Das Leibregiment der friesischen Statthalter: Kriegsgerichte, Offizierslaufbahnen und militärische Lebenswelten in den Garnisonsstädten Leeuwarden, Groningen und Emden 1666–1752 [1 ed.] 9783428548996, 9783428148998

Anhand des Leibregiments der friesischen Statthalter untersucht die Studie das Verhältnis von Militär und Zivilbevölkeru

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German Pages 581 Year 2016

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Das Leibregiment der friesischen Statthalter: Kriegsgerichte, Offizierslaufbahnen und militärische Lebenswelten in den Garnisonsstädten Leeuwarden, Groningen und Emden 1666–1752 [1 ed.]
 9783428548996, 9783428148998

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Historische Forschungen Band 113

Das Leibregiment der friesischen Statthalter Kriegsgerichte, Offizierslaufbahnen und militärische Lebenswelten in den Garnisonsstädten Leeuwarden, Groningen und Emden 1666–1752

Von Benjamin van der Linde

Duncker & Humblot · Berlin

BENJAMIN VAN DER LINDE

Das Leibregiment der friesischen Statthalter

Historische Forschungen Band 113

Das Leibregiment der friesischen Statthalter Kriegsgerichte, Offizierslaufbahnen und militärische Lebenswelten in den Garnisonsstädten Leeuwarden, Groningen und Emden 1666–1752

Von Benjamin van der Linde

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Oestreich-Stiftung, der Gerhard ten Doornkaat Koolman-Stiftung sowie der Ostfriesischen Volksbank eG. Die Philosophische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel hat diese Arbeit im Jahr 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 978-3-428-14899-8 (Print) ISBN 978-3-428-54899-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84899-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Dissertationsschrift beruht auf meinem im November 2014 abgeschlossenen Promotionsverfahren an der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Für die Drucklegung sind an einigen Stellen Änderungen vorgenommen worden, die Arbeiten am Skript wurden im März 2015 eingestellt. Die Arbeit entstand in der Zeit zwischen Juni 2011 und Juli 2014 am Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit unter der Leitung von Herrn Professor Olaf Mörke. Ihm danke ich insbesondere für die Förderung meines Vorhabens und die langjährige Betreuung. In gleichen Teilen danke ich Herrn Professor Volker Seresse, der meine Arbeit von Anfang begleitet hat, und das Zweitgutachten übernahm. Die finanzielle Basis für das Vorhaben wurde durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes gewährleistet, der für die wissenschaftliche und finanzielle Förderung großer Dank gebührt. Für fachliche Hinweise zu Beginn des Projekts danke ich Herrn Professor Bernhard R. Kroener (Potsdam), Frau Professorin Jutta Nowosadtko (Hamburg) sowie den Teilnehmern des Forschungskolloquiums an der Rijksuniversiteit Groningen unter Leitung von Frau Professorin Raingard Esser. Einen Dank auszusprechen gilt auch für die Mitarbeiter der Archive und Bibliotheken, die ich während meiner Arbeiten konsultiert habe. Ich danke den Mitarbeitern der Archive, in denen ich mehrere Monate verbrachte, außerordentlich. Nicht nur für fachlichen Austausch, sondern auch für viele Gespräche jenseits der niederländischen Militärgeschichte danke ich meinen Mitdoktoranden am Historischen Seminar in Kiel. Hanna Brommer, Julia Ellermann (geb. Brenneisen) und Hauke Petersen haben nicht nur parallel zu mir an ihren jeweiligen vielversprechenden Projekten gearbeitet, sondern Thesen mit mir diskutiert, die wunderbare Geschichte Frieslands kennengelernt und Klönschnack bei einigen Tassen Ostfriesentee gehalten. Epochenübergreifende Anmerkungen verdanke ich Arvid von Bassi. Bei der gründlichen Korrektur des Skripts half mir insbesondere Studienrat in spe Thomas ­Rippe. Vielen Dank! Schließlich danke ich meinen Eltern Claus und Birgit van der Linde für die vielfältige Unterstützung während meines Studiums und der Promo­

6 Vorwort

tionsphase. Leider konnte mein Vater aufgrund seiner schweren Erkrankung die Drucklegung nicht mehr miterleben. So bleibt die Hoffnung im Herrn, der uns wissen lässt: „Denn das Sichtbare gehört dem Augenblick, das Unsichtbare aber ist ewig.“ (2. Kor 4,18). Mein Bruder Christian stand mir stets für interdisziplinäre Gespräche diesseits und jenseits des großen Teiches zur Verfügung. Herzlichen Dank! Schließlich danke ich der Oestreich-Stiftung, der Gerhard ten Doornkaat Koolman-Stiftung sowie der Ostfriesischen Volksbank eG in Emden für die Gewährung von großzügigen Druckkostenzuschüssen. Emden / Innsbruck, im Frühjahr 2016

Benjamin van der Linde

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Themenaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. Definitionen der Begriffe Militärs und Zivilpersonen . . . . . . . . . . . . 14 III. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 IV. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 V. Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 VI. Präzisierte Fragestellungen und Gang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Geschichte des Regiments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I. Friesland und das Militär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Statthalter Heinrich Casimir II. als Kolonel – Die Aufrichtung des Regiments Nassau-Friesland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 III. Regiment ohne Struktur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 IV. Entwicklung des Regiments bis zur Reform von 1752 . . . . . . . . . . . 36 V. Garnisonslegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. In der Zeit bis 1688 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. In der Zeit des Neunjährigen Krieges (1688–1697) . . . . . . . . . . . 40 3. In der Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714) . . . . . . . 42 4. In der Zeit der friedlichen Jahre bis 1752 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 VI. Uniformierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 VII. Bewaffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 VIII. Geistliche Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 IX. Stärke und Personalstruktur des Regiments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 C. Die Stadt als militärischer Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 I. Einrichtung der Garnisonen: Der Sonderfall Emden . . . . . . . . . . . . . 64 II. Topographie und Struktur der Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Befestigungsanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Leeuwarden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Groningen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 c) Emden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Einwohnerzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 III. Stärke der Garnisonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 IV. Stätten der Garnison . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Leeuwarden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Groningen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3. Emden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

8 Inhaltsverzeichnis V. Bedeutung des Statthalters für die Garnisonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 VI. Militärische Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 VII. Einzug in die Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 VIII. Quartiernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 IX. Wachen und Wachdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Leeuwarden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Groningen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Emden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 X. Musterungen und Paraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 XI. Exkurs: Die Musterungskommissare Bourbom und Daniel van Sloter­ dijck in Leerort und Emden (1741) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 XII. Kirchliches Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 XIII. Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 D. Militär und Recht – Das militärische Gerichtswesen in Leeuwarden, Groningen und Emden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Eckdaten: Instituierung und Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Leeuwarden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Groningen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Emden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 III. Institutionelle Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 IV. Überlieferung der Bestände der Kriegsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 V. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 VI. Aufbau und personelle Besetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Leeuwarden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Groningen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Emden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 VII. Räumliche Beschränkung der Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Leeuwarden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Groningen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Emden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 VIII. Personenbezogene Beschränkung der Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . 138 1. Leeuwarden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Groningen und Emden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 IX. Konkurrenz um die Jurisdiktion: Auseinandersetzungen zwischen dem Kriegsrat und dem Hof von Friesland in Leeuwarden . . . . . . . . . . . . . 141 1. Streitigkeiten um den Wachdienst (1736) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Auseinandersetzung zwischen dem Kriegsrat und dem Hof von Friesland über die juristische Zuständigkeit (1752) . . . . . . . . . . . . 144 X. Emden: Zwist um die Zuständigkeit zwischen Magistrat und Kriegsrat (1740)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 XI. Leeuwarden: Zwist um das Erteilen des Pardons (1738) . . . . . . . . . . 150

Inhaltsverzeichnis9 XII. Proteste gegen die personelle Struktur der Kriegsgerichte . . . . . . . . . 156 1. Emden: Ablehnung des Kriegsgerichtsschulzen (1730er / 40er ­Jahre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Groningen: Offiziere lehnen sich gegen das Amt des Gerichtsschulzen auf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 XIII. Änderungsvorschläge durch Gerichtsschulzen und Assessoren . . . . . 163 XIV. Der Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Leeuwarden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 b) Groningen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 c) Emden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Versammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Verhandlung und Urteilsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4. Urteilsbekanntgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 5. Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Züchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Mit Ehrverlust verbundene Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 6. Richtstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 7. Verhältnis und Zweck der Strafen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 8. Verteidigung des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 XV. Militärisch-zivile Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 XVI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 E. Die Offiziere im Regiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 II. Offiziersränge im niederländischen Militär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 III. Wie wird man Offizier? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 IV. Pierre Bourdieus Kapitaltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 V. Das soziale Kapital: Die Rolle des Adels in Friesland . . . . . . . . . . . 203 1. Adelige Abstammung als Merkmal von Offizieren? . . . . . . . . . . . 204 2. Gesamtheit des friesischen Adels in Bezug zum Militärdienst . . . 208 VI. Sozialprofil der Kapitäne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Alter bei der Ernennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Berufe der Väter und verwandtschaftliche Integration . . . . . . . . . 211 3. Konfessioneller Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 4. Bildungshintergrund – oder wie setzten die Offiziere ihr kulturelles Kapital ein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 5. Ausbildung zum Offizier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 VII. Das ökonomische Kapital – Finanzen als Mittel der Möglichkeiten  . 220 1. Kapitänsamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Höhere Offiziersstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 VIII. Sozialprofil der höheren Offiziere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

10 Inhaltsverzeichnis IX. Argumentationsstrategien zur Erlangung eines Offizierspostens . . . . 229 X. Laufbahnen der rangniedrigeren Offiziere und Unteroffiziere . . . . . . 232 XI. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 XII. Beziehungen zwischen Statthalter und Offizieren . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Offiziersporträts in der Gemäldesammlung des Statthalters . . . . . 235 2. Beziehung der Offiziere zum Statthalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3. Nach dem Tod – Offiziere als Sargbegleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 XIII. Karriereverläufe im Militär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 XIV. Alternativen zum Militärdienst – oder die Bedeutung des Amtes des Grietmans in der Provinz Friesland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 XV. Der Tod als Ende der Dienstzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 1. Begräbnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Trauergedichte – Narrative über Offiziere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 XVI. Die Offizierswerdung oder die Inkorporation habituellen Verhaltens – Eine Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 XVII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 F. Die Soldaten – Militärische Lebenswelten in der frühneuzeitlichen ­Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 1. Methodische Herangehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Struktur und Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Eintritt in die Armee  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Anwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2. Annahmen durch Werbung (Nassau-Diez, 1735) . . . . . . . . . . . . . . 274 3. Annahmen in den Garnisonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 4. Militärlaufbahnen der Soldaten vor der Anwerbung im statthalterlichen Regiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 5. Anwerbung zur Zeit des Krieges – der Neunjährige Krieg (1688– 1697) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 6. Sozialprofil des Regiments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 III. Migration mit dem Regiment: Vorbedingungen zur Garnisonsnahme . 287 IV. In den Garnisonsstädten: Balance zwischen privaten und öffentlichen Räumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 1. Der private Raum: Wahl und Bezug des Quartiers . . . . . . . . . . . . 289 2. Kontakte mit den Hauswirten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a) Emden: Moederke Thomassen und der Soldat Christopher de Vries (1728) – Diebstahl im Haus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b) Groningen: Jan Eilers und der Soldat Johan Frederik Voerman (1732) – Streit um ein Bett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 3. Vorurteile der Einheimischen gegenüber den Soldaten . . . . . . . . . 295 V. Der öffentliche Raum – Beziehungen zwischen militärischer Obrigkeit und Soldaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 1. Auf der Straße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

Inhaltsverzeichnis11

VI.

VII.

VIII.

IX.

X. XI. XII.

XIII.

XIV.

2. Öffentlicher Raum als militärischer Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 3. Emden: Missverständnisse als Konfliktauslöser – Der Zwist ­zwischen Jan Claassen und Fähnrich Womrad (1729) . . . . . . . . . . 301 4. Emden: Vandalismus im öffentlichen Raum (1740)  . . . . . . . . . . . 302 Militärische und zivile Devianz im öffentlichen Raum . . . . . . . . . . . 304 1. Emden: Diebstähle in den Gärten (1739 / 1740) . . . . . . . . . . . . . . . 304 2. Groningen: Gewalt von Einwohnern gegen Soldaten (1737) . . . . 307 Wie werden Konflikte gelöst? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 1. Emden: Ärger im Paradies – Konfliktlösung unter Einbezug der Wachen und des Kriegsgerichts I (1743) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 2. Emden: Der Fremde im Quartier – Konfliktlösung unter Einbezug der Wachen und des Kriegsgerichts II (1731) . . . . . . . . . . . . . . . . 313 3. Leeuwarden: Die bürgerlichen Wachen als zentrale Ansprechpartner (1714) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Annäherungen zwischen Soldaten und zivilen Einwohnern . . . . . . . . 315 1. Groningen: Das Wirtshaus als Ort der Annäherung (1735)  . . . . . 315 2. Alkohol als bloßes Konsumgut oder Mittel zur Annäherung? . . . 316 Militärs außerhalb der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 1. Streit zwischen Soldaten und zivilen Einwohnern: Ein Konflikt im Dorf Groß-Borssum bei Emden (1743) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 2. Arbeit außerhalb der Stadt – Soldaten als Saisonkräfte (1730) . . 322 3. Zivile Streitschlichtung durch Müller in Leeuwarden (1720) . . . . 323 Zwischenfazit – Das Verhältnis von Quartier und Straße . . . . . . . . . 323 Familie und Eheschließungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Armut im Militär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 1. Versorgung von invaliden Soldaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2. Versorgung der Waisen am Beispiel Groningens . . . . . . . . . . . . . . 333 3. Die Versorgung der Ehefrauen und Witwen von Soldaten am Beispiel Groningens und Leeuwardens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Abgang aus dem Militär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 1. Temporärer Abgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Regulärer Abschied aus dem Militärdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 3. Unerlaubter Weggang – Die Desertion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 a) Grundlagen: Desertion im niederländischen Militärrecht . . . . . 340 b) Umfang der Desertionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 4. Wer waren die Deserteure?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Desertion als soziales Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 1. Motive der Deserteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 a) Militärische Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 b) Persönliche Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 2. Umsetzung der Flucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 a) Praktische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 b) Soziale Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

12 Inhaltsverzeichnis 3. Wahrnehmung und Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 a) Militärische Obrigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 b) Wie konnten Desertionen aus obrigkeitlicher Sicht verhindert werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 c) Städtische Obrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 4. Reaktion des Umfelds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 a) Ehefrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 b) Menschen aus dem sozialen Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 aa) Freikauf des Horatius König (1729) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 bb) Nötigung durch Kameraden zur Desertion: Helias Jourdain (1740)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 5. Reaktionen der Deserteure  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 XV. Am Ende des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 1. Tod und Begräbnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 2. Die Hinrichtung des Soldaten Martin Frankar (1737) . . . . . . . . . . 373 XVI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 G. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 H. Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 I. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 1. Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 2. Kirchenbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 3. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 II. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 III. Lexika und Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 IV. Internetseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 V. Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 I. Appendix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 I. Hohe Offiziere des Regiments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 1. I. Bataillon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 2. II. Bataillon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 II. Personenkatalog über Offiziere und Militärbedienstete in den Kompanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 1. I. Bataillon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 2. II. Bataillon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 III. Namensregister zum Personenkatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 IV. Personal der Kriegsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 1. Gerichtsschulzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 2. Assessoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567

A. Einleitung I. Themenaufriss Als das erste Bataillon des Infanterie-Regiments Oranje-Friesland im Jahr 1731 in der Stadt Groningen stationiert wurde, ließ der Statthalter der Provinzen Friesland und Groningen, Wilhelm Karl Heinrich Friso, an den Leutnant-Kolonel Frederik Willem Meijers eine Ordnung übertragen. In dieser hieß es, dass alle Offiziere und Soldaten „met de burgers en ingesetenen […] in eenigheydt en vriendtschap“ leben sollen.1 Beabsichtigt war bei der Garnisonslegung demzufolge, dass die Anwesenheit des Militärs nicht zu Streit und Gewalttätigkeiten zwischen den Soldaten und Offizieren auf der einen und den Bürgern und Einwohnern auf der anderen Seite führen sollte.2 Durch diese Anordnung wurde jedoch auch (un-)bewusst in zwei Gruppen unterschieden: Zum einen in die der Militärs, zum anderen in die der nicht militärischen Bewohner. Die folgende Abhandlung setzt sich mit diesen Aspekten auseinander. Es soll danach gefragt werden, wie sich das Verhältnis von Militärs und NichtMilitärs, die im Folgenden als Zivilpersonen bezeichnet werden, im frühneuzeitlichen Friesland gestaltete. Das Verhältnis von Militär und Zivilbevölkerung wird dabei auf zwei Ebenen betrachtet: Einerseits wird gefragt, ob das Zusammenleben, wie 1731 angeordnet wurde, eher in Einigkeit und Freundschaft ablief oder von Konflikten und Gewalt geprägt war, und ob bei den historischen Akteuren ein Bewusstsein für diese Distinktion bestand. Zum anderen beschäftigt sich die Arbeit mit der Distinktion von militärischen und zivilen Bereichen auf einer abstrakteren Ebene, die sich an die folgende Definition der Begriffe der Militärs und Zivilpersonen anlehnt und dabei weniger die lebensweltlichen Wahrnehmungen3 in den Mittelpunkt stellt, sondern die Institutionen und Ämter und deren Verflechtungen unter1  Leeuwarden,

Tresoar, SHA, Nr. 695, 8.9.1731. war auch generell eine der Absichten bei der Reformierung des frühneuzeitlichen Heerwesens in den Niederlanden seit dem 16. Jahrhundert. Vgl. Israel, Jonathan: The Dutch Republic. Its Rise, Greatness, and Fall. 1477–1806, Oxford 1995, S.  267 f. 3  Unter dem Begriff der Lebenswelt verstehen sich die individuellen Bedürfnisse der Menschen, die sich besonders in ihrem Verhalten und Handeln aufzeigen. Vierhaus, Rudolf: Die Rekonstruktion historischer Lebenswelten, in: Hartmut Lehmann (Hg.), Wege zu einer neuen Kulturgeschichte, Göttingen 1995, S. 7–28. 2  Dies

14

A. Einleitung

sucht. Beide Fragestellungen richten dabei den Blick vom Militär auf die (zivile) Gesellschaft, sodass das Militär im Kern der Untersuchung steht. Darüber hinaus untersucht die Arbeit die Entwicklung und Struktur des friesischen Heerwesens in der frühen Neuzeit.

II. Definitionen der Begriffe Militärs und Zivilpersonen Für die Bearbeitung der dargestellten Fragestellungen ist es notwendig, Definitionen für die Bezeichnung der Militärs und Zivilpersonen zu erstellen. In der aktuellen Forschung lässt sich keine nähere Definition der Begriffe finden,4 selbst Werke, die „Militär und Zivilbevölkerung“ im Titel tragen, setzen sich nicht mit einer Begriffsdefinition auseinander.5 Offensichtlich scheint ihnen und dem Leser klar zu sein, worum es sich bei der Betrachtung handeln soll. Ebenso verbreitet ist der Begriff Gesellschaft statt der Zivilbevölkerung. Bernhard R. Kroener und Ralf Pröve gebrauchen in einem 1996 herausgegebenen Tagungsband für die Beschreibung die Begriffe Militär und Gesellschaft, wobei Militär als ein Teil der Gesellschaft Verwendung findet.6 Gerade aber der Begriff Gesellschaft stellt die beiden Gruppen einander nicht so deutlich gegenüber, wie das Begriffspaar Militär und Zivilperson es kann. Der Begriff „zivil“, von dem sich das Wort Zivilperson ableitet, wird im Wörterbuch Duden dabei unter anderem als „nicht militärisch“ definiert und der Begriff „militärisch“ als Antonym aufgeführt.7 Damit beschreibt der Begriff „Zivilbevölkerung“ den „nicht den Streitkräften angehörende[n] Teil der Bevölkerung“.8 Unter Streitkräften ist insofern das „Militär“ zu verstehen.9 Doch sind die Begriffe auch in den frühneuzeitlichen Quellen und damit im zeitgenössischen Gebrauch nachweisbar,10 wobei der Begriff 4  Einzig Daniel Hohrath definiert in einem Beitrag den Begriff ‚zivil‘ als einen Gegensatz zu dem Terminus ‚militärisch‘. Hohrath, Daniel: Der Bürger im Krieg der Fürsten, in: Bernhard R. Kroener / Ralf Pröve (Hgg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn 1996, S. 305–329, hier: S. 314 (Fn. 23). 5  Lorenz, Maren: Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650–1700), Köln/Weimar/Wien 2007; Nowosadtko, Jutta: Stehendes Heer im Ständestaat. Das Zusammenleben von Militär- und Zivilbevölkerung im Fürstbistum Münster 1650–1803 (Forschungen zur Regionalgeschichte 59), Paderborn u. a. 2011. 6  Kroener, Bernhard R./Pröve, Ralf (Hgg.): Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn 1996, S. VII–VIII (Einleitung). 7  Duden, Online Ausgabe, www.duden.de. 8  Ebd. 9  Art. Streitkräfte, die, in: Duden, Online Ausgabe, www.duden.de. 10  So spricht der Emder Einwohner Claes Jansen 1743 von „Militaire Perzoonen“ (Emden, StadA, I. Reg., Nr. 899).



II. Definitionen der Begriffe Militärs und Zivilpersonen15

des Militärs sich erst Ende des 18. Jahrhunderts ausdifferenzierte und in der frühen Neuzeit vor allem das Adjektiv militärisch gebräuchlicher war.11 Die Verwendung der Begriffe wird beispielsweise in der Ökonomischen Enzyklopädie von Johann Georg Krünitz (1728–1796) deutlich. Dort heißt es, dass die „Civil = Obrigkeit“ die bürgerliche Obrigkeit bildet und im Gegensatz zur „Militär = Obrigkeit“ steht.12 In der Enzyklopädie von Johann Heinrich Zedler (1706–1751) steht der Begriff „civil“ ebenso gegensätzlich zum Militär. So heißt es beispielsweise in dem Abschnitt zu „Ciuil-Bediente“, dass es diejenigen sind, die „keine Kriegs-Dienste thun“. Und auch unter dem Begriff des „Ciuil-Gebäude“ werden „diejenigen Häuser und Gebäude genennet, welche von denen Militair- und Festungs-Gebäuden unterschieden sind“.13 Die Zivilbedienten unterscheiden sich demnach von den „MilitairBediente[n]“, da die letzteren „im Kriege würklich Dienste thun“ und somit „mit dem Policey-Wesen eines Landes nichts zu schaffen haben“.14 In sprachgeschichtlicher Hinsicht wird im Wörterbuch von Johann Christoph Adelung (1732–1806) der Begriff „civil“ als Gegensatz zu dem Wort „Militär“ beschrieben.15 Eine Beweisführung bezüglich einer Auseinandersetzung zwischen dem Leeuwarder Kriegsgericht und dem Hof von Friesland unterschied zwischen „militaire personen“, die unter dem „Militairen Regter“ stehen und somit explizit nicht unter einem „civilen Regter“.16 Und auch die Leeuwarder Stadtbewohnerin Jacomina Jacobs konnte die zwei Gruppen unterscheiden, indem sie im Jahr 1719 von „burgerlijke[n]“ und „militaire[n]“ Personen sprach.17 Auch wenn die Gegensätzlichkeit der Be11  Stumpf, Reinhard: Art. Militarismus (Abschnitt 2. Zur Wortgeschichte von ‚Militär‘ und ‚Miliz‘), in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Stuttgart 1978, S. 1–48, hier: S. 2–7. 12  Art. Civil, in: Krünitz, Johann Georg, Oeconomische Encyclopädie 8 (1776, 1. Aufl./1785, 2. Aufl.), Sp.  181. 13  Art. Ciuil-Bediente und Art. Ciuil-Gebäude, in: Zedler, Johann Heinrich, Universal Lexicon 6 (1733), Sp. 191. Siehe auch: Art. Civil-Bediente und Civil-Gebäude, in: Hübner, Johann, Reales Staats- Zeitungs- und Conversationslexicon (1722), Sp. 439. 14  Art. Militair-Bediente, in: Zedler, Universal Lexicon 21 (1739), Sp. 198. Vgl. Art. Militair-Bediente, in: Hübner, Johann, Reales Staats- Zeitungs- und Conversa­ tionslexicon (1722), Sp. 1159. 15  Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundarten, Bd. 1: A-E, Leipzig 1793, Sp. 1337. 16  Zu dem Fall siehe ausführlicher weiter unten in der Arbeit. Vgl. Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 769. 17  Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 2632, p. 203. So auch der Portier Albert Alberts im Jahr 1691, vgl. ebd., Nr. 2627, p. 95. Da sich der Begriff zivil vom lateinischen civis, also dem Bürger ableitet, sind die Begriffe bürgerlich und zivil als synonym in ihrer Bedeutung zu sehen.

16

A. Einleitung

griffe durch die angeführten Eintragungen klar wird, ist es für die Analyse notwendig, diese mit Inhalt zu füllen. Folgende Definitionen verwenden die Termini als Forschungsbegriffe:18 Militärs: Es sind diejenigen, die durch einen Vertrag an das Militär als Institution gebunden sind. Sie werden erkennbar durch spezielle Kleidung (Uniform). Unter diese Gruppe fallen Soldaten,19 Offiziere, Mitglieder der verschiedenen militärischen Behörden, wie beispielsweise des Kriegsgerichts.20 Militär als Institution versteht sich als Abstraktum. Es wird als ein Überbau begriffen, unter dem sich vor allem Regimenter, Kompanien, Kriegsgerichte und Bedienstete sammeln lassen. Militär als Institution besteht durch das Handeln der Akteure. Deren Handlungen findet dabei Rückwirkung auf die Struktur des Militärs und definiert somit die Eigenschaften des Militärs.21 Zivilpersonen: Es sind diejenigen, die nicht (vertraglich) an das Militär gebunden sind. Sie können jedoch ebenso in bewaffneten Funktionen, wie den Bürgerwehren, auftreten. Die nicht militärischen Institutionen, wie zivile Gerichte, definieren sich ebenso durch das Handeln der Akteure. Erst durch die Handlung entfaltet sich der jeweilige Charakter der Institution. Der Begriff der Zivilperson definiert sich explizit darüber, dass er bei der Anwesenheit von Militärs Bedeutung findet.

Der Begriff der Zivilperson ist negativ formuliert. Er soll das gemeinsame Merkmal aller anderen, nicht militärischen Bewohner der Städte in Bezug auf das Militär fassen. Aus diesem Grunde wird eine lebensweltliche Trennung 18  Dies impliziert den möglichen Vorwurf des Anachronismus der Begriffe. Dieser sei dahingehend entkräftet, dass die Aufstellung von Analysekategorien den Vergleich schärfen soll, um somit neue Erkenntnisse zu gewinnen. Vgl. die grundsätzliche Überlegung bei: Moos, Peter von: Das Öffentliche und das Private im Mittelalter. Für einen kontrollierten Anachronismus, in: Gert Melville/Peter von Moos (Hgg.), Das Öffentliche und Private in der Vormoderne (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit 10), Köln 1998, S. 3–83, hier: S. 9–12. 19  So auch Zedler, wenngleich mit Bezug zum deutschen Raum. Soldaten gehören zum „Ordo Militaris“, also dem Soldatenstand. Art. Soldaten-Stand, in: Zedler, Universal Lexicon 38 (1743), Sp. 505. 20  Die Unterscheidung der Einwohner einer Stadt in verschiedene Rechtsgruppen zieht bereits Pröve, Ralf: Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Göttingen und seine Militärbevölkerung 1713–1756 (Beiträge zur Militärgeschichte 47), München 1995, S. 61–67 mit ein. 21  Handeln und Handlungen sind prägend für das Verständnis von Geschichte. Siehe zu dieser Auffassung: Gerber, Doris: Analytische Metaphysik der Geschichte. Handlungen, Geschichte und ihre Erklärung, Berlin 2012. Sie versteht Geschichte allein als Folge von Handlungen (S. 296). Zur Methode der vorliegenden Arbeit sei bereits an dieser Stelle angemerkt, dass in den Kapiteln E. und F. mit den Theorien P. Bourdieus und A. Giddens dezidiert handlungsorientiert gearbeitet wird. Wenngleich Gerber Giddens’ Theorie aus der Logik ad absurdum führt, blendet sie vollständig einen möglichen praxisrelevanten Umgang mit der Theorie aus. Vgl. bes. die Rezension von Welskopp, Thomas: Intentionale Wende – oder Kehrtwende in der Geschichte?, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 6.



III. Forschungsstand17

nicht grundsätzlich vorausgesetzt,22 sondern bewusst eine normative Beschreibung gewählt. Dies lässt aufzeigen, inwiefern Menschen eher militärisch oder zivil agierten und worin die Konsequenzen für ihr Handeln bestanden. Eine normative Definition ermöglicht ein besseres Verständnis, wie Handlungen funktionierten und welche Dynamiken sich entwickelten. Dabei agieren Militärs und Zivilpersonen sowohl in gemeinsamen und getrennten Teilmilieus, als auch in divergierenden und verbindenden Lebenswelten.23

III. Forschungsstand24 Die Arbeit orientiert sich an der Forschungsrichtung der neuen Militärgeschichte. Die neue Militärgeschichte, wie sie im deutschsprachigen Raum für die frühneuzeitliche Epoche betrieben wird, setzt sich dezidiert von der Kriegsgeschichte ab.25 Sie entstand vor allem unter Einbezug englischsprachiger Forschungen in den 1980er Jahren. Bereits 1979 legte Ernst Willi Hansen einen programmatischen Aufsatz vor, in dem er die neuen sozialgeschichtlichen Fragestellungen, die an die Geschichte des Militärs gerichtet werden sollten, aufwarf. Dabei zeichnete er die bisherige Forschungsgeschichte nach und nannte Gründe, warum das Militär bis dato kaum Eingang in die Geschichtswissenschaft gefunden hatte: Zum einen bestünde ein Mangel an aussagekräftigen Quellen, die seiner Auffassung nach eher über die Oberen des Heeres als über die Soldaten Auskunft geben. Zum anderen beanstandete er in der Wissenschaftsorganisation ein Defizit, da zu seiner Zeit militärgeschichtliche Untersuchungen kaum universitär betrieben wurden und Forschungsvorhaben hauptsächlich an militärische Institutionen gebunden waren.26 22  Vgl. Kaiser, Michael: Die Söldner und die Bevölkerung. Überlegungen zu Konstituierung und Überwindung eines lebensweltlichen Antagonismus, in: Stefan Kroll/ Kersten Krüger (Hgg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 1), Hamburg 2000, S. 79–120. 23  Siehe vor allem: Pröve, Ralf: Grenzen markieren und überschreiten. Die Lebenswelt „Militär“ in der Perspektive des „performative turn“, in: Christine Roll/ Frank Pohle/Matthias Myrczek (Hgg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, Köln/Weimar/Wien 2010, S. 335–340, hier S.  335 f. 24  Der spezifische Forschungsstand wird bei den jeweiligen Kapiteln der Arbeit vorgestellt. 25  Siehe auch den Forschungsüberblick über den Zusammenhang von Militär und Staatswerdung bei Thewes, Guy: Stände, Staat und Militär. Versorgung und Finanzierung der Armee in den Österreichischen Niederlanden 1715–1795 (Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 14), Wien/ Köln/Weimar 2012, S. 12–22. 26  Hansen, Ernst Willi: Zur Problematik einer Sozialgeschichte des deutschen Militärs im 17. und 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung 6

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A. Einleitung

Wesentlich zur Konstituierung der neuen Militärgeschichte im deutschsprachigen Raum konnte Bernhard R. Kroener beitragen. In seinen programmatischen Aufsätzen skizzierte er besonders die wissenschaftliche Entwicklung der Militärgeschichte sowie die bedeutsamen Forschungen mit ihren jeweiligen Lücken.27 Militär als sozialgeschichtlicher Faktor fordere dabei „ausgreifende Beschreibungen des Verhältnisses von ziviler Gesellschaft und Militär“, denn wo Militär und Gesellschaft auf engstem Raum zusammengelebt hätten, würde sich das Verhältnis dieser zueinander besonders widerspiegeln.28 Dabei müsse der Friedenszustand als Normalsituation angesehen werden, während der Kriegszustand, der so häufig in der alten Militärgeschichte betont worden sei, lediglich die Ausnahme bildete.29 Kroener forderte vor allem Einzelstudien über das Zusammenleben ein, um die „wechselseitige Beeinflussung schärfer konturieren zu können“.30 Desgleichen postulierte Ralf Pröve im Jahr 200031 in einer Betrachtung zur neuen Militärgeschichte, dass neben der alten Forschungsperspektive von „oben“ nun Ansätze zu verfolgen seien, welche die einzelnen Soldaten in den Blick nehmen.32 Seit den 1990er Jahren seien unter Berücksichtigung der neuen beziehungsweise erstarkenden historischen Methoden – wie der (1979), S. 425–460, hier S. 428 f. Mit der Einrichtung des Lehrstuhles für Militärgeschichte an der Universität Potsdam wurde diesem Desiderat teilweise Rechnung getragen. 27  Kroener, Bernhard R.: Vom ‚extraordinari Kriegsvolck‘ zum ‚miles perpetuus‘. Zur Rolle der bewaffneten Macht in der europäischen Gesellschaft der frühen Neuzeit, in: Ralf Pröve/Bruno Thoss (Hgg.), Bernhard R. Kroener, Kriegerische Gewalt und militärische Präsenz in der Neuzeit. Ausgewählte Schriften, Paderborn u. a. 2008, S. 3–63 [zuerst erschienen in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 43 (1988), S. 141– 188], Kroener, Bernhard R.: „Das Schwungrad an der Staatsmaschine“? Die Bedeutung der bewaffneten Macht in der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit, in: Bernhard R. Kroener/Ralf Pröve (Hgg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Parderborn 1996, S. 1–24 und schließlich Kroener, Bernhard R.: Militär in der Gesellschaft. Aspekte einer neuen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, in: Ralf Pröve/Bruno Thoss (Hgg.), Bernhard R. Kroener, Kriegerische Gewalt und militärische Präsenz in der Neuzeit. Ausgewählte Schriften, Paderborn u. a. 2008, S. 65–82 [zuerst erschienen in: Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hgg.), Was ist Militärgeschichte? (Krieg in der Geschichte 6), Paderborn 2000, S. 283–300]. 28  Kroener, Militär in der Gesellschaft, S. 72. 29  Ebd., S. 42. 30  Ebd., S. 72. 31  Pröve, Ralf: Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin? Die „neue Militärgeschichte“ der Frühen Neuzeit – Perspektiven, Entwicklungen, Probleme, in: Bernhard R. Kroener/Angela Strauss (Hgg.), Ralf Pröve. Lebenswelten. Militärische Milieus in der Neuzeit. Gesammelte Abhandlungen, Berlin 2010, S. 105–125, hier: S. 109 [zuerst erschienen in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000), S. 597–612]. 32  Ebd., S. 109.



III. Forschungsstand19

Kultur- oder Geschlechtergeschichte – Soldaten wieder mehr in das Blickfeld geraten.33 Dadurch müsse auch das Verhältnis von Zivil- und Militärbevölkerung aus einer anderen Perspektive gesehen werden, weniger unter der Betonung von Gewalt als dem Zusammenwirken in verschiedenen Bereichen des Alltags.34 Während in der deutschsprachigen Forschung das Interesse stetig wuchs und sich vor allem durch zahlreiche Publikationen auszeichnete,35 hat sich die niederländische Forschung kaum mit dem Konzept der neuen Militärgeschichte auseinandergesetzt.36 Die Werke, die dieses Konzept in großangelegter Form aufgreifen, stammen alleinig aus der Feder von Olaf van Nimwegen, dessen Abhandlung über die militärische Revolution in den Niederlanden als eine Pionierstudie gelten muss.37 Programmatisch haben sich zudem mit den Aspekten der neuen Militärgeschichte Raymond Fagel und David Onnekink in ihrem 2005 herausgegebenen Sammelband „Oorlog & Samenleving in de Nieuwe Tijd“ beschäftigt.38 Dabei orientierten sie sich jedoch vor allem an englischsprachigen Forschungen der 1980er und 1990er Jahre.39 Für die Zeit des niederländischen Aufstands liegt seit 2014 das Werk von Marjolein ’t Hart vor, das sich unter anderem mit der Koexistenz von Soldaten und Zivilpersonen im städtischen Raum beschäftigt.40 Die englischsprachige Forschung hat zwar das Spannungsfeld zwischen Militär und Gesellschaft thematisiert, jedoch sind dort keine Auseinandersetzungen mit den konkreten Ausformungen im Zusammenleben geschehen.41 33  Ebd.,

S. 119. S. 122. 35  Zu denken ist hier beispielsweise an die vom Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit herausgegebene Schriftenreihe „Herrschaft und soziale Systeme in der frühen Neuzeit“ oder an die Reihe „Krieg in der Geschichte“, wobei bei letzterer der Schwerpunkt eher auf der Zeit nach 1800 liegt. 36  Vgl. Swart, Erik: Krijgsvolk. Militaire professionalisering en het ontstaan van het Staatse leger, 1568–1590, Amsterdam 2006, S. 15. 37  Nimwegen, Olaf van: Deser landen crijchsvolck. Het Staatse leger en de militaire revoluties (1588–1688), Amsterdam 2006. 38  Fagel, Raymond/Onnekink, David (Hgg.): Oorlog & Samenleving in die Nieuwe Tijd (Publicaties van de Vlaams-Nederlandse Vereniging voor Nieuwe Geschiedenis 3), Maastricht 2005. 39  Fagel, Raymond/Onnekink, David, Inleiding, in: Fagel/Onnekink (Hg.), Oorlog, S. 3–9. 40  ’t Hart, Marjolein: The Dutch Wars of Independence. Warfare and commerce in the Netherlands 1570–1680, London 2014. 41  Siehe beispielsweise: Anderson, M. S.: War and Society in Europe of the Old Regime 1618–1789, Leicester 1988; Wilson, Peter H.: War, state and society in Württemberg, 1677–1793, Cambridge 1995; Tallett, Frank: War and Society in Early-Modern Europe, 1495–1715, London/New York 1992. 34  Ebd.,

20

A. Einleitung

Die kurze Skizzierung der bisherigen Forschungen zeigt deutlich, dass das Zusammenleben von Militär- und Zivilbevölkerung auf einer historischanthropologischen Basis mit kulturgeschichtlichem Einfluss noch nicht betrieben wurde. Werke, die sich mit dem Verhältnis auseinandersetzen, weisen meist eine sozialgeschichtliche Herangehensweise auf. So konstatierte Ralf Pröve in seiner 1995 erschienenen Dissertation42 über die Garnison in Göttingen im 18. Jahrhundert ein Desiderat bezüglich der sozioökonomischen Wechselwirkungen zwischen Militär- und Zivilbevölkerung und gab an, dass die Forschung vor allem auf „Extrembeispiele“ verkürzt werde.43 Seine Arbeit greift diesen Aspekt auf und verfolgt vor allem die Klärung von „verfassungsrechtlichen, fiskalischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen“ von Militär in der Stadt.44 Durch den Ansatz bedingt stehen vor allem quantitative Herangehensweisen im Vordergrund. Ebenso beschäftigte sich Jutta Nowosadtko anhand des Beispiels des Stifts Münster mit dem Zusammenleben von ziviler und militärischer Bevölkerung. Sie analysierte das militärische Rechtssystem, bei dem Probleme im Zusammenleben beider Gruppen deutlich wurden. Berücksichtigung findet dabei zudem die Frage nach der allgemeinen Militarisierung des Gebiets. Während für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts noch die Gewalt im Vordergrund stand, verlor sich diese im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend.45 Gleichfalls unter Einbezug von juristischen Quellen setzte sich Maren Lorenz mit Gewalt innerhalb des Militärs sowie zwischen dem Militär und der Zivilbevölkerung in den durch Schweden okkupierten Gebieten Norddeutschlands im 17. Jahrhundert auseinander. Dabei attestierte sie den Soldaten beispielsweise durch das Erleben von Kriegserfahrungen einen deutlichen Hang zur Gewalt.46 Gewalt sei sogar die „normale[…] Form der Konfliktlösung“ gewesen.47 Kritisch ist bei dieser Studie zu hinterfragen, ob der Fokus nicht zu sehr auf den Faktor Gewalt gerichtet wurde.48 Die Beispiele aus den deutschen Gebieten können jedoch nur bedingt auf die Verhältnisse in den Niederlanden übertragen werden. Die Niederlande weisen in vielerlei Hinsicht eine divergierende militärische Tradition auf. 42  Pröve,

Stehendes Heer. S.  5 f. 44  Ebd., S. 6. 45  Nowosadtko, Stehendes Heer, S. 262. 46  Lorenz, Rad der Gewalt, S. 321. 47  Ebd., S. 324. 48  Vgl. die Rezension: Ditcham, Brian G. H., A Hobbesian Society in Seventeenth-Century North Germany?, in: H-German, H-Net Reviews. April 2009 (URL: http://‌www.h-net.org/‌reviews/‌showrev.php?=id15653). 43  Ebd.,



III. Forschungsstand21

Für die Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts konnte Griet Vermeesch grundlegende Differenzen deutlich machen,49 da in den Niederlanden wesentlich früher eine obrigkeitlich-administrative Kontrolle über den militärischen Apparat gewonnen werden konnte. Letztlich konstatierte Vermeesch, dass durch die Besonderheit des niederländischen Einquartierungssystems, das ohne Zwang und Abgaben auskam, ein geregeltes und friedvolles Zusammenleben möglich gewesen sei. Auffällig ist vor allem das Verhältnis von Soldaten zur Gesamtbevölkerung. Während in den meisten europäischen Ländern in der Zeit bis 1750 eine Armeestärke zwischen weniger als ein bis zwei Prozent der Gesamtbevölkerung bestand, dienten in den Niederlanden in den 1670er Jahren bereits drei Prozent der Bevölkerung im Militär.50 Ein Höhepunkt sollte zu Beginn des 18. Jahrhunderts erreicht werden. In dieser Zeit war jeder 14. Einwohner Soldat, was einem Verhältnis von rund sieben Prozent der Gesamtbevölkerung entsprach. Bei einer Einwohnerzahl von 1,9 Millionen waren im Jahr 1713 133.000 Mann im Militär engagiert.51 Dabei sind offensichtlich in diesen Zahlen die Offiziere nicht berücksichtigt. Selbst der stetige Kontrahent Frankreich wies um 1710 nur eineinhalb Prozent seiner Bevölkerung als Soldaten aus, wobei die absolute Zahl die der Niederlande mit 300.000 weit überstieg.52 Eine wie in den Niederlanden hohe Anzahl von Soldaten sollte erst Preußen in den 1760er Jahren, wohl aufgrund des Siebenjährigen Kriegs (1756–1763), erlangen.53 Generell ist festzustellen, dass die Niederlande, wie auch viele andere Länder, nach dem Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714) die Anzahl ihrer Streitkräfte verringerten. So sank die Zahl 1727 auf rund 54.000 Soldaten,54 während diese ab den 1740er Jahren mit Beginn des Österreichischen Erbfolgekriegs 49  Vermeesch, Griet: Oorlog, Steden en Staatsvorming. De Grenssteden Gorinchem en Doesburg tijdens de geboorte-eeuw van de Republiek (1570–1680), o. O. 2006. 50  Frijhoff, Willem/Spies, Marijke: 1650. Bevochten eendracht, Den Haag 1999, S. 150. 51  Siehe zu den Einwohnerzahlen: Devos, Isabelle/Lambrecht, Thijs/Paping, Richard: The Low Countries, 1000–1750, in: Eric Vanhaute/Isabelle Devos/Thijs Lambrecht (Hgg.), Making a Living: Family, Labour and Income (Rural Economy and Society in Northwestern Europe 500–2000), Turnhout 2011, S. 157–184, hier: S. 159. 52  Wichtig sind vor allem die Relationen, nicht die absoluten Zahlen. Kroener, Schwungrad, 16. Siehe zu den Zahlen ebenso mit leichten Abweichungen: Glete, Jan: War and the State in Early Modern Europe. Spain, the Dutch Republic and Sweden as fiscal-military states, 1500–1660, London/New York 2002, S. 156 f. 53  Zahlen für die Niederlande nach Zwitzer, Hans Laurentz: Het Staatse Leger, Bd. IX: De achttiende eeuw. 1713–1795, hg. von J. Hoffenaar und C.W. van der Spek, Amsterdam 2012, S. 35. Für andere Länder: Kroener, Schwungrad, S. 7. 54  Kroener, Militär in der Gesellschaft, S. 76; Kroener, Schwungrad, S. 7.

22

A. Einleitung

(1740–1748) wieder auf fast 100.000 Mann anstieg.55 Somit muss davon ausgegangen werden, dass in den niederländischen Garnisonsstädten Militär quantitativ stärker vertreten war als beispielsweise in Deutschland. Ebenso liegt ein anderer wesentlicher Unterschied darin, dass in den Niederlanden das Militär nicht unter dem exklusiven Zugriff eines Landesherrn stand. Die Niederlande waren in der Zeit von 1568 bis 1795 republikanisch verfasst, sodass die Truppen sich verwaltungstechnisch unter den jeweiligen Provinzen befanden. Jedoch konnte der Statthalter beziehungsweise die Regenten der jeweiligen Provinz nicht selbst bestimmen, in welche Garnisonen die Truppenteile verlegt werden sollten. Für die Verlegung der Truppen war in der Regel der Raad van State verantwortlich. Daher lässt sich konstatieren, dass die Studie einen Bereich behandelt, der in der deutschsprachigen Forschung bisher wenig, in der niederländischen hingegen nahezu gar nicht aufgegriffen wurde. Aus diesem Grunde müssen im Folgenden an vielen Stellen Grundlagenforschungen betrieben werden, die nicht an jeder Stelle eine vergleichende europäische Perspektive einnehmen können.56 Durch die geschilderten Fälle soll neben der Beantwortung der Kernfragestellung vor allem auch allgemeines Wissen über die Militärgeschichte der Niederlande und insbesondere der Provinz Friesland ermittelt werden.57

IV. Untersuchungsgegenstand Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist das Militär der Provinz Friesland, der über eine Betrachtung des Leibregiments der friesischen Statthalter erschlossen werden soll. Das Regiment nannte sich Nassau-Friesland und ab dem Jahr 1702 Oranje-Friesland, nachdem die friesischen Statthalter aus dem Geschlecht der Nassauer nach dem Tode von Wilhelm III. den Titel des Prinzen von Oranien geerbt hatten. Dass ein Regiment als Ausgangspunkt für die Studie gewählt wurde, ist insofern zu begründen, weil es 55  Vgl. diese Zahlen bei Zwitzer, Hans Laurentz: ‚De Militie van den staat‘. Het leger van de Republiek der Verenigde Nederlanden, Amsterdam 1991, S. 176. 56  Vgl. Kroener, Bernhard R.: „Des Königs Rock“. Das Offizierkorps in Frankreich, Österreich und Preußen im 18. Jahrhundert – Werkzeug sozialer Militarisierung oder Symbol gesellschaftlicher Integration?, in: Peter Baumgart/Bernhard R. Kroener/Heinz Stübig (Hgg.), Die Preußische Armee. Zwischen Ancien Régime und Reichsgründung, Paderborn u. a. 2008, S. 72–95, hier: S. 77. Kroener schildert, dass „wir auf dem Feld einer vergleichenden Militärgeschichte der Frühen Neuzeit heute [i. e. 2008] noch am Anfang stehen“. 57  Vgl. zur grundsätzlichen Überlegung: Pohlig, Matthias: Vom Besonderen zum Allgemeinen? Die Fallstudie als geschichtstheoretisches Problem, in: Historische Zeitschrift 297 (2013), S. 297–319, insb. S. 315–318.



V. Quellenlage23

aufgrund der speziellen Form des niederländischen Heerwesens mit ständiger Verlegung der einzelnen Regimenter attraktiv erscheint, diesem Regiment bei seinem Gang durch die Garnisonsstädte zu folgen. Dabei werden auch andere Regimenter und deren Offiziere und Soldaten mit einbezogen, sofern sie sich zeitlich parallel zum Leibregiment in den jeweiligen Städten befunden haben. Die zeitliche Eingrenzung der Studie liegt auf den Jahren zwischen 1666 bis 1752, von der Ernennung Heinrich Casimirs II. zum Kolonel des besagten Regiments bis hin zur großen niederländischen Militärreform, die letztlich die Regimenter ihre individuellen Charakteristika verlieren ließ. Das geographische Hauptgewicht der Studie liegt auf den Garnisonsstädten Leeuwarden, Groningen und Emden. Leeuwarden bildete als Residenzstadt der friesischen Statthalter die Heimatgarnison des Regiments. Die Stadt Groningen wurde ausgewählt, da die friesischen Statthalter in der gleichnamigen Provinz über viele Jahre die Statthalterwürde innehatten. Besonders im 18. Jahrhundert ist zudem eine Verstärkung der militärischen Interessen in Groningen zu erkennen. Die auf Boden des Heiligen Römischen Reichs liegende Stadt Emden wurde berücksichtigt, weil das Leibregiment dort rund zehn Jahre in der Zeit des 18. Jahrhunderts verbrachte. Andere Garnisonsorte, an denen sich das Regiment nachweislich befand, bleiben weitgehend unberücksichtigt, da sich hier häufig keine größeren Quellenbestände zum Militär finden ließen.58

V. Quellenlage In den Niederlanden gibt es keine Kriegs- oder Militärarchive, sodass die Überlieferung der jeweiligen Regimentsverwaltung als verloren gelten muss.59 Daher wurde die vorliegende Studie aus vielen verstreuten Dokumenten erstellt. Wenngleich kritische Einschätzungen der Quellen an den Stellen erfolgen, an denen sie herangezogen werden, soll trotzdem im Folgenden das Spektrum der Archiv- und Bestandsauswahl kurz dargelegt werden. Die zentrale Quellengrundlage der Arbeit bildet das Archiv der friesischen Statthalter mit Schwerpunkt auf der Zeit von der Mitte des 17. bis 58  Dies

betrifft insbesondere die Städte Arnheim, Kampen, Zwolle und Zutphen. Bataillon hatte eine eigene Verwaltung mit den dazugehörigen Unterlagen, von denen jedoch offensichtlich keine Stücke nachweislich überliefert sind. Hardenberg, H.: Overzigt der voornaamste Bepalingen betreffende de sterkte, zamenstelling, betaling, verzorging en verpleging van het nederlandsche Leger sedert den Vrede van Utrecht in 1713 tot den tegenwoordigen tijd. Hoofdzakelijk op voet van vrede, ’s Gravenhage 1858, S. 123–127. 59  Jedes

24

A. Einleitung

zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Dies ist aufgrund der Verlegung des statthalterlichen Hofs von Leeuwarden nach Den Haag im Jahr 1747 in verschiedenen Archiven überliefert. Ein großer Teil wird im Archiv Tresoar – Historisch en Letterkundig Centrum in Leeuwarden, dem ehemaligen Rijksarchief der Provinz Friesland, verwahrt. Hier liegen insbesondere die Aktenbestände, die keine unmittelbare Zugehörigkeit zum Adelsgeschlecht Oranien-Nassau aufwiesen und somit relevanter für die Geschichte der Provinz als für die Familiengeschichte sind.60 Darüber hinaus befinden sich im Tresoar die Überlieferungen des Leeuwarder Kriegsgerichts, der Stände der Provinz Friesland, sowie etliche kleinere Nachlässe verschiedener friesischer Familien und die Bestände des Fries Genootschap voor Geschiedenis en Cultuur. Ein weiterer großer Bestandteil des Archivs der Statthalter ist im Koninklijk Huisarchief in Den Haag nachzuweisen. Dort befinden sich vor allem die persönlichen Dokumente der Statthalter. Das Nationaal Archief in Den Haag (ehemals Algemeen Rijksarchief) verfügt über den Bestand des statthalterlichen Sekretariats. Ebenfalls wurde mit den Überlieferungen des Raad van State und der Staten-Generaal gearbeitet, die größtenteils für die militärische Verwaltung in den Niederlanden verantwortlich waren. Beide Archive bilden Bestände des Nationaal Archiefs. Darüber hinaus wurde für die niederländische Garnison in Emden das dortige Stadtarchiv konsultiert, insbesondere die Bestände des Emder Kriegsgerichts sowie der Garnisonsverwaltung. Ebenso konnte auf die städtische Registratur zurückgegriffen werden. Für Emden wurden darüber hinaus die Bestände des Fürstlichen Hofs von Ostfriesland herangezogen, die sich im Staatsarchiv Aurich befinden. Für die Garnisonsstadt Groningen wurden die Bestände der Groninger Archieven herangezogen. Dies betraf vor allem die städtische Registratur sowie die Bestände des Kriegsgerichts. In Leeuwarden wurde darüber hinaus das Historisch Centrum (ehemaliges Gemeentearchief) konsultiert. Ferner finden sich einzelne Aktenstücke aus dem Het Utrechts Archief, dem Historisch Centrum Overijssel in Zwolle und dem Gelders Archief in Arnheim in der Untersuchung. In einigen Bereichen der Arbeit liegt ein deutlicher Schwerpunkt auf der Stadt Emden. Dies ist vor allem durch die sehr dichte Quellenüberlieferung für die Zeit des 18. Jahrhunderts begründet. Zum einen verfügt das Stadtar60  Nienes, A.  P. van: Inleiding, in: A.  P. van Nienes/M. Bruggeman (Hgg.), Archieven van de Friese stadhouders – Inventarissen van de archieven van de Friese stadhouders van Willem Lodewijk tot en met Willem V, 1584–1795, Hilversum/Den Haag/Leeuwarden 2002, S. 13–77, hier: S. 64.



VI. Präzisierte Fragestellungen und Gang der Arbeit25

chiv in Emden über etliche Unterlagen zur niederländischen Garnison, zum anderen sind vor allem Briefe von Offizieren überliefert, wie ein regelmäßiger Briefverkehr des Stadtkommandanten Otto Georg Veldtman61 mit den Generalstaaten aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Zudem weisen die Registratur der Statthalter und das Archiv in Den Haag etliche Briefe auf, die Offiziere aus Emden geschrieben haben. Ergänzt wird das Bild durch Berichte des ostfriesisch-fürstlichen Drosts und der Amtsmänner, die in Emden lebten und dem ostfriesischen Fürsten über die Lage in der Stadt berichteten.

VI. Präzisierte Fragestellungen und Gang der Arbeit Die Leitfragen wurden in drei Hauptabschnitte unterteilt, die einzelnen spezifischen Fragestellungen nachgehen. Die methodischen Herangehensweisen der Kapitel unterscheiden sich voneinander, sie sind auf die jeweilige Quellenüberlieferung zugeschnitten. Das erste Hauptkapitel (D.) weist eine rechtsgeschichtliche Herangehensweise auf, im zweiten Hauptkapitel (E.) wird kollektivbiografisch und im dritten (F.) mikrogeschichtlich gearbeitet. Dies ist wichtig zu konstatieren, um die Reichweite der Ergebnisse einschätzen zu können. Ohne Methode und theoretische Reflexion sind die Ergebnisse beliebig. Um dies zu vermeiden, ist eine Untermauerung „mit faktischen und logischen Argumenten“62 unabdingbar, damit Ergebnisse nicht „zufällig“ zu Stande kommen.63 Grundsätzlich ist die Studie historischanthropologisch ausgerichtet, sodass die Handlungen von Menschen im Vordergrund stehen. Handlungen verstehen sich dabei als Ausprägung der menschlichen Kultur.64 Den drei Hauptkapiteln wird eine umfangreiche Einführung vorangestellt. Diese ist in erster Linie darstellend angelegt, um die Grundlagen für die 61  Er wurde 1707 Kapitän im Regiment Ripperda, 1718 Leutnant-Kolonel, 1723 Stadtkommandant von Emden, 1739 schließlich Kolonel. Siehe dazu die Urkunden in: Groningen, GA, Familie Gockinga (1), 1640–1882, Nr. 55. 62  Lorenz, Chris: Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie, Köln 1997, S. 3. 63  Ebd., S. 3. Eine gegenteilige Ansicht vertritt Baberowski, der in historischen Texten das Befolgen von Konventionen und weniger den Gebrauch von Theorien als maßgeblich ansieht. Baberowski, Jörg: Brauchen Historiker Theorien? Erfahrungen beim Verfassen von Texten, in: ders. (Hg.), Arbeit an der Geschichte. Wie viel Theo­ rie braucht die Geschichtswissenschaft? (Eigene und fremde Welten 18), Frankfurt/ New York 2009, S. 117–128. 64  Vos, Jozef: Historische antropologie: een plaatsbepaling, in: Tijdschrift voor Sociale Geschiedenis 20 (1994), S. 77–98; Dülmen, Richard van: Historische Anthro­ pologie. Entwicklung, Probleme, Aufgaben, 2. Aufl., Köln/Weimar/Wien 2001.

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A. Einleitung

späteren Argumentationslinien zu schaffen. Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit der geschichtlichen Entwicklung des friesischen Militärs und der durch das Militär geschaffenen Strukturen, sowohl innermilitärisch als auch in der Wirkung auf die Garnisonsorte. Die Einführung ist in zwei Kapitel unterteilt, so beschäftigt sich das Kapitel B. mit der Konstituierung des statthalterlichen Regiments und ordnet diese in die allgemeine Militärgeschichte der Niederlande ein. Das Kapitel C. behandelt die Stadt als militärischen Ort. Hier wird aufgezeigt, inwiefern die Städte Leeuwarden, Groningen und Emden zu Garnisonsstädten wurden und welche Folgen die Stationierung des Militärs mit sich brachte. Dies betrifft dabei sowohl die soziale Struktur, als auch topographische Aspekte, wie beispielsweise den Festungsausbau oder die infrastrukturelle Institutionalisierung des Militärs. Das Kapitel D. bildet das erste Hauptkapitel. In diesem wird das niederländische Kriegsrecht mit Hauptaugenmerk auf die nördlichen Provinzen dargestellt. Der Fokus liegt auf den Garnisonsstädten Leeuwarden, Groningen und Emden. Alle drei Städte verfügten über spezielle Kriegsgerichte, die sich von der üblichen Rechtsprechung der anderen Provinzen unterschieden. An das Kriegsgerichtswesen richten sich Fragen nach der Distinktion von militärischer und ziviler Bevölkerung vor allem auf der abstrakteren Ebene. Da bisher kaum Forschungen zu diesem Themenkomplex vorliegen, ist es ein Anliegen der Arbeit neben der Verfolgung der eigentlichen Fragestellung auch eine umfangreiche Darstellung des frühneuzeitlichen friesischen Militärgerichtswesens zu leisten. Es ist zu fragen, worin das Kriegsrecht in den drei Städten bestand, wie die Gerichte funktionierten und wie Recht gesprochen wurde. In welchen Situationen fielen die Militärs unter die militärische, in welchen unter die zivile Rechtsprechung? Wie wurde dies begründet? Die Beschreibung der Institution soll vornehmlich aus einer rechtsgeschichtlichen Sicht mit Rückkopplung an das individuelle Handeln geschehen. Dies bedeutet, dass zwar der normative Charakter der Gerichte im Vordergrund steht, jedoch mithilfe von unterschiedlichen Quellen und Problembeispielen reflektiert wird. Das Kapitel E. und damit zweite Hauptkapitel stellt die Offiziere in den Mittelpunkt. In diesem gilt es aufzuzeigen, welche Rolle die Offiziere in dem Leibregiment spielten. Dabei richtet sich die Frage zunächst auf eine Charakterisierung des Offizierskorps, die sich mit Herkunft, Ausbildung und letztlich Etablierung der Offiziere beschäftigt. Zentral ist unter Berücksichtigung der Leitfragestellung, wie sich die Offiziere im Spannungsfeld zwischen zivilen und militärischen Sphären bewegten. Es wird danach gefragt, ob die Offiziere spezielle Eigenschaften aufwiesen, die sie eher militärisch erscheinen lassen. Gibt es beispielsweise Wechsel zwischen militärischen und zivilen Lebensbereichen? Welche Bedeutung hatte das Militär für die Offiziere? Methodisch orientiert sich dieses Kapitel an der Kollektivbiogra-



VI. Präzisierte Fragestellungen und Gang der Arbeit27

phie und ist somit eher sozialgeschichtlich ausgerichtet, weil dieser Ansatz mehr von der Gesellschaft beziehungsweise einer Gruppe als vom Individuum ausgeht.65 Dies bedeutet, dass in vielen Abschnitten mit statistischen Erhebungen gearbeitet wird. Die dort gewonnenen Zahlen und Zusammenhänge werden jedoch kritisch mit der Lebenswirklichkeit abgeglichen und anhand kulturgeschichtlich ausgerichteter Quellen eingeordnet, in denen die Menschen und ihr Handeln im Mittelpunkt stehen.66 Andere Abschnitte arbeiten dezidiert kulturgeschichtlich, indem sie beispielsweise nach der Bedeutung von Leichenzügen oder der Ausformung eines militärischen Habitus fragen. Das Kapitel F., das das dritte Hauptkapitel darstellt, beschäftigt sich mit den Soldaten und dem konkreten Zusammenleben dieser mit den zivilen Bewohnern der Garnisonsstädte. Es wird die Klärung der konkreten Lebensumstände und die Aufschlüsselung der Lebenswelten der Soldaten verfolgt. Dies betrifft die Wahrnehmung durch die Akteure, wodurch der Begriff Lebenswelt die wahrgenommene Wirklichkeit beschreibt. Das Kapitel schildert das Leben der Soldaten von der Annahme bis zum Ausscheiden aus dem Militärdienst. Dabei werden Fragen aufgeworfen, wie ein Mann zum Soldat wurde und welche Bedeutung die Anwerbung für diesen hatte. Wie verhielten sich Soldaten in den Garnisonsstädten, wie fügten sie sich in den Alltag ein, wie reagierten die Einheimischen auf die Soldaten, wie lief das Zusammenleben ab? Wie lösten beide Gruppen die Probleme, die sie miteinander hatten? Ebenso ist zu fragen, wie die Soldaten letztlich aus dem Militärdienst ausschieden und welche Konsequenzen dies für sie und ihr Umfeld hatte. Dabei spielt die Desertion im 18. Jahrhundert eine besondere Rolle. Summierend soll in diesem Kapitel geklärt werden, ob – wie Bernhard Kroener für den deutschen Raum postulierte – „die Verbindungen zwischen Bevölkerung und Militär in den Friedensperioden des 18. Jahrhunderts zahlreich“ und somit „durchaus eng und verhältnismäßig spannungsfrei“ waren,67 oder ob in den niederländischen Beispielen ein gegenteiliger Befund ausgemacht werden kann.

65  Vgl. Kroll, Thomas: Sozialgeschichte, in: Christoph Cornelissen (Hg.), Geschichtswissenschaften. Eine Einführung, 3. Aufl., Frankfurt am Main 2004, S. 149– 161, hier: S. 154. 66  Vgl. Hübinger, Gangolf: Die „Rückkehr“ der Kulturgeschichte, in: Christoph Cornelissen (Hg.), Geschichtswissenschaften. Eine Einführung, 3. Aufl., Frankfurt am Main 2004, S. 162–177, bes. S. 166 f. 67  Kroener, Schwungrad, S. 18 (alle Zitate).

B. Geschichte des Regiments I. Friesland und das Militär Eine friesische Militärgeschichte der frühen Neuzeit besteht nicht und wurde auch bis dato nicht betrieben. Ausnahmen bilden einige Schlaglichter für die Zeit des sogenannten Rampjaars,1 als die Provinz nach der Kriegserklärung Frankreichs, Englands, des Hochstifts Münster sowie des Erzstifts und Kurfürstentums Köln militärisch ernsthaft bedroht worden war. Daneben gibt es Abhandlungen über einzelne militärische Personen.2 Dieser eher geringe Forschungsstand muss verwundern, weil die Provinz Friesland in der Zeit der Republik – zwar mit starkem Abstand – nach der Provinz Holland über das zahlenmäßig zweitstärkste Militär verfügte, was sich deutlich in den Ausgaben für das Militär widerspiegelt, die ebenso am zweithöchsten lagen.3 Die Provinz Friesland unterhielt im Jahr 1707 27 Kompanien Kavallerie mit 1.791 Reitern, 104 Kompanien Infanterie mit 7.002 Soldaten sowie drei Kompanien schweizerischer Infanterie mit 534 Soldaten, sodass insgesamt 9.327 bewaffnete Männer zu zählen waren.4 Mit dem Anschluss an die Union von Utrecht5 im Jahr 1579 und der Unterzeichnung des „Placcaet van Verlatinghe“ im Jahr 1581 war Friesland Bestandteil der Republik der Vereinigten Niederlande geworden6 und unterhielt seine eigenen Truppen, die unter dem Zugriff der Provinz standen.7 1  Siehe für Friesland: Kalma, J.  J./Vries, K. de (Hgg.): Friesland in het rampjaar 1672. It jier fan de miste kânsen, Leeuwarden 1972. 2  Hoof, Joep van: Menno van Coehoorn, 1641–1704. Vestingbouwer, belegeraar, infanterist, Utrecht 2004; Reinstra, Albert: Menno Baron van Coehoorn. Een veldheer in Wijckel, Franeker 2009; Bergsma, Wiebe: Enege gedenckwerdege geschiedenissen. Kroniek van de Friese militair Poppo van Burmania uit de Tachtigjarige Oorlog, Hilversum 2012. 3  Den Haag, NA, Archief Adriaan Bogaers, Nr. 47. 4  Wijn, Jan Willem: Het Staatsche Leger, 1568–1795, Bd. 8: Het tijdperk van de Spaanse Successieoorlog, 1702–1715, Teil 3: De jaren 1711–1715, ’s-Gravenhage 1964, S.  336 f. 5  Woltjer, J. J.: Friesland en de Unie van Utrecht, in: It Beaken 41 (1979), S. 138–145. 6  Algra, H.: In de Republiek, in: J.  J. Kalma/J.  J. Spahr van der Hoek/K. de Vries (Hgg.), Geschiedenis van Friesland, Drachten 1968, S. 303–339, hier: S. 303. 7  Ebd., S. 305.



I. Friesland und das Militär29

In den niederländischen Quellen wird dafür der Begriff „Repartitie“ gebraucht. Dieser Begriff beschreibt vor allem die finanzielle Abhängigkeit der Truppen von der Provinz. Der höchste militärische Posten des KapitänGenerals der Provinz stand dem friesischen Statthalter zu. Dieser Titel bezog sich jedoch nur auf das Agieren in der Provinz, bei Unternehmungen in anderen Provinzen sowie außerhalb der Niederlande war die Machtbefugnis des friesischen Statthalters eingeschränkt. Beispielsweise erlangte der Statthalter Heinrich Casimir II. (1657–1696) während der Regierungszeit des König-Statthalters Wilhelm III. (1650–1702) nur den Titel eines Feldmarschalls.8 Zudem war das Amt des Kapitän-Generals auch ein politisches Amt. Es ist als eine Verknüpfung zwischen den politischen Entscheidungsträgern und den Militärs zu sehen.9 Als Kapitein-Generaal stand dem Statthalter das Recht der Offiziersernennung zu, darüber hinaus musste er auch für den Unterhalt der Festungen in der Provinz sorgen.10 In Friesland stammten die Statthalter aus dem deutschen Adelsgeschlecht der Nassauer. Sie waren deutsche Reichsfürsten und hielten in den nassauischen Gebieten etliche Besitztümer.11 Nach dem Anschluss Frieslands an die Union bekleidete zunächst Wilhelm I. von Oranien (1533–1584) von 1580 bis zu seinem Tode 1584 das Statthalteramt, jedoch ließ er sich in der Provinz durch seinen Vertrauten, Bernard van Merode (1510–1591), vertreten.12 Wegen dessen selbst erkannten „Unfähigkeit“ legte dieser jedoch bereits im Jahr 1583 das Amt nieder.13 Es folgte Wilhelm Ludwig (1560–1620), Sohn Johanns VI. von Nassau (1536–1606) und somit Neffe Wilhelms von Oranien.14 Der nunmehr amtierende Statthalter war in Dillenburg am Hof gemeinsam mit Moritz von Nassau erzogen worden.15 Nach dem Tod Wilhelm Ludwigs im Jahr 1620 folgte dessen Bruder Ernst Casimir (1573–1632) 8  Ebd., S. 307; Groenveld, Simon: Gemengde gevoelens. De relaties tussen Nassaus en Oranjes als stadhouders en kapiteins-generaal, in: Simon Groenveld/J.  J. Huizinga/Y.  B. Kuiper (Hgg.), Nassau uit de schaduw van Oranje, Franeker 2003, S. 23–43, hier: S. 40. 9  Ebd., S. 25. 10  Ebd. 11  Ebd., S. 27. 12  Art. Willem I, in: Brouwer, J. H. (Red.), Encyclopedie van Friesland, Amsterdam/Brüssel 1958, S. 693. 13  Lademacher, Horst: Die Stellung des Prinzen von Oranien als Statthalter in den Niederlanden von 1572 bis 1584. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte der Niederlande (Rheinisches Archiv 52), Bonn 1958, S. 141. 14  Talma, K. S.: De tijd van Willem Lodewijk, in: Rondom de Oldehove. Geschiedenis van Leeuwarden en Friesland door de Leeuwarder Geschiedeniscommissie, 2. Aufl., Leeuwarden o. J. [Nachdruck der Ausgabe von 1952], S. 103–138, hier: S.  107 f. 15  Groenveld, Gemengde gevoelens, S. 29.

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B. Geschichte des Regiments

als Statthalter.16 Dieser konnte nach dem Tod Moritz’ von Nassau zudem die Statthalterwürde in den Provinzen Groningen und Drente erlangen. 1632 fiel Ernst Casimir bei der Schlacht von Roermond.17 Die Nachfolge in allen drei Provinzen trat sein ältester Sohn Heinrich Casimir I. (1612–1640) an. Dessen Statthalterschaft endete 1640, nachdem er in der Schlacht bei Hulst tödlich getroffen worden war.18 Nach dem Tod Heinrich Casimirs I. beabsichtigten die Generalstaaten zur Festigung der politischen Verhältnisse der Niederlande einen Statthalter für alle Provinzen zu ernennen. Doch kam ihr Vorhaben zu spät, denn in Friesland war bereits Wilhelm Friedrich (1613–1664),19 der jüngere Bruder Heinrich Casimirs I., zum Statthalter ernannt worden.20 Dem Generalstatthalter Friedrich Heinrich (1584–1647) missfiel die Ernennung, weshalb er versuchte, die politische Macht Wilhelm Friedrichs zu beschneiden. Er gestand ihm das Regiment seines Bruders nicht zu, sondern übertrug es an seinen Schwager von Solms.21 Erst als Wilhelm Friedrich dem Generalstatthalter die Survivance für dessen Sohn Wilhelm II. (1626–1650) versprach, entspannte sich das Verhältnis.22 Im Jahr 1650 sollte sich durch das Agieren der beiden Statthalter Wilhelm Friedrich und Wilhelm II., dem die übrigen sechs Provinzen unterstanden, die Stellung des Militärs in der Republik grundlegend ändern. Wilhelm II. griff mit Unterstützung des friesischen Statthalters die Stadt Amsterdam an. Zuvor hatte die Stadt eine Reduzierung der Ausgaben für das Militär gefordert. Die Truppen wurden von den Statthaltern als innenpolitisches Mittel eingesetzt, um die oranischen Interessen gegenüber der selbstbewussten Stadt Amsterdam durchzusetzen. Wenngleich sie zwar einen militärischen Sieg bei der Belagerung erringen konnten, mündete das Unternehmen dennoch in einer Niederlage für das Haus Oranien und die Statthalter, zumal Wilhelm II. kurz nach dem Angriff verstarb. Die nunmehr folgende Konsequenz war, dass kein neuer Generalstatthalter ernannt worden war, und zudem auf der „Groten 16  Talma, K.  S./Algra, H./Meulen, P. v.d.: De Friese stadhouders na Us Heit, in: Rondom de Oldehove. Geschiedenis van Leeuwarden en Friesland door de Leeuwarder Geschiedeniscommissie, 2. Aufl., Leeuwarden o. J. [Nachdruck der Ausgabe von 1952], S. 139–195, hier: S. 139–146 [Abschnitt durch K. S. Talma]. 17  Art. Ernst Casimir, in: Brouwer, Encyclopedie van Friesland, S. 283. 18  Talma/Algra/v.d. Meulen, Friese stadhouders, S. 147–151 [Abschnitt durch Talma]. 19  Siehe allgemein: ebd., S. 152–173 [Abschnitt durch Talma und Algra]. 20  Groenveld, Gemengde gevoelens, S. 33. 21  Ebd. 22  Groenveld, Simon: Diez, die Niederlande und Leeuwarden (16. bis frühes 18. Jahrhundert), in: Friedhelm Jürgensmeier (Hg.), Nassau-Diez und die Niederlande. Dynastie und Oranierstadt Diez in der Neuzeit (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 82), Wiesbaden 2012, S. 17–48, hier: S. 31.



II. Statthalter Heinrich Casimir II. als Kolonel31

Vergadering“ im Jahr 1651 beschlossen wurde, die niederländischen Truppen komplett den Ständen der jeweiligen Provinzen zu unterstellen und sie somit aus den Händen der Oranier zu nehmen.23 Ebenso wurde eine Reduzierung des Militärs beschlossen.24 Marschbefehle waren nun vom Raad van State auszuschreiben, die nicht stimmberechtigten Provinzen wurden fortan durch die Generalstaaten verwaltet.25 Das Heer der Niederlande verfiel zunehmend zu mehreren Heeren der jeweiligen Provinzen.26 Auch die Verlegung der Truppen war nun Aufgabe der Provinzen und nicht mehr der Generalität, sodass häufig den Generalstaaten nicht bekannt war, wo einzelne Truppenteile stationiert waren.27 Beim Tod Wilhelm Friedrichs im Jahr 1664 verweigerten die Stände der Provinz Holland zudem die Kompanien auf seinen minderjährigen Sohn Heinrich Casimir II. zu übertragen.28 Ebenso verfügten die Nassauer in der Provinz Friesland über kein eigenes Regiment mehr. Dies sollte sich erst 1666 wieder grundlegend ändern.

II. Statthalter Heinrich Casimir II. als Kolonel – Die Aufrichtung des Regiments Nassau-Friesland Im Jahr 1665 verstarb der friesische Militär Ernst van Aylva, sodass dessen Anstellungen als Kolonel und Kapitän vakant wurden.29 Diese freien militärischen Ränge wurden durch den Statthalter Heinrich Casimir II., der zu diesem Zeitpunkt erst neun Jahre alt und folglich unter der Vormundschaft seiner Mutter Albertine Agnes (1634–1696) stand,30 besetzt. 1666 23  Nimwegen, Olaf van: De Republiek der Verenigde Nederlanden in oorlog met Frankrijk (1650–1750), in: Jaap R. Bruijn/Cees B. Wels (Hgg.), Met man en macht, De militaire Geschiedenis van Nederland 1550–2000, Amsterdam 2003, S. 65–104, hier: S. 65; Hell, Maarten: De oude Geuzen en de Opstand. Politiek en lokaal be­ stuur in tijd van oorlog en expansie. 1578–1650, in: Willem Frijhoff/Maarten Prak (Hgg.), Geschiedenis van Amsterdam. Centrum van de wereld 1578–1650, Amsterdam 2004, S. 241–298, hier: S. 279 f. 24  van Nimwegen, Deser landen, S. 255. Siehe dazu auch Zwitzer, De Militie, S. 175. Das niederländische Heer wurde in dieser Zeit immer weiter verringert, während 1648 noch 60.030 Soldaten zu zählen waren, sank die Zahl 1650 auf 35.430 und 1661 schließlich auf 24.395 Soldaten. 25  van Nimwegen, Deser landen, S. 256. 26  Ebd. 27  Ebd., S. 257. 28  Visser, J.: De Friese stadhouders, De Witt en de Unie, in: Kalma/de Vries (Hgg.), Friesland in het rampjaar 1672, S. 73–91, hier: S. 81. 29  Regt, W. M. C.: Art. Aylva (Ernst van) (2), in: NNBW 7 (1927), S. 55–56. 30  Die Ständeversammlung der Provinz Friesland hatte nach dem Tod Wilhelm Friedrichs beschlossen, dass Heinrich Casimir II. die Statthalterwürde erst an seinem 20. Geburtstag zu übertragen sei. Visser, De Friese stadhouders, S. 79.

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B. Geschichte des Regiments

erfolgte die Ernennung durch den Raad van State,31 wenig später billigten auch die Generalstaaten die Übertragung.32 Bereits einige Monate zuvor hatte Heinrich Casimir II. als Kapitän die Kompanie von Ernst van Aylva übernommen.33 Aufgrund des geringen Alters des Statthalters kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Ernennung um einen politischen Zug handelte, um die Macht der Nassauer in Friesland zu stärken und letztlich während des Kriegs mit Münster, der im April 1666 endete, und der drohenden französischen Invasion wieder zu einer schlagkräftigen Truppe zu gelangen.34 Doch stellt sich die Frage, was es heißt, dass Heinrich Casimir II. zum Kolonel eines Regiments ernannt wurde. Welche Bedeutung ist der Einrichtung eines Regiments zu dieser Zeit beizumessen? Die Ernennung Heinrich Casimirs II. fiel in eine Zeit, die in der Forschung mit dem Begriff der militärischen Revolution betitelt wird.35 Bereits in der Zeit des Aufstandes in den 1570er Jahren entwickelte sich das niederländische Militär, indem ein diszipliniertes und geübtes, also von Taktikverständnis geprägtes Heer aufgestellt wurde. Obschon in den Quellen von Regimentern gesprochen wurde, war die Kompanie der einzige feste Bezugspunkt im Militär. Letztlich hatten die Kolonels keinen Einfluss auf die jeweiligen Kompanien und waren vielmehr nur Anführer bei den jeweiligen Unternehmungen.36 Besonders in Friedenszeiten spielte der Regimentsverband keine Rolle.37 Dies änderte sich erst ab der Mitte des 17. Jahrhunderts.38 Die Reformen im Militär führten dazu, dass die Niederlande in dieser Zeit über eine der „best geoefende en gedisciplineerde Europese strijdmachten“ verfügten.39 In diesen Jahren gab es wesentliche Erneuerungen in der Heeresorganisation, 31  Den

Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 279. Haag, NA, RvS, Nr. 87, fol. 426r (18.4.1666). Wurde gebilligt nach einem Schreiben der Stände Frieslands aus Leeuwarden vom 22.2.1666, sowie am 5/15.2. durch Prinzessin Albertine Agnes, Witwe des Statthalters Wilhelm Friedrich. 33  Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 278. 34  Vgl. van Nimwegen, Deser landen, S. 424; Nimwegen, Olaf van: The transformation of army organisation in early-modern western Europe, c. 1500–1789, in: Frank Tallett/D.J.B. Trim (Hgg.), European Warfare, 1350–1750, Cambridge u. a. 2010, S. 159–180, hier: S. 173. 1666 schloß der Bischof von Münster Frieden mit der Republik. 1667 marschierte Ludwig XIV. mit seiner Armee in die spanischen Niederlande ein und bedrohte damit auch die Republik. 35  Glete, S. 159. Siehe nun auch: ’t Hart, The Dutch Wars. 36  van Nimwegen, Deser landen, S. 422. 37  Ebd., S. 423. 38  Ebd., S. 421. 39  Ebd., S. 427. 32  Den



III. Regiment ohne Struktur?33

was zu einem Wachstum der Stärke führte. Aus Söldnern wurden Soldaten, die in immer größeren Regimentsverbänden agieren konnten. Diese Berufssoldaten blieben zudem in Friedenszeiten angestellt. Auch nachdem 1678 das Heer reduziert und etliche Soldaten entlassen worden waren, blieb die Regimentsstruktur bestehen und bildete fortan die militärische Basis.40 Die Bedeutung dieser Basis soll anhand des statthalterlichen Regiments verdeutlicht werden.

III. Regiment ohne Struktur? Im Jahr 1666 übernahm Heinrich Casimir II. das Regiment von Ernst van Aylva. Eine Auflistung aus dem Jahr 1664 beschreibt die Anzahl der Kompanien, die unter dem Kolonel van Aylva standen.41 Zu dem Regiment gehörte der Kolonel mit seiner Kompanie von 80 Soldaten, sowie der Leutnant-Kolonel Poppo van Burmania mit 50 Soldaten, während der Major des Regiments, Tjalling van Sixma, über 110 Soldaten verfügte. Als Kapitäne wurden mit jeweils 50 Soldaten genannt: Gerrit van Amama, Johannes van Burum, Horatius van Aysma, Hendrik Georg Freiherr zu Schwarzenberg, Menno van Coehoorn, Gerlach van Doijs, Hessel van Bootsma und Johan Coenders. Insgesamt dienten 640 Soldaten im Regiment. Es ist insbesondere zu fragen, ob diese im Jahr 1664 angegebene Anzahl von Kompanien und Offizieren überhaupt ein festes Regiment darstellt oder ob es sich nur um eine Momentaufnahme handelt. Besonders aufschlussreich für die Beantwortung dieser Frage erscheint das Vergleichen zweier Listen, die beide aus den Jahren um 1670 / 71 stammen.42 In der ersten Liste wird erstmalig das Regiment benannt. Folgende Kompanien sind dem Regiment „Furst Casimir“ zugeordnet: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Kolonel Heinrich Casimir, Fürst zu Nassau [1a]43 Gijsbert Arnsma van Walrich Leutnant-Kolonel Poppo van Burmania Ostendenaer [22a] Hessel van Bootsma [20a] Suffridus van Lycklama Feyo van Heemstra Hendrik Georg Freiherr zu Schwarzenberg [9a]

40  Ebd.,

S.  294 f. Haag, NA, RvS, Nr. 2521, fol. 30r+v. 42  Ebd., Nr. 2067, p. 74, 19, 101, 104, 110, 112, 129, 131, 160, 167. 43  Die Nummern beziehen sich auf den Personenkatalog im Anhang. Die kursiv gesetzten Namen finden sich in beiden Auflistungen. 41  Den

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B. Geschichte des Regiments

8. Tjalling van Sixma 9. Philip Ernst Vegelin van Claerbergen [5a] 10. Jan van Burum 11. Menno van Coehoorn [14a] 12. Sibrant van Hittinga 13. Johan Eminga van Loo Die andere Liste, die ebenfalls um 1670 / 71 entstanden ist, nennt folgende Kompanien, die dem Regiment des Statthalters von Friesland als zugehörig gelten:44 1. Kompanie des Statthalters als Kolonel 2. Leutnant-Kolonel Poppo van Burmania 3. Major Hessel van Bootsma 4. Georgh Frenck 5. Feye van Heemstra 6. Hendrik Georg Freiherr zu Schwarzenberg 7. Sibrandt van Hittinga 8. Frederick van Ockinga [15b] 9. Christian van Coenen [16b] 10. Hobbe van Aylva 11. Robbert Frederick van Uterwijck [24b] 12. Reinhard Lauerman [4b] 13. Caspar van Tiddinga [5c] 14. Hendrik Kusten 15. Maurits Hanecroot (als Marinier) Deutlich wird beim Vergleich dieser beiden Aufstellungen, dass zwar gewisse Personen stets dem Regiment zugeordnet blieben, wie der Leutnant-Kolonel van Burmania und der Major van Bootsma, jedoch sich die Anzahl der Kompanien änderte. Auffällig ist insbesondere, dass etliche Kompanien aus dem Regiment schieden und neue hinzugefügt wurden. Dies kann nicht damit begründet werden, dass Kapitäne die Kompanie verließen und neue Offiziere angestellt wurden, da sich etliche Kapitäne mit ihren Kompanien später in anderen Zusammenhängen wiederfinden lassen. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass es üblich war, dass Kompanien zwischen den einzelnen Regimentern getauscht wurden. Deutlich wird in einer Auflistung aus dem Jahr 1674, dass zum Regiment des Statt44  Den

Haag, NA, RvS, Nr. 1932 II.



III. Regiment ohne Struktur?35

halters zwölf Kompanien gehörten,45 während der Leutnant-Kolonel Poppo van Burmania in seiner Chronik 1673 noch anmerkte, neun Kompanien des Regiments des Prinzen Heinrich Casimir unter sich zu haben.46 Der wohl aufschlussreichste Hinweis ist aber, dass die Kompanien der Kapi­ täne Tiddinga und Radenmaecker im Jahr 1674 nach schweren Verlusten gegen die Kompanien der Kapitäne Scheltinga und Osenbrugge ausgetauscht wurden. Und auch in einer weiteren Auflistung des Jahres 1674 sind erneut 15 Kompanien genannt, jedoch fehlt in dieser die Kompanie von Radenmaecker. Dafür wird der Kapitän Hobbe Esaias van Aylva genannt.47 Erst 1686 wurde das Regiment erstmalig mit einer Anzahl von 24 Kompanien aufgeführt. Diese 24 Kompanien verblieben von nun an stets in diesem Regiment.48 Es deutet sich also an, dass die Einrichtung Regiment in den 1660er und 1670er Jahren zwar eine Struktur darstellte, die aber unterschiedlich gefüllt werden konnte.49 Die Zugehörigkeit von Kompanien zu einem Regiment war temporär. Erst 1625 war vom Raad van State überhaupt angeregt worden, die Kompanien in Regimenter einzugliedern.50 Das System wies eine ausgesprochene Flexibilität auf. Kompanien konnten und wurden je nach Bedarf anderen Regimentern zugesprochen und wieder abgezogen. Erst in den 1670er Jahren, nachdem etliche Kompanien aufgrund der militärischen Bedrohung ausgehoben worden waren, festigte sich, welche Kompanien generell zu einem bestimmten Regiment gehörten, sodass erst in den frühen 1680er Jahren definitiv von einem stabilen Regimentsverband gesprochen werden kann. Die Ereignisse des Jahres 1672 machten nach der zuvor stattgefundenen starken Reduzierung der Armee letztlich deutlich, dass ein stehendes Heer benötigt 45  Lt. Kol. van Burmania, Major van Bootsma, Kaptiäne Frenck, van Heemstra, zu Schwarzenberg, Coenen, Kuijsten, Uterwijck, Loerman, van Ockinga, van Tiddinga, Rademacker. Siehe dazu: Bergsma, Enege gedenckwerdege geschiedenissen, S. 189 f. (Bijlage 4), beruhend auf: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 169. 46  Bergsma, Enege gedenckwerdege geschiedenissen, S. 178. 47  Den Haag, NA, SG, Nr. 4831. 48  Ebd., RvS, Nr.  1672 (März 1686), fol. 3v–4r [I. Batt] sowie fol. 4v–5r [II. Batt.]. Für Münster konnte Jutta Nowosadtko herausarbeiten, dass sich in den 1680er Jahren das Regiment als „feste Verwaltungseinheit und militärische Bezugsgröße“ konstituierte. Nowosadtko, Stehendes Heer, S. 160. 49  Die generelle Struktur des statthalterlichen Regiments bestand seit 1639, erster Kolonel war zu Schwarzenberg. Vgl. auch: Tessin, Georg: Die Regimenter der europäischen Staaten im Ancien Regime des XVI. bis XVIII. Jahrhunderts, Teil 1: Stammlisten, Osnabrück 1986, S. 553. 50  Kemp, François Adriaan van der: Magazyn van Stukken tot de Militaire Jurisdictie, Bd. 3, Utrecht 1783, S. 28 f. Die Annahme, dass danach bzw. spätestens nach Ende des Achtzigjährigen Kriegs feste Regimenter bestanden, wie dies die ältere Forschung postuliert, ist zurückzuweisen.

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B. Geschichte des Regiments

wurde.51 Wenige Jahre später wurden auch die generellen Strukturen dafür geschaffen. So wurde 1679 im Regiment des friesischen Statthalters das Amt des Kolonel-Kommandanten eingerichtet und das Regiment de iure ab 1690, de facto jedoch spätestens ab 1687 in zwei Bataillone zu je zwölf Kompanien aufgeteilt.52 Die Segmentierung sollte dabei keinesfalls bewirken, dass ein Bataillon Vorrang vor dem anderen genoss.53 Eine Auflistung über alle Kompanien findet sich im Anhang der Arbeit.

IV. Entwicklung des Regiments bis zur Reform von 1752 In der Zeit vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zur großen Militärreform 1752 blieb das Regiment in seiner festen Struktur mit 24 Kompanien bestehen. 1702 wurde es nach dem Tod von Wilhelm III. zum Regiment OranjeFriesland umbenannt. Grund dafür war, dass der friesische Statthalter Johann Wilhelm Friso (1687–1711), Sohn Heinrich Casimirs II. und Statthalter seit 1696, den Titel des Prinzen von Oranien geerbt hatte. Wenngleich Preußen aufgrund der widersprüchlichen Erbfolgeregelung ebenso Anspruch auf den Titel erhob, verblieb dieser stets bei den friesischen Nassauern.54 In der Mitte des 18. Jahrhunderts setzte sich jedoch eine Verschiebung zu Gunsten des ersten Bataillons durch. Während der Regierungszeit des Statthalters Wilhelm Karl Heinrich Friso (1711–1751) wurde im Jahr 1732 angeordnet, dass das erste Bataillon einen Vorzug gegenüber dem zweiten zu genießen habe, weil es direkt dem Statthalter unterstellt sei und sich in ihm die „Lyf-Compagnie van syne Hoogheit“ befände. Besonders deutlich zeigte sich der Umstand beim Marschieren, denn die Leibkompanie sollte mit einer „behoorlijke distantie“ vorangehen, geleitet von einigen Offizieren. Dabei sei der „Granadiers marsch“ zu spielen, während beim gemeinsamen Marschieren mit den anderen elf Kompanien der „Friesse marsch“ zu schlagen sei.55 Rund zehn Jahre später sprach sich derselbe Statthalter gegen 51  Glete,

S. 155. Musterungskommissare J. van Hinloopen und van Haersma berichteten bereits im Jahr 1687, dass in Leeuwarden „het Eerste Battaillon“ liege. Siehe in: Den Haag, NA, RvS, Nr. 1672, fol. 3v (März 1687, vorgelegt am 20./30.4.1687). Die offizielle Aufteilung siehe in: ebd., Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 1582, p. 296. 53  Den Haag, KHA, Archief Henriette Amalia, Nr. 70, Brief: Nr. 9 von Johan van Molenschot aus Namur vom 25.7.1696. 54  Dek, A. W. E.: Genealogie van het Vorstenhuis Nassau, Zaltbommel 1970, S. 111; Grundsätzlich thematisiert von Bruggeman, Marijke: Nassau en de Macht van Oranje. De strijd van de Friese Nassaus voor erkenning van hun rechten, 1702–1747, Hilversum 2007. 55  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 695, Ordnung über die Leibkompanie vom 3.4.1732, Art. 1; zur Bedeutung der Musik beim Militär und deren Funktion in der 52  Die



IV. Entwicklung des Regiments bis zur Reform von 175237

eine Unterscheidung der beiden Bataillone aus. So schrieb Wilhelm Karl Heinrich Friso 1744 an den Offizier Feye van Heemstra, dass beide Bataillone „als een Regiment“ angesehen werden sollen.56 Ein Ende fand das Regiment in seiner ursprünglichen Form im Jahr 1752.57 Der Österreichische Erbfolgekrieg (1740–1748) war für die niederländische Republik finanziell sehr belastend gewesen und das Heeressystem galt als zu teuer. Es wurde daher ein „Project om de Troupes van den Staat te brengen op een meer solide en min kostelijke voet als teegenwoordig“ entworfen, das eine Reduzierung der Stärke der Truppen nach sich zog.58 Gründe für die Reform bestanden neben der finanziell desaströsen Lage vor allem in den starken Desertionszahlen, dem Alter und der Gebrechlichkeit der Offiziere sowie der geringen Bezahlung der Soldaten. Massive Einsparungen wurden durch den Umbau erwartet.59 Bei der Reform gehörte das Regiment Oranje-Friesland zur „ordinaris Infanterie van den Staat“. Zunächst erfolgten eine Reduzierung der Kompanien sowie eine anschließende Umstrukturierung nach preußischem Vorbild.60 Zwar blieb das Regiment weiterhin in zwei Bataillone unterteilt, jedoch wurden die 24 Kompanien auf je sieben pro Bataillon, also insgesamt 14, verringert.61 Die Offiziere, die nunmehr keine Kompanie innehatten, wurden pensioniert und weiterhin bezahlt. Ebenso wurden die ehemaligen InfanterieRepräsentation siehe: Schramm, Michael C.: Funktionsbestimmte Elemente der Militärmusik von der Frühen Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert, in: Matthias Rogg/Jutta Nowosadtko (Hgg.), „Mars und die Musen“. Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit (Herrschaft und soziale Systeme in der frühen Neuzeit 5), Berlin 2008, S. 247–260. Worum es sich genau bei den angegebenen Märschen handelte, konnte nicht ermittelt werden. 56  Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 173.21, Brief: Nr. 705, an Feye van Heemstra vom 30.10.1744. 57  Vgl. allgemein die Darstellung bei Zwitzer, Het Staatsche Leger, S. 444–451. 58  Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 421, Resolution vom 2.3.1752, p. 1. 59  Ebd., Resolution vom 22.12.1751. 60  Nimwegen, Olaf van: Van oude naar nieuwe armee: de totstandkoming van het Bataafse leger (1751–1799), in: A.  M.  J.  A. Berkvens/J. Hallebeek/A.  J.  B. Sirks (Hgg.), Het Franse Nederland: de inlijving 1810–1813. De juridische en bestuurlijke gevolgen van de ‚Réunion‘ met Frankrijk, Hilversum 2012, S. 49–82, hier: S. 50. 61  Das Regiment setzte sich fortan zusammen aus folgenden Kompanien: Erstes Bataillon: 1. Leibkompanie, 2. Hans Willem van Aylva, 3. Willem Frederik van Sloterdijck, 4. Philip Alberti, 5. Wilhelmus Lichtenvoort, 6. Bartel Jan van Nyland, 7. Livius U. Suffridus van Haersma; Zweites Bataillon: 1. Jan Andries van Sytzama (Grenadiere), 2. Rutger Tulleken, 3. Hendrik Philip Muysson, 4. Johannes Stephanus de Cournuaud, 5. Otto Christiaan Verschuur, 6. Tjalling Homme van Haersolte, 7. Paul Auguste Brunet de Rochebrune. Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 421, „Project om de Troupes van den Staat te brengen op een meer solide en

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B. Geschichte des Regiments

kompanien so umgestaltet, dass das Regiment nun auch über zwei Kompanien Grenadiere verfügte. Jede Grenadierkompanie umfasste 40 Mann. Die übrigen zwölf Kompanien blieben weiterhin reine Infanteriekompanien. Angeordnet wurde zudem, dass die Grenadierkompanien stärker sein sollten als die Infanterie, da zu dieser Zeit etliche Grenadiere in niederländischen Diensten standen und diese nicht ins Ausland in andere Heere abwandern sollten.62 Eine Kompanie umfasste nach der Reform einen Kapitän, einen KapitänKommandanten, einen Leutnant, einen Sous-Leutnant, zwei Sergeanten, zwei Tamboure, einen Soliciteur und 52 gemeine Soldaten, also insgesamt 61 Personen. Jedes Regiment erhielt darüber hinaus einen Kolonel, einen LeutnantKolonel, zwei Majore, zwei Adjutanten, zwei Chirurgen und einen Tambourmajor. In den gesamten Niederlanden wurden 150 Kompanien aufgelöst. Außer Dienst gestellt wurden stets die jüngsten Offiziere, die jedoch ein Anrecht auf freiwerdende Plätze erhielten.63 Weiterhin wurde verfügt, dass einheitliche Kleidung zu tragen sei, nämlich blaue Uniformen. Die Kavallerie wurde weiß gekleidet. Offizieren wurden Gold- und Silberbeschläge an ihren Uniformen und vergoldete beziehungsweise versilberte Knöpfe verboten. Lediglich der Hut durfte mit Edelmetallen verziert werden.64 Letztlich führte diese Reform dazu, dass das gesamte Militärwesen vereinheitlicht wurde. Die Regimenter und Kompanien verloren ihre Individualität. Die angestrebte Ersparnis von zwei Millionen Gulden wurde dabei fast erreicht.65

V. Garnisonslegungen Im Folgenden werden die unterschiedlichen Stationierungen des friesischen Regiments vorgestellt. Ebenso werden die Teilnahmen des Regiments an Kriegshandlungen im Untersuchungszeitraum aufgezeigt. 1. In der Zeit bis 1688 Ein wohl signifikantes Merkmal des niederländischen Heers bestand in der stetigen Verlegung der Kompanien und Regimenter. Obwohl die Truppen zum Teil Heimatgarnisonen hatten, wurden sie dennoch in verschiedene Garnisonen in der Republik verlegt. In den Jahren bis 1680 verlief die Truppenverlegung wesentlich kleinteiliger, wegen des oftmals fehlenden min kostelijke voet, als teegenwoordig“, p. 27. Diese Schrift befindet sich hinter der Resolution vom 2.3.1752. 62  Project om de Troupes, p. 5. 63  Ebd., p. 8. 64  Zwitzer, Het Staatsche Leger, S. 451. 65  Ebd.



V. Garnisonslegungen39

Regimentsverbands wurden häufig nur einzelne Kompanien verlegt. Verantwortlich für die Verlegung war der Raad van State, wobei auch die Stände der Provinz Friesland ein Mitspracherecht forderten.66 Die erste Nachricht über den Garnisonsort des gesamten Regiments ist im Jahr 1680 zu finden. Es war angeordnet worden, dass das Regiment nach Zutphen in der Provinz Gelderland in Garnison gehen solle. Die Kompanie von Kapitän Hellemis van Welle kam aus Sluis und musste wegen des Eisgangs im Dezember 1680 in Willemstadt und IJsselmonde Zwischenstationen einlegen.67 Ab 1681 sind die Kompanien des ersten Bataillons des Regiments in der Stadt Zutphen in der Provinz Gelderland nachweisbar.68 Dort verblieb das Bataillon durchgängig bis spätestens zum Frühjahr 1685.69 Einige Kompanien wurden zeitweilig in die umliegenden Garnisonen geschickt, wie im Herbst 1683 die Kompanien von Hellemis van Welle und de Schepper nach Arnheim, jene von van Stiensma70 nach Schenkenschanz71 sowie jene von van Doijs und Sloot nach Bredevoort.72 Hellemis van Welle und de Schepper blieben mit ihren Truppen bis 1684 in Arnheim,73 im Herbst 1684 und Frühjahr 1685 sind sie schließlich in Bredevoort zusammen mit den Kompanien von Sloot und van Stiensma nachzuweisen.74 Die 66  Justificatie der Proceduren gehouden by de Ed. Mog. Heeren de Staaten van Friesland, in het te rugge roepen van de Militie staande tot der selver repartitie, Leeuwarden 1684. 67  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr.  667, Brief von Conrad van Unkel vom 9.12.1680. 68  Ebd., Nr. 672; Den Haag, NA, RvS, Nr. 1672, fol. 62r–63r (März 1681). Die Daten im Folgenden beziehen sich jeweils auf die Bändchen im Buch. Falls ein genaueres Datum angegeben ist, folgt dies zusätzlich dahinter. Ebd., NA, SG, Nr. 12548.488.4, gemustert von Hoola und A. Sloot; ebd., RvS, Nr. 1671, fol. 65v– 66r (Sept. 1681), gemustert von E. van Aylva und F. Cuper van Holthuijsen. 69  Den Haag, NA, RvS, Nr. 1672, fol. 63r–64v (März 1682), ebd., Nr. 1671, fol. 61v–62r (Sept. 1682; 2.11./23.10.1682), ebd., Nr. 1670, fol. 64r (März 1683), in Arnheim das Regiment zu Pferd, fol. 72v., ebd., Nr. 1671, fol. 81r–81v (Sept. 1683), ebd., Nr. 1671, fol. 86v (Sept. 1683), ebd., Nr. 1671, fol. 89v (Sept. 1683; 5./15.11.); vgl. Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 130, Brief: Nr. 9, von Conrad van Unkel aus Maastricht vom 30.8./10.9.1683. Es sollen vier Kompanien nach Arnheim marschiert sein; Den Haag, NA, RvS, Nr. 1670, fol. 66v–66r (März 1684); ebd., Nr. 1670, fol. 84v (März 1684); ebd., Nr. 1671, fol. 74r–74v (Sept. 1684; 6./16.10.); ebd., Nr. 1671, fol. 77v (Sept. 1684; 9./19.10.); ebd., Nr. 1672, fol. 57r– 57v (März 1685); ebd., Nr. 1672, fol. 59v (März 1685). 70  Ebd., NA, RvS, Nr. 1671, fol. 89v (Sept. 1683; 5./15.11.). 71  Ebd., fol. 86v (Sept. 1683). 72  Ebd., fol. 81r–81v (Sept. 1683). 73  Ebd., Nr. 1670, fol. 84v (März 1684). 74  Ebd., Nr. 1671, fol. 77v (Sept. 1684; 9./19.10.); ebd., Nr. 1672, fol. 59v (März 1685).

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B. Geschichte des Regiments

Verlegungen standen vermutlich in Zusammenhang mit dem Krieg gegen Frankreich. Wenngleich die Niederlande kein Schauplatz des Reunionskrieges (1683–1684) waren, sollten die Stationierungen im Süden dazu dienen, das Land vor einem möglichen Überfall zu schützen. 1685, nachdem der Friedensvertrag geschlossen worden war, zogen die Truppen aus Zutphen und Bredevoort wieder ab.75 Ab Frühjahr 1687 sind beide Bataillone des Regiments in der Garnison in Leeuwarden nachzuweisen.76 2. In der Zeit des Neunjährigen Krieges (1688–1697)77 Zwei Jahre später gehörte das Regiment zu den Truppen, die im Rahmen des Neunjährigen Krieges zur Verteidigung aufgestellt worden waren. Der Krieg war wegen des Expansionsstrebens Frankreichs ausgebrochen.78 Bereits 1689 wurde das Regiment von Friesland nach ’s-Hertogenbosch verlegt.79 Von dort zog es im Sommer 1689 nach Perwez,80 ehe es 1689 bei der Belagerung von Bonn mitwirkte, die am 22. Juni 1689 begann.81 Da75  Ebd.,

Nr. 1672, fol. 57r–57v (März 1685), ebd., Nr. 1672, fol. 59v (März 1685). fol. 3v–5r (März 1687). 77  Siehe allgemein zu diesem Krieg: Childs, John Charles Roger: The Nine ­Years’ War and the British Army. 1688–1697. The operations in the Low Countries, Manchester/New York 1991. Zur Begrifflichkeit siehe ebenfalls ebd., S. 5 f. Der Autor sieht die Benutzung des Begriffs Nine Years’ War als „the only neutral and generally satisfactory solution“, weshalb er in deutscher Übersetzung hier Verwendung findet. 78  Childs, The Nine Years’ War, S. 6. 79  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 707; Den Haag, NA, RvS, Nr. 1602, fol. 39r– 40v (März 1689). Nachweisbar ist das zweite Bataillon, siehe dazu: http://www. bossche-encyclopedie.nl/bronnen/Inkwartiering/_Index.0.htm. Die Stadt ’s-Hertogenbosch lag im Kampfgebiet, weshalb die dortigen Verteidigungsanlagen in diesen Jahren verstärkt wurden. In der Stadt sollten im Januar 1689 2.000 Fußsoldaten und 1.500 Reiter garnisoniert werden. Dabei wuden die Kosten für die Einquartierung gänzlich auf die Stadt übertragen, die ihre Infrastruktur der hohen Truppenzahl anpassen musste. Vgl. Gudde, C. J.: Vier eeuwen geschiednis van het garnizoen ’s-Hertogenbosch, ’s-Hertogenbosch 1958, S. 155 f. 80  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 667, 5.7.1689. 81  Ebd., Nr. 707. Vgl. auch ebd., Nr. 667, Brief der Stände Frieslands vom 1.10.1689. Raa, F. J. G. ten: Het Staatsche Leger, Bd. 7: Van de verheffing van Prins Willem III en zijn gemalin tot Koning en Koningin van Groot-Brittannië tot het overlijden van de Koning-Stadhouder, (1688–1702), ’s-Gravenhage 1950, S. 17 f. Bei dieser Belagerung desertierten wohl etliche Soldaten, vgl. die Prozesse: Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 13, 26.3.1690. Siehe ebenso: Proceduiren Tusschen De Gewaldige Provoost der Vriesche en Nassouwsche Regimenten als Klager; en De Capitain Kempo van Fullenius als beklaagde. Voor den Krijghsgerechte van voorschreven Provintie geventileert, en door den selven getermineert, In’t licht gegeven door geseyde Capitain Fullenius, o. O. o. D. 76  Ebd.,



V. Garnisonslegungen41

nach wurden die Winterquartiere gewählt. Das zweite Bataillon des Regiments zog am 30. Oktober 1689 in Mechelen ein,82 das erste Bataillon hingegen wurde in Leeuwarden garnisoniert.83 Mechelen war ein stark frequentierter Garnisonsplatz im ersten Jahr des Krieges. Neben dem friesischen Bataillon lagen das Groninger Regiment mit 600 Mann, Teile der niederländischen Artillerie, zwei Kavallerieregimenter sowie eine spanische Kanonier-Kompanie in der Stadt. Bereits seit Juli befanden sich dort ebenfalls die Regimenter von Julius van Beyma und Magnus Gabriel von Tiesenhausen, die aber schon vor Ankunft der friesischen Truppen abgezogen worden waren.84 1691 befand sich das Regiment in Brügge und Damme,85 1692 sind nur noch einzelne Kompanien in Brügge nachzuweisen.86 Danach folgte erneut der Abmarsch nach Mechelen, ehe das friesische Regiment mit dem Groninger Regiment zusammen in Lüttich aufzufinden war.87 Während des Krieges wurden beide Regimenter häufig als die drei Bataillone des Statthalters bezeichnet und wurden vom Statthalter Heinrich Casimir II. zum Teil selbst angeführt.88 Anschließend ist das Regiment in Löwen anzutreffen, ehe es im Juni 1694 nach Lüttich zurückgekehrt ist.89 Dort verblieb es bis zum Frühjahr 1695.90

82  Janssens, Luc: Mechelen, Garnizoensplaats tijdens de Negenjarige Oorlog (1689–1697), in: Belgisch Tijdschrift voor militaire Geschiedenis 27/1 (1987), S. 1–22, hier: S. 3. 83  Das Regiment hielt sich offensichtlich eine längere Zeit in Mechelen auf, mindestens bis zum Jahr 1691. Deutlich wird dies in der umfangreichen Korrespondenz zwischen dem Offizier Conrad van Unkel und dem Statthalter. Belegt in: ­Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 667. Im Jahr 1691 wurde dort die Kavallerie gemustert. Vgl. dazu die Akten: ebd., Nr. 668, 7.11.1691 sowie ebd., Nr. 707. 84  Janssens, S. 3. 85  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 668, Brief von Johan Poppo van Andreae aus Brügge vom 24.10.1691. 86  Ebd., Nr.  667, Schreiben über die Abwesenheit einiger Offiziere vom 15.2.1692, ebd., Nr. 668, Marschbefehl nach Brügge, Brief von Johan Poppo van Andreae vom 19.3.1692. 87  Ebd., Nr. 668, 19.3.1693. 88  Sypesteyn, J. W. van: Eenige Gebeurtenissen gedurende het Leven van Prins Hendrik Casimir II van Nassau (1664–1696), ’s-Gravenhage 1865, S. 20. 89  Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 116, Brief: Nr. 495 von Johan van Molenschot aus Namur vom 11./21.9.1695. Er schreibt, dass Conrad van Unkel mit den Offizieren Joachim van Amama und Vegelin van Claerbergen nach Lüttich gegangen sei, weil beide Bataillone des Statthalters dorthin verlegt werden sollen. Siehe insbesondere: ebd., Nr. 130, Brief: Nr. 49 von Conrad van Unkel aus Lüttich vom 1.6.1694. 90  Vgl. ebd., Nr. 96, sämtliche Schreiben von Joachim van Amama.

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B. Geschichte des Regiments

Nach dem Verlassen der Garnison in Lüttich zog das Regiment nach einigen Zwischenstationen zur Belagerung Namurs weiter.91 Die Belagerung von Namur begann am 2. Juli 1695.92 Im Anschluss an die Eroberung der Stadt erfolgte der Angriff auf das Kastell.93 Nach der Einnahme zog das Regiment wieder ab, um in Lüttich unterzukommen,94 wo es im Dezember wieder abmarschierte.95 Im Juli 1696 lag das Regiment erneut in Namur, ehe beide Bataillone Ende 1696 ihr Winterquartier in Friesland beziehen durften,96 was unter den Offizieren eine große Freude ausgelöst haben soll.97 Im letzten Kriegsjahr wurde ein Bataillon nach Sas van Gent abkommandiert.98 Im weiteren Verlauf des Krieges war das Regiment in Dendermonde zu finden, von wo aus es nach Deinze geschickt wurde.99 Nach der Stationierung in Roeselare musste das Regiment sich aufgrund der militärischen Unterlegenheit nach Brügge zurückziehen.100 Im Oktober erfolgte dann der Rückzug von Sas van Gent nach Friesland. Der Krieg endete durch den Frieden von Rijswijk im September 1697.101 3. In der Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714) Die nächsten Informationen über die Garnisonslegung des Regiments stehen erst für die Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges zur Verfügung. Dieser Krieg war im Jahr 1701 ausgebrochen, nachdem der spanische König Karl II. (1661–1700) gestorben war und der französische König Ludwig XIV. Anspruch auf den Thron erhoben hatte. Die Niederlande gerieten 91  Leeuwarden,

Tresoar, SHA, Nr. 707. Raa, Het Staatsche Leger, Bd. 7, S. 99. 93  Ebd., S. 102. 94  Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 116, Brief: Nr. 519 von Johan van Molenschot aus Lüttich vom 8./18.10.1695. 95  ten Raa, Het Staatsche Leger, Bd. 7, S. 108. 96  Den Haag, KHA, Archief Henriette Amalia, Nr. 70, Brief: Nr. 11 und 12 von Johan van Molenschot aus der Linie vor Namur vom 5.9. sowie vom 26.9.1696. 97  Den Haag, KHA, Archief Henriette Amalia, Nr. 70, Brief: Nr. 12 von Johan van Molenschot aus der Linie vor Namur vom 26.9.1696. Das Regiment soll am 10.10.1696 in Friesland ankommen. 98  Register der Resolutionen der Gedeputeerde Staten, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 669, Abschrift Frederik Willem Meijers, p. 369–371, 14.4.1697. 99  Den Haag, KHA, Archief Henriette Amalia, Nr. 58, Brief: Nr. [9] von Joachim van Amama aus dem Lager bei Dendermonde vom 31.5.1697. 100  Ebd., Brief: Nr. [12] von Joachim van Amama bei Roeselare vom 6./16.8.1697. 101  Ebd., Brief: Nr. [14] von Joachim van Amama aus dem Lager bei Brügge vom 9.10.1697. 92  ten



V. Garnisonslegungen43

als Mitglied der Allianz gegen Frankreich in diesen Krieg.102 Die friesischen Bataillone wurden deshalb im März 1701 nach Bergen op Zoom und Steenbergen abkommandiert,103 ehe sie am 21. Oktober wieder in Leeuwarden waren.104 Im zweiten Kriegsjahr lagen sie unmittelbar bei Nimwegen, das zweite Bataillon wirkte im April bei der Belagerung von Kaiserswerth mit,105 die vom 18. April bis 15. Juni 1702 andauerte.106 Noch im gleichen Jahr nahm das Regiment an der Belagerung von Lüttich, die vom 15. bis zum 23. Oktober anhielt, teil,107 ehe das erste Bataillon sich im weiteren Verlauf des Jahres in Namur aufhielt.108 Das Winterquartier konnte in dieser Saison in Leeuwarden bezogen werden.109 1703 lagen beide Bataillone in Lüttich und anschließend wieder im Winterquartier in Leeuwarden.110 Im Juli 1704 wirkte das erste Bataillon bei der Bombardierung von Namur mit,111 bevor Leeuwarden erneut als Winterquartier ausgewählt werden konnte.112 Im Mai 1705 standen beide Bataillone wieder im Feld. Das zweite Bataillon nahm 1705 schließlich an der Belagerung von Zoutleeuw teil,113 während das erste Bataillon im folgenden Jahr zur Belagerung von Ostende abkommandiert worden war.114 Für die Kampfhandlun102  Israel,

S. 971. Haag, NA, RvS, Nr. 1896 [1/2], 1. Stapel. Die Truppen wurden nicht gemustert, vgl. ebd., Nr. 1594 und 1595. 104  Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 2629, p. 146. 105  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 707. Wijn, Het Staatsche Leger, Bd. 8/1, S. 43. 106  Nimwegen, Olaf van: De subsistentie van het leger. Logistiek en strategie van het Geallieerde en met name het Staatse leger tijdens de Spaanse Successieoorlog in de Nederlanden en het Heilige Roomse Rijk (1701–1712), o. O. 1995, S. 100. 107  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 707. 108  Ebd. 109  Den Haag, NA, SG, Nr. 5462, 31.10.1702. 110  Ebd., Nr. 5463, 26.10.1703. 111  Den Haag, NA, RvS, Nr. 1896, Journal de ce qui s’est passé de plus considerable dans la Campagne de l’an 1704. Commencé le 25 May, p.  72; Den Haag, Archief Henriette Amalia, Nr. 74, Brief: Nr. 26 von Conrad van Unkel aus dem Hauptquartier bei „Mosäi“ vom 24.7.1704. 112  Den Haag, KHA, Archief Henriette Amalia, Nr. 74, Brief: Nr. 30 von Conrad van Unkel aus Borgloon vom 30.10.1704; Den Haag, NA, SG, Nr. 5464, 27.10.1704. Es scheint eine Ausnahme gewesen zu sein, dass das Regiment nach Friesland ins Winterquartier gehen durfte. 113  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 707. Die Belagerung dauerte vom 2. bis zum 5.9.1705, siehe auch: van Nimwegen, De subsistentie, S. 100 sowie Wijn, Het Staatsche Leger, Bd. 8/1, S. 637. 114  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 707. Die Belagerung dauerte vom 28.6. bis zum 6.7.1706, siehe auch: van Nimwegen, De subsistentie, S. 100 sowie Wijn, Het Staatsche Leger, Bd. 8/1, S. 67–90. 103  Den

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B. Geschichte des Regiments

gen in Portugal und Katalonien wurden 1706 von dem Regiment zwei Mann pro Kompanie eingezogen und dorthin gesandt.115 Das Regiment kämpfte auch in der Schlacht von Ramillies am 23. Mai.116 Im gleichen Jahr nahm das zweite Bataillon an der Belagerung von Menen teil,117 die vom 4. bis zum 22. August dauerte.118 Ende des Jahres 1706 konnte das Winterquartier in Mechelen bezogen werden.119 Über das darauffolgende Jahr liegen keine Informationen vor. Beide Bataillone nahmen 1708 an der Belagerung der Stadt Lille teil,120 die vom 22. August bis zum 9. Dezember andauerte.121 Wenngleich nicht bekannt ist, wo sich das Regiment 1709 genau befand, kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es in den südlichen Niederlanden stationiert war. Das Regiment hatte nämlich Patente bekommen, um ins Feld zu ziehen.122 1710 nahm das erste Bataillon an der Belagerung von Douai teil,123 die vom 4. Mai bis zum 27. Juni anhielt.124 Auch das zweite Bataillon war in diesem Kriegsjahr bei der vom 16. bis zum 30. September andauernden Belagerung von Saint-Venant125 mit einbezogen worden.126 1710 und 1711 verbrachten beide Bataillone den Winter in Friesland.127 1712 wurden beide Bataillone nach Roermond abkommandiert,128 ehe das 115  Den

Haag, NA, RvS, Nr. 530, fol. 79r+v, 24.2.1706. Het Staatsche Leger, Bd. 8/2, S. 735. 117  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 707. 118  van Nimwegen, De subsistentie, S. 100. Allgemein zur Belagerung: Wijn, Het Staatsche Leger, Bd. 8/2, S. 90–115. 119  Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1262, Resolution vom 18.10.1706, Nr. 183. Daneben sind noch in Mechelen: Zwei Gardes (Batt.), Beuckelum (1 Batt.), und vier Eskadrons Karabiner und zwei Eskadrons Garde bleu. Ebenso zwei Eskadrons aus Friesland in Brüssel. Siehe ebenso die Liste über Winterquartiere in: Het Dagboek van Gisbert Cuper, Gedeputeerde te Velde, gehouden in de zuidelijke Nederlanden in 1706, hg. von A. J. Veendaal, ’s-Gravenhage 1950, S. 184. 120  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 707. 121  van Nimwegen, De subsistentie, S. 100. Siehe auch Wijn, Het Staatsche Leger, Bd. 8/2, S. 333–343. 122  Den Haag, NA, Archief Adriaan Bogaers, Nr. 48, fol. 2r, Abschrift einer Resolution des Raad van State vom 2.5.1709. 123  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 707. 124  van Nimwegen, De subsistentie, S. 100, Wijn, Het Staatsche Leger, Bd. 8/2, S. 596–609 sowie S. 618–626. 125  van Nimwegen, De subsistentie, S. 100, Wijn, Het Staatsche Leger, Bd. 8/2, S. 660–668. 126  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 707. 127  Beide Bataillone und auch die Garde du Corps. Siehe Den Haag, NA, SG, Nr. 5468, 31.10. abgeschickt/3.11.1710 eingetroffen; 1711 ebenso auch die Guarde du Corps, siehe ebd., 27.10.1711. 128  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 19, Musterungsliste vom 31.7.1712. 116  Wijn,



V. Garnisonslegungen45

erste Bataillon im September und Oktober bei der Belagerung von Le Quesnoy mitwirkte.129 Das zweite Bataillon nahm bei der Belagerung von Fontaine-au-Bois teil,130 bevor es Ende des Jahres über Kortrijk131 ins Winterquartier nach Friesland zog.132 1713 lag ein Bataillon in Leeuwarden, das andere hingegen in Venlo.133 4. In der Zeit der friedlichen Jahre bis 1752 In den Jahren zwischen dem Ende des Spanischen Erbfolgekriegs und dem Beginn des Österreichischen Erbfolgekriegs (1740) wurde das Regiment nicht zu Kampfhandlungen herangezogen. Es blieb vielmehr in den verschiedenen Garnisonsstädten. Auch in das Geschehen des Österreichischen Erbfolgekriegs griff es erst spät ein. Während sich das erste Bataillon im Jahr 1716 in Leeuwarden in Garnison befand, war das zweite Bataillon in der Zeit von vermutlich Sommer 1716 bis Herbst 1719 in der Provinz Overijssel in den Garnisonen Zwolle und Kampen anzutreffen.134 Lediglich bei der Musterung 1718 wurde es 129  Ebd., Nr. 707, van Nimwegen, De subsistentie, S. 100, Wijn, Het Staatsche Leger, Bd. 8/3, S. 55–167 sowie S. 231–237. Die Belagerung dauerte vom 19.9. bis zum 4.10.1712. 130  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 707. 131  Den Haag, NA, SG, Nr. 5468, Liste des Guarnisons de Flandres et L’Artois suivant le Changement, 1712. Dort steht dort unter Courtray ein Leibregiment mit zwei Battaillonen, welches 801 Mann umfasst. 132  Beide Bataillone sowie die Garde du Corps. Ebd., Nr. 5468, 1.10.1712. 133  Recueil van alderhande Resolutien, Ordres, Reglementen, Patenten, Missiven en andere Saken, specteerende tot Regiments en verdere militaire Affairen zedert het Jaar 1702 (–1719), p. 225–226, in: Leeuwarden, Tresoar, Verzameling Fries Genootschap, Nr. 272. 134  Zwolle, HCO, Stadsbestuur Zwolle, Nr. 4478, Eid am 18.8.1716 in Zwolle von Petrus Bernhard von Cotzhausen, Eid am 1.7.1716 in Kampen von Johan van Molenschot; Den Haag, NA, RvS, Nr. 1685, fol. 89v–90r, Sept. 1716. In Deventer befindet sich ein Eskadron des Statthalters (Brigadier Glinstra, Major Plettenberg, Major Glinstra mit 58 Reitern), fol. 105v–106r; 1717: ebd., fol. 67v–69r. (Zu den Reitern gehören: Kolonel Coenders, Rittmeister Poutsma sowie eine vakante Stelle); ebd., Nr. 1684, fol. 68r+v, März 1717; vgl. ebd., Nr. 1684, fol. 63r–63v (März 1717); ebd., Nr. 1685, fol. 85r–86v, Sept. 1717. Es sind ebenso Reiter dort: Kolonel Coenders, Major Grovestins, Rittmeister Poutsma, 58 Reiter. Ebenso Reiter in Deventer: Brigadier Glinstra, Major Glinstra, Major Plettenberg, fol. 90r; ebd., Nr. 1685, fol. 81r–81v, Sept 1717. 1718 siehe zur Abwesenheit ebd., Nr. 1685, fol. 63r+v.; ebd., Nr. 1685, fol. 67v (Kolonel Coenders, Douwe van Grovestins, Rittmeister Poutsma); in Deventer: Brigadier Glinstra; Major Glinstra; Major Plettenberg; 1719: ebd., Nr. 1685, fol. 48r+v, Sept. 1719; ebd., Nr. 1685, fol. 59r+v, Sept. 1719. Lt. Zwolle, HCO, Stadsbestuur Zwolle, Nr. 4480 ist das Regiment auch in Deventer.

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B. Geschichte des Regiments

dort nicht registriert. 1719 wurde das Regiment kurzzeitig nach Friesland verlegt. In den Jahren von 1719 bis 1722 war das erste Bataillon in Zwolle und Kampen stationiert,135 bevor es 1722 abgezogen und gegen das zweite Bataillon ausgetauscht wurde.136 Ab Dezember 1724 war das erste Bataillon in Emden stationiert,137 ehe es im Mai 1725 nach Arnheim verlegt wurde,138 wo 1725 neun Kompanien des Regiments stationiert waren.139 Zu dieser Zeit befand sich das zweite Bataillon in Leeuwarden.140 Dem Wunsch der Generalstaaten, dass das zweite Bataillon von Leeuwarden nach Arnheim geschickt werde und das erste Bataillon nach Emden zu verlegen sei, wurde nicht entsprochen.141 1728 war ein Bataillon in Leeuwarden und das andere in Arnheim stationiert.142 1728 erfolgte die Verlegung des zweiten Bataillons nach Emden und Leerort. Ab dem Jahr 1731 ist das zweite Bataillon in Leeuwarden und das erste in Groningen zu finden.143 1737 wurde das zweite Bataillon nach Emden und in die Festung Leerort verlegt. Zudem war parallel das Regiment Oranje-Groningen in den beiden Garnisonen stationiert worden, sodass nun jeweils vier Kompanien in Leerort lagen, die jährlich im Wechsel zwischen den Regimentern ausgetauscht wurden.144 Beide Regimenter blieben in Emden bis zum Fall des Fürstentums Ostfriesland an Preußen. Am 2. November 1744 zogen sie ab. Das Regiment Oranje-Friesland wurde nach 135  Den Haag, NA, RvS, Nr. 1686, fol. 70v+71r, Okt. 1720; ebd., fol. 78r, Okt. 1720; ebd., fol. 60r+v, Okt. 1721; ebd., fol. 53r, Okt. 1721; ebd., Nr. 2060; ebd., Nr. 1686, fol. 81r+v, Sept. 1722. Nach den Musterungslisten ist das Regiment in Deventer nicht nachweisbar. 136  Ebd., Nr. 1686, fol. 67v, Sept. 1723; ebd., fol. 77v, Sept. 1723. 137  Den Haag, NA, SG, Nr. 6743, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten vom 22.12.1724 [Absendedatum]/27.12.1724 [Empfangsdatum] (geheimes Schreiben). Veldtman schilderte, dass am Vortag acht Kompanien aus Friesland vom Statthalterregiment nach Emden gekommen seien. 138  1726: Den Haag, NA, RvS, Nr. 1687, fol. 75r+v; 1727, ebd., fol. 124r+v; in Arnheim sind die Truppen ab dem 25.5.1725 stationiert. Arnhem, GA, Oud archief Arnhem, Nr. 3506. 139  Arnhem, GA, Oud archief Arnhem, Nr. 3502, fol. 181 f. 140  Den Haag, NA, RvS, Nr. 2060. 141  Seffinga, Meindert/Hellinga, Onno (Bearb.): Resoluties van de Staten van Friesland (1711–1730), S. 123. 142  Den Haag, NA, RvS, Nr. 2060; Arnhem, GA, Oud archief Arnhem, Nr. 3502, fol. 185r, 186r, nunmehr zehn Kompanien fol. 186v. 143  Den Haag, NA, RvS, Nr. 2060; Naemregister der Heeren Militaire Officieren … Nevens der Troupen op yder Provintie, Delft 1732, S. 79, 81. Leeuwarden, ­Tresoar, SHA, Nr. 707, 6.4.1731. 144  Aurich, StaA, Rep. 4, B IV e, Nr. 117, fol. 21r+v.



VI. Uniformierung47

Leeuwarden geschickt,145 wo es am 6. November eintraf.146 Danach befand sich das Regiment in den Kriegshandlungen des Österreichischen Erbfolgekriegs.147 Später ist das Regiment in Nimwegen nachzuweisen, ehe beide Bataillone ab 1750 in Zwolle lagen.148

VI. Uniformierung Die Uniform der Soldaten und Offiziere des Regiments bildete wohl eines der auffälligsten Merkmale in Bezug auf die Distinktion von zivilen und militärischen Lebenswelten.149 Gleichwohl sich Schnitt und Gestaltungsformen der Uniform auch in der zivilen Kleidung wiederfinden lassen,150 unterschieden sich die Uniformen von der zivilen Kleidung deutlich durch ihre Einheitlichkeit. Im Folgenden wird aufgezeigt, welche Farben und Strukturen die Uniformen aufwiesen und in welchem Maße ein Wandel in der Ausführung festgestellt werden kann. In der Zeit der Republik bis 1752 waren die Regimenter selbst für den Ankauf der Uniformen zuständig. Dabei sollten die Kosten möglichst gering gehalten werden, um die Soldaten nicht zu sehr zu belasten,151 da die Soldaten 145  Wiarda, Tileman Dothias: Ostfriesische Geschichte, Bd. 8 (1734–1758), Aurich 1798 (ND: 1968), S. 226. Siehe zum Abzug auch die Akte vom März 1745, in der es um das Marschieren von zwei Kompanien nach Bourtange und einer Kompanie zur neuen Schanze (Nieuweschans) geht. Wegen der Wintersaison können sie die Strecke nicht an einem Tag schaffen, sodass sie für eine Nacht in den Dörfern Eexta und Scheemda einquartiert werden sollen, was auch genehmigt wurde. 6.3.1745. Groningen, GA, Gerechten in het Oldambt, 1596–1811, Nr. 6148. 146  Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 2636, p. 125. 147  Haverkamp, Johannes: Het Leven van Prins Willem de Vierde …, Amsterdam o. D., S.  4. 148  Den Haag, NA, RvS, Nr. 2060. 149  Vgl. Winkel, Carmen: Distinktion und Repräsentation: Deutung und Bedeutung von militärischen Uniformen im 18. Jahrhundert, in: Sandro Wiggerich/Steven Kensy (Hgg.), Staat Macht Uniform. Uniformen als Zeichen staatlicher Macht im Wandel?, Stuttgart 2011, S. 127–146, hier: S. 127. Weißbrich, Thomas: Des Kriegers neue Kleider – Zur Uniformierung der Armeen im späten 17. Jahrhundert, in: Stephan Theilig (Hg.), Historische Konzeptionen von Körperlichkeit. Interdisziplinäre Zugänge zu Transformationsprozessen in der Geschichte, Berlin 2011, S. 85–106, hier: S. 99. 150  Thiel, Erika: Geschichte des Kostüms. Die europäische Mode von den Anfängen bis zur Gegenwart, 8. Aufl., Wilhelmshaven 1989, S. 230 f. 151  Wilde, Frans Gerard de: De ontwikkeling van de Infanterie-uniformen in het Staatse Leger gedurende de 18e eeuw, in: Armamentaria 17 (1982), S. 89–105, hier S. 90.

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B. Geschichte des Regiments

die Kosten für ihre Uniformen selbst tragen mussten.152 Hierfür wurde ein Teil ihres Solds zurückgehalten. Das Aussehen der Kleidung im Leibregiment wurde durch den Statthalter bestimmt.153 Wie bereits angedeutet, wurden die Uniformen der niederländischen Regimenter erst 1752 vereinheitlicht, indem die Infanterie künftig eine einheitlich blaue Kleidung zu tragen hatte. Üblich war es, dass die Uniform alle zwei Jahre erneuert wurde,154 sodass der Schnitt der Uniform auch stets der Mode der Zeit angepasst werden konnte.155 Für später angenommene Soldaten wurden die Uniformen erst bei der Annahme geordert, wobei diese den bisherigen exakt gleichen mussten.156 Für das Regiment der friesischen Statthalter liegen erste Informationen über die Uniform der Offiziere aus den Jahren von 1672 bis 1674 vor. In der Zeit davor trugen die Offiziere individuelle Kleidung, ihr Status ließ sich an Symbolen wie dem Helm oder der Schärpe erkennen.157 Anhand zweier Zeichnungen kann die Kleidung des 17. Jahrhunderts genauer beschrieben werden. So trug der Fähnrich (Abb. 1) einen roten Justaucorps (Soldatenrock), der mit weißen Galons abgesetzt war, die goldumrandet waren. Ebenso trug der Fähnrich die für diese Zeit typische Krawatte. Da152  Es wurde in der Regel eine Summe von rund 30 Gulden pro Jahr vom Gehalt zurückgehalten, um den Ankauf der Uniform zu finanzieren. Vgl. Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 341, Schriftstück: Nr. 30, 3.3.1681, Schreiben von Kapitän-Leutnant R. ten Ham aus dem Regiment Nassau-Groningen. In einer Auflistung zum Erwerb von Kleidung betrug die Summe für die Ausstattung eines Soldaten 39 Gulden. Ebd., Nr. 341. Später wurden 10 Stüber wöchentlich dafür veranschlagt. Siehe dazu: Ordres voor het Regiment van zyne Hoogheit, den Heere Prinsse van Orangjen en Nassau ter Repartitie van de Provincie van Stadt en Landt (1725), p. 6, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 682. Diese Ordnung wurde für das Regiment, das unter dem Kommando von Gerhard Sichterman stand, aufgesetzt. Eine ähnliche Ausführung ist auch für das Regiment von Frederik Willem Lewe überliefert: Groningen, GA, Familie Lewe, 1300–1949, Nr. 273. 153  Den Haag, KHA, Archief Henriette Amalia, Nr. 71, Brief: Nr. 14 von Herman van Rusier aus Gierle und Beers vom 12.7.1702. 154  de Wilde, De ontwikkeling, S. 89–105. 155  Vgl. zur Modeveränderung: Rakewitz, Gertraud/Krause, Gisela/Lenning, Gertrud: Kleine Komstümkunde, 13. Aufl., Berlin 2003, S. 136–148. 156  Ordres voor het Regiment … (1725), p. 6 f. Spätere Veränderungen durch die Soldaten wurden mit Spießrutenläufen bestraft. Außerdem musste die Kleidung stets intakt gehalten werden, ansonsten wurden die Soldaten von der Parade und dem Wachdienst ausgeschlossen. 157  Zumthor, Paul: Das Alltagsleben in Holland zur Zeit Rembrandts, Leipzig 1992, S. 289 f. Siehe insbesondere: Mulder-Radetzky, Rita: Schilderijencollecties van de Friese Nassau’s, in: Ph.  H. Breuker/A. Janse (Hgg.), Negen eeuwen Friesland-Holland. Geschiedenis van een haat-liefdeverhouding, Zutphen 1997, S. 197–205, hier: S. 198. In Frankreich soll um 1680 eine generelle Uniformierung stattgefunden haben. Reinhard, Wolfgang: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999, S. 356.



VI. Uniformierung49

Abb. 1: Fähnrich des Nassauischen Regiments

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B. Geschichte des Regiments

rüber hinaus war er mit dunkelblauen Hosen und weißen Strümpfen bekleidet. Ebenso zierte ihn eine Schärpe in hellblau und gelb, den nassauischen Farben. Weiterhin ist auf der Zeichnung eine gelb-blaue Fahne, die in der Mitte das Wappen der Nassauer – einen goldenen Löwen auf blauem Hintergrund – trägt, zu erkennen. Der Hut und die Schuhe des Fähnrichs sind grau, die Handschuhe vermutlich aus Leder.158 Ebenfalls aus dieser Zeit stammt eine Abbildung eines „Veldtwaibels der Laib-Compagnie“ (Abb. 2). Dieser trug einen roten Justaucorps mit blauen Umschlägen, eine blaue Weste (Kamisoel) und blaue Hosen. Auf den Schultern finden sich hellblaue und gelbe Bänder, ebenso auf dem grauen Hut und den Schuhen. Der Feldwebel ist auf dem Bild mit einer Hellebarde und einem Degen bewaffnet.159 Ob die Soldaten ebenfalls rote Jacken und blaue Hosen trugen, ist ungewiss. Eine Unterscheidung zwischen Soldaten- und Offiziersuniformen bestand im 17. Jahrhundert vor allem in der Qualität der Stoffe, den Farben und den üppigeren Verzierungen bei den Offizieren.160 Wenn die Offiziere ins Feld zogen, trugen sie weiterhin sichtbar einen Ringkragen, der sie deutlich in ihrem Rang kennzeichnete.161 Nach einer Resolution der Stände von Friesland vom 29. April 1699 sollten die Uniformen jedoch schlicht sein und keine üppigen Gold- oder Silberverzierungen aufweisen.162 Wenig später, ab 1678, wurden die Farben umgekehrt getragen. Die Soldaten trugen fortan blaue Jacken sowie rote Hosen.163 1692 war das Regiment weiterhin in blauer Farbe gekleidet.164 1728 trugen die Soldaten des Regiments Oranje-Friesland eine blaue Montur, die rot unterfüttert war.165 158  de Wilde, De ontwikkeling, S. 92. Die Bilder entstammen der Collection Gustave de Ridder, der die Zeichnungen zwar dem Regiment Prinz Moritz von Nassau zuordnete, jedoch zeigen sie, wie auch F. J. G. ten Raa anhand von ihm angefertigten Kopien zeigen konnte, Offiziere des Leibregiments der friesischen Nassauer. Siehe zu den Kopien: Datenbank des Legermuseum in Soest, Nr. 00148287 [https:// ‌www.nmm.nl/‌zoeken-‌in-‌de-‌collectie/‌detail/‌357595/] sowie Nr. 00148285 [https://‌ www.nmm.nl/‌zoeken-‌in-‌de-‌collectie/‌detail/‌357580/]. 159  Ebd. 160  Wilde, Frans Gerard de: Onderscheidingstekenen voor de officieren en onderofficieren in het Staatse leger tot 1795, in: Armamentaria 25 (1990), S. 15–26. 161  Ebd., S.  17 f. 162  Leeuwarden, Tresoar, Familie Calkoen-Vegelin van Claerbergen, Nr. 289. 163  Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 343, Schriftstück: Nr. 19. General van Coehoorn bestellte im Jahr 1678 Kleidung bei Hessel Hessels und Pieter Cornelis Backer in Leeuwarden. Diese sollten blauen und roten Karsaai für die Hosen liefern. Vgl. ebenso van Nimwegen, Deser landen, S. 354. 164  de Wilde, De ontwikkeling, S. 92. Ein Entwurf für die Kleidung der statthalterlichen Garde von 1699 wies den Offizieren und Soldaten blaue Überbekleidung und rote Hosen zu. Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 682.



VI. Uniformierung51

Abb. 2: Feldwebel der Leibkompanie

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B. Geschichte des Regiments

Das Ankaufen von Kleidung war Aufgabe der Offiziere und stellte diese in einigen Fällen vor Herausforderungen.166 In der Zeit des Neunjährigen Kriegs berichtete der Offizier Joachim van Amama, dass es nicht möglich sei, in Holland blauen Karsaai für die Montur zu kaufen. Die Hosen und Hüte sollen daher aus Lüttich geholt werden.167 Weil die Kleidung der Soldaten im Sommer 1696 jedoch schon sehr verschlissen war, ließ der Offizier Johan van Molenschot letztlich neue Monturen in Brüssel anfertigen.168 1701 wurde die Kleidung sogar in England bestellt, weil es in den Niederlanden erneut nicht möglich war, die gewünschte Ausrüstung zu bekommen.169 Zum Teil wurde die Montur jedoch auch von dem Kaufmann Anne Hobbes aus Workum in Friesland geliefert.170 In der Korrespondenz findet sich sogar eine Stoffprobe des roten Karsaai.171 Die Grenadiere trugen neben der Uniform noch eine Grenadiersmütze als Bestandteil ihrer Uniform.172 Die Patronentaschen der Musketiere wiesen das Wappen173 und den Namen des Statthalters auf.174 165

165  Bericht des Drosts in Emden vom 3.5.1728, in: Aurich, StaA, Rep. 4, B IV e, Nr. 116, fol. [44r+v]. Das Regiment Idsinga trug weiß-graue Uniformen mit blauem Unterfutter. 166  Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 116, Brief: Nr. 1b von Johan van Molenschot, o. D.; ebd., Nr. 302, Brief Nr. 338 von Jan Rousses aus Brügge vom 17.7.1695 bzgl. Schilderung ausstehender Forderungen des Kaufmanns. Zur Regelung des Ankaufens und der Fertigung der Uniformen siehe für das Ende des 17. Jahrhunderts: Hardenberg, S. 102–104. Die Uniformen der Soldaten sollten, um unnötige Kosten zu vermeiden, keine Zierelemente aufweisen. 167  Den Haag, KHA, Archief Henriette Amalia, Nr. 63, Brief: Nr. 1 von Joachim van Amama aus Korbeek vom 20.6.1696; ebd., Nr. 74, Brief: Nr. 1 von Conrad van Unkel aus dem Lager bei Korbeek vom 11./21.6.1696. 168  Ebd., Nr. 70, Brief: Nr. 10 und 14; ebenso ebd., Nr. 58, Brief: Nr. [7]. Bereits Ende 1695 sollten für die Regimenter Frieslands und Groningens neue Kleidung gekauft werden, siehe ebd., Archief Hendrik Casimir II, Nr. 127, Brief: Nr. 546, von N.  Sighers aus Lüttich vom 4./14.11.1695. 169  Ebd., Archief Henriette Amalia, Nr. 70, Brief: Nr. 21 von Johan van Molenschot aus Bergen op Zoom vom 27.3.1701. 170  Ebd., Brief: Nr. 22 von Johan van Molenschot aus Bergen op Zoom vom 26.5.1701. Die Kleidung von Hobbes genoss einen guten Ruf, vgl. den Brief von S. van Humalda an P. de Beaufort aus Leeuwarden vom 11.11.1719, in: Utrecht, UA, Familie De Beaufort, Nr. 155. 171  Den Haag, KHA, Archief Henriette Amalia, Nr. 70, Brief: Nr. 21a von Henriette Amalia am 2.4.1701. In dieser Akte befindet sich eine Stoffprobe. Die Kleidung sollte immer nur bei einem Lieferanten bestellt werden, damit die Soldaten identisch aussahen, was aber nicht immer befolgt wurde. Vgl. Hardenberg, S. 108. 172  Den Haag, KHA, Archief Henriette Amalia, Nr. 70, Brief: Nr. 23 [II] von Johan van Molenschot aus Bergen op Zoom vom 6.6.1701. 173  de Wilde, De ontwikkeling, S. 96; Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 208, 18.8.1737. In dieser Akte wurde den Offizieren R. Tulleken und C. de



VI. Uniformierung53

Über die Kleidung der Offiziere können für das 18. Jahrhundert genauere Aussagen getroffen werden. Sie lässt sich anhand von Porträtbildern, die der friesische Maler Bernard Accama (ca. 1697–1756) in den Jahren von 1730 bis 1735 anfertigte, erschließen (Abb. 3).175 Die Offiziere trugen einen blauen Justaucorps mit eng anliegendem Kragen, unter dem sich eine Halsbinde und das Spitzenjabot zeigten. Der Justaucorps wies einen Knopfverschluss in der Mitte in Höhe des Hosenbundes auf. Das Innenfutter war rot und wurde abgesetzt durch silberne Galons. An den Brustklappen, auch Rabatte genannt, sind je drei Knopfreihen zu drei Knöpfen zu sehen, welche mit silbernen Knopflöchern versehen waren. Darunter befand sich noch mindestens eine Reihe von Knöpfen auf dem blauen Stoff. Abgerundet wurde die Kleidung durch eine rote Weste, die am Saum silbern besetzt war und einige verzierte Knopflöcher aufwies. Schließlich ist bei allen Offizieren noch eine rote (orange?) Schärpe176 und eine silberne Kordel, die von der rechten Schulter herunterhängt, zu finden. Die Kordel – auch „nestel“ genannt –177 unterschied die Offiziere von den Soldaten,178 während eine optische Rangordnung der Offiziere zu dieser Zeit noch nicht üblich war.179 174

Da die Bilderserie über einen Zeitraum von fünf Jahren erstellt wurde, kann anhand des später gemalten Bildes des Kapitäns Frederik de Drevon (Abb. 4) erkannt werden, wie sich die Uniformen – da sie ja alle zwei Jahre ausgetauscht wurden180 – auch in Details wandeln konnten.181 So blieb zwar der Justaucorps blau und das Innenfutter rot, jedoch trug de Drevon Saumaise angeordnet, Patronentaschen, Lederriemen, Pulverhörner und Pulversäcke aus Kalbsleder anzukaufen. 174  Ebd., Archief Henriette Amalia, Nr. 71, Brief: Nr. 4 von Herman van Rusier aus Bergen op Zoom vom 7.6.1701. 175  Siehe dazu die Abbildungen auf den folgenden Seiten. 176  Die orange Schärpe soll nur von Offizieren getragen worden sein. de Wilde, Onderscheidingstekenen, S. 18. 177  Diese durfte nach dem Reglement von 1772 höchstens bis zum Ellenbogen reichen. Hardenberg, S. 107. 178  Vgl. de Wilde, Onderscheidingstekenen, S. 18. 179  de Wilde, De ontwikkeling, S. 96. So auch in Preußen, siehe dazu: Ortenburg, Georg: Das altpreußische Offizierkorps, in: Rolf Wirtgen (Hg.), Das Preußische Offizierkorps. Uniformierung – Bewaffnung – Ausrüstung. Katalog zur Sonderausstellung der Wehrtechnischen Studiensammlung, Koblenz 2004, S. 9–24, hier: S. 15 und Bleckwenn, Hans: Altpreußische Offiziersporträts. Studien aus dem Nachlaß. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Bernhard R. Kroener und Joachim Niemeyer, Osnabrück 2000, S. 11 f. 180  Im Monat Mai: Hardenberg, S. 104. 181  Siehe auch den Brief von Frederik Willem Meijers vom 18.8.1742 aus Leeuwarden an den Statthalter wegen der Frage, was „omtrent het Galon“ bei den Uniformen geändert werden soll. Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 173.27.

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B. Geschichte des Regiments

Abb. 3: B. Accama, Gellius Wibrandus van Aytta (1731)



VI. Uniformierung55

Abb. 4: B. Accama, Frederik de Drevon (1735)

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B. Geschichte des Regiments

eine lederfarbene Weste. Dies war 1734 bei der Neubestellung angeordnet worden.182 Die Weste wies mindestens sechs Knopflöcher auf, wobei einige von der Schärpe verdeckt wurden. Die Klappen an den Ärmeln verfügten ebenfalls über Knöpfe, was in der vorherigen Montur noch nicht üblich war. Auch befanden sich auf dem umgeklappten Brustteil acht Knöpfe, die in vier Gruppen zu je zwei Knöpfen angeordnet wurden. Die Brustklappen wurden bei ihm durch einen Knopf über dem Kragen befestigt und verschwanden nicht unter dem Kragen. Die auf dem Bild nicht zu sehenden Hosen hatten nach der Bestellung von 1734 ebenso rot und nicht mehr lederfarben zu sein. Darunter folgten weiße Strümpfe. In einer Aufstellung der Uniformen aus dem Jahre 1753 zeigte sich die Uniform des Regiments weiterhin als blaues Justaucorps mit rotem Innenfutter, welches in der Mitte und an den Ärmeln hochgeklappt war.183 Zum äußeren Erscheinungsbild der Offiziere und Soldaten gehörte außerdem eine korrekte Haartracht. Während in den 1680er Jahren die Haare noch offen und halblang getragen wurden, ging der Trend im 18. Jahrhundert dazu, das Haar länger zu tragen und als Zopf zu binden.184 Die Grenadiere mussten sich ihre Haare so binden, dass an beiden Seiten Lockenstränge zu sehen waren. Bei den Offizieren wurde das Haar im 18. Jahrhundert, wie es der Mode der Zeit entsprach, an den Seiten (ailes de pigeon) und der Stirn (Vergette) in Form von Locken getragen. Die Nackenhaare wurden zusammengekämmt und in einen Haarbeutel (Crapaud) gesteckt, der mit einer Schleife versehen war.185 Zum Teil trugen die Offiziere im 18. Jahrhundert jedoch auch gepuderte Perücken. Dabei war in den Regimentern sogar vorgeschrieben worden, wie eine Perücke auszusehen hatte. Der Kapitän des Regiments Oranje-Groningen, Tjaard van Swaneveld, wurde im April 1740 in Emden wegen des Tragens einer falschen Perücke angeklagt und zu sechs Tagen Arrest verurteilt.186 Insgesamt lässt sich jedoch bei der Kleidung eine Tendenz zur Schlichtheit ausmachen, die beispielsweise auch in Preußen in dieser Zeit üblich war.187 Besonders die Kombination von blauem Rock mit rotem Innenfutter, sowie 182  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 695: Ordre waar na men sig reguleeren zal in het bestellen van de Monteringe van ons Lijf Regiment te voet, Art. 3, Juni 1734. 183  de Wilde, De ontwikkeling, S. 96; Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 428. 184  Ordres voor het Regiment … (1725), p. 5. Es sollten nur solche Männer angenommen werden, die eigenes Haar trugen, andere hingegen, die bereits angenommen waren und deren Haare nicht der Regimentsnorm entsprachen, mussten auf eigene Kosten für eine Perücke sorgen. 185  Vgl. Rakewitz/Krause/Lenning, S. 153. 186  Emden, StadA, I. Reg., Nr. 894. 187  Ortenburg, S. 16.



VII. Bewaffnung57

der zum Teil roten oder auch lederfarbenen Westen, findet sich in dieser Zeit insbesondere bei der preußischen Armee wieder.188

VII. Bewaffnung Die umfassende Bewaffnung bildete eines der wesentlichen Kennzeichen der Militärs. Ursprünglich gab es drei Arten von Soldaten, nämlich Musketiere, Pikeniere und Grenadiere. Die Pikeniere verschwanden 1708 offiziell aus dem niederländischen Militärwesen. Durch die veränderte und vor allem auf Belagerungen ausgerichtete Kriegsführung wurden sie nicht mehr gebraucht. Der Offizier Conrad van Unkel berichtete bereits im Juli 1696 aus Tillieux, dass an die Pikeniere 1.000 Snaphanen189 ausgeteilt werden sollten, weil deren Bewaffnung bei der Belagerung keine Rolle mehr spiele.190 Die gefallenen Pikeniere wurden daher auch nicht mehr ersetzt.191 Ursprünglich schützten sie in den Feldschlachten die Musketiere und wurden effektiv gegen die gegnerische Reiterei eingesetzt. Ihre Lanzen maßen 18 Fuß, was einer Länge von ca. 5,5 Meter entspricht.192 Die Musketiere waren ursprünglich mit einem Luntenschlossgewehr ausgestattet, ehe diese in der Zeit des Neunjährigen Kriegs gegen Feuersteingewehre, den sogenannten Snaphanen, ausgetauscht wurden. Die Reichweite der Snaphanen betrug 50 Meter. Ab 1700 wurden die Gewehre der Musketiere zusätzlich mit Bajonetten ausgestattet. Mit dem Bajonett zusammen maß die Waffe 6 Fuß, also rund 1,9 Meter. Das Bajonett konnte ebenfalls als eine Art Pike eingesetzt werden.193 Darüber hinaus verfügten alle Soldaten über einen Degen.194 Die Grenadiere waren mit drei Granaten und einem Gewehr ausgestattet.195 Die Bajonette des friesischen Regiments galten dabei sogar als Vorbild für das Statthalterregiment der Provinz Groningen.196 Bleckwenn, passim. Name leitet sich von der Technik ab, mit der die Kugel abgeschossen wurde. Ein Snaphaan ist ein sogenanntes Steinschlossgewehr. 190  Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 130, Brief: Nr. 84 von Conrad van Unkel aus Tillieux (Tilleur?) vom 13.7.1694. 191  Ebd., Brief: Nr. 465(a) von Conrad van Unkel aus Namur vom 3.9.1695. 192  van Nimwegen, De Republiek, S. 87. 193  Reinhard, S. 345, 355. 194  van Nimwegen, De Republiek, S. 87–89. 195  Ebd., S. 89. 196  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 668, Brief von R. ten Ham aus Brügge vom 10./20.4.1692; Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 127, Brief: Nr. 572 von N.  Sighers aus Lüttich vom 10./20.12.1695. Vgl. auch: ebd., Brief: Nr. 560 von N. Sighers aus Lüttich vom 6.12.1695. 188  Vgl. 189  Der

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B. Geschichte des Regiments

Das Ankaufen der Waffen war Aufgabe der Offiziere, die auch die Kosten zu tragen hatten.197 So wurden 1735 die beiden Offiziere Petrus Bernhard von Cotzhausen und Charles de Saumaise nach Maastricht gesandt, um dort Gewehre für das Regiment zu kaufen. Dabei sollte das Modell Penterman erworben werden, mit dem das Regiment bereits gute Erfahrungen gemacht hatte. Auf den Läufen der Gewehre durften jedoch nicht die Namen der jeweiligen Kapitäne der Kompanie stehen, weil sich diese nach Ansicht des Statthalters zu häufig änderten, sondern lediglich der Schriftzug „Orange Lijff Regiment“ und die Nummer der jeweiligen Kompanie. Allein die Leibkompanie blieb ohne Nummer, auf ihren Gewehren stand nur „Lijff Compagnie“. Die alten Gewehre sollten in Amsterdam an die West- beziehungsweise Ostindische Kompanie, nach Portugal oder an andere Interessenten verkauft werden.198 Wichtig war vor allem, dass sich die Waffen in einsatzfähigem Zustand befanden. Daher wurden sie regelmäßig begutachtet und gegebenenfalls repariert. 1736 waren aber selbst die neuen Gewehre schon recht anfällig, sodass eine Auflistung über die Defekte erstellt wurde.199 Ebenso beklagte sich der Offizier Frederik Willem Meijers über die Qualität der gelieferten Degen. Er konstatierte, dass es mehr Gründe gebe sich über den Lieferanten van Delden zu beklagen, als über alle anderen Kaufleute zusammen.200

VIII. Geistliche Betreuung Generell gehörten die Soldaten zu den jeweiligen Kirchengemeinden in den Garnisonsstädten. Dort konnten sie heiraten, ihre Kinder taufen und sich auch beerdigen lassen. Eigene Garnisonskirchengemeinden und Militärpfarrer gab es nicht. Lediglich in den Zeiten, in denen das Regiment zur Kriegsführung eingezogen wurde, war es nötig, einen Geistlichen an den Kriegsschauplatz zu schicken. In den Briefen an den Statthalter schilderten die Offiziere häufig, dass Geistliche im Feld fehlen würden, weshalb sie um die Sendung 197  Resolution der Stände von Friesland vom 15.4.1687. Die alten Waffen sind an das Magazin zu geben, die neuen Waffen müssen durch die Offiziere finanziert werden, jedoch erhalten sie Waffengeld bei der Weitergabe ihrer Kompanie von den jeweiligen Nachfolgern. Die Kompanien sollen Waffen für 80 Mann bereithalten. Überliefert in: Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 341, Schriftstück: Nr. 37. 198  Projekt wegen der Order vom 21.9.1735, unterschrieben 27.9.1735 durch Eelco van Glinstra und Frederik Willem Meijers, Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 208. 199  Ebd., Nr. 210, Vol. II (Mappe Nr. 133). 200  Ebd., Nr. 173.27, Brief von Frederik Willem van Meijers an Wilhelm IV. aus Leeuwarden vom 18.8.1742.



IX. Stärke und Personalstruktur des Regiments59

von Predigern baten.201 Der Offizier Herman van Rusier schrieb von einem Kandidaten aus Friesland mit Namen Rubel, der 1702 als Feldprediger diente, und den das Regiment gerne noch an der Front zu behalten beabsichtige.202

IX. Stärke und Personalstruktur des Regiments Um konkrete Aussagen über die personelle Stärke des Regiments treffen zu können, ist es notwendig, seine Struktur zu beschreiben. Wie bereits einleitend dargestellt, formierte sich das Regiment erst im Laufe der Jahre. Erst 1690 bestand es in dem Aufbau, wie er bis zur Umstrukturierung 1752 vorzufinden war. In den Jahren zuvor waren die einzelnen Kompanien selbstständig organisiert.203 So umfasste 1668 eine standardisierte Kompanie 80 Soldaten, einen Kapitän, einen Leutnant, einen Fähnrich, zwei Sergeanten, drei Korporäle, zwei Tamboure, einen Schreiber und einen Chirurgen. Der Kapitän war der Eigentümer der Kompanie und somit der höchste Mann in der Einheit. Die anderen unterstanden ihm in ihren unterschiedlichen Aufgaben. Auffällig ist, dass zu dieser Zeit neben dem eigentlichen militärischen Personal auch ein Schreiber und ein Chirurg den Dienst versahen. Dies kann als weiteres Indiz für die Eigenständigkeit der Kompanie gewertet werden, weil später besonders Chirurgen häufig nur in den Regimentern angestellt wurden. Betrachtet man hingegen vergleichend das Jahr 1701, divergiert sowohl die Struktur als auch die Anzahl der Soldaten im Regiment erheblich. In diesem Jahr sollten 106 Soldaten in einer standardisierten Kompanie dienen. Hinzu kamen ein Kapitän, ein Leutnant, ein Fähnrich, zwei Sergeanten, zwei Tamboure, ein Solliciteur und drei Jungen. Bei dem Solliciteur handelte es sich um den Zahlmeister. Er streckte das Geld für die Kompanie vor, das ursprünglich vom Raad van State kam.204 201  Siehe die Briefe: Den Haag, KHA, Hendrik Casimir II, Nr. 130, Brief: Nr. 312 von Conrad van Unkel aus Perwez vom 28.6.1695; ebd., Nr. 130, Brief: Nr. 409 von Conrad van Unkel aus dem Lager bei Namur vom 11.8.1695; ebd., Nr. 116, Brief: Nr. 523 von Johan van Molenschot aus Lüttich vom 11./21.10.1695; ebd., Henriette Amalia, Nr. 74, Brief: Nr. 1 von Conrad van Unkel aus dem Lager bei Korbeek vom 11./21.6.1696. 202  Ebd., Nr. 71, Brief: Nr. 9 von Herman van Rusier aus dem Lager bei Klarenbeck vom 2.5.1702. 203  Alle Zahlen entstammen: Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 416, „Manuscripten over Militaire Zaken, bevattende een schoon retroacten over den hoegrootheid, zamenstelling en voet van betalins de Armee in de brillandste tyden van onze Defensie beginnenede met Ao. 1649“. 204  van Nimwegen, De Republiek, S. 84; ders., The transformation, S. 171 und S. 175 f. Das niederländische System vermied durch diese Zahlweise Ausfälle, indem

60

B. Geschichte des Regiments

Wenige Jahre später änderte sich das Bild erneut. 1727 umfasste eine standardisierte Kompanie einen Kapitän mit seinem Jungen, einen Leutnant, einen Fähnrich, zwei Sergeanten, einen Tambour, einen Schreiber sowie 55 Soldaten. Deutlich wird also, dass sich schon die normativen Vorschriften, wie eine Kompanie auszusehen hatte, in den Jahren wandelten. Zu untersuchen bleibt, ob der tatsächliche Befund mit dem normativen übereinstimmt. Musterungszahlen des Regiments liegen nur vereinzelt vor. Wohl am aussagekräftigsten sind die Listen über die Musterungen des ersten Bataillons, die in Zutphen in der Zeit von Frühjahr 1681 bis Frühjahr 1685 durchgeführt worden waren. Dabei ist es möglich, sieben von den zwölf Kompanien bei allen sieben stattgefundenen Musterungen aus den Jahren nachzuweisen. Bei der ersten Musterung 1681 bestanden sieben Kompanien zusammen aus 272 Soldaten, wobei sich die Verteilung stark unterschied.205 So umfasste die Leibkompanie des Statthalters 62 Soldaten, die des Kolonel-Kommandanten Menno van Coehoorn 41, die des Leutnant-Kolonel Johan Poppo van Andreae 42 und die des Majors Conrad van Unkel und der anderen Kapitäne zwischen 30 und 33 Soldaten. Bei der zweiten Musterung im Herbst hatten sich die Zahlen grundlegend verändert.206 Während die Leibkompanie um weitere sieben Soldaten vergrößert worden war, was zu einer Gesamtzahl von 69 Soldaten führte, und auch Major van Unkel acht Soldaten hinzugewinnen konnte, waren bei den anderen Kompanien nur kleine Zuwächse und Abgänge zu verzeichnen. Insgesamt war die Anzahl der Soldaten auf 285 also um rund 4,5 Prozent angestiegen. Bei einer zweiten Musterung im Herbst 1681 war die Anzahl hingegen wieder auf 271 Soldaten gesunken.207 Bis auf die Kapitäne Frederik van Ockinga und Jetze van Stiensma hatten alle Kompanien Abgänge zu verzeichnen. Die Anzahl der Soldaten vermehrte sich erneut erst wieder im Frühjahr 1682.208 Der Grund hierfür bestand darin, dass im Winter in der Regel die Soldaten angeworben die Solliciteure das Geld vorstreckten. Die Kapitäne waren grundsätzlich selbst für die Finanzierung verantwortlich. Sie mussten entstandene Mehrkosten in der Regel selbst begleichen. Dabei wurde jedoch ein Bonussystem eingeführt, wonach bei guter Führung diese Kosten trotzdem durch die jeweilig zuständige Provinz finanziert wurden. Die Kosten für die monatliche Besoldung wurden in der Provinz Friesland in der Regel von den Grietmannen, die meist auch gleichzeitig Ontvanger in den Grieteneien waren, vorgestreckt. Vgl. dazu das Rechenungsbuch in: Leeuwarden, Tresoar, Familie Van Beyma thoe Kingma, Nr. 158. 205  Den Haag, NA, RvS, Nr. 1672, fol. 62r–63r (März 1681). 206  Ebd., SG, Nr. 12548.488.4, 25. sowie 26.09.1681. Vgl. auch: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 667, 9.10.1681 in Zutphen. 207  Den Haag, NA, RvS, Nr. 1671, fol. 65v–66r, Sept. 1681 (22.10./1.11.1681). 208  Ebd., Nr. 1672, fol. 63r–64v, März 1682.



IX. Stärke und Personalstruktur des Regiments61

wurden. Die Gesamtzahl der sieben Kompanien betrug nunmehr 321 Soldaten, was einen Anstieg von rund 15,5 Prozent ausmachte. Die Stärke konnte auch noch im Herbst 1683 mit 326 Soldaten gehalten werden.209 Erst im Herbst 1684 und im Frühjahr 1685 sank die Zahl der Soldaten wieder auf 290 beziehungsweise 277 Soldaten, einem erneuten Verlust von circa 15 Prozent.210 Deutlich ist also zu erkennen, dass in dem kurzen Zeitraum von vier Jahren die Anzahl der Soldaten um 50 Mann bei den sieben genannten Kompanien schwankte. Betrachtet man das gesamte Regiment im Vergleich der Jahre 1681 und 1682, ist ein Anstieg von 97 Soldaten zu verbuchen. Zieht man anschließend das Jahr 1685 als Vergleich für die Zahlen von 1682 hinzu, ist wiederum ein deutlicher Abstieg von fast 100 Soldaten zu verzeichnen. Auch wenn die Gründe für den An- und Abstieg nicht aus dem Zahlenmaterial hervorgehen, werden anhand der Auflistung die Probleme einer genauen Festlegung der Stärke des Regiments deutlich. Bei jeder Musterungsliste handelt es sich nur um eine Momentaufnahme des gesamten Regiments. Festzuhalten ist daher für die 1680er Jahre, dass die Stärke zwischen circa 440 und 560 Mann lag. Im Oktober 1689, also zur Zeit des Neunjährigen Krieges, umfasste das erste Bataillon zwölf Kompanien á 60 Mann, sodass das Regiment 720 Mann stark war. Der Zuwachs von mindestens 160 Soldaten begründete sich durch die Kriegssituation.211 Jedoch wird hier deutlich, dass die Zahl von 60 Mann weit von der für diese Zeit angeordneten Zahl von 71 Soldaten abwich.212 Wenige Jahre später dienten im Regiment sogar 1.000 Soldaten.213 Diese Zahl konnte nicht lange aufrecht erhalten werden, so berichtete der Major van Andreae 1691, dass er ungefähr 130 Soldaten aus dem Regiment kassiert habe.214 209  Ebd., Nr. 1671, fol. 81r–81v, 86v, 89v, Sept. 1683. Die Kompanien von van Doijs und Sloot sind in Bredevoort, die von van Stiensma in Schenkenschanz, die von Hellemis van Welle sowie von de Schepper in Arnheim. 210  Ebd., Nr. 1671, fol. 74r–74v, Sept. 1684 (6./16.10.1684), fol. 77v, Sept. 1684 (9./19.10.1684). Die Kompanien von Hellemis van Welle, de Schepper, Sloot sowie van Stiensma sind in Bredevoort; ebd., Nr. 1672, fol. 57r–57v, März 1685, 19./29.4.1685. Die Kompanien von Hellemis van Welle, de Schepper, Sloot sowie van Stiensma sind in Bredevoort. 211  Janssens, S. 3. 212  ten Raa, Het Staatsche Leger, Bd. 7, S. 220. 213  Siehe die Liste, die nicht genau datiert werden kann, vermutlich stammt sie aus der Zeit zwischen 1690 bis 1691: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 122. Dass die Liste aus Kriegszeiten stammt, wird zudem darin deutlich, dass auch tote, kranke und desertierte Soldaten aufgelistet wurden. 214  Ebd., Nr.  667, Brief von Johan Poppo van Andreae aus Brügge vom 24.10.1691.

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B. Geschichte des Regiments

In der Anzahl der Soldaten zeigt sich auch eine gewisse Eigenwilligkeit der Provinz, denn das Militär in Friesland hielt sich oft nicht an die Vorschriften des Raad van State bezüglich der Größe der Truppen. So verminderte die Provinz 1697 eigenmächtig die Truppenstärke, indem die Kompanien von 71 auf 69 Soldaten verkleinert wurden.215 Betrachtet man das Material aus dem 18. Jahrhundert, wird erneut deutlich, dass die Zahlen in kurzen zeitlichen Abständen sehr unterschiedlich ausfielen. Bei der Verlegung nach Roermond im Jahr 1712 betrug die Gesamtzahl der Soldaten 431 im ersten und 408 im zweiten Bataillon.216 Im Frühjahr 1714 waren es bei der Verlegung in die Garnison Leeuwarden nur noch 328 Soldaten. Die deutliche Verminderung von 80 Soldaten hängt in diesem Fall mit dem Ende des Spanischen Erbfolgekriegs zusammen.217 Die Kompanien sollten nach diesem militärischen Großereignis auf 36 Soldaten reduziert werden.218 Aus späterer Zeit liegen nur vereinzelt Unterlagen über die Stärke des kompletten Regiments vor, sodass keine vergleichende Auflistung über mehrere Jahre erstellt werden kann. Jedoch geben die Musterungen von Truppenteilen Auskunft darüber, dass sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Zahl der Soldaten auf ungefähr 25 bis 29 eingependelt hatte.219 Nur die Leibkompanie des Statthalters war stets mit mehr Soldaten ausgestattet, so waren es 1719 40 Mann.220 Legt man die Zahlen für eine Berechnung der Stärke zu Grunde, kann plausibel angenommen werden, dass in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Bataillone jeweils rund 300 bis 350 Soldaten stark war, insgesamt das Regiment also rund 700 Soldaten maß. Dieser Befund lässt sich auch durch die Musterungsliste des in Emden garnisonierten ersten Bataillons aus dem Jahr 1725 und des zweiten Bataillons aus dem Jahr 1724 bestätigen. Das zweite Bataillon lag zur Zeit der Musterung in Zwolle und Kampen.221 Die Anzahl von rund 700 Soldaten 215  ten

Raa, Het Staatsche Leger, Bd. 7, S. 196. Tresoar, SHA, Nr. 19. 217  So waren es in den gesamten Niederlanden 1712 noch 130.000 Soldaten, 1713 lediglich 90.000 und 1715 nur noch 40.000 Soldaten, vgl. Israel, S. 985. 218  Recueil van alderhande Resolutien, Ordres, Reglementen, Patenten, Missiven en andere Saken, specteerende tot Regiments en verdere militaire Affairen zedert het Jaar 1702 (–1719), in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 272, p. 227, Resolution der Stände Frieslands vom 4.9.1713. 219  Vgl. Den Haag, NA, RvS, Nr. 1685, fol. 67v–69r, März 1717 in Zwolle; ebd., Nr. 1685, fol. 81r–81v, Sept. 1717 in Zwolle. 220  Ebd., RvS, Nr. 1685, fol. 48r+v, Sept. 1719. Bei der Garnisonsnahme in Arnheim sind es 44 Soldaten pro Kompanie, siehe: Arnhem, GA, Oud archief Arnhem, Nr. 3506. 221  Den Haag, NA, RvS, Nr. 1686, fol. 95r–96v, Okt. 1724. 216  Leeuwarden,



IX. Stärke und Personalstruktur des Regiments63

blieb wohl maßgeblich bis zum Umbau des Regiments im Jahre 1752. Eine Liste des Jahres 1750 aus der Garnison in Zwolle nennt 650 Soldaten.222 Somit lässt sich feststellen, dass die durch den Raad van State normativ festgeschriebenen Zahlen häufig nicht der tatsächlichen Anzahl entsprachen. Ebenso kann konstatiert werden, dass kriegerische Auseinandersetzungen für signifikante Zuwächse an Soldaten verantwortlich waren.223

222  Ebd.,

RvS, Nr. 2060. ebenso Kroener, Das Schwungrad, S. 4. Generell galt die Größe der Kompanie und die Anzahl der Offiziere in proportionaler Hinsicht zu den Soldaten im europäischen Vergleich als gering. Vgl. auch: Glete, S. 160. 223  Vgl.

C. Die Stadt als militärischer Ort Im Folgenden werden die drei Garnisonsstädte Leeuwarden, Groningen und Emden vergleichend vorgestellt. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt jeweils auf der Zeit, in der das Regiment in den Städten stationiert war. Das Kapitel stellt dar, inwiefern das Militär im öffentlichen städtischen Raum präsent war. Dabei soll aufgezeigt werden, auf welche Weise die Städte durch die Garnisonen militarisiert wurden,1 wie die Anwesenheit des Militärs die Städte prägte und in welchen Bereichen es Kontakte zu den zivilen Einrichtungen und Bewohnern gab.

I. Einrichtung der Garnisonen: Der Sonderfall Emden Leeuwarden, Groningen und Emden bildeten die größten Festungsstädte im kontinentalen nordwesteuropäischen Raum. Während sich die Provinz Friesland bereits 1572 dem Aufstand angeschlossen hatte und Groningen seit der Reductie von 1594 ebenfalls zu den aufständischen Provinzen der Utrechter Union gehörte und somit Leeuwarden und Groningen definitiv als niederländische Garnisonsstädte anzusehen sind,2 ist für die im deutschen Reich liegende Stadt Emden ein differenziertes Bild zu zeichnen. Seit 1602 war Emden Garnisonsstadt der Niederländer. Schon im Vorfeld gab es niederländische Stationierungen, die in besonderem Maße mit den Ereignissen des Jahres 1595, der sogenannten Emder Revolution3 zu begründen sind. Neben Emden hielten die Niederländer auch eine Garnison in 1  Vgl. Gräf, Holger Th.: Militarisierung der Stadt oder Urbanisierung des Militärs? Ein Beitrag zur Militärgeschichte der frühen Neuzeit aus stadtgeschichtlicher Perspektive, in: Ralf Pröve (Hg.), Klio in Uniform? Probleme und Perspektiven einer modernen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 1997, S. 89–108, hier: S. 92. 2  Vgl. Schroor, Meindert: Heroriëntatie op de Unie en op Holland, in: Maarten G. J. Duijvendak u. a. (Hgg.), Geschiedenis van Groningen, Bd. II: Nieuwe Tijd, Zwolle 2008, S. 153–210, hier: S. 153. 3  Der Begriff muss kritisch gesehen werden, ist jedoch in der Forschung geläufig. Vgl. allgemein zu den Ereignissen: Lengen, Hajo van (Hg.): Die „Emder Revolution“ von 1595. Kolloquium der Ostfriesland-Stiftung am 17. März 1995 zu Emden, Aurich 1995.



I. Einrichtung der Garnisonen: Der Sonderfall Emden 65

der südlich gelegenen Festung Leerort.4 Die dortige Stationierung erfolgte aufgrund eines Vertrags zwischen den Niederländern und dem Grafen von Ostfriesland. Emden bildete als nördlichste Garnisonsstadt auf Reichsboden den Abschluss des Barrieregürtels der Niederlande. Zur Verteidigung ihres Gebiets hatten die Niederlande etliche Festungen an ihrer Grenze zum Reich eingerichtet.5 Die Garnison in Emden wurde bis 1744 gehalten, gleichwohl spätestens seit Ende des 17. Jahrhunderts keine ernsthafte militärische Gefahr im Norden drohte.6 Neben den Niederländern lagen in Emden seit 1685 preußische Truppen, die mit Einrichtung der Handelskompanie stationiert worden waren.7 Die Installation dieser Truppen ist aber auch als eine Reaktion auf die Rebellion des Stadtkommandanten Feye van Heemstra des Jahres 1682 zu werten.8 Um die damals noch brandenburgischen Truppen nach Emden zu holen, wurde geschickt vorgegangen. Die in brandenburgischen Diensten stehenden Soldaten kamen als Bürger nach Emden. Es war nicht beabsichtigt, den Männern eine Standeserhebung zuteil werden zu lassen, sondern über die Bürgerpflichten, zu denen auch das Wachen gehör4  Zur Festung Leerort siehe: Lengen, Hajo van: 27 Die Festung Stickhausen und 27a Leerort, in: Ostfriesland (Führer zu archäologischen Denkmälern in Deutschland 35), Stuttgart 1999, S. 214–218 und Bärenfänger, Rolf: 65. Die Festung Leerort und der Plytenberg in Leer, in: Oldenburger Landesverein für Geschichte, Natur- und Heimatkunde e. V./Staatliches Museum für Naturkunde und Vorgeschichte Oldenburg (Hg.), Archäologische Denkmäler zwischen Weser und Ems (Oldenburger Forschungen Neue Folge 13 und Beiheft der Archäologischen Mitteilungen aus Nordwestdeutschland 34), Oldenburg 2000, S. 306–310. 5  Siehe zu der Barriere und dem festen Garnisonssystem: Israel, S. 263. In den Barrierestädten befanden sich wohl auch die meisten Soldaten. Vgl. Zumthor, S.  287 f. 6  Kappelhoff, Bernd: Emden als quasiautonome Stadtrepublik. 1611 bis 1749. Geschichte der Stadt Emden, Bd. 2 (Ostfriesland im Schutze des Deiches 11), Leer 1994, S. 105; Allgemein zum Barrieregürtel: Hahlweg, Werner: Barriere – Gleichgewicht – Sicherheit. Eine Studie über die Gleichgewichtspolitik und die Strukturwandlung des Staatensystems in Europa 1646–1715, in: Historische Zeitschrift 187 (1959), S. 54–89; ders.: Untersuchungen zur Barrierepolitik Wilhelms III. von Oranien und der Generalstaaten im 17. und 18. Jahrhundert, in: Westfälische Forschungen 14 (1961), S. 42–81; Zwitzer, De Militie, S. 20–24. 7  Die Preußen kamen am 15. und 16. Oktober 1685 nach Emden, wo sie auch einen Eid leisteten. Sie nahmen dabei Wachtposten auf dem Neuen Markt (ein Sergeant mit Tambour sowie zwölf Mann) und auf dem Roten Siel (ein Korporal mit zwölf Mann) ein. Siehe: Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 339. Insgesamt waren es 118 Soldaten, Offiziere und andere Militärbedienstete, ebd., Nr. 340. Eine Namensliste der Soldaten siehe bei: Bruns, Elmar/Bruns, Hilda: Vereidigung der Soldaten der brandenburgischen Marinekompanie in Emden 1685. Eine Namensliste in den Diarien des Emder Magistrats, in: Quellen und Forschungen zur ostfriesischen Familien- und Wappenkunde 61 (2012), S. 4–10. 8  Kappelhoff, Emden, S. 119, 293.

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C. Die Stadt als militärischer Ort

te, sollten diese in der Lage sein, militärisch zu agieren. Daher standen sie bei den Wachparaden auch neben der städtischen Bürgerwache.9 Nach dem Tode des letzten männlichen Nachkommen aus dem CirksenaGeschlecht fielen das Fürstentum Ostfriesland und die Stadt Emden gemäß einem Vertrag, der sogenannten Emder Konvention, an Preußen.10 Der Fürst Carl Edzard war in der Nacht vom 25. auf den 26. Mai 1744 verstorben. Die Preußen machten sofort ihre Besitzansprüche durch das Anschlagen von Plakaten im Land deutlich.11 Ebenso setzten sie Truppen in Bewegung. Der niederländische Stadtkommandant Otto Georg Veldtman berichtete, dass 442 Soldaten bei Leerort über die Ems marschiert seien.12 Fraglich ist aber, inwieweit die Übernahme überraschend kam, denn bereits 1732 spekulierte Veldtman darüber, dass der König von Preußen das Wappen von Ostfriesland annehmen und mit Zustimmung des Fürsten diesen ablösen würde. Veldtman schilderte zudem, dass viele diesem Vorhaben gegenüber nicht abgeneigt seien.13 Da die Stadt fortan preußisch war, zogen die Niederländer ihre Truppen ab. Dies missfiel der Emder Regierung, die sich erhofft hatte, dass die Niederländer trotz des neuen Landesherrn bleiben könnten. Sie setzten dazu einen Brief an den König von Preußen auf, in dem sie ihre Befürchtungen schilderten, dass die Bedeutung der Stadt schwinden könnte, und schlugen diesem vor, in Emden keine preußischen Truppen zu stationieren, sodass die Niederländer verbleiben könnten. Es 9  Den Haag, NA, SG, Nr. 6740, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten vom 20.7.1730, eingetroffen am 25.; Kappelhoff, Emden, S. 295. Dass das Bürgerrecht in der Regel auch den Wachdienst nach sich zog, gilt für alle europäischen Städte der frühen Neuzeit, siehe bspw. Schwark, Thomas: Lübecks Stadtmilitär im 17. und 18. Jahrhundert. Untersuchungen zur Sozialgeschichte einer reichsstädtischen Berufsgruppe (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck, Reihe B, 18), Lübeck 1990, S. 59–66. Die Bürgerwachen bzw. städtischen Schützereien waren durch die Heeresreform von Moritz und Wilhelm Ludwig von Nassau unter militärischen Aspekten bedeutungslos geworden. Dazu: Roy van ­Zuydewijn, Noortje de: Neerlands Veste. Langs vestingsteden, forten, linies en ­stellingen, ’s-Gravenhage 1988, S. 61. 10  1654 wurde Graf Enno Ludwig persönlich zum Fürsten ernannt, 1662 wurde unter seinem Nachfolger Georg Christian das gesamte Cirksena-Haus in den Fürstenstand erhoben. 11  Den Haag, NA, SG, Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 26.5.1744, eingetroffen am 30. 12  Ebd., Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 28.6.1744, eingetroffen am 2.7. 13  Ebd., Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 5.9.1732, eingetroffen am 13. (geheimes Schreiben). Siehe auch: R ­ other, Hermann: Die Auseinandersetzung zwischen Preußen und Hannover um Ostfriesland von 1690 bis 1744, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 36 (1956), S. 39–96, insb. S. 42 f.



I. Einrichtung der Garnisonen: Der Sonderfall Emden 67

bestand vor allem die Furcht vor Verminderung der Einnahmen durch den Abzug, da insbesondere die Häuser aufgrund fehlender Truppen nicht mehr vermieten werden könnten. Weiterhin betonten die Emder, dass die niederländischen und preußischen Truppen in Emden in Frieden miteinander gelebt hätten. Alle Probleme und Spannungen, die es vorher zwischen dem Rat und den niederländischen Militärs gab, ordneten sich nun den ökonomischen Interessen unter. Doch stellte sich für die Niederländer offensichtlich keineswegs die Frage, ob sie weiterhin in Emden Garnison halten sollten. Zum Zeitpunkt des Briefs der Emder hatten sie den Abzug bereits eingeleitet und der Stadtkommandant Veldtman seinen Pass für den Transport seines Besitzes empfangen.14 Der Abzug traf die Stadt ökonomisch schwer. Der ostfriesische Geschichtsschreiber Tileman Dothias Wiarda (1746–1826) schilderte in seinem Werk über die Geschichte Ostfrieslands, dass der Lohn der Soldaten, der in der Stadt regelmäßig ausgezahlt worden war, 18.000 Gulden monatlich betragen haben soll. Da das Geld in der Stadt ausgegeben wurde, hätten in besonderem Maße die Bürger durch die Mieten und die städtische Kämmerei aufgrund der Akzise sehr davon profitiert.15 Am 22. Oktober 1744 wurde die Festung Leerort geräumt und am 2. November verließen die Niederländer schließlich die Garnison. Die beiden Regimenter Oranje-Friesland und Oranje-Groningen, die zu diesem Zeitpunkt in Emden lagen, verließen die Stadt auf 31 Schiffen.16 Das Regiment Friesland wurde nach Leeuwarden gebracht, wo es am 6. November ankam,17 das Regiment Groningen wurde auf die Festungsorte Bourtange, Nieuweschans und Coevorden18 verteilt.19

14  Den Haag, NA, SG, Nr. 6746: Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 17.9.1744, eingetroffen am 21. 15  Wiarda, Bd. 8, S. 226. 16  Den Haag, NA, SG, Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 3.11.1744, eingetroffen am 5. 17  Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 2636, p. 125. 18  Den Haag, NA, SG, Nr. 5292, Brief von P.G. Verruci an die Generalstaaten vom 6.11.1744, eingetroffen am 12. Verruci schilderte aus Coevorden, dass dort drei Kompanien des Regiments Oranje-Groningen angekommen waren. 19  Die Festungsorte Bourtange, 1593 errichtet, 1851 als Festung aufgegeben, sowie Nieuweschans, 1623 errichtet, 1870 als Festung aufgegeben, liegen in der Provinz Groningen. Die Festung Coevorden, die 1700 durch Menno van Coehoorn ausgebaut wurde, befindet sich hingegen in der Provinz Drente. Wiarda gibt auch eine Paraphrasierung des Briefs der Emder an den König von Preußen wider. Wiarda, Bd. 8, S. 226. Zu den Festungsorten siehe: de Roy van Zuydewijn, S. 79–81, 84, 115.

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C. Die Stadt als militärischer Ort

II. Topographie und Struktur der Städte 1. Befestigungsanlagen Alle drei Städte waren von Wallanlagen mit Bastionen und Zwingern umgeben. Diese Anlagen waren ursprünglich zur Verteidigung gegen Angriffe gebaut worden, sorgten jedoch ebenso für den Zusammenhalt innerhalb der Garnison. Die Befestigungsanlagen bestehen zum Teil, wenngleich ohne militärische Bedeutung, bis heute. a) Leeuwarden In Leeuwarden waren die Wallanlagen zwischen 1619 und 1625 während der Regierungszeit des Statthalters Wilhelm Ludwig errichtet worden. Die ursprünglichen Pläne wurden dabei jedoch nicht gänzlich ausgeführt, sodass die Stadt nicht an allen Seiten gleich stark befestigt worden war.20 Umgeben war die Stadt von neun Zwingern an der Nord-, Süd- und Westseite. Beim Betreten der Stadt mussten die Wehranlagen durch Tore passiert werden, für die anreisenden Schiffer gab es spezielle Wassertore.21 Bei allen Toren war erst eine Klappbrücke zu überqueren, ehe anschließend der Weg durch ein äußeres Torhäuschen über den Zwinger zum eigentlichen Stadttor führte.22 Zur Lokalisierung der Zwinger und Stadttore siehe die nächste Seite.23 Die Gracht vor den Zwingern war 35 bis 40 Meter breit.24 Erst im Jahr 1671 wurde aufgrund der militärischen Bedrohung von den Gedeputeerde Staten der Provinz beschlossen, die Wehranlagen Leeuwardens wieder in Stand zu setzen und zu verstärken. Im besonderen Maße engagierte sich die Regierung der Stadt bei den Ständen der Provinz für den Ausbau. Veranschlagt wurde eine Summe von 75–76.000 Karolusgulden, jedoch wurde der Stadt im Mai 1672 lediglich die Summe von 24.000 Gulden zur Verfügung gestellt, sodass sie den Rest selbst aufbringen musste.25 20  Schukking, W. H.: Bij Leeuwarden’s Vestingplan (Een bijdrage tot de geschiedenis van de vestingwerken der stad), in: Leeuwarden 1435–1935. Gedenkboek, Leeuwarden 1935, S. 106–138, hier: S. 124. 21  Sipkens, R. J.: Plaatsbeschrijving van Leeuwarden, in: Rondom de Oldehove. Geschiedenis van Leeuwarden en Friesland door de Leeuwarder Geschiedeniscommissie, 2. Aufl., Leeuwarden o. J. [Nachdruck der Ausgabe von 1952], S. 237–263, hier: S. 242. 22  Talma/Algra/v.d. Meulen, De Friese stadhouders, S. 166. 23  Siehe dazu: Schukking, S. 124. 24  Sipkens, S. 252. 25  Eekhoff, Leeuwarden, Bd. 2, S. 135–138.

a. Wirdumerpoort (auf dem Zwinger)26 I. Wirdumerpoortsdwinger27 II. Zuiderwinger28 III. Verlaatsdwinger29 b. (Onze Lieve) Vrouwepoort (auf dem Zwinger)30 IV. (Lieve) Vrouwepoortsdwinger31 V. Oldehoofsterdwinger32 VI. Noorder- oder Doeledwinger33 VII. Jacobijner- oder Wabbe Wissesdwinger34 c. Hoekster- oder Sint Catharinapoort35 VIII. Hoeksterpoortsdwinger36 IX. Ooster- oder Amelandsdwinger d. Nieuw Vlietsterpoort oder auch Tuinsterpoort37

Abb. 5: Plan der Stadt Leeuwarden (1690)

II. Topographie und Struktur der Städte69

70

C. Die Stadt als militärischer Ort

Auf den Zwingern standen Kanonen,38 vermutlich waren es die 30 Kanonen, die im Jahr 1672 der Stadt von der Admiralität in Harlingen zur Verfügung gestellt worden waren.39 Im 17. Jahrhundert wurden darüber hinaus Mühlen zur Kornmahlung errichtet. 1648 ließ der Statthalter Wilhelm Friedrich auf dem Noorderdwinger einen „Lusthof“, den Prinsentuin, anle262728293031323334353637

26  Landweg nach Zwolle und Sneek. Wurde wegen seiner Lage an der St. Jacobs­ straat auch St. Jacobspoort genannt. Ein Vorgängerbau, der sich weiter in der Stadt befand, ist bekannt. Das Tor wurde 1613 errichtet, 1631 das Wassertor. Die Toranlage bestand aus einem Außentor und dem eigentlichen Stadttor, das zwei Türme aufwies. In den Türmen befanden sich die Wachkammern. 1822 wurde das Außentor, 1835 das Haupttor abgerissen. Abb. bei Jensma, Goffe/Kunst, René/Spanninga, Hotso: De sleutels van de stad. Leeuwarders en de buitenwereld, in: René Kunst u. a. (Hgg.), Leeuwarden. 750–2000. Hoofdstad van Friesland, Franeker 1999, S. 110–127, hier: S. 110 f. 27  Teilweise nur als Ravelin errichtet, 1835 abgetragen. Eekhoff, Wopke: Geschiedkundige Beschrijving van Leeuwarden, de Hoofdstad van Friesland, vermeldende den Oorsprong, den Aanwas en de Uitbreiding van deze Stad en van hare openbare Gebouwen, Gestichten, Inrigtingen enz., van den vroegsten Tijd tot den Jahre 1846, Bd. 2, Leeuwarden 1846, S. 216. 28  Ebenso abgetragen. Ebd., S. 220. 29  1845 abgetragen, um das Justizpalais zu bauen. Ebd., S. 220. 30  Benannt nach der Mutter Gottes, 1482 errichtet, Ausgang in Richtung Franeker und Harlingen, 1579 erneuert, 1612 mit einem Wachhaus versehen, 1620 Errichtung des Außenwerks. 1820 wurde das baufällige Außentor abgerissen, 1837 das Bin­ nentor. Abb. bei Jensma/Kunst/Spanninga, S. 113; Schroor, Meindert: De Leeuwarder Stadspoorten (http://www.gemeentearchief.nl/text/1083/De_Leeuwarder_stads­ poorten); Eekhoff, Leeu­warden, Bd. 2, S. 218. 31  Nur als Ravelin errichtet, keine Verbindung zum Hauptwall. Schukking, S. 124. 32  Heute Standort des Pier Pander-Tempels. 33  Heute: Prinsentuin. 34  1824 abgetragen. 35  Vorgängerbau war vermutlich das Jelgerapoort am Nordende des Pijlsteegs. Es wurde 1484 errichtet, 1543 und 1570 erneuert, 1625 mit Türmen versehen. 1783 wurde das Außentor abgebrochen und im dorischen Stil neu errichtet, drei Jahre später das Binnentor. 1831 wurde die komplette Toranlage abgerissen. Abb. bei Jensma/‌Kunst/‌Spanninga, S. 115. Talma/‌Algra/‌v.d. Meulen, De Friese stadhouders, S. 166, 242; Eekhoff, Leeuwarden, Bd. 2, S. 157. 36  Der Zwinger war teilweise als Ravelin errichtet worden, somit nur partiell in den Wall integriert. 1824 wurde dieser an der Ostseite abgegraben, 1833 weitere Teile entfernt. Eekhoff, Leeuwarden, Bd. 2, S. 215 f.; Schukking, S. 124. 37  1496 als Wassertor errichtet, 1656 in ein Landtor umgewandelt, 1818 abgebrochen. Schroor, De Leeuwarder Stadspoorten; Eekhoff, Leeuwarden, Bd. 2, S. 214. 38  Register der Resolutionen der Gedeputeerde Staten, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 669, Abschrift Frederik Willem Meijers, p. 15 f., 12.9.1685: Ein Mensch ist durch Kanonen zu Tode gekommen. 39  Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 1920, 18.7.1672.



II. Topographie und Struktur der Städte71

gen.40 Obwohl in späterer Zeit keine militärische Gefahr mehr drohte, wurden die Wallanlagen stets unterhalten.41 Diese Haltung wandelte sich erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Festungswerke und die Stadttore waren größtenteils aufgrund ihrer Baufälligkeit und ihrer militärischen Nutzlosigkeit entfernt worden.42 Heute finden sich nur noch Überreste der ehemaligen Festungsanlagen.43 b) Groningen Die Stadt Groningen war von einem Wall mit 17 Zwingern umgeben, der durch acht Stadttore passiert werden konnte. Zur Lokalisierung der Zwinger und Stadttore siehe die nächste Seite.44 Im Jahr 1695 waren die Festungsanlagen durch den Offizier und Ingenieur Menno van Coehoorn inspiziert worden, der daraufhin einige Baumaßnahmen anordnete.45 Bereits im Jahr zuvor war mit einigen (Um-)Bauarbeiten an der Befestigungsanlage begonnen worden.46 Aufgrund von Materialmangel musste das Vorhaben einige Male unterbrochen werden, so konnten im Juni 1695 keine Steine für den Ausbau des Herrentors besorgt werden.47 1699 wurde das Außenwerk der Stadt ebenfalls nach Plänen van Coehoorns angelegt.48

40  Sipkens,

S. 252. Leeuwarden, Bd. 2, S. 180 f. 42  Ebd., S. 214–222. 43  Bruijn, C. A. de/Reinders, H. R.: Nederlandse Vestingen (Fibulareeks 3), Bussum 1967, S. 72. Bei einer vom Autor vorgenommenen Inspektion im Frühjahr 2012 konnte der Eindruck bestätigt werden. 44  Die Schreibweisen nach: Schroor, Meindert: Historische atlas van de stad Groningen. Van esdorp tot moderne kennisstad, Amsterdam 2009, S. 30. Siehe auch eine Auflistung der Zwinger: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 721. 45  Feith, Johan Adriaan: Wandelingen door het oude Groningen, Oorspronkelijk verschenen in de Groningsche Volksalmanakken van 1891 tot 1908, Groningen o. D., S. 260. 46  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 712. 47  Ebd., Nr. 126, Brief: Nr. 61 von Stadtmajor Cyriacus Hoorn aus Groningen an den Statthalter in Leeuwarden vom 15.6.1695. 48  Feith, Wandelingen, S. 35. 41  Eekhoff,

I. Kranedwinger a. Kranepoort II. Reitdiepdwinger (besteht noch heute) III. Kruitdwinger (besteht noch heute) IV. Kijk in’t Jatdwinger (besteht noch heute) b. Boteringepoort V. Boteringedwinger (besteht noch heute) c. Ebbingepoort VI. Ebbingedwinger VII. Jacobijnerdwinger49 VIII. Sint Walburgsdwinger IX. Sint Jansdwinger / Sint Johannes-Dwinger X. Poeledwinger d. Steentilpoort50 XI. Steentildwinger XII. Drenckelaarsdwinger e. Oosterpoort XIII. Oosterdwinger f. Herepoort XIV. Heredwinger XV. Oude Rondeelsdwinger XVI. Marwixdwinger51 XVII. A-dwinger g. Aapoort52

Abb. 6: Plan der Stadt Groningen (1652) – Ausschnitt

72 C. Die Stadt als militärischer Ort



II. Topographie und Struktur der Städte73

c) Emden Die Stadt ist von einer Wallanlage umgeben, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach Plänen der Festungsbaumeister Gerrit Everts Piloot († 1629) und Johann van Valkenburg (1575–1625) angelegt wurde.53 Der Wall umfasste elf Zwinger.54 In der auf der nächsten Seite folgenden Auflistung stehen zuerst die ursprünglichen Bezeichnungen der Zwinger, ehe in Klammern die heute gebräuch­lichen Namen erscheinen. 49505152

Auf den Zwingern standen Wachhäuser und Kanonen,55 auf einigen zudem Mühlen. Betreten werden durfte der Wall nur von Militärs.56 Um in die Stadt zu gelangen, war es notwendig, den Wall durch die Tore zu passieren. Über das Herrentor ist bekannt, dass die niederländischen Soldaten dort einen Raum hatten, in dem sie sich während des Wachdiensts aufhalten konnten.57 In dem Tor beim Beckhof gab es eine Klappe, um ohne das Tor zu öffnen mit den Außenstehenden kommunizieren zu können.58

49  Hier stand der militärische Galgen und wurde auch daher Galgenzwinger genannt. Es wurden an dieser Stelle die Leichen der Hingerichteten verscharrt; Feith, Wandelingen, S. 418. 50  1517 gebaut, siehe: Beknopt Kronykje van Groningen ende Ommelanden enz., Tzedert hare eerste geheugenisse tot op den Jahre MDCCXXVI, Groningen 1727, S. 61. 51  Auch: Marjen Pijpen. 52  1517 gebaut, siehe: Beknopt Kronykje, S. 61. 53  Kappelhoff, Bernd: Johann van Valkenburg, der Ausbau der Stadt Emden sowie ihrer Befestigungsanlagen um 1600 und die Rolle der Niederlande dabei. Bemerkungen zu einer Neuerscheinung, in: Emder Jahrbuch 75 (1995), S. 127–156. 54  Grundsätzlich: Kappelhoff, Emden, S. 10 f. 55  Zu den Kanonen siehe den Prozess gegen Johannes Maus. Emden, StadA, I. Reg., Nr. 894. Vgl. auch die älteren Stadtpläne. Die Kanonen sollen durch die Emder von den Mansfelder Truppen, die 1623 in Ostfriesland lagen, gestohlen und anschließend auf dem Wall platziert worden sein. Sie gingen größtenteils erst Ende des 18. Jahrhunderts verloren. So wurde im Jahr 1795 ein englisches Kriegsschiff mit einigen Kanonen bestückt. Potier, Othmar Baron: Führer durch die Rüstkammer der Stadt Emden, Emden 1903, S. 24 f. 56  Emden, StadA, Prot.-Reg. VII, Nr. 13, Plakat vom 18.3.1616, ebd., Nr. 2, p. 47, 3.3.1702, ebd., Nr. 3, p. 280, 7.8.1726. 57  Den Haag, NA, SG, Nr. 6744, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 1.6.1730, eingetroffen am 6. (geheimes Schreiben). 58  Ebd., Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 24.7.1734, eingetroffen am 30. (geheimes Schreiben).

I. Beckhofzwinger II. Larrelter Dwenger (Meister-Geerds-Zwinger)59 a. neues Boltentor60 III. Albringswehrster Dwenger (Heuzwinger) IV. H  inter Dwenger (Albringswehrster Zwinger)61 b. neues Neutor62 V. Osterhuser Dwenger (Vogelsangzwinger)63 c. neues Nordertor64 VI. Marienwehrster Dwenger (Marienwehrster Zwinger)65 VII. Auricher Dwenger (Gelbe-Mühlenzwinger)66 VIII. Wolthuser Dwenger (Rote-Mühlenzwinger) IX. Oldersumer Dwenger (Weizen-Mühlenzwinger)67 d. Herrentor68 X. Herrentor Dwenger (abgetragen)69 XI. Ems Dwenger (abgetragen)70 e. Hafentor

Abb. 7: Plan der Stadt Emden (1647)

74 C. Die Stadt als militärischer Ort



II. Topographie und Struktur der Städte75

Das Festungswerk war im 18. Jahrhundert in einem schlechten Zustand,71 und auch die Stadt soll sich baulich in großem Verfall befunden haben.72 Die Aufgabe des Stadtkommandanten bestand darin, für die nötigen Reparaturen an den Militäranlagen zu sorgen. Einen Schwachpunkt im Wallgürtel bildete besonders der Abschnitt beim Herrentor.73 1741 war die Befestigung dort sehr stark angegriffen und begonnene Arbeiten konnten aufgrund des starken Winters nicht fortgesetzt werden.74 Veldtman schilderte, dass die Anlagen auszubessern seien, weil sonst fremde Truppen leicht in die Stadt 596061626364656667686970

59  Ursprünglich

Dwenger achter Mayarts Hof. errichtet, gebaut wie das neue Nordertor. Fürbringer, Leo: Emden. Ein Führer durch seine Baugeschichte, Sehenswürdigkeiten und Hafen-Anlagen, Emden 1902, S.  46 f. 61  Ursprünglich Dwenger achter Duirkops Hof oder auch Vullmühlendwenger. 62  In den Wall hineingebaut. 1616 aus Holz errichtet, 1679 durch einen steinernen Bau ersetzt. Fürbringer, Emden, S. 47. 63  Dwenger achter Graverts Hof, auch Dodendwenger. Soll Begräbnisstätte für Arme und Soldaten gewesen sein. 64  1645 errichtet, gewölbter Durchgang, zwei Wachhäuser darüber. Fürbringer, Emden, S. 46. 65  Auch Exercitie Dwenger, weil hier militärische Übungen abgehalten worden sein sollen. 66  Auch Justize Dwenger wegen eines 1675 errichteten Galgens, auch Norder Dwenger. 67  Auch Schwarze-Mühlen-Dwenger, Quartiermeisters Dwenger oder Dinkelage Dwenger. 68  1596 errichtet an Stelle eines hölzernen Baus, 1821 abgebrochen. Kappelhoff, Emden, S. 6. 69  Auch Borssumer Dwenger. 70  Fürbringer, Emden, S. 44 f. 71  Ebd., Nr. 6744, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 25.10.1726, eingetroffen am 28. (geheimes Schreiben); ebd., Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 13.11.1726, eingetroffen am 23. (geheimes Schreiben); ebd., Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 13.5.1727, eingetroffen am 17. (geheimes Schreiben). 72  Aurich, StaA, Rep. 4, B IV e, Nr. 117, fol. 23r+v. Bericht der Amtmänner Fridag von Gödens und Henckebach. Sie schilderten, dass der 1738 in Emden weilende Musterungskommissar Timen Gauckes, Bürgermeister aus Hindeloopen, der als reicher und geschickter Mann galt, beim Passieren der Rathausbrücke mit dem Rats- und Artillerieherrn Suur in Begleitung aller Offiziere geäußert haben soll, dass er einen großen Verfall der Stadt bemerke. Siehe auch die Aussage der Musterungskommission des Jahrs 1741, dass die Häuser schlecht gestrichen seien (vgl. Abschnitt C. XI.). 73  Den Haag, NA, SG, Nr. 6744, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 13.5.1727, eingetroffen am 17. (geheimes Schreiben). 74  Ebd., Nr. 6746 Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 19.12.1741, eingetroffen am 25. 60  1646

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C. Die Stadt als militärischer Ort

kommen könnten. Er wusste, dass aus der klammen Stadtkasse kein Geld dafür zu bekommen sei75 und dass folglich die Generalstaaten die Kosten für den Ausbau übernehmen müssten. Dabei bezifferte er die benötigte Summe auf 4–5.000 holländische Gulden. Er wog in seiner Schilderung ab, ob es überhaupt sinnvoll sei, unter diesen Umständen die Garnison weiter aufrechtzuerhalten. Jedoch plädierte er letztlich für den Erhalt, weil die Niederländer somit einen Fuß in einem fremden Land hätten, „dat vol van vruchten is“.76 1742 wurden die Festungsanlagen durch die beiden Kommissare Adriaan van Bleiswijk und Onno Zwier van Haren (1713–1779) inspiziert.77 Die von den beiden erstellten Pläne wiesen vor allem Mängel im Norden der Stadt, vom Neutor bis zum Herrentor, aus. Da die Stadt angab, höchst verschuldet zu sein, bat sie die Generalstaaten um Übernahme der Kosten für die Instandsetzung der Wehranlagen. Letztlich wurde eine Summe von fast 50.000 Gulden für die notwendigen Reparaturarbeiten veranschlagt. Diese sollten durch 405 Männer in fünf Monaten verrichtet werden. Ob das Bauvorhaben noch vor Aufgabe der Garnison begonnen wurde, geht nicht aus den Unterlagen hervor. 2. Einwohnerzahlen Bevölkerungszahlen in der frühen Neuzeit können meist nur geschätzt werden. Für Leeuwarden kann für das 17. und 18. Jahrhundert eine Bevölkerungszahl von circa 14.000 bis 15.000 Menschen angenommen werden.78 Das städtische Milieu war vornehmlich durch Handwerker und Handeltreibende geprägt.79 Für Groningen sind keine Daten bekannt, die auf konkreten Aufstellungen oder Zählungen der Bevölkerung beruhen. Es wird davon ausgegangen, dass die Stadt um 1740 19.140 Einwohner zählte, wenngleich dies auf der Be75  Die Annahme Veldtmans kann anhand der Rechnungsbücher der Stadt bestätigt werden. Die Stadt Emden war in den 1740er Jahren finanziell nahezu bankrott. Kappelhoff, Emden, S. 346–348. 76  Den Haag, NA, SG, Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 28.9.1741, eingetroffen am 2.10. 77  Ebd., RvS, Nr. 1812, Verbaal van de Commissie na Embden 1742. Berichte über den Besuch und die Verhandlungen finden sich auch in den Diarien des Rates. Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 13, p. 213–233. 78  Schroor, Meindert: De demografische ontwikkeling van Leeuwarden in de zeventiende en achttiende eeuw (1606–1793), in: Leeuwarder Historisch Reeks IV (1993), S. 40–104; in Molen, S. J. van der/Dijkstra, W.: Art. Leeuwarden, in: Brouwer, Encyclopedie van Friesland, S. 438–447, hier: S. 438 wird eine Einwohnerzahl von 15.686 Menschen für das Jahr 1714 angegeben. 79  Jensma/Kunst/Spanninga, S.  113 f.



III. Stärke der Garnisonen77

rechnung beruht, dass in jedem der 4785 Häuser durchschnittlich vier Menschen lebten.80 Für Emden schätzt Kappelhoff die Zahl der Einwohner in den 1720er Jahren auf zwischen 10.000 und 11.000. Dies ist ein deutlicher Rückgang, zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs (1618–1648) lebten vermutlich noch 20.000 Menschen in der Stadt.81 Das soziale Gefüge war hauptsächlich durch Handwerker geprägt, rund 40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung war in einem Handwerk aktiv.82 Viele Einwohner arbeiteten zudem im Hafen und waren am Handelsverkehr beteiligt.83

III. Stärke der Garnisonen Die Stärke der Garnisonen lässt sich aufgrund der lückenhaften Quellenüberlieferung nur in einem begrenzten Umfang ermitteln. Legt man in Leeuwarden die Wachordnungen zu Grunde, befand sich in erster Linie ein Bataillon des statthalterlichen Regiments am Ort. Dies hatte eine Stärke von circa 400 bis 700 Personen, sodass rund 2,5 bis 4,5 Prozent der Stadtbevölkerung im Militär dienten. In Groningen sollen zwischen 1.500 bis 2.000 Mann im 18. Jahrhundert stationiert worden sein. Diese Zahl entspräche 6 bis 10 Prozent der Stadtbevölkerung.84 Gesicherte Angaben liegen nur für die Garnison in Emden vor, weil der dortige Stadtkommandant 1725 eine Liste mit allen anwesenden Regimentern und Kompanien erstellte.85 Demnach befanden sich zu dieser Zeit insgesamt 600 niederländische Militärs, 220 ständische Soldaten und 539 Preußen in Emden, was einen Anteil von circa 12 Prozent an der Gesamtbevölkerung ausmachte. Wie rasant die Zahl der Soldaten in Emden stieg, wird durch einen vergleichenden Blick auf die Truppenzahl vom Juli 1720 und Oktober 1724 80  Schuitema Meijer, A. T.: Social-economische aspecten van de Stad, in: W. J. Formsma u. a. (Hgg.), Historie van Groningen. Stad en Land, 2. Aufl., Groningen 1981, S. 331–360, hier: S. 358. Schroor gibt eine Zahl von 21.600 Einwohnern für das Jahr 1732 sowie von 20.600 für 1740 an. Schroor, Meindert: Rurale metropool. Bevolking, migratie en financiën van de stad Groningen ten tijde van de Republiek (1595–1795), Groningen/Wageningen 2014, S. 54. 81  Kappelhoff, Emden, S. 28–33. 82  Ebd., S.  426 f. 83  Ebd., S. 41–43; Art. Embden, in: Zedler, Universal Lexicon 8 (1734), Sp. 986 f. 84  Boels, Henk/Feenstra, Hidde: Regentenheerschappij en economische recessie 1660–1749, in: Maarten G. J. Duijvendak u. a. (Hgg.), Geschiedenis van Groningen, Bd. II: Nieuwe Tijd, Zwolle 2008, S. 245–343, hier: S. 265. 85  Den Haag, NA, SG, Nr. 6744, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 2.1.1725, eingetroffen am 8. (geheimes Schreiben).

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C. Die Stadt als militärischer Ort

deutlich. 1720 befanden sich in Emden 200 preußische Soldaten, drei niederländische Kompanien mit 27 beziehungsweise 28 Soldaten, also circa 80 Soldaten, und vier ständische Kompanien mit jeweils 65 Soldaten, also 260 Mann.86 Insgesamt betrug die Anzahl folglich 540 Soldaten. Im Oktober 1724 stieg die Zahl der Niederländer auf 140. Daneben wurden 249 ständische Soldaten und 200 Preußen registriert.87 Im Dezember sind weitere 300 Preußen nach Ostfriesland gekommen. Dies erschuf ein Ungleichgewicht zwischen Preußen und Niederländern, erst bei Ankunft des friesischen Regiments im Dezember 1724 hatten beide Mächte wieder ungefähr gleich viele Soldaten in der Stadt.88 Bei der Aufgabe der Garnison 1744 sollen es sogar um 2.000 Soldaten gewesen sein, die zusammen mit Frauen und Kindern 5.000 Personen ausmachten.89 In Verbindung mit den Einwohnerzahlen zeigt sich bei den vorgestellten Städten jedoch, dass das Militär zwar eine große Gruppe ausmachte, aber keinesfalls die Mehrheit gegenüber den zivilen Einwohnern bildete.90 Der Grund hierfür liegt darin, dass die Niederlande stark urbanisiert waren und nahezu jede Stadt eine Garnison unterhielt, sodass die Regimenter und damit die Militärs über viele Städte verteilt waren. Bereits 1650 lebte ungefähr die Hälfte der Einwohner der Republik in Städten.91

IV. Stätten der Garnison Die Einrichtung der Garnisonen bedingte in den Städten den Neubau von Gebäuden, die einerseits notwendig für die Verwaltung des Militärs waren, andererseits die infrastrukturelle Grundlage für das Durchführen der Aufgaben des Militärs in der Stadt schufen. Diese Einrichtungen sollen im Folgenden vorgestellt werden. 86  Bericht des Amtmanns Arnold Bluhm in Emden vom 30. Juli 1720. Aurich, StaA, Rep. 4, B I f, Nr. 689. 87  Den Haag, NA, SG, Nr. 6730, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 13.10.1724. Vgl. ebenso ebd., Nr. 6743, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 3.10.1724, eingetroffen am 7. Hier auch die erneute Bitte, dass zwei Kompanien aus Groningen kommen sollen. 88  Ebd., Nr. 6743, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 19.12.1724, eingetroffen am 27., ebd., am 22.12.1724, eingetroffen am 27. (geheimes Schreiben). 89  Wiarda, Bd. 8, S. 226. 90  Dies war beispielsweise der Fall in Potsdam, wo 1780 rund 8.000 Militärangehörige bei 19.000 Einwohnern zu zählen waren, oder auch in Mannheim und Ludwigsburg, wo nahezu jeder zweite Einwohner dem Militär angehörte. Gräf, S. 92; Vgl. ebenso Reinhard, S. 357. 91  Devos/Lambrecht/Paping, S. 161.



IV. Stätten der Garnison79

1. Leeuwarden In Leeuwarden befand sich die Hauptwache gegenüber dem statthalterlichen Hof.92 In den Jahren 1688 und 1689 war für den Bau der Hauptwache die Gracht, die sich unmittelbar vor dem Hof befand, zugeworfen worden. Der Vorgängerbau, die „Corps de Garde“-Wache, die im Jahr 1633 errichtet worden war, wurde für den Neubau abgerissen.93 Die Hauptwache blieb bis zum Umzug des Hofs nach Den Haag 1747 in Benutzung.94 Erst 1749 wurden vor der Hauptwache Kanonen aufgestellt.95 Die bürgerliche Wache war in der Waage angesiedelt.96 Neben dieser Hauptwache befanden sich noch Wachhäuser zwischen der Kanzlei und dem Landhaus sowie beim Haus des Ständekollegiums.97 An Corps du Garde-Wachen, also einzelnen Wachtposten, soll es in der Stadt so viele gegeben haben, wie Kompanien am Ort waren.98 Für die Reiter wurde 1675 auf Geheiß Heinrich Casimirs II. ein Haus in der Kleine Kerkstraat umgebaut, um als Stallung benutzt zu werden. Weil die Stallungen jedoch zu klein waren, wurde das gegenüberliegende Haus, das als Coehoornspoort bekannt ist, ebenso als Quartier genutzt.99 Die militärischen Stallungen befanden sich in der Doelestraat. Das Gebäude war in den Jahren 1679 / 80 errichtet worden,100 wurde jedoch 1938 / 39 durch einen Neubau ersetzt. 92  Zur baulichen Gestaltung des Hofs in Leeuwarden siehe: Karstkarel, Peter: Leeuwarden Hofstad (Monument van de Maand 5/8), Leeuwarden 1990. 93  Eekhoff, Leeuwarden, Bd. 2, S. 299. Diese Wache soll baufällig gewesen sein. Siehe: Register der Resolutionen der Gedeputeerde Staten, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 669, Abschrift Frederik Willem Meijers, p. 79, 10.8.1688. 94  Karstkarel, S. 38. In baulich veränderter Form kann die Hauptwache auch noch heute besichtigt werden. 95  Die Kanonen waren von Hobbe Baron van Aylva [20f] gestiftet worden, der sie aufgrund der ihm attestierten Tapferkeit beim Abzug der Garnison in Maastricht mitnehmen durfte. Kuiper, Yme: Onder hovelingen. Hofadel in Leeuwarden, Friese cabale in Den Haag, in: J. J. Huizinga (Hg.), Van Leeuwarden naar Den Haag. Rond de verplaatsing van het stadhouderlijk hof in 1747, Franeker 1997, S. 37–58. 96  Vgl. das Bild in van der Molen/Dijkstra, S. 442; Nijboer, Harm: Leeuwarden. Marktstad door de eeuwen heen (Monument van de Maand 11/3), Leeuwarden 1996, S. 21. 97  Eekhoff, Leeuwarden, Bd. 2, S. 79. 98  Ebd., S. 80. 99  Ebd.; Ebenso: Hepkema, J.: Historische Wandelingen door Friesland. 1894– 1917. Met een biografische schets, een toelichting en registers op den ‚Eenvoudige Memories‘ door J. J. Kalma (Varia Frisica 6), Leeuwarden 1970, S. 47. Zur Lage der Reiterwache siehe auch: Den Haag, KB, 75 B 46 [1], Vorfall zwischen Reitern und der bürgerlichen Wache bei der Festnahme von Soldaten. 100  Eekhoff, Leeuwarden, Bd. 2, S. 261.

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C. Die Stadt als militärischer Ort

Das von der Garnison ebenso benutzte Gefängnis, das sogenannte Blokhuis, das 1598 eröffnet und 1610 der Provinz unterstellt worden war,101 wurde 1660 durch ein Zucht- und Arbeitshaus ersetzt.102 Es befand sich im Südosten der Stadt. Vor dem Haus stand ein Schafott mit Galgen, der 1639 eigens für das Kriegsgericht errichtet worden war. 1754 brannte das Haus nieder und wurde in den zwei darauffolgenden Jahren wieder errichtet.103 Daneben gab es in der Stadt noch ein Magazin für Waffen und Schießpulver beim Vrouwen-Waterpoort.104 2. Groningen In Groningen lag die Hauptwache gegenüber dem Rathaus am Großen Markt.105 Das Gebäude grenzte unmittelbar an die Martinikirche. Ursprünglich war das Gebäude das Gerichtshaus der Stadt, wurde jedoch 1641 zu einer Hauptwache für das Militär umgebaut.106 Vor der Wache standen Kanonen, die vermutlich zu rein repräsentativen Zwecken aufgestellt worden waren.107 Ebenso befand sich das hölzerne Pferd für die Bestrafung der Soldaten vor der Wache. Der Schandpfahl stand auf dem angrenzenden Großen Markt.108 Eine andere bemerkenswerte Wache ist die sogenannte Kortegaarde am Nordwestende der Oude Boteringestraat. Das Haus wurde 1633 mit toskanischen Arkaden an der Frontseite errichtet. Im ersten Stock befanden sich die Kammern für die wachhabenden Offiziere und Soldaten. Die heute zugemauerten Bögen im Erdgeschoss bildeten früher offene Arkaden. Im 19. Jahrhundert wurde die Wache schließlich umgebaut, unter anderem wurde dort ein Tanzsaal für die Universität eingerichtet.109 101  Jensma/Kunst/Spanninga,

De sleutels, S. 115. einer Inschrift: 1661, Hepkema, S. 54. 103  Sipkens, S. 254 f.; Hepkema, S. 53. 104  Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 2631, p. 80 sowie p. 440. 105  An der Hauptwache wurden 1695 verschiedene Arbeiten durchgeführt. Siehe dazu den Brief von Major Cyriacus Horn an den Statthalter aus Groningen vom 2./12.2.1689. Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir  II, Nr. 172, Brief: Nr. 357. 106  Beknopt Kronykje, S. 101; Feith, Wandelingen, S. 410. Das Dach wurde 1744 erneuert. Feith, Hendrik Octavius: Regeringsboek der Provincie Groningen, Bd. 1, Groningen 1850, S. 57. 107  Vgl. Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1355. 108  Feith, Wandelingen, S. 283 f., 407 f. 109  Ebd., S.  410 f. 102  Lt.



IV. Stätten der Garnison81

Die militärischen Gefangenen wurden für die Zeit ihres Prozesses in dem nördlich der Martinikirche gelegenen ehemaligen Jacobinerkloster inhaftiert. Hier befand sich das Haus des Profoses, in dem auch der Kriegsrat tagte.110 Unmittelbar zu dieser Anlage lag der Galgen für die Hinrichtung der Militärs. Dieser stand auf dem Jacobinerzwinger, der daher auch Galgenzwinger genannt wurde. Unter dem Galgen wurden die Hingerichteten vergraben.111 3. Emden Die Hauptwache in Emden stand an der Brücke über den Delft vor dem Rathaus. Sie befand sich gegenüber dem bis zum Zweiten Weltkrieg noch stehenden bürgerlichen Wachhaus, das in späterer Zeit als Polizeidienststätte genutzt wurde. Die Militärwache war zwischen den Jahren 1833 bis 1838 abgerissen worden.112 Bilder, die eine vollständige Sicht zeigen, sind nicht bekannt.113 Das Wachhaus diente als militärisches Gefängnis, wobei hier auch Bürger bis zu drei Tage inhaftiert werden konnten.114 Die preußische Garnison hatte ihr eigenes Wachhaus auf dem Strohdeich außerhalb der Stadt.115 An der Hauptwache wurden auch Bekanntmachungen ausgehängt. Der Galgen, der ausschließlich vom Kriegsrat benutzt wurde, stand auf dem Tümmeldeich beim Beckhof. Der ältere Galgen, der 1683 errichtet worden war, fiel 1717 bei der Weihnachtsflut den Wassermassen zum Opfer. Erst 1729 wurde auf Betreiben des Kriegsrates ein neuer Galgen errichtet. Der Pranger stand in Emden auf dem Neuen Markt.116 110  Ebd.,

S. 407. S. 407, 418. 112  Lt. Hypothekenbuch der Stadt Emden stand sie noch 1833. Aurich, StaA, Rep. 237, Nr. 345. 1838 findet sich in den Emder Magistratsakten eine Beschwerde bezüglich der freien Außenwand des Nachbarhauses der ehemaligen Wache. Emden, StadA, III. Reg., Nr. 1825. 113  Auf dem Stich von G. A. Lehmann aus dem Jahr 1810 ist ein Teil der Wache zu sehen. Abgebildet in: Siebert, Ernst: Geschichte der Stadt Emden von 1750 bis 1890, in: Jannes Ohling/Roelf Odens/Diedrich Stroman (Hgg.), Ostfriesland im Schutze des Deiches, Bd. 9, Leer 1980, S. 1–195, hier: S. 20, Abb. 9. 114  Den Haag, NA, SG, Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.9.1734, eingetroffen am 13. (geheimes Schreiben), Nr. 12. 115  Siehe dazu den Prozess in Emden, StadA, I. Reg., Nr. 897. 116  Der Tümmeldeich befand sich im Südwesten der Stadt. Indizien dafür sind, dass der Verwesungsgeruch des Galgens bis zur Burg des ostfriesischen Fürsten reichte und der Galgen vom Burgplatz aus gesehen werden konnte. Kappelhoff, Emden, S. 257. Darüber hinaus wurden am Tümmeldeich häufig Reparaturen vorgenommen. In den Akten wurde der Tümmeldeich stets in Verbindung mit dem Mit111  Ebd.,

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C. Die Stadt als militärischer Ort

Die niederländische Garnison verfügte in der Stadt über ein Magazin, dessen genaue Lage unbekannt ist. Aus Berichten geht jedoch hervor, dass es 1742 nur spärlich gefüllt war.117 Der Stadtkommandant Veldtman wohnte in der Neuen Straße in Faldern, jedoch ist auch bei ihm das konkrete Haus unbekannt.

V. Bedeutung des Statthalters für die Garnisonen In Leeuwarden bestand eine permanente Präsenz des Statthalters, wenn auch nicht immer persönlich, so doch schon durch seinen Hof, an dem die Bediensteten anwesend waren.118 Der Leeuwarder Hof wurde im Mai 1747 aufgegeben, als der friesische Statthalter nach Den Haag zog, nachdem er zum Statthalter aller Provinzen ernannt worden war.119 Wie noch zu zeigen sein wird, waren zudem einige Offiziere am Hof beschäftigt. Auch die Stadt Groningen hatte einen eigenen Hof, in dem der Statthalter logierte, jedoch gilt der allgemeine Einfluss des Statthalters in dieser Stadt als gering.120 Wenngleich es in Emden keinen Hof gab, kann trotzdem für diese Stadt eine gewisse Präsenz konstatiert werden. Der Statthalter besuchte die Stadt fünf Mal, nämlich in den Jahren 1732,121 1737,122 1742123 jeweils im Juni und 1739124 und 1741125 im Mai. telwall und dem Beckhof gebracht, die beide ebenfalls im Südwesten der Stadt lagen. Dazu: Emden, StadA, I. Reg., Nr. 502b. Auf dem Stadtplan „Plan de la Ville de Embden“ von Wübbo Coens aus dem Jahr 1694 ist der Galgen zu erkennen. Abbildungen in: Albers, Lutz: Frisia Orientalis. Alte Karten und Geschichte von 1550 bis 1800, 2. Aufl., Norden 2012, S. 166 f. und in kleinerer Darstellung: Kappelhoff, Emden, S. 33. 117  Den Haag, NA, RvS, Nr. 1812, p. 14 f. 118  In dem Gebäude wohnten die Statthalter seit 1587. Mulder-Radetzky, Schilderijencollecties, S. 197–205. 119  Kuiper, Onder hovelingen, S. 53. 120  Schroor, Heroriëntatie, S. 170. 121  Den Haag, NA, SG, Nr. 6741, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.6.1732. 122  Ebd., Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 15.6.1737, eingetroffen am 22. 123  Ebd., Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 21.6.1742, eingetroffen am 25.; Bericht im Diarium von Bürgermeister und Rat: Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 13, p. 213 f. 124  Den Haag, NA, SG, Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 25.5.1739, eingetroffen am 30. 125  Bericht im Diarium von Bürgermeister und Rat: Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 13, p. 103–110, 28.5.1741.



VI. Militärische Verwaltung83

Das Prozedere bei den Besuchen war in der Regel gleich. Der Statthalter ließ nicht nur die Regimenter exerzieren, sondern traf sich auch mit der städtischen Regierung. Ebenso begutachtete er die Wallanlagen. Dem Besuch in Emden wurde ein hoher Stellenwert zugemessen, die Bürger hielten bewaffnet eine Parade ab. Mit Kanonenschüssen wurde der Statthalter verabschiedet.

VI. Militärische Verwaltung Das Militär in der Provinz Friesland unterstand dem Befehl eines Kommandanten. Unklar ist, wie groß der Einfluss dieses Amts war und welche Befehlsgewalt diesem letztlich zustand. In Leeuwarden selbst hatte ein Platzmajor beziehungsweise Kommandant den Befehl über die Truppen inne.126 Die militärische Rechtsprechung wurde durch ein Kriegsgericht wahrgenommen. In Groningen zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Hier gab es einen Kommandanten für die Provinz und einen Major für die Stadt.127 Beide waren auf die Stadt vereidigt worden.128 1749 wurde der Leutnant-General D. Sijghers als Kommandant der Stadt angestellt.129 Für die militärische Rechtsprechung war ein Kriegsgericht installiert worden. In Emden lag die militärische Befehlsgewalt über die Stadt in Händen eines Stadtkommandanten. Dieser befehligte nicht nur die niederländische Garnison, sondern auch die landständischen Truppen bis zu ihrer Auflösung im Frühjahr 1727. Auf Betreiben der Generalstaaten gelang es, dass das Kommando über beide Truppenteile stets in einer Person vereint wurde. Der Kommandant durfte zuvor weder für die Stadt noch für den Grafen beziehungsweise später Fürsten von Ostfriesland in Kriegszeiten gedient haben.130 Aus dem 17. Jahrhundert sind Auseinandersetzungen zwischen dem städtischen 126  Vgl. Zwitzer, Het Staatsche Leger, Bd. 9, S. 840. Vgl. auch die Ernennung des Platzmajors Benjamin van der Hoeff, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 669, Abschrift Frederik Willem Meijers, p. 209, 8.1.1692; siehe zur Ernennung Willem Rumpffs zum Kommandanten am 4.12.1749: Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 1883. 127  Zwitzer, Het Staatsche Leger, Bd. 9, S. 841 f. 128  Siehe zur Eidesformel: Groningen, GA, Handschriften in kwarto Register Feith, Nr. 198: „Reglementen en instructien voor de Hoge Collegien en Beambten der Provintien van Stad en Lande …“, fol. 49r–50v. 129  Feith, Regeringsboek, S. 60, 24.12.1749. 130  Haagischer Vergleich, § 14, in: Harm Wiemann (Hg.): Die Grundlagen der landständischen Verfassung Ostfrieslands. Die Verträge von 1595 bis 1611 (Quellen zur Geschichte Ostfrieslands 8), Aurich 1974, hier: S. 208–211.

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C. Die Stadt als militärischer Ort

Rat und einzelnen Stadtkommandanten bekannt, jedoch hat es ab Ende des 17. Jahrhunderts keine größeren Unstimmigkeiten mehr gegeben.131 Am 19. November 1723 wurde Otto Georg Veldtman an Stelle von Vincentius van Glinstra,132 der sein Amt freiwillig niedergelegt hatte, in Emden vom Rat zum Stadtkommandanten ernannt. Veldtman wurde aufgetragen, dass er sich mit seinem Haushalt, Frau und Gesinde von Groningen nach Emden zu begeben habe. Am 31. Dezember 1723 wurde er um 10 Uhr auf dem Rathaus vereidigt. Anwesend waren neben den Ratsmitgliedern etliche Militärs, die sich in der Stadt befanden. Veldtman musste dafür die Eidesformel nachsprechen und die Hand zum Schwur erheben.133 Im Mai 1724 verlegte er schließlich seine Wohnung nach Emden.134 Die Vereidigung rief umgehend Protest von Seiten des ostfriesischen Fürsten Georg Albrecht hervor, der die Vereidigung als „null und nichtig“ erachtete und Veldtman die Qualität für die Führung der Emder Garnison absprach. Er forderte den Emder Rat auf, ihm binnen acht Tagen die Eidesformel zu übersenden und drohte mit einem Strafgeld von 50 Gulden. Die Antwort seitens des Rates war eindeutig: „Diesen Brief zu beantworten haben Burgermeister und Raht unnötig geachtet“.135 Aus einem undatierten Briefkonzept des friesischen Edelmanns und Politikers Philip Frederik Vegelin van Claerbergen (1685–1738) an die Generalstaaten geht hervor, dass Veldtman wohl zeitweilig plante, das Amt aufzugeben.136 Die Gründe für diesen Schritt waren offensichtlich. Zum einen belastete das Amt des Kommandanten sehr, weil derjenige sich, wie Vegelin van Claerbergen betonte, trotz der besten Absichten nur Ärger einhandle. Zum anderen war die Bezahlung wohl sehr schlecht. So beklagte sich Veldtman bereits 1732 in einem Brief an die Generalstaaten, dass er als Stadtkommandant sehr wenig verdiene und von seiner Besoldung nicht einmal die Unkosten begleichen könne.137 Als Rechtsorgan stand ein Kriegsgericht zur Verfügung. Die Unterlagen des Kriegsgerichts lagen für die Fälle aus dem Gebiet des Strafrechts beim Kappelhoff, Emden, S. 116–120. war von 1713 bis Ende 1723 Stadtkommandant und wohnte in der Osterstraße. Emden, StadA, Prot.-Reg.  IV, Nr. 10, p. 106; vgl. Zwitzer, Het Staatsche Leger, Bd. 9, S. 821. 133  Die wörtliche Eidesformel findet sich wieder in: Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 10, p. 138 f. 134  Ebd., p. 115–133. 135  Ebd., p. 143. 136  Leeuwarden, Tresoar, Familie Van Eysinga-Vegelin van Claerbergen, Nr. 4869. 137  Den Haag, NA, SG, Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 14.5.1732, eingetroffen am 19. 131  Vgl. 132  Er



VII. Einzug in die Städte85

Gerichtsschulzen, für die zivilrechtlichen Auseinandersetzungen hingegen beim Sekretär. Dieser Umstand war vor allem beim Abzug der Garnison im November 1744 von Wichtigkeit, da diese Unterlagen in Emden verblieben. Bei diesen Aktenstücken befanden sich auch die Verhandlungen gegen Soldaten der ständischen Garnison.138 Vereinbart wurde, dass die Niederländer jederzeit unentgeltlich Abschriften anfordern können.139

VII. Einzug in die Städte Während in Leeuwarden keine Informationen vorliegen, wie Regimenter, beziehungsweise einzelne Kompanien die Stadt betraten, sind für Groningen und Emden nähere Informationen überliefert. So musste in Groningen beim Betreten ein Eid auf die Stadt geleistet werden. Die Offiziere hatten Treue gegenüber dem Magistrat zu schwören und zu versprechen, die Stadt gegen Angriffe zu schützen und bei Unruhen in der Stadt einzugreifen.140 Vermutlich wurden Leeuwarden und Groningen ausschließlich über den Landweg erreicht. In Emden kamen die Kompanien und Regimenter in der Regel mit Schiffen an, wobei die Gezeiten ein Hindernis darstellen konnten.141 Mit denselben Schiffen fuhren Einheiten, die abgezogen wurden, wieder ab. Bewusst war der Seeweg gewählt worden, um nicht durch das Fürstentum Ostfriesland marschieren oder dort eine Nacht verbleiben zu müssen, da das Fürstentum für die Niederländer fremdes Territorium war.142 So kam beispielsweise am 13. Juni 1724 das Militär auf zwei Schmacken143 aus der Provinz Groningen nach Emden und legte dort um 5 Uhr am Morgen an. Beim Anlegen hatten die Truppen ihre Patente, die belegten, dass sie auf Befehl der Generalstaaten nach Emden geschickt worden waren, 138  Emden, StadA, I. Reg., Nr. 318, 2.11.1744, durch den Vizesekretär A.C. Stoschius. Siehe dazu ausführlich Kapitel D. 139  Ebd., 2.11.1744, 11 Uhr, J. T. Hesslingh an den Syndikus. 140  Groningen, GA, Archief van het stadsbestuur van Groningen, 1594–1815, Nr. 1287r, p. 96r „Oude Eed voor Officieren Militaire inkomende“, dieser war bis 1749 gültig. 141  Den Haag, NA, SG, Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 26.4.1737, eingetroffen am 30. (geheimes Schreiben). Das Schiff war bei Larrelt auf Schlick gelaufen, ebd., Nr. 6741, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 20.5.1731, eingetroffen am 22. Das Schiff ist sogar stecken geblieben und kam erst einen Tag später an. 142  Ebd., Nr. 6736, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 9.4.1728, eingetroffen am 13. 143  Hierbei handelt es sich um ein „niederländisches und belgisches Watten- und Küstenfrachtschiff“. Siehe dazu: Jonas, Wolfgang: Schiffbau in Nordfriesland. Holzschiffbau in Tönning. Stahlschiffbau in Husum (Schriftenreihe des Nordfriesischen Schiffahrtsmuseums Husum 1), 2. Aufl., Husum 1997, S. 32.

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C. Die Stadt als militärischer Ort

vorzuzeigen. Die Offiziere konnten als erste die Stadt betreten und leisteten auf dem Rathaus den Eid auf die Stadt. Dort mussten sie erneut das Patent vorzeigen.144 Danach kamen zwei Ratsherren mit einem Sekretär zur langen Brücke, um dort den Eid von den Soldaten schwören zu lassen. Bei kleineren Kontingenten versammelten sich die Soldaten im Bürgerwachhaus und die Offiziere in der Gaststätte Upstalsboom, ehe sie ihre Quartiere beziehen konnten.145 Regimenter zogen meist direkt zum Neuen Markt. Die erwähnte Forderung, dass die Soldaten und Offiziere einen Eid auf die Stadt zu leisten haben, führte oftmals zu Streitigkeiten zwischen den Offizieren und dem Emder Rat. Im August 1728 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Magistrat und dem Stadtkommandanten. Die hohen Offiziere der Regimenter Oranje-Friesland und Kolonel van Idsinga trugen vor, dass diejenigen, die zu Offizieren in solchen Regimentern angestellt worden waren, die bereits in der Stadt lagen, nicht gewillt waren, dem Magistrat ihre Ernennungsakten vorzuzeigen. Zudem lehnten sie auch den Schwur des Eids auf die Stadt vor dem Rat ab. Die Offiziere beabsichtigten lediglich gegenüber dem Obristen Veldtman einen Eid zu schwören. Der Emder Magistrat führte als Argument an, dass die Offiziere bei der Garnisonslegung nicht zu den Regimentern gehört hätten und somit auch nicht unter die Patente der Generalstaaten fielen. Nach Ansicht des Magistrats war dies schon seit hundert Jahren so betrieben worden und es sollte auch kein Abstand davon genommen werden. Veldtman suchte daher das Gespräch mit dem Magistrat und machte deutlich, dass es in keiner Garnisonsstadt in den sieben Provinzen üblich sei, dass nachkommende Offiziere ihre Akten den jeweiligen Magistraten vorzeigen würden. Er betonte dabei auch, dass es ein Unterschied sei, ob in Emden nur einzelne Kompanien oder ganze Regimenter lägen. In den Jahren bevor die Besatzung in den 1720er Jahren wieder verstärkt wurde, hatten die Generalstaaten häufig nur einzelne Kompanien nach Emden geschickt, hingegen keine ganzen Regimenter. Veldtman war der Auffassung, dass es bei den Regimentern genügen müsse, wenn die dortigen hohen Offiziere einen Adjutanten stellvertretend zu ihm schickten. So bekäme er schließlich die Akten zu sehen und könnte seine Kenntnis davon dem Platzmajor mitteilen. Dem Anspruch des Magistrats, Gouverneur der Stadt zu sein, widersprach Veldtman ebenso, weil er sich selbst als solcher sah und 144  Den Haag, NA, SG, Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.9.1734, eingetroffen am 13. (geheimes Schreiben), Nr. 2. 145  Aurich, StaA, Rep. 4, B IV e, Nr. 116, fol. 36 r+v. Vgl. auch das Prozedere beim Regiment von Generalmajor Wichers, das am 28.8.1733 in Emden einzog. Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 12, p. 79–81.



VII. Einzug in die Städte87

das Militär der Stadt schließlich unter seinem Kommando stünde. Ein fremder Magistrat könne nicht über niederländische Truppen befehligen. Trotz der Auseinandersetzung wurde an dem alten Brauch festgehalten und die Offiziere mussten weiterhin ihre Akten dem Rat vorzeigen.146 Dies galt jedoch in der Regel nur für die Offiziere bis zum Kapitänsgrad.147 Nach einer Resolution vom 31. August 1728 mussten die hohen Offiziere ihre Ernennungsurkunden nicht mehr vorzeigen.148 Der Streit um die Bestallungsurkunden und damit verbunden dem Schwören des städtischen Eids schwelte jedoch weiter. 1742 verweigerte der Major Charles de Saumaise seine Bestallungsurkunde als Major aus der Hand zu geben. Er gestand lediglich zu, diese vorzuzeigen. Da er sie aber unter keinen Umständen dem Rat und Bürgermeister aushändigen wollte, konnte der Eid nicht abgenommen werden. Einen Tag später händigte er – die Beweggründe sind unklar – schließlich doch seine Bestallungsurkunde zum Major aus und konnte auch vereidigt werden.149 Am 20. Mai 1743150 verweigerte Rudolph Dirk de Sijghers seinen Eid.151 Er war zum Obristen bestellt worden und wollte dem Magistrat seine Akte nicht präsentieren. Erst als der Statthalter ihn entsprechend anwies, legte er am 3. Juli 1743 die Urkunde vor.152 In einem vorhergegangenen Schreiben wies Veldtman darauf hin, dass nur Kapitäne und rangniedrigere Offiziere einen Eid auf die Stadt leisteten, während die höheren Offiziere dies nicht täten. Offensichtlich war es aber in der Vergangenheit nicht einheitlich geregelt worden.153

146  Den Haag, NA, SG, Nr. 6736, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 27.8.1728, eingetroffen am 31. 147  Ebd., Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.9.1734, eingetroffen am 13. (geheimes Schreiben), Nr. 3. 148  Ebd., Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.3.1732, eingetroffen am 10. (geheimes Schreiben), Nr. 11. 149  Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 12, p. 179–181. 150  Ebd., I. Reg., Nr. 328, Schreiben vom 21.5.1743. 151  Vgl. auch Den Haag, NA, SG, Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 12.6.1742, eingetroffen am 17. 152  Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 12, p. 286, 309. Über diese Eidverweigerung weiß auch der Amtmann des Fürsten zu berichten, der dies vom Ausmiener Henrichsen erfahren hatte. Aurich, StaA, Rep.  4, B  IV  e, Nr. 117, p. 54r, 4.7.1743; Den Haag, NA, SG, Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 1.7.1743, eingetroffen am 4. 153  Ebd., Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 21.5.1743, eingetroffen am 27.

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C. Die Stadt als militärischer Ort

VIII. Quartiernahme In Emden begaben sich kleinere Kontingente erst zur Bürgerwache, wo sie sich so lange aufhielten, bis sie Logis gefunden hatten.154 Regimenter hingegen marschierten auf den Neuen Markt, von wo aus die Soldaten auseinandergingen, „umb Quartier zu suchen“.155 In Emden war es, wie auch in den Niederlanden, üblich, dass die Soldaten sich selbst ihre Unterkunft suchten und eigenständig Verträge mit den jeweiligen Vermietern abschlossen.156 Der Obrist Veldtman berichtete in einem Brief, dass es keine freien, also kostenlose Wohnungen gebe und die Soldaten kein Servisgeld für die Bezahlung des Wohnraums erhielten, sondern dass sie die Quartiere „selve soeken en uit haer eijgen gagie betalen“ müssten, was auch für die Offiziere galt.157 Bereits in einem Schreiben aus dem Jahr 1725 hatte Veldtman deutlich auf diesen Umstand aufmerksam gemacht. Dies erklärt auch, dass es kein spezielles Amt in der Stadt für die Einquartierung der Soldaten gab, wie es in anderen deutschen Städten meist zu finden war.158 Der Magistrat hatte jedoch dafür zu sorgen, dass der Wohnraum für die Soldaten in einem bezahlbaren Rahmen blieb und sie nicht mehr ausgeben mussten als sie verdienten.159 Auch der Obrist musste für seinen Wohnraum selbst aufkommen. Obwohl das Amt seit 1602 bestand, wurde seitens der Stadt keine Behausung gestellt.160 Die angemieteten Wohnräume wurden von den Soldaten im wöchentlichen Rhythmus bezahlt. Blieben die Zahlungen aus, hatten die Soldaten ihr Quartier zu verlassen.161 Jedes Haus in Emden, in dem Militärs wohnten, 154  Emden,

StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 10, p. 326. p. 416. 156  Dies war wohl typisch für die gesamten Niederlande. Auch in den von Griet Vermeesch untersuchten Orten – Gorinchem und Doesburg – bestand kein organisiertes Einquartierungssystem und erst recht kein Zwang, Soldaten aufzunehmen. Vermeesch, S. 90–96. Auffällig ist zudem, dass bei der Übergabe der Stadt Emden an Preußen im Jahr 1744 im Vertrag (§ 23) festgehalten wurde, dass Bürger nicht dazu verpflichtet sind, Militärs Quartiere zu geben bzw. hierfür die Kosten zu bestreiten. Lediglich nach Zustimmung der Stadt kann dieses angeordnet werden. Schüssler, Otto: König Friedrichs des Großen Vertrag mit der Stadt Emden, Emden 1901, S. 30. 157  Den Haag, NA, SG, Nr. 6736, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 31.8.1728, eingetroffen am 7.9. 158  Vgl. bspw. Pröve, Stehendes Heer, insb. S. 203–234. 159  Den Haag, NA, SG, Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.9.1734, eingetroffen am 13. (geheimes Schreiben), Nr. 4. 160  Ebd., Nr. 6731, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 12.3.1725, eingetroffen am 15. 161  Ebd., Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 1.7.1743, eingetroffen am 4. 155  Ebd.,



VIII. Quartiernahme89

war verpflichtet, eine Abgabe zu entrichten, das sogenannte Wachtgeld,162 dessen Zahlungen 1727 ausgesetzt wurden.163 Der Rat beanspruchte die Rechtsprechung über die Quartiere.164 Aus einem undatierten Beschwerdeschreiben geht hervor, dass der Kriegsrat sich das Recht anmaßen würde, über die Mietstreitigkeiten zu urteilen, was eigentlich den Bürgermeistern und Ratsmitgliedern „privativé“ zustünde.165 Auch die Offiziere lehnten es ab, dass der Gerichtsschulze über die Quartiere zu richten hatte. Vielmehr forderten sie eine alleinige Rechtsprechung durch die Militärs.166 Auch wenn der Rat nicht durch Einquartierung oder ein spezielles Amt in die Verteilung des Wohnraumes eingriff, wird deutlich, dass dieser trotzdem ein starkes Interesse hatte, dass es ruhig und diszipliniert in den soldatischen Quartieren zuging. Am 1. April 1743 wurde vom Rat eine Verordnung erlassen, wonach keine Häuser an Soldaten vermietet werden dürfen, in denen Alkohol ausgeschenkt wird, damit die Soldaten sich nicht ständig mit Bier und Branntwein versorgen können.167 Lediglich bei der Kavallerie war in gewisser Weise vorgesorgt worden, weil bestimmte Häuser zu Stallungen umgebaut worden waren. So logierten die Reiter im alten Fleischhaus.168 Wesentlich einfacher gestaltete sich die Einquartierung auf der Festung Leerort. Dort standen den Soldaten Baracken zur Verfügung.169 Während in Groningen keine Informationen über die Einquartierung überliefert sind, liegen für Leeuwarden ebenso nur spärliche Auskünfte vor. Zu vermuten ist, dass es hier wie auch in anderen niederländischen Städten keinen Zwang zur Einquartierung gab. Wenn das Regiment in die Stadt 162  Ebd., Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.3.1732, eingetroffen am 10., Nr. 9 (geheimes Schreiben). 163  Emden, Prot.-Reg. VII, Nr. 3, p. 283 f., 14.2.1727. Dies betrug fünf Stüber pro Offizier und fünf Oortjes pro Soldat im Monat. Es wurde den Quartiergebern auferlegt. Den Militärs war freigestellt worden, weiterhin das Geld zu bezahlen, was zu einer Reduzierung der Miete führte. 164  Ebd., Prot.-Reg. IV, Nr. 12, p. 377–379, 7.5.1737. 165  Ebd., I. Reg., Nr. 328, undatierte Abschrift. 166  Den Haag, NA, SG, Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 17.12.1734, eingetroffen am 21. 167  Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 12, p. 285. 168  Ebd, Prot.-Reg. IV, Nr. 10, p. 551. 169  Den Haag, NA, SG, Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 14.5.1742, eingetroffen am 18. Wenngleich die Baracken eigentlich für fünf Soldaten ausgelegt waren, standen dort nur zwei Betten. Da auch Frauen und Kinder der Soldaten dort Platz finden mussten, war es sehr beengt, sodass kaum 300 Soldaten auf der Festung stationiert werden konnten.

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C. Die Stadt als militärischer Ort

kam, standen meist schon Stadtbewohner an den Toren, um den Soldaten ein Quartier zu offerieren.170 Soldaten und Offiziere erhielten jedoch einen Servis mit dem sie ihre Unterkünfte bezahlen konnten.171 Dies führte zu Streitigkeiten zwischen der Garnison und dem Magistrat der Stadt Leeuwarden, weil dem Magistrat vorgeworfen wurde, die Gelder, die von den Ständen der Provinz gestellt worden waren, zweckentfremdet zu haben. So seien überschüssige Servisgelder in die Armenversorgung geflossen. Der Magistrat rechtfertigte sein Vorgehen damit, dass von diesem Geld die Militärarmen Unterstützung gefunden hätten. Diese fielen, wie später noch zu zeigen sein wird, generell unter die Zuständigkeit der städtischen Armen-, besonders der Witwen- und Waisenversorgung. Die Zweckentfremdung stieß auf Kritik seitens des Offiziers Frederik Willem Meijers, der 1730 anmerkte, dass für die Unterstützung der militärischen Witwen und Waisen eine gesonderte Zahlung an die Stadt erfolge. Vielmehr führte Meijers an, dass die überschüssigen Servisgelder für die Bürger und Eingesessenen eingesetzt und damit auch Trinkschulden beglichen worden seien. Seit mehr als dreißig Jahren sei dies nach seiner Ansicht geschehen, ohne dass dies dem Militär bekannt war. Jährlich habe es sich um eine Summe von rund 815 Gulden gehandelt, die damit verloren wäre. Das Servisgeld sei nämlich ein Geld, das den Militärs zustünde und somit ausschließlich diesen ausgezahlt werden könne.172 Nachdem Meijers dies angemerkt hatte, gab es offensichtlich keine Reaktion, denn 1736 findet sich erneut eine Erklärung seitens des Magistrats, dass er auf den Überschuss des Servis für die Unterstützung der Militärarmen angewiesen sei.173 Erst für die zweite Hälfte 170  Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 2629, p. 149. Zeugenaussage der IJtje Sijtses. Diese sagte, dass am 21.10.1701, als das statthalterliche Regiment von Bergen op Zoom nach Leeuwarden kam, die Angeklagte Lijsbeth Jans Galiard „na de poort is gegaen en aldaer twee Soldaten tot haer Slapers heeft aengenomen, die oock dien selven avond in haer huijs quamen“. 171  Sowohl die Provinz als auch die Stadt Leeuwarden zahlten Logisgelder aus. Im Folgenden werden erst die jährlichen Summen der Provinz genannt, danach die der Stadt: Kavallerie: Rittmeister 49 Fl., 0 St., 15 Pen./78 Fl.; Leutnant 27 Fl., 7 St., 8  Pen./38  Fl., 14  St.; Kornett 76  Fl., 8  St., 7  Pen./45  Fl.; Wachtmeister 71  Fl., 17  St., 3  Pen./19  Fl., 6  St.; Korporal 25  Fl., 7  St., 9¼  Pen./10  Fl., 14  St.; Reiter 10 Fl., 5 St., 5 Pen./9 Fl., 9 St.; Trompeter 10 Fl., 5 St., 5 Pen./9 Fl., 9 St.; Kolonel 91  Fl., 5  St./82  Fl.; Infanterie: Kapitän 34  Fl., 4  St., 6  Pen./31  Fl., 1  St.; Leutnant 22  Fl., 16  St., 4  Pen./20  Fl., 16  St.; Fähnrich 28  Fl., 4  St., 9 Pen./25  Fl., 18  St.; Sergeant 13  Fl., 13  St., 12  Pen./12  Fl. 10  St.; Korporal 8  Fl., 2  St. 8  Pen./6  Fl., 16 St.; Soldat 6 Fl., 16 St., 14 Pen./6 Fl., 6 St.; Tambour 6 Fl., 16 St., 14 Pen./6 Fl., 6  St.; Kolonel 91  Fl., 5  St./82  Fl. Überliefert in: Leeuwarden, Tresoar, Familie Van Eysinga-Vegelin van Claerbergen, Nr. 5003. 172  Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 208, von Brief von Frederik Willem Meijers vom 29.4.1730. 173  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 744.



IX. Wachen und Wachdienst91

des 18. Jahrhunderts ist eine Auflistung der Servisgelder auszumachen, die in Leeuwarden ausgezahlt worden waren.174

IX. Wachen und Wachdienst Die Hauptaufgabe der Soldaten in den Garnisonsstädten war es, auf verschiedenen Posten den Wachdienst zu verrichten.175 Dieser war in den Städten durch verschiedene Ordnungen geregelt worden. 1. Leeuwarden Besonders nachts war der Wachdienst von Wichtigkeit, da die Tore der Städte verschlossen waren. In Leeuwarden wurde die zivile Nachtwache von den sogenannten Ratelaarn176 ausgeführt. Diese patrouillierten in der Stadt und mussten jede volle Stunde mit der Glocke angeben.177 Sie versahen ihren Dienst zwischen 21 Uhr und 5 Uhr.178 Im Sommer begann der Wachdienst erst um 22 Uhr.179 Der Wachdienst an den Toren der Stadt wurde sowohl von Militärs als auch von Bediensteten der Stadt ausgeführt. Die zivilen Portiers wohnten in den Wachhäusern und waren für das Schließen der Tore zuständig. Insgesamt waren es in Leeuwarden fünf Personen für neun Tore.180 Das Schließungsritual bestand darin, dass der Portier vom präsidierenden Bürgermeister die Schlüssel abholte, das Tor verschloss und anschließend die Schlüssel zur bürgerlichen Hauptwache in die Waage brachte. Wenn jemand nachts 174  Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 1896, für das Jahr 1771. 175  Vgl. für das Heilige Römische Reich: Nowosadtko, Stehendes Heer, S. 224; Pröve, Stehendes Heer, S. 142 f. 176  Der Name leitet sich von der Ratel (Rassel) ab, die diese Nachtwächter trugen, um bei Gefahr Alarm schlagen zu können. 177  Jensma/Kunst/Spanninga, S. 111. 1705 waren es 18. 178  Resolution vom 28.11.1683 der Heeren Super-Intendenten en Bevelhebberen van het Melfeits gerecht der Stadt Leeuwarden, in: Ordonnantien ende Articulen. Betreffende de Burgers der Stad Leeuwarden, in het Optrekken, en onderhouden van de Wacht op de Wage, En van het Uit- en Insluyten van Menschen, Schepen, Paarden en Wagens. Beneffens de Instructie voor de Poortiers dezer Stede, en waar na de Gesworene Ratelaars en Wakers, zig strictelijk zullen hebben te reguleren. S ­ ampt eenige Notificatien en Resolutien, van tijdt tot tijdt genomen, en by elkanderen in een geschikte ordere gebragt, door Ernst Vitringa, Notarius Publicus, Hier toe by Resolutie gecommitteert, Leeuwarden 1739, S. 67 f. 179  Resolution vom 25.2.1684, in: Ordonnantien ende Articulen (1739), S. 68. 180  Mitsamt der Wassertore, worüber die Schiffe in die Stadt gelangen konnten. Jensma/Kunst/Spanninga, S. 111.

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C. Die Stadt als militärischer Ort

die Stadt verlassen wollte, musste der Portier dort den Schlüssel abholen, um das Tor zu öffnen. Nachdem die Tore am Morgen wieder geöffnet worden waren, war der Schlüssel dem vorsitzenden Bürgermeister zurückzubringen.181 An den Toren wurde der Wachdienst zum Teil von den Soldaten durchgeführt, die auch die Waren zu kontrollieren hatten, die eingeführt wurden. Bei der großen Rinderpest des Jahres 1714 durfte beispielsweise kein Fleisch in die Stadt gebracht werden.182 Der Wachdienst wurde in Leeuwarden sowohl von Bürgern als auch Soldaten verrichtet.183 Es heißt in einer städtischen Resolution vom 7. Januar 1675, dass die Bürgerrunde nicht von den Soldaten gestört werden soll.184 Offensichtlich gab es häufiger Uneinigkeiten zwischen den beiden Gruppen,185 sowie zwischen Soldaten und Ratelaarn.186 Daher sollten die Offiziere bis zum Sergeanten in ihren Distrikten dafür sorgen, dass die Bürgerrunde „Visie“ und „vry Acces“ genieße.187 Jedoch arbeiteten beide Wachen auch zusammen. So hatte nämlich am 25. August 1712 ein Militär, der den Wachtposten am Pulvermagazin besetzt hatte, um Hilfe gerufen, woraufhin zwei bürger­ liche Wächter vom Stadttor Vrouwenpoort hinzueilten.188 Für den Wachdienst der Soldaten war eine Wachordnung verbindlich. Anhand der Wachordnung von 1688 wird im Folgenden verdeutlicht, wie der Wachdienst in Leeuwarden konkret ablaufen sollte.189 Vermutlich war diese Verordnung aufgesetzt worden, weil die immer weiter voranschreitende Professionalisierung des Militärs neue Wach- und Verwaltungsformen erforderte. Denn die Wachordnung spricht im ersten Artikel von einem Regiment und dem wachhabenden Bataillon. Vermutlich ist diese Einteilung sehr direkt auf 181  Ebd., S. 112. Sie durften dabei nicht nach Hause gehen, Resolution vom 16.10.1682, in: Ordonnantien ende Articulen (1739), S. 67. 182  Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 2631, p. 340. 183  Resolution der Gedeputeerde Staten von Friesland vom 28.10.1727, in: Ordonnantien ende Articulen (1739), S. 58. 184  Resolution der Gedeputeerde Staten von Friesland vom 7.1.1675, in: Ordonnantien ende Articulen (1739), S. 60. 185  Resolution der Super-Intendenten en Bevelhebberen van het Melfeits gerecht vom 18.9.1686, in: Ordonnantien ende Articulen (1739), S. 70 f. 186  Resolution der Super-Intendenten en Bevelhebberen van het Melfeits gerecht vom 2.12.1690, in: Ordonnantien ende Articulen (1739), S. 79 f. 187  Resolution der Super-Intendenten en Bevelhebberen van het Melfeits gerecht vom 11.1.1675, in: Ordonnantien ende Articulen (1739), S. 61 f. 188  Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 2631, p. 81. 189  Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 344, Schriftstück: Nr. 41. Im Folgenden zitiert als Ordnung (1688). Die Ordnung ist in 20 Artikel aufgeteilt.



IX. Wachen und Wachdienst93

das statthalterlich-friesische Regiment bezogen.190 Jeden Tag um 15 Uhr sollte der Tambourmajor sich mit den zwölf Tambouren auf der Straße beim Statthalterhof einfinden. Anschließend marschierten sie zum Quartier des kommandierenden Offiziers des Regiments. Jedes Bataillon, das zum Wachdienst eingeteilt worden war, sollte zwölf Mann stellen, darunter hatten ein Korporal, ein Adelborst191 und zehn gemeine Soldaten zu sein, sodass bei zwölf Kompanien 144 Mann abgestellt wurden.192 Zu diesen kamen noch ein Kapitän, ein Leutnant, ein Fähnrich und neun Sergeanten hinzu.193 Der Kapitän war für die Aufstellung der Truppen beim Statthalterhof verantwortlich. Von dort aus hatte sich ein Teil der Wachtruppe – ein Sergeant, ein Tambour, 15 Soldaten, unter denen sich auch ein Korporal zu fügen hatte – zum Wirdumer Tor zu begeben, eine ebensolche Aufstellung jeweils zum Vrouwen- und Hoecksterpoort. Ein Sergeant wurde mit einem Tambour und zwölf Mann zum Gebäude des Ständekollegiums geschickt, ebenso ein anderer Sergeant mit einem Tambour und zwölf Mann, worunter sich ein Korporal zu befinden hatte, zum Landschaftshaus. Auf der Hauptwache verblieben ein Leutnant, ein Fähnrich, vier Sergeanten, neun Tamboure und 75 Mann, worunter sieben Korporäle und zwölf Adelborsten zu rechnen sind. Für die drei übrigen Tamboure war nach der Parade der Dienst für diesen Tag beendet.194 Vorfälle, die sich in der Stadt ergaben, mussten von den Sergeanten an die Hauptwache bis spätestens 8 Uhr des nächsten Morgens und von der Hauptwache bis 11 Uhr an den Statthalter durch einen Kapitän gemeldet werden.195 Wenn der Statthalter an den Wachen vorbeischritt, hatten diese zu salutieren. Die Trommel durfte nicht eher geschlagen werden, bis der Statthalter zehn bis zwölf Tritte von ihnen entfernt war und musste, nachdem er die Wache passiert hatte, sofort eingestellt werden.196 Die Offiziere hatten den Statthalter nur einmal am Tag zu grüßen, die Hoheit hingegen bei jedem Antreffen.197 Beim Ablösen der jeweiligen Wache musste der diensthabende Soldat sein Corps de Guarde- oder Schildhäuschen sauber hinterlassen. Dann hatte er mit dem gängigen Zeremoniell, wie dem Hochhalten der Pike oder dem Schultern der Muskete, abzumarschieren. Die Soldaten der Hauptwache mussten beim Wechsel zum Quartier des kommandierenden Offiziers des 190  Das

Regiment wurde erst 1690 offiziell in zwei Bataillone unterteilt. = Unterster militärischer Rang, unter dem Korporal stehend. 192  Ordnung (1688), Art. 2. Es sollten insgesamt acht Musketiere und vier Pikeniere sein. 193  Ordnung (1688), Art. 3. 194  Ordnung (1688), Art. 4. 195  Ordnung (1688), Art. 5 und 6. 196  Ordnung (1688), Art. 7. 197  Unklar ist, wer mit der Hoheit gemeint ist. Möglicherweise die Mutter des Statthalters Ordnung (1688), Art. 8. 191  Adelborst

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C. Die Stadt als militärischer Ort

Regiments marschieren, die anderen 25 Schritte von dem Wachtposten.198 Danach war ihr Dienst beendet. Beim Zapfenstreich hatten sich die Offiziere und Soldaten auf ihren jeweiligen Posten einzufinden. Tagsüber durften die Soldaten die Wachen zur Einnahme von Speisen verlassen.199 Vor dem Schlagen des Zapfenstreiches hatten die Offiziere die Posten selbst noch einmal aufzusuchen.200 Der Zapfenstreich wurde im Sommer um 22 Uhr, im Winter bereits um 21 Uhr geschlagen, also gleichzeitig mit Beginn des zivilen Nachtwächterdienstes. Die Tamboure, die auf anderen Posten standen, hatten sich auf der Hauptwache einzufinden. Dort wurde ein kleines Zeremoniell durchgeführt, ehe sie sich wieder zu ihren Wachtposten zu begeben hatten.201 Die Runde zur Kontrolle sollte vom Kapitän der Hauptwache selbst durchgeführt werden. Sowohl die Uhrzeit als auch die Route durfte er dabei selbst bestimmen.202 In der Nacht hatten die Reiter sowohl zu Fuß als auch auf dem Pferd Patrouillen vorzunehmen.203 Bei Alarm mussten sich die Offiziere mit den Soldaten des Regiments auf dem Platz beim Statthalterhof versammeln.204 Wenn Kompanien oder Truppen zum Tor kamen, sollte der Offizier, der am Tor wachte, zwei Reiter oder Soldaten des außenstehenden Militärs mit einem Mann von der Wache zum Kapitän der Hauptwache senden und dann die Order von der Hauptwache abwarten, ehe die gesamte Truppe in die Stadt gelassen werde.205 An den Tagen, an denen der Landtag der Stände gehalten wurde, sollte der Kapitän der Hauptwache mit der ganzen Parade über den Marktplatz zu seinem Posten marschieren.206 Kein Soldat durfte bei Androhung einer schweren Strafe sein Seitengewehr, das Trageband oder „Bandelier“ ablegen, wenn er zu wachen hatte. Ebenso war es ihnen streng untersagt, ihre Posten zu verlassen.207 Ebenso durften die Soldaten sich höchstens die Strecke von zwei Piken von dem Wachhaus entfernen. Diese Strecke hatten sie auf- und niederzugehen.208 Offensichtlich war diese Wachordnung etliche Jahre in Gebrauch geblieben. Erst 1735 wurde eine neue Wachordnung entworfen.209 Diese neue 198  Ordnung

(1688), Art. 9. (1688), Art. 10. 200  Ordnung (1688), Art. 11. 201  Ordnung (1688), Art. 12. 202  Ordnung (1688), Art. 13. 203  Ordnung (1688), Art. 15. 204  Ordnung (1688), Art. 16. 205  Ordnung (1688), Art. 17. 206  Ordnung (1688), Art. 18. 207  Ordnung (1688), Art. 19. 208  Ordnung (1688), Art. 20. 209  6. Juli 1735. Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 695. Reglement te Leeuw[arde]n door S[ijne] H[oogheid] uitgegeven. Im Folgenden zitiert als Ordnung (1735). 199  Ordnung



IX. Wachen und Wachdienst95

Regelung war wesentlich umfassender. So sollte morgens die Reveille210 gehalten werden, wofür sich die Pfeifer und Tamboure von der Hauptwache und der Gardewache an der Hauptwache einzufinden hatten.211 Um 11 Uhr musste dann von den verschiedenen Wachtposten Rapport an die Hauptwache gegeben werden. Dies wurde auch beim Ausgeben der Order am Abend so gehandhabt. Der Kapitän, der an der Hauptwache seinen Dienst versah, musste um 11.45 Uhr Rapport an den Hof geben. Bei Abwesenheit des Statthalters war der Rapport an den Hauptoffizier des Leibregiments zu geben.212 Nachmittags um 13.30 Uhr sollten sich alle Wachen vor dem Haus des kommandierenden Offiziers einfinden, wo die Korporäle begutachteten, ob den Soldaten etwas an ihren Monturen oder Waffen fehlte. Diejenigen, die nicht als tauglich erachtet wurden, sollten in Arrest gebracht werden. Die anderen hatten sich hingegen um 14 Uhr bei der Parade einzufinden und wurden dort erneut examiniert, sodass diejenigen, denen dort etwas fehlte, ebenso in Arrest geschickt werden konnten. Danach war um 14.45 Uhr die Parade nach einem vorgeschriebenen Muster abzuhalten. Die Parade begann bei der Lange Pijpe mit Blick zum Hooghuistersteeg. Es sollte dabei nicht über den Markt marschiert werden. Die Parade endete zwischen dem Hof des Statthalters und der Hauptwache. Von dort aus sollten dann alle Truppenteile zu den ihnen zugeordneten Wachposten gehen. Die Offiziere hatten 24 Stunden auf ihren Posten zu bleiben, ausgenommen war die statthalterliche Leibgarde, deren Mitglieder vom Zapfenstreich bis 7 Uhr morgens zu Hause bleiben durften. Wenn der Statthalter nicht in der Stadt weilte, war es dem Kapitän der Hauptwache erlaubt, mittags und abends essen zu gehen. Die Offiziere auf der Hauptwache sollten sich beim Verlassen abwechseln, sodass immer ein Offizier auf der Hauptwache präsent war. Bei den Wachtposten, auf denen es nur einen Offizier gab, konnte dieser mittags und abends essen gehen, wenn ein Sergeant die Wache hielt. Bei den anderen Posten waren zum Teil die Abwesenheitszeiten strenger geregelt. Alle Wachen sollten jedoch tags und nachts mindestens ein Mal zur Kontrolle aufgesucht werden.213 Die Orders sollten abends vom 1. April bis zum 30. September um 18 Uhr ausgegeben werden und vom 1. Oktober bis zum 31. März um 16 Uhr.214 Der Zapfenstreich war um 22 Uhr durch die Tamboure zu schlagen. Danach durften sich weder Reiter noch Soldaten unter Strafandrohung auf den 210  Reveille

= Weckruf. (1735), Art. 1. 212  Ordnung (1735), Art. 2. 213  Ordnung (1735), Art. 3. 214  Ordnung (1735), Art. 4. 211  Ordnung

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C. Die Stadt als militärischer Ort

Straßen aufhalten.215 Die Hauptrunde war durch den Kapitän der Hauptwache zu verrichten, begleitet von einem Sergeanten und vier Soldaten. Nachts sollte der Kapitän zwischen dem Zapfenstreich, also 22 Uhr, und Mitternacht die Runde absolviert haben. Ebenso waren noch weitere Runden durch die Leutnants zu verrichten, um die Wachen zu visitieren. Tagsüber erledigte diese Runden der Fähnrich der Hauptwache. Um zu beweisen, dass sie die Runden auch wirklich unternommen hatten, sammelten die Offiziere bei den Wachen „Penningen“ ein, die sie auf der Hauptwache abzugeben hatten. Aber auch zwischen diesen Runden wurden die Posten durch Sergeanten und Wachtmeister kontrolliert. Eine wichtige Aufgabe bei den Kontrollgängen war es, Soldaten aufzusammeln, die sich unerlaubt auf den Straßen aufhielten.216 Bei Bränden in der Stadt hatten die Soldaten zu helfen. Alarm war durch alle Tamboure in der Stadt zu schlagen. Das brennende Haus war dabei von einem Leutnant, einem Sergeanten und 24 Mann von der Hauptwache zu besetzen. Der Leutnant musste dafür sorgen, dass der Weg zum Löschen frei blieb und dass kein Gut aus dem brennenden Haus gestohlen wurde. Bei Alarm hatten sich die Soldaten der Garde vor der Hauptwache mit der Front zum Hof, die der Kavallerie bei der Lange Pijp mit der Front zum Hooghuuistersteeg zu versammeln. Von dem wachhabenden Bataillon sollten sechs Kompanien am linken Flügel der Hauptwache stehen, die sechs übrigen beim Platz bei den Häusern.217 Beim Passieren des Statthalters, seiner Frau sowie seiner Mutter war das Gewehr zu präsentieren. Ebenso war zu verfahren bei Mitgliedern der hohen Kollegien, wie den Abgeordneten der Mindergetal,218 der Ständeversammlung, des Hofs sowie der Rechenkammer. Bei Mitgliedern des Rats waren drei Trommelwirbel zu schlagen und es musste salutiert werden.219 2. Groningen In Groningen war ebenso geregelt worden, wie der Wachdienst in der Stadt verübt werden sollte. Zwar liegt für die Stadt keine verbindliche Ord215  Ordnung

(1735), Art. 5. (1735), Art. 6. 217  Ordnung (1735), Art. 7. 218  Die Mindergetal ist die Versammlung von acht Bevollmächtigten auf dem Landtag, aus jedem Quartier stammen zwei (Zevenwouden, Oostergo, Westergo, Städte). Sie wurden ernannt, um bei den Landtagen schneller zu Beschlüssen zu kommen. Guibal, Cornelis Jan: Democratie en oligarchie in Friesland tijdens de republiek, Assen 1934, S. 17 f. 219  Ordnung (1735), Art. 8. 216  Ordnung



IX. Wachen und Wachdienst97

nung vor, jedoch finden sich im Leeuwarder Archiv einige Entwürfe. Im Folgenden sollen daher die wesentlichen Paragraphen der Ordnungen vorgestellt werden, die Auskünfte darüber geben, wie in Groningen vor allem die Parade abgehalten wurde.220 Die Parade begann in Groningen um 14 Uhr vor dem Haus des kommandierenden Offiziers.221 Anschließend ging es zum Kirchhof der Martinikirche. Von dort setzte die Parade ihren Weg zum Markt fort. Interessant ist, dass der Adjutant so lange bei der Parade zu stehen hatte, bis diese abgezogen war. Die Sergeanten mussten darauf Acht geben, dass kein Tabak geraucht wurde. Das Abhalten der Parade ist auch als allgemeiner Wachwechsel zu sehen. Die Soldaten der Parade waren diejenigen, die für den Tag die Wachdienste abzuhalten hatten. Morgens und abends mussten die Sergeanten von den Posten Rapport bei der Hauptwache erstatten. Der Sergeant der Hauptwache hatte anschließend dem Major der Stadt Rapport zu geben. Die Schildwachen wurden stets durch Korporäle auf ihre Plätze gebracht, die ihnen auch jeweils mitteilten, worin ihre Aufgaben bestanden. Die Schildwachen mussten vor allen Regenten und den Offizieren ihr Gewehr präsentieren. Um 21 Uhr wurde der Zapfenstreich geschlagen, was hieß, dass sich ab diesem Zeitpunkt alle Offiziere und Soldaten in ihre Quartiere zu begeben hatten. Alle anderen, die noch auf der Straße waren, sollten „arbitrarie“ bestraft werden. Die öffentliche Kontrolle erfolgte durch vier Mann von der Hauptwache. Um 9 Uhr des folgenden Tages hatte der Kapitän der Hauptwache Rapport an den präsidierenden Bürgermeister zu geben. Ein Recht zur Visitation der Häuser stand dem Militär nur für die Soldatenquartiere zu, die Bürgerhäuser hingegen durften nicht visitiert werden. Im Falle von Brandunglücken hatten die Soldaten in der Stadt für Ruhe zu sorgen, indem eine Gruppe von 20 Mann mit einem Offizier zum Brandgeschehen geschickt wurde.222 Groningen verfügte ebenso über eine Bürgerwache, deren Aufgaben 1727 in einer Ordnung aus 83 Artikeln festgehalten wurde. Wie auch in den anderen Städten leistete sie vor allem den innerstädtischen Wachdienst, besonders in den Nachtstunden zusammen mit der militärischen Wache.223 220  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 721, Wachdienst Groningen vom 18.5. sowie 24.5.1731. Unklar ist, ob es sich um einen Entwurf handelt. 221  Ein späteres Plakat von Bürgermeister und Rat der Stadt regelte, dass die Parade nicht zu stören sei. Groningen, GA, Plakkaten en ordonnanties GAG, 1595– 1795, Nr. 586, 7.10.1748. 222  Vgl. für den deutschen Raum: Nowosadtko, Stehendes Heer, S. 230. 223  Articul-Brief ofte Wacht-Ordeninge des Borgerlijken Regiments binnen Groningen. So en als deselve nu van nieuws nagesien, verbetert ende vermeerdert is, by

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C. Die Stadt als militärischer Ort

Neben den eigentlichen Bestimmungen sind auch die Wachorte in der Stadt von besonderer Wichtigkeit, da sie aufzeigen, inwiefern das Militär institutionell und damit öffentlich verankert war. Für Groningen sind Listen überliefert, die die Stellen benennen, an denen die Soldaten ihre jeweiligen Wachstationen hatten.224 Anhand dieser Listen lässt sich erkennen, dass vornehmlich die wichtigen und damit markanten Orte in der Stadt, wie die Stadttore, die Häuser der Offiziere und öffentlichen Amtsträger sowie die Arsenale der Garnison bewacht wurden. Besonders in der Nacht wurde das Personal auf diesen Posten verstärkt. 3. Emden In Emden wurden die militärischen Wachen über eine Ordnung geregelt, die offensichtlich 1684 das letzte Mal herausgegeben worden war. Die Wache wurde in Form von zehn Kommandos abgehalten, denen jeweils eine Position in der Stadt zugewiesen wurde. Die Wachtposten befanden sich vor allem auf den Zwingern und bei den Stadttoren, aber auch auf Brücken und an Türmen. Abgestellt wurden für die Wachen 20 Gefreite,225 zehn Korporäle, vier Landspassaten226 und 129 Schildwachen. Ebenso als Befehlshaber ein Leutnant oder Fähnrich, daneben fünf Unteroffiziere sowie zwei Tamboure. Diese zogen vom Neuen Markt auf die Wache.227 Zu jedem Wachpunkt gehörte meist ein Wachhaus, das als Corteguarde bezeichnet wurde. Die Schildwachen, die dort ihren Dienst versahen, waren durchnummeriert, sodass sie von weitem leichter zu erkennen waren.228 de H. Heeren Borgemeesteren ende Raadt der voorsz. Stadt, Groningen 1727, in: Groningen, GA, Verzameling publicaties van de overheid, 1595–1814 (1857), Nr. 670. 224  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 721; siehe ebenso: Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 210, Mappe 125. 225  Dienstgrad zwischen Korporal und Soldat, beim niederländischen Militär jedoch nicht nachweisbar. Vgl. Art. Gefreiter, in: Herders Conversations-Lexikon, Bd. 3, Freiburg 1855, S. 34. 226  Gefreiter, ebenso im niederländischen Militär nicht nachweisbar. Vgl. Art. Lanzpassate, in: Krünitz, Oeconomische Encyclopädie, Bd. 64, S. 715. 227  Kappelhoff, Emden, S. 8–11. Genaue Beschreibung, wohin welche Gruppe, die sog. Kommandos zu marschieren hatten. Ebenso Auflistung der Größe aller Kommandos. Da aber davon ausgegangen werden muss, dass die Wachordnung, wie sie 1684 publiziert worden war, im 18. Jahrhundert sicher nicht mehr ausgeführt wurde, soll diese hier nicht noch einmal ausführlich beschrieben werden. In der Akte Emden, StadA, I. Reg., Nr. 314 finden sich zum Teil andere Aufstellungen, wobei jedoch unklar ist, ob diese in die Tat umgesetzt wurden. 228  Emden, StadA, I. Reg., Nr. 892.



IX. Wachen und Wachdienst99

Am Wachdienst beteiligt waren vor allem die Soldaten der niederländischen und bis zu ihrer Auflösung die der landständischen Garnison. Die Bürgerwache unterstützte die militärischen Wachen,229 genauere Informationen zum Ablauf lassen sich jedoch nicht gewinnen.230 Die Bürgerwachen, die in 23 Kompanien eingeteilt worden waren, liefen mit der niederländischen Wache die nächtliche Patrouille.231 Der Wachdienst an den Toren wurde allein von den niederländischen Soldaten übernommen. Die preußischen Truppen durften lediglich innerhalb der Stadt ihre Wachen abhalten.232 An den Toren waren die niederländischen Militärs für die Kontrolle der Personen zuständig, die in die Stadt hinein wollten. Die Kontrollen gestalteten sich mitunter schwierig, da die niederländischen Offiziere Probleme hatten, die hochdeutschen Pässe zu lesen.233 Das allabendliche Laufen der Kontrollrunde wurde sowohl von Soldaten als auch von Bürgern, die die Bürgerwache bildeten, erledigt.234 Durch diese zwei verschiedenen Gruppen – zum einen das professionelle Militär, zum anderen der verpflichtete Wachdienst der Bürger – gab es Streitigkeiten über die Rangunterschiede und vor allem über die Berechtigung zum Geben von Befehlen. Der bürgerliche Leutnant sollte mit dem militärischen Fähnrich auf einer Rangstufe stehen.235 Bei der Schließung der Stadttore waren die Aufgaben zwischen Militär und Rat gleichermaßen aufgeteilt worden. Zwei Tore wurden durch Ratsdiener und zwei durch den Schlüsselmajor geschlossen, wobei jeder Schließer von zwei bürgerlichen und zwei militärischen Wachen begleitet wurde. Die Torschlüssel wurden beim präsidierenden Bürgermeister aufbewahrt.236 229  Strukturierende Punkte zu den Wachen von Otto Georg Veldtman vom 23.4.1734, in: Leeuwarden, Tresoar, Verzameling Fries Genootschap, Nr. 284. 230  Vgl. Bürgerliche Wachordnung 1734: Emden, StadA, I. Reg., Nr.  863b, Blatt 112, ältere Nummerierung: 286. 231  Ebd., Nr. 899 Ermittlung gegen Jan Harms de Witt u. a., Januar 1743. 232  Den Haag, NA, SG, Nr. 6743, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 5.12.1724, eingetroffen am 9. (geheimes Schreiben). 233  Ebd., Nr. 6744, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 27.3.1725, eingetroffen am 31. (geheimes Schreiben). Die Offiziere waren verpflichtet, lesen und schreiben zu können. Vgl. Ordres voor het Regiment van zyne Hoogheit, den Heere Prinsse van Orangjen en Nassau ter Repartitie van de Provincie van Stadt en Landt (1725), p. 6, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 682. 234  Vgl. Bürgerliche Wachordnung 1734: Emden, StadA, I. Reg., Nr.  836b, Blatt 112, ältere Nummerierung: 286. 235  Den Haag, NA, SG, Nr. 6741, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 22.9.1735, eingetroffen am 26. 236  Ebd., Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.3.1732, eingetroffen am 10. (geheimes Schreiben); ebd., Brief von

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C. Die Stadt als militärischer Ort

Bei den abendlichen und nächtlichen Runden war es das Ziel, die diensthabenden Soldaten zu kontrollieren. Ein Bericht darüber war bei der Hauptwache abzuleisten.237 Der Wachdienst hatte einen hohen Stellenwert. Auf Verlassen der Wache stand nach dem niederländischen Artikelbrief die Todesstrafe. Aus den Emder Prozessunterlagen gehen einige Vergehen von Soldaten hervor. So hatte der Soldat Frerich Fisser (Rgt. OF, Komp. Kapt. von Cotzhausen) sich 1728 aufgrund einer Krankheit bei seinem Wachdienst auf dem Wall in das Wachhäuschen zurückgezogen, um dort eine Pfeife mit Tabak zu rauchen. Das Anrufen der Wache habe er nicht gehört, zumal er angab, dass das Rauschen der Bäume in der Nacht sehr laut gewesen sei und er in das Umland und nicht in die Stadt geblickt hätte.238 Der Soldat Jacob Over (Rgt. OF, Komp. Kapt. Acronius) versah trotz Krankheit seinen Wachdienst, weil er Spott seitens der anderen Soldaten befürchtete, wenn er sich ersetzen ließe. Er bemerkte jedoch, dass sein Körper zu schwach war. Daher verließ er den Posten, zumal es ihm auch nicht gelang, den diensthabenden Offizier zu erreichen, um sich durch einen gesunden Soldaten ersetzen zu lassen. Der Fähnrich Faber wies ihn jedoch explizit darauf hin, dass er sich durch einen anderen Soldaten hätte ablösen lassen können.239 In einigen Zeiten wurde auf Krankheiten der Soldaten Rücksicht genommen. So achtete Obrist Veldtman 1728 wegen einer stark grassierenden Krankheit in der Stadt, an der 288 Soldaten litten, darauf, wer in den frostigen Nächten zu wachen hatte.240

Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.9.1734, eingetroffen am 13. (geheimes Schreiben). 237  Strukturierende Punkte zu den Wachen von Otto Georg Veldtman, 4.11.1735; Leeuwarden, Tresoar, Verzameling Fries Genootschap, Nr. 284; siehe dazu auch den Prozess zwischen Kapitän Thonard und Leutnant du Han, in dem es um eine Streitigkeit bei der Wache ging, Juli/August 1728, in: Emden, StadA, I.  Reg., Nr. 866. 238  Ebd., Urteil: 12 Tage Arrest beim Profos. So auch der Prozess gegen den Sergeanten Titus Adelaar, der im Juli 1730 seinen Wachtposten für eine Viertelstunde verließ, um sich ein Stück Leder zuschneiden zu lassen, Urteil: vier Wochen Dienst als einfacher Soldat. Ebd., Nr. 873. Der aus Böhmen stammende Soldat Franz Richter litt an einer Krankheit im August 1730, ebenso Evert Claessen, der im März 1731 wegen Krankheit eingeschlafen war. Ebd., Nr. 873 und 875. 1737 litten die beiden Soldaten Gerhard Gerrits und Johan Jürgen Peijn unter Schmerzen, sodass sie sich auf der Wache hinlegten. Ebd., Nr. 890. 239  Ebd., Nr. 893, April 1740. 240  Den Haag, NA, SG, Nr. 6736, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 31.8.1728, eingetroffen am 7.9.



X. Musterungen und Paraden101

X. Musterungen und Paraden Die Musterungen241 fanden zu unterschiedlichen Zeiten statt.242 Dafür reiste ein Musterungskommissar an – meist aus der Provinz, unter dessen Repartitie das jeweilige Regiment stand – und ließ die Regimenter exerzieren. Sinn war es, festzustellen, in welchem Zustand sich die Regimenter befanden. Die Truppe sollte stets schlagkräftig gehalten und eventuelle Missstände schon frühzeitig aufgedeckt werden. Musterungen wurden zu Kriegs- und Friedenszeiten vorgenommen. Soldaten, die nicht mehr den Anforderungen genügten, wurden aus der Truppe entfernt. Ebenso kann die Musterung und Parade als eine Funktion gesehen werden, bei der sich das Militär mit seinen Soldaten gegenüber den zivilen Einwohnern als diszipliniert zeigen sollte.243 Zudem diente die Musterung in Leeuwarden sicherlich auch zur Darstellung des statthalterlichen Hauses. Als der Frankfurter Bürgermeister Zacharias Conrad von Uffenbach244 Leeuwarden besuchte, wohnte er der Musterung des Regiments des Statthalters bei. In seinem Reisebericht schilderte er: „Den 16. [April 1710] Morgens giengen wir ein wenig in der Stadt herum, und sahen nachmalen die Monsterung der Revüe der zwey Leib-Regimenter des Prinzen zu Fuß245 und seiner Guarde zu Pferde. Sie zogen erstlich den Prinzen-Hof vorbey, da der Prinz vor dem Haus hinten stund, und sie vorbey marschiren sahe. Nachmalen machten sie eine Parade auf dem Markt, da etliche Deputirte von den Staaten sie wiewohl gar kurze Zeit sahen und in Augenschein nahmen. Es sind durchgehends ansehnliche brave Leute, auch wohl montiret, sonderlich die Guarde zu Pferd.“246 241  Die Musterung der Truppen sollte jedes Jahr mindestens ein Mal geschehen. Vgl. Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 416 „Memorie dienende tot informatie op het Stuk van de Monstering“, p. [3]. Die Provinzen musterten selbst und sollten die Befunde dem Raad van State mitteilen, p. [9]. Der Raad van State beanspruchte dabei sein Recht auf die Musterung aller Regimenter und Kompanien und wollte dies nicht an die einzelnen Provinzen abtreten. Als Grund führten sie an, dass sich die Offiziere dem Artikelbrief und den militaire ordonnantien bij de Staaten Generaal of den Raad van Staate untergeworfen hätten. Mit dem Recht auf Musterung stünde ihnen folglich das Recht der Kassierung von Truppen und Soldaten zu. Siehe dazu: Den Haag, NA, RvS, Nr. 530, fol. 52r–58r, 3.10.1705. 242  Auf Musterungslisten beruht die eingangs erstellte Liste über die Garnisonen an denen sich das Regiment aufhielt. Da diese aber nur wenige Informationen zur Musterung selbst geben, werden diese hier nicht erneut herangezogen. 243  Israel, S. 269. 244  1683 in Frankfurt geboren, 1734 gestorben, war Ratsherr und Bürgermeister in Frankfurt am Main, Bücher- und Münzsammler. Jung, Rudolf: Art. Uffenbach, Zacharias Konrad von, in: ADB 39 (1895), S. 135–137. 245  Vermutlich interpretiert er die zwei Bataillone als zwei Regimenter. 246  Herrn Zacharias Conrad von Uffenbach Merkwürdige Reisen durch Niedersachsen Holland und Engelland. Bd. 2, Ulm 1753, S. 275 f.

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C. Die Stadt als militärischer Ort

Offensichtlich war diese Musterung durchgeführt worden, ehe die Regimenter nach Brabant abkommandiert werden sollten. Genauere Berichte, wie die Musterungen abliefen, liegen für den Garnisonsort Emden vor. Am 6. März 1725 musterte der Kommissar Hendrik Trip aus Groningen das Regiment Oranje-Groningen.247 Er ließ das Regiment und die damals noch bestehenden ständischen Truppen auf dem Neuen Markt unter Beisein des Kommandanten Veldtman und des Ratsherrn Hilling versammeln. Anschließend zogen sie über die Große Straße an der Hauptwache vorbei zum Kirchhof der Gasthauskirche, einer ehemaligen Klosteranlage, wo Trip an einem Tisch sitzend die Männer in Augenschein nahm.248 Lange Zeit war es nicht üblich, dass in Emden die niederländische Garnison die Parade abhielt. Der Grund bestand in den Rangstreitigkeiten zwischen dem Kolonel Custos, der das erste Bataillon des Regiments Oranje-Friesland befehligte, und dem Stadtkommandanten Veldtman. Da Veldtman 1725 den niedrigeren Rang eines Obrist-Leutnants innehatte, entstanden „Discrepantzen“ dahingehend, dass Custos es ablehnte, dass ein rangniederer Offizier die Parade veranlasste. Daher ließ man nur die ständischen Truppen auf dem Neuen Markt die Parade abhalten.249

XI. Exkurs: Die Musterungskommissare Bourbom und Daniel van Sloterdijck in Leerort und Emden (1741)250 Herauszuheben ist das Jahr 1741, in dem die „Monster Commissarien der Provintie van Friesland“ namens Bourboom und Daniel van Sloterdijck251 verschiedene Festungsorte besuchten.252 Mit ihnen reisten Dr. Sibrandus 247  Den Haag, NA, SG, Nr. 6744, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.3.1725, eingetroffen am 10. 248  Aurich, StaA, Rep. 4, B IV e, Nr. 116, fol. 13r. Bericht vom 16.3.1725 durch H.B. Fridag von Gödens und Henrich Homfeld. 249  Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 10, p. 408, 25.1.1725. Veldtman wurde am 20.11.1742 zum Generalmajor erhoben, ebd., Nr. 12, p. 243. 250  Leeuwarden, Tresoar, Familie Van Sloterdijck, Nr. 35 (nicht paginiert). 251  Siehe zu ihm: Art. van Sloterdijck, in: Nederland’s Patriciaat 77 (1993), S. 475–503, hier: S. 483 f.: * 6.7.1717 Leeuwarden, Schreiber einer Infanteriekompanie (1720), Bevollmächtigter auf dem Landtag und Musterungskommissar von Friesland, klerk ter secretarie (1749–57), commies (1757–74) und griffier der Admiralität zu Friesland (1774–79), †  9.2.1779 Harlingen; Vater: Frederick van Sloter­ dijck * 4.11.1681 Sneek, † 19.11.1767 Galemastate Koudum, Mutter: Aletta Margaretha de Bitter * 1.5.1685 Amsterdam, † 19.8.1718 Sneek. 252  Bourboom war von den friesischen Städten beauftragt, Sloterdijck hingegen vom Westergo. Unter den besuchten Orten waren neben den vorzustellenden Orten



XI. Exkurs103

Reen, Christiaen Coenen und Jan Fredrick Parvè.253 Über die Reise wurde ein Bericht angefertigt, aus dem sowohl die Amtsgeschäfte als auch das gesellschaftliche Leben rekonstruiert werden können.254 Am 17. Juni 1741 erreichten sie gegen 19 Uhr die Festung Leerort, wo sie mit Kanonenschüssen begrüßt wurden. Hier nahmen sie die Musterung zweier Kompanien des Regiments Oranje-Friesland vor, die unter dem Kommando der Kapitäne Hendrik Philip Muysson und Frederik de Drevon standen.255 Neben diesen beiden Kapitänen befanden sich noch vier Unteroffiziere in der Festung. Nach der Musterung tranken sie Tee in der Baracke von Muysson mit den Offizieren. Als erwähnenswert erschienen der Reisegruppe offensichtlich auch die alten Kanonen und deren Inschriften.256 Nach der Musterung gingen sie mit den Offizieren nach Leer zurück, wo sie ihr Quartier bezogen hatten und konsumierten dort noch etwas Wein, ehe die Offiziere um 21 Uhr wieder auf die Festung zurückkehrten.257 Am nächsten Tag, dem 18. Juni, reisten sie mit einer gemieteten Kutsche über Oldersum nach Emden. In Oldersum besuchten sie den Gottesdienst des Predigers Meier258 über den Bibelvers „Erlös uns von dem Bösen“.259 Sie sahen dort noch die alte Burg, auf der zu dieser Zeit ein Leutnant mit 16 Mann der kaiserlichen Truppen stationiert war.260 Danach fuhren sie nach Emden, wo sie sich bereits zuvor durch einen Boten hatten ankündigen lassen. Aufgrund des schlechten Wetters und der wohl miserablen Straßenverhältnisse gelangten sie erst um 17.30 Uhr in die „oude koopstad“. Ihre Herberge bezogen sie bei einem Herrn Hulsop in der Lookvenne. Über Leerort, Emden und Groningen noch die Provinz Gelderland sowie die Städte Venlo, Wesel, Kleve und Kop van Overijssel. 253  Leeuwarden, Tresoar, Familie Van Sloterdijck, Nr. 35 (nicht paginiert), [1]. 254  Seine Ankunft bemerkten auch die Amtmänner des Fürsten, Fridag von Gödens und Wenckebach. Aurich, StaA, Rep. 4, B IV e, Nr. 117, fol. 26r+v. 255  Vgl. Anhang: [14e] sowie [17n]. 256  In der Festung Leerort gab es etliche, nicht mehr funktionsfähige Kanonen. Ein Verzeichnis dieser Kanonen siehe für das Jahr 1726: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 757, angefertigt durch Pieter van Coesen, Grenadier in der Kompanie von Brunet de Rochebrune. Für das Jahr 1727: Leeuwarden, Tresoar, Familie Van der HaerArnoldi, Nr. 251. Für das Jahr 1731: Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 206. Ediert wurde die Auflistungen in: Herquet, Karl: Miscellen zur Geschichte Ostfrieslands, Norden 1883, Kap.: Die Fürstliche Rüstkammer, S. 114–132, hier: S. 127–131. 257  Eintrag vom 17. Juni 1741. 258  Remetius Meier, Pastor in Oldersum (1695–1745), gestorben 1745 ebd., siehe Reershemius, Peter Fridrich: Ostfriesländisches Prediger-Denkmahl, Aurich 1796, S. 619. 259  Mt., 6, 13. 260  Die kaiserlichen Truppen waren in der Burg in Oldersum im Zuge des Appellekriegs stationiert worden.

104

C. Die Stadt als militärischer Ort

Boten wurde der Besuch den Bürgermeistern bekannt gegeben, die daraufhin ihrerseits einen Boten schickten, um die Kommission zu begrüßen. Am nächsten Tag wurde die Musterung durchgeführt. Zu dieser Zeit befanden sich die Regimenter Oranje-Friesland und Oranje-Groningen in der Stadt, die beide exerzieren mussten. Zusammen mit dem Ratsherrn Petrus Suur, der gleichzeitig auch Kriegskommissar der Stadt war, ließen die Musterungskommissare die Regimenter auf zwei Plätzen in der Stadt aufstellen und anschließend über die Brücke vor dem Rathaus marschieren.261 Die acht Kompanien des Regiments Oranje-Friesland schritten anschließend zum Kirchhof der Gasthauskirche, wo sie kompanieweise gemustert wurden. Die Musterung dauerte von 9 bis 10.30 Uhr. Danach ging die Kommission zum Haus des Kommandanten Veldtman, wo sie mit dem Ratsherrn Suur und den Majoren van Haersolte und von Wartensleben sowie den Kapitänen van Starkenborg,262 van Schuilenborg und Veldtman, dem Sohn des Kommandanten, zusammen mehrmalig auf die Gesundheit tranken. Um 17 Uhr begaben sich die Kommissare nebst ihren Begleitern wieder zu ihrem Quartier, wo alle Offiziere des gemusterten Bataillons und der Major von Wartensleben aufwarteten. Die Herren Coenen, Reen und Parvè schritten anschließend zum Haus des Platzmajors Verruci und tranken dort mit dem Kapitän Beilanus Tee und rauchten Pfeifen. Anschließend spazierten sie noch durch die Stadt, bei deren Zustand sie aber bemerkten, dass die Häuser schlecht gestrichen seien. Danach besuchten sie die städtische Rüstkammer, in der offensichtlich Figuren durch „machines“ angetrieben, Säbel schwangen und auf Trommeln schlugen.263 Am folgenden Tag, dem 20. Juni, verließen sie nach einer Verabschiedung die Stadt auf dem Seeweg über Delfzijl nach Groningen, wo sie am 21. Juni ankamen. Hier musterten sie offensichtlich keine Truppen, sondern nahmen am gesellschaftlichen Leben der Stadt teil. So hörten sie Kinder aus dem Waisenhaus Psalmen singen, lauschten den Klängen der Stadtmusikanten und trafen sich mit dem Bürgermeister Keijser zum gemeinsamen Pfeiferauchen mit Teeausschank, ehe sie am 23. Juni wieder zurück nach Leeuwarden fuhren. 261  Siehe auch den Bericht von H. B. Fridag von Gödens sowie Wenckebach vom 20.6.1741. Aurich, StaA, Rep. 4, B IV e, Nr. 116, fol. 26r+v. 262  Unklar welcher: Es diente sowohl ein S. van Leens als auch S. van Tedema im Rgt. Oranje-Groningen zu dieser Zeit. 263  Die Stadt Emden verfügte über eine Rüstkammer, die ursprünglich zum Zweck der Verteidigung, also als Waffenarsenal angelegt worden war, sich jedoch später immer mehr zu einer Ausstellung von verschiedenen Kuriositäten wandelte. Bereits Uffenbach konnte bei seinem Aufenthalt in Emden im Jahr 1710 von diesen „unnöthige[n] Erfindungen“ berichten, mit denen die Figuren versehen worden waren, die die Rüstungen trugen. Uffenbach, S.  229 f. Allgemein: Siebern, Heinrich: Stadt Emden (Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover 15 und 16, VI. Regierungsbezirk Aurich, Heft 1 und 2), Hannover 1927, S. 129–137, bes. S. 130.



XII. Kirchliches Leben105

XII. Kirchliches Leben In allen drei Städten gab es nur jeweils eine (niederdeutsch-)reformierte Kirchengemeinde. Wenngleich sich zum Teil auch im Umfeld der Städte katholische und lutherische Gemeinden etablieren konnten oder Dörfer aufgrund ihrer Patrimonialherren beim alten Glauben blieben, war die Hauptkirchengemeinde in den Garnisonsorten stets reformiert.264 Insbesondere die Migranten, also Kaufleute und Militärs, ließen in den Städten die nicht-reformierten Gemeinden erstarken. Aufgrund der Zuwanderung aus Frankreich in Form der vertriebenen Hugenotten, die oftmals Offiziersposten bekleideten, entstanden in allen drei Städten französisch-reformierte Gemeinden. Da die Soldaten alle offiziell zur reformierten (Öffentlichkeits-)Kirche gehörten, gab es für die Regimenter auch keine speziellen Garnisonskirchengemeinden oder -prediger. Lediglich auf Festungen, wie beispielsweise Leerort, wurde eigens für die Garnison ein Prediger angestellt.265 Weil die Prediger nicht mit der Garnison assoziiert waren, konnten die Garnisonen keinen direkten Einfluss auf die Gottesdienste nehmen. Gesonderte Gottesdienst für das Militär konnten nur nach Bitten der Garnison abgehalten werden. Generell waren die Soldaten in die sonntäglichen Gottesdienste involviert. So mussten in Emden bei der Großen Kirche vier Mann als doppelte Schildwache bereitstehen und beim Herausgehen von Bürgermeister und Rat ihre Gewehre präsentieren.266 1731 trug der Stadtkommandant Veldtman beim Emder Magistrat die Bitte vor, einen Prediger der reformierten Gemeinde für die Garnison beauftragen zu können. Es sollte ein Gebetstag abgehalten werden, an dem Veldtman wünschte, dass die Soldaten ihre Arbeit ruhen ließen. Zwar lehnte ein Ratsmitglied das Begehren ab, jedoch entschieden sich die anderen Ratsmitglieder dazu, den Bettag am 28. Februar abhalten zu lassen.267 264  Siehe für Groningen: Jong, O. J. de: Kerkgeschiedenis, in: W. J. Formsma u. a. (Hgg.), Historie van Groningen. Stad en Land, 2. Aufl., Groningen 1981, S. 361–388, bes. S. 368–371 und 376 f.; Spanninga, Hotso: Om de vrije magistraatsbestelling. Machtsverhoudingen en politiek in Leeuwarden, in: René Kunst u. a. (Hgg.), Leeuwarden. 750–2000. Hoofdstad van Friesland, Franeker 1999, S. 128– 158, hier: S. 136–138. 265  Reershemius, S. 657. Nach dem Abzug 1744 kehrte der letzte Prediger Hermann Meier in die Niederlande zurück. 266  Den Haag, NA, SG, Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.9.1734, eingetroffen am 13. (geheimes Schreiben). 267  Ebd., Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 19.2.1731, eingetroffen am 24. (geheimes Schreiben).

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C. Die Stadt als militärischer Ort

Sieben Jahre später wünschte der Kommandant Veldtman eine niederdeutsche Predigt für die Angehörigen der niederländischen Garnison. Offensichtlich wurde zu dieser Zeit der Gottesdienst bereits vornehmlich auf Hochdeutsch abgehalten. Der hochdeutsche Gottesdienst musste dann auf einen anderen Tag ausweichen. Bei dem speziellen Gottesdienst in der Großen Kirche am 5. März 1738, der von Pastor Meinders268 gehalten worden war, waren alle Mitglieder der Garnison – außer denen, die Wache halten mussten – sowie etliche Einwohner anwesend. Inhalt der Predigt war Psalm 74, Vers 19.269 Veldtman überlegte, ob dem Pastor wegen der guten Predigt außerordentlich zu danken sei.270 Dass die Soldaten integraler Bestandteil der Kirchengemeinden waren, zeigt sich auch darin, dass sie auf den Friedhöfen der reformierten Gemeinden beigesetzt wurden. Der Soldat Regnier Janssen, der von seinem Kameraden Hinrich Schultens ermordet worden war, wurde mit militärischen Ehren auf dem Kirchhof der Großen Kirche in Emden beigesetzt. Die dazu abkommandierten Musketiere mussten ihm zu Ehren drei Mal schießen.271

XIII. Zusammenschau Anhand der Darstellung über die Garnisonsorte lässt sich festhalten, dass alle drei Garnisonen größtenteils ähnlich organisiert waren. Gravierende Unterschiede in der Organisation des Militärs in der Stadt, wie beispielsweise dem Wachdienst, ließen sich nicht feststellen. Lediglich die prozentuale Anzahl der Soldaten unterschied sich in geringem Maße. In Emden machten die Militärs in den 1720er Jahren wohl rund 12 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, in den beiden niederländischen Städten lagen die prozentualen Werte etwas niedriger. Hier gehörten höchstens 10 Prozent der Einwohner zum Militär. Die Anwesenheit des Militärs ließ spezielle Ausformungen entstehen. Dazu gehörte beispielweise die Befestigung der Städte in Form von Wällen. Diese sorgten für den Schutz nach außen vor militärischen Feinden. Sie trugen jedoch auch dazu bei, die Garnison innerhalb der Stadt zusammenzuhalten. Daneben gehörten Wachhäuser und Arsenale ebenso zu den Ge268  Eduard Mein(d)ers, 1691 in Emden geboren, 1723 nach Emden berufen, 1752 dort gestorben. Reershemius, S. 518. 269  „Gib nicht dem Raubtier preis das Leben deiner Taube, das Leben deiner Elenden vergiss nicht für immer“, Zürcher Bibel (3. Aufl.), Zürich 2009, S. 783. 270  Den Haag, NA, SG, Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.3.1738, eingetroffen am 11. 271  Aurich, StaA, Rep. 4, B IV e, Nr. 117, 60r+v, 19.7.1743. Bericht des Amtmanns von Gödens und Wenckebach an den Fürsten.



XIII. Zusammenschau107

bäuden, die aufgrund der Anwesenheit des Militärs errichtet und eingerichtet worden waren. Für die Unterbringung der Soldaten war in den Städten jedoch nicht speziell gesorgt worden. Die Soldaten mussten sich, wie es für Emden und Leeuwarden nachweisbar ist, selbst ihre Quartiere suchen und mit den Vermietern eigenständig Verträge schließen. Dieser Aspekt ist von besonderer Wichtigkeit für die im Kapitel F. folgende Untersuchung der Integration von Soldaten in den städtischen Alltag. Eine räumliche Distinktion zwischen den zivilen Einwohnern und den Militärs fand somit nicht statt. Eine öffentliche Distinktion ist jedoch vor allem beim Abhalten von Paraden und Wachdiensten zu sehen, bei denen das Militär dezidiert in die städtische Öffentlichkeit gebracht wurde und sich gegenüber den Einwohnern präsentieren sollte. Die Untersuchung ließ aufzeigen, dass es mitunter Konflikte zwischen der zivilen Obrigkeit und dem Militär im städtischen Raum gab. Deutlich zeigt sich dies in der Eidforderung des Magistrats in Emden. Militärs hatten sich offensichtlich dem städtischen Rat unterzuordnen und waren verpflichtet den nötigen Eid auf die Stadt zu leisten. In Groningen und Leeuwarden scheinen solche Konflikte nicht vorgekommen zu sein, obwohl die Präsenz des Militärs auch nicht grundsätzlich konfliktfrei ablief. In Leeuwarden entstand eine Auseinandersetzung zwischen dem Militär und dem städtischen Rat, weil die Servisgelder, die eigentlich für den Unterhalt der Soldaten sorgen sollten, zweckentfremdet ausgegeben worden waren, indem mit ihnen die Armen unterstützt wurden. Bemerkenswert ist sicherlich in dieser Hinsicht, dass in Emden keine Servisgelder an Soldaten ausgezahlt wurden und die Soldaten sich von ihren eigenen Gehältern zu versorgen hatten.272

272  In der Stadt Arnheim wurde den Soldaten Servisgelder ausgezahlt: Arnhem, GA, Oud archief Arnhem, Nr. 3506. Pro Monat betrug die Summe im Jahr 1726 277 Fl. 13 St.

D. Militär und Recht – Das militärische Gerichtswesen in Leeuwarden, Groningen und Emden I. Einführung Die Beschäftigung mit dem frühneuzeitlichen Militärjustizwesen ist bisher nur sporadisch erfolgt.1 Mag dies sicherlich der häufig eher lückenhaften Quellenüberlieferung geschuldet sein, verwundert es aber insofern doch, da, wie bereits Jutta Nowosadtko am Beispiel der Militärjurisdiktion des Stifts Münster feststellen konnte, „der eigene Gerichtsstand“ wohl „das wahrscheinlich auffälligste Merkmal der frühneuzeitlichen Militärbevölkerung“ bildete und schließlich zu einer „prinzipielle[n] Trennung zwischen militärischen und zivilen Personengruppen“ führte.2 Die bisherigen Forschungen beziehen sich jedoch gerade nicht auf diesen Aspekt.3 Das Trennende der Kriegsgerichte und somit das Spannungsfeld zwischen militärischer und 1  Nowosadtko, Jutta: Militärjustiz in der Frühen Neuzeit. Anmerkungen zu einem vernachlässigten Feld der historischen Kriminalitätsforschung, in: Heinz-Günther Borck (Hg.), „Unrecht und Recht – Kriminalität und Gesellschaft im Wandel von 1500–2000“. Gemeinsame Landesausstellung der rheinland-pfälzischen und saarländischen Archive. Wissenschaftlicher Begleitband (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 98), Koblenz 2002, S. 638–651, hier: S. 641 f. Zu den wenigen Werken, die sich mit dem Militärgerichtswesen auseinandersetzen, gehört für den schwedischen Rechtsbereich: Lorenz, Rad der Gewalt und Lorenz, Maren: Schwedisches Militär und seine Justiz. Einblicke in das Verhältnis von Rechtsnorm und Alltag in der Garnison Stralsund ca. 1650 bis 1700, in: Ivo Asmus/ Heiko Droste/Jens E. Olesen (Hgg.), Gemeinsame Bekannte. Schweden und Deutschland in der Frühen Neuzeit, Münster 2003, S. 419–439. 2  Nowosadtko, Jutta: Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert am Beispiel des Fürstbistums Münster, in: Sylvia Kesper-Biermann/Diethelm Klippe (Hgg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit. Soziale, rechtliche, philosophische und ­literarische Aspekte, Wiesbaden 2007, S. 115–140, hier: S. 115. 3  Dass die Trennung von militärischen und zivilen Rechtsbereichen ein Problem in der frühen Neuzeit darstellte, thematisierten für die Niederlande erstmals: Bakhuis, J.  W.  F./Idenburg, P. J.: Advies van de Juridische Faculteit van Franeker betreffende bevoegdheid van de Collegiën ter Admiraliteit in Commune delicten. 1782, in: Militair-Rechtelijk Tijdschrift 16 (1922), S. 32–51, hier besonders, die Einleitung (S. 32–34). Die Autoren stellten fest: „De vraag naar de grens van de bevoegdheid van den militairen rechter is steeds een groot geschilpunt geweest gedurende het bestaan van de Republiek der Vereenigde Nederlanden“ (S. 32).



I. Einführung109

ziviler Rechtsprechung wurde bisher nicht näher behandelt. Gerade die Betrachtung dieses Aspekts lässt Erkenntnisse erwarten, welche die jeweiligen Rollen von militärischer und ziviler Bevölkerung genauer klassifizieren können. Auf niederländischer Seite ist das militärische Rechtswesen ansatzweise, aber keineswegs umfassend untersucht worden. Mithin wurde zwar die Rolle des Hohen Kriegsrats thematisiert,4 aber eine Gesamtdarstellung des Militärrechts der Republik, besonders unter Einbezug der lokalen Kriegsgerichte, fehlt. Lediglich Marten Dorreboom leistete mit seiner 2000 erschienenen Dissertation einen Beitrag zum militärischen Strafrechtswesen für die Zeit von 1700 bis 1795.5 Für den Garnisonsort Leeuwarden ist eine Abhandlung zu nennen, die das Kriegsgericht in der Zeit von 1583 bis 1775 untersucht. Den Autoren ist zu verdanken, dass erstmalig eine Skizzierung der wesentlichen Merkmale des friesischen Kriegsgerichts vorliegt6 und dieses nicht nur als Behörde der frühneuzeitlichen Provinz Friesland kurz abgehandelt wird.7 Das folgende Kapitel setzt sich unter der Fragestellung nach der Distinktion militärischer und ziviler Rechtsbereiche mit den Kriegsgerichten in Leeuwarden, Groningen und Emden auseinander. Es erfolgt sowohl eine Beschreibung der jeweiligen Einrichtungen unter Betrachtung der Entwicklung, Funktion und der Arbeitsweise der Kriegsgerichte, als auch eine Thematisierung ihrer Rolle als Rechtsorgan des Militärs und damit ihrer Verortung in der städtischen Justiz. Es sollen dabei die jeweiligen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Kriegsgerichte herausgearbeitet werden. Die Wahl dieser drei Institutionen erfolgte aus dem Grund, dass das Gericht in Leeuwarden per se für die friesischen Regimenter und damit explizit auch für das zu untersuchende Regiment zuständig war. Die Städte Emden und Groningen waren besonders im 18. Jahrhundert Garnisonsstädte des statthalterlichen Regiments. Für Groningen und Leeuwarden hat die bisherige 4  Fockema Andreae, Sybrandus J.: De Nederlandse Staat onder de Republiek, Amsterdam 1985. 5  Zum Forschungsstand: Dorreboom, Marten Lodewijk: ‚Gelijk hij gecondemneert word mits deezen‘. Militaire strafrechtspleging bij het krijgsvolk te Lande, 1700–1795, Amsterdam 2000, insb. S. 3–5. 6  Bosch, A.G./Nienes, A. P. van: Het Krijgsgerecht der Friese en Nassause regimenten (circa 1583–1775), in: Pro Memorie 3.2 (2001), S. 233–251. Siehe auch den kürzeren Abschnitt in: Nienes, A.  P. van/Bruggeman, M. (Hgg.), Archieven, S. 439–441. 7  So bspw. bei Guibal, S. 57 f. oder Zijlstra, Samme: Het geleerde Friesland – een mythe? Universiteit en maatschappij in Friesland en Stad en Lande ca. 1380– 1650 (Fryske histoaryske rige 13; Fryske Akademy 817), Leeuwarden 1996, S. 240 sowie die Erwähnung bei Swart, Krijgsvolk, S. 133–137.

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D. Militär und Recht

Forschung schon Besonderheiten in Bezug auf das übrige militärische Rechtssystem in den Niederlanden attestiert,8 Emden erscheint unter der Betrachtung einer niederländischen Garnison im ‚Ausland‘ als gewinnbringend. Im Gegensatz zu den in den anderen Städten üblichen Garnisonskriegsräten handelte es sich bei den drei genannten Gerichten keineswegs um temporäre Einrichtungen,9 und auch der Hohe Kriegsrat, dessen Jurisdiktion sich auf die gesamte Republik erstreckte, spielte für die Bestrafung von Vergehen in diesen Städten keine Rolle.10 Die zumeist temporär einberufenen Garnisonskriegsräte der anderen Städte waren entstanden, nachdem Wilhelm I. von Oranien den Kapitänen die Jurisdiktion über die Soldaten übertragen hatte.11

II. Eckdaten: Instituierung und Auflösung 1. Leeuwarden Mit dem Kampf der Niederlande gegen Spanien wurden die Stände von Friesland zuständig für den Unterhalt ihrer Truppen. Zu dieser Verantwortlichkeit gehörte auch die militärische Justiz. Hieraus entstand das Kriegsgerichtswesen für die Provinz.12 Unklar ist jedoch, wann in Friesland das provinzielle Kriegsgericht als Institution errichtet wurde. Augenscheinlich ist es nach seiner Struktur eine Institutionalisierung der Landsknechtsgerichte.13 Kurz vor der Einrichtung des Kriegsgerichts war in den 1570er Jahren das Landsknechtswesen abgelöst worden. Aus Landsknechten wurden nunmehr Soldaten,14 ihr Mitspracherecht fiel weg und sie mussten sich in der disziplinierten und vor allem hierarchisierten Armee unterordnen.15 8  Vgl. Dorreboom, S.  62–66, sowie Bosch/van Nienes, S. 233. Ebenso bei: Swart, Erik: Van malefijtsrecht naar garnizoenskrijgsraden. De transformatie van de militaire rechtspraak in de Nederlanden in de tweede helft van de zestiende eeuw, in: Militair-rechtelijk tijdschrift 100 (2007), S. 317–327. 9  Vgl. Dorreboom, S. 61. 10  Grundsätzlich bestand aber eine Jurisdiktion des Hohen Kriegsrats, wenn das Regiment außerhalb der Provinz lag. Der Hohe Kriegsrat übte vor allem die Rechtsprechung im Feld aus. 11  Swart, Van malefijtsrecht, S. 326 f. 12  Bosch/van Nienes, S. 232. 13  Swart, Krijgsvolk, S. 133. 14  Swart, Erik: „From ‚Landsknecht‘ to ‚Soldier‘. The Low German foot soldiers of the Low Countries in the second half of the sixteenth century“, in: International Review of Social History 51 (2006) S. 75–92, hier: S. 92. Siehe auch: ’t Hart, S. 39–43. 15  Swart, Krijgsvolk, S. 75. Siehe für den deutschen Raum: Burschel, Peter: Zur Sozialgeschichte innermilitärischer Disziplinierung im 16. und 17. Jahrhundert, in:



II. Eckdaten: Instituierung und Auflösung111

Vermutlich hängt die Einrichtung jedoch auch mit dem Ausscheiden des Leutnant-Statthalters Bernard van Merode im Jahr 1583 und der Übernahme der Statthalterschaft durch Wilhelm Ludwig im darauffolgenden Jahr zusammen.16 Wilhelm Ludwig war zuvor mit seinen Truppen nach Friesland gekommen. Für diese Zeit konnten die Autoren Bosch und van Nienes in ihrer Abhandlung feststellen, dass durch die Stände von Friesland im Jahr 1583 zwei Kriegsräte namens Rienck van Cammingha und Hepcke Fockes ernannt worden waren. Zudem wurde im gleichen Jahr der amtierende Musterungskommissar als dritter Kriegsrat angestellt. Diesen Akt deuten Bosch und van Nienes als Begründung des Kriegsgerichts. Gegen diese Auffassung ist jedoch einzuwenden, dass die Ernennung von Kriegsräten als persönliche Amtsträger keinesfalls unmittelbar auf ein institutionalisiertes Kriegsgericht schließen lässt. Es kann jedoch konstatiert werden, dass das Kriegsgericht 1585 definitiv als Institution Bestand hatte. In diesem Jahr wurde an Hermannus Abeli der Vorsitz über das Kriegsgericht übertragen.17 Erst 1608 wurde das Gericht mit einer schriftlichen Ordnung versehen.18 Verschiedene Male wurde versucht das Kriegsgericht aufzulösen, was aber letztlich misslang, zumal die Initiativen nur von wenigen Personen ausgingen.19 Die Versuche in den Jahren 1670, 1672, 168920 und 1750 scheiterten. Die Stände der Provinz brachten für die Auflösung stets das Argument vor, dass die Personalkosten zu hoch seien.21 1672 war dem Ersuchen einiger Offiziere stattgegeben worden, das Kriegsgericht aufzulösen,22 jedoch wurde vermutlich aufgrund der bedrohlichen Situation des Rampjaars der Beschluss nicht durchgeführt.23 Letztlich wurde aber auch nie Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 42 (1994), S. 965–981, hier: S. 971 f. Zur Entwicklung des Landsknechtswesen. Siehe nunmehr: van Nimwegen, The transformation, S. 165 f.; vgl. ebenso: Reinhard, S. 355. 16  Vgl. Woltjer, J.  J.: In de leerschool der monarchie, in: J.  J. Kalma/J.  J. Spahr van der Hoek/K. de Vries (Hgg.), Geschiedenis van Friesland, Drachten 1968, S. 259–283, hier: S. 277. 17  Bosch/van Nienes, S. 234. 18  Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 203; Guibal, S. 57. 19  Bosch/van Nienes, S. 235. Siehe dazu die Resolution vom 30.3.1672. Nach dieser sollte das Kriegsgericht abgeschafft werden. Den Haag, NA, RvS, Nr. 1582, p. 173. 20  Verzeichnis der Resolutionen der Gedeputeerde Staten das Kriegsgericht betreffend, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 772, 15.4.1689. 21  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 776. 22  Vgl. Resolution vom 30.3.1672, in: Register der Resolutien en Placaaten van hun Edel Mogenden de Heeren Staaten van Friesland. Beginnende met het jaar 1570 en eindigende met 1780 ingesloten, Bd. I, Campen 1784, S. 388. 23  Verzeichnis der Resolutionen der Gedeputeerde Staten das Kriegsgericht betreffend, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 772, 19.4.1672.

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D. Militär und Recht

eine tragbare Alternative zum Gericht deutlich. Der Vorschlag von 1672 hätte allein die Offiziere mit der Justiz über Militärs beauftragt24 und damit die Ablösung des Gerichtsschulzen und der Assessoren gefordert. Am 24. Februar 1775 kam es schließlich zur Abschaffung des Kriegsgerichts.25 In Leeuwarden wurde nun ein finanziell günstigeres Garnisonskriegsgericht eingerichtet, das vor allem personell verkleinert worden war und keine Jurisdiktion über die Provinz hinaus genoss. Das Kriegsgericht wurde den Einrichtungen der anderen Provinzen angepasst.26 2. Groningen Über die genaue Aufrichtung des Kriegsgerichts in Groningen liegen keine Informationen vor. Aufgrund der Anstellung friesischer Amtsträger kann gemutmaßt werden, dass das Kriegsgericht schon im Jahr 1595 Bestand hatte und möglicherweise in diesem Jahr eingerichtet worden war. Der Gerichtsschulze Johannes von Lautenbach aus Leeuwarden wurde am 21. Juni zusätzlich mit der Bedienung des Kriegsgerichts in der Provinz Groningen beauftragt. Neben ihm versahen die Assessoren und der Profos aus Leeuwarden ihren Dienst in Groningen.27 Ein Jahr später, 1596, soll das Gericht bereits eigenständig geurteilt haben.28 Im Juli 1596 wurde mit ­Petrus Pappus van Tratzberg der erste eigene Gerichtsschulze angestellt. Es zeichnet sich ab, dass das Groninger Gericht nach Leeuwarder Vorbild konstituiert worden war. Vermutlich wurde es mit dem Anschluss der Provinz Groningen an die Union von Utrecht errichtet. Denn der bereits oben erwähnte friesische Statthalter Wilhelm Ludwig war der erste Statthalter in der Provinz Groningen nach der Rückführung im Jahr 1594. Zu vermuten ist zudem, dass er als versierter Militär wie auch schon in Leeuwarden die 24  Ebd., 13.4.1672. Dem Leutnant-Kolonel Poppo van Burmania wurde die Aufgabe übertragen, einige Offiziere zu zitieren und die Sitzung zu leiten. 25  Vgl. auch Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 510 (II), Briefkonzept an die Stände von Friesland, o. D. [nach 1775]; siehe ebenso: Resolution vom 24.2.1775, in: Register der Resolutien en Placaaten I (1784), S. 388. 26  Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 510 (II); Resolution vom 24.2.1775, in: Register der Resolutien en Placaaten I (1784), S. 388; Bosch/van ­Nienes, S. 236. 27  Deductie van de Hooft-Officieren en Capitainen. Ter Repartitie van Stadt en Lande. Den Edelen Mogenden Heeren Staaten dier Provintie. Overgegeven omtrent eenige gehoudene Crimineele Proceduiren. By het Civile Krygs-Gerighte binnen Groningen met de Stukken en Bewyzen toe behorende, [Groningen 1718], p. 562: Anhang: L.G. 21.6.1595, in: Groningen, GA, Krijgsgerecht en Krijgsraad, 1651– 1811, Nr. 1. 28  Swart, Krijgsvolk, S. 134 setzt den Beginn des Groninger Kriegsrats in das Jahr 1594, nachdem sich die Provinz Groningen der Union anschloss.



II. Eckdaten: Instituierung und Auflösung113

Notwendigkeit eines funktionierenden Kriegsgerichts erkannt hatte.29 Ein Ende fand das Gericht im Jahr 1749 mit der Neustrukturierung des Rechtswesens der Provinz. Ohne größere Aktennotiz zu hinterlassen, verschwand die Einrichtung.30 Vermutlich war das Gericht zu diesem Zeitpunkt nicht mehr aktiv.31 Ein genauer Zeitpunkt kann aufgrund der fehlenden Quellenüberlieferung nicht bestimmt werden. Nachfolgeinstitution war in Groningen ein Garnisonskriegsrat mit einem Auditeur Militair, wie dies auch in anderen Provinzen üblich war.32 Die Ämter des Gerichtsschulzen und der Assessoren wurden aufgelöst. 3. Emden Das Emder Kriegsgericht stammt aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls aus der Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Es wurde aufgrund der Einquartierung niederländischer Truppen errichtet. Zu vermuten ist, dass es unter friesischer Anleitung mit der Ernennung von Frederik van Vervou (1557–1621) zum Kommandanten der Stadt 1604 konstituiert wurde. Der erste nachweisbare Gerichtsschulze, Dr. Mello Brunsema, wurde 1604 vom friesischen Statthalter Wilhelm Ludwig angestellt. Brunsemas Nachfolger, Dr. Sixtus van Amama, versah zuvor bis 1605 das Assessorenamt am Leeu­ warder Kriegsgericht. Obschon sich aus der frühen Zeit kaum Nachweise in den Akten finden, zeigt dennoch ein Eintrag aus der Chronik des oben genannten Vervou, dass das Kriegsgericht im Jahr 1606 offensichtlich funk­ tionierte und somit Recht über Militärs sprach.33 Ursprünglich war das Kriegsgericht sowohl für die Verurteilung der generalstaatischen als auch landständischen Truppen zuständig, weshalb sich in dem in Emden ausgestellten Schriftgut in einigen Fällen die Bezeichnung des „Combinirten Militairen Kriegs-Gerichts“34 wiederfindet, während der Groenveld, Diez, S. 26 f. In einer Liste mit den öffentlichen Ämtern fehlen die des Kriegsgerichts, siehe: Groningen, GA, Hoge Justitiekamer en andere gewestelijke rechterlijke instellingen, 1444–1811, Nr. 756. Offiziell aufgelöst wurde das Gericht keineswegs. 31  Vgl. Register über die Urteile 1725–1748, in: Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1351. 32  Swart, Van malefijtsrecht, S. 325. 33  Der Stadtkommandant Fredrich van Vervou notierte für den 21.1.1606: „Den 21 isser een soldaet, onder ’t vendel van den Hopman Hanya leggende, de welcke sijne medegesel doot gestoocken hadde, binnen Emden, nae gegeuene sententie bij het Crijchsgericht, op nieuue marckt onhalset“, in: Provinciaal Friesch Genootschap (Hg.), Enige Gedenckvveerdige Geschiedenissen, tot narichtinge der Nakomelingen, sommarischer Wijze beschreven deur Jr. Fredrich van Vervov, Leeuwarden 1841, S. 203, Blz. 176. 34  Emden, StadA, I. Reg., Nr. 314, 31.10.1744 von A.C. Stoschius. 29  Vgl.

30  1751:

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D. Militär und Recht

niederländische Stadtkommandant Otto Georg Veldtman das Gericht bewusst als „onsen krijgsraedt“35 bezeichnete. Die Vertreter der niederländischen Garnison sahen es ausschließlich als eine niederländische Einrichtung an. Mit der Auflösung der landständischen Armee im Appelle-Krieg galt ab 1726 seine Zuständigkeit allein für die niederländischen Truppen. Aufgelöst wurde das Gericht im Jahr 1744, nachdem das Fürstentum Ostfriesland aufgrund des Todes des letzten männlichen Nachkommen der Cirksena gemäß der Emder Konvention an die preußische Krone gefallen war.

III. Institutionelle Grundlagen Maßgeblich für die Organisation der Kriegsgerichte waren die dazugehörigen Kriegsgerichtsordnungen. Allein die Ordnung für Groningen liegt in gedruckter Form vor, die Emder Ordnung besteht nur handschriftlich, die Leeuwarder Ordnung wurde erst später in Druckform gebracht. Zudem unterscheiden sich die Ordnungen hinsichtlich ihrer Entstehungszeit voneinander. Während die Leeuwarder Ordnung bereits 1608 verfasst worden war, stammte die erste Groninger Ordnung aus dem Jahr 1627, die Emder Ordnung hingegen aus dem Jahr 1697: Leeuwarden Instructie voor het Krijgsgerecht des Vrieschen Regiments, waar naar zich de Gerechts-Scholten, assessoren en Secretaris deszelven Krijgsgerechts zullen hebben te reguleeren, 23.12.1608, 31 Artikel.36 Groningen Ordonnantie, Op de Forme van procederen in civile ende criminale saecken, met den Taux voor Het Crijchs Gerecht binnen Groeningen, Groningen 1627, Umfang: 22 Seiten gedruckt, 36 Artikel ziviler Teil, 24 Artikel Strafrecht, Anhang über Gebühren; 1635: 27 Seiten, 43 Artikel ziviler Teil, 24 Artikel Strafrecht, Anhang über Gebühren. 35  Den Haag, NA, SG, Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 21.8.1744, eingetroffen am 29. 36  Überliefert als Druck in: Schwartzenberg en Hohelansberg, G.F. baron thoe (Hg.): Groot Placaat en Charterboek van Vriesland, Bd. 5, Leeuwarden 1793, S. 154–156 und Kemp, François Adriaan van der: Magazyn van Stukken tot de ­Militaire Jurisdictie betrekkelyk, Bd. 1, Utrecht 1783, S. 183–193. Handschriftlich in: Den Haag, KHA, Archief Willem Frederik, Nr. 301 und Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 773. Im Folgenden abgekürzt als LO für Leeuwarder Ordnung. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts (ca. Ende 1710er/Beginn 1720er Jahre) wurde eine revidierte und an einigen Stellen präzisierte Fassung entworfen, wobei unklar ist, ob diese in Gebrauch kam. Sie aktualisierte einige Artikel. Im Folgenden wird diese Ordnung hinzugezogen, wenn es für die Verständlichkeit nötig erscheint. Überliefert in: ­Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 773.



III. Institutionelle Grundlagen115 1700: 10 Seiten, 34 Artikel (1–14, 23–43; die Artikel 15–22 sind weggefallen), 24 Artikel Strafrecht, Anhang über Gebühren.37 Emden Reglement, wornach sich die sambtliche Gliederung des hiesiegen Krieges Rahts in Crimineel-, wie auch der Gerichts Schultz und Secretarius in Civil Sachen zu richten, 25.01.1697, 13 Artikel,38 allein handschriftlich überliefert im Ratsdiarium und der Registratur.39

Vor allem ist eine erhebliche Differenz im Umfang der jeweiligen Ordnungen zu erkennen. Die Leeuwarder Ordnung umfasste für die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit40 31 einzelne Punkte, die Emder Ordnung für beide Rechtsgebiete 13 Artikel. Die Groninger Ordnung (1627) ist mit 22 gedruckten Seiten und 36 Artikeln zum zivilen Prozess und 24 Artikeln zum Vorgehen in Straftatbeständen die umfangreichste, 1635 sind es sogar 43 Artikel im zivilrechtlichen Teil. Es liegt nahe, dass in Groningen die Gerichtsordnung in hohem Maße durch die beiden Gerichtsschulzen Petrus Pappus van Tratzberg und William MacDowell, die gleichzeitig studierte Juristen waren, beeinflusst, wenn nicht sogar von diesen verfasst wurde. Die beiden ersten Versionen erschienen in ihren jeweiligen Amtszeiten.41 Die Leeuwarder Ordnung wurde erst im Jahr 1608 aufgesetzt. Zuvor hatte es keine regulierende Ordnung gegeben.42 Am 24. Januar 1609 wurden die Assessoren und der Gerichtsschulze auf die neue Ordnung vereidigt.43 37  1627: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 734; 1635: Groningen, GA, Biblio­theek, Nr. 891.30, 1700: ebd., Nr. 873.34. 38  Die Emder Ordnung ist im Ratsdiarium nicht mit einzelnen Paragraphen versehen. Jedoch bietet sich die Struktur des Textes an, diesen in Punkte zu untergliedern. Daher stammt die Zahl 13. 39  Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 8, p. 345–354. Im Folgenden: EO (Emder Ordnung). 40  Obwohl nach einer generalstaatischen Resolution vom 25.3.1651 den Kriegsräten nur die Kompetenz über solche Verbrechen zugebilligt wurde, die das Militärrecht regelte, haben die meisten auch weiterhin solche Verfahren verhandelt, die nicht aus dem Militärrechtsgebiet stammten. Kemp, François Adriaan van der: ’t Gezag de Magt en de Grenzen der Militaire Rechtbank in de Vereenigde Nederlanden …, Bd. 3, Amsterdam 1792, S. 295 f. 41  Feith, Johan Adriaan: Crimineele Rechtspraak van gedeputeerde Staten van Stad en Lande, in: Bijdragen voor Vaderlandsche Geschiedenis en Oudheidkunde 4. Reihe, 1. Teil (1900), S. 175–205, hier: S. 186. 42  Verzeichnis von Resolutionen der Gedeputeerde Staten das Kriegsgericht betreffend, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 772, 30.6.1608. Die Herren van Burmania und Oosterzee sollten mit der Hilfe von Rechtsgelehrten eine „Instructie“ für das Kriegsgericht entwickeln. Die Ordnung sollte 1668 überarbeitet werden. Ebd.,13.3.1668. Ebenso wurde am 8.2.1693 der Auftrag gegeben, die Ordnung zu überarbeiten. Ebd., 8.2.1693. 43  Verzeichnis von Resolutionen der Gedeputeerde Staten das Kriegsgericht betreffend, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 772, 24.1.1609.

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D. Militär und Recht

Bei den Ordnungen ist zum Teil unklar, ob und in welcher Form es frühere Versionen gegeben hat. Daher sind die Ursachen, weshalb die Ordnungen aufgesetzt wurden, weitestgehend unklar. Im einleitenden ersten Paragraphen der Emder Ordnung wird als Ursache angegeben, dass die alte Ordnung nicht mehr „practiciret“ worden sei. Somit sei die neue Ordnung „zu vermeidung aller streitigkeiten und mißverständnußen“ notwendig gewesen.44 Die Groninger Ordnung nennt als Ursache „abuysen“, also bisherige Irrtümer oder gar Missbräuche.45 Gleichwohl beide Formulierungen sehr allgemein klingen, ist vermutlich der Bedarf nach Präzisierung und formulierter Rechtssicherheit als wichtiges Merkmal anzusehen. Die Ordnungen waren jedoch nicht allein ausschlaggebend für den Prozess und den Verlauf. Spätere Vereinbarungen zeugen davon, dass die Praxis von den Vorschriften abwich.46 Wichtig bleibt zu konstatieren, dass die Kriegsgerichte in allen drei Städten durch ihre eigenen Ordnungen normativ exkludiert waren und sich somit ihr Aufbau von der zivilen Rechtsprechung unterschied.

IV. Überlieferung der Bestände der Kriegsgerichte Alle drei Kriegsgerichte führten Protokolle über ihre Tätigkeiten. In Leeu­warden sind die Protokollbücher über die Urteile in großem Umfang überliefert.47 Einzelakten finden sich darüber hinaus in der Registratur der Statthalter. Ebenso sind auch einzelne Stücke im Archiv des statthalterlichen Sekretariats in Den Haag vorhanden, die vermutlich bei der Verlegung des Hofs mitgenommen worden waren.48 Jedoch galten im 18. Jahrhundert die Papiere des Kriegsgerichts als „seer defecteus en confuis“.49 Anfänglich scheinen die Bücher bei den jeweiligen Amtsträgern gelagert worden zu sein, denn nachdem der Sekretär Hans Urbanus im Jahr 1602 entlassen worden war, mussten die Bücher mehrmals angefordert werden.50 Generell waren der Gerichtsschulze und die Assessoren für die Archivierung der Dokumente verantwortlich.51 44  Zitate stammen aus dem Ratsdiarium des Emder Magistrats. Emden, StadA, Prot.-Reg. IV., Nr. 8, p. 345. 45  GO, Einleitung. 46  Vgl. Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 779. Hier wird darauf Bezug genommen, dass die Prozessordnung in Leeuwarden nicht mehr gänzlich praktiziert wird. 47  Siehe dazu das Aktenverzeichnis: van Nienes/Bruggeman, passim. 48  Bosch/van Nienes, S. 235, 248. 49  Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 204, März 1741. 50  Verzeichnis von Resolutionen der Gedeputeerde Staten das Kriegsgericht betreffend, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 772, 29.11.1602 und 23.12.1602. 51  Ebd., 8.3.1673.



IV. Überlieferung der Bestände der Kriegsgerichte117

In Emden zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Hier sind einerseits die Protokollbücher überliefert, andererseits lose Blattsammlungen, vor allem Gerichtsprotokolle aus der Zeit des 18. Jahrhunderts. Der Bestand ist allerdings sehr vermischt mit Akten der bürgerlichen Kriegskammer,52 die älteren Dokumente entstammen fast ausschließlich diesem bürgerlichen Gremium. Aufbewahrt wurden die Protokolle der Strafgerichtsprozesse beim Gerichtsschulzen, die der zivilen Verhandlungen hingegen beim Sekretär.53 Die Akten sind zum Teil schon spätestens im 18. Jahrhundert verloren gegangen, denn 1744 berichtete der Stadtkommandant Veldtman, dass es sich bei dem Bestand nur noch um einige wenige Bände handle.54 Unklar ist, inwiefern die Akten vollständig sind, beziehungsweise welche Dokumente die Niederländer 1744 mitgenommen haben. Der Stadtkommandant beanspruchte bei Aufgabe der Garnison die Mitnahme aller Dokumente des Kriegsgerichts.55 Letztlich scheint aber eine Einigung dahingehend erzielt worden zu sein, dass die Dokumente in Emden verblieben und die Niederländer bei Bedarf sofort kostenlose Abschriften bekommen konnten.56 Das Groninger Kriegsgerichtsarchiv muss als verloren gelten. Der heutige Bestand ist verschwindend gering, lediglich fünf Aktenstücke sind überliefert. Bei diesen Dokumenten ist darüber hinaus nicht sicher, ob sie überhaupt aus der Verwaltung des Kriegsgerichts stammen, oder aufgrund ihrer inhaltlichen Nähe diesem Bestand zugefügt wurden.57 Vermutlich waren schon im 18. Jahrhundert die meisten Stücke verloren gegangen, denn als Frederik Willem Meijers 1735 eine Ansammlung von Urteilen für den Statthalter Wilhelm Karl Heinrich Friso anzufertigen beabsichtigte, konnte er auf das Groninger Material nur begrenzt zurückgreifen.58 Ob dies auch ein Indiz dafür ist, dass das Kriegsgericht nur noch eingeschränkt funktionierte, muss dahingestellt bleiben. Aus dem Briefverkehr zwischen dem Kriegsgerichts52  Vgl. hierzu die Überlieferung in der Protokollregistratur des Stadtarchivs und der ersten Registratur. Uphoff, Rolf (Bearb.): Emden. 1490–1749. Quelleninventar der I. Registratur des Stadtarchivs Emden, Bd. 1, I (Schriftenreihe des Stadtarchivs Emden, Bd. 1/I; Inventare und kleinere Schriften des niedersächsischen Landesarchivs, Staatsarchiv Aurich, Heft 18), Oldenburg 2006, S. 292–319. 53  EO Art. 3, Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 8, p. 346. 54  Den Haag, NA, SG, Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 21.8.1744, eingetroffen am 29. 55  Ebd. 56  Emden, StadA, I. Reg., Nr. 318, 2.11.1744 von Bürgermeister und Rat, ausgestellt von A.C. Stoschius, sowie ein Schreiben vom 2.11.1744 (11 Uhr), ausgestellt von J. T. Hesslingh. 57  Siehe dazu: Groningen, GA, Krijgsgerecht en Krijgsraad, 1651–1811, „Inleiding“ im Findbuch. 58  Siehe die Sammlung, die von Frederik Willem Meijers angelegt wurde, in: Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 1452 und 1453.

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D. Militär und Recht

schulzen MacDowell und dem statthalterlichen Hof geht hervor, dass in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts das Kriegsgericht regelmäßig tagte.59

V. Gesetzliche Grundlagen Als gesetzliche Grundlage für die zu fällenden Urteile diente der niederländische Artikelbrief, der bereits 1572 erstmalig herausgegeben worden war.60 1590 war ein neuer entworfen worden, der 1705 in einer überarbeiteten Fassung publiziert wurde, die jedoch nur wenige Veränderungen aufwies.61 Die Gerichtsordnungen in Groningen und Emden benennen den Artikelbrief explizit als ihre Grundlage62 und aus den Protokollen der Kriegsräte wird ersichtlich, dass dieser tatsächlich für Urteilssprüche herangezogen wurde.63 Der Inhalt des Briefs sollte allerdings allen Militärs bekannt sein, denn bei der Annahme der Soldaten war er binnen 24 Stunden zu verlesen.64 Fraglich ist, ob die Soldaten beim Verlesen den Inhalt erfassen konnten.65 Neben diesem rein normativen Werk wurden noch weitere Schriftwerke hinzugezogen. Dabei standen besonders die juristischen Kommentare zum Artikelbrief im Vordergrund, die die Artikel interpretierten und Ratschläge zur Urteilsfindung gaben. Hier sind die Werke der Juristen ­Petrus Pappus van Tratzberg66 und Gerhard Feltman67 zu nennen: 59  Den

Haag, KHA, Archiv Ernst Casimir, Nr. 404. S. 5; Vgl. ebenso: Rollin Couquerque, Louis Marie: Legerbestuur ten tijde van de Republiek der Verenigde Nederlanden, in: Rechtsgeleerd magazijn Themis. Tijdschrift voor publiek- en privaatrecht (1949), S. 67–163, hier: S. 125. Ders.: Oude Strafwetgeving voor ons Krijgsvolk te lande, in: Militair rechtelijke tijdschrift 38 (1942/43), S. 91–182, 375–380. Hier findet sich eine Auflistung verschiedener Artikelbriefe. 61  Dorreboom, S. 50. Rollin Couquerque, Legerbestuur, S. 126  f., ders., Oude Strafwetgeving, S. 96 f. Die Artikelbriefe wurden am 13.8.1590 und am 9.5.1705 herausgegeben. Der Artikelbrief von 1705 blieb bis 1799 gültig. 62  GO, zweiter Teil  [criminele saken], Art. V.; EO Art. II. In der Emder Ordnung wird jedoch nicht explizit auf den niederländischen Artikelbrief hingewiesen. 63  Vgl. dazu die Akten des Emder Kriegsrats, in denen in der Zeit nach 1723 die meisten Urteile mit entsprechenden Artikeln des niederländischen Artikelbriefs begründet wurden. Vgl. Emden, StadA, I. Reg. Für Groningen siehe dazu die Approbation der Urteile durch die Stände, die stets auf den Artikelbrief Bezug nehmen. Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1351. 64  Rollin Couquerque, Legerbestuur, S. 127. Innerhalb von 72 Stunden laut den „Ordres voor het Regiment van zyne Hoogheit, den Heere Prinsse van Orangjen en Nassau ter Repartitie van de Provincie van Stadt en Landt (1725)“, p. 10, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 682. Alle sechs Wochen war er erneut zu verlesen. 65  Vgl. Lorenz, Rad der Gewalt, S. 129. 66  Petrus Pappus van Tratzberg, geboren 1564 in Lindau in Bayern, Sohn des dortigen Bürgermeisters Hieronymus Pappus, gestorben am 9.5.1628, beigesetzt in 60  Dorreboom,



V. Gesetzliche Grundlagen119 Tratzberg, Peter Pappus van: Articul-Brief. Waer by eenighe annotation ghevoe­ ghet zijn, Groningen 1603,68 Arnhem 1614,69 Groningen 1636, Groningen 1664,70 Groningen 1681. 67

Das Rechtswesen soll aufgrund der Schrift von van Tratzberg wesentlich genauer abgelaufen sein.71 Feltman, Gerhard: Aanmerkingen over den Articulbrief, ofte Ordonnantie op de discipline militaire, Groningen 1676 sowie Gerh. Feltmans Aenmerckingen over den Articulbrief ofte Ordonnantie op de Discipline Militaire …, ’s-Gravenhage 1690, ’s-Gravenhage 1716.

Eine Hilfe zur Findung und Formulierung der Urteile bildete vor allem das Werk von Anthoni van Dalen, der eine umfangreiche Sammlung von Kriegsgerichtsurteilen herausgegeben hatte. Dalen, Anthoni van: Recueil, Van de Notabelste Besoignes Ende Resolutien, Die in den Krygsraede deser Landen voorgevallen, ende genomen zijn, sedert den 3. Martii 1597, ’s-Gravenhage 1669, ’s-Gravenhage 1675,72 ’s-Gravenhage 1724.

Die tatsächliche Nutzung der Werke in der juristischen Praxis kann angenommen werden. Wie aus dem Vorwort des Kommentars von van Tratzberg hervorgeht, war dieser „voor de Kriegs-Officieren“ und keinesfalls „voor Hoogh-Gheleerde Doctoren, die van sick selfs sulcx beter weten“ geschrieben worden.73 Ein anderes deutliches Indiz dafür ist im Nachlass des Kapitäns Petrus Bernhard von Cotzhausen zu finden. Dieser war am 8. Februar 1738 in Emden gestorben und über seine Hinterlassenschaften wurde ein Inventar angelegt. In diesem Inventar wurden die Bücher aufgelistet, die er in einem Koffer mit sich geführt hatte. Vermutlich hatte von Cotzhausen in seine temporäre Bleibe in Emden nur solche Bücher mitgenommen, die er der Martinikirche in Groningen. Er stand vorerst in spanischen Kriegsdiensten, war zeitweilig Kommandant von Groningen und Uniquitarier. Von 1596 bis 1628 Kriegsgerichtsschulze in Groningen. Boeles, W.B.S.: Petrus Pappus van Tratzberg, in: Bijdragen tot de Geschiedenis en Oudheidkunde, inzonderheid van de provincie ­ Groningen 4 (1867), S. 57–64. 67  Gerhard Feltman, geboren 1637 in Kleve, gestorben 1696 in Bremen, promoviert in Orléans, war von 1667 bis 1678 Professor an der Universität Groningen. Er verließ die Universität 1678, um in Aurich einen Sitz am fürstlichen Hof einzunehmen. Wumkes, G. A.: Art. Feltman (Gerhardus), in: NNBW 9 (1933), S. 253 f. 68  Groningen, GA, Bibliotheek, Nr. 873.34. 69  http://digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11068506_00005.html. 70  http://google.com.au/books?id=1jtHAAAAcAAJ. 71  Feith, Crimineele Rechtspraak, S. 186. 72  http://google.de/books?id=z11EAAAAcAAJ. 73  Siehe dazu den Abschnitt: „Den Autheur tot den Leeser“, in: van Tratzberg, Articul-Brief, Groningen 1664, o. p., in: http://books.google.com.au/books?id=1jtHA AAAcAAJ.

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D. Militär und Recht

auch tatsächlich benötigte. Unter diesen fand sich der Kommentar von Gerhard Feltman sowie das Werk von van Dalen.74 Über die Rechtswerke hinaus sind Plakate maßgeblich für die Urteilsfindung gewesen. Diese wurden von den Statthaltern, den Ständen der jeweiligen Provinzen sowie den Generalstaaten und dem Raad van State herausgegeben. Diese müssen als Ergänzung zur geltenden Rechtsnorm angesehen werden.75 Als Argumentationshilfe dienten daneben nichtmilitärische Rechtswerke. Zu diesen gehört beispielsweise das Werk von Jacob Bouricius. Auch das im gesamten Europa anerkannte Rechtsbuch von Benedikt Carpzow war weit verbreitet.76

VI. Aufbau und personelle Besetzung 1. Leeuwarden Das Kriegsgericht setzte sich in Leeuwarden aus einem von den Ständen der Provinz ernannten Gerichtsschulzen, zwei ebenso von den Ständen bestallten Assessoren77 und einer jeweils hinzu gerufenen Anzahl von Offizieren zusammen.78 Ein Sekretär führte das Protokoll.79 Daneben findet 74  Emden,

StadA, I. Reg., Nr. 891, 24.3.1738, Nr. 54 und 55. Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1399 „Ex­tract uit het Register van de besoignes der Heeren Gecomden. tot de secrete en militaire saken“, Punkt 11. Hier wird ausdrücklich erwähnt, dass bei den Duellen die Plakate und Ordnungen des Landes heranzuziehen sind. Auch im Artikelbrief heißt es im Art. 71: „Alle andere misusen ende delicten niet gespecificert / in dese Ordonnantie / sullen gestraft worden / volgende die dispositie van de Placcaten / Rechten / ende Costumen van der Oorloghe.“ Van Tratzberg sieht in seinem Kommentar sogar die Peinliche Halsgerichtsordnung von Kaiser Karl V. (Carolina) als Grundlage an, auch wenn sich die Nutzung nicht nachweisen lässt, in: van Tratzberg, Articul-Brief, Groningen 1603, S. 97. Die Carolina wurde, wie die rechtshistorische Forschung herausstellen konnte, in den Niederlanden so gut wie nie verwendet, vgl. Spierenburg, Pieter: The Practice of Criminical Justice in the Early Modern Period. Reflections on the Dutch Case in the European Context, in: Harriet Rudolph/Helga SchnabelSchüle (Hgg.), Justiz = Justice = Justicia. Rahmenbedingungen von Strafjustiz im frühneuzeitlichen Europa, Trier 2003, S. 196–209, hier: S. 206 f. 76  Siehe die Schrift: Jacobi Bouricii, I.C. Frisii Captivus Sive Enchiridion Defensionum, Colberg 1664. Belegt in: Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1351: Urteil gegen Johannes Ariens, 13.3.1727. Daneben werden noch drei nicht näher zu klassifizierende Rechtsbücher von Tiraquellus (i. e. André Tiraqueau), Boterus und Theodosius erwähnt. Carpzow wurde stark in den Niederlanden rezipiert. Spierenburg, S. 207. 77  Beisitzer. 78  Bosch/van Nienes, S. 240. 79  Vermutlich bestand dieses Amt noch nicht bei der Aufrichtung im Jahr 1608. 75  Vgl.



VI. Aufbau und personelle Besetzung121

sich noch ein von den Gedeputeerde Staten ernannter Profos und ebenso von den Ständen eingesetzter Gerichtsweibel. Unterstützt wurde der Profos durch einen vom Kriegsrat ernannten Leutnant-Gewaldigen und Hellebardiers, denen wiederum Stokkelknechten80 zur Seite standen.81 Sowohl der Gerichtsschulze als auch die Assessoren waren studierte Juristen.82 Gerichtsschulze und Assessoren bereiteten das Verfahren vor. Die Assessoren verfassten und unterschrieben die Anklageschrift.83 Durch Abstimmung wurden die Urteile gefunden. Bei der Urteilsfindung waren der Gerichtsschulze und der Sekretär nicht stimmberechtigt. Ein Recht zur Abstimmung genossen bei Strafrechtsverfahren allein die Assessoren und die Offiziere, bei zivilrechtlichen Verfahren hingegen auch der Gerichtsschulze, wobei in solchen Verfahren keine Offiziere in das Kriegsgericht berufen wurden.84 Bei den Prozessen gegen Soldaten aus der Garde du Corps85 befanden sich neben den Assessoren nur Offiziere aus diesem Truppenteil im Kriegsrat.86 Nicht mit Sicherheit ist festzustellen, seit wann die jeweiligen Ämter bestanden. So schreibt Cornelis Guibal in seinem Werk, dass die Assessoren nach 1600 zum Kriegsgericht hinzugefügt worden seien. Er stützt seine Auffassung auf ein Ersuchen, diese zu ernennen, das von den Ständen der Provinz abgelehnt wurde.87 Auch der Zeitgenosse Bernardus Gerbrandi Furmerius (1542–1616) schilderte in seinem Diarium, dass nach der Wahl von Laurenz de Veno zum Präsidenten des Kriegsgerichts im Jahr 1605 der Statthalter Wilhelm Ludwig zwei Assessoren hinzugefügt hätte.88 Die beiden Assessoren, die Doctores Eiso Lycklama und Martinus Martinides, 80  Zur Genese des Begriffes siehe: Angstermann, Else: Der Henker in der Volksmeinung. Seine Namen und sein Vorkommen in der mündlichen Volksüberlieferung, Bonn 1928, S. 58–60. Ein Stokkelknecht ist ein Gefängnisaufseher bzw. ein Gehilfe bei der Umsetzung des Strafvollzugs. 81  Bosch/van Nienes, S. 240 f.; Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 774, Resolution der Stände Frieslands vom 5.9.1727. 82  Bei der Nachfolge des Schulzen Wibrandus Heems wurde betont, dass der potentielle Kandidat ein studierter Jurist zu sein hat. Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 173.29, Brief: Nr. 969 von P.H. Petraeus an den Statthalter vom 17.10.1736. 83  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 792. 84  LO Art. 4 und 11. 85  Leibwache des Statthalters. 86  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 15, p. 237–239, 19.12.1744. Diese Praxis wird als „oud gebruik“ begründet. 87  Guibal, S. 58. 88  Die Textstelle lautet: „addidit […] duos assessores“, siehe: Diarium Furmerii. Dagboek van Bernardus Gerbrandi Furmerius 1603–1615. Landsgeschiedschrijver van Friesland, hg. von D.W. Kok und O. Hellinga, Leeuwarden 2006, S. 42/43.

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D. Militär und Recht

seien aus sechs Anwesenden per Los gewählt worden.89 Sie ersetzten die vorherigen Assessoren de Veno und van Amama, letzterer war Gerichtsschulze in Emden geworden.90 Über deren Ernennungen liegen keine Unterlagen vor, jedoch war bereits am 6. März 1596 in einer Resolution der Stände angeordnet worden, dass die Assessoren in die Provinz zu ziehen hätten. Auch der spätere Kriegsgerichtsschulze Nicolaas Arnoldi konnte Mitte des 18. Jahrhunderts aus alten, heute vermutlich verlorenen Akten, die Namen einiger früherer Assessoren rekonstruieren.91 Somit lässt sich festhalten, dass Assessoren mit Sicherheit bereits im Jahr 1596 am Kriegsgericht agierten. Die in den Rat berufenen Offiziere stammten aus den in Leeuwarden garnisonierten Regimentern. Die Offiziere wurden benachrichtigt und mussten sich an dem ausgeschriebenen Rechtstag einfinden. Verstöße wie Zuspätkommen oder Fernbleiben wurden mit Geldbußen geahndet.92 In einer am 2. Juni 172493 erschienenen Resolution wurde festgelegt, wie hoch die Anzahl der einzuberufenen Offiziere bei den Versammlungen sein sollte. Bei schweren Verbrechen waren neun Offiziere, bei minderen hingegen nur sieben zu beordern.94 Unter den neun sollten sich neben dem als Präsident agierenden hohen Offizier, drei Kapitäne oder Rittmeister, drei Leutnants der Infanterie oder Kavallerie sowie zwei Fähnriche oder Kornetts befinden. Bei minderschweren Verbrechen sollten neben dem Präsidenten zwei Kapitäne oder Rittmeister, zwei Leutnants, zwei Fähnriche oder Kornetts in den Kriegsrat berufen werden.95 Zu den kleineren Verbrechen gehörten die Abwesenheit 89  Diarium

Furmerii, S. 42/43. der Resolutionen der Gedeputeerde Staten das Kriegsgericht betreffend, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 772, 26.3.1605. 91  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 774. Er benennt sechs frühere Assessoren. 92  Verzeichnis von Resolutionen der Gedeputeerde Staten das Kriegsgericht betreffend, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 772, 7.4.1647, 29.9.1666. Diese Bußen von 100 Karolusgulden wurden zu je einem Drittel an das Land, die Diakonie in Leeuwarden und das Kriegsgericht verteilt. 93  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 773. 94  Vgl. die Einträge in den Protokollbüchern: Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 15 und die in der Akte ebd., SHA, Nr. 792 überlieferten Abstimmungszettel: Bei dem Prozess gegen Jan Coenrats aus der Komp. van Idsinga unter dem Rgt. Vegelin van Claerbergen saßen neun Offiziere und zwei Assessoren im Kriegsgericht. 95  Für den Fall, dass gegen Soldaten der Artillerie verhandelt wurde, war die Wertigkeit der Ränge bestimmt worden: Kapt. Artillerie wie Kapt. Infanterie; Kapt. Leutnant Artillerie wie Kapt. Leutnant Infanterie; Premier Leutnant Artillerie wie der ordentliche Leutnant Infanterie; Ordinaris Meester Vuurwerker wie der jüngste ordentliche Leutnant; extraordinaris Meester Vuurwerker und Unterleutnant wie ein ordinärer Fähnrich, Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 778, 4.5.1730. 90  Verzeichnis



VI. Aufbau und personelle Besetzung123

von der Garnison ohne Erlaubnis, Trunkenheit, Dissolution96 und alle anderen Vergehen, die gewöhnlich mit Spießrutenlaufen, dem Sitzen auf dem hölzernen Pferd, dem Tragen von Musketen, Snaphanen und Sätteln und dem Sitzen bei Wasser und Brot beim Profos bestraft wurden. Kleinere Vergehen, wofür es höchstens eine Regimentsstrafe gab, konnten von den Offizieren selbst ­ohne Anrufung des Gerichts, bestraft werden.97 Nach der 1608 formulierten Ordnung saß der Gerichtsschulze dem Kriegsrat vor, doch bereits vor 1651 hatte dieser die Präsidentschaft zu Gunsten eines hohen Offiziers abtreten müssen.98 Dem Gerichtsschulzen war jedoch die Möglichkeit zugestanden worden, einen Präsidenten zu benennen, wenn das Kollegium der Ständeversammlung abwesend war.99 Dem Schulzen war ein Rang ebenbürtig zu den Offizieren zugewiesen worden.100 Die Frage nach der Präsidentschaft scheint stets ein Diskussionspunkt gewesen zu sein. 1707 setzen sechs Advokaten des Hofs von Friesland101 eine 96  Zügellosigkeit.

97  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 773: Memoriaschreiben II, 1750; Bosch/van Nienes, S. 243. Bereits 1651 wurde in der Provinz Gelderland beschlossen, dass den dortigen Kriegsräten nur Verbrechen bzw. Vergehen wie Nachlässigkeit und Übertreten von Wachen, Übergang zum Feind bzw. in eine andere Kompanie, Desertion, Teilnahme an Exzessen und Delikten, die sowohl von Offizieren als auch von den Soldaten begangen wurden, übertragen werden sollten. Andere Dinge sollten vor dem politischen, also zivilen Richter verhandelt werden. Siehe: Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 510, 25.3.1651. Ebenso sei auf den Fall des Sergeanten Albartus Eeckhoff hingewiesen, der den Korporal Albert Hasecamp aufgrund Ungehorsams gezüchtigt hatte, woraufhin Hasecamp verstarb. Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 14, Sept. 1709, p. 1–6. Es kommt auch im Leeuwarder Kriegsgericht das Reglement für die kleineren Vergehen vom 24.2.1647 zu tragen, abgedruckt in: Dorreboom, S. 328–335. Die unmittelbaren Bestrafungen durch die Offiziere stießen jedoch mitunter auf Protest der Angehörigen, siehe dazu den Fall in Leeuwarden aus dem Jahr 1705, in dem sich die Ehefrau eines Soldaten mit anderen Frauen über die Bestrafung ihres Ehemannes beschwerte, was letztlich zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung in den Straßen führte, wo auch eine Gruppe von „jongens“ beteiligt war. Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 2629, p. 415–420. Zum Teil konnten diese kleineren Strafen auch ausgehandelt werden, vgl. Kapitel F. XIV. 5. 98  1651 wurde der Offizier Poppo van Burmania als Präsident genannt. Siehe dazu: Bosch/van Nienes, S. 239. Bei den Garde du Corps wurde am 12.2.1697 bekräftigt, dass der kommandierende Offizier im Kriegsrat den Vorsitz genieße. Resolution der Gedeputeerde Staten von Friesland, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 669, Abschrift Frederik Willem Meijers, p. 360 f. 99  Resolution der Stände von Friesland vom 17.4.1697, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 774. 100  Verzeichnis von Resolutionen der Gedeputeerde Staten das Kriegsgericht betreffend, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 772, 12.2.1697. 101  Der Hof von Friesland war die höchste rechtliche Verwaltungseinheit in der Provinz. Siehe ausführlicher Kapitel D. VII.

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D. Militär und Recht

Schrift auf, in der sie darstellten, dass der Gerichtsschulze aufgrund seiner Kompetenzen Präsident des Kriegsgerichts sein müsste.102 Es wurden aber trotz des Protests keine Änderungen vorgenommen. Nachdem der Gerichtsschulze Nicolaas Arnoldi 1758 aus dem Amt geschieden war,103 wurde der Gerichtsschulze wieder Präsident des Gerichts. Sein Nachfolger Tjallingh Douwe van Sixma wurde stets als Gerichtsschulze und Präsident betitelt.104 Aufgelöst wurde das Amt offensichtlich im Jahr 1770, nach diesem Jahr werden in den Protokollen keine Gerichtsschulzen mehr erwähnt, die Präsidentschaft ging wieder an einen hohen Offizier über.105 Ebenso findet sich häufig nur ein Assessor.106 Dies zeigt offensichtlich, dass obwohl dem Schulzenamt mit Tjallingh van Sixma die Präsidentschaft wieder übertragen worden war, insgesamt der Einfluss der Amtsträger, die nicht aus dem Militär stammten, zurückging. Im Jahr 1758 war zudem eine Neuordnung des Kriegsgerichts in Leeuwarden angedacht worden. Offensichtlich war zu dieser Zeit deutlich geworden, dass der Kriegsrat in seiner speziellen friesischen Form nicht mehr der allgemeinen Entwicklung des Militärrechtswesens in den Niederlanden entsprach. Bereits im Jahr 1748 war durch Wilhelm IV. beschlossen worden, alle zivilrechtlichen Vergehen beziehungsweise strafrechtlichen Verbrechen von Militärs vor den Kriegsräten zu verhandeln.107 Diese Anordnung hatte bei den Juristen des Hofs von Friesland Protest ausgelöst.108 Obwohl aus dem Schreiben nicht klar hervorgeht, aus welcher Feder der Protest stammte, kann davon ausgegangen werden, dass die Kritik sicherlich ein Bestreben friesischer Politiker darstellte, deren Interesse in der Stärkung der eigenen Institutionen lag.109 102  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 774, Scriptum vom 28.12.1707. Unterschrieben haben: Winsemius, Mellama, Popta(?), Frisius, Schouwen und Poutsma. 103  Am 26.9.1757 wurde Arnoldi letztmalig als Gerichtsschulze erwähnt. Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 17, p. 110–115, siehe auch: Den Haag, NA, RvS, Nr. 2588. Die Assessoren und der Gerichtsschulze wurden vom Statthalter beauftragt, das Kriegsgericht neu auszurichten. Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 501, Brief von Sixma und Tadema aus Leeuwarden vom 17.6.1758. 104  Erstmalig: Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 17, p. 156–160, 21.11.1758; letztmalig: ebd., p. 641–643., insb. p. 641, 12.12.1770. So auch explizit in einem Schreiben des Herzogs von Braunschweig vom 30.10.1762, in: Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 1884. 105  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 17, p. 644, 9.1.1771, Kommandant Fortuin als Präsident. 106  Ebd., p. 644, nur noch Assessor de Horn. 107  Dorreboom, S. 95. 108  Den Haag, NA, RvS, Nr. 2588 (I). 109  Der Bericht ist überliefert in: ebd., Nr. 2588.



VI. Aufbau und personelle Besetzung125

Letztlich fanden jedoch keine Reformen statt, durch eine Resolution vom 24. Februar 1775 wurde das nassauisch-friesische Kriegsgericht aufgelöst. Die Anstellungen der Assessoren, Gerichtsschulzen und Sekretäre wurden beendet. Die damaligen Assessoren Dr. Bernardus de Horn und Jarig Tadema bekamen ihr volles Gehalt als Lebensrente zugesprochen. Ebenso wurden der Profos, dessen Leutnant sowie der Weibel mit den Trabanten entlassen.110 Wie in den Provinzen Groningen und Utrecht wurde ein Auditeur Militair und ein Profos eingestellt, die von der Generalität bezahlt wurden, während die Kosten der Justiz weiterhin von der Provinz getragen werden mussten.111 1783 wurde von den Ständen der Provinz Friesland der Versuch unternommen, mit einem neuen Statut das Kriegsgericht wieder der Provinz anzugliedern und die alten Strukturen herzustellen. Diesen Vorschlag lehnte das statthalterliche Sekretariat mit der Begründung ab, dass im Namen der gesamten Union und nicht nur einer Provinz Kriegsrecht zu sprechen sei. Es sollte bei der am 24. Februar 1775 verfassten Resolution bleiben.112 Das neueingebrachte Statut war in drei Hauptteile gegliedert, nämlich in die Generalitätsartikel (13 Artikel), die die generelle Jurisdiktion und den Aufbau des Gerichts beschrieben, sowie Abschnitten zur Strafgerichtsbarkeit (32 Artikel) und schließlich zur zivilen Rechtsprechung (6 Artikel). Der bis dato festgelegte Status quo, wonach militärische Personen grundsätzlich vollständig unter der Jurisdiktion eines Gerichts standen, sollte weiterhin praktiziert werden. Wie provinzial gedacht das Statut jedoch war, zeigte sich besonders darin, dass beispielsweise im dritten Generalartikel gefordert wurde, dass der Auditeur Militair von Geburt Friese sein musste. Und auch der fünfte Artikel tendiert in diese Richtung, wenn es heißt, dass die Urteile im Namen der Herrlichkeit der Landschaft Friesland auszusprechen seien. 1784 wurde, nach Überforderung des Kriegsgerichts, die Berechtigung zur Verurteilung von zivilen Delikten dem Hof von Friesland übertragen.113 2. Groningen In Groningen findet sich eine ähnliche Ausstattung des Kriegsgerichts. Bei zivilen Prozessen saßen, wie auch in Leeuwarden, der Gerichtsschulze und zwei Assessoren im Kriegsrat neben dem schriftführenden Sekretär.114 110  Ebd.,

Resolution 24.2.1775. auch: Nienes, A. P. van: Inleiding, in: J. L. Berns u. a. (Hgg.), Archief Hof van Friesland: Inventaris van het archief van de Raad, na 1515 het Hof van Friesland (1502) 1516–1811, Hilversum 1999, S. 9–46, hier: S. 38. 112  Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 510. 113  Bosch/van Nienes, S. 236. 114  GO, erster Teil [civile saken], Art. I. 111  Siehe

126

D. Militär und Recht

Sowohl die Gerichtsschulzen als auch die Assessoren hatten ein Rechtsstudium absolviert. In strafrechtlichen Verfahren hingegen gehörten zum Kriegsrat neben dem Schulzen und den zwei Assessoren noch der (Stadt-) Kommandant sowie Rittmeister, Kapitäne, Majore, Leutnants, Kornetts beziehungsweise Fähnriche. Die Gesamtanzahl der Offiziere musste im Rat mindestens zwölf betragen.115 Da in Groningen häufig Rangstreitigkeiten zwischen den Offizieren und dem Gerichtsschulzen auftraten, wurden in der Regel keine Offiziere, die einen höheren Rang als den eines Kapitäns innehatten, in den Kriegsrat berufen.116 Im 18. Jahrhundert stellten sich die hohen Offiziere der Provinz Groningen dagegen, vor dem gleichen Gericht angeklagt werden zu können, in dem auch Unteroffiziere und Soldaten angeklagt werden.117 Der Gerichtsschulze agierte in Groningen als Präsident und Direktor des Gerichts.118 Er wurde dabei als Offizier angesehen, jedoch maßen ihm die hohen Offiziere einen geringeren Rang zu und forderten, wie in Leeuwarden, einen hohen Offizier als Präsidenten.119 Der Schulze hatte volles Stimmrecht, seine Stimme galt sogar als Votum decisivum, sodass in Pattsituationen sein Votum entschied.120 Ihm oblag es, den gesamten Prozess zu leiten und schließlich die Stimmen zwecks Urteilsfindung einzusammeln. Der Kriegsgerichtsschulze und die zwei Assessoren mussten ihre Stimmen öffentlich erklären.121 Wie aus einer Resolution vom 11. Juli 1667 hervorgeht, saßen die Gedeputeerde Staten der Provinz Groningen zeitweilig dem Kriegsrat vor, was jedoch mit der hohen Anzahl von Soldaten in der Stadt begründet worden war.122 Unklar ist, ob dies eine Konfliktsituation mit dem Gerichtsschulzen ergab. Ein Jahr zuvor hatte der Groninger Gerichtsschulze Johan Willem Sohn ein Flugblatt publizieren lassen, auf dem er die Resolution seiner Ernennung aus Den Haag und die spätere Vereidigung in 115  GO, zweiter Teil [criminele saken], Art. I. Die Zahl zwölf scheint gängig im europäischen Kriegsgerichtswesen gewesen zu sein, vgl. Nowosadtko, Militärjustiz in der Frühen Neuzeit, S. 648. 116  Brief eines G. Edingh an den Gerichtsschulzen in Leeuwarden vom 31.12.1707, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 774. 117  Groningen, GA, Archief van het stadsbestuur van Groningen, 1594–1815, Nr. 549r, undatiertes Schreiben von H. Alberti, J. Wichers, W. van Manneel, J. T. van Swarttz, G. Sichterman, E. Lewe, O. Clant, J. Lewe. Am 7.12.1737 wurde angeordnet zu untersuchen, ob die hohen Offiziere überhaupt unter dem Kriegsgericht stehen. 118  GO, erster Teil [civile saken], Art. II. 119  Groningen, GA, Archief van het stadsbestuur van Groningen, 1594–1815, Nr. 549r, Schreiben von J. T. van Swarttz, o. D. 120  GO, zweiter Teil [criminele saken], Art. III. 121  Ebd., Art. IV. 122  Groningen, GA, Krijgsgerecht en Krijgsraad, 1651–1811, Nr. 1, p. 330.



VI. Aufbau und personelle Besetzung127

Groningen drucken ließ. Ebenso führte er die Artikel aus der Kriegsgerichtsordnung an, die den Gerichtsschulzen klar als Präsidenten benennen.123 Der Gerichtsschulze wurde von den Ständen der Provinz bestimmt, aber letztlich erst durch die Generalstaaten ernannt.124 Dies geschah aus zweierlei Gründen: Zum einen war nach dem 7. Artikel der Utrechter Union festgelegt worden, dass das Recht zur Bestellung militärischer Amtsträger bei der Generalität liegt. Zum anderen versahen die Generalstaaten den Schulzen mit einem Rang, der dem eines Offiziers gleichkam.125 In zivilen Streitigkeiten saßen im Kriegsgericht nur der Gerichtsschulze mit den Assessoren und dem Sekretär.126 3. Emden Das Gericht in Emden weist eine geringfügig andere Struktur auf. Das Kriegsgericht setzte sich bei strafrechtlichen Vergehen aus dem Gerichtsschulzen, der meistens ein studierter Jurist war, und einer unterschiedlichen Anzahl von Offizieren, die aus den vor Ort liegenden niederländischen Regimentern rekrutiert worden war, und einem protokollführenden Sekretär zusammen. Das Amt des Assessors fehlt gänzlich. Unklar ist, wonach sich die Anzahl der einberufenen Offiziere richtete, denn in der Gerichtsordnung findet sich keine regulierende Bestimmung. Bei einer Auswertung der Protokolle lassen sich in der Regel neun oder elf Personen erkennen. Es entsteht der Eindruck, dass bei Prozessen gegen höhere Militärangehörige, wie Fähnriche oder Leutnants, oder gegen mehrere Soldaten elf Personen hinzugezogen wurden. Bei Strafgerichtsprozessen wurden zwei Unteroffiziere als Kommissare benannt. Ihre Aufgabe bestand darin, das gerichtliche Verfahren gemeinsam mit dem Kriegsgerichtsschulzen zu organisieren.127 Der Gerichtsschulze genoss bei den Untersuchungen einen Rang über den Offizieren und konnte diesen folglich Befehle geben.128 Zum Teil ordnete auch der Platzmajor an, dass sich Militärs beim Gerichtsschulzen für Aussagen einzufinden hatten.129 123  Zu

finden in der Akte: ebd., Nr. 1. Crimineele Rechtspraak, S. 183. 125  Vgl. ebd., S. 184. 126  GO, erster Teil [civile saken], Art. I. 127  Dies entspricht den üblichen Verfahren in den niederländischen Kriegsgerichten. Graaff, Herman Hendrik Albert de: De militair-rechterlijke organisatie en haar verband met de bevelsverhoudingen bij de landmacht, 1795–1955, Leiden 1957, S. 11. 128  EO Art. 8. 129  Emden, StadA, I. Reg, Nr. 879. 124  Feith,

128

D. Militär und Recht

Als Präsident des Rats agierte der Stadtkommandant, der bei Abwesenheit durch einen anderen hohen Offizier vertreten wurde.130 Bei Pattsituationen war die Stimme des Präsidenten ausschlaggebend.131 Der Gerichtsschulze war somit in erster Linie für die Organisation des Prozesses zuständig, behielt aber stets volles Stimmrecht. 1684 wurde von Seiten der Bürgermeister und Ratsherren festgesetzt, dass der Gerichtsschulze oder der Präsident zuerst seine Stimme abgeben sollte, ehe die anderen Mitglieder der Reihe nach abstimmten. Sie sollten sich dabei nicht gegenseitig ins Wort fallen.132 In einem Brief über die Regelungen der Garnison verdeutlichte der Kommandant Veldtman, dass die Niederländer die Überhand über ihre Truppen im Gerichtsverfahren zu behalten beabsichtigten und somit der Einfluss der städtischen Amtsträger und insbesondere der des Gerichtsschulzen gering gehalten werden sollte. Der ebenfalls im Prozessverfahren mitwirkende Sekretär konnte zudem auch als Fiskal auftreten.133 Alle drei Kriegsräte unterschieden sich somit von den sonst üblichen Garnisonskriegsräten in den Niederlanden. In den Garnisonskriegsräten ernannte der Kommandant beziehungsweise in den größeren Garnisonen der jeweilige Gouverneur die Mitglieder des Kriegsrats. Dies waren in der Regel sechs Offiziere. In früherer Zeit war der Kommandant beziehungsweise Gouverneur Präsident, später lediglich ein dazu ernannter hoher Offizier.134 Für das Verfahren in den Garnisonskriegsräten wurde ein Auditeur Militair, der meist Jurist war, eingestellt. Ursprünglich war jedem Regiment ein Kriegsgerichtsschulze beigefügt worden,135 sodass das Schulzenamt wesentlich älter als das Amt des Auditeurs war. Ein anderer Unterschied besteht in der räumlichen Jurisdiktion, die im Folgenden behandelt wird.

130  Neben O.G. Veldtman als Präsident sind anhand der Akten nachweisbar: Major Willem Rumpf 1728 (ebd., Nr. 866), 1730 (ebd., Nr. 871), Major Janssen 1729 (ebd., Nr. 868) und 1730 (ebd., Nr. 873), Major F. van Heemstra 1729 (ebd., Nr. 870), Oberst Meijers 1729 (ebd., Nr. 870), Leutnant-Kolonel Otte van Welveld 1732 (ebd., Nr. 878), Oberst de Sijghers 1741 (ebd., Nr. 896a), Major P. Geersema 1744 (ebd., Nr. 902). Ohne militärischen Titel werden genannt: de Marvillars 1730 (ebd., Nr. 872), R. van Idsinga 1730 (ebd., Nr. 873), G. van Doijs 1733 (ebd., Nr. 879), Thierrij 1736 (ebd., Nr. 887), G. van Burmania 1740 (ebd., Nr. 894), T. H. van ­Haersolte 1744 (ebd., Nr. 902). 131  Ebd., Nr. 875, Prozesse gegen Matthias Driesen, Ludwig Terborg und Evert Claassen, März 1731. 132  Ebd., Nr. 328, 2.6.1684. 133  Den Haag, NA, SG, Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.9.1734, eingetroffen am 13. (geheimes Schreiben), Nr. 5, 6. 134  Dorreboom, S. 60. 135  de Graaff, S. 11, Fn. 1, ebenso Dorreboom, S. 62.



VII. Räumliche Beschränkung der Gerichtsbarkeit129

VII. Räumliche Beschränkung der Gerichtsbarkeit 1. Leeuwarden In Leeuwarden erstreckte sich die Jurisdiktion über die gesamte Provinz Friesland und nicht nur auf die Stadt selbst. Sollten friesische Regimenter außerhalb der Provinz liegen und es zu strafwürdigen Vergehen kommen, konnte das Kriegsgericht in Leeuwarden Verfahren einleiten,136 wobei dies nicht immer geschah.137 In wenigen Fällen finden sich Verhandlungen gegen Soldaten friesischer Regimenter vor dem Hohen Kriegsrat in Den Haag.138 Vor allem urteilte der Leeuwarder Kriegsrat über solche Vergehen oder Verbrechen, die eindeutig dem Militär zugeordnet waren, wie beispielsweise Desertionen. Bei den nicht militärischen Vergehen stand das Kriegsgericht in Konkurrenz mit anderen lokalen Gerichten. In Friesland war die Rechtsprechung wesentlich stärker zentralisiert worden als in den übrigen Provinzen. So befand sich neben dem Kriegsgericht noch der Hof von Friesland in Leeuwarden, dessen Kompetenz vornehmlich die Verfolgung von Verbrechen139 und einiger zivilrechtlicher Verge136  So beispielsweise der Prozess gegen den Offizier Kempo Fullenius, der wegen eines Vergehens bei der Belagerung von Bonn in Friesland angeklagt worden war. Vgl. die Schrift: Proceduiren Tusschen De Gewaldige Provoost der Vriesche en Nassouwsche Regimenten als Klager; en De Capitain Kempo van Fullenius als beklaagde. Voor den Krijghsgerechte van voorschreven Provintie geventileert, en door den selven getermineert, In’t licht gegeven door geseyde Capitain Fullenius, o. O. o. D. Mit diesem Prozess hing vor allem eine Ermittlung gegen Leutnant Martin Boers und etliche Offiziere zusammen, bei der Boers aus seinem Dienst entlassen wurde. Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 13, 26.3.1690. Ebenso zog der Profos auch mit an die Front. Vgl. Verzeichnis von Resolutionen der Gedeputeerde Staten das Kriegsgericht betreffend, in: ebd., SHA, Nr. 772, 5.4.1676. Dies unterschied den Kriegsrat in Leeuwarden erheblichen von den übrigen Kriegsräten in den Niederlanden, siehe: van der Kemp, ’t Gezag de Magt, S. 284 f. 137  Siehe zum Beispiel die Hinrichtung eines Soldaten im Feld im Juni 1695: Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 130, Brief: Nr. 312 von Conrad van Unkel aus Perwijs vom 28.6.1695. 138  Hier sind lediglich zwei Fälle aus dem Jahr 1692 bekannt, bei denen gegen den Leutnant Julius van Beyma (unter Kapt. Laak, 7.7.1691) und gegen den Soldaten Daniel Mackaij, der unter einem Kapitän namens Dabrov aus dem Regiment des Statthalter von Friesland gedient haben soll (2.10.1692), ermittelt wurde. Siehe in: Den Haag, NA, Hoge Krijgsraad en Zeekrijgsraden, Nr. 262. Aber auch der Fähnrich Lennep wollte nach einer Auseinandersetzung den Kapitän van Loo vor dem Hohen Kriegsrat anklagen lassen. Siehe in: Den Haag, KHA, Archief Henriette Amalia, Nr. 58, Brief: Nr. 11 von Joachim van Amama aus Deinze vom 19./29.7.1697. 139  Der Hof beanspruchte eine vollständige strafrechtliche Jurisdiktion über Militärs. Nach der Resolution des Jahrs 1748 standen Militärs in allen Belangen unter der Jurisdiktion des Kriegsgerichts. Vgl. Nederlandsche Jaerboeken, inhoudende een

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D. Militär und Recht

hen140 umfasste.141 Daneben waren die jeweiligen Niedergerichte in den Grieteneien142 und die Gerichte der Städte für die zivile Rechtsprechung zuständig.143 Den Vorzug genoss die Rechtsinstitution, die das Verbrechen als erste aufdeckte und verfolgte.144 Diese Regelung wurde mit dem ­Begriff der Praeventie bezeichnet. Ein solches Verfahren bestand in den Niederlanden ausschließlich in der Provinz Friesland.145 Dies wurde jedoch 1721 eingeschränkt, indem angeordnet worden war, dass Militärs immer erst vor das Kriegsgericht gestellt werden müssen.146 Am 28. Dezember 1748 wurde durch den Statthalter Wilhelm IV. die Praeventie endgültig abgeschafft. Er führte ein, dass nunmehr Militärs stets nur durch das Kriegsgericht belangt werden können.147 Dies betraf dabei auch die Ehefrauen der Soldaten.148 Das Leeuwarder Kriegsgericht urteilte zuVerhael van de merkwaerdigste Geschiedenissen, die voorgevallen zyn, binnen den omtrekt der Vereenigde Provintien, 6, Amsterdam 1752, S. 377. 140  Guibal, S. 31 f.: Zu den zivilrechtlichen Aufgaben gehörten: 1. Wenn sich die Richter anderer Gerichte weigern; 2. Wenn die Personen unter unterschiedliche Jurisdiktionen fallen; 3. Wenn die Personen freiwillig den Hof anrufen; 4. Über alle, die keine Hausmänner oder Bürger sind. Darüber hinaus urteilte der Hof in allen Widersprüchen gegen andere Urteile. 141  Huussen, A. H.: Jurisprudentie en bureaucratie. Het Hof van Friesland en zijn criminele rechtspraak in den achttiende eeuw, in: BMGN – Low Countries Historical Review 93 (1978), S. 241–298, insb. S. 270. 142  „Eine Grietenei besteht aus gewissen Distrikten eines oder mehrerer Dörfer, welche zusammen ein Gericht ausmachen, in welchem der Grietman […] Vorsteher ist …“. Siehe in: Auserlesene Bibliothek der allgemeinen Staatswissenschaft für Staats- und Geschäftsmänner, Gelehrte, Freunde und Beflissene dieser Wissenschaft, hg. von C.D. Voß, Leipzig 1795, Bd. 1, Quartal 1, S. 294. 143  Guibal, S. 34–53. 144  Vgl. Bosch/van Nienes, S. 245. Explizit weist die Kriegsgerichtsordnung im Artikel VI. darauf hin, dass Soldaten für gemeine und nicht militärische Delikte von den Richtern der jeweiligen Plätze angeklagt werden können. Bei der veränderten Fassung wird deutlich gemacht, dass der „preaevenierende Rechter“ diese Sache zu verfolgen hat. Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 773. So auch beim Duell der Fähnriche Vos und Tapel, bei dem Tapel verstarb. Gegen Vos wurde nach Aufgreifen durch die Ratelmänner vor dem Hof verhandelt (1723). Ebd., Hof van Friesland, Nr. 1297. 145  Vgl. Pieter Vromans, … Tractaet de Foro Competenti …, Leiden 1722, S. 90–93, bes. S. 92. 146  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 779 (1721). 147  Siehe u. a. die Auseinandersetzung mit dem Hof von Friesland in: Nederlandsche Jaerboeken 6 (1752), S. 371–384. Dies zeigt sich auch in den Prozessbüchern insofern, als nunmehr auch kleine Auseinandersetzungen, wie Streitigkeiten mit den Bewohnern der Städte durch das Kriegsgericht verhandelt wurden. Siehe insbesondere das Prozessbuch: Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 17. 148  Siehe die Eintragungen im Prozessbuch: ebd., p. 359, 6.6.1763: Prozess gegen Johanna van der Linde, Ehefrau des Soldaten Pijter Pijters, oder auch ebd., p. 360, 14.11.1763: Prozess gegen Maria Verbeek.



VII. Räumliche Beschränkung der Gerichtsbarkeit131

dem in einigen Fällen über die Garde du Corps des friesischen Statthalters.149 Wie bereits oben angesprochen, konnten kleinere Vergehen durch die Regimenter in den um Leeuwarden liegenden Städten und Ortschaften bis zu einem Strafmaß von drei Tagen Haft bei sprichwörtlichen Brot und Wasser intern abgehandelt werden.150 Alle Verbrechen, die ein höheres Strafmaß erforderten, mussten vor dem Kriegsgericht verhandelt werden. Demzufolge wurden die Versammlungen nicht von einem Kommandanten oder Gouverneur einberufen, sondern offiziell vom Statthalter der Provinz Friesland, vertreten durch den Gerichtsschulzen. Gleichzeitig ließ der Statthalter einen Offizier zum Präsidenten ernennen. Der Schreiber eines Memorials von 1750 wertete aufgrund der Verbindung zum Statthalter das friesische Kriegsgericht als ansehnlicher als alle anderen Garnisonskriegsräte, da der Präsident den Statthalter repräsentiere.151 Auch der erste Artikel der Kriegsgerichtsordnung setzte den Statthalter neben den „Heeren Gedeputeerde Staaten van Vriesland“ als Autorität ein. Durch die Formulierung, dass der Statthalter mit den Abgeordneten der Ständeversammlung dem Kriegsgericht vorsitze, deutet sich an, dass dieser als Primus inter Pares agierte. Aufgrund seines normativen Vorsitzes wurde im Namen des Statthalters zu den Sitzungen geladen, obwohl davon auszugehen ist, dass er bei keiner Sitzung anwesend war.152 Direkten Einfluss auf das Kriegsgericht nahm er nur bei der Approbation der Urteile aus dem Strafrechtsgebiet. Approbation bedeutet, dass die Urteile des Kriegsrats erst mit der Zustimmung des Statthalters rechtskräftig wurden, wobei einige Zeit zwischen der Urteilsfindung und der Approbation liegen konnte.153 Zur Approbation legten ein Assessor oder der Gerichtsschulze zusammen mit einem Offizier das Urteil dem Statthalter vor.154 Der Grund, dass im Gegensatz zu den anderen Provinzen in Friesland die Urteile approbiert werden mussten, wurde darin gesehen, dass die Urteile nicht wie in den übrigen Provinzen im Namen der „Hooge[n] Overigheid“, sondern allein wegen der Bosch/van Nienes, S. 245. dazu das Memoriaschreiben Nr. 4 von 1750, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 773. Ursprünglich rührte dieses Vorgehen aus der Zeit, als die Mariniers in Harlingen in den Jahren 1665 und 1666 stationiert waren. Resolution vom 4.1.1666 der Stände von Friesland, in: ebd., Nr. 787, p. 70. Kleine Vergehen durften ab dem 20.10.1703 durch den Kriegsrat der Flotte verurteilt werden, ebd., p. 70. 151  Siehe dazu das Memoriaschreiben Nr. 1 von 1750. Ebd., Nr. 773. 152  Vgl. auch Bosch/van Nienes, S. 238. 153  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 15, p. 95–97: Tjeerd Roukes wurde am 28.10.1735 zum Tode verurteilt, das Urteil jedoch erst am 1.2.1736 approbiert. 154  Den Haag, NA, RvS, Nr. 2588, 10.2.1703. 149  Vgl.

150  Siehe

132

D. Militär und Recht

„Heerlijkheit der Landschappe van Friesland“ gesprochen wurden. Im Gegensatz zu den anderen Provinzen gab es in Friesland keine statthalterlose Zeit und der Statthalter galt stets als „Hoofd“ der militärischen Justiz.155 Die Notwendigkeit zur Approbation von Urteilen bestand in der Republik unter Wilhelm und Moritz von Oranien im Kriegsrecht zunächst nicht.156 Erst unter den General-Statthaltern Friedrich Heinrich und Wilhelm II. sollen 1627 beziehungsweise 1649 Urteile zur Approbation vorgelegt worden sein. In der statthalterlosen Zeit von 1650 bis 1672 gab es in der Republik keine Approbationen der Urteile. Dieses Recht wurde erst wieder unter dem König-Statthalter Wilhelm III. sowohl in den Niederlanden als auch in England eingeführt. Am 9. Februar 1703 ist nach dem Tod Wilhelms III. die Notwendigkeit zur Approbation wieder vom Raad van State abgeschafft worden, nur in den Provinzen Friesland und Groningen bestand sie weiterhin.157 In der Provinz Friesland war die Praxis der Approbation am 6. Februar 1673 eingeführt worden, als der Kolonel Kingma dem Kriegsrat vorsaß.158 Die Urteile wurden damals dem Statthalter Heinrich Casimir II. vorgelegt. Gemäß einer Resolution der Gedeputeerde Staten Frieslands vom 13. Mai 1676 kam dem Statthalter auch dann das Recht zur Approbation zu, wenn er sich außerhalb der Provinz aufhielt. Das Kollegium der Gedeputeerde Staten erhielt das Recht zur Approbation nur bei Minderjährigkeit des Statthalters. Minderjährige Statthalter gab es in Friesland in drei Fällen, nämlich nach dem Tode von Wilhelm Friedrich (1664), als sein Sohn Heinrich Casimir II. sieben Jahre alt war, ebenso beim Ableben von Heinrich Casimir II. selbst (1697), als sein Sohn Johann Wilhelm Friso zehn Jahre alt war, und erneut beim Ableben von Johann Wilhelm Friso (1711), als seine Frau Maria Louise von Hessen mit dem gemeinsamen Sohn Wilhelm Karl Heinrich Friso, dem späteren Generalstatthalter Wilhelm IV., schwanger war.159 Erst nach Erlangung der Volljährigkeit wurde den Statthaltern das Recht übertragen.160 In späterer Zeit übernahm, gemäß einer Resolution 155  Den

Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 204. Tresoar, SHA, Nr. 748, „Remarques omtrent het Regt van Approbatie der Crimineele Crijgsraads Sententie in Frieslandt etc.“ sowie die „Deductie wegens het regt van approbatie van de Criminele Sententie der Krijgsraden opgesteld 1736 door den Hr. Colonel [Frederik Willem] Meijers“. 157  Beispielsweise: Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 204. 158  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 748. 159  Johann Wilhelm Friso starb bereits am 14.7.1711, während Wilhelm Karl Heinrich Friso erst am 1.9.1711 geboren wurde. 160  Resolution der Stände von Friesland vom 4.4.1708, in: Den Haag, KHA, Archief Willem  IV, Nr. 204; Vgl. auch die Resolution der Stände von Friesland vom 3.10.1731, in der die Approbation durch den Statthalter beschrieben wird, in: Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 510, II. Aktenstapel. 156  Leeuwarden,



VII. Räumliche Beschränkung der Gerichtsbarkeit133

vom 14. März 1759, Ludwig Ernst Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel161 die Approbation der Urteile.162 Nach der Approbation war keine Berufung vor dem Kriegsrat oder einem anderen Gericht möglich. Das Urteil wurde zur Vollstreckung freigegeben.163 In einigen Fällen änderte der Statthalter beim Erteilen der Approbation die Urteile zu Gunsten der Angeklagten ab.164 Die einzige noch verbliebene Möglichkeit zur Änderung des Strafmaßes nach der Approbation bestand darin, dass der Statthalter dem Verurteilten ein Pardon, also eine Befreiung von der Strafe, oder eine Gratie, eine Strafmilderung, erteilte.165 Sinn dieser Milderung des Strafmaßes war es, die harten Strafen auf reine Exempelstrafen zu minimieren, indem letztlich nicht an allen Verurteilten die Urteile durchgeführt wurden.166 Zudem konnte sich der Statthalter als milder Landesherr inszenieren. Eine Ausnahme ist für das Jahr 1701 auszumachen, in dem die Stände von Friesland ein Urteil des Kriegsrats aufhoben und den Fall erneut verhandeln ließen.167 Abschließend stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Approba­ tion zum Pardon. Das Pardon rückte durch das Aufkommen der Approba161  Nach dem Tode von Anna von Hannover, Witwe des Statthalters Wilhelm IV., im Jahr 1759 war er Vormund und Erzieher des noch minderjährigen Wilhelm V. und repräsentierte diesen als Generalleutnant. Er verwaltete in dieser Zeit die Niederlande, später wurde er jedoch zur Zielscheibe der Patrioten und verließ daher 1784 die Republik, ehe er 1788 verstarb. Zimmermann, P.: Art. Ludwig Ernst, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, in: ADB  19 (1884), S. 543–546; Art. Bruns­ wijk-Wolfenbuttel (Lodwijk Ernst Hertog van), in: A. J. van der Aa: Biographisch Woordenboek der Nederlanden, Bd. 2, Haarlem 1855, S. 1524–1526; Romein, J. M.: Art. Brunswijk-Wolfenbüttel (Lodewijk Ernst hertog van), in: NNBW 10 (1937), S. 155–157. 162  Register der Resolutien en Placaaten I (1784), S. 388. 163  Bosch/van Nienes, S. 244. 164  19.12.1744: Der Soldat Dominicus van Voss, der unter der Garde du Corps des Statthalters diente, wurde ursprünglich zu acht Tagen Haft beim Profos bei Wasser und Brot und anschließendem Brechen des Degens vor seinen Füßen verurteilt. Danach sollte er als Schelm weggejagt werden. Der Statthalter milderte das Urteil ab, indem er das Zerbrechen des Degens aufhob, damit dieser weiterhin dienen konnte und seine Ehre nicht verlor. Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 15, p. 237–239. 165  Vgl. Dorreboom, S. 169. 166  Strafen wurden stets anderen zum Exempel ausgeführt, so heißt es in der Regel bei den Anklageschriften in Leeuwarden: „welk saken zijnde van quaden gevolge en daarom anderen ten exempel ten hoogsten strafbaar“, Vgl. allgemein: Nowosadtko, Militärjustiz in der Frühen Neuzeit, S. 644. 167  Resolution der Stände von Friesland vom 19.11.1701, Urteil gegen den Soldaten Hendrick Pieters, der zum Tode verurteilt worden war. Es soll bei einer anderen Besetzung nochmals verhandelt werden. Der Statthalter Johann Wilhelm Friso war zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig. Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 774.

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D. Militär und Recht

tion, die schließlich bei jedem Urteilsspruch ausgeübt werden musste, stark in den Hintergrund. Grund dafür ist, dass der Statthalter durch die Approbation von Urteilen schon direkt Einfluss auf die Härte des Urteils nehmen konnte, indem er sie nicht unterzeichnete und ihnen somit keine Rechtskraft verlieh, oder sie änderte. Ein Pardon war dann lediglich notwendig, wenn bereits beschlossene Urteile aufgehoben werden sollten. Der Statthalter stand in diesen Fällen über dem Gesetz und war für den Kriegsrat ein nicht zu berechnender Faktor in der Urteilsfassung. Pardons sind im 18. Jahrhundert vor allem bei Generalpardons für Deserteure zu finden. Appelle gegen die zivilen Urteile waren nur bei einem Strafmaß von über 50 Karolusgulden bei den Gedeputeerde Staten der Provinz möglich.168 2. Groningen In Groningen umfasste die Jurisdiktion des Kriegsgerichts das gesamte Spektrum der militärischen Verstöße. Sowohl die strafrechtlich zu verfolgenden Verbrechen als auch die zivilrechtlichen Vergehen sollten vor dem Kriegsrat beziehungsweise -gericht verhandelt werden,169 wobei viele Streitigkeiten zwischen Militärs und zivilen Einwohnern im 18. Jahrhundert vor den städtischen Gerichten verhandelt wurden.170 Der Groninger Kriegsrat beanspruchte eine Jurisdiktion, die über die Provinz hinausging. Bereits in den 1620er Jahren reiste der Gerichtsschulze Petrus Pappus van Tratzberg nach Coevorden, um dort Verhandlungen gegen Soldaten führen zu können.171 Deutlicher wird dies indes in den 1680er Jahren, als der Leutnant Berenstein, der in der Provinz Drente einige Vergehen begangen hatte, zur Verurteilung nach Groningen gebracht wurde.172 Es wurde jedoch an dieser Stelle kritisiert, dass der Statthalter der Provinz wohl offensichtlich in den Prozessverlauf eingegriffen habe, indem er eine Haftentlassung des Leutnants Berenstein angeordnet hatte.173 Gänzlich unabhängig war die G ­ roninger 168  LO

Art. 21.

169  Groningen,

GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1399: „Extract uit het Register van de besoignes der Heeren Gecom. tot de secrete en militaire saken“, Punkt 1. Vgl. ebenso die Kriegsgerichtsordnung, die in einen zivil- und strafrecht­ lichen Abschnitt untergliedert ist. 170  Brood, Paulus: Het oude Groninger recht in hoofdlijnen, Groningen 1999, S. 6. 171  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 733. 172  Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1399, o. D., aufgrund der Nennung des Gerichtsschulzen Aldringa kann es auf die Zeit zwischen 1679 und 1684 datiert werden. 173  Ebd.



VII. Räumliche Beschränkung der Gerichtsbarkeit135

Rechtsprechung auch in den Jahren zuvor nicht. 1607 griff der Leeuwarder Kriegsrat in ein Verfahren gegen Deserteure in Delfzijl ein und ließ die Causa durch den Leeuwarder Gerichtsschulzen Laurenz de Veno verhandeln.174 Doch stand dieses Eingreifen prinzipiell gegen die normativen Beschlüsse der Gerichtsordnung, nach der kein Einfluss auf die Richter des Kriegsrats ausgeübt werden sollte.175 Die Inhaftierung der Militärs fiel den militärischen Vollzugsorganen zu. So war es Aufgabe des Kapitän Gewaldigen, also des Profoses, und dessen Leutnant die Verdächtigen gefangen zu nehmen. Dies konnte jedoch nur auf Anordnung des Präsidenten des Kriegsgerichts, dem Kommandanten der Stadt oder dem Offizier der Kompanie geschehen. Wenn die Wachen den Festgenommenen laufen ließen, drohte ein Verfahren nach Artikel 65 des Artikelbriefes,176 der vorschrieb, dass Soldaten, die Missbrauch oder „Faulte“ getan haben, durch ihren jeweiligen Kapitän inhaftiert werden sollten.177 Das Kriegsgericht war eng verzahnt mit den jeweiligen Einrichtungen und Autoritäten der Provinz Groningen. Vier Stunden nach der Inhaftierung musste der Kapitän Gewaldige beziehungsweise dessen Leutnant den Grund für die Inhaftierung den Gedeputeerde Staten, dem Leutnant-General, dem Präsidenten des Kriegsgerichts, dem Kommandanten oder dem höchsten Offizier unter dem der Delinquent stand, bekanntgeben.178 Danach war Kriegsrat zu halten, in dem alle hohen Offiziere der Kompanien zusammenkommen sollten. Insgesamt hatten es zwölf Personen zu sein.179 Nach drei Tagen musste der Kriegsrat mit seiner Sitzung zur Verhandlung des Falls beginnen. Dabei durfte der Soldat erst nach einem Urteil beziehungsweise Freispruch aus der Haft entlassen werden.180 So schnell wie möglich sollte das Kriegsgericht tagen, damit kein Angeklagter unnötig lange in Haft verbleiben musste.181 Beabsichtigt war, die Gesamtkosten für das Verfahren so gering wie möglich zu halten. 174  Verzeichnis von Resolutionen der Gedeputeerde Staten das Kriegsgericht betreffend, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 772, 28.9.1607. 175  Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1399: „Extract … tot de secrete en militaire saken“ (1.11.1673), Punkt 2. 176  Ebd., Punkt 3. 177  Artikelbrief von 1590, in: Dorreboom, S. 311. 178  Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1399: „Extract … tot de secrete en militaire saken“ (1.11.1673), Punkt 4. 179  Ebd., Punkt 5. Ein Stimmzettel aus dem Jahr 1681 weist neben den zwei Assessoren zwölf Militärs aus (Präsident, neun Kapitäne und zwei Leutnants), in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 792. 180  Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1399: „Extract … tot de secrete en militaire saken“ (1.11.1673), Punkt 6. 181  Ebd., Punkt 7.

136

D. Militär und Recht

Nach der Urteilsfindung mussten die Strafurteile grundsätzlich von den Ständen der Provinz approbiert werden.182 In etlichen Jahren war allerdings dem Statthalter dieses Recht übertragen worden.183 Die Stände waren dabei das einzige Gremium, das nach einem Schuldspruch noch die Ausführung des Urteils verhindern konnte.184 Berufungen vor dem Hohen Kriegsrat oder dem Raad van State waren nicht möglich.185 Offiziell sprach der Kriegsrat in Groningen das Recht im Namen der „hoge[n] overigheyt der Vereenigde Nederlanden“.186 Bei zivilen Prozessen war in Groningen ein Appell grundsätzlich möglich. Dieser konnte mit der Hilfe des Gerichtsschulzen vor den Ständen der Provinz durchgeführt werden.187 Zum Appell wurden fünf Personen abgestellt, wovon zwei aus dem Ständekollegium und drei von außerhalb benannt worden waren.188 Diese Abgeordneten sollten juristische Kenntnisse besitzen. Die Dauer des Verfahrens war auf 21 Tage begrenzt. Der Appell war allein bei Forderungen von mehr als 100 Gulden möglich.189 Das gesamte zivile Gericht stand unter der Aufsicht der Stände der Provinz.190 1700 wurde der Appell in zivilen Verfahren, der bereits 1699 in seiner Sinnhaftigkeit scharf kritisiert worden war,191 mit einer Resolution der Stände von Groningen und der Herausgabe einer geänderten Gerichtsordnung abgeschafft.192 Dadurch haben sich die normativen Regeln in Groningen für die Militärs verschlechtert, weil ihnen mit der Abschaffung des Appells die Möglichkeit genommen wurde, Urteile anzufechten.

182  Siehe dazu das Buch über Urteile. Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1351. Ebenso auch die Sammlung von Urteilen von Frederik Willem Meijers, in: Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 1453, p. 985, April 1698; GO, erster Teil [civile saken], Art. I. 183  Vgl. Feith, Crimineele Rechtspraak, S. 186 f. 184  GO, zweiter Teil [criminele saken], Art. XXIV. 185  Feith, Crimineele Rechtspraak, S. 182 f. 186  Ebd., S. 183. 187  GO, erster Teil [civile saken], Art. XVII. 188  Ebd., Art. XXII. 189  Feith, Crimineele Rechtspraak, S. 181; siehe auch: GO, erster Teil  [civile saken], Art. XV. 190  Feith, Crimineele Rechtspraak, S. 181. 191  Vgl. Groningen, GA, Archief van het stadsbestuur van Groningen, 1594–1815, Nr. 549r, 27.1.1699. 192  GO, erster Teil [civile saken] (1700), zwischen Art. XIV und XXIII, p. 207.



VII. Räumliche Beschränkung der Gerichtsbarkeit137

3. Emden In Emden umfasste die Jurisdiktion generell alle Bereiche des soldatischen Lebens. Niederländische Soldaten193 standen offensichtlich per se unter der Jurisdiktion des Kriegsgerichts und konnten auch keine anderen Rechtsorgane konsultieren. Als Grund dafür ist sicherlich die besondere Situation anzunehmen, dass in niederländischen Diensten stehende Personen nicht durch ausländische Gerichte belangt werden sollten. Für Bürger und Einwohner der Stadt war es zudem möglich, ihre Klagen gegen Militärs vor dem Kriegsgericht verhandeln zu lassen, wie es beispielsweise der Fall des Stadtsekretärs Laubegois zeigt, der bei seiner Klage gegen den Fähnrich Lindenquist das Kriegsgericht als Entscheidungsort wählte.194 Eine Ausnahme von dieser Regel bestand darin, dass Soldaten, die Personen wegen nicht militärischer Dinge belangen wollten, ihre Streitigkeiten vor den städtischen zivilen Gerichten verhandeln lassen sollten.195 Der räumliche Jurisdiktionsbereich des Kriegsgerichts bezog sich ausschließlich auf die Stadt selbst und die dort stationierten Regimenter.196 Es gab nicht wie in Leeuwarden oder Groningen eine Jurisdiktion, die über das Stadtgebiet hinausging und möglicherweise auch den Festungsort Leerort mit einbezogen hätte.197 Ein signifikanter Unterschied zu den anderen beiden Kriegsräten bestand darin, dass keine Pardons erteilt oder Urteile approbiert wurden. Bei dem Fall des Soldaten Martin Frankar, der zum Tode verurteilt worden war, machte der Stadtkommandant Veldtman deutlich, dass gefasste Urteile nicht aufgehoben oder verändert werden dürften.198 Dass die von den Offizieren gefassten Urteile somit rechtskräftig waren, lässt sich jedoch auch damit begründen, dass während der statthalterlosen Zeit in der Republik allgemein keine Approbationspflicht herrschte.199 Die Urteile des Kriegsrates wurden vom Präsidenten unterschrieben und zeitnah vollstreckt. 193  Die

in Emden stationierten Preußen hatten eine eigene Rechtsprechung. Haag, NA, SG, Nr. 6740, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 3.4.1730, eingetroffen am 7. Die Klageschrift ist überliefert in: Emden, StadA, I. Reg., Nr. 869. 195  Den Haag, NA, SG, Nr. 6740, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.9.1734, eingetroffen am 13., Nr. 8, 10. 196  So musste bei entflohenen Soldaten Gesuche an den Fürsten gestellt werden, damit dessen Beamten die Soldaten festnehmen konnten. Vgl. bspw. Aurich, StaA, Rep. 4, B IV e, Nr. 117, fol. 58r, 4.7.1743. 197  Bei Verhandlungen musste dort ein Auditeur aus den Niederlanden anreisen. Ebd., fol. 18r+v, 7.7.1743. 198  Siehe dazu den Abschnitt F. XV. 2. 199  Vgl. Dorreboom, S. 179. 194  Den

138

D. Militär und Recht

Ein möglicher Appell gegen die Urteile war in Emden aufgrund der kombinierten Struktur des Gerichts nicht möglich,200 denn das Kriegsgericht unterstand generell zwei Dienstherren, nämlich den Niederländern in Form der Generalstaaten und dem Rat der Stadt, wobei der Rat aufgrund des Rechts zur Ernennung der Amtsträger oftmals größeren Einfluss hatte.201 Der Sekretär Laubegois versuchte nach einem Urteil des Kriegsrats vor dem Raad van State in Den Haag in Berufung zu gehen, die Stadt Emden hingegen wollte sich nach diesem Fall bei den Generalstaaten über das Urteil beschweren.202 Der Stadtkommandant Veldtman gab sein Urteil dahingehend ab, dass er sich allein den Raad van State als Appellinstanz vorstellen könnte, vermutete aber, dass dies dem Rat der Stadt Emden nicht gefallen würde.203 Letztlich gab es keinen Appell, sodass das in Emden gefundene Urteil rechtsbindend war.

VIII. Personenbezogene Beschränkung der Gerichtsbarkeit 1. Leeuwarden In Leeuwarden umfasste die Jurisdiktion des Kriegsrechts de iure alle niederländischen Soldaten sowie Reiter und Offiziere, de facto war diese jedoch zumeist auf die Soldaten der statthalterlichen Regimenter204 beschränkt.205 Angehörige der Soldaten fielen offensichtlich anfänglich nicht unter die Jurisdiktion, dies änderte sich erst mit der Aufhebung der Praeventie im Jahr 1748.206 Vornehmlich wurden vor dem Kriegsgericht solche Fälle verhandelt, bei denen Soldaten sich militärischer Straftaten schuldig gemacht hatten.207 Prozesse über zivile Streitigkeiten zwischen Soldaten 200  Den Haag, NA, SG, Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.3.1732, eingetroffen am 10. (geheimes Schreiben), Nr. 16. 201  Emden, StadA, I. Reg., Nr. 328, 2.6.1684. 202  Vgl. Den Haag, NA, SG, Nr. 6740, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 3.4.1730, eingetroffen am 7. 203  Ebd., Nr. 6741, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 2.8.1736, eingetroffen am 6. 204  In erster Linie finden sich Prozesse gegen Soldaten der Infanterie- und Kavallerie-Regimenter des Statthalters (Nassau- bzw. später Oranje-Friesland). 205  Vgl. allgemein: Huber, Ulrik: Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, soo elders, als in Frieslandt gebruikelijk, Bd. 2, Leeuwarden 1684, S. 133 f.; Offiziere wurden nur sehr selten angeklagt. 206  Vgl. die Protokollbücher des Kriegsrats. 207  Resolution vom 21.1.1670, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 776. Dass vor dem Kriegsgericht nur militärische Vergehen verhandelt wurden, war als Argument



VIII. Personenbezogene Beschränkung der Gerichtsbarkeit139

wurden, wenn man die Kriegsgerichtsprotokolle als Grundlage nimmt, seit 1691 nicht mehr geführt.208 Das Gericht konkurrierte dabei mit anderen rechtlichen Instanzen in der Stadt und dem Umland, wie beispielsweise dem Hof von Friesland oder den Niedergerichten der Grieteneien. Wurden Vergehen von Soldaten dort verhandelt, stieß dies in der Regel auf Akzeptanz Seitens des Kriegsgerichts. Insbesondere Vergehen, die keinen Bezug zum Militär hatten, wurden vor den zivilen Gerichten verhandelt. Die Frage nach den Grenzen der militärischen und zivilen Jurisdiktion beschäftigte die Mitglieder des Kriegsgerichts intensiv. In einem Bericht schilderte der Assessor Hendrik Neuhusius am 28. Juli 1677, dass Soldaten in zwei Kategorien einzuteilen seien: Es gebe einerseits solche Soldaten, die neben ihrer Anstellung als Soldat noch weiteren bezahlten Beschäftigungen nachgingen.209 Diese sollten bei rechtlichen Verstößen auch vor das städtische Gericht gebracht werden können. Andererseits führte er Soldaten an, die allein ‚Berufs‘-Soldaten seien und keinen Nebenerwerb hätten. Diese sollten nach seiner Auffassung nur vor dem Kriegsgericht angeklagt werden können.210 In den Aussagen des Assessors zeigt sich deutlich, dass es einen professionell agierenden Soldatenstand gab, der nicht auf einen Nebenerwerb angewiesen war. Rund 80 Jahre später, 1748, war die Professionalisierung so weit vorangeschritten, dass beschlossen wurde, von nun an alle Vergehen, an denen Militärs beteiligt waren, vor dem Kriegsgericht zu verhandeln. In der vorherigen Zeit hatte der Hof von Friesland Militärpersonen besonders dann verfolgt, wenn es um nichtmilitärische Delikte ging. Ein Protest des Hofs gegen den Verlust der Jurisdiktion über bestimmte Militärs verhallte ungehört. Hierin zeigt sich die langsam aufkommende Abschottung des Soldatenstandes von der zivilen Bevölkerung in rechtlicher Hinsicht.211 Der Eintritt ins Militär bedeutete nach dieser Reform, sich gänzlich einer neuen Jurisdiktion zu unterwerfen. Die zivilen Rechtsorgane verloren somit gänzlich ihre Zuständigkeit für die Soldaten. für die Abschaffung des Kriegsgerichts und insbesondere der Ämter der Assessoren und des Schulzen eingebracht worden. 208  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 9: Der letzte Eintrag stammt vom 4.5.1691. Danach finden sich keine weiteren Einträge mehr. Rund Dreiviertel der Gesamtseiten des Buches sind unbeschrieben. Ebenso wurden wenige Prozesse zwischen 1758 und 1770 geführt. Ebd., Nr. 10. 209  Im Rahmen der Untersuchungen ließ sich nur in wenigen Fällen eine Nebenbeschäftigung von Soldaten nachweisen. 210  Bericht von H. Neuhusius vom 28.7.1677, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 732. 211  Bosch/van Nienes, S. 235 deuten das Jahr 1748 als Höhepunkt des Einflusses des Kriegsrats. Siehe dazu die Resolution der Stände von Friesland vom 28.12.1748 und den Protest des Hofs von Friesland vom 11.3.1749, in: Den Haag, NA, RvS, Nr. 2588.

140

D. Militär und Recht

2. Groningen und Emden In Groningen und Emden erstreckte sich die Jurisdiktion der jeweiligen Kriegsräte ebenfalls nur über die Soldaten. Fälle, in denen Ehefrauen angeklagt wurden, sind in Emden nur sehr selten vorhanden.212 Daneben fielen aber auch die militärischen Bediensteten wie der Profos unter die militärische Gerichtsbarkeit.213 Selten konsultierten Militärangehörige in Groningen den Kriegsgerichtsschulzen mit Anliegen, die nicht zum Militärrecht gehörten. So ließ sich der Profos Jan Croll einen Hausverkauf durch den Schulzen besiegeln.214 In Emden wird zudem deutlich, dass das Kriegsgericht stark von der Provinz Friesland beeinflusst wurde. So war 1660 dem Stadtkommandanten Hans Hendrik Ehrenreiter aufgetragen worden, gegen alle Soldaten Verfahren eröffnen zu können, nur nicht gegen die Soldaten der Provinz Friesland. Diese sollten allein in Friesland angeklagt werden.215 Es zeigt sich in diesem Fall einerseits, dass die Jurisdiktion des Leeuwarder Gerichts über die Provinz hinausging, andererseits lässt diese Ermahnung erkennen, dass es sonst wohl nicht üblich war, die Soldaten in andere Städte zwecks Verurteilung zu bringen. Die Beantwortung der Frage, inwiefern zivile Verfahren in Emden stattgefunden haben, wirft deutliche Probleme auf. Für die Zeit, als in der Stadt sowohl landständische als auch niederländische Truppen lagen, war die Regelung getroffen worden, dass der Gerichtsschulze allein über die zivilen Sachen der landständischen Truppen urteilen sollte. Der Stadtkommandant Veldtman wies 1731 darauf hin, dass so lange, wie er in der Stadt sei, die zivilen Streitigkeiten durch den Kriegsrat, also der Versammlung von Offizieren und dem Gerichtsschulzen, verhandelt wurden.216 Rund fünf Jahre später geht aus einem seiner Briefe hervor, dass dem Gerichtsschulzen zudem die Kompetenzen bezüglich der zivilen Streitigkeiten und der Hausver212  So wurde die Ehefrau des Deserteurs Johann Ludwig Reiger, Elisabeth Reesen, im Jahr 1728 vom Kriegsgericht wegen Desertionshilfe verurteilt. Emden, ­StadA, I. Reg., Nr. 866; Francina van Closter wurde wegen Diebstahls im Jahr 1729 zu Verbannung aus der Garnison verurteilt. Anna Catharina Hofman, Ehefrau von Tobias Coenders, wurde im Jahr 1729 wegen Diebstahls zu Geißelung verurteilt. Beide Fälle in: ebd., Nr. 868. 213  Prozess gegen den Profos der Emder Garnison, Hendrik Meiboom, wegen Schwängerung seiner Magd. Ebd., Nr. 874a und 874b. 214  Groningen, GA, Losse stukken Register Feith, meest charters, 1246–1864, Nr. 729, 16.5.1737. 215  Verzeichnis der Resolutionen der Gedeputeerde Staten das Kriegsgericht betreffend, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 772, 7.2.1660. Zu seiner Bestallung: Kappelhoff, Emden, S. 114 f. 216  Den Haag, NA, SG, Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 10.4.1731, eingetroffen am 14.



IX. Konkurrenz um die Jurisdiktion141

mietungen entzogen worden war.217 Militärs und Bürger konnten bei zivilrechtlichen Streitigkeiten ihre Anliegen sowohl vor dem Kriegsgericht als auch vor einem zivilen Gericht austragen lassen.218 Da seitens des städtischen Niedergerichts kein Aktenbestand überliefert ist, lassen sich auch keine Aussagen darüber treffen, wie häufig gegen Soldaten vor diesem Rechtsorgan verhandelt wurde.

IX. Konkurrenz um die Jurisdiktion: Auseinandersetzungen zwischen dem Kriegsrat und dem Hof von Friesland in Leeuwarden Grundsätzlich stellte sich im Militärrecht der frühen Neuzeit die Frage, ob Kriegsgerichte die Jurisdiktion über zivile Vergehen und solche Verbrechen der Soldaten genossen, die nicht dem Militärrechtsgebiet angehörten.219 Diese Frage spitzte sich in besonderem Maße in Leeuwarden zu. 1. Streitigkeiten um den Wachdienst (1736)220 In der Nacht von Sonntag, den 12. Februar 1736, auf Montag, den 13., gab es gegen Mitternacht in einem Bürgerhaus in Leeuwarden einen Streit, der durch zwei Soldaten geschürt worden war. Zur Schlichtung dieses Tumults wurde die Bürgerwache gerufen, deren Aufgabe vor allem in der Befriedung von innerstädtischen Konflikten bestand.221 Nachdem die Situation anfänglich durch das Eingreifen der Bürgerwache geschlichtet schien, attackierte ein betrunkener Soldat die Bürgerwache. Diese versuchte den Soldaten festzunehmen, der jedoch floh, woraufhin die Wache den Flüchtenden verfolgte. In der Heer IJvostraatje konnte dieser unter Hilfe eines Ratelmans festgenommen werden.222 Danach stießen nach Angaben der 217  Ebd., Nr. 6741, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 5.7.1736, eingetroffen am 10. 218  Ebd., Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.9.1734, eingetroffen am 13. (geheimes Schreiben), Nr. 8. 219  Vgl. Lorenz, Rad der Gewalt, S. 148–150. 220  Vgl. die Schilderung bei Bosch/van Nienes, S. 246. 221  Diese bestand aus den bürgerlichen Adelborsten Gerloff Rig(n)eri, 30 Jahre, Arent Haeckma, 33 Jahre, Gerrijt Tijlburg, 50 Jahre, Bernhardus Kalkenstein, 30 Jahre und dem Ratelaar Johannes Tiepkes, 63 Jahre. 222  Die folgenden Ausführungen basieren auf: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 747 und ebd., Gewestelijke bestuursinstellingen van Friesland 1580–1795, Nr. 2919 sowie Den Haag, KB, 75 B 46 [1]. Die Untersuchung durch den Magistrat Leeuwardens findet sich wieder in: Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 2635, p. 23–26.

142

D. Militär und Recht

Bürger zehn bis zwölf Reiter von der Kavallerie-Wache hinzu, nachdem mithilfe eines Horns ein Hilferuf abgesetzt worden war. Die Reiter griffen die Bürgerwachen mit der Absicht an, den Soldaten zu ihrer Wache zu bringen, was ihnen auch gelang. Dabei sollen die Reiter beim Entreißen des Soldaten dicht bei der Benne Brücke gegen fünf oder sechs Personen Gewalt ausgeübt haben. Die Bürger beklagten sich, woraufhin die Reiter diese mit ihren Karabinern geschlagen haben sollen. Der festgenommene Soldat ergriff in dieser Auseinandersetzung erneut die Flucht, wurde jedoch durch den Schlossermeister223 und bürgerlichen Adelborsten Gerrit Tijlburg beim Haus des Brauers Minke van der Haar ergriffen. Daraufhin ließ der Quartiermeister der Reiter den Soldaten durch sechs Mann erneut festnehmen, die auch Gerrit Tijlburg mit zur Reiterwache führten, wo dieser jedoch wieder laufen gelassen wurde. Die Bürger versuchten daraufhin beim Kornett Hixenius zu erreichen, dass der Soldat ihnen wieder ausgeliefert werde. Aufgrund ihres ersten Ergreifens beanspruchten sie den Soldaten in der bürgerlichen Wache zu inhaftieren. Das anscheinend unrechtmäßige Verhalten der Reiterei zeugt nur von einem schwelenden Konflikt. Daher ist das Eingreifen der Reiter in zweierlei Hinsicht zu deuten. Einerseits lässt sich ein Streit auf unterer Ebene und zwar um den konkreten Wachdienst erkennen. Es gab schon seit längerer Zeit Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Wachen bei ihren jeweiligen Diensten in der Stadt. Aus anderen Akten dieser Zeit ist zu erfahren, dass sich beispielsweise die Bürgerwache über mangelnden Respekt seitens der militärischen Wache beklagte.224 Andererseits scheint die Auseinandersetzung Anlass gewesen zu sein, anhand einer konkreten Auseinandersetzung eine Debatte über die grundlegende Beziehung von Militärs und Zivilpersonen in der Stadt zu führen. Die Stände von Friesland vertraten dabei eine positive Haltung gegenüber dem Militär und schlugen sich argumentativ auf dessen Seite, während die Interessen der Bürgerwache durch den Hof von Friesland vertreten wurden. Diese Parteinahme kam nicht überraschend, weil Ständeversammlung und Hof häufig in Konflikten um die rechtlichen Kompetenzen zueinander standen. Möglicherweise muss daher die Auseinandersetzung auch als „testcase“ angesehen werden, in dem die beiden Institutionen versuchten, ihre jeweiligen Befugnisse auszuloten.225 Aufgrund der Zuständigkeit der 223  Meister-Slotemaker.

224  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 695, 3.7.1739. Es wird auf die Resolution des Jahres 1687 verwiesen. 225  Vgl. Egmond, Florike: Recht en krom. Corruptie, ongelijkheid en rechtbescherming in de vroegmoderne Nederlanden, in: BMGN – Low Countries Historical Review 116 (2001), S. 1–33, bes. S. 28.



IX. Konkurrenz um die Jurisdiktion143

Stände für das Militär erscheint es zudem naheliegend, dass sie sich für diese einbrachten.226 Die Stände kritisierten das Verhalten des Magistrats von Leeuwarden, der sich durch das Eingreifen der Bürgerwache eine Rechtsprechung über militärische Personen angemaßt hätte, obwohl dieser lediglich für die Bürger zuständig sei. Dies wurde daher von den Ständen als eine Usurpation und verkehrte Jurisdiktion angesehen.227 Den Magistrat deuteten sie als Niederrichter, dem es somit nicht zustünde, über militärische Vergehen zu urteilen. Es wurde daher eine weitreichende Untersuchung des Falls angeordnet. In dieser plädierte der Hof dafür, dass die Soldaten wieder in die Hände des Magistrats gegeben werden sollten, weil dieser durch die Bürgerwache die Soldaten festgenommen hätte. Die Reiter hätten durch das Entreißen des Soldaten gegen die militärische Disziplin verstoßen. Zudem vertrat der Hof in seiner Argumentation die Auffassung, dass der Soldat ihm zwecks Verurteilung zu übergeben sei und die Reiter, die zwischenzeitlich im Blockhaus inhaftiert worden waren, an den Kriegsrat. In der Untersuchung offenbarte sich zudem, dass die Bürgerwache als schwach galt und nicht imstande sei, Gewalt mit Gewalt zu beantworten. Die Bürger seien zu ängstlich im Wahrnehmen ihrer Aufgaben. Diese Angst sei auch dadurch verstärkt worden, dass die Offiziere öffentlich daran gezweifelt hätten, dass der Magistrat eine Judikatur über Militärangehörige besitze.228 Der Streit wurde letztlich von der Mindergetal der Stände von Friesland auf die Weise gelöst, wie der Hof es im Laufe des Verfahrens vorgeschlagen hatte. Der Soldat wurde durch den Magistrat verurteilt, die Reiter hingegen durch den Kriegsrat. Die Urteile, die zwischenzeitlich gegen den Gerichtsschulzen Dr. Wibrandus Heems und den Assessor Dr. Bernardus Johannes Swalue aufgrund ungehorsamen Verhaltens gefällt worden waren, wurden nicht vollstreckt.229 Unter anderem hatten sie bei einer Anhörung am Hof das Ablegen des Hutes, der Degen und des Seitengewehrs verweigert. Deutlich zeigt sich in diesem Fall, dass die nicht militärischen Vergehen der Soldaten durch die zivilen Gerichtsorgane abgeurteilt werden mussten. Verstöße hingegen, die sich klar als militärisch klassifizieren ließen, wie der 226  Vgl. Guibal, S. 22. Zur Zuständigkeit gehörte bspw. die Vereidigung oder das Recht der Ernennung von Militärs bei Minderjährigkeit des Statthalters. 227  „Usurpartie en een verkeerde jurisdictie“, in: Den Haag, KB, 75 B 46 [1], p. 2. 228  „Mondelinge Propositie gedaan in de Vertrekkamer van het Hoff Provinciaal“ durch den präsidierenden Bürgermeister Dr. Nicolaas Arnoldi, Dr. Georgius Huber und den ältesten Schöffen Tjetse Jentjes van der Veen. 229  Resolution der Stände von Friesland vom 17.3.1736, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 747.

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D. Militär und Recht

Disziplinverstoß der Reiter, waren Aufgabe des Kriegsgerichts. Ebenso gilt hier aber auch, dass offensichtlich die Institution, die als erste den Straftäter aufgriff, diejenige war, die letztlich das Verfahren einzuleiten und womöglich ein Urteil zu sprechen hatte, denn beim Aufgreifen des Soldaten hätte dessen Verhalten ebenso als Disziplinverstoß ausgelegt werden können. Der Streit stärkte also den Hof als Gericht mit einer Jurisdiktion über Militärangehörige, die in zivilen Situationen auftraten. Das Urteil schwächte aber vor allem den Kriegsrat, der nun beim Verfolgen von Straftaten seitens der Soldaten klarer zu differenzieren hatte. Der Kriegsrat genoss nur dann die Jurisdiktion über Militärs, wenn sich diese mit militärischen Vergehen schuldig gemacht hatten.230 Die Lösung des Konfliktes beruhte letztlich darauf, dass die normativen Ordnungen in die Praxis umgesetzt und die Grenzen des Einflusses der jeweiligen Institutionen aufgezeigt wurden. Die relativ schnelle Beilegung zeugt davon, dass es wohl obrigkeitlicher Wille war, durch einen Kompromiss eine friedliche Zusammenarbeit zwischen militärischen und zivilen Gerichten zu ermöglichen. Dass dies auch schließlich lebensweltlich umgesetzt wurde, zeigt sich in einem Fall, der sich rund ein Jahr später zutrug. Die militärische Wache nahm zwei Zimmermannsknechte fest, die sie anschließend an die Bürgerwache überstellte, ohne sie selbst zu inhaftieren.231 Militärische Wachen erkannten also auch zivile Devianz und stützten damit die Rolle der bürgerlichen Wache in der Stadt. 2. Auseinandersetzung zwischen dem Kriegsrat und dem Hof von Friesland über die juristische Zuständigkeit (1752) Wie bereits einleitend erwähnt, urteilte der Kriegsrat in Leeuwarden ab 1748 über alle Verbrechen und Vergehen von Militärs. Die im vorherigen Kapitel geschilderte Auffassung des Jahres 1736 war nunmehr revidiert worden. Einige Jahre später, 1752, kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Hof von Friesland und dem Kriegsrat über die Zuständigkeit bei der Anklage eines Soldaten.232 Dem Soldaten Sytze Geerts wurde vorgeworfen, Diebstahl und Einbruch begangen zu haben. Außerdem wurde er beschuldigt, im Jahr 1736 oder 1737 in der Provinz Drente bei einem Kutschwagen, der einem Harrijt IJpes aus Oudega gehörte, die Hinterräder abgebaut und an seinen eigenen Karren befestigt zu haben. Seine 230  „Extract uijt ’t Resolutieboek der Ed. Mog. Heeren Staaten van Friesland“ vom 23.2.1736, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 747. 231  Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 2635, p. 131–135, 12./13.5.1737. 232  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 783.



IX. Konkurrenz um die Jurisdiktion145

alten abgenutzten Räder habe er anschließend an IJpes’ Wagen installiert.233 Interessant wurde dieser Fall für das Militär, weil Geerts am 4. Februar 1744 als Soldat für eine Dienstzeit von sechs Jahren unter der Kompanie von Leutnant-Kolonel Hixenius im zweiten Bataillon des Regiments von Kolonel Acronius angenommen worden war.234 Als das Regiment in Ath lag, hatte er sich ohne Erlaubnis von seinem Regiment wegbegeben und galt fortan als Deserteur. 1750 wurde er gefasst und anschließend vom Hof von Friesland aufgrund seiner oben geschilderten, nicht militärischen Gesetzesverstöße angeklagt.235 In dem Moment, als der Procureur-generaal des Hofs236 die Anklage erhob, ergriff jedoch auch der Kriegsrat die Initiative und beabsichtigte, das Verfahren in seine Zuständigkeit zu bringen, um über ihn als Deserteur zu urteilen. Der Hof begründete sein Vorrecht damit, dass Geerts nicht mehr als Soldat gelebt habe und darüber hinaus aus den militärischen Verzeichnissen gestrichen worden sei. Als Argument für seinen Standpunkt führte der Kriegsrat jedoch an, dass ihm nach der Resolution vom 28. Dezember 1748 das Recht zustünde, auch über die nicht militärischen Vergehen von Soldaten urteilen zu können. Die Resolution hatte die lange Konkurrenz zwischen dem Hof und dem Kriegsrat aufgehoben.237 Das militärische Verbrechen von Geerts war seine Desertion, die als zivil wahrgenommenen Verstöße der Einbruch sowie der Diebstahl. Die Verwunderung des Hofs, dass der ehemalige Soldat und nunmehrige Deserteur so lange unbehelligt in der Provinz leben konnte, wies der Kriegsrat dahingehend zurück, dass er von der Desertion keine Kenntnis gehabt habe. Vielmehr sei erst durch einen Auszug aus dem Kompaniebuch deutlich geworden, dass es sich bei Sytse Geerts um einen Deserteur handle.238 Auch das Argument, dass Geerts nicht mehr als Soldat geführt werde, erklärte der Kriegsrat für insofern unzutreffend, als dass der Sinn des Militärrechts letztlich aufgelöst würde, wenn alle gestrichenen Deserteure nicht mehr vor einen militärischen Richter gebracht werden könnten. Aus diesem Grunde betonte der 233  Sytze Geerts stammte gebürtig aus Drachten und war nach seiner Einschätzung 53 oder 54 Jahre alt. 234  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 16, p. 398–400, 26.2.1753. 235  Im Dezember 1750 wurde gegen Sytze Geerts das Verfahren vor dem Hof von Friesland eröffnet. Leeuwarden, Tresoar, Hof van Friesland, Nr. 2543. 236  Der Procureur-generaal war derjenige am Hof, der die Verdächtigen anklagte. Das Amt bekleidete in der Republik stets ein Jurist. Siehe van Nienes, Inleiding (1999), S. 20. 237  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 783. Dies wird erneut bestätigt in einer Resolution von 5.7.1753, in: ebd., Nr. 773. Der Hof verfolgte auch Militärs, so untersuchte er im Jahr 1723 ein Duell zwischen Frederik Christian Vos und zwei anderen Fähnrichen. Leeuwarden, Tresoar, Hof van Friesland, Nr. 1297. 238  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 783, Schreiben von Arnoldi.

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D. Militär und Recht

Gerichtsschulze Nicolaas Arnoldi erneut die Resolution von 1748, wonach der Hof nicht einmal das Recht auf eine Festnahme gehabt hätte. Eine 1752 angeführte Deductie des Hofs, in der dieser seinen Standpunkt deutlich machte, blieb daher auch unberücksichtigt,239 sodass Geerts dem Kriegsrat zwecks Verurteilung übergeben wurde. Dass das Kriegsgericht Oberhand gegenüber dem Hof gewinnen konnte, wurde nach dem Konflikt auch öffentlich deutlich gemacht. Am 12. Dezember 1752 wurden sowohl der Angeklagten Sytze Geerts, als auch der Mithäftling Hendrik Platman,240 der ebenso Soldat war und wegen eines Mordes in Workum beschuldigt wurde, durch den Leutnant Sluiterman und 25 Grenadiere, dem Leutnant-Gewaldigen mit drei Dienern im Beisein etlicher Soldaten vom Blokhuis abgeholt und zum Profos in das militärische Gefängnis gebracht.241 Die Überstellung zeigte, dass das Recht der Praeventie endgültig außer Kraft war.242 Die Szene wurde anschließend 1753 als Kupferstich ver-

239  Siehe dort die „Deductien Door het Hof van Vrieslandt overgegeven aan de Edele Mogende Heren Staeten dier Provintie. Ter verdediginge van het ontwyfelbare Reghts-gebiedt, ’t selve by praeventie competerende over Militaire personen, schuldig staande aan gemeene delicten, en geoefent voor, by, en na de vaststellinge van ’t Gemene-best, aghter-volgens haare Instructie en van tyt tot tyt verleende Commissien. Uitgegeven op Ordre van het Hoff“, Leeuwarden 1752. Überliefert in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 783 sowie abgedruckt in: Nederlandsche Jaer­ boeken 6 (1752), S. 371–384. 240  Er soll gebürtig aus „Zweer(t)zenbach“ im Kanton Zürich in der Schweiz stammen und nach eigener Auskunft 32 oder 33 Jahre alt sein. Weiterhin gab er an, er sei Soldat unter der Kompanie des verstorbenen Kolonel Pasturel im ersten Bataillon des Regiments von Leutnant-General Evertsen in der Garnison in Namur gewesen. Zuvor habe er drei Jahre in französischen Diensten gestanden, von denen er desertiert sei. Danach habe er unter den kaiserlichen Truppen gedient, von denen er jedoch ebenfalls desertiert sei. Er habe sich später im Regiment von van Canisius annehmen lassen und mehrmals gegenüber seinen Kameraden angegeben, zwei Mal um den Galgen gespielt zu haben. Damit habe er seine Tapferkeit beweisen wollen. In Sneek habe er im Sommer, wo damals seine Ehefrau wohnte, zuvor mit einem Jacob Harmens, der zur Zeit des Prozesses im Blokhuis einsaß und unter der Jurisdiktion des Hofs stand, sich auf die Suche nach Arbeit gemacht. Sie seien mit einem Rinnert Sipkes aus Workum zusammengekommen, der ihnen auch Beschäftigungen vermittelt habe. In Ferwoude hätten sie Rinnert Sipkes ermordet, ausgeraubt und anschließend die Leiche in einen Schlot geworfen. Ebenso sollen sie noch einen anderen Hausmann in Leeuwarden bestohlen haben. Urteil des Kriegsrats vom 12.2.1753, am 17.2.1753 durch Anna von Hannover approbiert, in: Nederlandsche Jaerboeken 6 (1752), S. 371–384. Im Prozessbuch: Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 16, p. 360–369; Nederlandsche Jaerboeken  7/1 (1753), S. 51 f.; Nederlandsche Jaerboeken 8 (1754), S. 469–474. 241  Nederlandsche Jaerboeken  7/1 (1753), S. 51 f.; Nederlandsche Jaerboeken  7/2 (1753), S. 588 f. Zu Sluiterman siehe [2e] im Anhang. 242  Bosch/van Nienes, S. 245.

Abb. 8: Übergabe zweier Straftäter vom Hof von Friesland an das Kriegsgericht in Leeuwarden (1753)

IX. Konkurrenz um die Jurisdiktion147

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D. Militär und Recht

breitet. Offensichtlich wurde der Übergabe der Soldaten eine so hohe Relevanz zugemessen, dass die Szene auch im Bild überliefert werden sollte. Beide Soldaten wurden anschließend vom Kriegsgericht verurteilt. Sytze Geerts’ Urteil fiel dahingehend aus, dass er vom Scharfrichter gegeißelt und anschließend mit „boeijen“, also Fesseln, an den Beinen festgeschlossen wurde, um an der Festung zu arbeiten.243 Hendrik Platman wurde wegen Mordes und Diebstahls verurteilt, „levendig geraadbraakt“, also bei lebendigem Leibe gerädert zu werden, und anschließend durch Schläge mit dem Zwingel des Dreschflegels, mit dem er seinen Mord begangen hatte, hingerichtet zu werden. Anschließend sollte sein Leichnam außerhalb der Stadt gebracht werden, um dort mit einem Dreschflegel über dem Kopf in das Rad geflochten zu werden. Sein Leichnam sollte „spectacul“ ausgestellt werden.244 Der Kriegsrat machte seine Stellung deutlich. Die Bediensteten des Hofs hatten den Soldaten zu Unrecht aufgegriffen. Der Deserteur wurde jedoch erst ab dem Zeitpunkt für die militärische Obrigkeit interessant, als er dem zivilen Gericht entzogen werden konnte. Ob die Auseinandersetzung das Verhältnis von Hof und Kriegsrat weiter abkühlen ließ, bleibt zwar unklar, jedoch zeigte sich im Jahr 1758, dass Hof und Kriegsrat kaum kooperierten. Eine Frau, die eines Diebstahls verdächtigt wurde, war vom Kriegsgericht inhaftiert worden, aber weil sie keine Soldatenehefrau war, hätte sie dem Hof übergeben werden müssen. Der Hof ließ die Frau jedoch nicht abholen, sondern die Zeit verstreichen, sodass die Inhaftierte schließlich ohne Prozess entlassen wurde.245 Beide Fälle zeigen, dass bezüglich der Jurisdiktion über Soldaten das Leeuwarder Kriegsgericht und der Hof von Friesland in einem starken Konkurrenzverhältnis zueinander standen. Diese Konkurrenz konnte offensichtlich erst durch das Verhandeln konkreter Fälle aufgelöst werden, bei denen die gefassten normativen Veränderungen, wie die Abschaffung der Praeventie, auch umgesetzt wurden. In diesen Fällen loteten beide Institutionen letztlich ihre Kompetenzen aus und besonders der zweite Fall ließ die 1748 neu gewonnene Jurisdiktion des Kriegsgerichtes deutlich aufzeigen.

243  Im Jahr 1748 wurde für Deserteure statt der Todesstrafe Festungshaft als alternative Strafform festgesetzt. Dorreboom, S. 204. 244  Sein Komplize Jacob Harmens wurde vom Hof von Friesland ebenso zum Tode verurteilt. Er wurde vom Scharfrichter am Galgen zu Tode gewürgt. Sein Leichnam wurde anschließend mit einem Dreschflegel in der rechten Hand auf ein Rad geflochten und beim Richtplatz „ten Spictakele“ ausgestellt. Leeuwarden, Tresoar, Hof van Friesland, Nr. 7510, fol. 202r–204r, 17.3.1753. 245  Ebd., SHA, Nr. 784, 11.2.1758.



X. Emden149

X. Emden: Zwist um die Zuständigkeit zwischen Magistrat und Kriegsrat (1740) Der Stadtkommandant Otto Georg Veldtman berichtete 1740 in einem Brief an die Generalstaaten über einen Vorfall,246 bei dem ein Soldat als vermeintlicher Dieb erschossen worden war. Der Soldat war ertappt worden, unrechtmäßig Holzplanken aus einem Garten entwendet zu haben. Gemäß einem im Jahr 1738 in Emden publizierten Plakat war es erlaubt, das Eigentum gegenüber Holzdieben mit Schusswaffen zu verteidigen. Hiervon machte der in Emden lebende Claes Stael Gebrauch, indem er jenen Soldaten bei dessen versuchten Diebstahl erschoss. Trotz des Plakats wurde eine Untersuchung des Falls angeordnet. Ein Konflikt um die Jurisdiktion entstand deshalb, weil unklar war, ob Stael unter die Jurisdiktion des Soldatenstands fiel. Er war zuvor aus niederländischen Diensten aus dem Regiment des Obersts van Bercheim desertiert. Stael hatte sich unter ein Generalpardon gefügt und war somit straffrei geblieben. Später nutzte er die Möglichkeit, sich in Emden in den preußischen Dienst zu begeben. Daher schickte Veldtman nach der Festnahme Staels seinen Adjutanten zur preußischen Garnisonsverwaltung, um in Erfahrung zu bringen, ob Stael dort als Soldat verzeichnet sei. In dem Falle, dass Stael noch in deren Listen stünde, wäre er an das preußische Kriegsgericht übergeben worden. Der preußische Major Ernst Georg von Kalckreuth gab jedoch zur Antwort, dass Stael zwar in der Kompanie von Kapitän von Vintzelberg angenommen, jedoch aufgrund anhaltender Abwesenheit aus der Rolle gestrichen worden sei. Aus diesem Grunde sei Stael als freier Mann und nicht als Soldat anzusehen. Daher wurde im Namen des Kriegsgerichts der Platzmajor an den präsidierenden Bürgermeister Adolph Christoph Stoschius gesandt, um zu klären, ob Stael unter der Jurisdiktion des Rats stünde. Der Bürgermeister gab zur Antwort, den Rat am 7. November darüber zu befragen. Am darauffolgenden Dienstag suchte der städtische Vizesekretär Adolph Christoph Stoschius den Obristen Veldtman auf und berichtete, dass Bürgermeister und Rat forderten, die Unterlagen über das Vergehen Staels einzusehen.247 Darüber hinaus wollte der Magistrat auch Zeugen aus Leerort unter Eid vernehmen. Veldtman erwiderte jedoch, dass, wenn Stael unter die niederländische Kriegsjurisdiktion fiele, Bürgermeistern und Rat kein Einblick in die Unterlagen zu gewähren sei. 246  Den Haag, NA, SG, Nr. 6742, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 18.11.1740, eingetroffen am 22. 247  Es gab in Emden zu dieser Zeit sowohl einen Bürgermeister als auch einen Sekretär namens Adolph Christoph Stoschius.

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D. Militär und Recht

Der Emder Magistrat führte jedoch ergänzend an, dass Stael als Schütze aufgrund des Plakats keine juristische Schuld träfe und dieser folglich freizulassen sei. Diesem Ansinnen entgegnete Veldtman, dass ihm diese Praktik „wonderlijk“ vorkäme und er daher beabsichtige, dass der Kriegsrat vorerst tagen und über den möglichen Freispruch debattieren solle. Darüber hinaus erkundigte er sich beim Rat, ob dieser „pretensie“ auf den Täter hätte.248 Nachdem Bürgermeister Stoschius dies erneut im Rat besprechen ließ, wurde der Wunsch von dem Bürgermeister und dem Rat geäußert, den Gefangenen von einem Sergeanten und vier Mann zum Rathaus bringen zu lassen. Veldtman antwortete, dass dies ohne Order des Kriegsgerichts nicht möglich sei. Am 17. November sprach Veldtman mit dem nunmehr präsidierenden Bürgermeister Jacques de Pottere, dass es notwendig sei, ein Verfahren gegen Stael zu eröffnen, in dem dieser freigesprochen oder verurteilt werde. Darauf antwortete de Pottere, dass sie Stael gerne anklagen würden, wo­ raufhin Veldtman den Kriegsrat einberufen ließ. Anschließend wurde Stael, weil er weder im Dienst der Niederländer stand noch eine Wache angeschossen hatte, am 18. November mit den Akten an den Magistrat übergeben. Der Kriegsrat beschloss, dass sich der inhaftierte Stael in Emden, so wie es bei den Bürgern und Einwohnern üblich sei, vor dem Magistrat und nicht vor dem Kriegsgericht verteidigen soll. Veldtman äußerte bei der Übergabe die Vermutung, dass Stael wohl schnell aus der Haft entlassen werde. Hiernach brechen die Informationen ab, weil die städtische Überlieferung fehlt. Deutlich wird jedoch in diesem Fall, dass die normative Zugehörigkeit zum Militär, also vor allem die Frage danach ob ein Soldat in die Listen eingeschrieben war, grundlegend für die rechtliche Behandlung als Militär oder Zivilperson war.

XI. Leeuwarden: Zwist um das Erteilen des Pardons (1738) Streitigkeiten um die Distinktion von militärischen und zivilen Rechtsbereichen offenbarten sich in Leeuwarden in der Frage, in wessen Kompetenz das Erteilen eines Pardons fiel.249 Dies führte zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Hof von Friesland und dem Statthalter.250 248  Prentensie/pretentie

= Vorrecht, Anspruch. Dorreboom, S. 169. Das Pardon zieht die Straffreiheit nach sich, die Gratie lediglich eine Strafmilderung. 250  Vgl. Dülmen, Richard van: Theater des Schreckens, Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München 1985, S. 45 f. Offensichtlich gab es auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reichs etliche Fälle, bei denen sich Spannungen 249  Vgl.



XI. Leeuwarden151

Am 13. März 1738 setzte der Hof eine juristische Schrift zur Klärung der Frage auf,251 ob dem Statthalter das Recht zur Verleihung des Pardons zustünde und ob dieser jenes einer höheren Person oder einem Kollegium übertragen könnte. Die Schrift wurde als Reaktion auf einen Zwist zwischen dem Statthalter und Teilen der Stände von Friesland aus dem Jahr 1738 verfasst, bei dem es um die Frage ging, ob dem Statthalter oder den Ständen dieses Recht bei Militärs zustünde.252 Auslöser dieser Streitigkeiten war ein Pardon, das dem Korporal Johannes Zimmer am 22. Februar 1738 erteilt worden war. Dieser hatte am 25. Dezember 1735, unter der Kompanie des Rittmeisters Grovestins stehend, einem Soldaten namens Jan Frederik Croll aus der Garde du Corps des friesischen Statthalters Verletzungen zugefügt, an denen jener 16 Tage später verstorben war. Seine Attacke gegen Croll führte Zimmer selbst auf Notwehr zurück, weil dieser ihn grundlos angegriffen habe. Da die Auseinandersetzung in der Dunkelheit stattgefunden hatte, sei ihm zudem nicht bewusst gewesen, dass Croll schwer getroffen wurde und die Verletzungen letztlich tödlich waren.253 Nach dem Tode Crolls wurde der Hof von Friesland durch Information des städtischen Gerichts in Leeuwarden über den Fall unterrichtet,254 was zu einer Inhaftierung des Korporals im Blokhuis führte. Danach verbrachte der inhaftierte Korporal Zimmer einige Zeit auf dem Hellebardiers-Saal sowie im Garde-duCorps-Saal im statthalterlichen Hof, wo dieser sich folglich in den Händen des Statthalters befand, ehe ihm das Pardon erteilt wurde. Der Hauptkritikpunkt des Hofs war, dass Zimmer mit dem Totschlag kein militärisches Verbrechen begangen habe. Der Hof stritt daher dem Statthalter gegenüber ab, dass dieser berechtigt sei, bei zivilen Verbrechen ein Pardon erteilen zu können, vor allem einem noch nicht verurteilten Straftäter. Zudem hatte kein Gericht zu diesem Zeitpunkt ein Urteil über Zimmer gesprochen. zwischen den lokalen Obrigkeiten und dem Landesherrn bezüglich der Aufhebung von Urteilen auftaten. 251  Deductie van het Hof van Friesland over de sake van het Pardon in gemeene Delicten, en besonder den Doodslag, overgegeven aan de Edele Mogende Heeren Staaten van voorschreven Provintie den 13de Maart 1738 …, Leeuwarden 1739, [9  S.], überliefert in: Den Haag, NA, Collectie Fagel, Nr. 955; abgedruckt in: van der Kemp, Magazyn van Stukken, Bd. 4, S. 104–117. 252  Den Haag, KB, 75 B 46 [2]. Abschrift, die nur die Stellungnahmen der Stände wiedergibt. Siehe auch: Den Haag, NA, Collectie Van der Hoop, Nr. 33 von Petrejus vom 7.3.1738. Er schreibt, dass das Pardonrecht mehr „faculiteit“ als „formaliteit“ sei. 253  Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 202, Schriftstück: Nr. 1838, ohne Datum. 254  Die erste Untersuchung durch den Rat in Leeuwarden, siehe: Leeuwarden, HC, Archief van de stad Leeuwarden, 1426–1811, Nr. 2634, p. 417–419, 30.12.1735.

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D. Militär und Recht

Die Argumentation des Hofs gegen die Praxis des Statthalters gestaltete sich vielschichtig. Zunächst argumentierte dieser historisch-religiös mit der Heiligen Schrift. Dort hieße es, dass derjenige, der das Blut eines Menschen vergossen habe, auch seines Lebens verlustig würde. Bei einer gottesfürchtigen und christlichen Obrigkeit könne daher kein Pardon an einen Totschläger verliehen werden. Auch wenn die Person ein Einheimischer sei, müsse der Totschlag gesühnt werden. Ebenso kritisierte der Hof, dass der Statt­ halter sich über die juristischen Institutionen gestellt und dabei ohne Rücksprache mit dem Kriegsrat das Pardon erteilt habe. Dem Statthalter stünde das Recht nicht zu, bei gemeinen Delikten Pardons zu verleihen, erst recht, wenn nicht geklärt worden sei, welches Rechtsgremium überhaupt für die Verhandlung zuständig sei. Auch andere Fälle, in denen der Statthalter Militärs nach einem Totschlag das Pardon erteilt habe, können nicht mit dem Fall des Korporals Zimmer verglichen werden. Bei ihnen handelte es sich stets um Verstöße gegen die Disziplinordnung des Militärs, nach denen später der Todesfall eingetreten war. Ein Fall aus dem Jahre 1710 lag nämlich ähnlich. Damals war einem Totschläger namens Albartus Eekhout, der auch Militär war, ein Pardon erteilt worden. Doch hatte Eekhout nach Ansicht des Hofs aufgrund eines „ongelukkige slag“ gegen die militärische Disziplin verstoßen, was das Pardon rechtmäßig erscheinen ließ. Der Totschlag von Zimmer, der vom Hof als absichtlich ausgeführt interpretiert wurde, stellte nach dessen Auffassung kein militärisches Verbrechen dar.255 Auf dem Landtag vom 14. März 1738 wurde eine Resolution zur Schlichtung der Auseinandersetzung gefasst.256 In dieser hieß es, dass Johannes Zimmer aus seiner Inhaftierung zu entlassen sei. In Zukunft solle jedoch, wenn der Statthalter beabsichtige, eine militärische Person, die sich eines gemeinen Delikts schuldig gemacht hatte, zu begnadigen, dies Vorhaben durch den Kriegsgerichtsschulzen an den Hof von Friesland gemeldet werden. Diesem Beschluss folgte erneut heftige Kritik. Diese kam aus dem gesamten Quartier von Zevenwouden und beinahe der Hälfte des Quartiers Westergo.257 Nach Bekanntwerden der Resolution wurde eine 255  Vgl. dazu den Prozess: Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 14, p. 1–6. Er war Sergeant unter Kapt. Gselhoff. Durch einen angeblich unglücklichen Schlag hatte er den Korporal der Kompanie, Albert Hasecamp, getötet (9.9.1709). Eekhout wurde vom Kriegsrat am 8.1.1710 freigesprochen, dieses Urteil wurde am 2.4.1711 durch den Statthalter approbiert. 256  Den Haag, NA, Collectie Fagel, Nr. 955, Blatt F: Journaal van’t gepasseerde omtrent de Corporaal Johannes Simmer, en ’t regt van Pardon, op den Ordinaris Landsdag 1738. 257  Die Stände der Provinz waren in vier Abteilungen unterteilt, die als Quartiere (kwartier) bezeichnet wurden. Zu diesen gehörten Oostergo, Westergo, Zevenwouden und die Städte.



XI. Leeuwarden153

Kommission gegründet, die sich mit der praktischen Handhabung der Justiz auseinandersetzten sollte. Ausgehend von den Streitigkeiten auf dem Landtag und als Antwort auf die Deductie des Statthalterlichen Hofs verfasste der Hof von Friesland eine Nadere Deductie.258 In dieser hieß es, dass das Recht, über Leben und Tod zu urteilen, allein Gott zustünde. Die Obrigkeit auf Erden, also der Statthalter, sei jedoch Gottes Dienerin. Es sei somit nicht der Mensch, der Gericht hielte, sondern Gott. Für den Totschlag könne es demzufolge kein anderes Urteil geben, als den Verlust des Lebens, denn bereits die Bibel schriebe diese Bestrafung vor. Schon in der Geschichte von Kain und Abel sei deutlich geworden, dass Kain aufgrund seiner Tat den Tod ebenso verdient habe.259 Aber auch im Neuen Testament sei diese Auslegung zu finden, wenn Petrus verkündete, dass alle, die das Schwert nehmen, ebenso durch das Schwert vergehen sollen. Die Räte des Hofs von Friesland argumentierten in einer langen Ausführung, dass keiner souveränen Macht auf Erden das Recht zustehen soll, bei einem Totschlag ein Pardon zu verleihen. Sie untermauerten dabei ihre Beweisführung, dass ihre Meinung dem Gesetz Gottes, den alten Gebräuchen der Völker und darüber hinaus auch den Auffassungen der besten Schreiber über das öffentliche Recht entsprechen würde. Der Totschlag sei ein Verbrechen, bei dem Gott selbst die Todesstrafe anbefohlen habe, wenngleich die Verleihung von Gratie oder Pardon durch den Souverän nicht gänzlich auszuschließen sei. Zwar stellen sie weiter fest, dass das Recht zum Pardon unter die jura summae majestatis fiele, jedoch könne der Hof nicht erkennen, inwiefern an den Statthalter oder Kapitän-General dieses Recht zu übertragen sei. Selbst Wilhelm III., der letzte Statthalter von Holland und Zeeland, sowie König von England und Schottland, hätte keinesfalls das Recht genossen, bei Totschlag und anderen „enormen delicten“ eine Strafverminderung zu bewirken oder gar ein Pardon zu verleihen.260 258  Nadere Deductie van het Hof van Friesland. Schriftelyk overgegeeven an den 2den Maart 1739 aan de Edele Mogende Heeren Staaten van voornoemde Provintie en ter Requisitie van Deselve, op Ordre van het Hof gedrukt, Leeuwarden 1739, [24 S.], in: Den Haag, NA, Collectie Fagel, Nr. 955; abgedruckt in: van der Kemp, Magazyn van Stukken, Bd. 4, S. 117–153. 259  „… und jeder, der mich trifft, kann mich erschlagen“, Genesis 4, Vers 14. Übersetzung nach: Zürcher Bibel, S. 11. Zudem findet dies laut Hof Bestätigung in Exodus 21, Vers 12 „Wer einen Menschen schlägt, so dass er stirbt, muss getötet werden“, Übersetzung nach: Zürcher Bibel, S. 104, sowie Leviticus 25, Vers 17 „Und wenn jemand einen Menschen erschlägt, muss er getötet werden“, Übersetzung nach: Zürcher Bibel, S. 169. 260  Hier sei anzumerken, dass Wilhelm III. 1688 ein Generalpardon für Deserteure erließ: Rollin Couquerque, Legerbestuur, S. 132.

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D. Militär und Recht

Zwar führte der Hof in seiner Argumentation das Werk des Franeker Rechtsgelehrten Ulrich Huber (1636–1694) „Heedendaegse Rechtsgeleertheyt“ an, in dem es hieße, dass dem Statthalter in Friesland das Recht zum Pardon zustünde, jedoch stellen sie unisono fest, dass in Friesland dies nur durch die Stände der Provinz erfolgen könne. Begründet wurde diese Auffassung dadurch, dass es keinen Unterschied in der Wertigkeit von zivilen und militärischen Delikten gebe. Sie empfanden die Forderung nach dem Pardonrecht des Statthalters als absurd, weil demnach dem Statthalter von Friesland mehr zustünde als dem Statthalter von Holland. Zwar sei ihnen bewusst, dass der Statthalter oder einer seiner Vorgänger über Militärs Pardons ausgesprochen habe, jedoch sei es nur auf solche Verbrechen bezogen gewesen, bei denen der Hof grundsätzlich keine Jurisdiktion genieße, wie beispielsweise bei Desertion. Es gebe keinen Fall, bei dem der Statthalter der Provinz oder der Kapitän-General für einen Totschlag ein Pardon ausgesprochen habe. Sie unterstellten dem Statthalter schließlich sogar einen Missbrauch der Macht. Der Statthalter beantwortete die Vorwürfe des Hofs stante pede durch eine gedruckte Deductie.261 In dieser Schrift waren zwei Fragen aufgeworfen worden, die anschließend in ausgesprochener Ausführlichkeit erläutert und beantwortet wurden. Die erste Frage wurde dahingehend gestellt, ob eine souveräne christliche Obrigkeit das Recht zum Verleihen der Pardons und Gratie in schweren kapitalen Delikten genieße und ob die Obrigkeit verpflichtet sei, ein solches Recht auszuüben. Die zweite Frage richtete sich danach, ob dieses Recht durch den Souverän auf eine andere hohe Person oder ein Kollegium übertragen werden könnte. Die erste Frage wurde mit den zeitgenössischen Rechtsgelehrten unter Berücksichtigung des Naturrechts und dem Heranziehen von Bibelstellen aus dem Alten und Neuen Testament beantwortet. Die vom Hof angeführten biblischen Argumente wurden damit entkräftet, dass sie sich nicht auf die politischen Gesetze beziehen könnten. Das Königreich Christi sei nicht von dieser Welt. Ebenso könnten die Bibelzitate in diesem Fall keine Anwendung finden, da sich Gottes Worte über den Totschlag allein auf den schlechten, also mutwilligen Totschlag bezögen. Ein Vergleich mit Verbrechen wie dem Ehebruch, der nach den Gesetzen Gottes ebenso mit dem Tod, aber in der Praxis in Friesland nur mit einer Geldstrafe versehen werde, entkräftete das Argument vollständig. Die Strafen, die die Bibel vorsieht, würden demnach in nur wenigen Fällen angewandt werden. Der 261  Deductie, Tot meerder Verdediging van ’t aloude Recht van Pardon, Zyn Hoogheit, den Heere Prinçe van Oranien en Nassauw, Erf-Stadthouder, en Capitain Generaal van Friesland, competerende, o. D. [36 S. und Anhang], in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 748.



XI. Leeuwarden155

bereits oben angeführte biblische Satz „Wie Iemand slaat, dat hy sterft, die zal zekerlyk gedoodet worden“ gelte nur bei dem Homicidium Dolosum, sprich dem listigen Mord, also einer absichtlichen Tötung. Bei dem unabsichtlichen Totschlag, wie beispielsweise beim Duell, habe dies durch einen Richter untersucht zu werden, ehe zu urteilen sei. Bezüglich des weltlichen Rechts hieß es in der Ausführung, dass die Todesstrafe im Grunde genommen abgeschafft werden müsse und vielmehr auf die Besserung des Missetäters zu setzen sei. Die Todesstrafe sei bei den meisten Völkern erst sehr spät eingeführt worden, wie beispielsweise für Hochverrat oder Vatermord. So habe die römische freie Gemeinschaft (Res Publica)262 700 Jahre lang ohne Todesstrafe besser funktioniert (außer bei Majestätsverbrechen und Vatermord) als die späteren Monarchien der heidnischen Kaiser. Selbst nach dem Recht der alten Friesen und anderen germanischen Völker wäre der Totschlag stets nur mit einer Geldbuße belegt worden. In der Argumentation gestand der statthalterliche Hof zwar zu, dass zur jetzigen Zeit keine (bürgerliche) Gemeinschaft existieren könne, ohne Gesetze, die auch eine Todesstrafe vorsähen, da sonst der „totale ruine des ganschen Staats“ folgen würde.263 Doch stellte dieser gleichsam fest, dass die kapitalen Strafen in Friesland nur sehr selten vorkämen. Weiter wurde ausgeführt, dass bisher weder Rechtsgelehrte noch Theologen in Zweifel gezogen hätten, dass dem souveränen Regenten nicht das Recht zur Gratie oder Pardon zustünde. Auch sei der Vorwurf haltlos, dass das Verleihen dieser beiden Strafminderungen schlechte Folgen für die Bürgerschaft und damit für die Gemeinschaft hätte. So habe beispielsweise Gott den Brudermord an Kain ebenfalls nicht gesühnt. Hinsichtlich der zweiten Frage argumentierte der Statthalterhof mit dem römischen Recht, wobei dieser feststellte, dass die Befähigung zur Begnadigung im antiken Rom in aller Regel an die jeweiligen Statthalter übertragen worden sei, wie beispielsweise durch den Kaiser Konstantin (272–337). Weil dieses Recht somit dem Souverän zustünde, könne es zwar teilweise, jedoch niemals vollständig an einen hohen Magistrat übertragen werden. Auch unter der Regentschaft Wilhelms von Oranien (1533–1584) sei das Recht zum Pardon durch die Stände auf den Statthalter übertragen worden. Und weil dieser Prinz von Oranien nicht nur Statthalter im politischen Sinne, sondern auch Kapitän- und Admiral-General im militärischen gewesen sei, habe er das Recht zum Pardon frei gebrauchen können.264 Es habe immer einen Unterschied zwischen gemeinen und militärischen Delikten 262  Im Original: „Roomsche Vrye Gemenebest“, Deductie, Tot meerder Verdediging, p. 17. 263  Ebd., p. 15–17. Unter Bezug auf Hugo Grotius und Huber. 264  Ebd., p. 22.

156

D. Militär und Recht

gegeben. Zu den Verbrechen, deren Verhandlung dem Kriegsrat zustünde, würden auch beispielsweise solche gezählt werden, bei denen Militärs einen Totschlag begangen hätten. Schließlich habe auch der friesische Statthalter Wilhelm Ludwig einst einen Soldaten freigesprochen.265 Trotz der Auseinandersetzung auf dem Landtag und dem Austausch der verschiedenen Schriften behauptete der Statthalter weiterhin für sich das Recht, Pardons erteilen zu können. Der Argumentation des Hofs wurde nicht gefolgt, sondern die vom Statthalter aufgesetzte Schrift wurde letztlich als Grundlage für das weitere Vorgehen genutzt. Johannes Zimmer wurde ohne Strafe aus der Haft in die Freiheit entlassen. Der Statthalter beanspruchte also weiterhin sein Recht Pardons zu verteilen, begründete dies ebenso mit der Schrift von Ulrich Huber. Dieser hatte in seinem Werk „Heedendaegse Rechtsgeleertheyt“ dargestellt, dass bei von Militärs begangenen Verbrechen dem Statthalter das Recht zum Pardon zustünde, lediglich die rechtliche Verfolgung von Militärs könne bei „gemeine[n] delicten“ nach dem Recht der Praeventie auch durch den Hof geschehen.266 1740 bekräftigte der Statthalter nochmals die Trennung der Zuständigkeit der jeweiligen Rechtsinstitutionen: Die Räte des Hofs von Friesland sollten die straf- und zivilrechtliche Verfolgung wahrnehmen, sich jedoch aus anderen Gebieten, wie „Policie, Finantie en Militie“ heraushalten, und solches dem Statthalter, den Ständen und den Gedeputeerde Staten überlassen, die in der Regel bei Minderjährigkeit des Statthalters dessen Aufgaben übernahmen.267 Summierend zeigt dieser Fall, dass die Seite des Statthalters offensichtlich deutlich beabsichtigte, die militärische Jurisdiktion von der zivilen zu trennen und bei der Frage nach der Verleihung des Pardons für Militärs den zivilen Einfluss zu unterbinden. Zudem zeugt der Fall jedoch auch davon, wie gespannt das Verhältnis von Statthalter zu den Ständen und dem Hof von Friesland war.

XII. Proteste gegen die personelle Struktur der Kriegsgerichte Ein weiterer Aspekt bezüglich der Distinktion von ziviler und militärischer Bevölkerung zeigte sich in der Diskussion um das Personal der Kriegsgerichte, die in den folgenden Kapiteln dargestellt wird. Besonders 265  Ebd.,

p. 35. Bd. 2, S. 59. 267  Berigt van syn Hoogheit de Heere Prince van Orangen en Nassauw, &c. &c. &c. Erfstadhouder en Capitain Generaal van Frieslandt, &c. &c. &c. Overgegeven aan de Edele Mogende Heeren Volmagten der Landen en Steeden, van Frieslandt, Op den Ordinaris groten Landsdag Staats-gewyse vergadert, 1740, Leeuwarden 1740, in: Den Haag, KHA, Archief Willem  IV, Nr. 311; van der Kemp, Magazyn van Stukken, Bd. 4, S. 152–173. 266  Huber,



XII. Proteste gegen die personelle Struktur der Kriegsgerichte 157

im 18. Jahrhundert kam es zu Kritik seitens der Offiziere. In das Blickfeld geriet in erster Linie das Amt des Kriegsgerichtsschulzen, den es in den Niederlanden nur bei den drei hier behandelten Kriegsgerichten gab. Die anderen Kriegsgerichte in der Republik verfügten seit Beginn des 18. Jahrhunderts in der Regel über einen Auditeur Militair, dessen Rolle im Kriegsgerichtswesen des späten 18. Jahrhunderts eindeutig definiert war. Dieser hatte vor allem keinen militärischen Rang inne. Ähnlich wie der Gerichtsschulze entwarf er die Anklage und leitete das Verfahren. Jedoch genoss der Auditeur keinesfalls Stimmrecht im Kriegsrat.268 Die Funktion des Gerichtsschulzen in Leeuwarden kam diesem Amtsverständnis am nächsten, sodass in dieser Stadt seitens der Offiziere keine Kritik aufkam. Der Leeuwarder Schulze genoss in strafrechtlichen Verfahren im Kriegsrat kein Stimmrecht. Bedacht werden muss allerdings, dass die Leeuwarder Kriegsgerichtsschulzen im 18. Jahrhundert häufig aus Kreisen kamen, die dem Statthalter nahestanden. Dies zeigt sich besonders beim Schulzen Nicolaas Arnoldi, der ebenso auch etliche andere Ämter innehatte.269 Mögliche Kritik hätte sich für den Wortführer nicht karrierefördernd auswirken können, da der Statthalter persönlich die militärischen Ämter verlieh. Lediglich in einem Fall, bei dem der Kriegsgerichtsschulze Wibrandus Heems 1732 einige Vorschläge zur Veränderung des Kriegsgerichtswesens einbrachte, stellte sich der Offizier Frederik Willem Meijers gegen die Ausführungen. Der Kriegsgerichtsschulze beabsichtigte die Bestimmungen der Resolution vom 2. Juni 1724 einzuschränken und somit auch über kleinere Verbrechen im Kriegsgericht zu verhandeln. Offiziere sollten folglich kleinere Vergehen nicht mehr selbst abhandeln können. Meijers lehnte die Forderungen ab, indem er darauf hinwies, dass durch das Einberufen des Kriegsgerichts hohe Kosten entstünden, die durch eine informelle Beilegung nicht aufkämen. Ebenso seien langwierige Verfahren zu erwarten, die mitunter längere Gefängnisaufenthalte bis zur endgültigen Verurteilung mit sich brächten. Am meisten wurde jedoch befürchtet, dass eine Schmälerung der Autorität des Kommandanten eintreten könnte, wenn nunmehr alle Vergehen von Soldaten vor dem Gericht verhandelt würden. Ebenso hielt Meijers den Plan des Gerichtsschulzen, dass jener neben dem Statt268  Dorreboom,

S. 67–73. 1688 in Leeuwarden, gestorben ebd. 1777. Ämter: 1716 Advokat am Hof von Friesland, 1718–1724 Pensionaris von Leeuwarden, 1722–1732 Sekretär von Leeuwarden, 1725 sowie 1728 Musterungskommissar, 1728–1756 Sekretär von Maria Louise, 1731–1751 ebenso für Wilhelm IV., 1735–1751 Thesaurier-Generaal, 1736–1758 Gerichtsschulze, ab 1751 Particulier Secretaris und Thesaurier von Anna von Hannover, 1733–1737 Bürgermeister Leeuwardens, Abgeordneter auf dem Landtag, 1748–1759 sowie 1766–1767 Mitglied der Mindergetal, 1761–1763 Mitglied der Rechenkammer, 1769–1777 Mitglied der Gedeputeerde Staten, 1773 Abgeordneter der Synode als politischer Kommissar. 269  Geboren

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D. Militär und Recht

halter in der Titulation des Gerichts genannt werden sollte, für eine zu große Ehre.270 1. Emden: Ablehnung des Kriegsgerichtsschulzen (1730er / 40er Jahre) In Emden geriet im 18. Jahrhundert das Amt des Kriegsgerichtsschulzen besonders in die Kritik. Seit der Kassation der landständischen Truppen war der Gerichtsschulze in den Augen der Niederländer nicht mehr notwendig. Vielmehr sahen sie es sogar als ein erhebliches Problem an, dass ein nicht niederländischer Amtsträger Urteile über Militärs verhängen konnte, die auf die Republik vereidigt waren. Die Kritik richtete sich besonders dahingehend, dass der Schulze auch über deren Leben urteilen könne und somit berechtigt war, Todesurteile zu unterstützen.271 Im Juni 1736 zeigte sich zum ersten Mal deutlich, dass die Niederländer keine Notwendigkeit in der Beibehaltung des Gerichtsschulzenamts sahen. Als der Schulze Enno Paul van Wingene angab, statt um 9 Uhr erst um 10 Uhr an einer Sitzung teilnehmen zu können, und dementsprechend den Stadtkommandanten Veldtman bat, das Gericht eine Stunde später tagen zu lassen, reagierte der Stadtkommandant mit Ablehnung. Er verwies darauf, dass er die Sitzung bereits angeordnet habe und dass der Gerichtsschulze ohne weiteres fernbleiben könne. Veldtman sah keinen hindernden Grund, weshalb der Kriegsrat ohne den Schulzen nicht tagen könne.272 Die Unstimmigkeit war jedoch mit dem Rückweisen der Bitte von van Wingene keineswegs beigelegt. Kurze Zeit später, im Juli 1736, schilderte Veldtman in einem Schreiben an die Generalstaaten, dass der Magistrat Emdens Mitspracherecht im Kriegsrat fordere. Dieser argumentierte damit, dass der Kriegsrat ebenso für die landständische Garnison zuständig sei. Bereits 1732 hatten Bürgermeister und Rat beansprucht, bei Abwesenheit des Gerichtsschulzen einen Sekretär des Magistrats als Vertreter zu schicken, was auf Ablehnung seitens der Niederländer stieß.273 Veldtman wertete dies als einen Eingriff in die Ausübung des Gerichtwesens der Niederländer. Er betonte, 270  Den

Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 210, Vol. I, 28.2.1732. Den Haag, NA, SG, Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.9.1734, eingetroffen am 13., Nr. 5. Er plädiert dafür, dass die „Haer Hoogh Mogende“ in letzter Instanz über die Anwendung der Todesstrafe entscheiden sollen. 272  Ebd., Nr. 6741, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 28.6.1736, eingetroffen am 2.7; Emden, StadA, I.  Reg., Nr. 889. 273  Ebd., Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 29.8.1732, eingetroffen am 2.9. 271  Vgl.



XII. Proteste gegen die personelle Struktur der Kriegsgerichte 159

dass ein solches Verhalten seitens eines städtischen Magistrats bei keiner Auslandsgarnison vorgekommen sei, weder in England oder Spanien, noch in anderen deutschen Städten. Aufgrund dieses Affronts klang in dem Schreiben die Überlegung an, dass die Generalstaaten gewillt seien, einen Auditeur Militair statt des Gerichtsschulzen in Emden einzusetzen, um durch das Ablösen des veralteten Amts den Konflikt beizulegen.274 Der Auditeur wäre nur noch auf die Republik vereidigt gewesen und das Kriegsgericht wäre demzufolge endgültig von der Stadt abgetrennt worden. Offensichtlich blieb es lediglich bei dieser Androhung, gleichwohl der Gerichtsschulze scheinbar weiterhin nur geduldet wurde, wie es ein Schreiben Veldtmans aus dem Dezember 1743 zeigt. Denn Ende des Jahres 1743275 hatte Veldtman das Gerücht vernommen, wonach der amtierende Gerichtsschulze van Wingene am 1. Januar 1744 zu einem Bürgermeister der Stadt gewählt werden sollte. Veldtman warf dabei die Frage auf, ob es einen Nachfolger im Schulzenamt geben müsse. Da der Gerichtsschulze nach seiner Auffassung ein Amt ausübe, das vor allem aufgrund der landständischen Truppen eingeführt worden sei und diese zu diesem Zeitpunkt kassiert worden waren, empfahl Veldtman mit Verweis auf das ­Schreiben vom 29. August 1732, nach Ausscheiden van Wingenes keinen neuen Amtsträger zu benennen. Er schlug stattdessen vor, erst dann einen neuen Gerichtsschulzen aufzustellen, wenn die ständischen Truppen wieder aufgerichtet würden. Der Fall verdeutlicht, dass das Amt des Kriegsgerichtsschulzen nur noch geduldet und in Emden von den Offizieren als entbehrlich betrachtet wurde. Besonders die Tatsache, dass der Schulze lediglich ein städtischer Beamter war, stand den Vorstellungen der Niederländer diametral entgegen. 2. Groningen: Offiziere lehnen sich gegen das Amt des Gerichtsschulzen auf Im 18. Jahrhundert entstand in Groningen vermehrt Kritik seitens der Offiziere gegenüber dem Kriegsgerichtsschulzen. Der Hauptkritikpunkt beruhte vor allem darin, dass es sich bei dem Gerichtsschulzen nach ihrer Auffassung um eine nicht militärische Person handle. 1707 war es schon, wie oben geschildert wurde, zu Rangstreitigkeiten zwischen dem Gerichtsschulzen und den höheren Offizieren gekommen, jedoch scheinen diese erst in den darauffolgenden Jahren eskaliert zu sein.276 274  Ebd., Nr. 6741, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 1.7.1736, eingetroffen am 5. 275  Ebd., Nr. 6746, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 7.12.1743, eingetroffen am 13. 276  Brief eines G. Edingh an den Gerichtsschulzen in Leeuwarden vom 31.12.1707. Ebenso betont von den Groninger Gerichtsschulzen, Assessoren und dem Sekretär. Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 774.

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D. Militär und Recht

Bereits in einer Deduktion aus dem Jahr 1718277 führten mehrere hohe Offiziere der Provinz Groningen in ausführlicher Form an,278 dass ein Gerichtsschulze nicht dem Kriegsrat vorsitzen könne. Ihrer Ansicht nach unterscheide sich das Amt nicht von dem Fiskal beim Hohen Kriegsrat, dem Auditeur (militair) bei den Garnisonskriegsräten oder dem Gewaldige im Feld, die alle keine Präsidenten seien.279 Lediglich in den Provinzen Friesland und Zeeland würde dieses Amt mit dem Begriff Gerichtsschulze betitelt werden. In ihrer Argumentation unterschieden die Offiziere zwischen einem Kriegsgericht für zivile Sachen, wie beispielsweise Schulden oder Streitigkeiten über Testamente,280 und einem Kriegsrat für strafrechtlich relevante Verfehlungen. Unter anderem leiteten sie aus der Bestallungsformel des Gerichtsschulzen ab, dass dieser allein Präsident des „Crijgs-geregte“ sei und damit ausdrücklich nicht des Kriegsrats.281 Aufgabe des Gerichtsschulzen sei es, Informationen zu sammeln, Zeugen zu verhören, den Prozess einzuleiten und den Obersten des Regiments in Kenntnis davon zu setzen, damit dieser den Kriegsrat versammeln lassen könne. Wie in Friesland solle der Gerichtsschulze dann an der Seite des Offiziers sitzen, ohne Stimmrecht zu haben. In zivilen Sachen habe der Gerichtsschulze mit den beiden Assessoren und dem Sekretär als Richter zu urteilen, wie dies auch nach Ansicht der Offiziere im schwedischen Kriegsrecht praktiziert würde.282 Die Ämter der Assessoren seien vor allem erst unter Petrus Pappus van Tratzberg (Schulze von 1596–1628) dem Kriegsgericht hinzugefügt worden, und auch das Schulzenamt sei nicht seit Gründung des Gerichts vorhanden gewesen.283 Ein Beispiel, das sie anführten, betraf die Versammlung eines Hohen Kriegsrats284 im Saal des Hauses zu Ulrum im Jahr 1678,285 der wegen 277  Deductie van de Hooft-Officieren en Capitainen (1718), in: Groningen, GA, Krijgsgerecht en Krijgsraad, 1651–1811, Nr. 1. Ob hier ein Zusammenhang zu der 1718 ebenfalls stattgefundenen Ernennung Wilhelm Karl Heinrich Frisos zum Statthalter der Provinz vorliegt, bleibt unklar. 278  Dies waren: H. Alberti, Jan Wichers, W.A.V. Manneel, I.T. van Swartz, Joost Lewe, G. Sichterman, E. Lewe, I. Lewe, O[tto] G[eorg] Veldtman, I. Duirsema, I. Sibenius, G.F. Gruys, H. L. Sickinghe, R. Lewe, L. Berghuys, R. Geersema. 279  Deductie van de Hooft-Officieren en Capitainen (1718), p. 2. 280  Ebd., p. 4. 281  Ebd., p. 5. Vgl. auch den Schriftverkehr zwischen P. W. ten Hoorn und dem Magistrat aus dem Jahre 1718. Groningen, GA, Archief van het stadsbestuur van Groningen, 1594–1815, Nr. 549r. 282  Vgl. Lorenz, Rad der Gewalt, S. 115. 283  Deductie van de Hooft-Officieren en Capitainen (1718), p. 7. 284  Nicht zu verwechseln mit dem Hohen Kriegsrat in Den Haag. 285  Deductie van de Hooft-Officieren en Capitainen (1718), p. 8  f. Das Dorf ­Ulrum liegt im Nordwesten der Provinz Groningen.



XII. Proteste gegen die personelle Struktur der Kriegsgerichte 161

einer Auseinandersetzung zwischen dem Kapitän Laelius van Lycklama und dem Assessor Friedericus Zaunsliefer vonnöten war.286 Dort hatte der Oberst Tamminga präsidiert. Mitglieder des Kriegsgerichts hatten der Verhandlung nicht beigewohnt, sondern nur der Kolonel Gockinga und der Major L. L. Ripperda neben anderen militärischen Mitgliedern.287 Offensichtlich bestand demnach auch keine Notwendigkeit, den Schulzen für die Verhandlung einzuberufen. Weiter führten die Offiziere an, dass der Gerichtsschulze nicht das Recht genieße, ohne Rücksprache mit den Ständen der Provinz oder dem vorsitzenden Bürgermeister Offiziere unter Hausarrest zu stellen,288 was seinen geringen Einfluss deutlich machte. In der Deduktion zogen die Offiziere stets Vergleiche mit dem Kriegsgericht beziehungsweise -rat in Leeuwarden, um ihre Argumente zu untermauern. Bereits in einem anderen Schreiben aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts merkte der Offizier Johan Tjassens van Swarttz an, dass im Kriegsrat von Leeuwarden stets ein hoher Offizier präsidiere.289 In zivilen Prozessen säßen dort zwar der Schulze nebst den Assessoren und dem Sekretär, jedoch in den strafrechtlichen Verfahren werde das Präsidentenamt von einem Leutnant-Kolonel oder Major bekleidet, der vom Gerichtsschulzen lediglich in der Leitung der jeweiligen Sitzung unterstützt werde.290 Zur Verdeutlichung wurde dabei die Sitzordnung in Leeuwarden beschrieben, die eindeutig zeigen sollte, dass der Gerichtsschulze nur die rechte Hand des Präsidenten sei und keinesfalls das Verfahren leiten würde.291 Der Kritik seitens der Offiziere, sowohl in Form der Deduktion, als auch des Schreibens von Swarttz, wurde kaum Gehör geschenkt. Dies offenbart sich in einem anderen Fall, der sich 1731 ereignete, als erneut von Offizieren hinterfragt wurde, welche Kompetenzen dem Gerichtsschulzen zustünden. Am 16. Juli 1731292 beklagten sich Feye van Heemstra, Major im ersten Bataillon des Regiments Oranje-Friesland, und der Kolonel Heuqueville 286  Es ging um eine ehrverletzende Beleidigung des Kapitän Laelius van Lyclama gegenüber dem Assessor. Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 305, Schriftstück: Nr. 52a. 287  Deductie van de Hooft-Officieren en Capitainen (1718), Anhang L.N. Bericht des L.L. Ripperda vom 21.10.1717. 288  Ebd., Anhang L.O. 30.1.1716. 289  Groningen, GA, Archief van het stadsbestuur van Groningen, 1594–1815, Nr. 549r, ohne Datum, wohl erste Hälfte des 18. Jahrhunderts. 290  Deductie van de Hooft-Officieren en Capitainen (1718), p. 9. 291  Ebd., vgl. auch die gezeichnete Sitzordnung in Leeuwarden. Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 14, fol. 128. 292  Überliefert in: Groningen, GA, Verzameling Keiser, 1237–1833, Nr. 91 und Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 734.

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D. Militär und Recht

vom Kavallerie-Regiment Rechteren darüber, dass der Gerichtsschulze Jacob van Swinderen eigenmächtig und ohne vorherige Rücksprache mit dem Garnisonskommandanten eine Sitzung des Kriegsrats einberufen habe. Die zwei angeklagten Soldaten über die verhandelt werden sollte, waren acht Wochen zuvor inhaftiert worden. Während van Swinderen sich auf die Rechtmäßigkeit seines Handelns berief, führten die beiden Offiziere noch weitere Offiziere an, die ebenfalls Kritik an dem eigenmächtigen Einberufen einer Sitzung und damit der Präsidentschaft des Gerichtsschulzen genommen hätten. Sie benannten dabei das Reglement, op de Proceduren der Militairen in saecken van geringe importantie293 von 1687, in dessen dritten Artikel geregelt wurde, dass dem Kriegsgericht der jeweilige Gouverneur oder Kommandeur vorzusitzen habe, beziehungsweise bei Abwesenheit ersatzweise ein anderer hoher Offizier. Dem Gerichtsschulzen sprachen sie eine Zugehörigkeit zum Militär ab. Der amtierende Gerichtsschulze Jacob van Swinderen wandte sich daher an die Generalstaaten, die am 30. Juli 1731 den Streit beilegten, indem sie dem Gerichtsschulzen den Rang eines Auditeur Militair mit generalstaatischer Bestallung zumaßen. In diesem Fall wurde der Rang des Auditeurs als Offiziersrang gedeutet, sodass der Gerichtsschulze weiterhin dem Kriegsgericht vorsitzen konnte. Zwischen den streitenden Parteien wurde dabei ein Kompromiss gefunden, wonach die Offiziere nur noch durch den Kommandanten der jeweiligen Regimenter zur Sitzung einberufen werden sollten, keinesfalls durch den Gerichtsschulzen. Trotz dieser Stärkung durch die Generalstaaten verlor das Amt des Gerichtsschulzen in Groningen immer mehr an Einfluss. Deutlich wird dies als Jacob van Swinderen 1742 seinen Dienst quittierte und erst 1746 mit Cebes Hoeth ein Nachfolger ernannt werden konnte. Der Streit um die Gerichtsschulzen zeigt unter Berücksichtigung der vorgebrachten Argumente deutlich, dass besonders in Emden und Groningen danach gestrebt wurde, die als zivil wahrgenommenen Bestandteile aus den Kriegsgerichten und besonders aus den -räten zu verbannen. Unklar ist jedoch in diesen Fällen, ob der Vorwurf, dass bestimmte Personen oder Bestandteile zivil seien, nicht ein Deckmantel war, um andere Interessen durchzusetzen oder bestimmte Personen aus den Gerichten zu entfernen. Die Beschränkung des Einflusses des Gerichtsschulzen konnte nämlich auch aus anderen Gründen geschehen sein. Die Forderungen ließen sich jedoch mit dem Argument, dass er zivil sei, sicherlich leichter untermauern. Schenkt man der Argumentation der Offiziere Glauben, dass es ihnen wirklich um die Verdrängung der von ihnen als zivil wahrgenommenen Bestandteile des Kriegsgerichts ging, lässt dies auf eine voranschreitende Professionalisie293  Siehe den Text bei: van der Kemp, Magazyn van Stukken, Bd. 2, S. 188–194, 24.2.1687.



XIII. Änderungsvorschläge durch Gerichtsschulzen und Assessoren 163

rung des militärischen Gerichtswesens schließen, das sich allein über das Militär definierte. Auffällig ist zudem, dass die Kritik in Emden und Groningen zeitlich nahezu parallel hervorgebracht wurde. Obgleich die Gründe hierfür nicht ersichtlich sind, scheint sich abzuzeichnen, dass in den Jahren, in denen die Kritik am schärfsten wurde, vor allem Offiziere des Regiments Oranje-Friesland in den Städten waren. Möglicherweise wollten diese die in Leeuwarden übliche Praxis, dass der Gerichtsschulze kein Mitspracherecht genießt, auch in den anderen Kriegsräten einführen.

XIII. Änderungsvorschläge durch Gerichtsschulzen und Assessoren Nicht nur die Offiziere strebten nach Veränderung und Präzisierung des Verfahrens in den Kriegsgerichten. In Leeuwarden hatten der Gerichtsschulze und die Assessoren bereits 1678 einige Punkte zur Straffung des Prozessverlaufs, vor allem in zeitlicher Hinsicht, beim Statthalter Heinrich Casimir II. eingebracht.294 Konkret zeigt sich ein wesentlicher Wille zur Veränderung des Kriegsgerichtswesens in Groningen. So präsentierten am 21. Juni 1714 der Gerichtsschulze Adriaen Joseph Trip und die beiden Assessoren Ferdinand Martin Hamel-Bruininx und Tjaardt Adriaen Gerlacius Vorschläge zur Verbesserung des Gerichtswesens.295 Selbstbewusst bezeichnete sich der Gerichtsschulze als Präsident des Gerichts. Die Beschwerdeschrift forderte, das Verfahren zu vereinfachen, um schneller ein Urteil fällen zu können. Dazu schlugen der Schulze und die Assessoren vor, bei angeklagten Personen von höheren militärischen Rängen schnell Informationen über den Vorfall zu sammeln, damit diese keine Zeit hätten, andere zu korrumpieren oder Freunde aufzufordern, den Tathergang zu ihren Gunsten zu schildern,296 und somit die Justiz zu täuschen.297 Ebenso forderten sie die Möglichkeit, über kleinere Vergehen298 294  Leeuwarden, 295  Groningen,

Tresoar, SHA, Nr. 773, 1678. GA, Archief van het stadsbestuur van Groningen, 1594–1815,

Nr. 1041. 296  Bezüglich der Korruption siehe auch das Plakat der Generalstaaten vom 10.12.1715, in: Den Haag, KB, KW Plakk Q 40 [14]. 297  Vgl. zum Phänomen der Korruption und des Missbrauchs im Rechtswesen der Niederlande. Egmond, S. 27–33. Egmond konstatiert, dass es zwar Missbräuche im Rechtswesen gegeben habe, jedoch hält sie solche Missbräuche eher für außergewöhnlich als alltäglich. Unklar ist auf welcher Grundlage der Vorwurf seitens der Assessoren, dass im Kriegsgericht in Groningen korrumpiert würde, beruht. 298  Dies betrifft Vergehen, die eine Strafe wie Spießrutenlaufen, das Sitzen auf dem hölzernen Pferd, das Tragen von Musketen oder Sätteln, sowie das Sitzen bei Wasser und Brot nach sich zogen.

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D. Militär und Recht

ohne Einberufung des Kriegsgerichts urteilen zu können.299 In den Zivil­ prozessen beanspruchten sie eine Verhinderung der Benachteiligung, ohne dies jedoch genauer zu konkretisieren. Wünschenswert war augenscheinlich genau das Gegenteil der oben geschilderten Forderungen der Offiziere. Der Schulze und die Assessoren forderten nämlich die Verdrängung der Militärs aus dem Kriegsrat. Zudem verlangten sie eine klare Autonomie bei der Verhandlung von Fällen des Zivilrechts. Ob die Vorschläge angenommen wurden, lässt sich anhand des überlieferten Quellenbestands nicht nachweisen. Insgesamt lässt die Schilderung der Forderung seitens der Offiziere und der Gerichtsschulzen und Assessoren erkennen, dass offensichtlich zwei grundsätzlich verschiedene Vorstellungen bestanden, wie im Kriegsgericht verfahren werden soll: Während die Offiziere die Verdrängung der von ihnen als nicht militärisch wahrgenommenen Bestandteile betrieben, forderten die Schulzen und Assessoren die Handhabung des Rechtswesens mehr in ihre Hände zu legen. Sie strebten danach, die Bereiche zu stärken, die von den Offizieren als zivil deklariert worden waren und verdrängt werden sollten. Insgesamt wollten sie das Kriegsrecht mehr unter eine professionelle Jurisdiktion mit ausgebildeten Juristen stellen, als weiterhin die Offiziere als nahezu alleinige rechtsprechende Personen akzeptieren zu müssen. Soweit sich der weitere Verlauf der Beschwerden oder Vorschläge aus den Quellenbeständen ermitteln ließen, blieb in der Regel eine konkrete Reaktion seitens der Obrigkeiten aus.

XIV. Der Strafprozess 1. Anklage a) Leeuwarden Ankläger in Leeuwarden war stets der Profos. Er hatte den Grad des Verbrechens festzustellen und daraufhin das Strafverfahren einzuleiten.300 Dies verwundert auf den ersten Blick, da im 18. Jahrhundert das Amt des Profoses bei den Garnisonen sich immer mehr auf die meist praktischen und vor allem ausführenden Aufgaben beschränkte. Offensichtlich genoss das Amt Ende des 16. Jahrhunderts einen wesentlich anderen Charakter. Unter 299  Groningen, GA, Archief van het stadsbestuur van Groningen, 1594–1815, Nr. 549r. So schreibt die LO Art. XXVI vor, dass weder die Mitglieder des Kriegsgerichts noch ihre Frauen und Kinder Geschenke annehmen dürfen. Den Mitgliedern drohte der Verlust ihres Amts. 300  Bosch/van Nienes, S. 240.



XIV. Der Strafprozess165

Beachtung der Argumentation der bereits oben erwähnten Groninger Deductie von 1718, die hauptsächlich deshalb aufgesetzt wurde, um die Präsidentschaft des Groninger Gerichtsschulzen zu beschneiden, wird deutlich, dass der Profos als ein Pendant zum Gerichtsschulzen im Felde zu sehen ist.301 Diesem Argument zu Folge hätte der Profos auch juristisch gebildet und im Recht kundig sein müssen. Die Annahme, dass das Amt im 16. Jahrhundert deutlich umfassender war,302 wird auch insofern gestärkt, als der Leeuwarder Gerichtsschulze Hermannus Abeli im Jahr 1592 sein Schulzenamt niederlegte, um Profos und Fiskal zu werden.303 Es scheint also, dass der Profos im 16. Jahrhundert wesentlich ausgeprägtere Kompetenzen hatte und maßgeblich am Verfahren beteiligt war. Der Profos hatte den vermeintlichen Straftäter festzunehmen und das erste Verhör zu führen. Hier waren schon Kenntnisse im Recht notwendig, denn er musste die Strafwürdigkeit des devianten Verhaltens erkennen. Danach hatte er den Delinquenten zwecks Anklage an den Kriegsrat zu übergeben,304 woraufhin der Gerichtsschulze und die Assessoren die Untersuchung einleiteten. Der Gerichtsschulze beantragte beim Statthalter die Eröffnung des Verfahrens.305 b) Groningen In Groningen sollte nach der Gerichtsordnung der Profos beziehungsweise der Kapitän Gewaldige306 die Klage aufnehmen. In Fällen, in denen es um schwerwiegende Verbrechen ging, sollte ihm der Advokat Provinciae, vermutlich um keine juristischen Fehler zu begehen, zur Seite stehen.307 Aber auch Kapitäne waren gemäß Artikel 65 des Artikelbriefs verpflichtet, 301  Deductie

van de Hooft-Officieren en Capitainen (1718), p. 3. Nowosadtko, Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert, S. 123. Annehmbar ist die Vermutung, dass das Amt des Profoses als Ankläger aus der Zeit der Landsknechtsregimenter stammte. 303  Bosch/van Nienes, S. 241. Sie sehen das Amt des Profoses als ein niedrigeres Amt an. Fiskal erwähnt in: Diarium Furmerii, S. 42/43. Das Profosamt ist vermutlich auch das älteste Amt zur Ausübung der militärischen Disziplin. Siehe de Graaff, der vermutet, „dat deze taak vroeger hun voornaamste is geweest“, de Graaff, S. 14. 304  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 773: Memoriaschreiben II, 1750. 305  Ebd., siehe dazu LO Art. 3: Hiernach stand es dem Gerichtsschulzen frei, die Versammlungen einzuberufen. Vermutlich wurde dies im 17. Jahrhundert abgeschafft, nachdem der Vorsitz an einen höheren Offizier übergegangen war. 306  Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 1453, p. 994, 1704. Profos und Kapitän Gewaldige sind in der Regel eine Person. 307  GO, zweiter Teil [criminele saken], VI. 302  Vgl.

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D. Militär und Recht

Soldaten vor das Gericht zu bringen, wenn sie ein strafwürdiges Vergehen feststellten.308 Die Informationen für die Anklage wurden aus den Verhören gewonnen, wobei entlastende Zeugen ebenso hinzuzuziehen waren.309 Bei Verbrechen, die „in crimine flagranti“ erkannt worden waren, entfielen die Befragungen und das Verhör.310 c) Emden In Emden ist das konkrete Prozedere unklar. Hier trat vor allem der ­ erichtsschulze als Ankläger auf, der Profos findet in den Quellen kaum G Erwähnung. Dieser scheint in erster Linie bei der Inhaftierung eine Rolle gespielt zu haben.311 Unklar ist zudem, wer das strafrechtliche Vergehen zu erkennen und somit als erster aufzunehmen hatte, ehe schließlich die Anklage erhoben wurde. Nach Erhebung der Anklage wurden Zeugen befragt und der Tatverdächtige verhört. Sollten auch Personen in den Fall inbegriffen sein, die keine niederländischen Soldaten waren, wurde die Befragung von städtischer Seite nach Bitte des Kriegsgerichts durchgeführt.312 Eine Sonderrolle nahmen in allen drei Kriegsräten die Desertionen ein. In solchen Fällen wurden nur dann persönliche Verfahren eröffnet, wenn die jeweiligen geflohenen Soldaten aufgegriffen werden konnten. Alle anderen wurden lediglich registriert und ihr Name an den Galgen geschlagen.313 In regelmäßigen Abständen wurden Generalpardons ausgeschrieben, nach denen sich die entflohenen Soldaten innerhalb einer bestimmten Frist straffrei einfinden konnten. Sollten sie nicht wieder zur Garnison zurückkehren, waren sie nach den Plakaten verurteilt und beim Aufgreifen mittels Galgen hinzurichten. Da die meisten Deserteure sich vermutlich außerhalb des Landes aufhielten, konnten diese nicht von der niederländischen Militärjustiz habhaft gemacht werden.314 308  Vgl. Groningen, GA, Archief van het stadsbestuur van Groningen, 1594–1815, Nr. 549r. Dem Offizier Peter Willem ten Hoorn wurde 1718 vorgeworfen, dagegen verstoßen zu haben. 309  GO, zweiter Teil [criminele saken], Art. XVII. 310  Ebd., Art. XIX. 311  Vgl. dazu die Kriegsgerichtsordnung und die Anklageschriften. 312  So wurden bspw. auch preußische Soldaten erst nach Genehmigung durch den Obristen verhört. Vgl. den Fall des Harm Plaggen, in: Emden, StadA, I. Reg., Nr. 868. 313  Vgl. Feltman, Artikel-Brief ofte Ordonnantie (3. Druck), S. 123. 314  Siehe zur Desertion und die Handhabe der Generalpardons besonders die Kapitel F. XIII. und XIV.



XIV. Der Strafprozess167

2. Versammlungen Die Versammlungen des Kriegsrats wurden einige Tage oder zum Teil auch nur einen Tag vorher angesetzt. In Leeuwarden fand die Versammlung meist am Vormittag zwischen 9 und 11 Uhr statt, mitunter aber auch erst nachmittags um 14 Uhr. Laut der Kriegsgerichtsordnung sollte zwar der Montag für zivile Fragen sowohl vor- als auch nachmittags als Rechtstag dienen, wenngleich häufig die Sitzungen in späterer Zeit wohl nur am Nachmittag ab 13 Uhr stattfanden.315 Die Einladungen sprach der Profos aus, indem er die Offiziere über den Fall, den es zu verhandeln galt, informierte. Ein konkreter Wochentag lässt sich für die Sitzungen nicht ausmachen.316 Zuspätkommen oder Fernbleiben der berufenen Offiziere wurde jeweils mit Geldstrafen belegt.317 Generell war das Festlegen der Termine für die Versammlung Auf­ gabe des Gerichts selbst. Der Statthalter Wilhelm Friedrich ordnete einmalig am 15. / 25.  April 1649 an, dass der Kriegsrat am kommenden Montag, 16. / 26. April, und am Donnerstag, 19. / 29. April 1649, zu tagen hätte.318 Der Ort der Versammlung war in Leeuwarden das Haus des Profoses, das hinter der Galileërkerk lag und 1589 an diesen abgetreten worden war.319 Erst 1758 wurde in den Urteilsbüchern vermeldet, dass sich dort das Kriegsgericht auch für die Verhandlungen über die zivilen Fälle versammelte.320 In Groningen tagte das Gericht dienstags und samstags im Sommer morgens um 8 Uhr, im Winter, also der Zeit zwischen dem 1. November und dem 8. Februar, um 9 Uhr.321 Vermutlich versammelte sich der Kriegsrat ebenso im Haus des Profoses.322 Wurden Militärs vor das Gericht zitiert und blieben fern, wurden sie mit einer Geldstrafe belegt.323 315  LO Art. 16. Nach LO Art. 25 soll der Gerichtsschulze einen Tag mit den Assessoren abstimmen, um das Malefitz-Kammergericht zu halten. Revidierte LO Art. XVI. 316  Siehe zu den Wochentagen: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 791. 317  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 773, Resolution vom 7.4.1647. Blieb der Offizier der Sitzung gänzlich fern, musste er 100 Karolusgulden zahlen, verspätete er sich bis zu einer Viertelstunde, wurde eine Strafe von drei Karolusgulden verhängt. 318  Gloria parendi. Dagboeken van Willem Frederik, stadhouder van Friesland, Groningen en Drenthe, 1643–1649, 1651–1654 (Nederlandes historische bronnen,  11; Fryske Akademy, Nr. 812; Boarnerige, Nr. 5), hg. von J.  Visser, Den Haag 1995, S. 659 [105]. 319  Siehe dazu auch Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 732, 9.5.1651 die Eintragungen unter Nomina citandorum. Ebd., Nr. 792 wird das Gewaldiger Logement als Versammlungsort genannt (1747). 320  Bosch/van Nienes, S. 247. 321  GO, erster Teil [civile saken], Art. V. 322  Urteilsbuch vom 26.2.1727, Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1351. Feith, Hendrik Octavius: Bijdrage tot de militaire straf-

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D. Militär und Recht

In Emden ist die Lage deutlich unklarer. Die Gerichtsordnung spricht davon, dass entweder im Haus des Kommandanten oder des Gerichtsschulzen zu tagen sei.324 Das Haus des Profoses war auch in allen drei Städten das Gefängnis, wo die Angeklagten inhaftiert wurden. Die zivilrechtlichen Verhandlungen sollten in Emden am Freitag stattfinden.325 323

Die Versammlungen in allen drei Städten waren nicht öffentlich und fanden nur in geschlossenen Kreisen statt.326 Während die Verhandlung und die Urteilsfindung geheim waren und somit keiner etwas von der Urteilsfindung erfuhr, war die Bestrafung, wie in einem späteren Abschnitt zu zeigen sein wird, dezidiert öffentlich. Die Abgeschiedenheit der Verhandlung sollte sicherlich dazu beitragen, die Urteile als nicht anfechtbar erscheinen zu lassen, weil das konkrete Strafmaß mitunter das Resultat längerer Diskussionen sein konnte. 3. Verhandlung und Urteilsfindung Über die eigentliche Verhandlung sind nur spärlich Informationen überliefert, da die Protokolle nicht den Verlauf der jeweiligen Sitzungen abbilden. Nur vereinzelt finden sich Informationen zu dem Agieren der Offiziere. So setzten sich im Jahr 1728 der Kapitän-Leutnant Ewe Voss und der Leutnant Renatus de Charro in einem Prozess in Emden gegen den Deserteur Tönjes Bruns dafür ein, dass diesem gegenüber „Considiratie“ walten zu lassen sei, da sie ihn als einen „eerlijk en braef Soldaet“ kennen gelernt hätten. Letztlich wurde Bruns dennoch zum Tode verurteilt, obwohl Voss seine Stimme bei der Urteilsfindung zurückhielt.327 rechtspleging in de provincie Groningen, in: Groningse Volksalmanak 1894, S. 123– 128, hier: S. 126. 323  GO, erster Teil [civile saken], Art. VII. Die Höhe der Geldstrafen war gestaffelt. Für die zivilrechtlichen Verhandlungen galt: Oberster Musterungskommissar, Rittmeister und Kapitäne zahlten beim ersten Mal einen halben Leeuwen Thaler, danach einen Leeuwen Thaler und schließlich beim dritten Fehlen zwei Leeuwen Thaler. Andere Offiziere bis zum Sergeanten, Schreiber und Chirurgen sechs Stüber, zwölf Stüber und 18 Stüber. Soldaten, Korporals und Adelborsten drei Stüber, sechs Stüber und neun Stüber. Bei strafrechtlichen Verhandlungen kostete das Fernbleiben für die Majors, Leutnants, Kornetts, Fähnriche und mindere Offizieren einen halben Reichsthaler, den höheren Offizieren einen Reichsthaler. GO, zweiter Teil [criminele saken], Art. II. 324  EO § 7. 325  EO § 9. 326  Vgl. hierzu den Bericht des fürstlich-ostfriesischen Drosten aus Emden, der versucht hatte, in Erfahrung zu bringen, welche Offiziere am 14.12.1728 im Emder Kriegsrat saßen. Er konnte von den anwesenden zwölf Personen nur fünf namentlich benennen. Aurich, StaA, Rep. 4, B IV e, Nr. 127, fol. 15r–16v, 4.1.1729. 327  Emden, StadA, I. Reg., Nr. 866, beide stehen unter dem Regiment Lewe, angeführt durch Kolonel Swarttz.



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Sicherlich kamen bei den Verhandlungen alle Offiziere zusammen und nahmen an einem Tisch Platz. Aus einer Zeichnung aus dem Urteilsbuch in Leeuwarden geht die genaue Sitzordnung bei der Verhandlung vom 30. Januar 1721 hervor.328 Am Kopf des Tisches saß als Präsident der Kolonel Custos. An der rechten Seite des Tisches (vom Präsidenten aus gesehen) hatten die Kapitäne Jan Gales und van Haersma, darauffolgend der Leutnant Cupers und die Fähnriche Galtema und Simonides Platz genommen. Auf der linken Seite saß der älteste Kapitän Meijers, gefolgt von Bernardus Johannes Swal­ ue als älterer Assessor und Johannes de Horn als jüngerer Assessor. Daneben befanden sich der Sekretär van Leuwen und anschließend der Leutnant Pierson.329 Der Gerichtsschulze saß rechts vom Präsidenten an der Ecke des ­Tisches. Einerseits befand er sich also direkt neben dem Präsidenten, andererseits zeigt sein Platz an der Ecke aber auch in symbolischer Hinsicht, dass er nicht zu den stimmberechtigten Mitgliedern des Rates gehörte. Die Gründe dafür, dass der Schulze dem Präsidenten so nahe saß, liegen darin, dass er für die Organisation des Prozesses verantwortlich war und direkte Rücksprache, vor allem in rechtlichen Fragen, gehalten werden konnte. Bei der Sitzordnung fällt sofort ins Auge, dass die Personen klar nach ihren Rängen platziert worden waren, sodass die Offiziere niederen Ranges am weitesten vom Präsidenten, dem höchsten Offizier, entfernt saßen. Offensichtlich war aber die Sitzordnung im Leeuwarder Kriegsrat nicht unumstritten. Einige Offiziere beschwerten sich im Jahr 1651 darüber, dass die Assessoren mit ihnen und vor allem neben dem Präsidenten an einem Tisch saßen. Diese Sitzordnung würde das Ansehen der Offiziere schmälern. Aufgrund der Diskussion um die nicht geklärte Platzfrage musste sogar ein Prozess unterbrochen werden. Der Gerichtsschulze hielt der Kritik an der Sitzordnung entgegen, dass es sich bei den Assessoren um ehrliche und studierte Leute handle und dass sie keineswegs das Ansehen der Offiziere schmälerten. Ebenso betonte er, dass die Assessoren zu Richtern bestellt seien, sowohl in zivil- als auch strafrechtlichen Verhandlungen, und auch über die Offiziere urteilen könnten. Denn die Offiziere seien nur „extra ordinem“ berufen.330 Bei der fraglichen Sitzung, die zu dieser Auseinandersetzung geführt hatte, saßen als Offiziere nur Kapitäne im Kriegsrat. Diese behaupteten, dass sie vor den Assessoren sitzen müssten, also in nächster Nähe zum Präsidenten.331 Offensichtlich saßen die Assessoren zwischen 328  Leeuwarden,

Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 14, p. 128. Sitzordnung von Leeuwarden wird auch beschrieben in der Deductie van de Hooft-Officieren en Capitainen (1718), p. 9 und Anhang L.M. Unterschrieben von A. Mertz, Garnisonskommandant, p. [565v]. 330  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 732. Aktenstück vom 1651. 331  Ebd., Brief von Poppo van Burmania vom 9.5.1651: Kapt. Dixtra, Aijsma, Walta, F. Burmania, Rorda, Ockema, Annema, L. Walendorp, L. Frens. Aber auch 329  Die

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dem Präsidenten und den Kapitänen. In einem Antwortschreiben wurde festgestellt, dass der Platz neben dem Präsidenten „nae onser gewoonte ende hercompste“332 dem ältesten Offizier zustünde. Daher entschied der Statthalter letztlich, dass die Assessoren und der Gerichtsschulze sich diesem fügen sollten, damit der Prozess weitergeführt werden konnte.333 Ein Urteilsspruch in praktischer Hinsicht war offensichtlich wichtiger als das konsensuale Beilegen feiner Rangstreitigkeiten. Desgleichen findet sich auch in Groningen ein Zwist über die Sitzordnung. Im Jahr 1654 berichtete der Kriegsgerichtsschulze Johan Willem Sohn in einem Schreiben an den Statthalter über eine Rangelei. Damals habe der Leutnant der Garde und Kapitän Aernt Huinga beansprucht,334 vor dem Kapitän der Garde namens Müller zu sitzen. Huinga hielt sich für den älteren Kapitän und im Gegensatz zu Müller habe er seine Commissie335 von den Generalstaaten erhalten. Er beanspruchte vor allem wegen seiner älteren Bestallung, dass er auch vor dem Kapitän-Leutnant des Obristen Isselmuijden sitzen müsse und ebenso vor den älteren Leutnants der anderen Kompanien. Diese Forderungen stießen auf Widerspruch. Letztlich konnte die Streitigkeit um die Sitzplätze nur pragmatisch beigelegt werden, indem der Kriegsrat „stehend in Corona“ tagte, um keinen zu „praejudicieren“. Wie der Konflikt abschließend gelöst wurde, bleibt unklar, doch scheint es letztlich dazu geführt zu haben, dass die höheren Offiziere bei Verhandlungen in Groningen nicht mehr berücksichtigt wurden.336 Es wurden schließlich nur noch rangniedrige Offiziere berufen. Gefällt wurde das Urteil in allen Kriegsräten durch Abstimmung. Dies war in der frühen Neuzeit die übliche Weise der Urteilsfindung.337 Grundlage der Verurteilung war, dass das Verbrechen nachgewiesen werden konnte.338 Die Anwesenheit des Delinquenten war während der Verhandlung nicht notwender Leutnant Frantz. Siehe das Blatt „Nomina citandorum“. Der Kapitän Hemmema wird hier erwähnt. 332  Ebd., 10./20.5.1651. 333  Ebd. 334  Später Leutnant-Kolonel des Regiments Rabenhaupt. Ringoir, Hendrik: Hoofd­ officieren der Infanterie van 1568 tot 1813, ’s-Gravenhage 1981, S. 32. 335  Im Sinne der Verleihung seines Titels. Unter Commissie versteht sich die Urkunde, die öffentlich zeigte, welchen Posten sie empfangen hatten. Meist findet sich auf den Urkunden (Pergament) die Aufschrift „Commissie voor de … als …“, siehe bspw. Utrecht, UA, Familie De Beaufort, Nr. 1304-8. 336  Den Haag, KHA, Archief Willem Frederik, Nr. 616, Brief: Nr. 18a von Johan Willem Sohn aus Groningen an den Statthalter vom 9./19.5.1654. 337  Vgl. für den Hof von Friesland: Huussen, Jurisprudentie, S. 260. 338  GO, zweiter Teil [criminele saken], Art. XXIII. Die Ordnung besagte, dass es „beter te wesen dat duysent schuldighen ongestraft blijven / als dat een mensche om t’levent gebracht wort om een misdat by den selven niet begaen“.



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dig, vielmehr genügten die Protokolle, die bei den Verhören durch den Gerichtsschulzen, den Sekretär und die Assessoren beziehungsweise die Kommissare erstellt worden waren.339 Bei der Abstimmung musste jedes stimmberechtigte Mitglied des Rats seine Stimme abgeben. Diese wurde dann auf einem Blatt dokumentiert, das meist mit dem Wort „Vota“ überschrieben wurde. Auffällig ist, dass in Leeuwarden stets einer der beiden Assessoren als erster auf dem Blatt erscheint, möglicherweise gab dieser die erste Stimme ab.340 In Emden findet sich meist der Name des Gerichtsschulzen an erster Stelle. Danach folgten in unbestimmter Reihenfolge die anderen Mitglieder des Rates. Die Mehrheit bestimmte das Urteil, alle Stimmen zählten gleich viel. Ein Konsens über das Strafmaß lag nicht immer vor. Das im Artikelbrief normierte Strafmaß wurde daher keineswegs uneingeschränkt in der Praxis angewandt. In Pattsituationen überwog in Groningen und Emden die Stimme des jeweiligen Präsidenten. Dass mit dem Votum offensichtlich verantwortungsvoll umgegangen wurde, zeigt sich beispielsweise im Jahr 1730 in dem Prozess gegen den Deserteur Claes Fernold in Emden, bei dem der Kapitän van der Merwede, unter dem Fernold diente, seine Stimme zurückhielt und nicht mit abstimmte. Zwar wurden keine Gründe für dieses Verhalten genannt, jedoch zeigt dieser Fall, dass die Stimme bewusst eingesetzt und nicht nur pro forma mitgestimmt wurde.341 Auffällig ist für Emden, dass sich im 18. Jahrhundert kein (nachweislich) studierter Jurist im Kriegsrat befand. Wenngleich für die frühe Neuzeit nicht unbedingt in jeglicher Hinsicht davon ausgegangen werden muss, dass Amtsträger akademisch qualifiziert waren,342 wird jedoch die Problematik deutlich. In einem sehr verworrenen und unklaren Fall wandte sich der dortige Kriegsrat im Jahr 1741 sicherheitshalber an zwei Juristen des Hofs von Friesland in Leeuwarden und griff auf deren Einschätzungen bei der Urteilsfindung zurück.343 Zu fragen ist dabei, warum nicht der Leeuwarder Kriegsrat, beziehungsweise die dortigen Assessoren und der Gerichtsschulze um eine juristische Stellungnahme gebeten worden waren. Die Kompetenz der Offiziere bezüglich der Urteilsfindung zweifelte der Leeuwarder Gerichtsschulze Nicolaas Arnoldi an. Er schilderte den Fall des 339  In Groningen mussten die Angeklagten ohne rechtlichen Beistand verhört werden. GO, zweiter Teil [criminele saken], Art. IX. 340  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 792, sowie ebd., Nr. 805. Vgl. Bosch/van ­Nienes, S. 243. 341  Emden, StadA, I. Reg., Nr. 873. Vgl. auch allgemein Sikora, Michael: Disziplin und Desertion. Strukturprobleme militärischer Organisation im 18. Jahrhundert (Historische Forschungen 57), Berlin 1996, S. 134. 342  Vgl. Nowosadtko, Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert, S. 124. 343  Fall der beiden Deserteure Johan Tekel und Conrad Schreiber. Die juristische Einschätzung wurde von G. Hiddema und V. Akker verfasst. Emden, StadA, I. Reg., Nr. 896a, Jul.–Okt. 1741.

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Gefangenen Joseph Keiser, der 1741 die Absicht hatte, zu desertieren. Ein bis zwei Offiziere hätten in diesem Fall für die Todesstrafe gestimmt, jedoch meinte Arnoldi „met wenig grond van regt en reden“.344 In einem anderen Fall, den Arnoldi in diesem Brief darstellte, wurde das Verbrechen des Soldaten Simon Antoon Albregt Clodius genannt, der fünf Pässe gefälscht haben soll. Clodius war dafür zur Geißelung verurteilt worden, jedoch gab er an, dass sein Bestreben dahin gerichtet gewesen sei, mit den falschen Pässen die Desertionsabsichten anderer zu Tage zu bringen. Darüber hinaus betonte er zur Verbesserung seines Leumundes, dass sein Vater pensionierter KapitänLeutnant in Hannoverischen Diensten gewesen sei und dort 30 Jahre lang gedient habe. Arnoldi versuchte, die harten, durch die Offiziere gefassten, Urteile zu umgehen, indem er den Statthalter auf dessen Möglichkeit zu Verleihung eines Pardons aufmerksam machte. Hierin zeigt sich deutlich, inwiefern eine Diskrepanz zwischen den Bediensteten des Kriegsgerichts und den Offizieren in Bezug auf das Strafmaß bestand. In Leeuwarden wurden nach dem Urteilsspruch zwei Mitglieder des Kriegsrats – der Gerichtsschulze oder ein Assessor mit einem Offizier – abgestellt, um als „gecommitteerden“ das Urteil dem Ständekollegium oder dem Statthalter zur Approbation zu überbringen.345 Alle Kriegsräte verwandten Folter als Mittel der Wahrheitsfindung. Es wurden Daumen- und Beinschrauben angewandt, aber Delinquenten auch am Flaschenzug hochgezogen.346 Gefoltert wurde nur bei Verdacht auf schwere Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung oder Diebstahl. Auf diese Delikte stand laut dem Artikelbrief die Todesstrafe.347 In Leeuwarden schlug der As344  Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 173.1, Brief von N. Arnoldi an Wilhelm IV. aus Leeuwarden vom 25.7.1747. 345  Siehe die Schriftstücke unter Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 795. 346  Die Groninger Ordnung schrieb vor, dass Personen, die sich weigern zu antworten, mit der „torture“ gezwungen werden sollen. (GO, zweiter Teil [criminele saken], Art. X). Siehe zur Folter die Liste im Protokollbuch in Emden. Die Folter mit den Daumenschrauben kostet zwei holländische Gulden, die Beinschrauben vier holländische Gulden und ebenso das Aufziehen auch vier holländische Gulden. Die „verbaal Territie“, also das Zeigen der Geräte wurde mit zwei holländischen Gulden berechnet. (Emden, StadA, Prot.-Reg. XXI, Nr. 23, im Rücken des Protokollbuchs). Alle genannten Foltermethoden waren gängig und weitverbreitet im frühneuzeit­ lichen Europa. Dazu: Peters, Edward: Folter. Geschichte der Peinlichen Befragung, Hamburg 2003, S. 101. Abgeschafft wurde die Folter in den Niederlanden erst in den Jahren 1795/1798. Spierenburg, Pieter: The Spectacle of Suffering. Executions and evolution of repression: from a preindustrial metropolis to the European ex­ perience, Cambridge u. a. 1984, S. 190. 347  Vgl. Huussen jr., A. H.: Doodstraf in Friesland 1701–1811. Resultaten van een kwantitatief onderzoek, in: De Vrije Fries 72 (1992), S. 65–74, hier: S. 71. Er betont, dass in Friesland die Folter nur dann angewandt worden sei, wenn der Ver-



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sessor Johannes de Horn im Prozess gegen Jan Coenrads, der einer Vergewaltigung verdächtigt wurde, vor, den Delinquenten zu foltern, um Informationen zu erhalten.348 Nach der Ordnung des spanischen Königs Philipp II. (1527–1598) aus dem Jahre 1570,349 die in den Niederlanden auch in der Zeit der Republik noch die Grundlage für rechtliche Verfahren bildete, war Folter erst nach Beschluss des Gerichts möglich.350 In der Rechtsauffassung des 18. Jahrhunderts war ein Geständnis für eine Verurteilung notwendig, obwohl auch Indizien oder die Aussage zweier Zeugen herangezogen werden konnten.351 Dabei wird ersichtlich, dass in Emden das Mittel der Folter meist erst dann angewandt wurde, wenn nach Ansicht der Mitglieder des Kriegsgerichts die vorliegenden Erkenntnisse eindeutig auf die Person als Täter hinwiesen, aber das Geständnis für die Verurteilung fehlte.352 So wurde in Emden der niederländische Soldat Tobias Coenders erst elf Tage nach seiner Festnahme gefoltert. Dies geschah morgens um 9 Uhr im Haus des Profoses in Beisein der beiden Kommissare des Kriegsgerichts und des Gerichtsschulzen. Dem Delinquenten waren zunächst die Folterwerkzeuge als Abschreckung gezeigt worden, ehe sie ihm anschließend durch den Scharfrichter angelegt wurden. Während der Tortur ist häufig die Anrufung Jesu Christi durch die Soldaten überliefert, die ihr Leiden durch die Folter mit seinem Leiden am Kreuze unter der Betonung der Unschuld verglichen. Die eigentliche Befragung erfolgte erst nach der Tortur.353 4. Urteilsbekanntgabe Vermutlich wurde das Urteil direkt nach der Findung verkündet, bei Todesurteilen hingegen offensichtlich nicht unmittelbar nach dem Prozess. In dacht bestand, dass der Delinquent ein solches Verbrechen begangen hatte, auf dem die Todesstrafe stand. 348  Bspw. Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 792, 22.11.1731; Prozess gegen den Soldaten Jan Coenrads im April 1733, in: ebd., Militaire rechtspraak, Nr. 15, p. 26– 30; Emden, StadA, I.  Reg., Nr. 865 und 897; GO, zweiter Teil  [criminele saken], Art. X. 349  Siehe bei Peters, S. 108. 350  Vgl. ebenso Huussen, Doodstraf, S. 71. 351  Martschukat, Jürgen: Inszeniertes Töten. Eine Geschichte der Todesstrafe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 35. 352  Eine übliche Rechtspraxis: van Dülmen, Theater, S. 25 und Peters, S. 101. GO, zweiter Teil [criminele saken], Art. XV. schreibt vor, dass Folter einzusetzen ist, wenn ein „factum“ vorliegt, das nicht vollständig bewiesen ist. 353  Emden, StadA, I. Reg., Nr. 867 Prozess gegen Tobias Coenders und Anna Catharina Hoffmans, März 1729. Vgl. auch den Prozess gegen Christopher de Vries im Jahr 1731, der ebenso Jesus Christus anrief, ebd., Nr. 875 und Harm Janssen im Jahr 1742, der sich ebenfalls an Jesus wandte, ebd., Nr. 897.

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Emden lässt sich erkennen, dass dies erst einen Tag vor der Hinrichtung geschah. So war das Urteil gegen den Deserteur Johann Ludwig Reiger zwar bereits am 11. Dezember 1728 gefasst worden,354 jedoch wurde es ihm erst am 13. Dezember abends um 21 Uhr bekanntgegeben.355 Das Urteil wurde vom Sekretär und den beiden Kommissaren verkündet, die ebenso bei der Vollstreckung anwesend waren, bei der das Urteil nochmals verlesen wurde.356 In einigen Fällen war zudem einer der reformierten Pastoren anwesend, so im selben Prozess, bei dem der Pastor Georg Christoph Resius357 während der Verkündung des Urteils geistlichen Beistand leistete. Der Pastor wurde vor allem als Seelsorger benötigt.358 Die Rettung des Seelenheils des Verurteilten und damit die Versöhnung mit Gott waren von großer Bedeutung.359 Im Jahr 1728 bat der Emder Gerichtsschulze Enno Paul van Wingene den städtischen Rat um geistlichen Beistand für die Deserteure Bavius Nauta und Tönjes Bruns wegen ihrer anstehenden Hinrichtung. Der Rat willigte ein und die Pastoren teilten den Dienst unter sich auf, sodass der Pastor Hinrich Gerhard Swarte360 nachmittags und die Pastoren Johann Everhardi361 und Eilert Folkard Harkenroth362 am darauffolgenden Tag vormittags beziehungsweise nachmittags den Delinquenten beistanden.363 In den beiden niederländischen Städten finden sich keine Hinweise auf die Urteilsverkündung beziehungsweise den Beistand durch Pastoren. Ebenso lässt sich bei den Soldaten, die nicht der reformierten Konfession angehörten, kein geistlicher Beistand ausmachen, sodass unklar bleibt, wie mit Soldaten anderer Konfessionen umgegangen wurde. In Leeuwarden war 1750 beschlossen worden, dass dem Delinquenten das Urteil durch den Gerichtsschulzen und zwei Kommissare bekanntgegeben werden musste. Dieser hatte dann drei Tage Zeit beim Hohen Kriegsrat zu 354  Eine Abschrift des Protokolls über sein Verbrechen siehe bei: Uphoff, Rolf: Der Prozess gegen den Deserteur Johann Ludwig Reiger nach den Akten des Emder Kriegsrates, in: Emder Jahrbuch 84 (2004), S. 92–98. 355  Bei den Urteilen gegen Gerd Jan Harms Voss und Johann Michael Heijbach ist selbiges zu beobachten. Emden, StadA, Prot.-Reg. XXI, Nr. 19. 356  EO § 7. 357  Auch Rese. Er wurde 1670 in Eberbach/Pfalz geboren und 1701 nach Emden berufen worden, wo er 1735 starb. Reershemius, S. 516. 358  Vgl. van Dülmen, Theater, S. 89. 359  Danker, Uwe: Die Geschichte der Räuber und Gauner, Düsseldorf 2001, S. 203. 360  1675 in Emden geboren, 1702 nach Emden berufen, 1749 dort gestorben. Reershemius, S. 517. 361  1672 in Emden geboren, 1708 nach Emden berufen, 1731 dort gestorben. Ebd. 362  1670 in Emden geboren, 1714 nach Emden berufen, 1732 dort gestorben. Ebd., S.  517 f. 363  Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 10, p. 550.



XIV. Der Strafprozess175

appellieren, ehe es durch den Statthalter approbiert wurde.364 Doch auch schon in früherer Zeit wurden dem Statthalter die ausgeführten Hinrichtungen bekanntgegeben.365 Wenn der Kriegsrat es für nötig erachtete bei der Urteilsbekanntgabe zu trommeln, musste solches erst dem Kommandanten mitgeteilt werden.366 Nicht jeder angeklagte Soldat wurde verurteilt. Einige wurden von den Vorwürfen freigesprochen. Dabei hatte der Leeuwarder Kriegsrat sogar auf vermutlich geistig gestörte Soldaten Rücksicht genommen. Ein Soldat namens Jan Eyntes soll „sinnenlos“ geworden sein. Daher wurde er nicht vom Kriegsrat wegen seiner Desertion verurteilt, weil solche Menschen nach Ansicht des Kriegsrats nicht verurteilt werden können. Er wurde stattdessen in das Zucht- und Arbeitshaus eingewiesen.367 Ein anderer Fall in Emden zeigt eine ähnliche Verfahrensweise auf. Ein dort angeklagter Deserteur war aus der Deserteursliste gestrichen worden, da er ebenfalls als nicht zurechnungsfähig angesehen wurde, was sich unter anderem nach Auffassung des Gerichts durch den Übertritt zu den Remonstranten gezeigt habe. Da er in dem Kloster ter Apel in der Provinz Groningen untergekommen war, wurde er nicht weiter verfolgt.368 Vergleicht man die Prozedur, wie im militärischen Strafrecht von der Aufnahme eines Verbrechens bis zur Urteilsverkündung verfahren wurde, mit dem zivilen Strafrecht, wird deutlich, dass im Militärrecht Urteile wesentlich schneller gefällt werden konnten. Der Hof von Friesland brauchte für den Prozessverlauf deutlich länger, zumal zwischen dem Angeklagten, vertreten durch seinen Anwalt, und dem Hof als Kläger häufig Schriftverkehr bezüglich der Vorwürfe stattfand. Im Kriegsgericht war das Verfahren wesentlich kürzer und es konnte innerhalb von fünf Schritten das Urteil gefällt werden (Festnahme, Feststellung des Verbrechens, Verhör, Sitzung des Kriegsrates, Urteilsspruch). Offensichtlich war es Absicht im militärischen Strafrecht zügig zu einem Urteil zu kommen. Die für das zivile Strafrecht maßgebliche Anhörung der Verteidiger des Angeklagten findet sich im Kriegsrechtswesen nahezu in keinem Fall in den Akten.369 364  Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 510, Resolution 28.8.1750. Siehe diese Resolution auch in gedruckter Form: Recht van appèl van militairen, door een krijgsraad veroordeeld. 28 Aug. 1750, in: Militair-rechtlijke tijdschrift 6 (1910/11), S. 131–133. 365  Gloria parendi, S. 365 [108]. Der Gerichtsschulze informierte den Statthalter Wilhelm Friedrich darüber, dass ein Soldat am nächsten Tag gehenkt werden soll. 366  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 773, Resolution der Stände von Friesland, 11.2.1669. 367  Ebd., 6.1.1712. 368  Emden, StadA, I. Reg., Nr. 884. 369  van Nienes, Inleiding, S. 28 f.

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D. Militär und Recht

5. Strafen Der Begriff der Strafe ist nach zeitgenössischer Einschätzung des Juristen Ulrich Huber (1636–1694) folgendermaßen zu verstehen: „Straffe is wree­ ckinge van misdaet, tot afschrickinge van andere door de Overigheit ge­daen“. Dies bedeutet, dass es bei der Strafe darum geht, das Fehlverhalten zu ahnden und damit zu rächen. Dies sollte durch die Obrigkeit zur Abschreckung der Mitmenschen geschehen.370 Johann Georg Krünitz (1728–1796) definierte in seiner Enzyklopädie Strafe als ein Übel, „welches der Gesetzgeber mit der Uebertretung eines Gesetzes verbindet“.371 Es war also das Mittel, mit dem Verstöße gegen die normativ festgelegten Gesetze geahndet wurden. Dabei war die Wirkung der Strafen im Militär in erster Linie auf die militärische Gemeinschaft ausgerichtet. Es ging in erster Linie darum, die Truppe schlagkräftig zu halten und störende Elemente gegebenenfalls zu entfernen, wenngleich sicherlich für die zivile Öffentlichkeit der allgemeine Disziplingedanke des Militärs durch die Bestrafung zu erkennen war. Die geschilderten Deutungen von Strafe finden sich auch bei den Kriegsgerichten wieder, weshalb bei den verhängten Strafen in drei Kategorien unterschieden werden muss. Erstens solche, bei denen der Delinquent eine (körperliche) Züchtigung erfuhr, bei der er aber nicht die Ehre verlor, zweitens die Strafen, die entehrend wirkten und mit körperlichen Züchtigung einhergingen,372 und drittens die Todesstrafe. a) Züchtigung Zu dieser Kategorie gehört vor allem die Strafe des Spießrutenlaufens. Verurteilte Soldaten mussten durch eine Gasse laufen, die von anderen Soldaten der Kompanie oder des Regiments gebildet wurde. Die Anzahl der Soldaten, die dafür abgestellt wurden, variierte. Meist waren es zwischen 200 oder 300 Soldaten, wobei der Verurteilte jedoch in einigen Fällen auch häufiger durch die Reihe geschickt wurde373 oder die Läufe auf 370  Huber,

Bd. 2, S. 525. in: Krünitz, Oeconomische Encyclopädie, Bd. 174, S. 699–718, hier: S. 699 sowie 175, S. 1–36. 372  Art. Strafe, in: ebd., S. 11. 373  Vgl. die Fälle: 21.1.1685: vier Mal 200 Spießruten für den Soldaten Jacob Haes aus der Kompanie von Kapitän Louis Paen, in: Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 13, p. 22; Jan Joosten Falckenburg drei mal 200, ebd., p. 84, 24.9.1687; Carel Bambergen, Soldat unter der Kompanie von Kapitän von Cotzhausen, sechs Mal 200 Spießrutenläufe, ebd., Nr. 14, p. 14, 28.3.1710; Albertus Pytters, Soldat unter der Kompanie von Kapitän van Haersolte, acht Mal 300 Spießrutenläufe, ebd., Nr. 15, 19.6.1733. 371  Art. Strafe,



XIV. Der Strafprozess177

mehrere Tage verteilt wurden.374 Ebenso finden sich Einträge, die als Anzahl alle diensthabenden Soldaten des Bataillons benennen.375 Soldaten der Garde-Truppe mussten nur durch eine Gasse von 100 Mann laufen, was mit der geringeren Stärke der Leibgarde zu begründen ist.376 Beim Durchlaufen waren die anderen Soldaten angehalten, auf den Verurteilten mit Ruten aus zusammengebundenen Zweigen oder den sogenannten Cordonsen, Gewehrriemen, zu schlagen. Bei dem Tambour Willem Freerks wurde im Urteilsbuch vermerkt, dass er nach etlichen Vergehen zu sechs Läufen durch 200 Spießruten der „swaerste[n] soort“ und anschließendem Degenbruch verurteilt worden war. Danach sollte er als unehrlich erklärt und als Schelm verbannt werden.377 In der Regel liefen zwei Sergeanten mit, damit der Soldat nicht zu schnell die Gasse durchlaufen oder den Hieben ausweichen konnte.378 Der Oberkörper war dabei unbekleidet.379 Hinderte eine Krankheit den Soldaten am Laufen, hatte dieser erst zu genesen, bevor die Strafe vollzogen wurde.380 Das Pendant bei der Kavallerie war das Steigriemenlaufen. Ehrentziehend war diese Art der Bestrafung nur dann, wenn dem Soldaten, wie es bei Willem Freerks der Fall war, der Säbel vor den Füßen gebrochen wurde. Der Verlust des Degens symbolisierte die gebrochene männliche Ehre, die es unmöglich machte, sich wieder in die Truppe zu fügen. Den Soldaten wurde beispielsweise in solchen Fällen in der Provinz Friesland eine feste Zeit eingeräumt, in der sie die Stadt Leeu­ warden und die Provinz Friesland zu verlassen hatten. Diese belief sich auf einen Tag beziehungsweise drei Tage, die vermutlich auch gebraucht wurden.381 374  Ebd., Nr. 14, p.58 f., 8.4.1717, der Soldat Jan Coenen, unter Kapitän Mertz stehend, an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. 375  Ebd., p. 133 f., 30.1.1721, Otte Jansen, Soldat in der Kompanie von Kapitän von Cotzhausen. 376  Ebd., p. 94 f., Timon Hansen, an drei Tagen zwölf Läufe durch 100 Spießruten der Garde, 1718. 377  Ebd., p.  56 f. 378  Dorreboom, S. 193. 379  Vgl. Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 15, p. 18–21. Urteil gegen Evert Suurman, dem ein Pardon erteilt wird, April 1733. Vgl. ebenso Nowo­ sadtko, Jutta: Exklusion, Inklusion. Militärrechtliche Passagerituale, in: Christine Roll/Frank Pohle/Matthias Myrczek (Hgg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung (Frühneuzeit-Impulse 1), Köln/ Weimar/Wien 2010, S. 355–362. 380  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 15, p. 67–71, Urteil gegen den Soldaten Johan Christiaen Rhil aus der Kompanie von Kapitän Tulleken, 21.1.1735. 381  Ebd., Nr. 14, p. 135–137, Urteil gegen den Soldaten Arien Teunis aus der Kompanie von Oberst Leutnant Mellema, 30.1.1721.

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D. Militär und Recht

Eine weitere Disziplinstrafe war das Sitzen auf dem hölzernen Pferd.382 Das Pferd war so aufgebaut, dass sein Körper eine spitze Form bildete. Folglich war es dem Verurteilten nicht möglich, ruhig darauf zu sitzen. Der Delinquent rutschte stets nach vorne und hinten, zumal ihm in einigen Fällen auch zusätzlich Gewichte an die Füße gehängt wurden.383 Die Prozedur dauerte in der Regel zwei Stunden.384 Ausschließlich bei höheren Offizieren wurden Geldsummen als Strafen verhängt. Dies geschah jedoch äußerst selten. Die Kosten des Prozesses waren grundsätzlich von dem Verurteilten zu begleichen.385 Bei Offizieren findet sich darüber hinaus noch eine andere Art der Bestrafung. Ihnen wurde anbefohlen, um Entschuldigung zu bitten. So musste der Leutnant Vos am 28. Mai 1734 in Beisein der Leutnants und Fähnriche des Regiments Oranje-Friesland und des Leutnant-Kolonels Frederik Willem Meij­ ers beim Haus des Kolonel Glinstra in Leeuwarden diesen um Vergebung bitten. Dazu hatte er einen vorformulierten Text vorzutragen. In diesem bekannte er, verurteilt worden zu sein und gab dabei zu erkennen, dass er eigentlich eine härtere Strafe verdient hätte386 als jene, die gegen ihn verhängt worden war. Er bat den Kolonel um Vergebung, weil er sich durch Unvorsichtigkeit und Trunkenschaft zu einer Respektlosigkeit gegenüber dem höheren Offizier verleiten lassen habe.387 Sehr deutlich wird hier, worum es bei den Strafen, die keinen Ehrverlust nach sich zogen, ging. Es sollte die öffentliche Ordnung, verkörpert durch die Disziplin des Regiments, die sich in der Beziehung zwischen den zwei Streitpartnern zeigte, wiederhergestellt werden. Der Urteilsspruch beugte vor, dass der Streit von beiden weitergetragen wurde und möglicherweise eskalierte. Durch die Entschuldigung des Leutnants war die Ehre des Kolonel wieder hergestellt und somit vor allem die öffentliche Ordnung. Eine weitere Art der Bestrafung war die Inhaftierung, meist bei den sprichwörtlichen Wasser und Brot.388 Längere Gefängnisstrafen waren je382  Ebd., p. 191–193, Urteil gegen den Soldaten Dirck Hendricks aus der Kompanie von Kapitän Gales, 10.2.1723. 383  Feith, Wandelingen, S. 407. 384  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 12, 22.12.1666; ebd., Nr. 14, p. 211. 385  So der Prozess gegen Kapitän Otto Carl van Heerma. Emden, StadA, I. Reg., Nr. 888; Vgl. ebenso Dorreboom, S. 203. 386  Der Ruf nach einer härteren Strafe kann aber auch von einem schuldig Gewordenen selbst stammen. So sagte E. L. Rengers in seiner Supplikation, dass er eigentlich eine härtere Strafe verdient habe. Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 792. 387  Ebd. 388  Bspw. muss Willem Freerks, Tambour unter Oberst Leutnant Mellama, drei Tage bei Wasser und Brot sitzen. Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 14, p. 19, 19.2.1711.



XIV. Der Strafprozess179

doch nicht vorgesehen.389 Allein die Einweisung in das Arbeits- und Zuchthaus, die für Militärs gegen Mitte des 17. Jahrhunderts in Leeuwarden aufkam, bildete eine Ausnahme.390 Hier wurden die verurteilten Soldaten für bis zu zehn Jahre inhaftiert und mussten verschiedene Arbeiten leisten. In einigen Fällen wurden sie vorher noch mit Rutenschlägen oder Brandmarkungen bestraft, ehe die Einweisung anstand. Nach Ableisten der Arbeiten konnte anschließend die Verbannung aus der Provinz erfolgen.391 Dem Soldaten Roeloff Janssen wurde im Jahr 1726 zugestanden, nach seiner Zeit im Werk- und Zuchthaus weiterhin in der Provinz zu verbleiben, obwohl sein Urteil ursprünglich auch eine Verbannung umfasste.392 Fraglich ist daher vor allem, ob das Arbeits- und Zuchthaus als Besserungsanstalt gedacht war oder die Arbeitskraft von Straftätern ausgenutzt werden sollte.393 Als weitere Gefängnisstrafe bestand die Möglichkeit die Verurteilten eine Zeit lang beim Profos zu inhaftieren.394 So wurde der Kapitän-Leutnant Hervé de Vaillant sechs Wochen beim Profos der Provinz in Groningen eingesperrt. Diese Strafe war von den Ständen der Provinz verhängt worden.395 Offiziere wurden jedoch üblicherweise in ihren Quartieren inhaftiert. Darüber hinaus findet sich die Degradierung von Offizieren als Strafe. Beispielsweise wurde der Leutnant Maneel in Groningen 1686 wegen des Schlagens von Einwohnern der Stadt mit einem Stock, insbesondere einer schwangeren Frau, dazu verurteilt, ein halbes Jahr lang als Soldat zu dienen und in dieser Zeit nur den einfachen Sold zu beziehen. Das überschüssige Geld wurde dem Bürgerwaisenhaus zur Verfügung gestellt. Damit einhergehend musste er auch den normalen Wachdienst versehen.396 Zu fragen ist einerseits, wie ein degradierter Leutnant sich gegenüber anderen Soldaten, Dorreboom, S. 196–198; van Dülmen, Theater, S. 20. früheste nachzuweisende Fall ist der des Soldaten Lovijs de la Fonteijne aus der Kompanie von Kapitän de Besco, 21.2.1676. Den Haag, KHA, Archief Willem  IV, Nr. 204. Ebenso: Nicolaus Schut, 9./19.3.1678. Das Urteil gegen ihn wurde durch den Statthalter aufgehoben. Ebenso bestand in Groningen ein Zuchthaus: Kampman, Jacqueline: Het tuchthuis in Groningen, 1601–1811, in: Groningsche Volksalmanak 1985, S. 64–81. 391  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 15, 24.2.1738. Resolution der Stände von Friesland vom 12.4.1647, in: Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 1582, p. 173. 392  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 14, p. 214–216. 393  Vgl. auch van Dülmen, Theater, S. 20  f. Die Inhaftierung im Arbeits- und Zuchthaus kann auch als eine körperliche Strafe angesehen werden. 394  Hindrik van Ham wurde zu 23 Tagen beim Profos verurteilt. Emden, StadA, I. Reg., Nr. 888. 395  Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1351, 12.1.1735. 396  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 734, 12.10.1686. So auch in Leeuwarden, wo der Sergeant Jacob Dirks Mosselman sechs Wochen lang als normaler Soldat dienen 389  Vgl. 390  Der

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die eigentlich seine Untergebenen waren, verhielt, andererseits wie es ihm nach der Zeit als Soldat gelang, die nötige Autorität gegenüber den Soldaten wiederherzustellen. b) Mit Ehrverlust verbundene Strafen Mit Ehrverlust verbundene Strafen nahmen dem Soldaten die Ehre. Dies bedeutete, dass der Soldat nach der Strafe nicht mehr im Militär dienen konnte. Der Verlust der Ehre hatte in der frühen Neuzeit weitreichende soziale Konsequenzen, auch wenn sich dieser Begriff nicht klar definieren lässt.397 Meist geschah die Entehrung bereits bei Berührung durch den Scharfrichter, der die Bestrafungen wie Geißelung, Brandmarkung und Verbannung ausführte.398 Die Geißelung bestand darin, dass der Scharfrichter dem Delinquenten mit Ruten auf den Rücken schlug. Der Verurteilte stand dazu mit den Händen über seinem Kopf an den Pranger gebunden, damit er nicht umfallen konnte.399 Die Anzahl der Rutenschläge variierte stark. In Emden waren 60, 80 und 100 Rutenschläge geläufig. In Leeuwarden findet sich ebenso die Anzahl von 100 Schlägen.400 Bei dem Soldaten Sjoerd Fockes, der in Leeuwarden wegen eines Hühnerdiebstahls verurteilt worden war, wurden diesem bei der Geißelung zusätzlich noch tote Hühner um den Hals gehängt.401 Ein solches Bestrafungsritual war in vielen Fällen in der frühneuzeitlichen Gesellschaft üblich402 und ist als Akt einer symbolischen Kommunikation zu werten, die den Beobachtern zeigen sollte, weshalb der Mensch diese Strafe erhielt. Die toten Hühner sind vor allem als eine weitere Schmähung und Entehrung des Delinquenten zu sehen, die dabei nicht nur auf die anderen Soldaten wirkte, sondern auch gegenüber den zivilen Einwohnern mahnenden Charakter hatte.403 musste und sein Gehalt der Diakonie der reformierten Gemeinde in Leeuwarden zugute kam. Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 14, p. 63–65. 397  Dülmen, Richard van: Der ehrlose Mensch. Unehrlichkeit und soziale Ausgrenzung in der frühen Neuzeit, Köln 1999, S. 96 f. 398  Vgl. allgemein Dülmen, Richard van: Kultur und Alltag in der frühen Neuzeit, Bd. 2, Dorf und Stadt. 16.–18. Jahrhundert, München 1992, S. 210. 399  Dorreboom, S. 186. 400  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 15, p. 126–129, 24.2.1738. 401  Ebd., Nr. 13, p. 2–4, 1684. Ebenso wird dies vorgeschlagen durch den Assessor Saackma bei der Urteilsfindung gegen die Soldaten Jan Pieters und Jan Valckenburg, beide unter der Kompanie von Kapitän Paen, 1.4.1684. Jedoch wurden beide freigesprochen. Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 204. 402  van Dülmen, Kultur und Alltag, Bd. 2, S. 211 f. 403  Schwerhoff, Gerd: Verordnete Schande? Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Ehrenstrafen zwischen Rechtsakt und sozialer Sanktion, in: Andreas Blauert/



XIV. Der Strafprozess181

Die Brandmarke,404 die einigen Straftätern zusätzlich zugefügt wurde, konnte entweder in das Gesicht, auf eine der beiden Backen oder auf den frisch gegeißelten Rücken gesetzt werden, wobei es beim Militär üblich war, die Brandmarke im Gesicht zu platzieren.405 Der Sinn der Brandmarke bestand darin, den Verurteilten öffentlich als Verbrecher darzustellen. Durch Brandmarkung verlor der Verurteilte seine Ehre und war für sein Leben gezeichnet.406 Der so bestrafte Übeltäter wurde anschließend aus der Stadt und der Provinz oder dem gesamten Staatsgebiet der Niederlande verbannt,407 weil offensichtlich der Soldat danach keinen Wert mehr für den Dienstherrn darstellte.408 In einigen Fällen war die Verbannung aber nur temporär.409 Über die Folgen, die die Ausweisung für den Soldaten und seinen direkten Familienangehörigen mit sich brachte, kann nur gemutmaßt werden. Sicherlich belastete die Vertreibung beide Seiten in sozialer und ökonomischer Hinsicht.410 Der verbannte Soldat konnte, wenn er vorher durch Geißelung seine E ­ hre verloren hatte, nur durch den Scharfrichter, der als ehrenrührig und unehrlich galt,411 aus der Stadt geführt werden. Bei Soldaten, die zwar verbannt wurden, aber nicht ihre Ehre verloren hatten, verrichtete dies der Profos.412 Die Bestrafung am Pranger sollte vor allem als Abschreckung für die andeGerd Schwerhoff (Hgg.), Mit den Waffen der Justiz. Zur Kriminalitätsgeschichte des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1993, S. 158–188, hier: S. 164. 404  In Emden zeigte die Brandmarke einen aufsteigenden niederländischen Löwen, der Schwert und Pfeilbüdel in der Tatze hält. Rolffs, Alexander: Die antike Rüstkammer des Emder Rathhauses. Ein kulturgeschichtlicher Beitrag zur Waffenund Sittenkunde des Mittelalters, Emden 1861, S. 103. In Groningen gab es zwei Brandeisen. Das eine zeigte das Wappen der Stadt mit einem doppelköpfigen Adler, das andere den Buchstaben G. In Leeuwarden sind vier Brandeisen erhalten geblieben, wobei unklar ist, ob diese für den Strafvollzug genutzt wurden. Siehe dazu: Cate, C. L. ten: Tot glorie der gerechtigheid. De geschiedenis van het brandmerken als lijfstraf in Nederland, Amsterdam 1975, S. 187 f. 405  Ebd., S. 96. 406  Vgl. van Dülmen, Der ehrlose Mensch, S. 79. Deutlich wird der Symbolcharakter der Brandmarke auch in den Prozessen gegen die Soldaten Harm Plagge und Heere Gerhardus, die nach den Verhören dahingehend untersucht wurden, ob sie bereits gebrandmarkt worden waren. Emden, StadA, I. Reg., Nr. 868. 407  Für das Jahr 1747: Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 15, p. 290. 408  Dorreboom, S. 186. 409  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 12, 1.2.1667. Der Soldat Hendrich Geerts van Hamborgh wurde wegen Diebstahls verurteilt, anschließend gegeißelt und für fünf Jahre verbannt. 410  Vgl. Danker, S. 224–226. 411  Vgl. van Dülmen, Theater, S. 93. 412  Siehe dazu die Durchführung des Urteils bei dem Soldaten Harm Plaggen. Emden, StadA, I. Reg., Nr. 868, Nov. und Dez. 1729.

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ren Soldaten und Angehörigen wirken. Bei der Bestrafung des Soldaten Tobias Coenders und seiner Ehefrau Anna Catharina Hofmans im Jahr 1729 in Emden mussten sogar deren Kinder bei den 72 Rutenschlägen und anschließender Brandmarkung gegen den Vater und den 36 Schlägen gegen die Mutter zusehen. Anschließend wurde die gesamte Familie aus der Stadt verbannt, weil der Magistrat es abgelehnt hatte, die Kinder in einem Waisenhaus aufnehmen zu lassen.413 Besonders in der Stadt Emden bestanden Probleme bezüglich des Verbannens. Auf der einen Seite verhängte der Kriegsrat eigenständig Urteile ohne Einfluss des städtischen Magistrats, auf der anderen Seite versuchte der Rat seine Rechte weiterhin geltend zu machen, indem er sich vorbehielt, Verbannungen erst absegnen zu müssen.414 1684 pochte der Rat noch einmal auf das Recht unter Verweis auf den Artikelbrief.415 Dem Magistrat blieb jedoch nichts anderes übrig, als die Forderungen des Kriegsrates zu erfüllen. Einfacher gestaltete sich das Bild hingegen in Leeuwarden, wo dem Kriegsrat seit 1647 das Recht zum Bannen aus der Provinz generell zugestanden worden war, seit 1701 auch offiziell das Einweisen in das Zuchthaus.416 c) Todesstrafe Zur dritten Kategorie gehört die Todesstrafe. Beim niederländischen Militär sind drei verschiedene Ausführungsarten zu unterscheiden. Das Aufhängen am Galgen, das Arkebusieren (Erschießen) und das Enthaupten mit dem Schwert. Das Aufhängen am Galgen war die Strafe mit dem höchsten Ehrverlust, da der Delinquent zudem das Recht auf ein ordentliches christliches Begräbnis verlor.417 Der Tod trat durch Erwürgen ein, wenn der Körper hochgezogen wurde.418 Anschließend verweste der Leichnam am Galgen, weil die Hingerichteten in der Regel nicht sofort nach Eintreten des Todes abgehängt und verscharrt worden waren. Es war beabsichtigt, dass 413  Emden,

StadA, Prot.-Reg. XXI, Nr. 19, 23.3.1729. § 4, wonach der Kriegsrat den Magistrat zwecks Ausführung der Leibesstrafen und des Bannens aus der Stadt ersuchen muss. 415  Emden, StadA, I. Reg., Nr. 328, 2.6.1684. 416  Den Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 1582, S. 173, Resolution vom 23.4.1647; Register der Resolutien en Placaaten, Bd. 1 (1784), S. 387. Siehe ebenso: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 773, 10./11.2.1722, wonach dem Kriegsrat seit 1701 offiziell das Recht zugestanden wurde. In der Praxis geschah dies jedoch auch schon in den Jahren davor. Die LO sah im Art. V. vor, dass die Offiziere nur Soldaten aus den jeweiligen Regimentern verbannen dürfen. 417  Vgl. van Dülmen, Theater, S. 133. 418  Dorreboom, S. 183. 414  EO



XIV. Der Strafprozess183

der Körper „aan de Galge sal blijven hangen, om door de Lugt, reegen en windt verteerdt te worden“.419 In einigen Fällen wurden die toten Soldaten jedoch zeitnah vergraben, so in Leeuwarden durch die Gerichtsdiener des Profoses.420 Das Arkebusieren erscheint mehr als eine Ersatzform der Galgenhinrichtung. Es wurde besonders dann angewandt, wenn der Galgen zur Zeit der Hinrichtung nicht benutzbar war.421 Generell galt das Erschießen im Gegensatz zum Aufhängen als ehrenvoll, jedoch findet sich kein Hinweis darauf, wie mit dieser Bedeutungsverschiebung umgegangen wurde, wenn Soldaten statt gehenkt zu werden, erschossen worden waren. Möglicherweise erfuhr das Erschießen auch keine qualitative Aufwertung, denn in seinem Rechtskommentar forderte der Jurist Gerhard Feltman, die Soldaten eher zu erschießen als an den Galgen zu bringen.422 Das Erschießen wurde von Soldaten des eigenen Regiments übernommen.423 Zur Hinrichtung mit dem Schwert wurden nur solche Soldaten verurteilt, gegen die in Abwesenheit der Prozess geführt wurde. Sie scheint daher nie praktiziert worden zu sein.424 Generell war das Enthaupten auch eher bei 419  Den

Haag, NA, Stadhouderlijke Secretarie, Nr. 1453, p. 1005, Oktober 1699. Tresoar, SHA, Nr. 732: 1675 verweigerten die Gerichtsdiener, einen toten Soldaten unter dem Galgen zu verscharren. Sie wurden für ihre widerspenstige Haltung zum Sitzen auf dem hölzernen Pferd verurteilt. Diese Strafe wurde jedoch anschließend in Spießrutenläufe abgemildert. Von einer Entlassung wurde jedoch abgesehen, da der Profos angab, so schnell keine anderen Diener finden zu können. 421  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 15, p. 81–87, Mai 1735. Hinrichtung der beiden Soldaten Johannes Baltus und Jan Hendrik Groenewoudt am Galgen bzw. durch Gewehrschuss. Siehe dazu auch den Fall in Emden: Die Preußen beabsichtigten den neuerrichteten Galgen zu benutzen, was der Stadtkommandant Veldtman jedoch ablehnte. Er begründete dies damit, dass es sich um einen Galgen der Niederländer handle. Er schlug vor, dass die Preußen sich einen anderen Galgen suchen oder die Soldaten erschießen sollten. Den Haag, NA, SG, Nr. 6744, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 15.5.1730, eingetroffen am 19. (geheimes Schreiben). Dass der Schuss aus der Arkebuse oder auch die Hinrichtung mit dem Schwert Alternativen zum Galgen darstellen, wird darin deutlich, dass in der Festung Leerort im Jahr 1731 kein Galgen mehr stand, sodass Soldaten dort mit Schwert oder durch einen Gewehrschuss hingerichtet werden sollten. Ebd., Nr. 6741, Brief von [Hendrik?] Veldtman an die Generalstaaten aus Leerort vom 25.5.1731. 422  Vgl. Dorreboom, S.  180 f. 423  Ebd., S. 180. 424  Dieses trifft auf Bastian Courwald (Emden, StadA, I. Reg., Nr. 872), Jan de Wolf (ebd., Nr. 876), Jacobus Verheyden (ebd., Nr. 876), Lodewijk Strein (ebd., Nr. 896b), Hinrich Schultens (ebd., Nr. 900), jedoch nicht auf den Totschläger Leonhard van den Heuvel (ebd., Nr. 872) zu, der am Galgen hingerichtet werden sollte. Unklar ist der Grund dafür. Der Fall des van den Heuvel unterscheidet sich insofern 420  Leeuwarden,

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den Offizieren gebräuchlich, jedoch findet sich bei den untersuchten Gerichten keine Todesurteile gegen Offiziere.425 Betrachtet man die Zahlen der tatsächlich stattgefundenen Hinrichtungen und die juristischen Anlässe, bei denen die Todesstrafe verhängt wurde,426 drängt sich unmittelbar der Eindruck auf, dass sie, wie in Friesland im 18. Jahrhundert allgemein üblich, eher selten angewandt wurde. Es wurden nahezu ausschließlich die schweren Verbrechen wie Desertion oder Vergewaltigung mit dieser Strafe geahndet. So wurde bei 437 Prozessen, die zwischen 1709 und 1748 vor dem Kriegsgericht verhandelt wurden, nur in sieben Fällen ein Todesurteil ausgesprochen.427 Dies entspricht ungefähr einer Quote von 1,5 Prozent, die auch bei den Urteilen des Hofs von Friesland festgestellt werden kann.428 Sicherlich eine Ausnahme bildete die Hinrichtung von neun Soldaten, die im Jahr 1689 bei der Belagerung der Stadt Bonn desertiert waren.429 Eine möglicherweise eher ablehende Haltung gegenüber der Todesstrafe zeigt sich auch in der Aufhebung eines Todesurteils gegen den Soldaten Hendrick Pieters im Jahr 1701.430 von den anderen, als der Angegriffene nicht in der Auseinandersetzung, sondern erst später nach der ärztlichen Behandlung verstarb. Womöglich ist die Bestrafung der Totschläger durch das Schwert auch dadurch begründet, dass der Totschlag als ehrliches Verbrechen angesehen wurde. Vgl. van Dülmen, Der ehrlose Mensch, S. 68. Anzumerken ist sicherlich auch, dass das Enthaupten die teuerste Hinrichtungsart war und 39 holländische Gulden und vier Stüber kostete, während das Henken lediglich mit 25 holländischen Gulden vom Scharfrichter berechnet wurde, siehe: Emden, StadA, Prot.-Reg. XXI, Nr. 23, im Rücken des Protokollbuchs. 425  Vgl. Dorreboom, S.  179 f. 426  Hier bleiben die über die Deserteure in Abwesenheit gefällten Todesurteile außer Betracht, weil die Deserteure größtenteils nicht aufgegriffen und damit nicht hingerichtet wurden. 427  Folgende Soldaten wurden in Leeuwarden zum Tode verurteilt: Jan Gerrijts, Apr. 1711 (Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 14, p. 24–26), Jan Jacobus (de) Duitser, Apr. 1711 (ebd., Nr. 14, p. 26–28), Jan Coenrads, Apr. 1733 (ebd., Nr. 15, p. 26–30), Joachim van Leeuwen, Mai 1734 (ebd., Nr. 15, p. 49 f., ihm wurde ein Pardon gewährt), Johannes Baltus, Mai 1735 (ebd., Nr. 15, p. 81–83), Jan Hendrik Groenewout, Mai 1735 (ebd., Nr. 15, p. 86 f.), Tjeerd Roukes, Okt. 1735/ Febr. 1736 (ebd., Nr. 15, p. 95–97). 428  Vgl. Huussen, Doodstraf, S. 68. In Friesland wurden im nicht-militärischen Rechtsbereich durch den Hof nur 1,5 Prozent der angeklagten Personen zum Tode verurteilt wurden. Siehe auch: van Nimwegen, De Republiek, S. 86. Ein Indiz für diesen Eindruck besteht auch insofern, als der Statthalter Wilhelm Friedrich in seinem Tagebuch (Gloria Parendi) explizit vermerkte, dass der Gerichtsschulze ihm am 6./16.4.1647 mitgeteilt habe, dass ein Soldat am nächsten Tag hingerichtet werden sollte. (Gloria parendi, S. 365 [108]). Ebenso vermerkte er einen Tag später die tatsächlich stattgefundene Hinrichtung. (Gloria parendi, S. 365 [109]). 429  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 13, 19.12.1689 sowie 26.3.1690. 430  Ebd., SHA, Nr. 774 (1701). Verzeichnis von Resolutionen der Gedeputeerde Staten das Kriegsgericht betreffend, in: ebd., Nr. 772, 18.11.1701 und 24.12.1701.



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In Emden konnten für den Zeitraum von 1723 bis 1744 zwölf Hinrichtungen ausfindig gemacht werden.431 Auffällig ist, dass in Emden in nahezu allen Fällen Desertion der Grund für die Exekution war. Lediglich der Soldat Martin Frankar wurde 1737 wegen eines Wachvergehens hingerichtet. In Groningen konnten keine ausgeführten Todesurteile gegen Militärs im Untersuchungszeitraum nachgewiesen werden. 6. Richtstätten Die Bestrafung der militärischen Missetäter geschah in der Regel im Beisein des jeweiligen Regiments. Der Sinn darin bestand, den anderen ein abschreckendes Beispiel darzubieten.432 Daher gab es in jeder Stadt bestimmte Plätze für die Umsetzung der Urteile. Während sich die Galgen in der innerstädtischen Peripherie befanden, sind die Plätze für die Erteilung der Leibesstrafe im Zentrum zu finden.433 In Groningen wurden die Hinrichtungen auf dem Jacobiner-Zwinger durchgeführt, der daher auch Galgenzwinger genannt wurde. Die anderen Strafen wurden auf dem Großen Markt vor der Hauptwache vollzogen.434 Dort standen sowohl der Pranger als auch das hölzerne Pferd.435 Für das Spießrutenlaufen war dort ebenfalls genug Platz vorhanden. In Emden gab es einen Galgen auf dem Tümmeldeich und einen Pranger auf dem Neuen Markt. Die Hinrichtungen fanden an diesem am 1. August 1729 errichteten Galgen statt,436 die Erschießungen hingegen auf dem Gelbe-Mühlenzwinger, 431  Folgende Soldaten wurden in Emden hingerichtet. Erschossen wurden: Tönjes Bruns, Juni 1728 (Emden, StadA, I. Reg., Nr. 866), Bavius Nauta, Juni 1728 (ebd.), Johann Ludwig Reiger, Dez. 1728 (ebd.), Johan Matthias Heijbach, Juli 1729 (ebd., Nr. 868), Geerd Jan Harms Voß, April 1729 (ebd., Nr. 870), Martin Frankar, Febr. 1737 (ebd., Nr. 867); gehenkt wurden: Frans Kuiper, Aug. 1729 (ebd., Nr. 870), Bartold Janssen, Sept. 1729 (ebd., Nr. 868), Claas Fernold, Okt. 1730 (ebd., Nr. 873), Jan Harms de Vries, Sept. 1732 (ebd., Nr. 878), Harm Janssen, April 1742 (ebd., Nr. 897); postum an den Galgen wurde der Soldat Benjamin Sumpf, Jan. 1730 (ebd., Nr. 871) gebracht. Bis auf den Soldaten Frankar wurden alle Soldaten wegen Desertion bzw. Desertionsverdacht hingerichtet. 432  Dorreboom, S. 190. 433  Vgl. allgemein: Schwerhoff, Verordnete Schande?, S. 158. 434  Feith, Wandelingen, S. 418. 435  Siehe den Ausschnitt aus der Karte von Egbert Hautbois (1634): http://resour ces21.kb.nl/gvn/NCRD01/NCRD01_104797762_X.JPG. 436  Die Annahme Kappelhoff, Emden, S. 256, dass für „alle genannten Arbeiten […] kein Anspruch auf Bezahlung“ bestand, ist offensichtlich nicht korrekt, denn das Protokollbuch sagt, dass für die Arbeiten sechs Männern an drei Tagen je 30 Stüber gegeben wurden. Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 11, p. 110–112. Der Galgen bestand aus zwei Stützpfosten mit einem quer eingelegten Balken. Die Pfosten

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der daher auch Justizzwinger genannt wurde. Der Galgen in Emden war auf Wunsch der niederländischen Garnison aufgebaut worden, die diesen zur Bestrafung der Deserteure benötigte.437 Der alte, 1683 errichtete Galgen war 1717 den Wassermassen der Weihnachtsflut zum Opfer gefallen. Der Bau löste Kritik seitens des Fürsten von Ostfriesland aus, der sich in der Ausübung seiner Hoheitsrechte verletzt sah. Denn trotz der Selbstständigkeit der Stadt beanspruchten die ostfriesischen Fürsten stets die Hochgerichtsbarkeit für sich. Das Protestschreiben wies der Kommandant Veldtman zurück, indem er mitteilte, dass die Beschwerde lediglich als Pflichterfüllung des Fürsten anzusehen sei und fügte hinzu, dass seine Schuldigkeit darin bestünde, Deserteure zu bestrafen.438 Die Hinrichtungen der Soldaten führte der Emder Scharfrichter durch. Dafür schickte der Kriegsrat seinen Sekretär zum Rat. Dieser bat den Rat den Scharfrichter dafür abzustellen, was der Rat stets bewilligte.439 Deutlich wird also, dass es kein exklusiv militärisches Vollzugsorgan in der Stadt gab und der Scharfrichter sowohl militärische als auch zivile Straftäter richten konnte. Kurz nach dem Galgenneubau in Emden wurde der Deserteur Frans Kuij­ per (Rgt. Viçouse, Komp. Oberstleutnant de Marvillars) am 19. August 1729 um 11 Uhr hingerichtet, nachdem er bereits zwei Tage zuvor zum Tode verurteilt worden war. Einen Tag später, am 20. August, beklagte der Fürst in einem Brief an den Rat Emdens, dass seine Landesrechte verletzt worden seien, indem in der Stadt unerlaubt die Hochgerichtsbarkeit ausgeübt worden war. In einem Antwortschreiben vom 3. September 1729 argumentierte der Stadtsyndikus Dr. Gerhard Hessling440 damit, dass der Kriegsrat eigene Rechte habe und dass die Hochgerichtsbarkeit des Fürsten sich nur auf solche Personen beziehe, die vom Stadtschulzen in Haft genommen worden seien. Nach dieser Argumentation standen die Soldaten außerhalb der fürstlichen, aber auch städtischen Gerichtsbarkeit.441 Weitere Informa­ tionen zu diesem Konflikt finden sich in den Akten nicht. Der Profos der waren 20 Fuß lang (ca. 5,80 m), der Balken 23 Fuß (ca. 6,50 m). Ebenso wurde eine zwölfstufige Leiter angebaut. Zur Umrechnung der Maße siehe: Uphoff, Bernhard: Ostfriesische Masze und Gewichte, Bd. 1: Die Einheiten (Quellen zur Geschichte Ostfrieslands 9), Aurich 1973, S. 6 f. und 16 f. 437  Zur Lage des Galgens siehe Kap. C. IV. 3. 438  Kappelhoff, Emden, S. 257. 439  Den Haag, NA, SG, Nr. 6745, Brief von Otto Georg Veldtman an die Generalstaaten aus Emden vom 6.3.1732, eingetroffen am 10. (geheimes Schreiben), Nr. 15. 440  König, Joseph: Verwaltungsgeschichte Ostfrieslands bis zum Aussterben seines Fürstenhauses (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung 2), Göttingen 1955, S. 377. 441  Emden, StadA, Prot.-Reg. IV, Nr. 11, p. 119–121, bes. 120.



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Garnison half bei der Hinrichtung, vermutlich führte er den verurteilten Soldaten vom Gefängnis zum Richtplatz.442 In Leeuwarden wurden die Strafen am Pranger, der gegenüber dem Rathaus stand, und an den Galgen ausgeführt. Die Stadt verfügte über zwei Galgen, der eine stand vor dem Arbeits- und Zuchthaus (1639 für das Kriegsgericht errichtet,443 „Wipgalgen“ genannt) und der andere außerhalb der Stadt, am Kanal nach Harlingen.444 Die Benutzung der Galgen bildete 1750 die Ursache für einen Zwist zwischen dem Kriegsrat und dem Hof von Friesland.445 Erneut stritten beide Parteien darum, welcher Institution bestimmte Rechte in der Stadt zustünden. Der Kriegsrat ließ die verurteilten Straftäter üblicherweise erst an den Galgen in der Stadt hängen. Nachdem der Tod eingetreten war, wurden die Hingerichteten an den Galgen außerhalb der Stadt gebracht. Begründet wurde dieses Vorgehen damit, dass das Regiment bei der Hinrichtung zwecks Wahrnehmung des Exempels anwesend zu sein habe, hingegen für die Hinrichtung nicht aus der Stadt ziehen sollte. Augenscheinlich war für die Truppen beim Galgen außerhalb der Stadt vor allem nicht der nötige Platz vorhanden, um das Geschehen verfolgen zu können. Durch das Aufhängen des bereits Hingerichteten am zweiten Galgen konnte dieser dort für eine längere Zeit als abschreckendes Exempel dienen. Ebenso sollte sicher der Verwesungsgeruch aus der Stadt gebannt werden. Der Hof prangerte an, dass der Kriegsrat seine Verurteilten nicht mehr in der Stadt hinzurichten beziehungsweise den Hof um Erlaubnis zu fragen habe. Der Kriegsrat beantwortete diese Kritik mit Argumenten, die sich aus den bisherigen Verfahrensweisen ergaben. Das Kriegsgericht stellte dar, dass schon in etlichen Fällen Soldaten in der Stadt hingerichtet und dann außerhalb der Stadt ein zweites Mal gehenkt worden seien. Der Hof hatte für seine Forderung lediglich einen historischen Nachweis anbringen können, nämlich einen Fall, bei dem der Kriegsrat 1691 den Hof wegen einer Hinrichtung konsultiert hatte. Weiter stellte der Kriegsrat dar, dass er zudem das Recht genieße, von allen städtischen Rechtsinstrumenten Gebrauch zu machen,446 denn diese seien provinzial und könnten demnach sowohl vom Hof als auch vom Kriegsrat benutzt werden. Ebenso sei der Scharfrichter am Ständekollegium angestellt und nicht beim Hof, sodass er für beide Rechtsinstitutionen Urteile vollstrecken könne. Letztlich beanspruchte der Kriegsrat sein Recht, Urteile auf dem Schafott in der Stadt und 442  Vgl. die Rechnung bei der Hinrichtung von Harm Janssen in Emden im April 1742. Emden, StadA, I. Reg., Nr. 897. 443  Eekhoff, Geschiedkundige Beschrijving, Bd. 2, S. 7. 444  Ebd., Bd. 1, S. 188. 445  Vgl. auch Nederlandsche Jaerboeken (1750), S. 481. 446  Dies waren der Galgen, das Schafott, das Rad und die Pfähle.

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am Galgen außerhalb durchführen zu können, ohne dafür ein Gesuch beim Hof stellen zu müssen, sodass die Hinrichtungswerkzeuge für zivile und militärische Straftäter dieselben waren. Hingerichtete Soldaten wurden in Leeuwarden auf dem Misdadigers Kerkhof begraben.447 Bei der Bewertung der Hinrichtungen stellt sich die Frage nach der Öffentlichkeit des Vollzugs. Nicht in jedem Fall war es vorstellbar, dass die Hinrichtung oder Bestrafung vor großem Publikum stattfinden konnte. Die Hinrichtungen auf dem Zwinger in Emden oder dem Galgen auf dem Tümmeldeich hätten aufgrund ihrer Lage und des Ausmaßes gar kein größeres Publikum zugelassen.448 Explizit wird in den Emder Akten sogar erwähnt, wenn Soldaten der Hinrichtung beiwohnen sollten.449 Soldaten nahmen jedoch auch am Hinrichtungsprozedere teil, wenn sie den Verurteilten zur Hinrichtungsstätte begleiteten oder in der Stadt aufmarschierten.450 In Groningen informiert eine Untersuchung des Magistrats darüber, dass auch zivile Menschen am Hinrichtungsspektakel der Garnison teilnahmen, beziehungsweise der Soldat durch die Stadt zum Richtplatz geleitet wurde. Es kam dort 1713 das Gerücht auf, dass ein katholischer Geistlicher am Fenster gestanden und dem verurteilten Soldaten zugewinkt haben soll, was sich letztlich aber nicht bewahrheitete.451 Ob bei den Hinrichtungen in den Städten Soldaten für Ruhe sorgen mussten, lässt sich nicht aus den Quellen entnehmen, wird aber für plausibel gehalten.452 7. Verhältnis und Zweck der Strafen Wie bereits oben angedeutet, wurden die unterschiedlichen Strafarten in einem quantitativ divergierenden Ausmaß verhängt. Am häufigsten wurden die Soldaten zu Strafen verurteilt, bei denen sie ihre Ehre behielten und vor allem weiterhin ihren Dienst im Heer versehen konnten. Dazu zählte besonders das Spießrutenlaufen. Danach folgten die mit dem Verlust der Ehre einhergehenden Strafen, die Todesstrafe wurde hingegen eher selten ver447  Leeuwarden,

Tresoar, SHA, Nr. 782. Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts verschwanden die Galgen immer mehr aus den Stadtgebieten, vgl. Spierenburg, The Spectacle, S. 190. 449  So waren die Verurteilten Tönjes Bruns, Bavius Nauta, Adrian Tjeerts, Benjamin Rogier und Matthias de la Haije zur „Executie“ der Urteile zum Zwinger geführt worden, wenngleich nur die ersten beiden hingerichtet wurden. Emden, StadA, Prot.-Reg. XXI, Nr. 19. 450  Ebd., Nr. 11, 19.7.1677. 451  Groningen, GA, Volle Gerecht van de stad Groningen, 1475–1811, Nr. 1387, Jan. 1713. 452  Vgl. van Dülmen, Theater, S. 83. 448  Im



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hängt. Dies spiegelt aber auch die Tatsache wider, dass Verbrechen, die einer ehrverlustigen Strafe oder gar einer Todesstrafe würdig waren, nur relativ selten begangen wurden, während die Voraussetzungen für eine Disziplinarstrafe leicht zu erfüllen waren. Die Todesstrafe wurde nahezu ausschließlich bei Desertion, Mord beziehungsweise Totschlag und Vergewaltigung verhängt, während mit Ehrverlust verbundene Strafen in solchen Fällen angeordnet wurden, in denen die Soldaten beispielsweise einen Diebstahl begangen hatten oder bei einer Desertion auf mildernde Umstände verweisen konnten. Hierin zeigt sich auch der Sinngehalt der Strafe. Ein Strafmaß, das gleichsam die Ehre entzog, setzte voraus, dass durch das Verbrechen das Vertrauensverhältnis zwischen Dienstherr und Soldat unwiederbringlich zerrüttet worden war. Dies betraf dabei auch Soldaten, die mehrere Verbrechen begangen hatten. Diese wurden ebenso unehrlich aus der Armee entlassen. Das Vertrauensverhältnis war so weit erschüttert, dass es keinesfalls möglich war, den Soldaten weiterhin dienen zu lassen. Die Strafe wirkte in solchen Fällen abschreckend und war anderen somit wirklich ein Exempel. Nach Auseinandersetzungen, in denen die Ehre verletzt worden war, wie beispielsweise durch Beleidigungen, sollten sich die Kontrahenten wieder vertragen. Dies geschah öffentlich vor der Parade,453 symbolisiert durch einen Handschlag.454 Die Verurteilung zur Versöhnung sollte den Straffälligen somit wieder in die militärische Gemeinschaft eingliedern. Das Ziel der Obrigkeit bestand stets darin, den Frieden der Gemeinschaft herzustellen und zu bewahren. Wie wichtig Strafen für das Militär in Bezug auf die Zivilbevölkerung waren, die letztlich zu einer Befriedung führten, zeigt sich unter anderem darin, dass in Groningen ein Tumult nach dem Spießrutenlaufen eines Soldaten entstand, weil die Einwohner diesen für unehrlich hielten und härter bestraft sehen wollten.455 Ebenso spielte dabei die Öffentlichkeit eine wesentliche Rolle, so sollte der Deserteur Johan Barthold, wenn er aufgegriffen werde, gehenkt werden. Dabei wurde angeordnet, seinen Namen auf einer schwarzen Tafel mit dem Satz „Deserteur, hebbende ook een schildwagt aengetast en gekwetst“ mit weißer Schrift niederzuschreiben. Die Hinrichtung eines flüchtigen Deserteurs war somit ein öffentlicher Akt. Da es sich jedoch vor allem um ein militärisches Verbrechen handelte, wirkte die Strafprozedur auf die militärische Gemeinschaft.456 453  Dies betrifft etliche Urteile, siehe beispielhaft: Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 15, p. 139–145, Oktober 1738. 454  Ebd., p. 154–156. 455  Groningen, GA, Volle Gerecht van de stad Groningen, 1475–1811, Nr. 1762, Aug. 1731. 456  Vgl. Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 15, 10.4.1733; grundsätzlich: Schwerhoff, Verordnete Schande?, S. 185.

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Die ehrerhaltenden Strafen hingegen wurden vor allem bei Auseinandersetzungen zwischen mehreren Soldaten, wie Fechtkämpfe oder Schlägereien, verhängt. Aber auch Ehebruch beziehungsweise sexueller Verkehr Unverheirateter oder Trinkexzesse wurden auf diese Weise bestraft. Der Soldat konnte jedoch nach Durchführung dieser nicht entehrenden Strafe weiterhin im Militär dienen. Deshalb ist es naheliegend, dass kleinere Vergehen sofort durch die jeweiligen Offiziere abgestraft werden konnten, weil bei diesen Vergehen zwar die Disziplin verletzt, aber nicht das Vertrauen beschädigt worden war. Es galt vor allem, die öffentliche Ordnung wieder herzustellen.457 Eine Entwicklung der Strafen, wonach bestimmte Arten zu bestimmten Zeiten häufiger oder seltener vorgekommen sind, ist in dem Untersuchungszeitraum nicht festzustellen. Zu bemerken ist jedoch, dass die im Artikelbrief geforderten Strafen – auf etliche Vergehen stand die Todesstrafe – in vielen Fällen nicht verhängt wurden. Meist wurde ein milderes Strafmaß gefunden. Hinsichtlich einer gesellschaftlichen Stratigraphie ist auffällig, dass kaum Offiziere angeklagt wurden. Der Grund dafür mag darin bestehen, dass mit fälschlichen Verdächtigungen von einflussreichen Personen auch die Obrigkeit in ihrer Autorität hätte geschwächt werden können.458 Darüber hinaus muss bedacht werden, dass es stets die Offiziere waren, die die Verbrechen verfolgten beziehungsweise verfolgen ließen und letztlich die Urteile fällten. Daher ist auch nicht auszuschließen, dass Vergehen nicht sanktioniert wurden oder dass Verfahren gegen Offiziere mit Absicht keine Erwähnung in den Gerichtsbüchern fanden. Bezüglich einer Distinktion von militärischen und zivilen Lebenswelt hat die Betrachtung der Strafen und ihrer Durchführung gezeigt, dass es für Militärs kaum spezielle Bestrafungsformen gab. Lediglich das Spießrutenlaufen ist als eine Strafform anzusehen, die nur im Militär existierte. Sowohl Züchtigungen, als auch die Todesstrafe kamen ebenso in der zivilen Gemeinschaft vor. Dies erklärt, warum beispielsweise die städtischen Scharfrichter die Hinrichtung der Soldaten vollzogen oder das Militär das Arbeitsund Zuchthaus der Stadt benutzte. Eine Verbannung aus der Provinz Friesland oder dem Gebiet der Niederlande hatte als Konsequenz nicht nur eine Entfernung des Delinquenten aus der militärischen Gemeinschaft, sondern auch aus seinem zivilen Umfeld. Somit wirkten die militärischen Strafen auch auf die nicht militärische Lebenswelt der Soldaten und ihr jeweiliges Umfeld. 457  van

458  Vgl.

Dülmen, Kultur und Alltag, Bd. 2, S. 269. van Dülmen, Theater, S. 15.



XIV. Der Strafprozess191

8. Verteidigung des Angeklagten Dem Angeklagten wurde ein Anwalt für seine Verteidigung zur Seite gestellt. In Friesland waren die Anwälte von der Provinz beauftragt worden, die angeklagten Soldaten zu verteidigen.459 In Leeuwarden bestand demzufolge wie auch am Hof von Friesland eine Art ‚Pflichtverteidiger­ system‘,460 das dem Angeklagten eine gewisse Rechtssicherheit bot. Die jeweiligen Advokaten wurden dazu vom Kriegsgericht ernannt. In der Regel waren es studierte und promovierte Juristen.461 Der Anwalt Dr. Allardus Ostwarda wurde aufgrund seines Protestes gegen ein Urteil von den Gedeputeerde Staten abgemahnt und von den Verhandlungen des Kriegsgerichts zunächst suspendiert,462 später jedoch wieder zugelassen.463 Auch in Groningen war vorgesehen, dass dem in schweren Fällen angeklagten Soldaten ein Anwalt zur Seite stehen sollte,464 jedoch durfte dieser den Befragungen nicht beiwohnen.465 In Emden wurde im 17. Jahrhundert explizit die Möglichkeit ausgeschlossen, dass Soldaten zur Verteidigung einen Anwalt beauftragen konnten.466

459  Siehe dazu das Memoriaschreiben von 1750, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 773 und 776. 460  Wenngleich ein nicht zeitgenössischer Begriff, beschreibt dieser doch präzise das Vorgehen des Kriegsrats. Am 7.2.1660 wurde Dr. Henricus Neuhusius an der Stelle von Advokat Jusum benannt. Siehe: Verzeichnis von Resolutionen der Gedeputeerde Staten das Kriegsgericht betreffend, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 772, 7.2.1660. Der Verteidiger bekam dafür seit dem 14.2.1661 100 Karolusgulden (statt vorher 40), musste aber dafür die Unkosten des Prozesses tragen. Ebd., 14.2.1661. Siehe zum Hof: Huussen, Jurisprudentie, S. 272 und van Nienes, Inleiding (1999), S. 29. 461  Dem Deserteur Jan Hendrik Groenewold wurde 1735 Dr. H. Doting vom Hof von Friesland als Rechtsbeistand zur Seite gestellt. Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 774 sowie Bosch/van Nienes, S.  241 f. 462  Resolution der Gedeputeerde Staten von Friesland, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 669, Abschrift Frederik Willem Meijers, p. 156–158, 19.2.1690. Auch: Æstwarda. 463  Ebd., p. 176 f., 8.11.1690. 464  GO, zweiter Teil [criminele saken], Art. VII. Zum Teil sind die Verteidiger in den Verzeichnissen über die Approbation von Urteilen in der Provinz Groningen nachweisbar. 465  GO, zweiter Teil [criminele saken], Art. IX. 466  Emden, StadA, Prot.-Reg. XXI, Nr. 11, 6.12.1678.

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XV. Militärisch-zivile Rechtsprechung Die zivilen Prozesse fanden ohne Beteiligung der Offiziere statt.467 Besonders in der zivilen Rechtsprechung konkurrierten die Kriegsgerichte mit einer großen Zahl verschiedener Niedergerichte.468 In Leeuwarden scheinen zivile Streitigkeiten fast gänzlich in die Hand der Niedergerichte gelangt zu sein. Das letzte zivile Gerichtsbuch ist für die Zeit bis 1691 überliefert. Danach finden sich ebenso in der Registratur keine Dokumente, die Hinweise auf Verhandlungen von zivilen Streitigkeiten vor dem Kriegsgericht geben.469 Die zivilen Streitigkeiten vor den Kriegsgerichten betrafen häufig die sogenannten „militaire civile saecken“, die wiederum von den regulären zivilrechtlichen Tatbeständen abwichen. Bei diesen handelte es sich um Fragen nach dem Gehalt oder den Schulden der Soldaten.470 Diese militärisch-zivilen Verhandlungen sollten allein durch den Gerichtsschulzen und die Assessoren behandelt werden.471 In Emden war es ähnlich, jedoch ist aus einem undatierten Beschwerdeschreiben zu erfahren, dass sich auch bei zivilen Verhandlungen der gesamte Kriegsrat mitsamt den Offizieren versammelte.472 Da die städtischen Niedergerichtsakten nicht überliefert sind, kann keine Aussage über die Verhandlungen vor dem städtischen Gericht getroffen werden. Das Kriegsgericht nahm zudem Einfluss auf Matrimonialfragen von Soldaten, die der Gerichtsschulze nach Rücksprache mit dem Magistrat regeln sollte.473 In einigen Fällen entschied jedoch auch der gesamte Kriegsrat über Ehefragen.474 1735 wurde die Scheidung eines Kapitäns vor dem Gericht vertraglich geregelt.475 Daneben finden sich bezüglich der zivilen Rechtsprechung Inventarisierungen nach Todesfällen, wie sie beispielsweise in Emden nach dem Ableben von Petrus Bernhard von Cotzhausen oder Jürjen Oortlant vorkamen.476 467  Vgl. Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 773: Memoriaschreiben II 1750. Den Offizieren billigte man in der Regel auch keine Kenntnisse auf diesem Rechtsgebiet zu. Vgl. van der Kemp, ’t Gezag de Magt, S. 312. 468  Generell war es den Kriegsgerichten in der Republik zwischen 1650 und 1672 zugestanden worden, über zivile Dinge zu verhandeln bzw. mit diesen zu verfahren. Vgl. ebd., S. 300. 469  Leeuwarden, Tresoar, Militaire rechtspraak, Nr. 9. 470  Vgl. Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 773, Project Pointen, Artikel 10. 471  Ebd., Artikel 10. 472  Emden, StadA, I. Reg., Nr. 328, undatierte Abschrift. 473  Ebd., Nr. 328, 2.6.1684. 474  So ebd., Nr. 867 und 885. 475  Ebd., Kapitän Herman Berkhout von seiner Frau Sibilla geb. Blanckers. 476  Ebd., Nr. 892 (1739). Dies war nach einer Resolution des Raad van State auch üblich, 19.9.1713, siehe van der Kemp, ’t Gezag de Magt, S. 306.



XVI. Fazit193

In Groningen kann aufgrund des fehlenden Kriegsgerichtsarchivs keine präzise Aussage bezüglich der zivilrechtlichen Regulierungen getroffen werden. Nur die Kriegsgerichtsordnung gibt Auskunft darüber. So wurden in der Groninger Ordnung insbesondere Streitigkeiten um Schulden behandelt und zudem Regelungen über das Vorgehen bei Beschlagnahmung des Gehalts getroffen. Nicht beschlagnahmt werden konnten hingegen militärische Gegenstände wie Kleidung, Waffen oder Pferde. Ausgeschlossen wurden explizit Streitigkeiten um Bierschulden.477 Das Verfahren sollte höchstens drei Wochen andauern.478 In Groningen zeigte sich zudem eine zivilrechtliche Seite des Gerichts insoweit, als der Profos Jan Croll mit seiner Frau Maria ten Post bei einem Hausverkauf den Vertrag durch den Gerichtsschulzen Jacob van Swinderen besiegeln ließ.479 In allen drei Kriegsgerichten wurde bei zivilrechtlichen Verfahren besonders die Mündlichkeit betont. So konnten wohl Streitigkeiten auch ohne größeren Schriftverkehr verhandelt werden.480

XVI. Fazit Die niederländischen Städte Leeuwarden und Groningen sowie die deutsche Stadt Emden verfügten im 17. und 18. Jahrhundert über spezielle Rechtsorgane für die Jurisdiktion über Militärs. Dabei standen sich die Kriegsgerichte in den drei Städten in ihrer Struktur und ihrem Aufbau sehr nahe, wenngleich kleinere Unterschiede ausgemacht werden konnten. Spätestens 1585 wurde in Leeuwarden das Kriegsrecht als Institution gegründet. Das Gericht verfügte über einen Gerichtsschulzen sowie zwei Assessoren als Amtsträger. Für die Verhandlungen wurde darüber hinaus je nach Schwere des Falls eine bestimmte Anzahl von Offizieren einberufen. Die Struktur des Gerichts, vor allem mit der Anstellung des Gerichtsschulzen, zeugte von der Institutionalisierung der Landknechtsgerichte. Dies ließ das Gericht auch von anderen militärischen Rechtsinstitutionen in den Niederlanden unterscheiden, in denen in der Regel ein Auditeur militair angestellt war. In Groningen war der Aufbau des vermutlich 1595 errichteten Gerichts identisch, in den ersten Jahren dienten die Leeuwarder Amtsträger dort in Personalunion. In Emden, wo das Gericht spätestens 1604 eingerichtet wor477  GO,

erster Teil [civile saken], Art. XXXVI. Art. XIV. 479  Groningen, GA, Losse stukken Register Feith, meest charters, 1246–1864, Nr. 729, 16.5.1737. 480  GO, erster Teil  [civile saken], Art. XI; EO § 11. 478  Ebd.,

194

D. Militär und Recht

den war, dienten keine Assessoren. Da jedoch in Emden der Statthalter Wilhelm Ludwig anfänglich für die Einsetzung des Schulzen sorgte, kann ebenso davon ausgegangen werden, dass dieses Gericht an das Leeuwarder Vorbild angelehnt war. Grundlage für die Rechtsprechung war in allen drei Gerichten jeweils eine Ordnung, die den Prozessverlauf beschrieb, sowie die unterschiedlichen Rechtsschriften der Niederlande, wie der Artikelbrief oder die verschiedenen Plakate. Über einzelne Punkte dieser Ordnungen kamen Streitigkeiten auf, jedoch waren diese keinesfalls so eklatant, als dass das Gerichtswesen als solches in Frage gestellt wurde. Lediglich in Leeuwarden sind Tendenzen zu erkennen gewesen, wonach das Kriegsgericht hätte aufgelöst werden sollen, jedoch wurde diesen Forderungen nicht entsprochen. In allen Kriegsgerichten war die Rechtsprechung an die Garnison gebunden. Allein das Kriegsgericht in Leeuwarden besaß die Befugnis über Verbrechen von Angehörigen des Regiments des Statthalters zu urteilen, die außerhalb der Stadt Leeuwarden beziehungsweise der Provinz Friesland vorgefallen waren. Für den Statthalter, der zugleich Vorsitzender des Gerichts war, bestand dadurch die Möglichkeit, regulierend in die Strafverfahren einzugreifen. Dies konnte dieser darüber hinaus auch, indem er von seinem Recht auf Pardon beziehungsweise Strafmilderung Gebrauch machte. Die Jurisdiktion in den Gerichten war vor allem auf militärische Vergehen beziehungsweise Verbrechen beschränkt. Ziel war die Wiederherstellung der militärischen Disziplin und damit der öffentlichen Ordnung. Wenn anfänglich noch über zivile Streitigkeiten verhandelt worden war, traten diese im Laufe der Zeit immer mehr in den Hintergrund. Es finden sich spätestens ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kaum noch Verweise darauf, dass vor den Kriegsgerichten in größerem Maßstab zivilrechtliche Verfahren abgehandelt wurden. Dies bedingte jedoch, dass die zivilrechtlichen Vergehen der Militärs in die Jurisdiktion anderer Gerichte fielen. Besonders in Leeuwarden wurden im 18. Jahrhundert Konflikte über die Frage nach der Jurisdiktion der einzelnen Gerichte ausgetragen. Dies eskalierte in einer Streitigkeit zwischen der bürgerlichen und der militärischen Wache im Jahr 1736 und in einer Auseinandersetzung zwischen dem Hof von Friesland und dem Kriegsgericht im Jahr 1752. In beiden Fällen bestand Unklarheit darüber, wer jeweils für das Aufgreifen der Straftäter und das Einleiten des Prozesses zuständig war und welche Einrichtung letztlich über das Recht zur Inhaftierung verfügte. Diese Konflikte führten dazu, immer weiter in rechtlicher Hinsicht zwischen einer militärischen und zivilen Sphäre zu unterscheiden. Eine wichtige Zwischenstation auf dem Weg zur Distinktion dieser beiden Gruppen war in Leeuwarden die Aufhebung der Praeventie im Jahr 1748. Die Praeventie hatte ursprünglich beschrieben, dass die Ins-



XVI. Fazit195

titution, die das Verbrechen als erste erkannte, auch den vermeintlichen Straftäter zu verfolgen, aufzugreifen und letztlich zu verurteilen hatte. Doch sollte mit der Abschaffung nunmehr die Zuständigkeiten genauer geregelt werden, sodass bestimmte Menschen aufgrund bestimmter Eigenschaften unter die Jurisdiktion eines bestimmten Gerichts fielen, wie beispielsweise die Militärs unter das Kriegsgericht. Militärs definierten sich somit darüber, dass sie per Vertrag angestellt waren und damit als Folge ausschließlich unter der militärischen Justiz standen.481 Eine Ausdifferenzierung dieser beiden Rechtssysteme entwickelte sich vor allem in der ersten Hälfte und der Mitte des 18. Jahrhunderts. Neben den Konflikten um die Jurisdiktion wurden von den Offizieren häufig Kritik an der Funktion der Gerichtsschulzen und Assessoren geübt. Die Offiziere versuchten die Rechtsprechung über die Soldaten exklusiv zu gestalten und möglichst viele als zivil wahrgenommene Aspekte aus dem Militärrechtswesen zu verbannen. Besonders in Emden und Groningen wurde hinterfragt, welche Befugnisse den jeweiligen Ämtern in den Kriegsgerichten zustünden. Die Kritik richtete sich in Groningen dagegen, dass der Schulze Präsident des Gerichts war und als scheinbar zivile Person bei der Urteilsfindung gegen Soldaten involviert war. In Emden war die Möglichkeit des Gerichtsschulzen, Urteile gegen Soldaten fällen zu dürfen, ein maßgeblicher Kritikpunkt, der zudem noch dadurch untermauert wurde, dass der Emder Schulze als städtischer Beamter schließlich über niederländische Soldaten richtete. Die Kritik betraf zudem auch Fragen in wessen Zuständigkeit das Ergreifen des Delinquenten und die Erhebung der Anklage fielen. Das Betreiben der Offiziere, die nach ihrer Ansicht zivilen Amtsträger, wie den Gerichtsschulzen, aus den Kriegsräten zu entfernen, fand keine Entsprechung. Die Notwendigkeit dieser studierten Juristen war offensichtlich geworden, sodass die höheren Gremien, wie die Generalstaaten im 18. Jahrhundert auch keineswegs diesen Bestrebungen entsprachen. Die erwähnten Fälle ließen die Kompetenzen der Gerichte und damit auch der Akteure eindeutiger bestimmen. Militärische Verbrechen definierten sich schließlich ab Mitte des 18. Jahrhunderts darüber, dass sie von Militärs begangen worden waren. Erste Spuren dieser Rechtsauffassung finden sich bereits in einem Bericht des Leeuwarder Assessors Neuhusius im 17. Jahrhundert. In diesem sprach der Assessor davon, dass ein professioneller Soldatenstand bestünde, der ausschließlich unter der Jurisdiktion eines Kriegsgerichts zu stehen habe. Doch kann keineswegs von der Ausdifferenzierung des Rechtswesens auf die gesellschaftlichen Zustände geschlossen werden. Das Kriegsgericht und 481  Vgl.

Dorreboom, S. 95.

196

D. Militär und Recht

die zivilen Gerichte nutzten gemeinsam Einrichtungen wie das Arbeits- und Zuchthaus in Leeuwarden und die Urteile beider Institutionen wurden von einem gemeinsamen Scharfrichter durchgeführt. Dies lässt sich auch damit begründen, dass sowohl Militärs als auch zivile Bewohner mit den gleichen Strafarten belegt wurden, wenngleich sicherlich das Militär mit den Spießrutenläufen eine Besonderheit aufweist. Die rechtliche Trennung beider Gruppen war zwar somit im 18. Jahrhundert wesentlich normativ durchgeführt worden, jedoch keineswegs vollständig in Hinsicht der unterschied­ lichen Lebenswelten. Militärrecht und ziviles Recht sind somit als unterschiedliche professionelle Systeme anzusehen, die sich in der Zeit des 18. Jahrhunderts erst ausdifferenzieren mussten, und sich schließlich in der Zeit des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert vollständig etablieren konnten.482 Eine normative Differenzierung erfolgte erst im Jahr 1795, nachdem die Niederlande von Frankreich besetzt worden waren.483 Die zu diesem Zeitpunkt wohl nicht vollzogene lebensweltliche Trennung wird auch insofern offensichtlich, als dass im 18. Jahrhundert Soldaten und Zivilpersonen noch in den Städten und vor allem in den privaten Häusern zusammenlebten, sodass es eine Zusammenarbeit, auch zwischen den unterschiedlichen Rechtsinstitutionen geben musste.484 Späterer Kasernenbau sowie die räumliche Abgrenzung gingen mit der Professionalisierung des Rechts einher.

482  Vgl.

ebd., S. 96–99. Graaff, S. 51. 484  Huber, Bd. 2, S. 508 (Zitat), 508 f. 483  de

E. Die Offiziere im Regiment I. Einführung Nur wenige Abhandlungen der neuen Militärgeschichte haben sich bisher dem Offizierswesen näher zugewandt.1 Besonders in der niederländischen Forschung sind keine größeren Arbeiten entstanden. Vielmehr beschränken sich publizierte Abhandlungen auf die Biografien einzelner Personen, bei denen es häufig mehr um die Darstellung der Person geht als um die allgemeine Einbettung in die Zeit.2 Die wohl einzige detailliertere Beschäftigung mit den niederländischen Offizieren leistete der niederländische Historiker Hans Zwitzer. Er beschäftigte sich mit dem Offizierswesen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Anhand der regelmäßig geführten „conduitelijsten“ konnte er verlässliche Statistiken aufstellen, um das Offizierskorps dieser Zeit genauer zu beschreiben.3 Diese Listen wurden jedoch erst seit 1749 geführt, weshalb auf diese Quellengattung für die folgende Untersuchung nicht zurückgegriffen werden kann. Stattdessen werden verschiedene Akten aus der Registratur des statthalterlichen Archivs herangezogen. Ein geordneter Bestand zu den Offizieren des Regiments besteht nicht. Im folgenden Kapitel wird das Offizierskorps in zweierlei Hinsicht untersucht. Einerseits ist das Korps in Bezug auf seine Zusammensetzung, ande1  Dazu den Forschungsüberblick bei Gahlen, Gundula/Winkel, Carmen: Militärische Eliten in der Frühen Neuzeit: Einführung, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 14 (2010), S. 7–31. Die bisherigen Forschungen entstammen häufig der älteren, zumeist preußisch dominierten Geschichtsschreibung und sind oftmals auf die „bedeutende[n] Heerführer und ihr Agieren in Kriegen und Schlachten“ beschränkt (S. 8). Vgl. auch die Abhandlung Kroeners, der die alte Auffassung, wonach es aufgrund der schlechten Quellenlage nicht möglich sei, eine nähere Betrachtung des Offizierskorps zu führen, widerlegt. Kroener, „Des Königs Rock“, S. 72–77. Zur Patronangebeziehungen in der preußischen Armee siehe nunmehr: Winkel, Carmen: Im Netz des Königs. Netzwerke und Patronage in der preußischen Armee 1713–1786 (Krieg in der Geschichte 79), Paderborn u. a. 2013. 2  Siehe dazu beispielsweise über Hobbo Esaias van Aylva: Tans, M.: Het verband tussen het geslacht van Aylva en de stad Maastricht. Generaal Hobbe, Baron van Aylva, militair gouverneur in een belegerde vesting, in: De Vrije Fries 24 (1955), S. 88–92. 3  Zwitzer, Militie, S. 107.

198

E. Die Offiziere im Regiment

rerseits hinsichtlich des Spannungsfelds zwischen zivilen und militärischen Lebenswelten zu analysieren. Die Untersuchung erfolgt anhand der Methode der Kollektivbiografie, die „statt großer historischer Einzelpersönlichkeiten“ Personengruppen in den Blick nimmt. Die Zugehörigkeit zur Personengruppe definiert sich über „ein charakteristisches Merkmal bzw. durch eine festgelegte Position“.4 Einerseits stellt diese Herangehensweise die Individualität der Akteure heraus, andererseits wird vor allem das Gemeinsame zwischen den Personen eines Berufsstands herausgearbeitet.5 Dies geschieht anhand des Aufstellens von Statistiken und Vergleichszahlen, die allgemeine Abläufe und Eigenschaften aufzeigen lassen. Daneben werden die individuellen Lebensläufe in Bezug zur Gesamtheit aller Offiziersviten gesetzt, um Besonderheiten zu verdeutlichen und individuelle Handels- und Verhaltensweisen aufzuzeigen. Grundlage für die Untersuchung ist ein Personenkatalog über die Kapitäne, der anhand einer Auswertung unterschiedlicher Daten erstellt wurde.6 In diesem finden sich vor allem die Lebensdaten sowie die jeweiligen Karrierestationen der Offiziere. Als Inhaber der Kompanien bildeten besonders die Kapitäne das personelle Gerüst des Regiments. Hauptquellengrundlage für den Katalog ist einerseits das Register aller Regimenter und Kompanien Frieslands für die Zeit von 1666 bis in die 1740er Jahre, das der Offizier Frederik Willem (van) Meijers in den 1740er Jahren erstellt hatte. Bei Meijers ist jedoch unklar, aus welchen Quellen er seine Informationen gewonnen hatte. Andererseits wurde die Druckschrift „Naem-Register der Heeren Militaire Officieren“, die in den Niederlanden seit 1725 regelmäßig erschien, für die Aufstellung ausgewertet.7 Weitere Quellen für die Aufstellung bilden vor allem gedruckte Genealogien und vor allem die Auswertung der Kirchenbücher der Provinz Friesland, 4  Siehe umfassend: Schröder, Wilhelm Heinz: Kollektivbiographie als interdisziplinäre Methode in der Historischen Sozialforschung: eine persönliche Retrospektive, in: Historical Social Research/Historische Sozialforschung. Zentrum für Historische Sozialforschung/Center for Historical Social Research, Supplement No. 23 (2011), bes. S. 11–152; ders.: Kollektive Biographien in der historischen Sozialforschung. Eine Einführung, in: ders., (Hg.), Lebenslauf und Gesellschaft. Zum Einsatz von kollektiven Biographien in der historischen Sozialforschung, Stuttgart 1985, S. 8–17. Das Fehlen der kollektivbiografischen Studien in Bezug auf die militärischen Eliten bemerken auch Gahlen/Winkel, S. 15–18. 5  Schröder, Kollektive Biographien, S. 9. 6  Siehe den prosopographischen Anhang. Die im Folgenden angegebenen Nummern beziehen sich auf diesen Katalog. Generell sind Kataloge über militärische Offiziere bisher kaum in der Forschung erstellt worden. Für Preußen siehe das ältere Werk: Priesdorff, Kurt von: Soldatisches Führertum, 10 Bde., Hamburg 1937–1942. 7  Leeuwarden, Tresoar, Verzameling Fries Genootschap, Nr. 896.



II. Offiziersränge im niederländischen Militär199

die in einer Datenbank des Tresoar einsehbar sind. Daneben finden sich noch Informationen, die aus einzelnen verstreuten Quellen gewonnen wurden. Eine „Totalerhebung“ konnte jedoch nicht stattfinden, da sich besonders zu den Offizieren, die nicht aus der Provinz Friesland stammten, häufig keine vollständigen Lebensdaten ermitteln ließen. Auch gestaltete sich die Rekonstruktion der weiteren Karrieren nach dem Militärdienst als besonders schwierig.8 Wenngleich der Katalog alle Kapitäne umfasst, werden hier jedoch nur die 153 Kapitäne berücksichtigt, die in der Zeit zwischen 1671 und 1750 gedient haben. Begonnen wird mit dem Jahr 1671, da erst zu dieser Zeit ein Regimentsverband vorlag. Das Ende der Betrachtung liegt im Jahr 1750. Bereits 1746 wurde das Naem-Register letztmalig in gedruckter Form herausgegeben. Für die nachfolgenden Jahre finden sich noch Informationen in Meijers Abhandlung. Die Offiziere, die bereits 1671 dienten, wurden jedoch nur dann in die Betrachtung einbezogen, wenn nachgewiesen werden konnte, dass ihre Kompanie definitiv zum Regiment gehörte. Aufgrund der Quellendichte liegt im Folgenden der Schwerpunkt auf den hohen Offizieren ab dem Kapitänsrang. Zu den rangniedrigeren Offizieren ließen sich nur teilweise die Lebensdaten und -umstände ermitteln, sodass für diese keine Statistiken aufgestellt werden konnten.

II. Offiziersränge im niederländischen Militär Im niederländischen Militär war die Rangfolge der Offiziere genau vorgegeben. So wurden in einer Resolution der Generalstaaten vom 23. Mai 1671 elf Ränge festgelegt.9 Der höchste Rang war der des Generals als „Chef van het Leger“ (1). Danach folgten: Feldmarschall (2), General der Infanterie beziehungsweise Kavallerie (3), Leutnant-General (4), Sergeant Major- oder Wachtmeister-General (5), Kolonel (6), Leutnant-Kolonel (7), Sergeant-Major (8), Kapitän beziehungsweise Rittmeister (9), Leutnant (10) und letztlich der Fähnrich (11).10 Zwischen der Kavallerie und der Infanterie gab es in der Wertigkeit der Ränge keine Unterschiede.11 Im Regiment selbst wurden nur die Ränge bis hin zum Kolonel vergeben.12 Dieser wurde in der Regel jeweils Besitzer und höchster Anführer des Regiments. zum grundsätzlichen Problem: Schröder, Kollektive Biographien, S. 14. wurde das Druckwerk aus: Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 128. 10  Die erwähnten Ränge finden sich größtenteils auch im preußischen Heer wieder. Winkel, Im Netz, S. 68. 11  Rangunterschiede zwischen der Marine und der Infanterie wurde erst 1750 aufgehoben: Rangverhoudingen van Zee- en Landofficieren, in: Militair-rechtelijke tijdschrift 6 (1910/11), S. 134. 12  Vgl. die Auflistung im Anhang. 8  Vgl.

9  Herangezogen

200

E. Die Offiziere im Regiment

Im statthalterlichen Regiment hatte stets der Statthalter selbst diesen Rang inne, die tatsächliche Ausführung der Aufgaben wurde von einem KolonelKommandanten übernommen. Daneben finden sich im Regiment noch pro Bataillon je ein Leutnant-Kolonel und ein Major. Der Rang des Kapitäns war an eine Kompanie gebunden. Die Kapitäne hatten zuvor für eine bestimmte Summe ihre jeweiligen Kompanien erworben. Unter ihnen standen in der Regel ein Leutnant, ein Fähnrich, Korporäle und Sergeanten. Die Korporäle führten einzelne Teile der Kompanie an.13

III. Wie wird man Offizier? Die Ernennung der Offiziere bis einschließlich des Kapitänsgrads erfolgte durch den Statthalter oder im Falle seiner Minderjährigkeit durch die Stände der Provinz Friesland. Dies war unumstritten und offensichtlich auch gängige Praxis.14 Wenn auch 1598 von den Gedeputeerde Staten angeordnet worden war, dass Offiziere erst drei Jahre als Soldaten gedient haben sollten, wurde dieser Regelung offensichtlich keine Folge geleistet.15 Zum Teil suchten die Kapitäne ihre Nachfolger selbst aus, ohne dass der Statthalter direkt eingriff, beziehungsweise letztlich nur die Übertragung bestätigte.16 Auch bei den höheren Offizieren bis zum Grad des Kolonel genossen der Statthalter und die Stände das volle Recht zur Ernennung in der Provinz 13  Jedes Bataillon setzte sich wie folgt zusammen: Ein Kolonel-Kommandant, ein Leutnant-Kolonel, ein Major, zwölf Kapitäne, zwölf Leutnants, zwölf Fähnriche sowie mehrere Korporäle und Sergeanten. 14  Resolution der Gedeputeerde Staten von Friesland, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 669, Abschrift Frederik Willem Meijers, p. 47, 23.12.1686. Dem Statthalter Heinrich Casimir II. wurde gemäß einer Resolution vom 7.3.1675 nach seiner Volljährigkeit dieses Recht von den Ständen übertragen. Diese betonten jedoch, dass während des Kriegs gegen Spanien „althoos by ons syn begeven, ende dat de doorluchtige Heeren Predecesseuren van U Hoogheyt haer noyt daer mede hebben bemoeit“, siehe: thoe Schwartzenberg en Hohenlansberg, Groot Placaat en CharterBoek, Bd. 5, S. 1106; Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 669; Groningen, GA, Staten van Stad en Lande, 1594–1798, Nr. 1399, 16.1.1677. In der Provinz Groningen war dies umstritten, besonders in der Frage, ob dem Generalstatthalter möglicherweise dieses Recht zustünde. Die Offiziere und besonders die Kapitäne waren in den Niederlanden als Inhaber der Kompanien keine „private entrepreneurs“ wie in vielen anderen Ländern Europas, sondern eher „servants of the state“. Glete, S. 158. 15  Zijlstra, S. 238. 16  Resolution der Gedeputeerde Staten von Friesland, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 669, Abschrift Frederik Willem Meijers, p. 34, 29.7.1686. Transport von R. Lauerman auf G. Mejontsma. Es bestand ein Verbot, die militärischen Ämter zu verkaufen, Resolution vom 30.3.1672, in: thoe Schwartzenberg en Hohenlansberg, Groot Placaat en Charter-Boek, Bd. 5, S. 821.



IV. Pierre Bourdieus Kapitaltheorie201

Friesland.17 Augenscheinlich wird dies in dem Fall des General-Leutnants Menno van Coehoorn, der versucht hatte, dem Leutnant-Kolonel Godefroy Bachman den Rang eines Kolonel zukommen zu lassen, um seinem Bruder Gideon van Coehoorn wiederum den Titel eines Leutnant-Kolonel zu übertragen. Er hatte sich dafür an den König-Statthalter Wilhelm III. gewandt, der eine Entscheidung darüber ablehnte und darauf verwies, dass er den Ständen und dem Statthalter der Provinz Friesland nicht vorgreifen wolle.18 Nach der Ernennung durch den Statthalter beziehungsweise durch die Stände mussten sich die hohen Offiziere ab dem Kapitänsamt nach Den Haag zum Raad van State begeben, um ihre Commissie19 zu empfangen. Dies wurde für Militärs der Provinz Friesland jedoch erst 1653 eingeführt, nachdem durch die Generalstaaten angeordnet worden war, dass nunmehr jeder Offizier in der Republik diese Commissie empfangen müsse.20 Die Verleihung der Commissie stellte jedoch nur die formale Seite der Ernennung dar. Vielmehr schließt sich die Frage an, welche Eigenschaften die Bewerber mit sich bringen mussten, um in den Offiziersdienst zu gelangen. Denn auch in den Niederlanden gab es „keine standardisierten Eintrittskriterien“, um die Offizierslaufbahn zu beginnen.21 Der Beantwortung dieser Frage soll sich mithilfe der Kapitaltheorie des französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1930–2002) genähert werden.

IV. Pierre Bourdieus Kapitaltheorie22 Grundsätzlich ist nach Bourdieu Kapital als das Mittel zu verstehen, welches Handlungen ermöglicht, aber auch einschränkt. Wer über ein bestimmtes Kapital verfügt, kann Dinge unterschiedlicher Art betreiben und somit für seine Ziele nutzen. Andererseits kann derjenige, der nur in einem geringen Maße über ein bestimmtes Kapital verfügt, nur eingeschränkt handeln, auch Bruggeman, S.  100 f. Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 99, Brief: Nr. 408 von G. Bachman aus Namur vom 9.8.1695. 19  Hierunter versteht sich die Urkunde, die öffentlich zeigte, welchen Posten sie empfangen hatten. Meist findet sich auf den Urkunden (Pergament) die Aufschrift „Commissie voor de … als …“, siehe bspw. Utrecht, UA, Familie De Beaufort, Nr. 1304-8. In der Provinz Friesland mussten die Offiziere nach der Ernnenung für die „Commissie“ bezahlen. 20  Resolution der Stände von Friesland vom 8.5.1684. 21  Winkel, Carmen: Die Rekrutierung der militärischen Elite über soziale Netzwerke, in: Hitotsubashi Journal of Law and Politics 39 (2011), S. 43–53, hier: S. 45 f.; Winkel, Im Netz, S. 39. 22  Nach: Bourdieu, Pierre: Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – So­ziales Kapital, in: Margareta Steinrücke (Hg.), Die verborgenen Mechanismen der Macht, Hamburg 1992, S. 49–79. 17  Siehe 18  Den

202

E. Die Offiziere im Regiment

sodass das Kapital sowohl eine öffnende als auch verschließende Wirkung hat.23 Dabei definiert Bourdieu drei verschiedene Arten von Kapital, nämlich das kulturelle, das soziale und letztlich das ökonomische Kapital. Das kulturelle Kapital unterscheidet Bourdieu in drei unterschiedliche Formen:24 Inkorporiertes, objektiviertes und institutionalisiertes Kapital. Das inkorporierte Kulturkapital wurde von seinem Inhaber selbst erworben, indem er beispielsweise Dinge gelernt, also ‚in corpore‘ gesetzt hat. Dies ist mit der Einzigartigkeit der Person verbunden. Zum objektivierten Kulturkapital gehören vor allem Dinge und Güter. Darunter fallen beispielsweise Bücher, Gemälde oder Denkmäler, die im günstigsten Falle an nachfolgende Generationen weitergegeben werden können. Das institutionalisierte Kulturkapital orientiert sich vor allem an normativen Größen. So können beispielsweise Titel eine universelle Kompetenz angeben, auch wenn derjenige, der diese Titel trägt, schlechtere Fähigkeiten als beispielsweise ein Autodidakt aufweist. Das soziale Kapital beschreibt in erster Linie die Abstammung eines jeden einzelnen.25 So kann die Herkunft aus einer angesehen Familie und damit verbunden das Tragen eines bestimmten Familiennamens dem Akteur einen Kredit im wörtlichen Sinne, also Glaubwürdigkeit, geben. Angesehene Familien konnten durch verschiedene Leistungen ein großes soziales Kapital zusammentragen, welches oftmals über Generationen weitergegeben werden konnte. Besonders in der Zeit des Ancien Régime verfügten die Adeligen über ein ausgeprägtes soziales Kapital. Das ökonomische Kapital betrifft das finanzielle Leistungsvermögen. Hier geht es um die finanziellen oder finanziell gebundenen Mittel wie Geldbesitz oder Eigentum.26 In enger Verbindung steht das ökonomische Kapital dabei zu den anderen beiden Kapitalsorten, denn besonders mit dem ökonomischen Kapital können die beiden oben dargestellten Kapitalsorten mitunter erworben werden.27 Die Umwandlung funktioniert nicht immer direkt, sondern erfordert längeren Einsatz, es muss also Zeit aufgewandt werden. Doch gerade das ökonomische Kapital ermöglicht es, diesen Aufwand an Zeit zu gewährleisten. Die Summe aller Kapitalformen, die sich in einer Person vereinigen, wird als symbolisches Kapital bezeichnet.28 23  Ebd.,

S.  49 f. S. 53–63. 25  Ebd., S. 63–70. 26  Ebd., S. 52. 27  Ebd., S. 70–75. 28  Müller, Hans-Peter: Die Einbettung des Handelns. Pierre Bourdieus Praxeologie, in: Berliner Journal für Soziologie 2 (2002), S. 157–171, hier: S. 165. 24  Ebd.,



V. Das soziale Kapital: Die Rolle des Adels in Friesland 203

V. Das soziale Kapital: Die Rolle des Adels in Friesland In einem ersten Schritt soll betrachtet werden, welches soziale Kapital aufzubringen war, um einen Posten als Offizier zu erhalten. Dabei gilt es in erster Linie zwischen den bürgerlichen und adeligen Familien in den Niederlanden zu unterscheiden. Adel als Abstammungsmerkmal konnte sich in den nördlichen Provinzen der Republik nur teilweise ausbreiten.29 So nimmt die Provinz Friesland in der Zeit der Republik, wie J. Visser konstatierte, einen „min of meer aparte plaats“ ein.30 In der Provinz Friesland formierte sich, wie auch in den Provinzen Groningen und Zeeland, keine Ritterschaft, in welcher adelige Vertreter für die Landtage benannt wurden. Erst im Jahr 1825 wurde in Friesland eine eigene Ritterschaft gegründet. Demzufolge genoss in Friesland der Adel keine gesonderte Stimme auf Landtagen oder andere Standesvorrechte. Vielmehr agierten Adelige und Bürgerliche zusammen, denn jede Grietenei und Stadt hatte je eine Stimme, die von zwei Vertretern, also einem adeligen und einem nichtadeligen Bevollmächtigten, abgegeben wurde.31 Lediglich als soziale Gruppe sonderten sich die Adeligen von der übrigen Bevölkerung ab, indem sie beispielsweise nahezu ausschließlich unter sich heirateten oder auf Stinsen32 wohnten. Somit spielte der Adel nur bedingt in politischer und sozialer Hinsicht in der Provinz eine herausragende Rolle.33 29  Grundlegend für die Betrachtung des Adels in Friesland sind die Arbeiten von Yme Kuiper, der sich vor allem mit dem Aussterben der adeligen Familien in der Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts auseinandergesetzt hat. Kuiper, Yme: Uitsterven of uithuwelijken? Een analyse van het demografisch gedrag van de adel in Friesland in de 18de en 19de eeuw, in: Tijdschrift voor Sociale Geschiedenis 12 (1986), S. 269–299; ders.: Adel in Frieslad tussen getal en mentaliteit. Een demografische en gezinshistorische beschouwing over een gewestelijke elite in de periode 1700–ca. 1875, in: J. Frieswijk u. a. (Hgg.), Frieslands verleden verkend. Problemen, methoden en onderzoek met betrekking tot de Friese geschiedenis na 1750, Leeuwarden 1987, S. 96–119 und letztlich das Hauptwerk: ders.: Adel in Friesland 1780–1880, Groningen 1993. 30  Dies nach Visser, J.: Adel en „Adel“ in de Staten van Friesland in de 17de en 18de eeuw, in: De Nederlandsche Leeuw 78 (1961), S. 430–457. 31  Ebd. 32  Steinhäuser. Ursprünglich diente der Begriff dazu, Häuser im Mittelalter zu klassifizieren, die im Gegensatz zu anderen Behausungen aus Stein errichtet worden waren. Zum Teil findet sich auch der Begriff „Staten“ für diese Hausform. Dies ist ebenso der Fall, wenn auch ein nicht unerheblich großes Landstück zu dem Haus gehörte. Art. Stins, de, in: Brouwer, Encyclopedie van Friesland, S. 606. 33  Kuiper, Yme B./Spanninga, Hotso: De Friese adel – tussen volkscultuur en elitecultuur, in: Juub Bosmans u. a. (Hgg.), Schatten uit Friesland. De cultuur van de elite (1500–1900), Leeuwarden 1990/1991, S. 8–23, hier: S. 9. Siehe auch Huber, Bd. 2, S. 24, der angibt, dass die „Eigenerfde“, also die reichen Großgrundbesitzer,

204

E. Die Offiziere im Regiment

Auch konnte sich der Adel in quantitativer Hinsicht in Friesland nicht durchsetzen. In der frühen Neuzeit sank die Zahl der Adeligen rapide. Während 1505 noch beinah 250 Männer zum Adelsstand gezählt wurden, waren es in der Mitte des 18. Jahrhunderts lediglich 70. In dieser Zeit gab es in der Provinz 13 einheimische friesische und zwölf auswärtige Adelsgeschlechter. Gründe für das Aussterben im 18. Jahrhundert war eine demografische Krise, bei der eine hohe Mortalität, eine geringe Anzahl von Heiraten sowie eine geringe Fruchtbarkeit in den Ehen vorlagen.34 1. Adelige Abstammung als Merkmal von Offizieren? Generell kann in zweierlei Hinsicht danach gefragt werden, ob eine adelige Herkunft bei Offizieren in friesischen Diensten vermehrt vorkam. Einerseits ist die Gruppe aller Offiziere zu analysieren, die im Regiment des friesischen Statthalters gedient haben. Andererseits muss gefragt werden, wie viele Mitglieder der gesamten Adelsfamilien der Provinz Friesland eine Anstellung als Offizier im Militär und insbesondere im statthalterlichen Regiment fanden. Während der erste Aspekt Auskunft über die tatsächliche Präsenz von Adeligen im Regiment gibt, verspricht der zweitgenannte Ansatz eine Einsortierung von adeligen Familien in das Spannungsfeld zwischen militärischen und zivilen Lebenswelten. Anhand dieser Zahlen kann aufgezeigt werden, wie häufig friesische Adeligen den militärischen Karriereweg wählten. Zudem wird das quantitative Ausmaß der Adeligen, die im Militär dienten, bemessen. Ob eine Familie adelig war, wird anhand des Registers festgestellt, das Visser bei der Auswertung der Listen über die Abgeordneten bei den Landtagen – in Friesland wurde pro Grietenei je ein adeliger und ein nicht adeliger Abgeordneter geschickt – erstellt hat. Insgesamt konnte Visser 62 Familien benennen, die als adelig galten, obgleich sie nicht sämtlich den einheimischen Adelsfamilien entsprungen waren. Dem gegenüber stehen 53 nicht adelige Familien. Die Herkunft der Kapitäne wird anhand ihres Geburtsorts ermittelt. Es werden auch solche Offiziere zu den Friesen gezählt, wenn ihr Geburtsort aufgrund besonderer Ereignisse außerhalb Frieslands lag, aber die Eltern beziehungsweise die Familie definitiv in Friesland ansässig waren. Folgende Tabelle verdeutlicht die soziale Herkunft der Kapitäne des Regiments: „met goede reeden voor Eedellieden souden mogen gehouden worden“. Es zeigt deutlich, dass zwar schon eine Distinktion bestand, aber reiche bürgerliche Familien offensichtlich wie adelige Familien lebten. 34  Kuiper, Adel (1993), S. 134.



V. Das soziale Kapital: Die Rolle des Adels in Friesland 205 Tabelle 1 Soziale Herkunft der Kapitäne Adelig

Herkunft

Bürgerlich

Unbekannt

Gesamt

3d

17e

41

4h

6i

13j

48

1l

6m

3n

12o

38

7q

3r

4s

8t

26

Zeitraum der Ernennung

F

A

F

A

Zeitraum 1 (1671–1690)

7a

6b

8c

Zeitraum 2 (1691–1710)

14f

11g

Zeitraum 3 (1711–1730)

16k

Zeitraum 4 (1731–1750)

4p

Legende: F = Friesisch; A = Auswärtig Z I: a: [3b], [5e], [5c], [7a], [9b], [15b], [15f]; b: [3c], [8b], [8c], [14c], [22b], [24c]; c:  [4c], [10c], [11b], [12e], [14b], [17f], [18c], [19c]; d:  [2b], [6a], [15e]; e:  [4b], [5d], [7b], [8d], [10b], [11a], [15c], [15d], [16d], [16f], [20b], [20c], [20d], [21b], [21c], [23c], [24b]; Z II: f: [5f], [6b], [6c], [6d], [8f], [9c], [9d], [15h], [17g], [18d], [18e], [19d], [19f], [21f]; g:  [4d], [6f], [6g], [8e], [15i], [16e], [17i], [18f], [19e], [21e], [24d]; h:  [6e], [15j], [17k], [23d]; i: [10d], [12f], [12g], [13b], [16g], [17h]; j: [5g], [7c], [7d], [9e], [10e], [11c], [11d], [12h], [14d], [15g], [17j], [20e], [21d]; Z III: k: [2c], [3d], [4e], [5h], [8g], [9g], [11e], [12i], [13c], [17l], [19g], [20f], [20g], [21h], [23g], [24e]; l:  [6h]; m:  [2d], [7f], [12j], [16h], [17m], [22d]; n:  [8h], [17n], [19i]; o: [7e], [9f], [10f], [10g], [10h], [11f], [14e], [19h], [21g], [22c], [23e], [23f]; Z IV: p:  [12k], [18i], [17o], [22e]; q:  [2e], [5i], [10i], [18g], [20i], [21i], [23h]; r:  [7g], [11h], [20h]; s:  [4f], [7h], [15k], [18h]; t:  [6i], [6j], [7i], [7j], [11g], [18j], [21j], [23i].

Bei genauerer Betrachtung des statthalterlichen Regiments in Bezug auf die Ernennung der Kapitäne zeigt sich folgendes Bild: Im Zeitraum 1 (1671–1690)35 zeigt sich, dass rund ein Drittel der Kapitäne aus Friesland stammten. Dabei hielten sich adelige und bürgerliche Familien ungefähr die Waage. Zu dieser Zeit wurden Männer friesischer Abstammung normativ 35  Die Einteilung in Zeiträume lehnt sich an die Regierungszeiten der Statthalter an. Der erste Zeitraum betrifft die Regierungszeit Heinrich Casimirs II. (regiert von 1664 bis 1696), der zweite die Johann Wilhelm Frisos (1696–1711) bzw. der Stellvertreterschaft seiner Mutter Henriette Amalia (1696–1707), der dritte die Stellvertreterschaft von Maria Louise (1711–1729) und der letzte Zeitraum die Regierungszeit Wilhelm Karl Heinrich Frisos bzw. Wilhelms IV. (1729–1752).

206

E. Die Offiziere im Regiment

bevorzugt. Nach einer Resolution der Stände der Provinz vom 30. Juni 1683 war stets der einheimische Kandidat ausländischen Interessenten vorzuziehen.36 Warum nun auch mindestens sechs Männer, die definitiv einen auswärtigen Hintergrund haben, im Regiment dienten, konnte anhand des vorliegenden Quellenbestands nicht ermittelt werden. Zudem besteht für diese frühe Phase das Problem, dass zu etwas mehr als einem Drittel der Männer keine Herkunftsangaben ermittelt werden konnten. Zu bemerken ist jedoch, dass in der Zeit von 1671 bis 1690 auch noch friesische Offiziere dienten, die vor 1671 ernannt worden waren und definitiv später im Leibregiment dienten. Hierbei handelt es sich um Poppo van Burmania, Menno van Coehoorn, Hessel van Bootsma sowie Hendrik Georgh thoe Schwartzenberg en Hohenlandsberg.37 Im zweiten Zeitraum (1691–1710) hielt sich das Verhältnis auswärtigen und einheimischen Offizieren ungefähr die Waage. Lässt man diejenigen Offiziere außer Acht, zu denen sich keine Lebensdaten ermitteln ließen, zeigt sich das Verhältnis sowohl von adeligen als auch bürgerlichen Offizieren vor allem in Bezug auf deren geographische Herkunft als ausgeglichen. Erst im dritten Zeitraum (1711–1730) und damit in der Zeit der Regierung Maria Louises, nachdem Johann Wilhelm Friso 1711 gestorben war, setzten sich die einheimischen Adeligen immer mehr durch. Mit einem Verhältnis von 16 zu eins zeigt sich deutlich, dass der friesische Adel die Oberhand gewonnen hatte. Und bei den Offizieren bürgerlicher Abstammung finden sich mehr Männer friesischer als auswärtiger Herkunft. Unter den Personen deren Herkunft nicht ermittelt werden konnten, befinden sich mit Anne van Haersma und Cornelius van Haersma zwei Offiziere, die vermutlich auch aus Friesland stammten.38 Dieses Ungleichgewicht wurde erst im vierten Zeitraum (1731–1750) ausgeglichen, nachdem Wilhelm Karl Heinrich Friso die Regierung angetreten hatte. Von den elf Offizieren adeliger Herkunft stammten vier aus der Provinz beziehungsweise sieben waren aus auswärtigen Gebieten gekommen. Bei den Offizieren bürgerlicher Herkunft sind die Zahlen gleichmäßig verteilt, drei stammten aus Friesland, vier hingegen aus auswärtigen Gebieten. Aufgrund der zum Teil lückenhaften Überlieferungsdichte kann bezüglich des Verhältnisses von adeliger zu bürgerlicher Herkunft nur gemutmaßt werden. Es scheint sich eine leichte Tendenz zum Adel abzuzeichnen. Offensichtlich war es besonders zu Mitte des 18. Jahrhunderts wichtig, viele nach: Zwitzer, Militie, S. 44. [14a], [20a], [9a]. 38  [22c], [23f]. 36  Zitiert 37  [22a],



V. Das soziale Kapital: Die Rolle des Adels in Friesland 207

Mitglieder der einheimischen Familien mit Offiziersstellen zu versehen und diese dann vor Ort zu stationieren. Dies unterschied das friesische Militärsystem offensichtlich von dem anderer Großmächte,39 wie beispielweise Preußen, wo die meisten Offiziere nicht in den Gebieten garnisoniert waren, aus denen sie stammten.40 Aufgrund des Kantonsystems waren die Voraussetzungen jedoch in Preußen oftmals grundlegend anders.41 Der friesische Befund bekräftigt dabei die These, dass der Adel in der frühen Neuzeit eine wichtige Stellung im Militär einnahm, wobei quantifizierende und vergleichende Studien für die Niederlande noch ausstehen.42 Ein weiterer Unterschied des friesischen Korps zu dem Preußens zeigt sich darin, dass der Anteil an nicht adeligen Offizieren keineswegs gering war. Waren es in Preußen unter den Kapitänen in der gesamten Armee acht Prozent, konnte dort bei der Infanterie lediglich 3,7 Prozent ausgemacht werden.43 In Friesland waren es, wenn man alle Zeiträume zusammen betrachtet, fast 36 Prozent, also rund zehnmal so viele. Folgt man dem Befund Karl Demeters, wurden in Preußen erst in der Regierungszeit Friedrichs des Großen (1712–1786) während des Siebenjährigen Kriegs (1756– 1763) die Reihen mit Offizieren bürgerlicher Herkunft aufgefüllt.44 Obzwar die Anzahl der adeligen die der bürgerlichen Offiziere in dem Heereswesen der Niederländer überwog, scheint sich keine absolute Fokussierung auf Adelige als Offiziere durchgesetzt zu haben. Adelige Abstammung war somit keine Voraussetzung, um zur militärischen Elite Frieslands in der frühen Neuzeit zu gehören.45 39  Als Provinz und somit als Teil der Republik der Niederlande soll Friesland in dieser Studie ein exemplarischer Charakter zugewiesen werden, sodass der Begriff Großmacht sich auf die gesamte Republik bezieht, in der Friesland in militärischer Hinsicht sicherlich den zweiten Platz hinter der mächtigen Provinz Holland einnahm. 40  Zwar war das friesische Regiment auch außerhalb Frieslands stationiert, jedoch wurde es häufig für gewisse Zeiten nach Friesland zurückkommandiert. Siehe Kapitel B.V.1.–4. 41  Dazu: Hebbelmann, Georg: Das preußische „Offizierkorps“ im 18. Jahrhundert. Analyse der Sozialstruktur einer Funktionselite, Münster 1999, S. 108–112 (für das Heer allgemein), S. 153–155 (für die Infanterie). Ebenso: van Nimwegen, The transformation, S. 179. 42  Vgl. Storrs, Christopher/Scott, H. M., The Military Revolution and the European Nobility, c. 1600–1800, in: War in History 3 (1996), S. 1–41. 43  Hebbelmann, S.  196 f. 44  Demeter, Karl: Das Deutsche Offizierkorps, 2.  Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 3. 45  Vgl. für die vier Bataillone des Statthalters in Nassau: Grund, Erhard: Die vier Bataillone Oranien-Nassau. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte des 18. Jahrhunderts, Ohren 1995, S. 99 f. Dort wurden ebenso Offiziere adeliger und bürgerlicher Abstammung gleich behandelt.

208

E. Die Offiziere im Regiment

Das Fehlen eines Ritterstands in Friesland führte ebenso dazu, dass keine Personen, die sich im Militär bewiesen hatten, geadelt werden konnten. Lediglich Frederik Willem Meijers bekam im Jahr 1740 durch den preußischen König den Adelstitel verliehen. Die Ernennung resultierte jedoch aus seiner Teilnahme an Kriegseinsätzen im deutschen Reich.46 2. Gesamtheit des friesischen Adels in Bezug zum Militärdienst Nachdem festgestellt wurde, dass das friesische Heerwesen wohl trotz Präsenz bürgerlicher Offiziere in einem relativ starken Maß von adeligen Familien gestützt worden war, ist zu fragen, wie viele Kinder der adeligen Familien aus Friesland im Militär dienten. Die Auflistung von J. Visser bildet die Grundlage für die Auswertung in Bezug auf die Gesamtzahl adeliger Familien in Friesland. Während Visser für die gesamte Zeit der Republik 62 Geschlechter benennen konnte, die definitiv zum Adel gehörten, wurde in der Auswertung versucht, diejenigen Geschlechter unberücksichtigt zu lassen, die bereits vor der Erhebung ausgestorben waren oder erst später nach Friesland kamen.47 Die Auswertung soll daher aufzeigen, wie viele Familien aus Friesland prozentual in den friesischen Regimentern als Kapitäne gedient haben. Zur Provinz Friesland gehörten in der Zeit von 1666 bis 1752 sechs Regimenter.48 Die Auswertung beruht auf dem Verzeichnis von Frederik Willem Meijers49 und den sogenannten Naem-Register der Heeren Militaire Officieren.50 Die Daten wurden alle zehn Jahre erhoben, beginnend mit dem Jahr 1690, also erst nachdem definitiv von einem Regimentsverband gesprochen werden kann. Die Auflistung berücksichtigt ausschließlich die Offiziere, die in diesen Jahren gedient haben. Hieraus ergibt sich folgende Aufstellung, die Prozentangaben sind gerundet. 46  Eine Art Dienstadel wie in Preußen gab es in den Niederlanden nicht. Ortenburg, S. 11. 47  Die Ermittlung der Zahl adeliger Geschlechter stellt in methodischer Hinsicht eine Herausforderung dar. Dadurch, dass es keine Auflistungen oder Verzeichnisse über die Zugehörigkeit zum Adel gibt, wurden die von J. Visser erstellen Landtagslisten als maßgeblich herangezogen. (Visser, Adel) Die Informationen, ob die Geschlechter jeweils zu dem Zeitpunkt ausgestorben oder noch nicht in der Provinz ansäßig waren, orientiert sich an den jeweiligen Lexikoneinträgen zu den Familien in der Encyclopedie van Friesland. 48  Formal waren es sechs Regimenter. Das statthalterliche Regiment nahm mit seinen zwei Bataillonen die Größe von zwei Regimentern ein. 49  Leeuwarden, Tresoar, Verzameling Fries Genootschap, Nr. 896. 50  Siehe genauere Angaben im Verzeichnis der gedruckten Quellen.



V. Das soziale Kapital: Die Rolle des Adels in Friesland 209 Tabelle 2 Prozentualer Anteil adeliger im Militär dienender Familien in Friesland Jahr

Prozent

Jahr

Prozent

1690

29

1720

36

1700

31

1730

36

1710

37

1740

32

Auffällig ist bei der Betrachtung der Zahlen, dass die friesisch-adeligen Offiziere nur von rund einem Drittel der gesamten friesischen Adelsfamilien gestellt wurden. Das heißt, dass etwa bei zwei Drittel der Familien keine Söhne als Offiziere dienten. Die Zurückhaltung, für die in den folgenden Kapiteln Gründe erläutert werden, findet sich auch in anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise in England.51 Zu den prominenten militärischen Adelsgeschlechtern, die häufig in den Listen erwähnt wurden, gehörten in Friesland die van Aylva, Aysma, Aytta, Camstra, Haersolte, Heemstra, Humalda, Sytzama, Unia und Vegelin van Claerbergen. Offensichtlich prägten diese Familien das friesische Militärwesen in besonderem Maße, denn Söhne aus nahezu allen diesen Familien haben auch im Regiment des Statthalters gedient. Übermäßig stark vertreten war im gesamten friesischen Militär vor allem das Geschlecht der van Burmania. Mehrere Mitglieder dieser Familie hatten Kapitänsposten inne, so waren es beispielsweise im Jahr 1720 vier, 1740 sogar sechs bei insgesamt 84 Kapitänen in friesischen Regimentern, was circa dreieinhalb beziehungsweise fünf Prozent in Bezug auf die Gesamtzahl entsprach. Diesem Befund ist jedoch entgegenzuhalten, dass auch nicht adelige Familien in der Lage waren, über Generationen hohe Posten im Militär einzunehmen. So finden sich in den Regimentern häufig Söhne der bürgerlichen van Idsinga-Familie. Johannes van Idsinga, der auch zeitweilig Kapitän im statthalterlichen Regiment war, wurde sogar Kolonel eines Regiments.52 Es scheint somit durchaus Familien gegeben zu haben, die dem Militär in Bezug auf Offiziersposten deutlich näher als andere standen. Ob dies aus persönlichen Gründen geschah, kann nicht ausgemacht werden, da von den Offizieren keine Schriften erhalten sind, die Einblicke in ihr Denken ge51  Childs, John: Military Élites in Seventeenth-Century England, in: Franz Bosbach/Keith Robbins/Karina Urbach (Hgg.), Geburt oder Leistung? Elitenbildung im deutsch-britischen Vergleich. Birth or Talent? The Formation of Elites in a BritishGerman Comparison (Prinz-Albert-Studien/Prince-Albert-Studies 21), München 2003, S. 61–71, hier: S. 62. 52  [11b].

210

E. Die Offiziere im Regiment

ben.53 Jedoch zeigt sich deutlich, dass einige Familien wohl bestimmte Eigenschaften vorwiesen, die dazu führten, dass ihre Kinder in den Militärdienst traten. Dies betraf vor allem die Finanzen, wie noch später zu zeigen sein wird. Zuvorderst soll auf das Sozialprofil der Offiziere eingegangen werden.

VI. Sozialprofil der Kapitäne 1. Alter bei der Ernennung Im Folgenden wird aufgezeigt, in welchem Alter die Männer zu Kapitänen ernannt wurden. Eine Auswertung der Lebensdaten der Kapitäne – berücksichtigt sind nur solche Offiziere, bei denen sich die Lebensdaten konkret nachweisen ließen – zeigt, dass offensichtlich die Tendenz zu einer Ernennung vor beziehungsweise im 31. Lebensjahr vorliegt. Die Durchschnittszahlen sind gerundet. Die jüngsten Ernennungen liegen in allen Zeiträumen zwischen 15 und 19 Jahren, was aber vornehmlich bei friesischen Adelsfamilien vorkam. Dies lässt sich vermutlich damit begründen, dass einerseits aufgrund der bereits erwähnten Resolution vom 30. Juni 1683 einheimische Bewerber zu bevorzugen waren. Andererseits besaßen die Einheimischen aufgrund ihrer friesischen Abstammung ein ausgeprägtes soziales Kapital. Faktisch waren die eingesessenen adeligen Familien die einflussreichsten in der Provinz. Für sie war es oftmals nicht notwendig, zuvor auf einem rangniedrigeren Posten oder gar auf einem Unteroffiziersposten gedient zu haben, sodass es bis zum Kapitänsposten auch keine geregelte Laufbahn im Regiment gab, die absolviert werden musste. Für Angehörige aus der friesischen Oberschicht begann sehr häufig der Militärdienst mit dem Kapitänsamt. Ähnlich wie auch in Frankreich in der frühen Neuzeit hing das Erlangen von militärischen Spitzenrängen daher weniger von professionellen Kriterien ab.54 Das Kapitänsamt konnte somit direkt ergriffen werden. Zudem zeigt die Tabelle, dass es in jedem Lebensalter möglich war, eine Kompanie zu übernehmen. Sowohl ein niedriges als auch hohes Alter stellten keine Hinderungsgründe dar. Die Motive für die Übernahme einer Kompanie beziehungsweise den Wechsel im höheren Alter können in der Regel nicht bestimmt werden, da keine Dokumente bezüglich der Ernennung vorliegen, die über diesen Zusammenhang Auskunft geben. 53  So schilderte beispielsweise Poppo van Burmania in seiner Chronik lediglich, dass die „Heeren Gedeputerden“ ihn am 9.12.1622 zum Fähnrich ernannt hätten, ohne jedoch die Gründe, weshalb er dafür in Frage kam, zu nennen. Bergsma, Enege gedenckwerdege geschiedenissen, S. 86. 54  Kroener, Offizierskorps, S. 79.



VI. Sozialprofil der Kapitäne211 Tabelle 3 Alter bei der Ernennung Alter

Durchschnitt

Ältester

Jüngster

Zeitraum 1 (1671–1690)

26a

40b

15c

Zeitraum 2 (1691–1710)

30d

71e

19f

Zeitraum 3 (1711–1730)

26g

42h

15i

Zeitraum 4 (1731–1750)

30j

54k

17l

Zeitraum

Legende: Z I: a: (basierend auf) [2b], [3b / 19d], [5e], [6a], [9b], [10c], [11b], [14b], [15b], [15e], [18c]; b:  [18c]; c:  [9b]; Z II: d: (basierend auf) [3c], [4d], [5f], [6b], [6e], [8f], [9c], [15h], [15i], [17f], [17g], [17h], [17k], [18d], [18e], [19e], [19f], [21e], [21f], [23d], [24d]; e:  [15i]; f:  [18e]; Z III: g: (basierend auf) [2c], [3d], [4e], [5h], [6h], [7f], [8g], [8h], [9g], [10i], [11e], [12i], [12j], [13c], [16h], [17l], [17m], [17n], [19g], [19i], [20f], [20g], [21h], [22d], [23g], [23h], [24e]; h:  [20g], [23h]; i:  [13c], [17l]; Z IV: j: (basierend auf) [2e], [5i], [7g], [7h], [11h], [12k], [15k], [18i], [20h], [20i], [21i], [22e]; k:  [5i]; l:  [18i].

2. Berufe der Väter und verwandtschaftliche Integration Im Folgenden soll aufgezeigt werden, welche Berufe die Väter der Offiziere innehatten.55 Es stellt sich besonders die Frage danach, ob die Väter ebenso einer militärischen Beschäftigung nachgingen beziehungsweise nachgegangen waren. Eine Auswertung der Kapitänsviten ergibt folgende Aufstellung (siehe nächste Seite). Anhand der ermittelten Zahlen lässt sich auf den ersten Blick erkennen, dass die Väter der Offiziere häufig eher nicht im Militärdienst standen beziehungsweise gestanden haben. Wenngleich die Ursachen hierfür im Dunkeln liegen, kann jedoch bei einigen Familien als Grund angenommen werden, dass in den vorherigen Generationen die (finanziellen) Mittel ak55  Wenngleich der Begriff Beruf nicht zeitgenössisch ist, dient er im Folgenden dazu die Beschäftigungsformen der Väter zu klassifizieren.

212

E. Die Offiziere im Regiment Tabelle 4 Berufe der Väter der Kapitäne56 Berufe der Väter

Militär

Ziviler Beruf

Zeitraum

G

FD

Öff

St

W

Zeitraum 1 (1671–1690)

6a

1b

9c

0d

1(+1)e

Zeitraum 2 (1691–1710)

12f

8(+1)g

11h

1i

0j

Zeitraum 3 (1711–1730)

8k

5l

13m

0n

0o

Zeitraum 4 (1731–1750)

4p

0q

5r

0s

0t

Legende: G  =  Gesamt; FD  =  davon in friesischen Diensten; Öff  =  Öffentlicher Beruf (bspw. Ratsherr, Mitglied der Ständeversammlung, Grietman); St  = Am Hof des Statthalters; W  =  Wirtschaft (bspw. Kaufmann) a:  [3b], [5c], [9b], [15f], [14c], [18c]; b:  [3b]; c:  [3c], [4c], [6a], [9b], [10c], [11b], [14b], [15b], [15e], [24c]; d: –; e: [2b], ([17f]); f: [4d], [6b], [6c], [6d], [12g], [15h], [15i], [16g], [17g], [17k], [19d], [21e]; g: [6b], [6c], [12f], [16g], [17g], [17k], [19d], [21e], ([6d]); h:  [5f], [8f], [9c], [10d], [15h], [15j], [17h], [18d], [19e], [19f], [21f]; i:  [17g]; j:  –; k:  [2c], [8h], [9g], [12j], [19i], [22d], [23g], [24e]; l:  [2c], [9g], [12j], [22d], [24e]; m:  [5h], [7f], [8g], [9g], [11e], [12i], [13c], [16h], [17l], [17m], [19g], [20f], [21h]; n: –; o: –; p: [2e], [5i], [12k], [18h]; q: –; [7g], [7h], [18i], [20h], [22e].

quiriert werden mussten, um einen Offiziersplatz zu erhalten. Der Militärdienst war kostspielig, da für die Übernahme einer Kompanie eine Geldsumme gezahlt werden musste, sowie die Besoldung eher gering war.57 Beispielsweise war der Vater von Johan van Molenschot,58 der im Regiment bis zum Leutnant-Kolonel aufstieg, Kaufmann. In den Fällen, in denen die Väter ebenso Offiziere waren, bleibt die Frage, ob die Kapitänsposten weitergegeben wurden. In der Kompanie von 56  Nur zu knapp der Hälfte der Offiziere ließen sich die Berufe der Väter ermitteln, unberücksichtigt bleiben daher: I: [5g], [6e], [6f], [6g], [7c], [7d], [8e], [9d], [9e], [10e], [11c], [11d], [12f], [12h], [13b], [14d], [15g], [16d], [17i], [17j], [18e], [18f], [20e], [21d], [23d], [24d]; II: [4b], [5d], [5e], [7a], [7b], [8b], [8c], [8d], [10b], [11a], [12e], [15c], [15d], [16e], [16f], [19c], [20b], [20c], [20d], [21b], [21c], [22b], [23c], [24b]; III: [2d], [3d], [4e], [6h], [7e], [9f], [10f], [10g], [10h], [11f], [12h], [14e], [19h], [20g], [21g], [22c], [23e], [23f], [24d]; IV: [4f], [6i], [6j], [7i], [7j], [10i], [11g], [11h], [15k], [17n], [17o], [18g], [18j], [20i], [21i], [21j], [23h], [23i]. 57  Vgl. das Kapitel E. VI. 2. 58  [2b].



VI. Sozialprofil der Kapitäne213

Paul Brunet de Rochebrune folgte dessen Sohn Paul Auguste Brunet de Rochebrune als Kapitän nach. Der Vater hatte freiwillig seinen Dienst als Kapitän der Kompanie beendet. Die direkte Weitergabe von Vater auf Sohn ist ansonsten nur in der Kompanie von Sebastian Meijers festzustellen, dem sein Sohn Johannes Meijers 1706 als Kapitän nachfolgte.59 Es scheint eher unüblich gewesen zu sein, dass Väter Offiziersstellen auf ihre Kinder übertrugen beziehungsweise dafür sorgten, dass die Kinder gute Posten im Regiment erhielten. Eine Ausnahme bildeten im statthalterlichen Regiment die Familien van Molenschot und Meijers. Vor allem die Kinder von Johan van Molenschot lassen sich im Regiment wiederfinden. So wurde dessen Sohn Sjourdt van Molenschot im Jahr 1709 Kapitän. Ein weiterer Sohn namens Christoffel Adriaen van Molenschot diente bis zu seinem Tod im Jahr 1696 als Fähnrich. Der Bruder von Johan van Molenschot, Hendrik van Molenschot, versah 1681 seinen Dienst als Fähnrich in der Leibkompanie des Statthalters.60 Interessant ist bei den Kindern von Johan van Molenschot darüber hinaus, dass die beiden Töchter Godefrida und Johanna Sippina mit Pieter Ernst van Harinxma thoe Sloten beziehungsweise Robbert Frederik Heerdt van Eversberg jeweils einen Kapitän des Regiments geheiratet haben.61 Heerdt van Eversberg erhielt sogar die Kompanie seines Schwiegervaters Johan van Molenschot. Vater-Sohn-Beziehungen ließen sich darüber hinaus bei folgenden Familien nachweisen: Der Sohn von Johannes van Idsinga, Matthijs Arent, war ebenso Kapitän.62 Dieser Zusammenhang findet sich auch bei Boudewijn van Heerdt und dessen bereits oben erwähnten Sohn Robbert Frederik van Heerdt,63 bei Jean Mallet und dessen Sohn Donald Alexandre Mallet,64 sowie bei Willem van Broeckhuisen und dessen Sohn Wilt Reint van Broeckhuisen.65 Ebenso war bei der Familie Meijers neben Johannes Meijers auch Frederik Willem Meijers als Sohn des Kapitäns Sebastian Meijers angestellt worden.66 59  Siehe de Rochebrune [24d] sowie [24e]; Meijers: [12f] und [12g]. In welchem familiären Zusammenhang Willem Sloot [21b] zu Bernardt Sloot [21c] stand, der 1689 ihm als Kapitän nachfolgte, beziehungsweise Christoffel Berend Pielack [11c] zu Aernoldt Joost Pielack [11d], der 1707 ihm als Kapitän nachfolgte, konnte nicht geklärt werden. 60  Dieser starb vermutlich 1695, nachdem er schwer am Hals verwundet worden war. Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 130, Brief: Nr. 312 von Conrad van Unkel aus Perwijs vom 28.6.1695. 61  [2c], [21f]. 62  [11b], [12j]. 63  [3c], [2c]. 64  [13b], [22d]. 65  [19i], [21e]. 66  [16g].

214

E. Die Offiziere im Regiment

Vereinzelt ließen sich noch Geschwisterpaare im Regiment feststellen. Dies betrifft Gemme Onuphrius und Edzardt Hobbe van Burmania,67 Hans Adam und Johann Ludwig von Hammerstein,68 Johan Lodewijk und Diederik Julius van Doijs,69 Charles und Louis de Saumaise,70 sowie die bereits erwähnten Frederik Willem und Johannes Meijers. Die Geschwister Menno und Gideon van Coehoorn waren zwar beide Kapitäne im Regiment, haben jedoch nicht zeitlich parallel gedient.71 Doch sollte die eher geringe Zahl von direkten Verwandtschaften nicht darüber hinweg täuschen, dass etliche Offiziere zum Teil eng miteinander verwandt waren. Diese Beziehungen der Offiziere untereinander lassen sich beispielhaft an dem Netzwerk des Kapitäns Johan Lodewijk van Doijs nachvollziehen. Seine Ehefrau Maria van Boelens heiratete nach seinem Tod Jacob Allanes Couttis, der ebenso Kapitän im statthalterlichen Regiment war.72 Das Kind aus der gemeinsamen Ehe, Juliana Lucia van Doijs, war mit Henri Marius Brunet de Rochebrune verheiratet. Henri Brunet, der ebenso als Militär in Friesland diente, war Sohn von Paul Brunet de Rochebrune, Offizier im Statthalterregiment. Nach dem Tod Henri Marius Brunets ehelichte Juliana Lucia van Doijs den Kapitän Jetze Edzard van Burmania.73 Darüber hinaus zeigen sich vor allem bei den einheimischen Familien weitreichende familiäre Beziehungen. So war beispielsweise Everwijn van der Merwede mit Anna van Broeckhuisen, einer Tochter von Willem van Broeckhuisen verheiratet gewesen.74 Tjalling Homme van Haersolte war mit der Schwester von Feye van Heemstra vermählt.75 Bei der Betrachtung der Verwandtschaft im Regiment ist darüber hinaus danach zu fragen, in welcher Geburtenreihenfolge die ernannten Söhne standen. Die Tabelle zeigt, dass es sich bei den Kapitänen eher um die erstgeborenen Söhne handelte. Besonders im zweiten Zeitraum fällt die Zahl von 67  [5h],

[11e]. [8c]. 69  [9b], [15h]. 70  [10i], [20i]. 71  [14a], [18c]. 72  [14c]. 73  [21h]. Vgl. Brunet de Rochebrune, Willem Ferdinand Hendrik: Het geslacht Brunet de Rochebrune. Kroniek eener Hugenotenfamilie in Nederland, Amsterdam 1948, S. 40 f. In diesem Buch wird jedoch ein Porträt von Paul Auguste Brunet fälschlich Henri Marius Brunet zugeordnet. 74  [4d], [15i]. 75  [13c], [9g]. 68  [8b],



VI. Sozialprofil der Kapitäne215 Tabelle 5 Geburtenreihenfolge der Kapitäne Position 1

2

3

4

5

6

7

Gesamt

Zeitraum 1 (1671–1690)

5a

3b

2c

1d

0e

0f

0g

10

Zeitraum 2 (1691–1710)

9h

1i

0j

2k

1l

1m

0n

14

Zeitraum 3 (1711–1730)

5o

5p

0q

4r

1s

1t

1u

17

Zeitraum 4 (1731–1750)

1v

3w

3x

0y

0z

0#

0+

 7

Legende: a: [6a], [9b], [10c], [11b], [15e]; b: [4c], [5c], [24c]; c: [2b], [5e]; d: [18c]; e: –; f: –; g: –; h: [4d], [5f], [6b], [6d], [9c], [14c], [15i], [19e], [21f]; i: [17k]; j: –; k:  [6c], [18d]; l:  [15h]; m:  [19f]; n:  –; o:  [9g], [17l], [19g], [22d], [23g]; p:  [8g], [8h], [12i], [13c], [20g]; q:  –; r:  [4e], [17m], [20f], [23h]; s:  [12j]; t:  [3d]; u:  [7f]; v:  [7h]; w:  [5h], [12k], [20h]; x:  [7g], [18i], [22e]; y:  –; z:  –; #:  –; +:  –.

neun erstgeborenen Söhnen deutlich auf. Da die Familien jedoch nicht alle über eine Vielzahl von Kindern verfügte, muss bedacht werden, dass es in statistischer Hinsicht per se mehr erste Söhne gab, die dann auch im Militär dienen konnten. Welche Gründe letztlich vorlagen, die ältesten Söhne zum Militär zu schicken, bleibt unklar. 3. Konfessioneller Hintergrund In den Niederlanden bestimmte in der frühen Neuzeit die reformierte Konfession das öffentliche Leben. Dieses Bekenntnis allein war öffentlich akzeptiert und zivile Amtsträger mussten sich zur reformierten Konfession bekennen. Im Gegensatz zu den Vorschriften des zivilen Lebens war es im niederländischen Militärsystem nicht notwendig, Anhänger der niederdeutsch-reformierten Konfession zu sein.76 Dennoch zeichnet sich klar ab, dass die meisten Offiziere im untersuchten Regiment dieser in den Niederlanden dominanten Konfession angehörten. Erst mit der Zuwanderung der Huge76  Kuiper/Spanninga,

S. 11.

216

E. Die Offiziere im Regiment

notten, nachdem das Edikt von Nantes 1685 aufgehoben worden war,77 und der Etablierung französisch-reformierter Kirchengemeinden ab den 1690er Jahren, finden sich erste Spuren auf nicht niederdeutsch-reformierte Personen. Zu den frühesten Exulanten gehörten Paul Brunet de Rochebrune und Jean Mallet, die 1691 beziehungsweise 1692 jeweils eine Kompanie erhielten.78 Im Regiment waren auch Offiziere vertreten, die dem katholischen Glauben anhingen. Dass ein katholisches Bekenntnis keineswegs der Militärkarriere im Wege stand, lässt sich anhand der Karrieren der friesischen Offiziere Watze Wytze van Cammingha, Sixtus Ignatius van Loo und dem aus der Provinz Groningen stammenden Kapitän Ernst Harmannus van Ewsum nachvollziehen.79 Sixtus Ignatius van Loo war Sohn des Kapitäns Johan Eminga van Loo und wurde 1696 zum Kapitän ernannt. Er gehörte zu den praktizierenden Katholiken, was sich anhand seiner Mitgliedschaft in der Bruderschaft des heiligen Rosenkranzes in Leeuwarden zeigt.80 Am deutlichsten wird dieser Befund jedoch bei Watze Wytze van Cammingha. Er entsprang einer angesehenen adeligen friesischen Familie, durch deren Einfluss sogar die Gemeinde in Wijtgaard nach der Reformation weiterhin katholisch blieb.81 Die Familie verfügte darüber hinaus über etliche Besitztümer außerhalb Frieslands, wie dem Kastell Cammingha zu Bunnik in der Provinz Utrecht.82 Watze Wytze van Cammingha erreichte den Posten eines Kolonel-Kommandanten, also des Oberbefehlshabers über das Batail77  Bots, H./Posthumus Meyjes, G.  H. M./Wieringa, F.: Vlucht naar de vrijheid. De Hugenoten en de Nederlanden, Amsterdam 1985, S. 92–96. Ebenso Israel, S. 628 f. Die Hugenotten machten in den Niederlanden rund zwei Prozent der Gesamtbevölkerung und sieben Prozent der Bevölkerung der dreißig größten Städte aus. 78  [24d], [13b]. 79  [20g], [6d], [2e]. 80  Meijer, G. A.: De broederschap van den H. Rozenkrans te Leeuwarden, in: Archief voor de geschiedenis van het aartsbisdom Utrecht 35 (1909), S. 168–176. In Friesland blieben einige adelige Familien nach der Reformation beim katholischen Glauben, so auch Zweige der van Dekema, Herema, Siccama, Tadema, Aylva, Burmania und Scheltema. Israel, S. 383. 81  Der Einfluss der katholischen Familien hielt über die Reformation hinaus an. So gab es in Leeuwarden, Dokkum und Harlingen starke katholische Minderheiten. In den 1640er Jahren gehörten rund zehn Prozent der Population Frieslands dem katholischen Glauben an. Erst in der Zeit danach verringerte sich die Zahl all­ mählich. In Friesland gab es im Jahr 1629 19 katholische Priester, 1701 sogar 31.  Israel, S. 384, 389. 82  Das Kastell ging mit der Ehe von Petronella Jacoba van Bueren, die mit Watze Wytze van Cammingha verheiratet war, an dieses Geschlecht über. Stroeker, W.: Cammingha te Bunnik (I), in: Tussen Rijn en Lek 1 (1967), S. 3–5; ders.: Cammingha te Bunnik (III), in: Tussen Rijn en Lek 4 (1967), S. 7–12 (mit Beschrei-



VI. Sozialprofil der Kapitäne217

lon, und war zugleich Kommandeur über alle Truppen Frieslands. Dies zeigt, dass die katholische Konfession offensichtlich keineswegs hinderlich war, um als Einheimischer Karriere machen zu können. Die Konfession war beim Militär somit auch lebensweltlich keinesfalls ein Ausschlusskriterium, reformierte Offiziere wurden jedoch in späterer Zeit bevorzugt angestellt.83 4. Bildungshintergrund – oder wie setzten die Offiziere ihr kulturelles Kapital ein? Ausgehend von der Feststellung, dass es sich beim kulturellen Kapital um eine Eigenschaft handelt, welche die Offiziere erst erwerben mussten, stellt sich die Frage, welchen Bildungshintergrund die Männer bei Dienstantritt aufwiesen und wie dieser wahrgenommen wurde. Einige Kapitäne hatten vor dem Eintritt in den Kriegsdienst ein Studium absolviert. In der Provinz Friesland befand sich in der Stadt Franeker eine Universität, die 1585 gegründet worden war.84 Während der Historiker Samme Zijlstra für die Zeit vom Ende des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts angibt, dass rund 30 Prozent der gesamten friesischen Offiziere studiert hatten, zeigt sich bei der Betrachtung des friesischen Regiments, dass keiner der am Ende des 17. Jahrhunderts berufenen Offiziere ein Studium an der Universität Franeker abgeleistet hatte. Von den 50 zwischen 1691 und 1710 berufenen Kapitänen hatten lediglich vier studiert. Im Zeitraum von 1711 bis 1730 hatten sechs von 39 eine akademische Bildung genossen. Sämtlich entstammten sie der friesischen Oberschicht. Im Zeitraum von 1731 bis 1750 war nur noch ein Offizier zu finden, der vor seinem Eintritt in die Armee ein Studium abgeleistet hatte.85 bung des Hauses); Hermans, Taco: De Beesde, in: B. Olde Meierink u. a. (Hgg.), Kastelen en ridderhofsteden in Utrecht, Utrecht 1995, S. 126–128. 83  Für die Offiziere der Provinz Holland wurde in einer Resolution der Stände der Provinz Holland und Westfriesland vom 21.5.1737 das Verbot ausgesprochen, sich mit römisch-katholischen Frauen zu vermählen und sowohl aufgrund der Eheschließung, als auch ohne Grund zur katholischen Konfession zu konvertieren. Sollten die Offiziere die katholische Konfession annehmen, seien sie sofort aus ihrem Amt zu entlassen. Siehe in: Den Haag, KB, KW 533 B 2. Vermutlich aus diesem Grund konvertierte der Sohn des Offiziers Bigot de Villandry [6h], der aus einer nicht ehelichen Beziehung zu einer katholischen Frau stammte, zum reformierten Bekenntnis, um eine militärische Karriere anstreben zu können. Zu fragen ist sicherlich, warum besonders im 18. Jahrhundert die Konfession als exkludierendes Merkmal angesehen wurde. 84  Jensma, G.  Th.: Inleiding, in: G.  Th. Jensma/F.  R.  H. Smit/F. Westra (Hgg.), Universiteit te Franeker. 1585–1811, Leeuwarden 1985, S. 11–39, hier: S. 11. 85  1691–1710: [9c], [12g], [15j], [11d]; 1711–1730: [3d], [11e], [5h], [21h], [19g], [17m]; 1731–1750: [7g].

218

E. Die Offiziere im Regiment

An promovierten Offizieren konnten nur Hans Hendrik van Haersma und Hermannus Mellama ausfindig gemacht werden.86 Während Mellama auch als Ingenieur tätig war, legte van Haersma nach nur drei Jahren sein Kapitänsamt nieder und wurde vier Jahre später Bürgermeister in Leeuwarden. Wenngleich in Betracht gezogen werden muss, dass einige Offiziere an fremden Universitäten studiert haben oder erst nach dem Studium in die Niederlande kamen,87 zeigt es dennoch eindrücklich, dass ein Studium kaum als Vorbildung für den Militärdienst gewertet werden kann. Deutlich wird die Stellung und der kulturelle Wert der akademischen Vorbildung in der Leichenpredigt,88 die 1720 auf den Offizier Joachim van Amama gehalten wurde.89 Dort schilderte der Prediger, dass der Wunsch des Vaters des Verstorbenen, Gerhard van Amama, gewesen sei, seinen Sohn in den „beschaevende letteroefeningen“90 unterrichten zu lassen. Dafür sei sogar der Prediger der Gemeinde Sloten, Ludovicus de Marees († 1710), bestellt worden.91 Der Prediger merkte jedoch in der Leichenpredigt an, dass van Amamas Vater diesen Wunsch gehegt hätte, „schoon hy een Krygsman was“.92 Offensichtlich wurde eine humanistische Ausbildung, auch in der lateinischen Sprache, als Widerspruch zu den Verhaltensweisen und Werdegängen der sonstigen Militärs wahrgenommen. Unter näherer Betrachtung der Lebensläufe der graduierten Offiziere kann die Vermutung angestellt werden, dass gerade solche Offiziere studiert hatten, die durch ihre familiären Beziehungen generell noch eine Anstellung als Grietman erlangen konnten.93 Der Wechsel auf einen Posten, dessen Hauptaufgabe in der Verwaltung bestand, scheint durch ein Studium leichter gewesen zu sein. Ähnlich wie es beispielsweise der Fall in Preußen war, 86  [17l],

[15j]. Christiaan Ferdinant van Gselhoff [6f]. 88  Het einde van den stryt de kroon der rechtvaerdigheit voorgestelt in eene Lykrede over II. Tim. IV: 7,8 ter gedachtenisse van den hoogedelgeboren manhaften heere, Joachim van Amama, Generael Majoor der voetknechten, Kolonel in dienst der Vereenigde Nederlanden, Kommandeur van Hulst en zyne onderhoorige Vestingen, enz.enz.enz. Overleeden te Hulst in het 63ste jaer Zyns ouderdoms op den 3. van Hooimaent 1720, door Jan Huibert Jungius, Dienaer des Nieuwen Testaments te Hulst, Rotterdam 1720, im Folgenden: Lykrede (van Amama). 89  [3b]. 90  Frei zu übersetzen als Übungen, die dem Schüler Umgangsformen und adäquate Verhaltensweisen verleihen sollen. 91  Reinalda, Hetto: Naamregister der Predikanten, Dewelke zedert de Reformatie den dienst onder het Resort van de Classis van Sneek hebben waargenomen, Leeuwarden 1751, S. 41. 92  „… obwohl er ein Kriegsmann (Militär) war“. Lykrede (van Amama), S. 26. 93  Zur genaueren Bedeutung dieses Amtes siehe Kapitel E. XIII. 87  Siehe



VI. Sozialprofil der Kapitäne219

erschließt sich keineswegs, inwiefern das akademische Studium auf den Offiziersdienst hätte vorbereiten können.94 Dies zeigt sich ebenso in der van Amama’schen Leichenpredigt, in welcher der Prediger ausführte, dass der Vater Gerhard zwar seinen Sohn Joachim auf die Universität schicken wollte, „om in alle kunsten en keur van wetenschappen gestylt te worden“. Jedoch sei dies nur ein „loflyk voornemen“ gewesen, denn letztlich habe Joachim nicht „de trappen eener Hoogeschoole“ erklommen, sondern sei mit zwölf Jahren Fähnrich im väterlichen Regiment geworden.95 Solide militärische Kenntnisse, die möglicherweise mittels Anlernen durch ältere Offiziere erreicht wurden, waren wesentlicher für die Laufbahn. Summierend kann festgehalten werden, dass ein Studium eher eine Ausnahme darstellte und auch als solche wahrgenommen wurde, und somit nicht typisch für die militärische Laufbahn schien. 5. Ausbildung zum Offizier Da ein Studium keineswegs die Vorbildung für den Offiziersdienst darstellte, drängt sich unmittelbar die Frage auf, wie Offiziere die nötigen Fähigkeiten für ihren Dienst erlernten. In den Niederlanden gab es zu dieser Zeit keine institutionalisierte Ausbildung für den Offiziersdienst.96 Während sich beispielsweise in der Habsburger Monarchie im 18. Jahrhundert spezielle Einrichtungen entwickelten, an denen die angehenden Offiziere geschult wurden,97 erwarben in den Niederlanden die Anwärter ihre nötigen Kenntnisse, indem sie durch ältere Offiziere angeleitet wurden.98 Erst 1789 wurde in Breda eine Offiziersschule eingerichtet.99 Deutlich wird das Anlernen durch ältere Offiziere anhand der in den Musterungslisten stets aufgeführten „Jongen“, die bei den jeweiligen Kapitänen dienten, oder den Adjutanten, die in späterer Zeit in den Regimentslisten erwähnt 94  Hebbelmann,

S.  142 f. (van Amama), S. 27. 96  Wohl auch im übrigen Europa üblich: Redlich, Fritz: The German military enterpriser and his work force. A study in European economic and social history (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte Nr. 48), Bd. 2, Wiesbaden 1965, S. 150. Es gab in der englischen Armee bei der Infanterie kein geregeltes Ausbildungssystem. 97  Hochedlinger, Michael: Mars Ennobled. The Ascent of the Military and the Creation of a Military Nobility in Mid-Eighteenth-Century Austria, in: German History 17 (1999), S. 141–176, hier: S. 153–162. So auch in Preußen: Redlich, S. 151. 98  So beispielsweise bei Menno van Coehoorn, der „onder het opzigt van een gouverneur“ aufgezogen wurde. Memorien Menno van Coehoorn, in: Reinstra, S. 132 (p. 4). 99  Klinkert, W./Hoof, J. P. C. M. van: Breda als militaire Stad (Sectie Militaire Geschiedenis, Koninklijke Landmacht, Brochure Reeks 15), Den Haag 1995, S. 28. 95  Lykrede

220

E. Die Offiziere im Regiment

wurden.100 Eine grundlegende Bildung haben jedoch alle Offiziere vor ihrem Antritt genossen. Sicherlich geht daher die These Zumthors zu weit, dass niederländische Offiziere teilweise nicht haben schreiben können.101 Die Listen des Raad van State, in denen Offiziere bei ihrer Ernennung unterschreiben mussten, weisen keine schreibunkundigen Offiziere aus.102 Nach ihrer Berufung zum Kapitän wurden die Offiziere weiterhin geschult. Offensichtlich waren die tatsächlichen Fähigkeiten nicht ausschließlich das tragende Element, das einen Bewerber zum versierten Offizier machte. So berichtete der Kolonel-Kommandant des ersten Bataillons, Frederik Willem van Meijers, 1741 dem Statthalter, dass der Kapitän Gellius Wibrandus van Aytta, der schließlich schon seit 1724 das Amt versah, über seine Erwartungen hinaus bereits vier Mal das Exerzieren kommandiert habe. Er hielt es daher für unnötig, wegen dieser Aufgaben einen LeutnantKolonel abzustellen.103

VII. Das ökonomische Kapital – Finanzen als Mittel der Möglichkeiten Wie bereits oben angedeutet wurde, hing die Ernennung zum Offizier vor allem vom ökonomischen Kapital ab, also den finanziellen Rücklagen, die die Bewerber gewinnbringend für sich einsetzen konnten. In einem ersten Schritt sollen die finanziellen Erwartungen an die Kapitäne geschildert werden, ehe in einem zweiten Schritt das Verhältnis der hohen Offiziersposten und der finanziellen Mittel geklärt wird. 1. Kapitänsamt Die Ernennung zum Kapitän brachte erhebliche Kosten mit sich. Wer eine Kompanie übernehmen wollte, musste das dazugehörige Wapengeld (Waffengeld) bezahlen. Mit der Zahlung wurde der Anwärter Eigentümer der Kompanie.104 Das Wapengeld umfasste die komplette Ausrüstung der Ortenburg, S. 20. S. 289. 102  Den Haag, NA, RvS, Nr. 1929. 103  Den Haag, KHA, Archief Willem  IV, Nr. 210, Vol.  I; [4e]. 104  Mitunter wird der Begriff der Kompaniewirtschaft in der Forschung gebraucht. Redlich, S. 78; Glete, S. 158. Dieses System war üblich in Europa, siehe für Preußen: Black, Hans: Die Grundzüge der Beförderungsordnungen, in: Hans MeierWelcker (Hg.), Untersuchungen zur Geschichte des Offizierkorps. Anciennität und Beförderung nach Leistung (Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte 4), Stuttgart 1962, S. 65–151, hier: S. 104–108. 100  Vgl.

101  Zumthor,



VII. Das ökonomische Kapital221

Soldaten samt Montur und Waffen und beinhaltete ebenso die Wagen und Zelte.105 Dabei variierte das Waffengeld pro Kompanie in erheblichem Maße. Einige Kompanien kosteten lediglich 500 Gulden, andere hingegen sogar bis zu 2.500 Gulden. In einigen Kompanien konnte das nötige Waffengeld jedoch auch sinken. So musste Frederik de Drevon 1733 für seine Kompanie nur noch 1.000 Gulden bezahlen, während sie zuvor 2.000 Gulden wert gewesen war.106 Bei Übernahme musste das Geld an den ausgeschiedenen Kapitän oder sofern die Kompanie aufgrund eines Todesfalls vakant geworden war, an die Nachfahren beziehungsweise Erben des verstorbenen Kapitäns gezahlt werden. Der neue Kapitän war danach Eigentümer der Kompanie und somit für die Wirtschaftlichkeit und die Soldaten verantwortlich.107 Streitigkeiten entwickelten sich vor allem über die genaue Ausstattung und das mögliche, noch vorhandene Vermögen der Kompanien. Da letztlich der Kompaniechef fehlende Dinge wieder beschaffen musste, stellte eine unvollständig ausgerüstete Kompanie auch ein finanzielles Risiko dar. Bei der Übergabe der Kompanie des 1692 verstorbenen Kapitäns Dominicus Acronius a Buma an den Nachfolger Leutnant-Kolonel Joachim van Amama merkte dieser an, dass in der Kompanie nur 44 statt der normativ geforderten 58 Soldaten dienen würden.108 Daher sei das zu bezahlende Geld um 509 Karolusgulden zu vermindern. Dies stelle die Summe dar, die Acronius a Buma nach Ansicht van Amamas bei der Ausgabe der letzten Leeningen109 in Brügge einbehalten habe. Dagegen hielt die Witwe, dass die Kompanie ihres verstorbenen Mannes stets eine der vollständigsten gewesen sei. In einer späteren Auflistung wurden noch die ausstehenden Gelder aufgelistet. Unter anderem drehte es sich erneut um die Frage nach dem Servisgeld der Soldaten. Letztlich wurde jedoch entschieden, dass van Amama die gesamten Kosten zu tragen habe.110 Begehrt waren bei den Offizieren vor allem die ältesten Kompanien der friesischen Regimenter. Die alten Kompanien genossen ein höheres Anse105  Dies wird deutlich in der Übergabe der Kompanie von de Besco auf van Idsinga [11a/b], siehe in: Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir  II, Nr. 341, Schriftstück: Nr. 30. 106  Resolution der Gedeputeerde Staten von Friesland, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 669, Abschrift Frederik Willem Meijers, p. 27, 25.6.1686: Kompanie (17). Der Grund für den Wertverfall wird nicht angegeben. 107  Vgl. Redlich, S. 78. Kroener, Bernhard R.: Kriegswesen, Herrschaft und Gesellschaft 1300–1800 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 92), München 2013, S. 37 108  [19c], [19d]. 109  Lehnungen sind Gelder, die zwecks (Nahrungs-)Versorgung zur Verfügung gestellt wurden. 110  Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 82.

222

E. Die Offiziere im Regiment

hen. Zu den alten Kompanien gehörten diejenigen, die in den Jahren zwischen 1666 und 1668 ausgehoben worden waren. Dies betraf 14 im statthalterlichen Regiment. Die anderen, jüngeren Kompanien waren zumeist 1671 aufgrund der militärischen Bedrohung im Rampjaar aufgestellt worden. Von diesen waren zehn im Regiment zu finden.111 Um möglichst eine der alten, prestigeträchtigeren Kompanien zu erlangen, sicherten sich die interessierten Militärs ihren Anspruch, indem sie eine Geldzahlung vorstreckten.112 Wenn die Kompanie frei wurde, konnten sie diese aufgrund dieses gesicherten Rechts erwerben. Doch gereichten diese Werbungen meist zum Nachteil für die Kompanien. Es wurde beklagt, dass die hohen Offiziere ab dem Majorsgrad allein bestrebt seien, die ältesten Kompanien zu bekommen. Dabei würden sie ihre Pflichten bei der Ausübung des Kapitänsamts vernachlässigen, was die militärische Disziplin erheblich schwäche. Daher fassten die Stände Frieslands am 16. März 1725 eine Resolution, wonach die hohen Offiziere nur noch in solchen Regimentern Kompanien halten durften, in denen sie auch dienten. Die Kapitäne mussten daher, wenn sie in einem anderen Regiment einen hohen Offiziersposten annahmen, auch auf eine Kompanie in dem Regiment wechseln. Majore, Leutnant-Kolonels sowie Kolonel-Kommandanten sollten ausschließlich in den Regimentern eine Kompanie halten, in denen sie selbst dienten. Es wurde jedoch beim Wechsel garantiert, dass, wenn sie durch die Ernennung zum hohen Offizier in einem anderen Regiment eine jüngere Kompanie annehmen müssten, sie bei einer eventuellen Kassation ihre ursprüngliche Kompanie zurückbekämen. Wenn Kassationen anstanden, betraf dies stets die jüngeren Kompanien als erste.113 In der Regel haben diejenigen, die zu Offizieren in gehobener Stellung ab dem Majorsrang ernannt wurden, im gleichen Jahr auch eine der Kompanien in dem Regiment übernommen, in dem sie nun als hohe Offiziere dienten.114 Drei Jahre später fassten die Gedeputeerde Staten der Provinz erneut eine Resolution, wonach der finanziell gesicherte Anspruch auf eine Kompanie stets nur persönlicher Natur sei. Nach dem Tod erlosch der Anspruch und konnte nicht mehr weitergegeben oder vererbt werden. Damit sollte vor allem die Möglichkeit, Ansprüche auf Kompanien zu erheben, aussterben. Offensichtlich beabsichtigten die Stände zudem, dass die Kapitäne nur selten und vor allem nicht grundlos ihre Kompanien wechseln – d. h. aus111  Ebd.,

112  Ebd., 113  Ebd.

Archief Willem IV, Nr. 210, Vol. II. Nr. 210, Mappe 118.

114  Bspw. bei Watze Wytze van Cammingha [20g] oder auch Eelke van Glinstra [2d], der 1722 Leutnant-Kolonel wurde, aber erst 1726 eine Kompanie im statthalterlichen Regiment erhielt.



VII. Das ökonomische Kapital223

schließlich bei Ernennungen zu hohen Offizieren – und daher bei ihren ursprünglichen Kompanien verbleiben sollten.115 2. Höhere Offiziersstellen Aufgrund der hohen Kosten konnten sich nur Vermögende die Übernahme von Kompanien leisten. Dass dies insbesondere für die Übernahme von hohen Offiziersstellen ab dem Majorsrang gilt, soll im Folgenden aufgezeigt werden. Grundlage für die Betrachtung ist eine Beschwerdeführung aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In dieser wird dargelegt, dass die Kosten für die Ernennung so hoch seien, dass eine Offizierslaufbahn häufig ein finanzielles Verlustgeschäft darstelle. Die Beschwerdeschrift erläutert den Sachverhalt anhand eines fiktiven Beispiels. Diese Argumentation wird im Folgenden dargestellt.116 In einem ersten Schritt wird dargestellt, dass ein Kapitän mit 36 Jahren zum Major ernannt wird. Für das Erlangen der Commissie und damit verbunden der Reise nach Den Haag sind 1.000 Gulden zu veranschlagen.117 Ausgehend davon, dass der ernannte Major nicht in der Lage ist, diese Summe aus seinem Vermögen zu bezahlen, wird angenommen, dass eine Leibrente zu sieben Prozent Zinsen aufgenommen wird, sodass jährlich 70 Gulden, also in zehn Jahren 700 Gulden aufzubringen sind. In einem zweiten Schritt wird dieser Major zehn Jahre später, mit 46 Jahren, zum Leutnant-Kolonel ernannt. Die Ernennung kostet einschließlich aller Gebühren 600 Gulden, sodass nunmehr schon 2.300 Gulden ausstehen. Zu diesem Zeitpunkt hat der Offizier durch seine Posten noch kein Geld eingenommen. Der Leutnant-Kolonel dient schließlich zehn Jahre und bezieht dabei das Gehalt eines Majors, woraus sich ein Überschuss von 400 Gulden 9 Stüber sowie 4 Pfennige pro Jahr und 4.004 Gulden 12 Stüber 8 Pfennige nach zehn Jahren ergibt. Davon abzuziehen sind nun jedoch 1.610 Gulden, die sich innerhalb der zehn Jahre als Zinsen der Leibrente für die aufgenommen 2.300 Gulden angehäuft haben. Summa Summarum bleiben also Ausgaben von 3.910 Gulden, sodass der Offizier letztlich in der gesamten Zeit 94 Gulden 12 Stüber 8 Pfennige eingenommen hat. 115  Den

Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 210, Mappe 118, 10.3.1728. für die folgenden Ausführungen herangezogene Beschwerdeschrift findet sich in: ebd., Nr. 208, o. D. (erste Hälfte 18. Jahrhundert). 117  Erst seit 1653 leisteten die Offiziere aus Friesland auch gegenüber den Generalstaaten einen Eid, siehe: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 667, 28.10.1678. 116  Die

224

E. Die Offiziere im Regiment

In einem dritten Schritt wird angenommen, dass der Leutnant-Kolonel mit nunmehr 56 Jahren zum Kolonel-Kommandant ernannt wird. Hier fallen erneut 3.000 Gulden für die Fahrt nach Den Haag an. Bei dieser Summe, die abermalig zu zehn Prozent Zinsen in zehn Jahren gerechnet wird, belaufen sich die jährlichen Zinsen auf 300 Gulden und letztlich damit die Gesamtsumme nach zehn Jahren auf 6.000 Gulden. Hiervon abgezogen sind die 94 Gulden 12 Stüber 8 Pfennige, was somit einen Verlust von 5.905 Gulden 7 Stüber 8 Pfennige erbringt. Rechnet man dagegen, dass derjenige zehn Jahre lang das Leutnant-Kolonels-Gehalt von 490 Gulden 16 Stüber 1 Pfennig pro Jahr bezogen hat, ergibt sich eine Summe von 4.908 Gulden und 10 Pfennigen. Stirbt dieser Kolonel-Kommandant zehn Jahre später mit 66 Jahren, hat er durch seinen Militärdienst einen Verlust von 997 Gulden 6 Stüber 14 Pfennige eingefahren. Es zeigt sich, insofern man der Argumentation dieser Beschwerdeschrift folgt, dass eine militärische Laufbahn letztlich vor allem finanzielle Verluste mit sich brachte. Es war also nur dann möglich eine höhere Laufbahn einzuschlagen, wenn der Bewerber außerhalb des Militärs genug Geld akquirieren konnte. Somit wurden bereits frühzeitig viele Interessenten von höheren Posten ausgeschlossen und die wohlhabenden Familien hatten einen exklusiven Zugriff auf die Posten. Offensichtlich ermöglichte erst ein ausreichend ökonomisches Kapital freies Handeln. Die Resolution der Gedeputeerde Staten von Friesland vom 30. November 1693 machte in dieser Hinsicht deutlich, dass nur solche Offiziere unter Eid118 genommen werden sollten, die ihre Commissie und die sogenannten Wijngelder bezahlt hatten.119 Gewinne konnten die Offiziere nur dann machen, wenn sie als Kapitäne auch über eine Kompanie verfügten, da hier, wie es das Rechnungsbuch der Kompanie von Frederik Willem van Meijers ausweist, die Einnahmen beziehungsweise Zuwendungen meist höher lagen als die Ausgaben.120 Vergleicht man diesen Befund – exkludierende Wirkung des Vermögens in Bezug auf die Offiziersposten –, mit den tatsächlichen Vermögenszahlen, kann konstatiert werden, dass sicherlich viele hohe Offiziere sowieso nicht auf die Einnahmen durch den Militärdienst angewiesen waren. Aus einer Auflistung der Besitztümer des Offiziers Joachim van Amama aus dem Jahr 1700 geht hervor, dass er allein für das jährliche Verpachten von Häusern und Ländereien eine Summe von rund 1.243 Gulden einnahm. Diesem standen in dem Jahr jedoch Ausgaben in einer Höhe rund 1.141 Gulden entge118  Die Eidesformeln siehe bei: van der Kemp, Magazyn van Stukken, Bd. 2, S. 41–44. 119  Resolution der Gedeputeerde Staten von Friesland, in: Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 669, Abschrift Frederik Willem Meijers, p. 267, 30.11.1693. 120  Leeuwarden, Tresoar, Familie Van Beyma thoe Kingma, Nr. 158.



VII. Das ökonomische Kapital225

Abb. 9: Erläuternde Grafik zu Kapitel E. VII. 2. – Die Grafik ist von unten nach oben zu lesen.

226

E. Die Offiziere im Regiment

gen.121 Bei seinem Tode hinterließ er Häuser, Gehöfte und Ländereien in einer Höhe von rund 10.388 Gulden.122 Möglicherweise lässt sich mit dem Aufwenden des hohen Kapitals auch begründen, weshalb zwischen dem Tag, an dem die Bewerber den Posten übernommen hatten, und dem Tag, an dem sie offiziell ernannt wurden, meist eine große zeitliche Diskrepanz festzustellen ist. Die Offiziere mussten erst die nötigen Gelder beschaffen, bevor sie ihre Ernennungsurkunden bekamen.123 Per se führte aber hoher Kapital- oder Geldbesitz nicht dazu, sich in ein militärisches Amt zu begeben. Analysiert man die Auflistungen der reichsten Personen Frieslands aus den Jahren 1697 und 1749, wird deutlich, dass hier nur einige Personen aufgelistet werden, die im Militär gedient haben. Dabei finden sich sowohl 1697 als auch 1749 verschiedene Personen unter den Vermögendsten, die auch im statthalterlichen Regiment Posten bekleideten. Zu diesen gehörten für den ersten Zeitraum der Kapitän Reinhard Lauerman, für den zweiten der Oberst Martinus van Acronius und der General Watze Wytze van Cammingha.124 Unklar bleibt jedoch nach der Darstellung, warum es aufgrund des finanziellen Verlusts für viele attraktiv war, zum Militär zu gehen beziehungsweise vor allem die höheren Posten zu ergreifen. Vermutlich sind die Gründe dafür individuell beziehungsweise durch gesellschaftliche Zwänge geprägt, die sich aber anhand des untersuchten Aktenbestands nicht nachweisen ließen.

VIII. Sozialprofil der höheren Offiziere Aufgrund des Befunds, dass für das Bekleiden eines hohen Offizierspostens vor allem ökonomische Mittel ausschlaggebend waren, drängt sich die Frage auf, welche Personen überhaupt die hohen Offiziersposten im friesischen Statthalterregiment einnahmen und die geforderten Summen aufbringen konnten. Zunächst sei in Bezug auf die Laufbahnen der hohen Offiziere angemerkt, dass diese im statthalterlichen Regiment nach einem bestimmten Muster verliefen. Spätestens seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts wurden die Stellen im Regiment nach folgendem System vergeben.125 121  Utrecht,

UA, Familie De Beaufort, Nr. 1297. Nr. 1300. 123  So beispielsweise bei Conrad van Unkel, der 1697 zum Kolonel-Kommandanten ernannt wurde, jedoch den Posten schon seit 1693 versah. 124  [4b], [20g], [20h]. Faber, J. A.: Drie eeuwen Friesland. Economische en sociale ontwikkelingen van 1500–1800 (A. A. G. Bijdragen 17), Bd. II, Leeuwarden 1972, S. 700–703. 125  Möglicherweise wurde das System eingeführt bzw. etablierte sich, weil nach dem Spanischen Erbfolgekrieg (1702–1713) aufgrund der relativ langen Friedenszeit 122  Ebd.,



VIII. Sozialprofil der höheren Offiziere227 Tabelle 6 Laufbahn der hohen Offiziere im Regiment Bataillon I

Bataillon II

Kolonel-Kommandant

effektiv

titulair

Leutnant-Kolonel

effektiv

titulair

Major

effektiv

titulair

Wie in der Grafik deutlich wird, begann die höhere Offizierslaufbahn als Major titulair im zweiten Bataillon. Titulair hieß, dass derjenige zwar den Rang inne hatte, jedoch nicht dafür besoldet wurde. Wenn die nächsthöhere Stelle frei wurde, konnte der Major aufsteigen. Danach folgte der Rang als Major effektiv. Der effektive Grad brachte eine Bezahlung mit sich. Anschließend wechselte dieser Major effektiv wieder ins zweite Bataillon als Leutnant-Kolonel titulair. Das Prozedere zog sich hoch bis zum KolonelKommandant effektiv. Letztlich wird durch diese Praktik deutlich, dass die Offiziersstellen im zweiten Bataillon eher als Anwärterstellen auf die bezahlten Posten im ersten Bataillon bewertet werden müssen. In diesem System wurde vor allem auch Wert auf Anciennität gelegt, denn per se war derjenige, der immer einen Posten weiter befördert wurde, auch derjenige, der am längsten auf einem Posten gedient hatte.126 Zuvorderst stellt sich die Frage, inwieweit auf diesen Posten Friesen beziehungsweise Nichtfriesen vertreten waren. Folgende auf der nächsten Seite abgebildete Tabelle stellt die hohen Offiziere in Bezug zu ihrer Herkunft dar. Die in der Tabelle darlegten Zahlen zeigen auf, dass bei den Kolonel-Kommandanten mehr Offiziere friesischer als auswärtiger Herkunft gedient haben (acht zu fünf beziehungsweise sieben zu fünf). Bei den Leutnant-Kolonels hielt es sich die Waage (acht zu acht beziehungsweise neun zu neun), während die Majorränge bei einem Verhältnis von neun zu zwölf beziehungsweise von sechs zu zehn stärker durch Nichtfriesen besetzt wurden. Da die höheren Ränge bis auf wenige Ausnahmen nur von Offizieren ausgeübt wurden, die bereits als Kapitäne im Regiment gedient hatten beziehungsweise schon bis zum Ausbruch des Österreichischen Erbfolgekriegs (1740–1748) keine Möglichkeiten für die Offiziere bestanden, sich im Kampf zu beweisen und dies als Argument für eine Beförderung anzuführen. Vgl. Wohlfeil, Rainer: Die Beförderungsgrundsätze, in: Hans Meier-Welcker (Hg.), Untersuchungen zur Geschichte des Offizierkorps. Anciennität und Beförderung nach Leistung (Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte 4), Stuttgart 1962, S. 15–64, S. 29 f. 126  Vgl. die Auflistung in: Leeuwarden, Tresoar, Verzameling Fries Genootschap, Nr. 896.

228

E. Die Offiziere im Regiment Tabelle 7 Hohe Offiziere nach Herkunft

Rang

Friesisch

Auswärtig

T

G

A

B

U

G

A

B

U

Kolonel-Kommandant

13

8

7a

1b

0c

 5

0d

3e

2f

Leutnant-Kolonel

16

8

7g

1h

0i

 8

2j

4k

2l

Major

21

9

9m

0n

0o

12

5p

3q

4r

Kolonel-Kommandant

12

7

6a

1b

0c

 5

2d

2e

1f

Leutnant-Kolonel

18

9

8g

1h

0i

 9

4j

1k

4l

Major

16

6

4m

2n

0o

10

4p

3q

3r

Bataillon I

Bataillon II

Legende: T  =  Total (in beiden Batt.); G  =  Gesamtanzahl für ein Batt.; A  =  adelig; B  =  bürgerlich; U  =  unbekannt I  B: a:  [3b / 19d], [9g], [12i], [13a], [14a], [20g], [23i]; b:  [2d]; c:  –; d:  –; e:  [2b], [16g / 18h]; [19i]; f:  [14d], [22b]; g:  [3d], [5h], [9g], [13a], [12i], [20f], [20g]; h:  [2d]; i:  –; j:  [3c], [5i]; k:  [2b], [6j], [16g / 18h], [19i]; l:  [14d], [22b]; m: (Ulbe van Sixma), [3d], [5h], [6b], [9d], [13c], [14a], [17g], [20a]; n: –; o: –; p: (Frederik Willem Albert von Limburg-Stirum en Bronkhorst), (Otto Ernst Gelder Graf von Limburg-Bronkhorst-Stirum), [3c], [5i], [10i]; q:  [12g], [16g / 18h], [19i]; r:  [6a], [14d], [22b], [23c]. II B: a: (Johan Sicco Baron thoe Schwartzenberg en Hohenlansberg), (Jan Andries van Sijtzama), [9g], [5h], [12i], [20g]; b: [2d]; c: –; d: [5i], [24d]; e: [8h], [16g / 18h]; f:  [14e]; g:  [3b / 19d], [3d], [5h], [9g], [12i], [13c], [17g], [20f]; h:  [2d]; i:  –; j: (Otto Christiaan Baron van Verschuer), [5i], [10i], [24d]; k:  [16g / 18h]; l: (Herman Rudolf van Rusiers), (Hendrik Thilo van Thiliauw), [14d], [14e]; m:  [3d], [9g], [13c], [18e]; n:  [7f], [16h]; o:  –; p:  [5i], [10i], [20i], [24d]; q: [2b], [17k], [19i]; r: (Herman Rudolf van Rusiers), [10e], [14e].

andere Offiziersposten innehatten,127 kann vermutet werden, dass nach der Ernennung zum Kapitän beziehungsweise nach der Ernennung zum Major die Herkunft keine herausragende Rolle spielte. Die auswärtigen Offiziere hatten sich möglicherweise in Friesland assimiliert.128 Darüber hinaus ist noch auffällig, dass die hohen Offiziere friesischer Herkunft fast ausschließlich aus den adeligen Familien der Provinz stammten. Bei den Offizieren 127  Vgl.

128  Dies

allgemein: Redlich, S. 78. entspricht auch den Zahlen, die Faber, Bd. I, S. 512 aufgestellt hat.



IX. Argumentationsstrategien zur Erlangung eines Offizierspostens 229

auswärtiger Herkunft lässt sich dieser Befund nicht bestätigen, vielmehr waren sie sowohl adeliger, als auch bürgerlicher Herkunft. Diese Art der Ernennung, dass der Offizier von einem Posten auf den nächsten im Regiment gelangte, spiegelt sich auch in den jeweiligen Altersstufen der Offiziere wider. Bei den Kolonel-Kommandanten des ersten Bataillons lag das Alter am Ende des 18. Jahrhunderts meist zwischen 38 und 41 Jahren. Das höchste Alter wies Johan van Molenschot 1702 mit 57 Jahren auf. In der Mitte des 18. Jahrhunderts waren die Kolonel-Kommandanten in der Regel etwa 50 Jahre alt. Aufgrund des besonderen Wechselsystems lagen die Lebensjahre im zweiten Bataillon wenig darunter. Da viele Kolonel-Kommandanten bereits vorher als Leutnant-Kolonels gedient haben, lag auch hier das Lebensalter nur wenige Jahre darunter. Im ersten Bataillon befanden sich die ernannten Leutnant-Kolonels zwischen dem Ende ihres vierten und fünften Lebensjahrzehnts. Lediglich Johan Poppo van Andreae und Hobbe van Aylva wiesen mit 29 beziehungsweise 26 Jahren ein Alter unter 30 Jahren auf. Möglicherweise wirkte sich ihre friesische sowie adelige Herkunft karrierefördernd aus. Boudewijn van Heerdt und Rudolph Dirk de Sijghers hatten bei ihrer Ernennung das 50. Lebensjahr bereits überschritten. Die Leutnant-Kolonels im zweiten Bataillon waren demzufolge wenige Jahre jünger. Bei den Majoren im ersten Bataillon zeigt sich ein Alter, das meist bei Mitte 30 lag, wenn auch Majore wie Boudewijn van Heerdt oder Rutger Tulleken bei ihrer jeweiligen Ernennung 42 beziehungsweise 45 Jahre alt waren. Im zweiten Bataillon lag das Alter demzufolge wieder ein paar Jahre darunter. Bezüglich des Alters der hohen Offiziere ist anzumerken, dass bei den in den Quellen angegeben Daten oftmals nicht deutlich wird, ob mit dem in Bezug auf die Ernennung angegebenem Datum der Tag der tatsächlichen Berufung durch die Stände der Provinz beziehungsweise des Statthalters, der Tag der Verleihung der Commissie durch die Generalstaaten oder der Tag, an dem der Offizier de facto das Amt übernahm, gemeint ist. Der Abstand zwischen diesen unterschiedlichen Tagen variierte von wenigen Tagen bis hin zu einigen Jahren.

IX. Argumentationsstrategien zur Erlangung eines Offizierspostens Um einen Posten im Regiment, vor allem als höherer Offizier zu erhalten, war es für den Interessenten notwendig, sich anzubieten und Argumente ins Feld zu führen, die einer Ernennung zuträglich waren. Häufig hing die Vergabe von Stellen im Regiment vor allem von der Gunst des Statthalters

230

E. Die Offiziere im Regiment

ab. Augenscheinlich wird dies insbesondere in der Korrespondenz der Offiziere mit dem Statthalter, die während des Neunjährigen Kriegs geführt wurde. In diesen Briefwechseln werden Argumentationsstrategien deutlich, mit denen die Bewerber beabsichtigten, höhere Ränge zu erhalten. So führte im Jahr 1695 der Offizier Joachim van Amama an, dass er dem Statthalter gegenüber stets als ein „getrouwe dienaar“ aufgetreten sei. Er habe das Leibregiment schon lange befehligt und in diesem als Major gedient. Dabei merkte er an, dass er bei der letzten Belagerung als ein „eerlijk man“ mitgewirkt habe. Er bat den Statthalter aus diesem Grund, bei der Vergabe weiterer Ämter berücksichtigt zu werden.129 Seine Argumente waren also die Treue zum Fürsten und das Verhalten bei der Belagerung als ehrlicher Mann. Van Amama appellierte an die Pflicht des Statthalters, loyales Verhalten in Form von Beförderungen zu belohnen. In ähnlicher Hinsicht zeigt sich dies in einem Schreiben des Thomas Tulleken aus Namur. Er hatte offensichtlich Ambitionen auf die 1695 vakant gewordene Stelle des Leutnant-Kolonels Godefroy Bachman. Als Argument gab er an, dass er der zweitälteste Kapitän im Regiment sei und leitete somit daraus einen Anspruch ab.130 Das Dienstalter beziehungsweise die Anciennität war eines der wichtigsten Ordnungsmerkmale bei der Vergabe von Offiziersposten.131 Daher wurde es als problematisch angesehen, in welcher Reihenfolge Offiziere angestellt worden waren, wenn ihre Ernennung an ein und demselben Tag erfolgt war. Eine generalstaatische Resolution vom 23. Mai 1671 regelte dies folgendermaßen: Es wurde verordnet, dass fortan allein der Tag der Ernennung eine Rolle spiele, hingegen nicht mehr die Uhrzeit beziehungsweise die an dem Tag praktizierte Reihenfolge.132 In späterer Zeit finden sich nur noch selten Briefe, in denen Offiziere sich ihrer Leistungen und Treue rühmten und daher einen Anspruch auf höhere Posten ableiteten. Vermutlich hängt dies mit der bereits geschilderten besonderen Struktur der Vergabe von Offiziersstellen zusammen, nach der im Regiment die titulairen Offiziere stets auf die nächsthöhere effektive Stelle befördert wurden. Der Kapitän Gellius Wibrandus van Aytta brachte 1742 seine 35-jährige Dienstzeit ins Spiel. Er hatte 32 Jahre im Leibregiment des Statthalters gedient und nutzte dies als Begründung, seinen Anspruch auf 129  Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr.  96, Brief: Nr.  478, 10.9.1695. 130  Ebd., Nr. 129, Brief: Nr. 492, 18.9.1695. 131  Siehe dazu für den deutschsprachigen Raum, insbesondere jedoch für Preußen: Wohlfeil, S. 26–36. 132  Resolution vom 23.5.1671, in: Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 128.



IX. Argumentationsstrategien zur Erlangung eines Offizierspostens 231

einen Majorsposten geltend zu machen. Ein anderer Kapitän, der drei Jahre weniger gedient habe, war vor ihm mit einem solchen Posten ausgestattet worden, sodass van Aytta die Ernennung zum Major titulair erwartete. Letztlich wurde er tatsächlich in den Majorsrang erhoben.133 Die Problematik dieser Art der Stellenvergabe bestand jedoch darin, dass Offiziere enttäuscht waren, wenn sie ihre angestrebten Stellen nicht erhielten und offensichtlich ihre Argumente keine Berücksichtigung fanden. So schilderte der Kapitän Willem van Laak im August 1694 in einem Schreiben an den Statthalter: „Ich hebbe gemeent major te sulle worden, maer het zij mij mijsluckt, tot mijn groot Leet weesen.“134

Er hatte bereits im Dezember 1693 den Statthalter darum gebeten,135 ihn zum Major im ebenso in Friesland ansäßigen Regiment des Herzogs von Holstein zu ernennen, da dort eine Stelle frei geworden war. Jedoch wurde er offensichtlich nicht zum Major ernannt, weshalb er vermutlich auch aus dem statthalterlichen Regiment ausschied. In seinem Schreiben betonte er zum Abschied seine Loyalität, indem er „oock alle tijts waer ick in de werelt sal moogen weesen[,] het intresse van U[w] W[el] E[dele] hochvorstelijcke Doorluchticheijt, naer mijn geringh vermoogen gans onderdaenigh helpen mainteneeren[,] indien dat UWE hooghvorstelijcke Doorluchtigheijt mijn daer toe genaedigst Capael sullen oordeelen“.136

Bei der Ernennung wurde darauf geachtet, dass möglichst einheimische Offiziere bevorzugt ernannt wurden. So schrieb eine Resolution von 1671 vor, dass bei gleicher Eignung stets die einheimischen Offiziere zu präferieren seien.137 Ausländer seien jedoch dann vorzuziehen, wenn sie mit einer höheren Charge (Amt) oder Funktion in ausländischen Diensten zur Zeit des aktuellen Kriegs von mindestens vier Jahren angestellt gewesen wären, und der einheimische Mitbewerber einen geringeren Charakter, also Rang und Charge, für diese Zeit vorzuweisen habe. Ausdrücklich betont wurde in der Resolution, dass der Bewerber, der vorher im ausländischen Dienst 133  Ebd., Archief Willem IV, Nr. 173.1., Brief von G. W. van Aytta [4e] aus Leeu­ warden vom 29.3.1742. Unklar ist, auf welchen anderen Kapitän er sich bezieht. Ebenso geht nicht aus dem Schreiben hervor, in welcher Form er vor seiner Nennung zum Kapitän gedient hatte. 134  Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 309, Brief: Nr. 117 von W.  van Laak [7b] aus Brüssel vom 20./30.8.1694. 135  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 668, Brief von Willem van Laak aus Zutphen vom 30.12.1693. 136  Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 309, Brief: Nr. 117 W. van Laak aus Brüssel vom 20./30.8.1694. 137  Resolution vom 23.5.1671, in: Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 128.

232

E. Die Offiziere im Regiment

gestanden habe, nachweislich in der Zeit des Kriegs gedient haben musste. Diese Resolution fasste somit die wichtigsten Kompetenzen noch einmal zusammen: Anciennität, gepaart mit der Bevorzugung einheimischer Offiziere, und die Erwartung von Leistungen im Krieg.

X. Laufbahnen der rangniedrigeren Offiziere und Unteroffiziere Abschließend soll noch ein Blick auf die Karriereverläufe der rangniedrigeren Offiziere und Unteroffiziere geworfen werden. Zu den rangniedrigeren Offizieren gehören die Leutnants und Fähnriche in den Kompanien, zu den Unteroffizieren vor allem die Sergeanten und Korporäle.138 Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass die rangniedrigeren Offiziere oftmals einen Großteil ihrer Dienstzeit im statthalterlichen Regiment ableisteten. Viele dieser Offiziere begannen ihre Laufbahn als Fähnrich und wurden anschließend im selben Regiment Leutnant, wenngleich hierfür in der Regel der Wechsel in eine andere Kompanie nötig war.139 Zum Teil stiegen die unteren Offiziere jedoch auch zu Kapitänen im Regiment auf, was sich bei einigen Personen feststellen ließ.140 Einige, die als rangniedrigere Offiziere im Regiment ihren Dienst aufnahmen, konnten später in anderen Regimentern oder unter anderen Dienstherren hohe Offiziersränge für sich in Anspruch nehmen. So wurde beispielsweise Marc Andreas von Alleon, der 1727 als Fähnrich unter Sjuck van Humalda seine Karriere begonnen hatte, später Oberst und Kommandant von Dillenburg, wo er 1766 verstarb. Der aus Deutschland stammende Carl Friedrich von Wartensleben, der 1727 eine Anstellung als Fähnrich in der Kompanie von Guillaume Augustus Brunet de Limoulliet gefunden hatte, wurde 1742 Obrist, 1747 Generalmajor und letztlich 1766 Generalleutnant in niederländischen Diensten.141 In den unteren Rängen wurden die Ämter ebenso nach dem Prinzip der Anciennität vergeben.142 Nach dem Tode des Kapitäns Johan van Sixma, 138  Art. Unteroffizier, in: Pierer’s Universal-Lexikon 18 (1864), S. 257. Siehe allgemein: Bevaart, Willem: De onderofficier in het Nederlandse leger. 1568–2001, Den Haag 2001, insb. S. 11–55. 139  Der Aufstieg in eine andere Kompanie findet sich wieder bei: Marc Andreas von Alleon [2e], [17l/m]. 140  Bspw. Dominicus Acronius a Buma [19c], Guillaume Brunet de Limoulliet [6g], Jacques Theodore Brunet de Rochebrune [24e], Jean Malet [13b], Frederik Willem (van) Meijers [16g], Johan Meijers [12g], Hervé de Vaillant [23h], es finden sich aber auch zwei van Cammingha unter den Leutnants und Fähnrichen, Titus van Donia [5e] wurde Kapitän in derselben Kompanie. 141  [2e], [17l/m]; [6g], [1c], Vgl. auch: Grund, S. 101. 142  So auch in Preußen: Ortenburg, S. 16 f.; Kroener, „Des Königs Rock“, S. 80.



X. Laufbahnen der rangniedrigeren Offiziere und Unteroffiziere 233

1696, merkte Joachim van Amama an, dass der Leutnant der Kompanie, Sixtus Ignatius van Loo, diesem nachfolgen solle, weil van Loo der älteste Leutnant im Regiment sei und sich zudem im Krieg bewiesen habe.143 Obwohl sich auch der Leutnant Carbon um diese Kompanie bemüht hatte, erhielt van Loo die Zusage.144 Das Argument der langen Dienstzeit brachte ebenso der Kapitän Johan van Molenschot im Jahr 1702 bei der Bitte einen seiner Unteroffiziere zu befördern, ein. Er schilderte, dass sein Sergeant Vincent Teijssij 30 Jahre lang unter ihm gedient habe und bei der Vergabe des Posten eines Leutnants berücksichtigt werden sollte.145 Obzwar bei den rangniederen Offizieren in vielen Fällen die Herkunft nicht bestimmt werden konnte, zeigt sich bei den erhobenen Daten, dass einige nicht aus den Niederlanden stammten. Sie waren, wie bereits oben geschildert, normativ benachteiligt. Die Schwierigkeit, als Fremder aufzusteigen, wird in einem Brief des Johannes Krugh, Adjutant unter Kapitän Willem Sloot deutlich. Er schilderte – vermutlich 1690 – ein wesentliches Problem bei der Ernennung. „Wen[n] ich aber in diesem lande gantz frembt bin und niemand habe so vor mich einige vorsprache thun mag[,] auch das unglück gehabt[,] daß mein Capitain Slood, als der mich in specie wohl gekand und alle beforderung versprochen[,] mit Todt abgangen, so hat S[eine] Churfürstl[iche] Durchl[auchtheit] von Brandenburg Cammerher[r] Herr von Colben mich versichert, daß auf hochstgedachten S[einer] Churfürstl[ichen] Durchl[aucht­ heit] gnädigst intercession Seine Hoheit gnädigst mich zu avanciren versprochen.“146

Es wird also deutlich, dass es notwendig war, einen Fürsprecher zu haben. Dies bildete in Krughs Fall das wesentliche Problem, nämlich, dass er aus dem Ausland stammte und somit offensichtlich nicht vollständig in das Regiment integriert war. Auch dass der Brief in deutscher Sprache verfasst wurde, weist in diese Richtung. Verstärkt wurde das Problem insofern, als der Kapitän, der ihm ein Zeugnis hätte ausstellen können, bereits verstorben war. So führte er weiter im Brief an,

143  Den Haag, KHA, Archief Henriette Amalia, Nr. 58, Brief: Nr. [5] von Joachim van Amama aus Namur vom 8.8.1696. 144  Ebd., Nr.  74, Brief: Nr.  2 von Conrad van Unkel aus Nivelles vom 16./26.6.1696. 145  Ebd., Nr. 70, Brief: Nr. 20 von Johan van Molenschot aus Bergen op Zoom vom 24.3.1702. Erwähnter Teijssij diente bereits im Jahr 1681 unter van Molenschot. Ob er einen Leutnantsposten erhielt, konnte nicht nachgewiesen werden. 146  Leeuwarden, Tresoar, SHA, Nr. 667 von Johannes Krugh, o. D., vermutlich 1690. [21b].

234

E. Die Offiziere im Regiment

„daß ich in diesen zweijen Feldzugen ein groses ausstehen müßen, worvon mein Capt. wenn selbiger noch am Leben, ein Zeichnüß abgeben würde mich mit einem officirers plaets in Gnaden anzusehen.“147

Das wesentliche Argument für den Wunsch, befördert zu werden, sind die Leistungen im Krieg, nämlich die Teilnahme an den zwei Feldzügen. Ohne Zeugen scheint dieses Argument jedoch keineswegs in dem Maße stichhaltig gewesen zu sein, als wenn die Taten durch einen anderen Militär hätten bestätigt werden können. Wichtig war es für die Unteroffiziere, sich von den Vorgesetzten ein gutes Zeugnis ausstellen zu lassen. So gab der Sergeant Peter Schmitz, der im Leibregiment seinen Dienst versah, an, dass er 23 Jahre in der Kompanie des Kapitän van Heemstra gedient habe. Er fügte außerdem hinzu, dass der Brigadier van Unkel sowie der Oberst van Amama und sein Kapitän selbst ihm ein gutes Zeugnis ausstellen könnten.148 In solchen Fällen wird deutlich, dass Unteroffiziere auf einen Patron, sprich einen älteren Offizier angewiesen waren, um beim Statthalter gewinnbringend vorsprechen zu können.149 Aber auch Argumente jenseits militärischer Leistungen wurden hervorgebracht, um Ansprüche auf militärische Posten zu stellen. So führte der Kadett Friederich Arnold Seel, der in den 1730er und 1740er Jahren unter dem Kapitän de Saumaise diente, an, dass seine Eltern bereits viel Geld für seine Laufbahn aufgebracht und ihn mit Universitätsbesuchen in Herborn und Marburg gefördert hätten. Da seine Eltern schon alt seien und er auch sechs Geschwister habe, möchte er seine Eltern finanziell unterstützen, was ihm durch eine höhere Anstellung möglich erschien.150 Die vorgestellten Fälle betreffen in erster Linie Personen, die aus dem deutschen Reich stammen. Insgesamt lässt sich der Eindruck gewinnen, dass die unteren Offiziersränge für adelige Personen aus dem deutschen Reich besonders offenstanden und dass das niederländische Heerwesen in dieser Hinsicht für Migranten aufnahmefähig war.151 147  Ebd.

148  Den Haag, KHA, Archief Hendrik Casimir II, Nr. 309, Schriftstück: Nr. 120, o. D., vermutlich [6b]. 149  Siehe zum System von Klient und Patron in Friesland: Spanninga, Hotso: Patronage in Friesland in de 17de en 18de eeuw: een eerste terreinverkenning, in: De Vrije Fries 67 (1987), S. 11–26. Die „ ‚klassieke‘ patroon-cliëntverhouding“ ist nach seiner Auffassung: „een deels niet-geformaliseerde, persoonlijke relatie tussen sociaal ongelijken, primair gericht op het verwerven van wederzijds voordeel“ (S. 15). 150  Den Haag, KHA, Archief Willem IV, Nr. 202, Schriftstück: Nr. 1847, o. D., [10i]. 151  Siehe die Viten der Offiziere von Dalwich [18f] und von Knobelsdorf [17l].



XII. Beziehungen zwischen Statthalter und Offizieren235

XI. Zwischenfazit Bezüglich des Erlangens eines Offizerspostens wird deutlich, dass die maßgebliche Bedingung für den Heeresdienst die Finanzen waren. Wer nicht über ausreichend ökonomisches Kapital verfügte, konnte keinen Posten im Regiment erhalten. Danach erscheint die Abstammung wichtig zu sein.152 Eine friesische und vor allem zusätzlich adelige Abstammung spielte eine wichtige Rolle. Beides konnte wohl in gleichem Maße förderlich auf die Karriere wirken, hingegen eine Kombination beider Eigenschaften ermöglichte eine schnelle und zielorientierte Laufbahn. Anciennität und Leistung spielten bei der Vergabe zwar auch eine Rolle, jedoch häufig nicht die ausschlaggebende. Beide Eigenschaften konnten zusätzlich genutzt werden, um sich gegenüber anderen gleichrangingen Personen zu profilieren oder um Nachteile zu kompensieren. In Friesland waren besonders die ökonomisch stärksten und politisch einflussreichsten Familien in der Armee vertreten.153

XII. Beziehungen zwischen Statthalter und Offizieren 1. Offiziersporträts in der Gemäldesammlung des Statthalters Wohl eines der eindrücklichsten Zeugnisse des Regiments ist die Sammlung der Bilder der Stabsoffiziere. Diese wurde in der Regierungszeit des Statthalters Wilhelm Karl Heinrich Friso zwischen den Jahren 1731 und 1735 durch den friesischen Maler Bernard Accama angefertigt. Accama gilt als einer der wichtigsten friesischen Porträtmaler des 18. Jahrhunderts. Er porträtierte in besonderem Maße die Mitglieder der friesischen Oberschicht. In der Zeit von 1720 bis 1756 soll er rund 1.200 Porträts angefertigt haben.154 Die Bilder der Offiziere des Regiments Oranje-Friesland zeigten laut einem Inventar des Hofs aus dem Jahr 1764 insgesamt 29 Personen, während heute noch 24 erhalten sind. Abgerundet wurde die Sammlung durch ein 152  In Preußen spielte im 18. Jahrhundert besonders eine hochadelige Abstammung eine entscheidende Rolle bei der Vergabe von Posten. Winkel, Im Netz, S. 291. 153  Hier sei nur an die Familien van Aylva und van Burmania erinnert oder auch an die Familien van Amama sowie van Heemstra. Dies steht der allgemeinen Feststellung für den deutschsprachigen Raum entgegen, dass vor allem ökonomisch schwächere Adelige gedient hätten. Gahlen/Winkel, S.  20 f. 154  Sman, M. C. van der: Portrettisten van de Friese elite, in: Juub Bosmans u. a. (Hgg.), Schatten uit Friesland. De cultuur van de elite (1500–1900), Leeuwarden 1990/1991, S. 24–43, hier: S. 31.

236

E. Die Offiziere im Regiment

Porträt von Wilhelm Karl Heinrich Friso als Kolonel des Regiments.155 Sein Nachfahre, König Wilhelm III. (1817–1890), schenkte im Jahr 1881 die Bilder dem Fries Genootschap und dessen Museum in Leeuwarden.156 Ursprünglich waren die Porträts, die 97,5 cm in der Höhe und 75,5 cm in der Breite messen,157 im statthalterlichen Hof zu Leeuwarden platziert worden. Nach dem bereits erwähnten Inventar aus dem Jahr 1764, also rund 30 Jahre nach der Fertigstellung der Bilder, sollen diese auf dem Dach­boden des statthalterlichen Hofs in Leeuwarden gehangen haben.158 1840 befanden die Bilder sich noch im Hof zu Leeuwarden.159 Während das Anfertigen einer so hohen Anzahl von Bildern des Regiments vermuten lässt, dass dies vornehmlich aus repräsentativen Zwecken geschehen ist, kann dagegen gehalten werden, dass solche Porträtgalerien primär nicht zur öffentlichen Repräsentation angelegt wurden.160 Vielmehr ging es den Fürsten um das persönliche Anliegen, ihr jeweiliges Regiment161 und damit verbunden die Offiziere um sich zu gesellen und eine stetige Präsenz dieser zu verspüren. Rouven Pons beschreibt dies als ein „Dokumentationsbedürfnis“ und verneint dabei die „klassische barocke Repräsentationsfunktion […] und […] historische Dimension“.162 Wenngleich bereits in früherer Zeit in Friesland

155  Mulder-Radetzky,

Schilderijencollecties, S. 202. Bilder hingen im alten Fries Museum in Leeuwarden im Treppenhaus. Siehe in: Friesch Museum te Leeuwarden. Gids, 1929, S. 25. Im gegenwärtigen Fries Museum sind elf ausgewählte Porträts dieser Reihe in der Ausstellung zu finden (2014). 157  Siehe dazu die Internetdarstellung des Fries Museums: http://collectie.fries museum.nl/. 158  Inventaris van de inboedel van het Hof te Leeuwarden 1764, in: S. W. A. Drossaers/Th.  H. Lunsingh Scheurleer (Bearbb.), Inventarissen van de Inboedels in de Verblijven van de Oranjes en daarmede gelijk te stellen stukken 1657–1795. Derde Deel: Inventarissen Nassau-Oranje 1763–1795, Register en Indices, ’s-Gravenhage 1976, S. 32–81, hier: S. 76; Mulder-Radetzky, Rita: Het Hof van Willem IV en Anna in Leeuwarden, in: J. J. Huizinga (Hg.), Van Leeuwarden naar Den Haag. Rond de verplaatsing van het stadhouderlijk hof in 1747, Franeker 1997, S. 59–72, hier: S.  66 f. 159  Eekhoff, Wopke: Handboekje voor Reizenden door de Steden en voornaamste Oorden van de Provincie Friesland, Leeuwarden 1840, S. 25. 160  Siehe allgemein zu diesem Phänomen: Pons, Rouven: Freundschaftskult und Korpsgeist – Zum politisch-sozialen Hintergrund von Porträtgalerien des 18. Jahrhunderts, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, NF 19 (2009), S. 1–36 sowie Kloosterhuis, Jürgen: Ordre, Liste und Porträt. Identitätsstiftung und Traditionsbildung im Preussischen Offizierkorps des 18. Jahrhunderts im Spiegel seiner Schrift- und Bildquellen, in: Hitotsubashi Journal of Law and Politics 39 (2011), S. 3–29, hier: S. 14–17. 161  Pons, S. 9. 162  Ebd. 156  Die



XII. Beziehungen zwischen Statthalter und Offizieren237

Bildersammlungen über Offiziere angelegt worden waren,163 kam diese Mode wohl aus Preußen in der Zeit des 18. Jahrhunderts. Mit den Bildern ist vor allem eine gesellschaftliche Selbstverortung verbunden.164 Die Sammlung umfasst die Bilder von:165 1. Watze Wytze van Cammingha (Kolonel-Kommandant) (1731), [20g] 2. Eelco van Glinstra (Kolonel-Kommandant) (1731), [2d] 3. Gemme Onuphrius van Burmania (1731), [5h] (Leutnant-Kolonel im Rgt. Sachsen-Eisenach, auf dem Bild als Kapt. betitelt) 4. Feye van Heemstra (Major)166 (1731), [6b] 5. Rudolph Dirck de Sijghers (Major) (1731), [5i] 6. Hans Willem van Aylva (van Hoornhuisen) (Kapitän) (1731), [3d] 7. Rutger Tulleken (Kapitän) (1732), [19i] 8. Nicolaas van Glinstra (Kapitän) (1731), [7f] 9. Hans Hendrik van Haersma (Kapitän) (1731), [17m] 10. Tjalling Homme van Haersolte (Kapitän) (1731), [13c] 11. Hervé de Vaillant (Kapitän) (1732), [23h] 12. Jean Valat (Kapitän) (1731), [15k] 13. Willem van Sloterdijck (Kapitän) (1731), [16h] 14. Paul Auguste Brunet de Rochebrune (Kapitän) (1731), [24e] 15. Jetze Edzard van Burmania (Kapitän) (1731), [21h] 16. Frederik de Drevon (Kapitän) (1735), [17n] 17. Hendrik Philip Muysson (Kapitän) (1731), [14e] 18. Charles de Saumaise (Kapitän) (1731), [10i] 19. Donald Alexandre Mallet (Kapitän) (1731), [22d] 20. Philip Alberti (Kapitän) (1732), [8h] 21. Petrus Bernhard von Cotzhausen (Kapitän) (1731), [18f] 22. Gellius Wibrandus van Aytta (Kapitän) (1731), [4e] 23. (Jan Andries van) Sytzama (Kapitän-Leutnant) [unbekannt, da nicht verzeichnet] 24. Joost Christaan Terville (Kapitän-Leutnant) (1731), [20h] 163  Vgl. Mulder-Radetzky, Schilderijencollecties, S. 203. In der Zeit von 1609– 1615 waren 26 Gemälde der Stabsoffiziere der friesischen Regimenter angefertigt worden. Mulder-Radetzky sieht das Sammeln der Gemälde in dem starken Bezug Wilhelm Ludwigs zum Militär begründet (S. 197). 164  Pons, S. 36. 165  Catalogus van het Museum van het Friesch Genootschap van Geschied-, Oudheid- en Taalkunde te Leeuwarden, Leeuwarden 1881, S. 133 f. sowie Lijst van voorwerpen aan het Friesch Genootschap van Geschied-, Oudheid- en Taalkunde. Geschonken of door het Genootschap aangekocht. 1879–1880, in: Verslagen en handelingen van het Fries Genootschap 52 (1879/1880), S. 16 f. Siehe die Bilder in: http://collectie.friesmuseum.nl/ (S00155 bis S00178). 166  Vermutlich aufgrund eines Lesefehlers bei einer Restaurationsarbeit steht auf dem Gemälde heute Maucor statt Majoor.

238

E. Die Offiziere im Regiment

Auffällig ist, dass die höheren Offiziere alle nach links gewandt sind (also vom Betrachter rechts) und mit ihrer Hand in die Blickrichtung zeigen. Dabei heben van Cammingha und van Heemstra die rechte Hand und Eelco van Glinstra und de Sijghers die linke. Ob dies absichtlich so dargestellt wurde, ist unklar, zumal der Kolonel-Leutnant Gemme Onuphrius van Burmania zwar ebenfalls nach links gewandt ist, aber nicht die Hand hebt, sondern sie lediglich in die Seite drückt. Ein Bild des zweiten KolonelLeutnants, Frederik Willem Meijers, das zur Überprüfung hätte herangezogen werde können, fehlt in der Sammlung. Von den 18 Kapitänen sind elf nach links gewandt (vom Betrachter nach rechts). Meist drücken sie ihre rechte Hand in die Seite oder haben sie unter ihre Weste geschoben. Eine abweichende Haltung nehmen Muysson und Valat ein, die mit der Hand nach oben beziehungsweise unten zeigen. Eine Frontalsicht liegt bei den Kapitänen van Sloterdijck, Alberti und van Aytta vor, während alle drei ihre rechte Hand in die Seite stoßen. Lediglich bei Alberti kann man den Fingerzeig der linken Hand noch erkennen, bei den anderen beiden reicht der Arm aus dem Bild heraus. Nach rechts sind lediglich die Kapitäne de Drevon, van Haersma und Jetze Edzard van Burmania gewandt (vom Betrachter nach links). Während alle drei die linke Hand wiederum in die Seite gedrückt haben, zeigt de Drevon mit dem rechten Arm nach links, wobei sein Arm außerhalb des Bildes ragt. Bei van Haersma und van Burmania ist der rechte Arm nicht zu erkennen. Insgesamt lässt sich also feststellen, dass hohe Offiziere ab dem Kapitänsrang offensichtlich mit Ausnahme von Gemme Onuphrius van Burmania den Arm nach vorne strecken, während Kapitäne nie in einer solchen Position zu finden sind. Mit großer Wahrscheinlichkeit zeigt sich in den Bildern die Stratifikation des Regiments. Die Betrachter waren in der Lage wahrzunehmen, welchen Offiziersrang die jeweiligen abgebildeten Personen hatten, ohne dass dies anhand der Uniform zu erkennen gewesen wäre. 2. Beziehung der Offiziere zum Statthalter Nachdem der König-Statthalter Wilhelm III. am 19. März 1702 in der Zeit des Neunjährigen Kriegs verstorben war, und der friesische Statthalter Johann Wilhelm Friso den Titel des Prinzen von Oranien geerbt hatte,167 sollte dies im Feld deutlich gemacht werden. Der Major Herman van Rusier schrieb in einem Brief an Henriette Amalia, Mutter des friesischen Statthalters Johann Wilhelm Friso, dass er bei allen Listen, die die Offiziere anfer167  Siehe

zur politischen Relevanz: Bruggeman, S.  12 f.



XII. Beziehungen zwischen Statthalter und Offizieren239

tigen, den Titel „guarde van de Prins van Orange en Nassau“ einsetzen lassen habe. Sogar die Wagen des Regiments seien auf seine Anweisung neu beschriftet worden. Doch wolle man ihnen im Feld die Ehre nicht gestatten, sich „guarde of orange“ zu nennen. Aus diesem Unverständnis heraus betonte er, dass der „orange boom soo hoogh sal wassen, dat see van ijder kann gesijn worden“.168 Der Satz und die geschilderten Aktivitäten van Rusiers deuten auf eine ausgesprochene Loyalität seitens des Offiziers hin. Ob van Rusiers persönlich davon profitierte, bleibt unklar. 1709 wurde er zum Leutnant-Kolonel ernannt. Deutlich wird das Verhältnis zwischen Offizieren und Statthalter auch in der Vergabe beziehungsweise dem Beschaffen von Ämtern jenseits des Regiments. So erlangte der Offizier Conrad van Unkel den Rang des Präsidenten des Hohen Kriegsrats in den Jahren von 1697 bis zu seinem Tod 1716. Obwohl seine Herkunft nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte, soll er mit der Familie van Cammingha verwandt gewesen sein und scheint damit im Kontakt zur friesischen Oberschicht gestanden zu haben. Ob die Ernennung zum Präsidenten nun zudem der Verdienst des Statthalters war, lässt sich nicht klären. Es ist jedoch grundsätzlich anzunehmen, dass van Unkel für das Erklimmen einer Anstellung mit hohem Prestige einen Patron benötigte. Die Loyalität des Statthalters gegenüber van Unkel zeigt sich zudem in der Ernennung zum General-Major (1706) und Leutnant-General (1709). Ab dem 18. Jahrhundert erhielten einige Offiziere Anstellungen am statthalterlichen Hof und standen somit offensichtlich aufgrund dieser Dienste in enger Beziehung zum Statthalter. Deutlich wird dies anhand der Biografie von Hobbo Esaias Baron van Aylva.169 Sein Werdegang zeigt, wie es möglich war, nach dem Militärdienst im statthalterlichen Regiment in die höfische Verwaltung zu wechseln. Zwischen den Jahren 1715 und 1724 war er Kapitän im Leibregiment gewesen. 1729 wurde er Oberstallmeister am Hof in Leeuwarden. Offensichtlich war er für diesen Posten von Dirk van Lynden van de Parck (1679–1735) vorgeschlagen worden. Am 26. September wurde van Aylva vereidigt. 1732 vertrat er den Statthalter zusammen mit Dirk van Lynden van de Parck und Joan Duncan, einem Schotten am Hof, bezüglich der Verhandlungen mit Preußen um die oranische Erbfolge in Berlin.170 Da er mit dem Kammerherrn Gemme Onuphrius van Burmania nicht gut ausgekommen sein soll und ihm zudem vom Statthalter eine An168  Den

Haag, KHA, Archief Henriette Amalia, Nr. 71, Schriftstück: Nr. 13. ist im eigentlichen Sinne kein Baron, sondern Junker. Da der Adelstitel des Junkers jedoch außerhalb Frieslands nicht geläufig war, nennen sich die friesischen Junker im Ausland in der Regel Barone. Kuiper, Onder Hovelingen, S. 42. Zu seiner Person: [20f]. 170  Kuiper, Onder Hovelingen, S. 41 f. 169  Er

240

E. Die Offiziere im Regiment

stellung als Kommandant verweigert worden war,171 schied er bereits 1737 aus dem Hofdienst aus, um Kommandant von Tournai zu werden. Von 1740 bis 1748 bekleidete er das Amt des Gouverneurs von Maastricht. Er wandte sich somit wieder einer militärischen Tätigkeit zu.172 Dieser Wechsel verdeutlicht, dass trotz Unterbrechung ein Adeliger ohne weiteres wieder in den militärischen Dienst wechseln konnte. Ungeachtet seines Ausscheidens gehörte er noch weiterhin zum Gunstkreis des friesischen Statthalters. 1747, nachdem Wilhelm Karl Hendrik Friso Generalstatthalter geworden war, bekam van Aylva den Generalstitel verliehen.173 Die Wertschätzung Wilhelms wird ebenso augenscheinlich darin, dass er, nachdem van Aylva sich von dem deutschen Maler Johann Valentin Tischbein porträtieren ließ, selbigen Maler für Porträts von sich, seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern Carolina und Wilhelm Batavus (später Wilhelm V.) beauftragte.174 Als „chef de famille“ des Aylva-Geschlechts wirkte Hobbo Esaias van Aylva sogar als Patron für seine Verwandten und konnte somit einigen Familienmitgliedern Positionen am Hof beschaffen.175 Auch der erwähnte Gemme Onuphrius van Burmania176 gehörte aufgrund seiner Anstellung am Hof zum statthalterlichen Gunstkreis. Nach seinem Studium an der Universität zu Franeker war er 1720 zum Kapitän ernannt worden, ehe er 1728 den Majorstitel erhielt. Ab 1729 bekleidete er schließlich das Amt des Oberkammerherrn am Statthalterhof. Seine Aufgaben bestanden wohl in erster Linie in der Verwaltung der Mobiliare und der Organisation der Kammerherren.177 Nur wenige Jahre später, 1737, wurde er als Oberstallmeister unter Maria Louise mit der Verwaltung der Ställe beauftragt, nachdem Hobbo Esaias van Aylva das Amt niedergelegt hatte. Im Jahr 1746 konnte er seine Karriere am Hof krönen, indem er den Posten des Oberhofmeisters einnahm. Diese Stellung war die höchste am Hof und umfasste die Organisation der gesamten Hofhaltung.178 Seit 1735 war diese vakant geblieben, nach171  Ebd.,

S. 42 f. Später wurde der Konflikt beigelegt. Nassau, S. 39.

172  Bruggeman, 173  Ebd.

174  Kuiper, Onder Hovelingen, S. 44. Nach van den Bosch habe van Alyva die Porträts in Auftrag gegeben und später selbst dem Magistrat in Maastricht geschenkt. Bosch, D. van den: De laatste eer aan de eerste stand. Aristocratische begrafenisrituelen in Limburg van de 18e tot de 20e eeuw, in: Tijdschrift voor Sociale Geschiedenis 6 (1980), S. 181–210, hier: S. 184 f. 175  Kuiper, Onder Hovelingen, S. 44. Dies betraf den Sohn von Hans Willem van Aylva (1722–1751), Sohn seines ältesten Bruders, der bei Wilhelm V. in den Hofdienst trat und Tjaard van Aylva (1712–1757), Sohn seiner ältesten Schwester, der mit Wilhelm V. zusammen an der Universität in Franeker studiert hatte. 176  [5h]. 177  Bruggeman, S. 38. 178  Ebd., S. 35.



XII. Beziehungen zwischen Statthalter und Offizieren241

dem der bereits erwähnte Dirk van Lynden van de Parck ausgeschieden war. Daneben agierte van Burmania weiterhin als Kolonel eines Regiments und war General und Gouverneur der Festungsstadt Sluis. Die Hochschätzung der höfischen Ämter und die Verbundenheit der Amtsträger zum Statthalter zeigten sich auch darin, dass Gemme Onuphrius van Burmania und Hobbo Esaias van Aylva Wilhelm Karl Heinrich Friso im Jahr 1733 von Rotterdam nach Greenwich begleiteten, wo der Statthalter Anna, Prinzessin von Groß-Britannien, Irland und Hannover, heiratete.179 Nach dem Tode van Burmanias im Jahr 1759 war die Stelle des Oberhofmeisters zunächst vakant geblieben, ehe sie 1767 nach einer Reorganisation des Hofs mit zwei Personen besetzt wurde. Dies waren der General Bigot de Villandry180 und der Kolonel von Wülcknitz. Mit Bigot de Villandry wurde das Amt erneut an einen ehemaligen Offizier des Leibregiments vergeben. Bigot de Villandry stammte gebürtig aus Vianen in der Provinz Utrecht, ehe er spätestens 1730 nach Leeuwarden kam, um dort als Kapitän eine Kompanie im Leibregiment zu übernehmen. Bereits nach drei Jahren schied er jedoch aus dem Infanterieregiment aus und wurde Rittmeister im statthalterlichen Kavallerieregiment. In der Reiterei stieg er rasch auf, 1742 wurde er Major, 1747 bereits Kolonel-Kommandant des Regiments, ein Jahr später Generalmajor der Kavallerie. 1751 konnte er das Amt des Oberhofmeisters bei Anna von Hannover einnehmen. Seine Ehefrau, Françoise Herbert, die gebürtig aus London stammte und im Jahr 1736 mit ihm die Ehe geschlossen hatte, war als Hofdame mit Anna von Hannover von London nach Leeuwarden gekommen. Die Eheschließung veranschaulicht, wie etabliert Bigot de Villandry am friesischen Hof gewesen sein muss, wenn er die Möglichkeit hatte, eine der Hofdamen ehelichen zu können.181 1747 zog er nach Den Haag, nachdem der statthalterliche Hof von Leeuwarden in die Stadt verlegt worden war. Dort nahm er neben van Burmania an der feierlichen Einweihung teil.182 Bis zu seinem Tode im Jahr 1775 blieb er dem Hof verbunden und wurde auch während der Statthalterschaft des minderjährigen Wilhelm V. nicht aus seinem Amt vertrieben.183 179  Kuiper, 180  [6h].

Onder Hovelingen, S. 41.

Winkel, Im Netz, S. 214. Leven van zyne Doorluchtige Hoogheid Willem Karel Hendrik Friso, Prince van Oranje en Nassau, enz.enz.enz. Erf-Stadhouder, Kapitein en AdmiraalGeneraal der Vereenigde Nederlanden, enz. en van haare Koninglyke Hoogheid Anna, van Brunswyk-Luneburg, Kroon Princes van Groot-Brittannie, tweede Deel, Amsterdam o. D., S.  60 f. 183  Gabriëls, A. J. C. M.: De heren als dienaren en de dienaar als heer. Het stadhouderlijk stelsel in de tweede helft van de achttiende eeuw (Hollandse historische reeks 14), ’s-Gravenhage 1990, S. 129. 181  Vgl. 182  Het

242

E. Die Offiziere im Regiment

Deutlich wird die Stellung der Ämter und damit verbunden der hohe Einfluss dieser Personen auch in der Verteilung am Esstisch am Hof des Statthalters. Aus einer Aufstellung aus dem Jahr 1737 geht hervor,184 dass in zwei Tafeln unterschieden wurde, nämlich die „Opperhofmeesters of Marschalks Tafel“ und die „Edeluiden Tafel“. An der ersten saßen neben sechs englischen Edeldamen die bereits erwähnte Milady Françoise Herbert, der Oberstallmeister van Aylva, der Oberkammerherr van Burmania, sowie der Oberjägermeister van Hammerstein. Ebenso fanden der Kammerherr Graf von La Leck, die beiden Kammerjunker von der Wache und der Baron Eijben Platz. An der zweiten Tafel saßen nunmehr verschiedene, nicht näher benannte Edelleute, die Leutnants und Fähnriche von der Wache, die Cappellaans, der Unterstallmeister Bartoldi sowie der Arzt Doktor Winter. Deutlich wird die Rolle der Militärs, die aufgrund ihrer Hofämter täglich mit dem Statthalter speisten und ihm somit sehr nahe standen. Da die Ämter des Hofs vor allem von Militärs bekleidet wurden, wird zudem augenscheinlich, dass eine Zugehörigkeit zum Militär und insbesondere als Offizier in einem der beiden Regimenter des Statthalters half, um dem Statthalter möglichst nahe zu kommen und definierte dadurch die hohe gesellschaftliche Position der Offiziere.185 3. Nach dem Tod – Offiziere als Sargbegleiter Als ein Indikator zur Bestimmung der Nähe zum Statthalter kann das Zeremoniell beim Begräbnis genutzt werden. Das Begräbnis eines Fürsten und Landesherrn genoss stets einen hohen Stellenwert in der Öffentlichkeit. Der Tod wurde im Gegensatz zu anderen höfischen Festen dezidiert nach außen getragen.186 Die Militärs nahmen bei der Beisetzung eine besondere Rolle ein. Sie standen dem Leichnam und dem Sarg am nächsten, trugen den Trauerbaldachin und begleiteten die Kutsche, auf welcher der Sarg lag.187 184  Leeuwarden,

Tresoar, SHA, Nr. 42. für Preußen: Winkel, Im Netz, S. 213 f. 186  Allgemein zur Bedeutung der Oranierbegräbnisse, besonders aber bezüglich des Statthalters Friedrich Heinrich im Jahr 1647: Mörke, Olaf: „Stadtholder“ oder „Staetholder“? Die Funktion des Hauses Oranien und seines Hofs in der politischen Kultur der Republik der Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert (NiederlandeStudien 11), Münster 1997, S. 268–289. Ebenso: Janssen, Geert H.: Dynastieke transfer in de Republiek. De politieke en religieuze betekenis van de stadhouderlijke begrafenisstoet, in: BMGN – Low Countries Historical Review 122 (2007), S. 1–25. Für das Beispiel des friesischen Statthalters Wilhelm Friedrich: Stoter, Marlies: ‚Soo Godt belieft, kom ick‘. De begrafenisstoet van Willem Frederik van Nassau-Dietz als spiegel van zijn netwerken, in: Jaarboek Oranje-Nassau 2012, S. 50–67. 187  Mörke, „Stadtholder“, S. 277. Die Repräsentation des Statthalters und seines Hofes spiegelt sich auch in der vorweglaufenden Garde wider (S. 278 f.). 185  Vgl.



XII. Beziehungen zwischen Statthalter und Offizieren243

Nachdem der Generalstatthalter Wilhelm IV. im Jahr 1751 verstorben war, wurde er in der Oranier-Gruft in der Kirche zu Delft beigesetzt.188 Wesentlicher Bestandteil der Zeremonie war ein Leichenzug. Dieser wurde 1754 als Kupferstich publiziert.189 Auf diesem Stich sind die Personen, die den Leichnam auf dem Weg zu seiner letzten Ruhestätte begleiteten, zu erkennen. Der Sarg wurde auf einer Kutsche zur Kirche gebracht, welche von 24 Generalmajoren und 23 Kolonels begleitet wurde. Während die Generalmajore eng an der Kutsche liefen, hielten die Kolonels das „Verhemelte“, also den Baldachin. Dass die Militärs dem Leichnam so nahe standen, war regulärer Bestandteil der Begräbniszeremonie, was sich dadurch begründen lässt, dass die Militärs stets zum engsten Umfeld des Statthalters gehörten.190 Schließlich war der Statthalter durch seinen Rang als KapitänGeneral der höchste Militär in der Republik. Während sich unter den Generalmajoren keine Militärs befanden, die einen Bezug zur Provinz Friesland aufwiesen, waren in der Gruppe der 23 Kolonels sieben Personen, die aus Friesland stammten. Die Provinz Friesland stellte somit ungefähr ein Drittel der niederländischen Kolonels. Es handelte sich dabei um:191 1. Hans Willem van Aylva 2. Jan Andries van Sytzama 3. Van Burmania [unklar welches Familienmitglied] 4. Martinus van Acronius 5. Jan Poppe Æbinga van Humalda 6. R[utger] Tulleken 7. [Hendrik] Muysson

Alle sieben Personen standen in einem direkten Zusammenhang mit der Provinz Friesland, sechs haben nachweislich im Regiment Oranje-Friesland gedient, wobei einige zum Zeitpunkt des Begräbnisses noch immer im Regiment ihren Dienst versahen. Auch wenn ihnen die Ehre, neben dem Sarg zu laufen und den Baldachin zu tragen, qua Amt zugewiesen wurde, werden 188  Siehe auch den Abschnitt: Raak, Cees van: Vorstelijk begraven en gedenken. Funeraire geschiedenis van het huis Oranje-Nassau, Bussum 2003, S. 46 f. 189  Punt, Jan (Drucker)/Cuyck, Pieter Jan van (Zeichner), Lijkstatie van Willem IV, 1752, plaat 27. 190  Mörke, „Stadtholder“, S. 183–199; Stoter, S. 65 sieht am Beispiel des Leichenzugs für den friesischen Statthalter Wilhelm Friedrich, der 1664 starb, vier Netzwerke symbolisiert: das Personal der Hofhaltung, eine große Gruppe Militärs, Mitglieder adeliger Familien und schließlich Familienmitglieder oder Gesandte. Die Einteilung ist generell auffällig, jedoch reduziert die Sicht die Personen lediglich auf ihre gegenwärtige Funktion und fragt somit nicht nach Karriereverläufen, die die Heterogenität der Vertreter unter den Großgruppen aufzeigen würde. Denn gerade die Militärs sind häufig nicht nur in militärischen Funktionen zu finden. 191  Die Namen nach: Het leven, derde Deel, S. 220.

244

E. Die Offiziere im Regiment

Abb. 10: Offiziere begleiten den Sarg des Statthalters Wilhelm IV. (1752)

zwei Zusammenhänge augenscheinlich: Einerseits wird der zu diesem Zeitpunkt noch recht große Einfluss der Provinz Friesland in der Republik in den ersten Jahren der General-Statthalterschaft von Wilhelm IV. abgebildet. Der Statthalter stammte selbst aus der Provinz, weshalb ihm beim Umzug nach Den Haag etliche friesische Vertraute und Beamte in die Stadt und damit in das neue Machtzentrum folgten. Andererseits zeigt es vor allem die militärische Stärke der Provinz, die offensichtlich noch weiterhin etliche Kolonels und damit Anführer der Regimenter stellte. Neben den Kolonels begleiteten auch Gemme Onuphrius van Burmania und Jacques Adriaen Isaac Bigot de Villandry den Leichenzug im Gefolge hinter der Kutsche.192 Darüber hinaus trug der Generalmajor Jetze Edzard van Burmania, der ebenso im statthalterlichen Regiment bis 1738 als Kapitän gedient hatte, das Pennon.193 Bei der Beisetzung von Anna, der Witwe Wilhelms IV., im Jahr 192  Het leven, derde Deel, S. 218, Nr. LXVII und LXIX. Unklar ist, ob die unter LXI erwähnten Pagen Muysson und Drevon die Offiziere aus dem Leibre­ giment sind, während beim Leichenverdeck ebenso ein Muysson erwähnt wird. Siehe dazu den Druck: Punt/Cuyck, plaat 25 (van Burmania) und ebd., plaat 26 (Bigot). Die Pagen werden in der Zeichnung nicht namentlich benannt Punt/Cuyck, plaat 24. 193  Punt/Cuyck, plaat  20; Het leven, derde Deel, S. 213: „Het Pennon ist een kleine Standaart, in een spitze punt of staart uitlopende, die de Veldheeren oudtyds op hunne tenten zetteden, zynde diergelyke Standaarten inzonderheid voor den Jahre 1600 in gebruik geweest.“



XIII. Karriereverläufe im Militär245

1759, fanden sich bei ihrem Leichenzug nur noch die friesischen Generalmajore van Burmania und van Aylva.194 Ein ebensolches Bild ist auch bei der Beisetzung von Maria Louise, Witwe Johann Wilhelm Frisos und Mutter Wilhelms IV., zu erkennen, die 1765 in Leeuwarden stattfand.195 Zwar wurde ihr Sarg von 24 namentlich unbekannten Boten getragen, jedoch sind bei den vier Enden des Leichenkleids friesische Edelmänner zu finden: Binnert Philip Æbinga van Humalda, Duco Martena van Burmania, Jan Andries van Sytzama und schließlich Tjalling Homme van Haersolte. Besonders die letzten beiden sind interessant, weil sie aus dem Militär stammten. Beide hatten im statthalterlichen Regiment gedient, van Haersolte als Major, van Sytzama als KolonelKommandant. Hier spiegelt sich offensichtlich die Wichtigkeit des Militärs wider, wenn von vier Personen zwei aus dem Militär und vor allem aus dem ehemaligen statthalterlichen Leibregiment stammten. Betrachtet man diese Leichenzüge und die höfischen Karriereverläufe unter der Leitfragestellung nach der Distinktion zwischen Militär und Zivilbevölkerung wird deutlich, dass die Militärs durch ihre Posten eine höhere gesellschaftliche Stellung genossen und eine nähere Beziehung zum Statthalter symbolisiert wurde. Der Statthalter und sein Hof waren auf das Militär ausgerichtet, der innere Zirkel und die wichtigen Posten des Hofs waren von Militärs besetzt. Offensichtlich wurden Offiziere aus dem Leibregiment bevorzugt mit hohen Stellen ausgestattet. Die Zugehörigkeit zum Regiment kann somit auch als eine Elitenförderung angesehen werden. Über die Motivation der Statthalter, weshalb diese die Militärs und besonders die Offiziere aus ihrem Regiment bevorzugten, kann nur gemutmaßt werden. Plausibel erscheint, dass die Statthalter um die ausgesprochene Loyalität ihrer Militärs wussten, weshalb sie diese schließlich zu höfischen Amtsträgern benannten.

XIII. Karriereverläufe im Militär Da die Karriere am Hof und vor allem das Bekleiden von hohen Ämtern nur wenigen zu Teil wurde, soll im Folgenden ein Blick auf die üblichen Karriereverläufe im Regiment geworfen werden. Bei der Betrachtung der durchschnittlichen Dienstzeiten fällt auf, dass der Kapitänsdienst keinesfalls eine Lebensanstellung war, beziehungsweise, wenn man die Wechsel in andere Regimenter betrachtet, keine Lebensan194  Het

leven, vierde Deel, S. 207. Rienk/Ferwerda, Abraham, Lijkwagen in de begrafenisstoet van prinses Maria Louise, plaat XI, 1765. 195  Jelgerhuis,

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E. Die Offiziere im Regiment

stellung in einem Regiment bildete. Sicherlich sind dabei auch Ausnahmen festzustellen, so diente beispielsweise Johan van Molenschot 47 Jahre im Statthalterregiment. Offensichtlich waren aber kürzere Dienstzeiten üblicher. Ein Wechsel in ein anderes Regiment fand in der Regel in solchen Fällen statt, wenn ein Kapitän einen hohen Offiziersposten in einem anderen Regiment übernommen hatte. Zwar müssen auch die Sterbefälle mit einbezogen werden, die ein unfreiwilliges Ausscheiden darstellten, jedoch lässt sich bei den meisten Offizieren der Grund für den Abgang aus dem Regiment nicht ersehen. Mit dem Tod sind im Untersuchungszeitraum 26 Kapitäne, also rund ein Drittel, ausgeschieden. Besonders diejenigen scheinen aus dem Regiment abgegangen zu sein, die keinen höheren Offiziersposten erreichen konnten. Die Betrachtung der durchschnittlichen Dienstzeiten ergibt folgende Aufstellung, die Zahlenwerte sind gerundet: Tabelle 8 Dienstzeiten der Kapitäne in Jahren Durchschnittliche Dienstzeit

Kürzeste Dienstzeit

Längste Dienstzeit*

Zeitpunkt /  Hälfte#

Zeitraum 1 (1671–1690)

11

1a

47b

 9

Zeitraum 2 (1691–1710)

11