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German Pages 312 Year 2022
Jörn Brunotte (Hg.) Das Museum in Zeiten der Pandemie
Edition Museum | Band 61
Meiner Mutter
Jörn Brunotte, geb. 1964, ist Kunsthistoriker, Museumsberater und Leiter des Brandenburgischen Textilmuseums in Forst (Lausitz). Darüber hinaus berät erseit über 20 Jahren kleinere und größere Museen deutschlandweit. Sein Spektrum reicht von der Erarbeitung wissenschaftlicher Konzepte und der Entwicklung von Sammlungskonzepten über die Planung von Onlineausstellungen bis zu PR und Marketing. Als Dozent lehrt er am Weiterbildungszentrum der Freien Universität Berlin, der Universität Marburg und der Bundesakademie Wolfenbüttel.
Jörn Brunotte (Hg.)
Das Museum in Zeiten der Pandemie Chancen für das kulturelle Leben der Zukunft
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: breakermaximus / iStock by Getty Images Korrektorat: Lana Bartusch und Rebecca Hohnhaus Druck: Esser bookSolutions GmbH, Göttingen Print-ISBN 978-3-8376-6133-0 PDF-ISBN 978-3-8394-6133-4 https://doi.org/10.14361/9783839461334 Buchreihen-ISSN: 2702-3990 Buchreihen-eISSN: 2702-9026 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload
Inhalt
Das Museum in Zeiten der Pandemie Jörn Brunotte ..................................................................... 11
Die erste Blogparade 2020 #closedoropen Sollen die Museen wieder öffnen? Oder nach der Krise ist vor der Krise Michael Grisko .................................................................... 27
Für eine schnelle Öffnung der Museen! Bernhard Weisser ................................................................. 29
Offen sein! Martin Otto-Hörbrand .............................................................. 31
In Krisen wie diesen… Bernd Herkner .................................................................... 35
Sollen die Museen (und andere Kultureinrichtungen) wieder öffnen? Wibke Ladwig .................................................................... 39
Im Moment sind wir der »Louvre« Benedikt Behm-Henkel und Johannes Lindenlaub .................................... 43
Fast nichts anders Johannes Reiss .................................................................. 49
Offen trotz Schließung Die wichtige Rolle der Kulturvermittlung in Zeiten von Corona Anke von Heyl..................................................................... 53
#closedoropen – doing the (im)possible Museumsbetrieb und Ausstellungseröffnung auf den Dornburger Schlössern Maria Porske ..................................................................... 59
Neue Herausforderungen, neue Wege Museen in der Corona-Krise Marlene Hofmann ................................................................. 63
Die konstruktive Kraft des Lockdowns Ein Gastbeitrag von Jasmin Mickein #closedoropen Jasmin Mickein ....................................................................71
#Closedoropen – Ein Beitrag zur Blogparade von :beramus Markus Speidel ................................................................... 75
Erst #Closedbutopen, dann offen, aber anders! #closedoropen Elke Schneider .................................................................... 79
Das Ende des Hörlöffels oder Museums(-Medien-)betrieb im Zeichen von Corona Ruth Rosenberger ................................................................. 87
Museen: Systemrelevant oder relevant? Johannes Waldschütz ............................................................. 91
Neustart in doppelter Hinsicht Petra Neumann ................................................................... 95
Kultur im Wohnzimmer Herausforderungen von Museen im ländlichen Raum Christopher Vila...................................................................101
Marta erwacht Vom Wert der Kultur in Pandemie-Zeiten Daniela Sistermanns ............................................................. 105
Museums in times of crisis An interview with Ingeborg Svennevig............................................... 111
Die zweite Blogparade 2021 #museumforfuture Zeit, sich zu verändern Martin Otto-Hörbrand .............................................................. 119
Shutdown – open up your mind Team Presse und Kommunikation des Museums Koenig ............................. 125
Rückblick auf zehn Monate Ausnahmezustand Ein Erfahrungsbericht aus dem Naturhistorischen Museum Mainz Bernd Herkner ....................................................................131
Aufbruch in schwierigen Zeiten Die Planungen der Dornburger Schlösser und Gärten Christian Hill..................................................................... 139
Corona-Pandemie: Was sich geändert hat Ein Werkstattbericht aus dem Münzkabinett der Staatlichen Museen Berlin Bernhard Weisser ................................................................ 143
Geduld ist der einzige Weg zum Ziel Pläne, Probleme und Perspektiven in der Pandemie Marlene Hofmann ................................................................ 147
Ein Jahr der Ungewissheiten. Ein Jahr der Chancen! Florian Trott ..................................................................... 153
Museen im Lockdown Wo bleiben coole, begeisternde Onlineauftritte? Katrin Hilger ..................................................................... 155
#MuseumForFuture – Die Zukunft gehört dem Museum? Gedanken dazu aus dem Museum für Kommunikation Nürnberg Annabelle Hornung, Vera Losse, Elke Schneider und Christian Bihn ................... 159
Das globalisierte Museum als gesellschaftliche Instanz Udo Gößwald ..................................................................... 171
Postpandemische Kund*innenbindung …oder lernt vom Onlineriesen und werdet persönlicher und verlässlicher! Michael Grisko ................................................................... 175
In die Breite wirken Digitale Produkte von der Stange für kleine und mittlere Museen Johannes Waldschütz ............................................................ 179
Digitale Wege des smac Von Angeboten, Ressourcen und Fehlerkulturen Karina Iwe....................................................................... 183
Mehr Bottom Up! Mehr Experimente! Mehr Kollaborationen! Ein Werkstattbericht aus dem Heimatmuseum Egling a. d. Paar Christopher Vila.................................................................. 189
Die Krise als Chance für Innovationen und neue (digitale) Wege? Kommentare aus Deutschland, Österreich und der Schweiz Das Museum als Ort der Demokratie Detlef Pollack und Hedwig Richter ................................................. 195
Das Ende der Komfortzone. Die Krise als Chance Tobias Pfeifer-Helke.............................................................. 199
Neuer Wein in alten Schläuchen? Museen vor, in und nach der Corona-Pandemie Doreen Mölders ................................................................... 211
Das agile Museum Kontingenz- und Transformationsfähigkeit als neue Kernkompetenzen Von Claudia Emmert .............................................................. 223
Corona hat die Museen verändert – für immer? Joachim Breuninger .............................................................233
Nicht nur in der Krise Neue digitale Angebote im Historischen Museum Bielefeld Maren-Sophie Fünderich ......................................................... 237
Aus der Krise in die Nachhaltigkeit Strukturstärkung für Museen als Pandemiefolge? Susanne Köstering ............................................................... 245
Über Chancen und Herausforderungen in der Krise David Vuillaume.................................................................. 251
Anderthalb Jahre Krisenmodus Ein Blick auf die Schweizer Museen Katharina Korsunsky ............................................................. 257
Zurück in die Zukunft Wolfgang Muchitsch .............................................................. 265
ZEITENWENDE Überlegungen zur Rolle von Kunst und Kultur in Zeiten gesellschaftlicher Transformation Matthias Jäger................................................................... 269
Dekolonisieren der Zukunft: Nachdenken und Weitermachen Léontine Meijer-van Mensch....................................................... 279
Museen nach der Pandemie – Wie wird das neue Normal? Roland Nachtigäller .............................................................. 287
Statt eines Nachwortes: »Ins Museum« Maximilian Buddenbohm .......................................................... 297
Autor*innen .................................................................. 301
Das Museum in Zeiten der Pandemie Jörn Brunotte
1. Krise als Chance? Eine uns alle betreffende Krise wie die Coronapandemie ist zuallererst keine Chance, sondern eine schlimme Katastrophe. Viele Menschen sind deswegen gestorben oder schwer erkrankt. Die Pandemie hat Ängste ausgelöst, Menschen verzweifeln lassen und Existenzen bedroht oder sogar vernichtet. All dies ist furchtbar und keine Chance. Aber ist es trotzdem möglich, dass eine Krise zu einer Chance wird? In meinen Augen kann das gelingen, wenn man eine Krise anerkennt und diese zu einem grundlegenden Wandel beiträgt. Es ist etwas Anderes, wenn man die Pandemie lediglich für eine »Krise« hält, die es zu überwinden gilt. Sie also als einen »temporären Einbruch« in die Realität versteht, den es zu überwinden gilt, oder ob die Krise zu einem grundlegenden Wandel führt – auch in der Museumswelt. »Never let a good crisis go to waste« lautet ein Ausspruch Winston Churchills. Dieser ironisch formulierte Ratschlag des Staatsmannes unterstreicht seine Haltung, Krisen als Chancen zu nutzen. Aus meiner Sicht hängt alles davon ab, wie die Krise definiert wird: als ein zeitlich begrenzter Ausnahmezustand, bei dem eine Rückkehr in den Ausgangszustand angestrebt wird, oder als Systemkrise, die eine grundlegende Änderung der Verhältnisse nach sich zieht. Ich plädiere deshalb unbedingt für einen grundlegenden Wechsel der Ausrichtung des Museums. Es liegt »im Wesen einer jeden Krise, dass eine Entscheidung fällig ist, aber noch nicht gefallen ist«, so Reinhart Koselleck.1 Diese offene Situation fördert die Suche nach Veränderungen der Verhältnisse. Das griechische Wort krísis kann man mit ›Beurteilung‹ oder 1
Koselleck, S. 105.
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Das Museum in Zeiten der Pandemie
›Entscheidung‹ übersetzen. Pierre Bourdieu benennt die Krise als »kritischen Moment«, der die Formen des Augen-Verschließens, Sich-Anpassens und Sich-Abfindens verbietet, der den Erwartungshorizont für Alternativen zur bestehenden Ordnung öffnet und eine Situation schafft, in der alle Zukünfte möglich sind. Nach Bourdieu fordert die Krise zu einer Stellungnahme, zu einer Entscheidung heraus.2 Nach meiner Erfahrung hat die Krise die Defizite der letzten Jahre im Museumswesen noch einmal besonders sichtbar gemacht. Sei es der zögerliche Ausbau der Digitalisierung, die immer noch starren Verwaltungsstrukturen, die viel zu dünne Personaldecke bei stark gestiegenen Anforderungen oder die Vernachlässigung der Dauerausstellungen und Sammlungen. Aber auch die politischen Strukturen und die Trägerschaftsmodelle sind nicht dazu angetan, schnelle und kreative Änderungen zu befördern. Die hier nur verkürzt und holzschnittartig aufgeführten Probleme und viele weitere traten durch die Pandemie deutlich zu Tage. Jetzt ist es an der Zeit, die anstehenden Änderungen anzugehen. Nur dann wird für die Museen aus der Krise eine Chance.
2. Analog vs. digital? Analog und digital! Immer noch geistert die Vorstellung vom analogen Museumsbesuch mit sinnlichen Erfahrungen im Gegensatz zur digitalen Vermittlung – ein durch die Pandemie beschleunigtes, aber vorübergehendes Phänomen – herum. Man kann es schon nicht mehr hören, aber in den Medien haben viele wieder die berühmte »Authentizität« vermisst. Das ist sehr schade. Ich sehe es so: Nie haben die Museen so viele digitale Angebote in so kurzer Zeit realisiert. Um es klar zu machen: ›analog‹ versus ›digital‹ ist in meinen Augen eine Scheindiskussion. Ich finde es schmerzlich, dass diese auch im Jahr 2022 immer noch bemüht wird. Aus meiner Sicht gilt es nicht zu unterscheiden zwischen ›analog‹ und ›digital‹, sondern man muss beides in allen Bereichen des Museums zusammendenken. Erst dann wird aus den digitalen Möglichkeiten eine Chance für die Erweiterung des Museums. Nie hatten die digitalen Angebote solch eine sichtbare und dringende Wichtigkeit. Da höre ich schon wieder die Zwischenrufe: Vieles wirkt aber selbstgestrickt und amateurhaft. Dazu sage ich nur: Das mag so sein. Aber mit den
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Bourdieu, S. 285 ff.
Jörn Brunotte: Das Museum in Zeiten der Pandemie
vorhandenen Ressourcen ist es mir lieber, dass die Museen experimentieren, auch wenn nicht alles perfekt ist, als zu lamentieren und abzuwarten.
3. Eine digitale Strategie – unbedingt notwendig Die Pandemie hat viel Bewegung in die digitale Vermittlung gebracht. Wenn man den Blick auf die Museen innerhalb Deutschlands richtet, sieht man, dass viele neue Vermittlungsformate, wie mobile Apps, Onlineausstellungen und -führungen bis hin zu Gaming im Museum, entwickelt wurden. Auch die Digitalisierung von Sammlungen schreitet voran. Das ist eine wirklich gute Entwicklung, die es zu verstetigen gilt. Voraussetzung für eine erfolgreiche und langfristige digitale Transformation ist eine digitale Strategie. Die Häuser, die bereits seit längerem eine solche verfolgen, waren klar im Vorteil. Sie waren gewappnet und mussten nicht spontan »etwas aus dem Hut zaubern«, sondern konnten klug die jeweiligen Aktionen verbinden. Was verbirgt sich aber hinter einer digitalen Strategie? Christian Gries formuliert es folgendermaßen: »Eine digitale Strategie definiert und kontrolliert alle Strukturen, Maßnahmen, Projekte, Ressourcen, Kompetenzen und Wertigkeiten, aber auch Kosten und Nutzen, die ein Museum im Digitalen einsetzt, und führt sie in ein optimales Miteinander (›grammar of action‹). Sie ist als grundsätzliche, langfristige und nachhaltige Verfahrensweise zu verstehen, ihre Umsetzung ist eine Querschnittsaufgabe und muss ganzheitlich verstanden werden, d.h. alle Abteilungen einer Kultureinrichtung sind involviert, wenn auch freilich unterschiedlich intensiv. Die Initiative zu einer digitalen Strategie mag vielfach vom Bereich Kommunikation (Presse und/oder Marketing) ausgehen – in der Entwicklung sind auch Aufgabenbereiche wie Dokumentation, Vermittlung, Forschung und IT wesentlich.«3 Aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass eine digitale Strategie als Prozess im Museum mit den Mitarbeiter*innen ausgearbeitet wird. Der Leitfaden aus Baden-Württemberg OPEN UP! Museum. Wie sich Museen den neuen digitalen Herausforderungen stellen gibt dazu gute Vorgehenshinweise.
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Gries, S. 57.
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Das Museum in Zeiten der Pandemie
Das Museum Burg Posterstein in Thüringen führt schon seit Jahren vor, wie man auch mit einem kleinen Team, aber mit einer konsequenten Strategie und einer pragmatischen Taktik auf diese Weise das Museum voranbringt. In Posterstein wird die digitale Transformation und das analoge Museumshandeln konsequent verbunden. Marlene Hoffman von der Burg schrieb in ihrem Beitrag unter der Überschrift Ausstellung und Vermittlung in Zeiten der Schließung: »Da wir die Online-Vermittlung ohnehin zu jeder Ausstellung mitdenken, stellte das keine Hürde dar, denn die Infrastruktur und das Know-how sind vorhanden. Auf diese Weise konnten wir in der Zeit der Schließung mit vielen Besuchern über die verschiedenen sozialen Netzwerke in Kontakt bleiben und sogar neue Bekanntschaften knüpfen.« (S. 69) Und Jasmin Mickein von der Kunsthalle Bremen führt in ihrem Beitrag Die konstruktive Kraft des Lockdowns aus: »Der Lockdown war eine Belastungsprobe und mit vielen Unsicherheiten verbunden. Aber die Schließzeit der Museen hat auch Neues hervorgebracht. Durch verschiedene Projekte der Kunsthalle Bremen wird eine konstruktive Kraft des Lockdowns deutlich: Digitale Projekte, die jahrelang in der Schublade lagen, wurden plötzlich realisiert und eine neue Ausstellung wurde geplant.« (S. 77) Um es klipp und klar zu sagen: Das Ende der Pandemie darf nicht als Vorwand genommen werden, um die digitale Transformation wieder zurückzufahren. Im Gegenteil muss sie in allen Bereichen gefördert und fest installiert werden. Markus Hilgert von der Kulturstiftung der Länder bringt es in seinem Statement Digitalisierung und Demokratisierung – die Neuerfindung der Kultur 4 folgendermaßen auf den Punkt: »Letztlich gilt für unsere Bühnen, Museen und auch die Welterbestätten nichts Anderes als für die Schulen und Universitäten: Wir haben in der Kultur die Relevanz und transformative Kraft der Digitalisierung bisher in unverantwortlicher Weise verschlafen und geglaubt, uns am Status Quo festklammern zu können. Dabei meint Digitalisierung hier weitaus mehr als die digitale Reproduktion von Kunstwerken. Tatsächlich geht es um die konsequente Einbeziehung von digitalen Technologien und Anwendungen in alle Prozesse der Produktion, der Dokumentation und der Vermittlung
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Hilgert, S. 1.
Jörn Brunotte: Das Museum in Zeiten der Pandemie
von Kultur und kultureller Praxis. Längst ist klar: Digitalisierung bedingt nicht nur einen Wandel der Instrumente. Digitalisierung fordert eine andere Art des Handelns und des Denkens. Die Kultur ist hier keine Ausnahme, es bedarf vielmehr neuer kultureller Praktiken. Ein Festklammern am Status quo ante Corona ist schon deshalb unverantwortlich, weil – zumindest was die Vermittlung der »klassischen« Kultur anbelangt – es schon seit geraumer Zeit erhebliche Probleme gibt, diese Angebote in einer attraktiven, also sie »anziehenden« Form auch an jüngere Menschen heranzutragen.« Johannes Waldschütz vom Stadtmuseum Stockach formuliert es aus Sicht der kleineren Museen so: »[W]enn wir das Digitale jetzt nicht wieder vergessen, sondern digital und analog kombinieren, dann haben wir gute Chancen, dass die Menschen wieder in die Museen strömen und dann haben wir auch deutlich gemacht, dass Museen und Kultur eine Bedeutung für die Gesellschaft haben!« (S. 99)
4. Die digitale Transformation braucht qualifiziertes Personal Diese Forderung nach einer Verstetigung der Digitalisierung setzt neben der konsequenten konzeptionellen Planung auch ein qualifiziertes Personal voraus. Um die Digitalisierung in Organisationen voranzutreiben, braucht es Digital Leader – so der Konsens vieler Expert*innen der Managementforschung. Ob das Konzept Digital Leadership bereits in Museen angewendet wird, hat eine Studie des Instituts für Kulturmanagement der PH Ludwigsburg unter Leitung von Prof. Dr. Andrea Hausmann untersucht.5 Sie kommt zu folgenden Schlüssen: »Die Studie hat gezeigt, dass ein Großteil der befragten Führungskräfte die gravierenden Auswirkungen der Digitalisierung erkennt und darauf reagiert. Unsere Ergebnisse zeigen aber auch, dass der Fokus dabei immer noch stark auf der Digitalisierung der nach außen sichtbaren Museumsangebote liegt. Die nach innen gerichtete Transformation steht bei den untersuchten Museen noch am Anfang.«
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Siehe Hausmann: https://www.kulturmanagement.net/Themen/Studie-zu-digitalerFuehrung-im-Museumsbetrieb-Fit-fuer-die-Zukunft,4260.
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Das Museum in Zeiten der Pandemie
Um die digitale Transformation voranzubringen, werden folgende Empfehlungen ausgesprochen, denen ich mich anschließen möchte: »1) Um die digitale Transformation langfristig und gezielt voranzutreiben, ist eine digitale Strategie, die sowohl nach innen als auch nach außen gerichtet ist, unumgänglich. Digital Leader schaffen die hierzu geeigneten Strukturen und setzen die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen. Sie sollten die Digitalisierung ihres Museums jedoch nicht nur anstoßen, sondern sie aktiv begleiten und Teil von ihr sein (beispielsweise als Mitglied in einer internen Digitalisierungsgruppe). 2) Fachwissen ist für Digital Leader elementar, um technologische Entwicklungen und digitale Möglichkeiten zu begreifen und deren Vor- und Nachteile für den Museumsbetrieb abschätzen zu können. Zu verstehen, wie digitale Prozesse ablaufen, hilft auch dabei, kreativ zu sein und Ideen zu entwickeln, wie die museumstypischen Digitalisierungshürden umgangen werden können. Dabei helfen eine kontinuierlichere Fort- und Weiterbildung, der Austausch von Know-how und die Zusammenarbeit mit Hochschulen und anderen Museen. Da die Halbwertszeit von digitalem Wissen extrem kurz ist, raten wir Führungskräften darüber hinaus, ihre eigenen IT- und Medienkompetenzen regelmäßig zu reflektieren, beispielsweise in Feedbackgesprächen und Mitarbeiter*innenbefragungen. 3) Aber auch Mitarbeiter*innen müssen ihr Wissen fortlaufend erneuern und sich stetig weiterbilden. Wir sehen das Museumspersonal als die wichtigste Ressource, um den digitalen Wandel im Museumsbetrieb erfolgreich zu gestalten. Aus diesem Grund sollten das Personalmanagement und die Personalentwicklung als Teil der Digitalisierungsstrategie verstanden werden. Langfristig muss digitales Wissen zudem in der Berufsausbildung und in den einschlägigen Hochschulstudiengängen verankert werden. 4) Die bisher aufgeführten Maßnahmen können nur funktionieren, wenn die Organisationskultur offen für und neugierig auf Veränderungen ist, wenn hierarchisches Denken zugunsten von teamorientierten Lösungen zurückgestellt werden kann und eine Bereitschaft zu ›trial and error‹ v.a. beim Ausprobieren neuer technischer Lösungen und Wege besteht. Damit ist Digital Leadership immer auch Teil einer Organisationsentwicklung, an deren Ende ein agileres Museum steht, das sich gut gerüstet den digitalen Herausforderungen der nächsten Jahre stellen kann.«
Jörn Brunotte: Das Museum in Zeiten der Pandemie
Als weiteren Punkt möchte ich die Notwendigkeit unterstreichen, dass die Museen die nötige Finanzierung und das nötige Personal erhalten. Hier müssen die Träger, besonders auch die Kommunen, noch viel stärker als bisher sensibilisiert und in die Pflicht genommen werden.
5. Die Bedeutung von Kultur in Krisenzeiten: Sind Museen relevant? Und wenn ja, für wen? Schon seit Beginn der Pandemie wurde die Systemrelevanz der Museen mantraartig behauptet. Doch in der Liste der systemrelevanten Bereiche des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 30. März 2020 wurden Museen nicht erwähnt. Genannt wurden hierbei die Bereiche: Energie; Wasser und Entsorgung; Ernährung und Hygiene; Informationstechnik und Telekommunikation; Gesundheit; Finanz- und Wirtschaftswesen; Transport und Verkehr; Medien; Staatliche Verwaltung in Bund, Ländern und Kommunen; Schulen; Kinder- und Jugendhilfe; Behindertenhilfe (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2020). Im Verlauf der Pandemie gelang es dem Deutschen Museumsbund erst nach massiver Intervention auf der politischen Ebene, dass auch die Museen Beachtung fanden. Das ist bezeichnend und es drängt sich der Eindruck auf, dass Kultur und Museen für die Politik nur dann wichtig sind, wenn sie publikumswirksam in Szene gesetzt werden können. Daniela Sistermanns vom Marta Herford Museum für Kunst, Architektur und Design formuliert demgegenüber: »Ich würde mir sehr wünschen, dass sich die Relevanz von Kultureinrichtungen während und auch nach der Corona-Pandemie noch stärker im politischen Bewusstsein verankert. Vielleicht gelingt es sogar eines Tages, dass ihr Stellenwert weniger an nackten Zahlen als an ihrem gesellschaftlichen Auftrag und den damit verbundenen Wirkungen gemessen wird.« (S. 114) Dieser Wunsch zieht sich durch fast alle Beiträge – mit verschiedener Blickrichtung: Anke von Heyl und Wibke Ladwig betonen besonders die Leistungen der Kulturvermittlung. Anke von Heyl dazu: »Es wird viel von Kulturvermittlung gesprochen in diesen Tagen. Das sehe ich gerne, zeigt es doch, dass genau jetzt die Stunde derjenigen geschlagen hat, die sonst gerne als nachrangige Disziplin im Ökosystem der Kulturproduktion gesehen wurden. Wobei wir schon ein erfreuliches Aufbrechen hierarchi-
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scher Strukturen sehen und die Vermittlung viel öfter als früher von Anfang an in Projekte eingebunden wird.« (S. 54)
6. Museen als Orientierungssystem? Selbstkritisch müssen wir uns fragen lassen, ob die Museen tatsächlich für eine breite Schicht der Gesellschaft relevant sind und als Orientierung dienen? Waren die Museen nicht jahrelang damit zufrieden, Angebote zu produzieren, ohne die Besucher*innen einzubeziehen oder zumindest eine Rückmeldung einzuholen? Man war sich selbst genug. Prof. Dr. Armin Klein fragt bewusst überspitzt: »Für wen ist es (das Museum) denn relevant? Wir können ja den einfachen Test machen und die Bevölkerung fragen ›Wir schalten euch Netflix ab oder wir machen das Museum zu‹ und wie die Aussage der Bevölkerung dann aussehen wird, ist ja auch klar. […] Ich denke, da liegt eine ganz wichtige Aufgabe nach Corona: die Menschen wieder begeistern für die Museen. Das ist eine ganz wichtige Herausforderung.«6 Ich behaupte einmal: Für große Teile der Bevölkerung ist das Museum immer noch etwas Fernes oder Elitäres. Das Kultur ein Orientierungssystem sein soll und muss, ist vielen nicht bewusst. Häufig begegnet mir in Gesprächen die Äußerung: »Davon habe ich keine Ahnung, da sind Sie ja der Fachmann!« Aber ist das nicht grundfalsch? Kultur soll und muss alle angehen. Und auch viele Museen – und ja, auch ich – fühlen sich in ihrer ›Nische‹ häufig ganz wohl. Aber wollen wir uns damit zufriedengeben?
Kultur für alle – Museen müssen sich noch stärker als bisher öffnen! Bereits 1970, also vor mehr als einem halben Jahrhundert, strebte Hilmar Hoffman einen Paradigmenwechsel in der Kultur an. Als Kulturdezernent in Frankfurt a.M. hat er den Abschied von der Vorherrschaft des Bildungsbürgertums in der Kulturpolitik und den Weg hin zur Öffnung und Erweiterung des kulturellen Lebens gefordert. Kultur sollte der breiten Mehrheit der Bevölkerung
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Klein: https://www.projekt2508.de/startseite/2020/05/25/sind-museen-systemreleva nt
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zugänglich sein. Prägnant – und auch heute noch gültig – formuliert er: „Kultur hat Konjunktur. Nun haben auch die Politiker sie entdeckt, zumindest als Mittel zur Selbstdarstellung. Sie illuminieren ihre Reden mit kräftigen Sprüchen zur Kunst und Kultur und verweisen damit, ungewollt, auf einen Zustand. Über den sie besser geschwiegen hätten, solange er so miserabel ist, wie er ist. Wer hätte sie nicht gern, die Kultur, wenn sie so billig zu haben wäre, wie das Wortarsenal der Festredner uns vormachen will. Kultur ist wie das ‘Wort zum Sonntag: Reicht sie auch noch für den Rest der Woche? Wenn wir sie am dringendsten brauchen, in der Mühe des Alltags?“7 Auch heute sind wir noch weit davon entfernt, die breite Masse der Gesellschaft für das Museum zu interessieren. Nach wie vor müssen Hemmschwellen abgebaut und neue Perspektiven eingenommen werden. Es geht nicht darum, aktionistisch neue Angebote zu stricken, sondern langfristig die Perspektive zu ändern, weg von der klassischen Inside-out-Perspektive und hin zu einer Outside-in-Perspektive. Die entscheidenden Kriterien dafür sind Relationship und Qualität. Beide haben einen gemeinsamen Bezugspunkt, die Besucher*innen. Schon länger wird gefordert, den Besucher*innen einen Raum zur Entfaltung jenseits des ›klassischen‹ Museumsbesuches zu bieten. Claudia Ermert formuliert es in ihrem Beitrag treffend so: »Der Anspruch, Museen als Aneignungsräume erfahrbar zu machen, ist kein neuer. Aber im Augenblick stehen die Chancen dafür, dass dies gelingen kann, so gut wie nie. Denn während der langen Phase des Homeoffice haben sich ›First Place‹ und ›Second Place‹ immer mehr überlagert. Der Shutdown hat dazu beigetragen, den ›Third Place‹ perspektivisch aufzuwerten. Somit kommt dem ›dritten Ort‹, an dem man sich jenseits von Wohnung oder Büro aufhält, eine neue und größere Bedeutung zu. Voraussetzung für eine erfolgreiche Positionierung der Museen in diesem Bereich ist es, die Ausstellungsräume selbst als Plätze des Verweilens zu denken. Denn Aneignungsorte sollten nicht, wie bereits in einigen Häusern erprobt, außerhalb der eigentlichen Ausstellungen liegen, sondern inmitten der Exponate. Als weitgehend konsumfreie Räume mit besonderer, progressiver und nachhaltiger Aufmerksamkeitsökonomie.« (S. 237–238)
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Hoffmann, S. 7.
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7. Museen in finanzieller Not Neben den inhaltich-konzeptionellen Fragen hat die Krise besonders für die kleinen Museen große finanzielle Auswirkungen. Die Burg Posterstein schildert die gravierenden Folgen, die die Coronakrise für die Finanzierung des Museums hat: »Die Verluste für unser Museum durch zwei Monate Schließung, ausfallende Veranstaltungen und Gruppenbesuche sowie durch geringere Besuchszahlen nach der Wiedereröffnung sind einschneidend. Als vereinsgetragenes Haus bekommen wir einen Zuschuss vom Landkreis Altenburger Land, müssen jedoch etwa ein Drittel unseres Budgets selbst erwirtschaften. Die Verluste durch die Corona-Pandemie sind im laufenden Jahr nicht wieder gut zu machen und bedrohen die Existenz des Museums, sollte es keine finanziellen Hilfestellungen geben.« (S. 73) Das Statement fasst die Situation der kleinen Häuser gut zusammen. Kultur wird in Politik, Verwaltung und Bevölkerung häufig immer noch als Luxus gesehen. Und leider werden immer noch Fußballplätze gegen Museen aufgerechnet. Es ist immer noch falsch, das zu tun, sowie es falsch ist, dass das Museum eine freiwillige kommunale Aufgabe ist. Leider reichen da Appelle nicht aus. Wenn es hart auf hart kommt, wird an der Kultur (noch) mehr gespart oder sich die Kultur gespart.
8. Blicken die Museen zu sehr auf sich? Netzwerke der Kultur flechten! Was bei aller Vielfalt der Texte in keinem Beitrag explizit gefordert wurde, war das spartenübergreifende Denken der Museen. Eine Lobby für die Kultur zu schaffen, Solidarität herzustellen, Forderungen, etwa für die freiberuflich Tätigen, zu unterstützen, sich als Teil der gesamten Kultur zu verstehen, mit Theatern, Galerien, Kinos uvm. zu kooperieren, das Verständnis für Kultur auf ein breites Bündnis zu stellen, sich zu positionieren, diese Aufgabe sollten wir nicht nur den Museumsverbänden überlassen. Krisen werden in meinen Augen dann produktiv, wenn sie zu Gemeinsamkeit führen – einer Lobby (darf man das Wort noch benutzen?) für die gesamte Kultur! Da sind die Museen in meinen Augen eher zögerlich und sehr mit sich selbst beschäftigt.
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Eine solche Aktion wäre ja auch ein politisches Signal, bis hin zu konkreten Aktionen der gesellschaftlichen Solidarität! Nach dem Motto: »Wir tun etwas in der Krise« – etwa kostenlose Führungen für Pflegekräfte und Ärzt*innen oder ähnliche Berufsgruppen. Ich habe von keinen solchen Aktionen gehört, auch wenn es sie vielleicht gibt. Die Museen müssen meiner Ansicht nach lauter werden. Aber nicht mit Forderungen, sondern mit gesellschaftlich bedeutsamen Aktionen, oder mit Bernd Herkner vom Naturhistorischen Museum Mainz: »Als Leiter einer naturwissenschaftlichen Bildungseinrichtung sehe ich es als meine Aufgabe aufzuklären und die Krise zu nutzen, um Anstöße zum Umdenken zu geben.« (S. 37) Und dafür müssen die Netzwerke der Museen und der Kultur noch viel aktiver werden.
9. Wie kam es zu diesem Buch? Welche Antworten bietet es? Die Pandemie ist im Jahr 2022 immer noch allgegenwärtig. Es hat sich jedoch eine gewisse Routine eingestellt und im Alltag sind die Masken und andere Hygieneregeln, wie das Abstandhalten und regelmäßige Testen, die Regel. Wenn wir jedoch zurückschauen, fing alles ganz anders an. Niemand wusste, was Corona ist, wie die Pandemie zu bekämpfen wäre und wie lange sie dauern würde. Am Anfang waren die meisten von uns relativ naiv – man erinnere sich nur an die selbstgenähten Masken zum Schutz gegen das Virus. Doch schon bald wurde die grundlegende Bedrohung erkannt und das hatte große Auswirkungen auf das kulturelle Leben. Es folgten Lockdown und Schließungen von Museen. Im Mai 2020 rief ich deshalb auf meinem Blog beramus.de zu einer Blogparade unter dem Motto #closedoropen auf. Ich leitete den Aufruf mit folgenden Worten ein: »Im Moment sind es schwierige Zeiten für Theater, Museen und Kultureinrichtungen. In den letzten Wochen haben schon einige Museen geöffnet, weitere werden folgen. Wie steht ihr zu den Öffnungen? Mit gemischten Gefühlen, wie etwa Marion Schael, Geschäftsführerin des Museums Ahrenshoop? ›Wir freuen uns schon, dass wir wieder an den Start gehen können, denn jeder Tag, an dem man nicht am Start ist, ist traurig‹, sagte Frau Schael dem NDR. ›Voraussichtlich werden wir zu Pfingsten starten. Aber auch nur eingeschränkt, mit verkürzten Öffnungszeiten und auch nicht alle Tage
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die Woche.‹ Auch museumspädagogische Veranstaltungen werden wahrscheinlich bald wieder möglich sein. Einerseits klingt es gut, dass man jetzt wieder Veranstaltungen mit Besucher*innen durchführen kann – anderseits muss man die Hygienevorschriften und den nötigen Abstand beachten. ›Dann muss ich einen riesigen Saal haben. Das funktioniert ja nur ganz bedingt‹, sagt Marion Schael. ›Wenn ich nur ganz beschränkt Gäste ins Haus holen kann – und ich kann ja keine Wucherpreise als Eintrittspreise nehmen – dann kann ich es eigentlich auch sein lassen,‹ meint Marion Schael. Das ist nur eine Stimme unter vielen. Wie seht ihr Museen das? Wie geht ihr mit den Hygienevorschriften um? Was muss man in Eurem Haus beachten? Was sind Eure Erfahrungen, wenn ihr schon geöffnet habt. Kommen die Besucher*innen? Was plant ihr, wenn ihr noch nicht geöffnet habt? Und wie seht Ihr als Besucher*innen das? Werdet ihr die Museen besuchen? Habt ihr schon wieder ein Museum besucht? Was sind Eure Erfahrungen?« Der Aufruf erfuhr eine große Resonanz. Viele Museen und Kulturmanager*innen beteiligten sich an der Blogparade #closedoropen. Die Beiträge kamen aus ganz Deutschland und es waren kleine, mittlere und große Museen vertreten, quer durch alle Sparten. Diese breite Beteiligung hat mich sehr gefreut und mich dazu bewogen, im Mai 2021 nochmals zu einer Blogparade aufzurufen. Diesmal unter dem Motto #museumforfuture. Manchmal gibt es ganz besondere, ›historische‹ Situationen – und die sollte man nutzen, nicht um zu klagen, sondern um die Situation kritisch zu reflektieren. Hier noch einmal im Wortlaut, was mich bewog, ein halbes Jahr nach der ersten Blogparade ein weitere folgen zu lassen: »Keine Ende der Krise abzusehen! Wie soll es weitergehen? #museumforfuture Vor über einem halben Jahr hatte ich zur Blogparade #closedoropen aufgerufen. Ich fragte damals: Sollen die Museen wieder öffnen? Was sagen die Besucher*innen? Was sind Eure Erfahrungen? Heute wissen wir, die Pandemie ist nicht vorbei, im Gegenteil! Wie steht es jetzt um die Kultur, und die Museen? Mein jetziger Aufruf zur neuen Blogparade stellt sich die Frage: Wie soll es weitergehen? Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht! Was habt Ihr im letzten halben Jahr für einschneidende Erfahrungen gemacht? Was war Euch besonders wichtig? Und was steht bei Euch jetzt an? Was sind die wichtigsten
Jörn Brunotte: Das Museum in Zeiten der Pandemie
Maßnahmen und Entscheidungen für die Zukunft? Was sind Eure Prioritäten in Hinblick auf Digitalisierung Vermittlung Sammlung weiteres? Ich habe die Museen und Einrichtungen, die bei der ersten Blogparade mitgemacht haben, schon gebeten, über ihre Erfahrungen zu berichten. Ich würde mich sehr freuen, wenn auch noch weitere Museen, Einrichtungen und Kulturschaffende mich an den Überlegungen für die Zukunft in der Krise teilhaben lassen und einen Beitrag schreiben würden. Gern auch kursorisch, als Werkstattbericht oder thesenhaft. Ich würde mich sehr freuen, von Euch zu lesen!« Auch dieses Mal, wie schon bei der ersten Blogparade, kamen viele Beiträge zusammen. Einige von den gleichen Museen und Kulturmanager*innen wie zuvor. Die gesamten Beiträge sind im zweiten Kapitel zu finden. Das war nun eine singuläre Situation: Solch eine Pandemie gab es noch nie zuvor. Und die Reaktion der Museen darauf wurden erstmals in solcher Breite dokumentiert. In einem Gespräch mit David Vuillaume, dem Geschäftsführer des Deutschen Museumsbundes, bestärkte mich dieser in der Einschätzung, dass es sich um interessante Zeitdokumente handele, die es wert wären, in einem Buch zu erscheinen. Auch Frau Dr. Karin Werner vom transcript Verlag schätzte das so ein und gemeinsam entwickelten wir die Idee, auch noch eine ganz aktuelle Perspektive von verschiedenen Museen einzuholen und hinzuzufügen. Ich habe diese Beiträge zusammengefasst unter der programmatischen Überschrift »Die Krise als Chance für Innovationen und neue (digitale) Wege? Kommentare aus Deutschland, Österreich und der Schweiz«. In diesem Buch liegt ein breiter Überblick dazu vor, welche Antworten die Museen auf die Krise gegeben haben und welche Entwicklungen die Zukunft bestimmen werden. Es hat mich sehr gefreut, dass sich sehr viele Kolleg*innen aus großen und kleinen Museen sofort beteiligt haben. Ich möchte mich bei allen ganz herzlich für das Engagement für dieses Buch, die Diskussionen und Beiträge bedanken! Mein besonderer Dank gilt Frau Dr. Karin Werner und Roswitha Gost vom transcript Verlag, die sofort die Bedeutung des Themas erkannt haben und Frau Dr. Mirjam Galley für die Projektbetreuung. Einen Dank
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Das Museum in Zeiten der Pandemie
auch an Michael Grisko und David Vuillaume, die mich beide sehr bestärkt haben, dieses Buch anzugehen. Last but not least bedanke ich mich sehr herzlich bei Catrin Kremer, die mich stets mit konstruktiver Kritik und hilfreichem Rat begleitet hat.
Literatur Bourdieu, Pierre, Homo academicus, Frankfurt a.M. 1988. Gries, Christian, Digitale Strategien für Museen, in: museum heute, 49, 2016, S.57-59, https://www.museen-in-bayern.de/fileadmin/Daten/Landesstell e/Downloads/Digitale_Strategien_für_Museen.pdf Hausmann, Andreas, Fit für die Zukunft? Studie zu digitaler Führung im Museumsbetrieb, in: kulturmanagement.net, 21.02.2021. https://www.ku lturmanagement.net/Themen/Studie-zu-digitaler-Fuehrung-im-Museu msbetrieb-Fit-fuer-die-Zukunft,4260 Hilgert, Markus, Digitalisierung und Demokratisierung – die Neuerfindung der Kultur, Studie für das »Deutschland in Europa«–Projekt des Global Ideas Center, Berlin 2022. https://globalideascenter.org/wp-content/uplo ads/2022/02/GIC-SIP_Hilgert-Digitalisierung-und-Demokratisierung_ DE.pdf Hoffmann, Hilmar, Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt a.M. 1981. Klein, Armin, Statement auf der Website von Projekt 2508: https://www.proje kt2508.de/startseite/2020/05/25/sind-museen-systemrelevant Koselleck, Reinhart, Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Frankfurt a.M. 2013. Open Up! Museum. Wie sich Museen den neuen digitalen Herausforderungen stellen – Ein Leitfaden aus Baden-Württemberg, 2014. https://wissenscha ftliche-sammlungen.de/files/3514/7195/5307/opm_inn_web_fin1108.pdf
Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Sollen die Museen wieder öffnen? Oder nach der Krise ist vor der Krise Michael Grisko
Schon die Frage ist falsch. Nachdem die Kultur in den letzten zehn Wochen nicht nur in den sozialen Medien dauerhaft ihre Systemrelevanz und Unterstützungsnotwendigkeit behauptet hat, ist die sofortige Öffnung ein logischer Schritt. Auch um ihre Behauptungen zu beweisen, ihnen zusätzliches Gewicht zu verleihen. So wie einige Institutionen ihre digitale Wandlungsfähigkeit bewiesen haben, muss die Kultur, müssen die Museen nun ihre analoge Anpassungsfähigkeit beweisen. Denn hier liegt – bei aller Digitalisierung – das Kerngeschäft. Hinzu kommt, dass Kulturinstitutionen nicht rentabel im Sinne von profitabel sein müssen, indem Einkünfte und Ausgaben in direkter Weise miteinander verrechnet werden – auch wenn ich durchaus weiß, dass die glückseligen Zeiten der Vollsubvention vorbei sind. Wer jetzt nicht öffnet, wer jetzt nicht seine Bereitschaft zur Anpassung zeigt, wer jetzt nicht zeigt, ich bin da, will da sein, will nicht den Anschluss verlieren – wird ihn verlieren. Auch wenn es zunächst anders sein wird. Wir tragen Masken, desinfizieren die Hände, verzichten auf Ausstellungseröffnungen, Veranstaltungen und Führungen, kurz liebgewonnene Formen und Rituale: die öffentlichen Museen können und müssen ihre Aufgaben wahrnehmen – auch wenn zunächst wenige Leute kommen, wenn die Tourist*innen fehlen und die Einheimischen noch andere Sorgen haben. Denn mit der Öffnung geht die dringende Notwendigkeit einher, die nächste Krise vorzubereiten – und ich meine nicht eine zweite Infektionswelle. Denn die eigentliche Krise kommt erst noch, bestimmt und bald! Der Kassensturz am Ende des Jahres wird nicht nur fehlende Einnahmen aus Ticket-, Kaffee-, Katalog- und Merchandisingverkäufen sowie möglicherweise fehlende Sponsorengelder konstatieren. Auch die öffentlichen Haushalte werden nach großzügig ausgeschütteten Hilfsgeldern und fehlenden Steuer-
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
einnahmen feststellen, dass nicht alle Wünsche und Notwendigkeiten bedient werden können. Schon die in den letzten Jahren gestiegenen Ausgaben für Gehälter, Gebäudeunterhaltung, Versicherungen und Nebenkosten werden die öffentlichen Haushalte strapazieren, die Aufwächse in den Bereichen Investitionen und Innovationen sind da noch nicht mitgedacht. Es wird, der Steuersegen und das billige Geld der letzten Jahre haben uns in falscher Sicherheit gewiegt, zu einem längst überwunden geglaubten Verteilungskampf kommen und wieder wird die – auch dann falsche – Frage gestellt werden: Schwimmbad oder Museum? Es geht gerade nicht um Wohlfühlkultur. Wer sich jetzt auf diese kommende, vermutlich viel schlimmere Krise einstellt, wer nicht nur jetzt, sondern während der letzten zwei Monate seine Marktrelevanz, seine Anpassungs- und seine Lernfähigkeit, seine Kundenbindungsfähigkeit unter Beweis gestellt hat, wird bei der jetzt möglichen Öffnung, aber auch bei den späteren, sicher kommenden Verteilungskämpfen in der Pole-Position stehen und dann auch die besseren Argumente für sich und seine Institution haben, die dann gefragt sind. Aber wahrscheinlich sind dies auch die Museen, die sich die Frage, ob sie jetzt öffnen sollen, nicht stellen würden und müssen. Beitrag vom 25.05.2020 Dr. Michael Grisko war bis Ende 2021 Kulturmanager bei der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen Erfurt, seit 2022 Geschäftsführer für die Richard Borek Stiftung Braunschweig.
Für eine schnelle Öffnung der Museen! Bernhard Weisser
Die schnellstmögliche Öffnung der Museen ist eine Notwendigkeit. Wenn dabei die Sicherheitsregeln eingehalten werden, ist das Museum ein wichtiger Ort der geistigen Erholung und Anregung. Kaum ein anderer Ort ist besser für den stillen Dialog zwischen Betrachter*in und Objekt geeignet. Es ist ein Ort, an dem Abstandsregeln und Maskenpflicht einmal nicht stören. In Zeiten vor der Wiederaufnahme des Tourismus bieten sie unseren Berliner Mitbürger*innen ein wichtiges, vielleicht sogar essentielles kulturelles Erlebnis, während andere Kultureinrichtungen noch geschlossen bleiben müssen.
Münzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
© Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin, Johannes Laurentius
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Die besondere Situation wird auch zu veränderten Betrachtungsweisen und Reflexionen der Werke führen, auch dies ist ein großer Gewinn und ein interessantes Kapitel in einer lebenslangen Beschäftigung mit Museumsexponaten. Auch schön: Um Besucherzahlen kann es einmal nicht gehen, und zumindest die großen Einrichtungen sind auf digitale Zeitreservierungen gerüstet. Im Alten Museum in Berlin ist seit dem 12. Mai das Betrachten von antiken Münzen bereits wieder möglich. Zum Besuch wird die Buchung von Zeittickets empfohlen, um Wartezeiten zu vermeiden. Dies gilt auch für die über 60 % unserer Besucher, die freien oder ermäßigten Eintritt haben, etwa mit ICOM-Card oder Presseausweis. Wir verweisen auch auf unsere digitalen Angebote und freuen uns auf die Zeit, wenn persönliche Begegnungen, Ausstellungseröffnungen und andere gemeinsame Veranstaltungen wieder möglich sein werden! Beitrag vom 26.05.2020 Prof. Dr. Bernhard Weisser ist Direktor des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin.
Offen sein! Martin Otto-Hörbrand
Die erste Besucherin kam aus Frankfurt und stand schon zwanzig Minuten vor Öffnung vor der Tür des Linden-Museums. Ein paar Tage später kam sie sogar zum Wiederholungsbesuch. Von ihrer Freude über die Wiedereröffnung berichteten mir heute Morgen meine Kolleg*innen vom Empfang. Sie ist kein Einzelfall, wie ich auch aus Mails erfahre. Das Feedback der Besucher*innen ist größer geworden in der Corona-Zeit. Erst der häufig geäußerte Wunsch auf eine baldige Wiedereröffnung, dann die starke Nutzung digitaler Angebote und die vielfältige Resonanz darauf, auch viele fachliche Fragen und tiefe Auseinandersetzung mit Ausstellungsinhalten – all das macht uns Museen vielleicht nicht gleich systemrelevant, es zeigt aber, dass wir für viele Menschen wichtig sind und eine Anregung im Alltag darstellen. Wir hatten Glück: Wir konnten die Große Landesausstellung »Azteken«, die eigentlich nur bis 3. Mai geplant war, bis 16. August verlängern, da die mexikanischen Kuriere, die für den Weitertransport ihrer Objekte zur zweiten Station der Ausstellung ins Weltmuseum Wien verantwortlich sind, noch nicht reisen dürfen. Rund 2000 Besucher*innen verzeichneten wir in den ersten zwei Wochen Öffnung seit dem 12. Mai. Das ist wenig im Vergleich zu den Wochen vor dem Corona-Abbruch, da waren es etwa drei Mal so viele in einem Zwei-Wochen-Zeitraum. Es ist also nicht alles wie vorher und das kann es auch gar nicht sein. Die Einschränkungen sind spürbar: Ein Ausstellungsbesuch mit Maske fühlt sich anders an als ohne, die Maske hemmt auch die Kommunikation unter den Besucher*innen. Interaktive Medienstationen in der Ausstellung, die zur spielerischen Auseinandersetzung und Kommunikation animieren, sind gesperrt, die persönliche Vermittlung und das Gespräch in Führungen fehlen. »Der Kaffee danach« hat anfangs auch vielen gefehlt, der ist inzwischen wieder möglich. Die Atmosphäre insgesamt aber hat sich verändert: Es ist stiller geworden, gleichzeitig ist der Ausstellungsbesuch
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
aber manchmal auch intimer, bewusster, das höre ich aus Gesprächen mit Besucher*innen heraus.
Vorplatz Wiedereröffnung
© Linden-Museum Stuttgart, Foto Harald Völkl
Ein neuer Job bei uns ist der »Türsteher« oder »Schlangenbeschwörer«, wie unsere Direktorin gerne sagt, man könnte ihn auch »Einlass-Manager« nennen. Die Abstands- und Hygieneregeln bereiten den Besucher*innen offensichtlich keine Probleme, sagt er, auch die bislang seltenen Wartezeiten beim Einlass würden geduldig und »gut gelaunt bei Regen« (O-Ton) hingenommen. Seine Laune – bei ihm scheint immer die Sonne – strahlt hier sicher auch ab.
Martin Otto-Hörbrand: Offen sein!
Offen sein – das ist unsere Aufgabe, in jeder Hinsicht: vor Ort, aber weiterhin und verstärkt auch im digitalen Raum. Beitrag vom 02.06.2020 Martin Otto-Hörbrand ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit im Linden-Museum Stuttgart.
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In Krisen wie diesen… Bernd Herkner
In Krisen wie diesen, müssen wir schmerzlich feststellen, wie verwundbar wir sind, wir selbst und wir als Gesellschaft. Wir müssen zusehen, wie ein winzig kleiner Erreger von nur 100 Nanometer Durchmesser die ganze Welt in die Knie zwingt. Es gibt kein Gegenmittel, keinen Dr. McCoy, der mal schnell einen Impfstoff aus der Hand schüttelt. Überrascht müssen wir feststellen, dass wir in diesem Fall machtlos gegenüber der Natur sind. Einer Natur, von der wir glaubten, sie beherrschen zu können. Gleichzeitig erkennen wir unsere Abhängigkeit von unserer wirtschaftlichen Struktur, von Netzwerken, von Lieferketten.
Der Taunus
Foto Dr. Bernd Herkner
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Wir wissen nicht, wie lange das Virus noch unser Leben beeinflussen wird. Wir hoffen darauf, dass irgendwann ein Mittel gefunden wird, dass wieder alles so wird, wie es einmal war. Im günstigsten Fall wird es so kommen. Wenn wir allerdings nichts aus dieser Krise lernen, war das, was wir gerade erleben, erst der Anfang. Die Krise hat uns gezeigt, dass eine einzige Virengattung unser System lahmlegen kann. Wie weitreichend müssen dann erst die Folgen sein, wenn global Ökosysteme und Nahrungsketten zusammenbrechen? Wir müssen gar nicht darüber spekulieren, was dann passiert, denn wir wissen es aus der Erdgeschichte. Wenn ein bestimmter kritischer Punkt überschritten ist, dann geht es rasant bergab. Wir wissen auch, dass sich die Natur wieder erholt. Allerdings dauert es erfahrungsgemäß bis zu 10 Millionen Jahre, bis der Status Quo wieder voll hergestellt ist.
Rücksichtslos zurückgelassener Müll
Foto Dr. Bernd Herkner
Aus meiner Sicht als Naturwissenschaftler müssen wir erkennen, wo unsere Grenzen sind. Einige Wissenschaftler*innen propagieren dagegen, die bevorstehende Katastrophe durch ein geschicktes »Erdsystem-Management« oder durch eine »Medizin für die Erde« verhindern zu könnten. Diese Hybris, die Natur beherrschbar machen zu können, wird uns aus meiner Sicht statt-
Bernd Herkner: In Krisen wie diesen…
dessen geradewegs ins Verderben führen. Ein kleines Virus lässt uns ja schon alles auf die Füße fallen. Mich erinnert das alles an Goethes Zauberlehrling. Keiner soll sich einbilden, durch das Drehen an ein paar Schräubchen so etwas Komplexes wie unsere globalen Ökosysteme managen zu können: Memento te hominem esse! Wir haben ja noch nicht einmal unseren eigenen Körper wirklich verstanden. Keiner weiß, wie es der menschliche Organismus schafft, seine 100 Billionen Zellen so zu koordinieren, dass nichts schiefgeht. Das soll allerdings nicht heißen, dass uns unsere naturwissenschaftlichen Erkenntnisse nicht weiterhelfen. Unser Wissen kann uns dabei helfen einzusehen, dass wir der Natur nicht gegenüberstehen, sondern ein Teil dieses Organismus sind, der sich Erde nennt. Und dabei geht es nicht darum, diesen Organismus zu beherrschen, sondern das zu verhindern, was ihn krank macht. Während meiner inzwischen vierzigjährigen Laufbahn als Biologe, habe ich zunehmend Respekt vor der Komplexität der Natur gewonnen. Je mehr ich verstehe, umso mehr empfinde ich Demut. Für Menschen einer Leistungsgesellschaft mag der Begriff Demut allerdings so attraktiv erscheinen, wie das Wort Brechdurchfall. Ebenso wie die Worte Behutsamkeit, Rücksicht und Verzicht. Aber genau das fehlt uns in unserer von Konsum geprägten Gesellschaft! Ich hoffe, dass die Fridays for Future Generation das versteht. Als Leiter einer naturwissenschaftlichen Bildungseinrichtung sehe ich es als meine Aufgabe, aufzuklären und die Krise zu nutzen, um Anstöße zum Umdenken zu geben. Beitrag vom 08.06.2020 Dr. Bernd Herkner leitet das Naturhistorische Museum Mainz.
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Sollen die Museen (und andere Kultureinrichtungen) wieder öffnen? Wibke Ladwig
Diese Frage stellt Jörn Brunotte in seiner Blogparade #closedoropen, zu der er mich einlud. In diesen Tagen öffnen viele Museen, Bibliotheken und andere Kultureinrichtungen wieder für Besucher*innen. Ich verfolge das mit gemischten Gefühlen. Hier und da gibt es von kundiger Seite Hoffnung, dass das Virus erfolgreich bekämpft werden könnte.1 Momentan sind auch die Zahlen für Deutschland erfreulich. Ich traue dem Braten indes nicht recht. Andererseits gibt es augenblicklich mehr Gründe für Öffnungen als dagegen. Man muss da ja auch deutlich differenzieren: Die Zahl der Museen mit überschaubaren Besuchermengen dürfte weitaus größer sein als die, die sich vor Besucher*innen kaum retten können. In Freilichtmuseen lassen sich die Regeln für Abstand besser einhalten als in einem Museum in einem mittelalterlichen Gemäuer mit vielen Besuchergruppen und Familien. Dasselbe gilt für öffentliche Bibliotheken: Manche sind in sehr beengten Räumen und können den notwendigen Abstand kaum gewährleisten. Andere verfügen über genügend Platz und können anders agieren. Ich beneide niemanden, der in dieser immer noch unwägbaren Lage Entscheidungen treffen muss, die verantwortungsvoll nicht nur für die Besucher*innen getroffen werden müssen, sondern auch für die Mitarbeiter*innen. Nicht nur wegen der oben genannten unterschiedlichen Voraussetzungen finde ich also eine Lösung für alle schwierig.
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https://www.spektrum.de/news/wie-sars-cov-2-in-deutschland-aussterben-kann/174 1310
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Wie ist es mit mir als potentieller Besucherin? Für mich wird Social Distancing im Sinne von physischer Distanz und Kontaktvermeidung nach wie vor meinen Alltag und meine Arbeit bestimmen. Eine Einladung zu einem Bloggertreffen in einem Museum werde ich absagen, weil ich derzeit noch möglichst Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln vermeide. Und mich lieber in vertrauten Konstellationen aufhalte, also da, wo ohnehin Vertrauen ineinander besteht. Ich möchte mich darauf verlassen können, dass alle Vorsichtsmaßnahmen gut organisiert sind, denn jede Versammlung mit weitestgehend unbekannten Menschen in Innenräumen bleibt ein Risiko. Nun handhabt das jede*r anders. Wer derzeit im Einzelhandel oder in der Gastronomie arbeitet, wird mich vielleicht belächeln. Ein wenig tue ich es auch. Mal sehen, wie ich in zwei, drei Wochen darüber denke. Was ich mir wünsche, ist eine Aufwertung der digitalen Besucher*innen. Immer noch gilt die Zahl der Besucher*innen vor Ort als wesentliche Kennzahl für Erfolg oder Misserfolg von Museen und Bibliotheken. Von den öffentlichen Bibliotheken weiß ich, dass die digitalen Angebote von vielen Nutzer*innen erst während der Corona-Krise entdeckt wurden. Darunter waren sowohl langjährige Bibliotheksnutzer*innen wie auch neue, die durch Social Media und die Berichterstattung der Medien aufmerksam wurden. Und auch wenn in Workshops und Coachings immer als eins der erklärten Ziele genannt wurde, Menschen zum Ort hinzubewegen, so wurde doch in diesen Wochen auch eine Erkenntnis deutlich: Es wird immer digitale Nutzer*innen geben, die den Ort nicht brauchen und diesen auch nicht aufsuchen werden. Unbedingt lesenswert ist, was Stephan Schwering dazu gebloggt hat.2 Er ist Leiter der Zentralbibliothek der Stadtbüchereien Düsseldorf und einer der umtriebigsten und experimentierfreudigsten Geister der deutschen Bibliothekslandschaft.
Die meisten Museen werde ich wohl niemals vor Ort besuchen Doch es gibt die Chance, mich als digitale Besucherin zu gewinnen. Ich bin es bereits, etwa beim Museum Burg Posterstein.3 Das möchte ich sogar sehr 2 3
https://schweringsblog.wordpress.com/2020/03/29/librarylife-in-der-coronakrise-1-d igitale-bibliotheksangebote-brauchen-eine-digitale-community/ https://twitter.com/BurgPosterstein
Wibke Ladwig: Sollen die Museen (und andere Kultureinrichtungen) wieder öffnen?
gern besuchen und die Chancen stehen nicht schlecht. Ob ich allerdings mal das Museum of English Rural Life4 besuchen werde? Ich folge ihm beglückt bei Twitter, ebenso dem Museum of London.5 Beiden Museen fühle ich mich verbunden. Sie sind Teil meiner digitalen Dorfgemeinschaft. Ich lasse mich gern ein auf das, was sie zu erzählen und zu zeigen haben. Ob ich sie jemals besuchen werde? Unwahrscheinlich. Nach anfänglicher Euphorie flaute das digitale Engagement vieler Kultureinrichtungen doch ab. Manches wetzte sich auch ab, weil es sich nicht entwickelte oder ein zunächst erfolgreiches Format in die Belanglosigkeit durchgenudelt wurde. Ich denke dabei immer an Musik: Eine Sequenz eines Stückes, ein Paukenschlag an der rechten Stelle oder ein Gitarrenriff, kann einen glücklich machen. Besteht ein Stück nur noch aus diesem Paukenschlag oder Gitarrenriff – ich denke, dazu muss ich gar nicht mehr sagen.
Das Internet als sozialer Raum? Mich trug anfangs die Hoffnung, dass mehr Kultureinrichtungen das Internet als sozialen Raum entdecken würden, auch in der Verbindung miteinander. Es ist doch immer noch selten, dass man gemeinsam etwas auf die Beine stellt oder beim Aufgreifen einer Idee auf die Aktivitäten der anderen verweist. Daher erlaube ich mir, die Frage falsch zu verstehen: Sollen die Museen (und andere Kultureinrichtungen) wieder öffnen? Ja, unbedingt. Im Digitalen mögen sie, bitte, wieder und sich weiter öffnen, sich nicht wieder auf PR und Marketing beschränken, sondern die digitalen Besucher*innen wertschätzen. So würden auch möglicherweise digitale Eintrittsgelder oder Abo-Modelle denkbar. Die Autorin und Künstlerin Petra van Cronenburg bloggte über ihre Erfahrungen mit virtuellen Lesungen während der Corona-Pandemie.6 Ihr Beitrag liefert gute Erkenntnisse, die sich auch auf Angebote etwa zur Kunstvermittlung übertragen ließen. P.S. Zu Schauspiel- und Konzerthäusern sowie anderen Orten kultureller Veranstaltungen kann ich übrigens wenig beitragen. Hier sei als gutes Beispiel das Residenztheater hervorgehoben, das mich mit einem (verabredeten) An-
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https://twitter.com/TheMERL https://twitter.com/MuseumofLondon https://cronenburg.blogspot.com/2020/06/virtuelle-lesungen-nur-eine.html
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
ruf eines der Ensemblemitglieder beglückte. #Resiruftan hieß die Aktion.7 Eine halbe Stunde wunderbares Gespräch mit Franziska Hackl und zwei Gedichte von Kurt Tucholsky. Wunderbar! Beitrag vom 10.06.2020 Wibke Ladwig ist Autorin, Moderatorin, gelernte Buchhändlerin.
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https://www.residenztheater.de/resi-ruft-an
Im Moment sind wir der »Louvre« Benedikt Behm-Henkel und Johannes Lindenlaub
Benni, was hast Du während der Zeit der Schließung am meisten vermisst? Du wirst es nicht glauben: Kindergruppen! Es ist total süß, wenn zum Beispiel Kita-Gruppen in ihren leuchtenden Westen hier reinkommen. Die sind total aufmerksam und interessieren sich! Diese Interessiertheit von Besucher*innen habe ich insgesamt sehr vermisst. Ich freue mich, wenn sie auf mich zukommen, ich unterhalte mich gerne mit ihnen. Weil ich schon so lange hier bin, weiß ich Dinge, die über das hinausgehen, was wir in unserer Dauerausstellung zeigen können – ob das die Architektur betrifft, die Umbauten oder unseren Ursprung als Reichspostmuseum. Als es hieß – am Freitag, den 13. (März) übrigens – wir schließen ab morgen, du brauchst erstmal nicht mehr zur Arbeit kommen, war mein erster Gedanke: Toll! Freies Wochenende, hab ich nicht so häufig. Ziemlich schnell merkst du dann aber, dass dir die Kommunikation mit den Gästen fehlt.
Was ging Dir als erstes durch den Kopf, als Du gehört hast, dass wir wieder öffnen? Eine Frage, und zwar, wie wir das bewerkstelligen sollen. Die Situation ist komplett neu, so etwas gab es noch nie, keiner weiß genau, welche Vorschriften es gibt und wie schnell sie sich wieder ändern. Ich war sechs Wochen zu Hause, davon war ich drei Wochen krank, hatte vier Tage Homeoffice und ansonsten war ich für die Kinderbetreuung zuständig. Da hatte ich Zeit zu überlegen, was man wie machen könnte. Was stellen wir uns vor, was stellt sich die Direktion vor? Ich habe schon vor der Öffnungsankündigung mit unserer Haustechnik Kontakt aufgenommen und erste Dinge besprochen.
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Abb. 1: Benedikt Behm-Henkel an seinem Arbeitsplatz Abb. 2: Besucher in der Ausstellung
Fotos: Benedikt Behm-Henkel
Wie lief die Umsetzung unserer Maßnahmen? Unser Haustechniker hat von der Direktion eine Anfrage zur Umsetzung der Maßnahmen bekommen. Dann wurden Abstände ausgemessen, ein Plan gemacht. Ich habe mit einer Kollegin den Shop im Eingangsbereich umgebaut, um genügend Raum für unsere Gäste und einen separaten Ausgang zu gewährleisten. Es musste trotz der Maßnahmen natürlich auch Platz für Rollstuhlfahrer*innen garantiert sein, nicht nur im Eingangsbereich, sondern überall, insbesondere auch auf dem Weg zum Fahrstuhl. Einige kleinere Dinge mussten wir nach den ersten Erfahrungen optimieren. Ich habe mir zum Beispiel gewünscht, dass im Eingangsbereich ein kontaktloser Desinfektionsmittelspender steht, der dann auch aufgestellt wurde.
Wie war Dein Gefühl am ersten Arbeitstag? Ich war extrem aufgeregt. Kommen überhaupt Gäste? Wie wird das funktionieren? Halten sich die Besucher*innen an die Vorgaben? Und siehe da: das machen die echt, alles hat geklappt. Wir hatten allerdings auch nur wenige
Benedikt Behm-Henkel und Johannes Lindenlaub: Im Moment sind wir der »Louvre«
Gäste. Als Familienmuseum merken wir das Fehlen von Gruppen aus Schulen und Kindergärten sehr, normalerweise kommen häufig Großeltern mit ihren Enkeln, dazu jetzt das Sommerloch, das wir in jedem Jahr spüren, und bei den Touristen stehen andere Museen an erster Stelle.
Fühlst Du Dich sicher an Deinem Arbeitsplatz? Die Besucher*innen bleiben automatisch auf Abstand und sind vorsichtig. Wir tragen alle Masken. Wir haben überall Desinfektionsmittel. Doch, ich fühle mich sicher.
Was sagen die Besucher*innen? Die Resonanz ist positiv. Der erste Spruch unseres ersten Besuchers nach der Wiedereröffnung war: »Ist das schön ruhig hier. Da kann ich mir ja alles ganz in Ruhe anschauen.« Normalerweise haben wir so viele Gäste, darunter sehr viele Kindergruppen und Schulklassen, dass es schwierig sein kann, sich wirklich in die Ausstellungen zu vertiefen. Gut, ich denke, ich hätte gern meine Klassen wieder, das Laute, das Leben. Man kann es nicht allen recht machen. Wir sind nun mal keine Gemäldegalerie. In den Louvre gehe ich nicht mit einer Kindergruppe, da wird es denen langweilig. Im Moment sind wir aber der »Louvre«: Man wandelt langsam durch die Ausstellung, schaut sich alles genau an, nimmt sich Zeit, alles in Ruhe durchzulesen.
Wie sind Deine Erfahrungen mit Gruppen? Eine Gruppe ist nichts weiter als Einzelbesucher*innen, die sich vorher treffen. Unser Museum hat momentan eine Kapazität für 200 Personen. Wir wissen immer genau, wie viele Personen sich zu einer bestimmten Zeit im Museum aufhalten. Wenn eine Gruppe zu uns kommt und die Kapazität durch die Gruppe nicht überschritten wird, dann gelten für die Mitglieder der Gruppe die gleichen Regeln wie für Einzelbesucher*innen. Also nehmen wir natürlich auch Gruppen an, nur dass es zurzeit eben keine Führungen für sie gibt. Die Abstandsregeln gelten für alle, und unsere Mitarbeiter*innen achten darauf, dass sie eingehalten werden. Vorgestern hatten wir unsere erste Gruppe
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
seit der Wiedereröffnung hier, da wollen Einzelne wiederkommen, weil sie sich nicht alles ansehen konnten.
Abb. 3: Blick auf die Ausstellungsgalerien des Museums Abb. 4: Roboter mit Maske im Lichthof
Fotos: Benedikt Behm-Henkel
Gab es auch Kritik? Einzelne sind… sagen wir: verständnisvoll enttäuscht, dass wir insbesondere in der Kommunikationsgalerie im Erdgeschoss unsere interaktiven Elemente abgesperrt haben. Aber das sind die wenigsten, momentan haben wir ja vor allem Einzelbesucher*innen mit größeren Kindern, die sich für diese spielerischen Stationen eher nicht so sehr interessieren. Und für die Touchscreens verschenken wir Touchpens. Wenn es die Vorgaben erlauben, würde ich persönlich es toll finden, wenn wir die Kommunikationsgalerie wieder öffnen. (Anm.: Mittlerweile sind einzelne Stationen wieder für Besucher*innen zugänglich). Die Besucher*innen desinfizieren sich beim Betreten des Hauses die Hände. Wir haben Kapazitäten, die Stationen regelmäßig zu desinfizieren. Selbst Kleinkinder tragen mitunter Masken, obwohl das eigentlich erst ab sechs Jahren vorgeschrieben ist. Die sind das schon gewöhnt.
Benedikt Behm-Henkel und Johannes Lindenlaub: Im Moment sind wir der »Louvre«
Hast Du den Eindruck, der Museumsbesuch ist ein anderer während der Pandemiezeit? Ich habe das Gefühl, dass unsere Besucher*innen aufmerksamer sind, sich auch aufgrund der gut sichtbar im Eingangsbereich platzierten Verhaltensregeln wirklich bewusstmachen, wo sie hier sind, bevor sie ihren Besuch beginnen. Ein Beispiel: Neulich kamen Mama, Papa und Kleinkind, vielleicht fünf Jahre alt, ins Museum. Der Papa desinfizierte sich die Hände, das Kind stellte sich dahinter an. Als der Papa fertig war, hob er das Kind hoch, das desinfizierte sich die Hände, dann desinfizierte sich die Mutter die Hände. Anschließend setzten sich alle die Masken auf und marschieren in einer Reihe, wie so eine Entenfamilie, zu mir an die Kasse. Der Papa sagte noch zum Kind: »So, wir sind jetzt in einem Museum, hier muss man etwas leiser sein.« Und dann hab ich sie nicht mehr gehört. Das ist früher eher anders abgelaufen: Da wär das Kind reingerannt, der Vater total genervt hinterher, und die Mutter hätte bezahlt. Lieber Benni, vielen Dank für Deine Zeit und das Gespräch! Beitrag vom 13.06.2020 Benedikt Behm-Henkel arbeitet seit 2006 als Oberaufsicht im Museum für Kommunikation Berlin. Interview: Johannes Lindenlaub, Pressereferent im Museum für Kommunikation Berlin. Das Gespräch wurde am 3. Juni 2020 per Videokonferenz geführt.
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Fast nichts anders Johannes Reiss
Vorweg: Unser Museum, das Österreichische Jüdische Museum, liegt in der Provinz, jedenfalls von der Hauptstadt Wien aus gesehen. Heute. In der Mitte des 19. Jahrhunderts freilich waren die jüdischen Gemeinden, die auf diesem bis 1921 westungarischem, heute burgenländischem Gebiet existierten, zum Teil echte Metropolen, die als solche auch Weltruhm erlangten. Zumindest in der jüdischen Welt. Das ist heute anders. 1938 bedeutete das endgültige Aus allen jüdischen Lebens im Burgenland. Das Österreichische Jüdische Museum hat das Glück, mitten im ehemaligen jüdischen Viertel von Eisenstadt platziert zu sein, die ehemalige Privatsynagoge des Hoffaktors Samson Wertheimer in unserem Haus ist die einzige »living synagogue« des Burgenlandes sowie die älteste in ihrer ursprünglichen Funktion erhaltene Synagoge Österreichs. Synagogale Gottesdienste kann es nur mehr geben, wenn jüdische Touristen kommen oder wir organisieren … Jüdische Tourist*innen, vor allem aus den USA, kommen jährlich und besuchen die beiden jüdischen Friedhöfe und unser Museum. Besonders im Frühsommer. Seit Mitte März dürfen sie aber nicht mehr kommen, wie lang das so bleibt, ist derzeit offen. Die österreichischen Touristen sowie Urlauber*innen aus Deutschland und einigen anderen angrenzenden Staaten dürfen mittlerweile wieder reisen Das offizielle Burgenland punktet, so der Landeshauptmann und Kulturreferent jüngst mit Hinweis auf die Auswertung einer aktuellen Studie, mit »Natur, Kulinarik, Wein und Wellness«1 . Das alles wäre für unseren Zusammenhang vielleicht nicht so wichtig, soll aber deutlich machen, dass ich kein pauschales Urteil abgeben kann und will,
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Interview mit Landeshauptmann Hans Peter Doskozil »UnsereHeimathatvieleVorzüg e!« auf »schauclub.at«: https://www.schauclub.at/magazin/landeshauptleute-im-sch au-talk-teil-1/
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
ob Museen jetzt öffnen sollen oder nicht. Ich beziehe mich ausschließlich auf die sehr spezielle Situation unseres Museums. Auch wir mussten am 16. März schließen, im Gegensatz zu vielen anderen Museen und Kulturbetrieben waren aber unsere Mitarbeiter*innen nicht auf Kurzarbeit, sondern zunächst im Homeoffice. Was vor allem deshalb nicht nur möglich, sondern sinnvoll war, weil unser Museum bereits seit 2009 mit sehr hoher Frequenz und Regelmäßigkeit wesentliche Inhalte der Museumsarbeit online, also digital publiziert und über diese Onlineplattform mit seinen Usern intensiv interagiert. Nicht zuletzt für uns die beste Möglichkeit, unser relativ kleines Museum weltweit bekannt zu machen. Und diese Arbeit kann natürlich auch vom Homeoffice aus erledigt werden. Genau genommen, leise angemerkt, sogar besser als nur nebenbei, zwischen Meetings, der Betreuung von Besucher*innen und Führungen. Diese Arbeit hat aber nichts zu tun mit den gut gemeinten Tipps der Regierungsverantwortlichen, dass Museen jetzt stärker auf Digitalisierung setzen sollen. Die meisten dieser Tipps zielten auf Substitution. Weder für Schüler*innen noch für Erwachsene können aber Onlineführungen Ersatz für einen Besuch im Museum bieten. Ich sehe nicht in die Gesichter meiner Onlinebesucher*innen (für mich ist das ausgesprochen wichtig), ich sehe nicht, ob sie noch zuhören, wie sie mein Gesagtes aufnehmen, ob sie überhaupt verstehen, was ich erzähle, ob sie gähnen, weil sie mein Vortrag ermüdet, ob sie lachen, wenn ein Witz fällt usw. Bei Kindern ist die Problematik selbstverständlich eine noch viel größere, insbesondere Schüler*innen der Volksschule brauchen das haptische (etwa das Pergament der nicht koscheren Torarolle angreifen), oder auch das visuelle Erlebnis (etwa den Sandkalkstein der 300 Jahre alten Grabsteine am jüdischen Friedhof). Ein Video könnten sich die Kinder auch in der Schule im Religions- oder Geschichteunterricht ansehen. Die Kinder wollen interagieren, sprich, zwischendurch etwas sagen, fragen, singen, meinetwegen auch tanzen… Faktum ist, dass das individuelle Erlebnis im Museum nicht substituierbar ist. Digitale Arbeit ist für uns von Anfang an kein beliebiges Beiwerk der Museumsarbeit, sondern integraler Bestandteil unserer Museumsarbeit. Die »virtuellen Besucher*innen« sind uns in gleichem Maße wichtig wie die physischen. Die Letzteren durften seit 16. März nicht ins Museum kommen. Vor allem die vielen bis Ende Juni abgesagten Schulklassen und Erwachsenengruppen schmerzen extrem, auch wegen des erheblichen finanziellen Verlusts, den wir in diesem für uns jährlich so wichtigen Quartal diesmal machen.
Johannes Reiss: Fast nichts anders
Seit Mitte April arbeiteten wir wieder, tageweise abwechselnd, im Museum und konnten längst notwendig gewordene Adaptierungsarbeiten angehen. Auch digital setzten wir neue Impulse: Mit einem Video aus der Drohnenperspektive sowie unserem neuen Format, dem Podcast »Koscher-Schmus«, der sich vor allem mit häufigen Fragen unserer Besucher*innen beschäftigt, versuchten wir wieder Lust auf einen Museumsbesuch zu machen, sobald ein solcher möglich sein wird. Die Entscheidung, das Museum für Einzelbesucher*innen voraussichtlich erst am 1. Juli wieder zu öffnen, hing vor allem damit zusammen, dass weder US-Touristen noch Schulklassen, die beiden stärksten Gruppen in dieser Jahreszeit, derzeit kommen können bzw. dürfen. Gruppen im sich alle paar Tage ändernden gesetzlichen Rahmen dürfen ohnehin schon seit Mitte Mai das Museum besuchen und Anfang Juni starteten wir eine Vortragsreihe, die, soweit wir bisher sagen können, ausgesprochen gut besucht wird. Die Veranstaltungsbesucher*innen kommen mit großer Begeisterung, unisono suchen sie wieder das Gespräch, die Diskussion, das Live-Erlebnis. Faktum ist, dass das Burgenland in erster Linie tatsächlich See-, Bade- und Radtouristen anlockt. Aber auch diese werden einmal müde vom Sport und von der Sonne… spätestens dann sollten wir Museen unserer kulturpolitischen Aufgabe nachkommen können und geöffnet haben. Wir im Jüdischen Museum sind jedenfalls flexibel genug, um auf mögliche Touristenströme in den nächsten Tagen zeitnah zu reagieren und doch schon vor dem 1. Juli zu öffnen. Beitrag vom 14.06.2020 Johannes Reiss ist Direktor und Geschäftsführer des Österreichischen Jüdischen Museums.
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Offen trotz Schließung Die wichtige Rolle der Kulturvermittlung in Zeiten von Corona Anke von Heyl
Es liegen bewegte Wochen hinter den Kulturinstitutionen und den Menschen, die für sie arbeiten. Die Situation des Lockdowns angesichts der Corona-Pandemie war ein Schock, auf den niemand vorbereitet war. So langsam treten wir in die Phase erster Lockerungen ein. Es wird aber noch sehr lange dauern, bis wir zu einem gewissen Grad an Normalität zurückkehren werden. Was ich spannend finde: gerade jetzt wird so manches auf den Prüfstand gestellt. Und da kommt eine Blogparade wie die von Jörn Brunotte natürlich wie gerufen. Eigentlich fragt er dort nach den Erfahrungen der Museen, aber er lud mich ein, über meine Sicht zu schreiben. Da ich es allemal gut finde, den Blick zu erweitern und von außen auf die Museen zu schauen, will ich gerne zu dieser Blogparade beitragen. Wie die Museen sich gerade fühlen, hat Daniela Sistermanns vom Marta Herford in einem sehr lesenswerten Beitrag dargelegt.1 Sie beschreibt darin, wie sich das Team davon getragen fühlt, dass die Besucher*innen ihnen ihre Wertschätzung so deutlich zeigen. Das ist meines Erachtens nicht nur ein Zeichen der Sehnsucht nach Kultur. Sondern vor allem ein Ausdruck der Solidarität mit einem Haus, mit dem man sich verbunden fühlt. Diese Verbundenheit ist ein perfekter Indikator dafür, wie gutes Community Building funktioniert. Wibke Ladwig hat in ihrem Beitrag darüber geschrieben, dass sie immer noch recht skeptisch auf die ganzen Öffnungsszenarien blickt. Und betont, dass die Zeiten von Social Distancing eigentlich gezeigt haben, welche Bedeutung dem digitalen Besuch zukommen kann. Ich teile ihre Meinung, dass den digitalen Besucher*innen die gleiche Aufmerksamkeit zukommen muss, wie
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https://marta-blog.de/marta-erwacht-vom-wert-der-kultur-in-pandemie-zeiten/
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
den analogen. Es ist genau jetzt an der Zeit, diese Einschätzung auch in das strategische Denken aufzunehmen.
Kulturvermittlung in Zeiten von Corona Es wird viel von Kulturvermittlung gesprochen in diesen Tagen. Das sehe ich gerne, zeigt es doch, dass genau jetzt die Stunde derjenigen geschlagen hat, die sonst gerne als nachrangige Disziplin im Ökosystem der Kulturproduktion gesehen wurden. Wobei wir schon ein erfreuliches Aufbrechen hierarchischer Strukturen sehen und die Vermittlung viel öfter als früher von Anfang an in Projekte eingebunden wird. In der Zeit des Lock-down sah ich an so vielen Stellen Angebote aus dem Bereich der Vermittlung – kleine Erklärfilme, DIYAnleitungen und natürlich reihenweise Führungen. Wir lernten viele Vermittler*innen persönlich kennen und so manches Haus war froh, auf die Expertise und die Ideen aus dieser Abteilung zurückgreifen zu können. Ich möchte aber gerne an dieser Stelle noch einmal an die vielen Kolleginnen und Kollegen da draußen appellieren, sich stärker mit den Rahmenbedingungen der Digitalität auseinanderzusetzen. Um die Erfahrungen, über die sie im Analogen verfügen, auch nutzbar für die digitalen Angebote zu machen. Denn dort ist meiner Ansicht nach noch viel Luft nach oben, wie ich bereits anandererStelle ausgeführt habe.2 Und ich frage mich auch, ob die Vermittlung nicht in manchen Fällen zu eindimensional gesehen wird. Ich meine, es braucht mehr Konzepte für eine differenzierte Vermittlung, die über rein affirmative Ansätze hinausgehen. Wie seht ihr das?
Gedanken zur Transformation Mir kommt das Stichwort Rahmenbedingungen in den Kopf: Es gibt an dieser Stelle viel zu tun, damit wir gute und sinnvolle Vermittlungs-angebote entwickeln können. Welches Mindset hinter der Digitalität steckt, das wurde sehr gut nachvollziehbar in einem Webinar der Kulturpolitischen Akademie dargelegt, das ich euch gerne zum Nachsehen empfehlen will. Mir wird immer bewusster, dass die Kulturvermittlung stärker auch in den kulturpolitischen Diskurs einsteigen muss. Nicht nur, um ihre Ansprüche für Gestaltung von 2
https://www.ankevonheyl.de/zukuenftige-aufgaben-der-kulturvermittlung/
Anke von Heyl: Offen trotz Schließung
Kulturinstitutionen der Zukunft zu reklamieren. Sondern auch um sich selbst noch intensiver mit der eigenen Rolle auseinanderzusetzen und eine entsprechende Lobby zu haben. Ganz besonders im Zusammenhang des digitalen Wandels. Entscheidend wird zukünftig auch sein, die Möglichkeiten zu erkennen, das Analoge gewinnbringend mit dem Digitalen zu verbinden. Es gilt das digitale Publikum besser einschätzen zu können und sich entsprechend dieser Erkenntnisse neu aufzustellen. Dass man aber innovative Formate nicht mal eben nebenbei erfinden kann, sollte klar sein. Auch, dass man für ein wirklich nachhaltiges Audience Development viele Schritte gehen muss. Denn natürlich erreichen wir zunächst einmal mit den bisherigen Angeboten all diejenigen, die wir schon kennen. Man muss zum Beispiel auch den Outreach-Geda nken stärker im Hinblick auf das Digitale fokussieren.3 Das wäre für mich ein lohnenswerter Ansatz – gerade jetzt!
Wie kommen wir denn jetzt in die Praxis? Unlängst war ich bei der Europeana eingeladen, zu einem Webinar beizutragen, in welchem sich die Educator Community getroffen hat.4 Dort ging es um Projekte, die Kultur vermitteln, wenn zum Beispiel die Schulen geschlossen sind. Die Arbeit mit Schulklassen ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt der analogen Kulturvermittlung und das Wegbrechen der Besuche von Museen und Kultureinrichtungen hat massive Auswirkungen gehabt – auf beiden Seiten. Denn auch Schüler*innen fehlte der kulturelle Input! Vor diesem Hintergrund war ich sehr beeindruckt, welche Fülle an digitalen Schul-Projekten es auf der Europeana schon gibt. IsabelCrespo5 hat in ihrem Input die vielfältigen Kooperationsmöglichkeiten im schulischen Kontext vorgestellt. Ich denke, dass man dort eine Fülle von Anregungen bekommen kann und viele Ansätze findet, die sich auf eigene Projekte übertragen lassen. Super spannend war auch der Input von EmmaAbbate, die über Projekte mit Schulklassen berichtete, in denen sie angeregt hat, kulturelle Inhalte in Minecraft zu implementieren. Die Verbindung zwischen Kulturvermittlung und Gaming ist aus meiner Sicht äußerst gewinnbringend. Nicht nur, was den 3 4 5
https://www.gesellschaftsgestalter.org/outreach-museen-diversitaet/ https://www.youtube.com/watch?v=rRbAjLmdhSo https://pro.europeana.eu/person/isabel-crespo
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Faktor der Motivation angeht. Ich verweise gerne auch auf die Untersuchungen von SabineGörner auf diesem Feld.6 Mein Input für das Europeana-Webinar bezog sich auf die Kulturvermittlung im digitalen Raum. Diese muss man gesondert in den Blick nehmen, denn in der Regel interagiert man hier nicht mit Gruppen, die einen aufsuchen. Also spielen Fragen der Erreichbarkeit, der Anschlussfähigkeit an die Lebenswirklichkeiten der unterschiedlichen Gruppen, eine andere Rolle. Und ich hatte natürlich nicht speziell die Klientel der Schüler*innen im Blick. Kulturvermittlung im digitalen Raum richtet sich vor allem an spezielle Social Media Communities. Man könnte auch von der Filterblase der kulturinteressierten Netzaktivist*innen sprechen. Aber die ist ja nicht per se schlechter als andere. Als Beispiel hatte ich #wastingtimewithart im Gepäck. Was es mit diesem Projekt von der KunsthalleKarlsruhe auf sich hat, könnt ihr bei den Herbergsmüttern nachlesen. In einem ausführlichenBlogpost, der jede Menge Material für die Ideenfindung beinhaltet.7 Als nächstes habe ich noch vom Ansatz der Community of Practice gesprochen, den ich zum Beispiel beim neu ersonnenen Format des Goethe-Morgenmagazins sehe, welches das Goethe-Museum in Düsseldorf auf Instagram an den Start gebracht hat. Schaut da gerne mal vorbei!8
Fazit im Sinne von #closedoropen Für mich persönlich stellt sich die Frage nach Öffnung oder Schließung eines Museums gar nicht. Für die Einrichtungen ist es natürlich ein zentrales Anliegen und ich muss sagen, ich habe mir vor Corona auch nicht so viele Gedanken über die Höhe der Einnahmen durch Eintrittsgelder gemacht. Das ist schon entscheidend. Wobei ich denke, dass man auch die Angebote im Digitalen nicht immer kostenfrei zur Verfügung stellen soll. Hier lohnt es sich, über neue Erlösmodelle nachzudenken. Generell ist es natürlich jeweils individuell zu betrachten, ob man jetzt ein perfektes Hygienekonzept gefunden hat und öffnet. Oder ob es Bedingungen gibt, die einen dazu zwingen, noch eine Weile
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www.sabinegoerner.de/realismus-im-computerspiel/ https://herbergsmuetter.de/wenn-zuhause-die-kunst-einzieht-wastingtimewithartkunsthalleathome/ https://www.goethe-museum.de/de/veranstaltung/goetheathome-digitale-kulturan gebote
Anke von Heyl: Offen trotz Schließung
die Schotten dich zu halten. Ich vertraue da auf die Verantwortung all derjenigen, zu deren Job das gehört. Was ich aber viel wichtiger finde: Öffnung in einem anderen Sinne zu betrachten. Und zwar unabhängig davon, ob man gerade eine Phase der tatsächlichen Schließung durchlaufen muss. Wenn es ein Lernen aus der Ausnahmesituation der Corona-Pandemie gibt, dann ist es dies: Experimente wagen, rausgehen zu den Menschen, sich zeigen und relevant bleiben, wenn alles in Frage gestellt wird und existentielle Nöte auftauchen. Ein Gewinn ist es, wenn Kultureinrichtungen sich als zugänglich erweisen. Als Ort aber auch im Sinne von Ansprechbarkeit und Offenheit für das, was die Menschen umtreibt. Dann wird alles gut! Wir haben erlebt, wie unterstützend und aufbauend Kultur sein kann. Diese Rolle steht den Einrichtungen besonders gut und ich würde raten: Setzt in Zukunft weiter darauf. Beitrag vom 15.06.2020 Anke von Heyl ist Kunsthistorikerin, Kulturvermitttlerin, Autorin und Moderatorin.
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#closedoropen – doing the (im)possible Museumsbetrieb und Ausstellungseröffnung auf den Dornburger Schlössern Maria Porske
Jährlich zieht es die Menschen in den Frühjahrs- und Sommermonaten in die Dornburger Schlösser und Gärten. Saisonal besticht der einstige Sommersitz der Herzöge von Sachsen-Weimar-Eisenach unweit von Jena mit seiner gärtnerischen und baulichen Vielfalt. Hier stehen drei Schlösser aus drei unterschiedlichen Epochen als Zeitzeugen ihrer Geschichte. Sommerliches Residieren, Jagen, Flanieren, beschwingtes Feiern, der Aufenthalt von Berühmtheiten wie J. W. Goethe, sind im Rokoko – und dem danebenstehendenden Renaissanceschloss museal erlebbar. Statt wie gewohnt ab 1. April konnte das Museum erst ab dem 1. Mai unter Beachtung von Infektionsschutzregeln öffnen. In Vorbereitung bedeutete das, ein Hygiene-Konzept zu erstellen, ausreichend Desinfektionsmittel und Masken zu besorgen – letzteres zumindest für diejenigen Gäste, die selbst keine mitgebracht hatten. Gut vorbereitet und dennoch etwas besorgt, standen die Mitarbeiter*innen also Anfang Mai hinter der Museumskasse. Würden Besucher*innen kommen und Verständnis für die Bestimmungen mitbringen? Sicher war, dass nicht wie sonst Bustouren und Gruppenführungen stattfinden würden. Doch die Gäste – zunächst aus der näheren Umgebung, dann von immer weiter her – ließen nicht lang auf sich warten und reagierten größtenteils im rücksichtsvollen Miteinander auf die Infektionsschutzmaßnahmen.
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Dornburger Schlösser und Gärten
©Marcus Glahn
Derweilen gingen die Vorbereitungen für die Ausstellung »Teilen und Haben – Positionen aus der Gegenwartskunst« in die Endphase. Denn die gemeinsam mit dem Verband Bildender Künstler Thüringen e.V. geplante Ausstellung findet trotz aller Widrigkeiten vom 30. Mai bis 2. August statt. Nach und nach sammelten sich im Mai 25 Arbeiten von 22 Künstler*innen, die nach einer Ausschreibung des Künstlerverbandes unter seinen 330 Mitgliedern von einer Jury ausgewählt und zu einer Ausstellung gefügt werden. Eingestreut in den Museumsrundgang wird das vielschichtige Thema mal hier mal dort unvermittelt und in unterschiedlichsten Kontexten sichtbar, gibt Denkanstöße zu Geschichte und Gegenwart, wird ästhetisch wirksam und konfrontiert mit Fragen, die jede*n betreffen.
Maria Porske: Museumsbetrieb und Ausstellungseröffnung auf den Dornburger Schlössern
Marion Walter »Machtverteilung«
Vor dem Hintergrund der Corona-Krise bekam das Ausstellungsthema noch eine ganz andere Bedeutung: Probleme lösen, für die Gäste geöffnet sein und einen Anlass zum Besuch bieten, bei aller Vorsicht Kultur miteinander teilen. Doch »Teilen und Haben« wollten wir natürlich nicht das Corona-Virus mit den Akteuren und Gästen. Statt einer herkömmlichen Vernissage im Veranstaltungsformat, verlegten wir die Ausstellungseröffnung ins Virtuelle. Vor Ort trafen sich nur die Akteure vom Künstlerverband und der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten – natürlich gemäß den geltenden Regeln. Was erst umständlich daherkam, wurde schnell zur automatisierten Gewohnheit: Mundschutz auf, Fußkick statt Händeschütteln, höflich-vorausschauendes Bewegen im Mindestabstand. Und dann: Auf die Smartphones, fertig, los! – entstand Stück für Stück ein kleiner Trailer, der einen Einblick in die Entstehung Konzeption und Inhalte der Ausstellung gibt.1 Er komplementiert den für die Besucher in ausreichender Anzahl gedruckten Ausstellungskatalog und Flyer. Bisher gibt es ausschließlich positive Rückmeldungen zum Besuch der Dornburger Schlösser, zum Museumsrundgang und zur Ausstellung selbst. Resümieren können wir daher, dass sich Durchhaltevermögen, Flexibilität 1
https://www.youtube.com/watch?v=sT8f51LucaE&feature=youtu.be
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
und Ideenreichtum auszahlen. Unser Fazit zur Frage #closedoropen lautet von daher: #definitelyopen!
Dornburg, Rokokoschloss und Garten
©Marcus Glahn
Beitrag vom 16.06.2020 Maria Porske ist bei der Thüringer Stiftung Schlösser und Gärten für Social Media und Marketing zuständig.
Neue Herausforderungen, neue Wege Museen in der Corona-Krise Marlene Hofmann
Jörn Brunotte ruft zur Blogparade #closedoropen auf und stellt Museen wie Besuchern die Frage: Sollen die Museen wieder öffnen? Wie sind die Erfahrungen mit der Wiedereröffnung? Als Museum Burg Posterstein möchten wir hier unsere Sicht auf die Wiederöffnung nach dem Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 geben. Dass Museen sobald wie möglich wieder öffnen müssen, steht für uns außer Frage, denn die Präsentation und Vermittlung von Kultur, Kunst und Geschichte zählen zu den fünf Säulen der Museumsarbeit, ohne die ein Museum kein richtiges Museum ist. Aus genau diesem Grund fanden wir es auch selbstverständlich, dass Museen ihre Vermittlungsarbeit in der Schließzeit digital weiterbetreiben.
Ausstellung und Vermittlung in der Zeit der Schließung Da wir die Online-Vermittlung ohnehin zu jeder Ausstellung mitdenken, stellte das keine Hürde dar, denn die Infrastruktur und das Know-how sind vorhanden. Auf diese Weise konnten wir in der Zeit der Schließung mit vielen Besucher*innen über die verschiedenen sozialen Netzwerke in Kontakt bleiben und sogar neue Bekanntschaften knüpfen. In der Zeit der Schließung (in unserem Fall ab 15. März 2020) konzipierten wir die Mitmach-Foto-Ausstellung #Schlössersafarivirtuell,weltweit, bei der Blogger*innen, Instagrammer*innen, Fotograf*innen, Burgen- und Schlösser-Fans aller Art ihre Fotos und kurzen Reisegeschichten per Mail an uns schicken konnten. Insgesamt gingen 50 Bilder und Geschichten ein und es entstand über den Hashtag #Schlössersafari ein lebhafter Austausch auf Twitter und Instagram, der unser Netzwerk erweitert hat. Die Aktion und Ausstellung promoviert übrigens nicht nur Burg Posterstein, sondern Schlösser und Bur-
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
gen weltweit. Verwundert mussten wir feststellen, dass kaum andere Burgen, Schlösser oder gar die regionalen Tourismusverbände die Ausstellung genutzt haben, um sich und ihre Häuser zu präsentieren.
Burg Posterstein – seit 16. Mai 2020 nach der coronabedingten Schließung wieder geöffnet.
Darüber hinaus ergänzten wir die Foto-Ausstellung »Landschaft nach der Wismut – Fotografie von Karl-Heinz Rothenberger«, die noch bis 19. Juli 2020 zu sehen ist, um eine digitale Erweiterung mit ausführlichen historischen Informationen.1 Ein Novum für uns war, das Osterferien-Programm für Kinder digital durchzuführen. Entstanden ist ein Rätsel mit Gewinnspiel in fünf Teilen. Die einzelnen Quizfragen gab es per Blogpost und Video in unserem KinderburgBlog. Auch in Zukunft wollen wir im Kinderburg-Blog verstärkt mit kurzen, selbst produzierten Videos experimentieren.2
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https://blog.burg-posterstein.de/landschaft-nach-der-wismut/ https://www.youtube.com/playlist?list=PLUBsiPf8TPjQxPZ37SIDeGwJSZRWYHYXD
Marlene Hofmann: Neue Herausforderungen, neue Wege
Wiedereröffnung mit Hygiene-Konzept Sobald bekannt wurde, dass die Thüringer Museen wieder öffnen dürfen, erarbeiteten wir gemeinsam mit den verantwortlichen Behörden des Landkreises Altenburger Land ein eigenes Hygiene-Konzept. Unterstützung und Hinweise gab es regelmäßig durch den Thüringer Museumsverband. Das Konzept sieht einen festen Rundgang durch die Burg vor, eine maximale gleichzeitige Zahl von 30 Besucher*innen, das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung, das regelmäßige Desinfizieren der Oberflächen und Hand-Desinfektionsspender für Besucher*innen und Mitarbeiter*innen. Zunächst blieben Turm und Verlies geschlossen, alle Touchscreens, Hörstationen und Informationsmaterialien zum Anfassen mussten aus der Ausstellung entfernt werden. Veranstaltungen, Führungen und Kindergeburtstage müssen weiterhin ausfallen.
Wegeführung im Museum Burg Posterstein im Juni 2020.
Am 16. Mai 2020 konnte das Museum unter diesen Auflagen wieder öffnen. Seit Anfang Juni gibt es eine Schrankenregelung, damit Besucher auch den Turm und das Verlies wieder besichtigen können. Die Foto-Ausstellung »Landschaft nach der Wismut« wurde bis 19. Juli 2020 verlängert. Für Familien mit Kindern haben wir einen neuen »Kinderburg-Spezialrundgang« mit Schatz-
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
karte durch die Ausstellung konzipiert. Die Kunstausstellung »Peter Zaumseil & Ludwig Laser zum 125. Geburtstag – Malerei, Grafik & Keramik” wurde verschoben und ist nun von 2. August 2020 bis 15. November 2020 zu sehen.3 Für diese Ausstellung planen wir bereits jetzt ein digital-analoges Eröffnungsformat, das über den ganzen Eröffnungstag läuft, sodass allen Besucher*innen die Möglichkeit gegeben wird, die Künstler*innen zu treffen und ihre Werke in Ruhe zu betrachten.
Im Turmaufgang gibt es derzeit eine »Schranke«, damit auch hier die Abstandsregeln eingehalten werden können.
Der Großteil unserer Besucher*innen reagierte bisher sehr verständnisvoll auf die neuen Verhaltensregeln im Museum. Viele kommen von weit her, um die Burg zu besuchen – Leipzig, Erfurt, Dresden, Berlin. Mit den weiteren Lockerungen, die die Verantwortung an die unterste Ebene – den Museumsbetreiber – weitergeben, könnte es in Zukunft schwieriger werden, um Verständnis für das weitere Einhalten der Hygieneregeln zu werben. Wir freuen uns jedoch, dass uns so viele Menschen – gerade Familien – bereits wieder besuchen, wenn auch weniger als normalerweise. 3
https://www.burg-posterstein.de/veranstaltungen/peter-zaumseil-und-ludwig-laser -zum-125-geburtstag-malerei-grafik-skulpturen-und-keramik/
Marlene Hofmann: Neue Herausforderungen, neue Wege
Die Verluste sind exorbitant Die Verluste für unser Museum durch zwei Monate Schließung, ausfallende Veranstaltungen und Gruppenbesuche sowie durch geringere Besuchszahlen nach der Wiedereröffnung sind einschneidend. Als vereinsgetragenes Haus bekommen wir einen Zuschuss vom Landkreis Altenburger Land, müssen jedoch etwa ein Drittel unseres Budgets selbst erwirtschaften. Die Verluste durch die Corona-Pandemie sind im laufenden Jahr nicht wieder gut zu machen und bedrohen die Existenz des Museums, sollte es keine finanziellen Hilfestellungen geben. Spätestens jetzt hat sich herauskristallisiert, dass diese Art der Finanzierung von Museen nicht optimal gestaltet ist. Denn sie ist auf Sachkosten ausgelegt, nicht auf Personal. Wenn uns als Gesellschaft Kultur, Bewahrung und Vermittlung wichtig sind, müssen wir uns Museen leisten wollen.
Bitte nur einzeln ins Gefängnis – der Zugang zum Verlies der Burg Posterstein.
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Neue Wege gehen Während in den vergangenen Jahren Veranstaltungen und Vermittlungselemente zum Anfassen immer mehr in den Fokus gerückt sind, nehmen wir die Krise nun zum Anlass, um vor Ort auch nach alternativen Formaten und weiteren Kooperationen zu suchen. Die Krise hat gezeigt, dass Kultureinrichtungen eben doch ein wichtiger Tourismusfaktor sind, denn wenn sie schließen müssen, bleiben auch die Gäste für Gastronomie und Übernachtung aus. Im Augenblick entwickeln wir gemeinsam mit den Postersteiner Gastronom*innen eine besondere kulinarische Tour für Erwachsene, die interessante Details aus der Geschichte mit exklusiven gastronomischen Angeboten verbindet. Auf diese Art wollen wir auch hier unsere Vernetzung ausbauen und gemeinsam werben. Unsere analoge Foto-Ausstellung#Schlössersafari, die im Frühjahr 2019 auf Burg Posterstein zu sehen war, ist im Moment auf Wanderschaft. Bis September 2020 ist die Ausstellung in erweiterter Form auf BurgRanis (Thüringen) zu sehen. – Auch diese Art der Kooperation ist ein Novum für uns.
Blick auf Burg Posterstein.
Marlene Hofmann: Neue Herausforderungen, neue Wege
Darüber hinaus arbeiten wir an der neuen Familienausstellung »Aus dem Alltag eines Burgherrn«, die am 4. Oktober 2020 eröffnet.4 Dass unsere Themen und Inhalte auch während der Schließzeit gefragt waren, spiegelt das große Interesse wider, das unseren Online-Aktionen entgegengebracht wurde. Es zeigt sich, dass ein stabiles, auch digital gepflegtes Netzwerk uns durch eine solche Krise tragen kann – wenn auch nicht finanziell. Wibke Ladwig schildert in ihrem Beitrag zu dieser Blogparade beispielsweise ihre Sicht als digitale Besucherin. Die Krise zeigt, dass man in Zukunft viel mehr überlegen muss, wie digitale Vermittlungsangebote auch finanziell honoriert werden können, solange die Museen nicht ausreichend finanziert sind (wobei das dem Bildungsauftrag widerspricht, in der Schule zahlt man schließlich auch keinen Eintritt!). Auch hier gibt die Krise Anstoß zum Nachdenken. Diese Entwicklung wollen wir weiterhin beobachten. Beitrag vom 17.06.2020 Marlene Hofmann leitet die Öffentlichkeitsarbeit beim Museum Burg Posterstein.
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https://www.burg-posterstein.de/veranstaltungen/familienausstellung-aus-dem-allt ag-eines-burgherrn/
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Die konstruktive Kraft des Lockdowns Ein Gastbeitrag von Jasmin Mickein #closedoropen Jasmin Mickein
Der Lockdown war eine Belastungsprobe und mit vielen Unsicherheiten verbunden. Aber die Schließzeit der Museen hat auch Neues hervorgebracht. Durch verschiedene Projekte der Kunsthalle Bremen wird eine konstruktive Kraft des Lockdowns deutlich: Digitale Projekte, die jahrelang in der Schublade lagen, wurden plötzlich realisiert und eine neue Ausstellung wurde geplant. Die Schließung der Kunsthalle Bremen ging einher mit der geplanten Eröffnung einer neuen Ausstellung. »Norbert Schwontkowski. Some of My Secrets« (21. März bis 2. August 2020) wurde sehnlichst erwartet von den Bremer*innen und dem Museum selbst. Doch als die Ausstellung fertig aufgebaut war, konnte sie nicht eröffnen. Das war ein komischer Moment. Wie wenn man eine Geburtstagsfeier vorbreitet, Kuchen backt, sich aufbrezelt und dann alleine zu Hause sitzt, in die Stille starrt und mit Partyhütchen auf dem Kopf unmotiviert in eine Tröte bläst. In so einer Situation stellt man sich schmerzliche Sinnfragen: Hat Kunst eigentlich noch eine Bedeutung, wenn sie keine*r sieht? Wozu dient ein Museum, wenn keine*r rein darf? Das Museum von heute will kein stiller, einsamer Ort sein. Es will den Austausch, es will besucht werden und es will, dass man vor der Kunst denkt, lacht, streitet. Denn Kunstwerke, die nicht in den Dialog mit den Betrachter*innen treten, wirken plötzlich sinn- und leblos. Um die Kunst trotz der Schließzeit zugänglich zu machen, entwickelte die Kunsthalle Bremen verschiedene neue Angebote. Man könnte sagen: Endlich waren wir gezwungen, Projekte, die schon lange auf dem To-Do-Stapel lagen, anzugehen! Dazu zählt beispielsweise ein 360-Grad-Rundgang durch die Schwontkowski-Ausstellung. Jahre zuvor hatten wir uns bereits mit dem Thema befasst, aber irgendwie gab es nicht die Dringlichkeit, in solch ein
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Format zu investieren. Die Klickzahlen belegen nun, dass der Rundgang – vor allem während der Schließzeit – gut angenommen wurde.
360-Grad Rundgang durch die Norbert Schwontkowski-Ausstellung
Umsetzung: Marcus Meyer
Auch die interaktive Online-Akademie wurde während des Lockdowns umgesetzt. Vor Corona wurden Seminare im Museum abgehalten. Diese waren nun einerseits nicht mehr erlaubt und andererseits gehört ein Großteil der Besucher*innen der kunsthistorischen Seminare der Risikogruppe an. Es war also fraglich, wann und ob solche Seminare wieder möglich sein würden. Entsprechend befassten wir uns nun mit der technischen Umsetzung eines Webinars via Videocall. Seit Mitte Mai 2020 sind wir – soweit wir wissen – das erste Kunstmuseum in Deutschland, das eine interaktive Online-Akademie anbietet! Und die ersten Kurse waren direkt ausgebucht.
Jasmin Mickein: Die konstruktive Kraft des Lockdowns
Online-Akademie der Kunsthalle Bremen mit Dr. Alice Gudera
Foto: Kunsthalle Bremen
Die Corona-Quarantäne brachte auch eine neue, internationale Challenge hervor: #TussenKunstenQuarantaine (zwischen Kunst und Quarantäne) ermutigt Menschen dazu, Kunstwerke zu Hause mit den einfachsten Mitteln nachzustellen. Kurzerhand entschieden wir uns, aus dem Konzept eine neue Ausstellung zu machen: Wir riefen dazu auf, Werke aus unserer Sammlung nachzustellen und uns die Fotos zuzusenden. Eine Auswahl von 77 eingereichten Fotos stellen wir unter dem Titel »Und jetzt Du! Kunstwerke in Quarantäne nachgestellt« (8. Juli bis 6. September 2020) aus.1 Obwohl die Museen geschlossen waren, konnte die Kunst durch diese Aktion in den Alltag integriert und zum Leben erweckt werden. Menschen setzten sich kreativ und intensiv mit Kunstwerken aus der Bremer Sammlung auseinander. Unter anderem deshalb stiegen die Zugriffszahlen auf den Online-Katalog im Vergleich zum Vorjahr um das 6-fache.
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https://www.kunsthalle-bremen.de/de/view/exhibitions/exb-page/und-jetzt-du
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Fotos »zwischen Kunst und Quarantäne«: Diana Spanier (nach Paula ModersohnBecker), Karl-Holger Meyer (nach Albrecht Dürer), Jette und Jörg Peterschewski (nach Henri de Toulouse-Lautrec)
Wir entschuldigen vieles mit »wegen Corona« – geschlossen, verschoben oder abgesagt. In unserem Fall würde ich aber sagen, tolle und nachhaltige Projekte entstanden »dank Corona«. Beitrag vom 18.06.2020 Jasmin Mickein leitet die Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kunsthalle Bremen.
#Closedoropen – Ein Beitrag zur Blogparade von :beramus Markus Speidel
Selten, ganz selten greife ich in die Tasten, um etwas auf diesem, meinem privaten, Blog zu posten. Inzwischen sind mehr als zwei Jahre seit dem letzten Beitrag vergangen, was aber die letzten Wochen passiert ist, kann eigentlich in Worte kaum mehr gefasst werden. Ein kurzer Abriss zum Lockdown bis zur Wiedereröffnung der Museen. Am Montag, den 6. März habe ich mich bei meinem Arbeitgeber mit einer Erkältung krankgemeldet und verbrachte die folgende Woche mit Fieber im Bett, während um mich herum die Welt sich in rasender Geschwindigkeit veränderte. Am Freitag, den 13. März, um kurz nach 14 Uhr, wurde das Museum der Alltagskultur geschlossen, der Coronavirus hatte begonnen sich exponentiell zu verbreiten und das öffentliche und somit auch das kulturelle Leben einzufrieren. In den folgenden Tagen musste ich den geschlossenen Rückzug meiner Abteilung ins mobile Arbeiten und neue Kommunikationsstrukturen organisieren.
Lockdown Eigentlich sollte dies ein Blogbeitrag über Museen und Relevanz werden. Beim Schreiben habe ich allerdings festgestellt, dass ich dafür eigentlich nicht gewappnet bin und meine Argumentationskette nicht schlüssig war. Daher, und weil auch meine Einstellung zum Thema sich ständig ändert und auch weil Jörn Brunotte nicht lockergelassen hat, und mich in einer Mischung aus Drill Sergeant und Sozialarbeiter motiviert hat den Artikel endlich zu schreiben, habe ich umgesattelt.
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Seit dem 22. Mai ist das Museum der Alltagskultur wieder geöffnet. Und das ist gut so. Ich schlafe ruhig, weil ich mir sicher bin, dass es allen Kolleg*innen im Besucher*innen-Service gut geht und unsere Besucher*innen gerne ins Haus kommen. Jetzt biege ich doch noch zum Thema Relevanz ab. Während das Landesmuseum Württemberg geschlossen war, hat es in einer spontanen und erfolgreichen Weise geschafft, eine Online-Sammelaktion auf die Beine zu stellen. Dies war möglich, weil die Kolleginnen aus der Kommunikation dafür sehr hart gearbeitet haben und eine Agentur pro bono für uns tätig war, weil sie selbst Lust auf das Projekt hatten. Unter https://lmw-coro na-alltag.de wurden 38 Tage lang Einreichungen zum Corona-Alltag gesammelt und von und Mitarbeiter*innen des Museums kommentiert und zu einer Online-Ausstellung zusammengefasst. Kunsthistoriker*innen, Kulturwissenschaftler*innen und Archäolog*innen haben sich daran beteiligt, und: es war erfolgreich, über 600 Einreichungen bekamen wir zugesandt.
Kollaterale Schönheit Warum erzähle ich das? In einer Videokonferenz brachte Arne Gillert den Begriff der »kollateralen Schönheit« in meinen Leben und die Frage, was wir uns aus der Zeit der Krise bewahren wollen und wie ich den ersten Tag nach dem Lockdown gestalten möchte. Damit war für das Museum der Alltagskultur das Projekt »Tag 1« geboren. Wir stellten uns die Fragen: Wie wollen wir wieder aufmachen? Warum soll jemand in unser Museum kommen, jetzt, nach dem Lockdown? Zwei Kolleginnen aus meiner Abteilung haben sich des Projekts angenommen und eine wunderbare Idee geschaffen und umgesetzt. Deswegen stellen wir seit dem ersten Öffnungstag die Frage »Zurück zur Normalität?«, versehen mit dem Untertitel »Alltag trotz(t) Corona«. Wir wollten damit an unser Sammlungsprojekt anschließen, mit dem Bewusstsein in eine neue Phase des Zusammenlebens und des Alltags getreten zu sein. Alle haben über Alltag in der Corona-Krise gesprochen. Ein Museum der Alltagskultur muss diese Diskussion aufgreifen und fragen, wie sich der Alltag verändert, wie er sich weiter verändert, was bleibt und was wird nie wieder wie es war? Und wer kann diese Fragen nicht besser beantworten als wir alle. Deswegen hatten die beiden Kolleginnen die wunderbare Idee diese Fragen an unsere Besucher*innen weiterzugeben.
Markus Speidel: #Closedoropen – Ein Beitrag zur Blogparade von :beramus
Die Wiedereröffnung Besucher*innen können seitdem überall in der Ausstellung ihre Erfahrungen, Erlebnisse, Wünsche, Hoffnungen und Ängste auf Notizzetteln hinterlassen und damit eine neue Spur in das Museum legen bzw. sich an der Fortschreibung des Narrativs des Museums beteiligen. Das Bedürfnis sich zu beteiligen und sich mitzuteilen ist enorm. Allein in den ersten drei Wochen wurden rund 350 Notizzettel ausgefüllt und in der Ausstellung hinterlegt. Die Menschen akzeptieren das Museum als einen Ort in dem die nahe Vergangenheit als auch die Gegenwart diskutiert werden und sind bereit sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Das Museum wird als relevanter Ort dafür begriffen. Dieses Projekt und auch die verlängerte Sonderausstellung führen dazu, dass wir bei den Besuchszahlen nahezu unser vorheriges Niveau wieder erreicht haben.
#closedoropen Also #closedoropen? Open! Warum macht die Wiedereröffnung der Museen durchaus Sinn? Wir mussten unsere Lektionen lernen, und ich hoffe wir haben sie gelernt. Damit meine ich nicht nur die Verlagerung von Angeboten ins Digitale oder die Entwicklung neuer Arbeitsmethoden. Sondern die Fragen zu stellen und zu beantworten: Warum gibt es uns? Und warum soll jemand ins Museum gehen, wenn potentiell überall Gesundheitsgefahren lauern? Wie schaffen wir es, nicht ein Museum der 1960er Jahre zu werden, das all die Errungenschaften der Vermittlung nicht anbieten kann? Wir können den Menschen wirklich etwas bieten. Wir können ein Ort des Diskurses sein. Wir können ein Ort der Gegenwart sein. Beitrag vom 18.06.2020 Markus Speidel leitet das Museum der Alltagskultur.
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Erst #Closedbutopen, dann offen, aber anders! #closedoropen Elke Schneider
Die Woche ab 9. März 2020 war eine wilde: Es war für längere Zeit das letzte Vor-Ort-Meeting im Museum für Kommunikation Berlin mit der Möglichkeit bei einem »Medienpädagogischen Küchentalk« dabei zu sein. Am folgenden Tag die ersten Absagen von zwei größeren Veranstaltungen im Berliner Haus der Museumsstiftung Post und Telekommunikation, zu der neben »meinem« Museum in Nürnberg auch das Museum für Kommunikation Frankfurt und drei Sammlungsstandorte gehören. Zurück im Museum für Kommunikation Nürnberg zu einem Besuch von Kulturstaatsminister Bernd Sibler in einem unserer Smartphone-Kurse für die Generation 55plus: Begrüßung schon von Ellenbogen zu Ellenbogen. Am Abend das Unvorstellbare: Das Museum wird ab 14. März geschlossen. Dann hektische Betriebsamkeit: Website ändern, Medien informieren, auf Facebook, Twitter, Instagram die Schließung kundtun und das Programm für die Wochenenden canceln. Vorerst bis 19. April ist ein wichtiger Teil meines Arbeitsbereiches Museumspädagogik ausgesetzt. Gebuchte Führungen, Schulklassenbesuche, Kindergeburtstage, Workshops müssen abgesagt werden.
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Der letzte Smartphone-Kurs mit Kulturstaatsminister Sibler am 12.03.2020. Foto: MSPT/Berny Meyer
Schließungs-Info für Facebook, Twitter und die Website
Elke Schneider: Erst #Closedbutopen, dann offen, aber anders! #closedoropen
Und nun? #closedbutopen Home Office einrichten, Dienstbesprechungen als ViKos organisieren, kleinere Meetings per TelKo planen. Und nachdenken: Welche Angebote fehlen der Museumspädagogik? Wer von den Freien Mitarbeiter*innen möchte welches Thema als Konzept aufarbeiten? Dazwischen: täglich die RKI-Pressekonferenz verfolgen, Coronavirus-Update mit Christian Drosten hören und vor allem #closedbutopen mit Leben füllen, damit unser Publikum uns nicht vergisst. Onlineangebote prüfen: Was ist schon da? Unter dem Button Digital findet sich auf unserer Website1 eine ganze Menge – dank unserer Struktur mit drei Museums- und drei Sammlungsstandorten sowie einer zentralen Medienreferentin. Online-Besucher*innen erwarten digitale Ausstellungen als so genannte Expotizer, virtuelle Ausstellungen und Rundgänge bei Google Arts and Culture, digitale Sammlungen in Objektdatenbanken und die Ergebnisse von Coding da Vinci Süd 2019. Aber wo sind Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien, wichtige Adressat*innen in unserem Museum? Das sollte sich jetzt ändern. An Ostern gab es den ersten Mitmach-Post, Ende April den Launch eines umfangreichen Kinder-Bereichs auf unserer Website – und er wächst weiter. Dazwischen immer wieder zahlreiche Herausforderungen bei den vielen Ideen, analoge Veranstaltungen ins Digitale zu bringen: Technik? Datenschutz? Kosten? Einfacher lässt sich eine Führung auf Instagram2 umsetzen, die die Bereiche des Museums, dessen Konzeption, Gestaltung und zahlreiche Objekte der Medien- und Kommunikationsgeschichte in neun Stationen vorstellt. Dazu immer wieder Posts, welche die aktuellen Fragen der Krise in Exponaten aufnehmen: Das Horten von Klopapier,3 das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes.4 Kann ein Museum relevant sein? Systemrelevant ist es gerade nicht. Am 15. April nimmt erstmals der Hamburger Erste Bürgermeister Peter Tschentscher nach einem Corona-Treff der Bund-Länder-Konferenz das Wort »Museen« in den Mund und erklärt, beim nächsten Treffen am 29. April würde auch über sie gesprochen werden. »Vorerst geschlossen« ändern wir auf allen Kanälen und nennen für eine Öffnung kein konkretes Datum mehr.
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https://www.mfk-nuernberg.de/digitales-museum/ https://www.instagram.com/mfk_nuernberg/ https://www.instagram.com/p/B-NeGzcFeSG/ https://www.instagram.com/p/B_erOIplzOp/
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Screenshot des Instagram-Museums-Rundgangs
Währenddessen läuft die Planung des digitalen Museumstages am 17. Mai: Digitale Projekte, die ursprünglich im Museum zu einer Veranstaltung konzipiert wurden, werden für die Website umgearbeitet. Im Zentrum unsere Rekonstruktion einer altägyptischen Grabkammer des Sennedjem. Sie ist nun mit einem interaktiven 360°-Panorama dauerhaft auf unserer Website verankert, Audio-Hotspots erläutern den Zusammenhang von Bild und Schrift. In einem #Let’s Play geht es mit unserem Volontär Christian Bihn durch ein Game vom Wohnort des Sennedjem zu seinem Grab und weiter in die Kammer, deren Original in 8,60m Tiefe zu finden ist – Gaming als spannender und ungewöhnlicher Weg der Vermittlung: Auch das ist weiterhin online verfügbar und damit ist der Einsatz, den die Erstellung erforderte, nachhaltig geworden.
Elke Schneider: Erst #Closedbutopen, dann offen, aber anders! #closedoropen
Planungen parallel: #openagain Währenddessen aber auch: Planungen zur Wiedereröffnung des Museums ab 19. Mai unter Vorgaben der »neuen Normalität«. Abstandsregeln, Besucher*innenbegrenzung, Desinfektionsspender, Maskenpflicht sind noch einfach umzusetzen. Aber ein Museum, das nicht nur Objekte der Kommunikationsgeschichte präsentiert, sondern seine Besucher*innen an zahlreichen interaktiven und partizipativen Stationen zur Kommunikation anstiftet, stellt eine besondere Herausforderung dar. Jede einzelne Mitmach-Station wird geprüft und wir wenden das an, was wir den Veröffentlichungen zu Übertragungswegen entnehmen können: Schmier- und Tröpfchen-Infektionen, Aerosole? Unser Volontär sieht, wie vielfältig die Aufgabengebiete im Museum über die wissenschaftliche Seite hinaus sind: •
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Können Wählscheibentelefone desinfiziert werden? Die beruhigende Antwort unserer Restauratorin: Ja, kein Problem und wenn: Ersatz wäre verfügbar. Wie sieht es mit Griffen an Klappen und Auszügen und unserer Rohrpost aus? Unser Ausstellungstechniker testet und es funktioniert. Können wir die Holzbauklötze des so genannten »Architekten«-Spiels desinfizieren, die Elemente des »Fährmann«-Spiels oder die Hieroglyphenund Keilschrift-Stempel? Diese Angebote bestehen aus vielen Kleinteilen aus Holz. Wir nehmen sie vorerst aus der Ausstellung und stellen Spielanleitungen und Alphabete zum Mitnehmen auf. Was müssen wir bei Papier-Karten und Holztäfelchen, die man in die Hand nehmen kann bedenken? Wir helfen uns mit laminierten Exemplaren, die das Abwischen erlauben. Wie gehen wir mit den Touchscreens um? Wir schaffen Touchpens an, die wir kostenfrei an die Besucher*innen ausgeben.
Aber wir müssen uns auch von Elementen verabschieden: • • •
Von der Camera Obscura, in die man den Kopf stecken kann: Aerosole würden hier verbleiben. Vom Röhrentelefon: Hier wären Tröpfchen und Aerosole ans andere Ende unterwegs. Von der Taststation im Bereich »Sehen und Zeigen«.
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Von der Zeitungsecke, in der man die aktuellen Nürnberg Tageszeitungen studieren kann. Von der Hälfte der Tische in der sehr beliebten Schreib-Werkstatt, ebenso von den Kielfedern. Bambus- und Stahlfedern verbleiben in getrennten Gefäßen mit der Aufschrift »Gebraucht« und »Ungebraucht«.
Die nach den Vorgaben im Hygiene-Konzept veränderte Schreib-Werkstatt. Fotos: MSPT/sce Temporär gesperrte interaktive Stationen, teilweise mit Alternativangeboten
Fotos: MSPT/sce
Manches kann aus der Ausstellung genommen werden, anderes muss dort verbleiben. Rot-weißes Flatterband zur Absperrung nutzen? Das wäre ein starker Eingriff in das ausgeklügelte Farbkonzept der Ausstellung und der Alltag nähme Einzug. Wir lösen es, indem wir die gesperrten Elemente mit Packpapier und Paketschnur einkleiden. Ein Anklang an die Post und an Christos Verpackungs-Aktionen: Temporär, improvisiert, nicht auf Dauer angelegt – Auspacken möglich. Eine schöne Erfahrung ist, dass nach vier Wochen Wiederöffnung das Papier immer noch ansehnlich ist und alle Schnüre noch da sind, wo sie sein sollen. Ein herzlicher Dank geht an unsere Besucher*innen, die respektvoll damit und mit allen Regeln umgehen. Aber sie kommen erst vorsichtig und nicht in der großen Zahl wie vor dem Lockdown. Nachdem am 2. Juni nun Regelungen für Führungen durch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst bekannt gegeben wurden, starten wir am 21. Juni, am Tag vor unserem 118. Geburtstag, wieder mit öffentlichen Führungen.5 Mit Höchstteilnehmerzahl, Abstand und Maske. Eine Schulung zum Sprechen mit 5
https://www.mfk-nuernberg.de/termine-liste/
Elke Schneider: Erst #Closedbutopen, dann offen, aber anders! #closedoropen
Mund-Nase-Schutz für die Freien Museumspädagog*innen offenbarte dafür zahlreiche handwerkliche Tipps einer Schauspielerin. Wir sind gespannt: Wie wird das Angebot angenommen? Beitrag vom 19.06.2020 Elke Schneider ist Referentin für Museumspädagogik im Museum für Kommunikation Nürnberg.
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Das Ende des Hörlöffels oder Museums(-Medien-)betrieb im Zeichen von Corona Ruth Rosenberger
Täglich erwarten wir sie mit neuer Hoffnung, unsere Besucher*innen – seit ziemlich genau einem Monat ist das so. Seit dem 18. Mai sind unsere Museen nach der Pandemie-bedingten Schließung Mitte März wieder geöffnet: das Haus der Geschichte in Bonn, das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig sowie der Tränenpalast und das Museum in der Kulturbrauerei in Berlin. Freilich steht der gesamte Betrieb nun im Zeichen der obligatorischen Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des Corona-Virus. Überall im Museum gilt eine nach Quadratmetern begrenzte Besucherzahl sowie Maskenpflicht, es gelten Hygiene- und Abstandsregelungen. Zum Schutz unserer Besucher*innen haben wir auch entschieden, dass alle Medienstationen – und davon gibt es bei uns ziemlich viele – nicht mehr angefasst werden müssen, um die Inhalte abzurufen. Dazu zeigen die Screens jetzt eingebettet in den Bewegtbildtrailer einen QR-Code, über den Besucher*innen mit ihrem eigenen Smartphone alle Videos abrufen und sich anschauen können, ohne dabei irgendetwas anfassen zu müssen. Bisher war es notwendig, Videos per Tipp auf einem Touchscreen aufzurufen, den Hörlöffel in die Hand zu nehmen und ans Ohr zu halten. Jetzt gibt es ein vollständig kontaktloses Mediennutzungsszenario.
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Über QR-Codes können Ausstellungsvideos auf dem Smartphone abgerufen werden.
© Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Nachdem wir zunächst für unsere Dauerausstellung im Bonner Haus der Geschichte im Rekordtempo eine Datenbank-basierte Webseite mit allen Medieninhalten eingerichtet haben, die nur aus unserem hauseigenen WLAN erreichbar ist, wurden die fast 200 Medienstationen nach und nach mit den QR-Codes ausgestattet. Schon in dieser Phase konnten wir Besucher*innen beobachten, die aus Neugier oder in der Art einer Entdecker*innen-Tour die QR-Codes gesucht und gescannt haben, um sich gemeinsam die Videos anzusehen. Das Angebot hat also bereits intuitive Nutzer*innen gefunden, bevor wir es offiziell eingeführt und erläutert haben.
Ruth Rosenberger: Das Ende des Hörlöffels oder Museums(-Medien-)betrieb im Zeichen von Corona
Die QR-Codes wurden von den Medieningenieur*innen in das Screendesign der Medienstationen integriert.
© Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Das beobachten wir nun weiter. Haben wir mit unserem Schnell-Angebot bereits ein alternatives Mediennutzungsszenario skizziert, auf das sich Besucher*innen mit ihren eigenen Geräten nun einlassen, weil Kontaktlosigkeit das Gebot der Stunde ist? Viele erklären, dass die hygienischen Bedingungen der bisherigen Hörlöffel oder -knubbel eigentlich schon immer fragwürdig waren. Und wirklich schön sind sie auch noch nie gewesen.
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Um das Abheben der Hörlöffel zu vermeiden wurden diese an der Halterung befestigt.
© Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Es könnte sich also abzeichnen, dass angesichts von Corona der gute, alte Hörlöffel im Museum möglicherweise kontaktlosen Mediennutzungen weicht. Wir behalten das im Auge, nutzen die Dynamik der Gelegenheit und experimentieren mit neuen Angeboten. Daher bei uns definitiv: offen statt geschlossen. Beitrag vom 20.06.2020 Ruth Rosenberger ist Zeithistorikerin und seit 2017 Direktorin Digitale Dienste bei der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Museen: Systemrelevant oder relevant? Johannes Waldschütz
Jörn Brunottes Bitte, einen Beitrag zum Thema #closedoropen zu schreiben, komme ich gerne nach, wenn auch spät. Die Vorbereitung einer neuen Ausstellung dominiert meinen musealen Alltag: Leihanfragen, Ausstellungsgestaltung, Texte, Öffentlichkeitsarbeit … Zeit für anderes bleibt da wenig. In diesem Sinne ist dieser Beitrag ein Denkanstoß und kein sorgfältig recherchierter Erfahrungsbericht. »Kultur halten wir zwar im hohem Maße für notwendig für die Gesellschaft, unsere Veranstaltungen müssen aber nicht jetzt stattfinden, sondern können auch zu einem späteren Zeitpunkt genossen werden.« Mit diesen Worten sagte das Stadtmuseum Stockach seine Veranstaltungen wegen der sich verschärfenden Corona-Pandemie ab. Kurz danach schlossen wir das Haus. Beide Maßnahmen waren richtig. Mitte März galt es das Zeichen zu setzen, dass es jetzt unmittelbar wichtiger ist, die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen und insbesondere die Schwächsten unserer Gesellschaft zu schützen. In den Wochen danach haben sich viele Museen ins Digitale gestürzt: Es wurden digitale Führungen ersonnen, neue Social Media Accounts angelegt, Videos gedreht, oder relativ low tech – so wie bei uns – einzelne Exponate der laufenden Ausstellung vorgestellt. Ich habe dabei viel gelernt und ich meine wir wollten zu viel. Wir wollten alle gleich parat sein, ein digitales Programm vorweisen, zeigen, dass Museen sich anpassen können und digital offen waren, auch wenn wir physisch geschlossen hatten – #closedbutopen eben. Bei unserem Angebot – und auch bei anderen Angeboten – konnte ich zunächst beobachten, dass es wenig Resonanz fand. Die Menschen waren mit einer ganz neuen Situation beschäftigt, hatten Angst um sich selbst oder Verwandte, wurden täglich mit neuen Meldungen und immer längeren Brennpunkten konfrontiert. Und dazu war das digitale Angebot riesig: Es gab Haus-
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
konzerte, Onlinelesungen, digitale Führungen und vieles mehr. Und wenn die Menschen Zeit und Energie fanden, wollten sie einen kleinen Happen, keine ganze Führung, kein langes Video oder einen langen Text. Haben wir vor lauter Angst, plötzlich irrelevant zu sein, zunächst an unserem Publikum vorbeiproduziert? Ich meine ja. Sicher braucht es Zeit, bis ein neues Angebot angenommen wird, insbesondere, wenn Kanäle vorher nicht bestanden oder bespielt wurden. Vielleicht hätte es aber nicht geschadet, erst einmal innezuhalten und dann – gestärkt und mit Konzept, Mitteln und Zielen versorgt – durchzustarten. Ich glaube wir tun gut daran, diese Erfahrungen bei der Öffnungsdebatte zu bedenken. Mich hat es ein wenig befremdet, dass sich die Museen am Wettlauf, wer zuerst öffnen darf, beteiligt haben. Das setzt das falsche Signal, dass die Gefahr gebannt ist, dass die Maßnahmen vielleicht sogar übertrieben wurden. Unglücklich scheint mir auch, dass die Öffnung der Museen mit deren »Systemrelevanz« begründet wurde. Sind wir denn systemrelevanter als Theater oder Symphonieorchester? Sind Bibliotheken systemrelevanter, weil sie früher öffnen durften als Museen? Mir scheint »Systemrelevanz« im doppelten Sinne eine falsche Kategorie. Erstens ist nicht die »Systemrelevanz« entscheidend, wenn Museen vor Theatern öffnen, sondern dass sie die Hygienemaßnahmen besser gewährleisten können. Zweitens: Was hilft es den Museen, wenn wir mantraartig unsere »Systemrelevanz« betonen. Relevant werden Museen durch ihre Angebote, durch das was sie tun: durch kreative Ausstellungsprojekte – wie das unlängst in diesem Blog von der Kunsthalle Bremen vorgestellte Projekt, nachgestellte Kunstwerke auszustellen; durch neue Wege bei der Vermittlung oder die Kombination von digitalen und analogem Museumsbesuch. Es scheint als wäre die Öffnung der Museen nicht zu früh gekommen. Wir haben Sicherheitskonzepte und Hygienemaßnahmen entwickelt und mit dem Hashtag #openbutsafe eine gute Kommunikationsgrundlage gefunden. Trotzdem haben wir alle bemerkt: Die Türen wurden uns zunächst nicht eingerannt. Es standen noch andere Probleme im Vordergrund. Auch an den Alltag muss man sich langsam erst wieder gewöhnen. Jetzt, ganz sicher in ein paar Wochen, haben die Menschen auch wieder Zeit und Muße, in ein Museum zu gehen. Wenn wir Konzepte und Projekte finden, die die Menschen interessieren, berühren und neugierig machen. Wenn wir mehr über Inhalte sprechen, als darüber, dass wir wieder offen haben. Wenn wir zeigen, dass wir interessante Ausstellungen machen können und eine sichere und hygienische Umgebung schaffen können; wenn wir das Digitale jetzt nicht wieder vergessen, sondern
Johannes Waldschütz: Museen: Systemrelevant oder relevant?
digital und analog kombinieren, dann haben wir gute Chancen, dass die Menschen wieder ins Museen strömen und dann haben wir auch deutlich gemacht, dass Museen und Kultur eine Bedeutung für die Gesellschaft haben. Ob wir eine Woche früher oder später aufgemacht haben, wird für die Bedeutung der Museen dagegen am Ende irrelevant sein. Beitrag vom 20.06. 2020 Johannes Waldschütz ist Leiter des Museums und Stadtarchivs in Stockach.
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Neustart in doppelter Hinsicht Petra Neumann
Es hat sich schon etwas merkwürdig für mich angefühlt – mitten in der Corona-Krise, am 1. April 2020, meine neue Stelle in Thüringen anzutreten. Seitdem bin ich bei der Stadtverwaltung Schmölln tätig und u.a. auch für das Knopf- und Regionalmuseum zuständig. Das bedeutet natürlich auch, dass ich mich zunächst in mehrere Aufgabengebiete einarbeiten musste. Und gerade in Hinsicht auf das Museum, brauchte ich als erstes einen Überblick über den Status quo. Um es kurz zu fassen – aufgrund der Vernachlässigung in den letzten Jahren gibt es in allen Bereichen der musealen Arbeit immensen Nachholbedarf. Aber – es gibt Hoffnung. Während der notwendigen Schließung während der Corona-Krise wurde ein neuer digitaler Arbeitsplatz eingerichtet. Unterstützt durch meine Kollegin aus dem Bereich Öffentlichkeitsarbeit haben wir die ersten Social-Media-Kanäle eingerichtet und sind nun auf Twitter und Facebook vertreten. Und zum Internationalen Museumstag starteten wir unsere ersten kleinen Online-Aktionen. Sicher, das ist alles noch ausbaufähig – aber ein Anfang ist gemacht. Und das ist aus meiner Sicht das Wichtigste – anfangen und neustarten. Deshalb waren sich hier alle Verantwortlichen einig, dass wir unser Museum für den Besucher*innenverkehr wieder öffnen werden, sobald es die Situation erlaubt. Dazu gehörten nicht nur die äußeren Rahmenbedingungen, sondern auch unsere internen. Aus diesem Grund haben wir erst heute, am 20. Juni, wieder geöffnet. Unser Museum hat zwei Standorte, ein historisches Fachwerkhaus und eine umgebaute Turnhalle mit einem Maschinenpark. Aufgrund der notwendigen Hygienemaßnahmen und hinsichtlich unserer Personalsituation haben wir uns entschlossen, zunächst nur das historische Gebäude zu öffnen, welches Sammlungsobjekte zur Knopfproduktion in Schmölln sowie zur Regionalgeschichte beherbergt.
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Ansicht des Knopf- und Regionalmuseums in Schmölln
Foto: Petra Neumann
Wir haben die in der Thüringer Corona-Verordnung vorgegebenen Hygienemaßnahmen auf unsere Raumsituation angepasst. Einige sperrige Exponate mussten ins Depot weichen, einiges wurde umgestellt, Markierungen und Hinweisschilder angebracht. So können wir trotz der räumlichen Bedingungen gewährleisten, dass die Besucher*innen zum größten Teil auf Rundgängen durch die Sammlungen gehen können. An den wenigen Engstellen weisen wir zusätzlich auf gegenseitige Rücksichtnahme und das Einhalten der Abstandsregeln hin.
Petra Neumann: Neustart in doppelter Hinsicht
Knopfmusterbücher Wäscheknöpfe
Foto: Petra Neumann
Ein großer Teil des bisherigen Besucher*innenaufkommens waren Gruppen von auswärts, Schulklassen und Tourist*innen. Da wir momentan keine Führungen anbieten, gehen wir davon aus, dass sich ohnehin keine größeren Gruppen gleichzeitig im Museum aufhalten werden. Möglicherweise kommen in der aktuellen Situation jedoch mehr Besucher*innen aus der unmittelbaren Region, d.h. Thüringen und dem unmittelbar angrenzenden Sachsen. Wir werden das beobachten.
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Spritzschablonen und Spritzkanne
Foto: Petra Neumann
Generell ist es mein Anliegen, unsere ersten Schritte im Digitalen auszubauen, neue analoge Angebote zu entwickeln und beide Bereiche so miteinander zu verbinden, dass sie sich gegenseitig stärkend ergänzen und damit die Attraktivität unseres Museums peu à peu erhöhen. Gerade in der Ausnahmesituation der Pandemie hat sich gezeigt, dass man die digitale und analoge Welt nicht mehr allein denken kann. Das ist wie ein Paar Schuhe, der Linke gehört zum Rechten und umgekehrt. Dazu gehört natürlich auch, viel mehr darauf zu hören, was sich Besucher*innen wünschen
Petra Neumann: Neustart in doppelter Hinsicht
– also Augen und Ohren ganz weit aufsperren, gedanklich in den Schuhen der Besucher*innen spazieren gehen. Da kommt wieder mein Steckenpferd Servicedesign ins Spiel, Stichwort Besucher*innenorientierung. Aber es gehört auch dazu, Beteiligte und Interessierte aus der Region, der Stadt, aus dem Tourismus, der Gastronomie, Vereine und Bildungseinrichtungen einzubinden und in diese Weiterentwicklung einzubeziehen. Und mit Interessierten meine ich natürlich ganz besonders die Kolleg*innen aus anderen Museen und Kultureinrichtungen. Hier gilt es bestehende Vernetzungen zu pflegen und zu intensivieren, neue Kontakte zu knüpfen und neue Kooperationen auszuloten. Mein Fazit aus #closedoropen ist, dass ein Neustart immer neue Chancen bietet – in unserem Fall, dem Museum und auch mir ganz persönlich. Beitrag vom 20.06.2020 Petra Neumann ist in der Stadt Schmölln für das Knopf- und Regionalmuseum zuständig.
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Kultur im Wohnzimmer Herausforderungen von Museen im ländlichen Raum Christopher Vila
Jörn Brunottes Aufruf, einen Beitrag zum Thema #closedoropen zu schreiben, komme ich gerne nach, wenn auch viel zu spät. Der Spagat zwischen Alltag, meiner hauptberuflichen Tätigkeit an der Universität und meiner ehrenamtlichen Funktion als Leiter des Heimatmuseum Egling fällt zurzeit schwer. In diesem Sinne ist dieser Beitrag eine Momentaufnahme und kein recherchierter Erfahrungsbericht.
Heimatmuseen stehen vor einer großen Transformationsaufgabe, weg von verstaubten Vitrinen hin zur partizipativen Plattform
Foto: Heimatmuseum Eggeling
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Der Begriff »Heimat« hat Konjunktur in den letzten Jahren, nicht zuletzt hat sich damit auch die Wahrnehmung des ländlichen Raums verändert. Trotzdem mussten wir das Museum während der Corona-Pandemie schließen und konnten kein Alternativprogramm bieten. Als ich vor einem Jahr Vorsitz und Leitung übernahm, waren meine ersten Projekte schnell klar: Leitbild erarbeiten, Sammlung erschließen, Dauerausstellung überarbeiten, nebenher neue Fördermitglieder gewinnen und trotzdem mit Veranstaltungen im Gemeindeleben präsent bleiben. Schnell stolperte ich über die Tatsache, dass wir keinen Internetzugang im Museum hatten; da wir auf dem Land sind, ist die Netzabdeckung auch nicht immer von bester Güte. Gesagt, getan. Antrag für einen Internetzugang bei der Gemeinde gestellt. Unser Bürgermeister war auch sofort begeistert, aber womit wir beide nicht rechneten waren die technischen Hürden, die uns noch bevorstehen sollten.
Heimatmuseen müssen Orte der Interaktion, Begegnung und des Austausches der Bürger*innen sein
Foto: Heimatmuseum Eggeling
Spulen wir vor: 1 Jahr und 1 Monat später, seit Mai 2020 haben wir endlich einen Internetzugang – da war das Museum allerdings schon 2 Monate geschlossen aufgrund von Corona. Nun haben wir Ende Juni und das Muse-
Christopher Vila: Kultur im Wohnzimmer
um ist immer noch geschlossen. Wir haben die Zeit genutzt, um dringende Verwaltungsarbeiten zu erledigen, Sammlungsteile zu erschließen, unseren Social Media Auftritt vorzubereiten und zu implementieren sowie die ersten Vorarbeiten für unsere Homepage zu leisten. Nun stehen wir vor der Herausforderung, das Museum mit allen Auflagen wieder zu eröffnen – diese bringt uns an die Grenzen des Möglichen. Alle Arbeiten im Museum werden ehrenamtlich erbracht, i.d.R. von Mitgliedern, die der Risikogruppe angehören, die baulichen und räumlichen Gegebenheiten eines Altbaus sind herausfordernd und ermöglichen es nicht im Einklang mit den Vorgaben einen laufenden Betrieb umzusetzen. Für uns heißt das, die Schließzeit geht weiter und wir werden jetzt dank Internetzugang unsere digitalen Angebote in den Fokus rücken. Fazit: Wenn ich in die Runde der vielen Kultureinrichtungen in den Nachbargemeinden blicke, so sind viele immer noch weit von einem Internetzugang oder -präsenz entfernt. Die Kultureinrichtungen im ländlichen Raum kämpfen mit zwei Herausforderungen: Zum einen der infrastrukturellen Benachteiligung und zum anderen der Frage der Finanzierung. Beides könnte gelöst werden, wenn die Rolle der Kulturmacher*innen und -akteur*innen im ländlichen Raum vor Ort in der Fläche gestärkt wird und nicht nur partiell an Brennpunkten. Die Corona-Lage hatte auch positive Effekte für Kulturinstitutionen im ländlichen Raum. So sind zahlreiche Soforthilfeprogramme gestartet worden, um diesen unter die Arme zu greifen. Allerdings stellt sich die Frage, wieso dies nicht bereits vorher möglich war, wir bieten sozusagen »Kultur im Wohnzimmer« – direkt vor Ort also. Wir verstehen uns dabei nicht als Vertreter*innen einer Sparte, sondern als Bühne der Kultur im ländlichen Raum und diese Häuser gilt es nachhaltig zu stärken und das nicht nur in Krisenzeiten. Beitrag vom 20.06.2020 Christopher Vila, ist Vorsitzender des Kultur- und Heimatvereins Egling e.V. und leitet ehrenamtlich das Heimatmuseum Egling.
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Marta erwacht Vom Wert der Kultur in Pandemie-Zeiten Daniela Sistermanns
Am 19. Mai endete die durch Corona bedingte Schließzeit im Marta Herford. Das ganze Team atmete auf: Endlich sollten sich die verlassenen Ausstellungsräume wieder mit Leben füllen. Gleichzeitig schwang bei uns allen aber auch eine leichte Verunsicherung mit: Wie gestaltet sich ein Museumsbesuch in Pandemiezeiten? Ich glaube, das Jahr 2020 haben wir uns alle deutlich anders vorgestellt. Wenn ich daran zurückdenke, dass sich am 25. Januar noch rund 700 Menschen auf der Tanzfläche in der Marta-Lobby zu Lars Eidingers Autistic Disco1 drängten, dann kommen mir diese Szenen Lichtjahre entfernt vor. Dieser fulminante Auftakt sollte eigentlich auch ein Jahr einläuten, in dem Marta nicht nur seinen 15. Geburtstag2 feiert, sondern in dem vieles anders und neu werden sollte: Mit einer neuen Aufenthaltsqualität in der Lobby wollte sich Marta noch stärker zu einem »Dritten Ort« formen und der freie Eintritt für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre sollte die Barriere für einen Museumsbesuch bei Jüngeren senken. Außerdem sollte erstmals ein fest eingerichteter museumspädagogischer Aufenthalts- und Arbeitsraum innerhalb der Gehry-Galerien zu einem besucherzentrierten Ort werden, an dem Interaktion, Partizipation und Kunst gleichermaßen stattfinden. Hierfür hat der belgische Künstler Adrien Tirtiaux als Teil der Ausstellung »Glas und Beton«3 »Die Insel im Marta« geschaffen, ein Ort, in dem Besucher*innen u.a. mit Beton-Workshops und vereinten Kräften selbst in die Entwicklung des Raums eingreifen können. Aber selbst nach der Wiedereröffnung herrscht dort eine geisterhafte Stimmung:
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https://marta-blog.de/wie-koennen-sich-museen-zu-dritten-orte-formen-oder-es-m uss-nicht-immer-lars-eidinger-sein/ https://marta-blog.de/corona-party-ein-jubilaeum-in-krisenzeiten/ https://marta-herford.de/ausstellungen/glasundbeton/
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
Aus Sicherheitsgründen steht vieles vom Equipment derzeit unbenutzt in der Ecke und muss auf bessere Zeiten hoffen.
Marta erwacht (1)
© theothercara
Marta ist wieder offen! Als das Marta Herford am 19. Mai nach etwas mehr als neun Wochen Schließzeit wieder seine Pforten öffnete, war das für uns ein rührender Moment: Bereits einige Minuten zuvor hatte sich eine kleine Menschentraube am Eingang versammelt und sehnsüchtig auf den Einlass gewartet. Diese ersten Besucher*innen reisten teilweise aus Berlin und Wuppertal an; einige von ihnen kauften, um uns finanziell zu unterstützen, sogar Eintrittskarten, obwohl sie im Besitz einer Jahreskarte waren und berichteten in persönlichen Gesprächen, wie sehr sie sich auf diesen Moment gefreut hätten. Wir wiederrum hatten einen floralen Willkommensgruß vorbereitet: Die MargeritenBepflanzung kurz vor dem Zugang zu den Gehry-Galerien sollte nicht nur eine
Daniela Sistermanns: Marta erwacht
attraktive und sichere Wegeführung für unsere Gäste markieren, sondern ist auch eine Reminiszenz an die Museumseröffnung am 7. Mai 2005, als Gründungsdirektor Jan Hoet die allerersten Besucher*innen mit einer Installation aus zahlreichen Margeriten willkommen geheißen hatte.
Sehnsucht nach kulturellen Erlebnissen Nach mehr als drei Wochen sind wir positiv überrascht: nicht nur, dass die Besuchenden bis heute mit überwiegendem Verständnis auf die nun herrschende Maskenpflicht und das neue Wegeleitsystem, das die Abstandsregelungen sicherstellt, reagieren. Wir sind vor allem überrascht von dem guten Besucherzulauf in einer Zeit, in der die Rückkehr zur Normalität eigentlich noch in weiter Ferne liegt, die Sehnsucht nach kulturellen Erlebnissen aber riesengroß scheint. Und diese Erkenntnis stärkt uns als Museum.
Mehr Besucher*innen als die Bundesliga Eigentlich könnte der Blogbeitrag zu einem Corona-Rückblick an dieser Stelle beendet werden – vielleicht noch mit der großen Hoffnung verbunden, dass die Eindämmung der Pandemie und der Besuch von Kultureinrichtungen gut nebeneinander existieren können. Aber ich komme nicht umhin anzureißen, was viele Kultureinrichtungen und natürlich auch freischaffende Künstler*innen in diesen Zeiten umtreibt: Die Existenzangst. Museen, die mit 114 Millionen Besucher*innen im Jahreinen besseren Zulauf haben als die Spiele der Bundesliga, müssen ihre Daseinsberechtigung immer wieder unter Beweis stellen (Stand 2018, Quelle: Statista).4 Und der wichtigste Indikator der Trägerschaften für messbaren Erfolg und Qualität sind meistens die physischen Besuchszahlen. Oft werden diese unabhängig von den Begebenheiten gemessen: Also unabhängig von der Größe der Stadt, dem touristischen Zulauf, dem kulturellen Konkurrenzangebot, der wirtschaftlichen Kaufkraft, den Wetterverhältnissen und dem Werbebudget. Aber dank Corona werden wahrscheinlich solche Zahlen in diesem Jahr erstmalig eine untergeordnete Rolle spielen, weil allerorts für viele Wochen das Leben stillstand.
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https://de.statista.com/themen/2680/museen-und-ausstellungen/
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Marta erwacht (2)
© theothercara
Was ist Kultur wert in diesen Zeiten? Notgedrungen spielen aber dann wahrscheinlich andere Zahlen eine große Rolle, nämlich die des Umsatzes. Wir haben – wie viele andere Kultureinrichtungen auch – durch die Schließung große finanzielle Einbußen erlitten. Fast alle Kultureinrichtungen tragen sich wirtschaftlich nicht allein durch den Verkauf von Eintrittskarten oder Shop-Artikeln. Hinzukommt, dass die Budgets für Ausstellungen, Werbung und Veranstaltungen generell knapp bemessen sind. Die Krise wird den Gürtel mit Sicherheit noch enger schnallen. Aber was bleibt dann? Noch knappere Budgets für Ausstellungen, die aber unter dem Druck stets wachsender Besuchszahlen weiterhin Bestand haben müssen? Im schlimmsten Fall vielleicht sogar die Kürzung von wertvollen Stellen? Bei allem Eifer die drohende Weltwirtschaftskrise so gut wie möglich abzufedern, frage ich mich, welchen Stellenwert wohl der Erhalt und die Hilfe
Daniela Sistermanns: Marta erwacht
für Kultureinrichtungen und -schaffende in der Politik haben? Was ist Kultur wert in diesen Zeiten?
Museen als lebensrelevante Orte Die Besucher*innen im Marta machen es deutlich: Bei aller gebotenen Hygienevorsicht, sehnt sich der Großteil des kulturaffinen Publikums nach der Begegnung mit Kunst und Kultur, weil sie für viele einen wichtigen Stellenwert hat. In meiner Wahrnehmung sind Museen hochrelevant. Ja, vielleicht wirklich auch lebensrelevant, wie der Journalist Ulrich Reitz es mal im Hinblick auf das Theater formulierte.5 Museen haben einen gesellschaftlichen Auftrag und sind dazu da, (unbequeme) Fragen zu stellen, den Meinungsaustausch und die Meinungsbildung zu fördern, bereichern manchmal einfach nur mit sinnlicher Erfahrung oder fungieren als »Dritter Ort«. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich die Relevanz von Kultureinrichtungen während und auch nach der Corona-Pandemie noch stärker im politischen Bewusstsein verankert. Vielleicht gelingt es sogar eines Tages, dass ihr Stellenwert weniger an nackten Zahlen als an ihrem gesellschaftlichen Auftrag und den damit verbundenen Wirkungen gemessen wird. Beitrag vom 12.06.2020 Daniela Sistermanns leitete bis Ende 2020 die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Museums Marta Herford, aktuell ist sie für die Abteilung Kommunikation der Kunsthalle Karlsruhe zuständig.
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https://www.focus.de/politik/deutschland/angespitzt/nicht-system-aber-lebensrelev ant-frau-merkel-oeffnen-sie-theater-und-museen-wieder_id_11926491.html
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Museums in times of crisis An interview with Ingeborg Svennevig
Ingeborg Svennevig was educated as an anthropologist. She has been the director and CEO of the Museums of Cultural History in Holstebro municipality since 2012. Ingeborg is especially interested in the stories that places and people can tell us, and in how history can help us creating room for debates about development in the present.
The Hostebro Museum
Photo: De Kulturhistoriske Museer i Holstebro
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
The Strandingsmuseum St. George
Photo: De Kulturhistoriske Museer i Holstebro
JB: You are in charge of very different museums. Can you tell us in short what each museum is about? What is the profile of each museum? IS: Strandingsmuseum St. George is world history on the west coast. We tell the story of stranded ships and seamen and of their meeting with the people on the Danish west coast. Holstebro Museum tells Danish history in a manner suited for Western Jutland. You may say, we tell history with a dialect. We focus on the stories of how people of our region were inspired by and did inspire the international community. Hjerl Hede is an open air museum focused on rural living in the times before industrialization. We have transformed the collection of houses into a display of homes from different periods of Danish rural history – and we have done so through research in the archives, so the people inhabiting the houses in Hjerl Hede have actually lived there once.
An interview with Ingeborg Svennevig: Museums in times of crisis
The open air museum Hjerl Hede
Photo: De Kulturhistoriske Museer i Holstebro
JB: At the moment, times are very difficult for museums. Have your museums been closed for a while? How do you deal with the corona crisis now? Is it the same for the three museums or are their differences? IS: Yes, the museums were closed during the Corona Quarantine, from March 12th until May 23rd. At present we are still very aware of keeping our guests and employees safe from Covid-19; and we maintain distance and offer possibilities for visiting the museums with clean hands: alcohol and gloves. The open air museum is special, because we have so much room there, and since May it has been relatively easy to keep a distance between the guests. The other two museums have a maximum limit as to how many visitors we can welcome at the same time; therefore, at few times during this summer, guests have had to wait for a short time at Strandingsmuseum St. George. JB: Especially the Strandingsmuseum has a very interactive exhibition. How do you take the neccessary messures to achieve security for the visitors? IS: We offer both alcohol and gloves for the guests. And we try to help guests keeping the distance, with the help from our staff and from volunteers.
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Die erste Blogparade 2020 #closedoropen
A glance into the exhibition at Strandingsmuseum St. George
Photo: De Kulturhistoriske Museer i Holstebro
JB: Are there fewer visitors than usual? IS: We have had MORE guests than usual during the summer period this year. But before the holidays, and we fear also in September and October, we have had fewer guests. Both because fewer Germans visit the Danish West Coast this year, but also schools and groups are fewer. JB: Are there any digital offers in your museums? IS: In the exhibitions of Strandingsmuseum and Holstebro Museum we have a number of digital offers. They are all in at least two languages. In Strandingsmuseum everything is in three languages (Danish, German and English). In the open air museum, we do not have much text, and no digital offers. Our point is that guests need to experience the museum with their senses and their fantasy. JB: Do you use social media? IS: All three museums have home pages, Facebook accounts and Instagram.
An interview with Ingeborg Svennevig: Museums in times of crisis
A glance into the exhibition at Strandingsmuseum St. George
Photo: De Kulturhistoriske Museer i Holstebro
JB: Do you think that this crisis will change museums fundamentally? In which way? IS: I fear that we will be less willing to take risks, and to co-operate with untraditional partners, because our economy will be insecure for years to come. I hope that the crisis will lead to more clever solutions for what we call the digital museum; high quality story telling on the internet. JB: What do you wish for the future of your museums? IS: I wish that we will be able to continue providing relevant comments to the present, using the past to show the significance of remote places and to create safe spaces for difficult debates. JB: Dear Ingeborg, thank you very much for the interview! Contribution from 19.08.2020 Ingeborg Svennevig is the director of Holstebro Museum, Hjerl Hede and Strandingsmuseum St. George.
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Die zweite Blogparade 2021 #museumforfuture
Zeit, sich zu verändern Martin Otto-Hörbrand
Die Pandemie stellt uns vor große Herausforderungen, beschleunigt aber auch Veränderungsprozesse. Schlagartig ist uns allen klar geworden, welch zentrale Aufgabe die Digitalisierung für Museen ist, um die oft proklamierte gesellschaftliche Relevanz einzulösen.Gleichzeitig wurde deutlich, wo wir an diesem Punkt stehen – und das ist noch nicht wirklich weit vorn. Zeit, sich zu verändern.
In der Lockdown-Werkstatt Ich möchte aus unserem Museum erzählen. Im ersten Lockdown, als wir noch von einer kurzen, einmaligen Unterbrechung des Betriebs ausgingen, haben wir zunächst versucht, unser Publikum zu unterhalten: Wir haben Videos mit persönlichen Geschichten über Ausstellungsstücke gedreht, Instagram-Führungen angeboten, eine interaktive Quiz-App mitgestaltet. Die Resonanz auf die Angebote war gut bis außerordentlich, nahm aber nach Ende des ersten Lockdowns schlagartig ab. Wir haben in dieser Phase viel ausprobiert, die oberste Priorität hatte hier die Schnelligkeit, neue Angebote bereitzuhalten. Die meisten Produktionen haben wir mit eigenem Personal gestemmt. Wir haben gemerkt, was wir können (und was nicht), wo wir zusätzliches Knowhow oder einfach nur besseres Equipment benötigen. Und wir haben gemerkt, dass wir viel Spaß an der Sache haben, weil wir uns teils im Austausch mit digital erfahreneren Kolleg*innen aus anderen Museen, teils im eigenen Learning by Doing neue Kompetenzen aneignen, stärker im Team arbeiten und uns durch das in manchen Formaten sehr unmittelbare, gleichzeitig aber auch vielfältige Feedback der User*innen angespornt fühlen.
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Die zweite Blogparade 2021 #museumforfuture
Neue Gesichter, neue Resonanzräume Interessanterweise war unser gedanklicher Ausgangspunkt für diese ersten Angebote immer unser vorhandenes Publikum, das sonst leibhaftig unser Museum besucht. Wie engstirnig! Wir waren überrascht, plötzlich viele neue Gesichter (und die »Gesichter« meine ich durchaus wörtlich, denn mit vielen virtuellen Besucher*innen ist ein Austausch über unterschiedlichste Kanäle entstanden) zu sehen. Wir erreichen viele Menschen quer durch alle Altersschichten, die aus verschiedenen Gründen nicht zu uns kommen können: weil sie zwar in der Stadt leben, aber kleine Kinder haben und abends nicht zu Veranstaltungen ins Museum können, weil sie körperlich nicht in der Lage sind, Museumsbesuche zu machen, weil sie von uns zwar schon in Feuilletons gelesen oder auf Deutschlandradio gehört haben, aber zu weit entfernt leben. Auch junge Menschen, die es cool finden, wenn wir zum Beispiel über Instagram live senden, gibt es, und Geschäftsleute, die keinen halben Tag (mit An- und Abreise) bei uns verbringen würden, aber einen Timeslot von einer halben Stunde gerne in ihren Alltag integrieren. Und auch ein internationales Publikum, das wir bisher vor allem über Twitter adressiert haben, können wir mit maßgeschneiderten Formaten erreichen. Eine spanischsprachige Highlight-Führung unserer Direktorin zur Großen Landesausstellung »Azteken« erreichte durch mexikanische Besucher*innen annähernd die Klickzahlen unserer deutschsprachigen Digital-Angebote zum Thema und ein großartiges Echo.
Screenshot: Sammlung digital des Linden-Museums
Im Augenblick verlegen wir die Begleitveranstaltungen zur Werkstattausstellung »Schwieriges Erbe. Linden-Museum und Württemberg im Kolonialis-
Martin Otto-Hörbrand: Zeit, sich zu verändern
mus«, die noch nicht eröffnen konnte, ins Digitale. Auch hier öffnen sich für ein gesellschaftlich viel diskutiertes Thema neue, größere Räume, auch Resonanzräume. Wir merken, dass die Themen, die wir behandeln – beispielsweise der Umgang mit kolonialen Denkmälern, White Saviorism oder diskriminierenden Elementen in der Alltagssprache –, nicht nur für Stuttgart interessant sind, sondern weit darüber hinaus. Mit der Hochschule der Medien Stuttgart entwickeln wir derzeit Podcasts zu Themen unseres LindenLABs, das sich mit der Zukunft des Museums befasst. Zum LindenLAB über Provenienzforschung hat der Kollege Markus Himmelsbach eine virtuelle Ergänzung erstellt, in der Besucher*innen interaktiv-spielerisch die Recherchen einer*eines Provenienzforschenden nachvollziehen können.
Ausstellung »Schwieriges Erbe«
Foto: Dominik Drasdow
Neue Ansätze in der Vermittlung und im Audience Development Unsere digitalen Erfahrungen liefern uns auf diese Weise neue Ansätze für das Audience Development genauso wie für die Vermittlung, die wir strategisch für die Zukunft nutzen möchten. Wir werden Veranstaltungen wie Vorträge oder Diskussionsrunden, bei denen wir derzeit in digitalen Live-Formaten immer zwischen 100 und 250 Personen (wenn aufgezeichnet wird, entsprechend
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Die zweite Blogparade 2021 #museumforfuture
mehr) erreichen, auch nach Ende des Lockdowns so weit möglich im HybridFormat anbieten. Da Klassenbesuche im Museum wohl noch mindestens für dieses Schuljahr nicht erwartbar sind, entwickeln meine Kolleg*innen von der Museumsvermittlung derzeit ein neues Konzept: Nicht die Schule geht ins Museum, sondern das Museum in die Schule.
Eröffnung LindenLAB 2, 25. Juni 2020
Foto: Dominik Drasdow
Ein hybrider Ansatz wird die Ausstellung »Schwieriges Erbe. Linden-Museum und Württemberg im Kolonialismus« in einer Kombination von digitalen Inhalten und persönlicher Vermittlung in den Schulunterricht transferieren. Auch Programme für Familien werden wir in Zukunft verstärkt digital denken: Erste Erfahrungen haben wir in einem öffentlichen Zoom-Meeting gesammelt, als wir zum »Día de los Muertos« Kinder unseres Jugendclubs mit in Deutschland lebenden mexikanischen Kindern ins Gespräch über die in ihren Wohnungen aufgebauten Ofrendas (Gabentische zum Totengedenken) brachten. Das ist ein Beispiel, wie das Digitale einen Mehrwert schaffen kann: Es bringt Menschen zusammen, die sich sonst nicht treffen könnten, und gibt persönliche Einblicke, die sonst verschlossen blieben. Zudem hatte diese kleine Veranstaltung eine wichtige partizipative Komponente, die wegweisend für viele andere Veranstaltungen sein kann. In digitalen Formaten ist es möglich,
Martin Otto-Hörbrand: Zeit, sich zu verändern
Menschen aus anderen Teilen der Welt ohne organisatorischen Aufwand und immense Kosten für Flüge für eine Veranstaltung in einem Raum zu versammeln und so neue Perspektiven kennenzulernen. Das ist für uns als ethnologisches Museum, das versucht, eurozentrische Sichtweisen aufzubrechen, indigenen Stimmen Gehör zu verschaffen und Mehrstimmigkeit und Teilhabe zu ermöglichen, von ganz entscheidender Bedeutung. Und für das Publikum, wo auch immer es sitzt, ein großer Gewinn.
Digitalisierung verstärkt die Teilhabe Unabhängig von den Corona-Entwicklungen haben wir Ende November unsere »Sammlung digital« gelauncht, an der wir zwei Jahre gearbeitet haben. Sie ist ein Meilenstein unserer Digitalstrategie und als Präsentations- und Kommunikationsplattform der zentrale virtuelle Zugang zu den Beständen des Museums. Als notwendige Basis für künftige partizipativ angelegte digitale Projekte spricht die Plattform vielfältige Nutzergruppen an. Sie fördert den Austausch mit Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen der verschiedenen »Herkunftsgesellschaften« der Ausstellungsstücke ebenso wie den Dialog mit der lokalen Stadtgesellschaft und einem internationalen Publikum. Mit der »Sammlung digital« schaffen wir einen offenen Zugang zu unseren Sammlungen und erweitern auch das erfolgreiche Konzept des gemeinsamen vielstimmigen Forschens, Lernens und Vermittelns aus der täglichen Arbeit in den digitalen Raum. Der virtuelle Austausch soll nicht zuletzt neues Wissen über die Objekte sowie ihre Herkunftskontexte erschließen. Interessant hierzu war die digitale Pressekonferenz zum Launch der Sammlung. Eine so große Anzahl an Journalist*innen verzeichneten wir sonst nur bei großen Landesausstellungen. Klar, dass damit ein Reichweitengewinn für die Datenbank verbunden ist. Viele der Corona-Erfahrungen werden auch in die Konzeption unseres Website-Relaunchs einfließen, der für die zweite Jahreshälfte geplant ist. Auch unsere internationale Zusammenarbeit verändert und verbessert sich dank der Digitalisierung: Notgedrungen hatten wir im Oktober eine Myanmar-Konferenz mit Teilnehmer*innen aus drei Kontinenten digital veranstaltet. Abgesehen davon, dass ein amerikanischer Kollege wegen der enormen Zeitverschiebungen einmal nachts um 3 Uhr aufstehen musste, verlief das Symposium für alle fast »wie eine echte Konferenz«. Für Oktober 2021 planen wir derzeit die Ausstellung »Von Liebe und Krieg« über tamilische
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Die zweite Blogparade 2021 #museumforfuture
Geschichte(n) aus Indien und der Diaspora: mit einem Co-Kurator aus Chennai, einem internationalen Netzwerk aus Wissenschaftler*innen sowie einem Gestaltungsbüro aus Amsterdam. Klappt wunderbar.
Entspannt in den Frühling Und manchmal trägt die Digitalisierung auch ganz konkret zur Entspannung bei: Regelmäßig haben wir inzwischen einen Online-Workshop zu Meditation und Qi Gong am Sonntagnachmittag. Was trotz allem fehlt, ist und bleibt der persönliche Austausch. Ein Kollege rief deshalb ab sofort für alle, die möchten, die digitale Mittagspause ins Leben. Er vermisst – wie ich auch –die informelle Ebene, das kleine Gespräch nach dem Meeting, das Lachen und Fluchen auf den Fluren, das Quatschen in der Kaffeeküche oder eben der Mittagspause, das Gesehen werden jenseits der Arbeitsabläufe. Irgendwann wird das wiederkommen und wir werden es anders zu schätzen wissen. Und es wird ein schöner Frühling sein, denn wir werden von unserer digitalen Winterarbeit noch nachhaltig zehren. Beitrag vom 12.01.2021 Martin Otto-Hörbrand ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit im Linden-Museum Stuttgart.
Shutdown – open up your mind Team Presse und Kommunikation des Museums Koenig
Die zweite durch die Pandemie bedingte Schließung im Jahr 2020 lief viel unaufgeregter als die erste im März. So halbwegs wussten sowohl die Mitarbeiter*innen als auch die Besucher*innen, wie es geht. Tür zu. Abstand. MundNasenschutz. Händewaschen und desinfizieren. Der Corona-Notfallplan und die Hygienemaßnahmen wurden kontinuierlich angepasst und verbessert, die Prozesse optimiert. Zwischen der moderaten Öffnung und der zweiten Schließung besuchten dann doch relativ viele Gäste die Ausstellungen. Dies zeigt unsere Statistik für 2020 sehr eindeutig. Die Veranstaltungen und Bildungsangebote im »LiveModus« sind in der Anzahl allerdings zwangsläufig sehr stark zurückgegangen. Bestimmte Vortragsreihen sind komplett zum Erliegen gekommen.
Produktivität statt Stillstand Um diese Mängel auszugleichen haben wir, wie viele andere, einen Schwerpunkt auf die digitalen Medien gesetzt. Für Live-Übertragungen ist bei uns die Technik noch nicht richtig ausgereift, wir arbeiten daran. Aber im Video-Filmen und Erzählen vor der Kamera sind wir besser geworden. Um nicht zu sagen: Wir haben angefangen und uns gesteigert. #museumkoenigzuhause und andere Formate wecken das Interesse und halten es aufrecht. Die digitale Vermittlung wird sicher weiterwachsen. Allerdings sehen wir auch, dass viele unserer Inhalte sich an einigen Stellen nicht nur doppeln, sondern vervielfachen. Manchmal hat man den Eindruck: Es ist schon alles gesagt worden, aber noch nicht von jedem Museum. Obwohl jedes Werk an jeder Stelle ganz eigene, besondere Aspekte und Inhalte hat, gilt es, das eigene Profil weiter zu schärfen. Das ist eine Herausforderung, die wir sehen und annehmen.
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Der Aktionsplan der Leibniz-Forschungsmuseen schafft zusätzliche Möglichkeiten. Allerdings: Für die Projekte dort und ebenso in anderen Bereichen steigen die Kosten, da nun zum Beispiel die großen Konferenzen als Hybrid durchgeführt werden müssen. Flexibilität ist das Thema der Zeit. Ist heute etwas durchkalkuliert, muss die Rechnung morgen neu aufgestellt werden. Dauernd – immer wieder und in viel größerem Umfang als sonst. Das ist ermüdend und inspirierend zugleich. Jetzt, in der erneuten Schließung, kommt uns das entgegen. Wir sind auf eine neue Weise sichtbar und hörbar geworden. Doch das Bauchgefühl sagt: Das reicht nicht. Wir erreichen noch zu wenig Personen. Und der Kontakt, dass was die Menschen im persönlichen Austausch miteinander in den Ausstellungen erleben, wie sie kommunizieren, staunen, eigene Geschichten beitragen, das fehlt immens.
Ausstellung Savanne
Foto: Museum Koenig Bonn
Planungen und Umsetzungen Es ist so still im Museum. Und das obwohl eigentlich überall gearbeitet wird. In dem Bereich der neuen Dauerausstellung »Regenwald-Kronendach« wird dauernd gezimmert, gebaut, gemalt, konstruiert und das zum Teil sogar mit
Team Presse und Kommunikation des Museums Koenig: Shutdown – open up your mind
Musikuntermalung (»Musik an!«). Das Spendenfinale der Alexander KoenigGesellschaft, des Fördervereins des Museums Koenig, startet trotz Schließung sehr erfolgreich. Weniger spektakulär aber für die zukünftige Wohlfühlatmosphäre im Museum wichtig: Die Wände werden gestrichen… wir renovieren, was eben geht. Die Mindereinnahmen machen sich bemerkbar, und es ist nicht alles möglich, was wir uns wünschen – aber es tut sich was und nicht mal wenig.
Rationalität und Emotionalität Wir wissen natürlich, dass wir als »großes Museum« und mit dem öffentlichen Dienst viele Privilegien genießen. Wir sehen die anders strukturierten Museen, die Kleinbetriebe und die mittelständischen Betriebe aber auch die Kolleg*innen in den Partnerinstitutionen, die es noch viel härter getroffen hat. Gerade diejenigen, die im Veranstaltungswesen und der Touristik »unterwegs sind«. Die persönlichen Hintergründe bleiben nicht verborgen, und manchmal ist es schwieriger, die persönlichen Dinge mit dem Beruf unter einen Hut zu bekommen als nur den Beruf allein. Bei uns im Museum sind es vor allem die Doktorand*innen, die nicht über Drittmittel finanziert sind, und die aufgrund der Pandemie ihre Nebenjobs und damit ihre Erwerbsquellen verloren haben. Das wissenschaftliche Vorankommen dieser Personen ist gefährdet, eine Verantwortung, der wir uns durchaus bewusst sind. In den Familien muss beim mobilen Arbeiten der Arbeitsplatz ganz neu mit den persönlichen Gegebenheiten abgestimmt werden. Die Sorge um die Qualität der Ausbildung der eigenen Kinder der Mitarbeiter*innen ist groß. Die Sorgen um die Gesundheit der Familienmitglieder und Freund*innen und sind sehr ernst zu nehmen. Hobbies liegen brach. Die Müdigkeit in den Bemerkungen »es geht uns gut« wird mit der Dauer der Pandemie stärker. Aber auch in der konkreten Arbeit zum Beispiel in den Laboren dürfen die Untersuchungsreihen nicht gefährdet sein. Hiervon hängt die Zukunft vieler Studierenden und Post-Docs ab. Wir arbeiten fast in allen Bereichen in mindestens zwei Teams, die sich teilweise nicht sehen dürfen. Vor allem in der Tierpflege ist das wichtig, denn die Versorgung der Tiere muss jederzeit gewährleistet sein. Die Kolleg*innen, die im Freiland arbeiten, vermissen wesentliche Aktivitäten. Das Erlangen von Ergebnissen verzögert sich zumindest teilweise. Auch die Betreuung der Auszubildenden ist eine Herausforderung. Wir »erfinden« zum Beispiel kreativ »Veranstaltungen« für die Auszubilden-
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den im Bereich »Veranstaltungskaufleute«, damit die Ausbildung überhaupt stattfindet. Ob das nicht später eher irgendwie SoMe Spezialisten sein werden? Egal, alles ist besser als gar nichts zu lernen, was, wie wir haben munkeln hören, an anderen Stellen, verständlicherweise tatsächlich vorkommt. Immerhin können wir jetzt tatsächlich von Zuhause aus auf das Intranet des Museums zugreifen. Das ist gut für diejenigen, die eher so eine Art Bürojob haben. Und was ist mit den denjenigen, die mehr als einen Arbeitsplatz am PC benötigen? Aufsichts- und Reinigungsarbeiten zum Beispiel können schlecht »von zuhause aus« erledigt werden. Ist für uns Kurzarbeit ein Thema? Die Leitung versucht derzeit alles, das zu vermeiden. Ob es dauerhaft klappen wird, ohne Kurzarbeit auszukommen, wissen wir nicht. Die Maßnahmen belasten die Psyche und auch die Fitness insgesamt. Wir müssen uns aktiv und sehr persönlich in Resilienz üben, um der »Tristesse« entgegen zu wirken.
Körbe in der Baustelle für den Dauerausstellungsteil Regenwald – Kronendach
Gesellschaftliche Verantwortung Wir wehren uns mit Händen und Füßen gegen den Stillstand. Gleichzeitig müssen wir die Auflagen umsetzen. Wir haben viel Verantwortung: Für diejenigen, die lernen, für die Gesellschaft und damit für diejenigen, die For-
Team Presse und Kommunikation des Museums Koenig: Shutdown – open up your mind
schung ermöglichen. Auch für diejenigen, die uns unterstützen, zum Beispiel die Mitglieder der Alexander-Koenig-Gesellschaft e.V., des Fördervereins des Museums. Die Sorgen, was noch kommen mag, treiben uns um. Ende August erfolgte eine Art Besetzung der Reichstagstreppe bei Demonstrationen gegen die Corona-Politik in Berlin. Der rechtsextremistische Hintergrund, der mitschwelte, war nicht zu übersehen. Jetzt stürmten auch Extremist*innen das Kapitol in Washington. Ähnliche Bilder und ähnliche Aktionen, die verstören. Die Fachleute in den USA sagen, sie können sich nicht vorstellen, was diese Aktion angerichtet hätte, wenn die Museen rund um das Kapitol geöffnet gewesen wären. Da hatte die Corona-Krise doch glatt auch fast etwas Gutes. Dieser Gedanke fühlt sich sehr schwer an, zumal so viele schon durch das Virus ihre Angehörigen verloren haben und großes Leid erfahren mussten. Vergessen wir auch nicht, dass an der National Mall so viele erstklassige Museen mit höchsten Besucherzahlen stehen, dass man zumindest als »Museumsmensch« am liebsten einen ganzen Urlaub dort verbringen möchte. Jeder ist schockiert über die sinnlose Gewalt und die Bedrohung des politischen Prozesses hier wie dort. Und leider sind solche Geschehnisse nicht neu in der Geschichte unserer Nationen. In den USA erfolgten bereits Ende des 19. Jahrhunderts Angriffe auf Wahlprozesse zum Beispiel in Georgia. In den 1870er und 1890er Jahren wurden diese Angriffe von gewalttätigen Mobs durchgeführt. Damals wurde die Demokratie weniger Privilegierter angegriffen. Ein gewaltsamer Sturz einer Regierung kann allerdings nicht wirklich gutgeheißen werden, wie wir aus unserer eigenen, nicht lange zurück liegenden, Geschichte wissen – wobei das NS Regime ja durch Wahlen zumindest am Anfang eine gewisse Legitimität hatte, um dann in eine Schreckensherrschaft sich ebenfalls privilegiert vorkommender Menschen überzugehen. Wenn wir ehrlich mit unserer Geschichte umgehen, können wir vielleicht aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Rassismus, Faschismus, Extremismus: nein. Gleichberechtigung und Gleichstellung, sozialer Frieden, Toleranz: ja. Auch das Museum Koenig hat viel zur Demokratie zu sagen und der größte Raum, in dem eine entsprechende Kommunikation auch mit Zielgruppen, deren Interessen vielleicht nicht vordergründig zeit-historischer oder politischer Art sind, ist derzeit »verstummt«. Gleichzeitig sind die im geringeren Umfang stattfindenden Dienstreisen und auch Anfahrten zum Museum günstig für die Umwelt. Aber besteht eine berechtigte Hoffnung, dass dies der Umwelt ökologische Verbesserungen bringen wird und gleichzeitig sozialverträglich umgesetzt werden kann? Oder
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gibt es nicht eher einen Schub in die falsche Richtung, dass die Klassengesellschaft verstärkt wird und die Teuerungen, die bereits jetzt eingeführt werden, die Lebenssituation der nicht ganz so gut situierten Menschen weiter verschlechtern? Und erschwert uns Museen eine solche Entwicklung nicht noch mehr als sonst schon, die sogenannten bildungsfernen Schichten an »uns« zu binden? Und bildungsfern in bildungsnah zu ändern? Oder in kreativ, munter, zusammen, emotional und divers?
Fazit und Ausblick Das Konfliktpotenzial der Diskriminierung von bestimmten Gruppen war auch vor der Pandemie schon vorhanden, jetzt scheint es sich zu verstärken. Diese Herausforderung wird uns Museen dazu bringen, noch mehr darüber nachdenken zu müssen, dass wir in der Vermittlung substantieller Beiträge zu gesellschaftlich brisanten Themen nicht nur im Museum selbst relevant sind, sondern auch an anderen Orten zum Beispiel auf unseren digitalen Kanälen. Beitrag vom 13.01.2021 Das Team Presse und Kommunikation des Museums Koenig besteht aus Sabine Heine, Prof. Dr. Bernhard Misof und Helmut Stahl.
Rückblick auf zehn Monate Ausnahmezustand Ein Erfahrungsbericht aus dem Naturhistorischen Museum Mainz Bernd Herkner
Das Naturhistorische Museum Mainz ist zwar das größte Naturkundemuseum von Rheinland-Pfalz, gehört aber überregional betrachtet eher zu den kleineren, regional ausgerichteten Museen. Gewicht erlangt unsere Einrichtung allerdings durch die Angliederung der Landessammlung für Naturkunde Rheinland-Pfalz, die von unserem Haus gepflegt und verwaltet wird. Wie andere naturkundliche Forschungssammlungen stellt sie eine unverzichtbare Forschungsinfrastruktur, insbesondere für die Biodiversitäts- und Klimaforschung, dar. Da unsere Personaldecke gerade im Forschungsbereich dünn ist (nur zwei Wissenschaftler*innenstellen, davon teilen sich zwei Personen eine), sind wir auf Kooperationen mit entsprechend ausgestatteten Forschungseinrichtungen angewiesen. Unsere Aufgabe besteht also darin, die Sammlung als Forschungsinfrastruktur zu pflegen, zu verwalten und sie vor allem der internationalen Wissenschaft zugänglich zu machen.
In voller Fahrt ausgebremst Der erste Lockdown im März war für uns besonders bitter, denn wir hatten nach elf Monaten baulich bedingter Schließung gerade erst unser Museum in neuem Glanze wiedereröffnet. Die Besucher*innenzahlen lagen regelmäßig doppelt so hoch wie in den Vergleichsmonaten vor der Schließung. Die Hoffnungen waren groß. Alles war im Aufbruch. Wer ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass wir bereits nach fünf Monaten wieder schließen müssen? In voller Fahrt ausgebremst zu werden tut weh! Mir persönlich tat es doppelt weh, da ich die Leitung des Naturhistorischen Museums gerade erst übernommen,
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Die zweite Blogparade 2021 #museumforfuture
und begonnen hatte Kontakte zu knüpfen und neue Netzwerke aufzubauen. Also auch hinsichtlich meines Bestrebens, unsere Einrichtung sichtbarer zu machen und zu einem Forum für den naturwissenschaftlichen Dialog zu entwickeln, wurden wir in voller Fahrt ausgebremst.
Sonderausstellung »Artenreich«
Foto: Naturhistorisches Museum Mainz
Unser Standortvorteil, inmitten der Mainzer Innenstadt zu liegen, war plötzlich nicht mehr gegeben. Geplante Veranstaltungen in unserem Haus, wie der Start der Mainzer Science Week oder eine Vortragsreihe von Scientists for Future, wurden abgesagt. Inzwischen haben die meisten Institutionen Wege gefunden sich digital zu präsentieren aber das tun sie nicht mehr bei uns, sondern über ihre eigenen Kanäle. Digital gibt es eben keinen Standortvorteil! Um uns als attraktiven Ort des Diskurses gesellschaftlich relevanter naturwissenschaftlicher Themen zu präsentieren, sind wir aufgrund unseres
Bernd Herkner: Rückblick auf zehn Monate Ausnahmezustand
kleinen Teams, auf externe Partner angewiesen. Unser Haus sollte für diese offenstehen.
Improvisation und Solidarität Zunächst galt es allerdings erstmal, Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zu ergreifen. Unter der Vorgabe, alle unnötigen Kontakte zu vermeiden, wurden Pläne erstellt, wer sich wann und wo in der Einrichtung aufhält. Wer zu Hause arbeiten konnte, arbeitete zu Hause, wer noch Resturlaub hatte, nahm ihn. Glücklicherweise machte die Mehrzahl der Mitarbeiter*innen des Kassen- und Aufsichtsbereichs davon Gebrauch, denn auf die Schnelle war es nicht so leicht zu organisieren, das plötzlich »arbeitslos« gewordene Personal zu beschäftigen. Aber auch der Resturlaub ist irgendwann aufgebraucht. Wir nutzten die Zeit, um uns auf die Rückkehr des Museumsbetriebes vorzubereiten. Hierbei kam uns zugute, dass wir kein reines Ausstellungshaus sind, sondern auch eine umfangreiche Forschungssammlung beherbergen. Im Sammlungsbereich gibt es immer Arbeit. Selbst große Institutionen hinken meist bei der Pflege und Digitalisierung der Sammlung hinterher, sodass in unserem Fall beschäftigungslos gewordenes Personal durchaus willkommen war. Was sich so einfach anhört, ist natürlich eine nicht ganz so einfache organisatorische Aufgabe. Das Personal muss eingewiesen und von fachkundigen Mitarbeiter*innen betreut werden. In einem kleinen Team wie unserem eine Herausforderung. Aber auch dies wurde mit großer Solidarität gemeistert.
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Begleitbuch zur Dauerausstellung »Erdgeschichte Rheinland-Pfalz«
Foto: Naturhistorisches Museum Mainz
Krise als Team- und Weiterbildung Der Einsatz des Aufsichts- und Kassenpersonals bei der Pflege und Digitalisierung von Sammlungsobjekten hatte zudem einen weiteren positiven Effekt. Sie ermöglichte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sonst nur mit dem Ausstellungsbetrieb vertraut waren, einen authentischen Einblick in einen bisher nur aus der Ferne bekannten Arbeitsbereich und zudem ein tieferes Verständnis der Prozesse, die hinter einer naturkundlichen Forschungssammlung stehen. Diese Erfahrungen erweiterte auch die Perspektive auf die in ihrem eigentlichen Arbeitsbereich ausgestellten Objekte. Die Exponate konnten in einen größeren Kontext gestellt werden und bekamen eine neue Bedeutung. Sie waren nicht mehr nur Schauobjekte, sondern auch forschungsrelevante naturkundliche Dokumente. Eine Erfahrung, die sie nach der Wiedereröffnung im Mai an die Besucherinnen und Besucher weitergeben konnten. Zudem steigerte die in diesem Zusammenhang unerwartete coronabedingte Fortbildungs- und Teambildungsmaßnahme die Identifikation mit der Einrichtung und führte zu einer stärkeren Integration des Aufsichtsund Kassenpersonals in den Gesamtbetrieb. Das alles kam mir sehr entgegen, denn es ist mir wichtig, dass es sich herumspricht, dass wir mehr sind als
Bernd Herkner: Rückblick auf zehn Monate Ausnahmezustand
ein Ausstellungshaus, und dass sich die Aufsichtskräfte vor allem als Servicepersonal und weniger als Aufpasser betrachten. Die erfahrene Erweiterung des Backgrounds verschafft den Aufsichten zudem mehr Selbstsicherheit und eine höhere Identifikation mit ihrer Aufgabe, die von den Besucherinnen und Besuchern auch wahrgenommen und geschätzt wird.
Kooperationen planen Nach der Wiedereröffnung im Mai unter entsprechenden Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen, konnte an die Besucherzahlen der Zeit vor dem Lockdown nicht mehr angeknüpft werden, schon allein wegen der Begrenzung der Menge an Personen, die sich gleichzeitig im Museum aufhalten durften. Die meisten Programme und Bildungsangebote konnten unter den bestehenden Auflagen nicht stattfinden. Vor allem aber blieben die Schulklassen aus. Die Einnahmeverluste sind erheblich. Selbst die Ausstellung eines neuen spektakulären Großexponats (das Modell eines Chalicotheriums) und die Erscheinung eines attraktiven Begleitbuches zum erdgeschichtlichen Ausstellungsbereich konnte an dieser Situation nichts ändern. In den sozialen Medien blieben wir weiterhin aktiv, doch auch hier fehlte ein bedeutendes Element, da wir unsere alljährliche Ausgrabung im rheinhessischen Eppelsheim coronabedingt nicht durchführen konnten. Wenigstens konnten wir wieder die Fäden zu unseren Kooperationspartnern aufnehmen und planen, was wir bei der Wiederkehr in die ursprüngliche Normalität zusammen angehen möchten. Aber auch diese Aktivitäten wurden dann durch den zweiten Lockdown bis auf weiteres ausgebremst. Bezogen auf die betrieblichen Maßnahmen, konnten wir wenigstens auf die während des ersten Lockdowns gemachten Erfahrungen und die organisatorischen Lösungen zurückgreifen. Wir nutzen die Zeit im Wesentlichen, um weiterhin den Sammlungsbereich zu ertüchtigen und um Sonderausstellungen und neue Ausstellungsbereiche zu planen. Wir haben auch den Mut aufgebracht, eine Sonderausstellung bei geschlossenem Museum umzusetzen. Hierzu wurde eigens ein Film gedreht, in dem die Künstlerin Anja Schindler durch die von ihr konzipierte Ausstellung »Artenreich« führt. Er wird in Kürze auf unserer Website zu sehen sein. Sobald wir wiedereröffnen können, wird sie dann auch vor Ort zu betrachten sein.
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Krallentier (Chalicotherium)
Foto Naturhistorisches Museum Mainz
Hoffnung auf bessere Zeiten Obwohl ich im Museumsbusiness zweifellos zu den alten Hasen gehöre, habe ich durch die pandemiebedingte Ausnahmesituation viel dazugelernt. Telefon- und Videokonferenzen sind zum Alltag geworden und lassen sich, wie viele andere Techniken und Verfahrensweisen auch, in einer Zeit nach der Krise sinnvoll nutzen. Von den Trägern wurde erkannt, dass mehr in die digitale Infrastruktur investiert werden muss. Eine Initiative, die ohne Krise sicher noch lange vor sich hergeschoben worden wäre. Sich neuen Herausforderungen stellen zu müssen, holt einen aus der Alltagsroutine und eröffnet somit Perspektiven, die zuvor gar nicht in Betracht gezogen wurden. Insofern hat
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die Krise auch ihre positiven Auswirkungen. Trotzdem könnte es langsam mal vorbei sein. Wir haben es alles satt! Das Alleinstellungsmerkmal der Museen sind nun einmal die Originale und das Analoge. Und wir alle vermissen den direkten Kontakt mit unseren Besucher*innen. Beitrag vom 15.01.2021 Dr. Bernd Herkner leitet das Naturhistorischen Museum Mainz.
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Aufbruch in schwierigen Zeiten Die Planungen der Dornburger Schlösser und Gärten Christian Hill
AUFGEBLÜHT. Frühlingserwachen auf den Dornburger Schlössern und Gärten Da regt sich etwas, auch digital. Wenn der Frühling auf den Dornburger Schlössern hoch über der Saale Einzug hält, die Winterlinge und Schneeglöckchen die Wiesen fluten, der Flieder duftend blüht und die Zierbeete sich mit neuen Farben schmücken, bricht die neue Saison in den Dornburger Museen und Gärten an. Nach der kalten Wintersaison und den einschneidenden Beschränkungen durch die Corona-Pandemie darf die Natur als erweitertes »Wohnzimmer« neu erobert werden.
AUFGESCHLOSSEN. Dornburg als Außenstandort der BUGA In Thüringen ist dieser Aufbruch besonders durch die BUGA2021 mit Hauptschauplatz in Erfurt spür- und erlebbar. Dornburg öffnet – so der Plan – zum Saisonstart am 1. April wieder die Türen der Museen am Rokoko- und Renaissanceschloss. Die vielfältige historische Garten- und Parkanlage präsentiert sich dann als einer von 25 BUGA-Außenstandorten. Fragezeichen bleiben in der Vorschau allemal. Sind Veranstaltungen durchführbar, wenn auch mit bekannten Einschränkungen? Wird sich der positive Trend hoher Zahlen an Individualtouristen fortsetzen? Können die schmerzlich vermissten Busgruppen wieder empfangen werden? Greift noch immer die großartige Kampagne der Thüringer Tourismus GmbH »Tür an Tür mit Thüringen«, die 2020 bereits auf die Schätze vor der eigenen Haustür aufmerksam machte? Die Antworten wird der 31. Oktober 2021 liefern, wenn am Ende der Dornburger Saison Bilanz ge-
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zogen wird. Der Optimismus zu Beginn ist hoch, schließlich kann der kleine Ort an der Saale – gern auch als »Balkon Thüringens« bezeichnet – mit seiner abwechslungsreichen und weitläufigen Gartenanlage punkten. Ganz klar, dass der rote Faden im Ausstellungs- und Veranstaltungskalender 2021 ein grüner ist.
Renaissance-Schloss Dornburg
© Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Foto: Fanny Rödenbeck
AUFGEGANGEN. Ausstellungs- und Veranstaltungsformate weitergedacht Das BUGA-Jahr spielt uns in die Karten. In Dornburgs vier Hektar großer Gartenanlage ist manches unkomplizierter als im Innenbereich. Masken, Abstände und Flächengrößen können anders gedacht werden, aber stets bleiben in der Planung die Corona-Regeln im Hinterkopf, werden Vermittlungsformate auch digital und bewusst draußen gedacht – sind aber damit wetterabhängig und folglich risikobehaftet. Nach der traditionellen Pflanzenbörse am 8. Mai,
Christian Hill: Aufbruch in schwierigen Zeiten
mit der Eröffnung der frei zugänglichen Fotoausstellung »Gärten und Parks in Thüringen«, sind die Schlössertage der Schatzkammer Thüringen an Pfingsten unter der Überschrift »Aufgegangen. Gartenlust und fürstliche Gewächse« der nächste Veranstaltungshöhepunkt. Ende Mai kann der historische Teeplatz am Rokokoschloss mit dem Thema »Modegetränke der Zeit um 1800« – Kaffee, Tee und flüssige Schokolade – bespielt werden. Auch die geplante Pleinair-Aktion »Werden und Vergehen« in Zusammenarbeit mit dem Verband Bildender Künstler Thüringen e.V. ist bewusst für die Gesamtanlage konzipiert. Der Blick über die Schulter beim Entstehungsprozess eines Kunstwerkes bedeutet direkte Begegnung, aber mit Möglichkeit von Abstand. Schließlich darf die Eröffnung der multisinnlich angelegten Sonder-ausstellung »Hofgärtner Sckell und die Dornburger Schlossgärten. Vision und Realität« (22. Mai bis 15. August 2021) nicht unerwähnt bleiben. Carl August Christian Sckell (1801–1874) entstammte einer Gärtnerdynastie, diente drei Generationen Weimarer Großherzögen und war 50 Jahre für die Dornburger Schlossgärten verantwortlich. Er prägte sie visionär – bis heute sichtbar. Neben der klassischen Ausstellung am authentischen Ort und Exponaten mit Geschichte(n), ist Sckell darüber hinaus zu erleben. Die Besucher*innen begegnen ihm in einem Hörspiel digital oder im zeitgenössischen Kostüm (und aktuell mit Maske) ganz real in Person eines Gästeführers in den Gärten. Ein kleines Video mit dem Hofgärtner wird entstehen, welches nicht nur als Teaser und Appetizer für die Ausstellung vor Ort dient, sondern erste Inhalte digital und dennoch authentisch zu vermitteln sucht. Wie in einer Art Zeitkapsel reicht zudem ein Hörstück aus dem Sommer 2020 herüber. Die Klanginstallation fängt Geräusche eines anbrechenden Junimorgens aus dem Schlosspark ein, darunter heiterer Vogelgesang, ein Hummelfug oder das Brunnenplätschern. Derzeit noch mitten in der Planung für die kommende Saison steckend, denkt das Team der Verwaltung vor Ort die coronabedingte Situation mit, plant zweigleisig digital und vor Ort. Es wird nach Möglichkeiten gesucht, neue Wege werden entdeckt, kreativ gedacht und so mancher Schritt in die Kommunikation 2.0 gewagt, um bestmögliche Resultate und Formate zu erzielen.
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Ein Gedanke bleibt jedoch: Digitale Varianten der Vermittlung inspirieren, können aber nicht die Atmosphäre des realen Ortes ersetzen, den Genius Loci selbst, das individuelle Erleben vor Ort. Wir hoffen, diese besondere Atmosphäre zur Dornburger Schlössernacht als Veranstaltungshöhepunkt im Hochsommer, zum 275. Geburtstag von Goethe, am 28. August 2021 erlebbar machen zu können. Beitrag vom 20.01.2021 Christian Hill, Museumsverwaltung und Kurator Dornburger Schlösser und Gärten.
Corona-Pandemie: Was sich geändert hat Ein Werkstattbericht aus dem Münzkabinett der Staatlichen Museen Berlin Bernhard Weisser
Vor einem Jahr wurde das Corona-Virus zum ersten Mal in Deutschland registriert. Nun, ein Jahr später, sind wir inmitten der Pandemie-Krise und eines verschärften Lockdowns, der vieles verändert hat. Das aus dem Englischen stammende Wort Lockdown (Abriegelung, Ausgangssperre) etwa gehörte nicht zu unserem Wortschatz. Nicht das eindeutigere Wort Massenquarantäne wird genutzt, sondern ein zuvor in Zusammenhang mit Pandemien nicht verwendeter Begriff (Neologismus). Ziel dieser Maßnahmen ist es, die Begegnungen zwischen Menschen zu minimieren, um so die Infektionsmöglichkeiten zu reduzieren. Die Zahlen sind inzwischen besser als in den ersten Januarwochen, die Impfungen haben begonnen. Auf der anderen Seite begünstigt die Jahreszeit die Ausbreitung, Sorgen vor einer ansteckenderen Mutation herrschen und die Impfungen werden erst im Laufe des Jahres ihre Wirkungen entfalten. Selbst der Numismatiker und Museumsmann entwickelt zwangläufig Interesse an diesen medizinischen Fragen und Diskussionen. Museumsschließungen sind Folge der Absicht, die Ausgangssperre wirksam werden zu lassen. Dabei spielt der Umstand, dass für die Museumsbesucher*innen umfänglich Maßnahmen zur Kontaktvermeidung ergriffen wurden und mir kein Fall bekannt ist, in dem ein Museum oder eine Museumsveranstaltung zum ›Hotspot‹ wurde, keine Rolle. Was soll ich in einer Stadt wie Berlin im Winter machen, wenn Museen, Theater und Clubs geschlossen sind, wenn keine Veranstaltungen stattfinden dürfen, wenn an vielen Orten ständig eine medizinische Maske getragen werden soll. Mittlerweile wird auch anerkannt, dass öffentliche Verkehrsmittel ein Ansteckungsrisiko bieten. Der Weg zur Arbeit dauert in Berlin im Durchschnitt eine Stunde, und dieser Weg er-
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folgt überwiegend mit Hilfe öffentlicher Verkehrsmittel. Konsequenterweise muss ich nun begründen, warum Mitarbeiter*innen nicht in das Home-Office gehen können. Dabei schätze ich es, dass die Arbeitgeber*innen über die gesamte Zeit den individuellen Lebenssituationen (Risikogruppe, Homeschooling u.a.) Rechnung tragen. Vorstellung des neuen Buches »Münzkabinett. Menschen Münzen Medaillen‹ am 10. Dezember 2020 in Form einer hybriden Videoveranstaltung: Johannes Eberhardt, Hermann Parzinger, Christan Stoess, Stefanie Baars, Karsten Dahmen mit Bernhard Weisser, Angela Berthold, Natali Osowski, Marjanko Pilekić, Jens Dornheim und Paul Höffgen
Fotos: Johannes Eberhardt, Kollage: Natalie Osowski
Die Krise führt zu einem Rekord an Publikationen In dieser Situation ist Isolierung wichtiger als eine engmaschig kontrollierte Arbeitsleistung, und was ist das Ergebnis? Jede*r gibt sein Bestes unter teilwei-
Bernhard Weisser: Ein Werkstattbericht aus dem Münzkabinett der Staatlichen Museen Berlin
se schwierigen Bedingungen. Vertrauen zahlt sich aus, vielleicht ist auch dies eine Erkenntnis in der Krise und gibt Hoffnung für ein besseres Miteinander auf Augenhöhe. Im Fazit des Jahres 2020 stehen für das Münzkabinett über 3.000 in hoher Qualität online publizierte Münzen (das sind wenigstens 3.000 h Arbeitszeit), eine Zahl über dem üblichen Jahresdurchschnitt. Keine Anfrage blieb unbeantwortet. Bei den meisten Wissenschaftler*innen ist die digitale Schublade mit fast fertigen Manuskripten deutlich leerer geworden. Ich rechne mit einem Rekord an Publikationen für die Jahre 2020/21. Dies wird auch für das Münzkabinett gelten. In eingeschränkter Weise blieb das Münzkabinett für drängende Aufgaben zugänglich, sodass etwa Marguerite Butcher-Spoerri ihr Forschungsstipendium der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu den provinzialrömischen Münzen bei uns bis Ende November vollenden konnte. Das ging nur, weil die Mannschaft sinnvoll reduziert war und alle sich penibel an die AHA-Regeln (Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmasken) hielten. Dieses verantwortungsvolle Handeln gilt für die gesamten Staatlichen Museen. Zwar sind einige Mitarbeiter*innen an Corona erkrankt, aber die, jeweils von außen hereingetragene Krankheit fand in den Museen keine Weiterverbreitung.
Das neue digitale Arbeiten oder learning by doing Seit März haben wir neue Techniken zur Durchführung von digitalen Videoveranstaltungen erlernt, dazu musste die Ausstattung angepasst werden, was teilweise in privater Initiative erfolgte. Alle Besprechungen und Tagungen sind in den digitalen Raum verlagert, und es gibt mittlerweile eher mehr als weniger Besprechungen und Workshops. Wir können uns aber nicht daran gewöhnen, dass es keine Besucher*innen und Begegnungen bei Veranstaltungen mehr gibt. Jede*r von uns vermisst die sozialen Kontakte. Das wird mit jedem Tag deutlicher. Seit dem Sommer haben wir einige Video-Veranstaltungen mit der Numismatischen Gesellschaft durchgeführt. Viele Mitglieder konnten sich bisher mit dem virtuellen Format nicht anfreunden. Dafür erreichen wir solche Mitglieder, die aufgrund des entfernten Wohnortes sonst nur selten teilnehmen können. Die Teilnahmezahlen sind höher. Es gab sogar einen Antrag auf Neumitgliedschaft unter Hinweis auf das neue digitale Angebot. Wir hoffen trotzdem, bald wieder zu den elf Vortragsveranstaltungen an jedem 4. Donnerstag im Monat im Studiensaal des Münzkabinetts zurückkehren zu können. Bis dahin müssen wir uns mit digitalen Formaten behelfen.
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Bei geeigneten Themen werden wir zukünftig darüber hinaus an dem digitalen Videoformat festhalten, dass sich sicher noch weiter entwickeln lässt. Die Pandemie ist nicht vorbei, noch wissen wir nicht, was daraus wird, ich bin aber dankbar für die Arbeit im Münzkabinett und das Team, das sich in der Krise bislang glänzend bewährt hat. Wir denken auch an alle, die diese Pandemie ungleich härter betroffen hat als unsere kleine Museumsgruppe bislang.1 Beitrag vom 26.01.2021 Prof. Dr. Bernhard Weisser ist Direktor des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin.
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Wenden Sie sich gerne jederzeit an mich, wenn Sie Fragen und Bemerkungen zu diesem Thema haben ([email protected]).
Geduld ist der einzige Weg zum Ziel Pläne, Probleme und Perspektiven in der Pandemie Marlene Hofmann
Die Pandemie erfordert von uns allen: Geduld, Flexibilität, Mut und Kreativität. Das Museum Burg Posterstein musste 2020 von 15. März bis 15. Mai schließen. Danach konnten wir mit einem strengen Hygiene-Konzept wieder öffnen und erfreut feststellen, dass uns Tagestourist*innen und Stammbesucher*innen nicht vergessen hatten und zahlreich besuchten. Seit 2. November 2020 befinden wir uns erneut im Lockdown. Ausstellungen und Veranstaltungen mussten abgesagt oder verschoben, Onlinealternativen entworfen und umgesetzt werden, und auch jetzt ist nicht sicher, welche der für 2021 geplanten Ausstellungen tatsächlich stattfinden können.
Stehen wir in der Pandemie-Zeit nicht alle kopf? Burg PostersteinSpiegelung im Schnee
Foto: Museum Burg Posterstein
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Pläne trotz Pandemie Zu keiner Zeit ist uns die Arbeit ausgegangen, denn Museumsarbeit umfasst weit mehr als die Ausstellungen, die im Haus zu sehen sind. Einerseits haben wir in der Zeit der Lockdowns inzwischen drei Onlineausstellungen und ein digitales Ferienprogramm zeigen können. Darüber hinaus haben wir im Lockdown und während der Öffnung unter Pandemiebedingungen mehrere verschiedene Formate für Ausstellungseröffnungen getestet (Livestream der Veranstaltung vor Ort mit begrenzter Teilnehmer*innenzahl, Eröffnung per LiveAnsprache,1 Eröffnung per YouTube-Video,2 mehrtägige Eröffnung ohne festen Zeitpunkt, um den Besucher*innenstrom zu entzerren).
In der Ausstellung #GartenEinsichten wird auch der historische Park von Schloss Tannenfeld eine Rolle spielen – hier: Schloss Tannenfeld im Winter 2021
Foto: Museum Burg Posterstein
Für 2021 plant das Museum Burg Posterstein vier Sonderausstellungen. Sobald wieder geöffnet werden darf, startet die Schau »Manege frei! – Das Lindenau-Museum Altenburg zu Gast auf Burg Posterstein«.3 Im Anschluss 1 2 3
https://www.youtube.com/watch?v=2MFtjJnApVo https://www.youtube.com/watch?v=5YJxnNSqvjQ https://www.burg-posterstein.de/veranstaltungen/kunstausstellung-das-lindenaumuseum-zu-gast-auf-burg-posterstein/
Marlene Hofmann: Geduld ist der einzige Weg zum Ziel
zeigt das Museum die Sonderschau #GartenEinsichten: »Wie der Garten, so der Gärtner« – Gartenkultur als Spiegel der Gesellschaft.4 Die Ausstellung ist der Postersteiner Beitrag zur Ausstellungsreihe »Grünes im Quadrat« der vier Museen im Altenburger Land (Lindenau-Museum Altenburg, Residenzschloss Altenburg, Naturkundemuseum Mauritianum und Museum Burg Posterstein). Zum 200. Todestag der Herzogin von Kurland stellt das regionalgeschichtliche Museum Burg Posterstein dann den Maler Ernst Welker in den Mittelpunkt der Ausstellung »Der Maler Ernst Welker im Salon der Herzogin von Kurland«.5 Denn Welkers Geschichte ist eng mit der der Herzogin verknüpft. Inhaltlich geht es nicht nur um Welkers Kunst, sondern auch um den Salon im nahen Löbichau und um das Reisen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Den Abschluss des Ausstellungsjahres bildet in der Adventszeit die traditionelle Weihnachtskrippenausstellung. Andererseits nutzen wir die Zeit und die im Rahmen von »Neustart« erhaltenen Fördermittel zum Aus- und Umbau unseres Onlineauftritts: Mit Videos in Gebärdensprache,6 Texten in leichter Sprache,7 mehr Videos, größerer Schrift und höheren Kontrasten ist unsere Website barrierefrei geworden. Der Relaunch ist noch nicht vollständig abgeschlossen, denn derzeit folgt die kontinuierliche Überarbeitung aller Homepagetexte. Mitgedacht wird dabei die Digitalisierung der Sammlung, immer in Verbindung mit Vermittlungsansätzen und Onlineausstellungen wie beispielsweise im Hinblick auf die digitale Weihnachtskrippenausstellung, die einen ersten Schritt zur Digitalisierung der Weihnachtskrippensammlung darstellt. Ein dritter Schwerpunkt unserer derzeitigen Arbeit liegt in der Planung des Neubaus des in den 1950er Jahren abgerissenen Nordflügels der Burg. Nachdem sich der Kreistag des Landkreises Altenburger Land als Eigentümer der Burg Posterstein im September 2020 zum Wiederaufbau bekannt hat, konnte nun das bereits vor längerer Zeit durch uns selbst erarbeitete Konzept und die dazu gehörige Planung beim Fördermittelgeber eingereicht werden. Wir sind zuversichtlich, dass die Realisierung in den nächsten drei
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https://www.burg-posterstein.de/veranstaltungen/garteneinsichten-wie-der-gartenso-der-gaertner-gartenkultur-als-spiegel-der-gesellschaft/ https://www.burg-posterstein.de/veranstaltungen/der-maler-ernst-welker-im-salon -der-herzogin-von-kurland-reisen-des-malers-durch-deutschland-oesterreich-und-it alien/ https://www.burg-posterstein.de/gebaerdensprache/ https://www.burg-posterstein.de/leichte-sprache/
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Jahren erfolgen kann. Der Wiederaufbau des einstigen Repräsentationsflügels der Burg soll uns in die Lage versetzen, einen ganzen Bereich für moderne Vermittlungsformen bereitzuhalten, die Ausstellungen barrierefrei zu erschließen, den Service zu verbessern und nicht zuletzt unsere Sammlungen besser unterzubringen. Die Umsetzung dieses größten Bauvorhabens der Geschichte unseres Museums wird auf der Webseite in einer Art Bautagebuch dokumentiert.8
Blick auf Burg Posterstein und die Ruine des Nordflügels im Dezember 2021
Foto: Museum Burg Posterstein
Erkenntnisse aus der Pandemie Wir sind als Museum finanziell abhängig von Eintrittsgeldern – das haben uns die langen Schließzeiten schmerzlich bewusstgemacht. Während die Besucherzahl vor Ort 2020 um die Hälfte eingebrochen ist, blieb die Zahl der Website und Blog-Besucher*innen stabil. Experimente mit der Refinanzierung digitaler Angebote (z.B. durch Spendenbuttons bei OnlineAusstellungen, die Möglichkeit beim Online-Einkauf über »Wecanhelp« gratis zu spenden etc.) wurden nur verhalten genutzt. Eine wichtige Erkenntnis aus der Pandemie ist für uns, dass die Beschaffung von Geldern zur Finanzierung
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https://www.burg-posterstein.de/bautagebuch-der-nordfluegel-burg-posterstein/
Marlene Hofmann: Geduld ist der einzige Weg zum Ziel
unserer musealen Arbeit immer höhere Priorität bekommt. Das umfasst vor allem das Akquirieren von Fördergeldern und Spenden. Wir rechnen fest damit, dass weiterhin finanzielle Unterstützung vom Land Thüringen für die Museen kommt. Wir gehen aktuell auch davon aus, dass wir das Museum frühestens im Frühjahr mit unserem bestehenden Hygiene-Konzept wieder öffnen können. Großveranstaltungen und Führungen in bisheriger Form werden sicherlich auch dann noch nicht wieder stattfinden können. Wir arbeiten dafür an neuen Konzepten für Führungen (z.B. Kurator*innenvideos in der Ausstellung, selbstgeführte thematische Touren durch das Museum) und an neuen Veranstaltungsformaten (z.B. Kombinationen aus Livestream und Präsenzveranstaltungen). Digitale Ansätze tragen uns nicht nur durch die schwierige Pandemiezeit, sondern sind derzeit unser heißer Draht zu unseren Besucher*innen und Stammgästen. Unser intensives digitales Engagement hilft uns mit unseren Besucher*innen in Kontakt zu bleiben, über unsere Pläne und Arbeit hinter den Kulissen zu informieren und uns nach dem Lockdown schnell und problemlos auch physisch wieder zusammenzubringen.
Auch 2021 sind Konzepte gefragt, die ohne klassische Führung auskommen: Kinder in der Familien-Ausstellung »Die Kinderburg« auf Burg Posterstein im Pandemie-Jahr 2020
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Bis es so weit ist, befolgen wir den Rat des Sachsen-Gotha-Altenburgischen Ministers Hans Wilhelm von Thümmel, der schon 1821 in einem Aphorismus schrieb: »Ungeduld quält sich und Andere, und weiß doch nur zu gut, daß Geduld der einzige Weg zum Ziel ist.« (Thümmel, Aphorismen 1821, Nr.3)
Beitrag vom 19.01.2021 Marlene Hofmann leitet die Öffentlichkeitsarbeit beim Museum Burg Posterstein.
Ein Jahr der Ungewissheiten. Ein Jahr der Chancen! Florian Trott
Was für ein Jahr hätte es werden können bzw. sollen. Vor 175 Jahren wurde die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe eröffnet, für das Jubiläumsjahr waren viele Dinge in Planung: eine Jubiläumsausstellung, ein Symposium, natürlich auch ein großes Museumsfest und zahlreiche analoge wie digitale partizipative Projekte. Das Jubiläum sollte gebührend gefeiert werden, schließlich sollte es auch eine Art Abschied auf Zeit werden. Ende 2021 stehen der Aus- und Umzug bevor, das Hauptgebäude der Kunsthalle wird grundlegend saniert und umstrukturiert. Doch dann kam Corona – und alle Pläne wurden durcheinandergewirbelt. Zum Beginn des Jubiläumsjahres herrscht nach wie vor viel Ungewissheit. Wie alle anderen Museen und Kultureinrichtungen in Deutschland ist auch die Kunsthalle aktuell noch geschlossen. Wann der Shutdown endet, darüber lässt sich eigentlich nur spekulieren. Klar ist, der Museumsgeburtstag wird ganz anders gefeiert als gedacht und erhofft. Für ein Haus mit einer so langen Tradition ist das keine einfache Situation. In Museen wurde bisher ja sehr langfristig geplant. Große Ausstellungen haben oftmals eine mehrjährige Vorlaufzeit, die für die wissenschaftlichen Vorarbeiten, die Objektrecherchen und die gesamten Planungen auch notwendig ist. Die Pandemie hat diese gewohnten Abläufe ins Wanken gebracht. Aber die Kunsthalle hat diese Ausnahmesituation genutzt und ist dadurch auch ein Stück über sich selbst hinausgewachsen. Mit der Sonderpräsentation »Systemrelevant?« aus dem Sommer 2020 haben wir – wie nie zuvor – umgehend auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert und in Windeseile ein Projekt umgesetzt. Vielleicht sollte der Grundsatz »Einfach machen!« auch in der musealen Arbeit öfter angewendet werden? Die Pandemie wird in allen gesellschaftlichen Bereichen zum Teil gravierende Spuren hinterlassen, ich denke beispielsweise an Schulen und die Her-
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ausforderungen des Distanzunterrichts, an die wirtschaftlichen Folgen oder etwa an unser Miteinander allgemein. Auch für den Kulturbereich sind die Folgen noch nicht absehbar: Sparrunden werden anstehen, das Publikum will zurückgewonnen werden – und fundamentaler: über die Bedeutung und Relevanz von Kultur sollte grundsätzlich diskutiert werden. Welche Aufgaben kommen der Kultur unter den Bedingungen einer Pandemie, aber auch in einer sich verändernden Gesellschaft zu? Die Pandemie hat aber auch Potenziale freigesetzt und Entwicklungen ermöglicht, die vorher nur schwer vorstellbar waren, auch in der Kunsthalle. Als Beispiele seien – so banal es klingen mag – digitale Workshops oder digitale Teammeetings genannt. »Vor Corona« waren diese in der Kunsthalle keineswegs selbstverständlich. Diese erreichten Veränderungen müssen nicht nur beibehalten, sondern auch konsequent weiterentwickelt werden. Die Kunsthalle wird – unabhängig davon, wie sich die Pandemie entwickelt – 2021 in die baubedingte Schließzeit gehen. Für das Haus ist das natürlich eine große Veränderung, aber noch mehr eine enorme Chance, die es zu nutzen gilt. In der Schließzeit werden wir uns als Team und im Austausch mit unterschiedlichsten Gruppen Gedanken darüber machen, wie wir uns die Kunsthalle der Zukunft vorstellen, wie wir uns neu positionieren und wie es gelingen kann, das Haus für neue Besucher*innen zu öffnen. Und wir werden uns noch stärker den digitalen Angeboten und Formaten zuwenden, um in der Bauphase unseren Bildungsauftrag in diesem Bereich gerecht werden zu können. Vorher gilt es aber viele ganz praktische Fragen zu klären, die in dem Stichwort »Umzugslogistik« gebündelt werden können. Es gibt viel zu tun! Beitrag vom 29.01.2021 Florian Trott ist Vorstand und Kaufmännischer Geschäftsführer der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe; er ist zugleich Beauftragter für die digitale Strategie der Kunsthalle.
Museen im Lockdown Wo bleiben coole, begeisternde Onlineauftritte? Katrin Hilger
Vorweg: ich liebe Kunst, ich liebe Kunstwerke und bleibe an jeder Sendung hängen, in der es um Geschichte, Archäologie und Kunst geht – kein Wunder, ich habe auch Kunstgeschichte studiert. Umso trauriger macht es mich, dass viele Museen in Deutschland nicht die Anerkennung erfahren, die sie und ihre Exponate eigentlich verdienen würden. Ich glaube, das könnte man beheben – mit einer Modernisierung, die allerdings im Kopf der Museumsleute anfangen muss… Wer kennt das Metropolitan Museum nicht? Für jeden und jede, die New York besuchen, ist das Museum Pflichtprogramm. Wir bestaunen die Ausstellungen, wir lieben es aber auch, dort zu sein, weil sich das Museum einen Ruf erarbeitet hat als Glamour-Hotspot. Ebenso wie der Louvre in Paris oder das British Museum. Da gehen deutsche Touristen gerne hin, da müssen im Vorfeld Karten erworben werden, um einmal einen Blick auf die berühmten Schätze dort zu werfen. In ihren eigenen Städten hierzulande jedoch herrscht oft Flaute in den Kunsttempeln. Ich kenne das aus München, meiner Heimatstadt. Ich weiß nicht, wie viele Menschen ich kenne, die schon mal im Bayerischen Nationalmuseum oder in der Residenz gewesen sind. Viele sind es nicht. Auch die Pinakotheken sind nicht sooo super besucht, wie sie es verdienen würden. Dabei sind all die Sammlungen spektakulär. Ich stelle mir einfach vor, wie Museen aus Frankreich, Großbritannien oder erst den USA diese Juwelen präsentieren würden, welche Publikumsmagneten sie daraus zaubern würden. Es reicht ein Blick auf die Webseite des Metropolitan Museums und man könnte es erahnen… Ich habe einige Museen herausgegriffen, die ich persönlich sehr mag, die ich aber im Netz suboptimal finde. Ich will nicht verallgemeinern, wer sich den Schuh anziehen will, soll das tun. Es soll auch als konstruktive Kritik gedacht sein, nicht als Bashing.
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Zu wenige kennen die Schätze Münchens Unsere Stadt beherbergt unfassbare Schätze, wir haben einige der besten Museen dieser Erde. Wir haben hier in der Alten Pinakothek: einen Leonardo da Vinci, das berühmteste Bild der Pompadour, eins der berühmtesten Aktbilder, die »Petite O’Murphy«, das unglaublich geniale Portrait von Albrecht Dürer und so viele fantastische Gemälde mehr. Wir haben eine Schatzkammer voll mit 1200 Exponaten, die den Atem stocken lassen, neben der bayerischen Königskrone eine extrem seltene Königinnen-Krone aus dem Mittelalter, einen heiligen Georg, der ganz und gar aus Juwelen zusammengesetzt ist, Brillanten, Rubine, Perlen und Chalzedon funkeln auf dem Ritter und er kämpft gegen einen Smaragddrachen. Unbeschreiblich schön und wertvoll. Im Bayerischen Nationalmuseum (das einen tollen Instagram Account hat) haben wir eine der größten Textilsammlungen der Welt, was aber niemand weiß, weil Textilien wirklich kompliziert zu konservieren sind und deswegen selten in Ausstellungen landen. Aber: warum sieht man diese Schätze nicht zumindest schön fotografiert und fürs breite Publikum erklärt online?
Zeigt, was fasziniert: Reichtum, Prunk und Schönheit Ich weiß nicht, woran es liegt, vielleicht haben manche Museumsleute eine Aversion gegen das Internet und dessen Möglichkeiten. Anders ist es nicht erklärbar, dass öde Webseiten geschaffen werden, die absolut nicht dafür taugen, für den Besuch des Museums zu werben. Ich bitte alle, einmal auf die Seiten der Münchner Pinakotheken, der Bayerischen Schlösserverwaltung oder des Nationalmuseums zu gehen. Wenn auch nur ein Mensch das Gebotene inspirierend findet, würde ich das gerne hören. Die Webseiten sollen sich nicht an Fachleute richten, sondern an ein breites Publikum. Nicht jeder Mensch ist kunsthistorisch bewandert. Nicht alle haben einen großen Geschichtsbezug. Aber uns alle fasziniert Prunk, Reichtum, Schönheit. Was ist so schwer daran, das dem normalen Menschen zu vermitteln und in ihm oder ihr den Wunsch zu wecken, diese Exponate auch einmal live zu erleben? Kunst, Kultur und das Web ist ein Match made in Heaven. Eigentlich. Hier mal ein Beispiel: Was sehen wir von dem Juwelengeorg? Ein kleines, nicht vergrößerbares Bild. Keine Detailaufnahmen, keine Erzählungen von der Machart, keine Einschätzung des Werts und was es damals gekostet hat (vielleicht noch in Bezug auf damalige Löhne). Keine Beschreibung, wie aufwändig die Herstellung war und wie
Katrin Hilger: Museen im Lockdown
lange damals ein Künstler gebraucht hat, so ein Stück anzufertigen. Es wird immerhin erzählt, dass die Statuette ein Gesicht hinter dem Visier hat – ein Bild davon gibt es natürlich auch nicht. Warum nicht? Denn das wäre ein Mehrwert der Webseite – mehr sehen als das Museum zeigen kann. Stattdessen ist alles so lieblos, so pupstrocken, so unspannend, dass es wirklich niemand einlädt, diese Exponate real zu besuchen. Jetzt im Lockdown sind die Museen geschlossen – was für eine Chance, die Exponate ausführlich zu fotografieren, kleine Filme zu drehen und damit die Webseiten zu bereichern. Im Nationalmuseum hätte man die textilen Wunderwerke vergangener Zeiten ans Licht holen können, auf Puppen drapieren und fotografieren, um der Bevölkerung einen Eindruck zu vermitteln, was da hinter den Kulissen so schlummert. Wer weiß, welchen Run die tollen Kostümausstellungen im MET Museum auslösen, weiß, dass so etwas das Museum als solches nach vorne bringen kann. Das Stadtmuseum ist eine angenehme Ausnahme, dort wird viel vom Museum auch online gezeigt – und erlebbar gemacht. Die Pinakotheken haben ihren gesamten Bestand digitalisiert und online verfügbar gemacht. Cool, aber wirklich ins Museum lockt das nicht.
Lasst bitte Werbefachleute ran, nicht nur Kunstgeschichtler Natürlich reichen Webseiten nicht, sondern, liebe Museumsmacher, geht dahin, wo die Leute sind: auf Pinterest, Instagram oder sogar Facebook. Engagiert gute Werbeagenturen, findet Instagram Influencer und lasst euch von denen zeigen, wie man so ein Museum im Netz so präsentieren kann, dass nach dem Lockdown ein Run auf das Haus folgt. Ich bin sicher, die Investition würde sich lohnen. Viele Menschen informieren sich auf Instagram, was sie in ihrer Freizeit so anstellen könnten – da müssen auch die Museen hin. Entstaubt die Webseiten, füllt sie mit Leben und zeigt die wunderbarsten Exponate, die ihr habt. Macht die Leute neugierig, unterhaltet, informiert, zeigt, was heute daran relevant ist und wert, erhalten zu werden – aber modern und zeitgemäß, nicht dermaßen verstaubt, als ob noch Goethe der Adressat wäre und nicht Menschen aus dem 21. Jahrhundert. Museen sind dazu da, Geschichte lebendig werden lassen und sie nicht mumifiziert zu konservieren. Es wird viel bedauert, wie wenig sich heute junge Menschen mit der Thematik auseinandersetzen. Aber warum sollten sie, wenn ihnen deutsche Museen so fad präsentiert werden wie eine Dose Schiffszwieback? Und noch eins: wo ist der Online-Shop? Kataloge, Repliken, Poster, alles rund um die Kunst gibt es
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ja mittlerweile in den Museen zu kaufen, da wurde dank Cedon1 gezeigt, dass wir das durchaus können, was in anderen Ländern so toll funktioniert. Im Rijksmuseum in Amsterdam gibt es eine Playmobil-Version der Nachtwache, wo ist die Playmobil-Pompadour? Kunst verdient, dass man sich ihr widmet. Aber der Zugang zu Kunst und Kultur findet heute über das Netz statt – und es sollte Geld in die Hand genommen werden, diesen Zugang zu verbreitern. Beitrag vom 05.02.2021 Katrin Hilger ist Bloggerin und PR-Beraterin.
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https://katrinhilger.com/2020/07/07/cedon-macht-muster-und-museumsshops-cool -again/
#MuseumForFuture – Die Zukunft gehört dem Museum? Gedanken dazu aus dem Museum für Kommunikation Nürnberg Annabelle Hornung, Vera Losse, Elke Schneider und Christian Bihn
Wenn Jörn Brunotte zur »Blogparade« aufruft, ist es eine Freude mitzumachen. Zudem ist das Thema dieses Mal besonders spannend, denn es geht um die »Zukunft des Museums« oder #museumforfuture.
Impression aus der Ausstellung »#neuland – Ich, wir und die Digitalisierung«, Museumsstiftung Post und Telekommunikation
Foto: D. Karmann
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Intro: #museumforfuture Es geht darum, wie wir als Museum »nach der Krise« weitermachen wollen und noch viel mehr darum, wo wir stehen und – anders als in den politischen Debatten seit März 2020 – wie relevant wir sein wollen. Ein weites Feld also, aber ein spannendes Thema und natürlich kommen wir als Museum für Kommunikation Nürnberg dem Aufruf mit Freude nach und beteiligen uns mit einem Beitrag an der Diskussion. Die Idee hinter unserem Post ist, dass unterschiedliche Bereiche des Hauses zu Wort kommen, um das weit gefächerte Thema »Zukunft des Museums« aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Wie geht es weiter im Bereich »Bildung und Vermittlung«, wie werden morgen Ausstellungen und wie das Rahmenprogramm aussehen? Wie sieht unser Volontär sein zweites Jahr Volontariat und wie wirkt sich dies alles zusammen auf die Vision des gesamten Hauses aus? Der Blogbeitrag ist eine kollaborative Zusammenarbeit – eine Art, in der in kleinen Häusern wie dem unsrigen oft gearbeitet wird und vielleicht auch eine, um in der Zukunft transparenter und offener zusammen zu arbeiten?! Das Museum für Kommunikation Nürnberg gehört mit seinen beiden Schwestermuseen Museum für Kommunikation Frankfurt und Museum für Kommunikation Berlin sowie den Sammlungen1 und dem Archiv für Philatelie2 zur Museumsstiftung Post und Telekommunikation. In »normalen« Jahren ist unser Haus mit seinem spannenden Vermittlungs-, Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm besonders stolz auf seine interaktive und partizipative Ausrichtung. Diese wird unter der Woche vor allem von Schulklassen und an den Wochenenden sowie Ferien vor allem von Familien sehr gut angenommen und schlägt sich in über 120.000 Besucher*innen (in 2019) nieder. Seit Beginn der Pandemie im letzten März hat sich das Museum für Kommunikation Nürnberg, gemeinsam mit den beiden anderen Standorten, natürlich auf digitale Museumsarbeit umgestellt. Die drei Häuser haben ihren bereits breit aufgestellten virtuellen Bereich – der von virtuellen Ausstellungsrundgängen (Expotizern) über Online-Sammlung(en) bis hin zu rein digitalen Ausstellungen reichte – nochmals deutlich erweitert (siehe hierzu z.B. den »Digitalbereich« des Museums für Kommunikation Nürnberg3 ).
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https://www.museumsstiftung.de/unsere-sammlungen/ https://sammlungen.museumsstiftung.de/archiv-fuer-philatelie-bonn/ https://www.mfk-nuernberg.de/digitales-museum/
Hornung/Losse/Schneider/Bihn: #MuseumForFuture
Hinzugekommen sind neben Veranstaltungsstreamings und Online-Vermittlungsangeboten für Kinder (wie der z.B. Programmierkurs oder SchrottRobos-Bauen) in Nürnberg u.a. ein Let’s Play4 und Podcast-Projekt mit Namen VoloMuPo, Volontär*innen-Podcast.5 Zu den verschiedenen Projekten erfährt man im Folgenden noch mehr und es sind noch weitere Angebote geplant.
Museumsleitung (Dr. Annabelle Hornung): »In (die) Zukunft führen« Ich habe im Juni 2020 als Leiterin des Museums für Kommunikation Nürnberg begonnen und bin somit kurz nach der Wiedereröffnung im Mai eingestiegen. Wer in der Pandemie ebenfalls den Job gewechselt hat, weiß wovon ich spreche, wenn ich sage, dass es eine schwierige Situation war. Man kommt neu – in meinem Fall wieder zurück – ins Museum, das noch immer mit den Folgen des ersten Lockdowns zu kämpfen hat. Ab dem ersten Tag war es, noch mehr als normalerweise als Führungskraft, wichtig, die Motivation hoch zu halten, transparent über alle Entwicklungen zu sprechen und für Ängste und Bedenken ein stets offenes Ohr zu haben. Die weiteren Sommermonate brachten Erleichterungen, die Zahlen der Infektionen waren auf Tiefststand und es war sogar möglich, sich draußen (mit Abstand) zu begegnen. So konnten wir im August mit Besucher*innen zum Beispiel, den Aktionstag6 anlässlich des 40. Geburtstags unseres Nürnberger Fernsehturms, besser bekannt als »Nürnberger Ei«, feiern oder im September in reduzierterer Form, die Stadt(ver-)Führungen mit kleinem analogem Angebot begehen. Momente, die heute, im Januar 2021, meilenweit weg erscheinen. Erneut sind wir wie alle anderen Museen seit Anfang November wieder geschlossen. Der zweite Lockdown, eine schon seit über drei Monaten andauernde Zwangspause. Allerdings konnten wir vor der erneuten Schließung Ende Oktober noch unsere neue Wechselausstellung »#neuland – Ich, wir und die Digitalisierung« eröffnen.7 Die Präsentation, eine Übernahme aus dem Museum für Kommunikation in Frankfurt und ein Gemeinschaftsprojekt mit der Nemetschek Stiftung, befasst sich mit dem digita-
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https://www.mfk-nuernberg.de/expedition-grab-sennedjeam/ https://www.mfk-nuernberg.de/volomupo/ https://www.mfk-nuernberg.de/wp-content/uploads/Museum-fuer-Kommunikation -Fernmeldeturm-Aktionsta_08_2020.pdf https://www.ausstellung-neuland.de
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len Wandel und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft, aber auch auf das Individuum. Passend zu diesem Thema, aber auch angesichts der seit Oktober stetig steigenden Infektionszahlen, haben wir das Rahmenprogramm bereits vor der Eröffnung zu großen Teilen remote und hybrid geplant, sodass eine – wie dann leider auch eingetreten – Übertragung des Rahmenprogramm ins rein Digitale kein größeres Hindernis dargestellt hat. Leider konnten die Besucher*innen die Ausstellung gerade einmal fünf Tage besuchen und es steht in den Sternen, wann das wieder möglich ist. So möchte ich im Moment als Direktorin erst einmal nur in die unmittelbare Zukunft, also in die nächsten zwei, drei Monate, blicken: Eingedenk meines ersten Dreiviertel-Jahres zurück im Museum, geprägt durch die Krise, müssen wir uns als Institution in erster Linie jeden Tag neu mit der Frage nach unserer Relevanz beschäftigen. Hier müssen wir Lösungen und kreative Ideen anbieten, um uns zugleich als wichtigen Ort des gesellschaftlichen Diskurses und der Bildung aufzustellen. Dieses nahe und zugleich Fern-Ziel möchte ich mit meinen Kolleg*innen erreichen und dazu müssen wir gemeinsam lernen und uns weiterbilden. Nur so können wir den neuen Herausforderungen der Museumsarbeit und ihrer Zukunft gewachsen sein.8
Presse und Öffentlichkeitsarbeit (Dr. Vera Losse): »Öffentlichkeitsarbeit während und nach Corona« Das Museum für Kommunikation Nürnberg (MKN) gehört mit den beiden Schwestermuseen zur Museumsstiftung Post und Telekommunikation. Wir haben eine gemeinsame Webseite und arbeiten in der Kommunikation vieler Themen besonders im digitalen Bereich eng zusammen. Vor Ort kümmern sich die Pressereferent*innen um standortspezifische Angebote und stehen als Ansprechpartner*innen zur Verfügung. Die Kommunikation des MKN war im ersten Lockdown zunächst davon geprägt, vorhandene Kontakte in die Medien hinein zu pflegen und Wege zu entwickeln und das #closedbutopen Museum mit seinen digitalen Angeboten in die Öffentlichkeit zu bringen. Dabei entstanden auch neue Formate: Elke Schneider, unsere Kollegin aus dem Bereich Bildung und Vermittlung, nutzte
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Lektüre zur Zukunft des Museums: Andrés Szántós Gesprächssammlung »The Future of the Museum« oder Joachim Baur + schnittpunkt (Hg.): »Das Museum der Zukunft«.
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den Instagramkanal des Hauses für Angebote, wie etwa eine Museumsführung.9 Im zweiten Lockdown haben wir konsequent alle Angebote, etwa für die Advents- und Weihnachtszeit, von vorn herein ins Digitale verlegt, was die Planung der Medienarbeit erleichterte. Eine weitere neue Erfahrung: Viele Journalist*innen waren und sind nach wie vor im Homeoffice. Begegnungen im Museum sind daher kaum möglich, so fanden die ersten Interviews mit der neuen Direktorin Annabelle Hornung per Telefonkonferenz oder Zoom statt. Auf die Einladung zur Pressekonferenz zu unserer Sonderausstellung #neuland am 27.10.2020 kamen sehr unterschiedliche Reaktionen, einige Journalist*innen wollten die Schau unbedingt vor Ort sehen, andere komplett aus dem Homeoffice recherchieren. Hier hat sich der digitale Expotizer sehr bewährt, der um eine Kurzführung durch die Ausstellung erweitert wurde, ein Format mit viel Zukunft. Insgesamt war und ist das Interesse am Thema Kommunikation gerade in Pandemiezeiten seitens der Medien hoch. So erfuhr etwa ein dpa-Interview zum Thema: »Kommunikation mit Maske« mit der Stimmtrainerin und Schauspielerin Luna Mittig,10 die unsere Museumspädagog*innen in der Kommunikation mit dem »Schnutenpulli« schulte, ein sehr großes überregionales Echo. Eingebunden wurden Mittigs Äußerungen in einen Text, der das Thema aus verschiedenen Perspektiven, etwa einer Lehrerin oder eines Mimikforschers beleuchtete.11 Wie wird es weitergehen? Ich persönlich glaube, dass die Erfahrung von Entgrenzung durch Digitalität eine immer größere Rolle in der Öffentlichkeitsarbeit spielen wird. Zwar wird es hoffentlich bald wieder Angebote und Veranstaltungen im Museumsraum geben, im Moment fällt die mittelfristige Themensetzung im Analogen schwer. Aber schon heute werden das Haus und die Museumsstiftung Post und Telekommunikation über die Webseite und die digitalen Kanäle insgesamt als kompetente Informations- und Veranstaltungsplattform zum Thema Kommunikation wahrgenommen. Dies geschieht durch ganz unterschiedliche analoge, digitale und hybride Formate, Gesprächsangebote sowie die Recherchemöglichkeiten in unseren Datenbanken. Hieraus ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, geographisch und zeitlich uneingeschränkt, gemeinsam mit Journalist*innen, Blogger*innen, Plattformbetreiber*innen Themen zu entwickeln. Medienarbeit wird dadurch
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https://www.instagram.com/mfk_nuernberg/ https://lunamittig.de https://www.stern.de/panorama/weltgeschehen/reden-mit-maske--was-koennen-wi r-tun--um-besser-verstanden-zu-werden--9467022.html
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auch partizipativer werden und wir werden Ansprechpartner*innen in einem noch ganz anderen Ausmaß als heute sein – nicht mehr nur für klassische Journalist*innen.12 Beschäftigen wird uns auch weiterhin der rasante Wandel in den klassischen Medien, der schon vor schon vor Corona in vollem Gange war: Sei es beim Verlag Nürnberger Presse, der jetzt eine konsequente digital first-Strategie fährt oder beim BR, der die Trimedialität weiter vorantreibt.13 Wir werden in den kommenden Monaten das Infektionsgeschehen und seine Konsequenzen, unsere Arbeitserfahrungen aus der Pandemiezeit und den Medienwandel beobachten und reflektieren, es bleibt spannend.
Bildung und Vermittlung (Elke Schneider): »Lust, Frust, Flexibilität – und: das digitale Publikum ist ein anderes« Bevor ich in die Zukunft schaue, ein Blick zurück in ein völlig anderes Jahr, in dem ein erster Lockdown verhinderte, dass wir die Geschichten unseres Museums vor Ort Menschen erzählten, Museumsthemen in der Sonntags-Werkstatt praktisch erfahrbar machten, in dem Homeschooling angesagt war, Ferien-Aktionen ausfielen, die vulnerable Gruppe der älteren Menschen ebenso nicht mehr zu Smartphone-Kursen ins Museum kommen konnte wie die Besucher*innen unserer Veranstaltungsreihe Daten-Dienstag. Und an Postkutschenfahrten mit neun Passagieren auf engstem Raum war gar nicht zu denken. Flexibilität war gefragt: lange Instagram-Posts ersetzen Expressführungen, mittlerweile ist eine Audiospur daraus geworden und wird demnächst als Medienguide nutzbar sein. Ebenso startete im Sommer eine Instagram-Reihe mit praktischen Ideen als #MitmachMittwoch, FerienWerkstatt und schließlich #SonntagsWerkstatt. Daneben galt es, Online-Tools wie Zoom, Jitsi, MS 12
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Ein Beispiel hierfür war unsere Weihnachtswebsite, auf der Angebote, wie unsere Postkutschenfahrten auf dem Christkindlesmarkt für das Web aufbereitet wurden: https:/ /www.mfk-nuernberg.de/virtuelle-postkutschenfahrt/ Zum Thema Medienwandel gibt es umfangreiche Literatur, siehe den Artikel von Prof. Klaus Meyer (Katholische Universität Eichstätt, Studiengang Journalistik), der besagt, dass die letzte Zeitung 2033 erscheinen wird, siehe https://meedia.de/2019/03/19/du mont-funke-und-co-die-letzte-gedruckte-zeitung-erscheint-2033-was-muessen-verl age-bis-dahin-tun/%C2%A0%20D; oder die Entwicklung im Bereich TV, siehe: https: //www.ard-werbung.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/Mip_MK_MK-T rends/ARD-ZDF-Massenkommunikation_Trends_2019_PUBLIKATION.pdf
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Teams, Wonder.me, Trello, Padlet, Mural und Miro nicht nur kennenzulernen, sondern auch den Datenschutz zu prüfen und Bedenken auszuräumen. Sind wir nach einem Jahr Expert*innen, wie es unlängst ein Museumsdirektor feststellte? Nein, aber wir sind neugierig, mutig und probieren. Nach dem Lockdown folgte eine Wiederöffnung nach zwei Monaten mit einem völlig veränderten Museum: Wo eigentlich zahlreiche interaktive Stationen Anlässe zur Kommunikation stiften, sind nun Absperrungen – bewusst improvisiert, weil diese Stationen doch unser Museum eigentlich auszeichnen, aber dennoch auch nach gut fünf Monaten Publikumsbetrieb immer noch ansehnlich. Öffentliche Führungen starteten im Frühsommer langsam und in sehr kleinen Gruppen wieder mit Maske. Spannend, was der Geistesblitz, Schulungen zum »Sprechen mit Maske« anzubieten, ausgelöst hat. Bis ins ARD-Morgenprogramm schaffte es das Thema. Allerdings konnte unser Team aus freien Mitarbeiter*innen Schüler*innen nicht zeigen, wie wir dies machen: Bayerischen Schulklassen waren schon im vergangenen Schuljahr nach den zwei Lockdown-Monaten Ausflüge und damit Museumsbesuche verboten – dies hält an und aktuell haben wir im vierten Monat Distanzunterricht. Die Diskussion darum geht aktuell wieder durch die Medien. So ist es bis heute schwierig für uns Lehrer*innen zu erreichen, die mit vielerlei Problemen ringen. Nur ab und an kommt ein*e Referendar*in, um für eine Lehrprobe historische Telefone auszuleihen. Aktuell prüfen Umfragen der Museums-Kolleg*innen der Museen für Kommunikation in Bern und Frankfurt, welche Bedarfe bei Lehrer*innen bestehen. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse. Eine große Freude war das erste Ferienprogramm, das am Ende des entspannten Sommers wieder stattfinden konnte: »Entwickle Dein eigenes Computerspiel!« für eine reduzierte Zahl von 10 Kindern in unserem Festsaal mit fast 200 qm. Statt der Arbeit in kleinen Teams arbeiten die Kinder einzeln. Wie aber kann ein Gespräch in der Gruppe stattfinden, wenn 1,5 m Abstand gelten? Die Lösung ist eine Zoom-Konferenz im Raum. Mit Headset und Laptop waren die Kinder so nahe beieinander wie erlaubt, konnten sich aber gut verstehen, dabei analog und digital sehen und spielten nebenbei das Homeoffice der Eltern nach. Ebenso war es ein Highlight, als an einem Termin Ende September unsere Museums-Postkutsche wieder mit einem Hygienekonzept wieder fahren konnte. Die zwei Fahrgasträume waren reserviert für zwei Familien, die Fahrzeit war statt eines halben Tages reduziert auf 25 Minuten vom Museum durch die südliche Nürnberger Altstadt und wieder zurück. Und vor der Fahrt gab
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es einen Rundgang durch das Museum zu Posthorn, Uniformen, »Trittbrettfahrer« und »Schmiergeld« inklusive des Autogramms von Neil Armstrong auf einem Postkutschen-Ticket. Die sechs Runden waren ausgebucht und strahlende Gesichter bei den teilnehmenden Familien, aber auch bei den freien Mitarbeiter*innen, der Postillionin und dem Conducteur machten uns glücklich. Ein großer Frust dagegen war es, als wir einer Mutter im November zum zweiten Mal die Geburtstagsfeiern ihrer zwei Kinder absagen mussten. Sie hatte die zwei Feiern eigentlich bereits im März geplant. Planbarkeit, Verbindlichkeit, Verlässlichkeit werden in diesen Zeiten leider unmöglich. Und es ergibt sich die Sorge, ob die Mutter es ein drittes Mal probieren wird, einen Geburtstag bei uns zu feiern und wie sich das Publikum verändern wird. Wie lange bleiben Abstand, Masken und Vorsicht? Völlig neue Möglichkeiten ergeben sich durch die Umstellung unserer Veranstaltungsreihe »Daten-Dienstag«, bei der einmal im Monat ein*e Expertin einen Aspekt der Datensicherheit bzw. des Datenschutzes in den Blick nimmt. Seit Juli bieten wir dies online via Zoom an. Dabei offenbart sich ein völlig verändertes Publikum: Kommen zu den Vor-Ort-Terminen neben unserem Museumspublikum und mitunter ganzen Berufsschulklassen auch Datenschutzbeauftragte und Jurist*innen, übernehmen letztere online die Mehrheit. Wir erreichen damit auch nicht mehr nur das Publikum aus Nürnberg und Umgebung, sondern in unser E-Mail-Postfach gehen Anmeldungen aus der ganzen Bundesrepublik und sogar der Schweiz ein. Eine völlig neue Qualität! Schon zeichnen sich darunter neue Stammgäste ab und bereits jetzt treibt dieses Fachpublikum die Frage um, ob wir den »Digitalen DatenDienstag« beibehalten, auch wenn Corona vorbei ist. Fazit: Wir alle – Museumspublikum und Museumsmitarbeiter*innen sind angestrengt in der neuen Normalität unter der Maßgabe, flexibel mit den Vorgaben umzugehen, um uns dennoch zu erreichen. Es fehlen Nähe, direkte Begegnung und Austausch, Partizipation, Raumerfahrung und vor allem sinnliche Eindrücke. Ich sehe reichlich Ausbaubedarf der Online-Möglichkeiten, aber kaum die Chance, in die Situation davor ohne diese zurückzugehen. Digitale Angebote werden bleiben, weil sie uns alle verwöhnt haben – mich zum Beispiel mit zahlreichen Online-Fortbildungen und einem völlig neuen monatlichen Jour Fixe per Videokonferenz mit meinem vier Kolleg*innen aus der »Bildung & Vermittlung« an den anderen Standorten der Museumstiftung Berlin und Frankfurt. So halte ich fest: Online-Angebote können die Arbeit vor Ort nicht ersetzen, bereichern aber das Angebot auf neue Weise. Sie sind fas-
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zinierend und sollten ihren Möglichkeiten entsprechend entwickelt werden. Was sich dort in der Zukunft ergeben wird, darauf bin ich gespannt.
Wissenschaftliches Volontariat (Christian Bihn): »Museen, auf die Straße!« In der Zukunft werden wir via Flugtaxi oder Unterdruck-Transport-Röhre à la »Futurama« zu den Museen dieser Welt reisen. Dort angekommen, betritt man die nunmehr gänzlich digitalisierten Sammlungen mittels der Datenbrille und kann bequem per Handbewegung zwischen den einzelnen Sammlungsgebieten hin und her wechseln. Und noch während ich das hier schreibe, führe ich eine Hand an meine Stirn und schüttle nur den Kopf angesichts dieser spekulativen und vor allem utopischen Vorstellungen, die ich hier abtippe. Die Zukunft ist in der Regel unspektakulär, unaufgeregt und – verständlicherweise – sehr weit entfernt. Der Historiker in mir blickt dann gerne auf den Bilderzyklus »En l’an 2000«14 , der Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden ist und die technischen Wunder des Jahres 2000 zeigen wollte. Schüler*innen lernen mittels Maschine, die Bücherinhalte direkt in die Köpfe transferiert – natürlich noch per Kurbelantrieb. Feuerwehrleute, die mit mechanischen Flügeln brennende Gebäude löschen. Oder die komfortable Videotelefonie mit dem Handspiegel. Im Grunde viele biedere Damen und Herren in einer Welt aus Lochblech, viel Draht und Glühbirnen. Mein im Jahr 2000 verhungertes Tamagotchi verkneift sich im Jenseits eine Träne, da es offenbar schon im Jahr 1900 ein potenzielles Dasein in Vergessenheit geführt hat. Schieben wir also die spektakuläre Zukunft zur Seite und werfen wir einen Blick auf die nächsten Jahre. Das Zeitalter nach Corona. Mich hat es im Januar 2020 vom Untermain an die Pegnitz gezogen. Der Plan: Zwei Jahre Volontariat. Der Plan wird nach nur zwei Monaten umgeworfen. Der erste Lockdown, Homeoffice und die Frage, wie soll das eigentlich funktionieren: Museum in der Pandemie? Man macht sich Gedanken, beginnt zu experimentieren und plant die ersten Veranstaltungen und Angebote, die die Zeit der pandemiebedingten geschlossenen Museumspforten überwinden sollen. Die Frage nach dem Danach, dem ersten Jahr nach Corona, bleibt noch unbeachtet, drängt sich aber
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https://www.zukunft-mobilitaet.net/58230/vergangenheit-verkehrsgeschichte/frank reich-futurismus-blick-von-1900-auf-2000/
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allmählich auf. Abseits der Museumsarbeit macht sich die Pandemie auch bemerkbar. Der Kulturverein in der Heimat, in dem ich trotz der Entfernung weiterhin tätig bin, muss seine Kulturkonferenz absagen. Mein Redemanuskript, das ich hierfür vorbereitet habe, wandert in die Schublade. Der Appell, der darin zum Anklang kommt, erscheint in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht unpassend: Künstler*innen auf die Straße! Ein Appell, der sich gegen die Entfremdung zwischen Kunstschaffenden und Publikum richtet, Teilhabe fordert, indem die direkte Partizipation befördert wird. Ein Appell, der sich auch auf den Bereich Museum anwenden lässt. Besucher*innen nicht nur als Gäste und Konsument*innen des Hauses verstehen, sondern als aktive Partizipierende. Letztendlich macht die Schaffung von Denk- und Diskussionsräume nur dann Sinn, wenn sich die Institution Museum dabei nicht als letzte Instanz versteht, die sich dennoch vorbehält, festzulegen, was am Ende die Wahrheit ist und was nicht. Es muss ein langfristiges Ziel sein, Besucher*innen eine Möglichkeit zu schaffen, sich direkt an musealen Prozessen zu beteiligen und das sollte über einen bloßen Fragebogen hinausgehen. Und der Weg dahin ist im Grunde genauso unspektakulär wie die Zukunft selbst. Ein erster Schritt kann bereits sein, einen Blick hinter die Kulissen zu gewähren: Wer arbeitet im Museum und was machen diese Leute überhaupt den ganzen Tag? Das mag banal klingen, ist aber durchaus nötig, wenn ich daran denke, dass mich immer noch Leute fragen, warum ich montags zur Arbeit ins Museum gehe, wenn es doch montags geschlossen ist. Corona hat Museen vor die Herausforderung gestellt sich umzuorientieren, neue Methoden anzuwenden und alte Schemata fallen zu lassen. Dies gilt es auch nach der Pandemie beizubehalten. Neues ausprobieren, abseits der Norm. Popkulturelle Ansätze, Partizipation, die über das Knöpfe-drücken hinausgeht. Bietet doch mal eine Führung durch die Verwaltungsräume an. Lasst Besucher*innen einen Ausstellungsraum einrichten. Wartet nicht darauf, dass die Leute zu Euch ins Haus kommen und geht hinaus, geht auf die Straße. Der Rest wird folgen.
Fazit: #thefutureismuseum Zukunft ist ein großes Wort. Sicher hat keiner eine Glaskugel, um genau zu wissen, wie die Zukunft der vielen, unterschiedlichen kleinen und großen Museen, der gesamten heterogenen Museumslandschaft oder im speziellen unseres Museums aussehen wird. Was wir aber aus der Krise gelernt haben, ist,
Hornung/Losse/Schneider/Bihn: #MuseumForFuture
dass man die Zukunft mitgestalten sollte bzw. als Bildungsinstitution das Morgen mitgestalten muss. Ansonsten braucht man gar keine Diskussion über die Relevanz des Museums führen. Den Besucher*innen sollten wir nach der Krise, noch mehr als zuvor, einen Denk-Ort bieten, an dem sie in die Vergangenheit eintauchen, aber auch über die Zukunft nachdenken können. Zudem sollten wir ein Kommunikations-Ort sein, der Möglichkeiten des Austausches, der Vernetzung und des Diskurses für verschiedenste Gruppen bieten kann. Vielleicht sollten wir auch ein kreativer und freudiger Ort sein, den man (mit)gestalten kann und an dem Engagement und Spaß gelebt wird. Schließlich und vielleicht am wichtigsten sollten wir auch immer ein Museum sein und in unserem konkreten Fall ein Programm bieten, das anhand von Exponaten unserer Sammlungen bzw. aus der Mediengeschichte aufzeigt, wie die Zukunft der Kommunikation aussehen kann. Anhand unserer kuratorischen und vermittelnden Arbeit – ob im analogen oder digitalen – können wir Geschichte(n) erzählen, aber auch Visionen bieten. Beispielsweise, wie wir in 2030 kommunizieren und was das für unsere Gesellschaft bedeutet. Solche spannenden Fragen für die Zukunft des Museums für Kommunikation versuchen wir an allen Standorten mit unseren Dauer- und Wechselausstellungen zu beantworten. Wer Lust auf einen virtuellen Ausflug »zurück in die Zukunft hat« und sehen möchte, wie Technikvisionen der Vergangenheit aussehen können, schaut mal bei der aktuellen Ausstellung »Back to Future« in unserem Frankfurter Schwestermuseum vorbei.15 Gerne werden wir neben allen Visionen versuchen, den Besucher*innen heute und »in Zukunft« vor allem auch Freude am Museum zu vermitteln, indem wir – analog und digital – das bestmögliche Programm bieten. Den Rest können und wollen wir nicht bestimmen, sondern, um es mit Johann Wolfgang Goethe zu sagen: »Man muss auch der Zukunft etwas überlassen…«. Bis dahin machen wir einfach unsere (Museums-)Arbeit. Beitrag vom 11.02.2021 Von Dr. Annabelle Hornung, Direktorin Museum für Kommunikation Nürnberg, Dr. Vera Losse, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit, Elke Schneider, Leiterin Museumspädagogik und Christian Bihn, Volontär.
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https://back-to-future.museumsstiftung.de/
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Das globalisierte Museum als gesellschaftliche Instanz Udo Gößwald
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind Museen in aller Welt mit Herausforderungen konfrontiert, die eine globale Weltsicht erfordern. Um die Wirkungszusammenhänge vielfach vernetzter Ökonomien, die Auswirkungen von ökologischen Ungleichgewichten und die Universalisierung von kriegerischen Auseinandersetzungen zu verstehen, ist komplexes Wissen notwendig geworden. Die daraus resultierenden Krisen haben für die Weltbevölkerung und damit für ihr immaterielles und materielles kulturelles Erbe weitreichende Folgen. Wissen über die Ressourcen der Natur und die Bedingungen für ihren Erhalt sind angesichts der Endlichkeit der Ressourcen und der Zunahme von Umweltkatastrophen zwingend. Das Museum des 21. Jahrhunderts kann nur dann als gesellschaftliche Instanz eine ernst zu nehmende Rolle spielen, wenn es die Folgen dieser Entwicklung in Bezug auf den Umgang mit kulturellen Manifestationen im Blick hat. So erfordern die aus kriegerischen Auseinandersetzungen und Wirtschaftskrisen resultierenden vielfältigen Migrationsströme in aller Welt von den Aufnahmegesellschaften ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit. Das Verständnis für die Kultur des jeweils anderen ist deshalb zu einer zentralen Aufgabe der Friedenserhaltung innerhalb moderner Gesellschaften geworden. Kultur ist dabei nicht als eine Glaskugel zu verstehen, in der wir all unsere Wertvorstellungen hineininterpretieren können, sondern Kultur gründet in der Erzählung. Sie ist ein vielwertiges und vielstimmiges Gespräch über Generationen hinweg, in dessen Zentrum der Mensch und seine Erfahrungen in Vergangenheit und Gegenwart stehen. Damit Kultur sich aus scheinbar unzusammenhängenden Teilen, aus den Fragmenten des Lebens immer wieder neu erschaffen kann und damit Zukunft erzeugt, bedarf es einer offenen und freien Zivilgesellschaft, die politisch erstritten und verteidigt werden muss.
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Das globalisierte Museum – wie ich es nenne – kann für diese permanente Debatte ein geeigneter Ort sein, indem es sich mit dem komplexen Verhältnis von Mensch und Natur in unserer Zeit auseinandersetzt und gegen alle zerstörerischen Kräfte das welt- und menschenerhaltende Prinzip des Lebens setzt. Die besondere museale Aufgabe besteht darin, aus dem jeweils besonderen, einzigartigen Phänomen der Geschichte oder der Natur seine Bedeutung für das jeweilige Ganze zu erschließen. In diesem Sinne lautet die Grundfrage für das Museum: Was bedeutet es, ein menschliches Wesen zu sein? Wo sind seine Chancen, seine Möglichkeiten, aber auch seine Verfehlungen? Die Antworten hierfür müssen in dem jeweiligen historischen Kontext gesucht werden und dem Publikum von heute vermittelt werden, sodass daraus Erkenntnisse für die Zukunft gewonnen werden können. Das Museum ist ein Ort, an dem nicht die Geschichte präsentiert wird, sondern die Besucher*innen die Möglichkeit erhalten, durch die Auseinandersetzung mit dinglichen Zeugnissen, andere Perspektiven verstehen zu lernen und sich selbst in der Geschichte des anderen wiederzuerkennen. Diese Form der Empathie und der gegenseitigen Akzeptanz ist die Voraussetzung, um die eigene Identität zu überprüfen und im Sinne eines konstanten Prozesses immer wieder neu zu formen. Wenn sich das moderne, offene Museum diesen Fragen stellt und aktiv auf Menschen des jeweiligen sozialen Umfeldes zugeht, kann es eine wichtige Rolle in der Gesellschaft übernehmen. Zeigt sich das Museum dabei kompetent und verlässlich als Partner im Dialog mit Bürger*innen, die sich mit der Geschichte und Gegenwart ihrer Stadt oder Region auseinandersetzen wollen, kann es als gesellschaftliche Instanz wahrgenommen werden. In meinem Projekt am Museum Neukölln mit dem Titel »Das Museum des Lebens. Private Erinnerungskultur aus Neukölln« geht es um die Dynamik und Energie der Erzählung, mit der die Angehörigen von verstorbenen Neuköllner*innen sich der Herausforderung stellen, an Menschen zu erinnern, die sie verloren haben. Mit Hilfe von Objekten und Dokumenten aus ihrem Nachlass versuchen sie, sich den wesentlichen Werten zu nähern, die die Verstorbenen auszeichneten und die sie mit in ihre eigene Zukunft nehmen wollen. Zugleich reflektieren die zehn Biografien wie im Brennglas zentrale Erfahrungen im Umgang mit Verlust, Angst, Trauer, Freundschaft, Gewalt, Liebe, Flucht, Krieg und Verfolgung. Damit ist eine allgemeine Perspektive formuliert, die ich für die Zukunft der Museen für relevant halte: Es geht nicht um die Steigerung der Aufmerksamkeitsökonomie, sondern um die Fokussierung auf das Wesentliche des menschlichen Daseins. Das Museum sollte der Ort sein, an dem Men-
Udo Gößwald: Das globalisierte Museum als gesellschaftliche Instanz
schen den Dingen Achtsamkeit schenken können, die ihnen ermöglichen, eine lebendige, konstruktive und aktive Beziehung zur Welt herzustellen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass alle Menschen auf dieser Welt von ihr betroffen sind. Sie hat aber auch deutlich gemacht, dass soziale und hygienische Bedingungen einen wesentlichen Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben. Letztlich war und ist die Verbreitung des Virus abhängig vom Maß der gesellschaftlichen Verantwortung, die die*der Einzelne für die Gemeinschaft bereit ist, zu tragen und in welcher Weise staatliche Gesundheitspolitik die Rahmenbedingungen dafür setzt. »Demokratie heißt«, so Heinrich Mann, »füreinander verantwortlich zu sein.« Indem sie Menschen ermutigen, globale Verantwortung für ein besseres Zusammenleben zu übernehmen, können Museen zu einem »Schaufenster der Demokratie« werden. Sie werden ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht, wenn sie als Orte der Menschlichkeit gesehen werden, die »Verständnis für die inhärente Würde der Natur, des Menschen, seiner Geschichte und seiner Schöpfungen« zum Ausdruck bringen. Beitrag vom 16.02.2021 Dr. Udo Gößwald hat von 1985 bis 2021 das Museum Neukölln geleitet.
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Postpandemische Kund*innenbindung …oder lernt vom Onlineriesen und werdet persönlicher und verlässlicher! Michael Grisko
Was hat Einkaufen mit Kultur zu tun? Nichts, so scheint es im Moment. Während die Supermärkte und Drogerieketten, die Onlineversandhäuser und die Paketdienstleister*innen ihre »Systemrelevanz« mit wachsenden Umsatzzahlen und steigenden Börsenkursen honoriert bekommen, man die Innenstädte abends lediglich mit fahrenden Pizzabot*innen teilt, haben die Museen und andere Kultureinrichtungen geschlossen. Im besten Fall buhlen diese mit mitunter schnell gestrickten digitalen Lösungen in einem Meer teils gesichtsloser Angebote um Sichtbarkeit, kümmern sich unsichtbar hinter verschlossenen Türen um ein »Weiter so wie bisher« nach dem Lockdown und üben sich in brav wiederholter Bedeutungsrhetorik. Und doch könnten wir etwas aus dieser Zeit des verordneten »So-nichtweiter« lernen. Denn – so meine Meinung – Einkaufen hat doch etwas mit Kultur zu tun. Oder anders formuliert, fordert der Blick auf die Gegenwart einen Bewusstseinswandel auf Seiten der Anbieter kultureller Dienstleistungen heraus. Dabei steht nichts weniger im Mittelpunkt als eine Neudefinition der Kund*innen- bzw. Nutzer*innenbindung in den Kulturinstitutionen. Und dabei spreche ich nicht davon, automatisch mehr Angebote ins Netz zu verlagern, das wird ohnehin nicht aufzuhalten sein oder immer mehr auf den »entauratisierten« und »entsozialisierten« Zugang zur Kunst zu setzen und damit den institutionellen und interaktiven Charakter der Kultur zu verändern – auch das wird so oder so passieren. Vielmehr braucht es zur Begleitung dieses ohnehin nicht zu stoppenden Prozesses, der flankiert wird von einem radikalen Anspruchs-, Nutzungs- und Bedeutungswandel der Institutionen und der Nutzer*Innen einer neuen Generation (geschult an Netflix und Co.!), ein modernes, in seiner Zugänglich-
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keit, Kommunikation und inhaltlichen Aufstellung dienstleistungsorientiertes Nutzer*Innenangebot, das uns individuell, vertrauensvoll, zuverlässig und mit Mehrwert anspricht.
Emotionale Ansprache durch langjährige und verlässliche Kundenbindung Denn mal Hand aufs Herz: Was hat uns in den letzten Monaten emotional angesprochen, unsere Kaufentscheidungen beeinflusst? Verfügbarkeit, Bequemlichkeit, die Notwendigkeit den lokalen Einzelhandel zu stärken (auch wenn dies manchmal mit Mehraufwand verbunden war), aber vor allem eine durch positive persönliche Erlebnisse gewachsene Kund*innenbindung, die die Hauptquelle war für empathische und finanzielle Solidarität und dementsprechende Nutzung und Unterstützung. Es gibt keine Studie dazu, aber der Mehrwert, der in jüngster Vergangenheit durch (langjährige) Freundlichkeit, individuelle Ansprache, nutzbringende Hinweise (ich will nicht von Werbung sprechen, aber wer bekommt nicht lieber Hinweise, mit denen man etwas anfangen kann?), Ansprech- und Erreichbarkeit, Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit erzielt wurde, ist sicher immens. Sollte das nicht auch Vorbild für Kulturinstitutionen aller Art sein? Geht man davon aus, dass die zurzeit viel diskutierte Relevanz (deren Begründung auch ein breites Spektrum haben kann) nicht zuletzt durch Kommunikation und im Auge des*der Nutzers*in entsteht, müssen wir uns die Frage stellen, warum wir diese (vielleicht subjektive) Erkenntnis nicht intensiver für ein zukünftiges Institutionenmarketing und Nutzer*innenmanagement nutzen.
Lernen von Onlineriesen? Und warum das Ganze nicht professionell angehen und dabei auch von den Stärken der Onlineriesen lernen. Diese haben in den letzten Jahren zahlreiche Instrumente zur Kund*innenbindung und individuellen Ansprache entwickelt, die nicht nur habitualisiert wurden, sondern auch von der Empfehlung über die Bewertung bis hin zur Vernetzung – Nutzer*innen, denen dieses Kunstwerk gefallen hat, haben sich auch dieses angeschaut oder empfeh-
Michael Grisko: Postpandemische Kund*innenbindung
len dieses Buch, diesen Film, diese Internetseite –, zahlreiche Möglichkeiten zur Präferenztransparenz (im beiderseitigen Einverständnis) geschaffen haben. Dabei sind dies nur erste Möglichkeiten, die die Kulturinstitutionen nicht einfach kopieren, sondern strategisch adaptieren könnte. Zumal mit Blick auf die Museumsshops und weitere Verkäufe ein Kanal geschaffen würde, der nicht nur Umsätze, sondern auch Kundenbindung generiert. Denn die Häuser, die ihre Nutzer*innen kennen, die Vertrauen und Verlässlichkeit, möglicherweise sogar eine differenzierte Ansprache, zu ihnen aufgebaut haben, konnten diese für eine entsprechende Kommunikation, bis hin zur Anbindung an den Museumsshop, der dann natürlich zuverlässig bedient werden musste, nutzen. Es ist offensichtlich: Je mehr wir über unsere Nutzer*innen wissen, umso bessere Angebote können wir machen. Aber es sind nicht nur die Inhalte, sondern auch die nach außen getragenen Softskills, (Vertrauen, Verlässlichkeit, Freundlichkeit), das mit einem Haus und seinen Mitarbeiter*innen verbundene Image, die Werte, die in den Nutzer*innenbeziehungen von entscheidender Bedeutung sind.
Je differenzierter – je diverser? Je persönlicher – je relevanter? Werte und Häuser sollten sich weiterentwickeln. Deren Charakter sollte sich in Korrespondenz mit einem immer stärker ausdifferenzierten Wissen hinsichtlich der Wünsche, Vorlieben, Interessen der Nutzer*innen ergeben. Und aus diesem Wissen folgend eine persönliche, differenzierte Ansprache, mit entsprechenden Angeboten und Zugängen ermöglichen. Warum also nicht seine Kund*innen (noch besser) kennenlernen, sie nach Ihren Bedürfnissen fragen, im Rahmen der datenschutzrechtlichen Möglichkeiten auch digitale Daten auswerten und natürlich auch eine entsprechend ausdifferenzierte Ansprache entwickeln? Und demzufolge entsprechende Angebote nicht nur in der Institution, sondern auch in der klassischen Kundenansprache über Newsletter und andere Medien, ausspielen und diese auch im Museumsbesuch nicht mehr nur dem Alter nach ausdifferenziert vorlegen? Denn es sind nicht nur die Jungen und Alten, die Chines*innen, Inder*innen und Brit*innen, sondern auch die Expert*innen und Neulinge, die Kreativ-Denkenden und die Analytiker*innen, die vielleicht einen anderen Zugang, eine andere Ansprache, brauchen. Und dies sind zugegeben sehr schematische Kriterien, die einer ausdifferenzierten Gesellschaft wenig gerecht werden. Die
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Marktforscher*innen, auch die Touristiker*innen sind in dieser millieu- und nutzer*innenorientierten Ausdifferenzierung noch viel weiter. Warum findet dieser Ansatz in der kulturellen Arbeit so wenig Resonanz? Geld? Institutionelle Angst? Fehlende Ausbildung? Erste Ansätze dazu finden sich vielleicht in einer großen über zwei Jahre angelegten Besucher*innenumfrage in Gotha, Halle, Chemnitz und weiteren großen Institutionen. Es muss etwas passieren, denn nicht alle Nutzer*innen kommen am Tage der Öffnung automatisch wieder. Vielleicht gelingt in einem längeren Prozess so auch die Ansprache einiger Nichtbesucher*innen. Es ist eine neue Form von nutzer*innenortierter Relevanz. Zudem habe ich die Angst und die Vermutung, dass der an einigen Orten durchaus vorhandene Wille zur Veränderung in der Breite nicht ankommt oder der Wille zur Veränderung in einer dynamischen, von Sparzwängen und disruptiven Prozessen geprägten, Kulturentwicklung nicht reicht. Dabei soll nicht einer unkontrollierten Datensammelwut das Wort gedreht werden, vielmehr soll der Blick für die Möglichkeiten und Notwendigkeiten eines zielgruppenorientierten und individualisierten Angebots geöffnet werden. Denn warum sollen Banken und Onlineriesen mit diesen Instrumenten Geld verdienen und die Kultur auf den möglichen Mehrwert verzichten? Am Ende könnte dies auch ein wenn auch minimaler Beitrag zur Diversität einer Institution sein. Beitrag vom 17.02.2021 Dr. Michael Grisko war bis Ende 2021 Kulturmanager bei der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen Erfurt, seit 2022 Geschäftsführer für die Richard Borek Stiftung Braunschweig.
In die Breite wirken Digitale Produkte von der Stange für kleine und mittlere Museen Johannes Waldschütz
»Sind Sie eigentlich in Kurzarbeit?« wurde ich neulich beim Bäcker gefragt. In einer Kleinstadt kennt man sich zwar, man weiß aber zwangsläufig nicht allzu genau über den Berufsalltag des Anderen. Dass ich trotz geschlossenem Museum viel zu tun habe, muss ich meist ausführlich erklären: Vorbereitung der nächsten Ausstellung, Inventarisierung im Depot, Buchprojekt, Digitale Öffentlichkeitsarbeit und vieles mehr. In kleinen Museen sind wir eierlegende Wollmilchsäue, wir kuratieren, forschen und konzipieren, führen und vermitteln, sammeln, erwerben und inventarisieren, betreiben Öffentlichkeitsarbeit, kommunizieren digital und bauen sogar die Sonderausstellungen auf und ab. Wer solcherart als Allrounder unterwegs ist, kann nicht in jedem Bereich gleich intensiv arbeiten. Das merke ich in der Pandemie noch schmerzlicher. Ein wenig digitale Ausstellungskommunikation auf der eigenen Website und in den sozialen Medien ist problemlos möglich, aber Videos oder eine digitale Führung produzieren schon deutlich schwieriger und aufwendiger. Es fehlt an Technik, Sachverstand und Geld. Sich noch tiefer in den einen Bereich einzuarbeiten, hieße Anderes – etwa die Vorbereitungen für die nächste Sonderausstellung – liegenzulassen. Natürlich hat die Pandemie dazu geführt, dass wir unsere nächste Sonderausstellung im Stadtmuseum Stockachdigitaler planen. Eine Förderung aus einem lokalen Fördertopf der Integrierten ländlichen Entwicklung Bodensee1 erlaubt es uns, eine Multimediastation zu konzipieren, in die Ausstellung zu integrieren und auch online zu präsentieren. Ob wir im Rahmen des Projekts Kulturgemeinschaften2 eine Förderung
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https://www.ile-bodensee.de https://www.kulturgemeinschaften.de
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erhalten, um Podcasts und Videos zu produzieren, steht noch in den Sternen. Digitalisierung gibt. Es bleibt aber zu hoffen, dass sich diese Förderung in den nächsten Jahren auch verstärkt an kleine Museen richtet. Projekte wie Museum 4.0 können tolle Akzente setzen und Ideen vorantreiben. Aber: Diese Projekte werden von löblichen Ausnahmen abgesehen (Fastnachtsmuseen3 ) vor allem größeren Museen vergeben. Ähnliches gilt für das baden-württembergische Programm »Digitale Wege ins Museum«.4 Es ist gleichwohl grundsätzlich lobenswert, dass die im Rahmen von Museum 4.0 entwickelten digitalen Lösungen auch für andere Museen nachnutzbar sein sollen (gelungen etwa »Museumstinder« beim Badischen Landesmuseum Karlsruhe).5 Eine solche Nachnutzung erfordert aber einen erheblichen Aufwand im jeweiligen Museum – finanzielle und personelle Ressourcen, die kleinere Häuser nicht unbedingt haben. Künftige Programme zur digitalen Entwicklung der Museumslandschaft sollten deshalb darauf setzen, die Ergebnisse von Leuchtturmprojekten in die Fläche zu tragen und Produkte »von der Stange« zu entwickeln. Damit meine ich digitale Plattformen, Tools und Programme, die von kleinen und mittleren Häusern relativ einfach adaptiert und umgesetzt werden können: zum Beispiel eine Plattform für Onlineführungen und buchbare oder geförderte Pakete zur Erstellung von ebensolchen; ein Content-Management-System für Medienstationen in den Museen oder vergünstigte Lizenzen für Programme zum Schneiden von Filmen oder der Bearbeitung von Podcasts. Ergänzend bräuchte es idealerweise eine digitale Beratung der vielen kleinen kommunalen und nicht staatlichen Museen durch eine Digitalstelle, vergleichbar wie es etwa die Landesstelle für Museumsbetreuung6 in Baden-Württemberg schon seit vielen Jahren im Bereich Restaurierung macht.
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https://www.museum4punkt0.de/teilprojekt/kulturgut-fastnacht-digital/ https://mwk.baden-wuerttemberg.de/de/kunst-kultur/digitale-wege-ins-museum/ https://www.sueddeutsche.de/panorama/tinder-museum-app-1.5210496; https://ww w.swr.de/swr2/kunst-und-ausstellung/badisches-landesmuseum-plant-app-nach-tin der-prinzip-100.html https://www.landesstelle.de/foerderung/
Johannes Waldschütz: Digitale Produkte von der Stange für kleine und mittlere Museen
Johannes Waldschütz bei Museumsführungen im Sommer 2020
Foto: Steffanie Hornstein
Eine so geartete Digitaloffensive würde in die Breite wirken und dafür sorgen, dass die Schere zwischen großen Häusern mit digitalen Angeboten und kleinen, vorwiegend analogen Museen nicht größer wird. Auf solche Programme hinzuwirken, wünsche ich mir von den Museumsverbänden und Kulturpolitiker*innen. Natürlich freuen wir uns, wenn wir als Museen, sobald es die Pandemie zulässt, wieder für den Vorortbesuch öffnen können und ich halte es für äußerst wünschenswert, jetzt Konzepte zu entwickeln, wie Museen die Schulen beim Unterricht in Zeiten der Pandemie entwickeln können (Themen für einen weiteren Blogeintrag!). Die Entwicklung von Konzepten zur Digitalisierung der Museumslandschaft in ihrer ganzen Breite, ist aber mittelfristig wichtiger als die schnelle Öffnung der Museen. Beitrag von 23.02.2021 Johannes Waldschütz leitet das Museum und Stadtarchiv in Stockach.
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Digitale Wege des smac Von Angeboten, Ressourcen und Fehlerkulturen Karina Iwe
Gerne nehmen wir an der aktuellen Blogparade #museumforfuture teil! Auch das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz (kurz: smac) hat in den vergangenen Monaten umfangreiche Erfahrungen in den Bereichen Digitalisierung und Sichtbarkeit gesammelt – in einer Zeit, in der die Besucher*innenströme der Museen aufgrund der weltweiten Pandemie jäh versiegten. In dieser Ausnahmesituation, von der alle musealen Einrichtungen betroffen sind, zeigte sich zum einen die Betonung der Digitalisierung in Zeiten des Wegbrechens analoger Zugänge. Zum anderen wurde deutlich, welche Museen schon vor der Corona-Pandemie den digitalen Pfad betreten hatten und diesen nun mühelos weiter begehen konnten. Betrachtet man die Digitalisierung und das vielfältige digitale Angebot, so stellen sich mehrere Fragen hinsichtlich der Zielsetzungen: Wie lauten die Ziele der jeweiligen Angebote? Geht es um die Sichtbarkeit im unmittelbaren Umfeld des Museums? Geht es um mehr Reichweite? Werden damit konkret neue Zielgruppen ins Auge gefasst? Wollen die Häuser »einfach im Gespräch« bleiben? Oder ist es am Ende eine Kombination?
Das digitale Angebot des smac: Highlights der vergangenen Monate Die Corona-Pandemie hat seit März 2020 mit der Schließung der Museen über mehrere Wochen und Monate deutlich gezeigt, wie plötzlich Ausstellungen vor Ort von heute auf morgen für den Publikumsverkehr nicht mehr zugänglich waren. An diese Stelle trat eine ungemeine Vielfalt von digitalen Formaten, die bspw. die digitalen Besucher*innen mit unterschiedlichen Führungen in das Museum lockten.
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Ein Bereich, der bisher noch nicht vielerorts zu sehen war, sind die Online-Ausstellungen. Das smac gehört zu denjenigen archäologischen Einrichtungen, die über die Ausstellung hinaus Inhalte zu den Sonderausstellungen aufbereiten. Das noch verhältnismäßig junge Format mit dem Namen smac+ (Abb. 1) wird seit 2019 am Haus parallel zu den Ausstellungen mitgedacht. Zuletzt konnten Besucher*innen auf diese Weise aus nah und fern die Sonderausstellung »Leben am Toten Meer« digital besuchen und kennenlernen. Es handelt sich hierbei nicht um ein Abbild der Ausstellung vor Ort, sondern um eine zusätzliche und ausführliche Aufbereitung von Inhalten des Ausstellungsthemas. Zudem hat das smac dadurch eine gute Möglichkeit gefunden, die Ausstellungen nachhaltig zu dokumentieren. Es erscheint sinnvoll, nach einiger Zeit zu evaluieren, wie dieses Format bei den Besucher*innen angekommen ist.
Abb. 1: Das smac präsentiert in dem Format smac+ die Sonderausstellung »Leben am Toten Meer«. Der Webauftritt ist über das Ausstellungsende hinaus digital abrufbar
Screenshot smac Plus (leben-am-toten-meer.de)
Die Dauerausstellung des smac ist das Schaufenster der Archäologie Sachsens. Die archäologischen Exponate stammen von Ausgrabungen, die das Landesamt für Archäologie Sachsen (LfA) durchführte1 . Das LfA präsentiert seit
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https://www.archaeologie.sachsen.de
Karina Iwe: Digitale Wege des smac
Februar 2020 auf der Webseite »archaeo | 3D« (Abb. 2) Visualisierungen von ausgewählten Objekten, die mit 3D-Scannern digitalisiert wurden. Die Nutzer*innen können die 3D-Modelle in den gängigen modernen Internet-Browsern auf mobilen Endgeräten und PCs von allen Seiten betrachten. Neben den Anwendungsszenarien für das Amt, bspw. Beobachtungen zum Verhalten bestimmter Konservierungsmaßnahmen, haben die digitalen Besucher*innen die Möglichkeit, die Objekte viel genauer in Augenschein zu nehmen als vor Ort im Museum. Es handelt sich hierbei um ein laufendes Projekt, das hinsichtlich der Datensätze weiter vom LfA ausgebaut wird.
Abb. 2: Webauftritt von »archaeo | 3D« des Landesamtes für Archäologie Sachsen mit 3D-Modellen, der zu einer virtuellen Reise durch die Archäologie Sachsens einlädt
Screenshot archaeo | 3D – Home
Das smac hat diese innovative Plattform des LfA inzwischen mit dem eigenen 360 Grad-Rundgang auf allen drei Ausstellungsetagen verknüpft (Abb. 3). Der Rundgang wurde von team360 erstellt. Damit ist das virtuelle Betreten des Museumsinneren – auch außerhalb der Öffnungszeiten – möglich. Diese Verknüpfung erscheint mehr als sinnvoll und geht über den einfachen Rundgang hinaus, den die digitalen Besucher*innen als Format und Sehgewohnheit bereits kennen. Aktuell werden auch Videos eingebunden, die in diesem Jahr entstanden und die einige Museumsmoderator*innen des smac vorstellen, die aktuell – coronabedingt – keine Führungen anbieten können. Auch an dieser
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Stelle wird es zukünftig noch interessant, welche Formen der Rückmeldungen das smac von seinen digitalen Besucher*innen für dieses besondere Angebot erhält.
Abb. 3: Der 360-Grad-Rundgang ermöglicht den digitalen Besucher*innen einerseits den Blick in die Ausstellungsebenen des smac, andererseits das Anvisieren ausgewählter Exponate aus der Vor- und Frühgeschichte Sachsens mit weitergehenden Informationen
Screenshot Virtuell durchs smac (sachsen.de)
Über das aktive digitale Treiben hinaus, passiert im smac – wie auch bei den anderen Museen – viel hinter den Kulissen. Es gilt, auch in diesen Zeiten, eines der Kerngeschäfte des Museums fortzusetzen: die Vorbereitung von Sonderausstellungen. Die Häuser erfahren im Moment viel Unsicherheit. Es ist unklar, wann sie wieder öffnen, Ausstellungen werden mitunter verschoben, Leihverträge müssen angepasst werden. Diese Arbeit bleibt für die Öffentlichkeit im Verborgenen. Doch trotz aller Einschränkungen, gehen auch diese Aufgaben gut im archäologischen Museum in Chemnitz voran. Die Teams der geplanten Sonderausstellungen sind intensiv mit den Vorbereitungen beschäftigt (Abb. 4) und berichten darüber auf den Kanälen der Sozialen Medien, die im smac schon lange vor der Coronavirus-Pandemie eingerichtet waren.
Karina Iwe: Digitale Wege des smac
Abb. 4: Hinter den Kulissen geht die Ausstellungsplanung im smac in großen Schritten voran. Das Muasum präsentiert ab April 2021 die Sonderausstellung »Die Stadt. Zwischen Skyline und Latrine« und berichtet bspw. darüber regelmäßig auf den Kanälen der sozialen Medien
Ausschnitt vom Facebook-Auftritt, Screenshot
Eine Frage der Ressourcen Bei aller Leichtigkeit und (kostenlosen) Verfügbarkeit der Angebote, dürfen aber bestimmte und entscheidende Aspekte nicht vergessen werden. Hinter jedem Angebot steht der Einsatz von finanziellen Mitteln für Personal und Technik. Jedes digitale Projekt bedarf auch einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters, der oder die die Ideen koordiniert und umsetzt. Am smac gibt es eine Stelle für die Digitale Kommunikation. Das ist mehr als manch anderes Museum ähnlicher Größenordnung vorweisen kann. Und dennoch zeigt sich: Gerade in diesen Zeiten, wo das Hauptaugenmerk vornehmlich auf dem Digitalen liegt, wird deutlich, dass auch dieser Bereich ausbaufähig ist – wenn man eben alle digitalen Kanäle mit ihren unterschiedlichen Zielgruppen
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adäquat und routiniert bespielen möchte und auch die Konzeption neuer digitaler Projekte anstrebt. Ein weiterer wesentlicher Punkt darf nicht vergessen werden: Der Weg, und die Akzeptanz, von digitalen Angeboten, die eine Exklusivität besitzen und daher bezahlt werden müssen, scheint noch ein weiter zu sein.
Aus Fehlern (anderer) lernen Ein Bereich, der scheinbar kaum im großen Maßstab zur Sprache kommt, ist das Thematisieren von Fehlern bzw. Aktionen, die nicht so erfolgreich liefen, wie es sich die Museumsschaffenden wünschten, bzw. keinen Anklang beim digitalen Publikum fanden. Allerorts sind an den Museen ähnliche Hürden und Aktionen zu sehen, Videos werden gedreht, 360 Grad Rundgänge entstehen, Mitmachaktionen sind verfügbar. Ein ressourcenschonender Austausch im Vorfeld wäre manches Mal sinnvoll, um nicht die Fehler anderer zu wiederholen. Zudem ließe sich durch Austausch und Vernetzung früh erkennen, welche Aktionen digital zünden und welche nicht.
Und wie reagieren die Besucher*innen? Der spannende Bereich liegt im Feld der Besucher*innenforschung. Was wissen wir über die digitalen Besucher*innen? Wie zählen wir sie – zusätzlich zu den analogen Besucher*innen? Wie finden wir sie bzw. wie finden sie uns im digitalen Raum, der aktuell ein (Über-)Angebot bereithält? Wie gefällt ihnen das Angebot? Wie sieht die Interaktion von Publikum und Digitalangebot aus? Gewinnen wir neue Gruppen von Besucher*innen jenseits der analogen Angebote? Die genaue Untersuchung dieses Bereiches verspricht zukünftig noch erhellende Einblicke. Beitrag vom 26.02.2021 Dr. Karina Iwe ist Kuratorin beim Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz, smac.
Mehr Bottom Up! Mehr Experimente! Mehr Kollaborationen! Ein Werkstattbericht aus dem Heimatmuseum Egling a. d. Paar Christopher Vila
Im vergangenen Jahr sind wir – wie viele kleine Museen – auf Sicht gefahren, haben für uns vor allem das »Machen« neu entdeckt und sind quasi über Nacht bei Facebook, Instagram und Twitter gestartet. Während früher viel darüber diskutiert wurde, dass man sich mal mit den »sozialen Medien« beschäftigen müsse, haben wir es jetzt einfach getan. Das Ganze natürlich etwas hemdsärmelig und lediglich mit einem einfachen und ausbaufähigen Kommunikationskonzept. Ähnlich verhält es sich mit anderen Themen, bspw. der Nachwuchsgewinnung oder der Frage, die sich viele Vereine stellen: »Wie können wir jungen Menschen die Möglichkeit bieten und dazu bringen, sich bei uns einzubringen?«. Gesagt getan – auf der letzten Mitgliederversammlung haben wir beschlossen, die Beitragspflicht für alle Mitglieder bis zum 30. Lebensjahr abzuschaffen. Wir sehen es als Chance, gerade in finanziell begrenzten Zeiten wie Ausbildung, Studium, Familiengründung oder Hausbau, kulturelle Teilhabe und bürgerschaftliches Engagement zu fördern.
Netzwerke ausbauen, neue Kooperationen wagen Die Corona-Zeit hat es uns auch ermöglicht, an den vielen digitalen Tagungen und Workshops teilzunehmen, was im analogen Format einfach nicht machbar gewesen wäre. Wir haben dadurch viele Leute kennengelernt und Kontakte geknüpft. Aus diesen Kontakten ergeben sich nun die ersten Kollaborationen, sowohl lokal als auch überregional; sie sind zu einem wichtigen Pfeiler unserer Arbeit geworden. Alleine sind wir nur ein Haus bzw. Verein unter vielen, aber
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mit anderen im Verbund, können wir größere Projekte stemmen und Themen aus unterschiedlichen Perspektiven bearbeiten. Genau aus diesem Grund haben wir mit dem Haus der Stadtgeschichte in Waiblingen und dem Knopf- und Regionalmuseum einen überregionalen Projektverbund für ein gemeinsames Digitalprojekt gegründet.
Christopher Vila: Mehr Bottom Up! Mehr Experimente! Mehr Kollaborationen!
Trotzdem sehen wir kritisch in die Zukunft und fragen uns, ob die nächste Krise für kleine Museen nicht bereits in Sicht ist. Wir schreiben aktuell einen Förderantrag nach dem anderen und freuen uns über die Möglichkeiten und Hilfe, digitaler zu werden und in die Jahre gekommene Einrichtungen zu modernisieren. Jedoch bleibt die Frage »Was ist nach Corona? Verschwinden die kleinen Museen dann wieder vom Radar der Förderlandschaft?«. Was bringt
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eine Digitalisierung, die sich auf Endgeräte, Software und Lizenzen fokussiert und nicht die zentralen Fragen von Infrastruktur, jährlichen Lizenzkosten und Know-how anpackt. Es macht den Eindruck, dass zwar die Symptome, aber nicht die Ursachen behandelt werden. Damit wir nachhaltig digital arbeiten können und auch in der Lage sind neue Formate zu entwickeln, bedarf es einer veränderten Haltung und Arbeitsweise sowie langfristiger Unterstützung. Viel zu viele Stellen, die für die Heimat- und Kulturpflege oder Kulturverwaltung in Bayern auf Kommunalebene zuständig sind, vertreten den Standpunkt »non-digital« und reagieren nicht auf die Anstöße und Apelle der Akteur*innen vor Ort. Leider haben sich diese Stellen bis heute anscheinend nicht von ihrer Schockstarre erholt, da es seit März 2020 keine oder nur sehr sporadische Kommunikation mit diesen gibt. Können und wollen wir es uns wirklich leisten, nach Corona wieder »business as usual« zu machen? Wir sagen ganz klar »Nein!«. Wir brauchen mehr Bottom Up, gefördert durch ein demokratisches Miteinander! Wir brauchen mehr Mut, Freiraum und Unterstützung für Experimente! Wir brauchen mehr Miteinander für Kooperationen und Kollaborationen! Beitrag vom 08.03.2021 Christopher Vila ist Vorsitzender des Kultur- und Heimatvereins Egling e.V. und leitet ehrenamtlich das Heimatmuseum Egling.
Die Krise als Chance für Innovationen und neue (digitale) Wege? Kommentare aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Das Museum als Ort der Demokratie Detlef Pollack und Hedwig Richter
Vieles spricht dafür, das Museum als einen Ort der Demokratie zu verstehen. Und das, obwohl Demokratie die Regierungsform ist, die auf Zukunft hin ausgelegt ist, auf Veränderung, auf Kritik, auf Unruhe, auf Verbesserung. Ihre Legitimation liegt weniger in der Tradition und im Überkommenen, sondern in sich ändernden Mehrheiten, in dem der steten Reform bedürftigen Bemühen, den volatilen Volkswillen durch sich wandelnde Regierungskonstellationen angemessen zu repräsentieren, umzusetzen und gegebenenfalls zu beeinflussen. Abbruch und Neuanfang sind die Modi des demokratischen Prozesses. Doch sind Museen nicht zuletzt aus dem Bedürfnis entstanden, mit der Dynamik der Verhältnisse, mit der Beschleunigung der Moderne, mit der Verzeitlichung und mit der Individualisierung der gesellschaftlichen Beziehungen umzugehen? Musealisierung – verstanden als eine Form der Aufbewahrung des kollektiven Gedächtnisses – korrespondiert mit der schwer überschaubaren Veränderungsdynamik moderner Gesellschaften, mit der Beschleunigung menschlicher Interaktionen, wirtschaftlicher Austauschprozesse und internationaler Handelsströme, mit der Technisierung unserer Lebenswelt, mit der anwachsenden Informationsflut, mit der Geschwindigkeit des kulturellen Wandels, mit den auf Veränderbarkeit angelegten Legitimationsverfahren moderner Herrschaft. Als Orte der Reflexion, die über das reine Sammeln hinausgehen und auf die Behandlung der Frage nach ihrer Bedeutung für uns zielen, dienen Museen der Selbstvergewisserung, der Unterbrechung des geschäftigen Alltags, der Besinnung, der Sinngebung und auch der Bildung. Durch die Abschwächung alter Identitätsstiftungen wie Religion oder ständische Hierarchien wurde es wichtig, mit neuen Angeboten der Identitätsbildung aufzuwarten. Nationalmuseen versuchten das Konstrukt der Nation zu plausibilisieren; städtische Museen boten einen Überblick über das Selbstverständnis der Bürger*innen-
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schaft; Kunstmuseen zeigten den Schatz herausragender Werke der Vergangenheit, in deren Licht sich die jeweilige Gemeinschaft selbst interpretiert. Museen spiegeln daher nicht nur den Stellenwert von Bildung, Kunstsinn und Geschmack seit der Aufklärung, sondern sind auch heute ein Ausdruck von Bürgerlichkeit, deren Identität nicht selbstverständlich ist, sondern reflexiv hergestellt und interpretativ erarbeitet werden muss. Dabei zählte zum Selbstverständnis des Bürgertums nahezu immer neben der Hochschätzung von Bildung, ein Ideal von Leistung im Gegensatz zu Privilegien, eine gewisse Urbanität und ein Bedürfnis nach raumübergreifender Kommunikation. Dass moderne Museen, anders als höfische Sammlungen, allen zugänglich wurden, zeigt den umfassenden, geradezu demokratisierenden Anspruch auf Bildung und Bürgerlichkeit. Tatsächlich lässt sich Demokratie gar nicht ohne Bildung und Bürgerlichkeit denken. In Völkerkundemuseen allerdings wurde auch die problematische Seite dieser inklusiven Impulse sichtbar: Das bürgerliche Selbst erzeugte seine Identität auch durch die Konstruktion des Anderen, dessen, der nicht dazugehört. Museen dienen der gesellschaftlichen Integration und mitunter der Exklusion. Die Covid-Pandemie bedeutet eine tiefe Erschütterung moderner Identitätskonstruktionen. Sie ist eine Erfahrung, die die gesamte Gesellschaft erfasst und das moderne Selbstverständnis auf eine Weise demütigt, wie das selten der Fall war. Bildung wurde an den Rand gedrängt, Schulen vernachlässigt, Museen geschlossen, Kulturprogramme gestrichen. Die Kritik daran sollte nicht vorschnell sein. Es ist wichtig, die Pandemie einzudämmen. Und dass der ökonomische Bereich oft viel besser wegkam, hing nicht zuletzt damit zusammen, dass eine gut funktionierende Wirtschaft auch die Grundlage für Bildung und Kultur ist. Doch gerade in den kontroversen Diskussionen, die sich mit der Pandemie einstellten, und mit dem Schock, den sie für eine seit Jahrzehnten verwöhnte und im Wohlstand lebende Bevölkerung bedeutete – gerade in dieser Situation wird das Museum als Ort der Demokratie sichtbar: als ein Ort zur Selbstreflexion, zur Besinnung, zum Aus-dem-Alltag-Treten, mit dem Blick auf die Vergangenheit und auf den weiten Horizont von Kunst und Geschichte. Lässt sich die Krise in diesem Blickfeld anders, vielleicht sogar besser verstehen? Was ist die bürgerliche Gesellschaft, die ihre Tätigkeits- und Verwirklichungsmöglichkeiten in der Krise einschränken muss und doch mit dem Anspruch auf Inklusion antritt? Das Museum kann ein Ort dieser demokratischen Reflexion sein.
Detlef Pollack und Hedwig Richter: Das Museum als Ort der Demokratie
Detlef Pollack lehrt und forscht zur Soziologie an der Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte sind Religions- und Kultursoziologie. Hedwig Richter lehrt und forscht zur Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind europäische und transatlantische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.
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Das Ende der Komfortzone. Die Krise als Chance Tobias Pfeifer-Helke
Neue Herausforderungen Die Corona-Krise hat die Welt und damit auch die Museen verändert. Die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha musste in rasantem Tempo neue Wege beschreiten, die vorher lediglich im Ansatz diskutiert worden sind. Inmitten des Lockdowns war die Stiftung gezwungen, für einige Monate in Kurzarbeit zu gehen. Eilig wurden Konzepte für das Arbeiten im Homeoffice entwickelt und das digitale Arbeiten organisiert. Darüber hinaus wurde über Szenarien der Wiedereröffnung der Museen nachgedacht. Wir haben Konzepte erarbeitet und immer wieder umgearbeitet, um sie der sich permanent verändernden Situation anzupassen. Um uns über die Entwicklung der Dinge immer aktuell auf dem Laufenden zu halten, haben wir uns im Freistaat Thüringen und national vernetzt, Hygienekonzepte erarbeitet, Wegeleitsysteme geplant, über Coronatests vor dem Museumsbesuch, über den begrenzten Zugang zu Ausstellungen und letztlich auch über die Zukunft der Häuser nachgedacht. Es ist deutlich geworden, dass es so schnell keine Rückkehr zum Zustand vor der Pandemie geben wird. Covid-19 wird unser Leben in den nächsten Jahren begleiten. Damit stellen sich grundsätzliche Fragen nach dem Leben in einer veränderten globalen und vernetzen Welt. Dabei ist die Corona-Pandemie nur ein Faktor in einer Umbruchzeit mit enormer Geschwindigkeit. Wir müssen uns fragen, wie wir mit Epidemien, Krisen, der vom Menschen gemachten Umweltzerstörung, neuen Krankheiten, dem Artensterben oder der Produktion von Müll in Zukunft umgehen wollen. Sind immer größere und teurere Ausstellungen die richtige Antwort? Wie sehen wir unsere Verantwortung, wenn Leihgaben mit dem Flugzeug rund um den Globus geflogen, Ausstellungsräume vollklimatisiert werden oder Depotgebäude die Umwelt belasten? Steht das Handeln der Gesellschaft auf dem Prüfstand, geht es auch um das Handeln der Museen, das auf das
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Engste mit den Menschen und ihren Nöten, Wünschen, aber auch Hoffnungen und Sehnsüchten verbunden ist. Eine der gesellschaftlichen Aufgaben von Museen ist es, mit dem Wissen über die Vergangenheit Handlungshinweise zum Umgang mit der Gegenwart zu geben und rücksichtsvoll in die Zukunft zu blicken.
Abb. 1: Der sogenannte Gothaer Friedenskuss von Pax und Iustitia am Hauptportal von Schloss Friedenstein
© Foto: Candy Welz
Tobias Pfeifer-Helke: Das Ende der Komfortzone. Die Krise als Chance
Eine neue Leitidee Die Corona-Pandemie hat die inhaltlichen und strategischen Überlegungen der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha vorangetrieben. Gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen haben wir darüber nachgedacht, wie sich das Museum in den nächsten Jahren orientieren soll. Die Gründung des Schlosses im 17. Jahrhundert war von einer Zukunftsvision getragen. Über dem Haupteingang an der Nordseite des Schlosses hat sich nicht – wie üblich – der Herzog mit seinem Wappen verewigt, sondern ist die Devise des Westfälischen Friedens »Friede ernähret, Unfriede verzehret.« zu finden (Abb. 1). Mit den Verhandlungen in Münster und Osnabrück endete der Dreißigjährige Krieg als einer der schrecklichsten Kriege Europas. Erstmals setzte sich die Auffassung durch, dass das Reich durch ein geregeltes Rechtsund Friedenssystem auszugestalten sei, womit die Grundlagen des europäischen Völkerrechts gelegt wurden, in dessen Zentrum bis heute die Kunst der diplomatischen Friedensverhandlung steht. Auf den zerstörten Mauern der von kaiserlichen Truppen bereits im 16. Jahrhundert verwüsteten Burg Grimmenstein in Gotha, eine Hauptfeste des Protestantismus in Mitteldeutschland, entstand ab 1643 die größte frühbarocke Schlossanlage nördlich der Alpen (Abb. 2). Bereits fünf Jahre vor den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück hatten die Bauarbeiten für eine neue Residenz in Gotha begonnen, die den symbolträchtigen Namen Friedenstein erhielt. Inmitten des Dreißigjährigen Krieges wurde ein Bauwerk errichtet, das ganz von Hoffnung, Glauben und Zuversicht auf eine bessere Zukunft getragen war. Im Schloss residierte nicht allein der Herzog, auch alle Verwaltungsämter waren hier untergebracht, die ein damals modernes Staatsgefüge benötigte. Es entstand eine für die Zeit vorbildliche fürstliche Landesregierung. Das damals so wegweisende Handeln beeindruckt noch heute die Menschen. Von dieser Vision einer besseren Welt war auch der Wunsch zur Einrichtung von Sammlungen in den beiden Türmen getragen, die sich heute auf ca. 1,15 Mio. Objekte belaufen: Die Kunstkammer wollte das Wissen der Welt in mindestens einem Objekt darstellen. Die zusammengetragenen Kollektionen hatten nicht nur die Aufgabe, der höfischen Repräsentation zu dienen, sondern waren gleichzeitig auch ein Ort der Aneignung von Wissen, des Nachdenkens über die Welt, des Gesprächs, des Austauschs und der Diskussion; ein Ort, um die Welt verstehen zu lernen, aber auch ein Ort des Amüsements, des Wunderns und der Fantasie.
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Abb. 2: Schloss Friedenstein
Ein neues Verständnis Vor dem Hintergrund des überaus beeindruckenden gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins der Gründergeneration von Schloss Friedenstein hat sich die Stiftung entschlossen, diesen Gedanken wieder als Leitbild für ihre Arbeit zu verwenden. Während des Lockdowns ist deutlich geworden, dass Museen in Zukunft mehr sein müssen als Schatzhäuser von Objekten, die Ausstellungen organisieren. Die Ansprüche an die Museen sind enorm gestiegen. Sie müssen sich erweitern und zu einem Ort der Begegnung, des Austauschs und des Gesprächs werden, sie müssen Angebote für die Menschen vor Ort schaffen, ein gesellschaftlicher Anker werden. Die Coronapandemie hat deutlich gemacht, dass es kein Zurück mehr geben wird, sondern dass wir in Zukunft – stärker als bisher – von Krisen und Katastrophen heimgesucht werden. Es steht zu befürchten, dass es aufgrund der voranstürmenden Kapitalisierung im 21. Jahrhundert kaum noch öffentliche und freie Räume geben wird. Ungezwungenes, kritisches Denken wird es zusehends schwer haben, Schutz und Zuflucht zu finden. Museen werden in Zukunft eine andere, eine erweiterte Verantwortung übernehmen, sie werden sich stärker zu Orten für die Menschen verändern, sich im Zeitalter der Informationsflut und der Translokalität neu erfinden. Die
Tobias Pfeifer-Helke: Das Ende der Komfortzone. Die Krise als Chance
Aufgaben und Funktionen von Museen werden sich in den kommenden Jahrzehnten auch vor dem Hintergrund des rasant zunehmenden Klimawandels, von politischen Extremismen, einer sich verändernder Öffentlichkeit, Kommerzialisierung und Digitalisierung unserer Lebensumwelt und ihren weitreichenden Folgen wandeln. Den Menschen fehlen zunehmend Ansprechpartner*innen und Akteur*innen im ländlichen Raum, wogegen die großen Ballungszentren auf Kosten der Peripherie weiterwachsen werden. Museen werden sich als Leuchttürme etablieren müssen, die den Menschen Orientierung bzw. alternative Angebote bieten. Es ist die Zeit regionaler Entscheidungen und lokalen Handelns gekommen. Doch wer sind die Handelnden, wenn die Menschen den Arbeitsplätzen hinterher ziehen müssen und ganze Landstriche zu veröden drohen? Wer soll in den Regionen, in den Dörfern und Ortschaften, in mittleren und kleineren Städten die Kraft aufbringen, dem Auseinanderdriften der Gesellschaft zu begegnen, Krisen zu managen und Handlungsfelder abzustecken? Die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha wird in den kommenden Jahren stärker als bisher die aktuellen gesellschaftlichen Debatten verfolgen, sie vor dem Hintergrund der Gothaer Programmatik als Beobachterin reflektieren und sich kritisch mit ihnen auseinandersetzen. Die neue Orientierung wird durch alle Bereiche der Stiftungsarbeit von den Forschungsprojekten über die Digitalisierung bis hin zu den Ausstellungen reichen, besonders das kuratorische Handeln und den Bereich Vermittlung berühren, dem ein neuer Stellenwert eingeräumt wird. Die Stiftung wird aktiv an der Erhaltung, der Ausgestaltung und der Weiterentwicklung des demokratischen Gemeinwesens mitwirken. Auch wenn wir vor allem in Thüringen tätig sind, verstehen wir uns als Teil der nationalen und internationalen zivilgesellschaftlichen Entwicklungen.
Neue Wege Bereits vor der Corona-Krise konnte ein durch den Bund und den Freistaat Thüringen gefördertes millionenschweres Digitalisierungsvorhaben GothaTransdigital initiiert werden, das durch die Pandemie noch einmal an Bedeutung gewonnen hat.1 Im Fokus steht nicht allein die Digitalisierung und weltweite Vernetzung von Museumsgut, sondern auch eine umfassende 1
www.friedenstein.eu
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Reorganisation der Strukturen. Die Stiftung wird sich zu einer intelligenten Museums- und Forschungseinrichtung fortentwickeln. Die Idee greift auf die Kunst- und Wunderkammer des 17. Jahrhunderts zurück, die im Schloss eingerichtet war. Durch die Digitalisierung soll in Gotha ein Forschungstool entstehen, das es ermöglicht, die Sammlungen als Informations- und Wissensspeicher zu nutzen – eine »digitale Wunderkammer«. In Zukunft wird es nicht mehr allein darum gehen, Dinge zu magazinieren und damit vor der Vernichtung zu schützen und zu behüten, sondern wir müssen sie wieder in wert setzen. Auch sogenannte »Depotstücke«, also Objekte, die wahrscheinlich überaus selten oder nie in einer Ausstellung zu sehen sind, werden ihre Geschichte wieder zurückerhalten und in den gesellschaftlichen Kreislauf des Bewunderns, der Forschung und der Information eingebunden. Welche Geschichten können uns Nautiluspokale, Münzen, Gemälde oder Muscheln erzählen? Welche Zusammenhänge gibt es zwischen den gesammelten Werken? Welche Bedeutung besitzen Gegenstände in einer digitalisierten Welt? Welche Informationen können sie uns liefern, die wir in den digitalen Medien nicht mehr finden?
Abb. 3: Studentenentwurf Wunderkammer 4.0
Tobias Pfeifer-Helke: Das Ende der Komfortzone. Die Krise als Chance
Abb. 4: Digitaler Zwilling aus der Kunstkammer der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha (interaktiv erfahrbar unter: https://friedenstein.eu/)
Die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha hat gemeinsam mit der Bauhaus Universität Weimar in einer Reihe von Seminaren zu einer »Wunderkammer 4.0« darüber nachgedacht, wie ein Gebäude für eine moderne Forschungsund Infrastruktur in Gotha aussehen könnte (Abb. 3). Welche Schritte müssten gegangen werden, um das Zentraldepot Perthesforum zu einem internationalen Studien- und Wissenschaftsort zu entwickeln, dessen Rückgrat die Sammlungen bilden? Die Digitalisierung wird ein elementarer Grundbestandteil der zukünftigen Arbeit darstellen. So setzt die Stiftung einen Schwerpunkt in der dreidimensionalen digitalen Aufnahme der Objekte, wodurch auch dezentral mit den Objekten geforscht werden kann (Abb. 4). Klassische Abteilungsstrukturen werden sich ändern und an deren Stelle dynamische Arbeitsweisen treten, die an den Rändern offen sind. Zu Projekten und Themen wird es jeweils ein sich immer wieder neu aggregierendes Kernteam geben, das jederzeit um internationale Experten erweitert werden kann. Aus dem passiven Museumsdepot wird ein moderner Wissensspeicher, der Informationen mit externen Partner*innen austauscht und der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung stellt. So arbeitet die Stiftung bereits jetzt im Rahmen eines internationalen Projekts zur Erforschung einer indonesischen Schädelsammlung mit Wissenschaftler*innen aus Indonesien oder dem Tessin zusammen. Ebenso rekonstruieren wir mit den Kolleg*innen im Puschkin-Museum in
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Moskau und der Eremitage in St. Petersburg die kriegsbedingt verlagerten Gothaer Sammlungen und nutzen dafür virtuelle Arbeitsumgebungen.
Neue Formate Im Rahmen des Bund-Länder-Sonderinvestitionsprogramms wird der Westflügel des Schlosses in den nächsten Jahren umfassend saniert. Die Stiftung ist für die Einrichtung der neuen Dauerausstellungen verantwortlich. Im Westturm wird erstmals die Kunstkammer als Keimzelle der Gothaer Sammlungen an ihrem historischen Ort re-inszeniert, wobei in Ausgestaltung und Vermittlung neue Wege beschritten werden. Aktuelle museale Inszenierungen von Kunst- und Wunderkammern fokussieren auf den Schauwert der Exponate, auf die Einzigartigkeit und Kostbarkeit der Dinge, doch tritt dabei der ursprünglich performative Aspekt, also der konkrete Umgang und das Handling mit den Dingen, in den Hintergrund. Anders verhält es sich in der von der Kölner Agentur res d entwickelten Ausstellungsszenographie für Gotha. Die historischen Kunstkammern waren nicht allein ästhetische Orte. Genauso wichtig wie das sinnliche Erlebnis war das Entstehen von Wissen anhand der Objekte. Hier wurde mit den Dingen geforscht, gedacht und experimentiert. Allein das Forum Wissen der Universität Göttingen verfolgt heute die Frage, wie mit und durch Objekte Erkenntnisse gewonnen werden können.2 Diese wichtige Eigenschaft der Kunstkammer wollen wir aufzeigen. In Gotha wird in Anlehnung an einen erhaltenen historischen Grundriss die ursprüngliche Disposition der Kunstkammer in Form eines »Arbeitszimmers« bzw. einer Studierstube des Herzogs wieder hergestellt (Abb. 5). Es stand ein zentraler Tisch in der Raummitte, auf den die Objekte, die sich auf Tischen und in Schränken entlang der Wände befanden, gestellt wurden, um sie zu betrachten, sie zu erkunden und über sie zu reden. Es ist uns wichtig, diesen Aspekt besonders zu betonen.
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https://www.uni-goettingen.de/de/forum+wissen/521321.html
Tobias Pfeifer-Helke: Das Ende der Komfortzone. Die Krise als Chance
Abb. 5: Ausstellungsplanung für die re-inszenierte Kunstkammer im Westturm von Schloss Friedenstein Gotha
© res d Köln 2021
Eine weitere einschneidende Veränderung wird es in der ursprünglichen Konzeption der ersten Etage des Westflügels geben. Hier sollte die Geschichte Gothas von den Anfängen bis ins Jahr 1989 erzählt werden. In den Räumen war ursprünglich die Verwaltung mit allen Ämtern und Behörden des Herzogtums untergebracht. Der Westflügel des Schlosses ist gekennzeichnet durch eine uniforme Abfolge von Kabinetten und Büros entlang eines Erschließungskorridors. Auf der Etage war nach der Abdankung des Herzoghauses bis 2014 das Staatsarchiv Gotha untergebracht. Die Raumstruktur eignet sich, um über das Format der Dauerausstellung nachzudenken (Abb. 6).
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Abb. 6: Konzept zu den Schmalräumen als Reflexionsräume im Bereich der GeschichtswerkStadt im Westflügel von Schloss Friedenstein Gotha
© res d Köln 2021
In Anlehnung an die einstige Funktion des Gebäudetrakts, lässt sich der Grundriss der Etage in seiner stereotypen Abfolge von Büros, Kammern und Zimmern als ein bürokratisches Repositorium begreifen, als (prinzipiell endlose) Registratur. In dieser Form interpretiert, besteht der Reiz und die Herausforderung darin, die Räume flexibel, modular und veränderlich zu konzipieren. Damit können aus einer riesigen Fülle an Themen und Inhalten zur Gothaer Geschichte immer wieder neue Schwerpunkte gesetzt werden. Die Dauerausstellung verwandelt sich in einen Themenspeicher, der auf aktuelle Fragen reagieren kann und damit die Idee der Kunst- und Wunderkammer in einer modernen Form wieder aufgreift. Auch dort wurde die Vielfalt der Erscheinungen der Welt in Schränken, Schubladen und Tischen systematisiert, die dann als unendliche Abfolge der Dinge an Besucher*innen vorbeizog. Aus der Erzählung einer kontinuierlichen Geschichte der Stadt Gotha wird so eine Auswahl von Themen aus dem urbanen Kosmos. Die ursprüngliche Idee eines kontinuierlichen Flusses der Geschichtsentwicklung weicht der Vorstel-
Tobias Pfeifer-Helke: Das Ende der Komfortzone. Die Krise als Chance
lung von Historie als ein Kaleidoskop von Fragestellungen, die jeweils neu gestellt und anhand der Gothaer Sammlungen exemplarisch diskutiert werden können. In der neuen Ausstellung zur Gothaer Stadtgeschichte werden die Bereiche Bildung, Politik, Religion, Wirtschaft und Zukunft verhandelt. Zwischen Räumen mit historischen Exponaten sind jeweils sogenannte Schmalräume geschaltet, die das historische Ereignis in die Gegenwart holen, indem Fragen an die Besucher*innen gerichtet werden: Gibt es einen Plural des Wortes Heimat? Welche Rolle spielt Religion heute? Was ist dir heilig? Was für eine Wertegemeinschaft wollen wir sein? Wem gehört die Stadt?
Neue Mobilität Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, dass Museen neben den Ausstellungen neue Formate finden müssen. Sie werden sich erweitern, analog wie auch digital präsent sein und letztlich beides miteinander kombinieren. Stärker denn je stellt sich die Frage, wie wir zukünftig unser Publikum erreichen können. Die Pandemie zeigt, dass sich die Menschen wieder stärker auf ihre Region, ihren Lebens- und Wohnort beziehen und gerade auch der Lokaltourismus einen neuen Aufschwung erlebt. Darin liegt eine große Chance. Aber was ist zu tun, wenn Schulen kein Geld für Fahrten ins Museen haben, wenn der Kontakt zu den Museen gerade in ländlich geprägten Regionen abreißt bzw. sich die Bürger mit diesen nicht mehr identifizieren? Die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha wird sich in den Stadtraum Gothas erweitern und damit offensiv auf die Menschen zugehen. Wir werden ein leerstehendes Ladenlokal anmieten und hier einen offenen Projektraum für Jugendliche einrichten. Wir werden einen Elektrobus zu einer mobilen Wunderkammer umbauen und darin unterschiedlichste Vermittlungsformate anbieten. Dabei wird es sehr viel um aktive Partizipation der Menschen gehen. Wichtig sind uns Austausch, Gespräch und Diskussion. Wir als Museum wollen uns einmischen, medial präsent sein, zuhören und gehört werden!
Ort der Forschung und des Austausches Die Stiftung Schloss Friedenstein ist nicht allein ein Schloss mit grandiosen historischen Räumen, sie ist darüber hinaus einer der größten mitteldeut-
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schen Sammlungsstandorte mit einem historischen Museumsgebäude und einem riesigen Zentraldepot inmitten einer ausgedehnten Parklandschaft. Die Grundlage der Sammlungen bilden faszinierende Geschichten von Dingen und Menschen, die seit dem 17. Jahrhundert eingebettet sind in eine internationale Gemeinschaft aus Staaten und Ländern, aus denen die Gegenstände, Textilien, Präparate und Objekte stammen. Es ist der Anspruch der Stiftung, den Standort sowohl als gesellschaftlichen Leuchtturm in der Region mit einer modernen musealen und wissenschaftlichen Ausrichtung als auch als Ort der Diskussion und des Austauschs international zu platzieren. Tobias Pfeifer-Helke ist Direktor der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha. Aufgrund einer umfassenden Neuausrichtung der Stiftung beschäftigt er sich vor dem Hintergrund aktueller demographischer und kulturpolitischer Entwicklungen besonders mit Fragen der Zukunft von Museen, ihrer Verankerung in der Gesellschaft sowie den Möglichkeiten der Digitalisierung und Teilhabe.
Neuer Wein in alten Schläuchen? Museen vor, in und nach der Corona-Pandemie Doreen Mölders
Die Corona-Pandemie hat uns alle überrascht. Das Team des Westfälischen Landesmuseums für Archäologie nicht weniger. Dabei lief hier seit September 2019 die Sonderausstellung »Pest!« (Abb. 1), die die Entstehung, Verbreitung, gesellschaftspolitischen Maßnahmen und Konsequenzen einer Pandemie und ihrer Geschichte präsentierte. Man könnte nun diese Episode als ein plakatives Beispiel für Hegels Aussage werten, dass »wir [aus] der Geschichte [lernen], dass wir überhaupt nichts lernen«. Oder wir nehmen uns die Zeit und schauen genau hin. Denn, dass die Menschheitsgeschichte auch eine Geschichte von Pandemien ist und – wie wir selbst erfahren haben – auch bleiben wird, war nicht das vordergründige Vermittlungsziel der Ausstellung. Vielmehr lag ihr die Idee eines Vergleichs zugrunde, wie Gesellschaften mit einer hochansteckenden Krankheit umgehen und welche Maßnahmen sie zu entwickeln im Stande sind. Zudem kommt die Paläogenetik durch die Gewinnung alter DNA aus Skelettfunden dem Ursprung vom harmlosen Bodenbakterium hin zu einer tödlichen Krankheit immer näher und macht die Verifizierung prähistorischer Pestopfer möglich.1 Für ein Archäologiemuseum der passende Ausgangspunkt für eine Ausstellung über eine Krankheit, die als Begründung für kulturelle Veränderungen immer mal wieder angeführt worden ist.2 Dass dieses Thema 2020 zum Thema der Stunde werden könnte, daran hatte niemand gedacht. Aber wir waren sensibilisiert für die
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Die Paläogenetik nutzt hierfür die Polymerase-Kettenreaktion (PCR), um kurze DNAFragmente zu vervielfältigen und anschließend zu sequenzieren, d.h. die Abfolge der Nukleotide in einem DNA-Molekül zu bestimmen. Zur DNA-Analyse der historischen Pest siehe Keller 2019. Vgl. u.a. Kahlow 2007.
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Dinge, die im Zuge der Ausbreitung der Pandemie kommen sollten. Denn: Abstandhalten, Quarantäne und Schließungen waren seit dem Mittelalter mehr oder weniger erfolgreich angewendete Maßnahmen und besonders schwere Pestausbrüche beschleunigten jeweils einen sich bereits angekündigten disruptiven gesellschaftlichen Wandel.
Abb. 1: Blick in die Sonderausstellung »Pest!« im LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum vom 19. September 2019 bis 31. Oktober 2020
© LWL-Museum für Archäologie | Peter Jülich
Die Corona-Pandemie brachte zunächst das gesellschaftliche Leben zum Stillstand, die Kultur und mit ihr die Museen schlossen ihre Tore für das Publikum. Für eine auf Öffentlichkeit ausgerichtete Gesellschaft eine mehr als ungewöhnliche Situation und dementsprechend wurde nach Alternativen gesucht, um weiterhin Resonanz in der Bevölkerung zu erzeugen. Schnell, manchmal zu schnell erfolgte ein Umstieg auf bereits vertraute digitale Mittel. Die Haltung gegenüber dem Digitalen blieb dabei häufig dieselbe. Es handele sich vorrangig um ein Hilfsmittel während der Schließung und um eine Überbrückung, bis man endlich wieder Publikum in den Häusern empfangen
Doreen Mölders: Neuer Wein in alten Schläuchen?
könne. Dass eine bloße Überführung analoger Programme in den virtuellen Raum nicht die Lösung sein kann, wurde bald deutlich. Zu sehr waren das institutionelle Mindset und auch die vorhandenen Techniken noch an den analogen Raum gebunden, als dass man hier hätte schnell umschalten können. Um zu verstehen, wo die Herausforderungen der Etablierung einer Kultur der Digitalität liegen, ist zumindest ein kursorischer Blick in die Geschichte der Museumsvermittlung sinnvoll.
Vom Sammlungstempel zur »Vermittlungsmaschine« Die Geschichte der Museen ist auch eine Geschichte des Wandels. Ausgehend von den frühen Sammlungen des 15. bis 17. Jahrhunderts, die als Gelehrtenkabinette und höfische Schatzkammern angelegt waren, entwickelten sich Museen im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungstrends ab der Aufklärung und der französischen Revolution.3 Die Gründung einer neuen republikanischen Staatsform und die damit einhergehende Herausbildung eines souveränen Bürgertums verlangte ab 1800 nach entsprechenden Institutionen, die für die neue bürgerliche Schicht auch zugänglich sein mussten. Museen wurden neben Schulen und Universitäten in diesem Schritt zu wichtigen »Erziehungsanstalten«.4 Während die Kunstmuseen die ästhetische Reifebildung durch Kontemplation fördern sollten, zielten die ersten Vermittlungskonzepte in Wissensausstellungen (z.B. historische, archäologische, ethnologische) auf die Etablierung nationaler Diskurse einerseits, andererseits auf die Bildung einer neuen Klasse, der Arbeiter*innen und Angestellten, die im Angestelltenverhältnis Freizeit hatten und diese gestalten wollten. Am Beispiel archäologischer Museen ist mehrfach der Dienst der Museen an der Etablierung der Nationaldiskurse, die in den 1930er Jahren ihren Höhepunkt erreichten, erörtert worden.5 Was danach folgte, ist auch bekannt: in der Nachkriegszeit zogen sich die Ausstellungsmacher*innen, aus Ermangelung alternativer Narrative, auf das vermeintlich unverfängliche Objekt zurück und befreiten die Ausstellungen weitgehend von allen
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Grundlegend und ausführlicher zum »Ursprung des Museums« und seine weitere Entwicklung: Pomian 1998, Thiemeyer 2018, insbesondere 31–61, Fliedl 2016 und Baur 2013. Thiemeyer 2018, 51. Vgl. unter anderem Rieckhoff 2019 und Schöbel 2016.
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Informationsträgern. Mit Rückgriff auf das Konzept der Aura sollte das anschaubare Objekt in enzyklopädischer Aufstellung innerhalb einer ästhetisch neutralen und minimalistischen Umgebung Wirkung auf die Betrachter*innen erzielen. Ähnlich den Kunstausstellungen sollte für das Publikum die Sicht auf das Objekt freigehalten werden. Jedoch erzielte dieser puristische Kanon bei nur wenigen Museumsgänger*innen Resonanz und zunehmend gerieten die Wissensmuseen in die Kritik der Bildungspolitik, die die Förderung der Öffentlichkeitsarbeit empfahl. Mit der einprägsamen Formel »Lernort contra Musentempel« von Ellen Spickernagel und Birgitte Walbe schlug der Diskurs in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wieder in sein Gegenteil um.6 In der Bildungswissenschaft erfolgte im Anschluss an konstruktivistische Ansätze zugleich die wissenschaftliche Entzauberung der Aura.7 Die Konsequenz daraus war ein disruptiver Wandel vom AUFstellen hin zum AUSstellen, vom Ausstellungsobjekt als Wirkungsobjekt hin zur Narration als Methode zur Herstellung eines Sinnzusammenhangs und der Szenografie als deren Form. Der Erfolg gab der Kehrtwende recht! Seit den 1980er Jahren erleben Museen einen regelrechten Boom und eine ständige Erweiterung ihres Publikums. Dies hat nicht zuletzt auch den Hintergrund, dass Museen sich vermehrt nicht nur als Bildungs- sondern auch als Erlebnisorte begreifen und entsprechende Angebote anbieten. Ganz im Sinne einer spätmodernen Gesellschaft, die unter anderem auf Unterhaltung ausgelegt ist, sind dies unter vorrangig Ausstellungen, die spektakulär und zunehmend ohne Originale wie eine Unterhaltungsshow gestaltet sind. Digitale Medien tragen hierzu nicht unerheblich bei. Medientische, Hörstationen, Lichteffekte, Multimediaguides sind seit den späten 1990er Jahren fester Bestandteil des didaktischen Repertoires. Hierzu gehört auch, dass Museen seit dem Web 2.0 und der Herausbildung der Social Media in stetig wachsender Zahl auch online präsent sind. Allerdings nicht ohne Widerstand, vor allem aus den eigenen Reihen. Als Argument gegen Digitalisierung und Virtualisierung von Museen wird das Konzept der Authentizität bemüht. Schließlich sei es das originale Sammlungs- und Ausstellungsobjekt, das die museale von allen anderen Formen der Wissensvermittlung unterscheidet und das in geradezu magischer Art und Weise Wirkung auf die Betrachter*innen habe. Nur: Forschungen zur objektbezogenen Authentizität widersprechen dieser Argumentation.8 6 7 8
Spickernagel/Walbe 1976. Vgl. Weindl 2019, 19–22. Hampp/Schwan 2017, 90.
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Stattdessen zeigen sie, dass zeitgenössische Authentizitätsvorstellungen unseren Blick auf die Objekte verstellen und dass authentische Objekte für Museumsbesucher*innen eine geringere Rolle zu spielen scheinen, als häufig angenommen wird. Eine weitere empirische Studie belegt, dass sich die Objektauthentizität nicht auf das Interesse der Besucher*innen auswirkt, sich mehr oder weniger mit einem Objekt zu beschäftigen. Daraus schließt Roman Weindl, dass Objektauthentizität eine soziale Erwartungshaltung ist; eine für Wissensmuseen nicht unerhebliche Erkenntnis.9 Denn, wenn nicht das Objekt an sich, sondern seine »Bedeutung für mich«10 Interesse auslöst, sind damit weitreichende Konsequenzen für die Digitalisierung verbunden, vor allem dann, wenn man digitale Formate als eigene museale Kategorie mit ihren eigenen Bedingungen, Chancen und Herausforderungen begreift. Dass Digitalisierung nicht bedeuten kann, analoge Museumsangebote eins zu eins in den virtuellen Raum zu überführen, war eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Museen während der Coronapandemie hatten. Sie sind aus Experimenten, aus Fehlern und aus Sichtbarkeit geboren. Und das ist das zweite Learning aus der Pandemiezeit: Digitalisierung ist nur mit einem digitalen Mindset zu haben. Dies schließt mit ein, dass sich die Entwicklung digitaler Formate an den späteren Nutzer*innen orientiert. Um allerdings die Nutzer*innenbedarfe zu ermitteln, sind co-kreative Workshops und iterative Arbeitsweisen mit Feedbackschleifen notwendig. Grundvoraussetzung hierfür wiederum sind Transparenz, arbeiten in Querschnittsteams, flache Hierarchien und die ständige Weiterentwicklung von Angeboten aus der Praxis heraus.
Digitalisierung heißt, in der Praxis zu lernen Wie bereits dargestellt ist Digitalisierung für Museen kein neues Format. Je nach personellen und finanziellen Kapazitäten wird seit mehr als zwanzig Jahren mit digitalen Mitteln in Ausstellungen gearbeitet, seit den 2000er Jahren sind auch Onlineauftritte keine Seltenheit mehr. Interessant ist allerdings, dass digitale Ausstellungsmedien prinzipiell als Vermittlungsinstrumente gelten, auch, weil sie aus einem gesteigerten Vermittlungsanspruch hervorgegangen sind, wohingegen der Onlinebereich und hier vor allem die Social 9 10
Weindl 2019, 244. Burmeister 2018, 102.
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Media noch immer den Ruf besitzen, Teil des Marketings zu sein. Diese ungleiche Bedeutungszuweisung erklärt sich teilweise aus der skizzierten Museumsgeschichte, teilweise aus kulturpolitischen Maßgaben, denn bis zur Corona-Pandemie zählte das digitale Publikum nicht und was nicht zählt, ist nicht vorhanden. Erst die Abfrage des digitalen Publikums macht aus dem bisherigen Niemand, Nobody, Nichts, eine*n ernst zu nehmende*n Akteur*in, dessen*deren Bedürfnisse und Interessen wertgeschätzt werden müssen.11 Dieser Schritt könnte für die Museumslandschaft zur nachhaltigsten Veränderung werden, die mit der Pandemie in Verbindung zu bringen ist.12 Denn: online sind nicht unbedingt Größe und Ressourcen entscheidend für einen Erfolg. Im Grunde kann, wer sich einen Account zulegt, mit der Arbeit beginnen, die vielmehr nach Kreativität und Gestaltungsfreiraum verlangt als nach institutioneller Bereichsstruktur. Das führt nun dazu, dass die großen und meist auch besucher*innenstärksten Häuser online nicht zwangsläufig die erfolgreichsten sind. Kleinere Häuser haben durch flachere Strukturen mitunter mehr Handlungsspielräume und können schneller auf neue Entwicklungen reagieren. Das zahlt sich online durchaus aus. Dieser Erfahrung folgt zudem die Erkenntnis, dass Digitalisierung nicht mit einem »Weiter so« in lediglich neuer Form zu haben ist. Vielmehr sollte Digitalisierung mit einem grundlegenden Wandel verbunden sein. Ein erster Schritt ist die Anerkennung, dass Angebote im Netz nicht als bloße Verlängerung physischer Ausstellungen, sondern als eigenständige museale Formate verstanden werden sollten. Diese benötigen nicht nur eine ihrem Medium entsprechende Technik, sondern auch die Einstellung von dezidiert für den Umgang mit digitalen Medien qualifiziertem Personal und die Etablierung von Arbeitsweisen, die einer Kultur der Digitalität entsprechen. Hierzu gehört die Hinwendung zu kollaborativen, experimentellen und nutzer*innenorientierten, iterativen Entwicklungsprozessen, die tatsächlich die bereits von Spickernagel und Walbe geforderte Abkehr von der »Tempelhaftigkeit« des Museums hin zu einer sozialen Netzwerkstruktur bedeuten, die dem Informationszeitalter inhärent ist.13 Dass die Praxis für einen solchen Veränderungsprozess der*die beste Lehrmeister*in ist, diese Erfahrung hat das LWL-Museum für
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Erstmals erfolgte vom Institut für Museumsforschungen für das Jahr 2020 eine Abfrage der digitalen Besucher*innen. Zur Frage nach der Besucher*innen-Zählung vgl. Mölders 2021. Niewerth 2018, 399–400.
Doreen Mölders: Neuer Wein in alten Schläuchen?
Archäologie in der Coronapandemie gemacht. In einem experimentellen Setting ist unter anderem ein Vermittlungsformat entstanden, dass die Vorteile des Digitalen in die Konzeptionsarbeit dezidiert einbezieht, mehr noch, das das Publikum zu Co-Entwickler*innen für das Angebot macht. Aufgabe war, ein attraktives Format zu entwickeln, das eine Vernetzung herstellt zwischen dem realen Museumsraum mit seinem durch Corona in den privaten Raum zurückgezogenen Publikum. Im Gegensatz zu Videos, 360°-Rundgängen und virtuellen Ausstellungen, stand die direkte Anrede und die Gleichzeitigkeit von Absender*in und Empfänger*in im Fokus des Vermittlungsanspruchs. Entstanden ist das Angebot einer Onlineführung live, die als Videokonferenzformat diesem Anspruch gerecht wird.14
Abb. 2: Equipment für online-Führungen des LWL-Museums für Archäologie
© LWL-Museum für Archäologie
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Siehe Lagers/Mölders 2020.
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Die weiteren Potentiale dieser Anwendungen sind allerdings erst während der Entwicklung sichtbar und erfahrbar geworden. Beispielweise lassen sich einzelne Bereiche der Ausstellung aus bis dahin ungekannten Perspektiven darstellen und über Bild- und Videotools lassen sich ergänzende digitale Inhalte wie Filme, interaktive Karten, 3D-Darstellungen etc. einblenden (Abb. 2). Auch die Kommunikation mit dem Publikum ist möglich, sowohl mündlich als auch schriftlich über die Chatfunktion. Die Möglichkeit der globalen Vernetzung erlaubt zudem einen sekundenschnellen Ortswechsel, der physisch nicht möglich ist. So ist die zeitgleiche Verbindung zwischen verschiedenen Museen, Archiven, Bibliotheken und anderen Kulturinstitutionen per Knopfdruck und damit die Erweiterung des Wissensraums buchstäblich möglich. Bei diesen Vorteilen fragt man sich, warum es überhaupt erst einer Krise wie Corona bedurfte, um ein solches Angebot zu entwickeln?
Abb. 3: Iterativer Entwicklungsprozess für digitale Anwendungen im Nutzer*innen im Verbundprojekt »Museum als CoLabor. Öffne die Blackbox Archäologie!« des LWLMuseums für Archäologie, des LWL-Römermuseums Haltern am See und des Deutschen Bergbau-Museums Bochum unterstützt von NEEEU Spaces GmbH und gefördert von der Kulturstftung des Bundes im Programm Kultur Digital
Inzwischen, d.h. auch nach der Wiedereröffnung der Museen, stellen die Liveonlineführungen im LWL-Museum für Archäologie ein gleichberechtigtes museumspädagogisches Angebot neben den analogen Formaten dar. Aus der Krise geboren zu sein berechtigt also nicht dazu, etwas als Krisenformat zu bezeichnen. Ganz im Gegenteil! Es handelt sich hierbei eher um neue Kompetenzen, die einen Blick in die Zukunft des postdigitalen Museums erlauben.
Doreen Mölders: Neuer Wein in alten Schläuchen?
Erstmals ist es eben nicht neuer Wein in alten Schläuchen, sondern es entstehen Formate, denen die digitale Logik inhärent ist. Hierzu gehört, dass die Nutzer*innen in den Entwicklungsprozess eingebunden und die Anwendungen anhand von Feedback stetig weiterentwickelt werden. Im Fall der Liveonlineführungen wurde dies durch Befragung der Teilnehmenden eingelöst und die Statements für die Verbesserung berücksichtigt. Das Verbundprojekt »Museum als CoLabor: Öffne die Blackbox Archäologie« geht noch einen Schritt weiter und bindet das Publikum direkt in den Entwicklungsprozess ein.15 Nutzer*innen nehmen an co-kreativen Ideenworkshops teil, geben Feedback, stimmen ab und bringen ihr Knowhow zur digitalen Mechanik ein. Das Produkt wird schrittwiese entwickelt, d.h. die Entwicklung erfolgt von der ersten Idee, über die Gestaltung von Prototypen bis zur Umsetzung und darüber hinaus in Schleifen, in denen immer wieder die Erfahrungen und Bedürfnisse der Rezipient*innen eingepflegt werden (Abb. 3). Diese Arbeitsweise ist kein Garant für einen Erfolg, aber Museen lernen ihre avisierten Zielgruppen kennen und lernen zu verstehen, was Digitalisierung vor allem für die Digital Natives bedeutet. Sie erfahren, welche Nischen sich im WWW für Kulturvermittlung ergeben könnten, in diesem nicht mehr zu überblickenden Pool an Angeboten, die um die Gunst des Publikums buhlen. Diese veränderte Akteurskonstellation ist wohl eine gemeinschaftliche Erfahrung, die in Zeiten von Corona zunächst mit Schrecken, letztendlich aber auch mit Gewinn gemacht worden ist. Und sie zeigt deutlich, dass die »Magie des Museums«16 nicht im virtuellen endet. Vielmehr öffnen sich Museen durch Digitalisierung einer Gesellschaft, die bereits zum Großteil als mediale Praxis verfasst ist, und sich ständig verändern wird. Dr. Doreen Mölders leitet das LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Kultur und Digitalität sowie Agilität in der Kultur.
Literatur Joachim Baur, Was ist ein Museum? Vier Umkreisungen eines widerspenstigen Gegenstands. In: Joachim Baur (Hg.), Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes (20132 ) 15–48. 15 16
Siehe Ellwart/Mölders i. Vorb. Niewerth 2018, 408.
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Stefan Burmeister, Der schöne Schein. Aura und Authentizität im Museum. In: Martin Fitzenreiter (Hg.), Authentizität. Artefakt und Versprechen in der Archäologie. Internet-beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie 15, 2014, 99–108. Anika Ellwart/Doreen Mölders, Vom Ausstellungstempel zum Co-Labor: Agiles Management in der Museumsarbeit. In: Katharina Friesen/Henning Moor, Agiles Managment in der Museumsarbeit i. Vorb. Gottfried Fliedl, Das Museum im 19. Jahrhundert. In: Markus Walz (Hg.), Handbuch Museum (Stuttgart 2016) 47–52. Constanze Hampp/Stephan Schwan, Authentizität in der Wahrnehmung und Bewertung von Museumsobjekten. Ergebnisse empirischer Besucherstudien aus dem Deutschen Museum in München. In: Thomas Eser/Michael Farrenkopf/Dominik Kimmel/Archim Saupe/Ursula Warnke (Hg.), Authentisierung im Museum. Ein Werkstatt-Bericht. (Heidelberg 2017) 89–100. Simone Kahlow, Die Pest als Interpretationsproblem mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Massengräber. Archäologische Informationen 30, 2007, 97–104. Marcel Keller, Von der Seuchengeschichte der Pest zu einer Naturgeschichte ihres Erregers. Neue Einblicke durch alte DANN. In: LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum (Hg.), Pest! Eine Spurensuche (Darmstadt 2019) 30–47. Michael Lagers/Doreen Mölders, Aus der Krise geboren – neue Online-Vermittlungsformate des LWL-Museums für Archäologie. Archäologie in Westfalen-Lippe 2020, 104–106. Doreen Mölders, 1, 2, 3 – Wer zählt? Kultur Management Network Magazin Juni 2021, 20–25. Dennis Niewerth, Dinge – Nutzer – Netze: Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen (Bielefeld 2018). Krzysztof Pomian, Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln (Berlin 1998). Sabine Rieckhoff, Identitätsfindung – Ideologisierung – Kapitalisierung. Theorien und Konzepte archäologischer Museen in Deutschland. In: Peter C. Ramsl/Katharina Rebay-Salisbury/Peter Trebsche (Hg.), Schichtengeschichten: Festschrift für Otto H. Urban (Bonn 2019) 47–62. Gunther Schöbel, Regionale und zentrale Ausstellungen in Baden und Württemberg während der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Plattform. Jahrbuch des Vereins für Pfahlbau und Heimatkunde e. V. 23/24, 2014/15, 49–71.
Doreen Mölders: Neuer Wein in alten Schläuchen?
Ellen Spickernagel/Birgitte Walbe, Das Museum, Lernort contra Musentempel (Gießen 1976). Thomas Thiemeyer, Geschichte im Museum. Theorie – Praxis – Berufsfelder (Tübingen 2018). Roman Weindl, Die »Aura« des Originals im Museum. Über den Zusammenhang von Authentizität und Besucherinteresse (Bielefeld 2019).
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Das agile Museum Kontingenz- und Transformationsfähigkeit als neue Kernkompetenzen Claudia Emmert
Museen im Shutdown Geschlossene Türen, leere Eingangshallen, dunkle Ausstellungsräume, abgesagte Veranstaltungen: Es herrscht Stille. Die Pandemie hinderte Museen nicht nur daran, das zu sein, was sie immer schon waren: Orte des Sammelns, Bewahrens, Ausstellens, Vermittelns und Erforschens. Sie hinderte sie auch daran, das zu sein, was als zentrale neue Weiterentwicklung der Institutionen gilt: soziale Plätze der Begegnung und des Austauschs, sogenannte »Third Places«. Dieser Begriff geht auf den 1932 geborenen Soziologen Ray Oldenburg zurück. Das Zuhause bezeichnete er als den »ersten Ort«. Ihm folgt der Arbeitsplatz als »zweiter Ort«. Unter der Bezeichnung »dritte Orte« fasst er die Räume zusammen, in denen die Menschen gerne ihre Freizeit verbringen: Oldenburg meinte damit zunächst unter anderem Kneipen oder Vereine. Denn hier treten soziale Unterschiede in den Hintergrund: An der Theke oder im Fußballstadion sind alle gleich – oder zumindest keinen Hierarchien unterworfen wie am Arbeitsplatz oder in Behörden. Seit einigen Jahren nehmen progressive Museen diesen Begriff für sich in Anspruch: Warum sollten sie nicht auch Freiräume sein, in denen eine diverse Gesellschaft über sich und die Fragen der Gegenwart nachdenken kann? Gerade heute sind Museen und andere Bildungseinrichtungen für die Demokratie und das Funktionieren unserer Gesellschaft besonders wichtig. Doch als die Museen auf behördliche Anordnung viele Monate schließen mussten, war dies plötzlich unmöglich geworden. Ein Schock, auf den schon bald ein zweiter folgte: Teile der Politik wie der Öffentlichkeit stellten das Selbstverständnis
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der Museen, ein wesentlicher Grundpfeiler der Gesellschaft zu sein, in Frage. Gleich zu Beginn der Pandemie als »verzichtbares Freizeitvergnügen« eingestuft, galten sie in der Folge als »nicht systemrelevant«. Die Verbände protestierten: Man leiste wichtige und gesellschaftlich notwendige Bildungsarbeit. Doch einige Regierungsvertreter*innen schoben diesen Einwand mit Befremden beiseite. Es war unübersehbar, dass die Museen ihre gesellschaftliche Relevanz erneut unter Beweis stellen mussten. Dieser Realitätsschock bewirkte, dass sich die Institutionen in den letzten zwei Jahren schneller und wahrnehmbarerer verändert haben, als in den 20 Jahren davor.
Die Herausforderung Spätestens seit dem zweiten Lockdown war allen bewusst, dass Corona nicht ein Ereignis von wenigen Monaten sein würde. Die Pandemie zog sich länger hin und veränderte unsere Welt tiefgreifender, als wir gedacht hatten. Und da ein »Zurück« immer unwahrscheinlicher wurde, galt es das »Vorwärts« aktiv zu gestalten. Der Realitätsschock in den Museen löste vor allem im Bereich der Digitalisierung einen beispiellosen Innovationsschub aus: Sammlungsdigitalisierungen wurden ebenso vorangetrieben wie zunächst vor allem die Übertragung analoger Formate ins Digitale: Über die kommerziellen Plattformen des Internets wurden zahllose Vorträge und Symposien, Workshops und Führungen zugänglich gemacht. Das Positive an dieser Entwicklung war eine neue Transparenz: Viele Häuser ergriffen die Chance, zeigten ihre Depots, übertrugen Restaurierungen live und machten viele Arbeitsbereiche sichtbar, die zuvor im Hintergrund geblieben waren. Doch das war erst der Anfang. Der Lockdown wurde zum Katalysator für eine immer stärkere gesellschaftliche Wirkung des Museums in den virtuellen Raum hinein. Was anfangs noch als Notlösung erschien, mit der man wohl oder übel die Zeit bis zur zurückkehrenden Normalität überbrücken konnte, erwies sich für viele innovations- und veränderungsfähige Häuser schnell als die Entdeckung eines bereichernden dialogischen Aktionsraums. In der Folge entspann sich unter diesen Museen ein fruchtbarer Wettbewerb um die »besten« innovativen digitalen Projekte. Das Zeppelin Museum stellte sich die zentrale Frage, wie eine »Kultur der Digitalität« dazu beitragen könnte, Gemeinschaftlichkeit erlebbar zu machen,
Claudia Emmert: Das agile Museum
wie Interessierte in die Diskurse unseres Museums einbezogen werden können. Die noch nicht eröffnete Ausstellung Beyond States. Über die Grenzen von Staatlichkeit, die sich mit den Themen Staatsgebiet, Staatsbürgerschaft und Staatsgewalt befasste, war tagesaktuell geworden – und bot mit ihrem unmittelbaren Anschluss an die Lebenswelt der Menschen ein gutes Experimentierfeld. Während des ersten Lockdowns hatte das Zeppelin Museum das debatorial® entwickelt: Eine partizipativ angelegte Online-Diskursplattform. Über Kommentarfunktionen, animierte Karten, Quizformate und Umfragen lädt sie zur Mitsprache über die Themen des Museums ein. Das unterscheidet diese Plattform von vielen anderen: Sie war der erste Baustein in unserem Prozess, das Verhältnis zwischen der Institution und ihren Besucher*innen zu vertiefen. Wir entschieden uns, die Themen der Ausstellung Beyond States auf dieser Plattform zu vermitteln, mit Podiumsdiskussionen, Erläuterungen, Vorträgen und Führungen. Sämtliche Formate waren dabei diskursiv angelegt: Jede*r konnte sich einbringen, mit Fragen, Kommentaren und Hinweisen. Wichtig war uns, mit dem debatorial® eine neue digitale Präsenz des Museums zu etablieren, die unabhängig von kommerziellen Anbieter*innen als Diskursraum funktioniert, auch wenn wir alle Live-Events zusätzlich über deren Kanäle streamten. Wir wollten einen alternativen Ort des Austauschs schaffen. Dies gelang zunächst nur schleppend. Mitten im zweiten Lockdown eröffneten wir dann die analoge Museumsschau Beyond States, allerdings ohne analoges Publikum. Hier führten wir den Ansatz der Partizipation konsequent fort, indem wir das Konzept einer digitalen und auf Beteiligung angelegten Vernissage entwickelten, das die Teilnehmer*innen nicht in Akteur*innen und Publikum unterschied, sondern auf Dialog setzte: Die Kurator*innen kommunizierten nicht einfach ihr Wissen, sondern antworteten vor allem auf die Fragen der Community. Die Aufzeichnung dieser live übertragenen Feier haben inzwischen fast 2.000 Menschen angeschaut. Sie hatte auch Auswirkungen auf das debatorial®: Fanden von September 2020 bis Januar 2021 nur knapp 10.000 Interessierte den Weg auf die Plattform, steigerte sich die Zahl der User*innen bis September 2021 auf über 60.000.
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Ein neues Selbstverständnis Als die Corona-Pandemie die Entwicklung eines neuen digitalen Aktionsraums für Museen beschleunigte, befanden sich die Institutionen bereits in einem gravierenden Veränderungsprozess. Dies wurde 2019 auf der Generalkonferenz des Museumsrats ICOM in Kyoto besonders deutlich: Es entbrannte eine Diskussion um eine neue Museumsdefinition, die vom internationalen ICOM-Komitee »Museum Definition, Prospects and Potentials« (MDPP) unter der Leitung der dänischen Direktorin Jette Sandahl erarbeitet worden war und die bisherige Definition deutlich erweiterte. Dieser neue Vorschlag beschrieb das Museum nicht einfach als das, was es ist, sondern als das, was es darüber hinaus sein sollte. Warum, könnte man fragen, sollte eine Definition nicht auch ein Ziel beschreiben, das es noch zu erreichen gilt? Muss eine Entwicklung nicht zuerst gedacht und formuliert werden, bevor sie Realität werden kann? Ich möchte Jette Sandahl und dem MDPP-Team daher vollständig zustimmen. Die bisherige Fassung einer Museumsdefinition, auf die sich ICOM international 2007 geeinigt hatte, ist aus meiner Sicht nicht mehr zeitgemäß. Museen müssen sich heute in einer von Konflikten geprägten und polarisierten Gesellschaft vielen neuen Themen stellen, die ihnen ein anderes Selbstverständnis abverlangen. Die Museumsdefinition von 2007 wird diesen Anforderungen nicht mehr gerecht; sie muss erweitert und geschärft werden. Der neue Definitionsvorschlag fordert von den Museen eine klare gesellschaftspolitische Positionierung, eine inhaltliche Orientierung an den Fragen und Herausforderungen der Gegenwart und die Entwicklung einer Zukunftsperspektive, die Handlungsräume sichtbar macht. Dies alles in »aktiver Partnerschaft mit und für diverse Gemeinschaften (…) mit dem Ziel, zur Menschenwürde und sozialen Gerechtigkeit, zur globalen Gleichheit und zum planetarischen Wohlergehen beizutragen«.1 Was hier festgeschrieben werden soll, ist nichts weniger als die Entwicklung eines neuen Leitbilds, verbunden mit neuen Strategien und neuen Narrativen. Welche Aspekte könnten das Museum der Zukunft prägen, um den Ansprüchen einer sich stetig verändernden Gesellschaft gerecht zu werden und dafür zu sorgen, dass die Institutionen nicht Gefahr laufen, den gesellschaftlichen Anschluss zu verlieren? 1
Quelle: https://icom.museum/en/news/icom-announces-the-alternative-museum-de finition-that-will-be-subject-to-a-vote/, zuletzt abgerufen am 31.7.2021
Claudia Emmert: Das agile Museum
Fünf Ansätze für das Museum der Zukunft Neue kulturelle Infrastrukturen Die Digitalisierung eröffnet innovative Möglichkeiten der Kooperation. Museen, Theater, Universitäten, Literaturhäuser oder andere Institutionen können sich weltweit zu digital vernetzten Forschungs- und Ausstellungsprojekten zusammenschließen und so neue kulturelle Infrastrukturen erproben. Ein Zusammenwirken verschiedener Akteur*innen erweitert nicht nur das Spektrum kultureller Angebote und Perspektiven. Es erweitert auch das Feld interdisziplinärer Forschung. Das Zeppelin Museum wagt in diesem Bereich einen Vorstoß: Auf unsere Initiative hin haben sich bundesweit 10 Institutionen unterschiedlicher Sparten, sieben Museen, ein Theater und zwei Universitäten, zu dem Projekt »Mining. Abbau der Zukunft« zusammengeschlossen, um den Umgang mit globalen Ressourcen aus unterschiedlichen Perspektiven kritisch zu beleuchten. In kulturellen Tandems werden einzelne Schwerpunkte interdisziplinär vertieft. Die Forschungsergebnisse münden in Ausstellungen und Sammlungspräsentationen sowie in einem Theaterprojekt. Sie werden in einem gemeinsamen, partizipativ angelegten digitalen Diskursraum gebündelt und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Auf diese Weise entsteht ein »transdiciplinary intellectual outreach«, der nicht nur größere Zielgruppen erreicht, sondern auch neue Formen der Rezeption entstehen lässt. Der digitale Handlungsraum schafft wegweisende wissenschaftliche und partizipative Möglichkeiten, da er die Grenzen zwischen den kulturellen Disziplinen, zwischen kleinen und großen Häusern schleifen, »kulturinterne« Hierarchien abbauen und die lebensweltlichen Verarbeitungsstrategien gleichberechtigt mit wissenschaftlichen Analysen berücksichtigen kann. Partnerschaftliche Kooperationsplattformen dieser Art können darüber hinaus den Leihverkehr eindämmen und das Format Ausstellung verändern.
Fokus auf Themen und Interessen Welche Themen werden die Museen der Zukunft aufgreifen? Das haben künftig nicht mehr nur Direktor*innen und Kurator*innen in der Hand. Die Entscheidung darüber wird zunehmend von der Gesellschaft mitbestimmt werden. Es gilt, in Zusammenarbeit mit einer diversen und internationalen Stadtund Landgemeinschaft Fragestellungen zu entwickeln und Orientierung zu
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bieten. War es noch vor Corona angezeigt, die Gegenwart ins Museum zu holen, wird es heute zunehmend auch darum gehen müssen, die Zukunft in alternativen Möglichkeiten zu imaginieren und so Gestaltungsspielräume bzw. Handlungsmöglichkeiten auszuloten. Das Zeppelin Museum richtet seine großen gesellschaftspolitischen Ausstellungen konsequent daran aus, von historischen oder gegenwärtigen Ereignissen in utopische Zukünfte zu springen. Gerade die modernen Utopien haben eine wichtige Funktion in unserer Zeit der Transformation und des Wandels. Denn als gesellschaftskritische Wunschbilder können sie wichtige Brücken bauen. Bereits Ernst Bloch prägte den Ausdruck der »konkreten Utopie«. Diese beschreibe keine Hirngespinste, sondern konkrete Ziele, um mit dem »überlegten Utopismus« das »Real-Mögliche« der nahen Zukunft zu erfassen.2 Jonas Staal, der beispielsweise in unserer Ausstellung »Beyond States« mit dem »New World-Summit« vertreten ist, in dem er staatenlosen Gemeinschaften alternative Parlamente u.a. in Rojava und in Brüssel erbaute, betont, »dass Utopie kein Nicht-Ort ist, sondern der Raum zwischen dem Realen und dem Möglichen.«3 Partizipative Strukturen wie Bürger*innenbeteiligungen, etwa im Open Space im K 20 in Düsseldorf und im Japanischen Palais in Dresden, oder partizipative Formate wie das debatorial® des Zeppelin Museums oder die Plattform für Co-Kuration und Co-Kreation, nextmuseum.io, die vom Museum Ulm und dem NRW-Forum in Düsseldorf konzipiert wurde, gibt es bereits. Sie werden aber wichtiger werden, wenn es um Inhalte und Ziele geht. Als Konsequenz werden Sonder- und Dauerausstellungen nicht mehr ausschließlich Forschungsergebnisse präsentieren, sondern Denkanstöße geben, die partizipativ-demokratische Prozesse auslösen können, deren Ergebnisse wiederum in sich kontinuierlich verändernde Museumspräsentationen einfließen werden.
Das neue lokal ist global Diese Entwicklungen werden die Museen stärker an ihr regionales Publikum binden, das längst international und divers geprägt ist. Globale Entwicklungen
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Zitiert nach: Tobi Rosswog und Helen Britt: Wenn Utopie konkret wird. In: Sozial-ökologische Utopien. Diesseits oder jenseits von Wachstum und Kapitalismus? Hg.v. Benjamin Görgen und Björn Wendt, oekom Verlag, München 2020, S. 231. Jonas Staal: Zwischen den Welten. In: Utopia. Weltentwürfe und Möglichkeitsräume in der Kunst. Kunstforum International, Bd. 275, Juni-Juli 2021, S. 188.
Claudia Emmert: Das agile Museum
bestimmen das Leben vor Ort mindestens ebenso stark wie lokale oder regionale Geschehen. Die Pandemie hat das deutlich gezeigt. Die globale Welt ist heute in jedem Dorf angekommen. Eine Neujustierung der Zielgruppendefinition ist daher bereits in vollem Gange. Der Tate Modern in London kommt mit dem Tate Exchange-Programme eine Vorreiterrolle zu. Um die diversen Communities des Viertels an das Haus zu binden, wurden Co-Creation-Places geschaffen, wo zu Fragestellungen aus der Community, zu Ausstellungen oder der Sammlung gearbeitet werden kann: »We ask, in conversation with the public, ›how can art make a difference to people’s lives and society?‹ We cocreate a space where answers to this can be explored and new perspectives on living proposed, through making, playing, talking, reflecting and discovering. With art as the starting point, we engage with social and participatory, collaborative and co-produced creative and discursive activity.«4 Die Nachbar*innen als Sparringspartner*innen auf Augenhöhe und Partizipation als Strategie des Community-Buildings. Wenn Museen soziale dynamische Räume werden möchten, muss auch über die Gestaltung von Eintrittspreisen und Öffnungszeiten nachgedacht werden, um den Besucher*innen optimale Voraussetzungen dafür zu schaffen, sich aktiv und kreativ einbringen und ihre Potentiale ausschöpfen zu können. Die Herausforderung wird sein, die Beteiligung der Öffentlichkeit zu einem selbstverständlichen Teil der Museumsarbeit zu entwickeln, vergleichbar dem Gemeinschaftsprojekt Wikipedia, das sich zur größten demokratischen Wissensplattform entwickelt hat.
Die (Dauer-)Ausstellung als Aneignungsraum Der Anspruch, Museen als Aneignungsräume erfahrbar zu machen, ist kein neuer. Aber im Augenblick stehen die Chancen dafür, dass dies gelingen kann, so gut wie nie. Denn während der langen Phase des Homeoffice haben sich »First Place« und »Second Place« immer mehr überlagert. Der Shutdown hat dazu beigetragen, den »Third Place« perspektivisch aufzuwerten. Somit kommt dem »dritten Ort«, an dem man sich jenseits von Wohnung oder Büro aufhält, eine neue und größere Bedeutung zu.
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Quelle: www.caracourage.net/tate-exchange, zuletzt abgerufen am 17.8.2021.
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Voraussetzung für eine erfolgreiche Positionierung der Museen in diesem Bereich ist es, die Ausstellungsräume selbst als Plätze des Verweilens zu denken. Denn Aneignungsorte sollten nicht, wie bereits in einigen Häusern erprobt, außerhalb der eigentlichen Ausstellungen liegen, sondern inmitten der Exponate. Als weitgehend konsumfreie Räume mit besonderer, progressiver und nachhaltiger Aufmerksamkeitsökonomie. Das Zeppelin Museum wird dies mit dem Projekt »Kunst und Literatur am Bodensee« erproben. Eine Ausstellung als Wohnzimmer, die mit Sesseln und Möbeln, Büchern und Bildern zum Verweilen einlädt. Eine Eintrittskarte, die mehrfachen Reentry ermöglicht, dazu kostenlos ausgegebene personalisierbare Lesezeichen, die man in den Büchern hinterlassen kann, um beim nächsten Besuch einfach weiterzulesen. Im Shop können kostengünstig Museumshausschuhe erworben werden, mit denen man durch die Ausstellung gehen kann, ganz gemütlich, wie einst zuhause, bevor dort das Homeoffice einzog. Mit denselben Ansprüchen sollten die digitalen Präsenzen der Museen gestaltet werden. Die Frage wird sein: Wie müssen diese digitalen Räume neu gedacht werden, damit sie dazu einladen, zu verweilen und an den jeweiligen Diskursen teilzunehmen? Oder besser noch: Wie kann eine möglichst breite Öffentlichkeit dazu gebracht werden, an der Gestaltung dieser noch zu entwickelnden Präsenzen mitzuwirken?
Agilität des Museums In einer Zeit schneller gesellschaftlicher Veränderungen, wird die Agilität eines Hauses zum wesentlichen Erfolgskriterium. Um agil und konzeptionell flexibel zu sein, müssen Museen hemmende Hierarchien abbauen und Querschnittsteams bilden, die das Denken und Handeln in homogenen Fachgruppen hinter sich lassen. Nur in diversen und transdisziplinären Gemeinschaften können neue museale Formate erprobt und wegweisende Impulse gesetzt werden. Ein agiles Museum kann über pointierte Themen gesellschaftlich wirksame Wahrnehmungs- und Denkimpulse erzeugen. Die Relevanz dieses Impulsgebens kann selbst die Bedeutung von Sammlungsobjekten in den Hintergrund treten lassen. Paul Spies, Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin, hat das in seiner Ausstellung »Berlin Global« im Humboldt-Forum beispielgebend vorexerziert: Die Schau versteht sich als Plattform, die auf aktuelle Themen sowie über partizipative Stationen auf die Beteiligung der Besucher*innen setzt und über weite Strecken auf museale Exponate, wie wir sie aus herkömmlichen Stadtmuseen kennen, verzichtet.
Claudia Emmert: Das agile Museum
Um diese Entwicklungen weiterzudenken und experimentell weiterzuentwickeln, sind Enthierarchisierungen auf sämtlichen Ebenen notwendig: zwischen den Institutionen, in den Institutionen und in den Beziehungen zu einem Publikum, das Interaktion und Partizipation einfordert.
Wie weiter? Corona hat die Gesellschaft verändert. Und die veränderte Gesellschaft fordert veränderte Museen. Bei der Frage nach dem »Wie« befinden wir uns in einem offenen Prozess, an dem schon jetzt viele mitwirken: Der Staat, die Länder, Städte und Kommunen, die Museen und die Gesellschaft, jede*r Einzelne. Die Vorstellung, dass Veränderungen als zeitlich befristete Prozesse gemanagt werden müssen, ist obsolet. »Change« bezeichnet eben keine zeitlich begrenzte Phase. Der Blick in die Zukunft muss vielmehr ständig neu justiert werden, denn: »es könnte auch anders sein, es könnte auch anders werden.« Insofern werden Kontingenz- und Transformationsfähigkeit zu zentralen Kernkompetenzen der Museen. Claudia Emmert ist Direktorin des Zeppelin Museums Friedrichshafen, einem Haus für Technik und Kunst, das mit interdisziplinären Ausstellungen zentrale Fragen unserer Zeit aufgreift.
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Corona hat die Museen verändert – für immer? Joachim Breuninger
Mehr als ein Jahr Corona-Pandemie liegt hinter uns. Die Museen in Deutschland waren über Monate geschlossen und fanden sich in einer Situation wieder, die niemand so vorhergesehen hatte. Die Museen haben diese Krise aber nicht in Schockstarre über sich ergehen lassen. Für viele Einrichtungen bedeutete die Krise einen massiven Modernisierungsschub. Die Museen begannen, ihr Selbstverständnis zu hinterfragen, und vor allem ihre Rolle in der Welt der Digitalisierung neu zu definieren. Standen Museen vor Corona den neuen Möglichkeiten der digitalen Welt teils skeptisch bis ablehnend gegenüber, war nun über Monate der virtuelle Raum die einzige Möglichkeit, überhaupt noch Besucher*innen zu empfangen und Begegnungen der Mitarbeiter*innen der Museen zu ermöglichen. Interessant wird es nun sein, zu sehen, welche dieser neuen Formate auch in einer Nach-Coronazeit bestehen bleiben, welche tatsächlich vielleicht sogar einen Mehrwert bieten können zu dem bisherigen Museumserlebnis und den bisherigen Arbeitsabläufen und welche Angebote mit dem Öffnen der Museen tatsächlich wieder überflüssig werden.
Neue digitale Angebote für die Besucher*innen Der Museumsbetrieb wird sich durch die Pandemie nachhaltig verändern. Viele Museen, auch das Deutsche Technikmuseum, waren gezwungen, ein Onlineticket zu etablieren. Lange diskutiert, musste diese Lösung nun »über Nacht« eingeführt werden. Zukünftig wollen wir dreiviertel aller Eintrittskarten online verkaufen und haben als Konsequenz daraus schon heute die Zahl der Kassenplätze deutlich reduziert. In der Zeit der Schließung hat das Museum viele Onlineformate entwickelt. Onlineführungen, Mitmachwerkstätten, »digitale Klassenzimmer«, vie-
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le dieser Angebote wurden teilweise rege von unseren digitalen Besucher*innen genutzt. Auch hier steht schon fest, dass viele dieser Angebote weitergeführt werden. Eine Rückkehr in den vor-pandemischen Zustand, in dem analoge und digitale Welt getrennt waren, wäre anachronistisch. Die Erwartungshaltung unserer Besucher*innen hat sich mit der Erfahrung der Coronazeit verändert. Hybride Veranstaltungsformen werden heute oftmals erwartet und werden in Zukunft das neue Normal sein. Ein Beispiel ist das neue Programm »Digitales Klassenzimmer« des »Junior Campus« (Kooperation mit der BMW Group), das im September 2021 startet. Das Programm kombiniert digitale und analoge Vermittlungsmethoden. Schulklassen führen mittels eines vom Museum zur Verfügung gestellten Materialkoffers und vorbereitenden Anleitungen Messungen und Experimente durch und diskutieren ihre Ergebnisse dann in einer Live-Schaltung mit den Pädagog*innen des Junior Campus. Das Angebot wird die Reichweite des Deutschen Technikmuseums deutlich über die Klassenräume Berlins hinaus erweitern, da dieses digitale Angebot, anders als das analoge, theoretisch von jeder Schulklasse in ganz Deutschland unkompliziert genutzt werden kann. Im Juni ist das neue Angebot kids.digilab.berlin (gefördert durch die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie) gestartet. In verschiedenen Workshops können Kinder ab 3 Jahren erfahren, dass digitale Technologien von Menschen erschaffen und gestaltet werden. Es lädt ein zu einer Zeitreise in die Vergangenheit der Technik und zur Diskussion über unsere gemeinsame Zukunft. Das kids.digilab.berlin unterstützt Kinder dabei, sich digitale Phänomene selbstständig zu erschließen, eigene Problemlösungsstrategien zu entwickeln und die digitale Zukunft mitzugestalten. Neue Arbeitsanforderungen für die Belegschaft des Museums Das Deutsche Technikmuseum befand sich schon vor der Coronapandemie in einem grundlegenden Innovationsprozess. Dabei zielte das Gros der bereits vor der Krise eingeleiteten Digitalisierungsmaßnahmen eher auf die internen Abläufe. Digitale Workflows, ein Intranet als Informationsbörse für alle Mitarbeiter*innen oder etwa die digitale Zeiterfassung waren Dinge, die auch ohne Corona-Krise umgesetzt worden wären. Der erste Lockdown beschleunigte diese Entwicklung massiv, da nun das mobile Arbeiten im Mittelpunkt stand. Plötzlich waren VPN-Tunnel wichtig, mobile digitale Endgeräte für viele Mitarbeiter*innen mussten beschafft werden und binnen weniger Wochen war die bisher auf Büros ausgerichtete Institution fähig, auch aus den Wohnungen ihrer Belegschaft heraus, weiter zu funktionieren.
Joachim Breuninger: Corona hat die Museen verändert – für immer?
Anfangs ungewohnte Videokonferenzformate wurden schnell das neue Normal und viele Mitarbeiter*innen berichteten, dass ihre Produktivität im »Homeoffice« gefühlt deutlich höher lag. Die manchmal als behäbig wahrgenommene Institution Museum hatte sich, was die Arbeitsformen angeht, quasi über Nacht in einen agilen Arbeitgeber verwandelt, bei dem es keine Rolle mehr spielte, wann und wo die eigentliche Arbeit erledigt wurde. Der Traum der »Digital Natives«, das Büro immer dabei zu haben, schien erfüllt zu sein. Gleichzeitig berichteten viele Mitarbeiter*innen aber auch, dass ihnen die sozialen Kontakte massiv fehlten und die schnelle Abfolge von Videokonferenzen zu bisher nicht gekannten Erschöpfungszuständen führte, von den verspannten Nackenmuskeln Vieler einmal ganz zu schweigen.
Auf dem Weg zu einem »analog-digitalen Normal« in der Museumsarbeit Die Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin will viele dieser neuen Arbeitsformen in die Nach-Coronazeit hinübernehmen. Ziel ist es, als Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst attraktiv zu bleiben und dem Wunsch nach flexibleren Arbeitsmodellen vieler, vor allem junger Mitarbeiter*innen, nachzukommen. Wir sehen für die Zukunft einen Mix aus Online- und Präsenzbesprechungen, mobilem Arbeiten und Arbeiten im Büro. Die Pandemie hat insbesondere klargemacht, dass es mit den heutigen technischen Möglichkeiten nicht mehr notwendig ist, wegen einer Besprechung durch das halbe Land zu reisen. Wir gehen davon aus, dass zukünftig viele Dienstreisen durch Videokonferenzen überflüssig gemacht werden. Gremiensitzungen oder Vortragsveranstaltungen und Konferenzen werden zukünftig hybrid angeboten werden (müssen). Die Möglichkeit, »mal eben« an einer Konferenz am eigenen Bildschirm teilnehmen zu können, hat sich in der Pandemie als großer Vorteil erweisen. So diskutieren Museumsverbände bereits, bestimmte Konferenzen auch zukünftig digital hybrid abzuhalten. Die Reichweite solcher Veranstaltungen kann dadurch stark ansteigen. Probleme in der Terminfindung vor allem von Gremien mit internationaler Besetzung können einfacher zu lösen sein, wenn Gremienmitglieder online an einer Hybridsitzung teilnehmen können. Hier wird sich ein neues analogdigitales Normal entwickeln, das noch vor Monaten in weiter Ferne schien.
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Die Pandemie hat aber auch gezeigt, dass ein kompletter Umstieg in eine digitale Arbeitswelt mit vielen Verlusten einhergeht. Gerade die zwischenmenschlichen Kontakte, die Warm-Up-Phase vor einer Besprechung, das persönliche Gespräch im Nachgang, fehlen in der Regel bei digitalen Formaten. Vielleicht muss sich auch im digitalen Raum erst noch eine Kultur des Miteinanders entwickeln, wahrscheinlich wird aber genau wegen dieser Defizite das Treffen in Präsenz auch weiterhin einen hohen Stellenwert haben. Die Pandemie wird die Museen und ihre Arbeit grundlegend und langfristig verändern. Wir alle haben unsere digitalen Skills in der Krise, ob gewollt oder ungewollt, deutlich verbessert und werden diese auch einer Welt nach Corona weiter nutzen. Es wird spannend sein zu sehen, zu welchen neuen Vermittlungsangeboten und Arbeitsformen dies führen wird. Joachim Breuninger ist seit August 2020 Direktor und Vorstand der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin. Vorher war er 10 Jahre Direktor des Verkehrsmuseums Dresden.
Nicht nur in der Krise Neue digitale Angebote im Historischen Museum Bielefeld Maren-Sophie Fünderich
Seit mehr als einem Jahr ist das Bielefelder Kulturleben durch die Corona-Pandemie massiv gestört. Auch das Historische Museum Bielefeld, das größte und wichtigste Geschichtsmuseum in Ostwestfalen-Lippe, konnte wegen der wochenlangen Schließungen im Frühjahr 2020 und im Herbst/Winter 2020/21 nicht alle geplanten Ausstellungen zeigen und war in Sammlungstätigkeit und Vermittlungsarbeit stark eingeschränkt. Von Anfang an war klar, dass das Museum weiterhin präsent und sichtbar bleiben muss. Ganz bewusst hat sich das Haus nach einer kurzen Besprechung im Team dem internationalen Hashtag #culturedoesntstop angeschlossen. Es ging also nicht nur um #MuseumfromHome, sondern vielmehr um einen erweiterten Kulturbegriff. Die Stimme der Kultur sollte weiterhin in der Öffentlichkeit zu hören sein. Eine digitale Strategie ist notwendig.1 Gleich nach Beginn des Lockdowns im Frühjahr wurde ein vielseitiges Programm entwickelt und umgesetzt, beispielsweise Online-Führungen im LiveStream, Online-Objektgeschichten und der Malwettbewerb für Kinder und Jugendliche. In der Bielefelder Museumslandschaft hat das Historische Museum als eines der ersten Häuser ein Onlineprogramm für seine Besucherinnen und Besucher entwickelt. Mit diesem Programm möchte es für sein Publikum da sein, auch wenn es nicht kommen kann – das Museum »kommt nach Hause«. Das 1
Vgl. Wilhelm Stratmann: Das Historische Museum Bielefeld – ein Haus wird neu aufgestellt. Die Vorgeschichte, in: Ravensberger Blätter 2 (2019), S. 1–10, hier: S. 10.; Vgl. Online-Frühjahrstagung des Deutschen Museumsbundes 2021 zum Thema »Digitale Sammlungsarbeit. Das Museum im Wandel« (2.-5.5.2021). Internet: https://www.mus eumsbund.de/aktuelles/jahrestagung/(letzter Zugriff: 11.7.2021).
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Museum versteht sich als ein Ort der Begegnung und des Austausches, daher ist ihm der Dialog mit den Besucher*innen besonders wichtig. Bereits zu Beginn des Lockdowns im Frühjahr 2020 hat das Historische Museum ein Paper2 veröffentlicht, denn durch Corona wurden zwei »alte« Fragen neu gestellt: Wo sind die Adressat*innen? Und wer sind sie? Die kulturelle Öffentlichkeit war zwar ausgesperrt, aber virtuelle Welten holen sie ins Museum zurück. Das Virus und der Lockdown lösen das Publikum aus seinem lokalen Bezug und verändern es. Durch eine »unbegrenzte, ortlose Öffentlichkeit«3 , wie es die französische Historikerin Arlette Farge 1992 formuliert hat, entstehen neue Formen der Rezeption. Von einer »Ferngesellschaft«4 spricht der Medientheoretiker Peter Weibel in seinem Essay Virus, Viralität, Virtualität. Dem Museum verhilft eine Kultur der Digitalität zu einer neuen Rolle. Es verlegt seine Präsentationen und Angebote in den virtuellen Raum und bekommt von überallher Rückmeldungen von Zuschauer*innen, die sich äußern, mitreden und mitgestalten wollen. Sie bringen sich bei Online-Führungen mit LiveChats als kulturelle Akteur*innen ein, können aber auch Vorschläge für neue Themen machen. Damit wird in einem Perspektivwechsel, wie der Kulturwissenschaftler Christian Holst in seinem Aufsatz Zur digitalen Transformation des Kulturbetriebs erläutert, die klassische Angebotsorientierung kultureller Institutionen um eine neue Nachfrageorientierung ergänzt.5 Das Museum ist also nicht mehr bloß Produzent kultureller Angebote, sondern wird auch zum 2
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Vgl. Maren-Sophie Fünderich: Das Museum und der Shutdown. Umdenken, neudenken, weiterdenken (2020). Internet: https://www.historisches-museum-bielefeld.de/ 2020/04/15/das-museum-und-der-shutdown-umdenken-neudenken-weiterdenken/ (letzter Zugriff: 16.7.2021). Farge, Arlette: Dire et mal dire. L´opinion publique au XVIIIe siècle, Paris 1992, zit. in: Kernbauer, Eva: Das Publikum in der kunsttheoretischen Tradition. Wege zur Öffentlichkeit (und zurück), in: Kammerer, Dietmar: Vom Publicum. Das Öffentliche in der Kunst, Bielefeld 2010, S. 49–71, hier: S. 53. Weibel, Peter: Virus, Viralität, Virtualität: Wie gerade die erste Ferngesellschaft der Menschheitsgeschichte entsteht. Internet: https://zkm.de/de/virus-viralitaet-virtualit aet (Zugriff: 14.3.2021). Holst, Christian: »Hello, we’re from the internet«. Zur digitalen Transformation des Kulturbetriebs (2019). Internet: https://www.kubi-online.de/artikel/hello-were-from-th e-internet-zur-digitalen-transformation-des-kulturbetriebs (Zugriff: 14.3.2021); Vgl. auch: Holst, Christian: Kultur im Shutdown. Teil 1: Digitales Exil oder zweite Heimat? (2019). Internet: https://christianholst.de/2020/03/23/kultur-im-shutdown-teil1-digitales-exil-oder-neue-heimat/(Zugriff: 14.3.2021); Vgl. auch: Holst, Christian: Kultur im Shutdown. Teil 2: Was reimt sich auf Corona? (2019). Internet: https://christian
Maren-Sophie Fünderich: Nicht nur in der Krise
Moderator. Durch die größere virtuelle Reichweite bekommt es viel stärker als vorher Impulse und Anregungen von außen, die das Museum jetzt in seine Arbeit einbeziehen und auch gemeinsam mit Nutzer*innen umsetzen kann.
Beispiele der entwickelten Onlineangebote Die Corona-Krise hat im Historischen Museum dazu geführt, dass schon frühzeitig eine Vielzahl an Onlineangeboten entstanden ist: Onlineführungen im Livestream, Onlineobjektgeschichten und der Malwettbewerb für Kinder und Jugendliche »Wie wünschst du dir deine Welt«. Später kamen noch zwei Programmpunkte hinzu: ein Sammlungsaufruf für Objekte aus der Corona-Krise und das Videoformat »Lesegeschichten«. In Kooperation mit zwei Schauspieler*innen und einem Bielefelder Kinderbuchladen entstanden inszenierte Lesungen mit Musik und Gesang, in denen gut recherchierte und liebevoll gestaltete Kinder- und Jugendbücher zu Geschichtsthemen vorgestellt wurden. Die Onlineführungen mit einer Länge von etwa 15–20 Minuten fanden zweimal in der Woche statt und behandelten jeweils ein ausgewähltes Thema aus der Bielefelder Stadtgeschichte. Geführt wurden die Zuschauer*innen durch die Museumsleitung. Im Anschluss an die Führung konnten im Chat Fragen gestellt werden. Die Online-Objektgeschichten als weiteres digitales Format von 5–10 Minuten Länge waren nicht live. Vorgestellt wurde jeweils ein Objekt mit einer interessanten Geschichte. Führungen und Objektgeschichten sind weiterhin auf der Homepage zu finden. So ist das Angebot nachhaltig abrufbar. Während des Lockdowns im Herbst und Winter 2020/21 wurde das digitale Angebot modifiziert und erweitert. Für Familien mit Kindern von 8–14 Jahren gibt es jetzt eine digitale Erlebnistour zum Arbeitsalltag vor 150 Jahren in der Ravensberger Spinnerei, dem heutigen Sitz der Volkshochschule in unmittelbarer Nähe des Historischen Museums. Es handelt sich dabei um ein Gemeinschaftsprojekt mit dem benachbarten kunstgewerblichen Museum Huelsmann, zu dem die ehemalige Direktorenvilla der Spinnerei gehört. Die Erlebnistour ist auf der BIPARCOURS-App zu finden,6 einem Angebot von
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holst.de/2020/04/05/kultur-im-shutdown-teil-2-was-reimt-sich-auf-corona/ (Zugriff: 14.3.2021). Vgl. Erlebnistour: Ravensberger Park. Internet: https://biparcours.de/bound/ravensbe rgerpark (letzter Zugriff: 15.7.2021).
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Bildungspartner NRW an schulische und außerschulische Lernorte. Außerdem wurden für Grundschulklassen zwei digitale Kinderführungen zum Mittelalter erstellt und für das allgemeine Publikum virtuelle Rundgänge durch die vier Abteilungen des Museums, von der Stadtgründung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Schließlich wurde die laufende Sonderausstellung zu 125 Jahren Kinogeschichte in Bielefeld um digitale Angebote erweitert wie zum Beispiel einen virtuellen Rundgang durch die Ausstellung und Interviews mit Expert*innen zur aktuellen Entwicklung des Kinos.
Das Digitale als neue Aufgabe Die vielen neuen Onlineangebote führten dazu, dass das Museum viel stärker wahrgenommen und die Attraktivität erhöht wird. Aus Nutzer*innen können schließlich Besucher*innen werden. Damit bietet sich eine große Chance. Bisher dienten digitale Angebote vielfach dem Marketing, der Imagebildung oder der Bindung eines onlineaffinen jungen Publikums. Jetzt aber können digitale Angebote des Museums zu einer eigenständigen Säule im virtuellen Raum werden. Dabei hilft auch die Präsenz auf den Social-Media-Kanälen. Neben Instagram und Facebook hat das Historische Museum Bielefeld seit März 2020 auch einen Twitter-Account, auf dem bis zum Jahresende 2020 mehr als 143.000 Menschen aus ganz Deutschland erreicht wurden (gegenüber 61.000 bei Facebook).
Es braucht eine digitale Strategie für die Zukunft Der virtuelle Besuch im Museum wird dem analogen in Zukunft gleichgestellt sein. Das ist die wichtigste Veränderung, die sich für das Historische Museum Bielefeld aus der Corona-Pandemie ergibt. Was aus dem Stand heraus im Digitalen erreicht wurde, reicht aber nicht aus. Erforderlich ist eine digitale Strategie, die im Historischen Museum Bielefeld auch erarbeitet werden soll. Wenn das Digitale denselben Stellenwert bekommt wie das Analoge, dann betrifft das die gesamte Museumsarbeit. Bei allen Projekten müssen von Anfang an die Möglichkeiten des Digitalen in die institutionelle Planung einbezogen werden. Denn Erfahrungen anderer Häuser zeigen ja, dass digitale Tools nicht nur die Museumpädagogik verändern und erweitern, sondern alle Arbeitsstrukturen
Maren-Sophie Fünderich: Nicht nur in der Krise
und Projektabläufe betreffen.7 Eine digitale Strategie wird auch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen sein. Sie ist vielmehr ein fortlaufender Prozess, der nach festgelegten Regeln verläuft und vereinbarte Ziele verfolgt, aber auch flexibel genug für notwendige Anpassungen sein muss. So wichtig im Museumsalltag die Digitalität sein wird – sie ist kein Selbstzweck. Das Sammeln, Bewahren und Forschen sind nach wie vor die Kernaufgaben eines Museums – Forschung, Bildung und Vermittlung bleiben sein Auftrag. Denn ein Museum ist weit mehr als eine Datenbank. Es hat seine Sammlung nicht wahllos zusammengetragen. Alle Objekte stehen in einem spezifischen Bedeutungskontext, der sich aus dem Auftrag des Museums, seiner Ausrichtung und seiner Geschichte ableitet.8 Deshalb muss das Museum auch im Digitalen filtern, Ordnung schaffen und Bedeutung zuweisen, also kuratieren. Die Oberbegriffe dafür sind Datensammlung, Datenbewertung und Datenmanagement. Damit verändert sich aber die interne Organisation. Die gesamte inhaltliche Planung, die das Team entwickelt, sollte von vornherein die Digitalität miteinbeziehen und sich an diesen neuen Möglichkeiten ausrichten. Sie umfassen nicht nur die Homepage mit einer nach und nach erweiterten Onlinesammlung, sondern natürlich auch die sozialen Medien, die eine fortlaufende Kommunikationsbereitschaft einfordern. Sie schließen auch unterschiedliche Kulturportale ein und die übergreifende digitale Informationsinfrastruktur.9 Die Entscheidung, wo und wie ein Haus hier präsent sein will, ist eine Aufgabe für alle Abteilungen und setzt auf allen Ebenen des Museums eine Professionalisierung voraus. Das kann in Workshops geschehen, auf Tagungen oder durch anschauliche Best-Practice-Beispiele anderer Museen.10
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Vgl. Online-Frühjahrstagung des Deutschen Museumsbundes 2021 zum Thema »Digitale Sammlungsarbeit. Das Museum im Wandel« (wie Anm. 1). Vgl. Felix Stalder, Kultur der Digitalität, S. 114–116. Vgl. Christian Gries: Gut geplant ist halb gewonnen! Datenmanagement in der Digitalen Strategie am Landesmuseum Württemberg, DDB-Museumsworkshop BadenWürttemberg, 21. Juni 2021: https://pro.deutsche-digitale-bibliothek.de/downloads/p ublic/ddb-bw_20210621_3_gries.pdf (letzter Zugriff: 16.7.2021). Vgl. Anna Gnyp/Stefanie Götsch/Chiara Marchini/Christian Gries: Digital und zugänglich, aber wie? Ein Workshopbericht. LMW digital. Internet: https://blog.landesmuse um-stuttgart.de/digital-und-zugaenglich-aber-wie-ein-workshopbericht/(letzter Zugriff: 16.7.2021); Vgl. MFG Innovationsagentur Medien- und Kreativwirtschaft BadenWürttemberg (Hg.): Open Up! Museum. Wie sich Museen den neuen digitalen Herausforderungen stellen. Ein Leitfaden aus Baden-Württemberg, Stuttgart 2016. Inter-
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Aus Besucher*innen werden Nutzer*innen Digitalität meint nicht nur eine Bereitstellung von Inhalten im Netz, die vor allem solche Menschen anspricht, die sich schon mit den Angeboten des Museums auskennen und wissen, wonach sie suchen. Das Museum kann auch zu einem aktiven Kommunikationspartner werden. Dann wird es Menschen dabei unterstützen, die digitale Welt des Museums für sich zu erschließen. Diese neuen Zielgruppen werden über die digitalen Kanäle auf die analoge Welt im Museum aufmerksam, die sie eines Tages vielleicht mit eigenen Augen entdecken wollen. Es kann aber auch sein, dass das Museum im Netz auf ein Publikum trifft, das mit den digitalen Kanälen bestens vertraut ist und innovative Kreativität ausgerechnet von einem Haus erwartet, das sich hier noch am Anfang befindet. Vieles ist möglich, wenn aus Besucher*innen Nutzer*innen werden. Sie bringen eigene Themen ein, können entweder spielerisch oder wissenschaftlich mit Digitalisaten und born digital objects umgehen und auf diese Weise für sich individualisierte Erlebnisse schaffen.11 Auf jeden Fall erweitert Digitalität deutlich die Chancen für Partizipation und Feedbackkultur und stärkt das Museum als Ort des gesellschaftlichen Austausches.12 Dazu gehören im Übrigen auch Vermittlungsmethoden wie das Storytelling – digital und analog
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net: https://kreativ.mfg.de/files/03_MFG_Kreativ/PDF/180731-OpenUp-Museum-Leitf aden.pdf (letzter Zugriff: 10.7.2021). Vgl. Johannes C. Bernhardt: Digitale Nutzung weitergedacht (Vortrag auf der DMB Online-Frühjahrstagung des Deutschen Museumsbundes 2021 zum Thema »Digitale Sammlungsarbeit. Das Museum im Wandel« (2.-5.5.2021). Internet: https://www.mus eumsbund.de/aktuelles/jahrestagung/(letzter Zugriff: 11.7.2021); Vgl. https://youtu.b e/gduPbdXrodQ (letzter Zugriff: 11.7.2021). Vgl. Anja Piontek: Partizipative Ansätze in Museen und deren Bildungsarbeit (2016/2017), in: Kulturelle Bildung online. Internet: https://www.kubi-online.de/arti kel/partizipative-ansaetze-museen-deren-bildungsarbeit (letzter Zugriff: 12.7.2021); Vgl. Silke Krohn: Wir werden digitaler! Wie starten wir? Impulse zur Entwicklung von digitalen Vermittlungstools auf dem Weg in die Digitalität (17.3.2021). Internet: https://www.museum4punkt0.de/auf-den-punkt-gebracht-digitaler-werden-sch ritt-fuer-schritt/(letzter Zugriff: 12.7.2021); Vgl. Gabu Heindl: Das Museum der Zukunft als Zukunft aus urbanistischer Perspektive, in: Bott, Gerhard (Hg.): Das Museum der Zukunft. 43 Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums, Bielefeld 2020, S. 129–132, hier: S. 129.
Maren-Sophie Fünderich: Nicht nur in der Krise
– das abstrakte Informationen und Objekte in Geschichten und Erzählungen einbettet und dadurch verständlicher macht.13 Bevor das Museumsteam mit allen seinen Abteilungen eine digitale Strategie entwickelt, muss es eine interne Bestandsaufnahme vornehmen und Ziele formulieren, die Zusammensetzung seines Publikums untersuchen und neue Zielgruppen definieren, eine Evaluation festlegen und Zwischenergebnisse für mögliche Anpassungen vorsehen. Erst so wird eine digitale Strategie tragfähig. Das erfordert Kompetenzen, Zeit und auch ein Budget. Es reicht nicht aus, digitale Tools einfach einzusetzen. Man muss sie, da sie auch ständig weiterentwickelt werden, auch kontinuierlich begleiten. Außerdem sollte jedes Museum die Wirksamkeit dieser Tools beobachten und auf die angestrebten Ziele hin genauer analysieren können, um die digitale Strategie daraufhin anzupassen und zu überprüfen, welche neuen Erwartungen an das Museum gerichtet und auf welchen Kanälen bestimmte Zielgruppen erreicht werden.14 In einem ersten Schritt sind Zugriffszahlen auf Homepage und Social-Media-Kanäle zu ermitteln. Bei den Sozialen Medien müssen darüber hinaus Nutzer*innengruppen (Privatpersonen, Institutionen, z.B. Museen oder auch Vereine) und Nutzer*innenverhalten analysiert werden. Auch wenn eine digitale Strategie vieles in der gewohnten Organisation in Frage stellt, der Gewinn für die Museen liegt auf der Hand: Objekte aus der analogen Sammlung können zu Akteur*innen im Digitalen gemacht werden und damit für Bildung und Vermittlung neue Anstöße geben. Das ganze Museum kann offener, durchlässiger werden, wenn es einen digitalen Außenraum einrichtet, der unabhängig von den Öffnungszeiten einen Zugang ins Innere schafft.
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Vgl. Andrea Kramper: Storytelling für Museen. Herausforderungen und Chancen, Bielefeld 2017, S. 34–38; S. 90–92. Vgl. Martina Griesser-Stermschek, et al.: Das Museum der Zukunft, in: Bott, Gerhard (Hg.): Das Museum der Zukunft. 43 Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums, Bielefeld 2020, S. 17–31, hier: S. 23.
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Das Museum und seine Sammlung werden so wieder interessant und abwechslungsreich, auch für das Stammpublikum. Darüber hinaus können neue Zielgruppen erreicht werden. So steigert eine digitale Strategie weiter Sichtbarkeit, Attraktivität und Akzeptanz des Museums in Stadt und Region und erhöht seine Relevanz im Wettbewerb mit anderen Häusern. Maren-Sophie Fünderich forscht zur Kunst- und Wirtschaftsgeschichte des Wohnens und Einrichtens. Sie war wissenschaftliche Volontärin im Historischen Museum Bielefeld und Junior Fellow der Klassik Stiftung Weimar.
Aus der Krise in die Nachhaltigkeit Strukturstärkung für Museen als Pandemiefolge? Susanne Köstering
Museen in Deutschland und in der ganzen Welt waren durch das völlig unerwartete Auftreten der Pandemie mit einer bedrohlichen Krisensituation konfrontiert. Plötzlich erlebten sie monatelange Schließungsphasen. Es war nicht abzusehen, wann sie wieder öffnen dürften, wie sie bis dahin durch die Krise kommen würden und ob einzelne Museen oder gar die gesamte Museumslandschaft dauerhaft Schaden nehmen würde. Am Beispiel der Museen im Land Brandenburg soll der Versuch einer Zwischenbilanz gemacht werden (Stand: September 2021). Welche Folgen hat die Pandemie bis heute für Museen gehabt? Welche langfristigen Folgen könnte sie haben?
2020 Im Frühjahr 2020, als die erste Welle über das Land hinwegrollte und Museen von heute auf morgen den Besuchsverkehr einstellen mussten, wurden Befürchtungen laut, dass es zu massenhaften dauerhaften Museumsschließungen kommen werde. Die Einnahmeausfälle aufgrund von ausbleibenden Besuchen drohten tiefe Löcher in die Haushalte zu reißen. Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigungen von Museumspersonal standen als bedrohliche Kulissen im Raum. Ohne Vorbereitung wurden viele Mitarbeiter*innen ins Homeoffice geschickt (in Brandenburg 68 % der Beschäftigten), von wo aus sie ihre Aufgaben oft nur ansatzweise erledigen konnten. Dienstreisen waren nicht mehr erlaubt, Teambesprechungen konnten nur noch digital stattfinden. In der Rückschau beeindrucken die Schnelligkeit und der Pragmatismus, mit denen sich Museen auf diese neue Situation einstellten. In rasantem Tempo gewöhnten sie sich an digitale Konferenzen und waren erstaunt, wie leicht sie einerseits zu handhaben und wie anstrengend sie andererseits
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lange durchzuhalten waren. Die Aktivitäten der Museumsmitarbeiter*innen verlagerten sich gleichsam über Nacht auf Konzeptentwicklung, Sichtungsund Ordnungsarbeiten im Museum und in die digitale Welt mit ihren neuen Ausstellungen, Vermittlungsangeboten, Tutorials und Workshops, Videos, Podcasts und Social-Media-Kommunikationsplattformen. Abgeschnitten vom Besuchsverkehr widmeten sich viele Museumsmitarbeiter*innen mehr und intensiver denn je der Nachinventarisierung, der Erschließung, Ordnung und Digitalisierung in den Depots. Rasch wurden auch Hilfsprogramme aufgesetzt. Die für das Jahr 2020 aufgrund der temporären Schließungen zu erwartenden finanziellen Verluste konnten auf Basis der Besuchszahlen und Eintrittspreise hochgerechnet werden. Die brandenburgische Landesregierung diskutierte anfangs darüber, ob eine Kultur, die keine Angebote machen kann, finanziert werden muss, es setzte sich aber schnell – und nicht zuletzt wegen des entschiedenen Auftretens der Kulturministerin Manja Schüle – die Position durch, dass die seit 1990 mit viel Aufwand neugestaltete Kulturlandschaft aufrechterhalten werden muss. Projektfördergelder wurden wie geplant ausgezahlt, obwohl die Laufzeiten mancher Ausstellungen verkürzt wurden oder öffentliche Präsentationen später stattfanden als geplant. Mit großen Einrichtungen oder komplexen Organisationen wie den Schlösser- und Gedenkstättenstiftungen wurden außergewöhnliche Kompensationszahlungen vereinbart. Alle anderen Museen konnten Hilfszahlungen in Höhe der zu erwartenden Einnahmeausfälle beantragen. Die größte Bedeutung als Hilfsleistungsgeber hatte das Land Brandenburg (Kulturministerium und Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB)) mit 75 % gegenüber 21 % Bund (4 % andere). Dauerhafte Museumsschließungen konnten damit verhindert werden. Das gilt wohlgemerkt für ein Bundesland mit einer kleinteiligen, überwiegend öffentlich finanzierten Museumslandschaft. In der Krise zeigte sich: Museen können schnell und flexibel handeln, Hygienevorschriften sicher umsetzen, neue digitale Angebote erzeugen und verbreiten, substanzstärkende Arbeiten mit der Sammlung vertiefen. Von erheblicher Bedeutung dafür ist, wie gut sie miteinander vernetzt sind. Schnelle und klare, im Sachverhalt sichere Kommunikation durch den brandenburgischen Museumsverband war gefragt. Telefonkonferenzen des Kulturministeriums mit allen Kulturverbänden sorgten dafür, dass verlässliche Informationen unverzüglich in die gesamte Museumslandschaft weitergegeben wurden. Die Handreichungen zum Umgang mit Sars-Cov-2, die der brandenburgische
Susanne Köstering: Aus der Krise in die Nachhaltigkeit
Museumsverband schnell herausgab, wurden bundesweit und international aufgegriffen oder sogar übernommen.
2021 In der ersten Jahreshälfte 2021 kamen teilweise überraschende Erkenntnisse zutage: Ein Drittel der Museen, die 2020 finanzielle Einbußen erlitten hatten, beantragte keine Hilfsgelder, weil sich die Fehlbeträge gemessen an den Gesamthaushalten nicht gravierend auswirkten: Die Verluste unterschritten meistens die Summe von 10.000 Euro im Jahr. Aber dafür waren aus verschiedenen Hilfsfonds Mittel für Investitionen geflossen. Eine beeindruckende Zahl an baulichen Maßnahmen, unter anderem zur Verbesserung der Eingangsund Kassenbereiche, zur Belüftung oder zur räumlichen Vergrößerung wurde in kurzer Zeit geschultert. Förderprogramme für Digitalisierung machten virtuelle Ausstellungen, Rundgänge, Sammlungspräsentationen, Apps und VR-Projekte möglich. Streckenweise wurden erhebliche Teile der Museen gleichsam virtuell gedoppelt. So eine Entwicklung hatte man 2019 noch nicht ansatzweise erahnen können. In der Rückschau werden sich die Pandemiejahre 2020 und 2021 in dieser Hinsicht vielleicht sogar als Innovations- und Investitionsphase für brandenburgische Museen erweisen. Wenn sie Innovationen dauerhaft integrieren und für mehr Nachhaltigkeit der Museumsarbeit nutzen, können Museen sogar von der Krisenerfahrung profitieren. Auf der Ebene des Museumsbetriebs hat die Pandemie strukturelle Schwächen der Personalstruktur vieler Museen ans Licht gebracht. Vor allem wurde deutlich, dass es an Personal für die Erschließung der Sammlungen, für Inventarisierung und Forschung fehlt – Arbeiten, die während der Schließzeiten intensiviert werden konnten. Deutlich geworden ist auch, dass kleinteilige, nachhaltige Vermittlungsformate ohne zusätzliches Personal nicht angeboten werden können. Freiberufliche haben neue Chancen. Zwar hatten 45 % von ihnen während des ersten Pandemiejahrs Aufträge für brandenburgische Museen verloren. Inzwischen geben zwei Drittel der Museen aber an, dass sie im gleichen Maß wie früher mit freien Kräften zusammenarbeiten. Dazu muss aber gesagt werden, dass dies in Brandenburg ein recht geringes Maß ist. Das Homeoffice hat entgegen vielfach geäußerter Erwartungen seine schlagartig gewachsene Relevanz auf Dauer nicht halten können. Ein gewisser Zuwachs
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in Höhe von 13 % gegenüber 2019 ist zu konstatieren. Aber Museumsarbeit ist und bleibt maßgeblich Arbeit in Präsenz. Erfreulich ist, dass die Besuchszahlen in den Monaten, in denen Museen während des Sommers 2020 geöffnet sein durften, in ländlichen, touristisch attraktiven Regionen höher lagen als im Vergleichszeitraum 2019. Hier hatte die Pandemie den schon vorher zu beobachtenden Trend verstärkt, dass weniger Tourist*innengruppen kamen, aber mehr Individualbesucher*innen. Museen stellten ihre Programme auf kleinteilige Vermittlungs- und Veranstaltungsformate und höhere Selbstbetätigung der Besucher*innen um. Auf das ganze Jahr 2020 bezogen brach die Besuchszahl aber 2020 landesweit um zwei Drittel ein. Besonders die internationalen touristischen Destinationen wie zum Beispiel die Stadt Potsdam litten unter dem Ausbleiben Gruppenreisender. 2021 zeichnet sich jedoch ein Trend zur »Normalisierung« der Besuchszahlen ab, es können 60 % des Vor-Corona-Niveaus erwartet werden.
Ausblick Die Zwischenbilanz fällt demnach positiv aus. Die Pandemieerfahrung hat Museen im Land Brandenburg strukturell eher gestärkt als zurückgeworfen. Sie haben schnell mit Hygienemaßnahmen reagiert, sodass sie einen sicheren Museumsbesuch gewährleisten konnten und können. Drohende Einnahmeverluste wurden mit Hilfe des Landes Brandenburg ausgeglichen und darüber hinaus dank verschiedener Hilfsprogramme auf Bundesebene digital und analog in ihre Häuser und Angebote investiert. Sie haben Antragsfitness erlangt, Kompetenzen erweitert und an Selbstbewusstsein gewonnen. Museen haben den Übertritt in die digitale Welt geschafft, und erleben zugleich eine neue Wertschätzung der analogen Welt, mit ihrer Präsenz von Dingen und Menschen. Die echte Begegnung mit Kultur in attraktiven Räumen wird geschätzt wie nie zuvor. Museen haben sich insgesamt als resilient erwiesen. In eine Existenzkrise gerieten sie nicht. Ihre Anerkennung ist eher gestiegen, vor allem als Bildungsorte. In Brandenburg sind Museen und Gedenkstätten von 2G- und 3G-Vorschriften befreit, weil sie als feste Elemente der kulturellen Grundversorgung gelten. Diese Einschätzung wurde 2021 vom brandenburgischen Justizministerium in die Debatte über Sars-Cov-2-Umgangsverodnungen eingebracht. Jedes Mitglied der Gesellschaft soll ungeachtet des Impfstatus Museen besuchen
Susanne Köstering: Aus der Krise in die Nachhaltigkeit
dürfen. Museen garantieren die dafür notwendige Sicherheit. Museen haben sich in der Krise als DIE stabile Basis der Kulturlandschaft erwiesen. Umso mehr müssen sie strukturell gestärkt werden. Ihre Grundaufgaben müssen künftig besser abgesichert werden. Die substanzstärkende Arbeit in den Museen muss auch nach dem Abklingen der Pandemie stärker verankert und unterfüttert werden als bisher. Das betrifft in erster Linie Investitionen in die Personalentwicklung. Es kann auf Dauer nicht hingenommen werden, dass Museen erst durch einen pandemiebedingten Ausnahmezustand in die Lage versetzt werden, die Sammlungsarbeit zu leisten, zu der sie ohnehin verpflichtet sind. Vielleicht bietet die Arbeit mit den Sammlungen dank der digitalen Arbeitsmöglichkeiten auch Freien und Ehrenamtlichen neue Möglichkeiten. Die Zusammenarbeit mit freien Kräften hat sich nach einem krisenbedingten Tief wieder erholt. Hier müssen bestehende Partnerschaften gefestigt und neue aufgebaut werden. Vieles hängt vom Agieren der Museumsleitungen und ihrer Lobby in Museumsverbänden ab. Sie müssen sich aktiv einbringen: mit nachhaltigen Museumskonzeptionen, die auf Strukturstärkung zielen, mit Personalkonzeptionen, die Fachkräfte halten und gewinnen, mit Finanzierungskonzepten, die planbare Mittel für freie Projekte vorsehen, mit Initiativen für neue Formen der Bürgerbeteiligung, des Ehrenamts und der Kommunikation mit Politik und Öffentlichkeit: Museen sind als soziale Treffpunkte wichtiger denn je! Susanne Köstering unterstützt als Geschäftsführerin des Museumsverbandes Brandenburg Museen und deren Träger durch konzeptionelle Beratung, ein Weiterbildungs- und Tagungsprogramm, Netzwerke und Verbundprojekte. Als Historikerin forscht und publiziert sie zur Museumsgeschichte und Geschichte der Natur im 19. und 20. Jahrhundert.
Zahlen Museumsverband Brandenburg e.V., Folgen der Corona-Schließung 2020, August 2020: https://www.museen-brandenburg.de/fileadmin/Corona-Umf rage_2020_Auswertung_Web.pdf Museumsverband Brandenburg e.V., Folgen der Corona-Pandemie für die brandenburgischen Museen: Umfrage unter den Museen in Brandenburg Juni/Juli 2021: https://www.museen-brandenburg.de/fileadmin/CoronaUmfrage_2021_Auswertung_Web.pdf
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Über Chancen und Herausforderungen in der Krise David Vuillaume
Ich frage mich, soll ich über die Covid-Pandemie in der Vergangenheitsform schreiben? Die Krise liegt noch nicht hinter uns, sie wird uns vermutlich noch lange beschäftigen und auch die nächste Krise kommt bestimmt. Trotzdem spreche ich hier über die gemachten Erfahrungen zwischen 2020 und heute und verwende dementsprechend die Vergangenheitsform. So habe ich zumindest kurz das Gefühl, und vielleicht auch Sie, liebe Leser*innen, dass alles vorbei ist. Sich kurz zu belügen tut manchmal gut… Die Covid-Krise hat bestimmte Spannungsfelder innerhalb des Museumssektors in einer besonderen Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht und wichtige Fragestellungen wieder aktuell gemacht. Diese werden uns auch in Zukunft begleiten.
Was hält die Politik von den Museen? Richtig schmerzhaft war die Feststellung einer beträchtlichen Diskrepanz zwischen der Eigenwahrnehmung der Museen einerseits, was ihre gesellschaftspolitische Notwendigkeit anbelangt, insbesondere ihre Rolle als Bildungsinstitution, und andererseits der Wahrnehmung des Museumssektors von der Politik, gerade am Anfang der Krise, als vernachlässigbare Größe. Die mehr als 7.000 Museen, private wie öffentliche, kleine wie große, wurden während der Pandemie von vielen Parteien, Ministerpräsidierenden und dem Kanzleramt schlicht und einfach vergessen. Die Museen wurden im Bund-Länder-Beschluss vom Oktober 2020 nicht genannt, was zu großer Verwirrung führte. Mussten sie sofort wieder schließen oder durften sie offenbleiben? Auch in der Begründung des Bevölkerungsschutzgesetzes vom November 2020 wurde der Kultursektor nicht erwähnt. Dieser Umstand war unverständlich und galt als Weckruf an die Museen. Im Beschluss vom
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Februar 2021 wurden die Museen dann genannt – sogar Kanzlerin Merkel hat sie während der Pressekonferenz erwähnt – und eine erste Perspektive wurde aufgezeigt. Wir haben damit ein wichtiges Ziel erreicht. Bereits im November 2020, als die vom Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen die Museen zur erneuten Schließung zwangen, haben wir die schnellstmögliche Wiedereröffnung gefordert. Es brauchte Zeit und Ausdauer, bis unsere Argumente von den politischen Entscheidungsträger*innen und den Medien substanziell wahrgenommen wurden. Museen im Dienst der Pandemiebekämpfung? Unerwartet waren die Reaktionen von wenigen, aber lauten Museumsmitarbeitenden, vor allem in den Sozialen Medien, die mit den Forderungen des Deutschen Museumsbundes, die Museen so rasch wie möglich wieder zu öffnen, nicht einverstanden waren. Zu keiner Zeit bestand die ernste Gefahr, dass sich die Museumswelt dabei in zwei unversöhnlichen Gruppen dividiert hätte. Es war jedoch interessant, dieses Spannungsfeld zu beobachten. Auf der einen Seite wurden Museen als aktive Unterstützende einer Null-Covid-Strategie gesehen, verbunden mit dem geforderten Beitrag der maximalen Reduzierung sozialer Kontakte. Auf der anderen Seite wollten wir, und das gilt immer noch, die Museen nur in Ausnahmefällen schließen, da wir sie als unersetzliche Bildungsinstitutionen sahen, ebenso als Orte für geistige Erholung und Inspiration, die genau in Krisenzeiten notwendig sind. Gesundheit hat selbstverständlich die oberste Priorität, diesem Grundsatz schließt sich der Deutsche Museumsbund an. Museen stellen jedoch keine Orte mit erhöhtem Infektionsrisiko dar und haben strenge Hygiene- und Abstandsregeln umgesetzt, bereits vor den ersten Einschränkungen des sozialen Lebens. In Italien, Spanien, Österreich, Polen, Luxemburg, Belgien, in der Schweiz und weiteren Ländern blieben die Museen geöffnet und dies führte nicht zu höheren Infektionszahlen, was von der Politik dort erkannt wurde. Museen können bei einer schrittweisen Rückkehr zum normalen Alltag eine zentrale Rolle spielen. Sie bieten Anregungen, Austausch und geistige Erholung. Gerade ältere und von der Pandemie besonders betroffene Menschen können in Museen einen wichtigen Teil ihres Alltags wiedergewinnen. Oder vor dem Hintergrund der zunehmenden psychischen Belastung und Vereinsamung, kann der Museumsbesuch ein wichtiger Lichtblick sein, der Halt und Hoffnung gibt. Museen sind wichtige Erlebnis- und Bildungsorte, die für eine positive gesellschaftliche Entwicklung unerlässlich sind. In einer Zeit, in der vielen Kindern und Jugendlichen drohte, den Anschluss zu Schule und zum formellen
David Vuillaume: Über Chancen und Herausforderungen in der Krise
Bildungssystem zu verlieren, sind die Museen mit ihren informellen Bildungsangeboten unverzichtbar. Zwar besucht ein Großteil der Bevölkerung keine Museen, das bedeutet jedoch nicht, dass diese für diese Menschen nicht relevant sind. Museen gehören zur öffentlichen Infrastruktur, die den Menschen gehört und ihnen zur Verfügung steht. Wir müssen – im Normalfall – nicht ständig ins Krankenhaus, wir wissen jedoch, dass uns dieses zur Verfügung steht. Museen bieten der Bevölkerung nicht-kommerzielle Orte der Bildung und Begegnung in Bezug auf Kunst, Kultur, Geschichte, Naturkunde und Technik. Es ist ein einzigartiges Angebot.
Werden Museen »richtig« hybrid? Am erfreulichsten war die schnelle, unkomplizierte und flexible Reaktion der Museen zu Beginn der Krise im digitalen Bereich mit Onlineangeboten. Viele Institutionen haben, sobald sie ihre Tore schließen mussten, sofort den Kontakt mit den Besucher*innen online gepflegt. Am Anfang gab es improvisierte Führungen in menschenleeren Räumen mit einem wackligen Mobiltelefon. Inzwischen, dank unterschiedlichen öffentlichen Notfallförderprogrammen, ist die Bandbreite an digitalen Angeboten exponentiell gewachsen. Die Komplementarität zwischen Online- und Präsenzerfahrungen, mit und in den Museen, könnte zum Spannungsfeld werden, wenn zukünftige, mögliche Etatkürzungen die Museen dazu zwingen würden, die einen oder anderen Angebote zu reduzieren. Der Deutsche Museumsbund beschäftigt sich intensiv mit digitalen Themen. Wir sind überzeugt, dass der digitale Wandel den Museen und ihren Trägern zahlreiche Chancen bietet. Das betrifft die interne Arbeitsweise und Organisation ebenso, wie die Ansprache des Publikums und die Vermittlung musealer Inhalte. Die Digitalität prägt das ganze Betriebssystem Museum in all seinen Bereichen und verändert es. Analoge und digitale Instrumente sind kaum mehr zu trennen. Was das reine Publikumsangebot anbelangt, kann ich mir gut vorstellen, dass nach der Krise die körperliche Erfahrung von Museumsräumen und das soziale und emotionale Erlebnis vor Ort wieder in den Vordergrund rücken wird. Das ist verständlich. Museen wollen endlich wieder Menschen analog empfangen und die Besuchenden wollen wieder hinein. Unabhängig davon glaube ich, dass die Verflechtung von digitalen und analogen Aktivitäten einen unaufhaltsamen Prozess darstellt.
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Wie behandeln wir unsere Mitarbeitenden? Ende 2019 hat der Deutsche Museumsbund eine Liste von über 50 Berufsbildern erstellt, die die Vielfalt der Funktionen innerhalb eines Museums abbilden. Viele davon sind nur mit oder von freiberuflich oder selbstständig Beschäftigten realisierbar. Die Covidkrise hat eine Kluft zwischen sicheren Arbeitsplätzen und prekären Anstellungsbedingungen innerhalb der Institution Museum aufgedeckt. Nicht selten waren die als essenziell präsentierte Funktionen (Bildung, Empfang, Ausstellungsbau) diejenigen, die am meisten unter der Schließung zu leiden hatten. In der Regel ist es zwar einfacher, die Probleme zu benennen als zu lösen, aber die Krise hat zumindest dieses Ungleichgewicht ans Tageslicht gebracht und das Bewusstsein gestärkt, dass alle Akteur*innen in der Museumswelt eine besondere Wertschätzung genießen müssen
Wie wichtig ist ein Museumsverband? Die Krise hat darüber hinaus gezeigt, wie notwendig Verbände sind. Der Deutsche Museumsbund als bundesweiter Verband der Museen und Museumsfachleute, beobachtete nicht nur die Entwicklung des Sektors, sondern stellte Museen praktische Instrumente, Informationen und Empfehlungen zur Bewältigung der Krise zur Verfügung. Wir haben den Museen in Deutschland in enger Zusammenarbeit mit den Museumsämtern und -verbänden der Länder eine starke öffentliche Stimme gegeben, und haben noch nie in der Geschichte des Museumsbundes so intensive Kontakte mit Politiker*innen gepflegt. Insgesamt kann ich behaupten, dass wir dazu beigetragen haben, den Museen Mut zu machen, zuversichtlich durch die Krise zu gehen und die Bedürfnisse und auch die Stärken der Museumslandschaft bei Entscheidungsträger*innen in Erinnerung zu rufen. Der Deutsche Museumsbund begleitete die Museen mit Advocacy-Arbeit (um u.a. die Museen als Bildungsinstitutionen anerkennen zu lassen), mit Informationen (z.B. über die Fördermöglichkeiten durch das Programm Neustart Kultur) und mit praktischen Hilfen (wie z.B. die sehr gefragten Plakate zu Hygienemaßnahmen, die wir für die Museen vor dem ersten Lockdown entworfen haben). Was uns aktuell besonders beschäftigt, sind die Konsequenzen der Krise auf den öffentlichen Haushalt und die Auswirkungen auf die Museen.
David Vuillaume: Über Chancen und Herausforderungen in der Krise
Und was kommt nach der Krise? Nach der Krise wird es eine zentrale Diskussion geben, wie wir wieder Leben in die Städte und Gemeinden, in den öffentlichen Raum bringen, wie wir wieder eine lebendige Gemeinschaft fördern. Dabei spielen Museen eine zentrale Rolle. Wenn kommunale Träger bereits jetzt Spardebatten führen und erste Kulturetats gekürzt werden, dann ist das Sparen am falschen Ende. Die Museen müssen nicht nur in der Krise, sondern auch nach der Krise unterstützt und nicht durch Spardebatten und gekürzte Kulturetats zusätzlich gefährdet werden. Nach der Krise werden wir uns wieder verstärkt den Zielen widmen, die wir als prioritär betrachten und langfristig behandeln werden. Wir wollen eine Bildungsvision für den Museumssektor verwirklichen, die die Museumsund die Besucher*innenperspektiven stärker miteinander in Beziehung setzt. Wir wollen die Museen weiter motivieren, sich besucher*innenorientiert aufzustellen, um ihre Angebote auf die Bedürfnisse einer diversen Besucherschaft anzupassen. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass die Museen genügend Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, um die noch unzureichende Inventarisierung und Provenienzforschung durchführen zu können. Wir werden uns auch in Zukunft dafür einsetzen, dass professionelle Museumsarbeit eine angemessene Anerkennung erfährt. Dazu gehört insbesondere eine gerechte Bezahlung und passende Fortbildungsmaßnahmen für die sich im Wandel befindenden Museumsfunktionen. Zudem – die Liste ist lang – werden wir die bilateralen Beziehungen mit der Museumslandschaft unserer Nachbarländer stärker pflegen und schließlich werden wir uns mit den drei Aspekten der Nachhaltigkeit (Umweltschutz, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit) auseinandersetzen. Ja, wir haben ehrgeizige Ziele. Aber mit der Unterstützung der Museen und unseren Partner*innen wird unser Dachverband seinen Beitrag leisten. David Vuillaume ist Geschäftsführer des Deutschen Museumsbundes und Vorsitzender des Netzwerks Europäischer Museumsorganisationen NEMO. Sein Schwerpunkt liegt beim professionellen Verbandsmanagement.
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Anderthalb Jahre Krisenmodus Ein Blick auf die Schweizer Museen Katharina Korsunsky
Bern, 16. März 2020: Der Bundesrat erklärt die ausserordentliche Lage. Ab Mitternacht werden nebst Läden des nicht alltäglichen Gebrauchs, Restaurants und Sportzentren auch sämtliche Orte des kulturellen Lebens geschlossen.1 Dieser Tag bedeutete eine jähe Zäsur für die Schweizer Museen, mitten in einer Phase des stetigen Wachstums. 2019 wurden nahezu 14.2 Millionen Einritte verbucht, was einer Zunahme von fast 6 % gegenüber dem Vorjahr und einer Zunahme von mehr als 16 % gegenüber 2015 entsprach.2 Auf diesen ersten Lockdown folgten anspruchsvolle Monate geprägt von Planungsunsicherheit aufgrund sich stetig ändernde Bedingungen durch behördliche Vorgaben. Die schweizweit geltenden Schutzmassnahmen wurden vierzehn Mal angepasst, hinzu kamen Verschärfungen oder Lockerungen in einzelnen Kantonen, die von den Museen grosse Flexibilität und Anpassungsfähigkeit abverlangten. Die zwischenzeitlich fehlende Kohärenz zwischen kantonalen und schweizweiten Massnahmen kostete die Museen zusätzlich Energie. So wich der anfängliche Wille, »das Beste aus der Situation zu machen«, trotz der Freude über aktuell geöffnete Museen auch einer gewissen Resignation, die nach wie vor hohe Anforderung an die gesamte Belegschaft stellt. Lassen sich gut anderthalb Jahre nach dem 16. März 2020 erste Antworten formulieren auf die Fragen, wie die Museen in der Schweiz aus der Corona-Krise herauskommen werden und welche Lehren für die Zukunft gezogen werden können? Der vorliegende Beitrag greift exemplarisch einige Erfah-
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https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-78 454.html https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/aktuell/neue-veroeffentlichungen.gnpdetai l.2020-0421.html
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Die Krise als Chance für Innovationen und neue (digitale) Wege?
rungswerte zu Digitalisierungsaktivitäten, Finanzierung und Positionierung der Museen heraus, um sich diesen Fragen anzunähern.
Digitalisierung als Werkzeug verstehen lernen Der Ausbruch der Pandemie beschleunigte die Digitalisierungsaktivitäten in den Schweizer Museen rasant. Mit viel Experimentierfreude wurden quasi über Nacht neue Kanäle erschlossen, Museumsrundgänge virtuell aufbereitet, Angebote für Zuhause kreiert und verstärkt über Social Media mit dem Publikum interagiert. Medial erhielten diese Angebote im Frühjahr 2020 viel Aufmerksamkeit. Und die Museen fanden zwischenzeitlich sogar Wege, neue Publikumssegmente anzusprechen, die während des Lockdowns nach Abwechslung und Inspiration im Netz suchten.3 Die digitale Dynamik lässt sich mittels empirischer Daten illustrieren: Gemäss einer vom Verband der Museen der Schweiz im Frühjahr 2021 durchgeführten Umfrage gaben gut 60 % der Museen an, dass sie während der behördlich angeordneten Schliessungen ihre Onlineangebote ausgebaut hatten.4 Das sind deutlich mehr im Vergleich zu den Schweizer Kulturinstitutionen im Allgemeinen: In einer von l’Oeil du Public im Sommer 2021 publizierten Studie gaben lediglich 43 % der Kulturbetriebe an, neue Onlineangebote aufgesetzt zu haben.5 Auch wenn diese Zahlen nicht ohne weiteres verglichen werden können, weisen sie doch darauf hin, dass die Museen überproportional stark digital präsent waren. Ein Grossteil von ihnen berichtete denn auch von einem zwischenzeitlich durchaus beachtlichen Anstieg der Zugriffsraten. Und über 90 % der Museen, die Onlineaktivitäten eingeführt hatten, wollten diese zum Zeitpunkt der Befragung zumindest beibehalten oder sogar weiter entwickeln. Zumeist kleinere Museen beurteilten ihre gesammelten Erfahrungen jedoch als eher negativ mit der Begründung, dass die Onlinecommunity zu klein, respektive die Umsetzung zu teuer oder die Konkurrenz mit attraktiveren Angeboten zu gross sei. Spätestens nach der zweiten landesweiten Schliessung der Museen im Dezember 2020 stellte sich auch bei den grösseren Häusern etwas
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https://loeildupublic.com/wp-content/uploads/2021/02/Kulturbesuche-in-Zeiten-vo n-Corona-in-der-Schweiz-Sept.20-_DE.pdf https://www.museums.ch/covid-19/umfrage.html https://loeildupublic.com/wp-content/uploads/2021/07/Die-Kulturbetriebe-in-Zeite n-von-Corona-Juni-2021-_DE.pdf
Katharina Korsunsky: Anderthalb Jahre Krisenmodus
Ernüchterung ein. Die von l’Oeil du Public, einer Agentur für Publikumsforschung und Kulturmarketing, veröffentlichten Daten weisen darauf hin, dass es scheinbar noch nicht gelungen ist, ein bleibendes Interesse an virtuellen Rundgängen und ähnlichen Angeboten zu wecken. Oder anders ausgedrückt: Digitale Angebote stellen offensichtlich keinen Ersatz dar für das authentische Erlebnis im Museum.6 Nun gilt es, den Blick dafür zu schärfen, wo sich den Museen in der digitalen Welt ein Mehrwert erschliesst und wo ihre Grenzen liegen. Dies geht weit über die im Frühjahr 2020 so schnell kreierten Onlineangebote hinaus. Der Krisenmodus wird sich abschwächen, die gemachten Erfahrungen bieten jedoch eine gute Basis, um Digitalisierung als Teil der Gesamtstrategie eines Museums zu begreifen und ihr Potenzial, über alle Aufgaben hinweg, auszuloten. Immerhin gab bereits fast ein Viertel der Museen an, die Zeit während der Schliessungen zur Digitalisierung interner Abläufe genutzt zu haben.7 Museen werden jedoch insgesamt lernen müssen, Digitalisierung noch stärker als Werkzeug im Museumsalltag zu verstehen und weniger als kurzfristige Lösung für aktuelle Probleme. Wie werden all die digitalen Daten archiviert? Wo können digitale Angebote gezielt den Zugang zum Kulturerbe erleichtern, wo einen Beitrag zu mehr Partizipation und Inklusion leisten? Und was bedeutet es wirtschaftlich für die Museen, dass ihre digitalen Angebote bisher primär kostenlos waren? Der Ausbau digitaler Kompetenzen innerhalb der Institution wird dabei richtungsweisend sein, um der Uferlosigkeit dieser Fragestellungen entgegenzuwirken. Und nicht zuletzt ist im Auge zu behalten, dass erfolgreiche, nachhaltig wirkende Digitalisierungsprojekte nicht nur sehr zeit-, sondern vor allem auch kostenintensiv sind. Das stellt private wie öffentliche Museen gleichermassen vor neue Herausforderungen und rückt die Frage nach der zukünftigen Finanzierung in den Fokus.
Mittelfristige Anpassung der Förderlogik Knapp zwei Drittel der Schweizer Museen verzeichnen seit Ausbruch der Pandemie finanzielle Verluste – sei es durch fehlende Einnahmen aus Ticketverkäufen aufgrund der behördlich angeordneten Schliessungen, durch den fehlenden internationalen Tourismus oder durch das zwischenzeitliche 6
https://loeildupublic.com/wp-content/uploads/2021/07/Kulturbesuche-in-Zeiten-vo n-Corona-in-der-Schweiz-Juni-21_DE.pdf
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Verbot von Führungen und Veranstaltungen.7 Einzelne Institutionen mussten aufgrund der Kapazitätsbegrenzungen und der vor Ort engen Platzverhältnisse über den Lockdown hinaus geschlossen bleiben, weil ein rentabler Betrieb unter den gegebenen Umständen nicht möglich gewesen wäre. Wie schwer die Verluste wiegen, hängt also wesentlich vom Finanzierungsmodell, der bestehenden Infrastruktur wie auch von der Abhängigkeit von ausländischen Besucher*innen ab. Gut die Hälfte der befragten Schweizer Museen hat Kurzarbeit und/oder Ausfallentschädigungen beantragt, in über 90 % der Fälle wurde die staatliche Unterstützung teilweise oder ganz bewilligt.8 Der akute Schaden scheint begrenzt. Die tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkungen werden allerdings langfristiger Natur sein. Die Schweizer Museen sind aktuell zu über 50 % aus öffentlichen Geldern hauptfinanziert, wenngleich 70 % der Museen privatrechtlich organisiert sind. Die wichtigste finanzielle Unterstützung erfahren die Museen dabei durch Städte und Gemeinden, die mehr als die Hälfte der Aufwendungen leisten und in der Schweiz über alle Kultursparten hinweg zu den grössten Fördernden gehören. Weitere 39 % entfallen auf die Kantone und 11 % auf den Bund.9 Die kommunalen und kantonalen Budgetbelastungen aufgrund der gesundheitlichen Krise lassen erahnen, dass sich der Wettbewerb um öffentliche Gelder zuspitzen wird. Wie können Museen unter diesen Bedingungen innovative Ideen umsetzen, um ihren Weg aus der CoronaKrise zu finden? Wie sollen zusätzliche Mittel für eine zukunftsorientierte, der einzelnen Institution angemessene Digitalisierung mobilisiert werden? Hier ist die öffentliche Hand ebenso gefragt wie private Kulturfördernde, ihre Instrumente auf Basis der nach wie vor unsicheren und sich stetig ändernden Voraussetzungen zu überdenken und weiter zu differenzieren, indem beispielsweise ergebnisoffene Projekte oder Kooperationen zwischen Institutionen stärker in den Fokus rücken und damit auch das voneinander Lernen unter den Museen vermehrt gefördert wird. Das wäre einerseits auf einer Linie mit dem Förderziel des Bundes, die Kulturinstitutionen zu stärken.10 Andererseits geniesst die Kulturförderung durch die öffentliche Hand nach
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https://www.museums.ch/covid-19/umfrage.html https://www.museums.ch/covid-19/umfrage.html https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kultur-medien-informationsges ellschaft-sport/kultur/kulturfinanzierung/oeffentliche.html#537282215 https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2016/780/de
Katharina Korsunsky: Anderthalb Jahre Krisenmodus
wie vor einen grossen Rückhalt in der Schweizer Bevölkerung.11 Die Akzeptanz wäre also da, diesen Weg konsequent weiter zu gehen und sogar Raum für Innovation zu bieten. Im Gegenzug sind die Museen in der Pflicht, mit Kulturfinanzierenden in Dialog zu treten, um ein gemeinsames Verständnis über die gesellschaftliche Rolle und Aufgabe der Museen zu schaffen.12 Dies führt über zum nächsten Punkt – der Notwendigkeit nach einer klareren Positionierung der Museen.
Klarere Positionierung der Museen Die Rhetorik in Bezug auf die Kultur änderte sich hierzulande in ähnlichem Maß wie die verordneten Schutzmassnahmen – situativ und abhängig vom Verlauf der Krise. Direkt nach Ausbruch der Pandemie war in den Medienmitteilungen des Bundes unter anderem von »Unterhaltungs- und Freizeitbetrieben« die Rede.13 Später wurden Museen, Ausstellungshäuser, Schlösser, wissenschaftlich geführte Zoos und botanische Gärten in einem Atemzug mit Casinos unter Kultur- und Freizeitbetrieben subsumiert, Führungen als Veranstaltungen und nicht als kulturelle Aktivitäten definiert.14 Das sorgte zwischenzeitlich nicht nur für Verwirrung bei der Umsetzung geltender Schutzmassnahmen, sondern auch für eine missverständliche Wahrnehmung des Museumssektors. Dass die Museen nach beiden landesweiten Shutdowns frühzeitig und vor anderen Kulturbetrieben wieder öffnen durften, kann vermutlich dennoch als kleiner Positionierungs- respektive Lobbying-Erfolg gewertet werden. Die konkrete Umsetzung durch die Kantone zeigte jedoch, dass das Verständnis darüber, welche Institutionen als Museen gelten und von der Regel profitieren konnten, nach wie vor uneinheitlich ist. Die vergangenen anderthalb Jahre haben deutlich gemacht, dass eine klare Positionierung vom Museumssektor selbst ausgehen muss, die Deutungshoheit weder der Politik, noch den Medien überlassen werden darf. Mehr denn 11 12 13 14
In der im Juni 2021 durchgeführten Studie von l’Oeil du public geben 64 % der Befragten an, die Erhöhung der Zuwendungen der öffentlichen Hand zu unterstützen. https://nzzas.nzz.ch/kultur/schweizer-kulturbranche-welche-auswirkungen-hat-coro na-ld.1555713 https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-78 818.html https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81 745.html
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Die Krise als Chance für Innovationen und neue (digitale) Wege?
je wird es zukünftig darum gehen, die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, was Museen ausmacht und welchen Beitrag sie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu leisten vermögen – gerade in der Bewältigung von Krisenzeiten. Das erfordert ein hohes Mass an Kommunikationsleistung und Dialogbereitschaft seitens der Museen, um insbesondere auch ihre lokale wie regionale Verankerung zu festigen. Im föderalen System der Schweiz ist der Dachverband in der Pflicht, die Museen gemeinsam mit den Fach- und regionalen Verbänden auf kantonaler und Bundesebene systematischer auf der politischen Agenda zu platzieren, seine Kommunikationsstrategie entsprechend anzupassen und in die Lobbyarbeit zu investieren. Dem Kulturbereich mag das per se schwerer fallen – die vorhandenen Ressourcen stehen in keinem Verhältnis zu anderen Bereichen wie beispielsweise dem Sport. Trotzdem lässt sich aus der Coronazeit lernen, wie Synergien unter den Verbänden stärker genutzt und gemeinsame Anliegen auch gemeinsam vorgebracht werden können.15
Zwischenfazit Die über tausend Museen in der Schweiz zeichnen sich durch eine schier grenzenlose Vielfältigkeit aus – im Hinblick auf Organisationsform, Finanzierung, Besuchersegment und thematischer Ausrichtung. Es gibt nicht die eine gültige Aussage, wie es den Museen in der Schweiz heute geht und wie sie aus der Krise hervorgehen werden. Dieser kurze Bericht wirft denn auch nur eine Handvoll Schlaglichter auf drei Teilaspekte und klammert grosse Fragen aus, welche die nähere Zukunft der Museen noch entscheidend beeinflussen werden. Wie entwickelt sich beispielsweise der internationale Leihverkehr? Wie schnell wird sich der internationale Tourismus erholen? Auch die Gewohnheiten und Erwartungen des Publikums werden sich weiter verändern, mit Bedürfnissen in Bezug auf die Gesundheitssicherheit, aber auch mit spezifischen Ansprüchen an das Museumsangebot. Darüber hinaus trägt die Pandemie wohl allgemein zu einer Akzentuierung bestehender Trends bei, nicht nur zu einer weiter beschleunigten Digitalisierung. Von den Museen wird je länger je mehr erwartet, dass sie angesichts der Klimakrise proaktiv Verantwortung übernehmen, um nur ein Beispiel zu nennen. Um nur schon den genannten Anforderungen gerecht zu werden, müssen die Museen ihre (digitale) Arbeitsweise, Planung und 15
Die Gründung der Taskforce Culture ist ein gutes Beispiel für den pragmatischen Zusammenschluss in der Krise: https://taskforceculture.ch/
Katharina Korsunsky: Anderthalb Jahre Krisenmodus
Mobilisierung ihrer Ressourcen, aber auch ihre Positionierung kritisch hinterfragen. Im Sinne von mehr Widerstands- und Zukunftsfähigkeit kann es den Museen zuträglich sein, dafür vermehrt in Szenarien zu denken. Die bisher gezeigte Anpassungsfähigkeit der Museen stimmt jedoch zuversichtlich, dass sie für die anstehenden Herausforderungen gerüstet sind. Katharina Korsunsky ist Generalsekretärin des Verbands der Museen der Schweiz sowie von ICOM Schweiz, dem Nationalkomitee des internationalen Museumsrats. Nebst je eigener inhaltlicher Ausrichtung arbeiten die beiden Verbände strategisch eng zusammen und betreiben eine gemeinsame Geschäftsstelle.
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Zurück in die Zukunft Wolfgang Muchitsch
»Der Mensch ist im letzten Jahr auf dem Mond gelandet. Warum also sollte ein volksnahes, modernes Museum nicht auch eines Tages Wirklichkeit werden?« fragte Vitus B. Dröscher1 im in letzter Zeit gerne in die Hand genommenen Band »Die Zukunft des Museums« von Gerald Bott aus dem Jahre 1970. Viele Zukunftsvisionen aus der Vergangenheit konnten in der Gegenwart nicht eingelöst werden, bei einigen sind wir etliche Schritte weitergekommen, am Ziel sind wir aber noch nicht angelangt. Im Jahr der Mondlandung erschien in der Mitarbeiter*innenzeitschrift des British Museum Colonnade der Artikel eines Kurator unter dem Pseudonym Saxo Japonicus2 . Er blickte ins British Museum des Jahres 2069: Nachdem man verworfen hatte, das Museum für Sozialprojekte freizugeben, wurde die Sammlung neu aufgestellt und man wird, in einem Stuhl festgeschnallt, an der Ausstellung auf einer Art Förderband entlang geschoben. Trotz der atemberaubenden Geschwindigkeit von drei km/h wird versichert, dass die Beschriftungen gut lesbar sind. Falls Sie in den letzten Jahren einmal die Kronjuwelen im Tower of London bestaunen konnten, werden Sie sich sicherlich daran erinnern, dass auch Sie auf einem Förderband an der Krone vorbeigehievt wurden. Die Beschriftung konnten Sie dabei allerdings nicht lesen, sofern es eine gegeben hat. Bevor die »Müden Museen« 2014 dank Daniel Tyradellis in aller Munde waren, wurde der Begriff museum fatigue bereits erstmals 1916 von Benjamin Ives 1
2
Vitus B. Dröscher: Von der Sammlung zum Abbild des Lebens. Vorschläge für den Weg des Museums zur Volksverbundenheit, in: Gerhard Bott (Hg.), Das Museum der Zukunft. 43 Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums, 1970, S. 55. Saxo Japonus: The British Museum Guide 2069, in: Colonnade, Spring 1969, 2014 zu finden unter https://blog.britishmuseum.org/2014/08/18/the-british-museum-guide2069/, jetzt nur mehr in Auszügen unter https://museum1346.rssing.com/chan-25349 938/all_p1.html [27. Juli 2021].
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Die Krise als Chance für Innovationen und neue (digitale) Wege?
Gilman geprägt3 . Als Kurator und Sekretär des Boards des Museum of Fine Arts Boston war ihm Besucher*innenorientierung ein besonderes Anliegen. Er führte Selbstexperimente durch, um zu klären, warum ein Museumsbesuch so rasch ermüdet. Das Experiment verlief wie folgt: Eine Reihe von Fragen musste anhand des Studiums von Texttafeln sowie von Objekten im Museum beantwortet werden. Welche Positionen der Wissensdurstige einnehmen musste, um diese Informationen zu gewinnen, wurde detailliert festgehalten. Die Bilder zeigen Benjamin Ives Gilman als Museumsbesucher in körperlich verzweifelten Haltungen. Sie sollten sich einmal die Zeit nehmen, seine im Scientific Monthly erschienene Dokumentation zu studieren, und sich an die zahlreichen bei Ihren letzten Museumsbesuchen eingenommenen Körperhaltungen erinnern. Eines ist aber auch auf jeden Fall sicher: Keine Beschriftung ist auch keine Lösung. Obwohl wir spätestens seit den 1980er Jahren von einem Museumsboom sprechen können, taucht in gewissen zeitlichen Abständen als wiederkehrendes Thema die Frage nach der Zukunft der Institution Museum auf, um letzten Endes ihr Bestehen und ihre Relevanz zu hinterfragen. Die Jahrzehnte des Museumsbooms und der ständig steigenden Besuchszahlen verbergen geschickt viele offene und ungelöste Fragen wie beispielsweise die zunehmenden Kosten des Sammlungserhalts und die immer häufigeren personellen Lücken in der wissenschaftlichen Bearbeitung. Die Arbeit an der Sammlung ist nicht nur eine Kernaufgabe, sie ist auch sicherlich die ressourcenaufwendigste Museumsaufgabe. Für die Museumsträger*innen und die Öffentlichkeit ist sie jedoch kaum sichtbar, da sie hinter den Kulissen stattfindet. Die Leistungen des Museums werden von diesen jedoch meist nur an dem gemessen, was auf der Bühne stattfindet, an seiner öffentlich sichtbaren Seite, nämlich anhand der Ausstellungen und Veranstaltungen sowie der dadurch ausgelösten Besuchszahlen. 2019 konnte in den österreichischen Museen der Rekordwert von 19,4 Mio. Besuchen aus dem Jahr 2018 auf nunmehr 20,6 Mio. Besuche gesteigert werden. 2020 waren es durch pandemiebedingte Schließungen bzw. pandemiebedingten Wegfall von schulischen und touristischen Gruppen schlussendlich nur mehr 6,4 Mio. Besuche. Die Pandemie hat dem unaufhaltsam scheinenden Boom der Museen ein jähes und vorläufiges Ende bereitet und die Museen in die Rechtfertigungsde3
Benjamin Ives Gilman: Museum Fatigue, in: The Scientific Monthly. Vol. 2, No. 1 (Jan., 1916), pp. 62–74, zu finden unter www.jstor.org/stable/6127?seq=1#metadata_info_tab_contents [27. Juli 2021].
Wolfgang Muchitsch: Zurück in die Zukunft
fensive gedrängt: Wozu braucht es geschlossene Museen? Das leichteste Gegenargument: Als Speicher des Kunst-, Kultur- und Naturerbes können Museen nicht ignoriert werden. Ein schwierigeres Argument: Warum ist die Institution Museum nicht schon längst innovativer geworden und näher an sein Publikum gerückt? Warum ist es immer noch nicht der häufig zitierte Dritte Ort, an dem sich viele Menschen ungezwungen aufhalten, um miteinander ins Gespräch zu kommen und ihr Wissen zu erweitern? Dabei geht es nicht darum, aus Museen Community Center zu machen, sondern darum, die Grenze des Museums zu einem Möglichkeitsraum aufzuweichen, der von Menschen wie selbstverständlich genutzt wird. Museen müssen von sich aus ein Ort für Besucher*innen sein wollen, ein Ziel, das wir noch nicht durchgängig erreicht haben.
Experimentieren erwünscht – Scheitern möglich Die Teams und alle am Museum Beteiligten müssen sich der Verantwortung stellen und ihr Tun ganz in den Dienst der Gesellschaft stellen. Nur so kann das Museum der von Gottfried Fliedl geforderte Seismograf der Gesellschaft werden. Dafür braucht es aber auch kulturpolitische Weichenstellungen. Das Museum als Ort der Forschung, der Kreativität und des künstlerischen Denkens muss demgemäß auch ein Ort des Experimentierens und Probierens sein, an dem auch Scheitern erlaubt sein muss. Der Museumsboom sieht das aber nicht vor – denn alles muss perfekt funktionieren, das Museum muss Besucher*innen maximieren und quantitativ messbare, wirtschaftliche Erfolge einfahren. Die Träger*innen der Institution Museum müssen akzeptieren, dass das Bewahren und Arbeiten mit dem Kunst-, Kultur- und Naturerbe sich nicht selbst tragen kann. Es ist und bleibt ein Zuschussbetrieb. Weshalb sollte man diesem also nicht mehr Freiheit einräumen? Im Gegenzug müssen Museen aus Worten aber auch Taten machen. Es braucht keine Pandemie, um zu wissen, wohin die Reise gehen soll. Aber die Pandemie kann Auslöser für Entwicklungen sein, die sich am Horizont schon lange abgezeichnet haben. Die Publikationen und Veranstaltungen zur Zukunft des Museums sind zahlreich. Teilnehmer*innen der losen Veranstaltungsreihe »Museum 2061 – Die Zukunft des Museums beginnt jetzt« des Museumsbundes Österreich haben beispielsweise bereits im Jahr 2016 in offenen Workshopformaten 27 Wünsche ans Museum der Zukunft formuliert.
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Es liegt an uns, den Faden wieder aufzunehmen!
In der losen Veranstaltungsreihe »Museum 2061 – Die Zukunft beginnt jetzt« haben im Jahr 2016 Museumsmitarbeiter*innen und Stakeholder 27 (zeitlose) Wünsche ans Museum geäußert. Es ist an der Zeit, die Wünsche in die Tat umzusetzen.
Credit: Andreas Pirchner für Museumsbund Österreich
Wolfgang Muchitsch leitet seit zwanzig Jahren als wissenschaftlicher Direktor das Universalmuseum Joanneum und ist langjähriger Präsident des Museumsbund Österreich.
ZEITENWENDE Überlegungen zur Rolle von Kunst und Kultur in Zeiten gesellschaftlicher Transformation Matthias Jäger
»Jetzt ist eine Zeitenwende da, und wir sind ihr Anfang, der anderen einmal Geschichte sein wird.« Marica Bodrožić, Pantherzeit. Vom Innenmaß der Dinge, Salzburg-Wien, 2021, S. 10
Das Museum wird zum Denkraum Als sich im November 2020 der zweite Lockdown ankündigt und das öffentliche Leben ein zweites Mal – dieses Mal schrittweise – heruntergefahren wird, läuft in der Großen Kunstschau und im Barkenhoff, den beiden größten Worpsweder Museen, gerade der Aufbau für die Ausstellung zum Paula Modersohn-Becker Kunstpreis 2020. Die Museen müssen den Künstler*innen, die zum Aufbau vor Ort sein wollten, von einem Tag auf den anderen absagen; die Eröffnung wird zu einer reinen Online-Veranstaltung ohne Publikum umgeplant. Die Jurysitzung und die Preisverleihung werden im Winter und Frühjahr 2021 mehrfach verschoben und finden schließlich im April 2021 unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die fertig eingerichtete Ausstellung wird um drei Monate verlängert und kann erst im Mai 2021 – und dann nur noch für wenige Wochen – für die Besucher*innen geöffnet werden.
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Die Arbeit I will kill you anyway der für den Paula Modersohn-Becker Kunstpreis nominierten Künstlerin Susanne Kutter an der Fassade des Corona-bedingt geschlossenen Barkenhoff, Februar 2021.
Fotos © Jörg Sarbach/Worpsweder Museumsverbund
In den denkwürdigen Lockdownmonaten, mit denen das Jahr 2021 beginnt, werden die verwaisten Ausstellungsräume der Großen Kunstschau zu einem exklusiven Besprechungsraum für die dreiköpfige Programmplanungsrunde der Worpsweder Museen. Hier können die Leitungen der Großen Kunstschau, des Barkenhoff und des Worpsweder Museumsverbunds mit Abstand und ausreichender Lüftung ungefährdet tagen. In der Rotunde, dem zentralen Raum des Museums, treffen wir uns wöchentlich zu halb- und ganztägigen Klausuren. Die bestehenden Ausstellungsplanungen werden ein ums andere Mal an die jeweils neue Lage angepasst, neue Vorhaben werden diskutiert. Schon bald jedoch verlassen die Diskussionen den üblichen Rahmen. Forciert durch die nach wie vor unübersichtliche Pandemie-Lage und die Unmöglichkeit, verlässlich planen zu können, inspiriert von dem außergewöhnlichen Privileg, in den großzügigen Ausstellungsräumen ungestört die eigene Museumsarbeit reflektieren zu können und intensiviert durch den Stillstand des öffentlichen Lebens und den Wegfall der üblichen beruflichen und privaten Routinen, weitet sich der Schauraum der Rotunde zu einem geistigen Denkraum, in dem neue Fragen auftauchen, von uns aufgegriffen und gemeinsam bewegt werden. Der durch die Pandemie erzwungene Ausnahmezustand weitet unseren Blick: von der Museumsarbeit zu den aktuellen gesellschaftlichen Realitäten, von der lokalen Perspektive zu den globalen Zusammenhängen.
Matthias Jäger: ZEITENWENDE
Die Rotunde der Großen Kunstschau Worpswede, die im Winter 2021 als Besprechungsraum für die Programmplanungsrunden der Worpsweder Museen genutzt wurde. Im Vordergrund: Die Installation weilende zustossnisse von Myriam Holme, die als Jahresarbeit 2020 bis zum Juni 2021 in der Rotunde gezeigt wurde, März 2021.
Foto: © Werner Hannappel
Leben im Angesicht globaler Herausforderungen Denn die Corona-Pandemie führt uns in diesen Wochen eindringlich vor Augen, dass die zentralen Herausforderungen, mit denen wir aktuell konfrontiert sind, eines gemeinsam haben: sie sind globaler Natur und können weder lokal noch regional, ja nicht einmal auf nationaler Ebene bewältigt oder gelöst werden. Das gilt für die Pandemie ebenso wie für die Digitalisierung oder den Klimawandel. Gleichzeitig verdichtet sich zu einer konkreten Erfahrung, was sich bereits seit längerem abzeichnete: Wir leben in einer Zeit tiefgreifender sozialer Transformationen. Die Welt, in der wir leben, hat sich in den vergangenen fünf Jahren dramatisch gewandelt. Mit der Flucht von hunderttausenden Schutzsuchenden nach Deutschland im Herbst 2015 und der hieraus resultierenden Spaltung der öffentlichen Meinung, mit dem BrexitReferendum und der Wahl Trumps im Jahr 2016 und dem damit einhergehenden Anwachsen populistischer und antidemokratischer Strömungen begann der soziale Zusammenhalt in zahlreichen westlichen Demokratien, brüchig zu
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werden. Zunehmend wurden liberale Prinzipien und Werte in Frage gestellt. Überlagert wird diese Entwicklung von der ökologischen Krise: Von den Dürresommern 2018 und 2019 bis hin zu den Flutkatastrophen der letzten Wochen und den aktuell wütenden Waldbränden in allen Teilen der Erde mehren sich die Anzeichen dafür, dass die Menschheit vor ökologischen, politischen und sozialen Herausforderungen bisher unbekannten Ausmaßes steht. Die Ahnung, dass wir selbst dann, wenn wir die Pandemie überwunden haben, nicht einfach wieder zur Tagesordnung werden übergehen können, verdichtet sich unter dem Eindruck der verheerenden Nachrichten und wissenschaftlichen Prognosen, die uns im Sommer 2021 erreichen, zunehmend zur Gewissheit. Die Klimakrise wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten Auswirkungen von kaum abzusehender Tragweite auf unseren Alltag, die Lebenssituation unzähliger Menschen und unser Zusammenleben auf lokaler, regionaler, nationaler und globaler Ebene haben. Unser Leben – das müssen wir zumindest als ernstzunehmende Option ins Auge fassen – wird nicht wieder in den bekannten ›Normalmodus‹ zurückkehren. Wahrscheinlicher ist, dass wir mit disruptiven Veränderungen und wachsenden gesellschaftlichen Herausforderungen konfrontiert sein werden. Der Wandel – und vermutlich auch die Krise – werden ›das neue Normal‹ sein.
Die zukünftige Rolle von Kunst und Kultur Auch die Künste und der Kulturbetrieb müssen sich diesen Veränderungen stellen. Die Frage, welchen Beitrag Kunst und Kultur zur Gestaltung unseres Gemeinwesens und unserer Zukunft unter dem Vorzeichen der oben beschriebenen Herausforderungen leisten können, hat uns im Coronawinter 2020/21 beschäftigt und wird uns weiter beschäftigen. Mehr noch: Sie muss zu einem zentralen Thema der inhaltlichen Arbeit von Kulturinstitutionen werden. Denn wir stehen – als Menschheit! – vor der Aufgabe, dem Leben eine grundlegend neue Ausrichtung zu geben, die nicht mehr auf Wachstum, ungezügeltem Konsum und verantwortungsloser Ausbeutung der natürlichen Ressourcen gründet, sondern auf einer Vernunft und auf Werten, die ein Fortbestehen der Menschheit ermöglichen. Angesichts der völlig neuen Herausforderungen in diesem Jahrhundert geht es um nicht weniger als darum, eine globale Ethik für das fortschreitende 21. Jahrhundert zu entwerfen. Ihre Grundlage wäre eine lebendige Idee vom Wert des Menschen und des Lebens auf diesem Planeten und eine daraus erwachsende Selbstverpflichtung, die
Matthias Jäger: ZEITENWENDE
uns – auch über die Grenzen von Kontinenten und Kulturen hinweg – Leitlinien und Kriterien für die auf uns zukommenden politischen, technologischen und sozialen Weichenstellungen an die Hand gibt. Bei dieser ›Wertschöpfung‹ im eigentlichen Wortsinn kann die Kultur eine maßgebliche Rolle spielen – und sie muss es auch, will sie ihrer eigentlichen Bestimmung und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Um hierfür als kleine, lokal agierende Kulturinstitutionen einen Ansatzpunkt zu finden, ist es notwendig, sich die Devise der Globalisierung »global denken, lokal handeln« zu eigen zu machen – eine Devise, die im kulturellen Denken und Handeln gerade erst Fuß fasst. Erst wenn die Kultur die globale Dimension der zu erwartenden Herausforderungen anerkennt, kann sie die richtigen Fragen stellen und fruchtbare Anstöße geben.
Kulturelle Transformation Um dieser großen Aufgabe gerecht werden zu können, bedarf es zunächst eines grundlegenden Perspektivwechsels in unserem eigenen Selbstverständnis. Dieser führt von der in den vergangenen drei Jahrzehnten dominierenden Orientierung und Ausrichtung der eigenen Inhalte auf wirtschaftlichen Erfolg, Management und Marketing hin zu einem neuen Verständnis von Kunst und Kultur als einer für die Gestaltung unserer sozialen Wirklichkeit unverzichtbaren Instanz. Der erste Schritt besteht darin, dass wir uns (wieder) bewusst machen, dass wir für unser Gemeinwesen weit mehr sind als nur ein ›weicher Standortfaktor‹ oder ein ›kulturtouristisches Highlight‹ und dass der entscheidende gesellschaftliche Mehrwert, den wir als Museen erbringen, nicht in ›Umwegrentabilitäten‹ oder ›kulturwirtschaftlichen Effekten‹ liegt. Unsere zentrale gesellschaftliche Aufgabe besteht vielmehr darin, die drängende Frage, wie wir heute und morgen unser (Zusammen-)Leben gestalten wollen, aus einer unabhängigen, dem Menschen verpflichteten Perspektive zu beleuchten. Museen sind hierfür prädestiniert, denn sie bewahren einen unglaublich reichen Wissensschatz darüber, was Menschen in unterschiedlichen Epochen, Schichten und Kulturkreisen gedacht, getan und gefühlt haben, wie sie mit Veränderungen und Krisen umgegangen sind und wie sie ihr Zusammenleben organisiert und gestaltet haben. Sie können diesen Wissensfundus mit ihren Exponaten, mit klugen, zeitgemäßen Ausstellungskonzeptionen und mit vielfältigen Mitteln der Präsentation und
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Vermittlung für ein breites Publikum konkret und mit allen Sinnen erfahrbar machen. Sie machen jedem einzelnen Besuchenden das Angebot, sich als Subjekt seiner eigenen Geschichte zu erfahren. Kurz gesagt: Wir müssen uns wieder daran erinnern, dass die primäre Aufgabe von Kulturinstitutionen nicht darin besteht, ›Kultur zu verkaufen‹, sondern darin, Sinn zu stiften. Auf der Basis dieses Selbstverständnisses kann die Kultur, können die Museen wieder stärker zu einem Ort werden, an dem die Grundlagen und Werte neu verhandelt werden, die unser zukünftiges Leben bestimmen sollen. Sie können den Diskurs über unsere gemeinsame Zukunft um eine genuin menschliche Perspektive bereichern und dem einzelnen Menschen, der allzu oft nur noch als demografische Größe, Objekt oder Datensatz eine Rolle spielt, wieder eine Stimme und ein Gesicht geben.
ZEITENWENDE. Kunst im Aufbruch in einer Welt im Umbruch Diesen Überlegungen folgend, haben die Worpsweder Museen im vergangenen Corona-Winter ein auf mehrere Jahre angelegtes Ausstellungs-, Kunstund Forschungsprojekt konzipiert. Unter dem übergreifenden Titel ›ZEITENWENDE. Kunst im Aufbruch in einer Welt im Umbruch‹ schlagen sie von 2022 bis 2027 Brücken zwischen der Worpsweder Kunstgeschichte und der Gegenwart, zwischen Ausstellung, aktueller Kunstproduktion und Diskurs. Sie gehen der Frage nach, welche besondere Rolle Kunst und Kultur in gesellschaftlichen Umbruchzeiten spielen können. Den Ausgangspunkt hierfür bieten die 150. Geburtstage der drei maßgeblichen Worpsweder Künstlerpersönlichkeiten Heinrich Vogeler, Bernhard Hoetger und Paula Modersohn-Becker, die in den kommenden Jahren anstehen.
Matthias Jäger: ZEITENWENDE
Heinrich Vogeler, Die Kriegsfurie, 1919. Das Gemälde zeigt uns eine Welt in Agonie. Öl auf Pappe, 54 x 40 cm.
Heinrich Vogeler Stiftung Haus im Schluh Worpswede
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Die NASA Fire-Map dokumentiert Wald- und Buschbrände weltweit. Die Karte vom 7.8.2021 zeigt uns eine Welt in Flammen.
Quelle: https://firms.modaps.eosdis.nasa.gov/map/#d:2021-08-07.2021-08-08;l:country -outline;@42.5,7.9,4z, aufgerufen am 8.8.2021
Diese drei Protagonisten der Worpsweder Kunstgeschichte eint, dass sie in Zeiten tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen auf diese reagiert und sie ästhetisch verarbeitet haben. Alle drei haben in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts – auf jeweils ganz unterschiedliche Weise – einen künstlerischen Aufbruch in bewegten Zeiten gewagt. Hierin liegt ihre herausragende Bedeutung, die sie aus heutiger Sicht auch von den anderen Worpsweder Künstler*innen der frühen Jahre abhebt. Den Auftakt macht 2022 eine große Ausstellung zu Heinrich Vogeler. Was diesen Künstler heute so aktuell und bedeutsam macht, ist, dass er mit seiner Kunst und seinem Leben radikal auf die Verwerfungen und Revolutionen seiner Zeit reagierte. Vogeler stellte vor einhundert Jahren den nach Selbstbestimmung strebenden Menschen und die schöpferische Gestaltung des sozialen Lebens ins Zentrum seiner Kunst. Damit formulierte er ein künstlerisches Programm, das bis heute nicht an Aktualität verloren hat. Joseph Beuys hat diese bei Vogeler angelegten Ansätze rund fünfzig Jahre später in seiner Konzeption des »Erweiterten Kunstbegriffs« aufgegriffen und weitergeführt. Er hat damit seinerseits dem Verständnis von Kunst als einer gestaltenden Intervention in gesellschaftliche Entwicklungsprozesse wichtige Impulse gegeben, die bis heute weiterwirken. Die Aktualität Vogelers mögen folgende Sätze unterstreichen, die der Künstler 1921 – also vor exakt einhundert Jahren – schrieb:
Matthias Jäger: ZEITENWENDE
»Das Leben und Schaffen des Künstlers ist ein lebendiges Symbol für den schöpferischen Menschen. Sein Werk ist der Frieden, den er mit der Natur schließt.«1 Aber nicht nur die inhaltlichen Fragen, die die Corona-Pandemie aufgeworfen hat, haben Eingang in das Konzept des ›ZEITENWENDE‹-Projekts gefunden. Ebenso niedergeschlagen hat sich die produktive Erfahrung, die wir im vergangenen Lockdown-Winter in unseren Programmplanungsrunden in der Rotunde der Großen Kunstschau machen konnten. Dort genossen wir das Privileg, die Grundlagen und Perspektiven unserer eigenen Museumsarbeit und von Kunst und Kultur im Großen und Ganzen tiefergehend und ohne aktuelle Sach- und Produktionszwänge diskutieren zu können. Dieser im vergangenen Winter in ganz kleiner Runde begonnene Diskurs soll innerhalb des ›ZEITENWENDE‹-Projekts in Form von zwei Symposien – in einem dann größeren Rahmen – weitergeführt werden. Unter dem Reihentitel ›Kulturelle Transformation‹ wollen wir gemeinsam mit Kulturexpert*innen, Künstler*innen und Kolleg*innen aus anderen Museen den ›Diskurs über die Zukunft der Kultur‹ weiter vertiefen und ›Entwürfe für eine Kultur der Zukunft‹ entwickeln. Auf diese Weise hoffen wir, den aktuellen Krisen ein produktives, schöpferisches Moment abzugewinnen. Matthias Jäger ist Kulturwissenschaftler und seit 2010 Geschäftsführer des Worpsweder Museumsverbunds. Er koordiniert die inhaltliche Arbeit der vier zentralen Kunstmuseen im Künstlerdorf Worpswede, initiiert und steuert ihre Gemeinschaftsausstellungen und verantwortet ihre gemeinsame Außenkommunikation.
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Heinrich Vogeler, Kosmisches Werden und menschliche Erfüllung, Kommunistischer Kulturverlag der Hand- und Kopfarbeiter Deutschlands, Hamburg, Januar 1921, S. 12.
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Dekolonisieren der Zukunft: Nachdenken und Weitermachen Léontine Meijer-van Mensch
Die Covid-19-Krise hat, weitaus mehr als viele andere Ereignisse in der jüngeren Geschichte, die Verwundbarkeit von Museen und anderen Kulturerbe-Institutionen (einzeln und kollektiv) aufgezeigt. Die Prognosen variieren, aber es ist klar, dass eine beträchtliche Anzahl von Museen, insbesondere im privaten Sektor, die Krise nicht überleben wird, zumindest nicht ohne staatliche Unterstützung.1 Es gibt daher keine nationale oder internationale Museumsorganisation, die sich nicht eingehend mit dem Problem beschäftigt hat.2 Die daraus resultierenden Berichte folgen oft der gleichen Struktur. Nach einer Problemanalyse, meist auf der Grundlage von Umfragen unter den Mitgliedseinrichtungen, werden Empfehlungen formuliert, wie die Einrichtungen die Krise meistern können und welche Rolle die Behörden spielen können oder sollen. Eine dritte Komponente jedoch, die oft nicht genügend gewichtet wird, bildet den Ausgangspunkt für den vorliegenden Text, nämlich das Aufzeigen einer Vision über die Funktionsweise der Museen in der Zukunft, im Licht der Erfahrungen der letzten zwei Jahre. Solch eine Vision wird hier anhand des Beispiels des GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig aufgezeichnet.
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In den Niederlanden beispielsweise erklärten Ende 2020 mehr als 60 Museen, dass sie befürchteten, es finanziell nicht bis Ende 2021 zu schaffen (Spaaij, 2020)). Siehe auch Antara & Sen (2020). Einen Überblick über nationale und internationale Berichte finden Sie auf der Website des Netzwerks Europäischer Museumsverbände (NEMO), https://www.ne-mo.org/ab out-us/resources.html, zuletzt aufgerufen am 21.09.2021.
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Die Krise als Chance für Innovationen und neue (digitale) Wege?
Resilienz: vorwärts oder rückwärts Im Kontext der pandemiebedingten Krise wird der kulturell-kreative Sektor (und damit auch der Museumssektor) als fragmentiertes und fragiles (Öko-)System betrachtet. In diesem Zusammenhang wird derzeit das Konzept der Nachhaltigkeit schrittweise durch das Konzept der Resilienz abgelöst. Die American Alliance of Museums hat das Prinzip der Resilienz beispielsweise als Leitkonzept der amerikanischen Museumspolitik übernommen (Ackerson, Anderson & Bailey, 2021) und auch im britischen Kontext wird zunehmend über Resilienz der Institutionen und des Sektors gesprochen. Resilienz stammt aus dem Englischen (resilience) und kann mit Widerstandsfähigkeit (Elastizität oder Spannkraft) übersetzt werden. Der Begriff meint die Eigenschaft, mit belastenden Umständen umgehen zu können. Aber was bedeutet das in der gegenwärtigen Situation der Museen? Wie steht es um die Widerstands- und Regenerationsfähigkeit der Museen? Und welche Perspektiven werden in der Krise entwickelt? Stellvertretend für die vielen dutzenden Berichte zu diesem Thema seien hier zwei genannt. Im Sommer 2021 veröffentlichte der International Council of Museums (ICOM)3 einen Bericht über Museen, Museumsfachleute und Covid-19.4 Der Bericht bietet keine Zukunftsvision, zeigt aber auf, wie Museen versuchen die Krise zu bewältigen und welche (alten oder neuen) Kompetenzen dabei besonders wichtig geworden sind. Mehr als ein Drittel der 840 Museen, die an der Umfrage teilgenommen haben, gaben an, ihre Strategien als Folge der Krise geändert zu haben. Viele von ihnen entwickelten neue Arbeitsmethoden (41,8 % aller Befragten) und neue Fähigkeiten (39,8 %). Die wichtigsten neuen Strategien und Fähigkeiten, die genannt wurden, waren die Entwicklung digitaler Strategien und die Erstellung digitaler Inhalte. Interessanterweise wurde Community Outreach viel seltener als notwendige Strategie und Fähigkeit genannt, in die investiert werden sollte (31,6 %). Unter Community Outreach wird allgemein das Ausstrecken und Hinausreichen (Outreach) aus den Museen hinaus zu neuen und spezifischen Gruppen (Communities) verstanden. Das bedeutet die Erweiterung der Museumsarbeit hin zu bislang ausgeschlossenen, unterreprä-
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Der Internationaler Museumsrat ist eine internationale, nichtstaatliche Organisation für Museen. ICOM (2021) Museums, museum professionals and Covid-19: third survey, https://ico m.museum/wp-content/uploads/2021/07/Museums-and-Covid-19_third-ICOM-repor t.pdf, zuletzt aufgerufen am 21.09.2021.
Léontine Meijer-van Mensch: Dekolonisieren der Zukunft: Nachdenken und Weitermachen
sentierten oder marginalisierten Communities sowie deren Einbeziehung in das Museum. Eine immer größere Rolle spielt dabei auch der digitale Raum. Community Outreach ist als Herangehensweise und als Prozess zu verstehen. Im Februar 2021 veröffentlichte das Policy Department for Structural and Cohesion Policies des Europäischen Parlaments wiederum ihren Bericht Cultural and creative sectors in post-Covid-19 Europe. Die Hauptaussage des Berichts ist, dass sich die öffentlichen Maßnahmen in erster Linie auf kurzfristige Nothilfe konzentrieren, anstatt den »Momentum« zu nutzen, um eine Reihe von Entwicklungen hin zu mehr Nachhaltigkeit zu beschleunigen. Angesichts der vielschichtigen Problematiken, die die Sektoren bereits vor der Covid-19-Krise kennzeichneten, wird eine Rückkehr zur »alten Normalität« nach der Krise nicht als praktikable Option angesehen. Erforderlich ist ein systemischer Wandel, bei dem nicht nachhaltige Praktiken (z.B. im Zusammenhang mit prekären Arbeitssituationen und fragilen Vergütungsstrukturen) durch nachhaltigere Alternativen ersetzt werden. Die Alternativen, die sich während der Krise herauskristallisiert haben, bieten eine solide Grundlage für weitere Entwicklungen. Im Bericht wird die Entwicklung neuer Qualifikationen (insbesondere im digitalen Bereich), die Entwicklung der brancheninternen und branchenübergreifenden Zusammenarbeit und die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle empfohlen. Sollte die Politik also darauf abzielen, die alte Normalität wiederherzustellen mit geringfügigen Anpassungen, oder sollte es eine grundlegende Umstrukturierung geben? Ist die Neubewertung der Strategie durch das ICOM seitens einem Drittel der befragten Museen ein Zeichen für einen Transformationsprozess, wie er im Bericht Cultural and creative sectors in post-Covid-19 Europe angedeutet wird? Ist die von vielen geteilte (und befürwortete) Priorisierung neuer digitaler Arbeitsformen eine Form von Resilienz oder der Beginn des Herausbildens neuer Strukturen? In diesem Zusammenhang ist es unvermeidlich, an die jüngste Diskussion innerhalb der ICOM über eine neue Museumsdefinition zu denken. Sie ist jetzt viel mehr als eine technische, lexikographische Diskussion; es geht um die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Ansichten über die Bedeutung von Museen in der Gesellschaft und wie sie dieser Bedeutung gerecht werden können. Um es etwas banal zusammenzufassen: Ist Vermittlung oder Forschung eine der Aufgaben eines Museums oder ist das Museum »per definitionem« eine Vermittlungs- oder Forschungseinrichtung? Dies ist nicht nur eine akademische Diskussion, sondern hat reale Konsequenzen, wie auch die Covid-19bezogenen Lockdownmaßnahmen gezeigt haben, im Kontext derer die Muse-
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en von der Regierung vielerorts als Teil des Unterhaltungssektors eingeordnet wurden. Angesichts der Existenzkrise, die durch die Covid-19-Pandemie (und insbesondere durch die – berechtigten – Maßnahmen der Regierung) ausgelöst wurde, ist es verständlich, dass das Konzept der Resilienz in der Museumswelt derzeit so viel Anklang findet. Der Austausch des Konzepts der Nachhaltigkeit gegen das der Resilienz verdeckt jedoch die Tatsache, dass Museen mit Themen konfrontiert sind, die vielleicht weniger finanziell und wirtschaftlich relevant sind, aber ihre Existenz grundsätzlich in Frage stellen, wie die Dekolonialisierungsfrage und die Klimakrise. Hier gibt es kein »zurück«.
(Re)-Inventing the Museum Wie viele andere Museen möchte auch das GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig über das Streben nach Resilienz hinausgehen und versuchen, eine Antwort auf die zahlreichen Herausforderungen zu finden, mit denen es konfrontiert ist. Mit (Re)inventingGrassi 2023, gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes (KSB), soll das Museum mit innovativen Formaten resilient, nachhaltig und grundsätzlich neu und zukunftsweisend aufgestellt werden.5 Die Entwicklung eines Netzwerkmuseums steht im Vordergrund: ein Museum welches Menschen, Orte und Zeiten miteinander verbindet. Netzwerk bedeutet neben der Aktivierung des Publikums, der engen Zusammenarbeit mit den Herkunftsgemeinschafen der Sammlungen und verschiedenen Akteur*innen aus unterschiedlichen Kontexten, sowie die Einbeziehung von Migrant*innen und migrantischen Perspektiven, auch die inhaltliche Verknüpfung der Sammlungen miteinander sowie die enge Verknüpfung zu aktuellen Fragestellungen und globalen Geschehnissen. Es geht also vor allem um die Relevanz im Jetzt. Die nicht gehörten Geschichten und Erzählungen einer immer lauter werdenden, doch gleichzeitig immer noch nicht genug gehörten Weltbevölkerung müssen dabei eine wichtige Rolle spielen: die der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Was kann das Museum zu globalen Protesten wie »Fridays for Future«, Bildungsinitiativen und Kinderrechten beitragen und in wel5
Siehe (Re)Inventing Grassi »Zukunft des Museums«, https://grassi-voelkerkunde. skd.museum/ausstellungen/reinventing-grassiskd-2021-23/, zuletzt aufgerufen am 21.09.2021.
Léontine Meijer-van Mensch: Dekolonisieren der Zukunft: Nachdenken und Weitermachen
chem Zusammenhang steht all dies mit den Sammlungen? In diesem Kontext geht es darum, dass die Erwachsenen zuhören und die Welt aus ungewohnten Perspektiven und Erzählungen wahrnehmen. Die Inhalte sollen inklusiv, spielerisch und leicht verständlich präsentiert werden. Antirassistisches Kuratieren bildet eine methodische Basis der Präsentation. Konkret bedeutet das, stets zu fragen: »Wer spricht über und für wen? Wer und was kann unter welchen Bedingungen kanonisiert werden?« (Bayer u.a. 2017, S. 30)
ELIPS – Eine neue Museumserfahrung Natürlich stellen wir uns innerhalb der Staatlichen Ethnografischen Museen in Sachsen (SES) Fragen nach der Zukunft in »Post-Corona Zeiten«, zum Beispiel: Wie werden sich Besucher*innen nach der Pandemie im Museum bewegen? Wie wird das Programm für Bildung und Vermittlung zukünftig ablaufen? Welche Rolle werden »Hands-on« Multimediaanwendungen in Ausstellung spielen? Mit wie vielen Menschen werden Besucher*innen in einem Ausstellungsraum sein wollen? Wie wird sich das Schauen der Besucher*innen im Museum durch die jetzt entwickelten digitalen Lernangebote/-strategien verändern? Wie wichtig werden digitale Angebote und Vermittlungen gegenüber dem Museumsbesuch und welche Rolle wird digitale Interaktion mit Besucher*innen einnehmen? Unter dem Namen ELIPS6 stellt das Museum spezifisch programmierte und von zu Hause aus steuerbare Roboter zur Verfügung, mit denen sich Besucher*innen in Zukunft im Museum autonom bewegen, aber auch Angebote wahrnehmen können. Die Steuerung erfolgt unter besonderer Berücksichtigung der Barrierefreiheit durch die Schaffung einer an »User Experience« angelehnten Nutzungsoberfläche. Dabei können Besucher*innen, die mit ELIPS im Museum unterwegs sind, mit anderen Besucher*innen in Kontakt treten oder sich an ausgewählten, aber regelmäßig stattfindenden Terminen von unseren mehrsprachigen Live-Speaker*innen durch Ausstellungen führen lassen und sich mit diesen austauschen. Verschiedene Gruppen, wie zum Beispiel Schulklassen, können zusammen mit ELIPS speziell entwickelte Bildungs- und Vermittlungsformate wahrnehmen. Auch die Organisation für Schulklassen wird erleichtert: so können An6
Der Name bezieht sich auf Eva Lips (1906–1988), Professorin für Ethnologie und Vergleichende Rechtssoziologie in Leipzig.
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gebote aus digitalen Klassenzimmern innerhalb weniger Schulstunden durchgeführt werden, ohne größeren Organisationsbedarf für die Schulen. ELIPS soll neue Zugänge öffnen und unser Outreach-Programm ergänzen. Es stellt, über die Anpassung an Digitalisierungserfordernisse hinaus, eine Grundlage der Idee des Wandelns hin zu einem Netzwerkmuseum dar.
Möglichkeiten für internationalen Austausch und für Herkunftsgemeinschaften Die Zusammenarbeit mit den Herkunftsgemeinschaften der Sammlungen ist für ethnologische Museen u.a. ein wichtiger Faktor um globale Zusammenhänge zu vermitteln und gemeinsam mit Besucher*innen zu erforschen. Im Rahmen der Coronapandemie und der globalen Asymmetrien, sind es vor allem die Herkunftsgemeinschaften der Sammlungen des Museums, die von den herrschenden Reiserestriktionen und von tiefgreifenden ökonomischen Konsequenzen der Krise betroffen sind. Hinzu kommt, dass Reisen in den globalen Norden mit größeren Schwierigkeiten als zuvor verbunden sind, was den Austausch bisher erschwert und kollaboratives Forschen und Kuratieren zuteils verhindert hat. ELIPS kann weltweit »angewählt« werden und soll als Angebot für Menschen weltweit dienen, die trotz Zeitverschiebungen zu passenden Terminen allein oder in Begleitung von Mitarbeiter*innen das Museum besuchen können. Insbesondere der Besuch des Archivs oder den Sammlungsdepots wird mit ELIPS schnell und unkompliziert möglich sein. Durch die freie Bewegung im Raum mit ELIPS können Vertreter*innen der Herkunftsgemeinschaften Aktualisierungen der Ausstellungsdisplays schneller und selbstbestimmt und in eigenem Tempo nachvollziehen. Darüber hinaus erhoffen wir uns grundlegend fortwährende Impulse und Interventionen der Herkunftsgemeinschaften, auch um ein Museum zu werden, welches den globalen Forderungen nach gerechter und ethischer Präsentationsweise gerecht wird. Léontine Meijer-van Mensch ist Direktorin der Völkerkunde Museen in Leipzig, Dresden und Herrnhut. Sie versucht Museen (neu) zu denken und dieses Denken in der Praxis umzusetzen.
Léontine Meijer-van Mensch: Dekolonisieren der Zukunft: Nachdenken und Weitermachen
Verweise Ackerson, Anne W., Anderson, Gail & Bailey, Dina A. (2021) Inside Out Outside In: A resilience model for museums offers strategies to address challenging realities, https://www.aam-us.org/2021/05/01/inside-out-outside-ina-resilience-model-for-museums-offers-strategies-to-address-challengi ng-realities/, zuletzt aufgerufen am 21.09.2021. Antara, Neel & Sen, Shuvro (2020) The impact of Covid-19 on the museums and the way forward for resilience, Journal of International Museum Education, 2(1), 54–61. Bayer, Natalie, Kazeem-Kamiński, Belinda & Sternfeld, Nora (2017) Kuratieren als antirassistische Praxis. Berlin: De Gruyter. ICOM (2021) Museums, museum professionals and Covid-19: third survey, htt ps://icom.museum/wp-content/uploads/2021/07/Museums-and-Covid-1 9_third-ICOM-report.pdf, zuletzt aufgerufen am 21.09.2021. IDEA Consult, Goethe-Institut, Sylvia Amann & Joost Heinsius (2021) Research for CULT Committee – Cultural and creative sectors in postCovid-19 Europe: crisis effects and policy recommendations. Brussel: European Parliament, Policy Department for Structural and Cohesion Policies, www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=I POL_STU(2021)652242, zuletzt aufgerufen am 21.09.2021. Spaaij, Zoë (2020) Grote musea hebben het moeilijk door de coronacrisis, maar kleine musea voelen de pijn pas goed, De Volkskrant 12–11-2020, ht tps://www.volkskrant.nl/nieuws-achtergrond/grote-musea-hebben-hetmoeilijk-door-de-coronacrisis-maar-kleine-musea-voelen-de-pijn-pas-g oed~b4e7efdb/, zuletzt aufgerufen am 21.09.2021.
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Niemand hätte sich bis 2019 vorstellen können, dass es einmal eine Zeit geben würde, in der die Akademien, Ausstellungshäuser ebenso wie alle anderen Kultureinrichtungen in Europa und eigentlich weltweit für Wochen und Monate geschlossen bleiben würden. Für die Kunstwelt hieß das: keine Ausstellungen, keine Begegnungen in den Kunsthochschulen mehr, keine Performances, Screenings und Podiumsdiskussionen, keine Workshops, keine Messen, keine Führungen. Vor allem junge Künstler*innen ohne bereits etablierte Netzwerke blieben mit ihren Werken ungesehen, obwohl nicht wenige die Zeit für eine konzentriertere, weniger getriebene und durchaus auch bilanzierende Produktivität nutzten. Mit einem Schlag, und letztlich vollkommen unvorbereitet, traf die Gesellschaft – und damit vor allem auch die Kultur – auf eine Situation, in der übergangslos und unvermittelt alles anders war. Die teilweise dramatischen Infektionszahlen mit dem Covid-19-Virus zwangen zum Verzicht auf körperliche Nähe und Gemeinschaftserlebnisse, staatliche Politik und kommunale Verwaltung verfügten die Reduktion des öffentlichen Lebens auf die notwenigen Basisfunktionen. Und Kultur gehörte aus dieser Perspektive eindeutig nicht zum Notwendigen. Damit begann auch ein fast unausweichlicher Digitalisierungsschub in Kunst und Kultur, der teils auf völlig unvorbereitete Institutionen, Infrastrukturen und Akteur*innen traf. Social-Media-Kanäle wie Facebook, TikTok, Instagram oder Twitter erfuhren ebenso ganz neue institutionelle Beachtung wie Videoplattformen, Messengerdienste und vor allem bildgestützte Konferenztools. Für Künstler*innen und Museen, Kunstvereine und Sammler*innen wurden das digitale Bild, die gestreamte Werkpräsentation oder die virtuelle Eröffnung zu – anfangs aus der Not heraus geborenen – Alternativen für eine, sich weit jenseits der eingefahrenen Rituale, neuorien-
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tierenden Kunstwelt, die zumindest aktuell und nach der Wiederöffnung der allermeisten Einrichtungen auch weiter fortbestehen wird. Wie also wird es weitergehen, was hat sich nachhaltig, möglicherweise dauerhaft verändert, was kehrt umstandslos zurück? Erst einmal fällt auf, auch innerhalb der Museen selbst, dass die Erschütterung wohlgeordneter Abläufe, liebgewonnener Rituale und festgefahrener Sachzwänge auch die Bereitschaft zu einer grundsätzlichen Infragestellung des Gesamtbetriebs stark befördert hat. Nicht wenige Direktor*innen, Arbeitskreise und Museumsteams sitzen seitdem zusammen und diskutieren über die Rahmenbedingungen von Ausstellungsbetrieb, Leihverkehr, Programmgestaltung oder Sammlungsmanagement: Eigentlich soll und muss sich grundsätzlich etwas ändern, was nicht in erster Linie durch die pandemischen Umstände bedingt ist, sondern durch diese und die damit verbundene Zwangspause nur deutlicher zutage gefördert wurde – oder aber auch in dieser Zeit nur endlich einmal das Bewusstsein so drängend erreicht, dass die Konsequenzen für das tägliche Tun plötzlich unübersehbar im Raum stehen. Als die Museen dann im Sommer langerwartet – und mittlerweile zum zweiten Mal – wieder die Türen öffnen konnten, wollten eigentlich alle erst einmal möglichst rasch zu irgendeiner Art von Normalität zurück. Doch die Realität war weit davon entfernt: An den Türen der Museen fungiert der Besuchsservice nun als eine Art Gesundheitspolizei und hat Impfpässe oder Testzertifikate zu prüfen und Kontaktdaten zu sammeln, in den Gebäuden gilt nach wie vor die Maskenpflicht, sodass man trotz allen Kulturhungers froh ist, bald wieder draußen zu sein. Nur langsam kehren die Besuchenden zurück, wagen sich eher in die Ausstellungen als zu Diskussions- und Vortragsveranstaltungen, kommen lieber einzeln oder zu zweit als in größeren Gruppen. Derweil nehmen die Direktionen und kuratorischen Teams die weitere Programmplanung in den Fokus und versuchen, den Projektstau der vergangenen Monate in eine neue Perspektive zu bringen. Doch so groß der Wunsch nach einer »alten« Normalität auch sein mag, es wird sie – und eigentlich darf es sie auch – nicht mehr geben. Zu lange schon hat die Kultur, hat die Kunstwelt die Augen davor verschlossen, dass nicht nur kritische Fragen gestellt, sondern auch konsequente Antworten gesucht werden müssen. Der Zweck heiligt eben nicht mehr die Mittel, sprich: Verantwortungsvolle Künstler*innen, Kurator*innen und Institutionen sollten nicht nur ihrem Publikum den Blick weiten wollen, sondern auch sich selbst. Oder, um die Diktion der fast schon zum Klischee geronnenen kuratorischen Vermitt-
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lungsprosa mal an sich selbst zu richten: Es müssen »Wahrnehmungskonventionen und vertraut geglaubte Handlungsmuster hinterfragt werden«. Letztlich geht es um nicht weniger als um die Zukunft eines Ausstellungsbetriebs, der in den vergangenen Jahrzehnten eine ungeahnt lebendige Eigendynamik entwickelt hat. Während die Kunst politischer, sozial engagierter, interaktiver wurde oder immer mehr mit der gesellschaftlichen Praxis verschmolz, verbargen wir uns als Ausstellungsmacher*innen gerne hinter den hehren Absichten der präsentierten Künstler*innen. Fragen nach Energieaufwand, Materialökonomie, Produktionsbedingungen oder Lieferketten spielten bisher kaum eine Rolle. Auch das eigene Tun stand eigentlich nie in Frage: Vielflieger*innen waren ob ihrer Weltläufigkeit eher hoch angesehen, als dass man kritisch nach dem ökologischen Fußabdruck fragte, hochkarätig bestückte Ausstellungen mit Leihgaben aus aller Welt waren vor allem Anlass zum großen Schwärmen als zu fragen, warum die Kunstwerke aufwendig rund um den Globus transportieren sind. Doch wir werden zum Umdenken und zum Ändern unseres Handelns über kurz oder lang gezwungen werden. Denn nicht nur die Mittel für die Kultur werden sich angesichts der Pandemiefolgen stark reduzieren, auch erhöhen sich deutlich die Kosten für Transporte, Versicherungen, Installationsmaterialien und vieles mehr. Nicht zuletzt wird sich auch der gesellschaftliche Druck verstärken, Rechenschaft über Herkunft, Kosten, Energiebilanz oder Nachhaltigkeitsfragen rund um Ausstellungen, Exponate und Recherchen abzulegen. Als Museen und Ausstellungsmacher*innen können wir uns nicht länger hinter den Künstler*innen verstecken, die mit ihrem Tun das gesamte kritische, aufklärerische und innovative Bild der Kulturinstitutionen repräsentieren, während das wissenschaftliche und museale Handeln mit angeblich unabänderlichen und kaum hinterfragten Sachzwängen gerechtfertigt wird. Wenn man sich diese Veränderungen in Kunst und Kultur zu eigen macht, können interessante Fragen und aufregende neue Formate entstehen. Zu lange schon haben wir – bisweilen nur hinter vorgehaltener Hand – über notwendige Entschleunigung, übermäßigen Erwartungsdruck, wachsende Oberflächlichkeit oder diverse Vereinnahmungen gesprochen. Nun bietet sich nicht nur die Gelegenheit, sondern auch die Notwendigkeit, einige Glaubenssätze des Kunstbetriebs auf ihre Konsequenzen und vor allem ihre Veränderbarkeit hin zu betrachten. Fünf Fragen seien im Folgenden exemplarisch herausgegriffen.
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Wie kann man das Format Museumsausstellung neu denken? Nicht selten erlebt (oder soll ich schreiben erlebte) man die Situation, dass ein großes Haus mit einer umfassend beworbenen und aufwändig vorbereiteten Sonderausstellung große Besuchsströme anzieht, die sich durch teilweise zu kleine Räume schieben und nur mit viel Aufwand und starken Nerven kanalisiert werden können. Zur gleichen Zeit befinden sich im Stockwerk darüber oder darunter nicht weniger hochkarätig bestückte Sammlungspräsentationen, in denen man nahezu alleine und in größter Ruhe den Werken gegenübertreten kann. Sicherlich erzeugt allein das Genre Sonderausstellung ein aktualisiertes Interesse, erwartet man sich doch einen veränderten Blick, neue Erkenntnisse oder erhellende Rekontextualisierungen vielfach bekannter Exponate. Aber ließe sich dieses punktuell verstärkte öffentliche Interesse nicht auch über eine kluge Kommunikation und eine überraschende Präsentation der eigenen Bestände erzielen? Und wäre es nicht denkbar, dass wir für die intellektuelle Erkenntnis und vielleicht sogar das visuelle Erlebnis gezielt auf gute Reproduktionen zurückgreifen, die neue Sehzusammenhänge und dialogische Präsentationsformen ohne Kunsttransporte erzeugen? Denn vielfach sind die technischen Möglichkeiten schon so weit fortgeschritten, dass man bei »Reproduktionen« nicht mehr nur an eine auf die Wand geklebte Fotografie denken muss, wie sie manchmal in Dauerpräsentationen zu sehen sind, aus denen ein Werk temporär entliehen wurde. Diverse hochauflösende oder mit 3D-Druckverfahren arbeitende Produktionen kommen mittlerweile so nah ans Original heran, dass allein das Wissen um die Nichtauthentizität des Werks seiner uneingeschränkten Würdigung im Weg steht. Gerade aber in der historischen Bauskulptur ist die Arbeit mit Repliken seit langem eine gängige Form, sowohl Gebäude als auch ihre skulpturalen Schätze angemessen zu präsentieren beziehungsweise zu bewahren. Auf jeden Fall würde die Arbeit mit hochqualitativen Ausstellungskopien, von denen lediglich die Datensätze versandt werden müssen, einen entscheidenden Teil des Kunstwerkstourismus ersetzen können. Und möglicherweise wäre die Begegnung mit einer solchen Kopie dann ja auch für den einen oder die andere Anlass, auf einer entsprechenden Reise mal die Betrachtung des Originals mit einzubeziehen, das sich wiederum herausgelöst aus dem diskursiven Kontext der Sonderschau in seiner ganz eigenen Umgebung präsentiert (noch immer habe ich eine Studienreise direkt nach Abschluss meines Examens in tiefer Erinnerung, anlässlich derer ich alle Vermeer-Gemälde in Belgien und
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den Niederlanden in teils großartigen oder eher abgelegenen Sammlungen aufgesucht hatte).
Wie lässt sich eine globale Perspektive mit dem lokalen Handlungsraum verbinden? Zweifelsohne liegt die Gefahr einer Rückbesinnung auf die regionalen Aktionsfelder und Möglichkeiten auch in einer möglichen Verengung des Blicks. Wenn die Welt nicht mehr so sehr ins eigene Haus kommt, warum sollte sich dann der Blick weiterhin maßgeblich in die Welt richten? Schnell landet man dann bei dem alten Vorwurf gegenüber vor allem zeitgenössischen Museen, dass nämlich viel zu wenig die regionale Szene beachtet und ausgestellt würde. Aber heute mehr denn je geht es um die weite, überregionale und sich in großen Zusammenhängen orientierende Perspektive, für die solch ein Rückfall in den Lokalbezug die Gefahr eines weltabgewandten Konservativismus birgt. Wenn sich eine Region mit ihrer künstlerischen Szene nur noch in sich selbst spiegelt, ist der Weg zur lähmenden Selbstzufriedenheit und Ignoranz gegenüber übergeordneten Strukturen sehr kurz. Es wird also zukünftig auch um die Frage gehen, wie wir mit welchen Mitteln und Wegen die globalen Fragestellungen, Perspektiven und Informationsflüsse im Blick behalten können, ohne dafür fortwährend materielle Güter um den Globus transportieren zu müssen. Aber es stellen sich auch brisante inhaltliche Fragen: Wenn ich keine interkontinentalen Flüge mehr unterstützen möchte, wie zeigt man dann das Werk einzelner Künstler*innen aus beispielsweise Australien oder Afrika? Muss man dieses Werk tatsächlich nach Europa verfrachten und wenn ja, warum? Bricht sich da womöglich ein neuer kultureller Kolonialismus Bahn, der unabhängig vom Lebensort der Künstler*innen alles für exportierbar, überall präsentier- und verhandelbar halten will? Vielleicht gäbe es ja andere Formen, über die künstlerischen Entwicklungen ferner Länder informiert zu bleiben, als den physischen Transfer von Kulturgegenständen, die ihrerseits bisweilen einen großen Erklärungsaufwand benötigen, um in den eigenen Zusammenhängen verständlich und rezipierbar zu werden. Dürfen wir lokaler denken ohne unsere Verantwortung als Weltbürger*innen aufzugeben? Fragen, auf die ich aktuell noch wenige Antworten habe …
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Was ist ein zeitgemäßer restauratorischer Umgang mit Kunstgegenständen? Ich werde nie die schon einige Jahre zurückliegende Ausstellungsvorbereitung für die Solopräsentation eines noch lebenden Künstlers vergessen, in deren Verlauf sich herausstellte, dass der Transport zweier gerade einmal 20 Jahre alter Bilder aus einem rund 150 km entfernten Museum etwa gleich teuer werden sollte wie der Transfer von rund 25 weiteren Gemälden aus dem entfernten skandinavischen Raum zusammen. Die zuständige Restauratorin hatte für ihren Transport das ganz große Besteck des Kunstversands eingefordert und auf Anfertigung von Klimakisten nach neuester Technik bestanden, die als Einzeltransporte mit individueller Kurierbegleitung auf dem LKW versandt werden sollten. Nicht erst bei solcherart extremer Setzung von Leihvoraussetzungen wird deutlich, dass die Aufbewahrung und das Verschiffen von Kunstwerken mittlerweile nicht nur ein eigenes (unter anderem auch wirtschaftliches) Metier geworden ist, sondern auch ein weites Feld für Positionierungen, Profilierungen und Politiken unter den Museen. Wir werden uns damit auseinanderzusetzen haben, was wirklich gute Bedingungen für Kunstwerke unterschiedlicher Materialität und historischer Kontexte sind, was vertretbar ist, was überängstlich und was unverantwortlich. Noch immer ist viel zu wenig diskutiert, ob und wie stark sich ein Werk verändern darf, ob es seine eigene Geschichte als Spuren der Zeit aufnehmen kann oder aseptisch in einer Art Altersstarre gehalten werden muss – ungeachtet sogar dessen, ob die jeweiligen Urheber*innen möglicherweise genau mit dieser Dynamik gespielt und gearbeitet haben. Wie hell oder dunkel müssen Ausstellungen beleuchtet sein, wie kann man kreativ mit dem Tageslicht arbeiten, welche starren oder dynamischen Klimabedingungen sind wirklich notwendig, wie viel Übereifer, Ehrgeiz oder Scheuklappendenken ist dabei mit im Spiel? Dies sind Fragen, bei denen Forschung, Tradition, Engstirnigkeit und Experimentierlust Hand in Hand gehen und am Ende in einem gegenseitigen Aushandlungsprozess passende Lösungen erprobt werden müssen.
Roland Nachtigäller: Museen nach der Pandemie – Wie wird das neue Normal?
Wann wird ein Ausstellungshaus als lebendig und ambitioniert erlebt? Nach dem langen Dornröschenschlaf der Museen bis in die 1970er Jahre entstand mit der Popularisierung der Kunstrezeption, dem selbstgewählten Anspruch des »Museums für alle« und der Jagd nach Aufmerksamkeit durch sensationelle Präsentationen eine Beschleunigung des Betriebs im Format der Sonderausstellung. Diese Schauen mussten größer, aufregender, populärer oder unerwarteter als alles zuvor sein, sollten Meilensteine und große gesellschaftliche Ereignisse werden, die vor allem quantitativ auftrumpfen konnten – mit Besuchszahlen, Kosten, Exponatmengen, Seltenheiten. Das Format des Blockbusters wurde nicht nur zur unhinterfragten Erfolgsformel, sondern vor allem auch zur beständig heraufbeschworenen Fata Morgana des internationalen Kunstzirkus. Das sich bei allem öffentlichen Erfolg oft Kosten und Effekte gar nicht deckten, dass Werke und Ideen in diesem Rummel Schaden nahmen oder einzelne Institutionen mit den Geistern, die sie riefen, am Ende völlig überfordert waren, wurde dabei großzügig übersehen. Aufmerksamkeit war und ist die Währung der Stunde, wer nicht wirbt stirbt das aus der Warenökonomie übernommene Handlungsmotto. Dabei haben die Museen zumindest kurzfristig aus dem Blick verloren, dass sich die Rechtfertigung der eigenen Arbeit eigentlich aus ganz anderen Quellen speisen sollte, dass das Glück der Besuchenden nicht zwangsläufig von einem Massenerlebnis abhängig ist, dass Bildungsauftrag und ästhetischer Genuss mit wesentlich weniger Aufwand deutlich nachhaltiger zu gestalten sind und dass Forschung und Erkenntnis für die Zukunft der Kultur nicht zu vernachlässigende Säulen darstellen. Wenn nach dem großen coronabedingten Paradigmenwechsel nun also eine Reperspektivierung dieser Arbeit ansteht, wie soll sie sich gestalten? Wie werden die Menschen und damit die finanzierende Gesellschaft Auftrag und Nutzen ihrer Kunstinstitutionen jenseits vom Sensationsgeschäft weiterhin schätzen? Und lassen sich solche Erwartungen an die Museen nachhaltig und ressourcenschonend einlösen? Schließlich eine letzte Grundsatzfrage:
Wie viel muss die Kunstwelt international reisen? »Global vernetzt«, »Vielflieger«, »rastlose Kuratorin«, »Leitung einer fernen Biennale« waren in der Vergangenheit Synonyme für Erfolg und Weltwissen in
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der Kunst. Ohne besondere inhaltliche Profilierung galt das unablässige Reisen von Messe zu Biennale zu Sonderausstellung zu Atelier zu Museumskolleg*innen als Wert an sich. Und natürlich sind wir als Kunsthistoriker*innen und Ausstellungsverantwortliche darauf angewiesen, viel zu sehen, mit Menschen zu sprechen, externe Anregungen aufzugreifen und neue Strömungen oder Talente zu entdecken. Gerade im Feld der Gegenwartskunst kommt es auch auf ein Gespür für Themen an, die in der Luft liegen, um das eigene Haus immer wieder als einen lebendigen Ort zu markieren, der statt wohlfeiler Selbstbespiegelung vor allem auch als Fenster in die Welt fungiert. Dennoch hat man bisweilen den Eindruck, dass das Reisen teilweise zum Selbstzweck verkommt, dass »man« eben an bestimmten Orten aufzutauchen, bei den richtigen Partys anwesend oder für die angesagten Events eingeladen zu sein hat. Dabei lässt sich der Verdacht nicht ganz von der Hand weisen, dass Imagepflege und Selbstmanagement zumindest gleichwertig neben Ansprüchen des Informationsaustauschs und der gezielten Erweiterung von gerade benötigtem Wissen stehen. Aber das Fliegen um den Globus, das momenthafte Aufschlagen zu internationalen Eröffnungsabenden mit umgehender Weiterreise werden einer zukünftigen Prüfung von Sinnhaftigkeit, Notwendigkeit und Energiebilanz nicht mehr standhalten. Es wird vielmehr um Fragen gehen, wie bestimmte Reisekontingente so genutzt werden können, dass der ökologische Fußabdruck so klein und der inhaltliche Mehrwert so groß wie möglich ausfallen. Vielleicht werden die Eventisierung des Eröffnungsaktes und die Einzigartigkeit internationaler Ereignisse zugunsten einer kontinuierlichen Besuchsbegleitung ohne One moment to be oder auch der vermehrten Reise der Präsentationen selbst zurückgehen. Wenn die Interessierten nicht mehr zu den Biennalen kommen (sollen), vielleicht kommen dann einige Biennalen zu ihrem Publikum in verschiedenen Städten, während andere (ähnlich wie bereits die Manifesta) als internationale Ereignisse tief in lokale Strukturen eingreifen und ihre Komplexität für die touristischen Kurzzeitbesuche eher uninteressant und auch unzugänglicher werden.
Das Resümee könnte ein Paradoxon sein. Die Herausforderung für die nähere Zukunft der Museumsarbeit wäre also vielleicht die produktive und fantasievolle Vereinigung des Widersprüchlichen. Eine neue Normalität muss vor allem eine andere Sensibilität nutzen, die wissenschaftliche, ästhetische, soziale und utopische Perspektiven neu
Roland Nachtigäller: Museen nach der Pandemie – Wie wird das neue Normal?
fokussiert. Sie muss interkulturell angelegt, regional orientiert und lokal intervenierend sein. Sie muss Identität als etwas Veränderliches im Kontext der Suche nach dem Beständigen verstehen, sie muss einfache Kategorien in Frage stellen und komplexe Zusammenhänge mit simplen Strategien entwirren. Die Kunst bietet den Raum dafür! Und die neue Normalität – wie ich sie mir wünsche – wird Kunst und Kultur als ein Lebensmittel der menschlichen Grundversorgung verstehen, wird den erhobenen Zeigefinger des gesellschaftlichen Bildungsauftrags gegen den sanften Ruck der ästhetischen Erschütterung austauschen, wird gegen die so erdrückend erlebte Einsamkeit, Vereinzelung und geistige Unterversorgung (zum Beispiel während der Lockdownwochen) und damit als Heilung gegen die Überforderungen des Lebens wirken. Die neue Normalität könnte die Welt besser machen … Roland Nachtigäller ist Kunstwissenschaftler und Geschäftsführer der Stiftung Insel Hombroich in Neuss.
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Statt eines Nachwortes: »Ins Museum« Maximilian Buddenbohm
Herr Brunotte hat hier gefragt, ob ich wieder ins Museum gehen würde, ich möchte dazu kurz meine Vorstellungen beschreiben. Und zwar, das muss man dabei verstehen, handelt es sich dabei um die Vorstellungen eines Vaters mit posthomeschoolischen Belastungsstörungen. Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß gar nicht, wie es sich gerade mit den Museen verhält, sind die offen und wie genau, das habe ich komplett verpasst. Was auch jahreszeitlich bedingt ist, der Sommer ist irgendwie keine Kultursaison bei mir, da passe ich eher nicht auf. Ich habe aber schon oft über Museen geschrieben, ich gehe da gerne hin, soweit ich mich erinnere. Ich stelle mir also vor, ich gehe ins Museum. Das habe ich seit dem Winter nicht mehr gemacht, und wie lange ist der Winter bloß her, der war ja noch vor dem März mit seinen zehn Wochen Dauer und dann gab es noch einige andere Monate. Das Museum, in das ich in meiner Vorstellung übrigens ohne jede Begleitung gehe, es ist noch gar nicht lange wieder auf und nur mäßig gefüllt. Sowieso macht mir ein Museum nur Freude, wenn es bestenfalls mäßig gefüllt ist. Sonderschauen mit Hunderttausenden von Gästen – eher nein, ein Museum braucht Weißraum, schon gar nach Corona. Das Museum, es ist ganz gleich, um welches es sich handelt, ist vielleicht sogar eher leer, das gefällt mir dann gleich noch viel besser. Auf den Gängen höre ich daher die eigenen Schritte und das Wachpersonal sieht mir nach, wenn ich an Räumen vorbeigehe. Ich trete hier und da an Vitrinen und vor Objekte und Bilder, ich lese manchmal etwas nach. Getrieben bin ich dabei ausschließlich von Lust und einer äußerst angenehm entspannten Vorform der sonntäglichen Langeweile, nicht aber von Bildungsehrgeiz und Recherchedruck, schon gar nicht von irgendwelchen Zuständigkeiten. Ich gehe da nur so herum und muss gar nichts. Vielleicht finde ich dabei aber etwas, deswegen gebe ich etlichen Ecken ein oder zwei Chancen. In Museen findet man nämlich oft die Anfänge von Gedanken, während man sich das Ende von Dingen besieht.
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Die Krise als Chance für Innovationen und neue (digitale) Wege?
Ich habe also kein Kind dabei. Es ist überhaupt kein einziges Kind im Museum, die Museumspädagogik hat heute frei, der Kinderbereich ist geschlossen. Museumspädagogik ist super, gar keine Frage, aber heute nicht, heute stört sie meine Vorstellung. Die Ausstellungen sind in meiner Vorstellung eh ausdrücklich sterbenslangweilig für Kinder, sie sind im Grunde für sie völlig unzumutbar. Es werden Handschriften von toten Dichtern gezeigt, unleserliche Zeilen mit Federn notiert. Daneben hängen Ölgemälde mit dicken Menschen darauf, die überhaupt nichts anhaben, langweilige Tempel daneben und brave Schafe im Hintergrund. Einen Raum weiter gibt es Keramik, nichtssagende graubraune Scherben in 236 Variationen mit vielen Erläuterungen dabei, so etwas. Dinge, für die man Kinder unmöglich begeistern kann, bei keinem einzigen Objekt denke ich, dass das aber etwas für einen Sohn wäre. Nein, es ist alles nur meins, es ist alles wahnsinnig erwachsen, ich finde es großartig. Ich gehe ziellos entspannt durch die Gänge. Ich habe mir extra einen Anzug angezogen, das habe ich sehr lange nicht mehr gemacht, denn es gab keine Gelegenheit. Aber manchmal fühle ich mich intelligenter, wenn ich einen Anzug anhabe, und Intelligenz und Museum, das schien mir ganz passend. Ich habe ein Notizbuch dabei, damit wirke ich gleich noch geistreicher, bilde ich mir zumindest ein, auch wenn mir überhaupt nichts einfällt, was ich notieren könnte, wirklich keine einzige Zeile. Aber das macht nichts, ich bin ja auch nicht hier, um etwas zu leisten. Geleistet haben andere, und es ist schon so dermaßen lange her, dass sie es getan haben, man muss sie gewiss nicht mehr loben dafür und man muss sie auch nicht mehr zu weiteren Leistungen motivieren. Man kann sich die Ergebnisse einfach ansehen und irgendwie finden, es ist vollkommen egal, das ist so unfassbar entspannend. Ich stehe vor einem Gemälde und denke: »Na ja«, das macht dem Künstler rein gar nichts aus. Ich muss mir auch nichts merken, es wird nichts abgefragt, es kommt auch nichts morgen wieder vor. Ich lese den Namen eines Malers. Ich gehe ein Bild weiter und ich weiß den Namen schon nicht mehr. Ich finde das ziemlich gut so und lächele ein blassrosa Aquarell an, das hat jemand gemalt, den ich mir auch nicht merke, und zwar tat er dies in einem Jahr, das mir total egal ist, an einem Ort, der mich nicht interessiert und das gehört dann zu einer Kunstrichtung, auf die ich nicht komme. »Hübsch«, denke ich, und das ist ja auch eine Würdigung. Ich muss hier mit niemandem reden, und, was noch besser ist, es wäre sogar komisch oder verdächtig, wenn ich mit jemandem reden würde. Smalltalk im Museum, soweit kommt’s noch. »Na, auch hier?« Nein, das macht man
Maximilian Buddenbohm: Statt eines Nachwortes: »Ins Museum«
nicht. Ich schweige begeistert, ich gehe leise. Da, der Gang in den anderen Flügel ist völlig menschenleer, ich wandere sachte hindurch wie ein Geist und flackere so an den Säulen vorbei. Wo auch immer ich da hinkomme, ich weiß es gar nicht, das merke ich ja dann. Ich gehe ins Museumscafé und kaufe mir zwei Stück Kuchen, die teile ich mit niemandem. Dann bleibe ich da einfach nur sitzen und erkläre es keinem. Ich gucke mir die Decke an und erläutere nicht, wo ich hinsehe und warum, ich verkünde auch nicht, wann es weitergeht. Es geht weiter, wenn ich es will, und ich lehne mich zurück und will nicht. Auf den Plakaten an den Wänden sind Zeugnisse vergangener Kulturen abgebildet. Die Angehörigen dieser Kulturen hatten Kinder, die haben jahrelang irgendwas gelernt, das weiß heute alles kein Schwein mehr. So wird es mit unserer Schulbildung auch sein, denke ich. Es dauert nur noch ein wenig und ein Bild wird im Museum hängen, darauf sind ein Vater und seine Söhne, die machen gemeinsam Mathe an einem vorsintflutlichen Notebook. Darunter steht »Home-School, etwa 2020«. Eine Besucherin wird kopfschüttelnd daran vorbeigehen, nee, was die früher alles gemacht haben! Na, das ist aber sicher lange her. Und sie beugt sich vor und liest noch einmal die kleine Jahreszahl, dann schüttelt sie sinnend den Kopf. Ja, ich gehe auf jeden Fall bald wieder ins Museum. Ich merke gerade, es zieht mich dahin. Ein Museum ist ein Raum, in dem mir nichts gehört – und es wird alles, alles meins sein. Das wird schön, stelle ich mir vor. Maximilian Buddenbohm ist freier Autor.
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Autor*innen
Behm, Benedikt – Oberaufsicht im Museum für Kommunikation Berlin Bihn, Christian – Volontär Museum für Kommunikation Nürnberg Breuninger, Joachim – Direktor und Vorstand der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin Buddenbohm, Maximilian – freier Autor Emmert, Dr. Claudia – Direktorin des Zeppelin Museums Friedrichshafen Fünderich, Dr. Maren-Sophie – Historikerin und Kunsthistorikerin Gößwald, Dr. Udo – hat von 1985 bis 2021 das Museum Neukölln geleitet Grisko, Dr. Michael – Kulturmanager, Geschäftsführer für die Richard Borek Stiftung Braunschweig Heine, Sabine – Team Presse und Kommunikation des Museums Koenig Herkner, Dr. Bernd – Leiter Naturhistorisches Museum Mainz Hilger, Katharina – Bloggerin und PR-Beraterin Hill, Christian – Museumsverwaltung und Kurator Dornburger Schlösser und Gärten
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Hofmann, Marlene – Öffentlichkeitsarbeit Museum Burg Posterstein Hornung, Dr. Annabelle – Direktorin Museum für Kommunikation Nürnberg Iwe, Dr. Karina – Kuratorin Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz, smac Jäger, Matthias – Geschäftsführer des Worpsweder Museumsverbunds Korsunsky, Katharina – Generalsekretärin des Verbands der Museen der Schweiz sowie von ICOM Schweiz Köstering, Dr. Susanne – Geschäftsführerin des Museumsverbandes Brandenburg Ladwig, Wibke – Autorin, Moderatorin und Buchhändlerin Lindenlaub, Johannes – Pressereferent im Museum für Kommunikation Berlin Losse, Dr. Vera – Leiterin Öffentlichkeitsarbeit Museum für Kommunikation Nürnberg Meijer-van Mensch, Léontine – Direktorin der Völkerkunde Museen in Leipzig, Dresden und Herrnhut Mickein, Jasmin – Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kunsthalle Bremen Misof, Prof. Dr. Bernhard – Team Presse und Kommunikation des Museums Koenig Mölders, Dr. Doreen – Leiterin LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum Muchitsch, Mag. Dr. Wolfgang – Direktor Universalmuseum Joanneum und Präsident des Museumsbund Österreich
Autor*innen
Nachtigäller, Roland – Kunstwissenschaftler und Geschäftsführer der Stiftung Insel Hombroich Neumann, Petra – Knopf- und Regionalmuseum Schmölln Otto-Hörbrand, Martin – Referent für Öffentlichkeitsarbeit im Linden-Museum Stuttgart Pfeifer-Helke, Dr. Tobias – Direktor der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha Pollak, Prof. Dr. Detlef – lehrt und forscht zur Soziologie an der Universität Münster Porske, Maria – Social Media und Marketing Thüringer Stiftung Schlösser und Gärten Reiss, Johannes – Direktor und Geschäftsführer des Österreichischen Jüdischen Museums Richter, Prof. Dr. Hedwig – lehrt und forscht zur Geschichte an der Universität der Bundeswehr München Rosenberg, Dr. Ruth – Direktorin Digitale Dienste bei der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Schneider, Elke – Referentin für Museumspädagogik im Museum für Kommunikation Nürnberg Speidel, Markus – Leiter Museum der Alltagskultur Stahl, Helmut – Team Presse und Kommunikation des Museums Koenig Svennevig, Ingeborg – Direktorin des Holstebro Museums, Hjerl Hede and Strandingsmuseum St. George Trott, Florian – Vorstand und Kaufmännischer Geschäftsführer der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
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Vila, Christopher – Vorsitzender des Kultur- und Heimatvereins Egling e.V. und leitet ehrenamtlich das Heimatmuseum Egling. von Heyl, Anke – Kunsthistorikerin, Kulturvermitttlerin, Autorin und Moderatorin Vuillaume, David – Geschäftsführer des Deutschen Museumsbundes und Vorsitzender des Netzwerks Europäischer Museumsorganisationen NEMO Waldschütz, Johannes – Leiter Museum und Stadtarchiv in Stockach Weisser, Prof. Dr. Bernhard – Direktor des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin
Museum Henning Mohr, Diana Modarressi-Tehrani (Hg.)
Museen der Zukunft Trends und Herausforderungen eines innovationsorientierten Kulturmanagements 2021, 462 S., kart., 21 SW-Abbildungen 39,00 € (DE), 978-3-8376-4896-6 E-Book: PDF: 38,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4896-0
schnittpunkt, Joachim Baur (Hg.)
Das Museum der Zukunft 43 neue Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums 2020, 320 S., kart., 2 SW-Abbildungen, 55 Farbabbildungen 29,00 € (DE), 978-3-8376-5270-3 E-Book: PDF: 25,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5270-7
Sabine Maurischat
Konservierung und Pflege von Kulturgut Ein Leitfaden für die Praxis 2020, 208 S., kart., 57 Farbabbildungen, 15 SW-Abbildungen 29,00 € (DE), 978-3-8376-4914-7 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4914-1
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Museum Anna Greve
Koloniales Erbe in Museen Kritische Weißseinsforschung in der praktischen Museumsarbeit 2019, 266 S., kart., 23 SW-Abbildungen, 4 Farbabbildungen 24,99 € (DE), 978-3-8376-4931-4 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4931-8
Udo Andraschke, Sarah Wagner (Hg.)
Objekte im Netz Wissenschaftliche Sammlungen im digitalen Wandel 2020, 336 S., kart. 30,00 € (DE), 978-3-8376-5571-1 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5571-5
Viviane Mörmann
The Corporate Art Index Twenty-One Ways to Work With Art 2020, 224 p., pb. 35,00 € (DE), 978-3-8376-5650-3 E-Book: PDF: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5650-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de