Das Leben theoretischer Vernunft: Teleologische und praktische Aspekte der Erfahrungstheorie Kants [Reprint 2014 ed.] 9783110807639, 9783110165166

The notion of system in Kant’s conception of a priori forms of knowledge is an organological one. Central to a philosoph

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German Pages 276 [280] Year 2000

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Table of contents :
Zur Zitierweise und Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
Teil I: Der Begriff des Lebens als leitende Idee
1. Theoretische Vernunft wie ein Organismus
2. Einheit des Zwecks im szientifischen Systembegriff
3. Erkenntnisstatus der Analogie
4. Wille und Erfahrung
5. Ausblick auf Erfahrung als moralische Praxis
Teil II: Formen der Anschauung
1. Anschauungsformen und Apperzeption
1.1. Exkurs: Einfaches Ich
2. Rezeptivität durch Spontaneität
3. Der Eine Raum und die Eine Zeit
4. Unendliche Ganzheit
5. Einheit des Subjekts als Grund der formalen Einheit des Anschauens
6. Ähnlichkeit mit Zwecken
Teil III: Verstand
1. Übergang zu Handlungen der Synthesis
2. System von Kategorien
2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang
2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem
2.2.1. Exkurs: Ableitung von Prädikabilien
3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil
3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung
3.2. Exkurs: Wahrnehmungsurteil
4. Verbindlichkeit
Literaturverzeichnis
Personenregister
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Das Leben theoretischer Vernunft: Teleologische und praktische Aspekte der Erfahrungstheorie Kants [Reprint 2014 ed.]
 9783110807639, 9783110165166

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Bernd Dörflinger Das Leben theoretischer Vernunft

w DE

G

Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Gerhard Funke, Manfred Baum und Thomas M. Seebohm

136

Walter de Gruyter · Berlin · New York

2000

Bernd Dörflinger

Das Leben theoretischer Vernunft Teleologische und praktische Aspekte der Erfahrungstheorie Kants

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2000

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Dörflinger, Bernd: Das Leben theoretischer Vernunft : teleologische und praktische Aspekte der Erfahrungstheorie Kants / Bernd Dörflinger. - Berlin ; New York : de Gruyter, 2000 (Kantstudien : Ergänzungshefte ; 136) ISBN 3-11-016516-3

© Copyright 2000 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Druckerei W. Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Buchbinderei Stein, Berlin

Für Carla und Lisa

Inhaltsverzeichnis Zur Zitierweise und Abkürzungsverzeichnis Vorwort

Teil I: 1. 2. 3. 4. 5.

Der Begriff des Lebens als leitende Idee Theoretische Vernunft wie ein Organismus Einheit des Zwecks im szientifischen Systembegriff Erkenntnisstatus der Analogie Wille und Erfahrung Ausblick auf Erfahrung als moralische Praxis

IX 1

5 7 11 27 33 50

Teil II: Formen der Anschauung 61 1. Anschauungsformen und Apperzeption 67 1.1. Exkurs: Einfaches Ich 70 2. Rezeptivität durch Spontaneität 91 3. Der Eine Raum und die Eine Zeit 102 4. Unendliche Ganzheit 107 5. Einheit des Subjekts als Grund der formalen Einheit des Anschauens 117 6. Ähnlichkeit mit Zwecken 126 Teil III: Verstand 1. Übergang zu Handlungen der Synthesis 2. System von Kategorien 2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang 2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem 2.2.1. Exkurs: Ableitung von Prädikabilien 3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil 3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung 3.2. Exkurs: Wahrnehmungsurteil 4. Verbindlichkeit

135 137 150 152 164 171 184 186 218 240

Literaturverzeichnis Personenregister

259 265

Zur Zitierweise und Abkürzungsverzeichnis

Zur Zitierweise Wenn nicht anders angegeben, wird Kant nach der Akademieausgabe (Ak) zitiert. Im Fall der 1. (A) und 2. (B) Auflage der Kritik der reinen Vernunft werden die Originalpaginierungen angegeben, ansonsten unter Hinzufilgung von Siglen Band und Seitenzahlen der Akademieausgabe, z. B. KDU, Ak V, 465.

A bkürzungsverzeichnis ANTH BBM BW EAD EBJ

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EE FM GMS G TM

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G TP IAG KDU KPV LOG MAN MDS MTV

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Anthropologie in pragmatischer Hinsicht Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse Briefwechsel Das Ende aller Dinge Einige Bemerkungen zu L.H. Jakob's Prüfung der Mendelssohn'sehen Morgenstunden Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten gemacht hat Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht Kritik der Urteilskraft Kritik der praktischen Vernunft Logik Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaften Die Metaphysik der Sitten Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et prineipiis Principiorum Primorum Cognitionis Metaphysicae Nova Dilucidatio

χ

Zur Zitierweise und Abkürzungsverzeichnis

NG OP PG PROL RGV RH

= =

SDF TP

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UBN ÜEE

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VMC VRM ZEF

= = =

Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen Opus Postumum Physische Geographie Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft Rezensionen von I. G. Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit Der Streit der Fakultäten Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll Vorlesung über Moralphilosophie/Collins Von den verschiedenen Rassen der Menschen Zum ewigen Frieden

Vorwort Vernunft, zumal theoretische, als lebendige anzusprechen, mag mit Bezug auf ihre Konzeption bei Kant zunächst befremdlich wirken. Größtenteils wird sich dieses Befremden von daher erklären lassen, daß der Begriff des Lebens, der eine explizite Zentralstellung erst im Denken des 19. und anfangenden 20. Jahrhunderts erhielt, in diesem Denken verbreitet in die Entgegensetzung zum Rationalen, speziell zum theoretisch Rationalen, gebracht wurde - zum Teil als ein Kampfbegriff, mit dem unter Betonung des Triebhaften und Gefühlserfüllten individuellen Lebens gegen eine vermeintlich inhaltsleere, d.h. bloß formale und abstrakte, gefühlsarme, individualitätsvergessen allgemeine Vernunft polemisiert wurde. Bei allem gebotenen Vorbehalt hinsichtlich pauschalisierender Zuordnung mag man bei dieser Fassung des Lebensbegriffs zumindest an Aspekte der Positionen Schopenhauers, Nietzsches, Diltheys, Bergsons oder Spenglers denken. Durch ein Präjudiz von Seiten dieser wirkmächtigen philosophischen Tradition mit ihrem Anspruch auf Verwaltung des Begriffs des Lebens soll die hier unternommene Untersuchung von Anfang an nicht belastet sein. Von Kant selbst her soll demgegenüber sein rationaler Begriff des Lebens entwickelt werden, und es soll gezeigt werden, daß er hier in einem guten, d.h. einem das Selbst- und Weltverständnis des Menschen erhellen könnenden, Gebrauch steht. Mit dem Blick auf Kants Werk ist nahegelegt, unter dem Titel 'Leben' geradewegs auf die Kritik der Urteilskraft zuzusteuern, hat sie doch als zentrale Themen in ihrem ersten Teil ein durch ästhetische Beurteilung bewirktes Lebensgefühl und in ihrem zweiten Teil die teleologischer Beurteilung unterworfenen Lebewesen (Organismen). Der von diesen Gebieten ausgehenden Anziehung soll hier nicht, wenigstens nicht unvermittelt, gefolgt werden, denn, so die These, zuerst und vor allen anderen Anwendungen in der Kritischen Philosophie hat der Begriff des Lebens in Kants Hauptwerk, der Kritik der reinen Vernunft, seine wichtige Stellung. Allerdings zeigt schon die flüchtige Übersicht über die erste Kritik, daß das keine explizite Stellung ist, sondern daß der Lebensbegriff sich als der behauptete wichtige Begriff nur von einzelnen Anlässen im Expliziten her wird erweisen lassen müssen, d.h. als ein Hintergrundbegriff. Die Thematik der Kritik der reinen Vernunft also, und zwar im wesentlichen ihren in Hinsicht auf Erfahrung konstruktiven, erkenntnisbegründenden ersten Teil der Elementarlehre bis einschließlich der Kategoriendeduktion betreffend, soll im Zentrum der Untersuchung stehen. Mit der Festlegung auf ihre Thematik ist aller-

Vorwort

2

dings nicht die Festlegung allein auf ihren Text zu verbinden, zumal sich von diesem her auch eine dem skizzierten Projekt ungünstige Ambivalenz ergibt. Diese ist vor allem darin zu sehen, daß der durch den rationalen Begriff des Lebens gedachten Beziehbarkeit theoretischen Vernunftgebrauchs auf den praktischen eine auf Trennung gehende andere, an der Oberfläche sogar stärkere Tendenz entgegensteht. Zur systematischen Bevorzugung der tiefenstrukturell wirksamen vor dieser zweiten Tendenz und überhaupt zur Explikation mancher im Hauptwerk bloß im Umriß ausgeführter Theorieteile werden nach gegebenem Anlaß sehr wohl hilfsweise andernorts zu findende elaboriertere Lehrstücke Kants herangezogen werden. Dabei wird mit Bezug auf die zu diskutierenden Reflexionen, anderen Druckschriften (zu denen auch die als unmittelbares Feld der Untersuchung ausgeschlossene dritte Kritik gehört) und das Opus Postumum darauf zu achten sein, daß die von dort herangezogenen ausgeführten Positionen mindestens im Verständnis kontinuierlicher Fortentwicklungen genommen werden können und also positiv auf die erste Kritik beziehbar bleiben, daß also nicht widersinnigerweise Neuansätze oder Revisionen von Früherem dieses Frühere erhellen sollen. Nach einem noch problementfaltenden I. Teil orientiert sich die weitere Haupteinteilung dieser Untersuchung an Kants eigener, unübersehbar metaphorisch lebensbegrifïlich ausgedrückter Einteilung nach ,,Stämme[n]" an Erkenntnisbedingungen mit einer etwaigen gemeinschaftlichen „Wurzel" 1 , so daß also im II. Teil Kants Theorie der Anschauungsformen und im III. Teil seine allgemeine Theorie des Verstandes behandelt werden. Als allgemeine soll sie von der speziellen, wie sie dem Kapitel über die Grundsätze entspricht, abgegrenzt sein. Daß die Theorie der Anschauungsformen (nicht nur wegen der in der B-Deduktion noch thematisch werdenden formalen Anschauung) sich nicht auf dem Gebiet des in der Transzendentalen Ästhetik Ausgeführten halten läßt und von ihr her also erweiterte Betrachtungen motiviert und vorgezeichnet sind, ist ein Allgemeingut der Kant-Forschung. Um vorweg die für diese Untersuchung wichtigsten Felder dieser zusätzlichen Betrachtungen zu benennen, soll zunächst auf die noch innerhalb der ersten Kritik selbst auskunftsfähigen Teile der Paralogismus-Kapitel hingewiesen sein, die es erlauben, die Anschauungsformen in ihrer Beziehung auf Selbstbewußtsein zu diskutieren. An zweiter Stelle ist ein noch wenig als Lehrstück zu den Anschauungsformen und Größenbegriffen zur Kenntnis genommener Teil der dritten Kritik zu nennen, d.i. die Theorie des Mathematisch-Erhabenen, und an dritter schließlich das Opus Postumum. Die Weiterungen, die die allgemeine Theorie des Verstandes der ersten Kritik verlangt, werden insbesondere anzuschließen sein an den trotz seiner Wichtigkeit in ihr eher verdeckten organologischen Sinn des Systembegriffs in seiner Anwen-

1

A 15/B 29.

Vorwort

3

dung auf das System von Kategorien. Mitbetroffen ist damit der Begriff der Deduktion, insofern die Kategorien durch Deduktion systematischen Zusammenhang haben sollen. Zur Explikation des allgemeinen Systembegriffs werden hier nur scheinbar fernliegende Erwägungen Kants zur Naturteleologie herangezogen werden können. Vom damit in eins thematisch werdenden Zweckbegriff her wird sich dann ein Licht auf den durch Kategorien in Erfahrungsurteilen fungierenden Verstand werfen lassen, in dem dieser als zweckmäßig tätig erscheinen muß und als mitnichten getrennt von praktischem Vernunftgebrauch. In dem auf die bisherige grobe Skizze folgenden, immer noch einführenden I. Teil soll unter anderem doch schon einiger Aufschluß über den für die Lebensthematik ertragreichen Systembegriff gewonnen werden.

Teil I

Der Begriff des Lebens als leitende Idee

1. Theoretische Vernunft wie ein Organismus Die leitende Idee dieser Untersuchung ist vorgezeichnet durch eine vermeintlich beiläufige Bemerkung Kants in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft. Sie lautet, hier aus dem Kontext gelöst und also akzentuiert vorgetragen: Die Erkenntnisprinzipien reiner spekulativer Vernunft sind in ihr „wie in einem organisirten Körper"1 zu denken. Es erlaubt demnach theoretische Vernunft die Veranschlagung des Begriffs der Organisation, und die Erkenntnisprinzipien sind so als ihre Organe aufgefaßt. Kant projektiert seine Vernunftkritik derart, daß sie „den ganzen inneren Gliederbau"2 rein spekulativer Vernunft darlegen soll. Die Pointierung verschärfend wäre zu sagen: Reine spekulative Vernunft ist hinsichtlich der Prinzipien ihres Erkennens wie etwas Lebendiges zu denken, wie eine Pflanze, wie ein Tier oder wie der menschliche Leib unter dem Gesichtspunkt ihrer zu einem Ganzen zusammenwirkenden Organe. Wie eine nach Art des Lebendigen gedachte theoretische Vernunft näherhin verstanden werden müßte, klärt ansatzweise der Kontext der herausgegriffenen Stelle: nämlich als eine „für sich bestehende Einheit ... , in welcher ein jedes Glied" des Gliederbaus „um aller anderen und alle um eines willen dasind, und kein Prinzip mit Sicherheit in einer Beziehung genommen werden kann, ohne es zugleich in der durchgängigen Beziehung zum ganzen reinen Vernunftgebrauch untersucht zu haben". Durch diese Erläuterung sind erste Anlässe für eine Problementfaltung und schon wichtige Schlüsselbegriffe gegeben, die als Leitfäden der fortgesetzten Betrachtung dienen werden. Den Aspekt ihres Für-sich-Bestand-Habens als erstes konstatierend, der in Anbindung an die Organismusvorstellung die Lebensbegriffe der Selbsterhaltung und der Selbstorganisation evoziert und in aller Allgemeinheit überhaupt die Vorstellung eines identischen Selbst, ist spekulative Vernunft sodann als eine Einheit bezeichnet, worin mehreres da ist, eben eine Pluralität an Erkenntnisprinzipien als Glieder. Sie ist so als eine Einheit aufzufassen, deren innerliche Differenzierung nach mehrerem nicht aggregiert, sondern strukturiert bzw. artikuliert ist. Mit solch artikulierter Pluralität das Für-sich-Sein spekulativer Vernunft ausdrücklich in Bezug gesetzt, läßt ihr Selbst als eine Art Zentralpunkt ansehen, woraufhin bezogen die Glieder ihren Zusammenhang in einem sie integrierenden Ganzen haben. Da kein Glied bloß fllr sich betrachtet als ein Glied aufzufassen ist und auch die additiv aggregierende Betrachtung von Elementen nicht hergeben kann, wovon

1

2

Β XXIII

ebd.

1. Theoretische Vernunft wie ein Organismus

8

diese Glieder oder Organe sollten sein können, ist, um sie als solche betrachten zu können, jenes Ganze als vorgängig anzusehen, der ganzheitsversichernde Zentralpunkt also nicht als ein nachträglich von den Elementen der Mannigfaltigkeit her gewonnener, sondern als ein solches Zentrum, von woher als etwas Vorgängigem die Möglichkeit, ein Element als Glied anzusehen, erst ausgeht, d.h., von woher als organisierendem Zentrum Gliederung allererst erzeugt wird. Wenn nun ein Erkenntnisprinzip nicht „mit Sicherheit in einer Beziehung genommen werden kann, ohne es zugleich in der durchgängigen Beziehung zum ganzen reinen Vernunftgebrauch untersucht zu haben"3,

dann ist es in der Einzelbetrachtung, d.h. abgeschnitten von der Beziehung auf das Ganze und seine Zentralstelle gar nicht als ein Prinzip der Erkenntnis zu nehmen, denn dazu ist jederzeit erforderlich, es auch „mit Sicherheit" nehmen zu können. Sein Status als Erkenntnisprinzip ist in der gegebenen Betrachtung ein - nicht von ihm selbst her - erzeugter. Anders gesagt steht sein Status als Erkenntnisprinzip überhaupt so unter der Bedingung der Bewährung des skizzierten Gedankens der Selbstorganisation. Eine Erörterung der in Kants Kritik der reinen Vernunft dargelegten Erkenntnisprinzipien, die diesen den Rang einer notwendigen Bedingung einnehmenden organologischen Gedanken und seine Impiikate filr das Verständnis dieser Prinzipien fruchtbar zu machen versucht hätte, ist, so weit zu sehen ist, noch kaum irgendwo unternommen worden. Für die Rede vom ganzen reinen Vernunftgebrauch und vom organisierenden Zentrum seines Zusammenhalts milßte sich nun, da nicht von den Elementen der Prinzipienpluralität als solchen her zu führen, ein eigener, also von den Gliedern als solchen unterschiedener Anhalt gewinnen lassen, wodurch aber nicht schon gesagt ist, daß dieses Eigene etwas im Sinne einer isolierten Substanz Eigenes sein müßte, was bedeutete, daß es auch abgelöst von seiner organisierenden Entfaltung zu einem intern differenziert prinzipiierten ganzen Vernunftgebrauch etwas wäre. Mit dem Gedanken einer Selbstorganisation und einer organisierenden Entfaltung zu einem artikulierten Gebrauch ist jene Zentralstelle eines Ganzen nach Art eines Zentrums von Aktivität nahegelegt, welche unter Wahrung von Einheit, d.h. unter Vermeidung von Desintegration und Verselbständigung des durch sie Hervorgebrachten, auf differenzierende Entfaltung gerichtet ist bzw. diese zum Handlungsziel hat. Bei Kant ist der Anklang an Vorstellungen von einer Vernunft, die sich handelnd in Erkenntnisprinzipien mit dem schließlichen Handlungsziel Erkenntnis' äußert, schon durch die Charakteristik dieser reinen spekulativen Vernunft als ein „Vermögen"4 gegeben, d.h. als ein Können oder als eine Fähigkeit5, und zwar

3 4 5

ebd. ebd. Vgl. A 94

1. Theoretische Vernunft wie ein Organismus

9

eben zum Handeln, denn insofern Vernunft als „Vermögen (facultas)" gedacht ist, ist sie als „handelnd' gedacht.6 Ein Erkennen solcher Vernunft ist nicht Widerfahren oder bloßes Geschehen von Erkenntnis, sondern Erkenntnis als Tun. Geläufig ist auch die Rede von der Erkenntnisfo-q//, wodurch ein Implikat von Handlung angegeben ist, denn „wo Handlung" ist, da ist „mithin ... Kraft"7. Jener genannte Zentralpunkt des ganzen reinen Vernunftgebrauchs - in Schlagworten vorweg benannt: das transzendentale Subjekt, Ich, Selbstbewußtsein, Apperzeption müßte in der entwickelten Betrachtungsweise als die ursprüngliche aktive Mitte eines differenzierten Vermögend-Seins angesehen werden, als eine Art Zentrum einer von hier aus gezogenen Kreissphäre, auf welches das von ihm aus zum Erkenntnisgebrauch Erzeugte rückbezüglich bliebe. Die sicher nur begrenzt verwendungsfähigen Metaphern 'Punkt' oder 'Kreis', ersichtlich mit räumlicher Vorstellungsart zusammenhängend, werden doch auch von Kant in Hinsicht auf sein Thema der einen, ganzen spekulativen Vernunft und ihrer internen Differenzierung nach Prinzipien herangezogen. So ist für ihn das transzendentale Selbstbewußtsein als der alles Erkennen letztlich sichernde Deduktionsgrund von Kategorien8 der „höchste Punkt" der Transzendentalphilosophie als „der Verstand selbst"9; das System der als deduziert behaupteten gegliederten Mannigfaltigkeit von Kategorien seinerseits ist in den Prolegomena mit einem „geschlossenen Kreis" verglichen10. Die eine, ganze und für sich bestehende spekulative Vernunft mit Ausdrücken des Handelns und Erzeugens zu charakterisieren, zieht die Frage nach einer offenbar in Anschlag gebrachten Kausalität nach sich, die, insofern sie sich auf etwas in seinem Selbst und seiner Innerlichkeit Irreduzibles und Ursprüngliches beziehen soll, als eine innere Kausalität wird bezeichnet werden müssen. Auch dadurch, und zwar abgesetzt von einem Unterworfen-Sein unter fremdbestimmende äußere Kausalität, ist, wie noch genauer zu sehen sein wird, fìir Kant der Begriff des rationalen Lebens bestimmt. Zuletzt wird solche innere Kausalität unumwunden als Kausalität aus Freiheit oder als Kausalität nach Zwecken anzusprechen sein. Dies zur Vorgabe einer Erörterung theoretischer Vernunft zu machen, mag verwundern, doch die Erwägung des in spekulative Vernunft als solche involvier-

6 7 8

9 10

ANTH, Ak VII, 140 A 204/B 250 .Deduktion' wird hier zunächst gemäß Kants Begriff der subjektiven Deduktion genommen werden müssen, unter welchem Titel nach dem „reinen Verstand selbst, nach seiner Möglichkeit und den Erkenntniskräften, auf denen er selbst beruht", gefragt wird, oder anders, worunter die Frage ,,[W]ie ist das Vermögen zu Denken selbst möglich?" gestellt wird. Die objektive Deduktion bezieht sich demgegenüber, nach vorausgesetzter Möglichkeit des Denkens, „auf die Gegenstände des reinen Verstandes und soll die objektive Gültigkeit seiner Begriffe a priori dartun und begreiflich machen".(A XVI f.) Β 133 Anm. PROL, Ak IV, 325

10

1. Theoretische Vernunft wie ein Organismus

ten Zweckbegriffs ist von Kant an der oben zum Ausgang gewählten Stelle über das Implizite der Analogie mit einem Organismus hinaus nahegelegt. Sowohl die Beziehung der als Glieder in Rede stehenden Erkenntnisprinzipien untereinander als auch ihre Beziehung zum ganzen Vernunftgebrauch ist hier nach Art eines 'um ... willen' und damit nach Art des nexus fmalis aufgefaßt. In den Prolegomena ist ausdrücklich vom „Zweck jedes Gliedes" reiner Vernunft die Rede, der „wie bei dem Gliederbau eines organisirten Körpers ... nur aus dem vollständigen Begriff des Ganzen abgeleitet werden kann"11. Zur späteren Wiederaufnahme mag hier schon der Begriff der Ableitung bzw. Deduktion, in Verbindung mit einer offenbar in ihrer Zweckmäßigkeit zu denkenden ganzen, abgeleitete Zwecke von Gliedern integrierenden Vernunft festgehalten werden. Der Zweckbegriff charakterisiert nun grundlegend diejenige Vernunft, die gewöhnlich als praktische Vernunft in einer strikten Abhebung von der theoretischen gesehen wird - nicht ohne erhebliche Begünstigung durch Kant selbst, wie sogleich zuzugestehen ist. Diesem Begriff hier doch eine Leitfunktion in der Betrachtung theoretischer Vernunft zuzuschreiben, bedeutet, so der weitestgehende mit ihm zu verbindende Ausblick, die Einheit von praktischer und theoretischer Vernunft zum Thema zu machen und, sollte es in der Durchführung zu einer Bewährung kommen, theoretische Vernunft nicht mehr in einem privativen Sinn als eine bloß theoretische ansehen zu müssen. Doch vor der späteren näheren Ausführung der bisher bloß angedeuteten Praktizität theoretischer Vernunft läßt sich der bisher entwikkelte Ansatz zu einem Ausblick auf das Praktische noch unter dem Titel eines Begriffs akzentuieren, der durch das Vorige als vorbereitet gelten kann: Es sind nämlich zusammengefaßt die bis hierher erörterten Beziehungen unter den Erkenntnisprinzipien im Ganzen der einen, reinen spekulativen Vernunft durch den Begriff des Systems zu denken.

11

Ρ ROL, Ak IV, 263

2. Einheit des Zwecks im szientifischen Systembegriff Unter System versteht Kant „die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee"; diese Idee „ist der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, so fern durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen sowohl, als die Stelle der Theile unter einander, a priori bestimmt wird" 12 .

Sogleich an die Kantische Kritik an Ideen, Vernunft- oder Totalitätsbegriffen in der Transzendentalen Dialektik erinnert, wird in Anwendung auf die ganze spekulative Vernunft und ihre Erkenntnisprinzipien gesagt werden müssen, daß in ihrem Fall die Systemidee dem Einfluß der dortigen Ideenkritik wird entzogen bleiben müssen, soll doch nur durch die Bewährung systematischer Einheit zu gewährleisten sein, theoretische Vernunft in ihrem Erkennen-Können zu erweisen und ihre Erkenntnisprinzipien mit Sicherheit und damit überhaupt erst in einem strikten Sinn als solche nehmen zu können. In Hinsicht auf Erkenntnisprinzipien, hier noch bloß mit Bezug auf die „Elemente der reinen Verstandeserkenntniß" gesprochen, ist nach Kant nur durch ein „unter einer Idee zu befassendes und zu bestimmendes System" der „Probirstein der Richtigkeit und Ächtheit aller hineinpassenden Erkenntnißstücke" gegeben13. Unter einem spezifischeren von der Transzendentalen Dialektik bereitgestellten Aspekt betrachtet, wird dieser Idee, wenn Erkenntnis wirklich sein und nicht Problem bleiben soll, auch nicht bloß im Anschluß an eine kritische Herabwürdigung der mindere, zwar erkenntnisbefördernde, das Erreichen von Totalität aber nicht erlaubende Status einer bloß regulativen Idee zugesprochen werden können. Die Systemidee ist, wie nun noch genauer zu sehen sein wird, in einer positiv begründenden Rolle in Hinsicht auf die konstitutiven Prinzipien der Erfahrungserkenntnis verlangt, wird also selbst kaum bloß regulativ sein können. Im Gegenteil ist die Systemidee also als nicht bloß annäherungsweise zu bewähren verlangt, sondern in einer vollständig positiv begründenden Rolle in Hinsicht auf die konstitutiven Prinzipien der Erfahrungserkenntnis. Von der Bewährung der Systemidee in Hinsicht auf die Erkenntnisprinzipien und also auch von einer dafür vorauszusetzenden Ganzheitsvorstellung hängt nach Kant sogar ab, daß seine Kritik an den überschwenglichen und transzendenten Vernunftideen als eine wissenschaftliche möglich ist, d.h. selbst systematisch sein kann und also nicht bloß ein beliebiges desintegriertes Aggregat von zufälligen, vielleicht wechselnden oder vermehrungsfähigen Illusionen behandelt, sondern 12 13

A 832/B 860 A 64/B89Í.

12

2. Einheit des Zwecks im szientifischen Systembegriff

eben ein System von Illusionen. In der reinen Vernunft ist „ein ganzes System von Täuschungen und Blendwerken ..., die unter sich wohl verbunden und unter gemeinschaftlichen Principien vereinigt sind"14. Wodurch dieses System als ein solches eingesehen werden kann, ist das „System der Kategorien", denn es „macht... alle Behandlung eines jeden Gegenstandes der reinen Vernunft selbst wiederum systematisch"15. Durch „systematische Einheit" wird „gemeine Erkenntniß allererst zur Wissenschaft"16. Es mag hier an Einzelwissenschaften gedacht werden, doch was für diese gilt, gilt a fortiori für die Transzendentalphilosophie als die projektierte Wissenschaft vom Wissen überhaupt. Gemeine Erkenntnis gibt Wissen bloß im „Aggregat" oder als „Rhapsodie"17, erzielt aus einem Herumtappen und durch ein Aufsammeln. Erkenntnisprinzipien als auf diese Art erkannt anzusehen18, bedeutete - und seien es auch für sich betrachtet dieselben Prinzipien wie die andererseits in einem System vorkommenden -, sie nach Art eines vorgängigen GegebenSeins einer Mannigfaltigkeit von Gegenständen (hier der Gegenstand 'Erkenntnisprinzip') anzusehen, die aus ihrem Vorliegen heraus eine Erkenntnis von ihnen als Erkenntnisprinzipien ermöglichen sollten. Auf diese Weise der Passivität des Erwerbs von einem etwaigen Gegeben-Sein her wären sie aber - z.B. die Kategorie der Substanz, die auch Aristoteles in seiner „Rhapsodie"19 aufführt - nach Kant nur empirisch und a posteriori und eben deshalb nicht mit Sicherheit zu nehmen. Hier hätte, was das Gegenteil des transzendentalen Programms der Begründung apriorischer Erkenntnis bedeutete, der gegebene Gegenstand 'Erkenntnisprinzip' seine Erkenntnis ermöglicht, im Grundsatz nicht unterschieden von jeder Art aposteriorischer, aufgrund ihrer wesentlichen Unabgeschlossenheit jederzeit unter Erweiterungs- und auch unter Revisionsvorbehalt stehender Erkenntnis. Um der genannten Sicherheit des Erkennens willen muß also dem transzendentalen Programm gemäß Erkenntnis umgekehrt, d.h. a priori, begründet werden, wobei zum Projekt dieser Umkehrung gehört, daß an die Stelle der verworfenen Passivität des Erwerbs die Aktivität tätigen Hervorbringens prinzipiierter Erkenntnis tritt. Entgegen dem Aufsammeln bloß vorgefundener Prinzipien müssen diese reflexiv aus dem Selbstverständnis des Erkennenden als eines ursprünglich gemäß der Form eines Ganzen Tätigen entwickelt werden; das Ganze als Idee darf hier nicht auf fremder Mitteilung beruhen, sondern muß Ganzheitsentwurf dieser tätigen Subjektivität selbst sein, wobei in Ausführung dieses Entwurfs interne Artikulation nach Teilen, genauer nach Teilhandlungen als mehreren unterscheidbaren erkenntnisprinzipiie-

14 15 16 17 18 19

A71I/B739 PROL, Ak IV, 325 A 832/B 860 ebd. vgl. Kants Aristoteles-Kritik, PROL, Ak IV, 323 ebd.

2. Einheit des Zwecks im szientifischen Systembegriff

13

renden Handlungen ausgeführt sein muß. Unterschieden von einem Aggregat an Prinzipien hat dann der „szientifische Vernunftbegriff' eine „Einheit des Zwecks, worauf sich alle Theile und in der Idee desselben auch unter einander beziehen" 20 . Bei Beziehungen dieser Art lassen sich die Teile des Systems spezifischer als Glieder ansehen. Um das, was später in der Sache weiterer Ausführung bedarf, hier im Kontext der Erörterung des allgemeinen Systembegriffs doch nicht völlig unbestimmt zu lassen, sei wenigstens schon einmal benannt, worin Kant schließlich die zu seiner Absicht auf das System von Erkenntnisprinzipien tragfähige Idee des Ganzen sieht, nämlich in der einer „Verstandeshandlung ..., die alle übrige enthält" und die „im Urtheilen" besteht 21 . Auf das Urteilen wird sich von hier aus die weitere Nachfrage beziehen müssen, und es muß dieses Urteilen in den Blick genommen werden als ein auf spontanem ganzheitlichem Entwurf beruhendes, intern nach Teilhandlungen artikuliertes und doch Einheit des Zwecks ausführendes Handeln, kurz als ein lebendiges Vollziehen, nicht als ein bloßes Urteilsgeschehen, das dem urteilenden Subjekt etwa bloß widerfahren könnte und dessen Prinzipienbestimmtheit es schlicht als eine Vorfindlichkeit an sich feststellte. Vom System mit der Einheit eines Zwecks heißt es bei Kant nun noch, daß es „keine zufällige Hinzusetzung" 22 an Teilen duldet, die nicht schon durch die vorgängige Zweckidee regiert und die etwa äußerliche Hinzusetzung im Sinne einer Addition von Teilen wäre. Die dadurch provozierte Frage nach einer etwaigen anderen, nicht zufälligen Art eines Hinzukommens ist durch Kant im diskutierten Zusammenhang auch angesprochen, und er bejaht hier die Möglichkeit einer solchen Art von Hinzukommen oder Systemerweiterung, die als innerliche mit dem Lebensbegriff des Wachstums zu bezeichnen ist. Insgesamt überrascht nach dem Bisherigen nicht, daß Kant seinen szientifischen Systembegriff unmißverständlich als einen organologischen zu erkennen gibt: „Das Ganze ist also gegliedert (articulatio) und nicht gehäuft (coacervatici); es kann zwar innerlich (per intussuseeptionem), aber nicht äußerlich (per appositionem) wachsen, wie ein thierischer Körper, dessen Wachsthum kein Glied hinzusetzt, sondern, ohne Veränderung der Proportion ein jedes zu seinen Zwecken stärker und tüchtiger macht."23.

20 21 22 23

A 832/B 860 PROL, Ak IV, 323 A 832/B 860 A 833/B 861 - Gerhard Lehmann (1969), der in Untersuchung der allgemeinen Entwicklungstendenz des Systembegriffs bei Kant, angefangen mit seiner physischen Monadologie und endend mit der Äthertheorie des Nachlaßwerks, einen immer stärkeren (anti-Newtonischen) Nachdruck auf dem Modell des Systems als eines Organismus feststellt, sieht dieses Modell schon fllr die Kritik der reinen Vernunft als ausgebildet an (vgl. S. 91f. u. 103); allgemein stellt er daraufhin fest, daß Kant „den Systembegriff teleologisch" denkt (S. 157).

2. Einheit des Zwecks im szientifischen Systembegriff

14

Indem es von der Zweckidee einer jeden Wissenschaft, welche übrigens immer nach einem „allgemeinen Interesse ausgedacht" werde, des weiteren heißt, diese liege zunächst „wie ein Keim in der Vernunft, in welchem alle Theile noch sehr eingewickelt und kaum der mikroskopischen Beobachtung kennbar verborgen liegen" 24 , kann von der Entfaltung der Systemidee und von einem Hinzukommen darin in dem Sinn gesprochen werden, daß etwas zunächst Verborgenes, etwas im Prinzip Kennbares, nur aufgrund noch nicht ausreichend geschärfter Betrachtung und erst anfangender Ausarbeitung nicht Gekanntes, dann schließlich kenntlich wird, wobei aber das dann Erkannte als ein passendes Systemstück nicht als zufällig und nicht wie durch fremdes Angebot hinzugekommen erscheint. Anfangs nicht erkannt ist das Kennbare nur aufgrund nicht ausreichender Erkenntnisbemühung, also nicht aufgrund bis dahin ausgebliebener und immer bloß abzuwarten möglicher empirisch zufälliger Darbietung des zu Erkennenden, welches letztere nur einen Erkenntnisgewinn im Verständnis des aggregierenden Aufsammelns übrig ließe. Wo Kant in Vorbereitung seiner Kategoriendeduktion klärt, worauf es ankommt in der Analytik „unseres gesammten Erkenntnisses a priori", heißt es in Übereinstimmung mit dem zuletzt Gesagten: Sie ist „nur vermittelst einer Idee des Ganzen der Verstandeserkenntniß a priori und durch die daraus bestimmte Abtheilung der Begriffe, welche sie ausmachen, mithin nur

durch ihren Zusammenhang in einem System möglich"; der reine Verstand ist „eine für sich selbst beständige, sich selbst gnugsame, und durch keine äußerlich hinzukommende Zusätze zu vermehrende Einheit. Daher wird der Inbegriff seiner Erkenntniß ein unter einer Idee zu befassendes und zu bestimmendes System ausmachen";

dieses System wird in seiner „Vollständigkeit und Articulation" projektiert. 25 Die Spannung zwischen dem Vollständigkeitsprojekt und der doch offen gelassenen Möglichkeit von innerlichen Zusätzen in bezug auf das System der Erkenntnisprinzipien, welches, wie schon vorweggenommen wurde, aus der Idee des Urteilens zu entwickeln sein wird, kann womöglich durch eine Unterscheidung zwischen Grundbegriffen des Begreifens von Urteilstätigkeit als vollständig erkannten und aus ihnen abgeleiteten Begriffen als noch hinzukommen könnenden aufgelöst werden. Angedeutet ist damit Kants Unterscheidung zwischen Erkenntnisprinzipien als Kategorien und Prädikabilien. Die Bemerkung ,wie in einem organisierten Körper' hätte hier in Vorbereitung des Kategoriensystems ebenso ihren Platz wie an den anderen angeführten Stellen.

24 25

A 834/B 862 A 64f./B 89f.

2. Einheit des Zwecks im szientifischen Systembegriff

15

Neben der also auch hier offen gelassenen Möglichkeit innerlich hinzukommender Zusätze und neben dem Begriff der Artikulation, den Kant anderswo auch mit dem der Organisation gleichsetzt26, findet sich denn auch im direkten Anschluß an das Zitierte jene betont organologische Ausdrucksweise in Gestalt der Rede von den reinen Verstandesbegriffen, die es gelte, nicht als „Begriffe, die sich darbieten, ihrem Inhalte nach zu zergliedern", sondern auf andere Weise „bis zu ihren ersten Keimen und Anlagen im menschlichen Verstände [zu] verfolgen", in denen sie als „ihrem Geburtsorte" „vorbereitet liegen, bis sie endlich bei Gelegenheit der Erfahrung entwickelt... werden"27. Jene andere Weise des Vorgehens als im Ausgang von sich zur Zergliederung bloß darbietenden verstreuten Begriffen, deren Einzelanalyse bedeutete, sie bloß für sich zu betrachten, ist eben angesprochen durch die als vorgängig einzusehen verlangte Idee eines Ganzen. Was damit eigentlich gesagt ist, ist in der ersten Kritik noch verdeckt und durch die erst ansatzweise auf den Begriff gebrachte Lebensmetaphorik bloß angedeutet, läßt sich aber im Licht des dann spätestens in der dritten Kritik elaborierten Lebensbegriffs doch herausstellen. Denn dasjenige, „dessen innere Möglichkeit durchaus die Idee von einem Ganzen voraussetzt, von der selbst die Beschaffenheit und Wirkungsart der Theile abhängt, wie wir uns doch einen organisirten Körper vorstellen müssen",

setzt den „Begriff von einem Ganzen als Zweck?2' voraus. Auf unser Thema bezogen, ist damit die Idee des Urteilens als die von einem Ganzen als Zweck vorauszusetzen, oder anders, den Tätigkeitscharakter des Urteilens betonend, das Urteilen als ganzheitliches zweckmäßiges Tun. Mit der Zweckidee als leitend verfährt die reflexive transzendentale Wissenschaft von den apriorischen Erkenntnisprinzipien nach demselben Prinzip, wonach auch die nichtreflexive Wissenschaft von den Organismen verfährt, um deren speziellem Charakter des Lebendig-Seins gemäß zu sein; die transzendentale Wissenschaft denkt so ihren Gegenstand einem teleologischen Modell gemäß als einen lebendigen.29 Indem nun in Reflexivität dieser Gegenstand theoretischer Vernunft

26 27 28 29

vgl. KDU, Ak V, 416 A66/B90Í KDU, Ak V, 408; Hervorh. Vf. Auch Ingeborg Heidemann (1968, S. 144) stellt heraus, daß „das Analogon filr das System der Vernunft als organische Einheit ... dem Bereich des Lebendigen entnommen" ist, „das heißt zugleich und mit vielen Konsequenzen aus einer Wissenschaft, welche die Einheit Ihrer .Gegenstande' unter der Idee eines Zwecks begreift und deren Forschungsgrundsatz die wechselseitige Bestimmung der Teile nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit ist". Entsprechend sieht sie die „Durchführung der Kritik der reinen Vernunft nicht „an der Astronomie und der experimentellen Physik", nicht an der „euklidischen Geometrie und der newtonschen Physik" orientiert. Ingeborg Heidemann verfolgt aufgrund ihrer anders akzentuierten Themenstellung die „vielen Konsequenzen" aus der Orientierung am Bereich des Lebendigen allerdings nicht auf dem theoretischen Gebiet selbst.

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sie selbst ist, denkt Vernunft in der Selbstthematisierung ihrer Erkenntnisprinzipien sich als lebendige Vernunft. Sie thematisiert reflexiv, um erneut die schon vorbenannte Idee des Ganzen heranzuziehen, ihr Urteilsleben. Die Idee des Urteilens ist damit als die von einem Ganzen mit der Einheit eines Zwecks vorauszusetzen, oder anders, den Tätigkeitscharakter des Urteilens betonend, dieses Urteilen als ganzheitliches zweckmäßiges Tun. Bei der transzendentalen Wissenschaft von den aus der Idee des Urteilens zu entwickelnden Erkenntnisprinzipien ihrerseits handelt es sich nach dem von jeder Wissenschaft Gesagten um eine interessierte reflexive Selbstthematisierung, die damit ihrerseits also ein zweckorientiertes Tätigsein darstellt. Die Berechtigung der Rede vom Urteilsleben läßt sich mit Bezug auf Kants lebensbegriffliche Qualifikation des Systems der Kategorien (der nur zum Gebrauch in Urteilshandlungen tauglichen erfahrungsprinzipiierenden reinen Verstandesbegriffe) als „gleichsam ein System der Epigenesis der reinen Vernunft"30 stützen. Diese Qualifikation nimmt er im Rückblick auf seine Kategoriendeduktion (in B) vor. Daß durch den Ausdruck ,gleichsam' nur scheinbar eine Restriktion indiziert ist, wird noch gezeigt werden können; im Gegenteil sind durch ihn Einschränkungen weggenommen, die mit dem Lebensbegriff der Epigenesis auf dem geläufigen Gebiet seiner Anwendung, dem Gebiet teleologisch reflektierender Urteilskraft, verbunden sind. Vor der Erhellung dessen ist aber der Sinn des EpigenesisBegriffs im Kontext allein der Thematik eines Einheit eines Zwecks voraussetzenden Systems von erfahrungsbegründenden Begriffen a priori zu ermitteln. Es ist hier der Begriff des ,,System[s] der Epigenesis der reinen Vernunft" zur Absetzung von einer etwaigen „Behauptung eines empirischen Ursprungs" der Kategorien, d.h. einer „Art von generatio aequivoca"31, gebraucht. Zugleich ist er aber neben dieser Grenzziehung gegenüber empirischer Fremdbestimmtheit zur Absetzung von einer etwaigen nichtempirischen Fremdbestimmtheit des kategorial organisierten Urteilslebens verwendet, d.h. zur Abwehr eines Verständnisses der Kategorien als „mit unserer Existenz zugleich eingepflanzte[n] Anlagen"32. So wären sie als ideae innatae verstanden, die in uns durch einen uns äußerlichen, fremden „Urheber so eingerichtet worden"33 wären, und zwar mit der erheblichen destruktiven erkenntnistheoretischen Konsequenz, daß die notwendige Geltung der Erkenntnisprinzipien nicht zu sichern möglich wäre. Denn sie beruhten in diesem Fall nur auf einer „beliebigen", d.h. auf einer auf ein uns unzugängliches Belieben eines äußeren Urhebers zurückzuführenden, „uns eingepflanzten subjectiven Nothwendigkeit", woraufhin bloß zu sagen wäre: ,,[I]ch bin nur so eingerichtet."34

30 31 32 33

34

Β 167 ebd. ebd. ebd.

Β 168

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Solche subjektive Notwendigkeit wäre bloß ein Nicht-anders-Können aufgrund fremdursprünglichen Eingerichtet-Seins, d.h. ein zufälliges Nicht-anders-Können; es müßten der Wirksamkeit des Urhebers andere mögliche Einrichtungen meiner selbst zugestanden werden. Zugleich wäre der Vorfindlichkeitscharakter meines Eingerichtet-Seins von dem bei empirischem Ursprung der Kategorien nicht unterschieden. Im Positiven steht der Begriff des Kategoriensystems als „gleichsam ein System der Epigénesis" dafür, „daß nämlich die Kategorien von Seiten des Verstandes die Gründe der Möglichkeit aller Erfahrung überhaupt enthalten", daß die Kategorien, ,¿elbstgedachte erste Principien a priori unserer Erkenntniß"35 sind. Mit dem Selbstvollzug des Denkens als dem entscheidenden Definiens des Lebensbegriffs der Epigenesis ist das durch Kategorien epigenetisch-systematisch organisierte Urteilsleben kein erteiltes Leben, kein Leben als ein Eingeordnet-Sein in ein fremdursprüngliches Geschehen von Urteilsvollzügen, kein Leben in der bloßen Teilhabe als Mittel zu einem heterogen gesetzten Zweck, insgesamt kein widerfahrendes, sondern ein selbstgeführtes und selbstbestimmtes Urteilsleben. Es wird so der verlangte eine Zweck des Systems der nur zu Erfahrungsurteilen zu gebrauchenden Kategorien weder ein heterogen empirisch gesetzter sein dürfen noch ein heterogen nichtempirisch gesetzter durch jenen gedachten fremden Urheber; positiv ausgedrückt, wird er ein autonom nichtempirisch gesetzter Zweck sein müssen, was bedeutet, daß die nichtempirische Intention hin auf Bestimmung des Empirischen als Erfahrung vermittels kategorial organisierten Urteilens die selbsteigene Intention des denkenden Subjekts wird sein müssen. Die Verwirklichung der Erkenntnisintention ist in diesem Verständnis weder Ausführung einer vorgängigen Naturabsicht noch einer Absicht Gottes mit dem Erkenntnissubjekt, sondern eigenes tätiges Urteilsleben des originär sich als Verstand betätigenden Subjekts. Mit der Betonung des selbstdenkenden menschlichen Verstandes als der Zentralstelle der Ermöglichung von kategorial organisierten Erfahrungsurteilen ist dezidiert die Beschränkung auf die Immanenz des - allerdings Spontaneität im Selbstverhältnis wie im erkennenden Weltverhältnis voraussetzenden - menschlichen Lebens gewahrt. Es ist so zu sehen, daß bei aller durch den Epigenesis-Begriff ausgedrückten Emphase des Selbstdenkens und der Spontaneität eines also selbst zu führenden Urteilslebens diese Begriffe doch prinzipiell kritisch sind - kritisch einerseits gegenüber der Unausgewiesenheit eines empirisch Gegebenen, insofern es etwa von sich aus sein Bestimmt-Werden in Erfahrungsurteilen verlangen und so die Erkenntnisintention erwecken sollte, wozu an ihm ein materialiter sich bekundendes Merkmal des Verlangt-Seins von Erfahrungsurteilen aufzuzeigen wäre, und kritisch andererseits einem nichtempirisch Gegebenen gegenüber, insofern es den

35

Β 167

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Zweck von Erfahrungsurteilen setzen sollte, wozu aus einem heterogenen Intelligiblen die auffordernde Stimme jenes fremden Urhebers hörbar gemacht werden müßte. Da dergleichen aber nicht aufzuzeigen ist bzw. nicht hörbar gemacht werden kann, ist erkennende Subjektivität in ihrem Erkenntnisleben sowohl hinsichtlich der Eröffnung als auch hinsichtlich der Ausführung auf sich allein gestellt zu denken. Es erklärt sich von diesem Auf-sich-gestellt-Sein her die Kantische Bestimmung, daß die in Analogie zum „organisierten Körper" gesetzte theoretische Vernunft als Inbegriff von Erkenntnisprinzipien eine „ganz abgesonderte, für sich bestehende Einheit ist"36, d.h. nichts Heterogenes läßt sich als sie tragend oder als ihren Bestand sichernd aufweisen. Nach der gegebenen Erklärung verlangt also der Mensch von sich selbst und um seiner selbst willen Erfahrung und ist in diesem Von-sich-Verlangen und in dessen Ausführung als lebendig zu apostrophieren, d.h. als von eigener und nicht erteilter Lebendigkeit. Es ist mit der wiederholten Anwendung von Ausdrücken des Wollens und der Absichtlichkeit, berechtigt in Anknüpfung an jene also ernst genommene Einheit des Zwecks eines organologisch gedachten Systems, schon angedeutet, daß sich das Selbstverhältnis des um seiner selbst willen Erfahrungsurteile intendierenden Subjekts nicht rein als ein bloß theoretisches wird fassen lassen. Mit dem in kategorial organisierten Erfahrungsurteilen selbstdenkenden, spontanen Verstand, mit der darin bestehenden inneren und eigenen Lebendigkeit des Erkenntnissubjekts wird nun der systematische, Einheit eines Zwecks voraussetzende Kategorienzusammenhang von Kant deshalb bloß „gleichsam" ein „System der Epigenesis" genannt werden können, weil der Begriff der Epigenesis seine geläufige Anwendung nicht in Hinsicht auf das Selbstverhältnis des Erkenntnissubjekts hat, sondern in Hinsicht auf das Fremdverhältnis, worin für teleologisch reflektierende Urteilskraft Organismen als empirisch gegebene Phänomene thematisch sind. Teleologisch reflektierende Urteilskraft hat es mit Natur insoweit zu tun, als sie empirisch vollständig bestimmte und nicht bloß kategorial „ihrer Gattung nach"37 bestimmte Natur ist. Organismen sind für reflektierende Urteilskraft zwar unter dem Aspekt der Zweckmäßigkeit thematisch, d.h. unter der Annahme eines aus rationalem Selbstverständnis stammenden Prinzips; es stehen ihre Erkenntnisansprüche aber unter mehreren Restriktionen. Es richtet sich die Erkenntnisintention reflektierender Urteilskraft auf etwas zufällig Gegebenes, dessen Zufälligkeitscharakter für das Erkenntnissubjekt nicht letztlich überwunden werden kann. Das Subjekt kann, obwohl die Intention der Erkenntnis von Zweckmäßigkeit von ihm ergeht, hier nicht auch noch für die Erfüllung dieser Intention sorgen. Es kann auch bei (mithin abzuwartender) Erfüllung den dann als zweckmäßig beurteilten Gegenstand nicht als Manifestation eigener

36 37

Β XXIII KDU XXXIII; vgl. auch zum Folgenden E ini zur KDUIV

2. Einheit des Zwecks im szientifischen Systembegriff

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Rationalität betrachten, sondern regulativ bloß so, „als ob gleichfalls ein Verstand (wenn gleich nicht der unsrige)", ihn „zum Behuf unserer Erkenntnißvermögen ... gegeben hätte" 38 . Trotz des Vorzugs, den Kant der epigenetischen Erklärungsart der Selbstorganisation hinsichtlich der Erzeugung von Organismen vor anderen Erklärungsarten gibt39, bleibt es ihmnach auf diesem Feld für reflektierende Urteilskraft doch dabei, daß das „Princip einer ursprünglichen Organisation" letztlich ein „uns unerforschliche[s]" 40 ist, d.h. ein nicht aus unserem eigenen rationalen Selbstverständnis bewährbares, was das Unmögliche erfordern würde, einen empirisch leiblichen Organismus als Manifestation unserer produktiven Rationalität anzusehen. Weil einem eigenen inneren Vollzug nicht zugänglich, bleibt also auf diesem Feld von in ihrer Leiblichkeit thematischen Organismen unverstanden, d.h. eben nicht selbstdenkend vollziehbar, was Leben ist. Das betrifft selbstredend auch die Verständlichkeit der Lebendigkeit des Menschen in seiner organischen Leiblichkeit. Gerade solche Einschränkungen aber nimmt der Ausdruck ,gleichsam' in der auf das Kategoriensystem bezogenen Wendung .gleichsam ein System der Epigénesis' zurück, denn hier ist das Lebensprinzip, spontanes Selbstdenken, als ursprünglich anwesend zu verstehen und der einheitliche Zweck des Systemzusammenhangs der Kategorien, d.i. Erfahrung, als der eigene Zweck dieses Selbst des Selbstdenkens. Am Ende der Deduktion des organologisch gedachten Kategoriensystems wird das Lebensprinzip einer ursprünglichen Organisation nicht unerforschlich geblieben sein können. Es wird nicht unerforschlich geblieben sein müssen, weil hier Vernunft in reflexiver Selbstthematisierung ihrem Gegenstand nicht im Fremdverhältnis gegenübersteht, welches Fremdverhältnis für reflektierende Urteilskraft bei für sie thematischen empirisch leiblichen Organismen (einschließlich des menschlichen) unaufhebbar bleibt. Während im Fall des empirisch organisch Leiblichen der spontane Selbstvollzug von Leben unmöglich bleibt, hier Leben also kein selbstgeführtes ist und Erkenntnisse daraufhin unter der Annahme von Selbstorganisation nicht Uber die Beanspruchung eines Als-obModus unter bloß regulativer Annahme eines anderen organisierenden Verstandes als des unsrigen hinaus kommen können, wird das im reflexiven Fall einer Selbsterkenntnis der Vernunft hinsichtlich ihrer eigenen Erkenntnisprinzipien nicht sein müssen, hier also der Zugang zum Lebensprinzip möglich und hier der originäre Ort der Verständlichkeit von Leben sein können. Auf den Menschen bezogen bedeutet das, daß zwar sein empirisch leibliches Leben ihm letztlich wird fremd bleiben müssen, nicht aber sein Leben als Erkenntniswesen, insofern es spontan

38 39

40

KDU XXVII vgl. KDU § 8 1

KDU

m

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selbstdenkendes Leben ist, entfaltet in kategorial organisierten Erfahrungsurteilen.41 Es gilt nun noch, den Zusammenhang zwischen einer den Lebensbegriff kennzeichnenden speziellen, eine Idee des Ganzen voraussetzenden Teile-GanzesBeziehung und dem Begriff des Zwecks näher zu erörtern. Wo Teile als zu einem Ding verbunden gedacht werden, da beruht „die ganze Schwierigkeit ... auf der Nachfrage nach Einheit des Grundes der Verbindung des Mannigfaltigen außer einander in diesem Producte"42. Kant spricht an dieser Stelle der Kritik der Urteilskraft direkt vom Problem des Organismus, doch vor dem Hintergrund seiner eigenen früheren Analogie zwischen spekulativer Vernunft und Organismen läßt sich seine Rede auch auf die erstere anwenden, und es läßt sich also bei dem Mannigfaltigen, woraufhin die Nachfrage nach der Einheit des Grundes der Verbindung geht, auch an ihre Pluralität an Erkenntnisprinzipien (als Glieder) denken. Wenn nun - so die Fortführung des Organismus-Problems - die fragliche Einheit des Grundes der Verbindung des Mannigfaltigen zu einem Produkt „bloß in der Materie ... gesucht wird", dann ergibt sich, daß „die Einheit des Principe für die innerlich zweckmäßige Form ihrer Bildung gänzlich ermangelt"43. Den Hauptaspekt davon herausgegriffen, muß gesagt werden, daß es der Materie an etwas mangelt, was als ein innerlich einheitsverbürgender Grund anzusprechen wäre: „ ... das schlechthin, dem reinen Verstände nach, Innerliche der Materie ist ...eine bloße Grille."44 Der Begriff einer bloßen Materie impliziert die Vorgängigkeit von Teilen vor ihrer aggregathaften Verbindung, welche auch nur ein relatives, weiterer Aggregation zugängliches Ganzes, nichts der Idee eines Ganzen Entsprechendes darstellt.

41

Β 168 - Als einer der wenigen Kant-Interpreten, die Uberhaupt Notiz vom Hinweis Kants auf das System der Epigenesis der reinen Vernunft genommen haben, schreibt ihm A.C. Genova (1974) eine Schlüsselrolle für das Verständnis der 'Deduktion' zu. Ausgehend von einer knappen Darstellung der zu Kants Zeit einschlägigen philosophischen oder biologischen Theorien zur Entwicklung des Lebendigen - über Kants Kenntnisse davon informieren ausführlich Gabriele Rabel (1931 u. 1963) und Reinhard Löw (1980) -, unternimmt er den Versuch, die Hauptcharaktere der epigenetisch verstandenen Organismen, wozu neben deren Reflexivität und deren Verweis auf ihre Vergemeinschaftung vor allem ihr autonom produktiver Charakter in Ausbildung von virtuell präformierten zweckmäßigen Fähigkeiten gehört (siehe bes. S. 265 u. S. 268), in die Sprache der Theorie des Erkennens zu übersetzen. Von den von ihm genannten Gegenstücken in dieser Übersetzung, die neben der schon angeführten Autonomie des Selbstdenkens auch in der hier unternommenen Untersuchung aufzugreifen sein werden, sind die wesentlichen, in Stichworten wiedergegeben: das Prinzip spontanen Selbstbewußtseins, sein notwendig intersubjektiver und sein auf Objektivität hin richtungnehmender Charakter (bes. S. 270f). - Vgl. zur Epigenesis-Thematik nochmals Genova (1975) und auch J. Wubnig (1969).

42

KDU, Ak V, 420 KDU, Ak V,421

43 44

A 277/B 333

2. Einheit des Zwecks im szientifischen Systembegriff

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An Teilen der Materie als ihrerseits immer wieder teilbar läßt sich nur „Comparativ-Innerliches, das selber wiederum aus äußeren Verhältnissen besteht" 45 , denken. Einen solchen Materiebegriff vorausgesetzt, 46 wird nun also, um demgegenüber einen Organismus als innerlich organisiert zu denken, die Nachfrage nach der Einheit des Grundes seiner artikulierten Mannigfaltigkeit auf etwas Immaterielles gehen müssen. Die Frage ist, ob an die Stelle der bloß negativen Bestimmung des Immateriellen positiv etwas gesetzt werden kann und ob es einen Anhalt für etwas Innerliches gibt, das nicht bloß durch die Negation äußerer Verhältnisse gedacht werden kann. Nach Kant ist es der Fall, daß wir Innerliches kennen, nämlich als unsere eigene Innerlichkeit, die er in einer Unterscheidung noch einmal nach Denken und Begehren differenziert angibt 47 : „Diese Bestimmungsgründe aber und Handlungen gehören gar nicht... zu den Bestimmungen der Materie als Materie"; und im Gegenverhältnis gerade zu ihnen „ist alle Materie als solche leblos". Von etwas Innerlichem als bekannt zu sprechen, bedeutet noch nicht, es auch als substantiell im Sinne der rationalen Psychologie auffassen zu müssen, d.h. als auch bloß für sich und auch ohne Beziehung etwa auf Materie bekannt. Insofern nun Denken und Begehren als innerlich bekannt sind, wird, um einen Organismus als innerlich organisierte Ganzheit zu denken (nicht als aggregathafte, von Teilen ausgehende Verbindung seines Mannigfaltigen zu einem Ding), dieser Organismus als „in dem Verstände einer hervorbringenden Ursache" 48 gründend beurteilt, d.h. als intelligente Hervorbringung - wie gesehen allerdings im Fall von für reflektierende Urteilskraft bloß empirisch vorfindlichen Organismen nicht des unsrigen Verstandes. Mit der Berufung auf Verstand und Intelligenz ist nun noch zu wenig gesagt, wenn von einer zweckmäßigen Hervorbringung die Rede ist. Denn einer solchen ist auch das andere Moment der von uns her bekannten Innerlichkeit vorauszusetzen, nämlich das Begehren, so daß demnach das intelligente Hervorbringen zu-

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47 48

ebd. Dieser Materiebegriff stellt nicht das letzte Wort in der Entwicklung des Kantischen Denkens dar, wie vom modifizierten Materiebegriff des Opus Postumum her ersichtlich ist. Hier unter dem Titel der Theorie des Äthers als des erfüllten Raums wird Materie, weil für Kant selbst „kein Zusammenhang als welcher zur Bildung eines physischen Körpers nothwendig ist gedacht werden kann" (ιOP, Ak XXI, 378) ohne ein physikalisches Ganzheitsprinzip (vgl. Lehmann 1969, S. 255), „nicht als ein Aggregat von Theilen sondern nur als in einem System existirend gedacht" (OP, Ak XXI, 553). Eine grundlegende Rolle dafür, Materie so zu denken, spielt im Opus Postumum das Leibbewußtsein: „Das Bewußtseyn unserer eigenen Organisation als einer bewegenden Kraft der Materie macht uns den Begrif des organischen Stoffs und die Tendenz zur Physik als organischem System möglich." (OP, Ak XXI, 190).Ein Anknüpfungspunkt in der Kritik der reinen Vernunft für die Entwicklung des Kantischen Gedankens hin zum dem Systembegriff gemäß gedachten erfüllten Raum wird, was unten (II. 2., II. 3.) zu diskutieren sein wird, im letztlich nicht anders als ideell zu verstehenden Einheits- und Ganzheitscharakter des Raums als einer Gestalt von Selbstorganisation zu sehen sein. MAN, Ak IV, 544 KDU, Ak V, 421

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gleich als ein Hervorbringen-Wollen, d.h. als „absichtliche Hervorbringung" 49 , anzusehen ist. Es kann, so in einer Formulierung des Opus Postumum, „eine Absicht zu haben, nimmermehr ein Vermögen der Materie sein ..., weil es die absolute Einheit eines Subjekts ist, welches das Mannigfaltige der Vorstellung in einem Bewußtsein verknüpft".50

In organisierten Wesen als innerlich zweckmäßig „stellen wir uns schon eine Causalität nach Zwecken zu ihrer inneren Möglichkeit, einen schaffenden Verstand, vor und beziehen dieses thätige Vermögen auf den Bestimmungsgrund desselben, die Absicht" 51 . Es bleibt hier die Aussage Kants zum Begründungsverhältnis der beiden Aspekte von Innerlichkeit festzuhalten, denn das schaffende Vermögen Verstand wird hier auf eine Absicht als Bestimmungsgrund seiner Tätigkeit bezogen, ohne die es demnach nicht im Hervorbringen eines nach Gliedern differenzierten Produkts tätig, also gar nicht tätiger Verstand wäre. Um auf den zum Ausgang gewählten Vergleich zwischen einem Organismus und spekulativer Vernunft zurückzukommen, ist von hierher nahegelegt, daß auch der reine Verstand, jener Inbegriff unserer gesamten, systematisch - und das heißt: organologisch - verfaßten Erkenntnis a priori, als in Hinsicht auf seine Artikulation nach verschiedenen Erkenntnisprinzipien in einer Absicht gründend angesehen werden muß. Dazu noch mit in den Blick genommen, was diese Prinzipien prinzipiieren sollen, nämlich Erfahrung in ihrer Objektivität, ließe auch diese als an eine Absicht angebunden ansehen, als das Ziel dieser Absicht. Kants in der Kritik der reinen Vernunft selbst vertretene These in Hinsicht auf den „Gliederbau" der „reinen spekulativen Vernunft", worin „alles Organ ist, nämlich Alles um Eines willen und ein jedes Einzelne um aller willen", ist sogar ausdrücklich, daß dieser Gliederbau seine systematische Einheit zuletzt in praktischer Vernunft hat. Er erklärt in der Vorrede zur 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft52 zu seiner Ausführung des Systems rein spekulativer Vernunft, daß sie die „Gleichheit des Resultats im Ausgange von den mindesten Elementen bis zum Ganzen der reinen Vernunft und im Rückgange vom Ganzen ... zu jedem Theile" zeige; zu der hier besonders interessierenden Frage, wodurch dieses Ganze als solches angegeben werden kann, stellt er fest: „auch dieses [Ganze] ist für sich durch die Endabsicht derselben [der reinen Vernunft] im Praktischen gegeben". Da hier unter den Teilen Erkenntnisprinzipien, die Erfahrung prinzipiieren sollen, zu verstehen sind, ist ein Ausgang vom für sich gegebenen Ganzen zu ihnen als ein Ausgang von einer praktischen Endabsicht, d.h. von einem praktischen Zweck, hin zu einer durch die Prinzipien in ihrer Anwendung im Urteilen mit Sicherheit oder

49 50

51 52

KDU, Ak V, 408 OP,Ak XXII, 548 KDU, Ak V, 425 Β XXXVIII

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objektiv zu nehmenden Erfahrung anzusehen. Das Urteilen war bereits oben als das Ganze einer die verschiedenen Prinzipien als Modifikationen oder Momente enthaltenden Verstandeshandlung53 zu benennen. Es wird nach dem Gesagten das Urteilen als theoretisches Fungieren der Vernunft in Anbindung an ihr praktisches Fungieren, Erkenntnis also als Ausführung praktischer Zwecksetzung zu nehmen sein. Mit einem am Ursprung theoretischer Vernunft anzusiedelnden Zweckbegriff sind Perspektiven eröffnet, die gewöhnlich - auch das unter einer gewissen Berufung auf Kant - nicht mit ihr verbunden werden; es sind so Fragen wieder aufgeworfen, die üblicherweise durch Ergebnisse, die zum Lehrbestand der Transzendentalphilosophie gezählt werden, für entschieden gelten, vorzüglich die Frage der angeblichen schlechthinnigen Getrenntheit von theoretischer und praktischer Vernunft. Zu den wesentlichen mit der lebensbegrifflichen Lesart verbundenen Ausblicken gehört also der auf einen im theoretischen Vernunftgebrauch fungierenden Willen, d.i. der Ausblick auf die Praktizität des theoretischen Vernunftgebrauchs als solchen. Mit der Anwendung des Systemgedankens auf den Verstand allein ist nun aber noch nicht genug in den Blick genommen, wenn seine Bedeutung hinsichtlich der Prinzipien der Erfahrung insgesamt in Rede steht. Denn bekanntlich teilen sich diese Prinzipien nach „zwei Stämme[n]"54, wovon nur der eine der Verstand ist, der andere aber Sinnlichkeit, welcher auch etwas a priori zugesprochen ist, d.h. mit den Anschauungsformen Raum und Zeit eine eigene Art Rationalität, die von der des Verstandes unterschieden ist. Insofern aber nur beide zusammen das Produkt Erfahrung sollen ermöglichen können, gilt es etwas darüber auszumachen, inwiefern sie beide als einer systematisch verfaßten Vernunft angehörig anzusehen sind und sich auch ihrerseits nicht bloß wie die äußerlich aufeinander bezogenen und zufällig aufeinandertreffenden Elemente eines Aggregats zueinander verhalten. Bei Kant sind beide unter den Titeln der Reinheit und der Apriorität der einen, also singularisch angesprochenen Vernunft versammelt oder, anders betrachtet, unter dem Titel seiner in ihrer Gesamtheit als wissenschaftlich konzipierten - und also systematisch sein müssenden - kritischen Metaphysik der Erfahrung. Es wird also unter der Fragestellung der einen und ganzen a priori erfahrungsprinzipiierenden Vernunft auch darum gehen müssen, die nichtintellektuellen, d.h. sinnlichrationalen apriorischen Bedingungen der Erfahrung so zu erwägen, daß ihre Herkunft aus „einer gemeinschaftlichen ... Wurzel"55 mit dem Verstand thematisch wird. Auf die mit der Rede von Stämmen und Wurzeln handgreiflich gegebene

53 54 55

vgl. PROL, Ak IV, 323 A15/B29 ebd.

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2. Einheit des Zwecks im szientifischen Systembegriff

Lebensmetaphorik braucht kaum mehr eigens hingewiesen zu werden. Auch in der vom „sehr vermischte[n] Gewebe der menschlichen Erkenntniß"56 ist sie enthalten. Zum doch unvermeidlichen Thema eines gemeinsamen Ursprungs bieten die Aussagen Kants kein einheitliches Bild. Unvermeidlich muß dieses Thema einer Vernunft sein, die „ihrer Natur nach architektonisch" ist, wie der andere Ausdruck für den ihr in der Anwendung auf sich selbst (aber nicht nur hier) wesentlichen Systemgedanken lautet: Architektonik ist die „Kunst der Systeme"57. Nebenbei ist hier zu bemerken, daß man auch mit dem Ausdruck 'Kunst' in eine vermeintlich atheoretische Vorstellungssphäre zu geraten scheint (er wird übrigens unten in Erörterung des Systems der Kategorien in Gestalt des Terminus einer ars combinatoria wieder begegnen). Kant spricht zunächst bloß davon, daß die „zwei Stämme der menschlichen Erkenntniß ... vielleicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel entspringen"58. In seiner Anthropologie heißt es, auch hier in lebensbegrifflicher Ausdrucksweise, nämlich der einer Verwandtschaftsbeziehung: Verstand und Sinnlichkeit „verschwistern sich bei ihrer Ungleichartigkeit, doch so von selbst zu Bewirkung unserer Erkenntniß, als wenn eine von der anderen, oder beide von einem gemeinschaftlichen Stamme ihren Ursprung hätten"59.

Kants Schwanken in der Erwägung dieses gemeinschaftlichen Stamms drückt sich in der Fortsetzung aus: „welches doch nicht sein kann, wenigstens für uns unbegreiflich ist, wie das Ungleichartige aus einer und derselben Wurzel entsprossen sein könne". Durch die Relativierung der zunächst erklärten Unmöglichkeit ist nur noch das 'Wie' solchen Entspringens für unbegreiflich angesehen und zugleich der Nötigung Ausdruck gegeben, daß bei einer doch für vorliegend erklärten Erkenntnis als des gemeinschaftlichen Produkts aus dem Ungleichartigen ein 'Daß' dieses Entspringens aus einem Ursprung in den Blick zu nehmen ist. Daß dieses sogar zu behaupten ist und also nicht bloß in der Sphäre des unbegreiflich Möglichen verbleibt, findet sich in der Kritik der reinen Vernunft selbst noch, allerdings ohne nähere Erklärung, die besonders angesichts der anderslautenden schwächeren Auskunft der Einleitung wünschenswert gewesen wäre. Nicht zufällig im Zusammenhang der Diskussion dessen, wodurch ein wissenschaftlich zu nennendes System sich auszeichnen soll, ist die „allgemeine Wurzel unserer Erkenntnißkraft", die sich „theilt und zwei Stämme auswirft"60, als tatsächlich gesetzt. Ohne etwas hinsichtlich der gemeinschaftlichen Wurzel des Apriorischen der Sinnlichkeit und des Verstandes herzugeben, könnte die Kritik der reinen Vernunft

56 57 58 59 60

A 8 5 / B 117 A 832/B 860 A 15/B 29; Hervorh. Vf. ANTH, Ak VII, 177 A 835/B 863

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nicht einmal zu der von ihr nur versprochenen Propädeutik zum System der reinen Vernunft"61 kommen, der zur vollen Erfüllung des Systemgedankens nicht etwas an der Einheit fehlen darf, sondern der allenfalls die „abgeleiteten Begriffe"62 reiner Vernunft ermangeln dürfen und die ausführlich durchgeführten Analysen, insoweit sie entbehrlich dafür sind, reine Vernunft „in ihrem ganzen Umfange einzusehen"63. „Metaphysik", so Kant, ist „nach den Begriffen, die wir hier davon geben werden", „nichts als das Inventarium aller unserer Besitze durch reine Vernunft, systematisch geordnet"64. Zu dieser systematischen Gesamtheit des ganzen Vernunftinventars wird auch das Reine oder Nichtempirische ihres Anschauungsvermögens gehören müssen, und als organisierendes Prinzip des Systems wird etwas thematisch werden müssen, woraufhin bezogen es mit dem Nichtempirischen des Verstandes in systematischem Zusammenhang steht. Das organisierende Prinzip, als ein innerliches ein solches der Selbstorganisation, wird eines für beide apriorischen und reinen Vermögen sein müssen. Nicht ausreichen wird die Erfüllung einer Minimalbedingung, die Kant zuweilen als dem architektonischen Charakter der Vernunft schon Genüge tuend ansieht, daß sie nämlich bei solchen Prinzipien stehen bleiben könne, „die eine vorhabende Erkenntniß wenigstens nicht unfähig machen, in irgend einem System mit anderen zusammen zu stehen"65. Wenigstens nicht unfähig zum System zu sein, entspräche dem 'Vielleicht' der gemeinschaftlichen Wurzel der beiden Stämme an Erkenntnisvermögen. Es wäre dann bloß nicht unmöglich, daß die sinnlich apriorischen Formen mit den intellektuellen in einem systematischen Zusammenhang stünden. Dem 'Vielleicht' der einen theoretischen Vernunft entspräche dann ebenso auch nur ein unsicherer Charakter der Einheit ihres Produkts .Erfahrung', was aber notwendigen synthetischen Urteile a priori entgegenstände, die die Anwendung von apriorischen Verstandesfunktionen auf in apriorischen Formen der Sinnlichkeit Gegebenes zum Zweck objektiver Erfahrung darstellen. Eine Analogie wie die zwischen spekulativer Vernunft und einem zweckmäßigen Organismus unter Betonung der Gleichartigkeit des Systembegriffs und einer speziellen, den Lebensbegriff wesentlich bestimmenden, ein immaterielles Prinzip fordernden Teile-Ganzes-Beziehung als Ausgangspunkt weitreichender, in den Kern theoretischer (und dann schließlich nicht mehr bloß theoretischer) Vernunft führender Überlegungen zu nehmen, verlangt aber vor der Verfolgung dieses Ausblicks noch die allgemeine Klärung dessen, was eine Analogie ist und welchen Erkenntniswert eine solche haben kann. Analogien scheinen doch einen per se minderen Erkenntniswert zu besitzen. Denn offenbar wird im Analogisieren mit

61 62 63 64 65

A l l / B 25 A XXI A 12/B 25f. A XX A 474/B 502

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2. Einheit des Zwecks im szientifischen Systembegriff

übertragenen Bedeutungen in uneigentlicher Rede operiert, so daß sich etwa die Frage stellt, welche Seite der beiden Vergleichsstücke das Ziel der Übertragung und welche Seite ihren Ausgangsort darstellt, anders ausgedrückt, wo einerseits das mit einer Analogie thematische Verhältnis - hier das spezielle Teile-GanzesVerhältnis und in erweiterter Hinsicht der Lebensbegriff überhaupt - einen direkten Anhalt hat und woraufhin es andererseits nur indirekter- und übertragenerweise angewandt wird. Auf unsere spezielle Analogie bezogen lautet die Frage: Hat der organologische Systemgedanke mit seinen Implikationen am Organismus seinen originären Anhalt, so daß nach Analogiebildung der geminderte Erkenntnisanspruch die Seite der Vernunft beträfe - oder ist es nicht vielmehr umgekehrt, so daß dieser Gedanke sich ursprünglich in der Selbsterkenntnis der Vernunft bewährte, um daraufhin erst auf Organismen als besondere empirische Gegenstände hin anwendbar zu sein?

3. Erkenntnisstatus der Analogie Ein Beispiel fllr eine Analogie gibt Kant in der Kritik der Urteilskraft. Dort wird ein despotisch monarchischer Staat mit einer Maschine, einer Handmühle, verglichen. Zunächst soll einmal probeweise unterstellt werden, daß dem Begriff des despotischen Staats im uns interessierenden Fall der der ganzen spekulativen Vernunft und dem der Handmühle der Begriff des Organismus entspricht. Diese Zuordnung mag deshalb zunächst einmal naheliegend erscheinen, weil der Begriff der despotischen Monarchie im gegebenen Kontext als Fall einer Art Begriffe eingeführt wird, denen „keine Anschauung angemessen sein kann"; jedenfalls mangele es solchen Begriffen an einer „direkten Anschauung". Dagegen scheint den Begriffen 'Handmühle' und 'Organismus' eine direkte Anschauung zu entsprechen. Aufgrund der mangelnden direkten Anschauung von Begriffen erlangt nun das indirekte, analogisierende Verfahren seine Bedeutung, das ihnen umwegig und auf vermittelte Weise eine Darstellung sekundärer Art verschaffen kann, d.i. bei Kant ein Symbol. Die Entsprechung bis zu diesem Punkt wäre also, den Begriff der ganzen spekulativen Vernunft als einer direkten Anschauung unfähig und als einen nicht originär in seiner Realität erweislichen Begriff anzusehen, der im Organismus als seinem Symbol allenfalls eine sekundäre Darstellung haben könnte. Im Verfahren sekundärer Darstellung eines nicht direkt in anschaulicher Realität erweislichen Begriffs wird doch Bezug auf eine Anschauung genommen, und zwar wird dem thematischen, als solchem aber indemonstrablen Begriff „eine solche untergelegt", wobei das Bewußtsein vorliegt, daß er mit dem Begriff, dessen direkte Darstellung diese Anschauung ist, „nicht dem Inhalte nach übereinkommt". Das bedeutet in Hinsicht auf die hier diskutierten Fälle: Es liegt das Bewußtsein davon vor, daß eine despotische Monarchie keine Handmühle und die ganze spekulative Vernunft kein Organismus ist. Was bei nicht übereinkommendem Inhalt der beiden Begriffe (des indemonstrablen und des direkt auf seine Anschauung beziehbaren) aber dennoch übereinkommen kann, sind Verhältnisvorstellungen: Eine Erkenntnis nach der Analogie bedeutet „nicht etwa, w i e man das Wort gemeiniglich nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge, sondern eine vollkommne Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen" 6 6 .

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66

Die folgend nicht eigens gekennzeichneten Zitate entstammen dem § 59 der Kritik der KDU, Ak V, 351-354. PROL. Ak IV, 357

Urteilskraft,

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3. Erkenntnisstatus der Analogie

In wiederum doppelter Anwendung ließe sich also etwa sagen: genau so, wie sich der absolut beherrschende Wille eines Monarchen zu den willenlos Beherrschten verhält, verhält sich die äußerlich antreibende Kraft zu den nicht mit eigener antreibender Kraft versehenen Teilen einer Handmühle; oder: genau so, wie sich die vorgängige Ganzheit reiner spekulativer Vernunft und ihre organisierende Mitte zu den Erkenntnisprinzipien als Teilen verhalten, verhalten sich etwa ein ganzer tierischer Körper und sein Organisationszentrum zu den Gliedern. In Hinsicht auf die jeweiligen beiden Seiten der Analogie ist, wie Kant es auch ausdrückt, die gleiche „Regel der Reflexion" in Anwendung, im letzteren Fall über ein spezielles Teile-Ganzes-Verhältnis. Die Regel der Reflexion „über jene Anschauung" (der Handmühle, des Organismus) wird im Bilden einer Analogie „auf einen ganz anderen Gegenstand" (die despotische Monarchie, die eine und ganze spekulative Vernunft) übertragen angewandt, wovon der Gegenstand der Anschauung „nur das Symbol ist". Die der Regel der Reflexion gemäßen Verhältnisse werden nicht erst jetzt nach der Übertragung auch hinsichtlich des auf direkte Art unerweislichen Begriffs gedacht. Bloß gedacht werden sie in Hinsicht auf ihn von vornherein. Das Verfahren der Analogiebildung kommt von diesem Denken und seinem Problem her, ob der gedachte Begriff auch Realität hat, in Gang. Zum einen muß die Berechtigung, etwas in bestimmter Weise bloß zu denken, nicht durch eine Analogie gestützt werden; zum anderen ist in Hinsicht auf direkt erweisliche Begriffe Analogiebildung nicht erforderlich. Das Bilden einer Analogie steht also nicht unter der Fragestellung, ob etwas nach gleichen Verhältnissen wie etwas anderes bloß gedacht wird, sondern unter dem Problem der Realität der Begriffe, d.h. ob dadurch etwas erkannt wird, wozu, wie vorausgesetzt, Anschauung erfordert wird. Unter diesem Titel soll eine Analogie irgendeinen, wenn auch indirekten, so doch positiven Beitrag im Interesse eines in seiner Realität zunächst fraglichen Begriffs leisten. Das ist bei Kant ausgedrückt, wenn er sagt, durch die symbolische Vorstellungsart würden wirkliche „Darstellungen (exhibitiones)" gegeben, „nicht bloße Charakterismen, d.i. Bezeichnungen der Begriffe durch begleitende sinnliche Zeichen, die gar nichts zu der Anschauung des Objects Gehöriges enthalten, sondern nur jenen [Begriffen], nach dem Gesetz der Association der Einbildungskraft, mithin in subjectiver Absicht, zum Mittel der Reproduction dienen". Wenn nun also durch eine Analogie ein über das letztere hinaus positiver Beitrag hinsichtlich der Realität eines fraglichen Begriffs geleistet sein soll und wenn also doch etwas zur Anschauung seines Gegenstandes Gehöriges in objektiver Absicht gegeben sein soll, dann ist vorausgesetzt, daß die unter der Regel der Reflexion gedachten Verhältnisse am in das Verfahren einbezogenen, direkt in der Anschauung gegebenen Gegenstand (hier: Handmühle, Organismus) ihren erweislichen Anhalt haben, daß auf dieser Seite also nicht etwa die gleiche Fraglichkeit wie auf der anderen herrscht und daß hier nicht auch etwas für sich selbst Indemonstrables bloß ge-

3. Erkenntnisstatus der Analogie

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dacht wird, in welchem Fall beiderseitig in seiner Realität Unerwiesenes und Unbekanntes vorläge, wovon keines dem anderen einen Gewinn hinsichtlich der Realität seines Begriffs versprechen könnte. Eine den verlangten Beitrag leistende Analogie müßte also zu sagen erlauben, daß - ungeachtet der Verschiedenheit des Inhalts zweier Begriffe - doch solche Verhältnisse, wie sie in dem das Problem darstellenden Begriff gedacht werden, wirklich am anschaulichen Gegenstand eines anderen Begriffs darstellbar sind und daß nach solchen Verhältnissen auf Anschauung bezogen, d.h. im eigentlichen Sinn erkannt werden kann. Um einer Analogie eine Erkenntnisbedeutung zugestehen zu können, muß darin also auf einer Seite des Vergleichs etwas direkt gewußt werden. Nach den entwickelte Gesichtspunkten muß die probeweise gemachte Annahme, ein Organismus könne das auf die beschriebene Weise indirekt realitätsversichernde Analogon der einen und ganzen, lebendig gedachten spekulativen Vernunft sein, zurückgenommen werden. Denn dazu wäre erforderlich, die dem Begriff des Lebens gemäß gedachten Verhältnisse (Teile-Ganzes-Beziehung mit vorgängigem Ganzen; nexus fìnalis) in bezug auf einen Organismus direkt anschaulich zu erweisen, was aber gerade nicht möglich ist. Der Begriff eines Organismus oder, wie es auch anders heißt, der Begriff eines Naturzwecks, wodurch gedacht wird, daß „Theile ... nur durch ihre Beziehung auf das Ganze möglich sind" 68 und daß das Ganze Zweck und zweckmäßig hervorgebracht ist, ist „kein constitutiver Begriff' 6 9 in Hinsicht auf die speziellen Naturgegenstände als Pflanzen, Tiere oder auch als in ihrer organischen Körperlichkeit genommene Menschen. Auf diese Gegenstände bezogen reichen der Begriff und die durch ihn gedachten Verhältnisse „nicht zum Behuf der Kenntniß der Natur" 70 , gestatten über eine bloße Beschreibung hinaus keine echte Zuschreibung und Erklärung, die sich, wie verlangt, direkt auf eine etwaige Anschauung von Lebewesen stützen könnte. Ein allgemeines Ergebnis der 'Kritik der teleologischen Urteilskraft' zusammenfassend, das aber auch in der Kritik der reinen Vernunft schon vorgezeichnet ist71, muß gesagt werden, daß der Begriff des Lebens hier nur in reflektierend regulativem Gebrauch steht und gerade auf Organismen bezogen also seine uneigentlich übertragene Anwendung hat. Wenn er nun überhaupt Realität haben soll und wenn in der Analogie zwischen Vernunft und organischen Wesen auf einer Seite etwas direkt auf die Regel der Reflexion nach Lebensverhältnissen bezogen gewußt werden soll, muß sein eigentlicher Gebrauch auf die Seite vernünftigen Selbstverständnisses gehören. Mit der speziell thematischen spekulativen Vernunft wäre dieses originäre Sich-Verstehen als lebendig sogar spezifisch auf das rationale Selbstverständnis als Erkenntnisv/esen zu beziehen. Es müßten also an seinem

68 69 70 71

KDU, Ak V, 373 KDU, Ak V, 375 ebd. vgl. A688/B 716

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3. Erkenntnisstatus der Analogie

Erkennen-Können, d.h. wesentlich an seinem - auf Anschauung überhaupt bezogenen - Urteilen- oder Denken-Können, die Merkmale des Lebensbegriffs festgemacht werden. Welche gegenüber verbreiteter Ansicht und auch gegenüber der stärkeren Tendenz des darin ambivalenten Kant erweiterte Auffassung von Erkennen das nach sich zieht, ist kurz so zu skizzieren:Es heißt das „Vermögen eines Wesens, seinen Vorstellungen gemäß zu handeln, ... das Leben"; zugleich ist das Vermögen, „durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein", das „Begehrungsvermögen"71. Das Vermögen, durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein, läßt sich auch ausdrücken durch: das Vermögen, nach Zwecken zu handeln. Es ist nun schließlich dort, wo etwas nach einem „Zweck die Ursache" ist, dieses „absichtlich zu dieser ... zweckmäßigen Hervorbringung bestimmt", was so viel wie Jntentionalität bedeutet72. All dies auf eine als lebendig gedachte erkennende Vernunft bezogen, müßte an ihr das Moment eines zweckmäßigen, absichtlichen oder intentionalen Handelns - genauer: eines solchen t/rte/'/ihandelns - festgemacht werden können.73 Daß der Lebensbegriff seinen originären Anhalt im rationalen Selbstverständnis haben muß, da er ihn nicht etwa im sich für die Beobachtung darbietenden Organismus haben kann (auch nicht im vergegenständlicht betrachteten menschlichen), woraufhin bloß regulativ reflektierende Beurteilung möglich ist, geht auch aus Kants Erläuterung hervor, wie „wir ganz richtig nach der Analogie schließen, daß die Thiere ... der Gattung nach (als lebende Wesen) mit dem Menschen einerlei sind"74. Das tertium comparationis hinsichtlich dieses ganz richtig nach der Analogie erschlossenen Gattungsbegriffs liegt darin, „daß Thiere auch nach Vorstellungen handeln"75. Doch in bezug auf diese „Wirkungsart der Thiere" können wir, weshalb also das indirekte, analogisierende Verfahren zur Anwendung kommt, „den Grund nicht unmittelbar wahrnehmen"76. Auf der Seite des beobachtbaren Organismus liegt demnach das Unbekannte der Analogie, so daß auf dieser Seite also der Begriff eines lebenden Wesens nicht direkt zu erweisen ist. Dagegen

71 72 73

74 75 76

MDS, Ak VI, 211 KDU, AkV,392f. In jüngerer Zeit hat Gerold Prauss (1990, bes.§l 1) auf den weithin vernachlässigten, durch Kant gegebenen Ansatz einer - Uber die Brentanosche oder Husserlsche als Erfolgsinlenlion hinausgehenden (S. 219-222) - Intentionalität des Erkennens hingewiesen, um diesen Ansatz dann eigenständig als Zentralpunkt seiner Erkenntnistheorie weiterzuentwickeln. Vgl. dazu auch seine noch in größerer Nähe zu den Texten Kants stehenden Vorarbeiten (1981a, bes. S. 298-302; 1981b; 1983, bes.§§ 12-14; 1991, Vortrag von 1985). Als Schlüsselstellen aus der Kritik der Urteilskraft hinsichtlich Erkenntnis als spontaner, absichtlicher, zweckmäßiger Tätigkeit, denen gemäß rückblickend die eher verdeckten, aber zu entdeckenden Ansätze der Kritik der reinen Vernunft sprechend gemacht werden können, gibt Prauss an (1981. S. 763): Ak V, 186; Ak V, 218; Ak V, 484. KDU. Ak V. 464 Anm. ebd. ebd.

3. Erkenntnisstatus der Analogie

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kann es heißen, daß wir in unserem Selbstverständnis als Menschen dieser Wirkungsart, nach Vorstellungen zu handeln, und ihres Grundes „uns unmittelbar bewußt sind"77. Ohne auf einer Seite einer Analogie etwas direkt zu wissen, kann, wie gesehen, diese Analogie keine Erkenntnisbedeutung haben, so daß der Begriff - hier der von lebenden Wesen - in diesem Fall des Vergleichs von beiderseitig bloß Gedachtem vollständig problematisch bliebe. Für den nach Kant aber sich auf ein unmittelbares Bewußtsein im Sich-selbst-Verstehen stützen könnenden und ganz richtig per Analogie gebildeten Zusammenschluß des Menschen mit den Tieren unter der Gattung der Lebewesen vergleicht der Mensch sich also nicht auf die Art mit den Tieren, daß er von ihnen her wüßte, was Lebewesen oder Leben (d.i. nach dem Gesagten ein Nach-Vorstellungen-Handeln) bedeutet und daß es so etwas gibt, um es dann von ihnen her auf sich zu Ubertragen, sondern er weiß es umgekehrt von sich und seinem rationalen Selbstverständnis her, und die Übertragung geht von ihm auf sie. Nach dem entwickelten Ergebnis ist der Organismus nicht in dem Sinn das Analogon der Vernunft, daß von seiner eingesehenen Lebendigkeit her indirekt etwas in Hinsicht auf eine etwa fragliche Lebendigkeit rationalen Bewußtseinslebens zu gewinnen wäre, sondern umgekehrt kann der Weg nur vom unmittelbar bekannten Bewußtseinsleben auf die bloß indirekt einsichtige Lebendigkeit des Organismus führen.78 Es ist so nicht eine in ihrer Lebendigkeit problematische Vernunft wie ein darin unproblematischer Organismus, sondern umgekehrt ein in seiner Lebendigkeit problematischer Organismus wie eine darin nicht problematische Vernunft gedacht. Aufgrund dieser Asymmetrie hinsichtlich des Erkenntnisstatus der Vorstellungen auf beiden Seiten der Analogie ist zwar der Organismus als „Analogon der Vernunft"79 anzusprechen, nicht aber in gleicher Weise vice versa die Vernunft als Analogon des Organismus. Anders ausgedrückt, wird nach dieser Auffassung Vernunft nicht biologistisch, sondern umgekehrt der Gegenstand der Biologie nach der Analogie als vernünftig gedacht.80 77 78

79 80

ebd. Wie Josef Simon (1991, S. 109) feststellt, kann es „die Vorstellung objektiver Zwecke nur in einer Analogie zur Kenntnis subjektiver Zwecksetzung geben und nicht umgekehrt". Simon nennt aufgrund der in reflektierend regulativer Beurteilung verbleibenden Problematizitat des Gegenstandsbereichs des Organischen den Begriff des Lebens eine „erkenntniskritische und keine ontologische Kategorie", die sich auf „alles" bezieht, „was von den allgemeinen Begriffen des Verstandes her nicht aufzulösen ist"(S. 122); er schreibt dem Verstand zu, zu seinem ausweisbaren Erkennen „nur das mechanistisch-kausale Bestimmen zur Verfügung" zu haben (S. 119). Nach dem oben Gezeigten kann dem doch noch hinzugefügt werden, daß der Begriff des Lebens dort noch zu veranschlagen ist, wo es in reflexiver Sslbstthematisierung um diesen Verstand als solchen und im Ganzen geht, in dessen zweckmäßigem System die genannte mechanistische Kausalkategorie als ein Systemstück integriert gedacht ist. KDU, Ak V, 464 Anm. Zu den mit dem Aufweis des Charakters der Analogie Kants zu verlassenden Ansätzen in Hinsicht auf eine Deutung organisiert gedachten Erkenntnisvermögens gehören die vitalistischen Jakob von Uexkülls (1920) und Gustav Wolffs (1933). Von Uexküll bringt den Gedanken einer „inneren

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3. Erkenntnisstatus der Analogie

Mit einer als lebendig zu apostrophierenden spekulativen Vernunft, die speziell auch in Hinsicht auf ihre Verfaßtheit bezüglich ihres Systems von Kategorien, die zum auf Anschauung bezogenen Urteilen dienen, so anzusprechen ist, müßte diese Lebendigkeit direkt im Selbstverständnis des Menschen als Erkenntniswesen oder anders in seinem Selbstverständnis als Subjekt der Erfahrung auszumachen sein. Insbesondere der schon genannte, mit dem Lebensbegriff gegebene Ausblick auf einen im theoretischen Vernunftgebrauch wirksamen Willen - und zwar nicht erst dort, wo ausdrücklich und forciert besondere Wissenschaften betrieben werden, sondern schon dort, wo im Normalsinn die Möglichkeit von Erfahrung thematisch ist - soll nun noch weiter verfolgt werden.

Planmäßigkeit" des Gemüts bei Kant in einen direkten Zusammenhang mit der „Rolle ... unseres Zentralnervensystems"(S. 8), von dessen Erforschung er offenbar Auskünfte über Vernunft erwartet. Vergleichbar schreibt Gustav Wolff der Vernunft ein solches Erkennen-Können zu, welches aus „ihrer organischen Struktur als biologische Funktion hervorgeht"(S. 344); er sieht Kants Erkenntnistheorie als einen „speziellefn] Fall seiner Lehre von der Zweckmäßigkeit des Organischen" an (S. 328). Die Positionen von Uexkülls und Wolffs durften eher in der Tradition des Vitalismus von Hans Driesch (1909) als in der Kantischen anzusiedeln sein.

4. Wille und Erfahrung Über dasjenige hinaus, daß man, wo man Zwecke denkt, bloß neutral und nicht weiter bestimmt „Vorstellungen ... als Bedingungen der Caussalität ihrer Gegenstände (als Wirkungen)"82 denkt, denkt man sich hier die Verursachung der Gegenstände, wie schon angefilhrt, als „absichtliche Hervorbringung"83. Dadurch, nämlich „durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein", ist nach Kant geradezu die „Definition des Begehrungsvermögens"84 gegeben; wo etwas als Zweck angesehen wird, da ist „das Verhältniß der Vernunft zum (wenigstens möglichen) Wollen"85 thematisch. Wie auch schon angefilhrt, ist mit der Kausalität von Vorstellungen innere Kausalität zu denken, d.i. letztlich Kausalität aus Freiheit, unterschieden von äußerer, der einzig anderen Art von Verursachung, worin alles Verursachen heteronom wie ein Stoßen und Gestoßen-Werden aufzufassen ist und wobei regressiv bei keiner Ursache als innerlich durch sich selbst verursachend Halt zu machen ist. Das „Vermögen" aber, sich aus einem „inneren Prinzip zum Handeln ... zu bestimmen", heißt bei Kant „¿eòe«"86. Nach dieser Definition ist Leben mit gutem Recht als Vermögen der Selbstbestimmung zum Handeln anzusprechen. Im Einklang mit der genannten Definition des Begehrungsvermögens fährt Kant dann fort: Nun „kennen wir kein anderes inneres Prinzip", „einen Zustand zu verändern, als das Begehren". Mit verursachenden Handlungen, durch die nach Vorstellungen Gegenstände bewirkt werden, ist jederzeit Zustandsveränderung zu denken, und zwar eben aus innerem Prinzip. Das Begehren allein ist als Grund dafilr genannt, nicht in bloßer Zuständlichkeit zu verharren oder sich aus dieser auf andere Weise als durch äußeren Anstoß, eben selbstbestimmt, zu verändern. Schließlich ist vor dem Hinweis auf Konsequenzen daraus noch eine Spezifikation hinsichtlich eines Begehrens anzubringen, das mit dem Lebensbegriff innerlichen Sich-zumHandeln-Bestimmens verbunden ist, denn ein solches Begehren als Leben ist nach Kant festgelegt auf Gesetzlichkeit und dadurch unterschieden von gesetzloser Willkür: „Leben ist das Vermögen eines Wesens, nach Gesetzen des Begehrungsvermögens zu handeln"87. Das Begehren in Kants Begriff des Lebens ist damit nicht unspezifisch und alle seine möglichen Gestalten einschließend verstanden,

82 83 84 85 86 87

EE, Ak XX, 232 KDU, Ak V, 408 KDU, A k V , 177 Anm. KDU, AkV, 207 MAN, Ak IV, 544 KPV, Ak V, 9 Anm., Hervorh. Vf.

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4. Wille und Erfahrung

sondern sein Lebensbegriff ist durch die Einschränkung auf Gesetzlichkeit - genauer noch muß es selbstbestimmte Gesetzlichkeit sein - als ein rationaler ausgezeichnet. Es kann dies nun, das theoretische Thema der Begründung von Erfahrung wieder aufgreifend, in Beziehung darauf gesetzt werden, daß Kant in Charakterisierung dieser Begründung durchgängig das Erfordernis sowohl der Spontaneität reinen Denkens als auch seinen Gesetzes- bzw. Gesetzgebungscharakter betont. Zusätzlich zu dem, was wir als Begehren innerlich kennen und was also Leben definiert, kennen wir, so das zweite Definiens, nur noch ein anderes originär Innerliches. Wir kennen „keine andere innere Tätigkeit, als Denken,"87, was sich mit Kant auch so ausdrücken läßt, daß wir keine andere innere Tätigkeit als das Urteilen kennen, denn „Denken" ist „so viel als Urtheilen"88. Diese innere Tätigkeit als ein Denk- bzw. Urteilshandeln wird auf das zurückbezogen werden müssen, was wir als einzig Innerliches kennen, uns zum Handeln zu bestimmen, d.i. das Begehren, genauer ein gesetzliches oder Gesetzesbegehren, noch genauer ein selbsbestimmtes, d.h. ein die eigene Anforderung des Subjekts an sich selbst ausdrückendes Gesetzesbegehren. Dem entwickelten Zusammenhang nach erscheint also das Denken oder Urteilen, und zwar auch und gerade in dem Sinne, in dem Erfahrung ausdrücklich urteilend vollzogen werden muß und sich nicht etwa selbstlaufend einstellt, als motiviert in einem auf Gesetzlichkeit gehenden, d.h. sich selbst den Gesetzesanspruch auferlegenden, Begehren, auf diese Weise letztlich ein selbstbestimmtes Denken- und Urteilen-Wollen ausführend. In einer Reflexion Kants heißt es:" ... das principium des Lebens ist absolute internum, d.i. denken und wollen, d.i. Bestimmungen seiner selbst nach willkühr"89. Um nun die hier angesprochene absolute Innerlichkeit und den Singular des Prinzips des Lebens nicht in die Zweiheit eines denkenden Lebensprinzips einerseits und eines wollenden andererseits auseinanderfallen zu lassen, wird sich die Ambiguität des 'und' in der Wendung 'Denken und Wollen' in den einen durch es ausdrückbaren Sinn auflösen lassen müssen, wodurch das thematische Denken als Vollzug eines Wollens und entsprechend das Wollen als Denkenwollen angesprochen werden kann. Im Begriff des Lebens sind demnach Denken und (gesetzliches) Begehren vereinigt zu denken. Nach solcher Erweiterung des Blicks auf das Denken als einzige innere Handlung hin läßt sich der schon angeführte Satz, Leben sei das Vermögen, sich aus einem inneren Prinzip zum Handeln zu bestimmen, auch zu folgendem spezifizieren: Leben ist das Vermögen, aus einem inneren Prinzip, dem Begehren, sich zum Denken als einem inneren Handeln nach Gesetzen zu bestimmen.

87 88 89

MAN, Ak IV, 544 PROL, Ak IV, 304 Ak XVIII, REFL 5458 (um 1776-78)

4. Wille und Erfahrung

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Was nun von der inneren, Leben definierenden Tätigkeit als Denken in transzendentaler Betrachtung schließlich abhängt, ist Erfahrung, und so findet sich bei Kant in der Tat auch die Aussage: Es „ist die subjective Bedingung aller unserer möglichen Erfahrung das Leben"90. Nach der vorherigen Anbindung von Leben an ein gesetzliches Begehren ist damit auch dieses als subjektive Bedingung mit Erfahrung verknüpft. Es folgt daraus, daß dort, wo solch lebendiges Gesetzesbegehren nicht stattfindet, wie wohl in der unter diesem Aspekt tumben tierischen Existenzform, bei einem sonst durchaus übereinstimmenden Vorstellungsbestand doch jene nur aus dem Grund von Selbstbestimmung urteilend zu erzielende Erfahrung nicht stattfinden kann. Erkenntnisprinzipien als Zwecke unter einer vereinigenden Zweckidee verstanden und mit herangezogen, daß diese subjektiven Prinzipien konstitutiv für Erfahrung, von objektiver Bedeutung und diese also prinzipiierend sein sollen, ließe letztlich Natur als Objekt aller möglichen Erfahrung nicht mehr schlicht als Korrelat eines bloßen Denkens des Subjekts dieser Erfahrung ansehen, sondern als seinen Zweck, d.h. als etwas, das von ihm auch gewollt ist. So spricht Kant denn auch in der Kritik der reinen Vernunft selbst von der Tätigkeit der Vernunft in Hinsicht auf ihr legitimes Feld, das Feld möglicher Erfahrung, als „ihrer zweckmäßigen Thätigkeit"91. Einer solchen forcierten Deutung stehen nun offensichtlich andere Festlegungen Kants entgegen, z.B. die: „ ... in der transcendentalen Philosophie abstrahirt man vom Willen"92. Im Gegenzug wird sich allerdings gegen solche Deklarationen wiederum zeigen lassen, daß sich in der Sache immer wieder eine Tendenz gegen diese Abstraktion geltend macht, die auf einen im Erkennen wirksamen Willen und also auf das geht, wovon die Abstraktion absieht und wovon offenbar zur adäquaten Behandlung selbst theoretischen Vemunftgebrauchs nicht abgesehen werden kann. Die Auffassung von Erfahrung als Zweck mag hinsichtlich einer sich daraus ergebenden Konsequenz noch näher erläutert werden. Die Veranschlagung des Zweckbegriffs in bezug auf theoretischen Vernunftgebrauch in Ermöglichung von Erfahrung (nicht erst in der Verfolgung etwa von Forschungsabsichten in besonderen Wissenschaften) eröffnet die Perspektive, diesen Gebrauch nicht bloß als einen solchen anzusehen, worin es um Naturerkenntnis im indifferenten Sinn der bloßen Feststellbarkeit dessen geht, „was da ist, oder gewesen ist, oder sein wird", sondern worin solchen Erfordernissen Genüge getan werden kann, die durch ein bloßes Feststellen ausgeschlossen sind, d.h. den Erfordernissen des Begriffs von einem Rollen" und der dadurch verlangten Art der „Verknüpfung mit Gründen"93, d.i. die Verknüpfung von Wirkungen mit einer Kausalität aus Freiheit. Der Begriff 90 91 92 93

PROL, Ak IV, 335 Β 128 Ak XXIII, 50, Textemendation in Kants Handexemplar von A 547; vgl. auch A 92/B 125 A 547/B 575

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4. Wille und Erfahrung

des Sollens ist nicht anwendbar auf etwas, das schlicht ist. Es wird noch zu sehen sein, daß Kants Erläuterungen des ,ist', wodurch sich Erfahrung ausspricht, nicht diese Schlichtheit bloßen Vorhandenseins ausführen, sondern daß sie das durch es adressierte Seiende als etwas in einem durchaus emphatischen Sinn ausdrücklich zu Erzielendes darstellen. Die zuletzt zitierten Wendungen sind übrigens einem Kontext entnommen, der das Projektierte, d.h. Erfahrung als Zweck, auszuschließen scheint und worin der Naturbegriff vom Sollen gerade getrennt ist. Die Frage ist aber, ob eine solche Trennung schlechthin gilt oder ob sie eventuell durch eine Betrachtung, die theoretische Vernunft fundamentaler als hier in den Blick nimmt, ausgeschaltet oder relativiert werden kann. Ein Hinweis auf das letztere ist dadurch gegeben, daß es in jenem Kontext um Natur unter einer einschränkenden Bedingung geht, unter der „das Sollen ... ganz und gar keine Bedeutung" hat, nämlich insofern man „bloß den Lauf der Natur vor Augen hat" und dasjenige, was „darin" 94 als bestimmt nach einer speziellen, für sich und also nicht im System betrachteten Regel, d.h. als bestimmt nach dem Kausalprinzip, vorkommt, nicht aber insofern man Natur überhaupt und als solche vor Augen hat und etwa das, daß sie als Gegenstand einer objektiv zu nennenden Erfahrung vorkommt. Die Objektivität des Kausalprinzips kann auch bei der besonderen Beschaffenheit seiner Regelungsart, welche im Lauf der Natur ein Sollen problematisch macht, doch ihrerseits Zweck sein. Dort wo Kant auf allgemeinste Weise das Programm der Transzendentalphilosophie und ihrer veränderten Denkart charakterisiert, ist die Nähe zu einer Auffassung von der theoretischen Vernunft als nach Zwecken tätig unverkennbar. Denn Erkenntnis in transzendentalem Verständnis beruht auf einem solchen Verhältnis von Gegenstand und Vorstellung, worin „diese den Gegenstand allein möglich macht" 95 , oder anders darauf, daß „wir ... den Gegenstand" - so der kausale Ausdruck, der keine Naturkausalität meinen kann - „bewirkt haben" 96 . Ein Zweck aber, so ist noch einmal zu erinnern, ist nach Kant „der Gegenstand eines Begriffs, sofern dieser als die Ursache von jenem (der reale Grund seiner Möglichkeit) angesehen wird; und die Causalität eines Begriffs in Ansehung seines Objects ist die Zweckmäßigkeit (forma finalis)"97.

Ein möglicher Konfliktstoff kann allerdings nicht vorschnell beiseite geräumt werden. Denn in der herangezogenen Zweckerklärung der Kritik der Urteilskraft ist vom realen Grund der Möglichkeit des Gegenstandes die Rede, der im weiteren noch erläutert wird als der Grund des Gegenstandes „selbst" oder seiner „Existenz", unterschieden von einem Verhältnis zwischen Vorstellung und Gegenstand,

94

95 96 97

ebd.

A92/B125 A 105 KDU, Ak V, 220

4. Wille und Erfahrung

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worin es „bloß" um die „Erkenntniß von einem Gegenstande" gehe. Dem entspricht im Zusammenhang der zitierten Stelle der ersten Kritik die Einschränkung, daß die als theoretisch zu apostrophierende „Vorstellung" „ihren Gegenstand dem Dasein nach nicht hervorbringt", denn, so Kant, von der „Causalität, vermittelst des Willens, ist hier gar nicht die Rede". Diese Vorstellung wird hier nur so als „bestimmend" angesehen, daß „durch sie allein es möglich ist, etwas als einen Gegenstand zu erkennen". Zusammengefaßt führen diese dem in dieser Untersuchung verfolgten Projekt ungünstigen Spezifikationen zu dem Ergebnis der Trennung zwischen einer praktische[n] Erkenntnis der Vernunft", wozu ein Wille gehört, der offenbar als vermögend angesehen wird, seine Vorstellung und ihren Gegenstand „auch wirklich zu machen", und einer „theoretische[n] ... Erkenntniß der Vernunft", die den Gegenstand, „der anderweitig gegeben sein muß", bloß „bestimmen" kann98. Mit dem an der Stelle ursprünglicher Erkenntnisbegründung ins Anderweitige versetzten wirklichen, existierenden oder daseienden Gegenstand, der bloß nachträglich bestimmt werden kann, kommt aber das transzendentale Programm selbst in Schwierigkeiten. Denn ansonsten gilt nach diesem Programm ein anderweitiges Gegeben-Sein konsequenterweise als bloß empirisch, als aposteriori, als keine Notwendigkeit und damit keine Erkenntnis im strikten Sinn fundieren könnend. Wenn nun zugleich zu den Einsichten der Transzendentalphilosophie gehören soll (und zwar in diesem Fall in Übereinstimmung mit ihrem Programm), daß ursprünglich „unser Gedanke" erkenntniseröffhend ist, nämlich insofern er als der Gedanke „von der Beziehung aller Erkenntniß auf ihren Gegenstand etwas von Nothwendigkeit bei sich führe"99, dann ist so dieser Gegenstand nicht in ein Anderweitiges (ein An-sich) versetzt, sondern es wird - wie unter dem Titel des Zweckbegriffs - „der Gegenstand selbst ... als Wirkung, nur durch einen Begriff von der letzteren möglich gedacht"100. Es ist Kant also seine eigene kritische Einsicht entgegenzuhalten, daß „wir außer unserer Erkenntniß doch nichts haben, welches wir dieser Erkenntniß als correspondierend gegenübersetzen könnten"101. Wir können demnach nicht von einem vorgängigen anderweitigen Gegenstand selbst, der im Anderweitigen sein Dasein hat, sprechen, sondern nur von Gegenständen in unserer Erkenntnis, d.h. als Erscheinungen, die darin gegen über gesetzt sind und auf einem setzenden Hervorbringen dieses Erkennens selbst beruhen. Es muß zwar, wie zuzugestehen ist, zur Erkenntnis etwas anderweitig gegeben sein, d.h. anderweitig zu den verstandesmäßig rationalen oder zu den mit Raum und Zeit sinnlichrationalen formalen Ordnungsaspekten erkennender Subjektivität. Doch dieses Fremde oder Anderweitige ist der bloße sinnliche, anschauungs- oder 98 99 100 101

BIXf. A 104 KDU, Ak V, 220 A 104

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4. Wille und Erfahrung

empfindungshafte Gehalt des Vorstellens, der als solcher den Sinn von Gegenständlichkeit als etwas dem Subjekt objektiv daseiend Korrespondierendes gerade nicht hergibt, sondern sein bloßes unverfügbares Besetzt-Sein durch einen Inhalt darstellt, der also - wie Kant es auch ausdrückt - eine bloße „Modification seines Zustandes"103 ist; diese ist „an sich gar keine objective Vorstellung"104, d.h. keine Vorstellung von einem daseienden Gegenstand. Als subjektive Zusatzmodifikation ist dieser Gehalt das Anderweitige und Unverfügbare des Subjekts als sein Sichselbst-fremd- und Sich-selbst-undurchsichtig-Sein. Es wäre also vorzuziehen gewesen, wenn Kant an den fragwürdigen Stellen, statt von Gegenständlichkeit und Dasein als nicht hervorgebracht zu sprechen, gesagt hätte, daß theoretisches Erkennen menschlichen Verstandes nichts wie etwa ein gedachter anderer intellectus archetypus materialiter hervorbringen kann (welches Hervorbringen von Inhalten aber wohl auch dem menschlich praktischen Handeln nicht zugesprochen werden kann). Bloß allein das Inhaltsmoment der subjektiven Zustandsmodifikation kann nicht für hervorgebracht gelten; es muß als sinnlicher Zustand subjektiven Selbstgefühls schlicht als den Sinn besetzend hingenommen werden. Darüberhinaus allerdings von diesem empfindungshaften Gehalt allein bloß als solchem zu sagen, von einem anderweitig äußerlich in seinem Dasein vorauszusetzenden Gegenstand gekommen zu sein105, wäre zu viel gesagt, d.h. es wäre in bezug auf das, was allein in der Empfindung liegt, unkritisch gesprochen. Die Beziehung der Empfindung auf ein Außen etwas setzt schon etwa Zusätzliches voraus, nämlich daß einer der genannten rationalen Ordnungsgesichtspunkte in Kraft gesetzt ist: „Denn damit gewisse Empfindungen auf etwas außer mich bezogen werden, ... dazu muß die

103 104 105

A 320/B 376 Β 208 Zum Erkenntnisstatus der Empfindung vgl. meinen Beitrag (1991) zum VII. Internationalen KantKongreß. Mit einer prägnanten Formulierung von Peter Rohs (1981) in Hinsicht auf „unsere Innenwelt" und ihre „Sinnesdaten" ist zu sagen: „Das Wesentliche an Erfahrung ist nicht, daß etwas in uns hineinkommt, sondern daß wir aus uns herauskommen".(S. 362) Gerold Prauss (1985) hat gezeigt, daß die im Punkt des Dem-Dasein-nach-Hervorbringens von Kant zuweilen errichtete Opposition von theoretischer und praktischer Vernunft gerade bei konsequenter Verfolgung des transzendentalen Programms keinen Bestand haben kann. Prauss fragt zu Recht, wie es bei Kants prinzipiell kritischem WirklichkeitsbegrifF, d.h. unter Vermeidung eines unkritischen An-sichVerständnisses von Dasein, zu vertreten sein soll, daß etwas immer schon Wirkliches nur noch zum Erkenntnisgegenstand erhoben werden soll (S. 72). Dagegen setzt er, daß theoretische Spontaneität bei einem anzuerkennenden nicht hervorgebrachten empfindungshaften Gehalt des Vorstellens den Gegenstand gerade seinem phänomenalen Dasein nach hervorbringt, indem sie durch ihre Verstandesbegriffe intendiert, aus den filr sich nicht objektivitätsversichernden Gehalten den Gegenstand zu erdeuten und zu erwirken, d.h. zu verwirklichen; es geht dabei nach Prauss die genannte Intention, die eine weit zu verstehende Praktizität der theoretischen Vernunft darstellt, nie bloß allgemein auf Gegenstände überhaupt, wie sie etwa auch in irrealen Modi des Vorstellens wie im Traum anzutreffen wären, sondern immer eben auf die Wirklichkeit der Gegenstände (bes. S. 81 ff).

4. Wille und Erfahrung

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Vorstellung des Raumes schon zum Grunde liegen".106 (Daß der Raum seinerseits eine Gestalt subjektiver Produktivität ist, wird weiter unten noch zu erörtern sein.) Äußerliches dann noch, da der Raum als solcher bloß unbestimmt Mannigfaltiges formiert, als gegenständliche Einheit anzusehen, setzt darüberhinaus intellektuell rationale, ihrerseits gegenstandssetzende Funktion des Verstandes voraus. Schließlich ist nach Kant selbst Dasein eine modale Kategorie, und zwar, wie im Zusammenhang seiner grundlegenden Urteilsdefinition zu sehen sein wird, eine besonders zu akzentuierende. Als Kategorie aber ist Dasein eine Verstandeshandlung, hier diejenige, wodurch im Urteil der Gegenstand eines Begriffs als existierend gesetzt wird. Im Verständnis als Kategorie ist der Gedanke des Daseins eines Gegenstandes nicht mit einem schlechthin Anderweitigen zur Vernunft zu verbinden, sondern gehört, auf die Assertion im Urteil bezüglich, zum Diesseitigen ihres Selbstverständnisses und ihrer Selbstauslegung. Es ist diesbezüglich davon auszugehen, wovon die transzendentale Theorie des Erkennens ansonsten auch ausgeht, nämlich daß wir nur dasjenige aus der Natur herauslesen, was wir zuvor hineingelegt haben107 oder was Vernunft - da sie „nur das einsieht" - „nach ihrem Entwürfe hervorbringt", nach ihrem „vorher entworfenen Plane"108. Im Verständnis als Kategorie gehört Dasein zum Plan (anders auch: Zweck) der Vernunft, dem gemäß sie dann einsieht, und es kann also nicht schlechthin gelten, daß die Vorstellung ihren Gegenstand dem Dasein nach nicht hervorbringe. Durch die diesen Ansatz gefährdenden Schwierigkeiten mit einem anderweitig seinem Dasein nach gegebenen Erkenntnisgegenstand, der dann in der Erkenntnis nur noch bestimmt werden soll, erscheint es als gerechtfertigt, der zweiten und radikaleren der durch Kant vorgegebenen widerstreitenden Tendenzen zu folgen, nämlich den Erkenntnisgegenstand in seinem erscheinungshaften Dasein als durch die Vorstellung hervorgebracht und verwirklicht anzusehen, d.h. also als hervorgebracht nach Art eines Zwecks. Damit erscheint es auch als gerechtfertigt, die übrigen Implikationen des Zweckbegriffs mit zu verfolgen, d.h. etwa, die Spur eines im theoretischen Vernunftgebrauch selbst fungierenden Willens aufzunehmen, der auf die Verwirklichung von etwas geht, was sein soll, nämlich Erkenntnis, Erfahrung und Gegenstände der Erfahrung. Hinsichtlich eines anderweitig seinem Dasein nach gegebenen Gegenstandes, der schlicht ist, könnte ein Wille keine setzende oder erzeugende Funktion haben. Daß es sich bei den synthetischen Urteilen a priori, auf die Kants Absicht geht und die schließlich als notwendig zu aller nur möglichen Erfahrung und als diese und ihre Gegenstände konstituierend behauptet sind, nicht um solche Urteile handelt, durch die das willenlos selbstlaufende Funktionieren eines Erkenntnisapparats

106 107 108

A 23/B 38 vgl. A 125 u. A 196/B 241 Β XIII

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in seinem bloßen Geschehen beschrieben wäre, geht schon aus dem Anspruchscharakter hervor, der ihnen zukommt und der bedeutet, daß dem Erkenntnissubjekt in seinen apriorischen, notwendigen und erfahrungskonstitutiven Urteilshandlungen etwas an diesen Handlungen109 und der Erhaltung ihrer Resultate gelegen ist: „Denn das kündigt eine jede Erkenntniß, die a priori fest stehen soll, selbst an: daß sie für schlechthin nothwendig gehalten werden will."110 Negativ wäre zu formulieren: Sie will nicht für zufällig gehalten werden. Auch der Gedanke eines Adressaten, dem gegenüber Ansprüche erhoben werden, ist dadurch nahegelegt. Erneut drängt sich mit dem soeben akzentuierten Fest-stehen-Sollen und Notwendig-sein-Wollen apriorischer Erkenntnis etwas in den Vordergrund, das der Festlegung, Transzendentalphilosophie abstrahiere vom Willen, entgegensteht. Ein Sollen ist schon in der grundlegenden Bestimmung dessen im Spiel, was 'transzendental' bedeutet. Kant charakterisiert nämlich transzendentale Erkenntnis so, daß diese sich „mit unserer Erkenntnißart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt" 1 ". Vom Verstand heißt es, daß er „sich auf Objecte beziehen soll"112; des weiteren von der Transzendentalphilosophie, daß sie sich mit der „verlangten Möglichkeit einer Erkenntniß ... a priori" beschäftigt, „die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll"113; ihre den aus zufälliger Beobachtung entsprungenen empirischen Gesetzen entgegengesetzten „nothwendigen Gesetze" sind als solche bezeichnet, welche sie „sucht und bedarf' 114 . Es ist darüberhinaus den „Begriffen ..., die sich auf ihre Gegenstände a priori beziehen sollen", eben dadurch eine „Dignität" zugespro-

109

110 111 112 113 114

Zur Akzentuierung des Denkens und Urteilens als transzendentales Handeln vgl. Friedrich Kaulbach (1978, bes. II. Kap.). Insgesamt versucht Kaulbach vom Handlungsbegriff her Beziehungen Uber die Gebietsgrenzen einer eingeteilten Vernunft hinweg deutlich zu machen und eine strukturelle Analogie zwischen Theoretischem und Praktischem herauszuarbeiten. - Mit Bezug auf die vorkritischen Schriften Kants, die aber in diesem Punkt den Abstand zum späteren Denken als nicht groß erscheinen lassen, hat Volker Gerhardt (1974) insbesondere unter Berufung auf eine dort durchgängig als nach „Plan", d.h. als nach einem „Handlungskonzept", verfahrend gedachte Vernunft herausgestellt, daß der Zusammenhang von Vernunft und Handlung trotz der dort starken Anbindung an Naturphilosophie, worin explizit „der Titel einer Ethik noch gar nicht vorkommt", doch nicht auf ein Spezialgebiet der Philosophie beschränkt bleibt, sondern daß hier der „Zugang zu den praktischen Fragen" eröffnet ist; der so vorgeprägte Begriff des Plans erhält „später in der Architektonik der reinen Vernunft eine systematische Funktion" (S. 347). Gerhardt verfolgt in den vorkritischen Schriften vor allem den Aspekt handelnder Vernunft, der ihre Tätigkeit „von vornherein als verantwortetes Verursachen in sozialen Bezügen" begreifen läßt (S. 349). Er entdeckt ihn z.B. in der Konzeption schon der „Verstandeshandlung" (S. 359) der Nova Dilucidano (ND, Ak 1,404 u. 406). A XV Β 25 A 97 Β XVI, Hervorh. Vf. Β XIII

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chen, was nicht möglich wäre, wenn „ihre objective Gültigkeit... a posteriori dargethan" würde115. Auf stärkste Weise ausgedrückt, ist Vernunft „begierig" nach einer „Art von Erkenntnissen", die darüberhinaus, bloß zu sagen, „was da sei", zeigt, „daß es nothwendiger Weise, so und nicht anders, sein müsse" und daß „wahre Allgemeinheit", unterschieden von bloß komparativer, herrsche; durch bloß empirisch aposteriorische Erkenntnis ist Vernunft „mehr gereizt als befriedigt"116. Wenn es nun involviert in Erfahrung die verlangte Art apriorischer Urteile mit dem „Charakter der innem Notwendigkeit" 117 geben sollte und diese, wie in der Tat behauptet werden wird, Erfahrung auch im Sinn jenes aposteriorischen Wissens erst ermöglichen sollten, dann wird in der so auf apriorische Bedingungen zu beziehenden Erfahrung auch eine gewisse Befriedigung jener Begierde gesehen werden können. Erfahrung wird als eine Art Befriedigung dessen betrachtet werden können, was „dem Verstände eigen ist", nämlich das „Bedürfhiß der Regeln"118. Schließlich ist mit einem solchen befriedigten Begehren sogar der Ausblick auf ein auf das Erfahren als solches zu beziehendes Gefühl der Lust möglich. Ein auf dem Fungieren apriorischer Erkenntnisvermögen beruhendes Gefühl der Lust, und zwar als Gefühl der „Beförderung des Lebens"119, erörtert Kant unter der umfassenden Fragestellung der Einheit der Vernunft in der Kritik der Urteilskraft. Die Frage der Einheit der Vernunft ist auch mit den in den bisherigen Darlegungen schon skizzierten Perspektiven in den Blick genommen, allerdings auf eine andere Art als sie in Kants dritter Kritik verfolgt wird. Diese macht nämlich - wozu der deutlichste Anhalt in Kants Rede von der „großefn] Kluft"120 gegeben ist - den Eindruck unvermeidlich, als müßten zwei wie erratische Blöcke voneinander abstehende Gebiete einer zweifachen Gesetzgebung der Vernunft (nach dem Freiheitsgesetz und nach Naturgesetzen), in deren Opposition ein jeweils von einem zu gewinnender Zugang zum anderen ausgeschlossen ist, durch eine dritte Art des Vernunftgebrauchs vermittelt werden, der aber mit den schönen Dingen nur auf einen mit Restriktionen versehenen und anscheinend peripheren Gegenstandsbereich geht. Demgegenüber soll es nach dem hier genommenen Ausblick, der in der Nähe der bekannten ursprünglichen Absicht Kants liegen dürfte, welche auf eine einzige Vernunftkritik und nicht auf zwei verschiedene, dann äußerlich vermittlungsbedürftige ging, um einen möglichen, auch seinen Anhalt bei Kant findenden Zugang zur einen Vernunft von ihrem theoretischen Selbstverständnis aus gehen. Insofern nun zu diesem Selbstverständnis gehört, daß theoretische Vernunft als ein

115

A 135Í/B 175 A If. 117 ebd. 118 A7X/,Ak V, 364 119 KDU, Ak V, 244 120 KDU, Ak V, 195 116

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rationales Begehren eine auf die Ermöglichung von Erfahrung hin gerichtete Absicht vermittels notwendiger und strikt allgemeiner Urteilshandlungen verfolgt, so wird im Erfolg solcher Absicht auch so etwas wie eine rationale Lust als Gefühl der Beförderung des Lebens liegen. Obwohl in Vorbereitung der Erörterung der speziellen ästhetischen Urteile gesprochen, sagt Kant doch in allgemeiner Formulierung: „ D i e Erreichung jeder A b s i c h t ist mit d e m G e f ü h l e der Lust verbunden; und ist die B e d i n g u n g der erstem eine Vorstellung a p r i o r i . . . , s o ist das Gefühl der Lust auch durch einen Grund a priori und für jedermann gültig bestimmt". 1 2 1

In dem speziellen ästhetischen Fall des lustvollen Gefühls der Beförderung des Lebens angesichts des Schönen ist auch der Verstand involviert, wie bekannt als unter dem Titel einer reflektierenden Urteilskraft mit der Einbildungskraft in einem spielerischen Verhältnis stehend. Reflektierende Urteilskraft allgemein ist auf die verstandesmäßige Weiterbestimmung, d.h. auf das fortschreitende Begreifen, des Empirischen aus, geht also in ihren Ansprüchen über das bloß gattungshaft kategoriale Bestimmt-Sein der Erfahrungswelt hinaus. Im ästhetischen Fall des Schönen nun ist die Absicht des Verstandes (allerdings ohne daß er sie betrieben hätte und also insofern interesselos) derart befördert, sein Erkenntnisleben insoweit gelingend und mit ihm also ein Gefühl der Lust verbunden, daß ihm die durch Einbildungskraft dargebotene Wahrnehmung (des dann als schön beurteilten Dinges) in ihrer Verständlichkeit und begrifflichen Erkennbarkeit überhaupt faßlich wird, ohne daß aber in diesem ästhetischen Weltbezug selbst die Realisierung als ein tatsächliches empirisches Erkennen nach bestimmten Begriffen dann auch noch vollzogen würde. Wenn nun - jetzt mit Blick auf den unter dem Titel bestimmender Urteilskraft kategorial erfahrungsermöglichenden Verstand der ersten Kritik gesprochen - Verstand, wie ausgeführt, ein Verlangen nach Regeln ausdrückt, ja dieser begierig danach ist und sein Bedürfnis danach zu befriedigen sucht, wenn er insgesamt absichtlich fungiert, indem er durch reine Verstandesbegriffe seinsollene Erfahrungsurteile nach apriorischen Formaspekten antizipiert, dann wird auch mit Erreichung dieser Absicht (einer doch verglichen mit empirischer Weiterbestimmung durch reflektierende Urteilskraft primordialen Absicht) jene mit jeder Erreichung einer Absicht verbundene Lust an einem zweckmäßigen Gelingen verbunden sein, hier die Lust am Gelingen lebendigen Fungierens als spontan nach Kategorien erfahrungsermöglichender Verstand.

121

KDU, Ak V, 187 - Wolfram Hogrebe (1981) weist hinsichtlich der „Praxis der bestimmenden Urteilskraft", zu der die Anwendung von Kategorien gehört, darauf hin, daß ihrem kategorial regelgeleiteten Suchen ein gefühlsmäßig positiv besetztes Finden entsprechen muß; er spricht daraufhin von einer „ursprünglichen Lust der Prädikation" (S. 735). Mit Bezug auf die oben gegebenen Belege aus Kants Texten ist bei einer zuzugestehenden stärkeren gegenläufigen Tendenz die Eindeutigkeit des Befunds Hogrebes aber wohl zu relativieren, daß Kant diese „nicht sah und auch nicht sehen konnte"(ebd.).

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Ein weiterer Anklang an eine Lust theoretischer Vernunft, jetzt in bezug auf ihre philosophische Selbstthematisierung, ist bei Kant dort gegeben, wo es heißt: Kritische Metaphysik als Transzendentalphilosophie muß „nach der strengsten Forderung systematisch ... ausgeführt werden ..., denn diese Forderung an sie, da sie sich anheischig macht, gänzlich a priori, mithin zu völliger Befriedigung der speculativen Vernunft ihr Geschäfte auszuführen, ist unnachlaßlich" 122 .

Damit ist der Zusammenhang zwischen der (schon als den Lebensgedanken implizierend herausgestellten) Systemforderung hinsichtlich apriorischer Erkenntnisprinzipien, die nur im System als im strikten Sinn erkenntnisversichernd genommen werden können, und einer im Fall der Erfüllung, der der Fall der Einsicht in das Gelingen von Erkenntnis ist, befriedigten spekulativen Vernunft hergestellt. Vor diesem Hintergrund ist auch eine - für sich betrachtet kurios anmutende Anmerkung Kants zu seiner Tafel der Kategorien eher verständlich, durch die er dem durch diese Tafel bezeichneten Teil der Metaphysik, hinzugenommen die Prädikabilien zu den Kategorien, „eine gewisse Schönheit" in Aussicht stellt, und zwar „vermöge des Systematischen"123 darin. Demnach führte das Sich-Verstehen theoretischer Vernunft in Hinsicht auf ihre eigenen Erkenntnisprinzipien, wenn es systematisch durchgeführt werden könnte, auf ein Gefühl der Lust. Den angesprochenen Bezug von Schönheit auf das Lebensgefühl hier heranziehend, wäre diese allerdings rein intellektuelle Lust auch als Gefühl der Beförderung des Lebens anzusprechen. Eine „Lust", die „intellektuelle" Lust ist, führt Kant in seiner Anthropologie in Einteilung des Gefühls der Lust und Unlust in der Tat auf, und zwar, was auch an Kategorien denken läßt, als eine solche, die begründet ist „durch darstellbare Begriffe"124. Daß es mit Berufung auf Kant nicht ganz und gar abwegig ist, in Verfolgung des Selbstverständnisses theoretischer Vernunft von so etwas wie einem in es involvierten Gefühl zu sprechen, läßt sich auch dadurch stützen, daß er in den Prolegomena „die Vorstellung der Apperception, das Ich", d.i. die für das System von Erkenntnisprinzipien zentrale Vorstellung, selbst als „Gefühl eines Daseins ohne den mindesten Begriff' bezeichnet, nämlich ohne „Begriff, wodurch irgend etwas gedacht würde, ... als Prädicat von andern Dingen"; es ist dieses Daseinsgefühl „nur Vorstellung desjenigen, worauf alles Denken in Beziehung (relatione accidenti's) steht"125. In seiner B-Deduktion nennt Kant dieses Daseinsbewußtsein zwar „ein Denken, nicht ein Anschauen"126; dieses Denken als solches gibt aber keine

122 123 124 125 126

Β XXXVI, Hervorh. Vf. PROL ,Ak IV, 326 Anm. ANTH, Ak VII, 230 PROL, Ak IV, 334 Anm. Β 157

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Selbsterkenntnis und geht „allem meinem bestimmten Denken"127, wie es sich etwa nach Kategorien vollzieht, vorher, was ihm als einem dann wohl unbestimmten Denken einen Sonderstatus verleiht. Über die in den Prolegomena als ein Daseinsgefühl angesprochene Apperzeption hinaus geht unter dem Gesichtspunkt der mit den theoretischen verbundenen hinzukommenden Charakteren des Ich noch ihre Charakteristik in der Anthropologie. Hier wird vom Ich mit wiederum affektiven Konnotationen ausgedrückt, daß es Wert besitzt, „Rang und Würde", und zwar wird hier gar nicht einmal der Aspekt eines isoliert praktischen Selbstverhältnisses bemüht, sondern erhebenden Wert, Rang und Würde besitzt schon „dieses Vermögen ... Verstand', das das Vermögen „zu denken"128 ist. Diese Würde des Verstandes wird hinsichtlich ihres genaueren theoretischpraktischen Sinns noch zu thematisieren sein. All dem gegenüber behalten allerdings die entgegengesetzten Festlegungen Kants innerhalb der Kritik der reinen Vernunft die Oberhand. Danach sind , was z.B. den Gefühlsaspekt betrifft, alle Gefühle, alle „Lust und Unlust", „empirischen Ursprungs"129. Von anderen, nichtempirischen Gefühlen handelt Kant unverstellt erst nach der 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft. Wie oben in einem Zusammenhang von einem Begehren zu sprechen und vom a priori erfahrungsermöglichenden Urteilen oder Denken, worauf dieses rationale Begehren geht, stimmt überein mit dem gewählten Ausgangspunkt einer im theoretischen Gebrauch lebendig zu denkenden Vernunft. Dazu ist noch einmal zu vergegenwärtigen, daß Leben das Vermögen genannt wurde, sich aus innerem Prinzip zu gesetzlichem Handeln zu bestimmen. Insofern Begehren das einzige innere Prinzip ist, aus sich heraus zur Zustandsveränderung und zu einem Handeln zu kommen, ist Leben das Vermögen, sich aus einem Begehren zum gesetzlichen Handeln zu bestimmen. Wenn des weiteren Denken oder Urteilen ein Aus-sichheraus-Handeln darstellt, und zwar die einzige Vollzugsform inneren Handelns, dann ist Denken in einem Begehren begründet, und Leben kann als das Vermögen angesprochen werden, sich aus einem Begehren zum Denk- oder Urteilshandeln zu bestimmen. Die erfahrungsermöglichende Funktion apriorischen Urteilens vorausgesetzt, kann Kant sodann vom Fortgang der Erfahrung, d.h. vom empirisch faktischen und auf die Zukunft hin offenen Urteilsvollzug als dem ,,zusammengekettete[n] Leben von „Zeugungen an neuen Kenntnissen" sprechen, die als „Product... unser Verstand hervorbringt"130. Daß sich das Erkenntnisthema mit der Frage nach einem objektiven Gegenstand der Erfahrung überhaupt als ein Problem erhebt, ist schon Ausdruck einer engagiert zu denkenden Vernunft. Die Frage 'Was kann ich wissen?' drückt ein

127

128 129 130

Β 134

ANTH, Ak VII, 127

A 15/B29 Al

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„Interesse meiner Vernunft"131 am Wissen-Können aus und das nichtskeptische Ergebnis, etwas wissen zu können (wenn auch vielleicht mit Restriktionen versehen), eine Befriedigung solchen Interesses.132 Lediglich von der Gegebenheit desjenigen her, was als bloß empirisches, noch nicht objektiv Erfahrung zu nennendes Vorstellen im privat zu denkenden Subjekt schlicht stattfinden mag (wie angeführt als Modifikationen seines Zustandes), ist eine Frage wie die in Hinsicht auf Erkenntnis dann zentrale, ob es sich bei dem Vorgestellten um einen Gegenstand nur als Vorstellung oder um einen Gegenstand der Erkenntnis als wirklichen Gegen-

131 132

A 804/B 832 In seiner auf das Verständnis der kritischen Hauptschriften abzielenden Untersuchung der vorkritischen Schriften hat Volker Gerhardt (1974) auf die große Bedeutung des Interessebegrifis in der Philosophie Kants insgesamt aufmerksam gemacht. Gerhardt betont die durchgangige Ethisierung des Theoretischen bei Kant, die an dem in theoretisches Selbstverständnis involvierten Begriff eines allgemeinen Interesses an Erkenntnis festgemacht werden kann; er stellt das Zusammenfallen eines sachlichen und sozialen Interesses an der Wahrheit fest (S. 352). Gestützt auf eine aus der Zeit der Ausarbeitung der Kritik der reinen Vernunft stammende Definition von Interesse („Das Interesse beruht auf dem Wohlgefallen an unserem Zustande, welcher von der Wirklichkeit des Gegenstandes abhängt." (Ak XV, REFL 1021; vgl. ΚDU, Ak V, 204)), erkennt er im Interessebegriff auch die Implikation einer Tendenz der Vernunft hin auf ihre Faktizität und darüberhinaus auf Existenzerhaltung (vgl.S. 370). Von diesem Ergebnis her erscheint ihm etwa die Deutung, die Jürgen Habermas dem Kantischen Begriff des Erkenntnisinteresses gegeben hat, als verfehlt (S.88111), obwohl diese, wie hinzuzufügen wäre, bei Kant dem Buchstaben nach auch nicht ganz ohne Anhalt ist. Habermas (1968) hält zuletzt sich selbst die Konzeption einer des Zugangs auf Faktisches hin fähigen theoretischpraktischen Rationalität zugute. Er sieht im Kantischen Begriff des spekulativen Interesses die Verselbständigung theoretischer Vernunft manifestiert. Die Hauptsätze seiner Kritik lauten(S. 250): „Man sieht... nicht recht, was der theoretischen Vernunft durch ein spekulatives Interesse hinzugefügt wird, wenn dieses 'in der Erkenntnis des Objekts bis zu den höchsten Prinzipien a p r i o r i ' ( K P V , Ak IV, 250) besteht, ohne daß hier, wie im Fall des praktischen Vernunftinteresses, eine Erfahrung des Wohlgefallens identifiziert werden könnte."; „Auch ein spekulatives Vernunftinteresse wäre als Interesse allein dadurch gerechtfertigt, daß theoretische Vernunft von der praktischen in Dienst genommen wird, ohne darum ihrer eigentlichen Intention einer Erkenntnis um der Erkenntnis willen entfremdet zu werden. Zu einem Erkenntnisinteresse bedarf es nicht nur der Beförderung des spekulativen Gebrauchs der Vernunft als solcher, sondern der Verbindung der reinen spekulativen Vernunft mit der reinen praktischen, und zwar unter Anleitung eben dieser praktischen Vernunft." Nach Habermas „gesteht" Kant das erst „am Ende ein", indem dieser sagt: „Der spekulativen Vernunft aber untergeordnet zu sein, und also die Ordnung umzukehren, kann man der reinen praktischen gar nicht zumuten, weil alles Interesse zuletzt praktisch ist, und selbst das der spekulativen Vernunft nur bedingt und im praktischen Gebrauche allein vollständig ist."(K/T, Ak IV, 252) Der Beurteilung Habermas' gegenüber ist nun die Frage, ob in der Konzeption theoretischer Vernunft bei Kant, unangesehen der zugegeben schwankenden Selbsteinschätzung des Urhebers, das Geforderte nicht von Anfang an systematisch integriert ist und auch textlich dingfest gemacht werden kann, so daß Erkenntnis um der Erkenntnis willen in dieser Konzeption Uberall bloß eine Reduktionsgestalt wäre. Abgesehen von dem, wie gesehen, wenigstens in Ansätzen aufweisbaren Lustcharakter theoretischer Vernunftfunktion, wird, wie hier erst anzukündigen ist, in Übereinstimmung mit den Forderungen Habermas' und in Übereinstimmung mit den übrigen Momenten der angeführten Definition von Interesse im Zentrum der Erörterung der Kantischen Urteilstheorie der Kritik der reinen Vernunft herauszustellen sein, daß theoretische Vernunft, die dann auf diese Weise nicht privativ bloß theoretisch ist, ein betontes Interesse am existierenden Gegenstand der Erkenntnis (d.i. der Gegenstand der Erfahrung) hat und daß das Dasein dieses Gegenstandes als ihr Telos anzusehen ist.

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stand (anders auch: als Gegenstand selbst) einer intersubjektiven Erfahrung handelt, nicht gestellt. Anders ausgedrückt, ist vom bloßen Stattfinden solchen Vorstellens her die zum Problem werdende Differenz zwischen ihm als einem Vorstellen im Sinne dessen, was Kant im Zusammenhang seiner Theorie der Wahrnehmung auch als das bloße Spiel der Vorstellungen verschiedentlich mit einem Traum vergleicht, und einem objektiv gültigen Vorstellen noch nicht schon mitgegeben, d.h., das Wahrheits- oder Objektivitätsproblem erwächst nicht aus solchem Stattfinden von Zustandsmodifikation im wechselnden Besetzt-Sein durch Vorstellungen. Um die genannte Differenz überhaupt in den Blick zu bekommen, ist über das bloße Stattfinden eines Vorstellungsgeschehens hinaus der Abstand einer Reflexion erforderlich, die mit Kant deshalb spontan zu nennen ist, weil sie nicht selbst aus jenem Geschehen erwachsen kann, auf das sie sich richtet, um es daraufhin zu beurteilen, ob ihm die Bedeutung verliehen werden kann, auf Gegenstände der Erfahrung bezogen zu sein. Es wird „bloß empirische Anschauung" nur „durch Reflexion" zur „Erfahrung und hiemit Wahrheit"133; diese Reflexion ist zu bezeichnen als „die innere Handlung (Spontaneität), wodurch ein Begriff (ein Gedanke) möglich wird"134. Mit dieser inneren Handlung als Spontaneität läßt sich das schon Gesagte verbinden, wodurch Leben als das Vermögen, sich aus innerem Prinzip zum Handeln zu bestimmen, bezeichnet wurde und wodurch die Beziehung hergestellt wurde auf ein Begehren als einziges inneres Prinzip, sich zum Handeln zu bestimmen - hier zur Reflexionshandlung hinsichtlich eines als Erfahrung und „hiemit" in seiner „Wahrheit" auszuzeichnenden Vorstellens. Von einem gegebenen Gehalt des Vorstellens in seinem bloßen Stattfinden her kommt dem Vorstellenden keine sich mitteilende Aufforderung zu, sein Erkenntnisstatus als bloß subjektiv, als sich in einem privaten Vorstellen als solchem erschöpfend, oder als objektiv, als einen Gegenstand der Erfahrung bezeichnend, sei ein noch zu klärender. Das drückt Kant aus, wenn er sagt, die Aufgaben der von ihm projektierten Wissenschaft seien „nicht durch die Natur der Dinge ... vorgelegt", sondern die Aufgaben der Wissenschaft 'Kritik der Vernunft' seien solche, die „ganz aus ihrem Schooße entspringen" und die „durch ihre eigene [Natur] vorgelegt sind"135. Diese eigene - übrigens wieder mit einer Lebensmetapher umschriebene - Natur ist demnach die aufgabenund problemerzeugende Natur einer Vernunft, die sich selbst zu Fragen motiviert, hier zur Wahrheitsfrage, und die im Erfragten, dem objektiven Gegenstand der Erfahrung, ihr Telos hat, auf dessen Bestätigung die Frage drängt.136

133

134 135 136

ANTH, Ak VII, 142 - An dieser Stelle ist zwar speziell von der inneren Erfahrung die Rede, das Erfordernis der thematischen Reflexion gilt aber auch hinsichtlich der äußeren. ANTH, Ak VII, 134 Β 23 An diesem Punkt einer nur durch vernünftige Subjektivität als aufgeworfen zu denkenden Wahrheitsfrage, wonach diese Frage als in ihrem Sinn durch das sich selbst und sein Vorstellen proble-

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B e i m Fragen nicht stehen bleiben könnend, muß Vernunft auf Beantwortung aus sein. Daß Beantwortung und Auflösung auch möglich sein muß, geht aus einer hier zur Analogie geeigneten Diskussion anderer Fragen hervor, die durch Vernunft selbst gestellt sind. Gemeint sind die kosmologischen Fragen innerhalb der 'Dialektik', die auch alle nicht durch das bloße Vorliegen einer Natur der Dinge gestellt sind. Zum Beispiel ein Körper, schlicht als in einer Vorstellung gegeben betrachtet, wirft von sich aus keine Frage nach etwaiger unendlicher Teilung oder seinem Bestehen aus einfachen Teilen auf. Dort nun, w o speziell nach den Weltbegriffen eines Anfangs in Raum und Zeit, eines Einfachen, einer Freiheit und eines notwendigen Wesens gefragt wird, ebenso wie hier, w o die Frage auf den objektiven Gegenstand der Erfahrung geht, muß aus einem gemeinsamen Grund „Auflösung gefordert werden"; beides muß nach Kant den „Wissenschaften" zugezählt werden, „deren Natur es so mit sich bringt, daß eine jede darin vorkommende Frage aus dem, was man weiß, schlechthin beantwortlich sein muß, weil die Antwort aus denselben Quellen entspringen muß, daraus die Frage entspringt, und wo es keinesweges erlaubt ist, unvermeidliche Unwissenheit vorzuschützen"'·' 7 . Und zwar kann es uns deshalb nicht „gänzlich an Mitteln oder am Vermögen" fehlen, „sie jemals zu beantworten" 138 , weil wir - eben durch keine Natur der Dinge

matisierende Subjekt gestiftet gedacht und das Wahrheitsproblem also nicht als ein faktisch gegebenes angesehen ist, läßt sich die in nuce vorliegende unüberbrückbare Differenz zur von Seiten philosophischer Hermeneutik vertretenen Auffassung zur Wahrheitsthematik festmachen. Mit universellem (nicht bloß auf Geisteswissenschaft bezogenem) Anspruch ist etwa fìlr Hans-Georg Gadamer (1990) die Wahrheitsfrage - wie aufgrund der allgemeinen Priorität der Sprach- oder anders Seinsgestalt der Frage (vgl. S. 368) im Grunde alle Fragen - aus einem lebendig gedachten Sprachund zugleich Seinsgeschehen heraus im Sinn des „Aufkommen[s] einer Frage" (S. 368) eine solche, die „sich stellt" oder die „einfällt"; es ist in dieser Sicht „Fragen ... mehr ein Erleiden als ein Tun" (ebd.). Auch das dann nur in der Sphäre solcher nicht durch ein selbstmächtiges Subjekt eröffneten und doch schon sinnbesetzten Fragwürdigkeil sich einstellende Wissen ist ftlr Gadamer „ein Geschehen, dessen niemand Herr ist"(S. 358). Das organisierende Zentrum des hermeneutisch apostrophierten lebendigen Geschehens von Sinneröffnung durch die Frage und Sinnerfllllung im Verstehen ist in einem Zwischen angesiedelt, Uber das kein Ich in seinem Selbstsein verfügt; dieses Geschehen, und zwar eines ,,dynamische[n] Ganzen sui generis" (1986, S. 128), ist angesehen als das Sprach- oder anders das Wahrheitsspiel, von dem umgriffen sich alle vorfinden. Nach Gadamer ist „die Seinsart des 'Lebens' nicht vom Selbstbewußtsein aus [zu] denken" (1990, S. 268). Das Selbst des suigenerischen lebendigen Wahrheitsgeschehens, das bei aller hermeneutisch betonten Angelegtheit auf Subjekte als Mitspieler als solches doch nur anonym und exzentrisch zu allen Subjekten gedacht werden kann, zu dessen Teilhabe also ein ekstatisches Moment erfordert ist, d.i. hermeneutisch das Außer-sich-Sein einer Selbstvergessenheit als Voraussetzung des Zuteilwerdens von Wahrheit durch Gunst, muß in transzendentaler Sicht im Vergleich zur eigenen Berufung auf das Selbst des reflektierenden Selbstbewußtseins für ganz unausgewiesen und auch für unausweisbar gelten. 137 138

A476/B504 A477/B505

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dazu provoziert, „die uns unabhängig von unseren Begriffen gegeben werden"139 doch „so viel Begriff haben", um überhaupt die „Frage aufzuwerfen"140. Letzteres beinhaltet die Voraussetzung der Verständlichkeit der Frage selbst, die in unserem Fall die nach der Objektivität des Gegenstandes der Erfahrung ist. Zu dieser Frage wird sich wohl ein Tier aus der Befangenheit seines bloßen Vorstellungsgeschehens bei aller sonstigen Übereinstimmung nicht erheben können. Deshalb nun, „weil eben derselbe Begriff, der uns in Stand setzt zu fragen, durchaus uns auch tüchtig machen muß, auf diese Frage zu antworten", besteht nach Kant „Verbindlichkeit", sie „zu beantworten". Er fügt hinzu, auch hier einen Zusammenhang mit der 'Analytik', und zwar mit ihrer rechtlichen Ausdrucksweise nahelegend (Vernunft als Richter, Rechtsgründe erwägend): „wie bei Recht und Unrecht" (ebd.). Selbstgestellte theoretische Fragen, wozu auch die nach dem Gegenstand der Erfahrung gehört, und die Unabweisbarkeit der Beantwortungspflicht daraufhin werden von Kant also verglichen mit den ebenso selbstgestellten, d.h. durch keine heterogene Instanz insinuierten, Fragen nach Recht und Unrecht und mit der auf diesem Feld sofort einleuchtenden Unabweisbarkeit der Pflicht zur Beantwortung, hier in der Regel durch die Tat. Wie die Frage nach der Wahrheit unserer Erkenntnisse in Beziehung auf einen Gegenstand der Erfahrung ist auch das Rechte und Unrechte ohne Reflexion als inneres Handeln und nur unter Bezugnahme auf eine als „bloß empirische Anschauung" vorgegebene Natur der Dinge weder überhaupt als Problem aufgeworfen noch dann auch zu lösen. Es besteht also Verbindlichkeit zur Auflösung der Frage nach den notwendigen, den objektiven Gegenstand der Erfahrung versichernden Erkenntnisprinzipien, insofern auch diese Frage keiner Natur gegebener Dinge entstammt, sondern „dem Schöße" einer Vernunft, die diese Prinzipien von sich aus sucht, die ihrer bedarf und die will, daß sie sich auf Gegenstände a priori beziehen io//e«.Durch alles Sollen ist nun ein Imperativ ausgedrückt, und dieser zeigt „dadurch das Verhältniß eines objectiven Gesetzes der Vernunft zu einem Willen an; Imperative „sagen ... einem Willen", „daß etwas zu thun oder zu unterlassen gut sein würde"141, und es gilt von ihnen, daß „wir [sie] in allem Praktischen den ausübenden Kräften als Regeln aufgeben"142. Dies auf die ausübenden Kräfte 'Erkenntnisvermögen' und ihre Prinzipien, die Erfahrung prinzipiieren sollen, bezogen, ist nahegelegt, auch hier von zur Anwendung aufgegebenen Regeln oder Regeln als Aufgaben zu sprechen, deren Erfüllung ausdrücklicher willentlicher Betätigung bedarf, worin also die Regelanwendung zum einen kein anonym selbstlaufendes

139 140 141 142

A 480/B 508 A 477/B 505 GMS, Ak IV, 413 A 547/B 575

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Geschehen ist und darüberhinaus auch noch „gut sein würde". Letzteres noch dadurch untermauernd, daß die Sollensformel „die Formel" ist, „unter welcher eine jede Verbindlichkeit ausgesprochen wird"143, ist verstärkt die Frage hinsichtlich eines akzentuiert moralischpraktischen Aspekts erkennenden Vernunftgebrauchs aufgeworfen.

143

GTM, Ak II, 298

5. Ausblick auf Erfahrung als moralische Praxis Ein moralischpraktischer Aspekt theoretischen Vernunftgebrauchs klingt an, wenn bei Kant wiederholt von der „Dignität" die Rede ist, die unsere Vorstellungen durch ihre objektive „Beziehung auf einen Gegenstand"144 erhalten. Die Qualifikation von Erscheinungen als objektiv oder als Gegenstände der Erfahrung ist so unverkennbar mit einem auszeichnenden und emphatischen Sinn versehen, und zwar im Unterschied zu „Erscheinungen ..., in so fern sie" - in einem später noch genauer zu klärenden Sinn - bloß „(als Vorstellungen) Objecte sind"145. In einem weiten, nicht ausgezeichneten Sinn kann man „alles, und sogar jede Vorstellung, so fern man ihrer bewußt ist, Object nennen"146. Indirekt sind der genannte Nachdruck und das Interesse an der Beziehung auf einen Gegenstand der Erfahrung durch die eindeutig nicht bloß deskriptiven, sondern mit negativer Wertung besetzten Ausdrücke in der Charakterisierung der Situation eines Vorstellens ohne diese Beziehung zu belegen: Es herrschten in diesem Fall das „Gerathewohl" und die Beliebigkeit147, das „Gewühl von Erscheinungen"148 oder das „Spiel der Vorstellungen", das „weniger als ein Traum"149 wäre. Den Nachdruck für den gegenteiligen Fall allerdings schon als moralisch begründete Emphase aufzufassen, bleibt noch problematisch. Es ist zunächst noch kaum einsichtig, inwiefern die Beziehung eines Erkenntnissubjekts auf einen Gegenstand der Erfahrung unter dem Titel 'Dignität' einen moralischen Anklang rechtfertigen soll, denn eine Thematisierung des Moralischen muß doch wohl vorzüglich Beziehungen von Subjekten untereinander zur Sprache bringen und also auch das Thema des anderen aufwerfen. Daß diese Thematik in der Tat mit der der Objektivität schon mit eröffnet ist, wird dann einsichtig, wenn man sich mit Kant vergegenwärtigt, daß der Wechselbegriff zu objektiver Gültigkeit der der Gültigkeit für jedermann ist150 und daß ein Gegenstand der Erfahrung jederzeit als ein Gegenstand einer gemeinsamen Welt aufzufassen ist. Die damit eröffnete Perspektive auf den anderen, die den Aspekt der Moralität weiterzuverfolgen zumindest nicht verbietet, wird später in der speziellen Behandlung der von den

144 145 146 147 148 149

150

A 197/B 242; vgl. A 135f./B 175 A 190Í./B 235f. ebd. A 104 A 111 A 112

vgl.

Ρ ROL,

Ak IV, 298

5. Ausblick auf Erfahrung als moralische Praxis

51

Erfahrungsurteilen unterschiedenen Wahmehmungsurteile, die Kant in die Nähe jenes beliebigen Spiels der Vorstellungen bringen wird, vertieft werden. Passend zum apostrophierten emphatischen Erfahrungsbegriff ist des weiteren, daß Kant sein Projekt der Statuierung objektiven Erkennens nicht neutral als Grundlegung oder Begründung unternimmt, sondern als Legitimation, d.h. als Geltungstheorie in Grundlegung einer Berechtigung von Ansprüchen und filr eine Anerkennung dieser Ansprüche. Schließlich kündigt er an, das Apriorische des Erkennens nach seinem „Werthe oder Unwerthe"150 beurteilen zu wollen. Sein Ergebnis vorweggenommen, sind die Erkenntnisse a priori mit Wert zweifellos die auf mögliche Erfahrung bezogenen und die ohne Wert die überschwenglichen durch die aus dieser Beziehung gelösten angemaßten transzendenten Begriffe. Die Opposition von Wert und Unwert ist hier nicht die Entsprechung zur Entgegensetzung von Wahrheit und Falschheit. Auf diese Entgegensetzung bezogen, sind die Erkenntnisse ohne Wert diejenigen, die weder zur Wahrheit noch zur Falschheit fähig sind und die unter den Titel 'Illusion' - eine bestimmte Art von Schein - gehören, wie die 'Dialektik' zeigt. Dagegen sind die apriorischen Erkenntnisse mit Wert die, in deren Anwendung (z.B. also der Kausalkategorie in Hinsicht auf ein Ereignis) sowohl wahre als auch falsche Erfahrungsurteile involviert sein können, so daß selbst Falschheit und Irrtum (unterschieden von der Illusion) in gewisser Weise noch zur Seite der Erkenntnisse mit Wert zu rechnen sind. Zur Wahrheit und Falschheit unfähig und somit wertlos sind Prinzipien, „deren Gebrauch nicht einmal auf Erfahrung angelegt ist"151. Mit solchen Prinzipien als „gänzlich erdichteten Sätzen" läßt sich „auf mancherlei Weise herumpfuschen, ohne eben zu besorgen, daß man auf Unwahrheit werde betreten werden", d.h. man wird „niemals durch Erfahrung widerlegt werden"152, ebenso aber auch nicht bestätigt. Das Angelegt-Sein auf Erfahrung, d.h. letztlich die Finalisierung der Prinzipien des Erkennens auf Gegenstände in der Anschauung hin, gibt den Erkenntnisprinzipien einen Wert, der nicht gegeben ist, wenn das Erkenntnissubjekt in Anwendung von Prinzipien in einem vom Bewußtsein dieses GerichtetSeins getrennten abstrakt intellektuellen Selbstverständnis steht. Erkenntnisprinzipien mit Wert sind demnach nicht Prinzipien eines schlechthin reinen Denkens, sondern Prinzipien eines reinen, auf Gegenstände in der Anschauung gerichteten Denkens. Von den apriorischen und selbst transzendental zu nennenden Grundsätzen der 'Analytik' sagt Kant, sie „sollen bloß von empirischem und nicht von transcendentalem ... Gebrauche sein"153. Es ist also hier die Rede von transzendentalen, nichtempirischen Grundsätzen in einem nur empirischen Gebrauch, der

150 151 152 153

A 13/B 26 A 295/B 352 PROL, Ak IV, 340 A 296/B 352f.

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S. Ausblick auf Erfahrung als moralische Praxis

zugleich als einer, der sein soll, unterschieden ist von einem anderen, der nicht sein soll. In einer von der dialektischen Illusion unterschiedenen falschen Erkenntnis und im Irrtum im Erfahrungsgebrauch, worin etwas Falsches für wahr gehalten wird, ist doch insofern noch ein relativer Wert, als darin nicht wie dort die Erkenntnissituation überhaupt fehlgedeutet ist und die Intention auf Wahrheit nicht schon als solche zu unrecht besteht. Die Verfehlung im Irrtum ist kein Mißverstehen der Situation als ganzer, sondern bloß ein Mißverstehen in ihr, die aufgrund des vorliegenden Bewußtseins der Verwiesenheit des Denkens auf Gegenstände in der Anschauung doch überhaupt zu recht auf ein Gelingen angelegt ist. Aus diesem Grund sagt Kant: „Ein irrthum ist jederzeit partialiter wahr"154. In näherer Diskussion des Irrtums und der Irrtumsvermeidung kann nun noch speziell der ein Streben und die Anstrengung einer Absicht erfordernde Charakter der Verstandestätigkeit hinsichtlich des ihr jetzt angemessenen Feldes möglicher Erfahrung herausgestellt werden. Mit der Eröffnung von Erfahrung ist die Möglichkeit des Irrtums miterößhet, und zwar in der zweifachen Weise eines formal kategorialen Irrtums einerseits und eines materialen andererseits. Es kann beispielsweise etwas zunächst wie immer bloß subjektiv als Modifikation des Zustandes Gegebenes vermittels der Kausalkategorie falsch als überhaupt ereignishaft objektiv beurteilt werden; aber auch hinsichtlich eines objektiv Ereignishaften kann dann noch materialiter das A für die Ursache oder das Β fiir die Wirkung falsch angegeben sein. Vom ersten Irrtum scheint Kant zu sprechen, wenn er einen möglichen „Mißbrauch der Kategorien" erwähnt, der nicht der Mißbrauch in der Statuierung transzendenter Grundsätze ist; er spricht von einem möglichen Schein im „empirischen Gebrauche sonst richtiger Verstandesregeln"155. Da die Kategorie „sonst richtig" ist, ist auch hier noch von partieller Wahrheit zu sprechen. In der Kantisch-Jäscheschen Logik ist Jrrthum in formaler Bedeutung des Worts " aufgefaßt als das Abweichen des Verstandes von seinen „eigenen wesentlichen Gesetzen"156. Unangesehen des Unterschieds der Irrtumsarten ist von der Erfahrungserkenntnis, insofern sie nicht nur im den Irrtum einschließenden Sinn partialiter, sondern uneingeschränkt wahr sein soll und Wert haben soll, zu sagen, daß sie nicht bloß geschieht und sich nicht bloß einstellt, sondern daß sie wider eine Gefahr des Abweichens und unter Vermeidung eines möglichen Mißbrauchs wird erzielt sein müssen. Erfahrungen müssen demnach in ausdrücklicher Anstrengung gegen ein mögliches Verfehlen erst gemacht werden. Irrtum entsteht dann, wenn der „Verstand" einen „Mangel an erforderlicher Aufmerksamkeit"157 aufweist; er wird also nur durch den Aufwand einer speziellen 154 155 156 157

Ak XVI, REFL 2250 A295f./B351f. LOG, Ak IX, 53 LOG, Ak IX, 54

5. Ausblick auf Erfahrung als moralische Praxis

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Aufmerksamkeit des Verstandes zu vermeiden sein. Um Irrtum zu vermeiden, muß man „Acht haben" oder „Achtsamkeit" aufbringen 158 . Die zu wahrende Aufmerksamkeit muß sich gegen etwas richten, was uns zum Irrtum „verleitet", nämlich unser „eigener Hang zu urtheilen und zu entscheiden, auch da, wo wir wegen unsrer Begrenztheit zu urtheilen und zu entscheiden nicht vermögend sind"159. Ein Hang aber gehört nach Kant unter den Titel der Leidenschaften, also den eines irrationalen Begehrens 160 . Gegen einen solchen Hang wird sich nicht bloß ein nicht weiter bestimmtes Denken, sondern ein Denken als rationales Begehren richten müssen. Der Hang nun im Rahmen der Konstellation eines prinzipiellen Auf-ErfahrungAngelegt-Seins (also unter Einschluß Uberhaupt von Sinnlichkeit) ist der zu einer passiven, sozusagen faulen Vernunft 161 , die etwas unterläßt, was nicht unterlassen werden darf und die doch urteilt, ohne aber in ihrer Passivität dazu vermögend zu sein. Der Irrtum hier beruht auf einem - wegen mangelnder Aufmerksamkeit „unbemerkten Einfluß der Sinnlichkeit auf den Verstand" 162 und auf der Verwechslung des Subjektiven der Sinnlichkeit mit dem Objektiven 163 , die aber nicht der Sinnlichkeit selbst anzulasten ist. Subjektive Gründe für objektiv zu nehmen, ist einem derart passiven Verstand anzulasten, der den sinnlichen Vorstellungen als solchen eine wahrheitsversichernde Rolle zugesteht und der - so das Gegenstück zum verfehlten abstrakt intellektuellen, unter Mißachtung der sinnlichen Bedingungen überschwenglichen Selbstverständnis - ein adäquates Selbstverständnis ebenso verfehlt. Darin liegt nach Kant die zweite Art von Schein begründet164, zusätzlich zu der in dialektischen Illusionen. Während Vernunft im dialektischen Schein ein adäquates Selbstverständnis überschreitet, unterschreitet sie es hier im Fall des passiven und deshalb irrtumsfähigen Verstandes. Als passiver gesteht der Verstand den sinnlichen Vorstellungen ihre vermeintlich allein wahrheitsversichernde Rolle nicht auf die Weise einer bewußten Zuschreibung zu, sondern auf die Weise eines Unterlassens und eben einer Unaufmerksamkeit in Hinsicht auf sich selbst, wodurch er nicht auf der Höhe des Bewußtseins ist, sich selbst als das Vermögen zu urteilen einzusehen und einzusehen, daß Wahrheit nur in seinem Urteil als etwas kraft eigenen Vermögens zu Erzielendes ist, nicht etwas Hinzunehmendes oder sich von selbst Einstellendes. Ebenso ist auch Falschheit nur im Urteil und also im Verstand als dem Vermögen zu urteilen, doch so, daß er davon insofern unzureichenden Gebrauch macht, als er

158 159 160 161 162 163 164

A296f./B 352f. LOG, Ak IX, 54 vgl. ANTH, Ak VII, 265 vgl. Ak XVI, REFL 2532 A 293/B 350 vgl. LOG, Ak IX, 54 vgl. ebd.

5. Ausblick auf Erfahrung ais moralische Praxis

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seine Urteilskompetenz abgibt an Sinnlichkeit und etwa als fauler Verstand von sinnlicher Gegebenheit unmittelbar und unreflektiert zu einer Assertion übergeht. Die Passivität, die sich dazu auswirkt, „ohne Überlegung"165 zu urteilen, d.h. ohne Reflexion, nennt Kant auch den „Mechanismus der Vernunft"166, was wiederum das Gegenteil eines reflektierten Urteilens als einen lebendigen Vollzug ansehen läßt. Es wäre unangemessen, Sinnlichkeit selbst in einer Art Urheberschaft für den Irrtum anzusetzen, weil sie gar nicht urteilt. Aus demselben Grund ist Sinnlichkeit als solche auch nicht der Ort von Wahrheit. Sie ist zwar, wie Kant sagt, „der Quell realer Erkenntnisse", doch nicht so, daß sie diese als Sinnlichkeit selbst verbürgen könnte und ihrerseits isoliert als aus ihrer Verwiesenheit auf den Verstand gelöst betrachtet werden könnte. Sinnlichkeit ist dieser Quell realer Erkenntnisse nur als „dem Verstände untergelegt, als das Object, worauf dieser seine Function anwendet"167, d.h., den Kantischen Funktionsbegriff zugrundelegend168, woraufhin dieser handelt. Zum Beispiel die sinnlich bildhafte Vorstellung des Gesichtssinns, worin ein im Wasser stehender Stab als abgewinkelt wahrgenommen wird, ist weder wahr noch falsch und stellt als solche nicht, wie sich im Sprachgebrauch festgesetzt hat, eine Sinnestäuschung dar. Erst das Urteil des passiven Verstandes, der von der Wahrnehmung unreflektiert zur Assertion übergeht und also behauptet, dieser Stab als ein Gegenstand der Erfahrung sei abgewinkelt, ist falsch. Was den Irrtum entdecken läßt, ist nicht eine weitere sinnliche Vorstellung als solche, etwa eine auf dem Tastsinn beruhende. Beide Sinne geben jeweils von sich aus nichts zu einer Bevorzugung vor dem anderen her. Im dann wahren Urteil doch zu einer Bevorzugung zu kommen, erfordert den Abstand der Reflexion unter Einbezug des Kontexte weiterer, bereits als Erfahrung ausgezeichneter Erkenntnisse. Es erfordert die Abstraktion von der Unmittelbarkeit sinnlichen Vorstellens. Eine Abstraktion in diesem Sinn, nämlich als „ A u f h e b u n g gewisser klare[r] Vorstellungen", hier des sinnlichen Bildes als solchen, hat Kant in vorkritischer Zeit (und ein Grund zur Revision in diesem Punkt ist nicht ersichtlich) als auf der „Anstrengung einer Kraft" beruhend, als eine „negative Aufmerksamkeit' (negativ, weil gegen eine andere Kraft gerichtet - hier den irrationalen Hang zur passiven Vernunft) und als „ein wahrhaftes Thun und Handien" erfordernd bezeichnet169. Es führt nun offenbar in Schwierigkeiten, den Verstand als den Urheber des Irrtums anzusehen und ihn zugleich als den Inbegriff gesetzlichen Denk- oder Urteilshandelns zu betrachten. Das ist bei Kant ausgedrückt, wenn er sagt, daß es „nicht zu begreifen ist, wie irgend eine Kraft von ihren eigenen wesentlichen Ge-

165 166 167 168 169

Ak XVI, REFL 2534 Ak XVI, REFL 2532 A 294/B351 Anm. vgl. A 68/B 93 NG, Ak II, 190f.

S. Ausblick auf Erfahrung als moralische Praxis

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setzen abweichen solle"171, hier also der Verstand von dessen wesentlichen Gesetzen. Diese Unbegreiflichkeit der Abweichung scheint aber vorauszusetzen, den Verstand als in jenem beständigen, gleichförmigen und selbstlaufenden Urteilsgeschehen stehend anzusehen, worin er bei bloß hinzukommender reflexiver Einsicht in sein notwendiges Funktionieren als eine Art Erkenntnismaschinerie nach Gesetzen zu verfahren und Subsumtionvorgänge nach Kategorien zu vollziehen gezwungen ist und wobei als eine Art Output' die beiden jederzeit trennscharf geschiedenen Klassen von Vorstellungen als bloß subjektiv oder als Erfahrungsurteile resultieren. Einerseits scheint bei Kant die Tendenz, den Verstand so anzusehen, gegeben zu sein, etwa wenn es heißt: Der Verstand „verfährt" in seiner Beziehung auf Sinnlichkeit, die als ein bloßes „Zusammentreffen der Wahrnehmungen mit den Gesetzen nach allgemeinen Naturbegriffen (den Kategorien)" bezeichnet ist, „unabsichtlich nach seiner Natur nothwendig"172. Andererseits findet sich aber auch jene gegenläufige - hier im Interesse einer Irrtumserklärung bevorzugte - Tendenz, die insbesondere durch den angeführten normativen oder Sollenscharakter der Gesetze des Verstandes, wodurch diese mit einem Willen und mit Objektivität als einem Zweck verbunden sind, gegeben ist. Die verlangte Begreiflichkeit des Irrtums als Abweichung des Verstandes von seinen Gesetzen ist dann gegeben, wenn diese Gesetze, wie schon skizziert, als Aufgaben verstanden werden und als Regeln, in deren Anwendung ein Gelingen und Mißlingen möglich ist.173 Im Gelingen ist nach dem Gesagten die Überwindung eines als irrationales Begehren auftretenden Hangs zum unreflektierten Urteil passiver Vernunft zu sehen, wozu selbst ein rationales Begehren aufgewandt werden muß, das noch nicht per se als wirksam vorauszusetzen ist, sondern der ausdrücklichen Anstrengung einer Aufmerksamkeit in der Anwendung der wesentlichen Gesetze des Verstandes bedarf. Eine Aufmerksamkeit des Verstandes auf sich selbst als gesetzliches Vermögen und eine Absicht, sich als solches zu betätigen, ist also darüberhinaus erforderlich, daß er dieses gesetzliche Vermögen schlicht wäre. Bei der gebotenen Aufmerksamkeit ist nun nach Kant „unvermeidlich ... schlechthin kein Irrthum"174. Nur auf die beschriebene Weise scheint auch die Auffassung vom Verstand als eines spontanen Vermögens beizubehalten möglich, wonach er doch, nur anders ausgedrückt, als

171 172 173

174

LOG. Ak I X 53 KDU, Ak V, 187 Vgl. Gerold Prauss (1990, §11) zur Intentionalität von Erkenntnis: Von dieser her ist, wenn sie auch allein als Erfolgsintention ergeht, doch die Alternative von Erfolg als Wahrheit und Mißerfolg als Falschheit eröffnet. - Obwohl nach seinem Selbstverstandnis von Kant her Uber Kant hinausgehend, gibt Prauss (1983) dessen angefìlhrter problembeladener Aussage zum unabsichtlich nach seiner Natur notwendig verfahrenden Verstand noch die immanent rechtfertigende Deutung, daß hinsichtlich der Verstandestätigkeit zu unterscheiden ist, daß sie „als kategoriale zwar notwendig, als intentionale aber deshalb nicht auch notwendig erfolgreich ist" (S. 312). LOG, Ak IX, 56

56

S. Ausblick auf Erfahrung als moralische Praxis

frei betrachtet wir. Verstandestätigkeit als Ausdruck rationalen Begehrens mit Gesetzen als Aufgaben wider einen irrationalen Hang zu verstehen, stimmt mit dem oben erzielten LebensbegrifF überein, wonach Leben als das Vermögen aufgefaßt wurde, sich aus einem inneren Prinzip, dem Begehren, zum gesetzlichen Handeln, hier dem Urteilshandeln, zu bestimmen. Die Gesetze des Verstandes geraten in dieser Sicht in die Nähe praktischer Gesetze, deren imperativischer Charakter, wie gesehen, „das Verhältnis eines objektiven Gesetzes der Vernunft zu einem Willen" anzeigt, „der seiner subjektiven Beschaffenheit nach dadurch nicht notwendig bestimmt wird" und der „nicht von selbst jederzeit der Vernunft gemäß i s t " i m Fall eines solchen also auch „zufällig bestimmbaren Willens", der zugleich in „Abhängigkeit... von Prinzipien der Vernunft steht", heißt die Abhängigkeit „ein Interesse"174. Der Interessecharakter auch theoretischer Vernunft ist oben schon betont worden. Wenn des weiteren ,,[p]raktisch gut ist..., was vermittelst der Vorstellung der Vernunft, mithin nicht aus subjectiven Ursachen, sondern objectiv, d.i. aus Gründen, die für jedes vernünftige Wesen als ein solches gültig sind, den Willen bestimmt" 175 ,

dann sind die nach der gegebenen Erklärung eine Willensbestimmung involvierenden Gesetze des Verstandes, die in Hinsicht auf Erfahrung objektivitätsversichernde Gesetze sind, praktisch gut. Daß die Abweichung im Irrtum nicht bloß ein unter praktischem Gesichtspunkt indifferenter und zudem unbegreiflicher Defekt eines Erkenntnisapparats ist, sondern daß sie als Verfehlung, die nicht sein soll und die eine zu vermeidende ist, in die moralische Sphäre gehört, geht aus Kants Bewertung des Irrtums als etwas Selbstverschuldetes, überhaupt also als eine Schuld, hervor: „Die Schuld des Irrthums haben wir uns selbst beizumessen"176; „Verstand und Vernunft sind frey: subiective Ursachen afficiren zwar, aber determiniren nicht den Verstand. Daher ist hier eine Art von culpa (obgleich kein dolus) beym Irrthum ..." ,77 .

In der Entgegensetzung dazu gewinnt seinerseits das wahre Urteil eine geradezu moralische Qualität. Dem entwickelten Zusammenhang nach ist es kein bloß empirisch psychisches Faktum, wenn mit der Entdeckung eines Irrtums nicht nur eine geschäftsmäßige Umgruppierung im Bestand an Urteilen - etwa die Ausscheidung eines bisherigen und seine Ersetzung durch ein anderes - vollzogen wird, sondern wenn damit zugleich rückblickend ein Selbstvorwurf und, auf das aktuelle Urteil bezogen, Billigung verbunden sind. Über das Bisherige hinaus ist noch von einer besonderen Art der Irrtumsvermeidung zu sprechen. Denn neben der positiven Berichtigung eines irrtümlichen 174 175 176 177

G MS, Ak IV, 413 u. Anm. ebd. ebd. LOG, Ak IX, 54 Ak XVI, REFL 2476

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Urteils ist Irrtumsvermeidung auch durch Urteilsenthaltung möglich, wo das Vermögen zur Entscheidung (noch) fehlt. Es ist hier mitlaufend immer auch an die beständige Entscheidungssituation zu denken, aus der heraus die Auszeichnung von zunächst immer subjektiv Gegebenem zum Gegenstand der Erfahrung zu erzielen ist. Ein Verstand, der zur Suspension des Urteils in der Lage ist, ist durch die alleinige Angabe, er sei das Vermögen zu urteilen, schon gar nicht im Verständnis des bloßen Vollzugs eines beständigen und gleichförmigen, den Zusammenhang der Erfahrungserkenntnis stiftenden Urteilsgeschehens, nicht hinreichend charakterisiert. Er ist, indem er sich in der Suspension auch gegen den Vollzug richten kann, ebenso ein Vermögen, im Interesse von Erkenntnis, d.h. im Interesse der Vermeidung von Irrtümern, auch nicht zu urteilen. Verstand ist damit auch das Vermögen, sich reflexiv und retardierend gegen seine eigene, unreflektiert positive Tendenz zur Betätigung zu richten, und zwar um des dann eigentlichen Gelingens dieser Betätigung im wahren Urteil willen. Nachdem oben unter dem vereinigenden Titel 'Leben' das Denken und Urteilen als an ein rationales Begehren nach gesetzlichem Handeln angebunden und als innere Vollzugsform solchen Handelns bezeichnet wurde, scheint das NichtUrteilen und Nicht-Handeln in der Urteilsenthaltung Vorstellungen von Leblosigkeit im Sinne des Verharrens in bloßer Zuständlichkeit, d.h. im Sinne einer Trägheit, nahelegen zu müssen. Dennoch ist aber die Zuständlichkeit in einer solchen Suspension von Urteilshandlungen eine ganz andere als diejenige, die Kant etwa unter dem physikalischen „Gesetz der Trägheit (lex inertiae)" tatsächlich als Leblosigkeit faßt, hier einer „Materie an sich selbst"179. Denn die besondere Art von Zuständlichkeit und Trägheit in der Urteilsenthaltung setzt ein positives Bestreben, seinen Zustand zu erhalten", voraus: „Nur lebende Wesen werden in diesem letzteren Verstände träg genannt, weil sie eine Vorstellung von einem anderen Zustande haben, den sie verabscheuen, und ihre Kraft dagegen anstrengen" 180 .

Die Vorstellung vom verabscheuten anderen Zustand, wogegen eine Kraft angestrengt werden muß, ist in unserem Zusammenhang die vom irrtümlichen Urteil. Auch hier, wo die Vorstellung vom zu vermeidenden Zustand diesen Zustand auch vermeidet, ist der Zweckbegriff erfüllt. Aus dem Erörterten ergibt sich - bloß scheinbar paradox - , daß im reflektierten Nicht-Urteilen, worin zugleich die Erwartung eines wahren Urteils ist, ein Ausdruck von Lebendigkeit zu sehen ist, während in einem unreflektierten unablässigen Urteilen dort, wo wir nicht vermögend sind zu urteilen, Vernunft sich gerade als passiv erweist. ***

179

180

MAN, Ak IV, 544

ebd.

58

5. Ausblick auf Erfahrung als moralische Praxis

Durch das Bisherige sind, orientiert am Begriff des Lebens, Gesichtspunkte entwickelt, die in der jetzt mehr ins einzelne gehenden Betrachtung theoretischer Vernunft, anzustellen in Hinsicht darauf, daß in ihr die formalen Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung und ihrer Gegenstände liegen sollen, mitlaufen werden. Bei ihrer umfassend gedachten Selbstorganisation werden zwar einerseits Distinktionen nicht zu verwischen sein, andererseits wird aber das Distinkte, insofern für sich nicht adäquat faßlich, auch unter dem Aspekt seiner Integration in die eine Vernunft zu betrachten sein. Daß sich hier Schwierigkeiten entgegenstellen werden, zeigt schon eine oberflächliche Durchsicht der von Kant angegebenen speziellen transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung. Um an einem Beispiel eine etwaige Schwierigkeit vorzuzeichnen, kann das Kausalprinzip, das als vielbesprochenes dem Anschein nach eine herausgehobene Stellung beanspruchen darf, herausgegriffen werden: Der reine Verstandesbegriff der Kausalität regelt die Erfahrung der Natur nach Art mechanischer Verhältnisse, d.h. nach Verhältnissen äußerer Verursachung; seiner Regelung gemäß findet keine Erfahrung von Lebendigem statt (Zu fragen ist allerdings schon hier, ob auch keine lebendige Erfahrung). Dieses Prinzip soll nach Kants Anspruch neben anderen aus reiner Vernunft als seinem Geburtsort entspringen, von ihr hergenommen und aus ihr deduzierbar sein. Es stellt sich von hierher die Frage, ob nicht von ihm aus im Rückschluß reine Vernunft als leblos zu charakterisieren ist.180 In der Verfolgung dieses Problems wird herauszustellen sein, in welchem Sinn es und die anderen Prinzipien als deduziert werden gelten können (Bei der hier nachgefragten Deduktion im Sinn eines zu zeigenden Entspringens aus reiner Vernunft handelt es sich offensichtlich um die, obwohl von Kant als „von großer Wichtigkeit" bezeichnete, so doch vernachlässigte subjektive Deduktion181). Nur im dann festgestellten Sinn ihres Deduziert-Seins werden die Prinzipien als aus reiner Vernunft entspringend und als diese im Rückschluß charakterisieren könnend anzusehen sein. Neben der Vermeidung bloß für sich genommener Prinzipien (wie soeben im Fall des nicht im System betrachteten Kausalprinzips, in dessen Thematisierung meist auch nur der ihr direkt entsprechende Zeitmodus der Folge, für sich genommen, mit thematisiert wird, obwohl dieser seinerseits, wie zu sehen sein wird, die

180

181

Ein solcher Rückschluß scheint vorzuliegen, wenn Hans-Georg Gadamer (1990) pauschal dem „Zeitalter der Mechanik" seinen „erkenntnistheoretischen Ausdruck in dem Begriff des Selbstbewußtseins" zuordnet (S. 70f.). Gadamer legt dem sogenannten neuzeitlichen Subjektivismus zur Last, an der Erkenntnisweise von Begriff und Urteil orientiert zu sein (wobei hier also speziell an das Urteilsprinzip 'Kausalität' zu denken wäre), übersieht dabei aber den Handlungscharakter des Urteilens und faßt das Urteil allein resultathaft als eine verobjektivierende und damit zugleich vergleichgultigende Fixierung dessen auf, was in hermeneutischer Sicht ein bedeutsames, seinem Ursprung nach nicht in Selbstbewußtsein zentriertes lebendiges Sinngeschehen ist (zu dessen Problematik vgl. Anm. 129 in I.4.). Damit verbleibt für Selbstbewußtsein einschließlich seines Gegenstandsbezugs in Urteilen nur die Konnotation des Toten. A XVII

5. Ausblick auf Erfahrung als moralische Praxis

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Zeit nicht originär angibt, sondern eine andere Zeitauffassung voraussetzt) wird zu beachten sein, ob die Art der Regelung durch die Prinzipien ihrer bestimmten Beschaffenheit nach zum Deduzierten gehört. Weil, so noch einmal Kant, die „Metaphysik nach den Begriffen, die wir hier davon geben werden", über die Verstandesprinzipien hinaus als das „Inventarium aller unserer Besitze durch reine Vernunft, systematisch geordnet" 183 , dargelegt sein soll, ist in die Betrachtung nach den durch den organologischen Systembegriff implizit gegebenen Gesichtspunkten auch dasjenige einzubeziehen unerläßlich, wodurch Vernunft unter dem sinnlichrationalen Aspekt ihrer reinen Anschauungsformen charakterisiert sein soll, das sind mit Raum und Zeit ihre reinen Formen der Rezeptivität. Bezogen auf ihre Anschauungsformen, wenn diese etwa bloß bestimmt werden als die kontinuierlichen Ordnungen des ins Kleine und ins Große unendlichen Neben- und Nacheinander, anders auch als die Ordnungen der Zerstreuung, ist der Ausschluß der Struktur des Lebendigen nahegelegt. Eine solche in der Hinsicht auf Raum und Zeit dennoch zu bestätigen, erforderte nach den entwickelten Gesichtspunkten, Anhalt zu gewinnen für eine Auffassung von ihnen als Gestalten von Selbstorganisation, für ihr innerliches Begründet-Sein, für eine durch sie dargestellte Ganzheit und zuletzt für die auf sie hin mögliche Veranschlagung des Begriffs der Zweckmäßigkeit. Kants Darstellung der Kritik der reinen Vernunft folgend, soll mit der Diskussion dieser Ordnungen begonnen werden. Wo die erste Kritik Anlaß dafür bietet, Linien zu ausgeführterer Raum-ZeitTheorie bei Kant zu verfolgen (etwa zum Opus Postumum hin, das in weiten Teilen als frühere Ansätze entwickelnd und nicht als sie revidierend angesehen werden wird), sollen diese verfolgt werden.

183

A XX, Hervorh. Vf.

Teil II

Formen der Anschauung

Erklärtermaßen sind Raum und Zeit, die Formen der Anschauung, in ihrer Betrachtung innerhalb der 'Transzendentalen Ästhetik' zunächst bloß für sich genommen. Kant kündigt seine Untersuchung darin als eine solche an, die „die Sinnlichkeit isoliren"1 werde. Schon von dieser Konzeption der Isolation her wird festzuhalten bleiben, daß die immanente Erörterung der 'Transzendentalen Ästhetik' nicht das wird leisten können (und sollen), was durch das Systempostulat gefordert ist. Dadurch ist, wie gesehen, gefordert, daß alle Erkenntnisbedingungen (einschließlich der sinnlichrationalen) einer Vernunft, worin alles Organ ist, um sie als Prinzipien mit Sicherheit nehmen zu können, in der Beziehung auf das Ganze und in der Beziehung auf die jeweils anderen betrachtet werden müssen. Dieses Postulat zum Maßstab genommen, kündigt sich die 'Transzendentale Ästhetik' also als eine Betrachtung an, die bewußt eine Abstraktion vornimmt und die auf Distinktionen aus ist. Diese Distinktionen - zu erzielen, um die von Kant wiederholt inkriminierte Vermischung von Verschiedenem zu vermeiden - werden allerdings nicht das letzte Wort bleiben dürfen; sie werden nicht als die Raum- und Zeitbetrachtung erschöpfend genommen werden können, sondern um den Aufweis von Beziehungen des Distinkten untereinander erweitert werden müssen. Insofern diese Beziehungen das Wesentliche einer als wissenschaftlich, d.h. als systematisch konzipierten Philosophie darstellen müssen und insofern durch sie auch erst das einzelne Erkenntnisstück als solches adäquat soll bestimmt werden können (seine Stelle im System), wird die elaborierte Raum- und Zeitbetrachtung erst auf die Art durchgeführt erwartet werden können, daß die Anschauungsformen nicht mehr allein, isoliert und unter dem bloßen Aspekt ihrer Abhebung von anderen Erkenntnisbedingungen thematisch sind, sondern zusammen mit diesen und eben in ihrer Beziehung auf sie. Es kann hier schon angekündigt werden, daß solche erweiterte Betrachtung einiges an der 'Transzendentalen Ästhetik', was hier wie absolute Bestimmung auftritt, umrahmen und relativieren wird. Hinweise auf solche Umrahmung werden sich aber auch schon der 'Transzendentalen Ästhetik' selbst und gewissen Ansätzen , die schon sie bietet, entnehmen lassen. Die in den Blick genommene Relativierung wird auch davor nicht Halt zu machen brauchen, was zunächst wie die unhintergehbare Basisbestimmung von Sinnlichkeit aussieht, d.i. ihre Bestimmung als Rezeptivität oder Empfänglichkeit. Zunächst hat es allerdings den Anschein, als setze diese Bestimmung der Orientierung am Begriff des Lebens theoretischer Vernunft eine absolute Grenze, denn in dieser Orientierung ist verlangt, an der mit theoretischem Vernunftgebrauch thematischen Erfahrung das Erfahren, noch mehr den Aspekt spontanen, innerlich 1

A 22/B 36

64

Formen der Anschauung

begründeten gesetzlichen Handelns zu akzentuieren. Die Frage lautet also, ob nicht dadurch, daß unter den Formen des Erkennens - dem einen „Stamm" der Erkenntnis nach - Formen der Rezeptivität sind, das Erkenntnissubjekt als Inbegriff auch dieser Formen im Selbstverständnis einer passiven und also gerade nicht lebendigen Vernunft stehen muß. Nach Maßgabe des Systembegriffs und dem architektonischen Anspruch der Vernunft gemäß ist nach etwas zu suchen, was die bloße Entgegensetzung von Spontaneität und Rezeptivität im Interesse einer doch im Selbstverständnis ihrer Einheit stehenden Vernunft als nicht letztgültig ansehen läßt und wodurch beide als in einen Zusammenhang integriert angesehen werden könnten. Es wird dadurch also doch nach einer „Wurzel" der beiden „Stämme" des Erkennens gefragt, und zwar - eben durch den in den Systembegriff involvierten Aspekt des Lebendigen geleitet - unter der Vorgabe einer möglichen Überordnung des Gesichtspunkts der Spontaneität. Im Rückblick auf die 'Transzendentale Ästhetik' behauptet Kant Raum und Zeit als deduziert und als ihrerseits bis zu „ihren Quellen verfolgt"2. Neben dem durch die Überschrift eines 'Hauptstücks' der 'Transzendentalen Logik' sogleich offenkundigen Anspruch auf eine Deduktion reiner Verstandesbegriffe ist hier an versteckter Stelle also auch der Anspruch auf eine Deduktion der reinen Formen der Anschauung ausgedrückt, die doch als Deduktion hinter das bloße Vorliegen und die bloße Feststellbarkeit dieser Formen als solcher zurückgefragt haben muß, d.h., um in der Metapher der Quelle zu bleiben, auf ihr Entspringen hin. Werden sich nun beiderlei Deduktionen auf denselben Deduktionsgrund beziehen lassen, von dem her also schon die erste Unterscheidung am Erkenntnisvermögen nach Formen der Sinnlichkeit und Formen des Verstandes als in einem Ganzen beschlossen angesehen werden könnte? Einen vereinigenden Ausdruck hinsichtlich der Dichotomie zweier Stämme von Erkenntnisvermögen stellt nun schon der des Vermögens selbst dar. Der Begriff des Vermögend-Seins legt in der Tat einen aktivischen Sinn nahe, was auch aus einer der spärlichen Äußerungen Kants zu diesem ansonsten kaum erklärten, aber überall verwandten Begriff hervorgeht. In einer 'Reflexion' heißt es: „Die Möglichkeit der Handlung ist das Vermögen"3. Von hierher lautet also die Frage,

2 3

A87/B119 Ak XVII, REFI 3586 - Der Kantische Begriff des Vermögens ist vorzugsweise zum Gegenstand der Kritik gemacht worden, von Nietzsche (Werkausgabe 1964, Bd. I-XII) sogar zum Gegenstand des Spotts, insofern dieser bei Kant nur erkennen kann, daß hier auf die Frage nach der Möglichkeit von Erkenntnis die Scheinantwort gegeben werde: „Vermöge eines Vermögens"{WII, 17). Mit der Bestimmung von Vermögen als Möglichkeit der Handlung ist der Ansatzpunkt fllr mögliche Kritik zumindest weiter zurückverlagert und also außerhalb des Horizonts Nietzsches. Nietzsche kann auch als Protagonist des im Zusammenhang des Vermögensbegriffs sich tradierenden Psychologismus-Verdachts gegen Kant genommen werden, insofern er Vermögen bei Kant und seinen Nachfolgern überall als etwas ansieht, was diese als etwas Gegebenes „finden" oder wenigstens

Formen der Anschauung

65

ob sich, bezogen auf das Vermögen 'Sinnlichkeit' und seine Formen, noch ein aktivischer Sinn, forciert der Sinn eines 'ich vermag' als 'ich kann handeln', veranschlagen läßt oder ob die Bestimmung dieses Vermögens als Rezeptivität nicht vielmehr unhintergehbar festschreibt, Erkennen unter sinnlichem Aspekt schlechthin als ein Widerfahren, ein Über-sich-ergehen-Lassen, mit Raum und Zeit als den Formen dieser Passivität ansehen zu müssen. Wird also, der Bestimmung von Vermögen als Möglichkeit der Handlung folgend, von sinnlichem Vermögen als solchem schon im Sinne einer Rezeptivität gesprochen werden können, zu der und zwar als Rezeptivität selbst - ein Handeln-Können gehört ? Es liegt zumindest kein Widerspruch darin, die Fähigkeit des Empfangens (Rezeptivität) als etwas ihrerseits handelnd Erzeugtes anzusehen. Es wäre, um diesen Ansatz einer erst zu erzeugenden Rezeptivität weiter vorzuzeichnen, von Vernunft als dem spontanen Inbegriff aller formalen Erkenntnisbedingungen so zu sprechen, daß sie sich selbst in der Erzeugung von Raum und Zeit als Formen der Anschauung zur Passivität bestimmte, oder anders, daß sie sich mit diesen Formen des Mannigfaltigen zur Empfänglichkeit für materialiter Mannigfaltiges, d.h. das in

„entdeckt" zu haben meinen (ebd.); nach Nietzsche „erfinden" sie zwar bloß, hatten aber, wenn sie das Rechte gefunden hatten, bei einem „Gelüsten" entgegenkommenden „Glaube(n)" anlangen müssen, worauf bezogen etwa synthetische Urteile a priori als nur eine Gestalt der „PerspektivenOptik des Lebens" ausdrückend gehören (VII, 17f.). Nietzsches hier verwandter Begriff des Lebens bezieht sich nicht wie bei Kant auf ein rationales Begehren und ein diesem entsprechendes Vernunfthandeln, sondern zuletzt auf ein so weit gefaßtes Leben, das in seinem durch die Bezeichnung 'irrational' nicht denunzierten Vitalismus neben solchen geglaubten Urteilen unter anderer Perspektiven-Optik selbst noch die „Täuschung" (III, 4) und den „Irrtum" (V, 238) will, welche mit Kant oben gerade im Sinn eines Lebensdefizits und einer Trägheit unreflektierten Urteilens gedeutet wurden. - Zum Angelpunkt seiner konstruktiven Kant-Deutung, aus der die andernorts geäußerte Distanzierung des Autors sich nicht entwickelt, sondern der diese äußerlich angeheftet erscheint, hat Gilles Deleuze (1963) gerade den Begriff des Vermögens gemacht. Es ist hier auf eine solche Art Tätigkeit als wesentliches Implikat des Vermögensbegriffs erkannt, daß das TätigSein im Erkennen als strikt allgemeines Gesetzgeben, angebunden an eine dazu nicht fremdbestimmte, sondern gemäß ihres intrinsischen Erkenntnisinteresses sich selbst bestimmende Subjektivität, einem Vermögen im Sinne einer bloß durch empirische Selbstbeobachtung aufzufindenden psychischen Gegebenheit entgegensteht (vgl. S. 9, 10f., 21, 33, 98); auch der Gedanke einer systematischen Zweckmäßigkeit findet sich hier auf den Gesamtzusammenhang eines nach verschiedenen Vermögen ausdifferenzierten Vermögend-Seins angewandt (vgl. S. 33, 41). - Ralf Meerbote (1986) legt in einer Deleuze und seine Orientierung am Vermögensbegriff würdigenden Erörterung die nicht nach Art empirisch-psychischer Gegebenheit verständlich zu machende Apperzeption in ihrem ein reines Interesse ausdrückenden epistemischen Handeln als das regierende Prinzip der teleologisch aufeinander bezogenen Pluralität an Vermögen nahe und regt eine auf der Basis des Handlungsbegriffs vergleichende Behandlung theoretischen und praktischen Vemunftgebrauchs an. - Entgegen manchen Versuchen, den vermögenstheoretischen Ansatz wegen vermeintlich psychologistischer Implikationen zu eliminieren, z.B. bei P.F. Strawson (1966, vgl. S. 97), rechtfertigt Dieter Enskat (1986) diesen Ansatz selbst in der speziellen Hinsicht auf die Erklärung des Gebrauchs formallogischer Urteilsfunktionen, woraufhin er die spontane logische Urteilsgestaltung durch mit einer Kompetenz begabte Subjekte betont und diese Gestaltung von einer Auffassung des Urteilens abhebt, wonach den Subjekten „Urteile ... ohne deren Zutun widerfahren würden wie Kopfschmerzen"(S. 238).

Formen der Anschauung

66

ihrer Empfänglichkeit Empfangene, disponierte. In Hinsicht auf Raum und Zeit als Bedingungen, rezeptiv sein zu können, besteht Kant darauf, daß sie nicht selbst durch eine Rezeptivität, die sich etwa auf ein wirkliches Wesen4 von Raum und Zeit an sich bezöge und die ihrerseits noch einmal eine andere Rezeptivität als die dieser erst zugänglich werden sollenden Formen sein müßte, bekannt werden, sondern daß sie als subjektive Bedingungen des Anschauens nur auf die Weise des Selbstverständnisses erkennender Subjektivität bekannt werden können. Sich auf ein Sich-selbst-Verstehen zu berufen, macht erforderlich, dieses Selbst, das Ich oder das Selbstbewußtsein, in Behandlung von Raum und Zeit auch mit zu thematisieren, um es als grundlegend in Hinsicht auf diese Anschauungsformen zu erwägen, die doch akzentuiert seine Formen sein sollen.

4

vgl. A 23/B 37

1. Anschauungsformen und Apperzeption Während das Ich unter dem Namen 'Apperzeption' als der Deduktionsgrund innerhalb der Deduktion der Verstandesbegriffe auch als solches einigermaßen ausführlich behandelt ist, findet sich Entsprechendes in der, wie gesehen, ebenso als Deduktion beanspruchten 'Transzendentalen Ästhetik' kaum, so daß danach von einer noch heranzuziehenden Stelle abgesehen -, mehr im Impliziten zu suchen ist. Eine spätere explizite, Selbstbewußtsein und die Anschauungsform 'Raum' aufschlußreich in Verbindung diskutierende Erörterung findet sich allerdings dort, wo Kant in Abwehr des vierten Paralogismus der rationalen Psychologie sich dagegen wendet, wie die rationalen Psychologen das transzendentale Subjekt ohne seine Anschauungsform 'Raum' zu hypostasieren und diese also nicht unabtrennbar als die seine anzusehen. Zur Zeit findet sich Entsprechendes in Erörterung des dritten Paralogismus. Kants Beweisabsicht innerhalb der 'Transzendentalen Ästhetik' geht darauf, Raum und Zeit als notwendige Formen zu erweisen, die „an der subjectiven Beschaffenheit unseres Gemiiths" „allein haften" s (und die dann schließlich die Objektivität der Erfahrungswelt als Erscheinung mitbedingen). Hinter Ausdrücken wie 'subjektiv' oder 'Subjekt' wird sich zuletzt nichts anderes verbergen können als das erfragte transzendentale Ich, so daß, unumwunden gesprochen, Raum und Zeit am Ich werden „haften" müssen. Inwiefern „haften" sie nun notwendig am Ich, und zwar als Formen der Rezeptivität, die - wie für den Raum sofort ersichtlich - Formen dafür sind, sich eines anderen als bloß selbstbezüglich seines Ich bewußt zu sein? Dem Gedanken der Deduktion folgend, müßte aus dem SichVerstehen als Ich - oder anders aus dem Verstehen des Charakters der Selbstbezüglichkeit des Selbstbewußtseins - hervorgehen, warum damit ineins ein zeitliches und räumliches Vorstellen notwendig ist. Die sogenannten Raum- und Zeitargumente der 'Transzendentalen Ästhetik' geben eine solche Begründung nicht, zumindest nicht offensichtlich. Sie gehen, ohne zuerst nach einem vorgängigen Ich zu fragen, eher direkt und geradezu vom Vorliegen räumlichen und zeitlichen Vorstellens aus, um in Richtung auf Erscheinungen darzulegen, daß diese ohne ein solches Vorstellen ihrerseits nicht vorgestellt werden könnten, d.h. etwa für den Fall des Raums keine äußeren Erscheinungen. Sie erklären aber eigentlich nicht, warum aus Gründen, die im Subjekt liegen, das als solches doch zugleich wesentlich durch seine Selbstbezüglichkeit anzugeben sein wird, überhaupt solche Erscheinungen vorgestellt werden 5

A 23/B 37f.

68

1. Anschauungsformen und Apperzeption

müssen, warum also etwa ein räumliches Vorstellen als seinerseits wesentlich eine Außenbeziehung - eine Beziehung auf etwas anderes zum Subjekt - darstellend, notwendig zum Gedanken der Reflexivität des Subjekts gehören muß. Ein Aspekt der speziellen Argumente zu Raum und Zeit ist auch, die Behauptung der Subjektivität dieser Anschauungsformen, also ihre Anbindung an ein transzendentales Ich, aus dem Negativen durch den Aufweis von Ungereimtheiten zu stützen, die entstehen, wenn man Raum und Zeit in das An-sich einer vom Subjekt unabhängigen Wirklichkeit verlegt (vgl. das dritte Raumargument der A-Auflage, das fur diesen Fall mathematische Raumvorstellungen mit zufälligen, aposteriorischen Wahrnehmungen gleichstellt6). Eine Argumentation von Widersprüchen unter der Annahme des Gegenteils des zu Beweisenden her entspricht nun aber nicht der von Kant selbst in seiner 'Methodenlehre' erhobenen Forderung nach ostensiv (und nicht apagogisch) zu gewinnenden transzendentalen Beweisen7. Für einen solchen wäre also zu verlangen, nicht die Subjektunabhängigkeit von Raum und Zeit als unmöglich, sondern positiv ihre Subjektabhängigkeit als notwendig und Raum und Zeit als mit dem Selbstverständnis transzendentaler Subjektivität untrennbar verbunden zu erweisen. Wenn nun jene einzige direkt auf das Subjekt als solches gehende Aussage der 'Transzendentalen Ästhetik' herangezogen wird, dann scheint diese eine aus dem Sich-selbst-Verstehen verlangte Begründung der Anschauungsformen geradezu unmöglich zu machen. Denn sie lautet: „Das Bewußtsein seiner selbst (Apperception) ist die einfache Vorstellung des Ich, ,.."8. Ein Ich, verstanden als ein einfaches, stellt das Gegenteil dessen dar, wofür die Formen der Anschauung Formen sind, nämlich fur Mannigfaltiges, Nicht-Einfaches, nach Raum und Zeit Ausgebreitetes. Das Gemeinsame von Raum und Zeit, wovon im ersten nach Kant ein unbegrenztes Nebeneinnander im Zugleich-Sein vorgestellt wird und in der zweiten ein nach Anfang und Ende nicht terminiertes Nacheinander, ist, daß sie etwas als Außereinander, d.h. in lauter äußeren Verhältnissen eines ununterbrochenen Voneinander-Abstehens und Voneinander-Getrennt-Seins vorstellen; zudem kann jeder Teil von Raum und Zeit als Relat in solchen Verhältnissen, insofern selbst eine Extension darstellend, in immer neue äußere Verhältnisse aufgespalten werden (Kontinuität) und führt so seinerseits auf nichts Einfaches, sondern auf immer neu Mannigfaltiges. Raum und Zeit stellen demnach die Ordnungen einer an sich selbst unbestimmten Mannigfaltigkeit des Außereinander dar. Durch diese Ordnungen ist, so Kant, „Grenzenlosigkeit im Fortgange der Anschauung", und ohne sie „würde kein Begriff von Verhältnissen ein Principium der Unendlichkeit derselben bei sich fuhren"9. Zusätzlich zur fehlenden Einfachheit, d.i. bei nur äußeren

6 7 8 9

vgl. A 24 vgl. A 789f./B 817f. Β 68 A 25

1. Anschauungsformen und Apperzeption

69

Verhältnissen zugleich ein fehlendes Innerliches, ist nach der bisherigen Darstellung der Anschauungsformen auch von Geschlossenheit, Ganzheit oder Einheit des Mannigfaltigen nicht zu sprechen. Die bisherige Darstellung wird allerdings unter diesem besonders interessierenden Gesichtspunkt der Ganzheit noch zu erweitern sein, und es wird sich unter dem Titel des einen Raums und der einen Zeit zeigen, daß es auch bei einer Unendlichkeit von Räumen und Zeiten einen wesentlichen Aspekt der Geschlossenheit zeitlichen und räumlichen Vorstellens gibt, der sogar als der ursprüngliche dieser Vorstellungsarten angesprochen werden wird. Damit zusammenhängend, läßt sich darüber hinaus ankündigen, daß dieser Aspekt einer speziellen, noch zu erörternden Ganzheit von Raum und Zeit, der sich zwar in der 'Transzendentalen Ästhetik' im Ansatz findet, dort aber in seinen Konsequenzen nicht entwickelt ist, gerade auf die Voraussetzung eines innerlichen Begrtlndet-Seins solcher Ganzheitsvorstellung führt und daß Raum und Zeit, ursprünglich genommen, als von qualitativer Einheit und Einfachheit zu nehmen sein werden. Zunächst aber, also in noch eingeschränkter Betrachtung, läßt sich mit Kant der Gegensatz der Ordnungen des Mannigfaltigen und des einfachen Ich ansprechen: „Der Satz: Ich bin einfach, muß als ein unmittelbarer Ausdruck der Apperception angesehen werden", und er bedeutet, „daß diese Vorstellung: Ich, nicht die mindeste Mannigfaltigkeit in sich fasse, und daß sie absolute (obzwar blos logische) Einheit sei"; oder: „Soviel ist gewiß, daß ich mir durch das Ich jederzeit eine absolute, aber logische Einheit des Subjects (Einfachheit) gedenke, ... "10. Für 'logische Einheit' kann auch 'analytische Einheit' gesagt werden. Insofern in seiner Betrachtung als analytische Einheit auf kein Mannigfaltiges in ihm zu kommen ist, scheint das Ich, wenn es sich durch Formen der Anschauung auf Mannigfaltiges richtet, von sich selbst gerade abgefallen zu sein; es scheint sie als sich selbst fremd und gerade nicht als seine Formen ansehen zu müssen, d.h. nicht als notwendig mit seinem Selbstverständnis verbunden. Mit dieser vorläufigen Einschätzung ist dennoch der gegenläufige Versuch eines Zusammenschlusses von einfachem Ich und Formen des Mannigfaltigen als seiner notwendigen Formen nicht schon abzubrechen. Die angesprochene Einfachheit des Ich verlangt nach weiterer Klärung. Daß bei Kant eine offenbar differenzierte Sicht der Einfachheit des Ich vorliegt, geht schon daraus hervor, daß er einerseits in den 'Paralogismus'-Kapiteln beider Auflagen der ersten Kritik gegen ein bestimmtes Verständnis dieser Einfachheit, das der traditionellen rationalen Psychologie, angeht, andererseits aber auch bei ihm eine nichts Mannigfaltiges enthaltende und mithin einfache Apperzeption eine für alles Erkennen grundlegende Rolle spielt. In der Absicht, über die jetzt fällige Differenzierung noch zu einem Verständnis des einfachen Ich zu kommen, worin Anschauungsformen

10

A 354ff

1.1. Exkurs: Einfaches Ich

70

(Formen des Mannigfaltigen) als für es notwendig erkannt werden können, soll zunächst durch ein ausschließendes Vorgehen der bestrittene Sinn der Einfachheit des Ich behandelt werden.

1.1. Exkurs: Einfaches Ich Ausgeschlossen ist für Kant, ein für sich selbst bestehendes Ich als ein denkendes Ding zu behaupten, d.h. als eine als solche existierende denkende Substanz, die durch das Prädikat der Einfachheit bestimmt sein könnte, so daß daraus etwa noch im Anschluß, vermittelt über deren Unteilbarkeit und also Unzerstörbarkeit, Schlüsse in Hinsicht auf eine Fortexistenz über das jetzige Leben hinaus gezogen werden könnten (solche Schlüsse werden als dasjenige angesehen, worauf das eigentliche Interesse der rationalen Psychologie geht11). Die abgelehnte Position beruhe darauf, „die Einfachheit ... der Vorstellung von einem Subject" für eine „Erkenntnis von der Einfachheit des Subjects selbst"12 als eines durch die Eigenschaft 'Einfachheit' zu bestimmenden Dings zu nehmen. Rationale Psychologie verwechselt „die mögliche Abstraction von meiner empirisch bestimmten Existenz mit dem vermeinten Bewußtsein einer abgesondert möglichen Existenz meines denkenden Selbst"13 und nimmt von jener Abstraktion aus eine Hypostasierung vor. Noch anders ausgedrückt, wird hier „das beständige logische Subject des Denkens für die Erkenntniß des realen Subjects der Inhärenz" ausgegeben14. Demgegenüber wird nach Kant „das Subject der Inhärenz durch das ... Ich nur transcendental bezeichnet ..., ohne die mindeste Eigenschaft desselben zu bemerken, oder überhaupt etwas von ihm zu kennen, oder zu wissen"15.

Gerade diese Nichterkennbarkeit des Ich als eines solchen und gerade seine Eigenschafts/os/gAert - was bedeutet, daß man bei ihm nicht wie bei demjenigen, das als ein Ding erkannt werden kann, bestimmen kann, was es seiner Beschaffenheit nach ist - ist durch den nur scheinbar positiv prädizierenden und also nur scheinbar eine Eigenschaft bestimmenden Ausdruck 'Einfachheit' bezeichnet: Vom Ich gilt, daß „dessen Vorstellung allerdings einfach sein muß", aber „eben darum, weil man gar nichts an ihm bestimmt"16. Vom Subjekt als durch das bloße Ich bezeichnet gilt, daß es so durch einen „an Inhalt gänzlich leeren Ausdruck ... bezeichnet wird"17

11 12 13 14 15 16 17

vgl. A 355 u. PROL, Ak IV, 336 A 355 Β 427 A 350 A 355 ebd. ebd.

1.1. Exkurs: Einfaches Ich

71

und „mithin kein Mannigfaltiges hat"18. Durch dieses letzte wird kenntlich, daß inhaltliches Vorstellen offenbar meint, diesen oder jenen Inhalt vorzustellen, einer vom anderen unterschieden - eben Mannigfaltiges und nicht Ununterschiedenheit (Einfachheit). An dieser Stelle scheint die Entfernung des Ich zu den in den Blick genommenen Anschauungsformen als den Formen des Mannigfaltigen, insofern sie doch seine Formen sein sollen, nicht mehr überboten werden zu können. Zusammengefaßt ist das bloße Ich wie folgt zu charakterisieren: Es ist kein erkennbares Objekt; es ist nicht für sich selbst und bloß als ein denkendes Wesen real; es ist als solches eigenschafts-, bestimmungs- und inhaltslos. Das scheint die Frage nahezulegen, ob es nicht nichts ist und aus allen weiteren Erwägungen ausgeschlossen werden sollte. Eine solche Konsequenz zu ziehen, wäre der Absicht Kants - und zwar der gerade durch die aufgeführten Charakterisierungen ausgedrückten Absicht - ganz entgegengesetzt. Denn es ist dieses Ich, positiv gesprochen, dasjenige, „was ich voraussetzen muß, um überhaupt ein Object zu erkennen", und davon sagt Kant, daß es „einleuchtend" ist, daß man es „nicht selbst als Object erkennen könne"19. Dieses Ich, das als solches bestimmungslos ist und dem als einfach und unanalysierbar auch allein die unter dem Titel des Lebensbegriffs zu verfolgende Vorstellung eines Innerlichen originär entsprechen kann, ist nicht etwa nichts, sondern dasjenige, um das wir uns mit allen Vorstellungen, also auch mit den ihrerseits Objekte erkennenden, „in einem beständigen Cirkel herumdrehen"20. Vom Ich als dem Zentralpunkt dieses Zirkels ist kein Abstand-Nehmen möglich, und jede weitere Nachfrage nach ihm setzt es immer wieder voraus21, weswegen für Kant Apperzeption denn auch ursprüngliche Apperzeption ist. Einen etwaigen das Ich verwerfenden Gedanken verwirft er seinerseits; in seiner Anthropologie heißt es, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Existenz: „Der Gedanke: ich bin nicht, kann gar nicht existiren", und: „...in der ersten Person sprechend das Subject selbst verneinen, wobei alsdann dieses sich selbst vernichtet, ist ein Widerspruch"22. Die Unmöglichkeit des Selbstvernichtungsgedankens 'Ich bin nicht' läßt übrigens den demgegenüber notwendigen Gedanken 'Ich bin' lebensbegrifflich als einen Selbsterhaltungsgedanken bezeichnen und das Sprechen in der ersten Person entsprechend als Selbstbejahung. Vom Ich keinen Abstand nehmen zu können, läßt es, ganz im Gegenteil dazu, für nichts genommen zu werden, als ein Etwas überhaupt ansehen. Der Gedanke 'Ich' bedeutet

18 19 20 21 22

A 381 A 402 A 346/B 404 vgl. ebd. A NTH, Ak VII, 167

72

1.1. Exkurs: Einfaches Ich

„ein Etwas überhaupt (transcendentales Subject), dessen Vorstellung allerdings einfach sein muß, eben darum weil man gar nichts an ihm bestimmt, wie denn gewiß nichts einfacher vorgestellt werden kann, als durch den Begriff von einem bloßen Etwas"23.

Daß überhaupt etwas ist, ist durch das Ich bekannt, doch beinhaltet das noch kein Erkennen im Sinn einer Prädikation von Beschaffenheiten. Es ist also zu unterscheiden zwischen dem bloßen Bewußtsein seiner selbst als Etwas überhaupt und der Erkenntnis von Objekten - speziell auch der Erkenntnis seiner selbst als eines Objekts -, wozu immer die Bestimmung erfordert ist, was und wie beschaffen etwas ist: „Das Bewußtsein seiner selbst ist also noch lange nicht ein Erkenntniß seiner selbst"24 und, wie hinzuzufügen ist, zumal noch keine Erkenntnis eines anderen Objekts. Vom Ich zu sagen, es sei einfach, heißt nichts weiter, als bloß zu sagen, „daß es Etwas sei"25. Innerhalb der 'Deduktion der Verstandesbegriffe' ist das Bewußtsein seiner selbst als das Bewußtsein bezeichnet, „daß ich bin"26. Dieses Daseinsbewußtsein, ineins das ursprüngliche Bewußtsein von Etwas überhaupt, ist nun zwar als solches unbestimmt und einfach; Kant bezeichnet die „Apperception selbst" auch als dasjenige Denken, das „a priori allem meinem bestimmten Denken vorhergeht"27, d.i. also ein unbestimmtes Denken. Aber es ist dieses Daseinsbewußtsein als das unbestimmte Denken von Etwas überhaupt auf die Bestimmung eben dieses Daseins doch gerichtet, und zwar handelnd gerichtet: „Das: Ich denke, drückt den Actus aus, mein Dasein zu bestimmen"28. Dem für sich genommen bestimmungslosen bloßen Daseinsbewußtsein, das als einfach auf die Weise der Analyse nicht zu bestimmen ist und dessen versuchtes Richtungnehmen in sich hinein also zu keiner Erkenntnis führt (weshalb es auch selbst als ein irreduzibel Innerliches anzusprechen ist, woraufhin keine Differenzierung mehr vorzunehmen möglich ist), ist umgekehrt, um zu einem bestimmten, differenzierten oder artikulierten Daseinsbewußtsein im Sinne eigentlicher Erkenntnis zu kommen, das Richtungnehmen aus sich heraus oder über sich hinaus wesentlich. Mit diesen letzten Formulierungen ist ein Aspekt der Erklärung dessen gegeben, was Kant unter dem synthetischen Charakter des Selbstbewußtseins versteht, wobei die mit einem Aus-sich-Herausgehen evozierten räumlichen Vorstellungen nicht zufällig sind. Wird an solchem Herausgehen der aktivisch prozessuale Charakter betont, so ist ebenso die Vorstellung von Zeit unvermeidlich.

23 24 25 26 27 28

A Β A Β Β Β

355 158 400 157 134 156 Anm.

1.1. Exkurs: Einfaches Ich

73

Das transzendentale Ich ist zwar ausgeschlossen als ein isoliertes, für sich selbst in bloßer Innerlichkeit zu erkennendes reales Objekt, doch ist es, wie angeführt, zu statuieren als Voraussetzung, um, aus sich herausgehend, Objekte als diese oder jene mit ihren Beschaffenheiten zu erkennen. Wie die bei Kant in der Rede vom Ich denke als des Actus, mein Dasein zu bestimmen, implizierte finale Konjunktion 'um - zu' anzeigt, ist es anzusetzen als ein Ich mit dem Richtungssinn woraufhin und wozu oder, in seiner eigenen Diktion, als Ich zu einem Gebrauch; und insofern es als Vorauszusetzendes auf die erkennende Bestimmung von Objekten geht, was immer deren Unterscheidung und nicht unterschiedslose Einfachheit bedeutet, geht es, das als solches nur als einfach anzusprechen ist, auf mehreres oder, um noch keine spezifischen, höherstufig intellektuellen Größenund Zahlbegriffe nahezulegen, zunächst überhaupt auf Mannigfaltiges. Das Ich ist wohl abstrakt als solches ansprechbar und legt deshalb eine Hypostasierung nahe. Eine solche angemaßte Erkenntnis dogmatisch rationaler Psychologie vermeidend, ist es nach Kant aber als „absolute Einheit der Apperception", als „das Einfache Ich" doch nur von Bedeutung in Hinsicht auf „alle Verbindung oder Trennung, welche das Denken ausmach[en]" 29 , und hier allerdings unerläßlich. Obwohl hier vom Ich und seinem Denken die Rede ist, setzen doch Verbindung und Trennung die Hinsicht überhaupt auf ein Mannigfaltiges, das zum Verbinden oder Trennen dargeboten ist, voraus. Das einfache Ich in seiner bloßen, nichts Mannigfaltiges enthaltenden und so zu keiner Erkenntnis fähigen Selbstbezüglichkeit ist im nichtabstrakten Verständnis nicht ohne sein dann erkenntniseröffnendes Richtungnehmen über sich hinaus. Es bedarf um seiner Selbstbezüglichkeit willen, insofern sie bloß als solche nicht möglich ist, dieses Richtungnehmens über sich selbst hinaus. Dabei wird alles in diesem Über-sich-Hinaus-Sein Erzielte auf es rückbezüglich bleiben müssen und nicht seinerseits den Sinn einer anderen Isoliertheit als ein Sein an sich annehmen können, das dann, wie eine geläufige Wendung Kants lautet, für mich nichts sein müßte. Zusammengenommen ergibt sich damit der geschlossene Zusammenhang der Einheit der Selbstbezüglichkeit des Ich und der Beziehung dieses Ich auf von ihm Verschiedenes, aus welchem Zusammenhang die einzelnen Stücke nur durch Abstraktionen gelöst werden können. Einem einfachen und selbstbezüglichen Ich, das ohne die Beziehung auf von ihm Verschiedenes auch nicht selbstbezüglich sein kann, ist die Anweisung zur Bezugnahme auf das von ihm Verschiedene aus Gründen seiner Selbstbezüglichkeit wesentlich und notwendig. Den schon eingeführten Lebensbegriff verwendend, kann gesagt werden: Es ist ihm aus Gründen der Selbsterhaltung notwendig. Für das Bezugnehmen des transzendentalen Ich auf das von sich Verschiedene, wobei zu diesem Verschiedenen dann auch der in der empirischen Selbsterkenntnis bekannt werdende Charakter des Ich als eines Objekts

29

Β 419

74

1.1. Exkurs: Einfaches Ich

des inneren Sinns gehört, stehen zuerst seine Anschauungsformen. Das einfache Ich im von Kant trotz Kritik an rationaler Psychologie beibehaltenen Sinn ist ein solches Ich nur in Verbindung mit seinem Richtungnehmen über sich hinaus vermittels Anschauungsformen. Wenn Selbstbewußtsein, wie durch das Vorige entwickelt, nicht ohne sein Richtungnehmen aus sich heraus, das als räumliches und zeitliches Vorstellen stattfindet, sein kann, dann ist dieses Richtungnehmen vermittels Raum und Zeit durch den Begriff des Selbstbewußtseins impliziert, und es sind diese Formen als daraus abgeleitet anzusehen. (Ende des Exkurses) ***

Vor dem entwickelten Hintergrund erscheint etwa die Aussage aus Kants zweitem Raumargument, daß man sich niemals vorstellen könne, daß kein Raum sei30, als verbunden mit der schon angeführten Unmöglichkeit, sich vorstellen zu sollen, daß das Ich nicht sei. Sich probeweise vorstellen zu sollen, daß kein Raum sei und also keine Beziehung des Ich auf ein Außer-sich und ein von ihm Verschiedenes, hieße der hergestellten Verbindung nach zugleich, die Vorstellung des selbstbezüglichen Ich aufgeben zu müssen. Den Zusammenhang zwischen dem transzendentalen Ich und der um seinetwillen erforderlichen Beziehung auf von ihm Verschiedenes also beachtend, können Raum und Zeit als die Formen der Beziehung auf dieses Verschiedene - als die Formen seines Über-sich-hinaus- oder Sich-vorweg-Seins - akzentuiert als seine Formen angesehen werden. Ein Ich im Selbstverständnis des um seiner Selbstbezüglichkeit willen erforderlichen Hinausgehens kann, sollte es ihm um seine Selbstbezüglichkeit auch im Sinne der Selbsterhaltung gehen, sein Richtungnehmen auf Anschauung vermittels Anschauungsformen nicht negieren wollen oder als indifferent ansehen. Die hier nahegelegte Verbindung von Anschauungsformen mit einem Interesse und die mit der - nur über die Vermittlung dieser Formen möglichen - Selbsterhaltung des Ich hergestellte Beziehung auf einen Lebensbegriff finden sich bei Kant selbst an etwas abgelegener, aber nichtsdestoweniger aussagekräftiger Stelle in seiner kleinen Schrift Das Ende aller Dinge31. Hier erwägt er die Anschauungsform 'Zeit' in bezug auf die Anweisung des Engels der Apokalypse, „daß hinfort keine Zeit mehr sein solf\ d.h. den Gedanken der Ewigkeit und also das „Ende aller Dinge als Gegenstände der Sinne". Dieser Gedanke ist „bloß ein negativer ..., wodurch wir in unserm Erkenntniß nicht einen Fußbreit weiterkommen". Es ist der negative Gedanke des

30 31

vgl. A 2 4 / B 3 8 Zitate bis zur nächsten Angabe EAD, Ak VIII, 333ff

1. Anschauungsformen und Apperzeption

75

Stillstands von Erkenntnis. Probeweise aus der Erfahrung heraus zu entwickeln versucht, bedeutete er, einen Zeitpunkt denken zu sollen, „da alle Verändrung (und mit ihr die Zeit selbst) aufhört". Mit diesem Zeitpunkt, so die widersinnige Konsequenz, bliebe der letzte Gedanke „dem denkenden Subject stehend und ohne Wechsel" immer derselbe, und es würde „die ganze Natur starr und gleichsam versteinert". Der Versuch mit einem solchen „Princip des Stillstandes und der Unveränderlichkeit des Zustandes" ist nun nach Kant eine „die Einbildungskraft empörende Vorstellung": „Für ein Wesen, welches sich seines Daseins ... nur in der Zeit bewußt werden kann, muß ein solches Leben, wenn es anders Leben heißen mag, der Vernichtung gleich scheinen: weil es, um sich in einen solchen Zustand hineinzudenken, doch überhaupt etwas denken muß; Denken aber ein Reflectieren enthält, welches selbst nur in der Zeit geschehen kann."

Neben der hier herauszustellenden Bindung von Denken und Reflexion an die Zeit kann Kants Zweifel daran festgehalten werden, ob ein ewiges, nichtzeitliches Leben überhaupt mit dem Ausdruck 'Leben' angemessen benannt ist. Leben erfordert, wie gesehen, sich wider eine absolute Zuständlichkeit aus einem inneren Prinzip, dem Begehren, zum Handeln zu bestimmen, wobei unter Handeln vorzüglich Denk- und Reflexionshandeln fällt. Absolute Zuständlichkeit als solchem Begehren entgegengesetzt, läßt die Empörung der Einbildungskraft - eine Empörung Uber etwas offenbar Zweckwidriges - verständlich erscheinen. Die Empörung des im gegebenen Kontext ausdrücklich in seinem theoretischen Gebrauch thematischen Vermögens 'Einbildungskraft' ist jedenfalls nur erklärlich, wenn dieses Vermögen in seinem (wie noch zu sehen sein wird: in das Erzeugen von Zeit im Dienst des Verstandes involvierten) Gebrauch in Beziehung auf einen Willen gesetzt ist, dem daran etwas gelegen ist und für den das Ende dieses Gebrauchs zweckwidrig ist. Als zweites muß Kants Rede vom nur zeitlich möglichen Daseinsbewußtsein interessieren, denn im Deduktionskapitel der Kritik der reinen Vernunft ist, wie angeführt, die doch den Angelpunkt der Transzendentalphilosophie darstellende synthetische ursprüngliche Einheit der Apperzeption als bloßes Daseinsbewußtsein aufgefaßt: sie ist das Bewußtsein „nur daß ich bin"32. Bei nur zeitlich möglichem Daseinsbewußtsein ist Zeitlichkeit also von der synthetischen ursprünglichen Einheit der Apperzeption unabtrennbar. Allenfalls könnte sie in einer Abstraktion davon abgetrennt werden, wobei aber jede versuchte hypostasierende Verselbständigung des von der Zeit abstrahierten Selbstbewußtseins seiner „Vernichtung gleich scheinen"33 muß, so daß also Daseinsbewußtsein aufgehoben wäre.

32 33

Β 157 EAD, Ak VIII, 334

76

1. Anschauungsformen und Apperzeption

Kants Formulierungen im herangezogenen §25 seiner B-'Deduktion' lassen sich auch im Sinne einer Trennung von Selbstbewußtsein und Zeit als einer Form des Anschauens lesen. Um vorerst die Anhaltspunkte für diese trennende Lesart hervorzuheben, läßt sich anführen, daß er die Vorstellung, daß ich bin, „ein Denken" und ausdrücklich „nicht ein Anschauen" nennt; nach dem obigen läßt sich das so umschreiben, daß sie als eine einfache Vorstellung anzusehen ist, die nichts Mannigfaltiges in sich enthält und wozu nun außerdem, was an die Rede vom zweiten Stamm der Erkenntnis erinnnert, „noch eine bestimmte Art der Anschauung", wodurch das „Mannigfaltige gegeben wird, erforderlich ist"34. Ebenso heißt es, daß das Ich zur Erkenntnis „außer dem Denken eines Objects überhaupt ... doch noch einer Anschauung bedarf, was nach der Bestimmung des transzendentalen Subjekts als Etwas überhaupt so viel heißt wie, außer des Bewußtseins seiner selbst noch einer Anschauung zu bedürfen; das gilt speziell auch für die Selbsterkenntnis: „..., so bedarf ich auch zum Erkenntnisse meiner selbst außer dem Bewußtsein oder außer dem, daß ich mich denke, noch einer Anschauung des Mannigfaltigen in mir"35. Schließlich heißt es von den Zeitverhältnissen hier noch, daß sie „ganz außerhalb" meines Selbstverständnisses als reine Intelligenz liegen. All dem nach scheint es also einerseits Bewußtsein seiner selbst als bloßes Daseinsbewußtsein und andererseits Form der Anschauung oder Form des Mannigfaltigen zu geben, so daß die Rede, daß schon das Daseinsbewußtsein als solches zeitliches Bewußtsein sein muß, wie ein Lapsus erscheint. Und dennoch lassen sich die Aspekte der Trennung transzendentaler Apperzeption von der Zeit und ihrer Untrennbarkeit davon unter dem Titel ihres synthetischen Charakters ineins bringen. Selbstbewußtsein, nach synthetischer Einheit verstanden, ist derart, daß es sich auf anderes als sich selbst im Verständnis reinen Denkens richten muß - hier das zeitlich Mannigfaltige - und zu diesem in notwendigem Verhältnis steht.Indem ein Anschauen von Mannigfaltigem für das Denken „erforderlich ist" und es außer seinem Sich-selbst-Denken des Anschauens „bed a r f , ist sein Sich-Richten auf das 'Außerdem' zum reinen Denken Ausdruck eines ihm selbst zukommenden Erfordernisses oder anders seiner eigenen Bedürftigkeit. Als bedürftiges Denken, insofern es bloß analytisch in sich selbst nichts zum Erkennen findet, im Erkennen aber doch sein Zweck liegt, weist es von sich aus sich voraus oder aus sich hinaus. Dasjenige, dessen das Denken bedarf, ist nicht in ihm enthalten, wohl aber das Bedürfnis danach. Eine spätere allgemeine Aussage Kants aus der dritten Kritik, daß nämlich „alles Interesse ... Bedürfiiiß voraussetzt], oder ... eines hervorbringt]"36, kann modifiziert auf das hier Thematische angewandt werden, und zwar in der Modifikation, daß die Implikation

34 35 36

Β 157 Β 158, Hervorh. Vf. KDU, AkV,210

1. Anschauungsformen und Apperzeption

77

auch umgekehrt gilt und alles Bedürfiiis ein Interesse voraussetzt oder hervorbringt. Danach ist dann vom Denken, insofern ihm das Bedürfiiis nach Anschauung des Mannigfaltigen (dieses in den Formen Zeit und Raum) zukommt, als einem daran (in der noch entfernteren Absicht auf bestimmte Erkenntnis) interessierten Denken zu sprechen. Pointiert ausgedrückt und die Rede vom Bedürfiiis buchstäblich nehmend, kann die Richtungnahme des reinen Denkens auf ein anderes zu sich selbst im Sinne einer Absichtlichkeit in Hinsicht auf die Heilung seines Bedürfnisses genommen werden. Bei Kant ist solche Absichtlichkeit und Finalisierung des Denkens auch schon in der ersten Kritik explizit, indem es hier heißt, daß alles Denken auf Anschauung abzwecktSeine Bedürftigkeit ist durch diesen Ausdruck mit angesprochen, denn ein nicht bedürftiges Denken müßte auf nichts erst abzwecken. Im Zusammenhang dieser Thematik eines abzweckenden Denkens und einer Anschauung als seines Zwecks ist auch aufschlußreich, was Kant im Blick auf die 'Transzendentale Ästhetik' als ihren Beitrag bezüglich der „Auflösung der allgemeinen Aufgabe: wie sind synthetische Sätze a priori möglich ?" 38 herausstellt. Er beansprucht, gezeigt zu haben, daß, „wenn wir im Urtheile a priori über den gegebenen Begriff hinausgehen wollen", wir in den reinen „Anschauungen a priori, Raum und Zeit, ... dasjenige antreffen, was nicht im Begriffe, wohl aber in der Anschauung, die ihm entspricht, a priori entdeckt werden und mit jenem [dem Begriff] synthetisch verbunden werden kann" 39 .

Nur in der Anschauung, so ist zu ergänzen, ist das zu finden, was dem Begriff entspricht, weshalb denn auch die synthetischen Urteile a priori „nie weiter, als auf Gegenstände der Sinne reichen, und nur für Objecte möglicher Erfahrung gelten können" 40 . Ohne die Beziehung auf Anschauung erkennt der Begriff also nichts und ist als Begriff selbst obsolet, weshalb er dieser Bezugnahme aus sich selbst heraus also als Begriff bzázvf. Übrigens setzt Kants zusammenfassendes Ergebnis, obwohl es als 'Beschluß der transzendentalen Ästhetik' vorgetragen ist, indem es das Denken und Anschauen in ihrer Beziehung aufeinander betrachtet, mehr voraus als eine isolierte Betrachtung der Sinnlichkeit. Dieses Ergebnis ist denn auch erst in der B-Auflage - also wohl aus der Gesamtübersicht heraus - eingefügt worden. Das Antreffen und Entdecken desjenigen, was in den reinen Anschauungen a priori, Raum und Zeit, liegt und was eine Entsprechung zum Begriff sein soll, stellt Kant also unter die Bedingung eines vom Denken, von einem gegebenen Begriff, ausgehenden Richtungnehmens über das Denken hinaus. Die Bedingung für das Antreffen und Entdecken des dem Begriff Entsprechenden ist an der zi-

37 38 39 40

vgl. A 19/B 33, Hervorh. Vf. Β 73 ebd. ebd.

78

1. Anschauungsformen und Apperzeption

tierten Stelle ausdrücklich unter Einschluß eines Wollens formuliert: „wenn wir im Urteile a priori über den gegebenen Begriff hinausgehen wollen". Das Richtungnehmen über den gegebenen Begriff hinaus stellt demnach nicht bloß einen indifferenten Vollzug dar, was, ohne ein Wollen anzusprechen, an dieser sicherlich sorgfältig formulierten Stelle, die einen Hauptaspekt in der Behandlung des Problems der synthetischen Urteile a priori konzentriert zusammenfaßt, auch hätte ausgedrückt werden können. Für den gegebenen Begriff in schon speziellerer Anwendung beispielsweise den Substanzbegriff genommen, wie es mit Bezug auf die unterstellte Gesamtübersicht legitim ist, ist nach dem angeführten Ergebnis zu sagen, daß dieser Begriff, wenn dadurch etwas erkannt und nicht bloß gedacht werden soll, des Hinausgehens zur Anschauung hin bedarf, daß unser Hinausgehen- Wollen dieses Bedürfiiis ausdrückt und daß schließlich allein in der nicht analytisch im Begriff enthaltenen Zeit, hier speziell ihrem Modus der Beharrlichkeit41, diesem Bedürfen und Wollen entsprochen werden kann. Auf diese Weise ist der Substanzbegriff auf das zeitlich Beharrliche abgezweckt; umgekehrt erfüllt nur das zeitlich Beharrliche den Zweck des Substanzbegriffs. Insbesondere auch in bezug auf eine legitimerweise in der Selbsterkenntnis als substantiell zu beurteilende Seele besteht nach Kant - entgegen der Ansicht rationaler Psychologie - „das Bedürfniß sinnlicher Anschauungen, um meinen Verstandesbegriffen, Substanz,... Bedeutung zu verschaffen"42. Abgesehen von Beispielen spezieller Verstandesbegriffe kann das Denken auch auf allgemeinste Weise genommen werden als „der Begriff oder, wenn man lieber will, das Urtheil: Ich denke", welchen Kant „das Vehikel aller Begriffe überhaupt, und mithin auch der transcendentalen", nennt und der „unter diesen jederzeit mit begriffen"43 wird. Von diesem jederzeitigen Mit-begriffen-Sein ist festzuhalten, daß auch es eines in der Bindung an Zeit ist. Von der ,,bloße[n] Apperception: Ich denke-, welche sogar alle transcendental Begriffe möglich macht, in welchen es heißt: Ich denke die Substanz, die Ursache etc."44, muß a fortiori gelten und in ihr muß ursprünglich angelegt sein, daß sie auf Anschauung und entsprechend auf Formen der Anschauung abzweckt. Es ist, wie schon angeführt, das Sich-Richten bloßen Selbstbewußtseins auf ein anderes zu sich selbst, wozu der Zugang durch die subjektive (d.h.: durch seine) Form der Zeit eröffnet ist, für es deshalb notwendig, um sich auch in seiner Selbstbezüglichkeit zu erhalten, nicht der Vernichtung anheimzufallen und nicht in „gänzliche Gedankenlosigkeit [zu] geraten"45. Mit der zu vermeidenden Gedankenlosigkeit endet also die Absicht des Denkens nicht in der Anschauung als solcher, sondern diese, worauf es abzweckt, kann ihrerseits

41 42 43 44 45

vgl. die Erste Analogie der Erfahrung Β 431, Hervorh. Vf. A 341/B 399 A 343/B 401 EAD, Ak VIII, 334

1. Anschauungsformen und Apperzeption

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wiederum als Mittel zum zurückgewendeten Zweck angesehen werden, daß sich das Denken selbst erhalte. Die um der Selbstbezüglichkeit willen notwendige Beziehung auf anderes, und zwar Mannigfaltiges in der Anschauung, ist auch durch den berühmten Satz der 'Deduktion' ausgedrückt: „...nur dadurch daß ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen in einem Bewußtsein verbinden kann, ist es möglich, daß ich mir die Identität des Bewußtseins in diesen Vorstellungen selbst vorstelle, d.i. die analytische Einheit der Apperception ist nur unter der Voraussetzung irgend einer synthetischen möglich"46. (Rationale Psychologie wollte sich diese Identität und mit ihr die Einfachheit des Selbstbewußtseins auch ohne die Beziehung auf Mannigfaltiges vorstellen). Als Bedingung filr die Identität des Bewußtseins kann entgegen der geläufigeren Akzentuierung des Verbinden-Könnens auch betont werden, daß überhaupt ein Mannigfaltiges sein muß, das zu verbinden ist, durch welche Betonung die Anschauungsformen, die Formen des Mannigfaltigen, als Bedingungen der analytischen Einheit des Selbstbewußtseins hervorgehoben sind. Allerdings gilt umgekehrt auch, was durch den zitierten Satz nicht ausgeschlossen ist, daß nämlich ein Mannigfaltiges ohne die Identität des Bewußtseins, d.h. ohne seine analytische Einheit, nicht in einer Vorstellung enthalten sein kann47. Beides zusammen zeigt nur die Geschlossenheit eines wechselseitigen Bedingungsverhältnisses. Wie später noch genauer zu sehen sein wird, muß die oben angeführte Abhebung transzendentalen Selbstbewußtseins von den Zeitverhältnissen als einschränkenden Bedingungen48 nicht zugleich auch seine Trennung von der Zeit bedeuten, denn es wird - was zunächst paradox erscheinen mag - die Zeit selbst noch von den Zeitverhältnissen abgehoben werden können. Es wird also noch ein Unterschied zu machen sein zwischen der Zeit selbst und der Art, wie die Verhältnisse in der Zeit zu denken sind, wobei die Kantischen Bestimmungen jener Zeit selbst - vorwegnehmend gesagt: Einheit, Einfachheit, Beständigkeit, Identität (als Substrat der Zeitverhältnisse) - unübersehbar mit denen transzendentaler Apperzeption übereinkommen.49 Wo bei Kant transzendentale Apperzeption von Zeitlichem unterschieden wird, da ist also zu beachten, ob sie von der Zeit selbst oder von demjenigen in der Zeit unterschieden wird. Daß Selbstbewußtsein, unter Einschluß seiner unaufhebbaren Zeitlichkeit betrachtet, etwa insofern sich als seiner Erhaltung unfähig erweisen könnte, als es doch als in das Zeitverhältnis der Folge hineingezogen gedacht werden muß, wird auf die Weise in der näheren Behandlung der Zeit relativiert werden können, daß von dieser das Verhältnis der Folge als nicht ursprünglich, sondern nur als derivativ auszusagen sein wird und daß demge46 47 48 49

Β 133, geänderte Hervorh. Vf. vgl. A 103 vgl. B 1 5 8 f . Auf die Übereinstimmung in den Kantischen Bestimmungen der Zeit und der Apperzeption hat Martin Heidegger (1991 (5. Aufl.), bes. S. 191 -194) nachdrücklich hingewiesen.

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1. Anschauungsformen und Apperzeption

genüber ihre originären Bestimmungen als verträglich mit denen von Selbstbewußtsein zu betrachten sein werden. Mannigfaltiges ist nun also um der Selbsterhaltung eines in bloßer Selbstbezüglichkeit unmöglichen Selbstbewußtseins willen, wie jetzt noch einmal zu betonen ist, „erforderlich"50, d.h. ein durch es gefordertes Mannigfaltiges; transzendentale Apperzeption „bedarf 5 1 der Anschauung des Mannigfaltigen; sie ist Intelligenz nur „in Ansehung des Mannigfaltigen"52 oder schließlich ausdrücklich, so der entsprechende Ausdruck zum Abzwecken auf Anschauung, „in Absicht auf' 53 dieses Mannigfaltige. In Hinsicht auf ein so geartetes Selbstbewußtsein müssen Anschauungsformen, Formen des Mannigfaltigen, als sein eigenes Bedürfnis ausdrückend und als in seiner eigenen Absicht liegend angesehen werden. Diese Absicht läßt sich sowohl als eine Absicht auf anderes hin als auch, in vollständiger Betrachtung zurückgewendet, auf sein Selbst hin verstehen, insofern dieses Selbst sich eben in unvermittelter Selbstbezüglichkeit nicht erhalten kann, d.h. nicht als reine Intelligenz, wohl aber in seinem Bezugnehmen auf Mannigfaltiges, dessen Formen Raum und Zeit sind. Mit dem einfachen, unanalysierbaren und deshalb ursprünglichen Ich, das nichts Mannigfaltiges in sich faßt54 und hinter das nicht zurückgegangen werden kann (weshalb es auch als innerlich anzusprechen ist ), dem aber als diesem Ich die Richtungnahme über sich hinaus zuzusprechen ist, ist, wie gesehen, ein Aspekt der Erklärung dessen gegeben, was Kant unter der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption versteht. Der eine Analyse intendierenen Frage der rationalen Psychologie nach dem Ich, nämlich „von welcher Beschaffenheit ... ein Ding, welches denkt", sei, tritt er entgegen und gesteht zu, darauf „a priori nicht das mindeste ... antworten" zu können; die Begründung dafür lautet: „weil die Antwort synthetisch sein soll"55. Mit einer synthetischen Antwort ist nun immer verbunden, über einen Begriff - hier den eines bloßen Ich - hinauszugehen56. Sich vergegenwärtigend, woraufhin dieses Hinausgehen aus dem Begriff zu geschehen hat, nämlich „zur Anschauung"57 hin - d.i. hin auf etwas „anderes, als in ihm gedacht war", das aber „mit demselben in Verhältniß zu betrachten"58 ist - , kann der Ausdruck 'Hinausgehen' geradezu buchstäblich, also unter Einschluß seines zeitlichen und räumlichen Sinns genommen werden.

50 51 52 53 54 55 56 57 58

Β 157 Β 158 Β 158f. Β 159 vgl. A 354f. A 398 vgl. A 154/B 193 u. A 721/B 749 A 721/B 749 A 154/B 193f.

1. Anschauungsformen und Apperzeption

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Den durch Selbstbewußtsein gegebenen Verweis auf die Anschauungsformen Zeit und Raum wiederholt zu betonen, geschieht in der Absicht, dieses Selbstbewußtsein nicht bloß wie verbreitet als den höchsten Punkt der Transzendentalphilosophie in Hinsicht auf den Verstand als Inbegriff der Kategorien anzusehen, d.h. nicht bloß als den höchsten Punkt in Hinsicht auf die eine von zwei zuletzt als verschieden anzusetzenden Quellen des Formalen der Erkenntnis, sondern als den höchsten Vereinigungspunkt in Hinsicht auf beide. Für die Auffassung von der unüberbrückbaren Verschiedenheit der Quellen müßte in bezug auf Selbstbewußtsein als Angelpunkt bloß der kategorial intellektuellen Formen der Erkenntnis ein Anhalt für seine irgendworin bestehende Unabhängigkeit von seinem Hinausgehen auf Mannigfaltiges hin in dessen in diesem Fall dann auf eine andere Quelle zurückweisenden Formen gegeben sein. Daß ein solcher Anhalt aber gerade nicht gegeben ist, ist Kants Ergebnis in Behandlung der rationalen Psychologie, welcher in Abwehr ihrer Paralogismen entgegengehalten wird, daß ein von Zeit und Raum abgelöstes Verständnis von Selbstbewußtsein, wonach dieses nicht als immer schon auf zeitlich und räumlich Mannigfaltiges sich richtend anzusehen wäre, auf bloßer Abstraktion und nachfolgender Hypostasierung beruht. Die Betonung der nur einem abstrakten Gedanken nach lösbaren, der Sache nach aber unlösbaren Verknüpfung zwischen Selbstbewußtsein und etwa räumlichem Bewußtsein, wodurch Selbstbewußtsein, die die Raumform materialiter besetzenden Gehalte hinzugenommen, auch auf im Raum Wirkliches bezogen ist, ist also ein wesentliches Anliegen Kants in Abwehr der angemaßten Erkenntnisse der rationalen Psychologie. Dieser bestreitet er - vergleichbar der schon angeführten Kritik am Gedanken der Zeitlosigkeit - das Wissen, daß „dieses Bewußtsein meiner selbst ohne Dinge außer mir ... gar möglich sei, und ich also bloß als denkend Wesen (ohne Mensch zu sein) existiren könne" 59 . Analog der Fraglichkeit der Lebendigkeit eines als zeitlos erwogenen Selbstbewußtseins ist hier das lebendige Existieren als Mensch unter die Bedingung der Verknüpfung von Selbstbewußtsein und räumlichem Anschauen gestellt. Dem rationalen Psychologen ist allein das 'Cogito' unmittelbar gewiß, und zwar ohne etwas, das damit in notwendigem Verhältnis zu betrachten wäre und das sich wie bei Kant um des Selbstbewußtseins willen von diesem her durch dessen erweiterndes Richtungnehmen über sich hinaus eröffnet, auf daß dieses Selbstbewußtsein sich als 'Cogito' menschlichen Denkens erhalten kann. Dem rationalen Psychologen ist also allein das (sich um nichts erweiternde) 'Ich denke' der - dann allerdings für alles Analysieren unergiebige Text seiner Wissenschaft 60 . Von dieser Verfehlung her, nämlich das bloße Ich in seiner Selbstbezüglichkeit zu hypostasieren, nehmen weitere Verfehlungen ihren Ausgang, d.i. auf einer er-

59 60

Β 409 vgl. A 343/B 401

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I. Anschauungsformen und Apperzeption

sten Stufe die, wodurch in Abhebung von der genannten Hypostasierung nun auch etwa der Raum isoliert und seinerseits hypostasiert wird. Er wird so seinerseits als ein wirkliches Wesen an sich, unterschieden vom unterstellten An-sich des Cogito, verstanden. Diese Position nennt Kant den transzendentalen Realismus61. Sie einmal eingenommen, muß sich für den rationalen Psychologen die Schwierigkeit erheben, die Vermittlung des Getrennten einsichtig machen zu können. Denn, so der Schritt zur zweiten Stufe der Verfehlung, indem er sich eingestehen muß, unmittelbar doch nur die vom unterstellten An-sich des Raums unterschiedene Vorstellung von Dingen im Raum zu haben, muß er diese Vorstellung des Äußeren als eine Wirkung auffassen und darüber zugleich in die Unsicherheit in Hinsicht auf jeden Schluß von Wirkungen auf Ursachen gezogen werden, die - nicht unmittelbar bekannt - in bezug auf eine Wirkung immer mehrere sein können; auf diese Weise wird ihm schließlich zweifelhaft, ob das Bewußtsein der Dinge im Raum auf einen wirklichen Raum und wirkliche Dinge darin bezogen ist, während die Gewißheit des 'Cogito' für ihn darunter allerdings nicht leidet62. Dem transzendentalen Realisten ist also vorgezeichnet, daß er aufgrund jener Unsicherheit des Schlusses von der doch allein unmittelbar vorliegenden, aber sekundär als Wirkung verstandenen Raumvorstellung auf den Raum selbst (als Ursache) „nachher den empirischen Idealisten spielt"63 und alles Dasein äußerer Gegenstände für unsicher hält. Unangesehen dieser und auch noch anderer Spielarten des Mißverstehens des Verhältnisses zwischen dem Denken und dem Äußeren liegen nach Kant doch alle seine möglichen Aspekte darin begründet, daß getrennt und in der Abtrennung hypostasiert wird, was nicht getrennt und nicht für sich betrachtet werden darf, ohne daß das Bewußtsein davon erhalten bleibt, es dann nur noch mit Abstraktionen zu tun zu haben. So nimmt der Spiritualist bloß das denkende Wesen für ein an sich existierendes Ding (welches nach dem obigen für Kant kein Mensch ist), der Materialist allein die Materie (wobei an dieser Stelle vernachlässigt werden kann, daß er mit Materie nicht bloß den Raum, sondern darüber hinaus den erfüllten Raum für an sich nimmt) und schließlich der Dualist beide64. Dieser letztere muß nun bei unüberwindbarer Heterogenität des an sich Ausgedehnten und des an sich unausgedehnten Denkens zur Sicherung der doch behaupteten Beziehung Zuflucht in transzendenten Systemen prästabilierter Harmonie oder übernatürlicher Assistenz nehmen65. In die bisher im allgemeinen angesprochenen Probleme der Antagonisten Kants ist übrigens auch das eingeschlossen, was für sie im speziellen

61 62 63 64

65

A 369 vgl. A 368 A 369 vgl. A 380 - Seine eigene Position nennt Kant in einem anderen, die An-sich-These ausschließenden Sinn auch Dualismus, vgl. A 370. vgl. A 390

1. Anschauungsformen und Apperzeption

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unter dem Titel der traditionellen Leib-Seele-Frage, d.i. die Frage nach dem Verhältnis der spezifischen Körperlichkeit des Menschen zu seinem Selbstverständnis als denkendem Wesen, an Schwierigkeiten auftritt. Allen angeführten Schwierigkeiten und also auch denen dieser letztgenannten Frage will Kant durch seine transzendentale Theorie entgangen sein. Zu seiner Lösung, die nicht das als Mensch denkende Wesen aus dem Blick verloren haben will, gehört wesentlich, das Denken als ein Denken nur mit Bewußtsein von Dingen außer mir als möglich anzusehen. Er will vermieden sehen, einerseits ein Selbstbewußtsein in reiner Selbstbezilglichkeit zu statuieren und andererseits es als mit sekundären, ihm fremden räumlichen Vorstellungen besetzt aufzufassen, woraufhin dann Schlüsse auf ein ebenso fremdes An-sich des Gegenstandes dieser Vorstellungen (des Raums als eines wirklichen Wesens) stattfinden müßten. Auf den Raum ist es nach Kant nicht nötig, was in der Tat dann unsicher wäre, von räumlichen Vorstellungen als Wirkungen her erst zu schließen64, sondern der Gedanke mit der Bedeutung von etwas „außer uns" ist „lediglich ein Gedanke in uns"67, und zwar ein ineins mit dieser durch die Wendung 'in uns' angesprochenen Innerlichkeit, wofür zuletzt nur das transzendentale Ich stehen kann, unmittelbar gefaßter Gedanke. In Hinsicht auf den äußeren Sinn heißt es nun, daß „dieser Gedanke durch genannten Sinn" etwas „als außer uns befindlich vorstellt"68. Der äußere Sinn, vermittels dessen etwas als äußerlich vorgestellt wird, ist hier in der subordinierten Funktion des Mittels eines Gedankens angesprochen. Es bleibt festzuhalten, daß Kant hier die Vorstellung 'außer uns' originär als einen Gedanken bezeichnet, diese Vorstellung also in Beziehung auf das Ich als ein denkendes setzt. Er schreibt sie hier nicht ursprünglich der Sinnlichkeit zu, weder in dem Verständnis einer sinnlichen Vorstellung, daß sie als empfangen angesehen werden müßte, noch in dem, daß sie einem zweiten subjektiven, per se auf das Denken unbezüglichen Stamm des Erkennens angehörte. Vom Denken aus, dessen unhintergehbare, durch das 'in uns' angesprochene Innerlichkeit als solche nur durch das einfache Ich zu bezeichnen (aber nicht zu hypostasieren) ist und durch das, bloß in sich bleibend, nichts bestimmt werden kann, soll also ein Gedanke unmittelbar auf ein Außen gehen. Während das Prinzip des Denkens im bloßen, analytisch für sich selbst betrachteten Selbstbewußtsein Einfachheit ist, ist durch den Gedanken 'außer uns' das synthetisch sich erweiternde Denken ausgedrückt, was zugleich seine Öffnung auf Mannigfaltiges hin bedeutet. Die Innerlichkeit des Denkens ist eine durch diesen Gedanken auf ein Außen gerichtete Innerlichkeit oder, anders ausgedrückt, dieser Gedanke ist der Ausdruck eines solchen sich erweiternden Denkens, das sich durch ihn, seinen Gedanken, auf

66 67 68

vgl. A 371 A 385 ebd.

84

1. Anschauungsformen und Apperzeption

Differenz hin, weg von der schlechthin innerlichen Unterschiedslosigkeit, öffnet. Von Selbstbewußtsein als einem Innerlichen so zu sprechen, daß es innerlich nur in Hinsicht auf eine durch seinen notwendigen Gedanken 'außer sich' eröffnete Sphäre (zunächst von Mannigfaltigem überhaupt) ist, unterscheidet von der Auffassung eines schlechthin innerlichen Fiir-sich-Bestehens, wofür es den Behauptungen rationaler Psychologie entgegen keinen Anhalt gibt. Der Gedanke des Äußeren ist nach Kant dem Selbstbewußtsein unmittelbar zugehörig: Es existieren „äußere Dinge ... auf das unmittelbare Zeugniß meines Selbstbewußtseins"69. Ineins damit, daß es sich seiner selbst bewußt ist, ist es sich eines Äußeren bewußt, und nur so kann es sich auch in seiner Selbstbezüglichkeit erhalten. Das transzendentale Selbstbewußtsein ist immer schon als um sein Richtungnehmen über die bloße Selbstbezüglichkeit hinaus erweitert zu denken, und dieses beständige Richtungnehmen gehört bei der Fraglichkeit einer isolierten Selbstbezüglichkeit zu seiner Unmittelbarkeit als Selbstbewußtsein.70 Seinerseits untrennbar an Selbstbewußtsein gebunden, ist das Äußere nicht an sich Äußeres. Als unmittelbare ist die Vorstellung 'außer mir' keine erst zu empfangende und keine dem Ich ursprünglich fremde, woraufhin nach einem Grund außer ihm zu suchen wäre, von woher als etwas Selbständigem sie dem Ich auf zufällige und unerklärliche Weise mitgeteilt worden wäre. Wie es in Kants Nachlaßwerk heißt, bedürften Raum und Zeit als für sich selbst wirkliche Dinge, d.h. im Verständnis ihrer Unabhängigkeit von erkennender Subjektivität, „wieder einer anderen Anschauung, um solche Gegenstände vorzustellen", was dann des weiteren auch in Hinsicht auf diese unbekannte, ihrerseits etwa als wirkliches Wesen angenommene andere Anschauung gelten müßte, „und so ins Unendliche"71. Es beruht demgegenüber das Bewußtsein des denkenden Wesens 'Mensch' vom Raum als der Form seiner Rezeptivität nicht auf Rezeptivität, wie sehr dann allerdings das im Gedanken 'außer mir' liegende Heraustreten des Ich aus seiner bloßen Selbstbezüglichkeit als Bedingung dafür anzusehen ist, rezeptiv in Hinsicht auf dasjenige zu sein, das im durch ihn eröffneten Raumaspekt als das mannigfaltige Materiale der Anschauung nur hingenommen werden kann. Dieses Hinnehmen betrifft aber nicht die Form des Hinnehmens. Es gehören, so Kant, Erscheinungen von Gegenständen, „deren Vorstellungen wir äußere nennen, ... eben sowohl blos zum denkenden Subjecte, als alle übrige

69 70

71

A 370f. Auch Dieter Sturma (1989, S. 377) stellt bei Kant die Position eines sowohl gegen die dogmatische Ich-Metaphysik wie gegen den reduktionistischen Ansatz eines egologischen Skeptizismus abgegrenzten unaufhebbaren Zusammenhangs von Selbstbewußtsein und Bewußtsein eines Außer-mir heraus: „Wenn Selbstbewußtsein keine reine Selbstbeziehung ist, dann muß es im internen Zusammenhang mit einer Referenti al itat gedacht werden, die nicht ausschließlich als Selbstreferentialität definiert ist. Selbstbewußtsein ist demnach eine selbstreferentielle Differenzierung, die ich dadurch vollziehe, daß ich mich implizit auf etwas anderes als mich selbst beziehe." OP, Ak XXII, 434

1. Anschauungsformen und Apperzeption

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Gedanken"; sie haben nun allerdings „dieses Täuschende an sich ... : daß, da sie Gegenstände im Räume vorstellen, sich gleichsam von der Seele ablösen und außer ihr zu schweben scheinen"72. In dieser möglichen Täuschung wird der Gedanke mit der Bedeutung 'außer uns' abstraktiv, doch bei fehlendem Bewußtsein der vollzogenen Abstraktion, um das 'uns' verkürzt, und es verbleibt der eines bloßen 'außen'. Er wird so verkürzt um das Selbstbewußtsein, zu dessen Unmittelbarkeit er ursprünglich gehört und das sich durch ihn aus sich heraus richtet, um so in der Entfaltung zu Mannigfaltigem hin auch nur in seiner Selbstbezüglichkeit sich erhalten zu können. Eine Ausdrucksweise, die hier wie im Vorigen teleologische Anklänge hat, folgt nur der schon angeführten universellen Aussage Kants, daß alles Denken auf Anschauung „abzweckt"73, wodurch also Anschauung klar als ein Zweck des Denkens angesprochen ist. Es ist nun also möglich, den Gedanken 'außer uns' auf den einer bloßen, für sich und ohne das 'uns' genommenen Äußerlichkeit zu reduzieren. Unter Beibehaltung des Bewußtseins der damit vollzogenen Abstraktion und unter Vermeidung einer Dogmatisierung dieses Gedankens ist das nach Kant auch legitim. So findet diese Reduktion etwa in den empirischen Wissenschaften statt (worunter hier also die auf den Raum bezogenen zu verstehen sind): „In allen Aufgaben, die im Felde der Erfahrung vorkommen mögen, behandeln wir jene Erscheinungen als Gegenstände an sich selbst, ohne uns um den ersten Grund ihrer Möglichkeit (als Erscheinungen) zu bekümmern" 74 .

Allerdings liegt damit eine von der Unmittelbarkeit im Gedanken 'außer uns' gelöste spezielle, ihrerseits sekundär zu nennende Behandlungsart vor, in die sich das Ich, insofern es hier von seiner Unmittelbarkeit abzugehen und sich selbst nicht mit zu beachten hat, erst verfügen muß. Die An-sich-Betrachtungsweise des Äußeren ist demnach als eine besondere Einstellung erst nachträglich und mittelbar eingenommen, nämlich vermittelt über den Schritt eines ausdrücklichen Sichnicht-Kümmerns um den ersten Grund der Möglichkeit der Erscheinungen im Gedanken 'außer mir'. In dieser Betrachtungsweise ist der (hier in seiner Räumlichkeit angesprochene) Gegenstand nicht mehr als das Ziel eines Richtungnehmens durch den Gedanken 'außer mir' thematisch, d.h. nicht mehr als der äußere Gegenstand eines auf Äußeres gerichteten Gedankens, sondern nur noch als der äußere Gegenstand als solcher. Anders ausgedrückt, wird so in der Immanenz der empirischen Wissenschaft (als einer sekundären Einstellung) davon abgesehen, daß der in der Anschauung äußere Gegenstand ein solcher ist, worauf das Denken „abzweckt". Ihren Aufgaben im Feld der Erfahrung gemäß kümmert sich empirische Wissenschaft nicht um den Grund der Erscheinungen als Erscheinungen,

72 73 74

A 385 A19/B33 A 393

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1. Anschauungsformen und Apperzeption

sondern setzt Erscheinung als solche voraus und fragt nach dem Grund von Erscheinungen so, daß sie etwa andere Erscheinungen als Naturursachen zu den fraglichen sucht. Sich nun aber anders als hier unter transzendentaler Fragestellung um den ersten, und zwar nicht erschlossen ersten, sondern unmittelbar ersten Grund der Möglichkeit der Erscheinungen als Erscheinungen zu kümmern, zwingt dazu, das Äußere ursprünglich - vor der etwaigen abstrahierenden Rede vom Äußeren als solchen - als ein 'außer mir' anzusehen. Im Gedanken des Äußeren als eines 'außer mir\ welcher vollständige und um nichts reduzierte Gedanke als der notwendige Äußerlichkeitsgedanke transzendentalen Selbstbewußtseins nicht täuscht, liegt nun die direkte Versicherung wirklicher Äußerlichkeit, weshalb Kant denn auch seinen vom Sich-Verstehen ausgehenden transzendentalen Idealismus einen empirischen Realismus nennen kann75. Die Versicherung der Wirklichkeit des Äußeren wäre demgegenüber durch seine Statuierung als ein Äußeres schlechthin an sich (nicht bloß wie in wohlverstandener empirischer Wissenschaft in der An-sichBetrachtungsweise genommen) gerade nicht möglich. Denn eben dieser Begriff einer äußeren Wirklichkeit an sich, d.h. ursprünglich nicht für mich, ist nicht faßlich zu machen und erzeugt nur den Schein einer profund eigentlich äußeren Wirklichkeit. Nach Kants weitestgehender Formulierung kann von der „Existenz der Materie" gesprochen werden (wobei in unserem Kontext bloß der formale Aspekt der Äußerlichkeit ihrer Existenz interessiert), „ohne aus dem bloßen Selbstbewußtsein hinauszugehen"76. Die Erkenntnis eines Äußeren ohne ein Hinausgehen erscheint zunächst zwar paradox und scheint auch der oben gegebenen Erklärung zu widersprechen. Doch zur Vermeidung eines hier naheliegenden Mißverständnisses macht Kant auf eine Äquivokation im Ausdruck 'außer mir' aufmerksam, durch deren Aufdeckung auch der mögliche Doppelsinn hinsichtlich des für menschliches Selbstbewußtsein erforderlichen Hinausgehens aus der bloßen Selbstbezüglichkeit des Ich hin zum synthetisch mit ihm Verbundenen vermieden wird. Die Zweideutigkeit ist, daß der Ausdruck 'außer uns' „bald etwas bedeutet, was als Ding an sich selbst von uns unterschieden existirt, bald was blos zur äußeren Erscheinung gehört"77. In Hinsicht auf das letztere ist zwar ein Hinausgehen aus der bloßen Selbstbezüglichkeit von Selbstbewußtsein erforderlich, doch nicht auf ein An-sich hin, wodurch die Bindung an das Ich als den Ursprung des Hinausgehens aufgehoben wäre. Das Hinausgehen, das nicht den Verlust des Ich bedeutet, schließt immer ein Auf-sich-selbst-Zurückbeziehen ein und geht also hin auf ein

75

76 77

vgl. A 370 - In einem vom An-sich-Verständnis des Äußeren befreiten Sinn bezeichnet er seine Position hier auch als die eines Dualismus; zum davon unterschiedenen Dualismus vgl. A 380. A 370 A 373

1. Anschauungsformen und Apperzeption

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Äußeres, das immer Äußeres für mich, d.i. Erscheinung, bleibt und gerade deshalb als wirklich Äußeres auch erkannt ist. Der Gedanke mit der Bedeutung 'außer uns' ist unser Gedanke (insofern in uns), und zwar mit einer derart notwendigen Bindung an unser Selbstverständnis, daß das menschliche Bewußtsein seiner selbst ohne ihn keinen Bestand haben könnte. Ein anderes Sich-seiner-selbst-bewußt-Sein des Menschen als einschließlich dieses Gedankens ist, so der Tenor der Kantischen Kritik am 4. Paralogismus der rationalen Psychologie, nicht erweislich. Als bloße Selbstbeztlglichkeit nicht zu hypostasieren, ist die mit dem 'in uns' angesprochene Innerlichkeit eine solche, die nur in bezug auf die Entfaltung des Vorstellens hin auf ein Äußeres sein kann, und umgekehrt ist das nicht zu hypostasierende Äußere nur äußerlich im Sinne einer auf ein Selbstbewußtsein hin zentrierten Sphäre. Diesen Zusammenhang drückt Kant aus, wenn er sagt, daß in seinem „System diese äußere Dinge ... Vorstellungen in uns"78 sind, oder auch, daß der empirische Gegenstand „äußerer heißt, wenn er im Räume ... vorgestellet wird", der „Raum aber ... nur in uns anzutreffen" 79 ist. Raum ist somit eine Gestalt subjektiver Organisiertheit von Erkenntnis. Die Frage, ob es in seiner epistemologischen Einschätzung dabei bleiben muß, ihn als eine Vorfindlichkeit bloß in uns anzutreffen, oder ob er sich vielleicht gesteigert als eine Gestalt subjektiver Selbstorganisation wird verstehen lassen, wird später noch beschäftigen. Auch in bezug auf das schon benannte spezielle Problem im Verhältnis zwischen Denken und Ausdehnung, das die Körperlichkeit des Menschen selbst darstellt, sieht Kant die Schwierigkeiten traditioneller Auffassungen darin begründet, daß man dort diese äußere Erscheinung ebenso wie alle anderen „von dem denkenden Subjekte" - und das heißt zuletzt: von Selbstbewußtsein - „völlig abtrennt"80 und für ein dem denkenden An-sich-Sein entgegengesetztes An-sich nimmt. Auch die daraufhin auftretenden Vermittlungsprobleme, die, wie schon angeführt, etwa zu dem nicht einsichtig zu machenden Lösungsversuch führen, daß sich ein transzendentes „drittes Wesen deshalb ins Mittel schlagen müsse" 8 ', werden dann vermieden sein, wenn wie die anderen äußeren Dinge so auch dieses als der eigene Körper „auf das unmittelbare Zeugniß meines Selbstbewußtseins"82 existiert. Es ist nun über das Bisherige hinaus bemerkenswert, was in diesem speziellen Fall das unmittelbare Zeugnis beinhaltet und auf welche Weise darin der eigene Körper vorgestellt ist. Es ist dies bei Kant im gegebenen Kontext zwar nicht explizit ausgeführt, geht aber doch indirekt aus der Bestimmung dessen hervor, worauf

78 79 80 81 82

A 371 f. A 373 A 389 A 391 A 371, Hervorh. Vf.

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1. Anschauungsformen und Apperzeption

er mit seiner Lösung eine Antwort gegeben haben will, d.h. aus der Bestimmung dessen, wie die als beantwortet beanspruchten Fragen lauteten. Als die Hauptfragen, die „nirgends anders, als durch obige Untersuchungen entschieden werden können", formuliert er selbst die nach der „Möglichkeit der Gemeinschaft der Seele mit einem organischen Körper" und nach dem „Zustande der Seele im „Z,eben des Menschen"8\ Diese also als gelöst beanspruchten Fragen gehen ersichtlich nicht schlicht auf die Klärung des Problems der Gemeinschaft des Denkens mit dem Ausgedehnten, wozu der Ausdruck 'Körper' des Zusatzes 'organisch' nicht bedurft hätte. Der Anspruch Kants, das traditionelle Problem einschließlich dieses zusätzlichen Aspekts gelöst zu haben, muß also den Anspruch mit befassen, daß auf das angeführte unmittelbare Zeugnis des Selbstbewußtseins der eigene Körper - die erste Manifestation des Gedankens in uns, der ein 'außer uns' meint - als ein lebendiger Organismus existiert, d.h. als Leib, und nicht wie ein beliebiger anderer Körper der bloß physischen Natur. Das bedeutet, daß diese „Fundamentalerscheinung"84 der eigenen Körperlichkeit, das erste Phänomen des diskutierten 'außer uns'-'in uns' - Verhältnisses, offenbar nicht bloß als ein mathematisches Raumphänomen betrachtet ist, sondern daß nach allem, was bisher über Organismus und Leben zu sagen war, der eigene Körper als die Manifestation einer Zweckmäßigkeit in diesem 'außer uns'-'in uns' - Verhältnis angesehen ist, d.h. einer Zweckmäßigkeit des Verhältnisses zwischen dem Denken im Verständnis selbstbezüglichen Bewußtseins und seinem notwendigen Gedanken einer Äußerlichkeit, die mit ihm als dem organisierenden Prinzip immer rückbezüglich verbunden bleibt. Die Unmittelbarkeit des Selbstbewußtseins im fundamentalen Gedanken eines 'außer sich' als des eigenen Körpers, diesen als organischen Körper verstanden, ist Unmittelbarkeit eines Leibbewußtseins, woraufhin mit Kant wie überall sonst wider die rationalen Psychologen zu fordern ist, daß man es nicht „von dem denkenden Subjecte gänzlich abtrennt"85. Entgegen solcher Abtrennung ist Denken hier also nur Denken in der notwendigen synthetischen Verbindung mit leiblichem Bewußtsein, wobei das Besondere dieses Leibbewußtseins ist, Bewußtsein seiner selbst als lebendiger Organismus zu sein. Solches Leibbewußtsein muß, insofern das Fundamentalphänomen des erörterten 'außer uns'-'in uns' - Verhältnisses betreffend, als das Bewußtsein einer sich ins räumlich Erscheinende hinein sich erstreckenden Lebendigkeit angesehen werden. Das denkende Subjekt als unmittelbar vom Leib Zeugnis gebend, gibt demnach unmittelbares Zeugnis von einem auf ein Innerliches bezogenen, mehr noch von einem von diesem Innerlichen und seinem Gedanken her ausgelegten Äußerlichen, wobei dieses Verhältnis unter dem Titel 'Leben' steht. Der durch Denken unmittelbar bezeugte Leib, als solcher sozu-

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A 384, Hervorh. Vf. A 778/B 806 A 389

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sagen das äußere Leben, ist in der ausgeführten notwendigen Verbindung als unabtrennbar vom Denken selbst als innerem Leben anzusehen. Es bleibt also mindestens in dieser Veräußerlichung als Leib, die wie alles andere Äußere Veräußerlichung in unserem Gedanken 'außer uns' ist, der Aspekt der Lebendigkeit erhalten. Die Frage, ob der angesprochene und hier involvierte Zweckgedanke auch auf das entferntere Äußere Anwendung finden kann, wird noch aufgegriffen werden.86 Bei aller bisherigen Betonung der Vorstellung 'außer mir' als eines Gedankens in mir, woraufhin diese Vorstellung auch in einer mit Denken - wie angeführt die einzige innere Tätigkeit, die wir kennen - zu verbindenden aktivischen Ausdrucksweise erläutert wurde (sich nach außen richten, auf ein Äußeres abzwecken, aus sich hinaustreten, sich erweitern), ist doch nicht außer acht zu lassen, daß Kant in seiner 'Transzendentalen Ästhetik' (und nicht nur dort) alle Außenbeziehung in einem solchen Verständnis der Vorstellung des Raums zuschreibt (diese allerdings als „nicht durch Erfahrung erborgt"87 angesehen), daß diese Vorstellung eine von der Selbsttätigkeit des Denkens abgehobene subjektive Anschauungsform sein soll, der doch gerade der Sinn 'Form der Rezeptivität' anhängt. Obwohl nun das später noch zu behandelnde, spezifisch und unterschieden vom schon ausgemachten unbestimmten Denken erst eigentlich als ein Denken zu bezeichnende Vorstellen nach Art der reinen Verstandesbegriffe vom Anschauen wird abgehoben bleiben müssen, insofern diese als Begriffe allgemeine, etwas unter sich enthaltende Vorstellungen sind, ist doch die Frage, ob die Gesichtspunkte der Spontaneität und der Rezeptivität es sind, die das Denken des Verstandes in Begriffen und das Anschauen vermittels Anschauungsformen trennscharf unterscheiden lassen. Die Tendenz in der Beantwortung dieser Frage wird dahin gehen, an den Anschauungsformen, ohne daß sie dadurch ihren Charakter als Formen der Rezeptivität verlieren müssen, doch den vorgängigen Aspekt einer sich durch sie ausdrücken-

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In die Kontinuität dessen, was durch die zum Beleg der Auffassung Kants zur Einheit des Denkens mit leiblichem Bewußtsein angeführte Stelle der Kritik der reinen Vernunft erst angedeutet ist, läßt sich die entwickeltere Position des Opus postumum stellen. Danach ist ausdrücklich von einer Selbstverräumlichung des Subjekts im Verständnis einer apriorischen Verräumlichung zu leiblicher Lebendigkeit zu sprechen, von der her auch noch der Übergang zum dem Leib äußerlichen Natursystem als einem organischen System zu gewinnen ist, insofern die Erschließung dieses Äußerlichen nur gemäß der organischen Verfaßtheit dieses Leibes möglich ist. In der Sprache des Opus postumum betrifft dieser Übergang den Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik, wobei diese nun aber vollends nicht in einem Newtonischen Verständnis zu nehmen ist. Vgl. zu dieser Thematik Kurt HUbner (1953), Friedrich Kaulbach (1963, bes. S .482 u. S. 488), Gerhard Lehmann (1963, bes. S. 502 - 505) und Felix Duque (1984), der als Orte des ,,Vorspiel[s] der Lehre von der Leiblichkeit im Opus postumum noch die den Raum gegenüber der Zeit emanzipierende 'Widerlegung des Idealismus' innerhalb der Kritik der reinen Vernunft und Β 812 angibt (S. 394). A23/B38

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1. Anschauungsformen und Apperzeption

den Aktivität des Vorstellens herauszustellen, die als innerlich begründete sogar forciert als Selbsttätigkeit oder Spontaneität anzusprechen sein wird. Wenn bei einem solchen Ergebnis daran festgehalten wird, daß Denken die einzige innere Tätigkeit ist, die wir kennen, wenn zweitens gilt, daß das Begehren das einzige innere Prinzip ist, sich zur Tätigkeit (hier also der Denktätigkeit) zu bestimmen und wenn schließlich, wie oben ausgeführt, beides im Begriff des Lebens vereinigt gedacht wird, dann wird ein Vorstellen in den Formen der Anschauung seinem Spontaneitätsaspekt nach als in einen erweiterten, nicht auf das begriffliche Vorstellen festgelegten Begriff des Denkens und auch als in den Lebensbegriff integriert angesehen werden können. Daß Kant etwas als Denken anspricht, das allem bestimmten Denken in Begriffen vorhergeht, worin sich dann allerdings Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung erst erfüllt, daß er also ein unbestimmtes, auf Bestimmung erst zielendes Denken kennt, wurde mit Bezug auf das nur zeitlich und räumlich mögliche - Daseinsbewußtsein, d.i. Apperzeption als das Bewußtsein, daß ich bin, schon herausgestellt. Zunächst soll nun die projektierte Spontaneität in der durch Anschauungsformen charakterisierten Rezeptivität entwickelt werden. Diese Rezeptivität wird sich mindestens mit Berufimg auf den späten Kant des Nachlaßwerks, aber nicht ohne Anhalt in der Kritik der reinen Vernunft selbst dafilr, die Verbindungslinie dorthin zu ziehen, als eine Rezeptivität durch Spontaneität auffassen lassen.

2. Rezeptivität durch Spontaneität Die durch die Opposition von Spontaneität und Rezeptivität in der Zuordnung zu Verstandesbegriffen (Kategorien) einerseits und zu Anschauungsformen andererseits zunächst wohl unvermeidlich als einander ausschließend evozierten Vorstellungen verlieren ihre strikte Gegensätzlichkeit in der Erklärung des denkenden Subjekts als eines durch seinen Gedanken 'außer sich' sich erweiternden Subjekts, wobei eine Spontaneität auch für das Vorstellen qua Anschauungsformen statuierende Erklärung den Aspekt der Rezeptivität doch auch nicht eliminieren darf, wenn die genannte Opposition nicht völlig obsolet werden soll. Ein sich erweiterndes Denken - unter dem Raumgesichtspunkt durch seinen Gedanken 'außer sich'ist als erste Bedingung dafür anzusehen, daß es als ansonsten einfaches, d.h. Unterschieds· und bestimmungsloses Denken zu einem bestimmten Denken werde. Denn vor einem dann erst sinnvoll anzusetzenden Vereinigen in Begriffen und Urteilen ist primär erforderlich, überhaupt Mehreres, Differenziertes, auf allgemeinste Weise Mannigfaltiges vorzustellen. Ein Denken, das sich durch seinen Gedanken 'außer sich' aus der unterschiedslosen Beschlossenheit in sich selbst öffnet, antizipiert Mannigfaltigkeit. Insofern nun aber durch seine bloß formale Antizipation kein Inhalt des Vorstellens mit antizipiert oder hervorgebracht ist (wie etwa durch einen denkbaren göttlichen intellectus archetypus), sondern dieser Inhalt dann in der durch den Gedanken eröffneten Außenperspektive in der Tat empfangen werden muß, kann das Denken auch so angesehen werden, daß es sich durch seinen Gedanken 'außer sich' ein Empfangen ermöglicht, d.h. sich durch ihn die Empfänglichkeit des Vorstellens erzeugt. Der Gedanke 'außer sich' als Ausdruck eines sich erweiternden Denkens stellt, so verstanden, die ihrerseits produktive Antizipation eines Empfangens dar; durch ihn eröffnet sich Sinnlichkeit als die Rezeptivität des Vorstellens. Nicht mit dem Blick darauf, wovon die Vorstellung 'außer sich' als dem sich erweiternden Denken ausgeht, sondern mit dem Blick darauf, wofür sie Bedingung ist und was sich durch sie eröffnet, nämlich ein Besetzt-werden-Können durch hinzunehmende Inhalte, kann diese Vorstellung auch 'Anschauungsform' in dem Sinn genannt werden, daß dadurch das Vorstellen in seiner Passivität thematisch ist. Unter dem Aspekt des sich erweiternden Denkens aber gehört die Vorstellung 'außer uns', d.i. ein Gedanke in uns, der ein 'außer uns' (Raum) meint, zum Entwurfscharakter des denkenden Subjekts. Durch seinen Entwurf ist ein vorzustellender Inhalt nicht schon mit entworfen; durch einen solchen muß es, was aber unter der Bedingung des Entwurfs steht, affiziert sein. Das mit dem Gedanken 'außer sich' sich erweiternde Denken erweitert sich demnach auf ein Empfangen-

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Können, d.h. auf Rezeptivität hin. Insofern durch seinen Entwurf erst ermöglicht ist, affiziert zu sein, kann nun einschließlich der darin liegenden Rückwendung auch von SelbstafFektion gesprochen werden. Den Blick allein auf die Kritik der reinen Vernunft gerichtet, mag der Gedanke einer der Rezeptivität zu ihrer Ermöglichung voranzustellenden Spontaneität des in erweiterndem Denken aus sich hinaustretenden Subjekts - ob durch den Gedanken räumlicher oder auch den zeitlicher Extension - zu forciert erscheinen, so daß damit also Spontaneität, die in der Orientierung am Begriff des Lebens überall zu verfolgen ist, unberechtigterweise an Anschauungsformen festgemacht wäre. In der Tat ist die erste Kritik dazu ambivalent und legt ihrer einen Tendenz nach nahe, die Formen der Rezeptivität als solche anzusehen, die schlicht „im Gemtlthe a priori bereit liegen", die darin „angetroffen werden"88 oder seine ihm eben „anhängenden Bedingungen"89 sind, hinter die kein weiteres Nachfragen zurückkommen kann. Solche Nachfrage ist aber gerade unter dem von Kant selbst errichteten Systempostulat, oder anders unter dem von ihm betonten architektonischen Interesse der Vernunft, unerläßlich und muß also hinter die bloße Doppelung nach Spontaneität und Rezeptivität auf den durch 'Gemüt' doch ausgedrückten Singular gehen. Vom Gemüt übrigens, das dort kein anderes sein wird als das der ersten Kritik einschließlich seines Vorstellungsvermögens vermittels Anschauungsformen, heißt es in der dritten Kritik - zwar eingebunden in die auch syntaktisch verwickelte Behandlung eines komplexen Sachverhalts unter dem Titel ästhetischer Urteilskraft, aber doch als allgemeine affirmative Aussage herauslösbar - , daß es „für sich allein ganz Leben (das Lebensprinzip selbst) ist"; und zwar ist der weiteren Aussage nach solches Leben „bloß Bewußtsein seiner Existenz"90, was wiederum die Verbindung zum schon angeführten apperzeptiven Daseinsbewußtsein ziehen läßt, das seinerseits, wie gesehen, als das Bewußtsein, daß ich bin - jetzt nahegelegt als: daß ich lebe - nur in seiner Erweiterung auf zeitliches und räumliches Vorstellen hin möglich ist. Das Gemüt wird im Spontan-Sein und - wenn „ganz Leben", so in seinem erst als sekundär anzusetzenden - Rezeptiv-Sein jedenfalls ein Gemüt sein müssen, d.h. als in Anschauungsformen rezeptiv vorstellendes dasselbe wie als Inbegriff der ihm dann ebenso zugeschriebenen Formen des Verstandes. Der angeführten einen Tendenz der ersten Kritik nach betont Kant allerdings den „Gegensatz" der Wissenschaften von den „Principien der Sinnlichkeit a priori" (Transzendentale Ästhetik) und der „Principien des reinen Denkens" (Transzendentale Logik)91. Der Begriff eines Gegensatzes ist aber eher unbestimmt und läßt durchaus Auswege auf ein integrierendes Modell hin offen, auch auf ein sol-

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A20/B34 A43/B61 KDU, Ak V, 278 A 21/B 35f.

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ches hin, worin der Sponanteität des Gemüts insgesamt der Primat vor seiner Rezeptivität zukommen kann. Spontaneität in Verbindung mit Anschauungsformen kann allerdings dann nicht in den Blick kommen, wenn diese Formen, Raum und Zeit, allein von der Nachträglichkeit und von der eben zu erleidenden Beschaffenheit dessen her gesehen werden, für dessen Auftreten sie formale Bedingungen sind, d.h. vom empfindungshaft Materialen her. Sie sind so sicher nicht schlechthin falsch, vielleicht aber doch nur unter einem eingeschränkten und nachträglichen Gesichtspunkt gesehen. Jedenfalls wird in dieser Betrachtung ihr behaupteter apriorischer Charakter sicher nicht nach Art eines Zurückverfolgens dieser Formen auf ein etwaiges Erzeugt-Sein thematisch werden können. Diese Sicht kann dann, wobei zu erinnern ist an das behandelte, vom Gedanken 'außer mir' abstraktiv ablösbare Außen, zu so mißverständlichen Formulierungen wie der Anlaß geben, daß die „Form der Anschauung (Raum und Zeit)... nicht in der Vernunft selbst liegt, sondern anderwärts, nämlich von der Sinnlichkeit, hergenommen werden muß"92. Auf diese Weise von einem zur Vernunft Anderwärtigen hergenommen, könnten diese Formen nicht, wie oben geschehen, als die sinnlichra//o«a/e« bezeichnet werden und nicht, wie gefordert, zum systematisch geordneten Inventar aller Besitze durch reine Vernunft93 gehören; die Kritik der reinen Vernunft handelte so erst beginnend mit der 'Transzendentalen Logik' von der Vernunft94. Diese in Frage zu stellende vereinseitigende Sicht ist etwa auch durch die Aussage ausgedrückt, daß die Zeitbedingung des Vorstellens deshalb zur Rezeptivität in der Unterscheidung von der Spontaneität gehört, weil sie abhängt „von einer Bedingung ... , in Ansehung derer mein Vorstellungsvermögen leidend ist"95, wobei darunter immer das durch Empfindung bekannt werdende Materiale des Vorstellens zu verstehen ist. Von dieser Bedingung, daß nämlich ein nicht hervorgebrachter Inhalt in das Vorstellen involviert sein muß, werden auch die reinen Verstandesbegriffe nicht frei sein, die immer auf Wahrnehmung und damit auch auf Empfindung bezogen werden müssen, um nur irgendeinen Gebrauch und Bedeutung haben zu können, was aber Kant nicht dazu bringt, ihre Spontaneität in Frage zu stellen. Die für die Zuordnung der Anschauungsformen zu einer aus Spontaneität ausgegrenzten Rezeptivität angegebene fragwürdige Begründung mit Verweis auf ein Erleiden-Müssen der Gehalte des Vorstellens ist auch nicht durch den Hinweis

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KPV, Ak V, 65f. vgl. A XX In zustimmender Anknüpfung an Heinz Heimsoeths Deutung des Raums (1926, S. 36) als „anschaulich-apriorische[r] Fundamentalfunktion der menschlichen Vernunft" heißt es bei Bruno Liebrucks (1968, S. 316) dagegen mit Recht: „Die Form der Anschauung trägt in dem, was sie hervorbringt, die Züge der Vernunft. Die Kritik der reinen Vernunft durch sich selbst muß sich daher schon auf die Form der Anschauung erstrecken und nicht erst dort, wo Vernunft auch in den Worten auftritt." ANTH, Ak VII, 142

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2. Rezeptivität durch Spontaneität

darauf zu verbessern, daß das begriffliche Vorstellen unterscheidend als ein mittelbares anzusehen ist. Die Mittelbarkeit der Beziehung auf ein Erlittenes bedeutet keine prinzipielle Lösung von dieser Bedingung. Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit eignen sich demnach nicht als Kriterien für die Zuordnung von Formen des Erkennens zu Spontaneität und Rezeptivität. Daß die apriorischen Formen der Erkenntnis nur in Hinsicht auf einen erlittenen Inhalt Bedeutung haben, gilt sowohl für Anschauungsformen wie für Verstandesbegriffe. Es müssen Anschauungsformen nicht aufgrund ihrer unvermittelten Nähe zum erlittenen Inhalt zu so etwas wie selbst erlittenen oder, wenn schon im Gemüt, so darin doch bloß anzutreffenden Formen werden. Demgegenüber wird die angesprochene Zeit - durchaus auch mit Berufung auf Kant - nicht bloß als erlittene oder als nicht weiter befragbar im Gemüt angetroffene formale Vorstellung des Subjekts der Erkenntnis angesehen werden können, sondern als eine solche, die die eigene Tätigkeit des Subjekts erfordert, wodurch es sich über die schon diskutierte, bloß abstraktiv zu denkende Zeitlosigkeit des einfachen, nichts Mannigfaltiges enthalten könnenden, zu gar keinem Vorstellen zulänglichen Augenblicks hinaus das Erleiden in Hinsicht auf Mannigfaltiges im sukzessiven Wechsel des Besetzt-Seins durch Inhalte erst selbst ermöglicht. Dieser noch zu entfaltenden Deutung nach bestimmt sich ein spontanes Subjekt, hier zeitsetzend über sich hinausgehend, zum im Nacheinander dieser gesetzten Zeit stattfindenden Erleiden und Besetzt-Werden durch Inhalte. Das mag als einheitliche Interpretation hinsichtlich der Kritik der reinen Vernunft selbst zu weit gehen, ist aber mindestens in der weiteren Konsequenz ihrer im Punkt des Verhältnisses von Spontaneität und Rezeptivität offen gelassenen Probleme zu verfolgen möglich. Die entwickelte Auffassung ist, wie noch wird gezeigt werden können, von Kant selbst dort vertreten, wo er ausdrücklich im Systeminteresse Übergänge zwischen vermeintlich noch voneinander abstehenden Systemteilen thematisiert. Gemeint ist das Opus Postumum. In den Kontext seiner allgemeinen Übergangsthematik gehört auch das Thema des Verhältnisses zwischen Spontaneität und Rezeptivität, das hier nun klar im Sinne einer durch Spontaneität erzeugten Rezeptivität zur Behandlung kommt. Zunächst kann aber doch auch schon auf eine zweite Tendenz der ersten Kritik selbst Bezug genommen werden. Zumindest im Rückblick auf das, was „die Kritik behauptet hat", stellt sich für Kant ihre Behauptung so dar, daß das Erkenntnisvermögen, wobei hier an den Begriff des Vermögens als den der Möglichkeit der Handlung zu erinnern ist, die „Form der Dinge im Raum und der Zeit... aus sich selbst a priori zu Stande"96 bringt, diese also nicht bloß als irgendwie bereitliegend in sich antrifft. Dieser Rückblick wird sich etwa auf eine Stelle in der 'Allgemeinen Anmerkung zur Transzendentalen Ästhetik' beziehen können. Hier ist aus-

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ÜEE, Ak VII, 209

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drücklich die Aussage getroffen, daß die Vorstellungsart 'Zeit' eine Tätigkeit des Gemüts ist, die ihr Resultat darin hat, daß schließlich „wir unser Gemüth besetzen"97 mit in die Zeit gesetzten inhaltlichen Vorstellungen. Die These lautet genauer: Die Zeit als „die Form der Anschauung" - und als solche wird sie auch Form der Rezeptivität bleiben müssen - ist „die Art, wie das Gemüth durch eigene Thätigkeit... , mithin durch sich selbst afficiert wird", nämlich durch ein „Setzen seiner Vorstellung"98. Es ist hier also die Rede von einem selbsttätigen Gemüt, das nach der Art zeitlichen Vorstellens als ein setzendes selbsttätig ist. Nach der besonderen Beschaffenheit des zeitlichen Vorstellens kann das nur heißen, daß es im Setzen eines Nacheinander selbsttätig ist, was zu paraphrasieren ist durch das Setzen eines 'Dann' zu einem 'Jetzt' und so durch das Hinausgehen aus einer gedachten bloß punktuellen Augenblicklichkeit, worin als solcher gar kein Vorstellen stattfinden könnte. Nach der gegebenen Erklärung verleiht das selbsttätige Gemüt dem 'Jetzt' einen Richtungssinn und gibt so den Verweis auf ein 'Dann'. In seiner setzenden Selbsttätigkeit ist kein 'Jetzt' etwas für sich selbst, sondern immer nur mit dem Richtungssinn auf das 'Dann', d.h. mit der Tendenz auf zeitliche Extension, allgemein auf Mannigfaltiges hin. Zeitlichkeit als an Selbsttätigkeit gebunden ist nicht Datum oder Gegebenheit, sondern Produkt. Das dieses Produkt produzierende Vermögen nennt Kant in seiner 'Deduktion' dann Einbildungskraft, nachdem er in der 'Transzendentalen Ästhetik' trotz der herangezogenen Stelle als den Anschauungsformen zugeordnetes Vermögen allein den Sinn aufführt (speziellere Funktionen von Einbildungskraft werden unten - insbesondere unter dem Titel der formalen Anschauung - noch thematisiert werden). Es stellt nun ein selbsttätiges Setzen noch kein durch den Ausdruck 'Selbsta/"fektion' bezeichnetes Erleiden dar. Doch ist mit dem selbsttätigen Aus-sichHinausgehen des Gemüts, wobei diese Formulierung gleichermaßen auf den Raum anzuwenden wäre, oder mit seinem antizipierenden Sich-Vorweggehen bei darin gewahrter Rückbezüglichkeit die Möglichkeit eröffnet, affiziert zu werden, d.h., es ist auf allgemeinste Weise die Perspektive hin auf ein Mannigfaltiges eröffnet, so daß ein materialiter Mannigfaltiges in der gesetzten Form dann besetzen kann. In der selbsttätig gesetzten Form findet so ein Besetzt-Werden statt, wobei das materialiter Mannigfaltige in seiner Inhaltlichkeit allerdings bloß hinzunehmen ist. Anders ausgedrückt, ist durch solche Selbsttätigkeit Rezeptivität als Möglichkeit des Empfangens eröffnet. Die Bedingung zeitlichen Sich-Vorweggehens als Selbsttätigkeit betonend, kann dann, wie angeführt, davon gesprochen werden, daß das Gemüt durch eigene Tätigkeit sich selbst affiziert, obwohl dadurch nicht ge-

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Β 67 Β 67f.

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sagt ist, daß es auch den „Stoff..., womit wir unser Gemüt besetzen"99 hervorgebracht hätte. In bezug auf die Inhaltlichkeit der „Wahrnehmung von dem Mannigfaltigen", wozu Selbsttätigkeit durch ihr Setzen formal die Perspektive eröffnet, bleibt es dabei, daß „dieses ohne Spontaneität im Gemtlthe gegeben wird"100, und insofern Zeit daraufhin Form ist, ist sie Form der Rezeptivität und gehört zum Sinn.101 Mit der Selbstaffektion und mit einer durch Selbsttätigkeit erst zu erzeugenden Rezeptivität sind nun zentrale Lehren des Opus Postumum angesprochen. Hier heißt es: „Die Empfänglichkeit fürs Erkentnis (receptivit.) gründet sich auf die Facultat sie in sich selbst zu schaffen".102 In Hinsicht auf Raum und Zeit gleichermaßen spricht Kant von ,,Geschöpfe[n] meines Vorstellungsvermögens", von „Formen sinnlicher Anschauung ... da das Subject Kräfte ausübt"103, ja von Formen der „Selbstbestimmung des Bewußtseins"104 mit der „dynamischen Function ein Mannigfaltiges der Anschauung als Erscheinung zu setzen"105. Auf die Frage, woraufhin der „Act des Subjects selbst" im Vorstellen von Raum und Zeit geht, lautet die eine Finalisierung dieses Akts ausdrückende Antwort: auf deren Vorstellung als „Product der Einbildungskraft für den Sinn des Subjects"106; durch diesen Akt ist die Möglichkeit eröffnet und sind Raum und Zeit als die formalen Bedingungen dafür geschaffen, „afficirt zu sein"107. Durch ihn eröffnet sich demnach die Möglichkeit von Sinnlichkeit, worin als einer Empfänglichkeit ein durch den Akt nicht antizipierter Gehalt dann in der Tat erst empfangen werden muß; der

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Β 67 Β 68 Die frühe Kant-Interpretation Martin Heideggers (1991 (5.Aufl.); l.Aufl.1929) ist im Punkt des Zurückfragens hinter die vermeintlich unhintergehbare Opposition von Spontaneität und Rezeptivität hervorzuheben. Heidegger betont zum einen den eines anschaulichen Gehalts bedürftigen Charakter auch des Verstandes (vgl. S. 57f.) und zum anderen, das Formale daran betreffend, das nicht auf Rezeptivität reduzierbare sinnliche Vermögen: „Wenn Kant... den Verstand mit Spontaneität gleichsetzt, so schließt das ebensowenig eine Rezeptivität desselben aus, wie die Gleichsetzung von Sinnlichkeit ... mit Rezeptivität eine zugehörige Spontaneität ausgeschlossen hat. Am Ende rechtfertigt lediglich der Blick auf die empirische Anschauung die betonte und ausschließliche Charakteristik als Rezeptivität und entsprechend der Blick auf die 'logische' Funktion des Verstandes innerhalb der empirischen Erkenntnis die ausschließliche Betonung seiner Spontaneität und 'Funktion'."(S. 153) - Hermann Mörchen (1930) sieht in Interpretation von Β 67f. durch den Gedanken einer im Zeitsetzen liegenden Selbstaffektion „nahegelegt, daß in der Spontaneität selbst die Möglichkeit ftlr so etwas wie Rezeptivität liege"(S. 363). - Nachdrücklich hat Ingeborg Heidemann (1958) unter Anknüpfung an Β 66ff. (bes. S. 162-167) die Form der Zeit in ihrer Untrennbarkeit von Spontaneität herausgestellt, spezieller daß Zeit „in jeder Handlung, in jedem Denkakt zunächst und auch in jedem Willensakt... als solche notwendig entspringt" und so „transzendentale^] Produkt ist" (S. 260). OP, Ak XXI, 52 OP, Ak XXII, 70 OP, Ak XXII, 74 OP, Ak XXII, 44 OP, Ak XXII, 76; Hervorh. Vf. OP, Ak XXII, 35

2. Rezeptivität durch Spontaneität

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Akt ist aber im angesprochenen formalen Sinn die „Ursache der Wahrnehmung Gegenstand in der Erscheinung (Phaenomenon)" Wi und kann also auch als Akt der Selbstaffektion angesprochen werden. Insgesamt wird bei solcher Erläuterung verständlich, daß Kant von der reinen Anschauung, die den hinausgehenden, ein Hereinnehmen ermöglichenden „actus der Spontaneität" enthält, auch sagen kann: Sie enthält den „actus der ... Receptivität"109. In Hinsicht auf das Materiale der schließlich ermöglichten Anschauung ist weiterhin von der Passivität des Subjekts im Besetzt-Werden auszugehen110, aber unter dem Aspekt der Anbindung an den Akt der Ermöglichung des BesetztWerdens im Hervorbringen der Formen 'Raum' und 'Zeit', d.h. in Hinsicht auf die Selbstermöglichung von Sinnlichkeit überhaupt, kann zugleich von der Aktivität eines Sich-Besetzens im sinnlichen Vorstellen gesprochen werden.111 Der Aktivität im rückbezüglichen Akt ist dabei der setzende vorausgesetzt. Es ist nach Kant unsere „Sinnenanschauung ... zuerst nicht Wahrnehmung (empirische Vorstellung mit Bewußtsein)", was auch bedeutet, daß sie kein (in Wahrnehmung beinhaltetes) Empfinden ist, „denn ihr geht ein Princip voraus sich selbst zu setzen" durch Raum und Zeit als „Form dieser Setzung des Manigfaltigen"; zu diesem Setzen gehört

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OP, Ak XXII, 76 OP, Ak XXII, 28 Nachdem in Erörterung der Formen der Anschauung in der Kritik der reinen Vernunft der Ansatzpunkt genommen wurde und nachdem zuletzt zur versuchten fortgesetzten Klärung auf das Opus Poslumum Bezug genommen wurde, das in den angesprochenen Punkten als in Kontinuität zur ersten Kritik stehend und diese also rückblickend beleuchten könnend beurteilt wird, soll doch wenigstens erwähnt werden, daß es ein über das Betonte hinausgehendes Anliegen des Kantischen Nachlaßwerks ist, auch einen „a priori erweisliche[n] Stoff" (OP, Ak XXI, 223) zu statuieren, oder anders, selbst „ein System empirischer Vorstellungen a priori zu errichten, was sonst unmöglich zu sein schien, und die Erfahrung quoad materiale zu antizipieren " {OP, Ak XXII, 502). Dieser im übrigen in seiner Ausführung problematische Zug des Nachlaßwerks, von Kant selbst offensichtlich nicht als in Kontinuität zu Früherem, sondern als Neuansatz erachtet, soll hier nicht weiter verfolgt werden. Die These von einer in eine allumfassende 'activité spirituelle' integrierten Rezeptivitat findet sich bei Pierre Lachièze-Rey (1932), der auch das Opus Postumum zur Erhellung der ersten Kritik heranzieht, so daß Passivität demnach bedeutet (S. 239): „passivité de l'esprit a l'égard de l'objet qu'il a lui-même posé et non pas seulement passivité vis-a-vis de la chose". In Diskussion der ausführlichen Darstellung Lachièze-Reys durch Rudolf Heinz (1966, S. 41-146) gibt Rudolf Malter eine prägnante Positionsbestimmung des französischen Kant-Interpreten unter dem thematischen Aspekt (1967, S. 129): „Da zur 'activité spirituelle' ein Äußerliches nicht denkbar ist, ist der Kantische Begriff der Sinnlichkeit dann richtig verstanden, wenn er in seinem Charakter als Moment der 'activité spirituelle' durchschaut wird: Sinnlichkeit ist nach Lachièze-Rey für ein solches, von Kant selbst intendiertes (von ihm aber erst eigentlich im Opus postumum ausdrücklich artikuliertes) Verstehen keine für sich selbst geltende Gegebenheit, sondern die der 'activité spirituelle' immanente Notwendigkeit, sich selbst 'passiv' zu machen, d.h. sich im Zusichselbstkommen zu entäußern, um im Sichentäußem zu sich selbst zu kommen." Unter Vorbehalt wird bei LachièzeRey allerdings zu stellen sein, wenn er nahelegt (vgl. S. 236), daß auch der Kantische Versuch der Antizipation des empfindungshaften Gehalts (die Antizipation quoad materiale, des spatium sensibile) schon zur Tiefenstruktur des zur Zeit der ersten Kritik Intendierten gehört.

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nun noch, „sich dieser Position bewußt zu werden"112. Daß die Setzung als Setzung bewußt ist, schließt das Moment der Reflexion ein und bedeutet, daß sie nicht ein bloßes Hinausgehen darstellt, sondern daß darin die Rückbezüglichkeit auf das setzende Bewußtsein gewahrt bleibt. Die Einheit des Zusammenhangs, der sich durch den Akt der Spontaneität im Hervorbringen von Anschauungsformen und den Akt der Rezeptivität als einer Rückwendung aus dem 'außer sich' und 'sich vorweg' nach zwei Aspekten differenziert angeben läßt, besteht nach Kant in der in einer reinen Anschauung schließlich enthaltenen „Verbindung derselben" durch den „Act der Reciprocität"113. An dieser Stelle ist nun festzuhalten, daß bei einem Subjekt, das im spontanen Akt des Hervorbringens von Anschauungsformen sich den Akt des Empfangens ermöglicht, eine Opposition den widerstreitenden Charakter ihrer Momente verloren hat, die unter dem Titel von zwei gesonderten Stämmen der Erkenntnis, worunter dem intellektuellen Spontaneität und dem anderen in der bloßen Trennung davon Rezeptivität zugeordnet war, noch absolut bleiben mußte. Spontaneität ist nun nicht länger auf das intellektuelle Subjekt zu restringieren und charakterisiert jetzt gleichermaßen das sich durch seine Anschauungsformen auf ein Anschauen hin disponierende Subjekt. Mit dieser Gemeinsamkeit ist ein wesentliches Erfordernis des aus dem architektonischen Interesse der Vernunft heraus formulierten Systemanspruchs der Kritik der reinen Vernunft erfüllt, nach welchem Anspruch bei nach Spontaneität und Rezeptivität schlechthin getrennten Stämmen an Erkenntnisprinzipien nicht stehen geblieben werden kann. Im Positiven ist mit der Rückführung auf eine primordiale Spontaneität als Einheitsgrund eines systematischen Zusammenhangs von Erkenntnishandlungen, unter denen nach dem nunmehr spontanen Akt auch in der Eröffnung von Rezeptivität an nachgeordneter Stelle naturgemäß auch der Akt der Rezeptivität selbst vorkommt, ein elementares Erfordernis des oben entwickelten Begriffs des Lebens erfüllt. In der ersten Kritik sind zu dieser Rückführung auf ein hier wie dort spontanes Subjekt allerdings erst Ansätze feststellbar, und es ist danach in ihr mehr im Impliziten zu suchen. Allein durch das, was Kant den logischen Akt nennt, d.i. der Akt in der bloßen Selbstbezüglichkeit im Bewußtsein seiner selbst oder in der analytischen Einheit der Apperzeption, ist keine Affektion, keine Wahrnehmung eines Gegenstandes in der Erscheinung und auch keine Selbsterfahrung möglich. Es mag zwar heißen: „Der Verstand fängt mit dem Bewußtseyn seiner selbst [apperceptio] an und übt damit einen logischen Act aus an welchen sich das Manigfaltige der äußeren und inneren Anschauung reihet"114, doch ist das nicht so zu verstehen, daß dieses SichAnreihen sekundär hinsichtlich eines auch bloß für sich selbst möglichen primären

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O ^ . A k XXII, 420 OP, Ak XXII, 28 114 OP,Ak XXII, 82 113

2. Rezeptivität durch Spontaneität

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logischen Akts wäre. Das Anreihen des Mannigfaltigen - wie gesehen aktivisch als ein Selbstsetzen zu verstehen - gehört als solches schon zum Primären von Selbstbewußtsein, was denn auch unverfänglicher ausgedrückt ist, wenn Kant, hier den Raum ansprechend, sagt: Er wird „mit seinem Manigfaltigen ... als ursprüngliches Bewußtseyn seiner selbst, ein solches Mannigfaltige zu setzen, appercipirt"115. Nur als ein solches schon ursprünglich aus sich in seinem Setzen hinausgehendes synthetisches Selbstbewußtsein kann das Subjekt - insofern nämlich nicht für sich selbst ein existierender Gegenstand116 - sich selbst Objekt werden. Ohne sie ungesetzt, sind die Anschauungsformen „actus der Vorstellungskraft, sich selbst zu setzen, wodurch sich das Subject selbst zum Object macht"117. Durch bloße Anschauungsformen ist nun die verobjektivierende Selbstsetzung des Subjekts zwar fundiert, aber nicht vollendet, insofern durch sie das Subjekt erst „in der collectiven Einheit des Manigfaltigen der Anschauung sich selbst setzt"118, die in sich als eine Mannigfaltigkeit, eine kontinuierliche und in einem noch zu klärenden Sinn unendliche, noch nicht artikuliert ist.119 Durch Anschauungsformen setzt sich nach Kant das Subjekt „als Gegenstand in der Erscheinung (.dabile)" und denkt sich auch „synthetisch als (cogitabile) bestimmbar"120. Damit denkt es sich über seine bloße Anschaubarkeit hinaus noch als in der Anschauung nach bestimmten Begriffen denkbar, d.h. als erkennbar. Zu seiner Bestimmbarkeit wird in Absicht auf seine vollständig ausgeführte Selbstsetzung noch die dann auch realisierte Bestimmung durch Begriffe kommen müssen, wodurch in das als solches bloß aggregathafte Extension betreffende sinnliche Vorstellen auch erst Vorstellen als ein Unter-sich-Enthalten in allgemeinen Vorstellungen kommt, was

115 116 117

118 119

120

OP, Ak XXII, 41; Hervorh. Vf. vgl. OP,Ak XXII, 39 OP, Ak XXII, 88 - Nicholas Rescher (1991) stellt mit Bezug auf das Opus Postumum und Stellen wie die oben angeführten das Ego als „selbsterzeugtes Resultat eines Setzungs- oder PostulierungsAktes" (S. 92) heraus, seine Tätigkeit als „Akt der Selbstbehauptung und sozusagen der Selbsterzeugung" (S. 97). Nicht zu unrecht stellt er fest, daß damit „die Idee der Selbstsetzung als eine Tathandlung im Sinne Fichtes zum Vorschein" (ebd.) kommt. Abgesehen von einer bei Rescher fehlenden vollen Untermauerung dieses Hinweises auch durch den Einbezug des letztlich moralischpraktischen Aspekts der Selbstsetzung, der ebenso in der hier vorliegenden Untersuchung erst noch aufzuspüren sein wird, betont er mit Bezug auf Kants Entwicklung das Neuartige, also die Veränderung des Ansatzes im Opus Postumum, das dortige dynamische Ego vom angeblich Cartesisch formalen Ich der ersten Kritik vor allem unterscheidend (vgl. S. 97f. u. S. 102f.), womit er hinter seiner Ankündigung zurückbleibt, den alten Kant buchstäblich als verdeutlichenden „Kommentator des jüngeren Kant der kritischen Schriften heranzuziehen" (S. 89), der in Kontinuität zu diesen Schriften steht. OP,Ak XXII, 44 Mit Recht faßt Hoke Robinson (1981) den bei Kant kaum diskutierten Begriff der Mannigfaltigkeit entgegen dem Begriff einer „Vielheit von Einheiten" so, daß durch ihn ein „noch nicht differenziertes, nicht individualisiertes Feld" gedacht wird, das „den Stoff zum Differenzieren und Individualisieren darbietet", das also „keine Einheit" enthält, aber den „Stoff zur Einheit" (S. 144). OP, Ak XXII, 23

100

2. Rezeptivität durch Spontaneität

ein weitergehendes Erfordernis des auf Artikulation gehenden Systemgedankens ist. Anschauungsformen in Abhebung von den - künftig noch zu behandelnden Begriffen sind also durchaus noch „primitive Producte"121. Dennoch erfüllen sie aber auch schon als solche wesentliche Erfordernisse des Systembegriffs. Zwar erfüllen sie nicht das Erfordernis der bestimmten Artikulation der durch sie in ihrer Extension eröffneten Felder, doch aber nach der gegebenen Deutung sowohl das Erfordernis des innerlichen Begründet-Seins dieser Ausbreitung als auch - nach einer noch zu gebenden Deutung unter dem Titel der einen Zeit und des einen Raums - das Erfordernis der Ganzheit. Zu Kants Auffassung ihres innerlichen Begründet-Seins mag noch angeführt sein: „Das Vorstellungsvermögen (facultas repraesentativa) geht von innen hinaus mit etwas was sie selbst setzt (dabile) dem Räume u. der Zeit der Anschauung."122

121 122

OP, Ak XXII, 37 OP, Ak XXII, 73 - Gerhard Lehmann (1969, S.388) schlägt mit Bezug auf diese Stelle und das hier angesprochene Hinausgehen des Vorstellungsvermögens vor, den darauf beruhenden Erscheinungsbegriff einen „präsentativen" zu nennen, und er erläutert: „Die Erscheinung ... verdankt alles, was wir an ihr erkennen, dem sie zur Erfahrungswirklichkeit konstituierenden Subjekt; sie wird gleichsam hinausgesehen (Fichtes 'Sehe')." Dieser Hinweis auf Fichte ist nur zu bekräftigen, und es soll ihm, obwohl aus dem Rahmen dieser Untersuchung weisend, doch wenigstens im Ansatz gefolgt werden. Fichte (Werkausgabe 1845/46, Bd. 1-VIII) hat bekanntlich in seinem Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre in Rücksicht auf das theoretische Vermögen von 1795 eine Deduktion von Zeit und Raum beansprucht und Kants Kritik der reinen Vernunft entgegengehalten, hier seien Zeit und Raum „in dem Ich und für das Ich schon vorhanden" (I, 411). Dieselbe Kritik übt übrigens Schelling (Werkausgabe in 6 Bänden, 1985, Bd.l, S. 44) in seiner Schrift Vom Ich als Prinzip der Philosophie von 1795. Abgesehen davon, daß Einwendungen dieser Art wohl nur in der Restriktion des Blicks auf die 'Transzendentale Ästhetik' (und selbst daraufhin, wie gesehen, unter Nichtbeachtung einer gegenläufigen Tendenz) ein gewisses Recht haben, ist die weiter zugestanden für die erste Kritik auch ansonsten eher implizite - Nähe des Kantischen Ansatzes zu dem Fichtes im Expliziten deutlich in Reflexionen und schließlich dem Opus Postumum. Von Seiten Fichtes soll diese systematische Nähe, den Raum betreffend, kurz belegt sein. Es ist von Fichte Einbildungskraft als raumentwerfend verstanden, der Raum als „wirklich durch die Einbildungskraft gesetzt", d.i. „eine Kraft, die sich notwendig äußert, und die nicht gesetzt werden kann, ohne als äußernd gesetzt zu werden" (I, 400); ihre Äußerung ist hier buchstäblich als „Extensität" (I, 400) verstanden. Eine zweite Ausführung einer Raumdeduktion findet sich in Fichtes Die Bestimmung des Menschen aus dem Jahr 1800. Es ist hier, was nur im Resultat wiedergegeben werden kann, das geistige Vermögen des Ich verstanden als etwas, „das doch aus dir selbst hervorgeht, dir als ein Sein außer dir erscheinen könne, ja notwendig erscheinen müsse" als ein „in der Tat absolut unmittelbares Bewußtsein eines Seins außer dir" (11,228). Die Wendung 'in der Tat' ist hier für das Verständnis wesentlich, denn für Fichte ist dieses unmittelbare Bewußtsein ein unmittelbares Aktbewußtsein; in der Handlung des Raumanschauens äußert sich ihmnach akzentuiert die Lebendigkeit des Ich: „In allem Bewußtsein schaue ich mich selbst an; denn ich bin Ich: für das Subjektive, das Bewußtseiende, ist es Anschauung. Und das Objektive, das Angeschaute und Bewußte, bin abermals ich selbst, dasselbe Ich, welches auch das anschauende ist, - nur eben objektiv, vorschwebend dem Subjektiven. In dieser Rücksicht ist dieses Bewußtsein - ein tätiges //inschauen, dessen, was ich anschaue; ein Herausschauen meiner selbst aus mir selbst: Heraustragen meiner selbst aus mir selbst durch die einige Weise des Handelns, die mir zukommt, durch das Schauen. Ich bin ein lebendiges Sehen."(II, 228f.) Dieses Sehen hat nun unter dem thematischen

2. Rezeptivitat durch Spontaneität

101

In bezug auf den Raum gesprochen, sagt Kant, daß dieser als ein „Product des Vorstellungsvermögens als Selbsttätigkeit (Spontaneitas nicht Receptivitas)" dazu diene, „das aspectabile als cogitabile vorzustellen"123, was auch so ausgedrückt werden kann, daß in der Form dieses Produkts etwas „in der unbestimmten, doch bestimmbaren Anschauung, d.i. in der Erscheinung, gegeben ist"124. Nicht realisierte Bestimmtheit nach Begriffen, doch aber im Modus der Möglichkeit Bestimmbarkeit ist so der Anschauungsform schon als solcher zuzusprechen. Der Raum hat als „das Formale der Zusammenstellung ... in einem Aggregat der Sinnengegenstände", das, wenn es isoliert nach seiner Eigenschaft 'Kontinuität' mit ihrer Unendlichkeitsimplikation betrachtet wird, nichts Bestimmtes vorstellt, doch schon als solcher, nämlich als ein bestimmbarer, die „Tendenz zu einem System des Mannigfaltigen d.i. zum Behuf der Möglichkeit der Erfahrung"125. Speziell gesprochen, kann unter der Unbestimmtheit, aber Bestimmbarkeit des Raums etwa verstanden werden, daß er als eine kontinuierliche Größe (als solche unbestimmt) doch auf die Bestimmung nach Art des durch diskrete Einheiten bestimmenden Größenbegriffs hin disponiert ist und eine solche also zuläßt. Es sei hier neben dem oben angesprochenen zu etwas dienenden Raum noch auf die zuletzt aufgetretene, ungebräuchlich gewordene Wendung 'zum Behuf hingewiesen, die in der Anpassung an den heutigen Sprachgebrauch mit 'zum Zweck' zu übertragen ist. Durch beides ist die Anschauungsform 'Raum' in ihrer Finalisierung auf Erfahrung hin angesprochen, und zwar eben als ein Aggregat, das die Tendenz zum System hat. Rückgebunden an die Selbsttätigkeit des Vorstellungsvermögens betrachtet, zielt die das Produkt 'Raum' hervorbringende Spontaneität damit schon mit ihrem Raumentwurf als dem Entwurf eines Bestimmbaren auf Erfahrung als bestimmte, artikulierte und systematische. Daß Anschauungsformen, wie schon als These angeführt, aber noch nicht begründet, das Systemerfordernis der Ganzheit erfüllen, soll nun, vorbereitet durch eine Erörterung ihrer Einheit, entwickelt werden.

123 124 125

Aspekt als Gesehenes keinen materialen Gehalt, sondern „in ihm wird mein Sehen selbst angeschaut", eben als „Raum, das reinste Bild meines Wissens" (II, 229). OP, Ak XXII, 42 OP.Ak XXII, 414 OP, Ak XXII, 42; Hervorh. Vf.

3. Der Eine Raum und die Eine Zeit Man kann sich „nur einen einigen Raum vorstellen"; diesen bezeichnet Kant auch als den „alleinigen" Raum und darüberhinaus als den „einigen allbefassenden"126. Der allbefassende Raum wird also ein in gewisser, noch zu klärender Weise ganzer Raum sein müssen, wobei aber schon hier, das Ergebnis der kosmologischen Dialektik zugrundelegend, auszuschließen ist, daß er ein ganzer im Sinne eines seinerseits in keinem Raum mehr enthaltenen Behälters wird sein können. Ebenso wird von der Zeit als der „einigen" gesprochen und hier ganz explizit davon, daß sie als eine „ganze Vorstellung" gegeben ist, und zwar als eine von der Art, die nur durch einen „einzigen Gegenstand"127 gegeben werden kann, weshalb sie Anschauung ist. Die Vorstellung der „einigen" Zeit ist für Kant deren „ursprüngliche"128 Vorstellung, ebenso wie an anderer Stelle auch vom einigen Raum als der „Grundvorstellung des Raumes", d.i. die Vorstellung des „ursprünglichen Raumes"129, die Rede ist. In Hinsicht auf Raum und Zeit werden also ursprüngliche und derivative Vorstellungen zu unterscheiden sein. Die der Ursprünglichkeit zuzurechnenden Aspekte des Allbefassens und der Ganzheit schon vor genauerer Klärung auf den vorigen Punkt einer spontan und also innerlich ihre Anschauungsformen entwerfenden Subjektivität bezogen, muß ihr Entwurf originär als der von Ganzheit angesehen werden. Um vorwegnehmend auch dies noch zu forcieren, werden die ursprünglichen Vorstellungen von Raum und Zeit in der Konsequenz einer Bestimmung Kants - die wieder dem Nachlaßwerk entnommen ist, das aber auch hier nicht im Bruch zu Früherem, sondern als konsequente Fortentwicklung angesehen wird - als Ideen anzusprechen sein: Es ist eine „Idee ... ein innerlich begründetes und zugleich sich selbst begrenzendes Gantze"uo. Durch die Entschlüsselung der seltenen Ausdrücke 'einig' und 'alleinig' läßt sich nun noch näheres über die spezielle Art der durch den ursprünglichen Raum und die ursprüngliche Zeit vorzustellenden Ganzheiten ausmachen. In Zusammenfassung solcher Stellen, an denen Kant diese Ausdrücke verwendet und auch erläutert, läßt sich sagen: Gleichermaßen bedeuten 'einig' und 'alleinig' numerische

126 127 128 129

A 25/B 39 A 32/B 47f. ebd. Ak XX, 419 noOP, AkXXI, 161

3. Der Eine Raum und die Eine Zeit

103

Identität, Einzelnheit und Individualität131, so daß demnach in Hinsicht auf die angesprochene, im Entwurf ihrer Anschauungsformen fungierende Subjektivität hinzuzufügen wäre, daß sie mit deren ursprünglicher Vorstellung Ganzheit als numerisch identische, singulare oder individuelle entwirft. Eine Bestimmung von 'einig', getroffen hinsichtlich des Gedankens der höchsten Realität, kann hier herangezogen werden, weil nach Kant der Satz, daß Gott nur einer sein kann, „mit den Sätzen analog" ist, „daß Ein Raum und Eine Zeif'132. Diese Bestimmung lautet: Einigkeit sagt, daß ... die höchste Realitaet nicht in viel Dingen vertheilt, auch nicht vielen Dingen ganz zukommen könne"133. Die Analogie zwischen dem Begriff der höchsten Realität und der Vorstellung des Raums findet sich bei Kant übrigens auch in der Kritik der reinen Vernunft selbst, so daß von hier aus also schon der Verweis auf den Ideecharakter dieser Anschauungsform gegeben ist: „Alle Mannigfaltigkeit der Dinge ist nur eine eben so vielfältige Art, den Begriff der höchsten Realität, der ihr gemeinschaftliches Substratum ist, einzuschränken, s o w i e alle Figuren nur als verschiedene Arten, den unendlichen Raum einzuschränken, möglich sind." 1 3 4

Das problematisch erscheinende Verhältnis zwischen der angeführten Ganzheit des Raums und seiner zuletzt behaupteten Unendlichkeit wird noch zu behandeln sein. Zuvor aber soll der Punkt des Verhältnisses zwischen dem Einigen und dem Vielen, insofern das erste dem letzteren nicht ganz zukommen kann, aufgegriffen werden. Von den vielen Dingen, insofern darunter etwa viele Räume oder viele Zeiten vorgestellt werden sollen, wird so gesagt werden müssen, daß ihnen Raum und Zeit als ursprüngliche nicht ganz zukommen können. Es unterscheidet sich dadurch das Verhältnis des einen Raums und der einen Zeit zu etwaigen, pluralisch ansprechbaren Räumen und Zeiten vom Verhältnis zwischen diskursiven Begriffen und ihren Fällen, so daß Raum und Zeit demnach keine solche Begriffe sind. Ein Begriff als allgemeine, vielgültige Vorstellung kann als derselbe in verschiedenen Vorstellungen ganz enthalten sein, wobei die verschiedenen noch spezifisch, d.h. durch noch mehr als in ihm gedacht ist, bestimmt sind, so daß der Begriff also als eine Teilvorstellung in den verschiedenen ganz enthalten sein kann. Der Begriff gibt als eine Teilvorstellung durch Merkmale einen Erkenntnisgrund ab, unter dem verschiedene Vorstellungen enthalten und subsumierbar sind; diese sind aber nicht in ihm enthalten. Räume und Zeiten dagegen stellen, wie noch näher zu betrachten sein wird, verschiedene Einschränkungen des einen Raums und der einen Zeit dar, die also nicht ganz in diesen Einschränkungen enthalten sein können und daran 131

132 133 134

vgl. Ak XVIII, REFL 5907; OP, Ak XXI, 10; OP, Ak XXI, 62; OP, Ak XXI, OP, Ak XXII, 61 OP, Ak XXI, 153 Ak XVIII, REFL 6262 A 578/B 606

153;

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3. Der Eine Raum und die Eine Zeit

auch keine subsumierbaren, unter sich enthaltenen Fälle ihrer Vielgültigkeit haben, sondern die die vielen Räume und Zeiten unmittelbar als solche Teile in sich enthalten, welche weder als einzelne noch in ihrer Summe den einen ganzen Raum und die eine ganze Zeit angeben können, somit also deren Allbefassen gegenüber, welches keines im Verständnis logischer Allgemeinheit ist, defizitär sind. Die Analogie zwischen der Einigkeit im Gedanken der höchsten Realität und der von Raum und Zeit erstreckt sich nun nach Kant noch des weiteren auf die Sätze, daß nur eine Welt und nur eine Erfahrung ist135, wobei über die analogisierende Beiordnung hinaus sogar ein Begründungsverhältnis behauptet ist, nämlich daß durch die Sätze vom einen Raum und der einen Zeit der Grund dafür angegeben ist, warum auch die Erfahrung nur eine ist und ebenso die Welt136. Die Einheit der Erfahrung ist demnach schon auf der Stufe der Formen der Anschauung grundgelegt. In einer Reflexion bezeichnet Kant Raum und Zeit als Kardinalpunkte des Systems der Kritik der reinen Vernunft™, das ja das System aller nichtempirischen Besitze der Vernunft selbst sein soll, denen gemäß sie Erfahrung organisiert. Warum es angemessen ist, von Raum und Zeit so zu sprechen, daß sie von grundlegender Bedeutung in Hinsicht auf Systembildung sind oder, wie angeführt, die Tendenz zum System haben, wird verständlich, wenn man sich das Systemerfordernis innerlich begründeter Ganzheit vergegenwärtigt. Die Erfüllung dieses Erfordernisses allein ist allerdings, woran auch zu erinnern ist, für die vollständige Erfüllung des Systembegriffs noch nicht zureichend, insofern nämlich die durch die Ganzheit befaßte Sphäre selbst artikuliert sein muß und diese Sphäre nicht bloß, wie bei Raum und Zeit der Fall, eine kontinuierliche, an sich selbst noch unbestimmte Mannigfaltigkeit darstellen darf. So lange in ihnen bloß „innere unendliche Manigfaltigkeit enthalten"138 ist, ist der Systembegriff - wie gesehen der eines gegliederten organisierten Ganzen - noch nicht erfüllt. Dieser Begriff, so eine erhellende Aussage der ersten Kritik dazu, erfordert die Bestimmung der im Ganzen befaßten Teile nach Art eines quantum discretum, d.h. er erfordert, daß „die Menge der Einheiten darin ... jederzeit einer Zahl gleich"139 ist. Denn: „Annehmen, daß in jedem gegliederten (organisirten) Ganzen ein jeder Theil wiederum gegliedert sei, und daß man auf solche Art bei Zerlegung der Theile ins Unendliche, immer neue Kunsttheile antreffe, mit einem Worte, daß das Ganze ins Unendliche gegliedert sei, will sich gar nicht denken lassen,... " M0 .

135 136 137 138 139 140

vgl. OP, Ak XXI,10; OP, Ak XXI,153 vgl. OP, Ak XXI,62; OP, Ak XXII,99; OP, Ak XXII,287 vgl. Ak XVIII, REFL 6353 OP, Ak XXII,420 A 527/B 555 A 526/B 554

3. Der Eine Raum und die Eine Zeit

105

Es will sich nicht denken lassen, weil eine organisierte Ganzheit „eben durch diesen Begriff schon als eingetheilt vorgestellt" wird „und eine an sich selbst bestimmte, aber unendliche Menge der Theile ... sich selbst widerspricht"141. Mit Bezug auf die einem organisierten Ganzen zuzusprechende Einheit eines Zwecks läßt sich auch sagen: Einheit und Bestimmtheit eines Zwecks lassen sich nicht als durch eine unendlich unbestimmte Mannigfaltigkeit an Mitteln ausgeführt ansehen. Es ist hier darauf vorzuverweisen, daß in Hinsicht auf die noch gebotene, über die bloße Tendenz zum System hinausgehende innere Gliederung der als quanta originaria vorgestellten singulären Ganzheiten noch Verstandesbegriffe eine Rolle spielen werden, die ihrerseits als in einem auf Selbstbewußtsein hin zentrierten System (als einem organisierten Ganzen) gedacht sind. Die von der singulären Einheit von Raum und Zeit unterschiedene Vorstellung von Einheit ist die, wie sie im speziellen Verstandesbegriff der Größe gedacht wird. Dessen Funktion besteht gerade in der Artikulation der im Ganzen von Raum und Zeit befaßten unbestimmten Mannigfaltigkeit. Abgehoben vom Verstandesbegriff der Einheit gilt mit Bezug auf die Einheit in den hier zunächst angesprochenen ursprünglichen Vorstellungen von Raum und Zeit, was Kant vom Gedanken des ens realissimum sagt und was einen wesentlichen Punkt der erwähnten Analogie ausmacht: Es ist „die Einheit nicht immer das, was etliche Mal wiederholt die Größe ausmacht; denn ens realissimum ist Einheit, kan aber nicht wiederholentlich gesetzt werden"142. Eben das ist auch gemeint, wenn Kant von Raum und Zeit als den quanta originaria sagt, daß durch sie das „Universale", d.i. die angesprochene Ganzheit als allbefassende, die kein logisch Allgemeines ist, „im singulari in der Anschauung gegeben" wird143. Um darauf das verstandesmäßige wiederholentliche Setzen von Einheit zu Einheit in Bezug zu setzen, so werden durch dieses Verfahren unter der Fragestellung, wie groß in Raum und Zeit etwas ist, was aber prinzipiell nicht die Frage sein kann, wie groß Raum und Zeit sind, durch Synthesis die Vorstellungen bestimmter Größen erzeugt. Diese Synthesis ist eine Anwendung in Hinsicht auf das den allbefassenden Anschauungsformen Immanente, d.i. ihre innere unbestimmte, aber bestimmbare Mannigfaltigkeit. In dieser Anwendung werden Zahlbegriffe erzeugt und es wird darin gemessen, ohne damit allerdings die quanta originaria zu erC messen, denn diese können keinem bestimmten Raum und keiner bestimmten Zeit ganz zukommen. Es wird sich also durch keinen Plural von Räumen und Zeiten die durch Raum und Zeit vorgestellte Ganzheit zusammensetzen lassen: „Die ursprüngliche Größe wird nicht durch die synthesis gedacht."144 Daß die Synthesis durch die Größenbegriffe des Verstandes auf das der singulären Ganzheit von 141 142 143 144

A527/B555 Ak XVIII, REFL 5729 Ak XVIII, REFL 5593 AkXVII,Ä£FZ.4Il3

106

3. Der Eine Raum und die Eine Zeit

Raum und Zeit Immanente geht, ist impliziert, wenn Kant sagt: Es wird „im singular! das Allgemeine der synthesis betrachtet"145, wobei dann hier Allgemeinheit logisch begriffliche Allgemeinheit meint. Im Hinzutun von Einheit zu Einheit ist eine allgemeine Vorstellung als dieselbe in verschiedenen enthalten. Im Punkt der innerlich unbestimmten Mannigfaltigkeit ist nach dem bisher Entwickelten durch die Anschauungsformen das Bestimmtheit fordernde Systematische, das immer zugleich als das Systematische des Erfahrens nach Prinzipien und das der Erfahrung als des Prinzipiierten zu projektieren ist, noch verfehlt, obwohl es in den Aspekten des innerlichen Begründet-Seins dieser Formen und der Ganzheit erfüllt ist. Noch ein weiteres läßt sich unter dem Systemgesichtspunkt festhalten: Das skizzierte bestimmende Verfahren des Verstandes in der Synthesis nach Größenbegriffen, d.i. sein Hinzutun von Einheit zu Einheit und deren Vereinigung, wird auch bei immer erweitertem Hinzutun die quanta originaria nicht äußerlich wachsen lassen können, d.h. nicht, wie es hieß, „per appositionem", sondern alles Hinzukommen in diesem Verfahren wird als ein durch den Systembegriff zugelassenes innerliches Wachsen angesehen werden können146. Insofern durch Raum und Zeit, wie angeführt, grundgelegt ist, daß Erfahrung nur eine ist, läßt sich der durch Synthesis vollzogene Fortgang darin als ein innerliches Wachsen der einen Erfahrung ansehen. Nachdem bis hierher die Vorstellungen des einen Raums und der einen Zeit herausgestellt worden sind und zusätzlich vorbereitet ist, beide als Ganzheiten zu betrachten (im Sinne von Ganzheit als totum, nicht compositum), wird letzteres noch weiter zu entwickeln und zu konfrontieren sein mit der Bestimmung beider als unendlich, wodurch sich ein Konflikt zu ergeben scheint. Können Raum und Zeit also als ganz und als unendlich vorgestellt werden ?

145 146

Ak XVIII, REFL 5593 vgl. A 833/B 861

4. Unendliche Ganzheit Die Rede von der Unendlichkeit läßt sich zunächst nach zwei Aspekten differenzieren: Einmal können der Raum und die Zeit unendlich genannt werden; zum anderen läßt sich auch von unendlich vielen Räumen und Zeiten in Raum und Zeit sprechen. Diese Räume und Zeiten als bestimmte gedacht1·", muß es heißen, daß unendlich viele endliche Räume und endliche Zeiten vorzustellen sind. Der Raum und die Zeit sind nun nicht aus diesen Räumen und Zeiten zusammensetzbar und also, um hier erst negativ zu sprechen, nach anderer Art vorzustellen. Zusammengenommen und damit den Anschein des Konflikts mit der Auffassung von Raum und Zeit in ihrer Einheit und Ganzheit am stärksten hervorrufend, ist demnach von unendlich vielen endlichen Räumen und endlichen Zeiten im unendlichen Raum und in der unendlichen Zeit zu sprechen. Der Sinn von Unendlichkeit in Hinsicht auf den Raum und die Zeit ist durch das Vorige schon angedeutet. Denn 'unendlich' bedeutet hier gerade die Andersartigkeit des nicht aus bestimmten endlichen Räumen zusammensetzbaren einen und ganzen Raums und der ebenso vorzustellenden einen und ganzen Zeit, wodurch also ausgedrückt ist, daß das Ganze von anderer Art ist als die bestimmten und endlichen Teile, die alle Einschränkungen davon sind. In diesem Sinn sagt Kant denn auch in seinem 5. Zeitargument der Kritik der reinen Vernunft (das ebenso auf den Raum anwendbar ist) - und zwar sagt er es entfernt davon, einen Konflikt zu thematisieren, sondern im Gegenteil offenbar die Eingeschränktheit aller bestimmten Zeiten, die auch zusammengefaßt nur komparative Einheiten mit möglicher äußerer Hinzusetzung ergeben können, für die Bestätigung der einen Zeit nehmend: „Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als daß alle

147

Das Vorstellen von Räumen und Zeiten als Teilen von Raum und Zeit zählt Kant in der 'Transzendentalen Ästhetik' zum sinnlichen Vermögen, was aus seiner Rede von den Raumteilen im 4. Raumargument in A (= das 3. in Β) (A 25/B 39) und von den Zeitteilen im 4. Zeitargument (A 31f./B 47) hervorgeht. In der 'Deduktion' spezifiziert er dazu aber (vgl. Β 161 Anm.), daß zu diesem Vorstellen von Teilen als bestimmten Teilen schon die vorbegriffliche, dann den Begriff ermöglichende einheitsstiftende Synthesis der Einbildungskraft gehört. Das damit Angedeutete betrifft den unten noch zu diskutierenden Unterschied zwischen der Form der Anschauung und der formalen Anschauung. Zur Bezeichnung des Unterschieds zwischen dem, was aufgrund von Synthesis erst eigentlich 'Teil'genannt werden kann und demjenigen, dem als zur bloßen Mannigfaltigkeit gehörig erst zukommt, dazu bestimmt werden zu können, dem also doch so etwas wie die Tendenz hin auf die Teilebetrachtung bestimmter Art zugeschrieben werden muß, schlägt Hoke Robinson (1981, S. 145) ftlr das letztere den Terminus 'Protoanschauung' vor. Von der Teilebetrachtung im Verständnis der Betrachtung bestimmter Teile ist also im folgenden eingedenk einer darin enthaltenen und noch zu thematisierenden Komplexität in Hinsicht auf die Zuordnung von Aspekten zu verschiedenen Vermögen die Rede.

108

4. Unendliche Ganzheit

bestimmte Größe der Zeit nur durch Einschränkungen einer einigen zum Grunde liegenden Zeit möglich sei"148. Aus der hier durch 'unendlich' ausgedrückten Abhebung von den bestimmten Zeiten, die ihrerseits in der Zeit als unendlich viele gedacht werden müssen, ergibt sich der Gesichtspunkt, worunter die Zeit (und entsprechend der Raum) als Eines und nicht als Vieles angesehen werden muß. Unendlichkeit, gesprochen in bezug auf Zeiten und Räume, bedeutet, daß sie als unendlich viele zu denken sind, dagegen in Hinsicht auf die Zeit und den Raum, daß sie unterschieden von der endlichen Bestimmtheit aller sie einschränkenden Räume und Zeiten und gerade deshalb nicht unendlich viele sind, sondern nur Eines, woraufhin keine Mehrzahl zu denken möglich ist. Im Denken eines Hinzukommens von bestimmten Räumen und Zeiten zu gegebenen bestimmten Räumen und Zeiten ist keine Grenze. Auf die Weise des verstandesmäßigen Fortgangs von Teil zu Teil in den möglichen unendlich vielen Räumen und Zeiten sind Einheit und Ganzheit von Raum und Zeit nicht zustande zu bringen. Deren Einheit und Ganzheit muß also unter einem anderen Gesichtspunkt stehen als dem der verstandesmäßigen Größensynthesis. Dieser Gesichtspunkt ist innerhalb des Fortgangs in den ohne Ende aneinanderzureihenden Räumen und Zeiten auf die Art enthalten, daß das Bewußtsein davon vorliegt, daß alle diese Räume und Zeiten nur als Einschränkungen möglich sind, daß bei allen Räumen und Zeiten also dasjenige als das Gegenstück der Einschränkung vorzustellen ist, wovon die Einschränkung Einschränkung ist. Im ins Unendliche möglichen Fortgehen in den bestimmten Räumen und Zeiten ist gerade die Bestätigung des einen Raums und der einen Zeit als ursprünglicher Vorstellungen zu sehen, wobei diese mit den Vorstellungen der bestimmten Räume und Zeiten allerdings nicht gleichartig sein können. Nach Kants Auffassung, die er in Reflexionen und besonders im Opus Postumum deutlicher darlegt als in der äußerst knappen Argumentation der 'Transzendentalen Ästhetik', sind Zeit und Raum unendlich und einig149, ja haben „Einheit" und „mithin Unendlichkeit"150. Den auszuschließenden Fall der Gleichartigkeit der Räume und Zeiten mit dem einen Raum und der einen Zeit einmal angenommen, müßten letztere als bestimmt und als aus endlich vielen endlichen Räumen und Zeiten zusammensetzbar angesehen werden. Zugleich dürften sie als der ursprünglich bestimmte Raum und als die ursprünglich bestimmte Zeit ihrerseits keine Einschränkungen mehr sein. Diese Vorstellung ihrer endlichen Bestimmtheit aber, die keine Einschränkung mehr darstellt, ist nicht vollziehbar. Gerade wenn die Räume und Zeiten nicht als unendlich viele mögliche Einschränkungen vorgestellt werden, muß sich die Vorstellung des einen Raums und der einen Zeit verlieren. Kant führt das überzeugend 148 149 150

A 32/B 47f. Ak XVII, REFI 4733 OP, Ak XXII, 12; Hervorh. Vf. - vgl. OP, Ak XXII, 15; O P , Ak XXII, 17; OP, Ak XXII, 27; OP, Ak XXII, 76; OP, Ak XXII, 83f.; OP, Ak XXII, 441

4. Unendliche Ganzheit

109

in seiner Widerlegung der kosmologischen These vom Anfang der Zeit und dem seiner Grenze nach bestimmten ganzen Raum aus. Die auf eine solche Art versuchte Totalitätsvorstellung, wonach das Ganze als von gleichartigen Teilen her zustandegebracht gedacht ist, läßt nicht die verschiedenen Gesichtspunkte zu, das Ganze als originär eines und die Teile als unendlich viele anzusehen. Bei einem durch endliche Zusammensetzung bestimmter Räume vermeintlich erreichten einen und ganzen Raum erhebt sich ebenso wie bei einer derartig gedachten Zeit immer sogleich das Problem einer Entzweiung, d.i. der Verlust der Vorstellung des einen Raums und der einen Zeit. Diese Entzweiung liegt darin, den Raum außerhalb der Grenze des Raums und die Zeit vor der Zeit denken zu müssen. Die Vorstellung der Zeit nennt Kant im direkten Anschluß an ihre Bestimmung als unendlich und einig auch eine „ganze Vorstellung", die allerdings „nicht durch Begriffe gegeben"151 ist. Unter Beachtung der verschiedenen Hinsichten auf die Zeit einerseits und die Zeiten andererseits und bei Unterscheidung der anschaulichen von der begrifflichen Vorstellungsart sieht er keinen Widerstreit zwischen Einheit, Unendlichkeit und Ganzheit in seinen Auffassungen zur Zeit. Die Verträglichkeit dieser Bestimmungen soll durch die folgende Erläuterung noch einmal zusammenfassend deutlich gemacht werden: In der einen Zeit, wovon alle bestimmten und endlichen Teile (Zeiten) Einschränkungen sind, sind unendlich viele dieser Teile möglich; die eine Zeit selbst ist unendlich zu nennen, weil sie keine solche bestimmte und endliche Zeit als Teil ist, sondern das eine 'Worin' aller dieser Einschränkungen. Unendlichkeit hier ist also zu unterscheiden von 'unendlich viel'. Aus demselben Grund, da also kein Teil, ist die Zeit ganz; Entsprechendes gilt vom Raum. Der Korrespondenzbegriff zu dem eines Teils, auf den dieser jederzeit verweist, ist der des Ganzen. Vordergründig und auf erster Stufe mag der Verweis von Raum- und Zeitteilen her noch als der auf ein durch sie zusammensetzbares Ganzes angesehen werden. Insofern aber alle der möglichen unendlich vielen Räume und Zeiten als Teile angesehen werden müssen, muß dieser Verweis aus den Räumen und Zeiten auf ein zu ihnen andersartiges, nicht aus ihnen zusammensetzbares Ganzes gehen, das als der Grund dafür anzusehen ist, daß sie solche Teile mit einem jederzeitigen Verweis auf es sein können. Daß sich zu diesem grundlegenden Ganzen auch noch positiv wird etwas angeben lassen, d.h. noch mehr als das Negative, daß es nicht als Teilvorstellung und als von anderer Art als die Teile betrachtet werden muß, soll hier erst angekündigt sein. Ein Konflikt zwischen Unendlichkeit und Ganzheit tritt dann auf, wenn der Versuch unternommen wird, das Ganze als durch Größenbegriffe gebbar anzusehen:

,S1

A32/B48

110

4. Unendliche Ganzheit

„Die Schwierigkeit, sich ein Quantum simultaneum als unendlich vorzustellen [das auf den Raum beziehbare 'simultaneum ' begründet keinen Unterschied zu den hier im allgemeinen diskutierten Verhältnissen], beruhet auf der Natur des Menschlichen Verstandes, der ein totum seiner Möglichkeit nach nur synthetisch denken kan, d.i. successive addendo unum uni. Die Synthesis aber, die ins unendliche gehen soll, ist niemals complet." ,S2

Zunächst läßt sich dem entnehmen, daß der Verstand in seinem von Teil zu Teil gehenden begrifflichen Fungieren offenbar restringiert ist auf eine Tätigkeit in Raum und Zeit, d.h., anders gesagt, daß er über seine Funktion in Hinsicht auf Räume und Zeiten nicht hinauskommt. Es sind zwar allgemeine Begriffe von Räumen und Zeiten in Raum und Zeit möglich, d.h. vielgültige und mittelbare Vorstellungen, die als dieselben in verschiedenen enthalten sein und diese unter sich befassen können, also z.B. die Begriffe eines Meters oder einer Sekunde (Diese übrigens müssen als etwaige Grundmaße ihrerseits „zuletzt ästhetisch (d.i. subjectiv und nicht objectiv bestimmt)" „in einer Anschauung unmittelbar" erfaßt sein, weil wir niemals schon als Grundmaß einen „bestimmten Begriff von einer gegebenen Größe haben können"153). Die Begriffe aber können sich „lediglich auf Einschränkungen"154 beziehen, d.h. auf die Räume und Zeiten als Teile; sie können „in Ansehung der Größe" - Größe hier im Sinne der Anschauungsïormtn Raum und Zeit als quanta originaria verstanden - „nichts bestimmen"155. Wenn nun durch das bezeichnete begriffliche Fungieren in Zeit und Raum, d.h. in Hinsicht auf die unendlich vielen Zeiten und Räume keine Ganzheit (außer im relativen Verständnis eines compositum) zustande zu bringen ist, so ist das doch nicht gegen die ganze eine Zeit und den ganzen einen Raum, diese als Anschauungsformen verstanden, zu verwenden, die zudem unendlich in einem von 'unendlich viel' unterschiedenen Sinn sind. Nebenbei läßt sich hier ein Mißverständnis ansprechen, das zu Kants Charakteristik des Raums, daß er als „unendliche gegebene Größe vorgestellt"156 wird, ^lftreten kann. Damit ist nicht, wie es in der Tat schon verstanden wurde, die Möglichkeit angesprochen, das Gegeben-Sein des unendlichen Raums so vorzustellen, wie etwa im empirischen Vorstellen etwas als vorhanden vorgestellt wird, woraufhin Einwände dann leicht fallen. Entgegen einer solchen Auffassung bezeichnet bei Kant der Ausdruck 'gegeben' das Gegenstück zu dem, was im spezifischen Sinn gedacht ist, und er betont also den AnschauungscharzYXw der Vorstellung wider den BegrifFscharakter: „Der Unterschied zwischen dem, das etwas gedacht oder gegeben ist, ist der, da es ein obiect des unbestimmten oder

152

153 154 155

156

Ak XVII, REFL 4079

AX>i/,AkV,251 A 2 5 / B 39 A 25 B

39

4. Unendliche Ganzheit

111

durchgangig bestirnten Denkens ist."157 Daß diese Reflexion auf das Raumargument der Kritik der reinen Vernunft, den Anlaß des Mißverständnisses, anwendbar ist, geht aus dessen Beweisthema, d.i. die Abhebung des Raums als Anschauung a priori vom Begriff, hervor. Die innere Unendlichkeit von Raum und Zeit als die unendlich vieler Räume und Zeiten damit in Verbindung gebracht, daß diese beiden Formen als Formen der Rezeptivität (nach dem obigen vollständig: eines sich zur Rezeptivität bestimmenden spontanen Subjekts) anzusehen sind, zeigt den Zusammenhang zwischen diesen möglichen unendlich vielen Räumen und Zeiten und einer uneingeschränkten AfFizierbarkeit durch immer andere Gehalte in hinzukommenden Räumen und Zeiten, wodurch die unerschöpfliche Fülle möglicher Erfahrungen eröffnet ist. Trotz dieser Uneingeschränktheit ist aber doch die Einheit der Erfahrung dadurch nicht gefährdet. Denn das Verhältnis zwischen der Erfahrung und den Erfahrungen entspricht dem Verhältnis zwischen Raum und Zeit einerseits und den Räumen und Zeiten andererseits. Damit können hinzukommende Erfahrungen in Hinsicht auf die Erfahrung als innerlich hinzukommend angesehen werden, dementsprechend diese als innerlich wachsend, wobei diesem innerlichen Hinzukommen allerdings keine Grenzen gesetzt sind. In Erläuterung der Unendlichkeit, hier in bezug auf die Form des äußeren Sinns gesprochen, sagt Kant, wobei zusätzlich wieder das aktivische Moment in der Auffassung von Empfänglichkeit als einer zulassenden Fähigkeit bemerkenswert ist: „... die Fähigkeit, mehrere Eindrücke von äußeren Dingen zuzulassen, oder die Empfänglichkeit hat an sich selbst keine schranken."158

157

Ak XVIII, REFL 5764 - Ausführlich findet sich der thematische Zusammenhang in Ak XX, 419 entfaltet: „In jener [der Metaphysik] wird der Raum, wie er, vor aller Bestimmung desselben, einem gewissen Begriffe vom Objecte gemäß, gegeben ist, betrachtet; in dieser [der Geometrie] wird einer gemacht. In jener ist er ursprünglich und nur ein (einiger) Raum, in dieser ist er abgeleitet, und da giebt es (viel) Räume, von denen aber der Geometer, einstimmig mit dem Metaphysiker... gestehen muß, daß sie nur als Theile des einigen ursprünglichen Raumes gedacht werden können. Nun kann man eine Größe, in Vergleichung mit der jede anzugebende gleichartige nur einem Theile derselben gleich ist, nicht anders als unendlich benennen. Also stellt sich der Geometer, so gut wie der Metaphysiker, den ursprünglichen Raum als unendlich ... und zwar als unendlich//gegeben vor. Denn das hat die Raumesvorstellung (und Uberdem noch die der Zeit) Eigenthümliches, dergleichen in gar keinem anderen Begriffe angetroffen wird, an sich: daß alle Räume nur als Theile eines einzigen möglich und denkbar sind." Daß das Gegeben-Sein des Raums und das Nicht-Gemacht-Sein (nicht nach bestimmten Begriffen) seinem Entwurfscharakter qua subjektiver Vorstellungsart nicht widerspricht, geht aus der Fortführung des Kantischen Texts hervor. Eine Deutung der unendlichen Gegebenheit des Raums (entsprechend die darauf basierende Kritik) wie die folgende von Bertrand Russell (1969 (5.Aufl.; Erstveröffentlichung 1914), S. 118) ist schon im Ansatz ignorant gegenüber dem Kantischen Verständnis: „Kant, who was unusually ignorant of psychology, described space as 'an infinite given whole', whereas a moment's psychological reflection shows that a space which is infinite is not given, while a space which can be given is not infinite."

158

Ak XVII, REFL 4673

112

4. Unendliche Ganzheit

Um zur Größensynthesis des Verstandes in Anwendung auf die Räume und Zeiten zurückzukehren, so folgt daraus, daß er durch seine Vorstellungsart des Messens die ursprünglichen Vorstellungen von Raum und Zeit nicht ermessen kann, daß von diesen Vorstellungen als solchen der Gedanke des Maßes völlig fernzuhalten ist. In Hinsicht auf den einen Raum und die eine Zeit kann die Rede von ihrer Unendlichkeit und Unermeßlichkeit nicht etwa den Sinn eines Hinweises auf die empirisch-technische Unzulänglichkeit im Messen-Können haben. Durch erweitertes und verbessertes Messen ist die Unermeßlichkeit ihrer Unendlichkeit weder zu beheben noch auch nur graduell zu mindern, sondern hier bedeutet 'unendlich': „... im Gantzen genommen über alle Maaße groß"159. Nur in bezug auf die Zeit gesprochen, heißt es in einer anderen Reflexion Kants: „Zeit macht nicht ein Maas von der Weltgröße, sondern das Gantze ihrer Zustände."160 Ein Subjekt, das in einem solchen Verständnis seiner zeitlichen und analog auch seiner räumlichen Vorstellungsart steht, steht damit im Selbstverständnis einer den Zeiten und Räumen überhobenen Vorstellungsart, wobei es ihnen allerdings nicht so überhoben ist, daß dieses Selbstverständnis auch erreichbar wäre als ein auf die Vorstellungen der Räume und Zeiten unbezügliches, sondern so, daß die eine Zeit und der eine Raum als Bedingungen der Vorstellungen der Zeiten und Räume eingesehen sind. Sein Selbstverständnis ist erzielt in einer Reflexion daraufhin, was für die Räume und Zeiten, diese ihrerseits verstanden im Sinne ihrer Meßbarkeit und Angebbarkeit, vorauszusetzen ist, nämlich der eine Raum und die eine Zeit als dasjenige, in bezug worauf jeder ermessene Raum und jede ermessene Zeit Einschränkungen sind. Während im Raum, wodurch also die Räume angesprochen sind, bloße äußere Verhältnisse sind und entsprechend ein Ding im Raum etwas ist, „das in äußeren Verhältnissen ist, in welchem selbst äußere Verhältnisse sind" und „ich nichts als Beziehungen von Etwas kenne auf etwas Anderes, davon ich gleichfalls nur äußere Beziehungen wissen kann", ist doch der Raum selbst „die Bedingung zu örtern außerhalb einander"161; als der eine Raum ist er „kein Begriff von äußeren Verhältnissen ..., sondern das, was der Möglichkeit äußerer Verhältnisse zum Grunde liegt"162. Er ist das identische Substrat aller Raumverhältnisse wie die eine Zeit das identische Substrat der Verhältnisse des Nacheinander- und Zugleichseins ist163. Die Zeit „enthält" bloß die „Verhältnisse des Nacheinander-, des Zugleichseins"164, ohne daß sie aber als solche durch diese Verhältnisse angegeben werden könnte.

159 160 161 162 163 164

Ak XVIII, REFI 5338 Ak XVIII, REFI 6417 EBJ, Ak VIII, 153 Ak XXIII, 22 vgl. Β 224; A 186/B 229 Β 67

4. Unendliche Ganzheit

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Raum und Zeit, als Substrate verstanden, sind keine Begriffe von Verhältnissen, sondern „einfache Begriffe"165. Sie lassen sich nicht weiter erklären, wozu Kant aber anmerkt: „Es muß doch zuletzt einfache Begriffe geben, die sich wohl verstehen, aber nicht erklären lassen" (es verhält sich ihmnach „eben so im discursiven Denken")166. Insofern oben von der Einheit und Einfachheit des Subjekts die Rede war, das als Zentralstelle allen Vorstellens sich zeitsetzend und raumentwerfend synthetisch erweitert oder Richtung nimmt auf etwas, das dann, ermöglicht durch sein Setzen und Entwerfen, für es entgegensteht (d.h. als Erscheinung), kann jetzt gesagt werden, daß durch seinen ursprünglichen Entwurf vermittels dieser Anschauungsformen Raum und Zeit, diese genommen als der nicht durch Verhältnisvorstellungen unter Teilen angebbare eine Raum und die ebenso zu verstehende eine Zeit, dieses Subjekt sich in seiner Einheit und Einfachheit erhält. In der Einheit seines Raum- und Zeitentwurfs ist nun aber immanente Mannigfaltigkeit ermöglicht, d.h. in Kants Worten, daß Raum und Zeit „einfache Begriffe" sind, „welche die Zusammensetzung möglich machen", und daß „in ihnen Zusammengesetzte obiecte gnug gedacht werden können"167. Im Ganzen von Raum und Zeit können sogar unendlich viele zusammengesetzte Objekte gedacht werden. Angebunden an die sie ermöglichende Subjektivität müssen Zeit und Raum bei ursprünglich holistsch anzusetzenden Zeit- und Raumentwürfen mit der dann weitergehend eröffneten Möglichkeit internen Teile- bzw. ZusammensetzungDenkens, d.h. weiterer subjektiv zu vollziehender Strukturierung, als formale Gestalten von Selbstorganisation erscheinen. Ihre Ganzheit mag noch einmal problematisiert sein. Der direkte und positive Zugriff des Vorstellens auf diese Ganzheit scheint nämlich unmöglich zu sein. Zumindest auf negative Weise aber ist, wie gesehen, die Vorstellung etwa der Ganzheit des Raums dadurch gegeben, daß jeder bestimmte Raum als Raumteil, woraufhin also der Plural 'Räume' zu bilden möglich ist, immer als Einschränkung bewußt ist: „Man kan sich nur räume gedenken, in so fern man aus dem allgemeinen Raum was ausschneidet"168. Ebenso ist „alle bestimmte Größe der Zeit nur durch Einschränkungen"169 möglich. Im Bewußtsein eines bestimmten Raums wie in dem einer bestimmten Zeit können diese zwar auch in einem solchen Sinn für Einschränkungen genommen werden, daß bei dem durch sie Eingeschränkten an den wie ein Behälter umgebenden größeren bestimmten Raum gedacht wird oder an die größere bestimmte Zeit, wobei aber diese jeweils größeren nicht der gemeinte eine und ganze Raum und diese Zeit sein können. Indem nun das Bewußtsein der Eingeschränktheit aller bestimmten Raum- oder Zeitgrößen vorliegt, auf

165 166 167 168 169

Ak XVI, REFL 2967 ebd. ebd.; Hervorh. Vf. Ak XVII, REFL 4315 A 32/B 48

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4. Unendliche Ganzheit

den Raum bezogen also etwa in der Vorstellung des Befaßt-Seins aller Behälter, von denen keiner ein letzter ist, kann dieses Allbefassende nicht mehr in demselben Sinn als befassend angesehen werden wie noch der größere bestimmte Raum oder die größere bestimmte Zeit, d.h. es kann dieses Allbefassende nicht mehr im Verständnis eines Behälters genommen werden. Die Vorstellung der einen ganzen Zeit und des einen ganzen Raums ist die Vorstellung der Eingeschränktheit aller Zeiten und Räume, und insofern alle diese nur als Einschränkungen vorstellbar sind, geht hier die Vorstellung eines Ganzen vor der der Teile vorher. Indem gesagt ist, daß alle bestimmten Räume und Zeiten nur als Einschränkungen möglich sind, ist gesagt, daß sie als Teile nur durch das Ganze möglich sind: „... alles, was von einem Dinge nur als parte gilt, setzt den Begrif des Ganzen voraus"170. Demgemäß kann es auch heißen: „Daß alles, was Erscheint, im Verhaltnisse zum Gantzen erscheinen müsse, ist aus Raum und Zeit zu ersehen."171 Dieses Ganze ist keines im Verständnis eines durch die Teile zusammengesetzten oder zusammensetzbaren und damit abgehoben von einer Ganzheit, wie sie als die materielle relative Ganzheit eines Gegenstandes in Raum und Zeit erscheinen kann. Es ist in Kants Terminologie kein compositum, sondern ein totum, denn ersteres anzunehmen, zöge den Zwang zu der unmöglichen Vorstellung nach sich, doch von einem bestimmten Raum, nämlich dem dann im Sinne eines allbefassenden Behälters verstandenen, die Bedingung wegnehmen zu müssen, daß er eine Einschränkung darstellt. Als einen bestimmten Raum kann man sich aber demgegenüber „keinen Raum... denken, ohne einen äusseren Raum, der ihn umgiebt, und also keinen Raum ohne in dem Ganzen enthalten"172. Die Vorstellung dieses Ganzen als eines größten, allbefassenden bestimmten Raums, der Art nach bestimmt wie die bestimmten Räume in ihm, woraus er sich zusammensetzen ließe, lehnt Kant also ab: „als wenn beydes, Raum und Zeit, vor sich bestehende Behälter der Dinge wären"173. Zugleich stellt er in diesem Zusammenhang aber fest, daß seine Frage, ob der Raum etwas Ideales oder eben jener reale Behälter sei, verschiedene Wissenschaften (Mathematik, Mechanik, Physik) gar nicht interessiert, und er gibt zu erkennen, daß seine These von der Idealität sie als diese Wissenschaften auch nicht zu interessieren braucht. Zur Erläuterung dessen ließe sich etwa der Astronom heranziehen, der in seiner Absicht auf bestimmte entferntere Räume diese zu Recht als Behälter ansieht und zu dessen Arbeit ein sich von dieser Vorstellungsart abwendendes transzendentales Bewußtein nichts beiträgt. Trotz solchen zugestandenen Desinteresses ist diesem aber zuletzt hinsichtlich der Erkenntnisansprüche seiner Antworten auf die Fragen nach entfernteren Räumen ins Bewußtsein zu bringen: „Aber da, wo diese antworten transcendent werden" - d.h. also etwa im

170 171 172 173

Ak XVII, REFL 4086; vgl. ΡROL, Ak IV, 286 AkXVIII,K£FL5211 Ak XVII, REFL 4071 Ak XVII, REFL 4673

4. Unendliche Ganzheit

115

Sinne eines dogmatisch behaupteten letzten Behälters - „da lautet es anders"174. Dagegen wäre dann allerdings die transzendentale These der Idealität zu setzen. In einer Reflexion Kants, in der es heißt, daß wir „den Gantzen Raum anschauend erkennen", macht der Kontext diese fllr sich genommen überschwenglich erscheinende Aussage (wobei allerdings von vornherein nicht vom begreifenden Erkennen die Rede ist) einsichtig, denn darin heißt es zur Rechtfertigung mit Bezug auf die Wahrnehmung eines bestimmten räumlichen Objekts schlicht: Wir erkennen „nicht blos den Raum des obiects, was unsre sinne rührt"175. Damit ist darauf hingewiesen, daß wir uns mit der Vorstellung dieses Objekts nicht auf etwas richten, was bloß sich selbst und weiter nichts angibt, sondern daß eine erweiterte Beziehimg darin liegt, seine räumliche Bestimmtheit als Einschränkung, d.h. eben nicht bloß als den Raum des Objekts, zu erkennen. Diese erweiterte Beziehung liegt in jeder Vorstellung eines bestimmten räumlichen Objekts, und darin besteht die anschauende Erkenntnis des ganzen Raums. Unter Berufimg auf die prinzipiellen Unterscheidungen zwischen dem Raum und den Räumen und der Zeit und den Zeiten ist scheinbar paradox zu sagen: Der Raum ist kein Raum, und die Zeit ist keine Zeit. Der Schein des Paradoxen verliert sich, wenn der erstgenannte Raum und die erstgenannnte Zeit als die ursprünglichen, einzelnen und ganzen genommen werden und die letztgenannten als deren Einschränkungen, die als die unendlich vielen möglichen Einschränkungen jenes Ursprüngliche nicht als solches erschöpfen können. Es ist zu unterscheiden zwischen den Räumen im Raum, den Zeiten in der Zeit und Raum und Zeit selbst. Durch die spezielle Unterscheidung der einen ursprünglichen Zeit von den Zeiten ist nun eine wichtige Konsequenz vorbereitet. Es ist nämlich damit das wesentliche Charakteristikum der Zeit nicht, wie landläufig gilt, ihr Verfließen oder ihr Anheben und Verschwinden. Das sind zwar die zu statuierenden Eigenschaften der Zeiten in der Zeit, so daß einerseits mit Kant zu Recht gesagt werden kann: „Der innere Sinn sieht die Verhältnisse seiner Bestimmungen nur in der Zeit, mithin im Fließen, ,.."176. Doch ist das eben nicht die Eigenschaft der ursprünglichen Zeit. In bezug auf diese kann gerade ihr Stehen und Bleiben betont werden: „... die Zeit sebst verändert sich nicht, sondern etwas, das in der Zeit ist"177; „Die Zeit verläuft sich nicht, sondern in ihr verläuft sich das Dasein des Wandelbaren"178. Eben deshalb, weil sie „selbst unwandelbar und bleibend"179 ist, eignet sie sich auch zur Korrespondenz mit dem Substanzbegriff. Der Zeit als der sich nicht

174 175 176 177 178 179

ebd. Ak XVII, REFL 4189 A NTH, Ak VII, 134 A41/B58 A I44/B 183 ebd.

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4. Unendliche Ganzheit

verlaufenden Zeit „correspondirt in der Erscheinung das Unwandelbare im Dasein, d.i. die Substanz"180. Durch die Unwandelbarkeit der ursprünglichen Zeit wird, so die angedeutete wichtige Konsequenz, ein Gegensatz obsolet, wonach die Zeit, wie gesehen als ein Kardinalpunkt der Transzendentalphilosophie zu bezeichnen, von der sonst vorzugsweise als Kardinalpunkt genommenen transzendentalen Apperzeption schlechthin getrennt zu sein schien, so daß jetzt die Möglichkeit eröffnet ist, jenes „stehende und bleibende Ich (der reinen Apperception)"181 als in Übereinstimmung mit seiner Form des Anschauens anzusehen.

180 181

ebd. A 123

5. Einheit des Subjekts als Grund der formalen Einheit des Anschauens Als stehend, bleibend, einfach und allbefassend ist auch das Ich der reinen Apperzeption zu charakterisieren, zu dem alles Bewußtsein gehören muß182. Wo Kant, hier eine Unterscheidung zwischen der transzendentalen Apperzeption und demjenigen in Raum und Zeit thematisierend, sagt, daß die „numerische Einheit dieser Apperception ... a priori allen Begriffen eben so wohl zum Grunde" liegt, „als die Mannigfaltigkeit des Raumes und der Zeit den Anschauungen der Sinnlichkeit"183, da hätte er den durch diese Unterscheidung und durch den Hinweis auf Mannigfaltigkeit nicht betroffenen Aspekt der numerischen Einheit auch der ursprünglichen Zeit und des ursprünglichen Raums hinzufügen können, d.h. der Anschauungsformen desselben Subjekts wie des durch 'Apperzeption' in Hinsicht auf die Begriffe a priori angesprochenen. Durch eine solche Hinzufilgung wäre also die Übereinstimmung in der Bestimmung transzendentalen Selbstbewußtseins als numerischer Einheit und in der Bestimmung seiner originären Vorstellungen von Raum und Zeit offensichtlich geworden. Wo diese Übereinstimmung etwa durch die Absetzung transzendentaler Apperzeption von den Verhältnissen in der Zeit verdeckt ist, bedarf es demnach zur Relativierung dieser Entgegensetzung nur, sich zu vergegenwärtigen, daß die Zeit selbst nicht in der Zeit ist, sondern das identische Substrat der Verhältnisse darin. Wenn Kant in einer 'Reflexion' sagt: „Die idee der substantz kommt eigentlich von der repraesentatione sui ipsius her" l84 , so besteht zwischen dieser Vorstellung seiner selbst als des Originals einer Substanz und dem Zeitbewußtsein dieses Selbst kein Gegensatz, insofern nämlich das Ursprüngliche dieses Zeitbewußtseins das Bewußtsein der ihren Einschränkungen vorauszusetzenden einen, ganzen, unwandelbaren und bleibenden Zeit ist, worin die verschiedenen Zeiten verfließen. Obwohl Kant in seiner die Vermittlungsproblematik zwischen dem Zeitbewußtsein und den Relationskategorien betreffenden 'Analogien der Erfahrung' Beharrlichkeit, Folge und Zugleichsein als die drei modi der Zeit bezeichnet und so auch den Anschein der Gleichstufigkeit erweckt185, wird er doch im gleichen Zusammenhang noch genauer und kommt wieder in Übereinstimmung mit seiner Auffassung von

182

183 184 185

Neben der hinreichend ausgeführten Einfachheit vgl. A 107 zur unwandelbaren Apperzeption und A 113 zu ihrer Ganzheit A 107 Ak XVII, REFL 3921 vgl. A 177/B 219

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S. Einheit des Subjekts als Grund der formalen Einheit des Anschauens

der ursprünglichen Zeit, indem er nämlich Beharrlichkeit als „die Zeit selbst" ausdrückend bezeichnet; diese Zeit selbst betrifft „der Wechsel ... nicht", denn: „Wollte man der Zeit selbst eine Folge nach einander beilegen, so mtlßte man noch eine andere Zeit denken, in welcher diese Folge möglich wäre"186. Die Substanzvorstellung, wie gesehen eigentlich von der repraesentatione sui ipsius herkommend, ist nun nach Kant allein in ihrer unabtrennbaren Bezogenheit auf die Zeit selbst legitimationsfähig und dadurch unterschieden vom dogmatisch metaphysischen Verständnis einer Substanz im bloßen Begriff, worin Substanz ohne einen zeitlichen Sinn bloß gedacht ist. Mit seiner Abwehr der substantiellen Selbstauffassung des Subjekts, wie sie die rationale Psychologie vertritt, lehnt Kant die Substantialität dieses Subjekts nicht schlechthin ab. Im Gegenteil sagt er zur Seele, daß ihre „Beharrlichkeit im Leben ... für sich klar ist"187. Mit der so im Leben statuierten Substantialität der Seele geschieht nun aber „dem rationalen Psychologen gar nicht Genüge ... , der die absolute Beharrlichkeit derselben selbst über das Leben hinaus aus bloßen Begriffen zu beweisen unternimmt"188, was auch so ausgedrückt werden kann, daß er es gelöst von zeitlichem Selbstverständnis zu beweisen unternimmt. Nur in dem Verständnis also, worin die Substantialität des Subjekts im Sinne einer Substanz im bloßen Begriff als vom Zeitbewußtsein isoliert betrachtet wird und eine auch nichtzeitliche Existenz behauptet ist, lehnt Kant sie ab. Dagegen betont er sie in Anbindung an das Zeitbewußtsein, genauer an die ursprüngliche Zeitvorstellung der einen stehenden und bleibenden Zeit. Dazu ist aber unerläßlich hinzuzufügen, daß die als ursprünglich abgehobene Zeitvorstellung der einen bleibenden Zeit keinen Bestand bloß als solche haben kann, durch welchen Gedanken die Unterscheidung von der rationalen Psychologie wieder undeutlich würde, sondern nur in

186

A 183/B 226 - Daß bei Kant trotz einiger Ungeschicklichkeiten im Ausdruck in der Sache konsistente Auffassungen zur Zeit selbst und ihren Modi vorliegen, behaupten auch etwa H.J. Paton (1936; Vol. II, 163ff) und Klaus Düsing (1980). Bei letzterem heißt es: Es „muß die Eine Zeit, die ein Ganzes ist und die die Grundlage für die Zeitteile und deren Verhältnisse bildet, selbst als unendliche, nicht vergehende Größe gedacht werden. (...) Daher stellen sie [die Verhältnisse der Zeitteile in der Zeit] keine wesentlichen Eigenschaften der Zeit selbst dar; dennoch gehören die Bestimmungen der Innerzeitigkeit als das Begründete notwendig zu ihrem Grund, der Zeit" (S. 7). Durch die Zeit selbst als Grund, die man ihrerseits „nicht einfach ftlr sich nehmen" (ebd.) darf, „läßt sich das Verfließen des Mannigfaltigen im Nacheinander und auch dessen Gegenteil, das Zugleichsein, vorstellen" (S. 6). - Zum trotz der behaupteten Konsistenz bei Kant nicht ausreichend geklärten Verhältnis zwischen dem Nacheinander und dem Zugleichsein findet sich Erhellendes bei Gerold Prauss (1990, S. 127-140), der dem Zugleichsein einerseits einen zeitlichen Sinn abspricht und andererseits den dagegen räumlichen Sinn des Zugleichseins (vgl. bei Kant A 31/B 47) in völliger Abhängigkeit vom zeitlichen Nacheinander sieht, nämlich als bloß aus der Negation des Nacheinander gewinnbar. Nur in diesem abgeleiteten Verständnis ist für ihn das Zugleichsein noch Zeitmodus, stellt aber ineins - so die Einsicht in das systematische Verhältnis von Zeit und Raum die im Vergleich mit dem Außereinander oder Nebeneinander angemessenere, weil einzig spezifische Charakteristik des Raums dar.

187

Β 415 ebd.

188

5. Einheit des Subjekts als Grund der formalen Einheit des Anschauens

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Hinsicht auf die darin liegende Folge der Zeiten als Einschränkungen, so daß also darin ständiger Wechsel und ständiges Verfließen sind. Nach Kant „beziehe ich alle und jede meiner sukzessiven Bestimmungen", d.h der Bestimmungen in der Folge der Zeiten, „auf das numerisch identische Selbst, in aller Zeit", d.i. in der ganzen Zeit, die, wie gesehen, selbst als numerisch identisch anzusehen ist, so daß dadurch „die Persönlichkeit der Seele"189 gesichert ist. Vom so mit der Zeit verknüpften Begriff der Persönlichkeit sagt er wie auch vom Begriff der Substanz und dem des Einfachen: Er „kann ... bleiben, und so fern ist dieser Begriff auch zum praktischen Gebrauche nöthig und hinreichend"190, wobei hier an das Erfordernis der Zuschreibbarkeit von Handlungen zu denken ist. Dabei ist nun aber nicht an Identität und Personalität in psychisch inhaltlicher Hinsicht zu denken. Zu denken ist an die „Einheit des Subjekts" in transzendental formaler Hinsicht, „in dessen Bestimmungen ... eine durchgängige Verknüpfung durch Apperception ist", das uns aber „übrigens unbekannt"191 ist. Festzuhalten bleibt hier aber doch ein mit praktischem Selbstverständnis hinreichend übereinstimmendes theoretisches Selbstverständnis unter Einschluß der Zeitlichkeit, d.h. unter Vermeidung einer Auffassung von Personalität „aus dem bloßen Begriffe des identischen Selbst"192, aus welchem unerweislichen Selbst in der rationalen Psychologie überschwengliche Folgerungen auf ein nichtzeitliches Person-Sein - nicht im Leben - gezogen werden. Demgegenüber sagt der „Satz des Selbstbewußtseins in der Zeit ... wirklich nichts mehr als: in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner bewußt bin, bin ich mir dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst gehörig bewußt", und daher ist es auch „einerlei, ob ich sage: diese ganze Zeit ist in mir, als individueller Einheit, oder: ich bin mit numerischer Identität, in aller dieser Zeit befindlich"193. Als Hauptergebnis läßt sich aus dem Vorigen ziehen: Zeit und Einheit des Selbst sind untrennbar zusammengeschlossen, und zwar auf eine zum Praktischen hinreichende Art. Es haben solche unterscheidende Aussagen wie die, daß Vernunft nicht in der Zeit ist, die vorzugsweise unter dem Interesse stehen, Vernunft im Sinne praktischer Freiheit als über die Zeitfolge in der Zeit erhoben anzusehen194, nur in oberflächlicher Betrachtung den Anschein, die Trennung zwischen Vernunft und dieser Anschauungsform zu zementieren. Dieser Anschein verliert sich, wenn die Zeit als die ursprüngliche bewußt wird, wodurch sie aus der strikten, an der Zeitfolge festgemachten Entgegensetzung zum genannten praktischen Interesse herauskommt.

189 190 191 192 193 194

A 362 A 365 ebd. A366 A 362 vgl. A 556/B 584

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S. Einheit des Subjekts als Grund der formalen Einheit des Anschauens

Denn als ursprüngliche Zeit ist sie die eine Zeit, die als solche - wie die angesprochene Vernunft - auch nicht in der Zeit ist, sondern worin alle Zeiten sind. Noch abgesehen vom Praktischen bleibt festzuhalten, daß im Zeit- sowie im Raumentwurf transzendentaler Subjektivität, ihre Anschauungsformen ursprünglich genommen, die numerische Identität transzendentaler Apperzeption sich nicht verliert, sondern sich erhält, ebenso wie ihr Stehen und Bleiben. Das läßt sich auch so ausdrücken, daß der Einheit des Subjekts in seinem durch Anschauungsformen synthetisch sich erweiternden Vorstellen die Einheit der Erfahrung korrespondiert, deren Einheit also schon gewährleistet ist durch den einen Raum und die eine Zeit Anders als vom einen und ganzen Raum und von der einen und ganzen Zeit bloß negativ so zu sprechen, daß sie keine Einschränkungen sind, sondern die diese ermöglichenden, vorgängig zu denkenden Gegenstücke zu allen Einschränkungen, auf welche negative Rede hin aber die Verleitung auf die unangemessene Verfolgung dieser Gegenstücke in die Extension hinein (in der charakterisierten Behälter-Betrachtung) naheliegt, findet sich bei Kant, der dagegen angemessenen Rückbesinnung auf das Subjekt Rechnung tragend, der Grund der Einheit gemäß Anschauungsformen und mithin der Grund der in deren Einheit möglichen mannigfaltigen Einschränkungen auch positiv angesprochen. Mit Bezug auf den Raum, aber anwendbar auch auf die Zeit, heißt es: „Der Raum ist Einig, weil er die Form der Vorstellungen (aller Möglichen äußeren Gegenstande) in einem einigen Subiekt ist"; der Raum ist „eine einzelne Vorstellung wegen der Einheit des Subiekts"195. Zu dem zuletzt angesprochenen Subjekt hat Kant in Klammern noch hinzugesetzt: „und der Fähigkeit", was also heißt, daß die thematische Raumvorstellung auf einer Fähigkeit dieses in seiner Einheit angesprochenen Subjekts beruht. Das sich in seinem Raumentwurf setzende, sich verräumlichende Subjekt, dessen Einheit den Grund der Einheit des Raums abgibt, ist damit ausdrücklich in seinem Können und Vermögen, wie gesehen seiner Möglichkeit zum Handeln, angesprochen. Im Opus Postumum ist demgemäß vollends unmißverständlich als der Grund für die „Axiomen: Es ist Ein Raum und Eine Zeit" die „Selbstbestimmung des Subjects" angegeben, wie gesehen ein zentrales Definiens des zur Leitung entwickelten Begriffs des Lebens; beider „Form" ist eine solche, „in welcher es sich selbst zum Objecte constituirt und dieses sein eigener Gegenstand ist"196. Aus dem Ganzen und aus der Einheit des subjektiven Raum- und Zeitentwurfs, der immer auf das Subjekt als das entwerfende zurückbezogen bleibt, können kein bestimmter Raumteil, etwa im Sinne eines durch fortschreitende Erfahrung im Raum neu ermessenen Teils, und keine bestimmte Zeit herausfallen. In dieser Betrachtung müssen etwaige hinzugekommene Teile nicht als äußerlich, sondern

195 196

Ak XVII, REFL 4673 OP, Ak XXII, 74

S. Einheit des Subjekts als Grund der formalen Einheit des Anschauens

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als innerlich hinzugekommen angesehen werden, was wiederum ein Erfordernis des organologisch gedachten Systembegriffs erfüllt. Der entwickelten Auffassung nach sieht Kant „Raum und Zeit" also so an, daß sie etwas „dem Subject als einem Act desselben angehöriges" sind, „wodurch dieses sich selbst setzt, d.i. sich selbst zum Gegenstande ... macht" 197 . So verstanden, ist die durch die Einheit der Anschauungsformen gesetzte „absolute Einheit die alles befaßt" im Sinne eines „Objects" zu nehmen, „welches eigentlich Subject ist" 198 . Nur vermittels Anschauungsformen ist das Subjekt gesetztes Subjekt, d.h. sein eigenes Objekt, ansonsten demnach ungesetzt, sich selbst kein Gegenstand und also nicht, wie rationale Psychologie es will, etwas auch bloß für sich: Es ist die „intuitive Vorstellung ... eine Anschauung die das unbedingte Ganze als ein Unendliches in sich faßt und das Subject ist in dieser Anschauung (aspectabile) zugleich das Object welches sich selbst setzt (dabile) ohne für sich selbst ein existirender Gegenstand zu seyn"199. Zum Raum und Zeit setzenden Akt, woraus also das Objekt als „Object, was wir selber machen", d.h. als Gestalt von Selbstorganisation, resultiert und wodurch wir „Urheber" sind, gehört nun wesentlich noch der Akt des Zurückbeziehens (wie oben auch als der Akt der Rezeptivität zu bezeichnen), so daß in der dadurch vervollständigten Betrachtung wir „Zuschauer und zugleich Urheber" 200 sind oder „Subject ... welches anschauend u. zugleich angeschaut ist" 201 . Zur Vermeidung einer zu weit gehenden Deutung - zu weit gehend unter dem Gesichtspunkt, daß trotz aller mit Hilfe des Opus Postumum betriebenen Forcierung einer schon in der Kritik der reinen Vernunft angelegten Entwicklungslinie die kritische Position der ersten Kritik hinsichtlich eines absoluten oder materialen Idealismus fiir verbindlich erachtet ist - soll hier einschränkend gesagt werden, daß bei aller Ähnlichkeit solchen ineins fallenden Urhebens und Zuschauens mit einem intellectus originarius der volle Sinn eines solchen doch deshalb nicht erreichbar ist, weil dieses Urheben und Zuschauen auf Formen der Anschauung restringiert ist, durch deren Setzung zwar ein Affiziert-Werden ermöglicht ist, der Gehalt in der Affektion aber nicht hervorzubringen ist und unbekannt bleibt. Entgegen dem schon angemerkten, einen Neuansatz darstellenden, aber problematisch bleibenden Zug des Opus Postumum auch hin auf ein Antizipieren „quoad materiale" 202 soll hier festgehalten werden, daß an diesem Gehalt doch das unter dem Aspekt einer lebendigen spekulativen Vernunft überall zu verfolgende Erzeugen seine Grenze findet.

197 198 199 200 201 202

OP, OP, OF, OP, OP, OP,

Ak Ak Ak Ak Ak Ak

XXII, XXII, XXII, XXII, XXII, XXII,

409 441 39 421 441 502

122

5. Einheit des Subjekts als Grund der formalen Einheit des Anschauens

Eingeschränkt auf das Formale kann nun aber aus dem geschlossenen Zusammenhang des in den originären Raum- und Zeitvorstellungen stattfindenden Setzens und Zurückbeziehens, welche Akte zusammengenommen wie oben auch als Akt der Reziprozität bezeichnet werden können, keine Vorstellung eines Raums unter den Räumen oder einer Zeit unter den Zeiten herausfallen. Die Vorstellung des allesbefassenden Raums als des ,,unendliche[n] und einige[n] Raum[s]" und „ebenso" die der „Zeit, worin alles Daseyn liegt", schreibt Kant einem „menschliche[n] Gemüth" zu, das „keine Verbindung ohne einen gemeinschaftlichen Grund und keine Bestimmungen ohne in Einem, welches alles enthält, gedenken"203 kann. Ersichtlich ist unter dem hier angesprochenen Gemüt nicht bloß ein solches zu verstehen, worin unter dem Namen einer etwa restriktiv aufgefaßten „allbefassenden reinen Apperception"204 im bloß transzendental/og/scAe« Verständnis alles Verbinden (Synthesis) als Urteilen bzw. begriffliches Fungieren befaßt ist, sondern hier vor allem ein solches, worin als dem Ursprungsort von Anschauungsformen alles Anschauen stattfindet, woraufhin dann jene Synthesis ausgeübt werden kann. Mit dem Ausdruck ,Gemüt' ist die - verglichen mit dem transzendental/og/scÄe« Selbst - tiefere, nämlich auch anschauungsfimdierende Schicht erkennender Subjektivität angesprochen. Wie gesehen, sind aufgrund des einigen Subjekts Raum und Zeit einig. Von solcher Einheit, die sich nicht mehrmals setzen läßt und auf die hin also kein Plural zu bilden möglich ist, heißt es bei Kant: „Einheit im Singulari gebraucht ist qualitativ . . . . Qualitative Einheit ist wie der Grund des Ganzen, quantitative wie ein Theil des Ganzen zu betrachten".205 Dies auf das durch das Subjekt vorgängig gesetzte Ganze von Raum und Zeit angewandt, d.h. darauf, daß „der Raum nicht entspringt, indem die Theile gesetzt werden,„ sondern die Theile nur möglich sind durch den Raum; eben so die Zeit"206, resultiert, daß deren qualitative Einheit als Grund der quantitativen Betrachtungsweise nach Räumen und Zeiten anzusehen ist. Qualitative Einheit ist in der Kritik der reinen Vernunft mit der „Einheit des Thema in einem Schauspiel, einer Rede, einer Fabel"207 verglichen, so daß von hierher in der Anwendung auf Anschauungsformen von der auf ein subjektives ganzheitliches Thematisieren zurückzubeziehenden, erfahrungsermöglichenden qualitativen Einheit des Zeit- und Raumthemas zu sprechen wäre, aufgrund dessen und in dessen Entwurf quantitatives Vorstellen nach Zeiten und Räumen als ein doch immer nur partielles Ausführen des Themas möglich wird. Mit dem bisher Entwickelten ist ausreichend vorbereitet, Raum und Zeit unverhohlen als Ideen anzusprechen. In Übereinstimmung mit seinen eigenen Anga-

203 204 205 206 207

Ak XVII, REFL 4733 A 123 Ak XVIII, REFL 5663 Ak XVII, REFL 4425; vgl. PROL, Ak IV, 286 Β 114

S. Einheit des Subjekts als Grund der formalen Einheit des Anschauens

123

ben dazu, was eine Idee ist, tut Kant das denn auch selbst. Diese Angaben lauten etwa: „Idee ist die Vorstellung das Gantzen, in so fern sie nothwendig vor der Bestimmung der Theile vorhergeht" 208 . Dem gemäß spricht Kant also etwa, und zwar im Sinne einer Voraussetzung zur „Bestimmung des Verhältnisses gegebener Räume", von der „bloßen Idee von einem Räume, der ... in der That aber kein Raum ist"209. Diesem nach Kant selbst „sonderbaren Begriffe" „des absoluten Raumes", dessen Sonderbarkeit also darin liegt, daß in der Idee vom Raum der Raum kein Raum (unter Räumen) ist, kommt aber „Nothwendigkeit seines Gebrauchs" 210 zu. Im Kontext dieser Aussagen wird in einer speziellen, die Bewegung der Materie innerhalb der Sphäre der Räume betreffenden Hinsicht diese Notwendigkeit so begründet, daß nur in Bezug auf diese Idee diese Bewegung angemessen verstanden werden kann, nämlich so, daß „alle ... als blos relativ gegen einander, als alternativ-wechselseitig, keine aber als absolute Bewegung oder Ruhe ... gelten möge". 2 " Raum und Zeit, auf die als die eine Zeit als Grund aller Einschränkungen die Betrachtung als ideelle Ganzheit ebenso paßt, sind „Gedankendinge ... (entia rationis)"2n. Beide sind „nicht existirende Dinge {non sunt entia) aber eben so wenig auch Undinge (non entia)"213, denn sie sind eben Voraussetzungen für die dann mit Recht erscheinende existierende Dinge' zu nennenden Dinge, insofern diese einen bestimmten Raum als Einschränkung einnehmen und für eine bestimmte Zeit als Einschränkung existieren können. Nach Kant „kann und muß man einräumen, daß Raum und Zeit bloße Gedankendinge und Wesen der Einbildungskraft sind", wozu aber hinzuzufügen ist: „nicht welche durch die letztere gedichtet werden, sondern welche sie allen ihren Zusammensetzungen und Dichtungen zum Grunde legen muß, weil sie die wesentliche Form unserer Sinnlichkeit und der Receptivität der Anschauungen sind, dadurch uns überhaupt Gegenstände gegeben werden"214.

208 209 210 211 212 213 214

Ak XVIII, REFL 5248 MAN, Ak IV, 521 MAN, Ak IV, 559 ebd. OP, Ak XXII, 414 OP, Ak XXII, 77 ÜEE, Ak VIII, 203 - Unter Anknüpfung einerseits an die auch oben herausgestellten Raum- und Zeitargumente der ersten Kritik (A 24f./B 3 9 ί ; A 3 If./B 47f.) und andererseits an die auch in dieser zu findende Bestimmung von Raum und Zeit als entia imaginaria (vgl. A 291/B 347), wodurch sie als Produkte der Einbildungskraft zuzuordnen sind, betont auch Günter Wohlfart (1980, vgl. bes. S. 152f.) Raum und Zeit als Ideen, und zwar als solche, die Uber die Erwägung als Vernunftideen im Sinn der ersten Kritik hinaus auf Kants Konzeption ästhetischer Ideen innerhalb der Kritik der Urteilskraft verweisen. - Auch Josef Simon (1969) stellt fest, daß bei Kant „der Begriff des einen Raumes" auf eine „Idee der Vernunft" führt; wahrend diese aber „als solche nur regulativ sein kann", ist in der „Bestimmung als transzendentale Anschauungsform diese 'Idee' konstitutiv" (S. 250). - Zum Ideecharakter des Raums vgl. auch Bruno Liebrucks (1968, bes. S. 316, 330f. u. 404f.).

S. Einheit des Subjekts als Grund der formalen Einheit des Anschauens

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Mit der Einbildungskraft als in Hinsicht auf den Raum und die Zeit grundlegend ist diesen Formen sinnlicher Rezeptivität hier wieder ein Vermögen im nachdrücklichen Verständnis eines tätigen zugeordnet. Von ihren anderen Tätigkeiten als speziellen Zusammensetzungen in Raum und Zeit wird unter dem Titel von Synthesen der Einbildungskraft, die also auf der Folie des durch sie ursprünglich grundgelegten ganzheitlichen Entwurfs zu geschehen haben, noch die Rede sein. In Kants Α-Deduktion ist die Ganzheitlichkeit des Entwurfs in Vorbereitung der Erörterung der angedeuteten Synthesen der Einbildungskraft als „Synopsis" zwar nicht der hier terminologisch enger gefaßten Einbildungskraft zugeordnet, sondern dem ,JSinn", dieser aber ist selbst als zu den „Quellen (Fähigkeiten oder Vermögen der Seele)"215 zugehörig angesehen. Unter den angesprochenen Dichtungen der Einbildungskraft, die als solche ein Moment der Willkür an sich haben mögen, aber auch einer notwendigen Grundlage bedürfen, können etwa ihre geometrischen Gebilde, die auf der Folie des einigen ganzen Raums zu konstruieren sind, verstanden werden. Aus diesem muß Einbildungskraft, um einen bestimmten Raum zu bezeichnen, z.B. ein beliebiges Dreieck, wie gesehen, immer etwas ausschneiden. Wegen dieser notwendigen Grundlage ihrer Dichtungen „gehört... selbst die Möglichkeit der Mathematik zur Philosophie"216. Im Satz unmittelbar vor dieser Aussage zur philosophischen Grundlegung der Mathematik gibt Kant den Grund für diese Zuständigkeit der Philosophie auf aufschlußreiche Weise an, wodurch das Leitmotiv dieser Untersuchung wieder explizit in den Vordergrund tritt. Zuständigkeit der Philosophie, so der zunächst noch zu erwartende konventionelle Teil dieser Angabe, ist dort gegeben, wo, wie in Hinsicht auf „das Ganze der Erkenntnis a priort, „die Idee des Ganzen dem Begrif seiner Theile als Grund seiner Möglichkeit vorhergeht"217. Das aber charakterisiert, so Kant also in Erwägung der Möglichkeit der Mathematik, einen organischen Körper: „Man kann einen organischen Körper auch so definiren"218. In der genannten Hinsicht entsprechen also - noch ausdrücklich hinzugenommen das im ideellen Charakter enthaltene innerliche Begründet-Sein von Raum und Zeit als durch Akte eines seine Formen der Rezeptivität entwerfenden Subjekts hervorgebracht - die Anschauungsformen der Idee eines Organismus. Es kann so die Zuständigkeit der Philosophie etwa hinsichtlich der Grundlage der Mathematik des Raums als durch die Vorstellung einer lebendigen, organologisch strukturierten und mithin nur ideell begründet sein könnenden Körperlichkeit gestützt angesehen werden. Hinsichtlich des subjektiven Entwurfscharakters von Raum und Zeit noch beachtet, worin nach Kant als einzigem ein innerer Bestimmungsgrund von Handlun215 2,6 217 218

A

94

OP, Ak XXI, 196 ebd. ebd.

S. Einheit des Subjekts als Grund der formalen Einheit des Anschauens

125

gen gesehen werden kann, nämlich in einem rationalen Begehren, können die Anschauungsformen entwerfenden Akte als zweckmäßig und Raum und Zeit als Zwecke angesehen werden. Es ist zu ihnen noch ein entfernterer Zweck hinzuzudenken, denn sie, die nicht „aus der Erfahrung" sind, sind ,för und zum Behuf derselben"219, d.h. zum Zweck der Erfahrung. Diesen Zweck erfüllen die Anschauungsformen als solche, d.h. ohne hinzukommende intellektuelle Formen, nicht vollständig, aber partiell und auf einer ersten Stufe der Grundlegung der Erfahrung, die durch sie schon eine ist und ganz. Im §77 seiner dritten Kritik, dessen Hauptabsicht auf die Unterscheidung des menschlichen von einem intuitiv urbildlichen, nach Zwecken absichtlich hervorbringenden, vom Ganzen zu den Teilen gehenden Erkenntnisvermögen geht (dessen Idee gefaßt sein muß, um sich in der Erscheinungswelt einen Organismus verständlich zu machen), kommt Kant doch nicht umhin, mit Bezug auf die „Einheit des Raums", die doch menschlichem Erkenntnisvermögen zuzuordnen ist, festzustellen, daß diese Form mit dem als urbildlich hervorbringend gedachten „Realgrund der Erzeugungen ... darin einige Ähnlichkeit hat, daß in ihm [dem Raum] kein Theil ohne in Verhältniß auf das Ganze (dessen Vorstellung also der Möglichkeit der Theile zum Grunde liegt) bestimmt werden kann". 220

219 220

OP, Ak XXII, 25 KDU, Ak V, 409

6. Ähnlichkeit mit Zwecken Das zuletzt zur Zweckähnlichkeit des Raums Bemerkte könnte, wenn die Festlegung auf die Abstraktion von allen Willensaspekten dort nicht getroffen wäre, seinen Platz auch schon im Zusammenhang des Raumarguments zum einen und ganzen Raum als Grund aller Einschränkungen (ebenso bei der Zeit) innerhalb der Kritik der reinen Vernunft haben. Es ist damit am Raum, d.h. an einer Bedingung der Möglichkeit der einen und ganzen Erfahrung und einer erscheinenden Welt überhaupt, ein Punkt der Ähnlichkeit mit der Idee festgestellt, die als Idee eines intellectus archetypus in Hinsicht auf spezielle, als Naturzwecke beurteilte Gegenstände in der erscheinenden Welt und also im Raum von zwar notwendigem, hier aber bloß regulativem Gebrauch ist. Die Ausführung dieser Ähnlichkeit läßt erkennen, daß sie nicht in einem vagen Sinn zu nehmen ist, sondern Kants eigenem Begriff einer Analogie gemäß, wodurch Gleichheit in Verhältnissen gefordert ist. Zwar müssen mit Kant auch Punkte der Unähnlichkeit genannt werden: Neben der aufgrund der unbestimmten Mannigfaltigkeit im ganzen Raum noch fehlenden inneren Artikulation des thematischen Ganzen (wozu dann die Synthesen der Einbildungskraft und des Verstandes beigetragen werden) ist der zentrale Punkt der Unähnlichkeit, daß durch den Raum nichts dem anschaulichen Gehalt nach hervorgebracht ist und er deshalb eben nicht als Äea/grund der Erzeugungen anzusehen ist. Doch ist von dieser Reduktion auf eine „formale Bedingung derselben"221 (der Erzeugungen) nicht betroffen, daß durch das der Raumvorstellung zuzuschreibende Teile-Ganzes-Verhältnis mit der Vorgängigkeit des Ganzen zurückzugehen ist auf etwas nicht von Raumteilen her Ganzheitsbegründendes. Von der Teilebetrachtung auszugehen, heißt, nicht aus der Betrachtung äußerer Verhältnisse herauskommen zu können, so daß weder in der Dekomposition zu etwas Innerlichem, noch in der Komposition zu mehr als komparativ Ganzem in seinerseits wieder äußerem Verhältnis zu gelangen ist. Wo nun aber jene andere Art von Ganzheit, bewußt in der notwendigen Vorstellung aller Raumteile als Einschränkungen, als innerlich begründet angesehen werden soll, d.h. in erkennender Subjektivität, da muß dieses Innerliche zuletzt, Kants Angabe dazu folgend, was als einziger innerlicher Bestimmungsgrund von Handlungen gelten kann, in ein Begehren gesetzt werden. Zu den innerlich begründeten Handlungen gehört, wie gesehen, zumindest für den späten Kant ausdrücklich der Akt der Rezeptivität, d.h. der in Spontaneität gründende, im Entwurf

221

KDU, Ak V, 409

6. Ähnlichkeit mit Zwecken

127

der Anschauungsformen die Passivität des Erkennens (in Hinsicht auf die Gehalte des Anschauens) eröffnende Akt. Obwohl die zuletzt erreichte Ebene der Deutung, die sich in Hinsicht auf explizite Belege vor allem auf den späten Kant stützen muß, überspitzt erscheinen wird, wenn man sie nur auf die Kritik der reinen Vernunft bezieht, konnten doch in der ersten Kritik (gegen die eine Tendenz gewisser dogmatischer Festlegungen, wovon zuvörderst die gegen die Beziehung theoretischen Vernunftgebrauchs auf den Willen zu nennen ist) Spuren im Impliziten aufgenommen werden, die eine Entwicklungslinie zu den später geäußerten Auffassungen ziehen lassen. Die zuletzt im einzelnen verfolgte Spur konnte bei der einen und ganzen Zeit und dem einen und ganzen Raum der 'Transzendentalen Ästhetik' und ihren Implikationen aufgenommen werden. Das zunächst vielleicht Befremdliche, von hierher auf den Gesichtspunkt der Zwecke zu leiten, ist von Kant selbst in seiner eine Zwischenstation der Entwicklung darstellenden dritten Kritik über die zuletzt diskutierte Stelle des §77 hinaus betrieben, d.h. in seiner Abhandlung zum Mathematisch-Erhabenen, die noch zu wenig als das zur Kenntnis genommen ist, was sie größtenteils ist, nämlich eine Abhandlung über Größenbegriffe222 (vorzugsweise in Hinsicht auf den Raum), die sich, wozu allerdings noch eine Modifikation des dort Gesagten erforderlich sein wird, auch in einen Bezug auf den Raum als quantum originarium bringen läßt. Allgemein gesprochen, wird in der Beurteilung des Erhabenen das Anschauungsvermögen Einbildungskraft mit der Vernunft, „als Beförderung der letztem, in Einstimmung betrachtet"223, wodurch - auf einer nichtempirischen Beurteilung beruhend - eine rationale Lust erzeugt wird, zwar im Durchgang durch eine zunächst enthaltene Unlust, schließlich aber in einer „desto stärkem Ergießung" „der Lebenskräfte"™. Ihren ersten Anhalt nimmt diese Beurteilung an der Vorstellung von „Unbegränztheit", wozu aber dann „doch Totalität derselben hinzugedacht wird"225. Mit der Totalität eines Unbegrenzten läßt sich unvermittelt an die obige Erörterung unendlicher Ganzheit anschließen. Wie aus Kants Konkretisierung des Unbegrenzten hervorgeht - er spricht von der unermeßlichen Menge von Milchstraßensystemen226 - , kann an die unendlich vielen Räume im Raum gedacht werden. Der diesbezüglich hinzugedachte Begriff der Totalität und die Art, wie er sich einstellt - aus dem Sinnlichen selbst sich herleitend oder von ihm schlechthin abgetrennt und in der Entgegensetzung dazu - werden hier zu problematisieren sein. 222

223 224 225 226

Als Ausnahme kann hier Ralf Meerbote (1991, vgl. bes. S. 701) angeführt werden, der als das grundlegende Theoriestuck für die Abhandlung des Mathematisch-Erhabenen das 4. Raumargument (bzw. das 5. in A) der Kritik der reinen Vernunft (A 25/B 40) erkennt, das mit Bezug auf den einen und ganzen Raum den Anschauungscharakter als unendlich gegebene Größe behauptet. KDU, Ak V, 244 KDU, Ak V, 245; Hervorh. Vf. KDU, Ak V, 244 vgl. KDU, Ak V, 256

128

6. Ähnlichkeit mit Zwecken

Das Hinzudenken von Totalität wird von Kant als Anhalt für das Bewußtwerden eines Vermögens und für ein Selbstverständnis des Menschen genommen, durch die Verhältnisse im Sinnlichen nicht letztlich bestimmt zu sein. Es wird dadurch eine „Gemtlthsstimmung" hervorgebracht, „welche deijenigen gemäß und mit ihr verträglich ist, die der Einfluß bestimmter Ideen {praktischer) auf das Gefühl bewirken würde"227. Die Frage ist nun, ob - wie Kants explizites Ergebnis in der Tat zu verstehen sein wird - die die Angemessenheit und Verträglichkeit mit praktischem Selbstverständnis ermöglichende Totalitätsvorstellung nur im Verständnis einer intellektuellen Transzendenz der Verhältnisse des Sinnlichen genommen werden kann, so daß Vernunft sich dadurch in die absolute Entgegensetzung zu Sinnlichkeit brächte und sich davon vollständig ablöste. Im Fall des Mathematisch-Erhabenen ist diese Totalitätsvorstellung die Vorstellung eines schlechthin Großen, bestimmt als „über alle Vergleichung großl"228 und als jedem sinnlich darstellbaren Maß enthoben. Im problematisierten Verständnis der bloßen Entgegensetzung zu Sinnlichkeit wäre der bezeichnete Größenbegriff bloß intellektuell und eben bloß hinzugedacht in dem Sinne, daß er als solcher sich widerspruchsfrei denken ließe, ohne daß er aber in irgendeiner positiven Beziehung auf Sinnlichkeit erwogen werden könnte. So verstanden, beruhte die an diesen Größenbegriff angebundene Beförderung des Lebensbewußtseins und schließlich das Bewußtsein einer mit praktischem Selbstverständnis verträglichen Erhebung über die Verhältnisse des Sinnlichen auf einem bloßen Denken-Können. Damit unterschiede dieser Größenbegriff sich nicht prinzipiell von den in eine Dialektik führenden Totalitätsvorstellungen als kosmologischen Ideen, wodurch sich im Hinzudenken intellektueller Anfänge (etwa in Hinsicht auf das räumlich Ausgedehnte) auch bloß ein immanent widerspruchsfreies Denken-Können ausdrückt. Demgegenüber läßt sich allerdings zeigen, daß der Sache nach für den Zugang zur im Mathematisch-Erhabenen thematischen Totalitätsvorstellung die absolute Trennung von den Bedingungen der Sinnlichkeit nicht zwingend ist und daß Kant diesen Zugang und die Totalitätsvorstellung selbst auf eine Art darlegt, die verträglich ist mit der erörterten Vorstellung eines quantum originarium, wie es als ursprüngliche Raumvorstellung im Verständnis der Bedingung der Möglichkeit der Räume vorauszusetzen ist. Dieser These nach ist eine Transzendenz der Verhältnisse in der Sinnlichkeit nur insoweit erforderlich, als dadurch - wie mit dem ganzen Raum (als totum verstanden) - die Voraussetzung dieser Verhältnisse thematisch wird. Die weiterreichenden Aussichten betreffend, bleiben die Gründe, die auf ein befördertes Lebensbewußtsein in Verträglichkeit mit praktischem

227 228

KDU, Ak V, 256; Hervorh. Vf. KDU, Ak V, 248

6. Ähnlichkeit mit Zwecken

129

Selbstverständnis leiten, ihrerseits mit dieser Anschauungsform als einer transzendentalen Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung verknüpft. Dem widerspricht es nicht, wenn Kant sagt, daß das „eigentliche Erhabene", d.i. also das schlechthin Große, „in keiner sinnlichen Form enthalten sein" kann und darin „keine ... angemessene Darstellung möglich ist", sondern daß sich hier nur die „Unangemessenheit"1229 darstellen läßt. Denn es ist hier daran zu erinnern, daß auch die originäre Raumvorstellung des einen und ganzen Raums keinen Raum unter Räumen innerhalb der sinnlichen Verhältnisse vorstellt (siehe oben: der Raum ist kein Raum), sondern die Voraussetzung dieser Verhältnisse. In der originären Vorstellung des Raums selbst liegt demnach ein Enthoben- oder Erhaben-Sein des vorstellenden Subjekts in Absetzung von einem bloß in den Verhältnissen des Sinnlichen verhafteten Selbstverständnis, allerdings - was hier verglichen mit dem bloßen Denken-Können eines schlechthin Großen als Vorzug verstanden wird - ein weiterhin und allein auf diese Verhältnisse bezügliches Erhaben-Sein, weil eben der eine Raum Grund der Verhältnisse nach Räumen in ihm ist. Wenn in Kants Darstellung Unbegrenztheit im Sinnlichen das Gemüt reizt, „die Sinnlichkeit zu verlassen und sich mit Ideen, die höhere Zweckmäßigkeit enthalten, zu beschäftigen"230, dann kann das nach der gegebenen Erklärung auch so aufgefaßt werden, daß dieses Verlassen ein Verlassen in Hinsicht auf ein Bewußtsein von der Ermöglichung von Sinnlichkeit selbst durch die Vorstellung eines quantum originarium ist, die ihrerseits die Vorstellung eines sich durch seine eigene Anschauungsform auf ein Affiziert-werden-Können hin, weitergehend schließlich auf ein Erfahren-Können hin, sich erweiternden Subjekts ist. Es muß, wenn es restriktiv heißt, daß im Erhabenen „so gar nichts" ist, „was auf besondere objective Principien und diesen gemäße Formen der Natur führte"231, diese Restriktion bloß als auf die Besonderheit der Prinzipien und die entsprechenden spezifischen Formen in der Natur bezogen gedacht werden. Im gegebenen Kontext ist das Gegenstück in der Abhebung vom Erhabenen das Schöne, womit gerade spezifische Formen in der Natur thematisch sind. Der Anspruch, in der Natur dargestellt zu sein, wird mit dem ursprünglichen Raum als quantum originarium in der Tat nicht zu verbinden sein. Dieser kann aber dennoch und eben darum als universale Voraussetzung aller Raumverhältnisse in der Natur thematisch sein, womit uns also das Erhabene an den subjektiven und ideellen Ursprung des Raumes überhaupt führte, wodurch schließlich alle derivativen Räume als Einschränkungen nur möglich sind. Das Erhabene bloß „in uns" anzusiedeln und bloß unserer „Denkungsart" zuzuschreiben, zu ihm also nicht wie „zum Schönen der Natur" eine

229 230 231

KDU, Ak V, 245 KDU, Ak V, 246 ebd.

130

6. Ähnlichkeit mit Zwecken

besondere Gestalt als „Grund außer uns suchen"232 zu müssen, ist für eine Transzendentalphilosophie, die, wie gesehen, viel daran setzt, den grundlegenden Raumgedanken 'außer uns' als einen in uns zu erweisen, nicht restriktiv. Zum Erhabenen ist erforderlich, daß sich im Ausgang von der Unbegrenzheit des Fortschritts im Zusammenhang der bestimmten Größen „Größe ... blicken läßt"233. Diese letztere, nur im Singular anzusprechende Größe, ein schlechthin Großes, legt den Gedanken an jenen einen alleinigen allbefassenden Raum der , Transzendentalen Ästhetik' nahe, von dem alle bestimmten Räume nur Einschränkungen sind. Es ist dieser Raum als quantum originarium, wie gesehen, im Verständnis ursprünglich subjektiven Entworfen-Seins zu nehmen und nicht etwa als etwas an sich Vorhandenes. Während allerdings die Betrachtung der .Transzendentalen Ästhetik' der ersten Kritik bloß das rein Formale des Raums betraf, ist die Theorie des Erhabenen der dritten Kritik in einem solchen speziellen Sinn ästhetisch, daß sie das Materiale (Milchstraßensysteme) der jenes Formale ausfüllenden Natur mitbefaßt und außerdem die verschiedenen Aspekte subjektiven Vermögend-Seins im jeweiligen Vorstellen in eine Beziehung auf das Lebensgefühl des Subjekts setzt. Demjenigen Vermögen nun, nämlich Einbildungskraft, das komprehendierend bestimmte Größen vorstellen läßt, korrespondiert das Gefühl gehemmten Lebens. Einerseits eignet diesem Vermögen zwar „ein Bestreben zum Fortschritte ins Unendliche"234, d.i. die Tendenz zur Überschreitung desjenigen, was als bestimmt großes Angeschautes jeweils durch sie apprehendiert ist (Ersichtlich ist eine solche strebende Einbildungskraft kein rein theoretisches Vermögen im Verständnis bloßen indifferentes Fungierens; als ein solches könnte es auch nicht, wie jetzt zu sehen sein wird, enttäuscht werden). Andererseits aber stellen die im immer Größeren schließlich unmöglichen Komprehensionen ein Scheitern der Einbildungskraft dar, nämlich ihre „Unangemessenheit... ftlr die Idee eines Ganzen"235. Es ist dies das grundsätzliche Scheitern der Intention, Ganzheit auf die Weise bestimmter Größenvorstellung zustande zu bringen, und eben von daher erklären sich Unlust und Hemmung der Lebenskräfte. Das Gefühl des Erhabenen ist nun aber trotz des in es integrierten Unlustmoments nicht letztlich Gefühl gehemmter, sondern im Gegenteil gesteigerter Lebendigkeit. Dieser Aspekt der Überwindung des Unlustmoments und der „desto stärkern Ergießung" „der Lebenskräfte"236 verdankt sich nach Kants Angabe in der Kritik der Urteilskraft dem Vermögen der Vernunft, Totalität „ohne Widerspruch

232 233 234 235 236

ebd. ebd. KDU, Ak V, 250 KDU, Ak V, 252 KDU, Ak V, 245

6. Ähnlichkeit mit Zwecken

131

auch nur denken zu können"237. Gedacht ist das Ganze durch dieses Vermögen als schlechthin groß"238. Die so gedachte Größe ist unterschieden von allen Größen in der Erscheinung, denn die „Größenbestimmung der Erscheinung" kann „allemal nur einen Vergleichungsbegriff liefern"; in ihr kommt es auf die „Größe der Einheit (des Maßes)" an, und diese bedarf „immer wiederum etwas anderes als Maß ..., womit sie verglichen werden könne"239. Was in der Natur als bestimmte Größe gegeben werden kann, kann immer wieder „bis zum Unendlich-Kleinen abgewürdigt werden"240. Unterschieden also von einem immer einen Vergleich erfordernden Maß muß das schlechthin Große so gedacht werden, daß wir „keinen ihm angemessenen Maßstab außer ihm, sondern bloß in ihm zu suchen verstatten"; als eine Größe, „die bloß sich selber gleich ist", ist sie „allein in unseren Ideen zu suchen"241. Es ist nun die Frage, ob Kants Qualifikation des als erhaben ausgezeichneten Größenbegriffs als rein intellektuell·*2 bzw. als bloß widerspruchsfrei gedacht angemessen ist. Diese Frage wird angesichts des Umstands wohl verneint werden müssen, daß alles zum schlechthin Großen Gesagte auch auf den einen alleinigen allbefassenden Raum als quantum originarium zutrifft, daß dieser aber nicht bloß widerspruchsfrei gedacht ist. Die geistige Funktion des bloßen widerspruchsfreien Denkens steht bei Kant üblicherweise für ein gänzlich anschauungsabgezogenes Denken, das nur darauf zu achten hat, daß kein A und Non-Α in eins gedacht werden. Solchem Denken in der völligen Entgegensetzung zur Sinnlichkeit und ihren Formen kommt denn auch das Denken der transzendentalen dialektischen Ideen zu, von deren Gegenständen es bestenfalls aufgrund der Widerspruchsfreiheit heißen kann, daß sie nicht unmöglich sind. Der eine alleinige allbefassende Raum dagegen ist nicht bloß logisch nicht unmöglich, sondern er ist als ursprüngliche Anschauungsform, obwohl selbst und als solcher nicht anzuschauen, doch Bedingung der Möglichkeit alles in ihm auf bestimmte Weise Anschaubaren. Auch von diesem ursprünglichen Raum mußte oben herausgestellt werden, daß er den Vergleichsbegriff des Maßes nicht zuläßt, mithin schlechthin groß ist. Zugleich war sein Ideecharakter zu betonen, d.h. er war nicht als Ding in den Verhältnissen der Erscheinung anzusehen, darum aber doch auch nicht als Unding, sondern als den immer als Einschränkungen zu betrachtenden Räumen in diesen Verhältnissen vorgängig, so daß erst unter seiner Voraussetzung jene relativen Maße genommen werden können und des weiteren Bestimmung nach Verstandesbegriffen der Größe möglich ist. Schließlich war der ursprüngliche

237 238 239

240 241 242

KDU, Ak V, 254 KDU, Ak V, 248 ebd.

KDU, Ak V, 250 ebd. vgl. KDU, Ak V, 250

132

6. Ähnlichkeit mit Zwecken

Raum zurückzuführen auf die Spontaneität eines Subjekts, das sich selbst durch ihn seine äußere Rezeptivität eröffnete. Insbesondere durch diese letzte Akzentuierung subjektiven Leistens ist ersichtlich, inwiefern die im Erhabenen erblickte Größe als quantum originarium mit dem Gefühl der „Ergießung der Lebenskräfte" einhergeht - und zwar ist dies nach dieser Erklärung leichter ersichtlich als in dem Fall, in dem sich das subjektive Leisten in der Vorstellung des schlechthin Großen auf ein bloßes Denken beschränkt, worin in der Entgegensetzung zum sinnlichformalen Aspekt subjektiven Selbstverständnisses eben nur der intellektuelle Teil subjektiven Vermögend-Seins im Hervorbringen zwar widerspruchsfreier, aber gänzlich weitabgewandter Gedanken fungiert. In der Kritik der Urteilskraft ist Kant in Erläuterung der Erhabenheit des Subjekts auf diesen rein intellektuellen Aspekt bloßen widerspruchsfreien Denkens schlechthinniger Größe restringiert, doch läßt sich diese Restriktion eben, wie geschehen, unter Rückgriff auf ebenfalls Kantische Einsichten aufheben, und es läßt sich diese Erhabenheit auf den ursprünglichen sinnlichformalen Weltentwurf des Subjekts hin erweitern. Damit ist die Erhabenheit des Subjekts, d.h. sein letztliches Nicht-betroffen-Sein von dem, was im Sinnlichen auf die Weise bestimmter Größen da ist (eingeschlossen es selbst in seiner Körperlichkeit), begründet in demjenigen, was als Voraussetzung dieses Innersinnlichen gelten muß, nämlich seine eigene Idee vom einen alleinigen allbefassenden Raum, der als quantum originarium etwas schlechthin Großes ist. Dieser Raum ist ursprünglicher Entwurf erkennender Subjektivität. In seiner subjektursprünglichen qualitativen Einheit ist er durch jeden bestimmten Raum, d.h. durch die quantitative Betrachtungsart nach Räumen, nur unangemessen auszuführen möglich. Im Bewußtsein der Unangemessenheit aller Räume als Einschränkungen liegt aber doch der Verweis auf den einen Raum im angegebenen qualitativen Verständnis, d.h. im Verständnis der qualitativen Einheit ursprünglich raumthematisierender Subjektivität. Der Zugang zur Vorstellung solcherart absoluter Größe als quantum originarium läßt sich damit aus einem Bewußtsein der Verhältnisse im Sinnlichen selbst gewinnen. Das Scheitern der Einbildungskraft in der in allem Fortschreiten in den Räumen von ihr zu erzielen versuchten ästhetischen Komprehension kann auf diese Weise als die Vorstellung des schlechthin Großen, d.i. die Vorstellung des Erhabenen, veranlassend angesehen werden, in welcher Vorstellung das Subjekt in dem Selbstverständnis steht, in seinem originären Raumentwurf durch die quantitativen Verhältnisse der in ihm ermöglichten Räume nicht letztlich angebbar zu sein, positiv ausgedrückt, diesen Verhältnissen enthoben zu sein, und zwar enthoben als sie begründend. Um die Frage der Ermöglichung der Erfahrung nun weiter zu treiben, ist es erforderlich, sich dem zuzuwenden, was in dem Ganzen, das durch die Anschauungsformen als quanta originaria ganz ist, gegeben ist, nämlich ein bloß unbestimmtes und unartikuliertes Mannigfaltiges. Die Momente der bloßen Mannigfaltigkeit sind als einzelne und als isolierte vorzustellen. Die soeben im Kontext

6. Ähnlichkeit mit Zwecken

133

der Theorie des Erhabenen noch thematische Komprehension zu bestimmter Größe durch Einbildungskraft liegt ersichtlich schon über diese bloße Mannigfaltigkeit hinaus und stellt schon ein auf Verbindungs- und Vereinigungsleistung beruhendes Resultat aus der Tätigkeit dieser Einbildungskraft dar. Die bloßen Formen der Sinnlichkeit selbst und als solche geben nichts Verbundenes und Vereinigtes, sondern eben bloß Mannigfaltiges. Ein bloß auf isoliert Einzelnes restringiertes Vorstellen nun könnte keine Erkenntnis geben, denn: „Wenn eine jede einzelne Vorstellung der andern ganz fremd, gleichsam isoliert, und von dieser getrennt wäre, so würde niemals so etwas, als Erkenntnis ist, entspringen, welche ein Ganzes verglichener und verknüpfter Vorstellungen ist."243 Worauf mit Erkenntnis gezielt ist, ist also wieder ein Ganzes, doch nun ein solches verglichener und verknüpfter Vorstellungen, diese bezogen auf das im anschaulich Ganzen gegebene Mannigfaltige. Der allgemeine Titel, unter dem bei Kant die Handlungen des Vergleichens und Verknüpfens in Absicht auf Erkenntnis stehen, ist der der Synthesis. Die synthetisierenden Vermögen sind Einbildungskraft und Verstand. Das Verhältnis beider ist bekanntlich in A- bzw. B-Auflage der Kritik der reinen Vernunft verschieden akzentuiert. Während die Einbildungskraft in der A-Auflage in größerer Eigenständigkeit auftritt, ist sie nach der B-Auflage eindeutig „Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben"244. Ersichtlich ist letzteres, das forciert gedeutet werden kann im Sinne einer im Dienst des Verstandes zur Beförderung seiner Tätigkeit fungierenden Einbildungskraft bzw. im Sinne einer ersten Anwendung, von der her weitere Anwendungen des Verstandes im engeren Verständnis geradezu gefordert sind, dem hier verfolgten Projekt einer unter einem Zweck vereinigten Tätigkeit aller Erkenntnisvermögen günstiger.

243 244

A 97 Β 152; Hervorh. Verf.

Teil III

Verstand

1. Übergang zu Handlungen der Synthesis Erkenntnis als Erfahrungserkenntnis ist es, um deren willen oder zu deren Zweck ( „ B e h u f ) Raum und Zeit, Produkte des Vorstellungsvermögens, mit dem durch sie eröffneten Mannigfaltigen hervorgebracht sind. Diesen Zweck erfüllen sie aber als solche noch nicht. Denn Raum und Zeit sind, wie schon angeführt, noch primitive Produkte des Vorstellungsvermögens, das in der Kritik der reinen Venunft unter dem Namen 'Sinn' auftritt - andernorts, wie gesehen, auch unter dem einer Einbildungskraft in weiter Bedeutung - , wobei aber auch von diesem Sinn festzuhalten ist, daß er Quelle, Fähigkeit und Vermögen ist1. Ihm ist schon zugeschrieben, in der Synopsis des Mannigfaltigen a priori" 2 eine Art von Zusammensein anzuschauen. Von ihm und seiner Synopsis hat Kant „oben im ersten Theile geredet" 3 , d.h. in der 'Transzendentalen Ästhetik'. Dem Aspekt der Synopsis entsprechend, kann es anderswo etwa vom Raum auch heißen, daß er schon „selbst das Phänomen der möglichen Gemeinschaft" 4 ist. Zugleich ist er aber doch noch, wie es bei aller Problematik mit empirischen Veranschaulichungen von Kant doch treffend ausgedrückt ist, wie Wasser, das nämlich insofern „dem unermeßlichen Räume gleich" ist, als es noch ohne „Figur und Gestalt" 5 ist, weshalb oben in Hinsicht auf die in Raum und Zeit zu denkenden Teile auch die Einschränkung anzubringen war, daß diese in ihrer Bestimmtheit und Artikuliertheit mit den Anschauungsformen nicht auch schon vorliegen, sondern in diesem erst zu bewirken sein würden. Von der am Raum zu Figur und Gestalt höherstufig noch zu bewirkenden begrifflichen Strukturierung ist damit noch ganz abgesehen. Figur, Gestalt und schließlich etwas als Gegenstand der Erkenntnis, wozu Einheit des Vorstellens nach Art von Begriff und Urteil erforderlich ist, sind von Kant als etwas in Hinsicht auf das Mannigfaltige der Anschauung erst noch zu Bewirkendes angesehen 6 , wodurch sich die Frage nach der Art einer dazu anzusetzenden Kausalität stellen wird. Insofern nun also der Raum noch wie Wasser ist, ist er bei aller Vorausgesetztheit des Ganzen, wovon aber nach den obigen Ergebnissen immer wieder die sich aufdrängende Behälter-Vorstellung (übrigens eine Gestalt-Vorstellung) zu-

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vgl. A 94 ebd. A 95 Ak XXIII, 32; vgl. auch Ak XVIII, REFL 5988: „In der Sinnenwelt ist vermöge des Raumes schon eine Bedingung des commercii,... " PG, Ak IX, 190 vgl. A 1050

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1. Übergang zu Handlungen der Synthesis

gunsten der Vorstellung von der qualitativen Einheit des homogenen Raumthemas abzuweisen ist, doch als quantum continuum innerlich unartikuliert und also, wie es der durch den Zweck der Erfahrung jederzeit geforderten Bestimmtheit entgegensteht, innerlich unbestimmt. Die quanta originaria als unbestimmte Größenbegriffe sind, so das Unterscheidende zu den quanta discreta, „in Ansehung der Menge der Teile unbestimmt und continuum"; als diese quanta continua sind sie zugleich aber auch die Größen, „worin alle quantitaet allein bestirnt werden kan"7.

Sie sind dasjenige Bestimmbare, woraufhin Bestimmung, gestalthafte oder weitergehend durch den Verstandesbegriff der Größe, d.i. das Denken von Größe, allein stattfinden kann. Die der Anschauung a priori zuzuschreibende Größenvorstellung eines unbestimmt Mannigfaltigen ist nun also doch bestimmbar, durch Raum und Zeit ist etwas in der „unbestimmten doch bestimbaren Anschauung"8 vorgestellt. Ohne diese Möglichkeit und Eignung zum Bestimmt-Werden wäre die Möglichkeit einer Erfahrung, die eine bestimmte sein muß, durch sie nicht eröffnet. Die Bestimmbarkeit und also ihre Zugänglichkeit für Bestimmung ihnen als Eigenschaft zusätzlich dazu zugesprochen, daß sie Ganzheiten im erörterten Sinn sind, läßt zu Raum und Zeit und zu ihrem auf Erfahrung verweisendem Charakter in stärkerer Akzentuierung wiederholen: Sie haben die „Tendenz zu einem System des Mannigfaltigen d.i. zum Behuf der Möglichkeit der Erfahrung, (die nur Eine seyn kann)"9; sie sind „formale Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung als eines Systems"10, zu dem dann, wie zu sehen sein wird, „der Verstand übergeht"11. Die Tendenz der Formen der Anschauung mit ihrem Mannigfaltigen zu weiterer Strukturierung, und zwar zuletzt zu begrifflicher, einem System von Kategorien gemäß, ist in der Kritik der reinen Vernunft in dem zu den reinen Verstandesbegriffen hinleitenden §10 ausgedrückt. In einem aus diesem Paragraphen heranzuziehenden zentralen Satz sind die Anschauungsformen sowohl angesprochen, insofern sie für sich betrachtet sind, als auch, insofern sie in Beziehung auf das Denken stehen. Das erstere betreffend, heißt es: „Raum und Zeit enthalten nun ein Mannigfaltiges der reinen Anschauung a priori, gehören aber gleichwohl zu den Bedingungen der Receptivität unseres Gemüths, unter denen es allein Vorstellungen empfangen kann ... " I 2

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Ak XVIII, REFL 5846 OP, Ak XXII, 414 OP, Ak XXII, 42 10 OP, Ak XXII, 193 " OP, Ak XXII, 451 12 A77/B 102

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Mit dem 'gleichwohl' ist hier das vermeintliche Spannungsverhältnis zwischen der Apriorität oder dem Entwurfscharakter der Anschauungsformen, d.h. der Zugehörigkeit zum ursprünglichen Selbstverständnis erkennender Subjektivität, und dem in der Rezeptivität liegenden Empfangen und Besetzt-Werden durch empfindungshafte, unbekannte und als solche unverständliche Gehalte angesprochen, die seinem Selbstverständnis nicht ursprünglich zugehören. Dieses Spannungsverhältnis ließ sich schon auflösen, denn Raum und Zeit gehören zwar zur Rezeptivität, insofern in ihnen a posteriori Gehalte auftreten, sie beruhen aber als Formen a priori nicht selbst auf Rezeptivität, sondern sind, wie ausgeführt, eröffnend in Hinsicht auf ein Empfangen und AfFiziert-Werden durch diese Gehalte. Sie konnten, als um dieser Eröffnung willen auf einem Leisten beruhend, sogar auf Spontaneität zurückgeführt werden. Obwohl dies bei Kant erst später zur vollen Entwicklung gelangt, oben ausgeführt unter der These von der Rezeptivität durch Spontaneität, ließen sich doch auch schon in der Kritik der reinen Vernunft Ansätze dazu entdecken, etwa mit der Selbsttätigkeit des Gemüts im zeitlichen Setzen seiner Vorstellungen und mit der dadurch eröffneten Selbstaffektion13.Diese Ansätze sollen im weiteren trotz des in der ersten Kritik vordergründig herrschenden konterkarierenden Zugs einer strikt dichotomischen Auffassung des Verhältnisses von Spontaneität und Rezeptivität nicht fallen gelassen werden. Einer sich durch Formen der Anschauung. Produkte des Vorstellungsvermögens, ausdrückenden Spontaneität Rechnung tragend, wird die jetzt anvisierte Spontaneität des Denkens nicht mehr als Spontaneität schlechthin hinzukommen können, sondern nur noch als eine anderer Art oder als die Tendenz der ersten fortsetzend. Um auf den herangezogen Satz des § 10 und seine noch ausstehende Aussage zur Beziehung der Anschauungsformen auf das Denken zurückzukommen, ist in ihm die Möglichkeit des Zugangs zum begrifflichen Vorstellen von den Anschauungsformen her und also ihr Tendenz- oder Verweischarakter auf dieses Vorstellen hin ausgedrückt, indem es heißt, daß Raum und Zeit, worin also nun „Vorstellungen von Gegenständen empfangen" sein können, „auch den Begriff derselben", d.h. das allgemeine Vorstellen des in den empfangenen Vorstellungen bloß anschaulich mannigfaltigen Einzelnen, Jederzeit afficiren müssen"14. Insofern vom afFizierten Begriff die Rede ist, ist Affektion hier nicht Affektion der Sinnlichkeit durch anschauliche Gehalte. Die angesprochene Affektion betrifft das Verhältnis der Formen der Sinnlichkeit zum begrifflichen Vorstellen, und dieses Verhältnis stellt sich, indem die ersteren notwendig affizieren und das letztere affiziert wird, so dar, daß ein Verweis vom in den Formen der Sinnlichkeit Vorgestellten auf das Begreifen geht, so daß das darin Vorgestellte nicht schlicht vorliegt, sondern vorliegt, um begriffen zu werden.

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vgl. B67f. A77/B 102

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1. Übergang zu Handlungen der Synthesis

Das Mannigfaltige in den Formen der Anschauung ist eben ,¿um Behuf der Erkenntniß"15 gegeben, wobei der schon in seinem finalen Charakter herausgestellte Ausdruck 'zum Behuf von Kant leicht durch einen neutralen hätte ersetzt werden können. So weit zu sehen ist, ist dieser bei Kant vielfach im Kontext der Erörterung der fundierenden Leistungen von formalen Bedingungen der Erfahrung gebrauchte Ausdruck16 wie andere einschlägige, die einen finalen Aspekt dieser formalen Bedingungen nahelegen, zur Deutung noch kaum aufgegriffen und wohl der literarischen Manier Kants zugeschlagen worden, wobei allerdings ein Kriterium zur Ausgrenzung dessen als literarisch schwerlich anzugeben sein dürfte. Dagegen konnte ein wesentlicher Anhaltspunkt dafür, derartiges für sachlich relevant zu halten, aus dem Zweckmäßigkeit implizierenden allgemeinen Systembegriff der Kritik der reinen Vernunft gewonnen werden. Diesem Systembegriff unterliegt, wie zu wiederholen ist, das gesamte Jnventarium aller unserer Besitze durch reine Vernunftl7, die alle zusammen die formalen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung als eines Systems sein sollen (einschränkend ist hier zu sagen: nicht eines Systems nach besonderen empirischen Gesetzen, was in der Tat dann zum Speziellen und zum weiterführenden Neuansatz der dritten Kritik und des Opus Postumum gehört). Aus dem Opus Postumum kann nun das Folgende als der Aussage von den das Begreifen affizierenden Formen der Anschauung entsprechend herangezogen werden: „Raum, Zeit und Zusammenfassung (complexus) des Manigfaltigen Einer Anschauung im Räume und der Zeit begründen das Formale der Bedingungen des Subjects unter welchen es sich selbst a priori als Gegenstand in der Erscheinung (dabile) setzt und synthetisch als (cogitabile) bestimbar denkt."' 8

Daraus das Entscheidende hervorgehoben, ist also schon mit Raum und Zeit, die ein Gesetztes eines Sich-Setzens des Subjekts sind, wodurch dieses sich ein Erscheinen eröffnet, das 'cogitabile ' mitbegründet. Um diese Möglichkeit zu realisieren, muß nun allerdings der Vollzug des Bestimmens als eines das bloße Setzen des in der Erscheinung Bestimmbaren fortsetzenden Handelns kommen. Die Finalisierung des in den Formen der Anschauung Vorgestellten, wodurch es nicht schlicht als vorhanden, sondern als mit der Tendenz zum BegriffenWerden und als dazu disponiert vorhanden anzusehen ist, drückt Kant in der ersten Kritik aus, indem er zur Art, wie die .Transzendentale Logik' das Mannigfaltige der Sinnlichkeit „vor sich liegen" hat, sagt, daß die ,Transzendentale Ästhetik'

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A 78/B 104; Hervorh. Vf. vgl. A 236/B 295; A 3 I 0 /B 367; PROL, Ak IV, 312; PROL, Ak IV, 325 Anm. A XX OP. Ak XXII, 23

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„ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit... ihr darbietet, um zu den reinen Verstandesbegriffen einen Stoff zu geben, ohne den sie ohne allen Inhalt, mithin völlig leer sein würde"19.

In der transzendentalen Logik, die als eine solche nicht ohne Inhalt sein darf, werden umgekehrt ihre anvisierten reinen Verstandesbegriffe, wie schon angeführt, auf Anschauung abgezweckt sein müssen. Das Denken wird in seiner Beziehung auf die Formen der Anschauung mit dem unbestimmten Mannigfaltigen darin als Relat zwar auch spezifisch für sich, d.h. in Abhebung von ihnen, betrachtet werden müssen, doch nicht in dem Verständnis, daß es auch etwas erkennen könnte, ohne sich auf sie zu richten. Der Aspekt der Abhebung ist von Kant im direkten Anschluß an die Betonung des durch reine Anschauung a priori affizierten Begriffs so bezeichnet: „AHein die Spontaneität unseres Denkens erfordert es, daß dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegangen, aufgenommen und verbunden werde, um daraus eine Erkenntniß zu machen. Diese Handlung nenne ich Synthesis." 20 .

Es ist hier sprachlich ambig, welche Seite welche andere erfordert. Kants Sätze lassen abweichend von einer erfordernden Spontaneität des Denkens auch eine hier näherliegende Lesart zu (deshalb näherliegend, weil unmittelbar zuvor vom durch die Formen der Anschauung affizierten Begriff die Rede ist), wonach diese Spontaneität als eine erforderte anzusehen ist. Nach dieser Lesart ist die Spontaneität des Denkens, nämlich sein Handeln im Durchgehen, Aufnehmen und Verbinden (Synthesis), von den Formen der Anschauung und ihrem unbestimmten, doch bestimmbaren Mannigfaltigen her erfordert. Demgegenüber die Ambiguität des Satzes nicht auflösend, kann auch vom wechselseitigen Erfordern gesprochen werden, d.h. vom Denken als einem Erfordernis der Anschauung und ebenso vom Anschauen als einem Erfordernis des Denkens. Auch der konjunktivische Modus in der Formulierung 'daß dieses Mannigfaltige ... verbunden werde' mit seinen finalen oder Optativen Ausdrucksmöglichkeiten gibt den Zusammenhang von Denken und Anschauen als einen zweckmäßigen Verweisungszusammenhang an, worin, unter Zugrundelegung des Optativen Sinns forciert ausgedrückt, das eine in Hinsicht auf das andere geradezu als etwas Erwünschtes anzusehen ist. Weil nun das Mannigfaltige der Anschauung - dieses allerdings schon in der qualitativen Einheit und im Ganzen dessen, was der ursprüngliche Raum- und Zeitentwurf oder das ursprünglich einige Raum- und Zeitthema genannt wurde sich nicht selbst zusammenordnet und von ihm her kein Anstoß für die Vorstellung einer bestimmten Ordnung empfangen werden kann, ist spontane Handlung daraufhin erforderlich. Bevor noch auf die „gewisse Weise" dieses spontanen Han-

19 20

A 76f./B 102f.; Hervorh. Vf. A77/B 102

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1. Übergang zu Handlungen der Synthesis

delns gemäß bestimmten Verstandesbegriffen eingegangen wird, bestimmt Kant Synthesis in der allgemeinsten Bedeutung" als die „Handlung, verschiedene Vorstellungen zu einander hinzuzuthun, und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntniß zu begreifen"21, oder auch so, daß sie „Elemente zu Erkenntnissen sammlet und zu einem gewissen Inhalte vereinigt"22. Das Mannigfaltige der Sinnlichkeit a priori ist nun also zur Synthesis dargeboten, d.h. zu einem Handeln daraufhin als ein Durchgehen, Elemente-Sammeln, Aufnehmen, Verbinden, Zu-einander-Hinzutun und schließlich als ein Vereinigen und Begreifen. Ersichtlich ist für ein Synthesishandeln vorauszusetzen, daß das Vorstellen sich darin aus der Unmittelbarkeit der anschaulichen Vorstellungsart lösen, dazu in Stellung gehen und also dazu mittelbar sein kann. Mit Bezug auf Synthesis als ein auf Vereinigen gehendes Handeln läßt sich schließlich sagen, daß das Mannigfaltige der Sinnlichkeit zum Beurteilt-Werden dargeboten ist, denn Urteile sind „Functionen der Einheit unter unsern Vorstellungen"23; eine Funktion ihrerseits ist „die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen"24. Durch Urteilshandeln werden „viel mögliche Erkenntnisse ... in einer zusammengezogen"25. Insofern die vielen verschiedenen Vorstellungen, welche zuerst die auf anschaulich Mannigfaltiges bezogenen sind, nicht als solche von selbst unter einer gemeinschaftlichen Vorstellung geordnet, sondern erst noch zu ordnen sind, muß unter dem leitenden Gesichtspunkt des Begriffs des Lebens die dem Urteilshandeln zugeschriebene Spontaneität interessieren, wobei diese aber, um diesen Begriff voll zu erfüllen, sich nicht bloß als die Spontaneität eines nicht weiter bestimmten Denkens erweisen dürfte, sondern letztlich als eine des Denken-Wollens mit dem unter gemeinschaftlichen Vorstellungen geordneten Mannigfaltigen als seinem Zweck. Die gemeinschaftlichen Vorstellungen, Vorstellungen von Vorstellungen und also mittelbare, die als vielgültige andere unter sich enthalten, heißen Begriffe: Mit Begriffen - das sind „höhere"26 Vorstellungen - ist der Gedanke der Subordination eingeführt. Um mit dem durch sie gegebenen Aspekt des Unter-sichEnthaltens den Systemgedanken zu verbinden, ergibt sich: Während Raum und Zeit als innerlich begründete Ganzheiten ihm in eingeschränkter Weise schon genügen, in ihnen aber bloß unbestimmt kontinuierliche Mannigfaltigkeit in der Beiordnung des Nacheinander und Zugleich ist, erfüllt das begriffliche Vorstellen diesen Gedanken weitergehend und geht auf Erfahrung als ein innerlich durch Uber- und untergeordnete Vorstellungen artikuliertes hierarchisches System. Im

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A 77/B 103 A 77f./B 103 A69/B94 A68/B93 A69/B94 A69/B94

1. Übergang zu Handlungen der Synthesis

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Opus Postumum, wobei aber auch hier nichts gegen eine Anwendung auf die erste Kritik spricht, findet sich dieser Zusammenhang so ausgedrückt: Durch Raum und Zeit wird ein „Inbegriff als ein unendliches Ganze gedacht in welchem Warnehmungen (empirische Vorstellungen mit Bewußtseyn) als in einem System d.i. nach dem Princip der Möglichkeit der Erfahrung bey- und ««Zugeordnet gedacht werden"27.

Dieses System, den Aspekt der Unterordnung betreffend, ist es, „zu welchem der Verstand übergeht"28. Diejenigen Begriffe, die von Kant nun als a priori artikulierend anvisiert sind, werden ihrerseits in ihrer systematischen Einheit projektiert; das ist, wie im folgenden gezeigt werden wird, in der Einheit eines speziellen und ausgezeichneten Ganzen. Es ist nun also weder das Mannigfaltige in den reinen Formen der Anschauung, obwohl in der 'Transzendentalen Ästhetik' für sich betrachtet, etwas für sich, d.h., ohne als Bestimmbares der Bestimmung durch Begriffe zugänglich zu sein, noch werden die reinen Verstandesbegriffe etwas für sich sein, d.h., ohne Prinzipien in Absicht auf die Bestimmung des bestimmbaren Mannigfaltigen in diesen Formen zu sein. Wenn es dem scheinbar zuwider heißt: „Der reine Verstand sondert sich nicht allein von allem Empirischen, sondern sogar von aller Sinnlichkeit völlig aus"29, dann wird diese Isolierung in demselben Sinn wie oben hinsichtlich der Anschauungsformen zu nehmen sein, so daß auch der Verstand für sich selbst abstraktiv betrachtet werden muß, um schließlich einsichtig zu haben, was in seiner Unterschiedenheit doch notwendig aufeinander bezogen ist und das jeweils andere fordert. Es ist zwar nötig, in Hinsicht auf Verstand und Sinnlichkeit „nicht ihren Antheil [zu] vermischen, sondern man hat große Ursache, jedes von dem andern sorgfältig abzusondern, und zu unterscheiden"30, doch zugleich ist zu vergegenwärtigen, daß beide eben Anteile bezüglich der apriorischen Grundlegung der einen Erfahrung sind: „Nur daraus, daß sie sich vereinigen, kann Erkenntniß entspringen"31. Obwohl der Verstand also isoliert zu betrachten ist, beruht doch der „Gebrauch" seiner „reinen Erkenntniß ... darauf als ihrer Bedingung: daß uns Gegenstände in der Anschauung gegeben sind, worauf jene angewandt werden könne"32. Obwohl der Ausdruck 'Gegenstand in der Anschauung', indem er einen Gegenstand vor der Anwendung von Verstandesbegriffen anspricht, noch nicht im ausgezeichneten Sinn eines objektiven Gegenstandes der Erfahrung zu nehmen ist, insofern die Anwendung dieser Begriffe diese Auszeichnung erst verschafft, ist doch

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OP, Ak XXII, 451 ebd. A65/B89 A 51 f./B 76 A51/B75 A62/B 87

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I. Übergang zu Handlungen der Synthesis

der Gegenstand der Anschauung immer als ein zum Gegenstand der Erfahrung auszuzeichnender erforderlich. Den grammatischen Sinn der konjunktivischen Wendung ernst nehmend, nach der uns Gegenstände in der Anschauung gegeben „seien"", kann sogar gesteigert von diesen Gegenständen als solchen schon gesagt werden, daß sie uns gegeben sein sollen, um sie dann weitergehend zu Gegenständen der Erfahrung auszuzeichnen. Zur Bedingung des Gebrauchs der reinen Erkenntnis vermittels Verstandesbegriffen gehört nach dieser Lesart das Sein-Sollen von Gegenständen in der Anschauung, demgemäß das Sein-Sollen der Formen dieser Anschauung, welches Sollen allein an die Absicht eines sich auf das Gesollte hin erweiternden Subjekts angebunden werden kann. Ohne den Gegenstand der Anschauung kann .Transzendentale Analytik' keine „Logik der Wahrheit"34 sein. Der emphatische Charakter des Wahrheitsbegriffs selbst ist oben schon erörtert worden. Sinnlichkeit ist also Bedingung des Verstandesgebrauchs, wozu nun aber einschränkend zu sagen ist: des legitimen Gebrauchs. Denn möglich ist auch ein anderer Gebrauch, nämlich ein Mißbrauch, der „Anmaßungen" enthält, der sogar „sehr anlockend und verleitend" ist und der gerade darauf beruht, aus der Isolation des Verstandes heraus einen Gebrauch zu versuchen, wodurch man sich seiner ohne die Beziehung auf Sinnlichkeit, d.h. dialektisch „über die Grenzen der Erfahrung hinaus"35, bedient (z.B., wie angeführt, mit dem Substanzbegriff in der rationalen Psychologie). In einer Theorie des Verstandes als Logik der Wahrheit muß also, um nicht allen Inhalt, d.i. „alle Beziehung auf irgend ein Object, mithin alle Wahrheit", zu verlieren, die Beziehung auf Anschauung gewahrt bleiben. Es heißt von ihr, daß sie „eigentlich nur ein Kanon der Beurtheilung des empirischen Gebrauchs" - von in der Tat nichtempirischen, d.h. reinen VerstandesbegrifFen - „sein sollte"36, was sie aber offenbar nicht schon von selbst ist, insofern in ihr ein legitimes Urteilen sich gegen ein illegitimes behaupten muß. Der dialektische Gebrauch des Verstandes ist nicht schlicht ein falscher im Gegensatz zu einem wahren, sondern ein weder zur Wahrheit noch zur Falschheit fähiger zweckwidriger im Gegensatz zu einem zweckmäßigen. Kant trifft, obwohl in Vorbereitung einer speziellen, selbst noch den transzendentalen Ideen zuzuschreibenden Zweckmäßigkeit in einem regulativen Gebrauch, die doch allgemeine Aussage:

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34 35 36

ebd.; aus den sachlichen Gründen, die sich ersichtlich aus der Orientierung an dem entwickelten und ñlr systematisch relevant gehaltenen Begriff des Lebens ergeben, ist die Übertragung des im Kantischen Originaltext zu findenden (und wohl eine Ambivalenz enthaltenden) 'seyn' in ein 'seien', für die sich Ingeborg Heidemann (1966) als Herausgeberin der Kritik der reinen Vernunft entschieden hat, der Übertragung der Akademieausgabe in ein 'sind' vorzuziehen. ebd. A 63f./B 87f. A 63/B 87f.

1. Obergang zu Handlungen der Synthesis

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„Alles, was in der Natur unserer Kräfte gegründet ist, muß zweckmäßig und mit dem richtigen Gebrauche derselben einstimmig sein, wenn wir nur einen gewissen Mißverstand verhüten und die eigentliche Richtigkeit derselben ausfindig machen können." 3 7

Vor der genannten speziellen Zweckmäßigkeit selbst noch eines indirekt erfahrungsbezogenen regulativen Gebrauchs von für sich transzendenten Ideen läßt sich daraus doch zuerst die Zweckmäßigkeit des direkt auf Erfahrung bezogenen Verstandesgebrauchs selbst folgern, die eine unter die Bedingung vermiedener Zweckwidrigkeit gestellte Zweckmäßigkeit ist. Durch die Bezugnahme auf den Zweckbegriff soll hier angezeigt sein, daß - wie damit immer - die Beziehung auf einen Willen thematisch werden muß, der entweder als ein irrationales Begehren (ein Hang) im Mißbrauch oder als ein rationales Begehren im legitimen Gebrauch wirksam werden kann. Wenn es zum illegitimen Verstandesgebrauch in seiner Erweiterung über Erfahrung hinaus letztlich heißen muß: „Der transcendentale Schein ... hört gleichwohl nicht auf, ob man ihn schon aufgedeckt und seine Nichtigkeit durch die transcendentale Kritik deutlich eingesehen hat"38 (etwa die Nichtigkeit der Erkenntnis einer von zeitlichem Selbstverständnis unabhängigen substantiellen Seele), dann bedeutet das, daß zur Sicherung des legitimen Gebrauchs des Verstandes, d.h. zur Beachtung seiner Beziehung auf Raum und Zeit und das darin Gegebene, mehr erforderlich ist als bloß die Einsicht in die Falschheit der Gründe in Hinsicht auf den nicht auf mögliche Erfahrung bezogenen Gebrauch. Insofern die Einsicht in den Schein nicht ausreicht, den Verstandesgebrauch auf seine Beziehung auf Sinnlichkeit hin festzulegen, erfordert diese Festlegung und also die gewahrte Beziehung auf Raum und Zeit zusätzlich zum Einsehen ein gegen einen Hang gerichtetes rationales Begehren. Es findet sich nun bei Kant der Zweckgedanke, angewandt auf den reinen Verstand in seiner Beziehung auf Sinnlichkeit, nicht bloß im Impliziten oder so, daß er aus der Entgegensetzung zur Zweckwidrigkeit der fehlenden Beziehung im dialektischen Verstandesgebrauch zu entwickeln wäre. Ausdrücklich kündigt er im Übergangsparagraphen zur B-,Deduktion' diese als einen Versuch an, der menschlichen Vernunft gleichermaßen wider Schwärmerei und Skeptizismus positiv „das ganze Feld ihrer zweckmäßigen Thätigkeit... geöffnet [zu] erhalten"39, d.i. das Feld möglicher Erfahrung in Raum und Zeit. Wirkliche Erfahrung auf diesem Feld wird demnach einen Zweck erfüllen. Die zweckmäßige Tätigkeit des Verstandes in Hinsicht auf das Feld möglicher Erfahrung, d.i. das durch Anschauungsformen eröffnete Feld, soll nun gemäß

37 38 39

A 642f./B 670f. A 297/B 353 Β 128; Hervorh. Vf.

1. Übergang zu Handlungen der Synthesis

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apriorischer „Begriffe der Synthesis"40 ausgeführt werden. Von diesen sagt Kant, daß der Verstand „um deren willen ... auch nur ein reiner Verstand ist; indem er durch sie allein etwas bei dem Mannigfaltigen der Anschauung verstehen, d.i. ein Object derselben denken kann" 41. Der Verstand ist nicht auch noch 'um-willen' der Realisierung eines anderen Zwecks reiner Verstand, sondern nur 'um-willen' der Verständlichkeit des Mannigfaltigen der Anschauung oder, anders ausgedrückt, 'um-willen' der durch Synthesishandlungen hinsichtlich des Mannigfaltigen zu erzielenden Vereinigung im Begriff eines Objekts. Er ist Verstand nur 'umwillen' des Gegenstandes der Erfahrung, d.h. dieses Gegenstandes als eines Zwecks. Durch die Betonung des Begreifens als der auf das unbestimmt Mannigfaltige in Raum und Zeit angewandten allgemeinen Vorstellungsart läßt sich schon der Vorverweis auf eine nähere Angabe zum durch den Verstand verfolgten Zweck geben. Denn aufgrund seiner allgemeinen Vorstellungsart mittels Verstand wird das Subjekt nicht im Selbstverständnis unmittelbaren, privaten, empfindungshaften Besetzt-Seins durch mannigfaltige Gehalte in den Formen der Anschauung stehen, sondern in einem nichtprivaten Selbstverständnis, dem der Gegenstand der Erfahrung und nicht etwa bloß ein wahrgenommener Gegenstand seiner Anschauung korrespondiert. Um hier nebenbei einen schon anfänglich erörteten Aspekt wieder aufzunehmen, der später eingehender zu diskutieren sein wird, ist durch ein nichtprivates Selbstverständnis der Gedanke anderer Subjekte eröffnet und entsprechend der Gegenstand der Erfahrung als der einer gemeinsamen Welt. Was dadurch angedeutet sein soll, ist das Wechselverhältnis der Begriffe der objektiven Gültigkeit und der Allgemeingültigkeit für jedermann. Als Gegenstand einer gemeinsamen Welt kommt der Gegenstand der Erfahrung also noch als ein Zweck in erweiterter Bedeutung in den Blick und ebenso der Verstand als ein Verstand 'umwillen' einer gemeinsamen Welt. Bevor nun im folgenden erörtert werden soll, was mit der „Erwartung" genauer verbunden ist, „daß es vielleicht Begriffe geben könne, die sich a priori auf Gegenstände beziehen mögen, nicht als reine oder sinnliche Anschauungen, sondern bloß als Handlungen des reinen Denkens" 42 ,

muß doch noch bemerkt werden, daß die hier vorbereitete Thematik apriorischer Synthesis nicht allein den Verstand und seine Begriffe der Synthesis wird umfassen können. Denn es findet sich bei Kant die Darstellung einer differenzierten Struktur von Synthesen, und „Synthesis überhaupt" wird als „Wirkung" sogar einem Vermögen unter anderer Benennung als der des Verstandes, nämlich der „Einbil40 41

42

A81/B106 ebd.

A57/B81

1. Übergang zu Handlungen der Synthesis

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dungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen Function der Seele, ohne die wir überall gar keine Erkenntniß haben würden"43, zugeordnet. Den Sinn des Ausdrucks 'blind' hier durch seine Verwendung andernorts entschlüsselnd - „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind"44 -, wird in Hinsicht auf die Synthesis der Einbildungskraft von einem begriffslosen Vorstellen zu sprechen sein, zugleich aber, insofern „Funktion", im Verständnis eines schon auf verschiedene Vorstellungen angewandten einheitsstiftenden Handelns, das also, obwohl begriffslos, doch notwendig (unentbehrlich) ist und über Anschauung im Verständnis gänzlich unartikulierter Mannigfaltigkeit hinausführt. Dieses Handeln der Einbildungskraft wird, wenn allgemein „Function die Einheit der Handlung" ist, „verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen"45, als ein zwar selbst begriffsloses, zugleich aber als ein Handeln mit dem Begriff als letztlichem Handlungsziel angesehen werden müssen. Demgemäß kann, den finalen Sinn ausdrückend, gesagt werden, daß es die Einheit eines Handelns sein wird, um unter einem Begriff zu ordnen. Wo Kant die Definition von Funktion gibt und sie in Beziehung auf das Begreifen setzt, ist sie doch nicht auf das Begreifen restringiert, denn es ist hier nicht so sehr das Begreifen selbst in der Einheit der ordnenden Handlung angesprochen, sondern vielmehr ist dem Begreifen die Einheit einer Handlung vorausgesetzt: Begriffe „beruhen... auf Functionen"46. Des Handelns in der Synthesis der Einbildungskraft werden wir uns nach Kant „selten nur einmal bewußt"47. Damit ist aber zugleich gesagt, daß dieses begriffslose Handeln doch nicht bewußtlos bleiben muß und also zu Bewußtsein kommen kann. Es im einzelnen in der philosophischen Reflexion bewußt zu machen, wird Kant in seinen 'Deduktionen' versuchen - in der A-,Deduktion' bekanntlich mit stärkerer Betonung seiner Eigenständigkeit. Vorwegnehmend soll schon hier gesagt werden, daß dort die Synthesis der Einbildungskraft als ein „gerade zu"48 auf Anschauung bezogenes Handeln oder auch als „unmittelbar an den Wahrnehmungen ausgeübte Handlung"49 bezeichnet ist. Ihre Beziehung auf das Mannigfaltige der Anschauung, worin einheitsstiftend etwas zu bewirken ist (das dann seinerseits nach dem Gesagten auf Begriffe zu bringen ist), charakterisiert Kant explizit in Ausdrücken des Abzielens, Abzweckens und sogar des Sollens: Die Synthesis der Einbildungskraft ist dementsprechend „gerichtet" auf das, was Anschauung als „ein Mannigfaltiges darbietet"50, und zwar „soll" sie, womit nun das von ihr selbst

43 44 45 46 47 48 49 50

A 78/B 103 A51/B75 A68/B93 ebd.; Hervorh. Vf. A 78/B 103 A 99 A 120 A 99

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1. Übergang zu Handlungen der Synthesis

spezifisch zu Bewirkende benannt ist, „das Mannigfaltige der Anschauung in ein Bild bringen"51. Das auf strukturierender Synthesis der Einbildungskraft beruhende Bildersehen kann in einem gewissen Sinn, insofern nämlich begriffslos, noch ,blind' genannt werden, denn in einem solchen Sehen wird in dem Verständnis nichts gesehen, als darin kein Etwas als ein Gegenstand der Erfahrung gesehen wird. Nur in diesem Sinn ist der Ausdruck ,blind' auch in Kants berühmtem Diktum zu nehmen, daß „Anschauungen ohne Begriffe ... blind"52sind. Im buchstäblichen sinnlichen Verständnis von ,sehen' sind diese Anschauungen also durchaus sehend - weshalb Kans Metapher hier für mehr als unglücklich gehalten werden muß. Nur auf den durch Begriffe in Urteilen zu erkennenden Gegenstand der Erfahrung hin ist das tatsächlich anusetzende bloße Bildersehen ,blind'. Der Gegenstand der Erfahrung muß, wie noch genauer zu erörtern sein wird, zum Bild hinzu gedacht werden, wodurch sich übrigens an der rein anschaulichen Ausprägung des Gesehenen nichts ändert, und erst durch dieses Hinzudenken ist das Sehen kein gegenstandsblindes bloßes Bildersehen mehr, sondern ein Sehen von Etwas als desjenigen, wovon das Bild ein Bild ist. Auf den Gegenstand der Erfahrung hin ist das Bild erst zu beurteilen, so daß es, erst auf Beurteilung beruhend, nicht bloß Bild als solches, sondern Bild von Etwas (und in diesem Sinne nicht blind) sein kann. Selbst in einem Bild als solchem ist nun das Mannigfaltige der Anschauung nach dem Gesagten nicht ohne eine auf es hin geforderte Synthesis. Wie angeführt, soll diese sein. Das Mannigfaltige seinerseits ist als ein Dargebotenes mehr als ein Gegebenes im Sinne des bloßen Vorliegens. Insofern in weiterem Verständnis als dem bloßen Vorliegens genommen, wird die dadurch ausgedrückte Tendenz hin auf die sein sollende Synthesis zu einem Bild auf dasjenige bezogen werden müssen, dem als einzigem originär so etwas wie Tendenzen oder Strebungen zugeschrieben werden können, d.i. das transzendentale Subjekt, das schon vermittels seines apriorischen Raum- und Zeitentwurfs auf mehr als bloß das dadurch eröffnete Mannigfaltige tendiert, nämlich eben auf ein zu weiterer Strukturierung durch Synthesishandlungen sich darbietendes. Zum Verhältnis der Synthesis der Einbildungskraft zu den Begriffen des Verstandes ist zu bemerken, daß trotz ihrer Unerläßlichkeit für Erkenntnis und trotz der ihr schon zuzuschreibenden (später noch näher zu bestimmenden) einheitsstiftenden Leistung „die Synthesis dieses Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft ... noch keine Erkenntniß"53 gibt. Zur Erkenntnis „in eigentlicher Bedeutung" ist erforderlich, daß die Synthesis überhaupt, d.i. die „reine Synthesis" der Einbildungskraft, „allgemein vorgestellt" wird; als Beispiel einer solchen Synthesis

51

52 53

A 120

A81/B75 A 79/B 104

1. Obergang zu Handlungen der Synthesis

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nach Begriffen", worin also apriorische mittelbare und vielgUltige Vorstellungen (darum Erkenntnisgründe) als dieselben in verschiedenen enthalten sein können, nennt Kant „unser Zählen", das „nach einem gemeinschaftlichen Grunde der Einheit geschieht (z.E. der Dekadik)"54. Die einheitsstiftende Handlung, die die nichtbegriffliche, aber schon zu Bildern strukturierende Synthesis der Einbildungskraft „auf Begriffe" bringt (etwa die Zahl in unserem Zählen, die als solche der Einbildungskraft als ein reines Bild (Schema) zuzurechnen ist55), ist nach Kant „eine Function, die dem Verstände zukommt"56. Die Begriffe des Verstandes bestehen nach seiner Auskunft in der auf das Produkt der Synthesis der Einbildungskraft angewandten Vorstellung der „notwendigen synthetischen Einheit"57. Die Begriffe des Verstandes stellen die Synthesis der Einbildungskraft „als a priori notwendig"58 vor. Begriffe, die etwas als a priori notwendig vorstellen und dadurch erst eigentliche Erkenntnis geben, müssen nun als nichtempirische Begriffe einem Erfordernis genügen, dem nicht zu genügen nach Kants eigenen Maßstäben einem Scheitern seines transzendentalen Unternehmens gleichkäme; gemeint ist die Forderung des Systems der apriorischen Begriffe. Der in Anwendung stehende und jetzt spezifischer als noch zu Beginn auf die Problematik reiner Verstandesbegriffe zu beziehende Systembegriff und seine Implikationen sind demnach eng verbunden mit diesem Unternehmen.

54 55 56 57 58

A 78/B 103f. vgl. A 142/B 182 A 78/B 103 A 78/B 104 A 118

2. System von Kategorien Die Begriffe der Synthesis müssen „systematisch ... erzeugt sein", d.h. „aus einem gemeinschaftlichen Princip"59. Mit dem auch hier zugrundeliegenden allgemeinen Systembegriff konnte, was jetzt speziell in Hinsicht auf die Verstandesprinzipien fortzusetzen ist, der Gesichtspunkt einer zu fordernden Einheit des Zwecks schon im Ansatz verbunden werden. Dieser Gesichtspunkt wird, insofern der systematische Charakter nicht bloß die Begriffe als solche betreffen wird, d.h. nicht bloß ihren Zusammenhang untereinander als bloße Begriffe, auf dasjenige hin übertragen gedacht werden müssen, woraufhin allein sie als Prinzipien prinzipiierend in Anwendung stehen, nämlich in synthetischen Urteilen a priori auf mögliche Erfahrung und also auf das durch sie synthetisierte und geregelte Mannigfaltige der Anschauung hin. Dieses hat als solches mit den reinen Anschauungsformen Raum und Zeit erst eingeschränkt durch seine spezielle Ganzheit und durch deren Beziehung auf ein subjektives und innerliches Entwerfen (z.B. in meinem Gedanken 'außer mir') Systemcharakter - nicht also im Punkt der inneren unbestimmten Mannigfaltigkeit. Wie Kant, den Anwendungsaspekt der reinen Verstandesbegriffe einbeziehend, es ausdrückt, werden „die Sätze a priori, die sich auf die letztere [mögliche Erfahrung] einschränken, nicht allein wohl zusammenstimmen, sondern gar ein System der Naturerkenntniß a priori ausmachen"60.

Der Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit wird demnach, wenn er auf den systematischen Zusammenhang der Prinzipien des Denkens als solche anzuwenden ist, auch auf den Zusammenhang der durch sie geregelten und durch sie erkennbaren Natur angewandt werden müssen. Den Systemanspruch in Hinsicht auf die Elementarbegriffe des reinen Verstandes nicht zu erfüllen, müßte für Kant, wie schon gesehen, bedeuten, sein Unternehmen der apriorischen Grundlegung der Erfahrung für gescheitert anzusehen und es auf die Stufe des von ihm kritisierten Aristoteles zu stellen. Zwar verspricht er nur eine Propädeutik zum System der reinen Vernunft"61, der zur vollen Ausfüllung des Systemgedankens die von den Stammbegriffen „abgeleiteteri"62 Begriffe sollen fehlen dürfen und ebenso die ausführlich durchgeführten Analysen, insofern sie entbehrlich dafür sind, reine Vernunft „in ihrem ganzen Umfange einzuse59 60 61 62

A 80f./B 106 FM, Ak XX, 320; Hervorh. Vf. A 11/B25 A XXI

2. System von Kategorien

151

hen"63, doch muß diese Propädeutik selbst nichtsdestoweniger systematisch sein, und die Stammbegriffe selbst müssen abgeleitet, d.h. deduziert sein. Nebenbei bemerkt, wird sich aus dem, was Kant bei aller Vernachlässigung doch zu der Art sagt, wie die aus den Stammbegriffen entwickelten Prädikabilien als abgeleitet anzusehen sind, etwas hinsichtlich seines Begriffs einer Deduktion gewinnen lassen. Unsystematisch zu sein, wird, um es zu wiederholen, der Kategorienlehre des Aristoteles vorgeworfen, weil sie auf einem derartigen induktiven Aufsammeln von Erkenntnisprinzipien mit dem Ergebnis eines Aggregats oder noch mehr einer Rhapsodie von Prinzipien beruhe, wie empirische Daten aufgesammelt werden, um daraus Erkenntnisse mit bloß komparativer Allgemeinheit zustande zu bringen, woraufhin vorläufig und immer bloß mit Vorbehalt gesagt werden kann, daß sie, so viel wir bis jetzt gesehen haben, gelten.64 Bei einer Erkenntnis von Erkenntnisprinzipien im Verständnis ihrer bloß komparativen Allgemeinheit löste sich hinsichtlich durch solche Prinzipien prinzipiiert gedachter Erfahrung der Gedanke einer Erfahrung in die Vorstellung von selbst den formalen Prinzipien nach verschiedenen möglichen Erfahrungen auf. Objektiv gesprochen, löste sich der Begriff einer Natur in den (sprachlich kaum auszudrückenden) von verschiedenen möglichen Naturen auf. Im Fall eines solchen Empirismus der Prinzipien wäre zum einen ein Feld zur Besetzung mit willkürlichen Dichtungen auch hinsichtlich formaler Erkenntnisprinzipien eröffnet, und es könnten zum anderen Mitteilungen über Prinzipien erwartet werden, die zu dem bisher als die Natur Betrachteten ganz andersartige Naturen offenbarten. Demgegenüber liegt in dem mit Kants Systemanspruch verbundenen Anspruch auf Unabhängigkeit von bloß aufsammelnder Erfahrung in Begründung ihrer Prinzipien (der insofern ein metaphysischer Anspruch ist, aber einer nur in Hinsicht auf die Begründung einer Erfahrung und einer Natur) die Absicht, solche andere und neue Naturen auszuschließen, die nach den bisherigen Begriffen menschlichen Erkennens nichtmenschliche Naturen wären und durch ihr zufälliges empirisches Auftreten das bis dahin für Natur Gehaltene in seinem allgemeinen Charakter, Natur zu sein, revidieren, für vorläufig oder gar für falsch ansehen lassen könnten. Einer derartigen mit einem bloßen Auffinden von Erkenntnisprinzipien gegebenen Unsicherheit, die zugleich verbunden sein müßte mit dem Selbstverständnis des Subjekts als im Auffinden unhintergehbar passiv, ist der mit dem Systemgedanken Kants verbundene Anspruch auf Sicherheit, entsprechend auf die Spontaneität des Erkennens nach Prinzipien, entgegengesetzt.

63 64

A12/B26

vgl. PROL, Ak IV, 322f. u. A 80f./B 106f.

152

2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang

Ein Beobachten in Hinsicht auf Prinzipien der Erkenntnis, das diese nur „so bei Gelegenheit auffindet, in keiner Ordnung und systematischen Einheit"65, und das sie bloß sammelt, um sie allenfalls „nach Ähnlichkeiten" zu paaren, nennt Kant beliebig, vom Zufall abhängig und schließlich „ein gleichsam mechanischefs] Verfahren"66. Wo eine „mechanische Erzeugungsart" vorgestellt wird, wird ein „Ganzes ... als ein Product der Theile" vorgestellt, das Gegenteil also von innerer Organisation; und es „kommt auf solche Art kein Begriff von einem Ganzen als Zweck heraus, dessen innere Möglichkeit durchaus die Idee von einem Ganzen voraussetzt" 67 .

Den Gegenbegriff zu 'mechanisch' heranziehend, ist nahegelegt, mit dem propagierten systematischen Verfahren in Begründung des Systems der Erkenntnisprinzipien ein organisches Verfahren zu erwarten, oder - in den dadurch auch nahegelegten Teile-Ganzes-Ausdrücken - ein Ganzes nicht als Produkt der Teile, sondern als vorausgesetztes Ganzes, das die Teile in ihm (als Glieder) ermöglicht.

2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang Der Unterschied zwischen 'mechanisch' und 'organisch' betrifft nach dem Gesagten die Erzeugungs- oder Kausalitätsart, die in Erklärung eines Produkts oder einer Wirkung zu veranschlagen ist, hier also des Zusammenhangs von Prinzipien der Erkenntnis. Der Ausdruck 'Zusammenhang' soll hier schon zur Unterscheidung davon verwandt sein, was Kant eine bloße Zusammenstellung nennt: „System kan nicht durch Zusammenstellung, sondern nur durch ableitung gemacht werden."68 Bei mechanischer Erklärung des Bestands an Erkenntnisprinzipien wäre bloß von einer Zusammenstellung als einem Ergebnis äußerer Verursachung, so das Kennzeichen dieser Erzeugungsart, zu sprechen, so daß die Prinzipien dem Subjekt, das sie „in einem mehr oder weniger ausführlichen Aufsatz sammeln"69 könnte, zufällig blieben. Dabei müßten, wie im Erwerb empirischer Erkenntnisse, jederzeit neue bloß aufzugreifende Mitteilungen aus der Äußerlichkeit zu diesem Subjekt zugestanden werden. Zwar läßt sich am mechanischen Verfahren auch ein Aspekt der Tätigkeit des Subjekts im Beobachten und Sammeln herausstellen, doch selbst wenn seine Zusammenstellung daraufhin als „auf gewisse Weise methodisch zu Stande gebracht"

65 66 67 68 69

A 67/B 91 f. A 66f./B 91 f. ΚDU, Ak V, 408 Ak XVI, REFL 2233 A66/B91

2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang

153

anzusehen ist, bleibt es hier bei einer zum aufsammelnden Subjekt heterogenen Faktizität der Prinzipien, und die Zusammenstellung kann deshalb „nichts weniger als systematisch"70 sein. Welche „gewisse Weise" methodischen Verfahrens hier vom systematischen abgehoben wird, schon angedeutet durch das inkriminierte Paaren nach Ähnlichkeit der Prinzipien, nämlich die Weise eines logischen Verfahrens im Zusammenstellen nach Gattungen und Arten, wird noch genauer zu betrachten sein. Speziell wird dabei auch der Grund dafür zu ermitteln sein, warum es „nichts weniger als systematisch" ist, wenn hinsichtlich solcher Gattungen und Arten die Betrachtung ihrer Verhältnisse unter dem Aspekt von weniger oder - in Arten durch ihre spezifische Differenz - mehr Merkmalen die Methode bestimmt, d.h. wenn die Begriffe „nach der Größe ihres Inhalts, von den einfachen an zu den mehr zusammengesetzten, in Reihen gestellt"71 werden. Dem mechanischen Verfahren entgegengesetzt, mtlßte nun ein 'organisch' zu nennendes die mehreren im System zusammengestellten Prinzipien auf innere Kausalität beziehen können. Das Subjekt milßte sein Suchen nicht auf ein ihm per se äußerliches Faktisches - „Begriffe, die sich darbieten"72 - richten, sondern es milßte sich reflexiv auf sich selbst wenden und sie in sich als dem einzigen, was originär als innerlich anzusprechen ist, „als ihrem Geburtsorte, aufsuchen"73. Dieses Aufsuchen der reinen Begriffe projektiert Kant auch als ein Zurückverfolgen „bis zu ihren ersten Keimen und Anlagen im menschlichen Verstände ..., in denen sie vorbereitet liegen, bis sie endlich bei Gelegenheit der Erfahrung entwickelt ... werden"74. Unter der angesprochenen Gelegenheit der Erfahrung wird das durch die Anschauungsformen eröffnete Feld möglicher Erfahrung zu verstehen sein, ohne das die reinen Verstandesbegriffe unentwickelt bleiben müßten. Es entspricht dies, den Verstandesbegriffen Gelegenheit zur Entwicklung zu bieten, dem, was schon angeführt wurde, daß nämlich die Formen der Anschauung den „Begriff" der „Vorstellungen von Gegenständen ...jederzeit afficiren müssen"75. Wenn nun versucht werden soll, der in der Kritik der reinen Vernunft selbst eher verschwommen metaphorisch anmutenden organologischen Ausdrucksweise 'Geburtsort' von Kategorien; deren erste 'Keime und Anlagen' - einen deutlicheren Sinn zu geben, so findet man sich auf scheinbar abgelegene Gebiete der Naturphilosophie Kants verwiesen, die aber gleichwohl unter formalem Aspekt Übereinstimmung in Verhältnissen zu erkennen geben. So gibt Kant in einer in der Absicht auf systematische Integration stattfindenden Erwägung der „klimatischen Verschiedenheit der Menschen", wozu - wie jetzt noch gesucht erscheinen mag - als

70 71 72 73 74 75

A67/B92 ebd. A65/B90 A66/B90 A66/B91 A77/B 102

154

2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang

Analogon die Verschiedenheit von Kategorien gesetzt werden kann, dem Modell den Vorzug, das ein „innerlich nach der Verschiedenheit der äußeren Umstände sich selbst diesen angemessen modificirendes Lebensprincip als die Ursache derselben"76, d.h. hier der Verschiedenheit der Menschen, annimmt. Dieses Lebensprinzip ist mit den äußeren Umständen auf etwas zu seiner Modifikation Gelegenheit gebendes anderes als sein Korrelat bezogen. Dazu die Anschauungsformen als Analoga genommen, die, wie gesehen, als den Begriff (die Kategorie) affizieren könnend und als ihn sich entwickeln lassend zu betrachten sind, der sich seinerseits ihnen wird anmessen müssen, ist an diesen als Korrelaten ihrerseits die Grundlegung im räum- und zeitentwerfenden Subjekt zu betonen, außerhalb dessen sie nichts sind. Zum genannten Lebensprinzip fährt Kant nun fort, „daß, wenn die von innen organisirende Ursache durch ihre Natur etwa nur auf eine gewisse Zahl und Grad von Verschiedenheiten der Ausbildung ihres Geschöpfs eingeschränkt wäre ..., man diese Naturbestimmung der bildenden Natur auch wohl Keime oder ursprüngliche Anlagen nennen könnte",

woraufhin Verschiedenheiten als „weiter nicht erklärliche Einschränkungen eines sich selbst bildenden Vermögens, welches letztere wir eben so wenig erklären oder begreiflich machen können"77, anzusehen wären. Daß auch die Kategorien, ihrerseits auf die Bestimmtheit und Artikuliertheit einer Zahl festgelegt, in einem gewissen Sinn nicht weiter erklärt werden können, z.B. schon nicht hinsichtlich der Frage, warum die bestimmte Zahl gerade diese Zwölfzahl sein soll, wird in ihrer Deduktion selbst gesagt werden78. Schließlich wird auch das als transzendentale Apperzeption zu benennende innere und erste Prinzip erkennender Subjektivität nicht weiter erklärt werden können, insofern jede Nachfrage nach ihm es selbst wieder voraussetzt. In der Ausführung der hier aufgezeigten Perspektiven wird sich später das zur Feststellung analoger Verhältnisse herangezogene, nach Lebensbegriffen erwogene Feld der Betrachtung weiter fruchtbar machen lassen. Zuvor kann aber schon auf der Basis von nur auf die Kritik der reinen Vernunft selbst bezogenen Erwägungen festgehalten werden, daß Kant entgegen dem ausgeschlossenen mechanischen Verfahren in der Begründung seines Systems der Kategorien, wodurch von vornherein fremdbestimmende Gründe als zu seiner Statuierung führend angesetzt würden, mit dem Gedanken innerlicher Organisation und „Articulation"79 die Kausalitätsthematik in einer Weise eröffnet, die bei Voraussetzung der beiden ihmnach möglichen Kausalitätsarten Anweisung auf eine Kausalität durch Freiheit gibt. Insbesondere in Hinsicht auf die reflexive Selbsterkennt-

76 77 78 79

RH ,Ak VIII, 62 ebd. vgl. B145f. A65/B90

2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang

155

nis der Vernunft muß die Verfahrensart in Übereinstimmung mit dem in ihr erwogenen Gegenstand stehen. Der anderen Kausalitätsart, dem Prinzip des Mechanismus, das nach dem Gesagten nicht das systembegründende soll sein können, wird erst im System, also derivativ, eine Stelle zugeordnet werden. Bei den auf die Kausalität durch Freiheit hin wiederum möglichen Differenzierungen wird diese unter dem eröffneten Gesichtspunkt organischer Erzeugung nicht im indifferenten, bloß theoretischen Sinn eines unmotivierten Von-selbst-Anfangens genommen werden können, sondern eben als eine Kausalität nach Zwecken anzusehen sein, wodurch sie Beziehung auf einen Willen hat. Im Punkt der Wissenschaftlichkeit also, die nur durch Erfüllung des Systempostulats zu erreichen ist, will Kant sich von Aristoteles unterscheiden, und seine Anforderung an die Erfüllung des strikten szientifischen Vernunftbegriffs, dem zuerst die reflexiv als Kritik der reinen Vernunft durchgeführte Wissenschaft von ihren eigenen Erkenntnisprinzipien wird genügen müssen, ist die, daß Vernunft hier ihren Plan nicht „empirisch, nach zufällig sich darbietenden Absichten" fassen darf, woraus sich nur „technische ", aber nicht „architektonische Einheit"80 in Ausführung der Wissenschaft ergeben kann. Die Absichten nicht „empirisch erwartet", wodurch Vernunft zuletzt durch empfindungshaft pathologischen Anstoß motiviert und in Hinsicht auf ihre eigenen Intentionen rezeptiv wäre, sondern aus dem „Hauptzwecke der Vernunft" selbst entwickelt, so daß „Vernunft die Zwecke a priori aufgibt", ist die projektierte Wissenschaft wie folgt gedacht: „Nicht technisch, wegen der Ähnlichkeit des Mannigfaltigen, oder des zufälligen Gebrauchs der Erkenntniß in concreto zu allerlei beliebigen äußeren Zwecken, sondern architektonisch, um der Verwandtschaft willen und der Ableitung von einem einigen obersten und inneren Zwecke, der das Ganze allererst möglich macht, kann dasjenige entspringen, was wir Wissenschaft n e n n e n , . . . "*'.

Mit der verlangten Deduktion aus einem obersten und inneren Zweck, mit dem daraus ermöglichten Ganzen, wodurch die innere Absichtlichkeit offenbar auf eine Mannigfaltigkeit im Verständnis von Teilen in einem Ganzen geht, diese im Sinn bestimmt artikulierter Pluralität und nicht bloß als unbestimmte Mannigfaltigkeit genommen, und schließlich mit der Opposition zwischen den herabgewürdigten Ähnlichkeitsbeziehungen in dieser Pluralität und den filr ein Deduktionssystem zu fordernden Beziehungen, die durch den Lebensbegriff der Verwandtschaft bezeichnet sind, sind die wichtigsten, jetzt in Anwendung auf das Thema des Systems der reinen Erkenntnisprinzipien weiter zu verfolgenden Stichworte gegeben.82

80 81 82

A 833/B 861 ebd. In Übereinstimmung mit den oben schon einleitend zum Systembegriff erzielten Ergebnissen läßt sich hier Norbert Hinskes (1991) Resultat seiner Untersuchung zur Entwicklung des Systembe-

156

2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang

Zunächst soll die, wie gesehen im ersten 'Leitfaden'-Abschnitt zu findende Angabe aufgegriffen werden, daß fìir die reinen Verstandesbegriffe eine Ordnung unzulänglich wäre, worin diese Begriffe „nur nach Ähnlichkeiten gepaart"83 würden. Die Rede von einer Paarung nach Ähnlichkeiten ist in die direkte Opposition zu der vom Zurückgehen auf den Geburtsort der systematisch geordneten Verstandesbegriffe zu setzen. Ähnlichkeit zwischen Verschiedenem ist vorauszusetzen, wo das Verschiedene als Besonderes unter einem Allgemeinen enthalten sein soll: Ohne Ähnlichkeit „würde das logische Gesetz der Gattungen ganz und gar nicht stattfinden; und es würde selbst kein Begriff von Gattung oder irgend ein allgemeiner Begriff, ja sogar kein Verstand stattfinden, als der es lediglich mit solchen zu thun hat"84.

Wie der Kontext dieser Stelle zeigt, ist der Verstand hier unter dem Aspekt thematisch, durch Vernunftideen regulativ geleitet, unter empirischen Begriffen zu ordnen. In dieser einer Ermöglichung von Erfahrung überhaupt nachgeordneten Funktion eines Ordnens innerhalb der Sphäre empirischer Begriffe ist für ihn die Vorstellungsart unabdingbar, wonach Ähnlichkeit vorgestellt wird, um zu dem zu kommen, was ein „Classensystem ... nach Ähnlichkeiten"85 genannt werden kann, zu dessen Statuierung zu dem logischen Prinzip der Gattung noch das korrespondierende Prinzip der Arten kommen muß86. Ein Klassensystem nach Ähnlichkeiten ist, wie näher zu erörtern sein wird, ein ganz anderes als das mit dem System der Kategorien gemeinte System, d.i. das System der reinen, Erfahrung überhaupt ermöglichenden Begriffe dieses Verstandes selbst. Vor der Erläuterung dessen bleibt festzuhalten, daß Kant die Methode des Paarens nach Ähnlichkeiten, die sehr wohl die des Verstandes in Hinsicht auf empirische Begriffe ist, d.h. in Hinsicht darauf, womit der Verstand es im Empirischen „zu tun hat", doch für die Anwendung auf den Verstand selbst, d.h. für seine reflexive Selbstthematisierung, worin die Ordnung der eigenen apriorischen Begriffe untereinander thematisch ist, offenbar für unzulänglich und unangemessen hält. Diese Ordnung wird demnach von einer Zusammenstellung nach Art einer logischen Hierarchie von Gattungen und Arten unterschieden sein müssen. Entsprechend wird das schon angesprochene System der Naturerkenntnis a priori, das aus der Anwendung des Systems apriorischer Begriffe auf das durch die Anschau-

83 84 85 86

griffs von Christian Wolff über Georg Friedrich Meier bis auf Kant anñlhren, das auch die Kernaussage dazu schon enthalt, was unter Kants Deduktion nicht zu verstehen ist. Hinske stellt das Neue im Systembegriff Kants, der beiden Vorläufern partiell sehr wohl verpflichtet ist, wie folgt dar (S.164): „Nicht mehr die mathematische Methode mit ihrer durchgängigen Verknüpfung von Prämissen und Folgerungen wie bei Wolff, sondern die Reflexion auf den Zweck einer Wissenschaft ist jetzt... das einheitsstiftende Prinzip des Systems." A67/B92 A 653f./B 68If. MAN, Ak IV,468 vgl. A 654/B 682

2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang

157

ungsformen eröffnete Feld möglicher Erfahrung resultieren soll, dem vom Klassensystem nach Ähnlichkeiten unterschiedenen Systembegriff gemäß gedacht werden müssen. Das Gesagte bestimmter in Hinsicht auf das von Kant vorgelegte System der reinen Verstandesbegriffe angewandt, wird etwa der Titel 'Quantität' keine logische Gattung von mehreren Kategorien als ihrer Arten bezeichnen und ebenso diese vermeintliche Gattung auch nicht unter einer noch höheren Gattung als einer vielleicht höchsten Allgemeinheit begriffen sein. Mit diesem Ergebnis ist die Vorentscheidung darüber verbunden, was unter dem Titel 'Deduktion' zu erwarten ist, nämlich kein Ableiten von Kategorien aus einem gemeinschaftlichen Prinzip im Sinne des Erschließens eines Besonderen aus einem Allgemeinen. Innerhalb der B-,Deduktion' sagt Kant über die schon angeführte Unbegründbarkeit der bestimmten Zahl der Kategorien als der Zwölfzahl hinaus, daß kein Grund dafür angegeben werden kann, warum wir „gerade diese und keine anderen Functionen zu Urtheilen haben" und warum in Hinsicht auf die Kategorien „nur gerade durch diese Art... derselben Einheit der Apperception a priori zu Stande zu bringen"87 ist, ohne doch seine Deduktion dadurch für gescheitert anzusehen und ohne davon abzugehen, daß es diese sind, wodurch notwendig geurteilt wird. Wenn von gerade ,,diese[r] Art" der Kategorien die Rede ist, dann ist der logische Artbegriff nahegelegt. Doch in einem logischen System einer Art-GattungZusammenstellung können „die niedrigem Begriffe ... nach dem, was sie Verschiedenes haben, von dem höheren niemals abgeleitet werden"88. In Hinsicht auf doch erforderliche positive Angaben zu den verschiedenen als deduziert behaupteten Kategorien wird nun darauf zu achten sein, auf welchen anderen Zusammenhang von mehrerem Verschiedenem bezogen von Ableitung und System gesprochen werden kann, wobei das Augenmerk auf einen zum logischen Artbegriff verschiedenen Begriff von Einteilung und auf einen von der damit verbunden zu denkenden spezifischen Differenz unterschiedenen Begriff von Verschiedenheit oder Eigentümlichkeit zu richten ist. An der von Kant zugestandenen Unbegründbarkeit der Pluralität an Kategorien in ihrer je eigenen bestimmten Art, deren zugrundeliegende Urteilsformen in ihrer jeweiligen verschieden bestimmten Art er geradezu als vorgefunden anspricht ( „ . . . , so finden wir, daß die Function des Denkens in demselben [im Urteil] unter vier Titel gebracht werden könne, ... "89)( wird transzendentale Deduktion also nichts ändern. Trotz solchen offensichtlichen Vorfindens und Hinnehmens der Kategorien in ihrer jeweils verschieden bestimmten Art, was ihn den eigenen Vorwurf gegenüber Aristoteles auf sich ziehen lassen könnte, sagt Kant in einem Atemzug, daß die Verstandesbegriffe die Einheit der Apperzeption a priori zu-

87 88 89

Β 145f. GTP, Ak VIII, 181 Anm. A 70/B 95; Hervorh. Vf.

158

2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang

stände bringen90. Ebenso bleibt es dabei, daß sie in irgendeinem Verständnis abgeleitet sein sollen. Ableitung wird dabei einen anderen Sinn haben müssen als den, Beantwortung auf die Frage zu geben, warum die Kategorien, für sich betrachtet, gerade so sind. Diese Frage nach ihrem einzelnen Gerade-so-Sein ist also als das Thema des Deduktionskapitels auszuschließen.91 Wenn nun die Kategorien doch eine apriorische Grundlegung haben sollen, so stellt sich die Aufgabe, sie bei unbegründbarem einzelnen Gerade-so-Sein, was sonst das Kennzeichen einzelner empirischer Gehalte ist, in einer anderen Hinsicht als in dieser auf einen nichtempirischen Grund zurückzuführen. Abgesehen von ihrer je einzelnen besonderen Beschaffenheit muß etwas anderes an ihnen thematisiert werden, was ein Zurückverfolgen zu einem gemeinschaftlichen „Geburtsort" gestattet. Daraufhin zurückverfolgt, sind sie dann als reine Begriffe anzusehen, wenn dieses Gemeinschaftliche (kein Gemeinsames wie im logischen Gattungsbegriff) ein nichtempirisches Verständnis verlangt. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, daß Kant keine Kategorie für sich betrachtet haben will, also gerade nicht in dem, was sie nur sie selbst in ihrer jeweiligen bestimmten Art sein läßt. Zu thema-

90 91

vgl. Β 146 Mit großem Einfluß auf die weitere Kant-Rezeption hat Hegel (Die Wissenschaft der Logik, Werkausg. Bd. 8, S. 128f.) die empirische Vorgefiindenheit der Grundlagen der Kategorien, d.h. die „verschiedenen schon fertig aufgezahlten Urteilsweisen", moniert. Er hat - sich mit Fichte darin einig wissend - gefordert, daß die spezifischen „Denkbestimmungen in ihrer Notwendigkeit aufzuzeigen" seien, so daß „die Arten der Begriffe, der Urteile,... aus dem Denken selbst abgeleitet würden", und zwar im Sinne eines ,,Beweisen[s]" dieses „eigentümlichsten Inhaltfs]" der Logik. Ein auf diese Art gefordertes Ableiten lenkt ab von Kants Begriff der Deduktion. Thomas M. Seebohm (1988) weist daraufhin, daß Kant eine Deduktion der Hegeischen Art „nicht im Auge hatte und ... ihre Möglichkeit verwirft" (S. 13). Neben dem auch mit dem Blick auf die zeitgenössische angelsächsische Diskussion um transzendentale Argumente geäußerten Zweifel daran, daß Kants Deduktionen Beweise im Sinne seiner eigenen Beweistheorie sein wollen (vgl. S. 14), verteidigt er auch hinsichtlich an vorausgesetzter Erfahrung aufgewiesener bestimmter Kategorien einen Sinn von Apriorität, insofern Kategorien nämlich nicht wie Allgemeinbegriffe aus Erfahrung gewonnen werden, sondern durch den Aufweis, daß „eine Tafel der Formen der Urteile, in denen Erfahrungsgegenstände beurteilt werden und so ihren Gegenstandscharakter offenbaren, auf zwölf Funktionen in Urteilen führt, deren Begriff eben die Kategorien sind" (S. 15); diesen Aufweis mit Hegel noch empirisch nennen zu wollen, führt seinerseits in die Schwierigkeiten eines so allgemeinen Erfahrungsbegriffs, nach dem „eine Metaerfahrung angenommen werden muß, in der (a) die Struktur unserer je eigenen Erfahrung erfahren wird und (b) möglicherweise auch die Strukturen anderer Erfahrungen mit anderen Strukturen" (ebd.). Zum Möglichkeitsmodus solcher möglichen anderen Strukturen weist Seebohm nach, daß Möglichkeit hier, weil mit der Abstraktion von unseren Kategorien sogar noch die Abstraktion vom Widerspruchsprinzip erforderlich wäre, das nur in unser nach Affirmation und Negation bestimmtes kategoriales System involviert sein kann, entfernt davon, inhaltlich als reale Möglichkeit eingesehen werden zu können, nicht einmal mehr logische Möglichkeit sein kann (vgl. S. 16f.). - Gegen Hegels Empirismus-Vorwurf gegenüber Kants Urteils- und Kategorientafel wendet sich auch Klaus Reich (1986 (3.Aufl.), siehe bes. S. 7-12 u. S. 25ff.) mit dem Hinweis auf den bei Kant zuvörderst zu erfassenden Gedanken des gemeinschaftlichen systembildenden Prinzips als der Idee des Ganzen der Verstandeserkenntnis, womit, was unten auch aufgegriffen werden wird, die objektive Einheit des Selbstbewußtseins zu thematisieren unerläßlich ist.

2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang

159

tisieren ist demgegenüber, daß die Urteilsfunktionen und die darauf beruhenden Verstandesbegriffe, von wie unerklärbarer je eigener Beschaffenheit auch immer, doch gerade in diesen eigentümlichen Beschaffenheiten in einer positiven Beziehung aufeinander stehen - anders als spezifische Differenzen in Artbegriffen unter einer Gattung, wodurch im Gegenteil der Aspekt der Beziehungslosigkeit bezeichnet ist - und im Zusammenwirken ein einheitliches Produkt hervorbringen, d.h. im ganzen ein Urteil. Die Verstandesbegriffe als „Momente"92, die verschieden sind und nicht unter einem logischen Gattungsbegriff zusammengehören, bewirken gemeinschaftlich „aus ihnen erzeugte Urtheile"93 als einheitliche Produkte. Nicht gefolgert, sondern „systematisch ... erzeugt" sollen nach Kant die Begriffe der Synthesis sein, und zwar „aus einem gemeinschaftlichen Princip", das er vorläufig angibt - in den 'Leitfaden'-Abschnitten ohne die entwickelte Urteilsdefinition der 'Deduktion' das Wesentliche daran noch verdeckt haltend - als das „Vermögen zu urtheilen, (welches eben so viel ist, als das Vermögen zu denken)"94. Die angesprochene Gemeinschaftlichkeit des Prinzips soll nun nicht die eines begrifflich Allgemeinen sein. Sie nicht so anzusehen, bedeutet, das Prinzip des Urteilens nicht im Verständnis eines obersten Gattungsbegriffs zu nehmen. Von einem solchen doch auszugehen, bestimmte die Verhältnisse zwischen einem Prinzip des Urteilens im allgemeinen und den besonderen Begriffen der Synthesis (Kategorien) wie alle Verhältnisse zwischen Begriffen und ihren Subsumtionsfällen, daß nämlich der Begriff als eine analytische Teilvorstellung (als eine Merkmalsvorstellung) in den verschiedenen Vorstellungen unter ihm enthalten und er daher Erkenntnisgrund daraufhin sein kann. In Hinsicht auf die Kategorien ist aber nicht von einem Erkenntnisgrund, sondern von einem Erzeugungsgrund die Rede. Die erst innerhalb seiner 'Deduktion' (am deutlichsten in B) erzielte weitestgehende Einsicht in das höchste Prinzip allen Urteilens, die das zuvor Verdeckte aufdeckt, schon vorweg heranziehend, ist das gemeinschaftliche Prinzip der mehreren Prinzipien (der reinen Verstandesbegriffe), nämlich die ursprüngliche Einheit der Apperzeption, nicht als ein analytisch in allem Urteilen als Merkmal enthaltenes anzusehen. Im Gegenteil zu solchem Enthalten-Sein ist nach Kant Selbstbewußtsein als das genannte Prinzip der Prinzipien derart, daß es alles Urteilen muß begleiten können. Vom 'Ich denke' sagt Kant, welche Aussage des 'Paralogismus' - Kapitels offensichtlich auf die 'Deduktion' anwendbar ist, daß es „alle Kategorien als ihr Vehikel begleitet"95; zugleich weist er im gegebenen Kontext der Abwehr rationaler Psychologie auf das Zweifelhafte von Schlüssen aus ihm hin.

92

93 94 95

A70/B95

A2

A 80f./B 106 A 348/B 406

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2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang

Selbstbewußtsein ist nicht das, worunter als einem Erkenntnisgrund alles Urteilen begriffen ist, in welchem Fall es als Merkmal und also als Teilvorstellung in den Urteilen enthalten sein müßte. Mit seiner eigenen positiven Urteilserklärung will Kant über die der „Logiker" hinausgehen, für die das Urteil bloß als die Vorstellung eines Verhältnisses zwischen Begriffen bestimmt ist. Die Erklärung der Logiker findet er um den wesentlichen Punkt verkürzt, daß durch sie nicht gesagt ist, „worin dieses Verhältniß bestehe"96. Damit ist umgekehrt zum auszuschließenden Enthalten-Sein von Selbstbewußtsein im Urteil nach einem fFor/'«-enthaltenSein des Urteils gefragt, woraufhin aus ihm als einem Verhältnis zwischen Begriffen hinauszugehen ist. Das alles Urteilen befassende 'Worin', ein Ganzes, ist nun seinerseits als die objektive Einheit der Apperzeption anzugeben97 (wobei der Punkt der Objektivität hier noch zu vernachlässigen ist). Dieses Selbstbewußtsein hat „keinen besondern Titel" im System der reinen Verstandesbegriffe, ist aber „eben sowohl transcendental", indem es „dazu dient, alles Denken, als zum Bewußtsein gehörig aufzuführen"98. Indem es wozu „dient", ist es dazu gut, oder anders, daraufhin zweckmäßig. Keinen Titel im System zu haben, ist ftlr es als systembildendes Organisationsprinzip gerade zu fordern. Das Nicht-Enthalten-Sein von Selbstbewußtsein in den Urteilen schließt nach dem Gesagten nicht sein Begleiten aller Urteile in dem Sinn aus, daß diese als ihrerseits in ihm enthaltene, d.h. als Teile, immer von sich her den Verweis auf es, das Ganze, geben und ohne diese Verwiesenheit auf Selbstbewußtsein keine Urteile sein können. Wenn nun ein Teil nicht anders als im Sinne einer Einschränkung denkbar ist, die nicht auch für sich ohne den Verweis auf das Ganze sein kann, ist das Ganze als vorgängig und als ihn ermöglichend anzusehen. Das Ganze kann aber als ein solches nicht im Teil enthalten sein. Demgegenüber ist ein Gattungsbegriff, seinerseits eine Teilvorstellung, d.h. eine Vorstellung von Merkmalen als Erkenntnisgründen, als diese Merkmalsvorstellung in den unter ihr befaßten Vorstellungen ganz und als dieselbe enthalten. Das erzielte Ergebnis in Hinsicht auf die Thematik des Systems von Kategorien wiederholt, ist das Verhältnis zwischen transzendentaler Apperzeption und den mit speziellen Urteilsformen verbundenen Kategorien als ein Teile-Ganzes-Verhältnis aufzufassen, wobei Apperzeption als das Ganze nicht in den Teilen enthalten ist, diese aber begleitet. Dieses Verhältnis ist keines zwischen Allgemeinem und Besonderem. Zudem ist es als in der Weise ausgezeichnet zu denken, daß zu seiner Erklärung die Vorstellung des Ganzen als vorgängig anzusehen ist. In Selbstbewußtsein als einem ganzen wird dasjenige gesehen werden müssen, das dem System der (auf Urteilsformen zu beziehenden) Erkenntnisprinzipien die Einheit

96 97 98

Β 141 vgl. ebd. A 341/B 399f.

2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang

161

sichert, das aber selbst nicht analytisch im Ausgang von den Teilen als solchen her verstanden werden kann. Umgekehrt werden diese von ihm her verstanden werden müssen (obwohl nicht im Sinn eines Erschlossenen). Zur Abhängigkeit allen Urteilens von Selbstbewußtsein ist auf die Unmöglichkeit eines auch nicht auf dieses beziehbaren und durch es begleitbaren Urteilens hinzuweisen. Der durch 'begleitbar' ausgedrückte Möglichkeitsmodus, der sich in Kants berühmter Formel: „Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können"**, findet, ist so zu deuten, daß Selbstbewußtsein nicht bei allen Urteilen aktualisiert sein muß; es muß aber aktualisiert werden können. Die Einheit der Apperzeption ist dasjenige, das die von Kant in Vorbereitung seiner 'Deduktion' projektierte Jdee des Ganzen der Verstandeserkenntniß a priori"100 angibt. In einer 'Reflexion', die dieses Selbstbewußtsein in Beziehung auf Anschauung setzt, heißt es, daß „die Verknüpfung (des Manigfaltigen) ... in einem Ganzen" aus der „apperception" und deren Bedingung, d.i. aus der „Einheit des denkenden subjects", „fließt"101. Die hier unbestimmt angesprochene Verknüpfung ist nun des weiteren nach spezifischen Weisen von Synthesis gedacht, diese ihrerseits in dem durch die Idee des Ganzen ermöglichten Zusammenhang in einem System",02. Nach der Art dieser Weisen von Synthesis, spezifisch zu sein, wird weiter gefragt werden müssen, wobei noch einmal auf einen vom logischen Artbegriff unterschiedenen Begriff von Spezifität vorzuverweisen ist. Ungeachtet dessen, daß dem Erfahrungsgebrauch des Verstandes gemäß isoliert betrachteter Prinzipien bloß das Zustandebringen ,,distributive[r] Einheit" wird zugesprochen werden können, nicht „collective Einheit eines Erfahrungsganzen"103, denn der Verstand kann mit keinem der einzelnen Prinzipien „auf die Totalität der Reihen"104 sehen (etwa nicht auf die Totalität der Kausalreihe), und ungeachtet dessen, daß Vernunft unter diesem Aspekt der Isoliertheit der Prinzipien nur regulativ eine „gewisse kollektive Einheit zum Ziele der Verstandeshandlungen" setzen kann, d.h. seine „zweckmäßige Anstellung"105 hier nur äußerlich leiten kann, sind doch die Verstandesprinzipien ihrerseits, insofern insgesamt auf ihren Grund hin betrachtet, in kollektiver Einheit vorzustellen: Die „bloße Vorstellung Ich" ist es, die „in Beziehung auf alle andere" Vorstellungen „collective Einheit ... möglich macht"106, d.h. die Einheit in einem Ganzen. Die spezifischen Prinzipien, in deren Betrachtung ihre Anbindung an dieses Ich und ihr in ihm ge-

99 100 101 102 103 104 105 106

Β 131 A 64/B 89 Ak XVII, REFL 4675 A 65/B 89 A582/B610 A 643/B 671 A 644/B 672 A 117 Anm.

162

2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang

haltener Zusammenhang untereinander nicht aus dem Blick verloren ist, werden, wie die angeführte 'Reflexion' zeigt, in dieser Anbindung doch so gedacht, daß sie die Verknüpfung des Mannigfaltigen in einem Ganzen zustandebringen. Nach dem Vorigen ist also Selbstbewußtsein nicht in den Urteilen enthalten, entsprechend die Urteile nicht unter Selbstbewußtsein begriffen, sondern umgekehrt sind die Urteile in Selbstbewußtsein als ihrem 'Worin' enthalten. Auch die wiederholte Bezeichnung sowohl der Urteilsformen und Kategorien als auch der vier „Titel"107, unter die sie gebracht sind, als „Momente des Denkens überhaupt"108 oder des „Denkens in den Urtheilen"109 kann als Beleg für die schon unterstellte Teile-Ganzes-Beziehung genommen werden. Anstelle von Titeln spricht Kant zwar auch von „Classen von Verstandesbegriffen" 110 , ohne dadurch aber, wie noch zu sehen sein wird, auf den Artbegriff in einer logischen Zusammenstellung von Arten und Gattungen festgelegt zu sein. Andernorts bestimmt Kant „Momenta" als „Elemente des Grundes, es sind Teile des zureichenden Grundes" 1 ". Der Begriff des Moments ist auch auf das explizit in seinem Handlungscharakter angesprochene Denken angewandt. So sind etwa die „Functionen", d.h. Handlungen, „der Modalität" als „Momente des Denkens überhaupt"112 bezeichnet. In den Prolegomena lautet dementsprechend die Angabe zum Urteilen überhaupt als dem einen grundlegenden Prinzip in Hinsicht auf die Pluralität an Prinzipien, d.h. der mehreren reinen Begriffe der Synthesis: Es ist die „Verstandeshandlung ... , die alle übrige enthält und sich nur durch" die in diesen übrigen sich ausdrückenden ,,verschiedene[n] Modificationen oder Momente unterscheidet"113. Der auf die mehreren Verstandeshandlungen auch angewandte Begriff der Modifikation weist seinerseits auf die Aspekte der Identität und Innerlichkeit der einen allesenthaltenden Denkhandlung hin, insofern Modifikationen als etwas Unselbständiges und nicht für sich Anzutreffendes auf etwas als eines und dasselbe bezogen sind114. Um die eine und selbe innere Handlung mit Kant zu benennen, so besteht sie im „Actus der Apperception: Ich denke"ui. Dies zusammengenommen mit den Erwägungen zu den übrigen Verstandeshandlungen als Momenten, stellt sich der systematisch gedachte Zusammenhang des Denkens überhaupt mit seinen Modifikationen als der eines innerlich begründeten Ganzen dar.

107 108 109 110

111 112

113 114

115

A 70/B 95 A71/B96 A 73/B 98 Β 110

KA/C,Ak XX VII/1,288 A76/B 101

PROL, Ak IV, 323

vgl. zu dieser durchgangigen Verwendungsweise von 'Modifikation': A 46/B 63; A 129; A 491/B

519; PROL, Ak IV, 289; RGV, Ak VI, 125; PG, Ak IX, 220 Β 137

2.1. System von Kategorien als Teile-Ganzes-Zusammenhang

163

Diese Ergebnisse aber führen in die unmittelbare Nähe des Begriffs eines lebendigen Wesens, insofern dadurch, in der „Einheit des activen Principe"" 6 grundgelegt, eine Pluralität „zu einem Ganzen innerlich vereinigter Kräfte, welchem eine Idee zum Grunde liegt"117, gedacht wird; und sie führen zurück auf Kants Rede vom „Geburtsort" der die Idee eines Ganzen voraussetzenden reinen Verstandesbegriffe a priori, in dem als dem ursprünglichen Ort eines nicht empirisch bestimmten Handelns - hier also des „Actus der Apperception" als Entsprechung des genannten aktiven Prinzips des Lebendigen - das System der Begriffe der spezifischen Synthesishandlungen seinen innerlichen Vereinigungspunkt hat. Von diesem als dem Ort der auf kein sinnliches Empfangen rückführbaren und also spontanen, d.h. freien Handlung der Reflexivität als Selbstbewußtsein kann keiner der Begriffe abgetrennt und keine Synthesishandlung kann aus der in ihm zentrierten Sphäre herausversetzt werden. Die Spontaneität des Akts der Apperzeption geradezu als Freiheit anzusprechen, heißt, das durch den technischen Ausdruck eher Verdeckte aufzudecken und theoretischem Selbstverständnis die Perspektive auf eine Kausalität nach Zwecken und also auf praktische Vernunft hin zu geben: „Praktisch ist alles, was durch Freiheit möglich ist." 1 " Insoweit theoretische Vernunft im Urteilen durch Spontaneität im Sinne praktischer Freiheit möglich ist, wonach unter Spontaneität mehr verstanden werden muß als etwa ein auf einen Willen unbezügliches Von-selbstAnfangen, ist sie als theoretische praktisch. Für die derart in Aussicht genommene Vereinigung von theoretischer und praktischer Vernunft steht der hier überall, ob explizit oder zeitweise bloß hintergründig mitlaufende rationale Begriff des Lebens, durch den, anders ausgedrückt, die Vereinigung der im erfahrungsermöglichenden Denken handelnden und der in diesem Handeln rational begehrenden und zwecksetzenden Vernunft gedacht ist. Was als der Zweck theoretischer Vernunft anzusehen ist und was ihrem Zusammenhang von Kategorien, wie nach dem szientifischen Vernunftbegriff eines Systems verlangt, die Einheit eines Zwecks verleiht, wird noch näher anzugeben sein. Dazu wird eine hier unter dem Titel 'Apperzeption' erst angekündigte genauere Betrachtung des Urteils erforderlich sein. Zuvor soll aber die in den 'Leitfaden'-Abschnitten noch ohne Erwähnung einer systembegründenden lebendigen Apperzeption verwandte organologische Ausdrucksweise noch weiter entschlüsselt werden. Dazu kann auf andernorts zu findende Erwägungen Kants zurückgegriffen werden, vorzugsweise weiter auf solche, die den Unterschied zwischen dem betreffen, was einerseits als ein für das System der Kategorien auszuschließendes Klassensystem nach Ähnlichkeiten119, d.i. „blos"

116 117 118 119

OP, Ak XXII, 267 zitiert nach Eisler (1930), S. 406 A 800/B 828; Hervorh. Vf. vgl. MAN, Ak IV, 468

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

164

ein „Vergleichungssystem"120, anzusehen ist und was demgegenüber vorwegnehmend als ein Erzeugungs- oder Abstammungssystem zu bezeichnen ist.

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem Daß die näheren Auskünfte zum besonderen Systembegriff eines Abstammungssystems zum Teil Kontexten entnommen werden müssen, worin ihm in Hinsicht auf eingeschränkte empirische Erkenntnisbereiche ein bloß regulativer Gebrauch zugeschrieben ist, z.B. in Hinsicht auf die systematische Ordnung auf dem Gebiet tierischen Lebens, kann doch nicht davon ablenken, daß eben diese Systemidee in der Kritik der reinen Vernunft so veranschlagt ist, daß sie den Prinzipien der Erkenntnis und einer Erfahrung Uberhaupt Zusammenhang und Sicherheit geben soll und hier also nicht bloß regulativ genommen werden kann. Die folgenden Betrachtungen zur Klärung dieses Systembegriffs werden sich auf die systematische Ordnung in diesem Gegenstandsbereich tierischen Lebens, also auch auf den unter diesem Aspekt gesehenen Menschen beziehen. Es wird hier der Begriff der Rasse zur Bezeichnung der Glieder der Einteilung unter der speziellen Systemidee eine Rolle spielen, wozu aber schon vorweg eine Feststellung zu treffen ist, die sich durch die hier interessierenden formalen Überlegungen bestätigen wird: In völligem Gegensatz zu den aufgrund eines Mißbrauchs heute zum Rassebegriff unvermeidlichen Assoziationen, die auf Vorstellungen radikaler Trennung des durch ihn Eingeteilten gehen (also etwa in Hinsicht auf Menschenrassen), wird dieser Begriff bei Kant zu dem Zweck herangezogen, um den Gedanken einer ursprünglichen Zusammengehörigkeit und einer aufgrund gemeinsamen Ursprungs unauflöslichen Verwandtschaft der Glieder der Einteilung auszudrücken. Das Entscheidende der gemäß dem Rassebegriff gedachten Gemeinsamkeit liegt gerade darin, daß hier ein Glied der Einteilung über diejenige Betrachtungsweise hinaus als ein Systemstück anzusehen ist, die nur Arten unter Gattungen in einem Klassensystem nach Ähnlichkeiten kennt. Demgemäß heißt es bei Kant: „Anfänglich, wenn man bloß die Charaktere der Vergleichung (der Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit nach) vor Augen hat, erhält man Klassen von Geschöpfen unter einer Gattung. Sieht man ferner auf ihre Abstammung, so muß sich zeigen, ob jene Klassen eben so viel verschiedene Arten, oder nur Racen seien. Der Wolf, der Fuchs, der Jakal, die Hyäne und der Haushund sind so viel Klassen vierfllßiger Thiere. Nimmt man an: daß jede derselben eine besondere Abstammung bedurft habe, so sind es so viel Arten; räumt man aber ein, daß sie auch von einem Stamme haben entspringen können, so sind sie nur Racen desselben. Art und Gattung sind in der Naturgeschichte (in der es nur um die Erzeugung und den Abstamm zu thun

120

GTP, Ak VIII, 180

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

165

ist) [weshalb hier Arten und Gattung nicht solche im Klassensystem nach Ähnlichkeiten sind] an sich selbst nicht unterschieden. In der Naturbeschreibung, da es bloß auf Vergleichung der Merkmale ankommt, findet dieser Unterschied allein statt. Was hier Art heißt, muß dort öfter nur Race genannt werden." 1 2 1

Das schon Entwickelte in Hinsicht auf die Klassen im System der Verstandesbegriffe aufgreifend, ist hier festzuhalten, daß auch sie offenbar als Klassen in einem solchen Abstammungssystem anzusehen sind, nicht in einem Vergleichungs- oder Ähnlichkeitssystem. In einem Abstammungssystem kommt es der gegebenen Auskunft nach darauf an, daß Gattung und (in Ermangelung eines besseren Ausdrucks also) Rasse an sich nicht unterschieden sind. In einem Klassensystem nach Ähnlichkeiten sind Arten, wenn ihr Ursprung thematisch wird, auf eine solche Weise unterschieden zu denken, daß sie verschiedene „Localschöpfiingen"122 nötig haben. Solche Lokalschöpfungen sollen für das Abstammungssystem vermieden sein. Die Gattung des Abstammungssystems, worauf verschiedene Erzeugungen zurückzuführen sind, nennt Kant auch ,ßealgattung, als zu welcher durchaus wenigstens die Möglichkeit der Abstammung von einem einzigen Paar erfordert wird"; er unterscheidet die darin gegründete Verschiedenheit von der Verschiedenheit, wozu „eben so viel verschiedene Erschaffungen nöthig wären", woraufhin wohl zu einer ,JJominalgattung (um sie nach gewissen Ähnlichkeiten zu klassificiren)"123 zu kommen wäre, aber eben nicht zu einer Realgattung. In bezug auf die Verschiedenheit unter den Menschen gesprochen, müßten diese bei einer Mehrzahl von Erschaffungen und bei einer Vereinigung bloß unter einer Nominalgattung als „einander ähnlich, aber nicht verwandt" angesehen werden, und sie gehörten nicht wie im anderen Fall „zu einer Familie"12*. Es ist hier einzufügen, daß die Anwendung des Familienbegriffs auf Erkenntnisvermögen bei Kant geläufig ist125. In der speziellen Anwendung auf die im System versammelten Kategorien des Verstandes verlangte dieser Begriff, die Kategorien als „Glieder einer Familie" so anzusehen, daß sie einer „eigenen Selbständigkeit"126 ermangelten und ihre „durchgängig zusammenhängende Verwandtschaft einen Grund"127 hätte. Daß in Kants Sicht die auf Urteilsformen zurückzubeziehenden Kategorien keine eigene Selbständigkeit haben, ist außer durch ihre Auffassung als Modifikationen durch die bereits angeführte Kritik an einer Urteilsauffassung ausgedrückt, worin das Verhältnis der Begriffe im Urteil ohne die Frage danach betrachtet wurde, worin es seinen Bestand hat. Die hier zu wieder-

121 122 123 124 125 126 ,27

BBM, Ak VIII, 100 Anm. VRM, Ak II, 430 BBM, Ak Vili, 102; 2. Hervorh. Vf. VRM, Ak II, 430 vgl. KDU, Ak V, 177 MDS, Ak VI, 317 KDU, Ak V, 419; Hervorh. Vf.

166

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

holende Antwort daraufhin lautete, daß alle Urteile diesen Bestand in der ursprünglichen Einheit der Apperzeption haben, worauf sie alle verweisen. Zu dieser Apperzeption ihrerseits ist vorwegzunehmen, daß sie als das Prinzip der Affinität unter den Vorstellungen angesehen werden wird128, woraufhin nur der Ausdruck 'Affinität' übersetzt werden muß, um Selbstbewußtsein als das Prinzip der Verwandtschaft anzusprechen. Wie gesehen, stellt der Begriff einer Nominalgattung Ähnlichkeit, aber nicht Verwandtschaft fest. Umgekehrt kann in einer Realgattung Verwandtschaft bei mangelnder Ähnlichkeit vorliegen. Lebewesen können, „von welcher Verschiedenheit der Gestalt sie auch sein mögen", doch „zu einer und derselben physischen Gattung" oder „Naturgattung"129 gehören, d.h. zu einer Realgattung. Auf ein Einziges als etwas Wirkliches sollen nun in einer Realgattung die verschiedenen Erzeugungen zurückgeführt werden können, d.h. auf etwas seinem Dasein nach Eingesehenes. Die Erklärungsart in einem solchen Zurückführen ist die, die Kant im Unterschied zu einer Nominalerklärung eine Realerklärung nennt. Von Realerklärungen ist gefordert, daß sie nicht bloß wie die ,flamen-Erldärungen... die Bedeutung enthalten, die man willkürlich einem gewissen Namen hat geben wollen, und die daher nur das logische Wesen ihres Gegenstandes bezeichnen, oder bloß zu Unterscheidung desselben von andern Objecten dienen"130, und daß sie „nicht blos einen Begriff' als etwas bloß Gedachtes „ deutlich machfen]", sondern darüberhinaus „die objective Realität desselben"131, und zwar „aus dem Wesen der Sache, dem ersten Grunde der Möglichkeit"132, wobei hier Möglichkeit nicht logische Möglichkeit als Widerspruchsfreiheit, sondern reale Möglichkeit als Möglichkeit des Daseins bedeutet. Einsicht aus dem Wesen der Sache ist nun vorzüglich dort zu erwarten, wo Vernunft es mit sich selbst und ihren eigenen Erkenntnisprinzipien zu tun hat. Das verlangte Deutlich-Machen der objektiven Realität von Begriffen ebenso wie die hier zu überwinden beanspruchte Äußerlichkeit des Denkens zu Wirklichkeit oder Dasein - positiv ausgedrückt: die innere Bekanntschaft des Denkens als eines solchen mit Dasein - lassen sich auf ein Kernproblem der ersten Kritik beziehen, nämlich das der objektiven Realität der Kategorien. Es kann hier auf das schon Gesagte zurückgegriffen werden, daß diese Kategorien in Kants 'Deduktion' auf einen solchen „Geburtsort" bezogen sind, worin mit dem „Ich denke" der „Actus" ausgedrückt sein soll, „mein Dasein zu bestimmen": Dazu muß Dasein

128 129 130 131 132

vgl. A 122 VRM, Ak II, 429 LOG, Ak IX, 143 A 241 Anm. LOG, Ak IX, 144

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

167

aber als „schon gegeben"133 angesehen werden. Überhaupt ist das Sich-seinerselbst-bewußt-Sein - in der „Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen" und nicht ohne diese - das Bewußtsein, „daß ich bin"134, so daß in Hinsicht auf das Denken seiner selbst keine weitere Nachfrage daraufhin erforderlich ist, ob das damit Gedachte auch Dasein oder Wirklichkeit hat. Denken, an diesem Ursprungsort erwogen, ist Daseinsbewußtsein selbst. Auf ein solches Denken als den einen verlangten realen Grund zurückgeführt, müssen die dann spezifisch daseinsbestimmenden Kategorien als in einer Realgattung befindlich angesehen werden. Um erneut zum Analogon des Systems der Kategorien zurückzukommen, d.i. also das nach der gleichen formalen Systemidee gedachte Abstammungssystem im speziellen Bereich tierischer Organisation in der Realgattung der Lebewesen, soll jetzt die Frage gestellt werden, wodurch hier der Pluralität des Verschiedenen, das doch in seiner jeweiligen Eigentümlichkeit und nicht nivelliert zu denken ist, die Einheit des Grundes soll gesichert sein können und wodurch diese Einheit soll bekannt werden können. Gefragt ist nach demjenigen, „was Anzeige auf die Abstammung, nicht blos die Charakteren-Ähnlichkeit" gibt, welches letztere zu zeigen Aufgabe einer „blos methodischen Benennung" mit dem Ergebnis einer „Nominalverwandtschaft"135 unter dem Verschiedenen wäre. Im demgegenüber gefaßten Gedanken einer Realverwandtschaft ist der Aspekt der „Eigenthümlichkeit" des Verschiedenen nicht beseitigt, so daß dieser also durchaus „zur Classeneintheilung berechtigt"; aber diese Einteilung teilt „doch nicht specifisch"136 ein, und zwar nicht auf die Art spezifisch, wie es in der logischen Vorstellung einer Art und ihrer spezifischen Differenz geschieht. Der Grund dafür, bei gewahrter Eigentümlichkeit doch keine spezifische Differenz zu unterstellen, kann nun, allgemein gesprochen, darin gesehen werden, daß das Verschiedene gerade unter dem Aspekt seiner Eigentümlichkeit als solcher in eine Beziehung zueinander treten kann, um daraus ein gemeinschaftliches Produkt zu erzeugen. Die Beziehung des Verschiedenen aufeinander muß hier nicht erst über einen abstrakten Gattungsbegriff vermittelt sein, worin von der Eigentümlichkeit gerade abgesehen würde, sondern ist als ein direktes Verweisen aufeinander und Zusammenwirken miteinander der Eigentümlichkeiten als solcher anzusehen. In bezug auf die reale Naturgattung der Menschen ist dieser Zusammenhang dadurch angezeigt, daß aus den verschiedenen Menschenrassen, etwa mit den Eigentümlichkeiten der schwarzen und weißen Hautfarbe, gemeinsame Nachkommen von notwendiger eigener Eigentümlichkeit entstehen, welche zugleich Verweis auf die der Abstammung zugrundeliegenden verschiedenen Eigentümlichkeiten gibt.

133 134 135 136

Β 157 Anm. Β 157 GTP, Ak VIII, 164 GTP, Ak VI», 165

168

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

Die Eigentümlichkeit der Nachkommen, die mittlere Hautfarbe - in Kants Worten: die „unausbleiblich halbschlächtige Nachartung" -, zeigt nun das Zusammenschmelzen" gerade „der Charaktere ihrer [der Rassen] Unterscheidung"137 an. Dieses erzeugende Zusammenwirken zweier Rassen, d.h. zweier Systemstücke in einem Abstammungssystem, ist nicht wie in materiellen Verhältnissen ein bloß äußerliches Hinzukommen von etwas zu einem anderen zu einem Aggregat, sondern zeigt wechselseitige Zweckmäßigkeit unter dem Aspekt der unterscheidenden Beschaffenheiten als solchen an. In der Reflexion darauf, wie diese nicht äußerlich bleibende Beziehung des Verschiedenen mit dem Ergebnis des Zusammenschmelzens der Charaktere der Verschiedenheit in ihrem Produkt möglich ist, müssen beide Systemstücke als „nur dem Anscheine nach verschieden"138 beurteilt werden. Auf diesen Anschein richtet sich die auf Beobachtung beruhende Klassifizierung nach Ähnlichkeiten, die zur Statuierung ihres abstrakt gattungshaft Allgemeinen das gerade aus dem Blick nehmen muß, was als das in seiner Unterschiedenheit zweckmäßig aufeinander Bezogene Anzeige darauf gibt, daß das dem Anschein nach Unterschiedene „im Grunde aber identisch"139 ist. Diesem Grund - der im Fall der „Naturforschung des Ursprungs"140 in Hinsicht auf das Tierischbelebte ein abwesender ist und nicht wie im anvisierten Fall des Abstammungssystems der Erkenntnisprinzipien ein mit dem 'Ich denke' jederzeit zu aktualisierender - wird in der Beurteilung die Einheit eines in den Systemstücken sich artikulierenden Zwecks zugeschrieben: „Eine Grundkraft, durch die eine Organisation gewirkt würde, muß ... als eine nach wirkende Ursache gedacht werden und zwar so, daß diese Zwecke der Möglichkeit der Wirkung zum Grunde gelegt werden müssen"141.

Zwecken

Das Zurückverfolgen von der Pluralität des Unterschiedenen her, das in den Charakteren der Verschiedenheit durch „Zeugungsvermögen in Verbindung" steht, hin auf den Grund dieser Verbindung, nennt Kant nun ausdrücklich eine „Ableitung"142, d.h. eine Deduktion. Bei einem solchen Begriff von Ableitung findet zur Begründung des Zusammenhangs von Systemstücken in einem System ersichtlich kein Zurückgehen auf einen Gattungsbegriff und ein gemeinsames Merkmal statt, etwa als ein gemeinsames Merkmal von schwarzhäutigen und weißhäutigen Menschen, oder, um an Kategorien zu denken, z.B. von Quantität und Qualität. In Hinsicht auf Kategorien ist in Anwendung des entwickelten Systembegriffs nun ebenfalls nach etwas aus der Verbindung ihrer verschiedenen Charaktere ge-

137 138 139 140 141 142

ebd. GTP, ebd. GTP, GTP, GTP,

Ak VIII, 180 Ak Vili, 163 Ak VIII, 181 Ak VIII, 178

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

169

meinsam Erzeugtem zu fragen. Die Antwort lautet, daß die Erzeugnisse hier die „aus ihnen erzeugte[n] Urtheile" 143 sind, woraufhin allein sie nach Kant in Gebrauch stehen. Außerhalb dieses Gebrauchs haben sie keinen für sich selbst in ihrer etwaigen abgesonderten Eigentümlichkeit: Von den reinen „Begriffen kann ... der Verstand keinen anderen Gebrauch machen, als daß er dadurch urtheilt" 144 . Um an dieser Stelle einen Vorverweis zu geben, wird am Urteil nach der Betonung der Wichtigkeit der Beziehungen von als Systemstücken beteiligten Begriffen besonders interessieren, wodurch hier Verbindung als solche ausgedrückt ist. Als dasjenige, worin ein Erfahrungsurteil zentriert zu sein scheint, kommt die Kopula, d.h. das Verhältniswort 'ist', in den Blick und insbesondere die durch sie sich ausdrückende Kategorie des Daseins. Insofern mit der durch das 'ist' ausgedrückten Urteilsverbindung als solcher, worin integriert die übrigen reinen Begriffe nur einen Gebrauch haben können, mit Notwendigkeit und also a priori der Gedanke der Beziehung der Erkenntnis auf einen daseienden Gegenstand gefaßt ist, und zwar angebunden an transzendentales Selbstbewußtsein (seinerseits, wie gesehen, unbestimmtes Daseinsbewußtsein, das im Actus 'Ich denke' auf die Bestimmung seines Daseins geht) und nicht an vorausgesetzte Dinge, können die Begriffe, die beständig in ihrem Zusammenwirken Urteile als solche Produkte erzeugen, welche vermittels des 'ist' auf existierende Gegenstände gehen und den genannten notwendigen Gedanken transzendentalen Selbstbewußtseins realisieren wollen, als deduziert im erörterten Sinn einer Ableitung gelten. Sie müssen dabei in ihrer Verschiedenheit nicht auf Lokalschöpfungen zurückbezogen werden, wie sehr auch nicht zu begründen sein mag, warum sie Kategorien gerade in dieser bestimmten Art sind. Der Gedanke des Gegenstandes wird durch sie so spezifiziert gedacht wie im analogen Fall eines Abstammungssystems die eine Menschheit durch die verschiedenen Menschenrassen. Zu diesem Analogon soll nun noch einmal zurückgekehrt werden. Den Grund der Möglichkeit der in der Zeugung gemeinsamer Nachkommen stattfindenden Beziehung zwischen den Rassen betreffend, ist ein gemeinschaftlicher Ursprung der Menschen also gerade mit dem Blick auf Eigentümlichkeiten angezeigt. Die Gemeinschaft der Menschen ist so also gestützt durch etwas, was in einer anderen Betrachtungsweise Trennung zu bedeuten schien, und sie geht über das hinaus, was in dieser trotz der Trennung allenfalls als das Gemeinsame noch festgehalten werden kann. Diese andere Betrachtungsweise ist die, für die die

143 144

A2 A 68/B 93 - Aufgrund des alleinigen Gebrauchs dieser Begriffe in Urteilen, worauf bezogen etwa Wolfgang Becker (1984, S. 92) vom Urteil als der basalen Einheit spricht und Gerhard Schönrich (1981, S. 67) und Michael Frede/Lorenz Krüger (1973, S. 138) sich im selben Sinn äußern, findet sich bei Kant zusatzlich zur Bestimmung des Verstandes als „Vermögen der Begriffe" (A I59f./B 199; vgl. auch Β 75) seine Bestimmung als „Vermögen zu urleilen" (B 94), was Schopenhauer (Werkausgabe 1977, II, 532) noch als Beispiel fllrein konfuses Reden Kants nimmt.

170

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

Einteilung etwa nach schwarz- und weißhäutigen Menschen eine solche ist, wodurch das Gemeinsame nur durch den abstrakten Gattungsbegriff 'Mensch' bezeichnet ist und worin die Arten durch die spezifischen Differenzen 'schwarz' und 'weiß' angegeben sind. In Absetzung von einer dadurch nur zu begründenden Nominalverwandtschaft unter den Menschen heißt es bei Kant: „Die Klasse der Weißen ist nicht als besondere Art in der Menschengattung von der der Schwarzen unterschieden; und es giebt gar keine verschiedene Arten von Menschen."145 Spezifische Differenzen kennzeichnen Abgrenzung unter ihrer Hinsicht und schließen wechselseitige Verwiesenheit von Eigentümlichkeiten als solchen und darüberhinaus die Nachfrage nach einem Grund dieser Beziehung aus, weshalb denn auch in Hinsicht auf die Ursprungserklärung von Arten die Zahl der Ursachen vervielfältigt gedacht werden muß. Dadurch sind Arten und Gattung an sich unterschieden, was für ein Abstammungssystem ausgeschlossen sein sollte. Die entgegengesetzte Auffassung ist nach Kant „der philosophischen Erklärungsart angemessener"146, und „Vernunft wird ohne Noth nicht von zweien Principien ausgehen, wenn sie mit einem auslangen kann"147 und dafür einen Anhalt findet. Die Opposition in der Erklärungsart einer Begründung von Realverwandtschaft zu der einer bloßen Nominalverwandtschaft drückt Kant, orientiert am Unterschied in der Auffassung von Eigentümlichkeit, wie folgt aus: „Die Bedingung: daß der Gattungsbegriff und der Begriff des specifischen Unterschiedes (genus und differentia specifica) die Definition ausmachen sollen, gilt nur in Ansehung der Nominal-Definitionen in der Vergleichung, aber nicht für die Real-Definitionen in der Ableitung"14*.

Die für ein Abstammungssystem auszuschließenden Nominaldefinitionen geben den Hauptaspekt der Begründung dafür an, warum Kant in der Kritik der reinen Vernunft in Hinsicht auf die verschiedenen reinen Verstandesbegriffe sagt, er überhebe sich der „Definitionen dieser Kategorien ... in dieser Abhandlung geflissentlich"149. Es ist dies nicht der einzige Grund dafür, warum er sich überhaupt der Definitionen überhebt, denn in seiner Systemabsicht, die zum einen nur auf die Stammbegriffe des Verstandes geht und noch nicht darauf, durch Prädikabilien den „Stammbaum des reinen Verstandes völlig aus[zu]malen", will er zum anderen, um nicht wegen vollständiger Erklärungen als Rea\definitionen den „Hauptpunct der Untersuchung aus den Augen" zu bringen, auch die Stammbegriffe nur „bis auf den Grad zergliedern, welcher in Beziehung auf die Methodenlehre ... hinreichend

145

BBM, Ak VIII, 99f. GTP, Ak VIII, 169 147 GTP, Ak VIII, 165 148 LOG, Ak IX, 144f. 149 A 8 2 / B 108 146

2.2.1. Exkurs: Ableitung von Prädikabilien

171

ist"150, die er beabsichtigt. Die verbleibenden unvollständigen Realerklärungen sind Expositionen151. Zu den von ihm in Aussicht gestellten Definitionen für das noch durch „eine große Menge"152 abgeleiteter Prädikabilien auszumalende System äußert er sich übrigens in der 'Methodenlehre' durch die Zuordnung strikter Realdefinitionen nur zur Mathematik und durch die Auffassung philosophischer Realerklärung immer nur als unvollständiger Exposition vorsichtiger153. Die zuvor noch projektierten Definitionen sind aber sicher nicht als nachzutragende, den Unterschied zwischen Gattungsbegriff und Begriff der spezifischen Differenz verlangende Nominaldefinitionen gemeint. Es ist dies auch durch die Art angezeigt, wie im ausgemalten Stammbaum die Prädikabilien sollen als abgeleitet gelten können.

2.2.1. Exkurs: Ableitung von Prädikabilien Die Art der Ableitung von Prädikabilien entspricht dem an der Realgattung der Lebewesen erörterten Verständnis von Ableitung. Prädikabilien sollen, wenn man „die ursprüngliche[n] und primitive[n] Begriffe hat", abgeleitet werden können, indem diese „mit den modis der reinen Sinnlichkeit oder auch unter einander verbunden"154 und also in „Verknüpfung untereinander, oder mit der reinen Form der Erscheinung (Raum und Zeit)"155 betrachtet werden, woraufhin sie sich dann als „aus jener ihrer Zusammensetzung entspringende, und also abgeleitete"'56 Begriffe ergeben. Solches Entspringen und solche Ableitung erfordern, wenn die Prädika-

150 151

152 153 154 155 156

A 82f./B 108 f. vgl. LOG, Ak IX, 142f. - Das Ergebnis, von solchen Expositionen ausgehen zu müssen, ist von Bedeutung hinsichtlich der Einschätzung der vorwiegend angelsachsischen Diskussion um 'transcendental arguments'. Thomas M. Seebohm (1982) hat in Auseinandersetzung vor allem mit M.S. Gram (1971) und mit S. Körner (1967), der etwa transzendentale Deduktion, um eine solche dann zu verwerfen, als Beweisversuch eines in seiner bestimmten Art notwendigen Kategorienschemas versteht (vgl. S. 318), gezeigt, daß transzendentale Deduktion bei Kant als Realexposition und nicht als Beweis im Sinne seiner Beweistheorie zu verstehen ist (vgl. S. 138f.). Versuche der Erhellung der logischen Struktur der Deduktion müssen damit nach Seebohm von vornherein „in eine ganz andere logische Dimension" führen als die, die mit der „klassischen Aussagenlogik, zuweilen auch der modalen und epistemischen" im „Streit um transzendentale Argumente herangezogen wurde", nämlich in die Dimension der „Lehre von der Definition und Begriffseinteilung" (S. 130). Um über das bei Kant selbst Explizierte hinaus die „logische Analyse der Tiefenstruktur der 'Kritik' voranzutreiben" (S. 144), schlägt Seebohm vor, Husserls dritte logische Untersuchung über das Ganze und die Teile nutzbar zu machen, die davon handelt, das „konkrete Ganze ... zu rekonstruieren als die Struktur der Fundierungsverhältnisse seiner abstrakten, d.h. nicht für sich außerhalb solcher Strukturen auffaßbaren Momente" (S. 145). A 8 2 / B 108 A 727ff./B 755ff. A 8 2 / B 108 PROL, Ak IV, 324 FM, Ak XX, 272

172

2.2.1. Exkurs: Ableitung von Prädikabilien

bilien also etwa aus einem in der Verbindung entspringenlassenden Paar an ursprünglichen Begriffen hervorgehen sollen, daß die Eigentümlichkeiten der Prädikabilien in der Nachfrage nach ihrem Grund nicht im Sinne spezifischer Differenzen auf von ihrem zugrundegelegten Begriffspaar unabhängige „Lokalschöpfungen" zurückzuführen sind, sondern daß sie so etwas wie den mittleren Charakter in der Nachartung darstellen, d.h. das gemeinsame Produkt aus der positiven Beziehung der Eigentümlichkeiten dieses ihnen zugrundeliegenden Paares, welche Eigentümlichkeiten demnach ihrerseits keine spezifischen Differenzen sind, sondern Charaktere der Unterscheidung in einer zu ihrem Produkt zweckmäßigen Zusammenstimmung, wodurch Anzeige auf die Identität ihres Grundes oder, teleologisch ausgedrückt, auf die Einheit eines Zwecks gegeben ist. Zunächst hält Kant zwar die Verfolgung der Prädikabilien, da an den Stammbegriffen des reinen Verstandes orientiert, für eine „entbehrliche Bemühung", bemerkt dazu aber, daß es eine „nützliche und nicht unangenehme ... sein würde"' 57 . Auch die angesprochene Nützlichkeit und die Andeutung einer im Ausmalen des Systems apriorischer Begriffe stattfindenden Lust geben einen Hinweis auf eine damit thematische Zweckmäßigkeit, die mit einem Gefallen verbunden ist. Noch deutlicher findet sich dieser Hinweis in den Prolegomena, worin, wie bereits einmal herangezogen, der um die Prädikabilien erweiterten Tafel der Kategorien gar „eine gewisse Schönheit" in Aussicht gestellt wird, und zwar „vermöge des Systematischen"158 daran. Dieser gewissen Schönheit wird, wenn man Schönheit im Vorgriff wie in Kants späterer Theorie ästhetischer Beurteilung versteht, ein gewisses Gefühl der Lust als Bewußtsein der Beförderung des Lebens entsprechen, und zwar vermöge einer Zweckmäßigkeit. Über die ästethische Beurteilung hinaus auf den Begriff gebracht, handelte es sich um die Zweckmäßigkeit der in der Reflexion des Subjekts auf seine apriorischen Erkenntnisleistungen nach organologischer Betrachtungsart einsichtigen Grundbegriffe der Erkenntnis dieses Subjekts. In einem Brief an Johann Schulz, in dem Kant diesen dafür auszeichnet, „das Wichtigste und Zweckmäßigste" seines Versuchs erfaßt zu haben, gibt er dafür als Beleg dessen richtige Vermutung, „daß jede dritte Kategorie wohl ein von den beiden vorstehenden abgeleiteter Begriff sein könne"; weitere mögliche Ableitungen zu verfolgen, rät er ausdrücklich an, nämlich an seiner Tafel „eine Ariern characteristicam combinatoriam ... in Ausübung zu bringen"159. Anders als in der ersten Kritik, worin er die „erforderlichen Erklärungen" in Hinsicht auf das durch Prädikabilien auszumalende System für „leicht ... zu Stande zu bringen"160 hält,

157 158 159

160

A 8 2 / B 108 PROL, Ak IV, 325 Anm. BW, Ak X, 351

A83/B 109

2.2.1. Exkurs: Ableitung von Prädikabilien

173

gesteht er im genannten Brief zu, daß die projektierte Kunst ihm nur als „etwas, wie im Nebel verhüllt, vor Augen schwebt". Ergänzend ist noch zu bemerken, daß die beispielhaft angeführte jeweilige dritte Kategorie nach der Kritik doch nicht allein durch eine solche auf die beiden ersten Kategorien bezogene Artem characteristicam combinatoriam abgeleitet wurde, sondern daß sie außer der Begründung in ihnen, d.h. außer der Bezugnahme auf die Akte des Verstandes, die in der „ersten und zweiten ausgeübt" werden, noch „einen besonderen Actus des Verstandes"161 erfordern. Das deutet Kant am Beispiel der Kategorie der Wechselwirkung an, worin also offenbar der Akt des Verstandes im Gedanken von Substanz und Akzidens und der im Kausalitätsgedanken ausgeübt werden, aber dazu noch der Akt verlangt wird, einen „Ein/1uß " zu denken, „d.i. wie eine Substanz Ursache von etwas in einer anderen Substanz werden könne"162. Aufgrund solcher zusätzlicher Akte zählt Kant die jeweiligen dritten Kategorien, die sich also nicht vollständig aus dem Denken der ersten und zweiten ergeben, zu den Stammbegriffen des Verstandes und muß sie also mit den jeweiligen beiden ersten auf eine Stufe stellen und auf einen gemeinsam vorausliegenden Ableitungsgrund beziehen. Im Fall der den Stammbaum des reinen Verstandes bloß ausmalenden Prädikabilien wird die Beziehung auf diesen Grund offenbar bloß vermittelt gedacht und zur Erklärung dessen, was durch sie gedacht wird, die Bezugnahme auf die verbundenen Stammmbegriffe als erforderlich angesehen. Obwohl nun nach dem Gesagten für das Denken der eigentlichen Prädikabilien kein besonderer Akt des Verstandes erforderlich ist, muß doch bemerkt werden, daß dazu mindestens der Akt erforderlich ist, die nicht im ersten bzw. zweiten Akt gelegene Verbindung zu denken, d.h. das 'und' im Denken eines ersten und zweiten Verstandesaktes zu vollziehen, wodurch die beiden eigentümlichen Akte der grundgelegten Begriffe verbunden sein sollen. Nicht mehr als die Verbindung durch ein 'und' im Zusammendenken der Eigentümlichkeiten der grundgelegten Begriffe soll also erforderlich dafür sein, daß neue Begriffe als Prädikabilien in ihrer auf Verbindung anderer Eigentümlichkeiten beruhenden Eigentümlichkeit entspringen können. Kants Einteilung für ,,[a]lle Verbindung (conjunctio)" zugrundelegend, nämlich entweder Zusammensetzung (composition oder Verknüpfung (nexus)"163 zu sein, muß die genannte Verknüpfung untereinander von Begriffen zu Prädikabilien dem nexus zuordnen lassen, was hinsichtlich des Entspringens einer neuen Vorstellung von eigener, aber mittlerer und auf zwei andere Eigentümlichkeiten rückführbarer Eigentümlichkeit nach diesem nexus als einem

161 162 163

Β III ebd. Β 201 Anm.

174

2.2.1. Exkurs: Ableitung von Prädikabilien

nexus fìnalis zur zweckmäßigen Hervorbringung dieser neuen Vorstellung fragen läßt. Der Unterschied zwischen compositio und nexus ist nun angegeben als der in der Konjunktion eines nicht notwendig zusammengehörigen Gleichartigen im ersten Fall und - wie hinsichtlich der Beziehung der Eigentümlichkeiten im erörterten Abstammungssystem - eines notwendig zusammengehörigen Ungleichartigen im zweiten164. Als Beispiel ftir diesen zweiten Fall nennt Kant die Zugehörigkeit der „Wirkung zu der Ursache", wodurch etwas „als ungleichartig, doch a priori verbunden vorgestellt wird"165. Als Prädikabilium der Kausalitätskategorie gilt nun die Vorstellung der Kraft, die nicht die Vorstellung einer wirkenden Substanz (Ursache) ist, auch nicht die eines bewirkten Akzidens (Wirkung), sondern die „das Verhältniß der Substanz zu den Accidenzen" betrifft, ,>so fern sie den Grund ihrer Wirklichkeit enthält"166. Eine Kraft ist, so eine übereinstimmende frühere Bestimmung Kants, „nichts anderes als eine Beziehung der Substanz A auf etwas anderes Β (Akzidens), als des Grundes auf das Begründete", und es beruht „die Möglichkeit einer Kraft nicht auf der Identität von Ursache und Verursachtem", weshalb auch „die Unmöglichkeit falsch erdichteter Kräfte nicht vom Widerspruch allein"167 abhängt. Die Vorstellung der Prädikabilie 'Kraft' betrifft nun nach dem Gesagten hinsichtlich der durch das Bergiffspaar 'Ursache' und 'Wirkung' ausgedrückten Kausalitätskategorie das 'und' als ein solches. Dabei soll sie so aus der Verknüpfung der beiden grundlegenden Vorstellungen hervorgehen, daß nicht deren Identität in irgendeinem Merkmal thematisch ist, welches etwa zum logischen Erkenntnisgrund oder zur Bildung eines Gattungsbegriffs dienen könnte, sondern Ursache und Wirkung bleiben in ihrer Ungleichartigkeit thematisch und in der Vorstellung 'Kraft' in ihrer Ungleichartigkeit aufeinander bezogen. In der Nachfrage nach dem Grund der Möglichkeit der in der eigenen Vorstellung 'Kraft' gedachten Beziehung ist dieser nicht als ein Nominal-, sondern als ein Realgrund zu denken, in dem die als solche unähnlichen „Correlate"168 'Ursache' und 'Wirkung' die Begründung ihrer Beziehung haben. Um noch ein zweites Beispiel zu der durch Kant in seiner Grundlegungsabsicht nicht näher verfolgten Erzeugung von Prädikabilien zu skizzieren, wozu er selbst zugesteht, nur wenig angeführt zu haben169, soll das Prädikabilium der Veränderung betrachtet sein. Abgesehen davon, welche Vorstellungen an der Vorstellung von Veränderung alle mitbeteiligt sind, nämlich die einer beharrlichen Substanz,

164 165 166 167

168 169

vgl. Β 201 Anm. ebd. GTP, Ak VIII, 181 Anm. MSI, Weischedel-Ausgabe Bd.V, S.99; vgl. MSI, Ak II, 416

Β 110

vgl. A 83/B 109

2.2.1. Exkurs: Ableitung von Prädikabilien

175

an der sich Akzidenzien verändern, die von Kausalität als der Regel der Folge und mit beiden also die der Zeit, ist Veränderung selbst anzugeben als der Übergang vom Dasein zum Nichtsein und vom Nichtsein zum Dasein170, also durch die Verknüpfung des Begriffspaares, das die zweite Modalitätskategorie bildet. Diese Verknüpfung kann also etwa durch 'Dasein und Nichtsein' formuliert werden. Die Unähnlichkeit des durch diese Begriffe Gedachten braucht kaum eigens herausgestellt zu werden. Auch wird, für sich betrachtet, weder durch Dasein noch durch Nichtsein Veränderung gedacht. Und doch sollen sie, Kants allgemeine Auskunft zu den Prädikabilien darauf anwendend, in ihrer Verknüpfung gedacht, die eigentümliche Vorstellung der Veränderung erzeugen. Auch das Eigentümliche dieser Vorstellung ist offensichtlich. Ihre Erzeugung ist nun nicht denkbar, wenn, wie scheinbar naheliegend, die Entgegensetzung von Dasein und Nichtsein als ein Widerspruch aufgefaßt wird, was Kant aber auch nicht tut, insofern er sie - in den Prolegomena - als „opposita"171 bezeichnet. Eine wesentliche Unterscheidung in Hinsicht auf Entgegensetzungen trifft Kant schon in vorkritischer Zeit, diskutiert unter dem Titel negativer Größen, doch mit allgemeinerer Bedeutung versehen. Als eine Art von Entgegensetzung führt er die logische an, „worauf man bis daher einzig und allein sein Augenmerk gerichtet hat": „Sie besteht darin: daß von eben demselben Dinge etwas zugleich bejaht und verneint wird. Die Folge dieser logischen Verknüpfung ist gar nichts (nihil negativum, irrepraesentabile), wie der Satz des Widerspruchs es aussagt."172. Der Versuch also, Dasein und Nichtsein als A und Non-Α bejahend und verneinend zusammenzudenken, führt zu gar keiner Vorstellung, wie sie mit dem Begriff der Veränderung doch verlangt ist, sondern hebt das Vorstellen schlechthin auf. Eine zweite Art von Entgegensetzung aber zwingt dazu nicht, und Kant nennt sie eine reale Opposition, die keinen Widerspruch einschließt. Es sind hier „zwei Prädicate eines Dinges entgegengesetzt... , aber nicht durch den Satz des Widerspruchs"173. Zwar muß zur Verknüpfung der Glieder einer solchen Opposition gesagt werden: „Es hebt hier auch eins dasjenige auf, was durch das andere gesetzt ist", wie es im Begriff der Veränderung auch ist, der nicht Dasein als solches und nicht Nichtsein als solches meint, sondern worin beide als aufgehoben gedacht sind; „allein die Folge ist Etwas (cogitabile)"174 und nicht Nichts. Dieses Etwas ist im Gedanken der Veränderung der in der Zeitfolge als Anheben und Verschwinden gedachte Übergang vom Nichtsein zum Dasein und vom Dasein zum Nichtsein als eine aus der Verknüpfung anderer Vorstellungen entspringende eigene. Daß das Aufheben-Können des einerseits Gesetzten durch ein Entgegengesetztes

170

vgl. A 187f./B 230f. u. Β 232 PROL, A k I V , 325 Anm. 172 M j , A k I I . 171 173 ebd. 174 ebd. 171

2.2.1. Exkurs: Ableitung von Prädikabilien

176

(als oppositum) zum Produkt einer „Folge" als eines anderen „Etwas (cogitabile)" möglich ist, setzt Verweis und Beziehung der Glieder der Opposition im Punkt der Verschiedenheit ihrer Charaktere voraus, läßt diese Charaktere also als integriert ansehen und auf einen realen Grund ihrer Verwandtschaft zurückbeziehen, von woher ihr Aufeinandertreffen als ein produktiv einander aufhebendes ermöglicht ist. (Ende des Exkurses) ***

Dem Entwickelten gegenüber entspringt aus einer etwaigen Beziehung, die zugrundegelegte Begriffe vermittels eines Gattungsbegriffs haben, d.h. also, insofern sie nicht in ihren Eigentümlichkeiten aufeinander bezogen sind, sondern im Gegenteil dazu nur nach Ähnlichkeiten gepaart, kein abgeleiteter Begriff. In einem Klassensystem nach Ähnlichkeiten sind die spezifischen Differenzen nicht integriert, sondern sie stehen als dasjenige, was die Artbegriffe mehr enthalten läßt, als der Gattungsbegriff enthält, für Desintegration und lassen die Artbegriffe bloß „unter ihm" als einem Erkenntnisgrund enthalten sein, nicht „in ihm"175. In einem Artbegriff steht die spezifische Differenz in Hinsicht auf die spezifischen Differenzen aller anderen Artbegriffe seiner Gattung im Verhältnis eines A zum Non-A. Für eine derartige Einteilung ist verlangt, daß das Eingeteilte „contradiktorische Entgegensetzung" hat und nicht wie in dem möglichen anderen Fall nur durch „Widerspiel (contrarium) von einander getrennt"176 ist. Insofern die Entgegensetzung in der Einteilung kontradiktorisch ist, beruht sie auf dem Satz des Widerspruchs, der dichotomisch einteilt: „Polytomie kann in der Logik nicht gelehrt werden, denn dazu gehört Erkenntnis des Gegenstandes. Dichotomie aber bedarf nur des Satzes des Widerspruchs, ohne den Begriff, den man eintheilen will, dem Inhalte nach, zu kennen."177

Die logische Einteilung kann als „Disjunction ... nur bimembris sein"; mag es in ihr auch mehrere Glieder der Disjunktion geben, so machen doch ,,[a]lle Glieder der Disjunction, außer Einem, zusammengenommen, ... das contradictorische Gegentheil dieses Einen aus", weshalb denn auch die „disjunctiven Vernunftschlüsse von mehr als zwei Gliedern der Disjunction ... eigentlich polysyllogistisch"l78 sind: Denn die „Glieder der Eintheilung sollen einander entgegengesetzt sein und von jedem A ist doch das Gegentheil nichts mehr als non A"179.

175

LOG, Ak IX, 146 LOG, Ak IX, 147 177 ebd. 178 LOG, Ak IX, 130 179 LOG, Ak IX, 147 176

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

177

Entgegen den skizzierten, einem Klassensystem nach Ähnlichkeiten zuzuordnenden Verhältnissen und entgegen der Einteilung der „Sphäre eines Begriffs" in Betrachtung dessen, was „unter ihm enthalten ist", spricht Kant nun auch von einer in Betrachtung des in ihm Enthaltenen möglichen „Theilung des Begriffs ...(durch Analyse)"180, die nicht unter der Bedingung kontradiktorischer Entgegensetzung der Glieder der Einteilung, d.h. der Teile, steht, die das angesprochene „Widerspiel" der Glieder betrifft und die auch polytomisch sein kann181. Die genannte Analyse in Hinsicht auf aufeinander im Widerspiel bezogene Teile in einem ganzen Begriff setzt an dem an, was in einer 'Reflexion' als ein „totum analyticum" bezeichnet ist, „dessen Theile ihrer Möglichkeit nach schon die Zusammensetzung im ganzen voraussetzen"182. Die Darstellung eines solchen totum analyticum und seiner Teile ist das Ziel der 'Transzendentalen Analytik', die, wie gesehen, die Jdee des Ganzen der Verstandeserkenntnis a priori" voraussetzen soll, um die daraus systematisch bestimmte „Abtheilung der Begriffe, welche sie ausmachen"183, zustande zu bringen. Das vorausgesetzte Ganze läßt sich auch als die vorausgesetzte eine Verstandeshandlung (Urteilshandlung) ansprechen, die alle übrigen als Momente enthält184, so daß in der 'Transzendentalen Analytik' demnach der Begriff dieser Urteilshandlung analysiert (im Sinne von: geteilt) wird. Wenn Kant in der herangezogenen 'Reflexion' dem totum analyticum ein totum syntheticum entgegenstellt, dann gibt die Erläuterung des letzteren, daß es eine „Zusammensetzung" sei, die „sich der Möglichkeit nach auf die Teile gründet, die auch ohne alle Zusammensetzung sich denken lassen", zu erkennen, daß es sich dabei um das handelt, was er sonst ein Kompositum nennt. Wie die darin für sich denkbaren Teile sollen die Kategorien als Momente also nicht gedacht werden können. Dadurch ist nur anders ausgedrückt, daß ihnen eine Funktion nur im als ganz vorausgesetzten Urteil und nicht auch noch unabhängig davon zuzusprechen ist. Davon nun, daß das System der Kategorien drei Kategorien in jeder Klasse aufweist, sagt Kant, daß es „zum Nachdenken auffordert, da sonst alle Eintheilung a priori durch Begriffe Dichotomie sein muß"185. Im direkten Anschluß daran weist er darauf hin, daß - unter der schon genannten Einschränkung - „die dritte Kategorie allenthalben aus der Verbindung der zweiten mit der ersten ihrer Classe entspringt"186. Solches Entspringen ist nicht möglich, wenn disjunktiv hinsichtlich eines Aggregats in der Einteilung, also etwa in Hinsicht auf Arten unter einem

180 181 182 183 184 185

186

LOG, Ak IX, 146 vgl. LOG, Ak IX, 146f„ Ak XVII, REFL 3789 A 64/B 89 vgl. PROL ,Ak IV, 323 Β 110

Β HO

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

178

Gattungsbegriff, „ein Glied der Eintheilung gesetzt wird" und dadurch „alle übrige ausgeschlossen werden"187. Bei solcher Dichotomie wäre z.B., bezogen auf die Quantitätskategorien, das Entspringen der Vorstellung nicht möglich, daß Allheit ... Vielheit, als Einheit betrachtet"188 ist. Von der entsprungenen Vorstellung ausgehend, muß das Nachdenken auf einen Grund der Möglichkeit der Beziehung der entspringenlassenden verschiedenen, aber nichtkontradiktorischen Vorstellungen gehen, der kein logisch gattungshafter Grund sein kann, sondern ein Realgrund für das positive Zusammenspiel („Widerspiel") dieser Vorstellungen sein muß. Die Suche danach kann auch als die nach einem Prinzip der Realverwandtschaft bezeichnet werden. In seiner Anthropologie bestimmt Kant Verwandtschaft allgemein so: „Ich verstehe unter der Verwandtschaft die Vereinigung aus der Abstammung des Mannigfaltigen von einem Grunde."189 Es läßt sich hier seine in Erwägung der Einheit der verschiedenen Verstandesbegriffe im Urteil getroffene Bestimmung von Mannigfaltigkeit hinzufügen. Danach ist dann von einem Mannigfaltigen - hier also von mehreren Kategorien als „Begriffen der Verbindung"190 - die Rede, wenn das Bewußtsein der Unterschiedenheit - und also nicht einer Ähnlichkeit - von mehreren! vorliegt: „Ob die Vorstellungen selbst identisch sind, und also eine durch die andere analytisch könne gedacht werden, das kommt hier nicht in Betrachtung."191 Eine unter dem Titel 'Verwandtschaft' unternommene Suche wird auf die Abstammung desjenigen von einem Grund gehen, das in seiner Verschiedenheit bewußt bleibt. Diesen Grund hinsichtlich der Kategorien wird man dann nicht als analytischen Erkenntnisgrund im Sinne eines Gattungsbegriffs, wodurch Verschiedenheit athematisch würde, sondern „höher suchen" müssen; dieses Höhere ist von Kant in diesem Zusammenhang als „qualitative", von der gleichlautenden Größenkategorie unterschiedene „Einheit"192 projektiert, wobei hier sogleich zur näheren Bestimmung auf den unmittelbar folgenden § 16 der .Deduktion' und seinen ersten Satz zu verweisen ist, der vom ,Ich denke' spricht, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können. Auf dieses und speziell auf Apperzeption als Prinzip der Affinität ( Verwandtschaft) wird zurückzukommen sein. Die Schlußfrage des mit dem ,Ich denke' dann seinen Zielpunkt findenden § 15 geht auf das, „was selbst den Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urtheilen, mithin der Möglichkeit eines Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche, enthält"193. Die an dieser Stelle schon gegebenen Antworten in Hinsicht auf

187

Β 112

188 Β 111 189 ANTH, Ak VII, 190 Β 131 191 Β 131 Anm. 192 193

Β 131 ebd.

176

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

179

die Frage nach der Einheit des Urteils bei thematisch bleibender Verschiedenheit der beteiligten Begriffe der Verbindung (Kategorien), die also nicht einer durch den anderen analytisch durch Identität gedacht werden, lauten: „Die Vorstellung dieser Einheit kann also nicht aus ihrer Verbindung entstehen, sie macht vielmehr dadurch, daß sie zur Vorstellung des Mannigfaltigen hinzukommt, den Begriff der Verbindung allererst möglich", oder: In den Urteilen „ist schon Verbindung, mithin Einheit gegebener Begriffe gedacht. Die Kategorie setzt also schon Verbindung voraus"194. Die vorauszusetzende Vorstellung der Einheit als eine Vorstellung, die dem bloß für sich in seiner Verschiedenheit Verbindungslosen die Verbindung ermöglicht, muß nun als hinzukommende eigenständig angebbar sein, d.i. anders als in analytischen Verhältnissen des Einen zum unter ihm subsumierbaren Vielen, worin in der Einheitsvorstellung nichts hinzukommen muß und die Verbindung durch die Identität von im Vielen enthaltenen Merkmalen ermöglicht ist. Wenn nun nur durch ein verlangtes Hinzukommendes erklärbar ist, daß die doch per se verschiedenen und verbindungslosen Begriffe die Verbindung im Urteil eingehen können, dann sind diese Begriffe in ihrer Funktion im Urteil - und eine andere haben die reinen Verstandesbegriffe nicht - davon abgeleitet. Anders ausgedrückt und das erzielte Ergebnis hinsichtlich des Systemcharakters des Systems der Begriffe als eines Abstammungssystems berücksichtigend, sind die Begriffe so auf ihren Geburtsort zurückgeführt. Zur näheren Betrachtung des qualitativen Einheitscharakters des Hinzukommenden läßt sich Kants eigener Hinweis auf den § 12 verfolgen, worin qualitative Einheit von quantitativer auf eine die bisherigen Ergebnisse unterstützende Art unterschieden ist. Im Fall quantitativer Einheit muß „die Einheit in der Erzeugung des Quantum durchgängig gleichartig angenommen werden"195. Hier werden von gleichartigen Teilen als Einheiten her additiv relative Ganzheiten als Aggregate zustandegebracht gedacht. In Anwendung auf die Einheit verschiedener Begriffe im Urteil soll dieser Fall also ausgeschlossen sein. Im Urteil, insofern von qualitativer Einheit, muß „Verknüpfung auch ungleichartiger Erkenntnißstücke in einem Bewußtsein durch die Qualität eines Erkenntnisses als Princips"196 gedacht werden; unter qualitativer Einheit wird „Einheit der Zusammenfassung des Mannigfaltigen der Erkenntnisse"197 verstanden. Vom Urteil als dem Ganzen einer solchen Zusammenfassung läßt sich damit sagen: In ihm ist Einheit als Einheit der in ihrer Ungleichartigkeit bewußt bleibenden Begriffe in einem Ganzen. Das Ganze seiner Zusammenfassung ist nicht wie in der mathematischen Größenschätzung in Erzeugung relativer Ganzheiten als Aggregate von den Teilen her additiv zustandege-

194 195 196 197

ebd. Β 115 ebd. Β 114

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

180

bracht gedacht, wodurch nur noch einmal betont ist, daß ganzheitsversichernde qualitative Einheit als hinzukommend und als ihren Teilen vorgängig zu denken ist. Dem ausgeschlossenen Gedanken der Aggregation der verschiedenen Begriffe im Urteil entgegen steht der seiner Ganzheit als eines organisierten oder systematischen Zusammenhangs. Als Beispiel qualitativer Einheit nennt Kant, wie schon angeführt, „die Einheit des Thema in einem Schauspiel"198, so daß von daher nach so etwas wie der Einheit des Themas im Urteil zu fragen ist. Bei bewußt bleibender Ungleichartigkeit der „Erkenntnisstücke" unter dem Titel qualitativer Einheit gibt nicht jedes einzelne, auch isoliert zu betrachtende Stück als solches das gemeinsame Thema ganz an, wie es bei diesem Thema sein müßte, wenn es analytisch als gemeinsames Merkmal feststellbar sein sollte. Der Begriff des Themas läßt zurückkehren zur begonnenen, auf die Anthropologie gestützten Bestimmung von Verwandtschaft. Es ist hier „ Verwandtschaft (affinitas)" auch durch empirische Verhältnisse erläutert, nämlich durch das Beispiel einer „Wechselwirkung zweier specifisch verschiedenenen, körperlichen, innigst auf einander wirkenden und zur Einheit strebenden Stoffe, wo diese Vereinigung etwas drittes bewirkt, was Eigenschaften hat, die nur durch die Vereinigung zweier heterogenen" - also in ihren verschiedenen Eigentümlichkeiten aufeinander bezogenen - „Stoffe erzeugt werden können"199. Diese empirischen Verhältnisse sollen nun ,jener Verstandesverbindung analogische" Verhältnisse sein, worin in Hinsicht auf den Zusammenhang eines ,,Mannigfaltige[n]" im Wechsel der Vorstellungen, d.h. in Hinsicht auf etwas in seiner Verschiedenheit bewußt Bleibendes und aufeinander Bezogenes, auch etwas aus der Vereinigung bewirkt ist, eben „ein Thema"; für den Verstand „muß immer ein Thema sein sowohl beim stillen Denken als in Mittheilung der Gedanken"200. Das Vorstellungsvermögen, dem die Vorstellung der Einheit des Themas als desjenigen zugeschrieben ist, woran die Verwandtschaft des Mannigfaltigen kenntlich wird, ist hier also der Verstand. Wenn - wie im gegebenen Kontext der Anthropologie vorauszusetzen „Sinnlichkeit... den Stoff' für die Einheit des Themas hergibt, bleibt dieses dem Verstand letztlich zufällig und seine Vorstellung daraufhin nachträglich, d.h. es ist „nicht als aus dem Verstände abgeleitet"201 anzusehen. Das Gesagte kann nun aber auch auf den reinen Verstand angewandt werden, aus dem etwas als abgeleitet gelten soll, nämlich eine Mannigfaltigkeit verschiedener apriorischer Begriffe. Die Mannigfaltigkeit der Verstandesbegriffe erscheint zunächst - wie in Behandlung der 'Leitfaden'-Abschnitte deutlich wurde - wie

198 m 200 201

B

, ,4

ANTH, Ak VII, 177 ebd. ebd.

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

181

vorgefunden, also nicht als a priori. Diese Verstandesbegriffe wirken aber als verschiedene Momente zu etwas zusammen, worin sie vereinigt sind und wodurch sich ihre Verwandtschaft ausdrückt, d.h. zu einem Urteil. Sie sind, wie angeführt, nur daraufhin von Bedeutung. Es stellt sich von hierher also die Frage nach der Einheit eines Themas im Urteil, das nicht als vorgefunden und zufällig, sondern als a priori und notwendig, d.h. als das eine ursprüngliche und eigene Thema des Verstandes selbst, anzusehen ist. Insofern nur auf ein solches Thema hin von Bedeutung und insofern nur es spezifizierend, müssen die Verstandesbegriffe ihrerseits als a priori und als abgeleitet gelten, wenn es auch nicht einsichtig zu machen sein mag, warum sie das Thema gerade auf ihre bestimmte Weise ausführen, d.h. wenn es auch nicht einsichtig zu machen sein mag, „warum wir gerade diese und keine andere Functionen zu Urtheilen haben" 202 . Was durch diese Erwägungen vorbereitet ist, ist Kants volle Bestimmung eines Urteils innerhalb der 'Deduktion' (§19 in B). Schon bestimmter gesprochen, ist die später noch eingehender erforderliche Behandlung des 'ist' als des Ausdrucks des einen Themas in Urteilen und seine Anbindung an den notwendigen Gedanken eines daseienden Gegenstandes der Erkenntnis vorbereitet, welcher ein notwendiger Gedanke transzendentalen Selbstbewußtseins ist. Dieser Gedanke, dessen Ausdruck im Urteil das 'ist' - im modalen Verständnis - ist, läßt sich auch als der der Eröffnung des Wahrheitsthemas vermittels objektiv gültiger Urteile ansprechen. Dieses Thema und seine Ausführung sind nicht sinnlich aufgezwungen, sondern durch Selbstbewußtsein spontan eröffnet. In Anbindung an ein sich in seiner Selbstbezüglichkeit nicht empirisch verstehen könnendes und also reines Selbstbewußtsein, das sich zugleich in bloßer Selbstbezüglichkeit nicht erhalten kann und so von sich her die Beziehung auf einen Gegenstand der Erkenntnis eröffnet, müssen die Begriffe, die in seinen auf ein 'ist' hin zentrierten, d.h. in seinen Wahrheit beanspruchenden, Urteilen zu nichts anderem als der Bestimmung dieses Gegenstandes zusammenwirken, selbst als rein, a priori und abgeleitet angesehen werden. In Forcierung des schon Entwickelten wird noch zu sehen sein, daß das 'ist' im Urteil eine Behandlung unter ausdrücklich lebensbegrifflich teleologischem und sogar praktischem Aspekt verlangt. Den ersten Aspekt betreffend, ist noch einmal auf den Grundsatz der Verwandtschaft der Erscheinungen in einem objektiven Grund ihres gesetzlichen Zusammenhangs zu verweisen, d.h. auf Affinität" als „objectiven Grund aller Association der Erscheinungen", w e l c h e s Prinzip „nirgends anders, als in dem Grundsatze von der Einheit der Apperception in Ansehung aller Erkenntnisse, die mir angehören sollen, an[zu]treffen" 2 0 3

202 203

Β 146 A 122 - Günter Wohlfart (1981), der auf den Zusammenhang der transzendentalen Apperzeption als des Prinzips der Affinität mit dem Gedanken einer Zweckmäßigkeit aufmerksam macht, behan-

182

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

ist. Durch das Mir-angehören-So//e« von Erkenntnissen als objektiv verwandtschaftlich zusammenhängenden ist der zweite Aspekt wenigstens angedeutet. Selbstbewußtsein nun einschließlich seines genannten notwendigen Gedankens eines existierenden Gegenstandes der Erkenntnis ist besonders in dem unter urteilstheoretischem Gesichtspunkt hervorzuhebenden § 19 der B-,Deduktion' thematisch. In diesem als einem zentralen Ort der Verhandlung theoretischer Vernunft wird sich auch ein Ausgangspunkt dafür finden lassen, die unter dem Aspekt eines lebensbegrifflichen Systemgedankens204 ausdrücklich erforderliche Einheit eines Zwecks zu verfolgen, d.i. die Einheit eines Zwecks, den ein im Urteilen notwendig

204

delt diesen Zusammenhang nur im Ansatz auf dem Feld der ersten Kritik selbst, d.h. nicht etwa in Hinsieht auf ihr Kategoriensystem. Er leitet in seinen Überlegungen besonders auf das Gebiet der 'Kritik der ästhetischen Urteilskraft'. - Felix Duque (1984) erkennt, um seinen Blick dann auf das Subjektverständnis des Opus Postumum zu lenken, in der transzendentalen Affinität „die (verborgene) Basis der ursprünglichen Apperzeption" (S. 387). In der allgemeinen Tendenz des bisher zum Systembegriff Ausgeführten liegt es, daß trotz der Möglichkeit eines wohlfeilen Aufweisens von Dunkelheiten in der Einzelausführung und dann auch in der fortgeführten Anwendung des Kategoriensystems und seiner Systemstücke auf alles unter dem Titel der Vernunft Thematisierbare (etwa in der 'Dialektik') doch darum der von Kant selbst für wesentlich angesehene Systemgedanke nicht pauschal zu diskreditieren ist und ein angeblicher Grundgedanke seiner Philosophie sich auch unabhängig davon halten ließe. Der enge Zusammenhang des Systemgedankens mit dem Kern der Transzendentalphilosophie ist etwa von den sogenannten 'patchwork'-Theoretikern, die in der Kritik der reinen Vernunft eine Sammlung von Bruchstückhaftem mit einer aufgezwungenen Systemform sehen, nicht erkannt. Noch vor der Namensgebung gehört zu diesen etwa Schopenhauer (Werkausgabe 1977), der die immer „selben Titel und Formen" auf ganz Äußerliches, nämlich auf Kants „Liebhaberei zur architektonischen Symmetrie" zurückführt (II, 619; II, 643; vgl. auch II, 602; II, 647). - Nach Adickes (1889) muß man gar „Kants Gedanken, um sie zu verstehen ..., erst ganz ihres systematischen Gewandes entkleiden" (S. XXI); es ist, so sein Kommentar zu der wichtigen, systempostulierenden 'Leitfaden'Stelle A 66/B 91 f., die dadurch vorbereitete metaphysische Deduktion der Kategorien „eine für die Wissenschaft wertlose systematische Spielerei" (S.112 Anm.). Wie gesehen, hängt Kants eigener Wissenschaftsbegriff ganz an dem hier verworfenen Systembegriff. In der Ansicht, daß Kants Urteilsarten und damit die darauf zurückgeführten Kategorien „nicht nach einem Prinzip gefunden" seien, fordert Adickes, auch hier gegen Kants eigene nachdrückliche Forderung, .Jede einzelne Kategorie, jeden einzelnen Grundsatz ohne Rücksicht auf den systematischen Zusammenhang zu prüfen" (ebd.). - Norman Kemp Smith (1923) schließlich, der eigentliche Protagonist der 'patchwork'-Theorie, beurteilt den architektonischen Anspruch Kants so: „Indeed, he clings to it with the unreasoning affection which not infrequently attaches to a favourite hobby." (S.XXII) - Von der neueren, dem widersprechenden Literatur sei Brian Noble (1989) angeführt, der übrigens unter dem thematischen Aspekt einen wesentlichen Einfluß Kants auf Peirce erkennt und dessen These lautet: that architectonic is not to be construed as the pursuit of a whim carried to irrational extremes and that it is scientifically significant. Certainly Kant, no less than Peirce, considered architectonic to be of the greatest scientific importance. For both these philosophers architectonic is the art of organizing diverse cognitions into the unity of a system that furthers the ultimate aim of human reason. It is the ordering of the constituents of cognition and knowledge in respect of their relationship and connection with each other... " (S. 570); „The key term is 'organized' because 'to organize' means to connect and coordinate components to satisfy some purpose or attain some goal. The defining characteristics of an organized unity - an organization - are control, hierarchical order, growth and development, and progress towards a specified end." (S. 579)

2.2. System von Kategorien als Abstammungssystem

183

gegenstandsbezogenes Selbstbewußtsein verfolgt und der es letztlich nicht mehr als bloß theoretisch ansehen lassen wird.

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil Es ist erneut an Kants Basisbestimmung des Urteils im zentralen § 19 der B,Deduktion' anzuknüpfen. Daran wurde oben zugunsten des Aspekts des BestandHabens des Urteilens in Apperzeption als seinem ganzheitlichen 'Worin' der Punkt der Objektivität noch vernachlässigt. Dieser soll jetzt an der Definition des Urteils hervorgehoben werden. Das Urteil ist definiert als „die Art, gegebene Erkenntnisse zur objectiven Einheit der Apperception zu bringen"205. Zu dieser Definition ist sogleich eine Problematisierung anzubringen. Denn Kant führt in ihrem unmittelbaren Kontext ein Urteil an, das kein Urteil im Sinn der Definition sein soll. Dieses Urteil lautet: ,,[W]enn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere"206. Urteile dieser Art nennt Kant andernorts Wahrnehmungsurteile207 im Unterschied zu Erfahrungsurteilen. Von Wahrnehmungsurteilen aus soll den dortigen Angaben nach der Schritt zu Erfahrungsurteilen erfolgen. Bei der angegebenen Definition handelt es sich also um die von Erfahrungsurteilen, nicht von Wahrnehmungsurteilen. Letzteren wird subjektive Einheit des Bewußtseins zugeschrieben werden und nicht objektive. Was nun die in der Definition des Erfahrungsurteils vorkommende objektive Einheit der Apperzeption betrifft, worauf gegebene Erkennmisse gebracht werden sollen, so soll das, was diese ist, durch den vorangehenden § 18 geklärt sein. Es geht daraus hervor: Transzendentale Einheit der Apperzeption ist objektiv, insofern durch sie „alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einem Begriff vom Object vereinigt wird"208. Entsprechend ist ein Objekt dasjenige, „in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist"209. Aus dem Bisherigen ergibt sich nun Anlaß für eine weitere Problematisierung. Denn das jeweils ( Β 141 und Β 137) 'gegeben' Genannte, das zu einem objektiven Vorstellen erst „zu bringen" ist, ist etwas Verschiedenes: zum einen ein gegebenes anschaulich Mannigfaltiges und zum anderen schon gegebene Erkenntnisse.

205

Β 141

207

vgl. PROL, Ak IV, 297-301; LOG, Ak IX, 113; Ak XVI, REFL 3145; Ak XVI, REFL 3146 - Unter Hinweis auf das angeführte Urteil hat Gerold Prauss (1971, S. 257) mit Recht gegenüber Autoren wie Paton (1936, Bd.l, S. 521) und de Vleeschauwer (1937, Bd.3, S. 137) bestritten, daß Kant die in den Prolegomena explizit getroffene, aber in der folgenden 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft nicht namentlich genannte Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen hier fallengelassen habe.

206 g 142

208

B

,

3 9

209 B ,37

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

185

Ein bloß gegebenes anschaulich Mannigfaltiges wird noch keine gegebene Erkenntnis genannt werden können. Zu letzterer, worin schon irgend etwas erkannt zu sein scheint, wird (in einem vielleicht eingeschränkten Verständnis) schon Verstand und damit schon Synthesis und Vereinigung von gegebenem Mannigfaltigem der Anschauung vorauszusetzen sein und auch, insofern überhaupt Erkenntnis, schon so etwas wie ein Objekt. Andererseits soll das schon 'Erkenntnis' Genannte doch auch erst zur objektiven Einheit der Apperzeption gebracht werden müssen, d.h. zu derjenigen Einheit des Selbstbewußtseins, worin vermittels des Erfahrungsurteils erst eigentlich wird erkannt werden können; zu diesem Urteil wird der Verstand in einem nicht eingeschränkten Verständnis fungieren müssen. Um in beiden Fällen bei der Rede von Erkenntnissen bleiben zu können, müßten sie bei einer gewissen Gemeinsamkeit doch durch weitere Angaben auch unterschieden werden können. Es ist also eine Unterscheidung nahegelegt zwischen einem Vorstellen, das in einem eingeschränkten Sinn schon Erkenntnis genannt werden kann und wozu sein Erkenntnischarakter Uberhaupt zu ermitteln ist, und einer anderen Erkenntnis als eigentlicher, gesteigerter und ausgezeichneter, wozu die erste erst „zu bringen" ist und der die objektive Einheit der Apperzeption entspricht. Wie soeben von einem eigentlichen Erkennen zu sprechen, ist mit Bezug auf die Stelle bei Kant zu stützen, wo er die „Erkenntniß in eigentlicher Bedeutung"2'0, d.i. die des kategorial fungierenden Verstandes, von dem unterscheidet, was die Synthesis der Einbildungskraft an offenbar uneigentlicher Erkenntnis bewirkt. Diese müssen wir für die eigentliche Erkenntnis des Verstandes voraussetzen; aber wir sind uns ihrer „selten nur einmal bewußt"211. Die Erkenntnis in eingeschränkter Bedeutung als Erkenntnis der Einbildungskraft ist zunächst für das einzusetzen, was in der Definition des Erfahrungsurteils als gegebene Erkenntnis bezeichnet ist (nicht mehr bloß als gegebenes Mannigfaltiges), was zur objektiven Einheit der Apperzeption erst zu bringen ist und damit zu einem als Erfahrung ausgezeichneten Erkennen. Auf die Synthesen der Einbildungskraft soll in einem ersten Exkurs eingegangen werden. An diesen wird sich ein weiterer anschließen müssen. Denn durch die Betrachtung allein der Einbildungskraft - diese mit Kant als erste Anwendung des Verstandes angesehen212 - wird noch nicht vollständig zu klären sein, was alles in der Urteilsdefinition schon unter gegebenen Erkennmissen zu verstehen ist, die noch keine eigentlichen sind. Eine Andeutung hinsichtlich des erforderlichen zweiten Exkurses ist nun schon durch das angeführte Wahrnehmungsurteil gegeben, von dem her der Schritt auf das Erfahrungsurteil hin gedacht ist und das schon durch seine Bezeichnung als Urteil den Begriff der Erkenntnis evoziert. Die Be-

210 211 212

A 7 8 / B 103 ebd. vgl. Β 152

186

3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung

handlung seiner Art noch uneigentlicher Erkenntnis, woraufhin die Vorstellung einer zweiten Anwendung des Verstandes nahegelegt ist, wird dann weiterführen auf die Betrachtung der dritten und entscheidenden Anwendung des Verstandes und damit zugleich zurück auf die Definition des Erfahrungsurteils im ganzen. In dieser Definition sind vermittels des Ausdrucks 'gegebene Erkenntnisse' dem Gesagten nach die beiden ersten Anwendungen des Verstandes - bestimmt gesprochen: die in Wahrnehmungen und darüberhinaus in Wahrnehmungswrte/'/e« - als vollzogen angesehen. Auf diese Weise ist das Wahrnehmungsurteil nicht als aus der Definition des Erfahrungsurteils herausfallend angesehen, sondern als einem Bestandteil dieser Definition implizit, so daß es demgemäß vom Erfahrungsurteil in dieser Qualität eines integrierten eingeschränkten Urteils unterschieden ist. Die dritte Anwendung des Verstandes wird also so betrachtet werden, daß sie die durch die beiden ersten Anwendungen gegebenen Erkenntnisse über ihr uneigentliches Erkennen hinaus zur objektiven Einheit der Apperzeption bringt und daraufhin die Auszeichnung zur Erfahrung und zur eigentlichen Erkenntnis hinzufügt. Im Durchgang durch die eingeschränkten Weisen von Verstandesanwendungen wird schon zu beachten sein, was schließlich dazu berechtigen mag, in einem nachdrücklichen Sinn von Auszeichnung zu sprechen und dem Erfahrungsurteil zuletzt sogar die unter der Leitung des Begriffs des Lebens geforderte Einheit eines Zwecks zuzugestehen.

3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung Um das durch Synthesis der Einbildungskraft Bewirkte, das die erste Stufe einer gegebenen Erkenntnis im Sinn der Urteilsdefinition angibt, sogleich zu benennen: Es ist ein Bild. In der Synthesis der Einbildungskraft liegt nach Kant das Apriorische des Vorstellens in der Erzeugung eines Bildes: „Die Einbildungskraft soll ... das Mannigfaltige der Anschauung in ein Bild bringen"213. Bei dem Mannigfaltigen der Anschauung ist hier zuerst an das in der Zeit zu denken, denn alle Vorstellungen sind der „formalen Bedingung des innern Sinnes, nämlich der Zeit, unterworfen, als in welcher sie insgesammt geordnet, verknüpft und in Verhältnisse gebracht werden müssen"214. Indem nun nach Kant die per se gestaltlose Zeit ein „Mangel"215 - zwar qualitativ vom Raum unterschieden ist, aber nur nach der Analogie mit einer Linie Gestalt gewinnen kann216, d.h. derart zum Bild werden

213 214 215 216

A 120; 1. Hervorh. Vf. A 99 A 33/B 50 vgl. ebd

3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung

187

kann, ist dadurch über die Zeit hinaus doch auch schon Verweis auf den Raum gegeben, so daß also unter dem Titel des Bilds offenbar ein untrennbarer Zusammenhang von zeitlichem und räumlichem Vorstellen zu denken ist. Insofern nun zum Mannigfaltigen der reinen Anschauung das empirisch gehaltliche Affiziertoder Besetzt-Sein hinzugedacht ist, ist das durch Einbildungskraft zustande gebrachte Bild ein Wahrnehmungsbild, woraufhin es bei Kant dann heißt, daß reine Einbildungskraft „ein notwendiges Ingredienz der Wahrnehmung selbst"217 ist. Die zum Zustandekommen solch bildhaften Vorstellens vorauszusetzende Synthesis, die von Kant in der A-,Deduktion' noch unter zwei verschiedenen Titeln (Apprehension, Reproduktion) behandelt ist, soll jetzt näher charakterisiert werden. Die nach verschiedenen Aspekten zu differenzierende Synthesis der Einbildungskraft bewirkt ein Vereinigen hinsichtlich des Mannigfaltigen der Anschauung im Durchgang durch verschiedene Handlungsmomente. Einbildungskraft ist zum einen tätig überhaupt im Unterscheiden der einzelnen Elemente des Mannigfaltigen - der „Zeit in der Folge der Eindrücke" 218 -, durch welches Unterscheiden schon sie diese aufeinander in Beziehung setzt; zum anderen ist ihre Tätigkeit auch ein durchlaufen"2'9 dieser Elemente und in eins ein beständiges Reproduzieren oder Herüberrufen220. Schließlich erfolgt die ,.¿Zusammennehmung'221 des Durchlaufenen und Reproduzierten. Es wird dies am besten durch Kants Veranschaulichung am Ziehen einer Linie klar222, wodurch auch wieder der Zeit-RaumZusammenhang offenkundig wird. Das Vereinigen ist hier gleichwohl keines „in einem Begriff vom Object"223, nicht also z.B. im Begriff einer Linie, wodurch dann etwa noch ein allgemeines Größenmaß bestimmt wäre, sondern ein Vereinigen erst im Bild dieser Linie, die noch nicht als eine solche gewußt ist. Im Vereinigen in einem Begriff ist demgegenüber das Wesentliche der intellektuellen Synthesis zu sehen; auf den Begriff vom Objekt ist das in der Synthesis der Einbildungskraft Bewirkte erst zu bringen. Auf das, was Anschauung als ein „Mannigfaltiges darbietet'' ist Einbildungskraft in ihrer Synthesis nach Kant gerichtet122*. Diese Gerichtet-Sein damit zusammengebracht, daß Einbildungskraft ausdrücklich in ein Bild bringen „soll"225, ergibt sich, daß sie zum Zweck eines Bildes auf ein dargebotenes Mannigfaltiges der Anschauung zielt. Daß mit diesem Ziel erst ein Zwischenziel benannt und ein Zweck, der seinerseits noch Mittel zu einem entfernteren und höheren Zweck ist,

217 2,8 219 220 221 222 223 224 225

A 120 Anm. A 99 ebd.; Hervorh. Vf. vgl. A 102 A 99; Hervorh. Vf. vgl. A 102 Β 139 A 99; Hervorh. Vf. A 120 Anm.

188

3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung

wird bei Rückkehr zur Gesamtbetrachtung des Erfahrungsurteils deutlich werden. Diesem spricht Kant selbst dann ausdrücklich ein Zielen zu. An dieser Stelle aber ist vorbereitend erst thematisch, was durch einen Bestandteil der Definition des eigentlich erkennenden Erfahrungsurteils schon als eine gegebene Erkenntnis angesprochen ist - nach dem Vorigen also ein durch Synthesis der Einbildungskraft gegebenes Bild. Mit dem Durchlaufen und Zusammennehmen des Mannigfaltigen der Anschauung „unzertrennlich verbunden" 226 ist der deshalb soeben auch integriert angeführte reproduktive Aspekt von Synthesis. Die reine Synthesis der Reproduktion ist zwar nur in der A-,Deduktion' eigens benannt, der Sache nach aber auch in der B-,Deduktion' unter dem zusammenfassenden Titel einer figürlichen Synthesis oder Synthesis speciosa enthalten, wie schon die hier wiederholte Bezugnahme auf das Ziehen einer Linie zeigt227. Der reproduktive Aspekt ist, die figürliche Synthesis in Hinsicht auf reine Anschauungsformen noch um das gehaltliche Besetzt-Sein in diesen Formen erweitert gedacht, auch unter dem allein aus der A-,Deduktion' noch übernommenen Titel einer reinen Synthesis der Apprehension mit befaßt, welche die Synthesis der „Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer empirischen Anschauung" ist, wodurch „Wahrnehmung ... möglich wird" 228 . Der mit der a priori reproduzierenden Synthesis angesprochene Gesichtspunkt ist der eines für ein Durchlaufen und Zusammennehmen von sukzessiv zeitlich Mannigfaltigem erforderlichen Herüberrufens dessen, was in der Sukzession aus der unmittelbaren Gegenwart verloren geht und damit absolut verloren zu gehen droht. Die reine Synthesis der Reproduktion ist von Kant auch als die wider das Vergessen und Aus-den-Gedanken-Verlieren im Übergang der Vorstellungen bezeichnet. Ohne sie würde ich, „wenn ich eine Linie in Gedanken ziehe", die vorhergehenden Teile „immer aus den Gedanken verlieren" 229 . Die demgegenüber ein apriorisches, aller Erfahrung vorauszusetzendes subjektives Leisten erfordernde Synthesis des Nicht-Vergessens kann positiv und mit einem lebensbegrifflichen Ausdruck auch als eine Erhaltungsleistung des Subjekts angesprochen werden. Übrigens ist diese Leistung nicht bloß hinsichtlich eines Bestand-Habens auf der Gegenstandsseite wichtig, denn insofern das Subjekt der Synthesis selbst kein hypostasiertes Subjekt unabhängig von der Zeit und ihrem Wechsel sein kann, ist die Leistung zugleich die eines S7cA-selbst-Erhaltens unter den Bedingungen zeitlichen Wechsels. 230

226 227 228 229 230

A 102 vgl. Β 151 u . B 154 Β 160 A 102 Was bei Kant eher durch Spuren nahegelegt als explizit gemacht ist, findet sich etwa bei Schelling (der sich selbst in der Ich-Schrift von 1794 noch zweifellos in der Kontinuität Kants sieht) akzentuiert ausgedrückt, nämlich die finale Ausrichtung der „Synthesis des Mannigfaltigen" auf die „ur-

3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung

189

Indem nun die in der reinen reproduzierenden Synthesis reproduzierten Momente des Mannigfaltigen der apriorischen Anschauungsform 'Zeit' als gehaltlich besetzt angesehen werden, d.h. die apriorische Form als a posteriori erfüllte Zeit betrachtet wird, spricht Kant davon, daß „Wahrnehmung ... zu den nachfolgenden herüber [gejrufen" 231 wird. Unter dem Aspekt, daß Momente der reinen Anschauungsform herübergerufen werden, ist reproduzierende Einbildungskraft selbst rein und a priori; in diesem Herüberrufen-Können ist die Bedingung dafür zu sehen, daß die a posteriori besetzenden Gehalte, die sich nicht von selbst zusammensetzen, mit herübergerufen werden können: Die reine reproduzierende Synthesis ist „Grund a priori" als dasjenige, „was selbst diese [empirische] Reproduction der Erscheinungen möglich macht"" 2 . Unter dem anderen Aspekt, daß es die Gehalte sind, die durch Herüberrufen im dann durch Zusammennehmen entstehenden Wahrnehmungsbild sind, ist das ,,reproductive[.] Vermögen der Einbildungskraft ... nur empirisch" 233 . Doch ohne eine vorausgesetzte a priori reproduzierende Einbildungskraft würde „ u n s e r e e m p i r i s c h e E i n b i l d u n g s k r a f t n i e m a l s e t w a s ihrem V e r m ö g e n G e m ä ß e s zu t h u n b e k o m m e n , also, w i e ein t o d t e s u n d u n s selbst u n b e k a n n t e s V e r m ö g e n im Inneren des G e m ü t h s verborgen bleiben"234.

Danach ist die vorausgesetzte rein reproduzierende Einbildungskraft eine verlebendigende Kraft in Hinsicht auf die Tätigkeit empirischer Einbildungskraft, welche ihrerseits auf der Basis der a posteriori gehaltlichen Vorstellungen, die einander öfter folgen, zum Zustandekommen empirischer Regeln wirkt, hier also nach dem empirischen Gesetz der Assoziation. Indem rein reproduzierende Einbildungskraft etwas nicht aus den Gedanken verliert und herüberruft, was aufgrund zeitlicher Sukzession nicht mehr in der unmittelbaren Präsenz des Augenblicks ist, kann sie als das Vermögen bezeichnet werden, „einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen" 235 . Diese Anschauung muß von einer Anschauung, die nur durch eine isolierte, punktuell jetztzeitige, unmittelbar eindruckshafte Präsenz zu charakterisieren ist, unterschieden sein. Sich vor Augen haltend, daß das herübergerufene nicht mehr Gegenwärtige doch in eine Gegenwart herüberzurufen ist, gewinnt diese Gegenwart ihrerseits schon eine Mittelbarkeit zur Gegenwart im Verständnis

sprüngliche Identität des Ichs" hin; eben diese Identität des Ich gelte es durch Synthesis des Mannigfaltigen (also in eins mit der Einheitsstiftung auf der Objektseite) „zu retten" (Schelling 1985, S. 70 Anm.). Als Entsprechungsstelle bei Kant läßt sich wohl die anführen, an der er Synthesis so charakterisiert, daß sie ein „vielfarbiges verschiedenes Selbst" (B 134), welches zweifellos dessen Aufhebung bedeutete, verhindert. 231 232 233

234 235

A 121 A 101 A 121

A 100 Β 151

190

3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung

unmittelbar punktuellen, empfindungshaften Besetzt-Seins. Sie gewinnt den solchem Besetzt-Sein gegenüber differenzierteren Charakter einer um Herübergerufenes bereicherten Gegenwart, d.h. als die Gegenwart eines artikulierten Bildes. Daß dem Wahrnehmungsbild dieser im Unterschied zur Empfindung erweiterte Gegenwartscharakter doch zugesprochen werden kann, obwohl es als schon mittelbar zum bloßen Augenblick angesprochen werden muß und obwohl von einem Vorigen zu sprechen ist, das herübergerufen werden muß, soll eben durch die Synthesis der bruchlos in Gedanken behaltenden Einbildungskraft begründet sein. Wo dagegen die Beständigkeit ihres Herüberrufens unterbrochen ist, da ist das Vorige nicht mehr wie im Wahrnehmungsbild einer komplexen Gegenwart, sondern ausdrücklich der Vergangenheit zuzurechnen, so daß dann anders als im Fall des in Gedanken behaltenden Herüberrufens im Wahrnehmen ein Herüberrufen als ein Erinnern erforderlich ist. Zu erinnern ist bloß etwas, woraufhin der Zusammenhang mit einer Gegenwart nach Verlust erst wieder herzustellen ist. Obwohl die komplexe Gegenwart im Wahrnehmen auch das Moment unmittelbar jetztzeitigen Besetzt-Seins aufweisen muß, weist sie doch aufgrund eines herübergerufenen nicht mehr Unmittelbaren und in Gedanken Behaltenen Artikulation und schon eine Mittelbarkeit zu solchem bloßen, isoliert augenblicklichen BesetztSein auf. Mittelbarkeit aber ist ein Aspekt der Vorstellungsart nach Begriffen in Urteilen. Es ist von hierher angedeutet, warum Kant - den Verstand als das Vermögen der eigentlichen Erkenntnis in den Zusammenhang einbeziehend - sagt, daß „die Synthesis der Einbildungskraft ... eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben (zugleich der Grund aller übrigen) auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung ist"236. Unter der „übrigen" Anwendung ist die nach Verstandesbegriffen zu verstehen. Synthesis der Einbildungskraft ist demnach ein Aspekt der Tätigkeit des Verstandes selbst, wodurch schon auf erster Stufe im Wahrnehmen als solchem die zu seiner eigentlichen Erkenntnisabsicht zu erfüllende Bedingung erfüllt ist, aus der unmittelbaren Sinnlichkeit gelöst zu sein und zu dieser in Stellung gehen zu können. Einbildungskraft in ihrer bilderzeugenden Synthesis nimmt „Eindrücke in ihre Thätigkeit"237 auf. In einem zwar anderen Zusammenhang der Diskussion von Rechtsfragen, welche Kant aber sonst gern zur Analogiebildung heranzieht, bezeichnet er Apprehension" auch als „Besitznehmung des Gegenstandes der Willkür im Raum und der Zeit", d.i. eine Tätigkeit daraufhin, „daß etwas mein werde"238. Das Ins-BildBringen-So//e« der Einbildungskraft hier heranziehend, ist nahegelegt, die Analogie auch auf den Aspekt des Wollens auszudehnen. Ihr Ins-Bild-Bringen-Sollen

236

Β 152

237

A 120

238

MDS, Ak VI, 258

3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung

191

ließe sich, die Synthesis der Einbildungskraft in ihrer Anbindung an den Verstand beachtend, als die erste Anwendung hinsichtlich eines Erkennen-Wollens des Verstandes, d.h. seiner Absicht auf ein Begreifen, Urteilen und insgesamt auf ein gesetzlich geregeltes Vorstellen ansehen. Wenn am Verstand noch deutlicher ersichtlich werden sollte, daß er in seiner spontanen Tätigkeit im eigentlichen Erkennen unter einem Sollensanspruch steht und in der Absichtlichkeit eines Erkennen-Wollens, dann wird er, soeben als verursachend angesprochen in Hinsicht auf die Synthesis der Einbildungskraft als Wirkung, in dieser Beziehung als zweckmäßig verursachend anzusehen sein und die Synthesis der Einbildungskraft als einbezogen in die Einheit des Zwecks seiner Tätigkeit. Durch sein Wollen wird so regiert sein, daß die Einbildungskraft in ein Bild bringen soll. Ein indirekter Hinweis darauf, in bezug auf Erkenntnis die Einbildungskraft als dem Verstand „zu Diensten" anzusehen, d.h. in der Ausführung einer offenbar von diesem angewiesenen Aufgabe, ist bei Kant in der dritten Kritik gegeben, worin unter dem Gesichtspunkt des Zu-Diensten-Seins Erkenntnis von einem nicht erkennenden ästhetischen Urteil und einer darin nicht dienenden Einbildungskraft unterschieden ist239. Um zur Synthesis der Einbildungskraft selbst zurückzukehren, so ist also eine Gegenwart in einem anschaulichen Vorstellen, worin zugleich etwas zuvor unmittelbar anschaulich Vorgestelltes in Gedanken bewahrt ist und worin dieses Reproduzierte mit dem Jetzigen zusammengenommen ist, eine komplexe, nicht mehr schlechthin unmittelbare anschauliche Gegenwart. Diese Gegenwart ist unterschieden von dem, was Kant unter der Gegenwart eines bloßen Augenblicks versteht, dem bloß ein eindrucks- oder empfindungshaftes Besetzt-Sein in der absoluten Punktualität einer Zeitstelle und ohne Beziehung auf noch irgend etwas anderes zukommen könnte: ,,[D]enn als in einem Augenblick enthalten kann jede Vorstellung niemals etwas anderes als absolute Einheit sein"240, d.h. nicht komplex oder artikuliert, wie es die Wahrnehmung ist. Probeweise ein solches schlechthin augenblickliches Vorstellen unterstellt, d.h. ohne ein durch das Subjekt selbst geleistetes Unterscheiden, ohne ein übergangsstiftendes Durchlaufen von mehreren unterschiedenen Augenblicken und ohne ein Reproduzieren und Zusammennehmen, milßte das Vorstellen in einem von einem absolut einzelnen Gehalt besetzten und also unterschiedslosen Stillstand angenommen werden, und zwar auch bei einer etwaigen außersubjektiv begründeten Folge, worin doch in keinem zweiten Augenblick mehr ein Bewußtsein vom ersten wäre. Die Vorstellung eines solchen Stillstands wurde mit Kant oben schon als eine die „Einbildungskraft empörende Vorstellung"241 bezeichnet, wobei das Interesse des hier in seiner theoretischen Funktion angesprochenen Vermögens am

239 240 241

vgl. KDU, Ak V, 242 A 99; 2. Hervorh. Vf. EAD, Ak VIII, 334

192

3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung

Gegenteil und seine Empörung über den Stillstand von Kant so erklärt wurden, daß fur ein nur zeitlich mögliches Wesen „ein solches Leben" im Stillstand der Vorstellung, „wenn es anders Leben heißen mag, der Vernichtung gleich scheinen"242 muß. Empörung über Vernichtung impliziert Interesse an Erhaltung, und es ist nach dem Gesagten eine Entsprechung angezeigt zwischen dem Leben dieses Wesens und seinem Erhaltungsinteresse einerseits und dem zum bloßen Augenblick mittelbaren, zu seiner Integration fähigen theoretischen Vermögen 'Einbildungskraft' in seinem Unterscheiden, Durchlaufen, Reproduzieren und Zusammennehmen andererseits, wodurch über ein unterschiedslos einzelnes hinaus fortgesetzt ein komplexes und artikuliertes anschauliches Vorstellen ermöglicht ist. Pointiert ist so von einem lebendigen Interesse am fortgesetzten Wahrnehmen zu sprechen.243 Ein wie angenommen augenblickliches Vorstellen kann überhaupt nur in der Abstraktion isoliert gedacht, nicht aber als ein solches vollzogen werden, obwohl es als Moment an einem demgegenüber komplexen Anschauen auch nicht abzuweisen ist. Durch ihr Reproduzieren und Zusammennehmen bewirkt Einbildungskraft eine „ganze Vorstellung"244, worin also eine Gliederung nach verschiedenen enthaltenen Bestandteilen liegt. Diese Vorstellung ist im Unterschied zur Gegenwart des Augenblicks als eine um ein Herübergerufenes bereicherte gegenwärtig. Indem zum einen durch ein Herüberrufen, das eine Leistung wider Sukzession im Sinne des Verlusts von Vorigem darstellt, das Herübergerufene eine Gegenwart in der Anschauung behält und indem zum zweiten das Herübergerufene mit dem Jetzigen nicht unterschiedslos ineins fallen kann, muß mit dem Ergebnis solcher Synthesis die Vorstellung von Verschiedenem als zugleich verbunden sein.245 Das aber ruft

242 243

244 245

ebd. Den Begriff des Lebens veranschlagt auch Aron Gurwitsch (1990) in Hinsicht auf Kants Synthesen der Einbildungskraft, indem er diese als integriert in Kants Theorie des „geistigen Lebens im Allgemeinen" (S. 22) behandelt, genauer als involviert in „reine transzendentale Apperzeption und deren lebendiges Funktionieren" (S. 24), das sich zuletzt in der „objektivierenden Erfahrung" (S. 12) erfüllt. Überdies macht Gurwitsch (1964) auf die positive Beziehung Kants zu einer Transzendentalphilosophie des 20. Jahrhunderts aufmerksam, worin wie bei diesem versucht werde, „die Formen und Strukturen dieses subjektiven Lebens freizulegen und es in seinem Fungieren zu enthüllen", um schließlich „Objektivität... als geistige Leistung" (S. 410) zu verstehen. Gemeint ist die Phänomenologie Husserls, woran Gurwitsch speziell auch die Analysen der Wahrnehmung als mit denen Kants vergleichbar herausstellt: Sie „muten an wie eine detaillierte und zu voller Konkretion gebrachte Entfaltung und Ausbildung von Gedankengängen, die Kant in Zusammenhang mit der Synthesis der Reproduktion in der Einbildung entwickelt" (S. 412). - Mit Husserl dürfte, ohne daß dadurch schon Übereinstimmung in allen Punkten zu behaupten wäre (man denke an Husserls passive Synthesis), doch der herausragende Philosoph neuerer Zeit benannt sein, der abseits von der irrationalen, den Lebensbegriff usurpierenden philosophischen Tradition auf einer Traditionslinie mit Kant liegt. A 102 Daß es sich beim Wahrnehmungsbild nicht um die Art Unmittelbarkeit und Einzelheit handelt, wie sie hinsichtlich des einzelnen empfindungshaften Eindrucks in seiner isolierten Punktualität gedacht ist, hat auch Heidegger (1991 5 , S. 93) ausgedrückt: „Das Sichzeigende hat hier immer den

3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung

193

sogar den Gedanken eines durch diese Synthesis ermöglichten räumlichen Vorstellens hervor. Das Zugleichsein ist von Kant als ein Zeitmodus bezeichnet246. Dazu ist aber zu bemerken, daß mit diesem Modus das Nacheinander der Zeit, das sonst im Unterschied zum Zugleichsein gerne als ihre prominenteste Bestimmung angegeben ist247, gerade negiert ist, ebenso aber, daß diese Negation ganz von dem abhängt, was sie negiert, und also mit einem gewissen Recht 'Zeitmodus' heißen kann; andererseits und in Übereinstimmung damit charakterisiert das Zugleichsein den Raum248, d.h. das negierte Nacheinander.249 Insofern nun Synthesis der Einbildungskraft wider den Verlust im Nacheinander ein Voriges in eine nach einem Zugleichsein von Verschiedenem differenzierte Gegenwart herüberruft, ist durch diese Synthesis das Vorstellen auf ein räumliches Vorstellen hin erweitert. Die Synthesis der Einbildungskraft richtet sich auf zeitliches Nacheinander wider das allein durch dieses drohende Verschwinden und positiv auf ein Erhalten durch Zusammennehmen zu einem Ganzen, das als eine - verglichen mit der absoluten Einheit des Augenblicks - bereicherte Gegenwart von Verschiedenem als zugleich zu betrachten ist. Ohne die angeführten Synthesisleistungen könnten wir, so Kant, „weder die Vorstellungen des Raumes, noch der Zeit a priori haben"250, oder anders, „nicht einmal die reinste und erste Grundvorstellungen von Raum und Zeit"251. Mit diesen Grundvorstellungen sind Raum und Zeit als schon Bestimmtheit, Gliederung und Gestaltung aufweisend gemeint, nicht als Formen der Anschauung. Das findet sich bei Kant dadurch bestätigt, daß er nicht aufhört, der Ausübung von Synthesis zur Bewirkung dieser ersten bestimmten Grundvorstellungen von Raum und Zeit etwas vorauszusetzen, was sich ihr dazu „darbietet", nämlich ein „Mannigfaltiges" der „Sinnlichkeit in ihrer ursprünglichen Receptivität"252, d.i. das unbestimmte, aber bestimmbare Mannigfaltige in Raum und Zeit, hier als Formen der Anschauung. Diesen Formen ursprünglicher Rezeptivität, woraufhin oben die Ursprünglichkeit, d.h. schon der subjektive Entwurfscharakter zur Ermöglichung des Affiziert-Werdens, betont wurde, ist als bestimmbaren erst die Möglichkeit zuzurechnen, bestimmt zu werden. Mit ihnen ist Unbestimmtheit dem Kontinuitätsgedanken gemäß vorzustellen, d.h. als eine unbestimmte Teile-Struktur (nach Charakter des unmittelbar gesehenen Einzelnen („Dies-da"), was freilich nicht ausschließt, daß eine Mannigfaltigkeit solcher, und zwar als reicheres „Dies-da", angeschaut wird, z.B. dieses einzelne Ganze dieser Landschaft." Zu solch reicherem „Dies-da" aber sind Synthesen der Einbildungskraft vorauszusetzen. 246 247 248 249

250 251

252

vgl. vgl. vgl. vgl. A

A 177/B219 A 3 1 / B 47 Β 40 dazu Anm. 5 in II.5. zu Gerold Prauss

9 9

A 102

A 100

194

3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung

einer angeführten Veranschaulichung Kants: wie Wasser) ohne innerliche Fixierung durch bestimmte kleinstmögliche Teile und ebenso als ins unbestimmt Unendliche mögliche Ausbreitung im äußeren Verhältnis. Zugleich war die Möglichkeit zu Teilen hier immer als die Möglichkeit zu Einschränkungen von etwas zu betrachten, nämlich des Raums, der nicht im Raum ist, und der Zeit, die nicht in der Zeit ist. Diese waren - keine positiv durch Komprehension vollziehbaren Vorstellungen, aber allen Einschränkungen vorgängig - als Ganzheiten im Sinne der Idee des Raums und der Idee der Zeit und als die qualitative Einheit des Raumund Zeitthemas vorgebend zu nehmen. Mit den jetzt thematischen, durch Synthesis der Einbildungskraft zu bewirkenden Grundvorstellungen von Raum und Zeit geht es nun um die Realisierung der durch sie als unbestimmt bestimmbaren Anschauungsformen gegebenen Möglichkeit, nämlich um die positiv zu vollziehende „Bestimmung der Einheit dieses Mannigfaltigen in ihnen"2". Mit dem Gesagten ist Kants Unterscheidung zwischen Form der Anschauung und formaler Anschauung angesprochen, zu welcher letzteren „mehr" gehört „als bloße Form der Anschauung, nämlich Zusammenfassung des mannigfaltigen" im Horizont des qualitativ einheitlichen Zeit- bzw. Raumthemas; durch diese Synthesis entsteht „anschauliche Vorstellung, so daß die Form der Anschauung bloß Mannigfaltiges [in Zeit und Raum als jener bezeichneten Ganzheiten], die formale Anschauung aber Einheit der Vorstellung [darin] giebt" 254 .

Solche Synthesis artikuliert oder gliedert in Zeit und Raum nach bestimmten Zeiten und Räumen, so daß in ihrer Behandlung also eine nachträgliche Erhellung dazu zu sehen ist, was Kant in der 'Transzendentalen Ästhetik' noch ohne Erwähnung einer Synthesis doch schon als Raum- oder Zeitteile, dadurch Bestimmtheit nahelegend, angesprochen hatte. Indem es nach solcher Bestimmung nun heißen kann, daß dadurch etwa „Raum als Gegenstand vorgestellt"255 wird - in rein mathematischer Betrachtung zum Beispiel in Form einer geometrischen Gestalt, die dann aber auch inhaltlich erfüllt gedacht werden kann -, ist eine weitere Erklärung hinsichtlich des erfragten Bestandteils der zum Ausgang gewählten Urteilsdefinition gegeben, d.h. hinsichtlich der darin angesprochenen gegebenen Erkenntnisse, wozu als Erkenntnissen so etwas wie ein Gegenstand zu suchen war. Die letzte vorsichtige Formulierung soll dem Rechnung tragen, daß Erkenntnisse dieser Art zu objektiver Apperzeption und damit zu eigentlicher Erkenntnis erst noch zu bringen sein werden, so daß in bezug auf diese eigentliche Erkenntnis ihr unterschiedener Gegenstand erläuterungsbedürftig wird. Zur formalen Anschauung und zur dazu erforderlichen Synthesis der

253 254 255

Β 160; 2. Hervorh. Vf. Β 160 Anm. ebd.

3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung

195

Einbildungskraft ist zunächst festzuhalten, daß Kant durch sie eine Präzisierung hinsichtlich des in der 'Transzendentalen Ästhetik' Behandelten vornimmt. Dort wurde „Gestalt" als im Raum „bestimmt, oder bestimmbar" 256 angesprochen und selbst als bestimmte Gestalt der „Form der Sinnlichkeit" 257 zugeordnet. Diese Zuordnung ist nun aufgegeben und genauer kann jetzt gesagt werden, daß sie im Raum als Form der Anschauung bestimmbar und erst durch Synthesis der Einbildungskraft zur formalen Anschauung bestimmt ist. Daß er die formale Anschauung „in der Ästhetik bloß zur Sinnlichkeit gezählt" hat, rechtfertigt Kant jetzt nur noch damit, daß er „bemerken" wollte, „daß sie vor allem Begriffe vorhergehe"; zugleich hält er aber fest, daß sie „eine Synthesis, die nicht den Sinnen angehört, durch welche aber alle Begriffe von Raum und Zeit zuerst möglich werden, voraussetzt" 258 . Die eine Synthesis der Einbildungskraft voraussetzende formale Anschauung, etwa einer Linie, wodurch zwar noch kein Begriff vom Raum vorliegt, sondern nur diese Gestalt vorgestellt ist, ermöglicht demnach Begriffe vom Raum, etwa Größenbegriffe, die als Maße verwendbar sind. Von der figürlichen Synthesis heißt es nun in Andeutung des über sich selbst hinausweisenden 7e«c/e>7zcharakters dieser Synthesis, daß sie „ a u f etwas „geht", nämlich auf die transzendentale Einheit der Apperzeption, „welche in den Kategorien gedacht wird"; sie ist aber als bloß darauf gehend noch von der „intellectuellen Verbindung" 259 unterschieden. Das Entsprechende in Ausdrücken der Urteilsdefinition formuliert, ist von durch figürliche Synthesis gegebenen Erkenntnissen zu sprechen, die auf die objektive Einheit der Apperzeption gehen und darauf noch gebracht werden müssen. Als erste Anwendung des in Urteilen begreifen wollenden Verstandes muß die figürliche Synthesis mit ihrem noch speziellen Ergebnis einer bestimmten Gestalt, einer ersten Wirkung des Verstandes, über dieses Ergebnis hinaus auf deren weitere, nämlich begrifflich allgemeine Bestimmung tendieren. Wie hier immer wieder Ausdrücke des Richtungnehmens und sogar des Bestrebens heranzuziehen und bei Kant wider eine vermeintliche Beiläufigkeit zu betonen, mag noch für gesucht angesehen werden, so lange der angekündigte eine Zweck noch nicht erarbeitet ist, der das Erfahrungsurteil und die zu ihm zusammenwirkenden Kategorien insgesamt regiert. Der eingeschlagene Weg auf dieses Urteil hin ist hier von dem her, was in der Urteilsdefinition 'gegebene Erkenntnisse' heißt, indem die erste Anwendung des Verstandes auf Sinnlichkeit thematisch ist, in Kantischer Diktion der Weg von unten. Wenn nun von Sinnlichkeit insgesamt die Rede sein soll, ist das aposteriorische inhaltliche Besetzt-Sein des Vorstellens hinzuzunehmen zu der rein auf das For-

256 257 258 259

A 22/B 37 A 2 1 / B 34f. Β 160 Anm. Β 151

196

3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung

male eingeschränkten figürlichen Synthesis der Einbildungskraft, der als Erzeugnisse ihre besonderen Gegenstände in formalen Anschauungen entsprechen (insgesamt die Raumgestalten der Geometrie; auch die besondere räumliche Gestalt der Linie, durch die allein die per se nichträumlich gestaltlose Zeit in einem reinen Bild als bestimmte Zeit vorgestellt werden kann260). Das inhaltliche Besetzt-Sein des Vorstellens also hinzugenommen - das heißt: den Raum als erfüllten Raum und die Zeit als erfüllte Zeit betrachtet - , ist von der Synthesis der Apprehension zu sprechen. Durch diese Synthesis (im weiten, reine Reproduktion einschließenden Verständnis der B-,Deduktion') wird Wahrnehmung möglich, wofür ein Beispiel Kants die Wahrnehmung eines Hauses ist. In Erläuterung der Synthesis der Apprehension an diesem Beispiel stellt Kant fest, daß sie einer „synthetischen Einheit des Mannigfaltigen im Räume gemäß"261 vollzogen wird, wobei unter dieser synthetischen Einheit im Raum keine andere als die in formaler Anschauung, die durch reine, Gestaltvorstellung überhaupt erst ermöglichende figürliche Synthesis zustandegebracht ist, zu verstehen sein wird. Der figürlichen Synthesis also „gemäß" und zugleich von den a posteriori besetzenden Inhalten nicht wie diese bei ihren reinen geometrischen Raumgestalten absehend, ist das Zustandekommen der Wahrnehmung eines Hauses in der Synthesis der Apprehension so zu beschreiben: „ ... ich zeichne gleichsam seine Gestalt"262. Das wahrgenommene Haus, nur sein rein figürlicher Synthesis gemäßes Zeichnen als eine bestimmte Raumgestalt betreffend, ist als formale Anschauung anzusprechen; seine Zeichnung kann in dieser Abstraktion wie eine geometrische Raumgestalt behandelt werden. In der vollständig betrachteten Synthesis der Apprehension bleibt allerdings das in der Zeichnung gestaltete a posteriori Inhaltliche mit thematisch , so daß formale Anschauung eben nur Ingredienz des in der Wahrnehmung Zusammengenommenen sein kann. Was alles zum angesprochenen Zeichnen in der Synthesis der Einbildungskraft gehört, konnte schon als ein in Hinsicht auf Mannigfaltiges der Anschauung stattfindendes Gliedern angegeben werden, nämlich als ein Unterscheiden von Momenten des Mannigfaltigen, ein Durchlaufen des Unterschiedenen, ein Herüberrufen und Zusammennehmen. Den Aspekt des gehaltlichen Besetzt-Seins einbeziehend, ist Wahrnehmung als Resultat solcher Synthesishandlungen, die beim eindruckshaft Einzelnen ansetzen, als ein schon artikuliertes, synthetisiertes Anschauen zu betrachten, worin das sinnlich Materiale des Vorstellens also bereits auf bestimmte Weise formiert ist. Als Gegenstand (in einem noch zu spezifizierenden uneigentlichen Sinn) hat Wahrnehmung in der Unterscheidung davon, was als unbekannte Materie der Empfindung dem bloßen augenblicklichen Eindruck in absoluter Einheit korrespondieren mag, ein komplexes, Gestalt aufweisendes, zu

260 261 262

vgl. Β 156 Β 162 ebd.

3.1. Exkurs: Synthesis der Einbildungskraft - Wahrnehmung

197

einem Wahrnehmungsganzen zusammengenommenes Wahrnehmungsbild. In immer fortgesetzter Synthesis der Einbildungskraft wird auch ein ausgeprägter Zusammenhang von Wahrnehmungen mit ihren Wahrnehmungsbildern möglich, d.h. „ganze Reihen derselben" 263 . Auf den angedeuteten noch fraglichen Gegenstandscharakter des Wahrgenommenen, insofern es erst uneigentlich Gegenstand sein soll, d.h. hinter dem Verständnis eines Gegenstandes der Erfahrung zurückbleibend, soll jetzt eingegangen werden. (Ende des Exkurses) ***

Das in der Wahrnehmungssphäre Wahrgenommene wird in einem gewissen Sinn O b j e k t ' zu nennen sein. Dem hinzufügend, daß Synthesis der Einbildungskraft eine erste Anwendung des Verstandes ist, ist es mit dem Gedanken an die Urteilsdefinition verständlich, daß darin von gegebenen Erkenntnissen die Rede ist, die dann allerdings zur objektiven Einheit der Apperzeption, d.h. zum Erfahrungsurteil, erst zu bringen sind. Was als das Wahrgenommene einer Wahrnehmung durch die „Aufrahme in die Synthesis der Einbildungskraft" ermöglicht ist, ist von Kant denn auch in einem gewissen Verständnis als Objekt anerkannt: Denn man kann „alles und sogar jede Vorstellung, so fern man sich ihrer bewußt ist, Object nennen" 264 . Die hier genannte Bedingung ist von Wahrnehmung als „Anschauung, deren ich mir bewußt bin"265 erfüllt, so daß also auf der Stufe bisher behandelter Synthesis von Wahrnehmungsobjekten gesprochen werden kann. Auch ist dem Zusammenhang der Wahrnehmungen mit ihren Objekten zugestanden, daß er „so weit erstreckt und so genau oder pünktlich sein [mag], als man wolle" 266 . Wahrnehmungen stehen also nicht für ein undeutliches oder verworrenes sinnliches Vorstellen, das auf ein deutliches und aufgrund dessen dann etwa 'Erfahrung' zu nennendes zu bringen wäre. Es stellen sich von hier aus die Fragen, inwiefern das Objekt der Wahrnehmung von dem in der Wendung von der objektiven Einheit der Apperzeption angesprochenen Objekt unterschieden sein soll und was einer so weit man will erstreckten, also einer möglicherweise auf unseren gesamten Wahrnehmungszusammenhang erstreckten Wahrnehmungssphäre mit ihren Objekten, die - wie ebenso zugestanden - genauestens und pünktlichst wahrgenommen sind, noch fehlen soll, damit der Wahrnehmungszusammenhang in dieser Sphäre auch noch Erfahrungszusammenhang und die Objekte darin auch noch Objekte der Erfahrung genannt

263

A 121

264

A 189/B 234 PROL, Ak IV, 300 A 197/B 242

265 266

198

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

werden können. Den Vorstellungen mit Beziehung auf solche Objekte der Erfahrung soll eine eigene Dignität zuzuschreiben sein267. Die Fragen werden sich noch verschärfen, wenn gezeigt werden wird, daß das bisher der Wahrnehmungssphäre Zugeschriebene noch nicht alles ist, was ihr als Erkenntnissph&re zuzuschreiben ist, worin aber auch dann noch nicht im eminenten Sinn erkannt sein soll. Um das ihr über das Bisherige hinaus noch Zuzuschreibende noch einmal vorweg zu benennen, wird dieser Wahrnehmungssphäre als solcher bereits ein veritables, d.h. in einem gewissen Sinn wahrheitsfähiges Urteilen unter Verwendung von Begriffen zugeordnet werden. Hinsichtlich der Angabe also, in der eigentlichen Erkenntnis gemäß objektiver Einheit der Apperzeption werde anschaulich Mannigfaltiges „in einem Begriff vom Object"268 vereinigt, wird ein allgemeiner Hinweis auf das begriffliche Vorstellen nicht unterscheidend sein, denn auch in den Wahrnehmungsurteilen werden, insofern sie überhaupt Urteile sind, Begriffe vorkommen müssen. Die Unterscheidung wird zuletzt nicht darin liegen, daß einerseits Mannigfaltiges in begrifflicher Vereinigung vorgestellt würde (etwa als das unter den Substanzbegriff 'Haus' subsumierte Bild des Hauses) und es deshalb Objekt der Erfahrung' heißen könnte und andererseits dieses Mannigfaltige in nichtbegrifflicher, bloß bildhaft artikulierter anschaulicher Vereinigung (etwa als das bloß gesehene Haus). Wenn, wie noch genauer herauszustellen sein wird, die Unterscheidung zwischen einem wahrnehmenden Erkennen und einer demgegenüber durch eine besondere Dignität ausgezeichneten Erfahrungserkenntnis nicht durch 'begrifflich' und 'nichtbegrifflich' angegeben werden kann, dann wird sie bei beiderseits vorliegenden Begriffen in irgendworin verschiedenen Begriffen vom Objekt gesucht werden müssen. Dabei wird durch den Punkt der Unterscheidung an der Seite eigentlicher Erkenntnis eine Dignität festzumachen sein, die der anderen Seite einer sich durch Wahrnehmungsurteile ausdrückenden uneigentlichen Erkenntnis fehlt. Es ist also eine Differenzierung hinsichtlich des Begriffs eines Objekts erforderlich. Diese ist bei Kant getroffen - noch ohne daß dadurch die angesprochene Dignität einsichtig würde - als die Unterscheidung zwischen Objekten, die als Vorstellungen Objekte sind, und Objekten als Objekten selbst. Mit dem letzteren ist eine Bedeutung des Worts 'Objekt' angesprochen, die nach Kant „von tieferer Untersuchung" ist; in dieser Bedeutung also meint 'Objekt' „Erscheinungen ... , nicht in so fern sie (als Vorstellungen) Objecte sind, sondern nur ein Object bezeichnen", d.h. insofern sie „Erscheinungen selbst1269 sind. Von demjenigen, was an diesen Erscheinungen selbst, d.h. „am Objecte" oder „im Objecte"270 in diesem

267

vgl. ebd.

269

A 189f./B 234f.; Hervorh. Vf. Β 233

268 B 270

139

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

199

zweiten Verständnis eines eigentlichen Erkenntnis- oder Erfahrungsobjekts, verbunden ist, sagt Kant: Das „soll ich anzeigen"271, so daß hier wenigstens der Anklang an eine im gelingenden Fall des Anzeigens vorliegende Dignität gegeben ist. Mit der Wahrnehmung und dem darin wahrgenommenen Gegenstand als Resultat eines Ins-Bild-Bringen-Sollens in erster Anwendung des Verstandes ist offenbar das Soll in Hinsicht auf Erkenntnis nicht erfüllt. Es drängen sich hier angesichts des umfassenden, genauen und pünktlichen Zusammenhangs im Wahrnehmen die Fragen auf (die sich dann nach den weiteren Zuschreibungen dazu noch verschärfen werden), warum ich das zum Erfahrungsobjekt selbst ausgezeichnete Objekt anzeigen soll, ihm, „ich weiß nicht, was für eine, objective [Realität] beilegen"272 soll und von woher die Anweisung dazu gegeben ist. Schon jetzt ist zu sagen, daß Wahrnehmungsbilder als solche und von sich her, auf der jetzigen Stufe die gegebenen Erkenntnisse, kein Merkmal aufweisen - etwa als Merkmal, das einen auszugleichen verlangten Mangel kenntlich machte - , das das Bewußtsein eines Sollens und die Absicht, das Gesollte zu tun, anstoßen könnte. Zur Beantwortung der gestellten Fragen ist aufgrund solchen fehlenden fremdbestimmenden Anstoßes auf ein eigentlich zu erkennendes, ausgezeichnetes Objekt selbst hin auf das Selbstverständnis des Subjekts der Wahrnehmung zurückzugehen. Offenbar sieht dieses in einem Erkennen als Wahrnehmen den Begriff, den es sich von sich selbst als Erkenntniswesen macht und den es erfüllen soll, als nicht erfüllt an. Ohne fremdbestimmenden Anstoß bei einer ausgeprägten, schon in gewisser Weise 'gegenständlich' zu nennenden Wahrnehmungswelt muß ein Sollen in Hinsicht auf ein darüberhinaus zu erkennendes Objekt selbst ein selbstbestimmtes, selbstgesetztes Sollen sein. Pointiert ist damit das theoretische Subjekt als ein Subjekt der Freiheit anzusprechen. Daß die Frage der Auszeichnung von Erkenntnissen zu Erkenntnissen von Objekten selbst vermittels eines besonderen Selbstverständnisses des Subjekts zu klären ist, ist bei Kant dadurch ausgedrückt, daß er das Problem, ob Vorstellungen etwas „im Gegenstande" betreffen, einen „Punkt der Reflexion"273 nennt. Hinsichtlich des Erfahrungsurteils, das ein Objekt selbst anzeigen soll und das definiert ist als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen, d.h. zur Einheit eines Selbstverständnisses, worin gewährleistet ist, daß ein Objekt selbst angezeigt ist, ist die Art und Weise des 'Bringens auf...' also als Reflexion anzugeben. Diese ist die „transzendentale Reflexion", die „auf die Gegenstände selbst geht"274. Bei andernorts möglichen Zweifeln hinsichtlich des nachdrücklichen Sinns eines Zielens im Ausdruck ,gehen auf ... ' sind solche

271 272 273 274

A 190/B 235; Hervorh. Vf. A 197/B 242 A 189/B234 A263/B319

200

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

Zweifel an der hier herangezogenen Stelle durch das unmittelbar Folgende zerstreut. Denn hier wird die auf Gegenstände selbst gehende Reflexion „eine Pflicht" genannt, so daß demnach diese Reflexion in ihrem Absehen auf einen Gegenstand selbst als eine Handlung anzusehen ist, die pflichtgemäß stattfinden soll. 275 Genauer heißt es allerdings, daß sich von dieser Pflicht „niemand lossagen kann, wenn er a priori etwas über Dinge urteilen will". Der hypothetische Charakter dieser Aussage ist nicht zu unterschlagen, so daß, um die auf den Gegenstand selbst gehende Reflexion als Pflicht zu statuieren, erst noch begründet werden muß, daß a priori jeder etwas über Dinge urteilen will. Daß und warum a priori jeder etwas über Dinge urteilen will, soll später noch erörtert werden. Begründet ist dieses Wollen eines jeden, so ist vorwegnehmend schon zu sagen, wenn nichts anderes begründet ist, als daß jeder mit seinen Erfahrungsurteilen den folgenden Geltungsanspruch verbindet: „Ich will ... , daß ich jederzeit und auch jedermann dieselbe Wahrnehmung unter denselben Umständen nothwendig verbinden müsse" 276 . Dem Ausdruck dieses Willens durch ein Erfahrungsurteil soll also die Erfüllung der Pflicht zur Reflexion vorangehen müssen. Diese transzendentale Reflexion nennt Kant auch „die innere Handlung (Spontaneität) wodurch ein Begriff {tin Gedanke) möglich wird" 277 , nämlich vom Objekt selbst. Sie als innerlich und spontan anzusehen, steht ganz in Übereinstimmung mit der Auffassung von einer gar nicht feststellbaren Fremdbestimmung oder äußeren Veranlassung durch die gegebene Erkenntnis als Wahrnehmung zu der Reflexionshandlung, die vermittels einer Auszeichnung im Selbstverständnis des Vorstellenden auf ein Objekt zu seinen Vorstellungen geht. Das Objekt zu den Vorstellungen, wodurch der Aspekt seines Selbstseins ausgedrückt sein soll, ist hier zu unterscheiden von dem dadurch gerade zu überwinden gesuchten bloßen Objekt als Vorstellung, durch das das noch fragliche Selbstsein nicht angezeigt ist. Es ist übrigens mit dem Objekt zur Vorstellung, das zwar Objekt selbst, aber nicht Objekt außerhalb der Beziehung auf die Vorstellung ist, kein Ding an sich eingeführt. Daß durch Reflexion die Vorstellung von einem Objekt selbst, unterschieden von einem Objekt bloß als Vorstellung, möglich wird, läßt sich auch so ausdrükken, daß „durch Reflexion", eine innere spontane Handlung, „Erfahrung und hiemit Wahrheit"278 möglich wird. Umfassend muß es heißen, daß durch Reflexion objektive Gültigkeit möglich wird, denn neben Wahrheit wird dadurch auch Falschheit möglich, wobei aber das falsche Urteil auch auf ein Objekt selbst geht und, obwohl es verfehlend, insofern doch Erfahrungsurteil ist. Nachdem bisher

275

276 277 278

vgl. auch LOG. Ak IX, 76 (Hervorh. Vf.): Ohne Reflexion „können und dürfen wir doch über nichts urteilen". PROL, Ak IV, 299 ANTH, Ak VII, 134 Anm. ANTH, Ak VII, 142

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

201

mehrfach vom Erfahrungsurteil als einem ausgezeichneten die Rede war, ist hier die auch noch zu behandelnde Frage schon zu stellen, ob das durch Reflexion ermöglichte Erfahrungsurteil auch unter dem Aspekt, daß es falsch sein kann, einen Vorzug vor dem noch unreflektierten Vorstellen verdient, das das Vorstellen auf der Stufe des Wahrnehmens ist und das sich in einem gewissen Verständnis von Wahrheit noch als zu nur wahr sein könnenden Wahrnehmungsurteilen bildbar erweisen wird. Zur Sicherung der These vom ausgezeichneten Erfahrungsurteil wird also unten noch zu zeigen sein, daß und warum das wahr und falsch sein könnende Erfahrungsurteil einen Vorzug vor dem nur wahr sein könnenden Wahrnehmungsurteil verdient. Zuvor gilt es festzuhalten, daß Reflexion als spontane innere Handlung an der ,,empirische[n] Anschauung" ansetzt, d.i. die erörterte gegebene Erkenntnis als Wahrnehmung oder das Objekt bloß als Vorstellung, und sie so zu „Erfahrung und hiemit Wahrheit" zu machen sucht, daß sie sie ins Verhältnis auf das SichVerstehen des Subjekts der Vorstellung setzt. Im Fall eines mit dieser Vorstellung möglichen ausgezeichneten Selbstverständnisses, das durch die Ausdrücke 'ich jederzeit' und 'jedermann' in der obigen Formulierung des Geltungsanspruchs des Erfahrungsurteils im Ansatz bezeichnet ist, zeichnet das reflektierende Subjekt diese empirische Anschauung zur Erfahrung eines Objekts selbst aus. Trotz mehrerer noch offener Fragen ist an dieser Stelle schon festzustellen, daß bei einer solchen Reflexion im Verständnis spontaner innerer Handlung, ausgeübt in Hinsicht auf empirische Anschauung (Wahrnehmung), die einer ausgeprägten, schon gegenständlich zu nennenden Wahrnehmungssphäre angehört, der es an nichts zu fehlen scheint und die als solche zu nichts über sie Hinausgehendem auffordert, die Themen eines Objekts selbst als eines Objekts der Erfahrung (und nicht bloß der Wahrnehmung) und einer objektiven Gültigkeit von Urteilen, d.h. von wahren oder falschen Urteilen, durch spontane innere Handlung eröffnete Themen sind, das sind Themen einer Selbstbestimmung des Bewußtseins. Die Aufgabe, zu objektiv gültigen und unter diesen vorzugsweise zu wahren Erkenntnisurteilen zu kommen, ist - in Kantischer Diktion - eine Aufgabe, die Vernunft sich selbst stellt. Reflexion als innere spontane Handlung genommen, dazu zum einen die schon angeführte Bestimmung hinzugesetzt, daß „das Vermögen ..., sich aus einem inneren Princip zum Handeln ... zu bestimmen", „Leben" 279 ist, und zum anderen den mit dem entwickelten Lebensbegriff zu verbindenden Aspekt rationalen Begehrens, der sich in der Reflexion als ihr Angeben-Sollen und Angeben-Wollen des Gegenstandes selbst ausdrückt, ist geradezu von dem durch lebendige Apperzeption in ihrer Reflexion frei eröffneten Wahrheitsthema zu sprechen. In der Verfolgung dieses Themas kann Wahrheit allerdings im falschen Urteil, das ebenfalls den Gegenstand selbst angeben will, der angegeben werden soll, auch verfehlt werden.

279

MAN, Ak IV, 544

202

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

Es ist demnach bei einer auch eröffneten Möglichkeit zu falschen Urteilen das durch keine Wahrnehmung aufgezwungene und durch innere spontane Handlung eröffnete Thema insgesamt das der objektiven Gültigkeit von Urteilen. Des inneren, Leben charakterisierenden Handlungsvermögens und seines rationalen Begehrens eingedenk, kann die spontane Tätigkeit reflektierenden Selbstbewußtseins sein - im falschen Urteil auch mißlingen könnendes - selbstbestimmtes Urteilsleben genannt werden, dem gemäß Erfahrung sein soll. Insgesamt ist mit Kants eigenen, auf den Erfahrungsgebrauch der Vernunft (d.i. des Verstandes) bezogenen Worten aus dem Hinleitungsparagraphen zur 'Transzendentalen Deduktion' (§ 14 in B) von der „zweckmäßigen Thätigkeit"280 des Verstandes, d.i. eine Tätigkeit nach einer inneren, auf einen Willen bezüglichen Kausalität, zu sprechen. Die Einheit des Zwecks dieser Tätigkeit kann nach dem Bisherigen als die des Zwecks der Objektivität bezeichnet werden, die Tätigkeit dementsprechend als die in einem sich willentlich auf einen Gegenstand selbst sich richtenden Vorstellen, das diesen Gegenstand in einem Erfahrungsurteil angeben soll. Als offene und noch einmal aufzugreifende Frage bleibt aber noch, ob mit der um das Willensmoment erweiterten inneren Spontaneität ein Unhintergehbares als ein schlicht zu konstatierendes Von-selbst-Anfangen in der auf den Gegenstand der Erfahrung gehenden Reflexion angegeben ist, wodurch eine buchstäblich zu nehmende Dignität der Erfahrungsurteile noch nicht einsichtig gemacht wäre, oder ob sich vielleicht noch ein Motiv dafür angeben läßt, an das diese Dignität der Beziehung des Vorstellens auf einen Gegenstand selbst geknüpft werden könnte. Insofern es nun die Kategorien sind, durch die das bezeichnete, in spontan absichtsvoller Reflexion auf einen Gegenstand selbst gehende Urteilsleben mit seinem Thema der objektiven Gültigkeit spezifiziert ist, kann Apperzeption in einem mehr als bloß entfernt metaphorischen Sinn als ihr Geburtsort genommen werden und als dem im Urteil sich ausdrückenden Zusammenhang dieser Kategorien die Einheit des Zwecks eines objektiven Vorstellens verleihend. In Erfahrungsurteilen wirken Kategorien zur Bestimmung eines Gegenstandes selbst zusammen. Darin sind sie in ihrer Verschiedenheit aufeinander bezogen, nicht im Bewußtsein eines Gattungsbegriffs nivelliert, und sind zugleich, wie schon angeführt, auf das Verhältniswort 'ist' hin zentriert. An diesem 'ist' im Erfahrungsurteil als ihrem gemeinsamen Produkt wird auch bei zugestandener Unbegründbarkeit daraufhin, warum sie gerade diese Kategorien sind, ihr verwandtschaftlicher Zusammenhang in einem nach Art eines Abstammungssystems gedachten System kenntlich. Dieses 'ist' seinerseits, einen daseienden Gegenstand selbst meinend, ist für Apperzeption nichts Hinzunehmendes, sondern in ihm drückt sich ihr eigener ursprünglicher und absichtsvoller Gedanke aus, daß ein existierender Gegenstand selbst bestimmt werden soll. Auf diese Weise ist Apperzeption das Prinzip der Affinität (Ver-

280

Β 128

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurtei!

203

wandtschaft) unter den Kategorien als Erkenntnisprinzipien, deren Bedeutung vorzüglich in ihrem Zusammenwirken zu einem ein 'ist' ausdrückenden Urteil besteht. Es ist in diesem Zusammenhang an das schon einleitend Diskutierte zu erinnern, nämlich daß Kant sein System der Erkenntnisprinzipien wie ein epigenetisches System verstanden wissen will281. Hinsichtlich eines solchen war hervorzuheben, daß in ihm ,¿elbstgedachte" erste Prinzipien a priori unserer Erkenntnis sein müssen, daß darin keine dem Subjekt durch empirische „generatio aequivoca" zukommenden Prinzipien sein dürfen und auch keine ,,eingepflanzte[n] Anlagen zum Denken", etwa als durch göttlichen Einfluß angeborene Ideen, die ebenso in diesem zweiten Fall eines äußerlichen Unter-Zwang-gestellt-Seins bzw. einer äußerlich implantierten Notwendigkeit zuletzt als zufällig fìir das Subjekt und als den Skeptiker bestätigend angesehen werden müßten. 282 Demgegenüber sind Kategorien ungeachtet ihrer unerklärbaren bestimmten Art insofern, wie gefordert, selbstgedachte Prinzipien a priori, als sie Kategorien in Anbindung an den sich in einem Erfahrungsurteil ausdrückenden spontan absichtsvollen Gedanken eines existierenden Gegenstandes sind, mithin in Anbindung an die freie Eröffnung der Wahrheitsbeziehung, und außerhalb des Urteils, das auf diesen Gegenstand der Erfahrung als seinen Zweck geht, keine Bedeutung haben.283 Entgegen den schon angeführten anderweitigen Festlegungen Kants gegen einen im theoretischen Vernunftgebrauch fungierenden Willen drängt sich doch von der Sache her in seinen eigenen Erörterungen immer wieder der Aspekt der Absichtlichkeit in diesem Gebrauch in den Vordergrund, der der Gebrauch von Kategorien in ihrem Zusammenwirken zum Erfahrungsurteil ist. Gerade an der sicherlich sorgfältigst formulierten Zentralstelle der Bestimmung des Erfahrungsurteils (und damit der B-,Deduktion' insgesamt) heißt es in folgender finaler Konstrukti-

281 282

283

Β I67f. Als einer der wenigen Interpreten, die wie der schon angeführte A.C. Genova (1974) im Begriff der Epigenesis keine zu vernachlässigende unbestimmte Metaphorik sehen, stellt Günter Zöller (1988, vgl. bes. S. 79f.) den darin enthaltenen wesentlichen Aspekt der Spontaneität in Abgrenzung von einem etwaigen empirischen Erwerb und von einem etwaigen Präformationssystem von Erkenntnisprinzipien heraus. Nach Nicolai Hartmann ( 1 9 5 1 ) sind „die spekulativen Systeme fast alle teleologisch aufgebaut" (S. 3); diesen Befund sieht er auch, obwohl das „teleologische Fundament" dort „kaum mehr erkennbar" (S. 4 5 ) sei, auch durch die Kritik der reinen Vernunft bestätigt. Dem ist nach den entwickelten Ergebnissen zwar zuzustimmen, nicht aber seiner daran geknüpften Kritik, daß durch teleologisches Denken notwendig „Finaldeterminismus" als „der gefährliche Feind der Willensfreiheit" (S. 125) etabliert sei. Kants System der Erkenntnisprinzipien hat seinen Angelpunkt in der frei das Erkenntnis- bzw. das Wahrheitsthema eröffnenden Apperzeption. Auch hinsichtlich der Resultate der Ausführung dieses Themas als wahrer oder falscher Urteile, wovon die letzteren mit Kant schon als in einer noch weiter zu verfolgenden Nähe zu im engeren Sinn moralischpraktischem Handeln angesehen wurden, nämlich als mit einer „Art von culpa" (Ak XVI, REFL 2 4 7 6 ) verbunden, liegt keine Determiniertheit vor. sondern die Möglichkeit von Gelingen oder Mißlingen.

204

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

on unter Verwendung des originär teleologischen Ausdrucks des Zielens: „Darauf zielt das Verhältnißwörtchen ist in denselben [den Erfahrungsurteilen], um die objective Einheit gegebener Vorstellungen von der subjectiven zu unterscheiden"284. Als Ausgangspunkt solchen Zielens ist Apperzeption in ihrer spontanen, auf einen Gegenstand selbst gerichteten Reflexion zu nehmen.285 Ohne den teleologischen Ausdruck und ohne die finale Konstruktion hätte es an der herangezogenen Stelle scheinbar ohne Verlust auch lauten können, daß das Verhältniswort 'ist' im Erfahrungsurteil die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Einheit gegebener Vorstellungen schlicht trifft - nicht also, daß in ihm sich ein Bestreben ausdrückt, sie zu treffen. Das 'ist' im Erfahrungsurteil zielt auf einen Gegenstand selbst, der ist und von dem unter Bezugnahme auf die hier offensichtlich vorzugsweise vor den anderen Kategorien involvierte Modalitätskategorie verstärkend gesagt werden muß, daß er als wirklich existierender angezielt ist, nicht als Gegenstand, der bloß als Vorstellung Gegenstand ist.286 Er ist demnach als etwas anderes zur Vorstellung angezielt, was ihn zu einem Gegenstand selbst macht, ohne daß er aber dadurch als ein Ding an sich angezielt werden könnte. Ein solches müßte in einem zur Vorstellung ganz beziehungslosen Selbst (nicht als ein korrespondierendes anderes zu einer darauf zielenden Vorstellung) und im unerklärlichen Fall einer doch stattfindenden Erkenntnis als sich von sich

284 285

286

Β 141f. Den Ansatz einer Deutung der 'Transzendentalen Deduktion' im Sinne eines durch sie entfalteten teleologischen Systems des Erkenntnisvermögens, das auf Erfahrung als Zweck ausgerichtet ist und wonach „Leben qua Vernunft als ein inneres zweckmäßiges Seiendes anzusehen ist" (S. 388), macht auch Alberto Rosales (1989). Er beschränkt seine Aufmerksamkeit allerdings auf Teile der A-,Deduktion' und nimmt auch den durch die teleologische Thematik eingeführten ZweckbegrifF nicht zum Anlaß, um ihn in forcierter Deutung auf praktische Implikationen hin zu befragen. Klaus Reich (1986; 1.Aufl. 1932) stellt mit Bezug auf die auch oben zugrundegelegte Urteilsdefinition fest, wonach das Urteil „die Art" ist, „gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen" (B 141), d.i. die Art, sie objektiv gültig, damit gegenstandsbezogen und wahrheitsfähig zu machen: „Diese Bestimmung aber gehört ... zur Modalität des Urteils" (S. 63); es ist „mit der Modalität... die logische Reflexion über das Urteil anzufangen" (S. 59; vgl. S. 45, S. 5If., S. 54f). In seiner eingehenden Untersuchung des engen Verhältnisses zwischen den nach Kant auf die Existenz von Gegenständen der Anschauung ,,gerichtet[en]" (B 110) Kategorien unter den Titeln 'Relation' und 'Modalität' setzt Reich unter Heranziehung einer Reflexion Kants, worin Kategorien unter einem Wertgesichtspunkt nach mehr oder weniger vornehmen unterschieden werden (Ak XVIII, REFI 5854), den Grund des dort behaupteten Vorzugs der Relationskategorien vor den Quantitäts- und Qualitätskategorien, welche nicht auf die Existenz von Gegenständen der Anschauung gehen (vgl. Β 110), in die ,,besondere[.] Beziehung zur Modalität, jener ganz besonderen Funktion der Urteile, die das Unterscheidende an sich hat, daß sie selbst nichts zum Inhalt der Urteile beiträgt" (S. 63), sondern die die Funktion des Setzens des Gegenstandes ist. - Auf ähnliche Weise hebt Heinz Heimsoeth (1963, S. 379) gegen Kemp Smith (1923, vgl. S. 193f.), der dazu neige, „die Modalitätskategorien abzustreifen", diese Kategorien hervor. - Eine spezielle Akzentuierung der Kategorie des Daseins findet sich bei Paul Natorp (1910) und Wolfgang Cramer (1960/61). Der erste spricht vom „Begriff der Existenz" im Sinn des „letzten Ziels der theoretischen Erkenntnis" (S. 276) und der zweite davon, daß die „wesentliche Leistung" des Denkens „die Leistung ist. 'ist' zu denken" (S. 3).

3. Einheit des Z w e c k s im Hrfahrungsurteil

205

her und für das Vorstellen ganz zufällig in die Erkenntnis verfügend angesehen werden. Mit dem Gegenstand selbst zur Vorstellung haben wir es doch weiterhin „nur mit unsern Vorstellungen zu thun", nicht mit Dingen an sich selbst, auf deren Voraussetzung hin etwa „kein Mensch aus der Succession der Vorstellungen von ihrem Mannigfaltigen [würde] ermessen können, wie dieses im Object verbunden sei"287. Der angezielte Gegenstand zw Vorstellung ist Gegenstand selbst insofern, als er nicht bloß Gegenstand als Vorstellung ist. Erzielt werden kann er aber nur im Zugang von der Vorstellung her. Vom Zielen oder vom Ziel, von dem noch näher zu klären sein wird, inwiefern es als durch ein selbstbestimmtes Sollen gesetzt angesehen werden kann, spricht Kant wiederholt im Zusammenhang der Erörterung der Grundsätze als der spezifischen synthetischen Urteile a priori. Insgesamt haben sie „Einheit des empirischen Erkenntnisses in der Synthesis der Erscheinungen zum Ziele"; von dieser Einheit als eines Ziels enthält „die Kategorie die durch keine sinnliche Bedingung restringirte Function" 288 . Kants weitaus überwiegende sonstige Verwendungsweise der Ausdrücke 'Ziel' und 'Zielen' ist, wo nicht Ziel und Zweck schlicht gleichgesetzt werden („Ziel (Zweck)" 289 ), die, daß damit Zusammenhänge absichtsvollen Strebens und Leistens angesprochen sind, worin zunächst Entwürfe gesetzt (Aussichten oder Ziele „ausgesteckt" 290 ) sind, die dann wie im Lösen einer selbstgestellten Aufgabe realisierend einzuholen sind; es ist dabei dieses Einholen nicht als ein bloß sich vollziehendes Ankommen, sondern als ein Gelingen angesehen, wogegen als andere Möglichkeit nicht ein indifferentes Nicht-Ankommen steht, sondern ein Mißlingen oder Scheitern.291 Diese allgemeine Verwendungsweise auch für das Zielen des 'ist' im Zusammenhang theoretischen Vernunftgebrauchs im Erfahrungsurteil unterstellt, ist, ausgeübt in Hinsicht auf gegebene Erkenntnisse, die nach bisheriger Erörterung als Wahrnehmungsbilder zu nehmen sind, von einer spontanen Reflexion im Sinne absichtsvollen Strebens und Leistens zu sprechen, wodurch als Entwurf zur Wahrnehmung und ihrem Gegenstand als Vorstellung ein Gegenstand selbst gesetzt wird. Dieser wird im Fall eines mit der Vorstellung in der Reflexion zu verbindenden ausgezeichneten Selbstverständnisses des Subjekts im Erfahrungsurteil vermittels des 'ist' auch als erzielt behauptet. Woran sich die Auszeichnung im Selbstverständnis bemißt, ist bis jetzt durch die Angaben, daß es sich bei einem als

287 288 289 290 291

A 190/B 235 A 181/B 2 2 3 f . TP, Ak VIII, 2 8 2 PROL, Ak IV, 3 1 3 ; vgl. KPV, Ak V, 146 u. EAD, Ak VIII, 3 3 5 Zu den genannten einzelnen Aspekten in der V e r w e n d u n g s w e i s e der A u s d r u c k e des Zielens vgl. weiter in verschiedenen Kontexten: A 5 4 8 / B 576; A 5 9 1 / B 6 1 9 ; A 6 1 0 / B 6 3 8 ; A 6 4 4 / B 6 7 2 ; A 7 9 6 / B 8 2 4 ; KPV, Ak V, 109; MDS, Ak VI, 4 4 6 ; 1AG. Ak VIII. 19; ZEF, Ak VIII, 3 8 6

206

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

Erfahrung a u s g e z e i c h n e t e n V o r s t e l l e n um ein für ein 'Ich j e d e r z e i t ' u n d 'für j e d e r m a n n ' g ü l t i g e s handeln s o l l , erst angedeutet. Im Erfahrungsurteil, d a s durch d a s b e h a u p t e n d e 'ist' e i n objektiv g ü l t i g e s ist, ist, d e n erläuterten Sinn v o n ' Z i e l ' und ' Z i e l e n ' w e i t e r heranziehend, ein G e l i n g e n d e s V e r s u c h s im E i n h o l e n d e s in der R e f l e x i o n projektierten G e g e n s t a n d e s selbst beansprucht. N a c h der o b e n a n g e führten F o r m u l i e r u n g s e i n e s G e l t u n g s a n s p r u c h s - „Ich w i l l also, d a ß ich j e d e r z e i t und auch j e d e r m a n n ... " 2 9 2 - ist in B e t o n u n g d e s Erfahrungsurteils als d e s V o l l z u g s e i n e s B e s t r e b e n s dann z u sagen: Es will wahr sein. E n t s p r e c h e n d z u m G e l i n g e n in d e m e i n e n Fall ist im anderen ein M i ß l i n g e n z u s e h e n und ein unerfülltes s c h e i terndes W o l l e n . Es steht nach d e m G e s a g t e n transzendentale R e f l e x i o n in ihrem A b s e h e n a u f den G e g e n s t a n d selbst im V o l l z u g einer s e l b s t b e s t i m m t e n Tätigkeit, w o r i n G e l i n g e n im wahren Urteil und M i ß l i n g e n im f a l s c h e n m ö g l i c h ist. 2 9 3 E n t g e g e n d i e s e r Alternative p r o b e w e i s e e i n i m m e r s t a t t f i n d e n d e s V e r f e h l e n a n g e s e t z t , s o daß die G e d a n k e n e i n e s G e g e n s t a n d e s selbst und einer o b j e k t i v e n

292 293

PROL, Ak IV, 299 Auf objektive Gültigkeit als die „Wahrheitsift#ere/jz" zwischen wahren und falschen empirischen Urteilen umfassend, hat gegenüber Interpreten, die wie Felix Grayeff (1951, S. 149f.) objektive Gültigkeit mit empirischer Wahrheit identifizieren, Gerold Prauss (1971, bes. S. 86ff.) hingewiesen. Zum Verhältnis der durch Kategorien gesicherten transzendentalen Wahrheit zur empirischen Wahrheit heißt es bei ihm: „Für Wahrheit und fllr Falschheit der empirischen Urteile sind die Kategorien ... nur die notwendigen, fllr ihre objektive Gültigkeit, ihre objektive Wahrheitsdifferenz dagegen die hinreichenden Bedingungen. Einem jeden empirischen Urteil wie 'Dies ist ein Stein' liegen deshalb als solchem, das heißt, gleichviel ob es wahr oder falsch ist, nach Kant reine Verstandesbegriffe zugrunde, die ihm jeweils den Bezug auf ein Objekt überhaupt vermitteln und damit den Sinn verleihen, der es allererst zu dem macht, was wahr oder falsch sein kann, nämlich zu einem Urteil." (S. 87) Unter der materialen Hinsicht auf die empirische Wahrheit der Urteile, unter der, so bei Kant, „ein hinreichendes, und zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmöglich angegeben werden" (A 59/B 83) kann, geht der Urteilende mit seinem Urteil ein beständiges „Wahrheitsrisiko" (S. 76) ein, das nie letztlich aufzuheben ist und etwa durch als nicht mehr korrekturfähig erkannte empirische Urteile ausgeschaltet sein könnte. - Zur Diskussion Uber Prauss' Auffassung zur objektiven Gültigkeit und zur Wahrheitsdifferenz vgl. die abweichenden Positionen von Stuhlmann-Laeisz (1976, S. 49ff.) und Schönrich (1981, S. 39ff.) und die verteidigende von Becker (1984, S. 48f. u. S. 60f.). Mit dem Begriff der „Wahrheitsintention" (1971, S. 90) ist bei Prauss seine später (1990, bes. S. 217-241) entfaltete Theorie der Intentionalität vorbereitet, worin der Begriff der Absicht den folgenden Bestimmungen gemäß wahrheitstheoretisch nutzbar gemacht ist: „Eine Absicht oder Intention ist etwas dann und nur dann, wenn es entweder gelingt oder mißlingt, erfolgreich ist oder erfolglos und mithin Erfolg hat oder Mißerfolg, so daß auch noch das Umgekehrte gilt: Ein Erfolg oder ein Mißerfolg ist etwas dann und nur dann, wenn es einer Absicht oder Intention entspringt." (S. 218) „Eine Intention ergeht stets als Er/olgsintention und entsprechend nie als Mi/ier/o/gsintention. Denn so sehr auch jeder Mißerfolg stets derjenige einer Intention ist, so gewiß kann er gerade dies, nämlich ein Mißerfolg, doch niemals sein als dasjenige, was sie intendiert-erzielte, sondern immer nur als etwas, das ihr unintendiert-unterläuft." (S. 221) Übertragen auf die Wahrheitsdifferenz, ist Erfolg hier als Wahrheit und Mißerfolg als Falschheit aufzufassen, wobei die „auffällige Ungleichmäßigkeit" der Glieder in dieser Differenz eben darauf beruht, daß eine die Form der Behauptung verlangende Erkenntnis „etwas als wahr und nur als Wahres hinzustellen" in der Lage ist, aufgrund unmöglicher, weil „Selbstauflösung" von Subjektivität bedeutender Mißerfolgsintention nicht also als ein Falsches, obwohl es „auch falsch sein kann" (S. 227).

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

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Gültigkeit insgesamt aufzugeben wären, könnte in der Konsequenz ein durch ein 'ist' dennoch auf einen Gegenstand zielendes Urteil nicht einmal falsch genannt werden, denn bei ganz ausgeschlossener Möglichkeit zur Wahrheit wäre es nur noch als sinnlos zu bezeichnen. Den Gedanken eines Gegenstandes selbst aufzugeben - wogegen aber mit Kant noch der Grund seiner Unabweisbarkeit und Notwendigkeit anzugeben sein wird - bedeutete also, auch den Gedanken aufzugeben, daß ein Urteil falsch sein kann. Anders ausgedrückt, setzt die Möglichkeit eines falschen Urteils auch die prinzipielle Möglichkeit eines wahren voraus.294 Nach Kants Auffassung ist das falsche Urteil kein sinnloses; bei unabweisbarem, im (noch näher zu erläuternden) Selbstverständnis des Subjekts notwendig begründetem Richtungnehmen auf einen Gegenstand selbst und bei prinzipieller Wahrheitsmöglichkeit erzielt das falsche Urteil zwar in seinem Fall diesen Gegenstand nicht, ist aber objektiv gültig und sagt etwas, „was wohl von andern Gegenständen gelten könnte" 295 . Das läßt sich auch so ausdrücken, daß das falsche Urteil nicht aus dem Rahmen möglicher Erfahrung fällt und die Kategorienanwendung in ihm trotz seiner speziellen empirischen Falschheit doch prinzipiell legitim ist. Wieder anders formuliert, verletzt das falsche empirische Urteil nicht die Bedingungen transzendentaler Wahrheit: „In dem Ganzen aller möglichen Erfahrung liegen aber alle unsere Erkenntnisse", auch die nicht sinnlosen falschen Urteile, „und in der allgemeinen Beziehung auf dieselbe besteht die transcendentale Wahrheit, die vor aller empirischen" - als dem allein angestrebten, aber zu verfehlen möglichen einen Fall in der empirischen Wahr-falsch-Alternative - „vorhergeht und sie möglich macht" 296 . Das Zielen des 'ist' im Erfahrungsurteil ist nach dem Gesagten in keinem der Fälle sinnlos, sondern prinzipiell sinnvoll und mit ihm die Anwendung der Kategorien, die zu einem in ihm zentrierten Erfahrungsurteil als formale Bedingungen transzendentaler Wahrheit mit der dadurch eröffneten Möglichkeit zu empirischer Wahrheit oder Falschheit zusammenwirken. Insofern zu einem im Verhältniswort 'ist' zentrierten, immer wahr sein wollenden Erfahrungsurteil zusammenwirkend, ist den Kategorien mit dem damit angezielten Gegenstand selbst auch ihr Ziel angewiesen. Transzendentale Apperzeption in einer den Aspekt der Absichtlichkeit einschließenden Spontaneität als Ausgangspunkt eines in Erfahrungsurteilen auf einen existierenden Gegenstand selbst gehenden Zielens genommen, haben die das 'Überhaupt' eines solchen Gegenstandes spezifizierenden Kategorien, die in ihrer Verschiedenheit aufeinander bezogen das Urteil als ein gemeinsames Produkt zustandebringen und nur zum Ziel (Zweck) seiner objektiven Gültigkeit zusammenwirken, dem entwickelten rationalen Begriff des Lebens gemäß in transzen-

294 295 2%

vgl. zur unauflösbaren Wechselseitigkeit von 'wahr' und 'falsch' Becker (1984, S. 78). A 58/B 83 A 146/B 185

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3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

dentaler Apperzeption ihren „Geburtsort". Insofern auch das 'ist' im Urteil nicht isoliert als solches, sondern nur als Zentrum des Zusammenwirkens der kategorialen Formen auf einen existierenden Gegenstand zielen kann, ist durch diese Kategorien vorgeschrieben, zu welchen Formen sich gegebene Erkenntnisse (bisher: Wahrnehmungen) qualifizieren müssen, um als auf Gegenstände selbst bezogen angesehen werden zu können. Als die allgemeine Struktur allen Abzielens auf einen Gegenstand selbst vermittels des 'ist' im Erfahrungsurteil vorgebend, liegt in der Anwendung der Kategorien als solcher Wahrheit, d.i. transzendentale Wahrheit als empirische Wahrheit ermöglichend, wenn die Anwendung auf dasjenige in Raum und Zeit und also auf mögliche Erfahrung geht (wodurch auch noch ihre Schematisierung wichtig wird). Doch auch empirische Falschheit ist durch sie ermöglicht, insofern durch die allgemeine Struktur nicht hinreichend verbürgt ist, daß die in die kategorialen Formen eingesetzten empirischen Begriffe in einem bestimmten Erfahrungsurteil dieses auch empirisch wahr sein lassen. Empirische Wahrheit ist durch die Kategorien bei auch möglicher empirischer Falschheit nur als der eine Fall ermöglicht. Auf ein Beispiel für ein Erfahrungsurteil angewandt - also etwa: 'Dieser Stein ist moosbewachsen' -, betrifft das Gesagte das Verhältnis zwischen der kategorialen Substanz-Akzidens-Relation als einer transzendentalen Bedingung, unter der durch ein 'ist' im Urteil auf einen Gegenstand selbst gezielt werden kann, und der Einsetzung der empirischen Begriffe des Steins und des Moosbewachsenen in die kategoriale Form, wodurch empirische Wahrheit sowie empirische Falschheit möglich werden. Empirische Falschheit - was aber nicht die Falschheit in Anwendung etwa des formalen Substanzbegriffs bedeutet - liegt z.B. dann vor, wenn der Gegenstand nicht als Stein, sondern etwa als ein Stück Holz beurteilt werden müßte. Ersichtlich könnte das falsche Urteil aber, wie angeführt, „wohl von anderen Gegenständen gelten"297. Das empirisch falsche Urteil ist, zusammengefaßt, sinnvoll, objektiv gültig und genügt den Bedingungen transzendentaler Wahrheit. Entgegen dem oben probeweise angenommenen ständigen Verfehlen des Gegenstandes in einem dann insgesamt nicht falschen, sondern sinnlosen Urteilen ein immer stattfindendes Treffen und Übereinstimmen unterstellt, könnte entsprechend ein Erfahrungsurteil nicht eigentlich für wahr gelten. Bei fehlender Möglichkeit zu einem falschen Urteil, wodurch der Sinn des doch nur von diesem abgehobenen wahren Urteils fraglich wird, wäre allenfalls von einem selbstlaufend reibungslosen, zu keiner Abweichung fähigen Funktionieren im Urteilen, d.i. kein Urteilen im Verständnis Kants, zu sprechen. Dieses stellte dann kein Gelingen mehr dar, und es wäre auch ganz überflüssig, daß es zu ohnehin sich einstellender Übereinstimmung mit dem Gegenstand noch mit einem Anspruch aufträte („Ich will also, daß ... "). Abweichend davon also, womit gar kein Urteilen vorläge, stellt sich nach

297

A 5 8 / B 83

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

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Kant die Wahrheit eines Erfahrungsurteils nicht von selbst ein. Erfahrung muß gemacht werden. Als Urteilende sind wir bei den in der Urteilsdefinition angesprochenen gegebenen Erkenntnissen als Wahrnehmungen „noch ganz frei, wie wir die Sache daraus beurtheilen wollen"298. Daß wir eine Sache, den Gegenstand selbst, daraus beurteilen wollen, ist hier schon vorausgesetzt. Bei solcher Freiheit (wodurch Kant den sonstigen technischen Ausdruck 'Spontaneität' auf eine aussichtsreiche Weise übersetzt) daraufhin, wie die Sache aus Wahrnehmungen zu beurteilen ist, ist die Übereinstimmung mit einem Gegenstand, die mit einem wahren Urteil gemeint ist, eine zu erzielende und eine erst noch zu leistende. Beurteilung als nicht in den gegebenen Erkenntnissen (Wahrnehmungen) befangen, sondern als in freier Stellung dazu,299 verlangt ein ausdrückliches Leisten. Erfordert ist, vor die Alternative wahrer oder falscher Urteile gestellt, ein Stellungnehmen zu den gegebenen Erkenntnissen, das also einen entweder gelingenden oder mißlingenden Ausgang haben kann. Die zuletzt zur Erörterung des Urteilshandelns herangezogenen Begriffe - Freiheit (im Beurteilen-Wollen), Erzielen, Leisten, Gelingen, Mißlingen - haben erkennbar eine auf den gesamten Bereich von Praxis ausdehnbare Anwendung. Vor der Wiederaufnahme dieser Andeutung soll nun aber zunächst die zur Urteilspraxis hinsichtlich objektiv gültiger Erkenntnis erforderliche Handlung weiter verfolgt werden. Das ist die Reflexionshandlung, die in Hinsicht auf gegebene Erkenntnisse als Wahrnehmungen auf den Gegenstand selbst vermittels einer auszeichnenden Unterscheidung im Selbstverständnis des Vorstellenden geht. Diese Unterscheidung ist die zwischen der subjektiven und objektiven Einheit des Bewußtseins gegebener Vorstellungen300 oder auch, anders ausgedrückt, die Unterscheidung in der Zuordnung der Vorstellungen zu einem bloßen Ich der Apprehension, d.i. das Ich der Wahrnehmung mit seinem Gegenstand bloß als Vorstellung, und dem Ich der reinen Apperzeption, d.i. das Ich der eigentlichen Erkenntnis eines Gegenstands selbst.30' Ein solcher Gegenstand selbst ist nach Kants Beispiel aus der 'Deduktion' etwa ein empirischer Körper, der als solcher existiert und schwer /sí302, ohne aber dadurch ein Ding an sich zu sein, wie aus der alleinigen Zuschreibungsmöglichkeit seines Selbst aus einer Überlegung (Reflexion) des Subjekts hervorgeht, in der dieses sich selbst und sein Vorstellen thematisiert, um im ausgezeichneten Fall seines Sich-selbst-Verstehens dem Gegenstand sein Selbst zuzuschreiben. Denn wir haben, so Kant in Abwehr eines Dinges an sich, „außer

298 299

300 301 302

PROL, Ak IV, 290 Unter dem programmatischen Titel 'Wahrheit als Freiheit' stellt auch Josef Simon (1978) bei Kant heraus, daß hier zur Begründung des „Begriffs von Objektivität als des Korrelats der Bestimmtheit von etwas im Urteil" die „Denknotwendigkeit" von „Freiheit" besteht (S. 199). vgl. Β 139 u. Β 141 vgl. zu dieser Unterscheidung im Ich-Begriff ANTH. Ak VII, 134 Anm. vgl. Β 142

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unserer Erkenntniß doch nichts ... , welches wir dieser Erkenntniß als correspondirend gegenüber setzen könnten"303. Demnach ist der Gegenstand selbst in einem in der Erkenntnis durch eine differenzsetzende Reflexion gesetzten korrespondierenden Gegenüber. Insofern korrespondierend, redet man von einem „mithin auch davon [von der Erkenntnis] unterschiedenen Gegenstande"304. Zur näheren Bestimmung dessen, was in der Reflexion unterschieden werden soll, nämlich subjektive und objektive Einheit des Bewußtseins, und damit zugleich zur näheren Bestimmung dessen, was 'Gegenstand selbst' heißt, ist noch einmal an der noch nicht zulänglich behandelten und eben jener subjektiven Einheit des Bewußtseins zuzuordnenden Wahrnehmung anzusetzen. Diese wurde schon als eine bewußte Vorstellung bezeichnet. Vorstellung verlangt einen Vorstellenden, hier also den Wahrnehmenden, und sein Vorgestelltes, das Wahrgenommene, und gemäß Kants allgemeiner Bestimmung von Bewußtsein, nämlich daß „Bewußtsein eine Vorstellung" davon ist, „daß eine andere Vorstellung in mir ist"305, ist dem Wahrnehmenden im Wahrnehmen auch reflexiv ein Bewußtsein von sich selbst zuzuschreiben. Dieses Bewußtsein von sich selbst, das angeführte Ich der Apprehension, ist das empirische Selbstbewußtsein eines im Wahrnehmen einzeln privaten Subjekts, wie es durch seinen Namen angegeben werden kann. An dieser Stelle die exklusive Zuordnung von objektiver Einheit des Bewußtseins und Gegenstand selbst in Betracht ziehend, wird dem privaten Subjekt prinzipiell die als Erfahrung auszuzeichnende Vorstellung eines Gegenstandes selbst abgesprochen werden müssen - und das, obwohl es nach dem Gesagten ein Bewußtsein davon hat, daß eine andere Vorstellung in ihm ist und man dieses andere, wie gesehen, schon in gewisser Weise Objekt nennen kann. Die auf eine Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Einheit des Bewußtseins und mit der letzteren (als dem bevorzugten Glied der Unterscheidung) auf einen Gegenstand selbst zielende Reflexion (wozu der Ausdruck eines beanspruchten Erreichens des Ziels und also des Gelingens der Reflexion das 'ist' im Urteil ist) wird demnach auf ein nichtprivates Selbstverständnis, d.h auf eine nicht bloß subjektive Subjektivität zielen müssen (objektive Einheit der Apperzeption). Indem dieses Ziel bei einer unverändert vorliegenden gegebenen Erkenntnis als Wahrnehmung, die als solche und von sich her kein Merkmal zur gesuchten Auszeichnung zur Erfahrung hergeben kann, so gesteckt ist, daß es im Rückgang auf ein über das private Subjekt hinaus erweitertes Selbstverständnis erreicht werden muß, liegt im Entwurf dieses Ziels prinzipiell der Entwurf noch anderer Subjekte. Auf andere Art kann Erweiterung, die keine in Hinsicht auf vorgestellte Inhalte ist, nicht gedacht werden. Der inneren, spontanen, auf einen

303 304 305

A 104 ebd. LOG, Ak IX, 33; Hervorh. Vf.

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Gegenstand selbst gehenden Reflexion ist ineins damit die apriorische Antizipation anderer Subjekte zuzuschreiben, die an der Verhandlung des Wahr-falsch-Themas unter dem Titel objektiver Gültigkeit beteiligt sind. Als das Ziel der Reflexion kann demnach auch die Vergemeinschaftung des Vorstellens angegeben werden. Der dieses Ziel bezeichnende Gedanke ist der auf gegebene Erkenntnisse hin angewandte Gedanke einer Allgemeingültigkeit für jedermann. In an dieser Stelle bereits ausreichend legitimierten lebensbegrifflichen Ausdrücken kann das Urteilsleben des Subjekts von hierher auch als ein Gemeinschaftsleben bezeichnet werden, das, so in Anwendung der Ergebnisse zur Wahrheitsproblematik, im Rahmen möglicher Erfahrung und auf der Basis transzendentaler Wahrheit ein gelingendes in wahren empirischen Urteilen und ein mißlingendes in falschen sein kann. Zwar kann als Punkt der Reflexion auch die Frage angegeben werden, ob das Apprehendieren in einem Fall beliebig sein mag (Kants Beispiel für einen solchen Fall ist das Wahrnehmen eines Hauses von unten nach oben, wobei diese Sukzession nicht im Haus anzusetzen, sondern der subjektiven Einheit des Bewußtseins zuzuschreiben ist306) oder ob es im anderen Fall „unter einer Regel steht, welche ... eine Art der Verbindung des Mannigfaltigen nothwendig macht"307; im Beispiel für den letzten Fall - das den Strom hinabtreibende Schiff 08 - ist das Resultat der Reflexion, daß „ich die Apprehension nicht anders anstellen könne, als gerade in dieser Folge"309. Doch die Berufung allein auf den Zwangscharakter des Vorstellens, der ohne die Antizipation anderer Subjekte auch noch nur als Nötigung eines privaten Subjekts angesehen werden kann, worin also seine Wahrnehmungssphäre nach seinen privaten Zwangsvorstellungen geregelt wäre, ist zur Bestimmung eines durch Reflexion zu erzielenden Objekts selbst nicht hinreichend und bedarf der Ergänzung. Dieser ergänzende Orientierungspunkt in der Reflexion ist dadurch anzugeben, daß zu objektiver Einheit der Apperzeption das Vorstellen als „nothwendig und allgemein geltend43,0 betrachtet werden muß. Mit dem Begriff der allgemeinen Geltung ist die Beziehung unter Erkenntnissubjekten thematisch.311 In Erläuterung der zur Berechtigung von Objektivitätsansprüchen gesuch-

306 307 308 309 310 311

vgl. A 192f./B237f. A 191/B 236; Hervorh. Vf. A 192/B 237 A 193/B 238 Β 140; Hervorh. Vf. Der in Kants 'Deduktion' zuweilen vermißte Intersubjektivitätsaspekt, so z.B. bei Thomas J. Nenon (1981, S. 177), ist ein Implikat des Geltungsbegriffs und somit darin in der Tat an zentraler Stelle vorhanden. Rudolf Luthe (1981) stellt mit dem Blick auf sprachanalytische Ansätze fest, die sich gegenüber dem transzendentalen und seinem angeblichen Solipsismus zugute halten, mit der Sprache schon einen sozialen Anfang zu nehmen: Transzendentalphilosophie ist „eine Theorie der Geltung theoretischer Urteile. Mit der Geltungsproblematik aber ist in die Grundlegung selbst die geforderte Dimension der Sozialität mit hineingenommen, weil eine 'Privatgeltung' von Erkenntnisurteilen ebenso sinnlos ist wie eine 'Privatsprache'" (S. 1082). - Einen ausdrücklich sozialen

212

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ten Notwendigkeit ist deshalb der Formulierung, daß „ich ... nicht anders ... könne"312, die vorzuziehen, wonach in der Reflexion „eine Regel" bestätigt sein muß, die, pluralisch gesprochen, „uns nöthigt, diese Ordnung der Wahrnehmungen vielmehr als eine andere zu beobachten"313. Das auf seine Wahrnehmungen hin zur Bestimmung eines Objekts selbst reflektierende Subjekt, das allein aufgrund der Möglichkeit der Stellungnahme zu sich als privatem Subjekt nicht schlicht privates Subjekt ist, muß in der Antizipation alle möglichen Subjekte an die Stelle seines Wahrnehmens setzen, um diese im Erfolgsfall als ebenso wahrnehmen müssend zu beurteilen, woraufhin es den anfänglichen Gegenstand seiner Wahrnehmung als einen in einem Erfahrungsurteil erzielten Gegenstand selbst ansieht. So bedeutet denn auch die durch das 'ist' im Urteil beanspruchte „objective Gültigkeit des Erfahrungsurtheils nichts anders, als die nothwendige Allgemeingültigkeit desselben"314. Für den Fall, daß „wir Ursache finden, ein Urtheil für nothwendig allgemeingültig zu halten", d.h. für jedermann gültig - was nach Kant „niemals auf der Wahrnehmung" als solcher beruhen kann, die unverändert vorliegt, ohne daß sie ein Merkmal aufwiese, das auch nur ein Ursache-Suchen für Allgemeingültigkeit verlangte, „sondern [auf] dem reinen Verstandesbegriffe beruht" - , „müssen wir es auch für objectiv halten, d.i. daß es nicht blos eine Beziehung der Wahrnehmung auf ein [privates] Subject, sondern eine Beschaffenheit des Gegenstandes ausdrücke"315. Wenn also in der Reflexion das durch den Gedanken einer Gültigkeit für jedermann gesteckte Ziel als erzielt angesehen wird und aufgrund dessen Vorstellungen als Vorstellungen von einem Gegenstand selbst beansprucht sind, dann läßt sich von diesem Gegenstand selbst das Unterscheidende hinsichtlich eines Gegenstandes bloß als Vorstellung sagen, daß er als Gegenstand einer gemeinsamen Welt betrachtet ist. Dies mit der ausdrücklichen Forderung verbunden, daß durch Erfahrungsurteile ein Gegenstand selbst erzielt werden soll, ist die Einheit des Zwecks der Objektivität nun auch als

312 313 314 3,5

Gehalt spricht auch Michel Canivet (1977) der 'Transzendentalen Deduktion' zu. Er versteht, neben anderem den Geltungsgedanken heranziehend, Kategorien als ursprüngliche Formen öffentlichen Vernunftgebrauchs (vgl. S. 65), entsprechend Verstand als das Vermögen der Subjekte, einander a priori zu verstehen (vgl. S. 69). Seine im einzelnen auf die 'Deduktion' eingehende Abhandlung kann als Ausführung der älteren These Max Adlers (1924, S. 460) angesehen werden, wonach Kant „schon auf dem theoretischen Gebiete einen sozialen Stoff behandelt" und „eine kritische Philosophie des sozialen Bewußtseins" (S. 461) bietet; ähnlich äußert sich George Schräder (1981, S. 380). - Den Zusammenhang zwischen Geltung und Intersubjektivität heben auch Ralf Meerbote (1972, S. 54) und Wolfgang Becker (1989, S. 161) hervor. Becker stellt darüberhinaus fest, was hier zur Unterstützung der oben betonten besonderen Bedeutung der Kategorie des Daseins angeführt werden soll, insofern diese nun vermittels des Geltungsgedankens in eine Beziehung zu Intersubjektivität gesetzt werden kann, daß vorzüglich „in assertorischen Urteilen ... die Kopula diesen an Wahrheit und objektiver Gültigkeit orientierten Wert" (ebd.) hat. A 193/B 238 A 196/B 242; Hervorh. Vf. PROL, Ak IV, 298; Hervorh. Vf. ebd.

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die Einheit des Zwecks der Intersubjektivität oder als die des Zwecks einer gemeinsamen Welt anzusprechen. Die Antizipation anderer Subjekte, herausgestellt also als Erfordernis des Erfahrungsgebrauchs der Vernunft, bezeichnet Kant ansonsten auch als „Maxime" der „erweiterten ... Denkungsart"316 oder der „liberalen ... Denkungsart"317; „das Gegenteil von erweitert" ist „bornirt"318. Das Erfordernis dieser Denkungsart ist nicht auf die spezielle reflektierende Urteilskraft im Kontext der hier herangezogenen dritten Kritik zu restringieren. Die Maximen dieser Denkungsart gehören „nicht hieher, als Theile der Geschmackskritik", sondern dienen nur „zur Erläuterung ihrer Grundsätze"319, speziell zur Erläuterung des hier thematischen Gemeinsinns, d.i. ein unter kritische Restriktionen zu stellendes, weil auf der Ebene bildhafter Vorstellungen als solcher gemeinschaftsbildendes Vorstellungsvermögen. Zwar zur Erläuterung dieser speziellen Vergemeinschaftung des Vorstellens geeignet, aber doch nicht hierher gehörig - das heißt: von anderer ursprünglicher Anwendung - , ist diese auf andere hin erweiterte Denkungsart als originär für diejenige Reflexion in Betracht zu ziehen, die die Reflexion der ersten Kritik ist, d.i. die zu bestimmender Urteilskraft erforderliche Reflexion. So ist denn auch in der dritten Kritik diese Denkungsart ganz im allgemeinen als dazu erforderlich bezeichnet, um „vom Vermögen des Erkenntnisses" „einen zweckmäßigen Gebrauch ... zu machen"320. Unter die Bedingung der im erläuterten Sinn erweiterten Denkungsart gestellt, kann der Gebrauch des Vermögens der Erkenntnis, worin also Erkenntnismöglichkeit, und zwar auf einen Gegenstand selbst hin, realisiert wird, nur dann seinen Zweck erfüllen, wenn ein Erkenntnissubjekt sich in diesem Gebrauch in eine Beziehung auf andere Erkenntnissubjekte setzt. Die Erklärungen zur Reflexion gemäß der Maxime liberaler Denkungsart können nun also als Erklärungen zu den Erfordernissen einer sich auf Wahrnehmungen mit dem Ziel der Bestimmung eines Gegenstandes selbst richtenden Reflexion genommen werden. Es ist insbesondere zu solcher Reflexion erforderlich, daß man sich von in Wahrnehmungen als solchen liegenden „subjektiven Privatbedingungen" absetzt, von den „Beschränkungen, die unserer eigenen Beurteilung anhängen, abstrahiert" und sein Urteil „an anderer ... mögliche Urtheile hält"321. Der angestrebte Fall einer Beurteilung, worin in der antizipierenden Reflexion Übereinstimmung fiir notwendig erachtet wird, führt dann zu einem Anspruch auf Gültigkeit für jedermann.

316 317 318 319 320 321

KDU, Ak V, 294 A NTH, Ak VII, 228f. KDU, Ak V, 295 KDU, Ak V, 294; Hervorh. Vf. KDU, Ak V, 295 KDU, Ak V, 294

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Um vom Gesagten aufzugreifen, daß die Antizipation anderer Erkenntnissubjekte auf einer Maxime beruht, soll einmal nach der näheren Bestimmung von Maximen gefragt sein. Maximen sind nach Kant „subjective Grundsätze, die nicht von der Beschaffenheit des Objects, sondern dem Interesse der Vernunft in Ansehung einer gewissen möglichen Vollkommenheit der Erkenntniß dieses Objects hergenommen sind"322. Von der Beschaffenheit des Objekts, die im speziellen Kontext der in der 'Deduktion' behandelten Thematik zunächst als die Beschaffenheit der gegebenen Erkenntnis als Wahrnehmung zu nehmen ist, ist der Grundsatz nicht herzunehmen, daß ein Objekt selbst vermittels einer in der Antizipation an anderen orientierten Reflexion erzielt werden soll. Als erster Aspekt einer „Vollkommenheit der Erkenntnis" - angesprochen als in der Absicht einer Maxime und also im Interesse der Vernunft liegend - wird anzusetzen sein, es überhaupt mit einem Objekt selbst einer gemeinsamen Erfahrungswelt zu tun zu haben. Nicht nur wie zuletzt über vermittelnde Schritte ist der ansonsten scheinbar auf ein isoliertes Feld praktischen Vernunftgebrauchs restringierte Begriff der Maxime (diesen Gebrauch inklusive einer elaborierten Wissenschaftspraxis mit regulativen Ideen als Maximen genommen) bei Kant in seiner Anwendung auf das ursprüngliche Erzielen eines Gegenstandes der Erfahrung nachzuweisen. So spricht er direkt von den Kategorien, d.h. von den Formen, die im Erfahrungsurteil vermittels des 'ist' auf den Gegenstand selbst einer gemeinsamen Welt gehen, als „Maximen des Vernunfterkenntnisses der Natur"323. Von den Kategorien heißt es , daß sie „uns zum Gebrauche des Verstandes in Ansehung der Erfahrung ... etwas nutzen", und zwar abgesetzt von den „Vernunftideen", die „in Ansehung desselben völlig entbehrlich"324 sind. Von dem angesprochenen Nutzen der Kategorien wird der etwaige relative Nutzen von Vernunftideen als heuristischen Prinzipien unterschieden sein müssen. Der Zweck, zu dem die Kategorien vor aller elaborierten Wissenschaft das nützliche Mittel sind, ist als der Gegenstand selbst einer gemeinsamen Erfahrungswelt anzugeben. Ein solcher Gegenstand liegt im Entwurf der angeführten Reflexion, die dann bestrebt ist, dem Entwurf vermittels eines Erfahrungsurteils realisierend nachzukommen. Die Rede von Kategorien als Maximen des Vernunfterkenntnisses der Natur läßt in Anknüpfung an den, wie gesehen, auch gemäß der Kritik der reinen Vernunft fur Maximen konstitutiven Interessebegriff und in Verfolgung der Fortentwicklungen Kants zu dieser Thematik erweiterte Betrachtungen zu, die sich dann aufschlußreich zurückbeziehen lassen auf die erste Kritik. Diese Weiterungen anzubringen, wird zwar über das Selbstverständnis Kants hinausgehen; das aber ist

322 323 324

A 666/B 694 PROL, Ak IV, 331 ebd.

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von ihm selbst auf der Basis der „Vergleichung der Gedanken, welche ein Verfasser über seinen Gegenstand äußert", als der Versuch des Besser-Verstehens zugestanden und für „gar nichts Ungewöhnliches" 325 angesehen. In der Kritik der praktischen Vernunft heißt es ganz in Übereinstimmung mit der ersten Kritik zum einen: „Auf dem Begriffe eines Interesse gründet sich auch der einer Maxime", und zum anderen: „Interesse" bedeutet „eine Triebfeder des Willens" 326 . In interessierter Einstellung, so dann die Kritik der Urteilskraft, ist „uns... an der Existenz der Sache irgend etwas gelegen", d.h. in ihr besteht „immer zugleich Beziehung auf das Begehrungsvermögen" 32 '. Zugleich wird hier Interesse „das Wohlgefallen genannt, was wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden" 328 : Alles Interesse besteht in der Lust an der Existenz des Gegenstandes 329 . Des weiteren sind Gegenstände, vorgestellt in interessierter Einstellung, vorgestellt als bezogen auf ein bedürftiges Subjekt in seinem Absehen auf Befriedigung des Bedürfnisses: „Alles Interesse setzt Bedürfiiiß voraus, oder bringt eines hervor" 330 . Gegenstände sind in dieser Einstellung so anvisiert, wie sie um der Befriedigung des Bedürfnisses willen sein sollen. Dies alles zurückgewandt auf das Erfahrungsurteil, das auf objektive Einheit der Apperzeption und damit auf einen Gegenstand selbst einer gemeinsamen Welt zielt, wozu als Maximen verstandene Kategorien zusammenwirken, ist dieses Urteil in forcierter Deutung nicht als in einem absichtslos blinden, sich schlicht vollziehenden Zielen stehend anzusprechen, sondern als in einem auf das Begehrungsvermögen bezogenen. Das Subjekt schon des Erfahrungsgebrauchs der Vernunft ist damit - in der Reflexion an allgemeingültigen Maximen orientiert und sein Urteil an anderer mögliche Urteile haltend - nicht länger bloß als theoretisches Subjekt in der strikten Abtrennung von seinem praktischen Selbstverständnis zu betrachten.331 Des weiteren ist dieses Subjekt eines interessierten Zielens auf Erfahrung als ein bedürftiges zu kennzeichnen, dem in seinem Absehen auf die Befriedigung seines Bedürfnisses an der Existenz des Gegenstandes selbst einer gemeinsamen Welt etwas gelegen ist. Es bestätigt sich von der Einbindung des Er-

325

A314/B370 KP Κ Ak V, 79 327 KDU, Ak V, 204 328 ebd. 329 vgl. KDU, Ak V, 296 ™ KDU, Ak V , 2 1 0 331 In Anknüpfung an Bruno Bauch weist Gerhard Funke (1974) d a r a u f h i n , daß die Anbindung theoretischer Gesetzlichkeit an praktisches Selbstverständnis deren Wissenschaftscharakter nicht gefährdet (S. 47): „Der theoretischen Vernunft bleibt Objektivität' auch dann erhalten, wenn ihre Leistung (nämlich 'objektive Erkenntnis') mit dem Zweckbegriff in Verbindung gebracht wird. Das ist möglich, wenn die Zwecke nicht auf persönliche Willkür und nicht auf subjektive Interessiertheit [gemeint ist die ρπνα/subjektive] bezogen werden, sondern wenn 'Zweck' selbst soviel wie 'objektives Vemunftgesetz' meint ..."; es fällt „Erkenntnis selbst (mit ihrem objektiven Erkenntniszweck) ... in den Bereich des Zweckhaften Uberhaupt". 326

216

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

fahrungsurteils in einen solchen Kontext her, daß ein erzieltes objektiv gültiges und wahres Erfahrungsurteil ein Gelingen darstellt - mit einem sogar auf eine rationale Lust hin gegebenen Ausblick. Dagegen steht das Mißlingen des objektiv gültigen und falschen Urteils, das zugleich ein Verfehlen der gemeinsamen Welt darstellt. In Verwendung eines akzentuiert lebensbegrifflichen Ausdrucks kann auch von der Steigerung des Vorstellens vermittels des Erfahrungsurteils gesprochen werden, welche - insofern durch innere spontane Handlung erzeugt und durch keine als solche indifferente Wahrnehmung verlangt - Selbststeigerung ist.332 Bevor mit dieser Steigerung abschließend noch ein akzentuiert moralischpraktischer Sinn verbunden und damit Kants Rede von der Dignität der Beziehung des Vorstellens auf den Gegenstand selbst eine buchstäbliche Auslegung gegeben werden kann, soll zunächst noch einmal ein Schritt zurück zur Wahrnehmung getan werden. Der Sphäre des Wahrnehmens als solcher nämlich ist, wie angekündigt, noch mehr zuzuschreiben als das, was Synthesis der Einbildungskraft mit ihren genauen und pünktlichen Bildern, diese sogar in ganze Reihen gestellt, zustande bringt. Das Hinzukommende - von Kant erst in den Prolegomena im Ansatz entwickelt und dann in die B-,Deduktion' überfuhrt - ist ein eigentümliches Urteil, d.i. das Wahrnehmungsurteil. In diesem Urteil, das noch kein Erfahrungsurteil ist, ist ein hinzukommender Aspekt hinsichtlich dessen zu sehen, was in der Definition des Erfahrungsurteils unter einer der subjektiven Einheit des Bewußtseins zuzuordnenden gegebenen Erkenntnis zu verstehen ist, die zur objektiven Einheit der Apperzeption und damit zur eigentlichen Erkenntnis erst zu bringen ist. Insofern es überhaupt ein Urteil ist, fungiert hier nicht Einbildungskraft. Diese kann, wie aus dem Vorigen hervorgeht, nur insoweit erste Anwendung des Verstandes genannt werden, als sie in ihrer Synthesis schon mittelbar zum instantan empfindungshaft Einzelnen ist und damit in gewisser Weise die Tendenz zum Begriff aufweist. Als solche aber bleibt Einbildungskraft auf der Stufe von Bildern, also etwa auf der

332

Vor dem Hintergrund der Kantischen Konzeption des Selbstbewußtseins hat über Selbstbewußtsein als Prinzip der Selbsterhaltung und der Selbststeigerung in jüngerer Zeit eine kontroverse Diskussion zwischen Manfred Sommer und Hans Ebeling stattgefunden. A u f der Basis weitgehenden Konsenses hinsichtlich der Statuierung von Selbstbewußtsein als Selbsterhaltungsprinzip, dem nach den bisherigen Ergebnissen dieser Untersuchung beigetreten werden kann, betrifft die Kontroverse vor allem den Punkt der Selbststeigerung. Gegen Manfred Sommer (1977, vgl. S. 216f.), der im Fungieren theoretischer Vernunft das Moment der Selbststeigerung nicht zu entdecken vermag, hebt Hans Ebeling (1979, vgl. S. 146) gerade dieses durch den Verweischarakter theoretischer Vernunft auf praktische Vernunft hervor. Dabei setzt er aber diesen Verweis in eher traditioneller Weise in die Begrenzung theoretischer Vernunft, d.h. in ein durch Begrenzung stattfindendes Platz-Machen für eine andere, praktische Hinsicht. Demgegenüber soll in der weiteren Verfolgung des in der vorliegenden Untersuchung eingeschlagenen Wegs positiv die in theoretischer Vernunft als solcher liegende Praktizitüt und damit die ihr als solcher zukommende Selbststeigerungsfunktion herausgestellt werden. - An weiteren Beiträgen zu diesem Thema sind aus einem von Hans Ebeling ( 1 9 7 6 ) herausgegebenen Sammelband vor allem die von Dieter Henrich und Hans Blumenberg zu nennen.

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

217

des bloß gesehenen Hauses. Zur Bewirkung eines Urteils dagegen wird der Verstand nicht bloß unter dem eingeschränkten Gesichtspunkt einer anfänglich zustande gebrachten Mittelbarkeit involviert sein dürfen, sondern im erweiterten Verständnis eines eigentlich intellektuellen Vermögens fungieren müssen. Für ein Urteil wird verlangt werden, daß wir durch es - wie Kant es dem Wahrnehmungsurteil denn auch zuschreibt - etwas ,ySagen können" 3 ". Den Urteilscharakter des Wahrnehmungsurteils zu betonen, dem ein logisch intellektuelles Selbstverständnis des urteilenden Subjekts (über das eines bloß bildhaft wahrnehmenden hinaus) entsprechen muß, zwingt, danach zu fragen, in welcher Weise hier Begriffe involviert sind. Für ein Urteil ist die Verwendung von Begriffen vorauszusetzen, wobei hier etwa an den empirischen Begriff 'Haus' zu denken ist. Ebenso ist vorauszusetzen, daß die Begriffe im Urteil gemäß logischen Funktionen zu urteilen sind. Darüberhinaus ist zu fragen, insofern es sich mit der Urteilssynthesis doch um fortgesetzte, hier intellektuelle Artikulationsleistung hinsichtlich eines als ursprünglich unartikuliert mannigfaltig zu nehmenden Gegebenen der Anschauung handelt, ob nicht über die Anwendung logischer Funktionen hinaus ausdrücklich die auf diesen beruhenden reinen Verstandesbegriffe, d.h. die formalen Begriffe als Kategorien, in Anwendung sind. Im Fall des etwa in einem Wahrnehmungsurteil vorkommenden Begriffs 'Haus' wäre an die Substanzkategorie zu denken. Falls die Verwendung eines empirischen Begriffs ebenso wie die Anwendung von Kategorien schon im Wahrnehmungsurteil sollten bejaht werden müssen, stellten sich allerdings Probleme. Es wäre nämlich die schon angeführte Definition eines Objekts der eigentlichen Erkenntnis hier schon erfüllt, gemäß der ein solches Objekt das ist, „in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist"334, und insgesamt würde fraglich, wodurch sich ein Erfahrungsurteil noch vom Wahrnehmungsurteil unterscheiden sollte. Als ein weiteres Problem sei hier genannt, daß ein Wahrnehmungsz/rtez/ auch schon dem Gesichtspunkt der Wahrheit oder Falschheit wird unterworfen werden müssen. Im folgenden wird zu zeigen versucht werden, daß dem Wahrnehmungsurteil schon viel von dem in Aussicht Genommenen wird zugesprochen werden können, allerdings nicht das Entscheidende und das das Erfahrungsurteil Auszeichnende, d.i. die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand selbst einer gemeinsamen Erfahrungswelt.

333 334

Β 142; Hervorh. Vf. Β 137

218

3.2. Exkurs: Wahmehmungsurteil

3.2. Exkurs: Wahrnehmungsurteil Das Wahrnehmungsurteil ist gemäß Kants Bestimmung in den Prolegomena „blos Verknüpfung der Wahrnehmungen in meinem Gemtlthszustande, ohne Beziehung auf den Gegenstand"" 5 , d.h. ohne Beziehung auf das Objekt selbst, wie es durch das 'ist' in einem Erfahrungsurteil angezielt und als erzielt behauptet ist. Für das Erfahrungsurteil ist in der B-,Deduktion' ein Beispiel in folgender Formulierung gegeben, die durch das eröffnende Pronomen akzentuiert ausdrückt, daß hier Zuschreibung zu einem Gegenstand selbst stattfindet: „er, der Körper, ist schwer"336. Die gegenübergestellte, schon einmal angeführte Formulierung des dem Erfahrungsurteil entsprechenden Wahrnehmungsurteils kann aufgrund ihrer Mißverständlichkeit allerdings nur zur ersten Orientierung dienen: „wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere"337. Das Wahmehmungsurteil soll nun den über das bloß Bildhafte hinaus erweiterten Sinn dessen hergeben, was als Bestandteil der Definition des Erfahrungsurteil gegebene Erkenntnis heißt, die zur objektiven Einheit der Apperzeption und damit zur eigentlichen Erkenntnis eines Gegenstandes selbst erst zu bringen ist. Zum Mißverständlichen der wiedergegebenen Formulierung des Wahrnehmungsurteils gehört, daß dadurch nahegelegt ist, die hier verwandte hypothetische Urteilsform trage zur Kennzeichnung des Unterschieds vom Erfahrungsurteil bei. Diese aber ist auch eine für Erfahrungsurteile verwendbare Urteilsform. Die Thematisierung dieser Urteilsform also kann zur Kennzeichnung des Unterschieds zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteil vernachlässigt werden. Ebenso ist es zu vermeiden, etwa das im Wahrnehmungsurteil angesprochene Tragen des Körpers für unterscheidend zu halten. Es ist also für das Erfahrungsurteil kein etwaiges Nicht-Tragen und keine etwaige andersartige erfahrungsversichernde Situation als grundlegend zu unterstellen. Der situative Kontext und ebenso der Bestand des erscheinungshaft Gegebenen sind für beide Urteilsarten als dieselben anzusetzen. Die Formulierung des Erfahrungsurteils könnte nach dem Gesagten ebenso beginnen mit: 'Wenn ich einen Körper trage, so ... müßte dann aber fortfahren mit : ' ... erkenne ich, daß er schwer ist'. Die bei voller Wahrung des Unterschieds reduzierteste und daher vorzuziehende Konfrontation beider Urteilsarten findet sich in einer (dann in die Logik übernommenen338) Reflexion Kants, die auch durch ein Beispiel erläutert:

335 336 337 338

PROL, Ak IV, 300 Β 142 ebd. vgl. LOG, Ak IX, 113

3.2. Exkurs: Wahrnehmungsurteil

219

„Ein Urtheil aus bloßen Wahrnehmungen ist nicht wohl möglich als nur dadurch, daß ich meine Vorstellung als Warnehmung aussage. Ich, der ich einen Thurm wahrnehme, nehme an ihm die rothe Farbe wahr. Ich kann aber nicht sagen: er ist roth; denn das wäre nicht blos ein empirisches, sondern auch Erfahrungsurtheil, d.i. ein empirisches Urtheil, dadurch ich einen Begrif vom Object bekomme." 339

Der Unterschied der beiden Urteile ist also in ein Als-Wahrnehmung-Aussagen einerseits und ein Als-Erfahrung-Aussagen andererseits zu setzen. Die Behauptung, daß der Bestand des erscheinungshaft Gegebenen in beiden Fällen derselbe ist, findet sich hier bestätigt. Beiderseits kommen nur die Begriffe 'Turm' und 'rote Farbe' vor, und ein situativer Unterschied hinsichtlich des Urteilenden ist für beide Fälle ebenso nicht zu unterstellen. Die vorliegenden Angaben weiterhin zur Grundlage genommen, ist festzuhalten, daß in beiden Fällen überhaupt geurteilt und ausgesagt wird. Für den Fall von Wahrnehmungsurteilen ist also vorauszusetzen, was in den Prolegomena auch explizit gemacht ist, daß sie nämlich „der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subject" 340 bedürfen. Das Selbstverständnis des Subjekts in Wahrnehmungsurteilen muß demnach das eines logischen, denkenden, insgesamt vermittels Verstand fungierenden Subjekts sein und nicht bloß das eines in bildhaftem Vorstellen befangenen Subjekts. Bloß auf das Logische in Ausübung von Urteilsfunktionen ist dieses Selbstverständnis dabei nicht einzuschränken. Denn ersichtlich werden in dem Urteil 'Ich nehme einen roten Turm wahr', wodurch die Bedingung des Als-WahrnehmungAussagens erfüllt ist, empirische Begriffe so verwandt, daß sie darin in ihrer Beziehung aufeinander gemäß einer auf Mannigfaltiges der Anschauung hin angewandten intellektuellen Synthesis vorgestellt sind. Mit dieser Anwendung aber ist eine wesentliche Bedingung dafür erfüllt, von einem kategorialen Verstandesgebrauch sprechen zu dürfen. Bestimmt gesprochen, liegt im angeführten Wahmehmungsurteil die Beurteilung von Gegebenem gemäß dem Verhältnis von Substanz (Turm) und Akzidens (rot) - allerdings als Wahrnehmung ausgesagt. Wenn nun für ein Wahrnehmungsurteil logische Funktionen in Anwendung sind, empirische Begriffe darin vorkommen und (in einem allerdings nur vorläufigen Verständnis) Kategorien (wenn nämlich eine Kategorie die intellektuelle Funktion ist, die der „Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit"341 gibt, hier also die Einheit des Substanz-Akzidens-Verhältnisses), dann ist danach zu fragen, was noch zum Erfahrungsurteil und seinem Begriff vom Objekt fehlt, welche Einschränkung durch das Als-Wahmehmung-Aussagen angezeigt werden soll und warum es bei Kant nach einem offenbar strikteren und an noch mehr Bedingungen

339 340 341

AkXV\,REFL 3145 PROL, Ak IV, 298 A79/B 105

3.2. Exkurs: Wahrnehmungsurteil

220

geknüpften Verständnis von 'Kategorie' heißt, daß Wahrnehmungsurteile „keines reinen Verstandesbegriffs" 342 bedürfen. Dasjenige, was nach der herangezogenen Reflexion allein zum Erfahrungsurteil fehlt, ist die Aussage, daß der rote Turm existiert. Als-Wahrnehmung-Aussagen bedeutet demnach Verzicht auf die Verwendung des Begriffs von einem Dasein (des weiteren aber auch vom Nichtsein, denn ein behauptetes Nichtsein stellt auch ein Erfahrungsurteil dar). Das ist der Verzicht auf die Verwendung des schon oben unter den Kategorien als hervorgehoben angedeuteten einschlägigen modalen Verstandesbegriffs. Insofern die Verwendung des Begriffs von einem Dasein und also die Existenzaussage das Urteil ein Erfahrungsurteil sein ließe, liegt nach dem gegebenen Beispiel in ihm das Kriterium dafür, das im Urteil ausgesagte SubstanzAkzidens-Verhältnis, wonach schon im Wahrnehmungsurteil die anschaulichen Gehalte auf die gleiche Weise intellektuell artikuliert waren, jetzt erst im vollen Sinn als ein kategoriales aufzufassen. Die Modalität der Urteile nennt Kant denn auch „eine ganz besondere Function derselben, die das Unterscheidende an sich hat, daß sie nichts zum Inhalte des Urtheils beiträgt (denn außer Größe, Qualität und Verhältniß ist nichts mehr, was den Inhalt eines Urtheils ausmachte), sondern nur den Werth der Copula in Beziehung auf das Denken überhaupt angeht" 343 .

Es sei hier nur nebenbei an die Ankündigung erinnert, daß dem angesprochenen Wert der Kopula noch eine nachdrückliche Deutung für den Fall gegeben werden soll, daß im Urteil, so Kants Erklärung zur Assertion, das „Bejahen oder Verneinen" „als wirklich (wahr) betrachtet wird" (ebd.), nämlich die Deutung im Verständnis einer von ihm selbst angesprochenen Dignität in der Beziehung eines Urteils auf einen Gegenstand der Erfahrung. Dazu sei trotz der Gefahr, daß die hergestellte Beziehung noch wie eine Übertreibung aussehen mag, vorweggenommen: Würde haben, „d.i. unbedingten, unvergleichbaren Werth" 344 haben; ein solcher aber muß zuletzt auf moralischpraktisches Selbstverständnis und moralischpraktischen Vernunftgebrauch zurückgeführt werden. Für den jetzigen engeren Kontext davon aber abgesehen, ist mit dem Wahrnehmungsurteil offenbar ein Denken thematisch, wodurch (über die schon pünktlichen und genauen Bilder aus der ersten Anwendung des Verstandes qua Einbildungskraft hinaus) Gegebenes der Anschauung auch gemäß den den Inhalt von Urteilen betreffenden kategorialen Funktionen intellektuell artikuliert sein kann, ohne daß dadurch aber bei fehlender Beurteilung hinsichtlich eines Daseins, woraufhin ein Urteil als wahr („wirklich (wahr)") betrachtet wird, von der Anwendung von Kategorien im vollen Verständnis eines Erfahrungsgebrauchs gesprochen

342 343

344

PROL, Ak IV. 298 A 7 4 / B 99f. Ak IV. 4 3 6

GMS,

3.2. Exkurs: Wahrnehmungsurteil

221

werden könnte. In diesem ausgezeichneten Verständnis ist im Wahrnehmungsurteil kein reiner Verstandesbegriff. Kategorien im ausgezeichneten Verständnis müssen - also auch bei einer etwa wie oben schon vorliegenden Substanz-AkzidensArtikulation auf der Stufe des Wahrnehmungsurteils - in einer das Dasein eines Gegenstandes selbst thematisierenden Reflexion erst erzeugt werden; diese Erzeugung ist dann im Erfahrungsurteil durch das 'ist' ausgedrückt ('Der Turm ist rot'). Zu dieser Reflexion gibt das in der Wahrnehmung erscheinungshaft Gegebene als solches keinen äußerlichen Anstoß, weshalb sie oben mit Kant auch schon als innerlich und spontan bezeichnet wurde. Des weiteren bietet unter Voraussetzung der schon in Wahrnehmungsurteilen in urteilender Anwendung befindlichen Verstandesbegriffe, die alle den Inhalt eines Urteils betreffende intellektuelle Artikulation schon beitragen, auch kein diesbezügliches Defizit einen Anlaß für weitergehende Reflexion. Woraufhin diese Reflexion nun aber in Verfolgung einer - in Kantischer Diktion - durch Vernunft selbst gestellten Aufgabe weitergeht, ist der Punkt der Gültigkeit des Urteils für jedermann und ineins damit, insofern „objective Gültigkeit und nothwendige Allgemeingültigkeit (für jedermann) Wechselbegriffe" 345 sind, ist es der Punkt der Wahrheit des Urteils in Hinsicht auf einen daseienden Gegenstand selbst der Erfahrung (obwohl nicht als Ziel der Reflexion anzustreben möglich, kann allerdings im Ergebnis auch die Falschheit des objektiv gültigen Urteils unterlaufen). Wenn wir, wie bereits angeführt, in der Reflexion „Ursache finden, ein Urtheil für nothwendig allgemeingültig zu halten", d.h. für gültig für jedermann, „müssen wir es auch für objectiv halten"346, d.h. wir halten uns dann für berechtigt, das 'ist' des Erfahrungsurteils auszusagen. Im Rahmen transzendentaler Wahrheit, d.h. im Rahmen überhaupt gegebener Berechtigung des Zielens auf einen daseienden Gegenstand vermittels Kategorien, steht jedes einzelne Erfahrungsurteil dann unter der empirischen Wahr-falsch-Alternative; es muß aber, diese Alternative überhaupt als sinnvoll gesetzt, irgendein bestimmtes Erfahrungsurteil auch empirisch wahr sein können. Mit dem vermittels spontaner Reflexion erzeugten 'ist' ist, um beim Beispiel zu bleiben, der zwar zuvor auf der Stufe des Wahrnehmungsurteils schon in Anwendung befindliche Substanz-Akzidens-Begriff doch nun erst als Kategorie erzeugt. Es ergibt sich dadurch die folgende Unterscheidungsmöglichkeit: Einerseits mögen Verstandesbegriffe (wie hier der Substanz-Akzidens-Begriff) in gewisser Hinsicht filr vorgefunden zugestanden werden; ein bloßes Vorfinden wurde Kant aufgrund seiner Bezugnahme auf eine unvermittelt eingeführte Urteilstafel bekanntlich vorgehalten, ohne daß er aber nach eigener Angabe dann in der 'Deduktion' überhaupt begründet haben wollte, warum wir gerade nach diesen Begriffen urteilen. Andererseits aber müssen die Verstandesbegriffe als Kategorien für erzeugt be-

345 346

PROL, Ak IV, 298 ebd.

222

3.2. Exkurs: W a h r n e h m u n g s u r t e i l

trachtet werden, insofern sie nämlich erst vermittels der besagten spontanen Reflexion in einem Erfahrungsurteil auf ein 'ist' hin bezogen werden. Dieses 'ist' seinerseits ist Ausdruck eines uns notwendigen Gedankens, der durch nichts Vorgefundenes bewirkt ist und auf keiner hinzunehmenden und damit zufälligen Mitteilung aus einem schlechthin gegebenen An-sich beruht. Zur Beantwortung der Frage nach dem Grund der Notwendigkeit dieses Gedankens ist hier auf Kants noch aufzugreifende Behandlung der Frage erst vorzuverweisen, was „man denn [versteht], wenn man von einem der Erkenntniß correspondirenden, mithin auch davon unterschiedenen Gegenstande redet" 347 . In der Projektion des Systems der Kategorien waren diese von Kant als aus einem Prinzip zu erzeugen gefordert worden, welches nach dem Bisherigen als das Prinzip der auf einen Gegenstand selbst einer gemeinsamen Welt zielenden transzendentalen Reflexion angegeben werden kann. Erfahrungsurteile auf diese Weise in der Anbindung an spontane Reflexion zustandegebracht, können, noch hinzugenommen die (unten noch weiter zu stützende) Absichtlichkeit in der Richtungnahme dieser Reflexion und insgesamt in Erinnerung an die entwickelten Aspekte des rationalen Lebensbegriffs, als auf einem beständigen sie erzeugenden Urteilsleben beruhend angesehen werden. Darin ist, was aber die Zuordnung zum Begriff des Lebens nicht hindert, mit dem falschen Urteil auch ein Scheitern möglich. Frei darin, wie wir eine Sache aus gegebenen Erkenntnissen (im Sinne der Urteilsdefinition) beurteilen wollen348, kann der mit dem wahren Urteil gesetzte Zweck auch verfehlt werden. Um nun zur Beantwortung der Frage zurückzukehren, was das vom Erfahrungsurteil unterschiedene Wahrnehmungsurteil, das kein Dasein eines Gegenstandes selbst einer gemeinsamen Welt beurteilt, doch als solches schon aussagt, kann nur auf ein privates Subjekt Bezug genommen werden, insofern dieses bloß etwas von sich selbst aussagt. Es kann hier auch schon vom Gegenstand gesprochen werden, d.h. vom wahrgenommenen roten Turm, wozu, wie gesehen, die Minimalbedingung ist, Vorstellung mit Bewußtsein zu haben. Es kann aber doch nur vom Gegenstand als Vorstellung, insofern das Subjekt sie hat, gesprochen werden, nicht vom Gegenstand selbst zur Vorstellung. Es zielen „die Urtheile: dieser oder iener Gegenstand existirt" auf „die obiecte", die „von uns unterschieden" sind349, allerdings nicht als in sich gegründete, per se als beziehungslos zu denkende und daher auch unerweisliche Dinge an sich, sondern als von uns unterschiedene. Denn es gilt, wie gesagt, daß „wir außer unserer Erkenntniß doch nichts haben, welches wir dieser Erkenntniß als correspon-

347

348 349

A 104

vgl. PROL, Ak IV, 290 A k XVII, REFL 4 4 4 5

3.2. Exkurs: Wahmehmungsurteil

223

dirend gegenübersetzen könnten" 350 . Mit Kant noch anders ausgedrückt, bedeutet „ein jedes obiect etwas von der Vorstellung unterschiedenes, welches aber nur im Verstände ist"351. Wahrnehmungsurteile dagegen sagen ohne ein Zielen auf ein solches Objekt in den Worten der B-,Deduktion' bloß ,¿ubjektive[.] Einheit des Bewußtseins" aus, „die eine Bestimmung des inneren Sinnes ist"352. In ihnen fehlt der genannte Punkt der Reflexion auf die notwendige Allgemeingültigkeit der Vorstellungen hin, welche im positiven Fall von der Existenz des Gegenstandes selbst sprechen ließe. Unter dem Subjekt in der Rede von der subjektiven Einheit des Bewußtseins ist zwar ohne diese Reflexion das private Subjekt zu verstehen, dem aber im Wahrnehmungsurteil bloß abzüglich des Existenz betreffen wollenden Als-Erfahrung-Aussagens die ausgeprägte intellektuelle Artikuliertheit eines urteilenden Vorstellens schon zukommt. Es kann demnach hinsichtlich des subjektiven Bewußtseins seine Einheit und hinsichtlich des inneren Sinnes seine intellektuelle Bestimmtheit schon betont werden. Zu diesem inneren Sinn gehören - wie aus dem Beispiel des als Wahrnehmung ausgesagten Turms hervorgeht - auch Vorstellungen äußerer Dinge. Vorstellungen des äußeren Sinnes sind es nach Kant sogar, die „den eigentlichen Stoff ausmachen, womit wir unser Gemüth besetzen" 353 . Als Wahrnehmungen ausgesagt, gehören die Vorstellungen äußerer Dinge aber - nur in dieser Eigenschaft ausgesagt, das Gemüt zu besetzen und nicht darin, ein existierendes äußeres Ding zu betreffen - zum inneren Sinn. Einerseits die Privatheit des im Wahrnehmungsurteil seine eigenen Wahrnehmungen aussagenden Subjekts zu betonen, andererseits aber auch den Urteilscharakter dieses Aussagens, heißt, darin ein privates Denken sehen zu müssen. Auch ein solches ist schon dem zuzuordnen, was in der Definition des Erfahrungsurteils eine gegebene Erkenntnis genannt ist, die erst noch auf die objektive Einheit der Apperzeption zu bringen ist. Bei Kant ist im folgenden Zitat vom Urteilen oder Denken ersichtlich allgemeiner als im Sinne der Definition des Erfahrungsurteils die Rede, d.h. in einem auch dieses private Denken umfassenden Sinn: „Denken aber ist Vorstellungen in einem Bewußtsein vereinigen. Diese Vereinigung entsteht entweder blos relativ aufs Subject und ist zufällig und subjectiv, oder sie findet schlechthin statt und ist nothwendig oder objectiv. D i e Vereinigung der Vorstellungen in einem Bewußtsein ist das Urtheil." 354

350 351 352 353 354

A 104 Ak XVIII, REFL 5654 Β 139 Β 67 PROL, Ak IV, 304

224

3.2. Exkurs: Wahrnehmungsurteil

Im Fall des privaten Denkens „sind Urtheile ... bloß subjectiv", d.h. „auf ein Bewußtsein in einem Subject allein bezogen und in ihm vereinigt"355. Dieser Fall, d.i. der in Wahrnehmungsurteilen, ist in der B-,Deduktion' mit der in ihm liegenden Konsequenz angesprochen, der ihn schließlich als einen in Hinsicht auf das Erfahrungsurteil zu überwindenden Fall ansehen läßt. Es liegt darin nämlich die folgende Situation vor: „Einer verbindet die Vorstellung eines gewissen Worts mit einer Sache, der andere mit einer anderen Sache"356. Diese Situation ist nicht bloß eine, die auf der Stufe des Wahrnehmungsurteils neben einem etwaigen gemeinsamen Verbinden der Vorstellung des Worts mit derselben Sache auch vorkommen könnte, sondern eine, die bei seinem Als-Wahrnehmung-Aussagen immer nur vorkommen kann. Denn wenn auch mit denselben Worten, sagt doch der eine wie der andere hier immer bloß seine eigene Wahrnehmung, z.B. eines roten Turms, als diese eigene und nichts weiter aus. Durch Wahrnehmungsurteile als solche - was zugleich heißt: ohne die Beziehung auf ein existierendes Objekt selbst der Erfahrung - ist eine eigentliche Vergemeinschaftung des Vorstellens unter Subjekten nicht möglich. Von einer relativen oder uneigentlichen Möglichkeit dazu wird, was die Auszeichnung des Erfahrungsurteils aber nur noch schärfer hervortreten lassen wird, noch zu sprechen sein. Ohne eine Reflexion auf die Notwendigkeit und insbesondere die Allgemeingültigkeit eines Urteils, die dann zur Existenzaussage des objektiv gültigen Erfahrungsurteils fuhren kann, sind andere nicht als Subjekte thematisch, für die das Urteil etwa auch Geltung beanspruchen dürfte. Wahrnehmungsurteile sind „nur subjectiv gültig"357. Die Berechtigung dazu, wie soeben die Reflexion auf die Gültigkeit eines Urteils für jedermann vor der auf die Notwendigkeit hervorzuheben, wird sich noch aus der Behandlung eines Vorstellens ergeben, das zwar notwendig ist, aber nicht allgemeingültig und als notwendiges ein privates Vorstellen bleibt. Probeweise das Wahrnehmungsurteilen absolut gesetzt, können zwar auch andere in der Sphäre des so Urteilenden vorkommen. Aber auch in Hinsicht auf diese kann dann Aussagen nur im Sinne eines Als-Wahrnehmung-Aussagens stattfinden, so daß ihnen in dieser Beurteilung kein anderer Status als der aller übrigen Wahrnehmungsobjekte zukommen kann, d.h. keine Existenz als sie selbst. Der unmöglichen und gar nicht erst thematischen Vergemeinschaftung des (durchaus schon durch Urteilsfunktionen des Verstandes artikulierten) Vorstellens vermittels Wahrnehmungsurteilen entspricht seine Anspruchslosigkeit. Mit Wahrnehmungsurteilen wird, was alles sie von Erfahrungsurteilen unterscheidet, kein Anspruch erhoben, durch sie ist kein Verlangen und kein Sollen

355 356 357

ebd.; Hervorh. Vf. Β 140 PROL, Ak IV, 298; vgl. Β 140

3.2. Exkurs: Wahmehmungsurteil

225

ausgedrückt. In Wahrnehmungsurteilen, so Kants Charakteristik in den Prolegomena , „verlange [ich] gar nicht, daß ich e s jederzeit oder jeder andre e s eben so w i e ich finden soll; sie drücken nur eine Beziehung zweier Empfindungen auf dasselbe Subject, nämlich mich selbst, und auch nur in meinem diesmaligen Zustande der Wahrnehmung, aus und sollen daher auch nicht v o m Objecte gelten" 3 5 8 .

Durch ein Wahrnehmungsurteil ist demnach nur etwas ausgedrückt. Es ist damit aber kein Appell und kein Sagen-Wollen verbunden. Seinem bloßen Sagen stehen nun ausdrücklich ein Sagen-Wollen, ein Verlangen und ein Sollen im Fall des Erfahrungsurteils gegenüber. Das Wahmehmungsurteil, das nichts sagen will, ist durch diesen Punkt eines indifferenten Willens vom Erfahrungsurteil unterschieden, das demgegenüber etwas sagen will und Ansprüche erhebt. Es heißt bei Kant von dem beispielhaft angeführten Erfahrungsurteil: „er, der Körper, ist schwer", daß es „so viel sagen will, als: diese beiden Vorstellungen sind im Object, d.i. ohne Unterschied des Zustandes des Subjects, verbunden und nicht bloß in der Wahrnehmung (so oft sie auch wiederholt sein mag) beisammen" 3 5 9 .

Ohne die Zuschreibung eines Sagen-Wollens müßte es bei Kant bloß lauten: Das Erfahrungsurteil sagt die Verbindung der Vorstellungen im Objekt aus. Das stellte nur scheinbar keinen wesentlichen Sinnverlust dar, wie mit der noch ausstehenden letztlichen Anbindung des Erfahrungsurteils an die Zwecksetzung praktischer Vernunft aber erst vollends einsichtig werden kann. Von dem in diesem Urteil liegenden Sagen-Wollen und von seinem Vom-Objekt-gelten-Sollen her ist jedenfalls die Deutung zu bekräftigen, die oben dem Zielen des ,ist' im Erfahrungsurteil gegeben wurde, nämlich daß es Ausdruck zweckmäßiger Urteilstätigkeit theoretischer Vernunft ist. Im Fall eines Erfahrungsurteils wird in Anknüpfung an ein per se ohne Anspruch auftretendes Wahrnehmungsurteil hinzukommend ein solcher erhoben und eine Forderung aufgestellt. Bei Kant ist - unter die Bedingung der Beziehung auf ein Wollen gestellt - das mit der Auszeichnung eines anfänglichen Wahrnehmungsurteils zum Erfahrungsurteil Hinzukommende so ausgedrückt: „Will ich, e s soll Erfahrungsurtheil heißen, so verlange ich, daß diese Verknüpfung [im anfänglichen Wahrnehmungsurteil] unter einer Bedingung stehe, welche sie allgemein gültig macht. Ich will also, daß ich jederzeit und auch jedermann dieselbe Wahrnehmung unter denselben Umständen nothwendig verbinden müsse." 3 6 0

358 359 360

PROL, Ak IV, 299 Β 142; 2. Hervorh. Vf. PROL, Ak IV, 299

226

3.2. Exkurs: Wahrnehmungsurteil

Für Wahrnehmungsurteile als solche ist ein Wollen und Sollen ausgeschlossen; sie wollen nichts sagen, „sollen ... nicht vom Objecte gelten"361 und sollen auch nicht für jedermann gelten. Anders als im Fall eines Sagen-Wollens, in dem nach einem Adressaten zu fragen ist, ist zum Wahrnehmungsurteil weder ein anderer als ein solcher Adressat anzusetzen noch ein Ich in der Selbstbezüglichkeit eines etwaigen Sich-selbst-etwas-sagen-Wollens und Sich-selbst-unter-einen-Anspruch-Stellens. In Hinsicht auf die Unfähigkeit des Wahrnehmungsurteils zur Begründung eines vergemeinschafteten Vorstellens ist nun, wie angekündigt, noch eine Differenzierung anzubringen. Eine ihm jetzt doch noch zuzuschreiben mögliche eingeschränkt gemeinschaftsbildende Rolle wird aber um so schärfer den ausgezeichneten Charakter der Gemeinschaft unter ¿Mewtfw/ssubjekten herausstellen lassen. Das Urteil etwa, daß „der Canariense« ... angenehm" ist, kann, obwohl genauer zu sagen wäre, daß er „mir angenehm"362 ist, doch „Einhelligkeit unter Menschen antreffen"363 lassen, wobei aber schon hier auf den einschränkenden Charakter des Antreffens dieser Einhelligkeit hinzuweisen ist. Dieses Urteil steht auf der Stufe des in den Prolegomena als Wahrnehmungsurteil aufgeführten Urteils, daß „der Wermuth widrig"364 ist. Bloß unter dem Aspekt der subjektiven Gültigkeit ist hier zu vernachlässigen, daß aus solchen Urteilen gar keine Erfahrungsurteile „werden könnten ..., weil sie sich blos aufs Gefühl, welches jederman als blos subjectiv erkennt und welches also niemals dem Object beigelegt werden darf' 365 , beziehen. Als per se bloß subjektiv gültig ist ein derartiges Wahrnehmungsurteil, woraufhin dann ein Erfahrungsurteil möglich ist (z.B.: Ich nehme einen roten Turm wahr) und das als solches schon mehr als bloß Beziehung aufs Gefühl, nämlich, wie angeführt, schon Beziehung auf den Verstand hat, doch so zu behandeln wie das Wahrnehmungsurteil, das kein Erfahrungsurteil werden kann. In der möglichen Einhelligkeit nun auf der Stufe subjektiver Gültigkeit kann die „Allgemeinheit nur komparativ genommen" werden; „und da giebt es nur generale ... , nicht universale Regeln"366. Die genannten generalen Regeln sind das, was der B-,Deduktion' gemäß auf der Basis eines Wahrnehmungsurteils, das beliebig „oft ... wiederholt sein mag"367, möglich ist. In Ausdrücken der Intersubjektivität bezeichnet, liegt bei einer Einhelligkeit der angeführten Art, die, „ohne auf Objecte gestellte Allgemeinheit"368 zu sein, kein Sagen-Wollen im Sinn der Erhebung eines Anspruchs auf Gültigkeit für jedermann berechtigt, bloß „Beziehung

361 362 363 364 365 366

ebd. KDU, Ak V, 212 KDU, Ak V, 213 PROL, Ak IV, 299 ebd. Anm. KDU, Ak V, 213

367 g 368

1 4 2

KDU, Ak V, 212

3.2. Exkurs: Wahrnehmungsurteil

227

auf die Geselligkeit" vor, „sofern sie auf empirischen Regeln beruht" 369 . Im korrekten Ausdruck der bloß auf solche Geselligkeit bezüglichen Urteile - etwa über den Canariensekt - muß ihre Beschränkung auf die Privatperson ersichtlich bleiben. Sie können die Vergemeinschaftung des Vorstellens nicht von sich her beanspruchen und in diesem Sinne etwas sagen wollen, sondern müssen, ohne jeden Anspruch bloß etwas sagend oder ausdrückend, Einhelligkeit als etwas zufällig Anzutreffendes nur hinnehmen (ebenso deren Aufhebung). Das Ausgeführte dem Gesichtspunkt unterworfen, welche Art urteilenden Vorstellens das Subjekt als ein lebendiges charakterisiert, muß der Zuschlag wider das Urteilen, woraufhin bloß gesellige, sonst wohl gerne für lebendig genommene Gemeinschaft als eine letztlich nur anzutreffende möglich ist, der Seite urteilender Tätigkeit gegeben werden, worin Wahrnehmungsurteile einer höherstufigen, durch nichts Gegebenes angestoßenen Reflexion unterworfen werden, worin wir, wie noch einmal anzuführen ist, „noch ganz frei [sind], wie wir die Sache daraus beurtheilen wollen" 370 , und worin durch diese spontane Reflexion eine auf Objekte gestellte Allgemeingültigkeit in Erfahrungsurteilen angestrebt und durch das Subjekt selbst auch zu erzielen ist. Diese Allgemeingültigkeit und also die Vergemeinschaftung des Vorstellens ist im empirisch falschen Erfahrungsurteil zwar auch zu verfehlen möglich, doch insofern, wie gesehen, das falsche Erfahrungsurteil als objektiv gültiges wohl von anderen Gegenständen gelten könnte, so auf mögliche Erfahrung bezogen und den Bedingungen transzendentaler Wahrheit gemäß bleibt, bleibt es auch auf eine mögliche auf Objekte gestellte Gemeinschaft bezogen. Als objektiv gültiges ist es auch anders als das prinzipiell nicht auf Objekte gestellte Urteil ein von den Mitgliedern dieser Gemeinschaft bestreitbares Urteil, zeigt also seinen gemeinschaftsbezogenen Charakter auch durch sein Bestritten-werdenKönnen mit der etwaigen Konsequenz der Korrektur. Die Aussage des privaten Subjekts im Wahrnehmungsurteil, eine bestimmte Vorstellung zu haben, wodurch eine „subjective Realität"371, z.B. die Wahrnehmung eines roten Turms, ausgedrückt wird, hat, wie angeführt, eine eigene, nämlich subjektive Gültigkeit, d.i. eine Gültigkeit bloß für mich. Diese Aussage kann in einem bestimmten, allerdings nicht ausgezeichneten Verständnis nur wahr sein: „Bios subjective Sätze ... sind iederzeit wahr, ,.."372. Auch das Wahrnehmungsurteil spricht in einem gewissen eingeschränkten Sinn von etwas, das ist, eben davon, daß die Vorstellung unmittelbar als Wahrnehmung ist (und zwar durchaus in intellektueller Artikulation); es spricht aber nicht von einem Dasein im Sinne des Erfahrungsurteils, d.h. nicht davon, daß das ist, wovon die Wahrnehmung Wahr-

369 370 371 372

KDU, Ak V, 213 PROL, Ak IV, 290 A 197/B 242 Ak XVI, REFL 2259; vgl. Ak XVII, REFL 4445

228

3.2. Exkurs: Wahrnehmungsurteil

nehmung ist. Im Erfahrungsurteil ist das der Fall, denn hier „geht diese Vorstellung wiederum aus sich selbst heraus, und bekommt objective Bedeutung noch über die subjective"373. Insofern nun das Wahrnehmungsurteil gar nicht auf das Dasein eines Gegenstandes selbst einer gemeinsamen Welt zielt und diesbezüglich nichts aussagt, kann es von einem anderen auch nicht durch einen etwaigen Verweis auf das Nichtsein des roten Turms bestritten werden. Das Wahrnehmungsurteil ist - anders als das Erfahrungsurteil - von ganz solipsistischer Art und kein Urteil, mit dem eine Verantwortung vor anderen verbunden oder eine Rechenschaftslegung vor diesen geboten ist. Nachdem oben gesagt werden mußte, daß der Sinn von 'wahr' nicht ohne ein Verständnis von 'falsch' faßlich werden kann, steht ersichtlich die Kennzeichnung von Wahrnehmungsurteilen als auf ihre Art nur wahr sein könnend in Abhängigkeit von einem Verständnis des Erfahrungsurteils, anhand dessen allein gewußt werden kann, was 'falsch' heißt. Es zeigt sich, daß die beiden Urteilsarten in der Abhebung voneinander doch untrennbar aufeinander bezogen sind, und zwar nach dem zuletzt Gesagten so, daß nur unter der Voraussetzung eines Wissens um Erfahrungsurteile und ihr Treffen oder Verfehlen eines daseienden Gegenstandes selbst (und das bedeutet ein Wissen um einen eigentlich erkennenden und im eigentlichen Sinn kategorial fungierenden Verstand) das Wahrnehmungsurteil in seiner genannten besonderen Qualität einsichtig gemacht werden kann. Als erster Aspekt in bezug darauf, wie das Wahrnehmungsurteil wahr ist, läßt sich von seiner Unbestreitbarkeit durch Verweis auf die Nichtexistenz eines Gegenstandes her festhalten, daß es nicht wie ein Erfahrungsurteil falsch sein kann. Es stellt sich von hierher die Frage, warum, wie schon mehrfach nahegelegt, Erfahrungsurteile, die wahr und falsch sein können, ausgezeichnet sein und einen Vorrang haben sollen vor den Wahrnehmungsurteilen, die nicht falsch sein können. Die Antwort darauf ist bereits ausreichend vorbereitet: Der Vorzug selbst des empirisch falschen Erfahrungsurteils vor dem nur wahr sein könnenden Wahrnehmungsurteil besteht in den mit seiner objektiven Gültigkeit gegebenen Aspekten der transzendentalen Wahrheit, der prinzipiellen Bezogenheit auf mögliche Erfahrung, damit der Bezogenheit auf eine gemeinsame Welt und, so schließlich die eigentliche Begründung des Vorzugs, in den durch es prinzipiell gewahrten Beziehungen unter den Subjekten, worin diese für ihre Urteile verantwortlich sind. Wahrnehmungsurteile können nun aber auch nicht in derselben Art wie Erfahrungsurteile wahr sein. Ebensowenig nämlich, wie Wahrnehmungsurteile durch andere zu bestreiten sind, sind sie durch diese - etwa durch deren Verweis auf die Existenz des roten Turms - zu bestätigen, sondern eben nur hinzunehmen. Im vollständigen Verzicht der Wahrnehmungsurteile auf das Erzielen eines Gegenstandes

373

A 197/B 242

3.2. Exkurs: Wahrnehmungsurteil

229

selbst einer gemeinsamen Welt kann auch eine auf einen solchen Gegenstand sich stützende Bestätigung sie nicht betreffen. Vorstellungen auf der Stufe von Wahrnehmungsurteilen sind nicht kommunikabel, jedenfalls nicht im Verständnis einer unter dem Gesichtspunkt spontanen, lebendigen Vernunftgebrauchs allein interessierenden aktiven Kommunikation, worin Subjekte auf der Basis von in der Reflexion auf notwendige Allgemeingültigkeit hin erzielten, daraufhin Existenz aussagenden Erfahrungsurteilen wechselseitig Ansprüche erheben, ihre Beziehungen untereinander als verbindlich betrachten und einander etwas sagen wollen; aus diesem Verständnis von Kommunikation fällt, wie gesehen, die heraus, worin Einhelligkeit, ohne auf Objekte gestellt zu sein, unter passiv zu verstehenden Subjekten sich bloß einstellen oder bloß angetroffen werden kann, wobei ständig ein ebenso bloß hinzunehmender Verlust möglich ist. Befangen in Wahrnehmungsurteilen kann das Wahrheitsthema nicht intersubjektiv verhandelt werden. Sie sind in dieser Hinsicht unterschieden von Erfahrungsurteilen und abgetrennt von dem hier vorliegenden Zusammenhang der Wechselbegriffe einer objektiven Gültigkeit und einer Gültigkeit für jedermann. Wenn eine Vorstellung „Erkenntnisstück werden soll", muß man sagen, daß ihr „eine Beziehung auf etwas andere[s] (als das Subjekt ist, dem sie inhäriert) zukomme, wodurch sie anderen kommunikabel wird"374. Anders herum müssen „Erkenntnisse und Urtheile ... sich, sammt der Überzeugung, die sie begleitet, allgemein mittheilen lassen; denn sonst käme ihnen keine Übereinstimmung mit dem Object zu"375. In dieser Betrachtung muß die Beziehung auf andere als konstitutiv für das Erfahrungsurteil genommen werden. Nachdem gesagt worden ist, daß Verstandesbegriffe (wie z.B. der von Substanz und Akzidens), die schon in das AlsWahrnehmung-Aussagen involviert sind, vermittels einer spontanen Reflexion, deren beanspruchtes Gelingen durch ein auf einen Gegenstand selbst bezügliches 'ist' im Erfahrungsurteil ausgedrückt ist, erst als Kategorien erzeugt sind, ist ineins mit dieser Erzeugung von Kategorien die Erzeugung der Beziehung zu anderen Erkenntnissubjekten zu denken.376

374 375 376

BW, AkXl, 15 /CDU, Ak V, 238 Auch Jane E. Kneller (1981) vertritt die These, daß, obwohl bei Kant die Frage der Kommunikabilität bzw. Intersubjektivität eine explizite Behandlung nur außerhalb der Kritik der reinen Vernunft erfährt - in den Prolegomena also oder in der Kritik der Urteilskraft - , diese Frage doch eine wichtige Rolle im Impliziten der ersten Kritik spielt. Die Intersubjektivität der Urteile erkennt sie als in Kants Konzeption des transzendentalen Subjekts grundgelegt (vgl. S. 168). Diese Konzeption soll in der vorliegenden Untersuchung noch genauer betrachtet werden. In Fortführung schon begonnener Begründung wird dabei die vieldiskutierte Frage verneint werden, die in der Formulierung von Wilhelm Lütterfelds (1981) lautet, ob „der Vorwurf zu Recht" besteht, Kants „Erfahrungstheorie begründe die kategoriale Objektverfassung in der Einheit eines möglichen 'Ich denke', deren Verbindlichkeit für andere Erfahrungssubjekte gerade problematisch sei" (S. 245). Zu einem gegenteiligen Ergebnis und damit zur Forderung einer über Kant hinausgehenden Begründung von Intersubjektivität kommen bekanntlich - mit Karl-Otto Apel (1973, vgl. S. 222f.) und Jürgen Ha-

230

3.2. Exkurs: Wahrnehmungsurteil

Nach dem Ausgeführten ist die Intersubjektivität des Vorstellens als die gesuchte Auszeichnung des Erfahrungsurteils zu nehmen. Beziehung auf andere, d.i. zugleich die Aufhebung der solipsistischen Isolation eines privaten (wiewohl schon überhaupt urteilend artikulierenden und also denkenden) Subjekts, ist nicht ohne ein auf einen Gegenstand selbst zielendes Erfahrungsurteil möglich. Dieses kann als ein ihn verfehlendes falsches Urteil auch mißlingen. Doch isolierte Privatheit als zu überwinden und Beziehung auf andere als anzustreben vorausgesetzt, verdient das Erfahrungsurteil inklusive seines in Kauf zu nehmenden Falschsein-Könnens den Vorzug vor dem im erörterten eingeschränkten Sinn nur wahr sein könnenden Wahrnehmungsurteil, das als solches eine Beziehung auf andere gar nicht herstellt. (Ende des Exkurses) ***

Für einzelne Subjekte, von denen eines nicht unmittelbar die Vorstellungen eines anderen haben kann, kann eine Vorstellung nur dann, wenn sie Beziehung auf ein anderes zum jeweils einzelnen Subjekt hat, d.i. der Gegenstand selbst der Erfahrung, kommunikabel werden. Umgekehrt kann die Vorstellung auch nur dann, wenn sie kommunikabel ist, eine Beziehung auf diesen Gegenstand haben, so daß es also nicht möglich ist, sie zugleich für objektiv gültig und für nicht auf eine intersubjektive Welt bezogen zu halten. Das andere als der Gegenstand selbst muß als entlassen aus der Sphäre bloß eines privaten Habens von Objekten als Vorstellungen gedacht werden. Den Gegenstand so als entlassen zu denken, heißt, ihn in seinem Selbst-Sein zu denken. Zu diesem Negativen kommt aber das Positive

bermas (1969, 3.Aufl.) an der Spitze - die Vertreter der Frankfurter Sprachpragmatik und Ideologiekritik. Habermas etwa sieht Kant zusammen mit Fichte auf der erst durch Hegel überwundenen Position eines Ich, das „an das Verhältnis der einsamen Reflexion gebunden" bleibt (S. 13; vgl. auch S. 23 u. S. 30). Demgegenüber bemerkt Wolfram Hogrebe (1974) zu Recht, obwohl mit ihm darüber zu diskutieren wäre, ob Kant „nicht eher" als in der Kritik der Urteilskraft unter dem Namen des Gemeinsinns „auf dieses Prinzip gestoßen ist", daß bei Kant „für alle kognitiven Handlungen" eine ,JConsenskompetenz" vorausgesetzt ist, „wie sie noch aller 'kommunikativen Kompetenz'" im konkretisierten Verständnis von Habermas „zugrunde liegt und diese erst möglich macht" (S. 194). Mit Hogrebe ist zu sagen: „Erkenntnis stimmt bloß nach notwendiger Maßgabe ihrer Kommunizierbarkeit mit dem zu Erkennenden überein: Kommunizierbarkeit und Wahrheit sind transzendental symmetrisch" (S. 193). Das Enthalten-Sein des Intersubjektivitätsaspekts im Ursprung der Kantischen Erkenntnisbegründung, d.h. zuletzt in transzendentaler Apperzeption, betonen auch etwa Peter Rohs (1979, vgl. bes. S. 56, S. 61, S. 79-82) und Gerhard Funke (1976, vgl. S. 41 Of.), letzterer übrigens in kritisch würdigender Diskussion des lebensphilosophischen, aber dennoch nicht auf eine Individualitätskonzeption restringierten Kant-Interpreten Georg Simmel. Was bei Simmel (1918, 4.Aufl.) allerdings trotz erweiterten Horizonts im traditionellen Sinn lebensphilosophisch bleibt, ist die Gewichtung im Verhältnis von Einzelsubjekt und Allgemeinsubjekt, insofern er das letztere dem „lebendigen, real wirksamen Einzelsubjekt" nur als den „logische[n] Abglanz, an dem wir dessen Leben haben und in den die Dynamik dieses Lebens nicht eintritt" (S. 50f.), entgegenstellt.

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

231

hinzu, ihn als einer gemeinsamen Welt zugehörig zu denken, die also als intersubjektive keine auf gar keine Subjektivität bezogene Welt ist. Nur unter der Bedingung, daß es die „Einheit des Gegenstandes" ist, „auf den sich alle beziehen" und der so nicht bloß ein mir inhärierender Gegenstand als meine Vorstellung sein kann, gibt es „Grund, warum anderer Urtheile nothwendig mit dem meinigen übereinstimmen"377 müssen. Die Beziehung einer Vorstellung auf einen Gegenstand der intersubjektiven Welt auszusagen, ist nun bei mangelnder Berechtigung, zur Begründung ein Ding an sich in Anspruch zu nehmen, nur so möglich, daß in der Reflexion ein Subjekt zu sich als privatem Subjekt, dem allerdings als solchem schon zugestanden sein mag, „Wahrnehmungen zu vergleichen und vermittelst des Urtheilens zu verknüpfen", in einen Abstand tritt, aus dem heraus durch „ein ganz anderes Urtheil", das orientiert ist an einem Selbstverständnis als „Bewußtsein überhaupt", dieser Vorstellung im Fall des Erzielens dieses Selbstverständnisses die „Beziehung auf den Gegenstand"378 gegeben wird. Zu sich als privatem Subjekt derart urteilend Stellung nehmen zu können, setzt voraus, nicht bloß dieses private Subjekt zu sein. Es stellt sich damit die Frage, wodurch die Erweiterung zu einem nichtprivaten Selbstverständnis (zu einem nichtsubjektiven Subjektverständnis, d.h. zur objektiven Einheit der Apperzeption) ausgefüllt sein soll. Insofern unter 'Subjekt' noch etwas anderes als mein privates Subjekt verstanden werden soll und dafür mehr als bloß der eigene Name stehen können soll, kommt für dieses erweiterte Selbstverständnis nur in Frage, sich darin in Beziehung auf andere mögliche Subjekte gesetzt zu sehen. In der Reflexion auf das eigene zunächst private Urteilen ist der Abstand eines solchen Standpunkts einzunehmen, der als der Standpunkt auch anderer Subjekte anzusehen ist. In einer 'Reflexion' zum Zugehören eines Urteils „zu einem Bewustseyn (überhaupt... )" ist Kants Erläuterung, daß das Urteil damit „nicht blos meinem" zugehört; es ist so „obiectiv gültig vor jedes Wesen, das Verstand hat"379. Auch in der Kritik der reinen Vernunft selbst ist von Kant das, was vorgestellt ist „als ein transcendentales Subject der Gedanken ... = X", erläutert als „dieses Ich oder Er, oder Es (das Ding), welches denkt"380. Vom „Ausdruck Ich", insofern er das transzendentale Subjekt der Gedanken bezeichnet, sagt er, daß „ich [ihn] auf jedes denkende Subject anwenden kann"381. Das angesprochene Ich ist hier in eben

377 378 379 380

381

PROL, Ak IV, 298 PROL, Ak IV, 300 Ak XVI, REFL 3051 A 346/B 404 - Daß der unglückliche Ausdruck 'Ding' nicht im oben schon ausgeschlossenen Verständnis des Ich als eines Objekts zu nehmen und das Subjekt nicht dem das Ich hypostasierenden Mißverständnis rationaler Psychologie zu unterwerfen ist, klärt der unmittelbare Kontext dieser Stelle. A 355

232

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

dem Verständnis wie die in der Definition des Erfahrungsurteils vorkommende Apperzeption zu nehmen. Zugleich ist das so verstandene Ich für alle Vorstellung „Form derselben überhaupt, so fern sie Erkenntniß genannt werden soll; denn von der allein kann ich sagen, daß ich dadurch irgend etwas denke"382. Es hängt als „Form der Apperception ... jeder Erfahrung" an383. Als Form der Erkenntnis ist das Ich Form der Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand selbst der Erfahrung. Der Gegenstand der Erkenntnis, so Kants Position schon in früher Phase der Entwicklung der Kritik der reinen Vernunft, ist „nichts anders als die subiective Vorstellung (des subiects) selbst, aber allgemein gemacht"384. Damit einer subjektiven Vorstellung ein Gegenstand gesetzt werde, ist erforderlich, „daß die Vorstellung nach einem allgemeinen Gesetze determinili sei, denn in dem allgemeingültigen Punkte besteht eben der Gegenstand"385. Wenn der Gegenstand im Punkt der Allgemeingültigkeit besteht, so besteht er im Punkt der Gültigkeit einer Beurteilung für jedermann. Ein Urteil wird „für nothwendig allgemeingültig" gehalten und deshalb „für objectiv"386. Die durch die zusammenziehende Wendung 'notwendig allgemeingültig' unbestimmt gelassene Beziehung beider Bestandteile wird von Kant im selben Kontext noch spezifiziert zu: „gemeingültig und mithin notwendig". Nur in dem Punkt, nicht allgemeingültig gemacht zu sein, unterscheidet sich die subjektive Vorstellung, wofür nach den Prolegomena schon 'Wahrnehmungswrie/7' gesetzt werden kann, von der objektiven, welche sich etwa in dem Urteil 'Dieser Turm ist rot' ausdrücken kann. Im herangezogenen früheren Text heißt es weiter, daß „ich etwas nicht als außer mir vorstellen und also Erscheinung zur Erfahrung machen [würde] (obiectiv), wenn sich die Vorstellungen nicht auf etwas bezögen, was meinem Ich parallel ist, dadurch ich sie von mir auf ein anderes subiect referire"387.

Es ist zwar vordergründig hinsichtlich der angesprochenen Beziehung der zur Erfahrung gemachten Vorstellungen auf ein anderes Subjekt die Lesart möglich, dieses andere Subjekt bloß im Sinne des Substanzbegriffs zu nehmen, also das andere Subjekt eigentlich als das Objekt. Dadurch wäre aber außer von „meinem Ich" als denkendem Subjekt von keinem denkenden Subjekt sonst mehr die Rede, und es wäre nicht erfaßt, daß im Punkt der Gültigkeit eines Urteils für jedermann der Gegenstand besteht. Um dies zu erfassen, ist unter dem anderen Subjekt das andere erkennende Subjekt zu verstehen. Dadurch ergibt sich, daß ineins („da-

382 383 384 385 386 387

A 346/B 404 A 354 Ak XVII, REFL 4 6 7 4 Ak XVII, REFL 4675 PROL, Ak IV, 298 Ak XVII, REFL 4675

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

233

durch") mit dem Beziehen der Vorstellungen auf etwas meinem Ich Paralleles, das Objekt, Beziehung auf andere Erkenntnissubjekte zu denken ist und daß dieses letztere zu der errichteten Bedingung gehört, ohne deren Erfüllung Erscheinung nicht als zur Erfahrung gemacht angesehen werden könnte. Insgesamt ist damit der Gedanke anderer Subjekte als für Erfahrung konstitutiv zu betrachten. Vor dem entwickelten Hintergrund kann dem 'ist' im Erfahrungsurteil ein zweifaches Zielen zugeschrieben werden, das aber nicht in verschiedene Richtungen weist, sondern den Wechselbegriffen der objektiven Gültigkeit und der Gültigkeit für jedermann gemäß mit anderen Erkenntnissubjekten einen Gegenstand selbst und umgekehrt mit diesem jene als Ziel bestimmt. Die Spontaneität der zum Erfahrungsurteil führenden Reflexion und ihr teleologisches Moment der Absichtlichkeit im Begriff des Lebens vereinigt, muß das, was schon als das Urteilsleben theoretischer Vernunft bezeichnet worden ist, auch im Verständnis eines gemeinschaftlichen Lebens genommen werden. Den Wechselbegriffen der objektiven Gültigkeit und der Gültigkeit für jedermann entsprechend, ist das in der Formel 'transzendentales Ich = X' vorkommende 'X' auf dasjenige 'X' bezogen, das Kant in Beantwortung der Frage, „was man denn unter dem Ausdruck eines Gegenstandes der Vorstellungen meine", in der Formel „etwas überhaupt = X" zur Bezeichnung des transzendentalen Gegenstandes aufführt, wobei nach der Freilegung des Gedankens des anderen in dem des transzendentalen Subjekts von Bedeutung ist, daß des weiteren dieser der Erkenntnis korrespondierende Gegenstand ausdrücklich als der Gegenstand „unserer Erkenntniß"388 angesprochen ist, d.h. als der Gegenstand einer gemeinsamen Welt. Der transzendentale Gegenstand, der „wirklich bei allen unsem Erkenntnissen immer einerlei = X ist"389 - einerlei, d.i. numerisch identisch - , ist dasjenige, wodurch die „durchgängige Affinität der Erscheinungen"390 gedacht ist. Was mit dem transzendentalen Gegenstand als dem Ziel aller Erkenntnis gesetzt ist, ist vermittels des 'ist' in den Erfahrungsurteilen als erzielt, d.h. als wirklich behauptet. Dieses behauptet jeweils die objektive Realität des Gegenstandes eines empirischen Begriffs und ineins damit die Zugehörigkeit dieses Gegenstandes zu einem einzigen verwandtschaftlichen Zusammenhang wirklicher Dinge einer intersubjektiven Erfahrungswelt, d.i. zu einer Natur. Mit der Behauptung des ,ist' sind die Formen, gemäß denen, wie gesehen, empirische Begriffe auch schon in privaten Wahrnehmungsurteilen vorkommen können, erst darüberhinaus als Formen im vollen Verständnis von Kategorien verwendet.

388 389 390

A 104; Hervorh. Vf. A 109 A 113

234

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

Wenn nun mit Kant die Frage ist: „wie macht ihr euch die durchgängige Affinität der Erscheinungen ... begreiflich?"391, so ist der Anhalt für die Antwort auf diese Frage nach der Begreifbarkeit einer Verwandtschaftsbeziehung, d.i. eine zweckmäßige Beziehung, nur „in dem Radicalvermögen aller unsrer Erkenntniß, nämlich der transcendentalen Apperception"392 zu finden; Affinität können wir „nirgends anders, als in dem Grundsatze von der Einheit der Apperception ... antreffen"393. In der transzendentalen Apperzeption ist Natur „in derjenigen Einheit zu sehen, um deren willen allein sie Object aller möglichen Erfahrung ... heißen kann"394. Natur als Zusammenhang affiner Erscheinungen ist so, insofern nur zu beziehen auf Apperzeption als originären Ort von Affinität und insofern um dieser Apperzeption willen Objekt möglicher Erfahrung, in ihrer Affinität als daraufhin zweckmäßig bezogen anzusehen. Um erneut mit der Gültigkeit der Erfahrungserkenntnis für jedermann den Wechselbegriff zur objektiven Gültigkeit mit heranzuziehen, kann die obige Wendung 'Radikalvermögen aller unserer Erkenntnis' auch zu der 'Radikalvermögen unserer aller Erkenntnis' modifiziert werden. Mit der durch die Frage nach einer objektiven Affinität der Naturerscheinungen gebotenen Rückwendung auf Subjektivität und unter Hinzunahme des Wechselbegriffs der Gültigkeit ihrer Erkenntnis für jedermann ist der Gedanke der Affinität als der einer Verwandtschaftsbeziehung unter Subjekten zu denken. Auf Subjekte bezogen kann der Begriff der Verwandtschaft allein seine ursprüngliche Anwendung haben. Insofern nun die Beziehungen unter Erkenntnissubjekten als verwandtschaftliche aufzufassen sind, ist der Zusammenhang dieser Subjekte als ihr in ihren Erfahrungserkenntnissen hergestellter zweckmäßiger Lebenszusammenhang zu akzentuieren. Gemäß dem schon ausgeführten, von Kant andernorts dann deutlicher bestimmten Begriff der Verwandtschaft ist in Hinsicht auf eine Mehrzahl von Erkenntnissubjekten etwas vorauszusetzen, was bei ihrer ,,größte[n] Mannigfaltigkeit" Anhalt für die ,,größte[.] Einheit der Abstammung"395 gibt. Um Kants allgemeine Bestimmung von Verwandtschaft zu wiederholen: „Ich verstehe unter Verwandtschaft die Vereinigung aus der Abstammung von einem Grunde"396. Verwandtschaft unter Lebewesen sollte, wie gesehen, bei Reduktion der Zahl der Ursachen durch die Gemeinschaft im Ursprung einer Realgattung angegeben sein und nicht wie bei dem Verschiedenen unter Nominalgattungen auf besondere Abstammungen oder Lokalschöpfimgen führen. In der Kritik der reinen Vernunft

391 A 113 392 A 114 393 A 122, 394 A 114 395 396

vgl. A 766/B 794

GTP, Ak VIII, 164 ANTH, Ak VII, 176

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

235

selbst ist die Beziehung der Affinität unter die Bedingung der Identität eines einzigen Grundes gestellt397, d.h. unter die Bedingung numerischer Identität. Transzendentale Apperzeption ist nun das, „was nothwendig als numerisch identisch vorgestellt werden soll"398. An Leibniz' Anwendung des Begriffs numerischer Identität übt Kant bekanntlich Kritik. Diese betrifft den Umstand, daß Leibniz den Satz der Identität des Nichtzuunterscheidenden auch auf die Gegenstände der Sinne anwandte; spezieller, daß dieser nicht beachtete, daß zwei vor dem Verstand gleiche Dinge doch durch die Örter im Raum unterschieden und dadurch nicht numerisch identisch sind. Dagegen bleibt auch für Kant bestehen, daß dieser Satz „blos von Begriffen der Dinge überhaupt gilt"399. Dieser Fall der Einerleiheit (numerische Identität) ist fur ihn mit dem durch das transzendentale Subjekt=X notwendig gedachten nichtempirischen Begriff von Etwas überhaupt=X, der „gar keine bestimmte Anschauung enthalten" 400 kann, gegeben, anders also als im Fall des gegen Leibniz verwandten, bestimmte empirische Anschauung betreffenden Beispiels zweier gleich gedachter, aber ortsverschiedener Wassertropfen 401 . Der Begriff der numerischen Identität ist nun nicht schlechthin getrennt vom Gedanken einer Pluralität. Es kann nämlich „ein und dasselbe Ding zweymal gedacht" sein und ist so „numerisch Eines" 402 : „Wenn uns ein Gegenstand mehrmals, jedesmal aber mit eben denselben innern Bestimmungen (qualitas et quantitas) dargestellt wird, so ist derselbe, wenn er als Gegenstand des reinen Verstandes gilt, immer eben derselbe und nicht viel, sondern nur Ein Ding (numerica identitas)"403. Im Fall transzendentaler Apperzeption handelt es sich nun um die numerische Identität des Verstandes selbst in der Selbigkeit und Ununterschiedenheit seiner notwendigen Synthesishandlung hinsichtlich des mannigfaltig Erscheinenden 404 , die zwar, was offensichtlich abhängt von der Vorstellung zeitlicher Sukzession, mehrmals gedacht werden kann, aber zu jeder Zeit ununterschieden nur als eine und dieselbe, so daß transzendentale Apperzeption ,,unwandelbare[s] Bewußtsein" ist405. Darin ist begründet, warum ein zur objektiven Einheit der Apperzeption gebrachtes Erfahrungsurteil Bestand für ein Ich jederzeit haben soll. (Mit dem Ausdruck 'jederzeit' ist allerdings ersichtlich nicht alle Beziehung auf Zeit aufgegeben; an der Zeit selbst war oben zu sehen, daß diese als die eine einzige Zeit nicht mit den wechselnden Zeiten in ihr zu identifizieren, sondern im Gegenteil als

397

vgl. A 572/B 600Anm. A 107; vgl. A 113 399 A 272/B 328 400 A 109 401 vgl. A 263Í./B 3l9f. 402 FM, Ak XX, 280 403 A263/B319 404 vgl. A 108 405 A 107 398

236

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

quantum originarium in Übereinstimmung mit der hier getroffenen Bestimmung von Apperzeption unwandelbar ist.406) Mit der ,,nothwendige[n] Verknüpfung" numerisch identischen Selbstbewußtseins hinsichtlich des mannigfaltig Erscheinenden ist Selbstbewußtsein in keinem anderen Verständnis angesprochen als eben in dem eines ,,Princip[s] der Affinität, welches im Verstände seinen Sitz hat"407, oder besser, der Verstand selbst ist. Numerisch identische transzendentale Apperzeption als Prinzip der Affinität ist nun, um wieder den immer mitzudenkenden Erkenntnisanspruch eines Erfahrungsurteils gegenüber jedermann mit einzubeziehen, auch in Hinsicht auf die Pluralität an Erkenntnissubjekten vorauszusetzen - nicht also mehrere transzendentale Apperzeptionen. Während Erkenntnissubjekte sich zwar als mehrere und nicht numerisch identisch verstehen müssen, insofern sie in ihrem empirischen Vorkommen allein durch die Verschiedenheit ihrer Örter im Raum schon unterschieden sind, muß jedes sich in seinem für Erkenntnis beanspruchten Selbstverständnis (zuerst im bloßen 'Ich denke') doch davon nicht betroffen, sondern ununterschieden vom anderen denken, so daß der Unterschied zwischen dem einen und dem anderen hier ebenso nur darin gesehen werden kann, daß „ein und dasselbe ... zweymal gedacht (numerisch Eines)"408 ist. In Hinsicht auf bestimmte Erkenntnisse ist auch nur dann, wenn ein und dasselbe zweimal gedacht werden kann, deren Mitteilung möglich und also ermöglicht, daß einer die mit einem Wort verbundene Vorstellung auf dieselbe Sache bezieht wie ein anderer. Insofern nun in numerisch identischer Apperzeption die Affinität unter Erkenntnissubjekten ihren Grund haben soll und insofern diese Apperzeption sich zugleich nur in der Handlung realisieren und erhalten kann, wodurch sie Mannigfaltiges der Anschauung „synthetisch in einer Erkenntniß verbindet", um so der „Anschauung einen Gegenstand [zu] bestimmen, d.i. den Begriff von Etwas, darin ... [Erscheinungen] nothwendig zusammenhängen"409, kann als das Ziel der auf einen Gegenstand selbst der Erfahrung zielenden Erkenntnissubjekte auch die Realisierung ihrer Verwandtschaft angegeben werden. Zugleich wird der Fall des Gelingens von Erkenntnis der Bestimmung von Verwandtschaft gemäß als Versicherung ihrer Abstammung aus einem Grund gelten können. Was das Objekt, auf das ein Erfahrungsurteil zielt, als ein Objekt selbst ansehen läßt, ist die Beziehung des Urteils auf ein Selbstverständnis, das als das eines 'Ich jederzeit' bloß jetztzeitig singulärem Selbstverständnis enthoben ist und dadurch Beziehung auf jedermann in derselben Qualität hat. Das Urteil drückt im

406

407

408

409

Zur Koinzidenz der einen unwandelbaren Zeit sowohl mit dem jederzeitigen transzendentalen Subjekt = X in seiner Identität als auch mit seinem immer einerlei, d.h. jederzeit identisch zu denkenden Korrelat, dem transzendentalen Objekt = X, vgl. Miklos Veto (1976, bes. S. 201 u. S. 208). A 766/B 794 FM, Ak XX, 280

A 108

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

237

Fall eines solchen Selbstverständnisses „nicht blos eine Beziehung der Wahrnehmung auf ein Subject, sondern eine Beschaffenheit des Gegenstandes" 410 aus. Der als Gegenstand selbst beurteilte Gegenstand in seiner Beschaffenheit bleibt dabei ein Gegenstand für mich und ist zugleich, welche Hinzufügung unerläßlich ist, als ein Gegenstand für uns beurteilt. Im Fall seines bloßen 'für mich', wenn auch ergänzt durch 'jederzeit', wodurch nur Fixierung und Zwang innerhalb eines doch privat bleibenden Wahrnehmungszusammenhangs erreicht wären, d.h. im Fall der Ausgrenzung des wesentlichen Intersubjektivitätsaspekts, entfiele der Sinn der Rede von einem Objekt selbst. Um den Sinn von 'Objekt selbst' erhalten zu können, muß das Objekt als aus meiner Wahmehmungssphäre entlassen gedacht werden, und zwar in dem Verständnis seines Selbst, daß auch andere sich auf es beziehen können. Daß ein Objekt als ein wirkliches so gedacht ist, ist im Erfahrungsurteil durch das 'ist' ausgedrückt. In Anwendung der schon oben hervorgehobenen Modalitätskategorie des Daseins sind die den Inhalt der Urteile gliedernden formalen Verstandesbegriffe, in deren Formen in Wahrnehmungsurteilen auch schon empirische Begriffe auftreten, erst im eigentlichen, auf wirkliche Erfahrung bezogenen Sinn kategorial verwandt. Durch diese Modalitätskategorie, durch die wir die etwa in Wahrnehmungsurteilen schon vor Veranschlagung des Intersubjektivitätsaspekts mögliche „Bestimmung des Objekts nicht im mindesten vermehren" - der „Begriff eines Dinges" kann hier „schon ganz vollständig" 4 " sein - , sondern durch die wir es mit allen seinen Bestimmungen aufgrund eines ausgezeichneten, nichtprivaten Selbstverständnisses setzen, ist das Ding als ein wirkliches in eine intersubjektive Welt entlassen gedacht. Die Hervorhebung dieser Modalisierungsleistung in „Ausübung der Spontaneität" ist bei Kant von dorther zu stützen, wo er feststellt, daß, ,,[e]inen Gegenstand geben, ... nichts anders ... [ist], als dessen Vorstellung auf Erfahrung (es sei wirkliche oder doch mögliche) beziehen" 4 ' 2 . Für 'oder doch mögliche Erfahrung' ist 'oder zumindest mögliche Erfahrung' zu lesen, so daß demnach mit dem über das Minimum hinaus gesteigerten Modus der Wirklichkeit das zu akzentuierende Ziel in der Ausübung der Spontaneität in ihrem Absehen auf wahre Erfahrungsurteile angegeben ist In eine intersubjektive Welt entlassen gedacht, ist das Objekt selbst nicht in ein An-sich entlassen gedacht, sondern als ein Objekt, das in der Unterscheidung von uns, also immer in Beziehung auf uns, Objekt für uns ist. Insofern wir, wie zu wiederholen ist, „außer unserer Erkenntniß doch nichts haben, welches wir dieser Erkenntniß als correspondirend gegenübersetzen könnten" 413 , ist demgegenüber

410 411 4,2 413

PROL, Ak IV, 298 A219/B266 A 155f./B 195 A 104

238

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

der Gegenstand selbst als in der Erkenntnis gesetzt gedacht, und zwar als auf einem durch die Subjekte zu leistenden Selbstsetzen eines korrespondierenden Gegenüber beruhend. Die Wahrheitsbeziehung ist damit als von den Subjekten her eröffnet gedacht. Insofern nun schon hinsichtlich des Wahrnehmungsurteils eingeschränkt von einer Art Gegenüber, d.h. von einer Art Objekt, und von einer Art Wirklichkeit, d.h. von privatsubjektiver Realität, zu sprechen war, gehört zum Sinn des jetzigen Gegenüber des Gegenstandes selbst eigentlicher Erkenntnis wesentlich, daß es das gemeinsame Gegenüber unserer Erkenntnis ist: „Das Urtheil was allgemeingültig ist, betrifft die Wahrheit. Denn ein Urtheil welches n o t w e n d i g e r weise vor alle gilt; stimmt mit dem Object überein. Und die Allgemeingültigkeit der Erkenntniß ist es eben was wir suchen" 414 .

Vorzüglich suchen wir demnach im Erkennen die Vergemeinschaftung des Vorstellens, wodurch sich nach dem Obigen unsere in der Identität eines Grundes (Apperzeption) liegende Verwandtschaft realisiert. Dazu ist die Beziehung auf ein Objekt selbst vermittels eines objektiv gültigen Urteils erforderlich, das wahr sein kann. Denn es wäre, wie gesehen, „kein Grund, warum anderer Urtheile notwendig mit dem meinigen übereinstimmen müßten, wenn es nicht die Einheit des Gegenstandes wäre, auf den sich alle beziehen"415. Das Erfahrungsurteil kann zwar auch falsch sein: „Ich kann zwar in dem Urtheile irren, in welchem ich glaube Recht zu haben: denn das gehört dem Verstände zu, der allein (wahr oder falsch) objectiv urtheilt"416. Das Urteil will aber immer nur wahr sein. Von einem Wollen zu sprechen, ist von Kant her durch die schon angeführten Formulierungen hinsichtlich der Erkenntnisansprüche belegt. Das 'ist' im Erfahrungsurteil drückt nach dem Gesagten den Anspruch aus, das Ziel eines Suchens erreicht zu haben, d.h., es beansprucht das Finden des in der Suche Projektierten. In Hinsicht auf Subjekte, die etwas suchen, hier die Allgemeingültigkeit der Erkenntnis und ineins damit den Gegenstand der Erfahrung, ist nach einem Motiv für ihr Suchen zu fragen. Ein solches ist aus Kants Erwägungen dazu, „was man denn unter dem Ausdruck eines Gegenstandes der Vorstellungen meine"417, auch zu entwickeln. Darüberhinaus, bloß festzustellen oder zu „finden ..., daß unser Gedanke von der Beziehung aller Erkenntniß auf ihren Gegenstand", der zugleich der Gedanke der Beziehung der Erkenntnis aller auf diesen Gegenstand ist, „etwas von Nothwendigkeit bei sich führe", gibt er auch noch einen Grund für die Notwendigkeit dieses Gedankens an: „ . . . , da nämlich dieser [der Gegenstand] als dasjenige angesehen wird, was dawider ist, daß unsere Erkenntnisse nicht aufs Gerathewohl, oder beliebig, sondern a

414 415 416 417

Ak XXIV, 387 ΡROL, AkIV, 298 MVT, Ak VIII, 268 A 104

3. Einheit des Zwecks im Erfahrungsurteil

239

priori auf gewisse Weise bestimmt sind: weil, indem sie sich auf einen Gegenstand beziehen sollen, sie auch nothwendiger Weise in Beziehung auf diesen unter einander übereinstimmen, d.i. diejenige Einheit haben müssen, welche den Begriff von einem Gegenstande ausmacht'""8. Der Gedanke der Beziehung aller Erkenntnis auf ihren Gegenstand ist demnach der Gedanke wider die Beliebigkeit oder Unverbindlichkeit der Vorstellungen im Erkennen. 419 Wie die konjunktivische Formulierung, daß er auf Erkenntnisse geht, die „a priori auf gewisse Weise bestimmt sind'420, ausdrückt, ist mit ihm ein optativer Sinn zu verbinden. Mit diesem Sinn versehen, liegt in der Tendenz dieses Gedankens die Anstrengung wider etwas zu Vermeidendes, nämlich Geratewohl oder Beliebigkeit, und die auf etwas hin, woran ihm als Gegenstand des Interesses etwas gelegen ist. Positiv ist der Gedanke von der Beziehung aller Erkenntnis auf ihren Gegenstand ein Gedanke um der Verbindlichkeit des Vorstellens willen.

418 419

420

A 104f. Den weithin in diesem Kernstück (A 104ff.) der 'Transzendentalen Deduktion' übersehenen Intersubjektivitätsaspekt sieht Leslie Stevenson (1982, bes. S. 334f.) - allerdings ohne seinen auch in dieser Untersuchung jetzt noch zu entwickelnden moralischpraktischen Zug - durch die intersubjektiv deutbare Wendung vom Unter-einander-Übereinstimmen unserer Erkenntnisse wenigstens angedeutet; in den näheren bei Kant (PROL, Ak IV, 298) Bestätigung gewinnenden Ausführungen dazu sind übrigens interessante Parallelen zu Wittgensteins Argumentation gegen eine Privatsprache gezogen. - Gegen den von Karl-Otto Apel (1973, vgl. S. 163f.; 1980/81, vgl. S .86) wiederholt vorgetragenen Solipsismus-Vorwurf gegenüber Kants Konzeption transzendentaler Subjektivität, wovon abgehoben er sich seine eigenen intersubjektivitatsbzw. kommunikationstheoretischen Hinzufllgungen zugute halt, bemerkt Detlev Horster (1982, vgl. S. 463-466) mit Bezug auf Kants Begriffe einer in transzendentaler Apperzeption begründeten Allgemeingültigkeit und einer objektiven Gültigkeit mit Recht, daß Erkenntnis bei Kant von Anfang an als intersubjektives Geschehen verstanden ist und daß, den damit verbundenen praktischen Aspekt mit in Rechnung gestellt, auch die Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft „keine Neuentdeckung von ... Apel" (S. 466) ist. Im selben Sinn äußert sich auch Annemarie Pieper (1978, vgl. S. 314ff.). - Als weiterer Vertreter der Solipsismus-These, die beizubehalten nach Eröffnung des originaren Verbindlichkeitscharakters von Erkenntnis den widersinnigen Gedanken einer solipsistischen Verbindlichkeit zu denken verlangte (wodurch als einer Verbindlichkeit zum Egoismus etwas anderes zu denken wäre als die von Kant statuierten Pflichten gegen sich selbst, die solche Pflichten nur als in einen Intersubjektivitatskontext integrierte sind), ist Hans Ebeling (1982, S. 39f.) anzuführen: „Der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie bleibt ein Ich-denke, das keine apriorische Vermittlung mit dem Ensemble dritter Personen vollzogen hat." ebd.; Hervorh. Vf. - Die gewählte Übertragung des in Kants Originaltext ambivalenten 'seyn' in ein 'seien', für die sich Ingeborg Heidemann (1966) in der von ihr edierten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft entschieden hat, ist sowohl unter systematischem wie unter kontextuellem Gesichtspunkt (unter diesem letzteren aufgrund der unmittelbar folgenden Wendung: „sich auf einen Gegenstand beziehen sollen") der Übertragung der Akademieausgabe in ein indifferentes 'sind' vorzuziehen.

4. Verbindlichkeit Die Beziehung der Vorstellungen auf den Gegenstand der Erkenntnis als sein sollend ausgesagt, ist sie in der „Formel" ausgesagt, „unter welcher eine jede Verbindlichkeit ausgesprochen wird"421. Der Gedanke der Verbindlichkeit aber ist kein auf ein isoliertes Gebiet bloß theoretischen Selbstverständnisses zu restringierender, sondern läßt im Gegenteil das angesprochene Motiv für die Suche nach der Allgemeingültigkeit von die Wahrheit betreffenden Erfahrungsurteilen als ein sittliches Motiv in den Blick nehmen. In Anwendung auf im üblichen engeren Sinn moralisch bedeutsame Verhältnisse ist der Gegensatz zwischen Beliebigkeit und Verbindlichkeit, oder anders, zwischen Beliebigkeit und pflichtgemäßen Beziehungen unter Subjekten, bei Kant geläufig. Hier ist dieser Gegensatz der zwischen demjenigen, worüber Jemand in seinem eigenen Namen nach Belieben disponiren kann", und demjenigen, was er „nur im Namen eines Andern verrichten d a r f ; dieses letztere „Geschäft treibt er so, daß der Andere dadurch, als ob es von ihm selbst geführt wäre, verbindlich gemacht wird"422. Diese Entgegensetzung in erweiterter Anwendung auf das Gebiet theoretischen Vernunftgebrauchs übertragen, sind als Entsprechungsstücke einerseits für das Disponieren im eigenen Namen das Wahrnehmen oder Wahrnehmungsurteilen und andererseits für die auch auf andere hin verpflichtete Tätigkeit das Erfahrungsurteilen mit seinem Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu nehmen. Die Erkenntnissubjekte sind an der zuletzt herangezogenen Stelle der A,Deduktion' pluralisch angesprochen („unsere Erkenntnisse"), und zwar als Subjekte, deren Erkenntnisse unter der Forderung des Sein-Sollens der Gegenstandsbeziehung stehen. Pointiert ist demnach zu sagen: Erfahrungsurteile sollen sein. Insofern nun Allgemeingültigkeit eigentlich das ist, was wir suchen und was nur auf Objekte gestellt zu erreichen ist, d.h. nur vermittels der Beziehung auf einen als transzendentalen Gegenstand zunächst entworfenen und dann durch das 'ist' in den Erfahrungsurteilen als erzielt behaupteten wirklichen Gegenstand der Erfahrung, steht das Sein-Sollen der Gegenstandsbeziehung unter dem höheren Zweck der Forderung wider die Beliebigkeit und das Geratewohl in den Beziehungen unter den Subjekten, die positiv die Forderung nach verbindlichen Beziehungen unter ihnen ist. Diese verbindlichen Beziehungen unter den Subjekten zu errei-

421 422

GTM, Ak II, 298 UBN, Ak VIII, 83

4. Verbindlichkeit

241

chen, ist der Gegenstand der Erfahrung dann das Mittel. Ein derart um der Verbindlichkeit willen notwendig auf einen Gegenstand bezogenes Selbstbewußtsein in nichtprivatem Selbstverständnis ist kein bloß eingeschränkt theoretisches. Verbindlichkeit ist nach Kant allgemein bestimmt als „Nothwendigkeit einer freien Handlung unter einem kategorischen Imperativ der Vernunft" 423 . Ein kategorischer Imperativ, „indem er eine Verbindlichkeit in Ansehung gewisser Handlungen aussagt, ist ein moralisch-praktisches Gesetz, wonach die „Begehung oder Unterlassung als Pflicht vorgestellt wird"424. Als freie Handlung war schon oben die auf einen Gegenstand selbst der Erfahrung gehende Reflexionshandlung zu bezeichnen, d.h. als frei in Hinsicht darauf, wie eine Sache aus Erscheinungen zu beurteilen oder anders ein „objectives Urtheil aus Warnehmungen" 425 zu erzielen ist. Diese freie Reflexionshandlung ist notwendig in Hinsicht auf die Beantwortung z.B. der Frage, ob die in Wahrnehmungen sukzessiven Vorstellungen eine Folge im Gegenstand betreffen oder nicht, nach Kants Beispielen etwa in bezug auf eine Hauswahrnehmung von unten nach oben oder hinsichtlich der Wahrnehmung eines stromabwärts treibenden Schiffs426. Die Unterscheidung, die daraufhin erforderlich ist, um eine Folge als objektiv zu behaupten, insofern wir nämlich „Ursache finden" müssen, unser „Urtheil für nothwendig allgemeingültig zu halten", kann „niemals auf der Wahrnehmung" als solcher beruhen, sondern erfordert einen „reinen Verstandesbegrifït.]" 427 und die a priori freie Handlung der Reflexion in Hinsicht auf die Subsumption der fraglichen Wahrnehmung unter diesen Begriff. Diese Reflexion wird zur Verneinung der Objektivität der Folge im ersten Beispiel und zur Bejahung im zweiten führen, wobei prinzipiell aber auch andere Beurteilung und also auch Irrtum möglich ist. Die freie Reflexion, die mit Blick auf die Urteilsdefinition auch als die auf die Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Einheit der Apperzeption gehende zu bezeichnen ist, läßt „das Erkenntnißvermögen (das theoretische der Natur)" als „Verstand" zu den „Seelenvermögen" zählen, die „eine Autonomie enthalten"428. Der Imperativ, unter dem die freie Reflexionshandlung steht, ist der, daß eine Sache aus Wahrnehmungen (inklusive ihres schon auf Wahrnehmungsurteile hin erweiterten Verständnisses) zu beurteilen und daß die subjektive von der objektiven Einheit der Apperzeption zu unterscheiden ist. An dieser Stelle ist an die schon herangezogene Aussage Kants zu erinnern, daß die auf Gegenstände selbst gehende transzendentale Reflexion „eine Pflicht [ist], von der sich niemand lossa-

423

MDS,Ak VI, 222

424

MDS, Ak VI, 222f. Ak XVI, £ £ ^ ¿ 3 1 4 6 vgl. A 190ff./B 236fF.

425 426

427 428

PROL, Ak IV, 298 KDU, Ak V, 196

242

4. Verbindlichkeit

gen kann, wenn er a priori etwas über Dinge urtheilen will"429. Dieses UrteilenWollen kommt in jedem Erfahrungsurteil, insofern ich darin will, daß es für mich jederzeit und für jedermann gelte, zum Ausdruck. Was damit zum Ausdruck kommt, ist ein auf Allgemeingültigkeit zielender Wille, demgemäß das auf der Reflexionshandlung beruhende Urteil für verbindlich erklärt ist. Die Beurteilung auf eine Sache selbst hin ist, wie jetzt unter dem Titel der Verbindlichkeit zu sagen ist, unbedingt geboten und soll sein. Vorzüglich - weil sonst den wesentlichen Sinn von Verbindlichkeit verfehlend, welche nicht in bezug auf Sachen allein und isoliert von anderen Subjekten angesetzt werden kann - ist unter diesem Titel ineins mit dem Gebot der auf die Sache hin herzustellenden Beziehung eben das Gebot der Herstellung verbindlicher Beziehungen unter Subjekten zu betonen. Im Fall der unter diesem Imperativ stehenden, zum Erfahrungsurteil führenden Reflexionshandlung ist wie im Fall von im engeren Sinn von Praxis verstandenen intersubjektiv relevanten Handlungen die Möglichkeit des Gelingens oder Scheiterns gegeben - das erstere in Gestalt empirisch wahrer, eine Sache und die Beziehung auf andere erzielender, das zweite in Gestalt empirisch falscher, d.h. beides verfehlender Urteile. Im falschen Urteil als einem doch objektiv gültigen und nur die empirische Wahrheit verfehlenden ist allerdings, wie bereits herausgestellt, doch mindestens die Beziehung auf einen Gegenstand überhaupt und auf andere unter dem Aspekt transzendentaler Wahrheit gegeben, weshalb es als mögliche Erfahrung betreffend auch ein intersubjektiv verhandelbares und korrekturfähiges ist. Durch das bezeichnete Gelingen- oder Scheitern-Können ist angezeigt, daß ein Subjekt nicht in ein bloßes Stattfinden von Erfahrung mit von selbst als Erfahrungen ausgezeichneten Vorstellungen gestellt ist, sondern daß Erfahrung und die ineins damit zu denkende Bezugnahme auf andere ausdrücklich zu leisten sind. Insofern theoretischer Erkenntnisabsicht etwas in der Formel des Sollens, d.h. als Gebot oder Norm, vorgeschrieben ist, nämlich die Beziehung auf einen gemeinsamen Gegenstand der Erfahrung, liegt hier ein Verhältnis wie auch dort vor, wo einem im engeren moralischpraktischen Sinn verstandenen Willen ein Imperativ die Form der Allgemeingültigkeit der Maxime vorschreibt. Beiderseits ist, insofern eben unter einem Imperativ stehend, der Wille als noch nicht von selbst der gesetzlichen Forderung gemäß zu denken. Beiderseits ist das Erzielen des Imperativisch Geforderten in Orientierung am Gedanken der Gültigkeit für ein Ich jederzeit und für jedermann gefordert. Aufgrund dieser Übereinstimmung ist es denn auch möglich, daß Kant unter Rückgriff darauf, was unter Natur oder dem Dasein der Dinge zu verstehen ist (wobei er speziell den Naturbegriff der Kausalität heranzieht), den moralischpraktischen Imperativ in die sogenannte Naturgesetzformel bringen kann:

429

A 263/B 319

4. Verbindlichkeit

243

„Weil die Allgemeinheit des Gesetzes, wornach Wirkungen geschehen, dasjenige ausmacht, was eigentlich Natur im allgemeinsten Verstände (der Form nach), d.i. das Dasein der Dinge, heißt, so fern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist, so könnte der allgemeine Imperativ der Pflicht auch so lauten: handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden solile"430.

Über die bisherige Parallelisierung hinaus ist das Verhältnis zwischen dem moralischpraktischen Imperativ und dem Imperativ, wonach der verbindliche Gegenstand einer gemeinsamen Erfahrung gefordert ist, noch genauer so zu bestimmen, daß der letztere als aus dem ersten, der „nur ein einziger" ist, abgeleitet angesehen werden kann; es müssen nach Kant „aus diesem einigen Imperativ alle Imperativen der Pflicht als aus ihrem Princip abgeleitet werden können" 431 . Um den Imperativ, in der Erfahrung „sich auf einen Gegenstand beziehen [zu] sollen"432, als einen solchen Imperativ der Pflicht betrachten zu können, ist diese Abhängigkeit zu zeigen. Von der praktischen Freiheit gilt nun, daß ihre Wirkung „in der Welt geschehen soll": „Die Wirkung nach dem Freiheitsbegriffe ist der Endzweck, der (oder dessen Erscheinung in der Sinnenwelt) existiren soll"433; dieser Endzweck kann „allein in der Natur und mit Einstimmung ihrer Gesetze wirklich werden" 434 . Daß er wirklich werden kann und daß also möglich ist, was geboten ist in Hinsicht auf die Beziehungen unter moralischen Subjekten, ohne welche Möglichkeit das Gebot selbst obsolet würde, setzt zuerst überhaupt eine gemeinsame Sinnenwelt voraus. Das ist eine Sinnenwelt als eine überhaupt gesetzlich verfaßte Natur, auf die sich jedermann bezieht. Für das geforderte Existieren-Können der Wirkung nach dem Freiheitsbegriff ist überhaupt ein Existieren von Dingen einer gemeinsamen Welt vorausgesetzt, d.h. das Dasein von Gegenständen der Erfahrung. Natur im angesprochenen Sinn ist im Gedanken des transzendentalen Gegenstandes beständig entworfen, und durch das 'ist' in den Erfahrungsurteilen ist der Entwurf durch erzielte existierende Dinge als eingeholt angesehen. Ohne das Erzielen von Gegenständen einer gemeinsamen Erfahrung, wozu, wie gesehen, selbst freie Handlung der Reflexion in der Orientierung an dem von dem speziellen moralischpraktischen Geltungsgedanken ununterschiedenen Gedanken einer Gültigkeit für jedermann erforderlich ist, fehlte in Hinsicht auf praktische Freiheit dasjenige, worin sie nach dem Angeführten allein wirklich werden kann. Die Forderung des Gegenstandes der Erfahrung muß demnach als im moralischpraktischen Imperativ enthalten angesehen werden. Insofern als notwendige Bedingung erfüllt sein muß, den Gegenstand einer gemeinsamen Erfahrung erzielt zu haben, damit das

430 431 432 433 434

G MS, Ak IV, 421 ebd. A 104 KDU, Ak V, 195f. KDU, Ak V, 196

244

4. Verbindlichkeit

durch den moralischpraktischen Imperativ Geforderte realisierbar ist, ist dieser Gegenstand selbst das Geforderte eines Imperativs der Pflicht. An einem Beispiel Kants aus der Anthropologie435 lassen sich die aus dem Fehlen eines Gegenstandes der Erfahrung erwachsenden ausschaltenden Konsequenzen in Hinsicht auf moralische Verbindlichkeit zeigen. Dieses Beispiel handelt von einem „Menschen, welcher seinen Traum, er habe den Kaiser umgebracht, seinen Freunden erzählte". Ohne daß nun eine in einem engeren Sinn verstandene ethische Erwägung anzustellen wäre, ist es mit Kant allein deshalb abzulehnen, daß man ihn „zum Tode verurtheilte", weil ihm die „gemeinschaftliche Welt" fehlte, die wir im Wachen haben; „schlafen wir ... , so hat jeder seine eigene". Umgekehrt kann die Konsequenz nur lauten: Wo moralische Verbindlichkeit herrschen soll, da ist die Objektivität einer gemeinsamen Welt zu fordern und zuerst also die Verbindlichkeit unter £r¿e«/tf/í/ssubjekten. Damit ist der durch transzendentale Reflexion zu leistende Übergang von der subjektiven Einheit des Bewußtseins zur objektiven als ein moralisch bedeutsamer zu kennzeichnen. Die schon mehrfach geführte Rede von der Auszeichnung des Erfahrungsurteils bezieht zuletzt von hierher ihren nachdrücklichen Sinn. Vor dem entwickelten Hintergrund ist erst letztlich verständlich, warum Erfahrungsurteile vorzüglich vor der subjektiven Einheit des Bewußtseins (ob im Traum oder in Wahrnehmungsurteilen) eine DignitàΖ436 in der buchstäblichen Lesart von 'Würde' haben; ebenso, warum in Beantwortung der allgemeinen transzendentalphilosophischen Frage nach dem Wert oder Unwert von Erkenntnissen437 auch der Wert der Kopula 'ist' im Erfahrungsurteil im buchstäblichen Sinn eines Werts, d.h. unter Einschluß moralischpraktischer Emphase, zu nehmen ist; und schließlich wird von hierher verständlich, warum, wie gefordert, von der Einheit des Zwecks im systematischen Zusammenhang derjenigen Verstandesbegriffe zu sprechen ist, die als Kategorien zum Erfahrungsurteil in seiner ihm wesentlichen Assertionsfunktion hinsichtlich der wirklichen gemeinsamen Welt zusammenwirken. Als von der Einheit des Zwecks regiert können auch das Ins-Bild-bringenSollen transzendentaler Einbildungskraft und sogar das bisher immer in der Abhebung von der Erfahrung thematisierte Wahrnehmungsurteil angesehen werden, allerdings nur, insofern beide nicht abstraktiv für sich betrachtet sind, d.h. positiv, insofern die Synthesis der Einbildungskraft als erste Anwendung des Verstandes mit noch folgenden intendierten Anwendungen zu nehmen ist oder schließlich das Wahrnehmungsurteil in der Qualität, daß aus ihm zuletzt eine Sache beurteilt, oder anders, ihm „eine neue Beziehung, nämlich auf ein Object"438, gegeben werden

435 436

ANTH, Ak VII, 189f. vgl. A 91/B 124; A 136/B 175; A 197/B 242 437 vgl. A12/B26 438

PROL, Ak IV, 298

4. Verbindlichkeit

245

kann. Insofern mit dem Wahrnehmungsurteil das Bewußtsein verbunden ist, daß auf der Basis seines anfänglichen Als-Wahrnehmung-Aussagens dann ein allgemeingültiges Als-Erfahrung-Aussagen möglich ist, welche Möglichkeit um der Kommunikabilität der Vorstellungen in der Beziehung auf einen verbindlichen Gegenstand der Erfahrung willen auch realisiert werden soll, ist mit ihm die Tendenz hin auf Erfahrung verbunden. Das Bildvorstellen der Einbildungskraft betreffend, ist von dem entwickelten Ergebnis der zu wahrenden Einheit des zuletzt moralischpraktischen Zwecks im Erkennen her die explizite Indienststellung der Einbildungskraft durch den Verstand, wie sie in der 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft zu finden ist, ihrer aus der ersten Auflage noch eher herauszulesenden Eigenständigkeit vorzuziehen. Daß nun ausgerechnet im Zusammenhang der Statuierung der Objektivität eines Kausalverhältnisses (also etwa hinsichtlich des Erfahrungsurteils über das stromabwärts treibende Schiff) im angegebenen buchstäblichen Sinn davon soll gesprochen werden können, daß unsere Vorstellungen dadurch eine „Dignität ... erhalten" 439 , mag deshalb verwundern, weil das Kausalverhältnis seiner besonderen Beschaffenheit nach doch gerade das Haupthindernis hinsichtlich einer in der Natur zu verwirklichenden Freiheit darstellt. Die Kausalitätskategorie als das Prinzip äußerer Verursachung gibt zugleich das Prinzip mechanischer Determination ab, und es ist zu fragen, wie dieses Prinzip in einen Zusammenahng gebracht werden kann mit der inneren Kausalität, die unter dem Gesichtspunkt lebendiger, zuletzt praktischer Zwecksetzung vorauszusetzen ist und woran allein der Gedanke einer Dignität geknüpft werden kann. Zur Lösung dieser Schwierigkeit sind die beiden Aspekte der besonderen Beschaffenheit des Verhältnisses äußerer Kausalität einerseits und der Objektivität dieses Verhältnisses andererseits zu unterscheiden. Zum Übergang von der subjektiven Einheit gegebener Vorstellungen, wie sie etwa durch ein als Wahrnehmung ausgesagtes Folgeverhältnis (bezüglich desselben treibenden Schiffs) ausgedrückt ist, zur objektiven Einheit, der gemäß dieses Verhältnis als Erfahrung ausgesagt ist, ist eine Unterscheidungsleistung vorauszusetzen, die auch hier, wo es sich um eine schließlich als objektiv behauptete äußere Kausalität handelt, selbst nicht äußerlich determiniert ist. Durch diese Unterscheidungsleistung ist das Folgeverhältnis erst in einem Erfahrungsurteil kategorial bestimmt. In diesem Leisten einer Unterscheidung mit dem Ergebnis eines Beziehung-Gebens auf ein Objekt ist Kausalität erst als Kategorie erzeugt und in dem Sinn in Anwendung, in dem von Kategorien gesagt wird, daß sie „im Verstände entspringen" 440 . Auch der Fall der Objektivitätsbehauptung bezüglich äußerer Kausalität beruht auf einer in Hinsicht auf die Beurteilung von Sachen aus Er-

439

A 197/B 242

440 B ,44

246

4. Verbindlichkeit

scheinungen freien oder spontanen Reflexion, oder anders, auf innerer Kausalität, die sich am Zweck der „Allgemeingültigkeit und Nothwendigkeit" von Verknüpfungen „in einem Bewußtsein überhaupt"441 orientiert. Im Verständnis einer inneren Kausalität weist die angesprochene Reflexion die Qualität des Lebendigen auf, hier in Bestimmung der Objektivität eines Verhältnisses äußerer oder mechanischer Naturkausalität. Denn, um es zu wiederholen, „Reflexion" ist „die innere Handlung (Spontaneität), wodurch ein Begriff{ein Gedanke) möglich wird"442; und „das Vermögen ..., sich aus einem inneren Princip zum Handeln ... zu bestimmen", ist ,JLeben"AAi. In der Konsequenz des Gesagten kommt nicht dem, daß das durch die Kategorie der Kausalität gedachte Verhältnis ein Verhältnis äußerer Verursachung ist, Dignität zu, sondern der Objektivität und ineins damit der Intersubjektivität dieses Verhältnisses. Wo Kant unter der einschränkenden Bedingung, „wenn man bloß den Lauf der Natur vor Augen hat", d.h. nur die besondere Weise ihrer Regelung gemäß dem Begriff äußerer Kausalität, zu dem Ergebnis kommt, darin habe „das Sollen ... ganz und gar keine Bedeutung", sondern der Verstand könne „in der ganzen Natur" ohne ein darin vorkommendes Sollen „nur erkennen, was da ist oder gewesen ist oder sein wird"444, da ist von dieser Aussage doch nicht betroffen, daß die an zunächst subjektiven Erscheinungen ansetzende freie Beurteilung der Sache, hier des Laufs der Natur aus diesen Erscheinungen, um der Objektivität und um der Intersubjektivität willen sein soll. Den Lauf der Natur in seiner Objektivität und Intersubjektivität überhaupt vor Augen zu bekommen, ist nach den von Kant gegebenen Erläuterungen eben Punkt einer in Absicht auf zu erzeugende Erfahrungsurteile als Pflicht aufzufassenden Reflexion. Wenn sich nun, den Lauf der Natur im Ergebnis erzeugter Erfahrungsurteile vor Augen, ein Problem in Hinsicht auf die besondere Beschaffenheit des Verhältnisses äußerer Kausalität und eine damit fragliche Freiheit in der Natur mit dem selbst in diesen Lauf eingeordnet erscheinenden Subjekt stellt, so ist dieses Problem trotz seiner Wichtigkeit doch ein systematisch nachgeordnetes. Denn die Objektivität dieses Laufs der Natur muß durch Erfahrungsurteile, die die Spontaneität der bezeichneten Reflexion verlangen, überhaupt zunächst erst erzielt werden. Pointiert läßt sich demnach sagen, daß der Problemstellung einer Freiheit in der Natur Freiheit insofern schon vorausgesetzt ist, als freie Beurteilung hinsichtlich des Erzielens von Erfahrungsurteilen und also überhaupt einer Natur vorangehen muß. Das genannte Problem der Freiheit in der Natur behandelt Kant im Zusammenhang der Auflösung kosmologischer Dialektik, und er kommt bekanntlich zu dem -

Ak IV, 300 ANTH, Ak VII, 134 Anm. 443 MAN, Ak IV, 544 444 A 547/B 575 441

442

ΡROL,

4. Verbindlichkeit

247

hier nicht mehr zu entwickelnden - Ergebnis, daß Freiheit darin nicht unmöglich ist. In den vorbereitenden Erwägungen daraufhin, ob überhaupt irgend ein Anhalt für Freiheit gegeben ist, führt er in einer unter dem Gesichtspunkt des Lebens stehenden Stufung, anfangend bei „der leblosen", fortfahrend mit der „bloß thierisch belebten Natur", worin wir für Freiheit „keinen Grund" finden, auf den Menschen, insofern dieser „sich selbst und durch bloße Apperception [erkennt], und zwar in Handlungen und inneren Bestimmungen, die er gar nicht zum Eindrucke der Sinne zählen kann"445. Bezeichnet ist diese, wie in Fortsetzung der Stufung zu sagen naheliegt, geistigbelebte Apperzeption in ihrem Handeln und inneren Bestimmen, das als ein sich selbst bewußtes inneres ein Selbstbestimmen ist, auch durch das „Vermögen Verstand", insofern dieser von seinen reinen Begriffen „einen empirischen Gebrauch macht"446, also etwa vom Kausalbegriff einen Gebrauch macht in einem Erfahrungsurteil. So erläutert, ist diese als Anhalt für Freiheit herangezogene Apperzeption im selben Sinn wie innerhalb der 'Deduktion' und insbesondere in der Definition des Erfahrungsurteils aufzufassen. Zwar ist die thematische Apperzeption im gegebenen Kontext „vornehmlich" und „vorzüglicher Weise" durch das „Vermögen ... Vernunft" angegeben und dieser Vorzug mit der in ihr gedachten besonderen Kausalität aus Freiheit in Verbindung gebracht, wie sie „aus den Imperativen klar [ist], welche wir in allem Praktischen den ausübenden Kräften als Regeln aufgeben"447; eine etwa von hierher zu begründen versuchte Entgegensetzung zum Verstand wird aber dann hinfällig, wenn, wie herauszustellen versucht wurde, der Verstand selbst in seiner auf Erfahrungsurteile gehenden Urteilspraxis als ausübende Kraft anzusehen ist, die um der Erfüllung des auf Verbindlichkeit unter den Subjekten gehenden, nicht sinnlich bedingten Imperativs willen fungiert, daß sich Erkenntnisse „auf einen Gegenstand beziehen sollen"448. An dieser Stelle soll zur Abhebung vom so in Erfahrungsurteilen fungierenden Verstand noch einmal auf die Vorstellungsarten zurückgegangen werden, die diese Forderung nicht erfüllen. Nach einem oben gegebenen Beispiel ist dazu noch der Traum zu zählen. Dieser weist in Hinsicht auf die anderen sowohl Aspekte der Gemeinsamkeit als auch solche der Unterscheidung auf. Wahrnehmungen oder Wahrnehmungsurteile - abstraktiv als solche betrachtet und nicht als Stufen von Anwendungen des Verstandes, der ihnen im ganzen die Tendenz zur Erfahrung verleiht - haben im Punkt der Privatheit den gleichen Status wie das Vorstellen im angeführten, Verbindlichkeit aufhebenden Traum. In der Erwägung bloßer Wahrnehmungen „ohne Object" der Erfahrung bezeichnet Kant

445 446 447 448

A 546/B 574 A 547/B 575 ebd. A 104

4. Verbindlichkeit

248

diese als „ein blindes Spiel der Vorstellungen", das für ihn sogar „weniger als ein Traum" ist449. Dabei ist Blindheit hier nach dem der Wahrnehmung als solcher vermittels des Ingredienz 'Einbildungskraft' zuzuschreibenden artikulierten Bildersehen als Begriffslosigkeit zu verstehen: Blind sind Anschauungen, wenn sie „ohne Begriffe sind" und wenn „ohne Verstand" in eigentlich kategorialem Gebrauch kein Gegenstand der Erfahrung zur Anschauung hinzu „gedacht"450 wird. In den 'blind' genannten Wahrnehmungen findet demnach zwar etwas statt, was 'Sehen' genannt werden kann, was aber kein Sehen von etwas ist, sondern worin das Objekt als Vorstellung sich im Vorstellen als solchem erschöpft. Auch die Bezeichnung des bloßen Wahrnehmens als ein Spiel, welcher Ausdruck sich bei Kant ebenso auf den Traum angewandt findet, führt den Sinn von Unverbindlichkeit mit sich - im Unterschied zu der Verbindlichkeit und dem Emst in der Beziehung auf einen Gegenstand der Erfahrung, der nach dem Vorigen jetzt durchaus als ein moralischpraktischer Ernst zu verstehen ist. Im Traum als ,,subjective[m] Spiel meiner Einbildungen" stelle „ich mir darunter doch etwas Objectives vor"451, was also hier anders ist als etwa in gar nicht objektiv urteilenden Wahrnehmungsurteilen, die aufgrund dessen im oben erörterten Sinn auch nicht falsch sein können. Um vor der fälligen Unterscheidung des objektiven Vorstellens im Traum von dem im Erfahrungsurteil überhaupt die Anwendung des Urteils- oder Erkenntnisbegriffs auf den Traum zu rechtfertigen, soll zunächst bloß von Kant her belegt sein, daß ihmnach „aus Wahrnehmungen ... durch ein bloßes Spiel der Einbildung ... Erkenntniß der Gegenstände" entspringen kann, wobei unmittelbar folgend als eine der Möglichkeiten des Entspringens solcher Erkenntnis die Vorstellungen im Traum aufgeführt sind452;

auch andernorts wird dem Subjekt „im Traum" zugeschrieben, daß es darin „urtheilt"453. Schließlich sei noch angeführt, daß nach Kant der „Unterschied ... zwischen Wahrheit und Traum ... nicht durch die Beschaffenheit der Vorstellungen, die auf Gegenstände bezogen werden, ausgemacht [wird], denn die sind in beiden einerlei"454,

z.B. also in den Fällen eines geträumten stromabwärts treibenden Schiffs oder derselben Vorstellung in einem wahren Erfahrungsurteil. Was auf die Vorstellungen im Traum überhaupt den Begriff der Erkenntnis anwenden läßt, ist also der Umstand, daß darin Beurteilung in Hinsicht auf einen Gegenstand selbst stattfindet

449 A 112; Hervorh. Vf. 450 A51/B75 451 A 201f./B 247 452 A 376 453 ANTH, Ak VII, 219 454

PROl, Ak IV, 290; Hervorh. Vf.

4. Verbindlichkeit

249

und der Traum insofern mehr ist als ein Wahrnehmen und auch als ein Wahrnehmungsurteilen. Die Beurteilung im Traum hat nun immer falsche Urteile zum Ergebnis. In diesem weiten Sinn von Erkenntnis, der die falsche einschließt, sind auch an der dazu angeführten Stelle, welche Erkenntnisse aus Wahrnehmungen entspringen können, die eine andere Möglichkeit darstellenden falschen Urteile „beim sogenannten Betrüge der Sinne" „Erkenntniß"455 genannt. Um nun den Unterschied zwischen dem Urteilen im Traum und den objektiv gültigen Erfahrungsurteilen zu bestimmen, zu welchen auch die zuletzt genannten falschen Urteile beim sogenannten Betrug der Sinne gehören, mit denen verglichen also ein Unterschied in der Art der Falschheit der Urteile im Traum festgestellt werden muß, ist auf die Art des Zustandekommens der jeweiligen Urteile zu achten. Als wesentlich für die Unterscheidung ist hier festzuhalten, daß der Traum ein „unwillkürliches"456 VorstellungsgescAeAe« darstellt. Als unwillkürliches ist es keinem willentlichen Zugriff zu unterwerfen möglich und im Sinne eines fremdbestimmt erzwungenen Nicht-anders-Könnens notwendig. Mit diesem notwendigen Vorstellungsgeschehen ist die ebenso notwendige, aber immer falsche Beurteilung verbunden, es doch mit etwas Objektivem zu tun zu haben. Es ist hier, was den Unterschied zum Zustandekommen des Erfahrungsurteils hervortreten läßt, von einem dem passiven Subjekt widerfahrenden Urteilen zu sprechen, von widerfahrender Falschheit also, d.i. eine andere Art von Falschheit als die im objektiv gültigen Erfahrungsurteil, die nicht widerfährt. Wenn bei solcher Passivität im Traum, die in der nachträglichen Bezugnahme auf ihn durch signifikanterweise an der Subjektstelle Anonymität anzeigende Wendungen wie 'Es träumte mir, ...' zum Ausdruck kommt, überhaupt von Urteilen gesprochen werden soll, dann in dem Sinn, daß hier das Subjekt „einem Gedankenspiel hingegeben"457 ist, mit dem beständig der Sinn der Objektivität der Vorstellungen verbunden ist, und zwar dieser als ein hinzunehmender und nicht als ein vom Subjekt geleisteter. Derart dem Spiel hingegeben, ist die Möglichkeit zum Abstand derjenigen spontanen Reflexion nicht gegeben, worin wir - um es erneut zu wiederholen - in Hinsicht auf von uns zu erzielende Erfahrungsurteile „noch ganz frei" sind, wie wir aus Erscheinung „die Sache ... beurtheilen wollen"458; wir sind darin noch ganz frei zu wahren und zu falschen Urteilen. Diese Freiheit ist hier als eine Freiheit des Beurteilen-Wollens angesprochen und darin also unterschieden vom unwillkürlichen Traum. Wenn durch ein Erfahrungsurteil ein Objekt selbst aus zunächst bloß als subjektiv anzusehender Wahrnehmung bestimmt wird, dann wird die Wahrnehmung

455 456 457 458

A 376 A NTH, Ak VII, 167; SDF, Ak VII, 105 ANTH, Ak VII, 219 PROL, Ak IV, 290

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darin nach Kant so beurteilt, daß sie „unter einer Regel steht, welche sie von jeder andern Apprehension unterscheidet, und eine Art der Verbindung des Mannigfaltigen nothwendig macht"459. Den Unterschied zwischen Wahrheit und Traum gibt er nun dadurch an, daß im ersten Fall anders als im zweiten die Verknüpfung der Vorstellungen nach „den Regeln" beurteilt ist, „welche den Zusammenhang der Vorstellungen in dem Begriffe eines Objects bestimmen", also z.B. nach der Kausalitätsregel; zudem sei der Unterschied dadurch zu bestimmen, wiefern die Vorstellungen „in einer Erfahrung beisammen stehen können oder nicht"460. Wie aus dem Beispiel des geträumten stromabwärts treibenden Schiffs und der hier vom Erfahrungsurteil ununterschiedenen Beschaffenheit der auf den Gegenstand bezogenen Vorstellung hervorgeht, sind diese Angaben allerdings ergänzungsbedürftig. Denn bei einer gar nicht zu unterstellenden Undeutlichkeit der Traumvorstellung, bei ihrer nicht zu steigernden Fixiertheit und Bestimmtheit und bei einem hier auch nicht gestörten Beisammen-stehen-Können in einem Zusammenhang könnte der Eindruck entstehen, daß in diesem Beispiel die Verbindung des Mannigfaltigen durch die Kausalitätsregel notwendig gemacht ist. Das für die Unterscheidung erst Entscheidende, das bei Kant im zuletzt angeführten Zusammenhang auch zu finden ist, ist das schon Genannte, zum Erfahrungsurteil in der Beurteilung der Sache aus Erscheinung frei zu sein, so daß die Notwendigkeit der Verbindung des Mannigfaltigen, z.B. hinsichtlich der sukzessiven Vorstellungen des treibenden Schiffs, in diesem Fall des Erfahrungsurteils Angelegenheit einer beurteilen wollenden und beurteilen sollenden Reflexion ist ein „Punkt der Reflexion"461, die Pflicht ist. Die dann festgestellte Notwendigkeit ist eine reflektierte Notwendigkeit. Auf dieser Reflexion beruhend, kann gesagt werden, daß „ich bemerke", zu welchem Bemerken die im Traum nicht mögliche Lösung aus der Unmittelbarkeit des Vorstellungsgeschehens erforderlich ist, daß „die Wahrnehmung A ... auf Β nicht folgen, sondern nur vorhergehen kann"462. Solches reflektierendes Bemerken stellt nicht ein zwanghaftes Hingegeben-Sein an Vorstellungsverbindungen wie im Traum dar, worin bei „Einbildungen die Vergleichung mit den Gesetzen der Erfahrung"463 nicht stattfindet. Im Traum ist die Kausalitätsregel nicht derart in Anwendung, daß durch sie eine Apprehension von einer etwaigen anderen als einer willkürlichen unterschieden würde. In seinem anonym einsinnigen Zwangsgeschehen besteht diese Alternative nicht, und es kann darin keine Reflexion stattfinden. Demgegenüber „können und dürfen" wir in Hinsicht auf Erfahrungsurteile „doch über nichts urtheilen, ohne zu überlegen, d.h. ohne ein Erkenntniß mit der Erkenntnißkraft, woraus es entspringen soll, (der

459 460

461 462 463

A 191/B 236

PROL, Ak IV, 290

A 189/B 235 A 192/B 237 ANTH, Ak VII, 202; Hervorh. Vf.

4. Verbindlichkeit

251

Sinnlichkeit oder dem Verstände) zu vergleichen"464. Wo diese Reflexion nun möglich ist, nämlich als eine auf einem Beurteilen-Wollen beruhende Handlung, die auf Sachen aus Erscheinungen und also auf Erfahrungsurteile zielt, da ist hinsichtlich dieser Urteile als der Handlungsergebnisse zugleich die nur sie kennzeichnende Alternative des Wahr- oder Falsch-Urteilens eröffnet. Als Kriterium in der Selbstversicherung daraufhin, ob prinzipiell die zu Erfahrung führen könnende Situation vorliegt, kann nach dem Gesagten angegeben werden, daß dann im Ausgang von zunächst immer subjektiven Erscheinungen die Freiheit des reflektierenden Bemerken-Könnens von notwendig geregelten Vorstellungsverbindungen und nicht bloß Befangenheit in einem zwanghaft notwendigen Geschehen - vorliegen muß. Von dieser Freiheit her ist in der Konsequenz dann ein wahres oder falsches Bemerken möglich. Aufgrund des einem Urteilen-Wollen gegenüber unüberwindbar unwillkürlichen, anonymen und passiven Charakters des Traums ist bei einer darin nicht möglichen Wahrheit und also alternativlosen Falschheit in der Beziehung auf einen Gegenstand dieses falsche Urteilen keinem Subjekt zuschreibbar. Im Fall solchen unzuschreibbaren, notwendigen und also unverschuldeten Irrtums ist für das falsche Urteilen keine Verantwortlichkeit gegeben. Im Punkt einer demgegenüber doch gegebenen Alternative unterscheidet sich von dieser Falschheit die Falschheit in Erfahrungsurteilen, die keine notwendige ist - also auch etwa nicht im sogenannten Betrug der Sinne, der aber bekanntlich, insofern Sinne gar nicht urteilen, nicht eigentlich ihr Betrug ist. Es unterscheidet sich das Erfahrungsurteil vom Traum in den Punkten seiner Zuschreibbarkeit zu einem Subjekt und der Verantwortlichkeit dieses Subjekts für sein Urteil. Die spontane Reflexion, vermittels derer wir aus Erscheinung die Sache beurteilen wollen, macht die daraus erzeugten Urteile dem Subjekt der Spontaneität zuschreibbar. Nach Kant macht „Spontaneität der Handlung" - hier der Urteilshandlung mit dem Ziel objektiv gültiger Erfahrungsurteile - „den eigentlichen Grund der Imputabilität derselben"465 aus. Nach der Freilegung des moralischpraktischen Sinns der Beziehung des Subjekts auf den Gegenstand einer intersubjektiven Erfahrung kann auch Zuschreibbarkeit hier ausdrücklich in diesem Sinn genommen werden. Dieses Ergebnis bestätigt die schon oben anfänglich behandelte Auffassung Kants vom Irrtum als einer „Art von culpa"466, wonach im Erfahrungsurteil Irrtum anders als im Traum auf einer selbstverschuldeten Passivität beruht. Irrtum kann hier prinzipiell vermieden werden, entweder durch Urteilsenthaltung oder vorzüglich in einem reflektierend als wahr erzielbaren Urteil. Anders kann in bezug auf diesen Irrtum auch von einem selbstverschuldeten Verfehlen der gemeinsamen Welt als der

464 465 466

LOG, Ak IX, 76; Hervorh. Vf. A 448/B 476 Ak XVI, REFL 2476

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4. Verbindlichkeit

Voraussetzung einer dann auch im engeren moralischpraktischen Sinn zu nehmenden Verbindlichkeit gesprochen werden. Die Falschheit des nicht alternativlos falschen Erfahrungsurteils „liegt also an dem seine Obliegenheit vernachlässigenden Verstände", insofern er unter Vermeidung einer wider den Hang zur Passivität zu erbringenden Leistung doch „keck urtheilt"467. Nur in oberflächlicher Betrachtungsweise ist demnach in einem vielfältigen kecken Urteilen das Zeichen lebendiger Spontaneität zu sehen; im Grunde aber ist es Ausdruck nicht vollzogener Reflexionshandlung und also einer Passivität, mit der nach dem Entwickelten die negative Wertung eines Sichgehenlassens im Urteilen zu verbinden ist. Nur scheinbar paradox kann demgegenüber Urteilsenthaltung, wenn Ausdruck eines reflektierten Unterlassens im Fall nicht verantwortbaren Urteilens, gerade jene lebendige Spontaneität anzeigen. Indem das Erfahrungsurteil in einem einen moralischpraktischen Aspekt einschließenden Sinn dem urteilenden Subjekt der Erkenntnis zugeschrieben werden kann, läßt sich in Hinsicht auf den Verstand als ein tätiges Vermögen, oder anders, in Hinsicht auf die „innere Thätigkeit als Denken"468, das Kant in seinem auf Erfahrungserkenntnis bezogenen Gebrauch innerhalb der Kritik der reinen Vernunft, wie angeführt, einmal auch als ,,zweckmäßige[.] Thätigkeit"469 anspricht, der Begriff der Tat eigens hervorheben. Um für den thematischen Zusammenhang diesen Begriff noch weiter von Kant her zu belegen, ist die „zum Erkenntniß ... (da es auf Urtheilen beruht)" erforderliche „Überlegung (reflexio)" anzuführen, „mithin" das „Bewußtsein der Thätigkeit in Zusammenstellung des Mannigfaltigen der Vorstellung nach einer Regel der Einheit desselben, d.i. Begriff'47°; schließlich ist in der Kritik der Urteilskraft das Implizite der in der ersten Kritik aufgeführten zweckmäßigen Tätigkeit des im Erfahrungsgebrauch stehenden Verstandes vollends explizit gemacht, indem hier das intellektuelle Bewußtsein „in der Beurtheilung des Gegenstandes zu einem Erkenntnisse des Objects" als „das Bewußtsein unserer absichtlichen Thätigkeit"471 angesprochen ist. Entgegen einer möglichen Auffassung, wonach der Begriff der Tat in diesen Anwendungen für unspezifisch und für durch den Begriff einer bloßen indifferenten Aktivität ersetzbar gehalten werden mag, ist er in der Konsequenz der zuletzt gegebenen Deutung theoretischen Vernunftgebrauchs auch in seiner Anwendung auf den Verstand und seine Tätigkeit als Denken in dem spezifischen Verständnis zu nehmen, in dem Kant ihn schließlich in seiner Zugehörigkeit zur „Metaphysik der Sitten"472 faßt:

467 468 469 470

A NTH, Ak VII, 144 MAN, Ak IV, 544 B

1 2 8

A NTH, Ak

VII, 141 KDU, A k V , 2 1 8 472 MDS, Ak VI, 222 471

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"That heißt eine Handlung, sofern sie unter Gesetzen der Verbindlichkeit steht, folglich auch sofern das Subject in derselben nach der Freiheit seiner Willkür betrachtet wird. Der Handelnde wird durch einen solchen Act als Urheber der Wirkung betrachtet, und diese zusammt der Handlung selbst können ihm zugerechnet werden, wenn man vorher das Gesetz kennt, kraft welches auf ihnen eine Verbindlichkeit ruht."473 Wo Jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann That (factum) heißt und unter Gesetzen steht, angesehen wird", da findet Zurechnung (imputado) in moralischer Bedeutung"474 statt. Als eine solche causa libera wurde oben überall das in Hinsicht auf die Beurteilung von Sachen aus subjektiven Erscheinungen freie Subjekt aufgefaßt, das zu dieser Beurteilung und überhaupt zur Eröffnung der Wahrheitsbeziehung nicht durch Sinnlichkeit determiniert, sondern sinnlich nur affiziert ist: „Verstand und Vernunft sind frey: subiective Ursachen afficiren zwar, aber determiniren nicht den Verstand."475 Wenn Kant von der Eröffnung der Wahrheitsbeziehung so spricht, daß ,,[a]lle unsere Vorstellungen ... in der That durch den Verstand auf irgend ein Object bezogen" werden, d.i. „das transcendentale Object" oder „Etwas = x", das „als ein Correlatum der Einheit der Apperception zur Einheit des Mannigfaltigen in der sinnlichen Anschauung dienen kann"476, so ist in dieser Rede die Wendung 'in der Tat' nicht bloß als Floskel zu nehmen, sondern eben im eminenten Sinn von Tat als Handlung, insofern sie unter einem selbstgegebenen Gesetz der Verbindlichkeit steht und sein soll.477 Die wiederholt angesprochene Dignität der Bezie-

473 474 475 476 477

MOS, Ak VI, 223 MDS, Ak VI, 227 Ak XVI, REFL 2476 A 250 Das freie Beziehen unserer Vorstellungen auf eine objektive, gemeinsame Welt kann nach dem Entwickelten als ein Faktum der Vernunft bezeichnet werden, die im ursprünglichen Setzen des dann durch ein 'ist'-Urteil empirisch zu bestimmenden transzendentalen Objekts als des Korrelats der Einheit der Apperzeption als Verstand zu apostrophieren ist. Kants Verwendung des Ausdrucks 'Faktum' in Hinsicht auf das als tätiges Selbstsetzen stattfindende Unterscheiden des Objekts durch das Subjekt wird abschließend noch belegt und diskutiert werden (vgl. schon FM, Ak XX, 270). Dieser Ausdruck ist hier in keinem prinzipiell anderen Sinn zu nehmen als in seinem berühmt gewordenen Gebrauch auf - nur scheinbar von theoretischer Setzung des Gegenstandes abgetrenntem - praktischem Gebiet. Darauf, daß hier das moralische Gesetz als Faktum der Vernunft nicht zunächst Faktum für die Vernunft ist, sondern Faktum im Verständnis des Selbstgebens dieses Gesetzes durch Vernunft, hat Gerhard Funke (1974, S. 62) in Anknüpfung an Lewis White Beck (1960/61, vgl. S. 280) hingewiesen. Zuletzt hat Marcus Willaschek (1991, vgl. S. 456) die für Kant charakteristische Zuordnung von 'Tat' im Verständnis einer zuschreibbaren Handlung unter moralischen Gesetzen zu 'Faktum' bestätigt und auf deren Bevorzugung vor der Zuordnung von 'Faktum' zu 'Tatsache' im Sinne der bloßen Gegebenheit und Vorfindlichkeit eines factum brutum hingewiesen. - Vor dem Hintergrund einer bei Kant in der Tiefenstruktur des Theoretischen feststellbaren Koinzidenz mit praktischem Vernunftgebrauch ist es nahezu unvermeidlich, den Verweis auf die Position Fichtes zu bemerken und diesen also in der echten Nachfolge Kants zu sehen. In der freien Tathandlung, wodurch nach Fichte sowohl die Selbstsetzung des Ich als auch

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hung auf einen Gegenstand der Erfahrung wurzelt demnach in der Dignität eines sich auf das Erzielen dieses Gegenstandes hin selbst verpflichtenden Subjekts. Dieses sucht vermittels objektiv gültiger wahrer Urteile des Verstandes, „der allein (wahr oder falsch) objectiv urtheilt"478, vorzüglich Allgemeingültigkeit für jedermann und ist bestrebt, eine unter dem Titel der Verbindlichkeit stehende Sphäre der Intersubjektivität zu erzielen. Nur ein solches „Thun (das Denken)" des Verstandes um der Allgemeingültigkeit und Verbindlichkeit willen läßt von der „Thätigkeit des Gemüths", in Erfahrungsurteilen „Vorstellungen zu verbinden, oder von einander zu sondern", als dem „vornehmsten Theil"479 des Erkenntnisvermögens sprechen. Ohne diese Orientierung an der Verbindlichkeit ist ein Grund zur Bevorzugung des Handelns im Denken vor dem Leidend-Sein in Hinsicht auf die sinnlich besetzenden Gehalte (nicht hinsichtlich der Formen der Sinnlichkeit) kaum ersichtlich. Unter eingeschränkter, bloß theoretischer Hinsicht ist Leiden ebensogut wie Tun. Durch einen Verstand, der an Intersubjektivität im bezeichneten Verständnis orientiert ist, ist - um die an dieser Stelle angebrachte Emphase nicht hinter dem technischen Ausdruck 'Subjekt' zurücktreten zu lassen - ein Aspekt von Humanität angegeben, und es ist theoretische Vernunft so nicht länger privativ als bloß theoretisch anzusehen. Während Humanität zum einen „das allgemeine Theilnehmungsgefühl... bedeutet", das hier nicht thematisch, aber bei Kant auf der Basis ästhetischer Beurteilung seinerseits nicht unbezüglich auf den Verstand ist, bedeutet Humanität zum andern überhaupt „das Vermögen, sich innigst und allgemein mittheilen zu können ... ; welche Eigenschaften, zusammen verbunden, die der Menschheit angemessene Geselligkeit ausmachen, wodurch sie sich von der thierischen Eingeschränktheit unterscheidet" 480 .

Zu solch angemessener Geselligkeit im Sinn einer gesetzlichen Geselligkeit"481 ist Verstand unerläßlich, denn es „kann ... nichts allgemein mitgetheilt werden als

478 479 480 481

das Gegensetzen des Nicht-Ich geschieht, ist dieses Ich nicht privativ theoretisches, sondern ineins moralischpraktisches Ich. Aufgrund dieser Praktizität des setzenden und gegensetzenden Ich ist ftlr Fichte vom Gegengesetzten denn auch nur wie folgt zu sprechen (Werkausgabe 1845/46 I, 261): „ ..., es giebt Oberhaupt kein blosses reines Seyn für mich, das mich nicht angienge, und welches ich anschaute, lediglich um des Anschauens willen; nur durch seine Beziehung auf mich ist, was überhaupt für mich da ist. Aber es ist überall nur Eine Beziehung auf mich möglich, und alle andere sind nur Unterarten von dieser: meine Bestimmung, sittlich zu handeln, Meine Welt ist - Object und Sphäre meiner Pflichten, und absolut nichts Anderes; eine andere Welt, oder andere Eigenschaften meiner Welt giebt es ftlr mich nicht;... .Alles was für mich da ist, dringt nur durch diese Beziehung seine Existenz und Realität mir auf, und nur durch diese Beziehung fasse ich es - und für eine andere Existenz fehlt es mir gänzlich am Organ." MVT, Ak VIII, 268 ANTH, Ak VII, 140 KDU, Ak V, 355; vgl. auch LOG, Ak V, 355 KDU, Ak V, 355

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Erkenntniß und Vorstellung, sofern sie zum Erkenntniß gehört"482. Das zur Erkenntnis Gehörige, womit an dieser Stelle die ästhetische Beurteilung gemeint ist, einmal außer acht gelassen, ist ursprünglich und an erster Stelle das allgemein Mitteilbare das auf einen Gegenstand der Erfahrung bezogene Urteil des Verstandes. Was nun als der „Grund der Möglichkeit eines Verstandes" anzusehen ist, nämlich daß ,,[i]ch ... mir meiner selbst bewußt" bin, zeigt nach Kant ein „über alle Sinnenanschauung ... erhabenes Vermögen" und „die gänzliche Absonderung von allem Vieh" an, „dem wir das Vermögen, zu sich selbst Ich zu sagen, nicht Ursache haben beyzulegen"483. Zu erinnern ist: Das „Gemüth ... zeigt Vermögen (facultas)" vorzüglich dort, wo es „handelnd 1484 ist. „Daß der Mensch in seiner Vorstellung das Ich haben kann, erhebt ihn unendlich über alle andere auf Erden lebende Wesen."485 Die hier angesprochene Auszeichnung ist eine unter dem Gesichtspunkt des Lebens. Daß Kant die Feststellung dieser Erhabenheit in einem nachdrücklich moralischpraktischen Sinn verstanden wissen will, gibt die Fortführung zu erkennen, wonach der Mensch in seiner Vorstellung 'Ich' ein von den ,,vernunftlose[n] Tieren" „durch Rang und Würde ganz unterschiedenes Wesen" ist. Das Vermögen, in seiner Vorstellung das Ich haben zu können - oder, wie der dem schon angeführten „Ich oder Er"486 entsprechende, auf den Intersubjektivitätsaspekt hin erweiternde personalkollektive Ausdruck lautet: „diese Ichheit" -, ist nun, den Punkt seiner Dignität betreffend, nicht etwa unterteilt in das Vermögen einer theoretischen Subjektivität ohne diese Würde und einer praktischen, der diese restriktiv zugesprochen wäre: Es ist „dieses Vermögen (nämlich zu denken)", wodurch Rang und Würde angezeigt sind, „der Verstand'487, d.h. das für Erfahrungserkenntnis grundlegende Vermögen. Anders ausgedrückt, kommt damit dem Ich in dem Verständnis, in dem Apperzeption in der Definition des Erfahrungsurteils zu nehmen ist, jene Dignität zu. Durch die von dieser Apperzeption gar nicht abzuhebende Vorstellung 'Ich' ist der Mensch „eine Person und vermöge der Einheit des Bewußtseins, bei allen Veränderungen, die ihm zustoßen mögen, eine und dieselbe Person"488. Personen aber sind „Zwecke an sich selbst"489, haben, wie schon angeführt, inneren Wert (Würde) und sind Subjekte, deren „Handlungen einer Zurechnung fähig sind"490. In der Kritik der reinen Vernunft selbst und mit Bezug auf keine

482 483 484 485 486 487 488 489 490

KDU, Ak V, 217 FM, Ak XX, 270 ANTH, Ak VII, 140 ANTH, Ak VII, 127 A 346/B 404 ANTH, Ak VII, 127 ebd. GMS, Ak IV, 428 MDS, Ak VI, 223

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andere Apperzeption als die auch in der 'Deduktion' thematische heißt es vom „Begriff der Persönlichkeit": Er „kann ... bleiben" in einem von der Vorspiegelung absoluten substantiellen Beharrens befreiten Sinn, nämlich „so fern er blos transcendental ist, d.i. Einheit des Subjects" meint, "das uns übrigens unbekannt ist, in dessen Bestimmungen aber eine durchgängige Verknüpfung durch Apperception ist": „so fern ist dieser Begriff auch zum praktischen Gebrauche nöthig und hinreichend" 491 . Für den praktischen Gebrauch in jeder Hinsicht ist keine andere Apperzeption erforderlich als die, die auch theoretisch - was jetzt besser heißt: in der theoretischen Praxis des Urteilens in Erfahrungsurteilen - fungiert. „Persönlichkeit" nennt Kant von den „zweyerley Leben", die der Mensch hat, vor dem tierischen hervorgehoben auch „das geistige" Leben492. Um nun von der Dignität, die darin besteht, in seiner Vorstellung diese Ichheit haben zu können, zur Dignität der Beziehung auf einen Gegenstand zu leiten, ist mit Kant zu vergegenwärtigen, daß das erhabene Vermögen der Apperzeption nicht schlechthin als solches, sondern nur in seinem Leisten durchgängiger Verknüpfung in Hinsicht auf mannigfaltig Erscheinendes bekannt ist. Es ist nur als das wider das Geratewohl, die Privatheit und mithin die Unverbindlichkeit des Vorstellens gerichtete Urteilshandeln in Hinsicht auf einen nur in der Anschauung zu erzielenden Gegenstand der Erfahrung bekannt und eben „übrigens unbekannt". Als ein „erhabenes Vermögen" ist das Haben-Können der Vorstellung 'Ich' nur einschließlich dieser Gegenstandsbeziehung möglich, was dieser Beziehung und dem Korrelat darin selbst eine Dignität verleiht. Im Kontext der herangezogenen Stelle der Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik faßt Kant zwar diese Gegenstandsbeziehung zuerst speziell so auf, daß darin „ich, der ich denke, mir selber ein Gegenstand (der Anschauung) seyn, und so mich von mir selbst unterscheiden könne" 493 , so daß auf dieser Stufe die Dignität bis zum Bewußtsein der objektiven Leiblichkeit reicht. Das in dieser Unterscheidungsleistung erzielte „Ich ... des Objectes" ist aber paradigmatisch für die Eröffnung der Wahrheitsbeziehung überhaupt zu nehmen, denn es ist dieses „Ich ... des Objectes, was von mir angeschauet wird,... gleich andern Gegenständen außer mir, die Sache" 494 . Das denkende Ich, d.i. das Ich des Subjekts, ist „im reinen Bewußtseyn, nicht als Receptivität"; dieses Ich ist es, das „reine Spontaneität anzeigt, weiter aber auch keiner Erkenntniß seiner Natur fähig ist"495. Dieser Erkenntnis seiner Natur als einer spontanen allerdings fähig, ist es fähig zur Einsicht in seine Lebendigkeit: „Alle Selbsttätigkeit befördert das Bewußtseyn des Lebens" 496 . Seine Spontaneität

491 492 493 494 495 496

A 365 Ak XVII, REFL 4237 FM, Ak XX, 270 ebd. FM, Ak XX, 271 Ak XVREFL 202

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zeigt es im Sich-von-sich-Unterscheiden - wie gesagt, paradigmatisch überhaupt für: Die-Sache-von-sich-Unterscheiden - als ein auf Anschauung hin sich erweiterndes denkendes Ich an. Den produktiven Charakter des selbsttätig denkenden Ich faßt Kant in der Kritik der reinen Vernunft in Ausdrücken des Entwerfern (Vernunft sieht in der Erkenntnis das ein, „was sie selbst nach ihrem Entwürfe hervorbringt"497), des Antizipierens (Vernunft muß auf das Erkennen einer Natur hin „mit Principien ihrer Urtheile nach beständigen Gesetzen vorangehen"*9*), des Planens (von „Beobachtungen", die „in einem nothwendigen Gesetze zusammenhängen], welches doch die Vernunft sucht und bedarf' 499 ), des Setzens (In unseren Erkenntnissen, „indem sie sich auf einen Gegenstand beziehen sollen", sind wir es, die „etwas überhaupt=X ... dieser Erkenntniß als correspondirend gegenübersetzen"500) oder des Bewirkens („Alsdann sagen wir: wir erkennen den Gegenstand, wenn wir in dem Mannigfaltigen der Anschauung synthetische Einheit bewirkt haben"501). Als spontanes und innerliches ist solches Bewirken der Kausalitätsart nach Zwecken zuzuordnen. Tätigkeit, worin ein Wesen „durch Zweckvorsteilung ... wirckt", muß - wie es bei Kant in Übereinstimmung mit der schon herausgestellten Einfachheit des denkenden Ich heißt - „Thätigkeit eines einfachen Wesens" sein, was so viel wie ein immaterielles Wesen bedeutet; solche Tätigkeit aber ist nichts anderes als „Leben"502. Zwar sieht Kant das Vermögen des denkenden Ich im Unterscheiden des Objekts von sich für „unmöglich zu erklären" an, zugleich aber für „ein unbezweifeltes Factum"503. Dies in Verbindung gebracht mit der Gegenstandsbeziehung in der Auffassung, daß diese sein soll, und mit der zum Hervorbringen dieser Beziehung vorauszusetzenden Selbsttätigkeit, allgemein im Setzen durch den Gedanken von etwas überhaupt und speziell im freien Beurteilen von Sachen aus zunächst subjektiven Privaterscheinungen, dazu diese Tätigkeit verstanden als ,,absichtliche[.] Thätigkeit"504, läßt sich „Factum" im oben bestimmten Sinn nehmen, nämlich als die Tat eines nach freier Willkür handelnden Urhebers, insofern dieser darin unter einem Gesetz der Verbindlichkeit steht. Durch diese Festlegung auf ein Gesetz der Verbindlichkeit, das - in Kantischer Diktion - nicht pathologisch nezessitiert sein kann, sondern selbstbestimmt sein muß, ist Willkür hier in ihrer Bestimmbarkeit durch den Willen im Verständnis des oberen, d.h. nach Regeln begehren könnenden Begehrungsvermögens aufzufassen.

497 498 499 500 501 502 503 504

Β XIII; Hervorh. Vf. ebd.; Hervorh. Vf. ebd. A 104 A 105 OP, Ak XXII, 481 FM, Ak XX, 270 KDU, Ak V, 218

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Insofern das Gesetz der Verbindlichkeit in theoretischem Vernunftgebrauch als solchem in Anwendung steht, ist dieser kein von praktischem Vernunftgebrauch schlechthin getrennter. Theoretischer Vernunftgebrauch stellt die theoretische Praxis im Erzielen einer gemeinsamen Welt dar, die als Basis für alle weitergehende Praxis vorauszusetzen ist. Der die Einheit des Theoretischen und Praktischen und damit die Einheit des Subjekts bezeichnende Begriff ist der rationale Begriff des Lebens. Kants Bestimmung von „Leben" als „das Vermögen eines Wesens, nach Gesetzen des Begehrungsvermögens zu handeln"505, weicht nicht von der anderen ab, wonach Leben das Innerliche ist, das wir als Begehren und als Denken kennen506. An dieser zweiten Bestimmung ist das vereinigende 'und' hervorzuheben und der diese Vereinigung betreffende Tatcharakter des Denkens. Nach dieser Vereinigung betrachtet, ist Denken, und zwar als das durch Erfahrungsurteile auf Gegenstände der Erfahrung zielende Denken, selbst Ausdruck gesetzlichen Begehrens eines sich selbst zur Verbindlichkeit bestimmenden Subjekts und somit Ausdruck von Vernunft als lebendiger Vernunft.

505 506

KPV, Ak V, 9 Anm. vgl. MAN, Ak IV, 544

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Personenregister* Adickes, E.: 182 Adler, M.: 212 Apel, M.: 229, 239

Canivet, M.:212 Cramer, W.: 204

Habermas, J.: 45,229f. Hartmann, N.: 203 Hegel, G.W.F.: 158,230 Heidegger, M.: 79,96,192 Heidemann, I.: 15, 96, 144, 239 Heimsoeth, H.: 93, 204 Heinz, R.: 97 Henrich, D.: 216 Hinske, N.: 155f. Hogrebe, W.: 42,230 Horster, D.: 239 Hübner, K.: 89 Husserl, E.: 30, 171, 192

Deleuze, G.: 65 Dilthey, W.: 1 Driesch, H.: 32 Düsing, Κ.: 118 Duque, F.: 89, 182

Kaulbach, F.: 40, 89 Kemp Smith, N.: 182, 204 Kneller, J.E:: 229 Körner, S.: 171 Krüger, L.: 169

Ebeling, Η.: 216, 239 Eisler, R.: 163 Enskat, D.: 65

Lachièze-Rey, P.: 97 Lehmann, G.: 13,21,89, 100 Liebruck, Β.: 93, 123 Löw, R.: 20 Lüthe, R.: 211 Lütterfelds, W.: 229

Bauch, Β.: 215 Beck, L.W.: 253 Becker, W.: 169,206f., 212 Bergson, H.: 1 Blumenberg, H.: 216 Brentano, F.: 30

Fichte, J.G.: 99f„ 158,253f. Frede, M.: 169 Funke, G.: 215, 230,253 Gadamer, H.-G.: 47, 58 Genova, A.C.: 20, 203 Gerhardt, V.: 40,45 Gram, M.S.: 171 Grayeff, F.: 206 Gurwitsch, Α.: 192

Malter, R.: 97 Meerbote, R.: 65, 127,212 Meier, G.F.: 156 Mörchen, H.: 96 Natorp, P.: 204 Nenon, Th. J.:211 Nietzsche, F.: 1, 64f. Noble, B.: 182

266

Patón, H. J.: 118, 184 Pieper, Α.: 239 Pierce, Ch. S.: 182 Prauss, G.: 30,38, 55, 118, 184, 193,206 Rabel, G.: 20 Reich, Κ.: 158, 204 Rescher, Ν.: 99 Robinson, Η.: 99, 107 Rohs, P.: 38, 230 Rosales, Α.: 204 Russell, Β.: I l l Schelling, F.W. J.: 100, 188f. Schönrich, G.: 169,206 Schopenhauer, Α.: 1, 169,182 Schräder, G.: 212 Seebohm, Th. M.: 158, 171 Simmel, G.: 230 Simon, J.: 31, 123,209 Sommer, M.: 216 Spengler, O.: 1 Stevenson, L.: 239 Strawson, P.F.: 65 Stuhlmann-Laeisz, R.: 206 Sturma, D.: 84 v. Uexkilll, J.: 31 f. Vetö, M.: 236 de Vleeschauwer, H.-J.: 184 Weischedel, W.: 174 Willaschek, M.: 253 Wittgenstein, L.: 239 Wohlfart, G.: 123, 181

Personenregister

Wolff, Chr. 156 Wolff, G.: 3If. Wubnig, J.: 20 Zöller, G.: 203

*auf die Aufnahme des Namens ,Kant' wurde verzichtet

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Kants naturtheoretische Begriffe (1747-1780) Eine Datenbank zu ihren expliziten und impliziten Vernetzungen 2000. CD-ROM. ISBN 3-11-016787-5

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Sein und Subjektivität bei Kant Zum subjektiven Ursprung der Kategorien Band 135. 2000. 23,5 X 16,5 cm. Ca. 416 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-016477-9

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Das Noumenon Religion Eine Untersuchung zur Stellung der Religion im System der praktischen Philosophie Kants Band 133. 1998. 23,5 x 16,5 cm. VIII, 238 S. Leinen. · ISBN 3-11-016288-1

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Kant und das Problem des metaphysischen Idealismus Band 131. 1998. 23,5 x 16,5 cm. X, 268 S. Leinen. · ISBN 3-11-016231-8 SO-IN CHOI

Selbstbewußtsein und Selbstanschauung Eine Reflexion über Einheit und Entzweiung des Subjekts in Kants „Opus Postumum" Band 130. 1996. 23,5 x 16,5 cm. X, 154 S. Leinen. · ISBN 3-11-015264-9 GERNOT REIBENSCHUH

Menschliches Denken Eine systematische Studie am Boden der Kantischen Philosophie Band 129. 1997. 23,5 x 16,5 cm. IX, 306 S. Leinen. · ISBN 3-11-014270-8 MANFRED GAWLINA

Das Medusenhaupt der Kritik Die Kontroverse zwischen Immanuel Kant und Johann August Eberhard Band 128. 1996. 23,5 x 16,5 cm. IX, 345 S. Leinen. · ISBN 3-11-015047-6 Preisänderungen vorbehalten

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