Das leere Grab als Leerstelle und Lehrstelle: Eine Untersuchung zum Geschichtsbezug der Auferstehung 9783161618741, 9783161624780, 3161618742

Julia Drube untersucht zentrale Aspekte der Diskussion um den Geschichtsbezug der Auferstehung. Im Zentrum steht die Fra

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German Pages [532] Year 2023

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Teil I: Der biblische Befund
I.1 Hinführung
I.2 Die Grableerfindung im Neuen Testament und seinem Umfeld
I.2.1 Markusevangelium
I.2.2 Matthäusevangelium
I.2.3 Lukasevangelium
I.2.4 Johannesevangelium
I.2.5 Weitere neutestamentliche und apokryphe Schriften
a) Apostelgeschichte
b) Die Frage nach der Thematisierung der Grableerfindung durch Paulus
c) Exkurs: Die Adaption der Grableerfindung im apokryphen Petrusevangelium
I.3 Zusammenschau
Teil II: Der systematisch-theologische Befund
II.1 Die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis (Wolfhart Pannenberg)
II.1.1 Historizitäts- und Realitätsimplikationen
II.1.2 Die Erscheinungen des Auferstandenen
II.1.3 Der empirische Zustand des Grabes
II.1.4 Zusammenschau: Die Auferstehung als historisches Ereignis
II.1.5 Kritische Würdigung
II.2 Die Auferstehung aus der Perspektive neuzeitlich-rationalistischer Rationalitäten
II.2.1 Das leere Grab in der Betrugshypothese (Hermann Samuel Reimarus)
II.2.2 Der zunehmende Relevanzverlust der Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung
II.2.3 Die existentiale Auferstehungsdeutung (Rudolf Bultmann)
a) Historizitäts- und Realitätsimplikationen
b) Auferstehungs- und Grableerfindungsdeutung
c) Kritische Würdigung
II.2.4 Der Auferstehungsglaube als Resultat von Schuld- und Trauerbewältigung (Gerd Lüdemann)
a) Auferstehungs- und Grableerfindungsdeutung
b) Kritische Diskussion
II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs
II.3.1 Die Auferstehung als neue Gottestat (Karl Barth)
a) Kritische Anfragen an die existentiale Interpretation der Auferstehung
b) Die Grableerfindung und der Geschichtsbezug von Kreuz und Auferstehung
II.3.2 Die Auferstehung und das Paradigma der Natur (Jürgen Moltmann)
a) Kritische Reflexion des modernen Geschichtsbegriffs
b) Kritik an den Axiomen Ernst Troeltschs
c) Die Neuperspektivierung des modernen Geschichtsbegriffs
d) Die Erweiterung des modernen Geschichtsbegriffs und ihre Folgen für die Deutung der Auferstehung
II.3.3 Die Auferstehung im Spannungsfeld von Zeit und Ewigkeit (Joachim Ringleben)
a) Die Grundkonstitution der Wirklichkeit
b) Auferstehungsdeutung
c) Grableerfindungsdeutung
d) Zusammenschau
II.4 Die These von der notwendigen Verwesung des Leichnams Jesu (Ingolf Dalferth)
II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung
II.5.1 Übergeordnete Argumentationsmuster
a) Die Frage nach den Geschichtsbezügen der Auferstehung
b) Die Verwendung jüdisch-apokalyptischer Deutungshorizonte
II.5.2 Charakteristische Argumentationsstrukturen
a) Das leere Grab und die Beweisbarkeit der Auferstehung
b) Das leere Grab und die Entstehung des Osterglaubens
c) Das leere Grab und die heutige Auferstehungsverkündigung
d) Das leere Grab als ein von potenziellen Geschichtsbezügen unabhängiges Zeichen
II.5.3 Exkurs: Kritische Darstellung zweier Deutungen der Grableerfindung als Zeichen
a) Das leere Grab als Zeichen für die Entrückung Jesu (Elias Bickermann)
b) Die Grableerfindungserzählungen als Adaptionen ägyptischer Mythen (Eugen Drewermann)
c) Zusammenschau
II.6 Zusammenschau
Teil III: Eigene Deutung
III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis
III.1.1 Die naturwissenschaftliche und erkenntnistheoretische Notwendigkeit, Geschichte neu zu denken
III.1.2 Die theologische Notwendigkeit, Geschichte neu zu denken
III.1.3 Die theologische Notwendigkeit, nach Geschichtsbezügen der Auferstehung zu fragen
III.1.4 Zusammenschau
III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu
III.2.1 Methodische und argumentationslogische Vorüberlegungen
III.2.2 Geschichtswissenschaftliche Untersuchung der Grablegung und des Ganges zum Grab
a) Die Grablegung des Leichnams Jesu
b) Der Gang einiger Frauen zur Grabstätte
III.2.3 Geschichtswissenschaftliche Untersuchung der Grableerfindung
a) Die Grableerfindung und die Auferstehungsverkündigung in Jerusalem
b) Die Grableerfindung und die Frauen
c) Die Grableerfindung und die jüdische Polemik
d) Die Grableerfindung und die frühen Christen
e) Die Grableerfindung als narrative Rahmung der Auferstehungsverkündigung
III.2.4 Zusammenschauende Beurteilung des Geschichtsbezuges
III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation
III.3.1 Die Ursache des leeren Zustandes des Grabes
a) Das neutestamentliche Begründungsangebot
b) Die Verbindlichkeit jüdischapokalyptischer Deutungshorizonte
c) Exkurs: Die leibliche Auferstehung und die Unsterblichkeit der Seele
d) Reflexion der neutestamentlichen Begründung des leeren Zustands des Grabes
e) Das leere Grab aus der logisch-analytischen Perspektive
f) Das leere Grab im Gesamtzusammenhang der christlichen Lehre
g) Das leere Grab und seine existentielle Glaubensbedeutung
h) Zusammenschau
III.3.2 Die Bedeutung des leeren Zustandes des Grabes
a) Das leere Grab als hermeneutischer Schlüssel
b) Die Relevanz des empirischen Zustandes des Grabes für den Glauben
c) Der leere Zustand des Grabes als kognitive Bestätigung
d) Die Lebensperspektive begründeter Hoffnung
III.4 Das [leere] Grab Jesu als Leerstelle und Lehrstelle: Chancen und Herausforderungen der Rede vom leeren Grab
Literatur
Hilfsmittel
Internetquellen
Personenregister
Sachregister
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Das leere Grab als Leerstelle und Lehrstelle: Eine Untersuchung zum Geschichtsbezug der Auferstehung
 9783161618741, 9783161624780, 3161618742

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Dogmatik in der Moderne herausgegeben von Christian Danz, Jörg Dierken, Hans-Peter Großhans und Friederike Nüssel

46

Julia Drube

Das leere Grab als Leerstelle und Lehrstelle Eine Untersuchung zum Geschichtsbezug der Auferstehung

Mohr Siebeck

Julia Drube, geboren 1996; 2014−19 Studium der Ev. Theologie und Germanistik an der Universität Kassel; 2019−21 Doktorandin im Fachgebiet der Systematischen Theologie; 2021 Promotion; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ev. Theologie der Universität Kassel. orcid.org/0009-0009-0012-0962

Diese Studie wurde als Dissertation unter dem Titel „Das [leere?] Grab Jesu als Leerstelle und Lehrstelle: Eine Untersuchung der neutestamentlich bezeugten Leerfindung des Grabes Jesu unter besonderer Berücksichtigung der Frage nach ihrem Geschichtsbezug“ im FB 02 Geistes- und Kulturwissenschaften der Universität Kassel als Dissertation eingereicht und in einer Disputation am 11. Mai 2021 verteidigt. ISBN 978-3-16- 161874-1 / eISBN 978-3-16-162478-0 DOI 10.1628/978-3-16-162478-0 ISSN 1869-3962 / eISSN 2569-3913 (Dogmatik in der Moderne) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und dort gebunden. Printed in Germany.

„Jeder Mensch ist noch auf dem Wege, er oder sie selbst zu werden, und doch ist ein jeder schon gegenwärtig irgendwie die Person, die er oder sie im Lichte ihrer eschatologischen Zukunft sein werden.“ Wolfhart Pannenberg, Systematische Theologie III, 650. Für Robert Brandau, der immer an mich geglaubt hat.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Oktober 2020 vom Institut für Evangelische Theologie der Universität Kassel als Dissertation angenommen und im Mai 2021 erfolgreich verteidigt. Für die Drucklegung erfolgte eine geringfügige Überarbeitung unter Aufnahme der Anregungen der Gutachten. Angefertigt wurden diese von Prof. Dr. Tom Kleffmann und Dr. Robert Brandau, deren Ratschläge, Impulse und Anfragen meine Theologie geprägt und bereichert haben und deren Unterstützung mich zutiefst dankbar stimmt. Mein Dank gilt ferner Prof. Dr. Christian Danz, Prof. Dr. Jörg Dierken, Prof. Dr. Hans-Peter Großhans und Prof. Dr. Friederike Nüssel für die Aufnahme meines Buches in die Reihe „Dogmatik in der Moderne“. Dr. Katharina Gutekunst und Markus Kirchner haben mich sodann herzlich im Mohr Siebeck Verlag willkommen geheißen und die Veröffentlichung dieses Buches kompetent betreut. Der Barbara und Alfred Röver-Stiftung danke ich für die Auszeichnung meiner Dissertation mit dem Barbara und Alfred Röver-Stiftungspreis sowie für den hiermit verbundenen Druckkostenzuschuss. Begleitet wurde die skizzierte Reise durch viele Menschen, deren Unterstützung, Wertschätzung und Interesse an meiner Arbeit mich nach wie vor demütig stimmen. Meinen Eltern, Carola und Ralf Drube, danke ich für ihre unerschütterliche Begeisterung und Liebe, die wahrlich der einzige Gottesbeweis ist, den ich jemals brauchte. Bereichert wurde meine Arbeit ferner durch meine Gesprächspartner:innen aus den Instituten für Evangelische und Katholische Theologie der Universität Kassel. Mein Dank gilt hier insbesondere Prof. Dr. Petra Freudenberger-Lötz und Prof. Dr. Paul-Gerhard Klumbies für ihre Wertschätzung und Anerkennung. Ferner danke ich Kristina Bierich-Zipprich, Dr. Carolin M. Altmann, Luki Schade und allen Mitgliedern der „ökumenischen Kaffeerunde“ sowie meinen (ehemaligen) studentischen Hilfskräften Jan-Rickmer Feindt, Laura Schäfer, Ramona Elsner, Nastasia Eichardt, Valentin Stein und Leonie Herborth. Bedanken möchte ich mich darüber hinaus bei meiner Familie und meinen Freunden, die mich über viele Monate mit der Auferstehungshoffnung teilen mussten und mich diese währenddessen mit netten Worten und Taten haben spüren lassen: Pascal Gieselmann, Ansgar Kleinhans, Fabian Grube, Jasmin Schlee, Jennifer May, Priscilla Debes, Moritz Burg, Anja Hübel, Paulin Nikuradse, Shanna Ahlborn, Vanessa Dietz, Melanie Jantzen und Paula-Jess Met-

VIII

Vorwort

auge. Meiner „Schreibgruppe“ danke ich zudem für viele intensive „Co-Working Abende“, die manchmal sogar produktiv waren. Zuletzt bedanken möchte ich mich bei Dr. Florian Schmitz, der meinen (theologischen) Suchbewegungen nach einer Zeit, in der vieles auf die Dissertation zentriert war, mit seinen scharfsichtigen Beobachtungen und Impulsen neue Richtungen gewiesen hat und mich stets daran erinnert, dass und warum die Theologie eine freudige Wissenschaft ist. London, Januar 2023

Julia Drube

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Teil I: Der biblische Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8

I.1 Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8

I.2 Die Grableerfindung im Neuen Testament und seinem Umfeld . . . . . . . I.2.1 Markusevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2.2 Matthäusevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2.3 Lukasevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2.4 Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2.5 Weitere neutestamentliche und apokryphe Schriften . . . . . . . . . . . . . a) Apostelgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Frage nach der Thematisierung der Grableerfindung durch Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Exkurs: Die Adaption der Grableerfindung im apokryphen Petrusevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10 10 17 22 29 35 35

I.3 Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

Teil II: Der systematisch-theologische Befund . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II.1 Die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis (Wolfhart Pannenberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.1 Historizitäts- und Realitätsimplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.2 Die Erscheinungen des Auferstandenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.3 Der empirische Zustand des Grabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.4 Zusammenschau: Die Auferstehung als historisches Ereignis . . . . . II.1.5 Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43 45 50 57 59 62

II.2 Die Auferstehung aus der Perspektive neuzeitlich-rationalistischer Rationalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.1 Das leere Grab in der Betrugshypothese (Hermann Samuel Reimarus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.2 Der zunehmende Relevanzverlust der Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36 39

80 80 84

X

Inhaltsverzeichnis

II.2.3 Die existentiale Auferstehungsdeutung (Rudolf Bultmann) . . . . . . a) Historizitäts- und Realitätsimplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auferstehungs- und Grableerfindungsdeutung . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.4 Der Auferstehungsglaube als Resultat von Schuld- und Trauerbewältigung (Gerd Lüdemann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auferstehungs- und Grableerfindungsdeutung . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.1 Die Auferstehung als neue Gottestat (Karl Barth) . . . . . . . . . . . . . . a) Kritische Anfragen an die existentiale Interpretation der Auferstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Grableerfindung und der Geschichtsbezug von Kreuz und Auferstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.2 Die Auferstehung und das Paradigma der Natur (Jürgen Moltmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kritische Reflexion des modernen Geschichtsbegriffs . . . . . . . . . . b) Kritik an den Axiomen Ernst Troeltschs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Neuperspektivierung des modernen Geschichtsbegriffs . . . . . d) Die Erweiterung des modernen Geschichtsbegriffs und ihre Folgen für die Deutung der Auferstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.3 Die Auferstehung im Spannungsfeld von Zeit und Ewigkeit (Joachim Ringleben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Grundkonstitution der Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auferstehungsdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grableerfindungsdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.4 Die These von der notwendigen Verwesung des Leichnams Jesu (Ingolf Dalferth) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung . . . . . . . . . . . . . . II.5.1 Übergeordnete Argumentationsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Frage nach den Geschichtsbezügen der Auferstehung . . . . . . b) Die Verwendung jüdisch-apokalyptischer Deutungshorizonte . . . II.5.2 Charakteristische Argumentationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das leere Grab und die Beweisbarkeit der Auferstehung . . . . . . . b) Das leere Grab und die Entstehung des Osterglaubens . . . . . . . . . c) Das leere Grab und die heutige Auferstehungsverkündigung . . . . d) Das leere Grab als ein von potenziellen Geschichtsbezügen unabhängiges Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.5.3 Exkurs: Kritische Darstellung zweier Deutungen der Grableerfindung als Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85 86 92 99 107 107 116 128 128 129 132 145 146 150 154 158 163 166 173 180 187 189 203 203 203 207 212 212 215 218 220 223

Inhaltsverzeichnis

a) Das leere Grab als Zeichen für die Entrückung Jesu (Elias Bickermann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Grableerfindungserzählungen als Adaptionen ägyptischer Mythen (Eugen Drewermann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

224 231 236

II.6 Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil III: Eigene Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1.1 Die naturwissenschaftliche und erkenntnistheoretische Notwendigkeit, Geschichte neu zu denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1.2 Die theologische Notwendigkeit, Geschichte neu zu denken . . . . . III.1.3 Die theologische Notwendigkeit, nach Geschichtsbezügen der Auferstehung zu fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1.4 Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249 250 264 271 287

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.2.1 Methodische und argumentationslogische Vorüberlegungen . . . . . III.2.2 Geschichtswissenschaftliche Untersuchung der Grablegung und des Ganges zum Grab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Grablegung des Leichnams Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Gang einiger Frauen zur Grabstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.2.3 Geschichtswissenschaftliche Untersuchung der Grableerfindung a) Die Grableerfindung und die Auferstehungsverkündigung in Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Grableerfindung und die Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Grableerfindung und die jüdische Polemik . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Grableerfindung und die frühen Christen . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Grableerfindung als narrative Rahmung der Auferstehungsverkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.2.4 Zusammenschauende Beurteilung des Geschichtsbezuges . . . . . . .

289 289

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation . . . . . . . . . . . III.3.1 Die Ursache des leeren Zustandes des Grabes . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das neutestamentliche Begründungsangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verbindlichkeit jüdischapokalyptischer Deutungshorizonte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Exkurs: Die leibliche Auferstehung und die Unsterblichkeit der Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Reflexion der neutestamentlichen Begründung des leeren Zustands des Grabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das leere Grab aus der logisch-analytischen Perspektive . . . . . . . f) Das leere Grab im Gesamtzusammenhang der christlichen Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331 333 333

302 302 310 315 315 321 323 325 327 329

362 365 386 386 391

XII

Inhaltsverzeichnis

g) Das leere Grab und seine existentielle Glaubensbedeutung . . . . . h) Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.3.2 Die Bedeutung des leeren Zustandes des Grabes . . . . . . . . . . . . . . . a) Das leere Grab als hermeneutischer Schlüssel . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Relevanz des empirischen Zustandes des Grabes für den Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der leere Zustand des Grabes als kognitive Bestätigung . . . . . . . . d) Die Lebensperspektive begründeter Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . .

405 414 428 430 446 446 453

III.4 Das [leere] Grab Jesu als Leerstelle und Lehrstelle: Chancen und Herausforderungen der Rede vom leeren Grab . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

493

Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

507

Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

507

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

508

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

510

Einleitung „Grab, das [Substantiv, Neutrum]: für die Beerdigung eines Toten ausgehobene Grube“1 „leer [Adjektiv]: nicht mit etwas gefüllt; ohne Inhalt“2

Finden wir uns am Ostersonntag zum Gottesdienst ein, so thematisiert die Predigt nicht selten die Leerfindung des Grabes Jesu durch einige Frauen, die aufbrachen, um die Grabstätte ihres wenige Tage zuvor verstorbenen Herrn aufzusuchen. Je nachdem, welche neutestamentliche Grableerfindungsperikope der Predigt zugrunde liegt, begegnen uns hier Verzweiflung, Angst und Spott, Freude und Erleichterung, Betrug und Intrigen, Hoffnung und Gemeinschaft, Unglaube und Glaube, verschiedene Menschen, Himmelsboten und mitunter sogar der Auferstandene selbst. Die leere Grabstätte als Ort der letzten Ruhe des Menschen Jesus von Nazareth wird somit erfahrbar als Ort der Unsicherheit und der Zweifel, aber eben auch als Ort der Hoffnung, des Neubeginns und der möglichen Begegnung mit der Ewigkeit Gottes. Die facettenreichen Darstellungen der Grableerfindung in den neutestamentlichen Evangelien, welche diese Erfahrungen ermöglichen, sind dabei freilich geprägt durch Sprechformen und Denkhorizonte, die befremdlich anmuten, ihre Rezipienten3 zur Reflexion ihrer Vorannahmen, Wirklichkeitswahrnehmungen und verbreiteter Rationalitäten herausfordern und teilweise sogar als anstößig wahrgenommen werden. Dies gilt für die durch das leere Grab implizierte Vorstellung einer leiblichen Auferstehung im besonderen Maße, da diese die Assoziation der Wiederbelebung des bereits dekompostierenden Leichnams Jesu zu wecken vermag. Viele Theologen führen diese Feststellungen zu dem Schluss, dass die Sprachund Denkformen der Grableerfindungsperikopen sowie die in ihnen dargestellte Leere des Grabes (als Resultat eines Handelns Gottes am Leichnam) für den

1

Dudenredaktion, „Grab“ auf Duden online, Darstellungsteil Bedeutung. Dudenredaktion, „leer“ auf Duden online, Darstellungsteil Bedeutung. 3 Zur erleichterten Lesbarkeit werden personenbezogene Bezeichnungen, welche sich zugleich auf Frauen, Männer und Personen nichtbinärer Geschlechtsidentitäten beziehen, nur im generischen Maskulinum angeführt. 2

2

Einleitung

modernen Menschen nicht länger anknüpfungsfähig seien. Nicht selten begünstigt die Einnahme dieser Diskursposition wiederum eine Abkehr von der Thematisierung der Grableerfindung sowie eine vehemente Betonung der zur Legitimation dieser Abkehr oft herangezogenen Annahmen, dass der Leichnam Jesu zweifellos verwest sein müsse und der neutestamentlich bezeugte leere Zustand seines Grabes ferner in einem Leichendiebstahl, einer Umbettung des Leichnams oder in einer Verwechslung verschiedener Grabstätten zu begründen sei. Vertreter dieser Diskursposition führen zudem an, dass ohnehin kein notwendiger Zusammenhang zwischen der Möglichkeit einer Auferstehung und der Leerwerdung des Grabes des Auferstehenden bestünde4 und dass daher auch denkbar sei, dass es sich bei den Grableerfindungsperikopen lediglich um elaborierte Symbolgeschichten handele5, die den Verkündungsinhalt der Auferstehung, der in den vorfindlichen Engelsbotschaften verankert sei, in ansprechender Weise darstellten. Eine Rückfrage nach dem empirischen Zustand des Grabes beurteilen sie entsprechend als wenig gewinnbringend und ihren Vollzug, ebenso wie ein Festhalten an der Vorstellung einer göttlichen Einwirkung auf Jesu Leib, als Biblizismus, der hinsichtlich der verbreiteten, durch die „neuzeitlich-analytische Rationalität“6 geprägten Weltdeutung nicht (mehr) angemessen sein könne7 und sich daher verbiete. Andere Theologen beurteilen den neutestamentlich bezeugten leeren Zustand der Grabstätte als ein raum-zeitlich verankertes Moment des Auferstehungsgeschehens8, welches notwendig mit diesem einherginge, weshalb ein zweifelsfreier Erweis der Verwesung des Leichnams den Wahrheitsanspruch des Christentums und insbesondere auch den des Auferstehungsglaubens negieren würde.9 Der neutestamentlich dargestellte leere Zustand des Grabes wird im Rahmen derartiger Argumentationen sogar als greifbarer Beweis für die Auferstehung Jesu angeführt, nach dem sich die Adressaten der Auferstehungsverkündigung angesichts ihrer Unglaubwürdigkeit seit jeher sehnen, wie dies bereits anhand der in 1 Kor 1,22–24 angedeuteten Auseinandersetzung Pauli mit einer Gruppe Juden ersichtlich wird, die nach (in der wahrnehmbaren Geschichte auffindbaren) Hinweisen auf ein Handeln Gottes (am Leichnam Jesu) verlangten.10 Im Gegensatz zu den Vertretern der zuvor dargestellten Diskursposition verteidigen die Verfechter dieser Annahmen entsprechend sowohl die Relevanz der 4 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 337, mit Verweis auf Oberlinner, Die Verkündigung, 159–182. 5 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 337, mit Verweis auf Kessler, Sucht den Lebenden, 322–338 u. Rahner, Die Einheit von Geist und Materie, 185–214. 6 Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 7 Vgl. Alkier, Die Realität, 3. 8 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 337, mit Verweis auf Ratzinger, Jesus von Nazareth II, 280 f., Wilckens, Theologie I/2,117–123 u. Pannenberg, Systematische Theologie II, 399–405. 9 Vgl. Alkier, Die Realität, 3. 10 Vgl. Klaiber, Jesu Tod und unser Leben, 98.

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Grableerfindungsperikopen und ihres Gegenstandes als auch die Notwendigkeit einer (geschichtswissenschaftlichen) Rückfrage nach ebendiesem. Als diskursbestimmend erwies und erweist sich gegenüber diesen beiden antagonistischen Diskurspositionen allerdings ein Verständnis des in den Grableerfindungsperikopen dargestellten leeren Grabes als Zeichen der/für die Auferstehung Jesu, das zwar nicht pauschal als irrelevant bezeichnet werden könne, dessen Relevanz allerdings auch nicht überzubetonen sei, da eine Grableerfindung nicht notwendig zur Entstehung eines Auferstehungsglauben führe und aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit auch nicht als Beweis für eine Auferstehung gelten könne. Hervorgehoben wird hier wiederholt, dass die den Grableerfindungsperikopen zuzuschreibende Bedeutsamkeit von einem möglicherweise existierenden Geschichtsbezug ihres Gegenstandes unabhängig sei, was die fortschreitende Relativierung der Relevanz einer (geschichtswissenschaftlichen) Rückfrage nach dem empirischen Zustand des Grabes begünstigt, die im Auferstehungsdiskurs vermehrt als belanglos wahrgenommen wird. Bereits an dieser ersten Annäherung an einige Diskurspositionen wird ersichtlich, dass eine enge Verknüpfung des Grableerfindungsdiskurses mit anderen Strängen des Auferstehungsdiskurses, wie etwa mit dem der Leiblichkeit des Auferstehungsdaseins, im besonderen Maße aber mit dem des Geschichtsbezuges der Auferstehungsereignisse, besteht, da die Beurteilung der Relevanz der Grableerfindungsperikopen eng mit den Beurteilungen der Fragen nach dem Geschichtsbezug ihres Gegenstandes und nach dessen Relevanz zusammenhängt. Umgekehrt wird die Beurteilung der Notwendigkeit einer (geschichtswissenschaftlichen) Rückfrage nach dem empirischen Zustand des Grabes durch die grundlegenden Ansichten geprägt, die die Theologen in Bezug auf die Geltung, die Intention und die Relevanz der Grableerfindungsperikopen vertreten. Nicht wenige Stellungnahmen zeugen so von Versuchen, den Grableerfindungsperikopen eine Relevanz zu- oder abzusprechen, die oft damit zu begründen versucht wird, dass jene sich (nicht) auf Ereignisse der (mit empirischen Mitteln untersuchbaren) Geschichte bezögen. Hervorgehoben wird auch, dass und inwiefern die Bedeutsamkeit der Grableerfindungsperikopen vom Vorliegen oder Fehlen eines Geschichtsbezuges ihrer Gegenstände (un)abhängig sei. Der Grableerfindungsdiskurs tangiert ferner elementare systematisch-theologische Fragen, wie die nach dem Wesen und der Möglichkeit eines Handelns Gottes in der Geschichte, die Frage nach einer näheren Charakterisierung der Auferstehungsereignisse, die sich aus der Zuschreibung oder Aberkennung ihres Geschichtsbezuges ergeben würde, die grundsätzliche Frage nach der Abhängigkeit der Bedeutsamkeit eines Ereignisses von seinem Geschichtsbezug und letztlich die Frage nach dem Verhältnis von geschöpflicher Zeit und göttlicher Ewigkeit. Darüber hinaus zwingt eine Auseinandersetzung mit der Grableerfindung zu eingehenden Reflexionen verbreiteter Verständnisse und Definitionsversuche des Menschen und seiner Konstitution sowie seiner sich im Prozess seines Lebens permanent verändernden Leiblichkeit, deren eschatologische Verwandlung die Grableerfindungsperikopen andeuten. Dass eine derartige Reflexion eine hohe

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lebensweltliche Relevanz aufweist und dass ihr Vollzug einem verbreiteten menschlichen Bedürfnis entspricht, zeigt sich in der öffentlichen Thematisierung der menschlichen Leiblichkeit. Diese äußert sich nicht nur anhand der breiten medialen Bewerbung von Fitness- und Anti-Aging-Produkten11, welche von einer Verdrängung12, Leugnung und sogar Bekämpfung der konstitutiven Vergänglichkeit der Leiblichkeit zeugt, sondern auch in den individuellen Gestaltungen, Modifikationen und (vermeintlichen) Optimierungen13 der eigenen Leiblichkeit, die Menschen im Laufe ihres Lebens mehr oder weniger ausgeprägt vornehmen. Des Weiteren tangiert eine Reflexion der menschlichen Konstitution und insbesondere auch ihrer leiblichen Verfasstheit gesamtgesellschaftlich relevante ethische Diskurse, wie etwa die drängenden Fragen nach einem angemessenen Umgang mit dem eigenen und fremden Altern, nach der Pflegebedürftigkeit14 sowie nach der Legitimation und Beurteilung von Organspenden, Sterbehilfe und Abtreibungen. Die im Auferstehungsdiskurs nicht selten in Zweifel gezogene Legitimation einer Auseinandersetzung mit den Grableerfindungserzählungen erwächst allerdings nicht nur aus den angesprochenen Lebensweltbezügen und/oder aus den angedeuteten Verflechtungen des Grableerfindungsdiskurses mit weiteren Strängen des Auferstehungsdiskurses, sondern bereits daraus, dass sich die Grableerfindungsperikopen dezidiert auf das postmortale Geschick des Menschen beziehen, auf das sich das Interesse der meisten Menschen angesichts der Unabwendbarkeit ihres eigenes Todes zweifellos richtet.15 Vor dem Hintergrund dieser Verflechtung der Grableerfindungserzählungen mit elementaren Dimensionen des christlichen Glaubens und des menschlichen Lebens als solchem erwächst die Motivation dieses Buches, die neutestamentlichen Grableerfindungserzählungen entgegen verbreiteter Tendenzen innerhalb des Auferstehungsdiskurses zu thematisieren und sie daraufhin zu untersuchen, ob und inwiefern sie ebendiesen Diskurs bereichern und dem Verständnis, der Artikulation und der Vermittlung des christlichen Glaubens sowie seiner Auferstehungshoffnung dienlich sein können.16

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Vgl. Ebach u. Gutmann, Zur Einführung, 7. Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 181. 13 Vgl. ebd. u. Meyer-Drawe, Protokolle, 24. 14 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 181. 15 Vgl. Stiewe u. Vouga, Bedeutung und Deutung des Todes Jesu, 255, Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 1 f. u. Greshake u. Kremer, Zur Einführung, 2. 16 Die Reflexion konkreter Gegenstände der neutestamentlichen Bezeugungen – hier der Grableerfindung – hinsichtlich ihres Potenziales in Bezug auf die Artikulation des christlichen Glaubens ist insbesondere aufgrund der gegenwärtigen Säkularisierungsprozesse sowie aufgrund der in unserer Gesellschaft gleichzeitig vorhandenen Pluralität und Vermischung unterschiedlicher Religionen und spiritueller Strömungen von Relevanz, da diese Prozesse und Tendenzen – wie noch zu zeigen sein wird – zu einer fortschreitenden Unsicherheit und einem Sprachverlust hinsichtlich der Kerninhalte des christlichen Glaubens führen. 12

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Die nachfolgenden Erkenntnisbemühungen richten sich entsprechend auf die Beantwortung der Fragen, ob und inwiefern die Rede von dem leeren Grab und die durch sie ausgedrückten Vorstellungen tatsächlich als überholte Sprechweisen verstanden werden müssen, die für den modernen Menschen nicht (länger) anschlussfähig sind, oder ob und inwiefern sie einen Beitrag zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Sprachfähigkeit der christlichen Theologie leisten können. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auch hier auf die Fragen nach dem Geschichtsbezug der Grableerfindung und nach dessen Relevanz zu legen sein.17 Der Versuch der Beantwortung dieser Fragen erfolgt in einer dreiteiligen Argumentation, die den Anspruch erhebt, sich ihnen aus mehreren Perspektiven und auf verschiedenen Ebenen der menschlichen Wirklichkeitswahrnehmung und -erschließung anzunähern. An die einführende Darstellung der Grableerfindungsperikopen der vier neutestamentlichen Evangelien sowie einer Nachzeichnung der Frage nach der Thematisierung der Grableerfindung in der Apostelgeschichte, durch Paulus und in einem exemplarisch hinzugezogenen apokryphen Text im ersten Teil dieses Buches schließt sich im zweiten Teil eine Darlegung verschiedener systematischtheologischer Konzeptionen an. Aufgrund der zugrundeliegenden These, dass die Grableerfindungsdeutungen verschiedener Theologen massiv durch ihre Historizitäts- und Realitätsimplikationen geprägt werden, erfolgt die Darstellung dieser Konzeptionen nicht in einer chronologischen, am Erscheinungsjahr der Darstellungen orientierten Anordnung, sondern in Abhängigkeit von den ihnen

17 Um der Komplexität dieses Gegenstandes und Anspruchs gerecht zu werden, distanziert sich dieses Buch im Folgenden von einer pauschalen Verwendung der Begriffe des Geschichtsbezuges oder der Historizität, wie sie im Auferstehungsdiskurs vermehrt vorfindlich ist, ohne dass die jeweiligen Verfasser explizit darstellen, was sie unter diesen Begriffen verstehen und ob es sich bei ihnen ihres Erachtens beispielsweise um objektive Eigenschaften handelt oder um Zuschreibungen, die von der Beobachterperspektive abhängig sind und etwa im Glauben verifiziert werden könnten. Stattdessen wird angestrebt, in der Darstellung von Fremdmeinungen möglichst präzise zu erläutern, welches Verständnis der Begriffe die Verfasser voraussetzen und was sie generell unter der Kategorie der Geschichte verstehen. Auch in der Darstellung eigener Denkansätze wird angestrebt, möglichst präzise zu artikulieren, auf welche Dimensionen der geschichtlich verfassten Wirklichkeit die jeweiligen Erwägungen sich beziehen. Konzeptionell wird dabei von einem (im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen eingehender erläuterten) Verständnis der Kategorie der Geschichte als einer deutenden Reflexion ausgegangen, welche ihrer eigenen Gegenwart hinsichtlich der Darstellung der thematisierten Gegenstände oft stärker verpflichtet ist, als dies im allgemeinen Bewusstsein verankert ist (vgl. Schmitz, Wahre Geschichte[n], 130), wohingegen das vorausgesetzte theologische Geschichtsverständnis maßgeblich durch die Neuperspektivierungen moderner Geschichtsbegriffe durch Karl Barth, Jürgen Moltmann und Joachim Ringleben geprägt ist, die im zweiten Teil eingehender thematisiert werden. Sofern der Begriff des Geschichtsbezuges in einer nicht näher konkretisierten Weise vorfindlich ist, zielt er auf die Beschreibung einer nicht eingehender charakterisierten Verankerung eines Ereignisses in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte ab, ohne dass durch diese Bezeichnung spezifische Aussagen über die Ermittelbarkeit dieser Verankerung getroffen wären.

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zugrundeliegenden Implikationen. Durch diese Strukturierung wird die erhebliche Prägung der Argumentationsstrukturen und inhaltlichen Rückschlüsse durch die besagten Implikationen gezeigt und es kann eine grundsätzliche Einsicht darüber gewonnen werden, unter welchen Bedingungen die Grableerfindungsperikopen und ihr Gegenstand tendenziell (nicht) für relevant gehalten werden. Im Zentrum der Darstellungen der verschiedenen Konzeptionen stehen somit die Tendenzen und Denklinien, welche in ihnen zum Ausdruck kommen und auch den gegenwärtigen Auferstehungsdiskurs mehr oder weniger offensichtlich prägen. Exemplarisch erfolgt dabei eine Fokussierung auf die Beeinflussung der jeweiligen Deutungen durch die Geschichtsverständnisse ihrer Verfasser; so werden eingangs einige Perspektiven namhafter Theologen dargestellt, welche voraussetzen, dass nur solche Ereignisse als geschichtlich oder historisch bezeichnet werden können, die anhand geschichtswissenschaftlicher Maßstäbe mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als solche ausweisbar sind, woraufhin einige Konzeptionen reflektiert werden, die eine Neuinterpretation der Kategorien des geschichtlichen Ereignisses und der Geschichte vornehmen. An diese Darstellungen schließt sich zum Abschluss des zweiten Teils eine eingehendere Konkretisierung der angedeuteten Tendenz innerhalb des Auferstehungsdiskurses an, die Relevanz einer potenziellen Grableerfindung sowie einer (geschichtswissenschaftlichen) Rückfrage zu relativieren und sie, so wie sie in den Grableerfindungserzählungen bezeugt ist, als Zeichen der/für die Auferstehung zu deuten. Im dritten und abschließenden Teil erfolgt dann der Versuch einer eigenständigen Untersuchung der Grableerfindung sowie ihrer Relevanz in Bezug auf den systematisch-theologischen Auferstehungsdiskurs und den christlichen Glauben, welche an den drei bekannten Fragen Kants „Was kann ich wissen? […,] Was soll ich tun? […,] Was darf ich hoffen?“18 orientiert ist. Auch hier erfolgt zunächst eine Erläuterung der vorausgesetzten Historizitätsund Realitätsimplikationen sowie eine Begründung des methodischen Vorgehens, ehe die nachfolgende Untersuchung und die aus ihr zu gewinnenden Erkenntnisse in mehreren Argumentationsgängen dargestellt werden. Diese Argumentationsgänge sind durch das Bestreben gekennzeichnet, sich den zu beantwortenden Fragen aus verschiedenen Perspektiven anzunähern, wenngleich dies, ebenso wie die gesamten Erkenntnisbemühungen dieses Buches, in dem Bewusstsein erfolgt, dass die menschliche Wahrnehmung stets perspektivisch gebrochen, unvollständig und weltanschaulich geprägt ist. Pauschalisierungen, Verallgemeinerungen, anmaßende Beurteilungen dessen, wie die Auferstehungsereignisse abgelaufen sein müssen, und der Anspruch darauf, allgemein- und letztgültige Ergebnisse präsentieren zu können, verbieten sich angesichts dieser Erkenntnis sowie angesichts des thematisierten Untersuchungsgegenstandes der unverfügbaren Auferstehungsereignisse. Diese mahnen zu Bescheidenheit und Demut, wenngleich dies innerhalb des Auferstehungsdiskurses und gegenüber seinem

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Moltmann, Der Weg, 265.

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kontroversen, die Geister scheidenden Gegenstand19 oft vergessen zu werden scheint. Die vorliegenden Darstellungen schließen mit einer letzten Zusammenschau, welche sowohl darauf abzielt, die gewonnenen Erkenntnisse darzustellen, als auch einen Ausblick auf die Konsequenzen wagt, die sich im Blick auf den systematisch-theologischen Auferstehungsdiskurs und insbesondere auch hinsichtlich der Artikulation, Reflexion und Vermittlung des christlichen Glaubens und seiner Auferstehungshoffnung ergeben. Im Fokus steht dabei nicht nur die Vermittlung konkreter kognitiver Erkenntnisse, sondern stets auch die Reflexion und Artikulation der christlichen Auferstehungshoffnung, welche im Diskurs – wie zu zeigen ist – nicht selten unterbestimmt bleibt und maßgeblich zur Abfassung dieses Buches motivierte.

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Vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 99.

Teil I

Der biblische Befund „Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat.“1

I.1 Hinführung „In den Evangelien ist die Grabesgeschichte unter den so schwankend überlieferten Ostererscheinungen die einzige Konstante.“2

Die Grableerfindungserzählungen zählen neben den bedeutend früher entstandenen Bekenntnisformeln3 und den Osterpredigten4 zu der in dreifacher Form vorliegenden Überlieferungsgestalt der Osterereignisse.5 Exegetischen Erwägungen zufolge beruhen sie auf einer frühen Überlieferungstradition, in der die Leidens-, Grablegungs- und Leerfindungsgeschichten zusammengefasst waren und die parallel zur Trias der Elemente gestorben, begraben und am dritten Tage auferweckt aus 1 Kor 15,3 f. verbreitet wurde.6 Die älteste literarische Ausformung dieser Erzählungen ist höchstwahrscheinlich auf die Jerusalemer Urgemeinde zurückzuführen und liegt in Markus 16,1–8 vor7, wohingegen die Erzählungen des Matthäus-, Lukas- und Johannesevangeliums spätere Überlieferungsstadien darstellen und die markinische Vorlage beziehungsweise, im Falle des Johannesevangeliums, gegebenenfalls eine der markinischen Vorlage verwandte Darstellung voraussetzen.8 Die erkennbaren Parallelen zwischen den Grableerfindungserzählungen des Johannesevangeliums

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Mt 28,6 (Luther 2017). Alle biblischen Zitate folgen der revidierten Lutherübersetzung. Schwartz, Osterbetrachtungen, 1 ff., zitiert nach Nauck, Die Bedeutung, 264. 3 Vgl. Roloff, Neues Testament, 255 f. Zu diesen Bekenntnisformeln zählen etwa Röm 10,9 und 1 Kor 15, 3–5. 4 Vgl. Apg 2,14–36. 5 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 142. 6 Vgl. Hengel, Jesus und die Evangelien, 37. 7 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 336. 8 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 500. 2

I.1 Hinführung

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und denen der synoptischen Evangelien9 deuten zudem auf eine Einflussnahme mündlicher Überlieferungsformen hin.10 Matthäus, Lukas und Johannes adaptierten die ursprüngliche Tradition und gestalteten sie den eigenen theologischen und literarischen Intentionen entsprechend und mit Blick auf ihre jeweiligen Adressatengruppen um11, wobei tendenziell zu beobachten ist, dass ihre Texterzeugnisse zunehmend als Glaubenszeugnisse fungierten.12 Ihnen gemein ist eine realistische Wahrnehmung der Grableerfindungstradition, welche sie gegenüber polemischen Anfeindungen verteidigen13, sowie die Kombination der Grabestradition mit den von ihr vorerst unabhängigen Erscheinungsberichten.14 Außerdem verarbeiten sie Motive, die darauf abzielen, theologische Herausforderungen und Unstimmigkeiten der markinischen Urform zu beheben.15 Da die Erzählungen der Evangelisten sich im Rahmen dieser Prozesse sehr unterschiedlich entwickelten, erscheint es schwierig, ein annähernd homogenes Gesamtbild der geschilderten Ereignisse zu gewinnen16, wenngleich die Perikopen um die Grableerfindung gewisse synoptische Parallelen aufweisen, die die übrigen Ostererzählungen vermissen lassen.17 Worin diese Parallelen bestehen und wie die einzelnen Evangelisten ihre Erzählungen darüber hinaus individuell ausgestalteten, wird im Folgenden dargestellt, um einen Überblick über den Textbefund zu ermöglichen, der den Untersuchungen dieses Buches zugrunde liegt.

9 Die Grableerfindungsperikopen des Johannesevangeliums weisen so mitunter inhaltliche und auch wörtliche Ähnlichkeiten und Parallelen zu den Darstellungen des Lukas und des Matthäus auf (Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 178). 10 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 500, vgl. auch Lüdemann, Die Auferweckung, 27. 11 Vgl. Kremer, Die Osterbotschaft der vier Evangelien, 134. 12 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 336. 13 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 500. 14 Vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 423. Durch die Kombination der Grableerfindungserzählungen mit den Darstellungen der Erscheinungen des Auferstandenen gelang es den Evangelisten, die in den Leerfindungserzählungen anhand der Engelsbotschaften gegebene christliche Deutung der leer vorgefundenen Grabstätte als Indiz für die Auferstehung Jesu durch die Bezeugungen der Erscheinungen zu bestätigen (Hoffmann, Auferstehung II/I, 500). 15 Vgl. Roloff, Neues Testament, 257. 16 Vgl. Klaiber, Jesu Tod und unser Leben, 21. 17 Vgl. Roloff, Neues Testament, 256.

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Teil I: Der biblische Befund

I.2 Die Grableerfindung im Neuen Testament und seinem Umfeld I.2.1 Markusevangelium „Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“18

Die Perikope Mk 16,1–8 des um 70 n. Chr. verfassten Markusevangeliums gilt als die älteste Erzählung vom leeren Grab19, deren Grundelemente sich in individuell ausgestalteter Form auch in den weiteren Evangelien finden. Sie bezieht sich auf die Aussagen der in Mk 15,40 erwähnten Frauen aus Galiläa, welche nach der Hinrichtung Jesu im Gegensatz zu seinen Jüngern nicht flohen, sondern in Jerusalem blieben. Folglich endet die Perikope abrupt mit Mk 16,8, da an dieser Stelle der seit mindestens Mk 15,21 verfolgte Überlieferungsstrang abbricht, der ausschließlich an ihren Ausführungen orientiert war.20 In der Perikope wird von einem allwissenden Erzähler21 berichtet, dass jene drei Galiläerinnen sich am ersten Tag nach dem Sabbat sehr früh auf den Weg zum Grab begaben, in dem Jesus durch Joseph von Arimatäa bestattet worden war22, um seinen Leichnam zu salben, wobei der morgendliche Sonnenaufgang im Kontrast zur Sonnenfinsternis steht, von der im Zusammenhang mit dem Sterben Jesu berichtet wurde.23 Dabei erinnerten sich die Frauen daran, dass die Grabstätte, wie in Mk 15,46 geschildert, durch einen großen Rollstein verschlossen worden war. Der erzähllogisch erst einmal nicht einleuchtende Hinweis auf die Unzugänglichkeit des Grabes24 ruft Verwirrung hervor, da die Hörer oder Leser sich unwillkürlich fragen, wie die Frauen das nicht unbedeutende Problem, dass das Grab ihnen unzugänglich gemacht worden war, unberücksichtigt lassen konnten, als sie die Salbung planten. Denkbar ist hier, dass Markus durch das Einfügen des Gesprächs der Frauen ein geltendes Gesetz der Römer thematisieren wollte, welches auf den Erhalt der Unversehrtheit von Gräbern abzielte und konkret besagte, dass sämtliche Veränderungen an bestehenden Grabstätten, wie etwa das Fortbewegen von Steinen und Zierelementen, als strafrechtlich verfolgte Sakrilege galten. In besonderem Maße galt dies für die Fortbewegung der die Grabstätten verschließenden Steine (Tymborchia), welche als ein todeswürdiges und entsprechend auch mit dem Tode bestraftes Verbrechen angesehen wurde.25 Durch die prägnante Darstellung des Gesprächs der Frauen konnte Markus angesichts dieser Gesetzeslage zeigen,

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Mk 16,6. Vgl. Lindemann, Auferstehung, 36 f. 20 Vgl. Holtzmann, Das leere Grab, 79 f. 21 Vgl. Becker, Die Auferstehung Jesu, 21. 22 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 43. 23 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 15. 24 Vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 475. 25 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 151, mit Verweis auf Rader, Grab und Herrschaft, 42. 19

I.2 Die Grableerfindung im Neuen Testament und seinem Umfeld

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dass sie selbst das Grab definitiv nicht zu öffnen vermochten und sich des thematisierten Verbrechens somit nicht schuldig machten.26 Dies bestätigt auch der folgende Vers, der davon zeugt, dass der Verschlussstein bereits fortgerollt worden war, als die Frauen am Grab ankamen. Wider Erwarten und ohne jedes eigene Zutun war ihnen die Grabstätte somit zugänglich. Dieses Türöffnungswunder wird hier, im Gegensatz zu seinen späteren Adaptionen, allerdings nicht positiv hervorgehoben, sondern weist eine lediglich expositionelle Funktion auf27 und ist im Rahmen des markinischen Erzählzusammenhangs somit nicht überzubetonen.28

26 Gisela Kittel versteht die Erwähnung des Verschlusssteins im Zusammenhang mit der durch ihn ausgedrückten Unzugänglichkeit der Grabstätte als einen über sich selbst hinausdeutenden Hinweis auf das unzugängliche Totenreich, das als „Urgrab“ (Barth, Die Errettung, 88, zitiert nach Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 466) durch jedes Einzelgrab repräsentiert werde (vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 475, mit Verweis auf Jes 14,15 und Ps 88,7). Die Betonung der Größe des Verschlusssteins, die impliziere, dass er durch menschliche (Körper)kraft nicht zu bewegen gewesen wäre, korrespondiere in diesem Zusammenhang sinnbildlich mit dem Umstand, dass auch „die Schranke des Todes“ (Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 475), die der Stein als Verschluss der (das Todesreich symbolisierenden) Grabstätte repräsentiere, allein durch menschliche Kraft nicht überwunden werden könne, weshalb für ihre Überwindung – ebenso wie für das Wegwälzen des Steins – die Hilfe Gottes gebraucht wurde (vgl. ebd.). Bestätigt sieht die Theologin diese Deutung durch weitere biblische Darstellungen, in welchen ähnliche Motiviken vorliegen und in denen der Zusammenhang zwischen dem Begrabenwerden und dem Eintreten in das (durch ebendieses versinnbildlichte) Totenreich ersichtlich werde. Als Beispiele führt sie das Eintreten des reichen Mannes ins Totenreich nach seinem Begrabenwerden in Lk 16,22 f. oder das Jonagleichnis aus Mt 12,40 an (vgl. a.a.O., 469), welches Jesu „Aufenthalt im Totenreich“ (ebd.) als ein drei Tage andauerndes „Verweilen Jesu im ,Herz der Erde‘“ (ebd.) bezeichne. Zudem verweist sie unter Bezugnahme auf die Ansätze Grimms auf die Erzählung um Daniel und die Löwengrube, welche eine ähnliche Motivik wie die Grableerfindungserzählungen aufweise, da der Charakter Daniel in dieser in eine mit einem Stein verschlossene und darüber hinaus zusätzlich versiegelte Löwengrube geworfen wurde, was an Jesu Grablegung und die in der matthäischen Grableerfindungserzählung thematisierte Sicherung seines Grabes erinnere. Ferner wurde in der Frühe des nächsten Tages festgestellt, dass Daniel die Nacht in der Löwengrube durch die Hilfe eines Engels unversehrt überstehen konnte, woraufhin er die Grube verlassen durfte, was ebenfalls an die Motivik der Grableerfindungserzählungen erinnere (vgl. a.a.O., 475). Anhand dieser Parallelen werde ersichtlich, dass die in der Danielserzählung vorliegenden Motive (in Entsprechung zur kittelschen Deutung als „kleines ,Totenreich‘“ [Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik, 53, zitiert nach Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 446]) als Metaphern für den Tod verstanden werden müssen, welche Daniels Aufenthalt in der Löwengrube und sein unbeschadetes Verlassen ebendieser im Sinne eines Eintretens in den Herrschaftsbereich der Scheol sowie einer anschließenden Rettung aus ebendiesem darstellen (vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 475). 27 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 498. 28 Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 180.

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Teil I: Der biblische Befund

Die Frauen betraten sodann die Grabstätte und begegneten einem jungen Mann29, bei dem es sich um einen Engel handelte.30 Dieser eröffnet die (im kompositorischen Zentrum der Perikope stehende31) Kommunikation mit den Frauen, indem er den Schrecken thematisiert, der sich bei ihnen eingestellt hat, und sie auffordert, sich nicht zu entsetzen.32 Die hier zur Beschreibung der Furcht der Frauen verwendete Verbform im Aorist Passiv lässt vermuten, dass es sich um ein punktuelles „Von-Angst-erfüllt-Werden“ der Frauen33 aufgrund der beängstigenden und gänzlich unerwarteten Situation handelt, wohingegen der anschließende Tempuswechsel in das Präsens die Intention des Engels zeigt, die Frauen dazu zu ermutigen, sich grundsätzlich nicht mehr zu ängstigen.34 Daraufhin verkündete der Engel ihnen die Auferweckung Christi, aufgrund derer dessen Leichnam nicht länger vorfindlich sei35, wodurch den möglichen Deutungen der Frauen, wie beispielsweise der eines Leichendiebstahls, die einzig angemessene und treffende Interpretation des Geschehens offenbart wird.36 Die innertextuelle Denkrichtung deutet hier an, dass das leere Grab von der Auferstehung als dem primären Gegenstand der Offenbarung her zu denken ist; nicht aber, dass die Frauen umgekehrt aufgrund des leeren Grabes darauf schlossen, dass Jesus auferweckt wurde.37 Die gewählte Reihenfolge der von dem Engel in seiner Auferstehungsverkündigung verwendeten Wörter dient zudem der prägnanten Darstellung des Lebens und Wirkens Jesu38 und der sich daran anschließenden Auferstehung. Durch die Verwendung des Verbes ηÆ γε ρθη, welches die Auferstehung im passivum divinum anspricht39, wird zudem ersichtlich, dass Mar-

29 Lindemann hebt die Anwesenheit der Person in der Grabstätte hervor und zeigt, dass aufgrund dieser eigentlich gerade nicht von dem leeren Grab gesprochen werden könne, zumal ein solches die Frauen im Gegensatz zur Fragen aufwerfenden Anwesenheit des Mannes vermutlich ohnehin zu dem Schluss geführt hätte, dass der Leichnam Jesu entwendet worden sei (vgl. Lindemann, Auferstehung, 66 f.). 30 Becker zeigt, dass die von Markus dargestellte Anglophanie traditionellen Gestaltungskonventionen folge, zu denen die in der Darstellung vorliegende Zweiteilung in das (aus der Perspektive der Frauen geschilderte) Epiphanieerlebnis und in die Weitergabe der (durch die Engelsbotschaft zuteilgewordenen, unverfügbaren) Offenbarung zählen (vgl. Becker, Die Auferstehung, 22). 31 Vgl. ebd. 32 Vgl. Klumbies, Jesus im Markusevangelium, 10. 33 Vgl. Alkier, Die Realität, 88. 34 Vgl. ebd. 35 Die durch den Engel hervorgebrachte, explizite Aufforderung dazu, die Stelle in Augenschein zu nehmen, an der der Leichnam des Herrn lag, könne nach Ansicht Schilles darauf hinweisen, dass in der frühchristlichen Urgemeinde das Grab Jesu kultisch verehrt wurde (Nauck, Die Bedeutung, 261), worauf in Anmerkung 129 noch einmal explizit eingegangen wird. 36 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 136. 37 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 23. 38 Vgl. Klumbies, Jesus im Markusevangelium, 10. 39 Vgl. Alkier, Die Realität, 88.

I.2 Die Grableerfindung im Neuen Testament und seinem Umfeld

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kus Gott als das im Auferstehungsgeschehen aktiv wirkende Subjekt verstand, das den Gekreuzigten auferweckte.40 Des Weiteren erhielten die Frauen von dem Engel den Auftrag, den Jüngern zu verkündigen, dass der Herr ihnen nach Galiläa – und somit in ihre Heimat – vorausgehe, wo er sich ihnen zeigen werde.41 Klumbies versteht dies als eine „Biographisierung des Ostergeschehens“42 und als Verknüpfung der erzählten Welt mit der Welt der Hörer und Leser der Erzählung43; weist Markus gerade diesen doch einen Weg hinaus aus der erzählten Welt mit ihrer leeren Grabstätte und hinein in ihre Lebenswelt, indem ihnen nun genau dort, in ihrer Heimat, eine Begegnung mit ihrem Herrn verhießen wird.44 Die Frauen reagierten auf diese Vorkommnisse und entgegen der Anweisungen des Engels jedoch mit Furcht und Schweigen, den beiden in der Gesamtkomposition des Evangeliums45 am häufigsten vorkommenden Reaktionen auf ein

40 Vgl. Klumbies, Jesus im Markusevangelium, 10. Alkier weist zudem darauf hin, dass es sich bei der Bezeichnung Christi als dem Gekreuzigten um ein im Perfekt stehendes mediopassives Partizip handelt, das die beschriebenen Kreuzes- und Auferstehungsereignisse als Geschehnisse charakterisiert, die sich in der Vergangenheit ereignet haben, obschon ihre Auswirkungen in die Gegenwart hineinragen. Es fällt auf, dass sowohl Jesu Kreuzigung als auch seine Auferstehung sich in seiner Beschreibung wiederfinden und somit als elementare Aspekte seiner Identität hervorgehoben werden (vgl. Alkier, Die Realität, 88). 41 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 13. Das für das verhießene Sehen des Herrn verwendete Wort οÍ ψεσθε, das dem in den Versen 4b und 15,40 verwendeten Gebrauch von θεωρουÄ σιν gegenübersteht, zeigt, dass der beschriebene Sehprozess – im Gegensatz zu dem in den angesprochenen Versen – nicht auf das Erblicken von empirisch als solche zu erfassender Wirklichkeit abzielt, sondern auf die Schau einer göttlichen Offenbarung (Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 476). 42 Klumbies, Jesus im Markusevangelium, 11. 43 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 148. 44 Vgl. Klumbies, Jesus im Markusevangelium, 11. Klumbies erläutert, dass Markus die Leser mit seinem Verweis auf das Vorausgehen des Herrn nach Galiläa in eine Art Lesekreislauf einweise, da nach Galiläa gehen für sie bedeute, die in der Evangelienschrift dargestellten und von Galiläa ausgehenden Ereignisse erneut von Beginn an lesend nachzuvollziehen (vgl. ebd.). Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass im Mythos, als den Klumbies die Grableerfindungsperikope des Markusevangeliums versteht, der Beginn und das Ende stets untrennbar miteinander verknüpft sind, weshalb es schlüssig sei, ausgehend vom Ende des Evangeliums wieder zum Anfang des Gesamtwerkes zurückzublicken und Jesu Weg durch eine erneute Lektüre zu begleiten (vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 148 f.). Da das Evangelium auf diese Weise zum Ort der möglichen Begegnung mit dem Auferstandenen werde, suchen ihn jene, die im leeren Grab nach ihm Ausschau halten, folglich – wie anhand der Frauen in der Erzählung ersichtlich wird – an falscher Stelle (vgl. a.a.O., 150). 45 Das hier zum Ausdruck der Furchtergriffenheit verwendete Verb findet bei Markus so auch dann Verwendung, wenn er die Furchtergriffenheit der Menschen angesichts der Tempelreinigung durch Jesus darstellt (vgl. Alkier, Die Realität, 101 f., siehe Mk 16,8 [NestleAland 2012]: ΚαιÁ εÆ ξελθουÄ σαι εÍ ϕυγον αÆ ποÁ τουÄ μνημει ου, ειËχεν γαÁ ρ αυÆ ταÁ ς τρο μος καιÁ εÍ κστασις· καιÁ ουÆ δενιÁ ουÆ δεÁν ειËπαν· εÆ ϕοβουÄ ντο γα ρ. und Mk 11,18 [Nestle-Aland, 2012]: ΚαιÁ ηÍ κουσαν οιë αÆ ρχιερειÄς καιÁ οιë γραμματειÄς καιÁ εÆ ζη τουν πω Ä ς αυÆ τοÁ ν αÆ πολε σωσιν· εÆ ϕοβουÄ ντο γαÁ ρ αυÆ το ν, παÄ ς γαÁ ρ οë οÍ χλος εÆ ξεπλη σσετο εÆ πιÁ τηÄì διδαχηÄì αυÆ τουÄ .).

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Teil I: Der biblische Befund

Zusammentreffen mit dem Göttlichen.46 Dieses Schweigen erweist sich in Bezug auf die Erzähllogik als Paradoxon, da sich hier unweigerlich die Frage stellt, wie der Erzähler um die Grableerfindung wissen und sie gar darstellen kann, wenn doch die Frauen angeblich niemandem von ihr berichteten.47 Schließt man aus dieser Sachlage, dass die Frauen ihr Schweigen zu einem späteren Zeitpunkt nun doch gebrochen haben und somit den (zur Entstehung der Erzählung des Markus führenden) Überlieferungsprozess initiierten, stellt sich hingegen die Frage, aus welchem Grund der Evangelist diesen Umstand nicht artikulierte, sondern seine Darstellungen ausgerechnet mit einer falschen Aussage beendete.48 Diese Logiklücken scheinen für Markus jedoch von nur sekundärer Bedeutung gewesen zu sein, da er mit der Betonung des Schweigens vielfältige Wirkungsabsichten verfolgt haben könnte. So spiegelt sich im Schweigen beispielsweise wider, dass die Frauen in der markinischen Grabeserzählung die Position

46 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 185. Klumbies zeigt, dass das Motiv des Schreckens der Frauen in der gesamten markinischen Grableerfindungserzählung angelegt sei. Bereits die sorgenreichen Gedanken der Frauen während ihres Ganges zum Grab und der Verweis auf die enorme Größe des unerklärlicherweise hinfort gewälzten Verschlusssteins wirken so auf die Leser der Erzählung besorgniserregend und verwiesen auf das in der Erzählung angelegte Schreckensmotiv, welches in der gesamten Szene vorfindlich sei und seinen Höhepunkt im achten Vers finde. Im starken Kontrast dazu stehen die einleitenden Darstellungen des bereits auf den neu anbrechenden Tag hindeutenden, in Stille vergehenden Sabbats und der auf den Herrn gerichteten, pietätvollen Bestrebungen der Frauen, die eine spürbar ruhige Atmosphäre erzeugen, welche durch die anschließenden Ausführungen eine umso deutlichere Erschütterung erfährt (vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 151 f.). Interessant ist hier, dass neben diesem Schreckensmotiv und seiner Inszenierung – wie Kittel treffend zeigt – auch eine konsequente Betonung der siegreichen Überwindung des Todes vorliegt, die anhand vieler Motive dargestellt wird. Zu diesen zählt neben dem des dritten Tages das der zweifach betonten morgendlichen Frühe und des Sonnenaufgangs, bei dem die Frauen zur Grabstätte aufbrachen. Diese Betonung entspricht der im altorientalischen Verständnis und auch innerhalb biblischer Schriften oft vorliegenden Einsicht, dass sich das heilvolle Eingreifen Gottes stets in der Morgenfrühe ereigne, wie im Psalm 30,6b ersichtlich wird. Während die Frauen sich am leeren Grab aufgrund des Todes ihres Herrn noch als machtlos wahrnehmen und sich fürchten, ist die Sonne des neuen Tages über ihnen bereits aufgegangen, welche das heilsame Handeln Gottes am Verstorbenen versinnbildlicht (vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 474). 47 Vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 429. Vor dem Hintergrund dieser Lücke in der Erzähllogik, die durch die erklärungsbedürftige Darstellung des Schweigens erzeugt wird, scheinen Deutungen im Stile Fischers zu kurz zu greifen, die dieses als Ausdruck dessen versteht, dass die Frauen von dem ihnen zuteilwerdenden, endzeitlichen Geschehen ergriffen wurden (vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 50). Als weitere Beispiele für derartig unbefriedigende Deutungen können die Ansätze Lintons oder Lightfoots verstanden werden. Linton versteht das Schweigen als Hinweis auf eine die Frauen ergreifende Scheue, welche in ihrem Schweigen gipfele (vgl. Nauck, Die Bedeutung, 251). Lightfoot interpretiert den Verweis auf das Schweigen hingegen als Zeichen des Unverständnisses und der Unfähigkeit des Menschen angesichts Gottes und seines Wirkens (vgl. Lightfoot, The Gospel Message of St. Mark, 92, eigene Übersetzung anhand der Zitation durch Nauck, Die Bedeutung, 251). 48 Klumbies, Weg vom Grab, 147.

I.2 Die Grableerfindung im Neuen Testament und seinem Umfeld

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der geflohenen Jünger einnahmen, deren Unverständnis auch durch das Geschehen am leeren Grab nicht überwunden wurde.49 Dass die Frauen sich der Aufforderung zum Zeugnis zuerst widersetzten, entspricht ferner e contrario dem missachteten Schweigegebot, das in den vorherigen Perikopen an die Jünger erging, sodass für die markinische Grableerfindungserzählung festgehalten werden kann, dass auch sie, der Gesamtkomposition des Evangeliums entsprechend, mit dem in ihm konstruierten Messiasgeheimnis verknüpft wurde.50 Darüber hinaus wird das Schweigen in dieser Komposition auch als eine apologetisch motivierte Ergänzung51 beurteilt, die dazu dienen sollte, die Unabhängigkeit der Entstehung des Glaubens der Jünger (als Resultat der ihnen zuteilgewordenen Erscheinungen) von der Grableerfindung zu verdeutlichen.52 Klumbies interpretiert das Verhalten der Frauen zudem als appellativen „Ausdruck einer ,Rhetorik des Schweigens‘“53, der – so zeigt auch Alkier – darauf abziele, dass die Leser andere Schlüsse aus der ihnen zuteilwerdenden Auferstehungsbotschaft ziehen, als die Frauen in der Erzählung dies taten54, und ihrem Verhalten sogar widersprechen55, indem sie nicht schweigen, sondern die Auferstehung verkünden.56 Angesichts dessen, dass davon auszugehen ist, dass die 49 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 500. Nichtsdestotrotz scheint die Bewertung und Darstellung der Frauen insgesamt positiv auszufallen, da ihre Treue darin ersichtlich gemacht wird, dass sie nicht fortliefen, als ihr Herr verhaftet wurde, und sie ihre Verbindung zu Jesus im Gegensatz zu Petrus nicht bestritten, sondern ihn im Gegenteil sogar bis zu seinem Tod begleiteten, den sie ebenso wie die anschließende Grablegung beobachteten (vgl. Lindemann, Auferstehung, 64). 50 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 500. 51 Vgl. a.a.O., 497 f. Theißen und Merz begründen die Darstellung des Schweigens in einer apologetischen Intention des Verfassers, die darauf abziele, verständlich zu machen, aus welchem Grund „man so lange nicht vom leeren Grab wusste“ (Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 438, siehe auch Nauck, Die Bedeutung, 251). Dass der Umstand, dass die vorliegende, älteste schriftliche Darstellung der Grableerfindung erst verhältnismäßig spät entstand, von ihnen mit einer prinzipiellen und verbreiteten Unbekanntheit einer möglichen Grableerfindung gleichgesetzt wird, ist jedoch methodisch und auch argumentationslogisch fraglich und wird noch zu thematisieren sein. Nauck verweist zudem auf die Möglichkeit, dass Markus darauf hinweisen wollte, dass er sich selbst darüber im Klaren gewesen sei, dass die Grableerfindung die Auferstehung Jesu keineswegs beweise und auch keinen Glauben an die Auferstehung erwecke, sondern per se lediglich Furcht und Verwirrung hervorrufe, die erst durch den Auferstandenen und seine Selbstoffenbarung aufgelöst werden konnten (vgl. Nauck, Die Bedeutung, 251 f.). 52 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 497 f., siehe auch Nauck, Die Bedeutung, 251. 53 Klumbies, Weg vom Grab, 148. 54 Vgl. Alkier, Die Realität, 87. 55 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 148. 56 Alkier unterstreicht in diesem Zusammenhang ferner, dass die Erzählung den Lesern suggeriere, dass die der Auferstehungsbotschaft gebührliche Reaktion kein furchtergriffenes Ausharren sei. Ganz im Gegenteil sollen sie dazu animiert werden, selbst tätig zu werden und die frohe Botschaft zu verkündigen. Die Frauen fungieren somit als Negativbeispiele, anhand derer die Rezipienten vor ihrem je eigenen Unverständnis gewarnt werden (vgl. Alkier, Die Realität, 89).

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Teil I: Der biblische Befund

Rezipienten der Erzählung mit diesen Motiven vertraut gewesen sein dürften und sich durch die Verwendung des Schweigemotivs so zahlreiche darstellerische Möglichkeiten ergaben, wird nachvollziehbar, weshalb Markus es ungeachtet der auftretenden Schwierigkeiten im Zuge der Komposition seines Evangeliums verwendete.57 Charakteristisch für die gesamte Erzählung ist die enorm ausgeprägte Handlungsdichte; so wird beispielsweise darauf verzichtet, den Handlungsort oder die Protagonisten durch Detaillierungen eingehender zu beschreiben.58 Als Szenerie fungiert hauptsächlich das leere Grab, über das auf Grundlage der vorangegangenen Erzählungen lediglich gesagt werden kann, dass es sich um ein Felsengrab handelt, welches durch einen gigantischen Stein unzugänglich gemacht wurde.59 Der Fokus der Erzählung liegt auf der Begegnung der Frauen mit dem Engel, wobei dem Applikationspotenzial der Erzählung ein besonderer Stellenwert zukommt, da sich die Antworten auf die für die Leser relevanten Fragen nach dem Auferweckten und seinem Aufenthaltsort aus der gehörten beziehungsweise gelesenen Erzählung erschließen.60 Dabei verweist die Erzählung anhand der Botschaft des Engels vorwärts auf die angekündigte Erscheinung des Auferstandenen in Galiläa und zugleich zurück auf die in der Vergangenheit geschehene Auferstehung, wobei gerade diese beiden Ereignisse nicht eigens von Markus dargestellt werden. Die Grableerfindungserzählung befindet sich somit in der Gesamtkonzeption des Evangeliums zwischen den nicht dargestellten „Ereignissen“ der Auferstehung Christi und seiner Erscheinungen61, was meines Erachtens – wie auch Thomas zeigt – in treffender Weise den Umstand abbildet, dass auch für die ersten Christen, denen der Auferstandene sich und seine neue Wirklichkeit nicht selbst offenbarte, erst einmal lediglich „der gezielte Abbruch der alten Schöpfung“62 erkennbar gewesen ist, wie wir ihn hier anhand der Grableerfindung untersuchen. Dass dieser Umstand – entsprechend des im dritten Teil näher ausgeführten Charakteristikums des leeren Grabes als ein Ärgernis – für viele Menschen nur schwer zu ertragen war63 und ist, zeigt sich in dem sekundär ergänzten Schluss des Markusevangeliums sowie in den Adaptionen durch Matthäus und Lukas, welche auf ein gewisses Bedürfnis dessen hinweisen, die (die Auferstehung erst einmal nur indirekt bezeugenden) Widerfahrnisse der Frauen am leeren Grab um eine Selbstbezeugung des Auferstandenen zu ergänzen.64

57

Vgl. Becker, Die Auferstehung, 13. Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 195. 59 Vgl. a.a.O., 187. 60 Vgl. a.a.O., 195. 61 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 201. 62 A.a.O., 201 f. 63 Vgl. Alkier, Die Realität, 86. 64 Becker, Die Auferstehung, 8. 58

I.2 Die Grableerfindung im Neuen Testament und seinem Umfeld

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I.2.2 Matthäusevangelium „Darum befiehl, dass man das Grab bewache bis zum dritten Tag, damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und zum Volk sagen: Er ist auferstanden von den Toten, und der letzte Betrug ärger wird als der erste.“65

Die Grabeserzählung des Matthäus in Mt 27,62–66 und 28, 1–8 zeichnet sich durch die Erweiterung der markinischen Vorlage um die Thematisierung der Grabwache und des hohepriesterlichen Betruges aus66, anhand derer das Matthäusevangelium als einziges der neutestamentlichen Evangelienschriften den zu seiner Abfassungszeit geläufigen Vorwurf aufgreift, die Jünger hätten die Leiche Jesu aus seiner Grabstätte entwendet.67 Seinen Schilderungen der Grableerfindung stellt Matthäus so, neben der Erläuterung des Begräbnisses, einen Hinweis auf getroffene Maßnahmen zur Sicherung der Grabstätte voran.68 Während seine Darstellung des Begräbnisses des Leichnams Jesu in dem zuvor ungenutzten Felsengrab des Joseph von Arimatäa69 an die markinische Vorlage erinnert70, fügt der Evangelist darüber hinaus hinzu, dass zwei Frauen nach dem Begräbnis in der Nähe des Grabes verweilten71, um bis zum Beginn des Sabbat ihre Wehklagen abzuhalten.72 Seine Ausführungen setzen im Gegensatz zur markinischen Vorlage dann nicht wieder bei ihrem (sich an den Sabbat anschließenden) Grabesbesuch an, sondern wurden um die Perikope der Sicherung des Grabes ergänzt.73 Während – wie auch bei Markus – die Frauen der „Logik des Todes“74 folgend auf Wehklagen und Bestattungsriten fokussiert blieben, gedachten ironischerweise ausgerechnet die Widersacher Jesu im Matthäusevangelium der Auferweckungsankündigung und suchten aus diesem Grund Pilatus auf, um eine dreitägige Bewachung des Grabes zu erbitten, die verhindern sollte, dass die Anhänger Jesu seinen Leichnam entwenden und daraufhin proklamieren, dass sich die Prophezeiung um die Auferstehung Jesu erfüllt habe.75 Die ironische Überzeichnung der Darstellung ist hier deutlich; so 65

Mt 27, 64. Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 502. 67 Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 48, siehe auch Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 173 f. 68 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 33. 69 Vgl. Braun, Das Zeugnis, 334. 70 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 33. 71 Braun bezeichnet den Umstand, dass die Frauen in der matthäischen Version in der Nähe des Grabes verweilen, auch nachdem Joseph von Arimatäa die Grabstätte bereits verlassen hat, als Ehrerweis gegenüber ihrem verstorbenen Herrn (vgl. Braun, Das Zeugnis, 334). 72 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 33. 73 Vgl. ebd. 74 Alkier, Die Realität, 215. 75 Vgl. ebd. u. Kremer, Osterbotschaft, 34. 66

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Teil I: Der biblische Befund

fürchten die Bittenden, die zuvor selbst noch nach Falschaussagen gesucht haben, um Jesus hinrichten zu lassen, einen Betrug und sprechen Pilatus an Christi statt mit κυ ριε an.76 Ihrem Ersuchen wurde stattgegeben, woraufhin das Grab in zweifacher Weise, durch eigens für diese Aufgabe abgeordnete Soldaten77 und durch eine bestimmte Versiegelung, gesichert wurde, die an die Sicherung der Löwengrube in Dtn 6,18 erinnert78. Auf diese Perikope folgt auch bei Matthäus die Erzählung um den Gang zum Grab, welche größtenteils an die Darstellungen des Markus angelehnt ist, jedoch einige Veränderungen enthält, die für die matthäische Redaktion charakteristisch sind.79 Auffällig ist so etwa die zweifache Zeitangabe, die wahrscheinlich den Spätabend des Sabbat bezeichnet, welcher den Beginn des ersten Wochentages markiert.80 Auch weicht die Begründung des Ganges zum Grab von der im Markusevangelium angeführten Salbungsabsicht ab81; so seien die Frauen hier nun zum Grab gegangen, um die Grabstätte zu sehen, was darin begründet liegen könne, dass sie (dem jüdischen Brauchtum folgend) beabsichtigten, ihre Totenklage an das Ende des Sabbats anschließend fortzuführen. Vereinzelt wird ihre Motivation auch dahingehend gedeutet, dass sie damit gerechnet hätten, dass am Grab Jesu etwas Besonderes passieren werde oder sich bereits ereignet habe.82 Im zweiten Vers erfolgt daraufhin eine Schilderung der Ankunft der Frauen am Grab sowie seiner außergewöhnlichen Öffnung.83 Im Vollzug ebendieser habe 76 Vgl. Alkier, Die Realität, 116 f. Alkier bezeichnet die matthäische Darstellung des hohepriesterlichen Betruges aufgrund der genannten Aspekte passenderweise als „eine Meisterleistung ironischer Inszenierung“ (a.a.O., 116 f.). 77 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 34 f. Kremer charakterisiert die zur Wache abgeordneten Soldaten mit Verweis auf Apg 12,4 eingehender als Gruppe von Männern, welche (sich gegenseitig ablösend) in Vierergruppen mit der Bewachung der Grabstätte beauftragt waren (vgl. ebd.). 78 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 34. 79 Vgl. a.a.O., 32. 80 Vgl. a.a.O., 36. 81 Dass die in der markinischen Version vorfindliche Salbungsabsicht von Matthäus nicht übernommen wurde, kann in der von Roloff herausgestellten Intention des Evangelisten begründet liegen, den durch die Urform hervorgerufenen Rückfragen zu begegnen (vgl. Roloff, Neues Testament, 257), da die Plausibilität der Salbungsabsicht bis hinein in die moderne Untersuchung der Perikope kritisch betrachtet und negativ beurteilt wird. Fischer, der diese Auffassung teilt, führt den von Roloff dargestellten Gedanken fort, indem er zeigt, dass durch die Auslassung der problematischen Salbungsabsicht auch die in der markinischen Version vorliegende Unstimmigkeit aufgelöst werde, dass den Frauen auf ihrem Weg zur Grabstätte plötzlich und nur wenig plausibel bewusst wird, dass diese durch einen Stein verschlossen ist, den sie gegebenenfalls gar nicht eigenständig wegwälzen können. Dieses Problem wird in der matthäischen Version insofern aufgelöst, als dass die Frauen hier lediglich beabsichtigen, die Grabstätte anzusehen, was ihre Öffnung nicht mehr erforderlich macht (Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 47). Verwiesen sei an dieser Stelle auf Kapitel III.2.2, welches sich ebenfalls mit der Frage nach der Plausibilität der Salbungsabsicht befasst. 82 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 36, mit Verweis auf Mt 28,1. 83 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 156.

I.2 Die Grableerfindung im Neuen Testament und seinem Umfeld

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sich so ein enormes Erdbeben ereignet, wie es bereits im Zusammenhang mit dem Tod Jesu in Mt 27,51 beschrieben wird84 und als Motiv in biblischen Texten oft im Kontext von Theophanien Erwähnung findet.85 An dieser Stelle scheint es durch das Herabsteigen eines (in seiner lichterscheinungsartigen Gestalt sehr eindrücklich dargestellten) Engels86 begründet zu sein, der den Stein wegrollte und sich darauf niederließ.87 Thomas deutet diese Darstellung in nachvollziehbarer Weise als eine amplifizierte „narrative Beschreibung des Nichtbeschreibbaren“88, da die Inszenierungen des scheinbar zufälligen Aufeinandertreffens der Frauen mit dem Engel entgegen der bei den Lesern erweckten Erwartung, dass der Engel den Stein hinfortwälzen wird, um den Vorgang der Auferstehung zu präsentieren, diesen Zweck gerade nicht verfolgt.89 Vielmehr wird ersichtlich, dass in der matthäischen Version der Erzählung sogar die durch himmlische Mächte vollbrachte Grabesöffnung nicht mehr schnell genug erfolgt, um die Auferstehung sichtbar zu machen, da es sich bei dieser um eine göttliche Schöpfungstat ohne jede menschliche Beteiligung und ohne jeden menschlichen – sei es auch noch so passiven – Einbezug gehandelt hat.90 Die römischen Wächter gerieten angesichts dieses Geschehens in eine todesartige Starre91 und wurden so in ihrer Wächterfunktion durch den Engel abgelöst.92 Entgegen der markinischen Vorlage wird die Furcht als Reaktion auf die Anglophanie hier also nicht den Frauen zugeschrieben, sondern den Wachen.93 Wie auch im Markusevangelium verkündet der Engel den Frauen die Auferstehung Christi, wobei die Akzentuierung der Aussage jedoch abweicht, da bei Markus die Auferweckungsbotschaft nicht als Schlussfolgerung aus der Grableerfindung erwächst, sondern die Nichtauffindbarkeit des Leichnams als Folge der Auferweckung gedacht wird.94 Im Matthäusevangelium wird der Satz 84

Vgl. Fössel, Offenbare Auferstehung, 594. Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 36, siehe auch Ex 19,18. 86 Vgl. Alkier, Die Realität, 117. 87 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 36. 88 Thomas, „Er ist nicht hier!“, 202. Das Nichtbeschreibbare meint hier die Auferweckung Jesu durch Gott. 89 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 202. 90 Vgl. Thomas, a.a.O., 202 f. Thomas führt diese Argumentation weiter, indem er erläutert, dass die Grableerfindungserzählung als Radikalisierung von Ex 33,12–23 verstanden werden könne (vgl. a.a.O., 203), wo Mose analog zu den Frauen am leeren Grab als „nichts sehender Zeuge der vorübergehenden Herrlichkeit Gottes“ (ebd.) dargestellt werde, der dem nicht unmittelbar sichtbaren göttlichen Geschehen hinterherschauen durfte, wie auch die Frauen dem herrlichen, göttlichen Wirken an der Grabstätte hinterherblicken (vgl. ebd.). 91 Vgl. Alkier, Die Realität, 215 f. 92 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 36. Diese Vorstellung der Ablösung der Wächterfunktion der Soldaten durch den Engel erfüllt auch eine in Bezug auf die innere Logik der Erzählung zutiefst pragmatische Funktion, indem sie verständlich macht, wie es möglich sein konnte, dass es den Frauen gelang, sich der Grabstätte trotz ihrer erheblichen Bewachung zu nähern (vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 49). 93 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 156. 94 Vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 462, mit Verweis auf Rudolf Pesch (explizit: 85

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Teil I: Der biblische Befund

des Engels hingegen umgedreht, sodass die Nichtauffindbarkeit zwar ein Ergebnis der Auferweckung ist, ihr allerdings syntaktisch vorausgeht95 und so als Voraussetzung und inhaltliche Mitte der Auferstehungsbezeugung ausgewiesen wird.96 Des Weiteren fordert der Engel die Frauen dazu auf, die leere Grabstätte zu begutachten, die als Zeichen der Auferstehung zu fungieren scheint.97 Die gesamte Interaktion des Engels mit den Frauen zeigt dabei, dass der Leib des Auferstandenen das Grab verlassen haben muss, bevor der Verschlussstein entfernt wurde.98 Der Auferstandene ist also ganz im Gegensatz zum verbreiteten Fehlkonzept nicht als eine Art reanimierter Leichnam99 zu denken, der hinsichtlich des Verlassens des Grabes darauf angewiesen gewesen wäre, dass der Stein zuvor für ihn entfernt worden wäre.100 Vielmehr ist anzunehmen, dass er durch seine Auferstehung derart transformiert wurde, dass er den „Grenzen empirischer Faktizität“101 nicht länger unterliegt. Es scheint folglich so, als habe der Engel das Grab in der Erzählung lediglich deshalb geöffnet, um ersichtlich zu machen, dass der Leichnam nicht länger dort vorfindlich war.102 Wie schon in der markinischen Grableerfindungserzählung erhalten die Frauen im Anschluss an dieses Geschehen auch hier einen Übermittlungsauftrag, der jedoch in der matthäischen Version nicht vorrangig auf die Ankündigung des Umstandes abzielt, dass Jesus den Jüngern nach Galiläa vorausgeht, sondern darauf, die Kunde von der Auferstehung zu verbreiten. Auf diese Weise ersetzte Matthäus den soteriologischen Fokus der markinischen Version durch eine eher christologische Ausrichtung, indem er Christus ins Zentrum (des Übermittlungs-

Pesch, Das Markusevangelium II), vgl. auch Klumbies, Weg vom Grab, 146. Klumbies unterstreicht diesen Zusammenhang mit Hinweis auf das im griechischen Text vorfindliche, nachgestellte γα ρ, welches verdeutliche, dass die Auferstehungsaussage im Blick auf Jesu Verschwinden aus seiner Grabstätte eine begründende Funktion einnehme (Klumbies, Weg vom Grab, 156). 95 Vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 462, vgl. auch Klumbies, Weg vom Grab, 156. 96 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 156. 97 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 38. 98 Vgl. Alkier, Die Realität, 117. Diese Interaktion des Engels mit den Frauen, die durch das Entfernen des Verschlusssteins in der Ermöglichung der Erkenntnis besteht, dass der auferstandene Herr die Grabstätte bereits vor der Hinfortwälzung des Verschlusssteins verlassen konnte, entspricht dem Inhalt der Engelsbotschaft, welche ebenfalls auf die Verlassenheit der Grabstätte fokussiert ist (Klumbies, Weg vom Grab, 156 f.). Dies wiederum zeugt nach Ansicht Klumbies’ von der (auch am Beispiel der Hinrichtungsszene ersichtlichen) Intention des Matthäus, dem Handlungsschauplatz eine erkennbare Bedeutung beizumessen und auf diese Weise die außerordentliche Bedeutung Jesu und der geschilderten Widerfahrnisse durch die Hervorhebung und Ausgestaltung der außergewöhnlichen äußeren Umstände zu betonen (vgl. a.a.O.,156 f.). 99 Vgl. Alkier, Die Realität, 117. 100 Vgl. ebd. 101 Ebd. 102 Vgl. ebd.

I.2 Die Grableerfindung im Neuen Testament und seinem Umfeld

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auftrages) stellt, der als der Auferstandene in all seiner Außergewöhnlichkeit verkündigt werden soll.103 Die Frauen reagierten auf die Geschehnisse mit Furcht aber eben auch mit einer großen, ebendiese einschränkenden Freude104 und verließen die Grabstätte mit dem Ziel, den Jüngern von den Ereignissen zu berichten.105 Im Gegensatz zur markinischen Version leisten sie ihrem Verkündigungsauftrag somit unmittelbar Folge, was nicht nur dazu beiträgt, das Wissen der Jünger um die Grableerfindung verständlich zu machen106, sondern auch zu einer positiveren Darstellung der Frauen führt.107 An diese Perikope schließt sich die Erzählung vom Betrug der Hohepriester an, die damit einsetzt, dass die Wachsoldaten, die die Grabstätte Jesu bewachen sollten, den Hohepriestern berichteten, was sich dort zugetragen hat. Diese beschlossen daraufhin, die Soldaten zu bestechen, damit sie verbreiten, dass die Jünger den Leichnam gestohlen hätten, während sie selbst schliefen. Da die Soldaten einwilligten und ihre Anweisungen entsprechend befolgten, entstand – wie Matthäus erläutert – ein Gerücht um den Diebstahl des Leichnams durch die Jünger, welches noch zur Abfassungszeit der vorliegenden Erzählung bestehe.108 Hier fällt auf, dass die Darstellung des Betrugs der Hohepriester von Matthäus nicht in emotionalisierender, wertender Weise vollzogen wird, sondern geradezu unbeteiligt und versachlicht wirkt, was den Eindruck erweckt, dass dem Evangelisten lediglich daran gelegen sei, als sachlich über den Betrug Informierender wahrgenommen zu werden.109 Durch seine Narration verdeutlicht er zudem, dass die Grableerfindung per se nicht als Beweis für die Auferstehung Jesu dienen kann, da sie prinzipiell vieldeutig ist: Während die Wachsoldaten anhand des leer vorgefundenen Grabes die Osterbotschaft durch die Rede vom Leichenraub zu entkräften versuchen, dienen den Frauen ihre Erlebnisse am leeren Grab als Grundlage ihrer Auferstehungsverkündigungen.110 Eine derartige Darstellung zollt dem Umstand Respekt, dass der Glaube an die Auferstehung nie unangefochten ist und ein Vertrauen darauf

103

Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 157. Vgl. a.a.O., 158. Klumbies erläutert, dass diese Einschränkung des markinischen Furchtmotives durch Matthäus darin ersichtlich werde, dass dieser aus seiner Erzählung das Wort εÍ ϕυγον entfernte, wodurch die Reaktionen der Frauen von den Rezipienten als weniger panisch wahrgenommen werden. Darüber hinaus distanzierte sich Matthäus von dem (eine starke emotionale Beteiligung implizierenden) Gebrauch der Wendung τρο μος καιÁ εÍ κστασις und nutzte stattdessen das gemäßigter erscheinende Wort ϕο βος (vgl. ebd.). 105 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 39. 106 Vgl. Roloff, Neues Testament, 257. 107 Auch Braun hebt die positive Darstellung der Frauen hervor, indem sie sie als „Garantinnen für die Wahrheit der Auferstehung“ (Braun, Das Zeugnis, 336) bezeichnet, die bereits zuvor den Tod und auch die Bestattung Jesu bezeugten (vgl. ebd.). 108 Vgl. Mt 28,11–15. 109 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 228. 110 Vgl. ebd. 104

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Teil I: Der biblische Befund

herausfordert, dass nicht die Wachen, sondern die Frauen im Recht waren111, wenngleich auch verdeutlicht wird, dass die Rede vom Leichendiebstahl aus den anmaßenden und unvernünftigen Versuchen der Gegner Jesu resultierte, seine Verkündigung zu unterbinden und zu verunglimpfen.112 Betrachtet man die dargestellten Aspekte, so wird im Blick auf die Grableerfindungserzählungen ersichtlich, dass es Matthäus – ähnlich wie Lukas – ein Anliegen war, den sich in der Rezeption ergebenden Herausforderungen und Rückfragen zur markinischen Version zu begegnen113 und zu dem dargestellten Leichendiebstahlsvorwurf der jüdischen Polemik Stellung zu beziehen.114 Die Erzählung dient insgesamt allerdings nicht nur der Abwehr dieses Vorwurfs oder der Verdeutlichung der Vieldeutigkeit eines leeren Grabes, sondern zeigt auch, dass dieses, ebenso wie die Anglophanie, den Auferstehungsglauben nun gerade nicht mit einer „Macht des Faktischen“115 erweckt. Sowohl der Hohe Rat als auch die römischen Wachleute entschieden sich so mit voller Absicht nicht für die Verbreitung der Wahrheit, sondern für die eigens konstruierte Lüge. Die Auferstehung als solche wird somit nicht als ein für jedermann objektiv feststellbares Faktum dargestellt, sondern als eine Tat Gottes, die Raum für Zweifel und Unsicherheiten lässt116 und diesen sogar eröffnet.

I.2.3 Lukasevangelium „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden.“117

Auch das Lukasevangelium enthält in Lk 24,1–12 eine von der beschriebenen Perikope aus dem Markusevangelium abhängige118 Darstellung der Entdeckung des leeren Grabes, welche an die Schilderung des Begräbnisses Jesu durch Joseph von Arimatäa in einem zuvor noch gänzlich unbenutzten Felsgrab119 anschließt, das von den mit Jesus aus Galiläa gekommenen Frauen beobachtetet wurde.120 Lukas berichtet in Entsprechung zu der markinischen Vorlage, dass die Frauen am ersten Wochentag in der Frühe121 zur Grabstätte aufbrachen, um Jesu Leich111

Vgl. a.a.O., 229. Vgl. Braun, Das Zeugnis, 338 u. Kremer, Osterbotschaft, 45. 113 Vgl. Roloff, Neues Testament, 257. 114 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 502. 115 Alkier, Die Realität, 118. 116 Vgl. a.a.O., 118 f. 117 Lk 24,5–6. 118 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 503. 119 Vgl. Braun, Das Zeugnis, 335. 120 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 55. 121 Klumbies gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass mit der Erwähnung der Frühe der in der markinischen Version vermittelte Eindruck revidiert werde, dass die in Mk 15,42 hereinbrechende Nacht letztlich erst in Mk 16,1.2 ende und der zwischenzeitlich zu verortende Sabbat sich somit im Dunkeln abspielte (vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 162). 112

I.2 Die Grableerfindung im Neuen Testament und seinem Umfeld

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nam zu salben.122 Zu beobachten ist hier, dass der Verfasser die in der markinischen Vorlage vorfindliche Zeitangabe umstellt, indem er die Phrase „am ersten Tag der Woche“123 im Sinne einer chronologisch-geradlinig konstruierten Zeitabfolge am Satzanfang platziert, wodurch gemäß des Stils des Lukasevangeliums eine Distanz zum markinischen, an mythologischen Ordnungssystemen orientierten Strukturierungsprinzip erzeugt wird.124 Ein weiterer Unterschied zur markinischen Vorlage sowie zur matthäischen Adaption besteht in der Darstellung der Öffnung beziehungsweise des GeöffnetSeins des Grabes, da sich der markinische, von Sorge bestimmte Austausch der Frauen in Bezug auf die zu bewältigende Öffnung des Grabes in der lukanischen Version nicht wiederfindet und auch die von Matthäus herausgearbeiteten außergewöhnlichen Umstände der Grabesöffnung in der Version des Lukas keine Erwähnung finden. Ganz im Gegenteil wurde das Offensein des Grabes durch die Erwähnung, dass die Frauen bei ihrer Ankunft den Verschlussstein weggewälzt vorfinden, von Vornherein vorausgesetzt und auf diese Weise dem Problem des erklärungsbedürftigen Offenseins des Grabes begegnet.125 Im nachfolgenden Vers, der darstellt, wie die Frauen die Grabstätte betreten, findet sich die in der lukanischen Adaption ausgestaltete, für den Evangelisten entscheidende Problematik des erklärungsbedürftigen Verschwundenseins des Leichnams126, aufgrund dessen die Frauen in Aporie geraten.127 Im Unterschied zu den dargestellten Grableerfindungserzählungen ist die Erkenntnis der deutlich ausgestalteten Nichtauffindbarkeit des Leichnams128 an dieser Stelle kein Teil der Botschaft der Himmelswesen129, sondern liegt bereits in einer eigenständigen Un-

122 Indem der Evangelist aufzeigt, dass die Frauen die Sabbatruhe ordnungsgemäß einhielten, ehe sie zu Beginn des ersten Wochentages das Grab aufsuchten, werden ihre Frömmigkeit und ihr Respekt vor den geltenden religiösen Sitten hervorgehoben. Dies unterstreicht die positiv wirkende Darstellung der Frauen in dieser Perikope ebenso wie der bloße Umstand, dass ihnen zugesprochen wird, dass sie die mitgebrachten Salben selbst zubereiteten, was Klumbies in ihrer inneren Anteilnahme begründet (vgl. ebd.). 123 Lk 24,1. 124 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 162. 125 Vgl. ebd. 126 Vgl. ebd. 127 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 503. Hengel deutet diese Aporie der Frauen am leeren Grab als ihren persönlichen Höhepunkt der Leidensgeschichte Christi, der sich darin äußere, dass sie nun nicht nur den Tod ihres Herrn, sondern auch die Furcht verarbeiten müssen, dass dessen Leichnam gestohlen und möglicherweise sogar entehrt worden sein könnte (vgl. Hengel, Jesus und die Evangelien, 37). 128 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 503. 129 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 163. Schille versteht das Fehlen der in der markinischen Erzählung noch vorfindlichen Aufforderung, die Stelle zu begutachten, an welcher der Leichnam lag, als Bestätigung der in Anmerkung 35 angesprochenen These, dass die besagte Aufforderung auf kultische Interessenlagen der Urgemeinde an der Grabstätte hinweise. Dies werde daran ersichtlich, dass das Lukasevangelium primär Heidenchristen adressierte, welche keinen Bezug zu einer kultischen Verehrung der Grabstätte aufwiesen, weshalb der Ver-

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Teil I: Der biblische Befund

tersuchung der Grabstätte durch die Frauen begründet130 und wird der Botschaft von der Auferstehung somit vorangestellt.131 Erst nach ihrer Erkenntnis über das Verschwundensein des Leichnams erscheinen hier – ebenfalls im Unterschied zu den zuvor dargestellten Grableerfindungserzählungen – nicht einer, sondern sogar zwei Engel, was mit dem jüdischen Zeugenrecht in Verbindung zu stehen scheint.132 Das aufsehenerregende Erscheinungsbild der Engel erweckt Demut und Angst in den Frauen, noch ehe eine Kommunikation zwischen ihnen und den Engeln überhaupt stattfinden kann.133 Die anschließende, die Kommunikation eröffnende Frage der Engel nimmt den Leser beziehungsweise Hörer und auch den Frauen den (innerhalb der erzählten Welt noch nicht bekannten, aber von den Engeln bereits als selbstverständlich vorausgesetzten) Umstand des Lebendigseins Christi vorweg und verkündet diesen.134 Das problematisierte Fehlen des Leichnams wird auf diese Weise sowie durch den Gebrauch des adversativen αÆ λλα in seiner Auferstehung als dem „Gegenteil von ,Hiersein‘“135 begründet und die dargestellte Problematik der vergeblichen Suche der Frauen nach dem Leichnam wird aufgelöst.136 Die Suche nach dem Leichnam als solche wird auf diese Weise als ein Geschehen ausgewiesen, welches von den Auferstehungsereignissen und ihrer Realität bereits überholt wurde.137 Lukas nahm also entgegen der markinischen Vorlage insofern eine Akzentverschiebung vor, als dass er die in Mk 16,6c vorfindliche Feststellung in eine Art Anklage oder eine zumindest mit kritischem Unterton versehene Frage umgewandelt hat, die mit dem Nicht-Auffinden-Können des Leichnams korrespondiert.138 Auch hier zeigt sich, dass das Leersein des Grabes kausal in der göttlichen Auferweckung begründet liegt, wenngleich es dieser in der Gesamtkomposition der Perikope syntaktisch vorgeordnet ist.139 weis auf die für sie unerheblichen Kulthandlungen am leeren Grab durch Lukas ersatzlos gestrichen worden sei. Davon ausgehend, dass Lukas tendenziell über ein solides Wissen um die bestehenden Lokaltraditionen in Jerusalem verfügte und daher wahrscheinlich um die im untersuchten Ansatz vorausgesetzte Verehrung der Grabstätte wusste, sei die in der Perikope vorfindliche Frage „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ (Lk 24,5) folglich als Anfrage zu verstehen, mit der die Heidenchristen die Jerusalemer Urgemeinde konfrontierten (vgl. Nauck, Die Bedeutung, 261 f.). 130 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 163. 131 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 503. 132 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 270. 133 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 163 f. 134 Vgl. a.a.O., 164. 135 Ebd. 136 Vgl. ebd. Klumbies unterstreicht, dass die Auferstehungsverkündigung der Engel somit vor allem als Reaktion auf den in der Grabstätte nicht auffindbaren Leichnam fungiere (vgl. ebd.). Diese Beurteilung scheint passend, da sie die große Relevanz des Verschwundenseins des Leichnams für Lukas herausstellt. 137 Vgl. a.a.O., 166. 138 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 503. 139 Einige Theologen, wie etwa Becker, schlussfolgern daraus, dass die Auferstehung als

I.2 Die Grableerfindung im Neuen Testament und seinem Umfeld

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Der kritische Aspekt der mit der Engelsverkündigung einhergehenden Frage „Warum sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“140 scheint sich dabei nicht gegen das Aufsuchen von Gräbern im Allgemeinen zu richten, sondern zeigt lediglich, dass die Frauen nach Ansicht des Evangelisten eigentlich an die Auferstehung ihres Herrn hätten glauben sollen.141 Um dies zu konkretisieren, verweisen die Engel in den Versen 6b bis 8 auf die bereits in Galiläa vollzogenen Leidens- und Auferstehungsankündigungen142, um die entscheidende Verkündigungsaussage der Auferstehung anhand der eigenen Erinnerungen der Frauen zu bestätigen und ihnen verständlich zu machen.143 Klumbies zeigt in diesem Zusammenhang, dass es letztendlich gerade diese Erinnerungen der Frauen an die Ausführungen Jesu seien, die sie dazu führe, sich von dessen Grab abzuwenden und eilend zu den Jüngern zurückzukehren144, um unmittelbar von ihren Erlebnissen zu berichten.145 Folglich sei die Kontinuität zwischen der Verkündigung Jesu und seinem postmortalen Wirken gerade im Vollzug des Erinnerns gegeben, da die Aufer-

„vorrangiger und selbstständiger Offenbarungsinhalt“ (Becker, Die Auferstehung, 23) der Verkündigung des beziehungsweise der Himmelsboten nun gerade nicht vom leeren Zustand der Grabstätte abgeleitet werde, dass dieser lediglich als ein ihm nachgeordnetes Zeichen innerhalb der Erzählung zu bezeichnen sei (vgl. ebd.). Inwiefern eine derartige Beurteilung dem Stellenwert, den Lukas dem Verschwundensein des Leichnams und somit dem Leersein des Grabes zuschreibt, gerecht wird, wird noch zu hinterfragen sein. 140 Lk 24,5. 141 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 56. Diese inhaltlichen Aspekte sowie den Umstand, dass die Engel sich vor der leeren Grabstätte aufhalten und das Gespräch folglich dorthin verlagern, deutet Becker als Anzeichen dafür, dass die Frauen von der leeren Grabstätte innerhalb der Gesamtkomposition der Perikope scheinbar nahezu weggelenkt werden (vgl. Becker, Die Auferstehung, 43). 142 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 503. 143 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 165. Klumbies erkennt in diesem Vergangenheitsbezug des Lukas ein signifikantes Unterscheidungsmerkmal des Lukasevangeliums gegenüber den anderen synoptischen Evangelien, das sich darin äußere, dass die lukanische Denkbewegung sich durch eine „Rückwendung zum Vorausliegenden“ (ebd.) auszeichne, wohingegen in den Leerfindungsperikopen der anderen Synoptiker eine in die Zukunft deutende Bewegung von der leeren Grabstätte hin zur Lebenswelt der Hörer und Leser zu erkennen sei. (vgl. ebd.) Das leere Grab sei bei Lukas ferner als Erinnerungsort zu bezeichnen, welcher auf eine Vergegenwärtigung des Wirkens und Lebens Jesu abzielte (vgl. a.a.O., 168). Nichtsdestotrotz sei die Blickrichtung des Evangeliums insgesamt allerdings als vorwärts gerichtet zu denken, da sie sich an einer strikt linear gedachten Chronologie orientiere, welche keinerlei Stillstehen dulde (vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 331). Dies äußere sich darin, dass die Darstellungen des Lukas über den Ostermorgen hinausreichten, da die von ihm zu erzählende Geschichte nicht bereits am leeren Grab ihr Ende finde: „Der Ostertag geht weiter und die erzählbare Geschichte des Auferstandenen auch“ (ebd.). 144 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 166. 145 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 22. Fößel versteht den expliziten Verweis auf die Predigt Jesu als das Herstellen einer gewissen Kontinuität zwischen dem Auferstehungskerygma und der Botschaft Jesu, durch welche das im Wirken und Leben Jesu schon gegenwärtig erlebte Heil als eine verwirklichte Verheißung dargestellt und bestätigt werde (vgl. Fössel, Offenbare Auferstehung, 597).

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Teil I: Der biblische Befund

stehungsverkündigung durch das derartig vergegenwärtigte Gedenken an Jesus angestoßen worden sei146 und Jesus somit „im Modus der Erinnerung“147 präsent bleibe. Der weitere Verlauf der Erzählung zeugt davon, dass die meisten Jünger den Berichten der Frauen keinen Glauben schenkten und ihre Erlebnisse am leeren Grab als Geschwätz abtaten.148 Einzig Petrus nahm – wie der in nicht allen Handschriften vorfindliche, zwölfte Vers darstellt – eine Überprüfung der Grabstätte vor149, an der er jedoch niemanden antraf, sondern lediglich die Leinenbinden vorfand, in welchen der Leichnam eingewickelt worden war.150 Von diesem Fund verwundert151 verließ er die Grabstätte und ging fort. Durch diese Darstellung vollzieht Lukas in seiner Erzählung erstmals eine Aufbrechung der zuvor gegebenen Handlungsstruktur der exklusiven Bezeugung des leeren Grabes durch Frauen152, indem er einen männlichen Zeugen für die Behauptung der Grableerfindung anführt.153 So erzeugt er im Kontext seiner Erzählung eine mehrperspektivische Darstellung der Reaktionen auf das leere Grab154, die auch in der folgenden Perikope fortgeführt wird, in der der Evangelist die ursprünglich höchstwahrscheinlich eigenständige Einzelerzählung um die sogenannten Emmausjünger in sein narratives Gebilde einbindet155, im Zuge derer auch ebendiese die Grableerfindung thematisieren. In ihrem Gespräch mit dem (von ihnen nicht erkannten) Auferstandenen156 berichten die Emmausjünger erst einmal im Allgemeinen von Jesus, indem sie von seinen Handlungen als wundertätiger Prediger und Prophet, auf den sie ihre scheinbar unerfüllten Hoffnungen auf eine Veränderung der Welt projizierten, sprechen.157 Darüber hinaus schildern sie, dass einige Frauen die Grabstätte leer 146

Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 166. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 331. 148 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 166. Dass die Jünger den Frauen und ihren Darstellungen keinen Glauben schenkten, ist meines Erachtens nicht einseitig als Abwertung der Frauen und ihrer Verlässlichkeit zu verstehen, sondern könnte – wie Nauck dankenswerterweise betont – auch dem apologetischen Interesse geschuldet sein, der polemischen Unterstellung der vermeintlichen Leichtgläubigkeit der (naiverweise an eine Auferstehung glaubenden) Jünger zu begegnen (vgl. Nauck, Die Bedeutung, 253). 149 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 57. Dieser Gang Petri zum Grab wird auch in Lk 24,24 angedeutet und in Joh 20, 3–8 sogar dargestellt (vgl. ebd.), wie in Kapitel I.2.4 nachzulesen ist. 150 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 22. 151 Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 52. 152 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 250 f. 153 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 57. 154 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 270. 155 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 251. 156 Der Umstand, dass die Emmausjünger Jesus nicht unmittelbar erkennen, zeugt ebenso wie das im Folgenden angesprochene Nicht-Erkanntwerden des Auferstandenen durch Maria von Magdala davon, dass die Auferstehungsleiblichkeit Christi von seiner vorherigen Leiblichkeit innerhalb der Erzählungen unterschieden erfahren und/oder vorgestellt wurde, was im späteren Verlauf dieses Buches noch eingehender thematisiert wird. 157 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 24. 147

I.2 Die Grableerfindung im Neuen Testament und seinem Umfeld

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vorgefunden hätten und dass sie anschließend die Auferstehungsbotschaft verkündeten, wodurch sie in Ratlosigkeit versetzt wurden. Hierin spiegelt sich die ursprüngliche Wahrnehmung der leer vorgefundenen Grabstätte als ein Ärgernis158 wider, da diese per se gerade nicht zum Glauben an die Auferstehung führte oder Hoffnung weckte, sondern im Gegenteil – ihrem ambivalenten Charakter entsprechend159– zunächst einmal nur vom Verschwinden eines Leichnams zeugte. Dadurch wiederum wurde die Entstehung von (der Alltagslogik folgenden) Deutungen, wie der des vermuteten Leichenraubes, begünstigt, die die Wut oder Trauer der Jünger über den Tod Jesu erhöhten.160 Zudem berichten die Emmausjünger in einer Wiederaufnahme des zwölften Verses der Grableerfindungsperikope, dass auch einige unter ihnen das Grab aufgrund der Erzählungen der Frauen aufsuchten161 und es tatsächlich leer vorgefunden haben, wobei ihnen eine Begegnung mit dem Auferstandenen jedoch verwehrt geblieben sei. Dass sie die Grableerfindung nicht eigenständig und angemessen im Zusammenhang mit den Auferstehungsereignissen zu deuten vermögen, weil ihnen der dafür benötigte und erst später vom Auferstandenen selbst dargebotene „hermeneutische Schlüssel für das Verständnis der Ereignisse“162 fehlt, wird anhand ihrer Ausführungen nur allzu deutlich.163 Betrachtet man diese Befunde zusammengenommen, wird ersichtlich, dass die Rede vom leeren Grab auch bei Lukas selbst angesichts der expliziten Erinnerung an Jesus und seine Worte per se keine Glaubensentstehung auslösen konnte.164 Die Frauen, die durch die „Logik des Todes“165 dazu veranlasst wurden, das Grab aufzusuchen, fanden keine Erklärung für die dieser Logik widersprechende Entdeckung des leeren Grabes. Die ihnen zuteilwerdende Verkündigung der Auferstehung, welche anhand der Leidens- und Auferstehungsankündigungen plausibiliert wird, weckt hier zunächst einmal keine emotionale, sondern eine primär kognitive Reaktion166: Sie erinnert an die Worte Jesu, wodurch die Frauen in Kombination mit der Erfahrung der Engelserscheinung zum Auferstehungsglauben kommen.167 Lukas verneint somit deutlich, dass die leere Grabstätte als eine Art Verifizierung der Leidens- und Auferstehungsansagen Jesu wahrgenommen wurde.168 158 Vgl. Hengel, Jesus und die Evangelien, 37. Inwiefern die Grableerfindung als Ärgernis bezeichnet werden kann und wie relevant diese Zuschreibung ist, wird im Kapitel III.3.1.g untersucht, auf welches hier verwiesen sei. 159 Vgl. Schröter, Visionäre Erfahrungen, 31. 160 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 24. 161 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 52. 162 Alkier, Die Realität, 135. 163 Vgl. ebd. 164 Vgl. Lindemann, Jesus als der Christus, 446. 165 Alkier, Die Realität, 216. 166 Vgl. ebd. 167 Vgl. ebd. u. Kremer, Osterbotschaft, 57. 168 Vgl. Lindemann, Jesus als der Christus, 446.

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Auch für Petrus und die Emmausjünger scheint das leer vorgefundene Grab im Rahmen der Erzählung per se kein Beweis für eine Auferweckung gewesen zu sein, der einen Auferstehungsglauben zu erzeugen vermochte. Vielmehr wurde es als ein lediglich Verwunderung auslösendes Zeichen verstanden.169 Im Fall der Emmausjünger wird dies sowohl darin ersichtlich, dass sie ihre unerfüllte Hoffnung170 in Bezug auf das Wirken Jesu artikulieren, worin sich die ursprüngliche Wahrnehmung der leeren Grabstätte als ein Ärgernis widerspiegelt171, als auch darin, dass es sich bei der Entstehung ihres Osterglaubens um ein Geschehen handelte, das erst durch den Auferstandenen initiiert und unterstützt werden musste.172 Die präsentierten, von Lukas in seiner Erzählung vorgenommenen Umformungen der markinischen Vorlage werden nachvollziehbarer, wenn man bedenkt, dass der Verfasser aus dem Kulturbereich des hellenistisch geprägten Heidentums stammte und folglich auch Leser adressierte, die ebenfalls der griechischsprachigen, hellenistischen Kultur zugehörig waren. Diese Adressaten sahen sich, im Gegensatz zum Adressatenkreis des Matthäus, beispielsweise nicht mit dem Leichenraubvorwurf der jüdischen Polemik konfrontiert, was die Verschriftlichung apologetischer Exkurse, wie den um den hohepriesterlichen Betrug, für Lukas nicht notwendig machte. Stattdessen stand seine heidenchristliche Adressatengruppe dem Konzept der Auferstehung als solchem kritisch gegenüber, wohingegen die Adressaten der matthäischen Version die Vorstellung einer Totenauferstehung per se kannten und lediglich von der konkrete Auferstehung Jesu überzeugt werden mussten. Folglich war Lukas’ Adressatenkreis für die Vorstellung einer Totenauferweckung lediglich mit Verweis auf das leere Grab nicht zu gewinnen, was sich in der dargestellten Grableerfindungserzählung widerspiegelt, in der weder die Grableerfindung noch die Verkündigung der Engel per se von der Auferweckung Jesu überzeugen und zur Entstehung eines Auferstehungsglaubens führen konnten.173 169

Vgl. Alkier, Die Realität, 216. Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 504. 171 Vgl. Hengel, Jesus und die Evangelien, 37. 172 Vgl. Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 176. Der Umstand, dass die Entstehung des Osterglaubens der Emmausjünger erst durch den Auferstandenen ausgelöst werden konnte, entspricht dem von Kleffmann herausgestellten, analogen Zusammenhang, dass der Mensch, welcher in der Zeit je für sich selbst lebe, ebenfalls nicht dazu in der Lage sei, eine „im Verstehen des Evangeliums vermittelte Antizipation der Ewigkeit“ (Kleffmann, Zeit und Ewigkeit, 14) vorzunehmen, da diese nur durch den Menschen, in welchem der Auferstandene lebe, und somit ausschließlich durch das göttliche Wort vollzogen werden könne (vgl. ebd.). 173 Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 50–52 u. 55. Da der Adressatenkreis des Lukas im Gegensatz zu dem des Matthäus nicht über einen verbreiteten endzeitlichen Auferweckungsglauben verfügte, orientierte Lukas sich beim Verfassen seiner Grableerfindungsperikope an den seinen Adressaten vertrauteren Entrückungsvorstellungen (vgl. a.a.O., 55). Eine Interpretation der Parallelen zwischen den neutestamentlichen Grableerfindungserzählungen und jüdischen sowie hellenistischen Entrückungslegenden nahm unter anderem Elias Bickermann vor, was in Kapitel II.5.3.a kritisch beleuchtet wird. 170

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I.2.4 Johannesevangelium „Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grab.“174

Im Johannesevangelium finden sich im 20. Kapitel insgesamt zwei umfangreichere, zueinander gehörende Erzählungen über die Grableerfindung sowie deren Deutung, die sich an die Schilderung der Bestattung Jesu durch Nikodemus und Josef von Arimathäa anschließen.175 Dargestellt wird hier, dass Jesu Leichnam mit einer enormen Menge an Aloe und Myrrhe176 gesalbt und anschließend in Tücher aus Leinen eingewickelt in ein neues Grab gelegt wurde, das sich in einem der Hinrichtungsstätte nahegelegenen, idyllisch anmutenden Garten befand.177 Im Gegensatz zu den zuvor angesprochenen Traditionen findet sich bei Johannes nun kein Hinweis darauf, dass die Frauen oder irgendwelche anderen potenziellen Zeugen das Begräbnis beobachteten178 oder dass man das Grab mit einem Verschlussstein verschloss.179 Auch dem daran anschließend dargestellten Grabesgang scheint hier eine Überlieferungsform, die sich von der der Synoptiker unterschied180, zugrundezuliegen; so berichtet Johannes im Gegensatz zu den Synoptikern, dass allein Maria von Magdala sich am ersten Wochentag, während es noch dunkel war, zum Grab begab.181 Eine konkrete Absicht für ihren Gang zum Grab bleibt dabei ungenannt und der Umstand, dass der Frau der Ort der Grabstätte bekannt war, wird vom Verfasser ohne eingehendere Erläuterung vorausgesetzt.182 Als die Frau die Grabstätte erreichte, fand sie den Stein weggerollt vor und schlussfolgerte in Entsprechung zur „Logik des Todes“183, die besagt, dass Verstorbene ihre Grabstätten nicht eigenmächtig öffnen oder gar verlassen können, dass das Grab geöffnet wurde und der Leichnam entfernt worden sein musste.184

174

Joh 20,2. Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 87 u. 89. 176 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 46. Die Darstellung der Salbung des Leichnams mit umgerechnet ungefähr 33 Kilogramm Aloe und Myrrhe im Wert von circa 30.000 Denaren erweckt die Assoziation einer königlichen Bestattung, wodurch Johannes vermutlich die unermessliche Bedeutung Jesu hervorzuheben beabsichtigte (vgl. ebd.). 177 Vgl. ebd. u. Braun, Das Zeugnis, 335. Zeilinger verweist hinsichtlich des Bestattungsortes des Gartens zudem auf den Umstand, dass auch der Beginn der Passionsgeschichte des Johannes in jenem Garten verortet ist, in welchem Jesus und seine Jünger sich des Öfteren aufhielten (vgl. Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 178, mit Verweis auf Joh 18,2). 178 Vgl. Braun, Das Zeugnis, 335. 179 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 87. 180 Vgl. a.a.O., 89. 181 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 30. 182 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 89. 183 Alkier, Die Realität, 164. 184 Vgl. ebd. 175

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Dabei bleibt ungesagt, ob sie die Grabstätte betrat, um sich dessen zu vergewissern.185 Im Anschluss an diese Entdeckung suchte Maria Petrus und den Lieblingsjünger auf und schilderte ihnen ihre Beobachtung.186 Ihre Aussage „Sie haben den HERRN weggenommen“187 verdeutlicht, dass sie aufgrund der Grableerfindung nicht unmittelbar von einer Auferstehung ausging.188 Das Missverständnis der Frau scheint vielmehr daraus zu resultieren, dass sie das offene Grab mit den Auseinandersetzungen in Verbindung brachte, die zu Jesu Kreuzigung geführt hatten, und dass sie dementsprechend davon ausging, dass die Feinde ihres Herrn sein Grab geschändet haben.189 Ein wesentlicher Unterschied zu den Darstellungen der synoptischen Evangelien besteht hier darin, dass Maria bis zu diesem Zeitpunkt keine Engelserscheinung zuteilwurde, sondern dass sie den Männern lediglich von der offenen Grabstätte erzählen konnte.190 Diese eilten daraufhin zu ebendieser, wobei allerdings nicht festgestellt werden kann, ob dieser Gang ebenfalls schon am Morgen des Ostertages erfolgte.191 Auffällig ist hier, dass der Lieblingsjünger, welcher dem Verständnis mancher Exegeten entsprechend als erster unter den Jüngern berufen wurde und gemäß Joh 21,7 zudem als erster den Auferstandenen als solchen erkannte, nun auch das Grab zuerst erreichte, es jedoch nicht zuerst betrat, sondern lediglich hineinsah und die Tücher erblickte, in die der Leichnam eingewickelt gewesen war.192 Nach ihm erreichte auch Petrus die Grabstätte und betrat sie als Erster.193 Dort sah er 185 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 90. Es scheint jedoch so, als ob sie (entgegen den Erwartungen, die die Leser ausgehend von ihrer Lektüre der synoptischen Evangelien an den Text stellen könnten,) die Grabstätte gerade nicht betritt, sondern unmittelbar umkehrt, um den Männern von ihrer verwunderlichen Entdeckung zu berichten (Vgl. Becker, Die Auferstehung, 66 f.). 186 Vgl. a.a.O., 67. 187 Joh 20,2. 188 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 90. 189 Vgl. Alkier, Die Realität, 217. 190 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 90. 191 Vgl. a.a.O., 98. 192 Vgl. a.a.O., 90. 193 Vgl. a.a.O., 90 f. Einige Theologen heben hervor, dass die johanneische Integration des Petrus und des Lieblingsjüngers in die Grableerfindungsperikope (wie schon die Integration des Petrus in der lukanischen Version) dazu diente, die Glaubwürdigkeit der Grableerfindung zu steigern, da die in den markinischen und matthäischen Versionen vorfindlichen Bezeugungen der Frauen gemäß des jüdischen Rechtes keine Gültigkeit beanspruchen konnten (Roloff, Neues Testament, 257). Eingehender diskutiert wird dieser Gedanke im Kapitel III.2.3.b. Ungeachtet der Frage nach der Zeugnisfähigkeit der Frauen sei allerdings bereits hier darauf aufmerksam gemacht, dass sowohl die lukanische als auch die johanneische Version die große Relevanz der Frauen hervorheben, da diese es sind, die das leere Grab entdecken, und es in der johanneischen Version Maria ist, welcher der Auferstandene sich noch vor seinen anderen Anhängern zeigt. Die Besonderheit dieses Umstandes wird darin ersichtlich, dass es sich bei der Darstellung dieser Erscheinung vor Maria um eine der beiden einzigen in narrativer Form ausgestalteten Erzählungen der neutestamentlichen Evangelien handelte, im

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ebenfalls die Tücher sowie das Schweißtuch Jesu, das zusammengefaltet abseits der anderen Tüchern lag. Die explizite Schilderung des Zustandes der Tücher scheint auf Joh 11,44 zu verweisen, wo dargestellt wird, wie Lazarus, der durch Jesus vier Tage nach seinem Tod aufgeweckt wurde, in Tücher eingebunden aus seinem Grab herausstieg.194 Auf diese Weise wird, in Abgrenzung zu Lazarus, nun verdeutlicht, dass es sich bei Jesu Auferstehung nun gerade nicht um die Reanimation eines Toten gehandelt hat. Zudem weist die Schilderung der ordentlich angeordneten Tücher apologetische Züge auf, indem sie sich gegen den verleumderischen Vorwurf eines Leichenraubes richtet, da Diebe den Leichnam des Verstorbenen höchstwahrscheinlich nicht unbekleidet hinfortgetragen195 und die Tücher ordentlich gefaltet hinterlassen hätten.196 Daraufhin betrat nach Petrus auch der Lieblingsjünger die Grabstätte, was Johannes mit der im Diskurs kontrovers diskutierten Erwähnung des Sehens und Glaubens des Lieblingsjüngers verbunden hat.197 Die scheinbar offenkundige Deutung, dass er aufgrund der Grableerfindung zum Glauben (an die Auferstehung) kam, wird von einigen Exegeten vertreten. Diese nehmen an, dass der Lieblingsjünger aus der Grableerfindung in Verbindung mit der Anordnung der Tücher darauf schloss, dass sich keine gewaltsame Plünderung ereignete, und dass in ihm stattdessen ohne jede weitere Erläuterung ein Auferstehungsglaube erwuchs.198 Dieser Deutung scheint jedoch die nachfolgende Aussage „Denn sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste“199 zu widersprechen.200 Ferner verwundert, dass der LiebRahmen derer der Auferstandene sich einer Einzelperson offenbart (vgl. Becker, Die Auferstehung, 251). 194 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 91. 195 Vgl. Nauck, Die Bedeutung, 253. 196 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 98. 197 Vgl. Joh 20,8 u. Kremer, Osterbotschaft, 91. 198 Vgl. Alkier, Die Realität, 217. Diese Deutung geht teilweise mit der Annahme einher, dass anhand des Lieblingsjüngers gezeigt werden solle, wie ein vorbildhafter Jünger die Grableerfindung deuten würde (vgl. Klappert, Diskussion, 13). Zeilinger betont so, dass der Lieblingsjünger „die Haltung des wahrhaft Glaubenden“ (Zeilinger, Der Auferstehungsglaube, 179) repräsentiere und als Idealbild jener fungiere, welche sich nicht mit ihren eigenen Sinneswahrnehmungen von der Auferstehung überzeugen können und trotzdem – auch ohne theologisch-abstrakte Erkenntnisbemühungen – an Jesus als an den auferstandenen Herrn glauben (vgl. ebd.). 199 Joh 20,9. 200 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 91. Nach Ansicht Lindemanns solle die Darstellung des vermeintlichen Zum-Glauben-Kommens des Lieblingsjüngers zeigen, dass ein durch die Grableerfindung erzeugter Glaube nach Ansicht des Johannes kein wirklicher Auferstehungsglaube sei, sondern vielmehr vom Unverständnis des derart „Glaubenden“ zeuge (vgl. Lindemann, Auferstehung, 30). Wilckens verweist hingegen auf die sehr plausible Möglichkeit, dass der glaubende Lieblingsjünger im Gegensatz zur Figur des Petrus als eine Identifikationsfigur für jene Menschen fungieren könnte, die an die Auferstehung Jesu glauben und den Verweis auf die leere Grabstätte entsprechend angemessen deuten können. Die Figur des Petrus vertrete so die vorösterlichen Jünger, wohingegen der Lieblingsjünger die nachöster-

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lingsjünger das leere Grab zwar schon zuvor gesehen hatte, sich sein wie auch immer gearteter Glaube jedoch erst nach dem Betreten desselben einstellte.201 Denkbar sei daher, etwa nach Ansicht Kremers, dass der verwendete Aorist εÆ πι στευσεν entsprechend der Bedeutungsvariante „,er vergewisserte sich‘ (von dem Tatbestand des leeren Grabes)“202 zu verstehen und zu übersetzen sei, da dieser Wortgebrauch im Neuen Testament auch an anderer Stelle vorfindlich sei und – wie bereits angesprochen – dazu diente, zu zeigen, dass auch die Männer die Leerfindung des Grabes bestätigten.203 Petrus und der Lieblingsjünger begaben sich daraufhin auf den Rückweg. Dies erinnert an die Darstellung des Lukasevangeliums in Lk 24,12204 und spräche nach Ansicht Naucks ebenfalls dagegen, dass Johannes ein wahrhaftiges Zum-Glauben-Kommen des Lieblingsjüngers implizieren wolle, da nicht anzunehmen sei, dass gerade erst zum Auferstehungsglauben gekommene Menschen in geradezu alltäglicher Weise unbeteiligt nach Hause gehen würden oder dass sie die noch immer trauernde Maria nicht doch wenigstens mit Verweis auf die Auferstehung ihres Herrn trösten würden.205 Die zweite Perikope ab Joh 20,11 thematisiert wieder Maria von Magdala, deren erneuter Gang zum Grab nach ihrem Gespräch mit den beiden Männern nicht eigens dargestellt, hier aber vorausgesetzt wird.206 Johannes berichtet, dass sie außerhalb des Grabes stand, nun auch in das Grab hineinschaute207 und weinte, wobei ihr Hineinbeugen in die Grabstätte an das Verhalten des Lieblingsjüngers angelehnt zu sein scheint.208 Auch hier erschienen nun, wie zuvor im Lukasevangelium, zwei Engel, die den Grund ihrer Trauer erfragten und räumlich dabei so platziert sind, dass die vom fehlenden Leichnam hinterlassene Leerstelle betont wird.209 Maria blieb von der „Logik des Todes“210 so eingenommen, dass sie trotz ihrer Begegnung mit den lichen Christen repräsentiere. Dies werde bereits anhand des Vorsprungs ersichtlich, den der Lieblingsjünger während des „Wettlaufes“ zum Grab vor Petrus hat, da dieser sowohl auf den Erkenntnisvorsprung als auch auf den (durch die Selbstoffenbarung Christi gewonnenen) Auferstehungsglauben der nachösterlichen Christen verweise. Petrus gebührt dieser Deutung entsprechend deshalb an der leeren Grabstätte der Vortritt, da der (durch den Lieblingsjünger symbolisierte) nachösterliche Auferstehungsglaube an die Auferstehungsbezeugungen der vorösterlichen, ersten Jünger gebunden sei (Wilckens, Theologie I/IV, 221 f.). 201 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 91. 202 Ebd. 203 Vgl. ebd. 204 Vgl. a.a.O., 92. 205 Vgl. Nauck, Die Bedeutung, 254. 206 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 92. 207 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 70. 208 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 92. Bei diesem Weinen Marias scheint es sich nach Ansicht Kremers weniger um eine konventionelle Todesklage zu handeln als um eine emotionale Reaktion auf den Umstand, dass der Leichnam vermeintlich entwendet wurde (vgl. ebd.). 209 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 70. 210 Alkier, Die Realität, 164.

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Engeln an ihrer Interpretation der Grableerfindung festhielt und entsprechend erneut verdeutlichte, dass sie davon ausgehe, dass der Leichnam an einen ihr unbekannten Ort gebracht worden sei.211 Hier fällt auf, dass die Engel Maria – entgegen der Darstellung in den synoptischen Evangelien – nicht die Auferstehung verkündeten und ihr auch keinen Auftrag übertrugen, sodass die Eigenfunktion der Himmelsboten entfällt.212 Noch bevor sie dazu in der Lage waren, mit Maria in eine weiterführende Gesprächssituation zu treten, wendete diese sich von ihnen ab213 und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den daraufhin in der Szenerie wahrgenommenen Auferstandenen, der von ihr214 aber nicht erkannt wurde215 und die Frage der Engelswesen wiederholte.216 Maria ging fälschlicherweise davon aus, dass es sich bei ihm um einen Gärtner handelte, weshalb sie ihn fragte, ob er den Leichnam weggeschafft habe beziehungsweise ob er wisse, wo dieser zu finden sei.217 In diesen Fragen spiegelt sich die Vorstellung einer Umbettung des Leichnams wider, wie sie der Besitzer des neuen, unbenutzten Grabes, in das der Leichnam aufgrund des nahenden Sabbats gelegt wurde, nach dem Sabbat hätte anordnen können.218 Durch die Schilderung dieser irrtümlichen Verwechslung des Auferstandenen mit einem Gärtner zeigt der Evangelist zudem in geschickter Weise, dass der zu seiner Zeit verbreitete Vorwurf, dass ein Gärtner die Leiche aus der Grabstätte entfernt habe219, lediglich auf die Unsicherheit der Frau zurückzuführen sei. Die 211

Vgl. ebd. Vgl. Roloff, Neues Testament, 269. Fößel versteht den Umstand, dass die Engel in der johanneischen Version keine Auferstehungsverkündigung vornehmen, als Hinweis darauf, dass einzig der Auferstandene als solcher einen Glauben an seine Auferstehung erwecken kann (vgl. Fössel, Offenbare Auferstehung, 599). 213 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 71. 214 Aufgrund der Formulierung „und sieht Jesus stehen“ (Joh 20,14) sind die Leser – im Gegensatz zu Maria und auch ohne jede Vorkenntnis um die Auferstehung – zu diesem Zeitpunkt bereits darüber informiert, dass es sich bei Marias Gesprächspartner um Jesus handelt. Sie genießen einen Wissensvorsprung gegenüber der Frau, sodass der Spannungsaufbau dahingehend verlagert wird, dass die Leser nicht ermitteln müssen, wer die plötzlich auftauchende Figur ist, sondern wann die Frau herausfindet, dass es sich in Wahrheit um den verloren geglaubten Jesus handelt. Alles ist hier auf die Erkenntnis zugespitzt, dass Marias Verzweiflung und Ratlosigkeit letztendlich unbegründet sind. 215 Wie erwähnt, impliziert Johannes durch das mangelnde Wiedererkanntwerden Jesu eine merkliche Unterschiedenheit des Erscheinungsbildes des Auferstandenen von dessen postmortalem Aussehen (vgl. Alkier, Die Realität, 165). 216 Die Trauer und die Ratlosigkeit der Frau fungieren hier nach Ansicht Beckers als relevante Erzählmotive, da ihre Emotionen – konkret ihr Weinen – in der Erzählkonstruktion als inhaltliches Zentrum der Eröffnungsfragen des Auferstandenen und auch der Himmelsboten nutzbar gemacht werden (vgl. Becker, Die Auferstehung, 70). 217 Sowohl das Unverständnis der Frau als auch der Umstand, dass sie den Auferstandenen nicht unmittelbar als ihren Herrn identifizieren kann, erinnern an die im Lukasevangelium vorfindliche Begegnung des Auferstandenen mit den Emmausjüngern (vgl. Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 178 f.). 218 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 67 u. 71. 219 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 98. 212

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besagte Polemik ist noch bei Tertullian in De spectaculis220 zu finden, welcher „den Juden“ die mutwillige Verleumdung des Auferstehungsgeschehens vorwarf, da sie einen Raub des Leichnams Jesu durch seine Jünger postulierten, obschon dieser in Wahrheit bekanntlich vom Gärtner des Gartens, in dem sich die Grabstätte befand, entfernt worden sei, um zu verhindern, dass die Trauerbesucher unachtsam auf seine Pflanzen treten.221 Gleichzeitig lässt Marias Ratlosigkeit erkennen, dass selbst Menschen, die Gott innig lieben, derart von ihren je individuellen Annahmen vereinnahmt sein können, dass sie für die Wahrheit unempfänglich werden.222 Ihr Bedürfnis danach, den Leichnam zurückzubringen, scheint dabei ganz urmenschlich aus ihrer tiefen Liebe zu ihrem Herrn zu resultieren.223 Jesus rief sie daraufhin bei ihrem Namen, woraufhin sie ihn erkannte224, woran sich ein Berührungsverbot und ein Verkündigungsauftrag anschlossen. Die Perikope endet damit, dass Maria sich dem Auftrag Jesu entsprechend zurück zu den Jüngern begab und diesen ihre Erlebnisse berichtete.225 Die Erzählungen verdeutlichen also ebenfalls, dass die leere Grabstätte für sich den Auferstehungsglauben nicht zwangsläufig hervorbringen kann, da dieser weder in den Männern noch in Maria allein durch ihren Anblick zweifelsfrei erweckt wurde.226 Wenngleich die Leerfindung sie verwunderte, begegneten sie ihr aufgrund dessen, dass ihnen „der hermeneutische Schlüssel“227 des Schriftverständnisses fehlte, nur wenig verständig.228 Die dreimalig wiederholte Frage der Frau danach, wohin der Leichnam gebracht wurde, macht zudem die verstandesmäßige Unzugänglichkeit der Auferstehungsbotschaft sowie die Herausforderungen angesichts ihrer Profilierung229 deutlich. Erst durch Christus als den 220

Vgl. Spect. 30. Vgl. Staats, Auferstehung II/II, 522. Zeilinger kontrastiert das Fehlkonzept der Maria mit den neutestamentlich dargestellten Auferstehungsereignissen in ansprechender Weise, indem er darauf verweist, dass „,Gott als der Paradiesesgärtner‘ den Toten weggetragen hat“ (Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 179). 222 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 101. 223 Vgl. a.a.O., 93. 224 Alkier betont explizit, dass Maria Jesus erst wiedererkennen konnte, nachdem sie sich von seiner Grabstätte abgewendet habe (vgl. Alkier, Die Realität, 165), worin sich die allgemeinmenschliche Wahrheit dessen widerspiegelt, dass es vielen Menschen erst dann gelingt, eine auf die Zukunft gerichtete Hoffnungsperspektive einzunehmen und auf eine Auferstehung Verstorbener zu vertrauen, wenn sie bereit sind, ihre Perspektive zu erweitern und sich nicht einzig auf die Vorstellungen des endgültigen Todes der Person und ihrer körperlichen Auflösung zu fokussieren, wie sie durch das Grab versinnbildlicht werden. 225 Fischer betont hier sowie in Bezug auf die gesamte Perikope, dass diese sich dadurch auszeichne, dass in ihr keine wörtliche Bezeugung der Auferstehung Christi im Stil der matthäischen oder der lukanischen Engelsbotschaft „Er ist auferstanden“ (Lk 24,6 u. Mt 28,6) erfolgt (vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 59). 226 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 100. 227 Alkier, Die Realität, 217. 228 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 100. 229 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 344. 221

I.2 Die Grableerfindung im Neuen Testament und seinem Umfeld

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Auferstandenen wurde Marias ursprüngliche und vermeintlich plausible Deutung der Leerfindung widerlegt.230 Auch Johannes zeigt somit, dass ein leeres Grab die Auferstehung per se nicht zu beweisen vermag. Zugleich verdeutlicht er jedoch durch seine Hinweise auf die gefalteten Leichentücher und den Gärtner, dass die Begründung der Leerfindung in einem möglichen Diebstahl des Leichnams unangemessen ist. Ferner unterstreicht er, dass das leere Grab für jene, die die Ankündigungen der Schrift kennen, eine Bestätigung der in ihr bereits verheißenen Auferweckung und somit eben gerade kein mehrdeutiges Rätsel sein kann. Die johanneischen Grableerfindungsdarstellungen fungieren für den schon Gläubigen entsprechend bereits als eine Auferstehungsverkündigung.231 Johannes’ Erzählung zeigt jedoch nicht nur auf, dass die Annahme eines Leichenraubs als Begründung des leeren Zustandes des Grabes haltlos und die der Auferstehung angemessen ist, sondern sie konkretisiert auch, wie die besagte Auferstehung zu denken sei, da deutlich hervorgehoben wird, dass der Herr in jenem Leib, in dem er lebte und starb, letztlich auch auferweckt wurde.232 In dieser Darstellungsart spiegelt sich der Einfluss der späteren, nachjohanneischen Redaktion wider, die die leibliche Dimension der Auferweckung gegen die Vorstellungen des aufkeimenden Doketismus zu behaupten gedachte.233

I.2.5 Weitere neutestamentliche und apokryphe Schriften a) Apostelgeschichte Betrachtet man die Apostelgeschichte des Lukas, so überrascht, dass der Verfasser die Leerfindung des Grabes, die er in seinem Evangelium ausgestaltet, hier nicht explizit thematisiert, sondern lediglich in einigen uneindeutigen Passagen auf das Begrabenwordensein Jesu verweist. Zu diesen Passagen zählt etwa die in Apg 2,14–36 dargestellte Pfingstpredigt Petri, in welcher dieser im Zusammenhang mit der Kreuzigung und Auferstehung Jesu den Psalm 16 zitiert, wo es heißt, dass JHWH die Seele des Sprechers David nicht der Unterwelt überlassen werde und ihn als seinen Heiligen nicht der Verwesung anheimfallen lassen werde. Petrus erinnert hier daran, dass die Grabstätte Davids lokal zu verorten sei, weshalb er davon auszugehen scheint, dass David sich in dem zitierten Psalm hinsichtlich der Unverweslichkeit des Leibes aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf sich selbst und das Ergehen seines eigenen Leibes bezogen habe. Denkbar sei daher, dass Lukas anhand dieser Darstellung der Ausführungen Petri implizieren wollte, dass die im zitierten Psalm gefällten

230

Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 506. Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 100. 232 Vgl. Richter, Die Fleischwerdung, 182, zitiert nach Hoffmann, Auferstehung II/I, 506. 233 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 506. 231

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Aussagen nicht auf das Ergehen Davids, sondern auf Jesus zu beziehen seien, dessen Leib somit keiner Verwesung preisgegeben wurde. Allerdings bleibt gegenüber dieser Deutung wie erwähnt zu bedenken, dass Lukas hier – und auch sonst innerhalb seiner Apostelgeschichte – keinen eindeutigen Bezug zu seiner Grableerfindungsperikope herstellt, um etwa die Argumentation Petri im Rahmen seiner Auferstehungspredigt zu stützen.234 Ein ähnliches Bild ergibt die Untersuchung von Apg 13,29–36, wo erneut ein Bezug zum – diesmal explizit auf Jesu Ergehen bezogenen – alttestamentlichen Konzept des Die-Verwesung-nicht-schauen-Müssens hergestellt und nun sogar konkret auf das Begrabenwordensein Jesu235 verwiesen wird, ohne dass die Grableerfindung explizit Erwähnung findet, in irgendeiner Weise thematisiert236 oder gar als Beleg angeführt wird. Einige Theologen, wie etwa Lindemann, schlussfolgern aus diesem Befund, dass die Grabstätte und auch das postmortale Geschick des Leibes Jesu im Rahmen der ersten Auferstehungsverkündigungen – wie die dargestellte Predigt zeigt – nicht von Relevanz gewesen seien.237 b) Die Frage nach der Thematisierung der Grableerfindung durch Paulus Hinterfragt man die Erwähnung der Grableerfindung im paulinischen Textkorpus, so wird in den meisten Darstellungen auf die Thematisierung des Begrabenwordenseins Jesu in der Passage 1 Kor 15,3b–5 verwiesen, die zu jenem Text gehört, der aufgrund seines Alters sowie der ihm von Paulus zugedachten, sachlichen Bedeutung als das relevanteste Auferstehungszeugnis des Neuen Testaments gilt.238 Der Apostel formulierte hier, „Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen.“239 Wenngleich Paulus sein Auferstehungszeugnis somit zweifellos mit einem Verweis auf das Begrabenwordensein Jesu eröffnete, bleibt es gemeinhin umstritten, ob und inwiefern dieser Verweis als Hinweis auf eine Grableerfindung, wie sie in den Evangelien narrativ dargestellt wird, verstanden werden kann.240 234

Vgl. Lindemann, Auferstehung, 38 u. Ps 16,9–10. Der Hinweis auf das Begrabenwordensein scheint hier jedoch im Sinne dessen zu verstehen zu sein, dass man den Herrn begrub, nachdem es „den Juden“ gelungen ist, ihn hinrichten zu lassen, und sie ihn so sprichwörtlich „ins Grab brachten“. Ein derartiges Verständnis kann dazu beitragen, dem anderenfalls auftretenden Logikproblem zu begegnen, dass die Aussage, die Pharisäer hätten Jesus „ins Grab gebracht“, der im Lukasevangelium zu findenden Ausführung entgegensteht, dass die Grablegung von Joseph von Arimatäa vollzogen wurde (vgl. Becker, Die Auferstehung, 246). 236 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 52. 237 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 38. 238 Vgl. Roloff, Neues Testament, 255. 239 1 Kor 15,3b–5. 240 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 14. 235

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Viele Exegeten weisen so darauf hin, dass der Apostel das Begrabenwordensein lediglich deshalb betont haben könnte, um in Auseinandersetzung mit dem in der jüdischen Polemik verbreiteten Vorwurf, Jesus sei lediglich scheintot gewesen241 und somit auch nicht aus dem Tod heraus auferstanden, die Realität seines Todes herauszustellen242, selbst wenn er womöglich gar nicht um eine Grableerfindung, wie sie in den Evangelien beschrieben wird, wusste.243 Die Betonung des Begrabenwordenseins erwies sich zur Verfolgung dieses Ziels nicht nur deshalb als funktional, da zumeist bekanntlich nur jenen ein Begräbnis zuteilwird, die tatsächlich verstorben sind, und mit der Bestattung somit der Tod des Bestatteten offiziell bekräftigt wurde, sondern auch, weil dem damals im Judentum verbreiteten Verständnis entsprechend davon ausgegangen wurde, dass nur ordnungsgemäß bestattete Menschen in das Reich des Todes aufgenommen werden konnten.244 Durch den Verweis auf das Begrabenwordensein im Zusammenhang mit der Erwähnung der Auferstehung unterstrich Paulus zudem möglicherweise, dass der auferstandene Christus und der zuvor am Kreuz gestorbene Jesus von Nazareth identisch sind245, da die Identität einer Person mitunter als untrennbar an ihre Leiblichkeit geknüpft verstanden wurde, was im weiteren Verlauf dieses Buches noch eingehender untersucht wird. Wenngleich Paulus diese Intentionen verfolgt haben mag und sie ihn freilich dazu verleitet haben könnten, das Begrabenwordensein explizit zu erwähnen, erscheint es doch kurzschlüssig, aus diesem Umstand zu schließen, dass Paulus nicht von einer Grableerfindung gewusst haben könnte. Ein größeres sachliches Gewicht kommt dem Umstand zu, dass der Apostel die Grableerfindung nicht nur im ersten Korintherbrief unerwähnt ließ, sondern sie in seiner christologischen Verknüpfung von Kreuz und Auferstehung generell nicht thematisierte246,

241

Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 37. Vgl. u.a. Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 128, Müller, Die Entstehung, 16 u. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 469. Müller hebt hervor, dass die zur Todesaussage von Paulus parallel konstruierte Erscheinungsaussage das (zur Intention der Bestätigung des Todes parallele) Ziel verfolge, auch die Auferstehung Jesu zu bestätigen (vgl. Müller, Die Entstehung, 16). Ähnliche Gedanken finden sich bei Theißen und Merz, die auf den Gebrauch der Verbformen εÆ τα ϕη und ωÍ ϕθη hinweisen, welcher ihres Erachtens ebenfalls dazu diente, „die Faktizität der Ereignisse“ (Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 427) des Todes und der Auferstehung Christi zu unterstreichen und für die Leser eine Art kausalen Zusammenhang herzustellen, der darin bestehe, dass Jesus tatsächlich gestorben sei, was darin ersichtlich werde, dass er begraben wurde, und dass er tatsächlich aufgeweckt worden sei, was sich darin zeige, dass er seinen Anhängern erschien (vgl. ebd.). 243 Im Gegensatz zu den Grabnotizen im Rahmen der vita prophetarum, welche den Herkunftsort, die Todesart, den Ort des Sterbens und den Bestattungsort der Propheten beinhalteten, diente die Erwähnung des Begrabenwordenseins bei Paulus vielen Theologen zufolge somit ausschließlich dazu, theologische Aussagen treffen zu können (vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 471, mit Verweis auf Schwemer, Studien, 93). 244 Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 37. 245 Vgl. Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 128. 246 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 106 u. Hauger, Die Deutung, 40. Das von Paulus in 242

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wodurch die Frage, ob er von der Grableerfindung gewusst hat, sich grundsätzlich als höchst spekulativ erweist. Viele Exegeten schlussfolgern so, dass dem Apostel die Grableerfindungserzählungen unbekannt gewesen sein könnten247 oder müssen, da er sie in seiner Auferstehungsverkündigung anderenfalls argumentativ zur Bestätigung und Bekräftigung seiner Ausführungen herangezogen hätte248, wohingegen andere annehmen, dass er an der Bestattung Jesu oder an seiner Grabstätte schlichtweg nicht interessiert gewesen sei249 und die entsprechenden Erzählungen von ihm folglich lediglich als eine narrative Ausgestaltung der Auferstehungsbotschaft wahrgenommen worden (wären).250 In starkem Kontrast zu diesen Positionen setzen andere Theologen ein Wissen des Apostels um das Begrabenwordensein des Leichnams und um eine Grableerfindung voraus, das sich nach ihrer Einschätzung etwa in der dargestellten Passage in 1 Kor 15,3b–5 widerspiegele.251 Dies werde an der von Paulus erwähnten Phrase des dritten Tages ersichtlich, die innerhalb der synoptischen Evangelien fest mit der Grableerfindung verknüpft sei und entsprechend auch bei Paulus nicht bloß den Zeitpunkt der Ostererscheinungen, sondern den der Auferstehung Jesu aus dem Grab beschreibe.252 Die Erwähnung des Begrabenwordenseins diente folglich nicht nur der Unterstreichung der Faktizität seines Todes, sondern zeuge davon, dass Paulus subtil auf ein mit der Auferstehung einhergehendes leeres Grab verweisen wollte.253 Dass dieser Verweis nicht eindeutiger und unmissverständlicher ausfällt und dass der Apostel sich auch sonst nicht explizit auf die Grableerfindung bezieht,

Röm 6,4 angesprochene Mitbegrabensein verweise nach Ansicht Beckers so nicht auf das tatsächliche Begräbnis des Leichnams, sondern diene der Entfaltung der in dem umliegenden Textabschnitt behandelten Konzepte (vgl. Becker, Die Auferstehung, 106). 247 Vgl. Schröter, Visionäre Erfahrungen, 32 u. Hauger, Die Deutung, 40. Fischer vermutet, dass die Auferstehungstradition, die Paulus vorlag beziehungsweise die ihm bekannt war, die Grableerfindungserzählungen noch nicht beinhaltete, da diese zur damaligen Zeit höchstwahrscheinlich noch gar nicht existierten (vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 45). 248 Vgl. ebd. 249 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 106. Das vermeintliche Desinteresse des Paulus an dem empirischen Zustand des Grabes werde nach Ansicht Beckers auch darin ersichtlich, dass der Apostel grundsätzlich kein Interesse an Bestattungen oder Grabstätten anderer Personen der Urchristenheit zeige (vgl. ebd.). 250 Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 164. 251 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 342. Nauck stellt heraus, dass der Umstand, dass Paulus in der besagten Passage (1 Kor 15,3 ff.) palästinisches, bereits älteres Traditionsgut aufgreife, welches das leere Grab Jesu voraussetzt, die Annahme nahelege, dass er im Zuge seines Jerusalemaufenthaltes von der Grableerfindungstradition erfahren habe (vgl. Nauck, Die Bedeutung, 248). Dieser von Nauck hergestellte Zusammenhang wirft jedoch Fragen auf, da aus dem Umstand, dass Paulus das besagte Traditionsgut zitierte, keineswegs hervorgehen muss, dass er selbst die von diesem vorausgesetzte Annahme der Grabesleerfindung notwendig kannte und teilte. 252 Vorholt, Osterevangelium, 342. 253 Vgl. ebd.

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sei ferner darin zu begründen, dass er im Rahmen der Darstellung seiner Glaubensformeln grundsätzlich auf eine Detaillierung durch die Thematisierung geschichtswissenschaftlich untersuchbarer Begleitumstände verzichte.254 Sowohl die Exegeten, die für eine Kenntnis des Apostels von der Grableerfindung votieren und annehmen, dass er auf diese in den genannten Versen verweisen wollte, als auch jene, die sich gegen ein derartiges Verständnis aussprechen, argumentieren somit anhand von Tendenzurteilen und höchst spekulativen Annahmen, die – wie noch mehrfach dargelegt wird – nicht selten durch systematisch-theologische Vorentscheidungen und individuelle Historizitäts- und Realitätsimplikationen vorgeprägt werden. Es erscheint daher angemessen, aus der nicht expliziten Erwähnung einer Grableerfindung bei Paulus weder positive noch negative Rückschlüsse auf seine potenzielle Kenntnis ebendieser oder auf seine Einstellung ihr gegenüber zu ziehen.255 c) Exkurs: Die Adaption der Grableerfindung im apokryphen Petrusevangelium Zum Abschluss des ersten Teils soll nicht unerwähnt bleiben, dass auch apokryphe Schriften von einer Grableerfindung zu berichten wussten. Zu diesen zählt etwa das im zweiten Jahrhundert nach Christus verfasste Petrusevangelium, das deutlich erkennbar an die matthäische Grableerfindungserzählung angelehnt ist. In ihm werden die dargestellten, in den Evangelien vorfindlichen apologetischen Züge in den Vordergrund gerückt, indem der Verfasser augenscheinlich durch den gesamten Aufbau und seine argumentationslogische Konstruktion versucht, die Auferweckung Jesu durch den Verweis auf vermeintlich objektiv eingestellte Augenzeugen zu beweisen. Wie diese Intention in der apokryphen Erzählung umgesetzt wurde, sei (in enger Orientierung an den Ausführungen Andreas Lindemanns, auf welche bei Interesse verwiesen sei,) prägnant dargestellt, wobei der Fokus auf der Verstärkung der apologetischen Züge der Erzählung liegt.256 Die Darstellung des Petrusevangeliums knüpft in Entsprechung zu der matthäischen Vorlage an die Schilderung der aufwendigen Versiegelung des Grabes durch einen Stein sowie durch die sieben Siegel und die Abordnung von Wachsoldaten durch Pilatus an. Die Soldaten erhielten auch hier den Auftrag, die Grabstätte zu bewachen, um einen Leichendiebstahl und einen Betrug durch die Jünger zu verhindern.257 Der Verfasser verweist darüber hinaus auf einige Schrift-

254

Vgl. Hauger, Die Deutung, 40. Vgl. ebd. 256 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 61. Die Intention dieses Exkurses besteht folglich darin, dem Leser einen exemplarischen Eindruck davon zu eröffnen, wie die bekannten, neutestamentlichen Grableerfindungserzählungen im Verlauf ihrer Rezeptionsgeschichte aufgenommen und adaptiert wurden. 257 Vgl. EvPetr 29–33. 255

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gelehrte und Älteste, die der Versiegelung und Bewachung des Grabes ebenfalls beiwohnten. In der auf den Sabbat folgenden Nacht, in welcher die Soldaten je in Zweiergruppen das Grab bewachten, vernahmen sie vom Himmel her eine laute Stimme. Daraufhin wurden sie Zeuge dessen, wie das Himmelszelt sich öffnete und zwei lichterhellte Männer, bei denen es sich ihrer Beschreibung gemäß höchstwahrscheinlich um Engel handelte, vom Himmel hinabstiegen und sich der Grabstätte annäherten. Sie bewegten sich auf das Grab zu, welches sich aufgrund dessen ohne ihr weiteres Zutun öffnete. Als die Soldaten diese Geschehnisse sahen, begaben sie sich zu ihrem Hauptmann und den Ältesten, um ihnen Meldung zu erstatten. Die zwei Engelswesen verließen die Grabstätte unterdessen wieder, wobei sie jedoch von einer dritten Person und einem Kreuz begleitet wurden, was darauf hindeutet, dass es sich bei diesem dritten Mann um den auferstandenen Jesus gehandelt haben dürfte. Dieser Eindruck wird im folgenden vierzigsten Vers durch den Verweis darauf bestätigt, dass die Häupter der zwei Engel bis hinauf zum Himmel reichten, wohingegen das Haupt der dritten Person die ihrigen sogar noch überragte, wodurch seine herausragende Position unterstrichen wird.258 An dieses Erlebnis anschließend hörten die Soldaten eine vom Himmel her ertönende, höchstwahrscheinlich Gott zuzuordnende Stimme, die den Auferstandenen fragte, ob er den Entschlafenen gepredigt habe, welches dessen Kreuz bejahte. Die Zeugen dieses Geschehens zogen daraufhin in Erwägung, Pilatus von diesen Geschehnissen zu berichten, als der Himmel sich erneut auftat und diesmal ein Mensch hinabstieg, der das Grab betrat. Diese erneute wundersame Begebenheit motivierte die Grabwachen letztendlich, zu Pilatus zu eilen und ihm Bericht zu erstatten.259 Bemerkenswert ist hier, dass die Soldaten die Gottessohnschaft Jesu vor Pilatus in einer Weise bekundeten, die an das in den synoptischen Evangelien vorfindliche Bekenntnis des römischen Hauptmannes unter dem Kreuz erinnert.260 An dieses Bekenntnis schloss sich in Entsprechung zur matthäischen Vorlage die Vereinbarung an, die nächtlichen Geschehnisse zu verschweigen, woraufhin der Gang der Frauen zum Grab und ihre Grableerfindung in Anlehnung an die Adaptionen der neutestamentlichen Evangelien dargestellt werden.261 Augenfällig dürfte anhand der dargestellten Handlungslinien der apokrpyhen Erzählung die Intention des Verfassers geworden sein, die sich innerhalb der Erzählung an der Grabstätte aufhaltenden Wächter als Zeugen262 der Auferstehungsereignisse anzuführen, somit die thematisierten Vorwürfe der jüdischen Polemik zurückzuweisen und die Auferweckung als solche in gewisser Weise sogar zu beweisen.263 258

Vgl. Lindemann, Auferstehung, 61 u. EvPetr 31–39. Vgl. Lindemann, Auferstehung, 61 u. EvPetr 41–45. 260 Vgl. EvPetr 45 u. siehe Mk 15,39, Mt 27,54 u. Lk 23,47. 261 Vgl. EvPetr 47–57. 262 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 61. 263 Vgl. Nauck, Die Bedeutung, 256. Eine erneute Steigerung der Ausgestaltung der Ab259

I.3 Zusammenschau

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Inwiefern ein derartiges Vorgehen der Komplexität und Unabbildbarkeit des Gegenstandes angemessen sein kann, bleibt höchst fraglich und regt zur weiterführenden Auseinandersetzung an.264

I.3 Zusammenschau Die vorangegangenen Kapitel zeigten, wie die Leerfindung des Grabes Jesu in verschiedenen Schriften des Neuen Testaments und in einer apokryphen Schrift dargestellt wird. Dabei wurde ersichtlich, dass eine eindeutige und direkte Bezugnahme auf eine Grableerfindung nur in den vier neutestamentlichen Evangelien (und im apokryphen Petrusevangelium) festgestellt werden kann, wohingegen die Hinweise der weiteren untersuchten Schriften auf das Begrabenwordensein Jesu oder auf sein postmortales Geschick nicht eindeutig von einer Kenntnis der Verfasser von einer Grableerfindung zeugen. Daher wird häufig angenommen, dass die frühchristliche Ostercredotradition nicht unmittelbar auf die Darstellung einer Grableerfindung angewiesen war.265 Um einer Problematisierung der Inkohärenz der biblischen Auferstehungsbezeugungen zu entgehen, verstehen viele Theologen die Erzählungen vom leeren Grab als apologetisch motivierte, erst sekundäre und mitunter legendarische Ergänzungen und Ausschmückungen ursprünglicher Auferstehungsbekenntnisse.266 Inwiefern solche Annahmen der theologischen Relevanz gerecht werden, die die Evangelisten der Grableerfindung beziehungsweise dem leeren Grab zusprechen, und inwiefern sie berücksichtigen, dass auch die frühen Glaubensbekundungen nicht völlig voraussetzungslos waren, sondern sich mitunter auf jene Geschehnisse beziehen, die durch die Evangelien (in narrativ freilich ausgestalteter Form) präsentiert werden, bleibt allerdings fraglich und wird zu diskutieren sein.267

wehr des Leichendiebstahlsvorwurfs findet sich in der apokryphen Schatzhöhle, auf welche bei Interesse an der Weiterentwicklung des Motivs verwiesen sei. Im Rahmen dieser Erzählung stellt der Verfasser dar, dass Petrus tatsächlich beabsichtigt habe, den Leichnam aus dem Grab zu entwenden und anschließend einen Betrug zu inszenieren. Dieses Vorhaben scheiterte hier jedoch daran, dass sich die (die irdische Leiblichkeit Jesu einbeziehenden) Auferstehungsereignisse bereits vollzogen haben, noch bevor Petrus seinen geplanten Diebstahl hätte durchführen können (vgl. ebd.). 264 Bei Interesse sei etwa auf Lindemann (Auferstehung, 61) verwiesen, der sich gegenüber der Adaption der neutestamentlichen Grableerfindungsperikopen durch das Petrusevangelium kritisch äußert, wobei er sich insbesondere gegen die Intention des Verfassers richtet, die Auferstehung durch den Verweis auf konkrete Augenzeugen zu beweisen (vgl. ebd.). 265 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 14. 266 Vgl. ebd. u. a.a.O., 15. 267 Vgl. a.a.O., 14 f. u. siehe insbesondere Teil III dieses Buches.

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Teil I: Der biblische Befund

Betrachtet man die Leerfindungserzählungen der Evangelien, so dürfte zudem deutlich werden, dass der vielfach dargestellte Zusammenhang zwischen der Auferstehung und dem leeren Grab die Exegese und auch die auf die dargestellten Textpassagen bezogenen systematisch-theologischen Erkenntnisbemühungen mit einigen weiteren Herausforderungen konfrontiert. So ergibt sich etwa das Problem, dass die Grableerfindungserzählungen der Evangelisten im Gegensatz zu den in weiten Teilen übereinstimmenden Passionsdarstellungen in ihrem Aufbau und in ihrer Detaillierung stark voneinander abweichen. Dies dürfte auch in den Kurzdarstellungen ersichtlich geworden sein, die davon zeugen, dass etwa die Namen der das Grab aufsuchenden Personen, ihre Beweggründe zum Aufsuchen der Grabstätte, ihre Anzahl sowie die Anzahl der Engel und der Wortlaut ihrer Ausführungen stark voneinander abweichen und die Erzählungen nicht selten individuelle Ausgestaltungen enthalten, die an den Bedürfnissen der jeweiligen Adressatengruppen orientiert waren.268 Die sich zum Textbefund verhaltenden Theologen sind hier vor die Herausforderung gestellt, sich einen (seiner Komplexität zielführend begegnenden) Zugang zu erschließen269, sofern sie ihm seine Glaubwürdigkeit (hinsichtlich des Geschichtsbezuges des Dargestellten)270 nicht aufgrund der genannten Differenzen pauschal absprechen wollen271, wie dies im Diskurs nicht selten der Fall ist.272 Die wohl erheblichste Schwierigkeit, vor die die Grableerfindungserzählungen ihre Ausleger stellen, ist jedoch auf der Ebene des Inhalts zu verorten, da spätestens seit der Zeit der Aufklärung wohlbekannte Vorurteile in Bezug auf den Wahrheitsgehalt der biblischen Darstellungen und insbesondere auch hinsichtlich etwaiger Geschichtsbezüge der dargestellten, vermeintlich ohnehin irrelevanten Ereignisse artikuliert werden.273 Wie diesen Herausforderungen im Einzelnen begegnet wurde und wie der dargestellte Textbefund im systematisch-theologischen Auferstehungsdiskurs gedeutet wird, wird im nachfolgenden zweiten Teil dieses Buches anhand ausgewählter Zugänge dargestellt und reflektiert.274

268

Vgl. ebd., siehe auch Fössel, Offenbare Auferstehung, 589. Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 15. 270 Inwiefern die Grableerfindungserzählungen überhaupt den Anspruch erheben, in der (empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren und/oder von Menschen wahrnehmbaren) Geschichte verankerte Begebenheiten darzustellen, wird in Kapitel III.2.1 thematisiert. 271 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 15. 272 Vgl. Fössel, Offenbare Auferstehung, 589. 273 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 15 f. 274 Der Versuch einer eigenen Ausdeutung des biblischen Befundes erfolgt im dritten Teil dieses Buches, wobei in den Kapiteln III.1.1 bis III.1.4 und III.2.1 explizit auf die angesprochenen Schwierigkeiten und die sich aus ihnen ergebenden Konsequenzen für den Umgang mit den Grableerfindungserzählungen eingegangen wird. 269

Teil II

Der systematisch-theologische Befund „Ein Grab kann aus mancherlei Gründen leer werden, und wer nur ,irdische‘ Gründe gelten lässt, wird solche auch finden oder als Möglichkeiten ausdenken können.“1

II.1 Die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis (Wolfhart Pannenberg) „Es gibt keinen Rechtsgrund, die Auferweckung Jesu als ein wirklich geschehenes Ereignis zu behaupten, wenn sie nicht historisch als solches zu behaupten ist.“2

Im Rahmen dieses Kapitels wird am Beispiel der wirkmächtigen, den Auferstehungsdiskurs noch immer beeinflussenden Ausführungen Wolfhart Pannenbergs eine Deutung der Grableerfindung dargestellt, die auf der Erwägung beruht, dass die Auferstehung als ein historisches Ereignis verstanden werden könne, das anhand geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als solches ausweisbar sei. Ziel ist es dabei, grundlegende Argumentationsmuster aufzuzeigen, die sich aus der genannten Prämisse ergeben und in der von Pannenberg eingenommenen und geprägten Diskursposition – oft freilich in weiterentwickelter Form – auch gegenwärtig noch erkennbar sind. Der Darstellung schließt sich eine kritische Reflexion an, die nicht nur grundlegende Chancen und Grenzen zeigt, sondern deren Ertrag auch auf aktuelle Deutungen übertragen werden kann, sofern diese auf den Darstellungen Pannenbergs sowie insbesondere auf den von ihm vorausgesetzten Historizitätsimplikationen beruhen. Wolfhart Pannenberg deutet die Auferstehung Jesu und den neutestamentlich bezeugten, leeren Zustand seines Grabes als in der empirisch erfassbaren Dimension der Geschichte verankerte Begebenheiten, die mit den Mitteln der modernen

1 2

Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 245. Pannenberg, Grundzüge, 96.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Geschichtswissenschaften auch hinsichtlich ihrer Bedeutung erfassbar seien, sofern man sie im Kontext ihrer Traditionsgeschichte untersuche.3 Ein grundlegender Unterschied zu den im weiteren Verlauf dieses Buches vorgestellten Konzeptionen besteht hier nun darin, dass Pannenberg nicht von seiner Deutung der Auferstehung und insbesondere der Christuserscheinungen auf den empirischen Zustand des Grabes rückschließt, sondern in der Tradition Hans von Campenhausens4 die These der leer vorgefundenen Grabstätte als Stützargument seiner Interpretation der Erscheinungen als objektive Visionen nutzbar 3

Vgl. Klappert, Diskussion, 233. Da die bekannte Abhandlung von Campenhausens (v. Campenhausen, Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab) hier lediglich im Zusammenhang mit den auf ihr beruhenden und sie weiterentwickelnden Ansätzen Pannenbergs thematisiert wird, sei bei Interesse auf den Aufsatz Jens Adams Das leere Grab als Unterpfand der Auferstehung Jesu Christi in Welkers und Ecksteins Sammelband Die Wirklichkeit der Auferstehung verwiesen. Adam diskutiert hier die Rekonstruktionsversuche der Osterereignisse durch von Campenhausen, der das Ziel verfolgte, die Existenz eines Geschichtsbezuges der Auferstehung anhand der neutestamentlich unabhängig voneinander bezeugten „Geschehnisse“ der Erscheinungen und der Grableerfindung nachzuweisen (vgl. Adam, Das leere Grab, 66). Dabei werden den Lesern Einblicke in die (den Ausführungen von Campenhausens zugrundeliegenden) Prämissen gewährt, der die geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach den Osterereignissen ungeachtet der herausfordernden Quellenlage und der mit ihr einhergehenden Kritik an seinem Unterfangen als theologisch notwendig beurteilt (vgl. a.a.O., 61 f.). Von Campenhausen unterstreicht so, dass die primär gebotene, sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem biblischen Befund nicht zu einem Relevanzverlust oder gar zu einer Ausscheidung der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage nach dem Geschichtsbezug, dem Hergang und den inneren Zusammenhängen der Geschehnisse führen dürfe, wenngleich diese lediglich zum Treffen von Wahrscheinlichkeitsurteilen führen könne (vgl. v. Campenhausen, Der Ablauf, 48 f. u. Adam, Das leere Grab, 61) und die Auferstehung, deren Wirklichkeit sich einzig aus und im Glauben erschließe, nicht zu beweisen vermöge (vgl. v. Campenhausen, Der Ablauf, 112 u. Adam, Das leere Grab, 69). In Bezug auf die inhaltlichen Ergebnisse seiner Untersuchungen sei lediglich darauf hingewiesen, dass von Campenhausen der Grableerfindung im Gesamtzusammenhang der Osterereignisse eine hohe Relevanz zuspricht (vgl. v. Campenhausen, Der Ablauf, 106). Diese Einschätzung ergibt sich aus seiner Rekonstruktion der Osterereignisse, der zufolge die Grableerfindung durch die Frauen von Petrus, der seinen Glauben an Jesus auch nach dessen Tod ungebrochen erhalten habe, als ein „Unterpfand der erfolgten Auferstehung“ (a.a.O., 107 u. vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 12) verstanden worden sei. Anschließend habe Petrus die Jünger, die sich wie er nach dem Tod Jesu in Jerusalem versteckt hielten – so beschreibt es Adam – als „Initiator einer neuerlichen Glaubenshoffnung“ (Adam, Das leere Grab, 67) in die Heimat Jesu nach Galiläa geführt, da er vermutete, diesen dort anzutreffen. In Galiläa ereigneten sich schließlich die Erscheinungen des Auferstandenen, was nach Ansicht von Campenhausens zur Zerstreuung der verbliebenen Zweifel geführt habe (vgl. ebd. u. v. Campenhausen, Der Ablauf, 107 f.). Von Campenhausen weist nun darauf hin, dass über Jesu Leichnam und dessen Verbleib anhand der von ihm vollzogenen geschichtswissenschaftlichen Rückfrage keine Aussagen getroffen werden können, da die (den Grableerfindungsperikopen zugrundeliegende) Vorstellung der leiblichen Auferstehung Jesu als ein Glaubenszeugnis jenseits „des analogisch Verständlichen“ (v. Campenhausen, Ablauf, 108 f. u. vgl. Adam, Das leere Grab, 68) zu verorten sei. Betrachtet man diese Erwägungen, so beeindrucken sie viele Diskursteilnehmer vor allem 4

II.1 Die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis

45

macht.5 Die Interpretation der Grableerfindungserzählungen dient ihm somit als ein Ausgangspunkt seiner Ausführungen, weshalb ihnen von ihm ein merklich höherer Stellenwert zugesprochen wird, als dies etwa in den Auslegungen Karl Barths oder Rudolf Bultmanns der Fall ist. Die Einschätzung Pannenbergs, dass die Leerfindungserzählungen auf ein Wirken Gottes am Leichnam Jesu in der durch geschichtswissenschaftlichempirische Mittel erfassbaren Dimension der Geschichte hinweisen6, wird im Folgenden skizziert. Dabei wird eingangs auf das Geschichtsverständnis des Verfassers eingegangen, woran sich eine prägnante Darstellung seiner Interpretationen der Christuserscheinungen und der Leerfindung des Grabes anschließt.

II.1.1 Historizitäts- und Realitätsimplikationen „Nach der programmatischen These Pannenbergs ist die Geschichte der umfassendste Horizont christlicher Theologie: Die Geschichte ist die ’Wirklichkeit in ihrer Totalität.’“7

dadurch, dass sie in Bezug auf die Rekonstruktion der Entstehung der Auferstehungsverkündigung weder auf kognitiv schwer zugängliche Erscheinungen eines zuvor Verstorbenen noch auf legendarisch wirkende Engelsbotschaften zurückgreifen, sondern einzig ausgehend von der historisch-kritisch per se erst einmal gut nachvollziehbaren Grableerfindung durch einige Frauen ausgehen (vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 12). Von Campenhausens Ansätze bieten jedoch, wie unter anderem auch Adam zeigt, diverse Anknüpfungspunkte für Kritik, wobei insbesondere sein höchst selektiver Umgang mit den neutestamentlichen Texten und die damit einhergehende Abqualifizierung all jener unter ihnen, die er als legendarisch beurteilt, kritisch zu hinterfragen sind. Die Kernannahmen von Campenhausens, dass Petrus seinen Glauben an Jesus ungeachtet dessen Gefangennahme, Hinrichtung und Tod aufrechterhielt und ausgerechnet die Kunde von der Grableerfindung es bewirkte, dass er von selbst und ohne unterstützende Erscheinungen oder Engelsbotschaften von einer Auferstehung seines Herrn ausgegangen sei, sind ferner am biblischen Befund nicht zu plausibilisieren, der (mit Ausnahme der Fragen aufwerfenden Erwähnung des spontanen Zum-Glauben-Kommens des Lieblingsjüngers) davon zeugt, dass die Leerfindung per se keinen Auferstehungsglauben erwecken konnte, sondern vielmehr Furcht und Ratlosigkeit hervorrief (vgl. Adam, Das leere Grab, 70 f. u. Eckstein, Von der Bedeutung, 12). Ein weiterer, stets angeführter Kritikpunkt besteht im Verweis darauf, dass die vorausgesetzte Vorstellung, dass Petrus und die anderen Jünger den Auferstandenen in Galiläa als an einem recht beliebigen, irdischen Ort suchten, ausgehend von ihrem jüdisch-apokalyptisch geprägten Auferstehungsverständnis erst einmal nicht naheliegend gewesen sei (vgl. ebd.). 5 Vgl. Alkier, Die Realität, 220. 6 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 339. 7 Kiauka, Zeit und Theologie, 206, unter Zitation von Pannenberg, Heilsgeschehen und Geschichte, 27.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

In Entsprechung zur These der maßgeblichen Beeinflussung der Interpretationsergebnisse von Theologen durch ihre verinnerlichten und ihren Erkenntnisbemühungen zugrundeliegenden Prämissen wird im Folgenden anhand einiger Beispiele deutlich gemacht, dass die in diesem Teilkapitel untersuchte, über fünfundzwanzig Jahre entfaltete Auferstehungsinterpretation Pannenbergs maßgeblich durch sein Geschichtsverständnis und die dazugehörigen Wirklichkeits- und Historizitätsimplikationen geprägt wurde8, welche als relevante Gliederungs- und Aufbaumerkmale des zweiten Teils dieses Buches fungieren. Zur Orientierung dienen dabei Pannenbergs Darstellungen in seinen Grundzügen der Christologie, im Rahmen derer er seine Ausführungen durch eine Darstellung der von ihm vorausgesetzten Grundannahmen ergänzt. Pannenberg betont hier, dass die neutestamentlichen Zeugnisse der Auferstehungsgeschehnisse in symbolischen Sprachformen verfasst wurden9, was auf den Versuch der urchristlichen Zeugen zurückzuführen sei, eine doch sehr konkrete Wirklichkeit in Worte zu fassen, die ihrem Charakter als Endgeschehen entsprechend mit bestimmten Vorstellungen einherging, welche wiederum gewisse sprachliche Ausdrucksformen notwendig machten.10 Als Beispiel führt er die Redeform von der Auferweckung an, welche verwendet wurde, weil der Gegenstand der Totenauferweckung nicht angemessen anhand von Sprachformen auszudrücken gewesen wäre, die gemeinhin genutzt werden, um mit den Sinnen erfahr- und erfassbare Sachverhalte zu beschreiben. Stattdessen wurde die Verwendung metaphorischer Sprachformen notwendig. Diese ermögliche es, Wirklichkeiten, die durch alltägliche Wahrnehmungen nicht greifbar sind, durch den Rückgriff auf bekannte, diesseitige Vorgänge zu beschreiben, wenngleich dies damit einhergehe, dass die zu beschreibende Wirklichkeit und die Form, in der sie thematisiert wird, ganz wesentlich voneinander abweichen.11 Aus diesen Ausführungen folgt, dass Pannenberg, ausgehend von der Vorstellung einer komplexen und vielschichtigen Realität der Geschichte12 und der in 8

Vgl. Kendel, Die Historizität, 139. Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 96. 10 Vgl. a.a.O., 69. 11 Vgl. a.a.O., 70. Als weiteres Beispiel führt Pannenberg die Rede von der leiblichen Auferstehung an, die das Fehlkonzept nahelegt, dass es sich bei der Auferstehungsleiblichkeit um den reanimierten Körper eines Verstorbenen handele, was dem urchristlichen Verständnis der Auferstehungsleiblichkeit, das durch die besagte Sprachform ausgedrückt werden sollte, keineswegs entsprach (vgl. a.a.O., 71). 12 Den Begriff der Geschichte definiert Pannenberg in seinen hier untersuchten Ausführungen leider nicht eingehender. In seinem Gesamtwerk findet sich allerdings immer wieder die Vorstellung, dass Pannenberg die Geschichte als „Wirklichkeit in ihrer Totalität“ (Pannenberg, Heilsgeschehen und Geschichte, 27, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 206) denkt, die aufgrund dessen, dass „Gott als alles bestimmende Wirklichkeit“ (Pannenberg, Die Offenbarung Gottes, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 210) zu verstehen sei, logisch konsequent als das göttliche Handeln in der Schöpfung bezeichnet werden könne (vgl. ebd.). Pannenberg geht hier grundsätzlich davon aus, dass die Wirklichkeit von Gottes stets 9

II.1 Die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis

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ihr zu verortenden Begebenheiten, nicht davon ausgeht, dass die Verwendung symbolischer Sprachformen stets davon zeuge, dass die durch sie beschriebenen Ereignisse gänzlich erdacht seien und keinerlei Verankerungen in der mit geschichtswissenschaftlich-empirischen Mitteln erfassbaren Dimension der Geschichte aufwiesen.13 Er führt im weiteren Verlauf seiner Argumentation im Gegensatz dazu sogar aus, dass die mit empirisch-geschichtswissenschaftlichen Mitteln untersuchbare, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aussagbare Verankerung der Auferstehungsereignisse in der empirisch erfassbaren Dimension der Geschichte vor dem Hintergrund der jüdisch-apokalyptischen Hoffnung der endzeitlichen Auferweckung der Toten14 die plausibelste Interpretation des aus dem Ostergeschehen zu konstruierenden Bedeutungszusammenhangs sei.15 Da neuem, Verheißungen ergehen lassenden und auch erfüllenden Handeln durchzogen sei (vgl. Pannenberg, Grundfragen, 25). Die Geschichte stehe mit diesem Handeln nun derart in Verbindung, als dass sie als „das zwischen Verheißung und Erfüllung hineingespannte Geschehen“ (ebd.) bezeichnet werden könne, welches „durch die Verheißung eine unumkehrbare Zielrichtung auf künftige Erfüllung hin erhält“ (ebd.). Zudem und entsprechend versteht der Theologe die Geschichte stets als eine Heils- und Offenbarungsgeschichte Gottes, wobei die besagte Offenbarung als temporal strukturiert zu denken sei, da und indem sie „erst vom Ende der Geschichte bzw. der Zeit gedacht wird“ (Kiauka, Zeit und Theologie, 229). In der Auferstehung, deren Verankerung in der empirisch erfassbaren Dimension der Geschichte für Pannenberg – wie gezeigt – eine theologisch zentrale Bedeutung aufweist, wurde dieses „Ende der offenbarenden Geschichte“ (Körtner, Dogmatik, 188) allerdings bereits proleptisch erfahrbar, indem dem Menschen in ihr eine „Antizipation des Endes als Antizipation der Ewigkeit Gottes“ (Kiauka, Zeit und Theologie, 229) ermöglicht wurde, welche „die zeitüberbrückende Gegenwart jedes Menschen begründet“ (ebd.). Pannenberg insistiert somit auf die Verankerung der Auferstehung in der empirisch erfassbaren Dimension der Geschichte, obschon sie als eine Prolepse der endzeitlichen allgemeinen Auferstehung der Toten in einem eschatologischen Kontext gedeutet wird (vgl. Körtner, Dogmatik, 134), worin die in seiner Theologie an verschiedener Stelle vorfindliche Verknüpfung der Vorstellung einer (notwendigen) Verankerung der Auferstehung in der geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte mit dem (für sie charakteristischen) Verweis auf ihre eschatologische Wirklichkeit und Tiefendimension erkennbar wird. 13 Vgl. Kendel, Die Historizität, 153, Pannenberg, Grundzüge, 95 u. Pannenberg, Systematische Theologie II, 668. 14 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 95. 15 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 58. Die im späten Israel (wie auch für die Zeugen des Neuen Testaments) gültige, jüdisch-apokalyptische Vorstellung der endzeitlichen Auferstehung der Toten fungiert innerhalb der Konzeption Pannenberg als zentraler Deutungsrahmen, da die Auferstehung ausschließlich von ihr ausgehend in ihrer Bedeutung als Vorwegnahme der endzeitlichen Totenauferstehung durch Gott erkannt werden könne, die wiederum das „Ziel der Geschichte [sei]“ (Pannenberg, Jesu Geschichte und unsere Geschichte, 100, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 152). Eine mangelnde Berücksichtigung dieses Deutungshorizontes oder gar eine Distanzierung von ihm, wie sie im gegenwärtigen Diskurs nicht selten vollzogen wird (vgl. Kapitel II.5.1.b), beurteilt Pannenberg entsprechend als problematisch, da sie dazu führe, dass sowohl die Begründung als auch der Geltungsanspruch des christlichen Glaubens verloren gehen könnten (vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 152 u. Pannenberg, Grundzüge, 79) und die Christologie letztlich keine Kontinuität zur Person Jesus oder zu den Zeugnissen der Apostel aufwiese (vgl. Pannenberg, Grundzüge, 79).

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

sie durch eine kritische geschichtswissenschaftliche Untersuchung des gegebenen Überlieferungsbestandes bestätigt werden könne, dürfe die Auferstehung ferner entsprechend als ein „historisches Ereignis“16 bezeichnet werden. Pannenbergs eigener Definition folgend könne es sich bei einem solchen mitunter durchaus um ein Geschehen handeln, das lediglich anhand eschatologischer Sprachformen zu beschreiben sei17; das aber – entsprechend seines Historizitätsverständnisses – einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage „unbeschadet unterschiedlicher und kontroverser Urteilsbildung“18 standhalte. Anhand dieser Definition wird ersichtlich, dass das Geschichtsverständnis Pannenbergs19 kategorial von denen der anderen in diesem Buch thematisierten Theologen abweicht. Während viele von ihnen jede Möglichkeit der Verankerung der biblischen Auferstehungsereignisse in der Geschichte beziehungsweise in ihrer empirisch erfassbaren Dimension verneinen, weil eine solche konventionellen geschichts- und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen entgegenstünde, relativiert Pannenberg diesen Befund20 mit dem von ihm bereits früh als relevant empInwiefern der besagte Deutungshorizont im Sinne Pannenbergs tatsächlich auch im Zuge gegenwärtiger Auferstehungsdeutungen herangezogen werden sollte, wird im Kapiteln III.3.1 eigens diskutiert. 16 Pannenberg, Grundzüge, 95. 17 Vgl. ebd. Im Zuge seiner späteren Auseinandersetzung mit den Axiomen Ernst Troeltschs (vgl. Kapitel II.1.5) konkretisiert Pannenberg seine Definition des historischen Ereignisses, indem er – hier im deutlichen Gegensatz zu den troeltschen Axiomen – darauf hinweist, dass die Zuschreibung historisch keineswegs damit einhergehen müsse, dass jenes als historisch bezeichnete Ereignis eine Gleichartigkeit zu anderen, bereits bekannten Begebenheiten aufweise (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 403). Stattdessen könne lediglich festgehalten werden, dass der (mit der „Behauptung der Tatsächlichkeit eines geschehenen Ereignisses“ [ebd.] in untrennbarer Weise verbundene) Historizitätsanspruch einer Begebenheit in gleicher Weise wie die Behauptung seiner Tatsächlichkeit im Wesentlichen die „Tatsächlichkeit eines zu bestimmter Zeit geschehenen Ereignisses“ (ebd.) beschreibe. Entsprechend könne die Zuschreibung von Historizität ausschließlich ausgehend von geschichtswissenschaftlichen Rückfragen erfolgen und durch diese abgesichert werden, wie im Rahmen der weiteren Ausführungen eingehender erläutert wird. 18 Pannenberg, Systematische Theologie II, 404. 19 Im Zusammenhang mit dem Geschichtsverständnis Pannenbergs verweisen Merz und Theißen zudem auf die drei ihm zugrundeliegenden Postulate, die sich auf die Universalgeschichte, den anthropologischen Sinngehalt und die Naturwissenschaften beziehen (vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 442 f.). An dieser Stelle sei allerdings lediglich auf eine grundlegende Prämisse Pannenbergs hingewiesen, die darin besteht, dass die Geschichte als solche als „zielgerichteter Prozess“ (a.a.O., 442) zu bezeichnen sei, der ausschließlich als Ganzes und somit „vom Ende her“ (ebd.) verstanden werden könne. Ferner seien alle geschichtlichen Ereignisse, wie etwa die Reichgottesverkündigung Jesu, auf ihre in Zukunft noch erfolgende Bestätigung ausgelegt, die jedoch in der Auferstehung als dem antizipierten „Ende der Geschichte“ (Moltmann, Der Weg, 257) bereits vorweggenommen wurde, von dem ausgehend sie zu verstehen sei (vgl. a.a.O., 257 f.). Dass ein derartiges Urteil ausschließlich durch eine „universalgeschichtliche Betrachtung im Blick auf das Ende der Geschichte“ (a.a.O., 258) ermöglicht werde und sich dem geläufigen, positivistischen Geschichtsverständnis entzieht (vgl. ebd.), dürfte augenfällig sein. 20 Vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 166.

II.1 Die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis

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fundenen Verweis21 darauf, dass die modernen Naturwissenschaften nicht dazu in der Lage seien, die Komplexität der Welt und aller in ihr vorfindlichen Vorgänge in Gänze zu erfassen.22 Dies werde darin ersichtlich, dass lediglich ein Bruchteil aller Naturgesetze uns Menschen bekannt sei und man sich die Welt ohnehin als eine Art einmaligen und nicht umkehrbaren Prozess vorstellen müsse, in welchem ein einzelnes Geschehen nie vollständig naturgesetzlich determiniert sein könne.23 Ihre Gesetzmäßigkeit umfasse je nur einen einzigen Aspekt des betrachteten Ereignisses. Nur folgerichtig seien daher immer auch die Kontingenzen des jeweiligen Geschehens sowie die Geltung der zur Deutung herangezogenen Naturgesetze als solche zu beachten, woraus folge, dass den Naturwissenschaften zwar grundlegend eine „allgemeine Geltung“24 zugesprochen werden könne, jedoch von dieser nicht auf die (Un)Möglichkeit von isolierten einzelnen Geschehen zu schließen sei.25 Des Weiteren greife eine ausschließlich an den Naturwissenschaften orientierte Auseinandersetzung mit der Bibel schon deshalb fehl, weil ihre Inhalte aufgrund der strukturellen Eigenheiten der Berichte nicht so gekannt werden können, wie dies bei naturwissenschaftlich beschreibbaren Prozessen und Abläufen der Fall sei.26 Die Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung ist für Pannenbergs somit nicht bereits durch den Verweis auf naturwissenschaftliche Möglichkeitsbedingungen zu klären, sondern obliege wie alle Behauptungen, die sich auf eine vergangene raumzeitlich verankerte Begebenheit beziehen27, der Klärung durch Historiker.28 Eine derartige geschichtswissenschaftliche Unter-

21

Vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 110. Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 95 f. 23 Vgl. ebd. 24 A.a.O., 96. 25 Vgl. ebd. Den hohen Stellenwert der Kontingenz jedes Geschehens betont Pannenberg auch angesichts am Entwicklungsgedanken orientierter und/oder grundsätzlich teleologischer Deutungsversuche der Gesamtgeschichte, welche er sowohl aus theologischer als auch aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive für unannehmbar hält, da sie die angesprochene Kontingenz der einzelnen Ereignisse seines Erachtens nicht angemessen berücksichtigen (vgl. Pannenberg, Grundfragen, 48). Bei eingehenderem Interesse an dem Kontingenzverständnis Pannenbergs sei neben dem letztgenannten Literaturverweis und der kurzen Thematisierung dieses Gegenstandes im Kapitel II.1 auf die Ausführungen Kiaukas verwiesen, der erläutert, dass nach Ansicht Pannenbergs jedes einzelne Geschehnis einen „Ursprung in der Kontingenz der geschöpflichen Wirklichkeit“ (Kiauka, Zeit und Theologie, 166) aufweise und dass somit die gesamte Schöpfung einschließlich ihrer naturgesetzmäßigen Verfasstheit kontingent sei. Entsprechend könne kein Geschehen von vornherein als unmöglich bezeichnet werden, obschon es auf den ersten Blick „unnatürlich“ wirken möge (vgl. ebd.). 26 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 70. 27 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 346. 28 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 96. Pannenberg zeigt jedoch auch ein Bewusstsein dafür, dass selbst geschichtswissenschaftliche Befunde nun doch nur „Annäherungsversuche an die Realität“ (Welker, Die Wirklichkeit, 315) sein können, welche zu jeder Zeit überprüfungsbedürftig sind (vgl. ebd.). 22

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

suchung der Auferstehungsereignisse sei nach Ansicht Pannenbergs geboten, da so etwas wie eine Gewissheit darüber, ob eine konkrete Begebenheit tatsächlich stattgefunden habe, – wenn überhaupt – dann nicht etwa durch einen individuellen Glauben, sondern einzig durch geschichtswissenschaftliche Erkenntnisbemühungen zu erlangen sei.29 Dass es von elementarer Bedeutung sei, diese Gewissheit zu gewinnen, begründet er wiederum darin, dass die christliche Theologie und der christliche Glaube ohne eine Verankerung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der von Menschen erfahrbaren Wirklichkeit keinen Anspruch mehr auf eine Allgemeingültigkeit erheben könne, wodurch das Fortbestehen der Identität gefährdet würde, die den christlichen Glauben auszeichnet.30 Folglich bedürfe es zu der (für notwendig befundenen) Beurteilung des Geschichtsbezuges der Auferstehungsereignisse nach Ansicht Pannenbergs einer Rekonstruktion des konkreten Ereigniszusammenhangs, auf welchen die Erscheinungsberichte und die Grableerfindungsdarstellungen des Neuen Testaments sich beziehen31, was durch ein Zusammenspiel systematischer und traditionsgeschichtlicher Erkenntnisbemühungen sowie exegetischer und geschichtswissenschaftlicher Erwägungen zu realisieren sei.32 Eine derartige Prüfung nimmt Pannenberg eigens vor.

II.1.2 Die Erscheinungen des Auferstandenen „Gegenüber der Tendenz der protestantischen Theologie seit der Aufklärung, den Glaubensgegenstand in den Glaubensakt zurückzunehmen, will Pannenberg daran festhalten, ,dass der christliche Glaube seine Grundlage und Voraussetzung in der geschichtlichen Offenbarung Gottes hat.‘“33

29 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 96 f. Der geschichtswissenschaftlich rückfragende Historiker solle dabei aufgrund der massiven Subjektivität der Weltwahrnehmung und -deutung jedes Menschen sowie aufgrund der prinzipiellen Einflussnahme der eigenen Historizitätsund Realitätsimplikationen auf ebendiese im Rahmen seiner Untersuchungen stets kritisch hinterfragen, inwiefern sein „Urteil durch Einzelbefunde und durch die größere Kohärenz alternativer Beschreibungen erzwungen und inwieweit es das Ergebnis einer grundsätzlichen Voreingenommenheit ist“ (Pannenberg, Systematische Theologie II, 405). 30 Vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 127. 31 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 58. Bei Pannenberg wird die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension der Geschichte somit zur Prüfstelle jener theologischen Ausführungen, deren Verifikation seines Erachtens auf ihr Erfahren und somit auf ihren geschichtlichen Zusammenhang angewiesen bleibt (vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 207). 32 Vgl. Kendel, Die Historizität, 140. 33 Körtner, Dogmatik, 134, unter Zitation von Pannenberg, Systematische Theologie III, 171.

II.1 Die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis

51

Aufgrund dessen, dass die beiden Erzählstränge der Erscheinungsdarstellungen und der Grableerfindungsperikopen innerhalb der ältesten bekannten Überlieferungsschicht voneinander getrennt vorlagen, untersucht auch Pannenberg die Traditionen separat, um seine Erkenntnisse in einer abschließenden Zusammenschau zusammenfügen.34 Er beginnt mit der Untersuchung der Erscheinungen, wobei er sich aufgrund der zeitlichen Nähe ihrer Abfassungszeit zu den Erscheinungsereignissen sowie aufgrund der „Person des Paulus“35 als Augenzeuge vorrangig auf dessen Darstellungen aus 1 Kor 15,11 bezieht. Demgegenüber stuft er die Erscheinungsberichte der Evangelien aufgrund ihrer starken Prägungen durch die Intentionen ihrer Verfasser im Rahmen der Textausgestaltung, hier ersichtlich an einer merklichen Betonung der Leiblichkeit der Auferstehung36, als ein ungeeignetes Fundament für eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage ein37, weshalb sie seiner Ansicht nach zur Beurteilung des Geschichtsbezuges der Ereignisse nur wenig dienlich seien.38 Ein weiterer Grund für die Fokussierung auf den Paulustext bestehe darin, dass der Verfasser die alte, vorgeprägte Formel in 1 Kor 15,3b–5 benutze, die wahrscheinlich schon in den ersten fünf Jahren nach der Hinrichtung Jesu in Jerusalem entstand und von Paulus selbst lediglich ergänzt worden sei.39 34

Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 85. A.a.O., 86. 36 Vgl. a.a.O., 88 f. 37 Diese Einschätzung der Nutzbarkeit der jeweiligen Texte hinsichtlich einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage findet sich bereits in der (Pannenbergs Ausführungen zugrundeliegenden) Interpretation von Campenhausens, der ebenfalls zeigt, dass zur geschichtswissenschaftlichen Rekonstruktion der Osterereignisse ihre älteste erhaltene Bezeugung in der paulinischen Formel in 1 Kor 15,3 ff. zu bevorzugen sei (vgl. v. Campenhausen, Der Ablauf, 50 f. u. Adam, Das leere Grab als Unterpfand, 62). Ferner verweist er auf die markinischen Texte, welche jedoch aufgrund dessen, dass es sich bei Markus nicht um einen Augenzeugen gehandelt hat, hinsichtlich der in ihnen vorfindlichen redaktionellen Ergänzungen untersucht werden müssen, welche in die geschichtswissenschaftlichen Untersuchung nicht einzubeziehen seien (vgl. Adam, Das leere Grab als Unterpfand, 62 u. v. Campenhausen, Der Ablauf, 93 f.). Zu diesen Hinzufügungen zählt von Campenhausen die Darstellung des Himmelsboten am leeren Grab und die von ihm vermittelte Botschaft, bei der es sich im Wesentlichen um eine Zusammenfassung der durch von Campenhausen rekonstruierten Abfolge der österlichen Begebenheiten handele, die dem Himmelsboten durch den Evangelisten „in den Mund gelegt“ worden sei (Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 420, vgl. auch v. Campenhausen, Der Ablauf, 93 u. Oberlinner, Die Verkündigung, 176). 38 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 88 f. Eine Ausnahme stelle nach Ansicht Pannenbergs einzig das Markusevangelium dar, welches sich doch zumindest bedingt dazu eigne, zur Beurteilung der geschilderten Ereignisse herangezogen zu werden. Dies ist allerdings hinsichtlich der Erscheinungen nicht möglich, da das Markusevangelium bekanntlich keine Erscheinungsberichte beinhaltet. Dieser Umstand sei nicht darin zu begründen, dass Markus die galiläischen Erscheinungstraditionen nicht kannte, sondern darin, dass er sie bewusst nicht in seine Darstellung integrierte, weil die Geschichte um die Passion Jesu ihm als eine mit der Grableerfindungserzählung verbundene Jerusalemer Lokaltradition in einer bereits abgeschlossenen Form vorlag (vgl. Kendel, Die Historizität, 151 f.). 39 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 86 f. 35

52

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Somit beruhe das Gesagte nicht nur auf den möglicherweise nicht einmal zuverlässigen Erinnerungen eines einzigen Mannes und könne daher zur Untersuchung des Geschichtsbezuges herangezogen werden.40 In der genannten Textstelle zählt Paulus verschiedene Menschen auf, denen der Auferstandene erschienen sei. Explizit werden Petrus, der Zwölfkreis, fünfhundert Brüder, Jakobus, alle Apostel und Paulus selbst genannt. Aufgrund des Alters dieser Aufzählung sowie der Nähe ihres Verfassers zu den thematisierten Geschehnissen geht Pannenberg davon aus, dass sie als Beweis dafür dienen könnte, dass verschiedenen Gemeindemitgliedern Christuserscheinungen widerfuhren und diese somit gerade nicht erst im Zuge später stattfindender Legendenbildungen frei erdacht worden seien, sondern eine Verankerung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte aufwiesen.41 Insbesondere der in 1 Kor 15,6 vorfindliche Verweis Pauli darauf, dass der Großteil der angeführten fünfhundert Brüder zum Zeitpunkt der Abfassung des Textes noch lebendig sei und somit über die Erscheinungen hätte befragt werden können, deute nach Ansicht Pannenbergs darauf hin, dass Paulus intendiert habe, die Tatsächlichkeit der Auferstehung Jesu anhand seines Zeugenbeweises zu bekräftigen.42 Außerdem weist Pannenberg darauf hin, dass die urchristliche Gemeindebildung nur dann plausibel erklärbar sei, wenn man davon ausgehe, dass die Jünger tatsächlich davon überzeugt gewesen seien, dass ihnen ihr Herr erschienen sei.43 In einem zweiten, auf diesen Grundannahmen aufbauenden Argumentationsschritt konkretisiert Pannenberg, wie die Begegnungen mit dem Auferstandenen zu denken seien, wobei er sich ebenfalls auf Paulus beruft. Diese Auswahlentscheidung liegt darin begründet, dass er die Berichte der Evangelien zur eingehenderen Charakterisierung der Erscheinungen für wenig geeignet hält, da sie, wie angesprochen, durch die individuellen Konzeptionen der Evangelisten geprägt sind und so etwa in Abgrenzung zu doketischen Erwägungen die Leiblichkeit des Auferstandenen im besonderen Maße herausstellen. Darüber hinaus setze Paulus in 1 Kor 15 die Gleichheit von der ihm zuteilgewordenen Erscheinung und denen der anderen Apostel voraus, was ebenfalls dafür spreche, seine Ausführungen zur Untersuchung heranzuziehen.44 Aus dieser ergeben sich verschiedene Charakteristika der Christuserscheinungen. Pannenberg betont so etwa, dass die Verbindung zwischen den Erscheinungen und dem Menschen Jesus

40

Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 86 f. Vgl. a.a.O., 87. Pannenberg räumt ein, dass die angeführten Zeugen zweifellos emotional beteiligt gewesen seien und selbstverständlich auch auf einen nun doch noch positiven Ausgang des grauenvollen Kreuzesgeschehens gehofft haben dürften, welches seine dargestellten Untersuchungsergebnisse jedoch nicht tangiere oder gar relativiere (vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 108). 42 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 86. 43 Vgl. a.a.O., 87 f. 44 Vgl. a.a.O., 88 f. 41

II.1 Die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis

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von Nazareth für Paulus deutlich erkennbar gewesen sei, da dieser in ihnen als Sohn Gottes offenbart werde.45 Auch zeigen die Textbefunde, dass er wahrscheinlich nicht als eine in alltäglich erfahrbarer Weise leibhaftig konstituierte Person erschien, sondern in seinen Geistesleib gekleidet gewesen sei46, was sich in der paulinischen Unterscheidung zwischen alter und neuer Leiblichkeit widerspiegelt, auf die im späteren Verlauf dieses Buches eigens eingegangen wird. An dieser Stelle ist vorerst festzuhalten, dass die Paulus widerfahrene Erscheinung offenbar nicht mit der Schau eines reanimierten Leichnams zu vergleichen war, sondern dass ihm eine Wirklichkeit begegnete, die sich vom alltäglich Erfahrbaren deutlich unterschied. Die Daseinsform des Auferstandenen, auf die sich die christliche Zukunftshoffnung richte, sei somit erkennbar von sonstigen Auferweckungsvorstellungen der antiken Welt zu unterscheiden, die oft auf eine temporäre Wiederbelebung eines Toten abzielten, und könne treffender als eine gänzlich neue, durch keine Vergänglichkeit bedrohte Lebensform beschrieben werden, die von alltagsweltlich bekannten organismisch konstituierten Lebensformen grundlegend abweiche.47 Pannenberg zeigt zudem, dass die Begegnungen mit dem Auferstandenen als Lichtphänomene und als sich vom Himmel her vollziehende Erscheinungen gedeutet werden könnten, da Jesu Auferstehung und seine Entrückung in den Himmel gemäß der ältesten neutestamentlichen Zeugnisse zusammenfielen. Darüber hinaus schlussfolgert er aus seinen Untersuchungen, dass die Christophanien von Auditionen begleitet wurden, deren inhaltliche Aussagen jedoch im Wesentlichen in dem aufging, was bereits anhand der Erscheinungen des Auferstandenen wahrnehmbar wurde.48 Zusammenfassend betont Pannenberg, dass die genannten Charakteristika – mit Ausnahme der Erscheinungsform des Auferstandenen als ein Lichtphänomen – hinsichtlich aller Christuserscheinungen vorausgesetzt werden können. Außerdem sei all jenen Begegnungen gemein gewesen, dass die „Schauenden“ die Person Jesus von Nazareth innerhalb des Erscheinungsgeschehens wiederzuerkennen vermochten und die fremde Wirklichkeit, mit der sie in den Erscheinungen konfrontiert wurden, (einer freilich umperspektivierten Version geläufiger apokalyptischer Hoffnungen einer endzeitlichen Auferstehung der Toten entsprechend) als eine Begegnung mit ihrem auferstandenen Herrn deuteten.49 Des Weiteren nimmt Pannenberg an, dass die von ihm beschriebenen außerordentlichen Erscheinungen nicht allgemein sichtbar gewesen seien, was er am Beispiel des Damaskuserlebnisses des Paulus belegt, im Rahmen dessen die Begleiter Pauli es laut der Darstellung der Apostelgeschichte nicht vermochten, die Paulus zuteilgewordenen Erscheinungen wahrzunehmen oder gar zu deuten.50 45

Vgl. a.a.O., 89. Vgl. ebd. 47 Vgl. a.a.O., S. 72 f. 48 Vgl. a.a.O., 89. 49 Vgl. a.a.O., 89 f. 50 Vgl. a.a.O., 90 u. Apg 22,6–11, hier insbes. Vers 9. 46

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Angesichts dieser herausgestellten Merkmale der Erscheinungen resümiert Pannenberg, dass ebendiese am trefflichsten als Visionen zu bezeichnen seien, die er näher als „außerordentliche Gesichte“51 definiert, welche sich dadurch auszeichneten, dass sie nicht allen Menschen zuteilwurden und selbst in ihrem konkreten Kontext nicht von allen hier gegenwärtigen Personen wahrgenommen werden konnten. Auch unterstreicht er, dass die Visionen nicht notwendigerweise imaginär gewesen sein mussten52, da die Definition des Widerfahrnisses als Vision lediglich seine „subjektive Erfahrungsweise“53 näher charakterisiere, ohne dass über seine Realität eingehendere Aussagen getroffen würden.54 Dies werde auch durch die innerbiblische Unterscheidung der Auferstehungserscheinungen von den „sonstigen Gesichten“55 oder Schauungen nahegelegt. Zur Konkretisierung zeigt Pannenberg auf, dass er eine Deutung der Visionen als ausschließlich subjektive, psychopathologisch zu verortende, psychogene Vorgänge innerhalb der Jünger ohne eine außersubjektive, mit ihnen korrespondierende Wirklichkeit (im Sinne der Konzeption Gerd Lüdemanns) für unplausibel halte, da eine derartige seelische Reaktion der „Produktion von Bestätigungserlebnissen“56 oder ein Überdauern des Glaubens der Jünger nach der Erfahrung der Kreuzigung Jesu aus psychologischer Sicht nicht stimmig zu erklären seien. Ferner seien auch alle Deutungen der Erscheinungen als selbsterzeugtes Produkt der Imagination enthusiastisch in Aufruhr versetzter Jünger57 ohne jeden außersubjektiven, objektiven Wirklichkeitsbezug nicht denkbar, was nicht nur in der Mehrzahl der zeitlich gestreuten Erscheinungsgeschehnisse ersichtlich werde58, sondern auch daran, dass systematisch-theologische Versuche, eine stimmige subjektive Visionshypothese hervorzubringen, welche die Frage nach der Wirklichkeit der Auferstehung sensu Pannenberg ausklammere, seines Erachtens bislang gescheitert seien.59 Dies sei darin zu begründen, dass subjektive Visionshypothesen die Visionen im Inneren der Visionsempfänger verorteten und sie damit letztlich als Produkt ihres Glaubens verstünden60, was den biblischen Erscheinungsberichten nicht entspreche, da in diesen die Erscheinungen nun gerade nicht aus einem Auferstehungsglauben der Schauenden resultierten, sondern ihr Glaube – im Gegenteil – das Resultat der ihnen zuteilgewordenen Erscheinungen gewesen sei.61 Weil 51

Ebd. Vgl. a.a.O., 90. 53 A.a.O., 91 f. 54 Vgl. ebd. 55 A.a.O., 90. 56 A.a.O., 93, vgl. auch a.a.O., 92, Welker, Gottes Offenbarung, 113 u. die in Kapitel II.2.4 dargestellte Deutung Gerd Lüdemanns. 57 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 93. 58 Vgl. a.a.O. 94 u. Welker, Gottes Offenbarung, 109. 59 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 93. 60 Vgl. Klappert, Diskussion, 11. 61 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 93. 52

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nach Ansicht Pannenbergs somit alle Versuche ausschließlich psychogener Erläuterungen der Erscheinungen als „Jünger-Imaginationen“ scheiterten, da für eine derartige Übertragung psychiatrischer Visionsbegriffe auf die Erscheinungen Jesu erst einmal nichts spreche und auch der Überlieferungsbestand eine derartige Deutung nicht nahelege, sei man dazu angehalten, eine geschichtswissenschaftliche Rekonstruktion jener Ereignisse durchzuführen, die zur Entstehung des Auferstehungsglaubens und des frühen Christentums im Allgemeinen führten.62 Eine derartige Rekonstruktion ergebe, dass die thematisierten Visionen als nicht näher bestimmte historische Ereignisse (im Sinne empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbarer Geschehnisse) gedacht und verstanden werden müssten, sofern man die Entstehungen des Auferstehungsglaubens der ersten Christen sowie des Urchristentums logisch erklären wollte, wenngleich ein derartiges Verständnis freilich eine Berücksichtigung und ein Mitdenken der jüdischapokalyptischen Erwartung der endzeitlichen Totenauferstehung voraussetzt.63 Für eine Verankerung der Visionen in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte spreche außerdem, dass sich der Auferstandene zu konkreten Zeitpunkten gegenüber ausgewählten, näher spezifizierten Personen gezeigt habe64, was eine mythologische Deutung der Erzählungen im Sinne Bultmanns grundsätzlich ausschließe. Darüber hinaus beurteilt Pannenberg es als unwahrscheinlich, dass von der jüdischen Tradition her denkende Menschen das Hereinbrechen der Endereignisse auf eine Einzelperson – wie etwa Jesus – bezogen hätten65, sofern sie dazu keinen „zwingenden Anlass“66 gehabt hätten, da die dieser Konzeption zugrundeliegende apokalyptische Tradition keine Hoffnung auf eine Auferstehung einzelner Personen beinhaltete, sondern auf die Vorstellung einer eschatologischen allgemeinen Totenauferstehung im Zuge der göttlichen Neuschöpfung der Welt abzielte.67 Die Rede von einer Auferstehung der Einzelperson Jesus von Nazareth, die sich bereits vor der endzeitlichen allgemeinen Auferstehung der Toten vollzieht, sei somit innerhalb der zur damaligen Zeit geläufigen, apokalyptischen Darstellungen als ein religionsgeschichtliches Novum zu betrachten.68 Diese Ausführungen zeigen, dass die pannenbergsche Charakterisierung eines Ereignisses als historisch sowie die dem Ereignis durch diese Charakterisierung zugeschriebene Bedeutung untrennbar mit dem Geschichtszusammenhang, in dem das Ereignis zu verorten ist, und mit den Verstehenshorizonten, die zu seiner

62

Vgl. a.a.O., 95. Vgl. ebd. 64 Vgl. a.a.O., 96. 65 Vgl. a.a.O., 93. 66 Ebd. 67 Vgl. Klappert, Diskussion, 11. 68 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 93. 63

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Deutung nutzbar gemacht wurden, verbunden sind und ohne die Reflexion ebendieser nicht verständlich gemacht werden könnten.69 Pannenberg zeigt dies daran auf, dass man sich der Rede von der Auferstehung lediglich unter Zuhilfenahme der jüdisch-apokalyptischen Zukunftshoffnungen mit ihrer Vorstellung einer endzeitlichen Totenauferstehung annähern und sie auch nur so erschließen könne70, weil auch die ersten Christen, die dem Auferstandenen begegneten, dieses Geschehen vor dem Hintergrund ihrer religiösen und kulturellen Grundlagen als Anbruch einer endzeitlichen Totenauferweckung verstanden.71 Zur Bekräftigung dieser Thesen verweist Pannenberg auf 1 Kor 15,16, wo Paulus unterstreiche, dass die Hoffnung auf eine allgemeine, endzeitliche Auferweckung der Toten als Bedingung der Anerkennung der Aufweckung Jesu gelte, und er betont, dass die apokalyptischen Vorstellungen auch in die neu gegründeten, primär heidenchristlich geprägten Gemeinden überführt worden seien.72 Folglich schlussfolgert Pannenberg, dass die Auferstehung aus den genannten Gründen auch heute als Anbruch der Endereignisse und vor dem Hintergrund einer apokalyptischen Auferstehungserwartung zu verstehen und im Sinne einer allgemeinmenschlich-philosophischen Grundwahrheit zu vermitteln sei.73 Zudem sei der besagte ursprüngliche, geistesgeschichtliche Deutungshorizont auch als eine kritische Prüfinstanz in Bezug auf entstehende systematisch-theologische Auferstehungsdeutungen heranzuziehen, um Fehlinterpretationen der Auferstehungsereignisse sowie ihrer Verankerung in der Geschichte vorzubeugen, die

69

Vgl. Klappert, Diskussion, 233 u. Kendel, Die Historizität, 142. Vgl. Kendel, Die Historizität, 142 u. Härle, Wiederentdeckte Wurzeln, 26. Weshalb Pannenberg voraussetzt, dass die Auferstehung ausschließlich unter Zuhilfenahme der jüdisch-apokalyptischen Zukunftserwartung gedeutet werden könne, wird bei Kiauka mit Verweis auf die pannenbergsche ontologische und anthropologische Begründung des „Absolutheitsstatus der Apokalyptik“ (Kiauka, Zeit und Theologie, 229) dargestellt. 71 Vgl. Klappert, Diskussion, 234. Dass die Jünger die Auferstehung als Anbruch der endzeitlichen Totenauferweckung verstanden, wenngleich sich diese Vorstellung im Zusammenhang mit der Auferstehung einer einzelnen Person im von ihnen zur Interpretation herangezogenen Vorstellungsrahmen ursprünglich nicht wiederfand, sei daran zu erkennen, dass eine Modifikation des besagten Deutungshorizonts aufgrund der ihnen zuteilgewordenen Erscheinungen erfolgt sei (vgl. Kendel, Die Historizität, 155). 72 Vgl. a.a.O., 144. 73 Vgl. ebd. Dass sich die Bedeutung der Auferstehung erst vor dem Hintergrund der jüdisch-apokalyptischen Erwartung einer endzeitlichen Totenauferstehung erschließe und ein Wegfallen dieses Verstehenshorizonts einem Wegfallen der Begründung des christlichen Glaubens entspräche, begründet Pannenberg auch in dem Anspruch, den die jüdische Apokalyptik in Bezug auf die Universalgeschichte erhebe, in welcher wiederum der (auf das Ziel aller Geschichte ausgerichtete) Plan Gottes sich ausdrücke (vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 152), da erst im diesem Geschichtskonzept ersichtlich werde, dass die allgemeine Totenauferstehung als „Ziel aller Geschichte“ (Pannenberg, Jesu Geschichte und unsere Geschichte, 100, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 152) in Jesu Auferstehung bereits vollzogen wurde. 70

II.1 Die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis

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aus der Distanzierung von dem Verstehenshorizont der apokalyptischen Zukunftserwartung zwangsläufig resultierten.74

II.1.3 Der empirische Zustand des Grabes An seine Interpretation der Erscheinungen schließen sich Pannenbergs Überlegungen zur Grableerfindung als dem zweiten bekannten Überlieferungsstrang der Osterereignisse an.75 Diese Überlegungen fungieren innerhalb seiner Argumentation als eine Art Konvergenzargument, welches von ihm gemeinsam mit der skizzierten Rekonstruktion der Entstehung des Auferstehungsglaubens als Resultat der Erscheinungen Jesu zur Bekräftigung der „Wahrscheinlichkeit der Historizität der Auferweckung Jesu“76 angeführt wurde. Wie bereits angemerkt, schließt er somit im Gegensatz zu einigen der im Folgenden thematisierten Theologen nicht von seiner Auferstehungsdeutung auf den empirischen Zustand des Grabes, sondern untersucht die Grableerfindung gesondert, da er die Auffassung vertritt, dass die innergeschichtlichen Verankerungen der Erscheinungen und der Leerfindung des Grabes unabhängig voneinander zu beurteilen seien.77 Einführend zeigt Pannenberg auf, dass die Vorstellung einer Grableerfindung nicht unter Verweis darauf, dass Paulus sie nicht explizit erwähnt, pauschal ausgeschlossen werden könne, da sie nicht die in den paulinischen Briefen thematisierte Parallelität zwischen dem Geschick Jesu und dem der an ihn Glaubenden behandele und für Paulus somit von nur geringer Relevanz gewesen sei, sofern er um die Rede von einer Grableerfindung überhaupt wusste. Zur Beurteilung des empirischen Zustandes des Grabes verweist Pannenberg daher auf die Situation der Urgemeinde in Jerusalem und stellt heraus, dass die Jünger die Auferstehung dort nicht erfolgreich hätten verkündigen können, sofern das Grab nicht leer gewesen wäre, da der bloße Verweis auf den im Grabe vorfindlichen Leichnam ihre Behauptungen bereits widerlegt hätte.78 Pannenberg steht hier in der Tradition Althaus’, welcher ebenfalls deutlich macht, dass die Auferstehungsverkündigung „sich keinen Tag, keine Stunde in Jerusalem [hätte] halten können, wenn das Leersein des Grabes nicht als Tatsache für alle Beteiligten festgestanden hätte.“79

74 Vgl. Kendel, Die Historizität, 142. Als Fehlinterpretationen würden nach Ansicht Pannenbergs auch die in den nächsten Kapiteln dargestellten Konzeptionen gelten, wobei insbesondere die Interpretation Bultmanns den Kern der Auferstehungsereignisse gemessen an den Vorstellungen Pannenbergs notwendig verfehlt, da Bultmann die Verbindlichkeit des jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizonts hinsichtlich gegenwärtiger Auferstehungsdeutungen abstreitet, was den Annahmen Pannenbergs augenfällig entgegensteht. 75 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 97. 76 Vorholt, Osterevangelium, 59. 77 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 97. 78 Vgl. ebd. 79 Althaus, Die Wahrheit, 22 f., zitiert nach Pannenberg, Grundzüge, 98.

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Dieser Vorstellung scheint die in der jüdischen Anthropologie geläufige und etwa von Paulus zur Erläuterung und Deutung der Auferstehung herangezogene Vorstellung80 zugrunde zu liegen, dass die Auferstehung eines Verstorbenen diesen als Ganzen und somit auch seine Leiblichkeit tangiere und diese entsprechend notwendig in die Auferstehungsereignisse einbezogen werde.81 Im Gegensatz zur (heutzutage) weit verbreiteten Gegenüberstellung von Seele und Leib wurde dabei davon ausgegangen, dass sich in der Auferweckung eine Verwandlung des Leichnams des verstorbenen Auferstehenden vollziehe82, durch die er nicht bloß reanimiert, sondern vielmehr grundlegend verändert werde. Diese Veränderung wurde nicht als schiere Re-Konstruktion einer neuen Leiblichkeit aus den Teilen des verstorbenen Leibes oder als ein Ersetzen des sterblichen Leibes durch einen ganz neuartigen, ex nihilo geschaffenen Leib gedacht, sondern als ein Verwandeltwerden des alten Leibes im Sinne einer himmlischen Neuschöpfung an ihm. Auch in 2 Kor 5,1 ff. findet sich diese Vorstellung, da Paulus auch hier betont, dass der Auferstehungsleib keineswegs als schier reanimierter, beseelter, herkömmlich-irdischer Leib zu denken sei, sondern dass er sich durch seine kategoriale Andersartigkeit auszeichne, woran ebenfalls ersichtlich werde, dass das hier beleuchtete Konzept nicht auf evolutionistische oder gnostisch-dualistische, jede Verbindung von irdischem und neuem Leib verneinende Vorstellungen abziele.83 Obwohl der neue Leib keine Kontinuität struktureller oder substantieller Art zur irdischen Leiblichkeit aufweise, handele es sich bei der Auferstehung doch um ein Geschehen an dieser, weshalb „eine geschichtliche Kontinuität“84 bestehe. Daher sei eine erfolgreiche Verkündigung der Auferstehung Christi unter der Prämisse der Möglichkeit der Anschauung seines Leichnams als unrealistisch zu beurteilen.85 Des Weiteren zeigt Pannenberg, dass auch die frühjüdische, sich gegen die christliche Auferstehungsbotschaft richtende Polemik keine Unberührtheit der Grabstätte thematisiert habe, sondern die Auffassung zu teilen schien, dass diese leer vorgefunden wurde, was die thematisierte Zuverlässigkeit der Bezeugung der Grableerfindung ebenfalls bekräftige.86 Aufgrund dieser geschichtswissenschaftlichen Erwägungen sei folglich schlusszufolgern, dass die erfolgreich vollzogene Auferstehungsverkündigung in 80

Vgl. Kendel, Die Historizität, 151. Vgl. Klappert, Diskussion, 14 f. 82 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 23 u. Klappert, Diskussion, 14. 83 Vgl. Klappert, Diskussion, 14 f. 84 Pannenberg, Grundzüge, 72. 85 Vgl. a.a.O., 97. 86 Vgl. a.a.O., 98. In der jüdischen Polemik wurde also nicht bestritten, dass das Grab leer aufgefunden wurde (Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 62). Stattdessen wurde dieser Umstand, wie die matthäische Grableerfindungsperikope zeigt, auf eine die christliche Botschaft verunglimpfende Weise gedeutet, indem etwa behauptet wurde, dass die Jünger die Leiche entwendet hätten (vgl. Klappert, Diskussion, 12). 81

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Jerusalem, die auch zur Entstehung der urchristlichen Gemeinden geführt habe, erst ausgehend von der Annahme, dass Jesu Grab tatsächlich leer war, nachvollziehbar werde. Aus dieser Erkenntnis könne daher gefolgert werden, dass eine Grableerfindung stattgefunden habe, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es sich bei der thematisierten, markinischen Grableerfindungserzählung um eine sekundäre Legende handelte.87 Lediglich eine einseitige, auf eine Interpretation der Textüberlieferung reduzierte Deutung könne ferner in Bezug auf die Frage nach der Plausibilität einer Grableerfindung im Gegensatz zu diesen Erwägungen ein negatives Resultat hervorbringen.88 Eine reflektierte Analyse der biblischen Befunde im Sinne Pannenbergs führe hingegen notwendig zur Anerkennung der Erkenntnis, „dass man in Jerusalem wusste, das Grab sei leer.“89

II.1.4 Zusammenschau: Die Auferstehung als historisches Ereignis Zum Abschluss seiner Darstellungen verbindet Pannenberg seine Ausführungen über die Erscheinungen und über das leere Grab und stellt dabei die wesentlichen Verbindungslinien beider Traditionen heraus, indem er eine Verhältnisbestimmung der Aspekte vornimmt.90 Zunächst zeigt er, dass die ersten Erscheinungen des Auferstandenen in Galiläa zu verorten seien, wohingegen sich die Grableerfindung in Jerusalem zugetragen habe. Um nun die Verbindung der beiden Begebenheiten zu ermitteln, sei zu hinterfragen, ob die Anhänger Jesu sich bereits unmittelbar nach dessen Gefangennahme nach Galiläa zurückbegeben haben oder ob sie vorerst in Jerusalem verweilten. Sofern die Jünger umgehend nach Galiläa aufgebrochen seien, sei anzunehmen, dass sie bei der Grableerfindung in Jerusalem nicht zugegen ge-

87 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 99. Pannenberg selbst geht davon aus, dass die Rede vom leer vorgefundenen Grab in Bezug auf ihre Überlieferungsgeschichte sehr alt (Klappert, Diskussion, 12) und bereits in vormarkinischen, in Jerusalem entstandenen Passionsdarstellungen verankert gewesen sei (Pannenberg, Grundzüge, 101), was auch durch „das paulinische εÆ τα ϕη in 1 Kor 15,4“ (ebd.) bestätigt zu werden scheine. Die bereits in Kapitel I.2.5.a angesprochene, vermeintlich im Widerspruch zu den Grableerfindungsperikopen der Evangelien stehende Anmerkung in Apg 13,27–29 vermöge diese Theorie nicht zu schwächen, da es sich bei ihr vorrangig um eine lukanische Aktarede handele (vgl. ebd.). 88 Vgl. a.a.O., 99. 89 Ebd. Pannenberg spricht der Grableerfindung allerdings nicht ausschließlich deshalb eine hohe Relevanz zu, da er sie in seiner Argumentation als Hinweis darauf heranziehen kann, dass es sich bei der Auferstehung um ein „historisches Ereignis“ (a.a.O., 95) handele, sondern auch, weil sie eindrücklich verdeutliche, dass es sich bei den Erscheinungen keineswegs um innerpsychische Prozesse ohne außersubjektive Realität gehandelt habe, sondern dass sie von der Verwandlung des irdischen Leibes Jesu in seine neue, eschatologische Wirklichkeit zeugen (vgl. Kendel, Die Historizität, 158). Darüber hinaus fungieren die Leerfindungsperikopen, wie noch zu thematisieren sein wird, als eine Bestätigung dessen, dass es tatsächlich Jesus war, der sich in den Erscheinungen als der Auferstandene offenbarte. 90 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 101 f.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

wesen seien und dass ihnen die Erscheinungen entsprechend unabhängig von der Kenntnis um eine Leerfindung zuteilwurden.91 Dieser These steht jedoch die Auffassung von Campenhausens entgegen, dass sich die Jünger nach der Verhaftung Jesu vorerst weiterhin in Jerusalem aufhielten, ehe sie sich nach der Grableerfindung durch die Frauen unter der Führung des durch diesen Befund zum Glauben gekommenen Petrus nach Galiläa – dem Ort der Erscheinungserfahrungen – begaben, da sie hofften, Jesus dort wiederzusehen.92 Pannenberg beurteilt diesen Rekonstruktionsansatz jedoch als zweifelhaft, weil er die durch von Campenhausen dargestellte, „psychologische Motivierung“93 der Jünger in Bezug auf ihr Wiederkehr nach Galiläa als nur wenig plausibel einstuft. Er geht grundsätzlich davon aus, dass die Jünger nicht von einer Grableerfindung gewusst haben mussten, um sich dazu veranlasst zu sehen, in ihre Heimat zurückzukehren. Zudem sei anzunehmen, dass die Jünger Jerusalem nach einer Leerfindung des Grabes nicht verlassen hätten, sondern dort in Erwartung des nahenden Weltendes verweilt hätten, so wie sie es faktisch taten, nachdem sie im Anschluss an ihre Erscheinungserlebnisse in Galiläa wieder nach Jerusalem zurückkamen.94 Gegen einen Aufenthalt der Jünger in Jerusalem nach der Gefangennahme ihres Herrn sprechen – neben der angesprochenen ursprünglichen Eigenständigkeit der zwei thematisierten Überlieferungsstränge – auch einige Passagen der Passionsgeschichten; so wäre gegenüber den neutestamentlichen Darstellungen anzunehmen, dass die Jünger, sofern sie sich vorerst in Jerusalem aufgehalten hätten, die Hinrichtung Jesu beobachtet oder an dessen Bestattung mitgewirkt hätten.95 Aus all diesen Überlegungen schlussfolgert Pannenberg, dass die Jünger ganz unabhängig von der Grableerfindung nach Galiläa zurückgingen und dass sie von dieser erst erfuhren, nachdem sie nach Jerusalem zurückkehrten, was sich in

91 Vgl. a.a.O., 102. In ähnlicher Weise urteilt Graß, der annimmt, dass die Jünger unmittelbar nach der Festnahme Jesu nach Galiläa aufbrachen und dort Zeugen der Erscheinungen wurden (Schwager, Die heutige Theologie, 435). Im Gegensatz zu Pannenberg nimmt er jedoch an, dass der Leichnam unterdessen, wie es in Bezug auf hingerichtete Verbrecher üblich gewesen wäre, in ein anonymes Massengrab gelegt wurde, sodass sein Verbleib nicht mehr nachvollzogen werden konnte (vgl. a.a.O., 435 f.). 92 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 102, Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 420 u. Oberlinner, Die Verkündigung, 171. Diese Ansicht von Campenhausens entspricht im Wesentlichen der markinischen Vorstellung des Jüngerzuges Richtung Galiläa, wobei er allerdings die im Evangelium vorfindliche Aufforderung des Himmelsboten, nach Galiläa zu gehen, nun dem (durch die Grableerfindung vermeintlich von der Auferstehung Jesu überzeugten) Petrus zuspricht (vgl. Pannenberg, Grundzüge, 102). 93 Ebd. 94 Vgl. ebd. 95 Vgl. a.a.O., 102 f.

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der angesprochenen Eigenständigkeit beider Stränge der Überlieferung widerspiegele.96 Die besagte Unabhängigkeit der Entstehung der Traditionen, der nach Ansicht Pannenbergs eine erhebliche Relevanz in Bezug auf die geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach den Auferstehungsereignissen zukomme97, lege ferner nahe, dass die zwei thematisierten, sich gegenseitig ergänzenden und bestätigenden Überlieferungsstränge „die Behauptung der Tatsächlichkeit der Auferweckung“98 aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive als plausibel ausweisen, weshalb sie „bis auf weiteres vorauszusetzen“99 sei. Die pannenbergsche Beurteilung der Grableerfindung veränderte sich jedoch über die Jahre hinweg insofern, als dass der Theologe ihr in seinen späteren Werken im Gegensatz zu seinen Darstellungen in den Grundzügen der Christologie eine nur noch unterstützende, erläuternde Funktion zugesteht und sich hinsichtlich der Verankerung der Auferstehungsereignisse in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte vorrangig auf die Erscheinungen beruft.100 Diese Relativierung der Aussagekraft der Grableerfindung gegenüber der der Erscheinungen hinsichtlich des von Pannenberg angestrebten Beweises des geschichtlich-ereignishaften Charakters der Auferstehung dürfte maßgeblich auf die im Folgenden dargestellte Kritik an seiner Konzeption zurückzuführen sein. Insbesondere das von Pannenberg selbst in seine Ausführungen aufgenommene und adaptierte Argument, dass der Umstand eines leeren Grabes per se mehrdeutig sei und erst im Zusammenhang mit den Erscheinungsberichten seine argumentative Relevanz erlange101, scheint hier einen erheblichen Einfluss auf die von Pannenberg vollzogenen Modifikationen seiner Konzeption genommen zu haben. Interessanterweise betont Pannenberg angesichts der besagten Modifikationen seiner Darstellungen aber, dass er schon 1964 im Rahmen seiner Grundzüge der Christologie einen Vorrang des Traditionsstranges der Erscheinungsberichte gegenüber dem der Grableerfindungserzählungen in Bezug auf ihre Relevanz

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Ebd. Vgl. Pannenberg, Die Auferstehung Jesu – Historie und Theologie, zitiert nach Thiessen, Kontroverse, 23. 98 Pannenberg, Grundzüge, 103. 99 Ebd. 100 Vgl. Kendel, Die Historizität, 156. 101 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 395. Nichtsdestotrotz hält Pannenberg insofern an der Relevanz der Grableerfindung fest, als dass er weiterhin herausstellt, dass die Rede vom leeren Grab auch dazu dienen könne, Fehlkonzepten konstruktiv zu begegnen und so etwa spiritualistisch anmutenden Verflüchtigungen der Botschaft von der Auferstehung Jesu entgegenzuwirken (vgl. a.a.O., 402). Darüber hinaus bleibt er bis zuletzt seinen Grundannahmen treu, dass die Grableerfindung sich von den Erscheinungen gänzlich unabhängig zugetragen habe und dass sie deshalb, wenn schon nicht (mehr) als Beweis, so doch wenigstens als Bestätigung dessen anzuerkennen sei, dass die Erscheinungen und die in ihnen offenbarte Wirklichkeit tatsächlich von Jesu Auferstehung zeugten (vgl. ebd.). 97

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

hinsichtlich der Frage nach der innergeschichtlichen Verankerung der Auferstehung vorausgesetzt habe, was darin ersichtlich werde, dass er schon dort die Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehungsereignisse ausgehend von den Erscheinungen diskutiert habe und die Grableerfindung erst im Anschluss daran reflektierte.102

II.1.5 Kritische Würdigung Die Auferstehungsdeutung Pannenbergs wurde vielfach kritisiert, wobei dem Historizitäts- und Realitätsverständnis des Theologen neben methodischen und exegetischen Fragen ein besonderer Stellenwert zugemessen wurde. Viele Kritiker verweisen im Kontrast zum Geschichtsverständnis Pannenbergs so etwa auf das in den modernen Geschichtswissenschaften verbreitete, neuzeitliche, anthropozentrische Geschichtsverständnis, demzufolge der Mensch als „Subjekt der Geschichte“103 fungiere, wohingegen ein Einwirken Gottes auf die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension der Geschichte,

102 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 395. Inwiefern diese Verhältnisbestimmung Pannenbergs seinen Ausführungen in den Grundzügen zu entnehmen sind, bleibt eine Ermessensfrage. Die hier zugrundeliegende Wahrnehmung der Konzeption und der in ihr vorliegenden Gewichtung der Erscheinungen und der Grableerfindung in Bezug auf die Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung spiegeln sich in der vorgenommenen Darstellung wider. 103 Klappert, Diskussion, 17. Die Vorstellung des Menschen als „Subjekt der Geschichte“ (ebd.) wurde und wird von vielen Theologen kritisch untersucht. Neben der Stellungnahme Moltmanns, die im Kapitel II.3.2.b thematisiert wird, sei vor allem auf die Auseinandersetzung mit diesem Denkbild durch Pannenberg selbst verwiesen, der unterstreicht, dass die Kategorie der Geschichte nicht verstanden werden könne, wenn sie ausschließlich als „Feld nur menschlichen Handelns“ (Pannenberg, Die Offenbarung Gottes, 114, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 209) im Sinne verbreiteter, monopolistischer Ansprüche nichttheologischer Geschichtsdeutungen vorgestellt werde, da dieses Handeln lediglich ein Aspekt der Geschichte sei, aber per se nicht zum zusammenhaltenden und einenden Moment ihres Verlaufs (oder einzelner Teile ihres Verlaufes) erklärt werden könne (vgl. ebd. u. Pannenberg, Geschichte – Geschichtsschreibung – Geschichtsphilosophie, 660, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 209). Betrachte man die Welt angesichts ihrer unübersehbaren Mehrdimensionalität, so zeige sich ferner, dass ausschließlich die Berücksichtigung Gottes es möglich mache, „die Einheit der Geschichte in Wahrung der Eigenart des Geschichtlichen zu denken“ (Pannenberg, Grundfragen, 75), weil und zumal sie als Ganzes eben nicht selbstkonstitutiv vorgestellt werden könne (vgl. Pannenberg, Die Bedeutung, 94, zitiert durch Kiauka, Zeit und Theologie, 210). Entsprechend werde der „Einheit der Welt“ (Kiauka, Zeit und Theologie, 210) ihre Grundlage entzogen, sofern der Mensch an Stelle Gottes im Sinne eines (exklusiv auf den autonom agierenden Menschen ausgerichteten, den Gott der Bibel preisgebenden) Geschichtsverständnisses zum „Subjekt der Geschichte“ (a.a.O., 210, vgl. auch a.a.O., 209) erhoben werde. Eine Ersetzung Gottes als jenes Subjekt, das die Einheit der gesamten, komplex-mehrdimensionalen Geschichte verbürge, scheitere nach Ansicht Pannenbergs somit notwendig (vgl. a.a.O., 211).

II.1 Die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis

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wie Pannenberg es voraussetzt, kategorisch abgelehnt wird.104 Die Geschichte wird hier als ein „geschlossener Kausalzusammenhang“105 und ein in sich bereits uneingeschränkt vollständiges Ganzes angesehen. Die pannenbergsche Vorstellung einer sich in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte ereignenden Auferweckung eines Menschen durch Gott könne von Vertretern dieser Auffassung ferner nur als unmögliche Aussage angesehen werden.106 Dies sei nachfolgend mit enger Bezugnahme auf die Ausführungen Ernst Troeltschs über die „Methode des historischen Verstehens“107 innerhalb seines diskursprägenden Werkes Über historische und dogmatische Methode erläutert, dessen Veröffentlichungen Weinrich zu Recht als jene Darstellungen bezeichnet, in denen die (auch den heutigen Auferstehungsdiskurs in erheblicher Weise prägende) „Entwicklung zu einer an das neuzeitliche Selbstverständnis des Menschen möglichst konsequent angepassten Theologie zu einem vorläufigen Ende gekommen ist.“108 Troeltsch postuliert so drei noch immer verbreitete und von vielen Menschen geteilte Axiome, auf denen eine angemessene Auseinandersetzung mit biblischen Texten anhand der historisch-kritischen Methode seines Erachtens fußen sollte. Im ersten Axiom zeigt er, dass jede historisch-kritische Erkenntnisbemühung grundsätzlich lediglich Wahrscheinlichkeitsurteile hervorbringen könne.109 Die

104

Vgl. a.a.O., 42, Klappert, Diskussion, 18 u. Vorholt, Osterevangelium, 332. Klappert, Diskussion, 18. 106 Vgl. a.a.O., 17 f. Die Darstellung einer Argumentationsstruktur zugunsten der vermeintlichen Unmöglichkeit eines Einwirkens Gottes auf die Welt findet sich bei Göcke, der die eingangs angeführte Prämisse betont, dass die Naturwissenschaften nicht dazu befähigt seien, „eine naturgesetzlich strukturierte und unter Rekurs auf die Naturgesetze epistemisch erfassbare Welt [zu] erforschen“ (Göcke, Ein dispositionalistisches Modell, 316), sofern es einen Gott gebe, der handelnd in die Welt eingreifen könne. Weil die Naturwissenschaften aber nachweislich und erfolgreich dazu befähigt seien, eine derart konstituierte Welt samt ihrer Gesetzmäßigkeiten zu konstruieren, könne ein handelndes Eingreifen Gottes in dieser ausgeschlossen werden. Da „die Wahrheit der beiden Prämissen die Wahrheit der Konklusion erzwingt“ (ebd.), wird dieser Argumentationsgang von seinen Verfechtern als „logisch gültig“ (ebd.) angesehen. Er beruht dabei auf der Prämisse, dass es sich bei den Naturgesetzen um „allgemeine, zeitlose und ausnahmslos gültige Gesetzmäßigkeiten“ (a.a.O., 315) handele, die anhand einer eingeschränkten Menge an Beobachtungen in hinreichender Weise verifizierbar seien und die in Bezugnahme auf gegebene dispostionale oder auch kategoriale Eigenschaften einzelner Dinge oder Sachverhalte ihr konkretes Verhalten beschrieben (vgl. a.a.O., 315 f.). Inwiefern ein derartiges Verständnis der Naturgesetze angemessen ist und den vorgebrachten Anspruch darauf erheben kann, die Welt hinlänglich zu beschreiben, wird zu diskutieren sein. 107 Klappert, Diskussion, 17. Wenngleich das thematisierte Werk Troeltschs bereits 1898 veröffentlicht wurde und somit keinesfalls die aktuellsten Erkenntnisse der modernen Geschichtswissenschaften repräsentiert, wird es fokussiert, da es die Auferstehungstheologie in maßgeblicher Weise prägte (vgl. Moltmann, Der Weg, 251). Nachzulesen sind die Ausführungen Troeltschs etwa in: Troeltsch, Über historische und dogmatische Methode in der Theologie, in: Troeltsch, Gesammelte Schriften II, 729–753. 108 Weinrich, Auferstehung, 117. 109 Vgl. Klappert, Diskussion, 17. 105

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis sich in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte zugetragen habe, wird dabei daran gemessen, ob die Begebenheit mit anderen, alltäglich wahrnehmbaren und gemeinhin als gewöhnlich angesehenen, bereits wiederholt bezeugten Ereignissen, Zuständen und Vorgängen in Analogien aufweisender Weise übereinstimmt110 – ein Gedanke, den Troeltsch im dritten Axiom noch einmal aufgreift. Eine Deutung der Grableerfindungsperikopen im Sinne Pannenbergs, der für ein Handeln Gottes an Jesu Leichnam votiert, sei entsprechend bereits ausgehend vom ersten Axiom Troeltschs zurückzuweisen, da einem derartigen Geschehen ausgehend von den vorausgesetzten Beurteilungsmaßstäben keine geschichtswissenschaftliche Wahrscheinlichkeit zugestanden werden könne. In seinem zweiten Axiom unterstreicht Troeltsch, dass es „eine Wechselwirkung aller Erscheinungen des geschichtlichen Lebens“111 gäbe, die als eine allumfassende Korrelation im Sinne von kausalen Zusammenhängen aus Ursache und Wirkung zu verstehen sei.112 Auch dieses Axiom scheint den Ausführungen Pannenbergs deutlich zu widersprechen, da die von ihm im dargestellten Sinne als historisch beurteilte Auferstehung aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive in keinem ersichtlichen Ursache-Wirkungszusammenhang und in keiner empirisch-geschichtswissenschaftlich nachvollziehbaren Wechselwirkung mit anderen empirisch-geschichtswissenschaftlich greifbaren Begebenheiten zu stehen scheint.113 Pannenberg selbst erwidert jedoch, dass das Korrelationsaxiom seines Erachtens per se nicht wesenhaft im Widerspruch zu seinen Ausführungen und zu dem von ihm vertretenen Geschichtsverständnis stünde. Vielmehr verbiete es einer theologisch perspektivierten Rückfrage nach Geschehnissen innerhalb der empirisch-geschichtswissenschaftlichen Dimension der Geschichte lediglich, den biblischen Befund und die in ihm dargestellten Begebenheiten isoliert, ohne Be110

Vgl. Troeltsch, Über historische und dogmatische Methode, 2. Klappert, Diskussion, 17. 112 Vgl. ebd. Das Korrelationsaxiom Troeltschs findet sich auch heute noch in den modernen Naturwissenschaften, wie etwa in der zum Prinzip erhobenen Annahme einer „kausalen Geschlossenheit der physikalischen Welt“ (Göcke u. Schneider, Konflikt, 26), welche sich darin äußere, dass physikalische Geschehnisse ausschließlich auf physikalische Ursachen zurückgeführt werden können (vgl. ebd.). Es ist allerdings auch außerhalb der naturwissenschaftlichen Auseinandersetzung verbreitet und liegt nicht selten menschlichen Entscheidungsprozessen zugrunde, in denen denkbare Zukunftszenarien derart „durchgespielt“ werden, dass die jeweilige Gegenwart in Bezug auf eine einzige Komponente verfremdet wird und die Auswirkungen ebendieser auf die Zukunft isoliert reflektiert werden. Dieses Vorgehen zeugt nun davon, dass der reflektierende Mensch voraussetzt, dass zukünftige Ereignisse ursächlich aus einzelnen Begebenheiten der Vergangenheit hervorgehen und entsprechend (nicht) geschehen würden, wenn alles, bis auf die besagten, vergangenen Ereignisse, beim Alten bliebe (vgl. Rovelli, Die Ordnung, 139). Unvorhersehbare, nicht kalkulierbare (kontingente) Faktoren bleiben innerhalb derartiger Abwägungen entsprechend unberücksichtigt. 113 Vgl. Klappert, Diskussion, 18. 111

II.1 Die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis

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rücksichtigung ihrer Entstehungszeit und der in ihr gegebenen, kulturellen, religiösen oder die Weltdeutungen der Menschen in sonstiger Weise prägenden Denkhorizonte zu untersuchen.114 Wie dargestellt, werde vor diesem Hintergrund nach Ansicht Pannenbergs ersichtlich, dass das göttliche Auferweckungshandeln „nicht in einem heilsgeschichtlichen Ghetto oder in einer Urgeschichte, deren Dimension ,quer‘ zur gewöhnlichen Geschichte steht“115, zu verorten sei, sondern – ganz im Gegenteil – „innerhalb der universalen Korrelationszusammenhänge der Menschheitsgeschichte“116, wenngleich es seines Erachtens nach wie vor fraglich sei, ob tatsächlich alle bestehenden Wechselbeziehungen und -wirkungen empirisch-geschichtswissenschaftlich nachweisbar sein (müssen).117 Die troeltsche Ausformulierung des Korrelationsaxioms sei demgegenüber – so impliziert Pannenberg – als „fragwürdiger Missbrauch des Kausalgedankens zur Konstruktion einer Totalerklärung der Geschichte“118 zu verstehen, der den Kerngedanken des Korrelationsaxioms verfehle. Das dritte Axiom zeugt von der Ansicht Troeltschs, dass grundlegend von einer „Allmacht der Analogie“119 im Sinne einer „prinzipielle[n] Gleichartigkeit alles historischen Geschehens“120 als Resultat seiner „allseitigen Wechselwirkung“121 auszugehen sei. Daraus folge, dass einzig die Wahrnehmungen von Analogien zwischen vergangenen, gleichartig anmutenden Geschehnissen es ermöglichen, ihnen eine Wahrscheinlichkeit beizumessen oder unbekannt anmutende Aspekte des einen ausgehend von bekannten Aspekten des je anderen zu interpretieren.122 Diese Wahrnehmungen wurzeln offenkundig aber nicht in vermeintlich neutralen und wertfreien Sinneswahrnehmungen, sondern sie sind abhängig vom jeweiligen Beobachtenden und dessen individuellem Erkenntnisstand, was ebenfalls von der anthropozentrischen Verfasstheit123 der troeltschen Axiome zeugt. Auch das dritte Axiom Troeltschs spricht somit augenfällig gegen das Leerwerden eines Grabes aufgrund eines Handelns einer göttlichen Macht am Leichnam, da erfahrungsgemäß keine analogen Begebenheiten nachzuweisen sind, die das neutestamentlich bezeugte Geschehen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als geschichtliches Ereignis ausweisen könnten. Die neutestamentlich bezeugte Auferstehung sowie das mit ihr einhergehende Leerwerden des Grabes können im Rahmen der troeltschen Vorstellungswelt folglich nur als (keine Analogien aufweisende) Geschehnisse ohne Entsprechungen in der (seinen

114

Vgl. Pannenberg, Grundfragen, 46–48. A.a.O., 47. 116 Ebd. 117 Vgl. ebd. 118 A.a.O., 48. 119 Troeltsch, Über historische und dogmatische Methode, 5. 120 Ebd. 121 Moltmann, Der Weg, 251. 122 Vgl. Troeltsch, Über historische und dogmatische Methode, 5. 123 Vgl. Pannenberg, Grundfragen, 49 f. 115

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Axiomen gemäß vorgestellten) Geschichte beurteilt werden, welche von Geschichtswissenschaften, die an dem „Postulat einer allem Geschehen zugrundeliegenden prinzipiellen Gleichheit“124 festhalten, notwendig als nicht verifizierbar eingestuft werden müssen.125 Auch mit dem Analogieaxiom Troeltschs setzt sich Pannenberg auseinander.126 Er erläutert hier, dass der Umstand, dass ein Ereignis hinsichtlich alltäglich gewohnter oder bereits wiederholt bezeugter Geschehnisse als analogielos zu bezeichnen ist127, per se noch keine ausreichende Begründung sein könne, um ihm seinen Geschichtsbezug oder gar seine Faktizität abzusprechen128, da sein Wahrheitsanspruch nicht an einer etwaigen Gleichartigkeit mit ihnen zu bemessen sei. Entsprechend könne auch die Einsicht, dass die eschatologische Auferstehungswirklichkeit gegenüber der alltäglich erfahrbaren Wirklichkeit unserer im Vergehen begriffenen Welt eine erkennbare Andersartigkeit aufweise, den Historizitätsanspruch überhaupt nicht tangieren, welcher stets gegeben sei, sofern behauptet werde, dass ein Geschehen sich zu einem konkreten Zeitpunkt tatsächlich ereignet habe.129 In Auseinandersetzung mit Troeltsch verweist Pannenberg hier grundsätzlich darauf, dass dem Analogieaxiom zuzustimmen wäre, sofern es lediglich die oft vorausgesetzte Annahme beschriebe, dass ungeachtet allgegenwärtiger Ungleichartigkeiten doch auch stets eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den sich in der uns umgebenden Welt abspielenden Geschehnissen vorfindlich sei. Nicht selten werde jedoch ausgehend von der Prämisse der vermeintlichen Notwendigkeit einer (sämtliche Unterschiede zwischen ihnen überspannenden) „alles einheitlich durchdringenden Gleichartigkeit“130 eine unangemessene „Einebnung des geschichtlich Besonderen“131 vollzogen, das von einer geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisbemühung nach Ansicht Pannenbergs jedoch gerade nicht aus-

124

Klappert, Diskussion, 17 f. Vgl. ebd. 126 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 446. 127 Pannenberg, Grundfragen, 53. 128 Vgl. ebd. Pannenberg konkretisiert diese Ausführungen mit Verweis darauf, dass nur dann keine Beurteilung der Realität untersuchter Geschehnisse – und insbesondere ihrer Geschichtsbezüge im verhandelten Sinne – vorgenommen werden könne, wenn innerhalb der untersuchten Quellen Analogien der besagten Geschehnisse zu irreal-fiktiv anmutenden Überlieferungen, wie etwa legendarischen oder mythischen Darstellungen, oder zu Bewusstseinsphänomenen, wie etwa Visionserlebnissen, herausgestellt werden, welche keinen unmittelbaren Realitätsgehalt aufweisen (vgl. ebd.). Dass dies hinsichtlich der Auferstehungsereignisse seines Erachtens nicht der Fall sei, dürften die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben. 129 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 403. Pannenberg scheint hier vorrangig an die Wahrheit des Anspruchs einer Begebenheit, in der (von Menschen wahrnehmbaren) Geschichte geschehen zu sein, zu denken. 130 Pannenberg, Grundfragen, 51. 131 A.a.O., 52. 125

II.1 Die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis

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gespart werden dürfe. Diese Einebnung ergebe sich aus einer unreflektierten und einseitigen Betonung gegebener Analogien und vermeintlich charakteristischer Aspekte und drohe im Kontext des troeltschen Gleichartigkeitsaxioms als prinziphaft-allgemeingültig wahrgenommen zu werden.132 Zu bedenken sei in diesem Zusammenhang ferner, dass die im geschilderten Vorgehen Troeltschs angelegte Notwendigkeit, herausfordernde und wenig verständliche Aspekte ausgehend von vermeintlich näherliegenden Vorgängen und Geschehnissen zu deuten, immer damit einhergeht, dass der jeweilige Interpret gemäß seiner individuellen, weltanschaulich geprägten Vorerfahrungen Ableitungen ausgehend vom ihm selektiv Bekannten trifft.133 Diese Fokussierung auf das Vorhandensein oder auf das Fehlen von Analogien zwischen Ereignissen zur Zuschreibung oder Bestreitung von Geschichtsbezügen berge entsprechend die Gefahr einer weltanschaulich-anthropozentrischen Engführung der historischkritischen Rückfrage, die insbesondere dann auftrete, wenn die Existenz etwaiger Analogien nicht auf den individuellen Einzelfall bezogen reflektiert werde, sondern im Sinne Troeltschs die „prinzipielle Gleichartigkeit alles Wirklichem“134 vorausgesetzt werde. In Ergänzung zu seinen Historizitäts- und Realitätsimplikationen betont Pannenberg zudem, dass eine konsequente Anwendung des untersuchten Analogieprinzips es nötig machen würde, nicht nur Analogien, sondern eben auch Unähnlichkeiten in ihrer Relevanz zu erkennen135 und „das Gleichartige im Ungleichartigen“136 wahrzunehmen. Dieses Ungleichartige und in keinen potenziellen Analogien gänzlich Aufgehende sei ein Bestandteil des geradezu Unverwechselbaren und Individuellen eines jeden Geschehnisses sowie seiner angesprochenen

132 Vgl. a.a.O., 51 f. Pannenberg verweist darauf, dass die Erkenntniskraft von Analogien sich insbesondere dann entfalte, wenn sie eben nicht in einseitiger Weise als ein Ausdruck bestehender Gleichartigkeit von Ereignissen verstanden würden, sondern dazu genutzt würden, um die bestehenden Grenzen der gegebenen Gemeinsamkeiten auszulosten, wodurch das jeweils Besondere der reflektierten Geschehnisse präziser herausgestellt werden könne und ein erweiterter Wissenserwerb angeregt werde (vgl. a.a.O., 52). 133 Vgl. a.a.O., 49. 134 A.a.O., 50. 135 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 446. 136 Pannenberg, Grundfragen, 51. Hinsichtlich des Analogieprinzips gibt Pannenberg erneut – wie schon hinsichtlich der Frage nach der Benennung eines Subjekt der Geschichte und der anderen Axiome Troeltschs – zu bedenken, dass auch dieses lediglich ausgehend von einem anthropologischen Geschichtsverständnis (vgl. Schwöbel, Geschichte und Eschatologie, 249, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 209) und der mit diesem einhergehenden Prämisse der Gleichförmigkeit jeder Begebenheit innerhalb eines „geschlossenen immanenten Kausalnexus“ (ebd.) seine Geltung beanspruchen könne. Diese Voraussetzung sei jedoch – wie im Kontext seines theologischen Geschichtsverständnisses gezeigt – keineswegs zwingend oder alternativlos.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Kontingenz137, die ihm bereits deshalb zuzuschreiben sei, da es „seinen Ursprung in der Kontingenz der geschöpflichen Welt hat.“138 Da Pannenberg die Schöpfung Gottes mitsamt ihrer gesetzlich verfassten Ordnung als kontingent beurteilt139 und daher davon ausgeht, dass innerhalb der (so verstandenen) Wirklichkeit kontinuierlich Neuartiges, bisher noch nicht Dagewesenes hervortrete, was dem Charakter des unverfügbaren, anhand keiner Axiome letztgültig zu definierenden Wirkens Gottes entspreche140, kann er keine grundsätzlichen Einschränkungen der Möglichkeit von Ereignissen aufgrund ihres vermeintlich unnatürlichen Charakters im Sinne des troeltschen Analogieaxioms vornehmen.141 Diese These wird nach Ansicht Schwagers durch die Relevanz von Singularitäten innerhalb naturwissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen bekräftigt, anhand derer ebenfalls ersichtlich werde, dass das Analogieaxiom nicht in der von Troeltsch praktizierten Weise dazu heranzuziehen sei, Begebenheiten eine Verankerung in der geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte zu- oder abzusprechen.142 137 Vgl. Pannenberg, Grundfragen, 51. Pannenberg verweist hinsichtlich der thematisierten Kontingenz darauf, dass diese ein in Bezug auf die Zuschreibung von Geschichtlichkeit und Möglichkeit notwendig zu berücksichtigender Faktor sei, wenngleich ihr innerhalb naturwissenschaftlicher Darstellungen eine nur sehr eingeschränkte Bedeutung „als Korrelat der Gesetzlichkeit, nicht schon als genereller Index von Ereignissen“ (Pannenberg, Systematische Theologie II, 89) zugestanden werde. 138 Kiauka, Zeit und Theologie, 166. 139 Ebd. Die notwendige Kontingenz alles (auch naturgesetzlich beschreibbaren) Geschehens deutet nach Ansicht Pannenbergs bereits „die Irreversibilität der Zeitrichtung“ (Pannenberg, Systematische Theologie II, 90) an, da der Umstand, dass diese für den gesamten Gang der Geschichte unseres Universums geltend sei, damit einhergehe, dass kein Geschehen einem anderen zur Gänze gleiche. Jedes für sich könne vielmehr und ungeachtet etwaiger (in den jeweiligen Ereignisfolgen erkennbarer) Analogien, die eine gewisse Wiederholbarkeit von Ablaufformen möglich machen, als einmalig bezeichnet werden (vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 171, mit uneindeutigem Verweis auf verschiedene Ausführungen Pannenbergs). 140 Vgl. Pannenberg, Grundfragen, 52. Das Verhältnis der Kontingenzen zu der naturgesetzlichen Ordnung definiert Pannenberg ausgehend von der Grundprämisse, dass „die Naturprozesse nicht in deterministisch geschlossenen, isolierten Systemen ablaufen“ (Pannenberg, Systematische Theologie II, 91), indem er darauf verweist, dass die beiden Aspekte grundsätzlich nicht in einem Gegensatz zueinander stünden, sondern die naturgesetzliche Ordnung vielmehr als das relevanteste Mittel zur „Hervorbringung der geschöpflichen Gestalten“ (ebd.) zu verstehen sei. Diese Verhältnisbestimmung ergibt sich aus dem Urteil, dass die thematisierte, dem Naturgeschehen innewohnende Gleichförmigkeit als ein „Ausdruck der Treue und Beständigkeit Gottes in seiner Tätigkeit als Schöpfer und Erhalter“ (ebd.) zu verstehen sei, welche als Grundlage der Entstehung stets neuer und zunehmend komplexer Ausgestaltungen fungiere. Mit diesen trete dann wiederum eine je neuartige Ganzheit auf den Plan, die sich in regulierender Weise auf die gegebenen Bedingungen ihres eigenen Daseins auswirke und ferner wiederum als ein neuer Faktor in Beziehung zu ihrer Umwelt wahrnehmbar werde (vgl. ebd.). 141 Kiauka, Zeit und Theologie, 166. 142 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 446.

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Hinsichtlich des troeltschen Analogieaxioms sowie der pannenbergschen Reaktion auf dieses kann zusammenschauend festgehalten werden, dass Pannenberg die von der Analogie ausgehende Erkenntniskraft auch nach eigener Angabe keineswegs bestreitet, im Gegensatz zu Troeltsch jedoch annimmt, dass sie gerade dann gänzlich zur Entfaltung käme, wenn sie auch innerhalb ihrer Grenzen reflektiert werde.143 Dass sich ausgehend von einem derartigen Verständnis der Analogie, das ihre Begrenzungen stets mitdenkt, ihre troeltsche Verwendung als Richtmaß der Realität der etwa im neutestamentlichen Befund bezeugten Begebenheiten144 zu Recht verbietet, dürfte augenfällig sein. Betrachtet man Pannenbergs Erwiderungsstrategien gegenüber den troeltschen Axiomen insgesamt, ergibt sich ein ähnliches Bild. Pannenberg hebt grundsätzlich hervor, dass es ein bemerkenswertes Verdienst Ernst Troeltschs sei, dass er – ungeachtet der zu seiner Zeit weit verbreiteten Preisgabe des Geschichtsbezuges der Auferstehung – versuchte, den Glauben als im historischen Jesus begründet zu verstehen.145 Troeltschs sich aus dieser Intention ergebende Konzeption und insbesondere seine Axiome seien jedoch nichtsdestoweniger als „zeitbedingte und in mancher Hinsicht verengte und einseitige Auffassung von der Aufgabe und den Grundlagen historischer Forschung“146 zu verstehen, weshalb die aus ihnen hervorgehende, als beinahe selbstverständlich vorausgesetzte Auffassung, dass Jesu Auferweckung nicht als historisches Ereignis bezeichnet werden könne, doch recht fragwürdig sei.147 143

Vgl. Pannenberg, Grundfragen, 52. A.a.O., 53. 145 Vgl. a.a.O., 59 f. 146 A.a.O., 81. 147 Vgl. a.a.O., 53. Pannenberg führt als Beispiel für eine unreflektierte und unsachgemäße Übernahme der troeltschen Axiome oder ihnen ähnlicher Denkprämissen die Kritik Mildenbergers an der Deutung von Campenhausens an. Mildenberger kritisiert, dass von Campenhausen als Historiker es in unangemessener Weise gewagt habe, eine Vermischung geschichtswissenschaftlicher und kerygmatischer Überlegungen vorzunehmen, weil und indem er eine Begründung der Grableerwerdung in einem Wirken Gottes am Leichnam Jesu in Betracht zog. Zur Begründung dieser Kritik beruft sich Mildenberger nach Auffassung Pannenbergs auf überholte, aus dem Jahr 1864 stammende Ansichten von Sybels, wohingegen die Vorstellung der „Kontingenz des Einzelgeschehens“ (ebd.) unberücksichtigt bliebe. Wie in Kapitel II.1.5 dargestellt, schließe ich mich Pannenbergs kritischen Überlegungen in mehreren Punkten an. Da viele (auch theologisch wenig informierte) Menschen sich an Argumentationen im Stile der Axiome Troeltschs orientieren und/oder in ihrem Denken durch sie geprägt werden, sollte diesen jedoch immer wieder konstruktiv-kritisch begegnet werden, da es einem weiterführenden Dialog nicht dienlich sein kann, sie pauschal oder unbegründet als unreflektiert abzuweisen. Ferner scheint eine vorschnelle Verwerfung der Überlegungen Troeltschs seine Axiome nicht in Gänze zu erfassen und die große Überzeugungskraft nicht ernst zu nehmen, die sie auf viele Menschen ausüben. Anzustreben scheint daher (neben einer neuerlichen Reflexion der angeführten Überlegung Pannenbergs) eine kritische Auseinandersetzung mit den Axiomen im Sinne der in Kapitel II.3.2.b dargestellten Erwägungen Moltmanns zu sein, der sie in konstruktiver Weise untersucht und dabei pointiert ihre Grenzen und blinden Flecken aufzeigt. 144

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Andere Kritiker der Historizitätsimplikationen Pannenbergs orientieren sich weniger an den troeltschen oder sonstigen (geschichtswissenschaftlichen) Axiomen als vielmehr an theologischen Grundannahmen. So wird beispielsweise in der Argumentationstradition Karl Barths des Öfteren unterstrichen, dass die Auferstehung eine schöpferische, allein Gott zuzuschreibende Handlung am verstorbenen Jesus sei148, welche mit empirisch-geschichtswissenschaftlichen oder aufklärerisch-rationalistischen Methoden im Allgemeinen nicht hinlänglich erfassbar sei, wenngleich sie „ein wirkliches Ereignis in der Geschichte“149 gewesen sei, das sich zu einem nicht beliebigen, sondern konkreten Zeitpunkt und im Umfeld näher beschriebener Personen zugetragen habe und somit einen „bestimmten historischen Rand“150 aufweise. Die pannenbergsche Charakterisierung der Auferstehung als „historisches Ereignis“151 sei ferner unangemessen, da das von ihm behauptete Handeln Gottes am verstorbenen Jesus „die Immanenz des Daseins [sprenge]“152 und sich entsprechend menschlichen (geschichtswissenschaftlichen) Erkenntnisbemühungen in unverfügbarer Weise entziehe.153 Ein weiterer theologischer Einwand gegen die Ausführungen Pannenbergs liegt in der Annahme begründet, dass die neutestamentlich bezeugte Totenaufer-

148 Vgl. Klappert, Diskussion, 10. Althaus kritisiert zudem die Berufung Pannenbergs auf die Kontingenz aller Geschehnisse und bezeichnet dieses Vorgehen als ein Ausnutzen der „Unbestimmtheit des Einzelgeschehens im Sinne der Quantenphysik“ (Pannenberg, Systematische Theologie II, 90), das wie jede Inanspruchnahme naturgesetzlicher Erklärungsmodelle durch die Theologie die Gefahr berge, dass die untersuchten Ereignisse nicht länger als Resultate des wundersamen Heilshandelns Gottes verstanden werden würden. Pannenberg räumt in der Auseinandersetzung mit dieser Kritik ein, dass die dem Naturgeschehen zu eigne Kontingenz freilich nur dann vor dem Vorwurf der Vereinnahmung gegebener Leerstellen innerhalb naturgesetzlicher Beschreibungen als vermeintliche Orte eines göttlichen Wirkens geschützt werden könne, wenn gezeigt werden könne, dass die thematisierte Kontingenz sich für den Naturgesetzbegriff selbst als konstitutiv erweist und eine Ereigniskontingenz prinzipiell in jeder Form natürlicher Geschehnisse in Erscheinung treten kann und nicht nur innerhalb jener der durch keine Gesetzesformeln reglementierten Einzelgeschehen (vgl. ebd.). 149 Klappert, Diskussion, 10. Eine nähere Definition dessen, was Klappert hier unter der Geschichte versteht, erfolgt – abgesehen von den nachstehenden Konkretionen – leider nicht. Da seine Ausführungen, wie an seinem Sprachgebrauch ersichtlich wird, an die Darstellungen Barths angelehnt zu sein scheinen, erscheint es sinnvoll, Barths Geschichtsverständnis, welches im Kapitel II.3.1 thematisiert wird, auch hier vorauszusetzen. 150 Klappert, Diskussion, 10. Eine eingehendere Darstellung der diesem Gedanken zugrundeliegenden Ausführungen Karl Barths erfolgt im Kapitel II.3.1. 151 Pannenberg, Grundzüge, 95. 152 Klappert, Diskussion, 18. Auch Körtner betont, dass es problematisch sei, Hypothesen wissenschaftlicher Art und eschatologischen Darstellungen einen identischen Wahrheitsanspruch zuzuschreiben, was ungeachtet der dargestellten theologischen Prämissen bereits daran ersichtlich werde, dass Erstere innerhalb empirischer Untersuchungen verifiziert oder falsifiziert werden können müssen. In Bezug auf eschatologische Aussagen sei eine Verifikation oder Falsifizierung hingegen nicht möglich (vgl. Körtner, Dogmatik, 619). 153 Vgl. Klappert, Diskussion, 18.

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weckung das Anbrechen eines neues Äons markiere, dessen Wirklichkeit aus der Perspektive unseres vergehenden Äons nicht wahrnehmbar sei. Ferner sei es den Geschichtswissenschaften nicht möglich, die Auferstehungsereignisse in angemessener Weise zu erfassen, da diese ihnen aufgrund ihrer eigenen Verhaftung im alten Äon nicht zugänglich seien. Pannenberg räumt in Auseinandersetzung mit dieser Position ein, dass es sich bei der Auferstehung selbstverständlich nicht um einen beliebigen weltlichen (Erkenntnis)gegenstand handele, was bereits darin ersichtlich werde, dass die Erlebnisse mit dem Auferstandenen ausschließlich durch die außergewöhnlichen Visionsgeschehnisse erfahrbar gewesen seien und ausschließlich durch die schon angesprochenen, symbolischen Sprachformen verbalisiert werden konnten.154 Dass das menschliche Wissen um die Auferstehung und insbesondere um ihre Wirklichkeit notwendig begrenzt ist, schien der Theologe somit vorauszusetzen und auch in den neutestamentlichen Darstellungen wiederzufinden, die seiner Auffassung nach davon zeugten, dass auch die Urchristenheit um die erkennbare Andersartigkeit des in ihren Darstellungen der Auferstehungsereignisse eigentlich Gemeinten gegenüber allen alltäglichen Wahrnehmungen wusste und sie zum Ausdruck brachte.155 Hinsichtlich des untersuchten Wesens der Auferstehungsereignisse sowie der Frage nach der Angemessenheit der auf sie abzielenden pannenbergschen Verstehensansätze hinterfragen einige Kritiker zudem, inwiefern die Auferstehung – mit Pannenberg verstanden als ein Geschehen, das in der Kontingenz geschichtlicher Geschehnisse verankert sei – überhaupt (schon und/oder noch) als Anbruch der eschatologischen, neuen Schöpfung bezeichnet werden könne.156 Klappert warnt hier davor, dass aus der pannenbergschen Auferstehungsinterpretation eine Integration des Auferstehungsgeschehens in die Universalgeschichte resultieren könne, die zur „Einebnung des Eschatologischen in das Universalhistorische“157 führe. Hinsichtlich des methodischen Vorgehens Pannenbergs wird zudem – wie schon in Bezug auf das Vorgehen Hans von Campenhausens – nicht selten in Frage gestellt, inwiefern die Fokussierung auf 1 Kor 15, Mk 16 und Apg 9158 legitim sein könne, da diese doch damit einhergehe, den Großteil der weiteren, zuvor thematisierten Texte als legendarisch zu beurteilen159 und somit im Blick auf die Untersuchung der komplexen Wirklichkeit der Auferweckung Jesu als irrelevant einzustufen160, wodurch zentrale, in ihnen vorfindliche Aussagen nicht

154

Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 96. Vgl. a.a.O., 70 f. 156 Vgl. Klappert, Diskussion, 22. 157 Ebd. 158 Vgl. Eckstein u. Welker, Einleitung, VIII. 159 Vgl. Adam, Das leere Grab, 70. 160 Vgl. Kendel, Die Historizität, 161. Der Begriff der Wirklichkeit wird hier nicht eingehender definiert, scheint aber auf die Verankerung der Auferstehungsereignisse in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte abzuzielen. 155

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nur in Bezug auf die geschichtswissenschaftliche Rückfrage, sondern auch theologisch disqualifiziert werden würden.161 Diese Abqualifizierung erheblicher Teile der etwa in den Evangelien vorliegenden Erzählungen reduziere nach Ansicht Kendels die „Vielschichtigkeit der Auferstehungswirklichkeit“162, die Pannenberg nicht hinreichend wahrnehme, da er per se gerade nicht von verschiedenen, ganz unterschiedlichen Dimensionen des Auferstehungsgeschehens und seiner Wirklichkeit ausgehe, die im neutestamentlichen Befund versprachlicht wurden163, sondern da er davon überzeugt sei, dass die Texte eine existierende, wenn auch freilich verborgene Eindeutigkeit bezeugten, die unter Berücksichtigung des jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizonts ersichtlich werde.164 Pannenbergs Einschätzung der Relevanz der Texte in Abhängigkeit von ihrer vermeintlichen Eignung zur Beurteilung der Verankerung der beschriebenen Ereignisse in der empirisch-geschichtswissenschaftlichen Dimension der Geschichte lasse nach Ansicht seiner Kritiker zudem unberücksichtigt, dass auch die von ihm hochgeschätzten, paulinischen Texte – hier insbesondere 1 Kor 15 –, ungeachtet ihres hohen Alters und der damit einhergehenden, vermeintlichen Eignung zur Beantwortung der historischen Frage durch die schriftstellerischen Tätigkeiten des Verfassers und durch seine Intentionen geprägt waren, weshalb ihre „historische Zuverlässigkeit“165 kritisch zu hinterfragen sei. Sowohl diese Unterbestimmung der schriftstellerischen Aktivität Pauli166 als auch die Fokussierung auf die genannten Texte wiesen somit auf eine notwendig zu erbringende Reflexion des Charakters biblischer Darstellungen hin.167 Berechtigterweise werden immer wieder auch die Forderungen, die Pannenberg an Akteure der modernen Geschichtswissenschaften stellt, kritisiert, da es doch fraglich bleibe, ob Historiker – zumal solche, die sich dem christlichen Glauben nicht verbunden fühlen – gewillt und befähigt seien, die Möglichkeit 161 Vgl. Adam, Das leere Grab, 70. Der Begriff des Historischen scheint hier auf die Beschreibung der Möglichkeit der Nutzbarmachung der Texte für eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage abzuzielen. 162 Kendel, Die Historizität, 163. 163 Vgl. a.a.O., 161. 164 A.a.O., 154 f. 165 A.a.O., 147. Gemeint zu sein scheint hier der faktuale Charakter der Darstellungen Pauli im Sinne der Ausführungen des Kapitels III.2.1. Wenngleich Pannenberg sich durch die kritischen Stimmen veranlasst sah, im zweiten Band seiner Systematischen Theologie auch Paulus eine gewisse „literarische Tätigkeit“ (a.a.O., 161) zuzuschreiben, nimmt diese Erkenntnis keinen Einfluss auf seine Erwägungen hinsichtlich der Bezeichnungen der Auferstehung als historisches Ereignis und der paulinischen Erscheinungszeugnisse als „exakte Berichte“ (a.a.O., 151), welche im Gegensatz zu den Evangelien nun gerade nicht von konkreten Intentionen oder Interessen geprägt gewesen seien. Dies verwundert gerade auch in Anbetracht dessen, dass Pannenberg im Zusammenhang mit seiner Deutung der Grableerfindung explizit auf die literarischen Intentionen Pauli verweist, welche ihn seines Erachtens sehr wohl gewisse Auswahlentscheidungen haben treffen lassen (vgl. a.a.O., 151). 166 Vgl. Kendel, Die Historizität, 162. 167 Vgl. a.a.O., Die Historizität, 158.

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einer (eschatologischen) Totenauferstehung in ihre Überlegungen miteinzubeziehen.168 In gleicher Weise sei zu hinterfragen, inwiefern es Theologen entsprechend der pannenbergschen Forderung möglich sein könne, ihre geschichtswissenschaftlichen Beurteilungen nicht an dogmatischen Vorüberlegungen und -entscheidungen zu orientieren, da sie, wie Pannenberg selbst einräumt, immer auch durch letztere sowie insbesondere auch durch ihre Historizitäts- und Realitätsimplikationen beeinflusst werden169, die schon ihre Wahrnehmungen vermeintlicher Indizien prägen. Auch die Aufforderung Pannenbergs, die Auferstehungsereignisse vor dem Hintergrund des jüdisch-apokalyptischen Deutehorizonts der endzeitlichen Totenauferweckung zu interpretieren, steht ferner in der Kritik, da sie nach Ansicht der Kritiker von der unpassenden Auffassung ausgehe, dass die Hoffnung auf eine endzeitliche, allgemeine Auferstehung der Toten auch heute – nach 2000 Jahren – von vielen Menschen geteilt würde170, was etwa von Vertretern der Konzeption Bultmanns entschieden verneint wird, die diese als durch das moderne Weltbild überholt und somit als nicht länger anknüpfungsfähig beurteilen.171 Interpreten würden, Argumentationen in dieser Tradition Bultmanns entsprechend, ferner in mythologische Denk- und Vorstellungsformen zurückfallen, sobald sie versuchten, den thematisierten Deutungshorizont bestehender Alltagserfahrungen zum Trotze zur Sinn- und Weltdeutung heranzuziehen und seine „geschichtliche Abhängigkeit “172 damit in einer den Ideologieverdacht evozierenden Weise auszublenden.173 Im Zuge dieser Kritik weisen einige Kritiker zudem darauf hin, dass grundsätzlich zu hinterfragen sei, inwiefern es möglich sein könne, die Vorstellung einer endzeitlichen Totenauferweckung – der Forderung Pannenbergs entsprechend – „als philosophischen sachgemäßen Ausdruck der menschlichen Bestimmung“174 zu interpretieren, zumal dieser Anspruch Pannenbergs eigener Beurteilung dessen zu widersprechen scheine, dass die Totenauferstehung „jenseits der nachvollziehbaren Erfahrung“175 zu verorten sei. Kendel scheint diesbezüglich eine grundsätzliche Überbetonung der Relevanz des jüdisch-apokalyptischen Deutehorizonts festzustellen. Er verweist hier hinsichtlich Pannenbergs Deutung der paulinischen Erscheinungserlebnisse darauf, dass Paulus das ihm zuteil gewordene Erscheinungsgeschehen, Pannenbergs Deutung zufolge, nicht aufgrund seiner eigenen Erfahrungen und explizit seiner 168

Vgl. a.a.O., 153. Vgl. a.a.O., 160. 170 Vgl. a.a.O., 144. 171 Eine Darstellung der Ansätze Bultmanns erfolgt im Kapitel II.2.3. 172 Kiauka, Theologie und Zeit, 8. 173 Vgl. ebd. Kiauka definiert leider nicht eingehender, was er unter der besagten geschichtlichen Abhängigkeit versteht. Es ist anzunehmen, dass er auf die Prägung aller Deutungshorizonte durch zeitgeschichtliche, zu ihrer Entstehung und Modifikation beitragende Faktoren anspielt. 174 Kendel, Die Historizität, 145. 175 Ebd. 169

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Wahrnehmung der Erscheinung, sondern einzig aufgrund des besagten Erwartungshorizonts als Erscheinungen des Auferstandenen verstanden habe. Die Auferstehung könne somit nicht als „selbstevidentes Ereignis“176 verstanden werden, dem seine Bedeutung schon innewohnt, da diese ihm, Pannenbergs Verständnis entsprechend, erst durch den thematisierten geistesgeschichtlichen Hintergrund verliehen werde.177 Weitere kritische Anfragen richten sich darüber hinaus gegen nahezu alle inhaltlichen Aspekte der pannenbergschen Konzeption178, wie etwa gegen die in ihr vorfindliche Untersuchung und Fokussierung der (außerhalb der Evangelien weder in der Bibel noch im Urchristentum explizit thematisierten) Grableerfindung oder gegen die Verortung der vermeintlichen frühen Entstehung der Grableerfindungserzählungen in Jerusalem179, auf die Pannenberg seine These stützt, dass die Auferstehung in Jerusalem vor dem Hintergrund eines vollen Grabes nicht hätte verkündet werden können.180 Auch diese These wird wiederum bis hinein in die gegenwärtige Diskussion beständig kritisiert, da einige Theologen im Gegensatz zu Pannenberg die Ansicht vertreten, dass der frühchristliche Glaube an die Auferstehung mit der Vorstellung eines vollen Grabes Jesu vereinbar gewesen sei.181 Zur Untermauerung dieser Auffassung verweisen

176

A.a.O., 148. Vgl. ebd. Der Vorwurf, dass die Bedeutung der Auferstehungsereignisse ihnen innerhalb Pannenbergs Konzeption von außerhalb zukomme, ist jedoch nicht problemlos an den pannenbergschen Ausführungen zu begründen, da dieser explizit darauf verweist, dass die Bedeutung der Auferstehungsereignisse ihnen innewohnend sei, wodurch er dem besagten Erwartungshorizont hier eine nur explikative Funktion zuzusprechen scheint (vgl. ebd.). Die pannenbergschen Betonungen der Notwendigkeit des jüdisch-apokalyptischen Erwartungshorizonts sind daher wohl so zu versehen, als dass einzig dieser als hermeneutischer Schlüssel zur Erschließung der Auferstehungsereignisse heranzuziehen sei. 178 Da ein Großteil der pannenbergschen Thesen in den Kapiteln III.2.3.a bis III.2.3.e eigens diskutiert wird, sei nun lediglich schlaglichtartig auf eine seiner (im späteren Verlauf ebenfalls noch einmal eingehender reflektierten) Thesen – die von Althaus übernommene Vorstellung der Notwendigkeit der Grableerfindung zur erfolgreichen Verbreitung der Auferstehungsverkündigung in Jerusalem – eingegangen. 179 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 241 f. 180 Die Kritikpunkte an der räumlichen und zeitlichen Verortung der Entstehung der Grableerfindungserzählungen durch Pannenberg werden aufgrund meiner systematischtheologischen Schwerpunktsetzung nicht explizit diskutiert. Es sei jedoch bei Interesse auf Beckers Ausführungen (Die Auferstehung, 17 f. u. 242) verwiesen, der die Entstehung der Grableerfindungserzählungen im Kontrast zu Pannenberg temporal später und lokal außerhalb Judäas verortet, wodurch das Argument nicht mehr trägt, dass die Auferstehung Jesu in Jerusalem bald nach seinem Tod angesichts eines vollen Grabes nicht erfolgreich hätte verkündigt werden können (vgl. a.a.O., 242). Dementgegen sei jedoch auch auf die Darstellung Lindemanns verwiesen, der darauf hinweist, dass keine galiläischen Urgemeinden bekannt seien, wohingegen in Jerusalem schon früh christliche Gemeinden existierten (vgl. Lindemann, Auferstehung, 41). 181 Vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 436, vgl. auch Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 308. 177

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sie etwa auf Herodes Antipas, welcher, wie Mk 6,14 zeigt, davon ausgegangen sei, dass es sich bei Jesus um den von den Verstorbenen auferweckten Johannes redivivus gehandelt habe182, wenngleich der Aufenthaltsort dessen Leichnams, wie in Mk 6,29 bezeugt, bekannt gewesen sei und hier nun eben nicht auf ein leeres Grab verwiesen wurde.183 Man denke darüber hinaus auch an die in Mk 12,18–27 dargestellte Ansicht Jesu, dass die Erzväter durch Gott auferweckt worden seien, deren Grabstätten ebenfalls nicht leer gedacht wurden.184 Zudem ergebe die Sichtung weiterer Vorstellungsmuster des Frühjudentums, dass auch diese keineswegs homogen waren185 und dass sie die Vorstellung der Auferstehung so nicht notwendig an die Bedingung des Leerwerdens der Gräber knüpften oder sie ausschließlich mit dem Gedanken des Leersein der Gräber in Verbindung setzten186, sondern dass dieser Zusammenhang lediglich in jenem vergleichsweise eher schmalen Traditionsbereich zu finden sei, der sich an Ez 37 orientiere.187 Aufgrund all dieser Argumente sei nach Meinung der Kritiker somit festzuhalten, dass das Leersein des Grabes Jesu zur Verkündigung seiner Auferstehung selbst in Jerusalem keine notwendige Bedingung gewesen sei188 und die Theologie ihr Hauptaugenmerk daher weniger darauf richten solle, eine wie auch immer geartete Verankerung einer Grableerfindung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte zu beweisen, als vielmehr darauf, Interpretationen hervorzubringen, die auch ausgehend von einer potenziell vollen Grabstätte Jesu tragfähig seien.189 182

Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 344 u. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 436. Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 344. 184 Vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 436. 185 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 344. Die bis zur Vereinheitlichung der verschiedenen Auferstehungsvorstellungen und -erwartungen um 70 n. Chr. vorliegende Vielfalt der Konzepte des Frühjudentums wurde nicht als defizitär oder zusammenhaltsgefährdend beurteilt, da die Heilssetzungen der Tora sowie diese als solche es waren, die nach landläufiger Meinung einheitsstiftend für das Frühjudentum waren (vgl. Becker, Die Auferstehung, 207 u. 189). 186 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 344. 187 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 243 u. 4 f. Als Beispiele können etwa Äthhen 22 oder Jub 23,11 angeführt werden. Hier wird dargestellt, dass die Leiber der Toten in ihren Grabstätten verblieben, wohingegen ihre Geister bei Gott zu verorten gewesen seien. Nicht selten wird auch auf 2 Makk 7,6 verwiesen, wo zwischen dem Verbleib des Leibes des Verstorbenen und der endzeitlichen göttlichen Neuschöpfung unterschieden werde (vgl. Vorholt, Osterevangelium, 344). 188 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 242 f. 189 Vgl. Grass, Ostergeschehen, 185. In diesen Ausführungen scheint sich der von Kritikern Pannenbergs immer wieder vorgetragene Gedanke widerzuspiegeln, dass eine Fokussierung auf die Frage nach einer Verankerung der Auferstehungsereignisse in der empirischgeschichtswissenschaftlichen Dimension der Geschichte keinen Nutzen aufweise, da bruta facta, wie eben derartige Geschichtsbezüge, keine Glaubensentwicklung auslösen, sondern diese durch die Bedeutung hervorgerufen werde, welche den jeweiligen Ereignissen innewohne (vgl. Kendel, Die Historizität, 143). Auch eine positive Beantwortung der Frage nach der besagten Verankerung der Grableerfindung in der empirisch-geschichtswissenschaftlichen Dimension der Geschichte könne entsprechend keinen Erkenntniszuwachs und auch 183

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Grundsätzlich müsse zudem beachtet werden, dass die Leerfindung nicht zwangsläufig bedeute, dass die im besagten Grabe beerdigte Person auferstanden sei190, sondern dass der Zustand des Grabes auch auf andere Ursachen – wie etwa auf einen Leichendiebstahl – zurückgeführt werden könne.191 Dies schien auch den neutestamentlichen Autoren bewusst gewesen zu sein, wie im ersten Teil gezeigt wurde, in dem verschiedene neutestamentliche Deutungen der leer vorgefundenen Grabstätte thematisiert wurden. Interessanterweise scheint sich diese Mehrdeutigkeit des leeren Grabes konsequent gedacht bereits aus seinem von Pannenberg selbst betonten Charakter als historischem Ereignis zu ergeben, da solche Ereignisse, wie Klappert definitorisch sehr richtig erläutert, prinzipiell mehrdeutig und verwechselbar seien. Dies liege darin begründet, dass ihre Reflexe innerhalb der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte jener Mehrdeutigkeit und auch Verwechselbarkeit ausgesetzt seien, der alles Geschehen in ihr unterworfen sei192, was für eschatologische Ereignisse, die sich wohlbekannten Zusammenhängen nun gerade nicht unterwerfen193, in besonderer Weise gelte. Somit könne die Grableerfindung, selbst wenn sie als ein in der empirischgeschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit verankertes Ereignis zu beweisen wäre, nicht als Beweis für die Auferstehung herangezogen werden,194 da das Leersein eines Grabes per se keine Auskunft über die Umstände der Leerung ermögliche.195 Pannenberg selbst distanziert sich hingegen von einer derartigen Annahme der prinzipiellen Mehrdeutigkeit geschichtlicher Ereignisse, indem er betont, dass sie, sofern sie nur in ihrem jeweiligen Geschehenszusammenhang wahrgenommen würden, „ihre eigene und eindeutige Sprache, die ,Sprache der Tatsachen‘ sprechen.“196 Die Ursache der Grableerfindung sei daher seines Erachtens vor dem zu ihrer Beurteilung heranzuziehenden Hintergrund des jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizonts keineswegs mehrdeutig, sondern im Gegenteil eindeutig auf ein Wirken Gottes am verstorbenen Jesus zurückzuführen. Diese Annahme steht im unübersehbaren Widerspruch zur Auffassung der Kritiker, dass die Grableerfindung als solche nicht nur hinsichtlich ihrer Begründung mehrdeutig sei, sondern überhaupt erst ausgehend von einem (aus der keinen sonstigen Mehrwert bieten. Hinter derartigen Annahmen scheint der Gedanke zu stehen, dass eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage einzig der Bestätigung des faktischen „Geschehenseins“ eines Ereignisses in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte diene. Inwiefern diese Prämissen als angemessen zu beurteilen sind, wird an verschiedener Stelle zu thematisieren sein. 190 Klappert, Diskussion, 19 f. 191 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 65. 192 Vgl. Klappert, Diskussion, 19. 193 Vgl. a.a.O., 22. 194 Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 245. 195 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 65. 196 Vgl. Klappert, Diskussion, 22.

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Selbstbekundung des Herrn resultierenden197) Auferstehungsglauben an Eindeutigkeit gewinnen könne. Klappert hebt zur Bekräftigung dieses Gedankens hervor, dass die den verhandelten Gegenstand betreffenden Perikopen die Auferstehungsereignisse nun gerade nicht in einer um Neutralität bemühten Berichtsform darstellen, sondern sie verkündigend proklamieren und entsprechend nicht auf die Vermittlung eines empirisch erfassbaren Faktenwissens über bestimmte (geschichtswissenschaftlich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als solche zu behauptende) geschehene Ereignisse abzielen, sondern auf einen gläubigen Gehorsam. Entsprechend sei zu hinterfragen, inwiefern von der Auferstehung noch angemessen gesprochen werden könne, wenn diese Charakteristika der neutestamentlichen Auferstehungsbotschaft unberücksichtigt bleiben198, wie es der Fall sei, wenn man – wie Pannenberg – davon ausgehe, dass sie in ihrem ereignishaften Charakter in gleicher Weise wie die ihr inhärente Bedeutung als göttliche Selbstoffenbarung jedem Menschen (ungeachtet seines etwaigen Glaubens) zugänglich sei.199 Indem Pannenberg den vermeintlichen Beweischarakter des leeren Grabes in Bezug auf die Auferstehung hervorhebe, unterstelle er den auch hier untersuchten Grableerfindungserzählungen so eine Intention, welche sie faktisch überhaupt nicht verfolgten.200 Zugleich übersehe er den noch eingehender zu beleuchtenden Zeichencharakter des leeren Grabes in unangemessener Weise „zugunsten einer dem Profanhistoriker aus dem Geschichtszusammenhang erkennbaren und der historischen Vernunft zugänglichen Direktheit der Offenbarung Gottes.“201 Ungeachtet dieser Erwägungen wird von vielen Kritikern jedoch eingeräumt, dass etwa die Erkenntnis, dass die Grableerfindung die Auferstehung nicht zu beweisen vermöge, ihrer von Pannenberg als plausibel beurteilten, potenziellen Verankerung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte auch nicht notwendig widerspreche.202 Trotz oder vielleicht auch entgegen all der dargestellten Kritik ist ferner abschließend zu würdigen, dass und in welchem Ausmaß Pannenberg ins Gedächtnis rief, dass es der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage durchaus möglich ist, sich den Erscheinungen und der neutestamentlich bezeugten Grableerfindung anzunähern, welches insbesondere vor dem Hintergrund des zu seiner Zeit weit verbreiteten Skeptizismus in Bezug auf Geschichtsbezüge des Auferstehungsge-

197

Vgl. a.a.O., 15 f. Vgl. a.a.O., 23. 199 Vgl. a.a.O., 21 f., unter Zitation von Pannenberg, Dogmatische Thesen, 98. 200 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 343. 201 Klappert, Diskussion, 23. 202 Vgl. a.a.O., 10. Die im Auferstehungsdiskurs verbreitete Tendenz, das Motiv des leeren Grabes als zeichenartige Bestätigung der in den Erscheinungen des Auferstandenen kundgewordenen Auferstehungswirklichkeit (vgl. ebd.) zu deuten, wird im Kapitel II.5.2.d (siehe bei Interesse auch die Kapitel II.5.1.a bis II.5.2.c) eingehender dargestellt und im dritten Teil dieses Buches kritisch reflektiert. 198

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schehens sowie gegenüber der verbreiteten Kergymatheologie203, welche eine (auch noch so legitime und reflektierte) Rückfrage nach ebendiesem grundsätzlich vergleichgültigt und sogar verbietet204, hervorzuheben ist. Indem er den Geschichtsbegriff so erweitert, dass die Kontingenz jedes Ereignisses in ihm gegenüber der (troeltschen) Annahme einer absoluten Gleichartigkeit aller Geschehnisse mitgedacht wird, würdigt er zudem das alttestamentliche Geschichtsdenken.205 Ferner ist die pannenbergsche, an den neuzeitlichen Denkbedingungen orientierte Reformulierung jüdisch-apokalyptischer, endzeitlicher Erwartungen positiv hervorzuheben, da sie mit einer konsequenten Abwehr spiritualistisch geprägter Vorstellungen206(wie etwa die der Auferstehung als einer Vergegenständlichung psychischer, innersubjektiv verankerter Vorgänge ohne entsprechendes außersubjektives Korrelat oder ohne eine sie begründende und hervorbringende Wirklichkeit207) einhergeht. Als grundlegend erwiesen sich hier das Geschichtsverständnis Pannenbergs sowie insbesondere sein mit diesem zusammenhängender Anspruch, die gesamte Geschichte von ihrem offenen, aber im Kreuzesgeschehen und in der Auferstehung bereits antizipiertem Ende her zu verstehen, der schon als solcher zu würdigen ist. Zusammenfassend ist somit in Bezug auf das Verständnis Pannenbergs als Beispiel für eine Deutung der Grableerfindung im Kontext einer Wahrnehmung der Auferstehung als historisches Ereignis festzuhalten, dass er die Verankerung der Christuserscheinungen und der Grableerfindung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte postuliert und verteidigt. Weil und solange die genannten „Ereignisse“ einer geschichtswissenschaftlichen Reflexion in der dargestellten Weise standhielten, sei die Auferstehung, im Vollzug derer sie sich begaben, als ein „raum-zeitlich fixierbares Faktum“208 im Sinne eines keine Analogien aufweisenden Knotenpunktes209 zu kategorisieren, der über einen „raumzeitlichen Charakter“210 verfüge, welcher die Transformation des irdischen Leibes Jesu in eine pneumatische Leiblichkeit umfasse, folglich die notwendige Leerwerdung seiner Grabstätte impliziere und von einer bestehenden, personalen Identität des Auferweckten und des Verstorbenen zeuge.211 Für Pannenberg erweist sich diese Deutung der Erscheinungs- und Grableerfindungsperikopen als Aspekte des historischen Ereignisses der Auferstehung vor dem Hintergrund des jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizonts als derart

203 Zu denken ist hier etwa an die existentiale Deutung Rudolf Bultmanns, die in Kapitel II.2.3 diskutiert wird. 204 Vgl. Klappert, Diskussion, 23. 205 Vgl. a.a.O., 22. 206 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 346. 207 Vgl. Klappert, Diskussion, 11. 208 Vorholt, Osterevangelium, 345. 209 Vgl. a.a.O., 339. 210 A.a.O., 345 f. 211 Vgl. ebd.

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zwingend, dass er alternative Deutungsoptionen der mehrdeutigen, in den Perikopen bezeugten Ereignissen grundsätzlich ablehnt.212 Ganz deutlich wird hieran die erwähnte enge Verbindung der Grableerfindungsdeutungen mit der Frage nach einem Geschichtsbezug der Auferstehungsereignisse, welche wiederum in starker Abhängigkeit von den Historizitäts- und Realitätsvorstellungen der jeweiligen Interpreten beantwortet wird.

212 An den Grundgedanken Pannenbergs orientierte sich in jüngster Zeit etwa Welker (vgl. Körtner, Dogmatik, 420), der die neutestamentlichen Darstellungen der Erscheinungen und der Grableerfindung als Bezeugungen wahrnimmt (Welker, Gottes Offenbarung, 112), die „auf ein komplexes historisches Ereignis“ (a.a.O., 119) und auf eine gänzlich neuartige Wirklichkeit verweisen, deren – so beschreibt es Körtner – „ontologischer Status aber unklar bleibt“ (Körtner, Dogmatik, 420). Diese Beurteilung ergibt sich aus Pannenbergs intensiven Auseinandersetzung mit den anstößig anmutenden Bezeugungen der Auferstehungsereignisse, welche Begegnungen mit Jesus als dem Auferstandenen beinhalten und dabei sowohl die „Kontinuität zwischen dem vorösterlichen und dem nachösterlichen Jesus“ (Welker, Gottes Offenbarung, 111) betonen als auch jene Diskontinuität herausstellen, die zwischen ebendiesen „Lebensphasen“ gegeben sei. Dieses Spannungsfeld zeige sich nach Ansicht Welkers in jener (in den Begegnungen mit dem Auferweckten gegebenen) „merkwürdigen Spannung zwischen Sinnfälligkeit und Erscheinung“ (a.a.O., 112), die im Rahmen jeder Annäherung an die ganz außergewöhnliche Auferstehungswirklichkeit (Jesu) zu berücksichtigen sei. Eine derartige Berücksichtigung führe zu der Erkenntnis, dass die „Kontinuität seiner Person und seines Lebens“ (a.a.O., 111) nicht schon als eine irdisch-physische Kontinuität im Sinne der Fehlverständnisse Lüdemanns (vgl. Kapitel II.2.4) oder auch Strauß‘ verstanden werden könne, was bereits daran ersichtlich werde, dass viele primäre Zeugen innerhalb der neutestamentlichen Erscheinungsdarstellungen den (mit ihren Sinnen wahrnehmbaren, im Medium der Erscheinung gegenwärtigen) Jesus gerade nicht unmittelbar wiedererkennen (vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 111). Zudem greife auch ein Verständnis der Erscheinungen als pure, subjektive, aus der Fantasie der Jünger entstehende Illusion ohne außersubjektives Wirklichkeitskorrelat fehl, da Jesus selbst sich und sein ganzes Leben in den Erscheinungen als Subjekt völlig neu zur Geltung bringe (vgl. a.a.O., 119). Wie die Erscheinungen stattdessen nach Ansicht Welkers zu verstehen sind, ist in seinem Werk Gottes Offenbarung auf den Seiten 99 bis 134 nachzulesen, wo er dieses Thema in engem Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis von Geist und Leib innerhalb der Auferstehungsereignisse thematisiert und erläutert, inwiefern sich hier „der Geist in ,leibhaftiger‘ Gestalt“ (a.a.O., 133) und trotzdem „in einer nicht mehr fleischlichen Kontinuität zum Leben des vorösterlichen Jesus“ (ebd.) erwiesen habe. In Bezug auf die Grableerfindung kann hingegen darauf verwiesen werden, dass Welker – ohne hier eine ausführliche Deutung der Grableerfindung vorzunehmen – doch nachdrücklich herausstellt, dass die neutestamentlichen Grableerfindungserzählungen zweifellos von einer mangelnden Auffindbarkeit des vorösterlichen Leibes Jesu zeugen, die es im Rahmen von Interpretationsprozessen zu berücksichtigen gelte (vgl. a.a.O., 115).

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II.2 Die Auferstehung aus der Perspektive neuzeitlichrationalistischer Rationalitäten „Das folgende akademisch-publizistische Spektakel ereignet sich immer wieder in den Weltgegenden, die sowohl vom christlichen Glauben als auch von moderner Bildung geprägt sind [...]: Ein theologisch gebildeter und zur Lehre befähigter Mensch versichert in Wort und Schrift, dass der Glaube an die Auferstehung Jesu töricht oder sogar ein Skandal sei, weil es keine physische Wiederbelebung eines Toten gebe.“213

II.2.1 Das leere Grab in der Betrugshypothese (Hermann Samuel Reimarus) Zu den wohl bekanntesten kritischen Stellungnahmen hinsichtlich der Auferstehung Jesu von Nazareth sowie insbesondere auch hinsichtlich der Behauptung der Leerwerdung seiner Grabstätte zählt die sogenannte Betrugshypothese aus der Feder Hermann Samuel Reimarus’, deren Verbreitung den Beginn der historisch-kritischen Debatte um den christlichen Auferstehungsglauben markierte214, obschon sie bereits ihrerzeit selbst im Kreis der den Auferstehungsbezeugungen gegenüber kritisch eingestellten Theologen nur wenig Zustimmung fand.215 Die 1778 von Gotthold Ephraim Lessing in dem Fragment Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger postum veröffentlichte Deutung Reimarus’ zeugt im Wesentlichen davon, dass dieser den im ersten Teil geschilderten Vorwurf aus Mt 28,11–15 für sachrichtig hält und entsprechend davon überzeugt ist, dass Jesus in keinster Weise auferstand, sondern seine Jünger seinen Leichnam entwendet und seine Auferstehung anschließend in betrügerischer Weise verkündet hätten.216 Dieser Betrug sei darin zu begründen, dass die Jünger, deren Hoffnungen auf die (auch gesellschaftlich-politische) Errichtung einer Königsherrschaft Gottes durch Jesus aufgrund seiner Hinrichtung widerlegt wurden, das Schicksal ebendessen nun eigenmächtig als das Geschick eines stellvertretend für die Sünden der Welt leidenden Erlösers uminterpretiert hätten.217 Dies ermöglichte es ihnen, an ihrer Hoffnung auf weltliche Ehren und Vorteile festzuhalten und ein Eingeständnis dessen zu vermeiden, dass ihre Hochschätzung der Person Jesu mögli213

Welker, Die Wirklichkeit, 311. Vgl. Merz u. Theißen, Der historische Jesus, 417. 215 Vgl. Wilckens, Theologie, I/I, 26. 216 Vgl. ebd., Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 417 u. Vorholt, Osterevangelium, 343. 217 Vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 417. 214

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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cherweise fehlschlüssig gewesen sei, da seine Mission aus menschlicher Perspektive erst einmal gescheitert zu sein schien.218 Notwendig wurde es für die Jünger nun logischerweise, ihre Darstellungen Jesu der veränderten Interpretation seines Geschicks entsprechend zu modifizieren, wenngleich dies bedeutete, Aspekte in sie zu integrieren, die nicht auf ihren eigenen Erinnerungen und Erfahrungen beruhten, sondern von ihnen frei erfunden wurden, um ihre Betrugsabsicht zu untermauern.219 Die Jünger hätten zudem den Leichnam Jesu entwendet, um die nötige Voraussetzung dafür zu schaffen, seine Auferweckung durch Gott erfolgreich verbreiten zu können, was erneut die auch von Pannenberg vertretene Annahme voraussetzt, dass die Bezeugung der Auferstehung eines Toten ausschließlich vor dem Hintergrund eines leeren Grabes denkbar gewesen sei.220 Der berechnend geplante Leichendiebstahl sei für die Jünger nach Ansicht Reimarus’ ferner problemlos durchführbar gewesen, was dadurch bestätigt werde, dass der Besitzer des Gartens, in dem Jesus beerdigt wurde, darunter gelitten hätte, dass seine Grabstätte sowohl tagsüber als auch des Nachts von den Aposteln besucht wurde, was davon zeuge, dass sie sich mühelos Zugang zu diesem und somit auch zur Grabstätte verschaffen konnten. Zudem deute auch die in den neutestamentlichen Grableerfindungsperikopen an verschiedener Stelle geäußerte Vermutung, dass der Leichnam gestohlen worden sei, im Sinne eines indirekten Schuldeingeständnisses auf einen Betrug hin.221 Reimarus konkretisiert diese Theorie unter Verweis darauf, dass die Jünger den Leichnam wahrscheinlich bereits einen Tag nach der Grablegung entwendet hätten, bevor seine Verwesung vollends eingesetzt habe, und sie sich vorerst betont verwundert gezeigt hätten, als die Nachricht von der Leerfindung des Grabes publik wurde. Daraufhin hätten sie fünfzig Tage ausgeharrt, ehe sie die Auferstehung verkündet hätten, um zu gewährleisten, dass der Verbleib des Leichnams nicht mehr untersucht werden würde und auch nicht mehr eingefordert würde, dass sie ihren Herrn als den Auferstandenen in der Öffentlichkeit präsen-

218

Vgl. Reimarus, Von dem Zwecke Jesu, 243. Vgl. a.a.O., 126 f. 220 Vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 417. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass die meisten kritischen rationalistischen Stellungnahmen zu den Auferstehungsereignissen (aufgrund der anhand geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen als hoch einzustufenden) Wahrscheinlichkeit ihrer Verankerung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich beschreibbaren Dimension der Geschichte eine tatsächliche Leerfindung des Grabes voraussetzen. Zur Begründung dieser Leerfindung führen sie jedoch stets Gründe an, die – im Gegensatz zur Vorstellung eines Wirkens Gottes am Leichnam (vgl. ebd.) – nicht im Widerspruch zur bereits angesprochenen, rationalistisch-analytischen Rationalität (vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320) und den in ihr begründeten Implikationen, wie etwa den troeltschen Axiomen, stehen. Beispielhaft sei auf die Scheintodhypothese von Hermann Paulus und auf die anonym veröffentlichte Umbestattungshypothese verwiesen, welche unter anderem Holtzmann und Klausner vertreten (vgl. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 417). 221 Vgl. Reimarus, Von dem Zwecke, 244. 219

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

tierten. Sie hätten ihres Betruges folglich nicht mehr überführt werden können, da der Leichnam Jesu als wortwörtlicher Corpus Delicti von ihnen inzwischen hinfort geschafft worden wäre und sich ohnehin in einem derart fortgeschrittenen Stadium der Verwesung befunden hätte, dass er nicht mehr identifizierbar gewesen wäre.222 Zur Bestätigung dieser Thesen verweist Reimarus auf die in der Grableerfindungsperikope des Matthäusevangeliums überlieferte Warnung des Hohen Rats vor einem Diebstahl des Leichnams durch die Jünger, der aufgrund der Autorität des Rates Glauben zu schenken sei, wohingegen die Auferstehungsbekundungen der Jünger als unzuverlässig zu bewerten seien, weil der vermeintliche Betrug von ihnen selbst ausgegangen sei.223 Ihr Zeugnis sei nach Ansicht Reimarus’ darüber hinaus auch deshalb anzuzweifeln, da die Darstellungen der von ihnen bezeugten Ereignisse – hier konkret die der Grableerfindung –, wie im ersten Teil dieses Buches gezeigt wurde, stark voneinander abwichen und sich mitunter sogar erkennbar widersprachen.224 Die Annahme, dass der Warnung des Hohen Rates vor einem Betrug der Jünger Glauben zu schenken sei, sieht Reimarus ferner dadurch bestätigt, dass ihre Darstellung einzig im Matthäusevangelium zu finden ist, wohingegen die Verfasser des Lukas- und des Johannesevangeliums darauf erpicht gewesen zu sein schienen, den Vorwürfen des Leichenraubs auf umständliche Art und Weise zu widersprechen.225 Reimarus führt darüber hinaus einige weitere Argumente an, die darauf abzielen, dass die paulinischen Ausführungen in Bezug auf die Auferstehung nicht nachvollziehbar seien und „vor dem Richterstuhl der gesunden Vernunft in Ewigkeit nicht bestehen“226, weil sie einen zirkelschlüssigen und daher wenig überzeugenden Aufbau aufwiesen, was anhand der paulinischen Deutung des sechzehnten Psalms ersichtlich werde.227 Betrachtet man diese exemplarisch dargestellten Ausführungen Reimarus’, so spiegelt sich in ihnen die beginnende und in der weiteren Entwicklung des Auferstehungsdiskurses vermehrt an Relevanz gewinnende Tendenz wider, die Wahrscheinlichkeit und Plausibilität der in den neutestamentlichen Bezeugungen dargestellten Begebenheiten nicht länger – wie von Pannenberg gefordert – ausgehend von jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizonten und den in ihnen verankerten Erwartungen zu bemessen oder die von ihnen nahegelegten Deutungsangebote zur Untersuchung der Grableerfindung heranzuziehen. Stattdessen

222

Vgl. a.a.O., 244–246. Vgl. a.a.O., 167. 224 Vgl. a.a.O., 178 f. Reimarus spricht hier pauschal von den Bezeugungen „der Jünger Jesu“ (ebd.). Es ist anzunehmen, dass er dabei auf die abweichenden Darstellungen der thematisierten Ereignisse in den vier neutestamentlichen Evangelien anspielt. 225 Vgl. ebd. 226 A.a.O., 175. 227 Vgl. ebd. u. a.a.O., 173 f. 223

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erfolgt die Beurteilung der Relevanz und Plausibilität der dargestellten Geschehnisse vermehrt in Orientierung an einer neuzeitlich-rationalistischen, analytisch anmutenden Rationalität228, wie sie in den nachfolgenden Teilkapiteln eingehender zur Sprache kommt und im Kapitel III.1.1 diskutiert wird. Verwiesen sei hier hingegen lediglich auf die zur Thematisierung der besagten Rationalität hinführende Aussage von Reimarus, die Menschheit sei „nicht für eine Religion gemacht, die auf Facta, und zwar solche, die in einem Winkel des Erdbodens geschehen sein sollen, gegründet ist“.229 In dieser Behauptung drückt sich der (den Auferstehungsdiskurs in seiner weiteren Entwicklung maßgeblich prägende) Gedanke aus, dass eine Diskrepanz zwischen der alltäglichen Wahrnehmung des Weltgeschehens, das durch geschichts- und naturwissenschaftliche Erkenntnisbemühungen zunehmend verständlich, erklärbar und sogar vorhersehbar gemacht wird, und den neutestamentlich bezeugten Auferstehungsereignissen, die diesen in eklatanter Weise widersprechen, besteht. Hieraus scheint sich ein zunehmendes Bedürfnis danach auszubilden, die neutestamentlichen Ereignisse in einer Weise zu erläutern, die von den Gläubigen keine „Preisgabe der Vernunft“230 fordert. Während der Versuch von Reimarus, dieses Bedürfnis zu befriedigen, zu einer völligen Leugnung der Vorstellung einer Auferstehung Jesu führte, versuchten andere Theologen im weiteren Verlauf dieser Entwicklung, grundsätzlich an der Vorstellung seiner Auferstehung festzuhalten, wenngleich sie eine massive Modifikation und verschiedene Neuperspektivierungen erfuhr und zunehmend aus dem Feld der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte heraus und stattdessen in die Innerlichkeit des Menschen verlagert wurde. Dies führte notwendig zu einem Bedeutungsverlust der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage, sofern eine solche nicht ohnehin bereits aufgrund der Historizitäts- und Realitätsimplikationen der jeweiligen Verfasser als unmöglich beurteilt wurde. Wie schon hinsichtlich der Konzeption Pannenbergs festgestellt, zeigt sich auch hier die massive Prägung der jeweiligen Auferstehungs- und Grableerfindungsdeutungen durch die vorausgesetzten Historizitäts- und Realitätsvorstellungen der jeweiligen Interpreten. Während Pannenberg ein Einwirken Gottes auf die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension der Geschichte sowie insbesondere auch ein Wirken Gottes am Leichnam Jesu prinzipiell für denkbar hält und auch die neutestamentlichen Deutungsperspektiven hinsichtlich der Grableerfindung in Betracht zieht, schließen die in diesem Teilkapitel thematisierten Theologen ein derartiges Handeln Gottes innerhalb der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte aufgrund ihrer Prägung durch die „neuzeitlich-analytische Rationalität“231 grundsätzlich aus. Vor allen theologischen 228

Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. Reimarus, Apologie oder Schutzschrift, 171, zitiert nach Bayer, Kreuz IX, 775. 230 Klappert, Diskussion, 53. 231 Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320.

229

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Erwägungen werden sie somit bereits aufgrund ihrer (ihre Textwahrnehmung und -rezeption massiv prägenden) Historizitäts- und Realitätsimplikationen zu einer Verwerfung der neutestamentlichen Begründungen der Grableerfindung gezwungen, was die Genese einer eigenen Begründung notwendig macht, wie Reimarus sie in Form seiner Betrugshypothese vollzog. Dies kann sogar eine grundsätzliche Distanzierung von den Grableerfindungsperikopen zur Folge haben, wie die nachfolgend dargestellten Ansätze zeigen.232

II.2.2 Der zunehmende Relevanzverlust der Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung „Selten ist ein unglaubliches Factum schlechter bezeugt, niemals ein schlecht bezeugtes an sich unglaublicher gewesen.“233

An die dargestellten Erwägungen anschließend erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit den Auferstehungsdeutungen Rudolf Bultmanns und Gerd Lüdemanns, die den Versuch unternahmen, die Rede von der Auferstehung so denkbar zu machen, dass sie mit dem Welt- und Wirklichkeitsverständnis des modernen Menschen insofern zu vereinbaren ist, als dass sie von diesem keine widersinnige Preisgabe seiner Vernunft erforderlich mache. Ob und inwiefern dieses Unterfangen gelingen kann und überhaupt als sinnvoll zu beurteilen ist, wird zu reflektieren sein. Auch hierbei zielt mein Buch weniger auf eine umfängliche Darstellung der Konzeptionen als vielmehr auf die Zusammenschau ihren relevantesten Leitgedanken sowie auf eine wachsame Reflexion ihrer Prägung durch die ihnen zugrunde gelegten Historizitäts- und Realitätsvorstellungen. Ersichtlich werden dürfte dabei, dass die Rede von der Grableerfindung in den Ausführungen der beiden Theologen nahezu nicht explizit thematisiert wird, sodass man darauf schließen kann, dass beide ihr keine nennenswerte Relevanz zusprechen. Die Thematisierung ihrer Konzeptionen innerhalb dieses Buches legitimiert sich allerdings durch den Anspruch, sich der neutestamentlich bezeugten Grableerfindung möglichst mehrperspektivisch anzunähern und daher nicht 232 Da die Darstellung der Thesen Reimarus’ lediglich als Einstimmung in dieses Teilkapitel fungiert und seine wesentlichen Prämissen – vor allem die hier relevante Prägung durch eine „neuzeitlich-analytische Rationalität“ (ebd.) – im weiteren Verlauf immer wieder kritisch reflektiert werden, erfolgt in diesem Teilkapitel keine explizite Auseinandersetzung mit der Betrugshypothese. Mit Mildenberger sei jedoch – im Wissen, dass ein zynischer Kommentar keine reflektierte Auseinandersetzung mit den diskursprägenden Gedanken Reimarus’ ersetzen kann – die kritische Anfrage erlaubt, inwiefern es angemessen ist, die geheimnisvolle Andersartigkeit, die den Auferstandenen auszeichnet, als Hinweis auf eine vermeintliche Unglaubwürdigkeit seiner Zeugen zu bewerten (Mildenberger, Auferstehung II/IV, 552). 233 David Friedrich Strauß über den Gegenstand der christlichen Auferstehungsverkündigung, in: Strauss, Der alte und der neue Glaube, 47, zitiert nach Lüdemann, Die Auferweckung, 10.

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nur jene Ausführungen im Stile Pannenbergs zu untersuchen, die ihr eine hohe Relevanz zuschreiben, sondern auch zu hinterfragen, ausgehend von welchen Prämissen sie als (nahezu) bedeutungslos beurteilt wird. Ferner gilt es zu bedenken, dass viele der hier vorfindlichen Argumentationslinien den gegenwärtigen Auferstehungsdiskurs prägen und nicht selten als argumentatorische Grundlegung für die nahezu konsensuell vorfindliche Vorstellung des leeren Grabes als Zeichen der/für die Auferstehung fungieren.

II.2.3 Die existentiale Auferstehungsdeutung (Rudolf Bultmann) „Das Osterereignis, sofern es als historisches Ereignis neben dem Kreuz genannt werden kann, ist ja nichts anderes als die Entstehung des Glaubens an den Auferstandenen, in dem die Verkündigung ihren Ursprung hat.“234

Am Beispiel der Interpretation Rudolf Bultmanns, die dieser erstmals am 1. Juni 1941 im Rahmen seines diskursprägenden und über Jahrzehnte hinweg kontrovers diskutierten Entmythologisierungsvortrages235 präsentierte, sei aufgezeigt, unter welchen Bedingungen die Thematisierung der Grableerfindungsperikopen und ihres Gegenstandes sowie insbesondere die Rückfrage nach dessen potenziellen Geschichtsbezügen an Relevanz verlieren. Die daraufhin dargestellten Kritikpunkte dienen nicht nur der Entwicklung eines vertieften Verständnisses seiner Ausführungen, sondern können auch auf andere, gegenwärtige Interpretationen übertragen werden, welche die Prämissen und Implikationen Bultmanns voraussetzen. Zur Vorverständigung sei darauf verwiesen, dass der Marburger Theologe Rudolf Bultmann die Grableerfindungsperikopen des Neuen Testaments als sekundäre, apologetisch motivierte Legenden236 beurteilt, welche „die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu“237 anhand des Verweises auf eine Leerfindung seiner Grabstätte (vor dem Hintergrund des zur Entstehungszeit der Erzählungen verbreiteten jüdisch-apokalyptischen Denkhorizontes) beweisen sollten.238

234

Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 46, zitiert nach Moltmann, Der Weg,

254. 235 Vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 102 u. Klumbies, Mythos und Entmythologisierung, 383. 236 Vgl. Roloff, Neues Testament, 262. 237 Ebd. Der Begriff der Wirklichkeit wird hier von Klappert nicht eingehender definiert und scheint auf ein alltagssprachliches Verständnis des Begriffs im Sinne dessen abzuzielen, dass die Auferstehungsereignisse sich in einer von Menschen wahrnehmbaren Weise in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte vollzogen haben. 238 Vgl. Roloff, Neues Testament, 262.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Völlig ungeachtet dessen, welche empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Bezüge diese Legenden verarbeitet haben mögen und über welchen etwaigen Symbolgehalt sie verfügten, seien sie hinsichtlich eines theologischen Erkenntnisgewinns in Bezug auf die Auferstehung insgesamt als irrelevant zu beurteilen.239 Diese Einschätzung resultiert bereits vor allen theologischen Erwägungen sowohl aus den von Bultmann vorausgesetzten Historizitäts- und Realitätsvorstellungen, die ihn dazu zwingen, eine etwa von Pannenberg vertretene Deutung der Grableerwerdung anhand des jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizontes und der in ihm verankerten Vorstellung der endzeitlichen Totenauferweckung kategorisch auszuschließen, als auch aus der auf ihrer Grundlage durchgeführten existentialen Auferstehungsinterpretation.240 Entsprechend seien im Folgenden die elementarsten Argumentationsvoraussetzungen Bultmanns skizziert, woran sich der Nachvollzug wesentlicher Aspekte seiner existentialen Auferstehungsdeutung anschließt. a) Historizitäts- und Realitätsimplikationen „Man fand nämlich, dass die Intention des […] historischen Fragens an den Intentionen der biblischen Texte vorbeiging und ihren eigentlichen Inhalt als Zeugnis vom Handeln Gottes nicht zu Gesicht bekam.“241

Untersucht man die Historizitäts- und Realitätsimplikationen Bultmanns, so zeigt sich, dass er (im Anschluss an Troeltsch) im Sinne der Vorstellung einer grundsätzlichen „Feststellbarkeit alles im Raum und Zeit Geschehenen“242 davon ausgeht, dass ein historisches Ereignis nur dann als ein solches bezeichnet werden könne, wenn es durch geschichtswissenschaftliche Erkenntnisbemühungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als solches ausweisbar sei.243 Damit einhergehend nimmt er an, dass derartige historische Facta sich nicht nur durch ihre „empirische Raum-Zeitlichkeit“244, sondern auch durch ihre Verankerung in bestehenden Kausalzusammenhängen auszeichnen, welche Bultmann in nomologischer Weise deutet, da auch er davon ausgeht, dass unsere Wirklichkeit ein „in sich geschlossener Wirkzusammenhang“245 sei. Da diese Kriterien, wie auch andere Anforderungen, von denen Bultmann annimmt, dass sie ausgehend von der

239

Vgl. Mildenberger, Auferstehung II/IV, 556 f. Vgl. Fetzer, Auferstanden ins Kerygma?, 95. 241 Pannenberg, Grundfragen, 81. Die Bezeichnung des historischen Fragens meint hier eine an geschichtswissenschaftlichen Erwägungen orientierte Rückfrage sensu Pannenberg. 242 Klappert, Diskussion, 73. 243 Vgl. ebd. 244 Vorholt, Osterevangelium, 51. 245 Ebd. Ersichtlich wird hier die Prägung der Überlegungen Bultmanns durch die troeltschen Axiome. 240

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(das Denken des modernen Menschen irreversibel prägenden) neuzeitlichen Rationalität246 an die Theologie gestellt würden247, durch die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung nicht erfüllt werden, schlussfolgert er, dass es sich bei diesen Begebenheiten um mythische Ereignisse gehandelt habe.248 Als solche würden sie keinen Anspruch auf eine Verankerung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte erheben, sondern wollten, wie alles in den Evangelienschriften eigentlich Gemeinte249, stets ein menschliches Existenzverständnis übermitteln250, das Grundfragen und Problematiken der menschlichen Lebensführung tangiere.251 Ferner könne die Bedeutsamkeit eines derartigen 246

Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 446. 248 Vgl. Klappert, Diskussion, 73. Die sich aus diesen Thesen ergebende Einschätzung, dass ausschließlich der Glaube der Jünger an die Auferstehung geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisbemühungen zugänglich sei, findet sich auch im gegenwärtigen Auferstehungsdiskurs. Verwiesen sei etwa auf Körtner, der diese Annahme hervorhebt und in Bezug auf den verhandelten Gegenstand darstellt, dass die in den Grableerfindungsperikopen thematisierte Leerfindung nicht gewinnbringend als Gegenstand geschichtswissenschaftlich-empirischer Rückfragen heranzuziehen sei. Dies begründet er darin, dass die Grableerfindungserzählungen ausgeprägte legendarische Züge aufwiesen und ferner ohnehin zu bedenken sei, dass der von ihnen fokussierte Gegenstand der Grableerfindung aufgrund seiner Mehrdeutigkeit nicht als Beweis für eine Auferstehung fungieren könne (vgl. Körtner, Dogmatik, 440). Diese Argumentationsfigur Körtners, die Notwendigkeit einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage mit Verweis darauf zu relativieren, dass eine leer vorgefundene Grabstelle keineswegs als Beweis für die Auferstehung verstanden werden könne, wird – wie in Kapitel II.5.2.a eingehender thematisiert – von vielen Theologen immer wieder angeführt und findet insbesondere als Stützargument für die dominante Position, dass die Grableerfindung als Zeichen der/für die Auferstehung fungiere, Verwendung. Ganz augenscheinlich wird dabei vorausgesetzt, dass eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach der Plausibilität einer Grableerfindung einzig zu dem Ziel erfolgen könne, die Auferstehung zu beweisen, was zu hinterfragen ist. 249 Vgl. Klappert, Diskussion, 54. 250 Vgl. Conzelmann, Entmythologisierung, zitiert nach Klappert, Diskussion, 54. 251 Vgl. ebd. Pannenberg findet die dem Entmythologisierungskonzept Bultmanns zugrundeliegende Intention, die neutestamentlichen Zeugnisse in Bezug auf die sich in ihnen ausdrückenden menschlichen Selbst- und Existenzverständnisse zu deuten, und insbesondere seine Betonung „der Fraglichkeit des menschlichen Daseins als Voraussetzung der Befragung eines überlieferten Textes auf die Möglichkeiten menschlichen Seins und Selbstverständnisses“ (Pannenberg, Grundfragen, 100) in ähnlicher Form auch bei Wilhelm Dilthey. Dieser gehe davon aus, dass Personen erst dann, wenn sie das, was von Menschen in der Geschichte gestaltet wurde, verstehend wahrnehmen, eine Erkenntnis in Bezug auf ihre je eigenen Möglichkeiten zuteilwerde (vgl. ebd.). Diese Vorstellung habe im Rahmen des Entmythologisierungsansatzes Bultmanns jedoch insofern eine Zuspitzung erfahren, als dass dieser zusätzlich davon ausgehe, dass jenes (etwa in Texten vorfindliche) geschichtlich Gestaltete den in der jeweiligen Gegenwart lebenden Menschen mit einem ganz konkreten Anspruch hinsichtlich ihres je eigenen Selbstverständnisses begegne (vgl. a.a.O., 106). Dieser Anspruch könne als eine Frage, welche an dieses gerichtet sei, auftreten, die im Sinne eines tatsächlichen und tiefgreifenden Verstehens ein verantwortliches Handeln des Adressaten anregen könne (vgl. a.a.O., 103). 247

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Ereignisses – entsprechend Bultmanns Thesen zur Entmythologisierung – nur dann erfasst werden, wenn dieses aus seiner mythologischen Sprachform „in eine existentiale Aussage übersetzt, d.h. als Ausdruck eines Selbstverständnisses interpretiert wird.“252 Diese Annahme Bultmanns scheint – wie Pannenberg herausstellt – damit in Verbindung zu stehen, dass Bultmann auch Gott ausschließlich im Zusammenhang mit der Menschheit und hier wiederum ausschließlich als jenen „in der Fraglichkeit des menschlichen Daseins Erfragten denkt“.253 Eine andere Interpretation des (innerhalb der Evangelienschriften in die besagten mythischen Vorstellungsformen gekleideten) Gemeinten254 sei ferner auszuschließen, da Bultmann davon überzeugt ist, dass das (von ihm vorausgesetzte) eine sachgemäße Verständnis hinsichtlich der Zentralfragen des Glaubens einzig auf dem dargestellten Wege und gerade nicht durch „Spekulationen über die Seinsweise des Auferstandenen“255 erlangt werden könne. Diese Annahme ergibt sich aus Bultmanns die Bibel tangierenden hermeneutischen Vorannahmen; so versteht er diese als die Repräsentation des einen Wortes, das innerhalb der verschiedenen biblischen Texterzeugnisse in verschiedenen Darstellungsweisen bezeugt werde, ohne dass seine Bedeutung dadurch verändert werde.256 Relevant scheint ferner die bultmannsche Vorstellung der „Einheit der Wirklichkeit, die sich durch angemessene Methoden der Wahrnehmung in ihrem Wahrheitsgehalt erschließt.“257 Darüber hinaus liegt dem existentialen Interpretationsansatz und den Thesen der Entmythologisierung die grundlegende Prämisse zugrunde, dass die „Welterfahrung und Weltbemächtigung“258 der modernen Natur- und Geschichtswissenschaften sowie der Technik so ausgeprägt seien, dass sich eine gesamtgesellschaftliche Umformung von einer mythologischen zu einer ihr entgegenstehenden259, natur- und geschichtswissenschaftlichen Form der Weltbewältigung vollzogen habe, weshalb der moderne Mensch nicht an das als mythologisch bewer252 Klappert, Diskussion, 73 u. vgl. Klumbies, Mythos und Entmythologisierung, 386. In diesem methodischen Vorgehen spiegelt sich der für die bultmannsche Theologie charakteristische Ansatz der Anknüpfung wider, welcher auf der Grundannahme beruht, dass Vermittlungsvorgänge nur dann erfolgreich vollzogen werden können, wenn sie an den Voraussetzungen der jeweiligen Rezipienten orientiert seien (vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 321). 253 Pannenberg, Grundfragen, 100. 254 Klappert, Diskussion, 54. 255 Fetzer, Auferstanden ins Kerygma?, 94. 256 Vgl. a.a.O., 97 f. 257 A.a.O., 94. Hinsichtlich der Deutung einer Auferstehung denkt Bultmann hier offensichtlich an die existentiale Interpretation. Seine Annahmen der „Einheit der Wirklichkeit“ (ebd.) und der Möglichkeit ihrer eindeutigen Erschließung führten darüber hinaus dazu, dass er Diskussionen in Bezug auf die Angemessenheit seines Wirklichkeitsverständnisses für irreführend hält (vgl. ebd.), was anhand seiner Auseinandersetzungen mit Karl Barth (Kapitel II.3.1.a) ersichtlich wird. 258 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 15. 259 Vgl. Klumbies, Mythos und Entmythologisierung, 382.

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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tete, ohnehin nicht einmal eigentümlich christliche, neutestamentliche Weltbild mit seinen Darstellungs- und Vorstellungsformen260 anknüpfen könne und wolle.261 Vielmehr erschwerten und erschweren derartige Vorstellungen den Zugang zu den Bedeutungsinhalten des Evangeliums, da die neutestamentliche Vorstellungswelt, welche für den modernen Menschen notwendig anstößig sei, „das eigentliche Ärgernis der christlichen Verkündigung geradezu verdeck[e].“262 Eine „Repristinierung des mythischen Weltbilds“263 sei ferner aufgrund der genannten Prägung des modernen Menschen durch die in der Neuzeit verbreitete, analytische Rationalität und explizit durch die auf ihren Grundsätzen arbeitenden modernen Naturwissenschaften sowie aufgrund der generellen Unmöglichkeit der willentlichen Aneignung eines (der je gegenwärtigen zeitgeschichtlichen Situation geschuldeten) Weltbildes unmöglich.264 Im Gegensatz zum Mythosbegriff Kümmels, der zwischen jenen (vom Kerygma nicht ablösbaren) „notwendigen mythologischen Vorstellungen“265, durch die das Einwirken Gottes in die empirisch erfassbare Dimension der Geschichte beschrieben wird, und jenen (dem antiken Weltbild entstammenden) nicht länger verbindlichen, „entbehrlichen mythologischen Einzelvorstellungen“266 unterscheidet, scheint der Mythosbegriff bei Bultmann im Allgemeinen Inbegriff einer vorrationalen Weltauffassung zu sein.267 Diese bezeuge in einer – nach Ansicht Bultmanns kritikwürdigen268 – „antiken Vorstellungs-, Denk- und Redeweise“269 durch menschliche Erkenntnisbemühungen nicht zu objektivierende oder gar zu beherrschende Tiefendimensionen der menschlichen Wirklichkeit270, wobei das Göttliche in einer menschlichen Weise vorgestellt werde271, das Jenseitige eine

260 Zu diesen Vorstellungsformen zählen etwa die eines dreistöckigen Weltbildes oder die von überweltlichen Mächten, die auf das Weltgeschehen Einfluss zu nehmen vermögen (vgl. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 12). 261 Vgl. a.a.O., 14 f., Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 321 u. Klumbies, Mythos und Entmythologisierung, 384. 262 Klappert, Diskussion, 53. 263 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 13. 264 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 321 f. u. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 13–15. Wie weitreichend die Auffassung Bultmanns wirkt, dass die in einer bestimmten Zeit konsensuell verbreiteten Weltbilder dem Menschen stets „mit seiner geschichtlichen Situation je schon gegeben“ (a.a.O., 14) seien und es ferner nicht in seiner Macht liege, sich von diesen eigenmächtig zu distanzieren, wird an seiner vehementen, zweifellos wenig reflektierten Betonung dessen deutlich, dass „kein Mensch im Ernst am neutestamentlichen Weltbild festhalten kann und festhält“ (a.a.O., 15) – eine Verallgemeinerung, die bereits angesichts der Positionierung Pannenbergs als fehlschlüssig zu bezeichnen ist. 265 Klappert, Diskussion, 94. 266 Ebd. 267 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 321. 268 Vgl. a.a.O., 321 f. 269 Klappert, Diskussion, 54. 270 Vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 104. 271 Vgl. Klappert, Diskussion, 54 u. Klumbies, Mythos und Entmythologisierung, 385.

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geradezu naive Objektivierung erführe272 und die Ungreifbarkeit des Gegenstandes verloren ginge.273 Da die im Mythos vorfindliche Verknüpfung des göttlichen Handelns mit (als mirakulös zu bezeichnenden) Naturgeschehnissen für den modernen Menschen nicht länger nachvollziehbar sei274, erfolgte ferner eine Ablösung des modernen Weltbewusstseins von dem Mythologischen.275 Folglich sei es die Verpflichtung der modernen Theologie, mit Hilfe der Entmythologisierung die (auch für den modernen Menschen noch immer gegebene) Aktualität des in gnostische Erlösungsmythen und jüdisch-apokalyptische Traditionsformen gehüllten Evangeliums zur Geltung zu bringen, um zu zeigen, dass sein Wahrheitsanspruch und seine Inhalte nicht untrennbar mit einem als vergangen und überholt beurteilten Weltbild verknüpft seien276 und eine Beschäftigung mit dem christlichen Glauben nicht zwingend mit einer „Preisgabe der Vernunft“277 einhergehen müsse. In Anlehnung an die aus den physikalischen Einsichten Newtons abgeleitete, deterministische Weltsicht kommt Bultmann außerdem zu dem Schluss, dass die zwei Bereiche der noumenalen und der phänomenalen Welt gänzlich zu trennen seien. Dieses spiegelt sich in seiner analog vollzogenen Trennung der Verwendung der Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften zur Beurteilung der sich in der empirisch erfassbaren Welt des Menschen vollziehenden Ereignissen von der Verwendung der existentialen Deutungsmethode zur Beurteilung der Bibel wider.278 Seines Erachtens könne der Anspruch, welchen die säkulare Wissenschaft der Moderne auf eine Alleinzuständigkeit für sich ergebende Fragen in Bezug auf die Welterklärung erhebt, folglich gebilligt werden, weil der Bereich des christlichen Glaubens sich nicht auf diese, sondern ausschließlich auf das menschliche Selbstverständnis beziehe279, welches nur durch die besagte Durchführung einer existentialen, auf die Reflexion menschlicher Seinsverständnisse hin ausgerichteten Interpretation angemessen zu erkunden sei.280 Auch darum können die mythologischen Erzählungen der Bibel nach Ansicht Bultmanns nicht gewinnbringend durch (auf die besagte Welterklärung abzielende) Herangehensweisen, wie die der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage, interpretiert werden. Bultmann relativiert allerdings nicht nur die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit, sondern auch die prinzipielle Notwendigkeit geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen 272

Vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 104. Vgl. Klumbies, Mythos und Entmythologisierung, 385. 274 Vgl. a.a.O., 384. 275 Vgl. Pannenberg, Philosophie Religion Offenbarung, 185. 276 Vgl. Klappert, Diskussion, 53 f., mit Verweis auf Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 156–158. 277 Übersetzung der von Bultmann verwendeten lateinischen Bezeichnung der sacrificium intellectus durch Klappert in: Klappert, Diskussion, 54. 278 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 446 f. 279 Vgl. Pannenberg, Philosophie Religion Offenbarung, 186. 280 Vgl. Klappert, Diskussion, 54. 273

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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in Bezug auf die Auferstehungsereignisse, indem er – ebenfalls in Anlehnung an die troeltschen Axiome – aufzeigt, dass wissenschaftliche Einsichten ausschließlich auf Wahrscheinlichkeitsurteilen basieren, weshalb geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse nicht als Grundlage für einen Glauben, der nach Gewissheit sucht, fungieren könnten.281 Der Versuch, den Ursprung der Verkündigung der Auferstehung in geschichtswissenschaftlichen Erkenntnissen (wie etwa Befunden zur Grableerfindung) begründen zu wollen, scheitere ferner zwangsläufig, sei lediglich irreführend und entstelle das Wesen des Glaubens als eine gehorsame und frei vollzogene „Selbstübereignung des Menschen an Gott.“282 Wie zuvor in Bezug auf die Möglichkeiten der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage kommt Bultmann daher auch hinsichtlich ihrer Notwendigkeit zu dem Schluss, dass der Bereich des menschlichen, existential bedeutsamen Glaubens radikal von dem Bereich empirisch-geschichtswissenschaftlich zu gewinnender Einsichten zu trennen sei, da der Glaube, der als eine göttliche Schöpfung innerhalb des Menschen zu verstehen sei, sich jeder Form einer Nachprüfbarkeit notwendig entziehe.283 Diese exemplarisch dargestellten Historizitäts- und Realitätsannahmen, die die bultmannsche Theologie ebenso wie die aus ihnen resultierenden Forderungen nach einer existentialen Interpretation und der Entmythologisierung biblischer Erzählungen geprägt haben, beeinflussen explizit auch seine Interpretationen der Auferstehung und des leeren Grabes, wie im Folgenden dargestellt sei.

281

Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 51. Ebd. 283 Vgl. a.a.O., 52. In Anbetracht dessen, dass Bultmann die Möglichkeit, Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer empirisch-geschichtswissenschaftlichen Untersuchung der Auferstehung strikt verneint und abwertet, verwundert es, dass er den Begriff des Geschichtlichen für seine existentiale Interpretation zu vereinnahmen versucht, wenngleich der mit ihm nicht selten assoziierte Aspekt der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte im Rahmen seiner Konzeption völlig irrelevant ist. Bultmann differenziert so zwischen dem Historischen und dem Geschichtlichen und grenzt die beiden Begriffe insofern voneinander ab, als dass Ersterer den als objektiv zu charakterisierenden „Ablauf der Ereignisse in der Zeit“ (Joest, Dogmatik II, 625) beschreibe, wohingegen all jene Ereignisse als geschichtlich zu bezeichnen seien, die die Menschen (im Sinne der existentialen Bedeutsamkeit der Auferstehungsereignisse) in ihrer je eigenen Existenz betreffen und sich verändernd auf ihre Existenzverständnisse auswirken. Diese von Joest als eigenartig charakterisierte (vgl. ebd.) Vereinnahmung des Begriffs der Geschichtlichkeit ermöglicht es Bultmann, die von ihm als Auferstehung verstandene Bedeutsamkeit des Kreuzes als geschichtlich zu bezeichnen. Dies dürfte das Verständnis seiner Konzeption jedoch eher behindern als erhellen, da er – im Gegensatz zu den durch den Begriff des Geschichtlichen geweckten Assoziationen – mit ihm jene Phänomene beschreiben möchte, die aufgrund des sich in ihnen ausdrückenden menschlichen Existenzverständnisses und gerade nicht aufgrund ihres potenziellen Bezuges zur empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Wirklichkeit relevant sind. 282

92

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

b) Auferstehungs- und Grableerfindungsdeutung „In der Sache stellt Bultmanns Programm der Entmythologisierung resp. die existentiale Interpretation eine apologetische Bemühung dar, die Wahrheit der neutestamentlichen Botschaft vor dem Forum der aufgeklärten Vernunft zu verteidigen.“284

Grundsätzlich zeigt Bultmann innerhalb seiner existentialen Auferstehungsinterpretation den genannten Erwägungen entsprechend auf, dass die in den Evangelien bezeugte Auferstehung Jesu – verstanden als ein mirakulös anmutendes Naturereignis, im Zuge dessen ein Toter lebendiggemacht wird, – für den heutigen Menschen unglaubwürdig und in seiner Bedeutung als Heilsereignis nicht mehr zu verstehen sei.285 Sein Unverständnis beziehe sich dabei sowohl auf die (zur Darstellung der Auferstehungsereignisse herangezogenen) Denkbilder, wie etwa die in der heutigen Zeit als wenig aussagekräftig zu beurteilende Vorstellung eines σωÄ μα πνευματικο ν, als auch auf die grundlegende, von den ersten Christen vorausgesetzte Argumentationsfigur und -logik, dass die behauptete Auferstehung eines „Gottmenschen“ zur eigenen Auferweckung führe.286 Den dargestellten Erwägungen entsprechend sei diesem prognostizierten Unverständnis durch eine existentiale Interpretation zu begegnen, durch welche das in den Erzählungen vorfindliche menschliche Existenzverständnis deutlich zu machen sei, das durch die vorfindlichen mythologischen Sprachformen ausgedrückt wurde.287

284

Klumbies, Mythos und Entmythologisierung, 388 f. Vgl. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 20. 286 Vgl. ebd. 287 Eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach den Auferstehungsereignissen sensu Pannenberg sei dem Umstand entsprechend, dass es sich bei ihnen mitunter lediglich um in mythologische Sprachformen gekleidete Existenzverständnisse handele, ebenso zu vermeiden (vgl. ebd.) wie die geschichtswissenschaftliche Rückfrage danach, wie genau sich das bei Bultmann als Auferstehung verstandene Zum-Glauben-Kommen der Jünger vollzogen habe, da eine solche Reflexion seines Erachtens sachlich bedeutungslos, theologisch nicht legitim und aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive auch gar nicht möglich sei (vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 419 u. Roloff, Neues Testament, 267). Diese Einschätzung resultiert aus der Annahme Bultmanns, dass die als geschichtsumgestaltend zu charakterisierende Bedeutung des besagten Zum-Glauben-Kommens grundlegend nicht durch eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage erfasst und offenbart werden könne, da die Auferstehung kein „Ereignis der Vergangenheit“ (Klappert, Diskussion, 67) sei, auf welches man nach Belieben zurückblicken könne, sondern ein eschatologisches Geschehen (vgl. ebd.). Bultmann verweist zudem darauf, dass auch die neutestamentliche Verkündigung nicht darauf abziele, ihre elementaren Grundaussagen, wie etwa die der Bedeutung des Kreuzes, anhand empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbarer Umstände, Sachverhalte und Argumente zu erschließen (vgl. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 57). Diese (hinsichtlich der Auferstehungsereignisse vollzogene) „Depotenzierung der Faktizitätsebene“ 285

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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Eine derartige Interpretation führe im Wesentlichen zu der notwendigen Einsicht, dass die Auferstehung Jesu keineswegs im Sinne Pannenbergs als „historisches Ereignis“288, wie etwa das einer innergeschichtlichen, faktischen Veränderung seines empirischen Leibes, zu verstehen sei, sondern dass sie „die Entstehung des Glaubens an den Auferstandenen“289 meine, durch die die Osterverkündigung angestoßen worden sei.290 Nach Ansicht Karl Barths könnten die Ostergeschichte im bultmannschen Verständnis daher als die „erste Glaubensgeschichte“291 und die Osterzeit als die „erste Glaubenszeit“292 bezeichnet werden. Gottes Auferweckungstat beschreibe hier nach Bultmann kein geschichtsund naturwissenschaftlich nicht zu plausibilierendes Geschehnis am toten Jesus293, zumal ein solches – verstanden etwa im Sinne der Reanimierung eines Verstorbenen – ohnehin keine Grundlage für einen existenziell bedeutsamen Glauben darstellen könne.294 Vielmehr handele es sich bei ihr um die „Aufrichtung und Inkraftsetzung“295 der Verkündigung, welche den sie hörenden Menschen „die Möglichkeit eines neuen Selbstverständnisses“296 eröffne. Im deutlichen Gegensatz zu Deutungen im Stile Pannenbergs, die eine dichte Orientierung an dem angesprochenen jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont aufweisen, der wiederum eine (mit dem modernen Weltbild nicht zu vereinbarende) Begründung der Auferstehung in einer mythischen Veränderung der

(Klumbies, Mythos und Entmythologisierung, 387) wird – wie im weiteren Verlauf des Teilkapitels ersichtlich wird – „durch die Verabsolutierung der geistiggeistlichen Ebene kompensiert“ (ebd.). 288 Ebd. 289 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 61. Nach Ansicht Moltmanns spiegele sich bereits in diesen grundsätzlichen Annahmen der Einfluss Ernst Troeltschs auf die bultmannsche Konzeption wider, da schon die troeltsche Auffassung, dass der Mensch als alleiniges Subjekt der Geschichte zu bezeichnen sei, eine Deutung der Auferstehung als Handeln Gottes am verstorbenen Jesus ausschließe und lediglich den von Bultmann gezogenen Rückschluss zulasse, dass es sich bei ihr um eine den Glauben hervorrufende Begebenheit an den Jüngern Jesu gehandelt habe (vgl. Moltmann, Der Weg, 255). 290 Vgl. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 61. 291 Barth, KD III/2, 533. 292 Ebd. 293 Vgl. Klappert, Diskussion, 56. Bultmann schließt die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung allerdings auch aus theologischen Gründen aus (vgl. Fetzer, Auferstanden ins Kerygma?, 105), da die göttliche Befreiung des Menschen sich seines Erachtens keinesfalls „in einem material neuen und bleibenden Zustand“ (a.a.O., 100) (wie dem einer einmaligen Entstehung einer neuen Leiblichkeit) erweise, sondern sich als eine Glaubensentscheidung in jeder einzelnen Situation aufs Neue vollziehen müsse (vgl. ebd.). Schon aus diesem Grund sei die Vorstellung einer zwischen dem gegenwärtigen und dem neuen, kommenden Leben aufgespannten, materialen Kontinuität abzulehnen, die den wohlbekannten, dem Tode verfallenen „Strukturen der Zuständlichkeit“ (a.a.O., 103.) zugeordnet werden könnte (vgl. ebd.). 294 Vgl. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 59 u. Vorholt, Osterevangelium, 51. 295 Klappert, Diskussion, 56. 296 Ebd.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

äußeren Welt nahelege, verändere sich im Rahmen der Auferstehungsereignisse nach Ansicht Bultmanns also ausschließlich das je eigene Verständnis von dieser.297 Die demgegenüber nicht selten als eine Art Beleg für ein leibliches Verständnis der Auferstehungswirklichkeit und ein schöpferisches Wirken Gottes am Leichnam Jesu herangezogenen Paulusworte aus 1 Kor 15,35–44a versteht Bultmann ferner als eine „apologetische Verschleierung“298, die zu kritisieren sei, da der Tod durch die Vorstellung eines Leibes, welcher sowohl sterblich als auch unsterblich sein könne, nicht ernst genommen werde und das Auferstehungsleben lediglich als „Ergebnis der linearen Transformation einer Substanz“299 verstanden werde. Dies erinnere an das Konzept einer unsterblichen Seele, welches mit dem in 1 Kor 15,1–35 nahegelegten Verständnis der Auferstehung nicht zu vereinbaren sei.300 Ein angemesseneres Auferstehungsverständnis und ein existentiell bedeutsamer Glaube resultieren demgegenüber gerade nicht aus einem Festhalten an mythischen Denkbildern, wie dem einer mysteriösen Verwandlung des Leibes eines Verstorbenen. Stattdessen stelle sich ein solcher Glaube durch eine Konfrontation mit der Radikalität des untrennbar mit dem diesseitigen, irdischen Leben verknüpften Todes ein301, wie sie da erfolgen könne, wo Christus selbst in der Verkündigung gegenwärtig sei und den Hörenden direkt anspreche, wie es eine Überlieferung unglaubhafter Ereignissen nie vermöge.302 Den Auferstehungsglauben versteht Bultmann entsprechend als „Glauben an Gottes Wort“303, aber – damit einhergehend eben auch – als die Bejahung der den Menschen in der Verkündigung offenbarten Möglichkeit eines veränderten Selbstverständnisses, durch welche das christliche Heilsgeschehen sich seines Erachtens zu vollziehen scheint.304

297

Vgl. Fetzer, Auferstanden ins Kerygma?, 100. A.a.O., 102. 299 Ebd. 300 Vgl. ebd. 301 Vgl. a.a.O., 102 f. 302 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 159 u. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 61. Dass geschichtswissenschaftlich gewinnbare Erkenntnisse nach Ansicht Bultmanns die je eigene Existenz des Menschen nicht tangieren können, sei (ungeachtet der von ihm als gering beurteilten Glaubwürdigkeit der verhandelten Ereignisse) nach Ansicht Moltmanns allerdings schon in Bultmanns (durch Troeltsch beeinflusstem) Geschichtsverständnis zu begründen, das – wie gezeigt – von der Annahme geprägt war, dass ausgehend von dem Prinzip einer universalen kausalen Geschlossenheit der Welt lediglich Ableitungen in Bezug auf „Zusammenhänge der Vergangenheit“ (Moltmann, Der Weg, 255) getroffen werden können; aber nun eben gerade nicht solche, die „unsere eigene geschichtliche Existenz“ (ebd.) beträfen. 303 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 61. 304 Vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 441 u. Roloff, Neues Testament, 267. Wenngleich dieses Heilsgeschehen sich lediglich innerhalb der Gläubigen vollziehe, sei es nach Ansicht Bultmanns – so urteilt Fetzer – doch mehr als „nur ein anderer Befindlichkeitszustand des diesseitigen Lebens“ (Fetzer, Auferstanden ins Kerygma?, 105), da der Lebens298

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

95

Da die Auferstehung innerhalb der Konzeption Bultmanns somit also keine sich in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte vollziehende Begebenheit und auch kein „neben dem Kreuz stehendes objektives ,beglaubigendes Mirakel‘“305 sei, sondern lediglich „die Aufrichtung und Inkraftsetzung des Wortes vom Kreuz“306 beschreibe, „das zum Kreuz ,hinzukommt‘ und es als Heilsgeschehen verständlich macht“307, bezeichnet Bultmann ihre Bezeugung auch als „Ausdruck der Bedeutsamkeit des Kreuzes“308. Diese bestehe darin, dass das Sterben Jesu nicht nur das Sterben eines beliebigen Menschen, sondern eben auch eine göttliche Heilsoffenbarung sei, die den Menschen zu einem ganz neuen Selbstverständnis befreien könne.309 Offenkundig ist hier, dass das Kreuz nach Ansicht Bultmanns per se bereits durch die sich in ihm ereignete Überwindung der Macht des Todes310 im dargestellten Sinne „eine neue geschichtliche Situation geschaffen“311 habe und somit nicht nur als Zeichen des Scheiterns Jesu gedeutet werden könne, das durch seine Auferstehung revidiert werde.312 Der Glaube an die Auferstehung kann bei Bultmann folglich im Wesentlichen „als der Glaube an das Kreuz als Heilsereignis“313 und somit als „gläubige Interpretation des Todes“314 Jesu bezeichnet werden. Die Wirklichkeit der Auferstehung scheint dabei in „der Entstehung des Osterkerygmas“315 aufzugehen, da es sich bei ihr konsequent gedacht nicht um ein in der

vollzug als solcher von ihm als ein eschatologisches Geschehen verstanden worden sei, weil mit geschichtswissenschaftlichen Mittel Feststellbares in ihm in gleicher Weise mit dem als überzeitlich bedeutsam Erfahrenen zusammenliege, wie dies im Tode Jesu der Fall gewesen sei, obschon das überzeitlich Bedeutsame freilich erst aus der Perspektive des Glaubens heraus erkennbar werde (vgl. ebd.). 305 Vorholt, Osterevangelium, 49. 306 Klappert, Diskussion, 56. 307 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 62. 308 A.a.O., 58. 309 Vgl. Klappert, Diskussion, 56. 310 Vgl. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 58. 311 A.a.O., 57. Der Begriff des Geschichtlichen wird hier von Bultmann nicht eigens definiert. Er scheint aber darauf abzuzielen, dass die alltägliche Welterfahrung des Menschen als seine „geschichtliche Situation“ (ebd.) sich im Sinne der dargestellten Vorstellung so verändert habe, dass die Menschen fortan im Kerygma durch ihren Herrn selbst angesprochen und zur Bejahung des ihnen als Möglichkeit neu eröffneten Selbstverständnisses aufgefordert werden (vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 441 u. Roloff, Neues Testament, 267). 312 Vgl. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 58. 313 A.a.O., 60 f. 314 Lüdemann, Die Auferweckung, 160. 315 Klappert, Diskussion, 106. Die Verwendung des Begriffs der Wirklichkeit wird in der angeführten Textstelle leider nicht explizit definiert. Dem Kontext entsprechend ist aber anzunehmen, dass seine Nutzung darauf abzielt, zu verdeutlichen, dass Bultmann – wenn er von der Auferstehung spricht – im Wesentlichen die Entstehung des Osterkerygmas beschreibt, sodass die beiden Konzepte im Rahmen seiner Konzeption nicht trennscharf voneinander zu trennen sind, sondern – im deutlichen Unterschied zu den Ausführungen Pannenbergs – bei ihm mitunter sogar synonym verwendet werden.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

empirisch-geschichtswissenschaftlichen Dimension der Geschichte verankertes und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als solches ausweisbares Geschehen am toten Jesus handele.316 Stattdessen sei sie ein „Geschehen an der Existenz der Jünger“317, deren Glauben an ihn ferner kein „Faktum, auf das hin wir glauben“318, sei, sondern selbst zu jenem eschatologischen Geschehen gehöre, auf das der Glaube an die Auferstehung abziele.319 Der Auferstandene als solcher sei den Jüngern, in gleicher Weise wie den heutigen Menschen, ausschließlich im „Wort der Verkündigung“320 begegnet. Daher wird die Auferstehung bei Bultmann des Öfteren als eine Auferstehung Jesu „in das Kerygma“321 bezeichnet. Bultmann selbst bejaht diese Beschreibung unter den Voraussetzungen, dass ebendieses als ein eschatologisches Geschehen gedacht werde, in dem Jesus tatsächlich gegenwärtig sei.322 Da sich die göttliche Selbstkundgabe somit seines Erachtens im Inneren der Jünger ereignet habe, könne sie – und auch hierin scheint die bultmannsche Relativierung der Relevanz und/oder Notwendigkeit einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage begründet zu liegen – nicht (wie bei Barth) als eine Art Begegnung zwischen Christus und ihnen in der raumzeitlich verfassten Geschichte und insbesondere in ihrer empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension verstanden werden, die zur Entstehung ihres Glaubens führte.323 Dieser verfügt hier – wie Barth richtig feststellt – über keinen „von seiner eigenen Wirklichkeit verschiedenen Gegenstand“324 und somit über Nichts, auf das er sich als ein fest begründeter Glaube stützen könnte.325

316

Vgl. ebd. Vgl. ebd. 318 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 62. 319 Vgl. ebd. Mit eschatologisch scheint Bultmann in diesem Zusammenhang ein Ereignis zu beschreiben, das zwar mit empirisch-geschichtswissenschaftlichen Mitteln mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als solches ausweisbar sei, jedoch nichtsdestotrotz eine überzeitliche Bedeutsamkeit aufweise, die ausschließlich aus der Perspektive des Glaubens heraus erkannt werden könne (vgl. Barth, KD III/2, 533). 320 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 61. 321 Klappert, Diskussion, 56. Die Beschreibung der bultmannschen Auferstehungsinterpretation als Auferstehung „ins Kerygma“ (Fetzer, Auferstanden ins Kerygma?, 93) fand ursprünglich im Sinne einer Fundamentalkritik zur Betonung der Schwachstellen und blinden Flecken seiner Interpretation Verwendung. Sie wurde von ihm selbst jedoch gleichmütig aufgenommen (vgl. ebd.). 322 Vgl. a.a.O., 94 f. Pannenberg gibt in Bezug auf die Frage nach der Möglichkeit und Notwendigkeit einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage zu bedenken, dass Bultmann sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch deshalb von dieser distanziere, da sie seinen dargestellten Prämissen zufolge einer Infragestellung der uns im Kerygma begegnenden, göttlichen Autorität gleichkäme (vgl. Pannenberg, Grundfragen, 131). 323 Vgl. Barth, KD III/2, 533. 324 A.a.O., 534. 325 Vgl. ebd. 317

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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Zusammengefasst kann daher festgestellt werden, dass die neutestamentlichen Ostererzählungen nach Bultmann ein eschatologisches Ereignis beschreiben, das in der „Autorisierung und Einsetzung des Kerygmas“326 und somit in der „Verkündigung des Kreuzes als Heilsereignis“327 bestehe, in der allein Jesus präsent sei328 und das den Menschen ein ganz neues Selbstverständnis eröffnen könne. Die unter anderem von Pannenberg vertretene Annahme, dass es sich bei der Auferstehung um ein Geschehen göttlichen Heilshandelns handele, in welches die empirische Leiblichkeit des verstorbenen Jesus von Nazareth einbezogen gewesen sei, teilt Bultmann somit nicht.329 Die neutestamentlichen, freilich unter Verwendung mythologischer Denkund Sprachformen gestalteten Grableerfindungsperikopen, die dem modernen Menschen fremd seien, seien ferner – wie eingangs erwähnt – als legendarische, „spätere Bildungen“330 zu betrachten, die darauf abzielten, die existentiale Bedeutsamkeit des Kreuzes zum Ausdruck zu bringen. Auf diese Weise dienten sie dazu, die so verstandene Realität der Auferstehungsereignisse zu unterstreichen. Folglich seien sie „ohne historischen Wert“331, da Jesus selbst nicht personal in die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension der Geschichte hinein auferstanden sei, was auch die Rückfrage nach dem empirischen Zustand des Grabes gegenstandslos mache.332

326

Klappert, Diskussion, 56. Ebd. 328 Vgl. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 61. 329 Vgl. Klappert, Diskussion, 56. 330 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 59. Die dargestellte Einschätzung Bultmanns teilt auch Körtner, der ebenfalls darauf verweist, dass die neutestamentlichen Grableerfindungsdarstellungen „stark legendarische Züge“ (Körtner, Dogmatik, 440) aufwiesen und auf „keine historisch verbürgte Tatsache“ (ebd.) referieren könnten. 331 Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 424. Die Bezeichnung des historischen Wertes scheint hier daran gemessen zu werden, ob das besagte Ereignis über eine mit empirischgeschichtswissenschaftlichen Mitteln als solche ausweisbare Verankerung in der empirischgeschichtswissenschaftlich zugänglichen Dimension der Geschichte verfügt. 332 Vgl. Fetzer, Auferstanden ins Keryma, 93. In ähnlicher Weise argumentiert auch Willi Marxsen in seinem bekannten Werk Die Auferstehung Jesu als historisches und als theologisches Problem, der wie Bultmann davon ausgeht, dass die Auferstehung nicht auf empirischgeschichtswissenschaftlich greifbarer Ebene, sondern hinsichtlich ihrer Bedeutsamkeit zu untersuchen sei, da es sich bei ihr um „ein zeitgebundenes Interpretament“ (Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 440) handele, das von den Menschen herangezogen wurde, um ihre als Christuserscheinungen gedeuteten Empfindungen zu erklären. Diese Empfindungen seien als eine „,Weiterereignung des Jesuskerygma‘“ (ebd.) zu verstehen, welche im Wesentlichen den Umstand beschreibe, dass die Zeugen der Erscheinungen realisierten, dass ihnen jene Gottesnähe, die ihnen schon in ihrer Interaktion mit Jesus erfahrbar wurde, auch nach seinem Tod zuteilwurde. Trotz seines unerwarteten Kreuztodes kann festgestellt werden: „,Die Sache Jesu geht weiter‘, indem die Zeugen sie an Jesu Statt weitertragen“ (ebd., unter Zitation von Marxsen, Auferstehung, 20). Wie auch in der Konzeption Bultmanns sind die Vorstellungen einer personenhaften Auferstehung Jesu und der Veränderung seiner Existenzform bei Marxsen somit nicht angedacht, 327

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

da Jesus als Person seines Erachtens lediglich als der Ursprung oder auch als die Quelle der Befreiung des Menschen zu einem in Liebe begründeten Leben von Relevanz sei, welche Jesu Lebensweise als eine menschliche Seinswirklichkeit aufrechterhalte (vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 104). Seine Auferstehung, welche in diesem Kontext nur als eine Metapher verstanden werden kann, drücke ferner – wie Fischer treffend herausstellt – die Erfahrung aus, dass Jesus „nicht im Tod geblieben ist, sondern dass sein Geist als Impuls der Liebe als unsere Lebensmöglichkeit gegenwärtig ist“ (ebd.). An die Auferstehung zu glauben, könne dann nur bedeuten, „sich auf diese in Jesus offenbar gewordene Lebensmöglichkeit einzulassen“ (ebd.). Im Zentrum der Auferstehungsdeutung Marxsens steht demzufolge nicht die Frage danach, wie beispielsweise in Petrus der Glauben an eine Auferstehung seines hingerichteten Herrn erwuchs (vgl. Marxsen, Die Auferstehung Jesu von Nazareth, 129), da Marxsen diese Frage (etwa in Bezug auf seinen eigenen Glauben) als „völlig unerheblich“ (ebd.) beurteilt. Relevant sei vielmehr der Umstand, dass der gläubige Christ „in denselben Glauben gestellt wird“ (ebd.) wie Petrus, die ersten Christen und alle ihnen nachfolgenden Gläubigen. Daher kann die Auferstehungsdeutung Marxsens einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage im Stile Pannenbergs problemlos entbehren. Die Erzählungen vom leeren Grab als einem kontroversen, weil mehrdeutigem, vermeintlichen „historischen Faktum“ (Marxsen, Die Auferstehung Jesu als historisches und theologisches Problem, 15) deutet Marxsen entsprechend – ebenfalls im Stile Bultmanns – als „(späturchristliche) apologetische Legenden“ (Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 48, mit Verweis auf Marxsen, Die Auferstehung Jesu als historisches und theologisches Problem). Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Konzeption Marxsens nimmt Joachim Ringleben vor, der darauf verweist, dass Jesu Sache nicht im Sinne Marxsens von der Person Jesu und ihrem Ergehen abgelöst werden könne, weil Jesus (als konkrete Person) und seine Sache (im hier diskutierten Sinne) „streng identisch“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 132) gewesen seien und weil die neutestamentlichen Darstellungen der Auferstehungsereignisse folglich nicht lediglich auf die abstrakte Vorstellung einer Sache Jesu abzielten, sondern vielmehr auf ihn selbst, der er „,der bleibende und in die Zukunft führende‘ Weg ,Gottes zum Menschen‘“ (Joest, Dogmatik I, 267, zitiert nach Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 132) sei, was bei Marxsen nicht ausreichend berücksichtigt werde. Wie auch in Auseinandersetzung mit der Konzeption Bultmanns wird zudem nicht selten kritisiert, dass erst die Selbstvergegenwärtigung des Auferstandenen im Rahmen der Ostererscheinungen die Entstehung des Glaubens hervorrufen konnte. Dies sei mit der Grundprämisse Marxsens nicht zu vereinbaren, dass ein dem Auferstehungsglauben vorausgehendes Vertrauen der Jünger auf ihren Herrn kontinuierlich bestanden hätte, welches auch angesichts des schmählichen, seine Botschaft vermeintlich widerlegenden Kreuztodes Jesu ungebrochen gewesen wäre (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 75). Über diesen sowie über die weiteren im Kapitel II.2.3.c dargestellten Kritikpunkte an der Konzeption Bultmanns hinausgehend, die man aufgrund der ähnlichen Grundprämissen in vielen Fällen auch auf die Interpretation Marxsens übertragen kann, sei abschließend auf die häufig an Marxsen herangetragene Anfrage verwiesen, warum die Jünger Jesu – auch unter der Voraussetzung, dass sie ihren Glauben trotz der Kreuzeserfahrung hätten bewahren können – ausgerechnet von seiner Auferstehung hätten ausgehen müssen, anstatt lediglich eine potenzielle Entrückung ihres Herrn zu erwägen (vgl. a.a.O., 24).

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c) Kritische Würdigung „Die Gewaltsamkeit dieses Versuches, die Korrelation zwischen Selbstverständnis und Weltbild (samt allen damit zusammenhängenden Objektivationen) aufzulösen und dieses historisch zu relativieren, jenes aber nicht, ist bemerkenswert und wird nur aus der Leidenschaft für die gegenwärtige Applikation der christlichen Überlieferung voll verständlich.“333

Im Folgenden werden zum besseren Verständnis der Chancen und Grenzen der Überlegungen Rudolf Bultmanns einige zentrale Kritikpunkte an seinem Historizitäts- und Realitätsverständnis sowie an seinen aus diesen resultierenden Argumentationslinien aufgezeigt.334 Ein grundlegender Kritikpunkt in Bezug auf die bultmannsche Interpretation bezieht sich so auf seine nach Ansicht vieler Theologen als Engführung335 zu bezeichnende methodische Vorentscheidung, die vermeintlich konsensuell ge333

Pannenberg, Grundfragen, 131 f. Über diese Aspekte hinausreichende Kritikpunkte finden hier keine (ausführliche) Erwähnung. Es sei jedoch auf die Überlegungen Klumbies’ hingewiesen. In seinem Aufsatz Mythos und Entmythologisierung weist er so mit Recht darauf hin, dass Bultmanns (in Bezug auf den verbreiteten Umgang mit dem Mythos vorgebrachter) Vorwurf einer „Vermischung von Diesseitigem und Jenseitigem“ (Klumbies, Mythos und Entmythologisierung, 388) de facto nun gerade nicht „dem Selbstverständnis des Mythos“ (ebd.), sondern vielmehr „dem aufgeklärten Rationalitätsverständnis der Moderne“ (ebd.) entspringe – zeichne sich Ersteres doch geradezu durch eine „wechselseitige Durchdringung von Materiellem und Spirituellem“ (ebd.) aus. Folglich erweise sich die Behauptung Bultmanns, dass mit Hilfe der Entmythologisierung „der Mythos in seiner ,eigentlichen Intention‘ zur Geltung gebracht [werde]“ (ebd., unter Zitation von Bultmann, Das Problem der Entmythologisierung, 184), als irrig. Im Gegenteil könne Bultmanns Mythoskritik ungeachtet seiner eigenen Beteuerungen faktisch als eine Mythosdekonstruktion bezeichnet werden, „insofern sie das Zentrum der mythischen Denkbewegung aus der Position analytisch-moderner Rationalität angreift“ (Klumbies, Mythos und Entmythologisierung, 388). Darüber hinaus sei zudem auf Klumbies’ Aufsatz Rivalisierende Rationalitäten im Markus- und Lukasevangelium verwiesen, wo neben dem bultmannschen Mythosbegriff auch die Begrenztheiten und Einseitigkeiten kritisch beleuchtet werden, welche mit seinen vorausgesetzten Prämissen einhergehen und etwa an seinem Umgang mit den biblischen Wundergeschichten ersichtlich werden (vgl. a.a.O., 4). Abschließend verwiesen sei auf Welkers Gottes Offenbarung, im Zuge derer er darstellt, dass der Auferstehungsglaube nach Ansicht der Kritiker Bultmanns durch diesen „in eine wolkige Theologie der Verkündigung und ihrer ,existentiellen‘ Aneignung aufgelöst“ (Welker, Gottes Offenbarung, 104) werden würde, was den „Weg zum ,subjektivistischen Glauben‘“ (ebd.) ebne. 335 Vgl. Eckstein, Was bedeutet die Auferstehung?, wo Eckstein herausstellt, dass die bultmannsche Forderung der Entmythologisierung sowohl hinsichtlich des Bereiches der christlichen Eschatologie als auch in Bezug auf die Gottesfrage und ein (theologisches) Geschichtsverständnis als engführend zu bezeichnen sei (vgl. a.a.O., 213). 334

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

teilte Weltanschauung des modernen Menschen als ein Kriterium und Richtmaß für die Schriftauslegung und auch für die christliche Lehre als solche heranzuziehen, womit einhergeht, dass Aspekte der Verkündigung, wie etwa die Rede vom Wirken Gottes am Leichnam Jesu, zwangsläufig als Ereignisse verstanden werden müssen, die in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte nicht in der berichteten Form stattgefunden haben, weil sie naturwissenschaftlich nicht erklärbar seien.336 Hier bleibe kritisch zu hinterfragen, ob die Tatsache, dass die Offenbarung Gottes in keiner den Menschen zugänglichen Weise in ihre Geschichte eingeht, zwangsläufig damit einhergehen müsse, dass sie zu ihr in einem einander notwendig ausschließenden Verhältnis stehe.337 Diese Rückfrage sei auch deshalb vonnöten, weil das Bestreiten der Möglichkeit einer Verankerung der naturwissenschaftlich nicht zu plausibilisierenden Aspekte der neutestamentlichen Auferstehungsereignisse in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte mitunter eine Relativierung ihrer Relevanz mit sich bringe, wodurch in Bezug auf den Umgang mit dem biblischen Befund die Entstehung eines verfälschenden Reduktionismus begünstigt werde.338 Eine weitere Leitlinie der zahllosen Kritiken an Bultmann bezieht sich auf sein Zeitverständnis, da er den Aspekt des Zeitbezuges der Auferstehung durch die Ablehnung der Möglichkeit einer personalen und leiblichen Auferstehung Christi hinein in die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension der Geschichte in Bezug auf das Heilsgeschehen unbeachtet lässt.339 Gerade dieser Aspekt sei – etwa nach Ansicht Kümmels – im neutestamentlichen Zeugnis jedoch vorfindlich. Dieses stelle das Sterben und die Auferstehung Jesu ausdrücklich als sich in der konkreten, empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte ereignende Handlungen Gottes dar340, weshalb jene Kritiker, die die „historische Linearität des Heilsgeschehens“341 als ein cha-

336

Vgl. Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 156. Vgl. Kreck, Die Zukunft des Gekommenen, 73. Pannenberg verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass insbesondere ausgehend von den alttestamentlichen Bibelwissenschaften Versuche unternommen worden seien, „den Geschichtsverlust der Kerygmatheologie auszugleichen“ (Pannenberg, Grundfragen, 84), was vor dem Hintergrund, dass im Alten Testament bekanntlich ein nicht zu eliminierender Rückbezug auf die von Gott und seinem Handeln durchwirkte Geschichte vorliege, nicht verwundern könne. Dass „der Geschichtsgrund des neutestamentlichen Kergymas“ (ebd.), das im Zentrum der bultmannschen Auslegung steht, ausschließlich auf das Auferstehungsereignis konzentriert zu sein scheint, begünstigte dementgegen den (etwa von Pannenberg als unangemessen beurteilten) Versuch Bultmanns, ebendieses mit Verweis darauf, dass es freilich als eschatologisch zu charakterisieren sei, „zu aller Geschichte in Gegensatz zu setzen, zumal die Verkündigung Jesu selbst nur als eschatologisch verstanden werden kann“ (ebd.). 338 Vgl. Eckstein u. Welker, Einleitung, VII. 339 Vgl. Klappert, Diskussion, 95. 340 Vgl. ebd. 341 Fetzer, Auferstanden ins Kerygma?, 105. 337

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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rakteristisches Merkmal der christlichen (sowie auch der jüdischen) Heilsvorstellungen verstehen342, hinterfragen, wie eine Vernachlässigung dieses Aspekts legitimiert werden könne. Ferner könne die Bezeugung der Auferstehung nach Ansicht vieler Kritiker nicht im Sinne Bultmanns als überzeitlicher „Ausdruck der Bedeutsamkeit des Kreuzes“343 interpretiert werden, sondern vielmehr als ein (in den Bereich der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfass- und beschreibbaren Dimension der Geschichte hineinragendes344) göttliches Heilshandeln, das in seiner Relevanz und Wirkkraft freilich nicht auf diese Dimension beschränkt bleibe, weil in ihm die gänzlich neue Zeit und Geschichte Gottes einsetze.345 Bei der Auferstehung handele es sich somit um ein eigenständiges Ereignis. Dies werde durch eine Überbetonung der Einheit beider Ereignisse im Sinne Bultmanns jedoch unkenntlich gemacht.346 Auch wird nicht selten kritisch angemerkt, dass das Christentum seine Sprachfähigkeit ohne die in der neutestamentlichen Bezeugung zu findenden mythischen Redeformen verliere, da einzig die Verwendung dieser es ermögliche, den Darstellungsgegenstand der Auferstehung in einer annähernd treffenden Weise auszudrücken, sofern dies mithilfe menschlicher Artikulationsmöglichkeiten überhaupt möglich ist. Sie beschreiben – wenn auch in zweifelsohne fremdartiger Weise – den Wirklichkeitscharakter der in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte verankerten und diese Kategorie gleichsam überschreitenden Auferstehungsereignisse, der anhand existentialer Interpretationen der in ihnen mitunter vorfindlichen, mythischen Darstellungsweisen nicht hinreichend zu erfassen sei.347 Daher seien die mythischen Redeformen nicht aufgrund des zweifelhaften Anspruchs, die Anknüpfbarkeit des modernen Menschen an die Auferstehungsverkündigung zum einzigen Richtmaß der christlichen Theologie zu erheben, preiszugeben.348 Karl Barth zeigt in diesem Zusammenhang, dass die begrenzten Möglichkeiten der existentialen Interpretation schon deshalb nicht zur Ausdeutung aller mythologischen Redeformen geeignet seien, weil nicht alle Aussagen der Schrift sich ausschließlich auf die von Bultmann fokussierte Existenz des Menschen beziehen.349 Selbiges gelte auch für die Rede vom Auferstehungsglauben der Jünger, der sich dem biblischen Zeugnis zufolge nicht primär darin be-

342

Vgl. ebd. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 58. 344 Vgl. Iwand, Christologie-Vorlesung, zitiert nach Klappert, Diskussion, 74. Klappert bezieht sich zur Zeit der Abfassung seiner Ausführungen nach eigener Angabe auf eine noch unveröffentlichte Version der besagten Vorlesung. 345 Vgl. Klappert, Diskussion, 73. 346 Vgl. Hauger, Die Deutung, 41. 347 Vgl. Klappert, Diskussion, 95. 348 Vgl. Fetzer, Auferstanden ins Kerygma?, 94 u. Klappert, Diskussion, 94. 349 Vgl. Barth, KD III/2, 534 und Kapitel II.2.1.a dieses Buches. 343

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

gründen lasse, dass Jesu Sterben oder/und seine Auferstehung sich in ihren je individuellen Leben nachbildeten und so für ihr Selbstverständnis relevant wurden, sondern vielmehr aus ihrer („jenseits der abgelaufenen Zeit seines Lebens“350 zu verortenden) Begegnung mit dem Auferstandenen in der raumzeitlich konstituierten, von Menschen erfahrbaren Geschichte hervorgehe.351 Darüber hinaus sei auch die Gleichsetzung des Auferstehungsereignisses mit der Entstehung des Glaubens der Jünger als solche fraglich, weil die Jünger (dem biblischen Zeugnis zufolge) erst durch die Geistesausgießung an Pfingsten „Träger des Kerygmas“352 wurden, deren Glaube an Jesu Auferstehung erst jetzt zu einem erkennbaren und auch „geschichtlichen Faktor“353 geworden sei. Zudem sei zu beachten, dass die Evangelien dem österlichen Glauben der Jünger innerhalb ihrer Bezeugungen der Auferstehungsereignisse eine nur untergeordnete Relevanz zuzusprechen scheinen, was bereits an der Häufigkeit der betreffenden Lexeme πι στις und πιÁ στευ ειν ersichtlich werde. Das Hauptaugenmerk der Erzählungen liege hier deutlich auf den (ihren Auferstehungsglauben begründenden) Begegnungen mit dem Auferstandenen, wohingegen die Frage nach der Entstehung ihres Glaubens kaum thematisiert werde. Es sei daher zu hinterfragen, ob eine Interpretation der Auferstehungsbezeugungen, die der Entstehung des Auferstehungsglaubens der Jünger eine derart entscheidende Relevanz zuspreche, sie sogar mit der Auferstehung gleichsetze und diese – als den eigentlichen Grund ihres Glaubens – als eine irrelevante, narrative, mythologische Deuteund Darstellungsform abtue, überhaupt angemessen sein könne.354 Zu prüfen bleibe zudem, wodurch der Glaube der Jünger letztendlich entstanden sei, wenn dies nicht durch eine personale, in der raumzeitlich konstituierten Geschichte verankerte Begegnung mit dem Auferstandenen als einem außersubjektiven Gegenüber geschehen sei.355 Sofern man hier im Sinne Bultmanns von einem als überweltlich zu charakterisierenden Glauben ausgehe, der keinen „äußeren Grund“356 aufweise, so hätte dieser die Gläubigen dazu befähigen müssen, das Kreuzesgeschehen bereits vor der Geistesausgießung als ein Heilsgeschehen zu deuten. Die neutestamentlichen Zeugnisse bieten jedoch – etwa nach Ansicht Barths – keinerlei Anlass, von einer derartigen Entstehung des Glaubens auszugehen. Sie berichten im Gegenteil von der konflikthaften Begegnung des Auferstandenen mit dem Unglauben seiner Jünger. Barth merkt darüber hinaus kri-

350

Ebd. Vgl. ebd. Eine Reduktion der christlichen Botschaft auf die durch die existentiale Interpretation zu gewinnenden Aussagen gleiche entsprechend – etwa nach Ansicht Welkers – einer „inhaltlichen Entleerung des christlichen Glaubens“ (Welker, Gottes Offenbarung, 106). 352 Barth, KD IV/1, 373. 353 Ebd. 354 Vgl. a.a.O., 374. 355 Vgl. a.a.O., 374 f. 356 A.a.O., 374. 351

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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tisch an, dass eine Berufung auf die Möglichkeit der Erzeugung des Osterglaubens der Jünger als eine göttliche Schöpfung aus dem Nichts zu dem absurden Schluss führen würde, dass unter der Bezeichnung des Auferweckungsglaubens in letzter Konsequenz tatsächlich nur an das Einsetzen des österlichen Glaubens der Jünger Jesu geglaubt werden würde.357 Zudem sei in Bezug auf die existentiale Interpretation zu bedenken, dass einige Theologen, wie etwa Pannenberg, es als widersinnig bezeichnen, das urchristliche Weltverständnis als überholt zu verstehen, während zeitgleich am Selbstverständnis der Autoren der neutestamentlichen Schriften festgehalten wird, da dieses Vorgehen eine „Weltlosigkeit der Subjektivität“358 impliziere, von der nicht ausgegangen werden könne, da das je eigene Selbstverständnis stets mit dem internalisierten Weltverständnis zusammenhänge.359 Auch wird kritisiert, dass Bultmann den Auferstandenen – wie dargestellt – mit der Verkündigung seiner Auferstehung gleichsetze.360 Dieses stehe den biblischen Darstellungen entgegen, die von Jesus als solchem zu berichten wissen, welcher eben nicht ausschließlich in seiner Verkündigung, sondern vielmehr seiner Verkündigung zufolge der Auferstandene sei361 und somit nicht nur als Heilstatsache, sondern vielmehr als konkretes, in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte existierendes, personenhaftes Gegenüber zu denken sei362, an welchem Gott schöpferisch wirkte. Dies werde auch durch Röm 8 ersichtlich, wo das neuartige, veränderte Dasein des Glaubenden als ein Im-Auferstandenen-Sein beschrieben werde, was seine Personenhaftigkeit ebenfalls unterstreiche.363

357 Vgl. a.a.O., 375 f. Pannenberg weist in Auseinandersetzung mit der Konzeption Bultmanns und insbesondere mit der verhandelten Frage, ob die Auferstehungsereignisse so, wie sie neutestamentlich dargestellt werden, als historische Ereignisse bezeichnet werden können, darauf hin, dass eine Verneinung der Verankerung der Auferstehungsereignisse in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte bei gleichzeitigem Festhalten an ihnen als dem Ausgangspunkt der Christusbezeugungen der Urchristenheit notwendig zu dem Schluss führen müsse, dass „dem historischen Wissen von Jesus“ (Pannenberg, Systematische Theologie II, 323) in Bezug auf die Grundlegung des Christusbekenntnisses keinerlei Bedeutung zugesprochen werden könne. Entsprechend müssten die neutestamentlichen Bezugnahmen auf Jesus als ein Aspekt der erst einmal beliebigen „Entstehungsbedingungen des als Christentum in die Welt getretenen Daseinsverständnisses“ (Pannenberg, Grundfragen, 132) verstanden werden, was gemeinhin allerdings nicht der Fall ist. Für Pannenberg ist entsprechend – aber selbstverständlich aufgrund seiner in Kapitel II.1.1 dargestellten Prämissen – eine kritische „Rückfrage hinter das Kerygma“ (ebd.) sowie hinter die neutestamentlichen Darstellungen, in denen es vorfindlich ist, „theologisch unumgänglich“ (ebd.). 358 Pannenberg, Philosophie Religion Offenbarung, 187. 359 Vgl. ebd. 360 Vgl. Roloff, Neues Testament, 267. 361 Vgl. Barth, KD IV/1, 612 f. 362 Vgl. Klappert, Diskussion, 72. 363 Vgl. a.a.O., 72 f.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Zudem lasse Bultmann neben der besagten Personenhaftigkeit Jesu auch außer Acht, dass im Auferstehungskerygma ein ganz konkretes „Geschehen bestimmter Heilsereignisse“364 thematisiert wird. Da nun aber in jenem Bereich der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte, in dem die Erzählungen die besagten Ereignissen situieren, „Sinn an Faktizität gebunden bleibt“365, sei es für sie (auch in Bezug auf ihre Aussage und Aussageintention) von eminenter Wichtigkeit, dass die Geschehnisse, die sie zum Gegenstand haben, tatsächlich „geschehen sind“366, wenngleich sie mit empirisch-geschichtswissenschaftlichen Mitteln nicht (zweifelsfrei) greifbar seien.367 Grundsätzlich stelle sich hier ferner die Frage, woraus die von Bultmann postulierte Bedeutsamkeit des Kreuzes für die Menschen erwachse, wenn nicht aus einem im „dort und damals“ der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte verankerten Geschehen an der Person Jesus von Nazareth.368 Barth zeigt in diesem Zusammenhang, dass die Auferstehung gerade dann, wenn man sie auch in ihrer Bedeutsamkeit erkennen möchte, nicht in ebendieser aufgelöst werden dürfe, sondern das Bedeutsame ihrer Bedeutsamkeit vielmehr voranschreiten müsse, da sie für die Menschen erst dadurch bedeutsam werde, dass sie tatsächlich im dargestellten Sinne in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte geschehen sei.369 Dort, wo nichts Bedeutsames vorfindlich sei, könne mithin auch keine Bedeutsamkeit oder eine Erkenntnis ebendieser vorliegen.370 364

Diem, Theologie als kirchliche Wissenschaft, 64 f., zitiert nach Klappert, Diskussion,

75. 365

Pannenberg, Grundfragen, 132. Diem, Theologie als kirchliche Wissenschaft, 64 f., zitiert nach Klappert, Diskussion, 75. Diem definiert seine Zuschreibung des Geschehen-Seins leider nicht eingehender, scheint allerdings drauf abzuzielen, dass die besagten Geschehnisse in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte als solche von konkreten Menschen erfahren wurden. 367 Vgl. ebd. Niebuhr unterstreicht, dass die im angesprochenen Zusammenhang von Sinn und Faktizität vorfindliche Sinnkomponente nicht nur die innere Logik der Auferstehungsereignisse umfasse, sondern auch den Aspekt der Hoffnung und ihre Legitimation, welche ebenfalls von der Verankerung der Auferstehungsereignisse in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Wirklichkeit abhängig zu sein scheine. Die Relativierung oder gar Negation dieser Verankerung würde den Plausibilisierungszusammenhang der christlichen Hoffnung entsprechend destabilisieren, da kritisch zu hinterfragen wäre, mit welcher Befugnis die Christen auf ein Handeln Gottes hoffen und dieses Bezeugen können, sofern „es nichts für sie gäbe, auf das sie hinweisen können, außer dem Wunder der Gegenwart des Glaubens in ihrem Herzen“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 48). 368 Vgl. Barth, KD IV/1, 245. 369 Wie Barth dieses Geschehensein der Auferstehungsereignisse definiert, wird in Kapitel II.3.1 näher untersucht. 370 Vgl. Barth, KD IV/1, 245. In ähnlicher Weise argumentiert auch Klumbies, der darauf hinweist, dass der Auferstehung bei Bultmann „ein eigener Ereigniskern, der zum Haft- und Ausgangspunkt für eine Bedeutungszuschreibung werden könnte“ (Klumbies, Mythos und Entmythologisierung, 387), fehle. Ringleben merkt zudem mit Verweis auf Niebuhr an, dass die Verankerung der Auferstehungsereignisse in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte als „reale Grundlage der Gemeinde und ihrer gemein366

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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Die Bedeutsamkeit der Auferstehung für den Menschen ergebe sich für Barth im Unterschied zu Bultmann unter anderem gerade daraus, dass sie sich zu einem ganz konkreten und unverwechselbaren Punkt der von Menschen als solche wahrnehmbaren Geschichte ihrer Welt als ein ganz und gar einmaliges Geschehnis ereignet habe und gerade nicht nur als „Durchgangspunkt im zyklischen, zeitlos-jederzeitigen Geschehen eines Mythos“371. Die Auferstehung als eine singuläre, in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte im dargestellten Sinne geschehene Tat Gottes verfüge für die Menschen somit nicht nur über eine allgemeingültige, existentiale Bedeutsamkeit, sondern habe ihre Leben bereits „objektiv entscheidend verändert.“372 Barth verdeutlicht auf diese Weise – wie auch viele andere Kritiker –, dass der im Neuen Testament dargestellte Auferstehungsglaube gerade nicht um sich selbst kreist, weshalb seine Bezeugung ebenfalls nicht auf eine Beschreibung seiner selbst fokussiert werden könne, sondern vielmehr auf den (personenhaft) Auferstandenen ausgerichtet sein müsse.373 Daher sei es höchst zweifelhaft, inwiefern eine einfache Trennung der Frage nach dem Geschichtsbezug der besagten Ereignisse von der nach ihrer Bedeutung hinsichtlich des menschlichen Selbstverständnisses angemessen sein könne.374 Ferner bleibe in Entsprechung zu den dargestellten Kritikpunkten zu prüfen, inwiefern es sinnvoll sein könne, von einer Auferstehung zu sprechen, wenn diese nicht länger als ein ganz konkretes Geschehen an der Person Jesus gedacht – beziehungsweise diese Vorstellung vergleichgültigt – werde.375 Diese Frage stelle sich insbesondere vor dem Hintergrund des Pauluswortes aus 1 Kor 15,14, das davon zeuge, dass das Kerygma als Verkündigung des göttlichen Handelns inhalts- und wirkungslos wäre, „wenn Christus nicht auferweckt ist.“376 Abschließend ist über diese Kritikpunkte hinausgehend darauf zu verweisen, dass Bultmann auch seine eigene (ohnehin kritikwürdige377) Intention der Anknüpfbarkeit an die Denkweisen des modernen Menschen verfehle, da die von ihm dargestellte Vorstellung der (sich in „einer Art Transsubstantiation […] der

samen Geschichte“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 48 f.) keinesfalls preiszugeben sei, da dies neben den von Barth dargestellten Aspekten außerdem zur Folge habe, dass das Christentum seine Sprachfähigkeit verliere, weil der Auferstandene lediglich als nicht zu artikulierende religiöse Erfahrung verstanden und bezeugt werden könne (vgl. ebd.). 371 Barth, KD IV/1, 269 f. 372 A.a.O., 270. 373 Vgl. a.a.O., 273. 374 Vgl. Diem, Theologie als kirchliche Wissenschaft, 64 f., zitiert nach Klappert, Diskussion, 75. 375 Vgl. Klappert, Diskussion, 34. 376 1 Kor 15,14 u. vgl. Klappert, Diskussion, 34. Gedacht sei hier an eine ganzheitliche, personenhafte Auferstehung im Sinne jener Vorstellungen der jüdischen Anthropologie, die wohl auch Paulus geteilt hat. 377 Verwiesen sei hier etwa auf die Ausführungen Klumbies’, welcher anspricht, dass die bultmannsche Intention der Anknüpfung „die Eigenständigkeit und Unableitbarkeit des Offenbarungsgedankens bedroht“ (Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 321).

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Person Jesu in die Existenzform der menschlichen Sprache“378 vollziehenden) Umwandelung Jesu in eine ganz neue Existenzform für ebendiesen säkular geprägten Menschen nicht sonderlich zugänglich oder gar (unmittelbar) nachvollziehbar sein dürfte.379 All die genannten Kritikpunkte sollten deutlich gemacht haben, weshalb die Konzeption Bultmanns den gegenwärtigen Auferstehungdiskurs nicht länger bestimmt, wenngleich sie nach Ansicht seiner Sympathisanten weder in Bezug auf die Exegese des Neues Testaments noch im Blick auf die thematisierten hermeneutisch-systematischen Fragestellungen als überholt bezeichnet werden könnte.380 Positiv sei ihrer Ansicht nach ferner hervorzuheben, dass die bultmannsche Konzeption dazu beitrage, einer „Verharmlosung des Todes“381, wie sie innerhalb substanzhaft gedachter Kontinuitätsvorstellungen gegeben sei, entgegenzuwirken382, indem sie auf ein „Leben aus dem Glauben jenseits alles Vertrauens auf das Fleisch“383 verweise und somit – nach Ansicht Bultmanns – „die wahre Bedeutung von Gottes Geheimnis“384 herausstelle. Die massive Kritik an den bultmannschen Thesen, die hier nur angerissen werden konnte, liege zudem darin begründet, dass sie im Gegensatz zu jenen Positionen, die eine leibliche Auferstehung in Aussicht stellen, welche doch lediglich als diffuse Hoffnung auf ein postmortales Wiedersehen mit bereits Verstorbenen verstanden werden könnte, weniger deutlich an den „allgemeinmenschlichen Sehnsüchten“385 der „Fortsetzung des diesseitigen Lebens“386 orientiert seien, sondern ebensolchen stattdessen die erst einmal weitaus weniger ansprechende „völlige Vorstellungsarmut des Auferstehungslebens“387 gegenüberstellten.

378

Fischer, Der Auferstehungsglaube, 103. Vgl. ebd. 380 Vgl. Fetzer, Auferstanden ins Kerygma?, 95. 381 Eckstein u. Welker, Einleitung, VII. 382 Vgl. ebd. 383 Fetzer, Auferstanden ins Kerygma?, 104. 384 Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 162. 385 Fetzer, Auferstanden ins Kerygma?, 108. 386 A.a.O., 109. 387 Ebd. 379

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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II.2.4 Der Auferstehungsglaube als Resultat von Schuld- und Trauerbewältigung (Gerd Lüdemann) a) Auferstehungs- und Grableerfindungsdeutung „Die Tatsachenaussage der Verwesung Jesu ist für mich Ausgangspunkt aller weiteren Beschäftigung mit den Fragen im Umkreis seiner Auferstehung.“388

Zum Abschluss dieses Teilkapitels zu dem zu beobachtenden Relevanzverlust der Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung erfolgt eine Darstellung der Deutung Gerd Lüdemanns, der seine Thesen in seinem 1994 publizierten Werk Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie darlegt, welches eine enorme mediale Aufmerksamkeit erhielt und im theologischen Diskurs äußerst kontrovers diskutiert wurde.389 Der Pressewirbel, der dem skandalösen Werk zuteilwurde390, scheint sich jedoch nicht ausschließlich auf die provokanten Thesen Lüdemanns zurückzuführen zu lassen, die in ähnlicher Form zuvor bereits von Rudolf Bultmann und David Friedrich Strauß verfochten worden waren391, sondern auch auf Lüdemanns drastische Ausdrucksweise; so betont er etwa explizit die Verwesung Jesu.392 Hinterfragt man die Entstehung der lüdemannschen Konzeption, so sticht die Selbstaussage des Verfassers ins Auge, dass er unter einem innerlichen Konflikt 388 Lüdemann, Zwischen Karfreitag und Ostern, 27, zitiert nach Welker, Gottes Offenbarung, 105 u. siehe auch Strauss, Der alte und der neue Glaube, 47, zitiert nach Lüdemann, Die Auferweckung, 10: „Historisch genommen, d.h. die ungeheure Wirkung dieses Glaubens mit seiner völligen Grundlosigkeit zusammengehalten, lässt sich die Geschichte von der Auferstehung Jesu nur als ein welthistorischer Humbug bezeichnen.“ 389 Vgl. Dalferth, Volles Grab, leerer Glaube?, 278. Um der kontroversen Diskussion der Ansätze Lüdemanns innerhalb des Diskurses Rechnung zu tragen, erfolgt auch die vorliegende Darstellung in Orientierung an ebendieser, wobei insbesondere die Darstellung Oberdorfers als Rahmung des Kapitels fungiert, welcher ich mich im Blick auf die Wahrnehmung Lüdemanns in weiten Teilen anschließe. 390 Vgl. Dalferth, Volles Grab, leerer Glaube?, 278. 391 Vgl. Eckstein u. Welker, Einleitung, IX. Eine prägnante Darstellung wichtiger Grundgedanken und Prämissen Strauß‘ findet sich etwa in Welkers Gottes Offenbarung auf den Seiten 99–102, auf die an dieser Stelle verwiesen sei. 392 Vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 3. Die unverblümte Ausdrucksweise Lüdemanns wurde nur allzu bereitwillig von Journalisten aufgenommen und verschärft, was den entstandenen medialen Wirbel um die Konzeption Lüdemanns verstärkte (vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 165 f.). Als Beispiel kann etwa der Artikel Skandal im göttlichen Sperrbezirk angeführt werden, welcher am 22.2.1994 in der TAZ erschien und die theologische Debatte um die Thesen Lüdemanns wie folgt zusammenfasst: „Nicht die Grabfelder von Sarajevo, nicht die Wundmale gekillter brasilianischer Straßenkids oder die unaufhaltsame politische Grablegung Helmut Kohls bilden das Thema Nummer eins, sondern ob und wie der Nazarener vor knapp zweitausend Jahren entfleucht ist“ (Cless, Skandal im göttlichen Sperrbezirk, zitiert nach Oberdorfer, Was sucht ihr, 165).

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gelitten habe, der daraus resultiert habe, dass er bereits als Theologiestudent Begeisterung für die historisch-kritische Methode empfand, welche er bei Schülern Bultmanns schon von Beginn seines Studiums an lernte, ehe er feststellte, „dass man dort die Konsequenzen dieser Methode geflissentlich übersah“.393 Ersichtlich werde dies darin, dass sie für Deutungen vereinnahmt worden sei, welche gerade nicht mit den (im Zuge der Erkenntnisbemühungen anhand geschichtswissenschaftlicher Maxime als solche ausgewiesenen) „historischen Tatsachen“394 widerspruchsfrei zu vereinbaren seien. Dieses Vorgehen, das in einem gewissen Unwillen gegenüber einer redlichen Beschäftigung mit der Thematik begründet liege395, habe Lüdemann nach eigener Aussage sein gesamtes Theologiestudium hindurch „gestört, ja gequält“396 und gehe mit einer „Unklarheit und Ahnungslosigkeit“397 einher, gegen die es vorzugehen gelte. Aufgrund dessen fordert er – hier im deutlichen Kontrast zu Bultmann – eine Abkehr von dem von ihm als vergeblich bezeichneten „Ausweg der Kerygma-Theologie“398 und eine konsequent vollzogene, redliche Orientierung am gegenwärtig verbreiteten, modernen Wirklichkeitsverständnis und Weltbewusstsein.399 Mit seiner eigenen Auferstehungsdeutung verfolgt er nun das selbsterklärte Ziel, in gut protestantischer Manier rücksichtslos und ehrlich die historische Frage zu erforschen und aus dem Faktum der körperlichen Nicht-Auferstehung Jesu Konsequenzen für die künftige Gestalt des christlichen Glaubens zu ziehen.400 393

Lüdemann, Fiktion oder Wirklichkeit?, 213. Ebd. 395 Vgl. Lüdemann, Zwischen Karfreitag und Ostern, 14, zitiert nach Welker, Gottes Offenbarung, 105. Lüdemann wies im Zusammenhang mit dem angesprochenen, von ihm prognostizierten Unwillen darauf hin, dass dieser auch im vielfachen Widerstand ersichtlich werde, der ihm aufgrund der besagten, im Folgenden dargestellten Thesen entgegengebracht wurde (vgl. ebd.). 396 Ebd. 397 Ebd. 398 Lüdemann, Die Auferweckung, 159. 399 Vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 105 u. Oberdorfer, Was sucht ihr, 166. 400 Lüdemann, Die Auferweckung, 9. Mit der Wendung der historischen Frage gemeint ist hier die Frage nach der Verankerung der Auferstehungsereignisse – insbesondere der Entstehung des Auferstehungsglaubens – in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte (vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 105). Bereits zu Beginn seiner Argumentation verdeutlicht Lüdemann in Bezug auf die aus den Ergebnissen seiner geschichtswissenschaftlichen Rückfrage zu ziehenden Konsequenzen (vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 9), dass das potenzielle Ergebnis zu akzeptieren wäre, dass unser christlicher Glaube „genauso tot wie Jesus“ (a.a.O., 18) wäre und weder durch eine Repristinierung von Mythen noch durch die Etablierung eines neuen Geschichtsbegriffs, sondern einzig mithilfe von Selbsttäuschung erhalten werden könnte, sofern die geschichtswissenschaftliche Untersuchung ergebe, dass Jesu Auferstehung „nicht stattfand“ (ebd.). Mit der Bezeichnung des Stattfindens scheint Lüdemann auf eine nachweisliche Verankerung der Auferstehungsereignisse in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte abzuzielen. 394

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Dabei müsse insbesondere die grundsätzliche Frage danach, was der Begriff der Auferstehung letztlich überhaupt bezeichnet, fokussiert werden, weil die Nutzung dieses Begriffs zu einer inhaltlich unterbestimmten Phrase geworden sei.401 Aus diesen Forderungen resultierte die Entstehung der Auferstehungsinterpretation Lüdemanns, die grundsätzlich als eine „subjektive Visionshypothese“402 bezeichnet werden kann und die – wie zu zeigen sein wird – gewisse Erwägungen nahelegt, welche sein Verabschiedung vom christlichen Glauben anbahnten.403 Zu diesem Ergebnis kommt Lüdemann im Zuge seiner Untersuchungen durch seine detail- und umfangreichen, exegetischen Rekonstruktionen404, in denen er die Auferstehungsereignisse – wie Oberdorfer ganz treffend herausstellt – als eine „visionär revitalisierte Erinnerung an den sündenvergebenden Jesus“405 deutet. Grundlegend geht er dabei in der Tradition Troeltschs und Bultmanns davon aus, dass die Vorstellung einer Wiederbelebung des bereits verstorbenen Herrn, das jüdisch-apokalyptische Modell einer allgemeinen, eschatologischen Totenauferweckung406 oder die (durch den erkennbaren Fortgang der empirisch erfassbaren Geschichte vermeintlich als widerlegt zu betrachtende) Erwartung einer endzeitlichen Parusie407 dem modernen Menschen vor dem Hintergrund seines (natur-)wissenschaftlich geprägten Wirklichkeitsverständnisse nicht länger zugänglich seien.408 Lüdemann fordert jedoch im Gegensatz zu Bultmann keine Entmythologisierung der als nicht mehr zeitgemäß beurteilten Ausdrucksweisen, sondern er schlussfolgert, dass die so gearteten Vorstellungen – hier konkret die der Rede von der leiblichen Auferstehung – im Wortsinn prinzipiell auszuschließen seien.409 Die neutestamentlichen Osterbegebenheiten lassen sich gemäß Lüdemanns Rekonstruktion410 der im biblischen Befund bezeugten Ereignisse stattdessen als weltbildhaft geprägte, sekundäre Rationalisierungen der ursprünglichen, visionsartigen Erscheinungen Jesu vor seinen Jüngern verstehen, da die „weltbildhaften Voraussetzungen“411 ebendieser sie notwendig dazu bewegten, die wahrgenommenen Erscheinungen Jesu als eine Art objektive Begegnung mit ihm zu deuten. Die thematisierte Behauptung der Grableerfindung sei ferner deshalb entstanden, weil die Jünger sich eine Auferstehung – hier stimmt Lüdemann der Einschätzung Pannenbergs zu – leiblich vorgestellt haben dürften.412 401

Vgl. a.a.O., 9 Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 421. 403 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 278 f. 404 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 166. 405 A.a.O., 167. 406 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 167. 407 Vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 224. 408 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 167. 409 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 156 u. Oberdorfer, Was sucht ihr, 167. 410 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, insbes. 130–155. 411 Oberdorfer, Was sucht ihr, 167. 412 Vgl. ebd. u. Lüdemann, Die Auferweckung, 153–155. 402

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Vor dem Hintergrund des Wirklichkeitsverständnisses der Moderne sei die von den Jüngern fälschlicherweise vorausgesetzte Objektivität ihrer Christusvisionen jedoch als unplausibel zu beurteilen, da Verstorbene bekanntlich nicht dazu imstande seien, mit lebendigen Menschen in Kontakt zu treten, sondern nur noch in ihren Erinnerungen präsent sein könnten.413 Visionäre Erfahrungen von konkreten Menschen, Gegenständen oder ganzen Szenen seien ferner ausschließlich psychologisch als Projektionen autosuggestiver Art und somit als Erzeugnisse der Einbildungskraft zu verstehen, welche kein externes Korrelat aufwiesen und ihre jeweiligen Empfänger über deren Einbildungskraft und Fantasie – nicht aber über ihre biologisch beschreibbaren Sinnesorgane – erreichten.414 Der Erklärung der Entstehung dieser Visionen der Jünger wird in den Ausführungen Lüdemanns ein besonderer Stellenwert zugestanden, wobei er sich vorrangig auf die neutestamentlichen Darstellungen von Visionserfahrungen einzelner Personen bezieht, die zur Entstehung des Auferstehungsglaubens geführt hätten.415 Zu diesen ursprunggebenden Visionären zählt Lüdemann Paulus und Petrus, welche seines Erachtens strukturanaloge Visionen gehabt hätten, die auf innerseelischen Prozessen beruhten.416 Die Vision des Paulus sei darauf zurückzuführen, dass er einen „Christuskomplex“417 ausgebildet habe, der daraus resultiert hätte, dass die christliche Verkündigung der Auferstehung seinen eigenen unterdrückten Sehnsüchten und Wünschen entsprach, welche er jedoch verdrängte, da er sich aufgrund seines toratreuen Lebenswandels gezwungen sah, die Christen zu verfolgen.418 Sein visionäres Erlebnis entspreche nun dem Ausbruch der „inneren Stauung“419 seiner Gefühle, so verstand er es als Entkommen des Unheilszusammenhangs von menschlicher Sünde, dem aus ihr resultierenden Tod und dem Gesetz420 durch seine Begegnung mit dem die Sünden vergebenden und durchaus tora-kritischen Jesus, der selbst vom Tod nicht festgehalten werden konnte.421 Die Vision Petri sei hingegen als eine Form der Trauerbewältigung zu deuten, welches Lüdemann anhand psychologischer Befunde verdeutlicht. Nach Maßgabe ebendieser seien verschiedene Faktoren herauszustellen, die eine gelungene Trauerbewältigung der Hinterbliebenen eines Verstorbenen behindern und die auf die Jünger und insbesondere auch auf Petrus zuträfen.422 Zu diesen Faktoren 413

Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 168 u. Lüdemann, Die Auferweckung, 153.160–162. Vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 105, Vorholt, Osterevangelium, 37, Oberdorfer, Was sucht ihr, 168 u. Lüdemann, Zwischen Karfreitag und Ostern, 27 f., zitiert nach Welker, Gottes Offenbarung, 105. 415 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 169 u. Lüdemann, Die Auferweckung, 130–155. 416 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 169 u. Lüdemann, Die Auferweckung, 130. 417 Lüdemann, Die Auferweckung, 144. 418 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 169 u. Lüdemann, Die Auferweckung, 144–149. 419 Lüdemann, Die Auferweckung, 148. 420 Vgl. a.a.O., 149. 421 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 169. 422 Vgl. ebd. u. Lüdemann, Die Auferweckung, 140–143. 414

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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zählen etwa der unerwartete Tod des Verstorbenen, ein ambivalentes, von Schuldgefühlen geprägtes Verhältnis zu ihm sowie ein großes Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Verstorbenen und dem Hinterbliebenen.423 Lüdemann unterstreicht mit Blick auf Petrus dessen Versagen im Zusammenhang mit der Festnahme und Hinrichtung Jesu424 am Beispiel der dreimaligen Verleugnung, die zur Entstehung von Schuldgefühlen seitens des Jüngers geführt haben dürfte425 und somit die Generierung einer Vision begünstigt habe, die der Schuldverarbeitung diente.426 Eine derartige Vision eines Verstorbenen gilt innerhalb der Trauerarbeitsforschung als ein „Ausdruck einer unzulässig verkürzten, mithin gestörten Trauerarbeit“427, da sie davon zeuge, dass der Hinterbliebene nicht dazu fähig ist, den Verstorbenen loslassen, sondern stattdessen durch seine Objektivation eine Art „,Abbau der Realitätskontrolle‘“428 vornimmt, durch den der erlittene Verlust abgewehrt werde.429 Folglich hinterfragt auch Lüdemann, ob es sich bei der Vision Petri um einen Wahnglauben als Resultat seiner gescheiterten Trauerbewältigung handelte.430 Er kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Trauerbewältigung des Petrus – ganz im Gegenteil – durch die generierte Vision erleichtert worden sei.431 Sowohl bei Paulus als auch bei Petrus habe die jeweilige (als eine Begegnung mit dem Auferstandenen gedeutete) Christusvision somit dazu geführt, dass sie ihre individuellen Schuldgefühle durch die aus ihr resultierende Glaubensgewissheit hätten überwinden können.432 Beide hätten die Vorstellung des vergebenden Christus auf ihre eigene Lebenssituation bezogen und auf diese Weise die erhoffte Sündenvergebung erfahren. Ihre Verkündigung der Auferstehung entspreche daher ihrer weltbildhaft geprägten, mythischen Darstellung der Annahme, dass Jesus ihnen ihre Sünden trotz all ihrer defizitären Handlungen vergeben habe. Die Auferstehungsereignisse ereigneten sich bei Lüdemann folglich, wie auch schon in der Konzeption Bultmanns, nicht am verstorbenen Jesus, sondern hier konkret an den beiden benannten Männern, da der Gegenstand ihrer Visionen seines Erachtens die als Befreiungserfahrung wahrgenommene Vergebung der Sünden durch die vollzogene, lebendige Evokation Jesu sei, der – wie angesprochen – Sünden vergab. In der Konzeption Lüdemanns ist das Befreiungshandeln Jesu somit ausschließlich auf eine geistige Art präsent und er selbst folglich lediglich auf eine metaphorische Weise lebendig.433 423

Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 143. Vgl. Lindemann, Auferstehung, 14 u. Lüdemann, Die Auferweckung, 143. 425 Vgl. ebd. u. Merz u. Theißen, Der historische Jesus, 422; siehe Mk 14,66 par. 426 Oberdorfer, Was sucht ihr, 169 u. Lüdemann, Die Auferweckung, 143. 427 Oberdorfer, Was sucht ihr, 169 f. 428 Ebd. 429 Vgl. ebd. 430 Vgl. a.a.O., 170 u. Lüdemann, Die Auferweckung, 142 f. 431 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 170. 432 Vgl. ebd. u. Lüdemann, Die Auferweckung, 130–155. 433 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 170 u. Lüdemann, Die Auferweckung, 153.

424

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Die weiteren neutestamentlich bezeugten Visionen einzelner Personen deutet Lüdemann nun insofern, als dass sie von der zentralen Befreiungserfahrung der beiden Primärvisionen Petri und Pauli abhängig gewesen seien, welche andere Menschen ebenfalls zu erfahren gemeint hätten434, wohingegen die bezeugten Gruppenerscheinungen als Massenhysterien zu verstehen seien.435 Insgesamt können die visionären Erfahrungen der frühen Christen bei ihm somit – in Übereinstimmung mit der Wahrnehmung der Sekundärliteratur – „als Applikation von Jesu Vergebungszuspruch auf die nachkarfreitägliche Situation der Jünger“436 bezeichnet werden. Lüdemann schließt aus all diesen Erkenntnissen, dass die Jünger sich in zweifacher Weise selbst getäuscht hätten, indem sie die (als Erzeugnisse ihrer Fantasie zu bezeichnenden) Visionen als Begegnungen mit einem vermeintlich Auferstandenen gedeutet hätten und indem sie eine angebliche Grableerfindung erfunden hätten437, um jene Lücke plausibel zu schließen, die zwischen der Grablegung des Leichnams und den (als real-physisch gedeuteten) Erscheinungen aufklaffte.438 Für die moderne Theologie ergebe sich aus diesem Befund die Notwendigkeit, den Realitätsgehalt der visionären Erlebnisse der Jünger neu zu bewerten439, da es angesichts der verbreiteten, durch die moderne, analytische Rationalität der Neuzeit440 geprägten Historizitäts- und Realitätsimplikationen evident sei, dass die ersten Christen dem toten Jesus als solchem nicht begegnet sein können, weshalb eine derartige Verkündigung nicht länger zeitgemäß sei.441 Gleichsam sei auch die den Visionen innewohnende Bedeutung theologisch neu zu entfalten, da die im Sinne des neutestamentlich nahegelegten Verständnisses mit ihnen assoziierte, endzeitliche Hoffnung auf die allgemeine, leibliche Auferstehung dem modernen Menschen ebenfalls nicht länger zugänglich oder begreifbar sei. Es sei daher geboten, eine auch für ihn tragfähige Bedeutung des (von Lüdemann durch seine Rekonstruktionen herausdestillierten) Kerns der Auferstehungsereignisse 434 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 170, Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 422 u. Lüdemann, Die Auferweckung, 130.151–153. 435 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 170. Als Beispiel führt Lüdemann die Gruppenerscheinung vor den über 500 Brüdern aus 1 Kor 15,6 an, welche er für das Pfingstereignis hält (vgl. ebd. u. Lüdemann, Die Auferweckung, 152). 436 Oberdorfer, Was sucht ihr, 175. 437 Vgl. a.a.O., 168. Dass es sich bei den Grableerfindungserzählungen lediglich um verhältnismäßig spät entstandene und deshalb im Blick auf das (durch geschichtswissenschaftliche Rückfragen zu gewinnende) Verständnis von der Entstehung des Christentums irrelevante Geschichten handele, wird von Lüdemann vorausgesetzt, weshalb er sich in seinen Ausführungen ausschließlich auf die Erscheinungsberichte bezieht (vgl. ebd.). 438 Vgl. ebd. 439 Vgl. ebd. u. Lüdemann, Die Auferweckung, 156–166. Der Begriff des Realitätsgehalts bezeichnet hier sowohl eine nach Maßstäben moderner Geschichts- und Naturwissenschaften plausible Ursachenfindung als auch eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach der Wahrscheinlichkeit der neutestamentlich bezeugten Auferstehungsereignisse. 440 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 441 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 168 u. Lüdemann, Die Auferweckung, 153.173.

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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zu ermitteln442, denn – so fasst Oberdorfer die Erwägungen Lüdemanns treffend zusammen – wenn es nicht gelingt, die Christusvisionen der Jünger so zu rekonstruieren, dass ihnen ein gegenwartsrelevanter religiöser Sinn zugeschrieben werden kann, dann bleibt nur eine faktisch religionskritische historische Rekonstruktion eines pathologischen Seelenphänomens443

Lüdemann selbst tritt in seinen weiteren Ausführungen den Versuch an, diesen Forderungen zu entsprechen, was zu seiner durchaus komplexen Interpretation der (in den von ihm in besagter Weise begründeten Visionen inhärenten) theologischen Wahrheiten der Sündenvergebung, der „Erfahrung des Lebens in der Gegenwart“444 und der „Begegnung mit der Ewigkeit“445 führte. Im Rahmen seiner Ausführungen begründet er die Sinnhaftigkeit dessen, trotz der von ihm herausgearbeiteten Einsichten am christlichen Glauben festzuhalten, damit, dass es sich bei den Ostererfahrungen lediglich um eine revitalisierte und in aller Bestimmtheit geltende Erinnerung an die Person Jesus von Nazareth handele, was bedeute, dass die von ihm hinsichtlich der Visionen der Männer herausgestellten Aspekte, wie die der erfahrenen Vergebung oder sogar Ewigkeit, schon in den Erzählungen um das Leben und Wirken Jesu verankert gewesen seien.446 Unter Verweis auf Emanuel Hirsch und auf Wilhelm Hermann versucht er zu zeigen, dass die Bedeutsamkeit Jesu nicht auf seiner vermeintlichen, körperlichen Auferstehung oder auf der damit einhergehenden jüdisch-apokalyptischen Hoffnung auf die eschatologische Auferweckung der Toten basiere, sondern sich vielmehr daraus ergebe, dass der sogenannte Ewigkeitsglauben in ihm begründet liege.447 Dieser erschließe sich durch die Auseinandersetzung mit dem in den

442

Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 168. Ebd. 444 Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 422. 445 Ebd. 446 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 171 u. Lüdemann, Die Auferstehung Jesu, 198. 447 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 171. Die lüdemannsche Orientierung am Modell des Ewigkeitsglaubens nach Hirsch wird etwa darin ersichtlich, dass auch dieser Petri Vision „als ,Begnadigung aus tiefer Schuld‘, als Erfahrung des Lebens im Geiste und als Erfahrung der Ewigkeit“ (Etzelmüller, Ich lebe, 223, unter Zitation von Hirsch, Die Auferstehungsgeschichten, 50) deutet. Der aus diesen Erfahrungen entstehende Glaube sei als Ewigkeitsglaube zu bezeichnen, welcher sich (aufgrund der zur Zeit der ersten Christen verbreiteten mythischen Weltanschauungen) in der Vorstellung einer leiblichen Auferstehung aktualisiert habe (vgl. ebd.). Für weitere Informationen in Bezug auf die Thesen Hirschs sei auf Ringlebens Werk Wahrhaft auferstanden verwiesen. Hier macht dieser deutlich, inwiefern das lebendige Wirken Gottes als sachlich sehr zentraler Aspekt der christlichen Auferstehungsvorstellung auch bei Hirsch in problematischer Weise unterbestimmt bleibe, welcher die Rede von der leiblichen Auferstehung im Allgemeinen (in gleicher Weise wie Lüdemann) als Rede von einem reanimierten Leichnam missverstehe (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 132 f.). Hinsichtlich der Beeinflussung der lüdemannschen Konzeption durch die Erwägungen 443

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Evangelien dargestellten Geschick Jesu448 und bezeichne – wir folgen weiterhin Oberdorfer – im Wesentlichen eine „[r]eale, innige, bewegende Begegnung mit der (historisch rekonstruierten!) konkreten Person Jesu.“449 Als Inhalt dieser Begegnung seien – so formuliert Lüdemann vage – die „wahrhaftige Gemeinschaft mit Gott“450 oder eine „Deutung des Todesgeheimnisses durch den Glauben an ein ewiges Leben“451 als ein „überwissensmäßiges Erahnen eines Jenseits der gewussten Welt“452 zu benennen. Weil auch der moderne Mensch, dem die ekstatisch anmutenden Erfahrungen der Apostel per se nicht mehr verständlich seien, die Konzepte des Lebens, der Sündenvergebung und der Ewigkeit sehr wohl nachvollziehen könne, vermöchte er es nichtsdestotrotz, an einer immerhin vagen Auferstehungshoffnung festzuhalten, obwohl – wie gezeigt – davon auszugehen sei, dass Jesu Leichnam der Verwesung anheimfiel und der Glaube an seine Auferstehung auf ekstatischvisionäre Wahrnehmungen Pauli sowie Petri zurückzuführen sei.453 Die Darstellung der Interpretation Lüdemanns dürfte deutlich gemacht haben, dass es für ihn von maßgeblichem Interesse war, eine Vorstellung der Auferstehung herauszuarbeiten, die dem naturwissenschaftlichen, modernen Weltbild und seiner Rationalitäten nicht widerspricht.454 Folglich scheint sein Postulat der Widervernünftigkeit der überholten Vorstellungen der Auferstehung Jesu aus dem Grabe nicht primär aus seinen exegetischen und systematisch-theologischen Untersuchungen zu resultieren, sondern diesen vorauszugehen455, da es sich für ihn zwingend aus der vermeintlichen Gebundenheit des modernen Menschen an das naturwissenschaftliche Weltbild zu ergeben scheint. Die Grableerfindungserzählungen können aufgrund dieser Realitäts- und Historizitätsvorstellungen konsequenterweise ausschließlich als unhistorische und apologetisch motivierte, epiphane Züge aufweisende Legenden verstanden werden, deren Existenz erst ausgehend von einem bereits existierenden Kerygma nachvollziehbar werde456, da der Leichnam Jesu biologischen Erkenntnissen zuHirschs sei zudem auf die Darstellungen Etzelmüllers verwiesen (vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 222–226). 448 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 171 u. Lüdemann, Die Auferstehung Jesu, 201. 449 Oberdorfer, Was sucht ihr, 171. Die Bezeichnung der historischen Rekonstruktion zielt hier auf die Beschreibung einer mit geschichtswissenschaftlichen Mitteln vollzogenen Rückfrage ab. 450 Lüdemann, Die Auferstehung Jesu, 219, zitiert nach Oberdorfer, Was sucht ihr, 171. 451 Ebd. 452 Ebd. 453 Vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 222 f. u. Lüdemann, Die Auferweckung, 130.150–156. 454 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 172. 455 Vgl. Wilckens, Theologie I/I, 27. 456 Vgl. Lüdemann, Die Auferstehung Jesu, 138 u. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 421 f. Die Bewertung der besagten Erzählungen als unhistorisch scheint hier auf die Artikulation der Annahme Lüdemanns abzuzielen, dass sie sich nicht auf ein in der empirisch-geschichtswissenschaftlich zugänglichen Dimension der Geschichte zu verortendes Referenzobjekt beziehen können.

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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folge fraglos verwest sein müsse.457 Lüdemann macht dies in seiner Auseinandersetzung mit den betreffenden Perikopen deutlich, indem er eindringlich betont, dass die Intention, die zu ihrer Abfassung führte, primär darin bestanden habe, Jesu Tod zu bestätigen und jedes Gerede um eine unehrenhafte Bestattung seines Leichnams zurückzuweisen, wenngleich auch eine von den Evangelisten intendierte Anknüpfung an Jes 53,9 denkbar sei.458 In Bezug auf den Hergang der (in der empirisch-geschichtswissenschaftlichen Dimension der Geschichte verankerten und als solche mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ausweisbaren) Osterereignisse sei demgegenüber anzunehmen, dass Jesu Leichnam vom Kreuz entfernt wurde, da die verantwortlichen Behörden – in Anbetracht der vielen Festbesucher – möglichen Unruhen oder sonstigen Problematisierungen vorbeugen wollten.459 Wohin der Leichnam daraufhin gebracht wurde, sei ferner nicht nachvollziehbar, da der konkrete Bestattungsort nach Ansicht Lüdemanns zeitnah in Vergessenheit geraten sei, weil Jesus wahrscheinlich kein ordentliches Begräbnis erhalten habe.460 Zum Abschluss dieser Darstellung sei anstelle einer Zusammenschau auf zwei eindrückliche Ausführungen Lüdemanns verwiesen, die sowohl seine wichtigsten Erkenntnisse als auch die weltanschaulichen Prämissen, aus denen sie hervorgehen, noch einmal deutlich hervorheben. Zugleich lassen sie erkennen, dass die letztlich im Jahr 1998 erfolgte öffentliche Abkehr Lüdemanns vom christlichen Glauben461 schon in seiner Auferstehungsinterpretation angelegt gewesen ist: Historische Forschung zeigt mit unumstößlicher Sicherheit: Jesus wurde gar nicht von den Toten auferweckt, obwohl der frühchristliche Glaube dies bekennt und die Kirche darauf gebaut ist. [...] Der Glaube der ältesten Christen, einschließlich des Paulus, schloss die Behauptung der Faktizität der Auferstehung Jesu ein. Jedoch muss diese angeblich durch Gottes Handeln geschaffene Tatsache fortan als widerlegt gelten.462 Und gerade weil die Auferstehung Jesu so zweifelhaft ist, kann sie nicht mehr Grundlage unseres Lebens sein, auch wenn wir es noch so sehr wünschten. [...] Nehmen wir historisches463 Wissen und uns selbst ernst, so folgt daraus: Wir können keine Christen 457

Vgl. Lüdemann, Die Auferstehung Jesu, 198 u. Wilckens, Theologie I/I, 26. Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 52. Jes 53,9: Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. 459 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 52. Eine eingehendere Reflexion dieses Arguments erfolgt im Kapitel III.2.2.a. 460 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 52. 461 Welker, Gottes Offenbarung, 106. Zumindest kurz verwiesen sei darauf, dass Lüdemann ungeachtet seiner öffentlichen Abkehr vom christlichen Glauben gegen die „Einschränkung seiner Lehrtätigkeit an der Universität Göttingen“ (ebd.) vorging, bis diesem (von Welker treffend als „auf der ganzen Linie erfolglose[r] Rechtsstreit“ [ebd.] bezeichneten) Vorhaben schließlich im Herbst 2008 durch das Bundesverfassungsgericht ein Ende gesetzt wurde (vgl. ebd.). 462 Lüdemann, Die Auferweckung, 156. 463 Die Bezeichnung des historischen Wissens scheint hier jene Erkenntnisse zu bezeichnen, die durch geschichtswissenschaftliche Rückfragen gewonnen werden können, welche ausgehend vom angesprochenen Geschichtsverständnis Lüdemanns vollführt werden. 458

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

mehr sein, selbst wenn wir es wollten, denn Jesus ist nicht von den Toten auferstanden. Wir sind keine Christen mehr. Wer es trotzdem von sich behauptet, täuscht sich selbst.464

b) Kritische Diskussion „Obwohl Lüdemann beansprucht, neben der theologischen Dimension auch die historische zur Geltung bringen zu wollen, ist die Durchführung so einseitig, dass die theologische Frage stets umgangen wird.“465

Wenngleich nicht bestritten werden kann, dass die Interpretation Lüdemanns sowohl in vielen ihrer Einzelentscheidungen als auch in ihren konzeptionellen Eckpfeilern geläufigen Positionen ähnelt, die innerhalb der historischen Kritik der Neuzeit eingenommen werden, und ihm auch die seiner Argumentation inhärente Konsequenz keinesfalls abzusprechen ist, wurde sie bereits unmittelbar nach ihrer Publikation bis hinein in die gegenwärtige Diskussion heftig kritisiert, da seine Argumentation sowie seine methodischen und weltanschaulichen Vorannahmen durchweg anfechtbar und nun gerade nicht alternativlos sind.466 Ein Hauptkritikpunkt richtet sich so bereits gegen Lüdemanns methodische Grundprämisse, dass Gott und sein vermeintliches Wirken aus jeder wissenschaftlichen Erkenntnisbemühung und somit auch aus der theologischen Interpretation der Auferstehung auszuklammern sei.467 Ingolf Dalferth verdeutlicht in seiner Kritik an der Konzeption Lüdemanns in eindrücklicher Weise die Grundproblematik eines solchen Vorgehens, das – etsi deus non daretur – im Sinne der modernen Geschichtswissenschaften operiere, aber auf diese Weise eine theologische Frage zu beantworten gedenke, die unter mangelnder Berücksichtigung Gottes eigentlich gar nicht angemessen behandelt werden kann. Daraus ergibt sich nach Ansicht Dalferths, dass Lüdemanns Erwägungen lediglich das „Vorfeld theologischer Problemlagen“468 tangierten; dass sie jedoch den Kern der Frage nach den Auferstehungsereignissen notwendig verfehlten, da diese ausschließlich in Bezug auf Gott interpretiert werden können.469 Die lüdemannschen Bestre-

464

Lüdemann, Die Auferweckung, 166. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 54. Die Wendung der historischen Dimension bezeichnet hier die Dimension des Auferstehungsdiskurses, welcher sich anhand einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage angenähert werden kann. 466 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 173. In Ergänzung zu der nachfolgenden Überlegungen sei auf die Kritikpunkte an den Darstellungen Bultmanns in Kapitel II.2.3.c verwiesen, die aufgrund der von beiden Theologen geteilten Prämissen mitunter auch auf die Interpretation Lüdemanns übertragen werden können und hier entsprechend nicht erneut angeführt werden. 467 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 292. 468 Ebd. 469 Vgl. ebd. In ähnlicher Weise argumentiert auch Joachim Ringleben, der – wie im Kapitel II.3.3.a dargestellt – bereits aufgrund seiner Historizitäts- und Realitätsvorstellungen 465

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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bungen, die Auferstehungsereignisse anhand naturwissenschaftlicher und geschichtswissenschaftlicher Methoden hinlänglich zu deuten, seien so bereits daran gescheitert, dass die aus der Perspektive des Glaubens heraus erfahrbare Wirklichkeit deutlich komplexer und auch vielfältiger sei, als Lüdemann es voraussetze.470 Ferner betonen viele Theologen unter Verweis auf die in Kapitel III.1 eingehender erläuterte Mehrdimensionalität der Wirklichkeit, dass es eine fundamentale Aufgabe der christlichen Theologie sei, gegen empirisch-geschichtswissenschaftliche Engführungen ihres Verständnisses, wie die Konzeption Lüdemanns sie aufweise, vorzugehen, da die Theologie doch gerade auf das Mehr des Lebens abziele und ihr Wesen daher verfehlt werde, wenn sie als „Wirklichkeitswissenschaft“471 oder als „Möglichkeitswissenschaft“472 betrieben werde. Dieses impliziere nämlich nicht nur, dass die Welterfassung der Natur- und/oder Geschichtswissenschaften weniger problematisch als Glaubenserfahrungen sei473, sondern begünstige auch, dass die Orientierungskraft des Glaubens verloren ginge, wenn permanent versucht würde, die Auferstehungsereignisse so am bereits Bekannten und empirisch-geschichts- oder naturwissenschaftlich Erfassbaren auszuweisen, dass sie idealerweise als eine Variante des Alten verstanden werden können. Ganz richtig zeigt Dalferth, dass eine derartige Theologie die Gefahr birgt, sich selbst entbehrlich zu machen und ihr Potenzial nicht angemessen zu nutzen, denn: „Wer vom Glauben nicht mehr erwartet als einen christlichen Kommentar zur lebensweltlichen Erfahrung, erwartet zu wenig von ihm.“474 Gerade die durch Lüdemann immer wieder beanstandete Unschärfe, die sich in vielen Interpretationen der Auferstehung seines Erachtens wiederfinde, zeuge

sowie aufgrund seiner theologischen Grundprämissen stets die Notwendigkeit dessen betont, Gott und das sich auch in die empirisch erfassbare Zeit hinein aufspannende Spannungsverhältnis seiner Zeit und Ewigkeit notwendig in theologische Untersuchungen einzubeziehen. In Bezug auf die Interpretation Lüdemanns unterstreicht er entsprechend ebenfalls, dass auch die von diesem thematisierte Frage nach dem Ursprung des Auferstehungsglaubens nur unter Berücksichtigung der Gottesfrage sinnvoll behandelt werden könne, da ein anderes Vorgehen im deutlichen Widerspruch zum Selbstverständnis des neutestamentlichen Befundes und insbesondere auch zu seinen Auferstehungsbezeugungen stünde (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 54). 470 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 182. Oberdorfer definiert hier leider nicht eingehender, worauf er mit der Verwendung des Wirklichkeitsbegriffs abzielt. Es ist anzunehmen, dass er den Begriff in alltagssprachlicher Weise verwendet und mit ihm die verschiedenen Dimensionen der Auferstehungsereignisse bezeichnet, die – wie in Kapitel III.1 angesprochen – nicht einzig in ihren empirisch-geschichtswissenschaftlich oder naturwissenschaftlich erfassbaren Dimensionen aufgehen. 471 Dalferth, Volles Grab, 280. 472 Ebd. 473 Vgl. ebd. Dalferth scheint hier die natur- und geschichtswissenschaftliche Welterfassung vor Augen zu haben, wenn er pauschal von der wissenschaftlichen Welterfassung spricht. 474 Ebd.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

ferner von einem Bewusstsein in Bezug auf die Komplexität der Auferstehungsereignisse und ihrer Wirklichkeit, die seine eigene Interpretation vermissen lasse, und sei entsprechend allen Interpretationen vorzuziehen, die im Sinne Lüdemanns versuchen, die komplexe, uns umgebende Wirklichkeit auf ihre naturwissenschaftlich-empirisch erfassbare Dimension zu reduzieren.475 Insbesondere das Beispiel des lüdemannschen Umgangs mit den Grableerfindungsperikopen wird ferner des Öfteren herangezogen, um die aus seinen methodischen und weltanschaulichen Prämissen hervorgehenden Engführungen deutlich zu machen. Seiner exegetischen Grundannahme, dass zur Beurteilung der Auferstehungsereignisse ausschließlich die Erscheinungsberichte heranzuziehen seien, wird beispielsweise entgegengesetzt, dass auch die Erzählungen um die Leerfindung des Grabes ein in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte verankertes Referenzobjekt aufweisen (könnten).476 Sie können somit nicht pauschal als Legenden beurteilt und aus dem Diskurs ausgeschlossen werden, nur weil das in ihnen Dargestellte (vermeintlich) nicht mit den Erkenntnissen moderner Naturwissenschaften in Einklang zu bringen sei.477 Lüdemann verkenne somit in seinem Umgang mit der Grabestradition, der nicht am neutestamentlichen Zeugnis, sondern einzig an seinen weltanschaulichen Grundannahmen orientiert zu sein scheint, die eigentlich intendierte Pointe der Erzählungen, die unter anderem in der Betonung der angebrochenen göttlichen Neuschöpfung bestehe.478 Bereits weltanschaulich begehe Lüdemann somit in der Tradition Bultmanns denselben Fehler, der schon den Auferstehungsleugnern in Korinth unterlaufen sei, die ihre Vorstellungen der Auferstehungswirklichkeit an ihre weltanschaulichen Prämissen anpassten, damit sie sie gut mit ihrem irdischen Leben und ihrer diesseitigen Wirklichkeitswahrnehmung vereinbaren konnten.479 475

Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 180 f. Vgl. a.a.O., 177. 477 Ringleben hebt im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Grableerfindungsdeutung Lüdemanns hervor, dass nicht nur dessen (höchst fragliches) methodisches Vorgehen, sondern auch die von ihm vertretene Ansicht, Jesu Leichnam sei ein anonymes und schmähliches Begräbnis zuteilgeworden, ausgehend von einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage keineswegs zwingend seien. Dies werde bereits daran ersichtlich, dass der Umstand, dass die neutestamentlichen Bezeugungen der Grablegung Jesu ebendiese (je nach Verfasser) als ehrenvoll oder zumindest als geläufigen Konventionen entsprechend darstellen, nicht zwingend das Gegenteil voraussetzt und/oder ausschließlich auf spezifische apologetische Intentionen der Verfasser hinweisen müsse, ohne dass die geschilderten Inhalte ein Korrelat in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte aufwiesen (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 107). 478 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 184 f. 479 Vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 226 f., unter Zitation von Barth, Die Auferstehung der Toten, 65 f. Dass die durch dieses Vorgehen entstehende vermeintlich befriedigend erscheinende Gesamtweltanschauung – gesprochen in den Worten Bonhoeffers – mit einer unzulässigen „Aufteilung des Wirklichkeitsganzen in einen sakralen und einen profanen […] Bezirk“ (Bonhoeffer, Ethik, 43, zitiert nach Etzelmüller, Ich lebe, 226) einhergeht, wird dabei von Lüdemann nicht wahrgenommen. 476

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Über diese weltanschaulichen und methodischen Kritikpunkte hinausgehend wurde die Deutung Lüdemanns allerdings auch in inhaltlicher Hinsicht vehement diskutiert. Die Kritiken zielen dabei sowohl auf seine Deutungen der Rede von der leiblichen Auferstehung und auf sein Verständnis der subjektiven Christusvisionen als auch auf seine Darstellung der Wirklichkeit Gottes und auf sein Konzept des Ewigkeitsglaubens. Ein immer wieder formulierter Kritikpunkt betrifft so die den Ausführungen Lüdemanns zugrundeliegende Fehleinschätzung, dass die neutestamentliche Rede von der leiblichen Auferstehung auf der Vorstellung beruhe, dass Jesus in seiner verstorbenen Leiblichkeit reanimiert wurde480, was ihre thematisierte Bedeutungsfülle sowie ihre einzigartige Wirklichkeit sowohl sachlich als auch exegetisch missachtet.481 Dieses Missverständnis, von dem Lüdemann innerhalb seiner Argumentation aus unerfindlichen Gründen ausgeht482, beruhe nach Ansicht seiner Kritiker auf einer als primitiv zu beurteilenden Wahrnehmung biblischer Autoren, Texttraditionen und -erzeugnisse483, einer „leider weitverbreiteten laxen Lesart der biblischen Auferstehungszeugnisse“484 und einer fehlenden Sensibilität in Bezug auf die Bildhaftigkeit der in den biblischen Texten vorfindlichen Vorstellungen.485 Als problematisch erweise sich hier, dass die vehemente Verneinung einer (von Vertretern des christlichen Glaubens vermeintlich konsensuell vorausgesetzten) Reanimation des Leichnams Jesu das Fehlkonzept nahe480

Vgl. Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 304. Vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 106 u. Eckstein u. Welker, Einleitung, IX. Insbesondere die in Kapitel II.1 skizzierten Ausführungen Pannenbergs sollten deutlich gemacht haben, dass Konzepte der leiblichen Auferstehung keineswegs mit der von Lüdemann vorausgesetzten, naiven Vorstellung der Wiederbelebung eines Leichnams gleichzusetzen sind (vgl. Kapitel II.2.4 und auch Oberdorfer, Was sucht ihr, 180). 482 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 295. Welker verweist innerhalb seiner Gottes Offenbarung darauf, dass lediglich eine isolierte Betrachtung der Darstellung in Lk 24,39–42 die Vorstellung einer physischen Reanimation (vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 118) nahelege, welche sich jedoch verbiete, was sowohl am (im unmittelbaren Zusammenhang mit dem geschilderten Speisen oder dem Berührtwerden des Auferstandenen dargestellten) Sichentziehen als auch an der Betonung dessen ersichtlich werde, dass Jesus nun gerade nicht anhand jener charakteristischen Merkmale wiedererkannt wurde, an denen wir Menschen gemeinhin erkennen (vgl. a.a.O., 118 f.). Ein unreflektiertes Identifizieren der Rede von der leiblichen Auferstehung mit der Vorstellung einer physischen Reanimation könne entsprechend nur als Resultat einer fundamentalistischen Lesart verstanden werden (vgl. a.a.O., 106): „Strauß, Bultmann, Lüdemann – alle drei skandalträchtigen Kritiker der Auferstehung begehen einen Fehler, der sehr häufig gemacht wird: Sie setzen die Auferstehung Jesu mit einer physischen Wiederbelebung gleich – die sie dann in Frage stellen. Sie tun damit genau das, was viele religiöse Fundamentalisten tun, über die sie sich als ,moderne Menschen‘ und ,ehrliche Freunde der Wahrheit‘ erheben. Sie teilen mit vielen Fundamentalisten die Gleichsetzung von Auferstehung und physischer Wiederbelebung – nur dass sie die von ihnen selbst gemachte Voraussetzung dann mehr oder weniger laut und radikal bestreiten“ (ebd.). 483 Vgl. Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 304. 484 Welker, Die Wirklichkeit, 312. 485 Vgl. Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 304 f. 481

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

zulegen drohe, dass das Neue Testament tatsächlich eine physische Reanimation Jesu bezeuge.486 Die fragliche Begeisterung Lüdemanns für die von ihm vorausgesetzte Verwesung des Leichnams Jesu487, die nach Auffassung Welkers allenfalls dazu diene, „sich beim skeptischen gesunden Menschenverstand beliebt zu machen“488, verfehlt also nicht nur den Kern der Rede von der leiblichen Auferstehung, sondern begünstigt auch die Entstehung fehlerhafter Vorstellungen innerhalb theologisch wenig informierter Bevölkerungsteile.489 Des Weiteren verschleiert sie, dass kein eindeutiger, empirisch-geschichtswissenschaftlich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu führender Nachweis der Verwesung des Leichnams Jesu vorliegt, zumal ein solcher die (nun doch zumindest teilweise mit der Vorstellung einer physischen Reanimation des Verstorbenen belastete) Bezeugung einer leiblichen Auferstehung undenkbar gemacht hätte490, sodass die besagte Verwesung den von Lüdemann angewandten Axiomen Troeltschs entsprechend allenfalls als wahrscheinlich aber nicht als gegeben bezeichnet werden könnte.491 Des Weiteren wird im Zusammenhang mit Lüdemanns subjektiver Visionshypothese kritisiert, dass die Christuserscheinungen, die das Neue Testament bezeuge, nicht notwendig als psychologisch herleitbare Projektionen zu verstehen seien, denen es an allen gegenständlichen Bezügen mangelt.492 Bei derartigen Erklärungsansätzen im Stile Lüdemanns handele es sich etwa nach Ansicht Pannenbergs lediglich um weltanschaulich begründete Postulate, die anhand des Textbefundes nicht ausreichend begründet werden können493. Dies werde vielen Kritikern zufolge bereits daraus ersichtlich, dass die dargestellten Erscheinungen im direkten Vergleich zu den Visionen der lüdemannschen Konzeption vielfältige Unterschiede aufwiesen. Zu diesen Unterschieden zähle schon, dass die Erscheinungsberichte des Neuen Testaments die Erscheinungen nicht als subjektive Phänomene ohne außersubjektives Referenzobjekt darstellen, deren Erkenntnisgrund exklusiv im visionär schauenden Subjekt verortet liege494, sondern als objektive Begebenheiten, die erst durch eine göttliche Selbstoffenbarung wahrnehmbar wurden.495 Ringleben charakterisiert dies als Erweis des sich unter ir-

486

Vgl. Welker, Die Wirklichkeit, 312. Vgl. a.a.O., 313. 488 Welker, Gottes Offenbarung, 114. 489 Vgl. Welker, Die Wirklichkeit, 312. 490 Vgl. a.a.O., 313 f. 491 Welker weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die geschichtswissenschaftlichen Rückfragen in den Darstellungen Lüdemanns allerdings ohnehin „durch nur scheinbar historisch gegründete Spekulationen überrollt“ (Welker, Gottes Offenbarung, 114) werden, welche im Wesentlichen in seinen Überlegungen und Historizitäts- sowie Realitätsvorstellungen begründet zu liegen scheinen. 492 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 396. 493 Vgl. ebd. 494 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 95. 495 Vgl. Eckstein, Die Wirklichkeit der Auferstehung, 17. 487

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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dischen Bedingungen ereigneten Dagewesenseins der neuen, kommenden Welt, welcher in seiner Komplexität nicht in psychologisch herleitbaren Phänomenen aufgehe.496 Diese Einschätzung werde auch durch den neutestamentlichen Textbefund bestätigt, der so etwa bezeuge, dass Paulus sein Damaskuserlebnis entschieden von andersartigen ekstatischen Empfindungen abgrenze, was – ebenso wie die von Lüdemann nur wenig überzeugend als Massenhysterien gedeuteten neutestamentlichen Gruppenerscheinungen und die Grableerfindungsperikopen – von dem Anspruch der jeweiligen Verfasser zeuge, zu vermitteln, dass die Erscheinungen im Allgemeinen keine ausschließlich psychischen Phänomene gewesen seien, denen es an Wirklichkeitskorrelaten mangelte.497 In diesem Zusammenhang sei ferner zu bedenken, dass das in den besagten Texten vorliegende Bekenntnis dazu, den Herrn gesehen zu haben, aus dessen ihm vorangestellten Erscheinungen resultierte, wobei es nicht von Relevanz sei, ob diese sich vor den inneren Augen der sich derart zu ihnen Bekennenden abspielten oder ob sie über die äußeren Sinneswahrnehmungen erfolgt seien.498 Ein wesentlicher Unterschied zwischen den von Lüdemann beschriebenen Visionen und den im Neuen Testament geschilderten Erscheinungen bestehe somit auch in der Subjekt-Objekt-Beziehung der durch diese Begriffe beschriebenen Begebenheiten. Eine Untersuchung der Textgrundlage zeige in diesem Zusammenhang, dass die neutestamentlichen Zeugnisse Jesus in den Erscheinungen einhellig als das „unverfügbare Subjekt seiner Selbstvergegenwärtigung“499 und nicht als eine aus der Innerlichkeit der Jünger geborene Erkenntnis beschreiben.500 Ringleben hebt dies eindringlich hervor, indem er unterstreicht, dass die neutestamentlich

496 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 56. In Entsprechung zu dieser Erkenntnis, dass es sich bei den Christuserscheinungen keineswegs nur um (mit den Mitteln der modernen Psychologie zu erfassende) Vorgänge ohne außersubjektives Korrelat, sondern um ein Sichselbstmitteilen Gottes handele, beurteilt Ringleben es als theologisch geboten, fernab der lüdemannschen Fokussierung auf ein psychologisches Wie der Wahrnehmungen der Jünger, die Selbstvergegenwärtigung Jesu aus der göttlichen Ewigkeit heraus zu untersuchen (vgl. a.a.O., 99). Ringleben selbst kommt dieser Forderung im Rahmen seiner eigenen Auferstehungsdeutung nach, die im Kapitel II.3.3.b dargestellt wird. 497 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 290 f. u. 293. Die Bezeichnung des Wirklichkeitskorrelats zielt hier darauf ab, dass die Erscheinungen der dargestellten Perspektive entsprechend ein Referenzobjekt in der außersubjektiven, mit empirisch-geschichtswissenschaftlichen Mitteln erfassbaren Wirklichkeit aufweisen. 498 Eckstein, Die Wirklichkeit der Auferstehung, 17. 499 Oberdorfer, Was sucht ihr, 174. Jesu (von Oberdorfer hervorgehobener) Charakter als unverfügbares Subjekt der den Jüngern in den Erscheinungen zuteilwerdenden Selbstvergegenwärtigung (vgl. ebd.) werde nach Ansicht Ringlebens bereits auf sprachlicher Ebene, wie beispielsweise an der Verwendung des Begriffs ωÍ ϕθη für die Sichtbarwerdung Jesu, erkennbar. Dieses Verb finde auch im Alten Testament im Zusammenhang mit der Darstellung von Theophanien Verwendung und betone, dass die Erscheinungen des Auferstandenen durch dessen Aktivität geprägt seien, welches durch die deponentiale Übersetzungsvariante „Er ließ sich sehen!“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 59) zum Ausdruck komme. 500 Vgl. ebd.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

bezeugten Erscheinungen nichts anderes als Jesu „von ihm ausgehendes und gewirktes Sich-sehen-Lassen“501 gewesen seien, die auch von ihren Zeugen ausschließlich auf diese Weise verstanden worden seien.502 Dieser Befund steht der auf psychische Prozesse der Jünger zentrierten Interpretation Lüdemanns offenkundig entgegen503, da Jesu Auferstehung, seine Erscheinungen sowie ihre Aneignung im Glauben im neutestamentlichen Zeugnis als „irreduzibel-unterschiedene Aspekte eines gleichwohl einheitlichen Zusammenhangs“504 dargestellt werden, deren ausführendes Subjekt nicht die Jünger seien.505 Weil die Auferstehung einzig im schöpferischen Handeln Gottes an seinem Sohn zu begründen sei und gänzlich unabhängig von dem Zum-Glauben-Kommen der Jünger verlief506, nahmen diese ferner lediglich die Rolle der zuverlässigen Zeugen ein.507 Die Perikopen um die Erschließung der Ostererscheinungen durch Christus bekräftigen diese Thesen, indem sie zeigen, dass die Verkündigung und der Auferstehungsglaube als solcher nicht gänzlich und allein aus den Jüngern hätten erwachsen können, sondern der Erläuterung durch den Herrn bedurften.508 Insgesamt machen die biblischen Befunde in Bezug auf die Frage nach dem Subjekt-ObjektVerhältnis also deutlich, dass der Umstand, dass das Ostergeschehen als ein „Erschließungswiderfahrnis der Jünger“509 verstanden werden könne, keineswegs aus-, sondern im Gegenteil einschließe, dass ein Geschehnis an Jesus selbst als Grund ebendieses Widerfahrnisses zu denken sei. Diese Verhältnisbestimmung widerspräche einem Verständnis der Begegnungen mit dem Auferstandenen als Visionen zwar keineswegs, unterstreiche allerdings, dass ihre Interpretation als in der Psyche der Jünger zu verortende Erschließungserfahrungen doch berücksichtigen müsse, dass durch die einschlägigsten biblischen Befunde nun der Auferstandene beziehungsweise Gott als Subjekt ebendieser Erschließungen benannt wird, dessen Wirken in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte Lüdemann kategorial ausschließt.510 Hieraus wird ersichtlich, dass es Lüdemann bereits aufgrund dieser Prämisse sowie aufgrund seines psychogenen Visionsverständnisses nicht möglich ist, die neutestamentli-

501

A.a.O., 94. Vgl. ebd. 503 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 174. 504 A.a.O., 181. 505 Vgl. a.a.O., 174. 506 Vgl. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 422. 507 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 286. 508 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 180. 509 A.a.O., 174. 510 Vgl. ebd. Bei vertieftem Interesse an der kritischen Diskussion der subjektiven Visionshypothese sei auf Ringlebens Ausführungen in Wahrhaft auferstanden (v.a. 93–99) verwiesen, wo er – auch in Auseinandersetzung mit den Ansätzen Graß‘ – erläutert, weshalb der Begriff der Vision seines Erachtens grundsätzlich ungeeignet sei, um das eschatologische Geschehen, für dessen Deutung er oft herangezogen wird, unmissverständlich und angemessen darzustellen (vgl. ebd.). 502

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

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chen Erscheinungsereignisse in der durch den Textbefund nahegelegten Weise als Eigenaktivität Jesu zu verstehen.511 Nicht selten gehen mit diesen Kritikpunkten auch kritische Anfragen an Lüdemanns Gottesbild einher, so verkenne er etwa die Autorität Gottes als „Gott der Geschichte“512, indem er betont, dass ein Eingreifen Gottes in ihre empirisch erfassbare Dimension undenkbar sei. Auf diese Weise beschränke er Gottes Wirkbereich auf eine „Sphäre des Unsichtbaren“513. Des Weiteren lasse Lüdemann unberücksichtigt, dass durch eine Interpretation der Erscheinungen als Visionen per se noch keine Aussagen hinsichtlich des (wie auch immer gearteten) Realitätsgehalts der durch sie vermittelten Inhalte getroffen werden könnten514, da die einer Einsicht zuzuschreibende Wahrheit nicht daran bemessen werden könne, dass sie potenziell aus in der menschlichen Psyche zu verortenden Prozessen resultiere.515 Zudem ergebe sich aus einem Verständnis der Erscheinungen als innerpsychische Vorgänge nicht notwendig, dass sie innerhalb des Menschen in einer nahezu gesetzmäßigen, kausal sensu Troeltsch (für außerweltliche und entsprechend auch göttliche „Einflüsse“) geschlossenen Weise abliefen und daher nicht auf Gott zurückgeführt werden könnten. Dalferth fragt in diesem Zusammenhang kritisch an, weshalb Gott sich nicht auch durch Visionen offenbaren können sollte und – in der angesprochenen Weise – ausschließlich dann theologisch beachtet werde, wenn er zur Erläuterung oder Herleitung von Phänomenen benötigt werde, die ohne Rückgriff auf ihn und sein Wirken (noch) nicht schlüssig erklärbar sind.516 Darüber hinaus gehen Kritiker Lüdemanns explizit auch auf seine Interpretationen der Erscheinungserlebnisse Petri und Pauli ein, welche Dalferth als höchst spekulative Versuche dessen charakterisiert, im Zuge derer „etwas Dunkles durch etwas noch Dunkleres erklärt wird.“517 In Bezug auf die These Lüdemanns, dass die misslungene Verarbeitung der Schuldgefühle Petri zur Entstehung seiner Visionen als Mittel zur Schuldbewältigung geführt habe, sei dabei nach Ansicht seiner Kritiker einzuräumen, dass diese nicht zu widerlegen sei, da die vorhandenen neutestamentlichen Bezeugungen keine Aussagen über den seelischen Zustand Petri treffen. Jedoch sei in gleicher Weise darauf zu verweisen, dass sie auch keine bestätigenden Hinweise in Bezug auf die Korrektheit der These Lüdemanns aufwiesen.518 Auf der Ebene geschichtswissenschaftlicher Wahrscheinlichkeitsurteile sei die Plausibilität der Annahme, dass der Auferstehungsglaube durch innerpsychische

511

Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 96. Etzelmüller, Ich lebe, 226. 513 A.a.O., 227. 514 Vgl. ebd. 515 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 299. 516 Vgl. a.a.O., 291. 517 A.a.O., 299. 518 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 14. 512

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Mechanismen im Sinne der Argumentation Lüdemanns hervorgerufen wurde, allerdings als äußerst gering einzustufen, da der Kreuzestod an sich als große Schmach galt und es somit enorm anstößig gewesen sei, zu behaupten, dass ausgerechnet ein Gekreuzigter auferstanden sei.519 Diese Feststellung werde durch den Befund noch bestärkt, dass die Zuschreibung eines Auferstandenseins zur damaligen Zeit nahezu ausschließlich den römischen Kaisern und den aus Sagen bekannten Mythengestalten vorbehalten gewesen sei. Daher leuchte nicht ein, warum Petrus seine wie auch immer geartete, visionäre (?) Erfahrung im Sinne Lüdemanns ohne nachvollziehbaren äußeren Beweggrund ausgerechnet auf diese Art gedeutet haben sollte.520 Darüber hinaus sei zu bedenken, dass der dreimaligen Verleugnung Jesu durch Petrus aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive keine so hohe Wahrscheinlichkeit zugesprochen werden könne, wie Lüdemann es innerhalb seiner Argumentation zur Schuldbewältigungsthese argumentativ voraussetzt, sondern die betreffenden neutestamentlichen Darstellungen vielmehr aufgrund gestalterischer Intentionen der Evangelisten (in Bezug auf ihre literarischen Versionen des Petrus) entstanden sein können.521 Auch die von Lüdemann unterstellte Funktion der Vision Petri, die darin bestünde, die eigenen Schuldgefühle abzubauen, werfe vor dem Hintergrund der biblischen Befunde Fragen auf, da im Zusammenhang mit den Erscheinungen nicht von einer idyllischen Wiederaufnahme der vorösterlichen Verhältnisse berichtet werde, sondern ihre neutestamentlichen Darstellungen doch gerade durch die Vorstellung des (mangelnden) Wiederkennens des (mal anwesenden und mal entzogenen, nahezu irritierend fremd erscheinenden) Herrn geprägt seien.522 Sowohl hinsichtlich der Vision des Petrus als auch hinsichtlich der Vision des Paulus sei zudem zu beachten, dass in den psychologischen Untersuchungen zur Trauerbewältigung, auf welche Lüdemann sich beruft, keine Fälle auftraten, die eine „geschichtliche Dynamik“523 in Gang setzten, welche auch nur ansatzweise mit der Entstehung des Auferstehungsglaubens und des Urchristentums vergleichbar wäre. Im Gegenteil zeugen sie davon, dass die attestierten Wahnvorstellungen der Trauernden mit fortschreitender Zeit nachließen oder begannen, ihr Leben so stark einzuschränken, dass eine ärztliche Behandlung notwendig wurde. Zu den (dem Leben dienlichen) Glaubensüberzeugungen der beiden Apostel weisen derartige, den Lebensvollzug beeinträchtigende Krankheitsbilder also deutlich weniger Parallelen auf als Lüdemann vermittele.524 519

Vgl. a.a.O., 15. Vgl. ebd. 521 Vgl. a.a.O., 15 f. u. Becker, Die Auferstehung, 271. 522 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 173. 523 Becker, Die Auferstehung, 271. Die Begriffe der geschichtlichen Dynamik und der urchristlichen Geschichte werden hier nicht eingehender definiert, zielen aber augenscheinlich auf eine Bezugnahme auf die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension der Geschichte ab. 524 Vgl. ebd. Zudem erscheint es fraglich, inwiefern die Vorstellungen einer Ansteckung beziehungsweise einer Übertragung der Visionen der beiden Männer auf andere Menschen im 520

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

125

Einige Kritiker heben außerdem hervor, dass etwa die Erscheinung vor den von Paulus erwähnten mehr als 500 Brüdern die Vielfalt der Erscheinungen des Auferstandenen verdeutliche, weshalb es grundsätzlich nicht angemessen sei, die Erscheinungsereignisse lediglich auf die Erlebnisse der beiden Apostel zu reduzieren.525 Eine der wohl am stärksten nachdenklich stimmenden, kritischen Anfragen besteht allerdings in der Feststellung Kesslers, dass die Erlangung der Erkenntnis, welche Petrus und Paulus durch ihre Visionen zuteilwurde, in der Konzeption Lüdemanns grundsätzlich bereits vor den Osterereignissen möglich gewesen wäre526, was die Relevanz der zentralen Heilsereignisse des Kreuzestodes und der Auferstehung Jesu grundsätzlich infrage stellt. In diesem Zusammenhang steht auch die abschließend betrachtete Kritik an Lüdemanns Adaption des hirschschen Ewigkeitsglaubens. Oberdorfer hinterfragt hier berechtigterweise, aus welchem Grund die Person Jesu und sein Ergehen den Glauben im dargestellten Sinne Hirschs und Lüdemanns anrühren sollte und weshalb die beschriebene, „vage Form eines weltüberwindenden Ewigkeitsvertrauens“527 auf eine Vermittlung anhand der Jesus-Tradition angewiesen gewesen wäre. Außerdem stellt er heraus, dass das von Lüdemann präsentierte Modell sich lediglich durch die Vorstellung einer personalen Begegnung mit Jesus von anderen Konzepten eines als überwissensmäßig zu charakterisierenden „Erahnen[s] eines Jenseits der gewussten Welt“528 unterscheide und deshalb als „explizierte Schwundstufe der dogmatischen Christologie“529 bezeichnet werden könne. Etzelmüller wirft Lüdemann zudem in der Tradition Hirschs einen „religiösen Monismus“530 vor, der im Zusammenhang mit dem angesprochenen Ewigkeitsglauben die durch die Auferstehungsereignisse in die Welt hineingetragene Krise und Spannung unkenntlich mache. Er prognostiziert ferner, dass der Ewigkeitsglauben Lüdemanns sich von sämtlichen irdischen Hoffnungen und somit auch – wie im gegenwärtigen Diskurs zu beobachten – von der Eschatologie des Alten Testaments ablösen werde531, wodurch alle Bestrebungen danach, die Eschatologie des Neuen Testaments in ihrem kanonischen Zusammenhang mit ebendieser und der in ihr vorfindlichen Hoffnungen zur Geltung zu bringen, als eine Art „Rückfall ,in die verirdischte, jüdische Gestalt der Reichshoffnung‘“532 beurteilt werden müssen. Sinne Lüdemanns dem verhandelten Gegenstand gerecht werden können (vgl. ebd.), da sie – nicht erst in Zeiten der gegenwärtigen gesundheitspolitischen Lage [Corona-Pandemie] – negative Assoziationen hervorrufen, die mit der Verbreitung einer (die eigene Lebensführung zum Positiven verändernden) Auferstehungshoffnung wohl kaum zu vereinbaren sind. 525 Vgl. Schröter, Visionäre Erfahrungen, 32. 526 Vgl. Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 304. 527 Oberdorfer, Was sucht ihr, 172. 528 Ebd., unter Zitation von Lüdemann, Der große Betrug, 16 f. 529 Oberdorfer, Was sucht ihr, 175. 530 Eckstein u. Welker, Einleitung, XI. 531 Vgl. ebd. u. Etzelmüller, Ich lebe, 225. 532 Etzelmüller, Ich lebe, 225, unter Zitation von Hirsch, Ewigkeitsglaube, 271.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Die mit Lüdemanns Konzeption einhergehende Loslösung von allen auf die Sphäre des Irdischen zielenden Erwartungen führe entsprechend zu einer „Zerstörung der Einheit des Kanons und der Ökumene mit Israel“533 und bürge die Gefahr der Aufkündigung der Verbundenheit des Menschen mit dem Diesseits.534 Die abstrakten Vorstellungen des Ewigkeitsglaubens berücksichtigen zudem nicht hinlänglich, dass im Mittelpunkt der Enderwartungen der Auferstandene selbst stehe535, da sie auf die vollendete Gemeinschaft mit ihm ausgerichtet seien. Der christliche Glaube sei somit nicht von der konkret auf ihn ausgerichteten Hoffnung abzulösen536 und eine Identifikation seiner Auferstehung mit den zur Schuldbewältigung generierten Visionen der Jünger könne lediglich „als reduktionistische und einseitige Überzeichnung“537 betrachtet werden, die den Kern der christlichen Auferstehungshoffnung notwendig verfehle. Eine Loslösung von den paulinischen Vorstellungen der leiblichen Auferstehung zugunsten der Proklamation eines abstrakt-jenseitigen Ewigkeitsglaubens, der seinen Bezug zur (in den biblischen Bezeugungen bekundeten) „Wirklichkeit des Auferstandenen“538 verliere, führe ferner dazu, die Entstehung eines spekulativen und sprachlosen Glaubens zu begünstigen, wie am Beispiel der lüdemannschen Abtrennung seiner eigenen Auferstehungshoffnungen von dem Glauben an Jesus als den Auferstandenen deutlich erkennbar werde.539 Durch die hier gegebene, gänzlich an der eigenen Subjektivität orientierte Ausrichtung auf eine „schlechthinnige Verborgenheit der Ewigkeit“540 verliere der Glaube ferner in Kombination mit der dargestellten Bestreitung jeder „Leiblichkeit des Auferstandenen“541 seine Sprachfähigkeit, da es schlichtweg nicht möglich sei, einer abstrakten Erahnung eines postmortalen Fortbestehens eine konkrete Gestalt zu geben und auf diese Weise auszudrücken, woran letztlich überhaupt geglaubt werde.542 Oberdorfer konstatiert, dass sowohl diese Sprachlosigkeit als auch die Abtrennung der christlichen Tradition von dem angesprochenen Ewigkeitsvertrauen beziehungsweise -glauben bereits aus den Grundzügen der Konzeption Lüdemanns hervorgehen, in denen angelegt sei, dass die bildhaften neutesta-

533

Etzelmüller, Ich lebe, 225. Vgl. ebd. 535 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 270. 536 Vgl. ebd. 537 Oberdorfer, Was sucht ihr, 181. 538 Etzelmüller, Ich lebe, 222. Leider wird hier nicht klar definiert, was unter der Wirklichkeit des auferweckten Herrn zu verstehen sei. Sowohl eine Bezugnahme auf die bestehende Identität zwischen dem Gestorbenen und dem Auferstandenen als auch ein Verweis auf die Verankerung der Auferstehung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der geschichtlich verfassten Wirklichkeit wären hier denkbar. 539 Vgl. ebd. 540 A.a.O., 225. 541 A.a.O., 226. 542 Vgl. ebd. 534

II.2 Die Auferstehung und die neuzeitlich-rationalistischen Rationalitäten

127

mentlichen Darstellungen der Auferstehungsereignisse lediglich als weltbildhaft geprägte, mythische Darstellungsformen einer mit den Mitteln der modernen Geschichtswissenschaften mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit rekonstruierbaren Erfahrung religiöser Natur zu verstehen seien. Daraus resultiere die implizite Frage Lüdemanns, weshalb in ähnlicher Weise nicht auch der Bezug Jesu auf Gott lediglich als eine an das thematisierte Weltbild gebundene Chiffre zu verstehen sei, welche hinsichtlich der Erfahrung der Ewigkeit als solche nicht konstitutiv ist. Die Vorstellung des postmortalen Überdauerns einer Person könne folglich aus dem bestimmten, religiösen Ausdrucks- und Symbolsystem, das zu ihrer Artikulation Verwendung findet, herausgelöst werden und stattdessen in allgemeinen Vorstellungen verankert werden, welche „ein elementares Gehaltensein, ein fundamentales Wirklichkeitsvertrauen oder Wertgefühl“543 zum Inhalt haben und weder die Existenz eines Gottes noch die christliche Tradition voraussetzen.544 Dass ein derartiger Glauben kein tragfähiges Fundament zur eigenen Lebensgestaltung darstellt, wird am Beispiel Lüdemanns ersichtlich, dessen Festhalten an seinem Ewigkeitsglauben letztendlich scheiterte und sogar zu seiner Abkehr vom Christentum führte.545 Während der Theologe 1994 noch an der Überzeugung festhielt, dass seine Erwägungen tragfähig genug seien, um sich weiterhin als Christ zu verstehen, verfasste er 1998 einen Brief an Jesus, den er in seinem Werk Der große Betrug und was Jesus wirklich sagte und tat veröffentlichte546: Meine Versuche, durch Interpretation die Wirklichkeit Deiner ,Auferstehung‘ als Erfahrungen von Vergebung, als Erfahrungen von Ewigkeit und als Erfahrungen des Lebens zu bestimmen, mussten aber scheitern, weil diese Erfahrungen auch abgesehen von Deiner Person und Deiner ,Auferstehung‘ gemacht werden können und nicht von dem, was du Gott nanntest, abhängen.547

Lüdemann, welcher in Bezug auf sich selbst reflektiert, dass er in der Absicht, an Jesus anzuknüpfen und ihn als Grundlage seiner Lebensgestaltung zu verstehen, insgeheim doch von den Osterereignissen zehrte548, verfasste diesen Brief letztendlich – so formuliert es Oberdorfer –, um „ernst zu machen mit den allgemein anerkannten Resultaten der historisch-kritischen Exegese und mit den unhintergehbaren Implikationen des neuzeitlichen Wirklichkeitsverständnisses und Weltbewusstseins.“549 Für ihn führte dies zu der Erkenntnis, dass er seine Beziehung zu Jesus beenden müsse, da dieser – als empirische Person Jesus von Nazareth – nicht als einzigartiges Urbild eines allgemeingültigen, auch gegenwärtig nach wie

543

Oberdorfer, Was sucht ihr, 172. Vgl. ebd. 545 Vgl. Eckstein u. Welker, Einleitung, IX. 546 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 172 f. u. 174. 547 Lüdemann, Der große Betrug, 16 f. 548 Vgl. a.a.O., 15 f. 549 Oberdorfer, Was sucht ihr, 173. 544

128

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

vor tragfähigen Ewigkeitsglaubens und -vertrauens verstanden werden könne, sondern lediglich als ein erst einmal recht beliebiger Prophet, dessen Verkündigungen und Hoffnungen sich ebenso wie der „Humbug“ seiner Auferweckung als irrig erwiesen hätten.550 Anhand der vielfältigen Kritik an der Konzeption Lüdemanns wurde gezeigt, welche Probleme es mit sich bringen kann, wenn Interpreten versuchen, die Auferstehungsereignisse ausschließlich auf der Ebene empirisch erfassbarer Zusammenhänge zu deuten, was nicht selten zu einem Heranziehen psychologischer Deutungsmuster führt, um Konflikte mit naturwissenschaftlich-binären Rationalitäten zu vermeiden.551 Dass sich sowohl die Grableerfindungs- als auch die Erscheinungsperikopen augenscheinlich gegen den sich aus diesem Vorgehen resultierenden „Auferstehungsglauben“ – eigentlich Ewigkeitsglauben – sowie gegen Lüdemanns Rekonstruktion der Auferstehungsereignisse sperren552, dürfte dabei ebenso offensichtlich geworden sein, wie der Umstand, dass seine Erwägungen relevante Dimensionen der Auferstehungsereignisse (wie den Plausibilisierungszusammenhang der christlichen Auferstehungshoffnung) aussparen und sich daher nicht als Basis für einen fundierten Glauben und eine hoffnungsvolle Lebensgestaltung eignen.

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs In Abgrenzung zu den dargestellten Perspektiven, die die Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehungsereignisse darauf fokussieren, inwiefern die neutestamentlichen Gegenstände gemessen an empirisch-geschichtswissenschaftlichen Maßstäben als historische Ereignisse bezeichnet werden könnten, werden im Folgenden einige Ansätze vorgestellt, die die Kategorie des historischen Ereignisses neu perspektivieren. Derartige Interpretationsversuche beruhen zumeist auf der Grundannahme, dass die (geschichtliche) Wirklichkeit des Menschen durch die Erkenntnisse und Zugänge der je gegenwärtigen Geschichtswissenschaften nur unzureichend beschrieben werde, da elementare Dimensionen der Geschichte und der Wirklichkeit durch sie nicht erfasst werden können.

II.3.1 Die Auferstehung als neue Gottestat (Karl Barth) Bevor wesentliche Züge der Interpretation des Geschichtsbezuges der Auferstehung durch den Schweizer Theologen Karl Barth sowie seiner Auseinandersetzung mit der neutestamentlichen Grableerfindung und seiner Neuperspektivie-

550

Vgl. ebd. u. Lüdemann, der große Betrug, 16–18. Vgl. Alkier, Die Realität, 228. 552 Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 56.

551

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 129

rung moderner Historizitäts- und Realitätsimplikationen skizziert werden, seien einige von ihm selbst vorausgesetzte Prämissen in Bezug auf die Kategorie der Geschichte dargestellt. Dies erfolgt anhand einer Zusammenschau seiner fünf kritischen Anfragen an die existentiale Interpretation Rudolf Bultmanns, auf welche Barth im Zuge seiner eigenen Deutungsversuche immer wieder Bezug nimmt.553 Barth selbst bezeichnet diese Anfragen, in denen sich seine Neuperspektivierung der Kategorie der Geschichte widerspiegelt, als Aufzählung jener entscheidenden Argumente dafür, Jesu Auferstehung und seine Erscheinungen – auch angesichts der Überlegungen Bultmanns –„als eine wirkliche, zu ihrer Zeit geschehene Geschichte zu verstehen“554, was im Folgenden eingehender erläutert wird. a) Kritische Anfragen an die existentiale Interpretation der Auferstehung In seiner ersten Anfrage an Rudolf Bultmann bezieht sich Karl Barth auf die Grundprämissen der existentialen Interpretation und stellt in Frage, ob theologische Lehrsätze nur unter der Bedingung für gültig befunden werden können, dass sie auf die christliche Deutung des menschlichen Daseins abzielten555, so wie Bultmann es unterstellt und schlussfolgert, dass die Auferstehungsereignisse sich nicht in der im Neuen Testament bezeugten Weise in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte vollzogen haben könnten, weil diese Annahme der besagten Anforderung nicht entspräche.556 Barth bestätigt hier, dass die neutestamentliche Rede von der Auferstehung Jesu die dargestellte Anforderung Bultmanns tatsächlich nicht erfülle. Er zeigt aber auch, dass diese Beobachtung ebenso für diverse weitere Grundelemente des christlichen Glaubens gelte, die sich zwar auch auf das menschliche Dasein beziehen, jedoch in ihrem Aussagegehalt nicht auf ihre Bedeutung für das menschliche Selbstverständnis reduziert werden können und mitunter vorrangig Aussagen über das Dasein und das Wirken Gottes treffen. Daher versteht Barth die Fokussierung Bultmanns auf die Dimension des menschlichen Selbstverständnisses als eine anthropologische Verengung557, die der Mehrdimensionalität der biblischen Bezeugungen und ihrer Aussagegehalte nicht gerecht werden könne.558

553 Die Auseinandersetzung Barths mit Bultmann wird allerdings auch deshalb umrissen, da seine Kritikpunkte (in Ergänzung zu den Ausführungen in Kapitel II.2.3.c) auch auf gegenwärtige Konzeptionen bezogen werden können, welche auf den Prämissen Bultmanns beruhen. 554 Barth, KD III/2, 537. 555 Vgl. a.a.O., 534. 556 Vgl. ebd. 557 Vgl. a.a.O., S. 534 f. 558 Auch Pannenberg setzt sich in seinen Grundfragen eingehend mit der bultmannschen Prämisse, dass die Auferstehungsereignisse ausschließlich existential in Bezug auf das menschliche Selbst- und Daseinsverständnis zu deuten seien, auseinander. Wie Barth kritisiert er, dass diese Fokussierung Bultmanns einer unsachgemäßen Einengung gleichkomme,

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Das zweite Axiom Barths bezieht sich auf die Erfassbarkeit der Auferstehung durch die geschichtswissenschaftliche Forschung. Hier stellt Barth infrage, ob ein Geschehnis ausschließlich dann als wirklich und tatsächlich geschehen zu beurteilen sei559, wenn durch geschichtswissenschaftliche Erkenntnisbemühungen (mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit) aussagbar ist, dass es sich bei ihm um „ein historisches Faktum“560 (im Sinne der Konzeption Pannenbergs) handele. Im Gegensatz zu Bultmann lehnt Barth diese Annahme einer grundsätzlichen Feststellbarkeit aller in Zeit und Raum zu verortenden Geschehnisse ab.561 Stattdessen nimmt er an, dass es Begebenheiten gebe, welche mit einer größeren Sicherheit „in der Zeit geschehen“562 seien als alles, was durch geschichtswissenschaftliche Rückfragen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als solches zu klassifizieren wäre. Die Auferstehung sei ferner als ein derartiges Geschehen zu betrachten, da sie zwar kein (anhand geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als solches ausweisbares) historisches Ereignis sei, aber ihre Verwirklichung sich nichtsdestoweniger in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte vollzogen habe. In diesem Sinne verfüge sie nach Barth über einen „schmalen ,historischen‘ Rand.“563 Bultmann selbst nimmt zu dieser These in Entsprechung zu seinen Historizitäts- und Realitätsvorstellungen Stellung, indem er rückfragt, um was für eine Form von Glauben es sich handele, sofern ebendieser solchen Ereignissen entgegenzubringen sei, die vermeintlich „in Zeit und Geschichte geschehen sein sol-

da die neutestamentlichen Darstellungen seines Erachtens ebenfalls nicht ausschließlich das menschliche Daseinsverständnis, sondern immer auch Gott sowie sein Eingreifen in seine Schöpfung und ihre Geschehnisse thematisieren. Aufgrund seiner dargestellten Prämissen könne Bultmann diese Inhalte der neutestamentlichen Bezeugungen jedoch lediglich als schiere Ausdrücke jener Verständnisse der menschlichen Existenz, auf die darzustellen sie vermeintlich abzielten, deuten. Ein derartiges Vorgehen führe allerdings dazu, dass die neutestamentlichen Darstellungen nun gerade nicht in ihrer eigentlichen Intention wahrgenommen werden, da diese aufgrund der Prämissen Bultmanns zugunsten der vermeintlichen Textbedeutung als Ausdruck eines bestimmten Verständnisses der Existenz des Menschen hermeneutisch abgeblendet werde. Dies führe – auch nach Ansicht Pannenbergs – zu der angesprochenen anthropologischen Engführung der Überlegungen Bultmanns (vgl. Pannenberg, Grundfragen, 101 f.). Pannenberg empfiehlt, den biblischen Texten mit dem Versuch zu begegnen, ihre Damaligkeit auf die Gegenwart und Lebenswelt des Auslegers zu beziehen und sie so zur „gegenwärtigen Daseinsgestaltung“ (a.a.O., 103) nutzbar zu machen, ohne sie von ihrer Damaligkeit abzutrennen (vgl. ebd.). Sein eigener Versuch, die Auferstehung vor dem Hintergrund der jüdisch-apokalyptischen Erwartung einer endzeitlichen Totenauferweckung zu deuten, scheint diesen Anforderungen zu begegnen und an ihnen orientiert zu sein. 559 Vgl. Barth, KD III/2, 534. 560 A.a.O., 535. 561 Vgl. Klappert, Diskussion, 105. 562 Barth, KD III/2, 535. 563 Ebd. Der angesprochene Vollzug in der Geschichte bezeichne nach Ansicht Klapperts den Umstand, dass sich die Auferstehungsereignisse raumzeitlich und gegenüber ausgewählten Personen ereigneten (vgl. Klappert, Diskussion, 106).

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 131

len“564, durch geschichtswissenschaftliche Rückfragen (sensu Troeltsch) jedoch nicht als solche klassifiziert werden können. Ferner werde für ihn nicht ersichtlich, wie das von Barth vorausgesetzte, für Bultmann allerdings erklärungsbedürftige, mit geschichtswissenschaftlichen Erkenntnismethoden nicht ausweisbare Geschehensein der Auferstehungsereignisse konkret zu denken sei und was Barth unter den Begriffen der Geschichte und des Geschehens überhaupt verstehe.565 An die vorangegangenen Axiome anschließend hinterfragt Barth in seiner dritten These, ob ein Glauben an das beziehungsweise ein Festhalten an dem empirisch-geschichtswissenschaftlich nicht als solches ausweisbaren Geschehensein der Auferstehungsereignisse, wie sie neutestamentlich bezeugt sind, zwangsläufig mit einem sacrificium intellectus einhergehen müsse und den Glauben somit zu einem Akt unreflektierten Akzeptierens erniedrige. Diese Frage stelle sich seines Erachtens gerade vor dem Hintergrund, dass die neutestamentliche Auferstehungsbotschaft eine Freudenbotschaft sei, welche es glücklich anzunehmen gelte. Zudem weist er darauf hin, dass auch die ersten Christen keineswegs unreflektiert agierten und die Botschaft von der Auferstehung (aufgrund ihrer weltbildhaften Prägung und aufgrund konventionell verbreiteter Deutungshorizonte) so problemlos akzeptieren und in ihre Weltdeutung integrieren konnten, wie Bultmann es vorauszusetzen scheint. Ganz im Gegenteil dürfte die besagte Verkündigung auch in ihnen Zweifel geweckt haben.566 Folglich sei nicht pauschal davon auszugehen, dass die Osterbotschaft nur unter der Voraussetzung einer Preisgabe des eigenen Intellekts angenommen werden könne, da dies ihrer grundsätzlichen Ausrichtung entgegenstünde, die auf eine freudige Annahme und Bejahung abziele.567 In seiner vierten These geht Barth auf das von Bultmann beschriebene moderne Weltbild ein, wobei er zur Diskussion stellt, ob es tatsächlich ein einziges, gesamtgesellschaftlich geteiltes, irreversibel durch die modernen Natur- und Geschichtswissenschaften geprägtes Weltbild gebe, das dem (den Auferstehungserzählungen zugrundeliegenden) mythischen Weltbild überlegen sei und insofern auf den modernen Menschen einwirke, als dass es seine Zustimmung zu oder seine Ablehnung von konkreten biblischen Inhalten beeinflusste.568 Barth weist hier entschieden zurück, dass das besagte moderne Weltbild derart in sich selbst abgeschlossen und homogen sei, wie Bultmann es voraussetzt. Ferner sei die Annahme, dass aus der Prägung des Menschen durch das moderne Weltbild eine notwendige kritische Auseinandersetzung mit dem Neuen Testament hervorgehe, infrage zu stellen. Barth weist zudem darauf hin, dass die von der Auferstehung Jesu ausgehende Wahrhaftigkeit trotz der verbreiteten Wert564

Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 234 f. Vgl. ebd. 566 Vgl. Barth, KD III/2, 535 f. 567 Vgl. a.a.O., 536. 568 Vgl. ebd. 565

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

schätzung der neuzeitlichen Neuerungen wahrgenommen werden könne und mitunter sogar als verbindlicher empfunden werde als das Bedürfnis, dem „neuzeitlichen common sense“569 zu entsprechen. Im abschließenden fünften Axiom verteidigt Barth das (seines Erachtens von Bultmann zu pauschal verabschiedete und hinsichtlich seiner Mehrdimensionalität und seiner Ausdrucksmöglichkeiten verkannte) mythische Weltbild, indem er zeigt, dass dieses Elemente beinhalte, die nicht nur adäquat von den ersten Christen verwendet wurden, sondern auch zum Abfassungszeitpunkt seiner eigenen Darstellungen nach wie vor notwendig seien, um den Auferstandenen in angemessener Weise zu bezeugen. In diesem Zusammenhang unterstreicht er ferner, dass es durchaus möglich sei, einzelne Aspekte des mythischen Weltbildes in ihrer Relevanz und Aussagekraft zu würdigen, ohne es als Ganzes annehmen zu müssen.570 Die Ausführungen Barths zeigen somit nicht nur weitere zu hinterfragende Aspekte der bultmannschen Interpretation auf, sondern machen erneut die Einflussnahme der eigenen Weltanschauungen auf den zu vollziehenden Interpretationsprozess deutlich. Im Falle der beiden thematisierten Theologen sticht dabei ins Auge, dass bereits ihre stark differierenden Historizitäts- und Realitätsvorstellungen eine übereinstimmende Interpretation der Auferstehungsereignisse grundsätzlich verunmöglichen. b) Die Grableerfindung und der Geschichtsbezug von Kreuz und Auferstehung Im Anschluss an die skizzierten Annahmen Barths erfolgt eine prägnante Darstellung seiner Deutungen der Grableerfindungserzählungen und des Geschichtsbezuges der Kreuzes- und Auferstehungsereignisse, anhand derer ersichtlich wird, dass Barth sich (in Entsprechung zu den besagten Implikationen und im Gegensatz zu den schon thematisierten Interpreten) von einem Voraussetzen der exklusiv geschichtswissenschaftlich definierten und an Wahrscheinlichkeitszuschreibungen orientierten Kategorie des historischen Ereignisses distanziert und die Kategorie der Geschichte stattdessen grundlegend umdeutet. Das leere Grab interpretiert Barth im Zuge dessen als ein sprechendes, den Menschen real dahingegebenes Zeichen Gottes für die Auferweckung (deren Folgeerscheinung es sei571) und ferner als „sachlich unentbehrliche Nebenbestimmung“572 ihrer Bezeugung. Die Zuschreibung der Unentbehrlichkeit scheint dabei darin begründet zu liegen, dass Barth das leere Grab als notwendige Voraussetzung der Erscheinungen des Auferstandenen beurteilt573, und gehe seines Erachtens damit einher, dass der leere Zustand des Grabes als solcher ebensowenig wie die Auferstehung Jesu per se mit geschichtswissenschaftlichen Mitteln veri569

Ebd. Vgl. ebd. 571 Vgl. a.a.O., 543, Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 249 u. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 185. 572 Barth, KD IV/1, 376. 573 Vgl. Barth, KD III/2, 543. 570

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 133

fiziert werden könne.574 Ferner könne das leere Grab – auch wegen seiner Mehrdeutigkeit – nicht als Beweis für die Auferstehung und ihre (wie auch immer definierte) Faktizität herangezogen werden.575 Zudem gibt er zu bedenken, dass sowohl die Grableerfindungserzählungen als auch ihr Gegenstand keinen Auferstehungsglauben zu begründen vermöchten, da dessen Entstehung einzig aus der Selbstbekundung des auferweckten Herrn resultiere.576 Trotz dieser Einschränkungen schätzt Barth die Relevanz des leeren Grabes und seiner Bekundung als hoch ein, was nicht nur in den genannten Erwägungen, sondern auch in einigen weiteren Funktionen begründet zu liegen scheint, die Barth dem leeren Grab und seiner Bezeugung zuschreibt. Ein besonderer Stellenwert kommt offenkundig dem Umstand zu, dass die Rede von der Grableerfindung dazu herangezogen werden könne, um die christliche Auferstehungshoffnung eingehender zu charakterisieren; so diene sie der Abgrenzung ebendieser von (doketischen) Fehlkonzepten577 und unterstreiche, dass ausgerechnet die verstorbene und anschließend bestattete Person Jesus von Nazareth – und eben niemand sonst – von Gott auferweckt und der Macht des Todes entzogen wurde.578 Aufgrund all dieser Erwägungen beurteilt Barth es als unangemessen, sich von den Grableerfindungserzählungen und ihrem Gegenstand zu distanzieren oder ihnen jede Relevanz abzusprechen, zumal ein solches Vorgehen zumeist zu einer grundlegenden „Verwerfung der ,Sage‘ von dem lebendigen Jesus“579 geführt habe. Die hier vorausgesetzte Untrennbarkeit der Auferstehung Jesu von der Grableerwerdung als ihrer Folgeerscheinung, die auch auf der Annahme Barths beruht, dass Objekt und Zeichen im biblischen Kontext nicht derart voneinander unterschieden werden würden, dass jedes für sich und somit ohne das je andere zu haben wäre, bringt er pointiert mit dem Verweis darauf zum Ausdruck, dass die Christen zwar nicht an Jesu leeres Grab, sondern an ihn als den Auferstandenen, Lebendigen glauben, ebendies nun aber nicht möglich sei, sofern sein leeres Grab verleugnet werde.580 Aufgrund all dieser Überlegungen schlussfolgert Barth hinsichtlich der Grableerfindungserzählungen, dass es sich bei diesen um Legenden handele, welche nicht zu verwerfen, sondern vielmehr zu bejahen seien und die nicht isoliert, sondern ausschließlich im Zusammenhang mit der Auferstehung geglaubt und verkündigt werden können, mit der ihr Gegenstand wechselseitig und untrennbar verbunden sei.581 574

Vgl. Barth, KD IV/1, 376. Vgl. ebd. 576 Vgl. Klappert, Diskussion, 10. 577 Vgl. Barth, KD IV/1, 376 f. 578 Vgl. Barth, KD III/2, 543. 579 A.a.O., 544. 580 Vgl. Barth, KD I/2, 195 f., zitiert nach Klappert, Diskussion, 20 u. vgl. Barth, KD III/2, 543. 581 Vgl. Barth, KD III/2, 543 f. u. Barth, KD IV/1, 376 575

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Betrachtet man diese Deutung Barths, so wird die massive Prägung seiner Überlegungen durch die (in Auseinandersetzung mit Bultmann artikulierten) Historizitäts- und Realitätsvorstellungen deutlich, die es Barth ermöglichen, der neutestamentlichen Grableerfindung eine Realität zuzuschreiben, die von der Wahrscheinlichkeit unabhängig ist, welche ihr ausgehend von empirisch-geschichtswissenschaftlichen Rückfragen zugesprochen werden kann. Als umso interessanter erweist es sich, dass Barth der Kategorie der Geschichte nicht grundsätzlich ihre Relevanz abspricht, sondern nichtsdestotrotz an der Existenz des „schmalen ,historischen‘ Randes“582 der Auferstehungsereignisse festhält, wenngleich er die Kategorie des Historischen freilich im dargestellten Sinne umperspektiviert. Diese Umperspektivierung beeinflusst wiederum nicht nur seine Grableerfindungsinterpretation, sondern auch seine Beurteilung (des Geschichtsbezuges) von Kreuz und Auferstehung, die sich in erheblicher Weise von den dargestellten Ansätzen unterscheidet. Um auch hier einen überblicksartigen Eindruck zu vermitteln, wie die besagte Einflussnahme der Historizitäts- und Realitätsvorstellungen Barths auf seine Auferstehungsdeutung und insbesondere auch auf seine (mit der Frage nach der Grableerfindung eng verknüpfte) Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung ausgestaltet ist, erfolgt eine Darstellung fünfer durch Barth im Kontext seiner Auseinandersetzung mit dem Kreuzesgeschehen herausgearbeiteter Dimensionen, die zu bedenken seien, sofern man dieses und die Auferstehung zu deuten beabsichtige, welche er wiederum als den Ort der Proklamation des Urteils Gottes über den am Kreuze Gestorbenen beschreibt.583 Ersichtlich werden dabei neben der besagten Einflussnahme ferner auch andere Aspekte der barthschen Umperspektivierung des Geschichtsbegriffes sowie weitere Unterscheidungsmerkmale seiner Konzeption von den thematisierten Diskurspositionen; vor allem aber von den Ausführungen Bultmanns, in Auseinandersetzung mit dessen Konzeption die nachfolgend untersuchten Darstellungen entstanden sind.584 In seiner ersten Dimension beschreibt Barth die Auferstehung Jesu als eine alleinige und endgültige „Tat Gottes“585 von universaler Relevanz, welche grundlegend von menschlichen Handlungen unabhängig sei586 und somit auch nicht hinlänglich oder überhaupt aus diesem Kontext heraus zugänglich gemacht und erschlossen werden könne.587 Diese Einschätzung ergebe sich bereits aus einer 582

Barth, KD III/2, 535. Vgl. Klappert, Diskussion, 127. Die Übertragung der nachfolgend skizzierten, im Kontext von Barths Erwägungen zum Kreuz von ihm herausgearbeiteten Dimensionen auf das Auferstehungsgeschehen mag erst einmal überraschen, erschließt sich jedoch unter Berücksichtigung dessen, dass Barth in KD IV/1 (249 f.) eigens darauf verweist, dass er Kreuz und Auferstehung hier in ihrem Zusammenhang versteht und reflektiert. Dies spiegelt sich in der (in seinem Text vorfindlichen) vernetzten Diskussion von Kreuzesgeschehen und Auferstehungsereignissen wider. 584 Vgl. Klappert, Diskussion, 128. 585 Barth, KD IV/1, 330. 586 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 204. 587 Vgl. Barth, KD IV/1, 331. 583

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 135

Sichtung des biblischen Befundes, dessen Auferstehungsbezeugungen im Gegensatz zu ihren Darstellungen des göttlichen Handelns im Kreuzesgeschehen588 keine Anteile menschlicher Bestrebungen oder Handlungsvollzüge aufweisen und somit nicht im Rahmen der „Pragmatik menschlicher Entscheidungen und Aktionen“589 interpretiert werden könnten. Darüber hinaus mache auch der konkrete Inhalt des christlichen Glaubens an die Auferstehung deren Einschätzung als eine alleinige Tat Gottes notwendig, da die Auferweckung eines Verstorbenen bekanntlich kein Werk eines Menschen sein könne.590 Vielerorts wird – wie anhand der Erwägungen Troeltschs aufgezeigt – aus dieser Erkenntnis der mangelnden menschlichen Beteiligung an der Auferstehung geschlussfolgert, dass es sich in ihrem Falle nicht um ein tatsächlich geschehenes „geschichtliches Ereignis“591 gehandelt haben könne, wohingegen dem Kreuzesgeschehen gemeinhin Realität zugesprochen wird, weil es einen anhand geschichtswissenschaftlicher Maßstäbe (wie dem seiner Verknüpfung mit Handlungen bestimmter Personen592) ausweisbaren Geschichtsbezug in sich trage. Barth verdeutlicht derartigen Erwägungen gegenüber jedoch in Entsprechung zu seinen herausgestellten Realitätsvorstellungen, dass die Auferstehung trotz ihres Status als alleinige Gottestat und ungeachtet dessen, dass ihr ausgehend von geschichtswissenschaftlichen Rückfragen kein „,historischer‘ Charakter“593 zuzusprechen sei, im dargestellten Sinne tatsächlich geschehen sei, wodurch die ersten Christen zum Auferstehungsglauben fanden und die Gründungen von Gemeinden initiiert wurden. Letzteres führt Barth aus, indem er darauf verweist, dass erst die (sich durch das alleinige Gotteshandeln ereignete) Begegnung des Auferstandenen mit den Jüngern zu katalysieren vermochte, dass diese innerhalb der vierzig Tage, im Zuge derer sie Jesu Leben und Sterben ausgehend von der sie erleuchtenden Einsicht des Handelns Gottes reflektierten594, die Erkenntnis er588 Eine Gemeinsamkeit des Kreuzesgeschehens und der Auferstehung als zwei Taten Gottes bestehe nach Ansicht Thomas’ hingegen darin, dass beide – so wie auch alle weiteren Heilstaten Gottes – in struktureller Hinsicht Ereignisse innerhalb der menschlichen Wirklichkeit seien, welche aber zugleich auch als Ereignisse an ebendieser verstanden werden müssen (vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 204). 589 Barth, KD IV/1, 331. Auch die methodisch und argumentationslogisch grundsätzlich denkbare Deutung des Kreuzesgeschehens innerhalb „der Pragmatik menschlicher Entscheidungen und Aktionen“ (ebd.) scheitere nach Ansicht Barths jedoch notwendig, weil es in diesem Falle hinsichtlich seines eigentlichen Sinnes fehlgedeutet und missverstanden werde (vgl. ebd.). 590 Vgl. a.a.O., 331 f. 591 Thomas, „Er ist nicht hier!“, 200. Die Zuschreibung der Geschichtlichkeit ist hier abhängig von der (bereits in den troeltschen Axiomen zu findenden) Grundvorstellung der Rolle des Menschen als Subjekt und Protagonist der Geschichte sowie von der aus ihr resultierenden Annahme, dass eine Begebenheit nur dann als ein geschichtliches Ereignis bezeichnet werden könne, sofern sie eine (wie auch immer geartete) menschliche Beteiligung aufwiese. 592 Vgl. Barth, KD IV/1, 331. 593 Ebd. 594 Vgl. a.a.O., 331–334.

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langten, dass Jesus ohne jede menschliche Beteiligung „als der Mensch, der er gewesen war“595 auferstanden sei. Deshalb könne die Auferstehung auch als göttliche Offenbarung in Jesus bezeichnet werden.596 In seiner zweiten These widmet sich Barth der Verhältnisbestimmung von Kreuzesgeschehen und Auferstehungsereignissen und bezeichnet die Auferstehung als eine gegenüber dem Kreuz neue und völlig selbstständige Gottestat, die sich jedoch sachlich auf das von ihr unterschiedene Kreuz beziehe.597 Dies sei bereits darin zu begründen, dass der Auferstandene auch derjenige gewesen sei, der gekreuzigt wurde, am Kreuze starb und letztlich bestattet wurde, weshalb beide Ereignisse notwendig in einer untrennbaren Beziehung zueinander stehen, obwohl die Auferstehung als solche ein Ereignis sei, das eine eigene Gestalt und einen eigenen Gehalt aufweise.598 Auch hier wird im Unterschied zur Deutung Bultmanns deutlich, dass Barth nicht davon ausgeht, dass es sich bei der Auferstehung lediglich um den „Ausdruck der Bedeutsamkeit des Kreuzes“599 handele. Im Gegenteil distanziert er sich allerdings auch von jenen Interpretationen, welche die Relevanz des Kreuzesgeschehens angesichts der Auferstehung negieren, da diese seines Erachtens unzulässigerweise unberücksichtigt lassen, dass der stellvertretende Tod Jesu nach wie vor als terminus a quo ebendieser zu verstehen sei.600 Ferner sei dem Kreuze schon alleine deshalb eine unwiderrufliche Relevanz zuzusprechen, da es nun eben gerade keinen göttlichen Selbstwiderspruch, sondern „die tiefste und eigentlichste Bewährung“601 der Gottheit Gottes darstelle, anhand welcher sich offenbare, wer er ist und was als göttlich bezeichnet werden könne.602 Eine angemessene Verhältnisbestimmung zwischen dem Kreuzesgeschehen und der Auferstehung führe dazu, beide göttlichen Taten als die zwei grundlegenden Ereignisse „der einen Geschichte Gottes“603 mit seiner Schöpfung zu verstehen, wobei die Auferstehung als der Vollzug und die Proklamation der Entscheidung Gottes über das Geschehen am Kreuze604 sowie als die Akzeptanz des Opfers Jesu durch Gott beschrieben werden könne.605 595

A.a.O., 333. Vgl. a.a.O., 332. 597 Vgl. a a. O., 335. 598 Vgl. a.a.O., 336. 599 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 58. Barth hält die Kreuzesdeutung Bultmanns allerdings auch deshalb für unangemessen, da sie das Kreuzesgeschehen als eine Tat Gottes insofern abwerte, als dass sie es in etwas vermeintlich Besseres zu verwandeln versuche, indem sie auf die angebliche Notwendigkeit dessen verweise, das je eigene Kreuz auf sich nehmen zu müssen (vgl. Barth, KD IV/1, 369). 600 Vgl. a.a.O., 335 f. 601 Klappert, Diskussion, 113. 602 Vgl. Barth, KD IV/1, 203. Eine Thematisierung des Kreuzes sei somit unabdinglich, da das, „was göttlich ist“ (ebd.), dort zu lernen sei, wo sich Gott offenbare (vgl. ebd.). 603 A.a.O., 341. 604 Vgl. Barth, KD IV/1, 340. 605 Vgl. a.a.O., 337. In seiner zweiten These stellt Barth die Auferstehung zudem als eine 596

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In seiner dritten Dimension konkretisiert Barth den besagten untrennbaren Zusammenhang606 zwischen Kreuzesgeschehen und Auferstehung, der sich – wie angerissen – daraus ergebe, dass in und durch beide göttlichen Handlungen „das eine Ja des Versöhnungswillens607 Gottes kräftig und ausgesprochen wurde.“608 Die Versöhnung Gottes mit der Welt gehe somit einzig aus der sie in Kraft setzenden Wechselwirkung beider Aspekte hervor.609 Folglich bestehe der Zusammenhang der beiden Gottestaten sachlich auch in der in ihnen vollzogenen „Veränderung unserer Situation“610, in der Gott sein Recht auf die Menschheit nicht preisgegeben, sondern gegen die sündige Menschheit aufgerichtet habe611 und so verdeutlicht habe, dass es sich bei „der Geschichte der Erniedrigung seines Sohnes“612 um eine „Heilsgeschichte inmitten der Weltgeschichte“613 handele. Dies bestätigt erneut, dass die Heilsgeschichte sich nach Ansicht Barths – wenn auch freilich in einer durch geschichtswissenschaftliche Erkenntnisbemühungen nicht erfassbaren Weise – in der menschlichen Geschichte ereigne614, was er in der nachfolgenden These eingehender definiert. Darüber hinaus zeigt Barth, dass Kreuzesgeschehen und Auferstehung neben der dargestellten sachlichen Verbindung auch in zeitlicher Hinsicht aufeinander Bezug nehmen, da die Auferstehung alle vorherigen Geschehnisse in ihrer Einmaligkeit „zum ein für allemal Geschehenen“615 erhob. Folglich sei das Heilsgeschehen kein vergangenes Ereignis, das in den Gedanken und in der Verkündigung zu vergegenwärtigen wäre, sondern ein gegenwärtiges Geschehen, das alle Gegenwart erfülle und bestimme und das auch heute in gleicher Weise geschehe wie damals.616 Dies sei neben den genannten Aspekten auch in der Identität des Auferstandenen und des Gekreuzigten begründet, da Jesus, welcher jenseits der Grenzen seiner irdischen Lebensspanne in Ewigkeit „lebt und regiert“617, das, was

dreifache Rechtfertigung dar, da sie sowohl die „Rechtfertigung Gottes selbst“ (a.a.O., 341) als auch die Rechtfertigung Christi und die in eben seiner Person vollzogene Rechtfertigung der sündigen Menschheit umfasse (vgl. ebd.). 606 Vgl. Klappert, Diskussion, 127. 607 Der Versöhnungswille Gottes werde bei Barth – nach Ansicht Härles – auch an der in der Auferstehung des Menschensohns vollzogenen Offenbarung ersichtlich; so sei diese hier als die Offenbarung der Erhöhung Jesu zu verstehen, durch welche die Menschheit zum Bund mit ihrem Gott bestimmt und auch berufen werde (vgl. Härle, Wiederentdeckte Wurzeln, 25). 608 Barth, KD IV/1, 341. 609 Vgl. Klappert, Diskussion, 127. 610 Barth, KD IV/1, 342. 611 Vgl. a.a.O., 342 f. 612 A.a.O., 343. 613 Ebd., vgl. auch a.a.O., 344 f. 614 Vgl. a.a.O., 343. 615 A.a.O., 345. 616 Vgl. a.a.O., 345 f. 617 Ebd.

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er zu Lebzeiten tat, stellvertretend auch für alle weiteren Menschen vollführt habe und noch immer vollführe.618 Die umfassende Wirkmächtigkeit und der Charakter der Auferstehung können nach Barth somit nicht darauf reduziert werden, dass Jesus für einige konkrete Menschen zu seiner Zeit und/oder lediglich in Form von Erinnerungen an ihn präsent sei.619 Vielmehr bezeichnet er ihn als „Herr[n] aller Zeit“620, dessen Verkündigung deshalb relevant sei, da er in die Zeit hinein auferstanden und somit der Ursprung der Veränderung der Welt sei.621 Ferner könne auch seine Geschichte622 nicht angemessen als Historie verstanden werden, da ein derartiges Verständnis außer Acht lasse, dass sie hier und heute geschehe, wie sie auch damals und dort geschah. Darüber hinaus könnte ein solches Verständnis eine nur wenig tragfähige Hoffnung spenden, da es implizieren würde, dass Jesus lediglich einmal für einige Personen seiner Zeit der Heiland gewesen sei und als solcher auch nur von gewissen Personen anderer Zeiten erkannt werden könne, sofern sie sich an ihn erinnern und seine Verkündigung empathisch nacherleben.623 Seine Auferstehung wäre einer derartigen Interpretation entsprechend lediglich insofern real, als dass die besagten Personen Jesus „als einer historischen Figur“624 – hier gemeint: als einem Verstorbenen – nachträglich auf die besagte Weise wieder Leben einzuhauchen vermöchten.625 Eine Deutung, die den sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Kreuzesgeschehen und der Auferstehung als den „Realgrund seines Lebens für die Menschen aller Zeiten“626 und somit auch als den „Realgrund der Veränderung ihrer Situation“627 berücksichtige, führe hingegen zu den Erkenntnissen, „dass der Gekreuzigte auferstanden ist und als solcher ,für Gott lebt‘“628 und dass dieser Zusammenhang mit einer „Öffnung der Schranke zwischen seinem Leben in seiner Zeit und ihrem Leben in ihren anderen Zeiten“629 einhergehe. Kreuzesgeschehen und Auferstehungsereignisse fungieren nach Barth somit in ihrer positiven Beziehung als grundlegende Ereignisse „der einen Geschichte Gottes“630 mit seiner Schöpfung.

618

Vgl. a.a.O., 348. Vgl. a.a.O., 346. 620 A.a.O., 348. 621 Vgl. ebd. 622 Der Begriff der Geschichte bezeichnet hier das Leben und Wirken Jesu. 623 Vgl. Barth, KD IV/1, 346. 624 Ebd. 625 Vgl. ebd. 626 A.a.O., 348. 627 Ebd. Wir denken mit Barth an die besagte Veränderung als an ein Geschehen, das vom menschlichen Zutun als solchem gänzlich unabhängig ist. 628 Ebd. 629 Ebd. 630 A.a.O., 341. 619

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Des Weiteren findet auch die Frage nach dem Wirklichkeitscharakter der Auferstehung bei Barth besondere Erwähnung, auf welchen er in seiner vierten Dimension eingeht, in der er zeigt, dass die Auferstehung (als ein gegenständliches Ereignis in Zeit und Raum des Menschen631) „im gleichen Sinne geschehen sei wie die Kreuzigung“632, weshalb sie ebenfalls als ein raumzeitliches Ereignis, welches einen gegenständlichen Gehalt aufweise, anzuerkennen sei. Ferner sei grundlegend davon auszugehen, dass der Auferstandene sich seinen Jüngern tatsächlich in „der Zeit, als eine besondere Geschichte in der allgemeinen menschlichen Geschichte“633 offenbart habe und dass diese Offenbarung der „Veränderung der ganzen menschlichen Situation“634, welche aus der Rechtfertigung resultiere, die aus dem (an diesem Ort aufgerichteten) Gottesrecht folgte, der Inhalt der Verkündigung und der Gegenstand jenes durch ebendieses Geschehen erweckten Glaubens sei.635 Diese Deutung ergibt sich aus den (in Auseinandersetzung mit Bultmann dargestellten) Grundthesen, dass es (durch geschichtswissenschaftliche Erkenntnisbemühungen nicht zu erfassende) wirkliche, gegenständlich in Zeit und Raum zu verortende Ereignisse gebe und dass diese mitunter in jenen Erzählungen festgehalten wurden, die ausgehend von den Maßstäben der modernen Natur- und Geschichtswissenschaften nur als unhistorische Legenden oder Sagen beurteilt werden können, weil ihr Inhalt mit geschichtswissenschaftlichen Mitteln nicht greifbar ist. Folglich wäre es nach Auffassung Barths fehlschlüssig, einzig aufgrund der mangelnden geschichtswissenschaftlichen Erfassbarkeit der Auferstehung darauf zu schließen, dass sie sich entweder grundsätzlich nicht (in gleicher Weise wie Jesu Tod in Zeit und Raum) ereignet habe oder dass sie lediglich im Glauben beziehungsweise in seiner Entstehung und seiner Begründung geschehen sei.636 Im Gegenteil gehe die mangelnde Erfassbarkeit der Auferstehung mit den Mitteln der Geschichtswissenschaften mit ihrem Status als eine alleinige Gottes-

631 Vgl. a.a.O., 368. Die herausgestellte temporale und lokale Verortung der Auferstehung in der von Menschen wahrnehmbaren Welt zeuge ferner nach Ansicht Thomas’ davon, dass die Wirklichkeit der Menschen passiv bereits von Beginn an in die Auferstehungswirklichkeit einbezogen sei, wenngleich es sich bei ihr um ein Geschehen ohne menschliches Zutun handele (vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 204). 632 Barth, KD IV/1, 368. 633 Ebd. 634 Ebd. 635 Vgl. ebd. 636 Vgl. a.a.O., 370 f.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

tat einher637, deren Geschichtsbezug sich – wie in der ersten These gezeigt – notwendig von dem des Kreuzesgeschehens unterscheide.638 Den außergewöhnlichen Wirklichkeitscharakter der Auferstehung sieht Barth ferner auch durch die neutestamentlichen Ostererzählungen bestätigt, deren inhaltliche Ausgestaltung auf die Verortung der dargestellten Begebenheiten in einem ganz eigenen, andersartigen Geschichtsbereich verweise und in deren Rahmen die Besonderheit der unbeschreiblichen Auferstehung dadurch eine Hervorhebung erfahre, dass sie im Gegensatz zu der Passion Jesu nicht narrativ dargestellt werde. Stattdessen deuten die Grableerfindungsperikopen auf sie hin und in den Erscheinungsberichten wird sie schlicht vorausgesetzt.639 Dies sei gerade vor dem Hintergrund, dass die Auferweckungshandlungen Jesu an anderen Verstorbenen innerhalb verschiedener Wundererzählungen der Evangelien vergleichsweise plastisch und auch ausführlich dargestellt werden, sehr bemerkenswert und verweise darauf, dass die Evangelisten keine protokollartigen Historien zu verfassen beabsichtigten.640 Aus dieser Erkenntnis dürfe jedoch nicht im Sinne Bultmanns geschlussfolgert werden, dass die Ostererzählungen die Intention verfolgten, zeit- und raumlose, allgemeingültige Wahrheiten oder Ordnungen zu thematisieren, da ein derartiges Verständnis unberücksichtigt lasse, dass sie die bereits angesprochene Tat Gottes, welche sich allen gängigen Vorstellungen von der in Zeit und Raum geschehenden und als ebensolche festzustellenden Geschichte des Menschen entziehe, als ein wirkliches Geschehen verstanden und zu verkünden beabsichtigten.641 Die Auferstehung, welche von Barth zuvor bereits als jene Tat Gottes beschrieben wurde, die den Jüngern Jesu offenbarte, dass es sich bei dem Kreuzgeschehen um ein Heilsgeschehen handelte642, wird somit innerhalb seiner vierten These erkennbar als ein sich (im dargestellten Sinne) in der raumzeitlich verfassten Wirklichkeit ereignendes Geschehen charakterisiert, das er zudem als τελος

637 Vgl. a.a.O., 370. Dass die Geschichtswissenschaften nach Ansicht Barths aufgrund des Wesens der Auferstehung (als ein wirklich geschehenes, wenn auch historisch [sensu Pannenberg] nicht als ein solches ausweisbares Ereignis) keinen Anspruch auf die Zuständigkeit für sie erheben können, werde etwa anhand ihrer Überbietung der troeltschen Axiome deutlich. So sei – wie Merz und Theißen zeigen – die souveräne Gottestat der Schöpfung ihre einzige Analogie, woran ersichtlich werde, dass sie grundsätzlich nicht als ein historisches Faktum verstanden werden könne, dessen Plausibilität und Wahrscheinlichkeit durch geschichtswissenschaftliche Untersuchungen zu beurteilen wären (vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 442). 638 Vgl. Barth, KD IV/1, 331. 639 Vgl. a.a.O., 369. 640 Vgl. ebd. Ferner sei den Evangelisten nach Ansicht Barths nicht daran gelegen gewesen, das Geschehenssein des von Ihnen Berichteten durch die Anführung von Beweisen zu belegen (vgl. a.a.O., 370.). Diese Beurteilung unterstreicht die Einsicht, dass er auch die Grableerfindung nicht für einen derartigen Beweis hält. 641 Vgl. a.a.O., 370–372. 642 Vgl. a.a.O., 373.

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 141

der Lebensgeschichte Jesu bezeichnet, welche in seiner Auferstehung nun ihr Ziel erreicht.643 Ferner sei die Auferstehung – wie angerissen – als Ursprung des Glaubens der Gemeinde zu verstehen644, deren Entstehung und Botschaft aus der Begegnung mit dem Auferstandenen als ihrer Begründung und Erweckung hervorgegangen seien.645 Dass ein derartiges Verständnis der Auferstehung als eine (im dargestellten Sinne) wirkliche und personenhafte Begegnung zwischen dem Auferstandenen und den Jüngern mit der Ansicht (Bultmanns), dass sie lediglich als Gesinnungsund Konzeptionswandel der Jünger zu verstehen sei, hinter dem die ebendiesen begründende Geschichte geradezu „fortinterpretiert“ werde646, nicht zu vereinbaren ist, dürfte augenfällig sein. Barth verweist hier darauf, dass die Jünger seines Erachtens zur Gründung der Gemeinde und zur Verbreitung ihrer Botschaft im Zuge der 40 Tage auserwählt und befohlen worden seien, die dem Pfingstereignis vorangingen, in welchem nun erst der Auferstehungsglaube der Jünger durch die Geistesausgießung erkennbar „und zum geschichtlichen Faktor“647 geworden sei und das sie zu „Träger[n] des Kerygmas“648 bestimmt habe. Sowohl die Voraussetzungen als auch die Konsequenzen der Ostererzählungen des Neuen Testaments schließen ein Verständnis der Auferstehungswirklichkeit im Sinne Bultmanns somit kategorisch aus649, da dieses nicht von einer personalen, den Auferstehungsglauben erzeugenden Begegnung zwischen dem Auferstandenen und den Jüngern ausgeht, sondern die Jünger – und hier sei ein Rückbezug zur Auseinandersetzung Barths mit Bultmann vorgenommen – mit ihrem Auferstehungsglauben letztlich nun doch völlig allein waren.650 In gleicher Weise sei nach Ansicht Barths von jenen Interpretationen Abstand zu nehmen, die die Auferstehungsereignisse zugänglicher zu machen erhofften, indem sie (im Stil Pannenbergs) Theorien in Bezug auf die Auferstehungsleiblichkeit Christi651 oder ähnliche Aspekte aufstellten.652 Vielmehr seien alle Interpreten vor dem Hintergrund der herausgestellten Axiome sowie der barthschen Historizitäts- und Realitätsvorstellungen dazu angehalten, sich die Botschaft der biblischen Texte „sagen zu lassen“653 und sich im

643

Vgl. a.a.O., 371. Vgl. ebd. 645 Vgl. a.a.O., 373. 646 Vgl. a.a.O., 371. Barth weist im weiteren Verlauf seiner Ausführungen zudem darauf hin, dass auch eine entsprechende Kreuzesinterpretation, welche von der Auferweckung abstrahiert werde, nicht zielführend sei, da beide Aspekte stets in ihrer untrennbaren Beziehung zueinander zu deuten seien (vgl. Klappert, Diskussion, 128). 647 Barth, KD IV/1, 373. 648 Ebd. 649 Vgl. Barth, KD IV/1, 371 f. 650 Vgl. Barth, KD III/2, 534. 651 Vgl. Barth, KD IV/1, 377. 652 Vgl. ebd. 653 Ebd. 644

142

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Zuge ihrer eigenen Interpretationen an diesem Gesagten zu orientieren, ohne es mit Verweis auf seine vermeintliche Interpretationsbedürftigkeit durch Aussagen zu ersetzen, welche ihm faktisch nicht entsprechen.654 Eine derartige Auslegung führe zu der Erkenntnis, dass die Auferstehungserzählungen keineswegs beabsichtigen, die Entstehung des österlichen Glaubens per se zu bezeugen, sondern vielmehr auf seine Begründung durch den Auferstandenen und seine innerweltliche Begegnung mit den Jüngern abzielen, da erst er es ist, der sie letztlich von dem göttlichen und gottgewollten Heilsgeschehen zu überzeugen vermochte.655 Obgleich Barth hinsichtlich des Geschichtsbezuges der Auferstehung herausstellt, dass es sich bei ihr in der dargestellten Weise um ein raumzeitlich konstituiertes und von Menschen (als solches) erfahrbares, in der geschichtlichen Wirklichkeit geschehenes Ereignis handele, betont er, dass der Fokus hinsichtlich der Deutung ihrer umfassenden Wirklichkeit nicht auf rationalistische oder geschichtswissenschaftliche Erwägungen sowie Spekulationen über die Beschaffenheit der Auferstehungsleiblichkeit656 zu legen sei. Stattdessen solle die konkrete Begegnung des Auferstandenen mit den Jüngern „dort und damals“657 als ein Begegnungsgeschehen zwischen Mensch und Gott658 fokussiert werden, das per se nun gerade nicht in ihrem Glauben erfolgte, sondern vielmehr „im Konflikt mit ihrem Unglauben geschah“659, welchen es überwinden und beseitigen konnte. Dieses Begegnungsgeschehen, das von den Jüngern in Form von Erscheinungen erfahren wurde und sich noch vor der Entstehung ihres Glaubens an Jesus und in Bezug auf sein Dasein als der Lebendige in einer deutlichen Unterschiedenheit von ihrem eigenen Dasein nun gerade nicht durch oder aufgrund des Glaubens an

654

Vgl. ebd. Vgl. a.a.O., 376. 656 Vgl. a.a.O., 376 f. Von Spekulationen hinsichtlich der Auferstehungsleiblichkeit sei in diesem Zusammenhang nach Ansicht Barths auch deshalb Abstand zu nehmen, da diese die entscheidende Aussage der jeweils untersuchten Texte geradezu unkenntlich werden ließen (vgl. a.a.O., 377). Dies bedeutet jedoch nicht, dass Barth eine Auseinandersetzung mit der Auferstehungsleiblichkeit per se ausschließt, was daraus ersichtlich wird, dass er selbst sie in KD III/2 thematisiert (vgl. beispielsweise 537 f.). Dort interpretiert er die neutestamentlichen Leiblichkeitszuschreibungen hinsichtlich des Auferstehungsdaseins Christi insofern, als dass sie dazu dienen, die Identität des Gekreuzigten mit dem Auferstandenen hervorzuheben (vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 232) und zudem aufzuzeigen, dass die Auferstehungsereignisse gerade nicht Jesu Geist oder seine Seele in abstracto tangieren, sondern die „Seele seines Leibes“ (Barth, KD III/2, 537) und somit eben auch seinen Leib (vgl. ebd.). Etzelmüller knüpft an diese Ausführungen an, indem er darauf verweist, dass die Betonung der leiblichen Dimension des Auferstehungsgeschehens seines Erachtens nicht ausschließlich dazu diene, die auch in der Verwandlung bestehende Identität von Gekreuzigtem und Auferstandenem zu betonen, sondern auch deshalb vorgenommen wurde, um ihre Effektivität sowie die in diesem Zusammenhang vollzogene „Verherrlichung des Leibes“ (Etzelmüller, Ich lebe, 228) aufzuzeigen, an dem die besagte Verwandlung erst sichtbar werde (vgl. ebd.). 657 Barth, KD IV/1, 245. 658 Vgl. a.a.O., 377. 659 A.a.O., 376. 655

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 143

ihn abspielte, sondern vielmehr und deutlicher durch den Unglauben der Jünger bestimmt gewesen sei, erweist sich somit als ein inhaltlicher Kern der vierten These Barths und zugleich als offenkundiges Unterscheidungsmerkmal seiner Ausführungen gegenüber Konzeptionen im Stile Bultmanns.660 In seiner fünften Dimension greift Barth erneut den Zusammenhang von Kreuzesgeschehen und Auferstehungsereignissen auf, den er als eine Einheit zweier, sich in einer nicht umzukehrenden Abfolge aufeinander bezogener göttlicher Handlungen innerhalb der Geschichte versteht661, die – wie er darstellte – daraus resultiere, dass der „Lebende in allen Zeiten und Gestalten seines Lebens kein Anderer als der auf Golgatha einmal Gekreuzigte“662 sei. Beide Taten bilden in ihrer Einheit jene Heilsgeschichte, auf ebenwelche alles zuvor Geschehene hinstrebe und hindeute und von welcher alles sich später Ereignende herkomme und sein Zeugnis abliefere.663 Aus der untrennbaren Einheit beider Ereignisse ergebe sich ferner die praktische Implikation, dass man ihre beiden Momente stets vom je anderen her zu erklären habe, da man sie getrennt voneinander nicht angemessen bezeugen könne.664 Die Heilsbedeutung der Kreuzigung Jesu sei erst vor dem Hintergrund der Auferstehung zu erkennen und die Auferstehungsereignisse umgekehrt erst im Zusammenhang mit dem Gehorsamswerk des Todes Jesu am Kreuze665 als das Gnadenwerk, aus dem das Leben für alle Menschen hervorgehe, zu verstehen, das jenes „ein für allemal vollstreckte Versöhnungs- und Heilsgeschehen“666, das im Kreuze vollzogen wurde, offenbare.667 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Auferstehung für Barth ein mit dem Kreuzesgeschehen in vielfacher Weise verbundenes, aber ihm gegenüber dennoch neues, eschatologisches Handeln Gottes an seinem Sohn ist, im Zuge dessen er ihm als dem Hingerichteten recht gibt.668 Als derartige Tat sei sie einer geschichtswissenschaftlichen Untersuchung prinzipiell nicht in gleicher Weise zugänglich wie etwa die Kreuzigung, da sie die geschichtswissenschaftliche Kategorie der Geschichte sprenge und ausgehend von ihr entsprechend nicht angemessen oder gar hinlänglich charakterisiert werden könne.669 Nichtsdestotrotz habe sich die Auferstehung in Zeit und Raum und gegenüber konkreter

660

Vgl. a.a.O., 376–378. Vgl. Klappert, Diskussion, 128. 662 Barth, KD IV/1, 379. 663 Vgl. ebd. Diese Erkenntnis ermögliche und gebiete es dem Menschen ferner, auch die ihn umgebende und als solche wahrnehmbare Geschichte nicht als eine Unheilsgeschichte, sondern stattdessen als Heilsgeschichte zu verstehen (vgl. a.a.O., 252), was die Entstehung einer neuerlichen Wertschätzung der derart umperspektivierten Kategorie der Geschichte begünstigen kann. 664 Vgl. ebd. 665 Vgl. Klappert, Diskussion, 127. 666 Barth, KD IV/1, 378. 667 Vgl. ebd. 668 Vgl. Klappert, Diskussion, 106. 669 Vgl. ebd. u. Barth, KD IV/1, 370. 661

144

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Personen670 als ein so definiertes „wirkliche[s] Geschehen“671 und ein „Ereignis von gegenständlichem Gehalt“672 in der Gestalt einer exemplarischen und eigentlichen, ursprünglichen Offenbarungstat ereignet673, das in die derart umperspektivierte Dimension der Geschichte hineinrage und somit einen „schmalen ,historischen‘ Rand“674 aufweise, der der geschichtswissenschaftlichen Forschung (unter der Berücksichtigung der genannten Einschränkungen) zugänglich sei.675 Die Entstehung des Glaubens an die Auferstehung sowie ihre Verkündigung durch die Jünger resultiere nach Ansicht Barths ferner aus deren Begegnung mit dem Auferstandenen in der von ihnen wahrnehmbaren, geschichtlich konstituierten Wirklichkeit.676 Hier sei jedoch stets zu bedenken, dass nicht die Frage nach der Entstehung des Glaubens an die Auferstehung als solche, sondern die diesen Glauben hervorbringende Begegnung mit dem Auferstandenen im Fokus der Auferstehungserzählungen stehe677, sodass Barth im unübersehbaren Kontrast zu Bultmann festhalten kann: „Jesus selber ist auferstanden und seinen Jüngern erschienen und dies ist der Inhalt der Ostergeschichte, der Osterzeit, des christlichen Glaubens und der christlichen Verkündigung.“678 Anhand dieser (auf den Historizitäts- und Realitätsvorstellungen Barths beruhenden) Beurteilung der Auferstehung dürfte deutlich geworden sein, dass seine Umperspektivierung der Kategorie der Geschichte nicht nur seine Wahrnehmung der Grableerfindungsperikopen, sondern auch seinen Umgang mit der Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung maßgeblich prägte. Konkret äußert sich dies darin, dass sowohl die Grableerfindungsperikopen und ihr Gegenstand als auch die Thematisierung des Geschichtsbezuges der Auferstehungsereignisse bei Barth eine neue Wertschätzung erfahren und dass sie in ihrer Relevanz hervorgehoben werden, ohne dass dies (wie bei Pannenberg) damit begründet wird, dass sie als Beweise für die Auferstehung verstanden worden wären. Vielmehr scheint bei Barth die Vorstellung im Vordergrund zu stehen, dass sowohl die Grableerwerdung als auch der Geschichtsbezug der Auferstehungsereignisse untrennbar mit der Auferstehung als solcher verbunden seien, was angesichts ihres einzigartigen Wirklichkeitscharakters zur Neuperspektivierung der Kategorie der Geschichte auffordert. Diese sei auch deshalb nötig, da ihr Interpret sich in Auseinandersetzung mit ihr zweifellos der Grundsatzfrage gegenübergestellt sehe, ob man 670

Vgl. Klappert, Diskussion, 106. Barth, KD IV/1, 371. 672 A.a.O., 368. 673 Vgl. a.a.O., 336. Theißen und Merz verweisen hinsichtlich des barthschen Verständnisses der Auferstehung als göttliche Offenbarung darauf, dass sie bei ihm auch als ein „Paradigma für Offenbarung überhaupt“ (Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 442) bezeichnet werden könne. 674 Barth, KD III/2, 535. 675 Vgl. Klappert, Diskussion, 106. 676 Vgl. Barth, KD III/2, 534. 677 Vgl. Barth, KD IV/1, 376. 678 Barth, KD III/2, 534. 671

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 145

„ein angeblich in der Zeit geschehenes Ereignis dann und nur dann als wirklich geschehen anerkennen kann“679, wenn durch geschichtswissenschaftliche Erkenntnisbemühungen (mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit) die Aussage getroffen werden kann, dass es sich bei ihm um „ein historisches Faktum“680 (sensu Pannenberg) handele.681 Die (von einer Mehrdimensionalität der Geschichte ausgehende) Neuperspektivierung erlaubt es Barth, an der neutestamentlichen Grableerfindung und an der Existenz eines Geschichtsbezuges der personenhaften Begegnungen des Auferstandenen mit seinen Jüngern festzuhalten und ihnen nicht (noch vor allen theologischen Erwägungen) weltbildhaft begründet jede Plausibilität abzusprechen, ohne dass sie dafür am Maßstab der geschichtswissenschaftlichen Kategorie der Geschichte bemessen und ausgehend von diesem als historische Ereignisse ausgewiesen werden müssen.

II.3.2 Die Auferstehung und das Paradigma der Natur (Jürgen Moltmann) Eine Beurteilung der Auferstehung anhand ausschließlich geschichtswissenschaftlicher Kategorien lehnt neben Karl Barth auch Jürgen Moltmann ab, der die Fragen nach dem Vorhandensein und der Ausgestaltung eines Geschichtsbezuges der Auferstehung innerhalb seines Werkes Der Weg Jesu Christi insofern modifiziert, als dass auch er nicht im Stile Pannenbergs untersucht, ob die Auf-

679

Ebd. Barth, KD III/2, 535. 681 Im Rahmen dieses Buches erfolgt keine eingehende kritische Auseinandersetzung mit den vorgestellten Ansätzen Barths und/oder mit den nachfolgend thematisierten Thesen Moltmanns und Ringlebens, da hier lediglich ein allgemeiner Überblick darüber gewährt werden soll, wie systematisch-theologische Neuperspektivierungen der Kategorie der Geschichte ausgestaltet wurden und auf welchen Prämissen sie beruhen. Anstelle einer kritischen Auseinandersetzung mit all diesen exemplarisch dargestellten Ansätzen sei jedoch – sowohl zur Vertiefung der Konzeption Barths als auch zur Hinführung auf die nachfolgend erläuterten Ansätze Moltmanns – auf ebendessen kritische Auseinandersetzung mit den Darstellungen Barths verwiesen, welche Moltmann in seinem Weg Jesu Christi entfaltet (vgl. v.a. 252–254). Moltmann weist hier darauf hin, dass die barthsche Fokussierung auf die „vertikale Frage nach der Wirklichkeit Gottes“ (a.a.O., 252) seines Erachtens dazu führte, dass durch Barth eine Reduzierung der endzeitlichen Wirklichkeit der Totenauferweckung „auf die ewige Gegenwart des ganz anderen Gottes“ (ebd.) erfolgte. Dadurch wiederum käme ausschließlich die Vorstellung der göttlichen Selbstoffenbarung zur Geltung (vgl. a.a.O., 253). Zudem weist Moltmann darauf hin, dass die Auferstehung als solche innerhalb der Konzeption Barths erst einmal nichts Neues hervorbrächte und die in Jesu Tod bereits vollbrachte Versöhnung Gottes mit der Welt nicht vervollständigte, sondern sie lediglich erkennbar machte (vgl. ebd.). Außerdem führt er aus, dass die Auferstehung in der barthschen Deutung kein eschatologisches Geschehnis wäre, sondern lediglich „die transzendente Bestätigung der Heilsbedeutung des Kreuzes“ (a.a.O., 254), welcher per se keine eigene Heilsbedeutung mehr zugesprochen werden könnte. 680

146

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

erstehung als historisches Ereignis zu bezeichnen sei, sondern im Gegenteil hinterfragt, welches Geschichts- und Weltverständnis ausgehend von Jesu Auferstehung erschlossen werden könne.682 Das von dieser Frage ausgehende Geschichtsverständnis Moltmanns, das er auch im Zuge seiner Auferstehungsinterpretation voraussetzt, wird im Folgenden skizziert, wobei (dem Aufbau seiner Ausführungen folgend) zuerst seine Kritik am modernen Geschichtsverständnis und explizit an den Axiome Troeltschs umrissen wird. Daran schließt sich eine Darstellung elementarer Aspekte seiner eigenen Konzeption an, die sowohl eine Neuperspektivierung des modernen Geschichtsbegriffs als auch seine Erweiterung durch das sogenannte Paradigma der Natur beinhaltet. Die Rückschlüsse, die aus diesen Ausführungen hinsichtlich der Grableerfindung und dem Geschichtsbezug der Auferstehung gezogen werden, schließen dieses Teilkapitel ab, wobei die moltmannsche Erläuterung des Paradigmas der Natur in besonderer Weise fokussiert wird.683 a) Kritische Reflexion des modernen Geschichtsbegriffs In Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehungsereignisse widmet sich Moltmann eingangs dem (durch die angesprochene analytische Rationalität geprägten)684 verbreiteten neuzeitlichen Geschichtsbegriff, um zu verdeutlichen, dass dieser aufgrund seiner methodischen und weltanschaulichen Prämissen zur Beurteilung der umfassenden Realität der Auferstehung ungeeignet sei, ehe er ihn seinen eigenen Vorstellungen entsprechend modifiziert. Dazu verweist er zunächst auf die Ursprünge des in den Geschichtswissenschaften vorausgesetzten „Paradigma[s] der ,Geschichte‘“685, welches in Europa seit dem 17. Jahrhundert zur Weltdeutung sowie explizit zur Deutung Gottes, des Menschen und der Natur entwickelt wurde und mit dessen Verbreitung (aufgrund des in ihm angelegten Verständnisses der Zeit als „Linie menschlicher Ziele und Zwecke“686) eine zunehmende Distanzierung von den zuvor relevanten, urtümlichen „Gesetzen des Kosmos“687 erfolgte. Die Entstehung dieses Paradigmas sei in den Ausdehnungen der menschlichen Herrschaft über die Umwelt sowie in der europäischen Herrschaft über andere Volksgruppen zu begründen, da diese mit einem Bestreben nach Vereinheitlichung einhergingen, das die kulturelle Vielfalt und die in ihr inhärenten, diversen Vorstellungen von Zeit und Geschichte 682

Vgl. Härle, Wiederentdeckte Wurzeln, 26. Hinsichtlich der nicht eigens thematisierten moltmannschen Rekonstruktion der Osterereignisse sowie der von ihm herausgestellten Charakteristika der Erscheinungen des Auferstandenen und ihrer prospektiven, retrospektiven und reflexiven Dimensionen sei bei Interesse auf deren Darstellungen in Moltmann, Der Weg (vgl. v.a. 237–242) verwiesen. 684 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 685 Moltmann, Der Weg, 249. 686 Ebd. 687 Moltmann, Wer ist Christus, 68. 683

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 147

tangiert und sich in der verbreiteten Etablierung der einen modernen Vorstellung von der Geschichte realisiert habe.688 Das entstehende „historische Bewusstsein“689 der Menschen und die aus ihm erwachsenden, modernen Geschichtswissenschaften690 seien ferner von der Annahme geprägt worden, dass „die Gegenwart von Vergangenem“691 in eine zeitliche Distanz zu bringen sei, wodurch das Vergangene historisiert werden könne und eine Befreiung der Gegenwart von den Vorurteilen und -entscheidungen der Tradition ermöglicht werde. Folglich seien die „Ereignisse der Vergangenheit“692 zunehmend als vergangene Ereignisse betrachtet worden, die als solche keine gegenwartsbestimmende Qualität aufwiesen und auch nicht zukunftsrelevant seien.693 Zudem sei die (an den modernen Geschichtswissenschaften orientierte) konventionelle Geschichtsschreibung darauf ausgerichtet, große Zusammenhänge zu erfassen, Phänomene vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen zeitgeschichtlichen Hintergründe darzustellen und sie für die je gegenwärtigen Rezipienten aufzubereiten, womit einhergehe, dass sie gewisse Vorstellungen des Geschichtsganzen konstruieren und vermitteln müsse.694 Auf diese Weise erschaffe sie eine „,Theorie der Wirklichkeit im Ganzen‘, sofern sie in Geschichte begriffen ist.“695 Die Auferstehung könne einem derartigen Paradigma entsprechend nur als ein Erzeugnis der Fantasie oder als ein „irrelevantes Mirakel“696 beurteilt werden, dem (ungeachtet der historischen Beweislage697) als vergangenes Ereignis, das mit fortschreitender Zeit in eine zunehmende Ferne rücke, keine gegenwärtige Relevanz zugesprochen werden könne.698 Anhand der auf dem genannten Para-

688 Vgl. Moltmann, Der Weg, 250. Mit diesem Singular scheint Moltmann auf die im Volksmund geläufige, mitunter nicht trennscharf oder überhaupt definierte Verwendung des Begriffs der Geschichte anzuspielen, welcher meist herangezogen wird, um die Gesamtheit all jener Begebenheiten zu bezeichnen, die anhand geschichtswissenschaftlicher Maßstäbe mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als historische Ereignisse ausgewiesen werden können. 689 Ebd. 690 Vgl. ebd. 691 Moltmann, Wer ist Christus, 68. 692 Ebd. 693 Vgl. a.a.O., 68 f. 694 Vgl. Moltmann, Der Weg, 256. Gemeint ist mit den Wendungen des Geschichtsganzen beziehungsweise des Ganzen der Geschichte oder der Wirklichkeit hier und im nachfolgenden Satz die Konstruktion eines Wirklichkeits- beziehungsweise eines Geschichtskonzeptes, das auf die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension des jeweiligen Konstruktes reduziert bleibt. 695 Moltmann, Der Weg, 256 f. 696 A.a.O., 250. 697 Die Wendung der historischen Beweislage (vgl. ebd.) beschreibt wohl die Gesamtheit der im Blick auf den untersuchten Gegenstand anzuführenden, durch geschichtswissenschaftliche Rückfragen zu gewinnenden (Wahrscheinlichkeits)urteile und Informationen in Bezug auf seinen Geschichtsbezug. 698 Vgl. ebd. u. Moltmann, Wer ist Christus, 68 f.

148

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

digma beruhenden Axiome Troeltschs werde nach Ansicht ihrer Verfechter zudem – wie gezeigt – deutlich, dass Jesu Auferstehung durch die Erkenntnisbemühungen der modernen Geschichtswissenschaften nicht erfasst werden könne und dass sie daher ebenso wie ein etwaiges Agieren einer transzendenten Gottheit in der Geschichte als unmöglich anzusehen sei.699 Mit der Verbreitung dieser Annahmen im Zuge der Ausbreitung des besagten Paradigmas wurde dem Auferstehungsglauben somit das Vertrauen auf die Verankerung in der (mit empirisch-geschichtswissenschaftlichen Mitteln als solche ausweisbaren) Geschichte entzogen.700 Damit sei die (mit der Darstellung ihrer Begründungszusammenhänge beauftragte) christliche Theologie „in die apologetische Defensive gedrängt“701 worden. Nach Ansicht Moltmanns habe dies wiederum dazu geführt, dass viele Theologen, wie etwa Pannenberg, sich dazu veranlasst sahen, die Sinnhaftigkeit und Begründung des christlichen Glaubens in Auseinandersetzung mit den modernen Geschichtswissenschaften herauszustellen, was davon zeuge, dass sie stillschweigend anerkannten, dass der Geschichtsbezug eines Ereignisses anhand des neuzeitlich-geschichtswissenschaftlichen Paradigmas adäquat oder überhaupt zu beurteilen sei.702 Moltmann grenzt sich von derartigen Bemühungen ab, da es seines Erachtens vielmehr geboten sei, grundsätzlich zu hinterfragen, inwiefern die modernen Geschichtswissenschaften, die den Diskurs um den Geschichtsbezug der Auferstehung maßgeblich mitprägen703, überhaupt dazu befähigt seien, Urteile über diesen (und diese im Allgemeinen) zu treffen. Er selbst beurteilt diese Befähigung augenscheinlich als nicht gegeben704, da auch er die Auferstehungsereignisse (in ähnlicher Weise wie Barth) als ereignishafte, eschatologische, jede menschliche Beteiligungen entbehrende Gottestaten versteht, die entsprechend eine vom Kreuzestod Jesu kategorial zu unterscheidenden Wirklichkeit aufweisen und in ihrer umfassenden Realität nicht hinlänglich durch geschichtswissenschaftliche Rückfragen erfasst werden können.705 Dies spiegele sich bereits im Selbstanspruch der neutestamentlichen Auferstehungsbezeugungen wider; so zielen diese nun nicht ausschließlich darauf ab, als retrospektive Beschreibungen vergangener Geschehnisse oder als ihre erinnernde Vergegenwärtigung wahrgenommen zu werden706, sondern auch darauf, als „verheißungsgläubige Histographie[n]“707 im Sinne Zimmerlis verstanden zu werden, welche den (im Rahmen der moltmann-

699

Vgl. Moltmann, Wer ist Christus, 69. Vgl. Moltmann, Der Weg, 250. 701 Ebd. 702 Vgl. a.a.O., 250 f. 703 Vgl. ebd. 704 Vgl. Moltmann, Wer ist Christus, 70 f. 705 Vgl. Moltmann, Der Weg, 236. 706 Vgl. Klappert, Diskussion, 28 f. 707 Vgl. ebd., mit Verweis auf Zimmerli, Verheißung und Erfüllung, 89 f. 700

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 149

schen Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs höchst relevanten) Zukunftsbezug der thematisierten vergangenen Ereignisse aufzudecken vermögen.708 Die Annahme der notwendigen Existenz dieses Zukunftsbezuges resultiert aus der (der moltmannschen Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs zugrundeliegenden) Vorstellung, dass alle Vergangenheit zuvor einmal eine aktuelle Gegenwart gewesen sei, die als solche wiederum im Rahmen ihrer je eigenen Zukunftsprojektionen existiere. Jede Gegenwart gehe nun hinwieder aus den Zukunftshoffnungen vergangener Gegenwarten hervor709, weshalb eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach bereits vergangenen Ereignissen diese in ihrer komplexen Wirklichkeit nicht erfassen könne, sofern sie ausschließlich danach frage, „wie es denn eigentlich gewesen ist“710, und in Orientierung an dem besagten Paradigma voraussetze, dass vergangenen Ereignissen kein gegenwartsbestimmender Charakter und erst recht keine Zukunftsrelevanz zugesprochen werden können.711 Darüber hinaus distanziert sich Moltmann allerdings auch deshalb davon, den Geschichtsbezug der Auferstehungsereignisse am Maße der (durch die modernen Geschichtswissenschaften definierten) Kategorie der Geschichte zu messen, da ein derartiges Vorgehen dazu beitrüge, dass die Aspekte der (mit dem eschatologischen Auferstehungsgeschehen einhergehenden) beginnenden Neuschöpfung und der „Vernichtung des Todes“712 unterbestimmt blieben, und ferner in nicht angemessener Weise missachtet werde, dass es sich bei den Auferstehungsereignissen um „das Ende der Geschichte“713 handele, was zur Neuperspektivierung konventioneller Geschichtsbegriffe nötige. Ein angemessenes Verständnis der besagten eschatologischen Aspekte innerhalb der Grenzen des Konzepts der (geschichtswissenschaftlich als solche definierten) Geschichte sei ferner nicht möglich, ohne dass eine Auflösung der Geschichte in die Ewigkeit erfolge oder eine Überholung der Eschatologie durch die Geschichte stattfinde.714 Aus diesen Erwägungen schlussfolgert Moltmann, dass es nicht sinnvoll sein könne, die Auferstehungsereignisse ausgehend von geschichtswissenschaftlichen Maßstäben – wie etwa einer unmöglich zu erweisenden Zugehörigkeit zur geschichtswissenschaftlich definierten Kategorie der Geschichte – zu untersuchen, sondern dass die Geschichte vielmehr ausgehend von „der Perspektive der Auferstehung“715 zu betrachten und umzuperspektivieren sei, was notwendig mit

708

Vgl. Moltmann, Wer ist Christus, 68. Vgl. Moltmann, Der Weg, 262. 710 A.a.O., 262 f. 711 Vgl. Moltmann, Wer ist Christus, 68 f. 712 Moltmann, Der Weg, 236. 713 Ebd. 714 Vgl. ebd. Leider definiert Moltmann nicht näher, was er hier unter dem Begriff der Geschichte versteht. Es kann gemutmaßt werden, dass er auf ein Verständnis der Geschichte im von ihm umperspektivierten Sinne abzielt. 715 A.a.O., 249. 709

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

einer Thematisierung eschatologischer Fragestellungen, wie denen nach der endzeitlichen Neuschöpfung oder nach „dem Ende der Geschichte“716, einhergehe. b) Kritik an den Axiomen Ernst Troeltschs In Ergänzung zu den dargestellten Erwägungen seien nachfolgend wesentliche Gedankengänge der Auseinandersetzung Moltmanns mit den in Kapitel II.1.5 thematisierten Axiomen Ernst Troeltschs dargestellt, um den gewonnenen Eindruck von seinen Historizitäts- und Realitätsvorstellungen zu konkretisieren und gleichsam eine Erweiterung der kennengelernten kritischen Auseinandersetzungen Pannenbergs mit den besagten Axiomen vorzunehmen. Der Aufbau dieses Kapitels folgt dabei den Darstellungen Moltmanns, die wiederum an der Reihenfolge der troeltschen Axiome orientiert sind. Dementsprechend eröffnet Moltmann seine Darstellungen mit einer Bezugnahme auf das erste troeltsche Axiom, die er mit einer allgemeinen Einschätzung des Wesens geschichtswissenschaftlicher Wahrscheinlichkeitsurteile einleitet. Moltmann weist hier darauf hin, dass diese weder zur Erweckung eines Auferstehungsglaubens taugen noch in adäquater Weise zur Beurteilung der Auferstehungsereignisse herangezogen werden können.717 Letzteres sei bereits darin zu begründen, dass eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage und das in ihr vollzogene Treffen von Wahrscheinlichkeitsurteilen einzig anhand von „,Geschichte als Erinnerung‘“718 vollzogen werden könne und die Auferstehungsereignisse entsprechend nur in eingeschränkter Weise als ihr Gegenstand fungieren können, da bekanntlich lediglich die Auswirkungen der Christuserscheinungen und die Grableerfindung auf Erinnerungen verweisen und somit nur sie ihr als (so verstandene) historisch feststellbare Geschehnisse zugänglich scheinen. Für den konkreten „Vorgang der Auferstehung“719 können dementgegen keine Zeugen und deren Erinnerungen herangezogen werden. Entsprechend sei „der Erwartungshorizont der Totenauferstehung […] größer als der Erinnerungsraum an den Ursprung des christlichen Auferstehungsglaubens.“720 Ungeachtet dieser Überlegungen und der in ihnen deutlich werdenden Relativierung der Relevanz und Aussagekraft von Wahrscheinlichkeitsurteilen schließt Moltmann seine Argumentation nichtsdestotrotz mit einem Verweis darauf, dass Glaubensurteile innerhalb der Geschichtsreligionen geschichtswissen-

716

Ebd. Vgl. a.a.O., 265. 718 Ebd. 719 Ebd. 720 A.a.O., 265 f. Moltmann weist zudem darauf hin, dass „der Erinnerungsraum der urchristlichen Auferstehungszeugnisse“ (a.a.O., 266) umfassender sei als der Bereich der Geschichtswissenschaften und der durch sie hervorgebrachten Erkenntnisse, was er jedoch nicht eingehender erläutert. Es ist denkbar, dass er darauf anspielt, dass die neutestamentlich bezeugten Erinnerungen an die eschatologischen Auferstehungsereignisse durch geschichtswissenschaftliche Rückfragen in ihrem Aussagegehalt nicht hinlänglich erfasst werden können. 717

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 151

schaftliche Urteile notwendig machen721 – eine Grundannahme, die ihn dazu veranlasst haben könnte, die Kategorie der Geschichte neuzuperspektivieren, anstatt ihr ihre Relevanz in Bezug auf die Auferstehungsereignisse pauschal abzusprechen. Des Weiteren thematisiert Moltmann das troeltsche Axiom des notwendigen Bestehens einer „Wechselwirkung zwischen den Erscheinungen des geschichtlichen Lebens“722, dessen Geltung er insofern beschränkt, als dass es seines Erachtens nur auf jene Prozesse anzuwenden sei, die zum vielfältigen „Netzwerk des Lebendigen“723 zählen. Somit vermöge es den Tod als den „Abbruch des Lebens“724 samt seiner Wechselwirkungen und auch alles weitere postmortale Geschehen nicht zu erfassen. Moltmann versteht Jesu eschatologische Auferstehung (als Teil ebendieses Geschehens) jedoch nicht als eine irrationale Ausnahme von dem Wechselwirkungsaxiom, sondern vielmehr als den „Anfang der Aufhebung der Sterblichkeit alles geschichtlichen Lebens in die unsterbliche Wechselwirkung der ewigen Gegenwart Gottes.“725 Ein derartig in seiner Geltung eingeschränktes Verständnis des Wechselwirkungsaxioms berücksichtige nach Ansicht Moltmanns konsequent, dass die Geschichte nicht nur durch die Wechselwirkungen der sich in ihr vollziehenden Geschehnisse und durch den „Produktionsprozess des unerschöpflichen Lebens“726, sondern eben auch durch ihre Abbrüche und durch den „Destruktionsprozess des unersättlichen Todes“727 geprägt sei. Entsprechend sei ein Welt- und Geschichtsverständnis, das den Faktor des Todes im Sinne des thematisierten Axioms unberücksichtigt lasse, als illusorisch zu bezeichnen728, wohingegen Moltmann seine eigene Konzeption und den aus ihr hervorgehenden Umgang mit geschichtswissenschaftlichen Axiomen als angemessener beurteilt, da sein Ansatz nicht nur dazu führe, dass die „Geschichte des Todes“729 wahrgenommen werde, sondern auch die Aspekte der Auferstehungshoffnung und der (den Toten wie den Lebendigen zugesprochenen) Gerechtigkeit730 zur Geltung bringe. 721

Vgl. ebd. Ebd. 723 Ebd. 724 Ebd. 725 Ebd. Mit der Bezeichnung des geschichtlichen Lebens scheint Moltmann hier auf alles Lebendige und so der Vergänglichkeit Unterworfene abzuzielen, das als solches in der von Menschen erfahrbaren Geschichte wahrnehmbar ist. 726 Ebd. 727 Ebd. 728 Vgl. ebd. Die Vorstellung, dass der Aspekt des Todes im Rahmen von Untersuchungen der Kategorien der Zeit und der Geschichte zwingend zu berücksichtigen sei, findet sich auch bei Kiauka, der dies darin begründet, dass jeder Interpret diese Kategorien angesichts seiner eigenen vergänglichen Konstitution konstruiert und seine Erkenntnisbemühungen folglich stets „in und aus endlicher Zeit“ (Kiauka, Zeit und Theologie, 119) vollzogen werden, was sie erheblich prägt (vgl. ebd.). 729 Moltmann, Der Weg, 266. 730 Vgl. ebd. 722

152

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Selbstverständlich findet auch das troeltsche Axiom der notwendigen Analogisierbarkeit aller geschichtlichen Phänomene bei Moltmann Beachtung. Dieses widerlegt er ebenfalls nicht gänzlich, sondern relativiert es (ausgehend von der von ihm vorausgesetzten „Perspektive der Auferstehung“731) in Bezug auf seine Geltung, indem er darauf verweist, dass die Analogie als solche grundsätzlich nur als „Ergebnis des historischen Verstehens“732 und nicht als ihr Ausgangspunkt zu betrachten sei. Diese Erkenntnis sei deshalb von Relevanz, weil geschichtswissenschaftliche Erkenntnisbemühungen meist durch eine Entdeckung des beziehungsweise durch Begegnungen mit dem Anderen, bislang Fremden initialisiert werden, die sich als bereichernd erweisen können. Eine ausschließlich auf die Herstellung von Analogien abzielende Vorgehensweise untergrabe dieses Potenzial jedoch, da derjenige, der bestehende Entsprechungen zum Ausgangspunkt seiner Annäherung an das Unbekannte mache, in diesem letztlich doch eben nur sich selbst finde, weil er sich und seine Grundannahmen auf der Suche nach Analogien in das Unbekannte hineinprojiziere.733 Zu problematisieren sei nach Ansicht Moltmanns zudem, dass Gleichartiges ausschließlich vom schon Gleichen erkannt werde, wodurch seines Erachtens kein neuer Zugewinn (an Erkenntnis) zu erreichen wäre.734 Dies impliziert – auch wenn Moltmann es nicht explizit thematisiert – die kritikwürdige Einsicht, dass die Frage, ob ein Geschehnis als historisches Ereignis beurteilt werden könne, ausgehend von dem besagten Axiom letztlich in Abhängigkeit von dem wenig aussagekräftigten Umstand beantwortet wird, ob die jeweiligen Interpreten anhand ihrer eigenen, selektiven Erfahrungen Analogien zu ihnen bekannten Geschehnissen herzustellen vermögen. Über die genannten Aspekte hinausgehend weist Moltmann zudem darauf hin, dass die von Troeltsch vorausgesetzte „Allmacht der Analogie“735 letztlich zu einer Vergleichgültigung allen Geschehens und seiner je eigenen Individualität führe, die wiederum jedes wahrhaftige Interesse und jede Neugierde an/in Bezug auf die Geschichte erheblich einschränke und die Erlangung eines echten Erkenntnisgewinns behindere, da ein solcher auf eine gewisse Bereitschaft dazu, auch Fremdartiges wahrzunehmen, angewiesen sei.736 Gerade Wahrnehmungen, die dem interpretierenden Subjekt vorerst fremd erscheinen und die von ihm die Bereitschaft einfordern, sich und seine Vorannahmen im Aufeinandertreffen mit dem je anderen einer Veränderung zu unterziehen, seien somit von großer Relevanz und nicht pauschal unter Berufung auf vermeintlich allmächtige Analogie-

731

Ebd. Ebd. Mit der Wendung des historischen Verstehens scheint Moltmann hier den Vollzug geschichtswissenschaftlicher Rückfragen und die Auswertung ihrer Ergebnisse zu beschreiben. 733 Vgl. Moltmann, Der Weg, 266. 734 Vgl. a.a.O., 266 f. 735 Troeltsch, Über historische und dogmatische Methode, 5. 736 Vgl. Moltmann, Der Weg, 267. 732

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 153

prinzipien737 aus dem Geschichtlichkeitsdiskurs auszuschließen. Dies gelte insbesondere deshalb, da durch die besagten Analogien geschichtswissenschaftlich gar nichts erkennbar sei, weil sie die Vergangenheit lediglich dem „Kulturabsolutismus der Gegenwart“738 unterwerfen. Von diesen Kritikpunkten abgesehen, sei die besagte Allmachtszuschreibung allerdings auch sachlich unangemessen, da die Auferstehung die Gotteserkenntnis – auch in der Wahrnehmung des verstorbenen Christus innerhalb Gottes ewiger Lebendigkeit, welche die ursprünglichste und tiefgreifendste Erkenntnisform Gottes als des gänzlich Anderen sei739 – tangiere. Diese stelle die Bedingung dafür dar, dass „die heilenden Analogien zu Gott im lebendigmachenden Geist wahrgenommen“740 werden können, die Moltmann sich augenscheinlich nicht so vorstellt, wie die konventionellen und für Jedermann unmittelbar erkennbaren Analogien historischer Ereignisse im Sinne Troeltschs.741 Wie bereits hinsichtlich seiner Umperspektivierung des Wechselwirkungsaxioms festgestellt, wird auch hier somit erkennbar, dass Moltmann den Axiomen Troeltschs nicht grundlegend jede Geltung abspricht, sondern dass er vielmehr aufzeigt, dass diese zwar gegeben, aber durchaus beschränkt sei und dass auch das Analogieaxiom daher keinen Allmachtsanspruch hinsichtlich einer Zuschreibung von Geschichtlichkeit erheben könne. Zur Ergänzung dieser Untersuchung der troeltschen Axiome beleuchtet Moltmann abschließend die ihnen zugrundeliegende Prämisse, dass es sich beim Menschen um das alleinige „Subjekt der Geschichte“742 handele, welche ausgehend von einem fraglichen neuzeitlichen Herrschaftsanspruch entstanden und seines Erachtens abzulehnen sei, weil die Geschichte zwingend mehr als nur ein einziges Subjekt aufweise, da sie eben nicht ausschließlich aus den Entscheidungen und Erfahrungen der Menschen, sondern eben auch aus verschiedenen Wechselwirkungen und Interaktionsprozessen bestehe.743 Sofern die Geschichte als ein Gefüge verschiedener, zwischen der Natur und der Kultur aufgespannter Wechselwirkungen verstanden werde, sei „die Idee des Zentrismus“744 folglich aufzugeben, was auch die Frage, ob Gott oder der Mensch in einer konkreten, als ge-

737

Vgl. ebd. Ebd. Die negativen Folgen einer ausschließlichen Anerkennung und Toleranz des bereits Bekannten werden nach Ansicht Moltmanns ferner anhand der (in der Vergangenheit in Begegnungssituationen zwischen verschiedenen Menschengruppen vollzogenen) Verbreitung einer monoton-homogenen, westlich geprägten Kultur sowie in der mit dieser des Öfteren einhergehenden „Zerstörung der fremden Kulturen“ (ebd.) ersichtlich. 739 Vgl. a.a.O., 267 f. 740 Ebd. 741 Vgl. ebd. 742 A.a.O., 268. 743 Vgl. ebd. Die besagten Wechselwirkungen und Interaktionsprozesse tangieren (gemäß der dargestellten Grundannahmen Moltmanns) immer auch die Geschichte der Natur als die der Mitschöpfung des Menschen (vgl. ebd.). 744 Ebd. 738

154

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

schichtlich verstandenen Situation das Subjekt sein könne, gegenstandslos mache, da die Geschichte vielmehr als das sich zwischen der Menschheit und Gott Ereignende zu verstehen sei.745 Wie anhand seiner Kritik am modernen Geschichtsbegriff ersichtlich wurde, so zeigt sich nun auch in seiner Auseinandersetzung mit den Axiomen Troeltschs, dass Moltmann grundsätzlich von einer Mehrdimensionalität der Geschichte und der ihr zuzuordnenden – durch diese Zuordnung als geschichtlich qualifizierten – Begebenheiten ausgeht, die nicht in ihrer empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension aufgeht. Moltmanns kritische Auseinandersetzung mit dem besagten Geschichtsbegriff (unter Einbeziehung seiner Entstehungsbedingungen) zeigt ferner, dass er keineswegs alternativlos ist, sondern im Gegenteil – wie anhand des Rückbezugs zu gewaltsamen Kulturbegegnungen verdeutlicht wurde – mitunter schädliche Folgen hervorbrachte und vielfältige Aspekte der menschlichen Wirklichkeitsund Geschichtserfahrung abblendet. Ferner wird erkennbar, dass Zuschreibungen von Geschichtlichkeit im Allgemeinen nicht nur in der Sache begründet liegen, sondern auch erheblich von den Vorgehens- und Erfassungsmöglichkeiten der modernen Geschichtswissenschaften abhängig sind. Inwiefern Moltmann den vielfach kritisierten Geschichtsbegriff nun umperspektiviert und wie diese Perspektivänderung mit seinem Verständnis der Auferstehungs- und explizit der Grableerfindungsereignisse zusammenhängt, wird im Folgenden skizziert. c) Die Neuperspektivierung des modernen Geschichtsbegriffs Vor dem Hintergrund der Prämisse, dass die Zeit, von der alle raumzeitlich-geschichtlich verfassten Begebenheiten abhängig seien, ausschließlich innerhalb der „Differenz zwischen Vergangenheit und Zukunft“746 existiere, entfaltet Moltmann in Abgrenzung zum modernen Geschichtsbegriff seine Vorstellung von Geschichtlichkeit. Dabei geht er grundsätzlich davon aus, dass die „Gegenwart der Vergangenheit“747 innerhalb von Erinnerungen und Erfahrungen und die „Gegenwart der Zukunft“748 wiederum in den Hoffnungen und Erwartungen der Menschen präsent seien. Wenngleich diese Einsichten im modernen Geschichtsbegriff unberücksichtigt blieben, prägen sie die menschliche Wahrnehmung der Geschichte stark, da die „Erinnerungen an gemachte Erfahrungen“749 verloren 745 Vgl. ebd. Dass Moltmann die Dimension der Natur dabei stets mitdenkt, wird im zweiten Teil seiner Definition der Geschichte deutlich. So handele es sich bei dieser eben auch um „die Gemeinschaft von Mensch und Natur und [um] die Gemeinschaft des MenschNatur-Verhältnisses mit Gott“ (ebd.), die von Entsprechungen, aber eben auch von Widersprüchen, Enttäuschungen und Erwartungen geprägt sei (vgl. ebd.). 746 Moltmann, Wer ist Christus, 70. 747 Moltmann, Der Weg, 258 f. 748 Ebd. 749 A.a.O., 259.

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 155

gingen, wenn keine Erwartungen an zukünftige Erfahrungen gestellt werden würden, und diese wiederum entschwänden, sofern man sich an keine Erfahrungen rückerinnern könnte, weil die Hoffnungen und Erinnerungen der Menschen „die Bedingungen für mögliche Erfahrungen der Geschichte“750 seien. Ferner setze die menschliche Wirklichkeits- und Geschichtserfahrung eine auf Erinnerungen gründende und auf die Zukunft ausgerichtete Hoffnung voraus, was sich auch in der durch das Judentum und das Christentum vollzogenen „Erschließung der Wirklichkeit als Geschichte751 widerspiegele. Die geschilderte „Differenz von Erwartungen und Erfahrungen“752 sei daher notwendig zu berücksichtigen, sofern man – wie Moltmann anrät – eine Geschichtsdeutung vornehmen möchte, die von der durch die Auferstehung eröffneten, nachfolgend dargestellten Perspektive ausgeht.753 Überträgt man diese Prämissen auf die Frage nach der Auferstehung und ihrem Geschichtsbezug, so ergebe sich (dem Spitzensatz Moltmanns entsprechend), dass die Behauptung ihrer Faktizität ausschließlich dann sinnvoll sei, wenn sie im Kontext der „Geschichte der Erlösung der Menschen und der Natur von der Macht des Todes“754 getätigt werde, welche die Auferstehung selbst eröffnet habe. Dies liege darin begründet, dass sie nur dann angemessen thematisiert und bezeugt würde, wenn der Grund, die Praxis und die Zukunft der Befreiung und Erlösung des Menschen und seiner Mitschöpfung im Sinne der besagten „Differenz von Erwartungen und Erfahrungen“755 thematisiert werde. Sofern eine Interpretation der Auferstehung als Teil eines prozesshaften Handelns Gottes angestrebt werde, das (im Gegensatz zu historischen Ereignissen sensu Troeltsch) nicht ohne eine nachhaltige Einflussnahme auf die Lebensgestaltung unbeteiligt zur Kenntnis genommen werden könne, sei entsprechend zu berücksichtigen, dass eine solche Untersuchung nur dann angemessen vollzogen werden könne, wenn und sofern das, was anhand empirisch-geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit über die Auferstehung aussagbar sei, nicht davon abgelöst werde, was von ihr erhofft werden dürfe und wie in ihrem Namen zu handeln sei.756 Diese Vorstellung der Geschichtserschließung im Spannungsfeld von Wissen, Handeln und Hoffen finde sich – so Moltmann – bereits im Alten Testament, welches bezeuge, dass eine Erschließung der israelitischen „,Erfahrung der Geschichte‘“757 anhand des Verheißungsglaubens erfolgt sei.758 Daraus werde deut750

Ebd. Ebd. 752 Ebd. 753 Vgl. ebd. 754 Ebd. 755 Ebd. 756 Vgl. Moltmann, Wer ist Christus, 71. 757 Moltmann, Der Weg, 259. 758 Moltmann veranschaulicht dies am Beispiel des Geschicks Abrahams, der „dem Ruf der Verheißung“ (ebd.) gefolgt sei, was zu seiner Wahrnehmung der „Wirklichkeit als Ge751

156

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

lich, dass es sich beim Judentum – wie auch beim Christentum – um Geschichtsreligionen handele, die auf die Dimension der Zukunft ausgerichtet seien und die die Wirklichkeit insoweit, wie die göttliche Verheißung sie erschließe, als Geschichte begreifen.759 Diese Form der Geschichtserschließung scheint nach Ansicht Moltmanns nicht an Relevanz verloren zu haben, da die Hoffnungen der Menschen stets auf den verheißenden Gott und seine Gegenwart ausgerichtet seien und sich immer wieder erneut auf diese ausrichteten. Sie könne somit dazu beitragen, dass Geschehnisse „in der menschlichen und in der natürlichen Welt zeitlich und in ihrer Zeit geschichtlich erfahrbar [werden]“760, wobei stets zu bedenken bleibe, dass es sich bei ihnen nie um Fakten, sondern vielmehr um Prozessmomente handele.761 Die Anwendung dieser Form der Geschichtserschließung gestalte sich so, dass der nach der Geschichtlichkeit einer Begebenheit Fragende die „Zukunft in der Vergangenheit“762 berücksichtigen müsse, was auch hinsichtlich des von Moltmann vorausgesetzten, angesprochenen Überschusses der göttlichen Verheißung, der über ihre Erfüllung innerhalb der Geschichte hinausreiche, sinnvoll sei763, auf die sich die Hoffnung der Menschen aller Zeiten richte764 und anhand derer die Vermittlung der Hoffnungen der Menschen der Gegenwart mit denen der bereits Verstorbenen erfolgen könnte765, um die Aktualität und die Relevanz des Themas für den modernen Menschen herauszustellen. Die Auferstehung Jesu könne einer derart vollzogenen Untersuchung entsprechend dann insofern als ein geschichtlicher Prozess verstanden werden, als dass sie das Perfekt der damals und dort einmal geschehenen Auferweckung des Gekreuzigten, das „Präsens der Einwohnung des Geistes“766 in den Gläubigen und das Futur der eschatologischen Totenauferstehung aller Menschen umfasse. Die von Moltmann aus den Auferstehungsereignissen abgeleitete, wechselseitige Durchdringung der Zeitdimensionen wird hier nur allzu ersichtlich und erfährt im weiteren Verlauf seiner Darstellungen sogar eine Näherbestimmung, wenn er schichte“ (ebd.) führte. Zudem verweist er auf den Exodus als ein kollektives „[Z]urücklassen [dessen], was hinter einem liegt, und sich ausstrecken nach dem, was vor einem liegt“ (ebd.). 759 Vgl. a a. O., 260. 760 Ebd. Moltmann konkretisiert hier leider nicht eingehender, was er unter einem geschichtlichen Erfahren versteht, weshalb angenommen werden muss, dass er erneut auf eine ganzheitliche Erfahrung eines Erkenntnisgegenstandes im besagten Spannungsfeld von „Erwartungen und Erfahrungen“ (ebd.) abzielt. 761 Vgl. ebd. 762 A.a.O., 263. 763 Vgl. a.a.O., 261. Moltmann bezieht sich hier auf die Hoffnung auf eine endzeitliche Neuschöpfung, welche – so stellt er eindringlich klar – gehörig missverstanden werde, sofern man annehme, dass es sich bei ihr um das Resultat eines lediglich apokalyptischen Glaubens an eine „transzendente Erfüllung der Verheißung Gottes“ (ebd.) handele, der „im wörtlichen Sinne ,geistlos‘“ (ebd.) sei und die Menschen zu einer Preisgabe ihrer innerweltlichen Hoffnungen animiere (vgl. ebd.). 764 Vgl. a.a.O., 260. 765 Vgl. a.a.O., 263. 766 A.a.O., 264.

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 157

etwa darauf verweist, dass das „Perfekt der Auferweckung Christi“767 nun gerade nicht zur Bezeichnung eines vergangenes Ereignisses diene, sondern vielmehr „ein Ereignis der Vergangenheit“768 bezeichne, welches „,im Geist gegenwartsbestimmend wirkt, weil es die Zukunft des Lebens eröffnet.“769 Für Moltmann transzendiert die Auferstehung hier die (nach Maßgabe der troeltschen Axiome verstandene) Historie, weil für Troeltsch und in seinem Gefolge für die moderne positivistische Geschichtswissenschaft jenes historisch ist, „was geschieht und vergeht.“770 Der Auferstandene aber ist nicht vergangen.771 Reflektiert man diese Darstellungen wesentlicher Kernaspekte der moltmannschen Umperspektivierung des von ihm kritisierten modernen Geschichtsbegriffs, so wird ersichtlich, dass er – wie auch Barth – darum bemüht ist, das allgemeine Bewusstsein dafür zu schärfen, dass die Kategorie der Geschichte mehrdimensionaler und komplexer strukturiert ist, als auf eine einzige ihrer Dimensionen fokussierte Erkenntnisbemühungen (wie die Axiome Troeltschs) es vermuten lassen. Ebenfalls in Entsprechung zu der Herangehensweise Barths imaginiert auch Moltmann dabei kein eigenes Geschichtskonzept, in welches er die Auferstehungsereignisse anschließend einfügt, sondern auch er konstruiert sein Verständnis der Geschichte umgekehrt ausgehend von seiner Wahrnehmung der Auferstehung. Während Barth dabei (in seinen thematisierten Ausführungen) vorrangig eine Abgrenzung von den Ausführungen Bultmanns vornimmt, aber die Fragen danach nicht explizit verhandelt, wie die Kategorien der Geschichte und der sich in ihr vollziehenden Ereignisse zu definieren sind und auf welche Weise eine Rückfrage nach dem Geschichtsbezug eines Ereignisses vollzogen werden sollte, richtet Moltmann sein Hauptaugenmerk auf genau diese (bei Barth unterbestimmten) Aspekte. Er konkretisiert so nicht nur ausführlich, was er unter der Kategorie der Geschichte versteht und durch welche (im modernen Geschichtsbegriff unterbestimmten) Aspekte sie sich auszeichne, sondern er weist darüber hinaus auch konkret darauf hin, worauf im Zuge einer Rückfrage nach einem (derart definierten) Geschichtsbezug der Auferstehung zu achten sei. Welche weiteren Ergebnisse durch eine derartige Untersuchung gewonnen werden können, wird im folgenden Kapitel dargestellt. Dies erfolgt unter Bezugnahme auf Moltmanns bislang nicht explizit thematisierte erneute Erweiterung des modernen Geschichtsbegriffs durch das sogenannte Paradigma der Natur, die ebenfalls auf seinen Historizitäts- und Realitätsvorstellungen, auf seiner Kritik am modernen Geschichtsverständnis und auf seinen Ansprüchen an eine Rückfrage nach Geschichtsbezügen beruht. 767

Ebd. Ebd. 769 Ebd. 770 A.a.O., 250. 771 Mein aufrichtiger Dank gilt Doktor Robert Brandau, der mich auf die Relevanz der Vorstellung der Auferstehung als einen geschichtlichen Prozess innerhalb der moltmannschen Argumentation hinwies und es mir gestattete, seine scharfsichtigen Ergänzungen in den vorangestellten Absatz zu integrieren. 768

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

d) Die Erweiterung des modernen Geschichtsbegriffs und ihre Folgen für die Deutung der Auferstehung Neben der skizzierten Neuperspektivierung des modernen Geschichtsverständnisses mit ihrer Fokussierung auf die Einheit der einander wechselseitig durchdringenden Dimensionen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fordert Moltmann eine Erweiterung des Geschichtsbegriffs durch die Integration des Aspektes der Natur, in welche die Geschichte des Menschen gestellt ist.772 In diesem Zusammenhang hinterfragt er sowohl den Sinn und die Möglichkeit der Auferweckung im Rahmen natürlicher Prozesse, wie sie auch hinsichtlich der Frage nach der Transformation des Leibes Jesu von Relevanz sind, als auch die „Zukunft der Natur im Rahmen der Auferstehung.“773 Einleitend verdeutlicht er hier, dass die untrennbare Einheit des menschlichen Leibes und Geistes mit der Integration der Geschichte in die irdische Natur sowie mit der Angewiesenheit der Geschichte auf die Natur vergleichbar sei, weshalb am Menschen als solchem keine vollständige „Fundamentalunterscheidung von Geschichte und Natur“774 vollzogen werden könne und eine Fokussierung darauf, die Auferstehungsereignisse im Sinne Pannenbergs lediglich anhand des Paradigmas der Geschichte zu deuten, nicht ausreichend sei.775 Im Gegenteil müsse die theologische Auseinandersetzung mit der Thematik der Auferstehung vertieft werden und neben den vielfach angesprochenen, geschichtlichen Dimensionen auch „die ökologischen Bedingungen der Geschichte in der Natur“776 berücksichtigen. Dies könne realisiert werden, indem die als leiblich charakterisierte Konstitution des Auferstandenen thematisiert werde.777 Eine derartige Auseinandersetzung führe zu der Erkenntnis, dass die Auferweckung Jesu, welche ausgehend vom Paradigma der Geschichte als eine eschatologische, göttliche Auferweckungstat an Jesus zu verstehen sei, vom Paradigma der Natur ausgehend „als die Wiedergeburt Christi aus dem lebendigmachenden göttlichen Geist“778 verstanden werden müsse. Eine derartige Perspektivierung entspreche jenen neutestamentlichen Darstellungen, die (wie etwa die Rede vom Samenkorn in 1 Kor

772

Vgl. Moltmann, Der Weg, 237. Ebd. 774 A.a.O., 269. Moltmann betrachtet die besagte Fundamentalunterscheidung allerdings insofern als problematisch, als dass im Paradigma der Geschichte – in Übereinstimmung mit seinen dargestellten Historizitäts- und Realitätsvorstellungen sowie mit seiner Kritik am modernen Geschichtsverständnis – der fragliche Herrschaftsanspruch des Menschen „über die ,geschichtslose‘ Natur“ (ebd.) enthalten sei. Seines Erachtens sei es demgegenüber von Nöten, Definitionen der Natur und der Geschichte vorzunehmen, die ihre gegenseitige Angewiesenheit aufeinander berücksichtigen (vgl. ebd.). 775 Vgl. Moltmann, Der Weg, 269. 776 Ebd. Der Begriff der Geschichte scheint hier das moltmannsche Verständnis der Kategorie der Geschichte in all ihrer Mehrdimensionalität zu beschreiben. 777 Vgl. ebd. 778 A.a.O., 271. 773

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 159

15,35–49) das Sterben und Auferstehen Jesu unter Zuhilfenahme biologischer Metaphern deuten. Wie ein eingepflanztes Samenkorn, so vollziehe auch der Leichnam Jesu (den Ausführungen Pauli in der angesprochenen Perikope entsprechend) eine Verwandlung, im Zuge derer durch das Zerfallen der ursprünglichen Gestalt eine neue Gestalt ausgebildet werden könne.779 Das Sterben sowie die anschließende Lebendigwerdung des Samenkorns (beziehungsweise des durch dieses symbolisierten Leichnams) bezeichnen somit „zwei Momente im Transformationsprozess der Neuschöpfung aller Dinge“780 als einen Aspekt der neutestamentlich bezeugten Auferstehung. Dieser werde durch eine ausschließlich geschichtswissenschaftliche Untersuchung nicht angemessen berücksichtigt.781 Betrachte man nun in umgekehrter Weise die Natur aus der „Perspektive der Auferstehung“782, so „rückt der Erfahrungsraum der Natur in den Erwartungshorizont ihrer Neuschöpfung“.783 Dies führe zu einer Umbewertung der natürlichen „Erfahrungen der Vergänglichkeit des Lebens“784, die nicht länger nur Trauer und Leid, sondern eben auch Hoffnung auf eine allgemeine „Vernichtung des Todes“785 hervorrufe. Diese Hoffnung resultiere aus dem Geschick Jesu, welcher sowohl „den gewaltsamen Tod der menschlichen Geschichte“786 als auch den „tragischen Tod der Natur“787 starb, da seine Auferstehung den „Anfang der Vernichtung“788 ebendieser beiden Tode markiere und folglich auf die allgemeine Totenauferstehung und auf die „Verklärung des sterblichen Lebens der ersten Schöpfung“789 hoffen lasse. An dieser Erweiterung zeige sich die Relevanz der Dimension der Natur in Bezug auf die Rede von der Auferstehung, da die verheißene Vollendung und die herbeigesehnte Erlösung der Weltgeschichte erst in ihr und ihrer Erlösung (als der „Auferstehung der Natur“790) denkbar werden. Nachdem die grundlegenden Prämissen Moltmanns skizziert wurden, sei nun abschließend sein (von diesen geprägtes und auf ihnen beruhendes) Verständnis der neutestamentlichen Grableerfindung thematisiert.

779

Vgl. ebd. Ebd. 781 Vgl. a.a.O., 270. 782 A.a.O., 275. 783 Ebd. 784 Ebd. 785 Ebd. 786 A.a.O., 276. 787 Ebd. Mit der Wendung des geschichtlichen Todes scheint Moltmann hier auf die konkreten, geschichtswissenschaftlich zu rekonstruierenden Umstände des Todes Jesu anzuspielen, wohingegen sich die Bezeichnung des natürlichen Todes auf die vergängliche Konstitution allen Lebens bezieht (vgl. ebd.). 788 Ebd. 789 Ebd. 790 A.a.O., 276 f. 780

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Einzusetzen ist mit der Frage nach der Auferstehungsleiblichkeit Christi beziehungsweise nach ihrer eingehenderen Charakterisierung, die Moltmann als sehr berechtigt erachtet, da sie auf „das Wesen des Auferstehungsglaubens“791 abziele. Selbstverständlich greift er hier auf das Paradigma der Natur zurück, welches seines Erachtens auch zum Treffen von Aussagen über den Auferstandenen und seine Auferstehung als solche geeignet sei und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ebendieser einlade.792 Diese Auseinandersetzung ergebe, dass die neutestamentliche Vorstellung von der (leiblichen) Auferstehung nun eben nicht als ein Konzept zellphysiologischer Phänomene oder mit ebensolchen vergleichbarer, natürlicher Tatbestände zu verstehen sei. Vielmehr beschreibe sie die Transformation des natürlichen und somit sterblichen Leibes Jesu in seine pneumatische, von der göttlichen Herrlichkeit durchdrungene Leiblichkeit.793 Zur Konkretisierung seiner Vorstellungen der Auferstehungsleiblichkeit orientiert sich Moltmann (wie Pannenberg) an dem jüdisch-apokalyptischen Konzept der Totenauferweckung, das die notwendig leibliche Verfasstheit des Auferstehungsdaseins hervorhebt. Er stellt heraus, dass der urchristliche Auferstehungsglaube auf die vollständige, leibseelische Person Christi bezogen gewesen sei, weshalb jene Theorien, die die leibliche Verfasstheit des Auferstehungsdaseins verneinen, als unangemessen beurteilt werden müssen.794 Der Auferstehungsleib Christi sei ferner als eine (die gesamte Schöpfung betreffende und an der göttlichen Ewigkeit und Allgegenwart teilhabende) „verkörperte Verheißung“795 zu bezeichnen, in welcher die ursprüngliche Natur des Menschen – als Teil der Auferstehungsereignisse – über ihr widernatürliches Gefangensein in der Vergänglichkeit triumphiere.796 Dass diese Vorstellung der leiblichen Auferstehung jedoch nicht selten als anstößig wahrgenommen werde, werde an der vorgenommenen „Modernisierung des apostolischen Glaubensbekenntnisses“797 erkennbar, in dem nicht länger der Glaube an die „Auferstehung des Fleisches“798, sondern der an die „Auferstehung der Toten“799 bekannt wird. Diese Änderung habe das Ziel verfolgt, die christliche Eschatologie von der missverständlichen Vorstellung einer fleischlichen Auferstehung abzutrennen, die das lüdemannsche Missverständnis der Auferstehung als Reanimation eines Leichnams nahelegen könnte.800 Letztlich be791

A.a.O., 279. Vgl. a.a.O., 272. 793 Vgl. a.a.O., 272 f. 794 Vgl. a.a.O., 279. 795 A.a.O., 281. Eine Darstellung und Reflexion der jüdisch-apokalyptischen Vorstellungen der endzeitlichen Totenauferweckung und der leiblichen Konstitution des Auferstehungsdaseins erfolgt in Kapitel III.3.1.a. 796 Vgl. a.a.O., 282. 797 Ebd. 798 Ebd. 799 Ebd. 800 Vgl. ebd. 792

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 161

günstigte sie jedoch eine zunehmende Unschärfe der christlichen Auferstehungshoffnung801, die noch zu thematisieren sein wird. Die Preisgabe der Vorstellung der leiblichen Auferstehung stuft Moltmann im von uns untersuchten Kontext nun ferner bereits aus logischen Gründen als fraglich ein, weil die Wahrung der „Personalität ,der Toten‘“802 – wie es etwa in den Kapiteln III.3.1 und III.3.2 eingehender thematisiert wird – an die Leiblichkeit des Menschen gebunden sei, sodass eine personale Auferstehung unter Wahrung der Identität des Verstorbenen mit dem Auferstandenen nur als leibliche Auferstehung gedacht werden könne.803 Ein Festhalten an der Vorstellung der leiblichen Auferstehung sei außerdem auch deshalb geboten, weil sie nicht nur als wichtiges Charakteristikum der christlichen Eschatologie fungiere, sondern als solche auch einen erheblichen Einfluss auf das Verhalten der Menschen in Bezug auf einander und auf sich selbst ausübe.804 Dies werde daran ersichtlich, dass ihre Reflexion und Akzeptanz zu einer den Tod nicht länger verdrängenden, sondern hoffnungsvoll integrierenden „Bejahung des Lebens“805 führe. In Bezug auf die Mitschöpfung könne – wie im Kapitel III.3.2.d ausgeführt – zudem festgestellt werden, dass die dem Christentum auch nach Ansicht Bonhoeffers zu eigene Diesseitigkeit in der (auf die leibliche Auferstehung gerichteten) Hoffnung begründet liege, die dazu motiviere, der Erde als Teil der Schöpfung Gottes angesichts und trotz des unvermeidlichen Todes die Treue zu halten.806 Den in diesem Buch fokussierten Fragen nach einem angemessenen Verständnis der Grableerfindung nähert sich Moltmann nun in ähnlicher Weise wie Pannenberg an, indem er mit Verweis auf die von diesem angeführten Gründe (wie etwa den der vermeintlichen Unmöglichkeit der erfolgreichen Verkündigung der Auferstehungsbotschaft in Jerusalem vor dem Hintergrund eines vollen Grabes) unterstreicht, dass auch er davon ausgehe, dass eine Grableerfindung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte tatsächlich stattgefunden habe.807 Wie Barth verdeutlicht er allerdings – hier im Gegensatz zu Pannenberg –, dass die Grableerfindung keineswegs als Beweis für die Auferstehung anzuführen sei, da die konkreten Ursachen des Grableerwerdens nicht eindeutig aus dem Umstand der Leerfindung abgelesen werden können. Das leere Grab sei stattdessen trefflicher als ein „äußeres Zeichen für die ,Auferstehung Jesu‘“808 zu verstehen, das in zweideutiger Weise bekunde, was sich in

801

Vgl. ebd. A.a.O., 282 f. 803 Vgl. a.a.O., 285. 804 Vgl. a.a.O., 282 f. 805 A.a.O., 283 f. 806 Vgl. a.a.O., 288. 807 Vgl. a.a.O., 244. 808 Ebd. 802

162

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

ihm ereignet habe, und das zur näheren Charakterisierung dieser Ereignisse heranzuziehen sei. Es könne so als ein eschatologisches Symbol bezeichnet werden, das die Erfahrungen der Erscheinungszeugen mit dem Auferstandenen in geeigneter Weise beschreibe. Dies erfolge, indem es wichtige Elemente ihres Glaubens, wie etwa dessen Bezug zu der erhofften, endzeitlichen Totenauferweckung als Beginn eines qualitativ ganz neuen Lebens, anschaulich mache, welches nicht als Reanimation des zeitweilig toten Herrn und auch nicht als eine Seelenwanderung oder als „Weiterwirken der Sache Jesu“809 fehlzuinterpretieren sei. Zudem hebe es hervor, dass Jesus nicht nur vermeintlich, sondern tatsächlich und nicht lediglich physisch, sondern vollständig und mit allen Dimensionen seines Daseins gestorben sei.810 Das leere Grab Jesu diene somit als treffender Verweis auf die Totenauferweckung als die „Vernichtung des Todes“811, der in gleicher Weise wie ihre Bezeugung „weder die Tödlichkeit seines Todes noch seine Lebendigkeit in seinen Erscheinungen leugnet“.812 Wie schon bei Karl Barth wird auch hier deutlich, dass die vollzogene Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs sowie die vorausgesetzten Historizitätsund Realitätsvorstellungen es auch Moltmann ermöglichten, die Grableerwerdung als Resultat eines Wirkens Gottes am verstorbenen Jesus in Betracht zu ziehen und ein solches nicht notwendig im Sinne Bultmanns als unmöglich zu beurteilen. Konkrete Begründungen und Charakterisierungen dieser Grableerwerdung konstruiert Moltmann dabei – in ähnlicher Weise wie Pannenberg – ausgehend von den Thematisierungen der pneumatischen Leiblichkeit durch Paulus sowie vom jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont, den dieser voraussetzt. Für Moltmann ist der (seines Erachtens als wahrscheinlich zu beurteilende) Geschichtsbezug der Grableerfindung jedoch nicht im Sinne eines vermeintlichen Beweises der Auferstehung von Relevanz. Vielmehr scheint er seine Bedeutung vor allem im Gegenüber zum Paradigma der Natur zu entfalten, das in ähnlicher Weise wie der mit ihm verknüpfte, jüdisch-apokalyptische Deutungshorizont nahelegt, die Rede vom leeren Grab in einen größeren Zusammenhang mit der erwarteten endzeitlichen Neuschöpfung der Erde zu stellen und so einen Rückbezug zum Gedanken des Spannungsfeldes von Verheißung und Erfüllung herzustellen, in dem die Geschichte sich nach Ansicht Moltmanns aufspannt. Die

809

Ebd. Vgl. ebd. Der Verweis auf das gänzliche Gestorbensein scheint den Umstand hervorzuheben, dass die gesamte Person Jesus von Nazareth als leibseelische Einheit im Sinne des thematisierten Menschenbildes der jüdischen Anthropologie verstarb – und nicht nur einzelne Komponenten, wie seine Körperlichkeit oder seine Seele. 811 Ebd. Mitgedacht sei die im weiteren Verlauf dieses Buches erläuterte und scheinbar von Moltmann vorausgesetzte Vorstellung, dass der Tod als solcher sich im konkreten Leichnam aktualisierte und aktualisiert. 812 A.a.O., 245. 810

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 163

Vorstellung des leeren Grabes dient dabei vor allem einer näheren Charakterisierung der Auferstehungsereignisse und insbesondere der leiblichen Konstitution des Auferstehungsdaseins, was an den dargestellten, aus ihr abzuleitenden, in ähnlicher Weise auch bei Barth zu findenden Erkenntnissen – wie etwa der der durch sie unterstrichenen Identität des Gestorbenen und des Auferstandenen – ersichtlich geworden sein dürfte. Wenngleich beide Konzeptionen unterschiedliche Profilierungen aufweisen, ergibt sich dennoch der Schluss, dass die vergleichbaren Ausgangsprämissen Barths und Moltmanns ihre einander ähnelnden Grableerfindungsinterpretationen nahelegen. Zu diesen Prämissen zählen etwa ihre Wahrnehmung der Geschichte als eine mehrdimensionale Kategorie, die nicht in ihrer empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension aufgeht, sowie die von ihnen ungeachtet dessen vorausgesetzte Relevanz des Geschichtsbezuges der Auferstehung, an dem es festzuhalten und den es im Rahmen von Auferstehungsinterpretationen zu berücksichtigen gelte. In beiden Fällen wird die Grableerfindung entsprechend als eine in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte verankerte Begebenheit verstanden, die auf die Grableerwerdung als ein mit den Auferstehungsereignissen notwendig zusammenhängendes Geschehen hinweise und die die Auferstehung Jesu als solche zwar nicht beweisen könne, aber nichtsdestotrotz (als auf die Auferstehung hindeutendes notwendiges Zeichen) über zahlreiche Funktionen verfüge, indem sie beispielsweise zu ihrer näheren Charakterisierung beitrage.

II.3.3 Die Auferstehung im Spannungsfeld von Zeit und Ewigkeit (Joachim Ringleben) Wie bereits Karl Barth und Jürgen Moltmann beurteilt auch Joachim Ringleben es als unangemessen, die Untersuchung der Auferstehung Jesu im Sinne Pannenbergs oder Lüdemanns auf die Frage zu beschränken, inwiefern sie gemessen an empirisch-geschichtswissenschaftlichen Maßstäben als ein historisches Ereignis verstanden werden könne, da die (geschichtlich verfasste) Wirklichkeit auch seines Erachtens durch geschichtswissenschaftliche Kategorien nicht hinlänglich erfassbar sei. Er unternimmt in Abgrenzung zu derartigen Vorgehensweisen den Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation der neutestamentlichen Auferstehungsbezeugungen unter ständigem Bezug auf das Auferweckungshandeln Gottes, welches er „im Horizont des Gottesgedankens“813 reflektiert, da die Auferstehung und das Handeln Gottes seines Erachtens streng korrelativ gedacht werden müssen, um sich ihrer „Wirklichkeit und Wahrheit“814 in einer theologisch weiterführenden Weise anzunähern. 813 814

Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 9. Ebd.

164

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Diese Herangehensweise führt ihn zur Konzentration auf die Fragen nach 1) der Bedeutung des Geschehens der Auferstehung „für Gott selber“815, 2) dem Verhältnis des Lebens Gottes zum neuen Leben Christi und 3) der Weise, auf die Gottes Wirken sowohl das „Leben, Wirken und Sterben des historischen Jesus“816 als auch dessen ganz neues, erhöhtes Sein umgreife. Das Aufwerfen dieser Fragen geht auch für Ringleben mit der Neuperspektivierung geläufiger Geschichts- und Wirklichkeitsverständnisse einher, wobei für ihn insbesondere die Neubestimmung des Verhältnisses von irdischer Zeit und göttlicher Ewigkeit sowie die Integration dieses Verhältnisses in das derart neuperspektivierte Geschichtsverständnis von Relevanz sind. Ausgehend von dem auf diese Weise herausgearbeiteten Wirklichkeits- und Geschichtsverständnis nimmt Ringleben zu den im Neuen Testament dargestellten Erscheinungen des Auferstandenen sowie zur Frage nach der Grableerfindung Stellung. Im Folgenden seien daher – seine Argumentation nachvollziehend – die grundlegenden Prämissen Ringlebens sowie seine Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs im Spannungsfeld von Zeit und Ewigkeit dargestellt, woran sich eine Erläuterung seiner Grableerfindungsdeutung anschließt. Zu Beginn erinnern wir uns dafür an die Grundsatzentscheidung Ringlebens, dass eine Auseinandersetzung mit der Auferstehung nur dann angemessen sein könne, wenn sie eine Thematisierung der Gottesfrage beinhalte und im durchgängigen Bezug zu dieser vorgenommen werde.817 Dieses Vorgehen gehe seines Erachtens logisch daraus hervor, dass jede Frage nach der (geschichtlich verfassten) Wirklichkeit (des Menschen) im Zusammenhang mit den Auferstehungsereignissen zwangsläufig mit einer Reflexion der ganz eigenen Wirklichkeit Gottes einhergehe818, da es sich bei der Auferstehung – wie schon Barth zeigte – um ein „spezifisches Handeln Gottes“819 handele, das sich jedoch nicht nur auf Jesus, sondern eben auch auf Gott selbst bezogen habe und noch beziehe.820 Ferner verweist Ringleben darauf, dass auch die in allen synoptischen Evangelien überlieferte Sadduzäerfrage ersichtlich mache, dass sinnvolle Aussagen über die Auferstehung nur im Zusammenhang mit der expliziten Thematisierung Gottes und seines Seins zu treffen seien. In ebendiesen Kontext stelle Jesus die Auferstehung in der Perikope.821 Im Rahmen des dort dargestellten Streitgesprächs um die Auferstehungswirklichkeit verweise er so eindrücklich darauf, dass es sich bei Gott, welcher auch dann noch der „Gott der Väter“822 gewesen sei, als diese schon längst dahingeschieden sind, nicht um einen „Gott von Toten“823 815

A.a.O., 8. Ebd. 817 Vgl. a.a.O., Vorwort. 818 Vgl. a.a.O., 3. 819 A.a.O., 45. 820 Vgl. a.a.O., 45 f. 821 Vgl. a.a.O., 14 u. siehe Mk 12,18–27, Mt 22,23–33 u. Lk 20,27–40. 822 A.a.O., 16. 823 Ebd. 816

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 165

handele, sondern – im Gegenteil – um einen „Gott der Lebenden“.824 Ausgehend von dieser Seinsbestimmung Gottes seien nun (die zu treffenden) Aussagen über die Auferstehung abzuleiten.825 Eine zweite Grundsatzentscheidung Ringlebens besteht in dem Anspruch, dass die Untersuchung der Auferstehung nicht losgelöst von ihrem Zusammenhang mit der Geschichte und mit dem Wort des historischen Jesus erfolgen solle826, was zeigt, dass ihr Geschichtsbezug von ihm als bedenkenswerter Aspekt des Auferstehungsdiskurses wahrgenommen wird. Er macht jedoch deutlich, dass eine zu starke Fixierung auf ebendiesen Aspekt aus theologischer Sicht abwegig sei827, da eine solche dazu führe, dass abstrakt über mirakulöse Reanimationen Verstorbener, über Gottes (potenzielle) Fähigkeit zur allmächtigen Totenauferweckung oder über die „hart realistische Frage, ob das Grab Jesu leer gewesen sei oder nicht“828, diskutiert werde. Derart isolierte Fragestellungen seien – sofern man sie nicht im Horizont der Fragen nach Gott sowie seinem Sein und Handeln und der im nächsten Teilkapitel dargestellten Konstitution der Welt im Spannungsverhältnis von Zeit und Ewigkeit betrachte – zu vermeiden, da sie notwendig verkürzt ausfielen.829 Hierin spiegelt sich die grundlegende Annahme wider, dass eine Fokussierung auf eine ausschließlich geschichtswissenschaftliche Rückfrage hinsichtlich des Handelns Gottes unanschaulich und ferner irreführend sei und sich aufgrund des Selbstverständnisses, das die jeweiligen biblischen Texte aufwiesen, ohnehin verbiete.830 Darüber hinaus beurteilt Ringleben eine Rückfrage, die auf die Überprüfung des Charakters der Auferstehung als historisches Ereignis sensu Pannenberg fokussiert ist, in ihrer Praktikabilität und Sinnhaftigkeit allerdings auch aufgrund des Untersuchungsgegenstandes der Auferstehung als fraglich. Diese sei – wie bereits Barth zeigte – auch seines Erachtens kein „,raum-zeitliche[r] Akt‘ im gewöhnlichen Sinne“.831 Ebenfalls in Übereinstimmung mit Barth hebt jedoch auch er hervor, dass die angeführten Überlegungen nicht zur Entstehung von Vorstellungen einer ausschließlich transzendenten Auferstehung führen dürfen832, da diese sich eben auch an Zeit und Raum

824

Ebd. Vgl. a.a.O., 16 ff., insbesondere 16–21. 826 Vgl. a.a.O., Vorwort. 827 Vgl. a.a.O., 3. 828 Ebd. 829 Vgl. a.a.O., 4. 830 Vgl. a.a.O., 54. Mit diesem nicht näher erläuterten Hinweis auf das „Selbstverständnis der Texte“ (ebd.) könnte Ringleben auf die thematisierten Umstände hinweisen, dass die Evangelisten keineswegs bezweckten, protokollartig-exakte Berichte der in ihren jeweiligen Evangelienschriften dargestellten Inhalte zu verfassen, sondern dass ihre Konzeptionen, Niederschriften und Bearbeitungen in hohem Maße durch ihre individuellen Intentionen und theologischen Schwerpunkte geprägt wurden. 831 A.a.O., 86 f. 832 Vgl. ebd. 825

166

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

vollziehe und ihre Untersuchung daher bereits aus Sachgründen sowohl systematisch-theologische als auch geschichtswissenschaftliche Fragen tangiere.833 Aus diesen Annahmen folge, dass eine auch an geschichtswissenschaftlichen Maßstäben orientierte Rückfrage zwar unerlässlich sei, jedoch im Bewusstsein dessen erfolgen müsse, dass sie den Kern der eigentlichen Thematik per se noch nicht erreiche und um einen Erweis der Konsistenz der „theologischen Logik der Auferstehungsthese [...] im Horizont des (christlichen) Gottesgedankens“834 ergänzt werden müsse. Dies werde auch daran ersichtlich, dass „[d]er Wirklichkeitsmodus der Lebenswirklichkeit des auferstandenen Christus“835 als eschatologisch zu bezeichnen sei, was bedeute, dass sein Sein als Auferstandener jener wahren und endgültigen Wirklichkeit entspreche, die von Gott herbeigeführt und durchgesetzt werde und die schon daher grundsätzlich nicht auf ihre empirischgegenständliche Realität und ihr Gegebensein hin zu untersuchen, zu erfassen oder gar zu beschränken sei.836 Hinsichtlich der Untersuchung des Geschichtsbezuges der Auferstehung ergibt sich aus diesen Grundbestimmungen für Ringleben, dass sie – wie nachfolgend dargestellt – als ein „Ereignis des Übergangs der bekannten irdischen Welt in ein neues und unvergängliches Leben bei Gott“837 zu betrachten sei. Sie habe sich als solches jedoch auch an und in dieser Welt ereignet und sei deshalb ungeachtet ihrer Andersartigkeit im Vergleich zu sonstigen (mit geschichtswissenschaftlichen Mitteln mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als historisch ausweisbaren) Ereignissen dennoch auch hinsichtlich ihres Geschichtsbezuges zu thematisieren, sofern dadurch „die Tatsächlichkeit der Auferstehung als wichtiges Implikat des Sachverhalts festgehalten wird.“838 a) Die Grundkonstitution der Wirklichkeit „Ist Zeit die Ewigkeit im Werden zu sich, so [ist] Ewigkeit das schöpferische Verschwinden der Zeit, und eben in diesem Sich-Unterscheiden und In-sich-Aufheben hat Gott seine ewige Lebendigkeit“.839

Den dargestellten Prämissen entsprechend entfaltet Ringleben seine Auferstehungsdeutung im untrennbaren Dialog mit der Gottesfrage und den sich aus ihr ergebenden Vorstellungen vom Handeln, Sein und der Wirklichkeit Gottes. Erkennbar werden dabei seine Historizitäts- und Realitätsvorstellungen, wenn-

833

Vgl. a.a.O., 79. Ebd. 835 A.a.O., 80. 836 Vgl. ebd. 837 A.a.O., 87. 838 Ebd. 839 Ringleben, Der lebendige Gott, 949. 834

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 167

gleich er sie nicht in der Klarheit Moltmanns oder Barths explizit thematisiert. Eine besondere Relevanz spricht Ringleben insbesondere der Vorstellung zu, dass die (geschichtlich verfasste) Wirklichkeit des Menschen sich in einer Art Spannungsfeld von Zeit und Ewigkeit befinde. Diese Argumentationsstruktur findet sich in seinen Darstellungen immer wieder und scheint auch sein Verständnis von der Grundkonstitution der (geschichtlich verfassten) Wirklichkeit signifikant zu prägen. Grundlegend hängt dieses Verständnis – argumentativ von der Wirklichkeit Gottes ausgehend – offenbar mit der hegelschen Vorstellung zusammen, dass Gott als „der sich selbst Hervorbringende, indem sich selbst Voraussetzende“840 zu denken sei. Das meine, dass Gott, der „als Werdender zu sich“841 gedacht wird, das Attribut der Ewigkeit842 zuzusprechen sei, da Gottes Sein als das Sein dessen, der „ewig bei sich“843 sei, prozessualer Natur sei. Ferner verfüge es (als derart verstandenes Sein Gottes) über eine „lebendige Einheit mit sich“844, welche eine „Gestalt der Entzweiung in Werden und Sein […] und in Zeit und Ewigkeit“845 aufweise. Da Gott somit wesentlich ewig und „in jedem Moment neu der Ewige“846 sei und werde, müsse ferner auch sein zeitliches Anfangen als sein „Mit-sich-Anfan-

840 A.a.O., 218. Die Vorstellung Hegels, dass Gott sich kontinuierlich setze und voraussetze, weshalb er als „der sich selbst Hervorbringende, indem sich selbst Voraussetzende“ (ebd.) zu denken sei, wird hier nicht eigens diskutiert. Es soll jedoch wenigstens darauf hingewiesen werden, dass kritisch hinterfragt werden könnte, inwiefern eine derartige Fokussierung den (auch von Ringleben hervorgehobenen) Umstand berücksichtigt, dass es sich bei Gott nicht lediglich um einen immerwährenden Prozess des sich Voraussetzens und Werdens handelt, sondern dass er selbst als solcher stets „im Kommen“ ist. Mein Dank gilt Dr. Robert Brandau für diese kritische Anregung. 841 Ringleben, Der lebendige Gott, 218. 842 Wenn Ringleben Gott die Attribute der Ewigkeit oder der Unendlichkeit zuspricht, erfolgt dies seiner eigenen Darstellungsintention entsprechend nicht, um im schlichten Gegensatz zum Vergänglichen ex negativo ein abstraktes Konzept des Lebens Gottes zu konstruieren (vgl. a.a.O., 321 f.), was der im systematisch-theologischen Ewigkeitsdiskurs nahezu konsensuell geteilten (vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 28) und so auch von Krötke hervorgehobenen Erkenntnis entspricht, dass die Ewigkeit nicht angemessen als eine „bloße Negation der Endlichkeit“ (Krötke, Gottes Klarheiten, 248) gedacht werden könne. Zudem sei auch eine Orientierung am bekannten platonischen Ewigkeitsverständnis, demzufolge die Ewigkeit in einer grundsätzlichen Scheidung von der Zeit zu denken sei (vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 511 u. Pannenberg, Systematische Theologie I, 436), im Zusammenhang mit der göttlichen Ewigkeit nach Ansicht Ringlebens nicht weiterführend, da diese als „Gottes schöpferisches Leben“ (Ringleben, Der lebendige Gott, 508) und als „Wahrheit der Zeit […und)] der geschaffenen Welt“ (a.a.O., 517) keineswegs unzeitlich oder unräumlich vorgestellt werden dürfe, sondern im Gegenteil „raum- und zeitdurchdringend“ (a.a.O., 322, vgl. auch Kapitel II.3.3) sei. 843 Ringleben, Der lebendige Gott, 218. 844 Ebd. 845 Ebd. 846 A.a.O., 221.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

gen-in-der-Zeit“847, mit dem Ringleben das „Sich-für-uns-gegenwärtig-Machen“848 Gottes bezeichnet, so verstanden werden, als dass es in seiner Ewigkeit zurückreflektiert sei, da es zugleich ewig und zeitlich sei.849 Die somit zu Gottes Sein und Wesen zugehörigen Aspekte der Zeit und der Ewigkeit stehen insofern miteinander im Verhältnis, als die göttliche Ewigkeit als eine „schöpferische Aufhebung der Zeit“850 zu verstehen sei, welche die Zeit als solche kontinuierlich in sich selbst hinein aufhebe.851 Nichtsdestotrotz sei es unerlässlich, die Zeit als Aspekt der lebendigen, göttlichen Ewigkeit mitzudenken, da sie von einer sich in Gott selbst vollziehenden Bewegung zeuge.852 Gott sei demnach „auf dem Weg zu sich“853 und „komm[e] in der Zeit ewig auf sich zu.“854 Dies sei so zu denken, dass sich Gott – seinem Sein gemäß – als jener selbst setze, „der immer schon war und so aus seiner ewigen Vergangenheit zu sich kommt und bei sich ist“.855 Die sich derart vollziehende „absolute Einheit von ewigem Werden und ewigem Sein Gottes“856 sei somit gerade nicht als eine zeitlos gedachte Ewigkeit zu qualifizieren, sondern vielmehr als „ein ewiges Sich-Hervorbringen und zugleich ewiges Bei-sich-Sein“857, das sich in (hier leider nicht näher definierter) Geschichte und Zeit erweise.858 Dieser Erweis erfolge augenfällig in der göttlichen „Herablassung in unsere Wirklichkeit“859 im Vollzug seiner Menschwerdung860, in welcher Gott die geschöpfliche

847

A.a.O., 220. Ebd. 849 Vgl. ebd. 850 A.a.O., 224. 851 Vgl. ebd. 852 Vgl. a.a.O., 236 f. 853 A.a.O., 240. 854 A.a.O., 239. Die These Ringlebens, dass der Aspekt der Zeit in die Vorstellung der göttlichen Ewigkeit zu integrieren sei, steht dem platonischen Konzept entgegen, dass der unendliche, nicht veränderliche und ewige Gott ausschließlich als außerhalb der veränderlichen, vergehenden Zeit zu denken sei (vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 49, mit Verweis auf Dalferth, Gedeutete Gegenwart, 232). Gegen derartige Vorstellungen votiert neben Ringleben auch Pannenberg, der im ersten Band seiner Systematischen Theologie ebenfalls unterstreicht, dass die Ewigkeit der Zeit nicht als ausschließlich antithetisch entgegengesetzt zu denken sei (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie I, 441), sondern sie auch in positiver Weise auf ebendiese bezogen werden könne (vgl. ebd. u. Kiauka, Zeit und Theologie, 129). Dies sei unter anderem darin zu begründen, dass „die Ewigkeit […] als Ganzheit der Zeit“ (a.a.O., 216) vorgestellt werden müsse, welche „das Ganze in ihrer zeiträumlichen Totalität und Diachronie in einer ewigen Gegenwart umfasst“ (a.a.O., 216) und schon allein deshalb nicht unabhängig von der Zeit gedacht werden könne (vgl. a.a.O., 216 f.). 855 Ringleben, Der lebendige Gott, 240. 856 A.a.O., 310. 857 Ebd. 858 Vgl. a.a.O., 311. 859 A.a.O. 383. 860 Vgl. a.a.O., 542. Die von Ringleben hervorgehobene Relevanz der Inkarnation in Bezug auf das Verständnis des Spannungsverhältnisses von Zeit und Ewigkeit findet sich in 848

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 169

Endlichkeit sowie die Menschlichkeit als solche annahm861, in unsere Zeit eintrat862 und so geschichtlich863 wurde, wodurch auch die Ewigkeit als solche sich selbst als Zeitlichkeit und von dieser aus wiederum als Ewigkeit gesetzt habe.864 Wenngleich Gott sich sowie seine Ewigkeit und ewige Zeitlichkeit im Vollzug seines sich Hervorbringens eindeutig und lebendig von der Welt und ihrer geschöpflichen Zeit unterscheide, die die besagte ewige Zeitlichkeit lediglich verzerrt und mit Brechungen abbilde,865, so weisen er und seine Ewigkeit eben doch auch einen positiven Bezug zur Zeitlichkeit auf866, da er sie nicht schlicht negiere, sondern aus ihr heraus sein göttliches Leben in der aktiven Unterscheidung von ihr restituiere.867 Angesichts dieser Thesen überrascht es nicht, dass Ringleben – wenn auch freilich im Kontext der Erscheinungen des Auferstandenen – herausstellt, dass sich eine über- oder außergeschichtliche Definition der (göttlichen) Ewigkeit, deren Abbildung in Form zeitlicher Erscheinungen lediglich uneigentlicher Natur sein könnte868, verbiete. Die Ewigkeit Gottes, welche nach Ansicht Ringlebens jeder Deutung der Wirklichkeit, der Geschichte und insbesondere auch der Auferstehung zugrunde ähnlicher Weise auch bei Freyer, der betont, dass eine Aufhebung des Gegensatzes zwischen der Zeit und der Ewigkeit durch Jesu Fleischwerdung erfolge, in welchem die Zukunft Gottes sowie seines Reiches gegenwärtig werde (vgl. Freyer, Zeit, 199, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie 131). 861 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 388. 862 Vgl. a.a.O., 542. 863 Vgl. a.a.O., 452 f. Die Bezeichnung der Geschichtlichkeit Gottes scheint in diesem Zusammenhang das Eintreten und Wirken Gottes in die beziehungsweise in der von Menschen (auch empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren) Geschichte zu beschreiben. Ringleben konkretisiert dieses Wirken Gottes in, an und mit der Zeit und ihren zeitlich verfassten Menschen mit Verweis darauf, dass Jesus verschiedenste Menschen zu sich rief und sie anführte (vgl. a.a.O., 529). 864 Vgl. a.a.O., 542 f. 865 Vgl. a.a.O., 241 u. 243. In Entsprechung zu dieser Unterscheidung Gottes von der Welt und ihrer Zeit stellt Ringleben dar, dass auch in Jesus in seiner ewigen Identifikation mit Gott eine zeitliche Unterscheidung (vgl. a.a.O., 821) zwischen seiner irdisch-personenhaften Menschlichkeit und seinem Wesensaspekt als „ewiges ,Korrelat‘ der Gottheit des Vaters“ (a.a.O., 820), dessen Sohn er „von Ewigkeit her“ (ebd.) ist, vorliege. Jesus „entzweit sich von seiner unmittelbar (selbsthaften) Einheit mit sich, um Gott […] seinen ewigen Vater sein zu lassen.“ (ebd.). 866 Vgl. a.a.O., 542. 867 Vgl. a.a.O., 509. Über diesen Aspekt der Restitution der göttlichen Ewigkeit im Prozess der Unterscheidung von der vergänglichen irdischen Zeitlichkeit hinausgehend sei hinsichtlich der positiven, gegenseitigen Bezugnahme von Zeit und Ewigkeit (vgl. a.a.O., 527) zudem zu bedenken, dass es – wie angerissen – ein Charakteristikum des unendlichen Lebens Gottes sei, alles, was endlich ist (vgl. a.a.O., 329), – und somit auch die endliche Zeit mitsamt all ihrer Negativität und ihrer Diskontinuitäten (vgl. a.a.O., 527) – in sich selbst zu integrieren (vgl. a.a.O., 329) und ferner in sich und seine lebendige Totalität aufzuheben (vgl. a.a.O., 527). Diesen Aspekt entfaltet Ringleben – wie in Kapitel II.3.3.b nachzulesen – noch einmal im Zusammenhang mit der Neuschöpfung der Erde als dem Ziel der Geschichte. 868 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 60.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

liegen sollte, beschreibt er somit zusammenschauend als „ein sich ständig aus Zeit und Geschichte Hervorbringendes (d.h. im sich davon Abstoßen) und so als Ewigkeit etwas der Zeit und Geschichte zugleich Vorausgehendes, überlegen Transzendentes.“869 Die Grundprämisse, dass Gott und seine Ewigkeit also gerade nicht in einer ausschließlich negativen Beziehung zur Zeitlichkeit stehen, sondern er als der ewige Herr in seiner Menschwerdung selbst in die Geschichte und ihre Zeit hineingetreten sei870, beeinflusst Ringlebens Vorstellungen von der Grundkonstitution der Welt sowie ihrer Zeit und Geschichte insofern, als er sie als „für die Ewigkeit bestimmt“871 und als zu ihr hin geöffnet versteht.872 Indem Gott die zeitlich konstituierte, dem Menschen in Ansätzen wahrnehmbare und durch sie erforschbare Wirklichkeit in sein ewiges Leben integriere873 und dies (nach Ansicht Kleffmanns) auch schon immer getan habe874, breche die Ewigkeit somit (mitten in unserem kontinuierlich fortschreitenden und unkontrollierbaren Leben) in die Zeit hinein und qualifiziere sie gänzlich neu.875 Historizitäts- und Realitätsimplikationen sowie aus ihnen zu gewinnende Konzepte von Geschichte, die die Bezeichnung eines Ereignisses als historisch davon abhängig machen, ob es anhand geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als ein solches ausweisbar ist, können ferner nicht angemessen sein, da sie die geschichtliche Wirklichkeit und ihre Mehrdimensionalität auf die empirisch-geschichtswissenschaftlich untersuchbare Dimension reduzieren und die besagten Erwägungen, wie die Facette der bereits in die Zeit einbrechenden Ewigkeit, somit notwendig unberücksichtigt bleiben. Ringleben votiert demgegenüber – im Anschluss an seine dargestellten Prämissen – für ein Wirklichkeits- und Geschichtsverständnis, in welchem die Schöpfung Gottes als ein „Ort einer lebendigen Einheit von Proton und Eschaton“876 gedacht werde, der sich – vom Eschaton ausgehend – vollziehe. Dies bedeute, dass er „sich den ,Anfang‘ voraussetz[e]“877, von welchem ausgehend er auf sein eschatologisches Ziel als seinen wahren Anfang zulaufe878, wenngleich ein derartiges Verständnis notwendig mit einer Umkehrung der geläufigen Vorstellungen der Kategorien der Zeit und der Ewigkeit einhergeht.879

869

Ringleben, Der lebendige Gott, 519. Vgl. a.a.O., 542. 871 A.a.O., 543. 872 Vgl. ebd. 873 Vgl. a.a.O., 531 u. 544. 874 Vgl. Kleffmann, Grundriß, 243. 875 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 550. 876 A.a.O., 510. 877 Ebd. 878 Vgl. ebd. 879 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 34. 870

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 171

Diese Umkehrung ergebe sich daraus, dass Gott – sofern er im Sinne der dargestellten Prämissen als lebendiger Gott vorgestellt werden möchte – sowohl hinsichtlich der Zeit als auch in Bezug auf die Vergangenheit eine schöpferische Freiheit zugesprochen werden müsse880, die es in der Beurteilung und Betrachtung der Zeit zu berücksichtigen gelte. Im Gegensatz zu geläufigen Zeitlichkeitsvorstellungen, die ein klares Nacheinander der (sich in der Geschichte einmal ereignenden und daher nicht mehr nachträglich veränderbaren) Ereignisse voraussetzen und eine eindeutige Unterscheidbarkeit der Dimensionen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft konstruieren881, unterliegen Zeitlichkeits- und Geschichtsvorstellungen, welche nicht von der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Wirklichkeit, sondern – im Sinne Ringlebens – von dem Leben und der Ewigkeit Gottes ausgehen, diesen Grenzen keineswegs. Gott sei nach Ansicht Ringlebens so dazu in der Lage, Ereignisse, die ausgehend von konservativen geschichtswissenschaftlichen Modellen als irreversibel vergangen charakterisiert werden würden, in der Zukunft zu erneuern882, was die von Pannenberg zum Untersuchungsmaßstab erhobene Kategorie des historischen Ereignisses höchst fraglich und in ihrer Geltung eingeschränkt erscheinen lässt.883 Anstelle einer einseitigen Fokussierung auf die Abgeschlossenheit eines Ereignisses in der geschichtswissenschaftlich als solche bestimmten Vergangenheit sei nach Ansicht Ringlebens (mit erneutem Verweis auf Hegel und an dieser Stelle auch Kierkegaard sowie in Entsprechung zur besagten, sich aufgrund des Wesens und Handelns Gottes vollziehenden „Umkehrung der normalen Zeitrichtung“884) vielmehr von einer Zeitrichtung auszugehen, die sich durch ein gleichzeitiges Rückwärtsbewegen und Voranschreiten auszeichne.885 Hierbei handelt es sich um eine Vorstellung, die offenbar eine wechselseitige Durchdringung der Kategorien der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft voraussetzt. 880

Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 531. Vgl. Görnitz, Zeit und Ewigkeit, 67. 882 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 531 f. 883 Diese Fähigkeit Gottes, Ereignisse der Vergangenheit in der Zukunft umzukehren, spiegele sich nach Ansicht Ringlebens in der Auferstehung Jesu wider, auf dessen Tod (als ein Ereignis, welches sich in der Vergangenheit ereignet hat) Gott in der (auf diese vermeintliche Vergangenheit nachfolgenden) Zukunft schöpferisch reagiert (vgl. Kapitel II.3.3.b). Christus, der als Auferstandener bezeugt und als in der Parusie Wiederkommender erwartet wird, sei somit insofern ein Abbild der Fähigkeit Gottes, die Zeitmodi zu modifizieren, als dass er der Vergangene und als solcher nun auch der Zukünftige sei (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 34). In diesem Zusammenhang verweist Ringleben zur Plausibilisierung seines Zeitlichkeitskonzeptes außerdem auf die christliche Auferstehungshoffnung, die die Fähigkeit Gottes zur Durchwaltung und Gestaltung der Zeitmodi impliziere und ferner auf die Vorstellung abziele, dass auch wir keine Vernichtung, sondern eine eingehende Erneuerung erfahren werden, die er als „Ende des Endes“ (Ringleben, Der lebendige Gott, 923) und als ein „Vergehen der Vergänglichkeit“ (ebd.) beschreibt. 884 A.a.O., 534. 885 Vgl. ebd. 881

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Ringleben verweist in diesem Kontext ferner auf Tillich, der ebenfalls ausführt, dass die Dimension der Vergangenheit für Gott keineswegs abgeschlossen sei, da er diese im Vollzug des Erschaffens des Zukünftigen mitunter neu schaffe886 und von seiner Ewigkeit ausgehend somit alle Zeitdimensionen offen seien.887 Dieser Gedanke finde sich auch in 1 Kor 15,52, wo Paulus ebenfalls – obschon in einem anderen Zusammenhang – hervorhebe, dass die von den Menschen als solche geschichtswissenschaftlich definierte Vergangenheit per se für Gott nichts definitiv abgeschlossenes und somit vergangenes sei, sondern aufgrund seiner als schöpferisch zu bezeichnenden Möglichkeiten in verwandelnder Weise aktualisiert und so auch neu gemacht werden könne.888 Die Ewigkeit als Eigenschaft und Seinsmerkmal Gottes könne diesen Erwägungen entsprechend als „die schöpferische Integration aller Zeitdimensionen“889 verstanden werden, im Zuge derer die Zeit durch Gott gegen ihre normalerweise gegebene Zeitrichtung umgewendet werde.890 Von dieser Neuperspektivierung eines (auf einer analytisch-rationalistischen, neuzeitlichen Rationalität891 beruhenden und oft unreflektiert, weil tagtäglich stumm vorausgesetzten) modernen Geschichtsbegriffs ausgehend, verwundert es nicht, dass Ringleben im Rahmen seiner Auferstehungsdeutung völlig andere Anfragen an den neutestamentlichen Befund stellt als dies die zuvor thematisierten Diskursteilnehmer taten, da die Kategorien der Zeit und der Geschichte bei ihm primär als Orte des Sich-Hervorbringens Gottes verstanden werden.892 Beide Kategorien bleiben im genannten, neuperspektivierten Sinne dabei auch bei ihm relevant und werden zur Frage nach der Auferstehung herangezogen. Seiner Konzeption entsprechend werden sie nun allerdings nicht im Sinne Pannenbergs

886

Vgl. a.a.O., 931. Vgl. Tillich, Systematische Theologie I, 317, zitiert nach Ringleben, Der lebendige Gott, 931. Offenkundig stehen die dargestellten Erwägungen in Bezug auf eine Unabgeschlossenheit der Kategorie der Vergangenheit der verbreiteten, präsentistischen Vorstellung entgegen, dass ausschließlich jenen Begebenheiten überhaupt eine Realität zugesprochen wird, die je gegenwärtig im Jetzt existieren, da sich die Realität als solche von Gegenwart zu Gegenwart entwickele, wohingegen die Vergangenheit als definitiv und irreversibel abgeschlossen gedacht wird (vgl. Rovelli, Die Ordnung, 91). 888 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 35. 889 Ringleben, Der lebendige Gott, 946. 890 Vgl. a.a.O., 520. Ringleben verweist im Rahmen seiner Darstellung des Spannungsfeldes von Zeit und Ewigkeit auch auf dessen Bedeutung in Bezug auf die Glaubenden, die in einem (auf das kommende Ewige beziehungsweise den kommenden Ewigen hin ausgerichteten) Werden leben. Dies bedeute, dass „jeder Schritt auf dem Weg der Zeit“ (a.a.O., 544) für die Glaubenden einen weiteren Schritt hinein in die Ewigkeit darstelle, in welcher „die Zeitlichkeit sich aufhebt“ (ebd.). Der Lebensvollzug der Gläubigen in der Zeit könne somit mitunter als Chance zum punktuellen „Sich-Einleben in die Ewigkeit“ (ebd.) begriffen werden, die wiederum durch den Glauben in der Zeit erworben und bewahrt werde, in der sich die Ewigkeit in unsere Richtung bewege (vgl. ebd.). 891 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 892 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 240. 887

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 173

einseitig überbetont, sondern im Gesamtzusammenhang des Spannungsfeldes von Zeit und Ewigkeit beleuchtet. Zu welchen Ergebnissen eine an diesen Anforderungen orientierte Untersuchung führt, sei im Folgenden skizziert. b) Auferstehungsdeutung „Mit Jesu Auferstehung als Antizipation des Eschaton […] ,wird die Eschatologie selbst zu einem Geschichtsverlauf, während sie ursprünglich die Aufhebung aller Geschichte ist.‘“893

Aus den dargestellten Überlegungen folgt stimmig, dass Ringleben im Zuge seiner Auferstehungsdeutung, nicht – wie etwa Pannenberg – von den vermeintlich historischen Ereignissen der Erscheinungen und der Grableerfindung ausgehend auf die Auferstehung rückschließt und/oder ihre Realität an der Wahrscheinlichkeit misst, die ihr ausgehend von geschichtswissenschaftlichen Rückfragen zugesprochen werden kann, sondern, dass er die Auferstehung im Spannungsfeld von Zeit und Ewigkeit untersucht. Ihr potenzieller Geschichtsbezug sowie die Frage nach den Erscheinungen und der Grableerfindung dienen in einer derartigen Betrachtung als Einzelaspekte, denen zwar eine Relevanz zugestanden wird, die jedoch isoliert betrachtet und im Gegensatz zu den Kernfragen nach dem Sein Gottes und nach dem Spannungsfeld von Zeit und Ewigkeit nicht besonders fokussiert werden. In Entsprechung zu seinem Anspruch, die Wirklichkeit Gottes zur Grundlage seines Auferstehungsverständnisses zu erheben, verweist Ringleben hier nun explizit auf die Charakterisierbarkeit der Auferstehung als ein ausschließlich göttliches Handeln894, was der Aussage der ersten Dimension der Deutung Barths entspricht.895 Ringleben nuanciert diese jedoch insofern anders, als dass er explizit herausstellt, dass die als Handeln beschriebene Auferweckung kein „kontingentes, einzelnes Tun“896 Gottes gewesen sei, sondern treffender als Bestandteil seines (den Tod und dessen Wirklichkeit begrenzenden897) lebensschaffenden Lebens und seiner handelnden Lebendigkeit898 verstanden werden müsse, welche als solche selbst die als schöpferisch zu charakterisierende Transformation der Vergangenheit sei.899 Daher scheint die Verwendung des Begriffs des Handelns, den Ringleben selbst an verschiedener Stelle nutzt, in Bezug auf Gott seines Erach-

893 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 28, unter Zitation von Stange, Die Auferstehung Jesu, 709. 894 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 48. 895 Vgl. Kapitel II.3.1.b. 896 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 47 f. 897 Vgl. a.a.O., 17. 898 Vgl. a.a.O., 48. 899 Vgl. a.a.O., 18 f.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

tens nur dann angemessen, wenn er gebraucht wird, um dessen lebendiges Sein als solches900 anstelle eines Handelns im eigentlichen Wortsinn zu beschreiben.901 Ringleben konkretisiert dieses Sein Gottes, indem er darstellt, dass dieser Jesus mitsamt seiner irdischen Lebenszeit902 und Geschichte im Rahmen der Auferstehungsereignisse in sein trinitarisches Leben und in seine eigene Ewigkeit hineinziehe903 und sich somit sowohl aus dem Lebenslauf Jesu als auch aus dessen Ende ewig hervorbringe.904 Dies äußere sich darin, dass das Sein Christi als das des wahrhaft Auferstandenen als „Inbegriff des eschatologischen Unterwegsseins der Wirklichkeit zu ihrer Vollendung in Gottes eigenem Leben“905 verstanden werden könne, das den Grenzen der Modi der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft augenscheinlich nicht länger unterliege, da es eine schlechthin entschränkte Gegenwärtigkeit aufweise und er selbst somit in Gleichzeitigkeit zu allen Menschen und allen Zeiten lebe.906 Zu denken sei dies wiederum insofern, als dass der Auferstandene, der (im Sinne des die Zeitmodi durchwaltenden „Handelns“ Gottes und seiner Modifikation der Vergangenheit) aus der Vergangenheit (seines Todes) oder aus der Zukunft (der göttlichen Ewigkeit) lebendig zu den Menschen komme907, die noch kommende Ewigkeit auf diese Weise bereits in die Zeit hineintrage.908 Sein Auferstehungsdasein könne folglich als ein Sichdurchdringen der Zeitmodi der Vergangenheit und der Zukunft „in einer immerwährenden lebendigen Gegenwart“909 verstanden werden, welche eschatologisch verfasst sei, was bedeute, dass sie „auf ihre Vollendung in Gott zugeht“.910 Das Erkennen dieser eschatologi900

Vgl. a.a.O., 16. Vgl. a.a.O., 47 f. Den Auferstehungsglauben bezeichnet Ringleben (in Entsprechung zu seinem Verständnis der Auferstehung als „Handeln“ Gottes im Sinne eines Seinsmerkmals) als „Glaube an den lebendigen Gott“ (a.a.O. 49). 902 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 381. 903 Vgl. a.a.O., 523. 904 Vgl. a.a.O., 381. 905 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 77. Analog zum in der Zeit erfolgenden „Unterwegssein der Wirklichkeit zu ihrer Vollendung in Gottes eigenem Leben“ (ebd.) deutet Ringleben auch den Umstand, dass Jesus in unsere Welt und so auch in ihre Geschichte hinein auferstanden sei (vgl. a.a.O., 65). Die sich daraus ergebende „,Geschichtlichkeit‘ des Auferstandenen“ (ebd.) und seiner Auferstehung sei entsprechend ein Zeichen für das Auf-sichZugehen der sich in ihm – und so auch an der Welt – durchsetzenden Ewigkeit (vgl. ebd.). 906 Vgl. a.a.O., 77. 907 A.a.O., 76. 908 Vgl. a.a.O., 66. 909 A.a.O., 77. 910 Ebd. Ringleben stellt im Zusammenhang mit dem Sein des Auferstandenen heraus, dass dieses, als Teil des Weges Gottes mit seiner (von ihm zeitlich verfasst geschaffenen) Welt, „die Negativität des Todes“ (Ringleben, Der lebendige Gott, 522) notwendig einschließe, woraus ersichtlich werde, dass auch Gottes Ewigkeit nicht angemessen verstanden werden könne, sofern ihr Aspekt der „Vergänglichkeit der irdischen Existenz“ (a.a.O., 522 f.) unberücksichtigt bliebe. Durch die Auferstehung werde der Tod Jesu gerade nicht im Sinne eines zu revidierenden Irrtums ungeschehen gemacht, sondern im Gegenteil aufgrund seiner blei901

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 175

schen Verfasstheit des Auferstehungsdaseins Christi und der sich somit in seiner Auferstehung vollziehenden „Vorwegereignung des Eschatons“911 müsse mit der Einsicht einhergehen, dass es sich bei der Auferstehung gerade nicht um einen isolierten und völlig willkürlichen, göttlichen Machtbeweis am verstorbenen Jesus gehandelt habe912, sondern dass sie als ein realer Vorschein der sich in Zukunft ereignenden, allgemeinen Totenauferstehung913 und gleichsam bereits als Anfang eines Geschehens eschatologischer Art gedeutet werden müsse, das sich kontinuierlich fortsetze und sich auch nach den Gläubigen ausstrecke.914 Vom Geschick Jesu sei dabei die von Gott als ebensolche festgelegte Zukunft des Menschen und seiner Welt abzuleiten915, die in dem Sich-Einstellen der „Vollendung im ewigen Leben“916 sowie im endgültigen, wirklichen Hereinbrechen des ewigen Lebens (und somit der Ewigkeit) in die Zeit bestehe917, welches in der Auferstehung Christi als dem „Anfang der letzten Wirklichkeit“918 bereits begonnen habe.919 Die Auferstehung könne somit zusammenschauend betrachtet als die schöpferisch entscheidende Festlegung und Herbeiführung der sie vollendenden

benden Bedeutung auf ewig in Kraft gesetzt (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 138). Indem der Tod im Auferweckungshandeln Gottes an Jesus in die göttliche Ewigkeit hineingenommen wurde, habe er ferner die Eindeutigkeit, die ihm als definitivem Ende und als schierer Vergangenheit (vgl. a.a.O., 161) innegewohnt habe, verloren (vgl. a.a.O., 161 u. 164). Auf diese Weise wurde er zum „Möglichkeitsort von Hoffnung“ (a.a.O., 164). 911 A.a.O., 37. 912 Vgl. a.a.O., 28. 913 Vgl. a.a.O., 39. 914 Vgl. a.a.O., 37. 915 Vgl. a.a.O., 28. 916 Ebd. 917 Vgl. ebd. 918 Künneth, Theologie der Auferstehung, 68, zitiert nach Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 36. 919 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 36. Es bleibe jedoch im Zusammenhang mit der Ablesbarkeit des zukünftigen Ergehens der Welt vom Ergehen des Schicksals Christi zu bedenken, dass ebendiese Antizipation innerhalb des alten, vergehenden Äons erfolge, in dem das neue, kommende Äon noch verborgen sei und somit nur im Glauben erfahren werden könne. Dieser Glaube bleibe jedoch keineswegs folgenlos, sondern gehe – entsprechend seines eschatologischen Charakters – bereits unter den besagten „Bedingungen des alten [Äons]“ (ebd.) mit tiefgreifenden Veränderungen im Leben der Glaubenden einher, welche beginnen, für Gott zu leben, an seinem Leben und Sein teilzuhaben (vgl. a.a.O., 18) und durch das in der Verkündigung vermittelte Wort (vgl. a.a.O., 40 f.) „aus dieser Welt heraus“ (a.a.O., 32) in jene Bewegung hineingenommen zu werden, die auf „die endgültige Zukunft“ (a.a.O., 40) ausgerichtet sei. Die Glaubenden leben somit sensu Röm 6,11 in Christus und – weil dieser die „Herrschaft des Todes“ (a.a.O., 32 f.) brach – als jene unter den Toten Lebendigen im Transitus (vgl. a.a.O., 32 f., mit Verweis auf Röm 6,9–13). Ähnliches gelte bereits in Bezug auf die Erscheinungszeugen, welchen in transitorischer Weise ein Zugang zur Wirklichkeit Gottes auf Erden eröffnet wurde und die für die Länge ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen in dessen ewiges Leben einbezogen worden seien (vgl. a.a.O., 64).

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Zukunft der Menschheit sowie ihrer gesamten Wirklichkeit verstanden werden.920 Die derartige Vollendung sei wiederum als radikale Neuschöpfung und als entscheidender Wendepunkt der Weltgeschichte zu verstehen, dem eine objektive und auch kosmische Bedeutung921 als ein von der Ewigkeit herkommendes, „unerwartetes bzw. unableitbares, freies Eingreifen des lebendigen Gottes“922 innewohne. Ringleben schließt ein Einwirken Gottes auf die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension der Wirklichkeit somit nicht kategorisch aus, sondern er setzt es hinsichtlich der zu erwartenden Neuschöpfung der Welt sowie in Bezug auf die Auferstehung Christi, in der sich diese bereits abzeichne923 und in der sie ansetze, voraus. Obschon der Aspekt der Neuschöpfung der Welt mitsamt ihrer geschichtlich verfassten Wirklichkeit und Zeit hier nicht eigens thematisiert wird, sei doch zumindest darauf hinzuweisen, inwiefern die Auferstehung Christi nach Ansicht Ringlebens bereits als ihre Vorwegnahme zu verstehen sei. Ringleben betont so, dass die Auferweckung Jesu durch Gott unter allen Ereignissen der Weltgeschichte ausschließlich mit dem der creatio ex nihilo vergleichbar sei, da es sich bei diesen beiden „Begebenheiten“ um das Auftreten von etwas völlig Singulärem, gänzlich Neuem und Unvergleichlichem handele924, durch das die meist nicht erkennbare Unvorhersehbarkeit nun plötzlich als die „Offenheit der Wirklichkeit“925 erfahren werden könne. Wie schon bei der protologischen Schöpfung handele es sich ferner auch bei der Auferweckung um eine göttliche Schöpfung aus dem Nichts, da der Tod, aus welchem heraus Gott Jesus schöpferisch zurück ins Leben hineinruft, als potenziertes Nichts verstanden werden könne. Des Weiteren könne die Auferstehung allerdings auch insofern als Schöpfungshandeln Gottes verstanden werden, als sich in ihr eine endgültige Manifestation des eigentlichen Grundes der göttlichen protologischen Schöpfung vollziehe, wodurch das Schöpfungshandeln als solches zu seinem Ziel gebracht werde.926 Auch in diesem Verständnis der Auferstehung als Akt der Neuschöpfung spiegelt sich somit Ringlebens grundlegende Prämisse wider, dass es sich bei den Osterereignissen nicht um schon abgeschlossene Begebenheiten der Vergangenheit handele, die als solche mit empirisch-geschichtswissenschaftlichen Methoden untersucht und auf diese Weise (zur Gänze) erfasst werden können, sondern 920

Vgl. a.a.O., 28. Vgl. a.a.O., 47. 922 A.a.O., 124. 923 Vgl. a.a.O., 46. 924 Vgl. a.a.O., 117. 925 Ebd. 926 Vgl. a.a.O., 118. Ferner zeuge die Auferstehung nach Ansicht Ringlebens aber auch vom sich fortsetzenden, göttlichen Schöpfungswirken der creatio continuata, da sie sich als das „schöpferische Mitsein“ (ebd.) Gottes mit seinem Sohn erweise, in welchem er bleibend wirksam sei (vgl. ebd.). 921

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 177

um Zukunftsgeschehen, da die bereits „angebrochene Wirklichkeit des neuen Lebens“927 in ihnen noch nicht zu ihrer Vollendung gekommen sei.928 In Bezug auf das dargestellte, den Auferstehungsaussagen Ringlebens zugrundeliegende Verhältnis von Zeit und Ewigkeit verbalisiert er dieses Verständnis der Auferstehung als Neuschöpfung, indem er darauf verweist, dass eine ganz neue Zeit in und mit der Auferstehungswirklichkeit gesetzt werde929, weil in ihr die („als Weg der Ewigkeit zu sich“930 verstandene) Geschichte ihr τε λος erreicht habe und auf diese Weise „als Ganze unwiderruflich bestimmt“931 sei. Die Ewigkeit Gottes habe die Dimension der Zeit hier endgültig berührt, wodurch diese für die göttliche Ewigkeit durchlässig werde und sich Gott in ihr „als göttliche Gegenwart für uns“932 setze. Aus diesen Überlegungen folgt für Ringleben – den Argumentationskreis schließend – die bereits zu Beginn dargestellte Grundprämisse, dass die Auferstehung weder rein transparent (und in diesem Sinne historisch) noch ausschließlich transzendent erfasst und gedeutet werden könne933, welches im Folgenden in Bezug auf Ringlebens (explizit als solches ausgewiesenes) Verständnis des Geschichtsbezuges der Auferstehung Christi konkretisiert sei. In Entsprechung zu seinem dargebotenen Verständnis der Grundkonstitution der Welt und des Daseins Gottes im Spannungsfeld von Zeit und Ewigkeit betont Ringleben auch in Bezug auf den Geschichtsbezug der Auferstehung so, dass die Ewigkeit (als Gottes Leben) sich in ihr innerhalb der Zeit vermittele und sich somit von ihr unterscheide.934 Indem die Auferstehung nun als alleinige und (auch geschichtlich) neuartige, sein Leben betreffende Tat Gottes aus seinem Sein hervorgehe, könne es sich bei ihr zweifellos nicht um ein lediglich innerweltliches Geschehnis handeln, sondern vielmehr um ein weltgeschichtliches und auch eschatologisches Novum.935 Ihre Neuartigkeit scheint sich für Ringleben dabei daraus zu ergeben, dass sie die „reale Verheißung einer Aufhebung der Geschichte in der neuen Wirklichkeit von Gottes ewigem Leben“936 darstelle, die sich in ihr 927 A.a.O., 32, mit Verweis auf Moltmann und unter Zitation von Pannenberg, Systematische Theologie II, 393. 928 Vgl. ebd. 929 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 35. 930 Ringleben, Der lebendige Gott, 951. 931 Ebd. 932 A.a.O., 547 f. 933 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 83. Die Zuschreibung des Historischen zielt hier auf etwas ab, das mit geschichtswissenschaftlichen Mitteln als solches ausweisbar wäre. 934 Vgl. a.a.O., 160. 935 Vgl. a.a.O., 47–49. Ringleben erläutert hier und im unmittelbar Folgenden leider nicht eingehender, worauf er mit der Verwendung des Begriffs des Geschichtlichen sowie mit dem Verweis auf die „Aufhebung der Geschichte“ (a.a.O., 87) abzielt. Denkbar ist sowohl eine Bezugnahme auf die nicht näher konkretisierte, von Menschen wahrnehmbare Kategorie der Geschichte im alltagssprachlichen Sinne als auch eine explizite Bezugnahme auf ihre empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension. 936 A.a.O., 87. Ringleben konkretisiert seine Vorstellung dieser Wirklichkeit, indem er sie

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selbst bereits zu erfüllen begonnen habe937, da sie der Einbruch von Gottes ewigem Leben hinein in unsere Welt sei.938 Wie schon in Bezug auf das (allen Aussagen über die Auferstehung zugrundeliegende) Dasein Gottes und sein ewiges Sich-Setzen betont Ringleben jedoch auch in Bezug auf die Auferstehung die zu bedenkende Relevanz ihres Geschichtsbezuges. Wenngleich sie keineswegs als ein lediglich zeitliches Geschehen zu denken sei939, so stellt er doch heraus, dass es völlig verkürzt wäre, das Auferweckungshandeln Gottes an Jesus aufgrund seiner eschatologischen Dimension als einen „Ausstieg aus der Geschichte“940 zu verstehen. Die Geschichte (und somit auch ihre empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension) müsse vielmehr als Gottes Weg und ferner als der Platz seiner auf die Menschen bezogenen Handlungen gedeutet werden941, da sich in ihr (in Form der Auferstehung) das, was sich in ihm ereigne, nun an und auch in der Welt manifestiere.942 Erst durch die sich derart (schon in seiner Menschwerdung vollziehende) „,Verzeitlichung‘ des ewigen Gottes“943 könne ferner die „,Verewigung‘ derer, die zu ihm gehören“944, erfolgen, indem ihre Leben Anteil an dem (sich in ihre Zeit erniedrigten) „zeitgewordenen Ewigen“945 gewinnen können. Ungeachtet der dargestellten Prämissen scheint der von Ringleben vorausgesetzte Bezug der Auferstehungsereignisse zur empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte ferner bereits darin begründet zu liegen, dass das Auferweckungshandeln Gottes sich gezielt auf das gesamte Leben Jesu beziehe946, dessen Auferweckung nun eben auch „die Auferweckung als die gottgesetzte Überbietung der uns bislang bekannten Wirklichkeit durch die Wahrheit der Auferstehung bezeichnet, die als über jede andere Wirklichkeit hinausreichende Wirklichkeit verstanden werden könne (vgl. a.a.O., 81). Diese Wirklichkeit könne, wie Ringleben schon in Bezug auf die Wirklichkeit Gottes im Allgemeinen unterstrich, bis zu ihrem endgültigen Allgemein-Werden (vgl. a.a.O., 34) lediglich im Glauben wahrgenommen werden und ausschließlich (unter den gegebenen, empirisch-zeitlichen Bedingungen) „partiell zur Auswirkung komm[en]“ (vgl. a.a.O., 43). Jeder Glaubende sei nun insofern „eine Antizipation der eschatologischen Wirklichkeit ewigen Lebens in der Zeit“ (ebd.), als dass für ihn im Glauben „die Neubestimmung Gottes durch sein Auferstehungshandeln […] schon da“ (ebd.) sei und er von jenem Leben lebe, das als ewiges, göttliches Leben am Auferstandenen bereits erschienen sei (vgl. ebd.). 937 Vgl. a.a.O., 87. 938 Vgl. a.a.O., 81. 939 Vgl. a.a.O., 28. Die Bezeichnung des zeitlichen Geschehens (vgl. ebd.) scheint auf die Beschreibung eines Geschehens abzuzielen, das in der empirisch als solche definierten Dimension der Zeit verankert ist und mit natur- und/oder geschichtswissenschaftlichen Mitteln als solches ausweisbar ist. 940 A.a.O., 92. 941 Vgl. ebd. 942 Vgl. a.a.O., 44. 943 Vgl. Feldmeier u. Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 417. 944 Ebd. 945 Ringleben, Der lebendige Gott, 543. 946 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 135.

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dieses Gekreuzigten“947 sei, wodurch der Auferstehungsglaube unwiderruflich mit der irdisch-diesseitigen Geschichte der Person Jesu von Nazareth verbunden sei und bleibe.948 Aus dieser Vorstellung einer wahrhaftigen, untrennbaren Einheit des Auferweckten mit dem Irdischen sei zudem rückzuschließen, dass Jesus schon immer der Sohn Gottes gewesen sei.949 Eine Negation des Geschichtsbezuges der Auferstehung und/oder eine Relativierung seiner Relevanz im Sinne der existentialen Interpretation Bultmanns erachtet Ringleben aufgrund der dargestellten Argumente als problematisch. Dies begründet er auch darin, dass – mit Niebuhr gesprochen – „die reale Grundlage der Gemeinde und ihrer gemeinsamen Geschichte preisgegeben [werde]“950 und der personenhaft Auferstandene im Sinne der Konzeptionen Bultmanns und Lüdemanns als „unaussprechliche Erfahrung der Religiosität“951 verstanden werden würde, sofern man das in Kreuz und Auferstehung Jesu gegebene historische Fundament verleugne, welches das (in der empirisch-geschichtswissenschaftlichen Dimension der Geschichte zu verortende) göttliche Handeln und – mit diesem – den „Ursprung der Kirche“952 bezeichne. Wie schon Barth und Moltmann betont somit auch Ringleben, dass die Macht Gottes, die in den Auferstehungsereignissen wirksam und ersichtlich werde, als geschichtsgestaltend zu verstehen sei953 und ein (sich auch in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte vollziehendes) „Handeln“ Gottes am verstorbenen Jesus somit nicht im Stile Troeltschs, Bultmanns oder Lüdemanns kategorisch auszuschließen sei. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem besagten Geschichtsbezug nur um eine einzige, nicht überzubetonende Facette der im Spannungsfeld von Zeit und Ewigkeit stehenden Auferstehung handele, die sich aufgrund ihrer eschatologischen Natur notwendig von herkömmlichen historischen Ereignissen unterscheide, indem sie – hier mit Verweis auf Ihmels – als ein Tupfen innerhalb der nicht näher konkretisierten Geschichte fungiere, welcher zugleich ihr Ende verbürge.954

947

A.a.O., 130. Vgl. ebd., unter Zitation von Pannenberg, Systematische Theologie II, 385. 949 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 128. Der Gedanke, dass Jesus schon immer der Sohn Gottes gewesen sei (vgl. ebd.), findet sich an verschiedener Stelle auch bei Pannenberg, der von Gott ausgehend argumentierte, dass sein Sohn Jesus ewig zu ihm als seinem Vater gehöre, sofern dieser in Ewigkeit „im Verhältnis zu Jesus, seinem Sohn, und durch ihn geschichtlich offenbar ist“ (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 410). 950 Niebuhr, Auferstehung und geschichtliches Denken, 125, zitiert nach Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 48 f. 951 Ebd. 952 Ebd. 953 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 177. 954 Vgl. Ihmels, Zur Frage nach der Auferstehung Jesu, 35, zitiert nach Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 30. 948

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Sofern man sachrichtige Aussagen über den Geschichtsbezug der Auferstehung tätigen wolle, müsse man somit sowohl ihre Zeitlichkeit und ihre Verankerung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte als auch ihren direkten Bezug zur göttlichen Ewigkeit berücksichtigen. Wie schon hinsichtlich des Daseins Gottes könne (in Übereinstimmung mit Barth) nun auch im Zusammenhang mit der Auferstehung festgestellt werden, dass sie in ihrem Bezug auf die innerweltliche Zeit und die Geschichte sowohl vorwärts- als auch rückwärtsgewandt zu denken sei955, da der Auferstandene niemals zu einer Vergangenheit werde, sondern stets immer neu(e) Gegenwart sei.956 Die Beziehung zwischen den geschichtlich verfassten Auferstehungsereignissen und der allumfassenden Wirklichkeit des „Handelns“ Gottes957 sei dann nach Ringleben im Anschluss an die dargestellten Überlegungen derart vorzustellen, als dass Letzteres958 jene Wirklichkeit sei, welche das (als geschichtliches Geschehen verstandene) Leben und auch Sterben Jesu nun so umfasse, dass Gott (als der ewig Lebendige) sich in ihm immer wieder und von Neuem hervorbringe.959 c) Grableerfindungsdeutung „[O]b man das Grab leer denkt oder nicht, das entscheidet natürlich über das Verständnis der Auferstehungsrealität selber.“960

Nähert man sich der Grableerfindungsdeutung Ringlebens an, so fällt zunächst ins Auge, dass diese Parallelen zu der dargestellten Deutung Karl Barths als „sachlich unentbehrliche Nebenbestimmung“961 aufweist, obschon sie sich von ihr in ihrer Detaillierung doch sehr unterscheidet und daher im Folgenden eigens thematisiert sei. Im Anschluss an die Argumentationstradition von Campenhausens und Pannenbergs stellt Ringleben zu Beginn in Bezug auf den empirischen Zustand der Grabstätte heraus, dass auch er grundsätzlich annehme, dass diese leer vorgefunden worden sei. Im Anschluss an Pannenberg verweist er darauf, dass lediglich die Ursache des Leerseins der Grabstätte – nicht aber das Faktum ihrer Leerfindung – von Beginn an umstritten gewesen sei, was daraus ersichtlich werde, dass diese auch im Kontext der jüdischen Polemik vorausgesetzt wurde. Über diese und weitere, für die Argumentation Pannenbergs charakteristische Thesen hinausweisend gibt Ringleben zudem zu bedenken, dass auch der Um955

Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 92. Vgl. a.a.O., 132. 957 Vgl. a.a.O., 167. 958 Gedacht sei erneut an das Handeln Gottes als die göttliche, schöpferische Ewigkeit. 959 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 167. 960 A.a.O., 107. 961 Barth, KD IV/1, 376. 956

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 181

stand, dass sich im Umfeld der Grabstätte kein Kult entwickelt habe und sie daher zunehmend dem Vergessen anheimgefallen sei, dafür spreche, dass sie tatsächlich leer vorgefunden worden sei. In Abgrenzung zur Argumentationstradition Pannenbergs und in argumentativer Nähe zu Barth betont Ringleben nun jedoch, dass auch eine vorausgesetzte Grableerfindung per se die Auferstehung nicht beweisen könne und – wie dem neutestamentlichen Befund zu entnehmen sei – auch nicht zur Entstehung eines Osterglaubens geführt habe.962 Aus diesen Erkenntnissen schlussfolgert Ringleben nun jedoch nicht, dass es sich bei dem leeren Grab lediglich um ein (nicht näher definiertes und in seiner Relevanz zu relativierendes) Zeichen der/für die Auferstehung im Sinne der in Kapitel II.5 dargestellten Ansätze handele, dessen empirischer Zustand bedeutungslos sei. Stattdessen unternimmt er einen eigenen Deutungsversuch.963 Im Rahmen dessen gelangt er ebenfalls zu der Erkenntnis, dass es sich bei dem leeren Grab um ein Zeichen handele, welches er jedoch (wie Barth) sowohl für die Urchristenheit als auch für die heutigen Christen als unentbehrlich bezeichnet.964 Während diese Unentbehrlichkeit sich für die Urchristenheit notwendig schon daraus ergeben habe, dass „eine wirkliche Auferstehung“965 für sie (aufgrund des von Pannenberg herausgearbeiteten, zur Erklärung der Auferstehungsereignisse herangezogenen, jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizontes) ausschließlich im Zusammenhang mit der leergewordenen Grabstätte (als Resultat des Einbezugs des Leichnams in das Auferstehungsgeschehen) vorstellbar gewesen sei, resultiere sie für die heutige Christenheit daraus, dass das Leersein des Grabes – betrachtet aus einem bestehenden Glauben – auf den Umstand des Angebrochenseins des Eschatons verweise.966 Ringleben geht hier in Anknüpfung an die in seiner Auferstehungsdeutung entfaltete Vorstellung der göttlichen Neuschöpfung aus dem Nichts davon aus, dass gerade der leere Zustand der Grabstätte als „das Moment von Negativität im neuen Sein des Christus“967 die absolute Diskontinuität968 bezeuge und veran962 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 106 f. Diese Verweise darauf, dass die Grableerfindung die Auferstehung weder beweisen noch zur Entstehung eines Osterglaubens führen könne, markieren charakteristische Momente der systematisch-theologischen Auseinandersetzung mit den Grableerfindungsperikopen, was im Kapitel II.5 eingehender beleuchtet wird. 963 Ringlebens Deutungsversuche beziehen sich dabei auf die im ersten Teil dieses Buches dargestellten Grableerfindungserzählungen der Evangelien, die er als veranschaulichende Darstellungen der Osterbotschaft versteht, welche sich von den Entrückungslegenden der Antike erkennbar unterscheiden (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 107). Seine Überlegungen stehen somit im unübersehbaren Gegensatz zu der (in Kapitel II.5.3.a dargestellten) Interpretation Bickermanns, der die Grableerfindungserzählungen als Adaptionen ebendieser Legenden deutet (vgl. Kapitel II.5.2.a). 964 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 107. 965 Ebd. 966 Vgl. ebd. 967 A.a.O., 68. 968 Die erwähnte, charakteristisch und wesensmäßig zu den Auferstehungsereignissen ge-

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

schauliche, die mit der creatio ex nihilo seines neuen Auferstehungsdaseins zwangsläufig einherginge.969 Nach Ansicht Ringlebens sei das Interesse in Bezug auf die Auferstehungsleiblichkeit Christi somit aus theologischer Perspektive als ein Interesse in Bezug auf die ,Ganzheit der Neuschöpfung‘“970 zu verstehen. In diesem Zusammenhang weist Ringleben – in Abgrenzung zu den dargestellten Vorwürfen Lüdemanns – deutlich darauf hin, dass seine Vorstellung einer Auferweckung Jesu heraus aus seiner Grabstätte keineswegs mit der theologisch als absurd zu bezeichnenden Auffassung gleichzusetzen sei, dass dieser durch die Macht Gottes zeitweilig im Sinne einer Fortführung seines bisherigen, irdischen Lebens in seinem (möglicherweise sogar schon verwesenden) Leib reanimiert worden wäre, daraufhin die Grabstätte verlassen hätte und sich dergestalt vor seinen Jüngern präsentierte.971 Diese Einschätzung ergebe sich auch aus der Lektüre der Darstellungen des Maria von Magdala gegenüber ausgesprochenen Berührungsverbotes des Auferstandenen in Joh 20,17, die sich augenscheinlich ebenfalls gegen unangemessen handgreifliche Konzepte der Auferstehungsleiblichkeit richten und zeigen, dass durch die Auferstehung keine schlichte Rückkehr Jesu zu seinem prämortalen, leibhaften Verhalten ermöglicht werde.972 Vielmehr handele es sich bei ihr um ein komplexes eschatologisches Geschehen und „Handeln“ Gottes. Das Leersein des Grabes Jesu zeuge somit also nicht von einer Reanimation seines Leichnams, sondern von seiner (die besagte Diskontinuität beinhaltenden) radikalen Verwandlung hin zu seinem Auferstehungsdasein in seiner pneumatischen Leiblichkeit. Diese weise keine Kontinuität substanzieller Art973 zu seiner sterblichen Leiblichkeit auf, beziehe diese aber dennoch im Sinne

hörige Diskontinuität werde nach Ansicht Ringlebens nicht nur in der Grableerfindung ersichtlich, sondern auch in der neutestamentlich bezeugten Mehrzahl vereinzelter, erst einmal nicht zusammenhängender und letztlich ausbleibender Erscheinungsbegebenheiten (vgl. a.a.O., 68 f.) sowie in dem Umstand, dass die Jünger den Auferstandenen nicht unmittelbar wiedererkannten (vgl. a.a.O., 69), was ebenfalls davon zeuge, dass es sich bei den Osterereignissen um kategorial neuartige, eschatologische Begebenheiten handele – und eben nicht um eine lediglich kurzzeitig unterbrochene Fortführung der prämortalen Interaktion Jesu mit seinen Jüngern (vgl. ebd.). 969 Vgl. a.a.O., 68. 970 A.a.O., 111, unter Zitation von Ebeling, Dogmatik II, 304. 971 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 107 f. u. 112. 972 Vgl. a.a.O., 108. 973 Vgl. a.a.O., 113. Gegen die Vorstellung Ringlebens, dass keine Kontinuität substanzieller Art (vgl. ebd.) zwischen der pneumatischen und der sterblichen Leiblichkeit vorliege und/oder vorliegen müsse, wird mitunter kritisch eingewandt, dass eine derartige Kontinuität notwendig vorauszusetzen sei, weil diese dazu diene, das Fortbestehen der Identität des Verstorbenen mit dem Auferstehenden zu gewährleisten. Ringleben begegnet dieser Annahme, indem er darauf verweist, dass diese Identität nicht durch (annähernd) biologische Prozesse, sondern durch die schöpferische Macht Gottes gewährleistet werde, der die Identität des Auferstehenden mit seinem ganz eigenen Dasein und Leben umschließe (vgl. a.a.O., 52). Angesichts dieser Gedanken könnte es verwundern, dass Ringleben im weiteren Verlauf seiner Ausführungen darauf verweist, dass die leer vorgefundene Grabstätte darauf hindeute,

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 183

einer Aufhebung ein974, welche wiederum als eine „Beseitigung und Bewahrung“975 zu denken sei. Ringleben konkretisiert diese Vorstellung, welche innerhalb seiner Konzeption als Begründung der Grableerwerdung fungiert, mit Verweis darauf, dass das in der (alle biologischen Verstehensbemühungen übersteigenden und durch diese nicht erfassbaren976) Verwandlung Jesu erfolgende „neue Setzen der eschatologischen Wirklichkeit“977 und das Werdenlassen des Endgültigen „aus dem ,Irdischen‘“978 sich an ihm selbst bereits vollzogen habe, was notwendig einschließe, dass die alte Wirklichkeit und mit ihr auch die (zu dieser gehörende) alte Leiblichkeit vergangen seien.979 Dies ergebe sich bereits aus dem von Paulus herausgestellten Umstand, dass die irdische Leiblichkeit des Menschen (im Gegensatz zur pneumatischen, durch den lebensschaffenden Geist Gottes entstehenden980 Leiblichkeit in ihrer „eschatologischen Vollkommenheit“981) keineswegs unvergänglich, unsterblich und/oder herrlich sei und somit notwendig als ihr „schattenhaftes Vorstadium“982 zu betrachten sei, das in eine pneumatische Leiblichkeit hinein

„dass er [=Jesus] selber es ist, der wiederkommt in den Erscheinungen“ (a.a.O., 108). Dies könnte den Eindruck erwecken, dass der Erhalt der Identität von Gestorbenem und Auferstandenem seines Erachtens nun doch von einer auch substantiellen Kontinuität (vgl. a.a.O., 113) zwischen dem irdischen und dem pneumatischen Leib abhängig wäre. Diese Annahme könnte ferner auch durch seine Hervorhebung dessen bestätigt werden, dass jede Vorstellung eines vollen Grabes einer „Aufspaltung des einen Jesus Christus“ (a.a.O., 110) gleichkäme, da sie notwendig zu der Konsequenz führe, „dass dann der Auferstandene nicht völlig er selbst als diese ganze Person wäre, sondern nur eine gespensterhafte Verdoppelung […] seiner selbst“ (a.a.O., 109 f.). Diese vermeintlich widersprüchlichen Aussagen Ringlebens erweisen sich jedoch dann als schlüssig und auch als widerspruchsfrei, wenn davon ausgegangen wird, dass er im Sinne der angesprochenen Prämissen der jüdischen Anthropologie, wie sie in Kapitel III.3.1.a dargestellt werden, voraussetzt, dass die Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit einen Einbezug der irdischen Leiblichkeit in ihren Entstehungsprozess erforderlich mache, der zu der Annihilation und somit auch zu dem Verschwinden des irdischen Leibes aus dem Grabe führe (vgl. a.a.O., 110). Dieser Einbezug sei jedoch nicht mit der Herstellung einer „substantielle[n] Kontinuität“ (a.a.O., 113) zu verwechseln. Dass Ringleben im weiteren Verlauf seiner Ausführungen des Öfteren auf das notwendige Einbezogensein der irdischen Leiblichkeit Jesu in einen (zur Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit führenden) Verwandlungsprozess hinweist (vgl. a.a.O., 113 f.), scheint diese Vermutung zu bestätigen. Im dritten Teil dieses Buches erfolgt eine explizite Auseinandersetzung mit dieser (Ringleben unterstellten) Vorstellung sowie mit der hier lediglich problematisierten Frage nach dem Kontinuitätserhalt. 974 Vgl. a.a.O., 110. 975 A.a.O., 113. 976 Vgl. a.a.O., 112. 977 A.a.O., 83 f. 978 Ringleben, Der lebendige Gott, 914. 979 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 83. 980 Vgl. a.a.O., 112. 981 A.a.O., 114. 982 Vgl. ebd.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

aufgehoben werden müsse, wie dies freilich in der (seine Fleischwerdung verewigenden) Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit Jesu erfolgte.983 Ringleben kann also schlussfolgern, dass die Auferstehung nichts sei, „wovon die sterblichen Überreste in den Gräbern unbetroffen bleiben“984. Den „Vorgang“ dieses Betroffenseins der besagten Überreste charakterisiert er sodann mit Graß als „Verzehrtwerden der alten Leiblichkeit durch die vom Himmel kommende neue“.985 Diese wiederum sei als ein (aus der schöpferischen, göttlichen Verklärung und Verwandlung der alten Leiblichkeit resultierendes986) „zeitdurchdringende[s] Leben der Ewigkeit“987 im Sinne der gegenseitigen Durchdringung von Zeit und Ewigkeit zu verstehen. Folglich sei der Aspekt der (in der Ewigkeit Gottes aufgehobenen und auf sie zugehenden) Zeitlichkeit988 – hier repräsentiert durch die alte, im pneumatischen Leib aufgehobene, irdisch-vergängliche Leiblichkeit – wie auch schon in Bezug auf die Ewigkeit Gottes989 besonders zu betonen, welche einen zeitlichen Aspekt beinhalte, aber sich von diesem gleichsam abgrenze. Ringleben macht dies ersichtlich, indem er darauf verweist, dass das pneumatische Sein Christi sich gerade durch das „lebendige Zugleich“990 seiner zu seiner Ewigkeit zugehörigen Attribute und seiner (in diese Ewigkeit hinein aufgehobenen) Zeitlichkeit auszeichne, in welche er (auf seine Ewigkeit zugehend) eintrat. Dieses Zugleich werde im neutestamentlich vielfach dargestellten Wechselspiel des plötzlichen Erscheinens und Sichentziehens des so nahen und doch so distanzierten Auferstandenen erkennbar, welcher zwar körperlich in gewisser Weise „da gewesen“ zu sein schien, aber dennoch nicht greifbar war und blieb.991 In diesen Erwägungen finden sich die dargestellten Vorstellungen Ringlebens in Bezug auf das allen Auferstehungsdeutungen zugrundeliegende, die Zeitmodi durchdringende Sein Gottes wieder, wobei insbesondere den Gedanken der „Umkehrung der normalen Zeitrichtung“992 und der Möglichkeit einer schöpferischen Wiederaufnahme und Umgestaltung der Vergangenheit993 im Prozess der 983

Vgl. a.a.O., 114 f. Vgl. a.a.O., 110. 985 Grass, Ostergeschehen, 164. 986 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 114. 987 A.a.O., 72. 988 Vgl. a.a.O., 35. 989 Vgl. Kapitel II.3.3.a. 990 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 111. 991 Vgl. ebd. Ringleben stellt im Zusammenhang mit seiner Deutung der Leiblichkeit ferner zur Debatte, ob und inwiefern eine Ergänzung der (in den neutestamentlichen Ostererzählungen einseitig hervorgehobenen) individuellen Dimension der Leiblichkeit Christi um die paulinischen Vorstellungen der Gemeinde als dem Leib des Auferstandenen vorzunehmen wäre, die gegebenenfalls dazu beitragen könnte, „die eschatologische Allgemeinheit der Auferstehung […] voll zur Geltung zu bringen“ (a.a.O., 115), wobei jedoch selbstverständlich darauf zu achten wäre, dass auch keine Reduzierung der eschatologischen Leiblichkeit auf den besagten Aspekt erfolgen dürfe (vgl. ebd.). 992 Ringleben, Der lebendige Gott, 534. 993 Vgl. a.a.O., 931. 984

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 185

Aufnahme der alten Leiblichkeit in die Ewigkeit Gottes994 ein hoher Stellenwert zugedacht wird. An der sterblichen, im Grab nicht länger vorfindlichen Leiblichkeit Jesu habe sich so in Entsprechung zu dem Umstand, dass im Geschick Jesu die Vollendung der Schöpfung antizipiert werde, in einer zeitraffenden Weise all jenes antizipatorisch vollzogen, was im Eschaton für die Leiblichkeiten aller bis dahin Verstorbener erwartet werden darf. Dieser Vollzug wiederum sei – wie dargestellt – näher zu charakterisieren als das „Kommen des neuen ewigen Lebens“995, welches notwendig mit einer Aufhebung des Alten (im Sinne seines Verzehrtwerdens oder Absterbens) einhergehe, da in der neuen Welt der Ewigkeit Gottes keine alten und somit vollen Gräber existieren könnten.996 Das leere Grab fungiere daher zusammenschauend betrachtet als „,sprechendes Zeichen‘“997, das vom Abbruch jener empirischen Kontinuität zeuge, die sowohl Voraussetzung als auch Moment der göttlichen, im Geist vollzogenen Neuschöpfung „zu einem neuen pneumatischen Sein“998 sei. Somit gebe es anschaulich zu verstehen, dass Gottes Sein und Ewigkeit Jesus und seinen Tod999 („als das Leben in sich und aus sich selbst“1000) in sich verschlungen und überwunden habe, weshalb nun auch auf empirischer Basis nichts von ihm zurückgeblieben sei.1001 Über diese Einschätzung des empirischen Zustandes des Grabes sowie über die sich daran anschließende Deutung der Grableerwerdung hinaus, stellt Ringleben zudem in ähnlicher Weise wie Barth einige der weiteren „Funktionen“ ihrer Bezeugung heraus. So deutet er an, dass das leere Grab – obschon es erst durch eine sachgerechte Interpretation zum „sprechende[n] Zeichen“1002 werde – hoffnungsspendend wirken könne. Gerade vor dem Hintergrund, dass das in Jesu Geschick antizipierte Auferstehungsdasein und die mit diesem untrennbar verbundene Verwandlung seiner irdischen Leiblichkeit eine Erlösung des Menschen von dem „Leib dieses Todes“1003 und ferner auch eine Hoffnung auf eine pneumatische, ganz neue Leiblichkeit einschließen1004, ermutigen die Grableerfindungserzählungen mit ihren Hinweisen auf das Vergangensein des Alten und auf

994

Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 110. Ebd. 996 Vgl. ebd. 997 A.a.O., 108. Ringleben räumt jedoch ein, dass das leere Grab trotz seiner Unentbehrlichkeit nicht per se mit der (in der Literatur mitunter vorfindlichen) Wendung des sprechenden Zeichens bezeichnet werden könne, sondern „erst durch das deutende Wort“ (ebd.) zu einem ebensolchen werde, auf welches es weiterhin angewiesen bliebe (Vgl.). 998 A.a.O., 110 f. 999 Vgl. a.a.O., 111. 1000 A.a.O., 108. 1001 Vgl. a.a.O., 111. 1002 A.a.O., 108. 1003 A.a.O., 37, mit Verweis auf und unter Zitation von Röm 7,24 u. 1 Kor 15,44. Vgl. Röm 7,24: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes?“ 1004 Vgl. ebd. 995

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

die Neuwerdung der Dinge1005 dazu, die Grableerfindung als einen „unhintergehbaren Einschnitt“1006 sowie als eine nicht zu übersehende Spur dessen zu verstehen, „dass hier Leben aus dem Tod kommt.“1007 Des Weiteren komme dem leeren Grab aber auch eine Art kognitive Funktion zu, indem es insofern als „Index für die Tatsächlichkeit der Auferstehung […] und für ihre Wirklichkeit“1008 fungiere, als dass es verständlich mache, dass Gott sich im Rahmen seines „Auferweckungshandelns“ mit seinem Sohn selbst und so nun mit diesem konkreten, „wirklichen (irdisch-leibhaftigen) Leben als dieser einmaligen Person“1009 identifiziert habe und daher nichts, das auf Erden als „Etwas“ ausgewiesen werden kann, davon ausgenommen bliebe, „wenn und indem Gott Jesu ganzes Leben in seine Ewigkeit hinein aufhebt.“1010 Darüber hinaus stehe die Grableerfindung in einem gegenseitigen Verweiszusammenhang mit den Erscheinungen des Auferstandenen, da ihre negative Fehlanzeige des Nicht-im-Grabe-Seins Jesu auf die positive, „sich selber vergegenwärtigende Realität des Auferstandenen“1011 in seinen Erscheinungen hindeute.1012 Aufgrund all dieser Aspekte scheint Ringleben zu dem Schluss zu kommen, dass die Frage nach der Leerfindung des Grabes in Bezug auf ein angemessenes Verständnis der Auferstehung von Relevanz sei, da sie als Untersuchungsgegenstand mannigfaltige Einsichten eröffne, die zur Charakterisierung der Auferstehungsereignisse nutzbar gemacht werden können, und letztlich – wie anhand seiner Begründung der Grableerwerdung ersichtlich wurde – sogar „die Wirklichkeit der Auferstehung“1013 am leeren Zustand des Grabes hänge. Eindringlicher und expliziter noch als Barth und sogar Moltmann hebt Ringleben nun die besagte, derart begründete Relevanz hervor, was nicht nur am Umfang seiner Interpretation der Grableerfindung ersichtlich wird, sondern auch in den zahlreichen Bezugnahmen auf sie an verschiedenen Stellen seines Werkes Wahrhaft auferstanden. Für ihn ergibt sich, dass die Rückfrage nach der Grableerfindung sowie ihre Untersuchung nicht im Sinne Bultmanns oder Lüdemanns als gleichgültig be-

1005 Vgl. 2 Kor 5,17, von Ringleben zitiert im Kontext seiner Ausführungen in Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 108. 1006 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 108. 1007 Ebd. 1008 A.a.O., 109. 1009 Ebd. 1010 Ebd. 1011 A.a.O., 108. Ringleben bezieht hier auch den Aspekt des Auferstehungsglaubens in den dargestellten Verweiszusammenhang ein, indem er darauf hinweist, dass dieser „– das Nein des Grabes mit dem Ja der Gegenwart Christi vermittelnd – […] auf eine übergegenständige Wirklichkeit bezogen“ (ebd.) sei, welche freilich Gewissheit ermögliche, aber jede empirische Verifikation kategorisch ausschließe (vgl. ebd.). 1012 Vgl. ebd. 1013 A.a.O., 109.

II.3 Die Auferstehung als Anlass zur Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs 187

wertet werden können1014, sondern durchzuführen seien, obschon dieses Anliegen zweifellos nicht in einer theologisch wenig gewinnbringenden, einseitigen Fixierung auf die vermeintlich „hart realistische Frage“1015 nach dem empirischen Zustand des Grabes Jesu1016 verfolgt werden dürfe und jede Erkenntnisbemühung vor dem Hintergrund des Spannungsfeldes von Zeit und Ewigkeit vollzogen werden müsse. Dass diese (in den Historizitäts- und Realitätsvorstellungen Ringlebens begründeten) Vorentscheidungen sein Verständnis der Grableerfindung prägen und die Relevanz begründen, die er ihr zuspricht, dürfte augenfällig sein – führen sie ihn doch dazu, den an sich isolierten Untersuchungsgegenstand in einen übergeordneten Zusammenhang zu stellen und seine Bezüge zu diversen anderen Strängen des Auferstehungsdiskurses in der gezeigten Weise sichtbar zu machen. d) Zusammenschau Betrachtet man die Konzeptionen Barths, Moltmanns und Ringlebens, innerhalb derer vorausgesetzt wird, dass die Kategorie der Geschichte und – erst recht – Gott nicht angemessen durch einseitig auf rationalistische Maßstäbe verengte, geschichtswissenschaftliche Untersuchungen zu erfassen sind, so zeigen sich trotz der individuellen Profilierungen der Konzeptionen Parallelen in den Ausführungen der drei Theologen. Ausgehend von ihren jeweiligen Umperspektivierungen der Kategorie der Geschichte, die freilich stark voneinander abweichen1017, denen jedoch gemein ist, dass ein Verständnis der Geschichte ausgehend von den Auferstehungsereignissen konstruiert wird, anstatt diese in Abhängigkeit von einem zuvor konstruierten Verständnis von Geschichte zu untersuchen, votieren alle drei für ein zeichenhaftes Verständnis des leeren Grabes. Wenngleich sie einhellig feststellen, dass dieses nicht als Beweis der beziehunsgweise für eine Auferstehung fungieren könne und auch keinen Glauben zu erwecken vermöge, geht diese Charakterisierung der neutestamentlichen Grableerfindung als Zeichen jedoch nicht mit einer Relativierung ihrer Relevanz einher. Ganz im Gegenteil betont jeder von ihnen einen untrennbaren Zusammenhang von Auferstehung und Grableerwerdung und stellt darüber hinaus vielfältige, mitunter ähnliche, dem leeren Grab zuzuschreibende Funktionen heraus.1018 Die erkennbare Hochschätzung der

1014

Vgl. ebd. A.a.O., 3. 1016 Vgl. ebd. 1017 Während Barth im Rahmen seiner thematisierten Ausführungen eine grundlegende, noch nicht detailliert ausgestaltete Erweiterung des modernen Geschichtsbegriffs vornimmt, ergänzt Moltmann diesen um gänzlich neue Konzeptelemente, wie das des Paradigmas der Natur. Ringleben geht noch einen Schritt weiter, indem er die Geschichte als solche im Rahmen seiner umfassenden Umkontextualisierung in dem skizzierten, alles Dasein umfassenden Spannungsgefüge von Zeit und Ewigkeit des Seins Gottes verortet. 1018 Besonders eindrucksvoll ist dabei nicht nur die Betonung des kognitiven Zugewinns, 1015

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Grableerfindung sowie die Betonung ihrer Relevanz scheinen in der Orientierung und in dem Festhalten der Theologen am jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont begründet zu liegen, der das Leerwerden des Grabes – wie in Kapitel III.3.1 eingehender erläutert – im Zusammenhang mit einem Auferstehen Jesu notwendig voraussetzt. Dem leeren Grab wird hier eine Unentbehrlichkeit und eine (aus dieser resultierende) Bedeutung zugesprochen, die von Barth, Moltmann und Ringleben übernommen wurde. Die Kombination aus der Orientierung der Theologen an dem angesprochenen Deutungshorizont und an der auf ihm beruhenden neutestamentlichen Erklärung der Ursache der (von ihnen übereinstimmend als plausibel bewerteten) Grableerfindung mit ihrer Umperspektivierungen des modernen Geschichtsbegriffs, die es ermöglichen, diese Erklärung der Grableerwerdung durch ein Handeln Gottes in der Geschichte und durch eine personenhafte, leibliche Auferstehung Jesu in Betracht zu ziehen, führt dazu, dass Barth, Moltmann und Ringleben der Rede vom leeren Grab eine Relevanz zuschreiben können, die nicht von Ergebnissen geschichtswissenschaftlicher Rückfragen abhängt. Trotzdem halten sie an der Relevanz eines – freilich umperspektivierten – Geschichtsbezuges der Auferstehung fest, die eine Rückfrage nach demselben legitimiert. Im deutlichen Kontrast zu diesen Erkenntnissen stehen diverse, im gegenwärtigen Grableerfindungsdiskurs verbreitete, ebenfalls als zeichenhaft zu bezeichnende Deutungen der Grableerfindung, die den dargestellten Prämissen zwar in wesentlichen Punkten zustimmen, sich von diesen jedoch signifikant darin unterscheiden, dass sie sich zunehmend von der vorausgesetzten Orientierung an dem jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont distanzieren. Dies beeinflusst – entsprechend der thematisierten Prägung der jeweiligen Konzeptionen durch die zugrunde gelegten Prämissen – die entstehenden Grableerfindungsdeutungen und auch die (in Bezug auf ihren Gegenstand vollzogenen) Funktionszuschreibungen in erheblicher Weise. Daher erfolgt – in Abgrenzung zu den ausgebreiteten Erkenntnissen – eine Darstellung wesentlicher Argumentationslinien gegenwärtig diskursbestimmender Tendenzen sowie eine Skizzierung zweier Beispiele der Ausgestaltungen derartiger zeichenhafter Grableerfindungsdeutungen. All diese Überlegungen schließen sich an die nachfolgende Darstellung der Grableerfindungsdeutung Ingolf Dalferths an, die als geeigneter Übergang zwischen beiden Diskurspositionen fungiert. Dalferth zeigt sich so zwar mit den auch von Barth, Moltmann und Ringleben dargestellten Prämissen verbunden; seine Argumentation wird faktisch jedoch vorrangig durch die anschließend dargebotenen, gegenwärtig diskursbestimmenden Argumentationslinien geprägt. Dies führt dazu, dass sein der an der Auseinandersetzung mit den Grableerfindungsperikopen gewonnen werden kann, sondern auch die Hervorhebung des Umstandes, dass das leere Grab und die durch es implizierte Erwartung einer eschatologischen Neuwerdung eine hoffnungsspendende Dimension aufweisen und – wie Moltmann darstellt – sogar Einfluss auf den Umgang des Menschen mit seinen Mitmenschen nehmen können.

II.4 Die These von der notwendigen Verwesung des Leichnams Jesu

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Verständnis der Grableerfindung sich (trotz ähnlicher aufgerufener Grundannahmen) in unvereinbarer Weise von den Verständnissen Barths, Moltmanns und Ringlebens unterscheidet.1019

II.4 Die These von der notwendigen Verwesung des Leichnams Jesu (Ingolf Dalferth) Der Gedanke, dass es nicht angemessen sein könne, die Fragestellung nach der Auferstehung darauf zu beschränken, inwiefern sie gemessen an empirisch-geschichtswissenschaftlichen Maßstäben als historisches Ereignis zu bezeichnen sei, findet sich auch in der (in Auseinandersetzung mit Gerd Lüdemann präsentierten) Auferstehungs- und Grableerfindungsdeutung Ingolf Dalferths. Im Unterschied zu Barth, Moltmann und Ringleben schlussfolgert dieser allerdings gerade nicht, dass die Kategorie des historischen Ereignisses zu erweitern oder neu zu perspektivieren sei. Stattdessen entfaltet er die These, dass die Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung vor dem Hintergrund ihrer umfassenden Wirklichkeit grundsätzlich nicht angemessen sei, da sie auch dann, wenn ihre Beantwortung negativ ausfallen würde, lediglich davon zeugen könne, dass Jesu Auferstehung nicht als ein mit empirisch-geschichtswissenschaftlichen Mitteln hinlänglich beschreibbares Ereignis zu verstehen sei und dass der Glaube an sie sich vom Glauben an konkrete, als solche ausweisbare historische Tatsachen unterscheide.1020 Den Mehrwert einer Untersuchung des Geschichtsbezuges der

1019 Die Einordnung der Position Dalferths in die Gliederungssystematik dieses Buches erwies sich als herausfordernd und stellt letztlich auch in der vorliegenden Form nicht völlig zufrieden, da sich eine Konzeption, deren Ausgestaltung nicht an den (von dem Verfasser benannten) Ansprüchen und Prämissen orientiert ist, sondern diese geflissentlich ignoriert, mein Ziel, die Prägung der Deutungen durch die von den Interpreten vorausgesetzten Prämissen zu zeigen, ad absurdum führt. Notwendig mag hier die Frage aufbrechen, wie es möglich sein kann, dass Dalferth ganz ähnliche Vorstellungen und (für eine Deutung der Auferstehung geltende) Ansprüche aufruft, wie Ringleben, Barth und Moltmann, aber diese im Zuge seiner eigenen Überlegungen nicht berücksichtigt. Die von ihm sodann postulierte Notwendigkeit der Verwesung des Leichnams ist mit den Deutungen der Genannten nicht zu vereinbaren und mag eine Zuordnung seiner Konzeption zu denen von Reimarus, Bultmann und Lüdemann nahelegen. Von einer ebensolchen distanzierte ich mich jedoch, da sie nicht nur der beschriebenen Aufbaulogik widerspräche, sondern auch nicht recht würdigen würde, dass Dalferth die Auferstehung generell als ein mit Gott zusammenhängendes Geschehen denkt und auch als solches festhalten will. Diesen Erwägungen entsprechend hielt ich an meiner ursprünglichen Einordnung fest und begreife entstehende Irritationen als chancenreiche Impulse zum Anschlussgespräch, im Zuge dessen die skizzierte Problematik eingehender thematisiert und die sich aufdrängende Erkenntnis problematisiert werden können, dass weltbildhafte Vorprägungen die eignen Erkenntnisbemühungen mitunter derart stark prägen, dass sie sogar ein Verfolgen der eigenen Handlungs- und Interpretationsziele – entgegen der vorausgesetzten theologischen Grundannahmen – verunmöglichen. 1020 Vgl. Dalferth, 283.

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Auferstehung schließt Dalferth entsprechend in der (auch im gegenwärtigen Grableerfindungsdiskurs verbreiteten) Weise1021 aus. Dies scheint mit seiner Distanzierung von dem zuvor angesprochenen und von den genannten Theologen vorausgesetzten Deutungshorizont sowie von der Geltung seiner Prämissen zusammenzuhängen, wie im Folgenden anhand wesentlicher Leitgedanken Dalferths dargestellt wird. Hieran kann nicht nur ein erster Ausblick auf die nachfolgend erläuterten, gegenwärtig diskursprägenden Argumentationslinien gewährt werden, sondern es kann auch erneut ein Bewusstsein für die Vielfalt von Grableerfindungsdeutungen geschaffen werden, die aus mitunter ähnlichen Ausgangsprämissen aber abweichenden Historizitäts- und Realitätsvorstellungen resultieren können. In Entsprechung zu den Ausführungen Barths, Moltmanns und Ringlebens betont auch Dalferth, dass eine auf eine empirisch-geschichtswissenschaftliche Rückfrage reduzierte Untersuchung des Geschichtsbezuges der Auferstehung seines Erachtens unangemessen sei, da ein derartiges Vorgehen nicht nur die Entstehung eines verengenden Welt- und Wirklichkeitsverständnisses begünstige1022, sondern den Kern der Auferstehungsbotschaft ohnehin nicht zu erfassen vermöge.1023 Dies ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass die Auferstehung – im Gegensatz zu jenen im Sinne Troeltschs als historisch zu bezeichnenden Begebenheiten, welche „ihren Ort in unserer Welt“1024 haben und deshalb wesentlich weltlich seien – wesentlich göttlich sei1025 und daher grundsätzlich „kein historisches Ereignis“1026 (wie das der Kreuzigung) seien könne, das einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage zugänglich sei, durch sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als historisch ausweisbar wäre und den christlichen Glauben in der Weltgeschichte verankere.1027 Auch die Relevanz des Kreuzes ergebe sich nach Ansicht Dalferths jedoch nicht ausschließlich aus seinem Geschichtsbezug – den er zumindest mit Verweis darauf würdigt, dass er nicht belanglos sei, sondern die besagte Verankerung des Geschehens in der Geschichte gewährleiste –, sondern vorrangig daraus, dass es „im Leben Gottes eine einmalige Rolle spielt“1028 und aus diesem Grund für seine Geschichte mit den Menschen ebenso wie für das Leben ebendieser von einer einmaligen Bedeutung sei.1029 1021

Vgl. Kapitel II.5. Vgl. Eckstein u. Welker, Einleitung, XIII. 1023 Dalferth, Volles Grab, 284. Dalferth erklärt, dass jene, die einen (von ihm als Historizität bezeichneten) Geschichtsbezug der Auferstehungsereignisse verteidigen und ihre Erkenntnisbemühungen auf die (im troeltschen Sinne) historischen Ereignisse des Lebens und Nachlebens Jesu sowie auf die Auswirkungen ebendieser in Bezug auf die Leben seiner Jünger fokussieren, ein „falsches Problem“ (ebd.) diskutierten. 1024 Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 79. 1025 Vgl. ebd. 1026 A.a.O., 80. 1027 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 283. 1028 A.a.O., 283 f. 1029 Vgl. ebd. 1022

II.4 Die These von der notwendigen Verwesung des Leichnams Jesu

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Das etwaige Vorhandensein eines Geschichtsbezuges scheint für Dalferth hinsichtlich der Beurteilung der Realität und Bedeutung der neutestamentlichen Phänomene also nicht zentral zu sein. Dies entspricht der in seinen Ausführungen enthaltenen, nachfolgend beleuchteten Relativierung der Notwendigkeit und Relevanz einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage nach den Auferstehungsereignissen, die – auch innerhalb des gegenwärtigen Auferstehungsdiskurses – ein Charakteristikum diverser Grableerfindungsdeutungen darstellt. Den angeführten Prämissen entsprechend seien die Osterereignisse nicht ausgehend von geschichtswissenschaftlichen Axiomen in Bezug auf einen potenziellen Geschichtsbezug zu untersuchen, sondern vor dem Hintergrund der Entstehungsbedingungen des Glaubens der ersten Christen zu beleuchten, der sich durch die Annahme auszeichnete, dass es sich bei den ihnen begegnenden Erfahrungen um eine Auferstehung eines Toten als ein „einzigartiges Alleinhandeln Gottes“1030 gehandelt habe. Hinsichtlich der Erscheinungen des Auferstandenen, welche initiativ von ebendiesem ausgingen, sei ferner festzuhalten, dass sie keine mit empirisch-geschichtswissenschaftlichen Mitteln zu vollziehende und/oder lediglich feststellende Wahrnehmung des Herrn beschreiben, sondern dass sie immer als mit dem empirisch-geschichtswissenschaftlich nicht erfassbaren Handeln Gottes an Jesus verknüpft zu denken seien1031 und untrennbar mit dem Glauben an ebendieses Handeln sowie mit dem Anspruch seiner Verkündigung verbunden blieben.1032 Es überrascht angesichts dieser Betonung der Komplexität der Wirklichkeit sowie angesichts des dalferthschen Anspruchs, die Auferstehung nicht in den engen Schranken des geschichtswissenschaftlich Erfassbaren zu untersuchen, dass seine Deutung der Entstehung des Osterglaubens sich in ebendiesen Grenzen bewegt, ohne dass sie im Stile Barths, Moltmanns oder Ringlebens erweitert werden oder eine Umperspektivierung erfahren. Die Entfaltung seiner Auferstehungsdeutung erfolgt so – entgegen dem Eigenanspruch Dalferths1033 – auf Basis der beiden geschichtswissenschaftlich-empirisch greifbaren „historischen Tatsache[n]“1034 der Kreuzigung Jesu und der Rede von seinen Erscheinungen durch die Jünger.1035 Diese beiden Ereignisse haben die ersten Christen nach An1030

Eckstein u. Welker, Einleitung, XIII. Selbiges gelte auch für die christliche Auferstehungsverkündigung, deren Inhalt sowie ihr Vollzug und ihr Erfolg als „freie Tat und Wirkung der schöpferischen Liebe Gottes“ (Dalferth, Volles Grab, 286) zu verstehen seien und die einer Bekräftigung durch die Menschen nicht bedürfe, zumal sie durch eine ebensolche ohnehin nicht überzeugungskräftiger werde. Dalferth räumt zwar ein, dass der Auferstehungsglaube nicht gänzlich unabhängig von der Auferstehungsbotschaft, wie sie von Menschen verkündet werde, entstünde; er betont jedoch auch, dass diese – im Gegensatz zur δυ ναμις Gottes – keinen ursächlichen Beitrag zur Entstehung des Glaubens leiste (Vgl. ebd.). 1032 Vgl. a.a.O., 288. 1033 Vgl. a.a.O., 284. 1034 A.a.O., 283. 1035 Vgl. a.a.O., 283 f. 1031

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sicht Dalferths aufgrund ihrer unvereinbaren Gleichzeitigkeit zum Auferstehungsbekenntnis als einer Schlussfolgerung abduktiver Art genötigt, die es ihnen ermöglichte, eine gedankliche Verbindung der beiden Ereignisse vorzunehmen.1036 Grundlage dieser Interpretation ist die Annahme, dass die Erscheinungen des Auferstandenen die Erscheinungsempfänger mit einer enormen kognitiven Dissonanz konfrontierten1037, da sowohl der Tod Jesu als auch seine Erscheinung (als der Lebendige) für sie unbestreitbar gewesen seien. Darüber hinaus standen diese beiden widersprüchlichen Erfahrungen nicht so in Verbindung zueinander, dass die erste durch die zweite korrigiert, außer Kraft gesetzt oder als fehlschlüssig ausgewiesen worden wäre.1038 Dieses Nebeneinander der beiden (unzweifelhaft wahrgenommenen und freilich auch für überzeugend befundenen, ausgehend von menschlichen Maßstäben allerdings nur als unvereinbar zu klassifizierenden) Ereignisse1039 des Todes und des Lebendigseins Jesu, welches im Rahmen geläufiger Alltagserfahrungen keine Entsprechung findet, zerriss die Einheit jedes Erfahrungszusammenhangs der Erscheinungszeugen und somit auch „ihre Identität als Erfahrungssubjekte in dieser Welt“.1040 Hieraus ergab sich für sie nach Ansicht Dalferths nun ein ganz „fundamentales Konsistenzproblem“1041, welches eigentlich nur unter der Bedingung hätte aufgelöst werden können, dass sie fortan lediglich einer der beiden Erfahrungen einen Wahrheitsanspruch zugebilligt hätten.1042 Stattdessen entschieden sie sich jedoch dafür, keines der beiden unvereinbaren Ereignisse zu verneinen, sondern ausgehend von einer bestehenden Identität Jesu sowie von der beschriebenen Unvereinbarkeit der mit ihm präund postmortal erlebten Begebenheiten eine Möglichkeit zur Auflösung ihres Konsistenzproblems zu erarbeiten.1043 Diese ergab sich für sie letztendlich daraus,

1036

Vgl. Härle, Wiederentdeckte Wurzeln, 26. Vgl. Dalferth, Volles Grab, 288 f. Ringleben charakterisiert die dargestellte kognitive Spannung, welcher sich die Jünger durch die Konfrontation mit den beiden unvereinbaren Erfahrungen des Todes und des Lebendigseins Jesu ausgesetzt sahen, in sprachbildlich treffender Weise als eine Art „Zerreißprobe“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 44). 1038 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 289. 1039 Vgl. a.a.O., 288. 1040 A.a.O., 289. 1041 A.a.O., 289. 1042 Vgl. a.a.O., 290. Die Erfahrung des Kreuztodes Jesu hätten die ersten Christen so mit Verweis darauf verneinen können, dass dieser gar nicht tatsächlich, sondern lediglich scheintot gewesen sei und/oder dass die Proklamation seines Todes damit zusammenhängen könnte, dass im damaligen zeitgeschichtlichen Kontext auch solche Menschen für tot gehalten wurden, die „lediglich“ schwer krank oder aussätzig gewesen seien (vgl. ebd.). Von den Erscheinungen hätten sie sich hingegen distanzieren können, indem sie sie – im Stile Lüdemanns (Kapitel II.2.4.a) – als Halluzinationen der Jünger aufgrund innerpsychologischer Prozesse gedeutet hätten oder indem sie darauf verwiesen hätten, dass es sich bei ihrer Bezeugung lediglich um einen inszenierten Betrug gehandelt habe (vgl. ebd.), was der Interpretation Reimarus’ (Kapitel II.2.1) entspricht. 1043 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 300. 1037

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dass sie die (auf ein Wirken Gottes zurückgeführte) Lebendigkeit ihres Herrn anhand seiner eigenen Botschaft deuteten1044, die beinhaltete, dass die in schöpferischer Weise wirksame Liebe Gottes demjenigen gelte, der nicht dazu in der Lage sei, sich selbst zu helfen.1045 Indem die ersten Christen die Auferstehung Jesu bekannten, wendeten sie somit den Verkündungsinhalt seiner Botschaft der bereits zu seiner Zeit gegenwärtig anbrechenden Herrschaft Gottes auf seine individuelle Geschichte sowie auf ihre Erfahrungen mit ihm und ebendieser1046 – und so auch auf ihren Herrn als solchen – an, an dem als einem exemplarischen Fall ersichtlich wurde, was von Gott zu erhoffen sei.1047 Ferner konnten sie mit Verweis auf eine Auferstehung Jesu die Ursache ihrer Erscheinungserfahrungen klar benennen und sie auf diese Weise vor anderen Menschen – aber eben auch vor sich selbst – plausibilisieren.1048 Die von ihnen vorgenommene hermeneutische Selbstanwendung der Botschaft Jesu auf diesen1049 habe jedoch darüber hinaus – ihrem Charakter als ein weltveränderndes hermeneutisches Ereignis entsprechend – auch eine über die Deutung seines Geschickes hinausgehende, umfassendere Relevanz, da sie zu einer universalen Entschränkung seiner Botschaft führte, im Zuge derer die „partikulare Gottesverkündigung in Israel in ihrem universalen Gehalt“1050 damit beginne, der (jeden Menschen adressierenden) Liebe Gottes zu entsprechen.1051 Die Auferstehungsverkündigung artikuliert nach Ansicht Dalferths – zusammenfassend betrachtet – keinen empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassba-

1044

Vgl. a.a.O., 300 f. Vgl. Härle, Wiederentdeckte Wurzeln, 26 f. 1046 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 288. 1047 Vgl. Härle, Wiederentdeckte Wurzeln, 27. Dalferth konkretisiert diese Vorstellung von der Anwendung der Botschaft Jesu auf diesen selbst zur Erläuterung seines Geschickes (vgl. ebd.), indem er darstellt, dass die Ausführungen Jesu als Verständnishorizont und auch als Verständnismittel zur Interpretation seines Ergehens gedient haben (vgl. Dalferth, Volles Grab, 301). Dies sei damit einhergegangen, dass (und konnte nur gelingen, weil) sich die ersten Christen im Kontext ebendieser Botschaft verstanden und entsprechend auch die sie umgebende Welt und ihre Begebenheiten ausgehend von ihr deuteten, was Jesu Leben und seine Hinrichtung folgerichtig einschloss. Bei diesem (von den ersten Christen vollzogenen) Verstehensprozess müsse es sich ferner nicht zwangsläufig um einen kognitiv-deutenden Interpretationsvorgang gehandelt haben, da Jesu Botschaft sich nach Ansicht Dalferths ganz natürlich als primärer Erfahrungskontext angeboten haben dürfte (vgl. ebd.). 1048 Vgl. a.a.O., 288 f. 1049 Vgl. a.a.O., 301. 1050 Ebd. 1051 Vgl. ebd. Der skizzierte Ansatz Dalferths scheint augenfällig auf frühen Deutungsansätzen Moltmanns zu beruhen, der in seinem Werk Im Ende – der Anfang ebenfalls darstellt, dass die ersten Christen die altisraelitische Vorstellung der Totenauferweckung adaptiert und auf Jesus bezogen haben (vgl. Moltmann, Im Ende, 58). Dies habe es ihnen ermöglicht „beide Erfahrungen – die erschreckende Erfahrung seines ohnmächtigen, gottverlassenen Sterbens am Kreuz und die erweckende Erfahrung seiner Gegenwart in der Herrlichkeit Gottes – auf einen Nenner zu bringen und zu begreifen.“ (ebd.). 1045

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ren Sachverhalt nach dem Kreuzestod Jesu und auch keine unmittelbare Abfolge verschiedener, mit geschichtswissenschaftlichen Mitteln erfassbarer Sachverhalte, da solche das Erfahrungsdilemma der ersten Christen nicht aufzulösen vermocht hätten. Vielmehr beschreibe sie eine frühchristliche Schlussfolgerung hinsichtlich des (für die ersten Christen auf andere Weise gar nicht aufzulösenden) Dilemmas um die zwei besagten, einander in inkompatibler Weise ausschließenden Sachverhalte, die aus einem Wirken Gottes resultierten, das alles mit empirischen Mitteln Erfassbare übersteige und es dennoch umfasse.1052 In diesem Zusammenhang unterstreicht Dalferth zudem, dass das dargestellte Handeln Gottes schon deshalb nicht als ein irgendwann zuvor einmal geschehenes historisches Ereignis bezeichnet werden könne, da es sich bei ihm um ein eschatologisches Geschehen handele, welches „ein für allemal geschehen“1053 sei, da der Herr in Gottes ewiges Leben – und somit gerade nicht in das uns bekannte geschichtliche Leben – hinein auferstanden sei.1054 Ein derartiges Bekenntnis zur Auferstehung Jesu umfasse auch die Bekennenden und erschließe ihnen „ein neues Selbst- und Wirklichkeitsverständnis1055 […] im Licht eines durch das Kreuzgeschehen veränderten Gottesverständnisses“1056,

1052 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 300. Dalferth bezeichnet die Selbstanwendung der Botschaft Jesu, welche ausgehend von den zwei angesprochenen, nicht kompatiblen Wahrnehmungen in abduktiver Weise von ihm erschlossen wurde (vgl. a.a.O., 302), entsprechend auch als den „Grund der Möglichkeit ihrer Vereinbarkeit trotz aller Unvereinbarkeit“ (ebd.). 1053 A.a.O., 304. Die Bezeichnung des historischen Ereignisses scheint hier auf ein Verständnis im Sinne der Axiome Ernst Troeltschs abzuzielen. 1054 Vgl. ebd. Beide vorerst nicht miteinander kompatible Aussagen erweisen sich somit, nach Dalferth, deshalb und insofern als wahr, da und als dass Jesus in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Zeit zwar tot sei, aber in Gottes Ewigkeit lebe (vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 229). 1055 Dalferth räumt in Bezug auf das veränderte Selbst- und Wirklichkeitsverständnis ein, dass die dargestellte Auflösung der angesprochenen kognitiven Diskrepanz durch die Deutungshypothese der Auferstehung Jesu nur von jenen als plausibel anerkannt und akzeptiert werden könnte, welche sich und ihre eigene Lebenswirklichkeit im Sinne des veränderten Verständnisses der Wirklichkeit und des eigenen Selbst (vgl. Eckstein u. Welker, Einleitung, XIV) als die Adressaten der göttlichen Auferweckungstat verstünden (vgl. Dalferth, Volles Grab, 302). Er fasst diesen Zusammenhang zusammen, indem er darauf verweist, dass jener, der die Auferstehung Jesu bekenne, nicht ausschließlich von ebendiesem, sondern primär von Gott und so dann auch von sich spreche (vgl. a.a.O., 303). Ferner sei der Osterglaube nach Ansicht Dalferths gleichursprünglich sowohl in Jesu Geschichte als auch in der Geschichte jener verankert, die seine Auferstehung bekennen, was darin zu begründen sei, dass er gänzlich im Handeln Gottes gründe. Diese Gedanken führen Dalferth nun zu dem durchaus kontroversen Schluss, dass es „ohne dass an ihn geglaubt wird“ (ebd.) überhaupt keinen Auferstandenen gäbe und dass es auch nicht sinnvoll wäre, seine Auferstehung zu thematisieren, sofern es keine Personen gäbe, die an ihn glaubten, was jedoch nicht derart misszuverstehen sei, „dass er auferweckt ist, weil an ihn geglaubt wird“ (ebd.). Nachdrücklich betont Dalferth hier: „Es gibt keinen Glauben an den Auferweckten, ohne dass dieser auferweckt ist, weil Gott ihn auferweckt hat“ (ebd.). 1056 Eckstein u. Welker, Einleitung, XIV.

II.4 Die These von der notwendigen Verwesung des Leichnams Jesu

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das sich durch die definitive göttliche Selbstbestimmung auszeichne, welche im Auferstandenen offenbart wurde.1057 Die Auferstehungsdeutung Dalferths, die von der dargestellten Argumentationsstruktur ausgeht, dass die Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung angesichts ihres Gegenstandes unangemessen sei, zeichnet sich somit sowohl durch die Überzeugung des Verfassers aus, dass jede Auferstehungsdeutung die grundlegende Spannung zwischen dem „geschichtlichen Tod und dem göttlichen Leben Jesu“1058 berücksichtigen müsse, als auch durch die Vorstellung, dass das christliche Bekenntnis zur Auferstehung Jesu sich nie ausschließlich „einer vergangenen Geschichte“1059 verdanke, sondern stets auch auf „einer gegenwärtigen Erfahrung“1060 beruhe. An diese Deutung anknüpfend entfaltet Dalferth sein Verständnis der Erzählungen um die Grableerfindung, das – wie auch seine Auferstehungsdeutung und entgegen der von ihm betonten Mehrdimensionalität der Wirklichkeit – ebenfalls von den Möglichkeits- und Realitätsvorstellungen der modernen Geschichtsund Naturwissenschaften beeinflusst zu sein scheint und sich wieder in den von diesen definierten Grenzen bewegt. Erneut betont Dalferth hier die Trennung von empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Ereignissen und eschatologischen Geschehen, welche auf ein Wirken Gottes zurückzuführen seien1061, indem er auch in Bezug auf das (aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive grundsätzlich denkbare) Ereignis einer Grableerfindung herausstellt, dass es höchst unangebracht sei, auf Gott und sein Wirken zu verweisen, um bestimmte geschichtliche oder natürliche Begebenheiten zu erklären1062, oder konkrete historische Phänomene als vermeintliche Beweise seiner Wirksamkeit oder Gegenwart anzuführen.1063 Dem Untersuchungs-

1057 Vgl. ebd. Die Auferstehungswirklichkeit Christi als solche sei in der Konzeption Dalferths – wie Eckstein und Welker zeigen – so zu denken, dass es sich bei dem Auferstandenen weder um „eine transweltliche ,supranaturale Realität‘“ (ebd.) handele noch um einen lediglich im Bewusstsein der an die Auferstehung Glaubenden zu verortenden Vorgang. Stattdessen sei er als „die sich in unserer Welt im Wirken des Geistes für uns verständlich auslegende definitive Selbstbestimmung Gottes“ (ebd.) zu verstehen, welche auf eine ihr gemäße Neubestimmung des Verständnisses von Gott, der Welt und dem eigenen Selbst abziele (vgl. ebd.). 1058 Dalferth, Volles Grab, 303. 1059 Ebd. 1060 Ebd. 1061 Vgl. a.a.O., 304. 1062 Vgl. a.a.O., 293. Der Verweis auf die besagten geschichtlichen Begebenheiten, welche Dalferth als historische Phänomene bezeichnet, zielt augenscheinlich auf alljene Begebenheiten ab, die anhand geschichtswissenschaftlicher Mittel mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als historisch ausgewiesen werden können. 1063 Vgl. a.a.O., 293. Dalferth bezieht die getätigte Aussage, dass kein (geschichtswissenschaftlich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als solches ausweisbares) historisches Ereignis zum Beweis der Wirklichkeit oder der Gegenwart Gottes heranzuziehen sei, explizit auf die Grableerfindung (vgl. ebd.). Auch hier betont er, dass das besagte, grundsätzlich denkbare Ereignis nicht in pseudohistorischer Weise als ein Beweis für die Auferstehung Jesu

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gegenstand der Grableerfindung sei sich ferner ausgehend von den dargestellten Grundannahmen und vor dem Hintergrund der Spannung der beiden unvereinbaren Ereignisse des Todes Jesu und seiner Erscheinungen anzunähern. Eine solche Untersuchung führe zu der Erkenntnis, dass die österlichen Erscheinungen in Anbetracht des Todes Jesu für ihre Zeugen (bereits isoliert betrachtet) als völlig ausreichende Begründung und auch als Anlass dafür fungiert haben, ausgehend vom aus menschlicher Perspektive nicht miteinander zu Vereinbarenden auf eine göttliche Auferweckung zu rekurrieren, auch ohne dass sie um eine Grableerfindung gewusst hätten. Ferner hätten die Zeugen sich – selbst wenn das Grab Jesu nicht leer vorgefunden worden wäre – dennoch mit den beiden unvereinbaren Erfahrungen konfrontiert gesehen, zu denen sie sich hätten verhalten müssen.1064 Eine Grableerfindung hätte per se hingegen keinen Anlass zur Reflexion der Möglichkeit einer Auferstehung Jesu geboten1065, da sie prinzipiell mehrdeutig sei, wie auch die Erzählungen von der Grableerfindung isoliert betrachtet aus theologischer Perspektive nicht aussagekräftig seien.1066 Daraus könne geschlussfolgert werden, dass die Grableerfindung – so sie denn stattgefunden habe – von der frühen Christenheit nicht als eigenständige Herausforderung wahrgenommen wurde. Wie auch Barth, Moltmann und Ringleben herausstellen, könne sie aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit auch nicht als ein eigenständiges Argument für Jesu Auferstehung herangezogen werden, sondern höchstens als bestätigendes Hilfsargument gedient haben, das dazu beigetragen haben könnte, den Vorwurf abzuwehren, dass es sich bei den Erscheinungsbezeugungen lediglich um „Dichtung ohne Wahrheit“1067 gehandelt habe. Daher könnten ein leeres Grab oder seine Bezeugungen als solche theologisch nicht von Relevanz sein oder interessieren1068, da das Wissen um eine Grableerfindung – wie gezeigt – nicht notwendig zur Entstehung eines Auferstehungsbekenntnisses führe1069 und auch die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassheranzuziehen sei und dass der christliche Glaube an den Auferstandenen sich die Grableerfindungserzählungen nur „gefallen lassen“ dürfe und könne, wenn dies berücksichtigt werde (vgl. a.a.O., 298 f.). Im Allgemeinen weist er darüber hinaus – ganz auf der Linie des bereits des Öfteren angesprochenen diskursprägenden Argumentes, dass das leere Grab keinen Glauben zu wecken vermöge – darauf hin, dass das Bekenntnis zur Auferstehung sich nie ausschließlich „einer vergangenen Geschichte“ (a.a.O., 303) (und somit vergangenen Ereignissen, wie dem einer Grableerfindung,) verdanke, sondern stets auch auf „einer gegenwärtigen Erfahrung.“ (ebd.) beruhe. 1064 Vgl. a.a.O., 288. Dalferth zeigt hier, dass ein Wissen um ein volles Grab sich lediglich insofern auf die Erscheinungszeugen und ihren Umgang mit den unvereinbaren Erfahrungen ausgewirkt hätte, als es ihre Kenntnis von dem Tod Jesu bestätigt hätte, wodurch ihre Erscheinungserfahrungen noch kognitiv dissonanter und provozierender auf sie gewirkt hätten (vgl. a.a.O., 299). 1065 Vgl. a.a.O., 288. 1066 Vgl. ebd. u. 293. 1067 A.a.O., 293. 1068 Vgl. a.a.O., 294. 1069 Vgl. a.a.O., 293.

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bare Begebenheit einer Grableerfindung1070 keinesfalls als Beweis für eine Auferstehung oder für eine sonstige singuläre Ausnahme vom mehrfach angesprochenen Analogieprinzip (sensu Troeltsch) heranzuziehen sei.1071 Einer leer vorgefundenen Grabstelle könne ferner auch deshalb kein theologischer Stellenwert beigemessen werden, da eine Auferstehung nach Ansicht Dalferths nicht zwangsläufig damit einhergehen müsse, dass die Leiblichkeit des Auferstehenden der Grabstätte entzogen und ins Auferstehungsgeschehen einbezogen werde.1072 Dalferth grenzt sich hier deutlich von Argumentationen im Stile Pannenbergs ab, die das leere Grab mit Verweis auf den jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont der frühen Christen als „notwendiges Implikat der Auferstehung“1073 verstehen, da er ebendiesen hinsichtlich einer angemessenen Auferstehungsdeutung für nicht verbindlich hält. Die von ihm vollzogene, kognitive Trennung der Auferstehungsereignisse von der Grableerfindung zeigt sich so etwa in seiner Einschätzung, dass es nicht die leere Grabstätte sei, auf deren Erklärung oder Begründung das christliche Auferstehungsbekenntnis abziele, sondern dass ihre Thematisierung innerhalb der Evangelien vielmehr als narrativer Versuch dessen zu verstehen sei, eine Begründung ebendieses Auferweckungsbekenntnisses anzuführen, welches wiederum der Auflösung der dargestellten kognitiven Diskrepanz diene.1074 Entsprechend scheint das leere Grab nach Ansicht Dalferths nun gerade nicht als ein Untersuchungsgegenstand zu verstehen zu sein, dem zwecks Erkenntnisgewinn mit einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage beizukommen wäre. Vielmehr sei es eine Art Verständnishilfe, anhand derer Aussagen darüber getroffen werden können, was die Erscheinungszeugen im Zuge ihrer Erscheinungserfahrungen erfuhren.1075 Dalferths leider nicht eingehender begründete Grundsatzentscheidung der Distanzierung von dem besagten Deutungshorizont geht folglich mit einer Umakzentuierung der an die Grableerfindungserzählungen heranzutragenden Fragestellungen einher; so könne es seines Erachtens nicht das Ziel einer Auseinandersetzung mit ihnen sein, im Sinne Pannenbergs zu hinterfragen, ob die Etablierung des Auferstehungsglaubens vor dem Hintergrund eines vollen Grabes denkbar sei. Stattdessen müsse hinterfragt werden, ob ein volles Grab Jesu Auferstehung verunmöglicht hätte.1076 1070

Vgl. a.a.O., 296. Vgl. a.a.O., 293. Die Fokussierung der Auseinandersetzung mit den Grableerfindungsperikopen auf die Frage nach der etwaigen Funktionalität ihrer Gegenstände als Beweise für die Auferstehung oder als den Auferstehungsglauben erweckende Faktoren ist für den gegenwärtigen Grableerfindungsdiskurs charakteristisch. Inwiefern eine derartige Reduktion der Untersuchungsgegenstände auf die genannten, insolierten Aspekte angemessen sein kann, wird im dritten Teil dieses Buches vertieft. 1072 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 293 f. 1073 A.a.O., 299. 1074 Vgl. a.a.O., 294. 1075 Vgl. ebd. 1076 Vgl. ebd. 1071

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Dalferth verneint diese Frage mit Verweis darauf, dass eine Widerlegung des Leerseins der Grabstätte den Glauben, welcher nicht auf der Grableerfindung, sondern einzig auf der kognitiven Diskrepanz zwischen Tod und Erscheinungen Jesu beruhe, nur dann tangieren würde, wenn sie die Erscheinungen Jesu vernunmöglichten. Dies sei jedoch nicht der Fall, was bereits daraus ersichtlich werden würde, dass das christliche Auferstehungsbekenntnis von Beginn an nicht auf die Annahme abzielte, dass Jesu Leichnam reanimiert wurde, sondern bezeuge, dass Jesus ins Leben Gottes hinein auferweckt und zu dessen Rechten erhöht worden sei. Diese Bezeugung wäre wiederum nur unter der Bedingung mit dem Umstand eines vollen Grabes unvereinbar, dass die Identität des auferstandenen Herrn derart mit seiner irdischen Leiblichkeit verknüpft wäre, dass sein Leben mit und bei seinem Vater unter der Prämisse der Verwesung seines Leibes undenkbar wäre.1077 Auch ein solcher Zusammenhang bestehe nach Auffassung Dalferths nicht1078, da die „Kontinuität der persönlichen Identität“1079, welche den gestorbenen Jesus als den auferstandenen Christus ausweise, für ihn prinzipiell in keinem Zusammenhang mit der empirisch erfassbaren, irdischen Leiblichkeit des Menschen stehe, sondern erst durch das identitätsstiftende göttliche Wirken begründet werde.1080 Ersichtlich wird hier, dass Dalferth die Frage nach der Notwendigkeit einer Einbeziehung der irdischen Leiblichkeit in das Auferstehungsgeschehen ausgehend davon beantwortet, ob dieser eine Relevanz hinsichtlich des Identitätserhalts der auferstehenden Person zugesprochen werden müsse. Andere Facetten der Leiblichkeit, wie etwa Moltmann und Ringleben sie beleuchten, bezieht er augenscheinlich nicht in seine Überlegungen ein. Dass die Möglichkeit der Auferstehung – ausgehend davon, dass ein Einbezug der irdischen Leiblichkeit keine zwingende Voraussetzung für den Identitätserhalt sei, – von der irdischen Leiblichkeit der auferstehenden Person unabhängig sei und dass die Annahme eines vollen Grabes den Realitätsgehalt und die Wirklichkeit der Auferstehungsbotschaft und ihres Gegenstandes entsprechend ebenso wenig schmälern könne, wie es psychologische Erscheinungsinterpretationen täten1081, werde ferner bereits an dem (für die christliche Auferstehungshoffnung elementaren) Gedanken deutlich, dass keine glaubende Person durch ihren Tod oder durch ihre Verwesung von der Auferstehung ausgeschlossen werde.1082 Da Jesu Auferstehung und die allgemeine Auferweckung der Toten sich in kon1077 Vgl. a.a.O., 295. Wir erinnern daran, dass Ringleben diese Vorstellung voraussetzt, obschon die Annahme einer (nicht näher definierten) Verankerung der Identität des Menschen in der Leiblichkeit ihn nicht dazu veranlasst, die Notwendigkeit einer materialen Kontinuität zwischen der irdischen und der pneumatischen Leiblichkeit zu postulieren, sondern ihn lediglich zu der Erkenntnis führte, dass die Auferstehung einen Einbezug der irdischen Leiblichkeit und auch ihr Entzogenwerden notwendig voraussetzt. Dalferth scheint diese Option nicht in Betracht zu ziehen. 1078 Vgl. ebd. 1079 A.a.O., 297 f. 1080 Vgl. ebd. 1081 Vgl. a.a.O., 298. 1082 Vgl. a.a.O., 295.

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stitutiver Weise entsprechen1083, müsste Jesus nach Ansicht Dalferths im Gegenteil sogar ebenso tot gewesen sein, wie alle anderen Menschen es sind oder eines Tages sein werden, und sein Leib müsste folglich verwest sein, da dies auch für ihre Leiber gelte.1084 Diesen Zusammenhang fasst Dalferth selbst noch einmal wie folgt zusammen: Wäre die Verwesung seines Leibes ein hinreichender Grund, Gott an seiner Auferstehung zu hindern, dann wäre das auch bei uns so; und ist die Verwesung unseres Leibes kein hinreichender Grund, Gott an unserer Auferstehung zu hindern, dann gilt das erst recht für Jesus.1085

Eine dieser These widersprechende Betonung der Notwendigkeit eines (zur Entzogenheit des Leichnams des Auferstehenden führenden) Handelns Gottes im Rahmen der Auferstehungsereignisse – hier explizit im Rahmen der Erschaffung einer pneumatischen Leiblichkeit – beurteilt Dalferth hingegen in gleicher Weise wie alle anderen Deutungen, die die Verwesung des Leichnams Jesu verneinen, als „Doketismus und Bestreitung der soteriologischen Relevanz von Jesu Tod und Auferweckung.“1086 Folglich zwingt seine Auferstehungsdeutung Dalferth dazu, die im neutestamentlichen Befund vorliegende und somit nicht schlichtweg zu übergehende Betonung der leiblichen Dimension der Auferstehungsereignisse umzudeuten. Sie ziele seines Erachtens darauf ab, eine Gott betreffende Aussage zu tätigen; so sei die durch sie herausgestellte Identität des Hingerichteten mit dem Auferstandenen gerade nicht an einer wundersamen, pneumatischen Auferstehungsleiblichkeit Jesu festzumachen1087, sondern an der „eschatologischen Bestimmtheit Gottes als bedingungsloser Liebe.“1088 Entsprechend sei auch unsere Identität nicht in den uns je eigenen, vergänglichen Körpergeschichten verankert, sondern in der Liebe Gottes als seinem göttlichen Tun für und an uns.1089 1083

Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 177. Vgl. Dalferth, Volles Grab, 295 f. Die von Dalferth herausgestellte Notwendigkeit, dass der Leib Jesu verwest sein müsste (vgl. ebd.), scheint – ebenso wie seine Auferstehungsdeutung als solche – von den klassischen Wirklichkeits- und Möglichkeitsvorstellungen der Natur- und Geschichtswissenschaften beeinflusst worden zu sein, die trotz seiner Betonung der Komplexität der Wirklichkeit sein Vorverständnis des Möglichen und des Wirklichen zu prägen scheinen. Da er offenkundig voraussetzt, dass eine Auferstehung sich kopräsent zur weiterhin stattfindenden Verwesung vollziehe, ergibt sich aus dieser Annahme die notwendige Konsequenz, dass auch der Leichnam des Auferstandenen der Verwesung anheimfiel (vgl. Oberdorfer, Ich lebe, 177). Theologisch begründet Dalferth die Notwendigkeit der Verwesung des Leibes Jesu jedoch in der skizzierten Entsprechung der allgemeinen Auferstehung der Toten und der Auferstehung Jesu (vgl. ebd.). Er unterstreicht folglich, dass die Auferstehungshoffnung und ihre Geltung davon abhängig wären, ob Jesu postmortales Geschick dem unseren entspreche (vgl. Dalferth, Volles Grab, 296). 1085 Ebd. 1086 Ebd. 1087 Vgl. a.a.O., 305 f. 1088 A.a.O., 305. 1089 Vgl. a.a.O., 298. 1084

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Die Leiblichkeit des menschlichen Daseins könne somit als Beschreibung der Möglichkeit des Lebens der Menschen bezeichnet werden, welche sich dem göttlichen „Sein-für-andere“1090 verdanke. Ein derartiges Verständnis der menschlichen Leiblichkeit und Identität beinhalte ferner die Erkenntnis, dass beides sich nie in dem erschöpfe, „was andere aus uns und was wir selbst aus uns machen“1091, sondern stets auch in Beziehung zu „Gottes Verhältnis zu uns“1092 stehe, dem wir unsere Identität verdanken.1093 Die Betonung der Leiblichkeit des Auferstandenen, wie sie im neutestamentlichen Befund vorliegt und in den Erzählungen von der Grableerfindung impliziert wird, ziele somit nicht auf eine Beschreibung der konkreten körperlichen Konstitution des Auferstandenen oder des Zustandes seines Leichnams ab1094, sondern verweise auf das „unmittelbar[e] Verwobensein in Gottes Leben, das wirkende Liebe ist.“1095

1090 A.a.O., 306. Dalferth charakterisiert die (seines Erachtens durch die Rede von der Leiblichkeit der Auferstehung ausgedrückte) durch Gott eröffnete Lebensmöglichkeit näher und bezeichnet die menschliche Leiblichkeit als unsere „Bezogenheit auf andere, anderes und uns selbst“ (ebd.). 1091 A.a.O., 307. 1092 Ebd. 1093 Vgl. ebd. 1094 Vgl. a.a.O., 306. 1095 A.a.O., 307. Da der im dritten Teil dieses Buches dargebotene, eigene Deutungsansatz in enger Auseinandersetzung mit den Thesen Dalferths konzipiert wurde und eine facettenreiche, mitunter kritische Bezugnahme auf diese vorgenommen wird, erfolgt hier keine ausführliche Diskussion. Es seien deshalb nun nur einige kritische Anfragen umrissen, auf die im weiteren Verlauf meiner Ausführungen nicht mehr eigens Bezug genommen wird. Der Fokus richtet sich dabei auf die von Dalferth vorausgesetzte Annahme, dass der Glaube an die Auferstehung Jesu aus dem Versuch resultiere, die zwei kognitiv nicht zu vereinbarenden Aussagen, dass Jesus gestorben sei und dass er lebe (vgl. a.a.O., 303), zugleich als zwei Sachverhalte zu vertreten und zu bezeugen, welche per se als unbestreitbar und erfahrungsbegründend wahrgenommen wurden (vgl. a.a.O., 302). Oberdorfer beurteilt diese Annahme als wenig plausibel (vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 177), da der Gedanke, dass Jesus lebe, seines Erachtens lediglich mit der Vorstellung, dass Jesus zuvor gestorben sei, zu vereinbaren sei, aber nicht mit der Annahme, dass Jesus nach wie vor tot sei (vgl. a.a.O., 178). Etzelmüller bekräftigt diesen Einwand mit Verweis auf das Osterbekenntnis des Urchristentums, das ebenfalls davon zeuge, dass Jesus von den Toten auferstanden sei und daher gerade nicht länger als tot, sondern als lebendig gedacht werden müsse. Die Auferstehungsaussage habe insofern als Korrektiv auf die Todesaussage gewirkt, als dass die ersten Christen zwar nach wie vor unzweifelhaft voraussetzten, dass Jesus tatsächlich gestorben sei und ihm nicht nur eine Art Scheintod widerfuhr, sie jedoch auch er- und bekannten, dass er zwar tot war, aber es eben nicht mehr sei (vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 230). Diese Einschätzungen teile nach Ansicht Thomas’ auch die gegenwärtige Christenheit, da die Erfahrung, dass Jesus lebt, auch für diese mehrheitlich dazu führe, dass sein Tod nicht länger als „gegenwärtige Gegenwart“ (Thomas, „Er ist nicht hier!“, 195), sondern als „gegenwärtige Vergangenheit“ (ebd.) erlebt werde. Die beiden widersprüchlichen Erfahrungen werden entsprechend – entgegen der Annahmen Dalferths – nicht als „gleichzeitig in der gleichen Modalität gegenwärtig“ (ebd.) wahrgenommen, da eine Neuperspektivierung des erfahrenen

II.4 Die These von der notwendigen Verwesung des Leichnams Jesu

201

Betrachtet man die Erwägungen Dalferths, so dürfte deutlich geworden sein, dass diese zwar ähnliche Grundprämissen aufweisen wie die Darstellungen Barths, Moltmanns und Ringlebens – oder dies zumindest vorgeblich tun – und dass sie ebenfalls zur Konzipierung einer zeichenhaften Grableerfindungsdeutung führen, welche jedoch eine gänzlich andere Ausgestaltung aufweist. Dem leeren Grab (und seinen neutestamentlichen Darstellungen) wird bei Dalferth so keine nennenswerte Relevanz zugeschrieben. Dies scheint in seiner Grundsatzentscheidung begründet zu liegen, sich vom jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont zu distanzieren, da die Relevanz, die den Grableerfindungsbezeugungen und ihrem Gegenstand zugeschrieben werden (kann), doch erheblich mit diesem verknüpft ist. Deutlich wird dies besonders im Vergleich der Ausführungen Dalferths mit den Überlegungen Ringlebens. Wie gezeigt, distanzieren sich beide Theologen im Zuge ihrer Darstellungen von der Auffassung, dass die Identität zwischen dem Verstorbenen und dem Auferstandenen durch eine leiblich-materiale Kontinuität zwischen dem irdischen Leib und dem pneumatischen Leib gewährleistet bliebe. Während Ringleben jedoch – scheinbar aufgrund seiner Orientierung an dem angesprochenen Deutungshorizont – an einer grundlegenden Relevanz der Grableerfindungserzählungen sowie an dem durch sie implizierten Entzogenwerden der irdischen Leiblichkeit Jesu im Vollzug der Auferstehungsereignisse festhält, die seines Erachtens auch mit dessen Identitätserhalt Todes Jesu durch die Erfahrung seines Lebens vollzogen wurde. Dies lässt Dalferths Ausführungen bereits zweifelhaft erscheinen, die doch auf seiner in Frage gestellten Kernannahme (der Entstehung der Auferstehungsbezeugung als Resultat der Auflösung der kognitiven Spannung der Erfahrungen des Todes und des Lebens Jesu) beruhen. Über die dargestellten Anfragen hinaus wird zudem nicht selten darauf hingewiesen, dass die dalferthsche Vorstellung des Vollzugs einer abduktiven Auflösung der kognitiven Dissonanz (vgl. ebd.) durch die Jünger Jesu als höchst unwahrscheinlich zu bewerten sei, weil nicht angenommen werden könne, dass diese ohne äußeren Anlass von sich aus damit begonnen haben sollen, den gänzlich unerwartbaren Gedanken einer Auferstehung einer einzelnen Person „als sekundäres Reflexionskonstrukt“ (Oberdorfer, Was sucht ihr, 176) zur Lösung ihres kognitiven Konflikts heranzuziehen, da die Auferweckung der Toten als ein göttliches Werk erwartet wurde, welches sich erst „am Ende der Geschichte“ (a.a.O., 179) am gesamten Volk Gottes vollziehen würde (vgl. ebd.). Diese Vorstellung stand nun ferner in keiner direkten Verbindung zu der Annahme, dass der Herr als eine Einzelperson bereits mitten in der noch gar nicht vollendeten Geschichte auferstanden sei (vgl. a.a.O., 176). Im Blick auf Dalferths Kernannahme sei zuletzt darauf verwiesen, dass die Hervorhebung des Todes Jesu – so verdeutlicht etwa Etzelmüller – auch der Vermittlung der theologischen Aussage, dass Jesus für die Sünden der Menschen gestorben sei, gedient habe und somit nicht darauf reduziert werden könne, eine von zwei (vermeintlich) nicht zu vereinbarenden Erfahrungen gewesen zu sein, die es zusammenzudenken gegolten habe (vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 231). Weitere gegen die Konzeption Dalferths ins Feld zu führende Argumente, wie der Hinweis Etzelmüllers, dass die Hervorhebung der Leiblichkeit des Auferstandenen nicht nur zur Herausstellung der „Identität in der Verwandlung“ (a.a.O., 228) gedient habe, sondern auch die Effektivität ebendieser ersichtlich machen sollte (vgl. ebd.), werden im weiteren Verlauf dieses Buches zur Sprache kommen.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

in Verbindung stehe, distanziert sich Dalferth vollends von derartigen Vorstellungen. Dadurch vermag er dem Konzept einer Grableerwerdung aufgrund eines göttlichen Handelns am Leichnam jede Relevanz und Tragfähigkeit abzusprechen und sogar eine Umdeutung der neutestamentlichen Ostererzählungen vorzunehmen, die ausgehend von den Implikationen, die im besagten Deutungshorizont grundgelegt sind, undenkbar wäre: Die Proklamation der notwendigen Verwesung des Leichnams Jesu. Dass diese Vorstellung auch für den modernen Menschen anknüpfungsfähig ist, da sie die alltagsweltliche Erkenntnis der Dekompostierung von Leichnamen konzeptuell integriert und die anstößige Vorstellung des Entzogenwerdens eines Leichnams aufgrund eines göttlichen Handelns in der Geschichte ebenso eliminiert wie die Anstößigkeit der (durch die Grableerfindung implizierten, von Dalferth umgedeuteten) Rede von der leiblichen Auferstehung, dürfte deutlich geworden sein. Erkennbar wird zudem, dass in den Erwägungen Dalferths diverse Prämissen und Argumentationslinien vorfindlich sind, die sich in den vergangenen Jahrzehnten bis hinein in die Gegenwart als diskursprägend erwiesen haben. Besonders hervorzuheben sind hier – neben der Betonung der Komplexität und Mehrdimensionalität der Geschichte und des unverfügbaren Gottes – insbesondere die von Dalferth vollzogene Distanzierung vom (neutestamentlich zur Darstellung der Auferstehungsereignisse herangezogenen) jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont und die mit dieser einhergehende Relativierung der Relevanz der Grableerfindungserzählungen und der Existenz eines Geschichtsbezuges der Auferstehung. In seinen Ausführungen zeigt sich zudem die (auch im gegenwärtigen Diskurs verbreitete) Tendenz zu einer zeichenhaften Deutung der Grableerfindungserzählungen sowie ihres Gegenstandes. Dalferth sieht dabei von der Rückfrage nach einem Geschichtsbezug der (als Zeichen gedeuteten) Grableerfindung ab und behauptet keinen untrennbaren Zusammenhang zwischen ihr und den Auferstehungsereignissen. Im Diskurs ist außerdem die bei Dalferth vorliegende Tendenz zu erkennen, die Komplexität und den Facettenreichtum Gottes und seiner Möglichkeiten hervorzuheben, faktisch jedoch Deutungsansätze zu generieren, die diese nicht berücksichtigen, sondern die sich im Wesentlichen in den Grenzen dessen bewegen, was anhand natur- und geschichtswissenschaftlicher Prämissen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als möglich und plausibel bezeichnet werden kann, und denen der anstößige Charakter der neutestamentlichen Deutung der Auferstehung (als Handeln Gottes in der Geschichte) somit fehlt. Inwiefern derartige Deutungen angemessen sein können und welche blinden Flecken sie aufweisen, gilt es zu beleuchten. Zunächst seien allerdings die bei Dalferth bereits einführend thematisierten Argumentationslinien nachzuzeichnen, welche den Grableerfindungsdiskurs prägen. Der Fokus wird dabei auf die beiden Leitlinien der Hervorhebung der unermesslichen Unverfügbarkeit und Komplexität Gottes und der Distanzierung vom jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont sowie auf die (mit dieser einhergehende) Umdeutung der Vorstellung einer leiblichen Auferstehung zu legen sein.

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

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II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung „Denn die […] verhandelte Frage, ob das Grab Jesu im historisch-faktischen Sinne leer war oder nicht, lenkt an der Botschaft des Textes vorbei.“1096

Wie erläutert, erfolgt nachfolgend eine Zusammenschau relevanter Argumentationslinien, die den Grableerfindungsdiskurs prägten und sich auch in gegenwärtigen Erkenntnisbemühungen als dominant erweisen. Sie helfen uns, den wahrnehmbaren Relevanzverlust des Grableerfindungsdiskurses und der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage nach den Auferstehungsereignissen verständlicher zu machen, der wiederum einen Relevanzverlust des Gedankens eines Geschichtsbezuges der Auferstehung impliziert.1097 Die Auswahl der dargestellten Argumentationslinien erfolgt notwendig selektiv und ist auf jene Erwägungen und Prämissen fokussiert, welche der sich als diskursprägend erweisenden Deutung des leeren Grabes als Zeichen der/für die Auferstehung zugrunde liegen. In Entsprechung zu dem erläuterten Aufbau seien einleitend zwei grundlegende Argumentationslinien nachgezeichnet. An diese schließt sich eine Darstellung weiterer, mitunter aus ihnen resultierender Prämissen an. Zur Konkretisierung werden zwei exemplarische zeichenhafte Deutungen der Grableerfindungserzählungen kritisch reflektierend präsentiert.

II.5.1 Übergeordnete Argumentationsmuster a) Die Frage nach den Geschichtsbezügen der Auferstehung Die wohl grundlegendste Erwägung, die sich in einem Großteil der (auf eine Interpretation der Auferstehung abzielenden) Literatur wiederfindet, zielt auf die Feststellung, dass eine auf die Durchführung geschichtswissenschaftlicher Rückfragen fokussierte oder gar einseitig auf sie reduzierte Auseinandersetzung mit den Auferstehungsereignissen nicht dazu geeignet sein könne, ebendiesen sowie den theologischen und exegetischen Herausforderungen ihrer Bezeugung in sachgerechter Weise zu begegnen.1098 1096

Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 478. Aufgrund dieses Relevanzverlustes wird die Frage nach der Grableerfindung im gegenwärtigen Auferstehungsdiskurs nicht selten stiefmütterlich behandelt oder gar nicht erst thematisiert. Daher kann auch in diesem Kapitel nur selten auf aktuelle Literatur und Forschungsergebnisse Bezug genommen werden. Da die nachfolgend betrachteten Prämissen allerdings auch im gegenwärtigen Diskurs vorfindlich sind, nicht selten stillschweigend vorausgesetzt werden und/oder die sporadische oder zur Gänze ausbleibende Thematisierung der Grableerfindung begründen, sei im Folgenden von gegenwärtigen Tendenzen oder Prämissen die Rede, obschon dies mitunter unter Bezugnahme auf Literatur der vergangenen 70 Jahre erfolgt. 1098 Vgl. Alkier, Die Realität, 5. 1097

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Die Begründungen dieser These erweisen sich dabei als äußerst vielfältig. Einige Theologen postulieren, dass die Auferstehung als eine göttliche Offenbarungstat prinzipiell nicht bewiesen, sondern lediglich bezeugt werden könne und dürfe1099, „damit der Glaube souveräne Tat Gottes bleibt“1100, woraus mitunter geschlussfolgert wird, dass eine geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihr nicht sinnvoll sein könne, sofern der Vorstellung eines Geschichtsbezuges der Auferstehungsereignisse kein Eigenwert zugeschrieben wird. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn – gemäß der verbreiteten Annahme – vorausgesetzt wird, dass eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach den neutestamentlichen Auferstehungsereignissen einzig darauf abzielte, diese zu beweisen, was selbstredend nicht möglich ist. Andere Theologen verweisen argumentativ in ähnlicher Weise auf die durch geschichtswissenschaftliche Erkenntnisbemühungen und ihr „enges Verständnis des Historischen“1101 nicht greifbare Wirklichkeit Gottes sowie auf die der Auferstehungsereignisse1102, welche allein „im Glauben an die andere Dimension Gottes“1103 verständlich und annehmbar sei, ohne den die Bezeugung einer Totenauferweckung ohnehin sinnlos wäre.1104 Kessler veranschaulicht dies, indem er ausführt, dass auch eine im Grab Jesu installierte Kamera den Prozess der Auferstehung nicht hätte einfangen können, da diese aufgrund ihres Charakters als Tat Gottes kein von Menschen überprüfbares Ereignis sei.1105 Auch Joest und von Lüpke unterstreichen, dass die Auferstehung „im irdischen Kontinuum dessen, was wir als Ereignisse fassen können“1106, keinerlei erfassbare Spuren hinterließe, anhand derer sie sie sich bemerkbar machen würde.1107 Es scheine sich bei ihr – so 1099 Vgl. Hengel, Das Begräbnis bei Paulus, 181, zitiert nach Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 111. 1100 Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 442. 1101 Eckstein u. Welker, Einleitung, XIV f. Welker und Eckstein charakterisieren dieses „eng[e] Verständnis des Historischen“ (ebd.) näher als „,archäologisches Verständnis‘“ (ebd.). Dies impliziert, dass ihnen ein Verständnis vor Augen steht, das die Zuschreibung von Geschichtlichkeit oder von der Bezeichnung als ein historisches Ereignis einzig von empirischgeschichtswissenschaftlichen Erkenntnisbemühungen und deren Ergebnissen abhängig macht. 1102 Vgl. ebd. 1103 Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 302 f. 1104 Vgl. ebd. Aus derartigen Prämissen erwachsen nicht selten Forderungen nach einem umfassenderen Verständnis der Realität, welches „die kosmologischen und ontologischen Implikationen der biblischen Auferweckungstheologie neu zum Ausdruck bringen kann“ (Alkier, Die Realität, 5). Theologen werden durch ebendiese Forderungen mitunter wiederum zu einer Umperspektivierung und/oder Neuakzentuierung des modernen Geschichtsbegriffs oder sogar zur Konstruktion eines gänzlich neuartigen Geschichtsverständnisses bewegt, wie anhand der Konzeptionen Barths, Moltmanns und Ringlebens ersichtlich wurde. 1105 Vgl. Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 302 f. u. Lindemann, Auferstehung, 57, der das Beispiel der Unmöglichkeit eines Filmens der Auferstehungsereignisse ebenfalls anführt. 1106 Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 248. 1107 Vgl. ebd.

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

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stellt Lindemann heraus – demgemäß augenscheinlich um eine Gottestat zu handeln, welche sich jeder menschlichen Neugierde zu entziehen wisse.1108 Nicht selten wird in diesem Zusammenhang auch auf die Bibel verwiesen, deren Auferstehungserzählungen ebenfalls davon zeugen, dass ihr Gegenstand kein (unserer vergehenden Schöpfung und ihrer empirisch-geschichtswissenschaftlichen Geschichte zugehöriges) Faktum sei, welches ausgehend bestehender Analogien sensu Troeltsch hinreichend zu erklären wäre.1109 Daraus folge, dass auch die Frage nach ihrem Bezug zur empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Kategorie der Geschichte als solche nicht sinnvoll sei. Exemplarisch wird hier häufig die Erkenntnis des Paulus aus 2 Kor 4,18 herangezogen, die besagt, dass der Glaube charakteristisch nicht auf das Sichtbare, Zeitliche, sondern auf das Unsichtbare, Ewige fokussiert sei.1110 In Bezug auf den eschatologischen Charakter der Auferstehung1111 wird zudem des Öfteren geltend gemacht, dass die Hoffnung auf eine endzeitliche Erlösung nur dann als plausibel angesehen werden könne, wenn Jesu Auferstehung kein raumzeitlich verankertes Geschehen sei, das als solches noch Teil der dem Tode verfallenen Schöpfung wäre, welche ebenfalls „noch nicht zum ewigen Leben hindurchgedrungen ist.“1112 Auch dieses Argument spricht somit gegen eine Untersuchung des Geschichtsbezuges der Auferstehung, da dieser grundlegend negiert wird. Dass selbiges auch in Bezug auf die Frage nach der Untersuchung des Geschichtsbezuges der Grableerfindung (als Folge eines göttlichen Handelns an Jesus) gilt, ergibt sich nun daraus, dass es höchst widersinnig wäre, den Geschichtsbezug einer (zu einer Grableerwerdung führenden) Verwandlung eines Leichnams im Rahmen von Auferstehungsereignissen zu untersuchen, sofern ebendiesen prinzipiell die Möglichkeit einer Verankerung in der Geschichte abgesprochen wird. Hinsichtlich der Vorstellung der Transformation eines Leichnams erläutert Kessler zudem, dass ihre besagte Unmöglichkeit sich logisch bereits daraus er-

1108

Vgl. Lindemann, Auferstehung, 61 f. Vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 6 u. Eckstein, Was bedeutet die Auferstehung?, 213, wo Eckstein ebenfalls herausstellt, dass die Auferstehungsvorstellungen der Menschen von Beginn an nicht an Erfahrungen oder Möglichkeitsimplikationen ihrer bestehenden Geschichte oder Wirklichkeit geknüpft gewesen seien und deshalb auch nicht sinnvoll „im Rahmen der wahrnehmbaren Wirklichkeit“ (ebd.) untersucht werden können, da die Realität der Auferweckung Jesu in ebendieser weder angelegt gewesen sei noch durch sie eine Infragestellung erfahren könne (vgl. ebd.). 1110 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 62. 1111 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 208, mit Verweis auf Moltmann, der in seinem Weg Jesu Christi (– Thomas bezieht sich hier vor allem auf 236 –) hinsichtlich des eschatologischen Charakters der Auferstehungsereignisse auf die grundlegende „Zukunftsoffenheit und Unabgeschlossenheit der Auferstehung“ (ebd.) verweist, die im Rahmen einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage zweifellos nicht angemessen berücksichtigt werden können, sofern man die Dimension der Geschichte nicht im moltmannschen Sinne umperspektiviert. 1112 Härle, Doppelte Gefahr, 12, siehe auch a.a.O., 13. 1109

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

gebe, dass der Übertritt Jesu in die gänzlich neue, göttliche Dimension derart radikal „,jenseits‘ der Naturzusammenhänge“1113 liege, dass diese von ihm gar nicht erst außer Kraft gesetzt werden und er in ihnen auch keine „herausgestanzte Lücke“1114 hinterlasse. Über die dargestellten Annahmen hinaus unterstreichen einige Theologen – oft merklich beeinflusst durch die Thesen Bultmanns – den Vorrang der Frage nach der Bedeutung der Auferstehung vor der Frage nach ihrem Bezug zur empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Wirklichkeit. Dieser Vorrang ergibt sich für sie daraus, dass das Geschehen des Ostermorgens nicht seiner geschichtlichen Ereignishaftigkeit wegen interessant sei1115, da es uns als (in der Vergangenheit zu verortendes) Ereignis nicht länger (unmittelbar) beträfe1116. Lindemann führt diese Gedanken weiter aus, indem er darauf verweist, dass Glaubenden in Situationen, in denen sie die Auferstehung bezeugen, kein „längst vergangenes Ereignis“1117 vor Augen stünde, „das man womöglich mit Interesse zur Kenntnis nehmen, das man aber auch als [...] unwichtig abtun könnte“1118, sondern dass ihr Glaube auf etwas abziele, das von unmittelbarer, existentialer Relevanz sei.1119 Auch er kommt zu dem Schluss, dass die Frage nach der Auferstehung nicht mithilfe geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen, sondern vielmehr theologisch und somit ausschließlich „aus dem Glauben heraus“1120 zu beantworten sei. Schüle verweist ferner erneut auf die Autorität Pauli, der ebenfalls nicht intendiert habe, durch seine Auferstehungsverkündigung ein göttliches Eingreifen „an einer bestimmten Raum-Zeit-Stelle der Geschichte“1121 zu bezeugen, sondern der das göttliche Handeln an der Schöpfung zum Ausdruck bringen und beschreiben wollte.1122 1113

Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 309. Ebd. Die Vorstellung eines leeren Grabes als eine derartige Lücke, die auf ein vermeintliches Heilshandeln Gottes hinweist, wäre derartigen Prämissen entsprechend als widersinnig zu beurteilen und zurückzuweisen. 1115 Vgl. Schüle, Gottes Handeln, 239. Die Wendung der geschichtlichen Ereignishaftigkeit scheint auf ein Verständnis eines historischen Ereignisses im Sinne Pannenbergs abzuzielen, das anhand geschichtswissenschaftlicher Methoden mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als solches ausweisbar ist. 1116 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 94 u. 41 f. 1117 A.a.O., 94. 1118 A.a.O., 57. 1119 Vgl. a.a.O., 41 f. Warum Lindemann in der dargestellten Weise einen Gegensatz konstruiert, der impliziert, dass es sich bei unlängst vergangenen Geschehnissen (vgl. a.a.O., 94) nun gerade nicht um etwas handeln könne, das die Lebensgestaltung eines Menschen auch in seiner Gegenwart prägt und bestimmt (vgl. a.a.O., 41 f.), bleibt leider ebenso unklar wie unbegründet und wird in den Kapiteln III.3.2.a bis III.3.2.d noch einmal zu thematisieren sein. 1120 A.a.O., 42. 1121 Schüle, Gottes Handeln, 275. Schüle scheint hier auf die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension der Geschichte sensu Troeltsch abzuzielen. 1122 Vgl. ebd. 1114

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

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Dass eine Rückfrage nach einem Geschichtsbezug des leeren Grabes derartigen Erwägungen entsprechend nur als nicht gewinnbringend angesehen werden kann, da eine gegebenenfalls aus ihr hervorgehende, positive Einschätzung in Bezug auf die Existenz einer empirisch-geschichtswissenschaftlich als plausibel zu beurteilenden Verankerung eines leeren Grabes hinsichtlich des Auferstehungsglaubens keinerlei Relevanz aufweisen würde, weil eine solche lediglich einen „Verweis auf ein lange zurückliegendes Ereignis“1123 ermöglichen könne, dürfte deutlich geworden sein. Die Vorstellung der Mehrdimensionalität der Kategorie der Geschichte sowie des unverfügbaren Gottes und seines Handelns geht somit häufig mit einer Zurückweisung der Möglichkeit und der Sinnhaftigkeit einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage nach den Auferstehungsereignissen einher. b) Die Verwendung jüdisch-apokalyptischer Deutungshorizonte „Auf die dogmatische Konstruktion eines notwendigen Zusammenhangs zwischen der Gottestat der Auferweckung Jesu und dem leeren Grab sollten wir verzichten.“1124

Während die dargestellte, erste Argumentationsstruktur eine derart verbreitete Verwendung findet, dass sie in nahezu allen zeichenhaften Deutungen der Grableerfindungsperikopen zu finden ist, ohne deren individuelle Ausgestaltung maßgeblich zu beeinflussen, und so – freilich unterschiedlich interpretiert – sowohl von Barth, Moltmann und Ringleben als auch von Dalferth verwendet wird, fungiert die zweite, nachfolgend dargestellte Argumentationsstruktur der Distanzierung von einer Orientierung an jenem jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont, der im Neuen Testament an verschiedener Stelle zur Deutung der Auferstehung herangezogen wurde, als eindeutiges Unterscheidungsmerkmal verschiedener Konzeptionen. Indem dem besagten Deutungshorizont die Geltung abgesprochen wird, zerbricht – wie das Beispiel Dalferths zeigt – der Plausibilisierungszusammenhang des als notwendig behaupteten Geschichtsbezuges der Auferstehungsereignisse – hier konkret des Grableerwerdens als Folge eines Handelns Gottes am Leichnam –, der ausgehend vom besagten Deutungshorizont konstruiert wurde. Da nach Ansicht vieler Theologen mit der Eliminierung dieses Plausibilisierungszusammenhangs kein Anlass mehr zum Festhalten am Geschichtsbezug der Auferstehung oder gar an seiner Notwendigkeit besteht, da ihm der Eigenwert und die Funktionalität abgesprochen werden und er noch dazu im Widerspruch zum Geschichts- und Weltbild des modernen Menschen stehe, verliert er – wie zu beobachten – an Relevanz und die geschichtswissenschaftliche Rückfrage wird zunehmend vergleichgültigt. 1123 1124

Lindemann, Auferstehung, 42. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 256.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Die zu diesen Schlüssen führende Distanzierung vom besagten Deutungshorizont wird argumentativ vielfältig begründet, was bereits in Teilen der dargestellten Ansätze angeklungen sein dürfte. Einige Theologen verweisen auf die in Kapitel II.2.3 skizzierte Kritik Bultmanns an den (für den modernen Menschen vermeintlich unverständlichen und deshalb zu entmythologisierenden) Ausdrucksformen der neutestamentlichen Schriften, zu denen ihrer Ansichten nach auch die apokalyptischen Vorstellungen einer endzeitlichen, fleischlichen Totenauferweckung zählen. Hasenfratz impliziert so, dass die Annahme, dass das Auferstehungsdasein notwendig als fleischlich zu charakterisieren sei (und seine Entstehung mit einer Leerwerdung des Grabes einhergegangen sein müsse), heutzutage nicht mehr nachvollziehbar sei, wenn er darauf hinweist, dass der moderne Mensch es als nicht anstößig wahrnehme, sich vorzustellen, dass bereits gestorbene Menschen „im Himmel, im Grab und ,irgendwie um uns‘ präsent“1125 seien. Des Weiteren wird nicht selten darauf verwiesen, dass die jüdisch geprägte Anthropologie es zwar vermöge, den leeren Zustand des Grabes Jesu als logische Konsequenz vom Auferstehungsglauben abzuleiten, demgegenüber jedoch nicht dazu in der Lage sei, „das ,Faktum‘ eines geöffneten Grabes [zu] erklären“.1126 Erkennbar wird hier ein Zusammenhang zwischen der verbreiteten Distanzierung von dem genannten Deutungshorizont und dem auf diese Entscheidung offenkundig einwirkenden Einfluss der analytischen, in der Neuzeit verbreiteten Rationalität.1127 Ausgehend von ebendieser und den in ihr verankerten Prämissen müssen die in den jüdisch-apokalyptischen Texten beschriebenen Vorgänge der Verwandlung von Leichnamen durch ein Einwirken Gottes in die empirischgeschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension der Geschichte kategorial ausgeschlossen werden, wie die Überlegungen Troeltschs, Bultmanns und Lüdemanns es nahelegen. Diese scheinen – wie besonders in der Auseinandersetzung Bultmanns mit Barth deutlich wird – derart von der besagten Rationalität vereinnahmt, dass sie die angesprochenen Geschehnisse als denkbare Ereignisse in der (von ihnen als solche verstandenen) Geschichte nicht einmal in Betracht ziehen. Auch Alkier zeigt, dass es auf der Ebene der geschichtswissenschaftlichen Forschung gleichgültig sei, was eine Untersuchung des empirischen Zustandes des Grabes Jesu ergebe, weil grundsätzlich kein biologischer Leib vorstellbar sei, der angesichts der biologischen, klimatischen und physikalischen Bedingungen in Judäa nicht in die Verwesung getreten wäre.1128 Sofern an der Vorstellung einer Auferstehung festgehalten werden möchte, die nicht im unlösbaren Widerspruch zum Weltbild des modernen Menschen und der in diesem verankerten Annahmen 1125

Hasenfratz, Tod, Jenseits, Auferstehung in der Welt der Religion, 26. Oberlinner, Die Verkündigung, 181. Der Begriff der Erklärbarkeit scheint hier auf die Möglichkeit einer Herleitung und Erläuterung der Ursachen für das Leer- und Offensein der Grabstätte im Stile natur- und geschichtswissenschaftlicher Begründungen abzuzielen. 1127 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 1128 Vgl. Alkier, Die Realität, 232. 1126

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

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– wie etwa der der notwendigen Dekompostierung von Leichnamen – stünde, scheint eine Distanzierung vom jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont unvermeidlich1129 vorauszusetzen zu sein. Andere Theologen distanzieren sich hingegen aus dem Grund von dem genannten Deutungshorizont, dass die Auferweckung Jesu der (in ebendiesem nahegelegten und durch ihn ausgedrückten) „apokalyptischen Geschichtsdeutung“1130 nicht entspreche, da Jesu Auferweckung bekanntlich nun nicht „am Ende der Zeit“1131 stattgefunden habe, sondern er stattdessen als Auferstandener schon gegenwärtig sei.1132 Darüber hinaus sei zudem zu bedenken, dass der jüdisch-apokalyptische Deutungshorizont schon deshalb nicht notwendig vorauszusetzen sei, da bereits im Neuen Testament eine große Pluralität mannigfaltiger Auferstehungsvorstellungen vorliege. Aus diesem Grunde könne eine exklusive Fokussierung auf den besagten Deutungshorizont und auf die Annahme, dass dieser eine zwingende Geltung beanspruchen könne, nicht angemessen sein.1133 Graß veranschaulicht dies mit Verweis auf Röm 8,11, 1 Kor 15,35 ff., 2 Kor 5,1 ff. und Phil 3, 201134. Anhand dieser Belege werde deutlich, dass einige Beschreibungen der Auferstehungsleiblichkeit der angesprochenen „realistisch-massiven jüdischen Auferstehungsvorstellung“1135 in ihrer Hervorhebung der pneumatischen Natur der Auferstehungsleiblichkeit erkennbar widersprächen.1136 Des Weiteren wird zur Legitimation einer Distanzierung vom jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont nicht selten ein Bezug zur Würde und Allmacht Gottes hergestellt, da dieser – hier sei wieder rückverwiesen auf die einprägsamen Formulierungen Dalferths – nicht zur Erläuterung natürlicher oder geschichts-

1129 Diesen Zusammenhang erkennt auch Vorholt, der darauf hinweist, dass die Frage nach der leiblichen Auferstehung Jesu oft auf eine Reflexion des Gedankens der (mitunter metaphorisch verstandenen und ausgedeuteten) Personalidentität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten fokussiert werde, wohingegen der Aspekt der Verwandlung seines Leichnams nicht mehr thematisiert oder auch nur in Betracht gezogen werde. Dass einer solchen keinerlei Geschichtsbezüge sensu Pannenberg zugesprochen werden, wird dabei in ihrer transempirischen und -historischen Natur begründet. Die besagte Fokussierung befreie nun von jener neuzeitlich-rationalistischen Problemstellung der mangelnden naturwissenschaftlichen Plausibilisierbarkeit der leeren Grabstätte Jesu im Kontext der neutestamentlichen Bezeugung und gehe oft mit der exegetischen Tendenz einher, eine literarkritische Entproblematisierung der Grableerfindungserzählungen vorzunehmen. Im Zuge dessen werde ihr vermeintlich ursprünglicher (keine Darstellungen der Anglophanien enthaltender) Kern abstrahiert, was häufig zu einer Nivellierung der ihnen innewohnenden theologischen Bedeutung führe (vgl. Vorholt, Osterevangelium, 338). 1130 Schüle, Gottes Handeln, 274. 1131 Ebd. 1132 Vgl. ebd. 1133 Vgl. Fössel, Offenbare Auferstehung, 604. 1134 Vgl. Klappert, Diskussion, 13, mit Verweis auf Grass, Ostergeschehen. 1135 Ebd. 1136 Vgl. ebd.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

wissenschaftlich erfass- und untersuchbarer Phänomene herbeizuzitieren sei1137 und auch nicht darauf angewiesen gewesen sei, eine Leerwerdung des Grabes zu erwirken, um sein Auferweckungshandeln zu vollführen.1138 Ferner soll der Verdacht nicht unerwähnt bleiben, dass die erkennbare Distanzierung von den jüdisch-apokalyptischen Vorstellungen einer leiblichen Auferweckung auch aus der Auseinandersetzung mit fälschlichen, anstößigen Gleichsetzungen der Auferstehung Jesu mit einer lediglich physischen Reanimation im Stil Lüdemanns1139 resultiert. Das lässt sich daran ablesen, dass auffallend viele Theologen explizit auf dieses Missverständnis (Lüdemanns) hinweisen und sich umfänglich von der missverständlichen Vorstellung einer leiblichen Totenauferweckung distanzieren1140, obschon diese im Sinne ihrer neutestamentlichen Bezeugung nicht durch das Fehlkonzept Lüdemanns tangiert wird, der ein Verständnis von Leiblichkeit und leiblicher Auferstehung voraussetzt, das in der neutestamentlichen Rede von der Auferstehung gar nicht angelegt ist. Hier wird nicht selten auf die vermeintliche Funktion der Hervorhebung der leeren Grabstätte und der leibhaftigen Verfasstheit des Auferweckten verwiesen, welche darin bestünde, der Entstehung doketischer oder platonisch-gnostischer Fehlkonzepte entgegenzuwirken.1141 Auch über diese Funktionszuschreibung hinausgehend ist grundsätzlich zu erkennen, dass die Thesen, die zur Legitimation der besagten Distanzierung angeführt werden, in einem zweiten Argumentationsschritt des Öfteren mit einer Umdeutung der biblischen Rede von der Leiblichkeit und Fleischlichkeit der Auferstehung verknüpft werden. Eine solche Umdeutung findet sich ebenfalls bereits im Aufbau der Darstellungen Dalferths. In seinen Überlegungen scheint sich dabei nicht nur die Notwendigkeit dessen widerzuspiegeln, sich zum neutestamentlichen Befund und zu seiner klaren Bezeugung einer als leiblich charakterisierten Auferstehung zu verhalten, sondern eben auch das Bedürfnis vieler Theologen, mit dem Geschichtsbezug der Auferstehung und seiner Geltung nicht auch noch die grundsätzliche Reflexion theologischer Aussagen innerhalb der Bezeugungen der Grableerfindung zu verabschieden, da dies zu einer problembehafteten Verkürzung in der Reflexion der Auferstehungswirklichkeit führen würde.1142 Folglich fokussieren sie sich (unter strikter Ablehnung einer Einbezie1137

Vgl. Dalferth, Volles Grab, 293. Vgl. Grass, Ostergeschehen, 185. 1139 Vgl. Eckstein u. Welker, Einleitung, XIV u. Kapitel II.2.4.a. 1140 Joest und von Lüpke weisen mit Blick auf die lüdemannsche Deutung der Auferstehungsleiblichkeit als reanimierter Leichnam darauf hin, dass viele Theologen jene Aspekte der neutestamentlichen Osterberichte als sachlich unangemessen beurteilen, die suggerieren, dass der Auferstandene in seine irdische Leiblichkeit oder eine ihr ähnliche Leiblichkeit hinein auferstanden sei, welche einem (biologisch als solcher definierten) menschlichen Körper entspricht. Zu diesen Aspekten zählen neben dem der Grableerfindung etwa die neutestamentlichen Verweise auf die Nahrungsaufnahme des Auferstandenen oder auf sein Berührtwerden durch die Jünger (vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 248). 1141 Vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 15. 1142 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 184. 1138

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

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hung der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage) einseitig darauf, die Bedeutung des leeren Grabes zu erforschen und zu hinterfragen, was durch den neutestamentlichen Verweis auf die Grableerfindung in Bezug auf die Auferstehungswirklichkeit ausgedrückt werden sollte.1143 Dass eine derartige Fokussierung auf die Bedeutungsebene und auf die mit ihr zusammenhängenden Umdeutungen der Rede von der leiblichen Auferstehung, die sich nicht selten auf dem Niveau metaphorischer Ausdeutungen des Begriffes der Fleischlichkeit1144 bewegen, ebenfalls zur erkennbaren und fortschreitenden Relativierung der Relevanz der Frage nach einem Geschichtsbezug beitragen, dürfte offensichtlich sein. Aus den dargestellten Tendenzen ergibt sich nun, dass der Rede von der leiblichen Auferstehung diverse Funktionen und metaphorische Aussageabsichten zugeschrieben werden können, ohne dass diese die Existenz eines mitunter als anstößig wahrgenommenen Geschichtsbezugs voraussetzen. Wir erkennen hierin – das heißt: in der Ablösung vom besagten (von Barth, Moltmann und Ringleben noch herangezogenen) Deutungshorizont bei gleichzeitigem Festhalten am Bedürfnis einer schlüssigen Deutung der Rede von der leiblichen Auferstehung und von dem leeren Grab – einen Schlüsselmoment der Entstehung der verbreiteten, von der Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung abgelösten Deutung des leeren Grabes als Zeichen der/für die Auferstehung und erneut die enorme Einflussnahme weltanschaulicher Vorentscheidungen, die zu dieser Deutung führen oder sie zumindest begünstigen.

1143

Vgl. a.a.O., 184 f. Um einen Einblick in die vielfältigen Umdeutungen der Rede von der leiblichen Auferstehung zu ermöglichen, sei exemplarisch auf zwei Ansätze verwiesen, anhand derer im Diskurs zu beobachtende Tendenzen problematisiert werden können. Fischer versteht den besagten Verweis auf die leibliche Auferstehung so als eine „Anschauungsform der Osterbotschaft“ (Fischer, Der Auferstehungsglaube, 106), welche die „Lebensmöglichkeit […], die aus dem Geist der Liebe hervorgeht“ (ebd.), sowie ein „Leben, das zur Liebe befreit ist“ (ebd.), umschreibe. Wie diverse andere Umdeutungen der Rede von der leiblichen Auferstehung erweisen sich diese Definitionen als äußerst vage und eröffnen einen verhältnismäßig großen Interpretationsspielraum hinsichtlich der Aussageabsicht des Verfassers. Ähnliches gilt für die Annäherung Mildenbergers, der die Auferstehung als die „Aufnahme des Menschseins Jesu“ (Mildenberger, Auferstehung II/IV, 558) versteht. Ferner deutet er ihre nähere Charakterisierung als leiblich als Verweis auf die „fortwirkende Mächtigkeit seines Werkes“ (ebd.), was augenfällig eine nicht minder vage und wenig aussagekräftige Definition ist, die erklärungsbedürftig bleibt und nur wenig zum Verständnis der neutestamentlichen Rede von der leiblichen Auferstehung beiträgt. Diese vorfindliche Tendenz, auf die im dritten Teil näher eingegangen wird, gilt es – gerade auch im Blick auf die Frage nach der Sprachfähigkeit der christlichen Auferstehungsverkündigung – kritisch zu reflektieren und zu problematisieren. 1144

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

II.5.2 Charakteristische Argumentationsstrukturen „Zeichen, das [Substantiv, Neutrum]: etwas Sichtbares, Hörbares (besonders eine Geste, Gebärde, ein Laut o.Ä.), das als Hinweis dient, etwas deutlich macht, mit dem jemand auf etwas aufmerksam gemacht, zu etwas veranlasst o.Ä. wird.“1145

Der eingangs skizzierten Intention entsprechend, erfolgt eine überblicksartige Darstellung einiger, auf den zuvor thematisierten Argumentationslinien beruhender Argumentationsstrukturen, welche sich als diskursprägend erweisen und sich in einem Großteil der hier untersuchten zeichenhaften Deutungen der Grableerfindung wiederfinden. Die ersten beiden Argumentationsstrukturen sind weit verbreitet und finden nahezu konsensuell Verwendung, sodass sie sowohl in zeichenhaften Deutungen im Sinne Barths, Moltmanns und Ringlebens zu finden sind, die an der Relevanz eines Geschichtsbezuges der Auferstehung festhalten, als auch in solchen, die von einer Beurteilung des Geschichtsbezuges der Auferstehungsereignisse abgelöst werden. Die dritte Argumentationsstruktur liegt hingegen nahezu ausschließlich in letztgenannten Deutungsansätzen vor, welche der Frage nach einem Geschichtsbezug der Auferstehung keine Relevanz zusprechen. Abschließend erfolgt eine Zusammenschau wesentlicher Argumentationsmomente und Charakteristika zeichenhafter, auf den dargestellten Argumentationsstrukturen beruhender Deutungen. Hierbei wird der Fokus auf die Charakteristika jener diskursprägenden Ansätze zu richten sein, die von einer Rückfrage nach dem Geschichtsbezug abgelöst werden und seine Relevanz bestreiten. a) Das leere Grab und die Beweisbarkeit der Auferstehung „Der Glaube an die Auferstehung […] ist als Glaube auf die übergegenständliche Wirklichkeit bezogen […], die Gewissheit ermöglicht, empirische Verifikation aber ausschließt.“1146

Sichten wir unterschiedliche Grableerfindungsinterpretationen, so stellen wir fest: Eine in der Literatur in nahezu allen Deutungen zu beobachtende Argumentationsstruktur wurzelt in der Herausstellung dessen, dass eine leere Grabstätte den Vorgang und/oder das (wie auch immer definierte) Geschehensein einer Auferstehung nicht beweisen könne1147, was bereits den Verfassern der neutesta-

1145

Dudenredaktion, „Zeichen“ auf Duden online, Darstellungsteil Bedeutung. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 108. 1147 Vgl. etwa Vorholt, Osterevangelium, 75, Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 461, 1146

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

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mentlichen Grableerfindungserzählungen nur allzu bewusst gewesen sein dürfte.1148 Diese mangelnde Beweisfähigkeit des leeren Grabes wird meist in dessen Mehrdeutigkeit1149 begründet, da das Verschwinden eines Leichnams offenkundig nicht zwangsläufig auf eine Auferstehung1150 und/oder eine Verklärung1151 hinweisen müsse, zumal denkbare Alternativbegründungen des leeren Zustandes einer Grabstätte nicht selten sogar glaubwürdiger und auch wahrscheinlicher anmuten.1152 Bereits innerhalb der neutestamentlichen Grabeserzählungen wird dies deutlich, da der Umstand der Grableerfindung in ihnen nicht nur von „den Juden“ und den Jüngern unterschiedlich gedeutet wurde1153, sondern weil auch das beschriebene Verhalten der Frauen am Grab unterstreicht, dass es jeder Fehldeutung ausgesetzt (gewesen) sei.1154 Dies resultiere – etwa nach Ansicht Lindemanns und auch Härles – daraus, dass der bloße, mehrdeutige Befund einer Grableerfindung den Kern der Auferstehung ohne die Christuserscheinungen nicht zum Ausdruck bringen könne, weil er per se keine Botschaft in sich trage1155 und somit stumm bliebe, sofern man ihn nicht im Kontext der Selbstbekundung des Auferweckten betrachte.1156 Dass das leere Grab nicht als Beweis herangezogen werden könne, wird ferner darin begründet, dass es auch von den weiteren neutestamentlichen Zeugnissen nicht als ein (sämtliche Verwirrungen ausschließendes) Beweismittel von unanfechtbarer Evidenz1157 angeführt oder überhaupt (zweifelsfrei) thematisiert werde.1158 Vielmehr habe für die ersten Christen einzig ihr eigenes Gemeinschafts-

Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 250, Fischer, Der Auferstehungsglaube, 46, Lindemann, Auferstehung, 37, Nauck, Die Bedeutung, 256, Körtner, Dogmatik, 440 u. Fössel, Offenbare Auferstehung, 583. 1148 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 37. 1149 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 65, mit Verweis auf Kaspar, Jesus der Christus, 151 u. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 248, Fössel, Offenbare Auferstehung, 583, Körtner, Dogmatik, 440 u. Oberdorfer, Was sucht ihr, 177. 1150 Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 250 u. Holtzmann, Das leere Grab, 84. 1151 Vgl. Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 309. 1152 Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 171. 1153 Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 58. 1154 Vgl. Hengel, Jesus und die Evangelien, 38. Einige dieser Missdeutungen der Grableerfindungserzählungen fanden bereits Erwähnung; so sei rückverwiesen auf die Betrugshypothese des Reimarus (Kapitel II.2.1), auf die rationalistischen Erklärungsansätze der Scheintodhypothese oder der Umbettungshypothese sowie auf das Fehlkonzept Lüdemanns, das in der Annahme besteht, dass die Erzählungen darauf abzielten, eine Reanimation des Leichnams zu bezeugen (vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 192). 1155 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 57 u. siehe Härle, Doppelte Gefahr, 14. 1156 Vgl. Nauck, Die Bedeutung, 259. 1157 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 189. 1158 Vgl. Alkier, Die Realität. 203. Alkier verweist noch einmal explizit darauf, dass selbst die lukanische Apostelgeschichte das (im Lukasevangelium bezeugte) leere Grab nicht als einen Beweis für die Auferstehung anführt (vgl. ebd.).

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

erleben mit dem Auferstandenen als einleuchtender und auch ausreichender „Erweis der Wahrhaftigkeit seiner alles verändernden Auferweckung“1159 fungiert. Auch in diesem Zusammenhang wird häufig betont, dass die Funktion der Grableerfindungserzählungen einzig in der Illustration der Entzogenheit des Leichnams Jesu sowie in der Verhinderung einer doketischen Trennung seiner verwesenden Leiblichkeit von seinem ausschließlich spirituell gedachten „Fortoder Neubestehen “1160 bestünde. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass selbst von Campenhausen im Rahmen seiner Plausibilisierung der von ihm vorgetragenen „Wahrscheinlichkeitsurteile über eine lückenlos rekonstruierbare Ostergeschichte“1161 einräumt, dass auch aus ebendiesen kein über alle Zweifel erhabener Beweis für die Auferstehung gewonnen werden könne. Dies begründet er jedoch nicht in der Mehrdeutigkeit der thematisierten Einzelbefunde – wie etwa dem eines leeren Grabes –, sondern mit dem Verweis darauf, dass die Auferstehung als solche prinzipiell unsichtbar bliebe und dass ihre Selbsterschließung beziehungsweise die Selbsterschließung ihrer Wirklichkeit ausschließlich im Glauben erfolge.1162 Vor dem Hintergrund einer derart betonten Unverfügbarkeit der Auferstehungsgewissheit, die in diversen Darstellungen herausgestellt wird, kann die Vorstellung einer Beweisbarkeit der Auferstehung (anhand einer potenziell geschichtswissenschaftlich rekonstruierbaren Grableerfindung) nur als Anmaßung verstanden werden. Dies spiegelt sich unter anderem bei Jüngel wider, der die thematisierte Argumentationsstruktur aufgreift. Er gesteht den Grableerfindungserzählungen dabei offensichtlich keinen Eigenwert zu und betont, dass sich der auf Jesus bezogene Glaube die Grableerfindungserzählungen nur unter der Bedingung „gefallen lassen“1163 könne, dass ebendiese nun nicht in pseudohistorischer, unangemessener Weise als Beweise angeführt werden würden.1164 In diesem Urteil 1159

Ebd. Oberdorfer, Was sucht ihr, 177. 1161 Adam, Das leere Grab, 69. 1162 Vgl. v. Campenhausen, Ablauf, 54 f., zitiert nach Adam, Das leere Grab, 69. Die Erkenntnis, dass es nicht möglich ist, die Auferstehung zu beweisen, spiegelt sich deutlich im Neuen Testament wider, das an verschiedener Stelle davon zeugt, dass die ersten Christen, welche ihre Verkündigung im Kontext von Zweifel, Spott und Unglauben bereits von Beginn an rechtfertigen mussten (vgl. Dalferth, Volles Grab, 285), dies gerade nicht anhand von Analogieargumenten oder Wahrscheinlichkeitsurteilen taten. Stattdessen hoben sie angesichts der Einzigartigkeit ihres unmöglich zu beweisenden Verkündigungsgegenstandes hervor, dass sie sowohl Jesu Auferstehung (als Gegenstand ihrer Bezeugung) als auch ihre Bezeugung als solche und den Umstand, dass ebendiese mitunter tatsächlich „auch auf Glauben stieß“ (ebd.), uneingeschränkt als göttliches Wirken und Tun verstanden (vgl. ebd.). Sie verwiesen ferner darauf, dass die neutestamentlichen Texte sogar im Zuge ihrer apologetischen Spitzen „nicht auf die Auferstehung Jesu hin“ (Fischer, Der Auferstehungsglaube, 70) argumentiert haben, sondern diese stets voraussetzten und von dieser Voraussetzung ausgegangen seien. Verstanden wird sie hier als eine Art tiefe Überzeugung, welche keiner Beweise bedarf (vgl. ebd.). 1163 Jüngel, Unterwegs zur Sache, 287. 1164 Vgl. ebd. 1160

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

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Jüngels klingt die Tendenz an, die Betonung der mangelnden Beweisfähigkeit einer Grableerfindung mit einer grundlegenden Herabwürdigung der Grableerfindungserzählungen oder doch zumindest mit einer Relativierung ihrer Relevanz und ihrer Aussagekraft zu verbinden. Diese scheint – wie gezeigt – in der nicht selten vorausgesetzten Distanzierung vom jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont als dem Plausibilisierungszusammenhang der Notwendigkeit der Grableerwerdung im Zuge der Auferstehung begründet zu liegen und erfährt hier eine vermeintliche Bestätigung. Ähnliches gilt auch in Bezug auf die nachfolgend dargestellte Argumentationsstruktur, welche – ebenso wie die vorgestellte Struktur – zwar prinzipiell auch von Theologen wie Barth, Moltmann und Ringleben genutzt wird, die an der Relevanz der Grableerfindung festhalten, in gleicher Weise jedoch auch von Theologen, die die besagte Relevanz unter Distanzierung vom jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont bestreiten, zur Bestätigung der vermeintlichen Irrelevanz der Grableerfindungsperikopen und ihrer Gegenstände herangezogen wird. b) Das leere Grab und die Entstehung des Osterglaubens Eine weitere, häufig in zeichenhaften Grableerfindungsdeutungen vorfindliche und nicht selten zur Betonung ihrer mangelnden Relevanz angeführte Argumentationsstruktur besteht in der Erläuterung dessen, dass dem leeren Grab keine signifikante Bedeutung1165 in Bezug auf die Entstehung des christlichen Auferstehungsglaubens zuzusprechen sei.1166 Die Darstellungen aller vier Evangelien 1165

Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 159. Vgl. etwa Welker, Die Wirklichkeit, 314, Lindemann, Auferstehung, 24, Becker, Die Auferstehung, 44, Fössel, Offenbare Auferstehung, 607, Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 248 u. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 477. Die permanente Betonung der Umstände, dass das leere Grab nicht als Beweis für die Auferstehung herangezogen werden könne und dass es den Glauben auch nicht zu erwecken vermöge, überrascht, da sie Zusammenhänge herausstellt, die im Kern offenkundig zutage liegen. Dies wird bereits am biblischen Befund deutlich und wird nur von einer kleinen Minderheit von Theologen ernstlich bestritten. Vehemente Betonungen der (vermeintlich verbreiteten) Verteidigung der den Glauben begründenden Bedeutung der Grableerfindung im (hier von Fößel leider nicht näher definierten) „durchschnittlichen Bewusstsein der Gläubigen“ (Fössel, Offenbare Auferstehung, 582 f.) verwundern daher und lassen die Frage aufkommen, auf welche konkreten Verfasser, Konzepte und Diskurspositionen sie anspielen. Fößel kann neben der Apologetik der Neuscholastik (vgl. a.a.O., 283), die der Grableerfindung – wie er aufzeigt – beinahe ausschließlich und höchst einseitig die vollständige „Beweislast für die Tatsächlichkeit bzw. Wirklichkeit der Auferstehung“ (ebd.) auferlegt, bezeichnenderweise lediglich Pannenberg (vgl. a.a.O., 582) zur Bestätigung seiner These heranziehen. Dass auf der Grundlage dieser beiden Beispiele wohl kaum von einem verbreiteten Trend gesprochen werden kann, dürfte augenfällig sein. Indem also die mangelnde Beweisfähigkeit des leeren Grabes in Bezug auf die Auferstehung sowie der Umstand, dass es den auf ebendiese gerichteten Glauben nicht wecken kann, permanent herausgestellt werden, werden den Grabeserzählungen Intentionen unterstellt, welche sie faktisch überhaupt nicht verfolgen (vgl. Vorholt, Osterevangelium, 343). Auf diese Weise werden immer wieder Thesen in den Diskurs eingetragen, diskutiert und über1166

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

zeigen dies deutlich. In ihnen spiegele sich einhellig wider, dass durch die Grableerfindung weder die Jünger noch die Frauen zum Glauben an die Auferstehung gefunden hätten1167, da an ihr nichts erkenntnis- oder hoffnungsstiftendes gewesen wäre1168 und sie auch keine Evidenzerfahrung vermittele, die zur Gewissheit in Bezug auf Jesu Auferstehung führen könne.1169 Ganz im Gegenteil habe sie – wie die Darstellungen im ersten Teil zeigen – Ratlosigkeit und auch Verzweiflung hervorgerufen1170 und einer Verkündigung der Osterereignisse – wie es am narrativen Zug des Schweigens der Frauen1171 ersichtlich wird – sogar entgegengewirkt, da das leere Grab lediglich ein „rückwärtsgewandtes, negatives Zeichen“1172 sei, das per se noch nicht als Verweis „auf die entscheidende Osterbotschaft“1173 fungiere. Auch das unklare, Fragen aufwerfende Zum-Glauben-Kommen des Lieblingsjüngers in der johanneischen Version der Grableerfindungserzählung sei ferner „ein Zeichen des Unverständnisses“1174, das – wie an der unbeteiligten Rückkehr des Lieblingsjüngers zu den weiteren Jüngern ersichtlich werde – folgenlos geblieben sei1175, weshalb es nicht überzubetonen oder mit einem tatsächlichen Auferstehungsglauben gleichzusetzen sei. In ähnlicher Weise wie die Wundertaten Jesu seine Würde als Gottessohn und sein „wahres Wesen“1176 nicht erkennen ließen oder glaubenerweckend wirkten, vermochte dies somit auch die leere Grabstätte nicht1177, deren Rätselhaftigkeit nicht durch eine eigenständige, logische Erkenntnis oder durch die „Erinnerung der menschlichen Zeugen“1178 aufgelöst werden konnte. Dies wurde erst durch die

betont, die faktisch nur noch selten vertreten werden, wenig kontrovers sind und in Bezug auf den erbrachten Argumentationsaufwand doch sehr verwundern. 1167 Vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 11. 1168 Vgl. Schüle, Gottes Handeln, 263. 1169 Vgl. a.a.O., 248. 1170 Vgl. Klaiber, Jesu Tod und unser Leben, 21 f. 1171 Vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 477. Auch Fößel reflektiert das Schweigen der Frauen in der markinischen Grableerfindungsperikope und erläutert, dass dieses deshalb ausgestaltet wurde, um die Rezipienten darauf hinzuweisen, dass es sich bei der leeren Grabstätte nicht um einen „Verifikationsort“ (Fössel, Offenbare Auferstehung, 592) der Auferstehung handele und dass sie den Gang der Frauen zum Grab entsprechend auch nicht wiederholen sollen, um auf diesem Wege ebenfalls zum Glauben zu finden (vgl. a.a.O., 592 f.). Ganz im Gegenteil verweise das Schweigen darauf, dass die Grableerfindungserzählungen ausschließlich „zu der vom Kerygma erschlossenen symbolischen Welt und Sinnstiftung hinführen“ (Merklein, Auferstehung und das leere Grab, 16, zitiert nach Fössel, Offenbare Auferstehung, 593) wollen. 1172 Härle, Doppelte Gefahr, 14. 1173 Ebd. 1174 Lindemann, Auferstehung, 76. 1175 Vgl. ebd. 1176 Hoffmann, Auferstehung II/I, 500. 1177 Vgl. ebd. 1178 Eckstein, Von der Bedeutung, 11 f.

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

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(in den Evangelien in Form der Engelsbotschaft dargestellte) „aus der himmlischen Sphäre übermittelte Erkenntnis“1179 möglich. Zur tatsächlichen Entstehung des Glaubens an die Auferstehung führte dann die Begegnung mit dem Auferstandenen im Rahmen seiner Selbstoffenbarung.1180 Umgekehrt könne also – wie etwa Dalferths Ausführungen zeigen – angenommen werden, dass die Erscheinungen des Auferstandenen bereits per se eine Entstehung des Glaubens veranlasst haben1181, ohne dass es einer Grableerfindung bedurft hätte. Wie schon in Bezug auf die zuvor dargestellte These fällt auch hier auf, dass die Erkenntnis, dass eine Grableerfindung per se nicht zur Entstehung des Osterglaubens führe, nicht selten als Hinweis darauf verstanden wird, dass eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach ihr und ihrem Gegenstand gegenstandslos wäre1182 und dass den Grableerfindungsperikopen als solchen folglich nur wenig Relevanz zugesprochen werden könnte. Diese Verbindung hängt dabei erneut mit der Beurteilung des jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizonts und seiner Geltung zusammen, da es jenen Theologen, die an ebendieser festhalten, durchaus gelingt, den Grableerfindungserzählungen im Sinne der dargestellten 1179

Ebd. Vgl. Klaiber, Jesu Tod und unser Leben, 22, Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 58, Nauck, Die Bedeutung, 258 u. 251. Der Zusammenhang zwischen der Begegnung mit dem Auferstandenen und der Entstehung des Auferstehungsglaubens wird in vielen Veröffentlichungen hergestellt und erläutert. Wenngleich die Ostererscheinungen in diesem Buch nicht erschöpfend behandelt werden, so sei doch zumindest in problematisierender Weise auf die Ausführungen Ecksteins und Welkers hingewiesen. In der Einleitung ihres Sammelbandes Die Wirklichkeit der Auferstehung stellen sie heraus, dass innerhalb der neutestamentlichen Bezeugungen keine singuläre Erscheinung des Auferstandenen – mit Ausnahme des Damaskuserlebnisses Pauli – zur Entstehung eines Auferstehungsglaubens führe (vgl. Eckstein u. Welker, Einleitung, XIV), was in Bezug auf den angesprochenen, oft hergestellten und als selbstverständlich vorausgesetzten Zusammenhang sicherlich zu reflektieren wäre. 1181 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 295. 1182 Diesen Ansichten entsprechend werden die Leerfindungserzählungen hinsichtlich der Frage nach der Entstehung des Auferstehungsglaubens oft als wenig aussagekräftig beurteilt, da angenommen wird, dass sie nicht von ebendieser zeugen, sondern dass ihre Konzeption im Gegenteil lediglich aufgrund eines bereits bestehenden und reflektierten Glaubens an die Auferstehung erfolgte (vgl. Schierse, Christologie, 51). Im Prozess ihrer inhaltlichen Ausgestaltung orientierten die Evangelisten sich ferner – etwa nach Auffassung Oberlinners – an den (zur Tradierungs- und Abfassungszeit der jeweiligen Erzählungen verbreiteten) Vorstellungen der jüdischen Anthropologie, aufgrund derer der leere Zustand der Grabstätte als eine (sich logisch aus dem Auferstehungsglauben ergebende) Konsequenz vorausgesetzt wurde, was wiederum zur Ausformulierung der Erzählungen motiviert haben dürfte (vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 181 f.). Nauck führt in diesem Zusammenhang aus, dass die besagten Erzählungen nicht nur im Hinblick auf eine Untersuchung der Entstehung des Osterglaubens wenig aussagekräftig seien, sondern dass sie ihrerseits auch nicht zur Erweckung des Glaubens ihrer Rezipienten herangezogen wurden. Dies werde daran ersichtlich, dass sie – verankert in der Gemeindepredigt des Urchristentums – hauptsächlich zur Erbauung bereits Glaubender und eben gerade nicht in der Missionspredigt Verwendung gefunden habe (vgl. Nauck, Die Bedeutung, 260). 1180

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Argumente eine glaubenserweckende Wirkung abzusprechen und ihnen nichtsdestotrotz weiterhin eine gewisse Relevanz, Funktionalität und Geltung zuzugestehen. Betrachten wir nun eine letzte These, so eröffnet sich uns ein ähnliches Bild. c) Das leere Grab und die heutige Auferstehungsverkündigung Um ein schärferes Bild der gängigen Argumentationsstrukturen zu zeichnen, sei eine letzte – mitunter auch isoliert vorfindliche – Argumentationskette angesprochen, die mit den genannten Strukturen und insbesondere mit der Prämisse, dass eine Distanzierung vom jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont vorzunehmen sei, zusammenhängt. Sie ergibt sich in gewisser Weise als logische Konsequenz aus ihnen und führt zur Konstruktion des nachfolgend charakterisierten zeichenhaften Verständnisses der Grableerfindung, das einer Betrachtung ihres Geschichtsbezugs völlig entbehrt. Erläutert werden kann sie mit Verweis auf die Konzeption Dalferths, da diese ihre wesentlichen Elemente bereits enthält: Dalferth ging – rufen wir uns das noch einmal in Erinnerung – davon aus, dass eine (geschichtswissenschaftliche) Widerlegung der Grableerfindung den Auferstehungsglauben nur dann affizieren könne, wenn sie die Erscheinungen des Auferstandenen verunmöglicht hätte, was er aufgrund seiner Distanzierung vom (als nicht verbindlich beurteilten) jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont nicht annimmt.1183 Vielmehr vermutet er, dass sich für die Erscheinungsempfänger erst einmal nichts geändert hätte, wenn der Leichnam Jesu sich weiterhin im Grab befunden hätte und dort dekompostiert wäre.1184 Aus diesen (die Geltung der Grableerfindung vergleichgültigenden) Erwägungen schlussfolgert er, dass ebendiese sowie die sie tangierenden Erzählungen im Auferstehungsdiskurs grundsätzlich nicht überzubetonen seien und dass ihnen keine erhebliche Relevanz zugesprochen werden könne. Damit macht er sich die dritte, hier thematisierte Struktur zunutze, in der die Relevanz der Grableerfindungserzählungen oder ihrer Gegenstände pauschal geleugnet wird. Dies scheint die Distanzierung vom besagten Deutungshorizont in gleicher Weise zu bestätigen, wie die Argumentationsstruktur selbst wiederum durch sie bestätigt wird. Die beobachtete Leugnung der Relevanz der Grableerfindungserzählungen oder ihrer Gegenstände erfolgt jedoch nicht ausschließlich anhand der von Dalferth vorgetragenen Erwägungen und/oder der zuvor erläuterten Argumentationsstrukturen, sondern wird mitunter facettenreich plausibilisiert. Einige Theologen begründen das besagte Absprechen und die Relativierung der Geltung und Relevanz etwa mit Verweis auf die heutige, nicht länger oder überhaupt auf die Rede vom leeren Grab angewiesene Christenheit. Exemplarisch kann auf die Ausführungen Kittels verwiesen werden, die darstellt, dass die 1183 1184

Vgl. Dalferth, Volles Grab, 295. Vgl. a.a.O., 299.

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Rede vom leeren Grab ihres Erachtens als ein gegenwärtig verbreitete Verstehensschwierigkeiten nun leider gerade nicht tangierendes Element des Glaubens angesehen werde1185, woraus bekanntlich folge, dass im gegenwärtigen Diskurs auch überzeugte Anhänger der christlichen Osterbotschaft mitunter von einem vollen Grab Jesu ausgingen.1186 Andere Theologen führen hingegen an, dass die Verkündung der Auferstehungsereignisse zu keinem Zeitpunkt auf die Vorstellung des leeren Grabes angewiesen gewesen wäre.1187 Dies werde daran ersichtlich, dass gerade die frühe Christenheit es einige Jahrhunderte lang vollbracht habe, die Auferweckungsbotschaft erfolgreich zu verkündigen, „ohne über das Grab und über die Frage nach dem Verbleib des Leichnams überhaupt nachzudenken.“1188 Ferner sei es auch heute nicht nötig oder sinnvoll, auf den empirischen Zustand eines jerusalemer Grabes vor knapp 2000 Jahren zu verweisen.1189 Darüber hinaus werde die mangelnde Relevanz der Grabestradition auch daran erkennbar, dass sie – wie im ersten Teil gezeigt – im Zuge der frühen Osterbezeugungen lediglich innerhalb der „Erzähltradition der Evangelien“1190 zur Sprache kam und außerdem keine erwähnenswerte Wirkungsgeschichte aufweise.1191 Dies könne – so wird mitunter eingeräumt – allerdings auch damit in Verbindung stehen, dass die in der Bibel zu findenden Texterzeugnisse im Allgemeinen ein nur geringes Interesse ihrer Verfasser an der Darstellung von Begräbnissen suggerieren. Verwiesen wird etwa auf die distanziert-desinteressierten Schilderungen des Begräbnisses des Mose.1192 Das Ausmaß der (auf diesen Annahmen beruhenden) Distanzierung von der Frage nach dem Geschichtsbezug der Grableerfindung sowie ihr genereller Bedeutungsverlust innerhalb des Auferstehungsdiskurses werden anhand des noch immer viel zitierten und adaptierten Satzes Graß‘ „Wir glauben nicht an das leere Grab, sondern an den auferstandenen Herrn“1193 ersichtlich. Dieser konstruiert hier – offensichtlich ausgehend von den dargestellten Prämissen – einen deutlichen Gegensatz, der sich im biblischen Befund nicht wiederfindet, welcher doch ausgehend vom jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont einen notwendigen Zusammenhang zwischen Auferstehung und Grableerwerdung voraussetzt.1194 1185 1186

Vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 478. Vgl. Kremer, Die Osterevangelien, 49, zitiert nach Oberlinner, Die Verkündigung,

159. 1187

Vgl. Lindemann, Auferstehung, 39. A.a.O., 40. 1189 Vgl. a.a.O., 39. 1190 Oberlinner, Die Verkündigung, 181. 1191 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 88. 1192 Vgl. Schüle, Gottes Handeln, 263. 1193 Grass, Ostergeschehen, 185. Verwiesen sei etwa auf die Adaption der Aussage Graß‘ durch Härle, welcher ebenfalls hervorhebt, dass die Auferstehungshoffnung auf eine zukünftige Gemeinschaft der Gläubigen mit ihrem Herrn – und nicht auf ein Leersein ihrer Gräber – ausgerichtet sei (vgl. Härle, Doppelte Gefahr, 14). 1194 Vgl. Rengstorf, Die Auferstehung Jesu, 61 f., zitiert nach Klappert, Diskussion, 20. 1188

220

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Der von uns erkannte und in den dargestellten Argumentationsmustern begründete Bedeutungsverlust ebnete – verbunden mit dem angesprochenen Bedürfnis, die Relevanz und Geltung der Grableerfindungsperikopen nicht in Gänze zu verabschieden – den Weg für eine verbreitete Etablierung zeichenhafter, von der Frage nach einem Geschichtsbezug isolierter und dessen Notwendigkeit bestreitender Ausdeutungen des leeren Grabes als Zeichen der/für die Auferstehung, wie sie am Beispiel der Konzeption Dalferths kennengelernt wurden und im Folgenden eingehender charakterisiert werden. d) Das leere Grab als ein von potenziellen Geschichtsbezügen unabhängiges Zeichen Wie zu Beginn dieses Teilkapitels erwähnt, führen die dargestellten (mit der Distanzierung vom jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont einhergehenden) Vorstellungen, dass das leere Grab kein zwingendes Implikat der christlichen Auferweckungsvorstellung sei1195 und dass ferner auch seine Bezeugungen in den Evangelien nicht als Abbilder der ursprünglichen theologischen Bezeugung der Osterereignisse zu verstehen seien, nicht dazu, dass sich die Rückfrage nach der (auch heutzutage noch fass- und artikulierbaren) Bedeutung der uns vorliegenden Rede von der leeren Grabstätte erübrigt.1196 Oberlinner betont so etwa, dass die Grableerfindung uns in der neutestamentlichen Auferstehungsverkündigung begegnet und es nun eben doch schon daher eine „Aufgabe der historisch fragenden und argumentierenden Exegese“1197 sei, sich ihr, als einem „Bezug zum Glauben an die Auferweckung“1198, anzunähern. Eine derartige Näherbestimmung des Verhältnisses der mehrdeutigen Grableerfindungsbezeugungen zur Auferstehung, die häufig auf die systematisch-theologisch erfass- und reflektierbare Bedeutung der Bezeugung des leeren Grabes für unser gegenwärtiges Verständnis der Auferweckung ausgerichtet ist1199, führt – wie angesprochen – meist zu einer Interpretation des leeren Grabes als ein Zeichen der/für die Auferstehung, wobei von einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage nach seinem empirischen Zustand abgesehen wird. Synonym zum Begriff des Zeichens1200, welches von jenen, die bereits an Jesu Auferweckung glauben, verstanden werden könne1201, wird das leere Grab in

Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 188 f. u. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 256. Vgl. ebd. 1197 Oberlinner, Die Verkündigung, 174. 1198 Ebd. 1199 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 187. 1200 Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 162 f., Vorholt, Osterevangelium, 345, mit Verweis auf Schlier, Über die Auferstehung, 28 f. u. Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments I, 178 u. Nauck, Die Bedeutung, 257, mit Verweis auf Künneth, Theologie der Auferstehung, 84. 1201 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 345. 1195

1196

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

221

derartigen Interpretationen auch als „Wegzeichen“1202, „Signal“1203, „Hinweis“1204, „Vorzeichen des Lebens“1205, „zeichenhafte Bestätigung des Osterglaubens“1206, „Bildzeichen“1207 oder als „veranschaulichendes Symbol“1208 bezeichnet. All diesen Begriffen ist das nicht selten auftretende Problem gemein, dass häufig ungeklärt bleibt, worin genau der oft betonte, zeichenhafte Sinn der Grableerfindung und des leeren Grabes als solchem nun überhaupt besteht.1209 Außerdem werden auch dessen Beziehung zu den weiteren Details der Erzählungen sowie die Art und Weise, auf die die Botschaft von der Auferstehung im Rahmen dieser verbildlicht wird1210, oft nicht thematisiert, da die entstehenden, zeichenhaften Deutungen (im Vergleich zu den Deutungen Barths, Moltmanns und Ringlebens) meist sehr vage ausfallen. Als Beispiele sind einige charakteristische Erläuterungen der vermeintlichen Zeichenhaftigkeit des leeren Grabes anzuführen; so wird es etwa als „starkes Bild-Zeichen für die Befreiung aus dem Rachen des Todes“1211, als „neue[s] Zeichen des gottgewirkten Neuaufbruchs“1212 oder als „Hinweis auf etwas, was den Jüngern noch begegnen soll“1213, charakterisiert. Sein Sinn bestehe entsprechend nun etwa darin, a) deutlich zu machen, dass der Auferstandene mehr und kategorial anders gewesen sei als ein einfacher Märtyrer oder Märtyrerprophet1214, b) den Rezipienten für seine Selbstbekundung empfänglich zu 1202

Schlier, Über die Auferstehung, 30, zitiert nach Oberlinner, Die Verkündigung,

162 f. 1203 Oberlinner, Die Verkündigung, 162 f., mit Verweis auf Lohfink, Der Ablauf der Osterereignisse, 172. 1204 Vorholt, Osterevangelium, 65. 1205 Nauck, Die Bedeutung, 257. 1206 Klappert, Diskussion, 21. 1207 Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 463. 1208 Kessler, Sucht den Lebenden, 334. Kessler beurteilt die von ihm behauptete symbolische Kraft der Vorstellung des leeren Grabes als so stark, dass sich im Bewusstsein „unserer dinglich denkenden germanischen Vorfahren“ (Jenseits von Fundamentalismus, 309) Auferstehungsvorstellungen krud materialistischer Art festgesetzt haben, welche an der Annahme einer Reanimation des Leichnams Jesu orientiert waren und auch heutzutage noch von vielen Menschen geteilt werden würden (vgl. ebd.). 1209 Vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 461. 1210 Vgl. ebd. Kittel meint die aufgezählten Defizite ironischerweise gerade in solchen Deutungen der Grableerfindung zu erkennen, die dieser mit einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage interpretatorisch begegnen wollen. Sie votiert demtentgegen für eine zeichenhafte Ausdeutung der Grableerfindung, wie sie selbst sie vornimmt (vgl. ebd.). Dies legt den Schluss nahe, dass es sich hierbei möglicherweise gar nicht primär oder ausschließlich um Defizite handeln könnte, welche notwendig mit dem Versuch einer zeichenhaften Ausdeutung einhergehen, sondern vielmehr um solche, die grundsätzlich auftreten können, sofern versucht wird, eine Grableerfindungsdeutung vorzunehmen, und die lediglich deshalb so verbreitet in zeichenhaften, oft vagen Deutungsansätzen zu finden sind, weil diese am häufigsten vorgenommen werden. 1211 Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 309. 1212 Fössel, Offenbare Auferstehung, 592. 1213 Künneth, Theologie der Auferstehung, 84, zitiert nach Nauck, Die Bedeutung, 258. 1214 Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 51.

222

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

machen1215 oder c) auf den Auferstandenen hinweisend (und entsprechend von sich erst einmal wegzeigend1216) hervorzuheben, dass nicht das leere Grab, sondern „die Wirklichkeit des Auferstandenen“1217 in den Blick zu nehmen sei, die – wie hier von Nauck – oft nicht eingehender definiert wird. Mitunter wird das leere Grab ferner als „nachträglich bestätigendes Zeichen“1218 im Blick auf die Auferstehung oder auf „die Wahrheit des Osterglaubens“1219 bezeichnet, dessen Funktion auch darin bestehe, auf die Vielfalt der (durch die Erscheinungen des Auferstandenen ermöglichten) Begegnungen mit ebendiesem1220 zu verweisen oder seine Identität mit dem am Kreuz gestorbenen Jesus zu unterstreichen.1221 Wie vage oder konkret die zeichenhaften Deutungen nun aber im Einzelnen ausgestaltet sein mögen, so stimmen sie doch in der grundlegenden Annahme überein, dass das Zeichen des leeren Grabes auch im Rahmen der vorgenommenen Interpretationen entschieden von den Auferstehungsereignissen als solchen zu isolieren sei und dass gerade kein notwendiger Zusammenhang zwischen ihnen zu behaupten wäre. Dies wird mitunter damit begründet, dass jener, der Sache und Symbol nicht voneinander zu unterscheiden wisse, ihre Bedeutung – hier die „Bedeutung des ewigen Lebens“1222 – notwendig verkehre und verfehle. Augenscheinlich steht dies der Auffassung Barths entgegen, dass ein Zeichen nie gänzlich von dem Bezeichneten abzulösen sei1223, was angesichts der als gegeben angesehenen Prämissen, die seiner Argumentation grundlegend widersprechen, nicht überraschen kann. Zusammenfassend ergibt sich ein stimmiges Bild der verbreiteten zeichenhaften Deutungen der Grableerfindung und ihrer Voraussetzungen. Offenkundig werden sie erst einmal häufig durch die Intention geprägt, die Anstößigkeit der Rede von der leiblichen Auferstehung zu eliminieren, welche sich für den modernen Mensch als nicht mehr anknüpfungsfähig erwiese. Sie erfolgen entsprechend nicht selten ausgehend von einer Distanzierung vom (vermeintlich nicht länger nachvollziehbaren) jüdisch-apokalyptischen Deutungsrahmen, welche

1215

Vgl. Nauck, Die Bedeutung, 256. Vgl. a.a.O., 258. 1217 A.a.O., 256. Nauck ergänzt ferner, dass die schon angesprochene Selbstbekundung des Herrn dazu gedient habe, dass dieser sich als Gottessohn und Messias erweisen konnte und ein auf ihn (als den Gekreuzigten, aber trotzdem vom göttlichen Vater Bestätigten) gerichteter Glaube erweckt wurde (vgl. ebd.). Inwiefern man sich den Vorgang der Empfänglichmachung der Menschen für diese Selbstbekundung durch die Grableerfindung vorstellen kann, bleibt jedoch unbeantwortet. 1218 Vorholt, Osterevangelium, 75. 1219 Härle, Doppelte Gefahr, 14, siehe auch Kremer, Osterbotschaft, 44. 1220 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 345. 1221 Vgl. Nauck, Die Bedeutung, 258. 1222 Lang u. McDannell, Der Himmel, 441 f., zitiert nach Ewald, Die Physik und das Jenseits, 139. 1223 Vgl. Barth, KD I/2, 195 f. 1216

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

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durch mannigfaltige Verweise auf die Komplexität und auf die Mehrdimensionalität Gottes und seines Handelns legitimiert wird. Mit ebendieser Distanzierung geht nun aber ein Zerbrechen des Begründungszusammenhangs jener Relevanz und Notwendigkeit eines Grableerwerdens innerhalb der Auferstehungsereignisse einher, wie sie durch den besagten Deutungshorizont plausibilisiert werden. Es erfolgt nun eine zunehmende Vergleichgültigung der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage nach der Grableerfindung, da diese vermehrt als nicht notwendiger Aspekt des christlichen Glaubens an die Auferstehung verstanden wird.1224 Zur Bekräftigung dieser Annahme wird beispielsweise darauf verwiesen, dass ein leeres Grab keinen Auferstehungsglauben zu erwecken und die Auferstehung nicht zu beweisen vermöge und dass es folglich auch wirkungsgeschichtlich keine nennenswerte Bedeutung aufweisen könne. Da die neutestamentliche Rede vom leeren Grab und von der Leiblichkeit des Auferstehungsdaseins als nicht zu übersehende Teile der Verkündigung jedoch nach einer Interpretation verlangen, erfolgen vielfältige Umdeutungs- und Neuperspektivierungsversuche, wobei vor allem ein zeichenhaftes, von jedweden geschichtswissenschaftlichen Rückfragen abgetrenntes Verständnis des leeren Grabes sich als diskursprägend erweist, das nicht selten vage und unterbestimmt ausfällt. Dass ein derartiges Verständnis der Grableerfindungserzählungen 1) trotz seiner enormen Verbreitung keineswegs alternativlos ist, dass es 2) erhebliche weltbildliche Prägungen aufweist und dass es 3) viele kritische Fragen aufwirft, wird im dritten Teil dieses Buches zu thematisieren sein.

II.5.3 Exkurs: Kritische Darstellung zweier Deutungen der Grableerfindung als Zeichen Zur Konkretisierung der dargestellten Ausführungen seien im Folgenden zwei zeichenhafte Deutungen der neutestamentlichen Grableerfindungsperikopen skizziert, in welchen sich die erläuterten Prämissen und Argumentationsstrukturen wiederfinden. Die exemplarisch dargebotenen Ansätze wurden dabei nicht aufgrund ihrer Aktualität ausgewählt, sondern sollen – soweit möglich – die Konsequenzen aufzeigen, die sich aus den zugrundeliegenden Argumentationsmustern ergeben. An ihnen wird ersichtlich, dass die Verweise auf die Grableerfindung nur allzu schnell mit mythischen oder legendarischen Begebenheiten in Verbindung gebracht werden, sofern man sie zeichenhaft (und von einer Rückfrage nach etwaigen Geschichtsbezügen abgetrennt) ohne Orientierung am jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont interpretiert. Anhand kurzer kritischer Reflexionen werden sodann die Konzeptgrenzen der jeweiligen Ansätze sowie die zu problematisierenden Aspekte zeichenhafter Deutungen der Grableerfindung im Allgemeinen deutlich gemacht, die sich aus den dargestellten Prämissen ergeben. 1224

Vgl. Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 309.

224

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

a) Das leere Grab als Zeichen für die Entrückung Jesu (Elias Bickermann) Beim ersten vorgestellten Interpretationsansatz, der keine Rückfrage nach etwaigen Geschichtsbezügen enthält, handelt es sich um das bereits 1924 von Elias Bickermann präsentierte1225 Verständnis der Grableerfindungserzählungen als Adaptionen griechischer und römischer Entrückungslegenden, das seither von mehreren Theologen wie etwa von Jürgen Becker, Klaus Berger, Paul Hoffmann und – wenn auch in umperspektivierter Weise – von Rudolf Pesch aufgenommen, adaptiert und ergänzend mit jüdischen Entrückungslegenden in Beziehung gesetzt wurde.1226 Der Ansatz entstand aus dem Versuch Bickermanns, die Erzählungen um die Grableerfindung religionsgeschichtlich zu interpretieren. Daraus ergab sich für ihn die Schlussfolgerung, dass diese auf eine frühe Form des Christusglaubens zurückzuführen seien, welche dem Glauben an Jesu Auferstehung vorausgegangen sei und maßgeblich von der Annahme geprägt worden sei, dass Jesus durch Gott erhöht und entrückt wurde.1227 Das Konzept der sogenannten Entrückungen beschreibt grundsätzlich – und ungeachtet seiner spezifischen Ausformungen und Akzentuierungen – einen Vorgang des Erhöhtwerdens des Entrücktwerdenden zu Gott.1228 Das Alte Testament berichtet so etwa von berühmten Persönlichkeiten, wie Henoch, Mose und Elia, die unmittelbar aus ihrem Leben heraus – und somit bereits vor ihrem Tod – zu JHWH entrückt worden seien und anschließend an verschiedenen Orten zu erscheinen vermochten.1229 Gleichzeitig ist in Israel und insbesondere im Frühjudentum das darstellungsstrukturierende Motiv des leidenden Gerechten verbreitet gewesen, das benutzt wurde, um auszudrücken, dass JHWH die Gerechten und die Märtyrer aus Notsituationen errette und ihnen mitunter sogar auf ganz außergewöhnliche Weise helfe, indem er sie nach ihrem Sterben umgehend zu sich entrücke beziehungsweise zu sich erhöhe.1230 In ähnlicher Weise bezeugten auch griechische und römische Entrückungstraditionen, dass bedeutsame Personen1231, wie etwa politische Herrscher oder mythische Helden1232, zu den Göttern entrückt worden und durch diesen Prozess sogar selbst in den Stand der Götter erhoben worden seien.1233 Im Gegensatz zu den in jüdischen Traditionen erwähnten Entrückungen 1225

Vgl. Bickermann, Das leere Grab, 281–292. Vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 472, Vorholt, Osterevangelium, 20 u. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 424. 1227 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 440 f. 1228 Vgl. Schröter, Visionäre Erfahrungen, 34. 1229 Vgl. ebd. u. siehe Gen 5,24, Dtn 34,5–6 u. 2 Kön 2,1–18. Das Entrücktwordensein des Elia und des Mose sowie ihre mit diesem einhergehenden Fähigkeiten des Erscheinens und des Verschwindens werden in der Verklärungserzählung in Mt 17,1–13 vorausgesetzt, in der Jesus den beiden begegnet (vgl. Schröter, Visionäre Erfahrungen, 34). 1230 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 19. 1231 Vgl. Schröter, Visionäre Erfahrungen, 34. 1232 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 499. 1233 Vgl. ebd. u. Schröter, Visionäre Erfahrungen, 34. 1226

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

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lebendiger oder erst kürzlich verstorbener Personen erfolgten die Zuschreibungen des Entrücktseins einer Person im griechischen Umfeld auch postmortal.1234 Dass die in Markus 16 vorliegende Grableerfindungserzählung auf die Beschreibung eines derartigen Prozesses abziele, werde nach Ansicht Bickermanns und der seiner Konzeption folgenden Theologen nun daran deutlich, dass sich die (in den Entrückungslegenden vorfindliche) Topik sowie weitere für sie charakteristische, gestalterische und inhaltliche Elemente in dem besagten Text und/oder in den parallelen Evangelienperikopen wiederfänden.1235 Zu diesen Elementen zähle die notwendige Benennung der (die Entrückung beglaubigenden) Augenzeugen – wie sie in den Evangelien anhand des Hinweises auf die Frauen beziehungsweise auf die Frau erfolge – und die Erwähnung eines späteren Erscheinens der entrückten Person oder der Boten Gottes1236, welche in den Evangelien in Form der Erscheinungserzählungen und des beziehungsweise der im Umfeld des leeren Grabes erscheinenden Deuteengel(s) vorliege. Die wohl signifikantesten Merkmale der Entrückungserzählungen bestehen jedoch in den (in den Grableerfindungsperikopen ebenfalls thematisierten) Erkenntnissen, dass der Entrückte – beziehungsweise sein Leichnam – nicht aufgefunden werden könne1237 und dass sein Grab folglich entweder nicht existent oder leer sei.1238 Zudem werde das vergebliche Suchen nach dem Leichnam des Entrückten in den besagten Legenden oft narrativ ausgestaltet, wie es auch in den Evangelien der Fall sei.1239 Die Rezipienten der Grableerfindungserzählungen sollten die Rede 1234

Vgl. Schröter, Visionäre Erfahrungen, 34 u. Hoffmann, Auferstehung II/I, 499. Vgl. Becker, Die Auferstehung, 242 u. Hoffmann, Auferstehung, II/I 499. 1236 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 499. Im Unterschied zu Hoffmann beurteilt Becker ein Erscheinen des Entrückten keineswegs als selbstverständliches oder gar notwendiges Element von Entrückungslegenden, was seines Erachtens jedoch gerade dafür spreche, dass es sich bei der markinischen Grableerfindungserzählung um eine Adaption einer Entrückungslegende handele, da das Markusevangelium in seiner ursprünglichen Fassung bekanntlich keine Erscheinungsberichte oder -bezeugungen beinhaltet (vgl. Becker, Die Auferstehung, 241 f.). 1237 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 499 u. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 424. Das thematisierte, für Entrückungslegenden charakteristische, völlige Verschwinden der Leichen der Entrückten diene nach Ansicht Beckers ausschließlich dazu, das Entrücktsein der Verstorbenen zu unterstreichen, und wurde entsprechend nicht – wie man fälschlicherweise annehmen könnte – dazu herangezogen, Vermutungen über die neue Leiblichkeit der Entrückten anzustellen. Dies werde etwa am Beispiel von Zacharias ersichtlich, dessen nach seiner Erhöhung verschwundener Leichnam für die zurückgelassenen Menschen als ein Zeichen fungierte, das auf die geschehene Entrückung hindeutete, aber dem in Bezug auf eine Reflexion der Leiblichkeit Zacharias’ nach seiner Erhöhung augenscheinlich keine nennenswerte Bedeutung zugesprochen wurde (vgl. Becker, Die Auferstehung, 25). 1238 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 499. 1239 Vgl. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 424 u. Hoffmann, Auferstehung II/I, 499. Eine weitere Parallele zwischen den Entrückungserzählungen und den Grableerfindungserzählungen bestehe nach Ansicht Beckers darin, dass die mangelnde Auffindbarkeit des Leichnams sowohl im Markusevangelium als auch innerhalb der Entrückungslegenden nicht zu einer Reflexion der Auferstehungsleiblichkeit beziehungsweise der Leiblichkeit des 1235

226

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von der vergeblichen Suche der Frauen nach dem Leichnam Jesu nach Ansicht Bickermanns und der ihm folgenden Theologen somit nicht als persönliches und individuelles Zufallsschicksal ebendieser deuten, sondern sie als ein charakteristisches Merkmal der Gattung der Entrückungsgeschichten erkennen, das ihnen nahelege, dass Gott Jesus entrückt habe.1240 Aufgrund all dieser genannten Parallelen seien die Grableerfindungsperikopen somit „als Veranschaulichung[en] der Auferweckungsbotschaft im Kontext antiker Entrückungslegenden“1241 zu verstehen, da die Evangelisten augenscheinlich eine Adaption der Merkmale dieser Erzählungen vornahmen.1242 Damit hätten sie versucht, eine Art Kompromiss zwischen jenen, ihnen bereits vorliegenden Passionsdarstellungen und der im Urchristentum konsensuell vertretenen Meinung einzugehen, dass der Auferstehungsglaube durch eine Selbstoffenbarung des Auferweckten entstanden sei.1243 Um dieses Ziel zu erreichen, hätten sie das bereits fixierte und tradierte Auferweckungsbekenntnis nun „in einem neuen Milieu“1244 und anhand der (in ebendiesem verbreiteten) Vorstellungshorizonte und -kategorien dargestellt.1245 Die gängige, demgegenüber zumeist mit den Grableerfindungserzählungen assoziierte Vorstellung der Auferstehung sei hingegen erst zu einer späteren Zeit innerhalb hellenistischer Kreise entstanden, in welchen die Motive der „sterbenden und auferstehenden Gestalten der Mysterien“1246 verbreitet gewesen seien. Der zuvor dominante Entrückungsglaube, von dem nur noch die Grableerfindungsperikopen zeugten, wurde von ihr anschließend weitgehend verdrängt.1247 Bickermann und die seiner Konzeption folgenden Theologen gehen also aufgrund der Erzählstruktur der Grableerfindungserzählungen davon aus, dass es sich bei ihnen um Adaptionen der in ihrem Umfeld geläufigen Entrückungsle-

Entrückten geführt habe. Er selbst relativiert diesen Zusammenhang jedoch, indem er einräumt, dass Markus sich grundsätzlich nur wenig mit Christi Vollendungszustand oder dessen Beschreibung auseinandersetzte und die transmortale Wirklichkeit entsprechend nur sporadisch und mithilfe traditioneller Begriffe thematisierte, da und zumal er augenscheinlich nicht darauf abzielte, „ein schlüssiges Gesamtverständnis zur Postmortalität“ (Becker, Die Auferstehung, 23) zu präsentieren. 1240 Vgl. a.a.O., 24. 1241 Hoffmann, Auferstehung II/I, 499. 1242 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 244. 1243 Vgl. ebd. Dass die Evangelisten sich zur Darstellung ihrer Erfahrungen an dem (in ihrem Umfeld gängigen) Konzept der Entrückung orientierten, kann nach Ansicht Beckers nicht verwundern, da die „Wahrnehmung von Erfahrungen“ (a.a.O., 182) und entsprechend auch ihre Verbalisierung sich seines Erachtens stets vollziehen, indem Personen von ihren je eigenen, in ihrer Lebensgemeinschaft verbreiteten und mitunter bereits internalisierten, religiösen oder auch kulturellen Wahrnehmungsmustern, wie etwa dem der Entrückung, Gebrauch machen (vgl. ebd.). 1244 Hoffmann, Auferstehung II/I, 499. 1245 Vgl. ebd. 1246 Bickermann, Das leere Grab, 283, zitiert nach Schwager, Die heutige Theologie, 441. 1247 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 441.

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genden handelte. Wenngleich die erzählte Welt des 16. Kapitels des Markusevangeliums – wie Becker zugesteht – auch geschichtliche Wirklichkeit in gebrochener Form enthalte1248, könne das leere Grab (als der Gegenstand der Grableerfindungserzählungen) nach ihrer Ansicht jedoch offenbar nicht als ein mit geschichtswissenschaftlichen Mitteln mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu verifizierendes Osterereignis beurteilt werden.1249 Dies sei nun bereits darin zu begründen, dass die ersten Christen ihre Wahrnehmung der Auferstehungsereignisse – schon zur Verfolgung der obengenannten Intention1250 – in Orientierung an den in ihrem Umfeld verbreiteten (das Leersein des Grabes des vermeintlich Entrückten notwendig einschließenden) Entrückungslegenden artikulierten.1251 Becker weist darüber hinaus darauf hin, dass es bereits aufgrund dessen, dass die erzählte Welt in der angesprochenen Topik der Entrückungslegenden verhaftet sei, nicht sinnhaft wäre, die Grableerfindungserzählungen als Berichte zu verstehen, welche im Sinne Pannenbergs auf die ihnen vermeintlich zugrundeliegenden historischen Tatsachen hin zu befragen wären.1252 Dies mache es erforderlich, dass Theologen sich hinsichtlich geschichtswissenschaftlicher Wahrscheinlichkeitsurteile in Bezug auf eine Grableerfindung erst einmal reserviert verhielten1253, obschon die Grableerfindungsperikopen als Teile der „narrativen Ostertexte“1254 nach Ansicht Beckers in Bezug auf das Treffen von Aussagen über Jesu Auferweckung gegenüber den weiteren urchristlichen Bezeugungen – wie etwa den Briefen Pauli – die Oberhand gewonnen haben und gesamtgesellschaftlich geteilte Vorstellungen in Bezug auf die Osterereignisse maßgeblich durch sie geprägt worden seien1255, was zu einer expliziten Auseinandersetzung mit ihnen anregen könne. Aus all diesen Überlegungen resultiert – in Übereinstimmung mit den erläuterten Prämissen – die Einschätzung, dass die neutestamentlich bezeugte Grableerfindung als ein „literarisches und konventionelles Zeichen für Jesu Er1248 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 26 f. Die Bezeichnung der geschichtlichen Wirklichkeit wird hier leider nicht näher definiert, scheint aber vorrangig als Sammelbegriff für all jene Ereignisse zu fungieren, die anhand geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als historische Ereignisse ausweisbar sind. 1249 Vgl. a.a.O., 27. 1250 Vgl. a.a.O., 249. 1251 Vgl. a.a.O., 249. Becker räumt ein, dass ein Wissen darum, dass die Bezeugung eines Verschwundenseins eines Leichnams ein notwendiger Teil einer Entrückungslegende sei und dass sie schon aus diesem Grund in den Grableerfindungserzählungen als Adaptionen ebendieser Erwähnung fände, eine (in der empirisch-geschichtswissenschaftlichen Dimension der Geschichte verankerte) Leerfindung eines Grabes nicht zwingend ausschlösse. Diese bloße Feststellung sei jedoch per se erst einmal erkennbar hypothetisch, sofern sie nicht durch weitere, eigenständige Überlegungen gestützt werde. Daher könne sie getrost als nur wenig gewinnbringend beurteilt werden (vgl. a.a.O., 242). 1252 Vgl. a.a.O., 26. 1253 Vgl. a.a.O., 251. 1254 A.a.O., 7. 1255 Vgl. ebd.

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höhung“1256 zu verstehen sei, welches keineswegs extratextuell auf eine näher fixierbare Grabstätte verweise, sondern vielmehr als Erzählung selbst ein Zeichen sei.1257 In diesen ersten Nachzeichnungen wesentlichster Thesen Bickermanns und seiner Konzeption folgender Theologen dürfte – in Entsprechung zum Anspruch, nicht nur isolierte Konzeptionen darzustellen, sondern immer auch einen Bezug zu den ihnen zugrundeliegenden Prämissen herzustellen – deutlich geworden sein, dass Versuche einer zeichenhaften Ausdeutung der Grableerfindungsperikopen, die von einer Rückfrage nach dem Geschichtsbezug ihrer Gegenstände abgetrennt werden, nicht nur zur Entstehung der angesprochenen, höchst vagen Ansätze führen, sondern auch eine Verknüpfung der Erzählungen mit mythischen und legendarischen Grundvorstellungen begünstigen. Bestätigt wird dieser Eindruck durch den zweiten, zu thematisierenden Deutungsansatz, der nachfolgend dargestellt wird. Zuvor erfolgt allerdings eine (an den Darstellungen Gisela Kittels orientierte) kritische Reflexion der Thesen Bickermanns. Beim Nachvollzug der kritischen Auseinandersetzung Kittels mit den Thesen Bickermanns und der ihm folgenden Theologen ist zunächst festzustellen, dass einige von Bickermann thematisierte Elemente und Motive, wie etwa das der vergeblichen Suchen des Leichnams Jesu durch die Frauen, in der Tat nicht ausschließlich in den neutestamentlichen Grableerfindungserzählungen vorfindlich sind, sondern auch in der Konstruktion und Ausgestaltung von jüdischen, griechischen und römischen Entrückungslegenden verwendet wurden. Kittel weist jedoch mit Recht darauf hin, dass in den jeweiligen Texten (neben diesen keineswegs bestreitbaren Motivverwandtschaften) auch unübersehbare Unterschiede gegeben sind, welche von Bickermann nicht angemessen oder überhaupt berücksichtigt werden. Festzustellen sei nach einem kritischen Vergleich der neutestamentlichen Grableerfindungsperikopen mit den in ihrem Umfeld vorfindlichen Entrückungslegenden so, dass die im Judentum verbreiteten Entrückungsvorstellungen sich erheblich vom neutestamentlichen Geschick Jesu unterschieden, da sie – auch sofern sie die Entrückung Verstorbener thematisierten – stets voraussetzen, dass diese bereits in sehr geringem zeitlichen Abstand zu ihrem Tod entrückt worden seien.1258 Die Pointe der jüdischen Entrückungslegenden ziele hier gerade auf die Erkenntnis ab, dass die Entrückten ihren Tod nicht erfuhren, sondern stattdessen an ebendiesem vorbei und direkt zu Gott erhöht worden seien.1259 In deutlichem Kontrast dazu bezeugt das Neue Testament bekanntlich, dass Jesus tatsächlich am Kreuze starb und mehrere Tage tot gewesen sei, ehe er auferstand. Kittel verweist in diesem Zusammenhang auf die deutliche Unterschiedenheit zwischen der Entrückung oder eben dem Tod einer Person, die in den alttestamentlich-jüdischen Entrückungserzählungen profiliert wurde.1260 In 1256

Becker, Die Auferstehung, 27. Vgl. ebd. 1258 Vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 472. 1259 Vgl. a.a.O., 472 f. 1260 Vgl. ebd. 1257

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ihnen wurde sogar hervorgehoben, dass jene, die entrückt worden seien, „den Tod nicht zu schmecken [brauchten]“1261 und dass diejenigen, die bereits (einige Zeit) verstorben (gewesen) seien, nicht länger entrückt werden könnten.1262 Bickermann selbst äußerte sich bereits im Rahmen der Entfaltung seiner Erwägungen zu diesem Kritikpunkt, indem er eingesteht, dass die jüdischen Entrückungsvorstellungen in der Tat keinerlei Zwischenzeit zwischen dem Tod und der Entrückung des betreffenden Menschen beinhalteten.1263 Er impliziert jedoch auch, dass diese Erkenntnis die Geltung seiner Ausführungen nicht tangiere, da die neutestamentlichen Grableerfindungsperikopen hinsichtlich des besagten Aspekts ohnehin nicht an den jüdischen Erzählungen orientiert seien, sondern sich in ihnen vielmehr die Denklinien römischer und griechischer Entrückungserzählungen widerspiegelten.1264 Dies sei darin zu begründen, dass die ersten Christen so sehr von der Vorstellung einer Entrückung Jesu überzeugt gewesen seien1265, dass sie an den besagten „kurzen Todesstunden“1266 Jesu keinen Anstoß nahmen und seine vermeintliche Entrückung in einer Weise konzipierten, die an das Verhalten jener Bürger Thebens erinnerte, welche eine „Entrückung der Alkmene aus dem Sarge“1267 behaupteten. Ungeachtet der von Bickermann in den Raum gestellten Frage nach der Art der Entrückungslegenden, an denen die Grableerfindungsperikopen letztlich orientiert sein könnten, bleibt allerdings dennoch mit Kittel festzuhalten, dass die Ähnlichkeiten der beiden Textgattungen nicht überbetont werden sollten oder gar als Hinweis darauf verstanden werden könnten, dass es sich bei den Grableerfindungserzählungen um adaptierte Entrückungslegenden handelte. Dies ergebe sich ihres Erachtens bereits aus den Umständen, dass Entrückungslegenden grundsätzlich keine Auferstehungsvorstellungen beinhalteten, sondern lediglich von den Hinwegnahmen der jeweils Entrückten zu Gott sowie von ihrem verborgenen Weiterleben oder von ihren Vergottungen zu berichten wissen1268 und dass die Auferstehung Jesu als das Zentrum des christlichen Glaubens durch sie entsprechend nicht ausgesagt werden könnte. Die Einsicht, dass die Grableerfindungsperikopen nicht angemessen und in ihrer vollen Aussagekraft wahrgenommen werden würden, sofern man sie als Entrückungslegenden versteht, werde ferner durch die Erkenntnis bekräftigt, dass in diesem Falle zwischen der Botschaft des beziehungsweise der Himmels-

1261 Lohfink, Der Ablauf der Osterereignisse, 74, zitiert nach Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 472 f. 1262 Vgl. ebd. 1263 Vgl. Bickermann, Das leere Grab, 286, zitiert nach Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 472. 1264 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 441. 1265 Vgl. a.a.O., 437. 1266 Bickermann, das leere Grab, 281, zitiert nach Schwager, die heutige Theologie, 441. 1267 Ebd. 1268 Vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 472 f.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

boten und der sonstigen hier erzählten Handlung stets ein Bruch zu erkennen sei, da die Engelsverkündigungen in den Grableerfindungserzählungen ausdrücklich auf die Auferstehung verweisen und eine Entrückung überhaupt nicht erwähnt werde.1269 Für Bickermann ergebe sich nach Ansicht Kittels aus diesem Befund, dass die Engelsbotschaften den Erzählungen per se erst einmal fremd gewesen seien und ihnen letztlich hinzugefügt wurden, um sie zu schärfen oder gar zu korrigieren.1270 Ein derartiges Verständnis verunmögliche es jedoch, die Engelsbotschaften als strukturelle Kerne der jeweiligen Erzählungen zu interpretieren1271, von denen ausgehend sie gestaltet wurden, wie es für die antiken Entrückungslegenden charakteristisch gewesen sei.1272 Das Dargestellte ergänzend – wenngleich argumentativ zweifellos weniger gewichtig – weist Kittel in ihrer Aufzählung der Defizite der bickermannschen Erwägungen darauf hin, dass einige relevante Aspekte der Grableerfindungserzählungen, wie etwa die Motive der „Frühe des Tages“1273 oder des fortgerollten Verschlusssteines, unterbestimmt und mitunter sogar uninterpretiert blieben, sofern diese einseitig als adaptierte Entrückungslegenden ausgedeutet würden.1274 Der wohl gewichtigste Kritikpunkt Gisela Kittels besteht jedoch weniger in den herausgestellten Unschärfen, als vielmehr in der sich aus Bickermanns Konzeption ergebenden, grundlegenden Implikation, dass die weltverändernde, überindividuelle Bedeutung des Todes und der Auferstehung Jesu in einer Interpretation als Entrückungsgeschehnisse nicht erhalten bliebe, da die Bezeugungen der Evangelien hier in der Feststellung gipfeln würden, dass Jesus lediglich ein Märtyrer gewesen wäre, welcher in ähnlicher Weise wie Henoch oder Elia zu seinem Vater entrückt wurde und seinem Todesschicksal so individuell entzogen wurde.1275 Bereits die hier vorgenommene, überblicksartige Zusammenschau dürfte ersichtlich gemacht haben, dass diverse Anfragen an die Konzeption Bickermanns existieren, die reflektiert werden sollten und auf offensichtliche Grenzen sowie auf argumentationslogische Defizite seiner Ausführungen hinweisen.

1269

Vgl. a.a.O., 473. Vgl. ebd. 1271 Vgl. ebd., mit Verweis auf Hoffmann, Auferstehung II/I, 498. 1272 Vgl. ebd. u. Becker, Die Auferstehung, 22 f. 1273 Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 473. 1274 Vgl. ebd. Nur vereinzelt wird von Vertretern der Thesen Bickermanns versucht, die genannten Aspekte in ihre Deutungen zu integrieren; so interpretiert etwa Berger den Verweis auf den fortgerollten Stein sowie die ausführliche Schilderung des Begräbnisses Jesu so, als dass diese die (dem Motiv der mangelnden Auffindbarkeit des Leichnams ohnehin anhaftende) demonstrative Tendenz lediglich verstärken sollten (vgl. Kittel, Das leere Grab, 473, unter Zitation von Berger, Die Auferstehung des Propheten, 121). 1275 Vgl. Kittel, Das leere Grab, 473. 1270

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

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b) Die Grableerfindungserzählungen als Adaptionen ägyptischer Mythen (Eugen Drewermann) Der im Folgenden betrachtete Ansatz, der unter anderem von Eugen Drewermann und Manfred Görg vertreten wird, beruht auf der Annahme, dass es sich bei den neutestamentlichen Grableerfindungserzählungen um Adaptionen ägyptischer Mythen handele oder dass sie zumindest in ihren Entstehungs- und/oder Ausgestaltungsprozessen stark durch diese beeinflusst sein müssten, da das Motiv des Grabes für die Kultur und auch Religion des Alten Ägyptens absolut zentral gewesen sei.1276 Dies gelte in besonderem Maße für den sogenannten Osirismythos, welcher als weiterentwickelte und ausgestaltete Version der mythologischen Vorstellung einer getöteten Gottheit verstanden werden könne, die in den unterschiedlichsten ackerbautreibenden Kulturen überall auf der Welt verbreitet gewesen sei.1277 Nach Ansicht Drewermanns und Görgs sei ebendieser Mythos nun als Kontrastfolie zur Deutung der neutestamentlichen Grableerfindungsperikopen heranzuziehen, da er als Basis allen „Redens von Auferstehung“1278 und insbesondere auch als Grundlage der hier thematisierten Grableerfindungserzählungen verstanden werden müsse.1279 Er behandelt in der von Plutarch nacherzählten 1276 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 441 f. Dass die gesamte altägyptische Kultur sowie Religion „über den Gräbern errichtet“ (a.a.O., 444) worden sei, die entsprechend in gleicher Weise wie die mit ihnen zusammenhängenden Begräbniskulte enorm kulturprägend wirkten, dürfte am eindrücklichsten an den weltbekannten Pyramiden, welche ursprünglich als Königsgräber fungierten, sowie an den zur damaligen Zeit in Ägypten vollzogenen, aufwendigen Mumifizierungsritualen ersichtlich werden (vgl. ebd.). Bei diesen Beispielen handelt es sich um zwei Charakteristika der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte Ägyptens, die auch heutzutage in besonderem Maße mit dem besagten Land assoziiert werden. 1277 Vgl. a.a.O., 443. 1278 Görg, Mythos, Glaube und Geschichte, 134, zitiert nach Schwager, Die heutige Theologie, 441. 1279 Vgl. ebd. u. Schwager, Die heutige Theologie, 442. Wenngleich das Mythosverständnis der thematisierten Theologen hier im Einzelnen nicht behandelt werden kann, so sei doch zumindest darauf hingewiesen, dass die Charakterisierung der Grableerfindungserzählungen als Adaptionen ägyptischer Mythen für Drewermann und Görg nicht mit einer Abwertung oder Relativierung ihrer Relevanz und Aussagekraft einhergeht, da beide grundsätzlich nicht (wie etwa Bultmann) annehmen, dass mythologische Denk- und Redeformen dem modernen Menschen nicht mehr zugänglich seien und einer Entmythologisierung bedürfen. Ganz im Gegenteil setzen beide voraus, dass die Glaubenden durch „die Realität des Todes“ (Schwager, Die heutige Theologie, 441) sogar „in die Wirklichkeit des Mythos“ (ebd.) hineingerufen werden. Dieser sei entsprechend nicht als eine defizitäre Ausdrucksweise zu verstehen, sondern vielmehr – wir denken an den mehrdimensionalen Mythosbegriff Kümmels – als eine Art Verstehenshilfe, anhand derer Dimensionen der Wirklichkeit gedeutet werden können, die auf andere Weise gar nicht verbalisierbar wären. Görg spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „radikalen Präsenz des Mythos in der Geschichte“ (Görg, Mythos, Glaube und Geschichte, 134, zitiert nach Schwager, Die heutige Theologie, 441), welche durch das (im Geschick Jesu vollzogene) Hineintreten seines Vaters „in die Menschlichkeit des Menschen bis zu einer nicht mehr erfassbaren Tiefe“ (ebd.) ersichtlich werde.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Form das Geschick von Isis und Osiris, zwei Kindern der Himmelsgöttin Rhea, welche bereits im Mutterleib in romantischer Liebe zueinander entbrennen und später als angesehenes Königs- und Liebespaar bekannt werden. In ihrem Bruder Seth erwächst unterdessen das Bestreben, das von seinen Geschwistern regierte Reich zu übernehmen und auf diese Weise seinen Herrschafts- und Einflussbereich auszudehnen. Zu diesem Zweck lässt er einen Sarg anfertigen, der dem Leib seines Bruders Osiris nachempfunden ist, und verspricht demjenigen, der aufgrund seiner Statur bestmöglich in ihm Platz finden würde, große Reichtümer. Nachdem Osiris sich in den Sarg hineingelegt hat, um an dem vermeintlichen Wettbewerb zu partizipieren, verschließt Seth den Sarg mit Hilfe einiger Komplizen und lässt ihn den Nil hinab bis nach Byblos treiben, um sich seines Bruders und Konkurrenten auf diese Weise zu entledigen.1280 Da unterdessen eine ansehnliche Zeder um den Sarg herum wächst, erweckt er die Aufmerksamkeit des Königs von Byblos, der das Holz des Baumes zum Ausbau seines Palastes nutzen lassen möchte.1281 Isis, die lange Zeit nach ihrem verschollenen Gatten gesucht hat, ehe sie von den Begebenheiten in Byblos erfährt, dringt nun mithilfe von Zaubern in das byblische Königshaus ein. Aus Zorn darüber, dass ihr Gatte in einen (als Baumaterial zweckentfremdeten) Sarg eingesperrt wurde, verbrennt sie den erst kürzlich geborenen Sohn des byblischen Königs.1282 Begleitet von einigen weiteren, nicht minder schrecklichen, todbringenden Geschehnissen verlangt sie die Freigabe des von der Zeder umwachsenen Sarges. Als sie diesen letztlich erhält und erkennt, dass Osiris unterdessen gestorben ist, verfällt sie in eine tiefe Trauer und zieht mit dem Leichnam ihres Mannes von dannen.1283 Während sie – zurück in ihrer Heimat – ihren Sohn Horus aufsucht, nutzt Seth die Chance, um seine Feindschaft zu seinem verstorbenen Bruder Osiris fortzusetzen, indem er sich gewaltsam an dessen Leichnam vergeht. Obwohl es Isis anschließend gelingt, den von Seth zerteilten Leichnam bestmöglich zu rekonstruieren, kann diese furchtbare Gräueltat – der Logik des betrachteten ägyptischen Mythos entsprechend – nicht ungesühnt bleiben. Daher steigt Osiris nun selbst aus dem Hades hinauf, um mit seiner Schwester Isis ein weiteres Kind zu zeugen und um seinen Sohn Horus darin zu unterweisen, wie er Seth bekämpfen könne. Tatsächlich gelingt es diesem, Seth zu besiegen und so als Erlöser und auch als Rächer seines Vaters Osiris zu fungieren, wohingegen Osiris fortan als „Gott der Totenwelt“1284 gilt, dessen Geschick ebenso wie die Motive seines Leichnams und seines Sarges in diversen ägyptischen Mythen, Mysterien und sonstigen Erzählungen aufgenommen und thematisiert wurde.1285 1280

Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 442. Vgl. ebd. 1282 Vgl. a.a.O., 442 f. 1283 Vgl. a.a.O., 443. 1284 Ebd. 1285 Vgl. ebd. 1281

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

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Dass es sich bei diesem Mythos um eine wesentliche Grundlage des christlichen Auferstehungsglaubens und damit einhergehend auch der Rede vom leeren Grab handelte1286, liege nach Ansicht Drewermanns auf der Hand. Er konstatiert, dass dies bereits aus dem Umstand resultierte, dass die christliche Erlösungslehre die Vorstellungen der Osiris-Religion nicht nur in Bezug auf einzelne entlehnte Motive oder Detaillierungen, sondern in ihrem gesamten (strukturellen) Aufbau geteilt habe.1287 Dies werde daran ersichtlich, dass diverse Motive, wie die der sterbenden Gottheit, des Leidens, des Grabes, des Leichnams, der Vater-Sohn-Dynamik und der Überwindung des Todes durch eine Rückkehr des gewaltsam Getöteten ins Diesseits sowohl im Osiris-Mythos als auch in den neutestamentlichen Ostererzählungen zu finden seien.1288 Folglich erweise sich ein Vergleich der neutestamentlichen Tradition mit Textproduktionen aus Ägypten – so urteilt auch Schwager, der die Konzeption Drewermanns durchaus kritisch reflektiert, – als gewinnbringend, da die Einflussnahme ägyptischer und auch hellenistischer Mysterien auf die Entstehung judenchristlicher Legenden kaum überbetont werden könne1289 und auf diese Weise entsprechend grundlegende Erkenntnisse gewonnen und Verflechtungen – wie etwa die vermeintliche Abhängigkeit der Grableerfindungsperikopen von dem Osiris-Mythos – untersucht werden können. Ebenso wie gegen die Thesen Bickermanns wird jedoch auch gegen die Ausführungen Drewermanns und Görgs ins Feld geführt, dass aufgrund der besagten Parallelen zwischen der Grableerfindungserzählungen und der als Kontrasttexte angeführten Quellen keineswegs pauschal auf vermeintliche Abhängigkeitsverhältnisse rückgeschlossen werden könne, da sich der besagte Mythos – ebenso wie die untersuchten Entrückungslegenden – in signifikanten Punkten von den Grableerfindungserzählungen unterscheidet. Exemplarisch könne so darauf verwiesen werden, dass Osiris’ unwürdiger Tod im Mythos völlig anders kontextualisiert wird als der Hinrichtungstod Jesu und dass er daher keine überzubetonenden Parallelen zu diesem aufweise.1290 Zudem werden die göttlichen Akteure im ägyptischen Mythos wesenhaft als gewalttätig, machtbesessen und rachsüchtig charakterisiert, was augenfällig nicht mit der Darstellung JHWHs und Jesu in Einklang zu bringen sei.1291 So habe Jesus die Menschen dazu aufgerufen, in einer Weise zu glauben, die all jene Brutalität und Ungerechtigkeit, wie sie in den ägyptischen Mythen durch die Götter selbst verübt wird, überwinden könne und werde.1292 Ein weiterer inhaltlicher Unterschied bestehe darin, dass Jesus im Ge-

1286 Vgl. a.a.O., 441 f., mit Verweis auf Görg, Mythos, Glaube und Geschichte, 123 u. Drewermann, Religionsgeschichtliche und tiefenpsychologische Bemerkungen, 135. 1287 Vgl. Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese II, 519. 1288 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 443. 1289 Vgl. a.a.O., 444, unter Zitation von Brunner-Traut, Gelebte Mythen, 52. 1290 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 443 f. 1291 Vgl. a.a.O., 444 f. 1292 Vgl. a.a.O., 445.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

gensatz zu Osiris nicht der Hilfe einer weiteren Person1293, wie etwa der des Horus, bedurfte, die seine schmachvolle Hinrichtung an seiner statt rächte und ihn auf diese Weise erlöste. Jesus selbst sei stattdessen als der „Sieger über den Tod“1294 aus diesem ins ewige Leben hinein auferstanden, ohne dass ein blutiger Racheakt vonnöten gewesen sei, der seine Botschaft des anbrechenden, durch Frieden und Liebe geprägten Reiches Gottes Lügen gestraft hätte.1295 In Bezug auf das Motiv des Grabes hält Schwager zudem fest, dass Isis und Osiris – in gleicher Weise wie der gesamte untersuchte Mythos – gänzlich in der „Welt der Gewalt und des Grabes“1296 verhaftet seien. Osiris werde so zwar wie JHWH als „König der Könige“1297 bezeichnet, bleibe jedoch ein „Gott des Grabes und ein Totengott“1298, wohingegen JHWH der Gott der Lebenden sei1299, der das Grab seines auferweckten Sohnes geöffnet und somit ein deutlich erkennbares „Gegenzeichen zur verschlossenen Welt der Mumien, der pyramidalen Königsgräber und der unterirdischen Mysterienkulte“1300 gesetzt habe. Daher überrasche es letztlich nicht, dass das Christentum und sein Auferstehungsglaube im Gegensatz zur ägyptischen Mythologie nicht auf das Motiv des Grabes fixiert geblieben seien1301, sondern dass sie diesem eine unwesentliche, nebensächliche – eben doch nur zeichenhafte – Bedeutung zugestanden hätten. Über diese inhaltlichen Erwägungen hinaus verweisen Kritiker zudem häufig darauf, dass bereits die alttestamentlichen Propheten sich deutlich von den Mythen anderer Völker abzugrenzen wussten.1302 Deshalb sei die Annahme, die über-

1293 In Bezug auf das genannte Argument sei auf den Umstand verwiesen, dass auch Jesus nicht gänzlich eigenmächtig auferstand, sondern durch Gott auferweckt wurde, sofern man diesen als eine weitere Person argumentativ heranziehen kann. Eine explizite Auseinandersetzung mit den trinitätstheologischen Implikationen, die in Bezug auf eine Konkretisierung dieser Verhältnisbestimmung zu diskutieren wären, soll und kann nun allerdings nicht erfolgen. Stattdessen kann – ungeachtet der Frage, inwiefern die Verhältnisbestimmung von Gott und Jesus innerhalb der Auferstehungsereignisse zu denken ist – als eine weitere Unterscheidungslinie der Grableerfindungserzählungen vom ägyptischen Mythos festgehalten werden, dass die Auferstehung Jesu im Gegensatz zur temporären Materialisierung (?) des Osiris nicht zu dem Ziel erfolgte, Rache zu nehmen (vgl. ebd.). 1294 Ebd. 1295 Vgl. ebd. 1296 Ebd. 1297 A.a.O., 444. 1298 Ebd. 1299 Rückverwiesen sei hier auf die Sadduzäerfrage in Mk 12,18–27 parr. 1300 Schwager, Die heutige Theologie, 445. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass auch die Ägypter von leeren Gräbern zu berichten wussten. Ihre Thematisierungen ebendieser erfolgten jedoch in völlig anderen Kontexten als dies im Christentum der Fall ist; so wurden leere Grabstätten von ihnen meist ganz intentional errichtet, um den Verstorbenen an einer weiteren Stätte kultisch verehren zu können oder um Totenkulte auch dann auszuüben, wenn kein Leichnam aufgefunden werden konnte (vgl. ebd.). 1301 Vgl. ebd. 1302 Vgl. a.a.O., 444.

II.5 Das leere Grab als Zeichen der/für die Auferstehung

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wiegend jüdisch sozialisierten ersten Christen hätten ausgerechnet die fremdartigen Mythen der Ägypter übernommen, um ihre oder die ihnen überlieferten Ostererfahrungen zu deuten, nicht überzeugend, da diese dem Selbstverständnis der ersten Christen augenfällig widersprochen haben. Zuletzt sei zumindest darauf verwiesen, dass gegen die Ausführungen Görgs und Drewermanns – wie auch gegen Bultmann – mitunter eingewendet wird, dass die neutestamentlichen Ostererzählungen nicht als Mythen bezeichnet werden können und dürfen, da sie ihrem (noch zu hinterfragenden) Selbstanspruch entsprechend keine allgemeingültigen und -menschlichen Lehren veranschaulichen, sondern das Geschick Jesu von Nazareth (als das einer konkreten, in der empirisch-geschichtswissenschaftlichen Dimension der Geschichte agierenden, leibhaftigen Person) thematisieren.1303 Dies müsse zweifellos in der Interpretation berücksichtigt werden und führe zur Herausstellung weiterer Unterschiede und Trennlinien; so handele es sich auch bei Maria von Magdala, die in der Welt der Erzählung als Zeugin der Grableerfindung auftritt, um eine bestimmte Person der empirisch erfassbaren Dimension der Wirklichkeit, welche gegebenenfalls tatsächlich Teil einer Grableerfindung (als ein historisches Ereignis sensu Pannenberg) gewesen sei. Isis sei hingegen als eine mythische, über magische Kräfte verfügende Gestalt zu bezeichnen, die das Grab des Betrauerten eigenmächtig zu öffnen vermochte1304 und die – auch über diese Fähigkeit hinaus – eine völlig andere Charakterzeichnung als Maria aufweist. Reflektieren wir all diese Kritikpunkte, so legt sich die Vorstellung nahe, dass die Verbindung zwischen Grableerfindungserzählungen und altägyptischen Mythen keineswegs so notwendig und zwingend ist, wie es Drewermann und Görg suggerieren. Dies gilt, obwohl die Grableerfindungserzählungen und der besagte Mythos freilich gewisse Ähnlichkeiten und Analogien1305 aufweisen, die aber daraus resultieren, dass sie die gleiche, von Gewalt, Tod, aber eben auch Hoffnung geprägte Welt adressieren.1306 Der Evangelienbefund zeugt nun jedoch von einer „Aufdeckung und ,Umdrehung‘ der mythischen Welt“1307 und fokussiert das Grab nicht einseitig im Zusammenhang mit Jesu Leiden und Tod, sondern immer auch hoffnungsvoll und im Vertrauen darauf, dass Gott sein Grab entleert hat, welches doch ein Zentralort menschlicher Sehnsüchte und Ängste gewesen ist, der – so zeige der Osiris-Mythos eindrücklich – zum „Anziehungspunkt aller mythenbildenden Imagination“1308 wurde. Das Grab als solches erfährt als ein Motiv innerhalb der Grableerfindungsperikopen somit eine völlig andere Bedeutungszuschreibung und auch Würdigung als im ägyptischen Osirismythos, was die Annahme, dass es sich bei ihnen um seine Adaptionen handeln könne, recht fragwürdig erscheinen lässt. 1303

Vgl. a.a.O., 444 f. Vgl. a.a.O., 445. 1305 Vgl. a.a.O., 444. 1306 Vgl. a.a.O., 450. 1307 Ebd. 1308 Ebd. 1304

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

c) Zusammenschau Reflektieren wir die gesammelten Erkenntnisse hinsichtlich (gegenwärtig) diskursprägender Verstehensansätze der Grableerfindungserzählungen als Zeichen der/für die Auferstehung, deren individuelle Ausdeutungen von einer Frage nach dem Geschichtsbezug der dargestellten Ereignisse abgetrennt werden, so ist zunächst wahrzunehmen, dass diese vielfältig ausgestaltet sein können und sich teils erheblich voneinander unterscheiden. Gemeinhin scheinen sie jedoch auf denselben, massiv weltbildhaft geprägten Prämissen und Vorentscheidungen zu beruhen, die allerdings nur bedingt aus theologischen Vorüberlegungen hervorgehen und keineswegs alternativlos sind. Die schon der Sache nach fragwürdige (bultmannsche) Vorstellung, dass konkrete Inhalte der biblischen Bezeugungen für den modernen Menschen nicht länger verständlich seien, legt so bereits einen höchst selektiven Umgang mit ebendiesen nahe. Dieser führt mitunter zu einer Relativierung der Relevanz und Geltung ganzer Teile der biblischen Darstellungen, die wiederum – oft mit Verweis auf die Komplexität und Mehrdimensionalität Gottes – damit begründet wird, dass die jeweiligen Inhalte ausgehend von einem jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont konzipiert wurden, der heutzutage nicht länger verbindlich und auch nicht länger vorauszusetzen sei. Des Öfteren wird ferner auf eine mangelnde Funktionalität der Grableerfindungsperikopen und ihrer Gegenstände verwiesen. Konkret zu denken sei hier an ihre mangelnde Beweisfähigkeit hinsichtlich der Auferstehung sowie an den Umstand, dass sie keinen Glauben an ebendiese erwecken können. Erkennbar wird hier nicht selten eine argumentativ einseitige Fokussierung auf die vermeintlichen Defizite der Grableerfindungsperikopen sowie auf die Funktionen, welche sie nicht aufweisen. Demgegenüber werden ihre (unter anderem von Barth, Moltmann und Ringleben herausgestellten) Funktionen und Chancen nicht thematisiert. Ungeachtet der Beurteilung dieses methodischen Vorgehens sind im Blick auf die resultierenden zeichenhaften Deutungen, die von der Frage nach einem Geschichtsbezug abgetrennt werden, zweierlei kritikwürdige Tendenzen festzustellen: Es zeigt sich, dass sich die besagten Deutungen in den meisten Fällen als äußerst vage und nur wenig aussagekräftig erweisen. In Einzelfällen wird jedoch der Versuch unternommen, die durch das dargestellte Vorgehen entstehenden Leerstellen innerhalb verbreiteter Interpretationen der Grableerfindungserzählungen zu füllen. Dabei werden die Fragen danach, als was für ein Zeichen das leere Grab verstanden werden könne und worauf genau es letztlich hindeute – wenn nicht auf ein Entzogenwerden des Leichnams im Prozess eines göttlichen Auferweckungshandelns – mit oft kreativen Verweisen auf Legenden und Mythen beantwortet. Dass diese Tendenzen zweifelsohne frag- und kritikwürdig sind, dürfte augenfällig geworden sein. Die besagten vage-zeichenhaften Ausdeutungen sind so in Bezug auf den deutlich wahrnehmbaren christlichen Sprachfähigkeitsverlust kritisch zu hinterfragen, wohingegen die kreativ-zei-

II.6 Zusammenschau

237

chenhaften Ausdeutungen im Stile Bickermanns oder Drewermanns argumentationslogisch häufig erhebliche Mängel aufweisen und den Eindruck erwecken, dass sie aus Versuchen resultieren, Parallelen, Zusammenhänge und Aussagegehalte herauszustellen, die faktisch nicht – oder nur begrenzt – gegeben sind. Wir stellen daher fest, dass die verbreitete Interpretation des leeren Grabes als Zeichen der/für die Auferstehung eine Vielzahl drängender kritischer Anfragen nahelegt. Diese lassen ihre dominante Stellung innerhalb des Diskurses fraglich werden, welche nur in der mangelnden Relevanz begründet liegen kann, die den Grableerfindungserzählungen und ihrem Gegenstand zugesprochen wird; impliziert diese doch, dass es sich bei der Grableerfindung um einen zu vernachlässigenden Aspekt handelte, der in Auslegungsvollzügen eine nur untergeordnete Rolle spielen könnte, dürfte und müsste, wodurch die vorherrschende Tendenz zu oberflächlichen, einseitigen Ausdeutungen stabilisiert wird. Ob und inwiefern hier ein Handlungsbedarf besteht, ist sicherlich abhängig von den Einschätzungen der Relevanz, des Selbstanspruchs und des Potenzials der Grableerfindungserzählungen sowie der ihnen zuzusprechenden Funktionalität. Wir spüren diesen Untersuchungsfeldern im dritten Teil nach.

II.6 Zusammenschau Bevor der Versuch einer eigenen Interpretation der Grableerfindungserzählungen unternommen wird, seien die wichtigsten gewonnenen Erkenntnisse noch einmal nachvollzogen und überblicksartig zusammengestellt, um eine Zwischenbilanz zu ziehen: Zu Beginn wurden – neben einigen Erwähnungen des Grabes Jesu und dessen Leerfindung im Neuen Testament sowie in seinem Umfeld – vor allem die neutestamentlichen Grableerfindungsperikopen skizziert und reflektiert. Ersichtlich wurde, dass die Evangelisten sich einer imaginativen Erzählweise bedienten, um die Geschehnisse rund um das postmortale Geschick Jesu zu interpretieren und in interpretierender Weise zu bezeugen.1309 Dies trägt in gleicher Weise wie die apologetischen und/oder wie die ihrer jeweiligen theologischen Konzeption geschuldeten Züge der verschiedenen Grableerfindungserzählungen dazu bei, dass Interpreten sich mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert sehen1310, die insbesondere dann zutage treten, wenn sie nach einem empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Kern der bezeugten Geschehnisse rückfragen, was in Auseinandersetzung mit dem leeren Grab mitunter durchaus der Fall ist. Wie die jeweiligen Interpreten diesen Herausforderungen begegnen, gestaltet sich sehr variabel, was im zweiten Teil dieses Buches deutlich wurde, in dem einige Interpretationsansätze kritisch reflektiert wurden. Vergegenwärtigen wir uns die ge-

1309 1310

Vgl. Vorholt, Das Osterevangelium, 350. Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 134 f.

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

wonnenen Erträge, so drängt sich die Erkenntnis auf, dass die Grableerfindungserzählungen als Teile der neutestamentlichen Auferstehungsbezeugung stets dem Risiko ausgesetzt sind, dass ihre Interpretationen in besonderem Maße durch die weltanschaulichen Grundannahmen der Interpreten beeinflusst werden, da diese einen enormen Einfluss auf ihr theologisches Verständnis nehmen und es mitunter präjudizieren.1311 Dies wird daran ersichtlich, dass die verschiedenen Konzeptionen in besonderer Weise durch die Historizitäts- und Realitätsvorstellungen ihrer jeweiligen Interpreten geprägt werden.1312 Die hier festgestellte, erhebliche Einflussnahme könnte darin begründet liegen, dass die Auseinandersetzung mit der Problematik des leeren Grabes zu einer Thematisierung des Spannungsfeldes zwingt, das zwischen der Dimension der Geschichtlichkeit und der Offenbarung Gottes aufgespannt ist.1313 Dies wird durch die Art seiner neutestamentlichen Darstellung noch begünstigt und macht eine klare Positionierung der Interpreten erforderlich, welche – etwa in Bezug auf den Gegenstand der Grableerfindungsperikopen – notwendig ausgehend von den je eigenen Historizitäts- und Realitätsimplikationen erfolgen dürfte. Das besagte Spannungsfeld kann anhand des biblischen Befundes eingehender charakterisiert werden; so scheint dieser davon geprägt zu sein, dass die Rede von der Auferstehung als solche einerseits als Bezeugung eines konkreten (in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte geschehenen) Vorgangs präsentiert wird, der temporal, lokal und in Bezug auf die beteiligten Menschen recht genau fixiert werden kann.1314 Andererseits – und in diesem Spektrum spannt sich das besagte Spannungsfeld letztlich auf – scheint sie aufgrund ihrer sprachlichen Ausdrucksformen sowie aufgrund der in ihr enthaltenen Fiktionalitätssignale zu suggerieren, dass es sich bei dem in ihr Dargestellten um eschatologische Ereignisse handelt, die die Kategorie der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfass- und untersuchbaren Geschichtsdimension durchbrechen.1315 Letzteres wird insbesondere von den Theologen hervorgehoben, die in der Tradition Rudolf Bultmanns jede Rückfrage nach einem Geschichtsbezug der geschilderten Geschehnisse kategorisch ablehnen und stattdessen betonen, dass im Rahmen einer Auferstehungsinterpretation ausschließlich der Auferstehungsglaube der ersten Christen „als historisches Ereignis“1316 verstanden werden

1311

Vgl. Roloff, Neues Testament, 254. Vgl. hierzu auch Bonhoeffer, Das Außerordentliche wird Ereignis, 69. 1313 Vgl. Thiessen, Kontroverse, 9. Der Begriff der Geschichtlichkeit scheint hier auf eine Dimension der Auferstehungsereignisse abzuzielen, die den empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Bereich der Wirklichkeit tangiert und Geschichtsbezüge aufweist, welche sie im Sinne Pannenbergs als historische Ereignisse ausweisen könnten. 1314 Vgl. Roloff, Neues Testament, 254. 1315 Vgl. ebd. 1316 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 61 f. u. vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 13 f. 1312

II.6 Zusammenschau

239

könne. Diese Einschätzung scheint weniger in theologischen Erwägungen als vielmehr im von Bultmann (und von den seine Prämissen teilenden Theologen) vertretenen Wirklichkeitsverständnis begründet zu liegen, dem zufolge eine Grableerwerdung als Resultat eines Wirkens Gottes am Leichnam eines Verstorbenen sich einer Einordnung in die Kategorie der geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte grundsätzlich entziehe, weshalb ihr kein Realitätsanspruch und erst recht kein Anspruch auf eine Verankerung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte zugestanden werden könne.1317 Dass diese Prämisse wiederum massiv durch die Axiome Ernst Troeltschs1318 sowie durch andere Möglichkeits-, Historizitäts- und Realitätsimplikationen der (Bultmanns Denken prägenden) analytischen Rationalität der Neuzeit beeinflusst wurde1319, ausgehend von der die Geschichte als „geschlossener Kausalzusammenhang […] von Ursache und Wirkung“1320 verstanden wird, deren Ereignisse in einer unverbrüchlich-notwendigen Korrelation aufeinander bezogen sind1321, sollte deutlich geworden sein. Die Auferstehungsereignisse – und somit auch eine Grableerwerdung als Resultat eines Handelns Gottes am Leichnam – können diesen Grundannahmen entsprechend ferner bereits deshalb lediglich als mit geschichtswissenschaftlichen Mitteln nicht verifizierbar (und folglich als – in diesem Sinne – nicht historisch) eingestuft werden1322, weil eine Rückfrage nach ihren Geschichtsbezügen auf das Suchen von Entsprechungen im Bereich des bisher Vorgekommenen reduziert wird1323 und weil sie bekanntlich keine derartigen Analogien aufweisen. Bultmann selbst schlussfolgert daher, dass die Grableerfindungserzählungen als Legenden zu beurteilen seien, durch die ihre Verfasser apologetische Ziele verfolgten und die als Beweise für die „Wirklichkeit der Auferstehung“1324 fungieren sollten. Folglich richtet er das Hauptaugenmerk seiner Interpretation auf die „Bedeutsamkeit des Kreuzes“1325, welche für ihn und die in seiner Tradition stehenden Theologen nicht primär oder überhaupt daraus erwächst, dass ein

1317

Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 15 f. Vgl. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 440. 1319 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 1320 Klappert, Diskussion, 18. 1321 Vgl. a.a.O., 17. 1322 Vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 5 u. Klappert, Diskussion, 17 f. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Kleffmann, welcher in Entsprechung zu den dargestellten Erwägungen darauf hinweist, dass die Auferstehungsereignisse – hier konkret die Erscheinungswiderfahrnisse – durch Erkenntnisbemühungen, die ausschließlich auf geschlossene innerweltliche Ursache-Wirkungszusammenhänge und ihre Korrelationen ausgerichtet sind, zwingend als Erfindungen oder als subjektive Visionen gedeutet werden, wie an den Darstellungen Reimarus’ und D.F. Strauß’ ersichtlich werde (vgl. Kleffmann, Grundriß, 145). 1323 Klappert, Diskussion, 17. 1324 Roloff, Neues Testament, 262. Der Begriff der Wirklichkeit scheint hier auf die Beschreibung eines tatsächlichen Geschehenseins im alltagssprachlichen Sinne abzuzielen. 1325 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 58. 1318

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Ereignis in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Vergangenheit geschehen und geschichtswissenschaftlich als solches ausweisbar ist, sondern sich vielmehr daraus ergibt, dass es sich in Bezug auf das je eigene Selbstverständnis der Menschen als bedeutsam erweist.1326 Konsequenter noch als Bultmann orientiert sich die seine Thesen aufgreifende, höchst kontroverse Auferstehungsdeutung Gerd Lüdemanns an der angesprochenen neuzeitlichen Rationalität1327 und an dem von ihr ausgehenden Verständnis der Wirklichkeit.1328 Diesem zufolge seien die Vorstellung einer als Reanimation fehlverstandenen leiblichen Auferstehung, das Modell einer zukünftigen Totenauferweckung oder die (durch das kontinuierliche Fortschreiten der Geschichte vermeintlich bereits widerlegte) Erwartung einer endzeitlichen Parusie dem modernen Menschen ebenso wenig zugänglich1329 wie die Vorstellung eines (durch göttliche Macht unter Einbezug der alten, notwendig verwesenden Leiblichkeit entstehenden) pneumatischen Leibes.1330 Wenngleich Lüdemanns Verständnis der Osterereignisse als eine revitalisierte Jesus-Erinnerung visionärer Art1331 nach eingehender Reflexion als ein „nicht hinreichend begründetes weltanschauliches Postulat“1332 zurückgewiesen werden konnte, so erweist sich die Auseinandersetzung mit seinen Erwägungen doch als gewinnbringend, da sie das notwendige Bewusstsein dafür schärft, dass eine derartige Umdeutung der Auferstehung und vielleicht gerade auch die von Lüdemann vollzogene Ablösung vom jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont, der die Notwendigkeit und Relevanz des leeren Grabes plausibilisiert, nicht selten mit einem Verlust der Sprachfähigkeit einhergeht, der noch zu beleuchten sein wird.1333 Im deutlichen Kontrast zu dieser (etwa von Bultmann und Lüdemann vertretenden) Position, die in Bezug auf unsere Frage nach dem leeren Grab Jesu ausschließlich die Schlussfolgerungen zulässt, dass dessen Leichnam – ob nun in der Grabstätte oder an einem anderen Ort – verwest sein müsse und dass Gott nicht in der Zeit und in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte an ihm wirkte, steht die auf den Überlegungen Hans von Campenhausens beruhende Perspektive Wolfhart Pannenbergs. Dieser hinterfragt grundlegend, ob eine Verlagerung des Ursprungs des Auferstehungsglaubens in die Innerlichkeit der Jünger nicht auch damit einhergehe, den An1326

Vgl. Klappert, Diskussion, 73. Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 1328 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 167. 1329 Vgl. Etzelmüller, „Ich lebe, und ihr sollt auch leben!“, 224. 1330 Vgl. die in Kapitel II.2.4 dargestellte Erläuterung Lüdemanns hinsichtlich der von ihm vorausgesetzten, notwendigen Dekompostierung des Leibes Jesu. 1331 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 167. 1332 Pannenberg, Systematische Theologie II, 396. 1333 Vgl. Kapitel II.2.4.b. Eine eingehendere Reflexion der Frage, inwiefern die Sprachfähigkeit in Bezug auf den Auferstehungsglauben durch unterschiedlich ausgestaltete Grableerfindungsdeutungen (und insbesondere auch durch ihre mehr oder weniger stark ausgeprägten Bezüge zum jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont) beeinflusst wird, erfolgt in Kapitel III.3.2.a. 1327

II.6 Zusammenschau

241

spruch, den der Auferstehungsglaube auf Wirklichkeit und Wahrheit erhebt, aus dubiosen und mirakulös anmuten Begebenheiten abzuleiten.1334 Er und die seiner Konzeption folgenden Theologen betonen demgegenüber die Notwendigkeit, dass ein Osterglaube, der mehr als nur Projektion sein will, nun auch geschichtswissenschaftlich verortbar sein müsse1335, da die empirischgeschichtswissenschaftlich erfassbare Wirklichkeit einen Bereich jener umfassenden Realität darstelle, in der die Menschen leben.1336 Zudem läge kein Rechtgrund dessen vor, die Auferstehung Jesu als „wirklich geschehenes Ereignis“1337 zu bezeichnen, wenn sie nicht auch anhand geschichtswissenschaftlicher Mittel – und somit eben nicht nur anhand von Glaubensurteilen – als solches ausgewiesen werden könnte, insofern überhaupt eine Gewissheit über Fragen dieser Art gewonnen werden könne.1338 Wie ausgeführt, zeugt Pannenbergs eigene Interpretation folglich von dem Versuch, einen empirisch-geschichtswissenschaftlich greifbaren „geschichtlichen Kern“1339 der Auferstehung – hier in Gestalt konkreter Geschichtsbezüge des leeren Grabes und der Erscheinungswiderfahrnisse1340 – herauszuarbeiten, der auch vor dem Hintergrund der „Wirklichkeitserfahrungen des modernen Menschen“1341 verständlich sei. Ganz offensichtlich weicht somit nicht nur Pannenbergs Konzeption erheblich von den Ansätzen Bultmanns oder Lüdemanns ab, sondern auch sein Historizitäts- und Realitätsverständnis. Pannenberg verneint eine Verankerung der Auferstehungsereignisse in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Geschichte so nicht pauschal unter Berufung auf die Axiome Troeltschs oder auf andere natur- und/oder geschichtswissenschaftliche Möglichkeitsbedingungen, sondern er zieht die besagte Vorstellung grundsätzlich in Betracht, da sie – und insbesondere auch die Vorstellung eines Wirkens Gottes am verstorbenen Jesus im Zuge der Auferstehung – durch den (von ihm vorausgesetzten) jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont begründet und sogar nahegelegt wird; zeugt dieser doch von der angesprochenen Hoffnung auf eine eschatologische Totenauferstehung.1342 Im Möglichkeitsrahmen dieses Deutungshorizonts untersucht er die neutestamentlichen Berichte, wenngleich dies – wie Stuhlmacher ganz richtig hervorhebt – damit einhergeht, „die Aussagen der Bibel ernster zu nehmen als unsere eigenen Gedanken“1343, die freilich aufklärerisch geprägt sind. 1334

Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 16. Vgl. ebd. Die Vorstellung der geschichtswissenschaftlichen Verortbarkeit zielt hier auf die Existenz konkreter Geschichtsbezüge sensu Pannenberg. 1336 Vgl. Alkier, Die Realität, 3. 1337 Pannenberg, Grundzüge, 96. 1338 Vgl. ebd. 1339 Roloff, Neues Testament, 254. 1340 Vgl. Kapitel II.1.2 – II.1.4. 1341 Roloff, Neues Testament, 254. 1342 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 95. 1343 Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 35. 1335

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Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die (sowohl in Bezug auf die Position Lüdemanns als auch hinsichtlich der Ausführungen Pannenbergs) dargebotenen Anfragen, so zeigt sich, dass beide Ausrichtungen kritikwürdig sind.1344 Eine Position, welche die Existenz eines leer vorgefundenen Grabes pauschal verneint oder ihm seine Relevanz abspricht, steht so offenkundig in einer erheblichen Spannung zum (im ersten Teil skizzierten) neutestamentlichen Befund1345 und macht sich darüber hinaus dessen schuldig, gegenwärtige – und somit immer nur vorläufige – erheblich durch je aktuelle, zeitgeschichtliche Bedingungen geprägte Möglichkeitsbedingungen zum Interpretationsmaßstab zu erheben.1346 Konzeptionen im Stile Pannenbergs weisen hingegen das Risiko einer Verengung auf die geschichtswissenschaftliche Methodik und Perspektive auf, indem sie das leere Grab als einen für jedermann als solchen ersichtlichen Beweis für „die Faktizität des Auferstehungsvorgangs“1347 postulieren. Dies verkennt nicht nur die prinzipielle Mehrdeutigkeit einer Grableerfindung1348, sondern impliziert auch, dass es sich bei der Auferstehung lediglich um ein beliebiges Ereignis der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte unter anderen handele und somit eben nicht um den sehnlich erwarteten „Anbruch des neuen Äon.“1349 In einer Weise, die die Komplexität der (geschichtlich verfassten) Wirklichkeit stärker berücksichtigt und die Kategorie der Geschichte insgesamt differenzierter betrachtet – ja sogar umperspektiviert – interpretieren nun etwa Karl Barth, Jürgen Moltmann und Joachim Ringleben die Leerfindung des Grabes als ein – wenn auch höchst unterschiedlich akzentuiertes1350 – auf die Auferstehung Jesu hindeutendes, von ihr gerade nicht abtrennbares und somit unentbehrliches Zei1344

Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 339. Vgl. ebd. 1346 Vgl. Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 156–158, zitiert nach Klappert, Diskussion, 53 f. 1347 Vorholt, Osterevangelium, 339. Der Begriff der Faktizität scheint hier ein Geschehensein im alltagssprachlichen Sinne zu meinen. 1348 Vgl. Klappert, Diskussion, 19. 1349 Pannenberg, Grundzüge, 96. 1350 Barth stellt heraus, dass das leere Grab als ein relevantes und von Gott selbst ganz real gegebenes Zeichen seines Auferweckungshandelns zu verstehen sei (vgl. Barth, KD III/2, 543 f., KD IV/1, 351 u. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 249) und hebt zudem seinen Charakter als „sachlich unentbehrliche Nebenbestimmung“ (Barth, KD IV/1, 376) der Auferstehungsbezeugung hervor, von welcher es nicht zu trennen sei (Barth, KD I/2, 195 f.). Ringleben unterstreicht – hier mit Bezugnahme auf Barth – vor allem den Umstand, dass das Leersein des Grabes auf das Angebrochensein des Eschatons verweise (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 107), indem es das Abbrechen der von Troeltsch thematisierten, empirischen Kontinuität zeige. Dieses sei wiederum sowohl Voraussetzung als auch Moment der göttlichen, im Geist vollzogenen Neuschöpfung hin zu einem gänzlich neuartigen, geistigen Sein und gebe somit anschaulich zu verstehen, dass Gottes Ewigkeit Jesus und seinen Tod (vgl. a.a.O., 110 f.) „in sich hinein überwunden hat: als das Leben in sich und aus sich“ (a.a.O., 108), weshalb von ihm – auch empirisch – nichts mehr vorfindlich gewesen sei (vgl. a.a.O., 111). Erinnern wir uns zuletzt an die Ausführungen Moltmanns, erkennen wir, dass auch 1345

II.6 Zusammenschau

243

chen1351, das jedoch nicht als Beweis misszuverstehen sei.1352 Sie betonen dabei konsequent, dass die Auferstehung eine notwendige Verankerung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte aufweise1353, und widersprechen so erkennbar der im gegenwärtigen Diskurs vorfindlichen Vorstellung des leeren Grabes als ein wenig relevantes und daher meist nicht einmal präzise in seiner Geltung definiertes, kein außertextuelles Korrelat aufweisendes Zeichen. Besonders deutlich wird dies nicht nur in Barths (in Auseinandersetzung mit Bultmann entstandenen) Axiomen und an seinem Verweis auf den „,historischen‘ Rand“1354 der Auferstehung, sondern auch anhand der These Ringlebens, dass Gott und seine Ewigkeit nicht in einer ausschließlich negativen Beziehung zur Zeitlichkeit stehen.1355 Erneut ist zudem Ringlebens Hervorhebung dessen ins Gedächtnis zu rufen, dass eine Negation des Geschichtsbezuges der Auferstehung und/oder seiner Relevanz zu problematisieren sei, da – mit Niebuhr gesprochen – eine Preisgabe der Realgrundlage der christlichen Gemeinde sowie ihrer Geschichte erfolgen würde1356 und der personenhaft Auferstandene im Sinne der Konzeptionen Bultmanns und Lüdemanns nur als „eine unaussprechliche Erfahrung der Religiosität“1357 bezeichnet werden könne, sofern man das (mit geschichtswissenschaftlichen Mitteln erfass- und untersuchbare) Fundament der christlichen Botschaft verleugne.1358 diese von der Vorstellung ausgehen, dass es sich bei dem leeren Grab um ein eschatologisches Symbol handele. Moltmann betont ferner, dass es als solches die Erfahrungen der Erscheinungszeugen mit dem Auferstandenen in geeigneter Weise beschreibe, da es wichtige Elemente des Glaubens (wie etwa das der erhofften, endzeitlichen Totenauferweckung als Beginn eines qualitativ ganz neuartigen, den Tod nun gar nicht mehr kennenden Lebens) in angemessener Weise veranschauliche (vgl. Moltmann, Der Weg, 244 f.). Seine Deutung der Grableerfindung wird zudem geprägt durch seine Reflexion der Möglichkeit einer Auferweckung Jesu innerhalb der Natur mitsamt einer Transformation seines Leibes sowie durch die von ihm gestellte Frage nach der „Zukunft der Natur im Rahmen der Auferstehung“ (a.a.O., 237 f.). 1351 Vgl. Barth, KD I/2, 195 f., Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 107 u. Moltmann, Der Weg, 244. 1352 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden 106, Moltmann, Der Weg, 244 u. Barth, KD IV/1, 376. 1353 Bei Moltmann ist diese Hervorhebung der Relevanz des Geschichtsbezuges freilich in besonderer Weise verbunden mit seiner Neuperspektivierung des Geschichtsbegriffs sowie mit der mit dieser einhergehenden These, dass die Auferstehung nur dann tatsächlich verstanden werden könne, wenn das, was ausgehend von geschichtswissenschaftlichen Rückfragen von ihr zu wissen sei, nicht von dem abgetrennt werde, was von ihr erhofft werden dürfte und was in ihrem Namen getan werden solle (Moltmann, Der Weg, 259). 1354 Barth, KD III/2, 535. 1355 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 542. 1356 Vgl. Niebuhr, Auferstehung und geschichtliches Denken, 125, zitiert nach Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 48 f. 1357 Ebd. 1358 Vgl. ebd.

244

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

Trotz ihrer deutlichen Betonungen der Relevanz des Geschichtsbezuges der Auferstehung zeigen die drei Theologen – obwohl auch sie wie Pannenberg an der Geltung des jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizonts festhalten – entschieden gegen dessen Position auf, dass die Auferstehung trotz ihrer Geschichtsbezüge kein historisches Ereignis in seinem Sinne sei. Stärker noch als er heben sie dabei hervor, dass die Auferstehung die „Logik des Faktischen gerade durchbricht und etwas Neues sehen lässt, etwas Kontingentes, Einmaliges, nicht Analogisierbares, das Alles [...] schon jetzt anders werden lässt“1359, was für sie damit einhergeht, dass ihre Charakterisierung als historisches Ereignis sensu Pannenberg ihrem umfassenden Wirklichkeitscharakter nicht gerecht wird. Dies wird bei Barth etwa in seiner Bezeichnung der Auferstehung als einer Gottestat ersichtlich1360 und zeigt sich in der Betrachtung der Konzeption Moltmanns unter anderem anhand seines explizit herausgestellten Verweises auf ihren eschatologischen Charakter.1361 Auch kann in diesem Zusammenhang erneut auf Ringlebens Verhältnisbestimmung von Zeit und Ewigkeit verwiesen werden, in deren Rahmen er darstellt, inwiefern Gott (immer schon1362) eine Integration der zeitlich konstituierten, endlichen Wirklichkeit hinein „in sein ewiges Leben“1363 vollziehe, wodurch die Ewigkeit in die Zeit einbreche1364 und sie gänzlich neu qualifiziere. Im Rahmen ihrer Interpretationen beurteilen die drei Theologen die neutestamentliche Grableerfindung somit weder im Sinne des Ansatzes Bultmanns anhand der Plausibilitäts- und Wahrscheinlichkeitsurteile westeuropäischer Menschen1365 noch im Sinne der Konzeption Pannenbergs als einen Beweis für die Auferstehung, da es sich in beiden Fällen um weltliche Maßstäbe handelt, ausgehend von denen die Auferstehung beurteilt werden würde und die ihren überzeitlichen Charakter nicht angemessen erfassen können. Stattdessen zeigen sie ein Bewusstsein für die Einzigartigkeit der Auferstehung als ein (für die gesamte Schöpfung und ihre Zukunft relevantes und wohlbezeugtes) Handeln Gottes, welches raumzeitliche Spuren hinterlassen habe1366, ohne in ihnen aufzugehen und/oder durch sie beweisbar zu sein. Dass auch ihre Konzeptionen stark durch ihre jeweiligen Historizitäts- und Realitätsvorstellungen geprägt wurden, zeigt sich etwa anhand der fünf Thesen Barths in Bezug auf Kreuz und Auferstehung sowie in seinen Anfragen an Bultmann, die ersichtlich machen, inwiefern er von in der Geschichte stattfindenden, aber dennoch von den sonstigen Begebenheiten der Geschichte kategorial abweichenden und andersartigen Ereignissen ausgehen kann.1367 Ringlebens Inter1359

Alkier, Die Realität, 222. Vgl. Barth, KD IV/1, 330. 1361 Vgl. Moltmann, Der Weg, 236. 1362 Vgl. Kleffmann, Grundriß, 243. 1363 Ringleben, Der lebendige Gott, 531 u. vgl. a.a.O., 544. 1364 Vgl. a.a.O., 544. 1365 Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 64. 1366 Vgl. a.a.O., 64 f. 1367 Vgl. Barth, KD III/2, 535. 1360

II.6 Zusammenschau

245

pretation wird dementgegen augenfällig von seinem Anspruch geprägt, den biblischen Befund unter ständigem Bezug auf Gottes Auferweckungshandeln und (somit) „im Horizont des Gottesgedankens“1368 zu deuten und zu hinterfragen, 1) was das Geschehen der Auferstehung „für Gott selber“1369 bedeute, 2) in welchem Verhältnis das Leben Gottes zu dem neuen Leben Christi stehe und 3) inwiefern Gottes Handeln sowohl das Leben des historischen Jesus als auch seinen Tod, sein konkretes Wirken und schließlich sein völlig neues, verändertes Sein als der Erhöhte umfasse.1370 Moltmanns Darstellungen zeugen hingegen von seinen Versuchen, den modernen Geschichtsbegriff, welcher der umfassenden Mehrdimensionalität der Geschichte und ihrer Wirklichkeit seines Erachtens nicht gerecht werde1371, durch eine Berücksichtigung der Einheit der (sich wechselseitig durchdringenden) Zeitmodi der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie durch die Einbeziehung der „Perspektive der Natur“1372 zu erweitern und die Geschichte grundsätzlich – wie auch Barth und Ringleben es tun – „in der Perspektive der Auferstehung“1373 zu verstehen. Vergegenwärtigen wir uns nun die Vielfalt der skizzierten Ansätze und insbesondere die Prämissen der letztgenannten Konzeptionen mitsamt ihrer Neuperspektivierungen der Geschichte, so dürfte ersichtlich werden, wie facettenreich die im Auferstehungsdiskurs verhandelten neutestamentlichen Grableerfindungsperikopen sind und dass ihre Thematisierung keineswegs in der Frage danach aufgehen kann, ob sie auf ein außertextuelles Referenzobjekt Bezug nehmen können und ob ihr Gegenstand somit im Sinne Pannenbergs als historisches Ereignis1374 zu bezeichnen sei. Die zuletzt untersuchte, am Beispiel der Konzeption Dalferths kennengelernte und durch eine Auseinandersetzung mit den Thesen Bickermanns und Drewermanns konkretisierte, diskursprägende Tendenz, das leere Grab isoliert von einer Reflexion seiner etwaigen Geschichtsbezüge als ein Zeichen der/für die Auferstehung zu interpretieren, zeigt ganz im Gegenteil eindrücklich, dass eine Rückfrage nach ebendiesen Geschichtsbezügen zunehmend an Bedeutung verliert und mitunter gar nicht mehr vorgenommen wird. Diese Verschiebung der Schwerpunktsetzung in der Untersuchung der Grableerfindungsperikopen scheint in erheblichem Ausmaß in der zunehmenden Verbreitung der analytischen Rationalität der Neuzeit1375 und in den in ihr grundgelegten Historizitäts- und Realitätsimplikationen begründet zu liegen, die bereits vor allen exegetischen und theologischen Erwägungen erhebliche Vorurteile in Bezug auf die Möglichkeit

1368

Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 9. A.a.O., 8. 1370 Vgl. ebd. 1371 Vgl. Moltmann, Der Weg, 258 u. Kapitel II.3.2.d. 1372 Moltmann, Der Weg, 272. 1373 A.a.O., 249. 1374 Vgl. Kapitel II.1.3. 1375 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 1369

246

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

eines wunderhaften Eingriffs Gottes in seine Schöpfung1376 beziehungsweise in ihre empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension nahelegen und implizieren, dass der Vorstellung einer Grableerwerdung als Resultat eines Handelns Gottes am Leib Jesu keine Realität zugesprochen werden könne, was offenkundig auch die Sinnhaftigkeit einer geschichtswissenschaftliche Rückfrage fraglich werden lässt. Hierin wird eine ganz grundsätzliche Problematik der historisch-kritischen Exegese deutlich, die darin besteht, dass isolierte Fragen, wie etwa die nach der Grableerfindung, einseitig ausgedeutet werden können, sofern sie nur anhand dessen beurteilt werden, was der Interpret hinsichtlich eines einzigen Aspektes – wie etwa dem der vermeintlichen, naturwissenschaftlich-empirischen Determinierbarkeit alles raumzeitlich Geschehenden oder dem der Verbindlichkeit eines bestimmten Deutungshorizonts – für plausibel hält.1377 Gerade im Vergleich der Konzeptionen Ringlebens und Dalferths wurde dies deutlich. Beide Theologen gehen grundsätzlich von einer Mehrdeutigkeit und Komplexität des unverfügbaren Gottes und seines Wirkens aus und betonen die Unmöglichkeit, dieses durch geschichtswissenschaftliche Erkenntnisbemühungen verständlich machen zu können. Sie konstruieren ungeachtet dessen jedoch völlig unvereinbare Grableerfindungsdeutungen, was primär in ihrer weltbildhaft begründeten Haltung in Bezug auf eine Orientierung am jüdisch-apokalyptischen, neutestamentlich nahegelegten Deutungshorizont begründet zu liegen scheint. Diesem wird innerhalb des Diskurses – oft mit Verweis auf die in der Neuzeit verbreitete, analytische Rationalität1378 – nicht selten jede Geltung und Relevanz abgesprochen, da er (der Argumentation Bultmanns folgend) dem modernen Menschen nicht länger nachvollziehbar sei, was dazu führt, dass auch die (durch den besagten Horizont plausibilierte) Relevanz und die Notwendigkeit einer Grableerwerdung als Resultat eines göttlichen Handelns am verstorbenen Jesus bestritten werden. Weitere untrennbar mit ihm verbundene Aspekte der Auferstehungsbotschaft, wie etwa die (den neutestamentlichen Befund in nicht zu übersehender Weise durchziehende) Rede von der leiblichen Auferstehung müssen ferner umgedeutet oder doch zumindest neuperspektiviert werden. Im Zuge dessen entfernen sich die betreffenden Interpreten nicht selten erheblich vom neutestamentlichen Befund sowie von den in ihm angelegten Prämissen und Schwerpunkten, indem sie nicht nur die betonte Notwendigkeit des Entzogenwerdens des Leichnams relativieren und neuinterpretieren, sondern mitunter sogar eine Unumgänglichkeit seiner Verwesung postulieren, was nicht nur dem biblischen Befund in unvereinbarer Weise widerspricht, sondern – wie noch gezeigt wird – jeder überzeugenden Begründung entbehrt.

1376

Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 24. Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 436. 1378 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 1377

II.6 Zusammenschau

247

Dass die resultierenden Neuinterpretationen der leiblichen Auferstehung und die zeichenhaften Deutungen der Grableerfindungserzählungen ungeachtet ihrer derartigen, fraglichen Detaillierungen grundlegend kritikwürdig sind, da sie sich oft als höchst vage erweisen und einen vermehrten Sprachverlust in Bezug auf die Auferstehungsbotschaft befördern, wurde ebenso problematisiert wie die Tendenz, diese erkennbaren Defizite durch kreative Umdeutungen zu kompensieren, die oft wenig überzeugende Bezüge zu Mythen oder Legenden herstellen. Die Dominanz derartiger Ansätze innerhalb des Diskurses scheint ferner nur vor dem Hintergrund dessen plausibel, dass sie sich und ihre Geltung mit Verweis auf die vermeintliche Irrelevanz der Grableerfindungserzählungen und ihres Gegenstandes permanent selbst stabilisieren, ohne dass dies (theologisch) stichhaltig begründbar wäre. Ausgehend von dieser Problemdarstellung soll der Versuch einer eigenen Deutung unternommen werden, der sich von den besagten, wenig aussagekräftigen Deutungen der Grableerfindung als einem Zeichen der/für die Auferstehung distanziert oder diese zumindest nicht pauschal voraussetzt, obschon sie es in bestechender Weise ermöglichen, die oft aufbrechende, kontroverse Auseinandersetzung mit Vertretern moderner Geschichts- und Naturwissenschaften in Bezug auf die „Möglichkeit einer körperlichen Auferstehung“1379 zu umgehen. Demgegenüber erfolgt hier eine Auseinandersetzung mit den brennendsten, auch in den dargestellten Konzeptionen immer wieder enthaltenen Fragen. Angesprochen wird so etwa, 1) ob die Grableerfindungserzählungen tatsächlich den Selbstanspruch vertreten, historische Ereignisse im Sinne Pannenbergs zu bezeugen, 2) ob und inwiefern Geschichtsbezüge der in ihnen dargebotenen Inhalte (durch eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage) ausmachbar sind und 3) ob und inwiefern ebensolche überhaupt von Relevanz hinsichtlich der Rede von der Auferstehung sein können. Im Zuge der Beantwortung dieser Fragen ist abzuwägen, inwiefern der des Öfteren angesprochene jüdisch-apokalyptische Deutungshorizont in den Erkenntnisbemühungen Berücksichtigung finden muss, was zur Thematisierung diverser theologischer Folgefragen führt.1380 Wie in diesem kurzen Ausblick bereits erkennbar werden dürfte, wird angestrebt, eine möglichst facettenreiche Auseinandersetzung mit den Grableerfindungsperikopen zu entwickeln und das Hauptaugenmerk nicht einseitig auf das zu richten, wozu die Grableerfindungserzählungen nicht dienen und was sie nicht vermögen. Entsprechend ist der nachfolgende Teil nicht in konventioneller Weise an der Beantwortung der verbreiteten, zu Fehlschlüssen führenden Fragen inter-

1379

Ratzinger, Jesus von Nazareth II, 279. Zu diesen Fragen zählen etwa die danach, inwiefern die Identität des Menschen in seiner empirischen, medizinisch untersuchbaren Leiblichkeit verankert ist, oder danach, ob Jesu Auferstehung der eschatologischen Auferweckung der Toten im Sinne Dalferths tatsächlich konstitutiv entsprechen muss (vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 177), was die von ihm postulierte Notwendigkeit der Verwesung des Leichnams Jesu einschlösse (vgl. Dalferth, Volles Grab, 295 f.). 1380

248

Teil II: Der systematisch-theologische Befund

essiert, ob die Grableerfindung die Auferstehung beweist oder ob sie einen Auferstehungsglauben zu wecken vermag, auf eben welche (gegenwärtige) Auseinandersetzungen mit den Erzählungen nicht selten reduziert werden. Er zielt stattdessen auch auf die Beantwortung der (auch von Dalferth völlig zu Recht fokussierten) Frage ab, ob die christliche Auferstehungsvorstellung mit der Annahme eines vollen Grabes vereinbar ist.1381

1381

Vgl. Ratzinger, Jesus von Nazareth II, 279. u. Dalferth, Volles Grab, 294.

Teil III

Eigene Deutung „Wir müssen es auch riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen angerührt werden.“1

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis Wie kontinuierlich herausgestellt, scheinen Erkenntnisbemühungen und Interpretationsversuche in Bezug auf die neutestamentliche Grableerfindung maßgeblich durch die Historizitäts- und Realitätsvorstellungen der jeweiligen Interpreten beeinflusst zu werden. Dabei ist insbesondere den Fragen danach, a) was für ein Geschichtsverständnis sie aufweisen, b) welche Kriterien sie zur Charakterisierung einer Begebenheit als historisches Ereignis heranziehen und c) ob der Vollzug einer empirisch-geschichtswissenschaftlichen Rückfrage angesichts des Untersuchungsgegenstandes überhaupt angemessen, praktikabel und sinnvoll sein kann, ein hoher Stellenwert zuzusprechen ist. Entsprechend sollen diese Fragen nachfolgend beantwortet werden, um möglichst transparent zu machen, auf welchen Grundsatzentscheidungen die dargebotenen Deutungsansätze beruhen.2 1 Bonhoeffer, in einem Brief an Eberhard Bethge vom 3. August 1944, zu finden in: Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung (1958), 257, hier zitiert nach Fischer, Auferstehungsglaube, 102. 2 In Entsprechung zu den angeführten Fragen wird in den ersten beiden Thesen reflektiert, was unter dem Konzept des Geschichtsbezuges zu verstehen ist und unter welchen Bedingungen einem als historisch charakterisierten Ereignis ein ebensolcher zugesprochen werden kann. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Axiome Troeltschs gerichtet, da diese – wie gezeigt – nach wie vor diskursprägend wirken und viele Auslegungen erheblich dadurch geprägt zu werden scheinen, ob und inwiefern die jeweiligen Interpreten ihnen zustimmen oder sie ablehnen. Daran anschließend erfolgt in der dritten These eine Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern und ob es sinnvoll sein kann, eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach dem thematisierten Untersuchungsgegenstand durchzuführen. Da die Zielsetzung dieses Buches weniger auf eine exklusiv und/oder primär geschichtswissenschaftliche als vielmehr auf eine systematisch-theologische Auseinandersetzung mit dem thematisierten Untersuchungsgegenstand ausgerichtet ist, erfolgen die nachfolgenden Reflexionen der Kategorien der Zeit und Geschichte stets aus ebendieser Perspektive und selektiv hinsichtlich der hier verhandelten Fragen. Umfängliche geschichtswissenschaftliche Herleitungen, Definitionen und Problematisierungen der Begriffe werden (wie auch in den

250

Teil III: Eigene Deutung

III.1.1 Die naturwissenschaftliche und erkenntnistheoretische Notwendigkeit, Geschichte neu zu denken „Wir werden die Wirklichkeit annehmen, wie sie ist, und uns ihrer Alltäglichkeit ebenso aussetzen wie ihren Überraschungen, und dann werden wir entdecken, dass die Wirklichkeit viel bunter und viel fantastischer ist, als alle unsere Vorstellungen von ihr.“3

Wie an verschiedener Stelle ersichtlich geworden sein dürfte, zeugen die meisten Auferstehungs- und Grableerfindungsdeutungen sowie die ihnen zugrundeliegenden Verständnisse der Kategorie der Geschichte von einer Orientierung an oder von einer Abgrenzung von der stets angesprochenen analytisch geprägten, neuzeitlichen Rationalität4, die eine wesentliche Grundlage diverser moderner zuvor skizzierten Konzeptionen) bewusst nicht vorgenommen. Stattdessen werden die vorgenommenen Reflexionen, Neuperspektivierungen und Erweiterungen unter Bezugnahme auf die gesamtgesellschaftlich konventionell verbreiteten, auch den Neuperspektivierungen Barths, Moltmanns und Ringlebens zugrundeliegenden Vorstellungen der Geschichte als all dem, was anhand geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen als geschichtlich ausweisbar ist, vollzogen. Bei weiterführendem Interesse sei exemplarisch auf die Ausführungen Achtners, Kunz‘ und Walters verwiesen, die in ihren Dimensionen der Zeit verschiedenen Dimensionen der Kategorie der Zeit, wie etwa die der endogenen Zeit, der rational-linearen Zeit, der mystischholistischen Zeit, der exogenen Zeit und der transzendenten Zeit zu unterscheiden wissen und sie eingehender erläutern (vgl. Achtner, Kunz u. Walter, Dimensionen, 8–11). Interessant sind auch die Ausführungen Kiaukas, der die Unmöglichkeit der Objektivierung der Zeit anhand der rüsenschen Definition der Geschichte als „erzählte Zeit, Zeit des Erzählens und sich selbst erzählende Zeit“ (Rüsen, Die Kultur der Zeit, 43, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 13) erläutert, welche als dem Lebensprozess der Menschen innewohnende, innere Einheit zu bezeichnen sei (vgl. ebd.). Anhand einer Übertragung dieser Definition auf die Bibel als „erzählte Geschichte über Erfahrungen Gottes“ (Kiauka, Zeit und Theologie, 13), welche die Glaubenden in ihrer Glaubenspraxis in erzählender Weise vergegenwärtigen und sich selbst dadurch „als erzählende Zeit, als lebendige Geschichte Gottes mit den Menschen begreifen“ (ebd.), führt er aus, dass und weshalb der Themenbereich der Zeit im Rahmen der Theologie als Einheit zu verstehen sei, die sich aus dem Gegenstand, der Untersuchungsmethode und der jeweiligen Fragestellung ergebe. 3 Moltmann, Im Ende, 96, siehe auch Bloch, Das Prinzip Hoffnung II, 556, zitiert nach Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 30: „Alle Möglichkeiten kommen erst innerhalb der Geschichte zur Möglichkeit; auch das Neue ist historisch.“ 4 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. Die Prägung diverser Auferstehungsdeutungen durch die (von den jeweiligen Theologen vorausgesetzte) Geltung der besagten Rationalität ist jedoch nicht immer eindeutig erkennbar, da oft suggeriert wird, dass ihre Thesen (wie die der häufig betonten, wenngleich freilich verschieden definierten Ungeschichtlichkeit der Auferweckungsereignisse) exegetisch begründet wären, wodurch der Eindruck entsteht, dass es sich bei Ihnen um methodisch exakte, lückenlos begründete Resultate geschichtswissenschaftlicher Textinterpretationen handelte, die überhaupt keine anderen Rückschlüsse zuließen, und eben nicht nur um weltanschauliche Prämissen, die zur konkre-

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

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Wissenschaften darstellt und nun, im Anschluss an eine Klumbies folgende Hinführung, reflektiert sei. Die besagte Rationalität mitsamt ihren (das moderne Geschichtsverständnis massiv prägenden) Prämissen entstand als Resultat einer geschichtlichen Entwicklung unter maßgeblicher Beeinflussung durch die europäische Aufklärung und durch den Ablösungsprozess, den die griechische Hochphilosophie in Bezug auf den antiken Mythos vollzog. Sie erscheint als Grundlage der in unserer Gesellschaft verbreiteten Denkmodelle derart selbstverständlich, dass mitunter in Vergessenheit gerät, dass es sich bei ihr keineswegs um die einzig vorstellbare oder gar mögliche Denkform handelt5, da sie genau wie alle anderen bekannten, derartigen Konzepte aus diversen einzelnen Implikationen und Prämissen konstruiert wurde, die aufgrund spezifischer zeitgeschichtlicher Hintergründe entstanden und teilweise nur im Zusammenhang mit diesen Geltung beanspruchen können. Entsprechend können sie – bereits wegen der besagten zeitgeschichtlichen Prägung – stets nur vorläufig und überholbar, nie jedoch absolut und letztgültig sein. Zu den besagten Prämissen zählen etwa die Annahme der Gültigkeit des anthropozentrischen Geschichtsbegriffs oder das sich aus diesem ergebende, konkrete Vorverständnis in Bezug auf das Historisch-Mögliche.6 Nahegelegt wird durch sie, dass ein göttliches Eingreifen in die empirisch-geschichtswissenschaftliche Dimension der (als ein in sich selbst ungebrochen-geschlossenes Ganzes vorgestellten) Geschichte prinzipiell auszuschließen sei.7 Ferner wird angenommen, dass grundsätzlich nur jene Ereignisse als historisch bezeichnet werden können, die einem Geschehen zugrunde liegen, das als solches durch eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung erfassbar ist und ausgehend von den bekannten Naturgesetze als möglich beurteilt werden kann.8 Bereits aus diesen Implikationen ergibt sich die in diversen Deutungen vorfindliche Argumentationsfigur, dass wesentliche Aspekte der christlichen Lehre, wie etwa der der (in Jesus als dem inkarnierten Gottessohn verankerten) Einheit von konkreter Leiblichkeit und göttlicher Wirksamkeit oder der der Vorstellung seiner leiblichen Auferstehung9, nur als geschichtswissenschaftlich undenkbare

ten Ausgestaltung ihrer Konzeptionen führten und die die jeweiligen exegetischen Erkenntnisbemühungen eher beeinflussen als dass sie sich aus ihnen ergeben (vgl. Wilckens, Theologie I/I, 26 f.). 5 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320 u. Klumbies, Mythos und Entmythologisierung, 383. 6 Vgl. Klappert, Diskussion, 17. 7 Vgl. a.a.O., 18. Dieser Trend wird durch die voranschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft verstärkt, da dort, wo schon Gottes Existenz als solche fraglich ist, die Rede von Jesu Auferstehung wohl kaum für plausibler gehalten wird (vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 3) – zumal wenn diese als ein Einwirken Gottes in die empirisch erfassbare Dimension der Geschichte vorgestellt wird. 8 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 90, mit Verweis auf Wimmer, Verstehen. Beschreiben. Erklären, 84 f. 9 Vgl. Mildenberger, Auferstehung IV, 552 u. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 95.

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Aussagen beurteilt werden könnten10, da sie die (sich aus den Prämissen der angesprochenen Rationalität ergebenden) Anforderungen11 nicht erfüllen und/oder anhand der gegenwärtig bekannten Naturgesetze nicht eindeutig erklärbar sind.12 Auferstehungs- und Grableerfindungsdeutungen, welche sich ausschließlich an der besagten Rationalität orientieren, begründen – wie in Kapitel II.2 gezeigt – die Bezeugungen der Erscheinungen des Auferstandenen entsprechend in einem lügenhaften Betrug oder in innerpsychologisch erklärbaren, subjektiven Visionen ohne außersubjektives Korrelat. Ein Leerwerden des Grabes führen sie ferner auf einen Diebstahl des Leichnams, dessen Umbettung oder eine Verwechslung der Grabstätte Jesu mit einer leeren Grabstätte zurück. Die Möglichkeit einer Grableerwerdung aufgrund eines schöpferischen Wirkens am Leichnam müssen sie als unmögliches Geschehen kategorisch ausschließen.13 Dass (nachfolgend: These I) eine derartige Reduktion unserer geschichtlich konstituierten Wirklichkeit auf durch empirische Mittel messbare und per se immer wieder wiederholbare Daten14 im Sinne der oft wie selbstverständlich vorausgesetzten analytischen Rationalität15 nicht nur im Blick auf die Komplexität all jener menschlichen Realitätserfahrungen und -wahrnehmungen als fragwürdige Einschränkung beurteilt werden muss16, die der Mehrdimensionalität der Wirklichkeit nicht gerecht wird, sei anhand der folgenden Skizzierung der Grenzen der besagten Rationalität mit Verweis auf einige naturwissenschaftliche und erkenntnistheoretische Einsichten dargestellt.17

10 Vgl. Klappert, Diskussion, 17 u. Vorholt, Osterevangelium 332, mit Verweis auf Essen, Historische Vernunft, 316. 11 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. Eine in der thematisierten Rationalität begründete Ausformulierung von Bedingungen, die ein Geschehen erfüllen müsse, um als historisches Ereignis charakterisiert werden zu können, stellen die thematisierten Axiome Troeltschs dar. 12 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 95. 13 Theologen, die sich von diesen (in der besagten Rationalität verankerten) Prämissen distanzieren, sehen sich aufgrund der Verbreitung der Vorstellung einer Unmöglichkeit des Handelns Gottes in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Wirklichkeit mit dem Vorwurf einer gewissen Schizophrenie konfrontiert, die sich darin äußere, dass sie sich neben der (auch für sie existenten und gültigen, in der dargestellten Rationalität begründeten) Werkstagskausalität, in welcher die konkrete, immanente Ursache jedes Geschehens verankert sei, auch an einer (mit dieser nicht zu vereinbaren) Sonntagskausalität orientierten, im Rahmen derer dann davon ausgegangen werde, dass einzig Gott als „Subjekt der Geschichte“ (Moltmann, Der Weg, 252) bezeichnet werden könne. 14 Vgl. Alkier, Die Realität, 204. 15 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 16 Vgl. Alkier, Die Realität, 204. 17 Hingewiesen sei darauf, dass innerhalb dieses Teilkapitels keine erneute Auseinandersetzung mit den Axiomen Troeltschs erfolgt, sondern eine kritische Thematisierung der ihnen zugrundeliegenden Rationalität im Allgemeinen vorgenommen wird. Es sei jedoch die konzeptionelle Verbundenheit dieses Buches mit den kritischen Stellungnahmen Pannenbergs (Kapitel II.1.5) und Moltmanns (Kapitel II.3.2.b) bekundet.

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

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Eine Auseinandersetzung mit den modernen Naturwissenschaften zeigt so beispielsweise, dass die Orientierung vieler Exegeten an einem (sämtliche Wunder der Bibel grundsätzlich als unmöglich kategorisierenden)18 Naturwissenschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts oder an der (auf der diskutierten Rationalität19 beruhenden) Hervorhebungen der Naturgesetzwidrigkeit und vermeintlich evidenten Ungeschichtlichkeit der Auferweckung Jesu nur verwundern kann, weil diese Denkmodelle als nicht mehr zeitgemäß eingestuft werden können, da auch in den modernen Naturwissenschaften weitreichende Veränderungen in Bezug auf „die erkenntniskritische Reflexion ihrer Methoden“20 vollzogen wurden. Als angemessenere Grundlage der Urteilsbildung fungiert die zur Demut auffordernde Einsicht, dass von den Natur- und Geschichtswissenschaften keineswegs der Anspruch erhoben werden kann, die Welt als Ganze vollumfänglich zu erfassen. In diesem Kontext wird auch betont, dass das Universum verschiedenartige Facetten aufweise, die die naturwissenschaftliche Erfassbarkeit ohnehin übersteigen21, weshalb Erkenntnisbemühungen stets hinsichtlich ihrer Vorläufigkeit und ihrer begrenzten, nie allumfassenden Geltung reflektiert werden sollten. Eine derartige Reflexion führt in Bezug auf die verhandelten Gegenstände zu der Einsicht, dass die (auf der rationalistisch-analytischen Rationalität beruhende22, sich auch in den troeltschen Axiomen wiederfindende und meist unreflektiert als selbstverständlich vorausgesetzte) Vorstellung einer kausalen Geschlossenheit der Welt lediglich als ein metaphysisch zu hinterfragendes „weltanschauliche[s] Element einer naturalistischen Weltsicht“23 bezeichnet werden kann, welches aus empirischer Perspektive nicht naheliegender ist als christlich geprägte Weltdeutungen24, da sie ebenso wie diese nicht mit empirischen Mitteln zu verifizieren oder zu falsifizieren ist.25 Sie ist – entgegen der Auffassung jener Theologen, die sich ausschließlich an der neuzeitlich-rationalistischen Rationalität26 orientieren und ihre Prämissen als letztgültig und absolut betrachten – somit kein zwingender Bestandteil einer naturwissenschaftlichen Weltdeutung.27 Dies spiegelt sich auch in dem Umstand wider, dass durch keinen gegenwärtig konsensuell verbreiteten, naturwissenschaftlichen Lehrsatz ausgeschlossen wird,

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Vgl. Wilckens, Theologie I/I, 27. Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 20 Wilckens, Theologie I/I, 27. 21 Vgl. Ewald, Die Physik und das Jenseits, 151 f. Ewald verweist in diesem Zusammenhang auf die in der Physik vorfindlichen Vorstellungen von „Baby-Universen und parallelen Kosmen“ (a.a.O., 139). 22 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 23 Göcke, Ein dispositionalistisches Modell, 328. 24 Vgl. ebd. 25 Vgl. Göcke u. Schneider, Konflikt, 28. 26 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 27 Vgl. Göcke, Ein dispositionalistisches Modell, 328. Selbiges gilt für die hier reflektierte geschichtswissenschaftliche Welterschließung und für die menschliche Welterkenntnis im Allgemeinen. 19

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Teil III: Eigene Deutung

dass in der Welt zu verortende Sachverhalte auf nicht-physikalische Ursachen zurückgeführt werden können.28 Des Weiteren begünstigte eine Reflexion im angedachten Sinne die Entstehung eines veränderten und sich stetig verändernden, auch das Verständnis der Kategorie der Geschichte tangierenden Zeitverständnisses, durch das die Komplexität der Kategorie der Zeit29 in differenzierterer, an das Zeitverständnis der Bibel erinnernder Weise berücksichtigt wird.30 Hier wird nicht länger eine trennscharfe, Eindeutigkeit suggerierende Unterscheidung einer offenen Zukunft von einer unveränderbaren Vergangenheit vorgenommen31, sondern es wird davon ausgegangen, dass die beiden Zeitmodi (ähnlich wie im Raum sehr diffus verteilte Teilchen) ineinander übergehen, was die Existenz von Ereignissen denkbar macht, die „gleichzeitig vor und nach einem anderen stattfinden.“32 28 Vgl. ebd. Im Gegensatz zu den Theologen, die in der Tradition Pannenbergs den Umstand betonen, dass Naturprozesse trotz ihrer Gesetzlichkeit keine isoliert-geschlossenen Systeme seien (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 92), weshalb die Annahme, dass Gott Ungewöhnliches oder gar Neuartiges nur mitsamt einer Durchbrechung der Naturgesetze hervorbringen könne (vgl. ebd.), nicht mehr zeitgemäß sei, weiß Göcke von einer Möglichkeit zu berichten, um an einem Einwirken Gottes auch unter der Bedingung einer kausal geschlossenen Wirklichkeit festhalten zu können. Auch er betont dabei, dass die Möglichkeit Gottes, auf das Weltgeschehen einzuwirken, keineswegs von einer (durch ihn vollzogenen) Durchbrechung der bestehenden Naturgesetze abhängig sei. Er begründet sie nun allerdings nicht in der mangelnden empirischen Belegbarkeit einer (ein Einwirken Gottes etwa nach Ansicht Troeltschs verunmöglichenden) kausalen Geschlossenheit der Wirklichkeit, sondern darin, dass Gott seine Handlungsziele „durch die temporäre Veränderung der Dispositionen einer wohldefinierten Menge konkreter Einzeldinge“ (vgl. Göcke, Ein dispositionalistisches Modell, 329) erreiche und auf diese Weise in der besagten, kausalen Geschlossenheit der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Welt tätig werde. Göcke beschreibt diesen Prozess näher, indem er darauf verweist, dass durch Gott eine Änderung der „dispositionalen Spielregeln der kausal geschlossenen Welt“ (ebd.) vorgenommen werde, ohne dass dieser jedoch unmittelbar „ins Spiel eingreifen [müsse]“ (ebd.). Einzuräumen sei dabei allerdings freilich, dass „die involvierten konkreten Einzeldinge“ (ebd.) im Rahmen eines derartigen göttlichen Handelns ein dispositional andersartiges, unübliches Verhalten aufwiesen (vgl. ebd.). Diesen Erwägungen entsprechend sei anzunehmen, dass aus der Perspektive des christlichen Glaubens als Handeln Gottes verstandene Ereignisse im Rahmen naturalistischer Weltanschauungen als Resultate einer komplexen, aber dennoch „höchst natürlichen metaphysischen Gemengelage“ (a.a.O., 331) gedacht werden können, welche auch ohne einen Verweis auf Gott und sein Wirken erklärbar seien (vgl. ebd.), da per se alle durch die Naturwissenschaften entdeckten und erforschte Kräfte als physikalische oder andere naturwissenschaftliche Kräfte bezeichnet und verstanden werden (vgl. a.a.O., 328), selbst wenn es sich bei diesen theoretisch um Kräfte handeln könnte, die durch Gott gewirkt wurden (vgl. a.a.O., 331). Inwiefern eine derartige, zweifellos höchst spekulative Charakterisierung der Wirkweisen des Handelns Gottes angesichts seiner Unverfügbarkeit und seines (alle menschlichen Erkenntnisbemühungen sprengenden) Charakters angemessen sein kann, bleibt jedoch fraglich. 29 Vgl. Rovelli, Die Ordnung, 94. 30 Vgl. Achtner, Kunz u. Walter, Dimensionen, 174. 31 Vgl. Rovelli, Die Ordnung, 11 u. 94. 32 A.a.O., 77. Die ererbte, konventionelle Vorstellung einer globalen und ganz objektiven

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

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Diese Einschätzungen werden auf naturwissenschaftlicher Ebene durch die bereits von Pannenberg angeführten physikalischen Thesen, „dass kleinste Unbestimmtheiten im Bereich der Elementarteilchen“33 einen großen Einfluss auf menschliche Erfahrungen nehmen34 und dass der Mensch ferner nicht dazu imstande sei, „die Materie mit letzter Genauigkeit zu erkennen“35, bestätigt. Beides werde schon daran deutlich, dass die in vielen physikalischen Betrachtungen verwendete, gesamtgesellschaftlich bekannte, vereinfachende Vorstellung des Atoms per se nicht alle (mitunter nicht zu erwartenden) Eigenschaften der Materie abbilde, weshalb im gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Diskurs mitunter auf die sogenannte Stringtheorie zurückgegriffen wird36, deren Prämissen nach Ansicht Ewalds mit den Annahmen eines postmortal-jenseitigen „individuellen Fortlebens“37 vereinbar zu sein scheinen.38 Beziehen wir diese Einsichten, die aus der (in den modernen Naturwissenschaften vollzogenen) Reflexionen der eigenen Methoden und Grenzen hervorgehen, auf den Untersuchungsgegenstand der Auferstehung, so liegt die Einschätzung nahe, dass diese – im Widerspruch zu den aus der besagten Rationalität abzuleitenden Prämissen – „einem kritisch-offenen physikalischen Weltbild“39 nicht notwendig widerspricht und dass ihr ein Geschichtsbezug nicht pauschal abzusprechen ist. Polkinghorn zeigt zudem – ebenfalls im deutlichen Gegensatz zu den (in der hier diskutierten Rationalität grundgelegten) Prämissen40 und insbesondere zum

Gegenwart (vgl. a.a.O., 93) wird ferner und in Entsprechung zu den Erkenntnissen, dass Zeit etwa in Abhängigkeit von ihrem jeweiligen Messort (vgl. a.a.O., 79), der Geschwindigkeit, mit welcher sich der Messende zum Zeitpunkt der Messung bewegt (vgl. a.a.O., 160), und der Nähe des Messenden zu einer bestimmten Masse (vgl. ebd.) unterschiedlich schnell vergeht (vgl. ebd. u. 79), zugunsten der Vorstellung einer zum Messenden relativen Gegenwart aufgegeben (vgl. a.a.O., 93). Dass auf den Prämissen der rationalistischen Rationalität (vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320) beruhende Kriterien zur Identifizierung historischer Ereignisse einem derartigen Zeitverständnis, das keine kategorische Unterscheidung zwischen den Zeitmodi der Zukunft und der Vergangenheit vornimmt (vgl. Rovelli, Die Ordnung, 79) und zutiefst vom jeweils Beobachtenden abhängig ist (vgl. a.a.O., 93), nicht gerecht werden, da seine genannten Charakteristika hier keine Berücksichtigung finden, dürfte augenfällig sein. 33 Schwager, die heutige Theologie, 447 u. vgl. Pannenberg, Grundzüge, 95 f. 34 Vgl. ebd. 35 Schwager, Die heutige Theologie, 447. 36 Vgl. Ewald, Die Physik und das Jenseits, 142–144. 37 A.a.O., 159. 38 Vgl. a.a.O., 147 u. 159. Ewald prognostiziert in diesem Zusammenhang sogar zu erwartende Durchbrüche in der Physik und in der Neurobiologie, durch welche eine neuartige „Sicht des ,Himmels‘“ (a.a.O., 140) entstehen werde, die sogar mitunter in Todesnähe auftretende Lichtvisionen oder andere Erfahrungen paranormaler Art aufgreifen könne (vgl. ebd.). 39 Kessler, Einleitung, 9. 40 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320.

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troeltschen Analogieaxiom –, dass davon auszugehen sei, dass der Geist des Menschen auf seinen Körper einwirken könne, was zu „Veränderungen im materiellen Bereich“41 führen könne, die die Naturgesetze keineswegs durchbrechen, sondern auf (bislang) unentdeckte Materieeigenschaften zurückzuführen seien.42 Eine Offenheit der Materie für eine göttliche Einwirkung, wie sie dem neutestamentlichen Zeugnis entsprechend beispielsweise am Leichnam Jesu erfolgt sei, könne folglich – sofern die Materie als solche bereits „für den Einfluss des menschlichen Geistes empfänglich ist“43, ganz ohne dass dies mit einer Durchbrechung der Naturgesetze einherginge44 – nicht ernstlich bestritten werden, sodass selbst die als anstößig wahrgenommene Rede von der leiblichen Auferstehung im neutestamentlichen Sinne nicht gesamthaft mit Verweis auf ihre vermeintliche Unmöglichkeit abgewehrt oder gar aus dem Bekenntnis eliminiert werden kann. Der nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch von vielen Theologen geteilten Annahme, dass die Vorstellung eines den Tod überdauernden Lebens schlicht absurd sei45, kann somit nicht zugestimmt werden, da hier ein unüberwindlicher Gegensatz zwischen den Auferstehungsereignissen und den (in der empirisch erfassbaren Dimension der Geschichte verankerten) Ereignisse konstruiert wird, der nicht gegeben ist. Trotz des enormen Mehrwerts dieser Einsichten, die zweifelsohne dazu beitragen können, ein differenzierteres, die Komplexität der Kategorien der Zeit und der Geschichte berücksichtigendes Geschichtsverständnis auszubilden, als dies unter der Bedingung einer einseitigen Fokussierung auf die analytisch-rationalistische Rationalität46 der Fall ist, ist hier jedoch Vorsicht geboten. Sie könnten nämlich – und dies wäre freilich verkürzt – das Fehlkonzept nahelegen, dass Gott in jenen „Leerstellen“ und Lücken tätig sei und werde, die anhand naturwissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen (momentan) nicht (vollends) geschlossen werden können, was zwangsläufig damit einhergehen würde, dass alle Fortschritte in Bezug auf die Naturerkenntnis „einem Rückschlag für die Theologie“47 gleichkämen. In Abgrenzung zu ebendiesem und ähnlichen Fehlkonzepten seien die wesentlichen Erkenntnisse noch einmal gebündelt: 41

Schwager, Die heutige Theologie, 448. Vgl. Ewald, Die Physik und das Jenseits, 143 u. Schwager, Die heutige Theologie, 447 f. 43 Schwager, Die heutige Theologie, 448. 44 Vgl. ebd. 45 Vgl. Greshake u. Kremer, Zur Einführung, 2. 46 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 47 Pannenberg, Systematische Theologie II, 90. Ringleben betont – und dieser Einwand ist ernst zu nehmen –, dass Gott nicht adäquat als Inbegriff oder als Garant einer empirisch geschichtswissenschaftlich beschreibbaren, anhand konkreter Gesetzmäßigkeiten der Biologie zur Gänze definierten Wirklichkeit zu beschreiben sei (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 88), sondern sich sein unverfügbares, mehrdimensionales Sein und Wirken allen menschlichen Erkenntnisbemühungen entziehe. Ähnliche Vorstellungen finden sich unter anderem bei Polkinghorn und Althaus. Polkinghorn warnt so ebenfalls – hier in Auseinandersetzung mit Pannenberg – vor der Gefahr, dass die Theologie im Zuge einer Bezugnahme 42

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

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Ausgehend von den angeführten Erwägungen kann festgehalten werden, dass die neuzeitliche Rationalität48 trotz ihrer nicht zu leugnenden Funktionalität nicht als alleingültiger, hinreichender Maßstab zur Geschichts- und Weltdeutung herangezogen werden kann und sollte, da es diversen (durch sie nahegelegten und von ihr vorausgesetzten) Prämissen an Aktualität mangelt und/oder sie eine nur begrenzte Geltung aufweisen. Entsprechend können die mit Verweis auf sie vorgetragenen Einwände und Vorbehalte in Bezug auf die Möglichkeit eines göttlichen Wirkens in unserer Welt49 und der besagte, oft unreflektiert konstruierte Antagonismus zwischen einem theologischen und einem naturwissenschaftlichen Wirklichkeits- und Geschichtsverständnis50 als unmittelbare Resultate „des totalitären naturalistischen

auf die „Kontingenz des Naturgeschehens“ (Pannenberg, Systematische Theologie II, 90) und insbesondere dann, wenn sie sich den philosophischen Auseinandersetzungen mit naturwissenschaftlichen Weltdeutungen und -beschreibungen bediene, um ebendiese als einen Ausdruck des auch in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte wirkenden Gottes und seiner schöpferischen Handlungen zu kategorisieren, lediglich eine durch die Naturgesetze (gegenwärtig) nicht zu erfassende Leerstelle für ihre Bezeugung des göttlichen Handelns innerhalb des Naturgeschehens beanspruche (vgl. a.a.O., 89 f.). In ähnlicher Weise kritisiert auch Althaus Pannenbergs Ausführungen sowie die ihnen zugrundeliegende Orientierung an der Vorstellung der Kontingenz, indem er herausstellt, dass es sich bei einem derartigen Vorgehen um eine Art ausbeuterische Aneignung der „Unbestimmtheit des Einzelgeschehens im Sinne der Quantenphysik“ (a.a.O., 90) handele, welches – wie jede Inanspruchnahme naturgesetzlicher Erklärungsmodelle durch die Theologie – die Gefahr berge, dass die Ereignisse gerade nicht mehr im Sinne der neutestamentlich bezeugten Wunder als Taten des lebendigen Gottes verstanden werden würden (vgl. ebd.). 48 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 49 Vgl. Göcke u. Schneider, Konflikt, 21. 50 Göcke und Schneider sprechen hinsichtlich des erwähnten, mit der Verbreitung der neuzeitlichen Rationalität (vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320) zunehmend vorfindlichen Antagonismus von einem „vom Naturalismus propagierte[n] Mythos“ (Göcke u. Schneider, Konflikt, 28), durch welchen ein völlig verkürztes, verzerrtes und schon daher unangemessenes Verständnis der Beziehung der Naturwissenschaften zur Philosophie und zur Theologie vermittelt werde. Dies äußere sich etwa darin, dass gewisse Annahmen, wie sie als Prämissen der aufklärerischen Rationalität verbreitet werden, als notwendig und erwiesen bezeichnet werden, obschon sich diese Zuschreibungen faktisch nicht auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse (im Sinne „naturwissenschaftliche[r] Aussagen […], die die Naturwissenschaftler mithilfe der paradigmatischen Rechtfertigungsmethode der Naturwissenschaften etablieren und rechtfertigen können“ [ebd.]) stützen können. In Bezug auf theologische Überlegungen führe dies dazu, dass diese zwar „als Aussagen über die Wirklichkeit“ (a.a.O., 29 f.) wahrgenommen werden, denen ein eigener Wahrheitsanspruch innewohnt, jedoch durch den besagten Mythos gleichzeitig impliziert werde, dass die Theologie ebendiesen nicht zu rechtfertigen vermöge und er aus diesem Grund „als epistemisch unvernünftig und ontologisch illegitim“ (ebd.) zu beurteilen wäre. Ferner – so wird es oftmals vorausgesetzt – könne die Theologie auch keine sonstigen „legitimen Erwiderungsmöglichkeiten gegen die erhobenen Einwände“ (a.a.O., 29) anführen.

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Teil III: Eigene Deutung

Methodenexklusivismus in Epistemologie und Ontologie“51 bezeichnet werden, aber nun gerade nicht als Konsequenzen naturwissenschaftlicher Einsichten.52 Aus naturwissenschaftlicher Perspektive verbietet es sich somit, den Geschichtsbezug eines Ereignisses oder das besagte Ereignis als solches ausschließlich ausgehend von den Prämissen der besagten Rationalität zu beurteilen. Nahegelegt sei hier nun gerade nicht, dass Gott und sein Wirken zur Erörterung und zur Begründung sämtlicher (gegenwärtig) nicht nachvollziehbarer oder gar erklärbarer Begebenheiten der (auch empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension) der Geschichte heranzuziehen seien; wohl aber, dass die Realität oder die etwaigen Geschichtsbezüge derartiger Phänomene aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht pauschal bestritten werden können. Über diese Erwägungen hinausgehend legen auch einige erkenntnistheoretische Überlegungen nahe, dass eine ausschließliche Orientierung an der analytischen-rationalistischen Rationalität53 zur Beurteilung von Ereignissen und ihren etwaigen Geschichtsbezügen nicht hinreichend ist. Die ausgehend von menschlichen Wahrnehmungen und Erkenntnisbemühungen konstruierten Kategorien der Wirklichkeit, der Geschichte und des Möglichen sind – etwa nach Ansicht des Konstruktivismus – so per se bereits keine objektiven und letztgültig bestimmbaren Größen54, zu denen ein Ereignis dann zugehörig ist, wenn es gewisse (von der neuzeitlichen Rationalität55 abgeleitete) Anforderungen erfüllt, sondern ungeachtet dessen, wie viele Menschen sie auch teilen mögen, im Wesentlichen stets doch nur individuelle und subjektive Konstruktionsergebnisse.56 In Übereinstimmung mit psychologischen Erkenntnissen beruht diese Annahme auf der Vorstellung, dass der Mensch die von ihm erlebte Welt zu jedem Zeitpunkt im Rahmen komplexer Konstruktionsprozesse deutet, um sie handhabbar und zugänglich zu machen57, was jedoch stets mit einer (die Ergebnisse dieser Prozesse erheblich beeinflussenden) perspektivischen Brechung einhergeht. Diese ergibt sich bereits daraus, dass der Mensch als ein Erkenntnissubjekt58 51

A.a.O., 21. Vgl. ebd. 53 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 54 Vgl. Vielhaber, Ostern, 4 f. 55 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 56 Vgl. Vielhaber, Ostern, 5 u. Lampe, Der Modelfall Auferstehung Jesu, 1. 57 Vgl. Müller, Die Entstehung, 79. 58 In diesem Buch nicht eigens thematisiert, aber doch wenigstens problematisiert, sei die Selbstverständlichkeit, mit der im Kontext konstruktivistischer Erkenntnisbemühungen vom Menschen als dem Erkenntnissubjekt und insbesondere auch als dem Konstrukteur der Wirklichkeit gesprochen wird, da derartige Bezeichnungen aus theologischer Perspektive nicht angemessen sein können; gilt hier doch Gott als der alleinige Schöpfer und Konstrukteur der Wirklichkeit. Ferner wäre kritisch zu hinterfragen, inwiefern der Vollzug der Wirklichkeitskonstruktion als menschliche Eigenleistung angesehen werden kann und ob nicht wesentliche Erkenntnisse in Bezug auf die Wirklichkeit dem (im Einflussbereich der weltumfassenden Konfusion stehenden) Menschen erst durch die göttliche Offenbarung bruchstückhaft und punktuell zuteilwerden. Nichtsdestotrotz sind konstruktivistische Erwägungen aus theolo52

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

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seine Wirklichkeitskonstruktionen stets ausgehend von seiner eigenen, notwendig ausschnitthaften und somit unvollständigen Perspektive vollzieht59 und entsprechend niemals dazu befähigt sein kann, sämtliche Aspekte des Erkenntnisgegenstandes zu kennen – geschweige denn, sie in ein logisches Gesamtbild zu integrieren.60 Darüber hinaus trägt der Mensch seine eigenen Kenntnisse, Begischen Diskursen nicht kategorisch auszuscheiden, da sie sich als theologisch anschlussfähig erweisen, weil sich in ihrer Grundannahme der individuellen, perspektivisch gebrochenen und unvollständigen Wirklichkeitswahrnehmung des Menschen seine in Kapitel III.1.2 eingehender thematisierte Grundkonstitution als in der Verwirrung lebendes Geschöpf, das die aus ihr resultierende Uneindeutigkeit aushalten und sich zu ihr verhalten muss, widerspiegelt und weil sie auf die Angewiesenheit des Menschen auf Gott sowie auf seine (die Uneindeutigkeit durchbrechende, Klarheit schaffende) Offenbarung verweist. Problematisiert seien also weniger die konstruktivistischen Grundeinsichten der perspektivisch gebrochenen Wahrnehmungen der Menschen und der Mehrdimensionalität und Komplexität der Schöpfung, sondern die mitunter aus diesen Einsichten abgeleiteten Rückschlüsse – allen voran die fraglichen, Fehlverständnisse evozierenden Bezeichnungen und Verständnisse des Menschen sowie der entstehende Eindruck einer gewissen Beliebigkeit in Bezug auf die von ihm generierten Wirklichkeitskonstruktionen. 59 Vgl. Rovelli, Die Ordnung, 126. 60 Die prinzipielle Unmöglichkeit, einen Gegenstand allumfassend, mitsamt all seiner Aspekte zu erfassen und kognitiv zu re-konstruieren, gilt für die thematisierten, komplexen Untersuchungsgegenstände der Zuschreibungen von Geschichtlichkeit, Möglichkeit und Wirklichkeit im besonderen Maße. Dies wird im Blick auf den (mit der Frage nach der Zuschreibung der Geschichtlichkeit eng verbundenen) Aspekt der Zeit ersichtlich, von welchem trotz aller menschlichen Konstruktionsversuche – wie bereits Husserl und Kant, aber auch Theunissen herausstellten – aufgrund seiner Undefinierbarkeit in ausschließlich approximativer Weise sprechbar ist (vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 242). Diese Feststellung begründet Augustin im Rahmen seiner Analysen der Zeitmodi der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sowie der Zeitmessung dadurch, dass „Zeit an sich nicht ist“ (Kleffmann, Zeit und Ewigkeit, 3). Ersichtlich werde dieser Umstand daran, dass vergangene Zeit stets bedeute, „dass etwas nicht mehr ist“ (a.a.O., 3 f.), wohingegen künftige Zeit darauf verweise, „dass etwas noch nicht ist“ (ebd.), und die Gegenwart im Wesentlichen „das Übergehen (transire) in Vergangenheit“ (ebd.) beschreibe und per se keinerlei Ausdehnung aufweise. Auch ein Zeitintervall sei ferner keineswegs – wie oft suggeriert – als eine objektive und somit „an sich wirkliche Größe“ (a.a.O., 4) zu beschreiben, da die Ausdehnung, die sie beschreibe, lediglich für die sie je Beobachtenden und ausschließlich durch ihre jeweiligen Messvorgänge existiere. Da die Möglichkeit der Wahrnehmbarkeit und Messbarkeit von Zeitintervallen im Vergehen, Kommen oder Sein von etwas begründet liege, sie jedoch nichtsdestotrotz ausschließlich in ihrem Vorübergehen wahrgenommen werden können, seien es nun die Interpreten, die eine Ganzheit der jeweiligen Zeitintervalle formulieren, indem sie „Erinnern oder Erwarten, Anfang und Ende markieren“ (ebd.) und die besagten Intervalle somit ausschließlich im gegenseitigen Vergleich bemessen (können) (vgl. ebd.). Dass diese Undefinierbarkeit der Kategorie der Zeit, welche dem Eindruck entgegensteht, dass sie durch naturwissenschaftliche Erkenntnisbemühungen umfassend charakterisiert und erfasst werden könne, sich auch im alltäglichen Sprachgebrauch wiederfindet, unterstreicht Dalferth mit Verweis darauf, dass gemeinhin und weit verbreitet völlig Unterschiedliches gemeint ist, wenn von Zeit gesprochen wird (vgl. Dalferth, Gedeutete Gegenwart, 240, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 31). Konkret vor Augen stehen ihm hier: „die metrische Zeit der Physik, die Lebensrhythmen der Biologie, die Systeme von Zeitempfindungen der Psychologie, die Er-

260

Teil III: Eigene Deutung

wertungsvoreingenommenheiten und Vorannahmen in die besagten Konstruktionsvorgänge ein61, welche sein Verständnis dessen, was unter den Begriffen der Wirklichkeit, der Geschichte und des Möglichen verstanden werden kann, erheblich vorprägen. Dies wird darin ersichtlich, dass von Historikern auch innerhalb der modernen Geschichtswissenschaften selbst dann noch abweichende Ergebnisse generiert werden, wenn sie sich einem geschichtlichen Ereignis62 anhand derselben Methoden und ausgehend vom gleichen Quellenmaterial annähern, was zeigt, dass Entwürfe der „innere[n] Konstitution des Zusammenhangs von Ereignissen“63 scheitern, sofern sie ausschließlich ausgehend von den gegebenen Quelleninformationen erfolgen, ohne dass externe Deutungsmuster zur Interpretation hinzugezogen werden.64 Hinsichtlich des „Erkenntnisgegenstandes“ der (geschichtlich verfassten) Wirklichkeit, welche durch die von den Prämissen der rationalistischen Rationalität65 nahegelegten Axiome vermeintlich umfassend erfasst werden könne, bleibt zudem zu bedenken, dass der Mensch sie als solche sowie ihre konkreten Eigenschaften bereits aufgrund seiner eigenen geschichtlichen Konstitution nicht in einer umfassenden, alle existenten Aspekte berücksichtigenden Weise „von außen“, sondern ausschließlich aus der je eigenen Introspektive wahrnehmen und untersuchen kann.66 Eine weitere perspektivische Brechung erfolgt in der (sich an die skizzierten Konstruktionsprozesse anschließenden) Versprachlichung der jeweiligen Wahrlebnisprozesse des Alltagsbewusstseins, die symbolischen Ordnungssysteme der Soziologie, die kausalen Ablaufsstrukturen [sic!] und apriorischen Anschauungsformen der Philosophie, die historischen Chronologien der Geschichtswissenschaft [… und] die Differenzbezüge zwischen Zeit und Ewigkeit in der Theologie“ (ebd.). 61 Vgl. Beinert, Der Mensch ist, 70. 62 Gemeint sind hier höchstwahrscheinlich jene Ereignisse, die zum Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Untersuchungen werden. 63 Vorholt, Osterevangelium, 89. 64 Vgl. ebd., mit Verweis auf Rüsen, Rekonstruktion der Vergangenheit, 21. 65 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 66 Vgl. Rovelli, Die Ordnung, 128. Die Bezeichnung der geschichtlichen Konstitution beschreibt hier den Umstand, dass der Lebensvollzug des Menschen als solcher geschichtlich verfasst ist, da er als Generationenwesen fest in der empirisch-geschichtswissenschaftlich untersuchbaren Dimension der Wirklichkeit sowie in ihrer Zeit und Geschichte verankert ist und sich eigenmächtig auch nicht aus dieser Verankerung loslösen kann. Der Gedanke der Beeinflussung des menschlichen Wirklichkeitsverständnisses durch seine geschichtliche Konstitution findet sich auch bei Kleffmann, der hinsichtlich der (mit der Kategorie der Geschichtlichkeit untrennbar verbundenen) Kategorie der Zeit ebenfalls darauf verweist, dass der Mensch sich von dieser aufgrund seiner eigenen Konstitution unmöglich distanzieren könne, um sie eigehender zu untersuchen oder um sie gar zu erkennen (vgl. Kleffmann, Zeit und Ewigkeit, 3). Rückverwiesen sei hier auf die Ausführungen Moltmanns, der hinsichtlich der Geschichtswissenschaften darauf aufmerksam macht, dass diese selbst in der empirisch-geschichtswissenschaftlichen Dimension der Geschichte verankert seien und somit als Teil ihres eigenen Untersuchungsgegenstandes verstanden werden müsse (vgl. Moltmann, Der Weg, 258).

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

261

nehmungen und Deutungen, bei der es sich um eine typische Darstellungsweise des Menschen zur Sicherung und Artikulierung eigens konstruierter Konzepte handelt67, die notwendig mit einer Perspektivierung des Versprachlichten durch den Sprecher einhergeht.68 Auch um eine möglichst große Objektivität bemühte faktuale sprachliche Wiedergaben, welche von der Allgemeinheit geteilte Aspekte einer Begebenheit thematisieren69, stellen die vieldimensionale Wirklichkeit des Dargestellten folglich niemals im Sinne eines vollendeten Abbildes ihrer ontischen Realität dar70, sondern sind notwendig unvollständig und perspektiviert. Weil dementsprechend alle Aussagen, die über die Kategorien der Wirklichkeit, der Geschichte oder des Möglichen getroffen werden könnten, bereits individuelle Interpretationen ebendieser sind, wird mitunter sogar darauf rückgeschlossen, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass es eine objektive und somit vom jeweiligen Beobachtenden gänzlich unabhängige Wirklichkeit als solche gebe.71 Die in einer Gesellschaft verbreiteten und nahezu konsensuell geteilten Vorstellungen der besagten Kategorien, welche sich folglich in geläufigen Rationa-

67

Vgl. Vielhaber, Ostern, 4. Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 123 f., mit Verweis auf Lorenz, Konstruktion der Vergangenheit, 28 ff. Dass jede Versprachlichung mit einer perspektivischen Brechung einhergeht und die Wirklichkeit nie umfassend und vollkommen abzubilden vermag, veranschaulicht Rovelli mit Verweis auf das (in der Grammatik diverser Sprachen verankerte) Grundprinzip der Verbkonjunktion in den verschiedenen Tempusformen, die an den Kategorien der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft orientiert sind. Dieses Grundprinzip werde der Komplexität der „realen Zeitstruktur der Welt“ (Rovelli, Die Ordnung, 96) allerdings unmöglich gerecht, da durch die von ihm eröffneten sprachlichen Operationsmöglichkeit nicht ausgedrückt werden könne, dass sich ein Geschehen relativ zum Sprecher oder auch zu einer anderen Begebenheit ereignet hat, wie dies in der erfahrbaren Wirklichkeit bekanntlich stets auch der Fall sei (vgl. ebd.). 69 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 124. 70 Vgl. Lampe, Der Modellfall Auferstehung, 1. 71 Vgl. Vielhaber, Ostern, 4. Grabes schließt aus dieser Konstruktivität, Komplexität und mangelnden Erfassbarkeit der (geschichtlich verfassten) Wirklichkeit, dass diese gerade nicht – wie mitunter durch die reflektierte Rationalität nahegelegt wird – anhand bestimmter Kriterien umfassend untersucht und sogar festgestellt werden könne, sondern im Gegenteil immer genau das als wirklich und real bezeichnet werden müsse, „was ,man‘ dafür hält“ (Grabes, Fiktion – Realismus – Ästhetik, 65). Als Maßstab, an dem die Wirklichkeit und die Realität eines Ereignisses bemessen werden, fungieren hier entsprechend keine Korrelationsaxiome oder die Vorfindlichkeit von Analogien im Sinne Troeltschs, sondern die dem Ereignis von den jeweiligen Beurteilenden (wegen seinen konkreten Eigenschaften zugesprochene) Realität (vgl. a.a.O., 65 f.). Die fraglos nur wenig konkrete und einen großen Interpretationsspielraum eröffnende Realitätsdefinition Grabes birgt nun zweifellos die Gefahr der Beliebigkeit der jeweils aus ihr resultierenden, nur noch schwer vergleichbaren Realitätszuschreibungen, verdeutlicht aber eindrücklich, dass die Historizitäts- und Realitätsimplikationen der neuzeitlich-rationalistischen Rationalität (vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320) keineswegs so zwingend und gesellschaftlich konsensuell geteilt sind, wie es durch ihre Vertreter suggeriert wird. 68

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Teil III: Eigene Deutung

litäten wiederfinden, beschreiben entsprechend nicht die Wirklichkeit, die Geschichte oder das Mögliche als solche, sondern resultieren lediglich aus den Angleichungen der subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen vieler Menschen und sind entsprechend zeitgebunden und schon deshalb immer nur vorläufig.72 Sie geben eine nur äußerst selektive und begrenzte Auskunft über die Charakteristika und die Natur des durch sie Bezeichneten.73 Entsprechend kann jeder Absolutheitsanspruch, wie er dann vorliegt, wenn versucht wird, anhand des besagten, vorläufigen Wirklichkeitsverständnisses die Möglichkeit, Geschichtlichkeit oder Wirklichkeit eines Ereignisses letztgültig zu bestimmen, grundlegend zurückgewiesen werden.74 Ob und inwieweit man die (durch die beschriebenen Angleichungsprozesse entstehenden) Definitionen und Prämissen (wie die troeltschen Axiome) als tragfähig beurteilen und teilen kann, hängt wiederum von den je eigenen Wahrnehmungen, Voreingenommenheiten und Implikationen hinsichtlich des zu definierenden Gegenstandes sowie von den je eigenen Konstruktionsprozessen ab. Nicht unerwähnt bleiben soll zudem, dass neben den angesprochenen, individuellen Einflussfaktoren auch überindividuelle, kulturell geteilte, aber ebenfalls immer nur vorläufige und wandelbare Faktoren – wie der der bestehenden Gesellschaftsordnung75 – einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Konstruktion und Definition der in einer Gesellschaft verbreiteten Vorstellungen nimmt76, weshalb eine pauschalisierende Reduktion der Wirklichkeit, des Möglichen oder der Geschichte auf das, was etwa Europäer im Jahr 2023 für ebensolches und ebensolche halten77, sich ganz offenkundig verbietet.

72

Vgl. Vielhaber, Ostern, 5. Vgl. Rovelli, Die Ordnung, 95. Dass die Frage nach der Wirklichkeit eines Ereignisses den dargestellten Erwägungen entsprechend in erster Linie eine semantische Fragestellung sei, veranschaulicht Rovelli am Beispiel der Fragen danach, „,was existiert‘ und ,was real ist‘“ (ebd.), deren Beantwortung seines Erachtens lediglich auf die jeweilige Nutzung des genannten Verbes beziehungsweise Adjektivs rückschließen lasse (vgl. ebd.). 74 Vgl. ebd. 75 Vgl. Grabes, Fiktion – Realismus – Ästhetik, 65. 76 Dass neben den besagten, individuellen auch gesellschaftlich geteilte Faktoren einen Einfluss auf die von allen Menschen vorgenommenen kognitiven Konstruktionsprozesse nehmen, wird nach Ansicht Grabes beispielsweise darin ersichtlich, dass Realitätskonstruktionen von Individuen immer auch durch ihre Orientierung an jener „intersubjektiv akzeptierten Norm“ (a.a.O., 66) geprägt werden, die zu befolgen sie durch gesellschaftliche Konventionen und durch das in unserer Gesellschaft verbreitete Erziehungssystem erlernen (vgl. ebd.). Grabes beurteilt diese Norm als derart zwingend, dass sie sogar über „sogenannte ,allgemeingültige‘ Erfahrungen hinaus und ungeachtet irgendwelcher Wahrheitsfragen“ (ebd.) gültig sei, worin er in der Tradition Bultmanns und dessen Erwägungen in Bezug auf den modernen Menschen zu stehen scheint. Offenbar verkennt er hier allerdings die nicht zu unterschätzende Relevanz und Wirkmächtigkeit individueller Vorannahmen und Wahrnehmungen, welche etwa Barth, Moltmann und Ringleben dazu veranlassten, umfangreiche Neuperspektivierungen des gegebenen Geschichtsbegriffs vorzunehmen. 77 Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 64. Ferner ist mit Rückverweis auf die 73

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

263

Reflektieren wir diese Erwägungen, so zeigt sich, dass auch die skizzierten erkenntnistheoretischen Erwägungen den Eindruck nahelegen, dass die komplexe, uns umgebende Wirklichkeit nicht einseitig anhand (Beurteilungshoheit und Allgemeingültigkeit beanspruchender, natur- und/oder geschichtswissenschaftlicher) Axiome gedeutet werden kann, wie dies faktisch mit zunehmender Verbreitung der analytisch-rationalistischen Rationalität78 hinsichtlich der in ihr grundgelegten Axiome suggeriert wird, da es sich bei diesen lediglich um zeitgebundene, im gegenwärtigen Kontext funktionale Konstrukte handelt, die aus Abgleichprozessen diverser individueller, perspektivisch gebrochener Wahrnehmungen resultieren. Aus dieser Einsicht erwächst – wie auch aus den angeführten naturwissenschaftlichen Erwägungen – die Erkenntnis, dass die im Auferstehungsdiskurs thematisierten, noch vor allen theologischen Reflexionen bereits in der vorausgesetzten Rationalität begründeten Betonungen der vermeintlichen Unmöglichkeit eines göttlichen Handelns in unserer Welt79 sowie die pauschalen Charakterisierungen einer Grableerwerdung als Resultat eines Handelns Gottes als unmöglich, ungeschichtlich und absurd nicht angemessen sein können. Logischerweise geht diese Einsicht wiederum nicht zwingend mit der neutestamentlich nahegelegten Vorstellung einher, dass Jesus seine Grabstätte in einer neuen, pneumatischen Leiblichkeit verlassen hat80; sie ermöglicht es jedoch, dieses Konzept nicht pauschal und bereits vor einer Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsgegenstand auszuschließen, und berücksichtigt den Umstand, dass die Mehrdimensionalität der Welt und ihrer (geschichtlich verfassten) Wirklichkeit mit den begrenzten, höchst subjektiven, menschlichen Erkenntnismöglichkeiten nicht zureichend erfasst und gedeutet werden kann.

Ausführungen Moltmanns darauf hinzuweisen, dass die meisten Konstruktionen der Wirklichkeit – so betont auch Vorholt – ausschließlich die Kategorie der Menschheit einbeziehen, um die Einheit darzustellen, die aus den von Menschen als solche erfahrenen und als historisch beurteilten Erfahrung und dem nicht näher definierten „inneren Zusammenhang aller Geschichte“ (Vorholt, Osterevangelium, 91) gebildet werde. Daraus folgt, dass alle von Menschen als historisch beurteilten Erfahrungen ausschließlich im Kontext „aller möglichen Zeiterfahrung des Menschen“ (ebd.) verortet werden und weitere relevante Kategorien, wie etwa die der Natur (als der Mitschöpfung), nicht hinlänglich oder überhaupt berücksichtigt werden. 78 Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 79 Vgl. Göcke u. Schneider, Konflikt, 21. 80 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 162.

264

Teil III: Eigene Deutung

III.1.2 Die theologische Notwendigkeit, Geschichte neu zu denken „Man kann ja nie wissen, ob Gott in einer Geschichte ist, ehe man sie auch ganz beendet hat. Denn wenn auch nur noch zwei Worte fehlen sollten, ja selbst, wenn nur noch die Pause hinter dem letzten Worte der Erzählung aussteht: Er kann immer noch kommen.“81

Im Anschluss an die gewonnenen Erkenntnisse, dass eine Beurteilung des Geschichtsbezuges eines Ereignisses, die einzig anhand von analytisch-rationalistischen Rationalitäten82 und ihren Maßstäben erfolgt, angesichts der Mehrdimensionalität der Wirklichkeit als nicht ausreichend beurteilt werden muss und dass ferner nicht ausschließlich messbaren und/oder grundsätzlich wiederholbaren Vorgängen Realität zugesprochen werden kann83, erfolgt nun eine ergänzende systematisch-theologische Reflexion dieser Einsichten. Diese wird grundsätzlich ausgehend von einer theologischen Weltsicht und -deutung vollzogen, welche die Welt und die Geschichte als von der göttlichen Providenz durchdrungen versteht und die ein göttliches Wirken innerhalb der Geschichte schon daher nicht kategorial ausschließt. Ein derartiges Verständnis einer von der göttlichen Providenz durchdrungenen Weltgeschichte findet sich etwa bei Karl Barth, der (wie im Kapitel II.3.1 angeklungen) grundlegend voraussetzt, dass es sich bei unserem Kosmos nicht nur um eine (anhand seiner empirisch erfassbaren Eigenschaften) physikalisch beschreibbare Größe, sondern um die zu jeder Zeit „gute und in ihrer Güte keineswegs beraubte [...], sondern herrlich wie am ersten Tag existierende Schöpfung Gottes“84 handele, die in all ihrer Vielfalt und mit all ihren Möglichkeiten85 nicht durch innerweltliche Erkenntnisbemühungen vollends erfasst werden könne. Gott selbst sei ferner als der zweifel- und bedingungslos über alles Regierende86 zu bezeichnen, weshalb eine exklusive Orientierung an vermeintlich allumfassenden und für allgemeingültig gehaltenen Rationalitäten sowie an den ihnen zugrundeliegenden Implikationen zur Ermittlung der Geschichtsbezüge und der Realität von Ereignissen zu kurz greift, da durch eine solche die grundsätzliche Möglichkeit göttlichen Handelns an der Welt unbeachtet bleibt.

81

Rilke, Geschichten vom lieben Gott, 325, zitiert nach Ringleben, Der lebendige Gott,

953. 82

Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. Vgl. Alkier, Die Realität, 207. 84 Barth, KD IV/3, 796. 85 Vgl. ebd. 86 Vgl. a.a.O., 795. 83

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

265

Als Resultate eines derartigen göttlichen Handelns in und an der Welt und ihrer Geschichte können – wie in Kapitel II.3.1.b erläutert – nach Ansicht Barths etwa die Auferstehungsereignisse verstanden werden, welche von einer „Beziehung der Geschichte zur Transzendenz, zum Übergeschichtlichen [und …] zur pneumatisierten Ordnung“87 zeugen, die ferner die „geschlossene immanente Kausalität“88 übersteigen und die – erneut gesprochen mit Alkier – die dem Faktischen innewohnende Logik geradezu durchbrechen, indem sie etwas Kontigentes, Neuartiges, keine Analogien aufweisendes und somit Einmaliges erkennbar werden lassen, das bereits gegenwärtig alle Realität verändert.89 Dass entgegen diesen Überlegungen nach wie vor an der dargestellten, einseitigen Orientierung an der thematisierten Rationalität und an ihren (mitunter nachweislich überholten) Prämissen festgehalten wird, liege – den hier angestellten Erwägungen zufolge – nicht nur in ihrer Funktionalität in Bezug auf die Vereinfachung der überkomplexen, uns umgebenden Wirklichkeit und in der grundsätzlichen Diesseitsorientierung sowie in der „neuzeitliche[n] Skepsis der Vernunft gegenüber dem Nichterfahrbaren“90 begründet, sondern auch in der (die menschliche Konstitution grundlegend beeinflussenden) Konfusion, welche das Weltgeschehen nach Ansicht Barths als eine allumfassende, weltgeschichtliche Verwirrung signifikant präge.91 Wirksam werde diese Konfusion durch die „Verneinung der guten Schöpfung Gottes“92 und durch die Vermischung der Wahrnehmung und Erfahrung derselben mit schöpfungsverneinenden Aspekten und Handlungen. Ebensolche werden etwa dann vollzogen, wenn zwar prinzipiell auf eine Erlösung der Welt und des Menschen durch Gott gehofft wird, aber die Möglichkeit einer solchen als ein Geschehen in und an der Welt, das in ihre (von Menschen erfahrbare) Geschichte hineinragt, zugleich aufgrund weltbildhaft geprägter Vorentscheidungen negiert wird, was die Macht Gottes in Zweifel zieht und relativiert. Die durch die göttliche, bedingungslose Liebe bewirkte und begründete Erlösung, welche gänzlich von der göttlichen, allgegenwärtigen Providenz zeuge, kann hier folglich nicht als solche wahrgenommen werden, sondern wird aufgrund der menschlichen Konfusion verkannt und missverstanden, durch die der Mensch dazu bewegt werde, sie mit seinen (der Verwirrung unterliegenden) Alltagserfahrungen in Einklang zu bringen, was notwendig scheitern müsse, da die Erlösung wesenhaft keine Übereinstimmungen93 mit den konfusen Mechanismen und Prinzipien der sündigen Welt aufweise.

87

Munteanu, Die universale Bedeutung, 137. Ebd. 89 Vgl. Alkier, Realität, 222. 90 Wintzer, Auferstehung III, 540. 91 Vgl. Barth, KD IV/3, 795. Bei Interesse an der barthschen Konzeption („hominum confusione et Dei providentia (Helvetia) regitur“ [a.a.O., 793]) sei auf seine ausführliche Darstellung ebendieser in der Zweiten Hälfte der KD IV/3 (vgl. insbesondere 793–811) verwiesen. 92 A.a.O., 796. 93 Vgl. a.a.O., 796 f. 88

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Teil III: Eigene Deutung

Aufgrund der massiven gesamtmenschheitlichen Verbreitung dieser Vermischung der Wahrnehmung der göttlichen Providenz mit den Annahmen, die aus der (mit ihr nicht zu vereinbaren) Konfusion erwachsen94, kann im Sinne meiner Teilthese rückgeschlossen werden, dass es der sündigen, durch das machtvolle Prinzip der Konfusion beeinflussten Natur des Menschen entspricht, ausschließlich das als wirklich zu beurteilen, was ausgehend von der reflektierten Rationalität als Wirklichkeit ausweisbar ist, da eine derart vollzogene Zuschreibung auf den von den Menschen selbst generierten, nicht minder verwirrten Gesetzmäßigkeiten beruht und kein Vertrauen auf die göttliche Providenz erforderlich macht. Dieser Eindruck wird dadurch bestätigt, dass die skizzierten Vermischungstendenzen nicht erst als ein zeitbedingtes Phänomen bei den modernen, aufgeklärten Menschen auftreten, die die neutestamentliche Rede von der leiblichen Auferstehung vermeintlich nicht länger nachvollziehen können und sich daher von jenen Sprach- und Denkbildern distanzieren, die der (ihr Denken prägenden) neuzeitlichen Rationalität95 widersprechen, sondern dass sie bereits bei Jesu Zeitgenossen und sogar bei seinen eigenen Anhängern erkennbar waren.96 Ersichtlich wird dies daran, dass seine Auferstehung bereits zur Zeit der ersten Christen, in der die Vorstellung einer solchen (im Gegensatz zur heutigen Zeit) nicht per se als absolut unmöglich galt, nicht selten als unglaubwürdig beurteilt wurde97 oder sogar – im Sinne des hohepriesterlichen Betruges der matthäischen Grableerfindungsperikope – als durch die Jünger inszenierte Täuschung gedeutet wurde. Dieses zeugt ebenfalls von der skizzierten Einflussnahme der Konfusion, die ein von Misstrauen und Zweifeln befreites Erkennen und Annehmen der den Menschen zuteilgewordenen Erlösung beeinträchtigt.98 Mit diesen Thesen soll zwar – dies sei ausdrücklich betont – keineswegs suggeriert werden, dass Interpretationsversuche, die sich vom Konzept eines Auferweckungshandelns Gottes in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassba-

94

Vgl. ebd. Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 96 Vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 2. 97 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 285. 98 In ähnlicher Weise findet sich auch in den exegetischen Wissenschaften nicht erst in der Neuzeit die Tendenz zur Distanzierung von der neutestamentlichen Vorstellung eines in die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension der Wirklichkeit hineinragenden Auferweckungshandelns Gottes. Im Gegenteil wurde sie bereits von Beginn an unter Zuhilfenahme verschiedener Methoden und Argumente vollzogen (vgl. Wilckens, Theologie I/I, 26), was ebenfalls auf eine (in der Grundkonstitution des Menschen verankerte) Fokussierung auf die von ihm selbst erfassbaren und nachvollziehbaren Wahrnehmungen und Erkenntnisse im Rahmen seiner Wirklichkeitskonstruktionen hinzuweisen scheint. Der Umstand, dass mit der Verbreitung der verhandelten Rationalität (vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320) eine Verschärfung dieser Tendenz festzustellen ist, vermag diese Einsicht nicht zu relativieren, da die besagte Rationalität sie augenscheinlich nicht begründete, sondern lediglich bereits existente (auf die besagte Grundkonstitution zurückzuführende) Prämissen sagbar und diskursfähig machte. 95

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

267

ren Dimension der Geschichte distanzieren, auf den Einfluss der Konfusion zurückzuführen seien, wohl aber soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass Interpreten, die die Allmacht und die bedingungslose, geschichtsdurchwaltende Liebe Gottes nicht ernster als ihre je eigenen Gedanken und Überlegungen nehmen99, stets Gefahr laufen, das ihnen Zugesagte mit diesen zu vermischen. Dass bereits die Konstitution der geschichtlich verfassten Welt eine ausschließliche Orientierung an der analytischen Rationalität der Neuzeit100 hinsichtlich ihrer Wahrnehmung und Deutung sowie hinsichtlich der Zuschreibungen von Wirklichkeit, Möglichkeit und Geschichtlichkeit aus theologischer Perspektive fraglich werden lässt, wird allerdings nicht nur durch die erläuterten, barthschen Vorstellungen nahegelegt, sondern wird auch durch weitere Züge eines christlichen Weltverständnisses in der hier vorausgesetzten Form bestätigt. Hinsichtlich jeder Beurteilung, Definition und Zuschreibung von Geschichtlichkeit bleibe so – nach Ansicht vieler Theologen – die in diesem Weltverständnis verankerte Vorstellung zu berücksichtigen, dass sich durch das Eintreten Gottes in die Zeit und insbesondere durch das ganz neue Ereignis der Auferstehung Jesu hinein in die von Menschen erfahrbare Geschichte101, in der schon „in der Zeit das Ziel aller Zeiten sichtbar geworden ist“102, eine elementare Veränderung und Neuqualifikation der Kategorien der Zeit und der Geschichte vollzogen habe, welche Kiauka als „Wende der Zeit“103 bezeichnet. Diese zeichne sich dadurch aus, dass mit der Auferstehung als der realen (in ihrem Ansetzen bereits schon ihrer Erfüllung entgegengehenden) Verheißung dessen, dass die Geschichte in die gänzlich neuartige Wirklichkeit der göttlichen Ewigkeit hinein aufgehoben wurde104, zugleich auch etwas Neues innerhalb der Geschichte hervortrete, durch welches die gesamte „in sich gefügte Naturordnung“105 einen Umsturz erlebe. Wie im Zusammenhang mit der Konzeption Moltmanns skizziert wurde, äußere sich diese Aufhebung der Geschichte wiederum darin, dass die zwingend gegebene Abfolge und die vermeintlich irreversible Abgeschlossenheit der Zeitmodi der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft überwunden werden106, wenngleich dieser Umstand – gemäß seinem Charakter als Erscheinung der neuen, eschatologischen Wirklichkeit – noch nicht allgemein erkennbar ist, da auch 99

Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 35. Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 101 Vgl. Greshake, Theologiegeschichtliche und Systematische Untersuchung, 348. 102 Kiauka, Zeit und Theologie, 36 u. vgl. Munteanu, Die universale Bedeutung, 137. 103 Kiauka, Zeit und Theologie, 37. Munteanu konkretisiert diese „Wende der Zeit“ (ebd.) näher, indem er beschreibt, dass sie – und mit ihr auch die Geschichte als solche mitsamt all ihrer komplex miteinander verknüpften Dimensionen – durch Gott „auf die höhere Ordnung des unvergänglichen Lebens“ (Munteanu, Die universale Bedeutung, 137) hin orientiert werde und dieser somit bereits damit begonnen habe, sie „auf die Ebene des Übergeschichtlichen“ (ebd.) zu heben. 104 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 87. 105 Greshake, Theologiegeschichtliche und Systematische Untersuchung, 348. 106 Vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 36. 100

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Teil III: Eigene Deutung

diese sich noch nicht gänzlich und definitiv durchgesetzt habe107, sondern sich im Kommen und Werden befinde. Moltmann verweist – wie im Kapitel II.3.2.c dargestellt – hinsichtlich dieser nun doch eigensinnigen Verschränkung der Vergangenheit mit der Zukunft auf die sich aus ihr ergebende Umkehrung der geläufigen, im Alltagsbewusstsein fest verankerten Zeitrichtung samt ihrer „Zukunftsoffenheit und Zukunftsträchtigkeit der Vergangenheit“108 sowie auf die (mit ihr einhergehende und sich aus ihr ergebende) Hoffnung auf eine „Zukunft für die Vergangenen.“109 Die je als solche erfahrene Gegenwart sei (ihrer durch die Auferstehungsereignisse erworbenen eschatologischen Qualität entsprechend) ferner – wie wiederum Pannenberg ausführlich darstellt – durch Gottes Zukunft bestimmt und befinde sich aus diesem Grund „in der Bewegung immer erneuter Verwandlung“.110 Dass auch derartige Vorstellungen der Konstitution der Welt und ihrer Geschichte in nicht zu vereinbarender Weise von dem durch die analytisch-rationalistische Rationalität111 nahegelegten Geschichtsverständnis abweichen, dürfte augenfällig geworden sein.112 107

Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 87. Moltmann, Der Weg. 261 f. 109 Ebd. 110 Pannenberg, Grundfragen, 155. 111 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 112 Nicht unerwähnt bleiben soll, dass nicht nur das angesprochene (biblische) Verständnis der Welt und ihrer geschichtlichen Verfasstheit maßgeblich von den in der reflektierten Rationalität grundgelegten Vorstellungen abweicht, sondern auch die ihm entsprechenden, innerlichen Zeiterfahrungen der Christen sich erheblich von konventionellen (einseitig an der reflektierten Rationalität orientierten) Zeiterfahrungen unterscheiden (vgl. Achtner, Kunz u. Walter, Dimensionen, 163). Dies sei darin zu begründen, dass jene, die die sie umgebende Wirklichkeit und Welt (im Sinne Moltmanns oder Ringlebens) ausgehend vom alle Realität verändernden Auferstehungsgeschehen wahrnehmen, mitunter im Glauben Anteil an jener „Verzeitlichung des Ewigen im Irdischen“ (ebd.) nehmen, die sich in Christus ereignet habe, und so, ungeachtet der „Vorläufigkeit und geschichtlichen Relativität alles Denkens“ (Pannenberg, Grundfragen, 157 f.), punktuell bereits die neue Schöpfung erfahren können, die inmitten unserer alten Welt verortet ist, welche durch sie nun aber „unwiderruflich veraltet [ist]“ (Achtner, Kunz, u. Walter, Dimensionen, 162). Dieses führe – mit Ringleben gesprochen – wiederum dazu, dass sie einen ausschnitthaften Eindruck von der „neue[n] Wirklichkeit schlechthin“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 88) und somit von der „Wahrheit aller Wirklichkeit“ (ebd.) gewinnen können und diese nicht länger einseitig im Sinne der reflektierten Rationalität betrachten müssen, sondern sie vielmehr als vom göttlichen Kommen sowie von der göttlichen Nähe und Liebe durchdrungen erfahren können, wie sie sich in Jesu Auferstehung bereits „eschatologisch manifestiert“ (ebd.). Wie in Kapitel III.3.2.d thematisiert, kann eine derartige Wahrnehmung nun wiederum einen erheblichen Einfluss auf die eigene Zeit- und Welterfahrung nehmen. Anm.: Die „geschichtlich[e] Relativität alles Denkens“ (Pannenberg, Grundfragen, 157 f.) scheint den dargestellten Umstand zu beschreiben, dass jedes Denken notwendig perspektivisch und in Abhängigkeit von den verschiedenen (auch kulturellen und zeitgeschichtlichen) Hintergründen der jeweils Denkenden gebrochen ist und dass somit kein Anspruch auf eine umfassende, letztgültige Geltung oder auf eine absolute und unzweifelhafte Richtigkeit der je eigenen Erkenntnisbemühungen erhoben werden kann. 108

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

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Auch diese Erwägungen bestätigen somit die Einsicht, dass eine einseitige, ihre Geltung überbetonende Fokussierung auf die neuzeitliche Rationalität113 innerhalb theologischer Erkenntnisbemühungen (und insbesondere auch im Zuge von Untersuchungen der Geschichtsbezüge verschiedener Begebenheiten) nicht angemessen sein kann, zumal sie meist nicht ausschließlich auf rationalen, an Effektivität und Funktionalität orientierten Erwägungen beruht, sondern auch durch diverse (naturwissenschaftliche, erkenntnistheoretische und theologische) Vorentscheidungen der jeweiligen Interpreten sowie durch die Einflussnahme der Konfusion mehr oder weniger stark nahegelegt wird. Diese Einsicht lädt zu einer kritischen Reflexion des dargestellten, im Diskurs verbreiteten interpretatorischen Vorgehens ein, welche bereits mit Blick auf die aus ihm resultierenden, problematisierten, weil offenkundig defizitären Deutungen – hier konkret: die Deutung der Grableerfindung als Zeichen der/für die Auferstehung – ratsam ist. Darüber hinaus ist sie aus systematisch-theologischer Perspektive auch deshalb relevant, da die (innerhalb des besagten Vorgehens verbreitete) pauschale Relativierung oder sogar Negation der Wirkmächtigkeit und der Handlungsmöglichkeiten Gottes in Bezug auf die Geschichte, wie sie in der neutestamentlichen Rede von der Grableerwerdung vorausgesetzt werden, von der grundlegenden Problematik dessen zeugt, dass Gottes Status als Schöpfer, Herr und Regent der Geschichte114 nicht länger wahrgenommen wird, wenngleich es sich bei diesem um eine relevante Facette seines selbstoffenbarten Daseins zu handeln scheint.115 113

Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. Vgl. etwa Barth, KD IV/1, 344–349 u. KD IV/3, 793–811 (insbesondere 795–802). 115 Theologisch begründet wird eine derartige Negation der Wirkmächtigkeit Gottes, wie sie durch die Möglichkeits-, Historizitäts- und Realitätsimplikationen der analytisch-rationalistischen Rationalität nahelegt wird (vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320 u. Vorholt, Osterevangelium, 332, mit Verweis auf Essen, Historische Vernunft, 316), zumeist mit Verweis darauf, dass Gott an der Beständigkeit seiner (von ihm geschaffenen) Daseinsordnung festhalte und somit nicht in den Lauf der Welt eingreife, weshalb nicht von wunderhaften oder/und supranaturalen Ereignissen ausgegangen werden könne, durch welche die der Welt durch ihren Schöpfer gegebene Ordnung und ihre Prinzipien durchbrochen werden (vgl. Rössler, Argumente, 22). Ergänzend wird oft darauf hingewiesen, dass die Annahme eines Einwirkens Gottes auf die empirisch-geschichtswissenschaftliche Dimension der Geschichte ihn „in seiner welttranszendierenden Kreativität“ (Alkier, Die Realität, 235) unrechtmäßigerweise zu einem „raumzeitlich gebundenen Objekt“ (ebd.) mache und ferner – wie erläutert – die Entstehung einer „Schizophrenie der Christen in der modernen Welt“ (Moltmann, Der Weg, 252) begünstigen würde. Dass derartige Ansätze nicht nur aus systematisch-theologischer Perspektive kritikwürdig sind, sondern auch im klaren Widerspruch zum biblischen Verständnis der Wirklichkeit stehen (vgl. Vorholt, Osterevangelium, 26), da dieses von einem Glauben an die Möglichkeit eines Wirkens Gottes in der Geschichte zeugt (vgl. a.a.O., 325) und diese samt ihrer empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension, in welcher Jesus lebt(e) und wirkt(e), in der Bibel als die Geschichte des Heilshandelns Gottes charakterisiert wird (vgl. a.a.O., 26), klang an verschiedener Stelle an. Verwiesen sei – neben einer Erinnerung an die Einsicht, dass die Komplexität Gottes sowie seine Handlungsmöglichkeiten nicht ausgehend 114

270

Teil III: Eigene Deutung

Betrachten wir diese Erwägungen, so erkennen wir, dass die reflektierten (in der neuzeitlichen Rationalität116 verankerten und durch sie nahegelegten) Prämissen, wie etwa die der Geschlossenheit der (geschichtlich verfassten) Wirklichkeit und die der mit ihr einhergehenden Unmöglichkeit eines Einwirkens Gottes in die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Geschichte, nicht nur daher kritisch zu reflektieren sind, weil sie – These I – die Entstehung der Vorstellung eines unsachgemäßen Antagonismus von Theologie und Naturwissenschaften begünstigen, da sie die Komplexität, Mehrdimensionalität und Vielseitigkeit der Wirklichkeit nicht angemessen berücksichtigen und da sie einen entsprechend fraglichen und unbegründeten Geltungsanspruch erheben, sondern auch, weil sie – These II – die Komplexität und Unverfügbarkeit Gottes sowie die Konstitution seiner Schöpfung (im Spannungsverhältnis von Providenz und Konfusion) unbeachtet lassen. Anhand vielfältiger Argumente konnten somit Grenzen einer ausschließlich an der analytischen Rationalität117 orientierten Interpretation sowie einige blinde Flecke ebendieser aufgezeigt werden, wobei selbstredend gerade der Umstand hervorzuheben ist, dass sie lediglich die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension der Wirklichkeit tangieren kann, was angesichts der Mehrdimensionalität ebendieser einer Reduktion gleichkommt. Dies spiegelte sich im problematisierten Deutungsansatz der Grableerfindung als Zeichen der/für die Auferstehung wider, welcher – wie in Kapitel II.5 erläutert – meist zu äußerst vagen, wenig aussagekräftigen Interpretationen führt, die sich negativ auf die Sprachfähigkeit der christlichen Theologie in Bezug auf den verhandelten Gegenstand auswirken, da sie wesentliche Dimensionen nicht angemessen oder überhaupt berücksichtigen, was – vor allen theologischen Erwägungen – in der exklusiven Orientierung an der angesprochenen Rationalität begründet liegt. Diese sowie die sich aus ihr ergebenden Ansätze, welche kritikwürdig und keineswegs alternativlos sind, scheinen dabei aus einem verbreiteten Bedürfnis nach Vereindeutigung und Vereinfachung zu resultieren, welches durch sie jedoch nur vermeintlich befriedigt werden kann, da sie eine Abtrennung der Untersuchungsgegenständen von ihren Plausibilisierungszusammenhängen –

davon betrachtet, verstanden oder gar beurteilt werden können, „was in der Welt wirklich ist und unter Menschen wirklich werden kann“ (Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 142), – etwa auf Pannenberg, der die Geschichte als „Wirklichkeit in ihrer Totalität“ (Pannenberg, Die Offenbarung Gottes, 13 f., zitiert nach Kiauka, Theologie und Zeit, 210) und somit – weil Gott die „alles bestimmende Wirklichkeit“ (ebd.) sei – als göttliches Wirken innerhalb seiner Schöpfung versteht (vgl. ebd.). Wir denken ferner an die von Ringleben herausgestellte, untrennbare Verbindung von menschlicher Zeit und göttlicher Ewigkeit (Kapitel II.3.3) und an die von diesem (sowie von Moltmann) vertretene These Tillichs, dass Gott über die Fähigkeit verfüge, die Vergangenheit, die für ihn im Unterschied zu uns keineswegs abgeschlossen sei, im Zuge der Erschaffung des erst noch Ausstehenden neu zu erschaffen (vgl. Tillich, Systematische Theologie I, 317, zitiert nach Ringleben, Der lebendige Gott, 931). 116 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 117 Vgl. ebd.

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

271

hier: von dem jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont – begünstigt, die wiederum zu einer Distanzierung von allen seinen als unlogisch oder unmöglich beurteilten Dimensionen führt, welche entsprechend sinnentleert und umperspektiviert werden müssen, sofern man sie nicht gänzlich zu verabschieden gedenkt. Die besagte, angestrebte Vereinfachung erfolgt somit im Sinne einer unsachgemäßen Verkürzung und Vereinseitigung des Gegenstandes, die seiner umfassenden Realität nicht gerecht wird und ganze Sinnkomponenten eliminiert, welche – wie an den Ausführungen Barths, Moltmanns und Ringlebens gezeigt – jedoch bereichernd sind und zu einer umfassenderen Wahrnehmung des Untersuchungsgegenstandes und der an ihn herangetragenen Fragestellungen führen können. Darüber hinaus hängt die problematisierte exklusive Orientierung an der besagten Rationalität offenbar mit dem (im Zusammenhang mit der Konzeption Bultmanns thematisierten) Bedürfnis danach zusammen, die für den modernen Menschen anstößigen Aspekte der christlichen Botschaft zu tilgen – obschon sie untrennbar zu ebendieser gehören –, da sie nicht als wertige und bereichernde Aspekte wahrgenommen werden, sondern – möglicherweise im Zusammenhang mit der allgemeinmenschlichen Konfusion – als störend, anmaßend und unmöglich beurteilt werden, weil sie nicht mit unseren (nicht minder konfusen) Weltwahrnehmungen in Einklang zu bringen sind. Große Teile der christlichen Botschaft werden auch daher trotz ihrer hoffnungsspendenden oder erkenntniserschließenden Potenziale in ihrer Geltung und Relevanz verkannt.

III.1.3 Die theologische Notwendigkeit, nach Geschichtsbezügen der Auferstehung zu fragen „Es geht schon um Geschichte. Alles hängt ja daran, dass eben diese Wendung von Gott her und für uns Menschen nicht nur als eine wahre Lehre […] vorgetragen wurde, sondern so geschah: im selben Raum und in derselben Zeit, die die aller Menschen sind.“118

Wie gezeigt wurde, distanzieren sich mehrere Theologen aus verschiedensten Gründen von der Notwendigkeit einer Untersuchung des (freilich unterschiedlich definierten) Geschichtsbezuges der Auferstehungsereignisse. Zu diesen Gründen zählt – wie erläutert – auch die Annahme, dass die Auferstehungsereignisse, die sich aus Gottes komplexer, überirdischer, menschlichen Erkenntnisbemühungen nicht zugänglicher Wirklichkeit heraus ereignen, grundsätzlich

118 Barth, KD IV/1, 272. Der Begriff der Geschichte beschreibt hier die Kategorie der Geschichte in ihrer Komplexität und Mehrdimensionalität im Sinne der Neuperspektivierung Barths, wobei der Fokus jedoch zweifellos auf ihre empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension gerichtet wurde.

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Teil III: Eigene Deutung

nicht ausgehend von geschichtswissenschaftlichen Rückfragen erfasst, erschlossen oder gar verifiziert werden können. Andere Theologen vertreten aufgrund weltanschaulicher Prägungen (durch die neuzeitliche Rationalität119) hingegen prinzipiell die Auffassung, dass Geschehnisse, wie die Leerwerdung eines Grabes als Resultat eines göttlichen Handelns, unmöglich seien, was meint, dass sie sich ihres Erachtens keinesfalls in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Wirklichkeit ereignet haben können. Dies macht eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach ihnen ebenfalls gegenstandslos und legt ein zeichenhaftes Verständnis der thematisierten neutestamentlichen Erzählungen beziehungsweise ihre Deutung als Legenden oder Sagen nahe.120 Im Rahmen derartiger Deutungen wird nicht selten herausgestellt, dass eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage auch deshalb nicht sinnvoll sei, da selbst eine positive Beantwortung der Frage nach dem Geschichtsbezug angesichts der per se bestehenden Mehrdeutigkeit eines leer vorgefundenen Grabes zu keinem nennenswerten Erkenntnisgewinn führen könne. Dies werde bereits anhand der Grableerfindungserzählungen ersichtlich, die davon zeugen, dass das leere Grab keinen Glauben zu erwecken vermochte und auch nicht als Beweis für die Auferstehung fungieren könne. Dass ein Großteil dieser Einschätzungen mit der Verbreitung der analytischrationalistischen Rationalität121 und mit der durch sie vorausgesetzten Distanzierung vom (neutestamentlich nahegelegten) jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont einherging, der die Notwendigkeit eines Geschichtsbezuges der Grableerwerdung voraussetzt, plausibilisiert und somit auch eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage nahelegt, dürfte deutlich geworden sein. Ergänzend kann darauf verwiesen werden, dass in Bezug auf den Textbestand der Grableerfindungserzählungen aus pragmatischen beziehungsweise methodischen Gesichtspunkten mitunter angeführt wird, dass diese zu unterschiedlich und einander zu stark widersprechend seien, als dass man ausgehend von ihnen eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage vornehmen könnte. All diese Argumente scheinen die Entstehung, Ausbreitung und Festigung des Relevanzverlusts einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage sowie die ihr zugrundeliegende Auffassung, dass eine solche nicht sinnvoll und ohnehin unmöglich sei122, zu begründen, zu bestätigen und zu stabilisieren. Dies spiegelt sich in 119

Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. Diesem Trend sah sich bereits von Campenhausen ausgesetzt, der hervorhebt, dass das auf die Ostergeschichten gerichtete Interesse sie zu überlagern drohe. Dies wiederum führe dazu, dass eine philologische Betrachtung, welche im Rahmen der Untersuchungen der gegebenen Quellen auch seines Erachtens „selbstverständlich das erste Wort hat und behalten muss“ (v. Campenhausen, Der Ablauf, 48) einseitig fokussiert werde, wie dies auch im gegenwärtigen Diskurs nicht selten der Fall ist, wohingegen die geschichtswissenschaftliche Rückfrage „nach dem wirklichen Ablauf und nach dem inneren Zusammenhang des Geschehens“ (ebd.) als nebensächlich beurteilt, nur noch sporadisch vollzogen und mitunter sogar belächelt werde (vgl. ebd.). 121 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 122 Wie gezeigt, liegen vereinzelt allerdings auch ganz spezifische theologische Prämissen 120

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

273

der dargestellten Tendenz wider, dass geschichtswissenschaftliche Rückfragen nach dem Zustand des Grabes (zunehmend) zugunsten des Vollzugs jener Interpretationen aufgegeben werden, die auf die Bedeutungskomponenten der Erzählungen fokussiert sind. Ein Festhalten an der Relevanz der Frage nach einem Geschichtsbezug wird angesichts dieser Überlegungen und Tendenzen höchst erklärungsbedürftig. Im Gegensatz zu vielen (die Geschichtsbezüge der Auferstehung thematisierenden) Arbeiten, welche die Relevanz einer geschichtswissenschaftlichen Untersuchung unbegründet voraussetzen123 oder sie angesichts der skizzierten Einwände nur unzureichend legitimieren, sei daher im Folgenden dargestellt, aus welchen Gründen auch angesichts der angeführten Erwägungen sowie angesichts der skizzierten Einwände an der Notwendigkeit einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage nach der Grableerfindung festgehalten werden kann und wie beziehungsweise zu welchem Zwecke eine solche durchzuführen ist. Zur Annäherung an diese Fragen möge man sich zunächst vergegenwärtigen, in welchem Verhältnis verschiedene Inhalte des christlichen Glaubens zur (auch empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der) Geschichte und zur geschichtlich verfassten Konstitution des Menschen stehen. Eine derartige Vergegenwärtigung zeigt, dass die meisten Gegenstände des christlichen Glaubens eine enge, facettenreiche und untrennbare Beziehung zu der vom Menschen wahrnehmbaren Geschichte und auch zu ihrer empirisch erfassbaren Dimension aufweisen, was dem erheblichen Relevanzverlust der Rückfrage nach den Geschichtsbezügen entgegensteht und ihn höchst fraglich erscheinen lässt. Diese besagte enge Beziehung wird keineswegs nur anhand des barthianischen Konzepts der Einflussnahme des Spannungsfeldes von menschlicher Konfusion und göttlicher Providenz auf die Konstitution (der Geschichte) des Menschen124 ersichtlich, sondern spiegelt sich bereits in verschiedensten neutestamentlichen und systematisch-theologischen Erwägungen in Bezug auf Gott, sein Dasein und

und Erklärungsmodelle vor, die die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage nach der neutestamentlichen Grableerfindung höchst zweifelhaft werden lassen. Zu diesen zählen die Grundannahme Kittels, dass eine derartige Rückfrage die Aussageabsicht der Erzählungen notwendig verfehle (vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, etwa 478 f.), und die Überzeugung Dalferths, dass der Leichnam schon aus theologischen Gründen zwingend die Dekompostierung erfuhr, was die Frage nach dem Zustand einer Grabstätte, in welcher dieser möglicherweise bestattet worden sein mag, gegenstandslos mache (vgl. Dalferth, Volles Grab). 123 Pannenberg stellt etwa heraus, dass die Notwendigkeit der Thematisierung des Geschichtsbezuges der Auferstehungsereignisse nicht argumentativ begründet werden müsse, da sie sich bereits logisch aus seiner Überzeugung ergebe, dass die biblische Rede von der Auferstehung als Behauptung zu verstehen sei und somit genau wie alle „Aussage[n], die ein Ereignis als in der Vergangenheit tatsächlich geschehen behaupte[n …]“ (Kendel, Die Historizität, S, 159), folglich auch „einen Anspruch auf Historizität impliziere“ (ebd.), der zu überprüfen sei. 124 Kapitel III.1.2.

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Teil III: Eigene Deutung

seine Eigenschaften wider. Ihm wird so ein (zu seinem ewigen Wesen zugehöriger) Gemeinschaftswille zugesprochen125, der sowohl auf die Menschen als auch auf ihre Geschichte bezogen sei126, die er „in sein Leben integriert – und immer schon integriert hat“127 und die entsprechend bereits von der Schöpfung als dem normativen Anfang der Geschichte an als umfassender und auch durch die menschliche Sünde keinesfalls verwirkter „Dialograhmen zwischen Gott und Mensch“128 zu denken sei. Im Gegensatz zum Kontext kosmologischer Mythologien wird Gott hier nun als innerhalb der Geschichte handelnd und ferner als sich durch sie offenbarend vorgestellt129 und somit gerade nicht als ausschließlich in abstrakter, unüberwindbarer Distanz zur geschichtlich konstituierten Welt und Wirklichkeit der Menschen stehender, allumfassend überlegener Schöpfer130 verstanden, sondern vielmehr als „Gott dieser Geschichte“131, der allein sie schon immer beherrsche.132 Dieses Verständnis spiegelt sich bereits in der ursprünglich alttestamentlichen Gottesbezeichnung des „Herr[n] der Geschichte und […] der Welt“133 wider, welcher über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft verfüge und seinen ganz einzigartigen Heilsplan verfolge, welcher sämtliche Völker berücksichtige und jedes unter ihnen „in einem gemeinsamen Zielpunkt der Geschichte zusammenführt.“134

125 Vgl. Kleffmann, Grundriß, 144. Rückverwiesen sei ganz allgemein auf die wesenhafte Verbindung von Zeit und Ewigkeit innerhalb Gottes, welche Ringleben – wie in Kapitel II.3.3 skizziert – hervorhebt, indem er erläutert, dass und inwiefern Gottes lebendige Ewigkeit stets im Zusammenhang mit der Kategorie der Zeit zu denken sei (vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 236). 126 Vgl. Kleffmann, Grundriß, 110. 127 A.a.O., 11. 128 Greshake, Das Verhältnis, 108. 129 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 475. 130 Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 144 u. siehe Pannenberg, Systematische Theologie II, 72 u. Greshake, Endzeit und Geschichte, 26. 131 Pannenberg, Grundfragen, 138. 132 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 72. 133 Goldberg, Zeit und Zeitlichkeit, 85. 134 A.a.O., 85 f. Die alttestamentliche Vorstellung von Gott als dem Herrn der Geschichte beruht auf der (vom mythische Deutungen der Welt hinter sich lassenden Volke Israels vertretenen und dem modernen, anthropozentrischen Geschichtsverständnis entgegenstehenden [vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 86 u. Pannenberg, Grundfragen, 40]) Annahme, dass der Sinn und die Zusammenhänge der geschichtswissenschaftlich erfassbaren Ereignisfolge stets in einem göttlichen Wirken innerhalb „der Kontingenz der Ereignisse“ (Pannenberg, Systematische Theologie II, 86) begründet liege. Der konkrete Ablauf der mehrdimensionalen Geschichte werde demnach also göttlich gelenkt, wenngleich auch menschliche Absichten und Handlungen „ihren Ort in der Geschichte“ (ebd.) haben. Die vorausgesetzte Lenkung der gesamten Geschichte mit all ihren Dimensionen durch Gott wird alttestamentlich etwa durch den Verweis darauf zum Ausdruck gebracht, dass verschiedene Völker als Werkzeuge zur Umsetzung der Ziele Gottes gedeutet werden (vgl. Goldberg, Zeit und Zeitlichkeit, 85). Zu diesen zählt die (auf die menschliche Geschichte mitsamt ihrer

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

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Das Heilshandeln Gottes wird somit nicht mit der Vorstellung seines „Ausstiegs aus der Geschichte“135 in Verbindung gebracht, sondern vielmehr in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte als dem Ort und Weg Gottes sowie seines Wirkens an und mit seinen Geschöpfen verortet.136 Dieser Verortung liegt wiederum nicht selten die (durch das göttliche Wort erschlossene und erst im Glauben wahrzunehmende) Vorstellung zugrunde137, dass Gott nicht nur im Rahmen seines Schöpfungshandelns im Anfang, als seinem „ursprüngliche[n] Eingreifen […] in den Ablauf menschlicher Zeit“138, in diese und somit auch in die menschliche Geschichte hineinwirke, sondern dass er vielmehr als der seiner Schöpfung handelnd Gegenwärtige139 gedacht werden empirisch-geschichtswissenschaftlichen Dimension abzielende) Realisierung der grundlegenden Verheißungen von Freiheit, Versöhnung, Heil und somit natürlich auch Frieden für unsere und in unserer Welt (vgl. Greshake, Endzeit und Geschichte, 26). Dem Volk Israel ist es somit gelungen, die wahrnehmbare Geschichte als ganz außerordentlichen Teil der Wirklichkeit zu verstehen (vgl. Pannenberg, Grundfragen, 27), in welchem Gott stets handelnd wirksam ist. Das Geschichtsbewusstsein Israels zeugt daher nicht nur von einem Interesse an der (die zukünftig erfüllte Verheißung enthaltenden) Vergangenheit (vgl. a.a.O., 37), sondern weist seit jeher augenscheinlich auch eine eschatologische Dimension auf (vgl. a.a.O., 28), da Israel gerade wegen der angesprochenen Verheißungen ungeachtet aller (in der empirisch erfassbaren Dimension der Geschichte zu verortenden, schon erfahrenen) Erfüllungen stets weitere, neue Erfüllungen erwartet. Der mit den Worten Pannenbergs paraphrasierte Einwand Bultmanns, dass der Gott des Alten Testaments nun gerade nicht als „Lenker der Weltgeschichte“ (ebd.) präsentiert werde, sondern vielmehr als der Lenker der Geschichte Israels, vermag dementgegen nicht zu überzeugen, da Gottes Wirkmacht auf die Geschichte in ihrer Gesamtheit bereits bei den Propheten keineswegs auf ebendiese beschränkt gewesen sei und Israel schon in der Urgeschichte des Jahwisten inmitten der Völkerwelt platziert wurde (vgl. ebd.). 135 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 92. 136 Vgl. ebd. Ganz im Gegenteil zur Vorstellung eines „Ausstiegs Gottes aus der Geschichte“ (ebd.) äußert sich seine Einflussnahme auf und sein Eintreten in die umfassenden „Korrelationszusammenhänge der Menschheitsgeschichte“ (Pannenberg, Grundfragen, 47) in seiner Inkarnation als seinem (in seiner Universalität, Endgültigkeit und Totalität vollzogenen) Eingehen „in die Wirklichkeit des Weltgeschehens […] der menschlichen Existenz“ (Barth, KD IV/3 [1], 347) in Jesus, durch welches seine Ewigkeit und sein ewiges Leben als solches in die Zeit eintraten und auf diese Weise geschichtlich wurden (vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 946 f.) – hat sich Gott hier doch vollkommen in die erfahrbare Geschichte samt ihrer Zeitlichkeit hineingegeben (vgl. Büchner, Außer Konkurrenz, 184). 137 Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 112. 138 Goldberg, Zeit und Zeitlichkeit, 91. 139 Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 117. Greshake beschreibt Gott in Anlehnung an seine Bezeichnung als den „Ganz-Anderen […] der Geschichte“ (Greshake, Endzeit und Geschichte, 26) als den „Ganz-Ändernde[n] in der Geschichte“ (ebd.). Nähere Charakterisierungen dieses Änderns der Geschichte fallen mitunter sehr unterschiedlich aus. Goldberg spricht etwa von einem Kanalisiertwerden ebendieser durch das Wort Gottes (vgl. Goldberg, Zeit und Zeitlichkeit, 97), wohingegen Pannenberg zu konkretisieren weiß, dass Gott deshalb in die Geschichte eingreife, um kontinuierlich begrenzend auf die „Folgen der Sünde und des Bösen“ (Kiauka, Zeit und Theologie, 164) einzuwirken und um das Böse stets von Neuem zum Guten werden zu lassen. Göcke und Schneider unterscheiden demgegenüber

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Teil III: Eigene Deutung

müsse140, als der er sich in der durch Menschen wahrnehmbaren Geschichte und Zeit erwiesen habe und noch erweise.141 Seine die Geschichte gestaltende und zuallererst geschichtsbildende Kraft142 sei nach Ansicht vieler Theologen ferner insbesondere im Christusgeschehen wirksam und erfahrbar gewesen143, im Zuge dessen er die Geschichte als solche hinsichtlich des Handelns Gottes grundsätzlicher zwischen verschiedenen Dimensionen ebendessen, wobei als Unterscheidungsmerkmale sowohl die jeweiligen Bezugsobjekte, auf welche sich das Handeln Gottes primär richtet, als auch die Form der Einwirkung Gottes fungieren (vgl. Göcke u. Schneider, Konflikt, 22, siehe auch a.a.O. 23–25). 140 Als Beispiel für Gottes Wirken in der von Menschen wahrnehmbaren und sie umgebenden Zeit könne so etwa sein seine Schöpfung erhaltendes Handeln bezeichnet werden, welches sich nicht primär durch einzelne Handlungen Gottes auszeichne, sondern vielmehr als grundlegendes Merkmal des Handelns Gottes an seiner Schöpfung zu denken sei (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 59). 141 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 311. 142 Vgl. a.a.O., 177. 143 Als das die menschliche Geschichte betreffende Wirken Gottes schlechthin wird von den meisten Theologen selbstverständlich die Auferweckung Jesu bezeichnet. Diese zeuge – sofern sie als ein Geschehen verstanden wird, das die Dimension der Geschichte tangiert – in unübersehbarer Weise von der untrennbaren Beziehung Gottes zu ebendieser; werde an ihr doch erkennbar, dass sich in der Geschichte – und somit eben gerade nicht in Gott selbst oder „irgendwo im Himmel“ (Barth, KD IV, 3 [1], 318) – sein Heilshandeln vollziehe und offenbar werde, was im Ergehen Jesu für die Menschen geschehen sei (vgl. ebd.). An einer derartigen zeitlichen und auch örtlichen Verortung der Auferstehung in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte (vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 204), wie sie bereits in den ältesten Traditionslinien und auch bei Paulus vorausgesetzt werde, werde etwa nach Ansicht Thomas’ erkennbar, dass ein Einbezug der Wirklichkeit der Menschen in die Auferstehungswirklichkeit passiv bereits von Beginn an vollzogen wurde (vgl. ebd. u. Schnelle, Theologie, 212). Schnelle schlussfolgert aus diesen Erkenntnissen im Sinne der konstruierten These, dass „die geschichtlichen Dimensionen der Auferstehung“ (Schnelle, Theologie, 212) im Rahmen ihrer Interpretation notwendig zu berücksichtigen seien, sofern der Interpret nicht hinter dem neutestamentlichen Befund zurückzubleiben beabsichtige (vgl. ebd.). Häufig wird in diesem Zusammenhang vor allem auf „die alte kerygmatische Formel“ (Nauck, Die Bedeutung, 248) und auch auf die paulinische Argumentation in 1 Kor 15 verwiesen, die davon zeugen, dass die ersten Christen die Auferstehung als eine einmalige, von verschiedenen Zeugen beglaubigte Gottestat an Jesus verstanden (vgl. ebd.), wodurch der Apostel nach Ansicht Naucks eine Relevanz der Geschichtsbezüge der Auferstehungsereignisse in Bezug auf den Glauben und die Verkündigung behaupte (vgl. a.a.O., 246). Ungeachtet dieser theologischen Implikationen ergibt sich die angesprochene Notwendigkeit einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage nach der Auferstehung etwa nach Ansicht Pannenbergs schon daraus, dass die Behauptung, „dass ein Ereignis zu bestimmter Zeit, an einem bestimmten Ort stattgefunden habe“ (Pannenberg, Die Auferstehung Jesu, 320, zitiert nach Lüdemann, Die Auferweckung, 13), sofern sie unter der Annahme erfolge, dass sie einer (durchaus auch kritischen) Überprüfung standhalte, einen Historizitätsanspruch im Sinne der Konzeption Pannenbergs aufweise (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 402) und entsprechend eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung herausfordere (vgl. Pannenberg, Die Auferstehung Jesu, 320, zitiert nach Lüdemann, Die Auferweckung, 13). Die Bezeugung der Auferstehung Jesu sei entsprechend als eine derartige Behauptung zu verstehen, da sie keinen „der menschlichen Geschichte in Raum und Zeit gänzlich transzen-

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mitsamt all ihrer Dimensionen zu ihrem Ziel führte144, was es ebenfalls zweifelhaft erscheinen lasse, ob und inwiefern es angemessen sein kann, Kernthemen des christlichen Glaubens ohne eine Rückfrage nach und eine Bezugnahme auf etwaige Geschichtsbezüge zu interpretieren. Über diese Erwägungen in Bezug auf christliche Gottesbilder hinaus weisen jedoch auch mannigfaltige weitere Aspekte der biblischen Bezeugungen und der aus ihnen gewonnenen theologischen Erkenntnisse unübersehbare Bezüge zur (von Menschen wahrnehmbaren) Geschichte auf. In Bezug auf das angesprochene Zum-Ziel-Bringen der Schöpfung und somit auch ihrer (auch empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren) Geschichte durch Gottes als eschatologisch zu charakterisierende Geschichtskraft145 kann etwa festgehalten werden, dass auch dieses in seiner biblisch bezeugten Form einen Geschichtsbezug aufweist, indem die von Menschen wahrnehmbare Geschichte als Gegenstand des endzeitlichen, göttlichen Erlösungs- und Befreiungshandelns benannt wird, deren Vollendung und Neuwerdung nicht als ein „Abbruch der Geschichte“146 vorgestellt wird, sondern in und an der von uns „Menschen verwalteten Geschichte“147 (als der „Vorgeschichte der lebendigen Ewigkeit denten Sachverhalt“ (Pannenberg, Systematische Theologie II, 402) beschreibe, sondern ein Ereignis, welches sich in der die Menschen umgebenden und von ihnen wahrnehmbaren Wirklichkeit vollzogen habe, wenngleich es zweifellos auch als „Ereignis des Übergangs […] in ein neues und unvergängliches Leben bei Gott“ (ebd.) wahrzunehmen sei. Anm.: Die exemplarische Darstellung der vorangestellten Argumente erfolgte der Vollständigkeit halber und kann im Sinne einer Skizzierung der Gegenposition der dieses Teilkapitel einleitenden Argumente verstanden werden, die gegen eine Notwendigkeit der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage ins Feld geführt werden. Sie soll und kann aber keinesfalls als Teil der entfalteten Argumentation dienen, da es augenfällig höchst zirkelschlüssig und argumentativ nur wenig gewinnbringend wäre, die Notwendigkeit dessen, die Auferstehung einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage auszusetzen, um mehr über sie in Erfahrung zu bringen, ausgehend von dem potenziellen Ergebnis einer derartigen Untersuchung zu begründen. Anders gestaltet sich dies hinsichtlich des (für den christlichen Glauben und seine Theologie ebenfalls unabdinglichen) Aspekts der Verkündigung des Auferstandenen sowie seiner Auferstehung (vgl. Kleffmann, Grundriß, 147), welche ganz unabhängig davon, wie die Geschichtsbezüge ihrer Gegenstände beurteilt werden, einen Geschichtsbezug aufweist. Dies wird daran ersichtlich, dass die Verkündigung als solche 1) in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Zeit entstanden ist (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 196), dass sie 2) bekanntlich noch immer in dieser vollzogen wird, dass sie 3) zur Entstehung des Christentums (als einer in der Geschichte und auch in ihrer empirisch erfassbaren Dimension verankerten Religion) führte (vgl. Munteanu, Die universale Bedeutung, 137) und dass sie 4) grundlegend davon zeugt, „dass sich in der Zeit der ewige Gott selbst in der Gemeinschaft mit dem Menschen offenbart“ (Kleffmann, Grundriß, 147). 144 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 177. 145 A.a.O., 180. 146 Greshake, Endzeit und Geschichte, 26. Gemeint ist hier und im nachfolgenden Satz augenscheinlich die Geschichte, wie sie von Menschen als sie umgebende Dimension wahrgenommen wird. 147 A.a.O., 23.

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Teil III: Eigene Deutung

[Gottes]“148) lokalisiert wird. Verstanden wird die endzeitliche Neuwerdung der Welt mitsamt ihrer mehrdimensionalen Geschichte entsprechend oft als eine Verwandlung der vergänglichen Schöpfung und des vergänglichen Daseins, welche in Gottes ewiges Leben hineingenommen werden.149 Sowohl die Offenbarung Gottes (auf die Errettung seiner Schöpfung abzielenden) Heilsplans als auch dessen Umsetzung150 weisen somit augenfällige Geschichtsbezüge auf151, was etwa Körtner zu dem Schluss führt, dass die Begriffe der Geschichtlichkeit und der Geschichte einem christlichen Verständnis entsprechend immer auch eine eschatologische Dimension aufweisen, da sie stets auf Gott und sein Heilshandeln ausgerichtet seien und durch dieses bestimmt würden.152 Der Eindruck der untrennbaren Verbindung des christlichen Glaubens und seiner Inhalte mit der von uns Menschen wahrnehmbaren Geschichte wird dar-

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Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 947. Vgl. Moltmann, Im Ende, 177. Mit der Vorstellung des ewigen Lebens verbunden sind das Denkmodell des Weltgerichts und die mit diesem einhergehende Frage nach dem Gericht nach Werken, welche ebenfalls eine Berücksichtigung, eine Wertschätzung, ein Ernstnehmen (vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 280) und eine bestehende Relevanz des menschlichen, geschichtlich verfassten Lebensvollzuges implizieren, da hier die Vorstellung zugrunde liegt, dass Gott vor der gesamten Menschheit und ihrer Geschichten in Erscheinung treten werde, um sie zu richten (vgl. Lohfink, Was kommt nach dem Tod?, 219). Daher sei das besagte Denkmodell als weitere Bezugnahme des christlichen Glaubens auf die von Menschen erfahrbare Geschichte angeführt und hinsichtlich der Frage nach der Notwendigkeit der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage berücksichtigt, obschon es hier nicht eigens beleuchtet werden kann. 150 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie I, 279. Die Vorstellung eines derartigen Heilsplans Gottes, der die gesamte Weltgeschichte umfasst und der in Jesu Auferstehung als der „Vorwegnahme des Endes“ (Kiauka, Zeit und Theologie, 152) der Geschichte in ihrer Ganzheit offenbar wurde, auf welches sich das ganze Weltgeschehen (als Gottes Weg hin zu seinem Ziel) hinbewegt, beruht auf Prämissen der jüdischen Apokalyptik (vgl. Pannenberg, Jesu Geschichte und unsere Geschichte, 100, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 152). Im Denkhorizont ebendieser wird die Heilsgeschichte Gottes als die Gesamtheit des (zwischen der Schöpfung und dem Ende der Welt aufgespannten) Weltlaufs verstanden und das Ziel, auf das sich das Weltgeschehen hinbewegt, keineswegs als etwas Innergeschichtliches und deshalb grundsätzlich überholbares charakterisiert, wie dies im Rahmen der Prophetie noch der Fall war. Stattdessen wird es als Ende der gesamten Weltgeschichte gedeutet (vgl. Pannenberg, Grundfragen, 26). 151 Pannenberg beurteilt diesen durchgehenden Geschichtsbezug des göttlichen Heilsplans als zwingend notwendige, „in Jesus Christus zur Erscheinung gekommene Ordnung der Welt“ (Pannenberg, Systematische Theologie I, 279), da die erlösungsbedürftige menschliche und somit geschichtliche Existenz als Gegenstand dieses Heilsplans seines Erachtens nur dann zweckdienlich und zielgerichtet sei, wenn und sofern die „Vollendung seiner Geschichte selber geschichtliches Ereignis und als solches das Ende der Geschichte sein wird“ (Pannenberg, Systematische Theologie III, 632). Eine Vollendung, welche nicht in die (in seinem Sinne verstandene) Geschichte eintreten würde, hält er dementgegen für nicht denkbar (vgl. a.a.O., 632 f.). 152 Vgl. Körtner, Dogmatik, 632. 149

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

279

über hinaus im (gerade hinsichtlich einer Beurteilung der Geschichtsbezüge der Auferstehungsereignisse völlig augenfälligen) Umstand erkennbar, dass es sich bei der neutestamentlich thematisierten Auferstehung um die Auferstehung Jesu handelt. Dieser ist bekanntlich ein bestimmter Mensch, der genau wie alle Menschen vor und nach ihm „als Mensch unter Menschen“153 lokal und temporal verortbar und innerhalb einer konkreten Kultur lebte154 und Spuren in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte hinterließ155, die der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage per se zugänglich sind.156 Die neutestamentlichen Darstellungen Jesu zielen somit also nicht auf die Thematisierung einer mythisch anmutenden Figur religiöser Phantasmen157 oder einer Hoffnungschiffre ab, sondern auf eine bestimmte Person158, von der behauptet wird, dass sich an ihr postmortal aufgrund eines göttlichen Auferweckungshandelns ein leibhaftiges Geschehen159 ereignet habe, wodurch der christliche Auferstehungsglaube grundsätzlich an die Geschichte des Menschen Jesus von Nazareth geknüpft bleibt.160 153 Wengst, Das, was ist, ist nicht alles, 151. Ringleben folgert daraus, dass es sich bei Jesu Auferstehung um die der konkreten, nicht beliebigen Person Jesus von Nazareth gehandelt hat, dass sämtliche Deutungen, die diesen Umstand unberücksichtigt lassen, ebenso unzureichend und unangemessen seien (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 92) wie solche, die die von Ringleben in ihrer Relevanz stets hervorgehobene Gottesfrage ausklammern (vgl. a.a.O., Vorwort) und/oder die das Spannungsfeld von Zeit und Ewigkeit nicht (angemessen) berücksichtigen. 154 Vgl. Alkier, Die Realität, 231. 155 Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 64. f. 156 Vgl. Alkier, Die Realität, 231. Den Bezeugungen der Hinrichtung Jesu sei etwa nach Ansicht Alkiers ein besonderer Stellenwert zuzusprechen, da sie Jesu Geschichte an die geschichtswissenschaftlich erfassbare Wirklichkeit mitsamt all ihrer harten Fakten anbinden (vgl. a.a.O, 221 f.). 157 A.a.O., 222. 158 Vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 10. Pannenberg weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nicht nachvollziehbar wäre, aus welchem Grund sich die christliche Überlieferung nun nach wie vor (notwendig) auf die Person Jesus berufen sollte, sofern es in Bezug auf ihren Inhalt irrelevant wäre, ob er eine in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte als solche wahrnehmbare Person gewesen sei oder eben nicht (vgl. Pannenberg, Grundfragen, 132). Daraus folge, dass die neutestamentliche Bezugnahme auf Jesus mit Verweis darauf, dass es sich bei ihr lediglich um einen beliebigen, auf die „Entstehungsbedingungen des als Christentum in die Welt getretenen Daseinsverständnisses“ (ebd.) hindeutenden Faktor handele, unlängst verabschiedet worden wäre, was bekanntlich aber nicht der Fall ist. 159 Vgl. ebd. Diesen Einsichten entspricht der neutestamentliche Befund, dessen einzelne Bezeugungen – wie gezeigt – augenscheinlich ebenfalls nicht den Anspruch erheben, eine lediglich symbolische Bedeutsamkeit oder eine (im nur übertragenen Sinne zu verstehende) Wahrheit zu bezeugen (Vgl, ebd.), sondern die darauf abzielen, Jesu Geschick als „geschichtliche[n] Weg des sich offenbarenden Gottes“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 29) zu thematisieren, der einen klaren Geschichtsbezug aufweist. 160 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 385. Die Erkenntnis, dass es sich bei dem Auferstandenen um jenen Gekreuzigten handelt, der die von Menschen wahrnehmbare,

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Teil III: Eigene Deutung

Die dargestellte Zusammenschau dürfte – unabhängig von ihrer individuellen, immer auch weltbildhaft geprägten Bewertung – gezeigt haben, dass ein geschichtsmächtiges göttliches Agieren161 in und an der von Menschen erfahrbaren Wirklichkeit und ein direkter Geschichtsbezug des Heilshandelns Gottes biblisch bezeugt werden162 und systematisch-theologisch in vielen Zusammenhängen vorausgesetzt werden können. Viele biblisch bezeugte, theologischen Erkenntnisbemühungen als Grundlage dienende und mit dem Heilshandeln Gottes in Verbindung stehende Geschehnisse erheben so den Anspruch, in der von Menschen wahrnehmbaren Welt und Geschichte stattzufinden, stattgefunden zu haben oder noch stattzufinden, auch ihre empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension zu tangieren und somit (keineswegs beliebige) Geschichtsbezüge aufzuweisen, in deren Abhängigkeit sie ihre Sinngehalte konstruieren; ja ohne die sie teilweise nur wenig verständlich oder argumentationslogisch nachvollziehbar wären.163 Diese Geschichtsbezüge sowie die mit ihnen einhergehenden Zuschreibungen von Geschichtlichkeit befinden sich und erfolgen dabei freilich nicht in (einer) Abhängigkeit von der skizzierten neuzeitlich-rationalistischen Rationalität164 und den in ihr zugrunde gelegten Maßstäben, wie etwa den troeltschen Axiomen,

auch empirisch erfassbare Geschichte mit ihnen teilt, sowie die sich aus dieser Einsicht abzuleitende Verwurzelung zentraler Inhalte des christlichen Glaubens in der Geschichte und in ihrer empirisch-geschichtswissenschaftlich untersuchbaren Dimension gehen mit diversen Implikationen in Bezug auf die Interpretation der Auferstehung einher und sollten schon deshalb Berücksichtigung finden. Angesetzt werden kann hier an der Einsicht, dass die Auferstehung nun gerade nicht an der vorösterlichen, empirischen Person Jesus von Nazareth vorbei und somit „in doketischer Weise über ihn hinaus“ (Welker, Die Wirklichkeit, 328) verkündigt wurde. Vielmehr wurde stetig auf sein irdisches Dasein Bezug genommen, da seine (eben auch die empirisch-geschichtswissenschaftliche Dimension der Geschichte tangierende) Wirklichkeit, wie sie ausgehend von seiner Auferweckung erkannt werden konnte, Glaubensgrund und -inhalt der Christen ist (vgl. Vorholt, Osterevangelium, 29). 161 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 325. Die Wendung des „geschichtsmächtigen Handelns Gottes“ (ebd.) bezeichnet nach Ansicht Joests und von Lüpkes sein „Sich-Einlassen auf die geschöpfliche Wirklichkeit, sein ,Einwohnen‘ in der Schöpfung, sein Mitleiden und MitSterben in Jesus Christus, seine befreiende Gegenwart im Heiligen Geist und […] sein Kommen und Zu-sich-selbst-Kommen im Eschaton“ (Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 302), obschon alle diese (einen offenkundigen Geschichtsbezug aufweisenden) „Taten“ Gottes freilich immer auch weit über die Kategorie der Geschichte hinausreichen, sie sprengen und auf tieferliegende, nicht von Menschen erfassbare Dimensionen der Wirklichkeit und der Ewigkeit Gottes verweisen, in welcher sie begründet liegen. 162 Vgl. Göcke, Ein dispositionalistisches Modell, 304. 163 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 14. Auch Göcke betont die Notwendigkeit der Möglichkeit eines göttlichen Handelns innerhalb unserer Welt und in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte, indem er herausstellt, dass sie angesichts der biblischen Offenbarung und auch hinsichtlich des gelebten Christentums als „notwendige Bedingung der Plausibilität einer jeden christlichen Weltanschauung“ (Göcke, Ein dispositionalistisches Modell, 306) zu verstehen sei. 164 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320.

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

281

sondern gelten dann als gegeben, wenn das je in Bezug auf sie zu beurteilende Geschehnis von Menschen in der von ihnen wahrgenommenen Geschichte als tatsächlich stattgefunden erfahren wird.165 Die biblischen Befunde weisen somit ein umfassendes Verständnis der Kategorie der Geschichte auf, das dem Geschichtsverständnis der Thesen I und II entspricht, und messen ihr ferner – im Gegensatz zu verbreiteten Tendenzen – eine sehr große, notwendig zu berücksichtigende Bedeutung bei. Werden die Auferstehungsereignisse und insbesondere die Grableerfindungserzählungen vor dem Hintergrund dieser Überlegungen reflektiert, so wird erkennbar, dass auch diese einen Anspruch darauf erheben, sich auf die von Menschen wahrnehmbare Welt zu beziehen und entsprechend einen derart definierten Geschichtsbezug aufzuweisen. Die mannigfaltigen Verweise der Erzählungen auf die Kategorie der Geschichte, in welcher sich ihre Gegenstände (ihrem Selbstverständnis entsprechend) ereignet haben und/oder auf die sie abzielen, werden jedoch nie als Beweise für die Auferstehung angeführt, da sich bereits aus der skizzierten Komplexität der Geschichte sowie aus dem unverfügbaren, verstandesmäßig nie zu erfassenden Handeln Gottes eine Unbeweisbarkeit der Auferstehung ergibt, der sich bereits die ersten Christen nur allzu bewusst gewesen sind.166 Stattdessen weisen die besagten Verweise auf das innergeschichtliche, tatsächliche GeschehenSein gänzlich andere Funktionen167 – wie etwa die der näheren Charakterisierung 165

Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 404. Dass Versuche, die Auferstehung anhand geschichtswissenschaftlicher Rekonstruktionen zu beweisen, notwendig scheitern müssen, da sie in der ihr zu eigenen Wirklichkeit als eine Tat Gottes ausschließlich im Glauben erschlossen werden kann (vgl. v. Campenhausen, Ablauf, 54 f., zitiert nach Adam, Das leere Grab als Unterpfand, 69), zeigt der neutestamentliche Befund, der im Zusammenhang mit seiner Auferstehungsverkündigung keinerlei „Argumente menschlicher Vernunft“ (Eckstein, Von der Bedeutung, 6) anführt, um ihren Gegenstand zu beweisen. Gerade angesichts dieses Umstandes sowie auch angesichts des Unvermögens einer vermeintlichen Grableerfindung, einen Auferstehungsglauben zu erwecken, was von den wenigsten Theologen ernstlich bestritten wird (vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 115), verwundern die in nahezu jeder systematisch-theologischen Auseinandersetzung mit den Grableerfindungserzählungen vorfindliche Beteuerung ebendieser Erkenntnisse sowie die verbreitete Unterstellung, dass Interpreten lediglich nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung fragen, um sie zu beweisen. Dass auch meine Arbeit dies selbstverständlich nicht anstrebt, sollte offenkundig sein. 167 Drei dieser Funktionen werden im Rahmen des Kapitels III.3.2 explizit erläutert, auf welches an dieser Stelle verwiesen sei. Im Allgemeinen kann jedoch schon einmal darauf hingewiesen werden, dass eine „selbstkritische Rückfrage des Glaubens nach Jesus und seiner Geschichte“ (Moltmann, Der gekreuzigte Gott, 108), die etwa nach Ansicht Moltmanns zwingend aus dem Glauben entspringe und die schon aus diesem Grund zu den Aufgaben theologischer Reflexionen gehöre (vgl. ebd.), der geschichtlich verfassten Christenheit fernab von allen vermeintlichen Verifikations- oder Falsifizierungsbestreben auch deswegen von Nutzen sei, da es jedem vertieften Verständnis der eigenen Identität diene, sich mit ihren individuellen, geschichtlichen Ursprüngen intensiv auseinanderzusetzen (vgl. Wilckens, Theologie I/I, 23). 166

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Teil III: Eigene Deutung

der Auferstehungsereignisse – auf.168 Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis wird das stets gegen eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage angeführte Argument, dass die Auferstehung nicht beweisbar sei und dass eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage daher nicht sinnvoll sein könne, fraglich, da es den Bezeugungen ihrer Geschichtsbezüge eine Absicht unterstellt, die diese nicht verfolgen.169 Gerade weil die Zuschreibung eines Geschichtsbezuges im Sinne eines „Stattgefunden-Habens in der von Menschen wahrnehmbaren Welt“ nicht (primär oder überhaupt) dem Beweis des (den besagten Geschichtsbezug aufweisenden) Ereignisses dient, sondern weil sie – wie zu zeigen sein wird – vielfältige darüber hinausreichende Funktionen aufweisen kann, kann die Frage nach ihr nicht unbegründet oder gar mit Verweis auf die mangelnde Beweisbarkeit der Auferstehung ausgespart werden. Ganz im Gegenteil stellt sie ein lohnendes Untersuchungsfeld dar.170

168 Der Umstand, dass ein Verweis auf den Geschichtsbezug eines Ereignisses vielfältige Funktionen erfüllen kann, scheint im allgemeinen Bewusstsein vieler Menschen nicht verankert zu sein. Dies wird auch an der verbreiteten Distanzierung von der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage innerhalb des Diskurses, an der vermeintlichen Erklärungsbedürftigkeit der Themenstellung dieses Buches und vor allem anhand der verbreiteten Annahme, dass eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage einzig der Verifizierung oder Falsifizierung von Ereignissen diente, deutlich. Dieses Fehlkonzept scheint wiederum mit der irrigen Engführung der Zuschreibung des Geschichtlich-Seins auf das Ausweisbarsein sensu moderner Rationalität zusammenzuhängen, da diese unterstellt, dass eine Verifizierung oder Ablehnung der Möglichkeit, Geschichtlichkeit oder Realität eines Ereignisses einzig anhand der aus ihr ableitbaren Ansätzen denkbar sei, obwohl diese doch nur einige Facetten der (geschichtlich verfassten) Wirklichkeit und der sich in ihr ereignenden Begebenheiten erfassen. 169 Pannenberg weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es ohnehin fraglich sei, inwieweit Geschichtsbezüge den Anspruch darauf erheben (könnten), das Ereignis, in dessen Kontext sie auftreten, zu verifizieren oder zu falsifizieren, da nur die wenigsten geschichtlichen Ereignisse – als Ereignisse, die tatsächlich in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte stattgefunden haben, – insofern zu beweisen wären, als dass sie völlig unanfechtbar wären. Die meisten von ihnen blieben vielmehr strittig und könnten jederzeit angezweifelt werden. In Bezug auf die Auferstehung gelte dies in besonderem Maße, da ihre Faktizität solange umstritten bliebe, bis die Welt ihre eschatologische Vollendung erfahre, da ein (ausschließlich von den Maßstäben unserer schon vergehenden Welt ausgehendes) Wirklichkeitsverständnis sie nicht zu erfassen vermöge, aber die (in ihr schon ansetzende) neue Wirklichkeit „in ihrer Allgemeinheit noch nicht definitiv erschienen ist“ (Pannenberg, Systematische Theologie II, 404). 170 Vorholt betont, dass eine theologische Untersuchung der Grundlagen unseres christlichen Glaubens eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage (nach seiner Entstehung beziehungsweise nach seiner Begründung in den zu untersuchenden Auferstehungsereignissen) auch deshalb umfassen müsse, da „die normative Rede von der Geschichtsmächtigkeit Gottes nach einer methodisch kontrollierten Rechenschaft verlangt“ (Vorholt, Osterevangelium, 87). Fraglich bleibt jedoch, inwieweit über eine derartige Glaubensaussage überhaupt Rechenschaft abgelegt werden kann und was eine solche beinhalten sollte beziehungsweise wie dies in der besagten, methodisch kontrollierten Weise zu vollziehen wäre (vgl. ebd.).

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

283

Denkbar wäre an dieser Stelle eine Reflexion dessen, ob konkrete Untersuchungsgegenstände – wie etwa bestimmte Erzählungen der Bibel – überhaupt einen Anspruch darauf erheben (können), Bezüge zu (in der Geschichte) geschehenen Ereignissen aufzuweisen, und welche Funktionen diese Bezüge im Einzelnen erfüllen (können). Hier kann wiederum kritisch hinterfragt werden, ob und inwiefern die ihnen zuzuschreibenden Funktionen für den christlichen Glauben und seine Theologie im Allgemeinen sowie auch für den einzelnen Menschen im Besonderen von Relevanz sind und ob es sich bei ihnen um bedeutsame oder gar um notwendige Korrelate der jeweiligen Erzählungen und ihrer Gegenstände handelt oder ob ihnen eine doch nur sekundäre Rolle zuzusprechen ist. Da aber die Zuschreibung des Passiertseins in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte und entsprechend auch alle Funktionen und Dimensionen, die mit ihr einhergehen und in ihr zum Ausdruck kommen, offensichtlich mit der Faktizität der jeweiligen Ereignisse verbunden bleiben171 – wie bereits Pannenberg und Barth hervorheben – kann eine auch geschichtswissenschaftliche Rückfrage nicht ausgespart werden. Dies gilt auch, wenn diese Rückfrage anhand in ihren Möglichkeiten und in ihrer Geltung begrenzter, die Komplexität der Geschichte nie umfassend erfassender Methoden erfolgen muss, weil es sich bei ihr um die einzige uns Menschen verfügbare, kontrollierte Möglichkeit handelt, anhand derer ein derartiges Passiertsein überhaupt untersucht werden kann, ohne dass dies einzig anhand der subjektiven Wahrnehmung erfolgt. Im Gegensatz zur verbreiteten, unreflektierten und meist weltbildhaft begründeten Distanzierung vom Vollzug einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage und der dadurch implizierten Annahme, dass die Heilsgeschichte (im Vergleich zu allen anderen Geschehnissen) als ein völlig grundverschiedener Bereich zu verstehen wäre, der in keiner Wechselbeziehungen mit seiner sonstigen geschichtlichen Umgebung stünde172, liegt die von Pannenberg vorgetragene Überlegung nahe, dass die christliche Theologie, sofern sie das Wirken Gottes in der Welt im Sinne der durch den biblischen Befund nahegelegten Ereignisfolge verortet, welche sich einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage stellt und durch diese rekonstruiert wird, „dem Geist der biblischen Überlieferungen näher“173 sei und komme, als dies anhand einer primär literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Texten möglich wäre, im Zuge derer die potenzielle „Faktizität des Berichteten“174 von untergeordneter Relevanz ist, wenngleich ein derartiges Vorgehen sich zweifellos als verführerisch erweisen würde.175

171 Vgl. Pannenberg, Grundfragen, 132. Pannenberg denkt hier vermutlich an eine objektive, jenseits der Konfusion liegende Faktizität, wie sie uns (in der Konfusion stehenden) Menschen nur bedingt erfahrbar ist. 172 Vgl. a.a.O., 47. 173 Pannenberg, Systematische Theologie I, 254. 174 Ebd. 175 Vgl. ebd.

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Teil III: Eigene Deutung

In ähnlicher Weise votiert auch Moltmann für eine Berücksichtigung der Frage nach einem Geschichtsbezug der Auferstehung, indem er darauf verweist, dass Glaubensurteile zwar selbstverständlich nicht ausgehend von geschichtswissenschaftlichen Wahrscheinlichkeitsurteilen getroffen werden können, aber dass sie – im Rahmen von Geschichtsreligionen – dennoch geschichtswissenschaftliche Rückfragen und Urteile notwendig werden lassen.176 Die Rückfrage nach dem besagten Geschichtsbezug ermögliche es – sofern sie unter den Bedingungen vollzogen werde, dass a) die Kategorie der Geschichte als mehrdimensional und als offen für ein eigenständiges, unverfügbares Einwirken Gottes177 vorgestellt werde und dass b) darauf vertraut werde, dass die Zuschreibung von Geschichtlichkeit als Passiertsein in der von Menschen wahrnehmbaren Wirklichkeit auch in Bezug auf den christlichen Glauben vielfältige Funktionen aufweise, – die Vernunft und den Glauben derart zusammenzuführen, „dass Gott in der Wirklichkeit seiner ,Identität‘, auf den sich der Glaube bezieht, als schöpferisch-aktiver Grund aller Wirklichkeit auch gedacht werden kann“178 und dass diese Vorstellung eben nicht – verstanden als etwas, das nur unter einer Preisgabe der eigenen Vernunft angenommen werden könne – schon aufgrund weltbildhafter Vorentscheidungen ausgeschlossen wird. Wir halten fest: Eine auch geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach den Auferstehungsereignissen ist nicht nur prinzipiell durchführbar, sondern auch aus theologischer Perspektive geboten179, obschon freilich darauf zu achten ist, dass sie nicht in engführender Weise vollzogen werden darf und dass sie verbreitete Deutungsansätze nicht beziehungslos ersetzt oder ihnen unverbunden an die Seite gestellt wird.180 Stattdessen soll sie die je vollzogenen Interpretationen als ein zu bedenkender Aspekt sinnvoll ergänzen und bereichern. Hinsichtlich der Grableerfindungserzählungen kann geschlussfolgert werden, dass all jenen Interpreten zuzustimmen ist, die betonen, dass eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach einer etwaigen Leerfindung des Grabes nicht sinnvoll sein könne, sofern sie darauf abzielt, die Auferstehung zu verifizieren oder zu falsifizieren, da ein derartiges Vorhaben schlichtweg unmöglich wäre. Weil eine Zuschreibung des Passiertseins in der von Menschen wahrnehmbaren Welt – hier vollzogen anhand der Herausstellung eines etwaigen, analog zu dieser Definition verstandenen Geschichtsbezuges – allerdings vielfältige andere Funktionen erfüllen kann, indem sie etwa dazu beiträgt, im Diskurs unterbestimmte Facetten des Gegenstandes ins Bewusstsein zu rufen und eine vertiefte Auseinandersetzung mit ihm zu begünstigen, ist die geschichtswissenschaftliche Rückfrage als ein Mittel zur Untersuchung des Passiertseins auch hinsichtlich der Grableerfin176

Vgl. Moltmann, Der Weg, 266. Vgl. Eckstein u. Welker, Einleitung, XII. 178 Vgl. Wilckens, Theologie I/I, 24. 179 Vgl. Adam, Das leere Grab, 62. 180 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie I, 254.

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III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

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dung durchzuführen, da die Geltung der besagten Funktionen mitunter von der Faktizität des Passiertseins abhängig ist, der sich anderweitig nicht angenähert werden kann. Ein sinnvolles Vorgehen könnte in Bezug auf dieses Anliegen darin bestehen, zu untersuchen, ob die (die Grableerfindung thematisierenden) Textbefunde überhaupt den Anspruch erheben, Ereignisse zu bezeugen, die sich in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte ereignet haben. Sofern ein derartiger Anspruch festzustellen ist, ist eine auch geschichtswissenschaftliche Rückfrage181 nach den (in den zur Untersuchung herangezogenen Texten dargestellten) Ereignissen vorzunehmen, die darauf zielt, zu ermitteln, ob dem beanspruchten Geschichtsbezug eine hohe oder eine nur geringe Wahrscheinlichkeit zugesprochen werden kann. Anschließend ist zu reflektieren, welche Rückschlüsse die zu gewinnenden Ergebnisse hinsichtlich der Auferstehungsereignisse zulassen und ob sie im Auferstehungsdiskurs oder auch hinsichtlich eines eigenen Glaubens von Relevanz sein können. Dass dies im Bewusstsein dessen erfolgen muss, dass geschichtswissenschaftliche Rückfragen stets nur anhand einer selektiven Auswahl vergangener Ereignisse Erkenntnisgewinne ermöglichen, aber ausgehend von ihnen nie umfassende und letztgültige Aussagen in Bezug auf die göttliche, in der uns umgebenden Geschichte verankerte Offenbarung getroffen werden können182, dürfte augenfällig geworden sein. Beabsichtigt man nun, eine derartige Untersuchung vorzunehmen, die auch Joest als „nützlich und notwendig“183 bezeichnet, obwohl sie die Komplexität der geschichtlich verfassten Wirklichkeit des Menschen unmöglich umfassend einzufangen vermag184, so gilt es, möglichst nüchtern und sachbezogen zu untersuchen, welche Informationen ausgehend von der gegebenen Quellenlage (nicht) zu verifizieren oder zu koordinieren sind, wobei auch ein Nachvollzug des Textwachstums185 in der Untersuchung Berücksichtigung finden kann. Hier bleibt in Entsprechung zu den insbesondere in Kapitel III.1.1 dargestellten Zusammenhängen zu bedenken, dass eine geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit den zu untersuchenden Textbefunden immer auch eine Annäherung an die Wirklichkeitskonstruktionen der damaligen Christen ist, welche der Interpret mit dem Ziel konstruiert, sich ihnen mit seinen eigenen Konstruk181 Passend zum Anspruch dieses Buches, eine möglichst mehrperspektivische Annäherung an die Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung vorzunehmen, wären allerdings nicht nur Analogie- und Korrelationsverhältnisse, sondern auch über diese hinausreichende, geschichtswissenschaftliche sowie naturwissenschaftliche, soziologische und psychologische Erkenntnisse einzubeziehen. Ausgehend von diesen könnten möglichst differenzierte Wahrscheinlichkeitsurteile getroffen werden, welche sich etwa auf die Grablegung, den Gang der Frauen zum Grab, ihre Salbungsabsicht und auf die Leerfindung des Grabes selbst beziehen ließen. 182 Vgl. Pannenberg, Grundfragen, 67. 183 Joest, Dogmatik II, 644. 184 Vgl. ebd. 185 Vgl. Schmitz, Wahre Geschichte(n), 133.

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Teil III: Eigene Deutung

tionen möglichst treffend anzunähern186, obschon seine Versuche immer nur diese und niemals ein „objektive[s] Abbild des Gewesenen“187 oder seines faktisch erfolgten Ablaufs hervorbringen können.188 Dass seine Wirklichkeitskonstrukte weltbildhaften Prägungen unterliegen, die nicht nur durch die allgemeinmenschliche Konfusion beeinflusst werden, sondern auch von den gesellschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Begebenheiten der je gegenwärtigen Zeit abhängig sind, weshalb die „notwendigen Vernunftwahrheiten“189 ebendieser für nachfolgende Generationen ihre unanfechtbare Geltung verlieren, wurde mehrfach erläutert.190 Hingewiesen sei erneut auf den Umstand, dass die aus den geschichtswissenschaftlichen Rückfragen resultierenden Konstrukte – ungeachtet ihres Anspruchs der Beschreibung früherer Wirklichkeit – eng an jene Wirklichkeitskonstrukten geknüpft sind, die der jeweilige Geschichtswissenschaftler in Bezug auf seine eigene Gegenwart voraussetzt.191 186

Vgl. Lampe, Der Modellfall, 187 f. Schmitz, Wahre Geschichte(n), 130. 188 Vgl. Adam, Das leere Grab, 61. Dies betont auch Barth, wenn er erläutert, dass das, was durch eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage erkannt werden kann, niemals mit dem identisch sein werde, was die neutestamentlichen Schriften als ein raumzeitlich „stattgefundenes und wahrgenommenes Ereignis [bezeugen]“ (Barth, KD IV,3 [1], 357). Aufgrund des deutlichen Konsenses, der in Bezug auf diese Einsichten besteht, bezeichnet Lampe Interpreten, die diese Auffassung nicht teilen und ihren Interpretationsergebnissen eine zu große und verabsolutierte Geltung hinsichtlich einer Abbildung und Rekonstruktion des Vergangenen zusprechen, als naiv (vgl. Lampe, Der Modellfall, 188). 189 Pannenberg, Grundfragen, 127. 190 Vgl. ebd. Hinsichtlich der stets nur vorläufigen Geltung der Ergebnisse geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen bleibt zu bedenken, dass diese meist nicht zum Selbstzweck vorgenommen werden, sondern aufgrund verschiedenster Intentionen der jeweiligen Interpreten durchgeführt werden. Zu diesen kann das Erlangen eines besseren Verständnisses der eigenen Gegenwart zählen, da sie – etwa nach Ansicht Lampes – stets auch darauf abzielen, Selbstaussagen sowie Aussagen über die je gegenwärtige Welt zu treffen und auf diese Weise eine Wirklichkeitskonstruktion vorzunehmen (vgl. Lampe, Der Modellfall, 192 f.). Die Erkenntnis, dass geschichtswissenschaftliche Rückfragen ihrer je eigenen Gegenwart in ihren Vergangenheitsdarstellungen häufig stärker verpflichtet sind als ihnen dies selbst bewusst ist (vgl. a.a.O., 130), zeugt ferner von einer (bereits von Pannenberg festgestellten) Überbetonung der existentialen Dimension im Rahmen der geschichtswissenschaftlichen Nachfrage. Pannenberg begründet diese mit einer „unveränderliche[n] Eigenart menschlichen Erkennens und Bewusstseins“ (Pannenberg, Grundfragen, 54), die darin bestehe, dass der Mensch alles, was er erkenne und erlebe, umgehend auf sich selbst als erfahrendes Ich hin zentriere und auf ebendiese Weise deute (vgl. ebd.). Dass diese Tendenz – sowie alle weiteren Intentionen, aufgrund derer geschichtswissenschaftliche Rückfragen vollzogen werden – die durch sie gewonnenen Ergebnisse beeinflussen, dürfte einleuchten und mahnt ebenfalls davor, diese in Bezug auf ihre Geltung und ihre Aussagekraft zu überschätzen oder sie gar als die geschichtliche Wahrheit zu verabsolutieren und ausgehend von ihnen allein auf die Möglichkeit, Wirklichkeit und/oder auf die Existenz von Geschichtsbezügen konkreter Ereignisse rückzuschließen. 191 Vgl. Lampe, Der Modellfall, 192. 187

III.1 Das vorausgesetzte Geschichtsverständnis

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Abschließend sei darauf verwiesen, dass eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach biblischen Geschehnissen die jeweiligen Interpreten vor die Herausforderungen stellt, ebendiesen nicht bereits aufgrund der eigenen, weltbildhaft geprägten Historizitäts- und Realitätsvorstellungen jeden Geschichtsbezug kategorisch abzusprechen, sondern die Erzählungen vor dem Hintergrund eines umfassenden Welt- und Geschichtsverständnisses „in ihrer historischen Referenz ernst zu nehmen“192, sofern eine solche vorliegt. Dies geht mit dem herausfordernden Anspruch einher, die auftretenden Spannungen wahrzunehmen und mitunter auch auszuhalten, wie man dies innerhalb der Physik der Spätmoderne tut, wenngleich dieses Vorgehen der besagten Rationalität widerspricht, die im Sinne des gesamtmenschheitlichen Bestrebens nach Eindeutigkeit und kognitiver Entlastung durch Vereinfachung geradezu darauf drängt, auftretende Spannungen zugunsten eindeutiger Entscheidungen aufzulösen.193

III.1.4 Zusammenschau Die drei dargestellten Thesen greifen die häufig thematisierten Fragen auf, welche Erwägungen und Untersuchungen sich als Ausgangspunkte für eine Zuschreibung von Geschichtlichkeit eignen und ob eine Reflexion etwaiger Geschichtsbezüge und ihrer Ermittelbarkeit in Bezug auf den Gegenstand der Auferstehungsereignisse überhaupt sinnvoll sein kann. Ausgehend von naturwissenschaftlichen, erkenntnistheoretischen und selbstverständlich auch theologischen Abwägungen konnte zunächst festgestellt werden, dass die von Menschen wahrnehmbare Geschichte als solche sich prinzipiell durch eine Mehrdimensionalität, Komplexität und Vielseitigkeit auszeichnet, die keineswegs in ihrer (nicht zu verabsolutierenden) empirisch-geschichtswissenschaftlichen Dimension aufgeht, auf deren Reflexion gegenwärtige Untersuchungen der Kategorie der Geschichte oft – und insbesondere im Zuge der fortschreitenden Verbreitung der analytisch-rationalistischen Rationalität194 – fokussiert oder sogar einseitig-konstruktverengend beschränkt bleiben. Folglich kann die besagte Rationalität195 aufgrund dessen, dass sie die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension konzeptionell verabsolutiert, nicht ausschließlich zur Untersuchung, Ermittlung und Zuschreibung von Geschichtlichkeit und historischer Ereignishaftigkeit herangezogen werden, wie dies oft unreflektiert vorausgesetzt wird.196

192 Vorholt, Osterevangelium, 145. Die Wendung der historischen Referenz scheint die Bezugnahme der Texte auf die von Menschen wahrnehmbare, sie umgebende Geschichte zu bezeichnen. 193 Vgl. Welker, Die Wirklichkeit, 317 f. 194 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 195 Vgl. ebd. 196 Verwiesen sei auf die Überlegungen Pannenbergs, der bereits im Sinne der dargestellten Überlegungen darauf hinwies, dass eine Auseinandersetzung mit den grundsätzlichen Fragen

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Teil III: Eigene Deutung

Zu problematisieren ist die (durch das Letztgenannte beförderte) Reduzierung der komplexen geschichtlich verfassten Wirklichkeit auf ihre empirischgeschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension aus erkenntnistheoretischer Sicht schon deshalb, weil dann, wenn geschichtswissenschaftliche Vorstellungen einer empirisch erfassbaren Realität normativ werden, ein ganz bestimmtes Tatsächlichkeitsverständnis einer konkreten Epoche, welche ihr Verständnis der Wirklichkeit verabsolutiert, nun plötzlich zu der letzten Instanz wird, ausgehend von der beurteilt wird, was (nicht) innergeschichtlich denkbar sei.197 Dadurch bleibt die jederzeit gegebene, bereits in der menschlichen Verfasstheit begründete, zwingende Begrenztheit und Vorläufigkeit menschlicher Erkenntnisbemühungen in unangemessener Weise unberücksichtigt. Aus diesen Reflexionen erwächst die Einsicht, dass die Beantwortung der Frage nach der Existenz etwaiger Geschichtsbezüge sowie die Beurteilung der Möglichkeit, Wirklichkeit und Geschichtlichkeit eines Ereignisses stets auf der Grundlage eines umfassenden Verständnisses der geschichtlichen Wirklichkeit erfolgen müssen. So können auch Plausibilisierungszusammenhängen und Vorstellungen, wie etwa der eines Einwirkens Gottes auf die von Menschen wahrnehmbare Geschichte, die ausgehend von der neuzeitlichen Rationalität198 als unmöglich zu beurteilen sind, eine grundlegende Möglichkeit zugeschrieben werden und es können auch Faktoren einbezogen werden, die von ebenjener Rationalität unterbestimmt bleiben oder gar erst nicht berücksichtigt werden. Bezogen auf die Auferstehungsereignisse wurde zudem festgehalten, dass die Auferstehung Jesu als eine raumzeitliche Grenzen sprengende199, endzeitliche Gottestat keine Analogien aufweist und sich jeder „Überprüfbarkeit in der menschlichen Erfahrungswelt entzieht“200, weshalb sie geschichtswissenschaftlich nicht verifizierbar ist.201 Sofern eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage einzig zu dem Ziel durchgeführt werden würde, die untersuchten Gegenstände zu beweisen, könnte entsprechend allen Interpreten beigepflichtet werden, die sich hinsichtlich der Auferstehung gegen eine solche Untersuchung aussprechen. Wie im Rahmen der dritten These jedoch bereits angedeutet, ist dies – obschon von

des Geschichtsdenkens nur dann sinnvoll und zielführend sei, wenn die Komplexität der Wirklichkeit hinreichend berücksichtigt werde und wenn nicht einseitig vorausgesetzt werde, dass die troeltschen Axiome das „Wesen historischen Denkens“ (Pannenberg, Grundfragen, 81) allgemein- und letztgültig definiert hätten. 197 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 326. 198 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 199 Vgl. Barth, KD, IV/3 (1), 374. 200 Wengst, Das, was ist, ist nicht alles, 150, ähnlich bei Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 187. 201 Vgl. ebd. Ungeachtet aller theologischen Erwägungen resultiert diese mangelnde Verifizierbarkeit oder Falsifizierbarkeit der Auferstehung – wie gezeigt – bereits daraus, dass viele ihrer neutestamentlich bezeugten Dimensionen – hier konkret die Erscheinungswiderfahrnisse und die Grableerfindung – derart mehrdeutig sind, dass sie sich einer eindeutigen Ursachenzuschreibung erst einmal entziehen.

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

289

zahlreichen Theologen vorausgesetzt – keineswegs der Fall. Ganz im Gegenteil kann eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach den Auferstehungsereignissen – nicht aber nach dem Prozess der Auferstehung als solchem, da dieser sich dem menschlichen Verstehen (wie schon der biblische Befund zeigt) entzieht – vielfältige Einsichten eröffnen und zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Gegenstand anregen. Entsprechend liegt es (auch angesichts des Umstandes, dass diverse Kernaspekte des christlichen Glaubens Geschichtsbezüge aufweisen beziehungsweise Ansprüche auf ebendiese erheben) nahe, geschichtswissenschaftliche Erwägungen in systematisch-theologische Auseinandersetzungen einzubeziehen, obschon dies freilich im Bewusstsein der stets eingeschränkten und vorläufigen Aussagekraft und Geltung der durch sie zu gewinnenden Erkenntnisse erfolgen muss. Zu berücksichtigen sind ferner die gewonnenen Einsichten hinsichtlich der Kategorie der Geschichte und der Zuschreibbarkeit von Geschichtlichkeit, welche vor pauschalen, unreflektierten und/oder einseitig anhand der rationalistisch-analytischen Rationalität202 vorgenommenen Einschätzungen warnen und die dazu ermutigen, die Geschichte, in der sich der Lebensvollzug eines jeden Menschen vollzieht, als etwas mehrdimensionales und facettenreiches wahrzunehmen, das von Gott und seiner Wirkmächtigkeit keineswegs in unüberwindlicher Trennung isoliert ist. Hierdurch wird seine Wahrnehmung als der „schöpferisch-aktiv[e] Grund aller Wirklichkeit“203 ermöglicht. In den folgenden Kapiteln wird der Versuch einer diesen Grundsätzen folgenden Rückfrage unternommen, der hinsichtlich seiner Aufbaulogik an den dargestellten Überlegungen orientiert ist und entsprechend an der Beurteilung der Frage ansetzt, inwiefern die Grableerfindungserzählungen einen Anspruch darauf erheben, Ereignisse zu bezeugen, die sich in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte ereignet haben.

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu III.2.1 Methodische und argumentationslogische Vorüberlegungen „Narrative Geschichtskonstruktion ist somit nicht mit Fiktion gleichzusetzen.“204

Nachfolgend wird der Versuch einer Annäherung an die Frage nach dem Geschichtsbezug der Grableerfindung unternommen, welche sich im Bewusstsein ihrer nur eingeschränkten Geltung und Aussagekraft an den bedeutendsten der zuvor vorgestellten Argumentationslinien orientiert205, ehe eine systematisch202

Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. Wilckens, Theologie I/I, 24. 204 Luther, Jesus was a man, 203. 205 Im Fokus stehen hier immer wieder thematisierte, diskursprägende Argumentations203

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Teil III: Eigene Deutung

theologische Deutung der zu gewinnenden Ergebnisse erfolgt. Einführend ist nun Rechenschaft darüber abzulegen, auf welchen Grundlagen und ausgehend von welchen (methodischen) Voraussetzungen diese Annäherung vollzogen wird. Dabei ist insbesondere den Fragen danach ein besonderer Stellenwert beizumessen, ob und inwiefern die Grableerfindungserzählungen überhaupt den Anspruch erheben, Bezüge zur von Menschen wahrnehmbaren Geschichte (und zu ihrer empirisch-geschichtswissenschaftlichen Dimension) aufzuweisen, und ob und inwiefern sie als Grundlage einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage fungieren können. Wie die dargestellten Perspektiven ersichtlich gemacht haben, gehen viele Theologen nun davon aus, dass ein etwaiger Geschichtsbezug der Grableerfindung als solcher nicht rekonstruiert werden könne, da ihre schriftlichen Bezeugungen erst spät ausformuliert worden seien206, sie einige nicht zu harmonisierende Unterschiede aufweisen207 und sie deutlich durch die Darstellungsintentionen der jeweiligen Verfasser geprägt seien, weshalb sie hier im Wesentlichen als (aus apologetischen Intentionen hervorgehende) sekundäre Ergänzungen der ersten Osterbezeugungen verstanden werden208, die – von ihren apologetischen Zügen einmal abgesehen – sachlich nichts erhalten, das über die bereits vorfindlichen Glaubensformeln hinausginge.209 In deutlichem Kontrast dazu betonen andere Theologen, dass ein derartiges Verständnis der Texte dem theologischen Stellenwert, den die Evangelien der Grableerfindung zuschreiben, nicht gerecht werde210 und dass eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung grundsätzlich möglich sei. Einige von ihnen ver-

linien, welche Theologen anführen, um die Existenz etwaiger Geschichtsbezüge der Grableerfindung zu bekräftigen oder zu negieren. Da die Untersuchung der Grableerfindungserzählungen hinsichtlich dieser isoliert erfolgt und weil die Erscheinungen folglich nie eigens reflektiert werden, wird hier keine umfassende Rekonstruktion der Osterereignisse und/oder eine Einordnung der gewonnenen Untersuchungsergebnisse in den Gesamtzusammenhang der etwaigen Geschichtsbezüge der Auferstehungsereignisse vorgenommen. Bei Interesse an ebensolchen Untersuchungen sei exemplarisch verwiesen auf die Rekonstruktionsversuche Moltmanns (Der Weg, insbes. 237–240), Roloffs (Neues Testament, 261, prägnant skizziert von Thiessen, Kontroverse, 14) und Beckers (Die Auferstehung Jesu, insbes. 239–263). 206 Vgl. etwa mit der bultmannschen Beurteilung der Erzählungen als Legenden und als spätere, Paulus noch unbekannte Bildungen (vgl. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 58 f.). 207 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 64 u. Klaiber, Jesu Tod und unser Leben, 21. Rückverwiesen sei auf Reimarus, der die nicht miteinander zu vereinbarenden Unterschiede zwischen den Grableerfindungserzählungen der kanonischen Evangelien im Sinne seiner Betrugshypothese gegen einen Geschichtsbezug der Grableerfindung anbringt und sie darin begründet, dass die Verständigung der Jünger über die (nach dem vollzogenen Leichenraub zu verbreitende) Betrugsgeschichte nur bedingt glückte (Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 432). 208 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 14. f. 209 Vgl. Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 113. 210 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 14.

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

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weisen hier darauf, dass diese jedoch (ausschließlich) anhand des Markusevangeliums erfolgen müsse, da dieses – im Gegensatz zu den später entstandenen Evangelien211 – die ursprüngliche Stimmung der Osterzeugen völlig ungebrochen und ungetrübt spiegele.212 Zweifellos kann nicht bestritten werden, dass alle Evangelien für einen je konkreten Adressatenkreis213 verfasst wurden, woraus sich Auswahlentscheidungen in Bezug auf das den Evangelisten214 zugängliche Material ergaben, welches sie gemäß ihrer individuellen theologischen Ansichten215, ihrer je eigenen Erzählkonzepte und ihrer jeweiligen Intentionen216 darboten. Dieses redaktionelle Wirken217 wird etwa anhand der Prägungen der Zeugnisse durch die in ihnen enthaltenen, zur damaligen Zeit geläufigen Gattungskonventionen und Erzählmotive deutlich.218 Zu diesen gehört freilich auch die Verwendung imaginativer Erzählformen, durch die versucht wurde, Geschehnisse, die einen Geschichtsbezug im hier untersuchten Sinne aufweisen, zu interpretieren und interpretierend zu bezeugen.219 Bereits daran wird ersichtlich, dass die Evangelisten keineswegs den Anspruch erhoben, etwaige empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Anknüpfungspunkte des konkret-vordergründigen Ablaufs der Ostergeschehnisse im Stile einer (an die Geschichtsschreibung der Moderne erinnernden) Faktenberichterstattung protokollartig wiederzugeben.220 Ihre Intention scheint vielmehr darin

211

Vgl. Hengel, Jesus und die Evangelien, 37. Vgl. Kittel, Die Auferstehung Jesu, 152, zitiert nach Hengel, Jesus und die Evangelien, 37. 213 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 134. 214 Verwiesen sei auf die in Kapitel III.1.1 dargestellte Einsicht, dass jede Versprachlichung perspektivisch gebrochen ist, was bereits in dem stets nur begrenzten Sehepunkt eines jeden Menschen begründet liegt, dessen Wahrnehmungen und Deutungen erheblich durch die je gegebenen sozialen, geschichtlichen und auch kulturellen Hintergründe und Zusammenhänge (vgl. Schmitz, Wahre Geschichte[n], 132 u. siehe Fischer, Der Auferstehungsglaube, 17) sowie durch seine biographischen Erfahrungen und Charaktereigenschaften vorgeprägt werden. 215 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 134. 216 Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 46 f. Kremer mutmaßt, dass die Form der alten Grableerfindungstradition innerhalb der Evangelien sowohl durch kultische Verehrungen der Grabstätte Jesu als auch durch die Verbreitung und Verteidigung der Auferstehungsbotschaft im frühen Christentum geprägt worden seien könnte (vgl. Kremer, Osterbotschaft, 136). 217 Vgl. a.a.O., 135. 218 Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 179. 219 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 350. Zu beachten sind auch die Ausführungen Alkiers (Die Realität, 220). 220 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 348 u. 64, mit Verweis auf Kaspar, Jesus der Christus, 149 u. 348, Schmitz, Wahre Geschichte(n), 130, Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 184, Fischer, Der Auferstehungsglaube, 46 u. Fössel, Offenbare Auferstehung, 589. 212

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Teil III: Eigene Deutung

bestanden zu haben, aus der Perspektive des eigenen Glaubens heraus221 ein (sich an die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Vergangenheit als an eine Art Orientierungsgröße anlehnendes222) „Erinnerungsbild der irdischen Geschichte Jesu“223 zu erschaffen, welches der je eigenen Gegenwart stets verpflichtet blieb und gestaltend auf die Zukunft einwirken sollte224, indem es zu einem Glauben an (oder zumindest zu einem Vertrauen auf) die Auferstehung auffordert.225 Die entstandenen Texterzeugnisse können entsprechend als (eigens konstruierte sowie wahrgenommene und erinnerte Geschichte beinhaltende) kreative Erzählungen226 bezeichnet werden, deren Entstehung sowohl von fiktionaler Gestaltungsfreude und von theologischen Deutungen der Welt als auch von dokumentarischen Intentionen227 geprägt wurde. Aus diesen Charakteristika des Umgangs mit und der Darstellung von Geschichte, wie sie in den Grableerfindungserzählungen der Evangelien vorfindlich sind, folgt, dass deren Hauptaussagen nicht ausschließlich auf der empirischen Ebene der (geschichtswissenschaftlich zu ermittelnden) „Faktenlage und Korrektheit“228 zu verorten sind, sondern auch auf der Ebene theologischer und/oder moralisch-ethischer Wahrheit angesiedelt sind.229 Daraus ist jedoch keineswegs im Sinne Lüdemanns pauschal zu schlussfolgern, dass die genannten Zeugnisse als unhistorische Legenden zu bewerten wären230, die auf keine Referenzobjekte in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte verweisen. Gerade die älteste uns bekannte Bezeugung der Grableerfindung im Markusevangelium scheint so – trotz dessen relativ späten Entstehung – auf einer (der Überlieferungsgeschichte nach) alten231, vorerst mündlichen oder gegebenenfalls (innerhalb einer vormarkinischen Passionsdarstellung) auch in schriftlicher Form tradierten Grableerfindungsüberlieferung232 und somit höchstwahrscheinlich auf (auf diese Weise verstandenen) historischen Erinnerun-

221

Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 135 u. Alkier, Die Realität, 227. Vgl. Schmitz, Wahre Geschichte(n), 131. 223 Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 184. Gemeint ist hier die Lebensgeschichte Jesu. 224 Vgl. Schmitz, Wahre Geschichte(n), 131. 225 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 348. Die dargestellten Beobachtungen werden – wie Fischer treffend in Erinnerung ruft – bereits in den Adaptionen der markinischen Grableerfindungserzählung durch Lukas und Matthäus deutlich, die von ihrem freien Umgang mit ihrer (nicht als Protokoll unveränderlichen Tatsachenwissens verstandenen) Vorlage in Entsprechung zu den je individuellen Intentionen und Bedürfnissen ihrer Adressatenkreise zeugen (Fischer, Der Auferstehungsglaube, 54). 226 Vgl. Schmitz, Wahre Geschichte(n), 131. 227 Vgl. Thöne, TextWelten, 136. 228 A.a.O., 134. 229 Vgl. a.a.O., 137. 230 Vgl. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 421 f. 231 Vgl. Klappert, Diskussion, 12 u. Kremer, Osterbotschaft, 22. 232 Vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 10. 222

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

293

gen zu beruhen233, die von den Evangelisten aufgegriffen und narrativ wiedergegeben wurden.234 Inwieweit sich bestimmte Texte für eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage eignen, ist ferner ohnehin nicht sachgemäß an weltanschaulichen Vorentscheidungen hinsichtlich ihrer Inhalte, sondern erst anhand narratologischer Untersuchungen ihrer individuellen Gestaltung und – hier vor allem – anhand der in ihnen (nicht) vorfindlichen Fiktionalitätsindikatoren zu ermitteln.235 Ausgegangen wird dabei von der literaturwissenschaftlichen Grundprämisse, dass die einzelnen Elemente eines Textes die pragmatische Qualität eines vorwiegend faktualen oder eines vorwiegend fiktiven Charakters aufweisen können236, welchen es zu ermitteln gilt. Diese Ermittlung erfolgt anhand einer Untersuchung der jeweiligen Textstruktur, die im Rahmen gewisser Konventionen als augenfälliger Hinweis darauf verstanden werden kann, ob der betreffende Text fiktionaler Natur ist, und die einen entsprechenden Einfluss auf die Rezeptionshaltung seiner Rezipienten zu nehmen vermag.237 Als faktual können dabei Textelemente bezeichnet werden, wenn sie einen „pragmatischen Anspruch auf historische Referentialität“238 aufweisen, der in einer Bezugnahme auf Daten, Personen und Ereignisse bestehen kann, welche innerhalb der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Geschichte (und somit außerhalb von der jeweiligen Erzählung) über ein Äquivalent referentieller Art verfügen.239 Faktuale Textelemente zeichnen sich somit – stark vereinfacht gesprochen – dadurch aus, dass sie eindeutig auf die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare, außersprachliche Wirklichkeit verweisen240 und diese derart „sicher, wahr [und] richtig“241 abbilden, dass es den geläufigen Konventionen in der das Texterzeugnis produzierenden und rezipierenden Gesellschaft entspricht. Fiktiven Textelementen mangelt es demgegenüber an derart eindeutigen Bezügen zur empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren, außertextuellen 233 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 344. Gemeint sind solche Erinnerungen, die sich auf Ereignisse beziehen, welche in der von Menschen erfahrbaren Geschichte wahrgenommen wurden. 234 Vgl. a.a.O., 348. 235 In Dankbarkeit und von Herzen verweise ich auf Lukas Schade, der mit seiner inspirierenden und scharfsinnigen Forschung zur Integration der vorfindlichen literaturwissenschaftlichen Aspekte in meine Arbeit anregte. 236 Vgl. Grabes, Fiktion – Realismus – Ästhetik, 69. 237 Vgl. a.a.O., 66. Die besagte Einflussnahme des Textes auf die Rezeptionshaltung seiner Rezipienten ist zweifellos abhängig davon, ob diesen die Konventionen bekannt sind, die einen Text als fiktional oder als faktual ausweisen (vgl. ebd.). 238 Luther, Jesus was a man, 196. Die historische Referentialität scheint die Bezugnahme des Textes auf die empirisch-geschichtswissenschaftliche Dimension der Geschichte zu beschreiben. 239 Vgl. Jaeger, Erzählen im historischen Diskurs, 112, zitiert nach Luther, Jesus was a man, 201. 240 Vgl. Luther, Jesus was a man, 196. 241 Eltrop, Wie ist die Bibel wahr?, 126.

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Teil III: Eigene Deutung

Wirklichkeit242, da es sich bei ihnen – in Entsprechung zum namensgebenden lateinischen Verb fingere243– vielmehr um all jene Komponenten von Texterzeugnissen handelt, mit welchen operiert wird, obschon sie schlicht ausgedacht und nur imaginiert sind oder als gegeben vorausgesetzt werden.244 Die von Grabes als „spezifisches Verhältnis“245 beschriebene Beziehung der fiktiven Textelemente zur empirisch-geschichtswissenschaftlichen Wirklichkeit besteht demnach (im Unterschied zum Bezug der faktualen Textelemente zu ebendieser) gerade darin, dass sich fiktive Textpassagen keineswegs auf außertextuelle Korrelate in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Wirklichkeit beziehen müssen. Die in fiktiven Textelementen vorfindlichen Orte, Zeitangaben, Figuren und Handlungsstränge können frei erfunden worden sein.246 Eine narratologische Untersuchung einzelner Texterzeugnisse darf jedoch nicht unberücksichtigt lassen, dass sich die Beziehungen faktualer und fiktiver Textelemente (zueinander) innerhalb realer Texte als komplexer erweist, als die 242

Vgl. Grabes, Fiktion – Realismus – Ästhetik, 67. Fingere, ungefähr übersetzt mit: „bilden, erfinden, erdichten, vortäuschen“ (Thöne, TextWelten, 135). Diese Übersetzungsvorschläge suggerieren eine gewisse Fragwürdigkeit und eine ambivalente Bewertung des mit dem Verb beschriebenen Vorgangs, der im Vollzug einer mutwilligen Täuschung durch den die Handlung Ausführenden zu bestehen scheint (vgl. ebd.). Eine Übertragung dieser negativen Assoziationen auf fiktive Textelemente und die mit ihr einhergehende, nicht selten erkennbare Abwertung ebendieser aufgrund dessen, dass sie falsch, unwahr und somit defizitär seien, lässt – wie auch Eltrop zeigt – unberücksichtigt, dass auch faktuale Textelemente keinen völlig objektiven und direkten Zugang zur empirischgeschichtswissenschaftlich erfassbaren Wirklichkeit aufweisen (vgl. Eltrop, Wie ist die Bibel wahr?, 126). Auch bei ihnen handelt es sich – wie bei jeder Versprachlichung – um Perspektivierungen und perspektivische Brechungen der Wirklichkeit. Zudem verkennt eine Abwertung fiktiver Textelemente, dass Fiktivität nicht unreflektiert mit der durch den Begriff mitunter hervorgerufenen Assoziation der Unglaubwürdigkeit gleichzusetzen ist, sondern vielmehr als besondere Qualität (biblischer) Texterzeugnisse erkannt werden muss, durch die insbesondere herausfordernde biblische Texte ihre spirituellen und natürlich auch theologischen Kräfte entfalten können (vgl. ebd.). In diesem Zusammenhang sei noch einmal auf die in Kapitel II.2.3.c dargestellte Auseinandersetzung mit der bultmannschen Entmythologisierungsforderung verwiesen, in der reflektiert wurde, welche Bedeutung Textaussagen, die als fiktiv oder mythologisch verstanden werden müssen, zuzugestehen ist. 244 Vgl. Grabes, Fiktion – Realismus – Ästhetik, 68. 245 A.a.O., 64. 246 Vgl. Luther, Jesus was a man, 193. Grabes weist im Sinne der erheblichen Prägung der Weltwahrnehmung durch die eigenen Historizitäts- und Realitätsimplikationen dankenswerterweise darauf hin, dass auch die Beantwortung der Fragen nach dem (einen Text zuzusprechenden) „Verhältnis zur ,Realität‘“ (Grabes, Fiktion – Realismus – Ästhetik, 66) sowie danach, ob er entsprechend als vorrangig faktual oder vorrangig fiktiv charakterisiert werden kann, wesentlich von der (durch den Beurteilenden vorausgesetzten) Realitätsnorm beeinflusst werde. Folglich könne ein und derselbe Text in Abhängigkeit von den vorausgesetzten, möglicherweise stark voneinander abweichenden Historizitäts- und Realitätsvorstellungen verschiedener Beurteiler als faktual oder als fiktiv beurteilt werden, was es zu berücksichtigen gilt, wenn von einer vermeintlich unzweifelhaften Fiktivität oder Faktualität eines Textes gesprochen wird (vgl. ebd.). 243

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

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dargestellte, stark vereinfachte, definitorische Abgrenzung der beiden Begriffe es vermuten lässt, und dass eine eindeutige Charakterisierung eines Texterzeugnisses als fiktional oder faktual ferner meist nicht trennscharf möglich ist247, worauf neben John Searle unter anderem auch Gerard Genette und Albrecht Koschorke hinweisen.248 Der dargestellte Umstand wird etwa daraus ersichtlich, dass die meisten als vorwiegend fiktiv beurteilten Texterzeugnisse vorgeben, auch faktuale Komponenten (wie Bezüge zu geschichtswissenschaftlich-empirisch erfassbaren Personen, Orten, Begebenheiten oder Handlungssträngen) zu besitzen, oder diese sogar tatsächlich aufweisen.249 Ist Letzteres der Fall, werden sie nicht selten narrativ mit den erdachten Textelementen verknüpft.250 Vorwiegend als faktual beurteilte Texterzeugnisse sind hingegen – selbst wenn sie in Bezug auf reale Personen, Geschehnisse oder Orte „einen hohen Grad außertextueller Referenzen“251 aufweisen – nie als „objektive Repräsentation der Vergangenheit“252 zu verstehen, was bereits aus den in Kapitel III.1.1 dargebotenen erkenntnistheoretischen Überlegungen hervorgeht. Sie beinhalten ferner – etwa nach Ansicht Susanne Luthers – häufig auch fiktive Erzählweisen oder Komponenten.253 Das schiere Vorliegen fiktiver oder faktualer Textelemente innerhalb eines Texterzeugnisses kann folglich noch nicht ausreichen, um es als Ganzes als fiktiv oder als faktual zu charakterisieren. Stattdessen ist zur Gewinnung einer angemessenen Gesamteinschätzung der Fiktionalität beziehungsweise der Faktualität eines Texterzeugnisses im Sinne Grabes zu ermitteln, in welchem Ausmaß die (den Darstellungen innewohnende) Fiktivität durch die Textstruktur als Ganze vermittelt wird, da erst dann die Rede von einem „primär fiktionalen Gebilde mit eingefügten Realitätsbezügen“254 sein könne, wenn die fiktiven Aspekte die gesamte Struktur des Texterzeugnisses bestimmen.255 247

Vgl. Thöne, TextWelten, 136. Vgl. Luther, Jesus was a man, 194. 249 Vgl. a.a.O., 194 f. 250 Vgl. Thöne, TextWelten, 136. 251 Luther, Jesus was a man, 190. 252 A.a.O., 189. 253 Vgl. a.a.O., 194 f. Dolezˇel schlägt hinsichtlich der unterschiedlichen Ausprägung des Vorhandenseins fiktiver Darstellungselemente in vorwiegend faktualen Texterzeugnissen zur näheren Charakterisierung verschiedener Textproduktionen eine Differenzierung zwischen „möglichen, historischen Welten“ (a.a.O., 190 f.) und fiktionalen Welten vor. Als fiktionale Welten seien alljene Textwelten zu bezeichnen, welche „in fiktionalen Texten erschaffen, d.h. konstruiert werden“ (a.a.O., 191) und über keine Referentialität zur geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Wirklichkeit verfügen. Die Bezeichnung der möglichen Welten beschreibe dementgegen jene Textwelten, die „als Modelle vergangener Wirklichkeit gelten“ (ebd.) und ferner potenziell in ihrer oder in einer ihr doch wenigstens ähnlichen Form bereits vor der Textentstehung in der geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte existierten (vgl. ebd.). 254 Grabes, Fiktion – Realismus – Ästhetik, 70. 255 Vgl. ebd. Luther empfiehlt in Bezug auf die problematisierte „Fakt-Fiktion-Unter248

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Teil III: Eigene Deutung

Um ein derartiges Urteil sachgemäß fällen zu können, ist eine Auswertung der (im zu untersuchenden Text vorfindlichen) Faktualitäts- und Fiktionalitätsindikatoren vorzunehmen256, bei denen es sich im Wesentlichen um von dem Leser erkennbare textimmanente Zeichen257 für den in den Texten jeweils angelegten Faktualitätsanspruch258 und für die historische Referentialität handele.259 Als Beispiele für derartige Signale und Indikatoren benennt Luther neben dem angesprochenen pragmatischen „Anspruch auf Wirklichkeitsentsprechung“260 die auf inhaltlich-semantischer Ebene zu verortende Wirklichkeitsnähe oder -ferne und die Unmöglichkeit oder Möglichkeit der dargestellten Inhalte sowie die vom Verfasser gewählten Darstellungsweisen. Darüber hinaus können auch die Wahl des Genres und die im Text (nicht) vorfindlichen konkreten Kontextangaben, wie etwa Bezeichnungen, Quellen, Namen, Orte oder bestimmte Daten, sowie die Nutzung von Fachbegriffen und -sprachen oder von den „Ordnungsprinzipien von Zeit und Raum sowie Linearität“261 als Fiktionalitätssignale oder Realitätsindikatoren fungieren.262 Untersucht man nun die Grableerfindungserzählungen der neutestamentlichen Evangelien, so wird deutlich, dass in ihnen – ebenso wie in nahezu allen existierenden Texten – sowohl faktuale als auch fiktionale Textelemente zu finden sind.263 Sie erheben allerdings einen wahrnehmbaren Anspruch darauf, sich rescheidung“ (Luther, Jesus was a man, 198) ebenfalls, die Vorstellung der eindeutigen Unterscheidbarkeit von fiktiven und faktualen Texten aufzugeben und stattdessen im Sinne eines Kontinuums die Feststellung des Ausprägungsgrades der Faktualität oder Fiktionalität eines Textes anzustreben, indem er auf einer Art Achse eingeordnet wird, auf welcher sich Fiktion und Fakt gegenüberstehen. Martinez und Scheffel differenzieren hingegen (in Orientierung an den ihres Erachtens zuvor zu ermittelnden Geltungsansprüchen von Texterzeugnissen) zwischen „Faktuale[n] Erzählungen mit fiktionalisierenden Erzählverfahren“ (a.a.O., 198 f.), „Faktuale[n] Erzählungen mit fiktiven Inhalten“ (ebd.), „Fiktionale[n] Erzählungen mit faktualen Inhalten“ (ebd.) und „Fiktionale[n] Erzählungen mit faktualem Redemodus“ (ebd.), wodurch prinzipiell eine spezifischere Unterscheidung verschiedener Texterzeugnisse ermöglicht wird. Luther bemängelt in Bezug auf diese Kategorien Martı´nez und Scheffels jedoch, dass es ihnen bislang an exakten Zuordnungskriterien mangele (vgl. a.a.O., 199). 256 Vgl. Luther, Jesus was a man, 195. 257 Vgl. Cohn, Historisches und literarisches Erzählen, 106 f., zitiert nach Luther, Jesus was a man, 195. 258 Luther, Jesus was a man, 200. 259 Vgl. a.a.O., 194. Die historische Referentialität scheint auch hier die Bezugnahme des jeweiligen Texterzeugnisses auf die empirisch-geschichtswissenschaftliche Dimension der Geschichte zu beschreiben. 260 A.a.O., 197. 261 Ebd. 262 Vgl. ebd. Auch an dieser Stelle sei noch einmal mit Grabes daran erinnert, dass weniger die erwähnten Textelemente oder der strukturelle Aufbau eines Textes per se als vielmehr die Einschätzung ebendieser Komponenten durch den Beurteilenden in Abhängigkeit von dessen Realitäts- und Historizitätsimplikationen die Beurteilung des realitätsbehauptenden oder eben auch des fiktionalen Status eines Textelements oder eines ganzen Textes prägen und beeinflussen (vgl. Grabes, Fiktion – Realismus – Ästhetik, 66). 263 Vgl. Thöne, TextWelten, 136.

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

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ferentiell auf außertextuelle Geschehnisse, die sich in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte ereignet haben, zu beziehen und diese darzustellen.264 Dies zeigt sich bereits daran, dass sie sich – im Gegensatz zu den (ebenfalls im Neuen Testament vorfindlichen) Gleichniserzählungen – gerade nicht auf fiktionale Charaktere innerhalb nicht minder fiktionaler Erzählungen beziehen, sondern im Gegenteil auf faktuale Personen (wie Jesus und Petrus) verweisen, welche in der außertextuellen, empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte lebten.265 Ferner wird erkennbar, dass die Grableerfindungserzählungen generell vergleichsweise wenige Fiktionalitätssignale aufweisen266, was für die markinische Grableerfindungserzählung im besonderen Maße gilt, die – entsprechend dem Anspruch, einen faktualen Text zu produzieren, der von realen, außertextuellen Referenzobjekten berichtet, – über nahezu keine textexternen oder textinternen Fiktionalitätssignale verfügt. Dies wird etwa daran erkennbar, dass die Erzählung wenig bis keine Poetizität, keine paratextuellen Elemente und keine Durchbrechungen der Erzählebenen aufweist. Die in der Erzählung dargestellten Inhalte können darüber hinaus – ausgehend von den konventionellen Historizitätsund Realitätsvorstellungen ihrer impliziten Leser – weitgehend als plausibel und denkbar beurteilt werden, was die faktuale Wirkung, die der Text zumindest für sie aufgewiesen haben dürfte, bestärkt. Die Leser und Hörer der Erzählung wussten so um den thematisierten Totensalbungsbrauch oder um die gebotene Sabbatruhe sowie um die konkreten Erzählfiguren, welche als Repräsentanten des Glaubens des frühen Christentums bekannt waren. Sie hielten die in der Erzählung dargestellte Leerfindung des Grabes höchstwahrscheinlich für denkbar und in Bezug auf ihr Geschehensein für realistisch.267 Selbst die Erwähnung des Himmelsboten, die ausgehend von konventionellen mitteleuropäischen Realitätsprämissen des Jahres 2023 gemeinhin als Fiktionalitätssignal beurteilt werden dürfte, entsprach der Erzähllogik und dem marki-

264 Vgl. Luther, Jesus was a man, 199 u. Kremer, Osterbotschaft, 135. Der Anspruch der Erzählungen, (trotz der in ihnen vorfindlichen fiktiven Elemente) Geschehnisse zu bezeugen, die sich in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte ereignet haben, wird auch in den vorverständigenden Erläuterungen in Lk 1,1–4 deutlich, welche von der Gewissheit zeugen, dass sich die Darstellungsgegenstände tatsächlich ereignet haben (vgl. Vorholt, Osterevangelium, 351). Dass eine Verwendung fiktiver Elemente im Kontext der (in der Antike verbreiteten) historiographischen Konventionen üblich war (vgl. Luther, Jesus was a man, 202 f.) und prinzipiell nicht im Widerspruch zu dieser Intention gestanden haben muss, ist auch daran erkennbar, dass imaginative Erzählweisen und fiktive Textbausteine grundsätzlich in weiten Teilen der antiken Geschichtsschreibung Verwendung fanden. Dies wird unter anderem an der Kritik Lukians an den zu seiner Zeit entstehenden historiographischen Darstellungen sowie an der Verwendung fiktiver Textelemente durch Herodot, Quintilian und Cicero ersichtlich (vgl. a.a.O., 186). 265 Vgl. Crossnan, The Power of Parable, 143, zitiert nach Luther, Jesus was a man, 202. 266 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 350 f. 267 Vgl. a.a.O., 186.

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Teil III: Eigene Deutung

nischen Vorstellungshorizont268, weshalb sie keineswegs als vermeintlicher Beleg dafür herangezogen werden kann, dass die Erzählung keinen referentiellen Anspruch darauf erhob, in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Wirklichkeit geschehene Begebenheit zu bezeugen. Dies würde im Übrigen auch dann gelten, wenn nachgewiesen werden könnte, dass auch der Verfasser des Markusevangeliums sowie die ersten Rezipienten seiner Erzählung die Erwähnung des Engels nun doch auch als ein Signal für Fiktionalität verstanden hätten, da innerhalb der Erzählungen der Evangelien durch die Nutzbarmachung dezidiert fiktiver Textelemente nicht selten die Authentizität der sie rahmenden Textelemente erhöht wurde, indem die Rezipienten jene (als fiktional verstandenen) Elemente von den sonstigen, in den Evangelien vorfindlichen narrativen Geschichtskonstruktionen unterschieden, wodurch sie deren faktualen Anspruch deutlicher wahrnahmen.269 Die Erkenntnis, dass das Markusevangelium im Blick auf seine Grableerfindungsperikope augenscheinlich den Anspruch vertritt, im Rahmen einer faktualen Erzählung Ereignisse darzustellen, die sich in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Wirklichkeit ereignet haben, scheint grundsätzlich auch auf die Grableerfindungserzählungen der weiteren kanonischen Evangelien des Neuen Testaments übertragbar zu sein. Dies wird innerhalb des Grableerfindungsdiskurses und in Bezug auf die Frage danach, welche Quellen zur geschichtswissenschaftlichen Beurteilung des empirischen Zustandes des Grabes herangezogen werden können, nicht angemessen berücksichtigt und soll deshalb anhand einiger Beispiel thematisiert werden: Nauck stellt so etwa treffend heraus, dass alle Grableerfindungserzählungen der kanonischen Evangelien theologisch wenig reflektiert erscheinen, da diverse charakteristische Theologumena in ihnen gerade nicht vorliegen, die seiner Ansicht nach erwartbar wären, sofern es sich bei ihnen nicht um faktuale, sondern um fiktive Erzählungen oder Legenden gehandelt hätte270, die entsprechend der Verständnisse Bultmanns oder Lüdemanns ausschließlich zu dem Zwecke verfasst worden wären, theologische Intentionen ihrer Verfasser narrativ umzusetzen. Zu diesen nicht vorfindlichen Theologumena zählen etwa das Fehlen des (ausschließlich in der johanneischen Version ausdrücklich vorliegenden und in der lukanischen Version nur indirekt verwendeten) Schriftmotives in den markinischen und matthäischen Versionen sowie die in allen Evangelien fehlenden Reflexionen über die vom Geist Jesu vollzogene „Himmel- bzw. Hadesfahrt“271 und über das Anbrechen des neuen Äons in der leeren Grabstätte. Auch eine Thematisierung der (die Erscheinungserzählungen prägenden) Konstitution der Leiblichkeit Jesu oder erkennbare „Einflüsse christologischer Motive der urchristlichen Bekenntnisbildung und der urkirchlichen Gemeindetheologie“272, die in ihrer Funktion darüber hinausrei268

Vgl. ebd. Vgl. Luther, Jesus was a man, 183 f. 270 Vgl. Nauck, Die Bedeutung, 249 f. 271 Ebd. 272 A.a.O., 250. 269

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

299

chen, die Identität des Verstorbenen mit dem Auferstandenen zu unterstreichen, seien in den Grableerfindungserzählungen nicht zu finden, welche bekanntlich keine elaborierten Bekenntnisse zu Jesus als dem Gottessohn, Herrn oder Messias beinhalten.273 Nichtsdestotrotz bleibt in Bezug auf die Frage nach den zur geschichtswissenschaftlichen Untersuchung der Grableerfindung heranzuziehenden Quellen einzuräumen und zu bedenken, dass die späteren Adaptionen der markinischen Erzählung zunehmend als Glaubenszeugnisse dienten und in ihrer Ausgestaltung durch dieses Selbstverständnis274 sowie durch die individuellen Intentionen ihrer Verfasser geprägt wurden. Dies sei im Blick auf die Untersuchung der in den Grableerfindungserzählungen vorfindlichen Fiktionalitätssignale noch einmal am Beispiel der matthäischen Erzählung illustriert, an der deutlich wird, dass ihr Verfasser im Vergleich zu Markus offensichtlich weniger darauf abzielte, eine faktuale Erzählung zu verfassen, als vielmehr darauf, der lügnerisch diffamierenden Behauptung richtigstellend zu begegnen, dass Jesu Jünger seinen Leichnam zur Inszenierung eines Betruges entwendet hätten. Diese Intention realisiert Matthäus – wie im Kapitel I.2.2 dargestellt – auch dadurch, dass er (im orientalischen Raum geläufige) Sprechweisen verwendet, um die völlige Ausgeschlossenheit eines Jüngerbetrugs oder eines Leichendiebstahls hervorzuheben und im Gegenteil auf die hinterhältige Bestechung hinzuweisen, die von Jesu Gegnern begangen wurde.275 Dass der grundlegende Anspruch des Verfassers auf Faktizität dabei nicht im Vordergrund steht, wird bereits an seiner ironischen Umgestaltung der literarischen Tradition ersichtlich, im Zuge derer Matthäus mit höchstwahrscheinlich „bewusst konstruierten Unwahrscheinlichkeiten der Darstellung“276 arbeitet. Zu diesen zählt, dass die Grabwächter – unter der (im Rahmen des Betruges abgesprochenen, von ihnen verbreiteten) Prämisse, dass sie geschlafen hätten – nicht logisch im Sinne von Mt 28,13 hätten bezeugen können, dass die Jünger den Leichnam gestohlen hätten, da sie dies im schlafenden Zustand unmöglich hätten wahrnehmen können.277 Ein solcher Logikfehler wäre wohl auch den Hörern ihrer Bezeugung unmittelbar aufgefallen. Ferner wäre ein solches Geständnis für die Grabwächter höchst prekär gewesen, da ein derart säumiger Vollzug des Wachdienstes unweigerlich geahndet worden wäre, wenngleich der Text auf diese Unstimmigkeit reagiert, indem er darauf verweist, dass der Hohe Rat versprochen habe, zu gewährleisten, dass die Soldaten vor etwaigen Strafmaßnahmen geschützt werden würden.278 Als weitere Unstimmigkeit kann angeführt werden, dass in der Erzählung vorausgesetzt wird, dass die Pharisäer um die Voraussage der Aufer273

Vgl. ebd. Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 336. 275 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 41 f. 276 Hoffmann, Auferstehung II/I, 502. 277 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 40. 278 Vgl. ebd. 274

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Teil III: Eigene Deutung

stehung Jesu gewusst hätten. Dies steht allerdings der Gesamtkomposition des Matthäusevangeliums entgegen, in dem diese Information lediglich im Rahmen der Perikopen um das Tempellogion in Mt 26,61–64 und um das Jonazeichen in Mt 12,40 sowie in Situationen preisgegeben wurde, in denen ausschließlich die Jünger Jesu zugegen waren.279 Aufgrund der im Kapitel I.2.2 dargestellten, zweifellos apologetisch motivierten Tendenzen der Perikopen um die Sicherung des Grabes und um den hohepriesterlichen Betrug sowie aufgrund der gezeigten Unwahrscheinlichkeiten in den Darstellungen280 scheinen sich auf den ersten Blick anhand der matthäischen Grableerfindungserzählung in Bezug auf die angestrebte geschichtswissenschaftliche Rückfrage keine plausibel begründeten Aussagen treffen zu lassen, die sich nicht bereits auch auf den schon im Markusevangelium vorfindlichen Kern der Erzählung stützen könnten.281 Nichtsdestotrotz kann aufgrund dessen, dass es sich bei der matthäischen Erzählung – wie auch bei der lukanischen und bei der johanneischen Version – um fiktive Inhalte einbindende und fiktionale Erzählstrategien nutzende, frühchristliche Realitätskonstruktionen handelt, die einen Anspruch darauf aufweisen, als Texte faktualer Art verstanden zu werden282, nicht final ausgeschlossen werden, dass sich auch in ihnen weitere Facetten des (im gemeinsamen Kern der vier Erzählungen thematisierten) Gegenstandes der Grableerfindung283 sowie ein möglicher Einfluss älterer mündlicher und schriftlicher Überlieferungen widerspiegeln.284 Die nachfolgenden Untersuchungen beziehen sich daher nicht im Sinne Pannenbergs explizit auf die markinische Bezeugung oder gar auf ihre Detaillierungen, sondern fokussieren den (auch durch die individuellen, redaktionellen Handlungen ihrer jeweiligen Verfasser keineswegs verstellten) geteilten Kern der in allen kanonischen Evangelien vorfindlichen Grableerfindungserzählungen285, 279

Vgl. a.a.O., 34 u. Mt 16,21, Mt 20,19 u. Mt 17,23. Vgl. a.a.O., 42. 281 Selbiges gilt auch in Bezug auf die Grableerfindungserzählungen des Lukas- und des Johannesevangeliums, welche ebenfalls durch vielfältigste (apologetische) Intentionen der Evangelisten geprägt wurden, die zu Erweiterungen der markinischen Vorlage führten. Auch hier ist es daher ratsam, sich im Zuge geschichtswissenschaftlicher Rückfragen vorrangig auf den noch eingehender zu definierenden, bereits in der markinischen Erzählung vorfindlichen Kern zu fokussieren. 282 Vgl. Luther, Jesus was a man, 202. Dem in Anmerkung 255 skizzierten Schema Scheffels und Martı´nez entsprechend könnten die Grableerfindungserzählung aufgrund ihrer besagten Charakteristika als „Faktuale Erzählungen mit fiktionalisierenden Erzählverfahren“ (a.a.O., 198 f.) oder als „Faktuale Erzählungen mit fiktiven Inhalten“ (a.a.O., 199) bezeichnet werden. 283 Vgl. Lüdemann, Die Aufweckung, 27. Erinnert sei etwa an die skizzierte Kritik Kendels an der Fokussierung Pannenbergs auf die markinischen Darstellungen im Zuge seiner Deutungen (Siehe Kapitel II.1.5 u. Kendel, Die Historizität, 163). 284 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 27 u. Hoffmann, Auferstehung II/I, 500. 285 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 135 u. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 48. 280

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

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der in der Bezeugung dessen besteht, dass Frauen das Grab ihres Herrn leer vorfanden.286

Die leider nicht näher begründete und wenig differenzierte Behauptung Fößels, dass sich aus der Erkenntnis, dass es sich bei den Grableerfindungserzählungen nicht um protokollartige Geschichtsberichte handelt, notwendig ergebe, dass eine beschreibende Rekonstruierung der ursprünglichen Ereignisse grundsätzlich nicht möglich sei (vgl. Fössel, Offenbare Auferstehung, 589, ähnlich auch a.a.O., 593), leuchtet ebenso wenig ein wie die von ihm in diesem Zusammenhang vorgebrachte Behauptung, dass eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung der Erzählungen zum Zweck einer Rekonstruktion der von ihnen bezeugten Ereignisse zwingend damit einhergehen müsse, dass ihre Differenzen eliminiert werden, da sie hier nur als „Ungenauigkeiten, Falschheiten oder Ereignisdoppelungen“ (a.a.O., 589) verstanden werden können. Derartige Vorstellungen scheinen auf den wundersamen Prämissen zu beruhen, dass ausschließlich protokollarische Geschichtsberichte von empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Ereignissen zu berichten vermöchten und dass das Interesse an der Rekonstruktion der besagten Ereignisse eine Wertschätzung aller für dieses Unterfangen nicht unmittelbar relevanten Elemente der Erzählungen zwingend ausschließe. 286 Vgl. Kremer, Osterbotschaft, 135 u. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 48. Der Aspekt der ebenfalls in allen kanonischen Grableerfindungserzählungen vorfindlichen Engelsbotschaft wird in diesem Buch hingegen nicht eigens thematisiert, da diese sich der angestrebten geschichtswissenschaftlichen Rückfrage aufgrund ihrer mangelnden Analogiefähigkeit entzieht. Eine Auseinandersetzung mit diesem Aspekt wäre insofern nicht gewinnbringend, da ihre (wie auch immer geartete und im Wissen um die immer wieder betonte Komplexität der Realität keineswegs pauschal bestrittene) Wirklichkeit anhand der verwendeten Methode nicht erfasst werden könnte und damit die zu generierende, in Bezug auf die Zielstellung dieses Buches nicht weiterführende Deutung notwendig metaphorischer Natur wäre. Das methodische Vorgehen und die in diesem Zusammenhang vollzogene Eingrenzung des zur geschichtswissenschaftlichen Rückfrage heranzuziehenden Textbefundes mögen nun in gleicher Weise wie die Konzeption von Campenhausens insofern kritisiert werden, als dass eine angestrebte Untersuchung der Erzählungen, welche die Engelsbotschaft unberücksichtigt lässt, sich aufgrund ebendieser Auswahlentscheidung letztlich auf Geschichten bezöge, welche keinerlei Verkündigungsinhalt aufwiesen und deren Tradierung innerhalb der (früh)christlichen Gemeinden entsprechend nicht nachvollziehbar wäre (vgl. Fischer, Das Ostergeschehen, 59, zitiert nach Oberlinner, Die Verkündigung, 177). Eine kritische Stellungnahme in Bezug auf diese Erwägungen erfolgt im Kapitel III.2.3.e. Nicht unerwähnt bleiben soll hinsichtlich der Engelsbotschaft jedoch schon hier die Annahme Oberlinners, dass der Umstand, dass ihr ausgehend von der reflektierten Rationalität kein Geschichtsbezug zugesprochen werden könne, notwendig damit einhergehe, dass die gesamten Erzählungen als fiktive Texte einzuschätzen seien, die keineswegs auf außertextuelle Referenzobjekte in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte Bezug nähmen (vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 181). Inwiefern es angemessen sein kann, ausgehend von einer eventuell bestehenden Fiktivität einzelner Textelemente darauf zu schließen, dass das gesamte Texterzeugnis ausschließlich fiktiv ist, ist nicht erst argumentationslogisch und methodisch, sondern schon aufgrund der dargestellten sprachwissenschaftlichen Erwägungen fraglich und scheint mit den in Kapitel II.5 skizzierten Prämissen zusammenzuhängen, die – wie deutlich gemacht – keineswegs letztgültig oder auch nur alternativlos sind.

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Teil III: Eigene Deutung

III.2.2 Geschichtswissenschaftliche Untersuchung der Grablegung und des Ganges zum Grab „Bevor die Ergebnisse dieser Analyse in systematischer Perspektive ausgewertet werden können, muss zunächst die Frage nach der ,Historizität‘ des ,leeren Grabes‘ verhandelt werden, weil die systematischen Schlussfolgerungen durchaus abhängig von der Beantwortung dieser Fragestellung sind.“287

a) Die Grablegung des Leichnams Jesu „Ich habe von solchen gehört, die gekreuzigt wurden, die man aber, weil [...] Feiertage bevorstanden, vom Kreuz abnahm und den Verwandten gab, damit sie ein Begräbnis in Würde und dem Brauch entsprechend erhielten.“288

Während Jesu (durch die Römer vollzogene) Kreuzigung während der Amtszeit des Präfekten Pontius Pilatus vor einem Passafest289 aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive zu den sichersten, erfassbaren „Fakten seines Lebens“290 zählt, werden alle unmittelbar auf sie folgenden Begebenheiten kontrovers diskutiert, was bereits an den vielfältigen Antwortansätzen hinsichtlich der Frage nach dem Umgang mit dem Leichnam Jesu ersichtlich wird. Viele Theologen verweisen so darauf, dass die von den Evangelisten übereinstimmend behauptete Abnahme des Leichnams vom Hinrichtungskreuz sowie dessen Bestattung in Frage zu stellen seien, da es unwahrscheinlich sei, dass sein Leichnam (als der Leichnam eines Gekreuzigten) für eine Bestattung freigegeben worden wäre.291 Crossnan verweist darauf, dass gekreuzigten Verbrechern die Ehre eines angemessenen, den damaligen Bräuchen entsprechenden Begräbnisses in aller Regel nicht gewährt wurde.292 Die römische Rechtspraxis habe in derartigen Fällen vielmehr vorgesehen, dass die Gekreuzigten – sofern es sich bei ihnen nicht um Römer handelte293 – am Kreuz hängen gelassen worden, um dort zu verwesen oder von wilden Tieren gefressen zu werden.294 Dieses Vorgehen sollte

287 Fössel, Offenbare Auferstehung, 600. Der Begriff der Historizität zielt hier auf den Geschichtsbezug der leeren Grabstätte Jesu ab. 288 Philo, Flacc 83, zitiert nach Lüdemann, Die Auferweckung, 51. 289 Vgl. Kuhn, Kreuz II, 715. 290 Klaiber, Jesu Tod und unser Leben, 13. 291 Vgl. Mildenberger, Auferstehung II/IV, 559. 292 Vgl. Alkier, Die Realität, 221, siehe auch Becker, Die Auferstehung, 246. 293 Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 58. 294 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 51.

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

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den Lebenden als Abschreckung dienen und die Verstorbenen sowie ihre Angehörigen in gravierendster Weise entehren.295 Dementgegen wird von Vertretern gegenläufiger Diskurspositionen auf den Befund einer archäologische Ausgrabung von 1968 verwiesen296, in deren Rahmen „in Giv’at ha-Mivtar (im Nordosten des heutigen Jerusalems)“297 die Überreste eines Gekreuzigten gefunden wurden, die nicht in der dargestellten Weise am Kreuz hängen gelassen, sondern in einem schlichten Ossuar bestattet wurden.298 Außerdem wird vielfach angeführt, dass sich die Kreuzigung Jesu vermutlich in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Passafest ereignet habe und dass diese zeitliche Konstellation eine Entscheidung der römischen Behörden für eine Freigabe des Leichnams zu einer Bestattung begünstigt haben könnte, da es ihnen (auch hinsichtlich der vielen Festbesucher) wahrscheinlich ein Anliegen gewesen sei, die Entstehung eines Aufruhrs zu vermeiden.299 Unruhen seien angesichts eines am Kreuze hängenden Leichnams nämlich durchaus denkbar gewesen, da es in Anbetracht der dem Fest zugesprochenen Heiligkeit300 als unpassend gegolten hätte, einen verstorbenen Verbrecher derart öffentlich zur Schau zu stellen.301 Diese These wird auch durch heidnische Quellen erhärtet, so schreibt Philo im Rahmen seiner dieses Kapitel einleitenden Ausführungen in In Flaccum 83: „Ich habe von solchen gehört, die gekreuzigt wurden, die man aber, weil [...] Feiertage bevorstanden, vom Kreuz abnahm und den Verwandten gab, damit sie ein Begräbnis in Würde und dem Brauch entsprechend erhielten.“302 295 Vgl. ebd. u. Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 14. Einige Theologen verweisen ferner darauf, dass die Grablegungserzählungen möglicherweise ausschließlich zur Realisierung verschiedener Darstellungsabsichten konzipiert und niedergeschrieben wurden, zu denen die bereits angesprochenen Intentionen zählen könnten, Jesu Tod zu bestätigen, jedes Gerede über eine unehrenhafte Bestattung seines Leichnams zurückzuweisen oder an Jes 53,9 anzuknüpfen (vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 52). Ungeachtet dessen, dass derartige Intentionen die Konstruktions- und Abfassungsprozesse der Erzählungen beeinflusst haben mögen, bleibt jedoch zu bedenken, dass dieser Umstand keineswegs damit einhergehen muss, dass ihre Gegenstände keine Bezüge zur geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Wirklichkeit aufweisen könnten. Ein Verweis auf eine (durch die konkrete Ausgestaltung der Erzählungen bedingte) Realisierung vermeintlicher Darstellungsintentionen trägt somit nicht unmittelbar zur Beantwortung der verhandelten Frage bei. 296 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 341. 297 Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 437. 298 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 341. 299 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 51 f., mit Verweis auf Philo, Flacc 83. 300 Vgl. Philo, Flacc 83, zitiert nach Lüdemann, Die Auferweckung, 51 f. 301 Vgl. a.a.O., zitiert nach Lüdemann, Die Auferweckung, 52 u. siehe Becker, Die Auferstehung, 346 sowie explizit die diesen Annahmen zugrundeliegenden Verse in Dtn 21,22 f., in welchen die Notwendigkeit betont wird, die Leichname von Gekreuzigten (und somit von „von Gott Verfluchte[n]“ [Dtn 21,23]) nicht über Nacht am Kreuz hängen zu lassen, sondern sie noch am Todestag zu begraben, da durch sie anderenfalls das Land, auf welchem die Hinrichtung vollzogen wurde, verunreinigt werden würde (vgl. Dtn 21,22 f.). 302 Philo, Flacc 83, zitiert nach Lüdemann, Die Auferweckung, 51. Ein Begräbnis einer einfachen Person galt zur Zeit des Todes Jesu und gemäß der damaligen Bestattungskonven-

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Teil III: Eigene Deutung

Inwiefern diese Befunde auf den Umgang mit dem Leichnam Jesu übertragen werden können, bleibt jedoch umstritten, da sein Leichnam den Evangelien zufolge nicht an Familienangehörige, sondern an einen gewissen Josef, der aus dem nicht näher bekannten Arimatäa stammte303, sowie gegebenenfalls an den Sympathisanten Nikodemus übergeben worden sei.304 Da es sich bei dem besagten jüdischen Mann – Josef von Arimatäa – um ein angesehenes Mitglied des Rates gehandelt habe305, ist die Vorstellung, dass er aufgrund seines Ranges dazu befähigt war, bei Pilatus vorzusprechen306, um eine Freigabe des Leichnams zum Zweck seiner (den jüdischen Sitten und Bräuchen entsprechenden) umgehenden Bestattung zu erbitten307, nicht pauschal als unplausibel zu bewerten.308 Kritische tionen dann als würdevoll, wenn sie in der Grabstätte bereits verstorbener Familienangehöriger beigesetzt wurde, was dem Leichnam Jesu (sowohl ausgehend vom biblischen Befund als auch ausgehend geschichtswissenschaftlicher Wahrscheinlichkeitsabwägungen) offenbar verwehrt blieb, da ihm höchstwahrscheinlich keine Bestattung in einer Familiengrabstätte in Nazareth zuteilwurde, falls eine solche überhaupt existierte (vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 43). 303 Lindemann, Auferstehung, 12. 304 Vgl. Joh 19,39–42 u. Kuhn, Kreuz II, 717. Die durch die Evangelien nahegelegte Vorstellung einer Bestattung durch Josef (und Nikodemus) scheint im Widerspruch zu dem Hinweis in Apg 13,29 zu stehen, dass „die Juden“ Jesus bestatteten (vgl. Becker, Die Auferstehung, 245). Dieser Behauptung ist jedoch keine hohe Wahrscheinlichkeit zuzusprechen (vgl. Klappert, Diskussion, 12), da und zumal sie als solche ohnehin keinen Anspruch darauf zu erheben scheint, sich auf außertextuelle (in der geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte zu verortende) Referenzobjekte zu beziehen. Dies wird darin ersichtlich, dass sie der ebenfalls von Lukas verfassten Grablegungserzählung seines Evangeliums augenfällig widerspricht (vgl. Becker, Die Auferstehung, 246). Becker schlussfolgert in überzeugender Weise, dass die Aussage aus Apg 13,29 ganz im Gegenteil derart zu verstehen sei, dass man Jesu Leichnam begrub, nachdem das Ziel „der Juden“, ihn hinrichten zu lassen, in die Tat umgesetzt wurde und „sie“ ihn so sprichwörtlich „ins Grab brachten“ (Vgl. Becker, Die Auferstehung, 246 mit eigener „Hervorhebung“ der von Becker aus der Apg übernommenen Pauschalisierung). Lüdemann gibt zudem zu bedenken, dass sich die beiden vermeintlich konkurrierenden, nicht zu vereinbarenden Vorstellungen faktisch nicht ausschließen müssten, da es seines Erachtens denkbar wäre, dass Joseph von Arimathäa von den zuständigen jüdischen Behörden mit Jesu Bestattung beauftragt wurde (vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 52). 305 Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 58. 306 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 246. 307 Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 58. 308 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 246. Davon, dass die Bestattung des Leichnams – wie im Johannesevangelium dargestellt – in besonders ehrenvoller, einem König würdiger Weise vollzogen wurde, scheint hingegen nicht auszugehen zu sein, da sich diese Behauptung mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht auf ein außertextuelles Referenzobjekt in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte zu beziehen vermag, sondern wohl ausschließlich auf konkrete Darstellungsintentionen des Evangelisten zurückzuführen ist (vgl. a.a.O., 248). Lüdemann zeigt, dass ein Vergleich der Grablegungserzählungen der vier Evangelien erkennen lasse, dass die Bestattung mit fortschreitender Zeit in zunehmend positiver Weise ausgestaltet wurde. Während Markus die Grabstätte so lediglich als ein Felsgrab bezeichnet,

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

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Stimmen weisen jedoch darauf hin, dass die Leichname von Gekreuzigten in anonymen Massengräbern beerdigt wurden, wie es „der Rechtsordnung der Mischna gemäß (mSanh 6,5 f.)“309 entsprochen habe, sodass den Angehörigen der Verstorbenen der genaue Ort der Bestattung unbekannt blieb310 und sie ihn folglich nicht aufsuchen oder gar leer vorfinden konnten.311 Dies würde weitere Rückfragen nach einer Freigabe des Leichnams Jesu sowie Erkenntnisbemühungen hinsichtlich seiner Grabstätte vergleichgültigen. Dass sich – wie Pannenberg entgegen einer solchen Vorstellung herausstellt – in den alten Traditionen keine Diskussion um das Ergehen des Leibes Jesu finde312, sei nach Ansicht der Vertreter der besagten Position ferner darin zu begründen, dass es im Allgemeinen durchaus bekannt gewesen sei, dass über den Verbleib des Leichnams keine Aussagen getroffen werden können, und dass dieser schon daher nicht zur Diskussion gestanden habe.313 Für eine Bestattung des Leichnams Jesu in einem Massengrab spreche ihres Erachtens zudem, dass innerhalb der synoptischen Kreuzigungserzählungen zwei Mitgekreuzigte erwähnt werden314, die aufgrund der interessengeleiteten Fokussierung der Evangelisten sprechen die anderen Evangelisten von einem neuen Grab, wodurch sie eine Ehrenbezeugung Jesu vornehmen und deutlich ausschließen, dass sein Leichnam in einem Verbrechergrab bestattet wurde. Johannes sowie der Verfasser des Petrusevangeliums verorten die Grabstätte darüber hinaus in einem idyllisch anmutenden Garten, welches ebenfalls als eine Art besondere Auszeichnung zu verstehen sei (vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 51). Angesichts dieser Einsichten ist jedoch – das räumt auch Lüdemann ein – nicht zu verkennen, dass bereits Markus ein erkennbares Interesse an der Thematisierung des Begräbnisses sowie an der Hervorhebung seines ehrenvollen und ordnungsgemäßen Ablaufes gehabt haben dürfte. Dies wird auch darin ersichtlich, dass er darauf verweist, dass Josef von Arimatäa den Leichnam nicht (der jüdischen Konvention entsprechend) lediglich mit bereits gebrauchten Leinentüchern umhüllte, sondern eigens für das Begräbnis neue Tücher erwarb (vgl. a.a.O., 43), was die Ehrerbietung des Mannes gegenüber dem Verstorbenen zum Ausdruck zu bringen scheint. 309 Vorholt, Osterevangelium, 341. 310 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 52. 311 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 246. 312 Vgl. Fischer, Das Ostergeschehen, 68, zitiert nach Lüdemann, Die Auferweckung, 52 u. Becker, Die Auferstehung, 247. 313 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 52. Dass den Jüngern selbstverständlich nicht bekannt gewesen sei, wo Jesus beerdigt wurde, gehe nach Ansicht Beckers daraus hervor, dass diejenigen, die für die Beerdigung verantwortlich gewesen seien, ihnen keine Auskunft darüber hätten geben können, da die Jünger sich versteckt hielten, zumal sie als Gefolgschaft eines hingerichteten Delinquenten wahrscheinlich ohnehin gemieden worden wären. Außerdem bestehe seines Erachtens grundsätzlich kein Grund dafür, im Sinne Pannenbergs anzunehmen, dass die Jünger daran interessiert gewesen seien, das Grab aufzusuchen, da sie dies „doch auch jetzt nur literarisch sekundär und spät [tun]“ (Becker, Die Auferstehung, 247). Ähnliche Argumente finden sich bei Graß, der annimmt, dass ihre Rückkehr nach Jerusalem erst nach einigen Wochen stattgefunden habe und sie zu diesem Zeitpunkt bereits keine verlässliche Auskunft mehr über Jesu Leichnam und dessen Verbleib erhalten konnten (vgl. Grass, Ostergeschehen, 184). 314 Vgl. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 437.

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auf das Geschick Jesu in der geschichtswissenschaftlichen Untersuchung nicht ausreichend Berücksichtigung fänden.315 Eine Beurteilung des Geschichtsbezuges der Grablegung unter Berücksichtigung des Geschicks von Mitgekreuzigten ergebe jedoch, dass auch die Leichname dieser aus den oben genannten Gründen wahrscheinlich zur Bestattung freigegeben worden wären, was die Vermutung nahelege, dass sie aufgrund dessen, dass wahrscheinlich keine drei Einzelgräber gleichzeitig für völlig Fremde nutz- und verfügbar gewesen seien316, gemeinsam mit Jesus bestattet wurden, um „die kultische Reinheit des Passafestes“317 sicherzustellen. Dies werde auch durch den in Joh 19,41 f. vorfindlichen Hinweis, dass der Leichnam des Herrn in einer fremden Grabstätte bestattet wurde, sowie durch die Annahme Marias, dass er umgebettet worden sei, bestätigt, die eine provisorische Bestattung der Männer und eine anschließende Umbettung als denkbar vorauszusetzen scheinen. Obschon sowohl die Thematisierung der Mitgekreuzigten und Jesu Interaktionen mit ihnen am Kreuze als auch die angesprochenen Ausführungen Marias Fiktionalitätssignale aufweisen und – reflektiert man sie im Gesamtzusammenhang der jeweiligen Perikopenfolgen – offenbar auch keinen Anspruch darauf erheben, auf außertextuelle Referenzobjekte in der geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte zu referieren, sprechen sie aufgrund der vermeintlichen Schlagkraft der skizzierten Argumentationslinie etwa nach Ansicht Beckers dafür, dass man mit Blick auf das Geschick Jesu eine vorläufige Grablegung in Betracht ziehen könne und dass dies gegenüber einer Lesart der Erzählungen zu bedenken sei, die die Bestattung Jesu in einem Einzelgrab völlig selbstverständlich voraussetzt.318 Gegen die Vorstellung eines Begräbnisses in einem Massengrab spricht – neben den angesprochenen Erwägungen – jedoch nicht nur der Umstand, dass sie mit den Darstellungen der Evangelien nicht zu vereinbaren ist319, sondern auch – und dieses Argument wiegt schwer – dass für die Existenz ebensolcher Grabstätten innerhalb der jüdischen Antike keinerlei Belege vorliegen.320 Außerdem wäre – wie Fößel treffend zu bedenken gibt – anzunehmen, dass eine Bezugnahme auf Jesaja 53,9 im Stile eines Erfüllungszitates hergestellt worden wäre, sofern der Leichnam Jesu tatsächlich in einer derartigen Massengrabstätte bestattet worden wäre.321 315

Vgl. Becker, Die Auferstehung, 247. Vgl. a.a.O., 248. 317 A.a.O., 247. Die von Becker angeführte Alternative, dass die Freunde oder Familienmitglieder der Mitgekreuzigten „von Josefs Gang zu Pilatus profitierten und […] sich der anderen zwei Toten angenommen haben“ (a.a.O., 247 f.), ist hingegen höchst spekulativ und überzeugt nicht. 318 Vgl. a.a.O., 248. 319 Vgl. a.a.O., 246 f. 320 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 40. 321 Vgl. Fössel, Offenbare Auferstehung, 604 u. siehe Jes 53,9: „Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist.“ 316

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

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Von Verteidigern des Konzeptes einer Bestattung des Leichnams in einem Einzelgrab im neutestamentlichen Sinne wird zudem auf jene archäologischen Befunde verwiesen, die innerhalb der Grabeskirche in Jerusalem aufbewahrt wurden. So könne „bis in den Baedeker hinein“322 nachgelesen werden, dass sowohl der Golgatha-Felsen als auch die Grabstätte Jesu noch heute in der Grabeskirche angesehen werden können323, was dem biblischen Befund – etwa nach Ansicht Merz’ und Theißens – geradezu überzufällig entspricht.324 Das betreffende Gelände, welches wahrscheinlich zur Leb- und Wirkenszeit Jesu außerhalb von den Stadtmauern zu finden war325, wurde „unter dem jüdischen König Herodes Agrippa I“326 durch die von ihm in Auftrag gegebene dritte Stadtmauer in das Gebiet der Stadt einbezogen.327 Aetheria beschreibt entgegen der Ansicht vieler Exegeten, welche die Vorstellung einer Grablegung des Leichnams (in einem Einzelgrab) ablehnen, ferner dass es sogar Sonntagnachtfeiern in Jerusalem gegeben habe, im Zuge derer Hymnengesänge und auch Prozessionen an der beziehungsweise zu der Grabstätte abgehalten wurden.328 135 n. Chr. habe der römische Kaiser Hadrian das Gelände im Zuge „der Gründung von Aelia Capitolina“329 dann allerdings aufschütten lassen. Zudem ließ er heidnische Kultstätten über Golgatha erbauen. Den Berichterstattungen

322

Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 56. Vgl. ebd. 324 Vgl. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 438. Zu den festgestellten Übereinstimmungen zwischen der aufgefundenen Grabstätte und der Darstellung des leeren Grabes in den neutestamentlichen Erzählungen – hier insbesondere in der johanneischen Version aus Joh 19,41 – zählen etwa die Umstände, dass es sich bei dem (innerhalb der Grabeskirche bewahrten) Grab wie auch bei dem von Johannes beschriebenen Grab um ein neue Grabstätte handele, welche nahe Golgatha innerhalb eines außer Betrieb gesetzten Steinbruchs aufgefunden wurde, der – ebenfalls in Entsprechung zur johanneischen Grableerfindungserzählung – tatsächlich als eine Art Garten genutzt worden sein könnte (vgl. ebd.). 325 Vgl. ebd. 326 Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 56. 327 Vgl. ebd. u. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 438. 328 Vgl. Staats, Auferstehung II/II, 514. Auch Nauck hält es für wahrscheinlich, dass gläubige Christen sich (nicht erst zu Zeiten Aetherias, sondern bereits zur Zeit der Urgemeinde) an der Grabstätte einfanden, um sich an Jesu Auferstehung zu erinnern und sie sich zu vergegenwärtigen (vgl. Nauck, Die Bedeutung, 261). Diese These sieht er durch den in Mk 16,6 zu findendem Verweis auf „die Stätte, wo sie ihn hinlegten“ bestätigt. Dieser Hinweis sei auf andere Weise nicht sinnvoll zu deuten, da ihm keine nennenswerte apologetische Relevanz als eine Art Beweis der Auferweckung zuzusprechen sei (vgl. Nauck, Die Bedeutung, 261). Darüber hinaus deute auch die in der lukanischen Grableerfindungserzählung vorfindliche Fragestellung „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ (Lk 24,5) seines Erachtens auf abgehaltene Versammlungen der frühen Christen an der Grabstätte hin, indem sie das Unverständnis des Lukas, der sich mit den in Jerusalem verbreiteten Lokaltraditionen durchaus gut auskannte, sowie das Unverständnis seiner heidenchristlichen Adressaten in Bezug auf ebendiese zum Ausdruck bringe (vgl. Nauck, Die Bedeutung, 262). 329 Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 438. 323

308

Teil III: Eigene Deutung

des Hieronymus folgend sei über der Grabstätte so nun eine Statue des Jupiter und auf Golgatha zudem ein Standbild der Venus errichtet worden.330 Um 326 n. Chr. ließ Kaiser Konstantin diese Kultstätten nach Zeugnis des Eusebius jedoch aufgrund eines Bestrebens seiner Mutter sowie auch aufgrund des zur damaligen Zeit im Allgemeinen verbreiteten Interesses in Bezug auf (als solche verstandene) heilige Stätten wieder abreißen.331 Anschließend habe eine Freilegung Golgathas sowie jener jüdischen Grabanlage, welche auch die Grabstätte Jesu umfasst habe, stattgefunden.332 Des Weiteren wird überliefert, dass Konstantin die Grabstätte Jesu aus den sie einschließenden Felsen habe entfernen lassen und dass er über ihr in zehnjähriger Bauzeit eine mausoleumsähnliche Säulenrotunde errichten ließ, welche um 335 n. Chr. geweiht wurde und – zumindest in ihren Umrissen – noch heutzutage betrachtet werden kann.333 Wenngleich offenkundig nicht eindeutig beantwortet werden kann, wie es um den Wahrheitsgehalt dieser Schilderungen im Einzelnen bestellt ist, so tendieren doch einige Theologen – wie etwa Stuhlmacher – dazu, davon auszugehen, dass eine Grabstätte, in welcher der Leichnam Jesu bestattet wurde, existierte und dass sie sich in der geschilderten Umgebung befunden habe334, in welcher eine Vielzahl von Grabstätten archäologisch nachgewiesen werden kann.335 Zweifellos bleibt jedoch zu beachten, dass die genannten Erwägungen nicht zwangsläufig damit einhergehen müssen, dass es sich bei den archäologischen Funden tatsächlich um die neutestamentlich thematisierte Grabstätte handelt, in welcher Jesus bestattet wurde, da die möglicherweise festgestellte Existenz eines leeren Grabes diesen Schluss keineswegs notwendig macht.336 Bei einem solchen könnte es sich nämlich auch um eines jener Gräber gehandelt haben, für die es seit dem Ende der Nutzung Golgathas als Hinrichtungsstätte keine Verwendung mehr gab.337 Als eine solche leer gebliebene – weil unbenutzte – Grabstätte könnte sie aufgefunden und nachträglich als Jesu Grabstätte gedeutet worden sein, was zur Verschriftlichung (fiktiver) Grabeserzählungen angeregt haben könnte.338 330

Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 56. Vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 438, Fischer, Der Auferstehungsglaube, 64, Klumbies, Weg vom Grab, 143 u. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 56 f. 332 Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 57. Bereits der Umstand, dass diese Ausgrabungsunternehmungen durchgeführt wurden, spreche nach Ansicht Merz‘ und Theißens für die Existenz einer (das Grab Jesu betreffenden) alten Lokaltradition und für ein geteiltes Wissen um die ungefähre Verortung der Grabstätte, da inmitten der Stadt andernfalls nun wohl eher nicht nach ihr gesucht worden wäre (vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 438). 333 Vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 289 u. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 57. 334 Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 57. 335 Vgl. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 436. 336 Vgl. ebd. 337 Vgl. a.a.O., 436 f. Diese Annahme, dass eine Verwechslung stattgefunden haben könnte, im Zuge derer ein leeres Grab fälschlicherweise für das Grab Jesu gehalten wurde, vertreten allerdings nur die wenigsten Theologen (Welker, Gottes Offenbarung, S, 115). 338 Vgl. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 436–438. 331

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

309

Reflektieren wir nun die skizzierten Überlegungen, so dürfte verständlich werden, warum die geschichtswissenschaftlich zu beurteilende Plausibilität einer Grablegung des Leichnams Jesu kontrovers diskutiert wird und warum ihre Einschätzung letztlich von der Bewertung und Gewichtung diverser Einzelfaktoren abhängig ist. Vollziehen wir diese, so können wir festhalten, dass allein die Möglichkeit, dass Jesu Leichnam trotz seines Kreuzestodes eine Bestattung (in einem Einzelgrab) erhielt, wie dies in den neutestamentlichen Erzählungen vorausgesetzt wird, anhand der angeführten Befunde nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Die gegenteilige Annahme der Unmöglichkeit einer derartigen Bestattung beruht teils auf höchst spekulativen Prämissen, wie der Evaluation des Geschickes etwaiger Mitgekreuzigter, die nur bedingt überzeugen. Im Gegensatz dazu erscheint die Vorstellung einer (in der Tat eher unüblichen) Bestattung des Leichnams eines Gekreuzigten (in einem Einzelgrab) unter den geschilderten Bedingungen denkbar und kann folglich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt werden, wenngleich sie die Wahrscheinlichkeit des gegenteiligen Schlusses aufgrund ihrer ebenfalls spekulativen Prämissen nicht signifikant übersteigt. Daher gehen die folgenden Überlegungen – im Wissen um die argumentatorische Fragilität dieser Annahme – von der grundlegenden Möglichkeit einer Bestattung des Leichnams (in einem Einzelgrab) aus. Eine derartige Bestattung erfolgte zur damaligen Zeit zumeist – wie im Zusammenhang mit den archäologischen Befunden angedeutet – außerhalb der Wohngegenden in sogenannten Höhlen- oder auch Felsengräbern, die entsprechend der neutestamentlichen Bezeugungen mit großen Steinen verschlossen wurden, welche mit Hilfe einer Schiene vor die Grabesöffnungen gewälzt wurden, um diese vor wildlebenden Tieren zu schützen.339 339 Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 64, Strauss, Tod und Auferstehung, 41 u. Lindemann, Auferstehung, 65. Derartigen Bestattungsriten steht die Praxis der sogenannten Ossilegium-Begräbnisse gegenüber, im Zuge derer der Leichnam des Verstorbenen vorerst für ein Jahr zur Dekompostierung in seine anschließend versiegelte Familiengruft gebettet wurde, während seine Hinterbliebenen rituelle Trauerrituale vollziehen konnten. Das Grab wurde nach einem Jahr wieder geöffnet, woran sich die Entnahme der Knochen des Toten anschloss. Diese wurden anschließend endgültig in einem Ossuarium bestattet. Die geschilderte Prozedur diente ursprünglich dazu, den Verstorbenen durch das Vergehen des Fleisches von den (von ihm im Leben begangenen) Sünden reinzuwaschen und ihn so auf die erwartete endzeitliche Totenauferweckung vorzubereiten (vgl. Sawicki, Catechesis and Resurrection, 79). Auch der Sanhedrin behielt sich mitunter das Recht vor, die Leichname von Kapitalverbrechern für ein Jahr einzubehalten, was hier nicht den genannten, rituellen Gründen geschuldet war, sondern als eine Strafe für die Hinterbliebenen dienen sollte, denen auf diese Weise der Vollzug einer angemessenen Bestattung und der rituellen Trauer verwehrt blieb (vgl. a.a.O., 80). Im Falle Jesu ist jedoch nicht anzunehmen, dass eine derartige Praxis an und mit seinem Leichnam vollzogen wurde, da dies nicht nur dem neutestamentlichen Befund eklatant widersprechen würde, sondern sie als solche offenbar nicht sehr verbreitet vollzogen wurde und somit eher eine Ausnahme als ein geläufiges Verfahren darstellte (vgl. Strauss, Tod und Auferstehung, 41). Bei weiterem Interesse an den hier nur ausschnitthaft skizzierten Ossilegiums-Begräbnisriten sei etwa auf den Aufsatz Sawickis Catechesis and Resurrection verwiesen.

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Teil III: Eigene Deutung

b) Der Gang einiger Frauen zur Grabstätte „Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen.“340

An das Zugeständnis, dass der Leichnam Jesu tatsächlich (in einem Einzelgrab) bestattet worden sein könnte, schließt sich die nicht minder kontroverse Frage nach der Plausibilität des Besuchs der Grabstätte (durch einige Frauen) am Ostermorgen an. Gegen die Plausibilität dieser Vorstellung wird etwa angeführt, dass Grabstätten zur damaligen Zeit keine nennenswerte spirituelle Relevanz341 (in Bezug auf die Trauerbewältigung von Hinterbliebenen) beigemessen worden sei und dass sie ferner nicht so wie heutzutage als emotional behaftete Gedenkorte fungierten, was anhand der wenigen auffindbaren, höchst funktionalen und gerade nicht emotionsbehafteten Grabinschriften erhaltener Gräber ersichtlich werde.342 Ferner seien insgesamt äußerst selten Grabmäler für einfache Bürger errichtet oder (im Allgemeinen) Wanderungen zu Grabstätten unternommen worden, was ebenso wie der Umstand der gegebenen Sanktionierung einiger kultischer Handlungen, wie die der an Grabstätten vollzogenen Totenverehrung343, gegen einen Gang der Frauen zum Grab Jesu spreche. Befürworter einer Verortung des Grabganges in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte betonen hingegen, dass Grabstätten sehr wohl bereits zur damaligen Zeit hinsichtlich der Trauerbewältigung der Hinterbliebenen relevant gewesen seien. Dies zeige sich sowohl daran, dass die damals vorgenommenen Bestattungen, welche meist durch die Familien der Verstorbenen ausgerichtet und vollzogen wurden344, mitunter sogar einwöchige Todesklagen mit Grabbesuchen sowie eigens bezahlte Klagefrauen und

340

Lk 24,22. Vgl. Schüle, Gottes Handeln, 263. Dies werde auch anhand der alttestamentlichen Erwähnungen des Grabes Mose deutlich, die sehr nüchtern ausfielen, worin sich die Intention widerspiegele, keine (auf den Vollzug von Begräbnissen oder auf postmortale Totenverehrungen abzielenden) heidnischen Kulturpraktiken oder auch Rituale zu thematisieren oder gar zu adaptieren (vgl. ebd.). 342 Vgl. ebd. Eine dieser nüchtern gehaltenen, funktionalen Grabinschrift lautet: „Dies ist das Grab […] des Haushofmeisters. Hier ist kein Silber und kein Gold, nur seine Gebeine und die Gebeine seiner Dienerin bei ihm. Verflucht sei der Mensch, der dies öffnet“ (Vorfindlich in: Renz, Handbuch der althebräischen Epigraphik II/1, zitiert nach Schüle, Gottes Handeln, 263). 343 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 185. Zynisch nachzufragen wäre allerdings, aus welchem Grund die Notwendigkeit bestand, kultische Handlungen an Grabstätten zu sanktionieren, sofern diese von einer derart geringen Relevanz gewesen seien, wie die Vertreter der reflektierten Position es voraussetzen. 344 Vgl. a.a.O., 184 f. 341

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

311

Klageliedsänger beinhalteten, als auch daran, dass derartige Vorgänge teilweise erst nach einem ganzen Monat vollständig zum Erliegen kamen.345 Gerade weil die liebevolle Zuwendung zu geschätzten Menschen auch nach ihrem Tod eine wahrlich urmenschliche Kulturhandlung sei, welche meist von Frauen ausgeübt wurde und noch immer (in Form der modernen Grabpflege) ausgeübt wird, sei der in den Evangelien beschriebene Gang zum Grab ferner sowohl menschlich als auch gemessen an geschichtswissenschaftlichen Maßstäben glaubhafter als abstrakt-exegetische, historisch-kritische Argumente.346 Daher könne auch ein Besuch des Grabes durch die Frauen als eine Art wenig ritualisierter, sondern vielmehr privater Trauerbesuch347 nicht plausibel ausgeschlossen werden, obschon derartige Besuche freilich nicht allzu üblich gewesen sein dürften.348 Als noch kontroverser und komplexer gestaltet sich die Beurteilung der Frage nach der im markinischen Zeugnis angeführten Salbungsabsicht der Frauen, die von vielen Theologen im Rahmen geschichtswissenschaftlicher Abwägungen in Zweifel gezogen wird. Dies begründen sie darin, dass sie in einem nicht unmittelbar aufzulösenden Spannungsverhältnis zur neutestamentlichen Grablegungstradition – konkret zu Mk 15,46 – stehe, wo eine bereits komplett vollzogene Bestattung vorausgesetzt werde.349 Daher würde ein Festhalten an der besagten Absicht zu dem absurden Schluss führen, dass die Frauen vorhatten, die bereits verschlossene Grabstätte noch einmal zu öffnen und den bereits vollständig bestatteten und sich im Verwesungsprozess befindenden Leichnam (erneut?) zu salben.350 Die Absurdität dieser Vorstellung scheint dadurch noch gesteigert zu werden, dass – wie einem Geschichtsbezug der Salbungsabsicht gegenüber kritisch eingestellte Theologen stets betonen – keine Belege für derartige nachträgliche Salbungsvorhaben bereits Bestatteter im Judentum vorlägen351 und auch die regulär vor der Bestattung vorgenommenen Totensalbungen mit Aromastoffen und Ölen meist allenfalls minimalistisch ausfielen.352 345

Vgl. Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 14. Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 440, mit Verweis auf Baudler, Christliche Gotteserfahrung, 279 f. 347 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 184 f., ähnlich: Fössel, Offenbare Auferstehung, 607. 348 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 53. Lindemann charakterisiert die Vorstellung eines Ganges zum Grab ausgehend von den Konventionen innerhalb des damaligen Judentums als nicht völlig üblich, aber eben auch nicht komplett ungewöhnlich (vgl. ebd.). 349 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 498 u. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 58. 350 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 21 u. Hoffmann, Auferstehung II/I, 498. Hinsichtlich der Vorstellung, dass sich der Leib Jesu zur Zeit der vermeintlichen Salbung in einem bereits fortgeschrittenen Verwesungsprozess befunden haben dürfte, wenden Verfechter eines Geschichtsbezuges der Salbungsabsicht ein, dass in Jerusalem um die Osterzeit herum tendenziell recht niedrige Temperaturen herrschten (vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 25), weshalb ein ebensolcher Verwesungsprozess sich höchstwahrscheinlich noch nicht eingestellt hätte. 351 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 21. 352 Vgl. Strauss, Tod und Auferstehung, 42. 346

312

Teil III: Eigene Deutung

Nicht selten wird aus diesen Beobachtungen der Schluss gezogen, dass es sich bei den die vermeintliche Salbungsabsicht thematisierenden Ausführungen lediglich um ein Verbindungsstück der markinischen Evangelienkomposition handele, welches mit der in Mk 14,8 beschriebenen Salbung des Herrn in Bethanien korrespondiere353 und keinen Anspruch auf ein außertextuelles Referenzobjekt in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension der Geschichte erhebe. Lindemann vermutet sogar, dass es für Markus nicht relevant gewesen sein dürfte, ob die geschilderte Salbungsabsicht denkbar und vernünftig gewesen sei, und dass er sie ferner lediglich deshalb anführte, um begründen zu können, dass die Frauen in seiner Erzählung die Grabstätte aufsuchen.354 Dies steht allerdings – ebenso wie eine unspezifische Begründung der Erwähnung der Salbungsabsicht im Perikopenwachstum – grundsätzlich im Widerspruch dazu, dass den meisten Autoren daran gelegen ist, ihren Lesern eine logisch stimmige und folgerichtige Erzählung zu bieten.355 Sowohl Befürworter als auch Gegner eines Bezuges der Salbungsabsicht zur empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte verweisen zudem auf archäologische Funde, welche auf Salbungen bereits skelettierter Gebeine hinweisen.356 Diese können nämlich – der charakteristischen Mehrdeutigkeit alles in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte Geschehenden357 entsprechend – sowohl als Hinweis darauf gedeutet werden, dass die zur damaligen Zeit vollzogenen (postmortalen) Salbungen in ihrer Ausführung erheblich vom Vorhaben der Frauen abwichen358 – was gegen eine Plausibilität der Salbungsabsicht sprechen würde – als auch als Erweis dessen verstanden werden, dass auch bereits Verstorbenen mitunter Salbungen zuteilwurden359 – was als Argument für eine Verankerung der Absicht in der empirisch erfassbaren Geschichte angeführt werden könnte. Bereits die schlaglichtartig ausgewählten Ansätze – insbesondere aber das letztgenannte, im Sinne der eigenen Diskursposition je umzuperspektivierende Beispiel – dürften gezeigt haben, dass es aufgrund der schwachen Quellenlage und der Mehrdeutigkeit der anzuführenden Einsichten nicht angemessen sein kann, eine vermeintliche Eindeutigkeit zu suggerieren und zu postulieren, dass die Salbungsabsicht zweifellos oder eben keineswegs einen Bezug zur empirischgeschichtswissenschaftlichen Dimension der Geschichte aufweise und auf ein außertextuelles Referenzobjekt verweisen könne. Dies gilt vor allem, weil eine fundierte, differenzierte Einschätzung anhand geschichtswissenschaftlicher Wahrscheinlichkeitsurteile (ausgehend von den spärlichen zur Verfügung stehenden

353

Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 498. Vgl. Lindemann, Auferstehung, 65. 355 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 240. 356 Vgl. a.a.O., 21. 357 Vgl. Kapitel II.1.5. 358 Vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 499. 359 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 21. 354

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

313

Befunden) schlicht unmöglich ist und entsprechend allenfalls annähernde, wenig aussagekräftige Tendenzurteile getroffen werden können. Angesichts dieser Herausforderung bleibt festzuhalten, dass gerade vor dem Hintergrund, dass ein Gang einiger Frauen zum Grab auch unabhängig von einer Salbungsabsicht als eine Art Trauerbesuch360, zu welchem Matthäus die markinische Version bekanntlich korrigiert361, aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive vorstellbar ist, keine Notwendigkeit des Festhaltens an einer innergeschichtlichen Verankerung der Salbungsabsicht besteht.362 360

Vgl. ebd. u. Klaiber, Jesu Tod und unser Leben, 21. Vgl. Becker, Die Auferstehung, 21. 362 Es sei eindrücklich darauf verwiesen, dass mit dem Verabschieden der Salbungsabsicht auch der in der Erzählung nahegelegte Plausibilisierungszusammenhang der Öffnung des Grabes zusammenbricht, da ein schlichter Trauerbesuch der Frauen, der nicht durch eine Salbungsabsicht motiviert gewesen wäre, es nicht erforderlich gemacht hätte, die Grabstätte noch einmal zu öffnen. Oberlinner stellt einem anderweitig motivierten Öffnen des Grabes durch die Frauen, „wofür jedoch nichts spricht“ (Oberlinner, Die Verkündigung, 180), als zweite Begründung ein wundersames göttliches Eingreifen entgegen (vgl. ebd.), wie es im Rahmen dieses Kapitels – ähnlich wie der Aspekt der Engelsbotschaft – nicht berücksichtigt werden kann. Da es sich aufgrund der spärlichen Quellenlage in Bezug auf den Öffnungsvorgang des Grabes als äußerst spekulativ erweisen würde, ermitteln zu wollen, wie ebendieser gestaltet gewesen sein könnte, distanziere ich mich grundsätzlich von einem derartigen Vorhaben. Die Forderung Oberlinners, dass eine plausible Erklärung für das Offensein des Grabes gegeben sein und werden müsse, sofern an einer Verankerung der Grableerfindung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte festgehalten werden solle (vgl. a.a.O., 178), erschließt sich ferner nicht, da diese – wie in den folgenden Kapiteln gezeigt wird – ausgehend von geschichtswissenschaftlichen Wahrscheinlichkeitsurteilen ohnehin vorauszusetzen ist, was umgekehrt ein in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte vorfindliches Offengewesensein des Grabes notwendig einschließt, da die (gegebene und als plausibel beurteilte) Erkenntnis des Leerseins des Grabes nicht ohne sein Offensein hätte gewonnen werden können. Wird also die Grableerfindung anhand geschichtswissenschaftlicher Urteile als plausibel klassifiziert, wie dies hier der Fall ist, so schließt diese Beurteilung die Plausibilität des Offengewesenseins des Grabes ein, wenngleich unklar bleiben muss, ob dies durch ein Eingreifen Gottes, das Wirken menschlicher Akteure oder Natur- und Wetterphänomene zu begründen wäre. Eine Umkehrung dieser Argumentationslogik im Sinne Oberlinners ist nicht zulässig und beruht auf dem argumentationslogischen Fehlschluss, dass die geschichtswissenschaftliche Beurteilung eines Ereignisses als plausibel nur dann vorgenommen werden darf, wenn alle mit dem Ereignis zusammenhängenden und es ursächlich ermöglichende Ereignisse ebenfalls als plausibel klassifiziert werden können. Eine derart nahtlose Beurteilung sämtlicher Einzelfaktoren ist in den Geschichtswissenschaften aufgrund der je gegebenen Quellenlagen allerdings nur selten zu gewährleisten. Nichtsdestotrotz wäre es unsachgemäß, einem Ereignis, wie etwa dem der Krönung eines Kaisers, dem anhand geschichtswissenschaftlicher Wahrscheinlichkeitsurteile eine hohe Plausibilität zugesprochen werden kann, ebendiese im Sinne Oberlinners abzusprechen, weil über die Plausibilität eines ihm notwendig vorausgehenden Ereignisses, wie etwa dem der Reise des Kaisers zum Ort der Krönung, aufgrund einer nicht aussagekräftigen Quellenlagen keine Aussagen getroffen werden können. Dieses simple Beispiel ist auf die Anfrage Oberlinners zu übertragen: Die Beurteilung des empirischen Zustandes des Grabes anhand geschichtswissenschaftlicher Wahrscheinlichkeitsurteile, wie sie in den folgenden 361

314

Teil III: Eigene Deutung

Entsprechend der angesprochenen Vorstellung, dass es sich bei einem etwaigen Gang einiger Frauen zum Grab um eine für sie ganz selbstverständliche, beinahe schon zwingende Handlung gehandelt habe363, drängt sich vielmehr die Einschätzung auf, dass sie möglicherweise tatsächlich – und somit eben nicht nur in den vorliegenden Erzählungen, sondern als konkrete Personen innerhalb der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte – das Bedürfnis verspürt haben könnten, den Ort des Begräbnisses aufzusuchen. Dies gilt auch dann, wenn sie damit kein bestimmtes Ziel verfolgt haben und/oder sie sich lediglich die Möglichkeit dazu schaffen wollten, den Verstorbenen an einem Rückzugsort zu betrauern.364 Die markinische, von Lukas in Lk 24,1 überTeilkapiteln dargestellt werden, legt den Schluss nahe, dem Geschehen einer Grableerfindung eine gewisse Wahrscheinlichkeit zuzusprechen, die auf das Offensein der Grabstätte zu übertragen ist, da dieses als der Leerfindung chronologisch notwendig vorausgehendes Ereignis – ebenso wie die Reise des Kaisers zum Ort seiner gut bezeugten Krönung – stattgefunden haben muss, selbst wenn es an sich nicht zu belegen ist und wenn über seine Begründung sowie über seinen genauen Ablauf nur spekuliert werden kann. Der Umstand, dass anhand geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen nicht eindeutig verständlich gemacht werden kann, warum und durch wen das Grab geöffnet wurde, verweist somit lediglich auf die mangelhafte Quellenlage, spricht aber nicht gegen die prinzipielle Möglichkeit eines Geöffnetwordenseins und vermag die Plausibilität der Grableerfindung, die das Offensein des Grabes einschließt, nicht zu relativieren. 363 Vgl. Holtzmann; Das leere Grab, 82. 364 Vgl. ebd. Mit einer positiven Beurteilung der Frage nach einer Verankerung des Gangs der Frauen zum Grab in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte verbindet sich die hier nicht eigens verhandelte, aber doch zumindest problematisierte Frage nach der Plausibilität seiner Datierung auf den dritten Tag, wobei meist Bezug auf die Evangelientexte und auf den umstrittenen Gebrauch der Wendung in 1 Kor 15,4 genommen wird. Die Beantwortung dieser Frage gestaltet sich jedoch nicht nur aufgrund der im ersten Teil dargestellten Quellenlage als spekulativ, sondern auch aufgrund dessen, dass grundlegend zu hinterfragen ist, inwiefern die neutestamentlichen Datierungen bereits durch die christliche Sonntagsfeier beeinflusst sind (vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 498 u. Fössel, Offenbare Auferstehung, 603) oder wie diese umgekehrt durch eine Grableerfindung begründet wurde (vgl. Fößel, Offenbare Auferstehung, 603). Die genannten Unsicherheiten sowie der Umstand, dass die Erwähnung des dritten Tages in 1 Kor 15,3c–5 der Wendung für unsere Sünden analog und parallel entgegengestellt ist (vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 57), was etwa nach Ansicht Lüdemanns impliziere, dass es sich auch bei ihr um eine theologische Aussage und entsprechend um ein sekundäres, theologisches Datum unsicherer Deutung (vgl. Hoffmann, Auferstehung II/I, 482) und nicht um ein solches handele, das sich auf konkrete Begebenheiten der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Wirklichkeit beziehe (vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 57), führen nicht selten zu einer entsprechend zeichenhaft-metaphorischen Deutung der Wendung. Mitunter wird sie so als schriftgelehrte Explikation ihres alttestamentlichen Gebrauchs (etwa in Jon 2,1 oder Hos 6,2) verstanden (vgl. Hauger, Die Deutung, 37), welcher dann erfolgte, wenn eine „Wende zum Neuen und Besseren“ (Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 112) oder eine Rettung aus allerhöchster (Todes)gefahr oder aus einer anderen Notlage beschrieben werden sollte, die traditionell am dritten Tage einer Unrechtssituation erwartet wurde (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 89 u. Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 112). Nicht berücksichtigt bleibt auch hier, dass die Verfolgung individueller Intentionen durch

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

315

nommene Salbungsabsicht kann demzufolge schlüssig als Detaillierung der Erzählung verstanden werden. Ihre Darstellung könnte ferner (auch) der genannten Intention geschuldet sein, an Mk 14,8 anzuknüpfen, was jedoch – ebenso wie die erläuterten Erwägungen – keineswegs mit der pauschalen, aufgrund der spärlichen Quellenlage nicht zu fällenden Beurteilung einhergehen muss, dass es sich bei ihr um ein gänzlich fiktives Element handele, das jedes Geschichtsbezuges entbehrt.

III.2.3 Geschichtswissenschaftliche Untersuchung der Grableerfindung An die Einsichten einer grundlegenden Möglichkeit der Bestattung des Leichnams Jesu sowie eines Aufsuchens seiner Grabstätte durch Frauen schließt sich die Rückfrage nach einem Geschichtsbezug der Grableerfindung an. Zum Vollzug und zur Beantwortung ebendieser findet eine kritische Auseinandersetzung mit diskursprägenden, aber bislang noch nicht eigens diskutierten Kernthesen statt. Dass es sich auch bei den nachfolgenden Einschätzungen lediglich um perspektivisch gebrochene Plausibilitäts- und Tendenzurteile handelt, die keinen Anspruch auf eine allumfassende Geltung beanspruchen, sei hier erneut vorausgesetzt. a) Die Grableerfindung und die Auferstehungsverkündigung in Jerusalem In Zusammenhang mit dem Geschichtsbezug der Grableerfindung wird in der Tradition Althaus’ immer wieder auf den Umstand verwiesen, dass die Auferstehungsbotschaft in Jerusalem in ihrer vorfindlichen Kontinuität zum jüdischen Messiasglauben365 nicht hätte verbreitet werden können, sofern ein intaktes Grab Jesu, in welchem sich sein Leichnam nachprüfbar befunden hätte, bekannt gewesen wäre.366 Dies begründet Althaus mit Verweis darauf, dass der Auferstehungsglaube der ersten Christen aufgrund der zur damaligen Zeit verbreiteten, kulturellen und religiösen Deutungshorizonte – hier explizit aufgrund des auch zur Deutung der Auferstehungsereignisse im Neuen Testament herangezogenen

Verfasser eines Textes eine Verankerung der beschriebenen Ereignisse in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichten noch nicht notwendig ausschließt. Diese Auffassung teilen auch andere Theologen wie Nauck, die die reflektierte Zeitangabe als eine (auf vertrauenerweckenden Erinnerungen beruhende) Auskunft über Geschehnisse innerhalb der geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte verstehen (vgl. Nauck, Die Bedeutung, 264). Auch für Paulus setzen sie ferner ein derartiges Verständnis voraus, was bereits an seiner Nutzung der besagten Wendung ersichtlich werde (vgl. Hauger, Die Deutung, 37); so verweise Paulus zweifelsohne auf den dritten Tag, um auf „konkrete Geschichte“ (Becker, Die Auferstehung, 261) zu referieren und das Geschehen so und im Zusammenspiel mit der Begräbnisnotiz lokal und temporal zu fixieren (vgl. ebd.). 365 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 450. 366 Vgl. Althaus, Die Wahrheit, 22 f., zitiert nach Pannenberg, Grundzüge, 98.

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Teil III: Eigene Deutung

jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizonts – untrennbar mit der Vorstellung eines göttlichen Handelns am Leib des Auferstehenden verbunden gewesen sei.367 Eine volle Grabstätte, die den Leichnam des vermeintlich Auferstandenen enthalten hätte und in der er der Verwesung ausgesetzt gewesen wäre, hätte demnach als ein eindeutiges Zeichen des Scheiterns368 gegolten, das die Verkündigung seiner Auferstehung zweifelsfrei widerlegt hätte. Kritische Stimmen weisen diese Argumentation allerdings schon mit Verweis darauf zurück, dass die vorausgesetzte Möglichkeit einer Überprüfung der Grabstätte zur Verifizierung des Verwandeltwordenseins Jesu durch Gott faktisch nicht gegeben gewesen sei, da eine solche Überprüfung zur damaligen Zeit undenkbar gewesen wäre, weil für den Tod nach Ansicht der Israeliten ausschließlich Gott zuständig gewesen sei.369 Bereits durch das Nachdenken über Verstorbene und ihre Befindlichkeiten wären entsprechend schon durch Gott festgesetzte Grenzen überschritten worden370, was es tunlichst zu vermeiden gegolten habe. Folglich könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Zustand des Grabes Jesu sowie sein Leichnam untersucht worden wären371, wie Althaus es in der von ihm vorgetragenen, permanent zitierten und adaptierten Ausführung voraussetzt. Dieser Eindruck werde auch dadurch bekräftigt, dass Gräber gemeinhin als zu meidende Orte großer Unreinheit galten.372 Für das Grab eines (vermeintlich von Gott verfluchten) Hingerichteten, der schon deshalb als hochgradig unrein galt, dürfte dies in besonderem Maße gegolten haben.373 Gegen diese kritischen Reflexionen sprechen wiederum jedoch nicht nur der neutestamentliche Befund, der von einem wenig scheuen Betreten des Grabes durch die Frauen berichtet374, das unter den genannten Bedingungen als anstößig empfunden und nachträglich höchstwahrscheinlich verändert worden wäre, sondern auch die zur damaligen Zeit verbreiteten, bekannten Strafen für Grabschändungen375 sowie die auf Grabmälern zu findenden Warnungen vor der Öffnung der Gräber.376 Derartige Strafen und Warnungen wären wohl kaum notwendig gewesen, wenn sich die besagten Handlungen aufgrund einer geteilten kulturellen und religiösen Befangenheit in Bezug auf das Jenseitige und insbesondere auch auf Grabstätten prinzipiell verboten hätten.377

367

Vgl. II.1.3. Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 450. 369 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 184. 370 Vgl. ebd. 371 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 98. 372 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 184. 373 Vgl. Zeilinger, Der biblische Auferstehungsglaube, 13, unter Zitation von von Rad, Theologie des Alten Testaments. Band I, 274 u. Band II, 361. 374 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 66. 375 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 98. 376 Vgl. Schüle, Gottes Handeln, 263. 377 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 98. 368

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

317

Andere der skizzierten Argumentation gegenüber kritische Theologen gehen (in Entsprechung zu den angeführten Erwägungen) ebenfalls nicht davon aus, dass Gräber per se angstbesetzt waren, sondern sie setzen vielmehr voraus, dass sowohl seitens der Jünger als auch seitens ihrer Gegner keinerlei Interesse daran bestanden hätte, das Grab Jesu zu öffnen, um seinen empirischen Zustand zu überprüfen.378 Diese Einsicht gehe ihres Erachtens bereits logisch aus den Umständen hervor, dass die Jünger aufgrund der ihnen zuteil gewordenen Christuserscheinungen und ohne Kenntnis einer vermeintlichen Grableerfindung bereits von der Auferstehung überzeugt gewesen seien379 und somit nicht nach einer Bestätigung durch eine Überprüfung des Grabes verlangten380, wohingegen ihre Gegner die von ihnen verkündete Auferstehung mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin als widersinnigen Unfug abwehrten381 und sich ferner auch nicht zu Überprüfungen veranlasst gesehen haben.382 Auch diese Annahmen sind jedoch keineswegs unstrittig; so legen die Evangelienbefunde die Schlussfolgerung nahe, dass das Schicksal Jesu für die führenden Vertreter des Judentums sehr wohl von Interesse gewesen sein dürfte, da die sich konstituierende Gemeinde, welcher sich sogar Priester anschlossen, schnell derart aufsehenerregend wurde, dass eine Auseinandersetzung mit ihr für sie geradezu notwendig wurde.383 Hinsichtlich der Frage nach dem Interesse der Jünger am empirischen Zustand des Grabes bleibt zudem zu bedenken, dass einige unter ihnen – wie der neutestamentliche Befund zeigt – auch unmittelbar nach den Osterereignissen noch zweifelten, was eine Überprüfung des Wahrheitsgehalts der neu aufkeimenden Auferstehungsbotschaft durch eine Untersuchung der Grabstätte nahegelegt hätte. Grundsätzlich stellen sich in Bezug auf das vermeintliche Desinteresse der

378 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 437 u. Oberlinner, Die Verkündigung, 171–173, mit Verweis auf Vögtle, Wie kam es zum Osterglauben?, 92 f. 379 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 437 u. Oberlinner, Die Verkündigung, 171. 380 Vgl. a.a.O., 171 f. u. Schwager, Die heutige Theologie, 437. Mitunter wird darauf verwiesen, dass die Frauen, die möglicherweise zum Grab aufgebrochen waren, nicht dazu in der Lage gewesen wären, es selbstständig zu öffnen. Dieser Gedanke wird bereits durch die markinische Version nahegelegt, in der die Sorge der Frauen in Bezug auf das Hinwegrollen des Verschlusssteins artikuliert wird. Dieses Argument erscheint jedoch sowohl im Rahmen der Erzählung als auch in Bezug auf die Möglichkeit des Öffnens und Verschließens von Grabstätten in der empirischen Geschichte nicht plausibel, da – wie Lindemann richtig herausstellt – in beiden Fällen anzunehmen wäre, dass die Frauen es doch zumindest gemeinsam geschafft haben sollten, den Verschlussstein fortzuwälzen, zumal Josef von Arimatäa dies innerhalb der Erzählung sogar allein vollbracht zu haben schien (vgl. Lindemann, Auferstehung, 66). 381 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 437. 382 Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 172. 383 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 437 u. beispielsweise Joh 12,42, Apg 4,1–22.5,17–21 u. 6,7. Einige Theologen verweisen zudem darauf, dass das Interesse der Gegner der Auferstehungsbotschaft an ebendieser auch anhand ihrer Polemik erkennbar sei, welche im weiteren Verlauf noch eigens thematisiert wird.

318

Teil III: Eigene Deutung

Jünger zudem die Fragen, warum erst zur Zeit der Abfassung der Evangelien und nicht bereits schon in der Anfangsphase der Verkündigung ein Interesse am Grab Jesu entstanden sein sollte und warum dieses solch erhebliche Ausmaße angenommen hat, dass eine Vielzahl von Gläubigen Jesu Grab in allen kommenden Jahrhunderten aufsuchte, wohingegen gerade seine Jünger nicht daran interessiert gewesen sein sollten.384 Argumentativ überzeugendere Anfragen an die These Althaus’ scheinen vorrangig exegetischer Natur zu sein; so weisen nicht wenige Theologen auf die Möglichkeit hin, dass die Grableerfindungserzählungen nicht zwangsläufig als eigenständige, frühe Tradition in Jerusalem entstanden sein müssen, wie Althaus es voraussetzt, sondern dass sie auch außerhalb von Judäa entstanden sein könnten.385 Dort hätte man die Leerfindung eines Grabes behaupten können, ohne sich der Gefahr einer Wiederlegung durch eine Überprüfung der Grabstätte auszusetzen.386 Für eine derartige lokale Verortung der Entstehung der Texte – und somit gegen eine ursprüngliche Selbstständigkeit der Grableerfindungserzählungen387 – spricht nach Ansicht der Anhänger dieser These, dass das zur Bestätigung meist angeführte Argument als Scheinwiderspruch entlarvt werden könne, dass die thematisierte Salbungsabsicht der in der Passionserzählung geschilderten, vollständigen Bestattung widerspreche, was auf eine Unabhängigkeit beider Perikopen hinweise. Dies wird wiederum damit begründet, dass eine ebensolche Bestattung zur damaligen Zeit per se nicht zwangsläufig eine Salbung umfasst habe. Dadurch erweise sich der Plausibilisierungszusammenhang des angeführten Arguments als brüchig. Auch die weiteren, in der Tradition Althaus’ angeführten Argumente, die explizit für eine Verortung der Entstehung der Erzählungen in Jerusalem ins Feld geführt werden, erscheinen nur wenig überzeugend; so wird hier beispielsweise auf die beachtlichen Ortskenntnisse der Urheber der Grableerfindungserzählungen verwiesen, welche es jedoch offensichtlich nicht notwendig machen, dass diese in Jerusalem lebten und/oder sich zur Zeit der Abfassung ihrer Erzählungen dort aufhielten.388 Die Sinnhaftigkeit dieser Einwände ist kaum von der Hand zu weisen und eine Entstehung der Erzählungen in Jerusalem entsprechend keineswegs so zwingend, wie Althaus und die ihm folgenden Theologen es voraussetzen. Selbiges gilt allerdings – und dies scheint oft nicht angemessen bedacht zu werden – auch für die Behauptung, dass die Erzählungen außerhalb von Jerusalem entstanden sein müssen, da auch diese auf nicht minder spekulativen Erwägungen beruht. Insbesondere im Hinblick auf die Annahme, die Erzählungen seien in Galiläa ent-

384

Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 437. Vgl. Becker, Die Auferstehung, 242 u. 17. 386 Vgl. ebd. u. Lindemann, Auferstehung, 41. 387 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 242. 388 Vgl. a.a.O., 17 f. 385

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

319

standen, ist zudem zu bedenken, dass gegenwärtig keine dort verortete Urgemeinde bekannt ist, auf welche sie zurückgeführt werden könnten.389 Aufgrund dieser Quellenlage erscheint es ratsam, von Versuchen einer engen räumlichen Eingrenzung der Entstehung der Erzählungen abzusehen oder die Ergebnisse dieser Eingrenzungsversuche doch zumindest nicht als Argumente für oder gegen einen Geschichtsbezug der Grableerfindung anzuführen, da sie augenscheinlich keine (kritische) Belastung aushalten.390 Abschließend ist in Bezug auf die diskutierte These die ihr entgegenstellte, ihre Argumentationslogik in Zweifel ziehende Entgegnung Beckers zu thematisieren, dass eine Verbreitung der Auferstehungsbotschaft in Jerusalem auch vor dem Hintergrund eines ungeöffneten Grabes sehr wohl möglich gewesen wäre391, da im frühen Judentum keineswegs die homogene Ansicht vorgeherrscht habe, dass die Auferstehung der Toten zwangsläufig mit einem göttlichen Handeln an ihren Leichnamen und mit einem Öffnen ihrer Gräber verbunden sei.392 Vielmehr sei diese Ansicht lediglich von jenen Autoren geteilt worden, welche sich auf die Tradition aus Ez 37 bezogen.393 Die Vorstellung geöffneter Gräber, die innerhalb

389

Vgl. Lindemann, Auferstehung, 41. Vgl. Becker, Die Auferstehung, 18 f. Dass die Beurteilung des Entstehungsortes der Erzählungen in ihrer Relevanz hinsichtlich der vollzogenen Rückfrage nicht überzubetonen ist und dies auch dann nicht wäre, wenn eine zweifelsfreie Verortung vorgenommen werden könnte, zeigt Eckstein mit Verweis auf die bereits festgestellte Beeinflussung der Wahrnehmung und Deutung prinzipiell mehrdeutiger geschichtswissenschaftlicher Untersuchungsergebnisse durch die vom Untersuchenden vorausgesetzten Prämissen. Er erinnert sehr richtig daran, dass jene, die eine leibliche Auferstehung Jesu aufgrund ihrer Wissenschafts- und Wirklichkeitsvorstellungen grundsätzlich ausschließen, auch durch frühe Datierungen der Texte oder durch ähnliche Argumente nicht umgestimmt werden könnten (vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 9), da sie ebensolche nicht im Sinne der diskutierten These als Hinweise auf einen Geschichtsbezug der Grableerfindung deuten würden, sondern ihren vermeintlichen Hinweischarakter im Sinne der kritischen Anfragen bestreiten würden. 391 Vgl. Becker, Die Auferstehung, beispielsweise 208 u. 242 f. 392 Vgl. a.a.O., 188 u. 4 f., außerdem Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 301 u. Fössel, Offenbare Auferstehung, 604. Auferstehungsvorstellungen, welche keine Grabesöffnungen und -leerungen beinhalteten (vgl. Becker, Die Auferstehung, 243), liegen nach Ansicht einiger Theologen etwa in äthHen 22 und Jub 23,31 (vgl. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 436) und in „Koh, Sir, Arist, Tob, [… der] Zehn-Wochen-Apokalypse […], äthHen 1–5, 1. Makk, Jub, PsSal 17–18, AssMos [sowie in] 3. Makk [vor]“ (Becker, Die Auferstehung, 189). Die Einschätzung dessen, inwiefern diese Beurteilungen der angeführten Texte angemessen sind, ist allerdings maßgeblich von der jeweiligen Textwahrnehmung ihrer Interpreten und von deren Intentionen abhängig; so weist Thomas in logischer Entsprechung zu seinem Auferstehungsverständnis darauf hin, dass die aufgelisteten (zur Bekräftigung des thematisierten, kritischen Einwandes angeführten) Belegstellen – hier konkret die Verweise auf Jub 23,31 und äthHen 22 – nicht sinnvoll zur Erhärtung des besagten Einwandes herangezogen werden können, sondern anders zu verstehen seien (vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 188 u. siehe auch Vorholt [Osterevangelium 344], der diesen Umstand anhand der genannten und einiger weiterer Belegstellen ebenfalls ersichtlich macht). 393 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 5. 390

320

Teil III: Eigene Deutung

des Neuen Testaments lediglich in Joh 5,28 und in Mt 27,52 als ein Aspekt der Auferstehungsvorgänge Erwähnung findet, sei im Kontext der Auferstehungstexte des Frühjudentums und des Urchristentums entsprechend sogar als eher untypisch zu bewerten.394 Daher sei die oft wie selbstverständlich vorausgesetzte Annahme, dass die Auferstehungsbotschaft vor dem Hintergrund eines vollen Grabes in Jerusalem nicht hätte etabliert werden können, nicht haltbar.395 Zweifellos ist Becker insofern zuzustimmen, als dass im Judentum in der Tat eine Vielzahl verschiedener Auferstehungskonzepte vertreten wurde, die im Einzelnen nicht immer mit der Vorstellung eines Leerseins oder -werdens der Grabstätten der betroffenen Personen verknüpft waren. Daher ist freilich anzunehmen, dass zur Zeit der neutestamentlichen Auferstehungsereignisse viele Juden in Jerusalem auch angesichts eines vollen Grabes von der Auferstehungsbotschaft hätten überzeugt werden können. Es stellt sich jedoch die in Kapitel III.2.3.d noch einmal explizierte Frage, warum die ersten Christen unter diesen Umständen die leibliche Auferstehung und das Leersein des Grabes in der bekannten Weise verkündet haben sollten, sofern ihnen diese Vorstellungen nicht durch konkrete Begebenheiten nahegelegt wurden, die von ihnen in der sie umgebenden Geschichte erfahren wurden, da nun ebendiese konkrete Ausgestaltung ihrer Verkündigung für sie mit vielfältigen Komplikationen verbunden war.396 Reflektieren wir all diese Einsichten in Bezug auf die These Althaus’, so ist auch an dieser Stelle Vorsicht im Hinblick auf pauschalisierende Urteile mit vermeintlich umfassendem Geltungsanspruch geboten. Grundsätzlich scheint es vielmehr sinnvoll, angesichts der angeführten Überlegungen mit Schnelle davon auszugehen, dass dem Zustand des Grabes bereits von Beginn an eine gewisse Bedeutung zukam, sofern seine Anhänger die Auferstehung Jesu in Jerusalem bereits kurze Zeit nach seiner Grablegung verbreiteten.397 Dieses Urteil geht allerdings nicht zwangsläufig mit der Annahme einher, dass die Verbreitung der Auferstehungsbotschaft ausschließlich vor dem Hintergrund eines geöffneten und leeren Grabes denkbar gewesen wäre, da dieser Gedanke sich insbesondere angesichts der Überlegungen Beckers als nicht tragfähig erweist. Die von Althaus in den Diskurs eingebrachte, wirkmächtige These scheint ferner auch deshalb nur wenig dazu geeignet zu sein, zu einem fundierten geschichtswissenschaftlichen Urteil zu gelangen, da ihre Beurteilung und ihre Geltung von diversen, wenig begründet treffbaren Tendenzurteilen sowie von der nicht eindeutig zu vollziehenden lokalen Verortung der Entstehung der Grableerfindungserzählungen abhängig sind. Entsprechend erfolgt hier eine Distanzierung von Versuchen einer solchen Verortung, welche entsprechend im Rahmen der nach394

Vgl. a.a.O., 188. Vgl. a.a.O. beispielsweise 208 u. 242 f. 396 Vgl. Kapitel III.2.3.d. 397 Vgl. Schnelle, Theologie, 210. 395

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

321

folgenden Beurteilung des Geschichtsbezuges der Grableerfindung keine Berücksichtigung finden wird.398 b) Die Grableerfindung und die Frauen Hinsichtlich des Geschichtsbezuges der Grableerfindung verweisen einige Interpreten darauf, dass Frauen in den neutestamentlichen Erzählungen als ihre Zeuginnen angeführt werden. Dieser Umstand spreche ihres Erachtens für eine Verankerung der dargestellten Geschehnisse in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte, da Frauen zur damaligen Zeit im juristischen Kontext als nicht zeugnisfähig galten399 und man ihre Bekundungen daher ausschließlich dann ange-

398 Es sei zumindest darauf hingewiesen, dass es durchaus Theologen gibt, die die Auffassung teilen, dass die Vorstellung, eine Auferstehung gehe notwendig mit einer Verwandlung der Leiblichkeit und mit einem aus diesem Prozess resultierenden leeren Grab einher, im Judentum zur Zeit Jesu konsensuell geteilt wurde. Sie schlussfolgern jedoch aus dieser Annahme nicht notwendig, dass das Grab Jesu im Sinne der besagten These tatsächlich leer gewesen sein muss, sondern sie nehmen stattdessen an, dass die Grableerfindungserzählungen auf Basis dieser verbreitet geteilten Vorstellungen und ausgehend von einem bereits bestehenden und reflektierten Auferstehungsglauben konzipiert wurden (vgl. Schierse, Christologie, 51). Aufgrund dessen, dass dieser ein leeres Grab vorausgesetzt habe (vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 175), seien die Grableerfindungserzählungen somit notwendig zur Darstellung der Auferstehung generiert und herangezogen worden (vgl. a.a.O., 180 u. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 436), obschon die Grableerfindung als solche faktisch möglicherweise gar nicht stattgefunden habe (vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 182 in Anknüpfung an Vögtle, Wie kam es zum Osterglauben?, 94). Auch diese Argumentationsführung lässt jedoch – wie die hier diskutierte These – unberücksichtigt, dass es zur Zeit Jesu im Judentum eine gewisse Pluralität verschiedener Auferstehungsvorstellungen gegeben hat, was die vorausgesetzte Notwendigkeit eines Verweises auf eine Grableerfindung zur Darstellung und Verbreitung der Auferstehungsbotschaft, die wiederum zur Konzeption der Grableerfindungserzählungen geführt haben müsse, fraglich werden lässt. 399 Vgl. Schröter, Visionäre Erfahrungen, 31 u. siehe: Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 25, Fössel, Offenbare Auferstehung, 607 u. Welker, Gottes Offenbarung, 116 f. Vögtle argumentiert im Gegensatz zu der dargestellten Argumentationslogik, dass die exklusive Benennung der Frauen als Zeugen und das entsprechende Fehlen eines Verweises auf eine (die Glaubwürdigkeit des durch die Frauen Berichteten erhöhende) Überprüfung und/oder Bestätigung der Grableerfindung durch Jesu Jünger in der von ihm untersuchten markinischen Grableerfindungserzählung nicht für sondern gegen einen Geschichtsbezug der Grableerfindung spreche, da sich eine derartige Prüfung zweifellos ereignet haben müsse, sofern eine Grableerfindung (durch Frauen) stattgefunden habe. Pannenberg relativiert die Geltung dieser These jedoch mit dem zutreffenden Verweis darauf, dass ihre Plausibilität und Überzeugungskraft augenscheinlich davon abhängig seien, wo genau man den Aufenthaltsort der Jünger Jesu nach seiner Kreuzigung verorte. Sofern man – wie er selbst und in Entsprechung zur markinischen Grableerfindungserzählung – davon ausgehe, dass die Jünger sich zum Zeitpunkt einer etwaigen Grableerfindung durch die Frauen in Galiläa aufgehalten haben und erst nach ihren Erscheinungserlebnissen wieder nach Jerusalem zurückgekehrt seien, zerfalle der von Vögtle dargestellte Argumentationszusammenhang, da die Frauen den Jüngern unter dieser Prämisse nicht umgehend von ihrer Entdeckung hätten berichten kön-

322

Teil III: Eigene Deutung

führt hätte, wenn dies durch den Umstand, dass sie tatsächlich auch als Zeuginnen fungierten, notwendig gemacht worden wäre. Wären die Grableerfindungserzählungen hingegen – wie einige Theologen annehmen – lediglich als apologetische Stützkonstruktionen des Auferstehungsglaubens verfasst worden400, die sich nicht auf außertextuelle, in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Wirklichkeit verankerte Referenzen bezögen, so könne der exklusive Verweis auf weibliche Zeuginnen nur als ein (aus apologetischer Perspektive) eher störender und schon deshalb wenig akzeptabler, weil erheblicher Erzählfehler gedeutet und verstanden werden.401 Auch diese These überzeugt jedoch nur bedingt, da die (exklusive) Erwähnung der Frauen als Zeuginnen auch auf andere Darstellungsintentionen der Verfasser der Erzählungen zurückzuführen sein könnte. Becker nimmt so an, dass die positive Zeichnung der Frauen als Zeuginnen am in Gal 3,26–28 verankerten Grundsatz der weiblichen Mitwirkung innerhalb der Gemeinden orientiert sein könnte und entsprechend dazu beitragen sollte, dass die frühchristlichen Hörerinnen sich in besonderer Weise angesprochen fühlen. Bestätigt werde diese Deutung seines Erachtens anhand der überwiegend positiven Darstellung der Frauen innerhalb der Ostererzählungen, deren lobenswertes Betragen – wie etwa ihr vorbildliches Ausharren am Ort der Hinrichtung – mit dem schmählichen Verhalten der fliehenden, den Herrn verratenden und verleugnenden Jünger Jesu kontrastiert werde.402 In gleicher Weise, in der Vertreter der diskutierten These unberücksichtigt lassen, dass die Erwähnung der Frauen nicht notwendig und ausschließlich auf außertextuelle Referenzobjekte zurückzuführen sein muss, sondern (zusätzlich) auch in anderen Darstellungsintentionen begründet liegen könnte, beachtet Becker jedoch nicht hinlänglich, dass die von ihm ermittelten Intentionen die Existenz eines etwaigen Geschichtsbezuges noch nicht zwingend ausschließen müssen. Gewichtiger erscheint daher das von ihm ergänzend angeführte Gegenargument, dass es Frauen durch die römische Provinzialverwaltung unter gewissen Umständen durchaus gestattet gewesen sei, vor Gericht auszusagen, und dass ihre Ausführungen in gewissen Verfahren ernst genommen worden seien403, wodurch ihnen anscheinend eine eingeschränkte Zeugnisfähigkeit zugesprochen wurde. In welche Relation dieser Befund allerdings zu der zur damaligen Zeit verbreiteten, allgemeinen Geringschätzung von Frauen und ihrer Urteilsfähigkeit gesetzt werden kann, die der angeführten These trotz aller Einwände eine

nen und sich entsprechend auch keine (von Vögtle als zwingend empfundene) unmittelbare Überprüfung ebendieser durch die Jünger hätte anschließen können (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 400). 400 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 343 u. siehe Schröter, Visionäre Erfahrungen, 31 u. Merz u. Theissen, Der historische Jesus, 438. 401 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 28 u. 343. 402 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 244 f. u. Gal 3, 26–28. 403 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 245.

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

323

gewisse Überzeugungskraft verleiht, bleibt fraglich. Es dürfte dementgegen in jedem Fall deutlich geworden sein, dass die besagte Unterstellung einer gewissen Überzeugungskraft der These allenfalls als Tendenzurteil verstanden werden kann, weshalb zur Beantwortung der Frage nach einem Geschichtsbezug weitere Faktoren reflektiert werden müssen und sie nicht bereits auf Basis der skizzierten Erwägungen vorgenommen werden kann. c) Die Grableerfindung und die jüdische Polemik „Der Streitpunkt war nicht, ob es leer war, sondern warum – entweder, weil, wie die Apostel behaupteten, Jesus von den Toten auferstanden war oder weil sie, wie sie beschuldigt wurden, den Körper gestohlen hatten, um einen Betrug zu begehen.“404

Wie bereits anklang, spricht der Umstand, dass die Annahme des leeren Grabes sich in der jüdischen Polemik wiederfindet, wie sie in außerchristlichen Werken vorfindlich ist und auch in der matthäischen Grableerfindungserzählung thematisiert wird405, nach Ansicht vieler Theologen für eine Verankerung ihres Gegenstandes in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte, da die Gegner der Auferstehungsbotschaft ihres Erachtens durch etwas zu ihren polemischen Aussagen veranlasst worden sein müssen und dieses etwas von ihnen mit einem tatsächlichen leer vorgefundenen Grab Jesu identifiziert wird.406 Diese Identifizierung ist jedoch höchst anfechtbar, da – wie kritische Stimmen zu Recht anmerken – bereits die bloßen Behauptungen, dass Jesus auferstanden sei und dass sein Grab leer vorgefunden worden sei, die Gegner dieser Verkündigung dazu veranlasst haben könnten, die Vorstellung eines Leichendiebstahls durch die Jünger oder andere polemische Aussagen zu verbreiten, ohne dass sie sich von dem empirischen Zustand des Grabes Jesu überzeugten407 oder dass sie ein tatsächliches Leersein der Grabstätte selbst auch nur für plausibel hielten. Die jüdische Polemik setze somit keineswegs das faktisch-empirische Leersein des Grabes, sondern lediglich die Behauptung seines leeren Zustandes voraus.408 404 Dummett, Biblische Exegese und Auferstehung, 278, zitiert nach Pannenberg, Systematische Theologie II, 399, ähnlich bei: Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 106. 405 Vgl. Kapitel I.2.2. 406 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 98. Dass die Annahme, das Grab Jesu sei leer vorgefunden worden, höchstwahrscheinlich auch von seinen Gegnern geteilt wurde, begründen die Verfechter der diskutierten These nicht nur damit, dass das leere Grab von ihnen im Zuge polemischer Auseinandersetzungen immer wieder thematisiert wird, sondern auch damit, dass die gegenteiligen Behauptungen, dass das Grab Jesu überhaupt nicht leer gewesen sei und dass sein Leichnam in gleicher Weise wie die Leichname aller anderen Menschen der Verwesung anheimgefallen sei, von ihnen gerade nicht ins Feld geführt wurden (vgl. Pannenberg, Grundzüge, 98 u. Vorholt, Osterevangelium, 62). 407 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 249. 408 Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 170.

324

Teil III: Eigene Deutung

Schwager widerspricht dieser Relativierung mit Verweis darauf, dass doch zumindest der von Matthäus bezeugte Vorwurf des Leichendiebstahls bereits unmittelbar nach Ostern geäußert worden sein müsse409, wenngleich seine Grableerfindungserzählung erst später in ihre endgültige Form gebracht wurde, und dass der besagte Vorwurf ferner erst vor dem Hintergrund eines tatsächlichen empirischen Leerseins des Grabes, um das auch die Gegner der Auferstehungsbotschaft wussten, in seinem Gebrauch verständlich werden würde. Die Gegner hätten so zu einem späteren Zeitpunkt mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ganz grundsätzlich das Leersein des Grabes abgestritten, anstatt einen Leichendiebstahl der Jünger zu behaupten.410 Zumindest die matthäische Apologie setze also – und diese Position teilt auch Vorholt – nicht lediglich die Rede vom leeren Grab, sondern eben auch ein offenes und leer vorgefundenes Grab als solches voraus.411 Diese Deutung wirkt jedoch ebenfalls anfechtbar, da nicht einleuchtet, warum der Vorwurf des Leichendiebstahls ausschließlich als unmittelbare Reaktion auf die Verkündigung des leeren Grabes erhoben worden sein können sollte und nicht auch Jahre später hätte formuliert werden können, um Detaillierungen der christlichen Auferstehungsbotschaft zu verunglimpfen. Ferner bleibt fraglich, warum die Polemiker – sofern sie nicht von der Leerfindung des Grabes gewusst hätten – notwendig verbreitet haben sollten, dass das Grab nicht wirklich leer (gewesen) sei, da die Behauptung, dass die Jünger den Leichnam gestohlen hätten, jene und ihre Botschaft deutlich stärker diskreditiert hätte als die unbegründete Behauptung eines vollen Grabes.412 Somit wäre es aus argumentativen Gründen ohnehin am ertragreichsten für sie gewesen, den Jüngern einen Diebstahl zu unterstellen, selbst wenn sie möglicherweise nicht wirklich angenommen hätten, dass eine Leerfindung des Grabes stattfand. Folglich bleibt auch hier die argumentationslogische Diskrepanz bestehen, dass die genannte Polemik – entgegen der Meinung Schwagers – lediglich auf die christliche Botschaft reagiert haben könnte, ohne dass der empirische Zustand des Grabes von den Polemikern tatsächlich untersucht worden wäre.413 Der Umstand, dass sich in der gesamten jüdischen Polemik keinerlei Hinweis darauf findet, dass die Polemiker das Leersein des Grabes bestritten oder sein Vollsein auch nur in Betracht gezogen hätten, ist jedoch zur Kenntnis zu nehmen und spricht in gewisser Weise doch für eine Akzeptanz der Vorstellung einer Grableerfindung, obschon diese Tendenz stets im Zusammenhang mit den dargestellten, sie relativierenden Prämissen zu betrachten ist. 409

Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 438, dagegen: Lindemann, Auferstehung, 40. Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 438. 411 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 343. 412 Dies gilt insbesondere angesichts der Erkenntnis, dass die Vorstellung eines vollen Grabes die Auferstehungsverkündigung – wie in These III.2.3.a erläutert – noch nicht notwendig widerlegt hätte, da eine Vielzahl verschiedener Auferstehungsvorstellungen existierte und nicht alle eine Leerwerdung des Grabes voraussetzten. 413 Vgl. Becker, Die Auferstehung, 249. 410

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

325

Auch hier ist somit festzuhalten, dass die dargestellten Erwägungen allenfalls als Tendenzurteile bezeichnet werden können, von denen allein ausgehend noch keine tragfähige Beurteilung eines Geschichtsbezuges der Grableerfindung vorgenommen werden kann, da die Geltung des Arguments von der Beurteilung der nicht eindeutig zu beantwortenden Frage abhängt, ob die besagte Polemik auf die Leerfindung des Grabes oder lediglich auf ihre Bezeugung reagierte. d) Die Grableerfindung und die frühen Christen Nachdem einige Thesen reflektiert wurden, die bereits in den vorherigen Kapiteln thematisiert wurden, folgt eine Auseinandersetzung mit einer Argumentationslinie, die bislang noch keine Behandlung erfuhr. Konkret handelt es sich bei dieser um die zur Bestätigung eines Geschichtsbezuges der Grableerfindung angeführte Vorstellung, dass sowohl die Art, auf die die Auferstehungsbotschaft von den ersten Christen verstanden und verbreitet wurde, als auch ihre Bezugnahme auf (und ihr Verhalten zu) einer etwaigen Grabstätte für einen Geschichtsbezug sprechen, da die hier zu beobachtenden Phänomene erst vor dem Hintergrund eines ebensolchen verständlich werden. Betrachten wir zuerst das besagte Verhalten der ersten Christen, so fällt auf, dass diese dem gegenwärtigen Erkenntnisstand zufolge keine (zu ihrer Zeit üblichen) Anrufungen des Geistes Jesu vollzogen414 oder andere rituelle Handlungen in der Nähe seines Grabes ausübten.415 Diese Einsicht könne – etwa nach Ansicht Stuhlmachers – unter der Prämisse, dass ihnen der Ort seines Grabes bekannt gewesen sei, nur verständlich werden, wenn das Grab tatsächlich leer vorgefunden wurde.416 Des Weiteren spreche nach Ansicht der Vertreter der besagten These bereits der Umstand, dass Jesu leibliche Auferstehung und die Leerfindung seines Grabes im in den Evangelien vorliegenden (und in Kapitel III.3.1.a eingehender reflektierten) Sinne verkündigt wurden, für einen Geschichtsbezug der Gegenstände dieser Verkündung. Diese Annahme wird damit begründet, dass die besagte, uns neutestamentlich vorliegende Ausgestaltung der Auferstehungsverkündigung mit ihrer Hervorhebung der leiblichen, die irdische Leiblichkeit tan-

414

Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 50. Vgl. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 437. 416 Vgl. ebd. Das angesprochene Ausbleiben der Ausübung verschiedener Riten am Grab wird mitunter auch darin begründet, dass Jesus im Sinne des thematisierten Bestattungsritus der sogenannten Ossilegiums-Begräbnisse keine herkömmliche Bestattung, sondern eine „Sekundärbestattung der Gebeine nach der Verwesung des Fleisches“ (ebd.) zuteilgeworden wäre, die eine Entstehung von Grabkulten augenscheinlich erschwert hätte, da diese sich nicht länger auf eine konkrete Grabstätte hätten beziehen können, sondern lediglich auf die sogenannte Ossuarienkiste, in welche die Gebeine des derart Bestatteten gelegt wurden (vgl. ebd.). Da die angesprochene Bestattungsform allerdings in Bezug auf die Bestattung Jesu begründet ausgeschlossen wurde, ist dieses Argument nicht tragfähig und wird entsprechend nicht weiter verfolgt. 415

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Teil III: Eigene Deutung

gierenden Dimension des Auferstehungsgeschehens im Gegensatz zur Verkündigung einer subjektiven Vision oder einer Entrückung Jesu als hochriskant bezeichnet werden müsse, weil sie Überprüfungen oder abweichende Interpretationen geradezu herausfordere.417 Zudem sei sie auch hinsichtlich der Verbreitung der christlichen Botschaft ideenpolitisch höchst unökonomisch und potenziell sogar kontraproduktiv gewesen, da sie dieser Dimensionen aufbürdete, die verbreitete jüdische Erwartungen und Hoffnungen weit überstiegen418, indem die Vorstellungen einer endzeitlichen Totenauferweckung und der mit ihr einhergehenden Öffnung der Gräber hier nicht auf Einzelpersonen bezogen wurde.419 Die Auferstehungsbotschaft sei in der uns bekannten Form somit in einer Weise ausgestaltet worden, welche sowohl auf Juden als auch auf Heiden höchst anstößig wirkte.420 Dies wäre – gerade auch hinsichtlich ihrer angestrebten Verbreitung – sicherlich vermieden worden, wenn die besagte Ausgestaltung der Erzählungen den frühen Christen nicht durch ihre Erfahrungen – hier konkret durch ein Wissen um die Leerfindung des Grabes – nahegelegt worden wäre. Obschon sicherlich – sowohl in Bezug auf die Ausgestaltung der Osterbezeugungen als auch hinsichtlich des Verhaltens der Jünger – Erklärungsansätze konstruiert werden könnten, die die besagten Phänomene unabhängig von einer (leiblichen) Auferstehung und von einem damit verbundenen Leerwerden des Grabes denkbar machen, und obwohl auch die angeführte These mit gewissen Prämissen – wie der, dass den Jüngern ein Grab bekannt gewesen sei, – verbunden ist, weist sie augenscheinlich eine schlüssigere Argumentationslogik auf als die bisher skizzierten Thesen. Zudem überzeugt sie durch die Plausibilität ihrer Einzelerwägungen. Nachdenklich stimmt hier insbesondere die angeführte Einsicht, dass die gewählte Darstellungsform der Auferstehungsverkündigung offenkundig mit einer erheblichen Verkomplizierung ihrer Verbreitung einherging, da sie durchaus Anstoß erregte. Dies steht den menschlichen Grundbedürfnissen nach Komplexitätsreduktion und Harmonie entgegen und erfordert einen triftigen Grund, der in der (durch die These angebotenen) Begründung gegeben ist, dass die konkreten Erfahrungen der ersten Christen die Wahl der besagten Darstellungsweise notwendig machten. 417

Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 219 f. Vgl. a.a.O., 220 u. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 51. 419 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 93. Die Versuche Bergers, anhand von Mk 6,14 und Offb 11,11 f. zu zeigen, dass die Vorstellung einer von der allgemeinen, endzeitlichen Auferstehung der Toten unabhängigen Auferstehung konkreter Einzelpersonen im Erwartungshorizont des damaligen Judentums durchaus vorfindlich gewesen sei (vgl. Merz, u. Theissen, Der historische Jesus, 421), vermag hingegen nicht zu überzeugen, da die in den Belegstellen angesprochenen Vorgänge wohl kaum mit der Auferstehung Jesu als der Antizipation der endzeitlichen Totenauferweckung zu vergleichen sind. Plausibler erscheint die Einschätzung Stuhlmachers, dass das besagte Konzept für das damalige Judentum völlig unerhört und neuartig gewesen sei (Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 50). 420 Vgl. a.a.O., 51. 418

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

327

Zur Überprüfung des aus dieser Einschätzung zu gewinnenden Eindrucks einer grundsätzlichen Plausibilität eines Geschichtsbezuges der Grableerfindung, der im Rahmen der unternommenen Rückfrage nun erstmals deutlich zutage tritt, sei nachfolgend die gewichtigste gegenläufige These untersucht. Daran schließt sich eine Abwägung aller reflektierten Argumentationslinien an, ehe der Versuch einer systematisch-theologischen Deutung der gewonnenen Einsichten unternommen werden kann. e) Die Grableerfindung als narrative Rahmung der Auferstehungsverkündigung Entgegen dem Eindruck, dass der neutestamentlichen Grableerfindung eine gewisse Plausibilität zugestanden werden sollte, sei das überzeugendste gegenläufige Argument reflektiert, um zu ermitteln, wie tragfähig dieses ist und ob es den besagten Eindruck relativieren kann. Konkret handelt es sich hierbei um den (unter anderem von Oberlinner angeführten) Verweis darauf, dass der Umstand der Leerfindung des Grabes innerhalb der Gesamtkomposition der Grableerfindungserzählungen nicht im Fokus stehe, da diese auf die Verkündigung der Auferstehung durch den beziehungsweise durch die Himmelsboten hingeordnet seien, zu deren Darstellung sie unabhängig vom empirischen Zustand des Grabes konzipiert wurden.421 Die Leerfindung fungiere entsprechend lediglich als fiktive Rahmung ebendieser Verkündigung422, die keinen Anspruch auf einen Geschichtsbezug im untersuchten Sinne erheben könne. Explizit thematisiert Oberlinner das in der Erzählung dargestellte Offensein des Grabes, das als solches bereits aller Wahrscheinlichkeit nach kei421 Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 177, 179 u. 182 u. siehe auch Fössel, Offenbare Auferstehung, 593. Ähnliche Argumentationslinien finden sich auch in Roloffs Auseinandersetzung mit der johanneischen Grableerfindungsperikope, im Zuge derer er in Entsprechung zur angeführten These unterstreicht, dass das leere Grab als solches in der Gesamtkomposition der Erzählung lediglich als Exposition fungiere (vgl. Roloff, Neues Testament, 269), deren Relevanz nicht überzubetonen sei. Die angesprochene Gesamtkomposition diene hier jedoch nicht ausschließlich (im Sinne der Ausführungen Oberlinners) der Präsentation der Auferstehungsverkündigung des Himmelsboten (vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 182), sondern sei auf die Erscheinung des Auferstandenen fokussiert (vgl. Roloff, Neues Testament, 269). Dies entspricht dem Verständnis Roloffs, dass es sich bei der johanneischen Version der Erzählung vorrangig um die Darstellung einer Einzelerscheinung handele, die sich – in gleicher Weise wie die anderen neutestamentlichen Erscheinungsberichte – durch ihren charakteristischen „novellistisch-erbauliche[n] Stil“ (ebd.) auszeichne. Allgemeiner formuliert Pesch, dass es sich bei den Grableerfindungserzählungen im Wesentlichen um konstruierte, keinen Anspruch auf Geschichtsbezüge im diskutierten Sinne erhebende Erzählungen handele, welche lediglich dazu dienen, eine bereits gegebene Wahrheit zu inszenieren (Vgl. Fössel, Offenbare Auferstehung, 589, unter Zitation von Pesch, Das „leere Grab“, 17 ff.). 422 Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 177. Dass die Darstellung der Grableerfindung als Rahmung fungiere, werde nach Ansicht der Verfechter ebendieser These ferner durch den Umstand bestätigt, dass sie – wie im ersten Teil gezeigt – nahezu ausschließlich innerhalb der Evangelientraditionen Erwähnung findet (vgl. Becker, Die Auferstehung, 241), wo sie als ein derartiger narrativer Rahmen benötigt werde.

328

Teil III: Eigene Deutung

nen Anspruch auf einen Geschichtsbezug erheben könne, sondern im Wesentlichen als eine fiktive, erzählerische Verbindung des Verweises auf die Auferstehung Jesu und des Hinweises auf den leeren Zustand seines Grabes zu denken sei, welches argumentationslogisch notwendig als offen beschrieben werden musste, da es innerhalb der Erzählung leer aufgefunden werden sollte.423 Die durch von Campenhausen vertretene Annahme, dass die Erzählungen auf eine alte Überlieferung zurückgehen, welche die Engelsbotschaft als solche noch gar nicht beinhaltete, sondern lediglich von einer Leerfindung des Grabes durch einige Frauen zeugte, sei nach Ansicht der Verfechter der thematisierten These nicht haltbar, da es sich bei einem derartigen Kern der Texte ihres Erachtens um eine Erzählung handeln würde, die keinerlei Verkündigungsinhalt aufwiese, weshalb ihre (innergemeindliche) Tradierung nur schwer zu plausibilisieren wäre.424 Gegen diese Einschätzung kann (über die im Zusammenhang mit der Beurteilung des Textbefundes angesprochenen Aspekte hinaus) auf den angeführten Gedanken Barths verwiesen werden, dass im biblischen Kontext stets ein gewisser Zusammenhang zwischen Zeichen und Bezeichnetem bestehe und beide entsprechend nicht einfach voneinander abgelöst werden und für sich alleine (theologisch) nutzbar gemacht werden können.425 Deshalb ist kritisch zu hinterfragen, inwiefern das Motiv der Leerfindung des Grabes, das Oberlinner (im Sinne der in Kapitel II.5 dargestellten Tendenzen) als ein Zeichen für die Auferstehung deutet, verstanden als eine bloß narrative Rahmung426 logisch von ebendieser abzutrennen wäre. Schwager weist zudem – hier im Widerspruch zu Becker, der die positive Zeichnung der Frauen in den betrachteten Darstellungen lobend hervorzuheben wusste, – darauf hin, dass der Umstand, dass sowohl die Frauen als auch die Jünger innerhalb der Grableerfindungserzählungen erkennbar negativ präsentiert werden, unter der Prämisse, dass es sich bei den Erzählungen lediglich um fiktive Konstruktionen ohne außertextuelle Referenzobjekte in der von Menschen erfahrbaren Geschichte handelte, nicht zufriedenstellend erklärt werden könne.427 Diese Argumentation vermag allerdings nur bedingt zu überzeugen, da die (freilich auch negative Assoziationen erweckende) Darstellung der Jünger und der Frauen in verschiedenen Darstellungsintentionen der Verfasser begründet werden könnte, auf die bereits verwiesen wurde.

423

Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 180. Vgl. a.a.O., 177, unter Zitation von Fischer, Das Ostergeschehen, 59. 425 Vgl. Barth, KD I/2, 195 f. 426 Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 177. 427 Vgl. Schwager, Die heutige Theologie, 440. In Bezug auf die von ihm festgestellte, negative Zeichnung der Frauen innerhalb der Erzählungen verweist Schwager auf Mk 16,8 (vgl. ebd.) und scheint somit vor allem die dort vollzogenen Hervorhebungen ihres Unverständnisses in Bezug auf die Geschehnisse am leeren Grab sowie ihrer Weigerung, den Verkündigungsauftrag des Himmelsboten auszuführen, vor Augen zu haben, obschon er dies nicht ausdrücklich verbalisiert. 424

III.2 Der empirische Zustand des Grabes Jesu

329

Nichtsdestotrotz kann hinsichtlich der verhandelten These jedoch festgehalten werden, dass sie nur bedingt zur Klärung der Frage nach dem Geschichtsbezug der Grableerfindung herangezogen werden kann und keineswegs so aussagekräftig ist, wie etwa Oberlinner es suggeriert. Dies wird (über die angeführte Anfrage Barths und die zumindest in Betracht zu ziehende Überlegung Schwagers hinaus) argumentationslogisch bereits daraus ersichtlich, dass die These elementar auf der meist nicht näher begründeten Prämisse beruht, dass es sich bei dem geschichtswissenschaftlichen Kern der Erzählungen – wie er hier in den Blick genommen wird – um „eine Geschichte ohne jeden Verkündigungsinhalt“428 handele, woraus ihr vermeintlicher Status als lediglich narrative Rahmung der Engelsbotschaft abgeleitet wird. Dass eine derartige Einschätzung des Verkündigungsinhaltes der Bezeugung einer Grableerfindung keineswegs alternativlos ist, sondern dass vielmehr ein berechtigter Anlass zur Annahme besteht, dass das leere Grab als solches (und auch unabhängig von dem Motiv der Engelsbotschaft) trotz seiner Mehrdeutigkeit über einen für jene, die um die Auferstehung wissen, ersichtlichen, facettenreichen und bereichernden Verkündigungsinhalt verfügt, wird im Kapitel II.3.2.c eingehend dargestellt. Entsprechend gibt ebendieses Kapitel die angedeutete, aber noch nicht zufriedenstellend begründete Auskunft darüber, weshalb keineswegs zu postulieren ist, dass die in den Evangelien dargestellte Grableerfindung lediglich als fiktive narrative Rahmung der Engelsbotschaft zu verstehen wäre, die keine Geschichtsbezüge aufwiese, und weshalb entsprechend auch der Plausibilisierungszusammenhang des gegen ihren Geschichtsbezug ins Feld geführten Arguments zerfällt.

III.2.4 Zusammenschauende Beurteilung des Geschichtsbezuges „Prüft man das, was sich prüfen lässt, so kommt man m.E. nicht darum herum, die Nachricht vom leeren Grab selbst und von seiner frühen Entdeckung stehen zu lassen. Es spricht vieles für und nichts Durchschlagendes und Bestimmtes gegen sie; sie ist also wahrscheinlich historisch.“429

Nach einer kritischen Sichtung aller dargestellten Thesen dürfte ersichtlich geworden sein, dass und warum in Bezug auf die Rückfrage nach einem Geschichtsbezug der neutestamentlichen Grableerfindung keine eindeutigen und letztgültigen Beurteilungen abzugeben sind, sondern allenfalls Tendenz- und Wahr-

428

Fischer, Das Ostergeschehen, 59, zitiert nach Oberlinner, Die Verkündigung, 177. v. Campenhausen, Der Ablauf, 96. Die Zuschreibung historisch scheint hier darauf abzuzielen, dass das derart bezeichnete Ereignis in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte verankert ist. 429

330

Teil III: Eigene Deutung

scheinlichkeitsurteile gefällt werden können, welche offenkundig massiv durch die weltanschaulichen Ansichten der jeweiligen Interpreten und insbesondere durch ihre Historizitäts- und Realitätsvorstellungen vorgeprägt werden. Dies dürfte zweifellos auch für die hier getroffenen Wahrscheinlichkeitsurteile gelten, die jedoch ungeachtet ihrer individuellen Bewertung gezeigt haben, dass die Möglichkeit einer Verankerung der Grableerfindung in der von Menschen erfahrbaren Geschichte – ausgehend von geschichtswissenschaftlich abzuwägenden Plausibilitäten430 – nicht pauschal ausgeschlossen werden kann, sondern zumindest in Betracht zu ziehen und kritisch zu reflektieren ist, was wiederum zu dem Ergebnis führen kann, dass durchaus einige Erwägungen für einen derart verstandenen Geschichtsbezug sprechen. Mit dieser Feststellung der grundsätzlichen Möglichkeit und Plausibilität einer Leerfindung des Grabes Jesu muss die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung jedoch zwangsläufig enden, da selbst aus deutlich entschiedeneren Stellungnahmen – wie etwa aus der Positionierung Mildenbergers, dass gegen eine Leerfindung des Grabes durch die Frauen aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive nichts Schwerwiegendes spreche,431 – keine Rückschlüsse auf das Ergehen des Leichnams sowie auf seinen Verbleib und auf die Ursache, den Vollzug oder die Bedeutung der Grableerwerdung gezogen werden können, da derartige Fragen die durch geschichtswissenschaftliche Erkenntnisbemühungen untersuchbare Dimension der von Menschen wahrnehmbaren Wirklichkeit überschreiten.432 Da die dargestellten Anfragen allerdings im Blick auf eine eingehendere Charakterisierung der Auferstehungsereignisse von Interesse sind und weil ungeachtet dessen alle Befürworter einer Verortung der Grableerfindung in der empirisch erfassbaren Dimension der Geschichte nach Ansicht der Kritiker ebendieser dazu verpflichtet seien, Auskunft darüber zu geben, welche Relevanz einem derartigen geschichtswissenschaftlichen Urteil zukomme433, schließt dieses Buch nicht mit der dargestellten Annäherung, sondern mit dem Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation der Grableerfindung, die die Dimensionen der Ursache und der Bedeutung der ihr vorausgehenden Grableerwerdung einschließt.

430

Vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 11. Vgl. Mildenberger, Auferstehung II/IV, 559. 432 Vgl. Adam, Das leere Grab als Unterpfand, 68. 433 Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 162. 431

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

331

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation Nachdem die vertretenen Historizitätsvorstellungen erläutert, die Notwendigkeit der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage herausgestellt und ebendiese durchgeführt wurde, gilt es, sich zu den resultierenden Einsichten, dass ein Geschichtsbezug der Grableerfindung im dargestellten Sinne nicht auszuschließen ist, sondern sogar einige überzeugende Untersuchungsergebnisse für die Verankerung einer Leerfindung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte sprechen, im Rahmen einer systematisch-theologischen Auseinandersetzung zu verhalten. Ein besonderes Augenmerk soll dabei – in Entsprechung zu den dargestellten Forderungen – auf der Untersuchung der Ursache des Leerseins des Grabes liegen, woran sich eine Beurteilung der Bedeutung der Untersuchungsergebnisse in Bezug auf den christlichen Glauben sowie auf den Glauben an die Auferstehung Christi und auf die Rede von ihr im Besonderen anschließt. Einleitend erfolgt zu diesem Ziel eine Untersuchung des im neutestamentlichen Befund vorfindlichen, von den ersten Christen zur Deutung der Auferstehungsereignisse herangezogenen Verständnisses der Auferweckung als ein alleiniges, schöpferisches Handeln Gottes434 am Leichnam Jesu, das zum Leerseins des Grabes führte. Meine Fokussierung auf dieses (im Neuen Testament vorfindliche) Deutungsangebot entspricht nicht nur der Überzeugung, dass eine redliche theologische Auseinandersetzung in erster Linie dem biblischen Befund verpflichtet ist, zu dem es sich zu verhalten gilt und im Dialog mit dem eine Deutung zu entwickeln ist, sondern auch der stets hervorgehobenen Erkenntnis, dass es aufgrund der Komplexität der Wirklichkeit nicht angemessen sein kann, angebotene Deutungsmöglichkeiten pauschal oder gar aufgrund weltbildhaft geprägter Vorstellungen zu verwerfen, ohne sie zuvor kritisch zu prüfen. Aus diesem vorausgesetzten Primat der neutestamentlichen Deutungsangebote ergibt sich, dass eigene Deutungen zur Begründung des Befundes, wie etwa die spekulativen Annahmen, dass das Grab leer gewesen sei, da der Leichnam umgebettet oder gestohlen worden wäre435, erst dann an den Text heranzutragen sind, wenn die von den Texten angebotenen Deutungsansätze sich anhand der dargestellten Untersuchungen als nicht tragfähig erweisen.436 Das umgekehrte, anhand einiger Bei-

434 Die Bezeichnung des alleinigen Handelns Gottes beschreibt hier und im Folgenden – auch wenn nicht jedes Mal eigens erläutert – im Sinne Barths und Ringlebens ein Wirken Gottes, welches jeder menschlichen Beteiligung entbehrt (vgl. Eckstein u. Welker, Einleitung, X) und das auf der dargestellten, grundlegenden Prämisse beruht, dass eine Totenauferweckung ausschließlich als eine Handlung Gottes verstanden werden könne, dessen „lebenschaffendes Leben“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 48) wesenhaft zu seinem Sein gehöre (vgl. ebd.). 435 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 343. 436 Die Bezeichnung als nicht tragfähig weist leider eine negative Behaftung auf, die jedoch

332

Teil III: Eigene Deutung

spiele dargestellte Vorgehen, im Zuge dessen (mitunter massiv weltbildhaft geprägte) individuelle Deutungsansätze an die jeweiligen Befunde herangetragen werden, noch ehe die Deutungsangebote der biblischen Zeugnisse reflektiert und im Rahmen der eigenen Auseinandersetzungen mit dem gebotenen Ernst berücksichtigt worden, erscheint dementgegen höchst fraglich.437

nicht implizieren soll, dass als solche beurteilte Argumentationsstrukturen der Bibel weniger wertig, bereichernd und/oder relevant seien als andere. Der Gebrauch der besagten Zuschreibung zielt hier lediglich darauf, dass einige Strukturen ausgehend von der menschlichen Wirklichkeitswahrnehmung geeigneter als andere zu sein scheinen, um die Ursachen empirisch-geschichtswissenschaftlich greifbarer Begebenheiten kausal schlüssig und nachvollziehbar zu erläutern. Wird die Eignung einer Argumentationsstruktur als sehr gering und dieselbe somit im Rahmen einer konkreten Urteilsfindung als wenig(er) tragfähig beurteilt, ist sie entsprechend nicht abzuwerten, da das wirklichkeitserschließende Potenzial biblischer Texte bekanntlich auf den verschiedensten Ebenen verortet werden kann und eine Auseinandersetzung mit ihnen sich trotz einer mangelnden Tragfähigkeit im untersuchten Sinne als sehr bereichernd erweist. 437 Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass sich die nachfolgenden Deutungsansätze ausdrücklich von jenen (im Diskurs in dominanter Weise vertretenen) oft nur spärlich begründeten Deutungen des leeren Grabes als nicht näher konkretisiertes Zeichen der Auferstehung distanzieren. Dies liegt darin begründet, dass derartige Interpretationen dort, wo sie ausnahmsweise einmal nicht mit einer Beurteilung der Grableerfindungserzählungen als fiktionale Erzeugnisse ohne Anspruch auf einen Geschichtsbezug einhergehen oder wo sie die Frage nach dem Geschichtsbezug einmal nicht grundsätzlich vergleichgültigen, lediglich Auskunft über die vermeintliche Funktion der Grableerfindung als Zeichen geben, was die Frage nach ihrer Begründung jedoch unbeantwortet lässt. Eine Anführung der genannten Funktion als Begründung wäre ferner undenkbar, da die Vorstellung, dass die Leerwerdung des Grabes als Resultat eines göttlichen Handels einzig zu dem Ziel erfolgte, ein missverständliches Zeichen für die Auferstehung zu hinterlassen, geradezu absurd ist. Unerwähnt bleiben soll hier ferner nicht, dass eine Beurteilung des leeren Grabes als Zeichen nicht überzeugen kann, da es aufgrund seiner Mehrdeutigkeit per se eine große Angriffsfläche für Kritik bietet und die Verbreitung der Auferstehungsbotschaft sogar behinderte. Dies gilt auch dann, wenn die Grableerfindungserzählungen als gänzlich fiktiv eingestuft werden. Selbst unter Berücksichtigung des apologetischen Mehrwerts der Erzählungen erscheint die Verwendung des Motivs des leeren Grabes als ein zeichenhafter Hinweis auf die Auferstehung entsprechend äußerst zweifelhaft, zumal es ohnehin auch hinsichtlich der Art seiner wenig fiktiven Darstellungen deutlich von anderen derartigen Zeichen (wie etwa denen des Zerreißens des Tempelvorhangs, des Sich-Auftuns der Erde und des Hinabsteigens des Engels am Grabe) abweicht, was ebenfalls gegen ein derartiges Verständnis spricht.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

333

III.3.1 Die Ursache des leeren Zustandes des Grabes a) Das neutestamentliche Begründungsangebot „Ja, das Leibliche ist eben das Schwierigste.“438

Der Erkenntnis entsprechend, dass die biblische Verkündigung ein wirklichkeitserschließendes Potenzial aufweist und dass sie es aus diesem Grund vermag, auch die umfassende (geschichtliche) Wirklichkeit hinsichtlich ihrer Konstitution und ihres Zieles in einer vielfältigen Weise zu erschließen, die der menschlichen Wirklichkeitserfahrung anderenfalls nicht zugänglich wäre, ist sie vor allen eigenständigen Erkenntnisbemühungen heranzuziehen, um herausfordernden Fragen in Bezug auf die erfahrbare Wirklichkeit – wie etwa der nach der Grableerfindung – zu begegnen. Folglich sei nachfolgend das Deutungsangebot, das das Neue Testament in Bezug auf die Begründung des Leerseins des Grabes anbietet, untersucht und reflektiert, ehe eigene Erkenntnisbemühungen an das Problem herangetragen werden. Zu diesem Ziel seien sowohl die Prämissen und Kerngedanken als auch die sich aus ihnen ergebenden Konsequenzen des neutestamentlichen Deutungsangebotes dargestellt, welches von der Vorstellung zeugt, dass das (durch die Grableerfindung festgestellte) Leersein des Grabes Jesu im unhintergehbaren Zusammenhang mit seiner Auferstehung stehe, von dieser also nicht – wie im gegenwärtigen Diskurs verbreitet – interpretativ abtrennbar sei und in einem Wirken Gottes am verstorbenen Jesus im Rahmen seiner Auferweckungshandlungen begründet liege.439 Anschließend erfolgt eine kritische Reflexion dieses Deutungsangebotes. Untersucht man die neutestamentlichen Bezeugungen des Auferstandenen und insbesondere die Darstellungen Pauli in 1 Kor 15,35–49, so wird ersichtlich, dass das hier implizierte und entfaltete Verständnis eines Handelns Gottes am Leib des verstorbenen Jesus im Rahmen der Auferstehungsereignisse im deutlichen Kontrast zu der verbreiteten Auffassung steht, dass der in den Erzählungen vorfindliche Verkündigungsinhalt des Auferstandenseins Jesu sinnvoll von den Grableerfindungserzählungen als lediglich äußeren, narrativen, fiktiven Rahmungen dieses Verkündigungsinhaltes zu trennen sei.440 Im deutlichen Gegensatz 438 Gesprächsäußerung Martin Heideggers, wiedergegeben durch Boss: Das Verhältnis von Leib und Seele, 39, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 168. 439 Hinsichtlich aller sich anschließenden Darstellungen der Auferstehungswirklichkeit und -leiblichkeit Christi sowie der daraus abzuleitenden Rückschlüsse auf die Auferstehungswirklichkeit der Menschen ist offenkundig zu beachten, dass es sich bei diesen lediglich um Annäherungen und notwendig begrenzte, unzureichende Erkenntnisbemühungen handelt, die ihre Gegenstände nie angemessen oder hinlänglich darzustellen vermögen. 440 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 188. Inwiefern überhaupt von einem tatsächlichen Ablauf der Auferstehungsereignisse gesprochen werden kann, ist fraglich, da diese Beschreibung eine Handlungsfolge im Sinne eines zeitlichen Aufeinanderfolgens verschiedener Ereignisse impliziert und uns unklar bleiben muss, inwiefern eine derartige Vorstellung das Wesen

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Teil III: Eigene Deutung

zu diesen Vorstellungen wird die Auferstehung innerhalb ihrer neutestamentlichen Bezeugung vielmehr in einen untrennbaren und notwendigen Zusammenhang mit der Leerwerdung des Grabes als Resultat eines Wirkens Gottes an Jesus (als ein mit ihr zwingend einhergehendes Ereignis!) gerückt. Diese Vorstellung der Notwendigkeit eines Zusammenhangs zwischen Jesu Auferstehung und einem Wirken Gottes an ihm ist grundgelegt in den anthropologischen Prämissen des zur Darstellung der Auferstehungsereignisse herangezogenen jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizonts. Zu diesen zählt unter anderem die durchaus herausfordernde Vorstellung, dass der Mensch als eine (wenn auch in sich selbst dialektische, so doch lebendige, ganzheitliche441) Einheit der ineinander verschlungenen und aufeinander einwirkenden, nicht voneinander zu lösenden und nichtsdestotrotz voneinander unterschiedenen Elemente der Seele, des Herzens, des Geistes und des Leibes zu denken sei442, welcher nur als ebensolche Schmerzliches wie Heilvolles zuteilwerde und die nur auf ebendiese Weise leben, sterben und auch wieder auferstehen könne.443 des Auferweckungshandelns Gottes zu treffen vermag; hier insbesondere: ob es einen Bezug zur Kategorie der Zeit aufweist und wie ein solcher zu denken wäre. Wenn die besagte Wendung hier nun doch Verwendung findet, so zielt ihr Gebrauch darauf, das nicht näher definierte, unverfügbare Wie der Auferstehung zu beschreiben, das nicht auf die gemeinhin mit dem Begriff Ablauf assoziierte Dimension der kausalen Erläuterbarkeit von Geschehnissen reduziert werden kann. 441 Vgl. Körtner, Dogmatik, 638. 442 Vgl. ebd., Beinert, „Unsterblichkeit der Seele“, 103 f. u. 96, Greshake, Untersuchungen, 228, Kapitel II.1.3 sowie Fischer, Der Auferstehungsglaube, 88. Die aufgezählten Dimensionen des menschlichen Daseins wurden und werden bis hinein in aktuelle Diskurse nicht nur aus theologischer, sondern auch aus philosophischer, soziologischer, biologischer oder physikalischer Perspektive oft in einer einander notwendig ausschließenden Weise verstanden. Schon die Darstellungen einzelner Dimensionen oder ihrer Wechselverhältnisse könnten Bände füllen. Eine der Komplexität dieser Gegenstände gerecht werdende, ausführliche Darstellung kann innerhalb der vorfindlichen Erkenntnisbemühungen entsprechend nicht unternommen werden. Stattdessen erfolgt eine Fokussierung auf die Dimension des Leibes, die an verschiedener Stelle – wenn auch keineswegs mit Anspruch auf Vollständigkeit – reflektiert wird. Des Weiteren findet im Exkurs III.3.1.c eine (ebenfalls überblicksartige) Auseinandersetzung mit der Dimension der Seele statt, die der Dimension des Leibes (in unvereinbarem Gegensatz zu den angesprochenen Grundsätzen des jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizonts) innerhalb des Diskurses häufig nahezu antithetisch gegenübergestellt wurde und wird. 443 Vgl. Körtner, Dogmatik, 638, ähnlich auch bei Welker, Gottes Offenbarung, 127. Vgl. außerdem: Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 182, Fischer, Der Auferstehungsglaube, 88, ähnlich erläutert bei: Pannenberg, Systematische Theologie III, 616 u. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 167. Untersuchen wir die im besagten Deutungshorizont zugrunde gelegte Wechselbeziehung der einzelnen Dimensionen des menschlichen Daseins, so zeigt sich, dass die aufgezählten, in der Bibel vorfindlichen anthropologischen Kategorien nicht auf die Bezeichnung unterschiedlicher, innerhalb eines Menschen vorfindlicher Substanzen abzielt, die ihn in ihrer Addition zum Menschen machten, sondern dass sie vielmehr der Benennung einzelner Aspekte des „einen und ganzen Menschen“ (Greshake, Das Verhältnis, 84) dienen und unterschiedliche Weisen seiner unauf-

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Jene, die den dargestellten Deutungshorizont zur Verkündigung der Auferstehung heranzogen, distanzierten sich somit bewusst von allen zur damaligen Zeit (insbesondere im griechisch-hellenistischen Kontext) weit verbreiteten444 Konzepten eines leiblosen Vollendungszustandes445 oder einer erst im Jenseits

spaltbaren und einzigen Wirklichkeit beschreiben (vgl. Lohfink, Was kommt nach dem Tod?, 216). Sowohl die Aussage „[d]er Mensch ist Seele“ (ebd.) als auch die Aussage „[d]er Mensch ist Leib“ (ebd.) seien somit korrekt, soweit bedacht werde, dass er stets beides in unverbrüchlicher Einheit mit den jeweils anderen Aspekten sei (vgl. ebd. u. Körtner, Dogmatik, 273). Sofern nun entsprechend keiner dieser Aspekte den Menschen per se bereits ausmache (vgl. Greshake, Untersuchung, 186 u. Weinrich, Auferstehung, 113), sondern ausschließlich ihr Zusammenspiel als Mensch bezeichnet werden kann, sei daraus zu schließen, dass Gott – sofern er seine Geschöpfe ins Leben befiehlt oder auferweckt – mit ebendiesen schöpferischen Handlungen stets auf den gesamten Menschen abzielt (vgl. Ps-Justin, De resurrectione 8 [= CA 2, 238], zitiert nach Weinrich, Auferstehung, 113). Diese Vorstellung der untrennbaren Einheit der einzelnen Dimensionen, die die Wirklichkeit des Menschen beschreiben, – insbesondere aber die der Einheit der Dimensionen des Leibes und der Seele – stimmen deutlich mit diversen Erkenntnissen relevanter Strömungen der modernen Anthropologie und Naturwissenschaften überein (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 210). Im Gegensatz zu verschiedenen vormodernen Kulturen, welche insbesondere der Seele eine größere Selbstständigkeit zuschrieben als dem Leib, zeugen gegenwärtige Auseinandersetzungen im Rahmen der erwähnten Diskurse von einer verbreiteten Akzeptanz einer dichten gegenseitigen Verflechtung des Seelischen mit dem leiblich konstituierten Geschehen (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 210). Diese werde bereits darin ersichtlich, dass gegenwärtig ausschließlich leiblichem Leben ein Bewusstsein zugesprochen wird und insbesondere das seelische Erleben als leiblich bedingt verstanden werden müsse (vgl. ebd. u. Greshake, Untersuchungen, 227). Der Leib, welcher „als gelebter Körper“ (Alloa, Bedorf, Grüny u. Klass, Einleitung, 2) folglich sowohl vom Geist als auch von der Seele durchwaltet und so erfüllt werde (vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 124 f.), gehe entsprechend nicht in seiner (in seiner Ausdehnung, seinem Gewicht oder seiner Masse zum Ausdruck kommenden [vgl. Greshake, Die Leib-Seele-Problematik, 172]) materiellen Verfassung auf, da diese lediglich einen (wenn auch freilich elementaren) Teilaspekt seiner Existenz darstelle (vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 124). In Entsprechung zum untersuchten Deutungshorizont können die beiden Komponenten des Leibes und der Seele somit – auch ausgehend von modernen anthropologischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen – als notwendige und stets zusammenhängende, aber „nicht aufeinander reduzierbare Aspekte der Einheit menschlichen Lebens“ (Pannenberg, Systematische Theologie II, 210) verstanden werden. Bei Interesse am Zusammenhang zwischen den beiden Aspekten sei etwa auf den von Alloa, Bedorf, Grüny und Klass herausgegebenen, mit Leiblichkeit betitelten Sammelband verwiesen, in dem eingehender erläutert wird, inwiefern „das Konzept des Leiblichen die kategoriale Trennung zwischen materiell vorliegendem Körper und psychischem Erleben, zwischen physis und psyche [… unterläuft und] den Körper als funktionalen Zusammenhang, der Medium und Gegenstand der Erfahrung gleichzeitig ist, [erfasst], ohne ihn auf einen bloßen Funktionalismus reduzieren zu wollen“ (Alloa, Bedorf, Grüny u. Klass, Einleitung, 2). Interessant ist in Bezug auf die Verhältnisbestimmung von Leib und Seele darüber hinaus die Auseinandersetzung Greshakes mit Josef Ratzinger, in deren Rahmen der Theologe und der ehemalige Papst Greshakes erweitertes Konzept der Seele diskutieren (vgl. Greshake, Untersuchungen, 275). Ratzinger kritisiert das Leibesverständnis Greshakes vehement, in-

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Teil III: Eigene Deutung

vollzogenen, erneuten Vereinigung der Seele mit der Leiblichkeit.446 Im Kontrast zu diesen (im Exkurs III.3.1.c eingehender beleuchteten) Vorstellungen griffen sie stattdessen zur Veranschaulichung ihrer Erfahrungen auf den (durch die besagten jüdisch-apokalyptischen Prämissen geprägten) Gedanken zurück, dass der ganze, leiblich konstituierte und der Vergänglichkeit somit unterworfene Mensch, dessen psychosomatische Einheit durch den Tod nicht zerbrochen werde, Erlösung finde.447 Diese Erlösungsvorstellung begründet Paulus im Rahmen seiner (von einer Hoffnung auf eine personale Auferstehung der Toten geprägten) Ausführungen448 in einem Heilshandeln Gottes, welches sich auch auf den vergänglichen und letztendlich am Kreuz verstorbenen Leib Jesu bezogen habe, der seines Erachtens im Prozess der göttlichen Auferweckungshandlungen schöpferisch in eine für das ewige Leben bestimmte449, pneumatisierte Leiblichkeit verwandelt450 und verklärt

dem er unter anderem darauf verweist, dass der konstitutiv zur Leiblichkeit gehörende Aspekt der Materialität des empirischen menschlichen Leibes in unzulässiger Weise unberücksichtigt bliebe (vgl. Ratzinger, Zwischen Tod und Auferstehung, 217, zitiert nach Greshake, Zum römischen Lehrschreiben über die Eschatologie, 189. Bei weiterführendem Interesse an der besagten Auseinandersetzung sowie an der Erwiderung Greshakes vgl. ebd.). Zuletzt sei auf die Darstellungen Moltmanns verwiesen, der die im thematisierten Deutungshorizont vorliegenden anthropologischen Prämissen ebenfalls beleuchtet und der die Existenz einer „ursprüngliche[n] Einheit von Leib und Seele in einer menschlichen Person“ (Moltmann, Der Weg, 288) bestätigt. Diese erfahre „durch das Erwachen des Selbstbewusstseins“ (ebd.) jedoch eine Brechung, was auch daran ersichtlich werde, dass die (für Kinder noch typische) Spontanität zunehmend durch das (bei Erwachsenen erkennbare) bewusste, intentionale Handeln und Reflektieren ersetzt werde. Aus diesen Einsichten sei zu schließen, dass der Mensch „nicht mehr einig mit sich“ (ebd.) sei, sondern im Aus-sich-selbst-Heraustreten und im Sich-selbst-Gegenübertreten eine „,exzentrische Position‘ zu sich selbst“ (ebd., unter Zitation von Plessner, Lachen und Weinen, 48) einnehme und sich somit gleichzeitig zum Objekt und zum Subjekt werde (vgl. Moltmann, Der Weg, 288). 444 Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten in bibeltheologischer Sicht, 159. 445 Vgl. Hoffmann, Auferstehung I/III, 456. 446 Vgl. Stemberger, Auferstehung I/II, 444. 447 Vgl. ebd., Hoffmann, Auferstehung I/III, 455 u. Vorholt, Osterevangelium, 338. Demnach wären auch Deutungen im Stile der These Dalferths, dass der Leichnam Jesu notwendig verwest sein müsse, und der These Lindemanns „Wenn von der Auferweckung Jesu gesprochen wird, dann geht es nicht um ein leeres Grab“ (Lindemann, Auferstehung, 68) nicht vertretbar, da diese die (aus der Perspektive der dargestellten anthropologischen Prämissen als unmöglich zu beurteilende) Vorstellung implizieren, dass eine Auferstehung auch dann denkbar sei, wenn der Leichnam des Auferstehenden von den Auferstehungsereignissen unberührt bliebe. 448 Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 42. 449 Vgl. Moltmann, Das Kommen Gottes, 96. 450 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 71, Kremer, Osterbotschaft, 25 u. Hoffmann, Auferstehung I/III, 456. Wie im Rahmen der Wiedergabe der Historizitäts- und Realitätsvorstellungen Pannenbergs (Kapitel II.1.1) dargestellt, handelt es sich bei sprachlichen – beispielsweise metaphorischen – Abbildungen und Bezeichnungen, die auf eine Darstellung komplexer theologischer Zusammenhänge abzielen, stets um Annäherungsversuche, die die Mehr-

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worden sei.451 Impliziert wird hier – gemäß des zur Verbalisierung der eigenen Erfahrungen herangezogenen Horizonts und der in ihm vorfindlichen anthropologischen Prämissen – augenscheinlich, dass auch der Leib „als ontologisches Konstituens des Wesens Mensch“452 im Auferstehungsgeschehen zu seiner Vollendung gebracht worden sei453 und dass daher verkündet werden könne, dass die ganze Person Jesus von Nazareth „in Leib und Seele“454 auferstanden sei.

dimensionalität ihrer Gegenstände nie hinlänglich einzufangen und abzubilden vermögen (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 159). Dies gilt selbstverständlich auch für das Konzept des σωÄ μα πνευματικο ν (vgl. ebd.), das herangezogen wurde, um die Leiblichkeit des Auferstandenen zu beschreiben. Auch es kann jedoch selbstverständlich – und diese Einsicht sei im Folgenden vorausgesetzt – nur als Annäherung verstanden werden. Dies gilt es zu bedenken, sofern man im Zuge der je eigenen Erkenntnisbemühungen nicht Gefahr laufen möchte, das sprachliche Abbild mit dem eigentlichen Gegenstand zu verwechseln und die Charakteristika und Begrenzungen des Bildes auf den (durch es vermeintlich abgebildeten) Gegenstand zu projizieren. Die notwendige Berücksichtigung dieses Umstandes darf jedoch nicht damit einhergehen, die (in den untersuchten biblischen Zeugnissen vorfindlichen) Annäherungsversuche pauschal und unreflektiert als äußere, beliebige Gestaltungsformen der (durch sie ausgedrückten) Verkündigung zu verstehen und sie entsprechend im Rahmen eigener Erkenntnisbemühungen zu vernachlässigen oder gar unmittelbar von der (vermeintlich durch sie ausgedrückten) Bedeutung abzulösen, da es sich bei ihnen noch immer um jene (wenn auch defizitären) Bilder handelt, die die ersten Christen zur Beschreibung ihrer Erfahrungen für angemessen hielten. Die Untersuchung von Deutungshorizonten und -angeboten macht es somit erforderlich, einzelne Darstellungsformen reflektiert und kritisch, aber auch wertschätzend wahrzunehmen und in Bezug auf die untersuchte Frage – hier die Frage nach der Tragfähigkeit, Plausibilität und Nachvollziehbarkeit der neutestamentlichen Deutungsangebote hinsichtlich des Leerseins des Grabes – zu beleuchten. 451 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 114. Die Annahme, dass Jesu Leiblichkeit – entsprechend der angesprochenen Prämissen – tatsächlich in das Auferstehungsgeschehen einbezogen worden sei, spiegelt sich bei Paulus bereits in der Art und Weise wider, auf die der Apostel seine Argumentation etwa in 1 Kor 15,35 einleitet. Dort stellt er als hinführende These die Frage „,Mit was für einem Leib werden sie (sc. die Toten) kommen‘“ (1 Kor 15,35, zitiert nach Weinrich, Auferstehung, 127), was augenfällig davon zeugt, dass der Apostel die Charakterisierung der Auferstehungswirklichkeit als leiblich ganz selbstverständlich voraussetzte und dass er sonstige, zur damaligen Zeit verbreitete Erlösungs- und Auferstehungsvorstellungen argumentativ nicht einmal in Betracht zog (vgl. Weinrich, Auferstehung, 127). 452 Greshake, Das Verhältnis, 117 f. 453 Vgl. ebd. 454 Fössel, Offenbare Auferstehung, 611. Dass die Vorstellung der Verwandlung der Leiblichkeit Jesu untrennbar mit dem Gedanken verbunden sei, dass sich die allgemeine eschatologische Totenauferweckung samt der Gleichgestaltung der Leiber der Toten nach dem Vorbild des Leibes Christi (vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 915, mit Verweis auf und unter Aufnahme von Phil 3,21) in ihr „in einer Art ,Zeitraffung‘ antizipatorisch auch im Leiblichen vollzogen hat (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 110), sei hier mitgedacht, findet in diesem Teilkapitel allerdings keine explizite Erwähnung. Da der Gedanke dieser (im Geschick Jesu erfolgten) Antizipation des Aufgehobenwerdens des Menschen und somit auch seiner Leiblichkeit in der göttlichen Ewigkeit (vgl. a.a.O., 109), die in Gott – so wie alle zukünftigen Ereignisse – bereits geschehen ist, aber für die Menschen erst noch aussteht (vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 915), allerdings eine elementare Dimension des untersuchten

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Die besagte, aus der Transformation des irdischen Leibes Jesu entstandene, pneumatische Leiblichkeit zeichne sich dabei dadurch aus, dass sie eine gänzliche Andersartigkeit im Vergleich zu ebenjener aufweise455, da sie von den (im postlapsarischen Dasein begründeten) Einschränkungen und sonstigen irdischen Begrenzungen nicht länger tangiert werde und entsprechend unzerstörbar sei, keine diesseitigen Gebrechen aufweise und grundlegend leidensunfähig sei.456 Folglich unterliege die pneumatische Leiblichkeit als Teil der „Realisierung des Eintritts der Ewigkeit in die Zeit“457 auch der allgemeinen Vergänglichkeit, der mit ihr einhergehenden (aus dem Auseinanderfallen der drei Zeitmodi resultierenden458) Geschehens darstellt, findet sie nachfolgend noch einmal Erwähnung. Des Weiteren soll im Rahmen der vorgenommenen inhaltlichen Eingrenzung des dritten Teils die (aufgrund der untersuchten Themenstellung nicht eigens behandelte) Anfrage Ringlebens Erwähnung finden, ob die Fokussierung auf die (in den neutestamentlichen Darstellungen der Osterereignisse einseitig hervorgehobene) „individuelle Leiblichkeit des Auferstandenen“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 115) zur angemessenen Berücksichtigung der „eschatologische[n] Allgemeinheit der Auferstehung Jesu Christi“ (ebd.) nicht um die paulinische Vorstellung der Gemeinde als dem Leib Christi zu ergänzen wäre (vgl. ebd.). Zweifellos ist Ringleben darin recht zu geben, dass eine umfassende Untersuchung der Auferstehungswirklichkeit und -leiblichkeit diesen Aspekt berücksichtigen sollte, um eine einseitige Fixierung auf eine je individuelle Auferstehungsleiblichkeit, die hier thematisiert wird, zu vermeiden. Da im Zuge dieses Buches allerdings keineswegs der Anspruch erhoben wird, die Auferstehung umfassend zu untersuchen, muss der von Ringleben betonte Aspekt – trotz Verweis auf seine Relevanz – unterbestimmt bleiben und findet nur vereinzelt Erwähnung. 455 Vgl. a.a.O., 113. Die kategorische Andersartigkeit der pneumatischen Leiblichkeit und die Erkenntnis der mangelnden linearen Kontinuität der Auferstehungsrealität zur prämortalen Existenz spiegeln sich sowohl in den Darstellungen der Begegnungen mit dem Auferstandenen als auch in den Thematisierungen der Auferstehungsleiblichkeit durch Paulus in 1 Kor 15 wider. Die Erscheinungsdarstellungen zeugen so von einer (nichts bereits aus dem plötzlichen Wiederauftauchen eines Totgeglaubten erklärbaren) tiefgreifenden Verstörung der diesem Begegnenden. Diese deutet auf die Andersartigkeit der pneumatischen Auferstehungsleiblichkeit Jesu hin (vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 178 f.). Bestätigt wird dieser Eindruck durch den in den Erzählungen an verschiedener Stelle vorfindlichen Hinweis darauf, dass der Auferstandene von seinen Jüngern nicht unmittelbar wiedererkannt wurde und dass seine Identifikation entsprechend nicht ausgehend von jenen typischen Charakteristika vorgenommen wurde, anhand derer Menschen in der Regel erkannt werden (vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 119), was ebenfalls von einer doch zumindest optischen Andersartigkeit seiner pneumatischen Leiblichkeit gegenüber seiner irdischen Leiblichkeit zeugt. Dass die pneumatische Leiblichkeit sich über die optischen Aspekte hinaus auch hinsichtlich ihrer Eigenschaften von der irdischen Leiblichkeit unterscheidet, wird im neutestamentlich wiederholt bezeugten, plötzlichen Erscheinen und Verschwinden des Auferstandenen ersichtlich, da diese „Vorgänge“ ganz augenscheinlich davon zeugen, dass der Erscheinende keine massive Realität im Sinne seines (in der Grabstätte nicht länger vorfindlichen) Leibes aufwies, sondern in seiner Realität unverfügbar und ferner auch nicht greif- oder festhaltbar gewesen sei (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 108). 456 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 174, Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 113 u. Joest, Dogmatik II, 617 f. 457 Kiauka, Zeit und Theologie, 152. 458 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 605; im dargestellten Sinne aufgegrif-

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Zerrissenheit allen Lebens, der Sündenschmach und dem Schicksal des Todes nicht mehr.459 Stattdessen sei sie als eine Art zeitlich-ekstatisches, „dem zeitdurchdringenden Leben der Ewigkeit entsprechend[es]“460 Sein zu verstehen, da sie Anteil am göttlichen πνευÄ μα hat und ins Leben Gottes hineinverwandelt werde.461 Dies rühre daher, dass ein ewiger Einbezug des vergehenden Lebens der Schöpfung in das Leben Gottes erfolge, der „sein innerstes Leben“462 an ebendiese weitergebe, wodurch das irdische Leben an seiner Macht und auch an seiner Herrlichkeit Anteil nehme.463 Anhand dieser Charakteristika dürfte ersichtlich geworden sein, dass die pneumatische Leiblichkeit sich erheblich und in nahezu allen relevanten Merkmalen von der irdischen Leiblichkeit unterscheide, welche sich durch ihre Vergänglichkeit, ihre Fragilität und ihre allgemeine Begrenztheit auszeichnet, woran die Radikalität jenes besagten, sich am ganzen Menschen vollziehenden Wechsels erkennbar werde, der sich vollziehe, ohne dass der Mensch seine Identität im Laufe des Prozesses verlöre und somit aufhörte, „der [zu] bleiben, der er war und der zu sein er bestimmt bleibt.“464 Eine entsprechende Gegenüberstellung der pneumatischen und der irdischen Leiblichkeit findet sich bei Paulus in 1 Kor 15,42–44, wo der Apostel anhand des Bildes eines Samenkorns in vier argumentativen Gegensatzpaaren, deren rhetorische Schärfe durch eine fehlende Verwendung von Artikeln noch gesteigert wird, die Unterschiede zwischen den beiden Leiblichkeiten darstellt.465 Die sterbfen von Kiauka, Zeit und Theologie, 161. In gleicher Weise, wie die pneumatische Leiblichkeit ein verändertes Verhältnis zur Zeit und zu ihrem Vergehen aufweist, ist an ihr auch ein verändertes Verhältnis zur Kategorie des Raumes zu erkennen, deren empirisch feststellbare Schranken für sie durchdringbar zu sein scheinen (vgl. Weinrich, Auferstehung, 121). Die Erscheinungsdarstellungen bringen dies zum Ausdruck, indem sie davon zeugen, dass der Auferstandene es vermochte, durch verschlossene Türen hindurchzuschreiten und plötzlich (auf für Beobachter nicht nachvollziehbare Weise) aufzutauchen oder zu verschwinden, wobei es sich augenfällig um Eigenschaften handelt, welche die uns bekannte Materie irdischer Leiblichkeiten nicht aufweist. 459 Vgl. a.a.O., 161, Kremer, Auferstehung der Toten, 35 u. Weinrich, Auferstehung, 119. Moltmann begründet die Unsterblichkeit des pneumatischen Leibes in seinem völligen Durchdrungensein „von der Lebenskraft des göttlichen Geistes“ (Moltmann, Der Weg, 280), aufgrund derer der Tod keine Macht mehr über ihn habe (vgl. ebd.). 460 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 72. 461 Vgl. ebd., Kremer, Auferstehung der Toten, 34 f. u. Ringleben, Der lebendige Gott, 523. Siehe bei eingehenderem Interesse am Verhältnis zwischen dem Leben Jesu und dem Leben Gottes auch: Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 152. 462 A.a.O., S. 123. 463 Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 105. 464 Weinrich, Auferstehung, 131. Moltmann betont daher richtigerweise, dass es sich bei den beschriebenen Vorgängen keineswegs um eine „Verwandlung in ein anderes Wesen“ (Moltmann, Im Ende, 179) handele, sondern um eine „Verwandlung des eigenen Wesens“ (ebd.). 465 Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 34 f. Verwiesen sei auf Kremers weitere Ausführungen am genannten Ort, im Zuge derer er in gegebener Kürze erläutert, inwiefern Paulus in

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liche, irdische Leiblichkeit des σωÄ μα ψυχικο ν wird auch hier mit den Begriffen der Schmach, der Schwachheit und der Vergänglichkeit in Verbindung gebracht, wohingegen der Apostel in Bezug auf die eschatologische, einzig durch Gottes Gnade zu erlangende Leiblichkeit ihre Kraft, Unvergänglichkeit, Herrlichkeit und Unsterblichkeit betont.466 Diese Hervorhebung der Inkommensurabilität der beiden Leiblichkeiten467 stellt nicht nur einen Gegensatz zu der verbreiteten Position der Pharisäer dar, dass die Rede von der pneumatischen Leiblichkeit lediglich eine „Extrapolition der irdischen Existenz“468 beschreibe, sondern grenzt sich auch von jenen biologischen Konzeptionen ab, die auf den Annahmen beruhen, dass Jesus lediglich in ähnlicher Weise wie die Tochter des Jairus reanimiert wurde469 und dass er nur kurzzeitig erneut in seine (noch nicht dekompostierte) Leiblichkeit und in sein prämortales Leben zurückkehrte, wodurch impliziert wird, dass ihm sein Tod erst noch bevorgestanden hätte.470 Wie Moltmann es treffend zusammenfasst, beschreibt die Konzeption Pauli also gerade keine Rückkehr in sein vorheriges Leben, sondern vielmehr die Transformation ebendessen in sein ewiges, gänzlich neu qualifiziertes Dasein.471 Das bei Paulus vorfindliche Konzept der Verwandlung des irdischen Leichnams in eine pneumatische Leiblichkeit, das zur Deutung der Erfahrungen der ersten Christen mit dem Auferstandenen herangezogen wurde, bezieht sich folglich nicht nur auf die Körperlichkeit des Verstorbenen und Auferstandenen472, seiner Argumentation einen Bezug zu Adam herstellt und dessen Konstitution mit dem Auferstandenen und dessen Verfasstheit kontrastiert. 466 Vgl. a.a.O., 85 u. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 114. Die dargestellten Attribute veranschaulichen, dass Paulus die (durch sie näher charakterisierte) pneumatische Leiblichkeit als das, wozu der Auferstandene die sündigen Menschen durch seinen Hinrichtungstod errettete, und somit als eine Art Gegenbild zum Tod verstanden hat (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 85). Diese Einsicht lässt jedoch keineswegs den Schluss zu, dass es sich bei den Beschreibungen der pneumatischen Leiblichkeit lediglich um Projektionen handelte, die aus einer Todesfurcht des Apostels resultierten und einer unbegründeten Vertröstung dienten, da der Aspekt des Todes im Prozess der Verwandlung der Leiblichkeit stets als notwendige Dimension mitgedacht und somit gerade nicht verleugnet oder auch nur verharmlost wird. 467 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 267. 468 Kremer, Auferstehung der Toten, 55. 469 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 112 f. 470 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 71, Werbick, Diess Leben, 224, Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 249 u. Wengst, Das, was ist, ist nicht alles, 152. Derartige Fehlkonzepte, welche – wie die Darstellung des Streitgesprächs Jesu mit den Sadduzäern (Mt 22,23–33) zeigt (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 68) – auf von Unverständnis geprägten, törichten Vorstellungen einer leibhaftigen Auferweckung beruhen (vgl. a.a.O., 32), wurden unterschiedlich akzentuiert etwa von „den Schulen des Schammai und Hillel“ (a.a.O., 68) geteilt und sind bedauerlicherweise auch im gegenwärtigen Diskurs noch immer vorfindlich, wie anhand der Konzeption Lüdemanns (Kapitel II.2.4) gezeigt wurde. 471 Vgl. Moltmann, Im Ende, 167 u. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 61. 472 Die Fehlvorstellung, dass die Auferstehungsereignisse sich einzig auf die Körperlichkeit Jesu bezogen haben, mag freilich mit ihrer Charakterisierung als leiblich zusammenhän-

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sondern auf die Gesamtheit seines Lebens.473 Es zielt auf die Beschreibung einer Lebendigkeit ab, die Gott „aus der Fülle seiner lebendigen Ewigkeit“474 hervorbringt und an welcher die pneumatische Leiblichkeit in ihrer Vollkommenheit und Vollendung Anteil nimmt. Ringleben charakterisiert das (pneumatische) Auferstehungsleben – an diese Gedanken anknüpfend – als „ein Leben aus unzerstörbarer Verbundenheit mit dem schöpferischen Geist Gottes als dem Ursprung des Lebens“475 und begründet die Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit somit in einem Wirken des Heiligen Geistes, da dieser (als die Jesus aufweckende „Kraft unauflöslichen Lebens“476) lebensschaffend wirke477, wodurch die pneumatische Leiblichkeit entstehe.478 Die Frage, auf welche Weise genau diese Verwandlung der irdischen Leiblichkeit sich vollzog, findet im neutestamentlichen Befund jedoch keine eingehendere Erwähnung und muss entsprechend auch hier unbeantwortet bleiben. Eine Distanzierung von Versuchen einer Erläuterung des Ablaufs der besagten Verwandlung erscheint – ungeachtet ihrer mangelnden Thematisierung im neutestamentlichen Befund – jedoch ohnehin bereits deshalb geboten, weil es sich bei ihr um gen, da diese im deutschen Sprachgebrauch oft einseitig im Blick auf die Beschreibung der Körperlichkeit von Personen Verwendung findet. Dass ebendiese nicht trennscharf von anderen Seinsdimensionen des Menschen zu isolieren ist, liegt auf der Hand und wird im weiteren Verlauf noch eingehender zu zeigen sein. 473 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 912. 474 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 122. 475 Ebd., mit Verweis auf die Werke Wolfhart Pannenbergs, hier insbesondere: Das Glaubensbekenntnis (106 f. u. 145) sowie die Grundzüge der Christologie und die Grundfragen der systematischen Theologie. 476 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 112. 477 Vgl. ebd. Moltmann setzt hier einen anderen Akzent und bezeichnet die pneumatische Leiblichkeit als „Leib der Liebe“ (Moltmann, Der Weg, 286), welcher in dem Auferstehungsgeschehen als der „transzendente[n] Vollendung der Liebe“ (ebd.) entstehe, wobei er die Liebe selbst als „immanente Auferstehungskraft im Fleisch“ (ebd.) versteht. 478 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 112. Hinsichtlich des Umstandes, dass das Geschick der Menschheit in Christi Geschick antizipiert wurde, erläutert Ringleben im Zusammenhang mit dem thematisierten Geistwirken ferner, dass auch Pauli (auf die irdischen Leiblichkeiten und ihre Transformation zielende) Verheißung am lebensschaffenden, göttlichen Geist ausgerichtet sei (vgl. ebd.). Ablesbar sei dies – worauf auch Kremer (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 42) und Joest (Joest, Dogmatik I, 651) verweisen – an den Ausführungen Pauli in Röm 8,11: „Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckte, in euch wohnt, wird der, der Christus von den Toten auferweckt, auch eure toten Leiber lebendigmachen, durch einen Geist, der in euch wohnt“ (Röm 8,11, zitiert nach Kremer, Auferstehung der Toten, 41). Kremer deutet diese Ausführung als Hinweis darauf, dass die aktuelle Teilhabe am göttlichen Geist jene Neubelebung ermögliche, die dem Herrn durch ihn zuteilwurde (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 41), was hier nicht eingehender diskutiert wird. Es sei jedoch – im Vorgriff auf Kapitel III.3.2 – darauf verwiesen, dass die Vorstellung einer „,Vergeistigung‘ der Materie“ (Greshake, Die Leib-Seele-Problematik, 173) keinesfalls im Sinne eines voranschreitenden Ablösens der Seele oder des Geistes von der „Körperlichkeit, Massigkeit und Starre“ (ebd.) im Sinne platonisch-gnostischer Ansätze fehlzuverstehen ist.

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ein göttliches Handeln handelt, das wesenhaft jeder Erfassbarkeit durch bekannte Modelle biologischer Existenz- und/oder Verwandlungsprozesse entzogen ist479, weshalb es nicht als ein ebensolcher untersucht werden kann480 oder auch nur mit unserem menschlichen Vorstellungsvermögen zu erfassen wäre.481 Selbiges gilt auch für die (in den betrachteten Textbefunden nicht eindeutig konkretisierte) Beschaffenheit, Optik und Materialität der pneumatischen Leiblichkeit, deren mysteriös-eschatologische Realität einer eingehenderen oder gar objektiven Beschreibbarkeit entzogen ist482, weshalb sich auch hier von kreativen Spekulationen, Phantasien und Mutmaßungen distanziert wird.483 Stattdessen Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 255. Vgl. Weinrich, Auferstehung, 131. Von spekulativen Deutungsversuchen in Bezug auf den konkreten Ablauf der Verwandlung der irdischen in die pneumatische Leiblichkeit, welche sich nicht auf den biblischen Befund sondern einzig auf das stützen können, was der jeweilige Verfasser für plausibel erachtete, distanziere ich mich folglich. 481 Vgl. Joest, Dogmatik II, 637. Die Beantwortung der Frage nach dem Wie der Verwandlung der irdischen in die pneumatische Leiblichkeit entzieht sich der menschlichen Vorstellbarkeit somit ebenso wie die parallele Frage nach der endzeitlichen Neuschöpfung der Welt durch Gott (vgl. a.a.O., 652 u. Krötke, Gottes Klarheiten, 278). 482 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 113. 483 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 131. Tatsächlich werden innerhalb des Diskurses – entgegen der Erkenntnis der mangelnden verstandsmäßigen Zugänglichkeit der konkreten Beschaffenheit und Gestaltung der pneumatischen Leiblichkeit – Versuche unternommen, sie näher zu charakterisieren. Diese beziehen sich nicht nur auf die Materialität und auf die stoffliche Beschaffenheit der Leiblichkeit, sondern auch auf ihre Optik. Augustin stellt so trotz seiner eigenen Einsicht dessen, dass Aussagen über die Auferstehungsleiblichkeit aufgrund des Mangels an eigenen Erfahrungen in Bezug auf sie notwendig vage und spekulativ sind, konkrete Thesen hinsichtlich ihres Alters, ihrer Maße oder ihrer anzunehmenden Makellosigkeit auf (vgl. Weinrich, Auferstehung, 115) und auch andere Theologen scheuten sich nicht davor, ihr Urteil in Bezug auf derartige Charakteristika der pneumatischen Leiblichkeit abzugeben. In der Alten Kirche vertraten einige Theologen so die Ansicht, dass die Optik des pneumatischen Leibes der der irdischen Leiblichkeit derart entspräche, dass er ihr sogar in seinen besonderen Merkmalen (wie beispielsweise in Bezug auf Narben) gleichgestaltet sei, wodurch ihre Identität betont werde (vgl. a.a.O., 114). Dass derartige Mutmaßungen nicht nur höchst spekulativ und häufig auch nicht stichhaltig biblisch fundiert sind und/oder dem biblischen Befund sogar widersprechen, sondern auch im Wesentlichen aus den kreativen Erwägungen der jeweiligen Verfasser zu resultieren scheinen, ist augenfällig und lässt den vermeintlichen Erkenntnisgewinn, den sie zu bieten suggerieren, bereits vor allen inhaltlichen Auseinandersetzungen fraglich werden. Kritisch zu betrachten sind dementgegen allerdings auch jene Darstellungen, die sich zwar grundsätzlich auf biblisch verankerte Charakteristika der pneumatischen Leiblichkeit beziehen, diese allerdings in ähnlich kreativer Weise über den Textbefund hinausgehend konkretisieren oder gar (naturwissenschaftlich) herzuleiten gedenken. Auch scheint es ratsam, zu berücksichtigen, dass es sich bei allen derartigen Zu- und Beschreibungen lediglich um Annäherungen handelt, die die Auferstehungswirklichkeit nicht umfassend oder überhaupt abbilden können, wenngleich sie – sicherlich begründet – vorgenommen wurden, um die Auferstehungsleiblichkeit in der erfahrenen Weise zu beschreiben. Sowohl eine unverhältnismäßige Fokussierung auf die Detaillierungen der jeweiligen Annäherungen als auch ihr kreatives Umgestalten oder ihr (naturwissenschaftliches) Begründen erscheinen entsprechend fraglich. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der tatsächliche 479

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III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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sollte hinterfragt werden, welche Aussagen ausgehend vom biblischen Befund begründet und verantwortbar getroffen werden können. Ersichtlich wird so die offensichtlich anmutende Erkenntnis, dass es sich bei der beschriebenen Verwandlung – wie bisher stillschweigend vorausgesetzt – um eine eschatologische484, jedem menschlichen Zutun entbehrende, alleinige Tat Gottes im Sinne Barths handelt, im Rahmen derer unsere sterblichen Leiblichkeiten durch Gott der Leiblichkeit seiner eigenen Herrlichkeit gleichgestaltet werden.485 Diese Betonung scheint deshalb relevant, weil die paulinische, am Beispiel des Samenkorns erläuterte Kontrastierung der irdischen Leiblichkeit mit der pneumatischen Leiblichkeit in 1 Kor 15,42–44 das Fehlkonzept eines in der leiblichen Verfasstheit des Menschen angelegten Automatismus biologischer Art nahelegen könnte, welcher die postmortale Verwandlung der irdischen Leiblichkeit in die pneumatische Leiblichkeit bewirke, ohne eines Handelns Gottes zu bedürfen. Ein derartiges Verständnis stünde allerdings den Erwägungen Pauli entgegen, die den besagten Ausführungen zugrunde liegen. Der Apostel hebt im Zuge seiner Verwendung des genannten Bildes so ausdrücklich hervor, dass dem Samenkorn keine Potenzialität zu eigen sei, welche begründet auf ein erneutes Aufkeimen hoffen lasse, da es eben gerade nicht als etwas begraben werde, dessen Reproduktion ganz selbstverständlich erwartbar wäre.486 Vielmehr müsse Gott eindeutig als derjenige benannt werden, der das Samenkorn durch sein gänzlich freies, ausgehend von menschlichen Erfahrungen keineswegs erwartbares Wirken verwandele und so zu jener von ihm vorgesehenen Leiblichkeit werden lasse.487 Untersuchungsgegenstand der Auferstehungsleiblichkeit mit seinen sprachlichen Beschreibungen verwechselt wird und fälschlicherweise angenommen wird, dass ausgehend von den jeweiligen Annäherungen darauf rückzuschließen wäre, wie die Auferstehungsleiblichkeit sein müsse. 484 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 113. 485 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 915, unter Aufnahme von Phil 3,21. Dass der Mensch selbst an diesem Verwandlungsprozess keinen Anteil hat, spiegelt sich in dem (des Öfteren zur Beschreibung des besagten Prozesses verwendeten) Sprachbild des Bekleidetwerdens wider, das impliziert, dass es sich bei dem (als Totenauferstehung beschriebenen) Geschehen um eine schöpferische göttliche Handlung am Menschen handelt (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 38 f.), die seine aktive Beteiligung ausschließt. 486 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 128. 487 Vgl. ebd. Dieses Verständnis des Paulus wird bereits anhand seines Tempusgebrauches – hier insbesondere anhand des Kontrasts „zwischen dem Präsens δι δωσιν und dem Aorist ηÆ θε λησεν“ (Kremer, Auferstehung der Toten, 32 f.) – impliziert, welcher suggeriert, dass alle ausgesäten Samenkörner von Gott einen neuen, seinem zuvor gefasstem Entschluss entsprechenden Leib erhalten (vgl. ebd.). Auch Moltmann greift diese Gedanken auf und betont in Übereinstimmung mit den paulinischen Darstellungen, dass die Unsterblichkeit nun gerade nicht in einer konkreten Substanz oder – im Sinne des Seelenkonzept Platons – in einem „unberührbaren Kern in uns“ (Moltmann, Im Ende, 118) begründet liege, sondern vielmehr auf die Beziehung des ewigen Gottes zu den Menschen in ihrer Ganzheit zurückzuführen sei (vgl. ebd.). Verwiesen sei auch auf Ringleben, der ebenfalls hervorhebt, dass das menschliche „Angelegtsein auf Vollendung in der Auferstehung“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 123) in der eschatologischen Wirklichkeit Gottes begründet liege, welche „die Wahrheit der jetzt noch unvollendeten Schöpfung“ (ebd.) ist.

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Teil III: Eigene Deutung

Dieses Verständnis des Paulus sowie seine umsichtige Verwendung des Bildes der aufkeimenden Saat und die durch dieses dargestellte theologische Pointe sind jedoch im ihm nachfolgenden Gebrauch zugunsten der Vorstellung eines allgemein beobachtbaren, zuverlässig regelhaften – wenn auch zweifellos wunderbaren – Phänomens der Natur zunehmend in den Hintergrund gerückt, sodass der göttliche, „nicht einfach der Kontinuität verpflichtete Neuschöpfungsakt“488 seine (für Paulus völlig zentrale) Bedeutung verlor489, deren Hervorhebung nun entsprechend umso dringlicher wird. Des Weiteren kann hinsichtlich einer näheren Konkretisierung der Verwandlung der irdischen Leiblichkeit ausgehend von den paulinischen Darstellungen – auch hier insbesondere ausgehend von 1 Kor 15,42–44 – herausgestellt werden, dass sie durch eine grundlegende, für sie charakteristische Negativität geprägt ist, die in allen Darstellungen der Auferstehungsleiblichkeit vorfindlich ist490 und die sich konkret darin äußert, dass der Prozess der Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit das Vergehen der irdischen Leiblichkeit zwingend voraussetzt.491 488

Weinrich, Auferstehung, 129. Vgl. ebd. 490 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 114. 491 Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 32. Dieser Zusammenhang von Vergehen und Neuwerden innerhalb des Verwandlungsprozesses der irdischen Leiblichkeit wird im Samenkorngleichnis durch das Absterben und durch das anschließende Aufkeimen des Korns ausgedrückt, da diese Bilder das Dahinscheiden des Menschen sowie seine erneute Lebendigwerdung illustrieren (vgl. ebd.). Ringleben unternimmt einen Versuch, diesen Zusammenhang zu verbalisieren und zu charakterisieren. Er erläutert, dass der Abbau der irdischen Leiblichkeit einem Überkleidetwerden mit der pneumatischen, neuen Leiblichkeit entspreche (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 161, siehe auch a.a.O., 109: „Das Kommen des neuen ewige Lebens ist an sich selber das Absterben und Verzehrtwerden des alten“). Diese Formulierungen sind jedoch insofern kritisch zu hinterfragen, als dass sie eine Gleichzeitigkeit des Vergehens der irdischen Leiblichkeit und der Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit implizieren. In welchem zeitlichen Verhältnis die beiden „Vorgänge“ zueinander stehen, beziehungsweise ob sie und ihre Beziehung zueinander überhaupt treffend anhand zeitlicher Bestimmungen charakterisiert werden können, ist jedoch fraglich und kann ausgehend vom biblischen Befund nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Greshake setzt die beiden Begriffe hingegen – in starkem Kontrast zu Ringleben – derart in Beziehung, als dass er durch seine Phrase „Vernichtung und Neuschöpfung. Aber eben nur so Neuschöpfung, weil vorher Vernichtung“ (Greshake, Untersuchungen, 249) suggeriert, dass die Vernichtung der Neuschöpfung notwendig vorausgehen müsse, welches aus denselben Gründen, die hinsichtlich der Ausführungen Ringlebens geäußert wurden, kritikwürdig ist. Eine Abweichung von der Vorstellung des notwendigen Zusammenhangs zwischen dem Vergehen des Menschen und dem Empfang einer erneuerten, pneumatischen Leiblichkeit findet sich in Phil 3,20 f. Hier wird dargestellt, dass der Auferstandene im Rahmen seiner Parusie die Leiber der noch nicht Verstorbenen verwandeln werde, damit sie seinem Herrlichkeitsleib gleichgestaltet seien (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 39), ohne dass sie zuvor den Tod erleiden müssen. Inwiefern gemäß der Argumentation Kremers ausgehend von diesem (den thematisierten Belegen entgegenstehenden) Sonderfall darauf geschlossen werden kann, dass für Paulus keine notwendige Abhängigkeit der Teilhabe der Menschen „an der Herrlichkeit des erhöhten Herrn in einem neuen pneumatischen ,Leib‘“ (ebd.) von ihrem 489

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Der unumgängliche Tod des Menschen wird somit im untersuchten Deutungsangebot keineswegs geleugnet oder verharmlost – wie das Bild der leeren Grabstätte vermuten lassen könnte –, sondern in all seiner Härte stets als notwendiger Aspekt der Verwandlung der irdischen in die pneumatische Leiblichkeit berücksichtigt492, im Rahmen derer er in das Leben hineinverschlungen und auf diese Weise schöpferisch aufgehoben wurde.493 Das notwendige Vergehen des Menschen ist im Falle der Auferstehung Jesu jedoch nicht mit dem Verwesen seines Leichnams gleichzusetzen, da in Bezug auf ihn (in Entsprechung zur alttestamentlichen Verheißung aus Psalm 16,10) in Apg 2,27 erläutert wird, dass er die Verwesung aufgrund des göttlichen Sieges über den Tod nicht schauen musste.494 Diese Konkretisierung der Auferstehungsereignisse entspricht der ebenfalls im herangezogenen Deutungshorizont zugrunde gelegten Vorstellung, dass ein Leichnam als „Dokument des Todes“495 zu verstehen sei, dessen Dekompostierung in Übereinstimmung mit der Vorstellung des ganzen Menschen, der nur als Einheit all seiner Daseinsdimensionen auferstehen könne, einem „Endgültigwerden des Todes“496 und somit ferner einem augenfälligen Beweis des endgültigen „Sieges des Todes“497 entspräche. Die zur Deutung der Auferstehung herangezogenen Konzepte stehen daher in unauflösbarem Widerspruch zu Auferstehungsdeutungen im Stile Dalferths, die die vermeintliche Notwendigkeit des Verwesens des Leichnams betonen.498 Etzelmüller fasst zuvor eingetretenen, biologischen Tod und ihrer anschließenden Auferstehung (als ihrer Auferweckung aus dem Grabe) bestünde und diesen Vorstellungen in der paulinischen Konzeption somit eine lediglich dienende Funktion zugesprochen werden könnte (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 39), bleibt jedoch fraglich und lädt zu einer weiterführenden Reflexion ein. 492 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 170. Dass die skizzierte Betonung des notwendigen Vergehens des Menschen nicht mit einer Abwertung seiner vergänglichen leiblichen Konstitution verbunden ist, wird im Kontrast zu den Prämissen gnostischer Denkmodelle ersichtlich, die von einer erheblichen Herabwürdigung der sterblichen Leiblichkeit geprägt sind, wie im Exkurs III.3.1.c ersichtlich wird. 493 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 941. 494 Vgl. Ratzinger, Jesus von Nazareth II, 281 u. Apg. 2,27. 495 Thomas, „Er ist nicht hier!“, 215. 496 Ratzinger, Jesus von Nazareth II, 281. 497 Thomas, „Er ist nicht hier!“, 215. Kremer weist darauf hin, dass diverse Konzepte (innerhalb alttestamentlicher Texte) vorliegen, denen zufolge Verstorbene, sobald sie begraben werden, nicht länger auf die Güte Gottes hoffen können (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 81), da sie seinem Macht- und Wirkbereich entzogen seien und er ihrer nicht länger gedenke (vgl. ebd., mit Verweis auf Ps 88,5–6.11–13 u. Ps 6,6). 498 Vgl. Kapitel II.4. Im Gegensatz zu den Erwägungen Dalferths scheint die Pointe der thematisierten Deutung darin zu bestehen, dass die Menschen angesichts ihrer eigenen Sterblichkeit und Verwesung ausschließlich deshalb auf eine Erlösung von dem Tod und von der Vergänglichkeit hoffen können, weil Jesus die Macht des Todes gebrochen hat, was damit einhergegangen sei, dass er die Verwesung nicht schaute, da das Nicht-Verwesen seines Leichnams (dem zur Darstellung der Auferstehung herangezogenen Horizont zufolge) ein notwendiger Aspekt des Brechens der Macht des Todes sei. Ein begründeter Anlass zur Hoffnung

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Teil III: Eigene Deutung

diese Erkenntnis zusammen, indem er herausstellt, dass „Jesu Zeit im Grab“499 – dem hier behandelten Vorstellungshintergrund zufolge – notwendig begrenzt gewesen sein müsse500, sofern man von einem tatsächlichen Sieg Gottes über den Tod ausgehen wolle.501 Diese Formulierung scheint jedoch unglücklich gewählt zu sein, da der Gedanke des Nicht-Verwesens des Leichnams, den Etzelmüller hier darzustellen beabsichtigt, logischerweise noch nicht zwingend damit einhergeht, dass der besagte, nicht verwesende Leichnam die Grabstätte (auf wie auch immer geartete Weise) verlässt. Somit könnte er nicht unmittelbar zur Begründung der Grableerwerdung herangezogen werden. Argumentationslogisch ergibt sich diese erst aus der Vorstellung, dass der Leichnam, der aufgrund des Sieges Gottes über den Tod als „Tod des Todes“502 nicht der Verwesung anheimfiel, unmittelbar in die Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit einbezogen wurde und im Zuge dessen – in Entsprechung zum paulinischen Gleichnis vom aufkeimenden Samenkorn – auf nicht näher zu konkretisierende Weise restlos verschwand.503 Nahegelegt wird eine derartige Vorstellung offenbar bereits durch die Verwendung des Begriffs der Verwandlung zur Beschreibung der Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit, da durch diesen ausgedrückt wird, dass sie – ungeachtet ihrer kategorialen Andersartigkeit – in keiner gänzlichen Diskontinuität504 zur irdischen Leiblichkeit stehe, wie dies der Fall wäre, wenn von einer vollständigen Vernichtung der irdischen Leiblichkeit und ihrer anschießenden Ersetzung durch eine neue, keine Bezugspunkte zu ihr aufweisende, pneumatische Leiblichkeit505 ausgegangen werden würde.506

auf einen Sieg Jesu über den Tod wäre hier unter der Bedingung, dass sein Leichnam sensu Dalferth verwest wäre, nicht gegeben. 499 Etzelmüller, Ich lebe, 230. 500 Vgl. ebd. 501 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 215. 502 A.a.O., Thomas, 214. Diese Vorstellung – hier bezeichnet als „Vernichtung des Todes“ – findet sich auch bei Moltmann (Moltmann, Der Weg, 236). 503 Dieses Verständnis spiegelt sich in den paulinischen Bezeichnungen des Verschlungenwerdens und des Neubekleidetwerdens wider (vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 523), die der Apostel zur Beschreibung der Umwandlung der vergänglichen, unter der Macht des Todes stehenden Schöpfung und insbesondere auch zur Beschreibung der irdischen Leiblichkeit heranzieht, da diese Begriffe von ihrem Einbezug in das Geschehen zeugen, das seines Erachtens mit ihrem Verschwinden einhergeht. 504 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 113 f. u. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 197. 505 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 197. 506 Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 249. Verwiesen sei im Zusammenhang mit der Vorstellung eines notwendigen Einbezugs der irdischen Leiblichkeit in das Auferweckungsgeschehen auf die Prämisse Ringlebens, dass durch das göttliche, neuschöpfende Wirken eine Art „Zusammenhang zwischen Zeit und Ewigkeit“ (Ringleben, Der lebendige Gott, 541) gestiftet werde, sowie auf seine in Kapitel II.3.3.b dargestellte Annahme einer Untrennbarkeit und wechselseitigen Durchmischung von Zeit und Ewigkeit (innerhalb der Auferstehungsereignisse).

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Einige Theologen verweisen hier darauf, dass die dementgegen bestehende Kontinuität, die auch durch die neutestamentlichen Hinweise auf die (an der pneumatischen Leiblichkeit Jesu noch erkennbaren) Wundmale impliziert werde507, ausgehend von dem neutestamentlich herangezogenen Deutungshorizont als ein notwendiger Bestandteil der Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit zu denken sei. Sie gewährleiste den (den Tod überdauernden) Erhalt der Identität der auferstehenden Person508, weil diese – wie jeder Aspekt des menschlichen Daseins – gemäß der jüdisch-apokalyptischen Anthropologie nicht ausschließlich in der unsterblichen Seele des Menschen, sondern eben auch in der konkreten irdischen Leiblichkeit verankert sei.509 Die Identität wird dabei (der in der jüdischen Anthropologie zugrunde gelegten, ganzheitlichen Vorstellung des

507 Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 174. Dass der Verweis auf die am pneumatischen Leib des Auferstandenen vorfindlichen Wundmale nicht nur der Hervorhebung der Kontinuität zwischen der irdischen und der pneumatischen Leiblichkeit dient, sondern innerhalb der Erzählungen weitere Funktionen aufweist, steht außer Frage. Exemplarisch verwiesen sei auf das Kapitel III.3.2.d, wo das Motiv noch einmal thematisiert wird. 508 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 128. Den Erhalt der Identität einer Person, als eine „Kontinuität des Menschen im Wandel seiner Zeitgestalten und Entwicklungsphasen“ (Moltmann, Der Weg, 290), welche auch dann bestehen bleibe, wenn das äußere Erscheinungsbild sich verändere, thematisiert auch Moltmann anhand der verschiedenen Entwicklungsstadien des Menschen, wie etwa denen der Eizelle, des Fötus, des Heranwachsenden, des Erwachsenen, des Kranken und letztlich des Sterbenden, durch welche hindurch er nichtsdestotrotz er selbst bleibe. Bei Interesse an diesen Ausführungen sei verwiesen auf: Moltmann, Der Weg, 290 f. 509 Vgl. Körtner, Dogmatik, 610 u. Greshake, Das Verhältnis, 116 f. Aufgrund der (den Darstellungen der Auferstehungsereignisse zugrundeliegenden) Prämissen der jüdischen Anthropologie, dass die Existenz des Menschen notwendig leiblich verfasst sei und dass entsprechend nur durch den Einbezug der Dimension der Leiblichkeit in das Auferstehungsgeschehen die Identität des Verstorbenen mit dem Auferstehenden bewahrt bleiben könne (vgl. Körtner, Dogmatik, 272), schlussfolgern einige Theologen, dass die leibliche Dimension der Auferstehung – hier der Einbezug der irdischen Leiblichkeit in die Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit – ausschließlich deshalb betont wurde, um die zweifellose Identität des Auferstandenen mit der verstorbenen Person Jesus von Nazareth hervorzuheben. Diese These macht es allerdings argumentationslogisch notwendig, dass die besagten Prämissen derart gesamtgesellschaftlich geteilt gewesen wären, dass die ersten Christen sich dazu genötigt sahen, den Einbezug der irdischen Leiblichkeit Jesu in das Auferstehungsgeschehen zu betonen, was – wie bereits im Kapitel III.2.3.a gezeigt – nicht der Fall gewesen ist. Zu bedenken bleibt zudem, dass der Umstand, dass die besagte Darstellungsabsicht durch die Betonung des Einbezugs des irdischen Leibes in die Entstehung des pneumatischen Leibes erfüllt wird, nicht zwingend mit der oft selbstverständlich mit ihr verknüpften Behauptung einhergeht, dass die besagte Betonung nicht auch anderen Darstellungsabsichten gedient haben könnte. Dies hebt auch Barth hervor, indem er unterstreicht, dass die Herausstellung der Identität des Gestorbenen mit dem Auferstandenen hier zwar gegeben sei, diese Funktion jedoch auch nicht überbetont werden dürfe, da es sich bei ihr lediglich um eine von mehreren zu bedenkenden Dimensionen des Untersuchungsgegenstandes handele (vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 232 f.). Dieser Einsicht folgend werden im Kapitel III.3.2.d weitere Dimensionen und Funktionen der Betonung des besagten Einbezugs beleuchtet.

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Teil III: Eigene Deutung

Menschen entsprechend) als ein Konstrukt verstanden, das mannigfaltige Dimensionen, wie etwa die der individuellen Lebensgeschichte510 und der leiblich verankerten Beziehungen und Interaktionen der Person zu und mit Gott, der Welt und anderen Personen, in sich vereint.511 Daher werden die Welt und ihre Geschichte gerade nicht abgestreift, sondern „in ihrem eigentlichen ontologischen Sinn im Subjekt [vollendet].“512 In Bezug auf den Auferstandenen bedeute dies konkret, dass sein gesamtes Leben als der „Inbegriff seiner Person, seiner Geschichte, seines Wortes und Werkes und seiner Wirkung“513 durch den Einbezug seiner irdischen Leiblichkeit mitsamt aller in ihr verankerten Korrelate von dem göttlichen Auferweckungshandeln betroffen war.514 Wie genau man sich nun den angesprochenen Einbezug der irdischen Leiblichkeit in den Entstehungsprozess der (grundsätzlich von ihr unterschiedenen) pneumatischen Leiblichkeit oder die (mit diesem einhergehende) Wahrung der Identität des Auferstandenen vorzustellen hat, wird durch die neutestamentlichen Darstellungen jedoch nicht explizit erläutert und muss daher offenbleiben. In ähnlicher Weise wie es schon in Bezug auf die nicht zu beantwortenden Fragen

510 Vgl. Körtner, Dogmatik, 642, Moltmann, Im Ende, 179 u. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 174. 511 Vgl. Fössel, Offenbare Auferstehung, 611, Kremer, Auferstehung der Toten, 35 u. Greshake, Das Verhältnis, 116. 512 Greshake, Das Verhältnis, 116. Vor dem Hintergrund der Annahme der (durch den Einbezug des irdischen Leibes in das Auferstehungsgeschehen gegebenen) Bewahrung der gesamten Person des Auferstandenen mitsamt seiner Lebensgeschichte in seiner neuen Existenz wird die These Ringlebens fragwürdig, dass der Umstand, dass eine unmittelbare Offenbarung Paulus zum Apostel werden ließ (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 104), davon zeuge, dass sein Glaube im Wesentlichen durch die Selbstvergegenwärtigung des Auferstandenen begründet wurde und keineswegs notwendig in einem „direkten Zusammenhang mit dem historischen Jesus“ (ebd.) stünde. Die von Ringleben unternommene Unterscheidung lässt – ausgehend von den dargestellten Prämissen – unberücksichtigt, dass das gesamte Leben des historischen Jesus als Teil seiner Identität durch den Einbezug seiner Leiblichkeit in das Auferstehungsgeschehen bewahrt geblieben sei und somit auch im Auferstandenen präsent gewesen sein müsste. 513 A.a.O., 135. Gemeint ist hier die Lebensgeschichte Jesu. 514 Vgl. ebd., 135. Thesen im Stile der Ausführung Brändles, dass Paulus keine „Auferweckung von den Toten, sondern eine nach dem Tod erneuerte Existenz“ (Brändle, Musste das Grab Jesu leer sein?, 112, zitiert nach Greshake, Die Leib-Seele-Problematik, 176) beschreibe, konstruieren somit einen Gegensatz, der ausgehend vom neutestamentlichen Textbefund nicht gegeben ist. Dieser scheint – wie gezeigt – davon zu zeugen, dass die besagte Erneuerung sich im Zuge der Auferstehungsereignisse vollziehe, welche den gesamten Menschen betreffen, dessen Identität mitsamt aller ihr zugehörigen Dimensionen im Zuge der Erneuerung nicht ausgelöscht und ersetzt, sondern bewahrt bleibe und sich in der Auferstehungswirklichkeit wiederfinde. Die Ausführung Brändles kann exemplarisch für all jene unpräzisen Verbalisierungen des untersuchten Zusammenhangs angeführt werden, die insofern zu kritisieren sind, als dass sie den notwendigen Einbezug der irdischen Leiblichkeit in den Entstehungsprozess der pneumatischen Leiblichkeit nicht deutlich erkennbar machen oder gar unerwähnt lassen.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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nach der konkreten Beschaffenheit und Optik der pneumatischen Leiblichkeit festgestellt wurde, liegen jedoch auch hinsichtlich der Frage nach dem Einbezug der irdischen Leiblichkeit in den Entstehungsprozess der pneumatischen Leiblichkeit und hinsichtlich der Frage nach dem Wie der (durch diesen Einbezug vermeintlich gewährleisteten) Identitätssicherung diverse Erkenntnisbemühungen vor.515 In Übereinstimmung mit bereits altkirchlich516 vorgetragenen Überlegungen argumentieren einige Diskursteilnehmer so – erkennbar antispiritualistisch – zugunsten einer (den Erhalt der Identität gewährleistenden) materiellen Identität der irdischen und der pneumatischen Leiblichkeit517, die im Einbezug der materialen irdischen Leiblichkeit in die pneumatische Leiblichkeit im Sinne einer Aufnahme und Integration einzelner Bestandteile der irdischen Leiblichkeit in ebendiese begründet liege. Die Annahme eines vollen Grabes müsse dieser Position entsprechend nun notwendig zu den Konsequenzen führen, dass keine personenhafte Identität des Hingerichteten mit dem Auferweckten gewährleistet bliebe518 und dass Letzterer nicht zur Gänze er selbst wäre, sondern lediglich als eine Art gespenstische Verdoppelung gedacht werden könne.519 In direktem Gegensatz zu dieser Diskursposition stellen andere Theologen hingegen nachdrücklich heraus, dass der (die Identität sichernde) Einbezug der irdischen Leiblichkeit in den Entstehungsprozess der pneumatischen Leiblichkeit gerade nicht in der Weise fehlzuverstehen sei, dass die pneumatische Leiblichkeit 515 In den diversen Erkenntnisbemühungen in Bezug auf die dargestellten, anhand des biblischen Befundes nicht eindeutig zu beantwortenden Fragen scheint sich sowohl das für uns Menschen charakteristische Bedürfnis nach kognitiver Klarheit, umfassendem Wissen und Erkenntnissen als auch das (in der verbreiteten, hier reflektierten Rationalität zugrunde gelegte) Bedürfnis nach einem Verständnis von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen und der durch sie beschriebenen Funktionsweise von Wechselwirkungen widerzuspiegeln, die dem Menschen dazu dienen, Kenntnisse und Kompetenzen auszubilden, durch die er die Welt verstehen und gestalten kann. Dass ein Handeln Gottes – wie das der Erschaffung der pneumatischen Leiblichkeit – sich menschlicher Erfassbarkeit entzieht, wird wiederum im notwendigen Scheitern derartiger Erkenntnisbemühungen ersichtlich, die sich nicht auf den biblischen Befund, sondern lediglich auf die eigenen, notwendig perspektivisch gebrochenen Vorstellungen beziehen können, durch die ein Handeln Gottes nie angemessen abgebildet oder gar verstanden werden kann. 516 In der altkirchlichen Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der irdischen zur pneumatischen Leiblichkeit und in der mit ihr verbundenen Frage nach dem Identitätserhalt wurde mitunter – wie bereits zu Zeiten Jesu – auf einen nicht verweslichen Teil der menschlichen Leiblichkeit verwiesen (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 68), der (dem angesprochenen Fehlverständnis des paulinischen Gleichnisses vom Samenkorn entsprechend) als ein „Prinzip im Leib“ (Moltmann, Der Weg, 284) verstanden wurde, das durch die Sündenmacht nicht pervertiert wurde und das die Auferstehung des konkreten Leibes verbürge und bewirke (vgl. ebd.). 517 Vgl. Moltmann, Das Kommen Gottes, 87. 518 Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 250 u. Sonnemans, „Hellenisierung des biblischen Glaubens?“, 77. 519 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 109.

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Teil III: Eigene Deutung

derart aus materiellen Überresten des irdischen Leibes entstünde520, dass die stoffliche Substanz ebendieser in ihr in irgendeiner Weise erhalten werden würde521 oder dass die irdische Leiblichkeit gar im Sinne des Fehlverständnisses Lüdemanns unverändert reanimiert, wiederhergestellt oder verklärt werden würde.522 Zur Begründung wird dabei des Öfteren auf die Ausführung Pauli in 1 Kor 15,50 verwiesen, dass Fleisch und Blut als solche das Gottesreich nicht zu ererben vermögen523, da diese meist als Hinweis darauf gedeutet wird, dass die irdische Leiblichkeit des Menschen keinerlei Potenzialität aufweise, durch welche sie eigenständig in die Wirklichkeit der Auferstehung eintreten könnte.524 Sie könne entsprechend grundsätzlich nicht in die Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit einbezogen werden und folglich auch kein identitätserhaltendes Prinzip zwischen dem irdischen Dasein und der postmortalen Existenz sein.525 In Ablösung vom biblischen Befund526 wird die Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit, von der behauptet wird, dass sie auf einen Einbezug der Elemente der irdischen Leiblichkeit nicht angewiesen sei527, in derartigen Argumentationen nicht selten mit der Entstehung der Welt verglichen und als eine creatio ex nihilo verstanden. Exemplarisch sei auf die Ausführungen Joests und von Lüpkes verwiesen, die darauf hinweisen, dass die Auferweckung des Menschen durch Gott einzig mit dessen Schöpfungstat im Anfang verglichen werden könne, im Zuge derer er das Leben ex nihilo in sein Dasein rief, so wie er Leben in den Auferstehungsereignissen aus (seinem eigenen) Tod heraus erschaffe.528 Ähnlich argumentiert auch Greschat, die unterstreicht, dass es sich bei der (hier von ihr widersinnigerweise als Wiederherstellung bezeichneten) Erschaffung der pneumatischen Leiblichkeit um einen völlig neuen Anfang Gottes handele, welcher dem der protologischen Schöpfung entspreche.529

520

Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 336. Vgl. Weinrich, Auferstehung, 131. Von Lüpke und Joest unterstreichen beispielsweise, dass ihres Erachtens keinerlei Veranlassung zu der Annahme bestehe, dass die Identität einer Person durch einen (die irdische Leibesmaterie einbeziehenden) Verwandlungsprozess sichergestellt werden würde; ein Urteil, das sicherlich durch ihre Grundannahmen dessen beeinflusst wird, dass im Rahmen der Auferstehung grundsätzlich kein derartiger Verwandlungsprozess stattgefunden haben müsste und – hier mit Dalferth – entsprechend sogar getrost angenommen werden könne, dass auch eine Verwesung des Leichnams die Auferstehung Jesu in seiner pneumatischen Leiblichkeit nicht verunmöglicht hätte (vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 255 f.). 522 Vgl. Greshake, Die Leib-Seele-Problematik, 176. 523 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 914, Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 107 u. Weinrich, Auferstehung, 111. 524 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 111. 525 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 269. 526 Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 36. 527 Vgl. Grass, Ostergeschehen, 163. 528 Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 255. 529 Vgl. Greschat, Teilweise auferstehen, 65. 521

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Der in personalen Auferstehungsvorstellungen notwendige Identitätserhalt, den Paulus nur durch den Einbezug des gesamten Menschen – und somit auch seines Leibes – in die Auferstehungsereignisse gewährleistet sieht, wird in derartigen Argumentationen, welche den Leib nicht länger als das die Bewahrung der Identität sicherstellende Konstrukt betrachten, oft in der individuellen Seele begründet530, die als ein kontinuitätserhaltendes Prinzip zwischen dem irdischen und dem postmortalen Leben verstanden wird.531 Andere Konzepte, die sich ebenfalls gegen eine Relevanz der irdischen Leiblichkeit sowie ihres Einbezuges in den Entstehungsprozess der neuen Leiblichkeit hinsichtlich der Identitätssicherung richten, zeugen hingegen nicht selten von der Vorstellung, dass die Identität eines Menschen bereits durch Gottes Macht sowie durch seine Erinnerung an jedes einzelne seiner Geschöpfe erhalten und somit gewährleistet bliebe. So betont Joest, dass der Identitätserhalt im göttlichen Wissen um die jeweilige, konkrete Person, in Gottes Zuwendung zu ihr und letztlich in seinem (ihren Tod überdauernden) Willen zur Gemeinschaft mit ihr bereits hinlänglich bewahrt sei und sein werde.532 Gelegentlich werden allerdings auch Argumente, die per se keinen (unmittelbar erkennbaren) Bezug zur Theologie aufweisen, angeführt, um zu erläutern, dass die Identitätserhaltung nicht von einer material-leiblichen Kontinuität abhängig sein könne. Eder verweist so darauf, dass die Identität – von ihm verstanden als „,genetischer Code‘ in Lebewesen“533 – grundsätzlich geistiger Natur sei und somit nichts Materielles beschreibe, da sie zwar ausschließlich materielle 530 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 619 u. Greshake, Untersuchungen, 269 f. Die Vorstellungen des Erhalts der Identität durch die Seele entsprachen nicht immer notwendig den im Exkurs III.3.1.c thematisierten platonisch-gnostischen Konzepten der unsterblichen Seele und ihrer Erlösung, sondern erwiesen sich als vielseitig und kreativ. Greshake, der im Sinne der skizzierten Position davon ausgeht, dass es sich bei der Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit keineswegs um ein wundersames Geschehen an der irdischen Leiblichkeit und seinen einzelnen, medizinisch beschreibbaren Komponenten handele (vgl. Greshake, Das Verhältnis, 118), begründet den angesprochenen Identitätserhalt so etwa in dem (die Seele begleitenden und stets identisch bleibenden) „ειËδος des Leibes“ (Greshake, Untersuchungen, 205). Bei diesem handele es sich um jene leibliche Form, durch welche der Leib seine je eigene Individuation, seine Identität und seine charakteristischen Eigenschaften erhalte, was jedoch nicht meine, dass ihre Verwirklichung im Rahmen der pneumatischen Materie notwendig mit der in der irdischen Materie identisch sein müsse. Entgegen dem angesprochenen Fehlverständnis des paulinischen Samenkorngleichnisses scheint Greshake darüber hinaus die Aufmerksamkeit darauf lenken zu wollen, dass das (die Identität bewahrende) ειËδος per se nicht bereits dazu in der Lage sei, die Transformation der irdischen Leiblichkeit anzuregen, indem er darauf verweist, dass dieses (wie alle anderen Teile der körperlich verfassten menschlichen Konstitution) sterblich sei und daher auf die lebensschaffende Gnade des Geistes Gottes angewiesen bleibe (vgl. ebd.). 531 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 619. Vorverwiesen sei auf den Exkurs III.3.1.c, in dem eine Auseinandersetzung mit der Dimension der Seele unter besonderer Berücksichtigung platonistischer und gnostischer Konzepte erfolgt. 532 Vgl. Joest, Dogmatik II, 652. 533 Greshake, Untersuchungen, 320, unter Zitation von Eder, Gibt es ein Danach?, 20 f.

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Realisierungen erfahre, aber dennoch eine „Vielfalt der Transportierbarkeit“534 aufweise, die nicht an konkrete materielle Formen gebunden sei. Daraus sei im Blick auf die pneumatische Leiblichkeit zu folgern, dass Realisierungen genetischer Informationen auch in bislang unbekannten Materieformen erfolgen können und dass sie keineswegs von einer materiellen Kontinuität zwischen ihr und der irdischen Leiblichkeit abhängig seien, da die besagten Informationen durch die Dekompostierung des Leibes keineswegs „sinnlos, unlesbar und unrealisierbar“535 werden würden. Entgegen dieser biologisch-genetischen Annäherung argumentieren andere Diskursteilnehmer mitunter höchst alltagslogisch, indem sie beispielsweise darauf verweisen, dass die Vorstellung einer materialen Kontinuität zwischen der irdischen und der pneumatischen Leiblichkeit (zum Identitätserhalt) deshalb nicht sinnvoll, sondern vielmehr irreführend sei, da die je eigene irdische Leiblichkeit postmortal mitunter in fremde Organismen aufgenommen werde536, was die Vorstellung, dass sie einzig oder überhaupt die Identität des einen Subjekts in sich trage und bewahre, fraglich werden lässt.537 Eine Kompromisslösung zwischen den beiden skizzierten Positionen findet sich bei Ringleben, der sich zwar ebenfalls gegen eine identitätserhaltende Funktion der materialen Leiblichkeit ausspricht, aber nichtsdestotrotz im Sinne der Darstellungen des Paulus an der Vorstellung eines Einbezugs der irdischen Leiblichkeit in den Entstehungsprozess der pneumatischen Leiblichkeit festhält und die Relevanz dieses Einbezuges somit nicht grundsätzlich bestreitet oder gar leugnet. Ringleben verortet den Identitätserhalt des Menschen – hier explizit den Erhalt der Identität Jesu in seiner Auferstehung – so in der Macht Gottes, der Jesu Identität selbst herstelle, indem er sie innerhalb seines Auferweckungshandelns mit seinem ewigen Leben umschließe, weshalb die Auferstehung Jesu kein quasibiologischer Prozess sei, sondern ein (durch göttliches Wirken initiiertes) metaphysisches Geschehen, das „Zeit und Ewigkeit vermittelnd durchwirkt.“538 Auch er unterstreicht jedoch die Notwendigkeit dessen, dass die irdische Leiblichkeit – ohne dass dabei eine substantielle Kontinuität entstehen müsse539 – in den Prozess 534

Eder, Gibt es ein Danach?, 20 f., zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 320. Ebd. 536 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 619. 537 Verteidiger der Vorstellung einer Identitätswahrung durch eine materiale Identität der irdischen und der pneumatischen Leiblichkeit nehmen auf den genannten Einwand häufig Bezug, indem sie in wenig konkreter Weise auf die unvorstellbare Macht Gottes verweisen, durch welche die besagten Einwände zu entkräften seien, da Gottes Möglichkeiten die der menschlichen Logik zugänglichen Vorstellungen weit übersteigen. Eine derartige Argumentation findet sich bereits bei Augustin, der betont, dass die Materie der irdischen Leiblichkeit Gott unter keinen widrigen Umständen (wie etwa denen der Verwesung oder gar des Kannibalismus) verloren ginge (vgl. Handbüchlen 12,88, zitiert nach Weinrich, Auferstehung, 116), sondern sie vielmehr zweifellos zu ihrer Seele zurückkehren werde. 538 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 52. 539 Vgl. Pannenberg, Grundzüge, 72, hier zitiert nach Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 113. 535

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der Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit einbezogen werden müsse.540 Dies liege seines Erachtens allerdings bereits wesenhaft in der Natur des besagten Prozesses begründet, der sich – wie durch das paulinische Gleichnis des sterbenden und anschließend durch göttliches Zutun erneut verleiblichten Samenkorns ausgedrückt – „in der schöpferischen Dialektik von Verneinungen und Bejahung“541 vollziehe und dabei von einer Art Aufhebung der alten Leiblichkeit im Sinne einer Beseitigung (aber eben auch im Sinne einer Bewahrung) geprägt sei.542 Diese impliziere die Vernichtung der irdischen Leiblichkeit im Sinne einer schöpferischen Aufhebung543 und bietet somit eine Begründung für das Leersein des Grabes am Ostertag, die nicht auf die Vorstellung einer materiellen Aufnahme der irdischen Leiblichkeit in die pneumatische Leiblichkeit als solche angewiesen ist.544 Ringlebens Verständnis spiegelt sich ferner in seinem Gebrauch der Bezeichnung der creatio ex nihilo zur Beschreibung der Entstehung der Auferstehungsleiblichkeit wider. Er betont so, dass die Entstehung des σωÄ μα πνευματικο ν insofern in der Tat als creatio ex nihilo zu bezeichnen sei, als dass der Tod, aus welchem das Leben des Auferstandenen durch Gott in schöpferischer Weise hervorgerufen wird, eine Art potenziertes Nichts sei.545 Daher handele es sich bei der Auferweckung des Menschen und bei der Erschaffung seiner pneumatischen Leiblichkeit somit um eine die Negativität durchdringende Schöpfung.546 In dieser werde eine Wiederholung der ersten Schöpfung unter den Voraussetzungen der allgemeinmenschlichen Erfahrungen der Todesmacht sowie der (das eigent-

540

Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 113 f. A.a.O., 114. 542 Vgl. a.a.O., 113. Ringleben verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die von ihm angesprochene „Dialektik von Verneinung und Bejahung“ (a.a.O., 114) sich im Zuge des Mitsterbens und des Miterwecktwerdens mit Jesus Christus im individuellen Leben der Christen bereits vollziehe (vgl. ebd.). 543 Vgl. a.a.O., 115. Der Begriff der schöpferischen Aufhebung beschreibt die Umstände, dass die irdische Leiblichkeit des Menschen in Form der pneumatischen Leiblichkeit „in ihre eigene Wahrheit gelangt“ (ebd.) und dass das Ewige im Zuge dessen „die wahre ,Wiederholung‘ des Zeitlichen ist“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 115). Die Prägung dieser Ansätze Ringlebens durch seine dargestellten Historizitäts- und Realitätsvorstellungen sowie insbesondere auch durch seinen Anspruch, die verhandelten Inhalte im Spannungsfeld von Zeit und Ewigkeit zu untersuchen, dürfte augenfällig sein. 544 Das dargestellte Verständnis der Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit spiegelt sich auch in der nicht explizit thematisierten ringlebenschen Vorstellung der Erscheinungen des Auferstandenen wider, welche sich seines Erachtens durch die Charakteristika der einzigartigen Doppelseitigkeit ihres gleichzeitig überweltlichen, aber eben auch weltlich-leibhaftigem Daseins und des (in ihnen gegebenen) „Ineinanderübergehen[s] von Identität (der Person) und Transzendenz“ (a.a.O., 71) auszeichnen, die innerhalb der neutestamentlichen Erscheinungsberichte anhand der parallelen Darstellungen der greifbaren Leiblichkeit und des völlig unverfügbaren Erscheinens und Entschwindens des Auferstandenen zu erkennen seien (vgl. ebd., unter Zitation von Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens II, 305). 545 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 118. 546 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 914. 541

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Teil III: Eigene Deutung

liche Ziel der Schöpfung verneinenden) Sündenmacht und des Gesetzes, das im Kontext ebendieser zu einer Todesmacht verkehrt wurde, vollzogen.547 Zudem seien sowohl das göttlichen Auferweckungshandeln als auch die creatio ex nihilo als zwei „Ereignisse“ zu verstehen, in welchen Gottes lebendige Schöpfungsmacht sich des „Nichts, dessen Spur der Tod ist“548, im Zuge seiner lebensschaffenden Tätigkeiten bedient.549 Als solche seien sie ferner Selbsterweise seiner produktiven Lebendigkeit.550 Im Unterschied zu jenen Theologen, die die Vorstellung der creatio ex nihilo zur Beschreibung der Entstehung der Auferstehungsleiblichkeit heranziehen und in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass diese keinerlei Bezug zur irdischen Leiblichkeit aufweise, betont Ringleben jedoch klar, dass das von ihm als creatio ex nihilo bezeichnete Auferweckungshandeln Gottes stets als eine „vollendende Fortsetzung seines protologischen Schöpfungshandelns“551 gedacht werden müsse, in welcher sich Gott auf die gesamte irdische Existenz des Menschen und somit auch auf seine vergangene Leiblichkeit beziehe, die in den Prozess der Neuschöpfung hinein aufgehoben werde.552 Aufgrund des uneindeutigen Textbefundes sowie aufgrund des diesem Buch zugrundeliegenden Anspruchs, sich soweit wie möglich von spekulativen Vermutungen zu distanzieren553, die von der irrigen Annahme zeugen, dass eine ver-

547

Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 117. A.a.O., 158. 549 Vgl. ebd. 550 Vgl. a.a.O., 118. Ringleben verwendet jedoch nicht nur die Bezeichnung der creatio ex nihilo, sondern auch die der creatio continuata zur Charakterisierung der Auferstehung. Als solche sei sie insofern zu bezeichnen, als dass sie „Gottes schöpferisches Mitsein mit Jesus in kraft seines eigenen Lebens ist“ (ebd.), was sie wiederrum als ein „sich fortsetzendes Schöpfungshandeln“ (ebd.) Gottes qualifiziere. 551 A.a.O., 83. Ringleben erläutert in diesem Zusammenhang, dass sich der tatsächliche „Grund der protologischen Schöpfung“ (a.a.O., 118) innerhalb der Auferstehung ein für alle Mal manifestiere, wodurch das göttliche Schöpfungshandeln als solches zu seinem Ziel gebracht werde (vgl. ebd.). 552 Vgl. a.a.O., 117 f. u. 83. Auch Kremer begründet die Entstehung der Auferstehungsleiblichkeit in einem göttlichen Schöpfungshandeln, was bereits anhand der augenfälligen Orientierung ihrer neutestamentlichen Darstellungen an der priesterlichen Schöpfungserzählung ersichtlich werde. Er distanziert sich jedoch von der Verwendung des Begriffes der creatio ex nihilo (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 34), anstatt ihn – wie etwa Ringleben – in umperspektivierter Weise zu verwenden. 553 Dieser Anspruch macht eine hohe sprachliche Präzision erforderlich, die größte Achtsamkeit erfordert, da unreflektierte Verbalisierungen schnell Aussagegehalte transportieren, die über das anhand des biblischen Befundes Feststellbare hinausreichen. Verdeutlicht sei dies anhand eines Beispiels: Greshake verbalisiert die von ihm (wahrscheinlich zu vermitteln intendierte) Erkenntnis, dass es sich bei der Auferstehungsleiblichkeit gemäß des Verständnis Pauli um etwas handele, das durch ein Wirken Gottes an der je bestimmten Person – hier an Jesus – mitsamt all ihrer Daseinsdimensionen entstand, wie folgt: „Wenn Paulus mithin ein σω Ä μα πνευματικο ν erwartet, so ist damit nicht ein ,Geistleib‘ gemeint, sondern eine Person, an der sich Gottes lebensschaffende Macht, sein Hl. Geist, ganz und gar durchgesetzt hat“ (Greshake, Die Leib-Seele-Problematik, 176). Offenkundig reicht der Aussagegehalt dieser 548

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

355

meintliche Befähigung vorläge, zu beurteilen, wie die Auferstehungsereignisse – konkret die Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit – vonstattengingen und/oder ob der pneumatische Leib eine materiale Kontinuität zur irdischen Leiblichkeit aufweist, wird hier keine Beurteilung dieser Fragen erfolgen554, die über die treffbare Feststellung hinausreicht, dass das von Paulus durch das Samenkorngleichnis beschriebene Verhältnis der irdischen Leiblichkeit zur pneumatischen Leiblichkeit einen nicht näher konkretisierten Einbezug der irdischen Leiblichkeit in den Entstehungsprozess der pneumatischen Leiblichkeit beschreibt, der das Vergehen der irdischen Leiblichkeit beinhaltet.555 Es kann folglich – ohne zu viel sagen zu wollen – festgehalten werden, dass sich die Beziehung der beiden Leiblichkeiten zueinander (den Ausführungen Pauli entsprechend) in einer Art Spannungsfeld befindet, das sich zwischen den Polen der augenfälligen Diskontinuität auf der einen Seite und einer ungebrochenen Eingebundenheit auf der anderen Seite aufspannt.556

Verbalisierung über die dem neutestamentlichen Befund zu entnehmenden Informationen hinaus, indem eine Beurteilung der Materialität der Auferstehungsleiblichkeit als nicht geistleiblich präsupponiert wird. Diese Beurteilung erfährt keine eigene Begründung, sodass unklar bleibt, ob und inwiefern sie anhand des biblischen Befundes plausibilisiert werden kann. 554 Insbesondere die Beurteilung der Frage nach der materialen Identität der pneumatischen Leiblichkeit zur irdischen Leiblichkeit erscheint im Zusammenhang mit der Frage nach der Grableerfindung nur wenig gewinnbringend, da sie – unabhängig davon, ob sie positiv oder negativ beantwortet wird – wenig bis nichts zum Verständnis der Auferstehungsereignisse und der Auferstehungsleiblichkeit beitragen kann, das über das (bereits anhand des biblischen Befundes gegebene) Deutungsangebot hinausreicht, dass Jesus in eine pneumatische Leiblichkeit hinein auferstand, deren Entstehungsprozess einen Einbezug der irdischen Leiblichkeit beinhaltet. 555 Diese Interpretationsentscheidung könnte auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, dass aus den dargestellten Erläuterungen kein Deutungsangebot in Bezug auf die Frage nach der Begründung des Leerseins des Grabes gewonnen werden könne, da ausgehend vom biblischen Befund nicht zweifelsfrei vorausgesetzt werden kann, dass die Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit einen (das Leerwerden des Grabes erklärenden) Einbezug der materialen Leiblichkeit des Leichnams erforderlich macht. Wie nachfolgend gezeigt, kann jedoch anhand der dargestellten Erkenntnisse eine Begründung des Leerseins des Grabes konstruiert werden, die konkret und abgrenzbar genug ist, als dass sie hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit, ihrer Plausibilität und ihrer möglichen Anknüpfungspunkte reflektiert werden kann. 556 Die Umstände, dass anhand des biblischen Befundes keine über die dargestellten Thesen hinausreichenden, konkreteren Aussagen getroffen werden können und dass das an ihm ersichtliche Spannungsfeld von Diskontinuität und ungebrochener Eingebundenheit nicht aufgelöst werden kann, wie dies von den Theologen angestrebt wird, die den Versuch unternahmen, die Konstitution der Auferstehungsleiblichkeit, ihre Entstehung und ihr Verhältnis zur irdischen Leiblichkeit näher zu erläutern, mögen unbefriedigend erscheinen, da sie den Menschen auf die Grenzen seiner Erkenntnisfähigkeit verweisen. Wie in der Physik der Spätmoderne ist er auch hier dazu aufgefordert, das gegebene Spannungsfeld zum Ausgangspunkt seiner weiteren Überlegungen zu machen, anstatt zu versuchen, es aufzulösen (vgl. Welker, Die Wirklichkeit, 317 f.). Dass andernfalls die Gefahr einer massiven Über- oder Unterbetonung einzelner Aspekte der Auferstehungsleiblichkeit gegeben ist, zeigt Welker am Beispiel der achthundertseitigen Darstellung Wrights, die von einer massiven Überbetonung der As-

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Teil III: Eigene Deutung

Ehe nun der Versuch einer abschließenden Zusammenschau unternommen wird, sei zur Schärfung des skizzierten Bildes zumindest in Umrissen auf die Beobachtung verwiesen, dass sich viele der Charakteristika der pneumatischen Leiblichkeit, die im Rahmen der vorangestellten Ausführungen dargestellt wurden, bereits in ihrer griechischen Bezeichnung als σωÄ μα πνευματικο ν widerzuspiegeln

pekte der Kontinuität zeugt. Wright verweist unter anderem auf die Notwendigkeit, die Auferstehung nicht ausschließlich leiblich, sondern eben auch körperlich zu verstehen (vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 120), und postuliert entgegen exklusiv spiritualistischer Vorstellungen der Auferstehung als „Herauslösung aus dieser argen Welt und der uns Menschen umgebenden natürlichen Wirklichkeit“ (a.a.O., 121) ein Verständnis der Auferstehungsleiblichkeit als transphysische Identität des Auferweckten (vgl. ebd., 121, mit Verweis auf White, The Ressurection, 477). Diese entstehe aus einer Transformation der irdischen Leiblichkeit, im Rahmen derer sie erneut hergerichtet werde (vgl. ebd., mit Verweis auf White, The Ressurection, 128). Nach Ansicht Wrights werde dieses Verständnis etwa durch die Darstellungen des Paulus nahegelegt, welcher eine lichtumflutete, transformierte, aber eben immer noch physische Leiblichkeit gesehen habe (vgl. a.a.O., 122, mit Verweis auf White, The Ressurection, 398). Ferner spiegele es sich in den neutestamentlichen Auferstehungsdarstellungen wider, die keine „,Zeichen der himmlischen Gegenwart Christi‘“ (White, Resurrection, 479, übersetzt von Welker, Die Wirklichkeit, 122) thematisieren, sondern konkret und ohne Nutzung der Fülle des Symbolmaterials der Bibel zur Ausgestaltung ihrer Darstellungen bezeugen, dass die Person Jesus von Nazareth auferstanden sei (vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 122, mit Verweis auf White, The Ressurection, 599). Daher sei anzunehmen, dass Jesus als ein „,Mensch unter Menschen‘“ (White, The Ressurection, 605, übersetzt von Welker, Die Wirklichkeit, 123) auferstand und dass man den leibhaftigen Charakter der Auferstehung entsprechend als eine Art physisch-körperliche Gegenwart verstehen müsse, wenngleich einzuräumen sei, dass seine Auferstehungsleiblichkeit zweifellos einige ungewöhnliche Eigenschaften aufweise (vgl. ebd., mit Verweis auf White, The Ressurection, 605). Diese Ausführungen zusammenfassend beschreibt Welker die Auferstehungsleiblichkeit nach wrightschem Verständnis treffend als einen „,noch robust physischen‘ wiederauferstandenen Körper“ (Welker, Gottes Offenbarung, 121), der sich jedoch durch einige weitere, von Wright als transphysisch bezeichnete, dubiose Merkmale auszeichne. Die Überbetonung der Aspekte der „Kontinuität und Restitution“ (ebd.) in der wrightschen Beschreibung der Auferstehungswirklichkeit sowie Wrights nicht ausreichende Berücksichtigung ihrer Charakteristika der „Diskontinuität und Transformation“ (ebd.) werde deutlich und führe dazu, dass dieser diverse (für das Verständnis der Auferstehungswirklichkeit elementare) Aspekte (wie etwa den ihrer neutestamentlich bezeugten Fremdheit) nicht hinreichend oder überhaupt in seine Überlegungen einbeziehe (vgl. a.a.O., 123). Seine Vorstellung einer (in irgendeiner Weise transformierten) Reanimation Jesu werde der Komplexität und Mehrdimensionalität der neutestamentlich bezeugten, komplexen Transformation jedenfalls nicht gerecht (vgl. ebd.). Am Beispiel Wrights werden so die Gefahren einer Über- oder Unterbetonung eines Pols des besagten Spannungsverhältnisses – hier einer Überbetonung des Pols der Kontinuität und der Einbezogenheit – ersichtlich, die durch das spekulative Vorgehen Wrights begünstigt zu werden scheint (vgl. ebd.) und dazu führt, dass sowohl die Erkenntnisse, die in Bezug auf den anderen Pol des Spannungsfeldes zu erlangen wären, als auch die Einsichten, die sich hinsichtlich der Auferstehungswirklichkeit im Allgemeinen eröffnen würden, sofern man sie im besagten Spannungsfeld interpretiert, nicht hinreichend berücksichtigt werden oder gar nicht erst zu gewinnen sind.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

357

scheinen. Da die Implikationen, die diese Bezeichnung und insbesondere die Wahl des Begriffes σωÄ μα zur Benennung der pneumatischen Leiblichkeit zu wecken vermögen, durch die Bezeichnung der „pneumatisierten Leiblichkeit“ in der deutschen Sprache ebenso wenig abgebildet werden können, wie dies durch die Verwendung einer anderen deutschen Beschreibung aus dem Wortfeld der Körperlichkeit der Fall wäre, seien sie im Folgenden in gegebener Kürze erläutert. Wie schon in Bezug auf die unternommenen Definitionsversuche ist zu bedenken, dass die nachfolgenden Skizzen notwendig ausschnitthaft und somit zutiefst unvollständig sind und lediglich dazu dienen, grundlegende Zusammenhänge deutlich zu machen. Untersuchen wir unter diesen Bedingungen die Wahl des Begriffes σωÄ μα zur Beschreibung der Leiblichkeit des Auferstandenen, ist zunächst festzustellen, dass es sich bei diesem um einen von zwei im Neuen Testament verwendeten Begriffen handelt, die auf die Wiedergabe und Thematisierung des Komplexes der Körperlichkeit abzielen. Zu bedenken bleibt allerdings grundsätzlich, dass trotz der häufigen neutestamentlichen Darstellungen von konkreten Körperlichkeitserfahrungen oder vom menschlichen Körper in seinen jeweiligen Dysfunktionen und Funktionen, welche die Inhaltsfelder der Gesundheit und Krankheit, der Genesungen oder der leiblichen Sehnsucht nach sexueller Lustbefriedigung oder Nahrung thematisieren, dennoch keine theoretischen Reflexionen der Leiblichkeitsthematik vorliegen und der Leib in diversen Passagen unbenannt bleibt.557 Der Begriff σωÄ μα findet ungeachtet dessen nichtsdestotrotz immerhin 91 Mal bei Paulus und 51 Mal in den synoptischen Evangelien zur Bezeichnung des Leichnams Jesu oder zur Beschreibung der pneumatischen Auferstehungsleiblichkeit – selten auch im Kontext des Bedürfnisses nach Heilung oder Nahrung – Erwähnung.558 Er wird explizit nicht als Gegenbegriff zu platonisch-gnostischen Vorstellungen einer unsterblichen Seele und somit zur Darstellung eines letztlich verzichtbaren, von ebendieser abtrennbaren Aspektes des Menschen verwendet559, sondern bezeichnet in Entsprechung zum Leiblichkeitsverständnis der jüdischen Anthropologie (wie schon der parallele aramäische Begriff guf560) den gesamten Menschen als eine bestimmte Person, die in ihrer leiblichen Existenz sowohl fleischlich gebunden als auch beseelt und geistdurchdrungen sei.561 Bei der zweiten, demgegenüber nicht zur Beschreibung der pneumatischen Leiblichkeit verwendeten Bezeichnung handelt es sich um den Begriff der σα ρξ, der sowohl im altkirchlichen als auch im biblischen Gebrauch ebenfalls den Menschen als eine leibhaftige, ganz bestimmte Person beschreibt.562 Er ist darüber 557

Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 168 u. 171. Vgl. a.a.O., 168. 559 Vgl. a.a.O., 171. 560 Vgl. Joest, Dogmatik II, 652. 561 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 168, Joest, Dogmatik II, 652 u. Welker, Gottes Offenbarung, 124 f. 562 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 103. 558

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Teil III: Eigene Deutung

hinaus jedoch immer auch Ausdruck des engen Bezuges der mit ihm bezeichneten Leiblichkeit zur „geschaffene[n] Welt in ihrer geschöpflichen Hinfälligkeit“563, der sich aus ihrer (durch den Gebrauch der Bezeichnung implizierten) geschöpflichen Konstitution als ein von ihm getrenntes Gegenüber Gottes ergebe.564 Die Bezeichnung nimmt somit im Gegensatz zum σωÄ μα-Begriff die Materialität des Beschriebenen und auch seine Begrenztheit in den Blick.565 Entsprechend weckt die Verwendung des Begriffes σα ρξ für kundigen Rezipienten die Assoziationen der Erlösungsbedürftigkeit und der Schwachheit der irdischen Leiblichkeit sowie ihrer Gefährdung, ihrer allgemeinen Sterb- und Endlichkeit, ihrer diversen Defizite und ihrer elementaren Abhängigkeit von ihrer Erhaltung durch den (nun eben gerade nicht sarkischen) Gott.566 Darüber hinaus dürfte die Verwendung der Bezeichnung σα ρξ auch die Assoziation der Sündhaftigkeit wecken567, da die durch sie implizierte fleischliche Hinfälligkeit mit einer Anfälligkeit für sämtliche lebensfeindlichen und somit auch widergöttlichen Gewalten korrespondiert. Frettlöh fasst diese Erkenntnisse treffend zusammen, indem sie die sogenannte Affinität des Fleisches zur Sünde als Pointe des σα ρξ-Begriffes bezeichnet.568 Welker veranschaulicht das besagte Merkmal hingegen anhand der biologischen Konstitution des Menschen, indem er darauf verweist, dass sein fleischliches Dasein eine Art „räuberischen Selbsterhaltungsdrang“569 aufweise, der sich darin aktualisiere, dass der Mensch zwingend und unablässig zum Nachteil anderer Lebewesen lebe, obschon er nichtsdestotrotz „einer letzten Vergeblichkeit ausgeliefert“570 bliebe. Ähnliche Gedanken finden sich auch bei Körtner, der in entgegengesetzter Weise darauf hinweist, dass die pneumatische, nicht länger sarkische Existenz des Menschen sich dadurch auszeichne, dass jene, die in die pneumatische Leiblichkeit hinein auferstanden sind, nicht länger auf die sonstige Schöpfung zur Befriedigung ihrer eigenen, natürlichen Bedürfnisse angewiesen seien, welche ihr irdisches Dasein auszeichnen. Stattdessen können sie sie nun in all ihrer Erneuerung und Pracht wertschätzen, ohne sie zu ihrer eigenen Lebenserhaltung nutzbar machen zu müssen.571 Weil die genannten, durch den Begriff σα ρξ hervorgerufenen Assoziationen im Zuge verschiedener semantischer Verschiebungsprozesse zunehmend an Dominanz gewannen, rückte seine ursprüngliche Kernbedeutung als Bezeichnung des ganzen Menschen schon zur Zeit der Abfassung der paulinischen Schriften wahrnehmbar in den Hintergrund, bis die umfassend gedachte, leibliche Wirk-

563

Greshake, Untersuchungen, 177. Vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische …“, 190. 565 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 169. 566 Vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische …“, 190. 567 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 177. 568 Vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische ...“, 190. 569 Welker, Gottes Offenbarung, 124. 570 Ebd. 571 Vgl. Körtner, Dogmatik, 611. 564

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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lichkeit vorrangig durch den σωÄ μα-Begriff beschrieben wurde.572 Indem dieser zur Beschreibung der Auferstehungsleiblichkeit – dem σωÄ μα πνευματικοÂ ν – herangezogen wurde, wurde den Rezipienten, denen die Konnotate der Bezeichnungen vertraut waren, vor jeder weiteren inhaltlichen Aussage bereits suggeriert, dass es sich bei dem Konzept des pneumatischen Leibes um ein Denkmodell handele, das – seinen jüdisch-anthropologischen Prämissen entsprechend – von einem ganzheitlichen Verständnis des Menschen ausgehend konstruiert ist und folglich nicht ausschließlich auf eine isolierte Dimension des Menschen abzielt. Dass der σωÄ μα-Begriff sowohl zur Bezeichnung der Auferstehungsleiblichkeit als auch zur Bezeichnung des Leichnams Jesu Verwendung fand573, könnte zudem als Hinweis auf das thematisierte Spannungsverhältnis von Kontinuität und Diskontinuität zwischen irdischer und pneumatischer Leiblichkeit verstanden werden. Indem der besagte Begriff zur Beschreibung beider Leiblichkeiten genutzt wurde, könnte so ein Gefühl von Zusammengehörigkeit zwischen ihnen erzeugt und der derart bezeichnete, im Grab liegende Leichnam sprachlich in das Auferstehungsgeschehen einbezogen worden sein. Gleichzeitig wird die Auferstehungsleiblichkeit allerdings durch den Zusatz πνευματικο ν kategorial und in nicht zu vereinbarender Weise von der verstorbenen Leiblichkeit Jesu unterschieden und im Sinne der erwähnten Eigenschaften neu qualifiziert. In gleicher Weise, wie es auf inhaltlicher Ebene festgestellt wurde, kann somit auch in Bezug auf die sprachwissenschaftlich zu untersuchenden Ebene der Rede von der Auferstehungsleiblichkeit festgehalten werden, dass eine Kontinuität der pneumatischen Leiblichkeit zur irdischen Leiblichkeit betont wird, die der kategorialen Verschiedenheit beider Leiblichkeiten zu widersprechen scheint und insofern Rätsel aufwirft, als dass weder auf sprachlicher noch auf inhaltlicher Ebene zweifelsfrei ausgesagt werden kann, woraus die besagte Kontinuität – hier zur Geltung gebracht durch die Betonung der Notwendigkeit eines Einbezugs der irdischen Leiblichkeit in das Auferstehungsgeschehen – letztlich resultiert. Interessant ist darüber hinaus auch die Beobachtung, dass Paulus niemals eine Auferstehung des Fleisches unter Verwendung des Begriffes der σα ρξ verkündete, was darauf hinzudeuten scheint, dass er das Konzept der pneumatischen Leiblichkeit nicht mit den durch den σα ρξ-Begriff implizierten Assoziationen in Verbindung bringen wollte.574 Diese Annahme scheint durch die schon angesprochene paulinische Aussage aus 1 Kor 15,50 bestätigt zu werden, dass es Fleisch und Blut nicht möglich sei, das Himmelreich zu ererben, da die Wendung Fleisch und Blut auch als eine Art Synonym für die sarkische Dimension des menschlichen Daseins verwendet wurde.575 Setzt man dieses Verständnis der in 1 Kor 15,50 verwendeten Wendung sowie die Intention voraus, dass Paulus unterstreichen wollte, dass die pneumatische Leiblichkeit in keinem Zusammenhang 572

Vgl. Weinrich, Auferstehung, 112. Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 168. 574 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 177. 575 Vgl. Lüdemann, Die Auferweckung, 57 u. Frettlöh, „Gott ist im Fleische ...“, 190. 573

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Teil III: Eigene Deutung

mit den durch den σα ρξ-Begriff implizierten Assoziationen (wie etwa die der Sündenverfallenheit des leiblich verfassten Menschen oder seiner derartigen kreatürlichen Beschaffenheit576) stehe, so sind alle Versuche, ausgehend von der besagten Aussage darauf zu schließen, dass die Auferstehung Jesu nicht als leiblich zu bezeichnen sei577, unsachgemäß. Die Wendung charakterisiert die Auferstehungsleiblichkeit (einem derartigen Verständnis entsprechend) lediglich als „mit der Sünde und den anderen, durch den σα ρξ-Begriff implizierten Konnotaten in keiner Verbindung stehend“. Die durch den Begriff σωÄ μα πνευματικο ν bezeichnete und etwa von Paulus in 1 Kor 15 erläuterte, leiblich verfasste Konstitution des Auferstandenen im Sinne eines ganzheitlichen Leiblichkeitsverständnisses, das seinen Leichnam auf nicht näher charakterisierte Weise einbezieht, bliebe davon entsprechend unberührt. Wir fassen zusammen: 1. Den neutestamentlichen Darstellungen des Auferstandenen entsprechend ist dieser in eine veränderte Leiblichkeit, die von Paulus als pneumatische Leiblichkeit bezeichnet wurde, auferstanden, welche sich kategorial von der irdischen Leiblichkeit Jesu unterscheidet. 2. Die Entstehung dieser Leiblichkeit setzt einen nicht näher konkretisierten Einbezug der irdischen Leiblichkeit Jesu sowie deren Vergehen578 im Sinne eines Einverleibtwerdens voraus, was anhand des Samenkorn-Gleichnisses Pauli ersichtlich wird. In dieser Deutung spiegeln sich die im jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont grundgelegten anthropologischen Prämissen wider, dass 1. der Mensch nur als untrennbare Einheit der ihn konstituierenden Dimensionen, zu welchen auch die Dimension der Leiblichkeit gehört, zu denken sei, 2. er nur als solche auferstehen könne und 3. seine Identität in einer weder dualistischgnostischen noch in einer evolutionistischen579, aber ansonsten nicht näher konkretisierten Weise leiblich verankert sei. 3. Verbindet man 1. die Verkündigung, dass Jesus auferstanden sei, mit 2. den (zur näheren Beschreibung seiner erfahrenen Auferstehungswirklichkeit herangezogenen) Annäherungen, die sich des Bildes der pneumatischen Leiblichkeit bedienen, und 3. mit den (zur näheren Charakterisierung dieser Leiblichkeit erfolgten) Darstellungen in Bezug auf das Entstehen ebendieser, so ergibt sich der bislang vorausgesetzte Deutungsansatz, dass das Leersein des Grabes Jesu als Resultat der Erschaffung seines pneumatischen Auferstehungsleibes zu verstehen sei, da diese ein nicht näher konkretisierbares Vergehen seiner irdischen Leiblichkeit sowie einen nicht näher konkretisierbaren Einbezug ebendieser voraus576

Vgl. ebd. Vgl. Weinrich, Auferstehung, 111. 578 Wie skizziert, wird dieses Vergehen mitunter auch als Verzehrtwerden oder als Überkleidetwerden dargestellt, was den Zusammenhang zwischen dem Prozess des Vergehens und der Neuwerdung der Leiblichkeit bereits impliziert. 579 Vgl. Klappert, Diskussion, 15. 577

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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setzt, der nicht selten als ein Verschlungenwerden im Sinne eines Verschwindens verstanden wird. 3.1 Weil das Verschlungenwerden der irdischen Leiblichkeit in der Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit notwendig vorausgesetzt wird, ist das Grab des Auferstandenen gemäß des zugrundeliegenden Deutungshorizonts und seiner anthropologischen Prämissen zwingend und ungeachtet der Beurteilung der Frage, ob eine materiale Kontinuität zwischen den beiden Leiblichkeiten bestehen muss, als leer zu denken.580 Dies wird an der Reflexion der beiden Antwortmöglichkeiten ersichtlich: 3.1.1 Sofern davon ausgegangen wird, dass die irdische Leiblichkeit (zum Erhalt der Identität) material in die pneumatische Leiblichkeit integriert werden müsse, ergibt sich der Rückschluss, dass die irdische Leiblichkeit Jesu im Zuge seiner Auferstehung in die pneumatische Leiblichkeit integriert wurde und im Grab nicht länger zu finden gewesen wäre. 3.1.2 Wenn angenommen wird, dass keine materiale Identität zwischen den beiden Leiblichkeiten vorliegen müsse, ist das Grab dem zugrundeliegenden Deutungshorizont entsprechend nichtsdestotrotz als leer zu denken, was in dem (in ihm vorausgesetzten) notwendigen Verzehrtwerden der irdischen Leiblichkeit im Entstehungsprozess der pneumatischen Leiblichkeit begründet liegt.581 3.2 Die Vorstellung des leeren Grabes ist hier somit nicht im Sinne eines lediglich narrativen Gestaltungselements von der Auferstehung Christi zu trennen, sondern ist untrennbar mit ihr verbunden, da sie die (das Leerseins des Grabes begründende) Verwandlung der irdischen Leiblichkeit samt ihres Verzehrtwerdens notwendig beinhalte und der Sinn der Rede von der Auferstehung im untersuchten Verständnis somit untrennbar mit der Faktizität des (zum Leersein des Grabes führenden) Handelns Gottes an der irdischen Leiblichkeit und ihrer Verwandlung in eine pneumatische Leiblichkeit verbunden ist.582 580 Auch über die Vorstellung der materialen Einverleibung der irdischen Leiblichkeit in die pneumatische Leiblichkeit hinaus liegen im Diskurs verschiedene, nicht selten spekulative Imaginationen vor, warum und inwiefern die Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit das Verschwinden der irdischen Leiblichkeit nötig mache. Sofern man sich von derartigen Spekulationen zu distanzieren wünscht, erscheint es am angemessensten, im Stile Ringlebens festzuhalten, dass die Entzogenheit des irdischen Leichnams in charakteristischer Weise zur Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit gehört, ohne dass dies eigens begründet werden soll. Ringleben weist konkretisierend darauf hin, dass die Leere des Grabes in gleicher Weise wie das Ausbleiben der Erscheinungen des Auferstandenen oder wie der (in den Erscheinungserzählungen geschilderte) Umstand, dass der Auferstandene sich den Berührungen oder der Gegenwart seiner Anhänger immer wieder entziehe, von seiner grundlegenden Entzogenheit zeuge, die ein charakteristischer Seinsaspekt des Auferweckten sei (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 69). 581 Hier sei noch einmal an die Ausführungen Ringlebens erinnert, im Zuge derer er erläutert, weshalb die Vorstellung eines Verzehrtwerdens der irdischen Leiblichkeit im Rahmen der Auferstehung auch unter der Prämisse naheliege, dass keine materiale Identität der irdischen und der pneumatischen Leiblichkeit vorausgesetzt wird. 582 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 341, Etzelmüller, Ich lebe, 228 u. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 249 f.

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Teil III: Eigene Deutung

Einschätzungen im Stile der Aussage Kittels, dass die Frage nach dem empirischen Zustand des Grabes an der eigentlichen Aussage seiner neutestamentlichen Darstellungen vorbeiziele583, können aus der Perspektive des thematisierten Deutungshorizonts entsprechend als unsachgemäß beurteilt werden.584 Der Deutungshorizont ist umgekehrt von der Annahme geprägt, dass sowohl die Predigt Christi als auch der auf ihn gerichtete Glaube leer seien, sofern er nicht tatsächlich im Damals und Dort auferstanden ist585, was das Leersein seines Grabes notwendig einschließe. 3.2.1 Weil das Grab Jesu dem Deutungshorizont und seiner Argumentationslogik entsprechend nicht deshalb leer gewesen sei, um zu zeigen, dass Jesus auferstanden ist, sondern weil er auferstanden ist, kann die Bezeichnung der Funktion der Darstellungen des leeren Grabes als Zeichen für die Auferstehung hier nur vor dem Hintergrund eines tatsächlichen Leerseins des Grabes Jesu als Resultat eines Handelns Gottes an seinem Leichnam erfolgen, welches dann als Referenzobjekt fungiert, auf das sich die Bezeichnung leeres Grab bezieht.586 b) Die Verbindlichkeit jüdisch-apokalyptischer Deutungshorizonte Wie deutlich geworden sein dürfte, wurde das skizzierte biblische Deutungsangebot hinsichtlich der Frage nach der Begründung des leeren Zustandes des Gra-

583

Vgl. Kittel, Das leere Grab, 478. Folglich sollte man sich – wie Rengstorf richtig feststellt – ausgehend vom besagten Deutungshorizont erst recht von alljenen Darstellungen distanzieren, die im Stil der Aussage „Wir glauben nicht an das leere Grab, sondern an den auferstandenen, lebendigen Herrn“ (Rengstorf, Die Auferstehung Jesu, 61 f., zitiert nach Klappert, Diskussion, 20) Gegensätze konstruieren, welche der neutestamentlichen Verkündigung faktisch überhaupt nicht entsprechen (vgl. ebd.). 585 Vgl. Nauck, Die Bedeutung, 259. 586 Aus den angeführten Darstellungen ergibt sich, dass auch die verbreitete, zuvor kritisierte Annahme, dass ein beliebiges Grab leer vorgefunden wurde und als ein Zeichen der Auferstehung verstanden wurde, während der Leichnam Jesu an einem anderen Ort dekompostierte, ausgehend von den Argumentationslinien des dargestellten Horizonts als unzureichend bezeichnet werden muss, da eine Auferstehung dem Handeln Gottes an der irdischen Leiblichkeit Jesu bedurfte. Die Hoffnung auf eine Auferstehung sowie der Glaube an sie wäre im skizzierten Fall ausgehend vom besagten Deutungshorizont unbegründet, da der Auferstehung keine Realität zugesprochen werden könnte. Akzeptabel wären die Verwechslungshypothesen ausgehend vom besagten Horizont folglich nur dann, wenn sie mit der Annahme einhergingen, dass die Frauen zwar ein beliebiges Grab leer vorgefunden hätten, das sie irrtümlicherweise für die Grabstätte Jesu hielten und als Hinweis auf seine Auferstehung verstanden, diese sich ungeachtet dieser Verwechslung aber nichtsdestotrotz mitsamt einem Wirken Gottes an der Leiblichkeit Jesu tatsächlich ereignet hätte. Der Gedanke, dass die Grableerfindungserzählungen davon zeugen, dass die Frauen ein leeres Grab vorfanden, das sie irrtümlicherweise für das Grab Jesu hielten und als Hinweis auf seine Auferstehung verstanden, während sein (sich an einem anderen Ort befindlicher) Leichnam in die Auferstehung einbezogen wurde, ist jedoch augenfällig derart konfus und abwegig, dass diese Vorstellung wohl kaum je ernsthaft in Betracht gezogen wurde. 584

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

363

bes durch den alttestamentlichen, jüdisch-apokalyptischen Vorstellungsrahmen und seine (anthropologischen) Prämissen geprägt und ist nicht (sinnvoll) von diesen Einflussfaktoren abtrennbar. Diese Erkenntnis führte verschiedene Theologen zu einer Distanzierung vom skizzierten Deutungsangebot, die in der Ablehnung der besagten Einflussfaktoren und insbesondere auch in der Ablehnung ihrer „vormodernen metaphysischen Voraussetzungen“587 begründet liegt. Eine solche ergibt sich meist aus der Annahme, dass die Erklärungs- und Darstellungshorizonte sowie die Prämissen der frühen Christen nicht länger verbindlich oder gar gewinnbringend sein können, da das Weltbild, aus dem sie erwachsen sind, aufgrund der Prägung des modernen Menschen durch die analytisch-moderne Rationalität überholt588 und somit nicht länger anknüpfungsfähig oder auch nur verständlich sei.589 Ein Übernehmen dieses Weltbilds und der in ihnen grundgelegten Angebote als Sinnkriterien zur Lebens- und Weltdeutung würde ferner in nicht zu akzeptierendem Widerspruch mit der je eigenen, modernen Erfahrungswelt stehen und ein Zurückfallen ins Mythologische begünstigen, welchen es zu vermeiden gelte.590 Interessant ist, dass sich die besagten Theologen aufgrund dieser Einschätzung des Öfteren nicht nur von den (im biblischen Befund gegebenen) Deutungen distanzieren, sondern die gesamten Darstellungszusammenhänge – hier die der Grableerfindungserzählungen als Ganze591 – mit Verweis darauf, dass der Auferstehungsglaube kein Einverständnis mit den Auffassungen und Konzepten der biblischen Zeugnisse fordere592, als für die christliche Auferstehungsbotschaft 587

Körtner, Dogmatik, 638. Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 589 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 129. Rückverwiesen sei noch einmal auf die angesprochene Modernisierung unseres Glaubensbekenntnisses, im Zuge derer die als anstößig und nicht länger anknüpfungsfähig beurteile Rede von der fleischlichen Auferstehung eliminiert und durch die Wendung der Auferstehung der Toten ersetzt wurde (vgl. Moltmann, Der Weg, 283). 590 Vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 8. Kremer deutet darüber hinaus an, dass eine Distanzierung vom jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont und von den aus ihm erwachsenden Deutungsangeboten auch deshalb ratsam sei, da die konkreten apokalyptischen Konzepte selbst für Jesus per se nicht ausschlaggebend gewesen seien, weil für ihn vielmehr die in ihnen zum Ausdruck kommende Hoffnung auf eine individuelle Errettung aus der Todesmacht von Relevanz gewesen sei (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 59). In Bezug auf dieses Argument ist neben der Fragwürdigkeit der Annahme, dass Jesu Einstellung zu isolierten Themen (ausgehend von dem ausschnitthaften und durch diverse Darstellungsintentionen der Verfasser geprägten neutestamentlichen Befund) überhaupt ermittelbar sei, auch kritisch hervorzuheben, dass die durch die besagten Vorstellungen ausgedrückten Hoffnungen (ihrem Selbstanspruch entsprechend) teils in untrennbarer Weise mit ebendiesen Vorstellungen verknüpft gewesen sind. Es ist somit anzunehmen, dass jene, die die angesprochenen Hoffnungen teilten, sie nicht losgelöst von den jeweiligen apokalyptischen Vorstellungen vertraten, sondern diese stets mitdachten, selbst wenn dies nicht in jedem Fall eine explizite Erwähnung fand. 591 Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 92. 592 Vgl. a.a.O., 83. Kremer postuliert etwa, dass das, worauf die Rede von der Totenauf588

364

Teil III: Eigene Deutung

nicht tragende, äußere Darstellungsformen beurteilen, obschon die Darstellung eines leeren Grabes grundlegend erst einmal nichts ist, das im unwiderruflichen Widerspruch zu dem modernen Weltbild stehen muss oder das prinzipiell als unmöglich zu beurteilen wäre. Angesichts dieser Tendenzen sei reflektiert, ob das besagte Deutungsangebot und die ihm zugrundeliegenden Prämissen sich ungeachtet allen Wandelns in der Bewusstseinslage der Menschen noch als nachvollziehbar erweisen593 oder ob sie tatsächlich als lediglich zeitgebundene und schon deshalb geschichtlich überholte Vorstellungen594 in gleicher Weise wie andere Themenbereiche der Apokalyptik ganz neu gedeutet oder – anderenfalls – preisgegeben werden müssen595 und folglich eigene Deutungen an die Frage nach der Grableerwerdung heranzutragen wären.596 Die Beantwortung dieser Fragen erfolgt ausgehend von einem Exkurs, in dem der besagte Horizont im Gegenüber zu anderen, nicht unmittelbar zur Deutung der Auferstehung herangezogenen Vorstellungssystemen dargestellt und ihre gegenseitige Beeinflussung reflektiert wird. Diese Darstellung dient vor allem dazu, deutlich zu machen, welche Adaptionen und Modifikationen der Horizont in der Vergangenheit erfahren hat, unter welchen Bedingungen derartige Aneignungsprozesse sich vollzogen haben und welche Entwicklungen zur verbreiteten Distanzierung vom besagten Horizont führten. Interessant ist ferner, ob die zur gegenwärtigen Tendenz führenden Entwicklungen eine erneute Annäherung an den jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont notwendig ausschließen oder ob seine Repristinierung grundsätzlich denkbar wäre und eine Distanzierung von ihm entsprechend keineswegs zwingend ist.

erstehung letztlich abziele, an keine apokalyptischen Auferweckungskonzepte geknüpft sei, sondern eine göttliche Rettung der Verstorbenen beschreibe, welche von keinen derartigen zeitlichen oder räumlichen Vorstellungen abhänge (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 56). In Bezug auf diese Ausführung sowie auch hinsichtlich der weiteren hier dargestellten Erwägungen sei rückverwiesen auf die (auf sie größtenteils übertragbaren, in Kapitel II.2.3.c skizzierten) Anfragen an die Entmythologisierungsforderung Rudolf Bultmanns. 593 Vgl. Pannenberg, Grundfragen, 222. 594 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie I, 271. 595 Vgl. Greshake u. Kremer, Zur Einführung, 2. 596 Das hier und auch nachfolgend erwähnte Herantragen eigener Gedanken an den biblischen Befund bezeichnet keineswegs die eigene, stets erwünschte Auseinandersetzung mit demselben, wie sie ohnehin in jedem Rezeptions- und Interpretationsprozess vollzogen wird, sondern den Versuch, im biblischen Befund enthaltene Konflikte und Rätsel nicht ausgehend von ihm, sondern ausgehend von eigenen Erwägungen und Plausibilitätsurteilen aufzulösen. Dass bereits der Umstand, dass von mir eine Reflexion der Anknüpfbarkeit an Vorstellungen des jüdisch-apokalyptischen Horizonts vorgenommen wird, erklärungsbedürftig ist und mitunter auf Verwunderung und Missfallen stößt, wurde im Rahmen der Abfassung dieses Buches immer wieder deutlich, was letztlich zur nachfolgenden Erläuterung meines Vorgehens und seiner Legitimation anregte.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

365

c) Exkurs: Die leibliche Auferstehung und die Unsterblichkeit der Seele „Die Geschichte des Christentums liest sich denn auch wie ein angestrengter Versuch, das Fleisch gleichzeitig ein- und auszugrenzen.“597

Zur Vertiefung der jüdisch-apokalyptischen Vorstellung einer ganzheitlichen Auferstehung sei sie im Folgenden in der Gegenüberstellung zu einigen Konzepten skizziert, von welchen sich diejenigen, die die Auferstehung unter ihrer Zuhilfenahme darstellten, bewusst distanzierten. Dabei sollen weniger konkrete Einzelvorstellungen und Diskursstränge als vielmehr die übergeordneten Spannungsfelder und Diskursrahmen fokussiert werden.598 Die nachfolgend präsentierte, überblicksartige Zusammenschau soll entsprechend keinesfalls als kirchengeschichtlicher Abriss verstanden werden, sondern dient in all ihren Auswahlentscheidungen einzig der Annäherung an die thematisierte Frage, inwiefern die Rückfrage nach dem untersuchten Horizont und der potenziellen Tragfähigkeit der auf ihm aufbauenden Deutungsangebote angesichts der dargestellten Bedenken zielführend sein kann.599 Einführend sei daran erinnert, dass im Zeitraum des ersten vorchristlichen Jahrhunderts bis hinein in das beginnende dritte Jahrhundert nach Christus innerhalb der antiken Welt in Bezug auf die Frage nach dem postmortalen Ergehen des Menschen eine uneinheitliche und auch undurchsichtige Vielfalt verschiedener Jenseitsvorstellungen existierte.600 Ein besonderes Augenmerk soll im Folgenden auf die verbreitete (griechisch-hellenistische) Vorstellung einer (der sterblichen Leiblichkeit antithetisch gegenüberstehenden) unsterblichen Seele gerichtet werden. Hierbei bleibt jedoch zu bedenken, dass auch dieses Denkbild in den 597

Alloa, Maurice Merleau-Ponty II, 41. Ein Schwerpunkt liegt hier auf den Deutungsmodellen, die zur Zeit der Auferstehungsereignisse und ihrer neutestamentlichen Verschriftlichung existierten, wohingegen die in den folgenden Jahrhunderten vollzogenen Weiterentwicklungen nur insofern thematisiert werden, als dass dies einem Erkenntnisgewinn in Bezug auf die thematisierten Fragen dient. 599 Die folgenden Darstellungen orientieren sich vorranging an der Zusammenschau Greshakes. Bei weiterem Interesse an urchristlichen Vorstellungen der leiblichen Auferstehung sowie an von ihr abweichenden Konzeptionen und an der geschichtlichen Entwicklung der gegenseitigen Beeinflussung ebendieser sei entsprechend auf Greshakes Ausführungen innerhalb seines mit Kremer verfassten Werkes Resurrectio Mortuorum (insbes. 169–255) verwiesen. Bei Interesse an einer Auseinandersetzung mit der Dimension der Seele kann ferner auch Moltmanns Werk Das Kommen Gottes (insbes. 74–82) herangezogen werden, das nicht nur das platonische Verständnis der Seele sowie einige seiner Weiterentwicklungen erläutert, sondern auch neuzeitliche Verständnisbemühungen in Bezug auf die Seele skizziert. 600 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 279. Zu diesen Vorstellungen zählten monotone Hadesvorstellungen, welche in gleicher Weise wie der von Paulus zitierte, bekannte Leitsatz des sogenannten Epikureismus „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot! (1 Kor 15,32)“ (ebd., zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 279) von einer erkennbar hoffnungslosen Skepsis zeugt (vgl. ebd.). 598

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Teil III: Eigene Deutung

verschiedensten Ausgestaltungen aufgenommen, verbreitet und modifiziert wurde601 und an dieser Stelle entsprechend nur einige, vielfach belegte Leitgedanken skizziert werden können, die die tatsächlichen Ausgestaltungen der Vorstellung zur Zeit der ersten Christen bestenfalls in vager Annäherung abbilden. In deutlich erkennbarer Ähnlichkeit zu den Scheol- und Nephesh-Vorstellungen des Alten Testaments602 wurde die Seele ursprünglich auch im Rahmen altgriechisch-homerischer Denkbilder als von der Leiblichkeit des Menschen nicht zu separierende Dimension und als eine Art „Schattenbild des Menschen“603 ver601 Greshake weist darauf hin, dass im Volksglauben eine große Pluralität verschiedenster Konzeptionen in Bezug auf das postmortale Ergehen des Menschen zu finden war (vgl. ebd.). Einige Menschen vertraten so die Auffassung, dass sowohl der Leib als auch die Seele einer Person nach ihrem Tod „gemeinsam zugrunde gehen und die Seele im Leib erlischt“ (Cicero, Tusc. I, 19 ff., zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 279), wohingegen andere davon überzeugt waren, dass durch den Tod die Trennung dieser beiden menschlichen Seinskomponenten erfolge (vgl. ebd.), woran sich der kontroverse Folgediskurs darum anschließt, was der Seele nach dieser Trennung widerfahre. 602 In Anknüpfung an die betonte Heterogenität der Konzepte in der antiken Welt sei darauf verwiesen, dass die umrissenen, dualistischen Vorstellungen selbstverständlich auch auf die im frühen Judentum verbreiteten Modelle und Hoffnungen Einfluss nahmen. Dies wird daran ersichtlich, dass die griechisch-dualistische Gegenüberstellung von Seele und Leiblichkeit nicht selten völlig unvermittelt mit älteren, im dargestellten Horizont verankerten Annahmen verbunden wurde. Als Beispiel können die Darstellungen Josephus’ angeführt werden, der die pharisäischen und essenischen Auferstehungshoffnungen mitunter mit Vorstellungen einer Seelenunsterblichkeit verknüpft und der die dargestellten, auf eine pneumatische Leiblichkeit ausgerichteten Hoffnungen nicht erkennbar genug von denen abgrenzt, die auf eine Loslösung der Seele von ihren leiblichen Fesseln abzielten (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 71 f.). Darüber hinaus kann auch auf die bei Kremer erläuterten, vielfältigen jüdischen Darstellungen der Unterwelt samt ihrer unterschiedlichen Aufenthaltsbereiche für Geister verwiesen werden, die ebenfalls auf eine inkonsequente Übernahme oder auf eine Adaption der besagten, griechischen Vorstellungen hindeuten, welche hier teils mit jüdischen Konzepten eines postmortalen Schattendaseins in der Scheol vermischt wurden (vgl. a.a.O., 73). Bei Kremer finden sich darüber hinaus vielfältige Hinweise auf derartige Vermengungstendenzen innerhalb alttestamentlicher, aber auch apokrypher Schriften. Neben Ez 37,3 werden beispielsweise TestIjobs Thematisierungen der Wegführung der Seele des Hiob sowie der leiblichen Aufnahme seiner Kinder benannt, welche die besagten Tendenzen eindeutig aufweisen, indem sie von einer Verbindung der griechischen Vorstellung der Seelenunsterblichkeit und der (mit dieser einhergehenden) postmortalen Abtrennung der Seele vom Leib mit jüdisch-apokalyptischen Auferstehungserwartungen zeugen (vgl. a.a.O., 75). Kremer betont jedoch zum Abschluss seiner Darstellungen noch einen wesentlichen Punkt; dass nämlich allen von ihm angeführten Beispielen der Vermischung griechischer und jüdischer Konzepte zum Trotz zu beachten sei, dass das postmortale Weiterleben für Juden grundsätzlich nie in einer (in der Seele verankerten) Qualität zu begründen wäre, wie dies in den platonischen Systemen vorausgesetzt wird, sondern von ihnen als eine Gabe Gottes verstanden wird (vgl. ebd., mit Verweis auf Kellermann, Überwindung des Todesgeschicks, 259–282). Dies werde daran deutlich, dass die Darstellungen der jüdischen Hoffnung auf eine Totenauferweckung und auf ein ewiges Leben stets einen sie begründenden Hinweis auf die göttliche Gerechtigkeit sowie auf die Kraft und auf die Bundestreue Gottes aufwiesen (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 75 f.). 603 Greshake, Untersuchungen, 169.

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standen, welches nach seinem Dahinscheiden in der Umgebung seiner Grabstätte beziehungsweise der Totenwelt verbleibe und über keinerlei Zuversicht, Leben und Lebenskraft oder Zukunft verfüge.604 Diese Vorstellung erfuhr im Zuge der Verbreitung jener griechischen Mysterienkulte, die auf eine Überwindung der charakteristisch-menschlichen Bedingtheit hin zum unbedingt Göttlichen abzielten605, einen Umformungsprozess, der sich wiederum in der sich daran anschließenden „orphischen und pythagoräischen Weisheitslehre“606 fortsetzte und insbesondere innerhalb der platonischen Philosophie zur Entstehung eines Verständnisses der Seele führte607, welches sich erheblich von der des jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizonts unterschied.608 Die Seele wurde hier als „das eigentliche Wesen des Menschen“609 verstanden, das ursprünglich der göttlichen Welt angehörte und folglich in seiner Substanz wesenhaft unsterblich sei. Dementsprechend könne der Tod die Seele nicht vernichten, sondern sie lediglich vom dahingeschiedenen Körper abtrennen, der daraufhin nur noch eine leblose Leiche sei.610 Dieser Vorgang wurde als „das höchste Fest auf dem Weg in die Freiheit“611 der Seele gedeutet, da diese – nun befreit vom als kerkerhaftes Gefängnis oder als Grab verstandenen, ihr aufgebürdeten und sie auf die Erde herabziehenden Körper612 – dazu befähigt sei, in ihre göttliche, wahre Heimat zurückzukehren.613 Ferner könne sie so zu ihrer eigentlichen, gottgegebenen Bestimmung zurückzufinden, nachdem sie als Resultat ihres eigens verschuldeten Urfalls beziehungsweise als Resultat der Selbstentfremdung ihrer Göttlichkeit in ihre irdische Leiblichkeit hineingezwungen wurde.614 Die Eigenschaft der Unsterblichkeit wird der Seele zugeschrieben, da sie niemals geboren wurde und somit schon vor

604

Vgl. ebd. Vgl. a.a.O., 170. 606 Ebd. 607 Vgl. ebd. 608 Die Darstellung der (dem jüdisch-apokalyptischen Horizont entgegenstehenden) Konkurrenzvorstellungen erfolgt bewusst deskriptiv und unter Auslassung einer Stellungnahme. Dies ergibt sich aus dem Anspruch, zuerst das neutestamentliche Deutungsangebot wahrzunehmen und zu reflektieren, ehe von ihm unterschiedene Angebote auf ihre Tragfähigkeit hin hinterfragt werden. Bei Interesse an kritischen Auseinandersetzungen mit den im Folgenden dargestellten Vorstellungen sei auf die aufgelisteten Belege verwiesen: Beintker, Das Leben in der zukünftigen Welt, 28, Greshake, Untersuchungen, 248 f., Moltmann, Im Ende, 116–118 u. Moltmann, Das Kommen Gottes, 82–85. 609 Greshake, Untersuchungen, 170. 610 Vgl. ebd. u. Moltmann, Im Ende, 116. 611 Moltmann, Im Ende, 116, mit nicht näher eingegrenztem Verweis auf Bonhoeffer. 612 Vgl. Moltmann, Im Ende, 116, Pannenberg, Systematische Theologie II, 211 u. Übersetzung von Josephus, Bell. Jud. VII, 344, durch Michel u. Bauernfeind, De Bello Judaico, 137, zitiert nach Kremer, Auferstehung der Toten, 73. 613 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 170 u. Übersetzung von Josephus, Bell. Jud. VII, 344, durch Michel u. Bauernfeind, De Bello Judaico, 137, zitiert nach Kremer, Auferstehung der Toten, 73. 614 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 170. 605

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Teil III: Eigene Deutung

der Geburt existierte, weshalb sie logischerweise auch postmortal bestehen bliebe und somit ein (außerhalb der Grenzen des Geburts- und des Todeszeitpunkts zu verortendes615) ewiges Leben aufweise. Aus diesen Prämissen ergibt sich, dass der Seele (als wesenhaft ungeboren und folglich auch als wesenhaft unsterblich616) keine Gemeinsamkeiten mit dem geborenen und vergänglichen, von ihr als wahrnehmendes Werkzeug617 genutzten Leib des Menschen zugeschrieben wurden618, worin sich die Einflüsse des (in den griechischen Mysterienreligionen verbreiteten) anthropologischen Leib-Seele-Dualismus widerspiegeln.619 Im Gegensatz zur Leiblichkeit sei die Seele „in ihrer Substanz unwandelbar“620, ferner stets gleich, nicht leidensfähig, aber auch nicht dazu in der Lage,

615

Vgl. Moltmann, Im Anfang, 116. Vgl. ebd. 617 Vgl. Übersetzung von Josephus, Bell. Jud. VII, 344, durch Michel u. Bauernfeind, De Bello Judaico, 137, zitiert nach Kremer, Auferstehung der Toten, 73. 618 Vgl. Moltmann, Im Anfang, 116. 619 Greshake, Untersuchungen, 170. In der jüngeren Auseinandersetzung mit der Konzeption Platons wird mitunter darauf hingewiesen, dass der von Platon konstruierte Dualismus nicht treffend als anthropologischer Dualismus bezeichnet werden könne, sondern vielmehr als ein Dualismus ethisch-religiöser Art gedeutet werden müsse (vgl. a.a.O., 170 f.), da Platons Herabwürdigung der Kategorie der Leiblichkeit sich nicht auf das „leiblich seelische Wesen des Menschen“ (Krüger, Eros und Mythos bei Plato, 77, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 171) im Sinne der jüdischen Anthropologie beziehe, sondern vielmehr auf die schuldbehaftet-brennende seelische Hingabe an leibliche Sehnsüchte (vgl. ebd.). Platons Intention habe darin bestanden, die Menschen, welche sich und insbesondere ihre Identität (im Kontext ihrer Seele sowie deren göttlichen Bestimmung und Herkunft) und ihre Nichtidentität (im Kontext der „sinnlich-weltliche[n] Zerstreuung und Entfremdung“ [Greshake, Untersuchungen, 171]) erleben, dazu zu animieren, sich in ihrem gegenwärtigen Leben „einem Prozess ethischer Reinigung“ (ebd.) zu unterziehen. Eine einseitige Ausdeutung der platonischen Ausführungen in diesem Sinne scheint jedoch verkürzt, da – wie Sonnemans treffend festhält – ungeachtet der Berücksichtigung potenzieller ethischer Intentionen des Platon bei ihm doch ein gewisser „ontologisch-theoretischer Dualismus“ (Sonnemans, Seele, 278, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 171) wahrnehmbar ist und berücksichtigt werden muss. Dieser spiegelt sich innerhalb seiner Konzeption bereits darin wider, dass die leiblichen Dimensionen des menschlichen Daseins sowie der materiellen Welt als solcher notwendig zu dahinschwindenden Momenten jenes Vollendungsprozesses werden, im Zuge dessen die Menschen nun wahrhaftig zu dem werden, was sie aufgrund ihrer Seelen ursprünglich und schon immer seien, sofern „das wahrhaft Seiende mit der über alles erhabenen überirdisch-geistigen Dimension gleichgesetzt wird“ (Greshake, Untersuchungen, 171 f.). Obschon der menschliche Leib als „Teil der unvergänglich-göttlichen Wirklichkeit“ (ebd.) von Platon in der Tat nicht ausschließlich als Grabstätte der Seele, sondern eben auch als ein Hilfsmittel zur Auferstehung aus ihm verstanden wird (vgl. Kuhn, Plato über den Menschen, 287, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 171), bleibt er in letzter Konsequenz doch ein „entfremdete[r] und nur-transitorische[r] Moment“ (Greshake, Untersuchungen, 172), welcher „der göttlichen Welt als der eigentlichen und gültigen Wirklichkeit gegenüber[steht]“ (ebd.). Die Einschätzung, dass Platon keinen anthropologischen Dualismus konstruiere, ist somit nicht haltbar. 620 Moltmann, Im Ende, 116. 616

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Glück zu empfinden621, und somit (ausgehend von verbreiteten Konzepten des Lebens und der Lebendigkeit) als unlebendig zu bezeichnen.622 Diese Vorstellungen Platons wurden gegen Anfang des zweiten Jahrhunderts nach Christus, welches von erheblichen gesellschaftlichen und insbesondere auch politischen Umbrüchen geprägt war, verbreitet aufgegriffen und weiterentwickelt. Während der Mensch der griechischen Antike seine Lebenswelt bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend als heimisch und geborgen wahrnahm, sah er sich nun mit einer fortschreitenden „Destabilisierung der äußeren Verhältnisse“623 konfrontiert, wodurch seine Umwelt für ihn beängstigend und fremdartig anmutete und er sich selbst als zunehmend verloren und auch als einsam empfand.624 Dies begünstigte eine Rückbesinnung auf die Ausführungen Platons und insbesondere auch auf die von ihm dargestellte Überzeugung, dass der Mensch in sich etwas unermesslich wertvolles, aber von seiner äußerem Umwelt schmerzlich losgelöstes trage.625 Ersichtlich werde diese Rückbesinnung anhand einer verbreiteten, von vielen Intellektuellen vollzogene Abkehr vom Bereich des Äußeren und an ihrer Hinwendung „zum Innenbereich der am unerschütterlich Göttli-

621 Vgl. ebd. Eine derartige antithetische Gegenüberstellung des Leibes und der Seele kann – wie nahezu jede Form dualistischen Denkens – auf das Grundbedürfnis des Menschen zurückgeführt werden, kognitive Diskrepanzen oder komplexe Spannungsverhältnisse (wie das zwischen dem Leib und der Seele innerhalb der menschlichen Konstitution) zugunsten einer vermeintlichen Eindeutigkeit und der damit einhergehenden kognitiven Erleichterung aufzulösen. Dies erfolgt hier anhand der Zuordnung antithetischer, nicht zu vereinbarender, einwertiger Zuschreibungen wie etwa gut und böse oder vergänglich und unvergänglich zu den Konzepten des Leibes und der Seele. Das Vornehmen derartiger Reduktionen, die die Entstehung dualistischer Denkmodelle begünstigen, welche gemeinhin einen zügigen und auch erwartungssicheren Austausch ermöglichen (vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 131), führt jedoch zweifellos dazu, dass die Komplexität der thematisierten Phänomene und Zusammenhänge nicht angemessen erkannt und abgebildet werden kann, sondern dass ihre Darstellungen stets selektiv und wenig differenziert erfolgen. Welker verweist mit Recht darauf, dass derartig reduktionistische Vorgehensweisen und die aus ihnen resultierenden Denkmodelle – insbesondere dann, wenn sie stark emotionsbehaftet sind oder mit Grundüberzeugungen und -werten verknüpft sind – zu höchst gefährlichen Verblendungen führen können und eine Einschwörung ganzer Kulturen oder Epochen auf problematische Ideologie oder Weltbilder begünstigen (vgl. ebd.). Dass diese Gefahr auch in Bezug auf eine radikal dualistische Gegenüberstellung von Leib und Seele besteht, die nicht selten mit einer massiven Abwertung der menschlichen Leiblichkeit und mitunter sogar mit einer entstehenden Todessehnsucht einhergeht, dürfte offensichtlich sein. 622 Vgl. Moltmann, Im Ende, 116. Moltmann erläutert, dass die Bezeichnung der unsterblichen Seele im dargestellten Sinne keine „Unsterblichkeit des hier gelebten Lebens, sondern des ewig ungelebten Lebens“ (ebd.) bezeichne. Im unübersehbaren Gegensatz zu den christlichen Auferstehungsvorstellungen beschreibe das Konzept der Seelenunsterblichkeit folglich kein postmortales Leben, sondern weise darauf hin, dass dem Menschen außerhalb der Grenzen seiner Geburt und seines Todes eine Art göttliche Identität zu eigen sei (vgl. ebd.). 623 Greshake, Untersuchungen, 173. 624 Vgl. ebd. 625 Vgl. Brown, Welten im Aufbruch, 68, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 173.

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Teil III: Eigene Deutung

chen teilhabenden Seele“626, welche sie zu einem Rückzug aus dem konventionellen Staatsdienst hinein ins Private bewegte, wo sie diverse philosophische Schriften verfassten, die die Seele thematisierten. Die Thesen Platons wurden in diesen Werken (neben einigen stoizistischen Denkbildern) deutlich dualistisch aufgegriffen und zur Lehre und Verbreitung seiner Vorstellungen der Abwendung vom Äußerlichen und Sinnhaft-Weltlichen und von der Hinwendung zum Inneren sowie von jener Erlösungshoffnung genutzt, die auf eine Abtrennung der Seele von der Welt und konkret vom Leib sowie auf ihre anschließende, auf diesem Wege zu erreichende „Teilhabe an der unsterblichen göttlichen Natur“627 ausgerichtet war. Die seitens der frühchristlichen Theologie des zweiten bis sechsten Jahrhunderts geteilte, paulinische Vorstellung einer ganzheitlichen und somit auch körperlichen Auferstehung, die auch ein Einwirken Gottes auf die Leiblichkeit des Verstorbenen beinhaltete, konnte von Seiten der spätantiken Intellektuellen entsprechend nur als unsinnige Vorstellung eines keinesfalls erstrebenswerten, erneuten Eintretens in das Vergängliche628 und somit als ein postmortales Überdauern der angesprochenen Entfremdungszustände verstanden werden629 und wurde daher mit heftiger Kritik und mit Spott bedacht.630 Insbesondere die Auseinandersetzung der Vertreter der leiblichen Auferstehung mit jenen der griechisch-hellenistischen, gnostischen Systeme war dabei von besonderer Vehemenz geprägt, da in diesen Systemen eine Radikalisierung dualistisch-platonisierender Denkformen erfolgte.631 Im Gegensatz zu den dargestellten platonischen Vorstellungen, im Rahmen derer mitunter noch versucht wird, „die Spannungspole von göttlicher und irdischer Welt, Geist und Materie, Seele und Leib in der Einheit des alles umfassenden Kosmos miteinander“632 zu verbinden, beurteilen die gnostischen Systeme den gesamten Kosmos per se als „in eine göttliche und eine widergöttliche Region“633 aufgespalten, wobei die Menschheit unter der Herrschaft einer widergöttlichen Sphäre lebe, deren Manifestation und Realisierung sich in der sichtbaren Welt als solcher mitsamt aller Materie und aller Leiblichkeit vollziehe. Die kosmische Urdissonanz könne entsprechend am eigenen Leib und an dem jeweiligen Von-Geburt-an-Eingeschlossensein in ebendiesen erkannt und nachvollzogen werden. Deshalb richteten sich die gnostischen Hoffnungen auf eine Befreiung von der menschlichen Leibverfasstheit, durch welche eine Rückerlösung des pneumatische Selbst des Menschen in seine göttliche, eigentliche Bestimmung erfolge.634 Wie bereits bei Platon 626

Greshake, Untersuchungen, 173. A.a.O.,173 f. 628 Vgl. a.a.O., 174. 629 Vgl. a.a.O., 184. 630 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 173 u. Weinrich, Auferstehung, 106. 631 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 175. 632 Ebd. 633 Ebd. 634 Vgl. ebd. 627

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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findet sich folglich auch in den gnostischen Denkmodellen die Vorstellung, dass im Tod ein finaler Kontaktverlust der höheren Seele zu der versklavten Materie erfolge, im Anschluss an den die Seele ihren Rückweg in jenes „Reich des Geistes, aus dem sie präexistierend gefallen war“635, antreten könne und eine Vollendung der Pneuma-Seele heraus aus der Welt mitsamt ihrer Geschichte und aller Leiblichkeit erfolge.636 Bereits in diesen Vorstellungen spiegeln sich der schon in den platonischen Modellen konstruierte, hier allerdings noch erheblich gesteigerte Gedanke einer Feindschaft zwischen Leib und Seele sowie eine aus der Erfahrung ebendieser erwachsende „Todessehnsucht der Seele“637 in Bezug auf den Leib wider, aus dem heraus sie nun endlich errettet werden wolle.638 Eine Auferstehung könne aus gnostischer Perspektive entsprechend nur als Befreiung des Menschen von seiner Leiblichkeit und von der Welt des Materiellen als solcher639 sowie von ihrer von Menschen als solche wahrnehmbaren Geschichte640 verstanden werden. Dies schließe eine Akzeptanz der christlichen Vorstellung einer Befreiung der gesamten Schöpfung und somit auch des (von Seiten der Gnostiker als heilsunfähig verstandenen) Leibes von den Todesmächten der Sünde zwingend aus641 und machte ihre vehemente Auseinandersetzung mit der christlichen Vorstellung der leiblichen Auferstehung unumgänglich.642 Ebendiese spiegelt sich in den (in der im zweiten Jahrhundert nach Christus entstandenen und in der Schrift ÆΑληθηÁ ς λο γος festgehaltenen) Darstellungen des Celsus wider, der – ausgehend von einer (mittel)platonischen Perspektive643– ein erkennbares Unverständnis der Gebildetsten innerhalb der nichtchristlichen Mehrheitsgesellschaft644 hinsichtlich der Vorstellung einer leiblichen Auferstehung zum Aus635

Ebd. Vgl. a.a.O., 175 f. 637 Moltmann, Der Weg, 283. 638 Vgl. ebd. 639 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 176. 640 Vgl. a.a.O., 188. 641 Vgl. a.a.O., 176. Mit Recht weist Heimerl angesichts dieser Differenzen darauf hin, dass das Christentum sich in keinem Punkt so erheblich von den dualistischen Vorstellungen der antiken Philosophien unterschieden habe, wie in dem des Konzepts der ganzheitlichen, leiblichen Auferstehung des Menschen (vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 173). 642 Dass die ersten Christen, welche die leibliche Auferstehung verkündigten, schon früh in polemische Konflikte mit (von griechischen Denkformen geprägten) häretischen Positionen involviert waren, wird bereits anhand einiger spätkanonischer und auch paulinischer Schriften deutlich (vgl. Greshake, Das Verhältnis, 84) und findet etwa im Auferstehungskapitel im ersten Korintherbrief Erwähnung. Dieser Text zeugt davon, dass Paulus sich sowohl mit Menschen konfrontiert sah, die ein erkennbar naives Leiblichkeitsverständnis aufwiesen (vgl. Weinrich, Auferstehung, 104), als auch mit solchen, die die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung im Sinne der dargestellten Tendenzen zurückwiesen und ihre Möglichkeit grundsätzlich leugneten (vgl. ebd.). 643 Vgl. Greshake, Das Verhältnis, 105. 644 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 106, vgl. auch Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 173. 636

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Teil III: Eigene Deutung

druck brachte und diese in höchst polemischer Weise645 als eine wahnwitzige, irrige Lehre646 eines „in den Leib verliebte[n] Geschlecht[s]“647 verunglimpft. Unter Zuhilfenahme eingängiger und im höchsten Maße herabwürdigender Sprachbilder unterstreicht er, dass die Lehre der Christen, bei denen es sich hauptsächlich um doch recht einfache Menschen gehandelt habe, welche durch den Religionsstifter Jesus hinters Licht geführt worden seien648, eine Hoffnung thematisiere, die allenfalls Würmern angemessen wäre.649 Diese drastische Beurteilung beruht auf den (in den gnostischen Denkmodellen zugrundeliegenden) Auferstehungsvorstellungen und in ihrer prinzipiellen Abwertung jeder Art von Leiblichkeit sowie insbesondere auf dem (von Celsus offenbar vorausgesetzten und bereits anhand der Konzeption Lüdemanns thematisierten) Fehlkonzept, dass es sich bei der Vorstellung der leiblichen Auferstehung um die einer Wiederbelebung des toten Leichnams gehandelt habe.650 Diese (der christlichen Verkündigung nicht entsprechende, aber von Celsus mit ihr gleichgesetzte) Vorstellung ruft in ihm große Empörung hervor, da der Leichnam eines verstorbenen Menschen (auch entsprechend der Darstellungen Heraklits) „,weniger wert [sei] als Mist‘“651 und dementsprechend kein ernstzunehmender Mensch und erst recht keine erlöste menschliche Seele tatsächlich danach streben könnte, in einen bereits verwesenden Leib zurückzukehren und derart aus den irdischen Zusammenhängen erlöst zu werden.652 Ungeachtet dieses Fehlkonzeptes betont Celsus – in Entsprechung zu den dargestellten platonisch-gnostischen Grundprämissen – allerdings auch, dass die Vorstellung einer Verwandlung der irdischen Leiblichkeit (Jesu) undenkbar sei, da eine solche als schlichtweg unvernünftig zu bezeichnen wäre653 und somit Got-

645 Dass Celsus in nachfolgend dargestellter, äußerst vehementer Weise auf die (von ihm als eine bedenkliche Provokation verstandene) christliche Lehre reagierte, scheint auch darin begründet zu liegen, dass er sie insofern als bedrohlich wahrnahm, als dass sie die Christen dazu veranlasste, sich von jenen altbewährten, herkömmlichen Konzepten und Lehren abzuwenden (vgl. Weinrich, Auferstehung, 106 u. Greshake, Untersuchungen, 185), die er selbst verfocht, was ihn negative Auswirkungen auf den Zusammenhalt innerhalb der (folglich nicht länger dieselben Werte und Hoffnungen teilenden) Gesellschaft befürchten ließ. 646 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 105. 647 Origenes, C. Cels. VII, 36, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 185. 648 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 106. 649 Vgl. Origenes, C. Cels., V. 14, zitiert nach Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 173. 650 Origines, C. Cels. V. 14, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 185. 651 Ebd. 652 Vgl. ebd. 653 Celsus begründet seine Einschätzung, dass die Vorstellung einer Verwandlung der irdischen Leiblichkeit schlicht unvernünftig sei, unter anderem damit, dass diese diverse Eigenschaften aufweise, welche „man dezenterweise nicht einmal nennen möchte“ (ebd.). Hiermit spielt er wohl auf ihre Vergänglichkeit und ihre Leidensfähigkeit sowie auf die zur Leiblichkeit gehörenden Verdauungs- und Reprodukionsvorgänge an. In diesen Ausführungen spiegeln sich erneut die erhebliche Geringschätzung und die einseitig negative Beurteilung der

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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tes Wesen grundsätzlich widersprechen würde.654 Gott zeichne sich seines Erachtens so gerade dadurch aus, dass er „die Vernunft von allem, was existiert“655, sei, weshalb es ihm unmöglich sei, widervernünftig und somit „wider sich selbst“656 zu handeln. Angesichts derartiger, hier nur exemplarisch dargestellter Schmähungen der christlichen Hoffnung auf eine leibliche Auferstehung standen die Vertreter ebendieser selbstverständlich in der Pflicht, auf die vehemente Polemik ihrer Gegner zu reagieren und ihre Überzeugungen zu verteidigen. Dies führte sie zu einer erheblichen Verstärkung der (bereits aufgrund der nachlassenden Naherwartung einsetzenden) Reflexion des Leib-Seele-Verhältnisses657, welche die Ausarbeitung einer Tradition anstieß, im Rahmen derer dem Leib eine Zentralrolle innerhalb des Heilsgeschehens als Ganzem zugesprochen wurde.658 Diese Tradition wird etwa in den Darstellungen der bekannten antignostischen Theologen Tertullian und Irenäus von Lyon sowie in den Ausführungen des Justin zugrunde gelegt, die die Vorstellung einer vermeintlichen Heilsunfähigkeit des Fleisches intensiv thematisieren, im Gegensatz zu dieser eine erhebliche Hervorhebung der sarkischen Heilsdimension postulieren659 und die (auch

menschlichen Leiblichkeit durch Celsus wider, der ganz offenkundig nicht dazu in der Lage ist, sie differenziert zu betrachten, ihr auch positive Eigenschaften zuzugestehen oder sie gar wertzuschätzen. 654 Vgl. ebd. 655 Ebd. 656 Ebd. Es liegt nahe, dass Celsus aufgrund der dargestellten Prämissen auch die (für den christlichen Glauben elementaren) Vorstellungen der Offenbarung Gottes in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte und die seiner Inkarnation vehement zurückweist, wobei er insbesondere Letztere thematisiert und eindrücklich betont, dass Gott – sofern er tatsächlich inkarniert und somit in das verachtenswerte Fleisch eingegangen wäre – alles verlieren würde, dass den Menschen dazu veranlasse, ihm Ehrfurcht entgegenzubringen und seine Hoffnung auf ihn zu richten. Weinrich weist in seiner Darstellung der Argumentation Celsi zutreffend darauf hin, dass diese und insbesondere auch die ihnen zugrundeliegende, grundsätzliche Skepsis an jene Philosophen erinnere, mit denen sich Paulus laut des siebzehnten Kapitels der Apostelgeschichte auf dem Areopag auseinandersetzte, da auch diese mit Spott auf die Verkündigung der leiblichen Auferstehung reagierten und einzig die altehrwürdige und anerkannte Vorstellung der Seelenunsterblichkeit als angemessen beurteilten (vgl. Weinrich, Auferstehung, 105 f.). 657 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 183 f. Die erhebliche Zunahme einer Reflexion über das besagte Verhältnis wird darin ersichtlich, dass nun – inmitten des zweiten Jahrhunderts nach Christus (Vgl. Weinrich, Auferstehung, 112) – erstmals Belege nachweisbar sind, in welchen die Wendung der „Auferstehung des Fleisches“ (ebd.) dezidiert hinsichtlich der Beschaffenheit der Auferstehungsleiblichkeit Verwendung findet (ebd.). 658 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 175. 659 Vgl. Greshake, Untersuchung, 190. Der explizit hervorgehobenen sarkischen Heilsdimension (vgl. ebd.) wurde auch in der Religiosität des Mittelalters eine große Relevanz zugesprochen, was in den zur damaligen Zeit verbreiteten, unzähligen Praktiken und Konzepten leiblicher Frömmigkeit ersichtlich wird (vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 182).

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Teil III: Eigene Deutung

in den ihnen nachfolgenden apologetischen Strömungen höchst relevante) These ausarbeiten, dass Gott auch das vergängliche Fleisch gerettet habe.660 Tertullian betont in Auseinandersetzung mit gnostischen und mariconitischen Strömungen661 (und unter beständigem, in vielen antignostischen Stellungnahmen zu beobachtenden Verweis auf die anthropologischen Prämissen des jüdischapokalyptischen Deutungshorizonts)662 die Unmöglichkeit einer Aufspaltung der

660 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 112. So betonte Irenäus höchst anschaulich, dass die Menschen am Weltenende „,mit Knochen, Nerven und Sehnen‘ [… sowie] mit Organen, die so selbig sind, wie die Organe, die Jesus bei seinen Wunderheilungen wiederherstellte“ (Irenäus, Adv. h. V. 9,1, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 190), auferstehen werden und dass sie auch nach ihrer Auferstehung (wie schon zu Lebzeiten) anfällig für Krankheiten seien (vgl. ebd.). Diese (den gnostischen Überlegungen radikal entgegenstehenden) Ausführungen des Irenäus sowie insbesondere seine massive Betonung der (auch von Tertullian im Sinne des jüdischen Horizonts als „notwendig in der Leiblichkeit verankert“ vorgestellten) Identität des pneumatischen Leibes mit dem irdischen Leib dienten der Intention, für gefährlich befundenen, spiritualistischen Uminterpretation der leiblichen Auferstehung zu begegnen (vgl. Weinrich, Auferstehung, 113). Sie bergen allerdings ganz offensichtlich die Gefahr, die Entstehung des von Celsus und Lüdemann geteilten Fehlkonzeptes zu begünstigen, dass es sich bei Jesu Auferstehungsleiblichkeit lediglich um seine reanimierte, irdische Leiblichkeit handelte. Darüber hinaus weisen Irenäus’ Darstellungen das von verschiedenen Apologeten geteilte Defizit auf, dass sie im Widerspruch zu der in 1 Kor 15,50 vorfindlichen Aussage stehen (vgl. Greshake, Untersuchungen, 190), dass „Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können“ (1 Kor 15,50). Dieser Umstand führte innerhalb apologetischer Darstellungen nicht selten zu seltsam anmutenden Uminterpretationen der paulinischen Ausführung, die oft nicht tragfähig und nachvollziehbar erscheinen (vgl. Greshake, Untersuchungen, 190). 661 Vgl. Greschat, „Teilweise auferstehen“, 62. 662 Vgl a.a.O., 58 u. Weinrich, Auferstehung, 113. Tertullian erläuterte ausgehend vom dargestellten jüdischen Horizont, dass der Mensch als „carnis animaeque textura“ (Athenagoras, De res. 20, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 186) zu denken sei und entsprechend nur derart – als ganzer Mensch mit all seinen Bestandteilen – auferstehen könne (vgl. ebd.). Deshalb sei die Vorstellung einer die Leiblichkeit nicht einbeziehenden Auferstehung der unsterblichen Seele, wie sie von platonischen und gnostischen Denksystemen verfochten wird, seines Erachtens nicht als Erlösung, sondern – im Gegenteil – als eine Art Strafe zu verstehen, da eine unkörperliche Seele ein erfahrungs-, geschichts- und empfindungsloser und somit lediglich halber Mensch sei (vgl. Greschat, „Teilweise auferstehen“, 69). Hierin spiegelt sich die Annahme der Verankerung der Identität des Menschen in der Dimension des Leibes wider. Anknüpfend an diese Argumentation und insbesondere an die Auffassung Tertullians, dass es Gottes nicht würdig sei, einem lediglich halben Menschen sein Heil zuteilwerden zu lassen (vgl. Tertullian, De res. 34, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 201), versucht auch Pseudo-Justin – in diesem Punkt auf gleiche Weise wie Celsus – seine Thesen anhand des von ihm vertretenen Gottesbildes zu begründen. Er betont im Gegensatz zur Annahme Celsi, dass es Gott unmöglich sei, eine leibliche Auferweckung vorzunehmen, weil ein derartiges Vorgehen einem Selbstwiderspruch gleichkäme (vgl. Origines, C. Cels. V, 14, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 185), so nun allerdings, dass die Möglichkeit der leiblichen Auferweckung als ein Erweis der göttlichen Güte und Macht zu verstehen sei. Jene Konzepte, die lediglich auf die Verbreitung der Annahme einer Erlösung der unsterblichen Seele abzielen, können die besagten Eigenschaften Gottes seines Erachtens hingegen nicht erweisen, da

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Menschen in eine erlösungsfähige, gutartige Seele und einen erlösungsunfähigen, Böses unterstützenden Körper, die auch damit zu begründen sei, dass die Bösartigkeit des Menschen nicht auf die Dimension seiner Leiblichkeit beschränkt sein und bleiben könne.663 Ferner verweist er zur Bestätigung der von ihm verfochtenen Vorstellung der leiblichen Auferstehung auf die (in antignostischen Stellungnahmen häufig angeführte) neutestamentliche Erzählung vom reichen Mann und dem armen Lazarus in Lk 16,19–31, die von einer leiblich vorgestellten Seele zeuge. Diese könne in der Erzählung im Sinne der (in der jüdischen Anthropologie angelegten) Ganzheitlichkeit und der wechselseitigen Verflochtenheit der verschiedenen Daseinsdimensionen der menschlichen Konstitution sogar in der Unterwelt mit den Sinnen wahrnehmen, Freude empfinden, aber eben auch körperlich leiden.664 In ähnlicher Weise wie Tertullian argumentiert auch Justin, der schlussfolgert, dass jene, die die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung zugunsten der Vorstellung aufgeben, dass die Seele postmortal umgehend im Himmel willkommen geheißen werde, nicht als Christen zu bezeichnen seien.665 Die, die an der Vorstellung der leiblichen Auferstehung festhalten, müssten hingegen lobend hervorgehoben werden, da sie den Erstgenannten gegenüber ein größeres Gottvertrauen aufweisen666, weil und indem sie über die geteilte Vorstellung der Erlösung der Seele hinaus zudem auch noch auf eine Auferweckung des Körpers hoffen, „da für Gott nichts unmöglich ist“.667 Diese Argumentationsfigur Justins weist das für apologetische Argumentationen charakteristische Muster der „Anknüpfung und Überbietung“668 auf, durch welches die Verfechter der eigenen Konzeption von denen der gegnerischen Positionen positiv unterschieden werden können. Ein solches Vorgehen führte jedoch zu der (die nachfolgende Entwicklung der Vorstellung der leiblichen Auferstehung bestimmenden) Konsequenz, dass die Charakterisierung der Auferstehung als leiblich zunehmend als eine additiv zur Vorstellung der Seelenunsterblichkeit hinzutretende669 und sie überbietende, ausschließlich den Leib des Menschen tangierende, zusätzliche Information und Hoffnung verstanden wird und somit nicht länger primär als ein sich aus der Konstitution des Menschen ergebender, konstitutiver Aspekt der Auferstehung wahrgenommen wird.670 Gott hier letztlich nur jenes errette, das „ohnehin von Natur aus schon gerettet wird“ (PsJustin 8, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 187). 663 Vgl. Greschat, „Teilweise auferstehen“, 62. 664 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 197. 665 Vgl. Justin, Dial. 80,9 ff., zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 196. 666 Vgl. Justin, Apol. I, 18, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 187. 667 Greshake, Untersuchungen, 187. 668 Ebd. 669 Die Vorstellung einer additiven Zusammensetzung zweier Komponenten des thematisierten Heilsgeschehens beschreibt Greshake anhand der Formel „immortalitas (resp. Resurrectio) animae + resurrectio carnis“ (a.a.O., 201 f.). 670 Vgl. a.a.O., 187.

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Teil III: Eigene Deutung

Die Auseinandersetzung des (frühen) Christentums mit platonischen und gnostischen Denkfiguren führte allerdings nicht in jedem Fall zu Abwehrreaktionen und zu vehementem Widerspruch, sondern – in ähnlicher Weise wie bereits in Bezug auf die Einflussnahme gnostischer Vorstellungen auf jüdische Denkmodelle und Schrifterzeugnisse dargestellt – auch zu Anknüpfungs-, Adaptionsund Anpassungssprozessen671, die im Folgenden ebenfalls anhand einiger Beispiele skizziert seien. Wenngleich jene Annäherungen von christlichen und platonischen oder sogar gnostischen Denklinien, die nicht durch Abgrenzung und gegenseitige Herabwürdigungen, sondern durch Adaption, Anknüpfung und wechselseitige Bereicherung geprägt waren, sich als äußerst vielfältig erwiesen, lassen sie doch einige signifikante Charakteristika erkennen. Ins Auge fallen so insbesondere die in den meisten Verknüpfungen der beiden Denkrichtungen vorfindlichen, spiritualistischen Umdeutungen der kirchlichen und/oder biblischen Rede von der leiblichen Auferstehung.672 Gnostische Systeme nähern sich den christlichen Konzeptionen von der leiblichen Auferstehung so etwa an, indem sie die Bezeichnung der leiblichen Auferstehung mit dem Verständnis eines „permanente[n] ,Erlösungs- und Aufstiegsgeschehen[s]‘“673 verknüpfen, das der charakteristischen gnostischen Vorstellung entsprechend dort anbreche, wo der Mensch sich von der als negativ und schadsam beurteilten Welt distanziere.674 Der σα ρξ-Begriff wurde dabei nicht selten im Sinne der paulinischen Interpretation des Fleisches als Inbegriff der von Tod und Sünde geprägten Sphäre des Irdischen adaptiert, sodass mit der Wendung der fleischlichen Auferstehung der für gnostische Systeme höchst anknüpfungsfähige Gedanke der Erlösung der Menschen aus ihrer „sündig-irdischen Verfasstheit“675 bezeichnet wurde. Einige gnostische Systeme adaptierten den σα ρξ- Begriff hingegen, indem sie ihn zur Bezeichnung einer „subtile[n] geistige[n] Materie“676 heranzogen, mit welcher Gott die Menschen nach ihrem Dahinscheiden bekleide, ehe er sie im Rahmen ihrer derart verstandenen fleischlichen Auferstehung zurück in den Himmel geleite.677 Dies zeugt von der Bestrebung, gnostische Erlösungsvorstellungen im Sinne einer Art Heimkehr des Menschen in den Himmel mit den Konzepten des Christentums zu verknüpfen, die eine Berücksichtigung der Dimension der Leiblichkeit voraussetzten. 671

Vgl. a.a.O., 184. Vgl. a.a.O., 188. 673 Ebd. 674 Vgl. ebd. Eine Distanzierung der Menschen von der negativ beurteilten Welt wurde – wie Greshake darstellt – nicht länger ausschließlich im Zeitpunkt des Todes verortet, sondern bereits im Taufgeschehen und in Momenten des (hier durch den Verfasser leider nicht näher eingegrenzten) Erkenntnisgewinns (vgl. ebd.). Dies zeugt von einer Verlagerung der Erlösung – oder doch zumindest ihres Beginns – ins Diesseits und somit von einer (wenn auch nur anfänglichen und geringen) Wertschätzung desselben durch gnostische Systeme. 675 A.a.O., 189. 676 Ebd. 677 Vgl. ebd. 672

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Christliche Annäherungsversuche an gnostische Denkmodelle und Erlösungsvorstellungen erfolgten hingegen nicht selten unter Zuhilfenahme der (bereits von Tertullian in den Diskurs eingebrachten, aber gemeinhin nicht unmittelbar aufgegriffenen) Vermittlungsfigur der leiblichen Seele, die sich auch in den Ausführungen von Origenes und Klemens findet.678 Origenes scheint – ähnlich wie Gregor von Nyssa – vorauszusetzen, dass die leibliche Dimension der Auferstehung für die christliche Auferstehungshoffnung nicht zentral sei679, da sie nicht – wie oft angenommen und auch in diesem Buch problematisiert – die Identität des pneumatischen Leibes mit der irdischen, postmortalen Leiblichkeit680 durch ihre materiale Identität gewährleiste681, sondern die menschliche Gestalt (ειËδος) bereits in seiner (über den eigenen Tod hinaus fortbestehenden) Seele verankert sei, die im Rahmen der Auferstehung durch eine unverwesliche Materie vollbefüllt werde.682 Die Seele als die Vermittlungsfigur der menschlichen Identität und der Differenz der beiden Leiblichkeiten683 wird dabei als eine Art „Lebensprinzip dieses und nur dieses bestimmten Leibes“684 verstanden, in dem der von Origenes als eine Art Schema des je eigenen Leibes bezeichnete, innerhalb der Seele verankerte „Bauplan“ vorfindlich sei, anhand dessen die neue Leiblichkeit nun aus anderen Komponenten wiederhergestellt werden könne.685 Diese Wiederherstellung versteht Origenes als einen progressiven, mehrschrittigen und aufwärtsführenden Reifungsprozess, welches er ebenfalls anhand der lukanischen Erzählung um den reichen Mann und den armen Lazarus erläutert.686 Diese zeuge davon, dass die Seele, nachdem sie von der irdischen Leiblichkeit postmortal getrennt wurde, auch bis zu ihrer endzeitlichen Auferstehung eines Leibes bedürfe.687 Dementsprechend bleibe sie in einem ihrer irdischen Leiblichkeit ähnelnden ειËδος verwahrt und verfüge somit auch postmortal über einen Leib, wenngleich es sich bei diesem noch nicht um den pneumatischen Leib handele.688 Ähnliche Vorstellungen finden sich auch bei Klemens, der ebenfalls von einer etappenweise voranschreitenden Entwicklung des Verhältnisses von Leib und Seele ausgeht.689 Diese sei derart gestaltet, dass die Seele nach dem Tod und durch ihre im Reinigungsfeuer sattfindende, finale Neubildung alles ablege, was sarkisch-entfremdet sei, wobei sie aber dennoch somatisch bleibe, da ihr innerhalb 678

Vgl. a.a.O., 202. Vgl. Weinrich, Auferstehung, 114. 680 Vgl. Greshake Untersuchungen, 205. 681 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 620. 682 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 114. 683 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 204. 684 Pannenberg, Systematische Theologie III, 620. 685 Vgl. a.a.O., 620 f. 686 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 206. 687 Vgl. a.a.O., 204 f. 688 Vgl. a.a.O., 206. 689 Vgl. ebd. 679

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Teil III: Eigene Deutung

dieses Prozesses eine höhere, neuartige Form der Leiblichkeit zuteilwerde, wodurch sie selbst in das vollkommene, pneumatische „σωÄ μα der göttlichen δυ ναμις“690 verwandelt werde. Die Konzeption des Klemens beinhaltet somit keine Unterscheidung der Seele von der neuen Leiblichkeit mehr, da diese beiden Komponenten des Auferstehungsdaseins innerhalb des verklärten Subjektes seines Erachtens zur Identität verschmelzen würden.691 Um ein drittes Beispiel zu nennen, sei auf die Darstellungen Augustins im Rahmen seiner Abgrenzung gegen leibesfeindlich-manichäische Positionen verwiesen692, welche sowohl einen erkennbaren Leib-Seele-Dualismus als auch Überbleibsel manichäischer Konzepte und neuplatonischer Einflüsse aufweisen.693 Augustin geht grundsätzlich davon aus, dass der Mensch (in Entsprechung zu den Prämissen der jüdischen Anthropologie) als ganzheitliche Einheit von Leib und einer leiblosen, ausschließlich geistigen und der Leiblichkeit gegenüberstehenden Seele zu verstehen sei694, die jedoch im Sinne platonischer Vorstellungen derart gestaltet sei, dass die Seele zu Lebzeiten als Benutzerin oder auch als eine Art Lenkerin des Leibes fungiere, mit welchem sie auf eine mysteriöse Weise eng verbunden sei. Da die Seele allerdings nur im Zusammenspiel mit dem Leib „die eine natura humana“695 konstituiere und ferner von Natur aus ein Bedürfnis danach aufweise, ihm zu dienen, werde sie nach ihrer (durch den Tod vollzogenen) Trennung vom Leib durch eben dieses Bedürfnis verlangsamt, um zu verhindern, dass sie „mit voller Kraft in jenen höchsten Himmel strebt“696, während sie über keinen Körper verfügt, durch den sie ihre Bedürfnisse befriedigen könnte.697 Diese wiederum kommen logischerweise jedoch erst nach der leiblichen Auferstehung zum Erliegen.698 Mit dem Ausdruck Auferstehung bezeichnet Augustin entsprechend – im Sinne der ihm vorausgehenden theologischen Entwicklungen – eine „erneute Rückgabe des Leibes an die Seele“699, welchen sie zu ihrer Erfüllung und Vervollkommnung benötige. Er charakterisiert die Auferstehungsleiblichkeit zudem eingehender, indem er – hier in deutlichem

690

A.a.O., 203, unter Zitation von Schmöhle, Läuterung nach dem Tode, 135. Vgl. ebd. Bei Interesse an den Konzeptionen Origenes’ und Klemens’ sei auf die Darstellungen Greshakes verwiesen (vgl. Greshake, Untersuchungen, hier insbes. 202–208), der die Ausführungen der beiden Theologen eingehender reflektiert und vergleicht. Hieran schließt sich eine Zusammenschau einiger relevanter Kritikpunkte an. Zu diesen zählt unter anderem die Anschuldigung, dass Origenes sich nicht deutlich genug zur leiblichen Auferstehung bekenne und unbedacht mit der dem σωÄ μα-Begriff innewohnenden Mehrdeutigkeit spiele (vgl. a.a.O., 208). 692 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 115. 693 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 211 f. 694 Vgl. ebd. u. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 174. 695 Greshake, Untersuchungen, 212. 696 Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 174. 697 Vgl. ebd. unter Zitation ihres Genesiskommentars (XII, 35). 698 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 212. 699 A.a.O., 213. 691

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Unterschied zu den dargestellten Positionen – darauf verweist, dass eine absolute Identität des irdischen Leibes und der Auferstehungsleiblichkeit vorliege, da Ersterer in seiner verklärten Form in einer absoluten und nahezu physizistischen Identität auferstehe und somit sogar jene körperlichen Merkmale und Proportionen aufweise, die als Keime bereits in seinem Samen angelegt seien.700 Entgegen der veranschaulichten, durchaus wahrnehmbaren Annäherungsprozesse des frühchristlichen Glaubens an platonisch-gnostische Systeme ist mit Blick auf die weitere Entwicklung des Diskurses (insbesondere innerhalb der ersten Jahrhunderte nach den Auferstehungsereignissen701) im deutlichen Kontrast zur mangelnden Thematisierung dieser menschlichen Daseinsdimension innerhalb platonischer und/oder gnostischer Konzepte seitens der kirchlichen Theologie jedoch eine Tendenz hin zu einer nahezu obsessiven Hervorhebung der σα ρξ als dem eigentlichen Gegenstand der Auferstehung im Sinne des jüdischapokalyptischen Horizonts zu erkennen.702 Diese führte zur Entstehung verschiedener Schriften, die die sarkischen Dimensionen des Heils und der Auferweckung hervorheben703, wobei der Begriff der σα ρξ – wie angesprochen – ursprünglich zur allgemeinen Thematisierung der gesamten Schöpfung und – im Besonderen – zur Thematisierung der Menschheit als eine Einheit sowie zur Reflexion ihrer notwendig-geschöpflichen Hinfälligkeit und ihrer Begrenzungen herangezogen wurde.704 Der Begriff fand ferner zunehmend als „Gegenbegriff zur

700 Vgl. ebd. Augustin konkretisiert diese Vorstellung sogar mit Verweis darauf, dass sämtliche Organe des Körpers seines Erachtens in der Auferstehungsleiblichkeit zu finden sein würden, was jedoch nicht darin begründet liege, dass sie noch benötigt werden würden, sondern einzig dazu diene, eine Wiederherstellung des menschlichen Leibes im Sinne der ihm zuvor innewohnenden, ursprünglichen Schönheit vorzunehmen (vgl. ebd.). Diese Ausführungen zeugen von einer großen Wertschätzung der menschlichen Leiblichkeit als Schöpfung Gottes, was ihrer massiven Abwertung im Rahmen leibfeindlicher Positionen entgegensteht. Im Rahmen seiner Ausführungen thematisiert Augustin neben der Wiederherstellung sämtlicher Organe außerdem eine „,Auferstehung der Seele‘“ (a.a.O., 213 f.), wodurch er eine Erweiterung des christlichen Sprachgebrauchs vornimmt. Dieser enthielt zuvor keine derartigen Wendungen, da davon ausgegangen worde, dass man gnostischen Modellen mit ihnen zu stark entgegenkommen würde. Augustin legitimiert ihren Gebrauch nun mit Verweis auf die Darstellungen in Eph 5,14, Kol 3,1 und Röm 6,4 – und somit mit Belegen, die seines Erachtens auf einen „,Fall‘ der Seele“ (ebd.) verweisen, welcher die Thematisierung „einer ,resurrectio animae‘“ (a.a.O., 214) notwendig mache. Bei weiterem Interesse an den Vorstellungen Augustins sei auf Greshakes Darstellungen in Untersuchungen, 214 f. verwiesen, wo unter anderem erläutert wird, dass und inwiefern die skizzierte „Rückgabe und Verklärung des Leibes“ (ebd.) an die Seele auch ein kommuniales Ziel beschreibe, das darin bestehe, „eins in Christus zu werden und mit ihm zusammen den einen Leib Christi zu bilden“ (a.a.O., 215). 701 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 174. 702 Vgl. ebd. u. Greshake, Untersuchungen, 215. 703 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 178. 704 Vgl. a.a.O., 215.

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Teil III: Eigene Deutung

Seele“705 Verwendung und wurde mitunter sogar im Sinne eines bibelfern-physizistischen Fleischesbegriffs genutzt.706 Durch die Hervorhebung der sarkischen Dimension der Heilsereignisse wurde die Auferstehungsbotschaft zunehmend als ein großes, der gnostischen Abwertung der Leiblichkeit kontrastiv entgegenstehendes, „,praeconium carnis‘“707 wahrgenommen, das nicht nur zur Entstehung einer neuartigen Anthropologie, sondern auch zur Entstehung einer (das ethische Handeln beeinflussenden)708 gänzlich veränderten Wahrnehmung der gesamten Wirklichkeit führte, im Zuge derer der Wirklichkeitsbereich des Leiblichen sowie „die sichtbar-materielle Welt“709 als solche deutlich positiver beurteilt und betrachtet wurden.710 Wenden wir uns nun der weiteren Entwicklung der Beschäftigung mit der leiblichen Dimension der Auferstehung zu, sei anstelle einer detaillierten Darstellung der Weiterentwicklung des Wechselverhältnisses zwischen den an der jüdischen Anthropologie orientierten Vorstellungen, den Denkmodellen, die auf platonisch-gnostischen Erwägungen beruhen, und ihren diversen Mischformen zunächst darauf verwiesen, dass ebendieses Verhältnis auch in den kommenden Jahrhunderten ein diskursbestimmender Rahmen blieb, in dem sich die neu entstehenden (oder alte Ideen aufgreifenden) Konzeptionen bewegten. In deutlichem Gegensatz zu der dargestellten, sich zur Zeit der ersten Verschriftlichungen und Verbreitungen der Auferstehungsbotschaft sowie in den anschließenden Jahrhunderten herauskristallisierenden Tendenz, die Leiblichkeit

705 Ebd. Durch die Verwendung des σα ρξ-Begriffs als „Gegenbegriff der Seele“ (a.a.O., 216) entstand ironischerweise eine neue Form des Dualismus innerhalb der Eschatologie, die sich nun – im Gegensatz zu der jüdischen Vorstellung, dass der Mensch als Ganzer die endgültige und absolute Vollendung der Schöpfung (und somit auch Israels und der Menschheit) in einer Art vorläufigem, lebensgeminderten Vollendungszustand erwarte – durch eine gewisse Doppelpoligkeit auszeichnete. Diese ergab sich daraus, dass ein Nacheinander der „Vollendung der (unsterblichen) Seele“ (ebd.) und der Rückgabe der (nun verklärten) Leiblichkeit vorausgesetzt wurde, welches wiederum weitere konzeptionelle systematisch-theologische Folgeüberlegungen notwendig machte, die zur Entstehung des Konzeptes einer neuen Zwischenzustandslehre samt der Konzeption eines Wartezustandes und eines „vorläufigen Vollendungsstand[es] der Seele“ (ebd.) innerhalb der christlichen Eschatologie führten. 706 Vgl. a.a.O., 208. 707 A.a.O., 215 f. praeconium carnis = von Greshake übersetzt mit „Preislied auf das Fleisch“ (ebd.). 708 Vgl. ebd. Die veränderte Beurteilung der Dimension der Leiblichkeit beeinflusste das ethische Verhalten insofern, als dass mit ihr einhergehend mitunter die Meinung vertreten wurde, dass der Leib durch einen sittlichen und reinen diesseitigen Lebenswandel „heilig gehalten“ werden müsste, da das Heil des Menschen in seinem Fleisch „gewirkt ist und gewirkt wird“ (a.a.O., 178). Entsprechend sei es der menschliche Leib, welcher (entgegen der vergleichgültigenden libertinistischen Aussage „Dieses Fleisch wird nicht gerichtet und steht nicht auf“ [II Clem 10,5, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 178]) (zum Gericht) auferstehen werde (vgl. Greshake, Untersuchungen, 178). 709 A.a.O., 215 f. 710 Vgl. ebd.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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der Auferstehung positiv hervorzuheben, ist seit der Mitte des 14. Jahrhunderts nach Christus ein Trend zur Hervorhebung der Unsterblichkeit der Seele sowie zur Marginalisierung der Vorstellung einer leiblichen Auferstehung zu erkennen, der sich zunehmend stabilisierte711 und der auch gegenwärtig präsent ist. Begünstigt wurde diese Entwicklung unter anderem durch die Wiederentdeckung und -aufnahme gnostisch-philosophischer Vorstellungen in der Epoche der Renaissance, welche zu einer Vernachlässigung des Konzepts der leiblichen Auferstehung zugunsten einer erneuten, positiven Hervorhebung und einer verbreiteten Rezeption der platonischen Vorstellung einer postmortalen „Seligkeit (oder Verdammnis) der Seele“712 führte. Diese Vorstellung wurde allerdings in dem Sinne umakzentuiert, als dass die Seele nicht länger – wie von Platon – als höhere Substanz verstanden wurde713, sondern vielmehr als „das wahre Subjekt, ,das in sich selbst steht‘“.714 Eine weitere Verstärkung dieser Tendenz erfolgte während der Aufklärung im 18. und 19 Jahrhundert, in der die Vorstellung der Unsterblichkeit der Seele, welche die Eschatologie der aufklärerischen Religiosität zu dominieren begann715, insbesondere in der philosophischen Auseinandersetzung noch dezidier711 Vgl. a.a.O., 244. Selbstverständlich existierten und existieren (trotz der zunehmenden Stabilisierung dieses Trends) nach wie vor Stellungnahmen, die für eine leibliche Auferstehung im Sinne des jüdisch-apokalyptischen Horizonts votieren, was anhand der Ansätze von Campenhausens und Pannenbergs ersichtlich wurde. Greshake verweist in diesem Zusammenhang ferner auf den Ansatz Martin Luthers, welchen er als eine Art Unterbrechung der sich (insbesondere neuzeitlich) stetig stabilisierenden Betonung der Unsterblichkeit der Seele bezeichnet. Diese Zuschreibung erwächst aus dem Umstand, dass Luther zwar die Vorstellung einer Unsterblichkeit der Seele teile (vgl. ebd.), welche die „Vernichtung des Körpers“ (Aus Luthers letzter Promotionsdisputation vom Juli 1545, WA 39, II, 400 f., zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 244) als eine Art unsterblicher Geist überlebe, aber er nichtsdestotrotz in deutlicher Abgrenzung zu gnostischen Vorstellungen hervorhebe, dass der Mensch über diese Unsterblichkeit keineswegs aus sich selbst verfüge oder dass er sie gar hervorzubringen vermöge, sondern dass sie ihm per accidens allein aufgrund der göttlichen Güte zuteilwerde. Luther thematisiere die Dimension der Leiblichkeit zudem explizit, indem er darauf hinweise, dass die Seele zwar als jener „Teil der menschlichen Natur“ (ebd.), in welchen Gott sein Bild legte, gerade nicht sterblich sei, sondern auch dann noch lebe, wenn der Körper bereits seinen Tod erfuhr, aber sie nach einer gewissen Zwischenzeit, in welcher der Körper schlafe, einen Leib erhalten werde, welcher „aus der gleichen Materie“ (ebd.) wie der irdische Leib geformt werde und seine eigene Unsterblichkeit im Rahmen des Jüngsten Gerichts erhalte (vgl. ebd.). 712 Greshake, Untersuchungen, 240. 713 Vgl. ebd. 714 Vgl. Caramella, L’anima nell’ Umanesimo e nel Rinascimento, 138, übersetzt und zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 240. 715 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 242. Insbesondere die zunehmende Distanzierung von Konzepten einer leiblichen Auferstehung scheint mit der Verbreitung der neuzeitlichen Rationalität und mit den in ihr zugrunde gelegten Historizitäts- und Realitätsvorstellungen zusammenzuhängen (vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320), da diese die Vorstellung nahelegen, dass eine solche Auferstehung nur als unmöglich beurteilt werden könne und dass ihre neutestamentliche Bezeugung entsprechend umzudeuten sei. Verwiesen sei etwa

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ter als bisher auf das Individuum bezogen wurde716 und bald als eine Art philosophische Wahrheit verstanden wurde.717 Das Konzept der Auferstehung des Fleisches rückte hingegen zunehmend in den Hintergrund und wurde nicht selten als eine zu vernachlässigende, „theologische ,übernatürliche‘ Glaubenswahrheit“718 wahrgenommen. Die Seele wird hier meist als vom Leib vollends unabhängig imaginiert719 und der Materie radikal entgegengesetzt, was das Zusammendenken beider Aspekte innerhalb philosophischer Erkenntnisbemühungen, die auf die Gesamtkonstitution des Menschen abzielten, erheblich erschwerte720 und sich selbstredend auch in den damals geläufigen Erlösungsvorstellungen widerspiegelte, die insbesondere in der Philosophie meist auf die Vorstellung einer Seelen- oder Geistesvollendung abzielten.721 Als Beispiel für eine derartige Vorstellung können die Ausführungen Kants angeführt werden, der in einer Weise, die an die Argumentationslinien des Celsus und an dessen Abwertung des Leibes erinnert und die auf ebendessen Fehlkonzepten zu beruhen scheint, hinterfragt, aus welchem Grund „unser kalterdigter Leib“722 in den Himmel eintreten sollte. Er verweist ferner darauf, dass das postmortale Ergehen oder gar Auferstehen der irdischen Leiblichkeit letztlich nur auf Gleichgültigkeit stoßen könne und dürfe723, da und zumal höchst fraglich sei, wer seinen Leib derart wertschätzten sollte, „dass er ihn gern in Ewigkeit mit sich schleppen möchte, wenn er seiner entübrigt sein kann?“724 Dass diese Gedanken, die auch in der „nachkantischen-idealistischen Philosophie“725 vertreten wurden, in erheblicher Weise auf den theologischen Diskurs

auf die bereits dargestellte und problematisierte Deutung des leeren Grabes als Zeichen der/für die Auferstehung. 716 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 242. 717 Vgl. a.a.O., 296. 718 Ebd. 719 Vgl. ebd. 720 Vgl. a.a.O., 240. Die Probleme, die mit der radikalen Gegenüberstellung der Kategorien des Leibes und der Seele beziehungsweise des Geistes in Bezug auf philosophische, auf die Gesamtkonstitution des Menschen abzielende Erkenntnisbemühungen einhergehen, zeigt Greshake anhand der Ausführungen Descartes, der in seinen Darstellungen der menschlichen Konstitution eine radikale Unterscheidung der „Seele als ,res cogitans‘“ (ebd.) von dem „Leib als ,res extensa‘“ (ebd.) vornimmt. Dies führe in Verbindung mit dem cartesianischen argumentativen Ausgehen vom Menschen als einem denkendem Geistsubjekt – ganz im Gegensatz zu der (Decartes von Greshake unterstellten) Intention, die Einheit des menschlichen Leibes und der Seele hervorzuheben – zu einer Verhinderung des Erfassens ebendieser (in ihrer Gleichursprünglichkeit) (vgl. a.a.O., 240 f.). 721 Vgl. a.a.O., 241 f. 722 Winter, Seele als Problem, 158, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 242. 723 Weinrich, Auferstehung, 108. 724 Kant, Der Streit der Fakultäten, 305, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 242. 725 Greshake, Untersuchungen, 242. In den Denkmodellen der besagten „nachkantischidealistischen Philosophie“ (ebd.) wurde die Seele nun als ein Ausdruck dessen verstanden,

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einwirkten und dass die skizzierte Einwirkung wiederum bis in den heutigen Diskurs nachhallt, sei am Beispiel der Ausführungen Ernst Troeltschs gezeigt. Dessen Leiblichkeitsvorstellungen prägten den besagten Diskurs – ähnlich wie seine Historizitäts- und Realitätsaxiome – signifikant und tun dies – seien sie im Einzelnen auch strittig oder sogar überholt – auch gegenwärtig noch, da sie fest in den Konzepten der (nicht selten unreflektiert vorausgesetzten) neuzeitlich-rationalistischen Rationalität verankert sind, die die Weltwahrnehmungen und -deutungen vieler Menschen prägt.726 In sachlicher Übereinstimmung zu seinen Axiomen distanziert sich Troeltsch auch hier ausdrücklich von einer Auferstehung des Fleisches und erläutert stattdessen, dass die Endvollendung des Menschen ausschließlich als eine „endgültige Vereinigung mit Gott“727 verstanden werden könne, die im Diesseits bereits angebahnt werde, aber ihre Finalisierung erst im postmortalen Leben erfahre. In einer Weise, die stark an die Grundprämissen der platonischen und gnostischen Denkmodelle erinnert, führt Troeltsch diese Anbahnung der besagten Vereinigung weiter aus, indem er darauf verweist, dass innerhalb des sittlich-religiösen Prozesses eine zunehmende Loslösung des menschlichen Geistes von der Naturbedingtheit erfolge. Der Geist wachse hier nun zunehmend „in das göttliche Geistesleben der Vernunft hinein“728, bis er vollständig von der Natur abgelöst sei und sich im Zuge dessen gänzlich mit Gott vereine, wodurch die Erlösung des Menschen vollendet werde.729 Troeltsch versteht diese somit – ebenfalls in deutlicher Entsprechung zu den platonisch-gnostischen Konzepten – als „endgültige Rückkehr des gereinigten und geheiligten kreatürlichen Wesens in die Gott-

dass die ewige menschliche Bestimmung darin bestehe, „Bürger im Reich Gottes zu sein“ (ebd.). Die Vorstellung der leiblichen Auferstehung galt hingegen höchstens als jene bildlichmythologische Darbietungsform dieser Bestimmung (vgl. ebd.), für die sie auch in gegenwärtigen Deutungen nicht selten gehalten wird. 726 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. Über die genannten Aspekte hinaus eignet sich eine Darstellung der Ausführungen Troeltschs auch deshalb zum Abschluss dieses Exkurses, da die Tendenz der fortschreitenden Ablösung von der vehementen altkirchlichen Verteidigung der leiblichen Dimension der Auferstehung hin zu der Verbreitung der gegensätzlichen Vorstellung eines vergeistigten Leibes (und einer gleichzeitigen Annullierung der irdischen Leiblichkeit) (vgl. Weinrich, Auferstehung, 117) in der troeltschen Auferstehungsdeutung ebenso ihr vorläufiges Ende fand, wie die parallel zu beobachtende, zunehmende Orientierung der Theologie am neuzeitlich-rationalistischen menschlichen Selbstverständnis (vgl. ebd.). 727 Troeltsch, Glaubenslehre, 381 f., zitiert nach Weinrich, Auferstehung, 117. 728 Ebd. 729 Vgl. ebd. Troeltsch konkretisiert seine Vorstellung, indem er darauf verweist, dass Rückfragen nach einem konkreten „Wie der Vollendung“ (ebd., zitiert nach Weinrich, Auferstehung, 117 f.) lediglich insofern beantwortet werden können, als dass in ihr nichts räumlich oder irdisch-zeitlich Beschränktes mehr vorfindlich sei (vgl. ebd.). Dass auch diese Auffassung unserer neutestamentlichen Vorstellung einer Vollendung des Menschen durch ein Wirken Gottes an seinem zeitlich und räumlich beschränkten Leib somit in nicht zu vereinbarender Weise entgegensteht, dürfte augenfällig sein.

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Teil III: Eigene Deutung

heit“.730 Er greift somit ganz uneingeschränkt und selbstbewusst ausgerechnet jene Vorstellung auf, die ein großer Teil der vorneuzeitlichen Theologie grundlegend und in aller Bestimmtheit ablehnte. In seinen Ausführungen nimmt er dabei allerdings eine Ersetzung der Seele durch den Geist vor, welcher eine kreatürliche Gestalt aufweise, die nun aus der (augenfällig als einschränkend bewerteten) Naturhaftigkeit befreit werde, wodurch sie mit Gott letztlich verschmelze.731 Ferner verzichtet er (in Übereinstimmung mit noch heute innerhalb der [auch nicht christlich sozialisierten oder hinsichtlich des christlichen Glaubens nur wenig informierten] Bevölkerung weit verbreiteten Tendenzen) auf eine Bezeugung der leiblichen Auferstehung und spricht stattdessen allgemeiner von einer „Vereinigung mit Gott“732, die mit keiner konkreten Auferstehungsvorstellung verbunden sei oder seien müsse.733 Die nur schlaglichtartig skizzierte Entwicklung verbreiteter Tendenzen in der Diskussion um die Frage nach der leiblichen Dimension der Auferstehungswirklichkeit fand so in den Darstellungen Troeltschs ein vorläufiges Ende, das sich dadurch auszeichnet, dass jene (dem urchristlichen Horizont diametral entgegenstehende) platonisch-gnostische Position, die bereits in der Antike für vernünftiger gehalten wurde, nun auch von Theologen wie Troeltsch als angemessen anerkannt wird und daher fortan nicht nur für ebendieses – für vernünftig – sondern auch und sogar für christlich gehalten wird.734 Diese Tendenz zeigt, dass es trotz aller Weiterentwicklungen, Reflexionen und Auseinandersetzungen (mit) der Auferstehungswirklichkeit innerhalb der vergangenen Jahrhunderte, die auch nach Troeltsch intensiv weitergeführt wurden, im Grunde doch immer und noch immer die bereits von den ersten Christen gestellten Fragen nach der Integration einer leiblichen Dimension in die Konstruktion der Auferstehungswirklichkeit sowie nach dem zu dieser Konstruktion heranzuziehenden Deutungshorizont sind, die jede Auferstehungsdeutung massiv beeinflussen und die daher nicht unreflektiert als unerheblich und überholt bezeichnet werden können. Folglich verbieten sich eine nicht minder unreflektierte Übernahme der in der je eigenen Zeit verbreiteten, zur Beurteilung der Auferstehung herangezogenen Horizonte oder gar die Annahme, dass diese aus einer irreversiblen geschichtlichen Entwicklung heraus entstanden wären, welche die zuvor genutzten Horizonte überholte und sie als untauglich erwiesen hätte. Es dürfte vielmehr deutlich geworden sein, dass die zu einer bestimmten Zeit vorherrschende Verwendung

730

Troeltsch, Glaubenslehre, 381 f., zitiert nach Weinrich, Auferstehung, 118. Vgl. Weinrich, Auferstehung, 118. 732 Ebd. Neben der angesprochenen Vereinigung mit Gott wäre an den (von vielen Menschen unterschiedlicher Religionen geteilten) Glauben an eine abstrakte Vereinigung des Menschen mit einer nicht näher konkretisierten höheren Macht, einem göttlichen Prinzip oder dem Universum als universalem Ordnungssystem zu denken. 733 Vgl. ebd. 734 Vgl. ebd. 731

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

385

eines Deutungshorizonts, der an diesem oder jenem Ende des Spektrums von jüdisch-apokalyptischen und platonisch-gnostischen Vorstellungen zu verorten ist, meist von zeitgeschichtlichen Hintergründen, jederzeit veränderbaren und sich wellenförmig mal in die eine mal in die andere Richtung orientierenden Trends innerhalb der Gesellschaft, Politik und Philosophie sowie von den Auswahlentscheidungen relevanter Diskursteilnehmer abhängig ist, ohne dass man zuvor verwendete Horizonte erst einmal als untauglich, überholt oder unangemessen verworfen haben musste. Sowohl eine Anpassung an den und eine Übernahme des geläufigen Deutungshorizontes als auch eine Herabwürdigung der zuvor genutzten Horizonte sind somit alles andere als zwingend, da es sich bei den je geläufigen Konventionen, denen sie möglicherweise widersprechen, in letzter Konsequenz um nicht mehr als um verbreitete Positionierungen innerhalb eines Spektrums handelt, die immer wieder zu hinterfragen sind. Entsprechend ist auch die Frage, ob und inwiefern dieser oder jener Horizont – zumal wenn es sich um den Deutungshorizont handelt, den die neutestamentliche Bezeugung uns nahelegt – für unser Verständnis der Auferstehung anknüpfungsfähig sein kann (gerade auch angesichts der gezeigten Möglichkeit der Neuperspektivierung, Adaption oder Revitalisierung von Deutungshorizonten) keineswegs als abwegig, sondern vielmehr als aussichtsreich zu bewerten, sofern man keine Horizonte pauschal ausschließt.735 Die unternommene Rückfrage sollte daher jeder redlichen Auseinandersetzung mit dem thematisierten Gegenstand anstelle einer fehlenden Reflexion der eigenen Deutungshorizonte und/oder der pauschalen Übernahme gegenwärtiger Konventionen vorausgehen. Ein solcher Versuch der Beurteilung der Tragfähigkeit, Plausibilität und Verständlichkeit des untersuchten Deutungshorizontes sowie des sich aus ihm ergebenden Deutungsangebotes erfolgt im anschließenden Teilkapitel. Dabei ist ein besonderes Augenmerk auf die Frage zu legen, ob und inwiefern er und die durch ihn nahegelegten, freilich fremdartig anmutenden Vorstellungen entgegen der verbreiteten Kritik überhaupt Anknüpfungspunkte für den modernen Menschen bieten können.

735 Die gegenteilige Annahme, dass eine Repristinierung des Deutungshorizonts etwa aufgrund seiner Fremdartigkeit oder seiner mangelnden Übereinstimmung mit den Prämissen der neuzeitlichen Rationalität notwendig scheitern müsse (vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320), verbietet sich vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlich relativ weit verbreiteten Orientierung an der (im platonisch-gnostischen Vorstellungssystem grundgelegten) Annahme der Erlösung einer unsterblichen Seele, für die – ausgehend von den Prämissen der besagten Rationalität – genauso wenig spricht wie für die Annahme eines Handelns Gottes am Leichnam eines Verstorbenen. Beide Vorstellungen sind ausgehend von ihr in gleicher Weise als unmöglich zu beurteilen.

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d) Reflexion der neutestamentlichen Begründung des leeren Zustands des Grabes Nachdem die neutestamentliche Begründung der Leere des geöffnet vorgefundenen Grabes Jesu dargestellt und die Fragen nach der Plausibilität und Verständlichkeit ebendieser legitimiert wurden, sei im Folgenden der Versuch ihrer Reflexion unternommen. Zu diesem Zweck wird zunächst auf logisch-analytischer Ebene reflektiert, was für eine Orientierung am besagten Deutungsangebot spricht und woran seine Plausibilität zu ermessen ist, woraufhin seine Untersuchung im Gesamtzusammenhang verschiedener systematisch-theologischer Grundgedanken sowie angesichts der existentiellen Glaubensbedeutung, die es aufweist, vorgenommen wird. e) Das leere Grab aus der logisch-analytischen Perspektive „Eine einzige erfahrene Wirklichkeit ist reicher als tausend erträumte Möglichkeiten.“736

Bereits zu Beginn sei hier – ganz auf der Linie der kritischen Auseinandersetzungen mit dem jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont – unterstrichen, dass jede kritische Reflexion dieses Horizonts und der in ihm verankerten Prämissen – ebenso wie die kritische Reflexion anderer Denkmodelle, die zur Interpretation biblischer Darstellungen und theologischer Fragestellungen herangezogen werden – unterstützenswert ist. Unreflektierte Übernahmen von Verstehensmodellen sind hingegen abzulehnen, was insbesondere dann gilt, wenn sie mit der eigenen Welterfahrung unvereinbar sind und/oder wenn ihre stets gegebenen Prägungen durch die zeitgeschichtliche Situation, aus der sie erwuchsen, unberücksichtigt bleiben, da ein solches Vorgehen einen berechtigten Ideologieverdacht evoziert.737 Die im Folgenden angeführten (kognitiven) Gründe, die für eine Repristination des neutestamentlichen Deutungsangebots sprechen und die seine Plausibilität, Nachvollziehbarkeit und Tragfähigkeit unterstreichen, sind entsprechend keineswegs mit einem Votum für ein unreflektiertes Fürwahrhalten zu verwechseln. Vielmehr sei eine konstruktive Auseinandersetzung mit ihm angestrebt, im Zuge derer den aus ihm zu gewinnenden Ansätzen nicht – wie im Diskurs verbreitet – aufgrund weltbildhafter Vorentscheidungen jede Plausibilität abgesprochen wird. Stattdessen soll ihre Möglichkeit grundsätzlich in Betracht gezogen, im Einzelnen untersucht und möglichst ergebnisoffen reflektiert werden.738 Eine solche Reflexion führt – noch vor allen systematisch-theologischen Erwägungen – zunächst zu den grundlegenden Erkenntnissen, dass 1) das skizzierte

736

Moltmann, Im Ende, 97. Vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 8, mit Verweis auf Rüsen, Die Kultur der Zeit, 44 f. 738 Dass auch diese Auseinandersetzung erheblich durch die vorausgesetzten Historizitätsund Realitätsvorstellungen, Vorverständnisse und systematisch-theologischen Grundüberzeugungen geprägt ist, dürfte offensichtlich sein. Verwiesen sei auf die Transparentmachung der zugrundeliegenden Prämissen in Kapitel III.1. 737

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Deutungsangebot in Übereinstimmung mit den Erfahrungen der ersten Christen entstand und dass es sich 2) bei dem Horizont, der zur Reflexion ihrer Erfahrungen herangezogen wird und der die Ausgestaltung des besagten Deutungsangebots maßgeblich beeinflusst, um jenen Deutungshorizont handelt, der zur Darstellung und Deutung der eigenen Erfahrungen der Zeugen der Auferstehungsereignisse als angemessen beurteilt wurde739, wenngleich natürlich immer auch verschiedene weitere Faktoren, wie die individuellen Darstellungsabsichten der jeweiligen Verfasser und Redakteure, die Ausgestaltung der Darstellungen beeinflussten. Diesen ersten Erkenntnissen kommt deshalb ein umso stärkeres Gewicht in Bezug auf die Frage nach der Tragfähigkeit des Deutungsangebots zu, da der besagte Deutungshorizont und die in ihm vorfindlichen Auferstehungs-, Leiblichkeits- und Grableerfindungsvorstellungen – wie an verschiedener Stelle gezeigt – keineswegs alternativlos waren und/oder sich notwendig aus den zeitgeschichtlichen, religiösen und kulturellen Hintergründen der Verfasser ergeben hätten, sondern weil es – im Gegenteil – eine Vielzahl alternativer Ansätze gab.740 Wie Becker zeigt, existierte zur Zeit der Abfassung der untersuchten Texte so ein sehr breites Spektrum verschiedener Auferstehungsvorstellungen741, die sich hinsichtlich der immer wieder untersuchten Aspekte der Leiblichkeit, des Zusammenhangs der Auferstehung mit einer etwaigen Grableerwerdung742 und ihrer Bezugnahme auf die von Menschen wahrnehmbare und/oder empirisch erfassbare Dimension der Geschichte signifikant voneinander unterschieden. Die von den ersten Christen erfahrenen Auferstehungsereignisse hätten vor diesem Hintergrund somit theoretisch nicht zwingend und ausschließlich zu der Entstehung des vorliegenden Deutungsangebotes in der überlieferten Form führen müssen, sondern auch und vielleicht sogar unproblematischer die Entstehung der Vorstellungen der Auferstehung als ein Wundergeschehen, als die Reanima739 Dieses Verständnis der Auferstehungsverkündigung als eine an den Wahrnehmungen der ersten Christen orientierte Darstellungen findet sich – wie Etzelmüller erläutert – in 2 Petr 1,16 wieder, wo ebenjene herausstellen, dass sie keinen „ausgeklügelten Fabeln“ (2 Petr 1,16) folgten, sondern dass sie ihre eigenen Erfahrungen – hier explizit bezeichnet als das Sehen „seine[r] Herrlichkeit mit eigenen Augen“ (ebd.) – zum Maßstab ihrer Verkündigung des Auferstandenen erhoben haben (vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 234). Damit wird hervorgehoben, dass die Auferstehungsverkündigung auf den konkreten Erfahrungen und Erinnerungen bestimmter, ernst zu nehmender Personen beruht, welche die ihnen (in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte) wiederfahrenden Geschehnisse reflektierten (vgl. Kremer, Osterbotschaft, 100) und deren Auswahl- und Darstellungsentscheidungen zu respektieren sind, obschon sie die Auferstehungsereignisse nicht hinlänglich oder gar umfassend festhalten konnten und immer auch eigene Intentionen verfolgten, die Einfluss auf die von ihnen vollzogenen Verschriftlichungs- und Redaktionsprozesse nahmen. 740 Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 66. 741 Vgl. Becker, Die Auferstehung, beispielsweise 188 u. 4 f., u. Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 301. 742 Vgl. Kessler, Jenseits von Fundamentalismus, 301 u. Becker, Die Auferstehung, 188.

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Teil III: Eigene Deutung

tion eines Verstorbenen743, als Entrückungsereignis im Kontext der Vorstellungen einer „Erhöhung des in Leiden und Tod erniedrigten Gottesknechtes“744 und/oder des Geschickes des Gerechten, welcher an seinem Lebensende zu seinem Gott entrückt wird745, begünstigen können. Dies geschah jedoch bekanntlich nicht in verbreiteter Weise. Die von Oberlinner vorgetragene Annahme, dass die neutestamentlichen Darstellungen der Grableerfindung sich unabhängig vom vermeintlichen Geschichtsbezug ihres Gegenstandes (aufgrund der verbreitet vorausgesetzten jüdisch-anthropologischen Prämissen) zwingend aus dem Auferstehungsglauben der ersten Christen ergeben habe746, kann somit nicht bestätigt werden, sondern erweist sich als ebenso unangemessen wie eine grundsätzlich verallgemeinernde Rede von dem jüdischen-apokalyptischen Deutungshorizont oder von „der alttestamentlichen Anthropologie“747, die die Vielfalt der verschiedenen Vorstellungen unberücksichtigt lässt. Ganz im Gegenteil zur Auffassung Oberlinners verwundert die Wahl des dargestellten Horizonts zur Interpretation der Auferstehung, da er nicht unmittelbar als Deutungsinstrument genutzt werden konnte, sondern – ebenso wie die in ihm ursprünglich verankerte Vorstellung der allgemeinen, eschatologischen Auferstehung der Toten748 – erst einmal einer massiven Modifikation unterworfen werden musste, um zur Deutung der Auferstehung herangezogen werden zu können. Die Notwendigkeit dieser Modifikationen ergab sich vor allem daraus, dass von der (im besagten Horizont verankerten) Erwartung der besagten, eschatologischen Auferweckung der Toten, die zur Interpretation der Auferstehung vielfach herangezogen wurde, grundlegend keine unmittelbare Verbindung zu der Annahme gezogen werden kann, dass Jesus als eine Einzelperson vor allen anderen Menschen und noch mitten in ihrer so wahrnehmbar unvollendeten Geschichte bereits auferweckt wurde.749 Selbst unter der nicht gegebenen Voraussetzung, dass die ganze Gemeinde der Urchristenheit geschlossen an eine endzeitliche Totenauferweckung geglaubt hätte750, wäre die Wahl und Adaption dieses Deutungshorizonts somit weder naheliegend noch selbstverständlich gewesen. Der Eindruck der mangelnden

743

Vgl. Alkier, Die Realität, 202. Moltmann, Der Weg, 242. 745 Vgl. ebd. 746 Vgl. Oberlinner, Die Verkündigung, 180 f. 747 Greshake, Die Leib-Seele-Problematik, 175 f. 748 Vgl. Mildenberger, Auferstehung II/IV, 550. 749 Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 176. Verwiesen sei etwa auf die Darstellungen des Paulus in 1 Kor 15, der die ihm widerfahrene Erscheinung nicht ausschließlich im Kontext der frühjüdischen und/oder alttestamentlichen Traditionen als ein endzeitliches Offenbarungsgeschehen deutet (vgl. Hauger, Die Deutung, 35), weil ihm ebendiese zur Bewältigung seiner österlichen Erfahrungen per se nicht genügten (vgl. Vielhaber, Ostern, 3) und er sich und seine (von diesem Denkmodell abweichenden) Erfahrungen so ernst nahm, dass er stattdessen die entsprechenden konzeptionellen Modifizierungen vornahm, obschon dies die Verbreitung seiner Botschaft verkomplizierte. 750 Vgl. Friedrich, Die Auferweckung Jesu, 335, zitiert nach Müller, Die Entstehung 30. 744

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Nachvollziehbarkeit wird ferner durch den angedeuteten Umstand bekräftigt, dass die Verkündigung und Verbreitung der christlichen Auferstehungsbotschaft durch die Adaption und die außergewöhnliche Modifikation der Hoffnung auf eine endzeitliche Totenauferstehung erheblich erschwert wurde, da diese für viele Zeitgenossen als nicht nachvollziehbar oder auch nur akzeptabel galt, wohingegen Ansätze im Stile der skizzierten Beispiele problemlos auf Jesu postmortales Geschick hätten übertragen werden können und vermutlich auch auf größere Akzeptanz gestoßen wären. Ausgehend von der Erkenntnis, dass die Wahl des reflektierten Horizonts zur Interpretation der Auferstehung sowie insbesondere die unkonventionelle und religionsgeschichtlich kaum nachvollziehbare Umstrukturierung751 der in ihm verankerten Vorstellung der endzeitlichen, allgemeinen Totenauferweckung die intendierte Verkündigung der Auferstehungsbotschaft erheblich erschwerte, legt sich der Schluss nahe, dass die ersten Christen die Auferstehungsereignisse tatsächlich in einer Weise erlebten und verstanden haben mussten, die ihrer vorgenommenen Deutung als endzeitliche, leibliche Auferstehung des ganzen Menschen Jesus unter Einbezug seiner irdischen Leiblichkeit entsprach oder durch diese am ehesten repräsentiert wurde752, da die Wahl dieser anstößigen, die Ver-

751 Oberdorfer ergänzt, dass nun insbesondere die besagte „Unerwartbarkeit der voreschatologischen Auferstehung eines Einzelnen“ (Oberdorfer, Was sucht ihr, 176) es zweifelhaft werden lasse, dass die Vorstellung der Auferstehung lediglich als eine nachgängige Interpretationsfigur oder als ein sekundäres Reflexionskonstrukt herangezogen wurde (vgl. ebd.). Dies postuliert auch Dalferth, wenn er unterstreicht, dass die Rede von der Auferstehung im Wesentlichen aus der Reflexion der beiden nicht miteinander zu vereinbarenden Erfahrungen des Todes Jesu und seiner Erscheinungen entstanden sei (vgl. Kapitel II.4). Mit Recht kann hier die Frage gestellt werden, inwiefern die ersten Christen dazu in der Lage gewesen sein sollten, im Sinne Dalferths aus sich selbst heraus zur Auflösung der kognitiven Dissonanz nun ausgerechnet das thematisierte Auferstehungsverständnis mitsamt seiner unkonventionellen Umakzentuierungen zu entwickeln, sofern diese ihnen nicht durch eigene Erfahrungen mit dem Auferstandenen nahegelegt wurden. Dabei ist nicht davon auszugehen, dass die Wahrnehmungen der frühen Christen und die Erfahrungen mit dem Auferstandenen in den uns vorliegenden Erzählungen unmittelbar, umfassend und frei von perspektivischen Brechungen abgebildet wurden. Stattdessen kann vorausgesetzt werden, dass sie einen weiterführenden Deutungsprozess initiierten, im Zuge dessen die (den Auferstehungsereignissen innewohnenden) Implikationen im Kontext des biblischen, durch Jesus freilich unverkennbar akzentuierten Wirklichkeitsverständnisses herausgearbeitet wurden und auf dessen Grundlage Erzählungen generiert wurden, welche die wahrgenommenen Geschehnisse in einer treffenden Weise darstellten, die sowohl von einer (sie betreffenden) Reflexion als auch von einer gewissen Unmittelbarkeit zeugt (vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 176). 752 Diese Argumentationsfigur findet sich auch bei Oberdorfer, der darauf verweist, dass die unkonventionelle Modifikation des Deutungshorizonts auf eine (sie erst erforderlich machende) Erfahrung der ersten Christen mit dem Auferstandenen zurückzuführen sei (vgl. a.a.O., 179). Diese sei zwingend dadurch gekennzeichnet gewesen, dass Jesus ihnen nun in der Weise erschien, die man mit der eschatologischen Auferstehung der Toten in Verbindung setzte, da anderenfalls überhaupt nicht bemerkt, thematisiert und problematisiert worden wäre, dass nur er allein auferstanden ist, und auch keine diesem Umstand entsprechende

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kündigung erschwerenden Ausdrucksformen anderweitig nicht plausibel zu erklären wäre.753 Die den frühen Christen zuteilgewordenen Erfahrungen begründeten somit die christliche Auferstehungshoffnung und bestimmten darüber hinaus ihre inhaltliche Ausgestaltung signifikant.754 Bereits die grundlegende Erkenntnis, dass es sich bei der vorliegenden Bezeugung der leiblichen Auferstehung Christi, die eine (die Leerwerdung seines Grabes einschließende) Verwandlung seiner irdischen Leiblichkeit in eine pneumatische Leiblichkeit beinhaltet, um die Bezeugung der Auferstehungsereignisse handelt, die gegenüber allen verfügbaren Konkurrenzvorstellungen und entgegen aller Wahrscheinlichkeit als plausibel erachtet und etabliert wurde, um die betreffenden Ereignisse darzustellen, spricht so deutlich dafür, dass die dargestellten Ereignisse sich in einer ähnlichen Weise zugetragen haben könnten und/oder dass sie derart erfahrbar wurden. An diese grundlegenden, rein logisch-analytischen Überlegungen schließt sich eine Reflexion der inhaltlichen Nachvollziehbarkeit des skizzierten Deutungsangebotes an. Eine derartige Reflexion kann nicht zielführend ausgeführt werden, wenn nur von eigenen Plausibilitätsurteilen oder gar Geschmacksurteilen ausgegangen wird. Stattdessen ist sie im Zusammenhang der Grundinhalte des christlichen Modifikation des Konzepts der allgemeinen endzeitlichen Totenauferweckung vorgenommen worden wäre (vgl. ebd.). 753 Vgl. ebd. Entgegen dieser Ausführungen wird von Vertretern gegenläufiger Positionen darauf verwiesen, dass die individuelle Ausgestaltung der Erzählungen – konkret die Hervorhebung der leiblichen Dimension der Auferstehung – problemlos in mannigfaltigen Aussage- und Darstellungsintentionen der Erzähler begründet werden könne, ohne dass von ihnen zwangsläufig Ansprüche auf Geschichtsbezüge gestellt worden sein müssten. Hier ist zuzugestehen, dass die Reflexion gegebener, mitunter apologetischer Intentionen der Erzähler die vorliegende Ausgestaltung verschiedener Textbausteine neutestamentlicher Bezeugungen erhellen und plausibilisieren kann. Die Annahme, dass diese ausreichen würden, um ebenjene hinreichend und nachvollziehbar zu begründen, ist angesichts der skizzierten, im höchsten Maße als anstößig wahrgenommenen Modifikationen bekannter Horizonte jedoch nur wenig überzeugend und somit schon aufgrund ihrer geringen argumentationslogischen Schlagkraft abzulehnen. Darüber hinaus bleibt zu bedenken, dass ausgerechnet die zentrale paulinische Darstellung der pneumatischen Auferstehungsleiblichkeit, die in Parallelität zum Geschick Jesu entwickelt wurde (vgl. Pannenberg, Grundzüge, 97), augenscheinlich keine apologetischen Ziele verfolgt und auch die erste uns bekannte Grableerfindungsdarstellung des Markus in ihrer Ausgestaltung mit großer Wahrscheinlichkeit der matthäischen Adaption ähneln würde, sofern sie lediglich zu dem Ziel konstruiert worden wäre, (apologetische) Intentionen ihres Verfassers zu realisieren. 754 Vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 234. Etzelmüller konkretisiert dieses Bestimmtwerden der christlichen Auferstehungshoffnung durch die erlebte Begegnung mit dem Auferstandenen, indem er darauf verweist, dass diese nicht nur Einfluss auf die Vorstellungen in Bezug auf die pneumatische Leiblichkeit des Auferstandenen und auf seine Auferstehungswirklichkeit nahm, sondern auch die christliche Parusieerwartung dahingehend prägte, dass der Auferstandene in all seiner Leiblichkeit und seine Rückkehr als eine Art „Kommen in der Zeit“ (Etzelmüller, Ich lebe, 234) erwartet wurden.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Glaubens und der von ihm erschlossenen und beschriebenen Wirklichkeit zu vollziehen, weil anderenfalls unser begrenztes (immer nur auf die von Menschen wahrnehmbaren Aspekte der Wirklichkeit beschränktes) Verständnis des Wirklichen zum Beurteilungsmaßstab der Plausibilität der Inhalte erhoben werden würde, die im skizzierten Deutungsangebot enthalten sind. f) Das leere Grab im Gesamtzusammenhang der christlichen Lehre „Neue Schöpfung ist in Jesu Christi Auferstehung geschehen. Und eben dass sie dort geschehen ist, ist ernst zu nehmen.“755

Im Anschluss an die Untersuchung des neutestamentlichen Deutungsangebotes in Bezug auf den leeren Zustand des Grabes, die unter logisch-analytischen Geschichtspunkten vollzogen wurde, sei die sich ergebende Erkenntnis auf inhaltlicher Ebene reflektiert, dass bereits der Umstand, dass die Auferstehungsverkündigung in der uns vorfindlichen Weise erfolgte, nahelegt, dass die Auferstehungsereignisse in einer Art wahrgenommen worden, die den neutestamentlichen Darstellungen im Wesentlichen entspricht. Diese Untersuchung erfolgt nun aber nicht ausgehend von individuellen Plausibilitätszuschreibungen, da Beurteilungen der Frage, ob eine Deutung als plausibel beurteilt werden kann, selten etwas anderes sind als weltanschaulich geprägte Geschmacksurteile. Auch die Frage nach der Vereinbarkeit des Deutungsangebots mit der analytisch-rationalistischen Rationalität756 oder mit anderen (das Weltverständnis des modernen Menschen prägenden) Konzepten kann aufgrund der weltanschaulichen Prägung ebendieser sowie aufgrund der mit dieser einhergehenden mangelnden Stabilität kein Maßstab zur Beurteilung der Plausibilität des Deutungsangebotes sein, zumal dieser Anspruch – wie erörtert – ohnehin als fragwürdig zu bewerten wäre, da das Auferweckungshandeln Gottes kaum ausgehend von dem beurteilt werden kann, was europäische Menschen im Jahr 2023 in Abhängigkeit von ihrer begrenzten, perspektivisch gebrochenen Weltwahrnehmung für plausibel halten. Stattdessen geht die nachfolgende Erkenntnisbemühung von der Frage aus, inwiefern das Deutungsangebot eine Vereinbarkeit und innere Kohärenz mit wesentlichen Aspekten der christlichen (systematischen) Theologie aufweist und in welcher Weise es mit jenen Wirklichkeitsvorstellungen vereinbar ist, die ausgehend vom biblischen Befund erschlossen werden können, um in annähernd sachgemäßer Weise beurteilen zu können, inwiefern die Vorstellungen der leiblichen Auferstehung und des Leerwerdens des Grabes als Resultat eines Handelns Gottes ausgehend von den Beurteilungsmaßstäben des Gesamtzusammenhangs der christlichen Lehre als tragfähig zu bezeichnen sind.757 755

Barth, KD IV/3 (1), 346. Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 757 Durch diese Vorverständigung sei keineswegs angedeutet, dass gegenwärtige theolo756

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Teil III: Eigene Deutung

Zur Reflexion der Vorstellung der leiblichen Auferstehung Jesu im Gesamtzusammenhang elementarer Grundprämissen der christlichen Theologie erscheint es dabei – wie Weinrich erläutert – sinnvoll, einen sachlichen Einstieg zu wählen, der die im Teilbereich der Christologie verankerte inkarnationstheologische Grundsatzfrage in den Blick nimmt, ob Gott in Jesus tatsächlich zum Menschen geworden ist oder ob er sich im Auferstandenen lediglich in einer Art menschlichen Gestalt zeigte.758 Beantwortet man diese Frage im Sinne der systematisch-theologisch verbreiteten Auffassung, dass Gott eine tatsächliche Inkarnation vollzog, durch die er sich von sich selbst unterschied, und dass er in Christus als in seinem Wort Fleisch wurde759, so steht diese Annahme des Eingehens Gottes in das Fleisch zweifellos im Zusammenhang mit der Frage danach, ob der Aspekt des Fleisches sich auch in der Auferstehungswirklichkeit und somit in der pneumatischen Leiblichkeit im Sinne des untersuchten Deutungsangebots wiederfinden muss. Barth beantwortet diese Frage mit Verweis darauf, dass die Auferstehung im Sinne des untersuchten Deutungsangebots „wirklich und wahrnehmbar auch die ,Natur‘ umfassen musste“760 und somit als leiblich zu denken sei, da „,Gott selbst, der Schöpfer, zuvor verborgen in der Niedrigkeit dieser Kreatur, im Tode dieses Menschen, in dessen Auferstehung offenbar wurde‘“.761 Diese Positionierung scheint auf der verbreiteten Annahme zu beruhen, dass Gott durch seine Inkarnation tatsächlich in die zeitlich und geschichtlich konstituierte Gegenwart des Menschen hineintrat762 und dass es so zu einer „Verleiblichung der Ewigkeit“763 gekommen sei, die in den Auferstehungsereiggische Trends, die offenkundig – in gleicher Weise wie die zuvor verworfenen Maßstäbe – immer erheblich weltbildhaft geprägt sind, je mehr sein könnten als annähernde Erkenntnisbemühungen. Entsprechend vermögen sie es nicht, die Komplexität Gottes und seines Handelns angemessen abzubilden oder gar als adäquates und alleiniges Richtmaß der Realität, Plausibilität und/oder Tragfähigkeit einzelner Aspekte der neutestamentlichen Bezeugungen zu fungieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn Trends und verbreitete Positionen – wie die kritikwürdige Deutung des leeren Grabes als Zeichen der/für die Auferstehung – isoliert betrachtet und unreflektiert zum Untersuchungsmaßstab erhoben werden. Betrachten wir allerdings die über isolierte Einzeltendenzen hinausreichende, (nicht) vorfindliche innere Kohärenz, die ein konkreter Untersuchungsgegenstand – hier die neutestamentliche Begründung der Leere des Grabes – mit dem aus systematisch-theologischen Erkenntnisbemühungen zu gewinnenden Gesamtkonstrukt konsensuell vertretener Glaubensgrundsätze aufweist, so kann diese doch als eine Art Stützargument fungieren, dessen Legitimation aus dem Bezug der besagten Glaubensgrundsätze zum biblischen Befund erwächst, der gegeben sein sollte. Die folgenden Untersuchungen zielen daher nicht darauf ab, die Plausibilität des untersuchten Ansatzes anhand strittiger systematisch-theologischer Einzelkonzepte zu beurteilen, sondern sie bemessen diese vielmehr an seiner grundsätzlichen Vereinbarkeit mit zentralen Grundgedanken der christlichen systematischen Theologie. 758 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 109 f. 759 Vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische ...“, 188 u. Joh 1,14. 760 Barth, KD III/2, 541, zitiert nach Etzelmüller, Ich lebe, 233. 761 Ebd. 762 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 650. 763 Weinrich, Auferstehung, 139.

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nissen – und explizit in der Auferstehung Jesu hinein in seine pneumatische Leiblichkeit – ihre Vollendung gefunden habe.764 Folglich sei der Aspekt der Leiblichkeit im Rahmen jeder Erkenntnisbemühung hinsichtlich der Auferstehungsereignisse zu berücksichtigen, welche nur dann angemessen verstanden werden, wenn hinreichend berücksichtigt und ins Zentrum gerückt werde, dass eine Fleischwerdung des Erlösers erfolgte und dass entsprechend sein Fleisch innerhalb der Auferstehungsereignisse in Gottes eigenes Leben hineingezogen wurde.765 Ringleben erläutert diesen Zusammenhang zwischen der Inkarnation und der Auferstehung Christi, den er als Anfangs- aber auch als Zielpunkt des göttlichen Handelns beschreibt766, eingehender, indem er grundlegende Analogien zwischen der Inkarnation und der Auferstehung herausstellt.767 In beiden Fällen handele es sich seines Erachtens um ein „unerwartetes bzw. unableitbares, freies Eingreifen des lebendigen Gottes von Ewigkeit her“768, da sowohl die Auferstehung Jesu als auch die Inkarnation Gottes in ihm auf die Kraft des lebensschaffenden, jeden „Widerspruch des Todes überwindende[n]“769 Geistes Gottes sowie auf seine Schöpfermacht als solche zurückgeführt werden könne. Darüber hinaus gelte sowohl hinsichtlich des (im Zuge der Menschwerdung zu überwindenden) „,unendlichen qualitativen Unterschied[es]‘ von Gott und Mensch“770 als auch in Bezug auf die (im Zuge der Auferstehung zu überwindende) Todesmacht des Nichtigen, dass weder dieses und sein letzter Widerspruch noch die angesprochenen qualitativen Differenzen die Lebensmacht Gottes begrenzen.771 Der auch von Etzelmüller postulierte Zusammenhang zwischen den beiden Handlungen Gottes, der sich im von Ringleben als theologisch unverzichtbar eingestuften Gedanken des Einbezugs der Leiblichkeit in die Auferstehungswirklichkeit widerspiegelt772, wird von diesem auch damit begründet, dass in der (die irdische Leiblichkeit einbeziehenden) Entstehung des pneumatischen Leibes die neue, mit der göttlichen Inkarnation gesetzte Wirklichkeit sowohl für uns als auch für Christus in schöpferischer Weise seine Vollendung erfuhr, somit end-

Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 249. Vgl. Weinrich, Auferstehung, 111. Ersichtlich wird anhand dieser Gedanken, dass in Bezug auf die Fleischwerdung nicht nur die göttliche Präsenz innerhalb des menschlichen Fleisches von Relevanz ist, sondern ebenso zu bedenken bleibt, dass die irdische Leiblichkeit des Menschen Jesus in die Ewigkeit Gottes hineingenommen wird (vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische ...“, 199) und die in der Inkarnation einsetzende „Verleiblichung der Ewigkeit“ (Weinrich, Auferstehung, 139) auf diese Weise zu ihrer Vollendung kommt (vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 249). 766 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 126. 767 Vgl. a.a.O., 124–130. 768 A.a.O., 124. 769 Ebd. 770 A.a.O., 126. 771 Vgl. ebd. Ringleben ergänzt, dass beide Ereignisse zudem davon zeugen, dass Christus und auch Gott eine vollendete Gemeinschaft mit sich ermöglichen (vgl. a.a.O., 125). 772 Vgl. a.a.O., 114 f. 764 765

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gültig durchgesetzt wurde773 und ferner verewigt sei.774 Ringleben beschreibt diese Wechselbeziehung als eine gegenseitige Entsprechung, die darin bestehe, dass im Zuge der Inkarnation eine Fleischwerdung des ewigen Logos erfolgte, wohingegen im Rahmen der Auferstehung das Fleisch zum Wort werde. Dies führe wiederum dazu, dass durch die vollendete göttliche Inkarnation in Christus (als dem Auferweckten) ebendieser (als der Menschgewordene) zur Gänze Gott sei, wodurch seine Gottwerdung wiederum ihre Vollendung erfahre.775 Die sich aus dieser Wechselbeziehung ergebenden Konsequenzen fasst Ringleben selbst in einem den Gedanken- und Argumentationsgang abschließenden Satz zusammen: „Denn weil die Fleischwerdung des Wortes (nach Joh 1,14) sich vollendet in der Auferstehung dieses Fleisches, begründet die Auferstehung nicht nur die Gewissheit der Menschwerdung Gottes in Jesus endgültig, sondern hat Gott sich im Auferstandenen auch endgültig zur ewigen Gemeinschaft mit dem Menschensohn und über ihn zum ewigen Leben mit uns Menschen bestimmt.“776

Gegenüber diesen Thesen und Konzepte, die ausgehend von zentralen inkarnationstheologischen Prämissen im Sinne des untersuchten Deutungsangebots für die Annahme eines Einbezuges der irdischen Leiblichkeit in die Auferstehungswirklichkeit votieren, erweist sich die entgegengesetzte Position jener Theologen aus inkarnationstheologischer Perspektive als problematisch, die eine metaphysische Vergöttlichung und Vergeistigung der Auferstehungswirklichkeit vornehmen777 und hervorheben, dass diese keinen Bezug zur irdischen Leiblichkeit aufweisen müsse. Dies liegt darin begründet, dass derartige Erwägungen Gefahr laufen, die Menschwerdung als ein konkretes Ereignis rückgängig zu machen778, indem sie „ein Abstreifen der ,Materialität‘ der alten Schöpfung“779 und somit 773

Vgl. a.a.O., 125. Vgl. a.a.O., 114 f. 775 Vgl. a.a.O., 125. 776 Ebd. An die Erkenntnis Ringlebens, dass es sich bei der Menschwerdung Gottes um seine vorweggenommene Auferstehung und bei ebendieser wiederum um eine Verewigung seiner Menschwerdung handele, schließt sich für ihn die Frage an, ob die Auferstehung das Resultat und/oder die Auswirkung seiner Fleischwerdung sei oder ob durch die Vorstellung ebendieser lediglich zurückverlegt (und auf diese Weise „von Gott her begründet“ [a.a.O., 127]) wurde, was Jesu Auferweckung bedeutet. Wie schon Pannenberg, der diese Frage mit dem schlichten Hinweis darauf beantwortet, dass das Bekenntnis zu einer Menschwerdung Gottes in Jesu Auferstehung gründe (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 674), verweist auch Ringleben darauf, dass die Auferstehung rückwirkend entscheide, dass Jesus schon immer der Sohn Gottes gewesen sei, insofern das Bekenntnis zur Fleischwerdung Gottes begründe und die tatsächliche Einheit des Auferweckten mit dem Irdischen artikuliere (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 128). 777 Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 249. 778 Vgl. ebd. 779 Thomas, „Er ist nicht hier!“, 199. Ferner – und darauf wird im Kontext mit dem noch darzustellenden Zusammenhang zwischen der leiblich verfassten Auferstehungswirklichkeit und der Neuschöpfung der Erde, auf welche die christliche Eschatologie verweist, noch zu774

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auch das Ende des göttlichen Eintretens in ebendiese, in die konkrete Leiblichkeit und in die uns umgebende Geschichte implizieren.780 Ein solches wäre jedoch – auch ungeachtet der dargestellten Argumente – schon vor dem Hintergrund dessen als unangemessen zu beurteilen, dass die Leiblichkeit konstitutiv zur Person Jesu gehört, der auch als göttliches Wort ausschließlich als eine historisch kontingente und somit als eine (in der von Menschen wahrnehmbaren, auch empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren) Geschichte leibhaftig lebende Person gedacht werden kann und muss.781 Reflektieren wir die gewonnenen Erkenntnisse, so stellen wir ferner fest, dass die Vorstellung der leiblichen Auferstehung im Sinne der untersuchten Deutung Bezüge zum Konzept der (in Entsprechung zu den Auferstehungsereignissen vorgestellten und in ihnen bereits angebrochenen) endzeitlichen Vollendung782 und Neuschöpfung der Erde durch Gott783 sowie zu der mit diesem Konzept verbundenen Hoffnung aufweist784, die als wesentliche Bestandteile der christlichen Theologie zu benennen sind. Die Beziehung zwischen diesen Hoffnungen und der Vorstellung der leiblichen Auferstehung besteht nun darin, dass Erstere in ihrer freilich schon in Jes 65,17–25 vorfindlichen Form durch die Auferstehung Jesu bestätigt wurden785, welche – wie im Zusammenhang mit der Deutung Pannenbergs gezeigt – als innerzeitlich verankerte786 und wahrnehmbare „Antizipation des Eschaton“787 verstanden wurde. Zudem erfolgte eine Schärfung und Modirückzukommen sein – spiegelt sich in dem Zusammenhang der Inkarnation mit der Auferstehung des Fleisches der Gedanke wider, dass in der Vollendung letztlich nichts verlorengehen werde, das Gott geschaffen und getan hat, und entsprechend auch „die Wahrheit der Menschwerdung und Erlösung sowie die Sinnhaftigkeit und höchste Bedeutsamkeit des geschichtlich-konkreten Handelns [Gottes] gewahrt bleiben“ (Greshake, Das Verhältnis, 87). Dies schließt (gemäß des vorausgesetzten jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizonts) auch den Einbezug seiner irdischen Leiblichkeit in die Auferstehungswirklichkeit ein. 780 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 199. 781 Vgl. ebd. Explizit bezogen auf Jesus verweist Thomas ferner auf dessen Konstitution als ganzer Mensch und ganzer Gott, die traditionell in der sogenannten Zwei-Naturen-Lehre beschrieben wird (vgl. a.a.O., 215) und in ihrem Bestehen und Fortbestehen gefährdet werden würde, wenn die Auferstehung nicht – hier argumentiert Thomas ähnlich wie Barth – die gesamte „wahrnehmbare Existenz des Menschen Jesus“ (Barth, KD III/2, 541) und somit auch seine menschliche Verfasstheit beträfe (Thomas, „Er ist nicht hier!“, 215). 782 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 30. 783 Vgl. Hauger, Die Deutung, 58 u. Eckstein, Von der Bedeutung, 7. 784 Vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 278, siehe auch Offb 21,1. 785 Vgl. Hauger, Die Deutung, 58. 786 Vgl. Kleffmann, Grundriß, 11. 787 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 138. Zum besseren Verständnis des antizipatorischen Charakters der Auferstehungsereignisse hinsichtlich der Konstitution des Eschaton sei noch einmal auf die Ausführungen Ringlebens verwiesen, der darstellt, dass es sich bei der Auferstehung um kein zeitliches Ereignis handele, sondern – wie auch schon bei der Inkarnation – um ein „Ereignis der Ewigkeit“ (a.a.O., 28), das sich und somit auch sie zugleich in der Zeit manifestiere und in dem Gott das Eschaton am Auferstandenen ausgehend von seiner Ewigkeit geschehen ließ und den Glaubenden offenbarte. Die Auferstehung Jesu ist

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fikation der besagten Hoffnungen im Sinne der angesprochenen, umperspektivierenden Adaption des apokalyptischen Deutungshorizonts, da die Konfrontation mit den Auferstehungsereignissen es den ersten Christen ermöglichte, bereits innerhalb ihrer Zeit einen Blick in und auf die neue Schöpfung zu erhaschen.788 Im Zuge dessen wurde ihnen erschlossen, dass die Entstehung und Durchsetzung des kommenden und zu erwartenden Reiches Gottes gerade keine Vernichtung der gegenwärtigen Schöpfung voraussetzt789, sondern dass dieser eine Zukunft geschenkt wird und sie (sowie die gesamte todverfallene Natur mit ihr) in den eschatologischen Neuschöpfungsprozess einbezogen wird790, der in der leiblichen Auferstehung Christi bereits innergeschichtlich und raumzeitlich einzusetzen begann.791 Bei der Auferstehung Jesu handelte es sich demnach gerade nicht um einen isolierten Beweis der Macht Gottes an einem willkürlich ausgewählten Individuum792, sondern um den entschiedenen und schöpferischen Anbruch der Neuschöpfung und Vollendung der Welt.793 Diese durch die Auferstehung bestätigten und gewonnenen Erkenntnisse zeugen somit davon, dass die (keinen menschlichen Beziehungsträger aufweisende) göttliche Treue gegenüber der Schöpfung794, welche bereits in der Bezeugung der Fleischwerdung zum Ausdruck kam, von Gott nun gerade nicht aufgekündigt werde795, sondern beständig ist, da er seine gute Schöpfung mit all ihren Aspekten und somit auch die zu dieser Schöpfung zugehörige, leiblich verfasste, menschliche Existenz nicht preisgebe796 nach Ringleben somit als endgültiges sowie wirkliches „Kommen der Ewigkeit bzw. des ewigen Lebens in der Zeit“ (ebd.) zu verstehen, was eine Art Hineingenommenwerden der Glaubenden in sie impliziere. Die Eschatologie wird mit der Auferstehung des Herrn als einer „Antizipation des Eschaton“ (ebd.) somit als solche „zu einem Geschichtsverlauf, während sie ursprünglich die Aufhebung aller Geschichte ist“ (Stange, Die Auferstehung Jesu, 709, zitiert nach Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 28). 788 Vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 233. 789 Vgl. Joest, Dogmatik II, 640. 790 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 218. 791 Eckstein, Von der Bedeutung, 7 u. vgl. Wengst, Das, was ist, ist nicht alles, 152. 792 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 28. 793 Vgl. a.a.O., 29, unter Zitation von Heim, Jesus der Weltvollender, 186. Dass die Neuschöpfung und Neuwerdung der Welt für den Menschen nicht objektiv erkennbar ist und dass die an sie Glaubenden entsprechend einer spannungsreichen, einer Zerreißprobe gleichenden „Diastase zwischen ,Schon‘ und ,Noch nicht‘“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 121) ausgesetzt sind, beschreibt Ringleben als „die Signatur der geschaffenen Welt im Übergang zum [N]euen“ (ebd.) und ferner als ein „Kennzeichen ihrer eschatologischen Verfassung“ (ebd.), worin sich ein in Kapitel III.3.1.g dargestelltes Charakteristikum göttlicher Heilshandlungen widerspiegelt, das darin besteht, dass diese von den Menschen nicht selten fälschlich oder gar nicht wahrgenommen und/oder (als ein Ärgernis) fehlinterpretiert werden. 794 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 249 u. Barth, KD IV/3 (1), 345. 795 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 199. 796 Vgl. Körtner, Dogmatik, 271 f., Greshake, Untersuchungen, 191, Eckstein, Was bedeutet die Auferstehung?, 213 u. Hauger, Die Deutung, 58. Die Vorstellung, dass kein Aspekt der Schöpfung Gottes „verloren geht“, findet sich auch bei Tillich, der betont, dass es sich beim ewigen Leben nun nicht einfach um einen erwartbaren Zustand handele, sondern

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oder gar vernichte797, sondern sie sich vielmehr zurückerobere798, sie um der Opfer der Geschichte Willen gänzlich verwandele799, sie somit befreie und sie zu ihrem (ihr von Gott her bestimmten) Ziel führe.“800 Die skizzierte Übertragung der erfahrenen Auferstehungswirklichkeit auf die alttestamentlich fundierte Hoffnung auf eine endzeitliche Neuschöpfung der Erde nahm rückwirkend wiederum Einfluss auf die Vorstellung des Einbezuges der irdischen Leiblichkeit Jesu in seine Auferstehungsleiblichkeit und die Deutung der Grableerfindung, was daran deutlich wird, dass das leere Grab als „der erste und der paradigmatischte ,Ort‘“801 gedeutet wird, von dem angenommen dass es sich dadurch auszeichne, dass das zu jeder Zeit „gegenwärtige Ende und Ziel der Geschichte“ (Kramer, Zeit und Ewigkeit, 117, unter Zitation von Tillich, Systematische Theologie III, 229 f.) die positiven Inhalte ebendieser in die Ewigkeit hineinhebe, während (ausgehend von ihm) zeitgleich außerdem ein Ausschluss der negativen Aspekte erfolge (vgl. ebd.). Daraus folge seines Erachtens wiederum, dass nichts verloren gehe, das innerhalb der Geschichte erschaffen wurde (vgl. Kramer, Zeit und Ewigkeit, 117). 797 Moltmann, Im Ende, 178. 798 Vgl. Bonhoeffer, Ostern: Auferstehung Christi als Gottes Ja zu aller Kreatur, 356, zitiert nach Thomas, „Er ist nicht hier!“, 183. 799 Vgl. Alkier, Die Realität, 240 u. Eckstein, Von der Bedeutung, 7. 800 Vgl. Joest, Dogmatik II, 645 u. Werbick, Diess Leben, 229. Augenfällig tangiert die Vorstellung der (in der leiblichen Auferstehung antizipierten und durch die Erfahrungen mit ihr konkretisierten) Neuschöpfung der Erde auch das christliche Gottesbild, da der unendliche Gemeinschaftswille des im Auferstandenen als Erlöser offenbarten Gottes (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 336 f.) durch sie hervorgehoben wird, indem sie davon zeugt, dass Gott die von ihm erschaffene und gewollte Schöpfung nicht einfach ins Nichts untergehen lässt, sondern ihre Vereinigung mit sich selbst anstrebt, indem er sie an seiner eigenen Ewigkeit Anteil haben lässt (vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 138 f.), wie es anhand der (als pneumatisch wahrgenommenen) Leiblichkeit des Auferstandenen offenbar wurde. Die Auferstehungsereignisse können vor diesem Hintergrund als Erweis des Festhaltens Gottes an der protologischen Schöpfungstat (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 336 f.) und als nicht zu überbietende Bestätigung seines noch immer bestehenden Schöpferwillens verstanden werden (vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 138). Gottes Treue zu seiner Schöpfung zeichnet sich, wie Moltmann darstellt, ferner gerade dadurch aus, dass sie seine Freiheit dazu, eine verewigende Vollendung seiner zeitlichen Schöpfung vorzunehmen und durch diese die Grundbedingungen ebendieser zu verändern, nun gerade nicht einschränkt (vgl. Moltmann, Das Kommen Gottes 299). 801 Thomas, „Er ist nicht hier!“, 198. Die Vorstellung, dass ausgerechnet die irdische, vergängliche Leiblichkeit als „Ort der Heilserfahrung“ (Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 169) und Erlösung fungiert, findet sich auch in diversen neutestamentlichen Darstellungen wieder, die davon zeugen, dass Jesus und später seine Apostel kranke Menschen heilten (vgl. ebd. u. Joest, Dogmatik II, 637) und somit an konkreten irdischen Leiblichkeiten heilsschaffend tätig wurden. Erkennbar ist auch in diesem Zusammenhang ein Bezug zur Vorstellung der (in der leiblichen Auferstehung Jesu antizipierten) endzeitlichen Neuschöpfung, da die Heilungshandlungen Jesu in untrennbarem Zusammenhang mit seiner Verkündigung des anbrechenden Reiches Gottes standen (Joest, Dogmatik II, 637). Durch sie wurde somit ausgedrückt, dass dem gesamten, leibhaftigen Menschen in seiner Verbindung „mit dem Leib der Schöpfung“ (ebd.) die Zukunft des Gottesreiches in Aussicht gestellt wird (vgl. ebd.), die ihm – wie aus der leiblichen Auferstehung Christi ableitbar ist – in der durch sie antizipierten, endzeitlichen Neuschöpfung zuteilwird.

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wurde, dass sich an ihm bereits ein Vollzug der neuen Schöpfung (innerhalb) der ersten Schöpfung und ihrer Realität ereignet habe.802 Die Entzogenheit der irdischen Leiblichkeit galt somit als eine Art Hinweis auf die Verwandlung der gesamten alten Schöpfung803, der davon zeugt, dass die Geschichte des Verfalls und des Todes zu ihrem definitiven Ende kam.804 Aus dem Verständnis der als leiblich charakterisierten Auferstehung Jesu als der Antizipation der schöpferischen und bewahrenden endzeitlichen Neuschöpfung und somit auch als Antizipation dessen, was Gottes Geist in schöpferischer Weise auch an den Gläubigen vollziehen wird805, erwuchs verständlicherweise die zentrale christliche Hoffnung darauf, dass auch der individuelle Mensch in Entsprechung zum Schicksal Jesu keine Zerstörung befürchten muss.806 Er darf im Gegenteil „am Ende der Geschichte“807 – im Sinne einer umfassenden Teilhabe am göttlichen, unsterblichen Leben808 – auf eine Neuschöpfung seiner Selbst und somit auch seiner Körperlichkeit im Rahmen eines erneuernden göttlichen Handelns an ihm als an einem Teil der alten, ersten Schöpfung hoffen809, durch das er als ein personales Individuum von Gott (als dessen Gegenüber) beansprucht und entsprechend in die Gemeinschaft gesetzt werde.810 802 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 198. Führen wir in unserer Argumentation den skizzierten Zusammenhang der Vorstellung einer leiblichen Auferstehung mit den Hoffnungen auf eine endzeitliche Erlösung und Neuschöpfung der gesamten Schöpfung an, so ist kritisch auf die Wahrung einer angemessenen und sachgemäßen Argumentationsführung zu achten. Selbstverständlich kann darauf hingewiesen werden, dass elementare Aspekte der christlichen Eschatologie von der Begegnung mit dem als leiblich auferstanden wahrgenommenen Herrn bestätigt und geschärft werden konnten, was in gleicher Weise wie die dargestellten Erwägungen von einer großen Eingebundenheit der Vorstellung in den Gesamtzusammenhang der systematischen Theologie sowie von der hohen inneren Kohärenz zwischen ihr und den Kernelementen ebendieser zeugt. Es verbietet sich jedoch, ausgehend von den besagten Hoffnungen eine vermeintliche Notwendigkeit der leiblichen Auferstehung zu postulieren, indem etwa darauf verwiesen wird, dass Jesus deshalb leiblich auferstanden sein müsste, weil anderenfalls kein Anlass zur Hoffnung auf eine endzeitliche Erlösung der Schöpfung bestünde, da eine derartige Argumentationsführung schon argumentationslogisch notwendig scheitert. 803 Vgl. Eckstein u. Welker, Einleitung, X. 804 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 207. Dass die Gegenstände der dalferthschen Erkenntnisbemühungen, wie etwa die des zwingend vollen Grabes Jesu und der notwendigen Dekompostierung seines Leichnams, ausgehend von den skizzierten Horizonten lediglich als Überbleibsel und Spuren der leidgeprägten, in der alten Schöpfung gegebenen Vergänglichkeit beurteilt werden könnten (vgl. a.a.O., 198), die mit dem Gedanken der bewahrenden, die erste Schöpfung nicht aufgebenden, sondern aufnehmenden und verwandelnden Neuschöpfung der Erde durch Gott nicht zu vereinbaren wären und ferner notwendig abgelehnt werden (müssten) (vgl. Hauger, Die Deutung, 58), dürfte augenfällig sein. 805 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 170 f. 806 Vgl. Burmeister, Auferstehung in die Nachfolge, 113. 807 Pannenberg, Grundfragen, 153 f. 808 Vgl. ebd. 809 Vgl. Hauger, Die Deutung, 58. 810 Vgl. a.a.O., 44.

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Das hinsichtlich seiner Plausibilität innerhalb des Gesamtzusammenhangs der christlichen (systematischen) Theologie zu beurteilende Deutungsangebot der Grableerwerdung als Resultat eines transformierenden Handelns Gottes am Leichnam weist somit nicht nur in Bezug zum christlichen Kerngedanken der Inkarnation, sondern auch hinsichtlich der zentralen (die christliche Eschatologie811 prägenden) Hoffnung auf eine endzeitliche Neuschöpfung eine große innere Kohärenz auf. Ferner erweist es sich aufgrund dessen, dass die besagte, nahezu anmaßende Hoffnung ausgehend vom (in unserer Welt zu verortenden) „Anfang der Neuschöpfung des sterblichen Lebens“812 in den Auferstehungsereignissen bestätigt und geschärft werden konnte, sogar als eminent relevanter Aspekt ihrer Ausgestaltung. Entsprechend verlöre die besagte Hoffnung auf eine endzeitliche Neuschöpfung, die gemäß dem biblischen Befund nicht als bloße Kompensation verpasster Lebensqualität innerhalb der Schöpfung, sondern vielmehr als ihr Zum-Ziel-Kommen verstanden werden will813, an Kontur, wenn die (die irdische Leiblichkeit einbeziehende) Konstitution der Auferstehungswirklichkeit negiert wird, da auf diese und auf die in ihr antizipierte Erneuerung der Schöpfung auch deshalb begründet und konkret zu hoffen war und ist, weil die tatsächliche, schon vollzogene, leibliche Neuschöpfung Jesu die derart kühne, alttestamentliche Hoffnung bestätigte und konkretisierte.814

811 Im Kontext des Zusammenhangs zwischen der Vorstellung der leiblichen Auferstehung Jesu und der Eschatologie sei zumindest kurz auch auf die zahllosen Bezüge, die zwischen ersterer und dem Konzept des Gerichts (als einem zentralen Moment der christlichen Eschatologie) hergestellt werden können, hingewiesen. Insbesondere Vertreter der Vorstellung, dass die Identität des Menschen in seiner materialen irdischen Leiblichkeit zu verorten sei (vgl. Kramer, Auferstehung, 70), heben so im Zusammenhang mit der Rede vom kommenden Endgericht nicht selten mit erkennbarem Bezug auf die Prämissen der jüdischen Anthropologie hervor, dass vor Gott der ganze Mensch mitsamt all seiner Aspekte und Wesensmerkmale (und somit auch mit seiner Leiblichkeit) im Rahmen der Gerichtsereignisse erscheine (vgl. Lohfink, Was kommt nach dem Tod, 219 f.) und dort mit den Konsequenzen seines Tuns und Unterlassens konfrontiert werde (vgl. Greschat, Teilweise auferstehen, 65). Der Vorstellung der Auferstehung der bereits begrabenen Leiber der Verstorbenen am Jüngsten Tag (vgl. Greshake, Untersuchungen, 168) wird dabei gerade deshalb ein hoher Stellenwert zugesprochen, da der Mensch in seiner leiblichen Verfasstheit mitverantwortlich für seine jeweiligen Untaten und Taten sei (vgl. Greschat, Teilweise auferstehen, 65) und zu Lebzeiten stets ganzheitlich-leibseelisch gehandelt habe (vgl. Greshake, Untersuchungen, 292), weshalb es nur folgerichtig sei, dass entsprechend der ganze Mensch und somit auch seine Leiblichkeit einen Einbezug in das Vergeltungsgeschehen erfahre (vgl. ebd.) und die Konsequenzen des göttlichen Richtspruches mittragen müsse (vgl. Tertullian, Apol 48,8, zitiert nach Greschat, Teilweise auferstehen, 64). 812 Moltmann, Der Weg, 280. 813 Vgl. Werbick, Diess Leben, 229. 814 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 220. Der Verlust der Hoffnung auf eine derartige eschatologische Neuschöpfung aufgrund der verbreiteten Distanzierung von jüdisch-apokalyptischen Horizonten und insbesondere von der Vorstellung der leiblichen Auferstehung ist in jenen Diskurspositionen erkennbar, die den Auferstehungsereignissen – etwa in der Tradition Bultmanns – keine (über eine Wandelung der Existenz des Menschen hinausrei-

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Teil III: Eigene Deutung

Der zu gewinnende Eindruck der Plausibilität und der inneren Kohärenz des neutestamentlichen Deutungsangebotes des leeren Grabes im Gesamtzusammenhang des christlichen Glaubens setzt sich ferner im Themenbereich der Anthropologie fort. In diesem ist nicht nur der dargestellte (das Konzept eines Handelns Gottes an der irdischen Leiblichkeit Jesu plausibilisierende) Gedanke angelegt, dass die Identität des Menschen in seiner (materialen) Leiblichkeit verankert sei815 und dass ihr Erhalt im Rahmen etwaiger Auferstehungsereignisse ausschließlich durch einen Einbezug der irdischen Leiblichkeit gewährleistet werden könne, sondern auch die grundlegende Annahme dessen, dass der Seinsaspekt der menschlichen Leiblichkeit nie ausschließlich auf die Körperlichkeit im physizistischen Sinne zu reduzieren816 und als solche der Seele oder dem Geiste gegenüberzustellen wäre.817 Vielmehr handele es sich bei ihr um das augenfälligste Charakteristikum der Sozialität des Menschen818, welche als transzendentale Bedingung819 sowie als die Grundlage zwischenmenschlicher Beziehungen beziehungsweise des Verhältnisses des Menschen zu Gott fungiere820 und es ihm entsprechend nicht nur ermögliche, sich selbst als ein leibliches, personales Subjekt zu erfahren821, sondern ihn eben auch (anhand der mannigfaltigen Relationsweisen, die einem ebensolchen zueigen sind822) dazu befähige, expressiv auf andere Subjekte einzuwirken823, mit ihnen zu kommunizieren824 und im Zuge dessen eine

chende) Wirksamkeit in Bezug auf die Konstitution des Weltgeschehens zusprechen (vgl. a.a.O., 216) und die neutestamentlichen Bezeugungen der endzeitlichen Neuschöpfung einseitig als mythologische Ausdrucksformen deuten, welche keinen Anspruch darauf erheben können, Geschehnisse und Prozesse zu beschreiben, die sich in der (von Menschen wahrnehmbaren) Wirklichkeit ereigneten oder ereignen (werden). 815 Vgl. Kapitel III.3.1.a u. Körtner, Dogmatik, 272. 816 Vgl. Greshake, Das Verhältnis, 116. 817 Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 31, Greshake, Untersuchungen, 321 u. Körtner, Dogmatik, 272. 818 Vgl. Körtner, Dogmatik, 272. 819 Greshake, Untersuchungen, 258. 820 Vgl. Körtner, Dogmatik, 272. Greshake beschreibt den Menschen in Entsprechung zu den dargestellten Zuschreibungen als Subjekt, das sich „in und durch [seine] Zeit- und Raumgebundenheit […] selbst auszeitigt und dies in wesenhafter Relation zu anderen Subjekten tut“ (Greshake, Das Verhältnis, 116). 821 Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 31. 822 Vgl. Greshake, Das Verhältnis, 116. 823 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 261. 824 Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 31. Dass die Kommunikationsfähigkeit des Menschen ein wesentlicher Aspekt und eine bedeutsame Funktion seiner Leiblichkeit sei, werde bereits daran ersichtlich, dass die Sprache als ein wesentlicher Kommunikationsmechanismus des Menschen untrennbar mit dem Leib verbunden sei, da der Mensch bekanntlich körperlich denke, spreche und deshalb als ein sprechender Körper bezeichnet werden könne (vgl. Ebach u. Gutmann, Zur Einführung, 11, mit Verweis auf die Ausführungen Bielers). Die Leiblichkeit dient allerdings auch ungeachtet des Mediums der Sprache als Kommunikationsmedium, da bereits durch die Körperhaltung eines Menschen Signale übermittelt werden, die andere intuitiv und automatisch deuten und reflektieren. Dabei werden

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Realisierung seiner wesenhaften Verbindung mit der ihn umgebenden Menschheit vorzunehmen.825 Ein derartiges Verständnis der Leiblichkeit impliziert bereits eine in ihr verankerte, notwendige Selbstbezogenheit, aber eben auch eine gegebene Bezogenheit auf anderes und andere826, die sich im irdischen Leben des Menschen in einem leibhaften Sehnen nach dem gemeinschaftlichen Erleben, dem Empfinden, Spüren und Wahrnehmen, dem Berühren und dem Existieren von und mit anderen Menschen äußere.827 Diese zum leiblichen Dasein gehörenden Grundbedürfnisse bleiben in unserer Realität jedoch oft unerfüllt oder werden sogar schändlich missachtet, indem Menschen einander meiden, ausgrenzen, diskriminieren, entwürdigen und sich mit Distanz und Liebesentzug bestrafen oder sich gegenseitig objektivieren. Da die christliche Auferstehungshoffnung demgegenüber auf die vollendete und vollendende Erlösung des Menschen und auf die verheißene Erfüllung all seiner (auch leiblichen) Sehnsüchte abzielt, kann es nicht ernstlich überraschen, dass ausgerechnet Gott von ihr zur Umsetzung dieser Ziele in Anspruch genommen wird828, da es ausschließlich seiner Macht unterliegt, die genannten Bedürfnisse des Menschen829 – hier durch eine Erneu-

die Ergebnisse der permanent vollzogenen Deutungsprozesse notwendig soziokulturell geprägt (vgl. Bail, Hautritzen als Körperinszenierung, 63), weshalb eine identische Körpererfahrung in verschiedenen Kulturkreisen unterschiedlich gedeutet werden kann und wird. 825 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 261. In dieser Grundkonstitution des Menschen als Geschöpf Gottes, welches nicht nur durch die ihm zu eigene leibliche Verfasstheit in die es umgebende Natur integriert ist, sondern das aufgrund seiner sozialen Verbindungen und Bindungen auch in die es umgebende Geschichte eingebunden ist (vgl. Joest, Dogmatik II, 636), drückt sich (gemäß der untersuchten theologisch-anthropologischen Modelle) seine Grundbestimmung aus, die im Sinne des Konzeptes der Nächstenliebe auf ein Wirken und Handeln im Sinne anderer ausgerichtet ist (vgl. Greshake, Untersuchungen, 321). 826 Dalferth, Volles Grab, 306. Greshake schlussfolgert aus der Vorstellung der leiblich verankerten und am Leib erfahrbaren Bezogenheit des Menschen auf seine Mitmenschen (vgl. Greshake, Untersuchungen, 261) und aus seiner wesenhaften Beziehung zum Ganzen (vgl. a.a.O., 265 f.), die sich maßgeblich dadurch auszeichne, dass die leiblich konstituierten Subjekte insofern zueinander in Beziehung stehen, dass ihr je individueller Selbstvollzug die Selbstvollzüge der jeweils anderen beeinflusse (vgl. a.a.O., 261 f.), dass eine Gebundenheit der individuellen Vollendung an die Vollendung der Mitmenschen vorliege (vgl. a.a.O., 263 u. 321). Entsprechend erreiche der Mensch erst in der allgemeinen, endzeitlichen Auferstehung seine gänzliche Vollendung (vgl. a.a.O., 265 f.). Augenscheinlich thematisiert Greshake somit bewusst die Frage nach der Allversöhnung, die hier jedoch nicht eigens thematisiert wird. 827 Vgl. Werbick, Diess Leben, 224 f. 828 Vgl. a.a.O., 225 f. 829 Vgl. ebd. Greshake bezeichnet die pneumatische Leiblichkeit mit Moingt als das „lebendige, organische Ensemble von Relationen und gegenseitigen Abhängigkeiten“ (Moingt, Immortalite´, 73, übersetzt und zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 265) und begründet diese Bestimmung damit, dass die Grundkonstitution der menschlichen Leiblichkeit, durch welche eine grundsätzliche und wesentliche Konstruktion des Menschseins als Mitmenschsein erfolge, seines Erachtens auch vom Tod nicht vernichtet werden könne (vgl. Greshake, Untersuchungen, 265), sondern vielmehr in Form der pneumatischen Leiblichkeit ihre Vollendung erfahre.

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Teil III: Eigene Deutung

erung der menschlichen Leiblichkeit im Rahmen ihrer ganzheitlichen Transformation – zu erfüllen. Diese Transformation müsse – ausgehend von den thematisierten Konzepten – auch das Aufbrechen der vollendeten Missachtung der menschlichen Leiblichkeit durch ihren Tod und ihre Dekompostierung beinhalten830 und sie im Sinne der Ausführungen Ringlebens schöpferisch erhaltend in die Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit einbeziehen, da die gegenteilige Annahme einer endgültigen Verwesung des Leibes (ungeachtet der Frage nach der Verortung der Identität in der materialen Leiblichkeit) ausgehend vom thematisierten Deutungshorizont nur als unzweifelhafter Beweis für den andauernden „Sie[g] des Todes“831 und der definitiven und letztgültigen Missachtung der leiblichen Sehnsüchte nach Mitmenschlichkeit, Nähe und Kommunikation verstanden worden wäre. Der Zusammenhang, in dem diese Vorstellungen und das untersuchte Deutungsangebot eines schöpferisch-aufnehmenden Handelns Gottes am Leichnam des verstorbenen Jesus stehen, dürfte augenfällig sein. Zum Abschluss sei anstelle weiterer Skizzierungen der mehr oder weniger augenfälligen Bezüge, die das untersuchte Konzept zu weiteren Kernaspekten des christlichen Glaubens aufweist, ein eigenes Plausibilitätsurteil gewagt. Dieses zielt auf die Beobachtung ab, dass das besagte Deutungsangebot auch durch die theologisch-anthropologisch beschreibbare Grundkonstitution des Menschen nahegelegt zu werden scheint: „Einerseits steht mein Leib ,mir‘ gegenüber; er ist ein ,äußerer Gegenstand‘, ja, er kann sich widerständig zu ,mir‘ verhalten; auf der anderen Seite bin ich mein Leib. Ich selbst drücke mich (aktiv) in ihm aus und ich selbst bin (passiv) in meinem Leib von ,anderen‘ erreichbar, greifbar, betreffbar […].“832

Betrachtet man die Grundkonstitution des Menschen, so wird (auch ungeachtet der Beurteilung der jüdisch-anthropologischen Vorstellung des ganzheitlichen Menschen) deutlich, dass der Mensch zweifellos leiblich konstituiert ist, sich im Vollzug seines Lebens stets auch zu seinem Leib833, als dem „erste[n] Raum menschlichen Lebens und Erlebens“834, verhält835 und eine nicht leiblich konstituierte Wirklichkeit des Menschen uns ebenso fremd und undenkbar ist wie nicht-körpergebundene Erfahrungen der Sehnsucht oder des körperlichen Leidens, der Begierde oder der Verzweiflung, aber eben auch des Reflektierens, des Wollens oder sogar des Glaubens und Hoffens.836 Diese Grunderkenntnis, dass der Mensch nicht nur über einen je eigenen Leib verfügt, sondern immer auch 830

Vgl. Werbick, Diess Leben, 226. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 215. 832 A.a.O., 259. 833 Vgl. Krüger, „Helmuth Plessner“, 66, zitiert nach Schürmann, Max Scheler und Helmuth Plessner, 256. 834 Vgl. Ebach u. Gutmann, Zur Einführung, 8. 835 Vgl. Krüger, „Helmuth Plessner“, 66, zitiert nach Schürmann, Max Scheler und Helmuth Plessner, 256. 836 Vgl. Ebach u. Gutmann, Zur Einführung, 8 u. Weinrich, Auferstehung, 138. 831

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Leib ist837, ist keineswegs ausschließlich im theologisch-anthropologischen Diskurs von Relevanz, sondern prägt(e) auch die Philosophie, was etwa an der kantschen Beurteilung der Leiblichkeit des Menschen als „apriorisch[e] Bestimmung des Subjekts“838 ersichtlich wird. Die durch diese Bestimmung ausgedrückte Relevanz des Wesensaspekts der Leiblichkeit in Bezug auf die Konstitution des Menschen sowie ihre untrennbare Verbundenheit839 mit dem inneren menschlichen Erleben – wie dem Wahrnehmen und dem Fühlen – wird dem Menschen anhand seiner Begegnungen mit der 837 Vgl. ebd. Die in den Leiblichkeitsdiskursen verschiedener Wissenschaften immer wieder aufgegriffene Vorstellung, dass der Mensch nicht nur über eine Leiblichkeit verfüge, sondern auch als solcher bereits Leib sei, wurde unter anderem auch von Plessner hervorgehoben (vgl. Schürmann, Max Scheler und Helmuth Plessner, 251 u. Alloa, Bedorf, Grüny u. Klass, Einleitung, 2), der – hier unter Verwendung des Körper-Begriffs zur Bezeichnung der Leiblichkeit des Menschen – darstellt, dass der Mensch sein jeweiliger Körper sei und diesen gleichzeitig auch habe. Das von ihm als solches definierte Körper-Haben zielt dabei per Definition auf den Umstand ab, dass Lebewesen in ihrem Agieren stets von ihren Körpern distanziert seien und ihnen insofern gegenüberstehen, als dass sie sie zur Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt nutzbar machen (vgl. Schürmann, Max Scheler und Helmuth Plessner, 251). Es finde also eine Vermittlung ihres Bezuges auf ihre Umwelt über ihre jeweiligen Körper statt, welche „eine dritte Größe zwischen ihm und der Umwelt“ (ebd.) darstellen. Die Bezeichnung des Körper-Seins ist hingegen auf den Umstand bezogen, dass der besagte Umweltbezug eines Lebewesens nicht restlos in derart instrumentellen Verhältnissen aufgelöst werden könne, was darin ersichtlich werde, dass nicht alle Körperfunktionen und -vollzüge der eigenen Verfügungsgewalt unterliegen. Dies werde etwa an den Vollzügen des Lachens oder des Weinens ersichtlich (vgl. a.a.O., 251 f.). Darüber hinaus – so heben verschiedene Diskursteilnehmer hervor – zeichne sich die je eigene menschliche Leiblichkeit dadurch aus, dass sie stets nur aus der Perspektive der Ersten Person heraus erfahrbar sei (vgl. Alloa, Maurice Merleau-Ponty II, 39), weil der Leib Anteil an jedem Akt des menschlichen Lebensvollzugs habe (vgl. Quodlib. VII, 5,1 ad 3, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 227 f.) und man ihn entsprechend – wie durch die Darstellung der perspektivisch gebrochenen Wahrnehmung des Menschen in Kapitel III.1.1 impliziert – niemals aus einer unbeteiligten Außenperspektive heraus und per se wahrnehmen kann. Ebenso sei es im umgekehrten Sinne nicht möglich, einen Aspekt der (durch die eigene Leiblichkeit hindurch erfahrenen) Wirklichkeit unabhängig von der eigenen Leiblichkeit wahrzunehmen, da sich diese stets und in allen gemachten Erfahrungen miterfahre (vgl. Alloa, Maurice Merleau-Ponty II, 39). Kristensen fasst diese Erkenntnisse – hier im Zusammenhang mit seiner Analyse der Ansätze Merleau-Pontys – zusammen, indem er darauf verweist, dass der Mensch keine Abwendung oder Verabschiedung von seinem Leib vornehmen oder ihn auch nur „auf Distanz halten“ (Kristensen, Maurice Merleau-Ponty I, 24) könne. Zuletzt sei auf die Reflexionen Greshakes verwiesen, der die Leiblichkeit in ähnlicher Weise wie Plessner als ein „wesenhaft[es] ,Medium‘ zwischen mir und ,dem anderen‘“ (Greshake, Untersuchungen, 260, unter Zitation von Welte, Leiblichkeit als Hinweis, 85) beschreibt, welches per se zwar von dem Menschen, „als dem im Medium Lebenden“ (ebd.) unterschieden werden könne, aber dennoch keineswegs in sich selbst unabhängig „neben unserem Sein liegt“ (ebd.), sondern als „unmittelbares und wesentliches Element unseres Selbstseins“ (ebd.) zu denken sei. 838 Alloa u. Depraz, Edmund Husserl, 13. 839 Die enge, untrennbare Verbindung der menschlichen Leiblichkeit zu und mit dem inneren Erleben sowie die gegenseitige Beeinflussung dieser beiden Wesensaspekte der mensch-

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Teil III: Eigene Deutung

Vergänglichkeit, Krankheiten und dem Tod, aber ebenso auch mit anderen prägenden Erfahrungen der Leiblichkeit wahrnehmbar, die etwa mit extremen körperlichen Grenzerfahrungen und Anstrengungen, Drogenkonsum, Hunger- und Dursterfahrungen oder mit der Sexualität zusammenhängen.840 Freilich können derartige Erfahrungen – wie einige der angeführten Beispiele Körtners impliziert haben dürften – mit einer Erkenntnis der Zerbrechlichkeit und Zerstörbarkeit der eigenen Leiblichkeit841 sowie mit jenen (durch den griechischen Begriff der σα ρξ so treffend bezeichneten, in der Verfangenheit des Menschen in der sündhaften Trennung von Gott begründeten) fleischlichen Gebrechen842 – wie denen der Ohnmacht, des Leidens und des Traumas843 – einhergehen, die eine positive Wahrnehmung der Leiblichkeit in Frage stellen und bedrohen. Es ist jedoch auch angesichts dieser Erfahrungen und der aus ihnen abzuleitenden Fragilität und Defizitärität der irdischen Leiblichkeit unsachgemäß, sie in abwertender Weise als ein Gefängnis oder als eine Hülle im Sinne der gnostischplatonischen Polemik zu verstehen844, da es sich bei ihr um einen relevanten Wesensaspekt des Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes handelt845 und sie somit per se auch als ein Teil der guten Schöpfung Gottes verstanden werden muss. Folglich ist es einleuchtend, im Sinne des untersuchten Deutungsangebotes zu schließen, dass „die Leiblichkeit (als ontologisches Konstituens des Wesens Mensch)“846 als derart geschaffenes Ebenbild Gottes nach dem Tod eines Menschen nicht beiläufig von ebendiesem abgestreift und zurückgelassen werde, sondern ihre Vollendung erfahre847, wohingegen die Annahme, dass das Fleisch nicht in die auf den Menschen gerichtete Heilsverheißung inbegriffen sei, nach eingehender Reflexion nicht vorstellbar ist, da die Leiblichkeit ein substantieller und notwendiger Bestandteil der menschlichen Existenz ist – und somit eben nicht nur ihre irdische, vorläufige und letztlich bedeutungslose, materielle Überkleidung.848 lichen Konstitution werden am tragischen Beispiel der von vielen Menschen vorgenommenen, schmerzhaften, selbstverletzenden Körpermanipulationen deutlich (vgl. Bail, Hautritzen als Körperinszenierung, 55), durch die die besagten Menschen sich selbst erfahren (vgl. Ebach u. Gutmann, Zur Einführung, 10) und ihr anderweitig nicht zu bewältigendes, innerlich empfundenes Leid auch nach außen tragen, wodurch es für sie erträglicher werde (vgl. Bail, Hautritzen als Körperinszenierung, 55). Dass es sich im Falle derartiger Verhaltensweisen der Körpermanipulation keineswegs um ein modernes Phänomen handelt, wird in eindrücklicher Weise daran ersichtlich, dass bereits der alttestamentliche Textbefund an verschiedener Stelle von „Trauer- und Minderungsriten“ (a.a.O., 54) zeugt, die zur Bewältigung von traumatischen Erfahrungen vollzogen wurden (vgl. ebd.). 840 Vgl. Körtner, Dogmatik, 271. 841 Vgl. Ebach u. Gutmann, Zur Einführung, 10. 842 Vgl. Moltmann, Der Weg, 283. 843 Vgl. Meyer-Drawe, Protokolle, 24 u. Bail, Hautritzen als Körperinszenierung, 63, mit Verweis auf Funk u. Brück, Fremd-Körper, 7–17. 844 Vgl. Bonhoeffer, Schöpfung und Fall, 71. 845 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 186. 846 Greshake, Das Verhältnis, 117 f. 847 Vgl. ebd. 848 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 111.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Betrachten wir nun die Beziehungen, die die Vorstellung des Handelns Gottes am Leichnam Jesu zu Kernbereichen des christlichen Glaubens (wie denen der Inkarnation, der Eschatologie, der theologischen Anthropologie, der Wunderlehre und der Vorstellungen des Endgerichts) aufweist, sowie die Verortung der Vorstellung im Gesamtzusammenhang des christlichen Glaubens als zentraler Aspekt, der mit dem Gottesbild und der Hoffnung auf eine endzeitliche Neuschöpfung in Beziehung steht, so wird ersichtlich, dass sie eine hohe innere Kohärenz zu diversen Inhalten des christlichen Glaubens aufweist. Ferner konnte am Beispiel der Erwartung der endzeitlichen Neuschöpfung gezeigt werden, dass zentrale Glaubensinhalte an Kontur verlieren, sobald eine Distanzierung von der untersuchten Vorstellung vorgenommen wird. Die Plausibilität des untersuchten Ansatzes kann so – gemessen an seiner Vereinbarkeit mit dem Gesamtzusammenhang der christlichen (systematischen) Theologie und der durch sie erschlossenen Wirklichkeitsvorstellungen – nicht begründet bestritten werden, sondern ist vielmehr als gegeben vorauszusetzen. Dies bekräftigt die im Zuge der vorangestellten, logisch-analytischen Reflexion gewonnene Erkenntnis, dass die neutestamentliche Deutung der Grableerwerdung tragfähig erscheint. g) Das leere Grab und seine existentielle Glaubensbedeutung „Es ist immer die Auferstehung des Fleisches, die man leugnet.“849

Zum Abschluss unserer Untersuchung der Plausibilität der neutestamentlichen Begründung des leeren Zustandes des Grabes wollen wir ebendiese auf einer weiteren Ebene der menschlichen Wirklichkeitswahrnehmung – der Ebene der existentiellen Glaubensbedeutung – beleuchten, wobei jedoch nicht primär individuelle Wahrnehmungen und emotionale Zuschreibungen interpretiert werden sollen, da und zumal solche bekanntlich höchst subjektiv sind und von diversen Einflussfaktoren (wie denen der Erziehung und der Sozialisation) abhängen. Es soll vielmehr eine grundsätzliche Untersuchung hinsichtlich der allgemeinen Reaktionen vorgenommen werden, die die Grableerfindung sowie ihre Bezeugung und ihre neutestamentliche Begründung hervorriefen, da auch diese in Entsprechung zu den gewonnen Eindrücken nahezulegen scheinen, dass die besagte Begründung als plausibel zu bewerten ist, was im Folgenden eingehender erläutert wird. Betrachtet man die im biblischen Befund dargestellten Heilshandlungen Gottes sowie die in ihm bezeugten Reaktionen der Menschen auf ebendiese, wird ersichtlich, dass göttliches Heilshandeln von den Menschen in der Tendenz meist nicht unmittelbar oder überhaupt als solches wahrgenommen wird, sondern sich

849 Tertullian, Adv. Marc. V. 9, 2, zitiert nach Sonnemans, „Hellenisierung des biblischen Glaubens?“, 80.

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Teil III: Eigene Deutung

als kontrovers, strittig und mitunter sogar anstößig erweist. Dies mag darin begründet liegen, dass es sich in der Regel in einer Art und Weise vollzieht, welche geläufigen Heilserwartungen oder -wegen nahezu antithetisch gegenübersteht.850 Die vermeintliche Enttäuschung menschlicher Erwartungen durch die (gemessen an menschlichen Erfolgsmaßstäben) nur als Ärgernisse oder Torheiten zu verstehenden Heilsereignisse851 führt ferner oft zu Schmäh- und Spottreaktionen jener, die die göttlichen Heilshandlungen nicht als solche begreifen (können). Dies wird eindrücklich an der (nicht selten als Erniedrigungsgeschichte wahrgenommenen, aber aus der Perspektive des christlichen Glaubens nichtsdestotrotz als die „Heilsgeschichte inmitten der Weltgeschichte“852 verstandenen) Geschichte Jesu ersichtlich, die diverse Aspekte aufweist, welche seit jeher Anstoß erregen und Gegenstand von Herabwürdigungen, Spott und Hohn wurden. Als eines der wohl eindrücklichsten Beispiele für die Anstößigkeit und den allen menschlichen Erwartungen massiv entgegenstehenden Charakter des göttlichen Heilshandelns sei auf die Kreuzigung Jesu verwiesen. Bei dieser handelt es sich um ein zentrales Ereignis der christlichen Heilsgeschichte, wenngleich sie als ein derartiges nicht unmittelbar verstanden wurde, sondern gemäß alltäglicher Maßstäbe als höchste Erniedrigung853 des (den denkbar unwürdigen Hinrichtungstod sterbenden854) Herrn und somit als Bestätigung seines Scheiterns und als finale, zweifelsfreie Refutation seiner Verkündigung aufgefasst wurde855; – „[d]enn ein Tod von dieser Art vollendet nicht. Er zerstört nur.“856 850

Vgl. Roloff, Neues Testament, 248. Vgl. in direkter Bezugnahme auf die Auferstehungsverkündigung und die göttliche Heilshandlung der Auferweckung Jesu: Klaiber, Jesu Tod und unser Leben, 99. Die skizzierte Charakterisierung der göttlichen Heilshandlungen ist keineswegs so zu verstehen, dass alle durch Menschen als Ärgernisse beurteilten Begebenheiten, Umstände und Geschehnisse notwendig auf Gott zurückzuführen und als seine Heilshandlungen oder deren Resultate zu interpretieren seien, sondern vielmehr in dem Sinne, dass die uns biblisch bezeugten göttlichen Heilshandlungen zumeist als Ärgernisse fehlgedeutet wurden und werden. 852 Barth, KD IV/1, 343. 853 Roloff, Neues Testament, 248. 854 Hingewiesen sei erneut auf den Umstand, dass es sich bei der Kreuzigung um eine denkbar entwürdigende und grausame Hinrichtungsmethode handelte, die den verachtenswertesten Verbrechern vorbehalten blieb, und jene, die durch sie den Tod fanden, als von Gott verflucht galten. 855 Ebenso ist jedoch auch erkennbar, dass Ereignisse und Begebenheiten, die ausgehend von weltlichen Maßstäben für Heilsereignisse gehalten wurden und werden, nach biblischen Maßstäben oft keine solchen sind. Erinnert sei etwa an unter tosendem Beifall ausgerufene Kriegserklärungen, Machtergreifungen verbrecherischer Regime oder auch nur – um trivialere Beispiele zu bemühen – an gottesgleich verehrte Personen des öffentlichen Lebens, deren Auftritten meist eine größere Relevanz zugesprochen wird und die mehr Freude und Euphorie hervorrufen können, als es die Bezeugung der Geburt eines Kindes in einer Krippe oder die Kreuzigung eines vermeintlich beliebigen Wanderpredigers täten, wenngleich es sich bei diesen Geschehnissen faktisch um zentrale Momente der christlichen Heilsbotschaft handelt. 856 Vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 259. Ringleben stellt eine Parallele zwischen dem 851

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Nicht erst der mit dem Kreuzestod einhergehende Eintritt Gottes in den Tod (als den Ort der größten „Niedrigkeit und Verlorenheit“857) wird jedoch mitunter als anstößig wahrgenommen, sondern bereits die ebendiesem Eintritt (und auch allem weiteren heilvollen Wirken Gottes in Jesus) zugrundeliegende Fleischwerdung als die Herablassung seiner lebendigen Wirklichkeit hinein in die unsere858, die davon zeugt, dass die Menschlichkeit und auch ihre Endlichkeit von ihm nicht verschmäht werden, sondern er sich sogar in sie hinein erniedrigt.859 Diese Vorstellung eines Gottes, der sich bewusst in die menschliche Schwäche, Machtlosigkeit, Niedrigkeit und Endlichkeit begibt, widerspricht augenscheinlich den gängigen Erwartungen an das Göttliche860, da doch diverse, mitunter weit verbreitete Gottesbilder – wie die der olympischen Gottheiten – durch die Auffassung geprägt sind, dass eine anbetungswürdige Gottheit den vermeintlichen Makeln und Defiziten des Menschen – wie denen der Vergänglichkeit, der Begrenztheit und der Leidensfähigkeit – nicht unterliegt. Im mit derartigen Erwartungen nicht zu vereinbarenden Gegensatz betont das christliche Konzept der Inkarnation Gottes nun hingegen in geradezu Anstoß

ärgerlichen Charakter des Kreuzgeschehens und dem des leeren Grabes heraus, indem er darauf verweist, dass die neuschöpferische Lebendigkeit Gottes ausgerechnet an dem starren, begraben Leib Jesu ansetzte, so wie ausgerechnet die Gottverlassenheit Jesu am Kreuze zum Ort der versöhnenden, göttlichen Gegenwart wurde (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 109). Gerade an diesen beiden denkbar unmöglichen und ungeeigneten Orten der vermeintlichen Gottverlassenheit und des „mentalen und physischen Aufscheinen[s] des Nichts“ (ebd.) ereignet sich somit in einer Weise, die allen menschlichen Erwartungen widerspricht, der Erweis der schöpferischen Gottesmacht, welche sich in aller Bestimmtheit „vom Nichts unterscheid[e]“ (ebd.) und es negiere (vgl. ebd.). Diese Einsicht legt daher den Eindruck nahe, dass ein weiteres Ärgernis in Bezug auf das göttliche Heilshandeln auch darin bestehen könnte, dass Gott und sein Wirken nicht immer oder überhaupt dort aufzufinden und zu verorten sind, wo man sie sucht und/oder erwartet. Die Darstellung der Grableerfindung versinnbildlicht dies nur allzu eindrucksvoll, indem sie davon zeugt, dass die Einschätzung der Frauen in Bezug darauf, wo ihr Herr – hier konkret: sein Leichnam – zu finden sei, nicht falscher sein könnte; denn: „Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat“ (Mt 28,6). Hieran wird deutlich, dass es sich bei allem, was die Menschen in unumstößlicher Weise über ihn zu wissen meinen – und sei es auch nur der Bestattungsort seines Leichnams, dessen Grablegung sie mit eigenen Augen verfolgten, – doch immer nur um unvollständige Annäherungen handeln kann, die sich als fehlerhaft erweisen können. Diese Einsicht erinnert uns einerseits nachdrücklich daran, dass unser Wissen von Gott doch immer nur bruchstückhaft ist, weshalb sich Versuche einer (einen Absolutheitsanspruch vertretenden) Charakterisierung Gottes ebenso verbieten wie Versuche, ihn räumlich oder anderweitig zu fixieren. Andererseits ruft sie uns allerdings ermutigend ins Gedächtnis, dass es keinen noch so vermeintlich gottverlassenen Ort gibt oder geben kann, an dem uns die Gegenwart Gottes sowie seine unterstützende Nähe und Hilfe nicht zuteilwerden könnte. 857 Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 116. 858 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 383. 859 Vgl. a.a.O., 388. 860 Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 149 u. a.a.O., 116.

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Teil III: Eigene Deutung

erregender Weise, dass die Göttlichkeit und Allmacht Gottes sich darin erweist, das Gott dazu frei ist, seiner gesamten Schöpfung „gegenwärtig zu sein“861 und den Erweis ebendieser Gegenwart dennoch insofern an ein ganz konkretes Geschehen zu binden, als dass er eine Identifikation mit den Ergehen und der Gestalt eines bestimmten Menschen vornimmt862, indem er als ein Kind seines Volkes Israel in seine Schöpfung hineingeboren wird „und mit dessen Schmach belangt [wird.]“863 Gerade diese vermeintliche Torheit der göttlichen Erniedrigung in die Natur des Menschen864, durch welche er in Schwachheit auf die ihm entgegengesetzten Mächte trifft, wird hierbei nun aber als „Stärke seiner Macht“865 verstanden, die dazu veranlasst und zwingt, ihn „in äußerster Steigerung als den Lebendigen zu denken“866, da sie nicht nur als seine Erniedrigung, sondern auch als seine Erhöhung und als die Erhöhung seiner menschlichen Natur innerhalb seiner Erniedrigung zu denken ist.867 Zuletzt soll und darf auch der erneute Hinweis auf den (mit der Frage nach dem Ergehen des Leichnams Jesu untrennbar verknüpften) Umstand nicht fehlen, dass auch das zentrale christliche Heilsereignis der Auferstehung keineswegs unmittelbar oder überhaupt als derartiges glaubend angenommen, bezeugt und verbreitet wurde, sondern dass es zunächst die charakteristischen menschlichen Reaktionen auf göttliches Heilswirken hervorrief, zu denen Missfallen, Ärger, Ablehnung und Zweifel zählen.868 Zu begründen ist dies nicht nur damit, dass die Vorstellung der Auferstehung eines Einzelnen vor dem Einsetzen des Weltendes 861

A.a.O., 149. Vgl. ebd. 863 Brandau, Innerbiblischer Dialog und dialogische Mission, 95. 864 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 163 u. Ringleben, Der lebendige Gott, 387. 865 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 163. 866 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 388. 867 Vgl. a.a.O., 387. 868 Im Zusammenhang mit den Auferstehungsereignissen sei im Sinne eines Bezugs auf das Kapitel III.3.1.f zumindest andeutungsweise darauf verwiesen, dass auch der (durch das Wunderhandeln Jesu sowie unüberbietbar durch seine Auferstehung antizipierte) Anbruch des Reiches Gottes, bei welchem es sich offensichtlich um ein göttlich bewirktes Heilsgeschehen handelt, das untersuchte Charakteristikum aufweist, dass es oft nicht nur nicht als derartiges verstanden wird, sondern seine Bezeugung vielmehr Misstrauen, Zweifel und Ablehnung hervorruft oder sogar als Ärgernis aufgefasst wird. Diese Reaktionen werden vor allem damit begründet, dass der besagte Anbruch der Gottesherrschaft nicht im Sinne einer visuell wahrnehmbaren Entwicklung hin zu einem stetig verbesserten Zustand objektiv erkennbar wäre (vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 254), sondern dass die Welt auf geradezu schmerzliche Weise unverändert und nach wie vor noch immer verloren erscheint. Eine Thematisierung dieser (seit jeher in der christlichen Eschatologie behandelten) Herausforderung findet sich bereits bei Luther, der eindrücklich darstellt, dass auch er den Anbruch des Reiches Gottes (gemessen an objektiven weltlichen Maßstäben) als nicht ausmachbar bewertet, da eine Reflexion der Rede vom anbrechenden Reich Gottes zu der notwendigen Erkenntnis führe, dass die Welt unverändert sei, Menschen nach wie vor sterben müssen, augenscheinlich tot bleiben und letztlich verwesen (vgl. Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe. [1833 ff.], 36, 493, 15–26, zitiert nach Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 2). 862

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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für einen (gemessen an weltlichen Maßstäben) doch recht belanglosen und einen schändlichen Verbrechertod gestorbenen Wanderprediger beansprucht wurde, sondern bereits damit, dass seine Auferstehung – wie in Kapitel III.2.3.d erläutert – in eben dieser höchst anstößigen, weil unkonventionellen und für viele Menschen inakzeptablen869 Weise unter massiver Modifizierungen der geläufigen Konzepte verbreitet wurde. Der Anstoß, den diese Umstände erregten, wird im neutestamentlichen Befund an verschiedener Stelle deutlich, so wird berichtet, dass die Auferstehungsverkündigung nicht erst – wie im Diskurs des Öfteren suggeriert – das Missfallen und den Unglauben des modernen, aufgeklärten Menschen erregte, sondern bereits von den Zeitgenossen Jesu und sogar von den Menschen seines unmittelbaren Umfeldes als höchst herausfordernd und unglaubwürdig wahrgenommen wurde.870 Nicht nur auf dem Areopag begegnete man der Auferstehungsverkündigung (dem neutestamentlichen Zeugnis zufolge) so spöttisch, sondern auch die Jünger Jesu hielten die Erscheinungsberichte für Geschwätz871 und reagierten sogar auf die Erscheinungen des Auferstandenen mit Unglauben, Unverständnis und Zweifel. Der neutestamentliche Befund unterstreicht somit eindrücklich, dass die Auferstehungsbotschaft grundsätzlich keine selbstverständlich vorausgesetzte (oder überhaupt für auch nur ansatzweise plausibel gehaltene) Wahrheit gewesen sei, sondern dass sie sich für alle Menschen – und insbesondere für die Zeugen der Hinrichtung Jesu – als völlig unglaubwürdig erwies, woran auch der Umstand nichts zu ändern vermochte, dass eine Totenauferweckung damals – im Gegensatz zur heutigen Zeit – als ein erst einmal mögliches (wenn auch freilich unübliches) Ereignis galt.872

869

Vgl. Kapitel III.2.3.d und beispielsweise Weinrich, Auferstehung, 106. Vgl. Eckstein, Die Wirklichkeit der Auferstehung, 2. 871 Dalferth, Volles Grab, 285. 872 Vgl. ebd. Hinsichtlich der dargestellten Abwehr- und Zweifelsreaktionen auf die Auferstehungsverkündigung weist Dalferth treffend darauf hin, dass die bleibende Unglaubwürdigkeit der christlichen Auferstehungsverkündigung nicht auf eine eingeschränkte Überzeugungskraft ihrer jeweiligen Zeugen zurückzuführen sei, sondern schlicht und ergreifend in ihrem konkreten Inhalt der Auferweckung eines Gekreuzigten durch Gott begründet werden könne (vgl. a.a.O., 287), da eine solche keinerlei Analogien zu ähnlichen Geschehnissen aufweise (vgl. Eckstein, Die Wirklichkeit der Auferstehung, 2). Angesichts der geläufigen Alltagserfahrungen (vgl. ebd.) erscheint sie im Gegenteil schier unfassbar und entzieht sich entsprechend dem menschlichen Grundbestreben nach kognitiver Klarheit, kausalem Verständnis und Eindeutigkeit, was notwendig Zweifel, Misstrauen oder Ablehnung hervorruft. Als weitere (nicht eigens thematisierte) Beispiele für die These, dass göttliche Heilshandlungen und ihre Bezeugungen meist als Torheiten und/oder Ärgernisse aufgefasst werden, können die Grundzüge der christlichen Ethik, wie sie in der Bergpredigt thematisiert werden, angeführt werden, da diese bekanntlich auf eine bedingungslose Aufopferung und Nächstenliebe des Menschen abzielen. Diese Zielbestimmung kann – gemessen an weltlichen Maßstäben und der oft als schonungslos erlebten Realität, in welcher der Mensch vermeintlich darauf angewiesen ist, sich primär auf sein eigenes Wohlergehen zu fokussieren, – von vielen 870

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Teil III: Eigene Deutung

Betrachten wir nun das leere Grab und seine neutestamentliche Begründung vor dem Hintergrund der charakteristischen Wahrnehmung göttlichen Heilshandelns als Torheit und/oder Ärgernis, so wird deutlich, dass auch die Grableerfindung, wie sie in den neutestamentlichen Perikopen dargestellt wird, und die durch sie implizierte Vorstellung einer Verwandlung der irdischen Leiblichkeit Jesu nicht unmittelbar oder überhaupt als Aspekte des göttlichen Heilshandelns verstanden wurden. Ganz im Gegenteil ist ihre neutestamentliche Bezeugung augenscheinlich geprägt von Hinweisen auf gegnerische Propaganda sowie von den Motiven der Furcht, der Flucht, des Unglaubens und der Verzweiflung.873 Dieser Eindruck setzt sich auch im gegenwärtigen Diskurs fort874, in dem sich eindrücklich widerspiegelt, dass die Vorstellung der Grableerwerdung als Resultat eines göttlichen Handelns – in gleicher Weise wie die Grableerfindungserzählungen als solche – zu jeder Zeit vielfältiger Kritik ausgesetzt war, die sich etwa auf die mangelnde Eindeutigkeit875 des in den Grableerfindungserzählungen be-

nur als naiv und töricht verstanden werden. Als abschließender Aspekt sei das christliche Verständnis des Menschen als Sünder angeführt, welches diesen in ernüchternd ärgerlicher Weise auf seine (ungeachtet aller Versuche, sich eine positive Identität zu schaffen, weder zu vermeidenden noch zu behebenden) Verstrickung in diverse Schuldzusammenhänge konfrontiert und ihn so auf seine (jedem Autonomiebestreben entgegenstehende) bedingungslose Angewiesenheit auf ein göttliches Erlösungshandeln aufmerksam macht, das demütig stimmt. 873 Vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 117. 874 Die überdauernde Kontroversität des untersuchten Gegenstandes wird eindrücklich in der von Beginn an und bis in den gegenwärtigen Diskurs hinein erkennbaren Tendenz ersichtlich, dass ein Großteil jener Quellen, welche die leibliche Auferstehung thematisieren, polemischer oder apologetischer Art sind und einen meist deutlich abgrenzenden Charakter aufweisen (vgl. Weinrich, Auferstehung, 108). 875 Die sich in den Grableerfindungserzählungen und auch in den weiteren Auferstehungsereignissen widerspiegelnde, zu kontroversen Debatten einladende, für das göttliche Heilshandeln charakteristische Uneindeutigkeit prägte nicht erst die besagten Erzählungen (vgl. Vorholt, Osterevangelium, 143), sondern bereits das gesamte irdische Wirken Jesu, dessen Unüberholbarkeit als eine göttliche Offenbarung in seinem irdischen Wirken und Auftreten in der Tat noch nicht erkennbar wurde (vgl. Pannenberg, Grundfragen, 155). Eine deutliche Zuspitzung erfuhr sie – wie Pannenberg herausstellt – in der Behauptung, dass sein Agieren zu einem bereits gegenwärtigen Anbruch des Reiches Gottes bei den Gläubigen führte, welche auf Ablehnung, Spott und Ärger stieß und letztlich sogar in der Forderung gipfelte, dass Jesus sein Wirken und seine Verkündigung umgehend einzustellen habe. Dass Jesus dieser Forderung nicht nachkam, sondern unbeirrt an seinem Anspruch und seiner Botschaft festhielt, führte schließlich bekanntlich dazu, dass er die absehbaren Konsequenzen der besagten Zweideutigkeit in Form seiner Hinrichtung auf sich nehmen musste (Pannenberg, Systematische Theologie II, 417). Auch die aus christlicher Perspektive als Bestätigung des Anspruchs Jesu verstandene Auferstehung (vgl. Pannenberg, Grundfragen, 155) vermochte es aufgrund ihrer Strittigkeit und Uneindeutigkeit, wegen der sie „lediglich“ als Gegenstand der christlichen Hoffnung, aber eben nicht als objektiv ausweisbares Sachwissen qualifiziert werden kann (vgl. Moltmann, Der Weg, 245), nicht, die besagte Mehrdeutigkeit endgültig und objektiv wahrnehmbar aufzulösen, sodass diese bis zur (in der Auferstehung bereits unüberholbar antizipierten) endgültigen Bestätigung Jesu in der alle konfuse Uneindeutigkeit beseitigenden

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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zeugten Umstandes eines leeren Grabes bezieht, welcher Anknüpfungspunkt skeptischer oder sogar bösartiger Fehldeutungen seien kann.876 Ferner wird auch die durch die Grableerfindung implizierte, beinahe ärgerliche Auferstehungsleiblichkeit877 nicht erst seit der Zeit der Aufklärung oder gar erst in gegenwärtigen Erkenntnisbemühungen878 als nahezu ungeheuerlich empfunden, sondern bereits seit Einsetzen der Auferstehungsverkündigung als anstößig wahrgenommen.879 Dies wurde anhand der in Exkurs III.3.1.c vorfindlichen Ausführungen ersichtlich, die davon zeugen, dass die Vorstellung der Auferstehung des ganzen Menschen mitsamt seiner Leiblichkeit das Verständnis und die Adaption des christlichen Glaubens880 sowie die frühchristliche Heidenmission bereits für das kulturelle Umfeld der ersten Christen erheblich erschwerte, wie anhand der Darstellungen der Spottreaktionen auf Pauli Auferstehungsverkündigung auf dem Areopag erkennbar wird.881 Diese Verkündigung als das zentralste Unterscheidungsmerkmal des christlichen Glaubens von der Philosophie der Antike882 wird daher als seine offene Flanke bezeichnet, welche von seiner Entstehung an und bis hinein in das fünfte Jahrhundert wiederholt zum Anlass für Anfeindungen und Schmähungen genommen wurde.883

Neuschöpfung der Welt und in der definitiven Durchsetzung des Reiches Gottes bestehen bleibt (vgl. Pannenberg, Grundfragen, 155, Pannenberg, Systematische Theologie II, 404 u. Moltmann, Der Weg, 245). 876 Vgl. Dietzfelbinger, Johanneischer Osterglaube, 16. 877 Vgl. Schimanowski, Auferweckung im Neuen Testament, 51. 878 Dass die negative Wahrnehmung der leiblichen Auferstehung auch im gegenwärtigen Diskurs präsent ist, dürfte an verschiedener Stelle – wie etwa anhand der in Kapitel II.5 vorfindlichen Darstellung gegenwärtiger Diskurstendenzen – deutlich geworden sein; zeugen diese doch von einer zunehmenden Distanzierung vom jüdisch-apokalyptischen Deutungsrahmen sowie von einer verbreiteten Abblendung oder gar Leugnung jeder naturalen Dimension des Auferweckungsgeschehens (vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 216) und – damit – von der Legitimation, die Rede vom leeren Grab einseitig legendarisch auszudeuten, nur höchst oberflächlich zu thematisieren oder sie umgehend als irrelevant zu vergleichgültigen. 879 Vgl. Eckstein, Die Wirklichkeit der Auferstehung, 2. 880 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 184. 881 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 394 u. Apg. 17,16–34. 882 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 173. Der Umstand, dass die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung die Christen sowohl von den Heiden als auch von anderen Christen unterschied (vgl. Greshake, Untersuchungen, 213) und die Entstehung kontroverser innerchristlicher Auseinandersetzungen hervorrief, da auch einige unter ihnen das besagte Konzept mitunter als nicht notwendig oder sogar als anstößig wahrnahmen (vgl. Schimanowski, Auferweckung im Neuen Testament, 51), sei hier vorausgesetzt und stets mitgedacht. 883 Vgl. Greshake, Untersuchungen 184. Verwiesen sei auf den Exkurs III.3.1.c, in dem einige Herabwürdigungen der christlichen Hoffnung auf eine leibliche Auferstehung dargestellt wurden, welche die Vehemenz der gegen sie gerichteten Polemik nur allzu deutlich illustrierten. Erinnert sei etwa an die Behauptung des Celsus, dass es sich bei ihr um eine Würmern würdige Hoffnung handele (vgl. Origenes, C. Cels. V, 14, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 185).

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Teil III: Eigene Deutung

Über diese grundlegenden Aspekte der Vorstellung einer Grableerfindung hinaus erregten jedoch auch die Detaillierungen der Erzählungen Anstoß; so betonen einige Theologen mit Verweis auf die in Mk 16,1 und Lk 24,1 dargestellte Salbungsabsicht der Frauen, dass die Vorstellung des leeren Zustandes des Grabes auch deshalb als Ärgernis aufzufassen sei, weil sie das Aufrechterhalten der Erinnerung an Jesus in grundlegender Weise bedroht habe, indem sie von einem Umstand zeuge, der die Salbung (als eine verabschiedend-erinnernde Kulturtechnik) verunmöglichte und eine „geordnete kulturelle Erinnerung“884 somit perspektivlos vernichtete, ohne eine (neue) Zukunftsperspektive zu eröffnen.885 Reflektiert man die im gegenwärtigen Diskurs vorfindliche, in Bezug auf den leiblichen Charakter der Auferstehung empfundene Anstößigkeit, so wird zudem ersichtlich, dass diese (über die dargestellten Aspekte hinaus) meist in der mangelnden Plausibilität begründet wird, die ihm ausgehend von der nicht gegebenen Vereinbarkeit der Transformation einer irdischen Leiblichkeit mit der analytischen Rationalität der Neuzeit886 zugesprochen wird. Da diese aufgrund der thematisierten, in ihr zugrunde gelegten Prämissen nahelegt, dass der Vorstellung der Transformation einer irdischen Leiblichkeit in eine pneumatische Leiblichkeit keine Glaubwürdigkeit zugesprochen werden kann, wird die Vorstellung der leiblichen Auferstehung von vielen Menschen entsprechend als erheblichste Zumutung in Bezug auf ihr Wirklichkeitsverständnis wahrgenommen887, welcher nicht selten dahingehend begegnet wird, dass sie pauschal als nicht länger zeitgemäß eingestuft und ihre Verbindlichkeit für die gegenwärtige Christenheit kategorisch abgelehnt wird. Die auf die Darstellung der pneumatischen Leiblichkeit des Auferstandenen abzielenden neutestamentlichen Befunde werden entsprechend in einer mit der besagten Rationalität zu vereinbarenden Weise – etwa im Sinne des bultmannschen Entmythologisierungskonzepts – umgedeutet. Das Festhalten an den Vorstellungen einer leiblichen Auferstehung und einer Transformation der irdischen Leiblichkeit Jesu wird ferner nicht selten als Resultat einer (in eigenen Ängsten begründeten) Verweigerung dessen verstanden, sich mit der uns umgebenden Realität in all ihrer Brutalität und Schonungslosigkeit auseinanderzusetzen.888 Diese führte dazu, dass einige Menschen die als illusorisch und nicht plausibel beurteilte, der empirischen Realität des Sterbens und Dekompostierens irdischer Leiber entgegenstehende Hoffnung auf eine bewahrende Transformation ihrer Leiblichkeit wider alle Vernunft nicht aufgeben. Wenngleich die Begründungen für die immer wieder vollzogenen Schmähungen und Verspottungen der Vorstellungen einer Grableerfindung durchaus variieren, so bleibt ihre überdauernde Wahrnehmung und Beurteilung als ein Ärgernis, das man nur aufgrund großer Torheit für ein göttliches Heilsereignis halten 884

Thomas, „Er ist nicht hier!“, 204. Vgl. ebd. 886 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 887 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 1. 888 Vgl. Werbick, Diess Leben, 211. 885

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könnte, erhalten, obschon sie (ausgehend vom Gesamtzusammenhang der christlichen Theologie und dem Wirklichkeitsverständnis, das sie konstruiert,) zweifelsohne als ein ebensolches zu verstehen ist.889 Dies gilt in ähnlicher Weise auch für die genannten Beispiele, deren Wahrnehmung und Beurteilung als Torheit und/oder Ärgernis ebenfalls eine zeitliche Stabilität aufweisen, wenngleich die Begründungsstrukturen, die zu dieser Beurteilung führen und vorgetragen werden, im Laufe der vergangenen Jahre durchaus variierten.890 Die festgestellte, nicht plausibel zu erklärende, unverhältnismäßig emotionale Beteiligung, die durch die Vorstellung der Grableerfindung und explizit durch das thematisierte Deutungsangebot hervorgerufen wird und sich in einer vehementen, mitunter sogar polemischen Abwehr der Geltung und Relevanz ebendieses Deutungsangebots innerhalb des Diskurses von Beginn an zeitstabil anhand immer neuer Argumentationen äußert, scheint somit den Charakter der Grableerwerdung als Resultat eines (nicht selten als Ärgernis fehlgedeuteten) göttlichen Heilshandelns zu unterstreichen. Dass diese Einschätzung dem untersuchten Deutungsangebot entspricht und ebenso wie die Argumente der vorangegangenen Kapitel zu dessen Plausibilisie-

889 Auf den ersten Blick liegt in Bezug auf die ausgebreitete These der Eindruck nahe, dass der Charakter des leeren Grabes als Ärgernis das wohl anfechtbarste Argumente für eine Deutung der Grableerwerdung als Resultat des Wirkens Gottes an Jesus ist, weil man vermeintlich in gleicher Weise damit argumentieren könnte, dass die Verkündigung der Auferstehung Jesu vor dem Hintergrund der Verwesung seines Leichnams als anstößig empfunden worden wäre, wenn man etwa mit Pannenberg davon ausgeht, dass eine Auferstehung nur unter der Bedingung eines Einbezugs des Leichnams geschehen sein könnte. Ungeachtet dessen, dass wir diese These mit Verweis auf die Existenz der Vielfalt verschiedener Auferstehungsvorstellungen, die zur Zeit und im Umfeld der Kreuzigung und Auferstehung Jesu existierten, zurückgewiesen haben, wäre eine derartige Argumentation auch deshalb kurzschlüssig, weil die Auffassung, dass Jesus auferstanden sei und sein Leichnam dennoch verwest sei, keineswegs zeitstabil als Ärgernis wahrgenommen werden würde, wie dies in Bezug auf göttliche Heilshandlungen und ihre Folgen der Fall zu sein scheint. Ganz im Gegenteil wurde – am eindrücklichsten wohl am Beispiel Dalferths – gezeigt, dass heutzutage viele Theologen sogar davon ausgehen, dass Jesus auferstanden sei und dass sein Leichnam nichtsdestotrotz dekompostierte, ohne diese Vorstellung als anstößig oder ärgerlich zu empfinden. Der Auffassung folgend, dass die Zeitstabilität ein wesentliches Moment der Wahrnehmung göttlicher Heilshandlungen als Ärgernis darstellt, können derartige, eine vermeintliche Beliebigkeit der Charakterisierung eines Geschehens als ärgerlich unterstellende Thesen abgewiesen werden. 890 Verwiesen sei erneut auf das Kreuzesgeschehen, dessen Bezeugung noch immer und ungeachtet dessen, dass eine gesamtgesellschaftliche, zumindest fragmentarische Kenntnis darüber besteht, dass es im christlichen Glauben gemeinhin als Heilsereignis verstanden wird, selbst innerhalb seiner systematisch-theologischen Deutung erhebliches Unverständnis und allerlei Missdeutungen provoziert. Exemplarisch können all jene Ansätze angeführt werden, die in unsachgemäßer Weise voraussetzen, dass es Gott zur Versöhnung mit seinen Geschöpfen nach einem blutigen Opfer verlangte, welches durch Jesus im Sinne jener antiken Sühneopfer, die zum Gunsterhalt der Götter dargeboten wurden, erbracht werden musste und das ausschließlich diesem Zweck gedient habe.

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rung herangezogen werden kann, weil sie auf zeitstabilen, von Beginn an konstitutiv zum Grableerfindungsdiskurs zugehörigen, stets neu akzentuierten und deutlich erkennbaren Tendenzen beruht, dürfte augenfällig sein. h) Zusammenschau „Ein Ereignis, das ,pro nobis‘ geschieht, lässt sich nicht aus einer unbeteiligten ZuschauerInnenhaltung wahrnehmen.“891

Rufen wir uns die in den vorangestellten Teilkapiteln beleuchteten Gegenstände ins Gedächtnis, so scheint in der Tendenz doch das Ergebnis nahezuliegen, dass sich eine Orientierung an dem untersuchten jüdisch-apokalyptischen Horizont und insbesondere an der in Kapitel III.3.1.a dargestellten Begründung der Grableerwerdung in einem Handeln Gottes am Leichnam Jesu zur Deutung der Grableerfindungsperikopen empfiehlt. Dies wird bereits und noch vor allen vertieften Auseinandersetzungen anhand der dargestellten, aus logisch-analytischen Erwägungen gewonnen Erkenntnis ersichtlich, dass schon die schiere Verwendung des erläuterten Deutungshorizonts zur Darstellung der von den ersten Christen wahrgenommenen Auferstehungsereignisse, die mit einer (die Verkündigung der Auferstehung erschwerenden) Modifikation der geläufigen Vorstellungen der endzeitlichen Totenauferweckung einherging, dafür spricht, dass die besagten Geschehnisse in einer Weise erlebt wurden, die dem angesprochenen Deutungsangebot entspricht oder von ihm zumindest am treffendsten ausgedrückt werden konnte, da sie anderenfalls nicht zu plausibilisieren wäre. Dieser Eindruck wurde durch die Untersuchung der inhaltlichen Struktur des Deutungsangebots bestätigt, die (gemessen an ihrer Übereinstimmung mit Kernelementen der christlichen Theologie und den Wirklichkeitskonzepten, die aus ihnen abgeleitet werden,) von einer hohen Plausibilität des Deutungsangebots zeugt, das sich problemlos in den Gesamtzusammenhang der christlichen Theologie einfügt und mitunter sogar in Wechselbeziehungen zu wichtigen Grundgedanken (wie denen der Inkarnation, der Zwei-Naturen-Lehre, der eschatologischen Gerichtsvorstellung und des Verständnisses Gottes als der seine Schöpfung nicht preisgebende, sondern bewahrende Schöpfer) steht. Darüber hinaus trägt das untersuchte Konzept der leiblichen Auferstehung zur Konkretisierung elementarer Vorstellungen und Zusammenhänge bei, was anhand der christlichen Hoffnung auf eine endzeitliche Neuschöpfung des Himmels und der Erde veranschaulicht wurde. Auch ausgehend von der vollzogenen inhaltlichen Untersuchung des Deutungsangebots scheint es sich bei ihm somit nicht um einen beliebigen, zu vernachlässigenden Aspekt der Weltanschauung der Jünger zu handeln892, sondern

891 892

Frettlöh, „Gott ist im Fleische …“, 188. Vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 176. Sprachlich orientiert sich die vorfindliche Aus-

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um eine (einen elementaren Aspekt der christlichen Theologie beschreibende) Annäherung, deren Plausibilität – gemessen am biblischen Befund und an der von ihm konstruierten Wirklichkeitskonzepte – nicht ernstlich bestritten werden kann. Im Gegenteil stellt er einen angemesseneren Bewertungsmaßstab dar als jene individuellen und höchst subjektiven, mitunter lediglich in zeitgebundenen Rationalitäten begründeten Behauptungen in Bezug auf das, was für den modernen Menschen interessant, tragfähig und zugänglich sein könne.893 Dieser Eindruck wurde zuletzt auch durch die Untersuchung auf der Ebene der existentiellen Glaubensbedeutung bestätigt, die deutlich machte, dass die Grableerfindung sowie die durch sie implizierte Verwandlung der irdischen Leibsage an den Ausführungen Oberdorfers, der darauf verweist, dass es sich bei der Vorstellung, „dass Gott Jesus nicht im Tode lassen würde“ (ebd.) im Allgemeinen nicht um einen beliebigen Aspekt der Weltanschauung der Jünger handele, was er (in Entsprechung zur im dritten Teil konstruierten Argumentation) damit begründet, dass der Umstand, dass die Botschaft Jesu in ihrer fortbestehenden Geltung (ungeachtet seines Todes) betont und verbreitet wurde, nur ausgehend von einer Gewissheit in Bezug auf seine Auferstehung plausibel werde (vgl. ebd.). 893 Das im Auferstehungsdiskurs oft vorfindliche, bereits von Bultmann angeführte Argument, dass die Vorstellung der leiblichen Auferstehung dem modernen Menschen nicht (mehr) nachvollziehbar sei und als nicht länger verbindlich angesehen werden könne (vgl. Kapitel II.2.3), verwundert bei eingehender Reflexion doch sehr, da es – auch von allen bisher angeführten Anfragen einmal abgesehen – eine nur geringe argumentationslogische Legitimation aufweist. Dies wird bereits daran deutlich, dass allein der Umstand, dass eine Vorstellung nicht unmittelbar verständlich oder zugänglich ist, nicht zwangsläufig damit einhergeht, dass sie ihren Gegenstand nicht adäquat beschreibt. Im Gegenteil sind viele Sachverhalte – wie unsere Alltagswelt uns lehrt – nur anhand komplexer, wenig zugänglicher Denkmodelle sachgemäß zu erläutern. Entsprechend drängt sich die Frage auf, warum die leichte und unmittelbare Verständlichkeit einer Darstellung zum Güte- und Beurteilungsmaßstab des durch sie dargestellten Sachverhalts erhoben werden sollte, da dies doch allen lebensweltlichen Erfahrungen widerspricht, die davon zeugen, dass die meisten komplexen Erkenntnisgegenstände einer Erläuterung bedürfen, um angeeignet werden zu können. Dass dies auch für den Gegenstand der Auferstehung gilt und im Übrigen schon immer galt, wird anhand dessen deutlich, dass sie sich schon für die ersten Christen als strittig und schwer zugänglich erwies. Diese Einsicht lässt die Annahme, dass die Vorstellung der leiblichen Auferstehung nicht mehr angeeignet werden könne, fraglich werden, da hier in unsachgemäßer Weise suggeriert wird, dass dieses Erklärungsmodell für die ersten Christen leicht verständlich gewesen sei und problemlos angeeignet werden konnte, was zu keinem Zeitpunkt der Fall war. In der anknüpfungsfähigen Aufbereitung und Vermittlung des Konzepts der leiblichen Auferstehung besteht somit ein zwingender Anspruch der christlichen Theologie. Freilich kann dieser Anspruch nicht dadurch realisiert werden, das besagte Konzept in sinnentfremdender, verbreiteter Rationalitäten entsprechender Weise umzudeuten oder gar zu verwerfen. Er ermutigt vielmehr dazu, didaktisch sinnvolle, nachvollziehbare und anknüpfungsfähige Sprachund Erläuterungsformen zu etablieren. Als Orientierung kann die im Neuen Testament überlieferte Predigt Jesu dienen, die davon zeugt, dass er die komplexen (menschlichen Erfahrungen oft widersprechenden) Denkmodelle, wie das des Reiches Gottes, nicht als „für den Menschen irrelevant“ einstufte, sondern sie didaktisch aufbereitete und anhand von Gleichnissen und Beispielen verständlich machte, die an der Lebenswelt seiner Adressaten orientiert waren.

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lichkeit Jesu als (Unverständnis, Ablehnung und Schmähungen hervorrufende) Ärgernisse wahrgenommen werden, was sie – in Entsprechung zum reflektierten Deutungsangebot – als Resultate eines heilschaffenden Wirkens Gottes auszuweisen scheint, welche derartige Reaktionen vermehrt und zeitstabil hervorrufen. Aus diesen Ergebnissen folgt, dass die neutestamentliche, auf konkreten Erfahrungen mit den Auferstehungsereignissen beruhende Begründung der Grableerwerdung in einem Handeln Gottes am Leichnam des verstorbenen Herrn als plausibel zu beurteilen ist oder doch zumindest nicht pauschal verworfen werden kann, da verschiedene logisch-analytische und selbstredend auch dezidiert theologische Abwägungen ihre Plausibilität bekräftigen, wohingegen bislang nichts von argumentationslogischer Relevanz gegen sie ins Feld geführt werden konnte. Spricht aber nichts von Relevanz gegen das neutestamentliche Begründungangebot der Leerwerdung des Grabes, sondern erweist es sich vielmehr als nachvollziehbar, so ist es ungeachtet aller anderen denkbaren Begründungsangebote – wie etwa dem eines Leichenraubes – zu bevorzugen894 und vorauszusetzen, bis eine plausiblere Erklärung hervorgebracht werden kann, die die Leerwerdung des Grabes in einer mit dem biblischen Befund zu vereinbarenden Weise argumentationslogisch überzeugend begründen kann895, was gegenwärtig aber nicht der Fall ist. 894 Eine Bevorzugung eigener an den biblischen Befund herangetragener Ansätze – wie dem der Vorstellung eines Leichenraubes – gegenüber einem als plausibel beurteilten, biblischen Deutungsangebot würde von der Prämisse zeugen, dass die eigenen Erkenntnisbemühungen in Bezug auf eine Deutung der Welt trefflicher wären als die neutestamentlichen Bezeugungen. Dies verbietet sich offenkundig und käme in letzter Konsequenz doch nur einer übersteigerten Verehrung des eigenen – durch die Konfusion beeinflussten – Intellekts gleich. 895 Vertreter entgegenstehender Diskurspositionen sind entsprechend dazu aufgefordert, begründet darüber Auskunft zu geben und biblisch fundiert darzulegen, warum die neutestamentliche Grableerwerdungsdeutung ihres Erachtens als nicht plausibel zu beurteilen sei, und eine nachvollziehbare, alternative Begründung vorzutragen, welche anhand des biblischen Befundes überzeugend plausibilisiert werden kann. Sofern sie die Relevanz der Vorstellung der Grableerwerdung und/oder ihren Gegenstand als solchen prinzipiell leugnen, sei von ihnen nachvollziehbar zu erläutern, aus welchen Überlegungen dieses Urteil erwächst, das doch augenscheinlich der großen Relevanz, die der Vorstellung der leiblichen Auferstehung im Gesamtzusammenhang der christlichen Theologie zukommt, widerspricht. Zu beantworten wäre ferner, warum die Auferstehung wider alle Vernunft in der ihre Verkündigung behindernden, uns bekannten Weise verbreitet wurde, sofern dies nicht durch den Umstand, dass sie in einer ihr entsprechenden Weise erfahren wurde, plausibilisiert werden könnte. Diese Anforderungen seien explizit auch an die Vertreter der Versuche einer Legitimation der Möglichkeit dessen, dass Jesus durch Gott auferweckt wurde, während sein irdischer Leib verweste, gestellt (vgl. Oberdorfer, Was sucht ihr, 178). Eine derartige Auffassung mag zwar plausibel erscheinen, da sie mit den Prämissen der modern-analytischen Rationalität (Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320) vermeintlich vereinbar ist; sie widerspricht jedoch einem Großteil des neutestamentlichen Befundes in eklatanter Weise (vgl. TEIL I dieses Buches u. bspw. Lüdemann, Die Auferweckung, 57) und kann daher nur dann konstruiert werden, wenn der Interpret sich in diversen Auswahlentscheidungen wieder und wieder gezielt gegen eine Orientierung an den neutestamentlichen Ansätzen entscheidet. Darüber hinaus kann sie meist ausschließlich durch argumentationslogisch fragliche Argumente begrün-

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Wir kommen demnach zu dem Schluss: Die neutestamentliche Grableerwerdung ist in Entsprechung zum Schriftbefund als Resultat eines göttlichen Handelns am Leib Jesu zu verstehen, das zur Entstehung seiner (in den Begegnungen mit ihm als dem Auferstandenen wahrgenommenen) pneumatischen Leiblichkeit führte, in welcher die endzeitliche Neuschöpfung der Welt antizipatorisch vorweggenommen wurde. Die Leiblichkeit der Auferstehungswirklichkeit stellt ferner keine zusätzliche Herausforderung an die die Auferstehung reflektierende Vernunft dar, die zur Auferstehungsverkündigung hinzukäme, sondern ist ein (durch den zu ihrer Darstellung verwendeten Horizont bereits als notwendig ausgewiesener und plausibilisierter,) von ihr nicht sinnvoll abzutrennender Aspekt, der entsprechend nicht naiv und unreflektiert für wahr gehalten werden sollte, sondern begründet angenommen, gerne auch kritisch reflektiert und sich letztlich gesagt gelassen sein kann.896

det werden. Exemplarisch kann auf Dalferths (von ihm nicht begründeten) Hinweis darauf verwiesen werden, dass der Leichnam Jesu notwendig verwest sein müsse, da nur durch die Dekompostierung seines Leichnams sichergestellt gewesen wäre, dass auch die anderen Menschen, deren Leichname bekanntlich der Verwesung anheimfallen, auf eine Auferstehung analog zu der seinigen hoffen dürften (vgl. Kapitel II.4). Dieses vermeintlich schlüssige Argument entbehrt argumentationslogisch allerdings jeglichen Sinnes, da es unterstellt, dass die im Geschick Jesu antizipierte Auferstehung des Menschen der seinigen exakt entsprechen müsse. In einer theologische Sinnzusammenhänge umkehrenden Fragerichtung wird dabei das Geschick des Menschen nicht länger hoffnungsvoll am (es antizipierenden) Ergehen Jesu abgelesen, sondern im Gegenteil versucht, vom Geschick des Menschen ausgehend abzuleiten, in welcher Weise sich seine Auferstehung vollzogen haben müsste. Dies erscheint bereits aufgrund dessen, dass es sich bei Jesus um den inkarnierten Gott handelt, dessen Konstitution sich schon deshalb zwangsläufig von der der übrigen Menschen unterscheidet, fraglich. Ferner leuchtet die Prämisse, dass Jesus das gesamte Geschick der Menschen und somit auch ihre Dekompostierung möglichst exakt geteilt haben müsste, damit die erlösende und befreiende Macht seiner Auferstehung auch in Bezug auf sie wirksam werde, auch deshalb nicht ein, weil eine derartige, am biblischen Befund nicht zu belegende Argumentationsweise die merkwürdige Übertragung nahelegen würde, dass Jesus selbst auch blind gewesen sein müsste, um blinde Menschen zu heilen, oder selbst gelähmt hätte sein müssen, um die Paralyse anderer Menschen zu beheben. In ähnlicher Weise vermögen – es sei doch zumindest anproblematisiert – auch die anderen Argumente Dalferths nicht zu überzeugen. Warum seines Erachtens beispielsweise die (Jesu Tod sowie seiner Auferstehung innewohnende) soteriologische Relevanz bestritten werden würde, wenn man im Sinne des diskutierten Deutungsangebots davon ausgeht, dass seine irdische Leiblichkeit in den Prozess der Entstehung seiner Auferstehungsleiblichkeit in bewahrend neuschöpferischer Weise einbezogen wurde, und weshalb er diese Vorstellung als doketisch bezeichnet (vgl. Dalferth, Volles Grab, 296), obwohl es sich bei ihr im Gegenteil doch offensichtlich um eine Abwehr doketischer Gedanken handelt (vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 230), verwundert und bleibt im Rahmen seiner Argumentation leider ebenfalls unbegründet. 896 Dass diese Schlussfolgerungen – wie alle redlichen, systematisch-theologischen Bemühungen – die ringlebensche Einsicht voraussetzen, dass wir hinsichtlich unserer Erkenntnisbemühungen in Bezug auf die Auferstehung – so begründet sie im Einzelnen auch sein mögen – letztlich doch nie vollends erfassen, was genau wir mit ihnen eigentlich ausdrücken

418

Teil III: Eigene Deutung

Dass diese Einschätzung – im Gegensatz zu der These, dass derartige Gedanken für den modernen Menschen nicht länger anknüpfungsfähig seien – sehr wohl in ihrer Glaubens- und Wirklichkeitskonstruktion Berücksichtigung finden kann und (neben einer entsprechenden wirklichkeitserschließenden) diverse weitere, als bereichernd wahrzunehmende Funktionen aufweist, sofern sie didaktisch sinnvoll aufbereitet und artikuliert wird897, sei im Folgenden gezeigt. Zuvor ist allerdings noch auf einige bislang nicht ausreichend beleuchtete Implikationen hinzuweisen: Reflektieren wir die dargestellten Ergebnisse, dürfte das in aller Bestimmtheit gefällte Urteil, dass die Leere des Grabes ausgehend vom jetzigen Erkenntnisstand eindeutig auf ein Wirken Gottes an Jesu irdischer Leiblichkeit zurückgeführt werden kann, vor dem Hintergrund der immer wieder angesprochenen Erkenntnis überraschen, dass die Grableerfindung – wie schon die Leerfindungsperikopen zeigen – sogar von ihren Zeugen als ein per se mehrdeutiger, verwechselbarer und Unverständnis hervorrufender Umstand erlebt wurde898, der keineswegs zu dem Schluss führte, dass er in einer (leiblichen) Auferstehung Jesu begründet liegt. Grundlegend ist einzuräumen, dass das Ereignis der Grableerfindung – seinem Charakter als einem in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte verankerten Ereignis entsprechend899 – natürlich eine gewisse Mehrdeutigkeit aufweist, die eine Interpretation notwendig macht und sich in den Grableerfindungs-

und greifbar machen wollen (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 32), sei noch einmal betont. 897 Die geforderte, didaktisch sinnvolle Aufbereitung der Rede vom leeren Grab und der Begründung der Grableerwerdung in einem göttlichen Heilshandeln, in der ihr wirklichkeitserschließendes Potenzial zur Entfaltung kommt, ohne dass ihre Relevanz und/oder ihr Anspruch auf eine Verankerung in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte aufgegeben werden muss, stellt ein ansprechendes Forschungsanliegen dar. Seine Weiterverfolgung ist als lohnend zu bewerten, da die durch sie (wieder) zu gewinnende Sprachfähigkeit der christlichen Theologie in Bezug auf die Auferstehung in ihrer Relevanz für die Vermittlung des christlichen Glaubens (auch gegenüber theologisch wenig informierter Bevölkerungsteile) nicht hoch genug einzuschätzen ist und angesichts diverser im innertheologischen Auferstehungsdiskurs verbreiteter, oft nicht (ausreichend) mit Inhalt gefüllter und nur wenig aussagekräftiger Wendungen erkennbar wird. Als Beispiel kann auch hier auf Dalferths (nur wenig greifbare und entsprechend auch nur wenige Assoziationen evozierende) Umdeutungsversuche der Rede von der Leiblichkeit der Auferstehung verwiesen werden, die seines Erachtens von einer „eschatologische[n] Qualifizierung des Seins Gottes als sich selbst auslegendes Seinfür-andere“ (Dalferth, Volles Grab, 306) zeuge und ferner eine Qualifizierung unseres eigenen Seins als ein „Durch-Gott-ermöglichtes-und-vermitteltes-Sein-für-Gott-und-für-andere [nahelege]“ (ebd.). 898 Vgl. TEIL 1 dieses Buches u. Klappert, Diskussion, 19. 899 Verwiesen sei auf die einleuchtende Feststellung Klapperts, dass jedes Ereignis, das eine Verankerung in der von Menschen wahrnehmbaren Dimension der Geschichte aufweist, prinzipiell Anteil an ihrer (in der weltdurchwaltenden Konfusion begründeten) Verwechselbarkeit und Uneindeutigkeit zu nehmen scheint (vgl. Klappert, Diskussion, 19).

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

419

perikopen widerspiegelt. Diese ergibt sich bereits daraus, dass Reflexe eines Ereignisses, das in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte zu verorten ist – wie anhand der erkenntnistheoretischen Prämissen deutlich geworden ist – stets der allen Geschehnissen innewohnenden Verwechselbarkeit ausgesetzt sind.900 Theologisch ist dies wiederum in dem Umstand zu begründen, dass die Schöpfung und sämtliche in ihr verankerten Dinge eben nicht schon „in ihrer Wahrheit [sind]“901, sondern noch in der Zweideutigkeit der jede menschliche Wahrnehmung verwirrenden Konfusion verfangen sind, die im Kapitel III.1.2 thematisiert wurde. Die somit keineswegs abzustreitende Mehrdeutigkeit der Grableerfindung scheint jedoch (ausgehend von der vorausgesetzten Betrachterperspektive) mehr oder weniger stark zutage zu treten und durch die (die Konfusion durchbrechende) Klarheit und die (eine nahezu schmerzliche Eindeutigkeit schaffende) Wirklichkeitskonstruktion, wie sie ausgehend von der in der Bibel bezeugten göttlichen Offenbarung erschlossen werden kann, sogar punktuell aufgelöst zu werden, was am Beispiel der Grableerfindungsperikopen und ihrer Rezeption gezeigt sei. Betrachtet man den in den Grableerfindungserzählungen thematisierten Gegenstand der leeren Grabstätte aus der Erzählperspektive der Frauen, welche ausgehend von dem (für sie unumstößlichen, weil von ihnen selbst beobachteten) Faktum des Todes Jesu dessen Grabstätte aufsuchten, so ist das leere Grab per se zweifellos als Verwirrung stiftender, uneindeutiger Fund anzusehen, der entweder gar nicht oder nur anhand geläufiger Alltagsregeln – etwa als Resultat eines Leichendiebstahls – gedeutet werden kann. Die in den betreffenden Perikopen dargestellten Angst-, Verwunderungs- und Verzweiflungsreaktionen der in Aporie geratenden Frauen erscheinen ausgehend von dieser Perspektive adäquat und nachvollziehbar. Für uns – die wir uns bereits als Christen verstehen – kann diese Perspektive der Grableerfindenden, die sich in Bezug auf die narrative Gestaltung der Perikopen als hochgradig funktional erweist, jedoch schon logisch nicht länger verbindlich sein und vorausgesetzt werden. Daher verwundert es doch sehr, dass das in den Erzählungen dargestellte Grableerfindungsverständnis der Frauen im Diskurs verbreitet auf uns übertragen und auch für uns vorausgesetzt wird, so als ob keine kategoriale Unterscheidbarkeit zwischen den Wahrnehmungen der Protagonisten und den Wahrnehmungen der Rezipienten eines Textes vorliegen würde. Die behauptete Unmöglichkeit der Übernahme der Perspektive der Frauen durch uns ist dabei schon damit zu begründen, dass für uns – im Gegensatz zu ihnen – ausgehend von unserem Vorwissen um die Osterereignisse und insbesondere auch ausgehend von unserem Osterglauben kein schier mehrdeutiges Faktum eines leeren Grabes innerhalb der Erzählungen wahrnehmbar ist, auch wenn es als solches in ihnen Erwähnung finden mag. Dies ist wiederum

900 901

Vgl. ebd. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 31.

420

Teil III: Eigene Deutung

darauf zurückzuführen, dass die von den Erzählungen konstruierte, wortwörtliche Leerstelle in Bezug auf die Begründung der Grableerfindung von uns (aufgrund des besagten Vorwissens und ausgehend von unserer Perspektive des Glaubens, hinter die wir nicht zurücktreten können902,) automatisch zugunsten der Begründungsstruktur gefüllt wird, dass die Grableerwerdung in dem pro nobis vollzogenen Auferweckungshandeln Gottes an Jesus zu begründen ist. Das leere Grab wird von uns entsprechend zweifelsfrei als das leere Grab des Auferstandenen verstanden. Im Gegensatz zu den Frauen aus den Erzählungen versetzt uns der Gedanke an das leere Grab in aller Regel entsprechend nicht in Panik oder Aporie und bewegt uns auch nicht zur Imagination möglicher Begründungsstrategien – wie der der Umbettung –, selbst wenn wir uns mitfühlend in die Frauen hineinversetzen können, da uns die adäquate Begründung bereits vertraut ist. Wir verstehen den Gegenstand des leeren Grabes beim Lesen der Perikopen – in gleicher Weise, wie wir beim Lesen der Heilungserzählungen nicht daran zweifeln, dass Jesus die erforderlichen Heilungstaten vollbringen kann, oder wie wir beim Lesen von Mk 4,35–41 parr. nicht in Betracht ziehen, dass das Schiff der Jünger dem Sturm unterliegt und kentert, – als Hoffnungsmoment, weshalb das Unverständnis der Frauen in uns möglicherweise den Wunsch weckt, sie über die tatsächlichen Umstände der Grableerwerdung aufzuklären und die am Grab sitzende Maria zu trösten, weil ihre Sorge, der Leichnam sei fortgeschafft worden, unbegründet ist. Dass viele Diskursteilnehmer die von den Frauen erlebte Mehrdeutigkeit des leeren Grabes sowie dessen (durch sie erfolgte) Deutung als eine Mysterium, das erst ausgehend von den Erscheinungen aufgelöst werden konnte903, einseitig betonen und daraus folgern, dass diese Mehrdeutigkeit und dieses Grableerfindungsverständnis auch für uns verbindlich wären, verwundert daher und erschließt sich nicht. Angesichts dieser Einsicht erweist es sich als angemessener, vorauszusetzen, dass die Vielfalt denkbarer Antwortversuche auf die Frage nach der Begründung der Leere der Grabstätte uns nicht mehr tangieren kann, sofern wir die Erzäh-

902 Die Vorstellung der perspektivischen Brechung der Wahrnehmung der in den Leerfindungsperikopen dargestellten Inhalte aufgrund des eigenen Vorwissens oder Glaubens, welche dazu führt, dass sie von ihren Rezipienten kategorial anders wahrgenommen werden als es anhand der Reaktionen der Protagonisten in den Geschichten nahegelegt wird, findet sich auch im Ansatz Klumbies’ wieder, der annimmt, dass die in der markinischen Variante dargestellte Reaktion der Frauen dazu auffordern soll, sich über das Unverständnis und das mangelnde Handeln ebendieser zu empören, im Gegensatz zu ihnen tätig zu werden und die Auferstehung zu verkündigen (vgl. Klumbies, Weg vom Grab, 148). Augenscheinlich setzt dies ebenfalls voraus, dass die Rezipienten dazu befähigt sind, sich von der Wahrnehmung der Frauen zu distanzieren und (ausgehend von der Perspektive, die sich ihnen durch ihr Vorwissen und ihren Glauben eröffnet) eigene Rückschlüsse in Bezug auf das per se zunächst mehrdeutige Faktum der Grableerfindung zu ziehen. 903 Vgl. Künneth, Theologie der Auferstehung, 84, zitiert nach Nauck, Die Bedeutung, 258.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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lungen ausgehend von unserem Vorwissen und unserem Osterglauben sowie ausgehend von der Erwartung lesen, dass der Herr lebt und somit gerade nicht als Lebender bei den Toten zu suchen sein wird, da jene Ansätze, die die Grableerwerdung nicht im Zusammenhang mit einem Auferweckungshandeln Gottes interpretieren, ausgehend von der Perspektive des Glaubens und des als plausibel beurteilten Deutungsangebots des Neuen Testaments kategorisch ausgeschlossen werden (können). Die Erkenntnis, dass das durch die Erzählungen implizierte göttliche Wirken am Leichnam zwar anhand des (von konkreten Menschen in der sie umgebenden Geschichte wahrgenommenen) leeren Grabes indirekt in die Verwechselbarkeit der Geschichte eingegangen ist904, aber nicht in dieser aufgeht, sondern – ausgehend von der Perspektive des Glaubens und im Sinne des dargestellten Deutungsangebotes – eindeutig als Ursache der Grableerwerdung benannt werden kann, stellt auch der Evangelist Johannes in seiner Leerfindungserzählung anhand seines Verweises auf den Lieblingsjünger dar. Diesem wird unterstellt, dass er angesichts des leeren Grabes unmittelbar zum Glauben gekommen sei. Dieses ZumGlauben-Kommen wird von Johannes explizit in einen Zusammenhang mit dem Schriftverständnis gestellt, auf das der Evangelist als Ursache dessen verweist, dass der Lieblingsjünger dazu befähigt sei, das per se vieldeutige leere Grab als das leere Grab zu verstehen. Hinsichtlich der Figur des Petrus unterstreicht er hingegen, dass dieser über das besagte Schriftverständnis nicht verfügte und daher die Mehrdeutigkeit, die das leere Grab umgibt, vorerst nicht aufzulösen vermochte. Auf diese Weise stellt der Evangelist in Übereinstimmung mit den angeführten Erläuterungen dar, dass die Begründung für die Leere des Grabes sich einzig – aber immerhin – dem, der sie vor dem Hintergrund der Schrift (als dem einen, nicht durch die Sünde verwirrten Interpretament zur Weltdeutung) und des Wirklichkeitsverständnisses reflektiert, das ausgehend von ihr konstruiert werden kann und sich im Auferstehungsglauben905 widerspiegelt906, angemessen und ein904

Vgl. Klappert, Diskussion, 19. Dem Umstand, dass Menschen, die nicht über das notwendige Schriftverständnis verfügen und die Grableerfindungserzählungen nicht aus der Perspektive des Glaubens betrachten, die sich in ihnen erweisende Mehrdeutigkeit nicht aufzulösen vermögen und sie entsprechend nicht als Hinweis darauf erkennen, dass Jesus auferstanden ist, begegnen die Evangelisten durch die Integration der Engelsbotschaften in ihre Erzählungen. Durch diese wird die Leere des Grabes für ebenjene in der Auferstehung des Herrn begründet und der durch die Grableerfindung aufgeworfene kognitive Konflikt aufgelöst (Siehe Mt 28,6: „Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat“). Aus dieser Funktionszuschreibung der Engelsbotschaft ist jedoch nicht abzuleiten, dass die Darstellung der Grableerfindung per se (im Sinne der in Kapitel III.2.3.e dargestellten These) als irrelevant zu bezeichnen wäre und/oder lediglich als narrative Rahmung fungierte, durch welche die (durch das leere Grab implizierte) Auferstehungsaussage in eindeutigerer Form gegeben sei, da die Erzählungen über die Erkenntnis, dass Jesus auferstanden ist, hinaus weitere Einsichten vermitteln und ein Erschließungspotenzial aufweisen, das in Kapitel III.3.2 eine nähere Thematisierung erfährt. 906 Der Gedanke, dass die Mehrdeutigkeit biblisch dargestellter Phänomene nur aus der 905

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Teil III: Eigene Deutung

deutig als Resultat eines bewahrend neuschöpferischen Auferweckungshandelns Gottes am Leichnam Jesu erschließt.907 Vor diesem Hintergrund erweist sich das Festhalten an und das Postulieren der vermeintlichen Mehrdeutigkeit des leeren Grabes als unangemessen und verbietet sich – ausgehend von der Perspektive des Glaubens – sowohl theologisch als auch argumentationslogisch. Dies gilt in gleicher Weise auch für das angesprochene Bestreben vieler Theologen, eigene Plausibilisierungs- und Deutungsversuche an die Grableerfindungsperikopen heranzutragen, die diese vermeintlich treffender erläutern könPerspektive des Glaubens heraus aufzulösen ist, wird im Grableerfindungsdiskurs gegenüber jenen dominanten, an einer unbestreitbaren Mehrdeutigkeit des Grabes festhaltenden Positionen vereinzelt aufgegriffen. Fößel stellt so – ganz auf der Linie der dargestellten Ausführungen – heraus, dass die Grableerfindungstradition und ihr Motiv in ihrer vollen systematisch-theologischen Relevanz nur dann angemessen zu würdigen seien, wenn sie von Beginn an ausgehend von einem bestehenden Auferstehungsglauben her untersucht werden (vgl. Fössel, Offenbare Auferstehung, 583). 907 Dieser Eindruck wird auch durch die Perikope um die Begegnung der Emmausjünger mit dem Auferstandenen vermittelt, die ebenfalls nahelegt, dass ein angemessenes Verständnis der Auferstehung nur durch eine verständige Schriftlektüre, im Zuge derer die Bibel auf das Geschick Jesu hin gedeutet wird, gewonnen werden könne, auf welche der Auferstandene die unverständigen Jünger zur Beantwortung ihrer Fragen verweist (vgl. Alkier, Die Realität, 135 u. siehe Burmeister, Auferstehung in die Nachfolge, hier insbesondere 114 f.). Die Schrift scheint dabei nicht nur dazu zu dienen, die Mehrdeutigkeit verschiedener Ereignisse aufzulösen, sondern explizit auch dazu, bereits bestehende Fehlkonzepte aufzubrechen. Dies wird daran ersichtlich, dass die Emmausjünger sich – nachdem der Herr ihnen die Schrift ausgelegt hat – dazu veranlasst sehen, ihr bestehendes Fehlkonzept der Beurteilung ihrer Erfahrungen mit Jesus als lediglich vergangene Geschehnisse zu hinterfragen (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 133). Dadurch gelangen sie zu der Erkenntnis, dass dieser ihnen und sich aus der eigenen Vergangenheit heraus entgegenkommt, wodurch nun auch eine völlige Neubestimmung ihrer Gegenwart erfolgt (vgl. a.a.O., 133 f.). Ganz deutlich wird – so verdeutlicht es auch Alkier – dass „die Realität der Auferstehung keine Frage eines emotionalen Meinens, sondern eine Frage des theologischen Denkens [ist]“ (Alkier, Die Realität, 102) und dass nur jener, der über ein gewisses Schriftverständnis verfügt (vgl. ebd.), fundierte Aussagen treffen kann. Diese Erkenntnis ist allerdings nicht im Sinne der Vorstellung Pannenbergs misszuverstehen, dass die Grableerfindung sich – sofern sie nur in ihrem (biblisch anhand des jüdisch-apokalyptischen Horizont eröffneten) Geschehenszusammenhang wahrgenommen wird – für Jedermann im Sinne einer feststellbaren, objektiven Tatsache als Resultat eines göttlichen Handelns erweist (vgl. Kapitel II.1.4 u. Klappert, Diskussion, 22), da diese Erkenntnis unverfügbar ist und nur aus der Perspektive des nicht minder unverfügbaren Glaubens gewonnen werden kann. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass anhand der Emmausperikope und ihrer Verweise auf die Unabdinglichkeit eines Schriftverständnisses zum Verständnis der Auferstehung sowie darauf, dass die Erscheinungen des Auferstandenen ein solches Verständnis per se noch nicht zwangsläufig eröffnen konnten, da sie nicht einmal zu einem unmittelbaren Wiedererkennen Jesu führten, ersichtlich wird, dass Interpretationen, die im Sinne Naucks dafür votieren, dass bereits die Selbstbekundung des Herrn in seinen Erscheinungen ein adäquates Verständnis der Grableerfindung eröffnete (vgl. Nauck, Die Bedeutung, 259), zu kurz greifen.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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nen als das neutestamentliche Deutungsangebot; – die in letzter Konsequenz aber doch nur von der menschlichen Konfusion und dem mit ihr einhergehenden Misstrauen zu zeugen scheinen, das den Menschen kontinuierlich dazu veranlasst, sich die Auferstehungshoffnung gerade nicht gesagt sein zu lassen und ihre (in der Ewigkeit Gottes begründete) Eindeutigkeit anzunehmen, sondern sie mit Verweis auf ihre vermeintliche Mehrdeutigkeit anzuzweifeln, umzuakzentuieren, mit den eigenen Gedanken zu vermengen oder gar abzuweisen. Folgerichtig ist es geboten, sich von derartigen Deutungen in gleicher Weise wie von einem vehementen Postulieren der vermeintlichen Mehrdeutigkeit des leeren Grabes in Bezug auf dessen Begründung zu distanzieren. In diesem Urteil wurde vollzogen, was in der Erkenntnis, dass die neutestamentliche Begründung der Grableerfindung gegenüber anderweitigen Erläuterungen zu bevorzugen und bis auf Weiteres vorauszusetzen sei, bereits impliziert ist; dass die besagte Begründung nämlich als Beurteilungsmaßstab jedes erklärenden Annäherungsversuches an das Geschehen der Grableerwerdung fungieren muss. Diese Einsicht entspricht dem dieses Kapitel rahmenden Gedanken Moltmanns: „Eine einzige erfahrene Wirklichkeit ist reicher als tausend erträumte Möglichkeiten“.908 Dies sei zum Abschluss des vorliegenden Teilkapitels noch einmal eingehender erläutert: Im Zuge der dargestellten Untersuchungen gelangten wir zu dem Ergebnis, dass die Auferstehungsereignisse sehr wahrscheinlich von ihren Zeugen in einer Weise erlebt und verstanden wurden, die an die uns überlieferte Darstellungsweise erinnert. Hierbei handelt es sich um ein Untersuchungsergebnis, das sich – vor allen theologischen Erwägungen – daraus ergibt, dass die Auferstehungsereignisse meist ausgerechnet in der uns vorliegenden Form präsentiert und verbreitet wurden, obschon damals wie heute diverse weitere Konzepte existierten, die die Vorstellung einer Auferstehung interessanter, anschaulicher, logischer oder in einer mit den je gängigen Vorstellungen besser zu vereinbarenden Weise darstellen konnten und die somit weniger Anstoß erregt hätten. Wie der gegenwärtige Diskurs zeigt, sehen wir uns heute mit diversen derartigen Vorstellungen konfrontiert, die aus verschiedensten Diskurspositionen an die Erzählungen herangetragen werden, da die neutestamentliche Begründung der Grableerfindung – wie in Kapitel II.5.1 mit Verweis auf verbreitete Tendenzen dargestellt wurde – unlängst nicht mehr als verbindlich vorausgesetzt wird. Vergegenwärtigen wir uns unsere Kenntnis der derartigen Deutungen, so denken wir wohl an Vorstellungen, die für niemanden eine Torheit oder ein Ärgernis gewesen wären. Vorstellungen, die den Gedanken einer Auferstehung in strikter Abhängigkeit von je gegenwärtigen Welt- und Geschichtsverständnissen konstruieren. Vorstellungen, die die Vereinbarkeit der rationalistisch-modernen Rationalität909 mit dem Gedanken an eine Auferstehung betonen und auf diese Art 908 909

Moltmann, Im Ende, 97. Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320.

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Teil III: Eigene Deutung

eine Auferstehungshoffnung konstruieren wollen, welche auch für den modernen Menschen anknüpfungsfähig ist und bleibt. Vorstellungen vielleicht auch, die den Gedanken einer Auferstehung zu plausibilisieren vermögen, ohne sich auf ein Wirken einer göttlichen Instanz am Leichnam eines Verstorbenen berufen zu müssen. Kurzum: Vorstellungen, wie sie bereits seit Beginn der Auseinandersetzung mit der Frage nach der Auferstehung existieren, neu entstehen, weiterentwickelt und vergessen, immer wieder aber auch revitalisiert, neu kontextualisiert, kritisiert und verteidigt werden. Nicht selten handelt es sich um Vorstellungen, die durch eine hohe Plausibilität, durch innere Kohärenz, Folgerichtigkeit und sprachliche Elaboration zu bestechen wissen und die den Diskurs nachhaltig prägen. Damals wie heute vermögen sie in eindrücklicher und imponierender Weise hervorzuheben, dass und warum eine Auferstehung als solche sehr wohl ohne die Leerwerdung des Grabes gedacht werden könne und dieses Verständnis anderen Konzeptionen vorzuziehen sei. Hierin mag ihnen sogar zuzustimmen sein: Wie sie selbst verschiedenfach und äußerst stichhaltig darstellen, bedarf eine Auferstehung des leeren Grabes des Auferstehenden keineswegs. Mitunter mag sie sogar seine Verwesung erforderlich machen. Doch worauf beruhen derartige Konzepte einer theoretisch modellierten Auferstehung abgesehen von den Gedankenspielen ihrer jeweiligen Schöpfer? Auf welche Referenzobjekte können sie sich beziehen? Worin ist ihre vermeintliche Tragfähigkeit begründet und weshalb bieten sie uns einen begründeten Anlass zur Hoffnung – wo sie doch gerade nicht zur Beschreibung der Auferstehung Jesu herangezogen werden und sich entsprechend auch nicht auf sie als auf die einzige bekannten Auferstehung beziehen können, bei der es sich nun einmal um die Auferstehung Jesu handelt, wie sie uns verkündet wurde und die uns entgegen aller weiteren, denkbaren Vorstellungen einer Auferstehung, auf welche die hier kritisierten Modelle sich beziehen könnten, gerade deshalb verkündet wurde, weil sie konkreten Menschen als geschehen offenbart wurde. Die Distanzierung der ersten Christen von derartigen Vorstellungen zur Beschreibung der von ihnen erfahrenen Auferstehungsereignisse lehrt uns jedenfalls eindringlich, dass sie sich trotz ihrer vermeintlichen und auch reellen Plausibilität und Überzeugungskraft auf kein bekanntes Referenzobjekt und erst recht nicht auf den Gegenstand der christlichen Auferstehungshoffnung – die Auferstehung Jesu – beziehen können, wie sie von diversen Menschen erfahren wurde.910 Sie entstehen aus den Erkenntnisbemühungen höchst intelligenter Theologen und weisen mitunter eine überragende argumentative Schlagkraft auf, beziehen sich allerdings nicht auf einen außerhalb ihrer mentalen Strukturen zu verortenden 910 Verwiesen sei erneut auf die vielfältigen Ausführungen Pauli, der die Auferstehungsleiblichkeit Jesu in Orientierung an dem von ihm konzeptionell modifizierten jüdisch-apokalyptischen Deutungshorizont darstellte und anderweitige, auch im Judentum vorfindliche Konzepte, wie die einer Seelenunsterblichkeit oder einer eben nicht leiblichen Auferweckung, überhaupt nicht in Betracht zieht (vgl. Weinrich, Auferstehung, 127).

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Gegenstand, sondern auf eine von ihnen konstruierte, theoretische Auferstehung als solche, die mit der von den ersten Christen wahrgenommenen, neutestamentlich dargestellten, von ihnen verkündigten und mit ihrem Leben verteidigten, damals wie heute wirkmächtigen, sinn- und hoffnungsspendenden Auferstehung Jesu gleichgesetzt wird, mit ihr jedoch nicht übereinstimmt, da sie deren von den ersten Christen bezeugten Merkmale nicht aufweist. Es hängt nun aber alles daran, dass es sich bei der Auferstehung, an die wir glauben und die wir bezeugen, nicht um ein theoretisches, von beliebigen, wenn auch höchst intelligenten Menschen konstruiertes Denkmodell handelt, das sich auf kein außerhalb ihrer mentalen Strukturen zu findendes Referenzobjekt beziehen kann und somit keine Grundlage einer begründeten Hoffnung darstellt911, sondern um die uns durch Gott in der konkreten, von Menschen wahrnehmbaren und wahrgenommenen Geschichte offenbarte Auferstehung der Person Jesus von Nazareth, die uns wiederum von bestimmten Menschen verkündet und als Geschehen bezeugt wurde. Weist doch einzig diese Auferstehung – verstanden als Erfüllung der jüdisch-apokalyptischen Hoffnung auf eine endzeitliche Totenauferweckung – (im Gegensatz zu allen anderen religiösen oder auch philosophischen Erkenntnisbemühungen in Bezug auf die Frage nach dem postmortalen Geschick des Menschen) anhand der Person Jesus von Nazareth ein reales Referenzobjekt auf. Um nun aber sicherzustellen, dass es sich bei der Auferstehung, an die wir glauben, um die nicht nur als möglich und plausibel konstruierte, sondern um die unwiderruflich vollzogene (sogar in der von uns Menschen wahrnehmbaren Geschichte verankerte und den Menschen als solche von Gott offenbarte) Auferstehung Jesu von Nazareth handelt, ist zu überprüfen, worauf unsere Erkenntnisbemühungen letztlich beruhen und ob sie mit jenen Ausführungen vereinbar sind, die uns der neutestamentliche Befund anbietet912, da es sich bei diesen um die 911 Selbstverständlich vermögen prinzipiell nahezu alle Auferstehungs- und Jenseitskonzeptionen es (ungeachtet ihres bestehenden Bezuges auf die Auferstehung Jesu) in gewisser, wenn auch nur projektiver oder/und vertröstender Weise, Trost und Hoffnung zu spenden, sofern sie ihren Adressaten trotz ihres unvermeidbaren Todes eine Erlösung in Aussicht stellen. Wenn sie sich jedoch nicht auf die überlieferte Auferstehung Jesu – und eben nur auf diese – beziehen und nicht ausschließlich in ihr begründet liegen, entbehren sie eines tragfähigen Fundaments und die durch sie vermittelte Hoffnung erweist sich bis zu ihrer Verifikation als unbegründet, da sie sich nicht auf eine tatsächlich bereits geschehene Auferstehung berufen können. Dies gilt es angesichts und gegenüber der im Diskurs verbreiteten Tendenz der pauschalen Abwertung der zugegebenermaßen fremdartigen und nicht immer unmittelbar nachvollziehbaren, neutestamentlichen Denk- und Ausdrucksformen zu berücksichtigen, hinter denen nicht selten die geradezu anmaßende, wenig reflektierte und zweifellos unbegründete Annahme steht, dass jene, die sich von dem besagten Horizont distanzieren, in der Lage seien, die Auferstehung treffender zu beschreiben als es die ersten Christen als unmittelbare Zeugen vermochten. 912 Reflektieren wir etwa die (dalferthsche) These der notwendigen Verwesung des Leichnams Jesu, so stellen wir fest, dass diese nicht mit der neutestamentlichen Darstellung der Auferstehungsereignisse und insbesondere auch nicht mit dem als plausibel beurteilten Begründungsansatz der Grableerwerdung zu vereinbaren ist.

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Teil III: Eigene Deutung

einzig verfügbaren, in ihrer Ausgestaltung für tauglich erachteten Darstellungen der uns offenbarten Auferstehungsereignisse und ihrer Wahrnehmungen handelt913 und wir uns ebendiesen entsprechend auch durch unsere eigenen Konzeptionen nicht exakter annähern können, als es durch den Nachvollzug und die Reflexion der gegebenen Ausführungen der Fall ist. Aus diesen Einsichten ergibt sich der Schluss, dass es sich bei dem neutestamentlich dargebotenen und nach eingehender Reflexion als überzeugend beurteilten Deutungsangebot zweifellos um einen Maßstab handeln muss, an dem alle an die Grableerfindungserzählungen herangetragenen Deutungsansätze zu messen sind, bis uns eine tragfähigere Deutung des leeren Zustand des Grabes vorliegt, die anhand des biblischen Befundes zu plausibilisieren ist. Aus den vorangestellten Überlegungen ist allerdings keinesfalls zu schließen, dass die Auferstehungsereignisse sich nicht nur aller Wahrscheinlichkeit nach in der dargestellten Weise vollzogen haben914, sondern dass sie sich auch zwangsläufig auf die besagte Art und Weise vollzogen haben müssen.915 Derartige Rückschlüsse verbieten sich, weil sie im Wesentlichen auf der nicht tragfähigen und aus den dargestellten Ergebnissen auch nicht hervorgehenden Prämisse beruhen, dass ein Ereignis in der stattgefundenen Weise geschehen sein muss und sich nicht anders hätte vollziehen können, weil es sich in der ereigneten Weise vollzogen hat. In unzulässiger Weise bleibt hier unberücksichtigt, dass es sich bei dem Untersuchungsgegenstand nicht um einen beliebigen, naturwissenschaftlich beschreibbaren und empirisch erfassbaren Prozess handelt, dessen Gelingbedingungen ermittelt und reproduziert werden können, sondern um ein unverfügbares Handeln Gottes, das dem menschlichen Fassungsvermögen schon aus diesem Grund entzogen bleibt. All jene Versuche, ausgehend von eigenen Erkenntnisbemühungen Regeln oder gar Bedingungen abzuleiten, unter denen die Auferstehungsereignisse stattgefunden haben könnten, sind vor diesem Hintergrund ferner als unsachgemäß zu beurteilen, da sie von der anmaßenden Auffassung zeugen, dass der Interpret Geschehnisse hinlänglich begreifen könnte, welche die ihm zugänglichen Bereiche der Wirklichkeit übersteigen, und da sie zudem die fragliche Prämisse voraussetzen, dass Gottes Auferweckungshandlungen an von Menschen erfassbare Möglichkeitsbedingungen gebunden wären – geradeso, als ob es etwas gäbe, das

913 Die Verbindlichkeit des jüdisch-apokalyptischen Horizonts ergibt sich somit keineswegs daraus, dass es sich bei diesem um den einzig denkbaren Deutungshorizont handelt, der zur Interpretation der Auferstehung herangezogen werden konnte, sondern vielmehr daraus, dass es sich bei ihm um den einzigen Deutungshorizont handelt, der von den Zeugen der Auferstehungsereignisse zur Darstellung ihrer Wahrnehmungen herangezogen wurde. 914 Gemeint ist hier ein Plausibilitätsurteil im Sinne der Aussage: „Wahrscheinlich haben die Ereignisse sich in einer derartigen oder ähnlichen Weise vollzogen.“ 915 Gemeint ist ein Kausalitätsurteil im Sinne der Aussage: „Die Auferstehungsereignisse müssen sich notwendig so und nicht anders vollzogen haben, da sich die beziehungsweise eine Auferstehung auf eine andere Weise nicht hätte vollziehen können!“

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Gott von der Durchsetzung seines Willens und von dem Vollzug seines Heilshandelns abhalten könnte, und als ob die menschlichen Begriffe des Möglichen überhaupt angemessen wären, um das „Handlungsrepertoire“ Gottes zu beschreiben. In Bezug auf die untersuchte Frage bedeutet dies, dass ausgehend von dem Plausibilitätsurteil, dass die Leere des Grabes aller Wahrscheinlichkeit nach auf ein Wirken Gottes an der Leiblichkeit Jesu zurückzuführen ist, keinesfalls – entsprechend dem in der menschlichen Natur verankerten Bedürfnis nach einem möglichst umfassenden Verständnis aller Sachverhalte – geschlossen werden kann, dass die Auferweckung Jesu sich zwangsläufig auf diese Art vollzogen haben müsste und dass die vorausgesetzte Verwandlung seiner irdischen Leiblichkeit entsprechend als „conditio sine qua non“916 seiner Auferstehung zu verstehen wäre917, da es selbstverständlich auch denkbar ist, dass Gott eine Auferweckung auf eine andere Weise hätte vollziehen können.918 Im Gegenteil dazu sind wir (im Sinne der Erinnerung Barths) dazu angehalten, lediglich das zu sagen, was wir ausgehend des neutestamentlichen Befundes sagen können: Hier also dazu, die Plausibilität des Deutungsangebots zu betonen, ohne über dieses Plausibilitätsurteil hinausreichende, spekulative und nicht länger am biblischen Befund begründbare, vermeintliche Anforderungen und Detaillierungen zu imaginieren – was letztlich doch immer nur einer Verehrung des eigenen Verstandes und der überkomplexen Theorien, die er zu erzeugen vermag, entspricht – und uns stattdessen das gesagt sein zu lassen und kritisch konstruktiv zu reflektieren, was das besagte Deutungsangebot uns eröffnet.919 Dies darf sich 916

Dalferth, Volles Grab, 298 f. Im Folgenden seien einige isolierte Aussagen bekannter Diskursteilnehmer aufgelistet, die von der Problematik zeugen, dass wir mitunter meinen, ausgehend von unseren eigenen Erkenntnisbemühungen ableiten zu können, wie die Auferstehungsereignisse – und insbesondere die Auferstehungsleiblichkeit – vermeintlich konstituiert gewesen sein müssen, oder die diesen Eindruck zumindest erwecken: „Ewiges Leben kann nur leibliches Leben sein, sonst ist es kein ,Leben‘“ (Moltmann, Der Weg, 282). „Gibt es keine naturale ,Auferstehung des Fleisches‘, dann gibt es auch keine personale ,Auferstehung der Toten‘. Gibt es eine personale ,Auferstehung der Toten‘, gibt es auch eine naturale ,Auferstehung des Fleisches‘“ (a.a.O., 283). „In einer neuen Welt kann es keine alten d.h. nicht-leeren Gräber mehr geben.“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 110). 918 Dass es sich ebenfalls verbietet, im Sinne Dalferths die schon sachlich unangemessene Frage zu stellen, ob die Verwesung des Leichnams Jesu seine Auferstehung verunmöglicht hätte (Oberdorfer, Was sucht ihr, 178), oder zu reflektieren, ob andere (von den jeweiligen Interpreten imaginierte) vermeintliche Anforderungen erfüllt gewesen sein mussten, damit seine Auferstehung sich vollziehen konnte, dürfte augenfällig sein. 919 Die Herausforderung dieser Anforderung besteht folglich darin, dass die Unverfügbarkeit des Gegenstandes und die Vorläufigkeit der eigenen Erkenntnisbemühungen sowie ihrer Ergebnisse stets zu bedenken und unangemessene, die eigenen Kompetenzen übersteigende Rückschlüsse zu vermeiden sind, aber das, was begründet gesagt und mit anderen Menschen geteilt werden kann, auch nicht ungesagt bleiben darf. Verwiesen sei auf die Reflexion dieses Spannungsfeldes durch Joest, der ebenfalls nachdrücklich darauf hinweist, dass der Mensch nicht dazu befugt sei, Bedingungen aufzustellen, unter denen Gott sein Auferweckungshandeln vollziehen konnte, und dass er entsprechend 917

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Teil III: Eigene Deutung

freilich nicht in dem Anspruch erschöpfen, die neutestamentliche Deutung zumindest vorläufig zum Beurteilungsmaßstab aller weiteren, an die Grableerfindungsperikopen herangetragenen Interpretationen zu erheben, sondern es muss (gerade auch aufgrund der dominanten Diskursposition jener Theologen, die die vermeintliche Irrelevanz der Grableerfindung postulieren,) eine intensive Reflexion beinhalten. In derem Rahmen wird hinterfragt, ob die Einschätzung Dalferths sachgerecht ist, dass es sich bei der vorgenommenen, auch geschichtswissenschaftlichen Rückfrage nach der Leerfindung letztendlich noch nur um eine unangemessene Konstruktion und um eine Untersuchung eines falschen Problems handelt920, oder ob die durch sie gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf unser Verständnis der Auferstehung, unseren Glauben und unsere Weltdeutung bereichernd sein können. Der Versuch einer solchen Reflexion sei nachfolgend unternommen, wodurch auch der innerhalb des Diskurses dominanten Frage nach der Funktion des leeren Grabes, die gemeinhin mit Verweis auf seine „Funktion“ als Zeichen der/für die Auferstehung beantwortet wird, zu begegnen sein wird. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage erfolgt dabei erneut auf den Ebenen der analytischen Logik, der existentiellen Glaubensbedeutung und der Wirklichkeitskonzepte, welche ausgehend vom biblischen Befund erschlossen werden können, sowie in Orientierung an den drei auch in der Auferstehungsdeutung Moltmanns hervorgehobenen und orientierungsspendenden Anfragen Kants: „,Was kann ich wissen?‘ […] ,Was soll ich tun?‘ und […] ,Was darf ich hoffen?‘“.921

III.3.2 Die Bedeutung des leeren Zustandes des Grabes Im Rahmen der vorherigen Untersuchungen konnte ermittelt werden, dass der Selbstanspruch der Grableerfindungserzählungen, in der wahrnehmbaren Geschichte erfahrene Ereignisse zu bezeugen, insofern bestätigt werden kann, als dass dem Gedanken einer Leerfindung eine gewisse Wahrscheinlichkeit zuzusprechen ist. Ferner zeigte sich, dass diese Grableerfindung in plausibler Weise durch das neutestamentliche Deutungsangebot in einem Wirken Gottes am verstorbenen Jesus begründet werden kann und dass dieses Deutungsangebot folgauch nicht behaupten könne, dass eine Auferweckung des Menschen Gott nur unter der Bedingung der Verwandlung seiner irdischen Leiblichkeit in eine pneumatische Leiblichkeit möglich sei (vgl. Joest, Dogmatik II, 652). Nichtsdestotrotz – so suggeriert auch Joest – dürfe er in Bezug auf die Aussagen, die begründet zu treffen seien, – hier der Umstand, dass die Menschen durch Gott aus ihrem Tod hinaus und hinein „in die Zukunft des Lebens“ (Joest, Dogmatik II, 652) gerufen werden, – nicht schweigen. Im Gegenteil sei er dazu aufgefordert, auch die mit den jeweiligen Aussagen zusammenhängenden Korrelate, Implikationen und gestalterischen Teilaspekte – wie die Hervorhebung der leiblichen Dimension der Auferstehung – zu reflektieren und in seine Überlegungen einzubeziehen (vgl. ebd.). 920 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 284. 921 Moltmann, Der Weg, 265, mit nicht näher konkretisiertem Verweis auf die Fragen Kants.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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lich bis auf Weiteres gegenüber anderen Begründungsansätzen zu bevorzugen ist, da seine Qualität sich nicht an seiner Vereinbarkeit mit einer bestimmten, zu einer gewissen Zeit verbreiteten Rationalität bemisst, sondern daran, dass die ersten Christen ihre Erfahrungen durch diesen Ansatz in angemessener Weise dargestellt sahen, obschon er die Verbreitung ihrer Botschaft erschwerte. Im Folgenden gilt es, sich zu diesen Ergebnissen zu verhalten, wobei in Auseinandersetzung mit den dargestellten Positionen explizit untersucht wird, inwiefern sie als solche und insbesondere in Bezug auf die geschichtswissenschaftliche Rückfrage tatsächlich als sinn- und belanglos bezeichnet werden können922 beziehungsweise ob die vorgenommene Untersuchung und die durch sie gewonnenen Ergebnisse nicht vielmehr zum Gewinn weiterführender Erkenntnisse beitragen können, die den fachwissenschaftlichen Diskurs und den individuellen Glauben bereichern und für seine Artikulation von Belang sind.923

922 Mit dieser Fragerichtung einher geht eine Reflexion dessen, ob der empirische Zustand des Grabes in letzter Konsequenz in Bezug auf den (durch ihn abzuleitenden) Erkenntnisgewinn nun doch als irrelevant bewertet werden müsse, da sein Gehalt in den Erkenntnissen aufgehe, die auch anhand der (den empirischen Zustand des Grabes unberücksichtigt lassenden) Untersuchung ihrer neutestamentlichen Deutung gewonnen werden könnte, oder da er erst gar nicht gegeben sei, wie es etwa Hoffmann suggeriert, wenn er betont, dass die Rückfrage nach einem Geschichtsbezug der Grableerfindung zwar vielfach vorgenommen wurde, aber im Zuge dessen kein nennenswerter Erkenntnisfortschritt zu erlangen gewesen wäre (vgl. Hoffmann, Zur neutestamentlichen Überlieferung, 2, zitiert nach Lüdemann, Die Auferweckung, 16). 923 Bewusst wird im Rahmen dieser Ausführungen von „zu gewinnenden Erkenntnissen“ und gerade nicht – wie verbreitet – von „Funktionen“ gesprochen, da die Frage nach ebensolchen in der Sache doch unangemessen erscheint. Obschon auch hier Potenziale der Erzählungen und der Einschätzung des empirischen Zustandes des Grabes abgeleitet werden, die als Funktionen verstanden werden könnten, erwächst diese definitorische Abgrenzung daraus, dass der Gedanke einer gezielten Suche nach Funktionen anstelle der Vorstellung eines Strebens nach einem Erkenntnisgewinn – der selbstverständlich auch konkrete Funktionen zu Tage treten lassen kann – impliziert, dass die Ermittlung einer Art Zweck oder Nutzen des Untersuchungsgegenstandes angestrebt wird. Diese im Diskurs verbreitete Intention ist kritisch zu reflektieren, da sie die Grundsatzfrage aufwirft, ob jeder Erkenntnisgegenstand zwangsläufig eine ersichtliche Funktion im Sinne eines rational nachvollziehbaren Nutzens aufweisen muss oder ob diese Vorstellung nicht denselben (von der allgegenwärtigen Konfusion geprägten) Denkweisen entspringt, die mitunter auch dazu führen, dass der Wert eines Menschen an seiner Funktionalität und der Möglichkeit seiner Nutzbarmachung für die Gesellschaft, die Familie, das Land, eine konkrete Gemeinschaft et cetera bemessen wird, und die suggeriert, dass nicht bereits der Umstand, dass ein Gegenstand Teil der guten Schöpfung ist, ausreicht, um ihn wertzuschätzen und ihm mit einer Offenheit zu begegnen, die auf einen Erkenntnisgewinn im Sinne eines Lernens von dem Fremden abzielt. In jedem Fall lassen der (oft an die Grableerfindungsperikopen herangetragene) Anspruch und die Erwartungshaltung, ihre Funktionen zu ermitteln, anhand derer mitunter sogar ihre Relevanz bemessen wird, einen Respekt vermissen, der dem biblischen Befund (trotz des notwendigen literaturwissenschaftlichen, nüchtern-analytischen Umgangs mit ihm) entgegenzubringen ist. Erstrebenswert ist demgegenüber die Einnahme einer Haltung, die den eigenen Zugang zu den Texten nicht bereits durch eine unbegründete Fokussierung auf ihre vermeintlichen Funkti-

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Teil III: Eigene Deutung

Zu beginnen ist dabei mit einer Untersuchung des dargestellten Deutungsangebots, welche an die noch zu beweisende These anknüpft, dass der Erkenntniswert, der aus der Rede vom leeren Grab gewonnen werden kann, sich keineswegs in der (in der Engelsbotschaft dargestellten) Erkenntnis erschöpft, dass der Herr auferstanden sei, sondern diesen bei Weitem übersteigt und ein wirklichkeitserschließendes Potenzial aufweist, das auch in Bezug auf den eigenen Glauben von Relevanz ist, da es eine kognitiv bestätigende Dimension aufweist und sich sinnvoll in die Lebensperspektive der begründeten Hoffnung einfügt, die der christliche Glaube eröffnet. Dass ungeachtet all dieser Überlegungen erst das zukünftige Kommen Gottes die endgültige und tatsächliche Bedeutung jedes existierenden Gegenstandes ersichtlich werden lässt, da erst dieses „offenbart, was seine eigentliche Bedeutung im Zusammenhang alles Geschehens war, also was es selbst wirklich war und ist“924, sei im gesamten Vollzug meiner Argumentation vorausgesetzt. a) Das leere Grab als hermeneutischer Schlüssel „Wir wissen, es ist derselbe Leib – denn das Grab ist leer; und es ist ein neuer Leib – denn das Grab ist leer.“925

Eröffnen wir unsere Auseinandersetzung mit den bisherigen Ergebnissen, so zeigt sich, dass diese ein enormes wirklichkeitserschließendes Potenzial aufweisen, welches im (auf die vermeintliche Hinweisfunktion des leeren Grabes verengten) Diskurs meist keine oder nur wenig Beachtung findet. Dieses Potenzial übersteigt die pure Erkenntnis, dass Jesus auferstanden ist, da es teils angesprochene, teils erst im weiteren Verlauf thematisierte Einsichten eröffnet, die hier in Auswahl dargestellt seien. Die erste und wohl augenfälligste Einschätzung, die aus der Beurteilung der Begründung der Grableerfindung in einem Wirken Gottes am Leichnam abzuleiten ist, besteht in der Gewissheit, dass diese von einer bemerkenswerten Wertschätzung des gesamten, leiblich konstituierten Menschen926 mitsamt all seiner Daseinskomponenten zeugt. Indem der als plausibel beurteilte Ansatz hervorhebt, dass nicht nur ein Teil des Menschen, sondern der gesamte, erbärmliche Mensch927 in seiner ganzen personalen und leiblich verfassten Existenz928 und „der Gesamtheit seiner Bestimonen verengt oder sogar verstellt, sondern auf einen grundsätzlichen Erkenntnisgewinn und eine Art „Lernen-vom-Text“ abzielt. 924 Pannenberg, Theologie und Reich Gottes, 18, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 129. 925 Bonhoeffer, Predigten – Auslegungen – Meditationen, 356, zitiert nach Thomas, „Er ist nicht hier!“, 183. 926 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 264. 927 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 618. 928 Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 42.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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mungen“929 wie vom Tod betroffen so auch in das Auferweckungshandeln Gottes einbezogen werde930, so suggeriert dies, dass das Individuum mit seinem gesamten Leben und allem, was es ist, ganzheitlich wahr- und ernstgenommen, einbezogen und gewürdigt wird. Dies spiegelt sich darin wider, dass die Auferstehungsereignisse – wie der neutestamentliche Befund und insbesondere die Grableerfindungserzählungen erkennen lassen – von einer Vollendung und Verwandlung des irdischen Lebens zeugen931 und dass sie eben gerade nicht auf ein Hinter-sich-Zurücklassen oder auf ein Abstreifen932 des irdischen Lebens zugunsten einer völlig neuen Existenz abzielen933, welche keinerlei Bezug zum irdischen Leben aufweist934, sondern dass sie einen solchen – trotz aller Andersartigkeit der durch die Vollendung geschenkten, neuen Daseinsform – geradezu betonen.935 Die Rede von der Grableerfindung weist somit eine existentielle Dimension auf, indem sie ihren Rezipienten die Einsicht eröffnet, dass sie von Gott – der sie in wahrhaftigerer und gänzlich anderer Weise wahrnimmt, als sie selbst oder andere Menschen es könnten936, – eben nicht nur als eine Art hoffnungslos verlorene Atomansammlung beurteilt werden, welche „sich in ihrer […] zufälligen Entwicklung der Arten auf einem bedeutungslosen Planeten in einem sinnlosen Universum entwickelt hat, dessen Ursprung wir nicht verstehen.“937 Stattdessen werden sie von ihm als seine geliebten Geschöpfe und Ebenbilder angesehen938, die er auch nach ihrem Tod bewahrt. Trotz aller bekannten und verborgenen, mitunter auch in der Macht der Sünde begründeten Defizite des Menschen, die er sich selbst und anderen Menschen zuschreiben möge oder die nicht selten auch objektiv festgestellt werden können, wird er so doch unübersehbar als „gute Schöpfung Gottes“939 gekennzeichnet. Diese Zuschreibungen des Geschöpfseins und der Gottesebenbildlichkeit des Menschen beziehen sich dabei – indem sie ihm in seiner Ganzheit zugesprochen werden – explizit auch auf die leibliche Dimension seines Daseins940, durch die der Mensch sowohl auf die Erde als solche als auch auf seine Mitmenschen bezogen ist und sich in seiner Angewiesenheit auf

929

Greshake, Untersuchungen, 276. Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 255 u. Greshake, Untersuchungen, 276. 931 Vgl. Greshake, Das Verhältnis, 116 u. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 249. 932 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 618 u. Greshake, Das Verhältnis, 116. 933 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 618 u. Moltmann, Der Weg, 264. 934 Vgl. Kramer, Zeit und Ewigkeit, 119. 935 Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 249. 936 Vgl. Dalferth, Volles Grab, 306 f. 937 Göcke u. Schneider, Konflikt, 32. 938 Vgl. Moltmann, Der Weg, 289. 939 Körtner, Dogmatik, 271 f. Dass ein derartiges (Selbst-)Verständnis des Menschen auch ethische Implikationen in Bezug auf seinen Umgang mit sich selbst und seinen Mitmenschen aufweist, dürfte augenfällig sein und wird im nachfolgenden Teilkapitel thematisiert. 940 Vgl. ebd. 930

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Teil III: Eigene Deutung

diese wahrnimmt.941 Die derartig verstandene leibliche Wesens- und Seinsdimension des Menschen als seine „von Gott geschaffene Ausdrucksform“942 erfährt so eine enorme Aufwertung, die den weltflüchtigen oder sogar -verneinenden, auf dualistischen Menschenbildern beruhenden943 und die Leiblichkeit des Menschen massiv abwertenden Vorstellungen gegenübersteht, die im Umfeld der ersten Christen vor allem von platonistisch-gnostisch geprägten Gelehrten vertreten wurden.944 Den Rezipienten der Grableerfindungserzählungen wurde durch die Idee einer ganzheitlichen Auferstehung eine neue und veränderte Blickweise auf ihre sie umgebende Wirklichkeit eröffnet945, die sie mitunter dazu ermutigen kann, die eigene Leiblichkeit nicht geringzuschätzen, zu vergleichgültigen oder gar zu verachten.946 Ganz im Gegenteil fordert sie dazu auf, zu bedenken, dass es sich bei dieser in all ihrer Individualität um die ihnen gegebene, menschliche Existenzform handelt947, die der Seele grundsätzlich in nichts nachsteht und entsprechend in gleicher Weise wie sie zu würdigen ist.948 941

Vgl. a.a.O., 273. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 181. 943 Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 56 u. 89 u. insbes. Exkurs III.3.1.c. 944 In Erinnerung gerufen seien auch die im Exkurs III.3.1.c dargestellten Einsichten, dass derartige Vorstellungen auch in christlichen Kontexten adaptiert wurden und dass dieser Umstand sowie die durch ihn hervorgerufenen, mitunter vehementen Abwehrreaktionen den christlichen Auferstehungsdiskurs erheblich prägten. Die besagten Adaptionen begünstigten ferner die Konstruktion von Fehlkonzepten, wie etwa der Annahme, dass die Trennung des Menschen von Gott nicht in der Macht der Sünde, sondern in seiner vermeintlich minderwertigen und unwürdigen leiblichen Konstitution begründet läge (vgl. Weinrich, Auferstehung, 139). Dass derartige Thesen den Umstand, dass es sich auch bei der leiblich verfassten Gestalt des Menschen um einen Teil der wunderbaren Schöpfung Gottes handelt, nicht hinreichend oder überhaupt berücksichtigen, dürfte augenfällig sein. 945 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 276. 946 Vgl. a.a.O., 257. 947 Vgl. ebd., Ringleben, Der lebendige Gott, 912 u. Körtner, Dogmatik, 272. Eindringlich sei noch einmal darauf verwiesen, dass die Grableerfindungsperikopen keineswegs lediglich die Ganzheitlichkeit der Auferstehungsereignisse im Sinne einer narrativen Ausgestaltung eines theoretischen Konzepts betonen. Vielmehr zielen sie primär auf eine Darstellung der konkreten Auferstehungsereignisse ab, die untrennbar mit Jesus von Nazareth in der Gesamtheit seiner konkreten Person sowie seines Wirkens und seiner Geschichte verbunden sind (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 135), mit dem Gott sich identifizierte und den er als diesen einmaligen Menschen mitsamt seiner Leiblichkeit aus dem Tod ins Leben und somit hinein in seine eigene Ewigkeit auferweckte (vgl. a.a.O., 109, 111 u. 135), sodass nun eben genau dieses Leben „als ewiges Leben gegenwärtig [ist]“ (a.a.O., 135). 948 Vgl. Moltmann, Der Weg, 289. Die durch das Konzept der ganzheitlichen Auferstehung implizierte Hochschätzung der leiblichen Dimension des Menschen – oder doch zumindest ihre Anerkennung als Dimension des menschlichen Daseins – spiegelt sich auch in weiteren Denkmodellen der systematischen Theologie wider. Zu ihnen zählt das Konzept der Fleischwerdung Gottes. Dieses zeugt davon, dass Gott in Ewigkeit eine wahrhaftige Verbindung mit dem Fleisch einging (vgl. Greshake, Untersuchungen, 174) und dieses „absteigende und irreversible […] Kommen des göttlichen Logos in das Fleisch“ (Greshake, Die Leib942

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

433

Diese (durch die Grableerfindungsperikopen implizierten) Vorstellungen einer ganzheitlichen Auferstehung des Menschen, dessen leibliche Dimension nicht auf den Aspekt seiner Vergänglichkeit zu reduzieren ist, da es sich bei ihr um einen Teil der guten Schöpfung handelt, der vielfältige Funktionen und Wechselbeziehungen zu den anderen Dimensionen der menschlichen Konstitution aufweist, dürften auch ausgehend von dem Wirklichkeitsverständnis des modernen Menschen als anknüpfungsfähig zu beurteilen sein, da der Gedanke des Zusammenhangs der Körperlichkeit und des mentalen, psychologisch untersuchbaren „Innenlebens“ des Menschen in diversen lebensweltlichen Begebenheiten erfahrbar ist. Verwiesen sei etwa auf die Phänomene psychosomatischer Krankheiten und – umgekehrt – auf durch psychische Prozesse und Erwartungshaltungen begünstigte oder mitbewirkte körperliche Heilungsprozesse, aber auch auf ganzheitliche, mehrere Seinsdimensionen eines Menschen tangierende Lebenserfahrungen wie körperlich spürbare Emotionen des Glücks, des Wohlbefindens, des Schmerzes, der Angst, der Erlösungsbedürfigkeit949 und der Verzweiflung, der Seele-Problematik, 169) als „Höhepunkt der Heilsgeschichte“ (ebd.) benannt werden kann, da ausgerechnet das kreatürliche und der Sündenmacht stets ausgesetzte Fleisch zu dem Ort wird, an dem der Kampf Gottes gegen den Tod stattfindet (vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische …“, 219), welchen er durch seine (im Leib vollzogene) Selbsthingabe für sich entscheidet (vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 16). Aus diesen (in Kapitel III.3.2.d eingehender beleuchteten) Erkenntnissen resultiert, dass das Eintreten Gottes in das (durch Schwäche und Vergänglichkeit gekennzeichnete) Fleisch nicht nur von seiner grenzenlosen Liebe für den Menschen zeugt, sondern auch von einer nicht zu überbietenden Würdigung (vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische …“, 195 f.) und Ehrerweisung des ganzen Menschen und seiner leiblich konstituierten Daseinsdimension (vgl. a.a.O., 192 u. 195). Darüber hinaus sei auf den Aspekt des Wunderwirkens Jesu verwiesen, der die Wertschätzung der leiblichen Dimension des Lebens sowie ihre Relevanz ebenfalls hervorhebt, indem er nicht nur von dem konkreten, mitunter sogar haptischen Heilshandeln Jesu an verschiedenen, unter körperlichen und/oder seelischen Einschränkungen leidenden Menschen zeugt, sondern auch – etwa in Form der Speisemehrungserzählungen – ersichtlich werden lässt, dass Jesus die vielfältigen (in der leiblichen Konstitution des Menschen verankerten) Bedürfnisse nach sozialer Eingebundenheit, Sicherheit, Trost und Nähe, aber auch nach Heilung und Nahrung nicht relativierte, sondern ernstnahm. Er begegnete ihnen so nicht nur mit tröstenden Worten, sondern auch mit konkreten Handlungen, die nicht selten die empirischen Leiblichkeiten der Menschen miteinbezogen und durch die diesen eine Wiederpartizipation an der Gemeinschaft ermöglicht wurde (vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 169). Auf diese Weise brachte Jesus nicht nur seine große Wertschätzung für das leiblich konstituierte Leben zum Ausdruck, sondern er machte auch ersichtlich, dass konkrete Personen nicht auf ihre potenziellen Defizite und Einschränkungen zu reduzieren und einseitig als „der Blinde“ oder als „die Gelähmte“ zu etikettieren sind, da es sich bei ihren Beeinträchtigungen um vorübergehende Erscheinungen handelt, die den Umstand, dass auch sie sehr gut geschaffene Geschöpfe und Ebenbilder Gottes sind, die eine Partizipation an der Gemeinschaft verdienen, nicht relativieren können. Dies gilt auch, wenn ihnen der Zugang zur Gemeinschaft mitunter verstellt ist. 949 Vgl. a.a.O., 175. Heimerl verweist im Zusammenhang mit der Erfahrung einer körperlich spürbaren Erlösungsbedürftigkeit schon im Blick auf die Menschen der Spätantike richtigerweise darauf, dass ein Wissen um das Erlösungshandeln Jesu gerade angesichts derarti-

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Teil III: Eigene Deutung

inneren Unruhe oder – besonders bildlich – des gebrochenen Herzens. Hinzu kommen körperlich erfahrbare Schock-, Trauer- oder Adrenalinreaktionen sowie körperliche, auch das „Innenleben“ des Menschen berührende Grenzerfahrungen wie die von Durst- oder Hungergefühlen sowie Rauschzuständen, Ektasen950 oder sexuellem Lustempfinden. Darüber hinaus spiegelt sich ein ganzheitliches, wenngleich oft lediglich unbewusst vorausgesetztes Verständnis des Menschen in diversen Vollzügen und Grundsätzen der Lebensgestaltung wider. Exemplarisch verwiesen sei auf das verbreitete Streben nach einem gesunden Lebenswandel, der sich in den meisten Konzeptionen sowohl durch regelmäßige sportliche Aktivitäten und eine gesunde Ernährung als auch durch einen achtsamen Umgang mit der eigenen mentalen Gesundheit auszeichnet und so die verschiedensten Seinsdimensionen einschließt. Erinnert sei ferner an die diversen, nicht ausschließlich auf die Erfüllung körperlicher, sondern auch auf die Befriedigung innerer Bedürfnisse abzielenden Körpermodifikationen und Gestaltungen der Leiblichkeit durch Kosmetik, Bekleidung, Tätowierungen und Piercings, die Veränderung der Körperbehaarung, Bodybuilding bis hin zu plastisch-chirurgischen Eingriffen. Die Rückseite der existentialen Dimension des Konzepts des umfassenden Angenommenseins des Menschen durch Gott stellt die erwähnte Erkenntnis dar, dass angesichts der ganzheitlichen Auferweckung Jesu, die alle Dimensionen seines Daseins umfasst und zum Leerwerden seines Grabes führt, ersichtlich wird, dass es sich bei den Auferstehungsereignissen nicht um eine schiere, göttliche Machtdemonstration handelt, sondern um einen Erweis seiner grenzenlosen, von den gefallenen Menschen nicht zu verdienenden Treue gegenüber seiner Schöpfung951, die Gott nicht preisgibt, sondern neuschöpferisch verwandelnd erhält. In diesen Zusammenhang soll im Sinne des Anspruchs Ringlebens nicht unerwähnt bleiben, dass im Falle der Thematisierung Gottes stets der Aspekt seiner Ewigkeit anzusprechen sei.952 Dies erfolgt mit Verweis darauf, dass die (die irdische Leiblichkeit aufhebend-neuschöpferisch verschlingende) Auferstehungsleiblichkeit davon zeugt, dass es sich bei der Auferstehungswirklichkeit um ein Leben handelt, in welches „der Tod hineinverschlungen, also schöpferisch aufge-

ger Erfahrungen an Bedeutung gewinnt (vgl. ebd.). Entsprechend können auch sie als ein Anknüpfungspunkt der Rede von der leiblichen Auferstehung wahrgenommen werden, der etwa in Bezug auf eine Aufbereitung ebendieser für den modernen Menschen fruchtbar gemacht werden kann, da auch dieser sich im Vollzug seines Lebens in Situationen wiederfindet, in denen ihm seine eigene Erlösungsbedürftigkeit nur allzu schmerzlich bewusst wird. Dass freilich auch hier eine einleitende Erläuterung des vorausgesetzten Leiblichkeitsbegriffs und des skizzierten Verständnisses der leiblichen Verfasstheit des Menschen vonnöten sind, um nicht die mehrfach problematisierte Assoziation der Wiederbelebung eines Leichnams zu wecken, steht dabei außer Frage. 950 Vgl. Körtner, Dogmatik, 271. 951 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 42 f. u. Greshake, Untersuchungen, 249. 952 Vgl. Kapitel II.3.3.a.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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hoben ist“953, was auch an der Erwähnung der Wundmale des Auferstandenen erkennbar wird.954 Im Sinne der wechselseitigen Durchdringung von Zeit und Ewigkeit zeigt diese Erkenntnis wiederum, dass nicht nur die Ewigkeit durch das Herablassen Gottes in das Fleisch eingebrochen ist, sondern dass im Rahmen der Entstehung der pneumatischen Leiblichkeit auch ein Teil des Irdischen (mitsamt seiner Verbundenheit mit den Kategorien der Zeit und der Geschichte) in die Ewigkeit Gottes hinein aufgenommen wurde.955 Die Grableerfindungsperikopen zeigen somit anhand der klaffenden Leerstelle und Lehrstelle des leeren Grabes, in dem doch erwartungsgemäß der Leichnam auffindbar sein sollte, dass die Leiblichkeit Jesu (das Geschick der vergänglich-leiblich konstituierten Menschen antizipierend) als ein Aspekt der vergänglichen Welt in die Ewigkeit hineingetragen und neuschöpferisch bewahrend aufgehoben wurde, nachdem der Herr – und mit ihm die Ewigkeit – in ihr in die Welt hineintrat.956 Dadurch wurden ebendiese und somit auch die Daseinsbestimmung des leiblich konstituierten Menschen als „für die Ewigkeit bestimmt“957 ausgewiesen, was im Status der Menschen als geliebte Ebenbilder und Geschöpfe Gottes und Objekte seiner unverbrüchlichen Treue bereits angedeutet ist. Der in die Ewigkeit hineingetragene Aspekt der Zeitlichkeit hat ferner – und hier ist wieder an Ringlebens Verweise auf die Durchmischung von Zeit und Ewigkeit und auf die Wundmale des Auferstandenen zu denken – auch Spuren in der (in die Welt hineinwirkenden) Ewigkeit Gottes hinterlassen; so wird der ewige Herr bleibend als der Menschensohn ausgewiesen, der von der irdisch-vergehenden Zeit – symbolisiert durch seine Wundmale – gezeichnet wurde, was allerdings kein Defizit seiner Auferstehungswirklichkeit darstellt und die Seligkeit des Auferstandenen nicht schmälern kann958, sondern seine ruhmreiche Überwindung des Todes bezeugt. Der Diskurs um einen Geschichtsbezug der Auferstehung scheint vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse dann, wenn die in ihm vollzogenen Bemühungen darauf abzielen, zu ermitteln, ob die Auferstehung als ein historisches Ereignis bezeichnet werden könne, eine Frage zu thematisieren, die schon als solche falsch oder doch zumindest unpräzise gestellt ist. Sie impliziert so in gewisser Weise, dass zu ermitteln wäre, ob die Auferstehung in einem bestimmten Punkt eines als Geschichte bezeichneten Zeitstrahls verortet werden könne. Hierdurch bleibt allerdings unberücksichtigt, dass sowohl sie als auch und die Geschichte (sensu Ringleben) untrennbar miteinander und auch mit der Dimension der Ewigkeit verbunden sind959, da die Auferstehungsereignisse als alleinige Heils953

Ringleben, Der lebendige Gott, 941. Vgl. ebd. 955 Vgl. a.a.O., 522 f. 956 Vgl. Höfer, Ist die Ewigkeit eine Ein-Bildung?, 25. 957 Ringleben, Der lebendige Gott, 543 u. vgl. a.a.O., 547 f. 958 A.a.O., 941. 959 Vgl. Kapitel II.3.3. 954

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Teil III: Eigene Deutung

taten Gottes in die empirisch untersuchbare Dimension der Geschichte hineinragen960, aber die Kategorien der (von Menschen wahrgenommenen) Geschichte und der Zeit zugleich auch in die Ewigkeit Gottes schöpferisch hineinverschlungen sind.961 Entsprechend ist es fraglich, ob die Auferstehungsereignisse in angemessener Weise als in der Geschichte verankert beschrieben werden können – beziehungsweise ob von einem Geschichtsbezug der Auferstehung gesprochen werden kann – oder ob nicht die Kategorie der Geschichte als solche erneut (wie bereits durch Moltmann, Barth und Ringleben) umzuperspektivieren ist, um stärker hervorzuheben, dass es sich bei ihr um eine im Ansatz in die Ewigkeit Gottes eingeholte und sie wechselseitig durchdringende Dimension handelt. Möglicherweise ist es geboten, zu akzeptieren, dass lediglich ausgesagt werden kann, dass es sich bei der Auferstehung um ein Ereignis handelt, welches Spuren in die von Menschen wahrnehmbare Geschichte hineinschlägt und somit einen (derart definierten) Geschichtsbezug aufweist; dass diese Spuren gleichzeitig aber auch davon zeugen, dass die Geschichte in die Ewigkeit hineingenommen und so irreversibel verändert wurde. Diese Einsichten perspektivieren die Frage nach dem Geschichtsbezug eines Ereignisses insofern um, als dass nicht länger nur relevant ist, ob es sich bei einem bestimmten Ereignis um einen Punkt in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte handelt, sondern auch, ob es sich bei diesem um einen Punkt handelt, in dem das Ereignis (und somit die Geschichte als solche) aus der Geschichte hinausgenommen und in die Ewigkeit hineingezogen wurde.962 Ähnliche Gedanken finden sich auch bei Ringleben, der erläutert, dass die Behauptung, dass Jesu Auferstehung kein „,raum-zeitliche[r]‘ Akt im gewöhnlichen Sinne“963 sei, durch die zweite Aussage ergänzt werden müsse, dass es sich bei ihr dennoch „um ein Geschehen auch an Raum und Zeit und nicht um etwas rein Transzendentes handelt.“964 Diese Ansicht kann (auch nach Auffassung Thomas’) anhand der Rede vom leeren Grab zum Ausdruck gebracht werden, da diese davon zeugt, dass die ersten Christen das (grundsätzlich erst einmal unbeschreibliche) Ereignis der Auferstehung lokal an der leeren Grabstätte verorten und so sowohl ihre Tatsächlichkeit und ihre Ereignishaftigkeit festhalten als auch auf ihre raumzeitliche Spur hinweisen965, die (mit Vorholt gesprochen) daraus resultiert, dass durch den Einbezug des Leichnams in das Auferweckungshandeln Gottes eine Hineinvermittlung des besagten, unbeschreibbaren Ereignis in die

960

Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 201–203 u. Eckstein, Von der Bedeutung, 7. Vgl. Kapitel II.3.3.b. 962 In anderen Worten: Handelt es sich bei ihm – hier konkret: bei dem Geschehen, das zur Leerwerdung des Grabes Jesu führte, – um einen Punkt innerhalb der besagten Geschichte, der zugleich „Bürge für das Ende der Geschichte“ ist (Ihmels, Zur Frage nach der Auferstehung Jesu, 35, zitiert nach Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 30)? 963 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 86 f., mit Verweis auf Ebeling, Dogmatik II, 294. 964 Ebd. 965 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 203. 961

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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raumzeitliche Erfahrungswirklichkeit des Menschen erfolge, welche Spuren in der Geschichte hinterlasse.966 Zu verweisen ist im Zusammenhang mit dieser Vorstellung der Auferstehung als Resultat eines Handelns Gottes, welches „seine Spuren in Raum und Zeit eingegraben hat“967, zudem erneut auf die barthsche Wendung ihres „,historischen‘ Rand[es]“968, die ebenfalls von der Erkenntnis zeugt, dass die Auferstehung in die von Menschen wahrnehmbare Geschichte hineinwirkt, aber nicht derart in ihr aufgeht, dass man sie – wie Pannenberg es behauptet – als historisches Ereignis objektiv (und somit nicht erst aus der Perspektive des Glaubens) wahrnehmen und durch geschichtswissenschaftliche Bemühungen umfassend erfassen könnte.969 Gleiches gilt für die umgekehrte Schlussfolgerung Dalferths, dass „Jesus nicht in dieses geschichtliche Leben970, sondern in das ewige Leben auferweckt wurde.“971 Obschon ihr freilich insofern zuzustimmen ist, als dass Jesus in der Tat nicht in derselben Weise wie etwa Lazarus oder die Tochter des Jairus im Sinne einer Ausdehnung seines prämortalen, irdischen Lebens auferstand, so bleibt 966 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 88. Gemeint sind solche Spuren, die einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage zugänglich sind. 967 Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 64 f. 968 Barth, KD III/2, 535. 969 Vgl. Klappert, Diskussion, 18. In Bezug auf das Verständnis des leeren Grabes als eine Spur bereichert es, den bislang unterbestimmten, da nur sporadisch angeführten Gedanken zu betonen, dass es sich als solches insofern von allen anderen innerweltlichen Spuren unterscheidet, als dass es sich bei ihm um die einzige Spur eines Ereignisses handelt, das nicht nur als Abdruck der Vergangenheit (= hier: als Abdruck des Wirkens Gottes am Leichnam) fungiert, sondern auch als Abdruck der bereits effektiv antizipierten Zukunft des Menschen. Zur Konkretisierung dieses Gedankens sei auf die nachfolgend zitierten Darstellungen Rovellis verwiesen, die deutlich machen, inwiefern Spuren für gewöhnlich über eine einseitige Verweisfunktion auf die Vergangenheit verfügen und wie sich das leere Grab als eine Spur eines die Zukunft antizipierenden Ereignisses von diesen unterscheidet: „Mondkrater zeugen von vergangenen Einschlägen. Fossilien verraten uns, welche Lebensformen die Erde einstmals besiedelt haben. Teleskope zeigen uns, wie ferne Galaxien früher aussahen. […] In unserem Gehirn wimmelt es von Erinnerungen. Spuren gibt es aus der Vergangenheit, nicht aber aus der Zukunft, und zwar nur deshalb, weil die Entropie in der Vergangenheit niedrig war. […] Die einzige Quelle des Unterschieds zwischen Vergangenheit und Zukunft ist die vergangene niedrige Entropie […]. Um eine Spur zu hinterlassen, muss etwas zum Stillstand kommen, in der Bewegung innehalten, und dies geschieht nur in einem irreversiblen Prozess, bei dem Energie zu Wärme wird. […] Eben die Präsenz einer Fülle von Spuren aus der Vergangenheit erzeugt das vertraute Gefühl, dass die Vergangenheit festgelegt sei. Dass entsprechende Spuren aus der Zukunft fehlen, weckt die Empfindung, dass sie offen ist. Spuren sorgen dafür, dass unser Gehirn über ausgedehnte Landkarten aus vergangenen Ereignissen, aber über nichts Entsprechendes für künftige Ereignisse verfügt. Von dieser Tatsache rührt unser Gefühl her, frei in der Welt agieren, zwischen verschiedenen Versionen der Zukunft wählen, aber nicht auf die Vergangenheit einwirken zu können“ (Rovelli, Ordnung der Zeit, 138 f.). 970 Gemeint ist die empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbare Dimension des menschlichen Lebens. 971 Etzelmüller, Ich lebe, 231, mit Verweis auf Dalferth, Volles Grab, 306.

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Teil III: Eigene Deutung

doch zu problematisieren, dass Dalferth die wechselseitige Durchmischung von Zeit und Ewigkeit nicht berücksichtigt, sondern eine Gegenüberstellung des ewigen, göttlichen Lebens und der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte vornimmt.972 Kritisch zu hinterfragen wäre hier – so wie in Bezug auf all jene Positionen, die eine Verankerung der Auferstehungsereignisse in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte abstreiten, – worin die besagte Ablehnung begründet liegt, da einige Stellungnahmen den Eindruck erwecken, dass die gegenwärtig erfahrbare Wirklichkeit des Menschen gegenüber der Wirklichkeit Gottes und somit auch gegenüber der Auferstehungswirklichkeit Christi von den jeweiligen Verfasser geringgeschätzt wird und dass ihre Urteile entsprechend in dieser Einschätzung begründet liegen. Dass eben solche Beurteilungen von einer mangelnden Berücksichtigung dessen zeugen, dass es sich bei der von Menschen erfahrbaren Wirklichkeit trotz all ihrer Defizite um die wunderbare Schöpfung Gottes handelt, die in ihrer Neuschöpfung hin zu einer neuen Erde, welche sie in Bezug auf ihre Würde und Herrlichkeit freilich in undenkbarer Weise übersteigt, nichtsdestotrotz neuschöpferisch bewahrend aufgehoben sein wird.973 Der Gedanke, dass die Neuschöpfung der Erde nicht ausschließlich durch die Negation unserer geschöpflichen (und als solche wunderbar geschaffenen) Wirklichkeit herbeizuführen wäre974 und somit mit der Vernichtung der irdischen Schöpfung einhergehen müsste975, sondern dass diese im Gegenteil bewahrend in den Prozess der Neuschöpfung aufgenommen und darin zu ihrer Vollendung als dem finalen „Sieg des Schöpferwillens“976 und als befreiende Erlösung der seufzenden Kreatur977 gebracht werden kann978, stellt einen Rückschluss dar, der aus-

972

Vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 231. Vgl. Eckstein, Von der Bedeutung, 7. 974 Vgl. Busch, Die große Leidenschaft, 290. 975 Joest, Dogmatik II, 640. 976 A.a.O., 645. 977 Vgl. Röm 8,18–22. Analog zu der Erkenntnis, dass die eigene Erlösungsbedürftigkeit angesichts der Vorstellung der pneumatischen Leiblichkeit und ihrer unübersehbaren Unterschiede zur irdischen Leiblichkeit festgestellt werden kann, ist in Bezug auf die neutestamentlichen Darstellungen der endzeitlichen Neuschöpfung der restlichen Schöpfung festzustellen, dass diese die Erlösungsbedürftigkeit der (in vielerlei Hinsicht beschädigten und ausgebeuteten) außermenschlichen Mitschöpfung nur allzu salient macht (vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische …“, 192). 978 Vgl. Joest, Dogmatik II, 645 u. Moltmann, Das Kommen Gottes, 87. Ringleben beschreibt die Neuschöpfung der Erde am Ende der Zeit ebenfalls als eine Art Fortsetzung der Schöpfung als solcher. Diese komme darin zu ihrem Ziel, dass ihre antizipierte Vollendung sich endgültig durchsetze (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 118). Ferner zeichne sich die besagte Neuschöpfung gerade durch das angesprochene, völlige Vergehen des Alten aus (vgl. Kapitel II.3.3.c u. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 108), das jedoch bewahrt und neuschöpferisch aufgenommen werde. Diese und ähnliche Vorstellungen der Aufnahme der irdischen Welt in die endzeitliche Neuschöpfung zeugen – ebenso wie der Gedanke, dass die Auferstehungsereignisse im problematisierten Sinne einen Geschichtsbezug aufweisen, – von derselben Wertschätzung der uns erfahrbaren Welt als Schöpfung Gottes, auf die zuvor im 973

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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gehend von der Vorstellung der Verwandlung des irdischen Leibes in Jesu pneumatische Leiblichkeit als „verkörperte Verheißung für die ganze Schöpfung“979 bestätigt wurde, welche alttestamentliche Vorstellungen präzisierte, da sie vom Anbrechen der Gottesherrschaft und so von der endgültigen erlösenden Neuwerdung der Schöpfung hin zu ihrer „neuen Weltgestalt als letzte[r] Zukunft der Welt“980 zeugte. Zum Abschluss ist auf die Frage einzugehen, welche Art von Erkenntnisgewinn ausgehend von der Beobachtung gewonnen werden kann, dass Jesu Leichnam gemäß der neutestamentlichen Darstellungen nicht dekompostierte.981 Zu diesem Zweck erscheint es sinnvoll, zu reflektieren, welche Assoziationen die Vorstellung des (Nicht-)Verwesens grundsätzlich zu erwecken vermag. Wir leiten unsere Reflexionen mit einem Zitat ein: Aber habe ich so wirklich Vergangenheit? Wo doch Vergangenheit heißt, dass „was und wie ich damals war … – das Wort ist grausam deutlich – vergangen, gewesen im Sinne von ,verwest‘, wesenlos geworden” ist.982

Freilich: Sofern wir den Prozess der Verwesung nicht ausgehend von unserer Perspektive des Glaubens daran, dass Gott die Macht der Sünde und des Todes endgültig gebrochen hat, betrachten, so weist er zweifellos auf die völlige Auslöschung und Infragestellung der der Verwesung anheimfallenden Person hin, da ihre Leiblichkeit als ein von ihren restlichen Daseinsdimensionen nicht zu trennender Aspekt, den sie jahrelang pflegte, kultivierte und gestaltete, der restlosen Annihilation983 anheimfallen würde. Die Vorstellungen, dass die Existenz des Menschen einen Sinn habe oder dass er gar ein geplantes und gewolltes, geliebtes und würdiges, wertvolles Geschöpf Gottes sei, werden ausgehend von dem Gedanken, dass der Mensch ins absolute Nichts984 überginge und dass entsprechend auch nichts von ihm bliebe und bewahrt würde, höchst fraglich. Die Dekompostierung käme somit in letzter Konsequenz einer Anfechtung der guten Schöpfung Zusammenhang mit der Wertschätzung der irdischen Leiblichkeit hingewiesen wurde. Die ethischen Implikationen, die sich aus dieser Wertschätzung ergeben, werden im Kapitel III.3.2.d noch einmal eigens zu thematisieren sein. 979 Moltmann, Der Weg, 281. 980 Barth, KD IV/3 (1), 406. 981 In diesem Zusammenhang distanziert sich das vorliegende Buch in aller Entschiedenheit von jenen Erkenntnisbemühungen, die Spekulationen über das Ergehen des Leichnams Jesu im Rahmen des Auferweckungshandelns Gottes und/oder über den konkreten Ablauf und den Vollzug ebendieses göttlichen Wirkens anstellen. 982 Busch, Die große Leidenschaft, 283, unter Zitation von Barth, KD III/2, 644. 983 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 248 u. Joest, Dogmatik II, 649. 984 Dieses absolute Nichts findet sich innerhalb der Passions- und Ostererzählungen – wie Ringleben und auch Dalferth eindrücklich beschreiben – sowohl im „steinerne[n] Schweigen des Grabes“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 108 f.) als auch in jener „,tödlichen Stille der Gottverlassenheit‘ in Jesu Agonie, in der der verzweifelte, fragende und anklagende Schrei des Sterbenden (Mk 15,34) unbeantwortet stehen bleibt“ (ebd., unter Zitation von Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 43).

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Teil III: Eigene Deutung

des Menschen als Ebenbild Gottes gleich, da sie in Form seiner völligen Auslöschung im Wesentlichen einer Re-Erschaffung, ja einer Rücknahme der göttlichen Schöpfung als der absoluten Wahrheit der Getrenntheit entsprechen würde. Daran wird deutlich, dass es sich bei der Dekompostierung um einen Aspekt des Todes handelt, der tiefgreifender ist, als seine biologische Beschreibbarkeit es vermuten lässt.985 Indem demgegenüber behauptet wird, dass sich eine Auferstehung ereignete, welche die im Grabe vorfindlichen Überreste des Auferstandenen tangierte986, sodass diese die Verwesung nicht schauen mussten987, wird dem Tod seine vermeintliche „Eindeutigkeit (als definitives Ende)“988 und als Triumph über das Leben entzogen. Indem er anhand des Leichnams Jesu in das Leben Gottes integriert wird, wird er – ganz im Gegenteil – selbst zu einem „Möglichkeitsort von Hoffnung“989, was einem absoluten Sieg des Lebens über den Tod entspricht, wie es im Kapitel III.3.2.d noch einmal thematisiert wird. Anhand der durch das leere Grab eröffneten Leerstelle wird somit sowohl der Umstand, dass Jesus tatsächlich lebendig ist, als auch die göttliche Überlegenheit gegenüber der Todesmacht hervorgehoben.990 985

Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 159. Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 110. 987 Der Umstand, dass Jesu Leichnam seine Verwesung nicht schauen musste, da Gott im Rahmen seines Auferweckungshandelns bewahrend schöpferisch an diesem wirkte, wird innerhalb des thematisierten Deutungsrahmens bereits darin begründet, dass er im Gegensatz zum Rest der Menschheit vollkommen sündlos war und das Nichtige ihn somit nicht vollends zu unterwerfen vermochte (– obschon er sich ihm unterwarf –), da die Kreatur nur in der Trennung von Gott, die die Sünde bezeichnet, ihrer Vergänglichkeit unterliegen müsse (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 160 f.). Betont wird also eine fundamentale Unterschiedenheit der Konstitution des Menschen von der des Menschensohnes, von der ausgehend die Annahme Dalferths, dass Jesu Leichnam verwest sein müsste, um die Auferstehung der Menschen angesichts der Verwesung ihrer Leichname zu gewährleisten (vgl. Kapitel II.4), fragwürdig wird, da sie die vermeintliche Notwendigkeit einer Analogie zwischen dem Geschick des Herrn und dem Geschick der Menschen suggeriert, obgleich dieser doch bereits zu Lebzeiten nicht in Analogie mit ihnen lebte, sondern im Gegensatz zu ihnen gerade nicht zum Sünder wurde (vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische …“, 208) und in Entsprechung zur eigentlichen Bestimmung des Menschen durch ihn „das unterlassen wird, was wir tun, und das getan wird, was wir unterlassen“ (Barth, KD I/2 170, zitiert nach Frettlöh, „Gott ist im Fleische …“, 206). 988 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 164. 989 Ebd. 990 Vgl. Fössel, Offenbare Auferstehung, 611. Reflektieren wir diese Überlegungen und diesen Vorstellungsrahmen, so zeigt sich nicht nur erneut, dass die Annahme einer notwendigen Verwesung des Leichnams Jesu bereits ausgehend von argumentationslogischen Erwägungen als unangemessen zu beurteilen ist, sondern auch, dass ihre Verfechter die Tiefendimension der Verwesung eines Leibes als seine völlige Annihilation nicht ernst zu nehmen scheinen; ja dass sie vielmehr versuchen, sich mit dieser Vorstellung zu arrangieren. Wer aber die Macht der Sünde und die reelle Möglichkeit ihres alles vernichtenden Sieges nicht bedenkt und nicht realisiert, wie zerstörerisch und existenzbedrohend sie ist, der erfasst auch die Erlösungsbedürfigkeit des Menschen und die Notwendigkeit des göttlichen Heilshandelns 986

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Angesichts all dieser Erkenntnisse dürfte ersichtlich geworden sein, dass die eingangs dargestellte These zutreffend ist, dass der Aussagegehalt der Grableerfindung weit über die Erkenntnis, dass der Herr auferstanden ist, hinausreicht, sofern man sie aus der (die in ihr verankerte Mehrdeutigkeit zerstäubenden) Perspektive des Glaubens betrachtet. Offenkundig greift die Deutung des leeren Grabes als Zeichen der/für die Auferstehung somit zu kurz, da sie den Erzählungen in Bezug auf ihr wirklichkeitserschließendes Potenzial und ihre Vermittlungskraft ganz augenscheinlich zu wenig zutraut. Daher wird hier der Vorschlag unterbreitet, diese Zuschreibung zugunsten eines Verständnisses des leeren Grabes als ein hermeneutischer Schlüssel aufzugeben, anhand dessen (unter Berücksichtigung des dargestellten Deutungshorizonts) konkrete Aussagen über die Auferstehung und ihre Wirklichkeit ableitbar sind991, durch die die „göttliche Auseinandersetzung mit dem Tod“992 und insbesondere die Rede von der Leiblichkeit der Auferstehung besser verstanden werden können993, sofern uns Menschen dies überhaupt möglich ist. Dem Auferstehungsglauben, der die dargestellte, aus der Perspektive des Glaubens erfolgende Auseinandersetzung mit den Grableerfindungserzählungen bereits voraussetzt, kann dadurch ferner eine Richtung gewiesen werden.994 Dabei geht

nicht, das uns in der im biblischen Befund vorfindlichen Weise bezeugt wurde. Mit diesen Ausführungen sei keineswegs in umgekehrter, nicht weniger unangemessener Weise postuliert, dass der Leichnam Jesu nicht verwest sein dürfe, da dies einem unüberbietbaren Sieg des Todes über das Leben entsprochen hätte, sondern es sei vielmehr erneut darauf hingewiesen, dass Gott sein Auferweckungshandeln vielleicht freilich auch unter der Bedingung eines Verwesens Jesu hätte vollziehen können; dass die Auferstehung, auf die sich unsere Hoffnungen richten und zu der es sich zu verhalten gilt, allerdings nicht auf diese Art wahrgenommen wurde. Ein Glaube an eine (die Verwesung des Leichnams Jesu einschließende) Auferstehung entspricht somit einem Glauben an ein theologisches Konstrukt, welches nicht auf die Auferstehungsereignisse, wie sie von konkreten Menschen wahrgenommen wurden, bezogen werden kann und auch sonst kein (in der von Menschen wahrnehmbaren Wirklichkeit verortbares) Referenzobjekt aufweist, auf das es sich beziehen könnte. Es handelt sich somit um einen Glauben an ein Konstrukt, welches in letzter Konsequenz unbegründet ist, da es sich einzig darauf stützen kann, dass es in der von den Verfassern eingeführten Argumentationsweise plausibel erscheint. 991 Das Erschließungspotenzial des leeren Grabes wird ersichtlich, wenn wir es im interpretatorischen Zusammenhang mit den Ostererscheinungen betrachten, in denen ein bestehendes Wechselverhältnis erkennbar wird, das sich eben nicht (im Sinne der verbreiteter Interpretation des leeren Grabes als Zeichen der/für die Auferstehung) darin erschöpft, dass das leere Grab (ausgehend von dem dargestellten Deutungsrahmen und im Zusammenhang mit den Erscheinungen) als Hinweis auf die Auferstehung verstanden werden könne, sondern – und dies bleibt zumeist unterbestimmt – das sich auch dadurch auszeichnet, dass die Erscheinungen sowie die Auferstehung als solche ausgehend vom leeren Grab eingehender charakterisiert werden können. 992 Thomas, „Er ist nicht hier!“, 214. 993 Vgl. Burmeister, Auferstehung in die Nachfolge, 111. 994 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 353.

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Teil III: Eigene Deutung

es selbstredend nicht primär darum, Einzelaussagen über die Vollendung oder über ihren konkreten Modus vorzunehmen, sondern vielmehr darum, durch ihre Akzentuierung als ein Geschehen am leibhaft-geschichtlich verfassten Menschen hervorzuheben, dass die Schöpfung auch in ihrer materiell-leiblichen Verfasstheit „herkünftig und gegenwärtig gut und gottgewollt“995 ist. Darüber hinaus können ganz grundlegende, nicht hinreichend in Worte zu fassende Facetten der Auferstehung verständlich gemacht werden, deren Thematisierung für viele Menschen erst einmal Fragen aufwirft, nur wenige Assoziationen aktiviert und sich daher als interpretationsbedürftig erweist.996 Dem sich derart eröffnenden Potenzial der Grableerfindungserzählungen ist – entgegen der verbreiteten Tendenz, sie als vergleichsweise triviale Narrative zu verstehen – eine nicht hoch genug zu schätzende Relevanz zuzusprechen, da sie mitsamt der in ihnen zugrunde gelegten Konzepte (wie etwa dem der auch gegenwärtig nachvollziehbaren Vorstellung der ganzheitlichen Konstitution des Menschen) dazu beitragen können, die Sprachfähigkeit in Bezug auf die Auferstehungsbotschaft zu erhöhen. Dies erscheint gerade in der heutigen Zeit äußerst wichtig, da die christliche Theologie und insbesondere ihr Auferstehungsdiskurs von einer gewissen Verunsicherung geprägt zu sein scheinen, die sich auf kirchlicher Seite darin äußert, dass in Bezug auf die angemessene Artikulation christlicher, die postmortale Existenz betreffender Hoffnungen laut einer Stellungnahme des Theologischen Ausschusses der Union Evangelischer Kirchen eine erkennbare Unsicherheit vorherrsche.997 Durch die Grableerfindungsperikopen kann dieser begegnet werden, indem sie (in Vergessenheit geratene) Möglichkeiten eröffnen, um das christliche Auferstehungsverständnis zu verbalisieren. Dieses wiederum kann anhand der aus ihnen abzuleitenden Einsichten trennscharf und eindeutig von weiteren Auferstehungsvorstellungen (anderer Religionen oder spiritueller Strömungen) abgegrenzt werden. Derartige Abgrenzungen erleichtern es den Menschen, eine Position auszubilden, was nicht nur deshalb von Relevanz ist, weil sie sich selbstverständlich – trotz der verbreiteten, öffentlichen Verdrängung oder Leugnung der (eigenen) Vergänglichkeit998 – mit der Menschheitsfrage nach dem Tod auseinandersetzen999 und im Laufe ihres Lebens eigene Vorstellungen in Bezug auf ihr postmortales Ergehen ausbilden1000, sondern was gerade auch vor dem Hintergrund dessen an Bedeutung gewinnt, dass die Vorstellung einer Seelenauferstehung, die schon zur Zeit Jesu Einfluss auf das Denken der Menschen nahm1001, auch heutige Aufer-

995

Greshake, Das Verhältnis, 86 f. Vgl. Wintzer, Auferstehung III, 544. 997 Vgl. Beintker, Das Leben in der zukünftigen Welt, 15. 998 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 181. 999 Vgl. Greshake u. Kremer, Zur Einführung, 2. 1000 Vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 9. 1001 Vgl. Exkurs III.3.1.c. 996

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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stehungsvorstellungen prägt und von vielen Menschen für „die christliche Auferstehungsvorstellung“ gehalten wird1002, obschon sie den neutestamentlichen Vorstellungen widerspricht und somit zur Grundlage eines der wohl verbreitetsten Fehlverständnisse hinsichtlich unseres christlichen Glaubens wurde.1003 Das Zugetan-Sein vieler Menschen zu den (an die Vorstellungen der Gnosis erinnernden) Konzepten einer Auferstehung der Seele, die angesichts des schwindenden Glaubens an eine leibliche, ganzheitliche Auferweckung an Popularität gewannen1004, scheint dabei vor allem darin begründet zu liegen, dass die Vorstellung einer solchen für viele Menschen – wie schon für die frühen Christen in Korinth – schlicht zu abstrakt und fremdartig ist, weshalb sie sich unter ihr nur wenig vorstellen können1005 und stattdessen mit Vorstellungen von Seelenwanderungen und -auferweckungen sympathisieren, die sie einfacher in eine zufriedenstellende

1002 Hier ist erneut zu unterstreichen, dass die aus den Grableerfindungserzählungen zu gewinnenden Erkenntnisse keineswegs nur zur Offenlegung von Fehlkonzepten theologisch uninformierter Bevölkerungsteile dienen, sondern auch für den innertheologischen Diskurs von Relevanz sind, da auch dieser nicht selten Gefahr läuft, sich von der Vorstellung der leiblichen Auferstehung zugunsten der Konzepte der Seelenunsterblichkeit zu distanzieren oder die Auferstehung in ihrer Relevanz für den christlichen Glauben nicht hinreichend wahrzunehmen und zur Geltung zu bringen (vgl. Greshake, Untersuchungen, 243). 1003 Vgl. Beinert, „Unsterblichkeit der Seele“ versus „Auferweckung der Toten?“, 106. Dass derartigen Fehlkonzepten zur Schaffung kognitiver Klarheit in Bezug auf die Grundlagen des christlichen Glaubens zu begegnen ist, da sie die (innerchristliche) Verbreitung schöpfungsfeindlicher, weil weltvernichtender Erlösungskonzepte begünstigen (vgl. Moltmann, Im Anfang, 178), die den Grundsätzen des Christentums entgegenstehen, dürfte offenkundig sein. Wie Moltmann ganz richtig betont, stellt uns eine derartige Auseinandersetzung vor die Herausforderungen, Ausdrücke und Deutungshorizonte zu repristinieren, die naturwissenschaftlichen, gegenwärtig verbreiteten Denkformen fremd geworden sind (vgl. ebd.), und sie dem modernen Menschen in einer für ihn nachvollziehbaren Weise zu vermitteln. 1004 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 181. Parallel zum Populärwerden der Vorstellung einer Seelenauferstehung entwickelte sich ausgehend von der (an der klassischen Religionskritik des 19. Jahrhunderts orientierten) Abkehr von allen Formen eines Jenseitsglaubens ein gewisses Interesse an der Erlangung einer innerweltlichen Unvergänglichkeit, das zu den (auch außerhalb der Theologie wahrnehmbaren) Rückfragen danach führte, ob und inwiefern eine (technologische) Überwindung der biologischen Materialität und insbesondere ihrer Vergänglichkeit vollzogen werden könne. Des Weiteren bewirkte die besagte Abkehr vom Jenseitsglauben (vgl. ebd.) aber auch eine vollkommene Abkehr von der Fokussierung auf die eigene Fortdauer, hin zu einer Thematisierung der vermeintlichen Ewigkeit der Natur, die hier als eine Art unendlicher Prozess verstanden wird, in welchen die Leiber der Menschen postmortal hineingegeben werden, um im Sinne eines eigengesetzlichen „Recyclingvorgangs“ als Altes immer auch Teil des Neuwerdenden zu sein. Vorausgesetzt wird somit ein zyklisches Geschehen, welches „sich zwar nicht nur im Kreise dreht, aber doch in der Substanz immer mit dem Gleichen auskommen muss“ (Weinrich, Auferstehung, 133). Die Bestimmung des Menschen wird entsprechend darauf reduziert, dass er aus dem besagten Naturprozess hervorging und nach seinem Tod wieder in ihn zurückgeführt wird (vgl. ebd.). 1005 Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 75.

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Teil III: Eigene Deutung

Gesamtweltanschauung einfügen können.1006 Darüber hinaus entspricht es allerdings auch der (in der Konfusion des Menschen grundgelegten) eingebildeten Selbstliebe, sich an einer Auferstehungsvorstellung zu orientieren, die nicht auf die schmerzlich als Defizit wahrgenommene, eigene Unzulänglichkeit, Erlösungsbedürftigkeit und Abhängigkeit des Menschen von der Gnade Gottes aufmerksam macht, sondern die stattdessen suggeriert, dass der Mensch den Tod ganz eigenständig und aufgrund seines eigenen Vermögens überwinden könne, da er als solcher bereits alles, was er zur Erlangung seiner Erlösung benötige, in sich trage.1007 Selbstverständlich trägt darüber hinaus auch die massive Verbreitung der analytisch-rationalistischen Rationalität1008 und der in ihr grundgelegten Verflüchtigung der Glaubhaftigkeit mythischer Darstellungen des Sterbens und des Auferstehens von Gottheiten, die zu einer ganz grundlegenden Skepsis gegenüber der nun erklärungsbedürftigen Vorstellungen der leiblichen Auferstehung führte1009, zu einer Bevorzugung der Vorstellung der Seelenauferstehung bei.1010 Über die Vorstellung der Seelenauferstehung hinaus existiert ferner eine Vielzahl weiterer Modelle, die vermeintlich Auskunft über das postmortale Geschick des Menschen geben können, da und zumal der Wunsch nach einer ewigen Existenz per se nicht ausschließlich der christlichen Religion zugeordnet werden kann und zur Entstehung der unterschiedlichsten Konzepte samt ihrer je eigenen Implikationen für die konkrete Lebensführung und -gestaltung führte.1011 Sogar in unserer (durch eine fortschreitende Säkularisierung geprägten) Welt entstehen kontinuierlich allerlei religiöse und esoterische Versuche des Erkenntnisgewinns in Bezug auf das jenseitige Leben, sodass eine Verwechselung oder Vermischung

1006 Vgl. Barth, Die Auferstehung der Toten, 65 f., zitiert nach Etzelmüller, Ich lebe, 227, u. Hempelmann, Jenseits ohne Gott, 29. 1007 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 248 f. 1008 Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320. 1009 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 394 u. Weinrich, Auferstehung, 114. 1010 Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse müssen Schlussfolgerungen als wenig reflektiert bezeichnet und zurückgewiesen werden, die im Stile Fischers nahelegen, dass die Bedenken der Christen in Korinth zeitgeschichtlich bedingt gewesen seien und die heutige theologische Auseinandersetzung mit der Auferstehung nicht mehr tangierten, weshalb sie auch nicht länger thematisiert werden müssten (vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 108). 1011 Vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 277. Dass ein Bedürfnis nach und eine Hoffnung auf ein nicht näher definiertes postmortales Überdauern vielen (– wenn nicht sogar den meisten –) Menschen zu eigen ist, spiegelt sich auch in dem Umstand wider, dass nicht wenige Menschen an abstrakten Hoffnungen und Erwartungen festhalten, selbst wenn sie sich vom christlichen Glauben und seiner Auferstehungshoffnung distanzieren. Diese Einsicht artikulierte bereits Strauß im Rahmen seiner vehementen Kritik an (als problematisch bezeichneten) Selbstverewigungsinteressen (vgl. Weinrich, Auferstehung, 108) mit Verweis darauf, dass „[d]er gebildete Fromme […] sich eher noch seinen Gott und Christus, als die Hoffnung auf Fortdauer nach dem Tod nehmen [lassen würde]“ (Strauss, Christliche Glaubenslehre II, 697, zitiert nach Weinrich, Auferstehung, 108).

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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christlicher Hoffnungen mit ihnen nur allzu naheliegend ist1012, was die Notwendigkeit einer trennscharfen Abgrenzung erneut unterstreicht. Der Gedanke, dass die Grableerfindungsperikopen sowie die neutestamentlichen Deutungen ihres Gegenstandes als eine Abgrenzungslinie des christlichen Auferstehungsglaubens und als Korrektiv etwaiger Fehlkonzepte fungieren kann, ist allerdings keineswegs in der Weise fehlzuverstehen, dass davon ausgegangen wird, dass die Auferstehung sich exakt in der Art und Weise vollzogen haben muss, die die besagten Deutungsangebote nahelegen. Dies käme einem biblizistischen Umgang mit den Texten gleich, der schon ihren eigenen Intentionen widerspräche. Stattdessen zielt das angestrebte Vorgehen auf die Vorstellung ab, dass die in den Erzählungen vorfindlichen und aus ihnen ableitbaren Gedanken elementare und einzigartige Grundzüge der (explizit Jesus von Nazareth tangierenden) Auferstehungsereignisse – wie etwa den der leiblichen Dimension des Geschehens – beinhalten, darstellen und umschreiben. Diese sind zwecks einer angemessenen Verbalisierung und Reflexion des christlichen Glaubens nun stets zu berücksichtigen. Wir halten fest: Da die Grableerfindungsperikopen, sofern man sie aus der Perspektive des Glaubens und im Zusammenhang mit ihrer neutestamentlichen Deutung betrachtet, 1. ein vertieftes Verständnis des christlichen Auferstehungsglaubens und vieler mit diesem verbundener Kernaspekte des christlichen Glaubens und seiner Theologie, wie denen der Gotteslehre, der Eschatologie und der Anthropologie, eröffnen können, 2. als Grundlage einer Abgrenzung der christlichen Auferstehungshoffnung von anderen Auferstehungsvorstellungen und Fehlkonzepten dienen können, 3. diverse Gedanken und Vorstellungen aufweisen und nahelegen, die auch in aktuellen (theologischen) Diskursen von Relevanz sind, und 4. wie in den beiden nachfolgenden Teilkapiteln reflektiert werden wird, verschiedene existentiell bedeutsame Implikationen aufweisen, die relevante Themenbereiche (wie den des Umgangs mit der eigenen Leiblichkeit) berühren, erweist sich eine Thematisierung der Grableerfindungsperikopen als berechtigt und lohnend, wenngleich sie im gegenwärtigen Diskurs aufgrund ihrer (anhand des nötigen Hintergrundwissens allerdings zu begegnenden) Mehrdeutigkeit in Bezug auf ihre Relevanz und ihr Erschließungspotenzial unterbestimmt bleiben. Auch die Anknüpfungsfähigkeit des modernen Menschen an die Grableerfindungserzählungen sollte aufgrund der skizzierten, auf aktuelle Diskurse und Grundfragen des menschlichen Daseins übertragbaren Aspekte der Erzählungen ersichtlich geworden sein, wenngleich eine gelungene Anknüpfung voraussetzt, dass die sie vollziehenden Personen gewillt sind, sich auf die Prämissen der reflektierten Konzepte einzulassen und sich mit ihnen kognitiv auseinanderzuset-

1012

Vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 277.

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zen, anstatt unreflektiert (in einer den Textsinn entstellenden Weise) vorauszusetzen, dass die Wendung der Auferstehung des Fleisches oder das Bild des leeren Grabes auf die Beschreibung einer wenig hoffnungsspendenden Vorstellung eines wiederbelebten Leichnams abzielten. Aus diesen Erkenntnissen erwächst der Anspruch, die wichtigen, aber im Diskurs überdominanten Herausstellungen dessen, was die Grableerfindung nicht aussagt und wozu sie nicht herangezogen werden kann1013, um einen Hinweis auf das durch die Erzählungen eröffnete wirklichkeitserschließende Potenzial und auf die Erkenntnisse, die aus ihrer Reflexion gewonnen werden können, zu ergänzen. b) Die Relevanz des empirischen Zustandes des Grabes für den Glauben „Die Welt sieht die ,Zeichen‘, aber sie glaubt das Wunder nicht. […] Dem Glauben aber ist dieses Rätsel ein Zeichen für die Wirklichkeit, von der er schon weiß, ein Abdruck göttlichen Wirkens in der Geschichte.“1014

Nachdem gezeigt wurde, dass sich ausgehend von den Grableerfindungsperikopen vielfältige Erkenntnisse eröffnen, die lebensweltliche Diskurse tangieren, wird in den folgenden Kapiteln eingehender untersucht, wie diese ausgestaltet sind und ob ihnen eine Relevanz im Blick auf den individuellen Glauben zugesprochen werden kann, die über die angesprochenen Überlegungen hinausreicht. c) Der leere Zustand des Grabes als kognitive Bestätigung „Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen.“1015

Betrachtet man die Grableerfindungsperikopen ausgehend von der Perspektive des Glaubens aus logisch-analytischen Gesichtspunkten, so legt sich neben den im Diskurs überbetonten, auch durch die folgenden Gedankengänge keineswegs relativierten Erkenntnissen, dass ein leeres Grabes per se keinen Glauben erweckt und auch nicht als Beweis für die Auferstehung herangezogen werden kann1016, der Schluss nahe, dass das leere Grab als eine kognitiv Bestätigung der Auferstehung Christi (und somit des Gegenstandes des Auferstehungsglaubens) fun1013 Gemeint sind die bereits des Öfteren thematisierten, inflationären Verweise darauf, dass das leere Grab die Auferstehung nicht zu beweisen vermag und auch keinen Glauben an sie wecken kann. 1014 Bonhoeffer, Das Außerordentliche wird Ereignis, 68 f. 1015 2 Petr 1,16. 1016 Vgl. Kapitel II.5.2.a u. II.5.2.b.

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gieren kann.1017 Gemeint ist mit dieser Zuschreibung, dass die Grableerfindung einen vorhandenen Glauben auf logisch-analytischer Ebene im Sinne einer „Hilfe für den Glauben“1018 bestärken kann, indem sie daran erinnert, dass die (für die Auferstehung ausgehend von den zu ihrer Deutung verwendeten Vorstellungsrahmen als notwendig beurteilte) Leerwerdung des Grabes anhand geschichtswissenschaftlicher Untersuchungen als plausibel zu beurteilen ist. Dies kann nun als Hinweis darauf gedeutet werden, dass das schon vergangene Ereignis der Auferstehung, in dem die erwartete, eigene Auferstehung antizipiert wurde, tatsächlich und unwiderruflich stattgefunden hat.1019 Der im Glauben unterstützende, bestätigende Effekt stellt sich sodann nicht im Sinne des pannenbergschen Missverständnisses dadurch ein, dass davon ausgegangen wird, dass das Leersein des Grabes den Vollzug der Auferstehung im Sinne eines geschlossenen Faktennachweises bestätigte oder gar bewiese – was freilich unmöglich wäre1020 –, son-

1017 Der Gedanke, dass das leere Grab als Bestätigung des Glaubens an Jesu Auferstehung dienen könnte, findet sich – wie erläutert – auch bei Pannenberg, der diese Vorstellung jedoch insofern überbetont, als dass er die Grableerfindung in unsachgemäßer Weise als eine Art Beweis bewertet. Er reflektiert nicht, dass es sich bei ihr lediglich um einen Hinweis darauf handelt, dass eine (ausgehend vom untersuchten Deutungsangebot an etwaige Auferstehungsgeschehen gestellte) Anforderung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als erfüllt beurteilt werden kann. Sie ist somit kein Hinweis darauf, dass die Auferstehungsereignisse sich zwangsläufig und in der dargestellten Art ereignet haben (müssen). Darüber hinaus bezieht Pannenberg nicht in seine Überlegungen ein, dass das leere Grab sein wirklichkeitserschließendes Potenzial nicht in einer allgemeinen, für Jedermann objektiv ersichtlichen Weise entfaltet, sondern sich dies erst ausgehend von der Perspektive des Glaubens ereignen kann. 1018 Bonhoeffer, Das Außerordentliche wird Ereignis, 68. 1019 Dass diese Erkenntnisse nur unter der Bedingungen zu gewinnen sind, dass der Gläubige nicht (dem eigenen Wissen und Glauben widersprechend) aus der Perspektive der Frauen, für die die Grableerfindung allerlei Fragen aufwirft (vgl. Alkier, Realität, 119), auf ebendiese blickt oder gar an der (durch den Glauben aufgelösten) Mehrdeutigkeit des leeren Grabes festhält, sondern dass sie nur dann erlangt werden können, wenn er sie aus der Perspektive seines Glaubens reflektiert (vgl. Burmeister, Auferstehung in die Nachfolge, 114), die die Fehlschlüsse der Frauen widerlegt (vgl. Bonhoeffer, Das Außerordentliche, 69), sei vorausgesetzt. Dieses Vorgehen widerspricht dem (in den Bibelwissenschaften zu beobachtenden) Trend, erst einmal nicht von Jesu Auferstehung auszugehen oder ausgehend von ihr zu argumentieren, sondern stattdessen in umgekehrter Weise zu hinterfragen, „mit welchem sachlichen Recht […] christlich von der Auferweckung Jesu gesprochen werden darf“ (Marxsen, Die Auferstehung Jesu als historisches und als theologisches Problem, 34). Dieser Trend wird hier als wenig sinnvoll beurteilt, da jede christliche Erkenntnisbemühung notwendig durch den Glauben an die Auferstehung beeinflusst ist und der Versuch einer distanzierten Beurteilung der Auferstehung somit scheitert, weil von einem gläubigen Menschen keinerlei Aussagen über die Auferstehung aus einer distanzierten Betrachterperspektive getroffen werden können (vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 101). 1020 Als Beweis im dargestellten Sinne könnte die Grableerfindung nur dann (– und aufgrund der besagten Mehrdeutigkeit eines leeren Grabes freilich nur aus der Perspektive des Glaubens –) fungieren, wenn zweifellos feststünde, dass die Auferstehung sich in exakt derselben Weise vollzogen haben muss, die im zu ihrer Beschreibung herangezogenen Horizont dargestellt ist, was selbstredend nicht behauptet werden kann.

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Teil III: Eigene Deutung

dern vielmehr aufgrund dessen, dass jener (vom zur Darstellung der Auferstehung herangezogenen Horizont als notwendig vorausgesetzten) Bedingung der Entzogenheit des Leichnams eine gewisse Wahrscheinlichkeit zuzugestehen sei, sofern man voraussetzt, das die Leere des Grabes auf ein Entzogenwerden des Leichnams im Rahmen eines göttlichen Auferweckungshandelns und nicht auf eine andere Ursache zurückzuführen ist. Unter dieser Bedingung vermag die Grableerfindung als ein „,historische[r] Rand‘“1021 und als sichtbare Antizipation des postmortalen Ergehens deutlich zu machen, dass die besagte Hoffnung auf eine eigene Auferstehung kein unbegründeter, „welthistorischer Humbug“1022 ist, sondern außersubjektiv (und somit eben nicht in den eigenen Erwartungen und Imaginationen) begründet liegt.1023 Im Sinne des moltmannschen Verweises auf ein Wissen, dass die menschliche Existenz sowohl begründen als auch tragen könne1024, kann es somit in Entsprechung zum neutestamentlichen Befund und als eine (in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte verankerte) Manifestation des göttlichen Auferweckungshandelns1025 eine gewisse Gewissheit eröffnen, selbst wenn es nicht zum Ziel einer empirischen Verifikation angeführt werden kann.1026 Dieses Potenzial scheint gerade vor dem Hintergrund relevant, dass es wahrscheinlich in jeder Glaubensbiographie Phasen der Nähe und der Ferne1027, der Festigung und des Schwankens, der Einbrüche und natürlich auch der Zweifel

1021 Barth, KD III/2, 535. Die Einschätzung Klapperts, dass die Auferstehungsereignisse im Sinne Barths eine Art historischen Rand implizieren, aber durch ebendiesen nicht impliziert werden (vgl. Klappert, Diskussion, 52, zitiert nach Adam, Das leere Grab, 74) erweist sich somit als unsachgemäß, weil die Grableerfindung es – aus der Perspektive des Glaubens – sehr wohl vermag, implizierend auf die Auferstehung hinzuweisen. 1022 Strauss, Der alte und der neue Glaube, 47, zitiert nach Lüdemann, Auferweckung, 10. 1023 Vgl. Greshake, Das Verhältnis, 106. Anders ausgedrückt: Unter der Bedingung, dass der zur Beschreibung der Auferstehung herangezogene Horizont seinen Gegenstand zumindest in seinen Grundzügen zu skizzieren vermag, kann das positive Ergebnis der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage nach dem empirisch leeren Zustand des Grabes als ein (in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte verankerter, aber in dieser Kategorie nicht aufgehender) Hinweis (vgl. Klappert, Diskussion, 18 u. Bonhoeffer, Das Außerordentliche wird Ereignis, 68) auf die vom derart Rückfragenden bereits geglaubte Auferstehung fungieren (vgl. Bonhoeffer, Das Außerordentliche wird Ereignis, 68 f.), der einen Glauben zwar nicht erwecken, ihn wohl aber bestätigen kann (vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 478). 1024 Vgl. Moltmann, Der Weg, 283. 1025 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 344 f. 1026 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 108. 1027 Selbstverständlich entspricht der Wunsch nach einer Bestätigung des Glaubens auch außerhalb möglicher Lebensphasen des Zweifels per se der menschlichen Konstitution, da der Mensch stets nach einer Auflösung kognitiver Diskrepanzen und nach einer hohen kognitiven Klarheit strebt, um sein Umfeld möglichst eindeutig und widerspruchsfrei als stimmigen, logisch erfassbaren Gesamtzusammenhang diverser Ursache-Wirkungsverhältnisse begreifen und auf diese Weise vorhersehbar, verfügbar und gestaltbar machen zu können.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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gibt1028, in welchen die Gläubigen sich nach einer Bestätigung ihres Glaubens sehnen.1029 Der Hinweis auf die innergeschichtliche Verankerung der Grableerfindung als ein (ausgehend vom untersuchten Deutungsangebot vorausgesetzter) Aspekt der Auferstehung kann als eine solche Bestätigung verstanden werden. Außerdem 1028 Exkurs Zweifel: Die Vorstellung der Auferstehung eines Verstorbenen in ein neues Leben und in eine pneumatische Leiblichkeit ist kein schlichtweg unübliches, aber dennoch herkömmliches Naturphänomen (vgl. Weinrich, Auferstehung, 105). Im Gegenteil widerspricht sie unseren alltäglichen Erfahrungen gänzlich, kann von keinen empirischen Begebenheiten abgeleitet werden (vgl. ebd. u. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 479) und entzieht sich auch sonst jeder beweiskräftigen Analogisierbarkeit zu anderen Phänomenen (vgl. Eckstein, Die Wirklichkeit der Auferstehung, 2). Entsprechend erschien die Verkündigung der Auferstehung Jesu nicht erst den modernen Menschen, sondern schon seinen Zeitgenossen und sogar seinem eigenen Umfeld nur wenig glaubwürdig (vgl. ebd.) und wurde von Zweifeln und auch von einer erheblichen Sehnsucht nach einem außersubjektiven Zeichen begleitet. Dies kann nicht per se überraschen; scheint allerdings die verschiedensten Begründungen aufzuweisen. Verwiesen sei erneut auf den ärgerlichen Charakter der Auferweckung als eine Tat Gottes, die nicht selten zu Zweifeln und kritischen Nachfragen veranlasst, welche auf die Grundsatzfrage abzielen, ob es nicht töricht sei, die eigenen Hoffnungen ausgehend von Jesus zu konstruieren, dessen Hoffnungen durch seine schmähliche Hinrichtung vermeintlich zunichtegemacht wurden (vgl. Moltmann, Der gekreuzigte Gott, 118). Pannenberg gibt darüber hinaus zu bedenken, dass Zweifel sich den Menschen auch deswegen aufdrängen, da ihre je eigenen Daseinserfahrungen kontinuierlichen und sich fortsetzenden Veränderungen unterliegen, welche dazu führen, dass sogar die Macht, die ein „einmal erlebte[s] Widerfahrnis göttlicher Wirklichkeit“ (Pannenberg, Grundfragen, 284 f.) auf sie auszuüben vermag, langfristig verblassen könne, was dazu führe, dass „mit seinem Versinken in der Vergangenheit auch seine Göttlichkeit zweifelhaft werden kann“ (a.a.O., 285). Ferner ist zu bedenken, dass Zweifel bereits in der allgegenwärtigen Konfusion und in der mit dieser einhergehenden Uneindeutigkeit begründet liegen (vgl. Kapitel III.1.2), die sich darin äußert, dass der Mensch nur insofern überhaupt an eine Ewigkeit glauben kann, als dass dies im Kontext seiner eigenen Endlichkeit und der mit dieser einhergehenden Verunsicherung und Todesangst erfolgt (vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 955). Gerade aber, weil Zweifel Teil jeder Glaubensbiographie sind, erweisen sich Aussagen im Sinne der Ausführungen Dalferths, dass Fragen nach dem leeren Grab sowie nach der Möglichkeit, Wirklichkeit und Wahrscheinlichkeit der Auferstehung „den Glauben nicht gewisser [machen]“ (Dalferth, Volles Grab, 282 f.), sofern dieser nicht erst ein Resultat, sondern bereits die Voraussetzung theologischer Erkenntnisbemühungen sei (vgl. ebd.), wie dies auch hier vorausgesetzt wird, als fraglich, da sie implizieren, dass Menschen, die bereits einen Auferstehungsglauben aufweisen, keine Bekräftigung im Sinne des leeren Grabes als kognitive Bestätigung benötigten. Dass diese Auffassung Gläubige vor Augen zu haben scheint, die zeitstabil über alle Zweifel erhaben sind, und dass sie somit von einer verklärten und unrealistischen Vorstellung zeugt, dürfte offensichtlich sein. Im Gegensatz zu derartigen Ausführungen erweist sich gerade eine (aus der Perspektive des Glaubens vollzogene) Nachfrage nach dem leeren Grab als ertragreich, da durch sie im Modus der Rückfrage eine Bestätigung gewonnen werden kann, die sich insbesondere in Momenten der Anfechtung und des Zweifels als bereichernd erweisen könnte. Dass auch die Lektüre der Grableerfindungsperikopen und anderer biblischer Erzählungen sowie Auslegungen ebendieser, die die geschichtswissenschaftliche Rückfrage nicht stellen, hoffnungsspendend wirken kann, steht dabei außer Frage. Es schmälert dieses Potenzial der Bibel

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Teil III: Eigene Deutung

kann er der konstruktiven Entgegnung auf den oft geäußerten Verdacht dienen, dass es sich bei der Auferstehungsbotschaft lediglich um Projektionen menschlicher Sehnsüchte handele.1030 Er erinnert hier daran, dass auch außersubjektiv verankere Gründe, die über die eigene, stets angefochtene Befindlichkeit hinausreichen1031, unter den besagten Umständen für eine Existenz der Auferstehungsereignisse als Begebenheiten sprechen1032, die sich in derselben (geschichtlich verfassten) Wirklichkeit und somit in jener Realität ereigneten, in der sich auch unsere Leben abspielen.1033 Die Beurteilung des empirischen Zustandes des Grabes kann allerdings nicht nur in diesem Sinne zur Bekräftigung des Glaubens beitragen, sondern auch seine Artikulation gegenüber theologisch wenig informierten Bevölkerungsteilen erleichtern und ihre Anknüpfung an die christliche Theologie begünstigen, indem ihnen ersichtlich gemacht wird, dass der christliche Glaube nicht auf Imaginationen und Wünschen beruht, sondern einen konkreten – wenn auch mehrdeutigen

jedoch keinesfalls, einzuräumen, dass auch eine kognitiv-analytische Auseinandersetzung mit ihren Inhalten, wie sie durch eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage erfolgt, hoffnungsspendend wirken kann, da sie dem besagten Streben des Menschen nach kognitiver Auseinandersetzung und (aus ihr resultierender) Klarheit zumindest ansatzweise begegnet. Ganz im Gegenteil hebt ein derartiges Zugeständnis hervor, dass die Bibel ihre Wirkungen auf den verschiedensten Ebenen menschlicher Wirklichkeitserschließung entfalten kann und somit die unterschiedlichsten Menschen auf die unterschiedlichsten Weisen – ob nun emotional oder kognitiv – anzusprechen und zu berühren vermag. 1029 Die Sehnsucht nach einer Bestätigung spiegelt sich etwa in Niebuhrs mehrfach angeführter Anfrage an Bultmann wider, inwiefern auf ein göttliches Handeln gehofft oder von einem solchen gesprochen werden könne, wenn die besagte Hoffnung sich auf nichts anderes richten und beziehen könnte als auf das „Wunder der Gegenwart des Glaubens in ihren Herzen [hier gemeint ist: in den Herzen der ersten Christen]“ (Niebuhr, Auferstehung und geschichtliches Denken, 125, zitiert nach Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 48). Diese Anfrage scheint auf der Prämisse Niebuhrs zu beruhen, dass es einer Preisgabe der „reale[n] Grundlage der Gemeinde und ihrer gemeinsamen Geschichte“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 48 f.) gleichkäme und es dazu führe, dass „der existenzielle ,Christus des Glaubens‘“ (Niebuhr, Auferstehung und geschichtliches Denken, 125, zitiert nach Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 48) zu einer „unaussprechliche Erfahrung der Religiosität“ (ebd.) werde, sofern kein (in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Geschichte verankertes) Fundament gegeben sei. Vor Augen stehen ihm hier die (der christlichen Kirche ihren Ursprung gebenden) Ereignisse der Kreuzigung und der Auferstehung Jesu als göttliche Taten in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte (vgl. ebd.). Darüber hinaus kann hinsichtlich der besagten Sehnsucht – wie in Kapitel II.1 gezeigt – auf die Ausführungen Pannenbergs verwiesen werden, der in unsachgemäßer Weise eine Notwendigkeit der Verortbarkeit der Auferstehung in der empirisch-geschichtswissenschaftlich erfassbaren Dimension der Geschichte postuliert, die darin deutlich werde, dass der Auferstehungsglaube zu einer Schwärmerei verkäme, sofern er sich nicht länger auf eine ebensolche berufen und beziehen könne (Vgl. Pannenberg, Grundfragen, 66). 1030 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 16. 1031 Vgl. Härle, Doppelte Gefahr, 14. 1032 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 16. 1033 Vgl. Alkier, Die Realität, 3.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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– Bezug zur erfahrbaren, geschichtlich konstituierten Wirklichkeit aufweist, der sich stimmig und widerspruchsfrei in den Gesamtzusammenhang konsensueller systematisch-theologischer Erwägungen einfügt. Selbstverständlich sind auch derartige Artikulationsbestrebungen in Bezug auf den christlichen Glauben keineswegs im Sinne einer Beweisführung misszuverstehen, in deren Rahmen eine fortlaufende, notwendig zum Auferstehungsglauben hinführende Einkreisung der Vernunft erfolgt1034, da der Glaube stets unverfügbar ist. Ein Umzirkeln der Vernunft bliebe entsprechend erfolglos, sofern es zu dem Ziel vollzogen werden würde, beim Gegenüber durch eine Darstellung der vermeintlichen Sinnhaftigkeit des Auferstehungsglaubens einen Glauben anzubahnen, da die hier möglicherweise zu erlangende kognitive Erkenntnis, dass die angeführte Argumentationslogik eine gewisse Plausibilität aufweist, nicht notwendig oder überhaupt die Entstehung eines Glaubens bewirkt. Ungeachtet dessen ist allerdings bereits der Umstand, dass eine Artikulation des Glaubens anhand einer kognitiven Auseinandersetzung mit den Grableerfindungsperikopen es ermöglicht, verbreiteten Fehlkonzepten zu begegnen, die von den Auffassungen zeugen, dass 1) der Auferstehungsglaube ausschließlich auf Projektionen der Gläubigen beruhte und dass er 2) weltfremd und naiv sei, im Sinne eines reflektierten Austausches über das postmortale Geschick des Menschen erstrebenswert. Indem theologisch wenig informierte Menschen die Chance erhalten, zu erkennen, dass der christliche Glaube eine innere Logik aufweist und seine Gegenstände nicht beliebig sind, kann zudem ein respektvoller Umgang mit ihm sowie die Anerkennung oder doch immerhin die Toleranz und Akzeptanz christlicher Positionierungen als gleichberechtigte Diskurspositionen befördert werden.1035 Ersichtlich wird somit, dass eine Distanzierung vom Festhalten an der vermeintlichen Vieldeutigkeit der Grableerfindungserzählungen – von der wir auf-

Vgl. v. Campenhausen, Der Ablauf, 112. Diese Auffassung spiegelt sich auch in der pannenbergschen Feststellung wider, dass gute Gründe von Nöten seien, um sowohl sich selbst als auch anderen Menschen in Erinnerung zu rufen, dass viele religiöse Aussagen Wahrheitsansprüche aufweisen, die meist erst einmal ernst zu nehmen und (kritisch) zu reflektieren seien, ehe sie pauschal zurückgewiesen werden können (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 10). Gerade im Kontext unterrichtlicher Auseinandersetzungen gewinnt diese Erkenntnis insofern an Bedeutung, als dass in derartigen Zusammenhängen immer wieder erkennbar wird, dass mitunter auch atheistisch eingestellte Schüler gewillt sind, selbst komplexe systematisch-theologische Inhalte zu thematisieren und sie als gleichberechtigte – wenn auch von ihnen nicht geteilte – Positionen zu akzeptieren, sobald sie kognitiv erfassen können, dass viele ihrer Fehlkonzepte in Bezug auf den christlichen (Auferstehungs)glauben unbegründet sind. Dass eine derartige Beseitigung verbreiteter Fehlkonzepte bereits im Kontext der schulischen Sozialisation als Gegenpol zur oft fraglichen medialen Aufbereitung christlicher Inhalte von enormem Wert ist, die Entstehung einer grundlegenden Offenheit, Diskursmündigkeit und Dialogbereitschaft sowie eines reflektierten Umgangs mit dem Christentum begünstigt und schon daher anzustreben ist, dürfte augenfällig sein. 1034

1035

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Teil III: Eigene Deutung

grund unserer Perspektive des Glaubens ohnehin nicht ausgehen müssen – sowie das Durchführen einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage sowohl in Bezug auf die eigene Glaubensentwicklung als auch hinsichtlich der Artikulation des Glaubens und des Dialoges mit anderen Menschen vielfältige Möglichkeiten eröffnet. Zu diesen zählt auch die der Bekräftigung des eigenen Glaubens in Zeiten der Anfechtung und des Zweifels, was die Einschätzung Kittels als fehlschlüssig erweist, dass die Grableerfindungsperikopen keine Inhalte thematisieren, an welche „sich ratlose Christen angesichts intellektueller Zweifel halten können.“1036 Eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage kann somit bereits anhand logisch-analytischer Erwägungen nicht als sinnlos beurteilt werden, wie dies nicht selten – und mitunter sogar in einer die empirisch-geschichtswissenschaftliche Dimension der Wirklichkeit als Teil der Schöpfung Gottes geringschätzenden Weise1037 – der Fall ist. Vielmehr ist sie hinsichtlich ihrer Sinnhaftigkeit und ihres wirklichkeitserschließenden Potenzials in Bezug auf die eigene Lebensführung 1036 Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 477. In dieser Einschätzung spiegelt sich erneut die fehlschlüssige Auffassung wider, dass die Grableerfindungsperikopen nicht aus unserer Perspektive des Glaubens, sondern – wider alle Logik – aus einer für uns uneinnehmbaren Perspektive betrachtet werden. In Entsprechung zu diesem Fehlkonzept Kittels weisen ihre (auf diesem aufbauenden) Ausführungen – wenig überraschend – die Tendenz auf, dass die Grableerfindungsperikopen auf ihre Unfähigkeit, einen Glauben ihrer Rezipienten zu erzeugen, reduziert werden, statt dass sie dankbar als Bezeugung des leeren Grabes (im Sinne eines innerweltlichen Abdrucks des Auferstehungswunders [vgl. Bonhoeffer, Das Außerordentliche wird Ereignis, 68]) und somit als eine sinnvolle, hoffnungsspendende Bestätigung verstanden werden (vgl. Burmeister, Auferstehung in die Nachfolge, 112), die die Gläubigen erhalten, obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – sie sie nicht im Sinne eines Beweises benötigen. 1037 Exemplarisch für eine latente Herabwürdigung der Kategorie des vergangenen Ereignisses sei auf die in der neuzeitlichen Rationalität (vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320) verankerte Annahme verwiesen, dass die Auferstehung als vergangenes Geschehen, welches in zunehmende Ferne rücke, weder die je aktuelle Gegenwart bestimmen könne noch eine Zukunftsrelevanz aufweise (vgl. Moltmann, Der Weg, 250), da sie als ein solches, bereits längere Zeit zurückliegendes Ereignis problemlos angenommen oder auch angezweifelt werden könne, ohne dass dies Einfluss auf die je gegenwärtige Lebensführung nehmen würde, und sie auch keinen Unglauben oder Glauben erwecke. Ferner sei auch ihre geschichtswissenschaftliche Beurteilung nicht weiterführend (vgl. ebd.). Diese Einschätzung ist nicht nur aufgrund lebensweltlicher Erfahrungen als unzutreffend zu bewerten, die doch davon zeugen, dass unsere Alltagswelt sehr häufig durch vergangene, aber dennoch gegenwarts- und zukunftsbestimmende Ereignisse geprägt wird, sondern auch aufgrund theologischer Erwägungen. Letztere zielen auch auf die bereits hervorgehobene Erkenntnis ab, dass den Auferstehungsereignissen ausgehend vom thematisierten Deutungshorizont gerade deshalb ein so hoher Stellenwert zuzusprechen ist und dass sie deshalb im wahrsten Sinne des Wortes gegenwarts- und zukunftsbestimmend sind, weil es sich bei ihnen um (als schon geschehen bezeichnete) vergangene Begebenheiten handelt, in denen aber die Zukunft ein für alle Mal antizipiert wird und durch die die christlichen Hoffnungskonzepte als begründet ausgewiesen werden (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 404), wenngleich ihr Gegenstand der bereits angebrochenen, neuen, eschatologischen Wirklichkeit nicht allgemein erkennbar und auch noch nicht definitiv geworden ist und vorerst noch strittige Zukunft bleibt (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 32 u. Pannenberg, Systematische Theologie

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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und die Glaubensentwicklung neu zu bewerten. Geschlossen werden diese Überlegungen anhand einiger Gedanken Bonhoeffers, welche die gewonnen Erkenntnisse treffend zusammenfassen: „So bleibt für die Welt ein zwar unlösbares Rätsel zurück, das aber an sich keineswegs den Glauben an die Auferstehung Jesu erzwingen kann. Dem Glaubenden aber ist dieses Rätsel ein Zeichen für die Wirklichkeit, von der er schon weiß, ein Abdruck göttlichen Wirkens in der Geschichte.“1038 „Das leere Grab, es soll als Folge der Auferstehung, nicht als ihre Voraussetzung dem Glauben Hilfe sein, Hilfe, das Wunder der leiblichen Auferstehung zu glauben, über die wir uns […] keine detaillierte Vorstellung machen können, die aber eben doch durch das leere Grab manifestiert wird.“1039

d) Die Lebensperspektive begründeter Hoffnung „Die verlorene Hoffnung auf Resurrektion hinterlässt eine spürbare Lehre.“1040

Nachdem gezeigt wurde, inwieweit die Grableerfindungsperikopen im Sinne eines hermeneutischen Schlüssels zu einem vertieften Verständnis der Auferstehung beitragen können und dass auch die Beurteilung des empirischen Zustandes des Grabes als leer im Zusammenhang mit dem neutestamentlichen Deutungsansatz wirklichkeitserschließende Potenziale entfaltet und einen bestehenden Auferstehungsglauben bekräftigen kann, sei in diesem abschließenden Teilkapitel die existentielle Glaubensdimension des leeren Grabes reflektiert. Eine Auseinandersetzung mit dieser Ebene der Wirklichkeitserschließung scheint sinnvoll, weil der Untersuchungsgegenstand uns Menschen und vielleicht insbesondere den modernen Menschen nicht nur vor kognitive Hürden stellt, sondern ihn auch mit den emotionalen Herausforderungen konfrontiert, die Aspekte der Unvermeidlichkeit des Todes und der eigenen Vergänglichkeit zu durchdenken und zu hinterfragen, worauf angesichts ebendieser begründet vertraut werden kann und was lediglich ablenkt und/oder vertröstet.1041 II, 404). Erkennbar wird auch hier der untrennbare Zusammenhang von Faktizität und Sinn (vgl. Pannenberg, Grundfragen, 132), der auf den (innerhalb der untersuchten Deutungsangebote konstruierten) Umstand abzielt, dass der Mensch doch gerade deshalb auch angesichts seiner eigenen Verwesung auf eine Auferstehung hoffen darf, weil derselbe Jesus sich ihm als der Auferstandene erwiesen hat, in dessen Geschicke sein Ergehen antizipiert ist. Ferner ist es eben dieser Jesus, der den Menschen zu einer derart kühnen Hoffnung überhaupt erst verleitet, wie auch die Rede vom leeren Grab nur dann als tragfähige (und eine begründete Hoffnung spendende) Bekräftigung der Auferstehung fungiert, wenn sie sich auf ein außertextuelles Referenzobjekt berufen kann. 1038 Bonhoeffer, Das Außerordentliche wird Ereignis, 69. 1039 Burmeister, Auferstehung in die Nachfolge, 111, mit Verweis auf Bonhoeffer, Betrachtungen zu Ostern, 473. 1040 Habermas, in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, zitiert nach Fischer, Der Auferstehungsglaube, 14. 1041 Vgl. Alkier, Die Realität, 205.

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Teil III: Eigene Deutung

Angeknüpft wird dabei an den Ergebnissen des vorangegangenen Teilkapitels und insbesondere an die dort gewonnene Erkenntnis, dass der begründet als leer beurteilte empirische Zustand des Grabes Jesu – sofern man diesen aus der Perspektive des Glaubens betrachtet – als kognitive Bestätigung des vorhandenen Auferstehungsglaubens fungieren kann, da bereits diese Einsicht auch eine emotionale Dimension aufweist, insofern sie den Gläubigen ein Gefühl der Sicherheit und der begründeten Hoffnung vermitteln kann. Ein solches ist aus allgemeinmenschlichen Alltagserfahrungen in der Regel nicht zu gewinnen, da diese bekanntlich keinen Anlass zu der Annahme bieten, dass auf ein postmortales Leben gehofft werden darf1042, sondern sie in Bezug auf den Tod vielmehr von seiner Endgültigkeit und Irreversibilität zeugen und somit eher die Entstehung von Resignation und Hoffnungslosigkeit begünstigen. Wie gezeigt, ist die durch das leere Grab begründete Hoffnung darauf, dass alle Gräber einmal leer sein werden, wie und weil das Grab des Herrn leer war, ferner keineswegs beliebig, sondern klar profiliert und inhaltlich von anderen Hoffnungskonzepten abgrenzbar. Sie zielt auf eine ganzheitliche Erlösung des Menschen mitsamt seiner Leiblichkeit ab1043, in der die Neuschöpfung der gesamten Schöpfung vorweggenommen wurde und die von der unermesslichen Treue Gottes als dem Schöpfer zeugt, welcher „nichts zurücklässt – auch keinen Leichnam im Grab.“1044 Neben all den erwähnten Implikationen, welche mit diesen Zuschreibungen einhergehen und die nicht selten neben ihrer kognitiven auch eine emotionale Dimension aufweisen, werden im Folgenden einige weiterführende Erwägungen erläutert, die Einfluss auf die existentielle Glaubensdimension der menschlichen Wirklichkeitserschließung nehmen können. Aus der Erkenntnis, dass der Mensch (in Entsprechung zur durch Jesus als erfüllt wahrgenommenen und in modifizierter Weise zur Beschreibung seiner Auferstehungswirklichkeit herangezogenen apokalyptischen Erwartung1045) eine ganzheitliche Verwandlung seiner Leiblichkeit erwarten darf1046, woran deutlich wird, dass die christliche Auferstehungshoffnung nicht auf ein völlig anderes Leben bezogen ist, sondern auf die Verwandlung des je konkreten, irdischen Lebens1047, kann (als Rückseite der durch die besagte Hoffnung nahegelegten Wertschätzung der leiblichen Dimension der menschlichen Konstitution) eine tiefgreifende Akzeptanz der eigenen Leiblichkeit resultieren, die Auswirkungen auf die Selbst- und Weltwahrnehmung sowie auf die Lebensgestaltung nehmen kann.

1042

Vgl. Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 479. Vgl. Gelder, Ewigkeitserfahrung als Hoffnung christlichen Glaubens, 173. 1044 Etzelmüller, Ich lebe, 233. 1045 Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 51. 1046 Vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 234 f. 1047 Vgl. Moltmann, Der Weg, 264.

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III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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Indem dem Menschen die Antizipation seines postmortalen Geschicks im Ergehen Jesu und in seiner Auferstehungsleiblichkeit als „verkörperte Verheißung für die ganze Schöpfung“1048 erfahrbar wird, kann er erkennen, dass Gott ihn (auch hinsichtlich seiner Beziehungen zu sich oder zu seiner Mitschöpfung) anders wahrnimmt, als er selbst es vermag oder als seine Mitmenschen es tun.1049 Er realisiert ferner, dass er von ihm trotz all seiner Makel als gute Schöpfung angesehen1050, geliebt und bewahrt wird und dass auch sein Leib als ein „ontologisches Konstituens des Wesens Mensch und damit [seiner] Welt und Geschichte“1051 nicht aufgegeben, sondern zu seiner Vollendung geführt wird.1052 Das ist deshalb von Relevanz1053, da viele Menschen sich selbst als nur allzu defizitär wahrnehmen und sich nur schwer akzeptieren können, geschweige denn dazu in der Lage sind, sich selbst gegenüber Liebe und Anerkennung aufzubringen. Da bekanntlich kein Mensch vollkommen ist und die meisten Lebensführungen durch Brüche und Widersprüche geprägt sind1054, hadern viele Menschen so mit vergangenen Handlungen, Entscheidungen und Erlebnissen, in denen sie sich selbst verfehlten und in einer Weise agiert haben, die sie sich nur schwer verzeihen können. Dadurch kann ihr Selbstkonzept erheblichen Schaden nehmen. Andere Menschen integrieren negative Beurteilungen, Schmähungen und Herabwürdigungen in ihr Selbstbild oder erfahren sich aufgrund wiederholter Zurückweisungen, Liebesentzug und Vertrauensbrüche als wenig wertvoll und höchst ersetzbar. Sie stellen in Frage, ob sie der Liebe und Zuneigung anderer Menschen würdig sind, da sie das zurückweisende Verhalten, das sie erfahren, auf ihre eigene Person attribuieren und nicht in Situationsfaktoren oder den anderen Beteiligten begründen. Gerade die eigene Leiblichkeit wird dabei nicht selten zum Gegenstand der Selbstreflexion; so begründen viele Menschen Zurückweisungen und Herabwürdigungen in ihrer äußeren Erscheinung und/oder leiden darunter, dass sie geläufigen Schönheitsidealen und -konventionen nicht entsprechen. Dass derartige Attributionen nicht nur zu einem übersteigerten Bedürfnis danach führen können, die eigene Leiblichkeit durch sportliche Betätigungen, Kleidung, kosmetische Behandlungen oder gar durch medizinische Eingriffe zu modifizieren, ist bekannt. Solche Versuche können das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit in den meisten Fällen jedoch nicht nachhaltig betäuben, sondern 1048

A.a.O., 281. Vgl. Dalferth, Volles Grab, 306 f. 1050 Vgl. Körtner, Dogmatik, 271 f. 1051 Greshake, Das Verhältnis, 117 f. 1052 Vgl. ebd. u. Joest, Dogmatik II, 638. 1053 In Bezug auf die Relevanz der unmittelbaren Bezugnahme der christlichen Auferstehungshoffnung auf die leibliche Konstitution des Menschen siehe auch Barth, Die Auferstehung der Toten, 123, zitiert nach Etzelmüller, Ich lebe, 227: „Das ist’s, was die christliche Hoffnung so dringlich, so aktuell macht, dass sie so ganz und gar nicht ein sogenanntes besseres Teil, ein Geistiges des Menschen für sich angeht, sondern den Menschen, wie er leibt und lebt, dieses Vergängliche, dieses Sterbliche.“ 1054 Vgl. Moltmann, Im Ende, 43. 1049

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tragen möglicherweise sogar zur Entstehung lebensbedrohlicher Krankheiten, wie etwa Essstörungen, bei. Insbesondere für Menschen, die mit derartigen Problemen kämpfen und die dazu neigen, sich kontinuierlich mit anderen Menschen zu vergleichen, ohne dass diese Vergleiche zur Wertschätzung der eigenen Eigenschaften führen, kann es daher bereichernd sein, die bedingungslose, im Gegensatz zum Tod unendliche Liebe und Treue Gottes zu erfahren.1055 Diese wird dem Menschen ungeachtet seines Erscheinungsbildes oder seiner Fähigkeiten zuteil1056 und bleibt als „den Tod entmachtende Selbstdurchsetzung Gottes“1057 auch dann bestehen, wenn der Mensch stirbt und durch seinen Tod scheinbar eine völlige Vernichtung erfährt1058, auf dass sich am Menschen und an seiner Mitschöpfung keine Auslöschung, sondern eine umfassende Erneuerung ereignet, die Ringleben als „Ende des Endens“1059 und als „Vergehen der Vergänglichkeit“1060 bezeichnet. Auferstehung kann aus dieser Perspektive als Inbegriff der göttlichen Gemeinschaft mit seiner nur allzu endlichen Schöpfung erfahren werden, wobei Gott als der Ewige – so bringt es Kleffmann auf den Punkt – „die endliche Geschichte des menschlichen Lebens in sein Leben integriert – und immer schon integriert hat“1061, was von einer Wertschätzung des Menschen, seiner Geschöpflichkeit und seiner endlichen Geschichte zeugt. Die Einsicht, dass selbst der zerschundene, verspottete, gekreuzigte Leib Jesu in das Heilshandeln des Herrn einbezogen wurde und dass die (im Auferstehungsgeschehen antizipierte) ganzheitliche Auferstehung somit auch für uns denk- und erwartbar wird, eröffnet dem Menschen ferner, dass er von Gott bedingungslos und ungeachtet seiner etwaigen Defizite und seiner vermeintlichen Beliebigkeit angenommen und geliebt wird. Vor seinen Augen steht die Verheißung, dass Gott ihn und alle seine auch unsichtbaren Beschädigungen heilen und alles fortwischen wird, was ihn daran hindert, sich selbst zu akzeptieren oder die Liebe anderer Menschen anzunehmen, so wie Gottes Heilshandeln grundlegend wegwischt, was die Gemeinschaft behindert und Menschen voneinander trennt.1062 Der Mensch kann auf diese Weise in Ansätzen erkennen, was es be-

1055 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 137, Ringleben, Der lebendige Gott, 523 u. 941 u. Greshake, Untersuchungen, 249. 1056 Greshake, Das Verhältnis, 102 f. 1057 Weinrich, Auferstehung, 131. 1058 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 249. 1059 Ringleben, Der lebendige Gott, 923. 1060 Ebd. 1061 Kleffmann, Grundriß, 11. 1062 Dieses Verständnis des Handelns Gottes, das sich auf die Leiblichkeit des Menschen richtet, aber zugleich seine gesamte Konstitution und sein Verhältnis zur Mitschöpfung betrifft und somit mehr ist als nur eine erneuernde Umwandlung seines prämortalen Lebens (vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 159), spiegelt sich in den neutestamentlichen Wundererzählungen wider, in denen deutlich wird, dass durch die Heilungstaten Jesu nicht nur den körperlichen Gebrechen der Betroffenen begegnet wurde, sondern auch die mit diesen zusammenhängenden, sozialen Einschränkungen behoben wurden (vgl. Heimerl, Der Leib

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deutet, dass er – wenn auch durch und durch Sünder und zweifellos defizitär – doch auch ein wunderbar geschaffenes Ebenbild Gottes1063 ist und dass ihm als solchem Referenzobjekt der göttlichen Gnade eine unabsprechbare Würde und eine (wenn auch von ihm selbst nicht wahrnehmbare) „göttliche Bestimmung“1064 zu eigen ist. In gleicher Weise, wie das Reich Gottes sich – für den Menschen freilich nicht unmittelbar oder überhaupt erkennbar – bereits in der Welt ausbreitet, setzt auch die Pneumatisierung im Rahmen der Auferstehungsereignisse an seiner irdischen, von Krankheit, Vergänglichkeit und Schmerz gezeichneten, für die Nichtigkeit nur allzu anfälligen Leiblichkeit an. Eine derartige Hoffnung lässt keine Geringschätzung oder Verachtung der leiblichen Verfasstheit zu1065, sondern ermutigt den Menschen, sich selbst mitsamt all seiner Makel und Defizite neu wahrzunehmen. Sie fordert ihn zur Selbstakzeptanz, zur Bejahung seiner Leiblichkeit1066 und zur Selbstliebe auf, obwohl es sich beim irdischen Dasein des Menschen zweifellos um ein unwahres1067 und erst noch verdunkeltes Vorstadium1068 seiner pneumatischen Wirklichkeit handelt und die menschliche Zeiterfahrung faktisch nicht selten als Leiderfahrung beschrieben werden muss.1069 Darüber hinaus kann ein derartiges Verständnis der Leiblichkeit zur Entstehung eines gesunden Verhältnisses zur eigenen Körperlichkeit führen, die es zu

Christi und der Körper des Christen, 169). Deutlich zeigt sich hier die Berücksichtigung des Umstandes, dass Krankheiten meist nicht nur die Körperlichkeit der Betroffenen betreffen, sondern ihre gesamte Konstitution und ihr ganzes Leben tangieren (vgl. ebd.), was dem angesprochenen Menschenbild der jüdischen Anthropologie entspricht. 1063 Dass die Rede von der Auferstehung auf den ganzen Menschen in all seiner vermeintlichen Bedeutungslosigkeit abzielt, spiegelt sich auch in den Beschreibungen der Auferstehungswirklichkeit Jesu wider, im Zuge derer der Auferstandene nicht durchweg erhaben und jeder menschlichen Banalität enthoben gezeichnet wird, sondern innerhalb der er eben auch als eine Person beschrieben wird, die zunächst gar nicht auffällt – ja, die sogar mit einem beliebigen Gärtner verwechselt wird – und mit der die Jünger völlig unbefangen reden, speisen und beisammen sind. Er wird also als eine Person dargestellt, die bemerkenswert unauffällige Züge aufweist. Dies suggeriert, dass die pneumatische Existenz trotz ihrer kategorialen Unterschiedenheit vom irdischen Dasein auch Parallelen zu ebendiesem aufweist, was seinen Wert unterstreicht. 1064 Ringleben, Der lebendige Gott, 912. 1065 Vgl. Moltmann, Das Kommen Gottes, 83, siehe auch Krötke, Gottes Klarheiten, 276: „Indem sie [= die Auferstehungsverkündigung] von Gottes Wahrheit, Liebe und Macht redet, wirbt sie um einen illusionslosen Realismus im Blick auf das menschliche Leben, mit dem eine dankbare Hochschätzung dieses Lebens und einbegründeter Mut zu seinen Möglichkeiten unlöslich verbunden ist.“ 1066 Vgl. Moltmann, Der Weg, 282. 1067 Vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 29. 1068 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 114. 1069 Vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 29, mit Verweis auf Link, Gott und die Zeit, 41. Selbstverständlich gilt dies in gleicher Weise in Bezug auf die Mitschöpfung. Auch hier ermutigen die thematisierte Hoffnung und das ihr zugrundeliegende Menschenbild dazu, den Mitmenschen als liebenswertes und würdiges Geschöpf Gottes zu betrachten.

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pflegen, herauszufordern, aber wenn nötig auch zu schonen gilt.1070 Zugleich kann es dazu anregen, gesellschaftliche Trends kritisch zu hinterfragen, die suggerieren, wie eine Leiblichkeit gestaltet sein müsse, und die dazu verleiten, derartigen Idealen in der Hoffnung auf Erfüllung und Sinnerleben nachzueifern. Dabei wird dann doch häufig die Erfahrung bereits Luthers spürbar, dass der Mensch sich von einer Art Norm gerade dann und umso mehr gegeißelt fühlt, wenn er versucht, ihr zu entsprechen.1071 Der Verweis auf die pneumatische Leiblichkeit, auf deren Erlangen sich die christliche Hoffnung richtet, suggeriert neben der erwähnten Wertschätzung des ganzen Menschen, dass nichts, was die Menschen und ihre Leiblichkeiten erfahren und erdulden durften und mussten, bedeutungslos gewesen ist: Keine Kreuzigung und keine Wundmale, kein gemeinsames Essen und kein zurückgelegten Meter, keine vergossene Träne und kein vergossener Tropfen Blut, keine Verletzungen und auch keine Spuren der Selbstverstümmelung, kein Hungern und Dürsten und kein Begehren, keine durch die Sucht zerstörte Leber und keine durch die Sucht zerstörte Lebensgestaltung, kein Schmerz und keine Freude, die der Mensch selbst verspürte oder die er anderen bereitete.1072 All dies ist ganz im 1070 Greshake veranschaulicht die (aus dem Wissen um die Vorläufigkeit der eigenen Leiblichkeit und um ihre eschatologische Erneuerung hin zu ihrer Pneumatisierung erwachsende) Hochschätzung der vergänglichen Leiblichkeit sowie die aus ihr resultierende Möglichkeit zum bedingungslosen Einlassen auf das Leben anhand des anschaulichen, auf dem Niederländischen Pastoralkonzil vorgestellten Beispiels eines mit einem (die Leiblichkeit symbolisierenden) Ball spielenden Kindes (vgl. Greshake, Untersuchungen, 365): „Was würde ein Kind tun, wenn man ihm einen Ball gäbe – und dabei sagte: Das ist der einzige Ball, den du je erhältst? Was wird es tun? Nicht viel, glaube ich. Es würde ängstlich diesen Ball an sich drücken – […] er ist nur ein ängstlicher Besitz. Aber wenn man einem Kind einen Ball gibt – und man sagt: Es ist ein sehr schöner Ball, du musst gut damit zu spielen lernen, aber wenn er verlorengeht oder kaputtgeht, erhältst du einen viel schöneren, einen unverschleißbaren – was würde dann geschehen? Ein unausrottbares Missverständnis will, dass dieses Kind dann den Ball wegwirft, weil es sich hinsetzt und wartet – weil es nur Interesse hätte für jenen kommenden, unverschleißbaren Ball, den es noch nicht gibt. – Ich finde das nicht normal. Ich dachte eigentlich, es könnte jetzt zuerst richtig mit diesem Ball spielen. – Um etwas zu tun, um etwas spielen zu können, um auf Erden leben zu können, braucht man ein wenig Perspektive, ein wenig Erwartung, ein wenig Hoffnung, ein wenig Zukunft“ (ebd., van de Walles Darstellung nacherzählend). Um die Grenzen dieses Modells aufzuzeigen, sei jedoch darauf verwiesen, dass es nicht berücksichtigt, dass der erste Ball – so er die Leiblichkeit und ihr Ergehen im Zuge der Auferstehungsereignisse vor dem Hintergrund des jüdisch-apokalyptischen Horizonts treffend symbolisieren soll – derart vorgestellt werden müsste, dass er in die Entstehung des zweiten, nicht länger verschleißbaren Spielgeräts neuschöpferisch einbezogen werden würde. Ausgehend von dieser Vorstellung würde sich seine Geringschätzung oder ein achtloses Fortwerfen ohnehin verbieten. 1071 Vgl. Ebach u. Gutmann, Zur Einführung, 7. 1072 Die Vorstellung, dass im Zuge der göttlichen Vollendungshandlungen absolut nichts verlorengehe (vgl. Greshake, Das Verhältnis, 87, ähnlich: Weinrich, Auferstehung, 124), findet sich auch bei Moltmann, der darstellt, dass bei Gott alle Glücksmomente, aber auch alle „Zeiten des Schmerzes“ (Moltmann, Im Ende, 121) bestehen bleiben.

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Gegenteil von Belang und wird nicht aufgegeben, vergessen oder ignoriert. Hieraus erwächst nun die Hoffnung darauf, dass die Schmerzen, die der Mensch gegenwärtig ertragen muss, nicht in Ewigkeit andauern werden. Die Rede von der leiblichen Auferstehung kann somit gerade für Menschen in existentieller Weise hoffnungsspendend wirken, deren leibliche Bedürfnisse missachtet werden, die leibliche und seelische Misshandlungen durchleben müssen und/oder deren Leiblichkeiten sich gegen sie richten, da und indem sie ebendiesen Menschen eine Erfüllung ihrer bislang unbefriedigten Bedürfnisse und eine umfassende Erlösung von allen leiblichen Zwängen, Beeinträchtigungen, Leiden und Versäumnissen1073 durch Anteilnahme an der unvergänglichen Herrlichkeit des Auferstandenen in Gestalt seiner pneumatischen Leiblichkeit verheißt.1074 Wenngleich diese Gedanken dem Grundbedürfnis nach einem möglichst konkreten und gut vorstellbaren Hoffnungskonzept entsprechen1075 und daher Vertröstungsvorwürfe hervorrufen, zeugen die Charakteristika der Auferstehungshoffnung doch davon, dass diese gerade deshalb keine Vertröstung auf eine jenseitige, verbesserte Daseinsform ist1076, weil sie den ganzen Menschen fokussiert. Sie legt keine Relativierung der gegenwärtigen Missstände mit Verweis auf ein besseres Jenseits nahe, sondern nimmt ebendiese in ihrer Härte und Schmerzhaftigkeit ernst, stellt ihre Überwindung in Aussicht und begegnet letztlich auch dem Tod nicht im Sinne „eine[r] letzte[n] Ausflucht ins Ewige“1077 verdrängend oder gar akzeptierend.1078 Deutlich wird dies an den Wundmalen des Auferstandenen, als den Spuren von Gottes tödlichem Konflikt mit dem Nichtigen1079, die auch – aber eben nicht nur – als Beweis der Identität des Gekreuzigten mit dem Auferstandenen dienen und die ersichtlich machen, dass selbst sie als Spuren der größtmöglichen menschlichen Verfehlung – der Hinrichtung des Gottesssohnes – und als Hinweise auf das unermessliche Leiden der Person Jesus von Nazareth1080 nicht lediglich ausgelöscht und somit negiert werden. Sie bleiben auch in der 1073

Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 618. Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 105. 1075 Vgl. Joest, Dogmatik II, 639. 1076 Vgl. Burmeister, Auferstehung in die Nachfolge, 112. 1077 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 500, zitiert nach Burmeister, Auferstehung in die Nachfolge, 112. 1078 Vgl. Moltmann, Der Weg, 289. 1079 Vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische …“, 219. Unter Bezugnahme auf das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit kann im Zusammenhang mit den Wundmalen der Auferstehungsleiblichkeit Christi darauf verwiesen werden, dass diese als Hinweis darauf gedeutet werden können, dass nicht nur die Ewigkeit durch die Inkarnation des Herrn und durch sein Wirken in die irdische Zeit und Geschichte einbrach, sondern dass umgekehrt auch die Zeit Spuren in der Ewigkeit Gottes hinterlassen hat. Gott ließ es zu, dass sie ihn (als seinen Sohn) verwundete, und er löschte die Spuren dieses Geschehens als Zeichen der Schwäche oder des Unterliegens gegenüber der menschlichen Geschichte nicht einfach aus, sondern er bewahrte sie als Hinweise darauf, dass ihr und ihrer Nichtigkeit alle Schrecken genommen wurden. 1080 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 170 u. Frettlöh, „Gott ist im Fleische …“, 200. 1074

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pneumatischen Leiblichkeit Jesu erhalten, da sie hier so bedeutungslos geworden sind, dass sie ihn nicht beeinträchtigen oder ihn weniger vollkommen und herrlich sein lassen; sie können keinen Schaden anrichten und keinen Schmerz erzeugen. Die Wundmale des Auferstandenen fungieren somit als sichtbarer Beweis dafür und als Verheißung darauf, dass alles, was den Menschen (gegenwärtig) zu quälen vermag – bis hin zu den schlimmsten Untaten und Gräueln dieser Welt – nicht einfach im Sinne einer billigen Vertröstung ausgelöscht werden wird, sondern dass vielmehr alles in einer allumfassenden Gemeinschaft mit Gott überwunden wird, wodurch die Absurditäten und die Schrecknisse des Nichtigen endgültig ihre Macht über den Menschen verlieren. Auch an dieser Stelle wird der Mensch daran erinnert, dass er trotz aller Schmerzen, die ihm widerfahren mögen, nicht aufhört, Gottes Ebenbild zu sein; ja, dass derartige Widerfahrnisse seine Ebenbildlichkeit, Würde und Schönheit nicht tangieren oder gar beschädigen können, sondern dass er als Leidender und Überlebender, als Opfer und Misshandelter – dieser Gedanke schenkt in der Tat Mut – bedingungslos angenommen ist. Ferner: Dass ihn das, was ihn in seinem irdischen Leben verwundet hat, nicht irreversibel beschädigen kann, da er immer mehr ist und sein wird als das, was ihm angetan werden kann. Auf der emotionalen Ebene der Wirklichkeitserschließung eröffnen diese Vorstellungen eine Perspektive der Hoffnung, die Mut und Vertrauen spenden kann und die den unermesslichen Wert jedes Individuums hervorhebt, dem verheißen wird, dass es von den Leiden seines defizitären Körpers erlöst wird, dessen Bedürfnisse viel zu oft unbefriedigt bleiben und der nicht selten als quälend unvollkommen erlebt wird. Mehr noch: Ihm wird signalisiert, dass eben diese defizitäre und unvollkommene Leiblichkeit als Teil der guten Schöpfung Gottes nicht aufgegeben und ersetzt, sondern erhalten und erneuert wird1081, weil es sich bei ihr 1081 In diesem Zusammenhang ist erneut darauf zu verweisen, dass das christliche Zeitverständnis im Gegensatz zum weltlichen Zeitverständnis, welches von den Vorstellungen geprägt ist, dass die Vergangenheit irreversibel abgeschlossen sei und lediglich in Form von Erinnerungen vergegenwärtigt werden könne oder in Bezug auf ihre Folgen veränderbar sei, insofern man sich zu diesen verhalten könne (vgl. Görnitz, Zeit und Ewigkeit, 67), von der Möglichkeit ausgeht, dass Gott auch vergangene Ereignisse verändern kann. Für den Gläubigen kommt es somit zu einer neuen Wahrnehmung des Vergangenen, da er annehmen darf, dass die Vergangenheit für Gott, als den ewig Lebendigen, nicht endgültig abgeschlossen ist, sondern er auch sie verwandeln und erneuern kann (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 35). Die erlebbare, zukunftsraubende, vermeintliche Endgültigkeit des Todes kann somit als durchbrochen verstanden werden (vgl. a.a.O., 77) und auch sonstige, scheinbar vergangene Geschehnisse, wie etwa die Erscheinungen, können als „Ereignis[se] der Vergangenheit“ (Moltmann, Im Ende, 59) bezeichnet werde, welche ihre Zukunft jedoch erst noch vor sich haben. Aufgrund der Annahme, dass ihm eine Zukunft zuzusprechen ist, kann der Mensch folglich Mut schöpfen, um seine eigene Vergangenheit und diejenigen Aspekte, die bislang offen, unvollendet und fraglich blieben und/oder die von ihm selbst nicht zu verändern sind, in seine Hoffnung zu integrieren. Aus der christlichen Auferstehungshoffnung kann somit nicht nur eine gewisse Dank-

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gerade nicht um ein „gescheitertes Projekt“ handelt, das im Zweifelsfall bedenkenlos „entsorgt“ werden kann, sondern um ein Objekt der Gnade, der Heilspläne und der Liebe Gottes, das nur durch seine Pneumatisierung „ins rechte Licht gerückt“ werden muss, damit seine Herrlichkeit zu Tage treten kann.1082 Diese Erkenntnisse vermögen auch durch den zugegebenermaßen beängstigenden Umstand, dass der Mensch als Sünder im Gegensatz zu Jesus die Verwesung schauen muss, nicht in Frage gestellt oder revidiert zu werden, da es sich bei der Verwesung, wie anhand des (das Geschick des Menschen antizipierenden) Ergehens Jesu deutlich wird, lediglich um einen vermeintlichen Sieg des Nichtigen handelt, aber eben um nicht mehr als dies. Im Gegensatz zu den dargestellten Assoziationen, die das Verwesen des Leichnams als vermeintlich völlige und irreversible Zerstörung des menschlichen Daseins wecken kann, eröffnet die Perspektive des Glaubens die Erkenntnis, dass es sich bei ihr lediglich – dies aber ist wahr- und ernst zu nehmen – um einen letzten Machtakt des Nichtigen handelt. Dieses wütet und zerstört, bis nichts mehr bleibt, an dem es wüten und zerstörerisch wirken kann. Es treibt sein destruktives Spiel bis zum Äußersten; bis zur völligen Vernichtung der menschlichen Leiblichkeit als seinem größten Sieg, durch welchen es sich selbst jedoch in der Vollendung des Todes – als der letzten Wahrheit der Sünde – den Gegenstand seiner Herrschaft und Machtausübung entzieht. Die Macht des Nichtigen erschöpft sich so – trotz aller Aggressivität und Vehemenz, die zur vollständigen Auflösung des Menschen und zur vermeintlich endgültigen Trennung von seiner Mitschöpfung und seinem Gott führt – im Vorletzten; in eben diesem letzten Machtakt als dem Äußersten, zu dem es es zu treiben vermag. Dem Äußersten, freilich, das angesichts der (die Trennung und den Tod überwindenden) Auferstehung und der in ihr offenbarten, „überlegenen Lebendigkeit Gottes“1083, des selbst aus dem Nichts schaffenden Schöpfers, imbarkeit für das Leben als solches erwachsen (vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 276), sondern es können auch Ressourcen geschaffen und mobilisiert werden, welche die Menschen von den Belastungen ihrer individuellen Vergangenheiten lösen und sie angesichts ihrer Zukunft ermutigen (vgl. Moltmann, Im Ende, 43), was eine entlastende Wirkung entfalten kann (Rovelli, Die Ordnung, 147). Im Wissen um die Vorläufigkeit und Veränderbarkeit der Vergangenheit kann es den Menschen so gelingen, sich von Vorwürfen und eigenem Unverständnis, Verzweiflung und Schmerz zu distanzieren und sich stattdessen auf die Gestaltung ihrer (eben nicht restlos oder überhaupt durch die Vergangenheit bestimmten) Zukunft zu konzentrieren. 1082 Diese Vorstellungen spiegeln sich bereits in den neutestamentlichen Wundererzählungen wider, die davon zeugen, dass Jesus mit kranken und/oder beeinträchtigten Menschen interagierte und sie dabei nicht auf ihre Beeinträchtigung reduzierte. Er sah in ihnen nicht nur Blinde, Gelähmte und Blutflüssige, sondern Ebenbilder Gottes, die trotz ihrer Defizite seiner Zuwendung und seiner heilsamen Nähe würdig waren. Ferner erschöpfte sich sein Wirken an ihnen nicht (im Sinne bekannter Vertröstungsvorwürfe) darin, dass er ihnen von einem besseren Jenseits berichtete, auf das sie geduldig warten sollten, sondern es beinhaltete eine aktive Verbesserung ihrer Situation, die ihnen eine Reintegration in die Gesellschaft ermöglichte und die die endzeitliche Pneumatisierung der Leiber sowie die Herstellung der allumfassenden, friedvollen Gemeinschaft (in freilich stark reduzierter und lediglich vorläufiger Form) antizipierte. 1083 Frettlöh, „Gott ist im Fleische ...“, 217.

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mer nur vermeintlich den größten Sieg des Nichtigen in der völligen Zerstörung des gottesebenbildlichen Menschen und in der Revidierung seiner Schöpfung markiert, in Wahrheit aber von seiner größten Niederlage zeugt.1084 Der Glaubende muss somit auch angesichts der allgegenwärtigen vollen Gräber und der durch sie implizierten Verwesung nicht verzagen, da diese eben nicht länger als Hinweis auf eine endgültige Zerstörung des belanglosen und beliebigen Menschen zu verstehen ist1085, sondern lediglich – aber doch immerhin – als eindrücklicher Verweis auf die Macht und Zerstörungskraft des Nichtigen und auf die reelle Bedrohung des menschlichen Daseins fungiert, die von ihm ausgeht und das gnädige Eingreifen Gottes notwendig macht.1086 Im Wissen, dass den Menschen keine vollständige Annihilation erwartet, sondern eine im Ergehen Jesu begründete1087 „Zukunft der Vollendung unseres Lebens“1088 in Form einer bewahrenden Rettung in die Ewigkeit Gottes, die nicht von Auflösung und Vergänglichkeit bedroht ist, kann er unverzagt leben und sogar dazu bewegt werden, in problembehafteten Situationen nicht zu resignieren, sondern sich den Herausforderungen seines Lebens im Bewusstsein ihrer Vorläufigkeit mutig zu stellen. Das durch das leere Grab implizierte Neuwerden der irdischen Leiblichkeit sowie die aus ihm zu gewinnende Hoffnung vermögen es somit nicht nur, die Entstehung der Selbstakzeptanz des Gläubigen zu begünstigen und ihn angesichts seiner Mängel und Defizite aufzurichten, sondern sie können auch einen Einfluss auf die Lebensgestaltung, das Verhalten und seine Einstellung in Bezug auf das Leben als solches sowie auf die eigene Vergänglichkeit nehmen. Aufgrund dessen, dass der Mensch als einziges Lebewesen nachweislich über ein Todesbewusstsein verfügt, da er seine je eigene Gegenwart in der Regel von ihrer Zukunft unterscheiden kann und im Zuge dessen Analogien zwischen der eigenen Lebensgeschichte und der (stets endlichen) Leben seiner Mitmenschen 1084 Zu verweisen ist erneut auf das Verständnis des göttlichen Auferweckungshandelns als ein Ärgernis, da es in umgekehrter Weise zur Macht des Nichtigen (das in seinem vermeintlich größten Sieg seine größte Niederlage erfährt) doch gerade an den Orten der vermeintlich größten Niederlagen Gottes – im Sterben des Gottessohnes (als einem Verbrechertod unter erniedrigenden Umständen) und an seinem schmählich zugerichteten Leichnam (vgl. a.a.O., 214) – genau dort also, wo alles aus und vorbei zu sein scheint – schöpferisch ansetzt. Wie in Kapitel III.3.1.g dargestellt, kann dies als Ärgernis wahrgenommen werden, da es den menschlichen Erwartungen widerspricht, die gegenüber einem endgültigen Sieg Gottes bestehen mögen. 1085 Ähnliche Gedanken trägt Fößel vor, der darauf verweist, dass das Grab Jesu, welches erst einmal lediglich zeichenhaft auf seinen tragischen, aber dennoch natürlichen Tod als auf das zukunfts- und hoffnungslose Ende seines Lebensweges hingewiesen habe, angesichts des göttlichen Heilshandelns als „,Unort‘“ (Fössel, Offenbare Auferstehung, 592) verstanden werden müsse, an dem sich die Macht Gottes gegenüber der Macht der Sünde endgültig durchsetzte. 1086 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 136. 1087 Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 252. 1088 Pannenberg, Systematische Theologie III, 647.

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herstellt1089, es dem Menschen jedoch nicht selten an einer Auferstehungshoffnung mangelt, erfolgt eine fortschreitende „Verdiesseitigung der westlichen Welt“1090 und ferner ein Zusammenschrumpfen der Weltzeit auf die je eigene Lebensdauer. Diese Phänomene haben zur Folge, dass der Mensch meist nicht aufgrund einer Auferstehungshoffnung handelt, die seine Lebensgestaltung beeinflusst, sondern dass sein Antrieb in ihm zu verorten ist und seine Selbstreflexion nur jene Faktoren umfasst, die er einkalkulieren kann.1091 Das Handeln des Menschen zielt entsprechend hauptsächlich auf sein irdisches Leben ab, welches als „das höchste Gut“ wahrgenommen wird, um dessen Erhaltung mitunter sogar zu Gott gebetet wird.1092 Diese Entwicklung resultiert daraus, dass dort, wo es dem Menschen an einer Auferstehungshoffnung mangelt, eine ausschließliche Fokussierung auf das irdische Leben vorgenommen wird, das es voll und ganz auszuschöpfen gilt.1093 Obwohl der Tod einem derart säkular-aufgeklärten Verständnis zufolge als das naturgemäße Ende des menschlichen Daseins wahrgenommen wird1094 und diese Zuschreibung nur selten hinterfragt wird, erfährt er gemeinhin eine verbreitete Verdrängung1095, welche geradezu als charakteristisches Merkmal unserer Gesellschaft bezeichnet werden kann, die doch maßgeblich an den Idealen der Leistungsfähigkeit und der anhaltenden Jugend orientiert ist. Die Tendenz der Verdrängung des Todes und der Vergänglichkeit aus der öffentlichen Wahrnehmung zeigt sich nicht nur in der Präsenz verschiedenster Körperkulte und Schönheitsideale, an denen sich viele Menschen orientieren und die zu kosmetischen Behandlungen oder sogar zu medizinischen Eingriffen anregen1096, um den Spuren der eigenen Alterungsprozesse entgegenzuwirken, sondern auch in dem verbreiteten Umgang mit Sterbefällen und Trauer. Moltmann fasst so treffend zusammen, dass eine radikale Privatisierung des (als eine „Störungen des öffentlichen Lebens“1097 wahrgenommen) Sterbens und ferner der Trauer erfolgt ist, auf1089

A.a.O., 599. Kramer, Zeit und Ewigkeit, 110. 1091 Vgl. ebd. 1092 Vgl. a.a.O., 119. 1093 Vgl. Blatt, Sehnsucht nach dem Ewigen, 42. 1094 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 599. 1095 Gelder, Ewigkeitserfahrung als Hoffnung, 172. Greshake erläutert den Zusammenhang zwischen der Todesverdrängung des Menschen und dem Relevanzverlust der Auferstehungshoffnung mit Verweis darauf, dass letzterer sowie der Relevanzverlust der Vorstellung der Überwindung der Macht des Todes schon deshalb erfolge, da der Mensch mit dem Tod nur noch selten unmittelbar in Berührung komme und er auch die (ihm intuitiv bewusste) Tatsache des Herannahens des eigenen Todes (durch seine diesseitsorientierte Lebensführung) verdränge, bis sie ihm nur noch in Form eines (gelegentlich in den Vordergrund tretenden) urteilsmäßigen Wissens präsent werde (vgl. Greshake, Untersuchungen, 306 f.). Für den modernen Menschen sei der Gedanke eines postmortalen Weiterführens seiner Existenz ferner nur noch wenig anknüpfungsfähig, da er „das Wesen des Todes“ (a.a.O., 307) als solches verleugne. 1096 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 181. 1097 Moltmann, Im Ende, 134. 1090

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grund der Trauernden oft nur noch wenig Respekt, Verständnis oder gar Schutz entgegengebracht wird und es ihnen an Raum und auch an Zeit zum Ausleben und Verarbeiten ihrer Gefühle mangelt.1098 Bekanntlich bleiben gerade verdrängte Gedanken jedoch im Unterbewusstsein des Menschen präsent1099, was sich im Falle der Verdrängung der (eigenen) Vergänglichkeit darin widerspiegelt, dass die Gewissheit ihrer Unvermeidlichkeit gewisse Erwartungen und auch Handlungen anstößt1100, die mitunter destruktiv sein können.1101 Die unterschwellig präsente Todesfurcht des Menschen1102, die augenscheinlich untrennbar mit seiner Nichtigkeit in Verbindung steht, führt so etwa dazu, dass er auf der einen Seite zu einer (keine Grenzen kennenden und die je eigene Endlichkeit nicht berücksichtigenden) Selbstbehauptung getrieben wird1103, es ihm auf der anderen Seite aber oft an der Kraft dazu mangelt, sein Leben als solches anzunehmen und zu bewerkstelligen.1104 Aufgrund der Erkenntnis seiner eigenen Endlichkeit bildet der Mensch ferner den Wunsch aus, dem unerbittlichen Vergehen der Zeit zu entfliehen.1105 Er strebt nun nicht selten nach Selbstvervollkommnung, Sinnerleben und stets neuen Erlebnissen und Erfahrungen1106,

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Vgl. ebd. u. a.a.O., 136. Vgl. ebd. 1100 Goldberg, Zeit und Zeitlichkeit, 26. 1101 Ungeachtet der (unterbewussten) Effekte der Verdrängung der Vergänglichkeit scheitert diese spätestens dann, wenn der Mensch mit Krankheiten, Alterungsprozessen oder sonstigen Herausforderungen konfrontiert wird, die mit seiner Vergänglichkeit einhergehen und nicht selten von Selbstzweifeln und sogar Wertlosigkeitsgefühlen begleitet werden (vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 275). 1102 Wie Moltmann darstellt, gestaltet sich die menschliche Todesfurcht durchaus verschieden und führt zu vielfältigen Reaktionen. So verdrängen viele Menschen jede Form von Tod und Vergänglichkeit und leben, als müssten sie niemals sterben, wohingegen andere stille Abkommen mit ihrem Tod treffen, gegen ihn protestieren oder versuchen, den Gedanken der eigenen Endlichkeit bewusst in ihr Leben zu integrieren. Gemein ist all diesen Formen des Umgangs mit dem Tod, dass sie – wie Moltmann ebenfalls treffend herausstellt – einen erheblichen Einfluss auf die Einstellung des Menschen zum Leben und ferner auch auf seine Lebensgestaltung nehmen (vgl. Moltmann, Im Ende, 132). 1103 Pannenberg, Systematische Theologie II, 312, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 162. Den Zusammenhang zwischen Todesangst und Selbstbehauptung thematisiert auch Krötke, der in Übereinstimmung mit den dargestellten Überlegungen darauf verweist, dass der Mensch aufgrund seiner Todesangst, welche seine Lebensführung unterschwellig stark beeinflusse, dazu verführt werde, die Ewigkeit als solche in seine irdische Lebenswelt hineinzuprojizieren, wodurch diese eine realitätsferne und nahezu gewalttätige Überhöhung erfahre. Diese spiegele sich etwa im Politik und Gesellschaft betreffenden „Totalitarismus des 20. Jahrhunderts“ (Krötke, Gottes Klarheiten, 275) wider, sei aber auch in der gegenwärtig zu beobachtenden Lebensführung des modernen Menschen angelegt, die vorrangig auf eine Durchsetzung von Individualinteressen abziele (vgl. ebd.). 1104 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 312, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 162. 1105 Vgl. Görnitz, Zeit und Ewigkeit, 66. 1106 Vgl. Achtner, Kunz, u. Walter, Dimensionen, 3. 1099

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um dem eigenen Dasein und der als „entnaturalisiert, entqualifiziert, entsakralisiert und damit sinnentleert“1107 wahrgenommenen Zeit eine Bedeutung zu verleihen. In diesem Streben nach (Selbst)vervollkommnung zeigt sich nach Ansicht Beinerts eine tiefe Widersprüchlichkeit innerhalb der menschlichen Konstitution, da der Mensch zwar die Unendlichkeit anstrebe, aber dem Irdischen, Banalen dennoch gänzlich verfallen sei und deshalb zwar die Erreichung der Ewigkeit (als eine völlig erfüllte Zeit) wünsche, aber in diesem Unterfangen notwendig scheitere1108, weil die Ewigkeit bekanntlich einzig Gott zuzuschreiben und vom Menschen durch eigene Bemühungen unmöglich zu erlangen ist. Aus ebendiesen resultiere ferner oft der Drang hin zu einer hektisch-getriebenen Überanstrengung bei gleichzeitiger oder abwechselnder passiv-depressiver Resignation.1109 Der Mensch vermag es so nicht, seine eigene Endlichkeit zu akzeptieren und anzunehmen1110, welches seine (unterbewusste) Todesangst und die dargestellten, aus ihr resultierenden Handlungstendenzen (wie etwa die der Lebenseile1111 ) steigert und nach Ansicht Moltmanns dazu führt, dass der Mensch das Leben als solches unmöglich liebe und die Liebe nicht bejahen könne1112, sondern sein Leben zunehmend beschleunige1113, um in einer wahnhaften Lebensgier möglichst viele Erfahrungen und Errungenschaften anzusammeln.1114 Diese Tendenz zeigt sich auch in der Zeiterfahrung des Menschen; so nimmt dieser die vergehende Weltzeit nicht selten als deprimierend bedrängend wahr und erlebt einen (den meisten Menschen wohl nur allzu vertrauten) Zeitdruck1115 sowie ein Gefühl des Zukurzkommens und des stupiden Abarbeitens einer nicht enden wollenden Aneinanderreihung von Terminen.1116 Dieses Gefühl spiegelt sich in der gesamtge-

1107

A.a.O., 90. Vgl. Beinert, Der Mensch ist, 68. 1109 Vgl. Achtner, Kunz, u. Walter, Dimensionen, 1. 1110 Kiauka, Zeit und Theologie, 190 f. 1111 Vgl. Moltmann, Das Kommen Gottes, 74. 1112 Vgl. Moltmann, Der Weg, 287. 1113 Nach Ansicht Achtners, Kunz‘ und Walters führt diese Beschleunigung des Lebens des Menschen dazu, dass dieser – solange er sich darauf fokussiert, möglichst viele Erinnerungen und Errungenschaften anzuhäufen – keine echten Erfahrungen sammeln könne, da solche es erforderlich machen, „mit wachen Sinnen in der Gegenwart zu sein“ (Dimensionen, 3), innezuhalten und Ruhe zu finden, statt sich selbst permanent in angestrebte Zukunftsvisionen hineinzuprojizieren (vgl. ebd.). 1114 Vgl. Kramer, Zeit und Ewigkeit, 111. 1115 Vgl. Achtner, Kunz, u. Walter, Dimensionen, 164. 1116 Vgl. Gelder, Ewigkeitserfahrung als Hoffnung christlichen Glaubens, 172. Pannenberg verweist im Zusammenhang mit der Zeiterfahrung des Menschen ferner darauf, dass dieser nicht selten deshalb (vermeintlich) „keine Zeit hat“ (Pannenberg, Systematische Theologie III, 646), weil er zu sehr damit beschäftigt sei, an seiner konkreten Gegenwart festzuhalten oder sie um möglichst viele weiteren Erlebnisse und Erfahrungen zu erweitern. Ferner verspüre er eine „Leere der Zeit“ (ebd.), die daraus resultiere, dass er nicht dazu in der Lage sei, seine Gegenwart anzunehmen, aber gleichzeitig auch die (ungewisse) Zukunft fürchte oder ihr doch zumindest misstraue (vgl. ebd.). 1108

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Teil III: Eigene Deutung

sellschaftlichen Tendenz wider, die Zeit im Sinne einer Ware konkret bestimmbaren Marktwertes zu quantifizieren und sie auf die durch sie verursachten Kosten im Rahmen von Produktionsprozessen zu reduzieren, wie auch Menschen nicht selten lediglich als Ware betrachtet werden, deren Wert an ihrer Produktivität ermessen wird. Dabei bildet sich das individuelle Lebensgefühl des KeineZeit-Habens in den sich stetig beschleunigenden Produktions- und Konsumprozessen ab, die mitunter zu einem Anstieg körperlicher und seelischer Erkrankungen, dem Auseinanderfallen sozialer Gefüge und einem Versiegen natürlicher Ressourcen führen.1117 Folglich verfehlt der Mensch die Wahrnehmung und Nutzung der Zeit als einen Begegnungs-1118 und Erfahrungsraum der Gemeinschaft, indem er sie lediglich selbstbezogen als einen Ablauf verschiedener Ereignisse wahrnimmt, an dessen Ende seine notwendige Begegnung mit der (eigenen) Nichtigkeit und dem Nichts steht.1119 In starkem Kontrast zu diesen Tendenzen befreit die Perspektive der Hoffnung den Menschen zu einer völlig neuen Lebensführung1120, die ihn bejahend sowie ohne Hektik und Angst auf das Diesseits verweist1121 und nicht nur angesichts des eigenen Todes, sondern auch in Bezug auf das gesamte Leben von Relevanz sein kann1122, indem sie ihm neue Möglichkeiten und Blickwinkel aufzeigt.1123 Dies vollzieht sich durch den „göttlichen Geist der Auferstehung“1124, der mitunter in der besagten Hoffnung wirksam wird und das Bestehende zu seiner erhofften Vollendung hinbewegt, und durch die Gegenwart Christi als des Auferstandenen, die seine Herrschaft mitten in unserer Welt (und eben auch durch die Hoffenden) errichten will1125, da dem Menschen hier eröffnet wird, dass es sich bei dieser Welt, dieser Zeit und dieser Leiblichkeit um Aspekte der sie umgebenden Geschichte handelt, die keine Unheilsgeschichte, sondern eine Heilsgeschichte1126 ist, auf die Gottes Handeln abzielt und die zu verändern er bereits begonnen hat.

1117

Vgl. Achtner, Kunz, u. Walter, Dimensionen, 177. Vgl. Jüngel, Tod, 165, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 250. 1119 Vgl. ebd. Moltmann fasst dieses Lebensgefühl und diese Zeitwahrnehmung in poetischer Weise zusammen: „Keinen Augenblick können wir festhalten, auch wenn wir sagen möchten: ,Verweile doch, du bist so schön.‘ Denn wir selbst können nicht bleiben. Der gelebte Augenblick vergeht und wir vergehen im Nu. Nichts bleibt, denn unwiederbringlich ist, was einmal Vergangenheit geworden ist. […] Aber jede Gegenwart vergeht, und was vergangen ist, das kehrt nicht wieder. Aus Erwartungen werden Erfahrungen und aus Erfahrungen werden Erinnerungen und aus Erinnerungen wird zuletzt das große Vergessen, das wir Tod nennen“ (Moltmann, Im Ende, 113 f.). 1120 Vgl. Moltmann, Der Weg, 290. 1121 Vgl. Burmeister, Auferstehung in die Nachfolge, 112. 1122 Vgl. Moltmann, Der Weg, 291. 1123 Vgl. Moltmann, Im Anfang, 100. 1124 Greshake, Untersuchungen, 366. 1125 Vgl. ebd. 1126 Vgl. Barth, KD IV/1, 252. 1118

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

467

Diese Erkenntnis vermag den Menschen hinsichtlich seiner Lebensführung zu einer Umkehr zu bewegen, die ihn dazu ermutigt, sich vorbehaltlos auf sein Leben einzulassen1127 und sich „von [… Gottes] Liebe bestimmen“1128 zu lassen, indem er von dem unrealistischen, in Verzweiflung und/oder Resignation mündenden, selbstauferlegten Anspruch befreit wird1129, seinem Leben einen Sinn zu geben oder es gar zur Vollendung zu führen, da dies ebenso wie die Vollendung seiner Mitschöpfung allein Gott obliegt.1130 Der Mensch erfährt sich angesichts dieser Einsichten zu einem (mit)menschlichen Agieren und Leben befreit, ohne dass er sich selbst sein Gott sein muss.1131 Ferner kann er sich nun von dem (ein vermeintliches Sinnerleben verheißenden) Streben nach materiellen Besitztümern, Erfolgen, Anerkennung und der Schaffung einer positiven Identität distanzieren, da diese Ziele meist doch nur als Distraktoren fungieren können, welche ihn kurzzeitig von seiner Todesangst ablenken. Stattdessen kann er es wagen, sein (gemeinsames) Leben zu lieben, zu leben und trotz seiner Fragilität und Endlichkeit zu bejahen1132, indem er sich voll und ganz auf seine konkrete Gegenwart einlässt1133 und sich bis hinein in die tödliche Nichtidentität in das vergängliche Leben entäußert.1134 Indem der Mensch derart von seiner Selbstsorge befreit wird, erfährt er sich als (seinen Mitmenschen und seiner weiterem Mitschöpfung gegenüber) höchst liebesfähig.1135 Zudem wird es ihm ermöglicht, in jenen Augenblicken der Liebe die Erfahrung des ewigen Lebens zu machen1136, die ihn dazu ermutigt und ihn darin bestärkt, sich trotzig, aber dennoch zuversichtlich allem Lebensschädlichen entgegenzustellen.1137 Seine innerzeitliche Lebensführung1138 ist für den Gläubigen somit bereits sein Weg hin zu seiner je eigenen Wahrheit1139 und somit sein Weg hin zu jener Ewigkeit, in welche auch die Zeitlichkeit aufgehoben ist und wird.1140

1127

Moltmann, Das Kommen Gottes, 83. Dalferth, Volles Grab, 309. Dalferth verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass sich dort, wo der Mensch sich von der göttlichen Liebe bestimmen lasse und sich in ihre Wirkkraft hineinnehmen lasse, „die Gemeinschaft der Glaubenden“ (ebd.) als „der eschatologische Leib Christi“ (ebd.) bilde. 1129 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 205. 1130 Vgl. Joest, Dogmatik II, 639, siehe auch Weinrich, Auferstehung, 135: „Angesichts der Ewigkeit Gottes steht die Zeit nicht im Zeichen des Futurs unserer Gegenwart, d.h. sie wird nicht nur sein, was wir aus ihr machen.“ 1131 Vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische ...“, 189. 1132 Vgl. Moltmann, Das Kommen Gottes, 74 u. 83. 1133 Vgl. Ebeling, Zeit und Wort, 350 u. 355 f., zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 18. 1134 Vgl. Moltmann, Das Kommen Gottes, 83. 1135 Vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische ...“, 200. 1136 Vgl. Moltmann, Im Ende, 181. 1137 Vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische ...“, 200. 1138 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 549 f. 1139 Vgl. Kleffmann, Grundriß, 146. 1140 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 549 f. Auch in dieser Bestimmung wird ersichtlich, dass die (in gnostischen Systemen vorfindliche) Unterscheidung des heillos selbstbezo1128

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Teil III: Eigene Deutung

Diese Entwicklung umfasst eine veränderte Einstellung des Menschen zu seiner eigenen Endlichkeit und seinem Tod, welcher eine erhebliche Umwertung erfährt1141, da ihm aus der Perspektive der Hoffnung heraus sein definitiver und letztgültiger Herrschaftsanspruch aberkannt werden kann1142, weil dem Menschen hier nun eröffnet wird, dass er niemals – und somit auch nicht im Tod – aufhört, unter Gottes Herrschaft zu stehen und „Gegenstand seiner Liebe zu sein.“1143 Der Tod verliert auf diese Weise seine Eindeutigkeit als unwiderrufliches und finales Ende1144 und wird als (in es hineinintegrierter) Teil des Lebens Gottes erfahren, was ihn zu einem „Möglichkeitsort von Hoffnung“1145 werden lässt.1146 Ausgehend von diesem Verständnis könne es dem Menschen nach Ansicht Moltmanns sogar gelingen, sich von der verbreiteten Verdrängung des Todes zu distanzieren und die Vorstellungen des (eigenen) Todes in eine insgesamt „liebende Bejahung des Lebens“1147 zu integrieren. Dabei werde er jedoch nicht – wie genen, endlichen Diesseits (vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 164) von dem göttlichen, ewigen Jenseits innerhalb systematisch-theologischer Konzepte des Christentums nicht aufrecht erhalten werden kann, weil diese – wie etwa Ringleben zeigt – einen unhintergehbaren Zusammenhang von Diesseits und Jenseits sowie eine wechselseitige Durchmischung von Zeit und Ewigkeit voraussetzen, um adäquat von ihrem Gegenstand zu zeugen (vgl. Kapitel II.3.3). 1141 Vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 165. 1142 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 131. 1143 Barth, KD III/2, 743, zitiert nach Busch, Die große Leidenschaft, 288. 1144 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 164. 1145 Ebd. 1146 Moltmann beschreibt die Umwertung der Erfahrungen der Vergänglichkeit und des Todes in poetischer Weise, indem er darstellt, dass „der Eindruck der Vergänglichkeit aller Dinge, die wir lieben, die Oberhand [gewinnt]“ (Moltmann, Im Ende, 170), solange der Mensch ausschließlich auf seinen Tod fokussiert sei, wohingegen die Perspektive der Hoffnung, die Moltmann als „Sehen […] durch den dunklen Horizont des Sterbens hindurch in die Morgenröte des neuen Tages Gottes“ (ebd.) beschreibt, es dem Menschen ermögliche, auch die Anfänglichkeit all jener von ihm geliebten Dinge wertzuschätzen, eine starke Lebenslust zu empfinden und „den Geschmack einer Lebendigkeit [zu erfahren], die ursprünglich ist und stark wie der Tod“ (ebd.). Zu verweisen ist zudem auf Moltmanns (in Kapitel II.3.2.d dargestellte) Ausführungen, in denen er die (sich ausgehend von der Auferstehung eröffnende) Perspektive thematisiert, die der Perspektive der begründeten Hoffnung in vielen Punkten ähnelt. Moltmann stellt in Übereinstimmung mit den skizzierten Gedanken dar, dass eine Betrachtung der Natur aus der „Perspektive der Auferstehung“ (Moltmann, Der Weg, 266) dazu führe, dass die erfahrene Natur im Kontext ihrer erwarteten Neuschöpfung betrachtet werde, was eine Umbewertung der Erfahrungen der natürlichen Vergänglichkeit nahelege, die nicht länger ausschließlich Trauer und Bedauern hervorrufe, sondern auch auf eine allgemeine „Vernichtung des Todes“ (a.a.O., 275) hoffen lasse. Diese Hoffnung resultiere aus dem Geschick Jesu, welcher sowohl einen gewaltvollen Hinrichtungstod innerhalb der menschlichen Geschichte starb als auch den alle Menschen ereilenden, „tragischen Tod der Natur“ (a.a.O., 276). Entsprechend markiere seine Auferstehung den Beginn der Vernichtung des natürlichen, aber eben auch des geschichtlichen Todes und lasse folglich auf die allgemeine Totenauferstehung und auf die Verklärung des protologischen, irdischen Lebens hoffen (ebd.). 1147 A.a.O., 284.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

469

die gnostischen Systeme es nahelegen – akzeptiert und vorweggenommen1148 und/oder gar als ein Freund empfangen, der die Seele nun endlich vom irdischen Leib erlöste1149, da er im Rahmen christlicher Vorstellungen trotz aller Umwertungen der letzte Feind Gottes und seiner Geschöpfe sei und bleibe1150, dessen definitives Eintreten nur im Vertrauen auf diesen und angesichts seiner erwarteten und bereits vollzogenen Überwindung ertragen werden kann.1151 Dieser Aspekt scheint gerade angesichts der erwähnten Todesangst des Menschen von Belang zu sein und weist ein großes Potenzial in Bezug auf die Auferstehungsverkündigung auf. In ihr kann deutlich gemacht werden, dass die christliche Hoffnung hinsichtlich der Todesangst (als einem relevanten Aspekt der Daseinsproblematik) als ein befreiendes Wort fungieren kann, anhand dessen der Vergänglichkeit des Diesseitigen und auch dem stets nur fragmentarischen Wesen allen Daseins begegnet werden kann1152, weshalb sie noch immer und auch für den modernen Menschen aktuell ist. Die Umwertung des eigenen Verständnisses der Vergänglichkeit und des Todes aufgrund der Perspektive der begründeten Hoffnung geht darüber hinaus mit einem veränderten Verhältnis des Menschen zum Tod anderer Menschen und zum Abschiednehmen von diesen einher, da der Mensch ausgehend von der Gewissheit der Endlichkeit des Todes1153 darauf vertrauen darf, dass auch Abschiede nicht letztgültig sind und die durchlebte Trauer und Verzweiflung daher nicht grenzen- und endlos sein muss.1154 Moltmann vertieft diesen Gedanken, indem er darstellt, dass ein Verständnis des Todes als „die uns zugewandte Seite der Verwandlung zum ewigen Leben“1155 und ein durch die Auferstehungshoffnung eröffneter Blick auf die Zukunft der Ewigkeit Gottes, in welcher der Tod seiner Macht beraubt wurde1156, es nahele-

1148 Vgl. Moltmann, Das Kommen Gottes, 82. Ein derartiges Verständnis werde nach Ansicht Moltmanns auch durch das Gleichnis vom Samenkorn nahegelegt, welches ebenfalls unterstreiche, dass keine Vorwegnahme des Todes im Sinne eines memento mori erfolgen solle, sondern er stattdessen inmitten unseres Lebens lokalisiert werden müsse, wo er durch die Liebe überwunden werden könne (vgl. a.a.O., 83 f.). 1149 Vgl. a.a.O., 83. 1150 Ebd., mit Verweis auf und unter Zitation von 1 Kor 15,26: „Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod.“ 1151 Vgl. Moltmann, Das Kommen Gottes, 82. 1152 Vgl. Pannenberg, Dogmatische Erwägungen zur Auferstehung Jesu, 162, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 155. Pannenberg votiert daher dafür, dass die Verkündigung des ganz neuen und wahrhaftigen Auferweckungslebens Jesu von Neuem als eine (ausgehend von der Welterfahrung des modernen Menschen) freilich als unwahrscheinlich zu bewertende, aber dennoch relevante und geradezu „weltwendende Antwort auf die eigenen tiefsten Nöte“ (ebd.), wie die der Todesangst und der verzweifelten Sinnsuche, zur Geltung gebracht werden müsse (vgl. ebd.). 1153 Vgl. Moltmann, Im Ende, 141. 1154 Vgl. a.a.O., 141 f. 1155 A.a.O., 142. 1156 Vgl. ebd. unter grammatisch angepasster Zitation von Off 21,4: „Und Gott wird ab-

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Teil III: Eigene Deutung

gen, dass eine Verwandlung unseres Verlustschmerzes in die Hoffnung auf eine erneute Gemeinschaft mit den Verstorbenen erfolge, die den Menschen aus der Spirale seiner Todesangst herausführen könne.1157 Die durch die Auferstehungshoffnung eröffnete Erfahrung einer ungebrochenen Gemeinschaft, in die auch die bereits Verstorbenen – geborgen in Gott – einbezogen sind1158, vermag den Menschen ferner durch seine Trauer hindurch zu trösten und seine Bereitschaft und Fähigkeit dazu zu stärken, das vorerst Verlorene loszulassen und den damit einhergehenden Schmerz als Teil ihres Lebens zu akzeptieren, da die erfahrene Trennung nicht endgültig ist.1159 Diesen Gedankengang abschließend sei darauf hingewiesen, dass auch die Zeiterfahrung der Menschen1160 ausgehend von der Perspektive der begründeten Hoffnung eine Veränderung erfahren kann, da sie die Welt, indem sie dazu befreit werden, ihre Gegenwart in erfüllender Weise1161 zu erleben und zu genießen, nicht länger als an ihnen vorbeirauschend wahrnehmen1162 und auch der (aufgrund ihrer Unsicherheit und Offenheit oft angstbesetzten1163) Zukunft entgegenblicken können, indem sie ihre Sorgen und Zweifel in Gottes Hände legen.1164 Die eröffnete Hoffnungsperspektive wird für den Menschen so in gleicher Weise wie sein notwendiger Tod keineswegs erst in der Auseinandersetzung mit seinem Lebensende relevant, sondern tangiert und prägt sein gesamtes Leben1165 und vermag ihn mitunter sogar in die anbrechende Zukunft Gottes hinein und somit aus der Welt heraus zu rufen.1166 All diese Effekte der christlichen Hoffnung äußern sich allerdings – wie angedeutet – nicht nur in der dargestellten Lebensbejahung und -freude oder in dem grundlegenden „Optimismus einer Welt- und Existenzbewahrung“1167, sondern sie nehmen auch Einfluss auf das konkrete Verhalten der Gläubigen hinsichtlich (ethischer) Herausforderungen ihrer Lebensgestaltungen1168, was im Folgenden abschließend dargestellt sei.1169 wischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen“. 1157 Vgl. Moltmann, Im Anfang, 142. 1158 Vgl. a.a.O., 143. 1159 Vgl. a.a.O., 165. 1160 Achtner, Kunz, u. Walter, Dimensionen, 163. 1161 Pannenberg, Tod und Auferstehung in der Sicht christlicher Dogmatik, 158, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 165. 1162 Vgl. Achtner, Kunz, u. Walter, Dimensionen, 164. 1163 Vgl. Pannenberg, Grundfragen, 396. 1164 Vgl. Busch, Die große Leidenschaft, 283. Dass die endgültige Vollendung des Menschen erst postmortal im Rahmen seiner ganzheitlichen Auferstehung erfolgt, sei mitgedacht und vorausgesetzt. 1165 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 364 u. Moltmann, Das Kommen Gottes, 83. 1166 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 32. 1167 Greshake, Untersuchungen, 364. 1168 Joest, Dogmatik II, 641. 1169 Die Charakterisierung der christlichen (Auferstehungs)hoffnung als eine Hoffnung, die sich vor allem in einer veränderten Einstellung und in einem positiveren Lebensgefühl

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

471

Es wurde immer wieder deutlich, dass der Gläubige insbesondere dann, wenn durch seinen Glauben eine Vergegenwärtigung der göttlichen Ewigkeit erfolgt, „in der Liebe an die Zeitlichkeit und irdische Wirklichkeit zurückgebunden“1170 wird und trotz der allgegenwärtigen Präsenz des Todes1171 zur Hingabe an unsere nur allzu vergängliche Realität verpflichtet wird1172, weil sein Glaube sich sowohl auf seine eigene leibliche Auferstehung (als Auferweckung eines konkreten und somit innergeschichtlichen, in der Welt verankerten Menschen1173) richtet als auch auf die verheißene, die gesamte Schöpfung einschließende Bewahrung und Erlösung, die als ihre Befreiung von allen zerstörerischen Mächten zu verstehen ist, denen sie gegenwärtig ausgesetzt ist.1174 Darin zeigt sich, dass es sich beim christlichen Auferstehungsglauben nicht um einen weltfremden – weil die Welt preis- und aufgebenden –, sich lediglich auf das Jenseits und auf die Innerlichkeit des Menschen ausrichtenden Glauben han-

äußert und zu konkreten Verhaltensveränderungen führt, findet sich auch bei Greshake, der zwei verschiedene Hoffnungsdimensionen voneinander unterscheidet. Bei der ersten Dimension handele es sich um die „,Passiv‘–wartende Hoffnung“ (Greshake, Untersuchungen, 365), welche sich durch die Weigerung auszeichne, Erfahrungen, die von der Sünde und ihren Folgen geprägt werden, als die „letztbestimmende Wirklichkeit“ (ebd.) zu akzeptieren, und die sich stattdessen darin äußere, dass der Hoffende geduldig und zuversichtlich auf die vollendete Durchsetzung der Herrschaft Gottes und der Neuwerdung aller Dinge vertraue. In Entsprechung zu den Ausführungen der vorherigen Abschnitte hält auch Greshake diese Form der Hoffnung in Bezug auf eine erfolgreiche und glückliche irdische Gestaltung der Welt und des individuellen Lebens für bedeutsam, da sie den derart Glaubenden vor der Entstehung von Resignation oder gar Verzweiflung behüte und ihn stattdessen zu einer unverzagten und gelassenen Lebensführung befreie (vgl. ebd.). Die zweite Dimension der sogenannten „,Aktiv‘–handelnden Hoffnung“ (ebd.) zeugt hingegen im Wesentlichen von dem nachfolgend ausgeführten Gedanken, dass jenen, die glauben, das Geschenk der „,Kraft der Hoffnung‘“ (Thüsing, Der Gott der Hoffnung, 79, zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 365) zuteilwerde, welche als eine Art „zur Endvollendung drängende, schöpferische Dynamik Gottes“ (ebd., zitiert nach Greshake, Untersuchungen, 365 f.) verstanden werden könne, die den Menschen zu konkreten Handlungen (wie etwa Taten des Widerstandes gegen Ungerechtigkeit, Hass und Gewalt) befähige (vgl. Greshake, Untersuchungen, 366). 1170 Ringleben, Der lebendige Gott, 547. 1171 Vgl. Moltmann, Der Weg, 288. 1172 Ringleben, Der lebendige Gott, 547. Diesen Zusammenhang hebt auch Moltmann hervor, indem er darauf verweist, dass die (auf eine leibliche Auferstehung gerichtete) Hoffnung sowohl die Motivation als auch die Begründung der „,tiefe[n] Diesseitigkeit des Christentums‘ [sei]“ (Moltmann, Der Weg, 288, unter uneindeutiger Zitation von Bonhoeffer, Dein Reich komme). 1173 Greshake, Untersuchungen, 84. 1174 Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 274, Körtner, Dogmatik, 642 u. Moltmann, Das Kommen Gottes, 87.

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Teil III: Eigene Deutung

delt1175, der an seiner Lebenswirklichkeit vorbeizielt1176 oder ihn an einer lebensförderlichen Gestaltung seiner Mitwelt hindert1177, indem er nahelegt, angesichts von Unrecht und weltlichen Fehlverhältnissen zu resignieren1178 und untätig im Hoffen auf ein besseres Jenseits auszuharren. Ganz im Gegenteil ist er eine lebendige und lebensbejahende, aufrichtende Macht, die sich nun eben gerade nicht darin erschöpft, „einem Dogma zuzustimmen“1179 oder ein in der Vergangenheit geschehenes Ereignis als solches zur Kenntnis zu nehmen, aber dann auf ein konkretes Handeln im Sinne unserer Mitwelt und ihrer Verbesserung zu verzichten.1180 Sie zielt vielmehr darauf ab, dass der Mensch sich in Erwartung des angebrochenen, kommenden Reiches Gottes und seiner Strukturen des Friedens und der Vollendung gegen die in seiner Lebenswelt gegebenen, nicht selten von Unrecht, Hass und Gewalt geprägten Strukturen auflehnt.1181 Eine solche Auflehnung kann sich gegen die Ausbeutung der Mitschöpfung richten, da aus der Erkenntnis, dass sie (als Gegenstand der Liebe Gottes, auf den sein endzeitliches Heilshandeln zielt1182,) nicht „zur Vernichtung bestimmt“1183 ist und ihr Ergehen daher nicht vergleichgültigt werden darf1184, der Anspruch resultiert, sie zu bewahren und ihre Zerstörung zu verhindern1185, wie dies bereits der Herrschaftsauftrag der Genesis nahelegt. Der Mensch ist somit dazu aufgefordert, zu hinterfragen, inwiefern er selbst – auch angesichts der augenscheinlichen Übermacht

1175 Vgl. Joest, Dogmatik II, 626. Diese Erkenntnis stellen auch weitere Theologen dar, so unterstreicht Weinrich, dass die christliche Auferstehungshoffnung gerade nicht auf den Gedanken der „Verflüchtigung der diesseitigen Welt in ein Jenseits“ (Weinrich, Auferstehung, 136) abziele, sondern „auf ein Eindringen und Durchdringen des Jenseits ins Diesseits“ (ebd.) ausgerichtet sei. Eine ähnliche Darstellung findet sich in der Gegenüberstellung Oblaus, der ebenfalls darauf verweist, dass die (Auferstehung)hoffnung des Christentums nicht primär auf einen Bereich gerichtet sei, der völlig außerhalb unserer Zeit zu verorten wäre, sondern vielmehr auf ebendiese und ihre Verwandlung abziele, damit sie ihre Erfüllung erfahre und aus der Nichtigkeit, in der sie verfangen sei, enthoben werde (vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 234, unter Zitation von Oblau, Gotteszeit und Menschenzeit, 33). 1176 Vgl. Greshake, Endzeit und Geschichte, 14. 1177 Vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 274. 1178 Vgl. Joest, Dogmatik II, 641 u. Moltmann, Der Weg, 286. 1179 Vgl. Moltmann, Der Weg, 263. 1180 Vgl. ebd. u. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 254. 1181 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 132 u. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 254, siehe auch Busch, Die große Leidenschaft, 296, unter Zitation von Barth, KD IV/3 (2), 1077 u. 1070: „Dann kann die Hoffnung keine müßige, nur eine tätige, keine bloß private, sondern nur eine auch in der ,Öffentlichkeit‘ betätigte sein. Dann impliziert Eschatologie eine Ethik. Dann ist in der Hoffnung auf das Letzte, in ,Entsprechung‘ zu der von Gott allein herausgeführten und sichtbar durchgreifenden göttlichen Gerechtigkeit, mitgesetzt das Verständnis des Vorletzten als der uns eingeräumten ,Zeit der Verantwortlichkeit für das Geschehen menschlicher Gerechtigkeit‘ für ein Tun der Christen ,im Einsatz und Kampf‘ darum.“ 1182 Vgl. Moltmann, Der Weg, 264. 1183 Joest, Dogmatik II, 638. 1184 Vgl. ebd. 1185 Vgl. Joest, Dogmatik II, 638.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

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der globalen Unrechtsmechanismen – zur Wahrung der Freiheit und Würde seiner Mitschöpfung beitragen kann1186, was ganz ungeachtet der „Grenzen des Erreichbaren“1187 jederzeit sinnvoll ist. Besonderes Augenmerk ist ferner auf den Umgang des Menschen mit seinen Mitmenschen zu richten.1188 Dies ist nicht nur damit zu begründen, dass der Mensch aufgrund seiner leiblichen Konstitution1189 auf seine ebenfalls leiblich konstituierten Mitmenschen und ihre geteilte Mitwelt verwiesen1190 und so zum „Dasein und Da-,Wirken‘ für die anderen bestimmt ist“1191, sondern auch damit, dass sich die christliche Auferstehungshoffnung nie ausschließlich auf das eigene Ergehen bezieht, sondern immer auch das Ergehen der Mitschöpfung einschließt.1192 Darüber hinaus legt auch der Gedanke, dass jeder Mensch trotz seiner Defizite von Gott als der Neuschöpfung würdig erachtet wird, eine Wertschätzung und einen behutsamen Umgang mit dem Mitmenschen nahe, wodurch die Genese, Erprobung und Etablierung verschiedener Konzeptionen einer vorläufigen, zwischenmenschlichen wie auch individuellen Daseinserfüllung angeregt werden können, die natürlich nicht schon für die erhoffte, endzeitliche Vollendung der Schöpfung gehalten werden darf, sondern stattdessen als eine „vorläufige Realisierungen eines menschenwürdigen Daseins“1193 zu verstehen ist. Derartige Realisierungen1194 können darauf abzielen, Feindschaften abzubauen oder doch zumindest ihre Eskalation zu verhindern, bedürftige Menschen zu unterstützen und strukturelle Ungerechtigkeiten oder andere lebensschädliche Mechanismen aufzudecken und zu bekämpfen.1195 Ferner können sie dazu beitragen, eine grundsätzliche Achtsamkeit in Bezug auf die eigene Leiblichkeit sowie die Leiblichkeiten der Mitmenschen zu entwickeln1196, deren Sterblichkeit wir in gleicher Weise wie die eigene „als Skandalon empfinden [dürfen].“1197

1186

Vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 258. Pannenberg, Systematische Theologie III, 205. 1188 Rückverwiesen sei auf die Vorstellung der Inkarnation Gottes in Jesus, welche ebenfalls die Hochschätzung der leiblichen Dimension des Menschen in den zentralen Kernkonzepten des christlichen Glaubens ersichtlich macht und die insofern in Beziehung zu den fokussierten Erwägungen steht, als dass auch sie (in gleicher Weise wie die Rede von der leiblichen Auferstehung) auf eine „Befreiung des Menschen zur Mitmenschlichkeit“ (Ebach u. Gutmann, Zur Einführung, 14) als ihre essenziellste ethische Folge abzielt (vgl. ebd.). 1189 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 321. 1190 Vgl. Körtner, Dogmatik, 646. 1191 Greshake, Untersuchungen, 321. 1192 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 201. 1193 Pannenberg, Grundfragen, 154. 1194 Vgl. ebd. 1195 Vgl. Joest, Dogmatik II, 641. 1196 Vgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische …“, 207. Moltmann schlägt ferner vor, dass die Menschen eine Überwindung der verbreiteten Selbstisolation anstreben sollten, indem sie mit ihrer Mitschöpfung kommunizieren. Dies entspreche einer Bejahung des Lebens, da dieses im Wesentlichen „Kommunion in Kommunikation“ (Moltmann, Der Weg, 288) sei. 1197 Ehni, Die medizinische Manipulation des Alterns, 334. 1187

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Teil III: Eigene Deutung

Die Reflexion des (in Jesu Geschick antizipierten) endzeitlichen Erlösungsgeschehens ermutigt den Menschen ferner dazu, frei von Konkurrenzdenken oder Missgunst danach zu streben, seine (der Erhaltung und Neuschöpfung durch Gott würdigen) Mitmenschen zu beschützen, zu heilen, trotz ihrer Vorläufigkeit und Defizität von ganzem Herzen zu lieben und ihnen zu vermitteln, dass sie (in all ihrer wunderbar geschaffenen Diversität) wertvoll, ebenbildlich und schön sind, anstatt sie auszugrenzen oder zu verspotten. Eine derartige Erinnerung daran, dass der Mensch trotz all seiner noch unvollendeten Lebensgeschichten und Brüche, Sehnsüchte und Zweifel Gottes Ebenbild ist, das dem Tod nicht letztgültig überantwortet wird, sondern das neuschöpferisch bewahrt bleibt, ist deshalb so relevant, da diese Erkenntnisse aus unserer Alltagswelt nicht abgeleitet werden können1198, in welcher der Mensch dazu neigt, den Wert seiner Mitmenschen (ebenso wie seinen eigenen Wert) zu vergessen und sich einsam, hoffnungslos und heillos verloren zu fühlen. Die Einsicht, dass der Mitmensch als Gottes Geschöpf1199 (in gleicher Weise wie das jeweilige Ich) trotz aller Unzulänglichkeiten eine ganzheitliche Erlösung erfahren wird, weil er der Herrschaft Gottes wie der Rest seiner Schöpfung entgegengeht1200, aber zugleich aufgrund der Auferstehung Jesu (als dem „Eingang der Ewigkeit in die Zeit“1201) bereits von der göttlichen Herrschaft erfasst ist, die schon immer aus der Zukunft Gottes in unsere Gegenwart hineinwirkt1202, mahnt zudem zur Nachsicht miteinander und warnt vor Versuchen, den Mitmenschen seinen eigenen Vorstellungen entsprechend zu formen, statt ihn so zu akzeptieren und sie schätzen, wie er ist. Im Umkehrschluss verbieten sich angesichts der Erkenntnis, dass Gott den Menschen auch nach seinem Tod als eine unveräußerliche Person betrachtet1203, alle (zwischen)menschlichen Handlungen, die zu einer Missachtung der menschlichen Verletzlichkeit und Würde führen oder das Wunder der Existenz jedes Menschen nicht angemessen wertschätzen1204, indem sie zur Objektivierung und zum Missbrauch von Menschen beitragen1205 und – so oder anders – „ein BeVgl. Frettlöh, „Gott ist im Fleische …“, 199. Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 31. 1200 Vgl. Pannenberg, Theologie der Schöpfung und Naturwissenschaft, 41, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 131 f. 1201 Kiauka, Zeit und Theologie, 151. In diesen Gedanken spiegelt sich erneut die Vorstellung wider, dass „,[d]urch die Zukunft‘“ (a.a.O., 213, unter Zitation von Pannenberg, Theologie der Schöpfung und Naturwissenschaft, 41) ein Eintritt der Ewigkeit in unsere Zeit erfolgt (vgl. ebd.), wodurch die Herrschaft Gottes „aus der Zukunft in die Gegenwart hineinwirkt“ (Kiauka, Zeit und Theologie, 213 f.), welche dadurch ihre Transzendierung erfährt, da und indem die Menschen hier nun aus ihrer „Endlichkeit und Gebundenheit an den geschichtlichen Kontext“ (ebd.) herausgelöst werden, was sich befreiend auf die Gegenwart auswirkt (vgl. ebd.). 1202 Vgl. Pannenberg, Theologie der Schöpfung und Naturwissenschaft, 41, zitiert nach Kiauka, Zeit und Theologie, 131 f. 1203 Vgl. Körtner, Dogmatik, 647. 1204 Vgl. Krötke, Gottes Klarheiten, 275. 1205 Vgl. Körtner, Dogmatik, 647. 1198

1199

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

475

wusstsein der Nichtigkeit und Überflüssigkeit menschlichen Daseins zum Ausdruck bringen.“1206 Verwiesen sei erneut auf das ganzheitliche Verständnis des Menschen, das insofern auch für den modernen Menschen anknüpfbar ist, als dass es dafür sensibilisiert, dass all jene strafrechtlich verfolgten, wie auch bagatellisierten oder gar belächelten Gräueltaten und Unrechtsmechanismen der Menschheitsgeschichte stets den gesamten Menschen betreffen.1207 Augenfällig tangieren die angedeuteten Vorstellungen von Menschlichkeit eine Vielzahl neu zu durchdenkender (ethischer) Fragen, wie die nach dem konkreten Umgang mit der menschlichen Vergänglichkeit, mit welcher wir uns etwa im Kontext der (eigenen) Alterungsprozesse oder Pflegebedürftigkeit konfrontiert sehen.1208 Orientierung stiften im Umgang mit derartigen Fragen der Herr selbst und jenes Menschsein, das er uns in unserer Zeit und unserer Geschichte vorgelebt hat1209, sowie seine eigenen, selbstverständlich bibelwissenschaftlich zu reflektierenden Lehren, die von einer Einschärfung des „Weltbezuges des Reiches Gottes“1210 und einer kontinuierlichen Erinnerung an die soziale Verantwortung jedes Menschen geprägt sind.1211 Freilich drängt sich angesichts der dargestellten Ansprüche die Erkenntnis auf, dass der Mensch ein solchermaßen gestaltetes Verhalten nur zeigen kann, wenn er sich im Sinne einer „Lebenspraxis der christlichen Hoffnung“1212 auf das 1206

Krötke, Gottes Klarheiten, 275. Wenngleich viele innerweltliche Zustände dem Reich Gottes, wie Jesus es verkündigt, eklatant widersprechen und es daher notwendig machen, dass die Menschen sich entschieden gegen sie auflehnen (vgl. Moltmann, Im Ende, 105), sollte dies doch in dem Wissen geschehen, dass der Mensch nicht dazu in der Lage ist, das Kommen des Gottreiches durch sein Handeln zu beschleunigen oder gar herbeizuzwingen, wie dies etwa die Zeloten zur Zeit Jesu anstrebten. Diese Relativierung des an den Menschen gestellten Anspruchs, die keinesfalls mit einer (zur Resignation und Untätigkeit einladenden) Vergleichgültigung seines Handelns angesichts der Macht des Nichtigen gleichzusetzen ist, sondern ihn vielmehr (im Wissen seiner beschränkten Möglichkeiten) dazu befreit, sein Möglichstes zu tun, ist gerade deshalb relevant, da sie berücksichtigt, dass Menschen sich immer wieder mit Herausforderungen konfrontiert sehen, denen sie sich machtlos ausgeliefert fühlen. Entsprechend erweist es sich als befreiend, dass die Perspektive der begründeten Hoffnung den Menschen nicht in einen unmöglich zu erbringenden Aktivismus treibt, sondern dass sie auch darin wirksam wird, dass sie ihm (ohne dass er zuvor eine Leistung vollbringen muss) in Momenten größten Leides aufrichtet. Im Wissen darum, dass es sich bei dieser Hoffnung nicht um eine unbegründete Vertröstung handelt, die die Macht des Nichtigen in unverhältnismäßiger, dem Leid spottender Weise relativiert, sondern dass sie diese vielmehr konsequent und bis ins Letzte – bis in die Vernichtung des Menschen als dem Äußersten, zu dem sie es treiben mag, – mitbedenkt, kann der Mensch darauf vertrauen und es sich gesagt sein lassen, dass sich seine Situation bessern wird. 1208 Vgl. Heimerl, Der Leib Christi und der Körper des Christen, 181. 1209 Vgl. Joest, Dogmatik II, 640 f. 1210 Achtner, Kunz, u. Walter, Dimensionen, 158. 1211 Vgl. ebd. 1212 Krötke, Gottes Klarheiten, 278. 1207

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Teil III: Eigene Deutung

noch kommende Reich Gottes ausrichtet1213, da dieses ihn dazu befähigt, sich davon zu distanzieren, eine Selbstrechtfertigung des eigenen Lebens anhand vermeintlich positiver Erfolgs- und Erlebnisbilanzen vorzunehmen und selbstbezogen nach einer unerreichbaren Selbstvervollkommnung zu streben. Im Gegenteil ermöglicht es ihm, sein Leben als ein Versprechen zu bejahen und anzunehmen1214 und schon gegenwärtig „ganz und vorbehaltlos ,fleischlich‘ zu leben und zu lieben“1215, was einen Einsatz für den Mitmenschen, die Mitschöpfung und das eigene Dasein impliziert und ermöglicht. Eine so gestaltete Ausrichtung auf das noch kommende Reich Gottes und die damit einhergehende Veränderung der Einstellung des Menschen zu seiner Mitschöpfung macht zweifellos ein begründetes Vertrauen auf ebendieses Reich nötig1216, das aufzubringen dem Menschen nicht immer leichtfällt, da er sich doch noch immer seiner Vergänglichkeit und der Ahnung seines unvermeidbaren Sterbens1217 gegenübergestellt sieht. Beide Aspekte bleiben als lebensbestimmende Konstanten1218 (trotz kontinuierlicher Verdrängung) etwa als subtile Todesangst1219 präsent, überschatten alltägliche Erfahrungen des Lebens1220 und verleiten den Menschen dazu, im vergeblichen Versuch, seinem Leben einen Sinn zuzuschreiben und/oder sich selbst zu vervollkommnen, unbeteiligt durch sein Leben hindurch zu hetzen1221 und seine geschöpfliche Bestimmung zur Liebe und zum Miteinander zu verfehlen.1222 Das geforderte Vertrauen auf die Effektivität eines (mit fremdartig anmutenden, jüdisch-apokalyptischen Motiven dargestellten) Heilshandelns Gottes und auf das endgültige, wenn auch noch nicht allgemein ersichtliche Ende der Todesgeschichte des Nichtigen1223 steht ferner unseren Alltagserfahrungen und den reflektierten, verbreiteten Möglichkeitsimplikationen entgegen1224; so ist die alltäglich erfahrbare Lebenswelt doch geprägt von

1213

Vgl. ebd. Vgl. Werbick, Diess Leben, 229. 1215 Moltmann, Der Weg, 284. 1216 Das Vertrauen auf das kommende Reich Gottes, das den Menschen dazu befreit, sich weiterzuentwickeln und zu verändern, indem er sich für den göttlichen, lebensschaffenden Geist öffnet und seine befreienden, heilenden Kräfte erfährt, thematisiert auch Moltmann, der treffend von einer „Umkehr zur Zukunft“ (Moltmann, Im Anfang, 105) spricht. 1217 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 132. 1218 Vgl. Kiauka, Zeit und Theologie, 120. 1219 Vgl. Moltmann, Das Kommen Gottes, 74. 1220 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 127. 1221 Vgl. Moltmann, Im Anfang, 135. 1222 Das Spannungsverhältnis zwischen dem Auferstehungsglauben des Menschen und seiner (in der Allgegenwärtigkeit des meist verdrängten Todes begründeten) Anfechtung beschrieb bereits Calvin eindringlich: „Uns wird das ewige Leben verheißen – aber uns, den Toten. Man verkündet uns selige Auferstehung – inzwischen sind wir von Verwesung umgeben. Gerechte werden wir genannt – und doch wohnt in uns die Sünde“ (Calvin, In omnes Novi Testamenti Epistolas Comentarii II, 484, zitiert nach Moltmann, Im Anfang, 103). 1223 Vgl. Thomas, „Er ist nicht hier!“, 207. 1224 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie III, 200. 1214

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

477

vollen Gräber und leerer Hoffnung sowie von notwendiger Verwesung und Vergänglichkeit, die die Vorstellung eines schon vollzogenen, göttlichen Heilshandelns in der so unverändert erscheinenden und sich noch in der Konfusion befindlichen Welt Lügen zu strafen scheint.1225 Entsprechend wird der Mensch hier nun dazu herausgefordert, sich von jenen leichter verständlichen und angesichts der vermeintlich unveränderten, zerrütteten Welt auch leichter erträglichen Ursachenzuschreibungen der Grableerfindung zu distanzieren, die nicht auf die schlichte, die „Wahrheit aller Wirklichkeit“1226 artikulierende Erkenntnis „Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat“1227 abzielen. Es verwundert daher nicht, dass das von den Menschen eingeforderte Vertrauen, das sie dazu zwingt, ihre Wahrnehmungen, Empfindungen und Gedanken anzuzweifeln und zu hinterfragen, nicht selten als Torheit verstanden wird und/oder Projektionsverdachte nahelegt. Darüber hinaus fordert es den Menschen auch deshalb heraus, da sein Gegenstand der endzeitlichen Neuschöpfung der Leiblichkeit, die das Verschlungenwerden der irdischen Leiblichkeit impliziert, ihm mit ebendieser das konkret-materiale Substrat seiner eigenen Identität entzieht1228 und ihm so seine (geradezu schmerzlich erfahrbare, allen Bestrebungen einer Selbstvervollkommnung spottende) Abhängigkeit von Gott und dessen Gnade vor Augen führt, die er sich unmöglich durch eigene Verdienste aneignen kann.1229 Bei dem Vertrauen, das die Grableerfindungsperikopen von den Menschen fordern, handelt es sich somit um ein Vertrauen, das aufzubringen nahezu unmöglich scheint. Dies äußert sich nicht selten darin, dass viele Menschen nicht dazu in der Lage sind, das leere Grab als Hinweis auf und als Folge der göttlichen Providenz in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte anzunehmen und sich als solches gesagt sein zu lassen, sondern dass sie sich der besagten Hoffnung mit Verweis auf eigene, vermeintlich plausiblere Konzepte des postmortalen Ergehens verweigern.1230 1225 Joest und von Lüpke bringen die Problematik in eindrücklicher Weise zum Ausdruck, indem sie darauf verweisen, dass es sich bei der Auferstehungshoffnung zweifellos um eine „Hoffnung gegen allen Augenschein, ein ,Hoffen dessen, was wir nicht sehen‘ [handele]“ (Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 254, mit Verweis auf Röm 8,25: „Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf mit Geduld“). 1226 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 88. 1227 Mt 28,6. 1228 Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 926 f. 1229 Ungeachtet dieser Aspekte, die das Vertrauen auf die leibliche Auferstehung erschweren, ist selbstverständlich einzuräumen, dass bereits der Anspruch des Vertrauens per se und ungeachtet seiner jeweiligen Ausformung als herausfordernd empfunden werden kann; sind doch viele Lebensgeschichten von Erfahrungen schmerzlicher Vertrauensbrüche geprägt. Das Fassen echten Vertrauens könnte daher (genau wie ein ehrliches, vorbehaltloses Hoffen) ein Akt wahren Mutes sein. Dies gilt auch in Bezug auf den Tod, auf dessen Vorläufigkeit die untersuchte Hoffnung und das geforderte Vertrauen (mit Verweis auf das benutzte, aber letztlich überwundene Grab Jesu) bezogen sind (vgl. Greshake, Untersuchungen, 249). 1230 Diese Tendenzen spiegeln sich in der lediglich sporadischen Thematisierung des Diskursstranges der Grableerfindung sowie insbesondere auch in jenen Beiträgen innerhalb des

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Teil III: Eigene Deutung

Nichtsdestotrotz ist es dieses Vertrauen, als Vertrauen auf Gott, der sich seinen Geschöpfen als eine suchende Liebe erweist1231, das den Menschen dazu befreit, die in der Rede vom leeren Grab vorfindliche Perspektive der Hoffnung einzunehmen, die Aspekte der Vergänglichkeit und des Sterbens bejahend in sein Leben zu integrieren1232, seine Zukunft hoffnungsvoll zu erwarten, aber sich dennoch – oder vielleicht auch gerade deswegen – nicht mit den je vorfindlichen Zuständen abzufinden oder gar zu versöhnen. Denn wie sollte der Mensch für sich auf etwas hoffen, dem er mit Misstrauen begegnet, da er es in seinem tiefsten Inneren für unmöglich hält, und von dem er entsprechend grundlegend nicht annimmt, dass es sich bereits in und an der Person Jesus ereignet hat? Wie könnte er darauf hoffen, dass die Wirklichkeit sich durch die Auferstehung gewandelt hat, wenn er schon die schiere Möglichkeit, dass die Auferstehungsereignisse die von Menschen wahrnehmbare, geschichtlich verfasste Wirklichkeit auch nur gestreift haben, ablehnt? Letztlich, in den Worten Moltmanns: „Wie aber können wir uns auf dieses Leben mit seinen Konflikten, seinem Glück und seinen Enttäuschungen und Schmerzen wirklich einlassen, wenn wir dieser Liebe zum Leben nicht mehr zutrauen als der vergänglichen Zeit und dem endgültigen Tod?“1233

Angesichts dieser Fragen erweist es sich als beruhigend, dass es keine kognitive Leistung des Menschen oder gar eine willensmäßige Preisgabe der Vernunft ist, die es ihm ermöglicht, das geforderte Vertrauen aufzubringen, sondern dass dieses, wie es in all seiner vermeintlichen Absurdität vom Menschen gefordert wird, in tragfähigen, nachvollziehbaren Erwägungen begründet liegt, auf die hin er in Zeiten der Festigung und in Zeiten des Zweifels freimütig blicken und hoffen darf. Die Tragfähigkeit der Erwägungen resultiert dabei – wie gezeigt – daraus, dass es sich bei der Grableerfindung um ein Ereignis innerhalb der von Menschen wahrnehmbaren Wirklichkeit handelt, aufgrund dessen sie nicht erst widervernünftig und unbegründet darauf vertrauen müssen, dass Jesus der Erfüller der Hoffnung auf eine endzeitliche Totenauferweckung sein möge, sondern das davon zeugt, dass diese erhoffte Erfüllung bereits vollzogen wurde. Daher können

Auferstehungsdiskurses wider, die von den Bestrebungen zeugen, Konzeptionen zu generieren, welche ein göttliches Auferweckungshandeln auch vor dem Hintergrund einer Verwesung des Leichnams Jesu denkbar machen. Die jeweiligen Interpreten scheinen dabei mitunter an den vermeintlich unüberwindbaren Urängsten der Einsamkeit, des Sterbens und der Verwesung festzuhalten, von denen die (in der Grableerfindung grundgelegte) Perspektive der Hoffnung sie befreien möchte. Verwiesen sei ferner erneut auf all jene (wenig differenzierten) Hervorhebungen einer nicht eingehender konkretisierten Funktion des leeren Grabes als ein per se mehrdeutiges, jeden Zweifel zulassendes Zeichen, das im Wesentlichen eine innertextliche Leerstelle bleibt, welche wider besseres Wissen und unter Ausklammerung des eigenen Glaubens nicht mit Inhalt gefüllt wird. 1231 Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 88, unter Zitation von Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 25 f. 1232 Vgl. Moltmann, Der Weg, 284. 1233 Moltmann, Im Ende, 117 f.

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

479

die Menschen den geradezu törichten Gedanken einer ganzheitlichen Auferstehung in Betracht ziehen und auch angesichts voller Gräber die Hoffnung bewahren, dass ihre Gräber einstmals leer sein werden, wie und weil es seines war. Der Mensch beansprucht für sich somit keine eigens konstruierte Jenseitsvorstellung, die er vor Gott trägt und für sich einfordert, sondern das, was sich in Jesus in antizipatorischer Weise bereits ereignet hat. Sein Vertrauen erweist sich als gerechtfertigt und tragfähig, da es sich auf keinen beliebigen Gegenstand oder – hier erneut mit Verweis auf Moltmann – nicht auf „tausend erträumte Möglichkeiten“1234 richtet, sondern auf eine Zukunft, die bereits gegenwärtig war und ist.1235 Dieses Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch, den die Perspektive der Hoffnung an die Glaubenden richtet, und dem Zuspruch, den diese durch sie erfahren, wird auch anhand der Grableerfindungsperikopen deutlich, die am Beispiel der Frauen zeigen, wie der Mensch sich in Situationen des Zweifels und der Anfechtung, der Not und des Abschieds – in Situationen also, in denen vermeintlich alles zu Ende und nichts zu retten ist und er sich ans leere Grab gestellt fühlt – verhalten sollte. Die Frauen sehen sich hier – in einer Situation, in der sie nicht vom Glauben, sondern von Zweifeln, Ängsten und Trauer erfüllt sind – mit der Frage konfrontiert, ob sie auf die Grableerfindungsdeutung der Engel, die auch uns gegeben ist, vertrauen können1236 (beziehungsweise ob sie diese zumindest kognitiv als denkbar beurteilen) oder ob sie die Flucht ergreifen und sich von einer derart kühnen Hoffnung distanzieren. Ihr im Markusevangelium dargestelltes Schweigen und ihre Flucht werden dabei in ihrer pragmatischen Textfunktion als ablehnenswerte Beispiele für die Rezipienten angeführt, die als Warnung in Bezug auf das je eigene, mangelnde Verständnis fungieren sollen, durch die sie lernen, dass ein ängstliches, paralysiertes Verharren keine angemessene Reaktion auf die Verkündigung der Auferstehung sein kann.1237 Dieser Vermittlungsanspruch, der auf die Einsicht abzielt, dass der Mensch unbeirrt und entgegen der allgegenwärtigen Präsenz der Vergänglichkeit in der Welt1238 auf Gott vertrauen soll1239, wird in den Erzählungen allerdings nicht im Modus des Befehls realisiert, den es blindlings auszuführen gilt. Stattdessen wird er anhand der (die Mehrdeutigkeit der Situation auflösenden) Engelsbotschaft plausibilisiert, die als Versprechen dessen fungiert1240, dass der dargestellte Anspruch begründet und gerechtfertigt ist und keine Hoffnung, die der Mensch ihr gegenüber aufbringt, vergeblich sein wird. Der durch die Grableerfindungsperikopen an den Menschen herangetragene Anspruch, sich der Hoffnung auf eine leibliche Auferstehung nicht (in der für die

1234

A.a.O., 97. Vgl. Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 194. 1236 Vgl. Lindemann, Auferstehung, 68. 1237 Vgl. Alkier, Die Realität, 89. 1238 Vgl. Joest u. v. Lüpke, Dogmatik I, 274. 1239 Vgl. Gelder, Ewigkeitserfahrung als Hoffnung, 171. 1240 Vgl. Körtner, Dogmatik, 619. 1235

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Teil III: Eigene Deutung

Menschheit so typischen Weise) zu verweigern und sie mit Verweis auf eigene, vermeintlich allmächtige Erkenntnisbemühungen abzulehnen, sondern diese und auch sich selbst in Frage zu stellen1241, fungiert somit selbst als Befreiungsgeschehen, da der Mensch hier mit der begründeten Vorstellung der ganzheitlichen Auferstehung konfrontiert wird. Die Hoffnung, die der Mensch nun mutig zu schöpfen vermag (– sei es bewegt durch den Heiligen Geist als wahrhaftig-lebensspendende Hoffnung, in der die eigene Auferstehung bereits erahnt werden kann1242, sei es zögerlich, aufgrund der logisch-analytischen Sinnhaftigkeit der dargestellten Konzepte –) befreit den Menschen wiederum dazu, sich auf die Welt einzulassen und in ihr für Gerechtigkeit und Liebe einzustehen. Hierin beginnt sich die Auferstehungshoffnung bereits in der von Menschen wahrnehmbaren Zeit zu verwirklichen, weil das Spüren und Teilen von wahrer Liebe per se bereits ein Protestakt gegen das Nichtige und somit eine Hoffnungstat ist, die dazu führt, dass der Mensch dem Gegenstand seiner Liebe seine Zerstörbarkeit abspricht.1243 Wenn der Mensch sich (auch in Zeiten des Zweifels und der Unruhe, in denen er sich einmal mehr ans leere Grab gestellt sieht) auf die Perspektive der Hoffnung einlässt und die Vorstellung der Auferstehung (zögerlich) bejaht und bezeugt, … indem er sich von den problematisierten, die eigenen Hoffnungen schmälernden Vorstellungen (wie der des Leichenraubes) distanziert, mit denen er immer wieder konfrontieren wird und die so oft tragfähiger erscheinen als die eigene Hoffnung, … indem er – sei es aufgrund eines ihn beflügelnden Glaubens oder im Moment größter Verzweiflung, in dem die Hoffnung keiner tiefgreifenden Überzeugung, sondern einer kognitiven Erwägung entspricht – beginnt, zuversichtlich in die Zukunft zu schauen, … indem er versucht, den Anforderungen, die durch die Perspektive der Hoffnung an ihn gestellt werden, auch in Momenten des Zweifels bestmöglich zu entsprechen, … dann bildet sich in all diesen Handlungen, Entscheidungen und Geschehnissen bereits in der Welt die Vorläufigkeit des Todes und die Relevanz der (durch das leere Grab nahegelegten) Hoffnung ab, die sich in ihrer Wirksamkeit und Geltung keinesfalls in einer vermeintlichen Vertröstung auf eine bessere postmortale Existenz erschöpft. In anderen Worten: Bereits in der von Menschen wahrnehmbaren und durchlebten Geschichte in all ihrer Gebrochenheit und Mehrdeutigkeit wird die (im ewigen Gott begründete) Hoffnung auf Gemeinschaft, Liebe und Vollendung wirksam. Wirksam wird sie genau hier, in dieser uns umgebenden Zeit, Geschichte und Wirklichkeit, in der Menschen sich der kognitiven Dissonanz aussetzen, die die Grableerfindung erzeugt, und in der sie beginnen, den neutesta-

1241

Vgl. Burmeister, Auferstehung in die Nachfolge, 111. Moltmann, Der Weg, 264. 1243 Vgl. Greshake, Untersuchungen, 316.

1242

III.3 Versuch einer systematisch-theologischen Interpretation

481

mentlichen Erklärungsansatz zögerlich und kritisch zu beleuchten und vielleicht sogar in Betracht zu ziehen. Wirksam wird sie, wo Menschen beginnen, eine (vermeintlich) leere Grabstätte – als einen per se beliebigen und banalen Ort innerhalb der Menschheitsgeschichte – als das leere Grab zu bezeichnen und zu verkündigen. Wirksam wird sie, indem Menschen es wagen, den Gedanken der ganzheitlichen Auferstehung neu zu durchdenken, sich selbst und ihre Mitschöpfung aus einer veränderten Perspektive zu sehen und wertzuschätzen. Wirksam wird sie, wenn und indem der Mensch beginnt, sich gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung, Leid und Zerstörung im Großen und im Kleinen aufzulehnen. Wirksam wird sie, indem sie Menschen zum Aufstehen und zum Durchhalten und zur Liebe befreit. Reflektieren wir diese Erkenntnisse, so zeigt sich, dass unsere logisch-analytischen Einsichten in Bezug auf die Auferstehung Jesu, die keine schiere Rückgängigmachung seines Todes beschreiben, sondern die „differenzierende Überwindung der Todesmacht an der Stelle [des Grabes], die den scheinbar lokalen, aber dennoch definitiven Sieg des Todes über diese[s] Leben dokumentiert“1244, in Aussicht stellen, eine aus der Auferstehung resultierende Hoffnung darauf umfassen, dass die Menschen eine Erlösung und Vollendung erfahren werden, welche sie eigenmächtig (durch ihren Lebenswandel oder durch eine vermeintliche Seelenunsterblichkeit) nicht erlangen können.1245 Wie wir sahen, tangieren diese Überlegungen jedoch nicht nur den Tod, den wir schon im Leben viel zu oft erfahren müssen, sondern das gesamte Leben des Menschen, weshalb sie erhebliche Auswirkungen auf seine Welt- und Wirklichkeitswahrnehmungen nehmen können. Die geschichtswissenschaftliche Untersuchung sowie die aus ihr hervorgehende Erkenntnis des höchstwahrscheinlich leeren Zustandes des Grabes erweisen sich somit als relevant, weil sie (angesichts der im zugrundeliegenden Deutungshorizont verankerten Untrennbarkeit der Auferstehung von dem Entzogenwerden des Leichnams) zur kognitiven Bestätigung der Auferstehungshoffnung dienen können. Außerdem unterstreichen sie, dass es sich bei ebendieser nicht nur um eine Spekulation in Bezug auf das postmortale Ergehen des Menschen1246 oder gar um eine Projektion (allgemein)menschlicher Selbstverewigungsinteressen handelt, sondern um die Artikulation eines durch Gott initiierten, alle Widersprüche durchbrechenden Versöhnungsgeschehens1247, das eine Wirklichkeit aufweist, die über die Empfindungen des Gläubigen hinausreicht.1248

1244

Thomas, „Er ist nicht hier!“, 215. Vgl. Kremer, Auferstehung der Toten, 19. 1246 Vgl. Moltmann, Das Kommen Gottes, 83. 1247 Vgl. Weinrich, Auferstehung, 132. 1248 Vgl. Härle, Doppelte Gefahr, 14.

1245

482

Teil III: Eigene Deutung

Sie ermöglicht es, (als Rückseite der dargestellten logisch-analytischen Erkenntnis,) eine Perspektive der begründeten Hoffnung zu eröffnen, deren Begründetheit daraus erwächst, dass sie auf einem Ereignis fußt, das als unlängst geschehen verkündet wird1249, und die das Verhalten des Menschen gegenüber seiner Welt ferner in entscheidender Weise prägen kann.1250 Die Annahme, von einer geschichtswissenschaftlichen Rückfrage nach den Auferstehungsereignissen und insbesondere nach der Grableerfindung könne man sich getrost distanzieren, ist somit nicht haltbar, da relevante und in meinen Augen unersetzliche Bedeutungspotenziale der Rede von der Auferstehung – wie etwa das der ganzheitlichen Wertschätzung des leiblich verfassten Menschen – nur durch sie entfaltet werden können. An der Notwendigkeit einer geschichtswissenschaftlichen Betrachtung ist daher in gleicher Weise festzuhalten wie an der Darstellung und Erläuterung ihres Ergebnisses – der Bejahung des leeren Zustandes des Grabes – da hier in Bezug auf die Auferstehungsverkündigung ein enormes, größtenteils ungenutztes Potenzial schlummert, das für jene „Suchbewegung des Glaubens“1251 richtungsweisend sein kann, die auf existentielle und auch zukunftsrelevante Fragen des menschlichen Lebens abzielt.1252 Dies gilt auch angesichts dessen, dass ein derartiges Festhalten an der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage verbreiteten Tendenzen im gegenwärtigen Diskurs entgegensteht und dass es aufgrund dessen, dass die Rede von der leiblichen Auferstehung den aufklärerisch-rationalistischen Denkformen fremd ist1253, immer neue Artikulationsversuche erforderlich macht. Diese können bei der Klärung des christlichen Verständnisses der leiblichen Auferstehung ansetzen und vor diesem Hintergrund erläutern, inwiefern es sich bei einer Berufung auf das Leersein des Grabes nicht um einen Verweis auf die Verfassung eines beliebigen Ort in einem beliebigen Land vor über 2000 Jahren handelt, sondern um eine existentiell bedeutsame Bezeugung.

1249

Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 404. Der Gedanke, dass die dargestellte Hoffnung es den Menschen ermöglicht, sich und die Welt nicht aufzugeben, sondern sich gegen ihre erkennbaren Missstände zu erheben, findet sich auch bei Moltmann, der hervorhebt, dass es ermutigend sei, dass eine Kapitulation angesichts der gegebenen Verhältnisse unserer Mitschöpfung ausgehend von einer Auferstehungshoffnung nicht notwendig sei, da ebendiese den Menschen dazu motiviere, „sich nicht der Traurigkeit hinzugeben, sondern im Protest aufrecht zu bleiben“ (Moltmann, Im Ende, 103). Dies zeugt ebenfalls davon, dass es sich bei der Hoffnung auf die Auferstehung nicht um eine billige und folgenlose Vertröstung des Menschen handelt. 1251 Wiefel-Jenner, Die Ewigkeit ist nicht Nichts, 162. 1252 Vgl. ebd. 1253 Moltmann, Im Ende, 178. 1250

III.4 Das leere Grab Jesu als Leerstelle und Lehrstelle

483

III.4 Das [leere] Grab Jesu als Leerstelle und Lehrstelle: Chancen und Herausforderungen der Rede vom leeren Grab „Grab, das leere, eschatol.: Ort der Hoffnung.“

Vergegenwärtigen wir uns den Aufbau der vorangestellten Darstellungen, so sehen wir, dass in den ersten beiden Teilen die neutestamentlichen Bezeugungen der Leerfindung des Grabes Jesu sowie einige systematisch-theologische Deutungen dieser Erzählungen dargestellt wurden, die sich mitunter nicht nur in ihren Detaillierungen, sondern auch hinsichtlich der ihnen zugrunde gelegten Prämissen enorm voneinander unterschieden. Erkennbar wurde insbesondere die längst bekannte, aber im Diskurs noch immer nicht ausreichend berücksichtigte, erhebliche Einflussnahme der Historizitäts- und Realitätsvorstellungen der jeweiligen Interpreten auf ihre Grableerfindungsdeutungen, welche sich in ihren stark voneinander abweichenden Verständnissen der Kategorien der Geschichte, des Ereignisses, der Zeit, der Ewigkeit und der geschichtlichen Verortbarkeit von Ereignissen sowie in der Relevanz zeigt, die sie diesen in Bezug auf eine Zuschreibung von Wirklichkeit zusprechen. Ihre jeweiligen Historizitäts- und Realitätsvorstellungen scheinen dabei in vielen Fällen in geteilten, nicht dezidiert theologischen, in ihrer jeweiligen Kultur verbreiteten Rationalitäten begründet zu liegen, die den unsachgemäßen Anspruch erheben, Auskunft darüber geben zu können, unter welchen Bedingungen man Geschehnissen Wirklichkeit und Wahrheit zuschreiben kann. Dass verbreitete Rationalitäten stets zeitgeschichtlich gewachsen und von politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und soziologischen Faktoren abhängig sind und dass sie sich als höchst wandlungsfähig erweisen und keineswegs alternativlos sind, bleibt hier meist unberücksichtigt. Dies führt zu ihrer oft unreflektierten Übernahme, die von einer kritischen Untersuchung ihrer Geltungsbereiche und Grenzen sowie ihrer Stärken und Schwächen absieht und stattdessen zu anmaßenden Pauschalurteilen führt, die nicht selten darauf abzielen, zu postulieren, welche Vorstellungen für den modernen Menschen (nicht länger) anknüpfungsfähig seien. Im Anschluss an die Darstellung und Reflexion der verschiedensten Konzeptionen, welche die Vielseitigkeit der Grableerfindungsthematik als eines Stranges des Auferstehungsdiskurses deutlich machen, erfolgte eine Ableitung diskursbestimmender Tendenzen. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde der bereits in der Hinführung skizzierte Relevanzverlust der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage nach einem Geschichtsbezug der Auferstehung im Allgemeinen sowie nach dem empirischen Zustand des Grabes Jesu im Speziellen erkennbar, welcher nicht primär oder überhaupt theologisch begründet ist, sondern vermutlich ebenfalls auf die Ausbreitung der analytischen Rationalität zurückzuführen ist.1254 Die

1254

Vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320.

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Teil III: Eigene Deutung

durch ebendiese angestoßene, umfassende Verwandlung verbreiteter Weltbilder und -deutungen ging mit einer ähnlich umfassenden Veränderung des Geschichtsverständnisses des modernen, abendländischen Menschen einher1255, da die in ihr verankerten Möglichkeitsprämissen ein Verständnis der Auferstehung als geschichtliches Ereignis sensu Pannenberg kategorial ausschließen, was eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage wiederum bedeutungslos erscheinen lässt. Als weitere Begründung für den Relevanzverlust der geschichtswissenschaftlichen Rückfrage ist die Loslösung vieler Interpreten von der Vorstellung der Verbindlichkeit des (etwa nach Ansicht Bultmanns für den modernen Menschen nicht länger nachvollziehbaren) jüdisch-apokalyptischen Deutungsrahmens zu benennen, der zur Darstellung der Erfahrungen der frühen Christen herangezogen wurde und die Notwendigkeit des empirisch leeren Zustandes des Grabes behauptet. In unübersehbarem Kontrast zu diesen Tendenzen sowie zu der verbreiteten Deutung des leeren Grabes als Zeichen der/für die Auferstehung erfolgte im dritten Teil der Versuch einer eigenen Annäherung an die Grableerfindung. Um eine möglichst große Klarheit in Bezug auf das Vorgehen und die zugrunde liegenden Prämissen zu ermöglichen, wurden meine Darstellungen durch eine Vorverständigung eingeleitet, in der die vorausgesetzten Historizitäts- und Realitätsvorstellungen dargelegt wurden. Des Weiteren wurde erörtert, inwiefern eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage nach den Auferstehungsereignissen prinzipiell sinnvoll sein kann, wie sie durchzuführen ist und welche Erkenntnisse ausgehend von ihr gewonnen werden könnten. Aus der anschließenden geschichtswissenschaftlichen Rückfrage konnte durch Abwägen diverser Einzelentscheidungen und durch das Treffen vielfältiger Tendenzurteile die Erkenntnis erlangt werden, dass die verschiedenen, der geschichtswissenschaftlichen Untersuchung zugänglichen Befunde – sofern man sie analysiert, ohne die Möglichkeit des Geschehenseins ihres Bezugsgeschehens grundsätzlich abzulehnen – darauf hindeuten, dass sämtliche gegen eine Wirklichkeit1256 der Auferstehung Jesu ins Feld geführte Argumente aus exegetischer Perspektive keineswegs zwingend sind.1257 Vielmehr legen sie nahe, dass das Leersein des Grabes geschichtswissenschaftlich nicht plausibel ausgeschlossen werden kann, sondern dass – im Gegenteil – viele Argumente für die Annahme seiner innergeschichtlichen Verankerung sprechen. Wenngleich zweifelsfrei unterstrichen wurde, dass aus der Zuschreibung der potenziellen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit des Leerseins des Grabes keine Notwendigkeit abgeleitet werden kann, so sei doch auch darauf verwiesen, dass es nicht angemessen sein kann, auf eine Thematisierung dieses Untersuchungsergebnisses gänzlich zu verzichten, wie dies im Diskurs nur allzu oft der Fall ist. 1255

Vgl. Joest, Dogmatik II, 619. Vgl. Wilckens, Theologie I/I, 28. Die Wendung der Wirklichkeit zielt auf die Beschreibung einer (leiblichen) Auferstehung in der von den Menschen wahrnehmbaren Geschichte im Sinne der Überlegungen der unmittelbar voranstellten Kapitel. 1257 Vgl. ebd. 1256

III.4 Das leere Grab Jesu als Leerstelle und Lehrstelle

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Stattdessen erfolgte eine systematisch-theologische Untersuchung potenzieller Ursachen des leeren Zustandes des Grabes. In mehreren Argumentationsgängen wurde herausgestellt, dass und inwiefern das leere Grab als Resultat eines (für die Schöpfung und ihre Zukunft relevanten1258, sich in sie und insbesondere in die von Menschen raumzeitlich erfahrene Wirklichkeit hinein vermittelnden1259) göttlichen Handelns am verstorbenen Jesus bezeichnet werden kann, das – ausgehend vom untersuchten Horizont – als notwendig zur Auferstehung eines Menschen zugehörig zu begreifen ist und somit nicht nur als narrative Rahmung fungiert, die vom Sinngehalt der Auferstehungsverkündigung zu trennen wäre. Abschließend folgte eine Reflexion der dargestellten Ergebnisse sowie insbesondere auch des (aus ihnen zu erlangenden) Erkenntnisgewinnes, die auf verschiedenen Ebenen der menschlichen Wirklichkeitserfahrung vollzogen wurde. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden vielfältige Potenziale erkennbar, die die Rede von der Grableerfindung im Allgemeinen sowie ihren Gegenstand im Besonderen kennzeichnen. Zu diesen zählte die mögliche Nutzbarmachung der Vorstellung der Grableerfindung sowie ihrer Darstellungen innerhalb der Evangelien als hermeneutischer Schlüssel, der zu einem vertieften Verständnis der Auferstehungsereignisse und der (über diese hinausreichenden) Kernelemente des christlichen Glaubens beitragen kann. Wir denken ferner an die sich eröffnende Möglichkeit der kognitiven Bestätigung eines bestehenden Glaubens durch die Betrachtung des empirischen Zustandes des leeren Grabes aus der Perspektive des Glaubens. Zuletzt sei noch einmal auf die Perspektive der begründeten Hoffnung verwiesen, die ausgehend von der Grableerfindung gewonnen werden kann und es nicht nur vermag, den Blick des Menschen auf sich selbst und auf seine Mitschöpfung zu verändern1260 und ihn in herausfordernden Situationen aufzurichten, sondern die den Menschen auch zu konkreten Verhaltensänderungen anregen kann, was im Zusammenhang mit ethischen Problemstellungen an Relevanz gewinnt.1261 Die Fragen nach den Grableerfindungsperikopen, nach ihrer Relevanz und ihrem Geschichtsbezug werden somit mit Verweis darauf beantwortet, dass das neutestamentlich bezeugte Ereignis der Grableerwerdung als eine Verankerung der Auferstehungsereignisse in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte zu verstehen ist, die sowohl hinsichtlich der individuellen Lebensführung des

1258

Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 64 f. Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 88. 1260 Vgl. Körtner, Dogmatik, 646. 1261 An diesem Beispiel wird deutlich, dass es sich bei den Grableerfindungsperikopen keineswegs um anstößige, aber letztlich doch belanglose Darstellungen handelt, deren Existenz der Gläubige sich allenfalls „gefallen lassen“ (Dalferth, Volles Grab, 298) kann, sondern um Erzählungen, die ein enormes Erschließungspotenzial aufweisen, die sich als höchst bereichernd erweisen können und die der Mensch sich daher ebenso gesagt sein lassen kann, soll und darf, wie ihren zentralen Inhalt, der in der Aussage „Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat“ (Mt 28,6) besteht. 1259

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Gläubigen als auch im Gesamtzusammenhang des christlichen Glaubens von Relevanz ist, was ihre sporadische Thematisierung fragwürdig werden lässt. Ersichtlich wurde in der Auseinandersetzung mit dem Geschichtsbezug der Grableerfindung allerdings auch, dass dieser doch immer vor dem Hintergrund dessen zu beurteilen ist, dass die zeitlich und geschichtlich verfasste Wirklichkeit des Menschen durch das Wirken Gottes in und an Jesus bereits in die Ewigkeit Gottes hineinverschlungen wurde, welcher den Menschen und seine Mitschöpfung in seine Ewigkeit integriert und dies auch schon immer tat.1262 Nahegelegt wird hierdurch eine Neubestimmung der Begriffe der Zeit, der Wirklichkeit, der Ewigkeit und der Geschichte, die sich nicht in den hier vorrangig untersuchten Dimensionen des von Menschen Wahrnehmbaren erschöpfen kann und die zur Bewusstmachung der Begrenztheit der Ergebnisse der eigenen Erkenntnisbemühungen mahnt.1263 Die notwendige Rückfrage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung, die auf die Ermittlung ihres Verhältnisses zu der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte abzielt, ist daher stets unter Berücksichtigung dessen zu vollziehen, dass die Geschichte als solche durch die (in ihr verorteten) Auferstehungsereignisse neubestimmt wird und dass es sich bei dem festgestellten Geschichtsbezug somit nie nur um einen konkreten Punkt in der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte handelt, sondern immer auch um einen konkreten Punkt der von Menschen wahrnehmbaren Geschichte, der aus ihr – wie das leere Grab abbildet – herausgenommen und in die Ewigkeit Gottes hineinverschlungen wird, welche er wiederum – wie anhand der Wundmale der Auferstehungsleiblichkeit Jesu gezeigt wurde – prägt.1264 Aus diesen Gedanken folgt, dass die Thematisierung der Auferstehungsereignisse trotz ihres herausgestellten Geschichtsbezuges nicht anhand (zeitlich) distanzierter, berichtartiger Auseinandersetzungen erfolgen kann, wie dies in Bezug auf sonstige, abgeschlossen-vergangene Ereignisse des Öfteren geschieht. 1262

Vgl. Ringleben, Der lebendige Gott, 544 u. Kleffmann, Grundriß, 242. Ein derartiges Bewusstsein der Begrenztheit der eigenen Erkenntnisbemühungen kann bereits in der Wahrnehmung der massiven Prägung der eigenen Untersuchungsergebnisse durch die ihnen zugrundeliegenden Historizitäts- und Realitätsvorstellungen bestehen, in welcher sich die Grundeinsicht der perspektivischen Brechung jeder Wirklichkeitswahrnehmung widerspiegelt. 1264 Der Beantwortung der Frage nach dem Geschichtsbezug der Auferstehung konnte sich anhand der dargestellten Ausführungen nur vorläufig angenähert werden. Sie regt zu weiterführenden Untersuchungen an, die auch den hier nicht explizit untersuchten Aspekt der Christuserscheinungen einbeziehen sollten. Verwiesen sei (in Ergänzung zu den dargestellten Ansätzen) lediglich auf eine Einschätzung Ringlebens, in der sich auch die hier präsentierten Ergebnisse wiederfinden: „Die Frage nach der Historizität der Auferstehung muss also mit der differenzierten Formulierung beantwortet werden, dass es […] nicht um einen ,der menschlichen Geschichte in Raum und Zeit gänzlich transzendenten Sachverhalt‘ geht, sondern dass die Auferstehung als ein Ereignis des Übergangs von der bekannten irdischen Welt in ein neues und unvergängliches Leben bei Gott sich als dieses Ereignis selbst auch in dieser Welt und so an ihr vollzogen hat“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 87, unter Zitation von Pannenberg, Systematische Theologie II, 402). 1263

III.4 Das leere Grab Jesu als Leerstelle und Lehrstelle

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Stattdessen sind sie im Sinne Ringlebens als erinnernde Hoffnungen zu verstehen, was eine grundlegende Berücksichtigung des (in ihnen vorfindlichen) Wechselverhältnisses von Zeit und Ewigkeit notwendig macht.1265 Wenden wir unseren Blick dementsprechend nach vorne, so sei abschließend ein hoffnungsvoller Ausblick auf die Chancen und Möglichkeiten gewagt, die sich aus dem erlangten Erkenntnisgewinn ergeben. Mehrfach klingt in diesem Buch an, dass die wirklichkeitserschließenden Potenziale, die aus den Grableerfindungsperikopen gewonnen werden können, es ermöglichen, dem (innerhalb des Christentums verbreiteten) „Sprachverlust der Hoffnung“1266 zu begegnen, der unter anderem aus der verbreiteten Leugnung der leiblichen Dimension der Auferstehung und aus der Fokussierung des Glaubens auf eine „schlechthin verborgene Ewigkeit“1267 resultieren kann, da diese dazu führen, dass nicht länger aussagbar ist, woran eigentlich geglaubt wird, wodurch der Glaube wiederum zu einer „inneren, unaussprechlichen […] Gewissheit der göttlichen Liebe [wird].“1268 Eine Bezeugung des leeren Grabes stellt hier aufgrund der dargestellten Potenziale – allen voran aufgrund seiner Qualität als hermeneutischer Schlüssel – eine geeignete Alternative dar1269, die es den Glaubenden ermöglicht, ein tragfähiges, konkretes, verständliches, den Darstellungen der ersten Zeugen entsprechendes und klar abgrenzbares Verständnis der freilich höchst interpretationsbedürftigen, weil abstrakten1270 Auferstehungsereignisse zu konstruieren, das den Eintritt in einen fruchtbaren Dialog erleichtert und zu einem Gewinn an Sprachfähigkeit und Diskursmündigkeit beiträgt.1271 Die thematisierten, konkreten 1265

Vgl. Moltmann, Theologie der Hoffnung, 171. Eckstein u. Welker, Einleitung, XI. 1267 Etzelmüller, Ich lebe, 226. 1268 Ebd. Exemplarisch sei auf die Thesen Fischers verwiesen, der darauf hinweist, dass die sprachliche Wendung der Auferstehung in unmittelbarer Zukunft nicht weiterführend wäre, da sie zu stark auf die postmortale Transformation der Leiblichkeit des Verstorbenen fokussiert wäre. Daher wäre stattdessen das Wesen der Auferstehung hervorzuheben, das unter anderem darin bestehe, dass sie ein Leben ermögliche, welches „zur Liebe befreit ist“ (Fischer, Der Auferstehungsglaube, 106). Dass eine derartige Darstellung der Auferstehung äußerst vage ist und wesentliche Aspekte gerade nicht beinhaltet, dürfte offenkundig sein. 1269 Vgl. Vorholt, Osterevangelium, 28, mit Verweis auf Ratzinger, Jesus von Nazareth I/II, 279. 1270 Vgl. Wintzer, Auferstehung III, 544. 1271 Die Suche nach derartigen Sprachformen, wie die von der leiblichen Auferstehung, die sich dazu eignen, die christlichen Auferstehungsvorstellungen zu verbalisieren, setzt jedoch ein grundlegendes Interesse am Dialog und einen Willen zur verständlichen Artikulation der dargestellten, urchristlichen Vorstellungen voraus. Wo diese nicht gegeben sind, wird – wie gezeigt – nicht selten auf eine vermeintliche Unmöglichkeit der Repristinierung der besagten Sprachformen aufgrund der Prägung des modernen Menschen durch die rationalistischneuzeitliche Rationalität verwiesen (vgl. Klumbies, Rivalisierende Rationalitäten, 320), was die derart argumentierenden Diskursteilnehmer pauschal von ihrer eigentlichen Verpflichtung befreit, sich zum biblischen Befund und zu seinen Aussagegehalten zu verhalten und diese sowie die sie konstruierende Auferstehungsbotschaft zu bezeugen. 1266

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Sprach- und Denkformen der christlichen Hoffnung, die durch das leere Grab gewonnen werden können, sind dabei von geläufigen Fehlkonzepten (wie dem eines nicht ganzheitlichen, sondern lediglich die Seele tangierenden Auferstehungsverständnisses als „stark verdünnte Konzeption eines letztlich unklaren Weiterlebens“1272) klar abgrenzbar. Ausgehend von ihnen können die (aus dem gesamtgesellschaftlichen Bewusstsein weitgehend zurückgedrängten) Hoffnungen auf eine universale Durchsetzung des Gottesreiches1273, auf eine neue Schöpfung und auf die „Vernichtung des Todes“1274 von Neuem dargestellt und verbreitet werden, die (entgegen der allgemeinen, das Leben einschränkenden Todesfurcht vieler Menschen) Mut machen und zum aktiven Einsatz für den Nächsten, die Mitschöpfung und sich selbst motivieren. Dies ist gerade deshalb bedeutsam, da die christliche Auferstehungshoffnung zunehmend durch verschiedene Hoffnungen auf ein individuelles postmortales Überdauern und Fortexistieren überzeichnet wird1275, die oft äußerst spekulativ sind und keinen notwendigen Bezug zum christlichen Glauben und zu seinen Grundsätzen aufweisen.1276 An Relevanz gewinnt das Anliegen der klaren Profilierung und Artikulation der christlichen Hoffnung zudem angesichts der verbreiteten Säkularisierungsund Individualisierungsprozesse (in Bezug auf die Religionen)1277, die mitunter zur vollkommenen Distanzierung von der (voller weltanschaulich motivierter Skepsis betrachteten)1278 Hoffnung auf eine (leibliche) Auferstehung führen. Ferner bleibt zu bedenken, dass viele Menschen dazu tendieren, den Tod weitestgehend zu verdrängen, und in einer einseitigen Fokussierung auf das diesseitige Leben1279 versuchen, ebendiesem als Lenker ihres je eignen Schicksals einen Sinn zu geben.1280 Als wie gewinnbringend sich die Rede vom leeren Grab in Bezug auf eine Artikulation des christlichen Glaubens erweisen kann, wurde sowohl in schulunterrichtlichen Zusammenhängen als auch im Kontext der universitären Lehre erlebt. Hier wurde erkennbar, dass die Grableerfindung sich nicht nur dazu eignet, Grundsätze des christlichen Auferstehungsglaubens im Zusammenhang mit seinem Entstehungskontext verständlich zu machen, sondern dass sie auch das Interesse von Menschen, die sich nicht als Christen oder auch nur als religiös bezeichnen würden, weckt, indem diese mit der Plausibilität der (in der von Menschen wahrnehmbaren Welt zu verortenden) Verankerung der Grableerfindung

1272

Greschat, Teilweise auferstehen, 57. Vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 227. 1274 Klappert, Diskussion, 254. 1275 Vgl. Etzelmüller, Ich lebe, 227. 1276 Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 90. 1277 Vgl. Hempelmann, Jenseits ohne Gott, 28. 1278 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II, 394. 1279 Kramer, Zeit und Ewigkeit, 119. 1280 Vgl. a.a.O., 110. 1273

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und mit der (von vielen Theologen als Schwäche empfundenen) Mehrdeutigkeit dieses Befundes konfrontiert werden. Letztere nötigt sie dazu, verschiedene Erklärungen – und somit eben auch die neutestamentlichen Ansätze – zu reflektieren. Insbesondere im schulischen Kontext erwies sich ein derartiges Vorgehen, welches der elementaren Aufgabe der christlichen Theologie dient1281, auch jenen Personen, die den Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens nicht anerkennen (können), darzustellen, wie christliche Weltdeutungsversuche aussehen können1282, als bereichernd. Das Interesse der Schüler an den dargestellten Inhalten begründeten sie im Übrigen nicht selten darin, dass diese sich hinsichtlich zeitloser Menschheitsfragen1283 und elementarer menschlicher Erfahrungen und Befindlichkeiten – wie der der allgegenwärtigen „Angst vor Sinnleere und Sinnverlust“1284 – als anknüpfungsfähig erweisen. Die zu Beginn dargestellte Anfrage Kittels, ob die gleichnishaft-metaphorische Sprache der Bibel auch heutzutage und angesichts des naturwissenschaftlich geprägten Denkens des modernen Menschen noch verständlich sei1285, kann somit – nicht nur anhand dieser eigenen Erprobungen, sondern auch ausgehend von den weiteren, in den vorherigen Kapiteln dargestellten Erkenntnissen – eindringlich bejaht werden.1286 Die Grableerfindungsperikopen und ihr Gegenstand verdienen es somit (entgegen aller Kritik), in vielfältiger Weise nutzbar gemacht und insbesondere zur Begegnung von Problemen und Herausforderungen herangezogen zu werden, die den modernen Menschen betreffen. Dieses Potenzial wird auch durch die Erkenntnis, dass die betreffenden Perikopen zweifellos einige komplexe und mitunter missverständliche Sprach- und Denkformen aufweisen, die eine eingehendere Auseinandersetzung erforderlich machen, nicht relativiert oder gar in Zweifel gezogen. Folglich kann es keineswegs angemessen sein, ihre Relevanz und ihr wirklichkeitserschließendes Potenzial aufgrund ihrer Komplexität und Erläuterungsbedürftigkeit zu relativieren, zumal die Auseinandersetzung mit ihrem Gegenstand sich bereits für die ersten Christen durchaus als herausfordernd erwies

1281

Vgl. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 96. Vgl. Alkier, Die Realität, 236 u. Fischer, Der Auferstehungsglaube, 96. 1283 Vgl. Lohfink, Was kommt nach dem Tod?, 209. 1284 Pannenberg, Philosophie Religion Offenbarung, 101. 1285 Kittel, Das leere Grab als Zeichen, 479. 1286 Die unterrichtliche Auseinandersetzung mit den thematisierten Inhalten legt aufgrund dessen, dass viele Schüler die dargestellten Aspekte – sofern sie ihnen in didaktisch sinnvoller Weise präsentiert und bei Bedarf eingehender erläutert werden – nachvollziehen können, die These nah, dass die Rede von der Auferstehung des Fleisches primär deshalb für den modernen Menschen so schwer zugänglich ist, da sie meist lediglich sporadisch thematisiert wird und daher an nur wenig Vorwissen angeknüpft werden kann, was jede Auseinandersetzung mit einem neuen Thema (ganz ungeachtet des Gegenstandes!) erheblich erschwert. Die im Diskurs nicht selten vorfindliche Behauptung, dass die Grableerfindung und die mit ihr zusammenhängenden Fragen nur schwer nachzuvollziehen seien, erscheint entsprechend per se nicht haltbar, was jedoch freilich zu prüfen wäre. 1282

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und eine differenzierte Thematisierung notwendig machte. Vielmehr drängt sich angesichts der dargestellten Potenziale das Bedürfnis auf, die Vorstellung der leiblichen Auferstehung mitsamt der sich aus ihr ergebenden Potenziale hinsichtlich der menschlichen Wirklichkeitserschließung zurückzuerobern. Dies könnte dazu beitragen, elementare Wahrheiten und Erkenntnisse hinsichtlich der menschlichen Konstitution zu eröffnen, die auf anderem Wege nicht oder nicht in der gleichen Weise reflektiert werden könnten. Der Christ – und insbesondere der Theologe – ist hier dazu aufgefordert, an der Thematisierung und an der Relevanz der Grableerfindung(sperikopen) festzuhalten, wenngleich dies als herausfordernd erlebt wird1287 und immer wieder zur Auseinandersetzung mit der stets neu zu artikulierenden, eigenen Auferstehungshoffnung zwingt, die – ihrem Charakter als Ärgernis entsprechend – sämtlichen Fehldeutungen ausgesetzt ist und bleibt.1288 Dass wir uns diesen Anforderungen stellen, hält wiederum das Bewusstsein dafür wach, dass die christliche Verkündigung nicht zwangsläufig den verbreiteten Erwartungen und Vorstellungen (einer bestimmten Kultur) entspricht, sondern immer wieder auch als anstößig, herausfordernd und sogar ärgerlich erlebt wurde und wird. Entsprechend kann es nicht gerechtfertigt sein, Aspekte des christlichen (Auferstehungs)glaubens, die nicht unmittelbar verständlich sind oder zeitgenössischen, immer nur vorläufigen Trends nicht entsprechen, in ihrer Relevanz zu relativieren oder in der Verkündigung völlig unberücksichtigt zu lassen, wie dies im gegenwärtigen Diskurs oft der Fall ist. Die argumentationslogisch nicht nachvollziehbare Selbstverständlichkeit, mit der hier an der häufig problematisierten Deutung des leeren Grabes als Zeichen der/für die Auferstehung festgehalten wird, gilt es in jedem Fall zu überdenken. Die Rede vom leeren Grab, die uns in Ansätzen dazu befähigen könnte, der verbreiteten Sprachlosigkeit in Bezug auf unsere christliche Botschaft zu begegnen und ihre heilenden und helfenden Potenziale neu zu erschließen1289, ermutigt

1287 Der Umstand, dass die Grableerfindung immer wieder dazu zwingt, die Auferstehungshoffnung zu verbalisieren, zu konkretisieren und von Fehlkonzepten abzugrenzen, kann zweifellos als Herausforderung erlebt werden, was vor dem Hintergrund noch dringlicher wird, dass es – so stellt Ringleben treffend heraus – im Auferstehungsdiskurs „so gut wie nichts gibt, was […] in breitem Konsens akzeptiert wäre, sondern dass hier fast alles […] in immer neuer Weise strittig ist“ (Ringleben, Wahrhaft auferstanden, 6). Ich meine hierin allerdings auch eine Chance zu erkennen, da es nicht nur hinsichtlich der individuellen Glaubensentwicklung bereichernd sein kann, den eigenen Glauben wiederholt zu reflektieren und zu verbalisieren, kritisch zu prüfen und in einen Austausch zu treten, sondern weil es auch als befreiend erlebt werden kann, im Rahmen der Thematisierung der Grableerfindung immer wieder auf die dargestellte kognitive Bestätigung des bereits vorhandenen Glaubens und auf die aus ihr resultierende Perspektive der Hoffnung zurückverwiesen zu werden, welche im Alltag – nicht erst in Situationen der Anfechtung – durchaus in den Hintergrund treten können. 1288 Vgl. Hengel, Jesus und die Evangelien, 38. 1289 Vgl. Glück, Grenzenlose Liebe, 57.

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uns hier dazu, auch fremdartig anmutenden Aspekten der uns überlieferten Auferstehungsbezeugungen mit Offenheit zu begegnen und sie als Teil der neutestamentlichen Verkündigung ernst zu nehmen. Dies kann auch dazu führen, dass wir uns und unsere Vorannahmen in Frage stellen lassen (müssen). Freilich geht ein derartiges Vorgehen mit der Anforderung einher, die Texte des Neuen Testaments (erst einmal) ausgehend von frühjüdischen- und alttestamentlichen Traditionen und Textbefunden zu erschließen1290 und den uns heutzutage befremdlich erscheinenden, jüdisch-apokalyptischen Denkhorizont neu zu entdecken, der zur Darstellung der erfahrenen Auferstehungsereignisse ausgewählt wurde. Dies eröffnet neue Perspektiven der Weltdeutung und ermöglicht es zudem, wesentliche, in den betreffenden Diskursen nicht selten unterbestimmte Aspekte der christlichen Lehre – wie den des Wesenszugs Gottes als Gott und Herr der Geschichte – erneut ins Bewusstsein zu rufen und neu zu verstehen, die unser Gottesbild und unsere Vorstellungen vom christlichen Glauben und seiner Theologie bereichern können. Dass eine derartige Thematisierung des leeren Grabes und ein Sich-Einlassen auf die so absurd erscheinenden Möglichkeiten der leiblichen Auferstehung und der allgemeinen Neuschöpfung der gesamten Schöpfung den Mut erfordern, sich der (sich in dieser Theologie eröffnenden) Hoffnung trotz der vielfachen Brüche und der schmerzvollen Erfahrungen der eigenen Lebensgeschichte zuzuwenden, ist offenkundig. Gerade diese Hoffnung ist es jedoch auch, die dem Menschen vorschussweise zuteilwird, die ihn bekräftigt und aufrichtet, die ihn unerwartet trifft, wenn er sich ans leere Grab gestellt sieht, und die ihn letztlich erst dazu befreit, Vertrauen zu wagen und sein Leben anzunehmen, aber seine Lebensführung im Zuge dessen immer auch zu hinterfragen. Indem diese Hoffnung im vorfliegenden Buch bekundet wird, leistet auch es hoffentlich einen Beitrag dazu, daran zu erinnern, dass die allgegenwärtige und nur allzu nachvollziehbare Angst davor, aufgrund des Festhaltens an den Vorstellungen der leiblichen Auferstehung und der endzeitlichen Totenauferweckung als weltfremd angesehen zu werden, nicht größter sein darf als die Hoffnung darauf, dies im besten Sinne tatsächlich zu sein. Wir schließen mit der Erkenntnis, dass der (nach geschichtswissenschaftlichen Maßstäben als wahrscheinlich zu beurteilende) leere Zustand des Grabes Jesu – begründet in einem Handeln Gottes an dessen Leichnam – nicht nur als Leerstelle innerhalb der Texte und der Welt zu bezeichnen ist, sondern auch als eine Lehrstelle fungieren kann, die dem Menschen kognitive Erkenntnisse eröffnet und ihn in eine begründete, lebensgestaltende und befreiende, geschenkte (und vielleicht auch jede aufklärerische Vernunft herausfordernde) Hoffnung einbezieht. Es handelt sich bei dem leeren Grab somit nicht schlicht um ein (nicht näher zu bestimmendes) Zeichen der/für die Auferstehung, sondern um einen (von konkreten Menschen wahrgenommenen und im wahrsten Sinne des Wortes wirkli-

1290

Vgl. Stuhlmacher, Was geschah auf Golgatha?, 35.

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chen) Erweis der die Welt ein für alle Mal verändernden, ganzheitlichen Auferstehung, des Anbruchs der neuen Schöpfung und des Sieges der einen, bedingungslosen, wahrhaftigen Liebe Gottes über Zerstörung, Verwesung, Tod und Trennung, der daher ein berechtigter, nicht zu relativierender Teil des christlichen Auferstehungsdiskurses ist und der einer weiterführenden Thematisierung bedarf, … weil er das Leben Jesu unmittelbar tangiert und auch von unserem endzeitlichen Geschick zeugt, … weil er gegenüber der vermeintlichen Sinnlosigkeit des Lebens und all seiner Schmerzen aufrichtet, ermutigt und kräftigt, … weil er zur Liebe befreit, … weil er heilt.

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Literatur

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Literatur

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Literatur

–, VI Die Leib-Seele-Problematik und die Vollendung der Welt, in: Gisbert Greshake/Gerhard Lohfink (Hg.), Naherwartung Auferstehung Unsterblichkeit. Untersuchungen zur christlichen Eschatologie (Quaestiones disputatae 71), Freiburg: Herder 41982, 156–184. –, VII Zum römischen Lehrschreiben über die Eschatologie (17.5.1979), in: Gisbert Greshake/Gerhard Lohfink (Hg.), Naherwartung Auferstehung Unsterblichkeit. Untersuchungen zur christlichen Eschatologie (Quaestiones disputatae 71), Freiburg: Herder 4 1982, S. 185–192. –, Zweiter Teil. Theologiegeschichtliche und Systematische Untersuchungen zum Verständnis der Auferstehung, in: Gisbert Greshake/Jacob Kremer (Hg.), Resurrectio mortuorum. Zum theologischen Verständnis der leiblichen Auferstehung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 21992, 166–368. Greshake, Gisbert/Kremer, Jacob, Zur Einführung, in: Dies. (Hg), Resurrectio mortuorum. Zum theologischen Verständnis der leiblichen Auferstehung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 21992, 1–3. Göcke, Benedikt Paul, Ein dispositionalistisches Modell göttlichen Handelns in der Welt, in: Benedikt Paul Göcke/Ruben Schneider (Hg.), Gottes Handeln in der Welt. Probleme und Möglichkeiten aus Sicht der Theologie und analytischen Religionsphilosophie, Regensburg: Pustet 2017, 303–334. Göcke, Benedikt Paul/Schneider, Ruben, Gibt es einen prinzipiellen Konflikt von Theologie, Philosophie und Naturwissenschaft? Eine kurze Analyse am Beispiel des Handelns Gottes in der Welt, in: Benedikt Paul Göcke/Ruben Schneider (Hg.), Gottes Handeln in der Welt. Probleme und Möglichkeiten aus Sicht der Theologie und analytischen Religionsphilosophie, Regensburg: Pustet 2017, 7–38. Görnitz, Thomas, Zeit und Ewigkeit aus Sicht der Physik, in: Otfried Reinke (Hg.), Ewigkeit? Klärungsversuche aus Natur- und Geisteswissenschaften, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, 65–79. Goldberg, Sylvie Anne, Zeit und Zeitlichkeit im Judentum (Jüdische Religion, Geschichte und Kultur 10), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009. Härle, Wilfried, Doppelte Gefahr. Hängt der Auferstehungsglaube davon ab, ob das Grab Jesu leer war?, in: Zeitzeichen 4 (2007), 12–14. – Wiederentdeckte Wurzeln. Wie die evangelische Theologie des 20. Jahrhunderts die Auferstehung Jesu verstanden hat, in: Zeitzeichen 12 (2011), 25–27. Hasenfratz, Hans-Peter, Tod, Jenseits, Auferstehung in der Welt der Religion, in: Hans Kessler (Hg.), Auferstehung der Toten. Ein Hoffnungsentwurf im Blick heutiger Wissenschaften, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, 13–33. Hauger, Martin, Die Deutung der Auferweckung Jesu Christi durch Paulus, in: HansJoachim Eckstein/Michael Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 2002, 31–58. Heim, Karl, Jesus der Weltvollender. Der Glaube an die Versöhnung und Weltverwandlung (Der evangelische Glaube und das Denken der Gegenwart 3), Berlin: Furche 1937. Heimerl, Theresia, Der Leib Christi und der Körper des Christen. Körper und Leib als zentrale Problemzonen des Christentums, in: Emmanuel Alloa u.a. (Hg.), Leiblichkeit. Geschichte und Aktualität eines Konzepts, Tübingen: Mohr Siebeck 22019, 166–182. Hempelmann, Reinhard, Jenseits ohne Gott. Die Frage, was nach dem Tod geschieht, beantworten die Deutschen sehr unterschiedlich, in: Zeitzeichen 12 (2011), 28–30. Hengel, Martin, Das Begräbnis bei Paulus und die leibliche Auferstehung aus dem Grabe, in: Friedrich Avemarie/Hermann Lichtenberger (Hg.), Auferstehung – Resurrection. The Fourth Durham-Tübingen Research Symposium: Resurrection, Transfi-

Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

Marxsen, Willi, Die Auferstehung Jesu als historisches und als theologisches Problem, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1964. –, Die Auferstehung Jesu von Nazareth, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1972. Merklein, Helmut, Auferstehung und leeres Grab (Mk 16,1–8), Stuttgart/Würzburg: Katholisches Bibelwerk 1994. Merz, Annette/Theissen, Gerd, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 42011. Meyer-Drawe, Käte, Protokolle des Leibes, in: Jürgen Ebach u.a. (Hg.), „Dies ist mein Leib“. Leibliches, Leibeigenes und Leibhaftiges bei Gott und den Menschen (Jabboq 6), Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2006, 19–29. Mildenberger, Friedrich, Art. Auferstehung IV. Dogmatisch, in: Theologische Realenzyklopädie 4 (1979), 547–575. Moltmann, Jürgen, Das Kommen Gottes. Christliche Eschatologie (Werke 8 Sonderausgabe), Gütersloh/München: Gütersloher Verlagshaus 2016. –, Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, München: Kaiser 21973. –, Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen (Werke 6, Sonderausgabe), Gütersloh/München: Gütersloher Verlagshaus 2016. –, Im Ende – der Anfang. Eine kleine Hoffnungslehre, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2003. –, Theologie der Hoffnung. Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie (Werke 1 Sonderausgabe), Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2016. –, Wer ist Christus für uns heute, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1994. Müller, Ulrich B., Die Entstehung des Glaubens an die Auferstehung Jesu. Historische Aspekte und Bedingungen (Stuttgarter Bibelstudien 172), Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 1998. Munteanu, Daniel, Die universale Bedeutung der Auferstehung Christi in der Orthodoxie. Die neopatristische Synthese Dumitru Stanisloaes, in: Hans-Joachim Eckstein/ Michael Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 2002, 121–138. Nauck, Wolfgang, Die Bedeutung des leeren Grabes für den Glauben an den Auferstandenen, in: Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und Kunde der älteren Kirche 47 (1956), 243–267. Niebuhr, Richard Reinhold, Auferstehung und Geschichtliches Denken, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1960. Nitsche, Bernhard, Handeln Gottes – eine schöpfungstheologische und transzendentallogische Rekonstruktion, in: Benedikt Paul Göcke/Ruben Schneider (Hg.), Gottes Handeln in der Welt. Probleme und Möglichkeiten aus Sicht der Theologie und analytischen Religionsphilosophie, Regensburg: Pustet 2017, 204–239. Oberdorfer, Bernd, „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? “. Überlegungen zur Realität der Auferstehung in Auseinandersetzung mit Gerd Lüdemann, in: Hans-Joachim Eckstein/Michael Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, NeukirchenVluyn: Neukirchener 2002, 165–182. Oberlinner, Lorenz, Die Verkündigung der Auferweckung Jesu im geöffneten und leeren Grab. Zu einem vernachlässigten Aspekt in der Diskussion um das Grab Jesu, in: Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche 73 (1982), 159–182.

Literatur

503

Oblau, Gotthard, Gotteszeit und Menschenzeit. Eschatologie in der Kirchlichen Dogmatik von Karl Barth (Neukirchener Beiträge zur systematischen Theologie 6), Neukirchen: Neukirchener 1988. Pannenberg, Wolfhart, Art. Geschichte – Geschichtsschreibung – Geschichtsphilosophie IX Praktisch-theologisch, in: Theologische Realenzyklopädie 12 (1984), 658–674. –, Das Glaubensbekenntnis. Ausgelegt und verantwortet vor den Fragen der Gegenwart, Hamburg: Siebenstern 1972. –, Die Auferstehung Jesu. Historie und Theologie, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 91 (1994), 318–328. –, Die Offenbarung Gottes und die Geschichte der Neuzeit, in: Ders., Glaube und Wirklichkeit. Kleine Beiträge zum christlichen Denken, München: Kaiser 1975, 113–134. –, Dogmatische Erwägungen zur Auferstehung Jesu, in: Ders., Grundfragen Systematischer Theologie. Gesammelte Aufsätze. Band 2, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1980, 160–173. –, Dogmatische Thesen zur Lehre von der Offenbarung, in: Ders., Offenbarung als Geschichte (Kerygma und Dogma Beiheft 1), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1961, 91–114. –, Eschatologie, Gott und Schöpfung, in: Ders., Theologie und Reich Gottes, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Mohn 1971, 9–31. –, Grundfragen Systematischer Theologie. Gesammelte Aufsätze, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 31979. –, Grundzüge der Christologie, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 51976. –, Jesu Geschichte und unsere Geschichte, in: Ders., Glaube und Wirklichkeit. Kleine Beiträge zum christlichen Denken, München: Kaiser 1975, 92–102. –, Philosophie Religion Offenbarung. Beiträge zur Systematischen Theologie, Bd. I, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. –, Systematische Theologie, Bd. 1, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988. –, Systematische Theologie, Bd. 2, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1991. –, Systematische Theologie, Bd. 3, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1993. –, Theologie der Schöpfung und der Naturwissenschaft, in: Ders., Natur und Mensch – und die Zukunft der Schöpfung (Beiträge zur Systematischen Theologie 2), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, 30–42. –, Tod und Auferstehung in der Sicht christlicher Dogmatik, in: Ders., Grundfragen Systematischer Theologie. Gesammelte Aufsätze. Band 2, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1980, 146–159. Pesch, Rudolf, Das „leere Grab“ und der Glaube an die Auferstehung Jesu, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 11 (1982), 6–20. –, Das Markusevangelium. Bd. II: Kommentar zu Kap. 8,27–16,20 (Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament 2,2), Freiburg: Herder 41991. Plessner, Helmuth, Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen Verhaltens, Bern/München: Francke 31961. Rad, Gerhard von, Theologie des Alten Testaments. Bd. I: Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels, München: Kaiser 1958. –, Theologie des Alten Testaments. Bd. II: Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels, München: Kaiser 1960. Rader, Olaf Bruno, Grab und Herrschaft. Politischer Totenkult von Alexander dem Großen bis Lenin, München: Beck 2003. Rahner, Karl, Die Einheit von Geist und Materie im christlichen Glaubensverständnis, in: Ders., Schriften zur Theologie VI. Neuere Schriften, Zürich/Einsiedeln/Köln: Benzinger 1975, 185–214.

504

Literatur

Ratzinger, Joseph/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Bd. II: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Freiburg: Herder 2011. –, Zwischen Tod und Auferstehung, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 9 (1980), 209–223. Reimarus, Hermann Samuel, Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger. Noch ein Fragment des Wolfenbüttelschen Ungenannten, herausgegeben von Gotthold Ephraim Lessing, Braunschweig: Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses 1778. Rengstorf, Karl Heinrich, Die Auferstehung Jesu. Form, Art und Sinn der urchristlichen Osterbotschaft, Witten/Ruhr: Luther-Verlag 51967. Renz, Johannes, Handbuch der althebräischen Epigraphik II/1. Zusammenfassende Erörterungen, Paläographie und Glossar, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995. Richter, Georg, Die Fleischwerdung des Logos im Johannesevangelium, in: Novum Testamentum 13 (1971), 81–126. Rilke, Rainer Maria, Geschichten vom lieben Gott, in: Ernst Zinn (Hg.), Rilke. Sämtliche Werke. Bd. IV: Frühe Erzählungen und Dramen, Frankfurt: Insel 1961. Ringleben, Joachim, Der lebendige Gott. Gotteslehre als Arbeit am Begriff (Dogmatik der Moderne 23), Tübingen: Mohr Siebeck 2018. –, Wahrhaft auferstanden. Zur Begründung der Theologie des lebendigen Gottes, Tübingen: Mohr Siebeck 1998. Rössler, Andreas, Argumente, nicht blinder Glaube. Wie liberale Christen die Auferweckung Jesu und die Auferstehung der Toten verstehen, in: Zeitzeichen 12 (2011), 22–24. Roloff, Jürgen, Neues Testament. Neukirchener Arbeitsbücher, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 71999. Rovelli, Carlo, Die Ordnung der Zeit, Hamburg: Rowohlt 2018. Rüsen, Jörn, Die Kultur der Zeit. Versuch einer Typologie temporaler Sinnbildungen, in: Ders., Zeit deuten: Perspektive – Epochen – Paradigmen, Bielefeld: transcript 2003, 23–53. –, Rekonstruktion der Vergangenheit. Grundzüge einer Historik II: Die Prinzipien der historischen Forschung (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1515), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1986. Sawicki, Marianne, Catechesis and Resurrection, in: Hans-Joachim Eckstein/Michael Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 2002, 77–91. Schierse, Franz Joseph, Christologie (Leitfaden Theologie 2), Düsseldorf: Patmos 5 1985. Schimanowski, Gottfried, Auferweckung im Neuen Testament und in der frühjüdischen Apokalyptik, in: Hans Kessler (Hg.), Auferstehung der Toten. Ein Hoffnungsentwurf im Blick heutiger Wissenschaften, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, 49–71. Schlier, Heinrich, Über die Auferstehung Jesu Christi (Kriterien 10), Einsiedeln: Johannes Verlag 1968. Schmitz, Barbara, Wahre Geschichte(n). Die biblischen Texte als Geschichte und Geschichten, in: Bibel und Kirche 68 (2013), 128–133. Schmöle, Klaus, Läuterung nach dem Tode und pneumatische Auferstehung bei Klemens von Alexandrien (Münsterische Beiträge zur Theologie 38), Münster: Aschendorff 1974.

Literatur

505

Schnelle, Udo, Theologie des Neuen Testaments, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2 2014. Schröter, Jens, Visionäre Erfahrung. Gespräch mit dem Berliner Neutestamentler Jens Schröter über die Auferstehung Jesu, das leere Grab und die Erscheinungen des Auferstandenen, in: Zeitzeichen 12 (2011), 31–34. Schüle, Andreas, Gottes Handeln als Gedächtnis. Auferstehung in kulturtheoretischer und biblisch-theologischer Perspektive, in: Hans-Joachim Eckstein/Michael Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 2002, 237–275. Schürmann, Volker, Max Scheler und Helmuth Plessner. Leiblichkeit in der Philosophischen Anthropologie, in: Emmanuel Alloa u.a. (Hg.), Leiblichkeit. Geschichte und Aktualität eines Konzepts, Tübingen: Mohr Siebeck 22019, 241–258. Schwager, Raymund, Die Heutige Theologie und das Leere Grab, in: Zeitschrift für katholische Theologie 115 (1993), 435–450. Schwartz, Eduard, Osterbetrachtungen, in: Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der Älteren Kirche 7 (1906), 1–33. Schwemer, Anna Maria, Studien zu den frühjüdischen Prophetenlegenden. Vita Prophetarum I: Die Viten der großen Propheten Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel. Einleitung, Übersetzung und Kommentar (Texte und Studien zum Antiken Judentum 49), Tübingen: Mohr Siebeck 1995. Sonnemans, Heino, „Hellenisierung des biblischen Glaubens?“, in: Hans Kessler (Hg.), Auferstehung der Toten. Ein Hoffnungsentwurf im Blick heutiger Wissenschaften, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, 72–93. –, Seele, Unsterblichkeit – Auferstehung. Zur griechischen und christlichen Anthropologie und Eschatologie (Freiburger Theologische Studien 128), Freiburg/Basel/Wien: Herder 1983. Staats, Reinhart, Art. Auferstehung II/II. Alte Kirche, in: Theologische Realenzyklopädie 4 (1979), 513–529. Stange, Carl, Die Auferstehung Jesu, in: Zeitschrift für Systematische Theologie 1 (1923), 705–740. Stemberger, Günter, Art. Auferstehung I/II. Judentum, in: Theologische Realenzyklopädie 4 (1979), 443–450. Stiewe, Martin/Vouga, Franc¸ois, Bedeutung und Deutung des Todes Jesu im Neuen Testament. Ein theologischer Essay (Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 19), Tübingen: Francke 2011. Strauss, David Friedrich, Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniß, Bonn: Strauß 12–14 1895. –, Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft. Zweiter Band, Tübingen: Osiander, Stuttgart: Köhler 1841. Strauss, Hans, Tod und Auferstehung im Alten Testament, in: Hans Kessler (Hg.), Auferstehung der Toten. Ein Hoffnungsentwurf im Blick heutiger Wissenschaften, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, 35–48. Stuhlmacher, Peter, Biblische Theologie des Neuen Testaments. Bd. I: Grundlegung. Von Jesus zu Paulus, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 21997. –, Was geschah auf Golgatha? Zur Heilsbedeutung von Kreuz, Tod und Auferweckung Jesu, Stuttgart: Calwer 1998. Thiessen, Jacob, Die Auferstehung in der Kontroverse. Hermeneutisch-exegetische und theologische Überlegungen (Studien zu Theologie und Bibel 1), Wien u.a.: Lit 2009.

506

Literatur

Thöne, Yvonne Sophie, TextWelten. Grundsätzliches zur Fiktionalität biblischer Texte, in: Bibel und Kirche 68 (2013), 134–137. Thomas, Günter, „Er ist nicht hier!“. Die Rede vom leeren Grab als Zeichen der neuen Schöpfung, in: Hans-Joachim Eckstein/Michael Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 2002, 183–220. Thüsing, Wilhelm, Der Gott der Hoffnung (Röm 15,13). Verheißung und Erfüllung nach dem Apostel Paulus, in: Wilhelm Heinen/ Josef Schreiner (Hg.), Erwartung – Verheißung – Erfüllung, Würzburg: Echter 1969, 79. Tillich, Paul, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk 3 1956 –, Systematische Theologie, Bd. III, Berlin: De Gruyter 41984. Troeltsch, Ernst, Glaubenslehre. Nach Heidelberger Vorlesungen aus den Jahren 1911 und 1912, München/Leipzig: Duncker und Humblot 1925. –, Ueber historische und dogmatische Methode der Theologie. (1900) Bemerkungen zu dem Aufsatze „Ueber die Absolutheit des Christenthums‹“ von Niebergall., in: Friedemann Voigt (Hg.), Ernst Troeltsch Lesebuch. Ausgewählte Texte (utb), Tübingen: Mohr Siebeck 2003, 2–25. Union der Evangelischen Kirchen in Deutschland: Unsere Hoffnung auf das ewige Leben. Ein Votum des Theologischen Ausschusses der Union Evangelischer Kirchen in der EKD, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlagshaus 2006. Vögtle, Anton/Pesch, Rudolf, Wie kam es zum Osterglauben?, Düsseldorf: Patmos 1975. Vorholt, Robert, Das Osterevangelium (Herders Biblische Studien 73), Freiburg: Herder 2013. Weinrich, Michael, Auferstehung des Leibes. Von den Grenzen beim diesseitigen Umgang mit dem Jenseits, in: Jürgen Ebach u.a. (Hg.), „Dies ist mein Leib“. Leibliches, Leibeigenes und Leibhaftiges bei Gott und den Menschen (Jabboq 6) Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2006, 103–143. Welker, Michael, Die Wirklichkeit der Auferstehung, in: Hans-Joachim Eckstein/Michael Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 2002, 311–331. –, Gottes Offenbarung. Christologie, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 2012. Welte, Bernhard, Leiblichkeit als Hinweis auf das Heil in Christus, in: Ders. (Hg.), Auf der Spur des Ewigen. Philosophische Abhandlungen über verschiedene Gegenstände der Religion und der Theologie (Vorträge und Abhandlungen aus den Jahren 1945 bis 1964), Freiburg/Basel/Wien: Herder 1965, 83–112. Wengst, Klaus, Das, was ist, ist nicht alles. Neutestamentliche Wundergeschichten und das Wunder der Auferstehung, in: Bibel und Kirche 68 (2013), 150–155. Werbick, Jürgen, „Diess Leben – dein ewiges Leben!“? Die Kritik am christlichen Auferstehungsglauben und ein fundamentaltheologischer Versuch, ihn zu verteidigen, in: Hans Kessler (Hg.), Auferstehung der Toten. Ein Hoffnungsentwurf im Blick heutiger Wissenschaften, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, 211–233. White, Nicholas Thomas, The Ressurection of the Son of God (Christian Origins and the Question of God 3), Philadelphia: Fortress 2003. Wiefel-Jenner, Katharina, Die Ewigkeit ist nicht Nichts. Wie können wir von der Ewigkeit reden?, in: Reinke, Otfried (Hg.), Ewigkeit? Klärungsversuche aus Natur- und Geisteswissenschaften, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, 157–168. Wiersbe, Warren, Gott kennt keine Eile. Leben aus der Zeitdimension Gottes, Marburg: Francke 1996.

Internetquellen

507

Wilckens, Ulrich, Theologie des Neuen Testaments, Bd. I: Geschichte der urchristlichen Theologie. Teilband I: Geschichte des Wirkens Jesu in Galiläa, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 22005. –, Theologie des Neuen Testaments. Bd. I: Geschichte der urchristlichen Theologie. Teilband 2: Jesu Tod und Auferstehung und die Entstehung der Kirche aus Juden und Heiden, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 2003. –, Theologie des Neuen Testaments, Bd. I: Geschichte der urchristlichen Theologie. Teilband 4: Die Evangelien, die Johannesbriefe, die Offenbarung und die Entstehung des Kanons, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 2005. Wimmer, Franz Martin, Verstehen. Beschreiben. Erklären. Zur Problematik geschichtlicher Ereignisse (Symposium: Philosophische Schriftreihe 57), München: Alber 1978. Wintzer, Friedrich, Art. Auferstehung III. Praktisch-Theologisch, in: Theologische Realenzyklopädie 4 (1979), 529–547. Zeilinger, Franz, Der biblische Auferstehungsglaube. Religionsgeschichtliche Entstehung – heilsgeschichtliche Entfaltung, Stuttgart: Kohlhammer 2008. Zimmerli, Walther, Verheißung und Erfüllung, in: Claus Westermann (Hg.), Probleme alttestamentlicher Hermeneutik. Aufsätze zum Verstehen des Alten Testaments (Theologische Bücherei 11), München: Kaiser 1960, 69–101.

Hilfsmittel Deutsche Bibelgesellschaft, Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, revidierte Fassung, Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2017. Deutsche Bibelgesellschaft, Novum Testamentum Graece (Nestle-Aland), Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 282012. Markschies, Christoph/Schröter, Jens, Antike christliche Apokrypen in deutscher Übersetzung. Bd. I/1: Evangelien und Verwandtes, Tübingen: Mohr Siebeck 2012.

Internetquellen Dudenredaktion (o. J.), „Grab“ auf Duden online: https://www.duden.de/rechtschreibu ng/Grab (Abrufdatum: 20.10.2020, 12.17) Dudenredaktion (o. J.), „leer“ auf Duden online: https://www.duden.de/suchen/dudenon line/leer (Abrufdatum: 20.10.2020, 12.18) Dudenredaktion (o. J.), „Zeichen“ auf Duden online: https://www.duden.de/suchen/dud enonline/Zeichen (Abrufdatum 20.10.2020, 12.19) Habermas, Jürgen: Dankesrede des Preisträgers. Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels: https://www.friedenspreis-des-deutsc hen-buchhandels.de/alle-preistraeger-seit-1950/2000-2009/juergen-habermas (Abrufdatum: 24.11.2022, 14.21) Klumbies, Paul-Gerhard, Jesus im Markusevangelium: https://kobra.uni-kassel.de/the mes/Mirage2/scripts/mozilla-pdf.js/web/viewer.html?file=/bitstream/handle/1234567 89/2007012916885/KlumbiesJesusMarkusevangelium.pdf?sequence=3&isAllowed= y#pagemode=thumbs (Abrufdatum: 20.10.2020, 12.21) Vielhaber, Ernst, Ostern. Erfahrung und Deutung: https://www.researchgate.net/publi (Abrufdacation/256980033 Ostern Erfahrung und Deutung Research 130924 tum: 20.10.2020, 12.22)

Personenregister Adam, Jens 44–45 Althaus, Paul 57–58, 74–75, 316–318, 320 Augustin 259, 378–379

Joest, Wilfried 29, 31 Josephus, Flavius 366 Jüngel, Eberhard 213, 215 Justin 373–375

Barth, Karl 104–105, 129–131, 134–143, 157, 163, 188, 244, 392, 427 Becker, Jürgen 225–227, 319–320, 322 Bickermann, Elias 224–230 Bonhoeffer, Dietrich 453 Brändle, Rudolf 348 Bultmann, Rudolf 85–106, 129–132, 141, 179, 239, 415

Kant, Immanuel 382 Kiauka, Tomas 250 Kittel, Gisela 11, 14, 228 Klemens 377–378 Klumbies, Paul-Gerhard 13–14, 25, 99, 251–252 Kremer, Jacob 366 Krötke, Wolf 464

Campenhausen, Hans Freiherr von 44–45, 51, 69 Celsus 371–373

Lindemann, Andreas 39–40, 312 Lüdemann, Gerd 54, 196, 108–129, 179 Luther, Martin 40, 381 Luther, Susanne 295–296

Dalferth, Ingolf Ulrich 116–117, 246, 417–418, 437–438 Descartes, René 382 Doležel, Lubomír 295 Drewermann, Eugen 233–235

Martínez, Matías 296 Marxsen, Willi 97–98 Mildenberger, Friedrich 211 Moltmann, Jürgen 145–146, 148, 150, 153–158, 162, 245, 464, 468

Etzelmüller, Gregor 125–126, 200 Fischer, Karl Martin 211, 487 Fößel, Thomas Peter 216 Göcke, Benedikt Paul 254 Görg, Manfred 233–235 Grabes, Herbert 261–262 Greshake, Gisbert 335, 354–355, 382, 458, 463, 471 Hengel, Martin 167 Hirsch, Emanuel 113 Irenäus 373–375

Nauck, Wolfgang 298, 307 Niebuhr, Richard Reinhold 104, 179, 450 Oberdorfer, Bernd 415 Oberlinner, Lorenz 313–314, 327–329 Origenes 377 Pannenberg, Wolfhart 43–79, 103, 240– 242, 276–278 Platon 268, 367–369, 371 Polkinghorn, John 255–256, 276

510

Personenregister

Ratzinger, Josef 335 Reimarus, Hermann Samuel 80–82 Ringleben, Joachim 117, 163–164, 166, 168, 170–179, 344 Roloff, Jürgen 327 Rovelli, Carlo 261, 437 Rüsen, Jörn 250 Sawicki, Marianne 309 Scheffel, Michael 296 Schwager, Raymund 334–335 Strauß, David Friedrich 444

Thomas, Günter 200 Tillich, Paul 172, 396–397 Troeltsch, Ernst 63–69 Vögtle, Anton 321 Vorholt, Robert 209 Welker, Michael 79, 356 Wright, Nicholas 356

Sachregister Abduktion 192, 194, 201 Abhängigkeit 477 Ärgernis 16, 27–28, 131, 160, 406–409, 410–412, 423–424, 449, 462, 490 Allmacht 408 Analogie 65, 140 – Analogien 64, 66–69, 117, 152–153, 239, 449 – Analogieaxiom 152–153 Anknüpfbarkeit 101, 222, 415, 445, 487, 489 – Anknüpfung 105–106 Annihilation 439–440, 462 Anspruch 409, 415, 471–480 Anthropologie 380, 400–404, 431– 434 – jüdische 334–336, 345, 347, 375 Apokalyptik 47, 55–56, 73, 78, 126, 160, 188, 209, 278, 320, 326, 363 Apokryphen 39–42 Apologie 15,17, 22, 26, 28, 31, 33, 37, 39, 374–375, 386, 390 Apostelgeschichte 35–36, 41–42 Areopagrede 411 Auferstandener 138, 142, 157, 166, 174, 348, 360, 389, 422, 459–460 Auferstehung Jesu 424–426 Auferstehung 140–144, 408–409, 424, 436, 442, 481, 491 – leibliche 200–201, 210–211, 225, 241, 247, 370, 376, 380, 383, 402, 411, 417 – körperliche 356 Auferstehungsdasein 103, 163, 166, 174, 338, 341, 348, 350, 356, 360, 374, 379, 383, 436, 457, 459, 460 Auferstehungsdeutung 381, 435–436 – rationalistische 81, 84, 213

Auferstehungsdiskurs 2–3, 215–216, 219–220, 223, 236–244, 247–248, 272, 282–283, 410–411, 416–419, 423–427, 446, 482–484, 490; siehe auch Auferstandener; Auferstehung Jesu; Auferstehung Auferstehungserzählungen 72 Auferstehungsglaube 54, 196, 441–445, 476 Auferstehungshoffnung 104, 309, 398– 399, 442, 454, 467–471, 478–482, 491 Auferstehungskonzepte 370, 376–379, 382–383, 488 Auferstehungsleiblichkeit 142, 379 Auferstehungsverkündigung 192, 320, 325–326, 409, 411, 418, 443, 487– 491 Auferstehungsvorstellungen 209, 233, 319–321, 326, 336, 365–367, 371, 374, 380, 383, 387, 424–425, 441, 443–445, 479 Auferstehungswirklichkeit 141–142, 148, 205, 211, 338, 352–353, 383, 399, 434, 485 Auferweckung 46, 174–175, 234, 276, 333, 336, 341, 348, 352, 354 Auferweckungsankündigung 17, 25, 27, 300 Aufklärung 42, 50, 82, 381–382 Ausgrabungen 303, 307–309, 312 Bedeutsamkeit 55, 87–88, 95, 97, 101– 102, 104–105, 113, 190, 206, 239 Bedeutung 33, 74 Begegnung 52, 102, 122, 139, 141–142, 144, 190, 338, 390 Begräbnis 219, 302–309, 311–313 Begräbnis, anonymes 118

512

Sachregister

Bestätigung, kognitive 446–448, 453 Bestattungsort, empirischer 115 Betrug 80 – hohepriesterlicher 21, 82, 299 Betrugshypothese 80–82 Bewahrung 353, 472 Beweisfähigkeit 196–197, 204, 212–215, 242, 281–282, 288, 447, 451 Beziehung 200, 343, 451, 392, 400–401, 431 Biblizismus 2 Biographisierung 13 Biologie 159–160, 208, 343 Botschaft 193, 233–234, 410 Chronologie 25 Conditio sine qua non 426–428 Creatio continua 354 Creatio ex nihilo 58, 103, 176, 181–182, 350, 353–354 Damaskuserlebnis 53, 110, 121, 217 Deutungshorizont 56, 72–78, 92, 188, 193, 201–202, 207–209, 236, 241, 326, 345–346, 361–364, 383–390, 414, 426, 484, 491 Didaktik 415, 418, 434, 443, 450–452, 482, 487, 488–490 Diesseitigkeit 161, 471 Diesseits 125, 126, 466–468, 470, 472, 475 Diskontinuität 79, 181–185, 344, 346, 352, 355–356, 359, 361 Diskursfähigkeit 451–452, 487–490 Dissonanz, kognitive 192, 201 Diversität 474 Doketismus 35, 52, 99, 213 Dritter Tag 38, 314–315 Ebenbild 431–433, 440, 457, 460, 474 – Ebenbild Gottes 404 Eidos 351, 377 Einbezug 194, 268, 276, 341, 361 Eindeutigkeit 72, 76–79, 88, 259, 287, 419, 421, 423 Eingreifen Gottes 123, 130, 148, 195, 251–252, 254, 256, 263, 269, 270, 275–276 Emmausjünger 26–28, 422

Emotionen 413, 453, 464 Ende 468 Engel 19–20, 24, 32, 40, 225, 297, 298 Engelsbotschaft 12–13, 19, 24–25, 51, 217, 229, 297–298, 301, 327–329, 421, 479 Engführung, anthropologisch 100, 102, 129 Entfremdung 368, 370–371 Entmythologisierung 88–92, 99, 101, 131–132 Entropie 437 Entrückung 53, 224–230 Entzogenheit 361 Ereignis 15 – historisches 43, 48, 70, 76, 78, 86, 131, 145, 244, 435 Erfahrungen 155, 337, 387, 389–390, 465 Erfahrungskontext 193 Erhöhung 224, 387, 408 Erinnerungen 25–27, 113, 154, 292, 387 – Erinnerungsort 25 – Erinnerungsraum 150 Erkenntnisgewinn 429 Erkenntnistheorie 258–263, 288 Erlösung 155, 265, 277, 336, 434, 438, 471 Erniedrigung 408 Erscheinungen 52–55, 73, 120–122, 125, 191–193, 338, 348, 353, 356, 389, 422 – Erscheinungsberichte 53–54, 120– 122 Erwartungen 154 Erwartungshorizont 150 Eschatologie 46, 71, 151, 170, 175–176, 267–268, 277–278, 380, 395–399, 439 Ethik 4, 380, 409, 472–476 Ewiges Leben 167–169, 185 Ewigkeit 168–175, 177, 185, 341, 396, 436, 465 Ewigkeitsglaube 113–114, 125–128 Exegese 8–9, 290–291, 318–319 Existenzverständnis 87 Erzählformen 291–296

Sachregister Faktizität 104–105, 155, 282–283, 285, 361–362, 436, 447–448, 451–453 Faktualität 118, 235, 283, 293–297, 208, 299–300, 312 Fehlkonzept 210, 256, 249, 372 Fiktionalität 235, 294–298 Fleisch 350, 358–360, 373–374, 389, 394, 404, 433 Forschungsfrage 247–248, 290, 331, 386, 391, 416, 429 Forschungsstand 2, 203, 237, 247–248, 272, 446, 490 Frauen 10–15, 21, 225, 321, 419 Funktion 429 Furcht 13–15, 19, 21, 216, 410 Gärtner 33–34, 81, 310, 457 Ganzheitlichkeit 158, 160, 334–335, 360, 400, 404, 430, 433–434 Garten 29 Gedenkort 147, 155, 268, 310, 314 Gegenwärtigkeit 174 Gegenwart 147, 149, 155, 157, 255, 268 Gegenwartsbezug 4, 444, 489–490 Gegenwartsrelevanz 130, 137–139, 147, 149, 156, 206, 452, 469 Geist 75, 156, 158, 383 Geltung 253 Gemeinde 338 Gemeindebildung 52, 55, 317 Gemeinschaft 74, 351, 394, 398, 401– 402, 456, 460, 461, 470, 474 Gemeinschaftswille 397 Gerechter, leidender 224 Gericht 278, 380–381, 399 Geschehen 144, 145, 131 Geschehensein 135, 281, 283, 285, 436 Geschichte 47, 152, 157, 242, 267, 273– 275, 287–288, 436 Geschichtsbegriff 5, 78, 148, 178–179, 188, 190, 436 – moderner 146, 147, 154 Geschichtsbezug 67, 149, 163, 178–180, 205, 265–269, 279–280, 424 Geschichtsdeutung 155–156 Geschichtserfahrung 154 Geschichtsganzes 147 Geschichtsreligion 156, 273, 277, 284 Geschichtsschreibung 147, 297

513

Geschichtsverlust 100–101, 129–130, 132, 146, 188, 253–254, 265, 486 Geschichtsverständnis 129–130, 132, 146, 188, 253–254, 265, 486 – alttestamentliches 275 – modernes 148, 153 Geschichtsvorstellung 86 Geschichtszusammenhang 55 Geschöpf 474 Geschöpfsein 401, 431 Gesetz 354 Glaube, individueller 490 Glaubensbekenntnis 160–161, 198, 363 Glaubenseinbruch 127–128 Glaubensentstehung 102–103, 110, 117, 122, 133, 135–136, 141–142, 144, 191–194, 196 Glaubensentscheidung 93–94 Glaubensgrund 102, 125, 139, 198, 280 Glaubensperspektive 117, 172, 178, 213, 419, 447, 462, 468, 480, 482 Gnade 143, 462, 477 Gnosis 370–373, 376, 380, 486 Gott 62–63, 116, 123, 129, 136, 145, 151, 164–167, 173, 194–195, 270, 369, 407 Gottesbild 123, 127, 167, 171–172, 194– 195, 209–210, 233, 257, 345, 397, 485 Gottesfrage 164–166 Gottesgedanke 63 Gottestat 105, 134–137, 140, 148, 204– 205, 265, 343, 366, 485 Gottverlassenheit 407, 439 Grab – anonymes 305–306 – empirisches 307–310, 313–314, 317– 320, 323–330, 362, 429, 440, 484 – geöffnetes 22, 29, 314, 317, 327, 329 – offenes 208 – leeres 397, 410–411, 419–420, 485, 491 – volles 197–198, 219, 315–316, 320, 323 Grabbesuch 310–315, 318–319 Grabeskirche 307–308, 210, 316 Grabinschriften 310, 316 Grabkulte 22, 234, 325, 412

514

Sachregister

Grableerfindung 315–316, 321, 330, 445, 481 Grableerfindungsdeutung 133, 162, 183, 201, 361, 417, 423, 435, 445, 486, 491 Grableerfindungsdiskurs 2–3 Grableerfindungserzählungen 1, 9, 237, 296, 299–300, 303, 318, 327–328 Grableerfindungsperikopen 445, 489 Grableerwerdung 361–362, 407, 417, 485, 491 Grablegung 302–304, 307, 309 Grabpflege 311 Grabschändung 29 Grabsicherung 11, 17–18, 39–40 Grabstätten 316–317 Grab und Auferstehung 334 Grab und Erscheinungen 132, 196–198, 217, 243, 317, 441 Gruppenerscheinungen 121, 125 Handeln Gottes 82, 101, 163–164, 173, 176, 191, 194, 199, 244, 275–276, 299, 362, 405–406, 413, 427 Heiliger Geist 280, 338, 341, 393 Heilsgeschichte 47, 137–138, 143, 283, 406, 433, 466 Heilsplan 278 Heilungswunder 397, 456–457, 461 Hellenismus 28 Herr der Geschichte 123, 138, 264, 269, 274–276 Hingabe 433 Historie 157 Historizität 48 Historizitätsanspruch 48, 273, 276, 279, 280, 285, 291, 293, 301 Hoffnung 159, 186, 235, 268, 458, 470– 471, 477, 491 – begründete 424–426, 448, 452, 454, 562, 469, 475, 478 Identität 133, 136–137, 143, 161, 163, 179, 183, 198, 200, 280, 347–348, 360, 374 Identitätserhalt 198–201, 338, 348, 361, 377, 400 Inkarnation 168–170, 186, 231, 275, 373, 392, 394, 407, 433, 435

Inkarnation und Auferstehung 394 Innerlichkeit 369, 370 Jesus 138, 279, 395, 410, 425, 432, 440, 453 Johannesevangelium 29, 31–32, 34, 421 Jüngerbetrug 17–18, 41, 82 Jüngerunverständnis 15 Jüngerzug 59–60 Jüngster Tag 399 Kerygma 102–104, 216, Kerygmatheologie 99–100, 108 Körper 357–258, 404, 458 Komplexität 118 Konfusion 258–259, 265, 419, 423 Konsistenzproblem 192 Konstitution, geschichtliche 260, 273 Konstruktivismus 258–260, 263, 286 Kontingenz 70, 78, 254, 265, 346–347, 355–356 Kontinuität 182, 184–185, 346, 353–356 Kreislauf der Natur 443 Kreuz 136, 140, 143 Kreuzabnahme 115 Kreuzigung 302–303, 406–407, 410, 413 Kreuz und Auferstehung 135–136, 143, 145 Krise 125 Kultur 154, 262 Kulturabsolutismus 153 Leben 345, 465 Lebendiges 151 Lebendigkeit 186, 200, 341, 354, 407– 408, 461, 468 Lebensfreude 466–467 Lebensgeschichte 458–459, 463–464, 467 Leerstelle 16, 420–421, 478 Legenden 114–115, 133, 224–227, 230, 236, 247 Lehrstelle 491 Leib 337, 340, 343, 351, 368, 373, 380, 400, 402 – pneumatischer 337–338, 340–341, 344, 346, 347, 349, 350, 353, 355, 360–361, 379, 393, 401, 435, 457– 459

Sachregister Leib-Seele-Dualismus 366–368, 370– 376, 383 Leib und Seele 335–336, 400 Leibhaftigkeit 356 Leiblichkeit 200, 356–358, 372, 378, 382, 400, 403–404, 454–457, 559 Leichendiebstahl 21–22, 31, 34–35, 299 Leichenraub 27, 232, 234 Leichentuch 26, 29, 31 Leichnam, empirischer 115, 184–185, 302–309, 311 Lernen 429 Liebe 341, 433, 456, 467, 480–481 Lieblingsjünger 421 Löwengrube 11, 18 Lukasevangelium 22, 24–28 Markusevangelium 10–16, 225–227, 291–292, 298, 311–312 Massengrab 60, 305–306 Materie 256, 338, 351–352 Matthäusevangelium 17–20, 22, 299– 300, 324 Mehrdeutigkeit 21, 213, 287, 418–422, 489 Mehrdimensionalität 163, 165–166, 189, 261, 263, 270, 287 Mensch 334–337, 347, 358–359, 369, 375–376, 400–403, 430, 432, 435, 475, 477 – moderner 103–106, 108–109, 112, 114, 131–132, 208, 222, 236, 240, 266, 363, 415, 434, 445, 487 – wahrer 440 Menschentat 134–135 Messiasgeheimnis 15 Mitgekreuzigte 305–306 Mitmenschen 455, 473–475 Mitmenschlichkeit 401, 431 Mitschöpfung 358, 471–473, 476 Mitwirkung, menschliche 343 Mythen, ägyptische 231–235, 247 Mythos 87, 89–90, 99, 101, 105, 132, 231, 235, 251 Nachfolge 105 Nächstenliebe 409 Narratologie 293–301, 312, 327–328 Natur 155, 158, 160

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Naturgesetze 206, 254–257 Naturwissenschaften 49, 63–64, 68, 253–258, 270 Neues 152, 267 Neuperspektivierung 145, 149, 151, 154, 157 Neuschöpfung 58, 70–71, 156, 162, 176, 186, 277–278, 344–345, 350, 353, 395–399, 405, 435, 438–439, 456 Nichtiges 440, 461–462, 466 Nichts 354, 407, 439 Ökologie 158 Offenbarung 77, 100, 137, 139, 144– 145, 204, 259, 373, 419, 425 Offenbarungsgeschichte 47 Opfer 136 Osirismythos 231–234 Ossilegium-Begräbnis 309, 325 Ostern 144 Osterpredigt 1 Parallelität 199, 417, 440, 478–479 Parusie 344, 390 Passafest 303, 306 Patripassianismus 280 Paulusbriefe 36–39, 41–42, 72–73, 82 Perspektivität 259–262, 286, 288, 291, 294, 403, 420, 447 Petrusevangelium 39–40 Pfingsten 102, 112, 141 Pfingstpredigt 35–36 Physik 253–256 Platonismus 367–371, 376, 378, 383, 432 Plausibilisierungszusammenhang 104, 207, 223, 271–272, 363, 399 Plausibilität 124, 148, 412, 414–416 Pneumatisierung 457, 461 Polemik 22, 26, 34, 37, 58, 180, 323– 324, 372 Positionalität 442 Projektion 425, 450–451, 477, 481 Prolepse 47–48, 78, 175–178, 185, 268, 395–398, 452–453, 479 Providentia Dei 138, 264–266 Prozess, geschichtlicher 156

516

Sachregister

Rahmen, narrativer 327–329, 333, 364 Rand, historischer 70, 130–131, 139, 144, 153, 424–425, 437, 448 Rationalität, neuzeitliche 87, 89, 114, 195, 208, 240, 246, 251–253, 257– 258, 266, 269–271, 363, 383, 412, 484, 487 Rationalitäten, moderne 128 Realität 172, 258, 264–266, 270, 362 Reanimation 31, 46, 53, 119, 140, 182, 210, 221, 340, 374, 387, 446, 477, 481 Recht, römisches 10, 302–304, 321–322 Rechtfertigung 137, 139 Reflexion 281–282, 286–289, 331–332, 355, 364, 385–387, 429, 443, 477, 480, 483–484, 487, 490–491 Reich Gottes 396–397, 408, 410, 439, 457, 466, 472, 475, 476 Rekonstruktion 44, 50, 55, 59–60, 305, 321 Relevanz 223 Relevanzverlust 218–220, 236–237, 240, 245–246, 272, 483–484 Renaissance 381 Resignation 472 Rezeptionsgeschichte 227 Rezeptionshaltung 419–422, 427 Rückfrage, geschichtswissenschaftliche 65, 130, 146–147, 152, 207, 227, 260, 272–273, 283–285, 301, 450, 481 Sabbat 10, 17–18, 22 Sache Jesu 97–98 Sadduzäerfrage 164 Säkularisierung 444, 488 Sage 139 Salbung 10, 18, 29, 311–313, 318, 412 Salbungsabsicht 315 Samenkorn 158–159, 338, 343–345, 353, 355, 360, 469 Sarx-Begriff 358–360, 376, 379, 380 Scheol 11, 366–367 Schönheitsideale 458, 463 Schöpfer 354 Schöpfung 140, 161, 170, 176, 264–265, 275, 438, 442 – alte 16, 66 Schriftverständnis 31, 34, 421–422

Schuldbewältigungshypothese 123–126 Schuldverarbeitungsthese 110–111 Schweigegebot 15 Schweigemotiv 14, 16, 216 Schweigen 479 Seele 335, 351, 366–367, 376–382, 400 – unsterbliche 366–371, 374, 381–385, 443–444 – leibliche 377 Selbstakzeptanz 454–457, 458 Selbstrechtfertigung 476 Selbstsorge 467 Selbsttäuschung 108, 112, 115–116 Selbstverständnis 87–88, 91, 93–98, 102–103, 105, 129–130, 194–195 Selbstwertgefühl 455–456 Sinn-Faktizität-Relation 361–362, 353 Sinnerleben 465–467, 470, 476, 488– 489 Sitz im Leben 217 Skandal 106, 108, 115–116 Sohn Gottes 53 Soma-Begriff 357–359 Soma Pneumatikon 356–360 Sonnenaufgang 14 Spannungsfeld 167, 355 Speisewunder 433 Sprachfähigkeit 5, 105, 117, 126–127, 161, 221, 236–237, 247, 270–271, 415, 418, 434, 442–443, 450–453, 482, 487–490 Sprachformen, symbolische 46–47, 71, 337 Spur 448 Spuren 204, 244, 279, 436–437, 453 Sterben 159, 344–345 Stringtheorie 255 Subjekt der Geschichte 62, 153 Suche 24, 225–226, 228 Sünde 265–267, 358, 360, 440, 461–462 Sünder 410 Teleologie 34, 49, 373–377 Textbefund 8–9, 72, 216–219, 237, 242, 290–292, 296–298, 301, 304–305, 318–320, 390, 429 Textstruktur 294–297, 301 Theologie 148, 256–258, 270, 281, 284, 391–392, 414, 445

Sachregister Tod 149–151, 155, 161–162, 231, 345– 346, 354, 402, 434–435, 440, 461– 464, 468–469, 494 Todesangst 464–468, 469–470, 476–477 Todesbewusstsein 462–465, 468, 470 Tod Jesu 201 Tod und Entrückung 228–229 Torheit 410 Totenauferweckung, endzeitliche 47, 55–56, 73, 159, 162, 175, 185, 344– 345, 387, 389 Totenreich 11, 232, 367 Totenverehrung 310–311, 325 Trauer 309–314, 412, 463–464, 469–470 Trauerbewältigungsthese 110–111, 124 Treue 161 Treue Gottes 68, 396–397 Trinität 169, 174, 179, 180, 186, 195, 392–395, 432–433, 466 Troeltsche Axiome 48, 63–69, 86, 91– 94, 150–153, 253 Trost 433, 460, 470 Türöffnungswunder 11, 18–20, 313 Überlieferungsstadien 8–9, 300 Umbettung 33, 306 Umperspektivierung 132–134, 187–188, 245 Unglaube 142 Universalgeschichte 48, 56, 65, 71 Unmöglichkeit 112, 208, 251–253, 256– 257, 263, 288 Unsterblichkeit 343, 367–369, 381, 443 Unterwelt 35, 366, 376 Unverfügbarkeit 19, 213, 349, 451 Unverweslichkeit 35–36 Urchristenheit 266, 325–326, 387–389, 409 Urgemeinde, Jerusalem 57, 59–60, 74, 315–320 Urgrab 11 Verdiesseitigung 463–465 Verengung, anthropologische 130, 286 Verewigung 178 Vergänglichkeit 151, 159–160, 171, 340, 370, 398, 404, 440, 463–468, 475, 478

517

Vergangenheit 147–149, 155–157, 171– 172 Verheißung 155–156, 160, 162, 267, 275, 404, 455–456, 459, 460–461 Verkündigung 139, 193, 213, 216, 219, 277, 292, 387–390, 415, 442 Verkündigungsauftrag 20–21 Verleugnung 111, 124 Vernichtung 159 Vernunft 82–84, 90, 114, 131, 257, 284, 372–373, 383, 417, 478 Versöhnung 137, 143–145 Versprachlichung 260–261, 264 Vertrauen 266, 458, 471, 476–479, 491 Vertröstung 106, 340, 412, 425, 459– 460, 472, 475–477, 482 Verwandlung 79, 94, 106, 158–160, 162, 166, 174–178, 183–185, 338, 340– 346, 349–355, 360–361, 372, 469, 472 Verwechselungsthese 308, 362 Verwesung 81–82, 114–115, 120, 198– 199, 202, 246, 345–346, 402, 413, 417, 439, 440–441, 461–462, 478 Verzeihen 455, 461 Visionen 120–124 – objektive 44, 54, 71 Vollendung 343, 348, 354, 395–397, 431, 438–439, 455–456, 466–467, 471 Vorannahmen 73, 84–86, 114, 117–118, 132–134, 152, 187–189, 201–202, 236–242, 246, 250–251, 260–262, 286–287, 294, 319, 331–332, 483– 484 Wahrheitsanspruch 2 Wahrscheinlichkeitsurteil 63–65, 91, 285 Wechselwirkungsaxiom 64–65, 151 Weltbildparadigmenwechsel 82, 90–91 Weltbild, mythisches 89, 363–364 Wertschätzung 430–433, 438, 456–461, 473–474, 476 Wettlauf 29, 32 Widersprüchlichkeit 194–201 Wiedererkennen 33–34, 79, 124, 338, 422 Wiedergeburt 158 Wirklichkeit 260–261, 270, 284

518 Wirklichkeit Gottes 204 Wirklichkeitscharakter 144, 242, 258, 285 Wirklichkeitskonstruktion 167 Wirklichkeitsverständnis 117–118, 170, 178, 253, 261–263, 269, 283–286 Wirklichkeitswahrnehmung 258–260, 264–268, 286, 380, 449 Wirkungsgeschichte 219 Wort 394–395 Wortursprung 1 Wunder 140, 269, 397, 433, 456 Wundertaten 216 Wundmale 347, 435, 459–460, 486 Zeichen 202, 211–212, 216, 220–223, 236–237, 245–247, 332, 490 – notwendiges 132, 162–163, 180, 187–188, 242, 362 Zeichen-Bezeichnetes-Relation 133, 222, 328, 333–334 Zeit 100–101, 146, 166–174, 177, 250, 254–255, 259, 267–268

Sachregister Zeitdruck 466 Zeiterfahrung 268, 465, 470 Zeitrichtung 171–172, 184, 268 Zeitverständnis 172, 177, 254–255, 460 Zeit und Ewigkeit 164, 167–170, 175– 177, 184, 268, 274, 278, 338, 392– 395, 435–438, 459, 474, 486 Zentrismus 153–154 Zeugnisfähigkeit 321–322 Ziel der Geschichte 149, 176–177, 267, 274, 278 Ziel der Schöpfung 185 Zukunft 149, 155–157, 176, 267–268, 439, 470, 479 Zukunftsprojektionen 149 Zuspruch 470–471, 478–480, 482, 491 Zweifel 131, 317, 408–410, 444, 448– 452, 476–480 Zwei-Naturen-Lehre 395 Zwischenzustand 381 Zwischenzustandslehre 380

Dogmatik in der Moderne herausgegeben von Christian Danz, Jörg Dierken, Hans-Peter Großhans und Friederike Nüssel

Die Reihe Dogmatik in der Moderne widmet sich materialdogmatischen Themen. In ihr werden Untersuchungen präsentiert, die das durch die Moderne gestellte Problemniveau eines unverzichtbaren, aber unterschiedlich ausfallenden Erfahrungsbezugs und der perspektivischen Pluralität methodischer Ansätze im Blick auf materialdogmatische Fragen reflektieren. Was folgt aus den nebeneinander vertretenen offenbarungstheologischen, subjektivitätstheoretischen, geschichtstheologischen, idealistischen, hermeneutischen, sprachanalytischen, konfessionellen, kontextuellen und anderen Ansätzen für die Rechenschaft über das Christliche? Wie lassen sich seine Gehalte heute im Kontext religionspluralistischer europäischer Gesellschaften, aber auch angesichts der Herausforderungen der christlichen Ökumene entfalten? Die Reihe Dogmatik in der Moderne versteht sich als Forum für Untersuchungen, denen es darum geht, die unterschiedlichen fundamentaltheologischen und methodischen Konzeptionen der jüngeren Zeit für das Verständnis der einzelnen Themen und Probleme der christlichen Lehre fruchtbar zu machen und darin zu bewähren – oder aus der Ausarbeitung der materialen Dogmatik Rückwirkungen und also neue Anregungen für die Prolegomena zur Dogmatik bzw. Fundamentaltheologie zu erhalten. ISSN: 1869-3962 Zitiervorschlag: DoMo Alle lieferbaren Bände finden Sie unter www.mohrsiebeck.com/domo

Mohr Siebeck

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