der Partei wegen vorstehender Kundgebung an das Ministerium herangetreten worden wäre, es wolle aber die Kundgebung nicht stören, die Beamten des Justizministeriums wUrden sich daran beteiligen und es empfehle [!, Verf.] auch den Gerichtsbehörden usw. die Beteiligung."
Man marschierte dann bei freigestellter Teilnahme unter Buzengeigers Führung zum Schloßplatz. 75 Die Parteiorganisationen, die die Beamtenschaft erfassen sollten, rangen aber nicht nur mit den staatlichen Institutionen um die Macht, sie rivalisierten auch untereinander. Bei der Veranstaltung war es nämlich allem Anschein nach zu einem Eklat zwischen NSBO und BNSDJ gekommen, der die bezweckte Demonstration der Einheit der Beamtenschaft im ,,neuen Staat" empfindlich gestört hatte. Dem Gericht wurde ein Schreiben Wackers an den Kreisleiter der Fachschaft Justiz der Kreisbeamtenabteilung der NSDAP vom 29.6.33 übermittelt,76 worin es hieß: .. Bei der letzten Kundgebung der NSBO [Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation, Vertrauensleute des Amts fUr Beamte der NSDAP in den Behörden, Verf.], zu der auch die gesamte Beamtenschaft aufgeboten gewesen war, haben sich Mißhelligkeiten daraus ergeben, daß nur ein Teil der Beamtenschaft der Fachschaft angehört und ein Dienstvorstand daraus ableitete, daß die der Fachschaft nicht angeschlossenen
74
(GLA 240/310).
H
Folgt aus der Anweisung Buzengeigers vom selben Tag (GLA ibid.).
76 (GLA 240/393).
D. Druck auf die Staatsdiener, Konflikte zwischen Partei und Staat
57
Beamten der Fachschaft und den Anordnungen ihres Leiters nicht unterstünden. Solche Vorkommnisse sind solange möglich, als das gegenseitige organisatorische Verhältnis von Fachschaft, BNSDJ und Beamtenbund nicht voll geklärt ist. Um kunftig wenigstens fUr die Ordnung bei derartigen Veranstaltungen richtungsweisende Klarheit zu schaffen, ordne ich im Einverständnis mit der Kreisleitung der NSDAP an, was folgt: (... )"
Angeordnet wurden gegenseitige Informationspflichten und daß die Fachschaft mit der Fahne vorauszumarschieren habe, gefolgt von der nichtorganisierten Beamtenschaft. 77 Die Liste der Veranstaltungen ließe sich noch beliebig fortsetzen. 78 Herauszuheben ist vielleicht nur noch, daß die Beamtenschaft
77 Das Verhältnis von BNSDJ und Reichsbund der deutschen Beamten blieb noch bis ins Jahr 1934 hinein unklar (Vorgänge in GLA 240/393). Gerungen wurde darum, welcher Verband fUrdie imJustizdienst beschäftigten Beamten zuständig sein sollte. So war am 22.12.33 dem Amtswalter Beck des NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation) von Buzengeiger gestattet worden, "partei gemäßer Weisung zufolge fUr den Beitritt zum Reichsbund der deutschen Beamten zu werben." Am 24.12.33 druckte die badische Presse auf Seite 9 eine VerfUgung des Reichsinnenministers ab, wonach BNSDJ-Mitgliederoder solche, die eintreten wollten, nicht in den Reichsbund eintreten sollten, so daß Beck am 24.12.33 die Werbung wieder untersagt wurde. Am 27.12.33 wandte sich dann der Kreisfachschaftsleiter des Amts fUr Beamte (Reichsbund) an seine Amtswalter und teilte diesen unter Verweis auf eine Anordnung der obersten Parteiorganisation vom 19.12.33 in rUdern Ton mi t, daß sämtliche beamtete PG dem Reichsbund angehören mUßten ...Wo dies nicht der Fall ist, sofort aufnehmen. Meldung vom Vollzug bis spätestens 10. Januar 34. Fehlanzeige erforderlich." Daraufhin wurde Beck die Werbung wieder gestattet. Vom Abschluß der Kontroverse berichtete dann .. Der FUhrer" am 11.2.34 auf S.1. Demnach hatten sich Frick und Heß darauf geeinigt, daß der RSB die Einheitsorganisation fUr alle Beamte darstelle. Beamte mit rechts- oder staatswissenschaftlicher Vorbildung oder sonstige mit richterlichen Geschäften betraute (Rechtspfleger) gehörten sowohl in den BNSDJ als auch in den Reichsbund, die Mitgliedschaft im BNSDJ berge die im Reichsbund in sich, ohne daß ein weitere Beitragspflicht entstehe. 78 FUr den 1.7.33 wurde zu einer öffentlichen Kundgebung der NSDAP auf dem Festhallenplatz aufgerufen. Den Mitgliedern der Fachschaft wurde die Teilnahme zur Pflicht gemacht, die der Ubrigen Beamten war ..dringend erwünscht". S. Schreiben der Kreisbeamtenabteilung Fachschaft Justiz vom 29.6.33 (GLA 240/310).
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Kap. 2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
auch bei dem den Reichstagswahlen und der Volksabstimmung vom 12. November 1933 vorausgehenden Wahlkampf beteiligt wurde. 79 Auch schon anläßlich des erstmals als nationalem Feiertag stattfindenden Erntedankfestes am 1. Oktober 193310 war den Justizbehörden von Wacker eine Anordnung des Reichsinnenministers übermittelt worden,81 wonach gerade von der Beamtenschaft und den Staatsangestellten erwartet werde, daß sie "sich zur Durchführung der örtlichen, festlichen Veranstaltungen zur Verfügung ( ... ) stellen und an der Feier ( ... ) teilnehmen." Am 2. November sprach Goebbels auf dem Schloßplatz, am 9. November Frick. Auch anläßlich dieser Veranstaltungen kam es wieder zu einem Kompetenzgerangel zwischen Ministerium und Parteistellen. Laut einer Anordnung der Gauleitung vom 28. Oktober 193382 hatten alle Beamten teilzunehmen. Auch Aufstellung und Marschordnung waren in militärischem Ton befohlen. Auf der Anordnung befindet sich ein Aktenvermerk Thums: "Von Justizsekretär B. mir am Samstag 28. Okt. 1933 kurz vor Dienstschluß ohne weitere Erklärungübergeben." B. war der Amtswalterder NSB0 83 und damit Vertrauensmannder Partei am Gericht. Am 30. Oktober informierte Buzengeigerdie Beamten und Angestellten des Gerichts von der Veranstaltung und teilte mit,
79 Eine Anordnung Fricks an die Reichsminister, die Reichsstatthalter und die Landesregierungen, daß vor allem die Behörden und dami t die Beamten den Wahlkampf zu unterstützen hätten, war am 25.10.33 ergangen und den lustizbehörden vom badischen lustizministerium am 6.11.33 Ubennittelt worden (GLA 240/307). 80
Siehe OvereschJSaal, Bd. I, S. 89.
81 Schreiben Wackers vom 27.9.33 (GLA 240/310). Eine Anfrage Buzen~eigers beim lustizministerium ergab, daß keine Anordnung beabsichtigt sei, die die Beteiligung zur Pflicht mache, "da es als selbstverständlich angesehen werde, daß die Beamtenschaft ihre Verbundenheit mit dem Volke durch rege Beteiligung an den Veranstaltungen bekunde." (Aktenvennerk Buzengeigers, GLA ibid.). B2
(GLA 240/310).
83 Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation, eine Abteilung des Amts fUr Beamte der NSDAP.
D. Druck auf die Staatsdiener, Konflikte zwischen Partei und Staat
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die Beteiligung sei dringend erwünscht, ein beabsichtigtes Fernbleiben sei ihm mitzuteilen. Diese, wenn auch nur geringfügige Abschwächung gegenüber der Anordnung der Gauleitung war allem Anschein nach wiederum mit Rückendeckungdes Ministeriums erfolgt. Von dort erging nämlicham 31. Oktober die Aufforderung zur Teilnahme unter Hinweis auf die Wichtigkeit dieser Kundgebung für den Wahlkampf und die besondere Rolle der Beamtenschaft. 84 .. Es ist im vaterländischen Interesse gelegen, sie so eindrucksvoll wie möglich zu gestalten. Ich halte es deshalb für erwünscht, daß die Beamten und Angestellten der mir unterstellten Karlsruher Justizbehörden sich vollständig an der Kundgebung beteiligen und dadurch ihre Verbundenheit mit der Volksgemeinschaft und ihr Eintreten fUr die großen Ziele, die unser Reichskanzler im Kampf mit einer teils verständnislosen, teils noch ablehnenden Umwelt verfolgt, erneut bekundet. Irgendeine Einwirkung auf den einzelnen, die als moralischer Druck erscheinen könnte, muß aber vermieden werden. Der nationalsozialistische Staat will keinen inneren Zwang. sondern innere Überzeugung. Je mehr die Teilnahme des Einzelnen an der Kundgebung seiner freien Entschließung entspringt, desto wertvoller wird sein Bekenntnis zum neuen Staat sein und desto Uberwältigendere Kraft wird es nach außen haben. Wenn die Justizfachschaften an der Kundgebung geschlossen teilnehmen, so würde ich es für zweckmäßig halten, wenn auch diejenigen Beamten, die der Fachschaft nicht angehören, soweit sie nicht aus gesundheitlichen Gründen oder sonstigen wichtigen Gründen an der Teilnah me verhindert sind, sich unter FUhrung ihrer Dienstvorstände anschließen wUrden."
Schon die Anordnung Buzengeigers, das Fernbleiben von der Kundgebung anzuzeigen, belegt aber, daß die geschlossene Teilnahme aller Beamten ohne einen gewissen Druck nicht zu erreichen war. Die Anordnung des Ministeriums wurde denn auch gegen Unterschrift in Umlauf gesetzt, um die Berufung auf Unkenntnis von vornherein auszuschließen. Die Vorfälle weisen auf ein Grundproblem nationalsozialistischer Herrschaft hin: Das nie geklärte Verhältnis zwischen Partei und Staat. Mit der Parteiorganisation war ein neuer Machtfaktor neben die staatlichen Institutionen getreten, der eine Vorrangstellung beanspruchte. Die nationalsozialistischen Minister hingegen, einmal an die Macht gekommen, wachten mit Argusaugen darüber, daß ihre von der Stellung im Staatsgefüge abgeleitete Machtkompetenz von Parteiseite nicht beeinträchtigt würde. 85
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Anordnung des Ministeriums und VerfUgung Buzengeigers (GLA 240/310).
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Kap. 2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
So hatte der oben erwähnte wortlos übergebene Befehl der Partei an die Beamtenschaftnoch ein Nachspiel. Zwar konnte Wacker den Befehl nicht aufheben, da ja auch er den Wahlkampf unterstützen mußte und sicher auch wollte. Er schwächte ihn aber doch etwas ab, indem er keine kategorische Pflicht zur Teilnahme auferlegte. Noch am gleichen Tag demonstrierte er dann seinerseits seine Macht gegenüber der Parteiorganisation, indem er einen Erlaß herausgab, der die Vertrauensleute der Partei in ihrer Stellung als Beamte verpflichtete. Am 31. Oktober 1933 erging die Anordnung an sämtliche Justizbehörden: .. Die Befugnis, Anordnungen an Beamte und Angestellte der Justizverwaltung zu erlassen, steht ausschließlich mir und innerhalb ihrer Zuständigkeit den Dienstvorständen zu. Ich verbiete den mir unterstellten Beamten und Angestellten strengstens, Anweisungen, Anordnungen oder Umfragen irgendwelcher Art, auch soweit es sich um solche der Fachvereine, des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen, der Fachschaften und der NSBO-Zellen handelt, bei einer Justizbehörde in Umlauf zu setzen (... ), sofern der Dienstvorstand nicht ausdrücklich zugestimmt hat. Bei Zuwiderhandlungen gegen dieses Verbot haben Beamte dienstpolizeiliches Einschreiten, Angestellte fristlose Entlassung zu gewärtigen.( ... ) Ich ersuche die Herren Dienstvorstände, diesen Erlaß den unterstellten Beamten und Angestellten gegen unterschriftliche Bescheinigung zu eröffnen.( ... )"
Für den Gerichtspräsidenten war dies sicher ein hochwillkommener Schritt. Selbst wenn mit Dr. Wacker ein überzeugter Nationalsozialist im Justizministerium saß, so war man an Konflikte mit dem Ministerium gewöhnt und konnte damit rechnen, bei loyaler Amtserfüllung keinen Repressalien ausgesetzt zu werden. Außerdem befand man sich, was soziale Herkunft und akademische Bildung anging, unter seinesgleichen. Man kann sich auch leicht vorstellen, was ein an hierarchischen Behördenaufbau und auch an soziale Hierarchie gewöhnter Oberlandesgerichtspräsident empfand, als er den von einem Justizsekretär überreichten Befehl zu Gesicht bekam, der ja auch dem Präsidenten des Gerichts galt.
8~ Siehe hierzu Grill, S.262 - 265.
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Die Beamtenschaft wurde aber nicht nur im Rahmen von Veranstaltungen für den ,,Deuen Staat" verpflichtet, sondern auch in anderer Weise. 86 Immer neue Sammlungen und Spendenaufrufe dienten nicht nur der Finanzierung von Parteünstitutionen, sie sollten auch die politische Zuverlässigkeit des einzelnen Beamten ausloten. 87 Am 11. Juli 1933 erging ein Aufruf des Reichsministers des Innem, S8 der über die Schaffung der "S tiftung für die Opfer der Arbei t" in formierte. 89 Für diese Stiftung dürfe entgegen der sonstigen Regel auch innerhalb der Dienstgebäude gesammelt werden. "Die Beamtenschaft wird es schon zum Zwecke der Verbundenheit mit der Lebensarbeit unseres Kanzlers begrUßen, wenn ihr die Entrichtung von Spendenbeiträgen an die Stiftung fUr die Opfer der Arbeit möglichst erleichtert wird (... )."
Ein unzulässiger Druck solle aber nicht ausgeübt werden. Wie auch bei der Werbung für die Teilnahme an Veranstaltungen kam man aber auch hier nicht ohne eine nötigende Einflußnahme aus. Buzengeiger teilt seinen Richtern, Beamten und Angestellten am 12. Juli 1933 mit,90 daß "von maßgebender Seite großer Wert darauf gelegt" werde, daß nicht nur ein einmaliger Beitrag, sondem laufende Beiträge entrichtet werden. Viele Behördenvorstände hätten eine Liste in Umlauf gesetzt, in der sich jeder Beamte mit einem bestimmten Betrag eingetragen hätte, der dann von der das Gehalt leistenden Kasse an die Stiftung abgeführt würde. Von einem solchen Verfahren wolle er aber absehen. Im allseitigen Interesse empfahl er aber, daß jeder Beamte und Angestellte selbst mit einem Ersuchen an die Justizkasse herantreten solle, wobei 1% des Gehalts für die Dauerspende als Richtschnur gelten könne. Buzengeiger verwies darauf, daß dies einfacher sei, als die monatliche Einzelspende. Der eigentliche Unter-
86 Schon am 7.4.33 hatte der badische Minister der Finanzen den Beamten mitteilen lassen, daß wegen der im Ausland betriebenen Greuel- und Hetzpropaganda und der in Deutschland herrschenden Not des Gastgewerbes, kein Beamter mehr seinen Urlaub im Ausland verbringen solle. "Das gute Beispiel des Beamten muß die anderen Volksteile anspornen, in gleicher Weise zu handeln." (GLA 240/307). 87 Die politischen Beurteilungen der Beamten durch die Parteidienststellen enthielten regelmäßig Ausführungen zur Spendenfreudigkeit der einzelnen Beamten. Siehe hierzu das Kapitel Personal und Personalpolitik. 88
(GLA 240/286).
Am 19.7.33 hatte der Reichsinnenminister Sammlungen in staatlichen Gebäuden untersagt, jedoch zwei Ausnahmen zugelassen für die "Stiftung für die Opfer der Arbeit" und die "Freiwillige Spende zur Rirderung der nationalen Arbeit". (GLA 240/21). 89
90 (GLA 240/280).
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schied lag aber wohl darin, daß man von den Beamten Wld Angestellten keine öffentliche Erklärung verlangte, wieviel ihm die Stiftwtg im Monat wert war. Die umlaufende Liste hätte ja auch von den Vertrauensleuten der Partei eingesehen werden können Wld die Spendenfreudigkeit galt, wie bereits oben angesprochen, allemal als Indiz für die EinstellWlg des Einzelnen dem neuen System gegenüber. Die Erklärungen wurden dann gesammelt an die Justizkasse übergeben. 91 Eine weitere Maßnahme, die einmal darauf gerichtet war, den Beamten ihre besondere Verpflichtwtg gegenüber dem ,,nationalen Staat" zu verdeutlichen Wld die zum anderen nach außen hin die Einheit von Staat und ,,Bewegwtg" belegen sollte, stellte die EinführWlgdes Hitlergrußes in den badischen Behörden dar. Die AnordnWlg erfolgte durch Ministerpräsident Köhler am 18. Juli 1933 und machte es den Beamten, Angestellten und Arbeitern zur Pflicht ,.im Dienst Wld innerhalb der dienstlichen Gebäude und Anlagen durch Erheben des rechten Armes" zu grüßen. 92 Die Anordnung bereitete ständige Schwierigkeiten Wld bedurfte laufender Klarstellungen und WiederholWlgen. Bereits am 21. August sah sich Buzengeiger genötigt, seinen Untergebenen gegenüber zu erläutern, was Wlter "den Anlagen" zu verstehen sei und wie das Gericht den Gruß beim Eintreten in den Sitzungssaal zu entbieten gedenke. 93 Der Erlaß wurde am 16. Dezember 1933 im Badischen Staatsanzeiger-KarlsruherZeitWlg nochmals wiederholt Wld teilweise klargestellt, genauso im Badischen Justizministerialblatt vom 2. März 1934. 94
91
Aufstellung vom 17.7.33 (GLA 240/286).
Der Erlaß ist veröffentlicht im "Badischen Staatsanzeiger-Karlsruher Zeitung" vom 18.7.33, NO.I64. Abdruck bei den Akten des Gerichts (GLA 240/286). 93 (GLA 240/286). 92
Dort S. 67. Abdruck bei den Akten des Gerichts (GLA 240/286). Am 2.11.33 wandte sich die Gauleitung an das Gericht und bat um die Genehmigung zur Anbringung von Plakaten mit der Aufschrift: "Des Deutschen Gruß: ,Heil Hitler'" (GLA 240/286). Dabei war angeftigt: "Ich darf bemerken, daß nach einer Reihe aus dem ganzen Gaubereich eingegangenen Berichten allgemein geklagt wird, daß in den BehördensteIlen der deutsche Gruß teilweise gar nicht oder nur oberflächlich zur Anwendung gelangt. Dieses führte schon wiederholt zu unliebsamen Auseinandersetzungen zwischen Beamten und anderen Volksgenossen." Buzengeiger bestellte am 6.11.33 fUnf Plakate. Am 3.12.33 wurde am Gericht erneut ein mahnender Erlaß der badischen Staats kanzlei in Umlauf gesetzt (GLA 240/286). 94
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Nicht viel später, am 6. Februar 1934, erfolgte dann die Einführung des Grußes im Schriftverkehr. 95 Es kann also festgehalten werden, daß die neue Führung auf den überkommenen Justiz- und Verwaltungsapparat dringend angewiesen war. Eine Ersetzung durch bewährte Nationalsozialisten wäre undenkbar gewesen. Durch Werbung, Schulung aber auch durch einen gewissen Druck, der den Staatsbediensteten ein offene Entscheidung abverlangte, wurde versucht, Beamte und Richter für den neuen Staat einzunehmen. Bei diesen Bemühungen konkurrierten staatliche Ministerien mit Parteünstitutionen.
E. Der beginnende Bedeutungsverlust der Justiz Ein Wesensmerkmal nationalsozialistischer Machtausübung war es, daß Entscheidungen, die im Rechtsstaat der Weimarer Republik der Justiz vorbehalten gewesen waren, nunmehr an der Justiz vorbei getroffen wurden. Unabhängig von der Frage, wie der einzelne Richter oder Staatsanwalt dem Herrschaftssystem gegenüber eingestellt war, so konnte niemand übersehen, daß die Bedeutung der Justiz gesunken war und weiterzu schwinden drohte. 96 Ein entscheidendes Erlebnis dieser Art wurde der Justiz durch die Inschutzhaftnahme politisch oder sonst Mißliebiger ab März des Jahres 1933 bereitet. Eine
Nicht ohne Schwierigkeiten vollzog sich die Einführung des Hitlergrußes auch am Amtsgericht in Mannheim. Von dort meldete der aufsichtsfUhrende Richter dem badischen Justizministerium am 29.7.33, der Betriebszellenobmann der NSBO habe angefragt, ob er eine Schulung über die richtige Handhabung des Hitlergrußes durchführen dürfe. Zur Begründung hatte der Vertrauensmann unter anderem vorgetragen: "Es ist nämlich vorgekommen, daß einzelne Herren wohl die rechte Hand erhoben und dazu aber entweder nur ,Heil' oder ,Guten Morgen' und auch ,Mahlzeit' sagten." Das badische Justizministerium gestattete die Durchführung der Schulung nicht. Bescheid vom 5.7.33. (Sämtliche Vorgänge in GLA 240/1987/53/166). 95 Anordnung des badischen Ministerpräsidenten vom 1.2.34, abgedruckt im "Führer" vom 6.2.34. 96 Zu dieser sich immer weiter steigernden Konkurrenzsituation Angermund, S. 158ff., der freilich auf S. 177 von einer bereitwilligen Kooperation der Justiz mit den Polizeibehörden ausgeht, ohne die fUr die Richterschaft demoralisierende Wirkung der immer weiter ausufernden Kompetenzen der Polizei zu würdigen.
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Überprüfung dieser Maßnahmen durch den Haftrichter fand nicht statt. Dies bedeutete nicht nur für die Richter eine Beeinträchtigung ihrer Macht, sondern auch einen Machtverlustfür die Länderjustizministerien gegenüber den Innenministerien. Man wollte sich auch seitens des badischen Justizministeriums das Heft nicht kampflos aus der Hand nehmen lassen. Anläßlich der Durchführung des Gesetzes gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung schrieb das Justizministerium an den badischen Minister des Innern: 97 "Für das Anerbieten, Personen, gegen die das nachträgliche Sicherungs verfahren in Frage kommt, aufgrund des § 1 der VO zum Schutz von Volk und Staat durch die Polizeibehörden in Schutzhaft nehmen zu lassen, danke ich verbindliehst. Im Regelfall hat die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl zu beantragen. Die Verhängung der Untersuchungshaft ist möglich (... ). Ist die Erlassung eines Haftbefehls im Einzelfall aus besonderen Gründen nicht möglich, die Festhaltungdes Betroffenen aus Erwägungen der Verbrechensbekämpfung oder der Sicherung der Volksgemeinschaft jedoch angezeigt, so ist bei der Polizei behörde die Verhängung der Schutzhaft anzuregen."
Mit gleichem Datum wurden auch die Staatsanwaltschaften darauf hingewiesen, daß Haftbefehl zu beantragen sei. Auch dieser Erlaß wurde den Gerichten nachrichtlich übermittelt. Das Problem der Inschutzhaftnahme war aber dadurch nicht gelöst und die Machtlosigkeit der Justiz nicht beseitigt. 98 Denn die Verhängung der Schutzhaft diente auch der Korrektur unliebsamer richterlicher Entscheidungen. Auf diesem Gebiet wurde Ende des Jahres 1934 etwas Abhilfe geschaffen. Am 12. Dezember 1934 wurde den Gerichten ein FIlaß des inzwischen zum badischen Innenminister avancierten Pflaumer 9 vom 3. Dezemberüberrnittelt: oo gerichtet an die Landräte, Polizeipräsidenten und Polizeidirektoren sowie den Leiter der Geheimen Staatspolizei Karlsruhe. "In letzter Zeit ist bei der Nachprüfung von Schutzhaftfällen mehrfach aufgefallen, daß Schutzhaft beantragt wurde wegen Äußerungen, die bereits von derselben Behörde unter dem Gesichtspunkt eines verübten groben Unfugs mit kurzen Haftstrafen ge-
97
(Beide GLA 240/1315).
Zu den Bemühungen des Reichsjustizministeriums um eine Verrechtlichung der Schutzhaft Gruchmann, S. 545 - 573. 98
99
100
Grill, S. 210.
(GLA 240/1312).
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ahndet waren. ( ... ) Nach Richtlinien des Reichsministers des Innern vom 12. April 1934 ist eine zusätzliche Schutznahme als Strafe neben einer Bestrafung unzulässig. Ich ersuche kUnftig in Fällen, die eine längere Verwahrung des Täter notwendig erscheinen lassen, die höchstzulässige Bestrafung (6 Wochen Haft) wegen groben Unfugs Uber die Staatsanwaltschaft herbei zufUhren, soweit nicht etwa der Tatbestand eines Vergehens erfUllt sein sollte;( ... ). In der Regel wird durch Bestrafung mit 6 Wochen Haft und anschließender sofortiger VerbUßung die Tat ausreichend gesUhnt sein. Nur wenn im Ubrigen neben einer Bestrafung auch noch die Voraussetzungen fUr die Inschutznahme gemäß den Richtlinien des Reichsministers des Innern vorliegen, ist Antrag auf Verhängung der Schutzhaft vorzulegen. Es ist unerwUnscht und dem Ansehen des Gerichts abträglich, wenn Personen etwa zu Korrektur richterlicher Urteile nach VerbUßung der gerichtlichen Strafe zusätzlich in Schutzhaft genommen werden, wie das wiederholt vorgekommen ist. Ich ersuche, hiervon kUnftig Abstand zu nehmen, soweit nicht besondere polizeiliche Interessen, namentlich Spionageabwehr und dergleichen, eine Schutzhaftnahme verlangen."
Obwohl die Anweisung an die Polizeibehörden einen Vorrang der Gerichte für die Bestrafung anerkennt, gestattet sie es den Polizeibehörden beim Vorliegen bestimmter und unpräzise formulierter Voraussetzungen, auch weiterhin Schutzhaft zu verhängen. Trotzdem wurde sie von Buzengeiger lebhaft begrüßt. Die entscheidenden Passagen des Textes hatte Buzengeiger am Rand dick angestrichen. Den Hinweis des Innenministers auf die Abträglichkeit des bisher geübten Verfahrens für das Ansehen der Justiz hatte er mi t der Anmerkung versehen: 101 "Sehr richtig! vgl. Fall T." Man war sich der eigenen Machtlosigkeit also durchaus bewußt und empfand diese auch als schmerzhaft. EndgilltigeAbhilfe brachte dieser Erlaß nicht, wie die weiteren Vorgänge zeigen werden; sicherlich auch deshalb nicht, weil die Gewalt des badischen Innenministers über die Polizeikräfte zu Gunsten der Reichsgewalt im Schwindenwar.102 Für den Richter der überkommenen Gerichtsbarkeit war sicher nicht nur der offensichtliche Machtzuwachs der Polizei bedeutsam, sondern auch die Tatsache, daß mit der Zersplitterung der staatlichen Rechtspflege, insbesondere durch die Schaffung der Sondergerichte und des Volks gerichtshofs , politisch bedeutsame Verfahren der überkommenen Gerichtsbarkeit entzogen worden waren. Strafrichter an diesen Gerichtszweigen mußten zu der Erkenntnis ge-
101
Name des Beschuldigten im Original ausgeschrieben.
102
Siehe Grill, S.260f.
5 Schiller
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langen, daß ihrer Tätigkeit in diesen Bereichen offensichtlich kein Vertrauen entgegengebracht wurde. l03 War von dem letztgenannten Aspekt nur ein Teil der Richterschaft betroffen, so drohte allen Richtern ein Machtverlust durch Partei stellen , die ständig bemüht waren, ehedem staatliche Gewalt an sich zu reißen. 104 Auseinandersetzungenmit Partei stellen dauerten über die ganzen zwölf Jahre der Nazidiktatur an. Ein für die Jahre 1933 und 1934 bedeutsamer Konflikt entstand aus dem Bemühen der SA, ihre Mitgliederder staatlichen Strafverfolgung zu entziehen. Mit der SA war ein Machtfaktor auf der Bühne erschienen, der den staatli chen Autoritätsanspruch nicht akzeptierte und demzufolge auch nicht gewillt war, sich der staatlichen Strafverfolgung zu unterwerfen. Die Versuche der SA, ihre Mitglieder der Strafrechtspflege zu entziehen, führten zu einem Teilerfolg in der Straffreiheitsverordnung vom 21. März 1933 (RGBI. I S.I34). lOS ,,Für Straftaten, die im Kampfe für die nationale Erhebung des Deutschen Volkes, zu ihrer Vorbereitung oder im Kampfe für die deutsche Scholle" begangen worden waren, wurde Straffreiheit gewährt. Stichtag war der 21. März 1933. Bei vor diesem Tag begangenen Taten sollte ein schon anhängiges Verfahren eingestellt und ein neues Verfahren nicht eröffnet werden. l06 Der spektakulärste Fall in Baden betraf das Verfahren gegen die noch nicht ergriffenen Mörder des ehemaligen Reichsfinanzministers Matthias Erzberger. Das Verfahren gegen die beiden Nationalsozialisten Schulz und Tillessen sollte auf Geheiß Hitlers eingestellt werden. 107 Das Landgericht Offenburg kam dem mit Beschluß vom 10. April 1933 nach, nachdem die Generalstaatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag gestellt hatte. 108 Mit dem 21. März 1933 war aber die revolutionäre und damit gewalttätige Phase der nationalsozialistischen Machtergreifung keineswegs beendet. Damit war auch der
103 Hierzu auch Schorn, S. 102 - HO. Zur Konkurrenz der Gerichtsbarkeiten auch Laufs, Berliner Justiz, S. 204. 104 Zur Konkurrenz von Staat und Partei Diehl-Thiele, S. 14-17. lOS
Zu deren Entstehung Gruchmann, S.324 - 328.
106
Gruchmann, S. 327.
107 Siehe zu diesem Fall Gruchmann, S. 327 und Grill, S. 20 und 23. 108Zur weiteren Verfolgung der Tat nach dem Krieg Göppinger, S. 48, FN 7.
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Konflikt zwischen staatlichem Strafanspruch und dem von der SA für sich eingenommenen Sonderstatus noch nicht gelöst. Die Versuche der SA, sich der staatlichen Strafjustiz zu entziehen, konzentrierten sich ab dem 21. März auf die Schaffung einer eigenen SA-Gerichtsbarkeit. 109 Am 19. Juli 1933 hatten zwei Münchener Rechtsanwälte im Auftrag der obersten SA-Führung das Reichsjustizministerium mi t derartigen Plänen konfrontiert. 110 Es entspann sich eine Auseinandersetzung zwischen Reichsinnenministerium und Reichsjustizministeriumauf der einen Seite und SA-Führung auf der anderen Seite um die Ausgestaltung dieser Gerichtsbarkeit. Während die bei den Ministerien dafür eintraten, die SA-Gerichtsbarkeit allenfalls als eine Art Disziplinargewalt entstehen zu lassen, schwebte der SA selbst eine umfassende Strafjustiz für SA-Angehörige vor, die, ähnlich der Militärgerichtsbarkeit, die Strafjustiz ersetzen sollte. Während dieser Schwebephase, die bis zur Ermordung Röhms am 1. Juli 1934 andauerte, wurde von den lokalen SA-Führern unter Verweis auf die geplante die Strafjustiz ersetzende SA -Gerichtsbarkeit versucht, staatli che Strafverfahren zu verhindern. 111 Auch in Baden wollte es der Sonderkommissar des Obersten SA-Führers für Baden, Wagenbauer, nicht hinnehmen, daß die Mitglieder seiner Organisation weiterhin staatlicher Strafverfolgung ausgesetzt seien. 112 Am 15. August 1933 wandte er sich an das badische Ju-
109 Zur Konkurrenz durch die Parteigerichtsbarkteit Diehl-Thiele, S. 55 - 60; Laufs, Berliner Justiz, S. 204. 110 Zur Auseinandersetzung um die SA-Gerichtsbarkeit, Gruchmann, S .412 - 432. 111 Die Schwierigkeiten der Strafverfolgung in derartigen Fällen in Preußen und Bayern schildert Gruchmann, S. 336 - 412. 112 Die "alten Kämpfer" mißtrauten aufgrund der in der Weimarer Zeit gemachten Erfahrungen den Strafverfolgungsorganen. In einem der Gauleitung vom Justizministerium am 25.6.34 vorgelegten Auszug aus dem Jahresbericht der Staatsanwaltschaft Mannheim heißt es: "In weiten Kreisen der Bevölkerung herrscht noch immer die aus marxistischen Gedankengängen stammende Auffassung einer notwendigen Gegensätzlichkeit, ja Feindschaft zwischen Behörden und StaatsbUrgern und noch mehr fehlt es an der Erkenntnis, daß im heutigen Staat der Nationalsozialismus, so wie er das Volk in seiner Gesamtheit erfaßt hat, auch vor den Türen der Amtsstuben nicht Halt gemacht
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stizministeriwn,I 13 kündigte die bevorstehende GründWlg einer SA-Gerichtsbarkeit an Wld sicherte deren strenge HandhabWlg zu. Sodann fordert er: "Ich bitte aber dafür Sorge zu tragen, daß mir von Seiten der unterstellten Behörden, nicht wie bisher, Schwierigkeiten bei der Herausnahme von SA-Führern und SAMännern aus dem Gang der ordentlichen Gerichtsbarkeit pp. gemacht werden. Ich bitte dahin zu wirken, daß alle Fälle, die von mir aufgegriffen werden, bzw. von denen die unterstellten Behörden Kenntnis erhalten, so schnell wie möglich bearbeitet und mir zur endgültigen Entscheidung, ob ich die SA-Männer nach Ausschluß aus der SA der ordentlichen Gerichtsbarkeit zur Verfügung stelle, zugeleitet werden."
Wie man sich eine derartige SA-Gerichtsbarkeit vorzustellen hatte, insbesondere was die Wahrung des Legalitätsprinzips angeht, verdeutlichte ein Schreibender Obersten SA-Führung, 114 gerichtet an die eigenen Verbände, das dem badischen Justi:zministeriwn ebenfalls überlassen wurde. In dem Schreiben Röhms vom 31.Juli 1933 heißt es: "Ich decke auch und verantworte gerne jede Handlung von SA-Männern, die zwar den geltenden gesetzlichen Bestimmungen nicht entspricht, die aber dem ausschließlichen Interesse der SA dient. Hierzu gehört z.B., daß als Sühne für den Mord an einem SA-Mann durch den zuständigen SA-Führer bis zu 12 Angehörige der feindlichen Organisation, von der der Mord vorbereitet wurde, gerichtet werden dürfen."
Damit drohte nicht nur offener Terror; der Justiz drohte die Ahndung politischer Morde vollkommen zu entgleiten. 11 S
hat. Die Erkenntnis des einzelnen Volksgenossen, daß die Behörden heute als nationalsozialistisch eingestellte ein Teil des Volksganzen, seine Behörden sind, und daß Angriffe deshalb Angriffe gegen seine eigene Sache bedeuten, bedarf meines Erachtens noch sehr erheblicher Vertiefung." (GLA 240/1987/53/13). 113 (GLA 240/1987/53/16). 114
(GLA 240/1987/53/16).
115 Nicht umsonst war die Passage vom Sachbearbeiter beim Ministerium, vermutlich Reinle, besonders markiert worden. (GLA 240/1987/53/16). Zu diesem Schreiben auch Weinkauf/. S. 118f.
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Wacker antwortete Wagenbauer am 23. August, daß er dem Ersuchen erst dann stattgeben könne, wenn ein Gesetz die SA-Gerichtsbarkeit begründet habe. Eine gleichlautende Erklärung hatte das badische Innenministerium am 22. August abgegeben. Trotzdem wandte sich am 30. August Rechtsanwalt Rolf Bader aus Baden-Baden an das Justizministerium und bat unter Ankündigung der SA-Gerichtsbarkeit, die Strafsache gegen Josef K. "dilatorisch" zu behandeln. Der Eingabe war ein mit fast gleichlautender Begründung versehener Antrag an das zuständige Amtsgericht in Kopie beigefügt, in dem darum gebeten wurde, Termin nicht anzuberaumen. Das Justizministerium ließ den Anwalt, wie Wagenbauer, am 1. September wissen, daß ohne ein entsprechendes Gesetz nichts veranlaßt werde und es im übrigen der Justizverwaltung nicht zustünde, in schwebende Verfahren einzugreifen. 116 Versuche der Enflußnahme durch die SA auf laufende Gerichtsverfahren gab es auch in anderen Ländern, so daß sich auch das Reichsjustizministerium zu einer Klarstellung veranlaßt sah. Am 18. September 1933 teilte es den Landesjustizverwaltungenmit, über die Gründung einer SA-Gerichtsbarkeit werde nur verhandelt, bis zum Abschluß dieser Verhandlungen unterstünden alle Personen der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Bei dem Versuch von Behinderungen der Strafverfolgung möge berichtet werden. Auch der Reichsinnenminister wies unter Hinweis auf Übergriffe der SA die Landesregierungen am 6. Oktober an: "S trafbare Handlungen der Mitglieder sind nachdrücklich zu verfolgen." Bei den Beamten dürfe nicht das Gefühl entstehen, daß ihnen aus der Erfüllung ihrer Dienstpflicht ein Nachteil entstehe. 117 Versuche von SA-Angehörigen, Einfluß auf richterliche Entscheidungen zu nehmen, dauerten aber fort. Am 5. Juni 1934 wurde dem Referenten beim 00dischen Justizministerium Reinle, dem späteren Oberlandesgerichtspräsidenten, vom Generalstaatsanwalt der Auszug aus dem Jahresbericht der Staatsanwaltschaft Mannheim vorgelegt, wonach häufig versucht werde, durch das unberechtigte Tragen von Partei uniformen und Abzeichen, Einfluß auf richterliche Entscheidungen zu nehmen. Dem sei dadurch begegnet worden, daß der Kreisleiter allen Personen, deren Sache er zu unterstützen gedachte, eine Bestätigung mit an die Hand gab. 118 Auch nach der Ermordung Röhms wurden
116
Vorgänge bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/53/16).
117
(GLA 240/1987/53/16).
118 Der Bericht wurde der Gauleitung vom lustizministerium am 25.6.34 vorgelegt. (GLA 240/1987/53/13). Daß versucht wurde, durch Tragen der Partei uni form Entscheidungen zu steuern, folgt auch aus einem den lustizbehörden vom lustizministerium
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noch derartige Versuche unternommen. Am 8. November 1934 wandte sich das badische Justizministerium an den Innenminister119 und berichtete von einem Verfahren gegen zwei SA-Angehörige, die wegen erschwerter Körperverletzung angeklagt gewesen seien. Der Sturmbannführer beider Angeklagten habe sämtliche Beteiligten, Angeklagte wie Zeugen und damit auch die Opfer, einbestellt und sie gefragt, ob sie bei ihren Vorwürfen bleiben wollten. So beeinflußte Zeugen würden den Mut zur wahrheitsgemäßen Aussage kaum mehr finden. Kenntnis von den Vorgängen habe der Sturmbannführer dadurch erlangt, daß den SA-Führern die Gendarmeriemeldungen zugeleitet würden . ..Wenn gelegentliche Übergriffe von SA- oder sonstigen ParteisteIlen auch in Zukunft nicht ganz zu verhuten sein werden, so sind doch solche Eingriffe in die Rechtspflege kaum mehr zu befürchten, wenn den SA-Dienststellen keine Doppel der Gendarmeriemeldung mehr zugehen."
Man mag in diesem Ersuchen und in der sich anschließenden Verfügung des Innenministers vom 5. Dezember 1934,120 die dem Vorschlag folgte und eine Weiterleitung der Gendarmeriemeldungen an die SA unterband, ein Indiz dafür sehen, daß es infolge der Ausschaltung der SA-Führung mit der spektakulären Ermordung Röhms möglich geworden war, auch den Einfluß lokaler SAFührer zurückzudrängen. Die Macht der überkommenen Gerichtsbarkeit schien in der revolutionären Anfangsphase der Nazidiktatur also gefährdet. Einmal wurde der Justiz demonstriert, daß sie bei der Strafverfolgung über die Verhängung von Haft nicht mehr zu entscheiden hatte. Ferner wurde ihr vor Augen geführt, daß der Exekutive mißliebige Urteile jederzeit korrigiert werden konnten. Mit der Forderung nach einer eigenen Gerichtsbarkeit für SAAngehörige drohte ein weiterer Kompetenzverlust.
vorgelegten Bericht vom 5.7.34. Ein Justizinspektor in Pforzheim hatte einen SA-Mann zu Rede gestellt, der in Uniform erschienen war. In dem Bericht heißt es, dem Inspektor sei das Geeignete bemerkt worden. Dem Tragen von Partei uniformen vor Gericht solle nur dann begegnet werden, wenn dadurch der Versuch gemacht werde, Einfluß auf die Entscheidung des Beamten auszutiben. (GLA 240/1987/53/16). 119
(GLA 240/1987/53/18).
120
(GLA 240/1897/53/18).
E Hierarchiekonflikte am Oberlandesgericht
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F. Hierarchiekonflikte am Oberlandesgericht Auseinandersetzungen mit SA und SS wurden auch am Oberlandesgericht selbst ausgetragen. Die bei den Behören beschäftigten Mitglieder dieser und anderer Parteiorganisationen waren mit der Machtergreifung zum Diener zweier Herrn geworden und widersetzten sich dienstlichen Anordnungen unter Hinweis auf die eigene Stellung in der Partei. Die Behördenhierarchie drohte ins Wanken zu geraten. Durch die Möglichkeitder Karriere in Parteidienststellen war eine soziale Mobilität entstanden, die den Behördenleitern schwer :zn schaffen machte. 121 Typisch für diesen Problemkreis sind folgende Vorgänge. 122 Rechnungsrat Thum, der direkte Vorgesetzte der Geschäftsstellenbeamten, hatte festgestellt,daß in der Geschäftsstelle des Erbgesundheitsobergerichts Schreiben an Behörden von der Geschäftsstelle anstatt vom Vorsitzenden unterschrieben worden waren. 123 Der zuständige Geschäftsstellenbeamte R. habe erklärt, ohne schriftliche Anweisung ändere er diese Praxis nicht. Der gleiche Beamte habe von ihm in der vorausgegangenen Woche im Beisein zweier weiterer Kanzleiassistenten die Herausgabe eines Hauptschlüssels verlangt und dabei eine herausfordernde Haltung eingenommen, insbesondere den Hut auf dem Kopf belassen. Am 17. Dezember sei ihm der gleiche Beamte vor seinem, Thums, Dienstzimmer entgegengetreten, habe ihm den Weg versperrt, sich mit gespreizten Beinen aufgestellt und Thum gefragt, ob er ein Gesuch um Sonderurlaub dem Oberlandesgerichtspräsidenten vorlegen müsse. Auf die Ecklärung Thums, so lange er beim Oberlandesgericht beschäftigt sei, unterstünde er auch der Dienstgewalt des Gerichtspräsidenten, habe R. geantwortet: "Das ist mir klar." Dabei habe R. die rechte Hand in die Hosentasche gesteckt. Auch wenn aus heutiger Sicht der auf dem Kopf belassene Hut und die in der Hosentasche verbliebene Hand als Demonstration des Aufstandes wenig geeignet erscheinen mögen, so stellte das Verhalten des Geschäftsstellenbeamten in der damaligen Zeit eine Ungeheuerlichkeit dar. Die Sache war Buzengeiger so wichtig, daß er sofort eine Untersuchung mit dem Ziel des Dienst121 Am 6.4.34 etwa wurde ein bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe beschäftigter Kanzleiassistent zum Leiter des Amts fUr Beamte -Fachschaft Justiz- befördert. Siehe Verfügung des Leiters der NSDAP Amt fUr Beamte (GLA 240/393). Zu diesem Konflikt auch Angermund. S. 69 - 72; WeinkauJ!. S. 112.
122
(Alle GLA 240/327).
123
Bericht Thums vom 19.12.34 (GLA 240/327).
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Kap. 2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
strafverfahrens einleitete. Auch die in diesem Zusammenhang vernommenen Zeugen waren über das Verhalten des lustizsekretärs entrüstet. Warum R. glaubte, sich ein derartiges Verhalten leisten zu können, wird aus seiner Stellungnahme zu den Vorfällen deutlich. Gleich der erste Satz enthält den entscheidenden Hinweis: "Durch die erhebliche Arbeitsüberhäufung neben meinem Dienst bei der SS bin ich mit meiner Arbeitskraft voll und ganz in Anspruch genommen ( ... ). Es mag daher sein, daß ich im Eifer das BUrodes HerrnORR Thum mit der Hand in der Tasche betreten habe, ohne dabei eine Verletzung der Anstandspnicht zu beabsichtigen. Das gleiche trifft bei den beiden weiteren Billen zu (... ). Ich halte aber derartige kleine Anstands versehen nicht für so schwerwiegend, daß sie zum Gegenstand eines Dienststrafverfahrens gemacht werden können. Es wäre viel ehrlicher und im Sinne des Führerprinzips am Platze gewesen, mich gleich auf diese kleinen Anstandsversehen aufmerks am zu machen. (... ) Ich bin Uberzeugt, daß meine Ausführungen, die mir zur Last gelegten Dienstwidrigkeiten, in einem anderen Licht erscheinen lassen. Zusammenfassend möchte ich bemerken, daß ich schon über zwei Jahre in der nationalen Bewegung stehe und während meiner Zugehörigkeit zu der Brigade Erhard und SS soviel Disziplin gelernt habe, daß ich weiß, welche Achtung ich Vorgesetzten schuldig bin. Der revolutionäre Geist, in dem wir Jungen erzogen sind, bringt es mit sich, daß der alte Beamtengeist der Systempolitik von der jungen Generation des Beamtennachwuchses nicht mehr verstanden wird. Im Sinne unseres großen FUhrers liegt es, sämtliche Schaffenden im kameradschaftlichen Geist zusammenzuführen. Jeder tut seine Pflicht, ob Groß ob Klein, je nach seiner Fähigkeit, an dem Platze, an den er gesteilt ist, um für Führer und Vaterland das Beste zu tun. Ich war stets bemüht, in diesem Sinne zu handeln."
Reue war also bei R. nicht festzustellen, im Gegenteil: er erhob auch noch den Vorwurf, man verharre beim Oberlandesgericht im Beamtengeistder ,,systempolitik".124 Gegen den revolutionären Impetus war Buzengeiger machtlos. Der lustizsekretär hatte zudem offen mit der Macht der SS gedroht. Im Abschlußbericht an den lustizminister vom 20. Dezember heißt es: 124 Buzengeiger schrieb ins Dienstzeugnis : "R. [zeigte im Betragen gegenüber seinem Geschäftsstellenvorgesetzten, Verf.] beharrliches, nicht berechtigtes übergroßes Selbstvertrauen, das ihn dazu verleitete, seine Ansichten und Meinungen, die nicht seiten in Widerspruch mit ergangenen Dienstanordnungen traten, als die allein richtigen anzusehen und ihnen Geltung zu verschaffen." Zeugnis vorgelegt auf Anforderung der Verwaltungsgeschäftsstelle des Amtsgerichts Karlsruhe vom 8.1.35 (GLA 240/327).
E Hierarchiekonflikte am Oberlandesgericht
73
.. R. (... ) hat auch trotz meiner Belehrung nicht das mindeste Verständnis fUr das Tadelnswerte seines Benehmens im Dienst dem drei lahrzehntenälteren, ihm vorgesetzten OberrechnungsratThum gegenüber aufzubringen vermocht. Seine Absicht, Durchschläge der ihm von mir dienstlich aufgegebenen Äußerung vom 19. Dezember seiner SS-Brigade zu übermitteln, habe ich durch Abnahme dieser Durchschläge unterbunden; (... )."
All die Mittel, die sonst zur Disziplinierung von Beamten angewendet III werden pflegten, hatten versagt. Der Drohung mit der SS konnte Buzengeiger nur durch die hilflos wirkende Wegnahme der Durchschläge begegnen. Zur Durchführung eines Dienststrafverfahrens gegen den aufsässigen Justizaktuar kam es dann allerdings nicht mehr. R. wurde am 2. Januar an das AmtsgerichtKarlsruhe versetzt, was aber mit den Vorgängen Ende Dezember nicht im Zusammenhang stand. 12s Weitere Auseinandersetzungen, insbesondere mit der SA, ergaben sich aus SA-Befehlen, die keine Rücksicht auf die Dienstpflicht der Beamten nahmen. Am 9. November 1934 meldete Thum,I26 der Justizaktuar M. sei nicht zum Dienst angetreten. Am Morgen habe der Rudelführer des Sturm 1/53 angerufen und mitgeteilt, M. sei heute für den ganzen Tag zum Ehrensturm der SA kommandiert, man möge ihm Dienstbefreiung bewilligen. M. war dann um 10 Uhr doch noch erschienen, wie sich aus einem Bericht Buzengeigers ans Ministerium vom gleichen Tage ergibt127 und hatte Buzengeiger erklärt, er habe seinen SA-Vorgesetzten auf die Verpflichtung dem Gericht gegenüber hingewiesen, der habe aber gesagt: .. Sie sind Beamter, Sie müssen in erster Linie abkommen können, sofern es Ärger mit der Dienststelle gibt, wolle sich die vorgesetzte Behörde an die Standarte wenden."
Buzengeiger fügte an: "Da solche Vorgänge zu unliebsamen Störungen im Dienst führen, halte ich mich zur Berichterstattung für verpflichtet." I2S Die Beschäftigungsdauer R. 's ergibt sich aus dem oben erwähnten Dienstzeugnis, demnach war er auch erst am 3. 12. 34 beim Oberlandesgericht eingetreten. Daß die Versetzung bereits feststand, folgt aus dem Bericht Thums vom 19.12.34. (Beide GLA 240/327). Konflikte dieser Art schildert Buzengeiger auch ausführlich in dem gegen ihn durchgeführten Spruchkammerverfahren. Siehe Anlage zum Schriftsatz vom 28.10.48, S. 4f. (GLA 465aJ51168/106). 126 (GLA 240/307).
127
(GLA ibid.).
74
Kap. 2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
Die Frage fand dann eine Regelung durch einen Erlaß der Gruppe Südwest der SA vom 28. Oktober 1935, in dem die Teilnahme am SA-Dienst für die Zukunft geregelt wurde. l28 Es kann also festgehalten werden, daß die durch die ,,Machtergreifung" bewirkte Entfesselung der Partei verbände und das revolutionäre Selbstverständnis der Mitglieder zu Konflikten führte. Wenn diese auch am Oberlandesgericht keine besonders schwerwiegenden Folgen zeitigten, so sind sie doch bezeichnend für das Verhältnis der lokalen Parteigrößen gegenüber den überkommenen staatlichen Institutionen.
G. Die Ambivalenz der Ermordung Röhms für die Stellung der Justiz Mit der Entmachtung der SA-Führungam 30. Juni und 1. Juli 1934 und der damit verbundenen Ermordung Röhms begann sich der Druck auf die Justizbehörden und damit auch auf das Oberlandesgericht zu mindern. Es wurde eine Phase der relativen Entspannung eingeleitet. Zwar konnte sicherlich keine abrupte Änderung im Verhältnis zu den Unterführern bewirkt werden, es schien aber dennoch zu gelingen, die Macht der SA einzudämmen. Andererseits wurde durch das Vorgehen gegen die SA der Justiz erneut vor Augen geführt, daß die Strafverfolgung nicht mehr allein in ihren Händen lag. Der SAFührung waren revolutionäre Bestrebungen und damit Straftaten vorgeworfen worden, so daß eigentlich Anklage hätte erhoben werden müssen. Statt dessen hatte man Röhm und andere einfach erschossen, und auch Verfahren gegen die Mörder fanden nicht statt. I 2 9 Trotzdem erkannten die Ministerien des Reiches die Chance, daß mit der Entmachtung der SA die Gesetzmäßigkeit und damit der Einfluß der staatli chen Verwaltung gestärkt werden könne.
128 Diese VerfUgung wurde M. am 5.11.35 vorgelegt. Auf der Vorlage ist vermerkt, wer sonst noch in Betracht kommen könne. Demnach war nur M. bei der SA aktiv, ein Beamter war bei der SS, einer beim NSKK (GLA 240/307). 129 Zur Ermordung Röhms und dem Einfluß auf die Justiz Angemwnd, S. 68; Fieberg, S. 42 - 45; eingehend Mau, S. 119 - 137; Gruchmann, S. 433 - 484.
G. Die Ambivalenz der Ermordung Röhms für die Stellung der Justiz
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So wurde der verunsicherten Justizbeamtenschaftin Baden am 5. Juli 1934 ein Erlaß des Reichsministers des Innem vom 1. Juli zur Kenntnis gebracht, 130 der die Beamten an ihre Treupflicht gegenüber dem Führer und seinen Beauf tragten erinnerte, wobei mit den Beauftragten die Dienstvorgesetzten gemeint waren. Frick schrieb: "Die Vollstrecker des Willens des Führers sind die Mitglieder der Reichsregierung und die ihnen unterstellten Gliederungen, demnach vor allem auch die Staatsbehörden. Sämtliche Beamte schulden nach den gesetzlichen Bestimmungen ihren Vorgesetzten unbedingten und ausschließlichen Gehorsam, Treue und Hingebung an ihre Amtspflichten. "
Auch das Reichsjustizministerium erkannte die Möglichkeit, die Bindung an das Gesetz zu stärken. In einem am 20. Juli ergangenen Erlaß des Reichsministers der Justiz und einer Allgemeinverfügung vom gleichen Tag an die deutschen Justizbehörden heißt es: 131 "Mehr denn je ist Voraussetzung für die weitere Arbeit der Reichsregierung am Neuaufbau des Reiches, daß die Achtung vor dem Gesetz, die der Reichskanzler als oberster Führer der SA in seinem Befehl an den Chef des Stabes der SA vom 30. Juni 1934 von den SA-Führern gefordert hat, auch für jeden Volksgenossen das oberste Gebot des Handeins ist. Der Rechtspflege erwächst die besondere Aufgabe, mit Nachdruck für die gewissenhafte Wahrung von Gesetz und Recht einzutreten und gegen jeden Rechtsbruch, insbesondere gegen jede strafbare Handlung, entschieden vorzugehen. ( ... ) Versuche Unberufener, auf den Gang des Verfahrens Einfluß zu nehmen, sind nachdrücklich zurückzuweisen (... )."
Wer mit den Unberufenen gemeint war, folgt aus der Allgemeinverfügung Gürtners vom gleichen Tag: "In meinem Erlaß vom heutigen Tage habe ich der Erwartung Ausdruck gegeben, daß jeder Rechtsbruch unnachsichtig von den zuständigen Behörden geahndet wird. Mir ist berichtet worden, daß in Erwartung der Errichtung einer besonderen SAStrafgerichtsbarkeit verschiedentlich Strafverfahren, die bei den ordentlichen Strafverfolgungsbehörden und den ordentlichen Strafgerichten gegen SA-Angehörige anhängig gewesen sind, ruhen. Das weitere Ruhen der Strafverfahren gegen SA-Angehörige ist mit einer geordneten Strafrechtspflege nicht vereinbar."
130 Abgedruckt im Badischen Justizministerialblatt vom 9.7.34, S. 201. Beim OLG gegen Unterschrift in Umlauf gesetzt. 131 Beide abgedruckt im Badischen Justizministerialblalt 1934, S. 213ff., Abdruck bei den Akten des Gerichts (GLA240/1276).
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Kap. 2: 1933 - 1934: Machtergreifung und revolutionäre Anfangsjahre
Obwohl also das Vorgehen gegen die SA-Spitze genauso wie die Nichtverfolgung der Mörder gröblich gegen das Legalitätsprinzip verstoßen hatte, sah man darin doch die Gelegenheit, zur Gesetzmäßigkeit der Justiz und insbesondere der Strafjustiz zurückzukehren. Die weithin als terroristisch empfundene SA war in ihre Schranken gewiesen worden. Es schien sich eine Hinwendung zu Recht und Ordnung anzubahnen, die freilich teuer hatte erkauft werden müssen. 132 Ausgang des Jahres 1934 behandelt auch Wacker das Verhältnis von Partei und Staat in einem umfangreichen Erlaß an die Justizbeamten. Auch er sah die Chance, sich gegenüber der Partei nunmehr besser zu behaupten. IH Wacker schrieb, man habe das Wort des Führers vom Nürnberger Parteitag - ,,Nicht der Staat befiehlt uns, sondern wir befehlen dem Staat" - oft falsch angeführt und oft falsch verstanden. Wacker erinnerte die Partei führer daran, daß die Führung, auch was die Personalpolitik anbelangt, ihm zustehe und daß man nicht umhin könne, an manchen Stellen Nichtparteigenossen zu belassen. Dies werde sich aber mit deren turnusgemäßer Ablösung im Lauf der Zeit ändern. Gleichzeitig warb Wacker um die Beamten, die nicht der Partei angehörten. Wer willig im nationalsozialistischen Staat mitarbeite, dessen Mitarbeit werde der Staat gerne in Anspruch nehmen, und er werde ihn auch gegen unberechtigte Angriffe schützen, unabhängig davon, ob der Betreffende der Partei angehöre oder nicht. Wacker rief die Amtswalter der Partei und die Behördenvorstände zu enger Zusammenarbeit auf und mahnte insbesondere die Amtswalter, ihre Kompetenzen nicht zu überschreiten. Es gelte, die Beamtenschaft immer fester an den nationalsozialistischen Staat zu ketten, was durch unangebrachte SchrotTheit von Amtswaltern nur behindert werde. Es zeigt sich auch hier wieder das Ringen zwischen Partei stellen und Staatsorganen um die Macht und das Bemühen auch der nationalsozialistischen Minister' ihre Hausmacht zu verteidigen. Es zeigt sich aber auch, daß die nationalsozialistische Landesregierung nicht ohne den Sachverstand der Fachbeamten auskam und daß man es sich nicht leisten konnte, nur auf die Parteizugehörigkeit abzustellen, wenn es um die Besetzung von Staatsstellen ging.
Für das Oberlandesgericht hatte das Jahr 1934 auch die Zuweisung neuer Aufgaben gebracht, die dazu dienen konnten, die eigene Linientreue unter Be132 Zu diesem Aspekt auch Gruchmann, S. 472; siehe auch MlUl, S. 135, der ein Ende der "dynamischen Unruhe" diagnostiziert. 133
Erlaß vom 13.11.34, gerichtet an die Justizbehörden (GLA 240/286).
H. Zusammenfassung
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weis zu stellen, die aber auch darauf hinzudeuten schienen, daß der Kompetenz- und Ansehensverlust der Justiz gebremst werden könnte. So waren zwar im Jahre 1934 die Geschäfte in Zivilsachen gegenüber 1933 weiter abgesunken!34 jedoch hatten am 1. Januar 1934 das FIbgesundheitsobergerichtund das Erbhofgericht 1934 ihre Arbeit aufgenommen. Am bedeutungsvollsten für die Stellung des Oberlandesgerichts war aber sicher die Übertragung der erstinstanzlichen Zuständigkeit in Hoch- und Landesverratssachen, die im September 1934 sogar die Bildung eines zweiten Strafsenats erforderlich machte. 13S Damit waren dem Oberlandesgericht drei politisch prestigeträchtige neue Aufgaben zugewiesen worden, was als Indiz für die ungebrochene Wichtigkeit gelten konnte.
H. Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich für das Jahr 1934 somit sagen, daß die Justiz sich der Hoffnung hingeben konnte, es werde gelingen, den revolutionären Elan der nationalsozialistischen Bewegung in gesetzmäßige Bahnen zu lenken. Es blieb zwar bei Auseinandersetzungen mit Parteikräften, auch Übergriffe in die Rechtspflege wie in die Behördenhierarchie waren nicht ganz zu verhindern gewesen. Gleichzeitig war aber durch die Entmachtung Röhms ein wichtiges Signal gesetzt worden, das eine Rückwendung zur Legalität der Verwaltung wie der Justiz versprach, auch wenn es sich gleichzeitig um einen offenen Rechtsbruch handelte. Die drohende Aufsplitterung der Strafrechtspflege durch Errichtung einer SA- Gerichtsbarkeit war abgewendet. Es konnte durchaus so ercheinen, als würde die Staatsmacht gegenüber der Partei die Oberhand gewinnen. Die Gerichte hatten sogar mit ihrer Tätigkeit als FIbgesundheits- und Erbhofgerichte neue Aufgaben übertragen bekommen, und dem Oberlandesgericht bot sich mit der Tätigkeit als erstinstanzliches Gericht in den politisch brisanten Hoch- und Landes verrats sachen die Gelegenheit, Loyalität gegenüber dem neuen Staat zu beweisen. Ende des Jahres 1934 war somit für die Justiz im Vergleich zum Vorjahr eine eindeutige Besserung der Lage eingetreten.
134
Siehe Bericht Thums an Buzengeiger vom 31.11.34 (GLA 240/327).
13S
Siehe Kapitel 12: Die Urteile in Hoch- und Landesverratssachen.
Kapitel 3
1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers A. Verreichlichung der Justiz Kompetenzverluste f"ür das OLG Karlsruhe Das Reichsjustizministerium konnte im Jahre 1933 im Gegensatz zu einigen Landesjustizministerien auf eine nur begrenzte Geschichte zurückblicken. Es war erst am 1. Januar 1877 als Reichsjustizamt ins Leben gerufen worden. Nachdem die Reichstagsabgeordneten Miquel und Lasker 1873 das Amendementdes Art. 4 Ziff. 13 der Reichsverfassungund sornitdie Reichskompetenz für das gesamte bürgerliche Recht durchgesetzt haUen, war es in den folgenden Jahren an den vielen Kodifikationen beteiligt, etwa der Ausarbeitung des BGB,des HGB, des FGG, derGBO und des WG. Auch das 1879 geschaffene Reichsgerichtund die Reichsanwaltschaftunterstanden seiner Verwaltung.' Im Gegensatz dazu war aber die weitaus überwiegene Mehrzahl der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Vollzugsanstalten weiterhin den Ländern unterstellt. Diese Trennung der Gesetzgebungskompetenz von der Kompetenz für weite Teile der Justizverwaltung wurde auch in der Weimarer Republik beibehalten, obwohl es auch zu dieser Zeit schon Bestrebungen zur "Verreichlichung" der Justiz gegeben hatte, die dann aber am Widerstand der Länder gescheitert waren. 2 Es war nur natürlich, daß die nationalsozialistischen Machthaber im Zuge der Gleichschaltung der Länder den Plan der Zusammenfassung der Justizhoheit in der Hand des Reiches wieder aufgriffen. Die staatrechtliche Voraussetzung hierfür bildete das Gesetz zum Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 (RGBI. I S. 75), das unter anderem bestimmte, daß die Hoheitsrechte der
, Siehe hierzu Gruchmann, S. 85. 2
Gruchmann, S. 85f.
A. Verreichlichung der Justiz - Kompetenzverluste rur das OLO Karlsruhe
79
Länder auf das Reich übergingen. Gleichzeitig mußte der Reichsminister des Innem Dr. Frick jedoch anordnen, daß die übergegangenen Hoheitsrechte für die erforderliche Übergangszeit den Landesbehörden zur Ausübung im Auftrag und im Namen des Reichs übertragen wurden,3 so daß, wie Broszat treffend schreibt, "es sich eigentlich mehr um eine politische Willenserklärung als um eine gesetzgeberische Tat" handelte. 4 Gleichwohl wurde die "Verreichlichung" auf dem Gebiet der Justiz am zeitigsten und konsequentesten durchgeführt. s Bereits am 5. Februar 1934 legte der Reichsjustizminister Gürtner der Reichskanzlei den Entwurf eines "Ersten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich" vor.6 Damit sollte die Reichsreform auf dem Gebiet der Justiz von der der sonstigen Verwaltung abgetrennt und die Kompetenz insoweit dem Reichsjustizministerium übertragen werden (Art. 5 des Entwurfes). 7 Dem Entwurf wurde von keinem der Reichsminister widersprochen. Er fand auch die Billigung Hitlers, so daß er am 16. Februar 1934als Gesetz verkündet werden konnte. 8 Weiter war in Artikel 1 des Gesetzes bestimmt, daß sämtliche Gerichte Recht "im Namen des Deutschen Volkes" sprechen sollten. Das wegen der Vielzahl von politisch motivierten Straftaten seitens Angehöriger der NS-Bewegung so wichtige Recht zu Niederschlagung von Strafsachen wurde in Artikel 2 dem Reichspräsidenten übertragen, so daß er es neben dem bereits in seiner Kompetenz liegenden Begnadigungsrecht ausübte. Artikel 3 regeltedie Niederlassungsfreiheit der Rechtsanwaltschaftim gesamten Reichsgebiet, Artikel 4 die Wirksamkeit notarieller Urkunden. Mit dem Gesetz war zwar die Kompetenz zur weiteren Regelung auf das Reichsjustizministeriumübertragen, wie und auf welchem Wege die neue einheitliche Justizverwaltung geschaffen werden sollte, blieb jedoch zunächst unbestimmt.9 Nachdem man zunächst erwogen hatte, zwischen Reichsjustizministerium und Gerichten Mittelverwaltungsbehörden einzurichten, faßte man im Interesse der Einheitlichkeit der neuen Justizverwaltung den Plan, die" Vareichlichung" durch Erweiterung des Reichsjustizministeriums zu verwirkli-
4
§ 1 der Verordnung Uber den Neuaufbau des Reichs vom 2.2. 34, ROBl. I S. 8I. Broszat, S. 15I.
S
So Broszat, S.l54.
6
Gruchmann, S. 93.
7
Gruchmann, S. 93.
3
8 9
ROBl. I S. 91, zur Entstehungsgeschichte siehe Gruchmann, S.94. Gruchmann, S. 94.
80
Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
chen. Die 16 Landesjustizbehörden sollten aufgelöst und ein einheitliches Justizverwaltungsrecht geschaffen werden. I 0 Diese Pläne Gürtners stießen auf den erbitterten Widerstand Hanns Kerrls, der die Vereinheitlichung der Justiz gerne selbst in seiner Eigenschaft als preußischer Justizminister übernommen hätte. Kerrl hatte vorgeschlagen, zunächst die norddeutschenJustizverwaltungen unter seiner Leitung zu zentralisieren und die süddeutschen dann später nachfolgen zu lassen. Kerrl und Gürtner einigten sich schließlich vorläufig darauf, daß eine Dreierkommission, bestehend aus den Justizministerien der Länder Preußen, Bayern und Sachsen, das vorhandene Verwaltungsrecht sichten und Vorschläge für eine Neuregelung erarbeiten sollte. Die drei großen Landesjustizverwaltungen arbeiteten dabei mit den kleineren Justizverwaltun gen zusammen, Bayern mit den süddeutschen Ländern Baden und Württemberg, Preußen mit den norddeutschen und Sachsen mit den mitteldeutschen Ländern. I I Bei einer Tagung der Chefs der Landesjustizverwaltungen in Dresden am 12. Februar 1934 stellte Gürtner diese Konzeption vor und versuchte Bedenken vor allem der süddeutschen Länder zu zerstreuen, die befürchteten, man werde ihnen preußisches Verwaltungsrecht aufoktroyieren. 12 Die Auseinandersetzung zwischen Gürtner und Kerrl war aber keineswegs bereinigt. Kerrl und sein Staatssekretär Freisler versuchten nochmals, die Kompetenz für die Verreichlichung für das preußische Justizministerium zu gewinnen. Am 16. Mai 1934 sandten sie eine Denkschrift an die Reichskanzlei und schlugen eine Trennung der Justizhoheitvor. Das Reichsjustizministeriumsollte für die Vereinheitlichung der Gesetzgebung zuständig sein, während das preußische Justizministerium die viel wichtigere Vereinheitlichung der Justizverwaltungen übernehmen sollte. 13 Es kam zu einer dramatischen Aussprache zwischen Gürtner und Kerrl am 31. Mai 1934, in deren Verlauf Kerrl seinen Rücktritt für den Fall ankündigte, daß seinen Wünschen nicht entsprochen werde und dem Reichsjustizministeroffen mit Sanktionen durch die Partei drohte. Gürtner gelang es jedoch, für seine Konzeption die Rückendeckung Hitlers zu erhalten, so daß Kerrl nichts anderes übrig blieb, als seinen Rücktritt einzureichen. Am 16. Juni 1934 wurde Gürtner auch zum preußischen Justizminister emannt. 14 10
Gruchmann, S. 94f.
11
Gruchmann, S. 95.
12
Gruchmann, S. 96; zu den Empfindlichkeiten auch Thiesing, JW 1935, S. 704.
13
Gruchmann, S. l00f.
14
Gruchmann, S. 102f.
A. Verreichlichung der Justiz - Kompetenzverluste rur das OLO Karlsruhe
81
"Statt der Unterstellung der bayerischen Justizverwaltung unter einen Preußen als Reichsjustizminister - wie es bei einer Verwirklichung der Absicht Kerrls der Fall gewesen wäre - hatte vielmehr Preußen jetzt einen Bayern als Justizminister bekommen. " 1 S Die Arbeit in der Dreierkommissionfand ihren Fortgang. Am 5. Dezember 1934 konnte das zweite Gesetz l6 zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich ergehen und kurz darauf eine weitere Verordnung. 17 Mit diesem zweiten Überleitungsgesetz waren die Justizverwaltungen rechtlich zusammengefaßt und die Landesjustizministerien mit Wirkung vom 1. Januar 1935 aufgelöst worden. In den kleineren Ländern hatte man die Befugnisse der Justizverwaltung bereits jetzt auf die Oberlandesgerichtspräsidenten und die Generalstaats anwälte übertragen, während daneben für die größeren Länder vier Abteilungen des Reichsjustizministeriums eingerichtet wurden, die wiederum nach Taritorien gegliedert waren und die für eine Übergangszeit die Befugnisse des Justizministeriumsfür die übrigen Länder wahrnahmen. Für Baden und Württemberg war eine eigene Abteilung, die Abteilung Württemberg-Baden, unter der Leitung des preußischen Ministerialdirektors Thiesing zuständig. Von diesen Plänen wurden die Badener durch einen Artikel im "Führer" am 13. Dezember 1934 unterrichtet. 18 Darin wurde die Überleitung der Justiz als großer Fortschritt auf dem Wege der Reichsreform gefeiert, zugleich galt es aber, die Übergangslösung, nämlich die Schaffung der Abteilung des Reichsjustizministeriums Württemberg-Baden, den Badenern schmackhaft zu machen. Man befürchtete in Baden, daß im Zuge der Reichsreform der Zusammenschluß mit Württemberg erfolgen würde. Demgegenüber wurde in dem Artikel versichert, daß der Beauftragte seine Aufgabe in Baden und Württemberg gesondert durchführen werde und daß damit kein Fait accompli geschaffen werden sollte. "Dem also nur vorUbergehend gedachten Zusammenschluß der beiden Länderjustizverwaltungen in einer Abteilung WUrttemberg-Baden kommt demgemäß keine irgendwie politische Bedeutung bei, und sie enthält insbesondere auch keine Vorweglösung oder Festlegung der kUnftigen Neueinteilung des Reiches auf dem Gebiete der Justiz."
1S
So Gruchmann, S. 103.
16
ROB\. I S.1214.
17
Verordnung vom 20.12.34, ROBI. I S. 1267.
18
"Der FUhrer" vom 13.12.34, S. 1 und 2.
6 Schiller
82
Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
Dem Artikel zufolge war Dr. Wacker mit Ministerialrat Reinle, dem späteren Oberlandesgerichts präsidenten, nach Berlin gereist. Beide hatten sich von Gürtner über die Pläne zur "Verreichlichung" informieren lassen. Weiter hieß es, daß ein Teil der Justizverwaltung im Lande Baden verbleiben und zu diesem Zwecke dem Oberlandesgericht eine Verwaltungsabteilung angegliedert werden solle. Der Oberlandesgerichtspräsident werde also künftig nicht nur oberster Richter seines Gebietes sein, "sondern auch gleichzeitig der Vertreter der Reichsbehörde im Bereich seines Oberlandesgerichtsbezirks." Der Übergang der Justizhoheit auf das Reich wurde in den Ländern mi t feierlichenFestakten begangen, so auch in Baden. Am 9. Januar 1935 berichtete "Der Führer" von der Übergabe der badischen Justiz an das Reich. 19 ,,Ehrenstürme" von SA und Polizei waren längs der Portalfront des ehemaligen Landtagsgebäudes in Karlsruhe aufmarschiert, um die Gäste der Übergabezeremonie zu begrüßen. Sogar Reichsjustizminister Dr. Gürtner war mit einer mehrköpfigen Kommission aus Berlin angereist, zu der auch Dr. Schlegelberger gehörte. Von badischer Seite waren der Gauleiter Robert Wagner, der Ministerpräsident Walter Köhler und der Justizminister Dr. Otto Wacker erschienen, um die Übergabe vorzunehmen. Unter der Teilnahme von Behördenlei tern, Parteifunktionären und sonstigen Honoratioren fand dann ein Festakt im großen Sitzungssaal statt. Köhler, Wacker und Wagner wandten sich in Ansprachen an die Gäste,z° in denen in der dem Zeitgeist entsprechenden schwülstigen Sprache der Bedeutung des Tages für die Einheit der Nation und die Reformierung der Rechtspflege gedacht wurde. Wacker übergab im Verlauf seiner Rede dann die Gerichte, Staatsanwaltschaften, Notariate, und Gefängnisse. Auch Gürtner wies in einer Ansprache auf die Bedeutung des Tages hin. Um sicherlich vorhandenen Bedenken gegen eine zentrale Justizverwaltung zu begegnen, versicherte Gürtner, daß die Übernahme der Justizverwaltung auf das Reich nicht bedeute, daß nun sämtliche Geschäfte zentralisiert würden. Man wolle "das Verwaltungsleben in den Gauen nicht entseelen". Daß auch Gürtner das schwierige Verhältnis der Justiz zum nationalsozialistischen Staat bewußt war, zeigt eine Passage seiner Rede, in der er daran erinnerte, "daß der Führer wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, welch großen Anteil die Rechtspflege an der Größe und Ehre, ja an der Weltgeltung und Weltachtung eines Volkes habe. Jeder dürfe von dem stolzen Bewußtsein erfüllt sein, daß er zu seinem Teil beitragen darf an der Verwirklichung eines Werkes von so großer ge-
19
"Der FUhrer" vom 9.1.35, S. 3, .. Übergabe der badischen Justiz an das Reich".
20
Abgedruckt in dem oben erwähnten Artikel.
A. Verreichlichung der Justiz - Kompetenzverluste für das OLG Karlsruhe
83
schichdicher Bedeutung, daß es für uns Zeitgenossen in seinen Auswirkungen noch nicht abgeschätzt werden kann." Sodann erklärte Gürtner die Übernahme der badischen Justizverwaltung für das Reich und übergab sie an Ministerialdirektor Thiesing, der in einer kurzen Ansprache für das erwiesene Vertrauen dankte und die Beamten der badischen Justizverwaltungaufforderte, aktiv an der Vereinheiilichungder Justizmitzuarbeiten. Auch er beruhigte die Gemüter und versicherte, daß man die Vareichlichungnicht von heute auf morgen durchführen könne und bodenständige Einrichtungen nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten werde. Am 24. Januar 1935 billigte Hitler den Entwurf zu einem dritten Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich, wodurch sämtliche Justizbehörden zu Reichsbehörden wurden. Die Verwaltungsgeschäfte, die nicht vom Reichsjustizrninisterium selbst wahrgenommen wurden, gingen auf die Vawaltungsabteilungen der Oberlandesgerichte über. 21 Die Liegenschaften übernahm, soweit sie überwiegend von der Justiz genutzt wurden, ebenfalls das Reich, genauso wie das Kassenwesen. 22 Die vier territorialen Abteilungen des Reichsjustizrninisteriums, die bisher für die Justizverwaltung der größeren Länder zuständig gewesen waren, darunter auch die für Württemberg-Baden, wurden mit dem 1. April 1935 aufgelöst. 23 Es folgten zwar noch einige weniger wichtige Auseinandersetzungen über Liegenschaften. Auch das geplante Beamtengesetz wurde erst im Jahre 1937 erlassen, gleichwohl war mit dem Gesetz die "Verreichlichung der Justiz" im wesentlichen abgeschlossen. 24 Am 2. Apri11935 fand aus diesem Anlaß ein feierlicher Festakt in der Staatlichen Oper in Berlin statt, an dem auch Hitler teilnahm und zu dem neben den wichtigen Funktionären der Partei und den Leitern der staatlichen S teIlen auch sämtliche Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte anreisten. Von der Friedrich-Wilhelm-Universität aus zogen die Richter des Reichsgerichts und des Volksgerichtshofs, die Mitglieder der Oberreichsanwaltschaft, die Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte sowie die Dekane 21 Broszat, S. 1.54; gemäß einer Weisung des Reichsjustizministeriums wurden diese Verwaltungsabteilungen später in Präsidialabteilungen um benannt. Siehe Verfügung des OLG-Präsidenten vom 4.2.37 (GLA 240/1987/53/432).
22 Gruchmann, S. 116f.; bereits mit Verfügung des RJM vom 21.12.35 war die Oberjustizkasse in Karlsruhe am 1.4.36 ins Leben gerufen worden (GLA240/1987/53/ 750). 23
Gruchmann, S. 119.
Gruchmann, S. 120; zur Verreichlichungin Württemberg-Baden siehe auch Thiesing, DJ 1935, S. 704. 24
84
Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
der juristischen Fakultäten, alle mit der Amtstracht bekleidet, in feierlicher Prozession unter der Führung des Reichsgerichtspräsidenten Bumke zur Oper. Die Bedeutung des Tages für die Justiz kam auch darin zum Ausdruck, daß der Reichsgerichtspräsident, der Präsident des Volks gerichtshofs , die Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte während des Festakts auf der Bühne Platz nahmen. 25 Wie schon die Festakte zur Übernahme der Justizhoheit in den einzelnen Ländern wurde auch die zentrale Feier vom Justizministerium dazu benutzt, die Bedeutung der Rechtspflege gegenüber dem Staat, vor allem aber gegenüber der NSDAP zu demonstrieren. Es ging nicht lediglieh darum, Linientreue zu signalisieren, diese Veranstaltungen dienten vielmehr auch dazu, das angeschlagene Ansehen der Justiz zu heben. Gürtner mahnte auch in seiner Rede, daß es nunmehr gelte, die "revolutionären" Handlungen der Partei in gesetzmäßige Bahnen zu lenken. Eine weitere Gelegenheit, die Bedeutung der Justiz zu dokumentieren, bot sich nachdem Führererlaß vom 19. Juni 1936, der die Amtstracht der Reichsjustizverwaltung betraf. Richter, Staatsanwälte und Urkundsbeamte sollten in Zukunft das Hoheitszeichen der Partei auf der rechten Brustseite tragen. Gürtner wandte sich am 23. Juni in einem FIlaß an die Justizbehörden: 26 "Dankbar empfinden wir diese Auszeichnung, die der gesamten Justiz gilt. Auszeichnung verpflichtet. Sie verpflichtet uns zu gesteigerter Hingabe an das große Werk, an dem wir Rechtswahrer des Dritten Reiches mitarbeiten dürfen. (... ) Die einheitliche Amtstracht soll ein äußeres Zeichen der innerlich einheitlichen Ausrichtung sein, im Geiste des Führers dem Reich zu dienen."
Die "Verleihung des Hoheitszeichens" wurde am 27. Juni im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Karlsruhe gefeiert. "Der Führer" berichtet am 28. Juni 1936 von dem Festakt: 27 "Damit hat die Vereinheitlichung des deutschen Rechtswesens einen weiteren sichtbaren Ausdruck gefunden. (... ) Die Justizbeamten hatten sich aus Anlaß der Verleihung zu einer rasch einberufenen Feier im festlich geschmückten Schwurgerichtssaal zusammengefunden. Dort würdigte in einer eindrucksvollen Rede Oberlandesgerichtspräsident Dr. Buzengeigerdie Bedeutung des Tages. Seine Ausführungen stellten die Verleihung des Hoheitszeichens als einen Akt heraus, der zur steten gesteigerten PflichterfUllung mahne und jeden deutschen Rechtswahrer mit Stolz erfUllen müsse. Das Hoheitszeichen auf der Amtstracht bedeute Schutz [sie.] und Pflicht zu-
25
Beschreibung des Festakts bei Grucmnann, S. 12lff.; s.a. Fieberg, S. 47f.
26
DJ 1936, S. 949.
27
Auszug aus DJ und "Führer" auch bei den Akten des Gerichts (GLA 240/603).
A. Verreichlichung der Justiz - Kompetenzverluste für das OLG Karlsruhe
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gleich, sowie die besondere Verbundenheit der Rechtspflege mit dem nationalsozialistischen Staat. Niemand, der dieses Zeichen auf der Brust trägt, so sagte der Redner, wird sich seiner unwürdig erweisen wollen.( ... )"
Die Feier war auf einen Vorschlag Schlegelbergers durchgeführt worden, denn Buzengeigerdankte Schlegelbergeram 1. Juli 1936 mit einem Schreiben für die Anregung und berichtete nicht ohne Stolz von der Veranstaltung: "Sie ist, wie ich glauben darf, nicht ganz ohne Eindruck geblieben." Der oben zitierte Artikel aus dem "Führer" wurde als Beleg für den Erfolg in der Anlage beigefügt. l8 Die "feierlicheAnlegung des Ehrenzeichens" erfolgte dann wiederum im Rahmen eines Festaktes, bei dem neben den Justizbeamten auch die Vertreter der Partei anwesend waren, die ja nicht zuletzt Adressaten der mit der Veranstaltung bezweckten Demonstration waren. 29 In den mit Lorbeerbäumen und Hakenkreuzfahnen ausstaffierten Schwurgerichtssaal des Landgerichts zogen die Richter und Urkundsbeamten in der zum ersten Mal mit dem "Hoheitszeichen" versehenen Amtstracht ein. Buzengeiger bot sich erneut die Gelegenheitzu einer, wie es in dem Artikel heißt, "groß angelegten Ansprache". Buzengeiger erinnerte wiederum an die Bedeutung des Tages und daran, daß die "Verleihung des Ehrenzeichens" Ehre und Verpflichtung bedeute. In dem Bericht des "Führer" heißt es weiter: "Sodann gedachte er der gewaltigen Leistungen des Führers, der das Deutsche Reich in einer Welt des Chaos zum Hort des Friedens und der Ordnung gemacht und die Gewähr für eine organische Entwicklung der Rechtsprechung im Sinne des Volkes geboten habe."
Die "Verreichlichung" bedeutete für das Oberlandesgericht Karlsruhe, anders als etwa in der preußischen Verwaltungspraxis, eine vollkommene Änderung der Funktion des Oberlandesgerichtspräsidenten. In Baden war der Oberlandesgerichtspräsidentimmer auch Vorsitzender eines Senates gewesen und damit hauptsächlich mit richterlichen Aufgaben betraut. Nunmehr wurde er Chef der Justizverwaltung und war allein mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt30 Buzengeiger widerstrebte diese neue Aufgabenstellung sicher. Er war wohl weniger der Typ des Verwaltungsbeamten, sondern er hing an der Stellung als Richter. Die neue Funktion Buzengeigers zeigte sich auch darin, daß 28
(GLA 240/1987/53/385).
29
Siehe hierzu Bericht im .. Führer" v. 2.10.36 (GLA 240/1987/53/386).
Buzengeiger beschrieb die Änderung seiner dienstlichen Stellung sehr anschaulich im Entnazifizierungsverfahren. Siehe Anlage zum Schriftsatz vom 28.10.48 (GLA 30
465aJ 51/68/ 106).
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Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
er nunmehr nicht mehr im Gerichtsgebäude in der Hoffstraße residierte, sondem in ein Gebäude in der Herrenstraße umziehen mußte, in dem ansonsten badische Ministerien untergebracht waren. Mit der Überleitung der Rechtspflege auf das Reich wurde Heinrich Reinle zum Senats präsidenten am Oberlandesgericht und zum ständigen Vertreter des Oberlandesgerichtspräsidenten befördert,31 nachdem er zuvor bereits im badischen lustizministerium und dann im Reichsjustizministerium, Abteilung Württemberg-Baden, tätig gewesen war. Reinle wurde am 1. November 1892 in Offenburg geboren32 und 1919als planmäßiger Beamter in den lustizdienst übernommen. Er war bereits im März 1932in die NSDAP eingetreten und gleich nach der "Machtübernahme" durch die Nationalsozialisten in Baden von seiner Stellung als Amtsrichter in Wiesloch zum badischen lustizministerium übergewechselt. Obwohl zum Senatspräsidenten befördert, nahm er keine richterlichen Aufgaben wahr. Er wurde Leiter der "Abteilung a)" der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts und war damit für die Personalangelegenheitender Richter, für Dienststrafsachen gegen höhere Beamte sowie für politische Angelegenheiten zuständig. 33 Glaubt man der Schilderung Buzengeigers, die dieser in seinem Entnazifizierungsverfahrengab, so hatte Reinle die Verwaltungsgeschäfte zu einem Großteil bereits seit 1935 in eigener Regie wahrgenommen. Buzengeiger gab an, daß bei der ersten Unterredung mit Gürtnerüber die Handhabung der Verwaltungsgeschäfte dieser ihm gesagt habe, Reinle sei ihm zur Zeit für die Beförderung zum Oberlandesgerichtspräsidenten noch zu jung. Es müsse Reinle aber weitgehender Einfluß eingeräumt werden. Bei einer späteren Unterredung, bei der auch Schlegelberger, nicht aber Reinle zugezogen war, sei ihm bekannt gegeben worden, er solle überhaupt nur in wichtigen Angelegenheiten eingreifen, wenn Reinle sie ihm vorlege. Auch die Kontrolle der täglichen Post könne Reinle überlassen werden. Die Stellungnahmen der Betroffenen in den Entnazifizierungsverfahren sind sicherlich nur mit Vorsicht zu würdigen. Schließlich handelt es sich der Sache nach um Verteidigungs schriften in Strafverfahren. Gänzlich unwahrscheinlich ist diese Schilderung dennoch nicht. Man traute seitens des Reichjustizministeriums dem alternden Buzengeiger, dem immer große Gewissenhaftigkeit bescheinigt wurde, (was man aber vielleicht als einen höflichen Ausdruck für Pingeligkeit verstehen kann), die Bewältigung 31 Entschließung des Reichsjustizministeriums Abteilung WUrttemberg-Baden vom 23.3.35 Uber die Beförderung Reinles zum 1.4.35 (GLA 240/395). 32 Zu seiner Person eingehender unten, S. 108ff. 33 Nachweise im Geschäftsverteiler der Justizverwaltungssachen vom 27.7.36 (GLA 240/1987/53/755).
A. Verreichlichung der Justiz - Kompetenzverluste fUr das OLO Karlsruhe
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der neuen Aufgabe nicht mehr zu. Der junge Reinle schien hierfür sicherlich viel eher geeignet. Für die Darstellung Buzengeigers spricht auch, daß Gürtner bei der "Überleitung der Rechtspflege auf das Reich" Reinle bereits sämtliche Geschäfte übertragen hatte, die aus der Zuständigkeit der obersten Landesjustizbehörden auf den Oberlandesgerichtspräsidenten übergegangen waren.34 Obwohl sich die Festredner bei der Übernahme der badischen Justiz am 9. Januar 1935 und der Schreiber des Artikels im "Führer" bemüht hatten, Bedenken gegen die "Überleitung der Rechtspflege auf das Reich" und gegen die Zusammenfassung mit Württemberg zu zerstreuen, sollte sich die Berechtigung derartiger Bedenken bereits Ende des Jahre 1936 erweisen. Mit Verordnung vom 19. Dezember 1936 3S wurde die politisch so bedeutsame Kompetenz für die Aburteilung der Hoch- und Landesverrats sachen für die Fälle aus dem Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe auf das Oberlandesgericht Stuttgart übertragen. Mit Schreiben vom 24. Dezember 1936 36 teilte man dem Oberlandesgericht mit, daß man falls im Zuge dieser Kompetenzverlagerung einige Planstellen entbehrlich würden, deren Übertragung auf das Oberlandesgericht Stuttgart beabsichtige. Bereits durch Verordnung vom 23. März 1936 37 war auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Kompetenz für die Entscheidung über das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde gegen die Entscheidungen des Landgerichts für den Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe auf das Oberlandesgericht München übertragen worden. Die Kompetenz für Patentsachen war im September 1936 dem Oberlandesgericht Frankfurt zugefallen. 38 Mit dem nun viel gravierenderen Verlust der erstinstanzlichen Strafsachen schien sich eine für das Oberlandesgericht und für ganz Baden bedenkliche Entwicklung abzuzeichnen. Es ging dabei nicht nur um den Verlust von Gerichtskompetenzen, man befürchtete vielmehr, daß in diesen Entscheidungen eine Vorwegnahme der ja immer wieder angekündigten Reichsreform läge. 39 34 Erlaß des Reichsministers der Justiz vom 22.2.35 an den Beauftragten des Reichsministers der Justiz in Stuttgart (BA R 22-Heinrich ReinIe). 3S
DJ 1936, S. 1910.
36
(OLA 240/1987/53/432).
37
ROBt. I S. 23l.
38
VO vom 16.9.36, ROBt. I I S. 299, DJ 1936, S. 1428.
39 Bereits im Jahre 1933 hatte der badische Ministerpräsident Köhler eine Denkschrift verfassen lassen, um die badischen Belange fUr den Fall einer kUnftigen Reichsreform zu wahren. In dieser Denkschrift wandte man sich vor allem gegen den befUrchteten Zusammenschluß Badens mit WUrttemberg. Siehe hierzu Grill, S. 259f.
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Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
Der Bedeutungsverlust des ehemals badischen Oberlandesgerichts führte denn auch zu einer in dieser Einmütigkeit sonst ungewohnten Gegenreaktion von Oberlandesgericht, Gauleitung, Anwaltschaft und Gaurechtsamt. Auf das Schreiben des Reichsjustizministeriums vom 24. Dezember 1936 antwortete das Oberlandesgericht am 6. Januar 1937: 40 .. Die völlig unerwartete allgemeine Verfügung vom 19. Dezember (... ) ist im Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe mit tiefer Bestürzung aufgenommen worden."
Man fühlte sich offensichtlich zurückgesetzt und stellte angesichts der aufgeworfenen Frage nach der Möglichkeit der Übertragung von Planstellen fest., daß das Oberlandesgericht Stuttgart die Mehrarbeit kaum ohne weitere Planstellen würde bewältigen können . .. Dies umso weniger, als Karlsruhe angesichts seiner besonderen Grenzlage ja bedeutend mehr Hochverratsverfahren liefert als die übrigen beiden Bezirke."
Am 13. Januar 1937 wandte sich der Gaurechtsamtsleiter Rupp,41 der ehemalige badische Justizminister, an den Gauleiter Robert Wagner. Rupp, der nun wieder als Rechtsanwalt tätig war, befürchtete vor allem, daß die ohnehin nicht ausreichend beschäftigte Anwaltschaft des Oberlandesgerichts bezirks Karlsruhe weitere Einbußen werde hinnehmen müssen. Er verwies auf den bereits eingetretenen Bedeutungsverlust durch die Verschiebung der Kompetenz in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. .. Ich wies damals darauf hin, daß das Oberlandesgericht Karlsruhe allmählich zu einem Gericht minderer Bedeutung und Ordnung herabgewürdigt werde.( ... ) Wie ich erfuhr, soll der Oberlandesgerichtspräsident vorher überhaupt nicht gehört worden sein. Durch diese Maßnahme erleidet das Oberlandesgericht Karlsruhe eine starke ideelle Einbuße, und insbesondere die um ihre Existenz ringenden Rechtsanwälte werden schwer betroffen. In unserem Grenzland wird das Arbeitsgebiet des Oberlandesgerichts Karlsruhe immer mehr beschränkt.( ... ) Ich habe den Eindruck, daß es beabsichtigt ist, noch weitere Zuständigkeiten dem Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe abzunehmen und auf andere Oberlandesgerichte zu übertragen, und daß letzten Endes das Oberlandesgericht Karlsruhe überhaupt verschwindet."
40
(GLA 240/1987/53/432).
41 (GLA 240/1987/53/659).
A. Verreichlichung der Justiz - Kompetenzverluste fUr das OLG Karlsruhe
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Die Eingabe Rupps an den Gauleiter, die dem Oberlandesgericht ebenfalls übermittelt wurde, nahm Buzengeiger zum Anlaß für ein weiteres Schreiben an den Reichsjustizminister. 42 "Die darin [gemeint ist das Schreiben Rupps an den Gauleiter, Verf.] vertretene Ansicht, daß die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Karlsruhe seit der Verreichlichung systematisch in der Absicht verkleinert werde, das Oberlandesgericht auf diese Weise ,auszuhöhlen' und schließlich aufhebungsreif zu machen, ist eine nicht nur beim Gaurechtsamt, sondern auch in der Reichstatthalterei festsitzende Auffassung. Diese BefUrchtung hat auch in der oberlandesgerichtlichen Anwaltschaft in Karlsruhe - Ubrigens auch sonst im Lande - so starke Vertretung gefunden, daß der Präsident der Rechtsanwaltskammer jUngst sich an mich mit der Bitte gewandt hat, ihm Auskunft zu geben, ob die Auffassung von der bewußten Aushöhlung zutreffend sei oder nicht. Ich habe geantwortet, dienstlich sei mir von einer solchen, der Reichsregierung unterstellten Absicht nichts bekannt. Damit sei freilich nicht gesagt, daß die Frage ohne weiteres verneint werden könne. Denn gerade im Fall der AB vom 11.12.36 - DJ S. 1910 sei ich vorher nicht ins Bild gesetzt gewesen."
In seiner betont vorsichtigen Art warf Buzengeiger dem Reichsjustizministerium also vor, daß man den ganzen Gerichtsbezirk überrascht und ihn persönlich vor den Kopf gestoßen habe. Einer Anregung des Gaurechtsamts folgend schlug er vor, man solle dem Oberlandesgericht als Ausgleich die Kompetenz zur Entscheidung über die Revisionen in Strafsachen für die Oberlandesgerichtsbezirke Stuttgart und Zweibrücken übertragen. Das Schreiben des Oberlandesgerichtspräsidenten an das Reichsjustizministerium wurde am 18. Februar 1937 43 dem Gauleiterübermittelt, um diesen zur Mithilfe zu bewegen. Wagner wandte sich auch am 27. Februar 1937 an den Reichsjustizminister: 44 "Wenn ich auch vollstes Verständnis dafUr habe, daß im Zuge der Neuorganisation der Reichsjustizverwaltung Eingriffe vorgenommen werden mUssen, die den schmerzlich berUhren, den sie treffen, bitte ich doch andererseits zu berUcksichtigen, daß die Grenzlandhauptstadt Karlsruhe schon im Interesse ihres Ansehens dem nahen Ausland gegenUber eine weitere Schmälerung ihrer Einrichtungen und damit ihrer Bedeutung nicht erfahren darf."
Auch die Fürsprache Wagners blieb aber allem Anschein nach ohne Erfolg. Das Reichsjustizministerium beließ es bei der Neueinteilung der Zuständigkei42
Schreiben vom 27.1.37 (GLA 240/1987/53/388).
43
(GLA 240/1987/53/659).
44
(GLA 240/1987/53/659).
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Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
ten.45 Man kann allenfalls darüber spekulieren, warum Karlsruhe die Kompetenz für die erstinstanzlichen Strafsachen verloren hatte. 46 Es mag sein, daß man wirklich daran dachte, das Oberlandesgericht aufzuheben und die Übertragung der Kompetenzen der Vorbereitung hierzu dienten. Möglich ist jedoch auch, daß man mit der Rechtsprechung des Gerichts auf dem Gebiet der Staatsschutzsachen unzufrieden war, worauf es einige Hinweise gibt. 47 Der Bedeutungsverlust wurde jedenfalls als sehr schmerzlich empfunden. Mit der Verhandlung der Hoch- und Landesverratssachen war ein großes Prestige verbunden, und der Verlust gerade dieser Kompetenz und dies ausgerech net an das immer als Rivale angesehene Württemberg bedeutete eine offensichtlicheZuriicksetzung. 48 Am 1. Mai 1937 mußte denn auch der V. Zivilsenat aufgelöst werden. Dieser war nach der "Machtergreifung" gebildet worden, da der dritte Zi vil- und Strafsenat, wegen der stark angestiegenen Hochverrats sachen keine Zivilsachen mehr hatte verhandeln können. Mit dem Verlust der Kompetenz in erstinstanzlichen Strafsachen war dies nun wieder möglich, so daß man den V. Zivilsenat nicht mehr benötigte. 49 Die Furcht vor der Auflösung des Gerichts sowie dem Zusammenschluß mit Württemberg war wohl endgültig erst zerstreut, als die Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts und die Gauleitung Badens für das besetzte Elsaß zuständig wurden.
45 Auch ein weiterer Vorstoß des Präsidenten der RechtsanwaItskammer Karlsruhe vom 8.12.37 beim Präsidenten der Reichsrechtsanwaltskammer blieb ohne.jede Wirkung (GLA 240/1987/53/659). 46 In den Akten des Reichsjustizministeriums beim Bundesarchiv scheinen hierzu keine Vorgänge überliefert zu sein. 47
Siehe dazu unten, Kapitel 12.
48 Noch am 24.1.38 schrieb Reinle an das Reichsjustizministerium: "Es ist verständlich, daß es zum mindesten Verwunderung erregen muß, wenn nunmehr, wie dies schon wiederholt geschehen ist, der Strafsenatfür Hoch- und Landesverratssachen zur Abhaltung von Strafsitzungen badisches Gebiet aufsuchen muß, nachdem der Senat erst kürzlich in Karlsruhe aufgehoben wurde. Daß bei der starken Verschiedenheit der Mundarten (nicht nur des Alemannischen sondern auch des in Nordbaden gesprochenen Pfälzisehen) die Verständigungs möglichkeiten mit den fast ausschließlich schwäbischen Richtern des StuttgarterGerichtshofs nicht einfach sind, sei nur nebenbei erwähnt. Bedenklich muß erscheinen, daß auch Angeklagte von einem Verteidiger vertreten werden, der ihre Sprache nicht spricht, ihre Ausdrucksweise auch schwer verstehen kann, so daß es zu Mißverständnissen kommen muß." 49 Änderung der Geschäftsverteilung (GLA 240/380).
B. Die endgUltige Entlassung der jUdischen Richter und Staatsanwälte
91
Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts erstreckte sich zwar nur auf die Justizverwaltungsangelegenheiten, von einer Auflösung konnte aber seitdem keine Rede mehr sein. Zusammenfassend kann also festgestellt werden, daß die Vereinheitlichung der Justizverwaltung für das Oberlandesgericht Karlsruhe überwiegend negative Folgen hatte. Zwar nutzte man in Baden wie auch auf Reichsebene die sich bietende Gelegenheit das Image der Justiz zu heben, trotzdem hatte man wichtige Kompetenzen eingebüßt und sah sich sogar der Gefahr der Auflösung des Gerichts ausgesetzt.
B. Die endgültige Entlassung der jüdischen Richter und Staatsanwälte Die mit dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" bewirkten Entlassungen gingen der Partei nicht weit genug. Eine weitergehende Regelung scheiterte aber zunächst an den Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Reichsministerien über die Frage der künftigen Behandlung von "Mischlingen".50 Das Tauziehen wurde dann von Hitler auf dem "Reichsparteitag der Freiheit" im September 1935 durch den Erlaß der sogenannten NümbergerGesetze beendet. 51 Von den insgesamt drei Gesetzen, war es das Reichsbürgergesetz,52 das in § 2 bestimmte, daß nur "der Reichsbürger ( ... ) der alleinige Träger der vollen Rechte nach Maßgabe der Gesetze" sein könne. War es nach § 3 des Gesetzes auch den Ausführungsbestimmungen vorbehalten, Näheres zu bestimmen, so war die Fähigkeit, Beamter zu werden, in jedem Fall dem "Reichsbürger" vorbehalten. 53 Am 30. September 1935 ordnete der Reichsjustizminister in einem Schnellbrief an sämtliche Oberlandesgerichtspräsidentendie Beurlaubung aller Beamten an, die von drei oder vier "volljüdischen" Großeltern abstammten. 54 Am Oberlandesgericht waren hiervon nur noch zwei Richter betroffen, der
1933 im Amt verbliebene Dr. Karl Jordan und der erst 1933 an das Oberlan-
desgericht versetzte Dr. Jakob Bär. Ihnen wurde von der Verwaltungsabteilung 50
Gruclunann, S. 168.
51 Zu deren Zustande kommen, siehe Gruclunann, S. 168f. und 875ff. 52 ROBt. I S. 1146, zu den Auswirkungen am OLG Celle Krehl, S. 46 - 50. 53
Gruclunann, S. 169.
54
Gruclunann, S. 169, Abdruck bei den Akten des RJM (BA R 22/1529).
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Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
des Oberlandesgerichts am 1. Oktober 1935 die Verfügung übermittelt, daß sie mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres beurlaubt seien. 55 Das Reichsbürgergesetz war wegen seiner unbestimmten Formulierung ohne Ausführungsbestimmungen nicht anwendbar. Die Einzelheiten wurden in einer Ersten Ausführungsverordnung vom 14. November 1935 geregelt (RGBI. I S.1333). Unklar war nach dem Reichsbürgergesetz zunächst geblieben, wer "als Jude gelten" sollte, obwohl er nicht jüdischer Konfession war. Wer vier oder drei jüdische Großeltern hatte, war nach der Verordnung als ,,voll-" bzw. "Dreivierteljude" von dem Gesetz betroffen, wer zwei jüdische Großeltemhatte und damit nach Lesart des Gesetzes "Halbjude" war, fiel nur dann unter die Bestimmung, wenn er beim Erlaß des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte oder ihr später beitrat oder wenn er mit einem Partner jüdischer Konfession verheiratet war, wenn er sich also "zum Judentum bekannte oder hingezogen fühlte". Am 25. November 1935 wandten sich Buzengeiger und Brettle deshalb erneut an die Justizbehörden, S6 da aufgrund eines Erlasses des Reichsjustizministers vom gleichen Tag nunmehr auch die Beamten zu beurlauben waren, die als Juden galten und die man noch nicht beurlaubt hatte. Dabei handelte es sich um die Beamten mit zwei jüdischen Großeltern, die sich, wie oben beschrieben, nach der Lesart der Verordnung "zum Judentum" bekannten. Da man - anders als bei den Beamten mit drei Großeltern jüdischer Konfession - den Personalakten am Oberlandesgericht und an den Gerichten die erforderlichen Angaben nicht entnehmen konnte, war man auf die Mithilfe der Betroffenen und die Ermittlungen der Gerichtsvorstände angewiesen . .. Die Nachprüfung muß gewissenhaft und gründlich sein, da sich bei den hier verwahrten Personalakten nicht die Unterlagen befinden und demzufolge die Ermittlungen und Feststellungen der Dienstvorstände von ausschlaggebender Bedeutung sind."
Auch am Oberlandesgericht wurde der Erlaß am 29. November in Umlauf gesetzf 7 und die Beamten aufgefordert, Mitteilung zu machen, falls die Voraussetzungenzuträfen. Buzengeiger teilte seinen Beamten in der für ihn typischen Diktion mit, wenn er binnen zwei Tagen keine Nachricht erhalte, er davon ausgehe, "daß in der Nichteinreichung die dienstverpflichtende ausdrückliche Verneinung der oben umrissenen Fragestellung versichert wird."
SS S6 S7
Gleichlautende Verfügung an beide Richter (GLA 240178). Erlaß vom 25.11.35 an die Vorstände sämtlicher Justiz behörden (GLA 240/286). (GLA 240/286).
B. Die endgültige Entlassung der jüdischen Richter und Staatsanwälte
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Die Nachforschungen am Oberlandes gericht verliefen ergebnislos. Die endgültige Entlassung der jüdischen Beamten erfolgte ebenfalls durch die genannte Ausführungsverordnung. Nach § 4 traten die betroffenen Beamten mit Ablauf des 31. Dezember 1935 kraft Gesetzes in den Ruhestand. Den beiden am Oberlandesgericht hiervon betroffenen Richtern, Dr. Jordan und Dr. Bär, ging eine entsprechende Verfügung des Reichsjustizministers vom 18. Dezember 1935 zu, die sie hiervon in Kenntnis setzte. S8 Da nach dem Reichsbürgergesetz und der dazu ergangenen ersten Verordnung keine Ausnahmen mehr für Altbeamte, Frontkämpfer und Väter oder Söhne von Gefallenen vorgesehen waren, mußte nunmehr auch diese Gruppe den Nachweis ihrer "arischen Abstammung" erbringen. Diesem Zweck diente ein Runderlaß der Reichsjustizministeriums vom 7. Dezember 1935, gerichtet an die Oberlandesgerichtspräsidenten und die Generalstaatsanwälte. 59 Demnach war der Nachweis der "arischen Abstammung" von jedem zu erbringen, der Beamter war oder Beamter oder Rechtsanwalt werden wollte. Zunächst waren die Großeltern festzustellen, sodann deren "arische Abstammung". Der Nachweis für sämtliche Großeltern war mit standesamtlichen Urkunden oder pfarramtlichen Bescheinigungen zu führen. Weiterhin hatte der "Beweisführer" im Rahmen eines Fragebogens Angaben zu machen und deren Richtigkeit dienstlich zu versichern, genau so, daß ihm Umstände, die gegen seine ,,arische Abstammung" sprachen, nicht bekannt waren. In Zweifelsfällen war ein Gutachten der Reichsstelle für Sippenforschung beizubringen. Der Nachweis mit den standesamtlichen Urkunden war schwierig und zeitaufwendig. Am Oberlandesgericht wurde jedem einzelnen Fall mit großer Akribie nachgespürt und die Ermittlungen zogen sich bis in den März 1936 hin, da es oftmals äußerst schwierig war, die sicherlich überlasteten Standes ämter dazu zu bewegen, die Urkunden zu übersenden. 60 Noch am 9. Oktober 1936 konnten Generalstaatsanwalt und Oberlandesgerichtspräsident nur mit Vorbehalt Auskunft über die Zahl der in der badischen Justiz noch beschäftigten "Nichtarier" geben, da die Urkunden noch nicht völlig hatten überprüft werden können. 61
S8
Verfügung vom 18.12.35 (GLA 240/78).
S9
Den badischen lustizbehörden in Abschrift übermittelt am 3.1.36 (GLA 240/286).
60
Dokumentation mehrerer Einzelfälle bei den Akten des Gerichts (GLA 240/286).
61 Siehe Schreiben des Oberlandesgerichtspräsidenten und des Generalstaatsanwalts an den RJM vom 9.10.36 (GLA 240/1987/53/232).
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Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
Am 24. Dezember 1935 wurde den Justizbehörden eine weitere Ausführungsbestimmung des Reichsjustizministeriums übermittelt, die auf einem Erlaß des Reichsinnennministers vom 20. Dezember 1935 basierte. 62 Dabei ging es um die Frage der Ruhegehaltsbezüge für die nunmehr entlassenen Beamten, da, wie es in dem Erlaß hieß, mit der Versetzung in den Ruhestand ..nicht ohne weiteres ein Ruhegehalt verbunden" war. Nach § 4 der Verordnung vom 14. November 1935 sollten nämlich nur ..Frontkämpfer" ihre ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge bis zur Erreichung der Altersgrenze erhalten. Aufgrund einer Verfügung des Reichsjustizministers vom 23. September 1936 berichteten Oberlandesgerichtspräsident und Generalstaatsanwalt am 9. Oktober 1936 über die zahlenmäßige Auswirkung der Entlassung der jüdischen Richter und Staatsanwälte, bzw. derjenigen Richter und Staatsanwälte, die als ..jüdisch galten". 63 Demnach seien am30. Januar 1933 im staatsanwaltschaftlichen und richterlichem Dienst 35 Juden und 5 .. sonstige Nichtarier" beschäftigt gewesen. Aufgrund des ..Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" seien 14 jüdische Richter und Staatsanwälte aus dem Dienst ausgeschieden. Aus Anlaß der .. Nürnberger Gesetze" seien 11 Beamte, die als Richter oder beamtete Notare beschäftigt gewesen seien, entlassen worden. Gen~uereAngaben enthält ein im Jahre 1938 aufgrund einer Rundverfügung des Reichsjustizministeriums 64 erstelltes ..Verzeichnis der nach dem 9. November 1918 im richterlichen oder staatsanwaltlichen Dienst tätig gewesenen Juden." 65 Nach dieser Liste waren am 30. Januar 1933 35 Richter und Staatsanwältejüdischer Konfession, bzw. solche, die sonst unter die einschlägigen Gesetze fielen, in Baden beschäftigt. Nach § 3 des ..Berufsbeamtengesetzes" wurden 1933 sechs, nach § 4, also wegen politischer Unzuverlässigkeit, fünf Beamte entlassen. Auf eigenen Antrag wurden 1933 sechs und 1934 ein Beamter zuruhegesetzt, nach Kündigung drei. Ein Beamter schied 1933 wohl altersbedingt aus. Im Jahre 1935 wurden 11 Beamte aufgrund des § 4 der ersten Durchführungsverordnung aus dem Dienst entlassen. Ein weiterer trat kraft Gesetzes, vermutlich wegen Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand und einer auf eigenen Antrag. Obwohl also der personelle Aderlaß im Jahre 1935 zahlenmäßig nicht so umfangreich war wie der des Jahres 1933, bereiteten die Entlassungen auch 62
(GLA 240/286).
63
(Beide GLA 240/1987/53/232), siehe auch vorletzte Fußnote.
64
RV vom 26.3.1938.
65
(GLA 240/1987/53/231), siehe auch Anhang 1.
B. Die endgültige Entlassung der jüdischen Richter und Staatsanwälte
95
jetzt Schwierigkeiten. Schon am 16. Oktober 1935 hatte Reinle, der für die Personalangelegenheitender richterlichen Beamten zuständig war, dem Ministerialrat Ruppert am Reichsjustizministerium mitgeteile 6 "Fürdie Stellvertretung der beurlaubten volljüdischen Richter und Notare benötige ich aber unbedingt noch eine Anzahl von Assessoren. Ich glaube allerdings im äußersten Notfall noch etwa 14 Tage ohne NeueinsteIlung von Assessoren durchkommen zu können. Länger läßt sich dieser Zustand aber nicht halten. Ich habe nämlich einige dieser Stellen noch durch Vertreter besetzen können, die Arbeit eines Teils der beurlaubten volljüdischen Richter muß deshalb von den anderen an den betreffenden Gerichten tätigen Richtern besorgt werden. Die übrigen jüdischen Richter und Notare habe ich entweder unmittelbar durch Referendare oder wenigstens mittelbar durch solche ersetzt, indem ich den Landgerichten für die jüdischen Richter Gerichtsassessoren zugewiesen habe. Gerichtsassessoren habe ich aus Beschäftigungsstellen beim Amtsgericht genommen und durch Referendare ersetzt. Hierdurch ist wiederum die geordnete Ausbildung der Referendare erheblich gestört worden."
Im Novembermußte der Oberlandesgerichtspräsidentdas Ministerium des Innem bitten, die Einberufungen von Richtern und Notaren zu Wehrübungen zurückzunehmen, da dies im Hinblick auf die Beurlaubung der jüdischen Riebter dringend erforderlich sei. 67 Auch in der richterlichen Abteilung des Oberlandesgerichts selbst wirkte sich die Entlassung aus. Am 22. Januar 1936 mußte der Oberlandesgerichtspräsident dem Reichsjustizministerium melden, daß mehrere Fälle bereits seit dem 31. Januar 1934 anhängig seien und bis zum 31. Dezember 1935 noch nicht hätten erledigt werden können, da bei drei dieser Fälle neben dem Umfang der Sachen auch die Tatsache eine Rolle spiele, daß der Berichterstatter Dr. Jordan beurlaubt worden sei. 68 Mit dem Vollzug der "Nürnberger Gesetze" war die von der NSDAP geforderte"Säuberung der Justiz" im Oberlandesgerichtsbezirk im wesentlichen abgeschlossen. Am 1. Juli 1937 trat das neue Reichsbeamtengesetz vom 26. Januar 1937 in Kraft,69 das zwar eine weitere Verschärfung der Rechtslage brachte, wie aber im folgenden zu sehen ist, kaum noch personelle Auswirkungen zeitigte. Wichtig waren die §§ 59 und 180 Abs. 3. § 59 bestimmte, daß ein Beamter zu entlassen sei, "wenn sich nach seiner Ernennung herausstellt, daß
66
(GLA 240/1987/53/276).
Schreiben des OLG-Präsidenten an das Ministerium des Innern - Mittlere Ersatzbehörde - in Karlsruhe vom 4.11.35 (GLA 240/1987/53/186). 67
68 Schreiben vom 22.1.36 (GLA 240/1166). 69 RGB!. I S. 41.
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Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
er oder sein Ehegatte nicht deutschen oder artverwandten Blutes ist oder wenn er nach seiner Ernennung die Ehe mit einer Person nicht deutschen oder artverwandten Blutes ohne die ( ... ) erforderliche Genehmigung geschlossen hat." Hiervonmachte § 180 Abs. 3 eine Ausnahme. Die Bestimmung sollte nämlich auf die Beamten keine Anwendung finden, die "auf Grund von § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums im Dienste belassen worden sind, und für die Beamten, die vor dem 2. Juli 1933 mit einer Person nicht deutschen oder artverwandten Blutes die Ehe geschlossen haben." Mit "artverwandtem" Blut meinte man eine europäische Abstammung, natürlich unter Ausschluß der Europäer jüdischer Konfession. Als "jüdisch versippt" galt, wer mit einer Jüdin im Sinne des § 5 der ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz verheiratet war. 70 Einem Bericht des Oberlandesgerichts vom 16. April 1937 zufolge 71 waren im Oberlandesgerichtsbezirk noch sechs Beamten im Justizdienst beschäftigt, die nach Lesart der Gesetze "Mischling ersten oder zweiten Grades" waren. Bis auf einen handelte es sich aber um ,,Altbeamte" oder "Frontkämpfer", so daß ein Einschreiten nur bei einem Beamten, einem Heidelberger Gerichtsreferendar,72 erforderlich war. Mit jüdischen Ehefrauen oder solchen jüdischer Abstammung waren ebenfalls sechs Beamte verheiratet, davon aber nur zwei, deren Ehefrauen auch tatsächlich Jüdinnen waren. Trotzdem war man im Reichsjustizministerium unangenehm berührt, daß immerhin noch sechs Beamte "jüdisch versippt" waren und zwei gar mit "Volljüdinnen" verheiratet. Der mi t Übernahme der J ustizhoheit durch das Reich von Baden nach Berlin versetzte Ministerialrat Rupperf 3 hatte am 5. Mai 1937 eine Anfrage an den Oberlandesgerichtspräsidenten in Karlsruhe gerichtet und nochmals gebeten über die "jüdisch versippten" Beamten des Bezirks zu berichten. 74 Ruppert war in seiner Anfrage davon ausgegangen, daß nur zwei Be70 Nach damaliger Lesart also ,,voll- und dreiviertel Juden sowie Halbjuden, wenn sie der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten".
71
(GLA 240/1987/53/157).
72 Dessen Entlassung zum 30.9.37 ist auf einer Liste vermerkt, die fUr den RJM auf Anfrage vom 16.11.37 angefertigt wurde (GLA 240/1987/53/121). Nach dieser Uste waren noch vier "jüdische Mischlinge ersten Grades, zwei zweiten Grades" beschäftigt. Ein Beamter war mit einer JUdin verheiratet, dabei handelte es sich um den Landgerichtsrat Martens, Jusizrat Kees findet sich nicht mehr auf dieser Liste. Drei Beamte waren mit "Mischlingen ersten Grades" verheiratet.
73 Zuständig auch für Personalangelegenhei ten, siehe Gruchmann, S. 195 FN 23 und S.245. 74 (GLA 240/1987/53/157).
B. Die endgültige Entlassung der jüdischen Richter und Staatsanwälte
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amte, nämlich der Landgerichtsrat Martens und der Amtsgerichtsrat Dr. Anschütz unter diese Regelung fielen. Nachdem ihm nun mitgeteilt worden war, daß auch die Gattin eines Justizrates Kees "Volljüdin" war, schrieb Ruppert an das Oberlandesgericht,7S daß ihm "dies einen gelinden Schrecken eingejagt" habe. "Hoffentlich ist dann mit Martens und Kees unsere Liste endgültig abgeschlossen. Ich möchte wenigstens keinen weiteren jüdisch versippten - abgesehen von einigen Beamten, die wie Weiler mit Halbjüdinnen verheiratet sind."
Dabei wird man dem Ministerialrat Ruppert vielleicht noch nicht einmal zwingend antisemitische Tendenzen unterstellen können. Beamte mit jüdischen Ehefrauen standen unter dauerndem Druck der Partei, was wiederum dem Ministerium Schwierigkeiten bereitete. 76 Entlassen wurden aber weder Martens noch Kees, da beide die Ehe vor 1933 geschlossen hatten. Das Berufsbeamtengesetz hatte also, sieht man von der Entlassung des Referendars ab, keine Auswirkungen mehr.
7S Schreiben vom 22.5.37 (GLA 240/1987/53/157). 76 Einem Erlaß des RJM zufolge sollten mit jüdischen Frauen verheiratete Richter nur noch in Grundbuch-, Register- oder Verwaltungssachen mit Ausnahme der Personalangelegenheiten beschäftigt werden, mit Sachen also, die keine streitige Gerichtsbarkeit beinhalteten. Da die Grundbuchsachen in Baden nicht von den Gerichten erledigt wurden, kam für den inzwischen zum Amtsrichter gewordenen Martens nur eine Beschäftgung in Registersachen in Betracht, die aber in Mannheim nicht so umfangreich waren, daß damit ein Richter ausgelastet werden konnte. Mit Schreiben vom 15.11.37 bat man deshalb darum, Martens auch weiterhin in der streitigen Gerichtsbarkeit beschäftigen zu dürfen. Das Landgericht Mannheim mußte dem RJM jedoch erneut berichten und tat dies mit Schreiben vom 23.12.37 mit dem Anfügen: "Auch bei der Bearbeitung von Registersachen sind Unzuträglichkeiten nicht ausgeschlossen. Die Tarnung nicht arischer Geschäfte - der Teilhaber oder sonstiger Beteiligter - die Änderung der Firmen und dergl. verlangt oft Maßnahmen, die Besprechungen in der Öffentlichkeit unterliegen können." Reinle vermerkte hierzu: "Ganz meine Meinung. Solche Geschäfte gibt es gerade in Mannheim noch viele, deshalb ist Martens dort besonders wenig am Platz." Diese Meinung vertrat er auch gegenüber dem RJM und schlug vor, Martens in einer Abteilung der streitigen Gerichtsbarkeit, und zwar am Landgericht zu beschäftigen. Das Landgericht wurde dabei dem Amtsgericht wegen des Kollegialrichtersystems vorgezogen, da sich so die Entscheidung nie einem Richter allein zuschreiben ließ. (GLA 240/1987/53/231).
7 Schiller
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c. Gericht und Partei nach der "Verreichlichung" Die "Verreichlichung" brachte eine gewisse Besserstellung des Gerichts im Verhältnis zu lokalen Parteifunktionären. Dies äußerte sich zwar nicht darin, daß es nunmehr keine Konflikte mehr gab, man hatte jedoch jetzt die Möglichkeit' im Streitfall nach Berlin zu berichten und sich der Rückendeckung des Reichsjustizministers zu vergewissern. Wenn es gelang, eine Anordnung aus Berlin zu erhalten, so konnte man diese den lokalen ParteisteIlen entgegensetzen und auf diese Weise versuchen, Übergriffen der Partei zu begegnen. Typisch für diese Verhaltensweise ist etwa folgender Vorgang: Am 18. Februar 1936 legte Buzengeiger dem Reichsjustizministeriumein Schreiben des Landgerichtspräsidentenaus Waldshut vor,77 wonach die Rechtsberatungsstelle der Deutschen Arbeitsfront Gau Baden darum gebeten habe, man möge ihr beitsrechtliche Entscheidungen in doppelter Ausfertigung überlassen. Buzengeiger meinte: "Ich kann mich auch Bedenken nicht verschließen, ob sich nicht schließlich eine Kontrolle Uber die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte daraus entwickelt, wenn grundsätzlich dem Ersuchen der Gaurechtsberatungsstelle stattgegeben wUrde."
Das Reichsjustizministerium traf denn auch eine Anordnung mit der die Justizgut leben konnte. Es sollten nämlich nur Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung und nur solche, die der DAF nicht schon durch deren Mitwirkung am Verfahren bekannt waren, vorgelegt werden. Die Vorlage sollte auch nicht an die DAF direkt, sondern über Vermittlung des Reichsjustizministeriums erfolgen. Damit war faktisch eine entgegenstehende Anordnung getroffen, die das Oberlandesgericht der DAF entgegenhalten konnte. 78 Weniger erfolgreich im Kompetenzgerangelmit der DAF war man, was die Frage von Betriebsappellenanging. Erbitterte Konflikte mit der Deutschen Arbeitsfront hatte es auf diesem Gebiet bereits seit 1934 gegeben. Die DAF hatte den Versuch unternommen, in den Gerichten eine Machtbasis zu gewinnen. Dabei sollten die bei Gericht beschäftigten Angestellten als Ausgangspunkt für diesen Versuch dienen. Diese Bemühungen der DAF hatten jahrelange Querelen insbesondere in Mannheim und Waldshut zur Folge. Am 9. November 1934 berichtete der Landgerichtspräsident von Mannheim, Hanemann, von 77 Vorgänge bei den Akten des Gerichts, insbesondere Schreiben des LG-Präsidenten vom 18.1.36 (GLA 240/1987/53/90). 78 Verfügung des RJM vom 8.4.36, 1424-IV.b 6494.36.
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Versuchender DAF, die Angestellten des Gerichts zum Beitritt zu bewegen.79 Er sei aber der Auffassung, die Gerichtsangestellten würden nicht von der DAF erfaßt. Es seien auch Reibereien bei Veranstaltungen und Sammlungen zu befürchten. Er wende sich auch dagegen, daß die DAF Veranstaltungen ohne sein Einverständnis mit Angestellten des Gerichts durchführe. Hanemann wurde vom lustizministerium darüber belehrt, daß es eine Vereinbarung zwisehen DAF und RDB gebe, wonach die Dauerangestellten dem RDB, die Tarifangestellten der DAF zugehörig seien.ao Damit war aber der Konfliktstoff mit der DAF keineswegs erschöpft. Am Ende des Jahres 1936 berichtet der Landgerichtspräsident von Waldshut, Simon, dem Oberlandesgerichtspräsidenten,al man habe ihm ein Schreiben der DAF vorgelegt, in dem er als "Betriebs führer" angesprochen sei und aufgefordert werde, einen Betriebsappell durchzuführen, dies unter Verweis auf zwei Verordnungen Hitlers vom 24. Oktober 1934 und vom 11. November 1934. Im Reichsgesetzblatt habe er diese allerdings nicht finden können. Er sei auch bisher davon ausgegangen, daß der Arbeitsfront keine Befehlsgewalt gegenüber Behörden zustehe. Der ,,Kreisbetriebsgemeinschaftswalter" sah das in seinem, mit schweren spmchlichen Mängeln behafteten Rundschreiben vom 2. November 1936 ganz anders. a2 .. Nach der Verordnung des Führers vom 24. Oktober 1934 und 11. November 1934 ist die Deutsche Arbeitsfront eine Gliederung der NSDAP im Sinne des Gesetzes zur Sicherung von Partei und Staat vom 1.12.33. Das heißt die Deutsche Arbeitsfront ist ein Instrument der Partei und wird von der Partei geführt. Durch diese Verordnung ist der Deutschen Arbeitsfront der Totalitätsanspruch Ubertragen worden und sind sinngemäß die Anordnungen die die Deutsche Arbeitsfront herausgibt durchzuführen."
In dem Schreiben wurde weiter bemängelt, daß an den Appellen, soweit sie überhaupt durchgeführt worden seien, die Beamten nicht teilgenonunen hätten . .. Hierzu möchten wir in der Zukunft festgelegt wissen, daß wenn Betriebsappelle angesetzt sind, die gesamte Gefolgschaft daran teilzunehmen hat. (... ) Diese Anordnungen gelten selbstverständlich auch fUr Behördenbetriebe."
Auch hier ging das Oberlandesgericht den Weg der Vorlage nach Berlin und man scheute sich auch nicht, die rivalisierenden Parteiinstitutionen gegeneinander auszuspielen, indem man dem Amt für Beamte bei der Gauleitung Mit-
79
(GLA 240/1987/53/846).
80
Schreiben vom 4.3.35 (GLA 240/1987/53/846).
81
Schreiben vom 6.11.36 (GLA 240/1987/53/848).
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Schreiben vom 2.12.36, Interpunktion wie im Original (GLA 240/1987/53/848).
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teilung von den Vorgängen machte. 83 Dies bestätigt dann am 10. Dezember 1936 auch wunschgemäß, daß man auch dort der Auffassung sei, daß Beamte nicht der Anordnungsbefugnis der DAF unterstünden. 84 In der Zwischenzeit fehlte es nicht an weiteren Versuchen der DAF, ihre Macht zu demonstrieren. Am 22. Dezember ging dem Oberlandesgericht ein Schreiben der Kreiswaltung Karlsruhe der DAF vom 18. Dezember zu, in dem auf den mangelnden Besuch der Schulungsveranstaltungen hingewiesen wurde. In Zukunft seien Meldekarten zu verteilen, mit denen das Erscheinen kontrolliert werden könne. Reinle teilte dem Absender in Absprache mit Buzengeiger mit, daß dies am Oberlandesgericht nicht in Betracht komme, da die Justizbehörden bereits vom RDB wie vom NSRB "schulisch betreut" würden." Am 27. Dezember 1936 hatte auch der Reichsjustizminister eine Verfügung getroffen und nach Rücksprache mit dem Reichsminister des Innem bestimmt, bis auf weiteres solle keine Teilnahme der Beamten an den Schulungsveranstaltungen der DAF erfolgen. Bemerkenswertist vielleicht, daß die Verfügung an den Kammergerichtspräsidentenin Berlin gerichtet war und den anderen Oberlandesgerichtspräsidenten zur Kenntnis übermittelt wurde. Die DAF hatte also allem Anschein nach reichsweit versucht, Einfluß bei den Gerichten zu gewinnen. Damit waren aber die Streitigkeiten mit der DAF keineswegs bereinigt. Wenig später legte die DAF in den Gerichten Fragebogen vor, in denen die persönlichen Daten eines jeden Richters, Geschäftsstellenbeamten und Angestellten maßt werden sollten. 86 Am 14. April 1937 meldete das Landgericht Heidelberg, die DAF habe erneut einen Betriebsappell angeordnet. Auch diese Vorgänge wurden wiederum dem Reichsjustizminister berichtet. Im Juni 1937 nahm die DAF gegenüber dem Landgerichtspräsidenten daran Anstoß, daß dieser einen Betriebsausflug durchgeführt habe, ohne ihn von der DAF genehmigen zu lassen. 87 Auch ein Erlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innem vom 22. Juni 1937 über die Zusammenarbeit der Hoheitsbehörden mit der DAF war nicht in der Lage, Ruhe in die Gerichte zu bringen. In diesem Erlaß war festgestellt worden, daß in den Hoheitsbetrieben keine Vertrauensräte zu errichten seien, daß 83 Siehe Schreiben an das RJM vom 12.11.36 und an die Gauleitung vom gleichen Thge (GLA ibid.). 84
Kopie des an den OLG-Präsidenten gerichteten Schreibens (GLA ibid).
8S
Schreiben vom 30.12.36 (GLA ibid.).
86
Schreiben des LG-Präsidenten Mannheim vom 11.1.37 (GLA ibid.).
87
Schreiben vom 23.6.37 (GLA ibid.).
C. Gericht und Partei nach der "Verreichlichung"
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aber zwischen dem Behördenleiter und dem Betriebsobmann der DAF ein enges Vertrauensverhältnis anzustreben sei. Gleichwohl bleibe der Behördenleiter "Führer der Verwaltung".!8 Bei dem Konflikt mit der DAF ging es wohl viel weniger um weltanschauli che Divergenzen. Die DAF war, wenn man so will, die Arbeiterorganisation der NSDAP, und die jeweiligen Funktionäre wollten nun zu gern der als dünkelhaft verpönten Beamtenschaft ihre Macht demonstrieren. Was die Behördenleiter so in Rage versetzte, waren nicht die Betriebsappelle - ähnliche Veranstaltungen wurden in den Behörden ohnehin durchgeführt -; es war die Tatsache, daß man sich von den DAF-Leitern, die sicherlich anderen sozialen Schichten entstammten als die Gerichtspräsidenten, Befehle erteilen lassen sollte. Es zeigt sich an diesem Konflikt aber auch, daß die nach der "Überleitung der Rechtspflege auf das Reich" gängige Verteidigungspraxis des Gerichts in seiner Auseinandersetzung mit der Partei, nämlich die Vorlage nach Berlin, Wirksamkeit nur dann entfalten konnte, wenn Berlin schnell und eindeutig reagierte. Ein Schutz war aber dann nicht zu erreichen, wenn die Stellungnahme des Justizministers auf sich warten ließ. Auch half eine Stellungnahme dann nichts, wenn die lokale Parteiinstitution die Anordnungen aus Berlin einfach ignorierte, wie dies bei der Regelung der Betriebsappelle der Fall war. Dann mußte der Versuch unternommen werden, auf die Führung der Parteiorganisation einzuwirken, was aber auch nur durch das Reichsjustizministerium erfolgen konnte. Viele der Richter waren im Jahre 1937 der Partei beigetreten, einige sicher aus Überzeugung oder Karrierestreben, einige aber auch, um dem immer drohenden Konflikt mit lokalen Parteigrößen die Spitze zu nehmen und bei den Auseinandersetzungenmit lokalen Parteiführern auf die eigene Mitgliedschaft verweisen zu können. Aber selbst für Richter, die den Nationalsozialismus aus Überzeugung bejahten, war die Stellung nicht einfach. Verpflichtet waren die Richter gegenüber der Staatsmacht. Das Mißtrauen der Parteileiter gegen die Justiz war aber ungebrochen, und bei divergierenden Anordnungen drohten ernsthafte Konflikte. So findet sich in den Akten des Gerichts ein sorgenvoller Bericht des Landgerichtspräsidenten aus Waldshut. 89 Ihm sei in seiner Eigenschaft als Amtswalterdes BNSDJ zu Ohren gekommen, daß sämtliche Amtswalter in die Par88 Abdruck des Erlasses bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/53/848). 89 Schreiben an das Oberlandesgericht vom 12. 7. 35 (GLA 240/1987/53/329).
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tei eingegliedert werden sollten. Seine Frau und seine Tochter seien bereits seit 1930 Mitglieder der Partei, er selbst wolle diesen Weg aber nicht gehen. "Das später in seiner Tragweite eingeschränkte Wort des FUhrers: ,Die Partei befiehlt dem Staat' wird von den UnterfUhrem gern im Munde gefUhrt.( ... ) Der Kreislei ter, (... ), soll gesagt haben, ein Beamter, der Parteigenosse sei, mUsse in erster ünie die Belange der Partei wahrnehmen. WUrden die Amtswalter in die P.O. eingegliedert, so wäre bei den hiesigen Verhältnissen -(... )- zu befUrchten, daß Kreis- und Ortsgruppenleitung versuchen wUrden, auch auf die Richter und ihre dienstliche Tätigkeit Einfluß zu gewinnen. Hat man doch nicht selten den Eindruck, daß UnterfUhrer gegenwärtig Akademiker in ähnlicher \\eise zu behandeln versuchen, wie im alten Heere die Unteroffiziere gern den Einjährigen ihre Macht gezeigt haben."
Reinle hielt in seiner Antwort die geschilderten Bedenken für übertrieben, er wollte "aber nicht leugnen, daß ein Körnchen Wahrheit schon darin enthaltenist." 90 Die Sache wurde auch mit dem Gauführerdes BNSDJ, dem Weinheimer Rechtsanwalt Schüssler erörtert, der antwortete,91 die Mißhelligkeiten seien leichter zu beseitigen, wenn sowohl der Beamte, als auch der Amtswalter Parteigenosse seien. ,,[Die Beseitigung der Mißhelligkeiten, Verf.] ist aber schwierig, wenn nicht gar aussichtslos, falls auf der einen Seite der, Beamte' und, nichts-als-Beamte' steht, und auf der anderen Seite der politische Leiter. (... ) Eine unerlaubte Beeinflussung der ParteisteIlen auf Richter wUrde umsoweniger zu befUrchten sein, je besser das Einvernehmen zwischen beiden ist - wo wUrden wir denn da hinkommen, wenn mit derartigen Argumenten der Beamte allgemein sich von der Partei zurUckhalten wUrde? Nur die größtmögliche Verschmelzung kann den Weg zur Einheit von Partei und Staat erreichen lassen, wobei es auf persönliche Annehmlichkeiten wenig wird ankommen können."
Auch die Appelle Schüsslers können aber nicht darüber hinwegtäuschen. daß die in der Partei engagierten Richter Diener zweier Herrn waren. Gerade in den ländlichen Bezirken bot diese Konstellation sicher reichen Konfliktstoff. Auch in dem Zeitraum nach 1935 fehlte es nicht an Versuchen von ParteisteIlen auf Gerichtsverfahren Einfluß zu nehmen. Der Reichsstatthalter etwa legte am 17. August 1935 91 dem Oberlandesgerichts präsidenten ein Schreiben des Oberbürgermeisters der Stadt Karlsruhe vor mit der Bitte um Überprüfung, 90 Schreiben vom 15.7.35 (GLA ibid.). 91 Schreiben SchUsslers an das Oberlandesgericht vom 23.7.35 (GLA ibid.). 91 (GLA 240/636).
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ob das eingeschlagene Verfahren Anlaß zu Beanstandungen biete. Einem städtischen Angestellten, dessen Frau ebenfalls eine Arbeitsstelle innegehabt hatte, war gekündigt worden, da "Doppelverdienertum" vorliege. In dem angestrengten KÜDdigungsschutzprozeßobsiegte die beklagte Stadt vor dem Arbeitsgericht. Der Oberbürgermeister würdigte die Entscheidung als "Urteil, das der nationalsozialistischen Weltanschauung entsprach", das Landesarbeitsgericht gab jedoch der Kündigungsschutzklage statt. Daraufbin wandte sich der Oberbürgermeister nicht etwa an den Oberlandesgerichtspräsidenten oder das Reichsjustizministerium, sondern an den Reichsstatthalterund bat um Überprüfung der Sache. Buzengeiger antwortete dem Reichsstatthalter am 27. August 1935 und begründete über zwei Seiten, warum keine Verfahrensfehler vorgelegen hätten und warum ihm eine Dienstaufsicht in diesem Zusammenhang nicht zustehe. Auch die Landesbauernschaft war nicht zimperlich, wenn es darum ging, in schwebende Verfahren einzugreifen. Der Vorstand der badischen Anwaltskammer Brombacher berichtete dem Oberlandesgericht am 26. Juni 1935,93 bereits früher habe man über die Landesbauernschaft Klage geführt, und auch jetzt würde von der Landesbauernschaft versucht,94 "einen Volksgenossen von der Wahrung seines Rechts abzuhalten." Ein Grundstückseigentümer hatte sich aufgrund einer privatschriftlichen und damit formnichtigen Vereinbarung verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu einem Kaufpreis von 650 RM zu übertragen. Der Käufer hatte in das Grundstück investiert, da er einen Steinbruch betreiben wollte. In der Folge forderte der Verkäufer dann 1400 RM und verwies auf die Formnichtigkeit der Vereinbarung und drohte mit Kondiktionsansprüchen. Der Käufer wandte sich an die Landesbauernschaft, die, nachdem der Verkäufer zunächst nicht eingelenkt hatte, den Landrat, den Kreisleiter, die Kreiswalter der DAF und den Bürgermeistereinschaltete. Ihre Parteinahme begründete die Landesbauernschaft gegenüber dem Oberlandesgericht unter anderem damit, "daß wenn die ganze Anlage hätte beseitigt werden mUssen,( ... ), der Betrieb Gefahr gelaufen wäre, stillgelegt werden zu mUssen. Dadurch wären einige Arbeiter brotlos geworden, was im Hinblickauf die von der Regierung propagierte Arbeitsschlacht gerade dieser entgegengestanden hätte. (... ) Die Rechtslage war klar, da auf Grund der schriftlichen Vereinbarung M. die Auflassung des GrundstUcks nicht verlangen konn-
93
(GLA 240/1987/53/389).
94 Der Sachverhalt wird deutlich aus dem Antwortschreiben der Landesbauernschaft vom 28.8.35 (GLA ibid.).
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te. Dieses Handeln war meiner Auffassung nach der heutigen veränderten Rechtsanschauung im nationalsozialistischen Staat entgegenstehend."
Zum Prozeß war es dann doch nicht gekommen, da der Käufer die geforderten 1400 RM bezahlt hatte. Das Oberlandesgericht selbst verspürte wenig Neigung, für die Anwaltschaft eine Lanze zu brechen. In der Antwort an Brombacher gab man diesem anheim, sich an das Reichsrechtsamt der NSDAP oder die Reichsrechtsanwaltskammer zu wenden. 9~ Ärger mi t ParteisteIlen hatte man sicher selbst genug. Man wollte wegen Schwierigkeiten der Anwaltschaft, dieja die Justiz allenfalls mittelbar betrafen, nicht auch mit der Landesbauernschaft Konflikte heraufbeschwören. Ein weiteres Feld langandauemder Konflikte mit Gliederungen der NSDAP war das Verhältnis zu den Partei gerichten. Es war zwar gelungen, die Errichtung einer SA-Gerichtsbarkeit abzuwenden, Parteigerichte gab es aber gleichwohl. So wie neben die Exekutive die Parteiorganisation getreten war, so verfügte die Partei als Staat im Staate auch über ihre eigene Gerichtsbarkeit, deren Verhältnis zur staatlichen Justiz nie recht geklärt wurde. Auf die hierdurch entstandene Konkurrenzsituation wurde bereits hingewiesen. Zwar hatte der Reichsjustizministeram 12. März 1936 in einem Erlaß zur Frage der Bindung der Partei gerichte an Feststellungen der Strafgerichte Stellung genommen und dabei den obersten Richter der Partei zitiert, der eine Bin9~ Schreiben vom 9.9.35 (GLA ibid.). Brombacher focht kurz darauf einen weiteren Strauß mit der Landesbauernschaft aus. (Schreiben Brombachers an das OLG vom 6.9.35, GLA ibid.) Ein Landwirt, der Mitglied im Reichsnährstand war, hatte an das Amtsgericht \\aldkirch eine Eingabe gerichtet, nachdem er einen Prozeß gegen eine ParteijUdischer Konfession verloren hatte, die von einem nichtjUdischen Anwalt vertreten worden war. "In Sachen I. gegen den Judenknecht und Rechtsanwalt B. in Breisach. Ich erheb gegen den vom Gläubiger erwirkten Zahlungsbefehl vom 14. Ernting35 Widerspruch.GrUnde: Weil der Judaslohn fUr das BetrUgen eines Goym von seiten eines arischen Anwalts, bereits bezahlt ist. Es lebe die Freiheit. Heil Hitler. I." Brombacher verwies darauf, daß der Anwalt, (wohl wegen Vertretung der jUdischen Partei), aus der Anwaltschaft ausgeschlossen worden sei, er wollte nun vom OLG erreiehen, daß dieses beim Reichsnährstand vorstellig werde, auf daß "der Reichsnährstand nicht nur wegen der Anwaltschaft, sondern auch im Interesse der Rechtspflege Uberhaupt, auf seine Mitglieder einwirkt, daß derartige wUrdelose Eingaben an ein Gericht kUnftig unterbleiben." Das OLG blieb auch hier untätig. S. Antwort Buzengeigers vom 12.9.35 (GLA ibid.).
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dungder Parteigerichte für die Bereiche anerkannte, in denen staatliche Kompetenz bestand: 96 "Ist die Verurteilung eines Parteigenossen wegen Steuerhinterziehung oder Devisenvergehen erfolgt, so ist das Parteigericht an diese Feststellung ebenso gebunden, wie an die rechtskräftige Feststellung einer strafbaren Handlung durch das Strafgericht."
Die hier unterstrichenen Passagen hatte Buzengeiger auf dem Erlaß hervorgehoben und handschriftlich an der Seite vermerke 7 "Und wie bei Freisprechung?"
Reibereien gab es mit den Partei gerichten aber genauso wie mit anderen Partei organisationen vor allem auch wegen deren fortwährenden Verlangen nach Akteneinsicht. Bereits im Januar 1934 98 hatte sich das Gaugericht Baden an den Justizminister Dr. Wacker gewandt und mitgeteilt, daß das Amtsgericht Karlsruhe eine Bitte des Gaugerichts um Akteneinsicht abgelehnt hatte. Der Vorsitzende des Gaugerichts schrieb: "Die Partei ist Körperschaft des öffentlichen Rechts und finde ich es eigentümlich, daß es heute immer noch amtliche Dienststellen gibt, die aus ihren verstaubten Schubladen irgend einen § herauszieht, mit dem unsere Arbeit sabotiert werden soll. Ich nehme an, daß es nur dieses Hinweises bedarf, Sie zu veranlassen, daß künftig unsere Arbeit von schwarzen oder roten Beamten, die sich immer noch nicht damit abfinden können, daß es mit der Zentrumsmacht aus ist, nicht mehr gehemmt wird."
Wacker wies daraufhin die Gerichte am 12. Februar 1934 an, der Parteigerichtsbarkeit Rechtshilfe zu leisten, insbesondere Akteneinsicht zu gewähren. 99 Auch das Oberlandesgericht zog sich das Mißfallen der Parteiinstanzen zu, da der erste Senat ein Verlangen des Gaurechtsamtes um Akteneinsicht trotz der 96 Die Bindung der Parteigerichte an die Feststellungen der staatlichen Gerichte war wohl weniger eindeutig, als der RJM dies Glauben machen wollte. Nach einem Beitrag von Brinkmann (JW 1937, S. 848) war nur davon auszugehen, daß das Parteigericht nach einer strafrechtlichen Verurteilung regelmäßig (!) den festgestellten Sachverhalt zugrundelegte, daß es aber im übrigen eigenständig zu prüfen habe, inwieweit das Verhalten seitens der Partei zu mißbilligen war. Nach dieser Darstellung bestand weder eine tatsächliche noch eine rechtliche Bindung. 97
Erlaß mit Anmerkung (GLA 240/1987/53/13).
Schreiben des Vorsitzenden des badischen Gaugerichts an das badische Justizministerium vom 23.1.34 (GLA 240/1987/53/18). 99 ErlaßJ3853 (GLA 240/1987/53/18). 98
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ministeriellen Anordnung abgelehnt hatte. 100 Diese für die Gerichte sehr lästige Anordnung wurde dann nach der "Verreichlichung" durch einen Erlaß des Reichsjustizministers geändert. 101 Eine Aktenversendung sollte demnach nur erfolgen, wenn der Stellvertreter des Führers darum ersucht habe. Somit mußten die lokalen Parteiinstitutionen ihre Gesuche über die Parteizentrale in München einreichen, was einem faktischen Ausschluß der Akteneinsicht gleichkam. Dieses Verfahren wurde in Baden allem Anschein nach aber nicht praktiziert. Buzengeiger beklagte sich nämlich am 13. Mai 1935 beim Gaugericht, daß zu viele Akten erhoben würden, obwohl er so entgegenkommend gewesen sei und auf die Vorlage über die Vermittlung der Partei zentrale verzichtet habe. 102 Dies könne in diesem Umfang keinen Bestand haben. Die Aktenübersendung an Parteigerichte, Gaurechtsamt oder andere Parteiinstitutionen war nicht nur lästig, sie diente auch häufig dazu, die Korrektur mißliebiger richterlicher Entscheidungen vorzubereiten. So bat in einem Vollstreckungsverfahrengegen einen Landwirt der Reichsnährstand um Einsicht in Akten des Notariats Kenzingen. Das Oberlandesgericht legte die Anfrage dem Reichsjustizministerium vor, das die Gefahr derartiger Gesuche wohl kannte. Es teilte dem Gericht mit,I03 bei rechtskräftigen Entscheidungen reiche die Mitteilung des Tenors, man möge von Aktenübersendungen in derartigen Billen grundsätzlich absehen und dies im Einzelfall damit begründen, daß die Akten in einem schwebenden Verfahren gebraucht würden oder daß sie im Geschäftsgang nicht entbehrt werden könnten. Machtlos war man aber auch von seiten des Reichsjustizministeriums, wenn der Stab des Stellvertreters des Führers um Akteneinsicht ersuchte. In einem Fall, der Akten in einem Erbgesundheitsverfahren betraf, hatte das Erbgesundheitsobergerichtdie Versendung der Akten an den Stab des Stellvertreters des Führers abgelehnt, da nach einem Erlaß des Reichsjustizministeriums nur der Stellvertreter des Führers selbst, nicht aber dessen Stab derartige Ersuchen stellen konnte. Es kam zu einem längeren Briefwechsel. Das Oberlandesgericht legte die Schreiben aus der Parteizentrale mit der Bitte um Weisung jeweils dem Ministerium VOr. 104 Das Reichsjustizministeriummußte jedoch klein beigeben. Am 4. November 1936 100 Schreiben des Gaurechtsamtsleiters Rupp vom 26.10.34 (GLA 101 Erlaß vom 29.12.34 (GLA 240/89).
240/1987/531103).
102 Siehe Schreiben Buzengeigers an das Gaugericht der NSDAP vom 13.5.35 (GLA 240/1987/53/103).
103 Schreiben vom 19.8.36 (GLA 240/1987/53/103). 104 Vorgänge bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/53/103).
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wurde dem Gericht mitgeteilt, daß derartigen Gesuchen in Zukunft stattzugeben sei. Eine weitere Liberalisierung erfolgte dann durch einen Erlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innem vom 23. Januar 1938"05 wonach auch Parteigerichten zum Zwecke der Amts- und Rechtshilfe Akteneinsicht zu gewähren sei. Daß das Mißtrauen des Reichsjustizministeriums gegenüber dem Verlangen des Stellvertreters des Führers nach Akteneinsicht vollkommen berechtigt war, sollten die weiteren Ereignisse zeigen. Der Stellvertreter des Führers entwickelte nämlich eine besonders effektive und einfaehe Methode der Urteilskorrektur. Hatte ein Betroffener eine Eingabe an den Stellvertreter des Führers gerichtet, so forderte man die Akten zur Einsicht an und gab diese, wenn man die Eingabe für berechtigt hielt, einfach nicht mehr zurück. Von einem solchen Vorgang berichtet der Vorsitzende des Erbgesundheitsgerichts Mosbach dem Oberlandesgerichts präsidenten am 16. Februar 1938. 101 Im Februar 1937 habe der Stab des Stellvertreters des Führers Akten des Erbgesundheitsgerichts eingefordert. Der Vorsitzende schilderte minutiös seine mehrfachen Anträge auf Rückübersendung, die, wenn überhaupt eine Antwort erfolgte, mit der Begründung abgelehnt wurden: 107 "Die Akten sollen aus grundsätzlichen Erwägungen neben anderen dem FUhrer vorgelegt werden. Infolgedessen sind sie hier noch nicht entbehrlich."
Das gleiche Vorgehen wiederholte sich in einem anderen Fall des Erbgesundheitsgerichts Mosbach.10 8 Die unliebsame rechtskräftige Entscheidung wurde in diesen beiden Fällen dann endgültig korrigiert, indem der Amtsarzt Jahre später dazu bewegt wurde, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu Gunsten des "Unfruchtbarzumachenden" zu beantragen!09 Diese Vorfälle machen
105 DJ 1938, S. 130. 106
(GLA 240/1987/53/1(4).
107 Siehe etwa Antwort vom 14.6.37 (GLA ibid.). 108
Bericht des Vorsitzenden an das Oberlandesgericht vom 1.4.38 (GLA ibid.).
109 Ein Fall aus dem Jahre 1941 betraf ebenfalls den Stab des Stellvertreters des
FUhrers (Vorgänge in GLA 240/1987/53/1(4). Der Vorsitzende der Strafkammer am Landgericht Offenburg berichtete am 20.6.41, der Stellvertreter des FUhrers habe am 8.11.40 Strafakten eingefordert. "Seither waren alle meine BemUhungen, die Akten wieder zu bekommen, vergeblich, (... ). Bis heute warte ich auf eine Antwort des Herrn Stellvertreters des FUhrers. Da ich im Interesse des Ansehens und der WUrde des Gerichts nicht gewillt bin. diese Art der Handhabung des Rechtshilfeverkehrs länger mit-
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deutlich, daß die bereits oben geschilderte Verteidigungspraxis der Vorlage nach Berlin nur so lange funktionieren konnte, wie die Stellung des Reichsjustizministers es überhaupt zuließ, sich gegen Parteidienststellen zu behaupten. War die Partei stelle nur mächtig genug, wie es bei dem Stab des Stellvertreters des Führers der Fall war, so hatte das Reichsjustizministerium auch nicht die Möglichkeit, den Gerichten beizuspringen. Weiter läßt sich sagen, daß die Bemente der rein willkürlichen Entscheidung in dieser Phase des Dritten Reiches ihren Ausgang nahmen. Entscheidend war nicht mehr das geschriebene Gesetz. Es entschied vielmehr die persönlicheBeziehung. Wer in der Lage war, einen Parteifunktionär mit genügend Macht oder Unverfrorenheit auf seine Seite zu bringen, der war sehr wohl im Stande, eine Revision der richterlichen Entscheidung an der Justiz vorbei zu bewirken. Es wird sich im weiteren zeigen, daß diese Vorfalle nur der Anfang einer Entwicklung waren, die später nicht mehr zu kontrollieren war. Trotz der geschilderten Konflikte läßt sich aber feststellen, daß die Phase nach 1935 eine Beruhigung der Lage gebracht haUe. Die wohl als viel unmittelbarer und gefcihrlicher empfundene Bedrohung durch die SA war nicht mehr so akut, wie dies noch in der Zeit unmiuelbar nach der Machtergreifung gewesen war. Gegenüber den lokalen Partei größen bot auch die Einschaltung des Reichsjustizministeriums wenn auch keinen sicheren, so doch überhaupt einen gewissen Schutz. Es war zumindest für die Belange der Justiz mehr Verständnis zu erwarten als vom Nichtjuristen Wacker. Auch die Machtkompetenz des Reichsjustizministers war höher einzustufen als die des badischen Justizministeriums. Daß eine Phase relativer Ruhe herrschte, wird auch in mehreren Stellungnahmen von Oberlandesgerichtspräsident und Generalstaatsanwalt deutlich. Anläßlich eines Beitrages Fricks im "V ölkischen Beobachter", 11 0 der das
zumachen, und im Übrigen auch nicht mehr in der Lage bin, die Verantwortung für die verzögerliche Erledigung des Verfahrens zu tragen, zumal zu befürchten ist, daß sie im Falle entstehender Weiterungen zum Nachteil des Gerichts ausgewertet wird, bitte ich von dort aus dafür besorgt sein zu wollen, daß die Akten bald möglich hierher gelangen." Das OLG informierte, wie schon zuvor die GeneralstaatsanwaItschaft, das Reichsjustizministerium (Schreiben vom 14.7.41). Die Sache wurde dann noch mehrmals auf Wiedervorlage gelegt, letztmals am 16.11.41, dann geschah nichts mehr. Die Akten wurden allem Anschein nach nicht zurückgegeben, und auch das Ministerium war 1941 nicht mehr in der Lage zu helfen. 110
Völkischer Beobachter vom 3/4.2.35.
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Verhältnis von Partei und Staat zum Gegenstand hatte, erklärten sich Buzengeiger und Brettle in einem Schreiben an die Justizbehörden über das Verhältnis zur Partei. 11 I "Wir geben bei der Gelegenheit unserer Befriedigung darUber Ausdruck, daß im Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe schon bisher die Beziehungen zwischen Behördenleitern und dem Vertretern der Parteiorganisation in steigendem Maße sich immer mehr zu einem allseitig vertrauensvollen Zusammenarbeiten entwickelt haben und sprechen die Erwartung aus, daß an dieser wichtigen Aufgabe auch in Hinkunft unablässig gearbeitet wird"
Es war also eine gewisse Entspannung eingetreten, und man war seitens des Oberlandesgerichts um einen Ausgleich bemüht. In die gleiche Richtung weist ein Schreiben Buzengeigers an die Justizbehörden vom 17. Oktober 1936, in dem angeordnet wurde, daß nunmehr bei allen repräsentativen Veranstaltungen der Justiz auch die örtlichen Hoheitsträger der Partei einzuladen seien. I I 2 In einem weiteren Schreiben vom 24. April 1936 würdigte Buzengeigerdas Verhältnis von Partei und Justiz nochmals umfassend und nahm die Beamten und insbesondere die Behördenleiter in die Pflicht, wenn es darum ging, die nationalsozialistische Weltanschauung in der Beamtenschaft zu verbreiten. I 13 "Wie ich schon in meinem Erlaß (... ) vom 30.1.36 zum Ausdruck gebracht habe, hat die Zusammenarbeit zwischen den Dienstvorständen und den ParteisteIlen in Baden erfreuliche Fortschritte gemacht, so daß Unstimmigkeiten zu den ausgesprochenen Seltenheiten gehören. (... ) Diese erfreulichen Feststellungen dUrfen aber nicht zu einem geruhsamen Sichbescheiden fUhren. Die weltanschauliche und politische Haltung jedes einzelnen Beamten auch weiter zu festigen und zu vertiefen, muß sich jeder auch weiterhin angelegen sein lassen. Und hier tri fft insbesondere Dienstvorstände die Aufgabe, durch beispielhaftes Vorleben die Gefolgschaft zu Nacheiferung anzuhalten und anzuregen. \\b der Dienstvorstand mit dem Herzen bei der Sache ist, in der erwähnten Weise seinen Beamten vorlebt und aus dem GefUhl seiner Verbundenheit wie seiner erhöhten Verpflichtung für das ganze heraus sich eindringlich auch persönlich (... ) mit jedem Einzelnen seiner Gefolgschaft beschäftigt, wird auch die p0litische Haltung und der Geist der Beamtenschaft sich willig und freudig einheitlich ausrichten und werden auch die noch Zögernden und innerlich Schwankenden mitgerissen und dem Wollen des nationalsozialistischen Staates und seinen praktischen Anforderungen sich mehr und mehr erschließen."
111
Schreiben vom 30.1.36 (GLA 240/393).
112
Schreiben Buzengeigers an Justizbehörden vom 24.4.36 (GLA 240/1987/53/13).
113
Schreiben vom 24.4.36 (GLA 240/393).
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Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
Es folgte dann die ausdrückliche Aufforderung zur Bespitzelung der Untergebenen und zur Einflußnahme. .. Kommt der Dienstvorstand seinen FÜhrerpflichten in der geeigneten \\eise nach, dann wird er auch in steigendem Maße seine einzelnen Beamten kennenlernen, wird sehen lernen, wo der Einzelne vielleicht durch geeigneten Zuspruch noch besser erfaßt werden kann. Er wird dann beispielsweise auch wissen, wieweit etwa Schulungs-, Vortragsveranstaltungen des RDB oder des BNSDJ besucht werden und wieweit nicht, welche Beamten etwa noch der NS-Volkswohlfahrt fernstehen, welche noch Bedenken tragen, ihre Kinder der Hitlerjugend zuzuführen und ähnliches und er wird in die Lage versetzt, da, wo es auf diesen Gebieten noch Anstände gibt, an ihrer Behebung durch persönliche Einwirkung und Belehrung mitzuhelfen. Der Führer und die Bewegung sind nur durch unentwegte Arbeit, unausgesetzte Kämpfe zum endgültigen Erfolg durchgestoßen; auch die Aufgabe des nationalsozialistischen Beamten und in Sonderheit der Führer der Beamtenschaft ist es, in der Arbeit an sich selbst wie an den ihrer Führung Anvertrauten nicht nachzulassen, auf daß Staat, Bewegung, Volk immer mehr zur wirklichen unlöslichen Einheit werden."
Die eigentliche Initiative zu diesem Schreiben war allerdings nicht von Buzengeiger, sondern vom Amt für Beamte ausgegangen. Dieses hatte sich am 18. Februar 1936 114 sowohl an das Oberlandesgericht als auch an andere Behörden gewandt und bemängelt, daß zwar in aller Regel die außerdienstliche Erfassung der Beamtenschaft abgeschlossen sei, daß aber einige Behördenvorstände noch ein "gewisses politisches Uninteressiertsein" - gemeint war wohl Desinteresse - an den Tag legten. Man möge auf die Behördenleiter entspre chend einwirken, was dann durch die oben zitierten Schreiben geschehen war. Man bemühte sich auch sonst nach Kräften um einen Ausgleich mitder Partei. Konflikte sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Aufsässige Richter wurden auch in diesem Sinne belehrt. Dies zeigt ein Vorfall, der wiederum einen Konflikt des Mannheimer Landgerichtspräsidenten mit Parteidienststellen betraf. Diesmal war es das Amt für Beamte, mi t dem der Landgerichtsprä sident Hanemann aneinandergeraten war. Er berichtete am 13.1.37,' 15 daß zwei seiner Richter vom Amt für Beamte zur Anzeige gebracht worden seien, weil sie sich geweigert hätten, im Rahmen einer Haussammlung für das Wmterhilfswerk zu spenden. Die Weigerung hätten sie damit begründet, daß sie
114 115
(GLA 240/1987/53/195). (GLA 240/1987/53/133).
C. Gericht und Partei nach der" Verreichlichung"
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ihre Spende bereits über einen Gehaltsabzug entrichteten. Beide Richter wären auch vom Amt für Beamte einbestellt worden, dort aber nicht erschienen. Schließlich seien zwei Beamtinnen zur Rechenschaft gezogen worden, da sie bei einer Veranstaltung im Landgerichtsgebäude, bei der auch das Deutschlandlied gesungen worden sei, den rechten Arm nicht erhoben hätten. Der Landgerichtspräsident meint hierzu: "Alle Vorgänge sind an sich nicht von sonderlicher Bedeutung. Aber sie lassen doch erkennen, daß Organisationen der NSDAP sich gegenüber Beamten von Hoheitsbetrieben, die den Organisationen zum Thil nicht einmal angehören, eine Art Dienstaufsicht zuerkennen (... ). Vermutlich werden Vorgänge ähnlicher Art auch von anderer Seite berichtet. [Hier hatte Buzengeiger am Rande vermerkt: 'Nein, immer nur Hanemann'] Sie bringen in die Beamtenschaft, auch wenn die Betroffenen selbst Mitglieder der NSDAP wären, eine nicht zu unterschätzende Unsicherheit darUber, wem sie eigentlich unterstehen.( ... ) Denn ich glaube nicht, daß auch für die zuverlässigsten beamteten Bekenner der NSDAP das Verhältnis zu Staat und Partei sich darin erschöpft, daß jede Organisation der Partei sich nun ein Aufsichtsrecht und eine Kontrolle über die Beamten des Staates zuschreibt, mag es nun ein Amt für Beamte, oder mag es die Arbeitsfront oder sonst eine Organisation sein."
Laut einem Aktenvermerk vom 5. Februar wurde die Sache mit Staatsanwalt Weis, dem Gausachbearbeiterim Amt für Beamte, besprochen. Am gleichen Tag wurde Hanemann darüber informiert, daß die Verweigerung der Spende vom Kreisleiter auch der Gauleitung berichtet worden sei. Die Justiz sei zwar nicht beim Namen genannt worden sei. Buzengeiger fügte jedoch an: 116 "Bemerken möchte ich aber doch, daß ich es begrüßt hätte, wenn alle beim Landgericht mit der Sache Befaßten der Entstehung des Konflikts vorgebeugt hätten, was für die drei beteiligten Richter kein zu großes Opfer bedeutet hätte. Ich bedauere, daß dieser Anlaß nicht geeignet war, die Aufassung in Parteikreisen über die Justiz und das Richtertum zu bessern."
Weitere Folgen hatte die Sache nicht. Widerborstige Landgerichtspräsidenten wie Hanemann kamen aber an der Erkenntnis nicht vorbei, daß vom Oberlandesgericht bei Konflikten mit der Partei keine uneingeschränkte Unterstützung zu erwarten war. Zwar hatte das Oberlandesgericht mitgeholfen, den
116 Diesen Zusatz hatte Buzengeiger selbst verfaßt und damit einen entsprechenden Zusatz Reinles ersetzt, der in noch schärferer Form gehalten war.
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Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
Versuchen der DAF zu widerstehen, allzu großen Einfluß in den Gerichten zu gewinnen. Mit dem der Gauleitung unterstellten Amt für Beamte wollte man sich allerdings nicht anlegen, vielleicht auch deshalb nicht, weil der Anlaß als nicht so gravierend empfunden wurde. I I 7 Trotz einigen Reibereien mit ParteisteIlen war in dieser Phase das Verhältnis zur Partei relativ ruhig. Es schien möglich zu sein, zu einem irgendwie gearteten Modus vivendi mit der Partei zu gelangen. Dabei spielte sicher eine Rolle, daß mit der Entlassung der noch verbliebenen jüdischen Richter der Findruck entstehen konnte, die Justiz werde in Zukunft etwas aus dem Blickwinkel der Partei geraten. Auch die Verreichlichung der Justiz, die ja, wie oben geschildert, mit großem Pomp begangen wurde, machte Hoffnung, daß der nationalsozialistische Staat trotz des augenscheinlichen Mißtrauens gegenüber der Justiz doch auch ein gewisses Interesse an ihr hatte. Man glaubte vielleicht auch, daß, wenn Frieden mit "der Bewegung" geschlossen würde und möglichst viele Beamte und Richter der Partei beiträten, eine gewisse Mäßigung zu erzielen wäre. Sicherlich konnte man in dieser Phase des Dritten Reiches sich der Illusion hingeben, es würde, wenn nur die Justiz die weltanschaulichen Anforderungen der Partei erfüllte, möglich sein, eine Art nationalsozialistisehen Rechtsstaat zu schaffen. Dabei ist der Begriff des Rechtsstaats in diesem Zusammenhang darauf zu reduzieren, daß ein Staat gemeint war, in dem die Entscheidungen einer nationalsozialistischen Justiz als letztverbindlich akzeptiert würden. Diese Hoff-
117 Der Landgerichtspräsident Hanemann war von allen Gerichtspräsidenten sicherlich der widerspenstigste. Ins Kreuzfeuer der Kritik war er auch geraten, weil er noch im Jahre 1937 die Bilder jUdischer Landgerichtspräsidenten im Gericht belassen hatte, was Gegenstand eines Artikels im "StUrmer" war. Davon berichtete Hanemann an das OLGam 24.6.37 (GLA 240/1987/53/424). "Diese Notiz muß vonirgendeiner Seite veranlaßt worden sein, die sich die Überwachung des Landgerichts Mannheim zur Aufgabe gestellt hat (... ). Sie ist richtig." Hanemann meinte, es seien Bilder von sämtlichen Landgerichtspräsidenten im Dienstzimmer des Landgerichtspräsidenten vorhanden gewesen, die er durch ein Bild des "FUhrers" ersetzt habe. Die Bilder der Landgerichtspräsidenten habe er im Beratungszimmer anbringen lassen. Er habe sich nicht berechtigt gefühlt, die Bilder einfach verschwinden zu lassen oder aus der Sammlung die der drei jUdischen Präsidenten auszuscheiden, "die eben doch einmal Präsidenten gewesen waren." Reinle wies Hanemann am 30.6.37 an, die Bilder zu entfernen, da auch er es als nicht mehr in die Zeit passend bezeichnen könne, wenn Bildnisse jUdischer Richter noch in Diensträumen hingen.
D. Oberlandesgericht und Reichsjustizministerium
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nung erscheint aus heutiger Sicht absurd. Man fragt sich, wie man sich 1935 oder 1936 dieser lllusion hingeben konnte, zumal nach den oben geschilderten Übergriffen von Parteiseite. Gleichwohl war in diesen Jahren eine gewisse Entspannung der Lage unverkennbar. Mit der Verreichlichungder Justiz war es gelungen, den Einfluß der Partei zugunsten der Ministerialbürokratie zurückzudrängen. Es darf nicht unbeachtet bleiben, daß die Verreichlichung vom nationalliberalen Reichsjustizminister Gürtner durchgeführt wurde, dem es gelungen war, den prominenten nationalsozialistischen Juristen Kerrl von diesem Vorgang auszuschließen. Weiterhin hatten im Zuge dieser Maßnahmen die führenden Parteijuristen Kerrl und Frank, die beide großen Landesjustizverwallungen vorgestanden hatten, ihre Stellung eingebüßt. Der wohl wichtigste Grund für diese Fehleinschätzung liegt aber in einem notwendigen Zweckoptimismus. Hätte man der Realität, soweit diese erkennbar war, ins Auge geschaut, so wäre man um die Erkenntnis der vollkommenen Sinnlosigkeit richterlicher Tätigkeit im nationalsozialistischen Staat nicht umhin gekommen. Nur die lllusion bot überhaupt einen Weg, weiter als Richter tätig zu sein.
D. Oberlandesgericht und Reichsjustizministerium Mit der Überleitung der Rechtspflege auf das Reich waren die Oberlandesgerichteder Landesjustizverwaltung entzogen und dem Reichsjustizministerium unterstellt worden. Auch das Reichsjustizministerium schreckte nicht davor zurück, starken Einfluß auf die Richter auszuüben, vor allem wenn es um die Rechtsprechung in Strafsachen ging. Aber auch im Zivilrecht gab es sensible Bereiche. Es erfolgte bereits in dieser Phase nationalsozialistischer Herrschaft ein Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit, der sich von den späteren Richterbriefen wohl nur dadurch unterschied, daß man noch in höherem Maße um Vertraulichkeit bemüht war. Am 26. April 1935 gab Buzengeiger in den beiden Strafsenaten ein Rundschreiben in Umlauf "zur Kenntnis und Weitergabe von Hand zu Hand",1l8 dort hieß es: "Nach Mitteilung des Reichsjustizministers besteht Anlaß darauf hinzuweisen, daß die Frage des Ausschlusses der Öffentlichkeit wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondere der Staatssicherheit in jedem einzelnen Verfahren (... ) sorgsamer Prüfung bedarf. Grundsätzlich wird die Staatsanwaltschaft den Ausschluß der Öffentlichkeit zu beantragen haben, sobald in einem Verfahren Bestrebungen, die auf den Neuaufbau der Kommunistischen Partei gerichtet sind oder staatlichen Maßnah118
Vorgang bei den Akten des Gerichts (GLA 240/83).
8 Schiller
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Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
men, welche die Abwehr solcher Bestrebungen bezwecken erörtert werden mUs sen. (00') Ich bitte, diese Gesichtspunkte bei Gelegenheit mit den in Betracht kommenden
Richtern vertraulich zu erörtern und Uber besondere Erfahrungen und Vorkommnisse auf diesem Gebiet mir zu berichten...
Das bereits in der Weimarer Zeit praktizierte und vom badischen Justizministerium nach der Machtergreifung fortgesetzte Verfahren, der Bekanntgabe von an die Staatsanwaltschaften gerichteten Erlassen bei den Richtern nahm unter dem Reichsjustizministerium ebenfalls seinen Fortgang. Am 9. April 1936 wurde ein an die Oberstaatsanwälte und die ersten Staatsanwälte in Pforzheim gerichteter Erlaß des Generalstaatsanwalts von Buzengeiger vertraulich bei den Mitgliedern der Strafsenate beim Oberlandesgericht in Umlauf gesetzt. "Dem Herrn Reichsminister ist in zunehmendem Maße aufgefallen, daß die einzelnen Staatsanwaltschaften und Gerichte die sogenannte Mundpropaganda rechtlich verschieden behandeln, insbesondere unterschiedliche Anforderungen an die innere Tatseite stellen. Um eine größtmögliche Einheitlichkeit in der Behandlung der sogenannten Mundpropaganda zu erreichen, hat der Reichsminister der Justiz im Einvernehmen mit dem Herrn Oberreichsanwalt folgende Richtlinien fUr die Behandlung der Mundpropaganda aufgeführt"
Es folgten dann dezidierte Erläuterungen zum Vorsatz bei hochverräterischerMundpropaganda, wie sie etwa auch in einem Strafrechtskommentarenthalten sein könnten. I I 9 Man scheute sich seitens des Reichsjustizministeriums aber auch nicht, die Gerichte direkt mit Weisungen zu versehen. Am 28. Januar 1936 richtet Dr. Schlegelberger einen FIlaß an die Gerichtel20 und stellte fest: "Ein Oberlandesgericht hat in einer Entscheidung, die das Basler Stillhalteabkommen (00') betrifft, eine Rechtsauffassung vertreten, die in Widerspruch zu der Auffassung der zuständigen Stellen und der ständigen VerwaltungsUbung der mit der Devisenbewirtschaftung betrauten Behörden seht."
Die Entscheidung wird zitiert, und es wird angemerkt, daß das Bekanntwerden derartiger Entscheidungen schädlich für die deutsche Devisenlage sei.
119
(GLA 240/83).
120
(GLA 240/159).
D. Oberlandesgericht und Reichsjustizministerium
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"Ich weiß mich mit den Gerichten darüber einig, daß eine besonders sorgfältige Prüfung aller devisenrechtlichen Fragen unter Berücksichtigung aller noch außerhalb des Schrifttums vorhandenen Erkenntnisquellen eine staatspolitische Notwendigkeit ist."
In Zweifelsfällen möge das Reichsbankdirektorium in Berlin um Rat angegangen werden. Wesentlich agressiver mit seinen Lenkungen der Rechtspflege als Schlegelberger war aber Freisler. 12I Es soll hier ein Vorgang der Beeinflussung der Richter in "Blutschutzsachen" geschildert werden, da er eindrücklich belegt, daß auf widerspenstige Richter recht massiver Druck ausgeübt wurde. 122 In einer Verfügung Freislers an die Oberlandesgerichtspräsidentenhatte es es zunächst geheißen: 123 "Bei der Überwachung der Rechtsprechung in den Verfahren wegen Zuwiderhandlung gegen die §§ 2, 5 des Blutschutzgesetzes ist es aufgefallen, daß die von den Gerichten verhängten Strafen auch bei gleichgelagerten Fällen im Strafmaß außerordentliche Unterschiede aufweisen, und daß weiter einzelne Strafkammern es trotz der Ausführungen in der RV vom 2. März 1936 anscheinend grundsätzlich vermeiden, auch in schweren Fällen auf die angebrachte Zuchthausstrafe zu erkennen. Es ist z.B. unver121
Hierzu auch Weinkauff, S. 100.
Freislers Einflußnahme beschränkte sich freilich nicht auf diesen Bereich. Am 14.3.36 wandte er sich an die Oberlandesgerichtspräsidenten und die Generalstaatsanwälte und teilte ihnen mit, daß einige Gerichte und Oberstaatsanwälte Beschimfungen von leitenden Persönlichkeiten des Staates und der Partei lediglich als persönliche Beleidigung werteten und dabei die Auffassung verträten, es liege keine Untergrabung des Vertrauens des Volkes zur politischen Führung vor. Demgegenüber sei davon auszugehen, daß bei solchen Beschimpfungen Verstöße gegen §§ 1 und 2 des sog. Heimtückegesetzes vorlägen, ohne daß es besonderer Feststellungen darüber bedürfe, weshalb im Einzelfall das Vertrauen zur politischen Führung untergraben worden sei. In einem weiteren Rundschreiben vom 28.5.36 kritisierte Freisler die Sachbehandlung eines Sondergerichts, das den Strafantrag einer leitenden Staatspersönlichkeit wegen Äußerungen über seine Ehefrau nur als Antrag auf Strafverfolgung aus seiner dienstlichen Stellung heraus gewürdigt habe. "Solche Behandlung ist abwegig (... ). Sollte[n] Bedenken über den Umfang und Inhalt eines Strafantrages bestehen, hat die Staatsanwaltschftdie Pflicht, solche Zweifel vor der Verhandlung und Verjährung, gegebenenfalls unter Rücksprache mit dem später erkennenden Richter zu klären." Der erste Erlaß wurde den Richtern des OLG und den Landgerichtspräsidenten zur Kenntnis gebracht, der zweite bei den Richtern des Strafsenats des OLG in Umlauf gesetzt. 123 Schreiben Freislers an die OLG-Präsidenten vom 1.9.36 (GLA 240/1987/53/42). 122
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Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
ständlich, wenn ein Gericht gegen einen Volljuden, der einem ihm vertrauenden Mädchen sich als Arier ausdrücldich ausgibt und es dadurch zum Beischlaf verleitet, entgegen dem zutreffenden Zuchthausantrag des Staatsanwalts nur auf 8 Monate Gefängnis erkennt. Um diesem Mißstand abzuhelfen und zu einer einheitlichen sachentsprechenden Rechtsprechung zu gelangen, ersuche ich im Benehmen mit den Landgerichtspräsidenten auf die ihnen unterstellten Richter in geeigneter Weise nachdrücklich einzuwirken, damit einem Rasseverfall des deutschen Volkes auch von den deutschen Gerichten durch strenge Strafen entgegengewirkt wird. Eine solche Rechtsprechung wird sich unter anderem dadurch gewährleisten lassen, daß sofort die Verfahren wegen eines Verbrechens gegen das Gesetz vom 15. September 1935 einer einzigen Strafkammer (... ) zugeteilt werden."
Der Erlaß wurde vom Präsidium des Oberlandesgerichts am 9. September 1936 vertraulich an die Landgerichtspräsidenten übermittelt "mit dem Ersuchen um entsprechende Belehrung der in Betracht kommenden Richter." Damit war aber die Einflußnahme auf die Richter in Blutschutzsachen nicht abgeschlossen. Auf den 13. November 1936 wurden die Generalstaatsanwälte zu einer Besprechung über das Blutschutzgesetz nach Berlin gebeten. 124 Auf dieser Einladung machte Buzengeiger am 24. November einen handschriftlichen Aktenvermerk, der Rückschlüsse auf das Ergebnis der Berliner Besprechung zuläßt. "Mit Generalstaatsanwalt das Verfahren wegen Belehrung der Gerichte besprochen. ( ... ) Der Generalstaatsanwalt erhält von jeder Anldageschrift wegen Rassenschande und dergl. Abdruck. Er wird ihn regelmäßig dem OLG Präs. zur Kenntnis mitteilen. Der Einzelfall soll dann entscheiden, ob es angebracht ist, andas betr. Strafgericht vor der Hauptverhandlung bes. heranzutreten."
Auch das Reichsjustizministerium und mit ihm das Oberlandesgericht setzten sich also schon 1936 über die Unabhängigkeit der Richter hinweg und griffen in einzelne schwebende Verfahren ein. In politisch sensiblen Bereichen sollte nichts dem Zufall überlassen werden. Dieses Verfahren der Lenkung von Einzelentscheidungen vor der Hauptverhandlung sollte später noch eine wesentliche Erweiterung erfahren. Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit wegen der Rechtsprechung in Blutschutzsachen blieben im Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe auch keineswegs nur theoretisch. Besonders das Landgericht Freiburg fiel wegen seiner Rechtsprechung beim Reichsjustizministerium unangenehm auf. In einem Schreiben des Reichsjustizministeriums,l2S gerichtet an den Generalstaatsanwalt und von diesem über den Oberlandesge124
Schreiben vom 3.11.36 (GLA ibid.).
l2S
Schreiben vom 4.6.37 (GLA 240/1987/53/43).
D. Oberlandesgericht und Reichsjustizministerium
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richtspräsidenten an den Landgerichtspräsidenten in Freiburg weitergeleitet, heißt es: "Die Verurteilung des Tischlergesellen A. wegen Beihilfe zur Rassenschande erachte ich im Ergebnis fUr richtig, denn es muß entgegen den Ausführungen des Urteils der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Freiburg vom 13.1.37 davon ausgegangen werden, daß er den rasseschänderischen Verkehr des G. mit der H. durch positive Handlung (u.a. Führen des Kraftwagens auf Reisen durch Deutschland) gefördert hat."
Die Begehung durch Unterlassen sei aber abzulehnen. Das Gericht habe fruschlich eine Pflicht zur Handlung, nämlich zur Erstattung einer Anzeige, aus der Mitgliedschaft in der NSDAP und dem Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat hergeleitet. Was das Reichsjustizministerium besorgte, war aber weniger die Herleitung der Garantenstellung als vielmehr die allzu große Milde der Freiburger Richter, wie aus dem weiteren deutlich wird. 126 "Mit wachsender Besorgnis verfolge ich im laufenden Jahr die Rechtsprechung des Landgerichts Freiburg in Strafsachen wegen Verbrechen gegen die §§ 2, 5 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, ( ... ) soweit das Strafmaß in Frage steht. Schon die in dem Urteil der 2. großen Strafkammer vom 13.1.37 gegenden KaufmannG. [Angesprochen war damit das oben erwähnte Verfahren, Verf.] ausgesprochene Strafe und besonders die für die Strafmilderung beigegebene Begründung will mir nicht unbedenklich erscheinen. Gegen die Strafen, die durch die Urteile der 1. großen Strafkammer vom 11.3 (... ) und neuerlich vom 26.5.37 (... ) gegen die beteiligten Juden ausgesprochen worden sind, müssen aber die stärksten Bedenken geltend gemacht werden. Die Strafen können auch bei Berücksichtigung der Besonderheiten der Tat und der Persönlichkeiten der Täter nicht als ausreichend bezeichnet werden, um die deutsche Rasse und die deutsche Ehre gegen Angriffe jüdischer Rasseschänder in geeigneter Weise zu schützen und abschreckend zu wirken. Sie steht überdies hinter dem Strafmaß der meisten anderen deutschen Gerichte in derartigen Fallen erheblich zurück. Indem ich daher auf die Besprechungen vom 13.11.36 und 18.6.37 Bezug nehme, bitte ich Sie, Herr Oberlandesgerichtspräsident, diese Urteile auch ihrerseits einer Prüfung zu unterziehen und die beteiligten Richter in persönlicher Aussprache auf die schweren Bedenken hinzuweisen, denen die bisherige Handhabung des Strafmaßes begegnet."
Überdas Ergebnis seiner Unterredung mit den beteiligten Richtern berichtete Reinle am 26.8.37. 127 126 Schreiben vom 15.7.37 (GLA 240/1987/53/43). Unterschrieben hatte dieses Schreiben Ministerialdirektor Dr. erohne vom Reichsjustizministerium, Leiter der Abteilung III, Strafrechtspflege, Strafvollzugsverwaltung, siehe Gruchmann, S. 1156. 127 (GLA 240/1987/53/43).
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..Ich habe mit den beteiligten Richtern in Gegenwart des Herrn Landgerichtspräsidenten RUcksprache gehalten und bin dabei durchaus auf Verständnis gestoßen. Ich habe darauf hingewiesen, daß die angezogenen Urteile allzusehr nur den Angriff auf die Ehre in den Vordergrund stellen und deshalb einen Milderungsgrund dann annehmen, wenn die deutsche Partnerin etwa eine Dirne oder sonst Ubel beleumundete Person gewesen sei. Es werde verkannt, daß das Gesetz insbesondere eine weitere Blutmischung und daraus sich ergebenden Rassenzerfall des deutschen Volkes verhtiten wolle. Von den Richtern wurde bemerkt, daß die Widerstände gegen ein härteres Strafmaß in der Regel besonders stark bei den beteiligten nichtrichterlichen Beisitzern aufträten. Hier werde immer wieder darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber selbst doch Gefängnis vorsehe und dieses sogar an erster Stelle nenne. ( ... ) Sehr mißlich werde es immer wieder empfunden, und auch wieder besonders von den nichtrichterlichen Beisitzern als ungerecht bezeichnet, daß der weibliche Teil straflos ausgehe. ( ... ) Ich habe aus der Unterredung die Überzeugung geschöpft, daß vereinzelt unter den Richtern noch gewisse gefühlsmäßige, aus der liberalen Geisteshaltung sich ergebende Hemmungen vorhanden sind, die dann und wann bei Vorliegen besonderer MilderungsgrUnde das Strafmaß beeinflussen, daß es im Ubrigen aber an der Einsicht und dem Willen, die Absicht des Gesetzes zu verwirklichen, nicht fehlt. Daß die gerUgten Fälle Ubrigens zum Teil besondere, in der Verhandlung vielleicht noch stärker wirkende mildernde ZUge aufweisen, möchte ich zum Schluß doch nicht unterlassen zu bemerken: so die Kriegsverdienste der Verurteilten G.,L. und R., wobei bei letzterem besonders berUcksichtigt wurde, daß er durch eine Kriegsverletzung Morphinist geworden war und dadurch in seiner Willensstärke eingebUßt hatte und dazu noch besonders unter Druck dauernder Selbstmorddrohungen der deutschen Partnerin C. gestanden hat, die sich auch kurz nach der Hauptverhandlung tatsächlich das Leben genommen hat. Die Fälle lassen deshalb, ungeachtet der auch von mir bemerkten Mängel, nicht schlechthin auf mangelndes Verständnis der Richter schließen."
Dieser Votfall zeigt, daß das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit zu diesem Zeitpunkt bereits aufgegeben war. Auch wenn die Fälle in dieser Phase der Nazidiktatur vielleicht zahlenmäßig nicht ins Gewicht fielen, so wurde die richterliche Weisungsfreiheitjedenfalls nicht mehr als unumstößliche Regel geachtet. Daß dieser Eingriff ausgerechnet vom Reichsjustizministerium selbst ausging, ist sicherlich besonders bemerkenswert. Das Eis war gebrochen. Jeder Fall konnte bei entsprechendem politischem Einschlag zum Gegenstand von lenkenden Eingriffen des Justizministeriums werden. Auch hier gilt, was schon für das Verhältnis des Gerichts zur Partei gesagt wurde. In dieser Phase des Dritten Reiches wurden Verhaltensweisen
E. Das Ende der Präsidentschaft Buzengeigers
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etabliert, die später zur absoluten Aufgabe richterlicher Unabhängigkeit und zum endgültigen Niedergang der Rechtspflege führen sollten. 128 Das Justizministeriumhatte sich unumstößlich auf den Weg der "Anpassung und Unterwerfung" begeben. 129
E. Das Ende der Präsidentschaft Buzengeigers Am 1. Juni 1937 trat der Oberlandesgerichtspräsident Dr. h.c. Karl Buzengeiger in den Ruhestand. Buzengeiger konnte auf eine beeindruckende Karriere in der badischen Justiz zuriickblicken. Im Jahre 1900 war er zum Amtsrichter ernannt worden, im Jahre 1905 zum Oberamtsrichter, 1906 war er Landgerichtsrat und 1914 Oberlandesgerichtsrat geworden. 1924 erfolgte die Ernennung zum Senatspräsidenten und 1930 die zum Oberlandesgerichtspräsidenten. Als im Jahre 1933 auch in Baden die Nationalsozialistenan die Macht kamen, bestand für Buzengeiger sicherlich kein Anlaß, dies sonderlich zu begrüßen.130 Es erfüllte ihn sicherlich mit Sorge. Die Nationalsozialistenhatten in der Zeit vor der Machtübernahme aus ihrer Justizfeindlichkeit nie einen
128 Reinle selbst nahm auch aus eigenem Antrieb Einfluß auf Verfahren. So richtete am 28.10.36 die Zivilkammer I des Landgerichts Konstanz eine Anfrage an das Oberlandesgericht. Ein wegen mehrerer Straftaten gesuchter Orgel bauer wollte in Italien eine Deutsche heiraten und hatte deshalb das Standesamt Überlingen um die Erteilung einer Geburtsurkunde und eines Ehefähigkeitszeugnisses gebeten, was vom Standesamt abgelehnt worden war. Die Beschwerde zum Amtsgericht wurde unter anderem mit der Begründung abgelehnt, "daß dem Antragsteller durch die Ausstellung der begehrten Papiere der Aufenthalt und das Fortkommen im Ausland wesentlich erleichtert und damit eine gerechte Sühne seiner Straftaten unmöglich gemacht werde." Hiergegen hatte der Antragsteller Beschwerde zum Landgericht erhoben. Die Zivilkammer wollte nun wissen, ob für derartige Fälle eine baldige gesetzliche Regelung zu erwarten sei. Reinle antwortete am 5.11.36, daß ihm von einer Regelung nichts bekannt sei und schloß das Schreiben an das erkennende Gericht mit den Worten: "Was die Beschwerde des S. selbst anbelangt, so möchte ich nicht unterlassen, zu bemerken, daß ich die ZurUckweisung der Beschwerde des S. durch das Amtsgericht Überlingen und die B egrUndung dazu für richtig halte." (GLA 240/1987/53/103). 129 So der Untertitel der Arbeit von Gruclunann. Zu diesem Zirkel von fortschreitender Anpassung und daraus resultierendem Verlust an Autorität und weiterer Anpassung Broszat, Strafjustiz, S. 398.
130
Für die Justiz allgemein Fieberg, S. 31.
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Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
Hehl gemacht. Der Justiz hatte man seitens der Nationalsozialisten beständig vorgeworfen, Teil des "Novembersystems" zu sein. Das bürgerliche Recht war als undeutsch verpönt, die Juristen waren als Formalrechtler verschrieen. Diese Bedenken, die sich aus der grundsätzlichen Einstellung der Nationalsozialisten zur Rechtspflege nährten, teilten sicher viele Richter. Man kann aber auch vermuten, daß Buzengeiger persönlich die Machtergreifung keineswegs begrüßte. Die antijüdischen Ausschreitungen der Anfangszeit und die Pöbelhaftigkeit des Auftretens einiger Parteifunktionäre waren ihm gewiß zutiefst zuwider. Auch der schändliche Aufzug, den die neuen Machthaber mit den Politikern Remmele und Marum sowie dem Publizisten Grünbaum veranstalteten, als diese nach Kislau verschleppt wurden, war sicherlich geeignet, Buzengeiger abzustoßen und ihm erneut die Rechtsfeindlichkeit der Nationalsozialisten zu verdeutlichen. Gleiches galt sicher für die "personellen Säuberungen" der Justiz und für die damit einhergehenden Gerichtsbesetzungen. 131 Immerhin trat Buzengeiger auch während der ganzen zwölf Jahre der Nazidiktatur der NSDAP nicht bei. Andererseits war von ihm so etwas wie offener Widerstand nicht zu erwarten. Schwierig war seine Stellung allemal, da er noch in WeimarerZeit befördert worden war und einer Generation von Juristen angehörte,die sich immer dem Verdacht ausgesetzt sah, noch in dem verhaßten liberalistischen Denken verfangen zu sein, dessen Beseitigung der Nationalsozialismus auf seine Fahnen geschrieben hatte. Daß man Buzengeiger bereits kurz nach der "Machtergreifung" von Bestrebungen hatte wissen lassen, die zu seiner Absetzung führen sollten, wurde oben bereits geschildert. Es drohte eine persönliche Zurücksetzung und der Verlust der Stellung als Oberlandesgerichtspräsident. Für Buzengeiger war die Beförderung zum höchsten badischen Richter sicherlich die Erfüllung seiner beruflichen Laufbahn gewesen. Dieses Lebenswerk drohte nun zunichte gemacht zu werden. Das Mißtrauen der Partei wurde ihm auch auf vielerlei Weise deutlich gemacht. Wenn er etwa den Vorsitz in der Dienststrafkammer für nichtrichterliche Beamte führte, so wurden ihm regelmäßig Dahms und Tyborzik als Beisitzer beigegeben, die beide 131 Die zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft ablehnende Haltung gegenUber dem neuen Regime wurde Buzengeiger am 29.1.47 vom Direktor des Gefängniswesens von WUrttemberg-Baden bestätigt (GLA 465aJ51168/106). Buzengeiger habe vor der Machtergreifung und in den ersten Monaten des Jahres 1933 seine Besorgnis Uber die Entwicklung ausgedrUckt, die Deutschland unter dem neuen Regime nehmen werde. Die Stellungnahme ist, was Buzengeigers weitere Tätigkeit anbelangt, recht kritisch und erscheint deshalb als g1aubwUrdig.
E. Das Ende der Präsidentschaft Buzengeigers
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Funktionäre im Amt für Beamte der NSDAP waren und Gewähr dafür bieten sollten, daß der alternde Oberlandesgerichtspräsident bei der Entscheidungsfindung die richtigen Wertungen treffe. War seine Stellung als Oberlandesgerichtspräsidentin der Weimarer Zeit Garant für soziales Ansehen in der badischen Justiz gewesen, so galt dies nun nicht mehr uneingeschränkt. Es drohte in der eigenen Behörde ein Autoritätsverlust, wie etwa die Zwischenfälle am Oberlandesgericht mit den in der Partei engagierten Justizsekretären beweisen, die sich auf einmal unter Berufung auf ihre Stellung in der Partei weigerten, die Anordnungen des Oberlandesgerichtspräsidentenzu akzeptieren. Die Abstinenz von der Partei hatte nicht nur deren Mißtrauen zur Folge, sondern bewirkte auch, daß seiner Stimme in der badischen Juristenschaft nicht mehr das Gewicht früherer Jahre zukam. Als am 21. und 22. April 1934 der erste - und einzige - badische Juristentag vom BNSDJ einberufen wurde, stand die Veranstaltung ganz im Zeichender Parteijuristen. Ihre Namen waren im Programm an oberster Stelle aufgeführt, und ihnen kam es zu, mit mehreren Reden an die Öffentlichkeit zu treten. Buzengeigers Name und der Titel seines einzigen Redebeitrags erschienen im Programm demgegenüber an versteckter Stelle. Auch der ansonsten ausführliche Bericht im "Führer" über den badischen Juristentag erwähnte die Teilnahme Buzengeigers nur eher beiläufig. 132 Allerdings wurde mit dem badischen Juristentag deutlich, daß Buzengeiger nicht gewillt war, sich der "neuen Zeit" Zll verweigern oder sich gar den neuen Machthabern entgegenzustellen. Er nutzte die ihm auf dem Juristentag gebotene Möglichkeit, dem neuen Staat und der Partei gegenüber seine Ergebenheit zu beweisen. In seiner Rede sprach Buzengeiger über die Gesetzgebung in früherer Zeit und über die Gesetzgebung im nationalsozialistischen Staat. Dabei wählte er das Beispiel der sogenannten "Hasenschlacht" im Reichstag, 133 um die Umständlichkeit der demokratischen Gesetzgebung lächerlich zu machen und stellte dem die einfache und effiziente Gesetzgebung im nationalsozialistischen Führerstaat gegenüber. Ein Augenzeuge berichtet, daß damals allgemein aufgefallen sei, mit welcher Begeisterung sich der Oberlandesgerichtspräsidentzum Nationalsozialismus bekannte, vor allem weil dies wegen seines Alters so überraschend war. Augenscheinlich war der anwesende Reichsjuristenführer Hans Frank von der Rede so angetan, 132 Ausführliche Berichte finden sich in den Ausgaben vom 22.4.34 und 23.4.34, Buzengeiger erscheint in einem Artikel vom 23.4. auf Seite 3.
133 Gemeint waren die Beratungen im Reichstag über die Wildschadenshaftung, früherer § 835 BGB, bei der die Großgrundbesitzer ihre Zustimmung zum BGB von einer ihnen genehmen Regelung der Wildschadenshaftung abhängig machten.
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daß er Buzengeiger spontan zum Mitglied in der Akademie für deutsches Recht ernannte. 134 Auch sonst nahm Buzengeiger sich bietende Gelegenheiten war, um der neuen Führung gegenüber seine linientreue zu demonstrieren. Am 9. Mai 1934 schrieb Buzengeiger an das badische lustizministerium: 13s .. Aus Anlaß des badischen Juristentages vom 21.122.4.34 habe ich auf Einladung der Anwaltschaft der Anbringung eines Bildes des, Führers' im Anwaltszimmer angewohnt und mußte dabei gestehen, daß damit das erste Hitlerbild im Oberlandesgericht - von einigen Privatbildern abgesehen - angebracht worden sei. Die dem Publikum zugängigen Räume, also insbesondere die Sitzungszimmer entbehren jeden auf die neuen politischen Verhäl tnisse hinweisenden Bildschmuckes. Am 25. ds. Ms. wird das Erbhofgericht seine erste Sitzung mit einer kleinen Eroffnungskundgebung abhalten, zu der Einladungen auch an die in der Bewegung stehende Persönlichkeiten ergehen. Das scheint mir der gebotene Augenblick, mit der bisherigen Zuwartung zu brechen, wenigstens was das Oberlandesgericht anlangt. Ich möchte glauben, daß es auch dem Herrn Minister nicht richtig erscheinen kann, wenn gerade die in der Bauernbewegung tätigen Persönlichkeiten in dem Sitzungssaal zwar eine Sammlung handgemalter Ölbilder der Chefpräsidenten des Gerichtshofes in breiten Goldrahmen, aber kein Bild des Schöpfers des Gesetzes finden werden, durch das der Bauernstand wieder zu seinen Rechten und Ehren kommt. Ich gehe davon aus, daß Mittel zur Anschaffung eines Ölbildes des Herrn Reichskanzlers im Betrag von einigen hundert Mark schwerlich zu VerfUgung stehen werden. Es verbietet sich aus ästhetischen Gründen der Achtung, das Bild des, Führers' nach Material und Art der Wiedergabe geringwertig zu halten. Das würde zu nicht unberechtigten unliebsamen Vergleichen und Bemerkungen führen müssen."
Buzengeiger schlug deshalb den Kauf einer Büste Hiders vor. ..Weiter möchte ich vorschlagen, für mein Dienstzimmer ein größeres eingerahmtes Bild des Führers in gleicher Weise aus dem Amtskostenkredit erwerben zu dürfen. (... ) Mein Arbeitsraum (... ) verlangt ein Bild in entsprechender Größe. (... ) Doch möchte ich glauben, daß wenn man schon einmal die Anschaffung für das Arbeitszimmer des
134 Der Bericht vom 23.2.47 stammt vom ehemaligen Anwalt Veit und war im Entnazifizierungsverfahren Buzengeigers erhoben worden (GLA 465a/51/68/106). Veit stand nach dem Kriege dem Wirtschaftsministerium von Württemberg-Baden vor. Daß die Ernennung wirklich aufgrund dieser Rede erfolgte, wurde vom Verteidiger Buzengeigers im Entnazifizierungsverfahren bestritten (Schriftsatz vom 29.10.48, dort S. 7f.). Die Version Veits bestätigt der ehemalige OLG-Rat Caemmerer, der bei der Veranstaltung ebenfalls anwesend war (Protokoll der Verhandlung vom 29.9.47, GLA ibid.). 13S (GLA 240/73).
E. Das Ende der Präsidentschaft Buzengeigers
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Chefpräsidenten machen will, einige Mark mehr die Erwerbung eines wirklich wUnligen, passenden Bildes nicht hindern sollten."
Auch die anläßlich der Vedeihoog ood der Anlegoog des "Hoheitszeichens" gehaltenen Reden zeigen, daß Buzengeiger seine ZuriickhaltWlg gegenüber der neuen Herrschaft fallenließ ood sich ihr zur Verfügoog stellte. 136 Trotz dieser Treuebekundungen gegenüber dem neuen System wurde das Mißtrauen gegen seine Person dadurch keineswegs beseitigt. Aus einem Schreiben der Reichsgeschäftsstelle des Bundes nationalsozialistischer deutscher Juristen vom 17. August 1934 an die Gaugeschäftsstelle in Weinheim folgt, daß Buzengeiger im Zusammenhang mit einer nach dem Juristentag abgehaltenen Prüfoog denunziert wurde. 137 Er hatte bei der Begrüßoog der Priifoogsteilnehmerim Hinblick auf den Juristentag gesagt, daß dieser zu Recht ganz im Zeichen der joogen Juristen gestanden habe, ein Vorfall aber habe ihm mißfallen. Damit hatte Buzengeiger auf eine Rede eines joogen Juristen angespielt, der allem Anschein nach die älteren Juristen in Bausch und Bogen verurteilt hatte. 138 Bei dem Vorfall handelte es sich, wie Reinle in seinem Bericht an den Gauführer der badischen Juristen zutreffend erkannte, "um eine so 00bedeutende Angelegenheit, daß sich alles weitere erübrigen sollte." 139 Gleichwohl war dies Anlaß genug für eine Denunziation Buzengeigers, die zur Einschaltung der Reichsgeschäftsstelledes BNSDJ und zu geheimen Erheboogen Reinles führten. Eine weitere Auseinandersetzung mit dem nunmehr in NSRB umbenanntenJuristenverband ist aus dem Jahre 1939 überliefert. Der Gauführer meldete dem inzwischen zum Oberlandesgerichts präsidenten beförderten Reinle: 140 "Bei mir ist wiederholt geklagt worden, dass im zweiten Staatsexamen Oberlandesgerichtspräsident a.D. Dr. Buzengeiger immer noch prUft. Es wird erwähnt, daß Oberlandesgerichtspräsident a. D. Dr. Buzengeiger wegen seines vorgeschrittenen Alters nicht mehr den genUgenden Kontakt mit dem jungen Rechstwahrernachwuchs habe, und er insbesondere geneigt sei, durch sein Prtifen z.B. zu beweisen, dass die Kennt136 Zu dieser besonderen Beflissenheit gerade bei älteren Richtern, denen die NSDAP grundsätzlich mit Mißtrauen begegnete, Majer, Rechtssystem, S. 241; diess., DRiZ 1978, S. 47(49).
137
(GLA 465c/1065).
Dies folgt aus einem Schreiben Reinles vom 6.9.34 an den GaufUhrer des BNSDJ in Baden, Rechtsanwalt SchUssler in Weinheim (GLA 465c/1065). 138
139
Schreiben vom 6.9.34 (GLA ibid.).
140
Schreiben vom 2.8.39 (GLA 465c/1065).
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Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
nisse frUher, als der Rechtswahrernachwuchs noch nicht durch die Mi tarbeit in der B ewegung in Anspruch genommen gewesen sei, doch besser gewesen wären."
Auch hier wiegelte Reinle ab. 141 .. Präsident Buzengeiger ist wie ich aus meiner Zusammenarbeit mit ihm weiß bei all seinen Eigenheiten den jungen Leuten grundsätzlich wohlgesinnt und stets bemUht, das Notenergebnis raufzudrUcken, nicht umgekehrt. Auch am politischen guten Willen und Verständnis fehit es ihm keineswegs. Eine gelegentliche Bemerkung, ob nicht p0litische Arbeit des Kandidaten das Examensergebnis beeinflußt habe, wird sicher hie und da vorkommen, da dieses Problem häufig akut wird. (... ) Oft ist es eben tatsächlich nicht leicht, einen schlecht vorbereiteten Kandidaten, der andererseits gewisse politische Verdienste aufweist, gerecht, d.h. unter Abwägung aller Interessen, zu beurtei1en."
Gleichwohl bleibt festzustellen, daß Buzengeiger zumindest äußerlich Frieden mit dem neuen Staat geschlossen hatte und bemüht war, sich als Anhänger und Förderer der neuen Führung zu präsentieren. Auch die oben angeführten Schreiben an die Justizbehörden, in denen Buzengeiger die Stellung von Behördenleitern zur Partei erläutert, belegen dies. Ob diese in den Akten nachweisbare verbale Hinwendung Buzengeigers nur ein Lippenbekenntnis war oder ob dem ein tatsächlicher Sinnes wandel zugrundelag, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Wahrscheinlich ist wohl, daß einige Ziele der Nationalsozialisten wie etwa die Wiederaufrüstung von Buzengeiger, der als Offizier am ersten Weltkrieg teilgenommen hatte,142 begrüßt wurden, hatte man doch die kaum zehn Jahre zurückliegende Besetzung weiter Teile Badens und die bis 1930 andauernde Besetzung Kehls durch Frankreich nicht nur als nationale Schmach, sondern in Karlsruhe, wo der Rheinhafen besetzt worden war, auch als persönliche Bedrohung empfunden. Auch die Zurückdrängung der Arbeitslosigkeit und der wirtschaftliche Wiederaufschwung werden nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben sein. Obwohl die Röhm-Affäre der Justiz erneut 141 Siehe Antwort Reinles an den inzwischen zum GaufUhrer des NSRB beförderten Rechtsanwalt Rupp vom 15.8.39 (GLA ibid.). 142 Mit Verordnung des Reichspräsidenten vom 13.7.34 war ein Ehrenkreuz fUr Kriegsteilnehmer und eines mit Schwertern fUr Frontkämpfer gestiftet worden. Buzengeigers Antrag auf Verleihung des Frontkämpferkreuzes wurde abgelehnt, woraufhin er am 13.10.34 an den OberbUrgermeister schrieb: "Wenn ich auch nach dem Wortlaut der Bestimmung glaube, Anspruch auf das Frontkämpferkreuz so gut wie jeder andere beim Stab eines an der Front stehenden AK' s befindliche Offizier zu haben, so ziehe ich doch diesen Antrag zurUck und ersuche nunmehr um Verleihung des Ehrenkreuzes fUr Kriegsteilnehmer." (GLA 240/286).
E. Das Ende der Präsidentschaft Buzengeigers
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vor Augen führte. daß ihr Beitrag bei der Strafverfolgung entbehrlich war. Il) schien sich ab 1935 die Lage doch zu entspannen. gerade weil die Entmachtung Röhms den Eindruck erwecken konnte. daß die Phase der unkontrollierten Gewalt von der Straße nun vorbei sei. 143 Es mag bei Buzengeiger auch persönlicher Ehrgeiz eine Rolle gespielt haben. der Wunsch zu beweisen. daß man trotz ..nationaler Revolution" nicht zum alten Eisen gehörte. Es waren ja vor allem die jüngere Juristen. die den Nationalsozialismus attraktiv fanden. Buzengeiger drohte allein aufgrund seines Alters ins Abseits zu geraten. Vieles spricht somit dafür. daß Buzengeiger. aus welchen Gründen auch immer. die in der Anfangsphase sicherlich vorhandenen Bedenken gegen den ..neuen Staat" hintanstellte und sich den neuen Machthabern zur Verfügung stellte. Auch die über Buzengeiger überlieferten politischen Beurteilungen verschiedener Partei stellen weisen in diese Richtung. Sie zeigen aber auch. daß man von Partei seite dem Sinnes wandel nicht ganz traute. andererseits den kurz vor der Pensionierung stehenden Oberlandesgerichts präsidenten nicht recht für voll nahm. Am 30. April 1937 urteilte der Gauamtsleiter des Amts für Beamte: 144 .. Nach der Machtübernahme versuchte Dr. Buzengeiger anfanglich den Einfluss der NSDAP in seinem Bereiche möglichst fernzuhalten. Die politischen Leiter hatten in der Durchführung ihrer Aufgaben grosse Schwierigkeiten. Seit etwa 1 1/2 Jahren ist in dieser Beziehung eine Änderung eingetreten. Er zeigt heute den Willen, mit der NSDAP zusammenzuarbeiten. Bedenken gegen seine Einstellung zu NSDAP und zum nationalsozialistischen Staate liegen z.Zt. nicht vor."
Ähnlich lautete eine Beurteilung des Gaupersonalamtsleiters der Gauleitung Baden der NSDAp, ebenfalls vom 30. April 1937: 145 .. Seit der Machtübernahme zeigt sich Buzengeiger sehr zurtickhaltend. Er fUhrt als gewissenhafter Beamter die Anordnungen von Staat und Partei wohl formell durch, ist aber zu einem offenen Bekenntnis zur nationalsozialistischen \\eltanschauung nicht fähig, da er sich von seinem althergebrachten Anschauungen nicht mehr freizumachen vermag. ( ... ) Charakterlich gilt er als einwandfrei. Als politisch unzuverlässig ist er nicht anzusprechen. "
143
Zur Attraktivität des NS-Systems zu Beginn: Majer, Rechtssystem, S. 78f.
144
(GLA 465c/47).
145
(GLA 465c/47).
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In einer Beurteilung des Unterabschnitts Baden des Reichsführers der SSI46 wird ihm bescheinigt, daß er politisch sehr zurückhaltend sei, die Anordnungen von Staat und Partei als "gewissenhafter und vorsichtiger Beamter" aber formell durchführe. "Im ganzen muß B. als politisch indifferent bezeichnet werden, der zwar nicht positiv fUr die Bewegung zu verwenden ist, sich aber allen Anordnungen widerspruchslos fUgen wird. \\eltanschaulich kann B. zwar nicht als überzeugter Nationalsozialist angesehen werden, er hat aber keinerlei Bindungen zu irgendweIchen gegnerischen Bewegungen. Charakterlich wird B. gut beurteilt. (00') Fachlich verfügt B. über tadellose Hihigkeiten und Kenntnisse. Er ist aber, bei seinem Alter verständlich, ein Formaljurist geblieben. Aus diesem Grunde ist es auch schon zu Zwischenfällen mit dem RDB gekommen, da B. Anordnungen und Eingriffe des RDB immer streng daraufhin untersuchte, ob sein Zuständigkeitsbereich verletzt wurde. Buzengeiger bemüht sich, sich politisch und weltanschaulich anzupassen. Er wird allerdings nie zu einem brauchbaren und einsatzfähigen Nationalsozialisten werden können, da er durch sein Alter und seine ganze Laufbahn sich innerlich von seinen hergebrachten Anschauungen nicht mehr zu lösen vermag." Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Beurteilung des Fachgruppenwalters des NSRB. 147 Buzengeiger sei ein "hervorragender Richter und überzeugter Anhänger des Führers." "Gibt sich große MUhe, nat. soz. Gedankengut in sich aufzunehmen und zu verstehen. Wenn es ihm nicht ganz gelungen ist, die neue Zeit zu begreifen, so liegt das nicht am schlechten Willen, sondern am Nichtkönnen begründet in der Veranlagung. Es ist für einen Mann, der sein ganzes Leben unter anderen politischen und weltanschaulichen Anschauungen verbracht hat, zweifellos nicht leicht, sich umzustellen. Das ernste Bemühen muß aber lobend anerkannt werden." Zieht man aus diesen Stellungnahmen ein Resümee so kann man in der damaligenDiktion sagen, daß Buzengeiger "nie das Vertrauen der Partei genoß", daß auch seine Bemühungen, sich der "neuen Zeit" anzupassen, nicht dazu geführt hatten, daß er ernst genommen wurde. Gleichwohl sah man in der Zeit der badischen Justizverwaltuog unmittelbar nach der "Machtergreifung" auch keinen Anlaß, ihn zu entlassen, was neben seiner Willfährigkeit sicher auch 146 Beurteilung vom 30. April 1937 (GLA 465c/47). Die Beurteilungen zu diesem Zeitpunkt standen wohl im Zusammenhang mit der unmittelbar bevorstehenden altersbedingten Zurruhesetzung Buzengeigers. 147 Die Beurteilung ist undatiert, stammt aber wohl auch aus dem Jahr 37, da sie allem Anschein nach zur Vorbeitung eines Gutachtens des Kreistrechtsamts vom 4. Mai 37 diente (GLA 465c/1065).
E. Das Ende der Präsidentschaft Buzengeigers
127
darauf beruhte, daß seine Pensionierung ohnehin nicht mehr lange auf sich warten ließ. Mit der "Verreichlichung" der Justiz wurde die Frage der Entlassung Buzengeigers erneut virulent. Zumindest machte Buzengeiger dies in seinem Entnazifizierungsverfahrengeltend. 148 Mit Reinlehatte man ihm einen als überzeugten Nationalsozialisten ausgewiesenen Vizepräsidenten in die Verwaltungsabteilung versetzt. Allem Anschein nach befürchtete man beim Reichsjustizministerium, der inzwischen immerhin 63 Jahre alte Buzengeiger werde mit der Übernahme der Verwaltungs geschäfte überfordert sein. Tatsächlich scheint Buzengeiger die neue Tätigkeit auch nicht leicht gefallen zu sein. In einem Aktenvermerk Schlegelbergers 149 heißt es, Buzengeiger arbeite mit peinlichster Gewissenhaftigkeit, habe aber nicht die Gabe der leichten Hand. Buzengeiger warin seiner ganzen Karriere nur einmal in den Jahren 18991 1900 für etwa ein Jahr im badischen Justizministerium beschäftigt gewesen und verfügte somit über keine nennenswerte Erfahrung in Verwaltungs sachen. ISO Auch der Beauftragte des Reichsjustizministeriums Abteilung W ürttemberg-Baden, der die Justizverwaltungsgeschäftein der Zeit des Überganges der Justizhoheit auf das Reich leitete, meinte,lSl daß durch die Mitarbeit Buzengeigers ein etwas ,,retardierendes Element" in die Reform gelange, was sich aber tragen lasse, zumal Buzengeiger erst in die Technik der Verwaltungsarbeithineinwachsen müsse. I 52 Jedenfalls blieb Buzengeiger die vorzeitige Entlassung erspart, und als er im Juni 1937 in den Ruhestand trat, wurden ihm von allen Seiten die üblichen 81renbezeugungen zuteil, darunter auch ein Dankschreiben des Reichsjustizmi-
148
Anlage zum Schriftsatz vom 28.10.48 (GLA 465a 51/68/106).
Peronalakte Buzengeiger (BA R22/53324). Das Schreiben ist ohne genauere Datierung, überschrieben mit: Auszug aus dem Bericht über die Reise des Herrn Staatseketärs De Schlegelberger in den OberIandesgerichtsbezirk KarIsruhe. 149
150
Spruchkammerakte , Extract from Personal File (GLA 465a/51/68/106).
Schreiben Thiesings an "Staatssekretär", Adressat war wohl Schlegelberger v. 6.3.35 (BA R 22/53324). 152 Als Beispiel für Buzengeigers Führungss til führte Thiesingan, Buzengeiger habe aus der Art, wie in Baden die Urschrift gezeichnet werde, Bedenken hergeleitet, da in Baden alle Bearbeiter ihre Paraphe unter den Text setzten. In Preußen war es dagegen üblich, daß nur der Verantwortliche unter dem Text zeichnete, während sonstige Bearbeiter rechts unten paraphierten. Er, Theising, habe diese badische Methode natürlich ruhig beibehalten. 151
128
Kap. 3: 1935 - 1937: Verreichlichung und Pensionierung Buzengeigers
nisters!n in dem gewürdigt wurde, daß er in über vier Jahrzehnten seine Persönlichkeit und sein Wissen für die deutsche Rechtspflege eingesetzt habe. Man versicherte ihm, daß er sich bei der Übernahme der Verwaltungs geschäfte große Verdienste erworben habe. IH Auch "Der Führer" ehrte den scheidenden Oberlandesgerichtspräsidentenin einem wohlwollenden Artikel. ISS Nachdem man zunächst seinen beruflichen Werdegang beschrieben hatte, hieß es da: "Wenn es das Zeichen des königlichen Richters ist, der Wahrheit unbeugsam zu dienen, so hat D[ Buzengeiger, allen im Lande voran, die richterliche Krone errungen. Fern von falscher Nachsicht und Entrüstung, vermochte seine abgeklärte Persönlichkeit, die in vielen Gebieten des geistigen Lebens verwurzelt ist, Strenge zu üben, wo das Gewissen es verlangte, sich aber auch zu Milde zu bekennen, wo verstehende Menschlichkeit es gebot."
Am Oberlandesgericht selbst wurde die Verabschiedung Buzengeigers im Rahmen einer Feier begangen, bei der sowohl Reinle als auch Brettle Buzengeigers Leben und Wirken in Ansprachen würdigten. Eine abschließende Beurteilung Buzengeigers fällt sicher schwer Moralische Urteile sind ohnehin nicht Aufgabe dieser Arbeit, sie wären auch aus heutiger Sicht nicht zu abzugeben. Im Entnazifizierungsverfahren gegen Buzengeiger ni.llte ein ehemaliger Richter des Oberlandesgerichts ein vernichtendes Urteil über ihn: lS6 "Ich hatte von ihm nicht den Eindruck, daß er ein überzeugter Nazi war. Ich hatte vielmehr das Empfinden, dass Buzengeiger der Typ des autoritär erzogenen Beamten war, der jeder Staatsform, ohne Rücksicht, ob sie Verbrechen beging oder nicht, mit Hingabe und geradezu fanatischem Eifer diente. Für ihn galt der Satz ,Befehl ist B efehl· ...
Richtig ist sicher, daß Buzengeiger den neuen Machthabern keinerlei Widerstand entgegensetzte und zumindest nach außen hin bemüht war, sich als Anhänger der neuen Zeit zu präsentieren. Ob diese Verhaltensweise eine Folge von Obrigkeitshörigkeit, persönlichem Ehrgeiz oder echter Überzeugung war, läßt sich heute nicht mehr mit Gewißheit feststellen.
IS3
Schreiben vom 30.5.37 (BA R 22/53324).
Ursprünglich hatte es geheißen, er habe sich den Aufgaben mit seiner ganzen Gewissenhaftigkeit unterzogen, man verbesserte dann aber auf "vorbildliche Tatkraft... IS4
iSS
"Der Führer" vom 26.5.37, S.9.
IS6 Protokoll der Sitzung vom 29.9.47, Aussage des OLG-Rates D[ Gerhard Caemmerer (GLA 465aJ511581106).
Kapite/4
1937-1939: Die ersten Jahre der Präsidentschaft Reinles A. Der Oberlandesgerichtspräsident Heinrich Reinle Buzengeiger, nahezu am Ende seiner Laufbahn von der nationalsozialistisehen Machtübemahmemehr oder weniger überrollt und in der Auseinandersetzung mit der Partei fast hilflos, fand in Reinle einen Nachfolger, der einer ganz anderen Juristengeneration angehörte, und der auch, was Herkunft und Charakter anbelangte, ein völlig andere Persönlichkeit war als Buzengeiger. Während bereits Buzengeigers Vater hoher Beamter im badischen Staatsdienst gewesen war und seine Frau aus einer Professorenfamilie stammte, war Reinle in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Sein Vater war Lokomotivführer, beide Großväter waren Landwirte, seine Frau war die Tochter eines Fabrikanten. Die Familie Reinles stammte aus Schwetzingen, er selbst war am 1. November 1892 in Offenburg geboren und damit 20 Jahre jünger als Buzengeiger. Dort hatte er auch das Gymnasium besucht und 1911 das Abitur gemacht. l Nach Studium in München, Genf, Berlin, Freiburg und Heidelberg legte er die erste Staatsprüfung am 24. März 1915mit der Note "gut" als erster unter sechs Kandidaten ab. Als Soldat hatte er nur von Mai 1915 bis Januar 1916 gedient, war aber nicht zum Fronteinsatz gekommen. 1 Da Reinle nicht kriegsverwendungsfahig war, wurde er aus dem Heer entlassen und konnte seinen Vorberei-
1 Abiturientenzeugnis vom 24.11.11 des Grossh. Badischen Gymnasiums zu Offenburg bei den Personalakten Reinles (BA R 22-Heinrich Reinle. Der Bestand der Personalakten ist nurz. T. signiert. der Zugriff ist deshalb nur über den Namen möglich.).
1
Personalbogen . unter 9. der Personalakte (BA R 22-Heinrich ReinIe).
9 Schiller
130
Kap. 4: 1937 - 1939: Die ersten Jahre der Präsidentschaft Reinles
hmgsdienstab Januar 1916 fortsetzen. 3 Das Assessorexamen bestand er im Frühjahr 1920 als 3. von 24 Kandidaten ebenfalls mit der Note "gut".4 Am 19. Oktober 1920 wurde Reinle planmäßig als Staatsanwalt angestellt. S Reinle war dann in den folgenden Jahren auf verschiedenen Stellen als Amtsrichter und Staatsanwalt tätig, ab dem Jahre 1928 auch mehrfach als Hilfsrichter am Oberlandesgericht, und zwar im Senat von Dr. Levis. Die eigentliche Karriere Reinles begann aber mit der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten in Baden. Reinle war zu diesem Zeitpunkt als Amtsrichter in Wiesloch eingesetzt, als ihn am 18. März 1933 ein Telefonanruf des Justizministeriums erreichte, mit dem er aufgefordert wurde, ab 20. März aushilfsweise dort tätig zu werden. Mit Entschließung des Badischen Justizministers vom 20. März 1933 wurde er dann,6 "mit der Verrichtung der Geschäfte eines Referenten im Justizministeriumkommissarisch beauftragt". Bereits am 29. April 1933 erfolgte die Ernennung zum Oberregierungsrat im Ministerium des Kultus, des Unterrichts und der Justiz. 7 Mit der Ernennung wurde auch eine Notiz an die Presse gegeben, in der es hieß, Reinle sei bereits früher als Hilfsreferent im Justizministerium tätig gewesen und er erscheine nach seiner bisherigen dienstlichen Bewährung als für den Ministerialdienst in besonderem Maße "vereigenschaftet". Daß bei der Ernennung auch die politische Einstellung Reinles eine Rolle gespielt hatte, bedürfte wohl, in Anbetracht des zu dieser Zeit allgemein stattfindenden Revirements keiner Erwähnung. Die nächste Beförderung erfolgte bereits zum 1. November 1933. Reinle war fortan Ministerialrat im Badischen Justizministerium. 8 Aber Reinle besaß nicht nur das Vertrauen des Badischen Justizministeriums, er wurde auch vom Reichsjustizministerium bei der Überleitung der Rechtspflege auf das Reich mit den Verwaltungsgeschäften beauftragt, die aus der Zuständigkeit der obersten Landesjustizbehörden auf das Oberlandesgericht übergingen. 9
3 Schreiben des Badischen Justizministeriums an das Ministerium des Innern vom 27.6.16 (BA R 22-Heinrich Reinle). 4 Standesliste in der Personalakte, dort Punkt 8, ferner Ernennung zum Assessor vom 9.6.20 (BA R 22-Heinrich Reinle). S Personalakte Reinle, Personalbogen, dort unter 16. (BA R 22-Heinrich Reinle). 6 Entschließung vom 20.3.33, dort auch Aktennotiz über Telefonanruf (BA R 22Heinrich Reinle). 7
Entschließung vom 29.4.33 (BA R 22-Heinrich Reinle).
8
Personal bogen, dort unter 16 (BA R 22-Heinrich Reinle).
9
Entschließung Gürtners vom 22.2.35 (BA R 22-Heinrich Reinle).
A. Der Oberlandesgerichtspräsident Heinrich Reinle
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Zum 1. April 1935 wurde Reinle dann zum Senatspräsidenten am Oberlandesgericht und zum ständigen Vertreter des Oberlandes gerichts präsidenten ernannt. 1o Am 31. Mai 1937 übermittelte Gürtner ihm die Ernennungsurkunde zum Oberlandesgerichtspräsidenten. 11 Buzengeiger hatte die Ernennung zum Oberlandesgerichtspräsidenten am Ende seiner Karriere erreicht und sicherlich als deren krönenden Abschluß empfunden. Reinle war dagegen bei seiner Beförderung zum Oberlandesgerichts präsidenten gerade 45 Jahre alt und er war, nachdem er 1933 noch Amtsrichter in Wiesloch gewesen war, in nur vier Jahren vom Amtsgerichtsrat zum Oberlandesgerichtspräsidenten aufgestiegen. Wo Buzengeiger mühsam um das Vertrauen der Partei ringen mußte, bestanden an der Gesinnung Reinles keine Zweifel. Reinle war bereits am 1. März 1932in die NSDAP eingetreten und bei der "Machtergreifung" als Kreisamtsleiter mit der Leitung der Ortsgruppe Wiesloch betraut. 1 2 Die manchmal fast grotesk anmutenden Auseinandersetzungen am Oberlandesgericht mit den beim Gericht beschäftigten Mitgliedern von Parteiorganisationen wären unter Reinle undenkbar gewesen. Reinle sah sich auch nie dem Verdacht ausgesetzt, daß sein Engagement für die NSDAP nicht auf tatsächlicher Überzeugung beruhe. Er verdankte seinen raschen Aufstieg in der badischen und dann in der Reichsjustiz auch der Tatsache, daß er das Vertrauen der Partei und insbesondere Robert Wagners genoß. Denn allem Anschein nach kam für die Besetzung der Stelle des Oberlandesgerichtspräsidenten auch der damalige Generalstaats anwalt und spätere Oberreichsanwalt Emil Brettle in Betracht. Die badischen Nationalsozialisten votierten indes eindeutig für Reinle. In einer politischen Beurteilung/ 3 die zur Entscheidung über die Nachfolge Buzengeigers abgegeben wurde, warf man Brettle vor, er wohne noch im Haus einer Jüdin und dürfte auch religions gebunden sein, da sein Bruder Domkapitular in Freiburg sei. Obwohl Brettle mit der Partei loyal zusammenarbeite, habe er seine politische Herkunft als Deutschnationaler noch nicht vergessen. Für die Nachfolge des Oberlandesgerichts präsidenten wurde deshalb Reinle vorgeschlagen. Man wies daraufhin, daß Reinle alter Parteigenosse sei und sich vielfach für die Partei betätigt habe. Reinle sei in den Jahren 1921 bis 1923 im Landesvorstand des 10 Entschließung des Reinsjustizministeriums - Abteilung WUrttemberg - Baden vom 23.3.35 (BA R 22-Heinrich Reinle). 11
Schreiben vom 31.5.37 an ReinIe (BA R 22-Heinrich Reinle).
12
Siehe Fragebogen rur die Mitgliedskartei vom 8.1.37 (GLA 465a!51/121788).
13 Ergänzungsbericht zum Fragebogen zur politischen Beurteilung Brettles, vom 5.5.37, abgegeben vom Kreispersonalamtsleiter (GLA465c/908).
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Kap. 4: 1937 - 1939: Die ersten Jahre der Präsidentschaft Reinles
Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes tätig gewesen und im Jahre 1923 wegen dieser Tätigkeit vom damaligen Generalstaatsanwalt verwarnt und strafversetzt worden. 14 Reinles dienstliche Leistungen wurden lobend hervorgehoben, sodann hieß es: "Die alten Parteigenossen würden es als ein bitteres Unrecht empfinden, wenn Generalstaatsanwalt Brettle, der keinerlei Verdienste um die Bewegung aufzuweisen hat, dem alten verdienstvollen Pg. Reinle vorgezogen werden würde. Aus all diesen GrUnden erwarte ich, dass Pg. Reinle bei der Besetzung dieser obersten RichtersteIle, sowohl im Hinblick auf seine außergewöhnliche Begabung, seine hervorragenden dienstlichen Fähigkeiten, seine politische Zuverlässigkeit, wie auch aufgrund seiner besonderen Verdienste um die Partei, berUcksichtigt wird."
Auch der Gaupersonalamtsleiter äußerte sich in gleicher Weise an den Stellvertreterdes Führers in MÜDchenl5 und teilte diesem mit, der Gauleiter habe nach dem übereinstimmenden Vorschlag der Leiter des Gaurechtsamts, des Gaupersonalamts und des Amts für Beamte als Nachfolger für Buzengeiger Reinle in Aussicht genommen. "Senatspräsident Heinrich Reinle steht im 45. Lebenjahr. Seine guten fachlichen Leistungen stehen außer Zweifel; seine beiden juristischen Prüfungen hat er jeweils mit lobenswert bestanden. Er war 1921 - 1923 im völkischen Schutz- und Trutzbund führend tätig, hat sich im Kampfe gegen das Judentum sehr stark eingesetzt und hat sich damals schon das Mißfallen der seinerzeitigen Machthaber zugezogen. ( ... ) Politisch zuverlässig, charakterlich untadelig, konfessionell nicht gebunden, wird er aller Voraussicht nach die Gewähr für eine gute Zusammenarbeit mit der Partei bieten. Ich möchte Sie daher bitten, sich an maßgebender Stelle fUr die Berufung des Parteigenossen Reinle zu verwenden und der in Aussicht genommenen Regelung zum Durchbruch zu verhelfen."
Wie anders lasen sich da die Beurteilungen, die Buzengeigererhalten hatte. Reinle war in der Tat aus Sicht der NSDAP in Baden der ideale Nachfolger Buzengeigers. Nahezu die gesamte badische Gauclique um Robert Wagner war um die 40, und Reinle paßte in diese Gruppe mit seinen 45 Jahren wesentlich besser als Brettle oder Buzengeiger. Er stammte aus einfachen Verhältnissen und war damit aus Sicht der Partei nicht von vornherein mit dem Makel der Dünkelhaftigkeit behaftet. Wagner legte auch großen Wert darauf, daß die lei-
14 In der umfangreichen Personalakte Reinles, die auch die Zeit der Tätigkeit fUr den badischen Staat umfaßt, finden sich hierauf keinerlei Hinweise.
15
Schreiben des Gaupersonalamtsleiters an den Stellvertreter des Führers vom
3.5.37 unter Brettle (GLA 465c/908).
A. Der Oberlandesgerichtspräsident Heinrich Reinle
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tenden Positionen in der Justiz mit Badenern besetzt wurden. 16 Reinle war nicht nur Badener, er konnte auch auf seine bäuerliche Herkunft verweisen, was aus Sicht der NSDAP nicht unwichtig war, da damit Volkstümlichkeit und eine entsprechend volkstümliche und nicht formalistische Rechtsauffassung garantiert waren. Weiter bot aus Sicht der Nationalsozialisten sein Alter Gewährdafür, daß er nicht in gleicher Weise dem verhaßten liberalistischen Denken verfallen war, wie dies älteren Juristen regelmäßig unterstellt wurde. Reinle war zudem bereits vor 1933 der Partei beigetreten und sah sich deshalb nicht dem Vorwurf ausgesetzt, nur als "Konjunkturritter" oder "Märzgefallener", wie es in der Sprache der Parteitnitgliederdamals hieß, zur Partei gefunden Zll haben. Er war erfahren in Verwaltungs sachen und er war, was aus seinen Prtifungsergebnissen eindeutig hervorging, hochqualifiziert. Der oben geschilderte Eintritt der badischen Nationalsozialisten für Reinle blieb auch höheren Orts nicht ohne Gehör. Am 30. März 1937 wandte sich der Stab des Stellvertreters des Führers an den Reichsministerder Justiz und teilte mit, daß die eigene Dienststelle für die Nachfolge des Oberlandesgerichtsprä sidenten in Karlsruhe Pg. Reinle in Vorschlag gebracht habe, der "politisch einwandfrei und fachlich durchaus geeignet" sei. Der Reichsjusti:zminister wurde hierzu um seine Stellungnahme gebeten. Bereits einige Tage später, am 5. April 1937, wurde der Stellvertreter des Führers in dieser Sache erneut vorstellig und erklärte, daß er es aufgrund der weiter angestellten Ermittlungen begrüßen würde, wenn Reinle die Stelle erhielte. Nachdem am 11. Mai der Stellvertreter des Führers erneut angefragt hatte, ob Reinle die Stelle erhalten werde und inzwischen auch die Zustimmung der Finanz- und Innentninisteriums eingegangen war, konnte Schlegelberger dem Stellvertreter des Führers 16 Dies ergibt sich aus den Vorgängen um die Nachfolge des Generalstaatsanwalts Lautz. Ernst Lautz war am 18.6.37 mit Wirkung zum 1.7.37 zum Generalstaatsanwalt in Karlsruhe ernannt worden. Er war in Wiesbaden geboren, hatte aber immer im preußischen Justizdienst, in Neuwied und dann ab 1930 in Berlin gearbeitet. Am 25.6.39 wurde er zum Oberreichsanwalt bei Reichsanwaltschaft beim Volksgerichtshof versetzt. (Zu Lautz siehe Personal bogen in BA, R 22-65960). Zu seinem Nachfolger sollte der Landgerichtspräsident Wilhelm Frey ernannt werden. Hiervon berichtete der Reichsminister der Justiz dem Reichsminister des Innem und dem Reichsminister der Finanzen am 18.7.39 (BA R 22-563 17). In dem Schreiben heißt es: "Die Wahl ist auf ihn hauptsächlich auch deshalb gefallen, weil der Reichsstatthalter in Baden mir gegenUber dringend gebeten hat, zum Generalstaatsanwalt in Karlsruhe einen Beamten zu ernennen, der mit den Verhältnissen im Oberlandesgerichtsbezirk voll vertraut ist."
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am 14. Mai mitteilen, daß man dem "Führer und Reichskanzler" die Ernennung Reinles zum Oberlandesgerichtspräsidenten vorschlagen werde. 1 7 Reinle war sicherlich auch aus Sicht des Reichsjustizministeriums ein geeigneter Kandidat. 18 Er war politisch zuverlässig und fachlich geeignet, letzteres nicht nur aufgrund seiner Prüfungsergebnisse, sondern auch, weil er seit der "Machtergreifung" die Gelegenheit gehabt hatte, zunächst im badischen Justizministerium,dann bei der "Verreichlichung" der Justiz und in der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts die Verwaltungsgeschäfte kennenzulernen. Dabei hatte er sich auch bewährt. Ein weiterer Grund, der aus Sicht des Reichsjustizministeriums ebenfalls für Reinle sprach, war, daß er in 11) hohem Maß das Vertrauen der Partei genoß. Das auf lokaler Ebene so schwierige Verhältnis zwischen Justiz und Partei war sicherlich nicht mit legislatorischen Mitteln zu bewältigen. Es zählte vielmehr die persönliche Beziehung zwischen Behördenleiter und, wie es damals hieß, "Hoheitsträger der Partei". Und gerade auf diesem Gebiet war zu erwarten, daß Reinle für die Justiz einiges erreichen konnte. Fingriffen der Partei in die Rechtspflege konnte nur dann wirksam begegnet werden, wenn es gelang, auf Kreisleiteroder sonstigelokale Größen Einfluß zu nehmen. Dies war aber nur möglich, wenn die Gauleitung zum Einschreiten bewegt werden konnte. Somit war das Verhältnis des Oberlandesgerichtspräsidenten zum Gauleiter auch für das Reichsjustizministerium von entscheidender Bedeutung. Reinles Ernennung zum Oberlandesgerichtspräsidenten wurde auch von der nationalsozialistischen Presse gebührend gewürdigt. Während man Buzengeiger lautere Gesinnung, reiche Kenntnis und Erfahrung zubilligte, konnte Reinle in ganz anderen Tönen gepriesen werden. Am 3. Juni 1937 berichtete "Der Führer" auf S.5 von Reinles Ernennung. Besonders wurde hervorgehoben, daß Reinle aus einem alten Bauerngeschlecht stamme, das sich bis zum Dreißigjährigen Krieg zurückverfolgen lasse. Weiter hieß es: "Oberlandesgerichtspräsident Reinle ist Nationalsozialist aus innerster Überzeugung. Über 1 1/2 Jahrzehnte steht er schon in der völkischen Bewegung.( ... ) Mit Pg. Reinle übernimmt ein Mann das Amt des obersten Richters, der dem Führer glühend ergeben, mit dem Volke und der Beamtenschaft aufs engste verbunden, im nationalsozialistischen Rechtsdenken tief verwurzelt und mit den schwierigen Aufgaben der Justizverwaltung grUndIich vertraut ist."
17
Alle drei Schreiben in der Personalakte Reinles (BA R 22-Heinrich Reinle).
18
Zur Besetzung der PräsidentensteIlen der Oberlandesgerichte auch Majer, DRiZ
1978, S. 47 (49 - 51).
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Am 7. Juni 1937 folgte dann im gleichen Presseorgan der Abdruck einer Unterredung mit Reinle. 19 Reinle nutzte diese Gelegenheit geschickt, um nicht nur sich selbst, sondern auch die Justiz als ganzes in ein aus nationalsozialistischer Sicht günstiges Licht zu rücken. So erzählte er, daß er den Beruf des Richters aus einer gewissen Protesthaltung heraus ergriffen habe, indem er als Sohn einfacher Eltern in eine Berufsgruppe habe vorstoßen wollen, die ihm als klassengebundenerschienen sei. Er hätte aber feststellen müssen, daß leitende Männer der Badischen Justiz und die meisten Richter aus einfachsten Verhältnissen, aus Bauern- und Arbeiterfamilien hervorgegangen seien. Schließlich hätte das Richteramt eine gewisse Unabhängigkeit von der ihm verhaßten Politik des damaligen Justizministers Remmele versprochen. Er berichtete ferner von seinem Kampf als Staatsanwalt gegen "ostjüdische Hehler" und seiner Tätigkeit im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund und später in der NSDAP. Nach weiteren Ausführung zur Justizreform und seinem Wirken hierbei wurde Reinle mit seiner Schlußbemerkung wörtlich zitiert: "Ich weiß, daß die Rechtspflege als scharfes Instrument der Volksgemeinschaft manchmal wehe tun muß, und daß sie daher niemals restlos Zustimmung finden wird. Das ist das Schicksal des Richters, an dem er leidet. Ich werde mich aber immer dem Volk verbunden und verpflichtet ruhlen, aus dem ich hervorgegangen bin. Eine lebens- und volknahe Rechtspflege an den badischen Gerichten, das wird das vornehmste Ziel meiner Amtstätigkeit bleiben."
Die eigentliche Amtseinführung Reinles fand dann im Rahmen eines feierli ehen Staatsaktes im Sitzungssaal des ehemaligen badischen Landtags am 10. Juni 1937 statt. 20 Auch diese Gelegenheit wurde für eine Zurschaustellung der Bedeutung der Justiz im nationalsozialistischen Staat genutzt. Die Gästeliste21 umfaßt 194 Namen. Alles, was damals in Baden in Partei oder Staat Rang und Namen besaß, nahm an dem Festakt teil, darunter auch Robert Wagner, die badische Regierung, die Vorstände der Reichsbehörden in Baden, die der Parteidienststellen, die Rektoren der Hochschulen und die Dekane der juristischen Fakultäten Heidelberg und Freiburg. Eindrucksvoll vertreten war natürlich auch die Justiz selbst. So erschienen sämtliche Richter des Oberlandesgerichts, die Präsidenten der badischen Landgerichte, die Amtsgerichtsdirektoren, Generalstaatsanwalt Brettle, weitere Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft, sämtliche badische Oberstaatsanwälte und die am Oberlandesgericht zugelas-
19
20 21
"Der Führer" vom 7.6.37, dort S. 6. Siehe Bericht im "Führer" vom 11.6.37, S. 3 u. 5. (GLA 240/1987/53/61).
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senen Rechtsanwälte im Talar. Auch der Reichsminister der Justiz Gürtner war angereist, um die Amtseinführung Reinles persönlich vorzunehmen. Gürtner erinnerte in seiner Rede 22 zunächst an seine letzte Ansprache im gleichen Raum am 8. Januar 1935, als er anläßlich der feierlichen Übernahme der badischen Justiz nach Karlsruhe gekommen war. Er dankte Buzengeiger für dessen Tätigkeit und führte dann Reinle in sein neues Amt ein: "Die Übernahme dieses Amtes wird fUr Baden keine große Überraschung gewesen sein. Sie bringen die gUnstigsten Vorbedingungen mit. Sie haben einen großen Teil des Verdienstes an der reibungslosen Abwicklung der großen, wenn auch manchmal nicht dankbaren Arbeit der Überleitung der badischen Rechtspflege auf das Reich. Ihnen, Herr Oberlandesgerichtspräsident Reinle, folgen die besten WUnsche in Ihr Amt. Mögen Sie Ihre Arbeit von gutem Erfolg gekrönt sehen."
Reinle dankte in seiner Ansprache Staat und "Bewegung" für seine Fmennung: 23 "Diese hohe Anerkennung, die mir in verhältnismäßig jungen Jahren zuteil wurde, verpflichtet mich zum Gelöbnis, meine ganze Kraft und mein ganzes Können für das neue Amt einzusetzen. Empfangen auch Sie, Herr Reichsstatthalter, meinen Dank und das Gelöbnis, daß ich wie bisher in meinem neuen Amt Nationalsozialist sein und bleiben werde. Wenn ich als Beamter dem Staate allzeit vollste PfIichterftillung, der Bewegung treue Gefolgschaft gelobe, so verpflichte ich mich damit der Einheit von Staat und Bewegung; Staat und Bewegung aber dienen dem Volk. Das Volk aber hat seine sichtbarste Verkörperung gefunden in unserem Ftihrer. Ihm, dem uns von Gott Gesandten, weihe ich mich und mein Werk."
Gürtner dankte Reinle für seine Worte. Nachdem man noch die obligaten ,,Lieder der Nation" gesungen hatte, nahm Reinle als sichtbare Geste des guten Verhältnisses von Partei und Justiz einen herzlichen Händedruck von Robert Wagner und dessen persönliche Glückwünsche entgegen. Wenn auch Reinle mit seiner Ernennung zum Senatspräsidenten im Jahre 1935 sicherlich bereits einen Großteil der Geschäfte am Oberlandesgericht geleitet hatte, so wurde mit der Zurruhesetzung Buzengeigers und der Ernennung Reinles zum Oberlandesgerichts präsidenten auch nach außen hin eine neue Ära in der badischen Justiz eingeleitet. Mit Buzengeiger war eine Symbolfigur für die überkommene Rechtsanschauung abgetreten, und mit Reinle schien endgültig auch in der Justiz in Baden die ,,neue Zeit" angebrochen zu sein.
22
Siehe Bericht im "Ftihrer" vom 11.6.37, S.5. Dort auch Abdruck der Rede.
23
Abdruck der Rede im "Ftihrer", siehe vorige Fußnote.
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Während bei Buzengeiger auch genaues Aktenstudium keine sicheren Erkenntnisse liefert, inwieweit er tatsächlich nationalsozialistischem Gedankengut verfallen war oder inwieweit er nur vorgab, dies zu sein, bestehen bei Reinle solche Zweifel nicht. Reinle war überzeugter Nationalsozialist und diese Überzeugung umfaßte auch die nationalsozialistische Rassenlehre. So berichtete die "Volksgemeinschaft" 24 am 31. Januar 1933 von einem Vortrag Reinles in der Ortsgruppe Wiesloch über die "Rassenfrage". Dem Bericht zufolge würdigte Reinle, daß Hitler als erster eine politische Organisation geschaffen habe, die das "Rasseproblem" lösen wolle. In der Rede wurden die einzelnen Rassen kurz skizziert und dann die arische Rasse den anderen als höherwertig gegenübergestellt. Durch den Marxismus und den Liberalismus laufe die arische Rasse aber Gefahr, ihren Wert und ihre hohe Kulturaufgabe zu vergessen und sich mit minderwertigen Rassen zu vermischen. Sinn der Schöpfung sei aber nicht das Rassengemisch, sondern die Rassereinheit. Am Beispiel des Untergangs des antiken Griechenland und des römischen hnperiums machte Reinle die Auswirkungen einer Rassenvermischung deutlich und wies dann darauf hin, daß Adolf Hitler auch die Konsequenzen aus den rrkenntnissen gezogen habe und staatliche Rassenpflege und Rassenhygiene fordere. "Pg. Reinle machte auf die vielen Irrenanstalten aufmerksam, deren Insassen bedauernswerte Opfer einer falschen Duldsamkeit sind. All diese Trunksüchtigen, Epi1eptiker usr., die den Staat und den Gemeinden Hunderttausende kosten, sind fast durchweg erblich belastet, Produkte kranker, vorbelasteter Eltern, denen das Heiraten hätte verboten werden mUssen. Durch zielklare, strenge staatliche Rassenpflege wäre es durchaus möglich, das Volk im Verlaufe weniger Generationen vom ,Unterrnenschentum' zu befreien (... ) und wieder ein gesundes Kernvolk zu schaffen."
Reinle teilte aber nicht nur die mit der nationalsozialistischen Rassenlehre einhergehenden sozialdarwinistischen Vorstellungen, er teilte auch den Antisemitismus der Nationalsozialisten. wie sich aus der Handhabung der Erteilung von Ehefähigkeitszeugnissen unter seiner Präsidentschaft ergibt. Ausländer mußten, um in Deutschland heiraten zu können, ein Ehefähigkeitszeugnis des Heimatstaates beibringen. Von diesem Erfordernis konnten durch den Oberlandesgerichtspräsidenten Ausnahmen bewilligt werden. 25 Die Fälle waren recht häufig. In der Weimarer Zeit eingebürgerte Juden waren nach 1933 ausgebürgert worden und wollten nun auswandern, um der immer 24
25
"Die Volksgemeinschaft" Heidelberg vom 31.1.1933 (Nr. 26; 3. Jg). § 4 Abs. 2 u. 3 der VO des RJM v. 31.5.34, RGS\. I S.472.
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weiter fortschreitenden Diskriminierung zu entgehen. 26 Vielfach waren Bürgschaften für die Auswanderung in die USA oder andere Staaten nur zu erlangen, wenn die Antragsteller verheiratet waren, so daß oftmals jüdische Paare, die als Staatenlose naturgemäß kein Ehefähigkeitszeugnis des Heimatstaates beibringen konnten, eine derartige Befreiung beantragten. Augenscheinlich änderte sich die Praxis der Erteilung dieser Befreiung unter Reinle, denn auf eine bereits erteilte Befreiung vom März 1938,27 vorgelegt durch das Standesamt Mannheim, setzte Reinle den Vermerk: "Ablehnen - wenn Beschwerde, dann im Vorlagebericht erwähnen, daß ich grundsätzlich gegen jede Eheschließung und Erleichterung und daraus sich ergebende Vermehrung der jüdischen Rasse in Deutschland bin."
Auf einem Antrag, der einen ähnlichen Fall betraf, setzte er den Vermerk: "Solange die Frau ledig bleibt, ist sie Polin und kann jederzeit ausgewiesen werden. Nach ihrer Verehelichung hängt sie uns samt der Nachkommenschaft am Rockschoß".
Die Betroffene brachte dann noch eine Bescheinigung der Auswandererberatungsstelle bei, die bestätigte, daß beide Brautleute Bürgschaft für die USA geleistet und bald auswandern wollten. Hierzu vermerkte Reinle: 28 "Und wenn sie Amerika nicht aufnimmt oder eines Tages ausweist, dann bekommen wir 6 Juden rur einen! ..
Die Verbescheidung der Gesuche in dieser Form war unter Reinle gängige Praxis, wobei einige der Antragsteller mit einer Beschwerde zum Reichsjustizministerium erfolgreich waren. 29 Reinle wies den Sachbearbeiter jedoch an, trotzdem an der bisherigen Übung festzuhalten. 30 Am 21. Januar 1938 wandte sich der Vizepräsident des Oberlandesgerichts, Dr. Ruoff, an Ministerialrat Ruppert beim Reichsjustizministerium. Das Schreiben ging aber sicher auf die
26 Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der Staatsangehörigkeitvom 14.7.1933 (RGB!. I S. 480), siehe hierzu Majer, Fremdvölkische, S. 195 ff. 27 Nicht genauer datiert, Fall Ringer (GLA 240/1987/53/503). 28 Fall Stern, Antrag des RA Müller Heidelberg vom 3.11.34, Bestätigung vom 1.11.38. Die Ausreise gelang noch am 13. Februar 1939 (GLA 240/1987/53/503).
29 Siehe etwa Fall Kapustein, nach Ablehnung vom 28.6.37 erteilte das RJM am 14.9.37 die Befreiung (GLA240/1987/53/502). 30 Gleicher Fall wie vorige FN, Randbemerkung auf Befreiung (GLA ibid.).
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Initiative Reinles ZUJÜck,31 da er sich allem Anschein nach sämtliche Fälle vorlegen ließ. Ruoff schrieb, es seien Zweifel aufgetreten, welche Stellung das Reichsjustizministerium bei der Erteilung derartiger Befreiungen einnehme . .. Hier besteht die grundsätzliche Einstellung, daß die Anwesenheit von Juden, insbesondere auch staatenlosen - vielfach handelt es sich um solche, die selbst oder deren Eltern aus dem Osten stammen -, ihre Heirat und Vermehrung in Deutschland durchaus unerwünscht ist, und daß wir deshalb nicht durch einen Gnadenakt dieses Verbleiben' z.B. auch infolge Erwerbs er deutschen Staatsangehörigkeit von staatenlosen Jüdinnen durch Heirat, oder die Vermehrung fördern sollen. (... ) Wir tragen also durch diese Genehmigung zu heiraten dazu bei, daß der Jude in Deutschland nicht ausstirbt."
In dem Entnazifizierungsverfahren gegen Reinle wird er von einem Fntlastungszeugen, der Reinles nationalsozialistische Gesinnung keineswegs bestreitet, als Idealist geschildert. 32 Fordert man für den Begriff des Idealisten ledig1ich' daß der Betreffende von einer Sache vollkommen überzeugt ist, ohne jedoch den moralischen Wert der Überzeugung zu würdigen, so mag diese Einschätzung zutreffend gewesen sein. Reinle war überzeugter Nationalsozialist, genauso wie er von der Wichtigkeit seiner Aufgabe als Richter überzeugt war. Auch Reinle gab sich der IDusion hin, unter der nationalsozialistischen Herrschaft sei überhaupt Platz für eine Justiz, deren Entscheidungen als letztverbindlich akzeptiert würden. Gerade in der Person Reinles zeigt sich der bereits oben geschilderte kaum lösbare Widerspruch, der allen nationalsozialistisch eingestellten Juristen zu eigen war: Der Traum von einer Art völkischem Rechtsstaat unter nationalsozialistischer Führung trotz der offenkundigen Justizfeindlichkeit der nationalsozialistischen Bewegung. Die Gründe, die derartigen Wahnvorstellungen Nahrung gegeben haben mögen, wurden oben bereits angesprochen. Reinle hatte sicherlich die Hoffnung, daß es durch die Hinführung der Justiz zum Nationalsozialismus gelingen werde, Konflikte mit der Partei zu vermeiden. Für ihn lag die Lösung der Schwierigkeiten wohl nicht nur in der Zähmung der Partei, sondern auch darin, daß die Justiz in weit stärkerem Maße nationalsozialistische Rechtsauffassungen annehmen müsse, um den Anforderungen des völkischen Rechtsstaats gerecht zu werden. Bis zur Schaffung einer nationalsozialistischen Justiz schienen Konflikte unvermeidlich.
31 (GLA 240/1987/53/498). 32 Erklärung von Dr. Viaion vom 5.12.47 (GLA 465a/51/1217880). Das Verfahren wurde von der Witwe durchgeführt.
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B. Die Presse kampagne im ,,schwarzen Korps" und im "Stürmer" Wenn man sich von Seiten des Reichsjustizministeriums von Reinles Popularität bei der Partei und dem Vertrauen, das er dort genoß, versprochen hatte, daß er bei des zum Nutzen der Justiz einsetzen werde, so sollte Reinle sogleich Gelegenheit bekommen, sich in dieser Hinsicht zu bewähren. Bereits seit 1935 hatte die Justiz mit Anfeindungen durch die nationalsozialistische Presse zu kämpfen. 33 Hierbei taten sich vor allem "Der Stürmer" und eine von der Reichsführung-SS herausgegebene Zeitschrift, "Das Schwarze Korps", herVor. 34 Nachdem das Reichsjustizministerium zunächst gegen diese Angriffe nichts unternommen hatte, war es ein Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahre 1937 und dessen Kritik im "Schwarzen Korps", die das Reichsjustizministerium zum Eingreifen zwangen. Eine Schallplattengesellschaft hatte die Reichsrundfunkgesellschaft auf Schadensersatz und Unterlassung in Anspruch genommen, da diese Schallplatten sendete, ohne die Lizenzgebühr zu entrichten. Entgegen dem Vorbringen der Reichsrundfunkgesellschaft hielt das Reichsgerichf S den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für zulässig und die Klage für begründet. Eine Sendung der Schallplatten ohne Zahlung der Gebühr stelle eine Enteignung dar, für die es an jeder Grundlage fehle. Das "Schwarze Korps" warf daraufhin dem Reichsgericht vor, das oberste Gesetz, nämlich die Interessen des Staates und damit des deutschen Volkes, mißachtet zu haben. "An dieser Auffassung rütteln, heißt, an die Fundamente des Staates zu rühren."36 Gegen diese Kritik, die den Richtern des Reichsgerichts vorgeworfen hatte, sie hätten sich in staatsfeindlicher Weise betätigt, wandte sich der Reichsgerichtspräsident Bumke in einem Schreiben an das Reichsjustizministerium, das von dort der Reichskanzlei zugeschickt und Hitler vorgelegt wurde. 37 Hitler konnte auch nicht umhin, in diesem Fall dem Reichsgericht beizuspringen, da mit der Entscheidung des Reichsgerichts das Privateigentum geschützt worden war, auf dessen Anerkennung die nationalsozialistische Wirtschaftsordnung mitberuhte. Hitler erklärte, daß er das Urteil für richtig, die Kritik im "Schwarzen 33
Hierzu auch Angermund, S. 95 - 99. Bereits 1935 (DJ 1935, S. 896) lieferte Doer·
ner fUr den RJM eine eingehende Gegendarstellung zu in der Tagespresse kritisierten Fällen. 34
Gruchmann, S. 663.
3S
JW 1937, S. 69Off.
36 "Das Schwarze Korps" vom 26.11.36. 37 Gruchmann, S. 665.
B. Die Pressekampagne im "Schwarzen Korps" und im "Stürmer"
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Korps" dagegen für unangebracht und unnationalsozialistisch halte. 38 Trotz dieser Niederlage schwächte die Zeitschrift in den folgenden Monaten ihre Kritik keineswegs ab, im Gegenteil, die Lage spitzte sich immer weiter zu. Es blieb nicht bei Urteilsschelte und allgemeiner Kritik an der Justiz, sondern es kam auch zu persönlichen Anfeindungen gegen Richter und Staatsanwälte, denen bescheinigt wurde, sie befänden sich "auf dem geistigen Niveau eines Zulukaffers",l9 die Urteile stellten sich als "hanebüchener Irrtum" dar 40 und bei der Unabhäogigkeitder Richter handele es sich um "die Plage eines Freibriefs".·' Die Bemühungen des Reichsjustizministeriums, sich gegen derartige Übergriffe zur Wehr zu setzen, waren zunächst eher hilflos. Im Februar 1938 ging den Gerichten eine Rundverfügung des Reichsjustizministeriums42 zu, wonach das Wochenblatt "Der Stürmer" wegen der in letzter Zeit wiederholt geführten "unbegründeten Angriffe auf die deutsche Rechtspflege sowie auf einzelnejustizbehörden und Rechtswahrer" nicht mehr in den Schaukästen der Justizbehörden zum Aushang gebracht oder in Lesezimmern und Bibliotheken ausgelegt werden solle. Die Angriffe auf die Justiz als ganzes und die persönlichen Beleidigungen einzelner Richter und Staatsanwälte blieben auf die Justiz nicht ohne Wirkung. Es war vor allem der Präsident des Oberlandesgerichts Hamburg, Dr. Curt Rothenberger, der versuchte, das Reichsjustizministerium zu einer entschiedeneren Stellungnahme für seine angegriffenen Richter zu bewegen. Im Rahmen der Chefpräsidententagung am 25. Januar 1939 hielt Rothenberger ein Referat über die Auswirkungen dieser Kritik auf die Justiz und über Möglichkeiten der Abhilfe. Rothenberger stellte fest, daß durch die Artikel im "Schwarzen Korps" ein ganz allgemeines Mißtrauen gegen die Justiz geschaffen worden sei. Abhilfe
38
Zitiert bei Gruchmann, S. 665.
39
"Das Schwarze Korps" vom 1.12.38.
40
"Das Schwarze Korps" vom 8.12.38.
4' "Das Schwarze Korps" vom 8.12.38. 42 Verfugung vom 21.2.38, ähnliche VerfUgungen betrafen auch die Zeitschrift "Das Schwarze Korps", siehe etwa Verfügung vom 8.2.39 (GLA 240/1987/53/776).
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sei nur über eine konsequente Personalpolitik zu erzielen. 43 Auch die anderen anwesenden Oberlandesgerichtspräsidenten bestätigten die tiefe Verunsicherung, die durch die Artikelserieim "Schwarzen Korps" geschaffen worden sei. Freisler entgegnete von Seiten des Justizministeriums: 44 "Die Sache ist heute die ernsteste seit Jahren. Die GrUnde der Angriffe erblicke ich darin, daß es Leute gibt, die die Rechtsordnung nicht fUr notwendig halten."
Diese Ansicht rühre wohl daher, daß die Partei aus der Kampfzeit noch unangenehme Erinnerungen an die Justiz habe. Nachdem Verhandlungen des Reichsjustizministeriums mit den Verantwortlichen des "Schwarzen Korps" ergebnislos verlaufen waren, entschloß man sich im Ministerium zu einer eigenen Gegendarstellung in der Deutschen JustiZ. 45 Dort wurden die schwerwiegendsten Urteilskritiken aus dem "Schwarzen Korps" im Teil "Amtliche Verordnungen und Erlasse" zurückgewiesen. Am 1. Februar 1939 verhandelte Gürtnermit Himmlerüber die Veröffentlichungen im "Schwarzen Korps" und erzielte auch einen "Burgfrieden", indem beide vereinbarten, die über die Presse geführte Auseinandersetzung einzustellen.~6 Zwar veröffentlichte ,,Das Schwarze Korps" in seiner Ausgabe vom 9. Februar 1939 47 noch einmal einen Artikel, in dem die Gegendarstellung in der Deutschen Justiz als "Sammelsuri um" und "sachlich durch nichts begründete Unfreundlichkeiten" bezeichnet wurde, es trat jedoch in der Folgezeit tatsächlich Ruhe ein. Daß derartige Veröffentlichungen, auch wenn sie nicht direkt die Gerichte in Baden betrafen, zu einem massiven Autoritätsverlust der Justiz beitrugen, läßt sich auch im Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe belegen. Einmal zeigt sich dies in Zuschriften an das Oberlandesgericht, die die Kritik der Zivilurteile durch die beteiligten Parteien betreffen. Der Grundtenor dieser Zuschriften war in nahezu allen Fällen derselbe. Man wollte die Urteile nicht akzeptieren und berief sich zur Begründung auf die veränderten politischen Verhältnisse. So hieß es etwa, "daß nach den neueren Bestimmungen lediglich Recht gespro-
43 Grucmnann, S. 669f.; siehe zu diesem Problemkreis auch den Beitrag Rothenbergers in der DJ 1939, S. 831. Rothenberger verteidigt darin die Unabhängigkeit der Richte~ fordert aber gleichzeitig eine politisch Uberzeugte Richterschaft. 44
Zitiert nach Grucmnann, S. 671.
45
DJ v. 27.1.39, S. 175ff.
46
Grucmnann, S. 672f.
47
"Das Schwarze Korps" vorn 9.2.39.
B. Die Pressekampagne im "Schwarzen Korps" und im "Stunner"
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chen werden" solle, "ohne Rücksicht auf juristische Verklausolierung", 48 oder manführte an, daß ein bestimmtes Urteil unmöglich im Sinne des Führers sein könne49 und drohte mit der Einschaltung der Partei. '0 Es wurden aber auchjustizkritische Zeitungsartikel aus der Parteipresse an das Gericht übersandt, die als Beleg dafür dienen sollen, daß auch im eigenen Fall ein Fehlurteil gesprochen worden sei.' 1 Auch wenn solche kritischen Zuschriften der unterlegenen Partei sicher kein spezifisches Merkmal der Justiz im Dritten Reich darstellen, so zeigen sie doch sehr deutlich, daß in der Öffentlichkeit das schlechte Ansehen, das die Justiz bei der Partei genoß, sehr genau registriert wurde. Die Schreiben beschränkten sich nicht nur auf Kritik, es mehrten sich seit 1937 auch Fälle, in denen Richter wegen ihrer dienstlichen Tätigkeit beleidigt wurden. 52 Der Landgerichtspräsident in Freiburg berichtete dem Oberlandesgericht am 1. Juni 1937 von einem Verfahren, in dem das Landgericht für eine jüdische Partei entschieden hatte, woraufhin der Sohn des Unterlegenen folgende Fingabe an das Gericht richtete: "Es scheint, als ob man in diesem Fall in ganz gemeiner Weise die Absicht hatte, einem Juden das Recht zuzusprechen, einen deutschen Bauern zu belügen und zu betrUgen. Das traurigste Beispiel hierfür gibt die Gerichtsverhandlung selbst, indem ein Deutscher den Mund halten muß und es andererseits einem Juden erlaubt wird, sich mit seiner angeborenen Frechheit und mit Hilfe guter Freunde als unschuldig auf die Seite zu stellen."
Mit den "guten Freunden" waren augenscheinlich die Richter der erkennenden Kammer des Landgerichts gemeint, was diese nicht auf sich sitzen lassen wollten. Es wurde Strafantrag gestellt, das Verfahren endete aber nach einer Entschuldigung und Zahlung einer Buße mit Einstellung. 53 Diese Vorkommnisse waren nicht ungewöhnlich, vor allem in Verfahren, in denen eine der Parteienjüdischen Glaubens war. Es wurde meist Strafantrag gestellt und es WUf48 Schreiben an das OLG vom 17.09.37, Schreibweise und Hervorhebung wie im Original (GLA 240/1993/6/2 ZBR213/33). 49 Schreiben an den RJM vom 9.10.36 (GLA 240/1993/6/2 U 108/36). Siehe auch Schreiben an das OLG vom 25.7.36 (GLA 240/1993/611 U 36136). '0 Schreiben an das OLG vom 12.1.37 (GLA 240/1993/6/4 U 170/36).
51 Schreiben an das OLG vom 21.1.38 (GLA 240/1993/6/4 U 255/36) und vom 15.9.37 (GLA 240/1993/614 U 96137).
52
Vorgänge bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/53/190).
53 Ein weiteres Verfahren dieser Art schildert wiederum der Landgerichtspräsident in Freiburg am 20.7.37 (GLAibid.).
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den auch Verurteilungen erreicht, wenn der Beleidiger nicht vorher Abbitte leistete. Im Januar 1939 dann, auf dem Höhepunkt der Krise mit dem "Schwarzen Korps", hatte eine Partei nach einem verlorengegangenem Prozeß eine Eingabe an die Kanzlei des Führers gerichtee 4 .. Das Amtsgericht Pforzheim hat nach der heutigen Lage der Dinge in der Judenfrage immer noch nicht den Mut, einen deutschen Volksgenossen gegen den unnötigen Druck eines Juden in Schutz zu nehmen, weil angeblich noch keine gesetzliche Vorschrift vorhanden sei."
Der Präsident des betroffenen Landgerichts Karlsruhe, der in dieser Eingabe "den Vorwurf der Feigheit ( ... ) gegen eine Behörde des nationalsozialistischen Staates" sah, "der umso schwerer wiegt, als er aus der Feder eines Mannes stammt, der sich als Pg und SS-Angehöriger bezeichnet", hatte Strafantrag gestellt. Reinle vermerkte jedoch am Randdes Schreibens, daß er dies für übereilt halte: .. Die Mentalität im Volk in der Judenfrage ist nun mal schärfer, als der Richter nach Gesetzeslage kann, das muß man den einzelnen nicht gleich mit einem Strafverfahren bUßen lassen, bei dem wir Richter in eigener Sache sind."
So wurde der Landgerichtspräsidentdenn auch am 16. Februar informiert,
daß die Eingabe nicht so schwerwiegend sei, als daß die
..Wahrung des Ansehens der Rechtspnege eine Bestrafung erforderte. ( ... ) Die Schuld dessen, der in solchen Fällen vermeint, seinen Unmut durch einen Vorwurf gegen das Gericht Luft machen zu mUssen, anstalt einzusehen, daß das Gesetz eine andere Entscheidung nicht zuläßt, erscheint mir deshalb aber nicht allzu schwer, zumal wenn - wie hier - die Äußerung nicht in die Öffentlichkeit gelangt."
Der Landgerichtspräsidentnahm seinen Strafantrag zuriick. 55 Ob der Grund für die Anweisung, den Strafantrag zurückzunehmen, tatsächlich in der Toleranz Reinles den Parteigenossen gegenüber zu sehen ist, die in der ,,Judenfrage" mehr forderten als die Gerichte zu leisten in der Lage waren, oder ob man nicht vielmehr fürchtete mit der Kanzlei des Führers aneinanderzugeraten, mag dahinstehen. Wahrscheinlich ist, daß Reinle den am 1. Februar 1939 zwischen Gürtner und Himmler erzielten Ausgleich nicht gefährden wollte. Es wäre zudem eine schwierige Lage entstanden, wenn dem Strafantrag eine Verurteilung gefolgt wäre, andererseits aber der Stellvertreter des Führers sich auf die Seite des Beleidigers geschlagen hätte. 54 55
Bericht vom 4.1.39 (GLA 240/1987/53/190). Schreiben vom 22.2.39 an das Oberlandesgericht (GLA ibid.).
B. Die Pressekampagne im .. Schwarzen Korps" und im .. StUrmer"
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Der fortschreitende Autoritätsverlust der Justiz zeigte sich aber nicht nur in derartigen Beleidigungen von Richtern, sondern auch in einem starken Anwachsen der Übergriffe von Partei sei te auf die Rechtspflege. Auch hier ging es häufig um Verfahren, an denen Parteien jüdischer Konfession beteiligt waren. Daß diese Übergriffe letztlich auf die Pressekampagne gegen die Justiz zurückgingen, zeigt sich auch darin, daß häufig damit gedroht wurde, den Fall zur Veröffentlichung zu bringen. Die Fälle reichten wie auch der Beginn der Pressekampagne in das Jahr 1935 und damit in die Präsidentschaft Buzengeigers zurück, sie sollen aber des Zusammenhangs wegen hier erörtert werden. Im Juli 1935 hatte die Firma Gebr. Kahn vor dem Amtsgericht Breisach gegen ein Ehepaar auf Zahlung von 15 Monaten rückständiger Miete sowie auf Räumung des vermieteten Hauses geklagt. S6 Die Räumung wurde auch deshalb verlangt, weil der Eigentümer das Hausgrundstück veräußern wollte. Der Kreisleiter Glas aus Emmendingen richtete am 26. März 1936 ein Schreiben an das Amtsgericht Breisach, in dem es hieß: .. Nach meinen Erhebungen ist die Familie Heinrich U., die frUher Besitzer des Hauses war, das heute den Gebr. Kahn gehört, mehr oder weniger ein Opfer der Geschäftsbeziehungen zu der Firma Gebr. Kahn geworden. Ich verlange vom Amtsgericht, daß Sie alle Möglichkeiten ausschöpfen, die geeignet sind, die Räumungsforderung der Wohnung durch die Gebr. Kahn rUckgängig zu machen. Das kann umso mehr als billig angesehen werden nach der vorliegenden Erklärung des BezirksfUrsorgeverbandes. [Dieser hatte sich zur Zahlung des rUckständigen Mietzinses verpnichtet. Verf.] Sollten die GebrUder Kahn weiterhin auf der zu Unrecht geforderten Räumung bestehen, so werde ich (ffentliche Erörterung des Falles in der nationalsozialistischen Presse in die Wege leiten."
Diese massive Drohung verfehlte ihre Wirkung weder auf das Amtsgericht Breisach noch auf das Oberlandesgericht. Der Amtsrichter führte in seinem Bericht an das Oberlandesgericht an: .. Abgesehen davon, daß der Tatbestand des § 114 StGB gegeben erscheint, ist die angedrohte Erörterung des Falles in der Presse schon deshalb unberechtigt, weil das Amtsgericht keine Möglichkeit hat, auf den Gläubiger einzuwirken und es lediglich in dessen Willen steht, ob er Räumung durchfUhren will oder nicht. Erfahrungsgemäß wird aber bei derartigen Presse-Erörterungen dem Gericht die Schuld zugeschoben."
Wenn der Amtsrichter nun eine eindeutige Stellungnahme des Oberlandesgerichts erwartet hatte, die unter Hinweis auf die richterliche Unabhängigkeit S6 Sämtliche Vorgänge bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/53/663). Siehe besonders Bericht Buzengeigers an die Gauleitung.
10 Schiller
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Kap. 4: 1937 - 1939: Die ersten Jahre der Präsidentschaft Reinles
und die Gesetzesbindung der Justiz derartigen Drohungen entgegengetreten wäre, so sah er sich enttäuscht. Der damals noch amtierende Präsident Buzengeiger ging nicht etwa gegen den Kreisleiter vor, sondern bemühte sich, über das Fürsorgeamt zu erreichen, daß das Ehepaar in der Wohnung verbleiben konnte. Mit Schreiben vom 1. April 1936 bater das Fürsorgeamt, seine Bereitschaftzur Übernahme des rückständigen Mietzinses anzuzeigen. Diese Vorgehensweise ist sicherlich bemerkenswert und zeigt die tiefe Verunsicherung, die durch die Drohung mit Presseveröffentlichungen erreicht wurde. Es wurde dann zwar ein deutliches Schreiben an die Gauleitung verfaßt: "Der Richter muß einem Gläubiger, auch wenn er Jude ist, sein klares Recht zuerkennen, und der Gerichtsvollzieher muß ein rechtskräftiges Urteil vollstrecken, ( ... ), täten sie es nicht, so wUrden sie sich einer schweren Amtspnichtverletzung schuldig mache. Schärfstens verwahren mUßte ich mich aber vor allem dagegen, wenn in der Androhung, den Fall in die Presse zu bringen, eine an die Adresse des Gerichts gerichtete Drohung verstanden werden sollte - wie es kaum anders möglich ist, da sonst diese Drohung nicht ausgerechnet dem Gericht hätte unterbreitet werden können. Die Justiz muß, solange der nationalsozialistische Staat den Juden auch hier nicht unter ein Sonderrecht stellt, auch demjUdischen Staatsangehörigen zur VerfUgung stehen, und es ist deshalb ungesetzlich und auch ungerecht, wenn angesichts einer solchen auch fUr den Richter gewiß nicht leichten Aufgabe Parteigenossen ihn unter ungesetzlichen Druck zu setzen suchen."
Dieses Schreiben wurde zwar verfaßt, man wagte aber nicht, es auch an die Gauleitung zu schicken. Die Ausfertigung unterblieb. 57
57 Die Sache löste sich dann auf andere Weise. Der Gläubiger war inzwischen mUrbe geworden und zog, laut einem Bericht des Amtsgerichts Breisach vom 14. Mai, seinen Räumungsantrag zurUck. Wie man dann mit der jUdischen Partei umsprang, ist bezeichnend. Buzengeiger fragte am 23. Mai bei der FUrsorge an, wie der Stand der Sache sei. Von dort wurde ihm am 30. Juni mitgeteilt, es sei nun eine wesentliche Änderung eingetreten, da der Räumungsantrag nicht mehr gestellt werde. Im Hinblick darauf sei die FUrsorge nicht mehr bereit, den rUckständigen Mietzins zu zahlen. Es mUsse dem Gläubiger Uberlassen werden, wie er zu seiner rUckständigen Forderung komme. Sogar Reinle vermerkte hierzu am Rand: "Diese ~ndung ist reichlich durchsichtig." Buzengeiger berichtete am 23. April der Gauleitung dann doch noch von den Vorgängen, meinte aber, daß nichts weiteres erforderlich sei, nachdem durch seine Art der Behandlung allseits eine sachliche Betrachtungsweise vorherrschend sei.
B. Die Pressekampagne im "Schwarzen Korps" und im "Stürmer"
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Ein ähnlicher Fall spielte sich vor dem Amtsgericht DurIach ab. 58 Am 14. August 1936 hatte die von einem Juden geführte Viehhandlung Meier Zahlungsbefehl gegen einen Landwirt aus Söllingen erwirkt. Auf den Einspruch des Schuldners kam es zur mündlichen Verhandlung, in der der Landwirt vortrug, die Kuh habe nur sechs, statt wie zugesichert zwölf Liter Milch gegeben. Der Landwirt hatte es jedoch versäumt, das Fehlen der zugesicherten Eigenschaft innerhalb der Sechs-Wochen-Frist des § 490 BGB zu rügen, so daß seine Sache verloren war. Der Bürgermeister erschien bei dem Amtsrichter und verwendete sich für den Landwirt. Es wurde ihm erläutert, daß durch den Fristablauf ein Eingehen auf den geltend gemachten Mangel nicht mehr mög1ich sei. Am 2. September erging ein Beweisbeschluß. Der Landwirt sowie seine ebenfalls anwesende Tochter wurden auf das Kostenrisiko hingewiesen, woraufhin die Tochter für den Vater erklärte, er wolle lieber bezahlen, bitte aber um Stundung und Ratenzahlung. Die Tochter einigte sich auch bezüglich beider Punkte mit dem Rechtsanwalt des Klägers. Am 5. September wurde der Bürgermeister erneut beim Amtsrichter vorstellig und erklärte, der Landwirt habe den Prozeß also verloren. Es liege hier ein Fall vor, wo ein Arier gegen einen Juden, den ein arischer Anwalt vertreten habe, verloren habe; es sei dies unerhört. Der Richter wendete ein, auch er sei Nationalsorialist und SA-Mann, was den Bürgermeister aber nur noch mehr erboste. Am 4. September ging dem Amtsrichter dann noch ein Schreiben des Bürgermeisters zu: "Wir haben bei dieser Verhandlung gesehen, daß ein Arier einen Juden vertritt und andererseits ein Arier einem Juden Recht gibt. Ein Vorgang, der bestimmt auch den ,Stürmer-Verlag' in NUrnbergbeschäftigen wird. Ich will Ihnen als Laie in Rechtsangelegenheiten nichts vormachen, aber Ministerpräsident Göring hat einmal erklärt, dass es sich niemand erlauben soll, §§ gegenUber dem heutigen Rechtsempfinden zu wenden, und weiter wolle man bedenken, daß jede silberne Kugel in den Händen des Juden ein Schuß gegen Adolf Hitler bedeutet. Ich habe mich an das Justizministerium, an die Gauleitung und an die Kreisleitung gewandt und kann als Nationalsozialist nicht glauben, daß Ihr Urteil aufrecht erhalten bleibt."
Die Sache war äußerst gefahriich für die Justiz. Einmal hatte der Bürgermeistermit der gefürchteten Veröffentlichung in der Presse gedroht und dann hatte er sich bereits an die Gauleitung gewandt. Von der Gauleitung konnte nicht erwartet werden, daß sie tatenlos bleiben werde, wenn "Der Stürmer" den Fall tatsächlich aufgreifen wollte. Es mußte daher sofort an die Gauleitung herangetreten werden. S8
Bericht des Amtsgerichts Durlach - Abteilung 11 - an das Oberlandesgericht vom
4.9.36 (GLA240/1987/53/663).
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Kap. 4: 1gJ7 - 1gJ9: Die ersten Jahre der Präsidentschaft Reinles
Reinle verfaßte ein Schreiben an die Gauleitung, das von Buzengeiger aber noch verändert wurde. 59 "Ich muß diese Eingriffe des Ortsgruppenleiters in die richterliche Tätigkeit des Amtsgerichtsrates Schwoerer auf das tiefste bedauern, aber auch mit Entschiedenheit zurtlckweisen. (... ) Auf alle Fälle sind die VorwUrfe und Absichten des Ortsgruppenleiters unberechtigt. Wenn ein Landwirt im November 19J4es noch für gut befunden hat, bei einem jUdischen Viehhändler Vieh zu kaufen, dann muß er auch die rechtliehen Folgen eines derartigen Verhaltens auf sich nehmen (und ein Eintreten der Partei für einen derartigen Judensöldling ist mir dann schlecht verständlich)."
Es folgte dann noch die Feststellung, daß es Juden nicht verboten sei, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sodann erging die Bitte an den Gauleiter: 60 "Ich bitte Herrn Gauleiter, den Ortsgruppenleiter auf das Unberechtigte und Ungehörige seiner Handlungsweise geeignet hinzuweisen und insbesondere dafür besorgt zu sein, daß der angekündigte Versuch, die Sache in den StUrm er zu bringen, unterbunden wird. Eine derartige Veröffentlichung mUßte im Interesse der Rechtspflege des nationalsozialistischen Staates bedauert werden."
Dem Bürgermeister selbst wurde in einem Schreiben ebenfalls die Rechtslage verdeutlicht und mitgeteilt, daß, wer mit Juden Geschäfte mache, schließlich selbst Schuld sei.61 Die Gauleitung reagierte tatsächlich wie vom Oberlandesgericht gewünscht. Am 25. September teilte sie mit, der stellvertretende Gauleiter (!) Röhn habe sich mit der Angelegenheit befaßt, das Verhalten des Bürgermeisters Wenz mißbilligt und ihm das Erforderliche bemerkt. Eine Veröffentlichung der Sache im "Stürmer" sei unterbunden worden. Diesmal war es also gelungen, die Sache abzuwenden. Sicher spielte dabei die Argumentation Reinles eine Rolle, daß der betroffene Landwirt schließlich aus freien Stücken mit einem jüdischen Viehhändler Geschäfte gemacht habe.
59 Die Urheberschaft Reinles folgt aus den Randbemerkungen und Korrekturen. Die in Klammer gesetzte Passage wurde von Buzengeiger wieder gestrichen.
60 Die Urheberschaft Reinles ergibt sich aus einer handschriftlichen Anmerkung am Schluß des Schreibens. Er hatte darunter gesetzt: "Ein Ersuchen um Nachricht vom Veranlaßten schien mir untunlich. Solche Antworten erhält man schwer. Zu erwägen wäre noch, ob man nicht dem Gaurechtsamtsleiter Abschrift zukommen lassen will." 61 Schreiben des Oberlandesgerichts an BUrgermeister Wenz vom 9.9.36.
B. Die Pressekampagne im "Schwarzen Korps" und im "Stürmer"
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Das gleiche Argument verwendete man seitens des Oberlandesgerichts bei einem Eingriff des Ortsbauernführers und des Kreisbauernführers in ein Verfahren vor dem Amtsgericht Breisach. Auch hier war dem Richter damit gedroht worden, den Fall in die Presse zu bringen.62 Das Oberlandesgericht ließ den Landesbauernführer wissen, daß derartige Fingriffe mit einer ordnungsgemäßen Rechtspflege unvereinbar seien und der Beklagte besser daran getan hätte, seine früheren Schulden zu bezahlen, als erneut Geschäfte mi t dem jüdisehen Kläger zu machen. 63 Derartige Fingriffe fanden nach der Amtseinführung Reinles ebenfalls statt. Der Bürgermeister in Rauenberg etwa vereitelte ihm unliebsame Zwangsversteigerungstermine dadurch, daß er den Termin nicht bekanntgab und dem Ratsschreiber für den Fall der Durchführung der Versteigerung mit einem Disziplinarverfahren drohte. 64 Das gleiche wurde auch dem Bürgermeister in Rußheim vorgeworfen, der dem Gerichtsvollzieher in einer Vollstreckungssache erklärt hatte, er lasse nicht zu, daß die Versteigerung durchgeführt werde. 6s Währendin dem ersten Fall kein politischer Hintergrund vorlag - der Bürgermeister hatte wegen unrichtiger Schätzung des Grundstücks die Befürchtung, er werde einem Amtshaftungsanspruch ausgesetzt werden - und man somit den Weg zum Inneministerium beschreitenkonnte,66 war der zweite Fall schwieriger, da der Bürgermeister immerhin Inhaber des goldenen Partei abzeichens war. Es wurde zwar auch hier das Innenministerium informiert,67 die Sache wurde dann aber über die Vermittlung der Kreisleitung gelöst, die den Bürgermeister dazu brachte, beim Oberlandesgericht vorzusprechen, so daß ihm vom Vizepräsident Dr. Ruoff persönlich das Ungesetzliche seiner Handlungsweise
62 Bericht des Amtsgerichts Breisach vom 12.6.36 (GLA 240/1987/53/663). 63 Schreiben des Oberlandesgerichts an den den Landesbauernführer vom 26.6.36 (GLA ibid.). Auch bei diesem Schreiben brachte Buzengeiger eine Veränderung an einer Stelle an, die den jüdischen Kläger der Unehrlichkeit verdächtigte. Für den vorsichtigen Umgang mit derartigen Vorkommnissen spricht auch, daß Reinle unter das Schreiben noch anmerkte, man müsse dafür sorgen, daß der Rechtsamtsleiter Schmoll Kenntnis vom Akteninhalt erlange, da er wahrscheinlich einseitig informiert sei.
64 Bericht des Notariats II in Wiesloch vom 25.6.37 (GLA 240/1987/53/663). 6S
Bericht des Amtsgerichts Karlsruhe vom 17.6.37 (GLA 240/1987/53/663).
66 Schreiben des Oberlandesgerichts an das Innenministerium vom 24.11.37 (GLA
ibid.). 67 Schreiben vom 26.6.37 (GLA ibid.).
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Kap. 4: 1937 - 1939: Die ersten Jahre der Präsidentschaft Reinles
erläutert werden konnte. 68 Dem Bürgermeister wurde vom Bezirksamt die ernste Mißbilligung ausgesprochen, und die Sache dann am 2. Dezember 1937 als endgültig erledigt betrachtet. Bei einer Verhandlung vor dem Schöffengericht Offenburg wegen Vergehens gegen das Zuckersteuergesetz war es der Kreisbauernführer aus Oberkirch, der sich in das Verfahren einschaltete. Er sprach einen der Schöffen an und forderte ihn auf, dafür zu sorgen, daß der eine der Mitangeklagten bald nach Hause komme. Als der Richter auf diesen Versuch der Einflußnahme in seiner mündlichen Urteilsbegründung einging, wurde er nach der Sitzung von dem Kreisbauernführer gerügt. Er erklärte dem Richter, er erwäge, die beiden Schöffen wegen ihrer Beteiligung am Richterspruch vor das Parteigericht zu bringen, da sie beide ausweislich ihrer Parteiabzeichen Pg. seien. 69 Da gegen den Kreisbauernführer wegen einer anderen Sache ein Verfahren wegen schwerer Beleidigung anhängig war, kam man beim Oberlandesgericht zu dem Entschluß, einstweilen nichts zu Imternehmen und den Ausgang des Verfahrens abzuwarten. 7o Die Reaktionen des Oberlandesgerichts auf diese Übergriffe waren uneinheitlich. Während man in einigen Fällen gar nichts unternahm, bezog man in anderen deutlich Stellung für die angegriffenen Richter. Die Amtsrichter in den kleineren Ortschaften waren bei ihren Auseinandersetzungen mit den örtlichen Partei größen wohl oftmals ziemlich alleingelassen. 71 Die Lage gerade dieser Richter war sicherlich besonders schwierig.72 Sie lebten meist in der Ortschaft, die Sitz des Gerichts war, und jede Entscheidung mußte vom Riebter selbst verantwortet werden. Wer vor Gericht unterlegen war oder zu unter-
68
69 70
Aktenvermerk Ruoffs vom 14.10.37 (GLA ibid.). Bericht des Amtsgerichts Offenburg vom 29.2.36 (GLA 240/1987/53/663). Aktenvermerk Buzengeigers vom 3.4.36 (GLA 240/1987/53/663).
71 Den Unmut der Gauleitung gar hatte sich im Jahre 1939 auch ein Gerichtsvollzieher in Konstanz zugezogen, da er es gewagt hatte. ein "Buch der NSDAP" zu pfänden und in einer Zwangsversteigerungsanzeige anzubieten. Die Gauleitung teilte Reinle am 15.8.39 mit. dies sei mit der WUrde der NSDAP unvereinbar. Auch Reinle sah hierin: "Eine schwere Geschmacklosigkeit. fUr die dem GVR eine Mißbilligung auszusprechen ist." (Randbemerkung auf dem Schreiben) (GLA 240/1987/53/304). 72 Der Richter des Amtsgerichts Kenzingen etwa war ebenfalls mit dem bereits oben erwähnten Kreisleiter Glas aus Emmendingen aneinandergeraten. nachdem der Amtsrichter zwei Wilderer zu je drei Monaten Gefängnis verurteilt hatte. Obwohl der Richter bereits im Anschluß an die Sitzung erklärt hatte, er werde einen Gnadenerweis befUr-
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liegen drohte, hatte recht gute Aussichten beim örtlichen "Hoheitsträger" mit dem Argument gehört zu werden, daß hier ein unnationalsozialistisches Urteil gefällt werde oder gefällt worden sei. Schließlich war ja durch die Artikel im "Stürmer" und im "Schwarzen Korps" hinlänglich bewiesen, daß die Justiz immer noch nicht Recht im nationalsozialistischen Sinne sprach, so daß nichts näher lag, als ihr über die örtliche Partei gliederung zu besserer Einsicht zu verhelfen. Selbst wenn ein Richter dem Nationalsozialismus gegenüber offen war, so war er doch an die Gesetze gebunden. Und selbst wenn ein Richter die PIwartungen der örtlichen Parteiführer in einem Rechtsstreit gern erfüllt hätte, so war deren Wille vielfach vollkommen unberechenbar. Es kann sicher davon ausgegangen werden, daß die Mehrzahl der Amtsrichter versuchte, sich nach Möglichkeit mit den Funktionären der Partei zu arrangieren und Konflikten aus dem Wege zu gehen. Dies bedeutet aber auch, daß allein schon dann, wenn sich eine Partei stelle für ein Verfahren interessierte, eine unbefangene Entscheidung nicht mehr möglich war. Zwei der oben geschilderten Verfahren, an denen jüdische Parteien beteiligt waren, betrafen Entscheidungen, die zwingendes Recht zum Gegenstandhatten; einmal war es der Räumungsanspruch aufgrundrechtskräftigen Titels, das andere Mal die Verfristung der Mängeleinrede. Es war kaum zu erwarten, daß weniger eindeutige Fälle von jüdischen Mandanten überhaupt noch gewonnen werden konnten. Ein Amtsrichter, der sich dem Druck eines lokalen Parteifunktionärs ausgesetzt sah, war sichereher geneigt, derartig brisante Fälle, etwa aufgrund der Beweiswürdigung, zu Ungunsten der jüdischen Partei zu entscheiden, als einen Konflikt mit der Kreisoder Ortsgruppenleitung heraufzubeschwören. In dem oben geschilderten Fall des Amtsgerichts Breisach hatte der Richter auch erklärt, daß er sich für befangen halte, und die Akten dem Landgericht vorgelegt. 73
worten, erschien der Kreisleiter beim Gericht und erklärte, die bei den Angeklagten seien Pg. und er erkenne das Urteil nicht an. Darüber hinaus habe er den Eindruck, daß der Richter des Amtsgerichts Kenzingen den Bestrebungen des Dritten Reiches entgegenarbeite. Nachdem sich der Kreisleiter etwas beruhigt hatte, nahm er diese Äußerung zurück und erklärte, der Richter möge diese Äußerung als nicht geschehen betrachten. Der Richter des Amtsgerichts schließt seinen Bericht mit dem Satz: "Gleichzeitig erlaube ich mir, zur Vermeidung persönlicher Schwierigkeiten die Bitte zu äußern, in Anbetracht der ZurUcknahme der gefallenen Äußerung durch Kreisleiter Glas von weiteren Schritten in vorstehender Sache nach Möglichkeit abzusehen." Zu diesen Vorgängen Bericht des Amtsgerichts Kenzingen vom 28.3.36, dem Oberlandesgericht vom Landgerichtspräsidenten Freiburg am 3.4.36 vorgelegt (GLA24O/1987/53/663). 73
Bericht vom 12.6.36 an das OLG (GLA 240/1987/53/663).
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Ganz prekär wurde die Lage eines Amtsrichters aber, wenn er aus seiner Abneigung gegen den Nationalsozialismus keinen Hehl machte. Heftige Auseinandersetzungenin dieser Hinsicht gab es etwa in Villingen. Der Amtsrichter Keßler war allem Anschein nach schon mehrfach wegen seiner fehlenden nationalen Gesinnung aufgefallen und hatte zudem noch das Unglück, daß ein bei Gericht beschäftigter Justizinspektor Kreisrechtsamtsleiter war. Als nun dieser Justizinspektor wegen seines Engagements für die Partei des öfteren während der Dienstzeit das Gericht verließ und sich nicht abmeldete, wurde er von dem ihm vorgesetzten Amtsrichter zur Rede gestellt und es kam zum offenen Konflikt. Reinle sah sich aber außerstande, eindeutig Partei für den Amtsrichter zu ergreifen, er schrieb vielmehr an den Kreisleiter von Villingen: 74 "Gewiß ist das, was Sie mir in Ihrem neuen Brief über Amtsgerichtsrat Keßler berichten, recht unerfreulich und rundet das Bild ab, das ich selbst von ihm gewonnen hatte, (... ). Keßler liegt wohl politisch etwas abseitig, ist auch persönlich wenig ansprechend und wird sich in bei dem nie so entwickeln, wie es notwendig wäre. Ich bin deshalb auch wie ich Ihnen gleichfalls schrieb, gewillt, ihn bei sich bietender Gelegenheit von V iIIingen wegzuversetzen."
In der Sache trat Reinle allerdings dem Amtsrichter vorsichtig bei. Der Justizinspektor hätte seinem Vorgesetzten sicherlich in drei Worten erklären können, wohin er gehe. "Kein Dienstvorstand macht heutzutage einem Untergebenen schikanöse Schwierigkeiten, wenn er für die Partei tätig werden muß, auch Keßler wird das nicht tun. dazu ist er viel zu gut im Bilde darüber, wie man politisch über ihn denkt."
Reinle sprach dann noch die Bitte aus, die Sache nunmehr auf sich beruhen zu lassen. Damit war aber in die Villinger Verhältnisse keineswegs Ruhe eingekehrt. Bereits etwa einen Monat später, am 2. September, mußte sich Reinle an das Gaurechtsamt wenden, da es in Villingen zum offenen Eklat gekommen war.'5 Amtsgerichtsrat Keßler hatte gegen einen Zeugen Maier, der wohl der örtlichen NSDAP-Ortsgruppe angehörte, eine Ordnungsstrafe verhängt, was das Gaurechtsamt auf den Plan gerufen hatte. Reinle wurde zur Stellungnahme aufgefordert. Er schrieb, daß sich der Zeuge ausweislich des Sitzungsprotokolls unbeherrscht und ungebührlich benommen habe. Derartige Entscheidungen unterfielen zudem der richterlichen Unabhängigkeit.
74
Schreiben vom 3.7.37 (GLA 240/1987/53/603).
75
(GLA ibid.).
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"Ich kann deshalb insbesondere nicht nachprüfen, ob es zweckmäßig war, gegen einen unbeherrschten und aufgeregten Zeugen, dem die anständige Gesinnung ohne weiteres zugebilligt wird, sofort Ordnungsstrafe zu verhängen."
Er könne daher dem AG-Rat Keßler keine förmliche Rüge erteilen und bitte, den Antragsteller dahin zu verständigen. Reinle war aber mit dem Amtsrichter unzufrieden, denn er setzte hinzu: "Vertraulich füge ich folgendes bei: Ich habe Anlaß genommen, mit AG-Rat Keßler, der bei mir erschienen ist, wegen dieses und anderen Vorfälle Rücksprache zu nehmen. Hierbei habe ich ihm bedeutet, daß mir die Wahl des Ordnungsmittels nicht genügend geprüft überlegt erscheine. Er wies demgegenüber darauf hin, daß hierbei die gesamten Verhältnisse, wie sie in Villingen vorherrschten, mitberUcksichtigt werden mUßten. Es werde dort gegen Beamte und besonders gegen höhere Beamte, Dienstvorstände, von gewisser Partei seite eine, gelinde ausgedrückt, wenig freundliche Haltung eingenommen.( ... ) Die versteckten Angriffe gegen seine Person nötigten ihn, sich seiner Haut zu wehren, wo es nötig sei. Im Fall Maier sei der Saal mit Parteigenossen und politischen Leitern gefUllt gewesen, die Stimmung ausgesprochen bedrohlich gewesen. Maier habe sich provozierend verhalten. Deshalb sei notwendig gewesen, von vornherein die Autorität des Gerichts sicherzustellen. Daß dies nicht einmal voll gelungen sei, beweise die Thtsache, daß während der Beratung - also in Abwesenheit des Richters - eine Zeugin Kempf, die zu Gunsten des Juden ausgesagt hatte, im Gerichtssaal zwangsweise an den Händen festgehalten und dann von dem Ortsgruppenleiter Reichert fotografiert worden sei; nach Schluß der Sitzung habe sich der Strafverteidiger in einem Abort eingeschlossen, während die Zeugin Kempf sich in ein Dienstzimmer des Amtsgerichts geflüchtet habe, beides aus Furcht vor der drohenden Haltung einiger Pg's. Ich werde Gelegenheit nehmen, auf die Sache in einer mündlichen Rücksprache noch näher einzugehen. Ich stelle nur fest, daß es mir fernliegt, Amtsgerichtsrat Keßler gerade in der Sache Maier in Schutz zu nehmen, daß darüber hinaus aber die Sache nicht so weit gediehen wäre, wenn nicht eine zum Teil unbegründete Hetze gegen den Richter getrieben würde und in Villingen nicht allgemein manchmal noch Methoden des politischen Kampfes üblich wären, die andernwärts längst als mehr schadend denn nUtzend außer Übung gekommen sind."
Diese Vorfälle sind sicher in mehrerlei Hinsicht bezeichnend. Einmal zeigen sie, in welch ein Klima Prozesse geraten konnten, die in irgendeiner Weise politisch brisant waren und bei denen die örtlichen NSDAP-Funktionäre den Eindruck gewannen, es werde nicht in nationalsozialistischem Sinne "Recht" gesprochen. Sie belegen auch, daß Amtsrichter, die aus ihrer regimefeindlichen Haltung keinen Hehl machten, dem Terror der lokalen Parteigrößen nahezu allein gegenüberstanden. Reinle sah sich zu einer eindeutigen Stellungnahme für den Richter nicht in der Lage, obwohl die Vorgänge einen massiven Eingriff in die Rechtspflege darstellten. Eine Zeugin wurde gedemütigt, der Verteidiger
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mußte sich verbergen, um nicht hilflos dem Zorn der Pg's ausgeliefert zu sein. Trotzdem wird dem Zeugen die lautere Gesinnung ohne weiteres zugestanden, und Reinle mußte einräumen, daß es ihm fernliege, den Amtsrichter in Schutz zu nehmen. Wie aus der Reaktion Reinles deutlich wird, sah er den Grund für derartige Konflikte in der unzulänglichen politischen Einstellung des Richters und nur sekundär in der unzähmbaren Aggressivität der lokalen Parteimitglieder. Man würde hier jedoch sicherlich zu kurz greifen, wenn man diese Reaktion Reinles allein der Tatsache zuschriebe, daß er selbst Parteigenosse war. Reinle wußte sicher allzu gut, daß derartige Vorkommnisse, sollten sie Überhand nehmen, jede Form der Rechtspflege, auch die von ihm erstrebte nationalsozialistische, unmöglich machen würden. Man wird es sicherlich nicht zuletzt den Auswirkungen der oben beschriebenen Pressekampagne zuschreiben müssen, daß eine eindeutige Reaktion zu diesem Zeitpunkt unmöglich war. Das Ansehen der Justiz war stark geschädigt, und Richter wie Keßler, die offen opponierten, waren nicht mit Hinweisen auf richterliche Unabhängigkeit zu verteidigen. Sie konnten kaum in Schutz genommen werden. Daß derartige Vorkommnisse und die Pressekampagne in "Stürmer" und "Schwarzem Korps" die Richter und Staatsanwälte tief verunsicherten kann als gewiß angenommen werden. Zumindest was die so schädliche Artikelserie anbelangte, war zu hoffen, daß die Unterredung Gürtners mit Himmler vom 1. Februar 1939 eine unmittelbare Entspannung der Lage bringen würde. Sicher war man auch der Meinung, daß, wenn nicht sofort, so doch in absehbarer Zei t das Ansehen der Justiz wieder wachsen würde und mi t einem Nachlassen der Übergriffe von seiten der Partei zu rechnen sei. Die Besprechung Gürtners mit Himmler und deren für die Justiz erfreulicher Ausgang wurde den Präsidenten der Landgerichte und der großen Amtsgerichte von Reinle am 8. März 1939 in einem Schreiben mitgeteile 6 ,,Zwischen dem Herrn Reichminister der Justiz und dem ReichsfUhrer-SS Himmler hat eine längere und ausfUhrliche Aussprache stattgefunden, in deren Verlauf der Herr Minister auf sämtliche im ,Schw. Korps' besprochenen Fälle einzeln ihrer Fassung und ihrem sachlichen Gehalt nach einzugehen Gelegenheit haUe. Der ReichsfUhrer-SS sprach seine Meinung dahin aus, daß er die Angriffe schon allein ihrer Form nach nicht billigen könne, daß er es aber besonders bedauere, daß in verschiedenen der Artikel die Wcthrheit entstellt worden sei. Als Ergebnis wurde ein Abkommen getroffen, das ein weiteres Erscheinen ähnlicher Angriffe gegen die Justiz fUr die Zukunft verhindern soll. Ein gewisser Erfolg dieses Abkommens ist in den letzten Nummern den ,Schw. Korps' auch bereits zu beachten gewesen. Wegen der Wiedergutmachung der 76
(GLA 240119871531662).
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Ehrkränkungen, die einzelnen Richtern widerfahren ist, sind geeignete Schritte unternommen."
Auch Gürtner informierte diejustizbehörden in einem weiteren Rundschreiben vom 28. März 1939 77 über die Ergebnisse der Unterredung mit Hinunler und bemühte sich, so gut es ging, die verunsicherten Richter und Staatsanwälte zu beruhigen. Die justizfeindlichen Veröffentlichungen im "Schwarzen Korps" unterblieben in der Folgezeit tatsächlich. Es wurden sogar einige Entscheidungen für ihre Übereinstimmung mit dem gesunden Volksempfinden lobend hervorgehoben. 78 Diese Zurückhaltung währte allerdings nur bis zum Kriegsbeginn, dann setzte die Zeitschrift ihre Urteils schelte fort. Man muß jedoch bezweifeln, ob durch die Einstellung der Pressekampagne und die wenigen Urteile, die lobend erwähnt wurden, das angegriffene Image der Justiz entscheidend verbessert wurde. Es kann darüber spekuliert werden, ob es tatsächlich zu einem dauerhaften Arrangement zwischen Partei und Justiz gekommen wäre, wenn der Krieg ausgeblieben wäre. Durch den Ausbruch des Krieges aber und die daraus resultierenden Schwierigkeiten, die aus Sicht der Partei eine immer straffere Führung erforderlich machten, wurde der Autoritätsverlust der Justiz stark beschleunigt und deren Instrumentalisierung weiter vorangetrieben.
77
(GLA 240/1987/53/662).
78
Siehe •.Das Schwarze Korps" v. 23.2.39, S. 9, Artikel: ..Ein netter Kommentar".
Kapitel 5
Die Kriegsjahre A. Kriegsausbruch, Personalnot, Vereinfachung der Rechtspflege Nach Kriegsausbruch am 1. September 1939 wurde die Stadt Karlsruhe von der Zivilbevölkerung geräumt. Am Oberlandesgericht wurde am 4. September der Stillstand der Rechtspflege angeordnet, der allerdings nur bis zum 13. September 1939 andauerte.· Wegen der unmittelbaren Nachbarschaft Badens mit Frankreich erschien die badische Bevölkerung durch den Krieg besonders gefahrdet. Reinle berichtete dem Reichsjustizprüfungsamt in Stuttgart am 5. September: 2 "Abgesehen von der allgemeinen Inanspruchnahme der Nerven durch die zunehmenden MobiJisierungsmaßnahmen, den Kriegsausbruch mit Polen und die Haltung Englands und Frankreichs war hier in Karlsruhe die Stimmung besonders gespannt, weil schon seit Tagen die Räumungsvorbereitungen und die Räumung der Stadt von der Zivilbevölkerung durchgeführt werden. Dies macht sich naturgemäß in den Familien oder in den Gasthäusern, (... ), stark bemerkbar, teilweise auch in der Versorgung. Wenn auch die Stimmung in der Bevölkerung äußerlich ruhig war, so wird und ist sie doch fühlbar angespannt. Zudem war in meinen Diensträumen in diesen Tagen wegen der nötigen Räumungsvorbereitungen (Packen der wichtigsten Akten und Materialien) ein sehr unruhiger Betrieb."
Dies änderte sich mit den Anfangserfolgen der Wehrmacht, die Baden dem unmittelbaren Frontbereich entzogen.3
• Schreiben des Senatspräsidenten Winter an die Anwaltschaft vom 8.9.39 (GLA 240/380). 2
(GLA 240/1987/53/270).
Am 10. Mai 1940 hatte die "Westoffensive" begonnen, die mit dem Waffenstillstand am 25. Juni 1940 ihren Abschluß fand. 3
A. Kriegsausbruch, PersonaInot, Vereinfachung der Rechtspflege
157
Am 4. Juli 1940 gab der Chef der Zivilverwaltung Heimat aus Stuttgart bekannt, daß das Operationsgebiet der Wehrmacht nunmehr auf die besetzten französischen, belgisehen und luxemburgischen Gebiete beschränkt werde, 4 nachdem die Bevölkerung allem Anschein nach mit stillschweigender Duldung schon im November 1939 weitgehend zurückgekehrt war. 5 Für die Bevölkerung bedeutete der Kriegsbeginn auch, daß sie in viel weiterem Umfang als vor dem Krieg mit der Verwaltung in Berührung kam. Die Sorge der Machthaber ging nun dahin, daß durch unfreundliche Beamte Unruhe und Unzufriedenheit in die Bevölkerung getragen werden könnte. Am 28. November 1939 6 wurde den Gerichten vom Reichsjustizministerium zwei Erlasse übersandt, einer von Generalfeldmarschall Göring und einer von Frick, der inzwischen zum Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung ernannt worden war. Göring forderte die Beamten auf, "in freundschaftlicher und kameradschaftlicher Weise Auskunft zu erteilen" und "unnötiges Schlangestehen der Antragsteller" unbedingt zu vermeiden. Einen ähnlichen Tenor hatte auch der Erlaß Fricks. Erlasse diesen Inhalts wurden während des Krieges mehrmals wiederhole So wandte sich am 19. Juli 1941 auch die Gauleitung an die Beamtenschaft:' "Der als Erscheinung aus Preußens Geschichte überlieferte sogenannte Beamtenton ist in manchen Hirnen Deutscher Beamten und sonstiger Behördenbediensteten auch heute noch nicht ausgetilgt. Mag dieser harte und herrschende Ton in vergangenen Zeiten zur Aufrechterhaltung einer strengen Zucht erklärlich gewesen sein, im nationalsozialistischen Staat jedenfalls ist er falsch und verwerflich. Jeder Beamte muß sich im Vollzug seiner Aufgabe und damit im Verkehr mit anderen Volksgenossen bewußt sein, daß er mitberufen ist, im Alltag eine Weltanschauung darzustellen. ( ... ) Ob gewollt oder ungewollt sind sie [Beamte, die kein hilfsbereites Entgegenkommen im Rahmen bestehender Gesetze und Verordnungen zeigen, Verf.] Schädlinge an der Stimmung im Volke und darüberhinaus am Ansehen der Beamtenschaft."
Auch sonst wurde die Beamtenschaft nach Kriegsbeginn stärker in die Pflicht genommen. Reinle und der Karlsruher Generalstaatsanwalt Frey teilten den Vorständen der Justizbehörden am 13. März 1940 mit, daß einem Wunsche
5
Bekanntmachung des CdZ vom 4.7.40 (GLA 240/1987/53/870). Siehe Bericht an RJM vom 10.11.39 (GLA 240/1987/53/878).
6
(GLA 240/1987/53/165).
4
7 Erlaß des RJM vom 11.4.42 und erneute Bekanntgabe der Erlasse von Göring und Frick (GLA 240/1987/53/165). 8 Auch dieser Erlaß wurde wiederholt, Abschrift bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/53/165).
158
Kap. 5: Die Kriegsjahre
des Reichsstatthalters entsprechend die Beamten gerade im Kriege wieder stärker von der "Propaganda und Schulung" erfaßt werden sollten, "um die einheitliche geschlossene Willensbildung der Gefolgschaft zu fördern und sie in ihrem Opferwillen, ihrer Einsatzbereitschaft ihrem unerschütterlichen Glau ben und ihrer Treue zu Führer und Volk immer wieder erneut zu stärken und zu festigen." Reime und Frey erteilten deshalb Richtlinien für die Schulungen und warben für die Durchführung derartiger Veranstaltungen. 9 "Wenn wir auch der Überzeugung sind, daß die Beamten und Angestellten der Justizverwaltung den Sinn und die Größe derZeit erfaßt haben und dem ohnehin in ihrer Haltung Rechnung tragen, so werden die Gemeinschaftsveranstaltungen doch jeweils ein geeignetes Mittel sein, das Verständnis fUr die besonderen Aufgaben der Kriegszeit immer wieder erneut zu wecken und zu vertiefen und dazu beizutragen, daß die Gefolgschaft auch der Justizverwaltung innerlich wie äußerlich ein Vorbild fUr die übrige Bevölkerung abgibt."
Sofort nach Kriegsbeginn wurde ein Großteil des Justizpersonals zur Wehrmacht eingezogen. Die dadurch bedingte Personalverknappung war in den nächsten Jahren ein Dauerproblem der Justiz. Schon am 1. September 1939 wurde in einer Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiet des BeamtenrechtsI 0 bestimmt, daß Beamte auf Lebenszeit bis auf weiteres nicht mehr in den Ruhestand treten sollten. Am 28. September unterrichtete Reime die Beamten hiervon, deren Zuruhesetzung bereits verfügt war.11 Im Sommer 1940 wurden auch bereits pensionierte Beamte wieder eingestellt. Am Oberlandesgericht betraf dies die Oberlandesgerichtsräte Rupp, Koelle und Diebold und den ehemaligen Oberlandesgerichts präsidenten Buzengeiger, der den Vorsitz im dritten Zivilsenat übernahm. I2 Später nahm man dann noch Juristen deutscher Abstammung in den Justizdienst auf, die aus den besetzten Ostgebieten in das Reich gekommen waren. 13 Die Personalsorgen löste das sicher nicht. 14 Am 10. April 1940 schrieb Reime an das Reichsjustizministerium:
9
Erlaß vom 13.3.40 (GLA 240/1987/53/133).
10
RGB!. I S. 1603.
12
(GLA 240/1987/53/156). Liste der wiedereingestellten Richter (GLA 240/1987/53/151).
13
Siehe Rundschreiben des RJM vom 26.6.41 (GLA 240/1987/53/198).
11
Auf eine VerfUgung Freislers vom 30.3.1940, in der angeordnet wurde, daß der Jahresurlaub fUr das Jahr 1939 auch später genommen werden könne, also nicht verfalle, setzte Reinle die Bemerkung: "W ie soll man das möglich machen mit dem geringen Personal und wo der Urlaub 1940 auch schon vor der TUr steht." 14
A. Kriegsausbruch, Personal not, Vereinfachung der Rechtspflege
159
"Die Personalverhältnisse innerhalb des Oberlandesgerichtsbezirks haben sich durch neuerliche Einberufungen in einer Weise zugespitzt, daß mir die notwendigste Besetzung der Gerichte und Notariate ernstliche Sorgen bereitet. Die Einberufungen erfolgen in Baden in einem größeren Umfang als in anderen Teilen des Reiches. Trotz des Einsatzes von Ruhestandsbeamten bin ich heute fast ohne jegliche Personalreserven. Aus dem Kreis der Rechtsanwälte, deren Verwendung genehmigt wurde, kann ich im Augenblick keinen Ersatz finden, da die in Frage kommenden Anwälte - soweit sie nicht selbst einberufen sind- nicht sofort verfUgbar sind. Dazu muß ich mit weiteren Einberufungen rechnen. (... ) Ein Ersatz ist aber unumgänglich notwendig, da bei weiteren Ausfällen bei den Gerichten anfallende Arbeit von den verbliebenen Beamten nicht mehr bewältigt werden kann."
Die Auswirkungen des Personalmangels ließen sich durch immer weitere Vereinfachungsnovellen nicht beheben und wurden auch nicht durch den mit dem Kriege einhergehenden Rückgang der Zivilsachen gemildert. Im Dezember 1939 verfügte der Oberlandesgerichtsbezirk über 423 Planstellen des höheren Dienstes einschließlich der Notariate. Davon waren 311 Stellen besetzt, was einer Quote von etwa 73 ,5 % entspricht. Diese Quote blieb in etwa konstant, sie stieg sogar im Oktober 1940 einmal kurzfristig auf nahezu 79 %, wohl wegen der Aufgaben im Elsaß, ging dann aber wieder auf etwa 70 % zurück. Im Januar 1942 sank sie auf 64 % und ging bis zum Ende des Jahres 1943 auf 50 %zurück. ImJanuar 1945 waren von inzwischen 467 Planstellen 178 besetzt, was einer Besetzung von 38 % entspricht. 15 Für das Oberlandesgericht selbst liegen genaue Zahlen nicht für die gesamte Kriegsdauer vor. Am 31. Mai 1942 waren noch 24 Beamte des höheren Dienstes am Oberlandesgericht beschäftigt, davon 9 in der Verwaltungsabteilung und 15 in der Richterlichen. Die Zahl ging bis zum Mai 1943 auf 22 zurück, wovon 14 in der Richterlichen Abteilung und 8 in der Verwaltungsabteilung tätig waren. 16 Im Februar 1945 verfügte das Gericht noch über 9 Kräfte des höheren Dienstes, die sowohl Verwaltungs- als auch richterliche Aufgaben wahrnahmen, soweit diese überhaupt noch geleistet werden konnten. 17 Dieser letzte Rest an richterlichen Kräften war nach der zweiten Kriegsmaßnahmeverordnung noch 15 Eine Aufstellung Uber die Besetzung der Planstellen im Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe findet sich bei den Akten des Gerichts, dort auch Bericht an den RJM laut RundverfUgung vom 30.9.39 (GLA 240/1987/53/136). 16 Übersicht Uber den Personal bestand des Oberlandesgerichts während des Krieges bei den Akten des Gerichts (GLA240/1987/53/136). 17 Siehe Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19.2.45 (GLA 240/1987/53/415).
160
Kap. 5: Die Kriegsjahre
verblieben. Zuvor waren es noch 13 Richter in der richterlichen Abteilung gewesen, von denen drei zum Heeresdienst freigegeben wurden und vier für anderweitige Tätigkeiten in der JustiZ. IB Man war beim Oberlandesgericht beständig bemüht, beim Generalkommando in Stuttgart und beim Wehrbereichskommando in Karlsruhe die Freistellung von richterlichen Kräften zu erreichen. Diesen Bemühungen war jedoch mit fortschreitender Verschlechterung der Kriegslage in immer geringerem Umfang &folg beschieden. I 9 Am 14. Januar 1942 berichteten Reinle und Frey dem Reichsjustizminister: 20 "Infolge er Einberufungswellen der letzten Wochen ist der Mindestbedarf nicht mehr gedeckt, jedoch werden wir im Rahmen des Möglichen weiterhin versuchen, wenigstens die Schlagkraft der Strafrechtspllege aufrecht zu erhalten, in der ohnehin der größte Teil der noch zur Verfügung verbliebenen jUngeren, besonders leistungsfähigen Kräfte bereits tätig ist."
Reinle kündigte ferner an, daß es ihm in Zukunft unmöglich sein werde, Kräfte an dieS taatsanwal tschaft abzugeben, da die Personal verknappung in zwischen soweit fortgeschritten sei, daß sogar der Bestand des Sondergerichts Mannheim gefährdet erscheine. Mit zunehmender Verschärfung der Personallage hätte sicherlich nichts näher gelegen, als Frauen mit Befähigung zum Richteramt einzustellen. Dies war jedoch nicht möglich, denn das Reichsjustizministeriuminformierte die Oberlandesgerichtspräsidenten: 21 ..Der Führer hat allgemein zum Ausdruck gebracht, daß Frauen im richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienst nicht verwendet werden sollen." Im Sommer 1944 sah Reinle sich sogar genötigt für die zwei noch verbliebenen Richter, die als ..jüdische Mischlinge" galten, Partei zu ergreifen, da er die Kräfte dringend brauchte. Das Reichsjustizministerium hatte festgestellt,22 daß neben diesen beiden Kräften auch noch ein .. volljüdisch versippter" Richter im OberlandesgerichtsbezirkKarlsruhe tätig war und wollte wissen, ob diese Kräfte für den Justizdienst tatsächlich unentbehrlich waren. Amtsgerichtsrat Martens aus 18 Siehe Bericht des Oberlandesgerichtspräsidenten an den RJM vom 1.2.45 (GLA 240/1987/53/231 ). 19
(Vorgänge hierzu GLA 240/1987/53/871).
20
(GLA 240/1987/53/879).
21
VerfUgung vom 4.7.44 an die OLG-Präsidenten (GLA 240/1987/53/231).
22
Schreiben an das Oberlandesgericht vom 4.7.44 (GLA 240/1987/53/232).
A. Kriegsausbruch, Personalnot, Vereinfachung der Rechtspflege
161
Mannheim, der mit einer Jüdin verheiratet war , war aber inzwischen zur Organisation Todt eingezogen, ohne daß zuvor die Zustimmung des Oberlandesgerichtspräsidenteneingeholt worden wäre, wie Reinle betonte. Die beiden anderen Richter waren mit Zivilsachen befaßt. Reinle bat darum, sie, ..wenn irgend angängig", im Dienste belassen zu dürfen, mit dem Anfügen: .. ( ... ) wenn ich auch nicht übersehe, daß jüdische Mischlinge und jüdisch Versippte als Richter auf die Dauer unerwünscht erscheinen." H Die ..Mischlingseigenschaft" sei bisher weitgehend unbekannt geblieben, insbesondere habe auch die NSDAP die Entfernung bislang noch nicht angeregt. "Da der Gau Baden-Elsaß seit 1940 von Juden völlig gesäubert ist, haben die Genannten auch keinenjUdischen Sippenanhang mehr."
Beide Richter hatten zudem am ersten Weltkrieg teilgenommen, der eine war schwerkriegsbeschädigt. Das Reichsjustizministerium war bemüht, der Personal verknappung mit immer neuen Vereinfachungen des Verfahrens entgegenzuwirken. Am 1. September 1939 trat die Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege, die sogenannte Vereinfachungsverordnung,in Kraft. 24 Für die Zivilsachen wurde in § 5 bestimmt, daß die Landgerichte und die Kammern für Handelssachen in der Besetzung von einem Richter entscheiden sollten. Die Wertgrenze für die Zuständigkeit der Amtsgerichte wurde auf 1500,- RM erhöht. Für die Berufung wurde in Streitigkeitenüber vermögensrechtliche Ansprüche eine Wertgrenze von 500,- RM, für die Revision eine Wertgrenze von 10.000,- RM eingeführt. Gleichzeitig wurden jedoch die Oberlandesgerichte für die Berufungen gegen die Urteile der Amtsgerichte zuständig. Dieletztgenannte Bestimmung wurde jedoch etwa ein Jahr später wieder aufgehoben. 2S In Strafsachen ging nach § 13 die Zuständigkeit des Schöffengerichts auf den Amtsrichter, die Zuständigkeit des Schwurgerichts auf die Strafkammer über. An die Stelle der kleinen und großen Strafkammer trat die mit drei Berufs richtern besetzte Strafkammer, § 14. Die für die Oberlandesgerichte bedeutsamste Regelung bestand in der Abschaffung der Revisionszuständigkeit der Oberlandesgerichte in Strafsachen. Nach § 16 konnten Urteile des Amts-
H
Schreiben Reinles an den RJM vom 18.7.44 (GLA 240/1987/53/232).
24
RGBI. I S. 1658.
2S
Verordnung zur Änderung der VereinfachungsVO vom 18.9.40, RGBI. I S. 1253.
11 Schiller
162
Kap. 5: Die Kriegsjahre
richters und des Schöffengerichts nur mit der Berufung angefochten werden. Gegen diese Urteile war ein weiteres Rechtsmittel unzulässig. Damit hatte das Oberlandesgericht seine Urteilskompetenz in Strafsachen eingebüßt, nachdem man 1937 bereits die erstinstanzlicheZuständigkeit verloren hatte. Neben der Vereinfachung des Instanzenzuges wurde die Rechtsstaatlichkeit auch dadurch weiter beseitigt, daß in § 19 die Zuständigkeit der Sondergerichte auf alle Straftaten erweitert wurde, bei denen die Staatsanwaltschaft der Auffassung war, daß sie die öffentliche Ordnung oder die Sicherheit besonders schwer gefährdet hätten. Die §§ 22 und 23 betrafen die Erweiterung des Schnellverfahrens und des Strafbefehlsverfahrens. § 24 ermöglichte es, Beweisanträge abzulehnen, wenn sie nach dem freien Ennessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit als nicht erforderlich erschienen. Am Oberlandesgericht dürfte sich der Verlust der Zuständigkeit für die Revisionsentscheidungenin Strafsachen kaum merklich ausgewirkt haben. Auch in Zivilsachen war sicher keine wesentliche Entlastung des Oberlandesgerichts spürbar. Die Zuständigkeit für die Berufung gegen Urteile in Ehesachen war ja erhalten geblieben, was das Gros der Geschäfte ausmachte. Daneben war eine neue Zuständigkeit als Berufungsinstanz für die amts richterlichen Urteile begründet worden. Im Jahr 1940 war über 757 Berufungen und 399 Beschwerden in Zivilsachen zu entscheiden. 26 1938 waren es 774 Berufungen und 620 Beschwerden gewesen. 27 Eine wesentliche Entlastung war also nicht eingetreten. Daß die vermögensrechtlichen Streitigkeiten insgesamt zurückgegangen waren, wird aber an mehreren Stellen erwähnt und kann auch unterstellt werden. 28 Ein deutlicher Rückgang der Berufungen erfolgte dann aber bereits in der ersten Hälfte des Jahres 1940. In diesem Zeitraum waren nur noch 230 Berufungen und 175 Beschwerden in Zivilsachen eingegangen. 29 Rechnet man diese Zahl auf das gesamte Jahr hoch, so lag der Geschäftsanfall um etwa ein Drittel niedriger als im Jahre 1940. 26
Bericht an RJM vom 19.3.41 zur 2. VereinfachungsVO (GLA 240/1987/53/424).
27 Zahlen fUr 1939 liegen nicht vor. Zahlen fUr 1938 in der Übersicht Uber die Geschäftsbelastung und die Verwendung der Richterkräfte beim Oberlandesgericht (GLA 240/1987/531744). 28 Siehe etwa Bericht des Landgerichts Konstanz vom 6.1.40: "GegenUber den drei Monaten vor Kriegsausbruch ist ein starker RUckgang der vennögensrechtlichen Klagen, in den letzten vier Monaten des 1ahres auch ein erheblicher, wenn auch nicht so starker vergleichs weiser RUckgang der Ehe- und Kindschaftssachen festzustellen." (GLA 240/1987/53/424). 29 Bericht wie FN 9 (GLA 240/1987/53/424).
A. Kriegsausbruch, Personal not, Vereinfachung der Rechtspflege
163
Für das Zivilrecht trat ebenfaIIs am 1. September 1939 die Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete des bürgerlichen Streitverfahrens, der ZwangsvoIIstreckung, des Konkurses und des bürgerlichen Rechts in Kraft, 3 0 die aber dem Schutz von Kriegsbetroffenen und nicht der Entlastung der Gerichte diente. Nach dieser Verordnung konnten Prozesse gegen Personen, die als Wehrmachtsangehörigeoder in ähnlicher Weise vom Krieg betroffen waren, unterbrochen werden. Wenn es zur Verhütung wesentlicher Nachteile für die eine oder die andere Partei erforderlich erschien, so konnte ein Vertreter bestellt werden. Ferner wurde eine weitgehende Einschränkung der Zwangsvollstreckung bestimmt. Die zweite Vereinfachungsverordnung vom 18. September 1940 31 hob die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für Berufungen gegen Urteile der Amtsgerichte wieder auf und bestimmte die Besetzung der Landgerichte neu. Eine wesentliche Entlastung der richterlichen Kräfte des Oberlandesgerichts trat jedoch nicht ein, wie der Vizepräsident Dr. Ruoff dem Reichsjustizministerium meldete.32 Die Dritte Vereinfachungsverordnung vom 16. Mai 1942 33 ermöglichte eine erweiterte Heranziehung von Hilfskräften. So konnten Referendare in erweitertem Umfang mit richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Aufgaben betraut werden. Die Berufungssumme wurde auf 500 RM erhöht, die Beschwerde im zivilprozessualen Verfahren eingeschränkt und die Möglichkeit eröffnet, offensichtlich unbegründete Berufungen und Revisionen durch Beschluß zu verwerfen. Ferner wurde die Möglichkeit zur Präklusion von Partei vorbringen erweitert und die Kostenentscheidung nach übereinstimmender Erledigungserklärung vereinfacht. Einem Bericht Reinles zufolge 34 waren die Auswirkungen "durchweg sehr gering". Wegen der vielen S terbefaIle seien die Geschäfte der freiwiIIigen Gerichtsbarkeit stark angestiegen. Am Oberlandesgericht sei eine weitere Einsparung an Richterkräften nicht möglich, da in zwei der drei Senate die Berufungen und Armenrechtsgesuche sogar zugenommen hätten und nur noch ältere Richter dort beschäftigt seien, die zum Teil die Altersgrenze bereits 30 31
RGBI. I S. 1656. RGBI. I S. 1253.
32 Bericht vom 19.3.41 an das Reichsjustizministerium tiber die Auswirkungen der zweiten Vereinfachungsverordnung (GLA 240/1987/53/424).
33
RGBI. I S. 333.
34 Bericht des Oberlandesgerichtspräsidenten an den RJM vom 12.01.43 (GLA 240/ 1987/53/743).
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Kap. 5: Die Kriegsjahre
überschritten hätten. Referendare mit richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Tätigkeiten zu betrauen, sei kaum möglich, da die Referendare fast alle einberufen seien. Auch die Erhöhung der Berufungssumme habe sich nicht ausgewirkt, da sie die Räumungssachen, die ein Großteil der Geschäfte ausmachten, nicht erfasse. Eine Präklusion von neuem Vorbringen sei vielfach nicht möglich, da oftmals Wehrmachtsangehörige beteiligt seien und im Interesse der materiellen Gerechtigkeit keine Präklusion erfolgen könne. Allgemein sei festzustellen, "daß die vielen Gesetzesänderungen und Neuerungen der letzten Jahre den Richtern die Arbeit ganz wesentlich erschweren, da sie oft lange Zeit die einschlägigen Bestimmungen zusammensuchen müssen, eine geistige Arbeit, die zeitraubender und anstrengender ist als die Arbeit mit dem gewohnten Rüstzeug und statistisch nirgends zum Ausdruck kommt." Eine weitere ,,verordnung zur Vereinfachung der Strafrechtspflege" erging am 13. August 1942,15 die die Rechte der Beschuldigten noch weiter beschränkte. Artikel 1 beseitigte den Eröffnungsbeschluß, Artikel 2 erweiterte die Strafgewalt des Amtsrichters auf die Verhängung von Zuchthausstrafen bis zufünf Jahren. Die Zulässigkeitdes Strafbefehls wurde erneut erweitert, ferner wurde den Vorsitzenden die Möglichkeit eröffnet, in Sitzungen der Strafkammer, des Sondergerichts und der Strafsenate beim Oberlandesgericht allein zu entscheiden. Der Staatsanwalt konnte auf die Teilnahme an der Hauptverhandlung verzichten, auch auf die Zuziehung eines Schriftführers konnte verzichtet werden. Die Rechtsmittel des Beschuldigten wurden nach Artikel 7 eingeschränkt, so daß die Berufung einer besonderen Zulassung bedurfte. Für den Oberreichsanwaltdagegen wurde die Nichtigkeitsbeschwerde eingeführt. Artikel 8 vereinfachte das Privatklageverfahren, Artikel 9 brachte umfangreiche Änderungen der RStPO. So wurde das Verfahren für Zustellungen und Ladungen vereinfacht und das Opportunitätsprinzip erweitert, während das Klageerzwingungsverfahren abgeschafft wurde. Die Verhandlung gegen abwesende Angeklagte wurde erleichtert, genauso wie die Nachtragsklage, um nur die bedeutsamsten Veriinderungen zu nennen. Nachdem Reinle in einem ersten Bericht hierzu 36 keine Entlastung durch die Neuerungen festgestellt haben wollte, berichtete er später 37 die Vereinfachung habe sich bewährt. Die erweiterte Strafgewalt der Amtsrichter und die Tatsache, daß immer mehr Fälle vor dem Sondergericht angeklagt würden, habe zu 3S
ROBt. I S. 508.
36
Bericht an den RJM vom 12.1.43 (GLA 240/1987/53/743).
37
Bericht vom 3.5.43 (GLA ibid.).
A. Kriegsausbruch, Personalnot, Vereinfachung der Rechtspflege
165
einer Entlastung der Strafkammern geführt. Die Vorschrift über die Hauptverhandlung in kleinerer Besetzung finde wegen der Schwierigkeit der Fälle kaum Anwendung, der Verzicht auf die Schriftführer belaste die Richter zusätzlich. Die Privatklagesachen seien dagegen stark zurückgegangen. Einem Bericht Reinles 3s aus dem Jahre 1943 zufolge stellten die Scheidungssachen die Haupttätigkeit der Landgerichte und Oberlandesgerichte in Zivilsachen dar. Reinle meinte, eine wirksame Entlastung der Gerichte müsse vor allem hier ansetzen. Insbesondere sollte man sogenannte Kavaliersscheidungennicht verhindern. In der nächsten Vereinfachungs verordnung , der sogenannten "Kriegsmaßnahrneverordnung" nebst Kriegs-Beschwerdeordnung und Durchführungsverordnung vom 12. Mai 1943,39 griff man diese Vorschläge auf. Die wichtigste Neuerung war, daß nach § 1 nichtkriegsdringliche Rechtssachen durch unanfechtbaren Beschluß zurückgestellt werden konnten. Nach den Erläuterungen des Reichsjustizministeriums hierzu 40 sollte es bei HIesachen auf den Einzelfall ankommen, etwa die Dauer der Ehe und die Zahl der Kinder. Auch ob der Ehemann Frontkämpfer war, spielte eine Rolle, da man es im Interesse der Moral der kämpfenden Truppe nicht dulden wollte, daß dem Ehemann, die Scheidung versagt wurde, obwohl seine Frau Ehebruch begangenhaUe. Schließlich sollte eine Scheidung aus bevölkerungspolitischen Gründen dann kriegswichtig sein, wenn eine baldige Wiederverheiratungsmöglichkeit bestand, bei der mi t Nachkommenschaft zu rechnen war. Bei Mietsachen sollte eine Kriegswichtigkeit in aller Regel dann ausscheiden, wenn das Urteil nicht vollstreckt werden konnte. Nach § 2 wurden die Oberlandesgerichte nun doch wieder Berufungsinstanz für die in Zivilsachen ergangenen Urteile der Amtsgerichte. Die KriegsBeschwerdeordnungschränkte das Beschwerderechtin den Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit ein. Auch über die Auswirkungen dieser Verordnung wurdeein Bericht an das Reichsjustizministeriumerstattet.41 Bereits die Möglichkeit der Zurückstellung mangels Kriegsdringlichkeit habe bewirkt, daß kriegsunwichtige Angelegenheiten nicht mehr vor die Gerichte kämen. Mancherorts habe die Bevölkerung für die Zurückstellung Verständnis, es werde 38
Bericht vom 23.2.43 (OLA 240/1987/53/4.50).
39 Im einzelnen: Kriegsmaßnahmeverordnung, ROBI. I S. 290; Kriegsbeschwerdeverordnung, ROBI. I S. 290; Durchfilhrungsverordnung zur Kriegsmaßnahmenverordnung und zur Kriegs-Beschwerdeordnung, ROSI. I S. 292. 40 41
Erläuterungen zur Kriegsmaßnahmeverordnung (OLA 240/1987/53/879). Bericht Reinles vom 27.8.43 (OLA ibid.).
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Kap. 5: Die Kriegsjahre
aber auch berichtet, daß die Bevölkerung gerade im Krieg es als unbillig empfinde, keinen Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können. Anwälte und Parteien wehrten sich gegen Zurückstellungen. Bei Frontsoldaten sei besondere Zurückhaltung geboten. Allerdings könne auch durch den Hinweis auf die Zurückstellungsmöglichkeit die Vergleichsbereitschaft gefördert werden. In Mietsachen seien kaum Zurückstellungen möglich, da die oftmals unerträglichen Verhältnisse der Streitteile einer Regelung bedürften. Abstammungsrechtsstreitigkeiten würden ebenfalls nicht zurückgestellt. Selbst wenn man unterstellt, daß die Oberlandesgerichtspräsidenten, und so sicher auch Reinle, wenig Neigung verspürten, dem Reichsjustizministerium eine fühlbare Arbeitserleichterung zu melden, da der Verlust weiterer Kräfte die sichere Folge gewesen wäre, so kann trotzdem gesagt werden, daß die Vereinfachungen des Verfahrens den Verlust an Arbeitskräften kaum wettgemacht haben werden. Der Rückgang der Geschäfte in Zivilsachen wurde sicher durch ein Anwachsen der Strafsachen aufgehoben. Inwieweit der Personalmangel nur als Vorwand diente, rechts staatliche Garantien zu beseitigen oder inwieweit er diese Beseitigung auch bedingte, ist nur schwer zu entscheiden. Sicher spielte bei des eine Rolle. Kürzere Verfahren waren im Interesse der abschreckenden Wirkung von Strafverfahren erwünscht, gleichwohl war die Personalnot unverkennbar und erzwang ebenfalls eine Abkürzung der Verfahren.
B. Neue Aufgaben im Elsaß Auf die Tätigkeit des Oberlandesgerichts bei der Justizverwaltung des besetzten Elsaß soll hier nur kurz eingegangen werden. Mit der Besetzung des Elsasses durch deutsche Truppen wurde der Reichsstatthalter Badens, Robert Wagner, zum Chef der Zivilverwaltung ernannt. Die Befugnisse Wagners wurden durch zwei nicht veröffentlichte Führererlasse vom 2. August und vom 18. Oktober 1940 näher bestimmt. Als Chef der Zivilverwaltung unterstand Wagnerunmittelbar Hitler selbst, ohne daß eine Militär- oder Zivilverwaltung zwischengeschaltet gewesen wäre. 42 Diese Form der Herrschaftsstruktur, die für andere besetzte Gebiete ebenfaUs galt, führte zu einer gegenüber dem Reichsgebiet gesteigerten Willkür. Es
42
Hierzu: Bericht des Generalstaatsanwalts an den RJM vom 20.7.1941, S. 1 (GLA
309/1205), siehe auch Kali, DR 1944, S. 266 (266).
B. Neue Aufgaben im Elsaß
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fehlten die für das Reichsgebiet typischen Konflikte zwischen staatlicher Verwaltung und Parteiinstanzen. die sicher keine Gewaltenteilung. aber doch allein wegen immerwährender Kompetenzstreitigkeiten eine gewisse Mäßigung bedingten. 43 Die Gesetzgebungsbefugnis des Ministerrats für die Reichsverteidigung war zudem. einer ausdrücklichen Entscheidung Hitlers zufolge, auf das Reichsgebiet beschränkt,44 so daß der Despotie der Chefs der Zivilverwaltungen in den besetzten Gebieten kaum Grenzen gesetzt waren. Wagner beauftragte nun den Präsidenten des Oberlandesgerichts Reime mit der Wahrnehmung der Justizverwaltung, dieser wiederum den Generalstaatsanwaltmit der Übernahme der Staatsanwaltschaften und Vollzugsanstalten. 4S Die deutsche Herrschaft im Elsaß war, wie auch Reinle in seinen sehr offenen Berichten an das Reichsjustizministerium einräumt, weitgehend unpopulär.46 wofür einmal die oben geschilderten Herrschaftsstrukturen verantwortlich zu machen sind. So nannte Reinle als "einen der Hauptgründe für die schlechte Stimmung ( ... ) die Einrichtung des Konzentrationslagers. ( ... ) mit dem nicht wenige Elsässer schon Bekanntschaft gemacht haben." Reinle, der sicher mit einigem missionarischem Eifer seine Aufgaben im Elsaß übernommen batte, litt unter dem schlechten Ansehen der deutschen Herrschaft bei den Elsässern. Er berichtete dem Reichsjustizministerium,47 er habe Wagner gerade darauf hingewiesen, daß die Haft im Konzentrationslager ohne Möglichkeit der Anrufung der Gerichte als Unrecht empfunden werde. Wagner gab ihm jedoch zur Antwort, "daßdie Einrichtung unentbehrlich sei, wie das ja auch fürs Reich gelte und unter den schwierigen politischen Verhältnissen im Elsaß erst recht gelte, wobei der Herr Reichsstatthalter einen Seitenhieb auf die zu schwerfällige Arbeit der Justiz nicht unterdrücken konnte. (... ) Dazu wäre zu sagen, daß die weit überwiegende Mehrzahl der Tatbestände, die zur Einweisung ins Konzentrationslager führen, einer Behandlung durch die Justiz gar nicht zugänglich ist, weil es sich um keine gesetzlichen Straftatbestände handelt."
Unpopulär war die deutsche Herrschaft auch, weil mit der Besetzung sofort der kriegsbedingte Mangel eintrat, der noch dadurch gesteigert wurde. daß. be-
43 Zu diesen Zusammenhängen Broszat, S. 396f. und 384f. Broszat, S. 384f.
44
4S
Bericht des Generalstaatsanwalts vom 20.7.1941, BI. lf. (GLA 309/1205).
46 Bericht Reinles vom 3.12.42, BI. 5ff. und vom 30.3.44, BI. 4ff. (GLA 309/1205). 47 Bericht Reinles vom 3.12.42, BI. 7 (GLA ibid.).
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Kap. 5: Die Kriegsjahre
günstigt durch unrealistische Wechselkurse, die Geschäfte im Elsaß durch Reichsdeutsche leergekauft wurden. 48 Schließlich klagten selbst die den Deutschen gewogenen Elsässer auch darüber, daß man bei der Besetzung von höheren Verwaltungsstellen fast nur auf Reichsdeutsche, nicht aber auf Elsässer zurückgegriffen habe.49 Auch in der Justiz waren sämtliche PräsidentensteIlen der Landgerichte und die Stellen der Oberstaatsanwälte- letztere aus "naheliegenden Gründen", wie Reinle schrieb, - mi t Deutschen besetzt worden. Dies widersprach Reinles ursprünglichen Absichten. Er sah sich aber wegen der mit der Übernahme deutschen Rechts verbundenen Schwierigkeiten dazu gezwungen. so Mit der Einführung deutschen Rechtshatte man bereits im Sommer 1940 begonnen. Mit Anordnung vom 16. August 1940 wurde Deutsch als Amtssprache eingeführt, was gerade denjüngeren Elsässern, die durch das französische Schulsystem gegangen waren, sicher nicht unerhebliche Schwierigkeiten bereitete. sl Es folgte am 30. August 1940 eine Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen, die das Abhören nichtdeutscher Sender unter Strafe stellte und für die Ahndung gegen Verstöße die Zuständigkeit eines noch zu gründenden Sondergerichts in Straßburg vorsah. 52 Die generelle Einführung deutschen Strafrechts scheiterte zunächst am entgegenstehenden Willen Hitlers. 53 Erst am 10. Januar 1941 erging eine Strafrechtsverordnung,die ab dem 30. Januar gelten sollte und die neben der Einführung des materiellen Strafrechts die Errichtung einer deutschen Strafkammer beim Landgericht Straßburg als erste Instanz und eines Strafsenats am
48
Bericht Freys vom 20.7.41, BI. 4f. und ReinIes vom 3.12.42, BI. 7f. (GLA ibid.).
49
Bericht Reinles vom 2.12.42, BI. 7 (GLA ibid.).
so
Bericht Reinles vom 3.12.42, BI. 8 (GLA ibid.).
51
Bericht Freys vom 20.7.41, BI. 5 (GLA ibid.).
Ein Abdruck der VO findet sich bei den Akten der Generalstaatsanwaltschaft (GLA 309/1987/54/347). In seinem Bericht vom 20.7.41, BI. 14, erwähnt Frey, daß Wagner die Einrichtung zunächst nicht gewtinscht habe. Ob das Sondergericht SIraßburg dann tatsächlich bereits im Sommer 1940 errichtet wurde, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Jedenfalls bestand im Juni 1943 ein Sondergericht in Colmar, wie aus einem Bericht des Landgerichtspräsidenten Straßburg an den OLG-Präsidenten vom 1. 6.43 (GLA 309/1987/541347) folgt, und auch ein Sondergericht in Straßburg. Siehe Aktenvermerk der Generalstaatsanwaltschaft vom 18.6.43 (GLA ibid.). S2
53
So Frey in seinem Bericht vom 20.7.41, BI. 14 (GLA 309/1205).
B. Neue Aufgaben im Elsaß
169
Oberlandesgericht in Colmar als Beschwerde- und Revisionsinstanz vorsah. 54 Ob diese Kammer je eine Revision bearbeitete, muß aber bezweifelt werden, da, wie oben gesehen, die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für Revisionen in Strafsachen nicht mehr bestand. Im Zivilrecht 55 hatte man am 19. Juni 1941 die sogenannte "HeimatrechtsVO" erlassen, die hauptsächlich die Anwendung des den Nationalsozialisten besonders wichtigen Familienrechts betraf und von der Reinle schrieb: "Sie bietet zahlreiche rechtliche Schwierigkeiten, die den Gerichten noch lange :zn schaffen machen werden, und wird vennöge ihres vielfach komplizierten Charakters im eigentlichen Volke kaum heimisch werden." Am 1. November 1941 wurden das GVG, die ZPO mit Nebenbestimmungen undKostenregelungen in Kraft gesetzt, wobei aber eine Zuständigkeit des Reichsgerichts ausgeschlossen war.56 Die Einführung des sonstigen deutschen Zivilrechts erfolgte auf den 1. März 1943. Reinle rechnete schon vorab "mit beträchtlichen Schwierigkeiten".57 Bemühungen des Oberlandesgerichts, die elsässischen Beamten über Sehulungen und Veranstaltungen einmal an das deutsche Recht und zum anderen an das nationalsozialistische Herrschaftssystem heranzuführen, waren wohl wenig erfolgreich. Der Erfolg blieb diesen Bemühungen mit sich verschlechternder Kriegslage naturgemäß in noch größerem Umfang versagt. 58 Obwohl die Betrauung Reinles mit den Geschäften der Justizverwaltung im Elsaß sicher als Vertrauensbeweis Wagners gelten konnte, verursachte dies Reinle wohl nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten. Reinle unterstand als Oberlandesgerichtspräsidentdem Reichsjustizministerium, war aber bei seiner Tätigkeitim Elsaß nur Wagner unterstellt. Es war sicher nicht einfach, zwischen den sich argwöhnisch belauernden Machtzentren zu agieren. Daß Reinle die ihm zu weit gehende Willkür Wagners als für die nationale Sache schädlich empfand, wurde bereits deutlich.
54
Bericht Freys vom 20.7.1941, BI. 15 (GLA ibid.).
55
Zur EinfUhrung des Zivilrechts Oberlandesgerichtsrat Kali, DR 1944, S.266.
56
Kali, DR 1944, S. 266 (267).
57 Bericht Reinles vom 3.12.42, BI. 9 (GLA ibid.). 58 Siehe Bericht Reinles vom 3.12.42, BI. 9 und vom 30.3.44, BI. 4 (GLA ibid.).
170
Kap. 5: Die Kriegsjahre
c. Die Deportation der badischen Juden Am 22. Oktober 1940 wurden die badischen Juden auf Anordnung des Gauleiters Robert Wagner nach Südfrankreich verschleppt. Wagner handelte jedoch sicher mit Rückendeckung Hitlers. 59 Die etwa 6300 Badener jüdischen Glaubens, denen nur ein Minimum an Gepäck und Geldmitteln zugestanden war, wurden in sieben Zügen nach Frankreich deportiert. Etwa 820 Betroffene entgingen diesem Schicksal, weil sie in ..Mischehen" lebten oder zufaIlig bei der überraschend ausgeführten Aktion abwesend waren. 60 Einen Tag nach der Deportation, am 23. Oktober, erließ Wagner bereits eine Anordnung, in der die Verwertung des jüdischen Vermögens geregelt wurde. Wagner erklärte das gesamte Vermögen der ..aus Baden ausgewiesenen Juden" für beschlagnahmt und dem Land Baden für verfallen. Gleichzeitig bestellte er einen Generalbevollmächtigten für das jüdische Vermögen in Baden, der der Dienstaufsicht des Innenministers unterstellt wurde. 61 Von dieser Anordnung, die auch dem Oberlandesgerichtspräsidenten übermittelt worden war, wurden die badischen Justizbehörden am 1. November 1940 verständigt mit dem Hinweis, daß die Anordnung nicht veröffentlicht werden dürfe. Es entspann sich sofort ein heftiger Streit darüber, wer die Verwertung des Vermögens übernehmen und die entsprechenden Gebühren beanspruchen sollte. Bereits am 31. Oktober 1940 ging dem badischen Minister des Innern ein Schreibendes Präsidenten der Rechtsanwaltskammerin Karlsruhe zu, das dem Oberlandesgericht vorgelegt wurde. 62 .. Die vor einigen Tagen erfolgte Abwanderung der Juden wird aller Wahrscheinlichkeit nach die Notwendigkeit einer treuhänderischen Verwaltung oder Uquidation der jüdischen Vermögen mit sich bringen. Ich bitte, dafür Sorge tragen zu wollen, daß in solchen Billen Rechtsanwälte eingesetzt werden, da sie nicht nur für eine solche Verwaltung geeignet sind, sondern diese Maßnahme auch die Notlage der Anwaltschaft im früheren Grenzlande lindern wUrde."
59
Wistrich, S. 370.
60
Diese Zahlen finden sich bei arill, S. 355.
61
Anordnung bei den Akten des Oberlandesgerichts (GLA 240/1987/53/44).
62 Schreiben des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Karlsruhe, Dr Ludwigs, an den Minister des Innern vom 31. 10.40 (GLA 240/1987/53/44).
C. Die Deportation der badischen Juden
171
Der Vorschlag wurde vom Oberlandesgerichtspräsidenten denn auch unterstützt, einmal in einem Schreiben Reinles an den Reichsminister der Justiz63 und zum anderen in einem Schreiben des Vizepräsidenten Dr. Ruoffan den badischen Innenminister.64 Die Verwertung des jüdischen Vermögens etfolgte dann aber doch auf andere Weise, nämlich durch Versteigerung. Über die Durchführung dieser Versteigerungen kam es zu einem erbitterten Konflikt zwischen dem Verband der Gerichtsvollzieher und dem der Versteigerer. Da für die Erfassung der Vermögenswerte und die anschließende Versteigerung eine Sondervergütung gezahlt wurde, wollten beide Verbände, daß die eigenen Mitgliederin den Genuß dieser Vergütung kämen. Zunächst war die Verwertung durch die Gerichtsvollzieher,65 vereinzelt aber auch durch Versteigerer erfolgt.66 Beide, Gerichtsvollzieher und Versteigerer, warten sich nun wechselseitig vor, mit der Verwertung übetfordert zu sein und zu billig verkauft zu haben. So soll es etwa bei einer von einem Versteigerer durchgeführten Versteigerung wegen der großen Menschenmenge zu Tumulten gekommen sein. 67 Da die Amtsgerichtsdirektoren die Dienstaufsicht über die Gerichtsvollzieher führten und die Vorwütfe gegen die Gerichtsvollziehersomit auch die Amtsgerichtsdirektoren betrafen, wollten diese sich Rückendeckung beim Oberlandesgerichtspräsidenten verschaffen und fragten an, ob das bisher geübte Vetfahren der Übertragung der Verwertung durch die Gerichtsvollzieher fortgesetzt werden könne. 68 Mit Schreiben vom 4. Dezember 1940 an den Reichsjustizmini-
63 Schreiben vom 1. 11.40 (GLA 240/1987/53/541). 64 Schreiben vom 5.11.40 (GLA 240/1987/53/541). 65 Dies folgt aus zwei Berichten des Amtsgerichtsdirektors in Mannheim vom 2. und 11.11.40 (GLA ibid.). 66 Bericht des Amtsgerichtsdirektors Karlsruhe vom 16.11.40 (GLA 240/1987/53/ 44).
67 Bericht des Amtsgerichtsdirektors Karlsruhe vom 30.11.40 (GLA 240/1987/53/ 44), siehe auch eingehend nächste FN. 68 Aus diesem Grunde kam ein sehr anschaulicher Bericht des Amtsgerichtsdirektors in Karlsruhe vom 30. November 1940 in die Akten des Oberlandesgerichts, der den Vorgang der "Verwertung" beschreibt: "Die ganze Aktion muß rasch abgewickelt werden, damit die zahlreichen Wohnungen dem Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen. Die \\bhnungsnot im Grenzlande Baden und in der Landeshauptstadt Karlsruhe ist besonders groß. Der Gerichtsvollzieher Ubemimmt die einzelnen Wohnungen von der Gestapo, verschafft sich einen Über-
172
Kap. 5: Die Kriegsjahre
ster befürwortete Reinle das geübte Verfahren der Versteigerung durch die Gerichtsvollzieher. Diese würden die Aufgabe gut lösen, auch wenn gewisse Anfangsschwierigkeiten nicht zu vermeiden seien, .. wie sie die überraschende Wegführung der Juden, die Masse und der Wert des zurückgebliebenen Vermögens, dessen Sichtung und der Wunsch auf beschleunigte Verwertung mit sich bringen mußten." 69 Die Versteigerer habe man deshalb nicht eingesetzt, weil sie zu teuer seien. Nicht nur die Versteigerer sahen sich wn ihren Anteil an der Beute gebracht, auch Robert Wagner mußte seine Anordnung des Vermögens verfalls zugunsten des Landes Baden vom 23. Oktober 1940am 15. Februar des darauffolgenden Jahres korrigieren. Am 9. November 1940 hatte der Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei Himmler bestimmt, daß das Vermögen der Pfälzer und der badischen Juden mit Wirkung vom 22. Oktober 1940 sichergestellt sei. 70 Für die Verwertung wurde dann eine andere Regelung getroffen, als sie der Gauleiter erlassen hatte. Der Erlös der Versteigerung war auf Spar- oder Anderkonten auf Namen der Deportierten einzuzahlen. Pretiosen waren der Pfandleihanstalt in Berlin abzuliefern, Kunstgegenstände unter Beteiligung eines Beauftragten der Reichskulturkammer zu verwerten, Familiensachen und
blick. beginnt mit der Sichtung. Ordnung und Zusammenstellung der Gegenstände. räumt alle Behälter usw. aus. Er sammelt alle Geschäfts- und Privatpapiere. sichtet und ordnet sie. verpackt und beschriftet sie. Die Geschäftspapiere werden dem Generalbevollmächtigten. die Privatpapiere dem Gauarchiv der NSDAP abgeliefert. Familienbilder und Fotos werden aus dem Rahmen genommen und der rassepolitischen Abteilung der Universität Freiburgübersandt. Die Bücherei wird mit den sachverständigen Beamten der Gestapo bereinigt. Die Sachverständigen der Museen sondern Kulturgüter und Kunstgegenstände aus. Lebensmittel werden der NSV überwiesen. \\egen der Kohlenübernahme erfolgt Verhandlung mit dem Wirtschaftsamt. Wertsachen werden gesammelt. verzeichnet und zur gesonderten Verwertung ausgeschieden. Kleider. Wäsche und Schuhe werden ebenfalls ausgesondert. verzeichnet und zur Abholung durch das Sozialamt bereitgestellt. Von der Versteigerung sind weiter ausgenommen Schreibmaschinen. Kühlschränke. Klaviere. Rügel. Teppiche. Gemälde. Nach endgültiger Sichtung beginnt die Schätzung und Verzeichnung. Sodann werden die zu versteigernden Gegenstände übersichtlich zur Versteigerung bereitgestellt. Nach der Versteigerung beginnt die Räumung der Wohnung. Verwertung der Abfälle und Rückstande. Nachforschung nach eingebauten Tresors und endliche Schlußsäuberung." (GLA 240/1987/53/44). 69
Schreiben bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/53/44).
70
(Vorgänge in GLA 240/1987/53/44).
C. Die Deportation der badischen Juden
173
dergleichen den Eigentümern auf Verlangen auszuhändigen. Der Vennögensverfall erfolgte dann später zugunsten des Reiches.71 Ein besonderes Augenmerk des Oberlandesgerichts nach der Deportation galt dem Schicksal der von der Justizkasse ausgezahlten Versorgungsbezüge. Mit einem an den Reichsjustizminister gerichteten Schreiben. 72 dessen Ausfertigung dann allerdings unterblieb. unterrichtet Reinle das Justizministerium von der Deportation und teilte mit. daß die Oberjustizkasse derzeit noch an 34 jüdische Versorgungsberechtigte Ruhegehalt und Hinterbliebenenbezüge zahle. Da einige Versorgungsberechtigte nicht abtransportiert worden seien. habe man Nachforschungen angestellt. Das Ergebnis dieser Nachforschungen war eine Liste von Versorgungsempfangern. die mitgeteilt hatten ... daß sie noch da sind".73 Um ganz sicher zu gehen. wurden dann noch die Polizeipräsidien in Freiburg. Heidelberg. Karlsruhe. Mannheim und Baden-Baden aufgefordert. den Verbleib der übrigen Versorgungsempfanger festzustellen. Unter den Verschleppten befanden sich auch mehrere ehemalige Richter des Oberlandesgerichts. der ehemalige Senatspräsident Dr. Otto Levis. 74 die ehemaligen Oberlandesgerichtsräte Wilhelm Traumann und Leo Kullmann. Dr. Karl Jordan war der Deportation entgangen. Dr. Jakob Bär hatte Selbstmord veriibt. um der Verschleppung zu entgehen. Im Januar 1940 wurde dann vom Oberlandesgericht eine endgültige Regelung der Versorgungs bezüge vom Reichjustizministerium erbeten. H Man teilte mit. daß 17 Versorgungsberechtigte ..weggeschafft" worden seien. Der Oberfinanzpräsident Baden habe beim Reichsminister der Finanzen beantragt ... daß den weggeschafften jüdischen Versorgungsberechtigten seines Geschäftsbereichs die Versorgungs bezüge entzogen werden. Wir haben deshalb an die 17 jüdischen Versorgungsberechtigten ab 1. Januar 1941 ebenfalls keine Versorgungsbezügemehr auszahlen lassen. Das gewählte Verfahren fand die Billigung des Reichsjustizministers. 76 Den eigentlichen Verfall des jüdischen Vennögens zugunsten des Reiches brachte dann die elfte Verordnung zum ReichsbÜfgergesetz. 77 Demnach verloren alle Juden.
va zum ReichsbUrgergesetz vom 25.11.41. RGBI. I S. 722.
71
§ 3 der 11.
72
Datiert nur mit November 1940 (GLA 240/1987/53/216).
73
Liste bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/53/216).
74
Zu seinem Lebenslauf siehe Kapitell.
H
Schreiben Reinles an den RJM vom 11.1.40 (GLA 240/1987/53/216).
76
Antwort vom 22.1.41 (GLA 240/1987/53/241).
77
11.
va zum ReichsbUrgergesetz vom 25.11.1941, RGBI.
I S. 722.
174
Kap. 5: Die Kriegsjahre
die ihren gewöhnlichen Aufenthaltim Ausland hatten, ihre deutsche Staatsangehörigkeit, das Vermögen verfiel dem Reich. Der Verlust der Versorgungsberechtigung trat jedoch erst mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit ein (§ 10 Abs. 1), so daß man seitens des Oberlandesgerichts die Versorgungs bezüge im Ergebnis 11 Monate zu früh einbehalten hatte. Nach § 7 Abs. 1 der Verordnung hattenaUe Personen, die eine zu dem verfallenen Vermögen gehörige Sache im Besi tz hatten oder zu der Vermögensmasse etwas schuldig waren, den Besitz der Sache oder das Bestehen der Schuld dem Oberfmanzpräsidenten Berlin innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt des Vermögens verfalls anzuzeigen. Aus den Akten sind keinerlei Bedenken der Verwaltungsabteilung ersichtlich, was die Deportation und die Enteignung der badischen Juden anbelangt. Bedenken hatte man aber nun beim Oberlandesgericht, ob man auch diesen Tatbestand, nämlich daß 11 Monate zu wenig gezahlt wurden, melden müsse. Das Reichsjustizministerium wollte jedoch allem Anschein nach den eigenen Etat nicht zu Gunsten des Oberfinanzpräsidenten schmälern und meinte eine Mitteilung brauche nicht erfolgen,,,da ein etwa vorhandender Anspruch auf sie [die Versorgungsbezüge, Verf.] durch den Verfall des Vermögens zugunsten des Reiches erloschen wäre." 78
D. Kriegseinwirkungen in Karlsruhe Wie oben bereits geschildert, hielt man die Karlsruher Bevölkerung mit der Kriegserklärung Frankreichs für besonders gefährdet. An der Westfront blieb es jedoch zunächst ruhig, von einigen Scharmützeln abgesehen. Auch der "Westfeldzug", der am 10. Mai 1940 begann änderte dies nicht durchgreifend, da Frankreich nicht von Baden und der Pfalz aus angegriffen wurde, sondern über Belgien, Luxemburg und die Niederlande. Am 16. Mai war es jedoch zu einem Artilleriebeschuß Rastatts gekommen. 79 Deutliche
Antwort vom 27.3.42 (GLA 240/1987/53/241). Eine Liste der Deportierten Versorgungsberechtigten ist im Anhang 2 aufgenommen. Sie wird, was die ehemals beamteten JuristenjUdischer Konfession oder Abstammung angeht, relativ vollständig sein. Wieviele Anwälte sich unter den Verschleppten befanden, geht aus den Akten des Gerichts nicht hervor. 79 Siehe Overesch, Bd. 11, S. 82. 78
D. Kriegseinwirkungen in Karlsruhe
175
Kriegseinwirkungen bekam Karlsruhe erst mi t dem sich immer weiter auswei tenden Luftkrieg zu spüren. In der Nacht vom 2. auf den 3. September 1942 griffen etwa 200 britische Flugzeuge Karlsruhe an. Das OKW meldete: "Besonders in der Innenstadtentstanden Sach- und Gebäudeschäden".80 Bei diesem Angriff wurde auch das Gerichtsgebäudein der Hoffstraße 10 getroffen. Von Mittwoch, dem 3. September, 0.00 Uhr, bis 15. September, 24.00 Uhr, wurde der Stillstand der Rechtspflege angeordnet, der neben den Zivilsenaten auch das Erbgesundheitsobergericht betraf. 81 Neben Schäden am Gerichtsgebäude wurden auch einige Aktenbestände vernichtet. 82 Die Löscharbeiten mußten von den Beamten in großem Umfang selbst übernommen werden. 83 Trotz dieser Bemühungen brannten der gesamte Dachstuhl und das zweite Obergeschoß völlig aus. Die Senate der richterlichen Abteilung zogen in das Gebäude des Landgerichts in der Hans-Thoma-Straße. 84 Ruoff ordnete im Einverständnis mit dem Generalstaatsanwalt am 5. September an, daß die vorbereitete Bestimmung über das Sondergericht Karlsruhe in Kraft treten solle.8~ Nach dieser Bestimmung vom 9. Juli 1942 sollte in Karlsruhe ein Sondergericht gebildet werden können, um nach Luftangriffen Plünderungen sofort zu ahnden. Das Gericht urteilte wohl auch einige Fälle ab. Die Gefahr von Luftangriffen wuchs beständig. Die Kriegslage bestimmte in immer weiterem Umfang die täglichen Geschäfte. Im Oktober 1943 wurden die Personalakten im Keller des Hauses Schloßplatz 22 untergebracht, da man diesen für den feuersichersten Raum hielt, im Januar 44 wurden auch die Akten des früheren badischen Justizministeriums sowie die Präsidialakten des Oberlandesgerichts ausgelagert. 86 Die Oberjustizkasse hatte man am 7. August 1943 nach Bretten verlegt.8?
80
Overesch, Bd. 11, S. 290.
81 Mitteilung des Vorsitzenden des EGOG vom 16.9.42 (GLA 240/380). 82 Senats präsidenten Winter an den RJM vom 22.9.42 (GLA 240/1987/53/113). 83 Dies folgt aus einem Vorschlag Reinles für das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse fUr den Oberlandesgerichtsrat Frommhold und den lustizwachtmeister Seithel, die sich hierbei besonders bewährt hatten. (GLA 240/1987/53/40). 84 Bericht Reinles an den RJM vom 29.9.44 (GLA 240/8253). 8~ Aktenvermerk Ruoffs, wahrscheinlich vom 5.9.42 (GLA 240/1987/53/879).
86 Anordnung Reinles vom 23.10.43 und vom 14.1.44 (GLA 240/8251). 87
Schreiben der Oberjusti zkasse an das OLG vom 5.1.44 (GLA 240/8253).
176
Kap. 5: Die Kriegsjahre
Es wurden Brandwachen eingerichtet, an denen sich auch die Dienstvorstände beteiligten, worauf der inzwischen zum Reichjustizminister ernannte Thierack besonderen Wert legte. 18 Beim Oberlandesgericht bestanden derartige Brandwachen allem Anschein nach seit Februar 1942. Zunächst waren sie nur auf einige der dienstfreien Stunden beschränkt.89
Im Mai 1944 erging dann unter Hinweis auf "die verschärfte Luftlage, die die Möglichkeit von Luftangriffen zu jeder Tages- und Nachtzeit in sich birgt", eine Anweisung des Polizeipräsidenten in seiner Eigenschaft als örtlicher Luftschutzleiter, 90 daß ab jetzt Brandwachen von Dienstschluß bis Dienstbeginn in "kasernierter Form" durchzuführen seien. "Die hierdurch bedingte Einschränkung der Freizeit muß im Hinblick auf die schweren Opfer, die die kämpfende Front täglich zum Schutz der Heimat bringt, ertragen werden. Der außergewöhnlichen Steigerung des Terrorwillens unserer Feinde, der sich in der entspannenden Endphase des Freiheitskampfes bestimmt noch bedeutend erhöhen wird, kann nur durch außergewöhnliche Maßnahmen der Heimatfront entgegengetreten werden."
Es konnte jedoch auf diese Weise bestenfalls eine Schadensbegrenzung erzielt werden. Auch die Regelung der Aufräumarbeiten nach Luftangriffen ging nicht ohne Kompetenzstreitigkeiten zwischen staatlichen und Parteiinstitutionen ab. Im Februar 1944 wiesen der Oberlandesgerichtspräsident und der Generalstaatsanwalt ihre gesamte "Gefolgschaft" darauf hin: 9 1 "Vielfach haben Gefolgschaftsangehörige von anderen Dienststellen, vom Reichsluftschutzbund, den Ortsgruppen der NSDAp, den Dienststellen der SA und SS sowie dem Roten Kreuz Weisung erhalten, sich im Sofort fall bei deren Dienststellen einzufinden. Derartige Aufforderungen entbinden nicht von der Verpflichtung, in der Dienststelle in der Herrenstraße 1 zum Einsatz anzutreten.( ... ) Befehle zum Dienstantritt, die von anderen Dienststellen ausgehen, sind daher mit dem Hinweis zu beantworten, daß der Einsatz bei der eigenen Behörde dem Einsatz an einer anderen Stelle nicht zuläßt, solange von dem Polizeipräsidenten nichts anderes verfUgt ist."
88
Rundschreiben vom 28.9.44 (GLA 240/8253).
Dies folgt aus den Bezugnahmen auf vorausgegangene Verfügungen in einer Verfugung des Polizeipräsidenten Karlsruhe vom 9.5.44 (GLA 240/8252). 19
90
Anweisung vom 9.5.44 (GLA 240/8252).
91
VerfUgung vom 14.2.44 (GLA 240/8253).
D. Kriegseinwirkungen in Karlsruhe
177
Den Bombenangriffen war man hilflos ausgeliefert, woran auch Anordnungen zur Schadensbegrenzung nichts ändern konnten. Reinle hatte verfügt,92 daß im Alarmfall zerbrechlichen Gegenstände, wie insbesondere Telefonapparate, Lampen, Schreibmaschinen, Tintengefäße von den TIschen zu entfernen und auf den Boden zu stellen seien, da Sprengbomben TIsche leerfegten und diese Gegenstände zerstörten. Eine ähnlich vielversprechende Anweisung erging im Mai 1944 seitens des Reichjustizministeriums. Dort empfahl man als wirksames Mittel der Brandbekämpfung Gardinen und Läufer aus den oberen Stockwerken zu entfernen und Polstermöbel von den Wänden wegzurücken. 93 Die Zerstörungen durch Luftangriffe wuchsen beständig. Ab Mitte Juni 1944 sollten alle Justizangehörigen in Wechsel schicht allwöchentlich zu Aufräumarbeiten, etwa im Karlsruher Bahnhof, oder zum Behelfsheimbau antreten. Die Befehle wurden jedoch kaum befolgt, sondern man entschuldigte sich mit Krankheit oder Gebrechen. 94 Am 9. August 1944 hatte erneut ein Tagesangriff der amerikanischen Luftwaffe auf Karlsruhe stattgefunden.9S In der Nacht vom 27. auf den 28. September 1944 war Karlsruhe dann wiederum Ziel eines Luftangriffs, bei dem das Gebäude der Präsidialabteilung des Oberlandesgerichts in der Herrenstraße 1 schwer getroffen wurde. Über die Folgen dieses Angriffs berichten Reinle und Frey dem Reichsjustizminister in sehr eindringlicher Weise: 96 ..Wie im Wehrmachtsbericht erwähnt, wurde Karlsruhe in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch früh von englischen Terrorbomben angegriffen. Der Wehrmachtsbericht läßt jedoch die Schwere des Angriffs nicht erkennen. Es wurden wohl verhältnismäßig wenig Sprengbomben, dafür aber schätzungsweise 3 - 400 000 Brandbomben abgeworfen, denen 11msende von Häusern zum Opfer fielen. Die Stadt Karlsruhe ist in ihrem Kern schwerstens getroffen und größtenteils vernichtet. Auch die Präsidialabtei lung des Oberlandesgerichts, Herrenstraße I, ist trotz aufopfernden Bemühens der gesamten Gefolgschaft ein Raub der Flammen geworden. Da das Feuer unter der heftigen Gegenwehr der Löschmannschaften nur schrittweise von den beiden Flanken auf das in der Mitte befindliche hohe Gebäude übergriff. konnte aus diesem eine größere
92
Rundverfügung Reinles vom 8.2.44 (GLA 240/8253).
93
Anordnung des Reichsjustizministeriums vom 8.5.44 (GLA 240/8253).
94
Vorgänge bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/53/169).
95
Siehe Overesch, Bd. 11, S. 520.
96
Bericht vom 29.9.44 (GLA 240/8253).
12 Schiller
178
Kap. 5: Die Kriegsjahre
Anzahl von InventarstUcken sowie auch die in diesem Gebäudeteil befindlichen Kellerräume mit der Registratur des Generalstaatsanwalts gerettet werden. Dagegen wurde die Personalregistratur samt den Stellenakten der Präsidialabteilung, erstere restlos, die letzteren zum großen Teil vernichtet. ( ... ) Die Präsidialabteilung und der Generalstaatsanwalt sind umgezogen in das Gebäude Hoffstraße 10, in dem sich bis zum Terrorbrand vom September 42 die richterliche Abteilung befunden hatte.( ... ) Das Parterregeschoß und das erste Obergeschoß waren, wenn man vom Fehlen jeglicher Inneneinrichtung absieht, wieder in bewohnbaren Zustand versetzt worden. In diese beiden Stockwerke ziehen wir (Präsidialabteilung und Generalstaatsanwalt) jetzt ein. Auch das Landgerichtsgebäude in der Hans-Thoma-Straße ist zu zwei Dritteln niedergebrannt. Vom Amtsgericht in der Akademiestraße ist etwa die Hälfte erhalten geblieben.( ... ) Im Landgerichtsgebäude hatten auch die Senate der richterlichen Abteilung Unterkunft gefunden gehabt. Sie sind nun zum zweiten mal heimatlos geworden und finden mit ihrem Rest bis zur völligen Stillegung ebenfalls im Gebäude l-bffstr. 10 Aufnahme. Da das letzterwähnte Gebäude völlig leer war und nur ein Teil der MöbelstUcke aus dem jetzt abgebrannten Präsidialgebäude gerettet werden konnte, das Gebäude auch mancherlei Mängel aufweist (Wasser usw.), begegnet die Wiederauf nahme der Dienstgeschäfte begreiflicherweise beträchtlichen Schwierigkeiten. ( ... ) Da Karlsruhe nunmehr in Frontnähe liegt, dauernd Uberflogen wird, reißen die Alarme nicht ab, so daß die Arbeit sehr geringe Ergebnisse liefert. Es bleibt auch zu befürchten, daß die Stadt in KUrze vollends dem Erdboden gleich gemacht wird, so wurden in der Nacht vom 29.130.9. erneut Minen geworfen."
Auch nach diesem Angriff war der Stillstand der Rechtspflege angeordnet worden, der vom 27. September bis zum 3. Oktober dauerte. Zu diesem Zeitpunkt wurde bereits die Verlegung des Gerichts in weniger gefahrdete Regionen erwogen. Es mag sein, daß Reinle und Frey deshalb so eindringlich berichteten, um diese Entschließung zu beschleunigen. Die Schwierigkeiten, die Amtsgeschäfte im ausgebombten Karlsruhe wieder aufzunehmen, dürften in der Tat beträchtlich gewesen sein.
Kapitel 6
Der endgültige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit A. Übergriffe auf die Justiz durch staatliche Stellen Die bisher geschilderten Auswirkungen des Krieges, wie Personalknappheit und die Folgen des Luftkrieges trafen die Justiz sicherlich in ähnlicher Weise wie andere Teile der Staatsverwaltung. Die Justiz hatte aber neben diesen Schwierigkeiten mit einem vollkommenen Verlust ihrer Autorität zu kämpfen. Das schwierige Verhältnis zwischen NS-Bewegung und Rechtspflege wurde bereits in den Jahren 1937 - 1939 deutlich, als eine Kampagne in der NSPresse genügt hatte, um auf lokaler Ebene Kreisleiter und andere lokale Parteigrößen zu Urteilskorrekturen und Anfeindungen gegen Richter aufzustacheln. Wenn es auch Anfang des Jahres 1939 gelungen war, diese Kampagne zu unterbinden, so war dieser Erfolg doch nur vorübergehend. Mit Kriegsausbruch wurde die Justiz wieder zur Zielscheibe von Übergriffen, die nun nicht mehr zu kontrollieren waren. An diesen Übergriffen waren aber nicht nur die Hoheitsträgerder Partei beteiligt, auch die Exekutivorgane fühlten sich zur Einflußnahme und zu Korrekturen richterlicher Entscheidungen berufen. Dabei konnten die Kriegsverhältnisse als bequemer Vorwand dienen, Richter, die die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt hatten, zur Räson zu bringen. Waren es zumeist Strafverfahren, in die durch die Polizeibehörden eingegriffen wurde, so konnten auch Zivil verfahren Gegenstand von Übergriffen werden, wenn politische Brisanz gegeben war. Ein solcher Fall ist aus Freiburg berichtet. Durch Verfügung des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei vom 20. Juni 1938 waren die katholischen Studenten- und Altherrenverbände einschließlich aller Untergliederungen aufgelöst worden. I
I
Bericht des Amtsgerichts Freiburg vom 12.7.39 (GLA 240/1987/53/609).
180
Kap. 6: Der endgültige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
Man hatte es aber versäumt, eine Bestimmung über die Einziehung des Vt1"mögens zu treffen. In Freiburg war nun Streit über die Löschung zweier Vereine entstanden, nämlich des Albertus Magnus Vereines und des Vereins Normania e.V Für den Verein Normaniahatte die Gestapo-Leitstelle Karlsruheam 5. Mai 1939 beim Registergericht die Löschung im Vereinsregister beantragt unter gleichzeitigem Hinweis darauf, daß die liquidation abgeschlossen sei. Das Registergericht behandelte diesen Antrag als Auflösungsantrag nach § 74 Abs.3 BGB, wonach die zuständige Behörde die Auflösung eines Vereines zu beantragen hat, wenn diesem nach § 43 BGB die Rechtsfähigkeit entzogen wurde. Das Registergericht verfügte auch die Eintragung der Auflösung. Mit gleichem Beschluß wurde der bisherige Vorstand des Vereins ersucht, die Liquidation zur Eintragung ins Vereinsregister anzumelden (§§ 76, 77 BGB). Der Vorstand weigerte sich jedoch mit dem Hinweis, die Liquidation sei bereits durch den Beauftragten des Reichsstudentenführers, den Stuttgarter GeneralstaatsanwaltDr. Wagner/ durchgeführt worden. Aucheinemeutes Ersuchen an den Vorstand blieb ohne Ergebnis. Die Gestapo wandte sich in zwei Schreibennochmals an das Gericht und teilte mit der Verein sei aufgelöst, das Vt1"mögen unter Beachtung von § 51 BGB, also nach Ablauf eines Sperrjahrs für die Verteilung des Vermögens an die Anfallberechtigten, liquidiert. Diese Zusicherung reichte dem Registergericht jedoch nicht. Unter Verweis auf die Auf lösungsverfügung, die keine Bestimmung über das Vermögen getroffen hatte, und auf die Kommentierung bei Palandt sowie auf weitere FundsteIlen bestand der Richter, Dr. Zürcher, auf der Durchführung eines liquidationsverfahrens. Nachdem Reinle bereits am 19. Juli 1939 beim Reichsjustizministeriumangefragt hatte, wie man diesen Fall lösen könnte, wiederholte er diese Anfrage in einem vertraulichen Schreiben an den Reichsminister der Justiz vom 30. Dezember des gleichen Jahres.3 Dabei fügte er an: "Wie mir beiläufig zu Gehör kam, drohen dem Registergericht Freiburg ernstliche politische Schwierigkeiten, wenn die Liquidation auch der Freiburger Akademikerverbände nicht bald nach dem Wunsch der Reichsstudentenführung ihre abschließende Regelung findet. Ich habe erwogen mit dem Richter persönlich Rücksprache zu nehmen. Nachdem er aber- gestützt auf die Rechtsprechung - sich in seiner Rechtsauffassung auch nach außen hin festgelegt hat, wird er wohl zu einer Änderung seines Standpunktes nicht leicht zu bringen sein, wobei ich ihm auch zugute halten muß, daß die Frage seiner möglichen persönlichen Haftung ihn in seiner Haltung bestärken 2 Dessen Ernennung zu diesem Amt folgt aus einem Bericht Reinles an den RJM vom 30.12.39 (GLA 240/1987/53/609). 3
(GLA 240/1987/53/609).
A. Übergriffe auf die Justiz durch staatliche Stellen
181
mag. Die zu löschenden Freiburger Vereine verfügen über erhebliche Vermögenswer te, deren Überführung in die endgültig dazu berechtigten Hände der Richter offenbar nicht einem Verfahren überantworten will, das offensichtlich rechtliche Gefahren in sich birgt."
Die drohenden politischen Schwierigkeiten für das Registergericht Freiburg hatte der Stuttgarter Generalstaatsanwalt in seiner Funktion als Beauftragter des Reichsstudentenführers dem Oberlandesgerichtspräsidenten zur Kenntnis gebracht, wie sich aus der ursprünglichen, dann aber abgeänderten Fassung des Schreibens an den Reichsjustizminister ergibt. Eben dieser Beauftragte wandte sich Anfang Januar nochmals an Reinle und erläuterte seine Rechtsauffassung, wobei es auch hier an unterschwelligen Drohungen nicht fehlte: 4 .. Er [der Registerrichter, Verf.] übersieht dabei, daß es sich bei der Auflösung dieser Verbindungen um einen politische bedingten staatlichen HoheitsaJct handelt, der den auf dem Vereinsreicht des BGB beruhenden Aufbau dieser Verbindungen sprengt ( ... ). Daraus [aus der Zweckbestimmung des Vermögens, Verf.] sowie aus dem Umstand, daß die staatspolizeiliche Einziehung des Vermögens der aufgelösten Vereine ausdrücklich vorbehalten bleibt, ergibt sich mit aller Deutlichkeit, daß für eine bürgerlich-rechtliche Liquidation i.S.d. BGB kein Raum ist. Da das Registergericht Freiburg i.Br., insbesondere im Fall Normania, trotz der bereits abgeschlossenen Liquidation die nachträgliche Erfüllung rein formaler Vorschriften zur Bedingung macht und durch Ordnungsstrafen zu erzwingen versucht, drängt sich die Mutmaßung auf, daß hier ein Richter am Werke ist, dem der Sinn für die rechtlichen Notwendigkeiten und Auswirkungen fehlt, die aus einem Hoheitsakt des national sozialistischen Staates in Fällen dieser Art abgeleitet werden müssen."
Damit hatte der Generalstaatsanwalt wohl nicht ganz unrecht. Dr. Zürcher war in der Tat bereits mehrfach aufgefallen. Auch von diesem Bericht setzte Reinle das Reichjustizministerium in Kenntnis. s Er mußte dabei einräumen, "daß der sachbearbeitende Richter allerdings ein betonter Vertreter des politischen Katholizismus ist, vermutlich sogar selbst einem ehemaligen katholisehen Studentenverband angehört hat." Allerdings sei De. Zürcher auch ein sehr kenntnisreicherund begabter Richter, der sein Respiziatmit großer persönlicher Anteilnahme und unter scharfer juristischer Durchdringung der rechtlichen Schwierigkeiten bearbeite. Die Sache war wirklich sehr verzwickt. 4 Schreiben des Generalstaatsanwalts Wagner in Stuttgart an Reinle vom 9.1.40 (GLA 240/1987/53/609).
S
Schreiben Reinles vom 15.1.40 (GLA 240/1987/53/609).
182
Kap. 6: Der endgultige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
An der Berechtigung der Position des Registerrichters bestand eigentlich bei keinem der Beteiligten irgendein Zweifel. Auch der S tuttgarter Generalstaats anwalt konnte ja nur mit der Natur politischer Hoheitsakte des NS-Staates a'gumentieren und mußte einräumen, daß man das Vereinsrecht des BGB nicht anwenden dürfe, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. Das BGB schrieb abervor, daß eine liquidation stattfinden müsse, § 47 BGB, die sich aber mangels Mitarbeit des Vorstandes als zunächst undurchführbar erwies. Nach § 49 Abs. 2 BGB galten die Vereine bis zum Abschluß der Liquidation als fortbestehend. Die Sache wurde zum Gegenstand einer Besprechung der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums mit dem Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsinnenministerium. Am 1. Februar wurden dem Vizepräsidenten Dr. Ruoff telefonisch die in dieser Sitzung erarbeiteten Lösungsvorschläge mitgeteilt, die er in einem Aktenvermerk festhielt. 6 Demnach sollte die Auflösungsanzeigenach § 74 Abs. 3 BGB auf Veranlassung des Reichsjustizministeriums noch für alle Vereine erstattet werden, entweder durch den bisherigen Vorstand oder durch die Gestapo. Als Liquidatoren würden der bisherige Vorstand angemeldet. Wenn dieser seine Mitwirkung verweigern sollte, so würde das Reichsstudentenwerk einen Antrag als Beteiligter nach § 29 BGB auf NotbesteIlung eines Vorstandes stellen, der dann nach § 48 die Liquidation vornehmen könne. Damit waren nach Ansicht des Reichsjustizministeriums die Schwierigkeiten überbrückt. Der materiellen Rechtsansicht des Registerrichters trat jedoch auch das Reichsjustizministerium bei. In dem Vermerk hieß es ferner: .. Eine schriftliche VerfUgung des RJM wird nicht ergehen. Auf AG Rat ZUrcher soll aber in kollegialer Weise eingewirkt werden, daß die Sache nicht zu formalistisch und subtil behandelt werden soll, er sich vielmehr mit dieser Lösung begnUgt."
Die bisherigen Vorstände der Freiburger Verbände waren nicht bereit, den erforderlichen Antrag zu stellen. Sie beriefen sich auf das von der Gestapo ausgesprochene Verbot, den Verein fortzuführen, was auch die Fortführung:zur liquidation umfasse. Manmußte also auf § 29 zurückgreifen und einen Antrag durch das Reichsstudentenwerk stellen lassen. 7 Ein Antragsrecht nach § 29 BGB kam aber nur Beteiligten zu, damit waren neben Vorstand und Mitgliedern des Vereins eigentlich nur rechtsverfolgende Dritte angesprochen. Zu diesem Kreis gehörte das Reichsstudentenwerk aber nicht. Der Landgerichtsprä 6
Aktenvermerk Ruoffs vom 1.2.40 (GLA ibid.).
7
Bericht des LG-Präsidenten Freiburg vom 26.1.40 (GLA 240/1987/53/609).
A. Übergriffe auf die Justiz durch staatliche Stellen
183
sident in Freiburg meinte nun, man könne dem Reichsstudentenwerk die Antragsbefugnis nach § 29 BGB zuerkennen, da ihm ja schließlich das Vermögen zufallen solle. Wenn der Registerrichter hier Bedenken hegen sollte, so könne ja Beschwerde eingelegt werden und das Landgericht dieser Beschwerde stattgeben, so daß der Registerrichter gedeckt sei. Auch Reinle schloß sich dieser Lösung in seiner Antwort an den Landgerichtspräsidentenan. 8 Man könne den Fall des § 29 getrost unterstellen, so daß das Registergericht in die Lage versetzt werde, einen der Gestapo genehmen Liquidator zu bestellen, wodurch aber die Frage der Löschung immer noch nicht gelöst sei, die aber anscheinend zunächst auf sich beruhen bleiben solle. Indem Schreiben an den Landgerichtspräsidentenheißt es weiter: "Ich ersuche Sie, mit Dr. Zürcher im Sinne dieser Ausführungen Rücksprache zu nehmen, ich bin aber der Auffassung, daß er sich der dargelegten Rechtsauffassung auch unbedenklich anschließen kann. Notfalls habe ich Herrn Wagner [der zum Beauftragten bestellte Stuttgarter Generalstaatsanwalt, Verf.] gebeten, vom Rechtsmittel der Beschwerde Gebrauch zu machen, so daß das Landgericht durch seinen Entscheid die Schwierigkeiten bereinigen kann." Auch die Gestapo ließ nicht locker und erkundigte sich am 5. Februar nach dem Stand der Sache, woraufhin sie von Reinle über das Ergebnis der Berliner Besprechung und die dabei erarbeiteten Lösungsvorschläge unterrichtet wurde. 9 Am gleichen Tag teilte der Landgerichtspräsident mit, er habe mit Dr. Zürcher gesprochen, der sich wahrscheinlich zur Auffassung des Oberlandesgerichtspräsidenten durchringen könnte. Allem Anschein nach konnte sich Dr. Zürcher aber doch nicht zur Rechtsbeugung entschließen, denn am 4. Juni mußte der Landgerichtspräsident das Oberlandesgericht von den Beschlüssen des Registergerichts und den hiergegen erhobenen Beschwerden in Kenntnis setzen. Mit Schreiben vom3. Juli 1941 10 kündigte das Reichsjustizministerium an, die Frage der Vermögensnachfolge der aufgelösten konfessionellen Verbände werde durch eine Verordnung bald auf eine einheitliche Grundlage gestellt. Die Vorgänge um die Löschung der Freiburger Studentenverbände belegen eindrucksvoll, daß es auch in Zivilverfahren, sobald sie nur einen politischen 8 Schreiben an den Landgerichtspräsidenten in Freiburg vom 1.2.40 (GLA 240/1987/ 53/6(9). 9
Aktenvermerk Reinles vom 5.2.40 (GLA 240/1987/53/609).
10
Dieses und das vorgenannte Schreiben (GLA 240/1987/53/69).
184
Kap. 6: Der endgültige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
Einschlag hatten, zu massiver Beeinflussung der Richter kommen konnte. Dabei waren sich weder das Reichsjustizministerium noch Reime zu schade, in ,,kollegialer Weise" dem erkennenden Richter die eigene Rechtsauffassung mitzuteilen und für den Fall, daß dieser besserer Einsicht nicht fähig war, an der Umgehung der so entstandenen Rechtsfolgen mitzuarbeiten, um das aus politischer Sicht als notwendig empfundene Ergebnis zu erzielen. Auch Reime war zu diesem Zeitpunkt bereit, das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit im Einzelfall zurücktreten zu lassen, wenn politische Gründe dies geboten. Genauso hatte er sich bei den Vorgängen um die Rechtsprechung des landgerichts Freiburg in Blutschutzsachen verhalten, obwohl dabei nur eine eher allgemeine Kritik geübt worden war. Bei den Vorgängen um die Löschung der Freiburger Studentenverbände war der Eingriff unter Mithilfe der Justizverwaltung selbst, jedoch in aller Heimlichkeit erfolgt. Für das Ansehen der Justiz schädlicher und für die Richter demoralisierender waren jedoch die offenkundigen Urteils korrekturen durch Polizeistellen in Strafsachen. I I So berichtete der Landgerichtspräsident aus Heidelberg, I 2 der Landwirt Gustav S. sei wegen mehrfacher Brandstiftung angeklagt und am 20. Juli 1939 in Untersuchungshaft gekommen. Am 8. und 9. März 1940 hatte die Hauptverhandlung stattgefunden, die mangels hinreichenden Tatverdachts zu einem Freispruch und zur Haftentlassung führte. Tatverdacht richtete sich auch gegen einen Müller Karl W., der mit dem Landwirt verfeindet war. Wenige Tage nach der Hauptverhandlung erschien der Bruder des Müllers W. in SS-Uniform auf der Geschäftsstelle und verlangte eine Abschrift des freisprechenden Urteils mit dem Bemerken, daß dieses rechtswidrig sei. Er wurde mit seinem Ansinnen an den Vorsitzenden der Strafkammer verwiesen, daraufhin entfernte er sich mit den Worten: "Der Kampf geht weiter!". Etwa 10 Tage später wurde der Landwirt S. wieder in "Schutzhaft" genommen. Ein Ersuchen des Landgerichtspräsidentenan die Geheime Staatspolizei, Leitstelle Karlsruhe, um Aufklärung und Mitteilung der polizeilichen Anordnung blieb trotz mehrmaliger Erinnerung genauso ohne Antwort wie ein Ersuchen an das Reichssicherheits hauptamtin Berlin. Daß derartige Vorgänge die Richterschaftzutiefst demütigten, wird aus den deutlichen Worten sichtbar, die der Landgerichtspräsident fand, um das Oberlandesgericht zu einem Einschreiten zu bewegen:
II
Broszat, Strafjustiz, S. 390fT, rur die Zeit nach Kriegsausbruch, S. 399ff.
12
Bericht vom 4.6.40 (GLA 240/1987/53/663).
A. Übergriffe auf die Justiz durch staatliche Stellen
185
.. Die geheime Staatspolizei hält sich also fUr berechtigt, ein rechtskräftiges Gerichtsurteil, das sie ohne zureichende Unterlagen als verfehlt ansieht, auf ihre Weise zu korrigieren, indem sie einen freigesprochenen Angeklagten wieder festnimmt und an ihm eine nach Art und Maß von ihrem Belieben abhängige Freiheitsstrafe vollzieht. Die Frage, ob das Urteil der Strafkammer das Richtige getroffen hat oder nicht, muß hier außer Betracht bleiben. Auf keinen Fall darf sich die Geheime Staats polizei unter krasser Verletzung der bestehenden Gesetze Befugnisse anmaßen, die nur den Gerichten zukommen, wenn anders nicht das allgemeine Vertrauen auf die Rechtssicherheit erschUttert, und das Ansehen der Gerichte untergraben werden soll. Im Namen der Richterdes HeideltJerger Landgerichts erhebe ich daher schärfsten Protest und bitte, beim Herrn Reichsminister der Justiz dahin vorstellig zu werden, daß ähnlichen Vorkommnissen, die den wichtigsten Staatsinteressen zuwiderlaufen, ein rur alle Mal ein Riegel vorgeschoben, und der Geheimen Staatspolizei die vom Gesetz gezogenen Grenzen ihrer Machtbefugnisse nachdrUcklich zum Bewußtsein gebracht werden."
Der Oberlandesgerichtspräsident bat den Generalstaatsanwalt um Bericht. 13 Demnach hatte der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Tat zunächst gestanden, sein Geständnis dann aber widerrufen. Der Oberstaatsanwalt nahm die zunächst eingelegte Revision dann wieder zurück. Mit Verfügung vom 26. März 1940 hatte die Kriminalpolizeileitstellen Karlsruhe angeordnet, daß der Landwirt als Gemeingefahrlicher in polizeiliche Vorbeugehaft genommen werde, da er die drei Brände gelegt habe, und da .. trotz des freisprechenden rechtskräftigen Urteils kriminalpolizeilich bezüglich seiner Täterschaft kein Zweifel bestehe". 1 4 Der Generalstaatsanwalt hatte zunächst erwogen, den außerordentlichen Einspruch oder die Nichtigkeitsbeschwerde durch den Oberreichsanwalt gegen die Entscheidung des Landgerichts anzuregen, davon hatte er dann aber wieder Abstand genommen, da man dem Reichsgericht eine ähnliche Demütigung wie dem Landgericht Heidelberg ersparen wollte. .. Daß der besondere Strafsenat des Reichsgerichts zu einem anderen Urteil gelangen werde als die Strafkammer in Heidelberg, erscheint zwar möglich, aber keinesfalls sicher, zumal neue Verdachtsmomente nicht hinzugetreten sind. Verbleibt es aber bei einem Freispruch, so wäre, falls wie zu befUrchten, die KriminalpolizeisteIle ihre Anordnung Uber die Vorbeugungshaft auch dann noch weiterhin aufrecht erhält, die schon gegenwärtig durchaus unbefriedigende Situation nur noch verschlimmert."
13
Bericht des Generalstaatsanwalts vom 11.6.40 (GLA 240/19875/53/663).
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Zitat einer polizeilichen Erklärung im Bericht des Generalstaatsanwalts.
186
Kap. 6: Der endgültige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
Der Anreiz für die Generalstaatsanwaltschaft, die Sache auf justitiellem Wege weiterzubetreiben, wird auch deshalb gering gewesen sein, weil das FIgebnis einer Verurteilung ohnehin bereits erreicht war. Auch der Heidelberger Landgerichtspräsidentsah sich in seiner Hoffnung auf eine vehemente Reaktion des Oberlandesgerichtspräsidenten enttäuscht. Reinle reagierte sehr vorsichtig. Er merkte auf dem Schreiben des Landgerichtspräsidenten an, man könne sich ein eigenes Urteil ohne Kenntnis der Akten oder zumindest des Urteils nicht bilden. Deshalb solle man sich darauf beschränken, die Beschwerde des Landgerichtspräsidenten dem Reichjustizministerium vorzulegen und dabei dem Landgerichtspräsidenten grundsätzlich beizutreten und ebenfalls Wl Abhilfe zu bitten. Diese Anmerkung Reinles ist sicher bemerkenswert, macht sie doch die Reaktion des Oberlandesgerichts von einer eigenen Würdigung der Richtigkeit des landgerichtlichen Urteils abhängig. Die grundsätzliche Verteidigung der Justiz gegen derartige Übergriffe von Polizeistellen war dagegen vom Oberlandesgerichtspräsidenten nicht uneingeschränkt zu erwarten. In diesem Sinne wurde die Vorlage dann auch verfaßt. Eine irgendwie geartete Reaktion des Reichsjustizministeriums ist aus den Akten nicht ersichtlich. Die häufigsten Fälle der Urteilskorrekturdurch Polizeistellen betrafen die Delikte des verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen. So berichtete der Jugendrichter aus Radolfzell,l 5 die Fälle des verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen seien häufig. Strafbar sei aber nur der Umgang mit Kriegsgefangenen, nicht der mit Zivilarbeitern. Es war nun vorgekommen, daß jugendliche Angeklagte nach Verbüßung der Strafe wegen verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen in ein KZ verschleppt wurden, anstatt entlassen zu werden. Die Polizei schritt aber auch beim Umgang mit Zivilarbeitern ein. "Ein Teil dieser Gefangenen ist öffentlich erhängt und die weiblichen Personen sind öffentlich gebrandmarkt bzw. in ein KZ überführt worden. (... ) Abgesehen davon, daß diese Maßnahmen eine nicht nur von den Richtern, sondern auch von der Öffentlichkeit empfundene Korrektur eines richterlichen Urteils bedeutet, weil der Richter aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen nur den unerlaubten Verkehr mit Kriegsgefangenen ahnden kann, ist eine solche Behandlung gerade Jugendlicher m.li nicht angebracht."
Ein Zeugnis vollkommener Hilflosigkeit gegenüber derartigen Übergriffen ist auch ein dem Oberlandesgericht übermitteltes Schreiben des Vorsitzenden der Strafkammer des Landgerichts Konstanz an die Geheime Staatspolizeileit-
15
Bericht vom 28.8.41 (GLA 240/1987/53/689).
A. Übergriffe auf die Justiz durch staatliche Stellen
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stelle in Karlsruhe,16 in dem die Staatspolizeileitstelle beschworen wird, doch in diesem Fall von einer Urteilskorrektur Abstand zu nehmen. Der Vorsitzende teilte der Polizeileitstelle mit, daß die am 28.10.24 in Villingen geborene Eisabeth M. wegen verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen von seiner Kammer im Berufungsverfahren zu einer Strafe von fünf Monaten verurteilt worden sei, nachdem das Jugendgericht nur auf eine Strafe von einem Monat Jugendarrest erkannt habe. Es sei bekannt geworden, daß nach der Haftverbüßung KZ drohe. "Als Vorsitzender des Gerichts, das die Jugendliche Elisabeth M. abgeurteilt hat, ersuche ich nun dringend von einer Inhaftnahme der Elisabeth M. nach StrafverbUßung Abstand zu nehmen."
Um die Gestapo von der Berechtigung seines Verlangens zu überzeugen, führt der Vorsitzende an, die Angeklagte sei infolge eines in der Jugend erlittenen Unfalls geistig schwerfällig, so daß von einer nur verminderten Verantwortlichkeit auszugehen sei, die Familie sei aber gut beleumundet und der Bruder im Krieg gefallen. Schließlich wurde noch angefügt: "Derartige Maßnahmen nach Durchführung des gerichtlichen Strafverfahrens und VerbUßung der vom Gericht erkannten Strafe beeinträchtigen auch erheblich das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtspflege."
Dem Landgerichtspräsidenten war es in diesem Fall tatsächlich gelungen, die Rechtskraft des Urteils zu verteidigen. Am 24. Dezember 1941 konnte der Amtsgerichtsrataus Radolfzell berichten, daß die Betreffende nach Hause entlassen worden sei. Die Verhängung von Strafen ohne Beteiligung der Justiz, nahm aber ihren Fortgang. Bei den Akten findet sich ein Artikel aus dem "Führer" vom 10. November 1941 über zwei "ehrvergessene Mädchen", in dem unter genauer Nennung von Namen und Geburtsdatum zweier jugendlicher Frauen berichtet wird, daß der Reichsführer-SS deren Überführung in ein KZ auf längere Zeit verfügt habe, da sie sich in "ehrvergessener Weise mit einem Polen eingelassen" hätten. Durch derartige Vorgänge wurde den Richtern ihre eigene Machtlosigkeiteindrucksvoll vor Augen geführt. Die drastische Erhöhung der Strafe in der Berufungsinstanz im Verfahren gegen Elisabeth M. mag dabei auch deshalb zustande gekommen sein, weil man nicht erwarten durfte, daß eine geringere Strafe ohne polizeiliche Urteilskorrektur Bestand haben werde.
16 Schreiben vom 23.10.41 (GLA 240/1987/53/689).
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Kap. 6: Der endgUltige Niedergang der RechtsstaatIichkeit
Der ganze Villinger Vorgang wurde dem Reichsjustizministerium berichtet, der um Urteilsabschriften und sofortigen Bericht in gleichartigen Fällen bat. Eine weitergehende Reaktion des Reichjustizministeriums läßt sich zumindest den Akten des Oberlandesgerichts nicht entnehmen. Die demoralisierende Wirkung von Urteilskorrekturen und Strafverfolgung an der Justiz vorbei auf Richter und Staatsanwälte wird in einem eindrucksvollen Lagebericht des Oberstaatsanwalts in Mosbach deutlich. Daß dieser Bericht nach Ansicht des Generalstaatsanwalts die Stimmung der im Justizdienst tätigen "Rechtswahrer" durchaus zutreffend beschrieb, ergibt sich schon daraus, daß er dem Reichjustizminister zusammen mit dem Bericht des Generalstaatsanwalts vorgelegt wurde. 17 "Am 22.4.1941 wurde auf Anordnung des ReichsfUhrers SS in Oberschefnenz ein polnischer Landarbeiter, der mit einer deutschen Frau geschlechtlich verkehrt hatte, öffentlich durch Hängen hingerichtet. Ich habe bereits im vorigen Lagebericht darauf hingewiesen, dass Gesetze und Anordnungen mit Gesetzeswirkung an so vielen SteIlen zu finden sind, dass es auch fUr den Rechtswahrer sehr erschwert, wenn nicht unmöglich geworden ist, alle Bestimmungen zu Ubersehen. Daruberhinaus gibt es offenbar nichtveröffentlichte Gesetze, durch die Polizei- und Verwaltungsbehörden ermächtigt worden sind, die einschneidendsten Maßnahmen gegen Polen, Schwerverbrecher und Geisteskranke zu treffen. Eine wenigstens vertrauliche Mitteilung der entsprechenden gesetzlichen Ermächtigungen an die Justizbehörden wäre m.E. angebracht. ( ... )
Sogar die Arbeitsämter sind offenbar durch nichtveröffentIichte Gesetze ermächtigt, Strafen zu verhängen. So hat das Arbeitsamt Mosbach gegen einen polnischen Ladarbeiter Strafantrag gestellt, weil dieser seinen Arbeitsplatz verlassen und nach WUrttemberg gegangen ist. Ich schickte deshalb die Akten an die zuständige Gend. Station mit dem Ersuchen, den Beschuldigten verantwortlich zu vernehmen und ihn dem nächsten Amtsgericht zum Erlass des Haftbefehls vorzufUhren. Ich bekam die Akten unerledigt zurUck mit dem Bemerken, dass das Arbeitsamt Esslingen den pol ni schen Landarbeiter im dortigen Bezirk behalten wolle und es deshalb die Festnahme des Beschuldigen nicht wUnsche. Ich schickte darauf die Akten dem wUrttembergischen Gend.Posten mit dem Ersuchen zurUck, wenigstens die verantwortliche Vernehmung des Beschuldigten durchzufUhren. Darauf wurden mir die Akten zuruckgesandt mit der Vernehmung des Beschuldigten und einem Bescheide des Arbeitsamtes EssIingen. Nach diesem Bescheid hat das Arbeitsamt Esslingen von sich aus in der Zwischenzeit den polnischen Landarbeiter mit einer Busse von 10.- RM., zahlbar an die NSV., belegt, weil er seinen Arbeitsplatz in Mosbach verlassen hatte. Ich habe jetzt 17
Siehe die dem RJM vorgelegte Abschrift des Berichts vom 23. Mai 1941 (GLA
309/1205, S.77ff.).
A. Übergriffe auf die Justiz durch staatliche Stellen
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die Akten dem Arbeitsamt Mosbach mit der Bitte um Kenntnisnahme und Mitteilung Ubersandt, aufgrund welcher gesetzlichen Bestimmungen das Arbeitsamt zur Erlassung solcher Strafbescheide befugt ist. Ich halte es aber schon rur ein betrUbliches Zeichen, dass die Staatsanwaltschaften von sich aus nicht mehr in der Lage sind, festzustellen, welche Behörden aufgrund veröffentlichter oder geheimer Gesetze Strafbefugnis haben. In diesem Zusammenhang erscheint es mir erforderlich zu prUfen, wieweit eine Strafrechtspflege Uberhaupt noch angebracht ist. Ich habe bereits oben dargelegt, dass Strafbefugnisse gerade in den schwersten und einschneidendsten Fällen den Verwaltungsbehörden Ubertragen sind.( ... ) Es ist auch bekannt, dass schon jetzt im Verwaltungswege gegen Gewohnheitsverbrecher polizeiliche Massnahmen nach der schwerwiegendsten Art angeordnet werden. Es ist nun unzweifelhaft richtig, dass der Asoziale und Gewohnheitsverbrecher nicht den Schutz verlangen kann, der dem Volksgenossen zukommt, der nur wegen geringerer Straftaten vor Gericht steht. Wer aber als Asozialer oder Gewohnheitsverbrecher anzusehen und zu behandeln ist, sollte doch auch weiterhin in einem förmlichen Verfahren durch gerichtliches Urteil festgestellt werden. (... ) Sollte aber die Verwaltung glauben, auch bei solchen Verfahren und auch nach Einbau des ausserordentlichen Einspruches und der Nichtigkeitsbeschwerde nicht darauf verzichten zu können, polizeiliche Massnahmen ohne Rücksicht ~arauf zu verhängen, ob gerichtliche Urteile vorliegen und welcher Art die sind, dann muss die Frage erhoben werden, ob die Strafrechtspflege nicht besser im Interesse der Kostenersparnis durch eine Strafverwaltung ersetzt werden soll. Das Strafverfahren und das Urteil ist schliesslich nur eine leere Form, wenn jede Verwaltungs behörde auch ohne Urteil einschneidende Massnahmen vornehmen oder ein gesprochenes Urteil als nicht rechtmäßig unbeachtet lassen kann. Thtsächlich macht sich schon unter den jüngeren Rechtswahrern ein Geruhl der Resignation bemerkbar. Man kann häufig auf Vorhalt, dass gegen einen verdächtigen Schwerverbrecher eingehende Ermittlungen geführt werden mUs sen, um ihn der gerechten Strafe zuzufUhren, die Antwort hören, es sei ja doch gleichgültig, welche Strafe ausgesprochen wUrde; wenn sie nicht ausreichend erscheine, wUrde die Polizei schon weitere Massregeln treffen.( ... ) Bei dem jetzigen Zustand wird auch die Nachwuchsfrage immer brennender werden. Der Dienst bei den Justizbehörden wird naturgemäss als Beschäftigung minderer Art angesehen werden, wenn es bei dem jetzigen Verfahren bleibt, dass nämlich die Justizbehörden nicht berechtigt sind, Verwaltungsakte auf ihre Rechtrnässigkeit nachzuprUfen, nahezu jede Verwaltungs behörde aber in der Lage ist, die Anordnungen und Urteile der Justizbehörden als unmassgeblich zu behandeln.(... ) Dagegen haben allerdings die unteren Verwaltungsbehörden selbst anscheinend die Auffassung, dass die Justizbehörden ihnen untergeordnet sind. Dies ergibt sich häufig aus dem Ton der von den Landräten an mich gerichteten Schreiben.( ... ) Auffällig ist
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Kap. 6: Der endgültige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
auch, dass die Landräte bei Stellung von Strafanträgen in den Strafantrag ihre Au ffassung Uber die angemessene Strafe einfUgen. So hat mir am 13.4.1940 der Landrat in Mosbach einen Strafantrag Ubersandt und in den Strafantrag hinein folgendes geschrieben: ,Mit RUcksicht auf die Schwere des Vergehens sowie im Interesse der dringend notwendigen Autoritätswahrung bitte ich auf Verhängung einer exemplarischen Freiheitsstrafe hinwirken zu wollen.' Wenn bisher Verwaltungsbehörden zur Unterstutzung der Staatsanwaltschaft ihre Auffassung Uber die Schwere einer Straftat mitteilen wollten, so geschah dies in der Regel auf einem besonderen Bogen, der von der Staatsanwaltschaft zu den Handakten genommen werden konnte. Auf diese Weise sollte der Eindruck vermieden werden, als wenn man unmittelbar dem Gericht die angemessene Strafe vorschreiben wollte. Da es sich im angefUhrten Falle um einen 71 jährigen Beschuldigten handelte, der Abbitte leistete und sich zu einer Busszahlung bereit erklärte, habe ich gegen ihn nur eine Geldstrafe beantragt. Daraufhin bat der Landrat in Mosbach um Mitteilung der GrUnde, warum ich entgegen seiner Bitte, eine Geldstrafe beantragt hatte."
Dieser Bericht läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die sich durch die Urteils korrekturen offen manifestierende Mißachtung der Justiz ging Richtern und Staatsanwälten an den Nerv. Der Konflikt beruhte viel weniger auf einem Widerstreben gegen die drakonischen Strafgesetze, er beruhte darauf, daß man der Justiz die eigene Überflüssigkeit und Machtlosigkeit immer wieder deutlich machte. Man mag in in diesen Gegebenheiten einen Grund dafür sehen, warum während des Krieges scheinbar bedenkenlos Tausende von Todesurteilen und lange Zuchthausstrafen verhängt wurden. Nur bei harten Strafen bestand die Aussicht, daß die Urteile vor der Überprüfung durch die Polizeibehörden Bestand haben würden. I 8 Wer sich, anders als der Mosbacher Oberstaatsanwalt, der die Realität erkannt hatte, weiter der Illusion hingeben wollte, die Strafe beruhe auf seinem Urteil, der mußte harte Strafen verhängen. Aber auch eine Justiz, die sich nicht scheute, nationalsozialistisches Strafrecht anzuwenden und harte Strafen zu verhängen, war nicht in der Lage, die an sie gerichteten Erwartungen zu erfüllen. Allein schon die Umständlichkeit justitieller Verfahren, machte es für die einmal entfesselte Exekutive unattraktiv, die Justiz in die Strafverfolgung mit einzubeziehen, konnte man doch in eigener Verantwortung das gleiche Ergebnis auf schnellere Weise erreichen. Es bestand auch nicht der geringste Grund für Polizei behörden die Letztverbindlichkeitjustitieller Entscheidungen zu akzeptieren. Über eigene Machtmit18 Genauso Majer, Rechtssystem, S. 113; diess., Fremdvölkische, S. 659f.; Fieberg, S. 55f.; NoamiKropat, S. 15; siehe auch Broszat, Strafjustiz, S. 4Olf.; differenzierend Angermund, S. 159f. und 199f.
B. Übergriffe durch die Kreisleiter
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tel verfügte die Justiz nicht und Übergriffe auf die Rechtspflege blieben allem Anschein nach ohne jede Sanktion. Vom Reichsjustizministerium zumindest ist keinerlei Hilfe aktenkundig. Dessen Stellung verschlechterte sich nach Kriegsausbruch ohnehin zusehends, so daß Amtsgerichtsdirektoren und Landgerichtspräsidenten in ihrer Ohnmacht wohl allein gelassen waren.
B. Übergriffe durch die Kreisleiter Mit Kriegsausbruch fühlten sich auch die Kreisleiter wieder dazu animiert, in Verfahren einzugreifen. Deren Interesse galt, zumindest soweit die Fälle aktenkundig wurden, ausschließlich Zivilentscheidungen. Dabei wiederholte sich das bereits aus Vorkriegszeit bekannte Muster, daß eine mit dem Ausgang des Zivilverfahrens unzufriedene Partei versuchte, ihr tatsächliches oder vermeintliches Recht über die örtlichen Parteigrößen zu sichern. Diese waren nur allzu bereit, diesen Ansinnen Folge zu leisten, einmal weil das Mißtrauen der alten Parteigenossen gegen die Justiz ohnehin nie geschwunden war, zum anderen hatten die Kreisleiter sicherlich oftmals mit Mißmut in der Bevölkerung zu kämpfen, die unter den kriegsbedingten Beschränkungen litt. Der Eingriff in Zivil verfahren durch Parteiführer bot so eine willkommene Gelegenheit,joviale Hilfsbereitschaft für den kleinen Mann, Gerechtigkeitsliebe und Volksnähe aber auch die ungebrochene Macht der Partei zu demonstrieren. Oftmals waren es dabei Vollstreckungsverfahren, die das Interesse der Parteidienststellen fanden, und dabei sehr häufig Wohnungsräumungen. In Pforzheim 19 war ein Wohnungsmieter, bei dem erhebliche Mietriickstände fällig waren, Ende Juni 1939 in einem Anerkenntnisurteil zur Räumung verurteilt worden. Zunächst wurde eine Frist bis zum 1. September eingeräumt,die man dann bis zum 1. November 1939 verlängerte. Am 26. Oktober erschien die Räumungsschuldnerin dann auf der Geschäftsstelle und beim Gerichtsvollzieher und erklärte, wie es im Bericht des Amtsgerichtsdirektors heißt, "kurz und bündig ( ... ), von der Kreisleitung mit dem Auftrag geschickt worden zu sein, beim Gericht eine weitere Räumungsfrist von 3 Monaten nicht etwa zu erbitten sondern zu erhalten."
19 Sachverhalt aus Anlage I zu einem Schreiben des Amtsgerichtsdirektors Pforzheim an das OLG vom 22.11.39 (GLA 240/1987/53/584).
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Kap. 6: Der endgUltige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
"Ich erklärte dem Kreisleiter , daß niemand auf die Straße gesetzt werde und seitens der Gerichte alles geschähe, jede unnötige Härte zu vermeiden; er erwiderte mir aber, die Kreisleitung dUrfe schon dann eine Räumung nicht zulassen, wenn dem Räumungsschuldner nur eine notdUrftige Wohnung als Ersatz gestellt werde. Die Mieter dUrften in der jetzigen Kriegszeit nicht verstimmt werden. Auf meinen Hinweis, es könne auch eine Verstimmung der Vermieter geben, meinte der Kreisleiter, diese sei der Partei weniger wichtig."
Ein wurde ein weiteres Verfahren geschildert, weIches ebenfalls die Räumung einer Wohnung zum Gegenstand hatte, genauso wie ein Vollstreckungsverfahren gegen den Inhaber eines Stoffgeschäfts. In diesem Verfahren hatte der Gerichtsvollzieher gepfändete Möbelstücke in amtliche Verwahrung nehmen wollen, nachdem er gegen den Schuldner Anzeige wegen Verstrickungsbruchs in 17 Fällen hatte erstatten müssen. Der Gerichtsvollzieher war jedoch unverrichteter Dinge wieder zum Gericht zurückgekehrt und hatte den Amtsgerichtsdirektorum Rat gefragt, was er tun solle. Die Ehefrau des Schuldners habe erklärt, sie sei bei der Kreisleitung gewesen, dort sei ihr gesagt worden, daß nicht versteigert werden dürfe. Der Amtsgerichtsdirektor setzte sich mit der Kreisleitung in Verbindung und man einigte sich darauf, die Vollstreckung bis zum Abend des nächsten Tages vorerst zu unterlassen, auch mit dem Kreisgeschäftsführer nahm er Verbindung auf, der erklärte, "der Schuldner sei eingezogen und die Kreisleitung habe parteiamtliche Weisung, während der Dauer des Krieges keine Zwangsvollstrekkung gegen einen zur Wehrmacht eingezogenen Schuldner zuzulassen." Der Hinweis des Amtsgerichtsdirektors auf § 5 der Verordnung über weitere Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung/ o wonach mit Kriegsbeginn unterbrochene Zwangsvollstreckungsverfahren nunmehr fortzusetzen seien, blieb genauso erfolglos, wie der Verweis auf den begangenen Verstrickungsbruch. "Ich bat um Abschrift dieser Weisung, da das Amtsgericht eine ihm nicht bekannte Verfügung nicht berUcksichtigen könne. Kreisgeschäftsführer Schneider sagte mir, diese Abschrift zu. Einige Zeit später sagte mir Kreisgeschäftsführer Schneider fernmUndlich, Frau W[Ehefrau des Schuldners, Verf.] sei beim Kreisleiter gewesen under 20 Verordnung Uber weitere Maßnahmen auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung vom 31.10.39 (RGSl. I S. 544). Die Verordnung befaßte sich mit der FortfUhrung von Verfahren, die aufgrund der Verordnung Uber Maßnahmen auf dem Gebiete des bUrgerlichen Streitverfahrens, der Zwangsvollstreckung, des Konkurses und des bUrgerlichen Rechts vom 1. September 1939 (RGSl. I S. 1656) eingestellt worden waren.
B. Übergriffe durch die Kreisleiter
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habe mirim Auftrag des Kreisleiters mitzuteilen, die Kreisleitung dulde nicht, daßdas gepfändete Eßzimmer aus der \\bhnung des Schuldners abgeholt und versteigert werde. Abschriften partei amtlicher Weisungen dUrften nicht erteilt werden. (... ) Ich habe schon im Sommer ds. Js. mit dem Kreisleiter verschiedene Fälle besprochen, in denen Angehörige der Kreisleitung sich in gerichtliche Verfahren eingemischt hatten. Ich habe schon damals gebeten, Rechtssuchende an das Gericht zu verweisen und nicht selbst unzuständig zu entscheiden.( ... ) Es kann doch nicht angehen, daß der nationalsozialistische Gesetzgeber Verordnungen erläßt, welche die nationalsozialistische Partei einfach nicht beachtet, und deren Ausfuhrung durch die Gerichte sie verhindert. Ich kann doch nicht das Schauspiel bieten, den Gerichtsvollzieher anzuweisen, die Möbel zwangsweise zu holen und dabei Gewalt gegen Angehörige oder Beauftragte der Kreisleitung anzuwenden, andererseits mich aber auch nicht damit abfinden, daß gesetzlich gebotene Amtshandlungen der Gerichtsbeamten gesetz- und pflichtwidrig unterlassen werden.(... )"
Reinle versuchte über seine Beziehungen zur NSDAP, schließlich war er selbst alter Parteigenosse, die Kreisleitung in Pforzheim anweisen zu lassen, keine Fingriffe in gerichtliche Verfahren mehr vorzunehmen. In einem eingehendenSchreiben 21 an den ehemaligen badischenlustizminister Rupp, der den Posten des Gaurechtsamtsleiters der NSDAP innehatte, verwies er auf die Rechtslage, wonach die mit Kriegsbeginn unterbrochenen VoUstreckungsverfahren fortzusetzen seien. "Damit läßt es sich nicht vereinbaren, daß die Partei, wie es in Pforzheim geschieht, durch Spruch des Kreisleiters die DurchfUhrung von Zwangsvollstreckungen in Mobilien gegenUber einberufenen Schuldnern grundsätzlich als unzulässig bezeichnet und verhindert.(... ) Als besonders unerfreulich wirkte es dabei, daß die Kreislei tung gegenUber dem Gerichtsvollzieher ein Verbot ausspricht,( ... ). Es wird also ein Beamter in einen Gewissenszwang und eine Pflichtenkollision hineingetrieben, die zugleich eine schwere Gefährdung der Staatsautorität in sich birgt. (... ) Ich kann fur meinen Teil nicht glauben, daß bei der Partei eine bindende Weisung dahingehend besteht, daß gegen zum Heere Einberufene Uberhaupt nicht vollstreckt werden dUrfe. Denn die LockerungsverfUgung ist ja schließlich keine Erfindung des Reichsjustizministeriums, sondern vom Ministerrat fUr die Reichsverteidigung erlassen und trägt als erste die Unterschrift von Feldmarschall Göring."
Reinle bat Rupp, dieser möge über den stellvertretenden Gauleiter eine Weisung an den Kreisleiter von Pforzheim erwirken, sich jedweder Fingriffe in gerichtliche Verfahren zu enthalten, er, Reinle, müsse sonst den Vorgang dem Reichsjustizministerium melden. Rupp zeigte sich jedoch von dem Vorbringen 21
Schreiben vom 25.11.39 (GLA 240/1987/53/584).
13 Schiller
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Kap. 6: Der endgUltige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
Reinles und der angedrohten Einschaltung des Reichsjustizministeriums wenig beeindruckt. 12 Er nahm lediglich Verbindung zum Pforzheimer Kreisleiter auf und der erklärte ihm. der Sachverhalt stimme nicht in allen Punkten mit der Schilderung des Oberlandesgerichtspräsidenten überein. Es habe ihm aber femgelegen. den Richtern des Amtsgerichts Pforzheim die Arbeit irgendwie zu erschweren. Rupp und der Kreisleiter kamen überein. daß in allen Fällen. in denen der Kreisleit1ll1g ein Eingreifen der Partei nötig erscheine. eine Kontaktaufnahme zum Vorstand des Amtsgerichts erfolgen solle. Weitere Schritte wurden von Rupp nicht unternommen. Reinle hatte also nicht erreichen können. daß die Kreisleitung sich weiterer Eingriffe künftig enthalten werde. Lediglich der Gang der Einflußnahme sollte etwas diskreter gestaltet werden. Man darf jedoch sicher davon ausgehen. daß sich die Kreisleitung auch öffentliche Eingriffe vorbehielt. falls das Amtsgericht sich ihren .,Anregungen" nicht anschließen wollte. Im Jahre 1941 nahmen dann die aktenkundig gewordenen Eingriffe von Parteiseite stark zu. Das Oberlandesgericht war dabei trotz der Stellung Reinles in der Partei entweder nicht willens oder nicht in der Lage. den Richtern eindeutig beizutreten. Der Oberamtsrichter in Baden-Baden berichtete23 von einem Eingriff des Kreisleiters in ein Privatklageverfahren. in dem der Kreisleiter einer der Beteiligten verboten hatte. vor Gericht zu erscheinen. da die Sache vor das Parteigericht gehöre. Weiter versuchte er. das Verfahren dadurch zu verhindern. daß er um Aktenübersendung an das Parteigericht ersuchte. Das Verfahren wurde dann doch noch durchgeführt und die Beklagte freigesprochen. Das Oberlandesgericht unternahm in der Sache nichts. Reinle vermerkte: .. Man wird die Haltung Laucks [der Oberamtsrichter. Verf.] billigen aber. nachdem der Fall selbst erledigt ist. von weiteren Schritten absehen. die doch karnn Erfolg versprechen." Der Kreisleiter in Wolfach unternahm ab Frühjahr des Jahres 1941 regelmäßig Inspektionen bei staatlichen Behörden. über deren Ergebnis dann publi-
22 23
Antwortschreiben vom 1.12.39 (GLA 240/1987/53/584). Schreiben vom 15.1.41 (GLA 240/1987/53/663).
B. Übergriffe durch die Kreisleiter
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lrumswirksam im "Schwarzwälder Tagblatt" berichtet wurde. 24 Der Amtsgerichtsrat in Wolfach befürchtete nun, in der Bevölkerung könne der Eindruck entstehen, beim Kreisleiter handele es sich um eine vorgesetzte Behörde, die zur Feststellung von Mängeln bei staatlichen Ämtern berufen sei. Es drohe eine Verwirrung der Begriffe bei der Bevölkerung, die sicher auch nicht ohne praktische Rückwirkung bleibe. Der Vtzepräsident des Oberlandesgerichts, Dr. Rooff, nahm die Sache so wichtig, daß er sie auch dem Innenministerium vorlegte. Er richtete dann ein betont konziliantes Schreiben an den Reichsstatthalter in Karlsruhe,2s in dem er es zwar begrüßte, wenn die Kreisleiter mit den Behördenleitern den persönlichen Kontakt suchten, um ihre Sorgen und Nöte zu besprechen. Es müsse aber auf eine andere Art der Berichterstattung gedrungen werden, da durch die Erörterungen von Beanstandungen und Mängeln das Ansehen der Behörde zu leiden drohe. Mit seinem Bericht lieferte der Amtsrichter auch eine Schilderung der schwierigen Verhältnisse zwischen Richtern und Partei in den ländlichen Bezirken: "Ich sehe ein, daß diese Dinge von dem Standpunkt einer Zentralbehörde aus wie belanglose ländliche Querelen aussehen mögen, ich rechne selbstverständlich auch damit, daß meine Vorstellungen in dieser Angelegenheit möglicherweise als Ausdruck einer dubiosen politischen Haltung gewertet werden. Ich bin aber der Überzeugung, daß auch der älteste Nationalsozialist, wenn er an meiner Stelle wäre, ebenso denken und handeln würde, und daß mir jeder recht geben muß, der einmal Richter auf dem Lande war.( ... ) Der Richter draußen ist selbst seine Behörde und kann sich hinter nichts und niemandem verstecken. Ihm kann als Richter nicht schlimmeres geschehen, als daß er in den Augen der Bevölkerung von einem anderen abhängig erscheint, und gar abhängig von einer lokalen Größe. (... ) Es handelt sich ja nicht um einen persönlichen Besuch des Herrn Kreisleiters, sondern nach Aufmachung und Berichterstattung um einen öffentlichen, übrigens unangesagten und unvermuteten Besuch einer scheinbar höheren Stelle, die besichtigt und kritisiert.( ... ) Wenn dies vor aller Öffentlichkeit
24 Bericht des Amtsgerichtsrats Güde aus Wolfach vom 25.1.41 (GLA 240119871531 14), der auch drei der Zeitungsartikel übersandte, bei denen es sich um journalistische Höchstleistungen handelte, so etwa der Artikel vom 21.2.41, S. 5 : "Dem Postamt galt der nächste Besuch. Hier mußten einige Mängel festgestellt werden. Das Amt ist für den angewachsenen Publikumsverkehr viel zu klein.( ... ) Im Finanzamt liegt die Sache ähnlich. Bei seinem Besuch mußte der Kreisleiter feststellen, daß die Zimmer, die normalerweise Zimmer sind, in Ordnung sind. Die Räume aber, die durch Abtrennung des breiten Ganges entstanden sind, sind keine Zimmer. Sie sind kalt und ungesund. Und zudem müssen Volksgenossen, die in andere Zimmer gehen wollen, durch diese Räume durchgehen, so daß der oder die Beamten gar nicht recht schaffen können. (... )." 2S Schreiben vom 25.2.41 (GLA 24011987/53/14).
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Kap. 6: Der endgUltige Niedergang der RechtsstaatIichkeit
geschieht, soll ich dann einer einfach denkenden Bevölkerung Ubelnehmen, wenn sie zwischen der politischen Instanz und dem Gericht nicht mehr zu unterscheiden weiß, sich auch in Rechtssachen an jene vermeintlich höhere Stelle wendet und jene, um ihren Nimbus aufrecht zu erhalten, geradezu zwingt, sich in diese Rechtssache einzumischen."
Das Oberlandesgericht sah sich außerstande, dem Amtsrichter die erhoffte Rückendeckung zu geben und ihn anzuweisen, die Inspektion durch den Kreisleiternicht zuzulassen. Es gestattete ihm lediglich, für den Fall des Besuches mündlich auf den Kreisleiter einzuwirken, er möge für eine andere Art der Berichterstattung sorgen. Der Richter fühlte sich ganz zu Recht von seiner vorgesetzten Behörde im Stich gelassen: "Ich fUge mich dieser Weisung, aber voll erheblicher Verbitterung. Es ist nicht leicht, sich bei den lokalen Größen ,politisch' mißliebig zu machen und sich entsprechend ,beurteilen' zu lassen, weil man persönlich und dienstlich den Lebensraum zu behaupten sucht, den man braucht, wenn man sich nicht aus einem Richter zu einem Funktionär in Rechtssachen herabdrUcken lassen will. Es wäre freilich all dies leichter, wenn die vorgesetzten Stellen Verständnis fUr diese besondere Lage hätten und bereit wären, den Richter in Konfliktfällen zu stUtzen."
Diese deutlichen Worte trugen dem Richter einen Tadel Reinles 26 und den Hinweis ein, daß Reibungen zwischen Partei und Justiz nach Möglichkeit zu vermeiden seien. Das Oberlandesgericht war sich seiner Machtlosigkeit wohl bewußt. Es mag sein, daß eine deutlichere Reaktion möglich gewesen wäre, bewirkt hätte sie sicher nichts. Der Autoritätsverlustder Justiz war zu diesem Zeitpunkt bereits so weit fortgeschritten, daß eine wirksame Verteidigung gegenüber den Parteidienststellen nicht mehr möglich war. Die Machtlosigkeit der Justiz zeigte sich auch in der Reaktion der Reichsstatthalterei auf das Ansinnen des Oberlandesgerichts, die Berichterstattung über die Inspektionen zu unterbinden. Ruoff wurde von einem Regierungsrat beim Reichsstatthalter fernmündlich unterrichtet, daß der Reichsstatthalter Weisung gegeben habe, es solle lediglich eine Art der Berichterstattung verhindert werden, die als Kritik oder Herabsetzung der Behörde aufgefaßt werden könne. Die Besichtigung wolle er dem Kreisleiter aber nicht verbieten. Dieser sei für alles verantwortlich, was im Bezirk vorgehe. Er könne deshalb auch die Gerichtsgebäude besuchen. Ruoff stellte denn auch resigniert fest: 27
26
Schreiben vom 26.2.41 (GLA 240/1987/53/14).
27
Aktenvermerk Ruoffs vom 4.3.41 (GLA 240/1987/53/14).
B. Übergriffe durch die Kreisleiter
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"Ob die Weisung also dahin gehen wird, daß der Eindruck des Besuchs als Vorgesetzter vermieden wird, und daß die Berichte andie Öffentlichkeit ganz untersagt werden, bezweifle ich hiernach."
Die entsprechende schriftliche Weisung des Reichsstatthalters erging am 5. März. Sie hatte aber nur den bereits im Telefonat mit Ruoff mitgeteilten Umfang. Weder die Kontrollbesuche noch die Berichterstattung hierüber wurden untersagt. Die Sache war dann noch Gegenstand eines Berichts an den Reichsjustizministe~ der aber keine Reaktion zeigte. 28 Vollkommen untätig blieb das Oberlandesgericht auch gegenüber den Verhaltensweisen des Kreisleiters in Müllheim. Der dort amtierende Amtsrichter schilderte auf siebeneinhalb Seiten seine Auseinandersetzungen mi t Kreisleiter Grüne~29 der nicht nur mit eigenen Schriftsätzen in schwebende Verfahren eingriff. sondern sich auch Urteilsabschriften zustellen ließ und dann in heftigen Kommentaren seine Meinung zu dem Urteil kundtat. Dies tat er nicht nur dem Richter selbst gegenüber. sondern auch in öffentlichen Versammlungen. in denen er die Justiz angri ff und schärfste Maßnahmen gegen Wohnungsräumungen androhte. Parteien wurden aufgefordert. gerichtlichen Terminen fernzubleiben und dem Richter wurde bescheinigt. das Amtsgericht mache. was es wolle. und er werde da noch hineinleuchten. Ein Fall. für den der Kreisleiter Interesse gezeigt hatte. endete mit Klagerücknahme. was wohl die Folge der Einschüchterung des Klägers war. Einem Justizsekretär. der nach Müllheim versetzt worden war und der nach langem Suchen eine Wohnung gefunden hatte. wurde vom Kreisleiter mitgeteilt. er. der Kreisleiter. beanspruche die Wohnung für eine Kriegerwitwe und er werde mit Hilfe der SA dafür sorgen. daß diese dort einziehe. Daß der Oberlandesgerichtspräsident dem Justizsekretär geraten habe. auf die Wohnung nicht zu verzichten. berühre ihn nicht. Tatsächlich verzichtete der Justizsekretär nach neuerlicher Drohung mit dem Einsatz der SA. In einer Aussprache mit dem Richter meinte der Kreisleiter. daß er bei Räumungsverfahren einfach eingreifen müsse. da sie an sich geeignet wären. die Stimmung in der Bevölkerung zu verbittern. Ein öffentlicher Widerruf der die Justiz herabsetzenden Äußerungen wurde zwar in Aussicht gestellt. erfolgte aber nie. Von Seiten des Oberlandesgerichts wurde dem Richter lediglich mitgeteilt. der Bericht hätte früher erstattet werden müssen. Schließlich lägen sämtliche
28 Bericht des OLG an den RJM vom 21.4.41 (GLA 240/1987/53/14). 29 Bericht von AG Rat Maurer vom 17.11.41 (GLA 240/1987/53/14).
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Kap. 6: Der endgültige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
Vorfälle schon mehr als zwei Monate zurück, eine Vorstellung bei der Gauleitung erscheine daher als verspätet und nicht mehr tunlich. Die Nervosität der Justizverwaltung in dieser frühen Kriegsphase läßt auch durch einen Fall belegen, der einen Artikel im "Schwarzen Korps" betraf. Die Empfindlichkeitder Justiz gegenüber solchen Pressekampagnen hatte sich ja bereits vor Kriegsausbruch gezeigt, als die Artikelserie in der nationalsozialistischen Presse Kreisleiter dazu angestachelt hatte, Urteile zu korrigieren. In einem Artikel vom 20. November 1941 30 wurde in der üblichenrassistischen Diktion derartiger Artikel und mit der ebenfalls üblichen Schwarz-WeißMalerei der Lebensweg eines Filmvorführers geschildert, der sich hoch verschuldet hatte und im Rahmen eines von seinem Arbeitgeber initiierten Entschuldungsverfahrens den Gläubigern eine Quote von 25 % angeboten hatte. Glaubt man dem Artikel, so willigte lediglich ein jüdischer Gläubiger nicht in dieses Verfahren ein und betrieb das Zwangsvollstreckungsverfahren. Das Reichsjustizministerium31 teilte dem Oberlandesgerichtspräsidenten mit, daß es sich bei dem Vorführer um Karl H. aus St. Georgen handele. Wenn Vollstreckungsmaßnahmen seitens des jüdischen Gläubigers beantragt würden, so solle vor einer Entscheidung des Vollstreckungsgerichts dem Reichsjustizministerium berichtet werden. Die oben geschilderten Fälle zeigen, daß mit Kriegsausbruch die zuvor noch mühsam aufrechterhaltene Autorität der Justiz völlig zusammenbrach. Die Kreisleiter waren nicht mehr gewillt, ihnen als unrichtig erscheinende Gerichtsentscheidungen zu tolerieren. Parallel dazu drohte die Strafrechtspflege der Justiz zu Gunsten der Polizei völlig zu entgleiten. Dabei spielten sicher die Kriegsverhältnisse eine entscheidende Rolle, da sie immer als Grund für aussergewöhnliche Strafmaßnahmen angeführt werden konnten und die auch den Kreisleitern als Vorwand für ihre Übergriffe dienten - galt es doch Mißstim mungen in der Bevölkerung zu verhindern. Daneben war es sicher auch der Tod des Reichjustizministers Gürtner, der dieser Entwicklung Vorschub leistete. Neben der längeren Kriegsdauer mag auch damit das starke Ansteigen der aktenkundigen Fälle im Jahre 1941 zu erklären sein. Übergriffe auf die Justiz hatte es seit der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten immer gegeben. Mit der Verreichlichung der Justiz hatte es dann den Anschein, als gelänge es
30 "Das Schwarze Korps" vom 20.11.41, No. 47, Ausschnitt bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/53/663). 31 Verfügung vom 15.1.42 (GLA 240/1987/53/663).
C. Die Führerrede vom 26. April 1942
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der Ministerialbürokratie, sich gegen die unberechenbaren ParteisteIlen durchzusetzen. Für die Oberlandesgerichte wurde auch durch das Reichsjustizministerium ein gewisses Gegengewicht gegen die Macht der Gauleitungen geschaJren. Mit Kriegsausbruch neigte sich jedoch die Waage endgültig zu Gunsten der Partei. Soweit etwa das Oberlandesgericht Karlsruhe überhaupt dem Reichsjustizministeriumglaubte berichten zu müssen, ist irgendein helfendes Eingreifen durch dieses nicht zu belegen. Reinle versuchte zwar, über die Gauleitung seine Richter gegenüber den Kreisleitern in Schutz zu nehmen. Sehr t2"folgreich war er dabei aber nicht. Die Gauleitung zeigte zunächst wenig Neigung ihren Kreisleitem irgendeine Form von Machtbeschränkung aufzuerlegen. Gegenüber Eingriffen der Exekutive fehlt eine eigene Reaktion des Oberlandesgerichtspräsidenten völlig. Wie sich diese Vorfalle auf die Stimmung in der Justiz auswirkten, wird durch die Quellen ebenfalls eindeutig belegt. Mag man 1935 noch geglaubt haben, daß in einem nationalsozialistischen Staat auch Platz für den "Deutschen Richter" sei, so waren mit den nach Kriegsbeginn einsetzenden Übergriffen auf die Justiz selbst nationalsozialistisch eingestellte Richter wohl ziemlich desillusioniert, was ihren Traum vom völkischen Rechtsstaat anging. Immer deutlicher zeichnete sich ab, daß in dem Kräftefeld zwischen Exekutive und Partei kein Platz für eine Rechtspflege war, die sich auch nur letzte Reste von Unabhängigkeit bewahren wollte. Die Justiz konnte die Erwartungen weder der Exekutive noch der Partei erfüllen. Wieder machte das Wort von der "Justizkrise" die Runde. Dabei war im Jahre 1941 der Höhepunkt dieser Krise noch nicht erreicht.
c. Die Führerrede vom 26. April 1942 Am 26. April 1942 hielt Hitler eine Rede im Reichstag, durch die die Autorität der Gerichte vollends untergraben wurde. Hitler hatte aus der Zeitung von einem Urteil des Landgerichts Oldenburg, im sogenannten Fall Schlitt, erfahren, das ihm als Vorwand diente, die Justiz vor aller Öffentlichkeit zu demütigen und ihr das \ertrauen abzusprechen. Ein Werftarbeiter, hatte seine Frau jahrelang körperlich mißhandelt. 3 2 An den Folgen der letzten Verletzung war die Frau gestorben. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge zu 5 Jahren Zuchthaus, lehnte es aber ausdrücklich ab, die "Gewaltverbrecher-
32
Eingehende Schilderung des Falles bei Kolbe, S. 337 - 353.
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verordnung" anzuwenden, da der Angeklagte nicht rücksichtslos und kaltblütig ein verbrecherisches Ziel verfolgt, sondern weil er, jeweils von Jähzorn übermannt, seine Frau verletzt habe. Das Gericht würdigte zu Gunsten des Angeklagten, daß er nicht vorbestraft war, daß er an einer Hautkrankheit mit starkern Juckreiz litt, die in leicht erregbar machte, und daß seine Ehefrau ihn öfters belogen hatte. 33 Das Urteil war am 14. März ergangen und fand Eingang in die Ausgabe der "Berliner Illustrierten Nachtausgabe" vom 21. März 1942, wo in reißerischer Form von einem Angeklagten die Rede war, der seine Fhefrau durch grausame Quälereien in den Tod getrieben habe. 34 Noch in der Nacht vom 21. auf den 22. März setzte Hitler sich mit dem geschäftsführenden Justizminister Schlegelbergerin Verbindung, der zehn Tage später den Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälten davon berichtete, daß Hitler "in größter Erregung und heftigem Zorn" von dem Urteil des Landgerichts Oldenburg gesprochen habe? S Schließlich befahl Hitler dem ebenfalls zur Berichterstattung aufgeforderten Freisler, die Beseitigung des Oldenburger Urteils und die Hinrichtung des Angeklagten.36 Am 23. März wurde der inzwischen zum Oberreichsanwaltavancierte ehemalige Karlsruher Generalstaatsanwalt Brettle von Schlegelberger angewiesen, außerordentlichen Einspruch gegen das Urteil einzulegen, was am 24. März auch geschah. Am 26. März setzte der Reichsgerichtspräsident Dr. Burnke den Termin zur Hauptverhandlung des Besonderen Strafsenats auf den 31. März fest. Der Senat erkannte in viereinhalbstündiger Sitzung unter dem Vorsitz Burnkes auf Todesstrafe wegen eines Verbrechens gegen § 1 Abs. 1 der Gewaltverbrecherverordnungin Verbindung mit einem Verbrechen der Körperverletzung mit Todesfolge gern. § 226 StGB. Am gleichen Tag, dem 31. März, tagten die Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte. Die Tagung war turnusmäßig einberufen worden, nach den Vorfällen um das Oldenburger Urteil hatte Schlegelberger jedoch am 24. März darum gebeten, von der Entsendung von Vertretern abzusehen. 37 Schlegelhergerberichtete von den Vorfällen um das Urteil und betonte, daß die Schwierigkeiten der Justiz nur mit einer "restlosen Einordnung der Justiz in
33
AuszUge aus der Strafzumessung bei Kolbe, S. 344.
34
Abdruck des Artikels bei Kolbe, S. 339.
3S
Zitiert nach Kolbe, S. 344; zur Hitlerrede auch Broszat, Strafjustiz, S. 403f.
36
Kolbe, S. 346.
37
Zu dieser Sitzung Kolbe, S. 349.
C. Die FUhrerrede vom 26. April 1942
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den nationalsozialistischen Staat" zu lösen seien.31 Obwohl das Reichsgericht den Fall Schlitt nach den Wünschen Hitlers gelöst hatte, nutzte dieser die Reichsstagssitzung vom 26. April dazu, sich zum "Obersten Gerichtsherm" auszurufen und sich eine ,,Blankovollmacht" erteilen zu lassen. 39 .. Ich erwarte, (... ) daß mir die Nation das Recht gibt, Uberall dort, wo nicht bedingungslos im Dienste der größeren Aufgabe, bei der es um Sein oder Nichtsein geht, gehorcht und gehandelt wird, sofort einzugreifen und dementsprechend selbst handeln zu dUrfen. Front und Heimat, Transportwesen, Verwaltung undjustiz haben nur einem einzigen Gedanken zu gehorchen, nämlich dem der Erringung des Sieges. Es kann in dieser Zeit keiner auf seine wohlerworbenen Rechte pochen, sondern jeder muß wissen, daß es heute nur Pflichten gibt. Ich bitte deshalb den Deutschen Reichstag um die ausdrUckliehe Bestätigung, daß ich das gesetzliche Recht besitze, jeden zur ErfUllung seiner Pflichten anzuhalten, beziehungsweise denjenigen, der seinen Pflichten nach meiner Ansicht und gewissenhaften Einsicht nicht erfUllt, entweder zur gemeinen Kassation zu verurteilen oder ihn aus Amt und Stellung zu entfernen, ohne RUcksicht, wer er auch sei oder weIche erworbenen Rechte er besitze (... ). Ebenso erwarte ich, daß die deutsche Justiz versteht, daß nicht die Nation ihretwegen, sondern daß sie der Nation wegen da ist, das heißt, daß nicht die Welt zugrunde gehen darf. in der auch Deutschland eingeschlossen ist, damit ein formales Recht lebt, sondern daß Deutschland leben muß, ganz gleich, wie immer auch formale Auffassungen der Justiz dem widersprechen mögen. Ich habe - um nur ein Beispiel zu erwähnen - kein Verständnis dafUr, daß ein Verbrecher, der im Jahre 1937 heiratet und dann seine Frau so lange mißhandelt, bis sie endlich geistesgestört wird und an den Folgen einer letzten Mißhandlung stirbt, zu fUnf Jahren Zuchthaus verurteilt wird in einem Augenblick, in dem zehntausende brave deutsche Männer sterben mUs sen, um der Heimat die Vernichtung durch den Bolschewismus zu ersparen, daß heißt also, um ihre Frauen und Kinder zu schUtzen. Ich werde von jetzt ab in diesen Fällen eingreifen und Richter, die ersichtlich das Gebot der Stunde nicht erkennen, ihres Amtes entheben."
Damit waren die seit Kriegsbeginn von Exekutive und Parteiseite vorgenommenen Übergriffe auf die Justiz im nachhinein von höchster Stelle sanktioniert und weiteren solchen Fingriffen Tür und Tor geöffnet. Der Justiz war vom ,,Führer" bescheinigt worden, daß sie immer noch in ,iormaljuristischen" Denkweisen verharre und Hitler hatte offen ausgesprochen, daß die Unabhängigkeit der Richter hinter den wie auch immer zu definierenden Anforderungen der Nation zurückzutreten habe.
38 39
Zitiert nach Kolbe, S. 349. Zitat des Ausschnitts nach Kolbe, S. 355.
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Auf lokaler Ebene beriefen sich Partei stellen unverzüglich auf diese Rede, wenn es darum ging, Eingriffe zu rechtfertigen. Vor dem Amtsgericht Achernetwa stritten sich zwei Mietparteien darum, ob einem älteren Ehepaar, das eine Drei-Zimmer-Wohnung innehatte, die Pflicht obliege, eines dieser Zimmer an eine andere Mietpartei abzugeben, die mit ihren vier Kindernebenfalls in einer Drei-Zimmer-Wohnung und damit in beengten räumlichen Verhältnissen lebte. Dem Kläger war es gelungen sowohl die NSV als auch die Kreisleitung auf seine Seite zu bringen, die beide massiv in das Verfahren eingriffen. Das Amt für Volks wohlfahrt richtete ein Schreiben an das Gericht,40 in dem es hieß, die Sache sei deshalb vom Kreisleiter Rothacker aufgegriffen worden, da es sich um eine "soziale Notwendigkeit" handele. "Wenn das Mädchen [die Tochter des Klägers, Verf.l, das bisher bei der Großmutter zur Nacht wohnte, nunmehr zu Hause schlafen will, so ist das ganz in Ordnung und sogar sehr in Ordnung und zu diesem Zweck braucht der Kläger dieses dritte Zimmer, das der Beklagte nun einmal nicht braucht. Das dUrfte nicht nur moralisch sondern auch juristisch ganz einwandfrei erwiesen sein und nach unserer Auffassung muß das sogar gefordert werden. ( ... ) Es handelt sich hier also um eine Angelegenheit, die einer juristischen Ausdeutung gar nicht bedarf, weil sie so sonnenklar ist, daß sie nicht klarer sein könnte und wenn wegen einer solch eindeutigen Angelegenheit lange Schriftsätze geschrieben werden müssen und Verhandlungen vertagt werden müssen, so ist das heute zum mindesten unverständlich. ( ... ) Der vorliegende Fall fordert nach unserer Auffassung vom Wesen des Gemeinschaftslebens eine ganz eindeutige Idare Entscheidung, die ich dem Amtsgericht Achern anheimstellen möchte, und daß es zu dieser Entscheidung eines solchen Aufwands bedarf, kann von hier aus heute einfach nicht mehr begriffen werden."
Die Konflikte mi t dem Amtsrichter in Achern und der Kreisleitung betrafen nicht nur diesen Fall, sondern schwelten wohl schon länger, denn Kreisleiter Rothacker erläuterte seine Handlungsweise gegenüber der Gauleitung 41 auch unter Hinweis darauf, daß Amtsgerichtsrat Dr. Schneider es auch fertiggebracht habe, einem Frontsoldaten die Kündigung seiner Wohnung auf dem Dienstweg an die Front zu übermitteln, und meinte dann: "Diese verabscheuungswUrdige Handlungsweise entspricht völlig dem Bild, das ich in den vergangenen vier Jahren von Herrn AG-Rat Schneider erhielt. Wenn solche Juristen Dienstvorstände sind, dann begreift man, weshalb unser Führer in seiner Rede
40 Schreiben vom 6.3.42 (GLA 240/1987/53/663). 41 Schreiben vom 7.5.42 (GLA 240/1987/53/663).
C. Die Führerrede vom 26. April 1942
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am 26. April 1942 in so scharfen Worten über die wirklichkeitsfremde deutsche Justiz sprach."
Das Amtsgericht Achern solle auf dem Dienstweg die "scheinbar dringend nötige Belehrung" erhalten und man solle sich dafür einsetzen, daß AG-Rat Dr. Schneider als Dienstvorstand des Amtsgerichts Achern verschwindet. Die Sache war Reinle vorgelegt worden, der aber zunächst nichts unternommen hatte. 42 Da aber nun die Gauleitung, wohl wegen des kritisierten Gebarens des Amtsrichters, von Partei seite mit der Angelegenheit befaßt war, mußte Reinle sich eindeutig äußern. In diesem Fall trat Reinle für den angegriffenen Richter ein.43 Er setzte sich in einem längeren Schreiben mit mehreren Fällen auseinander, deren Behandlung durch Amtsgerichtsrat Schneider Mißfallen von Kreisleitung und NSV erregt hatten und meinte zu einem Fall, der von Schneider gar nicht entschieden worden war, sondern in die Zuständigkeit des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gefallen war: "Das hindert Ortsgruppenleiter und Kreisleiter nicht, ungetrübt von Sachkunde, die leicht vorher zu beschaffen gewesen wäre, dem Amtsrichter persönlich ,üble Ungerechtigkeit' und eine, verabscheuungswürdige Handlungsweise' zum Vorwurf zu machen und in ganz unangebrachter Weise auf die Führerrede vom 26. April 1942 zu verweisen, die ganz andere Dinge zum Gegenstand hatte. Jedenfalls verwahre ich mich dagegen, wenn in so leichtfertiger Weise, die Ehre eines Beamten angegri ffen wird. (... )."
Die Lage für die Justiz wurde immer bedrohlicher. Da vom Justizministerium wohl keine Hilfe zu erwarten war, versuchte Reinle über seine Beziehungen zu Wagner eine Besserung der Verhältnisse zu erreichen. In einem Aktenvermerk vom 1. Juli 1942 fertigte er eine Aufstellung der Fälle an, in denen es zu Übergriffen von Amtswaltern der Partei, insbesondere Kreisleitern, in die Rechtspflege oder zu Angriffen gegen Beamte gekommen war. 44 Die Aufstellung enthält insgesamt neun Fälle, alle aus den Jahren 1941 und 1942, zum Teil Fälle, die bereits oben referiert wurden, aber auch solche, deren Hergang sich nicht aus den Akten entnehmen läßt. Wenn diese Zahl auch relati v gering ist, so darf nicht vergessen werden, daß die öffentliche Zurechtweisung der Gerichte oder die Nichtbeachtung richterlicher Entscheidungen nicht nur einzelne Fälle, sondern die gesamte Arbeit der betroffenen Gerichte zu lälunen drohte und überaus abträglich für die Justiz als solche waren. Die Aufstellung 42 43
44
Dies folgt aus dem Schreiben an die Gauleitung vom 16.6.42, siehe nächste FN. Schreiben vom 16.6.42 (GLA 240/1987/53/663). (GLA 240/1987/53/13).
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Kap. 6: Der endgültige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
diente dazu, dem Gauleiter zu demonstrieren, daß die Lage inzwischen so ernst geworden war, daß er die Kreisleiter zurechtweisen müsse. Am gleichen Tag hatte Ruoff einen Vermerk angefertigt, wonach er am 30. Juni dem Gauleiter Vortrag über die Fingriffe in die Justiz von Partei seite gehalten habe. Demnach war man nicht ohne Erfolg geblieben. Der Gauleiter hatte zugesagt, durch den Gaustabsamtsleitereine Weisung an die Kreisleiter zu erlassen. Diese sollten sich künftig, wenn sie in Rechtsangelegenheiten von einem Streitteil angegangen wurden, nicht einseitig festlegen, sondern auch den anderen Teil hören und auf alle Fälle sich von dem Kreisrechtsamtsleiter die Angelegenheit rechtlich klarlegen lassen. Eine derartige Weisung war auch bitter nötig. Im Juli 1942, zeitgleich mit der oben erwähnten Verfügung, war es nämlich wieder zu einem "Vollstreckungs schutz" durch einen Kreisleiter gekommen. Der Gerichtsvollzieher in Baden-Baden wollte gegen ein altes Ehepaar ein Räumungsurteil vollstrecken.45 Es wurde Räumungstermin anberaumt, sogar eine &satzwohnung für das Ehepaar beschafft und ein Krankenwagen bestellt, um für alle Eventuali täten gerüstet zu sein. Am Tag der Räumung wurde der Gerichtsvollzieher jedoch auf das Büro des Kreisleiters bestellt. 46 Die Unterredung mit dem Kreisleiter Dieffenbacher und dem Hoheitsträger Herbold endete damit, daß der Kreisleiter erklärte: "Eine Räumung wird nicht durchgeführt, das hat der Führer genau und bestimmt angeordnet und das wissen Sie doch auch."
Der Gerichtsvollzieher berichtete weiter: "Ich hatte den bestimmten Eindruck nach der ersten Äußerung des Herrn Kreislei ters, daß er über die Zusammenhänge und die Rechts- und Sachlage gerade dieser Räumung nicht informiert war. Ich entnehme das zum Teil daraus, daß der Herr Kreisleiter von dem Vorhandensein einer Unterkunft für die Räumungsschuldner sowie von den verschiedenen Vorbereitungen und Vorkehrungen nichts wußte."
Es drohte wieder die prekäre Situation, daß der zur Durchführung der Räumung verpflichtete Gerichtsvollzieher unter Zuhilfenahme der Polizei gegen die Kreisleitung vorzugehen hatte. Ob die Polizei in so einem Fall dem Gerichtsvollzieher überhaupt geholfen hätte, darf man jedoch bezweifeln. Auf
45 Bericht des Gerichtsvollziehers Sohns vom 8.7.42, erstattet dem AG Baden-Baden (GLA 240/1987/53/14). 46 Bericht des Gerichtsvollziehers vom 10.7.42 (GLA 240/1987/53/14).
C. Die Führerrede vom 26. April 1942
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Weisung Reinles versuchte nun Oberlandesgerichtsrat Koelle. die Situation :ru bereinigen. Dieser Versuch schlug jedoch gründlich fehl. wie aus einem Bericht Koelles folgt. den dieser noch in der Erregung über die Behandlung seiner Person verfaßte. 47 .. Mein Versuch der Beilegung des Konflikts mit dem mir persönlich gut be kannten Kreisleiter ist völlig gescheitert."
Koelle hatte den Kreisleiter in Begleitung des Hoheitsträgers Herbold auf der Straße getroffen und versucht. ihm das Unrechtmäßige des Fingriffs in das Verfahren zu erläutern. .. Meinem Hinweis (... ) begegnete er mit der üblichen \\endung vom Paragraphenrecht und FormaIjustiz. Meinen darauffolgenden Vorschlag, mit mir auf das Amtsgericht zu kommen, da wir die Sache nicht hier auf offener Straße weiter erörtern könnten, lehnte er schroff ab und brach überhaupt unsere Unterhaltung ab, indem er große Eile vorgab und mich an Herbold verwies. Auch dieser lehnte meine Aufforderung ab, mit mir auf das Amtsgericht zu kommen, weil er keine Zeit habe und verschwand in der Post.( ... )"
In einem späteren Bericht18 heißt es: .. Ober das Ergebnis meines Versuchs war ich auf das Höchste überrascht.( ... ) Es wurde mir ganz schroff erklärt, daß die Partei die Sache von einem anderen Standpunkt beurteile, nicht nach Paragraphen und formalen Bestimmungen. Er [der KreisIeiter, Verf.] werde Wohnungsräumungen überhaupt grundsätzlich nicht mehr zulassen. (... ) Ich war nicht bloß über die sachliche Einstellung der beiden Genannten, sondern vor allem auch über die Art der Behandlung mir gegenüber zutiefst betroffen.( ... ) Den Kreisleiter insbesondere habe ich in der Zeit, als meine Frau Kreisfrauenfachschaftsleiterin von Rastatt war, näher kennen und schätzen gelernt, weshalb meine Enttäuschung über meinen Mißerfolg um so überraschender und größer war.( ... )"
Man hatte den Oberlandesgerichts rat einfach auf der Straße stehen lassen. Seine rechtlichen Erläuterungen waren für die örtlichen Hoheitsträger der Partei ohne Interesse. Auch Koelle konnte sich aber nicht dazu durchringen. gegen den erklärten Willen des Kreisleiters die Vollstreckung vornehmen zu lassen. er wies den Gerichtsvollzieher vielmehr an. die Räumung bis zur Entscheidung durch den Oberlandesgerichtspräsidenten zu unterlassen. Gleichzeitig legte er die oben zitierte Beschwerde über den Fingriff in die Justiz und die Behandlung seiner Person vor.
47
48
Bericht vom 8.7.42 (GLA 240/1987/53/14). Bericht Koelles an den OLG-Präsidenten vom 10.7.42 (GLA ibid.).
206
Kap. 6: Der endgUltige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
Wie oben gesehen, war man beim Oberlandesgericht ohnehin gerade bemüht, den Gauleiter dazu zu bewegen, die Kreisleiterzur Mäßigung zu anzuhalten. Dieser Fall konnte als weitere Rechtfertigung für dieses Begehren dienen. Reinle setzte sich femmÜDdlichmit dem Büro des Gauleiters und Reichsstatthalters in Verbindung und wies auf die in Aussicht gestellte Verfügung an die Kreisleiter hin. 49 Allem Anschein nach traf er auch auf recht offene Ohren. Er erreichte, daß Gaustabsamtsleiter Schuppel dem Kreisleiter von Rastatt Vorhalt machte und ihm weitere Eingriffe in dieser Sache untersagte. An den beiden nächsten Tagen nahm Reinle erneut Verbindung mi t dem Gaustabsamt auf, um eine persönliche Entschuldigung durch den Kreisleiter zu erhalten. Es wurde ihm nochmals versichert, daß Dieffenbacher gerügt worden sei. Reinle wurde sogar gebeten, einen näheren Bericht über das Verhalten des Kreisleiters, insbesondere auch gegenüber dem Oberlandesgerichtsrat Koelle zu erstatten, weil in der Angelegenheit notfalls dem Gauleiter nochmals Vortrag gehalten werden sollte. Diesen Bericht erstattete Reinle dann aber doch nicht, da, wie es in der Verfügung heißt, "der Kreisleiter durch seinen Stell vertreter Herhold inzwischen beim Oberamtsrichter hat Erklärungen abgeben lassen, die als eine Art Entschuldigung gelten können und den Wunsch nach Aufrechterhaltung guter Beziehungen zwischen Gericht und Kreisleitung erkennen lassen." Reinlehielt die Sache dadurchfür erledigt. Man war seitens des Oberlandesgerichts bescheiden geworden. Daß der Gaustabsführer überhaupt Interesse an der Sache zeigte, wurde mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, und statt der ursprünglich geforderten Entschuldigung durch den Kreisleiter begnügte man sich mit Äußerungen durch dessen Stellvertreter, die als eine Art Entschuldigung gelten konnten. Man hat bei dem Aktenvermerk Reinles fast den Eindruck, als sei er selbst überrascht gewesen, auf so viel Verständnis bei der Gauleitung gestoßen zu sein. Reinle wollte auch sicher nicht durch allzu hartes Insistieren seine, wie es scheint, immer noch funktionierenden Verbindungen zur Gauleitung gefährden. Die in Aussicht gestellte Weisung der Gauleitung an die Kreisleiter kam dann in Gestalt einer Rundverfügung des Gaustabsamtsleiters Schuppel:50
49 Die Behandlungsweise durch Reinle ergibt sich aus einem ausfUhrlichen Aktenvermerk vom 11.7.42 (GLA 240/1987/53/14).
50 RundverfUgung der Gauleitung vom 8.7.42 Nr. 25/42 ohne genaueren Adressaten (GLA 240/1987/53/13).
C. Die Führerrede vom 26. April 1942
2m
"Verschiedene Vorkommnisse der letzten Zeit geben mir Veranlassung, den Kreisleitern folgendes Verhalten zu den Gerichten und Justizbehörden zur Pflicht zu machen: 1. Wird ein Kreisleiter in Rechtsstreitigkeiten oder Rechtsangelegenheiten, die zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit gehören von einem Streitteil angegangen, so hat er grundsätzlich seinen Kreisrechtsamtsleiter zur Bearbeitung der Sache heranzuziehen. Keinesfalls darf er sich einseitig festlegen. Der Kreisleiter muß sich also von dem Sachverhalt eingehend und erschöpfend unterrichten und darf nicht unterlassen, auch den anderen Teil zu hören, bevor er sich ein abschließendes Urteil bildet. Dazu gehört auch, daß er sich von dem Kreisrechtsamtsleiter die Angelegenheit rechtlich klarlegen läßt, damit er über die rechtlichen Grundlagen der Sache unterrichtet ist.
2. (... )
3. Eine persönliche Fühlungnahme und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Kreisleiter und Richtern in gerichtlichen Angelegenheiten, mit denen der Kreisleiter befaßt ist, ist immer erwünscht und wird der Sache nur förderlich sein. Die Dienstvorstände derGerichtsbehörden (... ) sind dazu auch von ihren vorgesetzten Dienststellen verpflichtet. 4. Daß Eingriffe in die Justiz unzulässig sind, ist bekannt. Es geht also z.B. nicht an, daß die Vollstreckung eines rechtskräftigen Gerichtsurteils, das den Schuldner zur Zahlung einer Geldforderung oder zur Herausgabe einer Sache verurteilt, dadurch vereitelt wird, daß dem Gerichtsvollzieher, der mit der Urteilsvollstreckung beauftragt ist, vom Kreisleiter untersagt wird, bestimmte Gegenstände des Schuldners zu pfanden; oder daß die Partei- oder Volksgenossen, die vom Notariat oder Gericht geladen sind, vom Kreisleiter davon abgehalten werden, der Ladung Folge zu leisten. Jeder Druck von seiten eines Kreisleiters auf das Gericht in einer Streitsache zu Gunsten einer Partei oder in einer bestimmten Richtung zu entscheiden, ist zu vermeiden. Die Rechtsfindung ist Sache der dazu berufenen Gerichte."
Zwar wurden mit dieser Verfügung die Kreisleiter nicht davon abgehalten, "vertrauensvoll" mit den Gerichten zusammenzuarbeiten, was die Finflußnahme auf Ebene der Amtsgerichte letztendlich vom persönlichen Verhältnis von Amtsrichter und Kreisleiter abhängig machte, gleichwohl war mit dieser Verfügung doch ein Sieg errungen worden. Immerhin enthielt sie die eindeutige Stellungnahme, daß die Rechtsfindung, wenn auch mit Unterstützung der Kreisleitung, so doch Sache des Gerichts war, und die Weisung, daß sich die Kreisleiter zuvor über die Rechtslage kundig machen und beide Seiten anhören sollten.
208
Kap. 6: Der endgUltige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
Daß Reinle mit seinem Ansinnen, die Gauleitung möge die Kreisleiter in die Schranken weisen, auf so offene Ohren gestoßen war, lag wohl weniger daran, daß die Gauleitung die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien durchsetzen wollte. Der Grund dürfte vielmehr in der Struktur zivilrechtlicher Streitigkeitenzu suchen sein. Bei jedem Eingriff in Zivil verfahren war immer eine Partei vorhanden, die wegen der Einflußnahme der Kreisleiter um ihr Recht gebracht worden war und die unter Umständen ebenfalls über Verbindungen zur NSDAP verfügte, die auch sicher genutzt wurden. Eine dauerhafte Verbesserung der Situation sollte die Verfügung des Gauleiters ohnehin nicht bewirken, wie sich zeigen wird.
D. Die Ernennung Thieracks, die Reformpläne Rothenbergers Einen Grund für den Autoritätsverlustder Justiz in den Jahren 1941/42 wird man, wie bereits angesprochen, auch im Tod des Reichsministers der Justiz Gürtnerzu sehen haben. Gürtner war am 29. Januar 1941 verstorben51 und der Postendes Justizministers bis zur EmennungThieracks im August 1942 nicht besetzt. In der Zwischenzeit wurde das Reichsjustizministerium kommissarisch von Schlegelberger geleitet, der aber kein hohes Ansehen bei Ritler genoß und wenig zur Unterstützung der Gerichte tun konnte. Zumindest für die Verhältnisse im Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe kann gesagt werden, daß die Auseinandersetzung mit der Gauleitung und den Exekutivorganen vom Oberlandesgericht allein getragen werden mußte. Ein helfendes Eingreifen des Reichsjustizministeriums ist nicht belegbar. Am 20. August 1942 wurde Otto Thierack, der bis dahin Präsident des Volksgerichtshofs gewesen war, zum Reichsjustizminister emannt. 52 Gleichzeitig kam der Präsident des Oberlandesgerichts Hamburg, D[ Curt Rothenberger, ins Reichsjustizministerium. Glaubt man den Berichten Reinles, so wurde die Ernennung Thieracks und die Tatsache, daß damit auch Rothenberger ins Reichsjustizministerium versetzt worden war, lebhaft begrüßt. Schließlich war Thierack ausgewiesener Nationalsozialist. Mit seiner Ernennung hatte man zudem Reichsrechtsamt und Reichsjustizverwaltung zusammengeführt, was auf eine bessere Zusammenarbeit hoffen ließ. 51
Wistrich, S. 133ff. (135).
52
Zum Lebenslauf Thieracks Miltenberger, S. Tl.
D. Die Ernennung Thieracks, Reformpläne Rothenbergers
209
Reinle gratulierte Rothenberger zu seiner Ernennung mi t den herzlichen Worten: S3 "Eine Revolution in der Justiz kündigen die heutigen Morgenblätter an. Daß im Rahmen dieser Revolution Sie an verantwortliche Stelle gerückt worden sind, erfüllt mich und zahlreiche Ihrer bisherigen Richterkameraden mit ehrlicher Befriedigung."
In einem weiteren Schreiben vom Dezember 1942 hieß es: "Der Wechsel in der Leitung des Reichsjustizministeriums hat in der Beamtenschaft weitgehend erlösend gewirkt und der vielfach bedenklich niedergedrückten Stimmung aller Justizangehörigen, besonders aber der Richter, neue Hoffnung eingeflößt. Die fortgesetzten Angriffe auf die Justiz, denen nach dem in der Beamtenschaft allgemein vorherrschenden Gefühl bisher von seiten des Justizministeriums durchaus unzureichend entgegengetreten worden war, sind in den Kreisen der Beamtenschaft, und insbesondere der Richter, ganz überwiegend als Unrecht empfunden worden. Daß das neue Regime es im ersten Anlauf verstanden hat, des Vertrauen des Führers zu gewinnen, daß diese Vertrauensstellung auch planvoll ausgenutzt wird, auch die Presse weitaus wirksamer eingeschaltet und bearbeitet wird, dies alles ist geeignet, das erschUtterte Vertrauen wieder zu beheben."
Es wird wohl vor allem die Berufung RothenbergersS4 gewesen sein, die man in der Richterschaft begrüßte. Rothenberger galt nicht nur als juristisch außerordentlich befähigt, es war ihm auch am 31. März 1942, während die FIregung über den Fall SchIitt ihrem Höhepunkt entgegenging, und am Tage der Verhandlung gegen SchIitt vor dem Besonderen Strafsenat, nach mehreren Anläufen gelungen, Hitler eine Denkschrift über seine Pläne für eine lustizreform zu übergeben. Hitler fand diese, wie er Lammers gegenüber erklärte, "beacht-
53
Schreiben an Rothenberger, zugleich Lagebericht Reinles vom 25.8.42, paginiert
S. 191ff. (GLA 309/1205). 54 Zur Person Rothenbergers lohe, S. 6lf. Rothenberger wurde am 30. 6.1896 in Hamburg geboren, hatte nach kriegsbedingter Unterbrechung des Studiums 1920 das erste Staatsexamen abgelegt und im gleichen Jahre an der Hamburger Universität promoviert. 1925 war er Richter am Landgericht geworden, 1927 wurde er zum Regierungsrat, 1929 zum Oberregierungsrat ernannt. Er war bereits 1931 im Alter von 35 Jahren für eine Stelle als Reichsgerichtsrat vorgeschlagen worden, was dann aber am Widerstand Bumkes scheiterte, dem der Bewerber zu jung erschien. Dies führte zur Annäherung Rothenbergers an die Nationalsozialisten. Zur Ablehnung Rothenbergers siehe auch Kolbe, S. 104ff.
14 Schiller
210
Kap. 6: Der endgUltige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
lich".S5 Die Pläne Rothenbergers erläuterte dessen Referent am Reichsjusti:zministerium Dr. Segelken auf einer Tagung der Bezirksgemeinschaftsleiter am 28. Oktober 1942 in Berlin. 56 Segelken diagnostizierte zunächst eine Justizkrise ungeahnten Ausmaßes. Eine Genesung der Justiz setze einmal voraus, daß diese das Vertrauen der politischen Führung wiedergewinne, seitens der Justiz dürfe aber nicht mehr der Weg des geringsten Widerstandes beschritten werden. Auch er kam aber zu dem Ergebnis, daß es ein Wunder sei, wie sich seit Ernennung des Reichsjustizministers alles geändert habe. Dieser finde ein über Erwarten großes Entgegenkommen bei der Partei und größtes Verständnis für die Aufgabe der Justiz und die Notwendigkeit ihres Bestandes. Allerdings müsse der Patient das Wesentliche dazu tun, um auf die Dauer lebensfähig zu sem. Die Pläne Rothenbergers, wie sie auch von Segelken auf der Tagung erläutert wurden, erfaßten den gesamten Justizaufbau. Rothenberger schwebte ein starkes Richtertum vor, das aus dem Beamtenstand herausgehoben werden sollte, auch was die Besoldung anbelangte. Es sollte eine Art Richterelite geschaffen werden, die nur Hitler verantwortlich war und damit vor Übergriffen von Partei und Exekutive geschützt werden konnte. Die Zahl der Richter sollte stark verringert werden. Dies wollte man durch Änderung der Gerichtsorganisation erreichen, indem nur noch drei Instanzen eingerichtet und die Rechtsmittel stark eingeschränkt werden sollten. Damit sollte die Autorität des Richterspruchs gestärkt werden. Ein wesentliches Augenmerk galt auch der Laienbeteiligung.s7 Bagatellsachen sollten nur von Laienrichtern entschieden werden. Gerade was diesen letzten Punkt anbelangt, war der Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe besonders betroffen. Von einer vermehrten Laienbeteiligung versprach man sich mehr Verständnis in der Bevölkerung für die Rechtspflege und eine volksnahe Justiz. Die Pläne in dieser Richtung wurden als Rechtsprechung durch das V.Jlk bezeichnet. H Hierzu Kolbe, S. 362f. und lohe, S. 227 - 231. Nach Gruchmann griff Hitler die Gedanken Rothenbergers auch in den Tischgesprächen auf. Gruchmann, Tischgespräch,
S.89f. S6
Bericht von dem Vortrag durch Amtsgerichtsrat Schrade (GLA 240/1987/53/247).
Die Reformpläne Rothenbergers finden sich in dem Bericht Schrades (s. letzte FN), siehe auch den Beitrag Rothenbergers in der DJ 1942, S. 565. Sie sind auch bei lohe, S. 235- 23gerläutert, ebenso bei Angermund, S. 259 - 263; Gruchmann, Tischgespräch, S. 90. S7
D. Die Ernennung Thieracks. Reformpläne Rothenbergers
211
Am 30. August 1941 hatte sich Rothenbergeran Reinle gewandt 58 und ihm mitgeteilt, er befasse sich seit längerer Zeit mit Justizreformplänen, da er der Ansicht sei, daß die Justiz endlich alles tun müsse, um weiteren Verlust der Autorität des Richterspruchs und damit der Idee des Rechts zu verhindern. Da er die Probleme nicht einseitig vom Norden Deutschlands aus betrachten wolle, plane er einen Besuch in Baden. Bei der Chefpräsidententagung am 29. September 1942 wurde den Oberlandesgerichtspräsidenten nun eröffnet, daß ein Teil der Reform darin bestehen werde, gewisse Gebiete der Rechtsprechung auf Laienrichter zu übertragen. Die Präsidenten wurden aufgefordert zu berichten, ob derartige Finrichtungen noch bestanden, wie deren Ansehen bei der Bevölkerung sei, wie sie arbeiteten und ob man an sie anknüpfen könne, um die Reform zu verwirklichen. 59 Dem Bericht Reinles zufolge 60 bestanden in Baden tatsächlich seit 1807 Gemeindegerichte, die eine Zuständigkeit in zivilrechtlichen Streitigkeiten bei Streitwerten bis zu 100,- RM hatten, wenn beide Parteien in der Gemeinde wohnten. Klagen aus dem Eigentum an unbeweglichen Sachen und Mietstreitigkeiten waren ausgeschlossen. 1937 hatte man im Reichsjustizministeriumerwogen, die Gerichte aufzulösen und beim Oberlandesgericht angefragt, ob sich deren Beibehaltung empfehle. 61 Bereits damals, aber auch 1942, wurde die Tätigkeit der Gemeindegerichte von den badischen Richtern sehr kritisch bewertet. Man berichtete dem Ministerium, in den Landgemeinden sei zwar eine gewisse Bedeutung vorhan den, da dort gewährleistet sei, daß die mangelnde Rechtskenntnis durch die Kenntnis von den Verhältnissen aufgewogen würde. In den Großstadtgemein den dagegen, wo der Gemeinderichter die persönlichen Umstände des Rechtsstreits auch nicht besser einschätzen könne als der zuständige Amtsrichter, die Rechtskenntnis aber gleichwohl fehle, sei dies nicht der Fall. 62 Dabei verschwieg man aber, daß auch in den Landgemeinden bei der Tätigkeit der Gemeinderichter viele Schwierigkeiten aufgetreten waren. Viele der Bürgermeister wußten gar nicht, daß sie für gewisse Rechtsstreitigkeiten zuständig 58
(GLA 240/1987/53/335).
Siehe hierzu das Schreiben Rothenbergers an die Oberlandesgerichtspräsidenten vom 30.9.42 (GLA 240/1987/53/342). 59
60
Bericht vom 14.11.42 (GLA 240/1987/53/342).
61
Anfrage des RJM vom 10.5.37 (GLA 240/1987/53/364).
62 Hierzu Bericht des Oberlandesgerichts vom 24.2.38 (GLA 240/1987/53/364) und vom 14.11.42 (GLA 240/1987/53/342).
212
Kap. 6: Der endgUltige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
waren. und wie ein Amtsrichter. der zur Dienstaufsicht über Gemeindegerichte berufen war. schätzte. kannten noch nicht einmal 5 % von ihnen die Vorschriften über Gemeindegerichte. 63 Reinle selbst hielt wohl auch wenig von der Idee. Er beurteilte die Tätigkeit der Gemeindegerichte aus seiner als Amtsrichter gewonnen Erfahrung kritisch und sah die Lösung eher darin. daß man Amtsrichter finden müsse. die selbst volkstümlich waren. anstalt die Rechtspflege in die Hände von Laien zu legen. 64 Gemeinderichter seien in aller Regel entweder ohne jedes Interesse oder es handele sich um bäuerliche Diktatoren. die zwar Ordnung schüfen. aber mit dem Ideal des Richters nichts gemein hätten. Am 12. Dezember 1942 kam Rothenberger selbst nach Karlsruhe. Der Besuch wurde dem Gauleiter von Thierack angekündigt. 65 Dieser Ankündigung zufolge diente der Besuch hauptsächlich dazu. das gespannte Verhältnis zwischen Justiz und Partei zu entkrampfen. Man bat den Gauleiter als Repräsentant der Partei um seine ..kameradschaftliche Hilfe" bei dem Versuch. die .. Schranken. die auch heute noch in erheblichem Umfang zwischen dem Juristen und dem einzelnen Volksgenossen aufgerichtet sind. rücksichtslos niederzureißen und damit das Mißtrauen und die gefühlsmäßige Abneigung gegen die Justiz zu beseitigen." Der Besuch diente aber wohl auch dazu. die angegriffene Moral der Richter und Staatsanwälte aufzurichten. 66 Rothenberger sprach vor den Richtern und Staatsanwälten aus Baden und dem Elsaß und erläuterte seine Reformpläne. 67 Dabei schlug er insbesondere vor. bei der Rechtsprechung durch das Volk an die in Baden bestehende Institution der Gemeinderichter anzuknüpfen.
63 Bericht des Amtsgerichts Achern an das Oberlandesgericht vom 23.1.43 (GLA 240/1987/53/364). Diesen äußerst kritischen Bericht hatte Reinle mit der Anmerkung
versehen: .. Auch meine eigene Erfahrung deckt sich hiermit." 64
Schreiben Reinles an Rothenberger vom 20.2.43 (GLA 240/1987/53/342).
65
Schreiben Thieracks an Wagner vom 20.11.42 (GLA 240/1987/53/371).
66 Um Rothenberger auch gebUhrend zu empfangen, mußte zunächst einmal der stillgelegte Dienstwagen des Oberlandesgerichtspräsidenten wieder in Betrieb genommen werden. Siehe Schreiben Reinles an den Polizeipräsidenten vom 8.12.42 (GLA 240
/1987/53/371). 67 Artikel im .. FUhrer" vom 13.12.42: .. Deutsches Recht in deutschen Landen", Abdruck bei den Akten des Gerichts (GLA 309/1987/54/284). Siehe auch Beitrag Rothenbergers im DR 1942, S. 1521, speziell zu den Friedensrichtern in Baden, S. 1522.
E. Die endgllitige Gleichschaltung der Justiz
213
Es wurde eine Kommission einberufen, der neben dem Oberlandesgerichtspräsidenten und dem Generalstaatsanwalt auch Vertreter der badischen Ministerien und Gemeinden angehörten. 68 Eine Fülle von Detailfragen wurden erörtert und Entwürfe zu einer Schöffengerichtsordnung geschaffen, die in ihrer Diktion an alte Weistümer erinnerten und dem Friedensrichter seine Aufgaben und Befugnisse erläutern soUten.69 Man begann auch mit der Auswahl von Schöffen. Am 16. August 1943 wurde dem Oberlandesgericht vom Reichsjustizministeriumjedoch mitgeteilt, daß es in der gegenwärtigen Lage nicht zweckmäßig sei, die Planung für die Schöffenrichter weiterzuverfolgen. Ende 1943 fand nochmals eine Tagung der Kommission statt, dann waren die Pläne wohl endgültig aufgegeben. Zum Ende des Jahres war auch Rothenberger, der nie die volle Unterstützung Thieracks hatte erreichen können, aus dem Reichsjustizministerium ausgeschieden.
E. Die endgültige Gleichschaltung der Justiz Mit dem Wechsel in der Führungsspitze des Reichsjustizministeriums keimte nochmals die Hoffnung auf, es werde gelingen, der Justiz in irgendeiner Weise ein Überleben im nationalsozialistischen Staat zu ermöglichen. Der Traum vom völkischen Rechtsstaat schien mit den RothenbergerschenReformen doch noch Wirklichkeit werden zu können. Lief Rothenbergers Konzept auf eine Stärkung der Justiz hinaus (wobei aber auch er vor massiven Eingriffen in die Rechtspflegenicht zurückschreckte), so beschritt Thierack einen entgegengesetzten Weg. Unter seiner Führung unterwarf sich die Justiz völlig den Anforderungen von Partei, SS und Polizei. Es wurde kein völkischer Rechtsstaat geschaffen, sondern es folgtenderendgültige Niedergang der Justiz zum Instrument der Machthaber und die Aufgabe letzter bis dahin noch mühsam verteidigter rechtsstaatlicher Errungenschaften. Am 18. September 1942 stimmte Thierack gegenüber Himmler der ,,Korrektur" von Gerichtsurteilen durch die Gestapo grundsätzlich zu und verabre68 Ausführlicher Bericht Reinles vom 7.6.43 über die Ergebnisse der Tagungen vom 20.4, 15.5. und 25.5.43 (GLA 309/1987/54/270). 69 Die Entwürfe befinden sich in bei den Akten des Gerichts und sind von Reinle mit zum Teil zynischen Anmerkungen kommentiert (GLA 240/1987/53/342).
214
Kap. 6: Der endgültige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
dete mit ihm, daß die in Sicherungsverwahrung inhaftierten Kriminellen und Asozialen sowie Strafgefangene, die Haftstrafen von mehr als acht Jahren verbüßten, in Konzentrationslager überführt wurden, wo sie der "Vernichtung durch Arbeit" anheimfallen sollten. 70 Ferner vereinbarte er mit Hinunler, daß die Strafverfolgung für Polen, Juden, Russen und Zigeuner auf die SS übergehen sollte.71 Was den Alltag bei Gericht sicherlich am tiefgreifendsten beeinflußte, waren jedoch die Richterbriefe und die Lenkung der Rechtsprechung. Der erste Richterbrief trägt das Datum vom 1. Oktober 1942, wurde aber erst im Laufe des Monats verteilt. 72 Die Richterbriefe enthielten jeweils Auszüge aus Entscheidungen und die Kommentare des Reichsjustizministeriums hierzu. Obwohl Thierack im Einführungserlaß vom 7. September 194273 versichert hatte: "Der Richter muß weisungsfrei bleiben, damit er seine Entscheidungen mit eigener innerer Verantwortung tragen kann," so wurde durch die Richterbriefe doch ein deutliches Signal sowohl gegenüber den Richtern als auch justizkritischen Kreisen gesetzt, daß sich die Justiz endgültig auf dem Weg der Anpassung befand. Trotzdem war die Resonanz bei den Richtern wohl überwiegend positiv.7 • Wohl noch einschneidener, was die Folgen für die richterliche Unabhängigkeit angeht, als die Richterbriefe war die "Lenkung" einzelner Verfahren durch die Aufforderung zur Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Richtern und durch die sogenannten "Vor- und Nachschauen" der Urteile. Eine Aufforderung zur Zusammenarbeit von Richtern und Staatsanwälten war bereits durch Freisler am 27. Mai 1939 ergangen. 7S Auch "Vor- und Nachschauen"
70 Kolbe, S. 364; Broszat, Strafjustiz, S. 404; Majer, Fremdvölkische, S. 663 - 667; zu Thierack zusammenfassend Bästlein, S. 5f. 71 WeinJcaulf, S. 152; Majer, Fremdvölkische, S. 668f. 72
Boberach, Einleitung, S. XX.
73
Abgedruckt bei Boberach, S. Hf.
Boberach. Einleitung, S. XXII, Abdruck sämtlicher Richterbriefe ebenda; zu den Richterbriefen grundlegend Wahl, siehe auch WeinJcauff, S. 164 - 166; Staff, S. 65 - 91. 74
7S
König. S. 185.
E. Die endgültige Gleichschaltung der Justiz
215
hatten bereits unter der Führung Schlegelbergers stattgefunden. 76 Unter 1bierack wurde die Lenkung aber zu einem genau geregelten Verfahren ausgebaut. Vor allem waren es Strafsachen, in die massiv eingegriffen wurde und in denen die Hauptverhandlung eigentlich lediglich der Öffentlichkeitsarbeit diente, das Urteil jedoch bereits vor Verhandlungs beginn feststand. In einem Rundschreiben Thieracks an die lustizbehörden vom 5. Oktober 1942 hieß es: 77 .. Die gegenWärtigen Verhältnisse erfordern mehr denn je verständnisvolle Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaften und Gericht. Von den Staatsanwälten erwarte ich, daß sie mit den Vorsitzenden der Strafgerichte in ständiger Fühlung sind, und bin überzeugt, daß diese bereitwillig zur Verfügung stehen und entgegenkommen. Unerläßlich ist, daß die Fühlungnahme taktvoll geschieht. Bei den Richtern darf nicht der Eindruck hervorgerufen werden, es werde eine unzulässige Beeinflussung seiner Entscheidungsfreiheit unternommen. Das gilt ganz besonders in den Ausnahmefällen, in denen dem Staatsanwalt von vorgesetzten Stellen aufgegeben ist, eine bestimmte Rechtsauffassung zu vertreten oder in denen ihm Richtlinien zur Frage der Strafzumessung gegeben sind. Auch in der Öffentlichkeit dürfen nach dieser Richtung Mißverständnisse nicht entstehen. Es darf nicht vorkommen, daß sich Staatsanwalt und Gericht gemeinsam vor den Augen der im Sitzungssaal Anwesenden in das Beratungszimmer begeben, oder daß der Staatsanwalt, wie es in einem Einzelfall in einer Revisionsbegründung des Angeklagten behauptet wird, sich nach Schluß der Beweisaufnahme längere Zeit mit den Richtern zusammen im Beratungszimmer aufhält. Sollte in einem Einzelfall nach Beginn der Hauptverhandlung eine Fühlungnahme mit dem Vorsitzer des Gerichts nicht vermeidbar sein, so ist in besonderem Maße auf Zurückhaltung und Unaufnmigkeit Bedacht zu nehmen."
Am 13. Oktober 1942 tagten die Landgerichtspräsidenten des Oberlandesgerichtsbezirks in Karlsruhe und wurden vom Inhalt dieses Schreibens in Kenntnis gesetzt. 78 Am gleichen Tag, dem 13. Oktober, erging eine erneute vertrauliche Verfügung des Reichsjustizministeriums an die Oberlandesgerichtspräsidenten und 76 Boberach, Einleitung, S. XVII; hierzu und zum folgenden auch Angermund, S. 231- 245; König, S. 187ff.; WeinJuU4jf. S. 147 - 150, 153 - 158. Daß es .. Vor- und Nachschauen" bereits unter Schlegelberger gegeben hatte, folgt auch aus dem Schreiben Reinles an Rothenberger vom 25.8.42 (GLA309/1205).
77
Rundverfügung vom 5. 10.42 (GLA 240/1987/53/436).
78
Aktenvermerk Ruoffs auf dem Schreiben.
216
Kap. 6: Der endgültige Niedergang der RechtsstaatIichkeit
Generalstaatsanwälte,in der Rothenberger genaue Anweisungen gab, wie die Lenkung der Gerichtsentscheidungen vonstatten gehen und in welchen Fällen sie eingreifen soUte. 79 Vom gleichen Tag, dem 13. Oktober 1942, stammt auch eine weitere Verfügung Thieracks, die die Leiter der lustizbehörden in der Mittel- und Unterinstanz dazu aufrief, eng und vertrauensvoll mit den Parteiund StaatsdienststeUen zusammenzuarbeiten. Das Verhältnis müsse so gestaltet werden, daß Anstände aller Art in persönlicher, vertrauensvoller Zusammenarbeit bereinigt würden. 80 "I. Im Kriege hat die Rechtsprechung wie jede Tätigkeit des Volkes in erster ünie der Erringung des Sieges zu dienen. Ihre Aufgabe ist im besonderen, sich nach den staatspolitischen Notwendigkeiten auszurichten und durch ihre Entscheidung auf allen Gebieten den Führer im schweren Kampfe um die Freiheit Europas zu unterstützen. Das Ziel kann im Augenblick nur durch eine einheitliche maßvolle Lenkung der Rechtsprechung erreicht werden, da viele Voraussetzungen für eine einheitliche Ausrichtung der Rechtsprechung nach der geschichtlichen Entwicklung noch nicht gegeben sind. Eine maßvolle Lenkung hat nichts mit Gängelung oder Aufgebung der Weisungsfreiheit des Richters zu tun. Sie soll dem Richter kameradschaftlich helfen. Es ist danach Aufgabe des Lenkenden, eine Lenkung so taktvoll durchzuführen, daß die Richter sich ihrer selbständigen, eigenen Verantwortung bewußt bleiben und die geleistete Hilfe dankbar anerkennen, anstalt sich gegängelt oder unfrei zu fühlen.( ... ) 11. Für die Lenkung sind nach mir in erster ünie die Präsidenten der obersten Gerichte und die Oberlandesgerichts präsidenten in Zusammenarbei t mi t den Oberreichs anwälten und den Generalstaatsanwälten zuständig und mir verantwortlich. Sie müssen sich der Bedeutung dieser vordringlichsten Aufgabe besonders bewußt sein und sie vor die laufende Verwaltungarbeit stellen.( ... ) III. Für die Durchführung der Lenkung stehen verschiedene Wege offen: 1. Allgemein bedarf es der ständigen Übermittlung der jeweiligen Ziel punkte der Staatsführung an die Richter, soweit sie für die Rechtsprechung von Bedeutung sind.
( ... )
2. Die Auswertung der Rechtsprechung kann zur Lenkung herangezogen werden. Sie bedarf daher der ständigen Kontrolle. Durch entsprechende Hinweise und Belehrungen kann eine gleichmäßige Ausrichtung in grundsätzlichen Rechtsfragen sowohl wie insbesondere in Fragen des Strafmaßes angestrebt und erreicht werden. 79 Verfügung vom 13.10.42 (GLA 240/1987/53/879). Die Lenkung rechtfertigte Rothenberger auch in einer Ansprache an die Oberlandesgerichts präsidenten und Generalstaatsanwälte am 29.9.1942. Abdruck der Rede in der DJ 1942, S. 662 (663). 80
Vertraulicher Erlaß vom 13.10.42 (GLA 240/1987/53113).
E. Die endgUitige Gleichschaltung der Justiz
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3. Das wichtigste Mittel ist aber bei den z.Zt. gegebenen Umständen eine BehandIung der einzelnen wichtigen Fälle mi t dem Gericht vor der Entscheidung. Sie hat nur durch die richterlichen Behördenleiter zu erfolgen, die ihrerseits die erforderliche Verbindung mit den Leitern der Staatsanwaltschaften aufrecht erhalten.( ... ) Ich beschränke mich auf folgende Richtlinien: a) Es ist Vorsorge zu treffen, daß alle wichtigen Sachen zur Vorbesprechung gebracht werden. Es muß daher allen Richtern klar sein, was als wichtige Sache im Sinne der Vorbesprechung anzusehen ist. Nach den Erfahrungen der Praxis gehören zu den Sachen von besonderer Bedeutung, die als wichtig zu bezeichnen sind, insbesondere folgende Sachen: aa) Strafsachen, in denen die Todesstrafe oder eine schwere Zuchthaus strafe zu erwarten ist, bb) alle Strafsachen von besonderer Wichtigkeit, die Kriegsverbrechen, insbesondere auf Grund der Kriegswirtschaftsverordnung, der Volksschädlingsverordnung, der Gewaltverbrecherverordnung betreffen, ferner sonstige Strafsachen, die mit Rücksicht auf die Kriegsverhältnisse von besonderer Bedeutung sind, z.B. wegen Umgangs mit Kriegsgefangenen, cc) Strafsachen von besonderer Bedeutung, die Straftaten von oder gegen Jugendliche zum Gegenstand haben, dd) Straftaten, bei denen der Täter aus einer tragischen, schicksalhaften Verwicklung heraus gehandelt hat, ee) Strafsachen, bei denen die Bemessung der Strafart und -höhe besonders schwierig oder die Notwendigkeit einer einheitlichen Handhabung des Strafmaßes besonders dringlich ist, IT) Straf- und Zivilsachen, in die Personen verwickelt sind, die in Staat und Partei Beamte oder Hoheitsträger sind oder sonst im öffentlichen Leben eine hervorgehobenen Stellung innehaben,
gg) Straf- und Zivilsachen, bei denen erkennbar wird, daß die Beteiligten beabsichtigen, Stellen außerhalb der Justiz in das Verfahren einzuschalten, hh) Straf- und Zivilsachen, in denen sich ein Widerstreit zwischen dem gesetzten Recht und der Notwendigkeit einer wirtschaftlich und sozial vernünftigen Lösung zu ergeben scheint, ii) Straf- und Zivilsachen, die die Belange von Staat und Partei oder politische, wirtschafts-, außen- und kirchenpolitische Fragen oder die Auswirkungen des Krieges berUhren (z.B. Bombensachen), Sachen betT. dingliche Kirchensteuern u. dergI.,
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Kap. 6: Der endgUltige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
kk) Straf- und Zivilsachen, in denen allgemeine Rechtsfragen auftauchen, die eine einheitliche Praxis der Gericht erfordern. b) Die Oberlandesgerichtspräsidenten haben mindestens alle 14 Tage (... ) persönli che Besprechungen mit allen Landgerichtspräsidenten (AGPräs.) Uber Fragen der Lenkung der Rechtsprechung abzuhalten, an denen der Generalstaatsanwalt zu be teiligen ist und auf denen die anstehenden wichtigen Sachen zu behandeln, eine Übersicht der ergangenen Urteile in wichtigen Sachen zu geben und Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu erörtern sind. (... ) c) Ergeben sich bei der Lenkung Schwierigkeiten, die mein Eingreifen erforderlich machen, ist beschleunigt, gegebenenfalls fernmUndlich, meine Entscheidung zu erwirken.( ... )"
Am 22. Oktober 194281 unterrichtete Reinle die Landgerichtspräsidenten vertraulich von dem Rundschreiben des Reichsjustizministeriums, insbesondere dariiber, in welchen Fällen Bericht zu erstatten war. Ferner beklagte er sich über die schlechte Qualität der ihm vorgelegten Urteilsabschriften und Klagedurchschläge. Die Mehrarbeit dürfte in der Tat beträchtlich gewesen sein. Reinle machte denn auch von der Möglichkeit Gebrauch, einen Teil der Lenkungsaufgaben auf die Landgerichtspräsidenten zu übertragen, und ersuchte die Landgerichtspräsidenten mit den Präsidenten der Strafkammern und der Sondergerichte regelmäßige Besprechungen abzuhalten. Die Strafrichter blieben hiervon ausgenommen; nur in geeigneten Fällen sollte "lenkend eingegriffen" werden. Sie Oberstaatsanwälte und die Vorsitzenden der Zivilkammern sollten ebenfalls in die Besprechungen mit einbezogen werden, da sie vom Gegenstandder Beratung gleichfalls betroffen seien. Auch Reinle wies die Landgerichtspräsidenten darauf hin, daß die Lenkung der Rechtsprechung eine vordringliche Aufgabe darstelle. Der neuen Politik des Reichsjustizministeriums war auch ein Anfangserfolg beschieden. Hitler sah sich im Dezember 1942 zur einer älmlichen Verfügung veranlaßt, wie sie der badische Gauleiter bereits im August erlassen hatte. 82 Darin wurden die "Volksgenossen" darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht Aufgabe der Partei sei, auf schwebende Verfahren Einfluß zu nehmen oder gerichtliche Entscheidungen nachzuprüfen. Ratsuchende wurden an die Anwaltschaft und an die NS-Rechtsberatungsstellen verwiesen.
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(GLA 240/1987/53/879).
82 VerfUgung vom 2.12.42, No 24/42 in ReichsverfUgungsblau vom 21.12.42, Ausgabe B, Folge 50/42.
E. Die endgUltige Gleichschaltung der Justiz
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Ferner hieß es: "Unmittelbare Eingriffe in schwebende gerichtliche Verfahren haben in jedem Fall zu unterbleiben." Obwohl diese Verfügung von der Justiz sicher lebhaft begrüßt wurde, hatte man nicht übersehen, daß mit der neuen Politik des Justizministeriums eine Zäsur stattgefunden hatte. Die Fühlungnahme zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht war auch vor 1942 nichts Ungewöhnliches. Daß auch andere Lenkungsmechanismen existierten, die zum Teil bis in die Weimarer Zeit ZUTÜckreichten, wie etwa die Bekanntgabe von an die Staatsanwaltschaften gerichteten Rundschreiben bei Gericht, wurde ebenfalls bereits festgestellt. Auch die Kri tik an einzelnen Entscheidungen oder die Einflußnahme auf einzelne Verfahren durch das Reichsjustizministerium waren nicht neu. Reinles Wirken in dieser Richtung war keineswegs von allzu großer Achtung vor der richterlichen Unabhängigkeit geprägt. Dies belegt etwa der Fall der Freiburger Studentenverbände, in den auch massiv eingegriffen worden war und in dem auch Reinle sich der "kollegialen Einflußnahme" nicht verschlossen hatte. Gleichwohl war mit der Aufforderung zur Zusammenarbeit zwischen Gerichten und Staatsanwälten und den Vor- und Nachschauen ein neues Stadium erreicht. Zuvor hatten Einflußnahmen durch die Justizverwaltung selbst eher den Charakter der Ausnahme, des Inoffiziellen. Mit der Übernahme des Reichsjustizministeriums durch Thierack wurde die richterliche Unabhängigkeit von seiten des Justizministeriums ganz offiziell beseitigt. Natürlich war man bemüht, von den Lenkungsmaßnahmen nichts an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, und die jeweiligen Verfügungen des Reichsjustizministeriums wurden nicht müde zu versichern, daß sämtliche Maßnahmen, so massiv sie auch in die Kompetenzen der Richter eingriffen, selbstverständlich keinesfalls die richterliche Unabhängigkeit antasten sollten. Daß diese faktisch nicht mehr bestand, war aber zumindest in der Justiz offensichtlich. Damit war für jeden Richter, unabhängig davon, wie er dem Nationalsozialismus gegenüber eingestellt war, ein wesentliches Kriterium richterlicher Macht beseitigt. Man mag aus der Tatsache, daß in großem Umfang Fälle vorgelegt und damit die Entscheidungen des Oberlandesgerichtspräsidenten eingefordert wurden, entnehmen, daß der ein oder andere Richter froh war, die Verantwortung in diesen ja regelmäßig unangenehmen Fällen auf die vorgesetzte Behörde übertragen zu können. Gleichwohl muß den Richtern die Fragwürdigkeit des Verfahrens und die Auswirkung auf die eigene Stellung förmlich ins Auge gesprungen sein. Bei den Richtern, die die Gefahren des neuen Kurses erkannten, ist Reinle an erster Stelle zu nennen. Er nutzte im Jahre 1942 zwei zu erstattende Berichte, um seine Bedenken zu formulieren. Während bei den Berichten des Gene-
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Kap. 6: Der endgültige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
ralstaatsanwalts Frey heiße Eisen wie die Lenkung oder das Verhältnis zur NSDAP nicht angefaßt wurden, berichtete Reinle sehr offen und kritisch. 83 In dem bereits oben zitierten Schreiben an Rothenberger vom 25. August 1942,84 das also noch vor Einführung der Richterbriefe und vor dem Erlaß Rothenbergers verfaßt wurde, verwies Reinle zunächst nicht ohne Stolz auf seinen Erfolg bei der Gauleitung. Es sei ihm nach der Führerrede vom April 1942 gelungen, durch persönliche Kontaktaufnahme mit dem Gauleiter - "wobei ich die Gelegenheit benützte, ganz allgemein und grundsätzlich auf die erwähnte Führerrede und ihre Auswirkungen einzugehen" - den Gauleiter zu einer Verfügung zu bewegen, wonach die Kreisleiter sich jeder Einflußnahme auf gerichtliche Verfahren zu enthalten hätten. Gemeint war die Verfügung vom 7. August 1942, die Reinle in Abschrift beifügte und darauf verwies, daß sie unter seiner mittelbarenMitwirkung abgefaßt worden sei. Nachdem Reinle nun auf diese Weise demonstriert hatte, wie man das Verhältnis zur Partei verbessern konnte, kam er zum eigentlichen Gegenstand seines Schreibens: "Bei der erwähnten Aussprache mit dem Gauleiter tat ich auch der in Verfolg der Führerrede vom Reichsjustizministerium verordneten ,Lenkung der Strafrechtsprechung' ErWähnung, nicht ohne meine heftigen Bedenken dagegen zum Ausdruck zu bringen. Meiner hierbei geäußerten Auffassung, daß man im hohen Haus in Berlin etwas die Nerven verloren habe und nun des Guten zu viel getan habe, stimmte der Gauleiter lebhaftest bei mit dem Bemerken, daß eine derart weitgehende Lenkung seines Erachtens weder notwendig sei noch auch vom Führer gewollt gewesen sei. Er, der Gauleiter, habe volles Vertrauen zur Justiz und zu den Richtern (was allerdings auch nicht hindert, daß er sich gelegentlich heftig bemerkbar macht, wenn alte Parteigenossen in die Gerichtsmaschinerie geraten sind). Ich würde es nun dringend begrüßen, wenn der Wandel in der Leitung der Justizverwaltung uns Chefpräsidenten von der untragbaren Bürde befreien würde, die diese Lenkung der Strafrechtsprechung uns auferlegt hat. Sie ist moralisch und rechtlich kaum zu verantworten, da das flüchtige Lesen einer Anklage nie und nimmer ausreicht, um sich ein Urteil über Schuld und verdiente Sühne zu bilden. So stellt dieses wilde Lesen unzähliger Anklagen auch eine Beanspruchung der physischen Kräfte dar, der ich für meine Person auf die Dauer nicht gewachsen bin. ( ... ) Es wUrde meines Erachtens, wenn man schon die Lenkung irgendwie beibehalten will, vollauf genügen, wie bisher den Generalstaatsanwalt damit allein zu betrauen und es ihm zu überlassen, in den wenigen Fällen, in denen eine Einwirkung auf ein Gericht notwendig erscheint, den Chefpräsidenten um seine Beteiligung anzugehen."
83 Nach Weinkauff, S. 167, war Reinle einer der wenigen Präsidenten, der offen und ohne Schönfärberei nach Berlin berichtete.
84 (GLA 309/1205).
E. Die endgültige Gleichschaltung der Justiz
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Wenn Reinle mit diesem Schreiben von Ende August 1942 gehofft hatte, die neue Führung würde die bis dahin praktizierte Lenkung eindämmen, so wurde er durch die Verfügungen vom 5. und 13. Oktober eines Besseren belehrt. Die Lenkung wurde nicht beschränkt, sondern im Gegenteil ausdrücklich auch für Zivil verfahren angeordnet, detailliert geregelt und institutionalisiert. Reinle benutzt denn auch seinen nächsten Bericht an das Reichsjustizministerium, um nochmals auf das Fragwürdige der Lenkung aus seiner Sicht, der Sicht eines nationalsozialistischen Richters, hinzuweisen. 8s War das Schreiben vom August noch in der Hoffnung auf die neue Führung des Reichsjustizministeriums und in der Euphorie des soeben erzielten Zugeständnisses der Gauleitung in Form der Verfügung an die Kreisleiter verfaßt, so klingt Reinle im Dezember bereits deutlich deprimierter: "Allerdings darf ich nicht verschweigen, daß die Behandlung des Themas Justizkrise hierbei nicht durchweg Zustimmung findet. Was ich dazu im näheren ausfUhre, entspricht zum Teil meiner eigenen Erfahrung, zum Teil entnehme ich es mancherlei Gesprächen mit Berufskameraden, insbesondere auch älteren Parteigenossen unter diesen, deren Meinungen ich im folgenden zusammenfasse. Die AufUhrungen haben dabei nicht nur die mUndliehe und schriftliche Kritik an Urteilen, sondern die Gesamthaltung der Partei gegenUber dem Richter und Staatsanwalt zum Gegenstand, umfassen also zugleich das Thema Partei und Staat. Es wird bestritten, daß eine eigentliche Justizkrise Uberhaupt vorgelegen habe. Wenn auch nicht zu Ubersehen ist, daß weite Partei kreise, zuletzt der FUhrer selbst, ihre Unzufriedenheit mit der Justiz, besonders mit gewissen Urteilen, immer häufiger bekundet haben, daß insbesondere die bekannte Reichstagsrede des FUhrers vom April d.J. eine unverkennbare Gefahr rur die weitere Arbeit des Richters enthUllt hat, so steht unabhängig von dieser Kritik und neben ihr doch fest, daß weite Kreise des Volkes ihr altes Vertrauen in die redliche Arbeit des deutschen Richters keineswegs verloren hatten, daß dagegen -von den ewigen Beschwerden unzufriedener Querulanten natUrlich abgesehen- der bewußte Kampf gegen Richterturn und Justiz eigentlich ausschließlich von der Partei, insbesondere den Kreisleitern und daneben auch einer gewissen Presse, geführt und so kUnstlieh eine Art Krise geschaffen worden ist. S0weit auch der FUhrer in beschränkter Abgrenzung Kritik an der zu milden Strafjustiz geUbt hat, ist man Ubereinstimmend der Auffassung, daß einseitige Unterrichtung des FUhrers seitens nach geordneter Parteiorgane zu dieser Stellungnahme gefUhrt hat. Daß es schlechte und unzulängliche Urteile immer schon gegeben hat und immer wieder geben wird, liegt in der Natur der Sache und in der verschiedenen Veranlagung und Befähigung der Richter begrUndet. Daß nicht wenige dieser Urteile auf das mangelnde 8S Siehe Bericht vom 3.12.42, Hervorhebungen wie im Original (GLA 309/1205, AS 173ff.).
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Kap. 6: Der endgUltige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
Mi tgehen mancher, besonders älterer, Richter mit dem Geist der neuen Zei t zurückzu fUhren sind, trifft sicher ebenfalls zu, liefert aber doch entfernt nicht den wahren Grund und die Berechtigung für die dauernde, weit über das Ziel schießende Kritik seitens so vieler Parteiorgane. Der tiefste Grund für diese Erscheinung liegt neben dem oft erwähnten Umstand, daß nicht wenige der alten Parteigenossen in der Kampfzeit mit den Gerichten in für sie unangenehme Berührung gekommen sind, vor allem darin, daß den Kreisleitern (ich spreche hauptsächlich von ihnen, weil sie und ihre Stabsangehörigen die hauptsächliche Front bilden, mit der der Richter in der Tagespraxis am meisten Berührung hat) nach Herkommen und Bildungsstand das Verständnis fUr Wesen, Bedeutung und Stellung des Rechts im Volks- und Staatsleben und für die engere Berufsarbeit des Richters völlig abgeht. Man klammert sich an das Schlagwort vom Paragraphenurteil und verneint dabei Gesetz und Recht. Der Hoheitsträger wird zwar politisch geschult, doch erstreckt sich diese Schulung nicht auf die Fundamente des Staatsrechts und der öffentlichen Verwaltung. Es fehlt ihn an Wissen, vielfach auch am überlegenen Können, das er für die vielseitige und verantwortungsvolle Stellung des Hoheitsträgers besitzen müßte, und - das darf nicht verschwiegen werden - nicht selten auch am Takt, der ja mit Bildung nichts zu tun hat. Die Bedeutung ihrer Stellung und die Art, wie sie nach außen hin zur Schau getragen und vertreten wird, verleiten aber viele Volksgenossen und meist nicht die besten, die Machtstellung des Hoheitsträgers vor den Wagen eigennütziger und nicht immer lauterer Privatinteressen zu spannen, wobei - und hier liegt der Grundfehler! - immer und immer wieder in die Augen fällt, daß derjenige, der zuerst das Ohr des angerufenen Hoheitsträgers erreicht, mit seiner einseitigen Darstellung ohne Gehör des Gegners blindlings recht bekommt. Die Folgen sind dann jene zahlreichen, den Richter mit recht so verstimmenden ja oft kränkenden Eingriffe in schwebende oder auch oft schon abgeschlossene Verfahren, von deren wahrem Gehalt sich vorher objektiv zu überzeugen man immer wieder unterläßt. Der von der angegri !fenen Justiz unternommene Versuch, hinterher die wahre Sachlage aufzuzeigen, scheitert nicht selten an der gekränkten Eigenliebe des betreffenden Parteibeamten, der sich scheut, zuzugeben, daß er im Unrecht gewesen sei, und in aller Regel kommt auch die Aufklärung zu spät und vermag den angerichteten Schaden, die Kränkung und Verstimmung nicht mehr gutzumachen. Daß einmal ein Hoheitsträger sich fUr eine einem Beamten oder Richter zugefügte offensichtliche Unbill entschuldigt hätte, ist mir noch nicht zu Ohren gekommen. Wie weit dabei auch oft eine falsch verstandene sozialistische Auffassung mitspricht, die glaubt, den angeblich in seinem Recht gekränkten ,einfachen Volksgenossen' gegen den Juristen schützen zu mUssen, sei dahingestellt."
Reinle erkannte auch eindeutig, daß die Lenkung der Rechtsprechung die Justiz auf Dauer in eine Existenzkrise stürzen würde. Die Passagen sind für sein Rechtsverständnis aufschlußreich und spiegeln wohl auch die Ansicht von Richtern wieder, die immer noch glaubten, auch als Nationalsozialisten Richter sein zu können und nicht lediglich Vollzugsorgan für justizfremde Interessen.
E. Die endgültige Gleichschaltung der Justiz
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"Die mit der Bekämpfung der ,Justizkrise' eng zusammenhängende, ja wohl aus ihr heraus geborene Lenkung der Strajrechtsprechung wird sowohl von mir wie dem Herrn Generalstaatsanwalt nach wie vor und in steigendem Maße als Uberaus schwere Belastung empfunden, rein arbeitsmäßig wie von der Seite des beruflichen Gewissens her gesehen. Der Eingriff in die Urteilsgewinnung des Spruchrichters in einem Stadium und mit Mitteln, die eine volle Bew:teilung von Tat und Täter nicht zulassen, stellt streng genommen eigentlich eine SelbstversUndigung gegen das dar, was uns wie keinem anderen Berufsstand heilig sein muß, nämlich das Recht. Das Erfordernis der mündlichen Verhandlung mit all ihren Kautelen und die Gewinnung des Urteils auf Grund erst dieser Verhandlung ist schließlich nicht umsonst fester Bestandteil jedes Rechtssystems. Jede vorweggenommene Lenkung enthält eine FUlle von fehlermöglichkeiten, die auch nicht durch den Einwand beseitigt werden, daß der erkennende Richter ja nicht stur an die erhaltene Weisung gebunden sei, sondern von ihr abweichen könne, ja gegebenenfalls mUsse. Welche Instanz sagt aber dem Richter, ob nun seine aus der Hauptverhandlung geschöpfte Überzeugung von Schuld und Maß der Schuld des Angeklagten auch nachträglich gebilligt werde und sich deckt mit derjenigen des über ihm stehenden und über seine berufliche Existenz mitentscheidenden Oberlandesgerichtspräsidenten oder gar des Justizministeriums? Der weniger robuste Richter wird sich beugen und die gelenkte Strafe aussprechen, wie oft aber gegen die Stimme seines Gewissens? Der stärkere riskiert den Tadel, wird aber durch den Thdel, wenn er kommt oder sich gar wiederholt, bestimmt weder in der Sicherheit seines Urteils noch in seiner Berufsfreude gestärkt. Die Menschen sind nun einmal zu verschieden, als daß eine gleiche oder auch nur annähernd gleiche Beurteilung eines Falles durch die verschiedenen ihn beurteilenden Instanzen ( Oberlandesgerichtspräsident, Ministerium) möglich wäre. Ich kenne Fälle, wo die Möglichkeiten der rechtlichen Beurteilung und des sich daraus ergebenden Strafmaßes eine geradezu groteske Spannweite aufweisen; wo liegt hier das Recht? Raube ich dem Richter nicht den ganzen Adel seiner hohen Sendung, wenn ich ihn unter Gewissenszwang setze? Dazu kommt ein anderes: Die Lenkung bedeutet für den Oberlandesgerichtspräsidenten und den Generalstaatsanwalt eine Arbeitsbelastung, die in keinem gesunden Verhältnis mehr steht zum Erfolg dieser Sisyphosaufgabe. Die Praxis lehrt immer wieder, daß die Möglichkeiten einer, sei es berechtigten oder unberechtigten, Beanstandung und Kritik von Urteilen durch die Lenkung vielleicht eingeschränkt, aber doch nie beseitigt werden, weil es eben immer wieder Fälle gibt, die trotz aller Katalogisierung von dem behandelnden Staatsanwalt und Richter nicht als wichtig und lenkungsbedürftig angesehen und dann verpatzt werden und prompt Anstoß erregen.( ... )"
Reinle war sich auch der Tatsache bewußt, daß die in dieser Periode üblichen drakonischen Strafen nicht das gewünschte Ziel erreichten, die Kriminalität einzudämmen. Es herrschte Mangelwirtschaft, so daß Delikte wie Schwarzschlachtungen oder Tauschhandel wohl eher als Kavaliersdelikte aufgefaßt wurden denn als Verbrechen. Und auch bei dem verbotenen Umgang
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Kap. 6: Der endgUltige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
mit Kriegsgefangenen waren die Wertvorstellungen der Bevölkerung weit entfernt von den Zielen der Staatsführung. die mit Hilfe der Strafjustiz durchgesetzt werden sollten. Reinle litt auch unter der immer weiter fortschreitenden Willkür. die einflußreichen Kreisen gestattete. von der Justiz ungeschoren davonzukommen. während weniger einflußreiche "Volksgenossen" hart bestraft wurden. "Die scharfen Strafmaße. die neben anderem ja auch Ziel der Lenkung sind. haben bisher zu einer nenneswerten Minderung der Kriminalität nicht gefUhrt. Nach wie vor lassen die Beraubungen von Postgütern nicht nach. obwohl gerade hier meist hohe Zuchthaus-. nicht selten auch Todesstrafen abschreckend wirken müßten. Ähnliches gilt vom Umgang mit Kriegsgefangenen. ( ... ). Bei der Würdigung der Statistik über den Umgang mit Kriegsgefangenen darf überdies nicht übersehen werden. daß bei dem Charakter der Straftat und den meist abgelegenen Thtorten auf dem Lande gerade hier viele Straftaten nie entdeckt und deshalb zur Ahndung kommen. zum andern. daß der Verkehr mit Polen nicht mehr unter die Verordnung fällt und deshalb nur noch staatspolizeilich behandelt wird.( ... ) Auch die Schwarzschlachtungen und ähnliche Kriegswirtschaftsvergehen gehen zahlenmäßig nur wenig zurück. obwohl es auch hier an drakonischen Strafen nicht fehlt. (00') Zum Thema der Kriegswirtschaft wie auch zu dem der Justizkrise gehört eine Beobachtung. die hier zu erwähnen nicht unterlassen werden soll: Die eigene Strafzuständigkeit der Wirtschaftsämter ist für die Justiz recht abträglich. (... ) Es werden Hille im Ordnungsverfahren abgefertigt. die besser dem Staatsanwalt übergeben wUrden. Nicht selten werden Landwirte. Metzger und Gastwirte vor Gericht gestellt. die Abnehmer. besonders solche aus höher gestellten bürgerlichen Kreisen aber mit Ordnungsstrafen belegt. Sie verschwinden damit von der Thgesordnung der gerichtlichen Strafverhandlungen. nicht aber aus dem Wissen und dem Gerede der gerade hieran stark interessierten Öffentlichkeit. Es wird dann lebhaft besprochen. warum der Regierungsrat X. oder die Frau Oberst Y. oder der Kreisleiter Z. nicht vor Gericht erschienen seien und nur der Metzgermeister ins Zuchthaus müsse; und mit dieser Kritik wird dann häufig der Justiz die Schuld für dieses zweierlei Maß an die Rockschöße gehängt. obwohl sie an diesen mißlichen Ergebnissen keinerlei Schuld trägt.(oo.)."
Reinle erkannte sehr wohl. daß mit der vom Justizministeriums seit dem Tode Gürtners und insbesondere seit der Führerrede vom April 1942 verfolgten neuen linie ein Irrweg beschritten worden war. Die Justiz sollte gerettet werden. indem sie versuchte. sämtliche Erwartungen von Staat und Partei zn erfüllen. Bestenfalls war so zu erreichen. daß die Justiz als Institution überdau ern würde. keinesfalls aber kOllllte sie als mit Entscheidungskompetenz ausgestattete Staatsgewalt überleben. Dabei darf man sich sicher nicht der illusion
E. Die endgUltige Gleichschaltung der Justiz
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hingeben, daß Reinle inzwischen dem Nationalsozialismus den Rücken gekehrt hätte. Was ihn bewegte, war wohl viel mehr die Erkenntnis, daß der von ihm erträumte völkische Rechtsstaat nie Wirklichkeit werden konnte, wenn es nicht gelang, die Gerichte als einigermaßen unabhängige Institutionen zu erhalten. Die offiziell vom Justizministerium geübte Politik der Aufgabe richterlicher Unabhängigkeit nagte am Selbstwertgefühl der Richter und war keinesfalls geeignet, die Richter auf lokaler Ebene zu mutigen Auseinandersetzungen mit den Kreisleitern zu animieren. Wenn nun auch die vollständige Instrumentalisierung der Justiz erst mit dem Jahre 1942 einsetzte und wenn, wie das Schreiben Reinles belegt, die Änderungen seit dem Tode Gürtoers auch von nationalsozialistisch eingestellten Richtern als Zäsur empfunden wurden, so darf nicht übersehen werden, daß die Justiz bereits seit der Machtergreifung den fatalen Weg der Anpassung beschritten hatte. Auch vor dem Kriege hatte man Eingriffe in die Justiz hingenommen,immer in der Hoffnung durch Anpassung noch etwas von der eigenen Kompetenz retten zu können. Man hatte die Verfahren eingeübt, die nunmehr zum eigenen Niedergang führten. Für einen im Interesse des völkischen Rechtsstaats geführten Widerstand war es 1942, auch bedingt durch die Kriegsereigoisse,sicher zu spät. Er wurde auch dadurch erschwert, daß es nun auf einmal das Justizministerium selbst war , von dem die endgültige Entmachtung der Justiz ausging. Die Justiz hatte einen hohen Preis gezahlt. Die Unabhängigkeit der Richter und damit die Idee der Justiz als Staatsgewalt waren geopfert worden, um die Justiz als Institution zu erhalten. Aber auch die Linie der absoluten Anpassung führte nicht dazu, daß ein dauerhafter Autoritätsgewinn eintrat. Die Übergriffe der Kreisleiter auf schwebende Verfahren ließen auch nach der Ernennung Thieracks nicht nach, und der Verweis des Oberlandesgerichtspräsidenten etwa auf den Führererlaß vom Dezember 1942 blieb ohne Wirkuog.86
86 (Vorgänge hierzu GLA 240/1987/53/13 und 14). Besonders plastisch etwa folgender Fall: In einem Verfahren in Lahr hatte ein Justizrat einen GUtetermin beantragt, da eine Mitbewohnerin des Mietshauses einen Kellerverschlag, der dem Justizrat zustand, mit einem Holzgitter versehen hatte. Die Frau verfUgte Uber ausgezeichnete Verbindungen nicht nur zur Kreisleitung, sondern auch zur Gauleitung. Zu dem Termin erschien sie in Begleitung eines Kreisamtsleiters. Auch ein Gauinspektor nahm sich der Sache an. In der Verhandlung bekam die Frau Recht, allerdings mußte der Richter den Justiz-
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Kap. 6: Der endgUltige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
F. Die endgültige "Machtübernahme" durch die Kreisleiter Mit dem Heranrücken der Front im Herbst des Jahres 1944 wurden dann auch die letzten Reste staatlicher Ordnung zugunsten der Herrschaft lokaler Parteigrößen beseitigt. Im September berichtete der aufsichtsführende Richter des Amtsgerichts Saarbuchenheim: 87 .. An der Zweigstelle Drulingen muß ab heute jede Tätigkeit aufhören, da der Rechtspfleger , Herr Weber, erkrankt ist und Justizassistent Tussing auf unbestimmte Zeit zu Schanzarbeiten herangezogen ist. Ich selbst war auf Grund der Unterredung zwischen dem Herrn Landgerichtspräsidenten und dem Herrn Landkommissar gestern vom Arbeitseinsatz (Schanzarbeiten), angeordnet, im Auftrag des Landkommissars' entbunden worden. Heute früh hat mir nun der Bürgermeister von neuem erklärt, daß gelegentlich einer Besprechung gestern abend H. Rothacker, der frühere Kreisleiter, dem die Überwachung der Schanzarbeiten anvertraut ist, auf meiner Anwesenheit besteht. Er habe gefordert, daß alle Beamte ohne Ausnahme an den Schanzarbeiten teilnehmen, indem er betonte, daß nicht der Landrat sondern er die Hoheitsrechte besitze und daß er denjenigen, der nicht Folge leisten, ,nicht bestrafen sondern gleich aufhängen werde.' Um also dem Tode durch den Strang, diktiert durch unseren früheren Kreisleiter oder durch den Bürgermeister von hier zu entgehen, werde ich mich von morgen ab zu den Schanzarbeiten begeben und kann daher meinen Dienst als Richter des Amtsgerichts Saarbuchenheim während dieser Zeit nicht versehen."
rat vor Beleidigungen des Kreisamtsleiters in Schutz nehmen. Die Gauleitung war über die frevelhafte Klage des Justizrats so erbost, daß sie dessen Entlassung beantragte. Reinle hatte es mit der Gauleitung zu tun und mußte deshalb betont vorsichtig antworten. Er verwies auf die Vorgänge in der Verhandlung und führte dann an: ,Jch weiß nicht, ob die Kreisleitung damit nicht zu weit gegangen ist. Auch die rote Beschmierungdes Hauses mit der Bezeichnung ,Volksschädling' zeigt, daß die Beklagte es verstanden hat, Kräfte fUr sich mobil zu machen, die gelinde gesagt, außerge wöhnIich sind." Reinle bat dann um Verständnis, daß er den Justizrat aufgrund dieser Vorkommnisse in Anbetracht des Kräftemangels nicht entlassen könne, räumt aber ein, daß der Justizrat über einen schwierigen Charakter verfüge und daß sein Verhalten zu beanstanden sei. Sachverhalt aus einem Schreiben Reinles an die Gauleitung vom 3.3.44 (GLA 240/1987/53/14). 87 Bericht vom 9.9.44 an Oberlandesgerichtspräsidenten (GLA 240/1987/53/169).
F. Die endgültige ,,Machtübernahme" durch die Kreisleiter
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Ähnliche Vorfälle wurden auch aus Konstanz berichtet. 88 Dort hatte der Kreisleiter der NSDAP die Behördenleiter und Wirtschaftsführer in das Gebäude der Kreisleitung bestellt und bekanntgegeben, er habe aufgrund eines "Sofortbefehls" des Gauleiters und Reichsverteidigungskommissars bis zum Abend 1200 Mann auf zwei bis drei Wochen für die Schanzarbeiten am Rhein auf Abruf bereitzustellen. Ihm stehe auch die Befugnis zu, zu entscheiden welche Behörde zu schließen sei. Einsprüche seien zwecklos. So seien auch das Amtsgericht, das Landgericht und das Notariat geschlossen worden. ,,Den Hinweis des ebenfalls anwesenden Herrn Landgerichtspräsidenten, daß das Amtsgericht schon wegen der Bearbeitung der Haftsachen nicht ganz geschlossen werden könne, tat der Kreisleiter mit der Bemerkung ab, daß mit der Verhängung von Schutzhaft ausgeholfen werden könne, nachdem Hr. Oberstaatsanwalt Dr. Weiss auf diese Möglichkeit hingewiesen hatte. (... ) Da ich jedoch gewisse Bedenken habe, ob die Schließung von Gerichten außerhalb der Zuständigkeit des Herrn Reichsministers der Justiz den Kreisleitern übertragen werden kann, bitte ich um Weisung, wie ich mich in ähnlichen Fallen gegenüber solchen Anordnungen des Kreisleiters zu verhalten habe."
Niemand war zu diesem Zeitpunkt mehr in der Lage, das Kompetenzgewirr einigermaßen zu durchschauen. Reinle setzte unter diesen Bericht einen Vtl'merk an den Senatspräsidenten Weis, der als der Mann der Partei am Gericht gal t. "Ich möchte eine klare Antwort haben. Haben Sie den Umfang der Vollmacht des RVK 89 (als solcher hat der KL ja wohl gehandelt) schon irgendwo schriftlich abgegrenzt gesehen ?" Die klare Antwort, die Reinle hatte erhalten wollen, war nicht in der Lage, die Macht der Kreisleiter einzudämmen. Reinle hatte sich, um den Umfang der Machtbefugnisse des Gauleiters in Erfahrung bringen zu können, bezeichnenderweise an den zuständigen Sachbearbeiter beim Gauleiter selbst wenden müssen. Dieser hatte ihm dann mitgeteilt, daß der Führer dem Gauleiter unbeschränkte Vollmacht gegeben habe, alle Maßnalunen zur Sicherung der Westgrenze zu treffen. Weiter mußte der Konstanzer Landgerichtspräsidentdavon in Kenntnis gesetzt werden, daß die dem Gauleiter erteilte Vollmacht unbegrenzt und vom Gauleiter auf die Kreisleiter übertragen worden sei, die somit das Recht innehätten, ohne Beschränkung durch bestehende Bestimmungen
88 Bericht des Oberamtsrichters, in Konstanz vorgelegt durch den Landgerichtspräsidenten Konstanz am 11.9.44 (OLA 240/1987/53/169). 89 Reichsverteidigungskommissar.
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alle Maßnahmen zu treffen, die zur Sicherung der Westgrenze erforderlich seien. Es hatte eine vollkommene Entmachtung staatlicher Institutionen und eine "Machtübernahme" der Kreisleiter stattgefunden. Reinle mußte am Schluß seines Schreibens eingestehen: 90 ,,Die Kreisleiter sind daher theoretisch in der Lage, einzelne Behörden oder Dienststellen fUr unbeschränkte Zeit gänzlich zu schließen. Die von dem dortigen Kreisleiter angeordnete Schließung der Konstanzer Gerichte wäre demnach zulässig, wird aber praktisch nicht verwirklicht werden, da nicht sämtliche Richter bei den Verteidigungsarbeiten einsatzfahig sind."
Dem Amtsrichter in Saarbuchenheim wurde im gleichen Sinne geantwortet. Er möge den Anforderungen der zuständigen Hoheitsträger entsprechen, selbst auf die Gefahr hin, daß das eine oder andere Gericht für einige Zeit unbesetzt bleibe. 91 Auch das badische Innenministerium war bemüht, soweit wie irgend möglich, Ordnung in die sich überlagernden Sondervollmachten zu bringen. Am 21. September 92 unterrichtete man das Oberlandesgericht davon, daß noch am selben Tag neue Verhandlungen mit der Kreisleitung der NSDAP bevorstünden, in denen geklärt werden solle, welche der Projekte Vorrang hätten. Immer wieder war es nämlich vorgekommen, daß ein und derselbe Beamte oder Angestellte für mehrere Projekte gleichzeitig verpflichtet worden war. Daß dies für den einzelnen Betroffenen nicht nur mi t Unannehmlichkeiten, sondern mit akuter Lebensgefahr verbunden war, zeigt die oben zitierte Schilderung des Amtsrichters aus Saarbuchenheim. Dem Oberlandesgerichtspräsidenten selbst wurde von der Kreisleitung am 3. November ebenfalls aufgegeben, 24 Mann auf drei Wochen bereitzustellen, die Schanzarbeiten an den Vogesenstellungen verrichten sollten. Reinle gelang es dann, die Zahl auf 17 zu drücken, von denen sich drei ebenfalls noch abmeldeten. Am 27. November vermerkte Reinle in den Akten, die Vogesenstellungen seien geräumt, die erste Mannschaft nach nur drei Tagen, statt drei Wochen in teilweise wilder Flucht gerade im letzten Augenblick noch aus dem Bsaß entkommen. 93
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Antwort Reinles an den Landgerichtspräsidenten in Konstanz vom 18.9.44 (GLA
240/1987/53/169). 91
Antwort Reinles vom 16.9.44 (GLA 240/1987/53/169).
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(GLA 240/1987/53/169).
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Vorgänge bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/53/169).
F. Die endgültige ,,Machtübernahme" durch die Kreisleiter
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Am 29. November meldete das OKW zur Lage an der südlichen Westfrone· "Im Elsaß verteidigen sich unsere Verbände in einem weit ausgreifenden Frontbogen, der aus dem Raum südlich Straßburg über den Vogesen-Kamm verläuft und dann, nach Osten umbiegend, die Rhein-Ebene nördlich Mühlhausen nach Süden abriegelt." In der Nacht zum 5. Dezember wurden2297 t Bomben auf Karlsruhe abgeworfen. 9S Am 13. Dezember waren im Nordelsaß die Stellungen stellenweise bis an die Grenzen der Pfalz ZUfÜckgenommen.96 Am 14. Dezember ließ der Reichsverteidigungskommissarund Gauleiter Robert Wagner den Kreisleitern einen Befehl zukommen, der am 27. Dezember durch den Oberlandesgerichtspräsidenten auch den Gerichten und Notariaten zugeleitet wurde: 97 "Nach dem überraschenden Einbruch des Feindes in das Elsaß ist es gelungen, am Rhein eine fest Front aufzurichten. Diese Front muß unter allen Umständen gehalten werden. Es ist deshalb derZeitpunkt gekommen, das Leben hinter dieser Front wieder endgültig zu ordnen und zu festigen. Es gilt dies besonders auch für das wirtschaftli che Leben. (... ) \\eiter ist folgendes nötig: Es ist in den letzten Thgen üblich geworden, daß die Arbeit nicht nur bei den häufigen Luftalarmen, sondern auch schon bei öffentlichen Luftwarnungen unterbrochen wird, oder Arbeitskräfte ihre Arbeitsstelle verlassen. Das muß sofort unterbunden werden. Auch beim Alarm geht die Arbeit so lange weiter, bis die akute Gefahr eines Angri ffs besteht. (... ) Bei der öffentlichen Luftwarnung darf die Arbeit keinerlei Unterbrechungen erfahren. Notfalls ist die Arbeitsdisziplin mit allen dafür geeigneten Mitteln aufrecht zu erhalten."
Die militärische Lage wurde immer hoffnungsloser. Durch die Betrauung der Kreisleiter mit den Aufgaben der Reichsverteidigung machte es auch immer mehr Schwierigkeiten, die örtlichen Diktatoren zu Einhaltung staatli ehen Rechts zu bewegen. Die Fingriffe in schwebende Verfahren wurden immer skurriler und betrafen oftmals Fälle, in denen gegen Personen vorgegangen werden sollte, die zu einflußreichen Kreisen der NSDAP gehörten oder diesen nahestanden.
94
Zitiert nach Overesch, Bd. 11, S. 5.58.
95
Overesch, Bd. 11, S. 560.
96
97
Overesch, Bd. 11, S. 563. Abdruck bei den Akten des Gerichts (GLA 240/8253).
230
Kap. 6: Der endgUltige Niedergang der Rechtsstaatlichkeit
Der Kreisleiter aus Überlingen etwa hatte bei einem Verkehrsunfall in der Nähe von Immenstaad eine Frau getötet, die als Kreisfrauenschaftsleiterin ebenfalls in der NSDAP aktiv war. Nach Eingang der Anklage beim Landgericht Konstanz, in der dem Kreisleiter fahrlässige Tötung zur Last gelegt wurde, bestimmte dieses Termin zur Verhandlung auf den 30. November 1944. Der Termin, zu dem auch 15 Zeugen und Sachverständige geladen waren, sollte in Immenstaad stattfinden, da die meisten Zeugen dort ansässig waren. Am Abend vor der Verhandlung erschien der Konstanzer Oberstaatsanwalt beim Landgerichtspräsidenten und teilte mit, der Generalstaatsanwalthabe ihn beauftragt mitzuteilen, der Gauleiter wünsche in seiner Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar nicht, daß das Verfahren durchgeführt werde. Bei Aufruf der Sache am nächsten Morgen erschien auch der Angeklagte nicht, lediglich der Verteidiger gab die Erklärung ab, die Kreisleitung habe ihm mitgeteilt, der Angeklagte werde nicht erscheinen, weil der Adjutant des Gauleiters dem Angeklagten mitgeteilt habe, daß die Verhandlung nicht stattfinden solle. Das Gericht nahm zwar noch die Unfallstelle in Augenschein, dann blieb aber nichts weiter übrig, als die Verhandlung auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Der Landgerichtspräsident bat nun den Reichsjustizminister alles Erforderliche zu veranlassen, daß das Verfahren seinen Fortgang nehmen könne. Schließlich hättenja die Akten schon zuvor längere Zeit dem Reichsjustizministervorgelegen und dieser den Staatsanwalt dann ersucht, nun umgehend Anklage zu t2"heben, so daß nicht damit gerechnet werden konnte, daß von seiten der Partei Einwände erhoben würden. 98 Man hatte also beim Ministerium eigens die Erlaubnis zur Anklageerhebung eingeholt und war nun wegen der Schwierigkeiten umso überraschter. Auf die Sache war die Gauleitung durch eine Eingabe der politischen Leiter des Kreises Überlingen aufmerksam geworden. Diese hatten sich am 15. November an den Gauleiter gewandt und angeführt: 99
98 Der Sachverhalt ergibt sich aus einem Bericht des Landgerichtspräsidenten aus Konstanz vom 1.12.44 erstattet dem Oberlandesgerichtspräsidenten zur Weiterleitung an den RJM (GLA309/1205. BI. 227). 99 Schreiben dem OLG-Präsidenten durch den Landgerichtspräsidenten Konstanz am 1.12.44 vorgelegt. (GLA 240/1987/53/663).
G. Zusammenfassung
231
"Wir stehen auf dem Standpunkt, daß es im Interesse der Partei und besonders unseres Kreises Überlingen liegt, einen solchen alten Kämpfer und Nationalsozialisten gerade jetzt in der schwierigsten Zeit auf diesem Posten zu erhalten."
Daß das Verfahren dann anscheinend doch noch durchgeführt werden sollte, war aber keinesweges einem machtvollen Eingreifen des Reichsjustizministeriums zu verdanken. Es lag vielmehr daran, daß nun auch die Familie des Opfers ihre Beziehungen bemühte. Am 24. Januar teilte der Landgerichtspräsident mit, die Familie der Verstorbenen habe ihre Beziehungen zu Inspektor Öxle in der Parteikanzlei benutzt, die vermutlich Weisung gegeben habe, das Verfahren durchzuführen. 100 Reinle teilte dies am gleichen Tag dem Reichsjustizminister mit den Worten mieo l "So erfreulich es ist, daß das Verfahren nunmehr zu Ende geruhrt werden kann, so unerfreulich bleibt die Tatsache, daß es erst der Einsetzung persönlicher Beziehungen zur Parteikanzlei bedurft hat, um der Gerechtigkeit und der Justiz zu ihrem Recht zu verhelfeo. "
Die deutliche Skepsis, die aus Reinles Bericht vom Ende des Jahres 1942 sprach, war also nur allzu berechtigt. Auch die unter der Führung Thieracks betriebene absolute Unterwerfung derJustiz unter die Wünsche von Partei und Staatsführunghatte nicht dazu geführt, daß die Justiz emstgenommen wurde. Im Gegenteil: die Lage hatte sich weiter verschlechtert.
G. Zusammenfassung Mit Ausbruch des Krieges beschleunigte sich der Autoritätsverlust der Justiz beachtlich. Weder staatliche Organe noch ParteisteIlen achteten richterliche Entscheidungen. Bei ihrer Auseinandersetzung mi t beiden S teIlen war der Oberlandesgerichtspräsidentauf sich allein gestellt. Mit der Führerrede vom April 1942 erreichte die Vertrauenskrise ihren vorläufigen Höhepunkt. Zunächst schien es für kurze Zeit so, als würde die neue Führung des Reichsjustizministeriums den Vertrauens verlust stoppen. Mit Rothenberger kam ein Mann ins Ministerium, der für weitreichende Reformen eintrat. Es zeigte sich
100 101
Aktenvermerk Reinles vom 24.1.45 (GLA. 240/1987/53/14). (GLA. 240/1987/53/14).
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Kap. 6: Der endgültige Niedergang der RechtsstaatIichkeit
jedoch schnell, daß statt der Stärkung des Selbstbewußtseins der Richterschaft die totale Unterwerfung der Justiz unter die Wünsche von Staat und Partei erfolgen sollte. Ein Umstand der auch nationalsozialistischen Richtern wie Reinle schwer zu schaffen machte. Trotz und auch wegen dieses Opfers besserte sich das Ansehen der Justiz weder bei den staatlichen Stellen noch bei der Partei.
Kapitel 7
Die letzten Monate in Sinsheim A. Umzug nach Sinsheim, Einrtihrung der Standgerichtsordnung Wie bereits in KapitelS geschildert, war Karlsruhe im September 1944Ziel eines schweren Luftangriffs gewesen. Am 4. Dezember war ein weiterer Angriff erfolgt, der die Stadt erheblich getroffen hatte. Reinle berichtete ausführlich über die Kriegslage an den Reichsminister der Justiz. I Diesem Bericht Zllfolge waren die Nachrichten- und Bahnverbindungen stark in Mitleidenschaft gezogen und ein Arbeiten der Behörden in Karlsruhe kaum noch möglich. Zudem lag durch die Luftangriffe eine unmittelbare physische Bedrohung vor. Auch war die Atmosphäre in den zerbombten Städten für die Repräsentanten der Staatsführung, zu denen ja auch die Justiz gehörte, sicherlich alles andere als angenehm. In dem Bericht Reinles etwa heißt es im Hinblick auf den Luftangriff vom 4. Dezember und die Kriegslage im Elsaß: "Hemmungslose Kritik und wüstes, gehässiges Schimpfen auf die Führung waren vielfach zu hören und wahrzunehmen. Um nur ein Beispiel zu geben: Der Gattin eines Oberlandesgerichtsrats ist folgendes zugestoßen: Sie stand in einem der bekanntesten Metzgereigeschäfte Karlsruhes inmitten einer dicht gedrängten Schar von Käufern, und meist Frauen. Hinter ihr trat jemand neu hinzu und grüßte mit ,Heil Hitler! '. Das Wort war kaum gefallen, als ein Mann offenbar in der Meinung, der Hitlergruß sei von der neben ihm stehenden Frau des Oberlandesgerichtsrats gebraucht worden, auf sie zutrat, sie an den Haaren faßte und laut schrie: ,So auch noch, dieser Schuft und Kriegsverbrecher gehört aufgehängt und Sie daneben, an einen Balken gehören sie gehängt und Feuer darunter gemacht, aber so, daß sie langsam verbrennen.' Kein Mensch im Laden bemerkte ein Wort dazu oder machte Miene, ihr zu Hilfe zu kommen. So geschehen in der gutbürgerlichen Beamtenstadt I Einen ausführlichen Bericht über die Kriegslage im "Gau Baden-Elsaß" erstattete Reinle dem Reichsminister der Justiz am 2. Januar 1945 (GLA 309/1205).
234
Kap. 7: Die letzten Monate in Sinsheim
Karl s ruhe. Wahrscheinlich wäre in jenen Tagen Stoff fUr zahlreiche Heimtückeverfahren angefallen, wenn sich Anzeiger und Zeugen dafUr gefunden hätten. Zum Teil sind diese Erscheinungen wohl zu erklären als Ausfluß der Verzweiflung. wie sie nach derart schweren Bombe nangriffen und Verwüstungen auch schon in anderen Gebietsteilen des Reiches vorgekommen sein werden. Es kann aber nicht verkannt werden, daß die Mißstimmung allerbreiteste Kreise der Bevölkerung erfaßt hat, auch solche, die sonst Ruhe und Zurückhaltung zu bewahren pflegen. Insbesondere auch im Beamtenturn sind Stimmungsäußerungen laut geworden, die früher völlig undenkbar waren."
Am 23. November 1944 war dann auch Straßburg, wo die Gauleitung ihren Sitz hatte, von den vorrückenden amerikanischen Verbänden befreit worden. 2 Wagner hatte sich, dem Bericht Reinles zufolge,3 bis zum Schluß geweigert, die Stadt zu räumen und auch sämtlichen Beamten verboten, die Stadt zu verlassen. Um 9.30 Uhr tauchten dann amerikanische und französische Panzer in der Innenstadt auf, wovon die Justizbeamten zunächst nichts wußten, da sie noch Sitzungen abhielten. "Die Regierung und Partei mußten regelrecht /lUchten unter ZurUcklassung wertvollster Teile des Regierungsapparates; die Gauleitung z.B. ließ ihre gesamten Aktenbestände unversehrt zurUck und in die Hände der Franzosen fallen, was von tragischsten Folgen besonders fUr alle diejenigen Elsässer begleitet sein muß, die sich der deutschen Sache zur VerfUgung gestellt hatten. Die Wehrmacht, die allerdings zahlenund waffenmäßig schwach war, versagte und kapitulierte zum größten Teil. Alles in allem also ein wenig ermutigendes Bild, das uns die Rückkehr ins Elsaß gewiß nicht erleichtern wird."
In dieser immer bedrohlicher werdenden Lage mußte auch das Oberlandesgerichtnach Ausweichmöglichkeiten suchen. Nachdem man zunächst mit dem Gedanken gespielt hatte, das Gericht nach Baden-Baden zu verlegen, entschloß man sich dann die Generalstaatsanwaltschaft im Amtsgerichtsgebäude in Eppingen einzuquartieren, während das Oberlandesgericht selbst im Amtsgericht in Sinsheim Aufnahme fand. Baden-Baden verfügte über die schlechtere Bahnverbindung und war bereits in Reichweite der feindlichen Artillerie. Der Umzug war wegen der fehlenden Transportmöglichkeiten schwierig, Reinle mußte sich 10 Tage lang um Transportmöglichkeiten bemühen, bevor es ihm gelang Eisenbahnwaggons zu erhalten, um die Akten und das Inventar zu verlegen.
2
Bericht ReinIes vom 2.1.45, BI. 3f. (GLA 309/1205).
3
Bericht vom 2.1.45, BI. 4 (GLA ibid.).
A. Umzug nach Sinsheim, Einführung der Standgerichtsordnung
235
Reinle berichtete, daß aufgrund des Luftangriffs vom 4. Dezemberund dem immer näher dringenden Schlachtenlärm aus der Gegend von Hagenau und Bitsch Panik in der Stadt ausgebrochen sei, so daß sämtliche Behörden, FIrmen und Einzelpersonen nach Transportmöglichkeiten suchten, um aus der Stadt zu flüchten. 4 Sinsheim war zu diesem Zeitpunkt bereits stark mit Flüchtlingen belegt, so daß die Richter und Beamten des Gerichts auch im Amtsgerichtsgebäudelebten und sich aus einer Gemeinschaftsküche versorgten.' Obwohl auch in Sinsheim eine gewisse Bedrohung durch Jagdbomber bestand, war man sicherlich froh dem wesentlich exponierteren Karlsruhe entflohen zu sein. 6 Der eigentliche Umzug dürfte wohl ein bis zwei Wochen in Anspruch genommen haben. Um die Jahreswende 1944/45 war die Verlegung dann abgeschlossen. Einige Richter der richterlichen Abteilung waren noch in Karlsruhe verblieben,7 während die Verwaltungsabteilung vollständig umgezogen war. Aber auch in Sinsheim wurde ein Senat gebildet. 8 In Zivilsachen fand nur noch in geringem Umfang eine richterliche Tätigkeit statt, obwohl bis zur Besetzung Sinsheims beharrlich Urteile und Beschlüsse erlassen wurden. Im Januar 1945 wurden vom Oberlandesgericht 60 Sachendurch Urteil erledigt und 34 Beschwerden verbeschieden. Am 3. März waren noch 353 Sachen beim Oberlandesgericht anhängig, von denen aber nach Einschätzung Reinles nur noch ein Fünftel entschieden werden konnte, Blatt 2 des Berichts (GU ibid.). 5 Schreiben Reinles an die Firma Fucker in Karlsruhe vom 22.12.44 (GU 240/ 8253) und Schreiben des Senatspräsidenten Weis an Justizoberinspektor Reinle beim AG Baden-Baden vom 9.1.45 (GU 240/8248). 4
6 So ist das in der vorigen Fußnote zitierte Schreiben des Senatspräsidenten Weis vom 9.1.45 an den Bruder Reinles, der als Justizoberinspektor in Baden-Baden tätig war, in sehr humorvollem Ton gehalten und läßt eine gewisse Erleichterung spUren. 7 Schreiben des Senatspräsidenten Weis an die richterliche Abteilung in Karlsruhe vom 25.1.45 (GLA 240/8253). 8 Siehe Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 1945, datiert vom 19.2.45 (GU 240/1987/53/415). Demnach bestanden ein Strafsenat, der aber nur für den Fall gebildet worden war, daß seine Tätigkeit erforderlich werden sollte, und drei Zivilsenate. Einem "Verzeichnis der bisher bekannt gewordenen Unterkünfte von Reichs- und Landesdienststellen sowie öffentlichen Körperschaften im Lande Baden" zufolge (undatiert, vermutlich Januar 45, GU 240/1987/53/49) war der erste Senat unter dem Vorsitz Reinles nach Sinsheim verlegt worden, während der zweite und dritte Senat noch in der Hoffstraße 10 in Karlsruhe verblieben waren.
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Kap. 7: Die letzten Monate in Sinsheim
dainfolge der Kriegsereignisse keine Beweisaufnahme mehr möglich war oder weil die Anwälte geflohen waren. Bei den Landgerichten waren insgesamt im Jahre 1945 lediglich 90 Fälle anhängig, von denen 12 für erledigt erklärt wurden, 8 wurden entschieden, 60 konnten aus den oben genannte Gründen nicht entschieden werden. 9 Über die Tätigkeit der Strafgerichte liegen für das Jahresende 1944 keine Zahlen vor. Man darf sicherlich unterstellen, daß wesentliche Teile der Strafverfolgung in diesem Zeitraum ohne Beteiligung der Justiz abliefen. Im Elsaß zumindest wurden am 25. November von Wagner eine Standgerichtsordnung erlassen, die keinerlei Beteiligung ausgebildeter Richter mehr vorsah, ein Umstand, der von Reinle bitter beklagt wurde: "Daß auch der Gauleiter sich nicht gerne der Justiz, sondern viellieber der Polizei bedient, der man so bequem befehlen kann, habe ich schon früher ausgeführt. Ein Beispiel dafür bietet - (... ) - ein Auftrag, den der Gauleiter als CdZ [Chef der Zivilverwaltung, Verf.] im Elsaß am 25. November, 2 Thge nach der Besetzung Straßburgs durch die Amerikaner, mir und dem Generalstaatsanwalt erteilte. Es handelte sich darum, eine Verordnung über die Einführung des Standrechts im Elsaß zu entwerfen, das alle Gewalt in die Hand der Polizei legen sollte. Daß dieser Auftrag, der die Justiz ausschalten sollte, gerade uns erteilt wurde, mochte verwunderlich erscheinen; da wir aber zu gehorchen gewohnt sind und uns auch sagten, daß wir so der VO wenigstens eine Fassung geben konnten, die es verhinderte, daß unter Umständen die Justiz mit einer Verantwortung für Dinge belastet werden konnte, die diese gar nicht mehr übernehmen konnte oder um zu vermeiden, daß beispielsweise die Vollzugsanstalten in die alleinige Verfügung der Polizei übergingen, unterzogen wir uns dem Auftrag -im Luftschutzkeller während eines Angri ffs."
Reinle fügte dann noch an, daß die Verordnung bis jetzt nur in den Kreisen Hagenau und Weißenburg gelte, daß der Gauleiter die Geltung aber sicher auf das ganze Elsaß ausdehnen werde, wenn es wieder in deutsche Gewalt komme, "ob zum Guten des Landes, möchte ich nicht entscheiden. (... ) Die Verordnung ist aber typisch für das Denken des Gauleiters und der ganzen Partei: Man arbeitet nicht gerne mit dem unbequemen Instrument der Justiz, die eine objektive Gerechtigkeit zu verwirklichen bestrebt ist. Man arbeitet viel lieber mit Polizei, mit Gewalt und verkennt dabei, daß die Justiz gerade wegen ihres Gerechtigkeitsstrebens Vertrauen im Volke besitzt, und daß man das Vertrauen einer Bevölkerung mit polizeilichen Mitteln allein nie erwerben kann."
9 Siehe Bericht Reinles an den RJM vom 3.3.45 über die Auswirkungen der zweiten Kriegsmaßnahmeverordnung (GLA 240/1987/53/535).
A. Umzug nach Sinsheim, Einführung der Standgerichtsordnung
237
Die Tätigkeit der Standgerichte im Elsaß blieb sicherlich in keiner Weise hinter den Befürchtungen Reinles zurück. Im Februar 1945 sollten auch in Baden Standgerichte einberufen werden. Bei der Planung dieses Vorhabens spielten auch die im Elsaß gewonnenen Erfahrungen eine Rolle. Einem Aktenvermerk Reimes zufolge 10 hätten die Standgerichte im Elsaß in aller Regel mit einem Polizeioffizier als Vorsitzenden und zwei politischen Leitern als Beisitzer getagt "und anscheinend schon ziemlich viele Todesurteile erlassen und auch vollstreckt." In einer durchgestrichenen Passage des Aktenvermerks heißt es, daß sich nunmehr das Bedürfnis ergeben habe, mehr Ordnung in die S tandgerichtsbarkeit zu bringen. Am 16. Februar trat dann für das Reichsgebieteine "auf Befehl des Ftihrers" erlassene Standgerichtsordnung des Reichsjustizministeriums in Kraft. 11 "Die Härte des Ringens um den Bestand des Reiches erfordert von jedem Deutschen Kampfentschlossenheit und Hingabe bis zum äußersten. Wer versucht, sich seinen Pflichten gegenüber der Allgemeinheit zu entziehen, insbesondere wer dies aus Feigheit oder Eigennutz tut, muß sofort mit der notwendigen Härte zur Rechenschaft gezogen werden, damit nicht aus dem Versagen eines einzelnen dem Reich Schaden erwächst."
In dieser Verordnung war vorgesehen, daß ein Strafrichter als Vorsitzender und ein politischer Leiter der NSDAP sowie ein Offizier der Wehrmacht, der Waffen-SS oder der Polizei als Beisitzer fungieren sollten. Eine wohl gleichlautende Verordnung wurde für den Gau Baden-Elsaß von Wagner am 17. und 18. Februar im "Führer" veröffentlicht,12 die aber nur für das Reichsgebiet, also für Baden galt und sämtliche Straftaten der Standgerichtsbarkeit unterstellte, die die deutsche Kampfkraft oder Kampfentschlossenheit gefährdeten. Damit hatten, wie Reime feststellte, die Standgerichte die Sondergerichte weitgehend abgelöst. Errichtet wurden die Standgerichte dann auf Vorschlag Reinles in Mannbeim, Heidelberg, Mosbach, Karlsruhe, Rastatt, Offenburg,
10 Aktenvermerk über Anruf des Landeskommissars Dr. Emmelmann aus Weißenburg vom 17.2.45 (GLA 240/1987/53/431). 11 Abgedruckt ist diese in einem bei den Akten des Oberlandesgerichts befindlichen Zeitungsartikel, der aber keinen Hinweis darauf enthält, um welche Zeitung es sich handelt. (GLA 240/1987/53/431). 12 Aktenvermerk Reinles vom 17.2.45 (GLA 240/1987/53/431).
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Kap. 7: Die letzten Monate in Sinsheim
Freiburg, Lörrach, Waldshut und Konstanz durch eine Verfügung Robert Wagners vom 24. Februar 1945. 13 Daß der Krieg nicht mehr gewonnen werden konnte, wurde immer deutlicher, vor allem seit der Befreiung, oder, wie es damals hieß, seit dem "Fall des Elsaß". Der Luftangriff vom 4. Dezember auf Karlsruhe hatte sicher ein übriges bewirkt, um die Stimmung zu drücken. Lediglich die Anfangserfolge der Ardennenoffensive, die am 16. Dezember begonnen hatte, und, wie Reinle schrieb,t4 "die Führerrede in der Neujahrsnacht, deren feste Zuversicht sich auf das Volk übertrug", ließen zumindest im offiziellen Schriftverkehr kurzfristig wieder etwas Hoffnung aufkeimen. Dem wohl weitverbreiteten Pessimismus auch bei den Justizangehörigen begegnete man mit immer neuen Durchhalteaufrufen. Am 11. Januar wandte sich Reinle an die Landgerichtspräsidenten, und an die Vorstände der Amtsgerichte und Notariate in Baden. 1 5 In dem Schrei ben wurde gerügt, daß zahlreiche Justizbedienstete infolge der militärischen Entwicklung der letzten Wochen ihre Arbeitsstellen verlassen hätten und nicht wieder zurückgekehrt seien. Hierbei bezog sich Reinle auf den in Kapitel 6 zitierten Erlaß Robert Wagners. In einem Schreiben des Reichsjustizministeriums vom 7. Februar an die höheren Reichsjustizbehörden l6 wurde diesen mitgeteilt, der Oberlandesgerichtspräsident in Königsberg und ein mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Generalstaatsanwalts dort beauftragter weiterer Oberlandesgerichtspräsident seien bei Feindannäherung geflohen und hätten ihre Behörde und ihre "Gefolgschaften" in schwerster Zeit pflichtwidrig im Stich gelassen. Sie seien inzwischen verhaftet worden. Der eine habe in der Haft Selbstmord begangen, gegen den anderen werde Anklage vor dem Volksgerichtshof erhoben. Ein ähnlicher Fall wurde aus Kattowitz berichtet.
13 Schreiben mit der Ernennung der Richter bei den Akten des Gerichts (GLA 240/ 1987/53/431). 14 15 16
Bericht vom 2.1.45, BI. 5 (GLA 309/1205). (GLA 240/1987/53/880). (GLA 240/1987/53/877).
A. Umzug nach Sinsheim, Einführung der Standgerichtsordnung
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Den BehördenIeitem wurde zur Pflicht gemacht, für den Fall des ,,Ausweichens" zunächst für den sicheren Abzug ihrer Behörde zu sorgen und hierbei helfend einzugreifen. "Pflichtvergessen aber und ehrlos handelt, wer aus Feigheit die ihm unterstellten Beamten im Stich läßt. Alle Reichsbehörden und damit auch die Reichsjustizbehörden und ihre Beamte stehen im Blickfeld der Öffentlichkeit. Gerade ihre feste und entschlossenen Haltung ist von ausschlaggebender Bedeutung fUr die Haltung der gesamten Bevölkerung."
Was ReinIe und wohl auch einige seiner Kollegen anbelangt, so ist man fast geneigt, ihnen in dieser Endphase des Krieges einen gewissen Realitätsverlust zu unterstellen. Bei der Einführung des Standrechts in Baden Ende Februar 1945 etwa beschäftigte ReinIe vor allem die Arbeitsbelastung für die Richter. I7 "Da die Beisitzer nichtrichterliche Mitglieder sein werden, werden sie lediglich für die Hauptverhandlung in Tätigkeit und Erscheinung treten, so daß die gesamte übrige Arbeit, die bisher der Vorsitzer des Sondergerichts seinen richterlichen Beisitzern übertragen konnte, vor allem die Urteilsabsetzung, nunmehr allein auf den Schultern des Vorsitzers lasten würde. Nach der Verordnung soll die StPO sinngemäß Anwendung finden, danach ist offenbar an die Beibehaltung von Urteilsgrunden gedacht."
Aus den Quellen, die die Endphase des Krieges betreffen, ergibt sich, daß zu dieser Zei t keinerlei berechenbare Staatsführung mehr exis tierte. Nachrichtenverbindungen waren kaum noch vorhanden, und die Staatsgewalt wurde nur noch auf lokaler Ebene ausgeübt. Dort herrschte eine Diktatur der Kreisleiter, die bei ihrer Herrschaftsausübung von der Gauleitung gedeckt wurden und allem Anschein nach keinerlei Kontrolle unterlagen. Standgerichte dienten allenfalls noch dazu den Schein eines Gerichtsverfahrens aufrecht zu erhalten. Man wird wohl unterstellen können, daß der richterliche Vorsitzer, selbst wenn er gewillt gewesen wäre, bei standgerichtlichen Verfahren ein gewisses mäßigendes Element auszuüben, sich kaum der Vertreter von Polizei und Partei hätte erwehren können. Die Sorge ReinIes, um die Einhaltung der rechtsstaatli chen Grundsätze konzentrierte sich demgegenüber auf die Frage der Abfassung der Urteils gründe. ÄhnIiche, aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbare Reaktionen liegen aus Mannheim vor.
17
Aktenvermerk vom 17.2.45 (GLA 240/1987/53/431).
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Kap. 7: Die letzten Monate in Sinsheim
Von dort berichtete der Amtsgerichtsdirektor am 21. März 1945 18 - zu einem Zeitpunkt, als die amerikanischen Verbände Frankenthal erreicht hatten19 - daß die Rheinbriicke nach Ludwigshafen gesprengt sei, daß die Reichspostin Mannheim die Briefbeförderung eingestellt habe und die Stadt nahezu menschenleer und ferner daß die "Gefolgschaft" nicht zum Dienst erschienen sei, um dann anzufügen: "Kann die Sondergerichtssitzung am Dienstag 27. März stattfinden '!"
Es hat den Anschein, als klammerte man sich mit aller Gewalt an die bestehende Ordnung. So setzte sich Reinle noch im Januar 1945 vehement dafür ein, daß Buzengeiger das Kriegsverdienstkreuz verliehen bekomme. Ein erster Versuch im Jahre 1942 war erfolglos verlaufen. Am 26. Januar wurde Buzengeiger dann unter Hinweis auf seine vorbildliche Einsatzbereitschaft erneut von Reinle vorgeschlagen. 2o Der Orden wurde Buzengeigerdann am 14. März 1945 übermittelt. "Ich bitte, die Ihnen verliehene Auszeichnung als eine Anerkennung dafür zu betrachten, daß Sie sich trotz Ihres hohen Lebensalters nicht versagten, als der Ruf an Sie erging, das verantwortungsvolle Amt eines Richters unter den derzeitigen schwierigen Verhältnissen wieder zu Ubernehmen."
Ob Buzengeiger die Ehrung mit großer Genugtuung entgegengenommen hat, wird man wohl bezweifeln müssen. Er hatte sicherlich zu Anfang der Nazidiktaturmit seinem Gewissen gerungen, bevor er sich in den Dienst des Regimes stellte. Inzwischen herrschte ein Terrorregiment der Kreisleiter. Bei Buzengeiger kann man wohl davon ausgehen, daß er seine Hinwendung zum Nationalsozialismus als Fehler erkannt hatte. Buzengeiger war ferner bei einem der Luftangriffe auf Karlsruhe obdachlos geworden und lebte in Konstanz unter notdürftigsten Verhältnissen. 21 Fast ist man denn auch geneigt, in der Ver1eihung des Ordens einen gewissen Zynismus am Wirken zu sehen. Der Vorwurf ist aber wohl unbegründet. Bei den Akten des Gerichts befindet sich der Auszug eines Berichts des Landgerichtspräsidenten aus Mosbach vom Früh-
18
(GLA 240/1987/53/369).
19
Overesch, Bd. 11, S. 593.
20
Siehe Schreiben Reinles an Wagner, der das Verleihungsrecht inzwischen innehat-
te. (GLA 240/1987/53/40). 21
Anlage 20 im Entnazifizierungsverfahren, AS 133 (GLA 465a1511581106).
B. Die letzten Monate Reinles. letzte Konflikte mit der Partei
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jahr 1945,22 der sich bitter darüber beklagte, daß noch keinem der ihm unterstellten Beamten und Angestellten das Kriegsverdienstkreuz verliehen worden sei, während bereits Sachbearbeiter der Jugendämter die Auszeichnung erhalten hätten. Auch sei er selbst als der höchste und wohl auch dienstälteste Beamte in drei Kreisen so ziemlich der einzige Vorstand einer größeren Behörde, der nicht bedacht worden sei. Reinle antwortete, daß er dies nicht ohne Bestürzung zur Kenntnis genommen habe und versprach beim nächsten Vergabetermin für Abhilfe zu sorgen. Dieses Versprechen wurde indes nicht mehr erfüllt.
B. Die letzten Monate Reinles, letzte Konflikte mit der Partei Reinle hatte als überzeugter Nationalsozialist eine steile Karriere in der Justiz gemacht. Seinen kometenhaften Aufstieg hatte er zwar sicherlich auch seiner Befähigung aber doch im wesentlichen seiner politischen Gesinnung zu verdanken. Obwohl Reinle die Protektion der Partei genoß, waren die acht Jahre seiner Präsidentschaft keineswegs frei von Konflikten. Reinle hatte sein Amt sicher mit großen Erwartungen angetreten. Die Konflikte zwischen Justiz und Partei, die vor seiner Präsidentschaft bestanden hatten, wird er wohl eher der Überalterung der Justiz zugeschrieben haben, wie sie sich in seinen Augen wohl auch in der Person Buzengeigers personifizierte,23 und den revolutionären Anfängen der nationalsozialistischen Herrschaft, die es nun galt, in geordnete Bahnen zu lenken. Die pompöse Amtseinführung, bei der ja auch Robert Wagner zugegen war, schien auch die Hoffnung zu nähren, Reinles Traum vom völkischen Rechtsstaat unter nationalsozialistischer Führung könne Wirklichkeit werden. Daß in diesem völkischen Rechtsstaat für Juden und andere verfemte Minderheiten kein Platz war, verstand sich für Reinle sicher von selbst. Man täte Reinle aber Unrecht, wenn man ihm unterstellte. er habe sich aus Machtkalkül und Karrierestrebendem Nationalsozialismus verschrieben. Reinle war von seinem Tun überzeugt. Die bereits kurz nach seinem Amtseintritt zu ihrem Höhepunkt gelangte erste Pressekampagne hätte nun ein sicheres Zeichen dafür sein müssen, daß
22 Der Bericht ist undatiert. stammt aber aller Wahrscheinlichkeit nach vom März 45. da ReinIes Antwort am 15.3.45 abgefaßt wurde. (GLA 240/1987/53/40). 23 Buzengeiger soll er in dessen Abwesenheit gerne nachgeahmt und so lächerlich gemacht haben.
16 Schiller
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Kap. 7: Die letzten Monate in Sinsheim
die ja von Anfang an bestehende Justizfeindlichkeit der Nazidiktatur keinesfalls nur dem revolutionären Eifer der ersten Jahre zuzuschreiben war. Der Niedergang des Rechts in diesen zwölf Jahren vollzog sich jedoch, wie bereits oben festgestellt, phasenweise. Nach Zeiten der Krise schien sich immer eine Besserung anzubahnen, wobei aber bei jeder Krise ein Stück justitieller Unabhängigkeit geopfert wurde. Dieser einmal beschrittene Weg führte dann unter der Amtszeit Thieracks zur endgültigen Aufgabe der justitiellen Eigenständigkeil. Man darf sicher annehmen, daß Reinle persönlich unter den Anfeindungen der Partei litt. Der Umstand, daß es sich als immer schwieriger erwies, den Gedanken des Rechts, wie er ihn verstand, gegenüber dem allumfassenden Machtanspruch der Partei zu behaupten, und das Unverständnis mit dem lokale Partei größen der Justiz begegneten, war für Reinle nicht lediglich eine Frage der Wahrung eigener Kompetenzen, sondern wurde von ihm sicher als tragisch empfunden. Die unüberwindliche Justizfeindlichkeit des Nationalsozialismus aber wollte oder konnte Reinle allem Anschein erst sehr spät wahrhaben. Erst der Bericht an das Reichsjustizministerium vom Dezember 1942 läßt ahnen, daß Reinle tiefgreifende Zweifel hegte, ob Justiz und Partei noch dauerhaft zu einem Arrangement würden kommen können. Noch 1940 hatte Reinle auf die Frage, wie er die Aussichten des Jurastudiums beurteile, wo doch sogar der Reichsjustizminister vom Jurastudium abgeraten habe, geantwortet,24 daß die siegreiche Beendigung des Krieges eine solche Fülle von Stellen bringen werde, daß mehr Rechtsstudierende benötigt würden und nicht weniger. Auf eine ähnliche Anfrage aus dem gleichen Zeitraum antwortete Reinle, "daß das Studium der Rechts- und Staatswissenschaft auch sonst im neuen politisch führenden Deutschlandnicht vernachlässigt werden darf, seine Wichtigkeit auch im politischen Kreisen trotz aller gefühlsmäßigen Abneigung in steigendem Maße erkannt wird." 2S Und auch aus dem Bericht vom August 1942 sprach noch deutlich der Glaube an die neue Führung des Reichjustizministeriums und an die Möglichkeit eines Ausgleichs mit der NSDAP Reinle hoffte beharrlich, der nationalsozialistische Staat werde die Wichtigkeit einer berechenbaren Rechtsordnung doch noch erkennen. Die Schwierig24 Anfrage des Rektors der Albert-Ludwigs-Universität vom 6.5.40, Antwort ReinIes vom 14.5.40 (GLA 240/1987/53/243). B Siehe Anfrage des Beratungsdienstes des Reichsstudentenwerkes in Stuttgart vom 29.5.40, Antwort Reinles vom 5.6.40 (GLA 240/1987/53243).
B. Die letzten Monate Reinles, letzte Konflikte mit der Partei
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keit zwischen lokaler Partei verwal tung und Justiz schrieb Reinle nicht nur dem oftmals fehlenden politischen Engagement der Richter zu, sondern auch dem mangelndenRechtsverständnis der Kreisleiter, das es durch Aufklärung zu beseitigen galt. Auf dem Höhepunkt der Justizkrise 1943 etwa erreichte Reinle der Bericht eines Amtsgerichtsrats aus Tauberbischofsheim/ 6 der zugleich als Kreiswalter des NS-Rechtswahrerbundes in Wertheim amtierte. Der Amtsrichter berichtete, daß er an vier Abenden vor 30 bis 40 Parteimitgliedern aller Bevölkerungsschichten und Berufe einen Vortrag über nationalsozialistische Rechtspflege gehalten habe. Hierbei sei er auch auf das Problem der Bindung an das Gesetz zu sprechen gekommen, worin man einen Hauptgrund dafür zu sehen habe, daß manche Urteile dem einzelnen "Volksgenossen" nicht verständlich zu machen seien. Im Juni wolle er dann auf die vom nationalsozialistischen Gesetzgeber erarbeiteten Lösungen, etwa § 2 RStGB sowie die geplanten Reformen wie Friedensrichter und Richterkorps, eingehen. Reinle war begeistert. An alle Landgerichtspräsidenten und aufsichtsführenden Richter der Amtsgerichte in Baden und im Elsaß wurde ein Auszug des Berichts gesandt und das Beispiel zur Nachahmung empfohlen. 27 Der Richter habe es in vorbildlicher Weise verstanden, "eine Brücke vom Recht und Richter zum Volk zu schlagen". Reinle fügte an: .. Aufklärung gerade von Parteikreisen Uber die Bedeutung des Rechts im Volksund Staatsleben und die Art der Rechtsfindung, die Tätigkeit des Richters, tut äußerst not und kann sich für die Stellung der Justiz wie die unmittelbare Tätigkeit jedes Richters nur segensreich auswirken."
Doch Reinle sah sich getäuscht. Der totale Machtanspruch der NSDAP vertrug keinerlei Widerspruch und jede Form juristischer Betätigung wurde nur als störend und überflüssig empfunden. In seiner Zeit in Sinsheim wurde Reinle wohl immer deutlicher bewußt, daß der Krieg nicht mehr gewonnen werden konnte und daß, selbst wenn nach Ende des Krieges eine nationale Führung erhalten bliebe, der erhoffte völkische Rechtsstaat ferner lag denn je. Auch in Sinsheim wurde Reinle zudem noch mit Konflikten zwischen Partei und Justiz behelligt. Wie schon in dem Verfahren gegen den Überlinger Kreisleiter Bäckert deutlich geworden war, wollten die nun endgültig allmächtigen Parteikreise sich nicht mehr der staatlichen Strafgewalt unterwerfen. Schwie26
Bericht vom 29.6.43 (GLA 240/1987/53/325).
27
Rundschreiben Reirlles vom 12.7.43 (GLA 240/1987/53/325).
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rigkeitenmachte in diesem Zusammenhang eine Strafsache in Stockach. 28 Im Zuge eines dort anhängigen Strafverfahrens gegen einen Metzgermeister wegen Schwarzschlachtung war auch ein örtlicher Fabrikant belastet worden, da er fleisch im Tausch gegen Trikotwaren aus seiner Produktion erworben hatte. Der Fabrikant hatte dann versucht, Zeugen zu beeinflussen, woraufhin der Staatsanwalt Haftbefehl beantragte. Dieser wurde am 18. November verfügt. Die Festnahme machte jedoch Schwierigkeiten, da die Gendarmerie mitteilte, bei dem Beschuldigten handele es sich um einen alten Parteigenossen, der nur aufgrund einer Genehmigung des Gauleiters in Haft genommen werden dürfe. Der Beschuldigte erschien dann am 22. November frei willig beim Gericht, und der Richter setzte den Haftbefehl in Vollzug. Noch während der Einvernahme rief erneut die Gendarmerie an und teilte mit, daß der Richter bei Verhaftung mit dem Gauleiter Schwierigkeiten bekomme. Diese Ankündigung sollte sich als zutreffend erweisen. Am 25. November meldete sich SS-BrigadeführerDreher beim Amtsrichter und war, dessen Bericht zufolge, am Telefon sehr erregt. Bei dem Verhafteten handele es sich um einen Betriebsführer, der kriegswichtige Aufträge zu erfüllen habe und die Mitgliedesnurnmer 30.000 innehabe. Der Richter verweigerte die Auskunft und verwies den Anrufer auf die Haftbeschwerde, was diesen nur noch mehr in Rage brachte. Dabei wußte der Richter allerdings nicht, daß er es mit Partei prominenz ersten Ranges zu tun hatte. Reinle setzte den Amtsrichter am 8. Januar 1945 davon in Kenntnis, daß er den Bericht dem Reichsjustizministerium vorgelegt habe und fügte an: "Vielleicht hätte sich der Ablauf des Telefongesprächs etwas anders gestaltet, wenn Sie gewußt hätten, ( ... ), um wen es sich bei dem Reichstagsabgeordneten Dreher handelt (bekannter Reichsredner aus der Kampfzeit, Parteinummer 7!) und Sie sich dann auf kürzeste Darlegungen des Sachverhalts statt auf Rechtsbelehrungen beschränkt hätten. Ich spreche Ihnen aber damit keinen Verweis aus."
Unliebsame Aufmerksamkeit in Parteikreisen durch allzu forsches Vorgehen bei der Strafrechtspflege erregte auch der Vorsitzende des Sondergerichts Freiburg, Schmoll. Ein Waldshuter Metzger hatte sich ebenfalls wegen Schwarzschlachtung zu verantworten, und zwar in beträchtlichem Umfang. Nach den Feststellungen des Gerichts hatte er mehrere Tonnen Fleisch an der staatlichen Bewirtschaf-
28 Siehe den anschaulichen Bericht des Amtsrichters aus Stockach vom 27.11.44 (GLA 240/1987/53/663).
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tung vorbei verkauft. Die besondere Note erhielt der Fall dadurch, daß der Angeklagte alles, was in Waldshut in Partei- oder staatlichen Organisationen Rang und Namen hatte, durch die markenfreie Belieferung mit fleisch und \\Urst und die Einladung zu Mahlzeiten gefügig gemacht und, wie es in dem Urteil heißt, einen "palisadenartigen Schutzwall" errichtet hatte, "hinter dessen Deckung er unbesorgt seine dunklen Geschäfte" treiben konnte. "Dieser Schutzwall aus hierfür käuflichen Menschen hatte aber nicht nur die Bedeutung einer Deckung, sondern M. schickte im Notfall seine Gäste auch als Sturmtruppe seiner Bestrebungen vor, wenn es galt Vorteile zu erzielen."
So drohte der Angeklagte unwilligen Arbeitnehmern regelmäßig mit der Verbringung nach Dachau unter Verweis auf seine guten Beziehungen zur örtlichen Polizei. 29 Was das Urteil so gefabrlichmachte, war die Tatsache, daß es in allen Einzelheiten die Verquickung prominenter Beamter und Parteifunktionäre in einen lokalen Tauschhandel offenlegte und die abgehaltenen Gelage detailliert schilderte; dies zu einer Zeit, in der die Bevölkerung seit nahezu fünf Jahren den kriegsbedingten Mangel erduldete. Die in dem Urteil Genannten zogen denn auch alle Register, um gegen die Richter vorzugehen. Der Reichsinnenminister, der Reichsminister der Justiz wurden genauso bemüht wie der Gauleiter. Der Reichsjustizrninisterteilte Reinle am 9. November 1944 mit, daß er zwar nicht beabsichtige, gegen die Richter vorzugehen, man möge ihnen aber mitteilen, daß Ausführungen in Urteilen, die den Eindruck erwecken könnten, es handele sich um Angriffe gegen die innere Verwaltung zu unterlassen seien? 0 Auch der Gauleiter rügte das Urteil und die Pressemitteilung darüber, da leicht der Eindruck entstehe, auch er habe etwas mit der Sache zu tun. 31 Die Anfeindungen gegen den Vorsitzenden gipfelten dann darin, daß gegen ihn vom badischen Innenministerium ein Dienststrafverfahren eingeleitet wurde. 32 Dabei machte man sich den Umstand zu Nutze, daß Schmoll auch zweiter Beigeordneter der Stadt Waldshut war. Man legte ihm zur Last, daß er seine Amtspflichten als Beigeordneter der Stadt Waldshut dadurch gröblich verletzt habe, daß er in der Strafsache gegen den Metzgermeister M. in Walds-
29
Das Urteil befindet sich bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/53/192).
30
(GLA 240/1987/53/192).
31 Folgt aus einem Schreiben des Leiters der Pressestelle des OLG vom 1.2.45 an die Gauleitung (GLA 240/1987/53/192 ). 32
Schreiben Schmolls an Reinle vom 20.3.45 (GLA 240/1987/53/192).
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hut u.a. in der Hauptverhandlung, deren Vorsitz er führte, das Landratsamt und damit die seiner Stadtverwaltung vorgesetzte Aufsichtsbehörde, aufs gröblichste grundlos verdächtigt und verunglimpft habe. Er habe in leichtfertiger und geradezu unverantwortlicher Weise über das Verhalten der Verwaltung Behauptungen aufgestellt, die nur dahin aufgefaßt werden konnten, als habe sich insbesondere auch das Landratsamt Waldshut nebst seiner Landkreisverwaltung korrumpieren lassen. Der Vorsitzende war tief entrüstet. Er war der Ansicht gewesen, nur einen notwendigen Reinigungsprozeß der lokalen Verwaltung und Parteiorganisation durchgeführt zu haben . .. Im übrigen bin ich auch noch in der NSDAP Vorsitzer des Kreisgerichts und Kreisredner und nebenbei gesagt, habe ich auch die Parteimitgliedsnummer473096. Daß sich die innere Verwaltung darüber keine Gedanken gemacht hat, liegt auf der Hand."
Die Sache verlief jedoch im Sande. Reinle antwortete Schmoll am 29. März
1945 und verwies auf die inzwischen sehr bedrohliche Kriegslage und die
kaum noch bestehenden Nachrichtenverbindungen nach Berlin. Er schrieb Schmoll, er teile zwar seine Auffassung, werde aber unter den gegebenen Umständen keinen Bericht nach Berlin erstatten. Schließlich fügte er kampfesmüde an: 33 .. In einem Zeitpunkt, in dem der Feind ins Land einbricht, halte ich die Austragung derartiger Streitigkeiten nicht mehr für kriegsdienlich. Sollte die Lage noch einmal eine Änderung erfahren, so werde ich die Sache erneut aufgreifen und weiterbetreiben."
Die Lage erfuhr keine Änderung mehr. Derartige Querelen und das Terrorregiment der Kreisleiter ließen Reinles Glauben an die Repräsentanten der Partei dann wohl endgültig schwinden. Der letzte Bericht an das Reichsjustizministerium, den Reinle bereits aus Sinsheim erstattete, beschrieb deutlich den endgültigen Niedergang jeder Ordnung und Reinles Kritik an den Parteiführern.34 .. Die Partei ist in Krisenzeiten, wie sie hinter uns liegen, auch besonderen Belastungen ausgesetzt. Daß sie zurTrägerin der Befestigungsarbeiten gemacht wurde, war zweifellos organisatorisch das nächstliegende wie auch die Betrauung mit der Aufstellung des Volkssturms. Beides findet aber anscheinend in der Bevölkerung des Gaues Baden nicht ganz den begeisterten Widerhall, wie er aus Ostpreußen berichtet wird.
33
(GLA 240/1987/53/192).
34
Bericht vom 2.1.45, BI. 5 (GLA 309/1205).
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(... ) Daß die Parteiorgane hier [bei den Befestigungsarbeiten, Verf.] mehr als Aufsichtführende denn als Selbstschaufelnde in Erscheinung traten wurde vielfach gerügt.( ... ) An Zusammenstößen fehlt es nicht ( ... ). Es fällt aber immer wieder auf, daß die Kreisleiter und ihre Hauptmitarbeiter über sehr viel Robustheit verfügen, was zwar manche ihrer Aufgaben zumal in Kriegszeiten erleichtert, die Partei und die Bewegung aber nicht beliebter macht. Vor allem wird das Rechtsempfinden immer wieder vergewaltigt, der durchschnittliche politische Leiter hat dafür ganz allgemein kein Gefühl, sehr im Unterschied zum durchschnittlichen Volksgenossen; ich schreibe dies nicht als .Jurist', als ein in der Anschauung festgelegter Fachmann, sondern als Volksgenosse, der mit offenen Augen sich unter dem Volke bewegt, was die Kreisleiter im allzusicheren Besitz der Macht teilweise verlernt zu haben scheinen; das Gericht und damit nicht selten auch ganz bewußt das Recht auszuschalten, ist eine beliebte Gewohnheit und offen vertretene Anschauung vieler politischer Leiter.( ... )"
Im Hinblick auf den Überlinger Fall des Kreisleiters Bäckert meinte Reinle: "Es ist durchaus nicht so, daß das Volk es nicht wünsche, daß der Kreisleiter jetzt im Kriege zur Rechenschaft gezogen werde; vielmehr wacht das Volk mit Argusaugen dartiber, daß Recht im Lande gelte. ungeachtet der Person'. Praktisch steht aber ein Kreisleiter weitgehend extra leges, und es finden sich in Verfahren gegen einen solchen nur schwer Anzeiger und Zeugen, die unbefangen und frei zu reden wagen. Dies wissen die Kreisleiter auch, halten es anscheinend für natürlich und benehmen sich entsprechend. "
Obwohl in dem offiziellen Bericht an das Reichjustizministerium auch hoffnungsvolle Passagen enthalten sind. kann man wohl davon ausgehen. daß Reinle im Frühjahr 1945 die Aussichtslosigkeit der Lage erfaßte. Die Städte Mannheim, Karlsruhe und Freiburg waren schwer getroffen, am 24. Februar 1945 wurde Pforzheim dem Erdboden gleichgemacht. 3S Statt des erträumten autoritären Rechtsstaats herrschte in der Endphase des Krieges ein Terrorregiment der Kreisleiter. Reinle mußte während des Krieges auch persönliche Rückschläge einstecken. Schon zu Zeiten der Weimarer Republik war seine Gesundheit angegriffen gewesen. Im Kriege wurde er in zwei schwere Autounfälle verwickelt. deren Folgen er nicht hatte auskurieren können. 1943 hatte manihn wegen eines unbedeutenden Zoll vergehens beim Reichjustizministerium denunziert, was ihm persönlich schwer zu schaffen machte, obwohl das Reichsjustizministerium der Sache keinerlei Bedeutung beimaß und Reinle
3S
Overesch, Bd. 11, S. 584.
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tröstende Worte spendete. 36 Im Januar 1945 stellte sich Reinle noch dem Volkssturm zur Verfügung.37 An der Erkenntnis, daß der Krieg verloren war, führte aber wohl kein Weg mehr vorbei. In einem Schreiben vom März 1945 an den Oberbürgermeister von Karlsruhe schrieb Reinle einen Satz, der fast wie ein Nachruf auf seine Erfahrung als nationalsozialistischer Jurist im nationalsozialistischen Deutschland klingt: "Die bösen Juristen und insbesondere die Richter hat man im dritten Reich nie sehr geliebt, aber anscheinend geht es doch nicht ganz ohne sie."
Mit dem zweiten Satzteil war gemeint, daß die in Baden in Kraft getretene Standgerichtsordnung, neben der Beteiligung eines Vertreters der Partei und eines der Polizei, der SS oder der Wehrmacht den Vorsitz einem Berufsrichter überlassen hatte. Das war denn auch vom völkischen Rechtsstaat übriggeblieben. Ein Richter durfte den standgerichtlichen Verfahren den Anschein der Rechtsstaatlichkeit verleihen. Aber Reinle irrte in seinem Nachruf, denn die Entscheidung fiel, wie es auch schon die Jahre vorher gewesen war, wenn es sein mußte, ohne den Richter, allein durch die Absprache zwischen Partei und Exekutive. Am 7. April drangen amerikanische Truppen in Süddeutschland bis nach Mergentheim vor, auch Pforzheim wurde besetzt; am 9. April wurde Würzburg genommen. 38 Reinle erschoß sich am 9. April im Dienstzimmer des Vorstands des Amtsgerichts Sinsheim.39 Ob für Reinles Selbstmord die Enttäuschung über das endgültige Scheitern des Nationalsozialismus oder die Furcht vor der Rache der Sieger den Ausschlag gab, läßt sich nicht sagen. 40 Viel spricht für ersteres.
36 Vorgänge in der Personalakte Reinles, Schrei ben Reinles vom 23.5.43 und 1.6.43, Antwort des Ministeriums vom 18.6.43 (BA R 22-Heinrich ReinIe). 37 Schreiben an die Oberjustizkasse in Bretten vom 24.1.45 (GLA 240/1987/53/177). 38 Overesch Tageschronik. Bd. 11, S. 601f. 39 Zu den Todesumständen Henssler, S.52; zum Datum S. 2 des Meldebogens in der Spruchkammerakte (GLA 465a/51112/7880). 40 Reinle hinterließ eine Frau. Seine drei Kinder waren in den Jahren 1922, 1926 und 1942 geboren. Ob sie bei Kriegsende noch am Leben waren, geht aus den Akten nicht hervor
Kapitel 8
Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich A. Die Anwälte in den letzten Jahren der Weimarer Republik Zum Ende des Jahres 1932 waren im Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe 643 Anwälte zugelassen, davon am Oberlandesgericht 29, bei den 8 Landgerichten 379, bei Amts- und Landgerichten 193 und nur an einem Amtsgericht 1 Anwalt. Die Möglichkeit der Simultanzulassung an einem Landgericht und am Oberlandesgericht bestand nicht.' Die materielle Lage der Anwaltschaft war infolge des wirtschaftlichen Niedergangs zu Ende der Weimarer Zeit äußerst kritisch. Die Zahl der Mandate war stark zurückgegangen und die Einkommen der Anwälte entsprechend gesunken. Ein Großteil der Mandate bestand zudem aus Armenrechtssachen. 2 Für das Oberlandesgericht Karlsruhe etwa sank die Zahl der Berufungen von 1572 im Jahre 1930 auf 1436 im Jahre 1931, 1072 im Jahr 1932,879 im Jahre 1933. Bei den Landgerichten war ein ähnlicher Rückgang der Fälle zu verzeichnen. Im Jahre 1930 waren noch 16824 Fälle anhängig geworden,1931 waren es 12628, 1932 noch 9249 Mandate, 1933 noch 7158. 3 Selbst wenn diese Zahlen für die Landgerichte und das Oberlandesgericht auch auf eine &höhungdes Zuständigkeits streitwertes der Amtsgerichte im Oktober 1931 von 500,- RM auf 1000,- RM zurückzuführen waren4 und somit für die an Amtsund Landgerichten zugelassenen Anwälte ein gewisser Anstieg der amtsge, Die Zahlen stammen aus dem Jahresbericht der Badischen Anwaltskammer fUr das Jahr 1934 (GLA 240/611). 2 Zur Lage der Anwaltschaft in der Endphase der Weimarer Republik auch König, S. 24f. 3
Jahresbericht der Badischen Anwaltskammer rur 1934, S. 7 (GLA 240/611).
4 § 9 der Dritten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 6.10.31 (RGB\. I S.537/563).
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richtlichen Mandate unterstellt werden darf. so war auch die wirschaftliche Krise für das Sinken der Zahl der Mandate verantwortlich. Zudem hatte sich nachteilig ausgewirkt. daß die Anwälte seit 1931 Gewerbesteuer zu entrichten hatten. Aus den prozentual zu entrichtenden Beiträgen für die Anwaltskammer läßt sich errechnen. daß im Jahre 1931 im Vergleich zum Vorjahr etwa 15 % weniger eingenommen wurden. S Die am Oberlandesgericht zugelassenen Anwälte waren somit besonders schwer betroffen. einmal durch die Wirtschaftskrise. zum anderen durch die Erhöhung des Zuständigkeits streitwerts der Amtsgerichte. Sowohl auf Reichs- als auch auf Landesebene wurden deshalb von den Anwälten Vorstöße unternommen. um die Zahl der Neuzulassungen zur Anwaltschaft zu begrenzen und eine drohende weitere Absenkung der Gebühren :zn verhindern. So wandte sich der Vorstand der Badischen Anwaltskammer im September 1932 an den Badischen Justizminister und forderte. das Justizministerium möge einem weiteren Rückgang der anwaltlichen Einkommen entgegenwirken. 6 Dabei wies er auf die ständig steigende Zahl der Anwälte hin und darauf. daß die Anwaltschaft zu einem Aufnahmebeckenfür Juristen geworden sei. die im Staatsdienst oder in sonstigen Berufen kein Unterkommen hätten finden können . .. Solange man die Aufrechterhaltung eines wissenschaftlich vorgebildeten und moralisch intakten Anwaltsstandes im Interesse der Rechtspflege und der Allgemeinheit fUr notwendig erachtet, muß man diesem Stand, ( ... ), auch die Möglichkeit erhalten, sich einigermaßen wirtschaftlich aufrecht und unabhängig zu erhalten."
Dieses Vorbringen fand beim Präsidium des Oberlandesgerichts durchaus Gehör. Auch das Oberlandesgericht warnte das Justizministerium eindringlich
S 1930 hatten 598 Anwälte 56.397,- RM an Beiträgen entrichtet, 1931 waren es bei 615Anwälten nur noch 52.210,- RM, woraus sich ein RUckgang der anwaItschaftlichen Einkommen von etwa 15 % ergibt. Die Zahlen fUhrt der Vorstand der Badischen Anwaltskammer in einem Schreiben an den badischen lustziminister vom 28.9.32 an (GLA 240/769). 6 Schreiben des Vorsitzenden der Badischen Anwaltskammer, Dr. Dietz, an Buzengeiger vom 28.9.32 (GLA 240/769).
A. Die Anwälte in den letzten Jahren der Weimarer Republik
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vor den Folgen einer Herabsetzung der Anwaltsgebühren,7 wie überhaupt Buzengeigers Engagement für die Anwaltschaft von der badischen Anwaltskammer sehr geschätzt und auch mehrfach lobend erwähnt wurde. 8 Der Deutsche Anwaltsverein war auf Reichsebene um eine Lösung des Problems bemüht. Am 28. Dezember 1931 hatte sich der DA V in dieser Sache an den Reichsminister der Justiz gewandt, dabei mehrere Vorschläge unterbreitet und gefordert, diese im Wege der Notverordnung zu verwirklichen. Vor allem wollte man von seiten des DAV erreichen, daß die Neuzulassung von Anwälten begrenzt werde. 9 Es wurden unmittelbare Zulässigkeitsbeschränkungen gefordert und eine Schlechterstellung der neuzugelassenen Anwälte gegenüber den bereits länger zugelassenen propagiert. So sollte eine Wartezeit vor Zulassung zur Rechtsanwaltschafteingeführt und für neuzugelassene Anwälte eine Sperrzeit bei der Zuteilung von Armensachen von drei bis fünf Jahren verhängt werden. Man wollte ferner durchsetzen, Ruhegehaltsempfaoger ganz von der Zuteilung auszuschließen und forderte besondere Vorschriften für die Zulassung der Rechtsanwälte bei den Oberlandesgerichten. 1 0 Dabei erklärte der Kammervorstand ganz offen, daß auf diese Weise junge Juristen von der Anwaltschaftferngehalten werden sollten, indem man direkt den Zugang erschwerte, aber auch indem man den Anwaltsberuf insgesamt unattrakti ver gestaltete. Diese Vorschläge wurden in einem weiteren Schreiben der Vereinigungder Vorständeder Deutschen Anwaltskammern vom 16. Februar 1932 an den Reichsminister der Justiz wiederholt. Die Sperrzeit hatte man nunmehr in ein Praktikum umbenannt und gab vor, dieses diene der Verbesserung des Ausbildungsstandes der Anwälte. 1I Das Präsidium des Oberlandesgerichts, zur Stellungnahme aufgefordert, hielt wenig von diesen Vorschlägen. Die Sperrzeit sei :rur Ausbildung ungeeig-
7 Schreiben an das Badische Justizministerium vom 4.12.31 umd vorn 18.10.32 (GLA 240/769).
8 Siehe etwa den Bericht der Badischen Anwaltskammer fUr das Jahr 1932 und Schreiben des Vorstandes der Badischen Anwaltskammer an Buzengeiger vorn 30.3. 33 (beide GLA 240/611). 9 Zur Forderung nach einern numerus clausus auch König, S. 25 und eingehend Krach, S. 40 - 76. 10 Das Schreiben wurde dem Oberlandesgericht am 26.2.32 vorn Badischen Justizministerium vorgelegt. Abschrift bei den Aken des Gerichts (GLA 240/608). 11 Schreiben in Abschrift ebenfalls bei den Akten des Gerichts (GLA 240/608).
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Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
net, diene lediglich den wirtschaftlichen Interessen der bereits zugelassenen Anwälte und halte auch geeignete Kandidaten vom Anwaltsberuf unnötig fern. 12 Zu einem Erlaß der geforderten Zulassungsbeschränkungen oder ähnlicher Maßnahmen kam es in der Weimarer Zeit nicht mehr. Die Fragen wurden aber wieder virulent als nach der Machtergreifung vor allem die jüdischen Anwälte zur Zielscheibe der Bemühungen um die Senkung der Zahl der Anwälte WUTden.
B. Die badischen Anwaltsvereine nach der "Machtergreifung" In Baden bestanden vor dem Jahre 1933 acht Anwaltsvereine, die je einem Landgerichtsbezirk zugeteilt waren. Ferner bestand eine badische Anwaltskammer und für das Oberlandesgericht Karlsruhe ein Verein der Oberlandesgerichtsanwälte. Nachdem Robert Wagner am 8. März 1933 zum Reichskommissar für Baden ernannt worden war, wurde durch Erlaß des zu diesem Zeitpunkt noch amtierenden kommissarischen Justizministers Rupp vom 29. März 1933 der Vorstand der badischen Anwaltskammer unter Berufung auf die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat mit sofortiger Wirkung abberufen. Zum kommissarischen Vorstand wurde der Karlsruher Rechtsanwalt D[ Wilhelm Brombacher ernannt, der auch bereits im Jahre 1932 zum engeren Vorstand gehört hatte. 13 Der bisherige Vorsitzende des Vorstands der Rechtsanwaltskammer, Dr. Dietz, teilte am folgenden Tag seine Demmission und die Ernennung Brombachers zum kommissarischen Vorsitzenden bis zur Durchführung von Neuwahlen dem Oberlandesgerichtspräsidenten mit. FI dankte Buzengeiger in herzlichen Worten für das in der Vergangenheit vielfach unter Beweis gestellte Wohlwollen für die Anwaltschaft und fügte wohl nicht ohne Bitterkeit an, daß er seit dem 14. April 1918 Vorstandsmitglied und seit
12
Stellungnahme von Dr Buzengeiger und dem OLG-Rat Dr. Karl Jordan (GLA
240/608). 13 Erlaß des badischen Justizministers vom 29.3.33 (GLA 240/611). Zur Zusammensetzungdes Vorstandes rur das Jahr 1932 Jahresbericht der Badischen Anwaltskammer fUr das Jahr 1932 (GLA ibid.).
B. Die badischen Anwaltsvereine nach der "Machtergreifung"
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dem 22.12.1922 dessen Vorsitzender gewesen sei. 14 Am 4. April 1933 setzte Brombacher Buzengeiger davon in Kenntnis, daß der bisherige Vorsitzende des Vereins der Oberlandesgerichtsanwälte, Dr. Fritz Strauss, sich für behindert erklärt habe und er, Brombacher, als stellvertretender Vorsitzender auch die Leitung des Vereins übernommen habe. I S Der Verein der Oberlandesgerichtsanwältelöste sich zum 31. Dezember 1933 auf. An seine Stelle trat die Bezirksfachgruppedes BNSDJ, wobei die am Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwälte unter der Führung Brombachers standen. I 6 Am 27. Dezember 1933 hatte auch der deutsche Anwaltsverein seine Auflösung beschlossen. I 7 An dessen Stelle trat die Reichsfachgruppe Rechtsanwälte im BNSDJ, die örtlichen Anwaltsvereine wurden aufgelöst und in Bezirksfachgruppen des BNSDJ übergeleitet. 18 Die Badische Anwaltskammer bestand aber innerhalb des BNSDJ fort, sie wurde erst im Jahre 1935 durch die Rechtsanwaltskammer Karlsruhe ersetzt. 19 Neben Brombacher, der für das Jahr 1933 und die folgenden Jahre Vorstandsvorsitzender der Badischen Anwaltskammer blieb und darüber hinaus als Gaufachberaterim BNSDJ aktiv war,20 trat auch der Weinheimer Anwalt Schüssler in den Vordergrund, dessen Machtbefugnis allerdings auf seiner Stellung als Gauführer im BNSDJ beruhte. Daß man Schüssler auch in den Vorstand der Badischen Anwaltskammer berufen hatte, 2 I war sicherlich ebenfalls seiner Position im BNSDJ zuzuschreiben. Die Auflösung der örtlichen Anwaltsvereine und deren Überleitung in die Bezirksfachgruppen scheint ohne Schwierigkeiten oder gar Widerstand voostattengegangen zu sein. Zumindest den Akten ist kein Hinweis auf Widerwillen zu entnehmen.
14
Schreiben vom 30.3.33 (GLA 240/611).
Strauss teilte dies dem Oberlandesgerichtspräsidenten in einem kurzen und entgegen den sonstigen Gepflogenheiten ohne Grußformel beendeten Schreiben am 3.4.33 auch persönlich mit (GLA 240/611). Zu derartigen Vorgängen in Preußen König, S.38f. IS
16 Mitteil ung der Anwaltschaft beim Oberlandesgericht vom 30.12.33 und Schrei ben Brombachers an den Oberlandesgerichtspräsidenten vom 3.1.33 (GLA 240/611). 17
König, S. 41; zur Auflösung des DA V eingehend Krach, S. 223 - 236.
18
Jahresbericht der Badischen Anwaltskammer 1933, S. 4 (GLA 240/611).
19
Jahresbericht der Badischen Anwaltskammer 1935, S. 1 (GLA 240/611).
20 Jahresbericht der Badischen Anwaltskammer 1933, S. 4 (GLA 240/611). 21
Mitteilung der Badischen Anwaltskammer vom 10.4.33 (GLA 240/611).
254
Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
Auch der Bericht der Badischen Anwaltskammer für das Jahr 1933 spricht von einer reibungslosen Zusammenarbeit zwischen BNSDJ und Anwaltskammer bei der Neuorganisation. 2 2 Konflikte gab es lediglich in Konstanz, die aber wohl eher in der Person des dortigen Bezirksobmanns, des Rechtsanwalts Meschenmoser, begründet waren. Von diesem hieß es, daß er bei seiner Tätigkeit als Versammlungsleiter einen Ton anschlage und Ausdrücke gebrauche, wie sie kaum auf einem Kasemenhofzu hören und allenfalls Lausbuben gegenüber gebräuchlichseien. 23 Die Bemühungen der Konstanzer Juristen über den BNSDJ eine Ablösung Meschenmosers zu erreichen, waren aber erfolglos. Der Gauobmann des BNSDJ, Schüssler, stand zu Meschenmoser, da es sich um eines der ältesten Partei- und BNSDJ-Mitglieder in der badischen Juristenschaft handelte. 24 Die offiziellen Verlautbarungen der badischen Anwaltskammer stellten sich sehr schnell auf die "neue Zeit" ein. Bereits im Bericht des Jahres 1933 werden die Anwälte deutlich auf ihre veränderten Aufgaben hingewiesen: 25 "Der Anwalt darf kUnftighin nicht mehr seine ausschließliche Aufgabe darin erblicken, den egoistischen Zielen der von ihm vertretenen Partei unter allen Umständen zum Sieg zu verhelfen. Er wird sich vielmehr bewußt sein mUssen, daß er der Träger einer wichtigen staatlichen Funktion ist. Demgemäß wird er bei allen seinen Maßnahmen das den Wünschen des einzelnen vorgehende Interesse des Volksganzen niemals außer Acht lassen dürfen, geleitet von dem Grundsatz: ,Recht ist, was dem Volke nUtzt, Unrecht, was ihm schadet.' Nur wenn die Anwaltschaft in diesem Sinne der Rechtspflege dient, wird sie ihre Pflicht Staat und Volk gegenüber erfüllen und ihre Unentbehrlichkeit auch im neuen Reich dartun."
Nachdem der Jahresbericht nochmals eindringlich die wirtschaftliche Not der Anwaltschaft mit rückläufigen Prozeßzahlen und dem hohen Anteil von Armenrechtssachen belegt hat, schließt er mit den Worten:
22
Jahresbericht der Badischen Anwaltskammer für 1933, S. 4 (GLA 240/611).
Schreiben des Oberstaatsanwalts Konstanz vom 2.7.34 an den stellvertretenden Obmann des BNSDJ, Landgerichtsrat Binder (GLA 240/1987/53/329). Ein weiteres Mitglied der Bezirksfachgruppe Konstanz fühlte sich in seiner "persönlichen Ehre als Mitglied des BNSDJ, als Nationalsozialist, als Akademiker und Waffenstudent von dem Bezirksobmann (... ) auf das unglaublichste angegriffen." Siehe Bericht eines Referendars vom 29.6.34 (GLA 240/1987/53/329). 23
24 Schreiben von Rechtsanwalt Schüssler an Landgerichtsrat Dr. Binder vom 6.2. 35 (GLA 240/1987/53/329). 25
Jahresbericht der Badischen Anwaltskammer 1933, S. 4 (OLA 240/611).
B. Die badischen Anwaltsvereine nach der "Machtergreifung"
255
"Trotzdem geht die Anwaltschaft voller I-bffnung in das neue Berichtsjahr. Sie hat jedes Vertrauen zu dem FUhrer und seinem Werk ( ... ). Als treuer Diener am Recht wird sie die hohen Aufgaben, die der neue Staat an sie stellt, freudig erfUllen und sich mit allen ihr inne wohnenden Kräften einsetzen rur das auch von ihr als letzte Vollendung erkannte Ziel: Ein Volk, ein FUhrer, ein Recht !"
Auch über Öffentlichkeitsarbeit gab der Kammervorstand zu erkennen, daß man die Zeichen der Zeit erkannt hatte. An der Technischen Hochschule in Karlsruhe hatte die Badische Anwaltskammer alljährlich Vorlesungen über technikrechtliche Themen veranstaltet. Der Vorstand gab am 10. November 1933 bekannt,26 daß das mit diesen Vorträgen verfolgte Ziel, die Verbundenheit von Technik und Recht zu belegen, nunmehr erreicht sei. Inzwischen sei aber mit dem neuen Staat ein weiteres, noch wesentlicheres Ziel aufgetaucht, nämlich die Wiedergewinnung des Vertrauens des Volkes zum Recht und seiner Pflege. "Dem Ruf des Führers folgend", wie es in der Ankündigung hieß, sollten deshalb die neuen Gedanken in die Öffentlichkeit getragen werden. Die Vorträge für das Jahr 1933/34 befaßten sich, der neuen Konzeption entsprechend, mit der Neugestaltung des deutschen Rechts, der Bodenreform, dem Aufbaudes faschistischen Staates USW. 27 Es muß allerdings bezweifelt werden, ob die neuen Themen auf Interesse stießen, denn bereits im nächsten Jahr kehrte man zmnindest teilweise wieder zum Technikrecht zurück. 28 Obwohl die Auflösung der örtlichen Anwaltsvereine und die Neuorganisation der Juristen im BNSDJ anscheinend keine Schwierigkeiten verursachte, läßt sich doch schwer beurteilen, welche Resonanz der neue Ton des Vorstandes bei den einzelnen Kammermitgliedem und in den Bezirksfachgruppen des BNSDJ fand, die die örtlichen Vereine ersetzt hatten. In einem Bericht aus Konstanz aus Anlaß der Vorgänge um den dortigen Be:zirksobmann Meschenmoser heißt es, daß es bei allen Versammlungen, nicht nur bei den von Meschenmoser geleiteten, dringender Mahnung bedürfe, daß die Teilnehmer bis zum Schluß aushielten. 29 Ob dies allgemein so war oder ob man dies den besonderen Konstanzer Verhältnissen zuschreiben muß, läßt sich nicht feststellen. 26 AnkUndigung der Vorträge durch die Badische Anwaltskammer vom 10.11.33 (GLA 240/310). 27 Siehe Vortrag SchUsslers vom 5. 11.35 von Rechtsanwalt, "Nationalsozialistische Rechtsauffassung", Abdruck in der Badischen Rechtspraxis 1936, S.13ff.
28 29
Siehe Ankündigung rur das Jahr 34135 vom 9.11.34 (GLA 240/310). Anwaltsbrief, S. 7.
256
Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
c. Das Vorgehen gegen jüdische Anwälte Es wurde bereits geschildert/ o daß bei den Bestrebungen um den Ausschluß der jüdischen Juristen von der Rechtspflege neben Bayern und Preußen auch Baden eine Vorreiterrolle übernommen hatte und das Reichsjustizministerium unter Druck setzte? I Dies betraf nicht nur das Vorgehen gegen jüdische Richter und Staatsanwälte, sondern auch die Diskriminierung der jüdischen Rechtsanwälte. Bereits am 1. April 1933 hatte der badische Justizminister Rupp die Vorsitzenden der örtlichen Anwaltsvereine ersucht,l2 "den jüdischen VereinsmitgliedemnahezuIegen, bis zur endgültigen Regelung der Anwaltsfrage die Gerichtsgebäude nicht mehr zu betreten." Man beschränkte sich aber nicht auf offizielleAnordnungen, denn der Vorsitzende der Ortsgruppe Konstanz antwortete dem Justizministerium noch am selben Tag und erklärte, er habe dem Gesuch sogleich Folge geleistet, "obwohl es eines solchen Nahelegens kaum mehr bedürft hatte: Schon gestern, an welchem Tage zahlreiche Verhandlungstermine beim Landgericht anstanden, haben uniformierte Männer - ob mit oder ohne behördlichen Auftrag, weiß ich nicht - die jüdischen Rechtsanwälte am Betreten des Landgerichtsgebäudes und damit an der Erfüllung ihrer Berufspflichten gewaltsam gehindert." 33 Daß derartige Vorfälle auch im Mai 1933 noch zu befürchten waren, geht aus einer Eingabe des Mannbeimer Anwalts Ludwig hervor. 34 Dieser regte an, man solle den ,.nichtbetroffenen Kollegen ( ... ) eine Bescheinigung oder eine Art Passierschein" ausstellen, es komme nämlich häufig vor, "daß nicht arische Anwälte, welche nach dem Gesetz nicht ausscheiden, auswärtige Termine wahrzunehmen haben. Ferner gibt es auch christliche Kollegen, die ein jüdisches Aussehen haben. All diesen Kollegen kann es nun passieren, daß sie an einem auswärtigen Gericht, wie dies schon mehrfach vorgekommen ist, 30
Siehe Kapitel 2.
Gruchmann, S. 135; zum Vorgehen gegen die jUdischen Rechtsanwälte in Heidelberg Weckbeck.er, S. 421 - 424. 31
32 Schreiben des Badischen lustizministeriums an die örtlichen Anwaltsvereine vom 1.4.33 (GLA240/1987/53/399).
33 Schreiben des Vorsitzenden der Ortsgruppe Konstanz des badischen Anwaltsvereins vom 1.4.33 an den badischen lustizminister (GLA 240/1987/53/399). 34 Eingabe an den Vorsitzenden der Badischen Anwaltskammer vom 9.5.33 (GLA 240/656).
C. Das Vorgehen gegen die jüdischen Anwälte
257
Schwierigkeiten wegen ihres Auftretens haben." Der Anregung wurde vom Ministerium Folge geleistet, und die Gerichtspräsidenten wurden zur Erteilung der Ausweise ermächtigt.3S Die gesamte Rechtsanwaltschaft war verunsichert. Es wurde befürchtet, daß aus der Wahrnehmung von Terminen für die jüdischen Kollegen Nachteile entstehen könnten, daß man hierdurch etwa auch zur Zielscheibe antisemitischer Ausschreitungen oder Maßnahmen der lustizverwaltung werden könne. Buzengeiger konnte die Anwälte des Oberlandesgerichts jedoch dahin beruhigen, daß er vom badischen lustizministerium in "verbindlicher, autoritärer Weise" erfahren habe, daß das Auftreten für zur Zeit gehinderte Kollegen ganz unbedenklich sei. "Die Regierung habe das größte Interesse, daß der Fortgang der Prozesse möglichst keine Hemmung erfahre." 36 Schließlich wäre von einer Unterbrechung der Prozesse auch die arische Klientel betroffen gewesen. Ein ähnliches Schreiben ging den Vorsitzenden der örtlichen Anwaltsvereine am 5. April 1933 von Brombacher zu. In diesem wurde den Vorsitzenden weiter mitgeteilt, daß der Reichskommissar beim lustizministerium keine Einwände dagegen habe, wenn Frontkämpfer weiterhin als Anwälte tätig seien.37 Eine gewisse Solidarität mit ihren "nichtarischen" Kollegen ist lediglich von den Anwaltsvereinen Baden-Baden und Offenburg überliefert. Der BadenBadener Anwaltsverein setzte sich beim Karlsruher Anwaltsverein besonders für einen Rechtsanwalt ein, der zwar nicht Frontkämpfer war, aber 1919 wegen seiner deutschfreundlichen Haltung das Elsaß hatte verlassen müssen. Der Offenburger Verein teilte mit, daß sämtliche Mitglieder unentgeltlich die Termine der betroffenen Kollegen warnähmen. 38 Schon am 1. April hatte Rupp den badischen Anwaltsvereinen eine reichsrechtliche Regelung angeküodigt. Noch bevor die erwartete reichsrechtliche Regelung dann veröffentlicht wurde, richtete Rupp am 8. April ein weiteres Schreiben an die badischen Anwaltsvereine.39
35 Erlaß des badischen lustizministeriums vom 13.5.33 (GLA 240/656). Auch sämtlichen beim Oberlandesgericht zugelassenen Anwälten wurde ein Ausweis erteilt. Siehe Schreiben der Anwaltschaft reim Oberlandesgericht vom 6.6.33 (GLA ibid.). 36 Schrei ben Buzengeigers andie Rechtsanwälte des Oberlandesgerichts vom 3.4.33 (GLA 240/1987/53/399). 37
(GLA 240/602).
38
Mitteilungen vom 8.4.33 (GLA 240/1987/53/400).
39
Schrei ben vom 8.4.33 (GLA 240/602).
17 Schiller
258
Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
"Um aber raschestens eine etwa mögliche reichsgesetzliche Regelung durchfUhren zu können, ersuche ich diejenigenjUdischen Rechtsanwälte, die kriegsverletzt oder an vorderster Front gekämpft haben, aufzufordern, sich bis spätestens 15. April ds. Js. hierher schriftlich unter Beweisantritt (Militärpass u. dergI.) zu melden. Desgleichen hielte ich es für zweckmäßig, wenn etwaige Auszeichnungen besonders hervorgehoben wUrden."
Man erwartete also seitens des badischen lustizministeriums, daß Ausnahmen lediglich für sogenannte Frontkämpfer in Betracht kämen. Die erwartete Regelung kam dann in Gestalt des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933 (RGBI. I S. 188), das sich eng an das sogenannte "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" anlehnte. Gürtner hatte das Gesetz eilig gegen die Opposition der Landesjustizministerdurchgebracht, und hinter deren Erwartungen blieb das Gesetz denn auch weit zurück.40 § 1 sah vor, daß die Zulassung von Rechtsanwälten, die im Sinne des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtenturns nichtarischer Abstammung" waren, bis zum 30. September 1933 zurückgenommen werden konnte. Dies galt nicht für Rechtsanwälte, die bereits vor dem 1. August 1914 ihre Zulassung erhalten oder die im Weltkrieg an der Front gekämpft hatten, ferner nicht für Anwälte, deren Väter oder Söhne im Krieg gefallen waren. Nach § 2 konnte Personen, die nichtarischer Abstammung waren, die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft versagt werden. Personen, die sich im ,,kommuni stischen" Sinne betätigt hatten, war nach § 3 die Zulassung zu entziehen, die Erteilung einer Zulassung war ausgeschlossen. Obwohl allem Anschein nach im Land Baden die Kann-Bestimmungen der §§ 1 und 2 durchweg gegen die jüdischen Anwälte ausgelegt wurde, war die zahlenmäßige Auswirkung des Gesetzes wohl keineswegs so, wie das badische lustizministerium und der Vorstand der badischen Anwaltskammer sich dies erhofft hatten. 41 Vor allem die Ausnahme für sogenannte ,,Altanwälte" ermöglichte es einem Großteil der betroffenen Anwälte, ihre Zulassung zu behalten. Nach Veröffentlichung des Reichsgesetzblatts am 10. April teilte Rupp den Gerichten am 11. April mit, daß den Rechtsanwälten, die vor dem 1. August 1914 ihre Zulassung erhalten hatten, und den ,,nichtarischen" Anwälten, die an der Front 40 Zur Entstehungsgeschichte Gruchmann, S. 139; Krach, S. 202 - 207; Majer. Fremdvölkische, S. 223 - 226; zum Vorgehen gegen die jüdischen Anwälte im OLGBezirk Celle Hamann, S. 1&3 - 189. 41 Die Enttäuschung der Aktivisiten schildert auch König, S. 43 - 45.
C. Das Vorgehen gegen die jUdischen Anwälte
259
gekämpft hatten oder deren Väter oder Söhne im Krieg gefallen seien, bis auf weiteres das Auftreten vor Gericht zu gestatten sei. 42 Was die Rechtsanwaltschaft am Oberlandesgericht anbetraf, so waren von den 29 dort zugelassenen Anwälten 16 "nichtarischer Abstammung" im Sinne des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums". Von diesen 16 waren 10 sogenannte "Altanwälte", drei Anwälte konnten ihre Zulassung als Frontkämpfer behalten, den Anwälten Dr. Hertz, Marx und Dr. Moch wurde die Zulassung entzogen. 43 Bei jedem einzelnen Anwalt wurde das Vorliegen der einschlägigen Voraussetzungen mit großer Sorgfalt geprüft. Der am Oberlandesgericht zugelassene RechtsanwaltDr. Anders etwa hatte zunächst lediglich mitgeteilt, daß sämtliche Großeltern und Eltern evangelischer Konfession gewesen seien, er im übrigen an der Front gekämpft habe. Das lustizministerium belehrte ihn jedoch: ,,Diese Mitteilung genügt selbstverständlich nicht, da es nicht auf die Religionszugehörigkeit, sondern auf die Zugehörigkeit zur arischen Rasse ankommt." 44 Zur Feststellung der ,,Rassezugehörigkeit" wurde dann eigens ein Gutachten beim Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Inoern in Auftrag gegeben, das Dr. Anders ,,nichtarische Abstammung" bescheinigte. Die Zulassung wurde dann aber wegen der Frontkämpfereigenschaft gleichwohl nicht zUTÜckgezogen.4s Der Entzug der Zulassung bedeutete den wirtschaftlichen Ruin. Die drei beim Oberlandesgericht betroffenen Anwälte versuchten in bewegenden Worten über eine Eingabe 46 beim lustizministerium die Zurücknahme der Zulassung zu verhindern. "Wir hatten die I-bffnung, daß uns die Zulassung zur Anwaltschaft erhalten bleiben wUrde und daß unsere und unserer Familien Existenz nicht vernichtet würde. Wir glaubten diese I-bffnung umso eher haben zu dürfen, als wir unserer Überzeugung 42 Schreiben vom 11.4.33 an das Oberlandesgericht und die Landgerichte (GLA 240/602). 43 Die Zahlen entstammen einer Liste, die vom Oberlandesgericht am 13.4.33 auf Erlaß des badischen lustizministeriums vom 11.4.33 erstellt wurde (beide GLA 240/656). 44 Schreiben des Badischen lustizministeriums vom 20.7.33 an Rechtsanwalt D[ Anders (GLA 240/602). 4S
Vorgänge den Akten des Gerichts (GLA 240/602).
46
Eingabe vom 18.4.33 (GLA 240/602).
260
Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
nach unsere Berufspflichten als Anwälte immer gewissenhaft erfüllt haben und uns mit diesem Berufe und unserer Heimat aufs Engste verbunden fühlen. Wir mUssen jetzt aber befUrchten, daß die Kannvorschrift des Gesetzes im Sinne einer Mußvorschrift gehandhabt wird. (... ) Wir glauben, nicht besonders darauf hinweisen zu mUssen, daß die ZUrUcknahme der Zulassung manchen von uns vernichtend trifft. Aus diesem Grunde glauben wir auch, der weiteren Bitte Ausdruck geben zu dUrfen, vor ZurUcknahme einer Zulassung dem davon betroffenen Kollegen die Möglichkeit einer Darlegung seiner persönlichen Verhältnisse zu geben. Damit wUrde wenigstens vermieden, daß gerade die besonders hart betroffenen Kollegen ganz plötzlich vor die vollzogene Tatsache der zurUckgenommenen Zulassung gestellt wUrden."
Die Eingabe wurde von den drei Anwälten auch dem Oberlandesgerichtspräsidenten mit der Bitte vorgelegt, er möge ihr Anliegen beim Ministerium unterstützen. Buzengeiger zeigte aber keine Neigung, von sich aus für die drei Anwälte einzutreten. Buzengeiger merkte an: 47 "Nach meiner Ansicht ist die Angelegenheit ausschließlich Sache des Ministeriums. Ob es das OLG hören will, ist seine Sache. Das OLG hat abzuwarten, ob es zur Äußerung aufgefordert wird und demgemäß keine Schritte aus eigener Initiative zu tun."
Diese Ansicht teilten auch die Herren des Präsidiums, bei denen man die Eingabe in Umlauf gesetzt hatte. Die Zurücknahme der Zulassung wurde den drei Anwälten mit Verfügung vom 18. April 1933 mitgeteilt. Den Anwälten Dr. Hertz und Dr. Moch wurde noch eine Frist bis zum 15. Juni bzw. 15. Juli eingeräumt, um ihnen die Beendigung ihrer Armenrechtsmandate zu ermöglichen. Ob dies im Interesse der Anwälte geschah oder weil man befürchtete, durch die erneute Beiordnung eines Armenanwalts könne der Staatskasse eine weitere Gebühr auferlegt werden,48 läßt sich nicht mit Gewißheit sagen. Im Juni 1933 verabschiedete sich Rechtsanwalt Dr. Moch schriftlich von den Richtern des Oberlandesgerichts und von Buzengeiger. 47 Siehe Handschriftlicher Vermerk Buzengeigers auf der Eingabe vom 18.4.33 (GLA 240/602). 48 Um dies zu verhindern, wollte Buzengeiger an die Sozii der betroffenen Anwälte herantreten und diese auffordern, die Mandate der Kollegen ohne weitere GebUhrenforderungen zu beenden, siehe Aktenvermerk Buzengeigers vom 24.4.33 (GLA 240/602). Zu dieser damals viel diskutierten Fragestellung Heller in JW 33, S. 2105 m. w.N. Hierzu auch Beschluß des OLG Karlsruhe vom 26.2.34, JW 34, S. 1191, wonach die GebUhr des Zweitanwalts von der Staatskasse zu erstatten war, anders fUr selbstzahlende Parteien RG, DJ 33, S. 817.
C. Das Vorgehen gegen die jUdischen Anwälte
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"Ich verbinde damit meinen aufrichtigen Dank rur die gute Aufnahme rei Beginn meiner oberlandesgerichtlichen Praxis und all das, was einem Anwalt eine Freude machte, am Oberlandesgericht tätig zu sein."
Die Vorgänge um die Beendigung seiner oberlandesgerichtlichen Tätigkeit überging Dr. Moch mit "beredtem Schweigen".49 Die zahlenmäßige Auswirkung des ersten Vorgehens gegen die badischen Anwälte jüdischer Konfession oder Abstammung kann wie folgt festgehalten werden: Der Jahresbericht der Badischen Anwaltskammer für das Jahr 1933 geht von einem Bestand von 643 Anwälten zu Jahresbeginn aus. so Einer durch das Oberlandesgericht für das Reichsjustizministerium erarbeiteten Aufstellung zufolge waren 189 der Anwälte als "nichtarisch" im Sinne des Gesetzes vom 7. April anzusehen,davon 103 sogenannte "Altanwälte". Bei etwa 30 Anwälten war die Frontkämpfereigenschaftbereits festgestellt. SI Die so zu ermittelnde Differenz von 56 Anwälten entspricht etwa der Zahl von 52 Anwälten, die nach dem Jahresberichtder Badischen Anwaltskammer aufgrund §§ 1 und 3 des Gesetzes vom 7. April 1933 aus der Anwaltsliste gelöscht wurden. Allerdings verzichteten auch 21 Anwälte im Jahre 1933 auf ihre Zulassung, 9 Anwälte waren verstorben. Wieviele hiervon "nichtarisch" im Sinne des Gesetzes waren, kann nicht mehr festgestellt werden.
49 Schreiben an Buzengeiger vom 25.6.33 (GLA 240/602). Ein "nichtarischer" Anwalt hatte sich im Wege des Rekurses an das badische Staatsministerium gewandt, um seine Wiederzulassung zu erreichen und war dabei anscheinendauch auf Unterstützung gestoßen. Im Hinblick auf zwei bereits gemachte Ausnahmen teilte Wacker dem Staatsministerium am 17.2.34 mit, daß keine weiteren Ausnahmen zugelassen werden könnten. Zur weitem BegrUdung fügte Wacker den erstaunlichen Satz an: "Eine solche Maßnahme wUrde aber auch bei zahlreichen anderen nichtarischen Rechtsanwälten, die trotz einwandfreier BerufsausUbung ausscheiden mußten, zu Verbitterung und zu Zweifeln an der Gerechtigkeit der Staatsführung Anlaß geben und zu zahlreichen Berufungen fUhren." Die Zweifel an der Gerechtigkeit der StaatsfUhrung dUrften bei den jüdischen Anwälten ohnehin ganz beträchtlich gewesen sein. so
(GLA 240/611).
Aufstellung vom 18.5.33 (GLA 240/1987/53/400). Eine Mitteilung der Badischen Anwaltskammer vom 10. April 1933 an das Badische Justizministerium nennt andere, aber wohl unzutreffende Zahlen. Sie geht von rund 220 Anwälten "nichtarischer Abstammung" aus (GLA 240/1987/53/399). SI
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Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
Am 9. August 1933 waren noch 124"nichtarische" Anwälte zugelassen,52 so daß zu diesem Zeitpunkt bereits 65 "nichtarische" Anwälte ihre Zulassung auf welchem Weg auch immer - verloren hatten. Somit läßt sich sagen, daß von den 189 "nichtarischen" Anwälten 52 mit Sicherheit aufgrund des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaftihre Zulassung verloren hatten und daß bis zum August weitere 13 Anwälte jüdischer Konfession oder Abstammung nicht mehr als Anwalt tätig waren. Von den 21 Anwälten, die im Laufe des Jahres 1933 auf ihre Zulassung verzichteten, wird deshalb ein Großteil ebenfalls den 189 betroffenen Anwälten zuzurechnen sein. Etwa ein Drittel der jüdischen Anwälte war somit bereits im Jahre 1933 um die Zulassung gebracht worden. Wie diese Zahlen belegen, war es hauptsächlich die Ausnahmebestimmung zugunsten der Altanwälte, die dafür verantwortlich war, daß die Erwartungen der Landesjustizministerien unerfüllt blieben. Auf einer Tagung der Landesjustizminister in Stuttgart am 6. Mai 1933 hatten diese ihrer Enttäuschung Ausdruck verliehen und versucht, doch noch eine strengere Regelung durchzusetzen. Reinle, der dort als Oberregierungsrat für das badische Justizministerium teilnahm, betonte, daß sich das Gesetz in Baden "verheerend" auswirke. 53 Von 220 jüdischen Anwälten würden 190 wieder zugelassen werden müssen; vor allem in dem jüdischen BaUungszentrum Mannheim müsse man angesichts der Volkssstimmung "geradezu Angst vor dem Moment" haben, "wo diese Judenschar in die Gerichtsgebäude zurückkehrt". Auch wenn man dann doch 52 Zulassungen hatte entziehen können und einige Anwälte zum Verzicht auf die Zulassung genötigt hatte, so war das nationalsozialistisch geführte Badische Justizministerium sicher unzufrieden mit dem Gesetz. Gleiches dürfte für den Vorstand der Anwaltskammer gelten. Dessen Enttäuschung beruhte jedoch eher darauf, daß es mit dem Gesetz nicht möglich war, die erhoffte entscheidende Senkung der Zahl der Anwälte durchzusetzen. Da das Stuttgarter Treffen deutlich gemacht hatte, daß vom Reichsjustizministerium keine weitergehenden Regelungen mehr zu erwarten waren, verfiel man auf einen anderen Weg, das gewünschte Ziel doch noch zu erreichen. S2 Aufstellung vom 9.8.33 (GLA 240/602); zu den Auswirkungen in Preußen Krach, S.44f. 53 Zitiert nach Gruchmann, S. 147. Reinle argumentierte hier offensichtlich noch mit den Zahlen, die ihm der Vorstand der Badischen Anwaltskammer am 10. April mitgeteilt hatte (s.o. FN 45).
C. Das Vorgehen gegen die jUdischen Anwälte
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Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Annemechtsmandate einen Großteil der anhängigen Fälle ausmachte. Von den 888 Berufungen, die in den ersten acht Monaten des Jahres 1932 beim Oberlandesgericht erhoben wurden, waren 844 Annemechtssachen. 54 Ähnliche Zahlen liegen für das Landgericht Mannheim vor. Dort wurden im Jahre 1933 1453 Sachen anhängig, davon 1328 Fälle, in denen das Annenrecht bewilligt wurde. 55 Der Vorstand der Badischen Anwaltskammer faßte nun im Mai 1933 folgenden Beschluß: .. Der Kammervorstand ist der Auffassung, daß kUnftighin grundsätzlich bei Armensachen, in welchen seitens einer christlichen Partei die Beiordnung eines Anwalts beantragt ist, ihr nur ein arischer Anwalt als Armenanwalt beigeordnet wird."
Hierbei hatte der Vorstand sicherlich in Absprache mit dem Justizministerium gehandelt. Denn um diesem Beschluß des Kammervorstands die nötige Wirkung gegenüber den Gerichten zu verleihen, deren Kammer- bzw. Senatsvorsitzenden nach § 36 RAO die Auswahl des beizuordnenden Anwalts ja oblag, wurde er am 16. Mai 1933 den Gerichten und Notariaten vom Badischen Justizminister bekanntgemacht. 56 Der inzwischen zum Nachfolger Rupps ernannte Minister Dr. Wacker fügte an: .. Den Gerichten wird empfohlen, bei der Beiordnung der Anwälte in Armensachen hiernach und bei der Bestellung von Verteidigern entsprechend zu verfahren. Es sollte kUnftig auch davon abgesehen werden, Personen nichtarischer Abstammung als Sachverständige, als Konkursverwalter, als Vertrauensperson in Vergleichsverfahren. als Zwangsverwalter, als Nachlaßverwalter oder als Testamentsvollstrecker heranzuziehen, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände eine Abweichung rechtfertigen."
Eine ähnliche Empfehlung hatte der preußische lustzizminister Kerrl am 26. Mai in Preußen erteilt.57
54 Zahlen aus dem Schreiben des Vorstands der Badischen Anwaltskammer an das Badische Justizministerium vom 28.9.1932 (GLA 2401769). 55 Jahresbericht der Badischen Anwaltskammer 1933, S. 5 (GLA 240/611). Hir das Landgericht Konstanz ermittelte der LandgerichtspräsidentfUr das Jahr 1932 einen Anteil von 66 %, Schreiben des LG-Präsidenten an den OLG-Präsidenten vom 12.12.32
(GLA 249/636). 56 Schreiben des badischen Justizministers an die Gerichte und Notariate (GLA 240/589). 57
Gruchmann, S. 163; zu den Beiordnungen in Preußen auch Krach, S. 306 - 329.
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Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
Da die Auswahl des beizuordneneden Anwalts dem Vorsitzenden oblag, unterfiel die Entscheidung der richterlichen Unabhängigkeit. Dessen war sich das badische Justizministerium durchaus bewußt. Nicht von ungefähr hatte man den offiziellen ministerialen Wunsch in die Form einer Empfehlung gekleidet und den Beschluß des Vorstandes der Anwaltskammer im Wortlaut veröffentlicht, um zu zeigen, daß die Urheberschaft nicht beim Ministerium lag. Obwohl somit die richterliche Unabhängigkeitde iure unangetastet blieb, hatte man den vorsitzenden Richtern eindeutig zu erkennen gegeben, wie nach Ansicht des Ministeriums die Frage der Beiordnung zu entscheiden war. Buzengeiger setzte den Erlaß beim Oberlandesgericht in Umlauf und ließ sich eine Liste der Oberlandesgerichtsanwälte aufgeschlüsselt nach .. arischen" und ..nichtarischen" Anwälten erstellen, die den einzelnen Senaten am Oberlandesgericht weitergegeben wurde. Zur Sicherheit fragte er noch beim Ministerium an, ob er zu Recht davon ausgehe, daß die Frontkämpfereigenschafteines jüdischen Anwalts kein besonderer Umstand im Sinne des ministeriellen Erlasses darstelle, so daß sich die Beiordnung auch dieser Anwälte verbiete. S8 Um Einzelheiten der Beiordnung zu regeln und Fragen, wie sie von Buzengeiger aufgeworfen worden waren, auszuräumen, fand dann am 26. Mai eine Besprechung mit Ministerialdirektor D[ Schmidt vom badischen Justizministerium statt. Demnach konnte die Beiordnung eines ..nichtarischen" Anwalts dann erfolgen, wenn die christliche Partei dies wünschte. Falls ein ..nichtarischer" Anwalt bereits tätig geworden war, so könne die Zustimmung als erteilt gelten. Ferner wurde klargestellt, daß auch Anwälte, die an der Front gekämpft hatten oder deren Väter oder Söhne im Krieg gefallen waren, wie die sonstigen ..nichtarischen" Anwälte zu behandeln seien. s9 Wie die Handhabung dieser Regelung dann in Baden erfolgte, ergibt sich aus einem Schreiben Buzengeigers an den Oberlandesgerichtspräsidenten in Darmstadt, der Buzengeiger um Auskunftgebeten hatte, da im Oberlandesgerichtsbezirk Darmstadt die Beiordnungjüdischer Anwälte wohl ebenfalls ein Problem darstellte. In Baden mußte demnach die christliche Partei ausdrücklich den Wunsch nach der Beiordnung eines ..nichtarischen" Anwalts äußern. Die ..nichtarischen" Anwälte legten dann mi t der Prozeßvollmacht eine schriftliche Zustimmungs erklärung der christlichen Partei vor Vertraulich fügte Buzengeiger noch an, daß seines Wissens die ,,nichtari sehen" Anwälte beabsichtigten, unter Hinweis auf die unbeschränkte Beiord-
S8
Schreiben an das Badische lustizministerium vom 20.5.33 (GLA 240/6(8).
S9
Vermerk Buzengeigers vom 26.5.33 (GLA 240/6(8).
C. Das Vorgehen gegen die jüdischen Anwälte
265
nung in Württemberg und am Reichsgericht, eine Änderung des in Baden bestehenden Zustands herbeizuführen. 60 Am 30. August 1933 erging dann eine Verfügung des BadischenJustizministeriums, die den Gerichten empfahl, auch die Anwälte nicht mehr beizuordnen, die Ruhegehaltsempfänger waren. 61 Obwohl damit lediglich eine Regelung erlassen wurde, wie sie von der Anwaltschaft bereits vor 1933 vorgeschlagen worden war, war es sicherlich kein Zufall, daß man gerade jetzt eine derartige Empfehlung erteilte. Bei den Ruhegehaltsempfängern unter den Anwälten handelte es sich vielfach um ehemalige politische Beamte, die nach der ,.Machtergreifung" aus dem Dienst entfernt worden waren oder die zumindest wegen ihrer früheren Tätigkeit als Vertreter des ,,Novembersystems" zu gelten hatten. Allein am Oberlandesgericht waren drei der Anwälte ehemalige Bürgermeister. 62 Buzengeiger äußerte gegenüber dem Ministerium Bedenken, diese Empfehlung weiterzuleiten, da er Staatshaftungsansprüche der übergangenenAnwälte befürchtete. 63 Er wurde jedoch von Reinle darauf hingewiesen, daß die Regelung lediglich eine Empfehlung an die Gerichte darstelle, bei der Zuteilung von Armensachen die sozialen Gesichtspunkte nicht außer acht zu lassen. 64 Die sozialen Belange, die den Ausschluß der Zuteilung an die Ruhegehaltsempfänger rechtfertigen sollten, dienten aber lediglich als Vorwand, um Anwälte zu treffen, die bei den neuen Machthabern als politisch unzuverlässig galten. Die Bemühungen der ,,nichtarischen" Anwälte, Buzengeiger zur Unterstützung ihres Anliegens zu bewegen, blieben dagegen weiterhin erfolglos. Am 1. Oktober 1933 hatte Reichsjustizminister Gürtner in einer Verordnunt 5 festgestellt, daß die Maßnahmen in bezug auf die Gesetze vom 7. und 22. April für die Rechts- und Patentanwaltschaftabgeschlossen seien. Er bestimmte deshalb für die noch verbliebenen ,,nichtarischen" Anwälte: 60 Schreiben Buzengeigers an den OLG-Präsidenten in Darmstadt vom 20.2.34 (GLA 240/6(8).
Erlaß des Badischen Justziministers vom 30.8.33 (GLA 240/6(8). Folgt aus einem Schrei ben Buzengeigers vom 20.9.33 an den Badischen Justizminister (GLA 240/6(8). 61
62
63
Dies unter Hinweis auf RGZ 140, S. 242.
Siehe Schreiben Reinles an den Oberlandesgerichtspräsidenten vom 9.10.33 (GLA 240/6(8). 65 RGBI. I S. 699. 64
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Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
"Jeder Rechtsanwalt und Patentanwalt (... ) bleibt nicht nur im vollen Genuß seiner Berufsrechte, sondern hat auch Anspruch auf die Achtung, die ihm als Angehörigen seiner Standesgemeinschaft zukommt. Kein Rechtsanwalt oder Patentanwalt darf in der gesetzmäßigen Ausübung seines Berufes gehindert oder beeinträchtigt werden."
Die Empfehlung des Badischen Justizministeriums wurde jedoch nicht geändert. Es blieb auch bei der Praxis, jüdische Anwälte nur auf ausdrücklichen Wunsch beizuordnen. Damit war eine Beiordnung jüdischer Anwälte zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, sie war aber sehr erschwert. Am 23. Dezember 1933 wandte sich RechtsanwaltDr. Fuchs an das Badische Justizministerium. Er verwies auf die Verordnung Gürtners und versuchte eindringlich, eine Änderung der in Baden bestehenden Übung zu erreichen. 66 "Der tatsächliche Ausschluß von den Armensachen und der in den damaligen Erlassen liegende Eingriff in das freie richterliche Ermessen war im Frühjahr 1933 eine Folge der revolutionären Boykott Bewegung gegen die deutschen Juden. (... ) Das Recht und die Pflicht, Armenanwalt zu werden, ist dasjenige Gebiet der anwaltschaftlichen Tätigkeit, auf dem sich die hohe Aufgabe des Anwaltsberufs und seine Berufsehre ganz besonders kundtut. Die Wegnahme der Armensachen trifft deshalb die nichtarischen Anwälte nicht nur wirtschaftlich sehr schwer, sondern stellt vor allem eine ihre persönliche und berufliche Ehre kränkende Ausnahmebehandlung dar. ( ... )
Die jetzt noch zugelassenen nichtarischen badischen Anwälte sind also entweder Vorkriegsanwälte, die sich mindestens 20 Jahre im Beruf bewährt haben, oder sie sind Frontkämpfer, die für ihr deutsches Vaterland gekämpft und geblutet haben. In aller Regel kann deshalb keine Armenpartei es irgendwie beanstanden, wenn ihr ein solcher Anwalt beigeordnet wird."
Die Antwort des Ministeriums war nicht frei von Zynismus. 67 Man teilte Rechtsanwalt Dr. Fuchs mit, daß man am 16. Mai lediglich eine Empfehlung erteilt hatte. Es folgte dann die Belehrung: "Eine bindende Anweisung an die Gerichte und Notariate war weder beabsichtigt noch zulässig, da die Auswahl des beizuordnenden Rechtsanwalts nach § 36 RAO durch den Vorsitzenden des Gerichts aus der Zahl der bei diesem zugelassenen Rechtsanwälte nach freiem richterlichen Ermessen erfolgt.
66
Schreiben in Abschrift (GLA 240/608).
67
Antwort des Ministeriums vom 6.2.34 (GLA 240/608).
C. Das Vorgehen gegen die jüdischen Anwälte
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Mit Rücksicht darauf bin ich nicht in der Lage, meinen Erlaß vom 16. Mai 1933 (... ) aufzuheben oder abzuändern."
Den Wert des freien richterlichen Ermessens, das vom Ministerium jetzt so hochgehalten wurde, vorher aber mit ministeriellen Empfehlungen in die gewünschte Richtung geleitet worden war, hatten die jüdischen Rechtsanwälte Badens inzwischen sicherlich zur Genüge schätzen gelernt. Da das badische lustizministerium Rechtsanwalt Dr. Fuchs auf die richterliche Unabhängigkeit verwiesen hatte, wandte er sich nunmehr an den Oberlandesgerichtspräsidenten, der die Dienstaufsicht über die Richter seines Bezirks führte. Auch hier berief sich Dr. Fuchs auf die Verordnung Gürtners vom 1. Oktober 1933.68 Er verwies auf die wirtschaftlichen Folgen und den Ansehensverlust für die betroffenen Anwälte und auf die liberalere Praxis beim Reichsgericht und in anderen Oberlandesgerichtsbezirken. Wie aus dem oben zitierten Schreiben Buzengeigers an den Oberlandesgerichtspräsidenten in Darmstadt folgt, war Buzengeiger von dem Vorstoß des Rechtsanwalts nicht überrascht. Es darf auch angenommen werden, daß die Antwort Buzengeigers mit dem Ministerium abgesprochen war.69 .. Es kommt mir nicht zu, durch irgend eine Verfügung in die Regelung dieses Aufgabenkreises einzugreifen, den der Herr Minister selbst sich vorbehalten hat. (... ) Abgesehen davon, ist die Auswahl eines beizuordnenden Rechtsanwalts dem Vorsitzenden des Gerichts (Kammer oder Senat) übertragen. Im Dienstaufsichtswege könnte ich also den Vorsitzenden über die Handhabung dieses nur ihnen zustehenden Rechtes und dieser Pflicht keine Weisung erteilen."
Die Nichtzuteilung von Armensachen kam dem völligen Erliegen der Praxis gleich. 70 Obwohl auf Wunsch einer christlichen Partei auch jüdische Anwälte beigeordnet werden konnten, kann zumindest für die am Oberlandesgericht zugelassenen Anwälte festgestellt werden, daß sie bei der Beiordnung kaum 68
Schreiben vom 16.2.34 (GLA 240/608).
69
Schreiben Buzengeigers an RA Dr.Fuchs vom 22.2.34 (GLA 240/608).
So ausdrücklich Rechtsanwalt Horstmann, der als Ruhegehaltsempfanger von der Zuteilung ausgeschlossen wurde. In einem Schreiben an den Oberlandesgerichtspräsidenten vom 2.5.34 erklärte Horstmann im Hinblick auf seine Tätigkeit, .. daß diese Praxis, seitdem mir zufolge der Erlasse vom 30.8. und 20.9. V.J. keine neuen Annensachen mehr zugewiesen worden sind, inzwischen so gut wie auf dem Nullpunkt angelangt ist." (GLA 240/6(8); zu den wirtschaftlichen Folgen auch Krach, S. 353f. 70
268
Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
Berücksichtigung fanden. Dies folgt aus einer SteUungnahmedes Vorsitzenden des vierten Senats, Dr. Engelhardt. 71 Demnach wählten die Mandanten in aller Regel den Anwalt für die zweite Instanz, der ihnen vom Erstinstanzanwalt empfohlen wurde. Wie Dr. Engelhardt weiter erklärte, waren es vor allem die älteren Anwälte, die auf Schwierigkeiten stießen, da ihnen der Kontakt zu den jüngeren Erstinstanzanwälten verloren gegangen war. Auch wenn Dr. Engelhardt die jüdischen Anwälte nicht ausdrücklich erwähnte, so waren sie doch hauptsächlich angesprochen, da es sich größtenteils um "Altanwälte" handelte. Als Beispiel führte Dr. Engelhardt denn auch den "so tüchtigen und ehrenhaften Dr. Seeligmann" an 72 Ergänzend zu der Stellungnahme Dr. Engelhardts darf man vermuten, daß sich manche Partei davor gehütet haben wird, einen jüdischen Anwalt zu beauftragen, um der eigenen Sache keinen Schaden zuzufügen. Eine gewisse Erleichterung trat im März des Jahres 1934 zugunsten der Ruhegehaltsempfanger unter den Anwälten ein. Das Justizministerium ließ die Gerichte wissen, daß für den Ausschluß von der Beiordnung als Armenanwalt, das "Doppelverdienerturn" allein nicht ausreiche. Man solle auch die Größe der Familie und ähnliche Umstände berücksichtigen. Gleichzeitig wurde klargestellt, daß der Erlaß über die Verwendung nichtarischer Personen in der Rechtspflege hiervon unberührt bleibe.73 Zu Ende des Jahres 1934 unternahm das Reichsjustizministeri um einen Versuch die unterschiedliche Vergabepraxis der Armenrechtssachen in den Oberlandesgerichtsbezirken zu vereinheitlichen. Am 6. Dezember 1934 erging eine Verfügung über die bei der Beiordnung "zweckmäßigerweise" zu beachtenden Grundsätze. Es wurde bestimmt, daß den Wünschen der Partei Rechnung zu tragen sei. Werde ein Wunsch weder ausdrücklich noch konkludent geäußert, dannsei auf den mutmaßlichen Willen abzustellen. Bei der Bestimmung dieses Willens sei davon auszugehen, daß eine "arische" Partei die Beiordnung eines
71
Stellungnahme Engelhardts auf eine Anfrage von Buzengeiger vom 17.3.34 (GLA
24O/6~). 72 Mit Seeligmann war Buzengeiger persönlich bekannt, und zumindest in Weimarer Zeit hatten sie auch privat Umgang miteinander gepflegt. Am 14. November 1935 zeigte Dr. Seeligmann dem Oberlandesgerichtspräsidenten seinen Verzicht auf die Zulassung zur Anwaltschaft an. Das an Buzengeiger gerichtete Schreiben endet ohne jede Grußformel. Am 11.5.1936 verzichtete ein weiterer jüdischer Oberlandesgerichtsanwalt, D[ Karl Abenheimer (beide Schreiben GLA 240/602). 73
Erlaß des badischen Justizministeriums vom 7.3.34 (GLA 240/608).
C. Das Vorgehen gegen die jUdischen Anwälte
269
"arischen" Anwalts erwarte. Im übrigen sei darauf zu achten, daß keine Bevorzugungen erfolgten. Auch die wirtschaftliche Lage des Anwalts könne eine Rolle spielen. 74 Mit der Bekanntmachung dieser Verfügung wurden alle zuvor ergangenen Erlasse und Verfügungen zu dieser Frage aufgehoben. Buzengeiger informierte die Vorsitzenden der Senate, meinte aber, die Praxis am Oberlandesgericht entspreche bereits der des Erlasses. Zugleich stellte er klar, daß zwar davon auszugehen sei, daß eine "arische" Partei die Beiordnung eines "arischen" Anwalts wünsche, gleiches gelte jedoch nicht im umgekehrten Fall. Bitte also eine "nichtarische" Partei um die Beiordnung eines Anwalts, so bestehe nicht die Vermutung, daß sie die Beiordnung eines ,,nichtari sehen" Anwalts wünsche. 75 Buzengeiger war sich aber allem Anschein nach doch nicht ganz sicher, ob das in Baden geübte Verfahren der im übrigen Reichsgebiet gängigen Praxis entsprach. Er richtete eine Anfrage an den Oberlandesgerichtspräsidenten in Mainz, den Oberlandesgerichtspräsidenten in Frankfurtund den Präsidenten des Kammergerichts in Berlin mit der Bitte tm Mitteilung, ob "nichtarische" Anwälte bei der Beiordnung Berücksichtigung fänden und wenn ja, in welchem Umfang dies geschähe. Überliefert ist lediglieh die Antwort des Oberlandesgerichtspräsidenten in Frankfurt, der drei Beschlüsse des eigenen Gerichts übersandte, in denen die Beschwerde gegen die Nichtbeiordnung eines jüdischen Anwalts jeweils verworfen worden war.76 Ein Jahr später, um die Jahreswende 193511936 wurde erneut ein Vorstoß unternommen, um die jüdischen Anwälte weiter zu schädigen. Buzengeiger richtete eine Verfügung an die Gerichte und teilte diesen mit: 77 "Die Verschärfung der Anschauungen Uber den Einfluß nichtarischer Rechtsanwälte in der Rechtspflege läßt es angezeigt erscheinen, schon jetzt bis zur erwarteten allgemeinen Regelung darauf hinzuwirken, daß nichtarische Rechtsanwälte arischen P.u'teien nicht mehr als Armenanwälte beigeordnet werden, auch nicht auf Wunsch der arischen Partei."
74 Die Verfügung wurde den Gerichten vom Badischen lustizministerium am 13.12.34 bekanntgemacht, Abschrift bei den Akten des Gerichts (GLA 240/608). 75
Buzengeiger an die Vorsitzenden der Senate vom 27.12.34 (GLA 240/608).
76 Schreiben Buzengeigers vom 15.1.35 (GLA 240/608). In der Begründung des Oberlandesgerichts Frankfurt heißt es unter anderem: "Mit der jetzt herrschenden Anschauung des Volkes ist (... ), von ganz besonderen Ausnahmefällen abgesehen, die Beiordnung eines nicht arischen Anwalts nicht vereinbar." 77
Verfügung des Oberlandesgerichtspräsidenten vom 19.12.35 (GLA 240/608).
270
Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
Unter Verweis auf diese Verfügung und die Nürnberger Gesetze teilte der Landgerichtspräsident Mannheims mit, in Mannheim würden ,,nichtarische" Anwälte schon seit längerer Zeit überhaupt nicht mehr beigeordnet, gleiches gelte für "arische" mit einem "Nichtarier" assoziierte Anwälte. Als ,,nichtarisch" sehe man sämtliche jüdischen Anwälte an und solche, die teilweise jüdischer Abstammung seien. Der Landgerichtspräsidentzweifelte, ob diese Praxis im Hinblick auf die Nürnberger Gesetze aufrecht erhalten werden könne, da dort nur als ,,nichtarisch" galt, wer drei jüdische Großeltern aufzuweisen hatte. Auch wenn die Verfügung Buzengeigers vom 19. Dezember 1935 den Anschein erweckt, als habe er gegenüber den jüdischen Anwälten eine besonders harte Linie vertreten, so ist doch eher unwahrscheinlich, daß die Verfügung auf seiner Initiative beruhte. Es ist vielmehr zu vermuten, daß von Seiten des BNSDJ und der badischen Anwaltskammer starker Druck ausgeübt wurde, lUD eine möglichst weitgehende Ausschaltung der unliebsamen Konkurrenz zu erreichen. Auch das Badische Justizministerium hatte sich in der Vergangenheit ja immer als Vorreiter gezeigt, wenn es darum ging, gegen jüdische Juristen vorzugehen. Jedenfalls nahm Buzengeigerdie Anfrage des Landgerichtspräsidentenzum Anlaß, nun seinerseits beim Reichsjustizministerium vorstellig zu werden mit der Bitte "den Gerichten eine klare Richtlinie zu geben, auf die sie sich gegenüber allen Versuchen, örtlich weitergehende Einschränkungen zu erreichen, berufen können." 78 Das Reichsjustizministerium 79 verwies auf seine eigene Verfügung vom 10. Dezember 1934 (DJ 1934, S. 1572), wonach Wünsche der Partei nach Möglichkeit zur erfüllen seien, sowie auf seine Verfügung vom 19. Dezember 1935 (DJ 1935, S. 1858), die unter Hinweis auf die Nürnberger Gesetze ergangen war und derzufolge "bei Ausübung des richterlichen Ermessens" zu beachten sei, daß es nicht im Sinne dieser Regelungen liege, "Juden als Armenanwälte, Pflichtverteidiger, Konkurs-, Vergleichs- oder Zwangsverwalter zu bestellen oder mit der Wahrnehmung ähnlicher Aufgaben zu betrauen". In dieser Sachlage sei für eigene Verfügungen der Oberlandesgerichte kein Raum mehr. Buzengeiger wurde ersucht, seine eigene Verfügung vom 19. Dezember 1935 aufzuheben und auch die Aufhebung der entsprechenden Verfügung des Landgerichtspräsidentenin Mannheimzu veranlassen. Dies geschah am2. März 1936.
78
Schreiben Buzengeigers an das RJM vom 11.1.36 (GLA 240/1987/53/571).
79
Schreiben des RJM an Buzengeiger vom 21.2.36 (GLA 240/(00).
C. Das Vorgehen gegen die jUdischen Anwälte
271
Mit dieser Situation konnte sich der Gauführer des BNSDJ, Rechtsanwalt Schüssler, jedoch nicht abfinden. Er wandte sich an den Oberlandesgerichtspräsidenten: 80 "Aus meinem Gau werden mir immer wieder Beanstandungen des Inhalts vorgetragen, daß das Oberlandesgericht in der Beiordnung von Armenanwälten nicht immer auf das Volkempfinden hinsichtlich der Verwendung nichtarischer Personen in der Rechtspflege RUcksicht nimmt. So hat der 1. Senat den Rechtsanwalt Dr. Anders in Karlsruhe als Armenanwalt beigeordnet; der 4. Senat hat ebenfalls Rechtsanwalt Dr. Anders beigeordnet. Rechtsanwalt Dr. Anders ist nicht nur nicht Mitglied im NSRB, sondern er ist auch mit dem noch zugelassenen nichtarischen Anwalt Dr. Jakob Marx in Karlsruhe zur gemeinschaftlichen AusUbung seiner Anwaltspraxis verbunden.( ... ) Ich wUrde es daher begrUßen, wenn es möglich wäre, die GrUnde fUr die nach meiner Auffassung berechtigten Beanstandungen nach dieser Richtung abzustellen. ( ... )"
Hier zeigt sich jedoch einmal mehr, daß mit der Verreichlichung der Justiz eine gewisse Erleichterung für das Oberlandesgericht in seiner Auseinandersetzung mit lokalen Parteünstitutionen einhergegangen war. Buzengeiger konnte Schüssler auf die Verfügung des Reichsjustizministeriums verweisen, in der ihm ausdrücklich untersagt worden war, selbst Empfehlungen in diesem Bereich zu erteilen. Gleichzeitig führte er an: 81 "Die bisher vom Unterzeichneten gemachten Versuche, WUnsche, wie sie in dem Schreiben vom 17.6.36 enthalten sind, zur Verwirklichung zu bringen, sind bis jetzt ohne Erfolg geblieben.( ... ) Es bleibt meines Erachtens nichts Ubrig, als die Anregung und zwar durch die Vertretung der Rechtsanwaltschaft selbst oder durch den BNSDJ beim Herrn Minister selbst anzubringen. Es geht nicht an, daß im Bezirk des OLGKarlsruhe eine von den Reichsrichtlinien abweichende Praxis gehandhabt wird."
Buzengeiger selbst war das Vorgehen gegen die jüdischen Juristen wohl eher unangenehm. Andererseits fand er aber auch nicht die Kraft, gegen den BNSDJ oder gegen das badische Justizministerium Partei für die jüdischen Juristen zu ergreifen. Nunmehr konnte er gegenüber lokalen Institutionen auf den reichsministeriellenErlaß verweisen und war somit von weiteren Bemühungen in der ihm sicher mißliebigen Angelegenheit entbunden. Die Badische Rechtsanwaltskammerihrerseits wachte ebenfalls eifersüchtig über die Einhaltung der Verfügungen des Reichsjustizministeriums und wies
80 81
Schreiben vom 17.6.36 (GLA 240/608). Schreiben Buzengeigers an SchUssler vom 20.6.36 (GLA 240/608).
Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
272
das Oberlandesgericht jeweils darauf hin, wenn durch eine Beiordnung ein nichtarischer Anwalt begünstigt wurde. 82 Trotz faktischem Ausschluß der jüdischen Anwälte von Beiordnungen und einer Änderung der Rechtsanwaltsordnungim Jahre 1935 83 besserte sich die wirtschaftliche Lage der großen Masse der Anwälte wohl nicht. Ende des Jahres 1935 waren im Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe noch 588 Anwälte Zllgelassen,84 so daß seit dem ersten Vorgehen gegen die jüdischen Anwälte im Jahre 1933 (damals 643) ein Rückgang von lediglich etwa 10 % zu verzeichnen war. Von diesen 588 Anwälten waren 105 "nichtarisch", was einer Quote von etwa 17,9 % entsprach. Der Reichsdurchschnitt belief sich dagegen lediglieh auf 13,6 %." Für den Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe hatte sich zudem der Verlust der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für die Staatsschutzdelikte nachteilig ausgewirkt. Besonders die oberlandesgerichtlichen Anwälte fürchteten, das Oberlandesgericht Karlsruhe könne ganz aufgehoben und sie so ihrer Mandantschaft beraubt werden. 86 Besonders bitter war es für die Karlsruher Anwaltschaft, daß der Stuttgarter Senat für Hochund Landesverratssachen des öfteren in Karlsruhe tagte und dann die Stuttgarter Kollegen, die nunmehr die Offizial verteidigungen übernommen hatten, mitangereist kamen. 87 Zu einer wesentlichen Senkung der Zahl der Anwälte im OberlandesgerichtsbezirkKarlsruhe kam es erst im Jahre 1938, als man den jüdischen Anwälten endgültig die Zulassung entzog. Am 28. Juli 1938 hatte Schlegelberger einen vertraulichen Erlaß an die Oberlandesgerichtspräsidenten gerichtet und mitgeteilt, daß Erwägungen bestünden, wonach die jüdischen Anwälte aus der Rechtsanwaltschaft ganz ausscheiden sollten. Aus der Zahl der insgesamt ausscheidenden Juden sollten
82
Siehe etwa Schreiben Brombachers an den Oberlandesgerichtspräsidenten vom
23.6.36 und weitere Vorgänge (GLA 24O/19fr7/53/572). 83
Zweites Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung vom 13.12.35, RGBI. I
S.1470. 84
Jahresbericht der Badischen Anwaltskammer für das Jahr 1935 (GLA 240/611).
85 Ausschnitt aus dem Karlsruher Tagblatt vom 18.3.36, bei den Akten des Gerichts (GLA 24O/19fr7/53/399). 86
Schreiben Buzengeigers an den RJM vom 27.1.37 (GLA 240/1987/53/388).
87
Schreiben Brombachers an den Präsidenten der Reichsrechtsanwaltskammer vom
8.12.37 (GLA 24O/19fr7/53/659).
C. Das Vorgehen gegen die jüdischen Anwälte
273
dann zur rechtlichen Betreuung der jüdischen Bevölkerung, soweit ein Bedilif-
nis hierfür bestehe, jüdische Konsulenten zugelassen werden. 88
Mit der Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 27. September 1938 (RGBI. I S. 1403) wurde dann bestimmt, daß Juden der Beruf des Rechtsanwalts verschlossen sei, und, soweit noch Zulassungen bestanden, waren diese im alten Reichsgebiet bis zum 30. November 1938 zurückzunehmen (§ 1 der Verordnung).89 Nach § 8 der Verordnung konnten jüdische Konsulenten zugelassen werden, soweit ein Bedürfnis bestand. Diese waren darauf beschränkt, Rechtsangelegenheiten von Juden sowie von jüdischen Gewerbebetrieben,jüdischen Vereinen, Stiftungen, Anstalten und sonstigen jüdischen Unternehmen wahrzunehmen (§ 10 der Verordnung). Die Liste der 1938 von der Anwaltschaft ausgeschlossenen badischenJuristen jüdischer Abstammung enthielt 79 Eintragungen, darunter auch so klangvolle Namen wie den des Dr. Max Hachenburg. 90 Über die genaue Zahl der im Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe zuge1assenen Konsulenten liegen keine Zahlen vor. Am 15. November informierte Reinle die Staatspolizei-Leitstelle in Karlsruhe dariiber, daß ihm einige Gesuche um Zulassung als Konsulent vorlägen. Zur Bearbeitung müsse er aber wissen, "welche jüdischen Anwälte im Lande Baden anläßlich der Vergeltungsmaßnahmen gegen das Judentum nicht nur vorübergehend in Schutzhaft genommen worden sind, und wie lange voraussichtlich ihre Abwesenheit dauern wird".91 Die Freilassung der in Aussicht genommenen Konsulenten wurde gegen Ende November 1938 veranlaßt. 92 Ausgewählt hatte man die Konsulenten nach fachlicher Eignung, Kriegsverdiensten und politischer Zuverlässigkeit. Auch die Rechtsanwaltskammer und die Gestapo waren jeweils um ihre 88 Schreiben Schlegelbergers (GLA 240/1987/53/388). 89 Zur Entstehungsgeschichte Krach, S. 386 - 395. 90 Aufstellung (GLA 240/1987/53/399), Abdruck der üste im Anhang 4. Dr. Max Hachenburg wurde am 1.10.1860 in Mannheim geboren. Er war herausragender Kommentator des HGB und des GmbHG, wurde 1907 in den Vorstand des deutschen Anwaltsvereins gewählt und fungierte seit 1915 als Mitherausgeber der Juristischen Wochenschrift. 1939 emigrierte er über die Schweiz und England in die USA, \\0 er am 23.11.1951 verstarb. (Seherner, JuS 1990, S. 347ff.). Zu Hachenburg auch Krach, S. 159, zu seiner Abberufung aus dem Vorstand des DA V S. 223 - 225.
91 Schreiben Reinles an die Staatspolizei-Leitstelle Karlsruhe vom 15.11.38 (GLA 240/1987/53/.541 ) 92 Aktenvennerk ReinIes vom 28.11.38 (GLA 240/1987/53/.541). 18
Schiller
274
Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
Stellungnahme gebeten worden. 93 Mit dem Ausscheiden der jüdischen Anwälte und der Benennung von Konsulenten traten unverzüglich große Schwierigkeiten für jüdische Parteien auf, überhaupt eine Vertretung vor Gericht sicherzustellen. Die allem Anschein nach viel zu geringe Zahl der Konsulenten führte zu einer faktischen Rechtsverweigerung. 94 Beispielhaft sind etwa die Bemühungen von Denny S. aus Düsseldorf, der beim Oberlandesgericht angefragt hatte, wer ihn in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Offenburg vertreten könne. Vizepräsident Dr. Ruoff teilte den Namen eines Konsulenten mit und meldete mit gleicher Post dem Oberstaatsanwalt in Düsseldorf, daß "Frau" Denny S. es im Schriftverkehr unterlassen habe, den Zusatz "Sara" zu verwenden. 9s In einem neuerlichen Schreiben teilte Herr Denny S. mit, daß er erstens nur Denny S. heiße, ohne Zusatz, daß er zweitens keine Frau sei und daß eine Vertretung durch den benannten Konsulenten nicht in Betracht komme, da dieser bereits den Gegner vertrete. Es wurde dann ein weiterer Konsulent benannt, der die Vertretung aber ablehnte, da er mit dem Gegner verwandt war. 96 Es mußten dann zwei weitere Konsulenten namhaft gemacht werden, die aber nur für das Landgericht Karlsruhe zugelassen waren und denen erst auf Antrag eine Zulassung für Offenburg erteilt wurde. Allein bis der Name eines Konsulenten mitgeteilt war, war über ein Monat vergangen, ohne daß dieser Konsulent aber vor dem zuständigen Gericht postulationsfahig gewesen wäre. Zum Teil hatte die weitere Diskriminierung der jüdischen Konsulenten auch unerwünschte Folgen, wenn etwa der ..arische" Kläger seinen Prozeß nicht weiterbetreiben konnte, weil der Konsulent des jüdischen Beklagten infolge
93 Zu den Auswahlkriterien zwei Berichte Reinles an den RJM vom 20.12.38 und vom 21.12.38 (GLA 240/1987/53/543).
94 In einer weiteren Anfrage werden eindringlich die Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Konsulenten geschildert und die Tatsache, daß der "arische" Gegner die vollkommen unstreitig berechtigte Forderung (Arzthonorar) einfache nicht begleiche . ..Offenbar nehmen die Schuldner an, der ,Nichtarier' fände keine Vertretung". Schreiben von Dr. Friedländer an das Oberlandesgericht vom 14.5.39 (GLA 240/1987/531 543). 9S
Beide Schreiben Ruoffs vom 9.3.39 (GIA 240/1987/53/543).
96
Weiterer Schriftwechsel (GLA ibid.).
C. Das Vorgehen gegen die jüdischen Anwälte
275
einer nur befristeten Zulassung das Mandat nicht weiter wahrnehmen konnte. 97 Viele der Konsulenten betrieben zudem erfolgreich ihre Auswanderung, wodurch oftmals weitere Verzögerungen eintraten. Im Sommer des Jahres 1939 mußte das Oberlandesgericht dem Reichsjustizministerium sogar Kandidaten zur Ernennung empfehlen, die man zuvor abgelehnt hatte. 98 Schließlich wurde über eine Anzeige in der Deutschen Justiz nach Konsulenten gesucht. Dabei wollte man aber keine Bewerber aus anderen Oberlandesgerichtsbezirken akzeptieren, da man "die Zuwanderung von Juden aus anderen Bezirken" als unerwünscht ansab. 99 Nach der Verschleppung des Großteils der jüdischen Bevölkerung Badens nach Südfrankreich wurde "zur Sicherstellung der Belange der deutschblütigen Bevölkerung" in Streitverfahren gegen Juden die Bezirke der jüdischen KonsulentenMüller und Nathan aus Worms auf den Bezirk des Oberlandesgerichts ausgedehnt und der des Dimer Konsulenten Moos auf den Landgerichtsbezirk Waldshut. IOO Mit der Deportation der Badener jüdischer Konfession nach Südfrankreich und der sich anschließenden Ermordung in den Vernichtungslagern hatte eine Entwicklung ihren Abschluß gefunden, die im Jahre 1933 mit Boykottaufrufen begonnen hatte und die durch eine immer weiter fortschreitende Diskriminie97 Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Walter Holdermann vom 13.3.39 (GLA 240/ 1987/53/543). Reinle bemerkte hierzu: "Es ist natürlich unerwünscht, wenn die Belange des arischen Gegners benachteiligt werden, das muß vermieden werden." 98 Schreiben an das RJM vom 14.7.39 (GLA 240/1987/53/543). "L. ist mäßig begabt. Sein Auftreten vor Gericht war ungewandt und so ausgesprochen jüdisch, daß es von dem Gericht und den Parteien als unangenehm empfunden wurde. (... ) Alles in allem ist L. eine wenig erfreuliche Erscheinung. Da sich aber kein weiterer Bewerber gemeldet hat, und -wie ich aus weiteren Anfragen entnehme- zweifeos ein Bedürfnis für die Zulassung eines jüdischen Konsulenten in Freiburg besteht, halte ich seine Zulassung für unumgänglich." 99 Randbemerkung Dr Ruoff's auf Bewerbung von Hermann Sachs, diese vom 2.10.39 (GLA 40/1987/53543). Ein anderer Bewerber scheiterte, da die Gestapo Berlin über ihn mitgeteilt hatte, es handele sich um einen scharfen Gegner des Nationalsozialismus. Der Polizeipräsident Berlins hatte zudem erklärt, daß der Kandidat mit einer "Osljüdin" verheiratet sei, was Reinle zu der Randbemerkung veranlaßte: "Auch noch !" . Siehe Bewerbung des ehemaligen preußischen Amtsrichters Dr. Fritz Reuleuke von 20.9.39 und der sich anschließende Schriftwechsel (GLA ibid.).
100
Erlaß des RJM vom 29.12.40 (GLA 240/1987/53/541).
276
Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
rung gekennzeichnet war. Unter den Ermordeten befanden sich eine große Zahl von Juristen, und von diesen Juristen war sicherlich die Mehrzahl Anwälte. Das so zugefügte menschliche Leid wird man kaum je ermessen können. Es wurde in Baden aber auch ein wesentlicher Teil deutscher Rechtstradition, nämlich der des jüdischen Anwalts, vernichtet.
D. Politisch verdächtige Anwälte, geändertes Prozeßklima Es wurde oben bereits geschildert, daß die badische Anwaltskammer genau darüber wachte, daß jüdische Anwälte von der Beiordnung in Armensachen soweit wie möglich ausgeschlossen blieben. Die Anwaltschaft erwies sich auch sonst als effizientes Kontrollorgan des eigenen Standes. Schon am 2. Mai 1933 hatte Brombacher eine vom Vorstand der Berliner Anwaltskammer erstellte Liste von Anwälten, die Zahlungen der Roten Hilfe lol erhalten hatten, an das Badische Justizministerium weitergegeben l02 "zur sehr gefälligen Erwägung, eines Einschreitens gegen die badischen Rechtsanwälte." Brombacher hatte auch die Amegung ausgesprochen, man möge durch die Pressestelle des Staatsministeriums mitteilen lassen, daß die AnwälteZahlungen der "Roten Hilfe" erhalten hatten. Bei der Badischen l.andespolizei war man auch durch Aktenfunde bei der "Roten Hilfe" auf weitere Namen gestoßen. Der Vorsitzende des Offenburger Anwaltsvereins, Leonhard, hatte den jüdischen Anwalt Dr. Hugo Schleicher als kommunistisch bezeichnet und sich bereiterklärt, weiteres Material zu sammeln. 103 Ermittlungen richteten sich auch gegen den Waldkircher Anwalt Cuntz und die Mannheimer Anwälte Dr. Simon und Dr. Müozoer!04 Beide waren Ende März 1933 in Schutzhaft genommen, dann aber bald wieder entlassen worden. 101 Die Rote Hilfe war eine von der KPD 1921 gegründete Organisation zur Unterstützung politisch verfolgter Mitglieder und ihrer Familien, siehe Schadt, S. 110, FN
so.
102 Antwortschreiben des Ministeriums vom 11. 5. 33 (GLA 240/1987/53/400); Schreiben Brombachers vom 2.5.33 (GLA 240/1987/53/400); zum Vorgehen gegen die politisch verdächtigen Anwälte in Preußen König, S. 49ff. 103 Schreiben der Badischen Landespolizei an das Justizministerium vom 3.5.33 (GLA 240/1987/53/400). 104 Schreiben der Badischen Landespolizei an das Justizministerium vom 3.5.33, weitere Namen ebenda (GLA240/1987/53/4OO).
D. Politisch verdächtige Anwälte, geändertes Prozeßklima
277
Auch wirtschaftlich sollten die politisch verdächtigen Anwälte geschädigt werden. Wenn Rechtsanwälte etwa als Offizialverteidiger herangezogen werden wollten, so übersandte Buzengeiger die Namen der Bewerber regelmäßig an Brombacher, der dann auch nach politischen Gesichtspunkten eine Empfehlung abgab und z. B. mitteilte: los "Ich halte mich jedoch für verpflichtet, darauf aufmerksam zu machen, daß Rechtsanwalt Dr. B. früher der sozialdemokratischen Partei angehörte und bis vor kurzem eine Bürogemeinschaft zwischen ihm und Rechtsanwalt Dr. Friedberg bestand."
Auch der BNSDJ bemühte sich um die wirtschaftliche Förderung der linientreuenAnwaltschaft. So hatte sich der Mannheimer Rechtsanwalt Meyer 1934 an den" verehrten Pg Reinle" beim badischen Justizministerium gewandt und mitgeteilt, daß der Mannheimer Kollege Selb weiterhin in großem Umfang Reichsbehörden vertrete, was er als Skandal empfand, da SeIb mit einer Jüdin verheiratet war. I 06 Beim Justizministerium reifte darauf die Idee, eine Liste der fachlich und politisch unbedenklichen Anwälte zu erstellen und diese den Behörden bekanntzumachen. Der Vorstand der Badischen Anwaltskammer und der Gauführer des BNSDJ nutzten diese willkommene Gelegenheit, lIll der eigenen "Gefolgschaft" zu dem ersehnten Geschäftszuwachs zu verhelfen. Die Vorschlagsliste Schüsslers etwa nannte als einzigen politisch und fachlich zuverlässigen Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht Rechtsanwalt Brombacher. Eine nachgebesserte und mit weiteren Namen versehene Version führte bei jedem Anwalt die Mitgliedsnummer im BNSDJ an, "um auch den auswählenden Auftraggebern die Möglichkeit einer Auswahl nach diesen Gesichtspunkten zu geben".107 Als dann die Liste vom Oberlandesgericht ohne Anführung der Mitgliedsnummern verteilt wurde, übersandte Schüssler eine eigene Liste mit Mitgliedsnummern an alle Behörden und teilte dem Oberlandesgericht erbost mit l08
lOS Schreiben Brombachers an den Oberlandesgerichtspräsidenten vom 29.10.34 und weitere Vorgänge hierzu (GLA 240/608). 106 Schreiben vom 17.11.34 (GLA 240/1987/53/400).
107 Die erste Liste vorgelegt am 25.11.35 vorgelegt, die zweite am 10.7.36 (GLA 240/1987/53/400); daß sich das Engagement für die Partei sehr lohnen konnte, bestätigt auch Güstrow, S. 12. 108 Schreiben SchUsslers an den Oberlandesgerichtspräsidenten vom 20.8.36 (GLA 240/1987/53/400).
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Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
.. Ich selbst beabsichtige, im Nachrichtenblatt des Gaues den Parteidienststellen mitzuteilen, daß diese Liste nicht verbindlich ist und von der Partei mißbilligt wird."
Überhaupt wird man sagen können, daß für Anwälte, die für den Nationalsozialismus wenig Sympathie aufbringen konnten, eine schwierige Situation eingetreten war. Die öffentliche Brandmarkung als Gegner der "neuen Zeit" hatte nicht nur Unannehmlichkeit zur Folge, sondern war auch mit massiven wirtschaftlichen Einbußen verbunden. Das Prozeßldima hatte sich wesentlich geändert, und leicht lief man Gefahr, durch allzu forsches Auftreten in politisch brisanten Prozessen unangenehm aufzufallen: 09 Der am Oberlandesgericht zugelassene Dr. Paul Wetzel etwa hatte Ausgang des Jabres 1933 einen Angeklagten zu verteidigen, dem die Verbreitung kommunistischer Druckschriften zur Last gelegt worden war. In der Verhandlung am 19.Dezember 1933 führte Dr. Wetzel zur Verteidigung seines Mandanten an, es sei unzutreffend zu behaupten, der Kommunismus predige lediglich die Gewalt, vielmehr verfolge er auch ideelle Ziele, nämlich die Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft. Wenn der Kommunismus die Revolution als sein Ziel hinstelle, so sei dies auch nichts Besonderes oder gar Emstzunehmendes. Damit wolle er schließlich auch nichts anderes, als das, was der Nationalsozialismus lange Zeit gepredigt habe. Generalstaatsanwalt Brettle, vom Sitzungsvertreter über diese "ungebührlichen Ausführungen" informiert, sorgte dafür, daß gegen Rechtsanwalt D[ Wetzel mit dem Ziel der Durchführung eines ehrengerichtlichen Verfahrens ermittelt wurde. Brettle meinte, 11 0 die Ausführun gen "lassen sich nicht mit der von einem deutschen Anwalt zu erwartenden Treupflicht gegenüber dem Staat und der Rechtspflege vereinbaren."
\09
Hierzu auch König, S. 53f.
110 Der Angeklagte war freigesprochen worden, da man eine Beteiligung nicht als erwiesen ansah (Vorgänge in GLA 240/614). Der heute noch praktizierende Heidelberger Rechtsanwalt Leonhardt erklärte im Rahmen einer mündlichen Auskunft, er habe während des Krieges in einem Plädoyer angefUhrt, der Führer sei doch ein gerechter Mann - dies entgegen besserer Überzeugung - und könne doch unmöglich wünschen, daß der Angeklagte verurteilt werde. Für diese Ausführungen wurde ihm die ernste Mißbilligung des Gerichts ausgesprochen, da er es gewagt hatte, den Angeklagten der besonderen Fürsorge des Führers für würdig zu erachten.
D. Politisch verdächtige Anwälte, geändertes Prozeßldima
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Das ehrengerichtliche Verfahren endete zwar mit einem Freispruch/li da man den Nachweis der Äußerungen als nicht genügend angesehen haUe, Dr. Wetzel erhielt in der Folgezeit aber keine Offizialverteidigungen mehr zugeteilt. Ähnliches konnte auch in zivilrechtlichen Fällen drohen. I 12 Dem Karlsruher Anwalt Dr. Eisenlohr wurde im Jahre 1935 die ernste Mißbilligung des Kammervorstands ausgesprochen, da er in einem gegen den Reichsnährstand geführten Kündigungsschutzprozeß in einem Schriftsatz ausgeführt hatte, "sobald der Reichsnährstand durch die verschaffte Genehmigung [zur Kündigung, Verf.] sich eine formale Hilfe verschaffen würde, wäre er [Dr. Fisen1ohr, Ven.] gezwungen, auch all diejenigen Gesichtspunkte vorzutragen, die er bisher mit Rücksicht auf das Ansehen des Reichsnährstandes nicht verwertet habe." Für dieses Schreiben wurde dem Rechtsanwalt die Aufmerksamkeit des Reichsbauernführers Darre selbst zuteil. Darre erklärte, "er erblicke darin eine rechtswidrige Drohung, die gegen eine öffentliche Körperschaft mit Behördenfunktion und eine Gliederung der NSDAP gerichtet sei." Daß nach diesem Eingreifen des Reichsbauernführers eine ehrengerichtliche Sanktion verhängt werden mußte, verstand sich fast von selbst. Sie enolgte dann, ohne daß man Rechtsanwalt Eisenlohr überhaupt zu der Sache gehört hatte. I 13 Wegen der Abhängigkeit der meisten Anwälte von den Beiordnungen konnten sich nur wenige Anwälte offene Konflikte mit dem BNSDJ und dem Justizministerium leisten. Zu diesen wenigen gehörte der bekannte Heidelberger AnwaltDr. v. Campenhausen. Dieser war Ausgang des Jahres 1934 wegen seiner herausragenden juristischen Qualifikation - er hatte beide Staatsprüfungen als Jahrgangsbester absolviert l14 - in die Prüfungskommission für die zweite juristische Staatsprüfung berufen worden.
III Schriftsatz von D[ Wetzel im Spruchkammerverfahren vom 26.2.48 (GLA 465aJ 51/7/10615). 112 Hierzu auch Schröder, S. 147 - 149.
113 Siehe Schreiben des Vorstandes der Badischen Anwaltskammer vom 12.6.35 und weitere Vorgänge (GLA 240/614). Zur Rechtsprechung des Ehrengerichtshofes bei der Reichsrechtsanwaltskammer am Reichsgericht König, S. 59 - 71. 114 Siehe Schreiben des Badischen Justizministeriums an den WUruembergischen Justizminister vom 12.10.34 (GLA 240/1987/53/274).
280
Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
Am 14. Februar 1935 erschien der Heidelberger Amtsgerichtsdirektor Schüssler bei Reinle und erklärte, daß in Heidelberger Juristenkreisen Befremden darüber herrsche, daß Rechtsanwalt Freiherr v. Campenhausen zum Mitglied des Justizprüfungsamts bestellt worden sei. V. Campenhausen sei der NS-Bewegung immer ablehnend gegenübergestanden und habe diese seine Haltung bis heute noch nicht geändert. Er mache daraus auch gar keinen Hehl und sei noch zu keiner einzigen \eranstaltung des BNSDJ erschienen. 115 Reinle schlug v. Campenhausen über die Vermittlung Schüsslers vor, er möge um seine Entbindung vom Prüfungs amt nachsuchen. Reinle hatte ihm auf diese Weise "zu dem nach außen ehrenvollen Wege verhelfen wollen, auf seinen eigenen Antrag enthoben zu werden." Rechtsanwalt v. Campenhausen erklärte jedoch, er sei ohne sein Zutun in dieses Amt berufen worden, wenn man ihn dort nicht mehr wolle, so solle ihn die zuständige Stelle abberufen. Besonderen Wert auf eine Mitarbeit beim Prüfungsamt lege er ohnehin nicht. 116 Nachdem dann auch noch der Sozius von Rechtsanwalt v. Campenhausen, Rechtsanwalt Leonhardt, "durch sein ständiges Auftreten für Nichtarier ein Verfahren gegen sich in Gang gebracht" hatte,t 17 wurde Reinle erneut beim Reichsjustizministerium vorstellig und erreichte die Abberufung v. Campenhausens. 1938 wurde Rechtsanwalt v.Campenbausen in einem Bericht des Oberlandesgerichts als politisch unzuverlässig geschildert. Es wurde ihm daraufhinnahegelegt, auch auf seine Ämter in der Anwaltskammer zu verzichten. Am 18. Juli 1938 gab Rechtsanwalt v. Campenhausen die geforderte Verzichtserklärung ab. 118 Daß bei der Anwaltschaft ein gewisser Zusammenhang zwischen politischer Abstinenz und fachlichem Ruf bestand, bestätigt auch ein Bericht Reinles an den Reichsjustizminister. Man hatte dort den Plan gefaßt, besonders verdienten Anwälten den Titel des Justizrates zu verleihen und das Oberlandesgericht aufgefordert, Anwälte, die hierfür in Frage kamen, zu benennen. Reinle ging bei
115
Aktenvermerk Reinles vom 14.2.35 (GLA 240/269).
116
Schreiben Reinles an den RJM vom 11.3.35 (GLA 240/269).
117 Schreiben Reinles an den RJM vom 12.4.35. Die Denunziatonen durch den Heideiberger Amtsgerichtsdirektor SchUssler betrafen Leonhardt in gleicher Weise wie v. Campenhausen. Auch ihm wurde zur Last gelegt, daß er offen in Opposition zur "Bewegung" stehe. Der Sozius von Rechtsanwalt v. Campenhausen war nach Auskunft seines Sohnes, Rechtsanwalt Leonhardt aus Heidelberg, 1932 in die NSDAP eingetreten, hatte sich aber nach der "Machtergreifung" sofort von ihr distanziert. 118 Bericht vom 10.6.38 (GLA 240/1987/53/396).
E. Die Anwaltschaft während des Krieges
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der Prüfung davon aus, daß nur Anwälte in Betracht kämen, die einmal einen außergewöhnlichen fachlichen Ruf genössen, und "darüber hinaus auch Zll Staat und Bewegung in einem solchen Verhältnis stehen." Reinle meint dann: 1 1 9 "Eine Vereinigung dieser Eigenschaften in einer Person ist jedoch kaum anzutreffen' auch wenn ich von besonderen Verdiensten um die Anwaltschaft absehe, auf die der von mir mündlich gehörte Präsident der Anwaltskammer \\ert legen will, so bleibt immer noch übrig, daß die mit einem besonders klangvollen Namen ausgestatteten Rechtsanwälte sich nicht der von mir oben erwähnten besonderen Bewährung in politischer Hinsicht rUhmen lassen, während andererseits die alten Parteigenossen unter den Anwälten, die der von mir gleichfalls gehörte Gaurechtsamtsleiter in erster Unie ausschließlich berücksichtigt haben möchte, im allgemeinen nicht unter die Anwälte zählen, die als Anwälte sich eines besonderen fachlichen Rufes erfreuen."
Es kann also festgehalten werden, daß die Handlungsmöglichkeitender Anwälte bei der Vertretung der Mandantschaft eine starke Einschränkung erfahren hatten. Politische Abseitigkeit mußte nicht nur gegen Anfeindungen durchgestanden werden, sie hatte auch einschneidende wirtschaftliche Folgen. Die Abhänigkeitder ganz überwiegenden Mehrzahl der Anwälte von den Armenrechtsmandaten eröffnete dem Justizministerium ein wirksames Instrument Zllf Kontrolle der Anwaltschaft.
E. Die Anwaltschaft während des Krieges Nachdem im Jahre 1938 die jüdischen Anwälte endgültig ihre Zulassung verloren hatten und bereits vor diesem Zeitpunkt die Zahl der Anwälte Badens ständig zurückgegangen war, war ein seit 1931 vorgebrachter Wunsch der 00dischen Anwaltschaft verwirklicht. Nach Abschluß der Maßnahmen im Jahre 1933 hatten noch etwa 114 jüdische Anwälte ihre Zulassung behalten, von dem endgültigen Entzug der Zulassungim Jahre 1938 waren jedoch nur noch 79 Anwälte betroffen. 120 Waren 119
Schreiben Reinles vom 10.12.38 (GLA 240/1987/53/30).
Diese und die folgenden Zahlen entstammen den Jahresberichten des Oberlandesgerichts an das Reichsjustizministerium, die in den Jahren 37 - 45 (ohne 39,40 u 41) erstattet wurden (alle GLA 240/1987/53/389), s.a. Bericht des Badischen Justizministeriums vom 19.8.33 (GLA24O/602) u. Liste der Anwälte, die im Jahre 1938 ihre Zulassung verloren hatten (GLA 240/1987/53/399). 120
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Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
1933 noch etwa 640 Anwälte zugelassen gewesen, so waren es zu Ende des Jahres 1937 noch 537. Im Jahre 1938 verloren 94 Anwälte ihre Zulassung, davon die Mehrzahl, nämlich 79, infolge der Anwendung der 5. Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Ausgang des Jahres 1939 waren noch 446 Anwälte zugelassen. Die Zahl sank dann bis zum Kriegsende auf etwa 400 ab, wobei ein Großteil der zugelassenen Anwälte während des Krieges zwar ihre Zulassung behielt, ihre Tätigkeit aber nicht ausüben konnte, da er sie zum Kriegsdienst einberufen war. Eigentlich würde man eine wesentliche Verbesserung der Stimmung in der Anwaltschaft vermuten. Trotzdem herrschte Unzufriedenheit. 121 Der Vorstand der Anwaltskammer Heidelbergberichtet im Mai 1939 von nur schlechtem bis mittelmäßigem Besuch der Veranstaltungen. Weiter heißt es: 122 "Die Lage der Rechtsanwaltschaft in Heidelberg ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Z.Zt außerordentlich deprimierend. (... ) Es ist Sache, der für die Rechtsanwaltschaft maß gebenden Instanzen, Abhilfemaßnahmen mit allen Mitteln zu erreichen zu suchen und nicht zu warten, bis wieder eine größere Anzahl von Kollegen unter die Räder gekommen ist, wie dies s. Zt. kurz vor der MachtUbernahme der Fall war. ( ... ) So kann es jedenfalls nicht weitergehen."
Durch den Kriegsausbruch und die Ungewißheit über den weiteren Kriegsverlauf zu Frankreich kam es zunächst wohl zu einem völligen Stillstand anwaltlicher Tätigkeit. 123 Auch bereitete die Versorgung der Familien der einberufenenAnwälte große Schwierigkeiten, da die Versorgung eigentlich von den noch verbliebenen Kanzleien hätte erbracht werden sollen, die sich aber infolge des zunächst eintretenden Rückgangs der Geschäfte dazu außerstande sa-
hen. 124
121 Nach Schröder, S. 140, stiegen inder Zeit zwischen 1933 und 1936 die Einkommen der Anwälte trotz des RUckgangs der Zahl der Anwälte von 9.490,- RM auf lediglich 10.849,- DM. 122 Das Schreiben stammt von dem Heidelberger Rechtsanwalt Ludwig und datiert vom 6.5.1939, Schreibweise wie im Original, dem OLG-Präsidenten am 25.5.39 vom Präsidenten der Karlsruher Rechtsanwaltskammer vorgelegt, der Ludwig als Vorstand der Heidelberger Anwaltskammer bezeichnet. Gemeint war wohl die Bezirksfachgruppe im NSRB. (GLA 240/1987/53/389 ). 123
Davon berichtet Reinle dem RJM am 10.10.39 (GLA 240/1987/53/388).
124
Siehe Rundschreiben des Beauftragten rur die Rechtsanwälte vom 3.10.39 (GLA
240/1987/53/388).
E. Die Anwaltschaft während des Krieges
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Für die noch verbliebenen Anwälte besserte sich die wirschaftliche Lage jedoch mit Fortdauer des Krieges, da immer mehr Anwälte entweder eingezogen oder in anderen Bereichen eingesetzt wurden 125 und sich die wahrzunehmenden Mandate somit auf immer weniger Anwälte verteilten. Andererseits lief man mit fortschreitender Kriegsdauer auch Gefahr, für fachfremde Aufgaben, etwa in der Rüstungsindustrie, eingesetzt zu werden. So wurde durch Verordnung vom 27. Januar 1943 (RGBI. I S.67) bestimmt, daß auch selbständige Berufstätige von den Arbeitsämtern für "Aufgaben der Reichsverteidigung" eingesetzt werden konnten. Dem Oberlandesgerichtspräsidenten wurde vom Reichsjustizministeriummitgeteilt, daß - neben der einzigen gesetzlich normiertenAusnahme für Selbständige, die mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigten, - Ausnahmen nur für Rechtsanwälte gemacht werden könnten, die eine überwiegend kriegswichtige Tätigkeit ausübten. 126 Bei der Prüfung dieser den Oberlandesgerichts präsidenten übertragenen Frage, sei ein strengster Maßstab anzulegen und zu berücksichtigen, daß die Rechtspflege in Kürze wesentliche Beschränkungen erfahren werde. 127 Weiter hieß es: 125 So etwa als Hilfsrichter im Reichsgebiet oder im besetzten Polen, siehe hierzu Heft lüder Mitteilungen der Reichsrechtsanwaltskammer 1939, S. 221, Auszug bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/53/388).
126 Zweifel hatte das Reichsjustizministerium auch an der Kriegswichtigkeit der Praxis von Rechtsanwalt Osswald aus Oberlcirch und fragte beim Oberlandesgericht an, ob Rechtsanwalt Osswald bereits zum Einsatz freigegeben sei. Dieser hatte nämlich ein mehrseitiges Schreiben an das Reichsjustiziministerium gerichtet, das in der Anlage mit übersandt wurde und in dem es hieß: "herr staatsekretär! mit interesse habe ic iren aufsaz über den kUnftigen aufbau der gericte imm doitien rect gelesen. es jeint mir aber di zeit fast zu ernst zu sein, um sic in zukunftsproblemen zu ergehen. die gegenwart erfordert raje und möglicst wirksame masnamen, um die lage zu meistern, in der wir sind. um gut arbeiten zu können, brauct man for allem das rictige werkzoig. (... )" Der Grund rur diese eigentümliche Diktion wurde dem Staatssekretär, Adressat war wohl Rothenberge~ im Begleitschreiben erläutert. "der wunj nac einer einfacen natUrlichenjreibweise hat zur aufstellung der hir widergegebenen lautejrift gefUrt. falls di rurenden betribe sic zu deren anwendung entilisen, dUrfte es möglich sein, ir inn kurzer zeit allgemeine geltung zu ferjaffen und so das wirtjaftsleben fon den ebenso Uberflussigen wi lästigen eigenheiten der bisherigen jreibweise zu befreien" (GLA 240/1987/53/390).
127 Schnell brief des RJM an den Präsidenten des Reichsgerichts und die OLGPräsidenten vom 19.2.43 (GLA 240/1987/53/390).
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Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
"Die Tätigkeit solcher Rechtsanwälte, die nach ihren persönlichen Verhältnissen oder der Art ihrer BerufsausUbung eine auf das Volks ganze ausgerichtete Mitarbeit an der Rechtspflege nicht erwarten lassen, kann nicht als kriegswichtig angesehen werden."
Was mit dieser Passage gemeint war, wurde dann in einer weiteren Verfügung des Reichsjustizministeriums näher erläutert. 128 Es kamen demnach für Aufgaben der Reichsverteidigung vor allem "jüdische Mischlinge 1. Grades und jüdisch Versippte" in Betracht sowie solche, die durch staatsabträgliches Verhalten aufgefallen waren. Von 32 Anwälten, die das Oberlandesgericht "freigab", wie man die Meldung bezeichnete, hatten 3 Vorfahren jüdischer Konfession, 4 wurden aus Gründen der Persönlichkeit gemeldet, 2 waren mit Jüdinnen verheiratet, einer galt als gering befahigt, die verbleibenden 17 waren aus nicht mehr aufklärbaren Gründen benannt worden. 129 Ein Teil der Anwälte wehrte sich vehement, auch unter Einsatz der eigenen Verbindungen zu Parteistellen, gegen die Freistellung für den Kriegseinsatz. Dies wohl nicht zuletzt deshalb, weil mit der Freistellung auch eine empfindliche Einkommenseinbuße drohte. 130 Von den etwa 430 badischen Anwälten übten am 31. Juli 1943 noch 199 ihren Beruf aus, 172 waren zum Kriegsdienst einberufen, 55 in sonstigen Bereichen verwendet. l3l Die Zahl der dann tatsächlich in der Rüstungsindustrie oder für sonstige Kriegsaufgaben eingesetzten Anwälte dürfte allerdings zunächst nur sehr gering gewesen sein. Der Direktor eines Arbeitsamtes sprach sogar davon, daß er für die freigegebenen Rechtsanwälte keinerlei Verwendung habe,132 die Zahl der noch als Rechtsanwalt tätigen Juristen sank denn auch bis 1944 kaum merklich. Im September 1944 waren es noch 183 von etwa 440 zugelassenen Anwälten. l33 Vor allem war es also der Dienst in der Wehrmacht, der die Anwälte von der Berufsausübung fernhielt und den noch verbliebenen Anwälten recht gute Geschäfte beschert haben dürfte.
128
VerfUgung vom 19.3.43 (GLA 240/1987/53/391).
Die Zahlen folgen aus einem Bericht des Oberlandesgerichts an die SD-Hauptstelle Karlsruhe vom 16.4.43 (GLA 240/1987/53/390). 129
130 Siehe etwa Schreiben des NSKK an das Oberlandesgericht vom 21.4.43 (GLA 240/1987/53/390). 131 Siehe hierzu Bericht des Oberlandesgerichts an den RJM vom 14.07.43 (GLA 240/1987/53/391 ). 132
Schreiben von Dr. Ruoff an den RJM vom 13.4.43 (GLA 240/1987/53/391).
\33 Siehe Bericht des Oberlandesgerichtspräsidenten an RJM vom 25.9.44 (GLA 240/1987/53/880).
E. Die Anwaltschaft während des Krieges
285
Die Zahl der Mandate war zwar gesunken, trotzdem war eine beträchtliche Anzahl von Scheidungen durchzuführen. 134 Andere gegen die Rechtsanwaltschaft gerichtete Maßnahmen wie die Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Reichs-Rechtsanwaltsordnung vom l.März 1943 (RGBI. I S. 123), die nach § 3 einefakultative Zurruhesetzung von Anwälten vorsah, die das 65. Lebensjahr vollendet hatten und deren Verbleiben in der Rechtsanwaltschaft für die Rechtspflege nicht erforderlich war, hatten kaum Auswirkungen. Es wurden lediglich ein Heidelberger Anwalt gemeldet, der mehrmals ehrengerichtlich vorbestraft war, und ein Eppinger Anwalt, der die Richter des Amtsgerichts Eppingen mit Ablehnungsgesuchen drangsalierte und der "beim Vorgehen gegen die Eppinger Juden einseitig Partei für die Judenschaft ergriffen" hatte. l3S Da es sich jedoch um den nahezu einzigen noch verbliebenen Anwalt in Eppingen und Sinsheim handelte, wurde von einer Zurruhesetzung abgesehen. Neben den oben bereits zitierten Quellen aus den Anfangsjahren der Nazidiktatur finden sich in den Akten kaum Hinweise, wie sich das Prozeßklima nach 1933 änderte. Aus den wenigen überlieferten FundsteIlenmuß allerdings darauf geschlossen werden, daß Anwälte, den Zeichen der Zeit folgend, nicht davor zurückschreckten, auf die Gerichte durch die Einschaltung von ParteisteIlen Druck auszuüben. Diese Entwicklung dürfte sich seit dem Jahre 1942 noch verstärkt haben, als der Niedergang der Rechtspflege immer rascher voranschritt und die Autorität der Gerichte zusehends sank. So wandte sich der Heidelberger Rechtsanwalt Ludwig in einem Schuldenbereinigungsverfahren,in dem die Anhörung der Gläubiger zwingend vorgeschrieben war, an die Parteikanzlei, nachdem sich das Amtsgericht Schwetzingen - bestätigt auf Beschwerde vom Landgericht Mannheim - geweigert hatte,
134 Reinle stellte etwa 1944 von Anwälten, die als Richter oder Staatsanwälte eingesetzt waren, fest, "daß Rechtsanwälte, die ihre Praxis beibehalten haben, meistens mehr an sie als an den staatlichen Dienst denken. Sie stellen naturgemäß auch Vergleiche zwischen ihren Einnahmen aus der Anwaltspraxis und den BezUgen aus der Staatskasse an, die nicht immer zu Gunsten der letzteren ausfallen." Schreiben an den RJM vom 5.6.44 (GLA 240/19'i57/53/388).
135 Meldung des Oberlandesgerichts an den Präsidenten der Reichsrechtsanwaltskammer vom 12.5.43 und Bericht des Landgerichtspräsidenten aus Heidelberg Uber Rechtsanwalt Neckermann, Eppingen, vom 20.5.43 (GLA 240/19'i57/ 53/ 390).
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Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
eine Abwesenheitspflegschaftfür die ausländischen Gläubiger anzuordnen. 136 Er teilte mit, daß sein Antrag "bis heute nicht zu Gunsten des deutschen Schuldners gegenüber den ausländischen und jüdischen Gläubigem entschieden" sei. Die Parteikanzlei schaltete dann auch prompt das Reichsjustizministerium ein, das dem Amtsgericht Schwetzingen über das Oberlandesgericht die Rechtsauffassung des Reichsjustizministeriums kundtat. 137 Das Amtsgericht Schwetzingen meldete dann alsbald: 13 ! "Das Schuldenbereinigungsverfahren rur den GUteraufseher Ludwig R. nimmt nach den Weisungen des Herrn Reichsjustizministers seinen Fortgang. Es ist deshalb anliegender Beschluß ergangen...
Der Brettener Anwalt Schmidt legte in einem Mietrechtsstreiteinen Schriftsatz vor, in dem es hieß: 139 "Die Gegenseite hält sich darUber auf, daß das Verhalten des Beklagten wegen seiner Einstellung gegenUber einer kinderreichen Familie als asozial bezeichnet wird. Ein derartiger Standpunkt wäre im liberalistischen Zeitalter verständlich gewesen; im dritten Reich gilt aber die nationalsozialistische Weltanschauung. Der FUhrer sagt Uber die Betreuung der Kinderreichen in ,Mein Kampf' folgendes: ,Der völkische Staat hat mit jener faulen, ja verbrecherischen GleichgUltigkeit, mit der man heute die sozialen Voraussetzungen einer kinderreichen Familie behandelt, auszuräumen und muß sich an Stelle dessen als oberster Schirmherr dieses köstlichen Segens eines Volkes fOhlen ...•
Obwohl in den Sammelakten des Oberlandesgerichts keine Schriftsätze der Anwälte enthalten sind, wird man sicher annehmen können, daß eine Vielzahl von Anwälten bewußt justizfremde Einflüsse nutzte, um für die eigene Mandantschaft etwas zu erreichen. Wie groß der Teil der Anwälte war, der sich ernsthaft mit dem Nationalsozialismus eingelassen hatte, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Den Anwälten wird auch nicht entgangen sein, daß tatsächlicheoder vermeintliche politische Unzuverlässigkeit den Entzug der so wichtigen Armenrechtsmandate und Pflichtverteidigungen zur Folge hatte. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von diesen Mandaten machten die Drohung mi t dem Ausschluß von der Vergabe zu einem effektiven Lenkungsmittel. 136
Schreiben vom 7.5.42 (GLA 240/1987/53/449).
137
Schreiben vom 17.7.42 (GLA 240/1987/53/449).
138 Siehe Schreiben des AG Schwetzingen an das OLG vom 22.7.42 (GLA 240/ 1987/53/449). 139 Die Schriftsätze sind in einer Entnazifizierungsakte enthalten, Zitat aus dem Schriftsatz vom 3.5.40 (GLA465 k/1481).
F.Vom Anwalt zum "Fürsprech"
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F. Vom Anwalt zum "Fürsprech" Wenn auch die offiziellen Verlautbarungen der Anwaltskammer Linientreue signalisierten und die oben zitierten FundsteIlen darauf hindeuten, daß Anwälte am Niedergang der Justiz im Dritten Reich ebenfalls ihren Anteil hatten, so mußte gerade die Anwaltschaft in einen unausweichlichen Konflikt mit der Staatsführung geraten. Es fällt auch heute noch schwer, nationalsozialistische Weltanschauung genau zu definieren!40 Gleichwohl duldeten weder Partei noch Staatsführung Ansichten, die zur offiziell propagierten Linie tatsächlich oder vermeintlich in Widerspruch standen. Immer wieder wurde der Vorrang der Allgemeininteressen vor denen des einzelnen beschworen. Ein Rechtsstreit dient der Lösung von Interessenskonflikten. In einem Staat, der offiziell nur ein Interesse anerkennt, muß es bereits Schwierigkeiten machen die Existenz von Interessenskonflikten und noch mehr die Zwangsläufigkeit solcher Konflikte anzuerkennen. Gerade der Anwalt ist aber in einem Rechtsstreit notwendig auf eine subjektive Sicht der Dinge beschränkt und hat Partikularinteressen zu vertreten. Der Konflikt mit der Staatsführung war damit vorprogrammiert. 141 Es wurde oben bereits geschildert, daß es einem Anwalt bereits im Jahre 1933 keineswegs mehr freigestellt war, was er zur Verteidigung seines Mandanten anführte und wie er die Interessen seines Mandanten in einem Zivilverfahren vertrat. Die im Jahre 1933 ergangenen Hinweise des Karlsruher Kammervorstandes Brombacher, in denen die Anwaltschaft auf ihre veränderten Aufgaben im neuen Staat hingewiesen wurde, zeigen ebenfalls, daß man sich schon sehr früh der Schwierigkeit anwaltlicher Tätigkeit im nationalsozialistischen Staat bewußt war!42 Das eigentliche Konfliktfeld aber war das Strafverfahren. 143 Schon 1938, als Heinrich Himmler, der Chef der Deutschen Polizei, in Erwägung gezogen hatte, Anwälte zur Verteidigung von Schutzhäftlingen zuzulassen, wandte sich
140 Siehe Anderbrügge, S. 19; Majer, Rechtssystem, S. 33; dies., Fremdvölkische, S. 35f.
141 Zu diesen Schwierigkeiten gerade der Anwaltschaft auch Schütz, S. 130 - 132. 142 Zu den im Schrifttum nach 1933 vertretenen Ansichten über die Aufgaben des Strafverteidigers siehe König, S. 161 - 166. 143 Zu dem gerade auf diesem Gebiet ausgeübten Druck König, S. 73 - 85.
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Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
Schlegelberger vertraulich an die Oberlandesgerichtspräsidenten144 und teilte mit, daß eine Vertretung von Schutzhäftlingen ein ganz besonderes Maß an Eignung und Zuverlässigkeit etfordere. "In Betracht kommen nur Rechtsanwälte, deren Haltung keinen Zweifel darUber aufkommen läßt, daß sie mit den politischen Bestrebungen des Staates und den weltanschaulichen Zielen der Bewegung voll übereinstimmen."
Durch die Auswahl sollte sichergestellt werden, daß die Anwälte die Interessen des Mandanten nur im Rahmen der übergeordneten Staats ziele vertreten würden. Als sich in der zweiten Kriegshälfte die Lage des Regimes immer schwieriger gestaltete, wurde auch der Raum, in dem die Vertretung von Einzelinteressen etfolgen konnte, immer enger. 143 Es ergingen ernste Mahnungen aus Berlin an die Anwaltschaft. Dabei wurde nicht nur das Fehlverhalten der Anwaltschaft angeprangert, es wurde auch unverhohlen mit der Vernichtung des Standes gedroht. In einem Schreiben Schlegelbergers aus dem Jahre 1942 heißt es: 146 "Zu meinem Bedauern habe ich feststellen müssen, daß in den letzten Jahren nicht wenige Rechtsanwälte schwere Verfehlungen begangen haben, die zum Teil wichtige staatliche Belange gefährden, in Einzelfällen sogar auf die Zersetzung der Wehrkraft gerichtet sind.(... ) Auch im übrigen läßt die Haltung eines Teiles der Anwaltschaft die nötige Festigkeit vermissen. Strafverteidiger verdrehen den Tatbestand und stellen mit unvertretbaren RechtsausfUhrungen Anträge, die eines nationalsozialistischen Rechtswahrers nicht würdig sind. Hierdurch verleiten sie besonders in kriegsbedingten Strafsachen rechtsunkundige Volksgenossen zu unbegründeter Kritik an strengen Strafurteilen, die entsprechend dem Ziele der Staatsführung völkische Notwendigkeiten verwirklicht haben. In bürgerlichen Streitsachen liegt es ähnlich. Führung im Gebühreninteresse von Prozessen, die nur der Rechthaberei dienen, Beschönigungen und Zurechtbiegen der Thtsachen in der Weise, die erst den Schein der Vertretbarkeit der Parteiinteressen geben, sind nichts Seltenes.( ... ) Dazu kommt bei manchem die Bevorzugung blasser Konstruktionen vor den Geboten der Volksgemeinschaft, Lebensnotwen digkeiten und menschlichen Rücksichten, insbesondere auf Kriegsteilnehmer und Hilfsbedürftige. Leider unterliegen diesen Gefahren besonders ältere Anwälte, die infolge der Abnahme ihrer Kräfte zur ordnungsgemäßen Ausübung ihres Berufes nicht
144
Erlaß vom 31.1.38 (GLA 240/19f:f7/53/7Z7).
143 Zu dem Konflikt zwischen Anwaltschaft und RJM während des Krieges eingehendKönig, S. 198 - 225; eine Schilderung des Alltags findet sich bei GUstrow; kritisch hierzu freilich Rottleuthner. KJ 88, S. 81 - 91 und KJ 91, S. 76 - 83. 146 Schreiben Schlegelbergers an den Präsidenten der Reichsrechtsanwaltskammer vom 10.7.42 (GLA 240/19f:f7/53/388). Hierzu auch König, S. 215.
F. Vom Anwalt zum "Fürsprech"
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mehr imstande sind und sich nationalsozialistisches Gedankengut nicht zu eigen 1IBchen können. Diese Hai tung eines Teils der Rechtsanwaltschaft gefährdet den Bestand des Standes. Darin ist eine grUndliche Wandlung nötig."
Gefordert werden sodann: Strengere Strafen der Ehrengerichte "ohne falsche kollegiale Rücksichtnahme". dauernde Belehrung der Anwaltschaft. lUD die Haltung aller Teile der Anwaltschaft auf die Ziele der Staatsführung auszurichten. Ausschluß der Anwälte die zu schwach seien. ihre Berufsausübung nach den Zielen der Staatsführung auszurichten. 147 Die Ermahnungen fruchtetennicht. Bereits im Januar 1943 wurde ein neuerlicher Erlaß des Reichsjustizministers verbreitet. 148 Dieser richtete sich an die Justizbehörden. da nunmehr auch die Richter in die Pflicht genommen werden sollten. wenn es darum ging. ungebührliche Äußerungen in Gerichtsverhandlungen zu unterbinden. "Insbesondere in der Strafrechtspllege tritt in besorgniserregendem Umfang das durch keine Rücksichtnahme auf die Interessen des Volks ganzen gehemmte und häufig der eigenen Überzeugung nicht entsprechende Bestreben gewisser Anwälte hervor, ihren Auftraggebern unter allen Umständen wenn nicht zu einem Freispruch, so doch zu einer milden Strafe zu verhelfen, auch wenn dies dem Verschulden des Angeklagten und den Folgen der Tat in keiner Weise entspricht. Anstalt als Organ der Rechtspflege an der Wahrheitsermittlung und Urteilsfindung verantwortungsbewußt mitzuwirken, beziehen diese Verteidiger die Stellung eines Gehilfen des Rechtsbrechers. Fast immer sind in Fällen dieser Art die Angeklagten entweder Staatsfeinde oder Volksschädlinge (... ). Bei dem Interesse, dem derartige Straf- und sonstige Prozeßverfahren in der Volksgemeinschaft begegnen, bleibt es nicht aus, daß auch die weltanschaulich-politischen Verstöße der Rechtsanwälte weiteren Kreisen bekannt werden und erheblichen Unwillen erregen. (... ) Darlegungen von Prozeßbeteiligten, die gegen oberste Grundsätze der nationalsozialistischen Weltanschauung verstoßen, stellen eine Störung der Ordnung der Sitzung dar. Die Aufrechterhaltung dieser Ordnung obliegt nach § 176GVG dem Vorsitzenden. Er ist hiernach auch gegenüber Rechtsanwälten nicht nur zur Ermahnung und Rüge, sondern auch zur Unterbrechung und Untersagung ungebührlicher Ausführungen befugt und kann die Sitzung unterbrechen. " 147 Dieses an den Präsidenten der Reichsrechtsanwaltskammer gerichtete Schreiben wurde mit gleichem Datum den lustizbehörden bekannt gemacht, verbunden mit der Aufforderung, politisch verdächtige Anwälte zu melden, da ihnen die Ausübung des Berufes auf Zeit oder dauerhaft untersagt werden konnte. Die Generalstaatsanwälte wurden ersucht, in den ehrengerichtlichen Verfahren strengere Strafen zu beantragen. Aus dem Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe wurden drei Fälle an das Reichsjustizministerium gemeldet. 148 Erlaß des RJM an die lustizbehörden vom 19.1.43 (GLA 240/1987/53/388).
19 Schiller
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Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
Weiter wurden die Vorsitzenden aufgefordert, Fehlverhalten von Anwälten dem Generalstaatsanwalt zu melden und dafür Sorge zu tragen, daß Anwälte ausgeschlossen würden, wenn sie eine mit den Zielen der Staatsführung unvereinbare Grundauffasssung an den Tag legten. Diesem Runderlaß an die Justizbehörden vom Januar 1943 folgte dann schon bald die Ankündigung der Rechtsanwaltsbriefe,die Reichsjustizminister Thierack in den Mitteilungen der Reichs-Rechtsanwaltskammer veröffentlichen ließ. 149 In dieser Ankündigung beschreibt Thierack sehr treffend die Konfliktsituation des Anwalts im nationalsozialistischen "Rechtssystem". Zwar seien Richter, Staatsanwalt und Rechtsanwalt gemeinsam "Diener am Recht", gerade die Einordnung der Rechtsanwälte in die Gemeinschaft der Rechtswahrer aber sei leichter ausgesprochen als verwirklicht. "Der Grund liegt in der schwierigen DoppelsteIlung des Anwaltsberufes - Richter und Staatsanwalt dienen dem Recht und dem Staat, der Rechtsanwal t dient dem Recht und dem rechtsuchenden oder rechtempfangenden Volksgenossen. Dies fUhrt den Rechtsanwalt im Gegensatz zum Richter und Staatsanwalt von vornherein in eine doppelte Abhängigkeit, in der er vor dem Recht und seinem Gewissen eine klare Entscheidung treffen muß. \\enn von einer Krise der Rechtsanwaltschaft gesprochen werden muß, so ist ihre Ursache darin zu suchen, daß diese oft schwierige Unterscheidung zwischen dem, was das Recht fordert und die Volksgemeinschaft verlangt auf der einen Seite und was der Volksgenosse auf der anderen Seite wUnscht, von der Rechtsanwaltschaft nicht mehr richtig getroffen wurde. So selbstverständlich es heute ist, daß bei der Entscheidung der Frage zwischen Dienst am Recht und der Vertretung eines Wunsches eines Volksgenossen der Dienst am Recht vorgeht, so schwierig ist es oft im Einzelfall, diesen Grundsatz in der prakti sehen Alltagsarbeit zu verwirklichen. Er muß aber verwirklicht werden. Denn Stellung und Bestand der Rechtsanwaltschaft hängen von der richtigen Lösung der Frage ab."
Der dann am 1. Oktober 1944 noch erschienene Anwaltsbrief, der der einzige blieb, umfaßte ein von Thierack verfaßtes Vorwort sowie, ähnlich wie die Richterhriefe,14 mit einem Kommentar des Reichsjustizministeriums versehe-
149
Hierzu Erlaß des RlM vom 11.3.43 (GLA 240/1987/53/388).
F. Vom Anwalt zum "FUrsprech"
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ne Beispielsfälle.·'o Wie schon in den vorangegangenen an die Anwaltschaft gerichteten Schreiben deutlich wurde, waren es vor allem die Schlußvorträge in den Strafverfahren, die zu Beanstandungen Anlaß gaben. Aber auch Äußerungen in Verteidigerschriftsätzen oder Anträge wurden gerügt, die belegten, daß es die Verteidiger oftmals an "verständnisvoller Zusammenarbeit" mit Staatsanwaltschaft und Gericht fehlen ließen. Um nicht nur zu forschen Einsatz für die Angeklagten anzuprangern, behandein die Fälle 12 und 13 die unzulässige Ausforschung der Gegenpartei und beleidigende Äußerungen in Privatklageverfahren. Der 14. Fall rügt gar, daß die Verteidiger durch allzu kurze Schlußvorträge ein Bild mangelnden Einsatzes für die Angeklagten hinterlassen hätten. Gleichzeitig könne dadurch aber auch der Eindruck entstehen, eine Verteidigung sei überhaupt nicht erforderlich gewesen. Der Konflikt zwischen den Aufgaben des Anwalts im gerichtlichen Verfahren als Vertreter von Partikularinteressen und einer Staatsführung, die wie auch immer zu defmierende Interessen der Volksgesamtheit verabsolutierte, war unauflöslich. Unter der Führung Thieracks war die Justiz ihrer letzten Reste von Eigenständigkeit beraubt worden. Über Vor- und Nachschauen wurde versucht,jedwede Konflikte mit der Partei und Staatsführung zu vermeiden. Der Oberlandesgerichtspräsidentlenkte politisch brisante Verfahren und bestimmte vorab das Ergebnis. Auch was die Äußerungen von Anwälten, insbesondere in der ja öffentlichen mündlichen Verhandlung, anging, sollte nun nichts mehr dem Zufall überlassen werden. Die Anwälte sollten wie die Richter auch an der zur Farce verkommenen nationalsozialistischen "Rechts"-Pflege mitwirken, die keine eigentliche Gerichtsverhandlung mehr kannte, die sich vielmehr mit der Darstellung einer Gerichtsverhandlung begnügte. Die an die Anwaltschaft gerichteten Verfügungen dienten dazu, den Darstellern ihre Rolle bewußt zu machen. Der Anwalt sollte nicht mehr Vertreter der Interessen des Mandanten sein, sondern er sollte darauf beschränkt werden, im Rahmen der Interessen des "Volksganzen" seinem Mandanten zur Seite zu stehen. In der oben zitierten Ankündigung der Anwaltsbriefe bezeichnet Thierack den Anwalt denn auch nicht als Prozeßvertreter, sondern als "Fürsprech".
•'0
Abdruckdes Anwaltsbriefs bei den Akten des Gerichts (GLA 240/1987/ 53/308), abgedruckt auch bei Boberach, S. 400ff.; zu den Anwaltsbriefen auch König, S. 235f. und 242f.; siehe auch StaJ/. S. 124 - 146.
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Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
G. Reinhold Frank Es wurde oben festgestellt. daß keinerlei Widerstand der Badischen Anwaltskammer gegen die neue politische Führung nachweisbar ist. Im Gegenteil: die öffentlichen Verlautbarungen stellten sich sehr schnell um, und der Vorstand zeigte das Bemühen. die Anwälte in eine neue. nunmehr eingeengte Rolle zu verweisen. Auch einzelne Anwälte waren - zumindest nach Quellenlage - nur ausnahmsweise bereit. in offenen Konflikt mit dem Ministerium oder Parteiinstitutionen zu treten. wie dies etwa bei Dr. v. Campenhausen der Fall war. Die badische Anwaltschaft hatte allerdings in dem am Oberlandesgericht zugelas senen Rechtsanwalt Reinhold Frank auch ein Mitglied aufzuweisen. das in die Widerstandsbewegung einbezogen war. die das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 verübte. 1SI Frank wurde am 23. Juli 1896 in Bachhaupten geboren. sein Vater war Landwirt. Er besuchte das Gymnasialkonvikt in Sigmaringen. wo er eine streng katholische Erziehung genoß. Nach Teilnahme am ersten Weltkrieg. in dem er schwer verwundet worden war. studierte er in Freiburg. Er fand Aufnahme als Sozius in die Kanzlei des angesehenen. ebenfalls am Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalts Franz Xaver Honold. den Frank vermutlich von seiner Mitgliedschaft in der katholischen Studentenverbindung Arminia her kannte. 152 Frank war nicht nur beratend und forensisch im Zivilrecht tätig. er verteidigte auch politische Angeklagte. 1S3 1933 war Frank für das Zentrum kommunalpolitisch aktiv. Diese Tätigkeit setzte er nach der Auflösung des Zentrums im Juli 1933 noch bis zum Frühjahr 1934 im Rahmen eines den ehemaligen Zentrumsmitgliedem im Bürgerausschuß zugestandenen Sonderstatus fort. Im März 1934 zog er sich aus der Kommunalpolitik zurück. nachdem das Badische Gesetz über die vorläufige Aufhebung der Bürgerausschüsse und Gemeindeversammlungen vom 6. März 1934 erlassen worden war. Die so hergestellten Kontakte zu den politisch Gleichgesinnten rissen aber auch in der
ISI Zu Reinhold Frank und seinen Beitrag zur Widerstandsbewegung siehe Kißener in LiLUKißener , S. 19 - 59. I S2
Zum Lebenslauf Franks, Kißener, S. 2lf.
I S3
Kißener, S. 33 ff.
G. Reinhold Frank
293
Folge nicht ab und die Kanzlei FranklHonold schien sich zu einem Zentrum dieser Gleichgesinnten zu entwickeln. I S4 Wie der Kreis um Rechtsanwalt Frank letztlich Kontakt zu der Widerstandsgruppe um earl Goerdeler fand. ist unklar. Goerdeler hatte Frank für den Fall des Erfolges des Umsturzes zunächst als politischen Beauftragten für Baden vorgesehen. nachdem aber die am Widerstand beteiligten Militärs auf einer gemeinsamen Verwaltung für Württemberg und Baden bestanden. sollte Frank ..Unterbeauftrager" für Baden werden. lss Frank. der vermutlich auch in die näheren Pläne des Attentas eingeweiht war,'S6 verteidigte noch am Morgen des 20. Juli 1944 eine elsässische Schauspielerin vordem Volksgerichtshof in Berlin. Dabei war es im Anschluß an die Sitzung zu einer ernsten Auseinandersetzung zwischen Reinhold Frank und Freisler gekommen. Die Angeklagte. die statt der erwarteten Todesstrafe zu einer Zuchthausstrafe von 7 Jahren verurteilt worden war. hatte sich bei Frank freudig bedankt und gesagt. diese Strafe werde sie wohl nur kurze Zeit verbüßen müssen. Das hatte Freisler gehört und machte Frank für die Äußerung verantwortlich. 1S7 Auf dem Heimweg von Berlin erfuhr Frank vom Fehlschlag des Attentas. glaubte aber zunächst nicht an eine Gefahr für sich selbst. da er davon überzeugt war. daß keine schriftlichen Unterlagen über Goerdelers Pläne existierten. Zum Verhängnis wurde ihm jedoch. daß sein Name in Berlin auf einer Liste politischer Beauftragter gefunden wurde. lss Noch in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli wurde Reinhold Frank verhaftet. Am 12. Januar 1945 wurde er vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz Freislers zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 23. Januar 1945 vollstreckt. wenige Wochen vor Fnde der Nazidiktatur. 1S9
IS4 KijJener, S. 33. m KijJener, S. 37f.
S6 KijJener, S. 51. IS7 KijJener, S. 52.
I
1S8
KijJener, S. 52.
IS9 ZU Frank auch Artikel in der "Rhein-Neckar-Zeitung" vom 24.1.95, S. 13.
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Kap. 8: Die badische Anwaltschaft im Dritten Reich
H. Schluß Inwieweit die Anwaltschaft Badens sich an die ihr zugewiesene Rolle als "Fürsprech" hielt, kann nicht mehr festgestellt werden. Es fällt überhaupt recht schwe~ das Verhalten der Anwaltschaft umfassend zu würdigen. Echter Widerstand ist, sieht man von Reinhold Frank ab, nicht nachweisbar und wurde auch sicher nicht geleistet. 160 Auch das Verhalten des Heidelberger Anwalts v. Campenhausen, der einen offenen Konflikt mit der Justizverwaltung nicht scheute, stellt eine Ausnahmeerscheinung dar. Andererseits ist auch ungewiß, inwieweit die vollmundigen Jahresberichte des Kammervorstandes auf Akzeptanz stießen. Ebensowenig läßt sich feststellen, ob das kollusive Zusammenwirken von Justizverwaltung, Kammervorstand und Oberlandesgerichtspräsidium, als es darum ging, die jüdischen Kollegen von den Armenrechtsmandanten auszuschließen, auf Zustimmung oder auf Ablehnung der Mehrzahl der Anwälte stieß. Schwierig war die Lage der meisten Anwälte allemal. Die Einkommen waren gering, und so konnte die Justizverwaltung über das Druckmittel der Vergabe von Armenrechtsmandaten das Verhalten der Anwälte in sehr wirkungsvoller Weise beeinflussen. Die freie Advokatur war zwar unangetastet geblieben, dennoch war die Mehrzahl der Anwälte wirtschaftlich vom Wohlwollen der Justizverwaltung abhängig. Man darf sicher unterstellen, daß ein Großteil der Anwälte, was ihr Engagement in Strafverfahren anging, resigniert hatte. 161 Sogar der Anwaltsbrief spriche 62 - fast verständnisvoll- davon, daß Anwälte oftmals die Übernahme von Verteidigungen ablehnten, da nach ihrer Ansicht "angesichts der engen Zusammenarbeit von Richtern und Staatsanwälten (... ) manchmal der Eindruck entstehen könne, das Urteil sei schon vor der Hauptverhandlung gesprochen." Andererseits mußte das Reichsjustizministerium in den Jahren 1943 und 1944 mehrfache Versuche unternehmen, allzu forsches Auftreten von Anwälten in Gerichtsverhandlungen zu unterbinden und es mußte die Anwaltschaft sogar mit der Auflösung des Standes bedrohen. Hieraus kann geschlossen werden, daß zumindest ein Teil der Anwälte ihre Aufgabe nicht nur in der zivil-
160 161 162
Genauso König. S. 255. So auch König. S. 229 - 232. Anwaltsbrief, S. 7.
H. Schluß
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rechtlichen Vertretung, sondern auch als Verteidiger durchaus ernst nahm, obwohl die oftmals aussichtslose Stellung der Angeklagten in dieser Phase der Nazidiktatur offensichtlich war.
Kapitel 9
Personal und Personalpolitik A. Quellenlage Personalakten sind von den Richtern des Oberlandesgerichts nur im Bundesarchiv vorhanden, jedoch nicht durchgängig. Die vom Oberlandesgericht geführten Personalakten der im Gerichtsbezirk beschäftigten Richter wurden im Herbst des Jahres 1944 vollständig vernichtet. Die Angaben zu den Personen und ihren beruflichen Werdegängen lassen sich aber zum Großteil aus Entnazifizierungsakten rekonstruieren und aus politischen Beurteilungen der NSDAP Badens, insbesondere des Amts für Beamte. Auch wenn somit sicher keine Aussagen über die Zusammensetzung der gesamten badischen Richterschaft gemacht werden können, so lassen sich doch für die am Oberlandesgericht beschäftigten Richter einige Feststellungen treffen, selbst wenn hier auch nicht über jeden Richter Angaben zu erlangen waren. Gleiches gilt für die Personalpolitik, wobei aber auch hier nur Akten der am Oberlandesgericht beschäftigten Richter durchgesehen wurden.
B. Richterliches Personal und Personalpolitik Im folgenden sollen die führenden Richter des Gerichts kurz vorgestellt und es soll ein Überblick über die Personalpolitik gegeben werden, soweit die Zusammenhänge rekonstruierbar sind. Auf die Entlassung der Richter jüdischer Konfession wurde bereits in Kapitel 2 und 3 eingegangen, so daß hierauf verwiesen werden kann.
Die richterliche Abteilung des Oberlandesgerichts umfaßte vor der nationalsozialistischen "Machtübernahme" vier Zivilsenate, von denen einer, nämlich der dritte Senat, auch die Revisionen im Strafrecht bearbeitete und später die erstinstanzlichen Verhandlungen in Hoch- und Landesverratssachen. Nach 1934 konnte dieser Senat wegen der sprunghaft angestiegenen Anklagen in Hochverratssachen keine Zivilsachen mehr übernehmen und mußte auch per-
B. Richterliches Personal und Personalpolitik
!Dnell verstärkt werden, so daß zeitweise zwei Strafsenate bestanden. Mit der Übertragung der Kompetenz auf S tuttgart wurden diese Senate aufgelös t. 1939 kam ein vierter Zivilsenat hinzu, ab 1941 waren es dann aber wieder nur drei Senate. Im Strafrecht fand seit Kriegsausbruch keine Urteilstätigkeit mehr statt, da Revisionen gegen erstinstanzliche Amtsgerichts- und zweitinstanzliche Landgerichtsentscheidungen nicht mehr statthaft waren. Ob noch über Beschwerden entschieden wurde, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Vorsitzender des ersten Senates war Emil Winter. Dieser hatte im Jahre 1933 die Nachfolge des entlassenen Senatspräsidentenjüdischer Konfession Dr. Otto Levis angetreten. Bei dieser Berufung hatten politische Gesichtspunkte sicher keine Rolle gespielt. Der erste Senat hatte auch die Beschwerden auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu bearbeiten. Emil Winter hatte auf diesem Gebiet umfangreiche Spezialkenntnisse, wohl nicht zuletzt deshalb, weil er bereits in den Jahren von 1926 bis 1929 als Richter am Oberlandesgericht im Senat von Dr. Levis als Richter tätig gewesen war. Zudem hatte Emil Wmter, 1872 als Sohn eines Bezirksarztes geboren, gute Examina vorzuweisen und auch bereits in Kaiser- und Weimarer Zeit Karriere gemacht. Am ersten Weltkrieg hatte er nicht teilgenommen. Bis 1918 war er Mitglied der nationalliberalen Partei, danach bis zu deren Auflösung im Jahre 1933 Mitglied der Demokratischen Partei (später Deutsche Staatspartei).l Winter blieb Vorsitzenderdes ersten Senates bis zu seiner Zurruhesetzungam 9. Juni 1944 zum 1. Oktober 1944, die wegen eines Augenleidens erfolgte. Der NSDAP trat Wmter nie bei, er war lediglich Mitglied im BNSDJ und im NSV. Ersteres war sicher Folge der Auflösung des Richterbundes. Die dienstlichen Beurteilungen Wmters attestieren ihm ausgezeichnete fachliche Fähigkeiten. Buzengeiger äußerte sich zur politischen Beurteilung dahin, daß er "seiner stillen Art gemäß" mitgehe, was man getrost mit politischem Desinteresse gleichsetzen darf. Reinle geht hierauf in einer schon während des Krieges abgegebenen Beurteilung gar nicht mehr ein, sondern würdigt nur die fachlichen Fähigkeiten Winters, auf die man in der kriegsbedingten Personalnot ohnehin nicht verzichten konnte. 2
1
Die Angaben zu Emil Winterentstammen seiner Personalakte (BA R 22-Emil Win-
ter). 2 Beurteilung Buzengeigers für das Jahr 1937 und Reinles fUr das Jahr 1943, beide Personalakte (BA ibid.).
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Kap. 9: Personal und Personalpolitik
Vorsitzender des zweiten Senates war bis zum Jahre 1937 Peter Hottinger, über den nur wenig in Erfahrung gebracht werden konnte. Er war 1871 geboren, sein Vater war Straßenmeister. Er war bereits 1930 zum Senatspräsidenten ernannt worden, nachdem er in den Jahren 1921 bis 19290berlandesgerichtsrat in Karlsruhe gewesen war? Über politische Betätigung oder die Beurteilung der politischen Zuverlässigkeit liegt kein Material vor. Dem dritten Senat saß von 1932 bis zumjahre 1938 Dr. Richard Fngelhardt vor. Engelhardt gehörte der gleichen Generation von Juristen an wie Buzengeiger und die Vorsitzenden der beiden anderen Senate. Er war 1873 geboren, hatte sich in der Weimarer Zeit zeitweise für die Demokratische Partei eingesetzt und war bis 1924 Mitglied der nationalliberalen Partei. 4 Politisch wurde Engelhardtals unzuverlässig eingestuft. Er galt bei der NSDAP als Demokrat. s Als Richter verfüge er zwar über umfangreiches Wissen, sei aber der "Typ des Paragraphenjuristen", der nicht mehr fähig sei, "sich umzustellen auf die neuen Grundsätze einer nationalsozialistischen Rechtsprechung." "Im Ganzen ist die Persönlichkeit des E. aus politischen, weltanschaulichen und auch fachlichen Gesichtspunkten als unerwünscht zu bezeichnen, er wird demnächst alters haI ber ausscheiden."
Den Vorsitz im dritten Senat führte Buzengeigerselbst. Mit der "Verreichlichung der Justiz" im Jahre 1935 übte Buzengeiger keine richterliche Tätigkeit mehr aus. Senats vorsitzender wurde Josef Siefert, der im Jahre 1872 als Sohn eines Arbeiters geboren wurde und der seit 1933 der NSDAP angehörte. Siefert war zuvor beim badischen Justizministerium beschäftigt und erst im Jahre 1935 ans Oberlandesgericht versetzt worden, 1937 trat er in den Ruhestand. Bei Engelhardt und Winter hatte, genau wie bei Buzengeiger, der Nichtbeitritt zur NSDAP keine Konsequenzen gehabt. Wegen früherer parteipolitischer Betätigung wurde nur ein Richter, Oberlandesgerichtsrat Kullmann, aus dem Dienst entfernt.
3 Personalakten nicht vorhanden. Die Angaben entstammen der Personal karte (BA R 22-Peter Hottinger). 4 Die Angaben zu Dr. Engelhardt entstammen mehreren politischen Beurteilungen aus den Jahren 1937 und 1938 (GLA 465c/877).
S
Siehe etwa Beurteilung des Gaurechtsamtes vom 5. 5.37 (GLA 465c/877).
B. Richterliches Personal und Personalpolitik
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In den Jahren zwischen 1933 und Kriegsbeginn waren nun umfangreiche Personalentscheidungenzu bewältigen.6 Einmal galt es die Nachfolger für die entlassenen jüdischen Richter zu finden, zum anderen schieden eine ganze Reihe von Oberlandesgerichtsräten altersbedingt aus. Schließlich wurden in der richterlichen Abteilung die Stellen der Senatsvorsitzenden Hottinger und Dr. Engelhardt vakant. Die Stelle des Senatspräsidenten Siefert wurde dagegen auf das Oberlandesgericht Stuttgart übertragen.' Da Reinle die Nachfolge Buzengeigers antrat, mußte auch ein neuer Vizepräsident ernannt werden. Wie bei der Beförderung am Oberlandesgericht die Entscheidungsfmdung vonstatten ging, läßt sich vielleicht am besten an der Beförderung des Landgerichtsrats Dr. Emil Schott zum Oberlandesgerichtsrat nachvollziehen.! Mit Schreiben vom 10. Februar 1936 fragte das Oberlandesgericht beim Amt für Beamte der Gauleitung der NSDAP Badens an, ob gegen die Beförderung Bedenken bestünden. In dem Antwortschreiben stellte die Gauleitung fest, daß Dr. Schott förderndes Mitglied der SS sei, politisch aber wenig in &scheinung trete. Im Jahre 1937 wurde dann dem Reichsjustizministerium von den fachli ehen Leistungen Schotts berichtet, die politische Zuverlässigkeit als gegeben bescheinigt und Dr. Schott zur Beförderung vorgeschlagen. Das Reichsjustizministerium schlug nun dem Stab des Stellvertreters des Führers in München Dr. Schott zur Beförderung vor. Dort schien man aber von der politischen Zuverlässigkeit Dr. Schotts noch nicht hinlänglich überzeugt zu sein, denn man wandte sich nochmals an das Reichsjustizministerium und bat um Bericht, inwieweit sich Dr. Schott bisher innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung aktiv betätigt habe. 9 Die Anfrage wurde dem Oberlandesgericht weitergeleitet,
6 Insgesamt wurden etwa 17 Richter zwischen 1933 und 1939 an das Oberlandesgericht versetzt oder am Oberlandesgericht befördert. Genaue Angaben hierzu sind nicht möglich, da die Personalakten nicht durchgängig vorhanden sind und einige Kräfte nur als Planstellen in Karlsruhe geführt wurden, ohne dort je tätig gewesen zu sein. Von den 21 Richtern, die 1933 am Oberlandesgericht tätig waren, befanden sich 6im Jahre 1945 noch am Gericht. Zählt man Buzengeiger hinzu, so waren es 7. , Siehe Verzeichnis der Besetzung der Planstellen (GLA 240/1987/53/235). 8 Die Vorgänge sind in der Personalakte von Dr. Schott enthalten (BA R 22-Dr. Emil Schott). Zum Beförderungswesen und den Kompetenzen von Partei und RJM siehe auch Angermund, S. 8lff.; für das OLG Celle Hamann, S. 200 - 213. 9 Siehe Antwortschreiben des Stellvertreters des Führers vom 11.10.37 (BA R 22Dr. Emil Schott). Die Beteilung des Stellvertreters des Führers beruhte auf einem Erlaß
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Kap. 9: Personal und Personalpolitik
das nun seinerseits Dr. Schott zur Stellungnahme aufforderte. Dr. Schott berichtete daraufhin von seinen Verdiensten um die nationalsozialistische Bewegung, die im Einsammeln von Eintopfspenden und der Tätigkeit als Blockhelfer gipfelten. Die fehlende Mitgliedschaft in der NSDAP wurde, wie in derartigen Berichten zumeist, damit entschuldigt, daß man zwar schon vor 1933 der NSDAP nahegestanden, nach der Machtübernahme vor der Aufnahmesperre aber nicht sogleich die Aufnahme beantragt habe, um nicht den Anschein zu erwecken, man wolle sich lediglich den neuen Gegebenheiten anpassen. 1 0 Die Mitgliedschaft war aber beantragt und Dr. Schott wurde mit Wirkung vom 1. Mai 1937 Mitglied der NSDAP. Das Reichsjustizministerium gab diese FIklärung an die Parteizentrale in München weiter, die der Ernennung zustimmte. 1I Diesem Vorgang läßt sich entnehmen, daß einmal das Oberlandesgericht die Beförderung befürworten mußte, daß die Beförderung aber auch vom Placet der Parteidienststellen abhängig war. 12 Für die vom Oberlandesgericht unterbreiteten Vorschläge war die fachliche Qualifikation sicherlich ausschlaggebend. 13 Auch Reinle, obwohl überzeugter Nationalsozialist, war nicht daran interessiert, Richter zu befördern, die er für fachlich unqualifiziert hielt. Die für den Beförderungsvorschlag vom Oberlandesgerichtabzugebende Beurteilung mußte aber auch darüber Auskunft geben, ob der zu befördernde Beamte befähigt war, im Bereich der Rechtspflege als
Hitlers vom 24.9.35 (RGB!. I S. 1203). Nach einer AV des RJM vom 14.12.35 (DJ 35, S. 1656) war eine Stellungnahme der Gauleitung einzuholen. Siehe auch Krehl, S. 72f.; Schüt