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German Pages [321] Year 2018
Die Botschaft des Neuen Testaments Herausgegeben von Walter Klaiber
Walter Klaiber Das Johannesevangelium
Vandenhoeck & Ruprecht
Walter Klaiber
Das Johannesevangelium Teilband 2: Joh 11,1 – 21,25
2018
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978–3–7887–3259–2 Weitere Angaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D – 37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.sonnhueter.com DTP: Volker Hampel, Neukirchen-Vluyn
Vorwort
»Was ist Wahrheit?« Diese skeptische Frage des Pilatus dürfte zu den meist zitierten Worten des zweiten Teils des Johannesevangeliums gehören. Sie ist aktueller denn je. In einer Zeit, in der »postfaktisch« zum Unwort des Jahres gewählt wurde, Politiker in den USA von »alternativen Fakten« sprechen und in der philosophischen Diskussion die Frage neu aufbricht, ob denn das, was wir wahrnehmen, wirklich real ist, scheint solche Skepsis mehr als angebracht. Wahrheit – das ist das heimliche Thema des zweiten Teils des Evangeliums. In 14,6 sagt Jesus von sich selbst: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben«. Diese Aussage ist freilich heute für manche schwierig. Sie klingt so absolut und wird durch den anstößigen Nachsatz ergänzt: »Niemand kommt zum Vater außer durch mich!« Das hört sich nicht gut an in einer Zeit, in der religiöse Toleranz und interreligiöser Dialog nötiger denn je sind. Im Verhör durch Pilatus aber nennt Jesus als Grund und Sinn seines Wirkens: »Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen« (18,37). Durch sein Leben, Wirken und Reden will er die Menschen zu der Wahrheit führen, die er selbst verkörpert! Wie Jesus das lebte, davon berichtet das Johannesevangelium. Es für uns heute verständlich zu machen ist die Aufgabe eines Kommentars! Dabei scheint die Botschaft des Johannes einfach und klar zu sein. Und doch habe ich sehr mit ihr gerungen. Wie ist das, was der Evangelist in immer wieder gleichen Worten von Jesus erzählt, zu verstehen? Wie kann man diese Botschaft für heutige Menschen zum Sprechen bringen? Um welche Wahrheit geht es wirklich? Ich hoffe, die Auslegung lässt nicht nur etwas von diesem Ringen spüren, sondern gibt auch Antwort auf diese Fragen. Drei Schwerpunkte der Jesuserzählung des Johannes bilden den Inhalt des zweiten Bands dieses Kommentars: 1. Der Schluss des ersten Teils (Kap. 11 und 12) führt den Bericht vom Wirken Jesu zu einem ersten, dramatischen Höhepunkt: Aufgrund seines größten Wunders, der Auferweckung eines Menschen, der schon vier Tage im Grab lag, beschließen Jesu Gegner seinen Tod! Aber gerade durch diesen Tod wird sich Jesu Auftrag, wahres Leben zu schenken, erfüllen. 2. In langen Gesprächen nimmt Jesus Abschied von
6
Vorwort
seinen Jüngern und thematisiert die Bedeutung seines Wegs für die nachösterliche Gemeinde (Kap. 13–17). 3. Der Bericht von Jesu Tod am Kreuz und von den Begegnungen der Jüngerinnen und Jünger mit dem Auferstandenen zeigt die Vollendung dieses Wegs und ist von grundlegender Bedeutung für Sendung und weiteren Weg der Gemeinde (Kap. 18–21). Ich bin sehr dankbar, dass auch der zweite Band dieses Kommentars trotz mancher persönlicher Belastungen pünktlich und rasch nach dem ersten Band erscheinen kann. Danken möchte ich Christina Cekov, die auch diesmal Korrektur gelesen und auf Verständnisprobleme aufmerksam gemacht hat. Dr. Volker Hampel hat den Band wie immer sorgfältig lektoriert und die Druckvorlage erstellt. Angesichts seines bevorstehenden Ruhestands gilt ihm ein besonderer Dank. Er war als zuständiger Lektor maßgeblich am Entstehen dieser Kommentarreihe beteiligt und hat sie durch seine zuverlässige Begleitung sehr gefördert. Jesus beendet die Gespräche zum Abschied von seinen Jüngern und Jüngerinnen mit der Zusage: »Dies habe ich zu euch geredet, damit ihr Frieden in mir habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden« (16,33). Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern dieser Auslegung, dass sie ihnen hilft, die Wahrheit dieses Wortes für sich selbst zu erfahren. Tübingen, im Juli 2017
Walter Klaiber
Inhalt
V orwort ...........................................................................
5
T e ilb and 1 A 2,1 – 12,50 II 7,1 – 12,50
Erst er Haup t t e il D ie Of f e nbaru ng der Herrlichkeit des Sohnes vor der W e lt Leben oder Tod – Entsch eidung in J e rusale m T e ilb and 2
II 7,1 – 12,50
Leben oder Tod – Entsch eidung in J e rusale m Fortse t z u ng .........................................
11
D ie Au f e rw eckung des Lazarus und der e ndgült ige Todesbeschluss .......
12
11,1–16
Krankheit und Tod des Lazarus
.............
12
11,17–44
Die Auferweckung des Lazarus und die Verheißung ewigen Lebens ....................
18
Der endgültige Todesbeschluss und der Sinn des Todes Jesu ...............................
29
11,55 – 12,50
J e su W eg zu m Todespassah .............
35
11,55 – 12,11
Die Salbung in Betanien ........................
36
12,12–19
Festlicher Empfang in Jerusalem ............
42
12,20–36
Jesu Tod und die Verherrlichung Gottes
46
12,37–50
Glaube und Unglaube – eine Zwischenbilanz .....................................................
60
11,1–54
11,45–54
8
Inhalt
B
Z w e it e r Haup t t e il .............................
68
13,1 – 20,31
D ie Of f e nbaru ng der Herrlichkeit J e su vor den S e in en ..........................
68
I 13,1 – 17,26
J e su Abschied von sein en Jü ngern
68
13,1–20
Die Fußwaschung ...................................
69
13,21–30
Die Bezeichnung des Verräters ...............
80
13,31 – 16,33
G espräch e J e su zum Abschied von sein en J ü ngern ...................................
85
D er Absch ied des Komm enden – erst e Abschiedsrede ...........................
88
Einleitendes Gespräch: Liebesgebot und Verleugnung ..........................................
88
14,1–14
Jesus – der Weg zum Vater ....................
93
14,15–24
Der Geist der Wahrheit und das Kommen Jesu (1. Parakletwort) ............................
104
Der Geist als Lehrer und der Friede Christi (2. Parakletwort) ....................................
111
D ie Erm u t igung der B le ibende n – z w e it e Absch iedsrede ........................
117
Jesus – Grund und Kraftquelle der Gemeinde ...................................................
118
Der Hass der Welt und der Geist als Zeuge (3. Parakletwort) ...............................
129
Der Geist als Ankläger und Führer (4. und 5. Parakletwort) .....................................
137
Abschließendes Gespräch: Der Sieg über die Welt .................................................
146
J e su G ebe t f ür die S e in en – das hohepriest erlich e G eb e t .......................
156
Bitte um Verherrlichung und Rechenschaft vor Gott .......................................
157
13,31 – 14,31 13,31–38
14,25–31 15,1 – 16,33 15,1–17 15,18 – 16,4a 16,4b–15 16,16–33 17,1–26 17,1–8
9
Inhalt
17,9–19
Gebet für die Jünger und ihren künftigen Auftrag ..................................................
163
Bitte um Einheit und Vollendung der Gemeinschaft der Jünger ............................
171
D ie Vo llendung der S e ndung in Kreuz und A u f erst e hung .................
178
J e sus st irbt u nd sieg t – der Passi-onsberich t d es Johann es ...................
179
18,1–11
Jesus stellt sich seinen Feinden ...............
180
18,12–27
Jesus wird von Hannas verhört und von Petrus verleugnet ...................................
185
18,28 – 19,16a
Jesus vor Pilatus .....................................
192
19,16b–30
Jesus stirbt am Kreuz .............................
211
19,31–37
Jesu Tod wird bestätigt ..........................
222
19,38–42
Jesus wird begraben ...............................
227
20,1–31
J e sus lebt und sprich t – das Ostergescheh en nach Johannes ................
232
Das Geheimnis der Auferstehung ...........
234
20,1–10
Die Entdeckung des leeren Grabes .........
234
20,11–18
Die Begegnung Jesu mit Maria aus Magdala ........................................................
238
Die Gegenwart des Gekreuzigten ...........
242
20,19–23
Die Begegnung Jesu mit seinen Jüngern
242
20,24–29
Die Begegnung Jesu mit Thomas ...........
248
Das Ziel des Evangeliums .......................
253
Epilog ...............................................................................
258
21,1–25
A usblick: W ie g eh t e s w e it e r? ........
258
21,1–14
Jesus im Alltag der Jünger – Begegnungen in Galiläa ...............................................
259
Wer führt die Kirche weiter? ..................
265
17,20–26 II 18,1 – 20,31 18,1 – 19,42
20,1–18
20,19–29
20,30–31
21,15–25
10
Inhalt
21,15–19
Auftrag und Weg des Petrus ..................
266
21,20–24
Geschick und Dienst des Lieblingsjüngers
271
Ein Nachwort zum Nachwort .................
274
D ie Bot sch a f t d es Joh ann esevange liums – e ine Z usam m en f a ssung ..............................................................
277
1. Ein neues Profil: Die Geschichte Jesu als Geschichte der Offenbarung Gottes ..........................................................
277
2.
Das Thema: Die Sendung des Sohnes ..........................
279
3.
Im Zentrum: Die Offenbarung des Vaters ..................
284
4.
Der Ausblick: Die Verheißung des Geistes ..................
286
5.
Der Anlass: Die Not der Menschen .............................
287
6.
Die Hilfe: Die Liebe Gottes und das Heil der Menschen
289
7.
Das Ziel: Die Antwort der Menschen ..........................
291
8. Die Zukunft: Die Gemeinde Jesu und die johanneische Gemeinschaft .....................................................................
293
9.
Das Rätsel: Die Entstehung des Evangeliums ..............
295
10. Die Botschaft: Das Johannesevangelium heute ............
298
Weiterführende Literatur ...................................................
307
Abkürzungen ....................................................................
311
Register wichtiger Begriffe .................................................
315
21,25
II 7,1 – 12,50 Leben oder Tod – Entscheidung in Jerusalem (Fortsetzung) »Und viele kamen dort zum Glauben an ihn« (10,42) – so schloss der vorige Abschnitt des Johannesevangeliums. Nun folgt die Geschichte von der Auferweckung des Lazarus, an deren Ende ebenfalls die Feststellung stehen wird: »Viele Juden … kamen zum Glauben an ihn« (11,45). Jesu Wirken scheint zur Erfolgsgeschichte zu werden. Dennoch gibt es Ausleger, die in Kap. 11 schon den Beginn des zweiten Hauptteils des Evangeliums und damit den Anfang der Passionsgeschichte sehen. Denn in 11,46–54 – unmittelbar nach der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus – wird vom Beschluss der Jerusalemer Führung berichtet, Jesus aus Gründen der Staatsräson zu töten. In der Tat steht über Kap. 11 und 12 schon deutlich spürbar die Todesgewissheit Jesu. Wählt man diese Gliederung, entsprechen die Geschichte von der Auferweckung des Lazarus und der Bericht vom Beschluss, Jesus zu töten, in umgekehrter Reihenfolge der Erzählung von Jesu Passion und der Botschaft von seiner Auferstehung. Dennoch sprechen viele Beobachtungen dafür, den entscheidenden Einschnitt im Gesamtzusammenhang des Evangeliums vor 13,1 zu sehen. Dort beginnt der zweite Hauptteil. Mit Kap. 11 und 12 dagegen befinden wir uns noch in der zweiten Hälfte des ersten Hauptteils, Kap. 7–12: Leben oder Tod – Entscheidung in Jerusalem. Die Gliederung dieses Abschnitts wird durch die Nennung von drei großen jüdischen Festen bestimmt. An jedem dieser Feste kommt es zu Auseinandersetzungen über Jesu Vollmacht. Dazwischen stehen zwei Abschnitte, die von den beiden letzten Zeichen Jesu und den Kontroversen erzählen, die sich daran anschließen. Das ergibt folgende Gliederung: 7 und 8 9 und 10,1–21 10,22–42 11,1–54 11,55 – 12,50
Der Widerstreit der Meinungen beim Laubhüttenfest Jesus – Heiler und Hirte Entscheidung beim Tempelweihfest Die Auferweckung des Lazarus und der endgültige Todesbeschluss Jesu Weg zum Todespassah
Diese Gliederung folgt stärker der inneren Bewegung des Textes, und wir haben sie deshalb für unsere Auslegung gewählt.
12
11,1–16
11,1–54 Die Auferweckung des Lazarus und der endgültige Todesbeschluss Kap. 11 ist zweifellos der Höhe- und Zielpunkt des ersten Teils des Evangeliums und eines der herausragenden Beispiele johanneischer Erzählkunst. Das letzte Zeichen Jesu, von dem berichtet wird, ist das größte Wunder, das er getan hat: die Auferweckung eines Toten, der schon vier Tage im Grab lag. Dieser Bericht ist aber eng verbunden mit dem endgültigen Beschluss der jüdischen Autoritäten, Jesus zu töten. Das Ineinander der beiden Motive zeigt sich auch im Aufbau des Kapitels, denn es besteht aus drei Teilen, die wie ein Altarbild mit zwei Seitenflügeln, ein sog. Triptychon, eng aufeinander bezogen sind: In der Mitte stehen die V. 17–45: Die Auferweckung des Lazarus und die Verheißung ewigen Lebens. Den ersten Teil bilden die V. 1–16: Krankheit und Tod des Lazarus, die mit der Bemerkung des Thomas enden: »So wollen auch wir gehen, damit wir mit ihm sterben«. Die Erzählung schließt mit den V. 46–54: Der endgültige Todesbeschluss und der Sinn des Todes Jesu. Der Sieg des Lebens wird umrahmt vom Blick auf Jesu Tod! 11, 1–16 Krankheit und Tod des Lazarus 1
Es war aber einer krank, Lazarus von Betanien, aus dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta. 2Es war aber Maria, die den Herrn mit Öl gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren abgetrocknet hat. Deren Bruder Lazarus war krank. 3Da schickten die Schwestern zu ihm und ließen sagen: Herr, sieh, der, den du liebst, ist krank. 4Als Jesus das hörte, sagte er: Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, damit der Sohn Gottes verherrlicht wird. 5Jesus aber hatte Marta und ihre Schwester und Lazarus lieb. 6 Als er nun gehört hatte, dass er krank sei, blieb er doch noch zwei Tage an dem Ort, an dem er war. 7Erst danach sagt er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen. 8Die Jünger sagen zu ihm: Rabbi, gerade suchten die Juden dich zu steinigen, und du gehst wieder dorthin? 9Jesus antwortete: Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag umhergeht, stößt er sich nicht an, denn er sieht das Licht dieser Welt. 10Wenn aber jemand bei Nacht umhergeht, stößt er sich an, denn das Licht ist nicht in ihm.
11,1–16
13
11
Das sagte er, und danach sagt er zu ihnen: Lazarus, unser Freund, ist eingeschlafen. Aber ich gehe, um ihn aus dem Schlaf aufzuwecken. 12Da sagten seine Jünger zu ihm: Herr, wenn er eingeschlafen ist, wird er gesund werden. 13Jesus aber hatte von seinem Tod gesprochen, jene aber meinten, dass er vom Schlummer des Schlafs gesprochen habe. 14Darauf sagte Jesus zu ihnen ganz offen: Lazarus ist gestorben, 15und ich freue mich um euretwillen, dass ich nicht dort war, damit ihr zum Glauben kommt; aber lasst uns zu ihm gehen. 16 Da sagte Thomas, der Zwilling genannt wird, zu seinen Mitjüngern: Lasst auch uns gehen, damit wir mit ihm sterben. Der erste Abschnitt der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus gliedert sich in zwei Teile: Die V. 1–5 stellen die handelnden Personen vor und berichten von der Erkrankung des Lazarus. In den V. 6–16 sind zwei Motive miteinander verbunden: Zunächst wird erzählt, wie Jesus die Abreise verzögert, sodass Lazarus schon gestorben ist, bevor er ankommt. Zugleich wird signalisiert, dass Jesu Rückkehr nach Judäa ihn in den Tod führen wird (V. 8 und V. 16). Der Evangelist skizziert knapp die Situation und nennt die Personen, um die es geht (V. 1 –5). Ausgangspunkt der Geschichteist die Mitteilung: Es war aber einer krank (11 ). Auch sein Name wird genannt, was in einer Wundergeschichte selten ist (doch vgl. Mk 10,46). Es ist Lazarus von Betanien. Lazarus ist die Kurzform des hebräischen Eleazar und bedeutet Gott hilft, ist also gewissermaßen Programm für das, was gleich erzählt werden wird. Der Name war relativ häufig, daher wird der Mann durch seinen Herkunftsort identifiziert: Er stammt aus Betanien, einem Dorf, das etwa drei Kilometer östlich von Jerusalem liegt. Doch wird der Ort zunächst nicht durch seine Nähe zu Jerusalem identifiziert (vgl. V. 18), sondern durch die Nennung zweier anderer Personen: Es ist das Dorf Marias und ihrer Schwester Marta. Der Erzähler scheint anzunehmen, dass die Leserinnen und Leser sie kennen. Setzt er voraus, dass ihnen die Geschichte von Maria und Marta aus Lk 10,38–42 oder anderer Überlieferung bekannt ist? Dass Lazarus ihr Bruder ist, wird zunächst nicht gesagt. Stattdessen wird Maria, die Erstgenannte, noch genauer vorgestellt (22 ), merkwürdigerweise durch einen Vorfall, der erst später berichtet wird (12,1–8): Maria war es nämlich, die den Herrn mit Öl gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren abgetrocknet hat. Der Erzähler rechnet also nicht mit Lesern und Leserinnen, die die Jesusgeschichte zum ersten Mal hören; er verweist sogar auf Ereignisse, die er noch gar nicht erzählt hat.
14
11,1–16
Nachdem Maria vorgestellt wurde, wird auch ihre Beziehung zu dem Kranken klargestellt. Es ist ihr Bruder Lazarus, der krank war. Die Schwestern wissen, wo sich Jesus aufhält, und senden einen Boten, der Jesus die Nachricht überbringt: Herr, sieh, der, den du liebst, ist krank (3 3 ). Die ehrerbietige Anrede Herr ist im Johannesevangelium eher selten. Aber sie ist mehr als eine Höflichkeitsfloskel. In ihr klingt schon Jesu vollmächtige Stellung als Herr über Leben und Tod an (vgl. 20,18.28; 21,7). Zugleich signalisiert die Bezeichnung des Kranken mit der, den du liebst große Nähe zu Jesus. Das Wort, das im Griechischen für lieben verwendet wird, bezeichnet die freundschaftliche Liebe (philein). Lazarus gehört zu den Freunden Jesu (vgl. V. 11; 15,13f). Nicht nur seine Schwestern, sondern auch Jesus sollte sich um sein Leben sorgen. Jesus kommentiert diese Nachricht mit einer Bemerkung, die zunächst für die Jünger gedacht ist, aber vom Evangelisten auch als Signal für seine Leserinnen und Leser formuliert wird (4 4 ): Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, damit der Sohn Gottes verherrlicht wird. Das klingt wie die Versicherung, dass Lazarus nicht sterben werde. Allerdings werden wir bald erfahren, dass Lazarus inzwischen gestorben ist. Die Aussage hat also einen tieferen Sinn: Lazarus wird nicht im Tod bleiben, sondern zum Leben erweckt werden. Die Krankheit hat Lazarus nicht befallen, um ihn zu töten, sondern um der Herrlichkeit bzw. (anders übersetzt) um der Ehre Gottes willen. Obwohl die Krankheit den Tod des Kranken verursacht, wird sie dazu dienen, dass Jesus als Gottes Bevollmächtigter erkannt werden kann, der in seinem Auftrag neues, ewiges Leben schafft. Inmitten der irdischen Wirklichkeit, die durch den Tod gekennzeichnet ist, wird eine andere Wirklichkeit aufleuchten. Es ist die Wirklichkeit der Leben schaffenden Gegenwart Gottes, seiner göttlichen Herrlichkeit. Es wird sich zeigen: Gott ist stärker als der Tod! Ein ähnlicher Gedanke war schon in 9,3 aufgetaucht: An dem Blindgeborenen sollten »die Werke Gottes offenbar werden«. Hier wird dieser Gedanke noch vertieft: Das geschieht, damit der Sohn Gottes verherrlicht wird. Oberflächlich betrachtet heißt das: Indem Jesus Lazarus vom Tod erweckt, zeigt sich, dass er Anteil an Gottes Leben schaffender Kraft und Herrlichkeit hat (vgl. 5,25). Aber gerade an unserer Stelle wird deutlich: Die Aussage, dass ihn Gott verherrlichen wird, hat eine tiefere Bedeutung. Denn für Johannes wird der Sohn vom Vater am Kreuz verherrlicht (12,16.28; 13,31f; 17,1). Das ist die paradoxe Pointe der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus: Die Vollmacht Jesu, Leben zu schenken, führt zum Beschluss, ihn zu töten. Doch gerade darin, dass er durch den
11,1–16
15
Tod hindurch zum Leben geführt wird, wird der Sohn vom Vater verherrlicht. Das klingt nun freilich ziemlich abgehoben angesichts der menschlichen Not, die der Hilferuf der Schwestern signalisiert. Diese Frage wird uns in dieser Geschichte immer wieder beschäftigen: Wie wird in ihr mit menschlichen Gefühlen umgegangen? Vielleicht unterstreicht der Erzähler deshalb noch einmal die besondere Verbundenheit Jesu mit den Geschwistern (5 5 ): Jesus aber hatte Marta und ihre Schwester und Lazarus lieb. Diesmal wählt der Evangelist das griechische Wort für lieben, das sonst fast immer im Neuen Testament verwendet wird (agapn). Er unterstreicht damit, dass es in dieser Beziehung nicht nur um freundschaftliche Zuneigung geht, sondern um die umfassende Liebe dessen, der von Gott zu den Menschen gesandt wurde. Damit ist die menschliche Konstellation vorgestellt, in der die folgende Geschichte spielt. In der nächsten Szene wird erzählt, was geschieht, bevor sich Jesus auf den Weg nach Betanien macht (6 6 –16). Denn zunächst folgt er dem Hilferuf nicht. Im Gegenteil (66 ), als er gehört hatte, dass er (Lazarus) krank sei, blieb er doch noch zwei Tage an dem Ort, an dem er war. Dieses absichtsvolle Zögern Jesu angesichts einer Bitte um Hilfe ist typisch für das Jesusbild des Johannesevangeliums (vgl. 2,3f; 7,3–6). Jesus ist nicht einfach der Nothelfer vom Dienst. Er handelt erst, wenn seine Zeit, »seine Stunde«, gekommen ist. Darin zeigt sich zugleich seine Souveränität gegenüber allen menschlichen Wünschen. An unserer Stelle aber macht dieses Zaudern heutigen Lesern und Leserinnen Not. Es verleiht dem Ganzen ein Stück weit den Charakter der Inszenierung. Jesus bricht nicht auf, damit Lazarus stirbt, bevor er kommt (vgl. V. 15.21.32), und das Wunder der Totenauferweckung entsprechend groß herauskommt. Hier ist es wichtig zu beachten, dass die Wunderberichte bei Johannes keine Reportagen sind, die möglichst faktengetreu wiedergeben, was passiert ist. Es sind theologische Erzählungen, in die die Deutung des Geschehens schon hineinverwoben ist. So will auch dieser Bericht deutlich machen, dass Jesus nicht zu spät gekommen ist, weil er sich nicht losreißen konnte oder unterwegs aufgehalten wurde, sondern weil dies zur Gelegenheit dafür wird, die Größe und die wahre Bedeutung seiner Sendung und Vollmacht deutlich werden zu lassen. Dann aber gibt er seinen Jüngern das Zeichen zum Aufbruch (77 ): Lasst uns wieder nach Judäa gehen. Die aber erschrecken (8 8 ). War man nicht gerade angesichts der ständigen Versuche der judäischen Behörden, Jesus festzunehmen, ins Ostjordanland ausgewichen? Sie nennen ihre Bedenken: Rabbi, gerade suchten die Juden dich zu
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11,1–16
steinigen (vgl. 10,31), und du gehst wieder dorthin? Sucht Jesus absichtlich den Tod? 9 ): Hat der Tag nicht Jesus antwortet mit einem kleinen Gleichnis (9 zwölf Stunden? Das ist die Zeit, die man nutzen muss, um das zu tun, was getan werden muss. Denn in der Antike wurde der Tag unabhängig von der Jahreszeit immer von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in zwölf Stunden geteilt. Solange es Tag ist, hat man die Bewegungsfreiheit, die man braucht, um etwas zu erreichen. Also: Wenn jemand am Tag umhergeht, stößt er sich nicht an, denn er sieht das Licht dieser Welt. Man sieht die Hindernisse und kann sie meiden. Soweit das Bild. Was aber heißt das in der Sache? Wenn man an die ähnliche Stelle in 9,4f zurückdenkt, scheint klar zu sein, dass Jesus von sich selbst spricht. Noch ist es Zeit zu handeln, noch wird ihn niemand hindern, das größte und wichtigste Zeichen seines Wirkens, die Auferweckung eines Toten, zu vollbringen. Es wird die Nacht seines Wegs in den Tod kommen, in der er nicht mehr wirken kann (1 1 0): Wenn aber jemand bei Nacht umhergeht, stößt er sich an. Doch dann folgt die Begründung: denn das Licht ist nicht in ihm. Kann das auf Jesus bezogen sein? Wie bei einem Vexierbild kippt das Bild. Aus der Rechtfertigung Jesu für seinen Gang nach Judäa wird die Warnung und Ermutigung für die Jünger, sich bei ihrem Weg mit ihm vom richtigen Licht leiten zu lassen. Das Licht dieser Welt (V. 9) ist nicht einfach das Licht des Tages. Jesus ist das Licht der Welt (8,12; 9,5). Wer ihm »folgt, ist wie einer, der dieses Licht in sich selber trägt. Er wird nicht zu Fall kommen.« Wie für Jesus gilt auch für die Jünger: »Wir haben keine Zeit zu verlieren« (Dietzfelbinger I, 342). Doch nun geht die Erzählung weiter (1 1 1f). Jesus informiert seine Jünger über den Stand der Dinge: Lazarus, unser Freund, ist eingeschlafen. Aber ich gehe, um ihn aus dem Schlaf aufzuwecken. Das gibt den Jüngern Hoffnung. Denn bei manchen Krankheiten galt die Krise als überwunden, wenn der oder die Kranke in einen tiefen, ruhigen Schlaf fiel. Darum sagen sie erleichtert: Herr, wenn er eingeschlafen ist, wird er gesund werden. Dass Jesus auch gesagt hatte, er werde ihn aufwecken, beachten sie nicht. Doch mit einer Zwischenbemerkung macht der Evangelist seine Leserinnen und Leser darauf aufmerksam, dass es sich um ein Missverständnis handelt (11 3). Jesus hatte natürlich vom Tod des Lazarus gesprochen, jene aber meinten, dass er vom Schlummer des Schlafs gesprochen habe. Schlaf bzw. schlafen als Bild für den Tod begegnet häufig in der antiken Literatur und auch im Neuen Testament (vgl. Mt 27,52; 1Kor 7,39; 15,6.18; 1Thess 4,13–15). Auch Jesu Wort in der Geschichte von der Auferweckung der Toch-
11,1–16
17
ter des Jairus: »Sie ist nicht tot, sondern schläft« (Mk 5,39; Mt 9,24) nutzt diese Doppelbedeutung. Die Jünger werden auf ihr Missverständnis hingewiesen (11 4). Jesus spricht ganz offen mit ihnen und sagt ihnen: Lazarus ist gestorben. Dann folgt eine Erläuterung, die in unseren Ohren sehr seltsam klingt (1 1 5): und ich freue mich um euretwillen, dass ich nicht dort war. Hier scheint die Todesnot des sterbenden Lazarus völlig ausgeblendet zugunsten der Inszenierung des größeren Wunders! Wieder ist es gut, sich daran zu erinnern, dass die Jesusreden des Johannesevangeliums nicht Niederschriften von Tonbandaufzeichnungen seiner Worte sind, sondern im Nachhinein formuliert wurden. Manches schmerzliche Ereignis, dessen Warum nicht zu verstehen ist, wird im Nachhinein durch sein Wozu sinnvoll. Jesus freut sich nicht darüber, dass Lazarus sterben musste, sondern darüber, dass sein Tod und seine Auferweckung dazu führen, dass die Jünger zum Glauben kommen. Auch diese Aussage verwundert viele Ausleger. Hieß es nicht schon in 2,11 nach der Verwandlung von Wasser in Wein: »seine Jünger glaubten an ihn«? Und hatte nicht Petrus im Namen der Zwölf in 6,69 feierlich erklärt: »Wir haben geglaubt und erkannt …«? Warum müssen sie erneut zum Glauben kommen? Es ist wohl nicht zufällig, dass nach dem ersten und vor dem letzten Zeichen Jesu vom Glauben der Jünger gesprochen wird. Glaube ist kein Besitz, den man ein für alle Mal »hat«, sondern ein Geschenk und geschieht immer wieder neu unter dem Eindruck der Worte und des Wirkens Jesu. Freilich zeigt sich durch diesen Hinweis auch: Ein Glaube aufgrund der Zeichen ist für Johannes keineswegs minderwertig. Doch genug des Redens. Jesus ist bereit, sich zusammen mit seinen Jüngern auf den Weg zu dem Verstorbenen zu machen. Deshalb fordert er sie auf: Lasst uns zu ihm gehen. Sie hatten klar ihre Bedenken geäußert. Wie reagieren sie jetzt? Thomas, der Zwilling genannt wird, wird hier zum ersten Mal zum Sprecher der Jünger (11 6; vgl. weiter 14,5; 20,24–29). Er geht nicht auf das ein, was Jesus über das Ziel des Wegs nach Betanien gesagt hat. Er kommt noch einmal auf die Befürchtung zurück, dass eine Reise nach Judäa für Jesus den Tod bedeutet. Doch nicht mehr Angst bestimmt seine Worte, sondern Entschlossenheit zur Solidarität. Darum sagt er zu seinen Mitjüngern: Lasst auch uns gehen, damit wir mit ihm sterben. Damit ist das Thema der Passion Jesu, das unsere Geschichte wie ein Kontrapunkt begleitet, noch einmal deutlich angesprochen. Wer ist Lazarus: Freund Jesu oder Demonstrationsobjekt? Ist seine Auferweckung Hilfe aus letzter Not oder ein inszeniertes Wunder? Das sind Fragen, die uns bewegen, wenn wir diesen Abschnitt lesen.
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11,17–44
Es sind Fragen, die bis heute im Leben von Christen auftauchen: Warum lässt Gottes Antwort oft so lange auf sich warten? Warum muss so viel Leid geschehen, bevor Gott hilft? Man mag an das Geschick Hiobs denken, den Gott lange dem Experiment des Satans überlässt. Spielt Gott mit seinen Leuten? Was Lazarus empfand, wird nicht erzählt. Aber wie bei Hiob geht es darum, dass Gottes Gottsein offenbar werden wird: in der Hilfe, die allen Zweifel überwindet, aber auch in der Unergründlichkeit seines Handelns. Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sagt Jesus in V. 4. Und doch starb Lazarus. Diese Feststellung hat den dänischen Philosophen Sören Kierkegaard (1813–1855) inspiriert, eine seiner Schriften Die Krankheit zum Tode zu nennen. Er geht aus von einem Paradox: Lazarus ist tot, und doch führte diese Krankheit nicht zum Tod! Sie ist – wie Jesus sagt – nicht zum Tode, sondern dass die Ehre Gottes offenbar werde. Oder – mit den Worten Kierkegaards: »Weil ER da ist, deshalb ist diese Krankheit nicht zum Tode.« Kierkegaard begründet das: »Denn menschlich gesprochen ist der Tod das Letzte von allem; und menschlich gesprochen ist nur Hoffnung da, solange Leben da ist. Aber christlich verstanden ist der Tod keineswegs das Letzte von allem, auch er nur eine kleine Begebenheit innerhalb dessen, was da alles ist, nämlich des ewigen Lebens.« Christlich verstanden ist also nicht der Tod die Krankheit zum Tode, sondern »die Verzweiflung vor Gott«, d.h. die Sünde, der Unglaube (vgl. 16,9; Kierkegaard, Krankheit zum Tode, 11). Davon ist in der Lazarusgeschichte nur indirekt die Rede. Sie lädt zum Glauben ein und spricht von der Hoffnung, die den Glaubenden auch angesichts des Todes geschenkt wird. 11,17–44 Die Auferweckung des Lazarus und die Verheißung ewigen Lebens 17
Als nun Jesus (an)kam, fand er ihn schon vier Tage im Grab liegen. 18Betanien lag aber nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt. 19Viele der Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie über den (Verlust ihres) Bruder(s) zu trösten. 20Marta nun, als sie hörte, dass Jesus kommt, ging ihm entgegen; Maria aber blieb zu Hause sitzen. 21Da sagte Marta zu Jesus: Herr, wenn du hier gewesen wärest, wäre mein Bruder nicht gestorben; 22aber auch jetzt weiß ich, dass alles, was du von Gott erbittest, dir Gott geben wird. 23 Jesus sagt zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. 24Sagt Marta zu ihm: Ich weiß, dass er bei der Auferstehung am letzten Tag auferstehen wird. 25Jesus sagte zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, selbst wenn er stirbt, 26und jeder, der lebt und glaubt an mich, wird in Ewigkeit nicht sterben.
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Glaubst du das? 27Sie sagt zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt. 28 Und als sie das gesagt hatte, ging sie weg und rief heimlich Maria, ihre Schwester, und sagte: Der Lehrer ist da und ruft dich. 29Als aber jene das hörte, stand sie schnell auf und kam zu ihm. 30Aber Jesus war noch nicht in den Ort hineingegangen, sondern war noch an der Stelle, an der ihm Marta begegnet war. 31Die Juden nun, die mit ihr im Haus waren und sie trösten wollten, als sie sahen, dass Maria schnell aufstand und wegging, folgten ihr, weil sie meinten, sie gehe zum Grab, um dort zu weinen. 32 Als Maria nun dahin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie zu seinen Füßen nieder und sagte zu ihm: Herr, wenn du hier gewesen wärest, wäre mein Bruder nicht gestorben. 33Jesus nun, als er sie weinen sah und (sah,) wie auch die Juden weinten, die mit ihr gekommen waren, ergrimmte in seinem Geist und war tief erschüttert 34 und sagte: Wo habt ihr ihn bestattet? Sie sagen zu ihm: Herr, komm und sieh! 35Jesus brach in Tränen aus. 36Da sagten die Juden: Sieh, wie (sehr) er ihn geliebt hat! 37Einige von ihnen aber sagten: Hätte nicht dieser, der dem Blinden die Augen geöffnet hat, bewirken können, dass auch dieser nicht stirbt? 38 Jesus, nun wieder in seinem Innern ergrimmt, kommt zum Grab. Es war aber eine Höhle, und ein Stein lag auf ihr. 39Jesus sagt: Hebt den Stein weg! Marta, die Schwester des Verstorbenen, sagt zu ihm: Herr, er stinkt schon; denn er ist ja schon vier Tage tot. 40Jesus sagt zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? 41Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen nach oben auf und sagte: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. 42Ich aber wusste, dass du mich immer hörst, aber wegen der Menge, die um mich herumsteht, habe ich (das) gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. 43Und nachdem er das gesprochen hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! 44Der Verstorbene kam heraus, an Füßen und Händen mit Binden gebunden, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch umwickelt. Jesus sagt zu ihnen: Macht ihn los und lasst ihn gehen. Der zentrale Teil der Erzählung ist in drei Szenen gegliedert: Die erste (17–27) berichtet von der Begegnung zwischen Marta und Jesus. In dem Gespräch beider wird das Thema Auferstehung und Leben theologisch bedacht. Damit wird das Vorzeichen für die Deutung des folgenden Wunders gesetzt. In der zweiten Szene (28–37) wird erzählt, wie Maria zu Jesus kommt. Manches in den beiden Begegnungen verläuft ähnlich; z.B. machen die Schwestern Jesus denselben Vorwurf (V. 20 und 32). Aber in Marias Reaktion steht die menschliche Trauer im Vordergrund. Erst in der letzten Szene
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(38–44) tritt Lazarus in den Mittelpunkt, zunächst in der Beschreibung des Verfalls seines Leichnams, dann aber in der dramatischen Schilderung seiner Rückkehr ins Leben. Jesus scheint zu spät zu kommen (11 7 – 27). Als er in Betanien eintrifft, liegt Lazarus schon vier Tage im Grab (1 1 7) . Die Zahl ist nicht zufällig. Im Orient wurden Verstorbene möglichst am selben Tag begraben. Nach einer in späteren rabbinischen Schriften bezeugten Vorstellung verbleibt die Seele des Verstorbenen noch drei Tage in der Nähe des Grabes in der Hoffnung, wieder in den Leib zurückkehren zu können, um ihn dann endgültig zu verlassen (BerR 100 [66a]). Das Signal ist klar: Der Tod des Lazarus ist endgültig. Hier schiebt der Erzähler eine kurze Bemerkung zur Lage von Betanien ein (11 8). Wichtig ist ihm die Nähe zu Jerusalem, das nur etwa fünfzehn Stadien (ca. drei Kilometer) entfernt ist. Das erklärt, was in V. 1 9 erzählt wird: Viele der Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie über den (Verlust ihres) Bruder(s) zu trösten. Die Juden sind hier keine jüdische Aufsichtsbehörde, sondern Bewohner von Jerusalem, die sich zum Teil offen für Jesu Wirken zeigen werden (vgl. V. 45). Besuche bei Trauernden gehörten zu den Liebeswerken, die im damaligen Judentum besonders angesehen waren. Erwünscht waren dabei nicht möglichst kurze Kondolenzbesuche, sondern das solidarische Verweilen bei den Angehörigen. Damit ist die Situation beschrieben, die Jesus antrifft. Nun wird die unterschiedliche Reaktion der beiden Schwestern erzählt (22 0). Was über ihr Verhalten berichtet wird, deckt sich in manchem mit der Charakteristik der beiden Schwestern in Lk 10,38–42. Marta ist die aktivere. Als sie hört, dass Jesus gekommen ist, geht sie ihm sofort entgegen. Maria aber blieb zu Hause sitzen. Das hat freilich weniger mit ihrer besinnlichen und kontemplativen Art zu tun, wie manche Ausleger aufgrund von Lk 10,39 meinen. Auf der Erde oder niederen Hockern zu sitzen ist jüdischer Trauerbrauch (vgl. Ez 26, 16; Klgl 2,10; Hiob 2,13). Wie die Fortsetzung zeigen wird: Maria bleibt in ihrer Trauer sitzen. Marta jedoch macht sich auf den Weg, und als sie bei Jesus ankommt, verbirgt sie ihre Enttäuschung nicht (2 2 1): Herr, wenn du hier gewesen wärest, wäre mein Bruder nicht gestorben, sagt sie. Es ist nicht ganz klar, ob in diesen Worten der Vorwurf überwiegt oder ob sie einfach das tiefe Bedauern darüber ausdrücken, dass Jesus nicht rechtzeitig da sein konnte, um ihren kranken Bruder zu heilen. Dennoch scheint für Marta damit noch nicht das letzte Wort über das Geschick ihres Bruders gesprochen. Denn überraschenderweise
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2 2): Aber auch jetzt weiß ich, dass alles, was du von fährt sie fort (2 Gott erbittest, dir Gott geben wird. In den Abschiedsreden wird den Jüngern Jesu die Gewissheit umfassender Gebetserhörung verheißen werden (vgl. 14,13f; 15,7; 16,24 und auch schon Mk 11,24). An unserer Stelle ist sie noch Vorrecht Jesu. Doch welche Hoffnung drückt sich in Martas Worten aus? Rechnet sie mit der Möglichkeit einer Totenerweckung? Ihr weiteres Verhalten spricht dagegen (vgl. V. 24.39). Ihre Aussage signalisiert zunächst einfach ihre Offenheit für eine unerwartete Wende des Geschicks ihres Bruders, ohne dass sie diese Hoffnung schon konkretisieren könnte, vergleichbar dem Verhalten der Mutter Jesu bei der Hochzeit zu Kana (2,5). Jesus aber sagt ganz offen zu ihr, was geschehen wird (2 2 3): Dein Bruder wird auferstehen. Für Marta klingt das wie eine Antwort aus dem Katechismus: richtig, aber in der aktuellen Situation nicht hilfreich. Sie antwortet (2 2 4): Ich weiß, dass er bei der Auferstehung am letzten Tag auferstehen wird. Der Glaube an eine Totenauferstehung am Ende der Zeit findet sich im Alten Testament erst in den spätesten Teilen (Dan 12,2; vgl. Jes 26,19). Aber in neutestamentlicher Zeit war diese Hoffnung in weiten Kreisen des Judentums lebendig. Nur die Sadduzäer lehnten sie ab (vgl. Mk 12,18–27; Apg 23,6–9). Marta spricht also eine Glaubensüberzeugung vieler Juden und sicher der meisten der Leserinnen und Leser des Evangeliums aus (vgl. 5,28f). Aber der Ton ihrer Aussage zeigt, dass es ihr wie vielen Christen heute geht: Auch wenn man diese Hoffnung grundsätzlich teilt, im Augenblick des Abschieds von einem geliebten Menschen ist sie ein ferner Trost! Jesus aber will sie nicht auf eine Auferstehung in ferner Zukunft vertrösten. Er schenkt eine umfassendere Hoffnung. Deshalb sagt er zu ihr (2 2 5f): Ich bin die Auferstehung und das Leben. Dieser Satz spricht mit großer Prägnanz aus, was Jesu Person und die Begegnung mit ihm bedeuten. Auferstehung ist nicht nur ein Ereignis in einer fernen oder auch nahen Zukunft. Die Wirklichkeit des Gottes, der die Seinen nicht der Macht des Todes überlässt, sondern sie zu neuem und wahrem Leben ruft, ist in Jesus schon gegenwärtig. In seinem Reden und Handeln begegnet sie denen, die sich ihm und seiner Botschaft öffnen. In ihm, dem Fleisch gewordenen WORT, wirkt das Leben, das sein schöpferisches Tun von Anfang an bestimmt hat. Das wird im Johannesevangelium immer wieder herausgestellt (vgl. 1,4; 3,15f.36; 4,14.36). Dabei interpretieren sich die Begriffe Auferstehung und Leben gegenseitig, wobei Auferstehung betont am Anfang steht. Für Johannes ist Auferstehung wesentlich Auferstehung zum Le-
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ben, da sich das Gericht schon hier vollzieht (doch vgl. auch schon Dan 12,2; 2Makk 7,9). Umgekehrt ist wahres, ewiges Leben immer geschenktes, dem Tod abgerungenes Leben, Leben aus der Auferstehung. Dieses Leben ist in Jesus gegenwärtig. Wer sich ihm öffnet, wird in diese Wirklichkeit hineingenommen, und zwar schon hier und jetzt. Die Verheißung, mit der Jesus seine Aussage erläutert, entfaltet das eindrucksvoll. Sie ist sehr sorgfältig formuliert. Eine wörtliche und gegliederte Übersetzung zeigt das: Wer an mich glaubt, mag er auch sterben, wird leben;
und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird gewiss in Ewigkeit nicht sterben.
In zwei parallelen Aussagereihen wird gesagt, wie die Wirklichkeit, die in Jesus begegnet, zur Wirklichkeit des Menschen wird. Dabei beschreiben die beiden ersten Zeilen das, was jetzt, im irdischen Leben, geschieht. Hier entscheidet sich, ob jemand glaubt, also das Leben für Jesus und seine Botschaft öffnet. Doch zur irdischen Existenz gehört auch der physische Tod. Auch Menschen, die glauben, müssen sterben; der Tod des Lazarus ist ein Beispiel dafür. Dennoch gilt: Wer glaubt, wird leben. Damit ist eine andere Ebene unserer Existenz angesprochen, die Ebene eines Lebens durch und aus Gott. Sie eröffnet sich in Jesus und wird in der Begegnung mit ihm schon jetzt und hier Wirklichkeit: »Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben« (3,36) und »ist vom Tod zum Leben durchgedrungen« (5,24). Vielleicht steckt in der futurischen Formulierung wird leben auch die Perspektive einer künftigen leiblichen Auferweckung, für die die Auferweckung des Lazarus zum Zeichen wird. Aber die Art, wie Jesus der eher resignativen Feststellung der Marta: Ich weiß, dass er bei der Auferstehung am letzten Tag auferstehen wird, sein Ich bin die Auferstehung entgegenstellt, zeigt: Aller Nachdruck liegt darauf, dass in der Person Jesu wahres, ewiges Leben schon jetzt Wirklichkeit für die wird, die an ihn glauben. Das wird durch die parallele Aussage unterstrichen: Wer lebt – also in den Möglichkeiten und Grenzen eines irdischen Lebens existiert – und glaubt – sich also gerade unter diesen Bedingungen für Jesus und sein Wort öffnet – wird ganz gewiss in Ewigkeit nicht sterben. Damit ist zweifellos nicht der physische Tod gemeint, sondern der Tod, der in der endgültigen Trennung von Gott besteht. Wer sein irdisches Leben im Glauben lebt, »erleidet den Tod nicht mehr als den Moment einer unabänderlichen, völligen Vernichtung. … Die Macht des Todes, die sich durch die Trennung von
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Gott ausdrückt, kann ihn nicht mehr treffen; weder in seiner geschichtlichen Existenz, noch bei seinem physischen Tod oder jenseits seines Hinscheidens« (Zumstein, 427f). Es geht um den Glauben, und darum fragt Jesus Marta: Glaubst du das? Glaube ist nicht nur Entscheidung für Jesus, Glaube hat einen Inhalt, der erfragbar und aussagbar ist. Und doch antwortet Marta nicht nur mit einem: »Ja, Herr, das glaube ich«, sondern mit einem Bekenntnis zu Jesus (2 2 7): Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt. Manche Ausleger meinen, diese Aussage zeige, dass sie immer noch nicht ganz begriffen habe, worum es Jesus geht, und verweisen dazu auch auf ihre Bemerkung in V. 39. Mit ihrem Messiasbekenntnis weiche sie wieder auf eine Katechismusaussage aus, anstatt sich persönlich zu Jesus als Geber wahren Lebens zu bekennen. Das ist jedoch nicht die Meinung des Evangelisten. Mit ihrem Bekenntnis zu Jesus als dem Messias bzw. dem Christus nimmt sie die Hoffnung Israels auf. Hinzu tritt mit dem Titel Gottes Sohn die für das Johannesevangelium zentrale Aussage: Du bist der, der ganz zu Gott gehört. Die Ergänzung: der in die Welt kommt unterstreicht das. Damit wird auf das Geheimnis der Fleischwerdung des Wortes und das Motiv der Sendung des Sohnes in diese Welt verwiesen. Auffallend ist auch, dass das Bekenntnis der Marta fast denselben Wortlaut aufweist wie das Bekenntnis des Petrus in Mt 16,16. Die Parallele dazu bei Johannes ist eher verhalten (6,69: »der Heilige Gottes«). Es ist Marta, eine Frau, die das volle Bekenntnis ausspricht. Und ihr Bekenntnis macht deutlich: Die Antwort auf die Frage nach dem Glauben an das Leben, das Jesus schenkt, liegt in dem Bekenntnis zu dem, wer er ist! Von einer Reaktion Jesu auf Martas Antwort wird nichts erzählt. Die erste Szene des Abschnitts endet eindrucksvoll mit diesem Bekenntnis. Nun richtet die Erzählung den Blick auf Maria (22 8–37). Aber noch einmal ergreift Marta die Initiative (22 8). Nach ihrer Antwort ging sie weg und rief heimlich Maria, ihre Schwester – heimlich wohl deshalb, damit die Begegnung der Schwester mit Jesus nicht durch die neugierige Menge gestört wird. Ihre Botschaft ist klar: Der Lehrer ist da – wahrscheinlich müssten wir mit 1,38 rückübersetzen: Der Rabbi ist da, denn so sprach man respektvoll im Freundeskreis Jesu von ihm (vgl. auch 20,16; viele übersetzen mit Luther: der Meister; aber das vermittelt heutigen Lesern und Leserinnen kaum noch die ursprüngliche Bedeutung). Hinzu tritt der Hinweis: Er ruft dich. Das war nicht erzählt worden, wird aber vom Erzähler vorausgesetzt. Diese Nachricht genügt, um Maria wenigstens ein Stück weit aus der lähmenden Trauer herauszurufen (2 2 9). Als sie das hörte, stand
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sie schnell auf und kam zu ihm. Eine kurze Notiz erklärt, warum 3 0). Denn Jesus war noch sie dazu ein Stück Wegs zu gehen hatte (3 nicht in den Ort hineingegangen, sondern war noch an der Stelle, an der ihm Marta begegnet war. Aber es bleibt nicht bei einer ganz persönlichen Begegnung ( 31). Denn die Juden, die mit ihr im Haus waren und sie trösten wollten, als sie sahen, dass Maria schnell aufstand und wegging, folgten ihr, weil sie meinten, sie gehe zum Grab, um dort zu weinen. Ihr Verhalten entspricht ganz jüdischen Trauerbräuchen und darf keineswegs als Feindseligkeit gegen Jesus gedeutet werden, wie das manche Ausleger tun. Als Maria Jesus erreicht hatte, fiel sie zu seinen Füßen nieder (33 2). In Wundergeschichten verhalten sich so Menschen, die Hilfe suchen (vgl. 2Kön 4,27; Mk 1,40; 5,22). Aber erwartet Maria noch Hilfe? Wie ihre Schwester sagt sie voll Bedauern und Resignation, vielleicht auch mit vorwurfsvollem Unterton: Herr, wenn du hier gewesen wärest, wäre mein Bruder nicht gestorben. Aber dann verstummt sie in ihrer Klage. Anders als bei Marta kommt es zu keinem Gespräch mit Jesus. Die Reaktion Jesu auf das Weinen Marias und der trauernden Begleiter, die mit ihr gekommen waren, klingt für uns merkwürdig (33 3). Er ergrimmte in seinem Geist, ja mehr noch: Er war tief erschüttert. Warum diese Emotionen? Zeigt sich in ihnen Jesu Solidarität mit dem Leid der Trauernden? Oder sein Zorn gegenüber der unbarmherzigen Macht des Todes? Oder sein Ärger über die »Glaubenslosigkeit, die sich in der Klage ausspricht«, den »Zweifel an der Kraft Jesu, den Toten zu erwecken« (Bultmann, 310)? Oder darüber, dass die Menschen »in ihm nur den Krankenheiler sehen, nicht aber den, der den Tod überwindet und das Leben schenkt« (Theobald, 738)? An beiden Stellen, an denen das griechische Wort für ergrimmen sonst vorkommt, steht es im Zusammenhang mit einer Wundererzählung (Mt 9,30; Mk 1,43). Dort wehrt Jesus eine irreführende Propaganda für sich als Wundertäter ab. Wie der Evangelist Jesu Reaktion hier verstanden wissen will, bleibt offen. Das einzige Signal, das er gibt, ist die Verstärkung der Aussage durch die Ergänzung und war tief erschüttert. Dadurch wird deutlich: Jesus wird mit seiner ganzen Person (in seinem Geist) von dem Bewusstsein gepackt, dass er in einem entscheidenden Augenblick seines Wirkens steht. Der Tod des Lazarus zeigt die unerbittliche Macht des Todes, und die Trauer Marias und der Juden macht deutlich, wie Menschen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, aber auch ihres Glaubens und Hoffens kommen. Gegenüber dieser schmerzlichen Wirklichkeit ist es sein Auftrag zu zeigen, dass Gott stärker ist als die Macht des Todes.
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3 4): Wo habt ihr ihn bestattet? Das Grab wird Daher seine Frage (3 zum Sinnbild für das Ende aller menschlichen Möglichkeiten und Hoffnungen. Auch das Grab des Lazarus ist eine solche schmerzliche Realität. Sie ist greifbar, vorzeigbar. Die Leute weisen Jesus dorthin: Herr, komm und sieh! Und wieder berichtet der Evangelist von einer unerwarteten Gefühlsregung Jesu (33 5): Jesus brach in Tränen aus. Warum wird nun auch er von der Trauer übermannt? Was soll mit dieser knappen Bemerkung (angeblich der kürzeste Vers der Bibel) signalisiert werden? Es ist sicher nicht zufällig, dass der Erzähler für Jesu Weinen ein anderes Wort verwendet als für das Klagen Marias und der Juden. Das Leid, das mit dem Sterben des Lazarus verbunden ist, lässt ihn nicht unberührt. Die Macht des Todes, der das Grab ein Denk-Mal setzt, erweckt auch in ihm tiefe Trauer. Seine Tränen sind jedoch nicht Ausdruck hilflosen Klagens. In ihnen fließt ein Erbarmen, das zu neuem Leben führt. Die Zeugen dieser Szene haben ihre eigene Interpretation für Jesu Gemütsbewegung (3 3 6): Sieh, wie (sehr) er ihn geliebt hat! Und sie haben recht mit dieser Aussage. Mit dieser Feststellung nahm ja die Geschichte in 11,5 ihren Anfang. Zwar bedeutet das Wort für lieben, das die Juden verwenden, die Liebe von Freunden, während 11,5 von der umfassenderen Liebe in der »Familie« der Jünger und Jüngerinnen Jesu spricht. Aber dass der Erzähler damit einen Unterschied andeuten will, ist unwahrscheinlich. Gerade im Johannesevangelium wird der Liebe unter Freunden ein hoher Stellenwert zugebilligt (vgl. 15,13; 21,15). So wird auch der Evangelist Jesu Weinen »als Ausdruck solch tiefer Freundschaft« verstehen (Theobald, 739). Zugleich aber stellen einige der Beobachter der Szene die Frage, die von Anfang an über dieser Geschichte schwebt (33 7): Hätte nicht dieser, der dem Blinden die Augen geöffnet hat, bewirken können, dass auch dieser nicht stirbt? Das Außergewöhnliche der Heilung eines Blindgeborenen wird ausdrücklich anerkannt. Aber warum hat der, der dazu in der Lage war, nicht verhindert, dass Lazarus sterben musste? Diese Frage muss nicht Ausdruck des Unglaubens sein. Diese Leute trauen Jesus ja durchaus zu, dass er Lazarus hätte heilen können. Dass er ihn vom Tod erwecken könnte, damit konnten sie nicht rechnen. Diese zweite Szene stellt bewusst die schmerzliche Realität des Todes heraus. Dass Lazarus sterben musste, wird zum Abbild dessen, dass auch die, die an Jesus glauben, den physischen Tod erleiden werden (vgl. V. 25: auch wenn er stirbt). Seine Auferweckung aber wird zum Zeichen dafür werden, dass Gottes rettende Macht, die sich in Jesus offenbart, stärker ist als der Tod. Jesus schenkt Leben,
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das diesseits und jenseits der Todesgrenze wahres Leben in der Gemeinschaft mit ihm bedeutet. Die dritte Szene (3 3 8– 4 4) führt die Handlung zu ihrem Höhepunkt. Nun geht Jesus zum Grab (33 8). Und während er sich auf den Weg macht, ergrimmte er wieder in seinem Innern (vgl. V. 33). Auch hier wird nicht gesagt, wem sein Zorn gilt. Gilt er der Tatsache, »dass die umstehenden ›Juden‹ ihn angesichts des Todes für machtlos halten« (so Theobald, 740)? Oder doch eher dem »Tod, der alles zunichte macht« (so Zumstein, 431)? Der Zusammenhang macht das Zweite wahrscheinlicher. Hier schiebt der Erzähler noch einen kurzen Hinweis auf die Art des Grabes ein. Es war eine Höhle, und ein Stein lag auf ihr. Der Wortlaut lässt offen, wie das Grab im Einzelnen beschaffen war. Man kann sich eine natürliche Höhle vorstellen, aber auch ein in den Felsen gehauenes Grab. Es kann ein Schachtgrab sein, auf dessen Öffnung der Stein liegt, oder auch ein waagrecht in den Felsen führendes Grab, das mit einem Rollstein verschlossen ist. Dass der Verstorbene aus dem Grab herauskommt, spricht für die zweite Möglichkeit. Nun ergreift Jesus die Initiative (33 9). Er befiehlt: Hebt den Stein weg! Das fordert den Widerspruch von Marta, der Schwester des Verstorbenen, heraus. Ganz entsetzt wendet sie ein: Herr, er stinkt schon; denn er ist ja schon vier Tage tot. Sie ist sicher, dass der Verwesungsprozess schon eingesetzt hat. Eine Wiederkehr aus dem Tod scheint undenkbar. Das Verhalten Martas hat den Auslegern Kopfzerbrechen bereitet. Zeigt sich in ihrem Einwand nicht, dass sie wieder in ihren Unglauben zurückgefallen ist, nachdem sie sich in V. 27 so klar zu Jesus als Gottes Sohn und Herrn über Leben und Tod bekannt hat? Oder zeigt der Einwand Martas gerade, dass sie verstanden hat, dass es Jesus um eine geistliche Auferstehung geht, sodass der Leib ruhig im Grab verwesen kann? Beide Erklärungen dürften eine Überinterpretation darstellen. Martas Einrede hat in der Erzählung vor allem die Funktion, deutlich zu machen, wie endgültig der Tod des Lazarus zu sein scheint. Dennoch antwortet Jesus mit einem gewissen Tadel (44 0): Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? Davon war nun im Bericht über das Gespräch Jesu mit Marta nichts zu lesen. Dass der Evangelist dennoch so formuliert, verrät etwas von seiner Erzählstrategie. Seine Leser und Leserinnen wissen, dass dies der Sinn der Zeichen Jesu und insbesondere der Auferweckung des Lazarus ist (vgl. V. 4 und schon 2,11). Mit seinen Worten weist Jesus auf die Tiefendimension dessen hin, was gleich geschehen wird. Denn die Auferweckung des Lazarus
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hängt nicht am Glauben Martas. Alle, die dabei sind, werden sehen, wie Lazarus aus dem Grab kommt. Aber was dies bedeutet, werden nur die sehen, die glauben, das heißt, die sich dafür öffnen, dass in Jesu Wirken Leben aus Gott gegenwärtig und wirksam ist (vgl. V. 25). Die Herrlichkeit Gottes, die sich darin zeigt und die die Glaubenden sehen, ist die Wirklichkeit Gottes, eine Wirklichkeit, die die Macht des Todes überwindet und denen Leben schenkt, die sich ihr anvertrauen. Die Auferweckung des Lazarus wird ein unübersehbares Zeichen dafür sein; aber sie bleibt ein Zeichen, das auf die eigentliche Gabe Jesu verweist: ewiges Leben in der Gemeinschaft mit Gott. Das freilich sehen nur die, die glauben! Aber die Handlung geht weiter. Eine Gruppe nicht genannter Leute ist Jesu Befehl gefolgt und hat den Stein weggehoben (4 4 1). Das Grab ist offen. Jesus aber hob seine Augen nach oben auf. Seine Geste zeigt, dass für ihn auch der Himmel offen und die Verbindung zu Gott intakt ist. Er betet – gedacht ist offensichtlich an ein lautes Gebet, das auch die Umstehenden hören können: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Jesus bittet nicht erst jetzt um die wunderbare Erweckung des Lazarus. Was gleich geschieht, ist gewissermaßen zwischen Vater und Sohn bereits abgesprochen. Aber zugleich wird deutlich: Was Jesus tut, geschieht weder aus der eigenen Machtvollkommenheit eines Wundertäters, noch muss er es in hartem Gebetskampf dem Vater abringen. Es entspringt der Willenseinheit zwischen Vater und Sohn. Das wird durch eine Zwischenbemerkung erläutert. Sie ist als Gebetswort Jesu formuliert, will aber für die Leserinnen und Leser klarstellen, warum Jesus das Gebet laut hörbar spricht (44 2): Ich aber wusste, dass du mich immer hörst, aber wegen der Menge, die um mich herumsteht, habe ich (das) gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. Wieder mag uns Heutige der Eindruck des Inszenierten stören. Doch wie wir sahen, handelt es sich bei diesen Worten ja nicht um die wörtliche Wiedergabe eines Gebets Jesu am Grab des Lazarus, sondern um einen Hinweis des Evangelisten. Gerade bei diesem Wunder muss klar bleiben, dass Jesu Vollmacht allein aus seiner Sendung durch den Vater und der bleibenden Verbindung mit ihm stammt. Dann aber spricht Jesus das entscheidende Wort (4 4 3). Mit lauter Stimme ruft er: Lazarus, komm heraus! Und das Unglaubliche geschieht (44 4): Der Verstorbene kam heraus. Noch im Detail wird klar: Er steigt nicht aus eigener Kraft aus dem Grab, denn er war an Füßen und Händen mit Binden gebunden und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch umwickelt. Es ist Jesu vollmächtiges Wort, das ihn aus den Fesseln des Todes befreit. Äußerlich findet das seinen Ausdruck in der Anweisung Jesu: Macht ihn los und lasst ihn
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gehen. Damit wird sehr behutsam die Differenz zur Auferstehung Jesu angedeutet: Auch Jesu Leichnam wird mit Leinentüchern gebunden werden (19,40), aber er wird sich selbst von diesen Fesseln befreien (20,5f). Lazarus wird in einen neuen Abschnitt seines irdischen Lebens entlassen, Jesus für das neue Sein mit dem Vater befreit. Die eindrucksvollste bildliche Darstellung dessen, was hier erzählt wird, ist wohl Rembrandts Bild Die Auferweckung des Lazarus, das er 1630 im Alter von 24 Jahren gemalt hat. Im Mittelpunkt steht Jesus mit hochgerecktem rechten Arm, auf seinem hell erleuchteten Gesicht der Ausdruck höchster Erwartung. In den Gesichtern der Augenzeugen zeigt sich eine Mischung von ungläubigem Staunen und tiefem Erschrecken über das, was sie sehen. Und halb noch im Grab liegend ist Lazarus zu sehen, dessen Gesicht von den Schrecken des Todes gezeichnet scheint. Ein unglaubliches Wunder, das hier geschieht! Jeder Versuch, es dennoch mit Kategorien heutigen naturwissenschaftlichen Denkens erklären zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt. Heißt das, dass man es einfach glauben muss? Wir haben diese Frage schon bei der Erzählung von der Verwandlung von Wasser in Wein bei der Hochzeit zu Kana gestellt (2,1–11), die eine ähnliche Herausforderung für heutiges Verstehen darstellt. Sie ist hier wie dort zu verneinen. Gerade im Johannesevangelium wird nie der Glaube an eines der Wunder Jesu gefordert. Ihre Faktizität wird nicht bestritten, zugleich aber ihre Zeichenhaftigkeit und Symbolik herausgestellt. Zeichen entzünden den Glauben, aber fordern ihn nicht. Dabei zeigt ein Blick in die Evangelien, wie der Glaube an Jesu Vollmacht, Tote zu erwecken, im Laufe der Überlieferung gewachsen ist. Nach Mk 5,23 bittet Jairus Jesus um Hilfe für seine Tochter, die im Sterben liegt. Erst unterwegs erfahren sie, dass sie schon gestorben ist. Jesus kommt dennoch und ruft sie zurück ins Leben. Nach Mt 9,18 kommt der Vater, als seine Tochter schon gestorben ist, und bittet Jesus darum, sie wieder lebendig zu machen. Tote aufzuwecken gehört bei Matthäus sogar zum Auftrag der Jünger, die Jesus aussendet (10,8). Der Auferstehungsglaube der nachösterlichen Gemeinde findet so seinen erzählerischen Ausdruck. Davon ist auch die Lazaruserzählung geprägt. Merkwürdigerweise heißt auch der Arme, von dem Jesus in Lk 16,19–31 erzählt, Lazarus. Ob dies einen Einfluss auf die Erzählung in Joh 11 hatte, ist umstritten und unsicher. Jener Lazarus durfte nicht ins Leben zurückkehren, um die Lebenden zu warnen. Die Auferweckung des Lazarus aus Betanien wird dagegen zum Zeichen, das viele zum Glauben führt, obwohl er kein einziges Wort spricht.
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So sind Lazarus und seine Auferweckung Zeichen und Symbol für eine Wirklichkeit, die sehr viel tiefer greift als die Wiederbelebung eines Leichnams, bei dem angeblich schon die Verwesung begonnen hat. Sie verweisen auf die Realität eines Lebens mit Gott, das auch der Tod nicht zerstören kann, zu dessen Vollendung er vielmehr die Tür ist. All das, was in der Geschichte inszeniert und darum manchmal fast unmenschlich wirkt, soll als Ausrufezeichen für diese Wirklichkeit dienen, die alles Menschenmögliche weit übersteigt. Demgegenüber repräsentieren Marta und Maria das Menschliche. Sie laden zur Identifikation ein und dazu, nachzuvollziehen, wie ihre Zweifel und ihre Trauer, ihre Fragen und Vorwürfe durch das vollmächtige Handeln Jesu überwunden werden. Zwei außerordentliche Zeichen stehen am Anfang und am Ende des öffentlichen Wirkens Jesu: Er verwandelt Wasser in Wein bei einer Hochzeit – Zeichen für die überwältigende Freude, die Jesus schenkt, weit über das Notwendige hinaus. Er ruft einen Toten ins Leben zurück – Zeichen für das Leben, das Gott schenkt, und seinen Sieg über die alles beherrschende Macht des Todes. 11,45–54 Der endgültige Todesbeschluss und der Sinn des Todes Jesu 45
Viele von den Juden nun, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was er getan hatte, kamen zum Glauben an ihn. 46Einige von ihnen aber gingen weg zu den Pharisäern und sagten ihnen, was Jesus getan hatte. 47 Da riefen die Hohepriester und die Pharisäer eine Ratsversammlung zusammen und sagten: Was sollen wir tun, denn dieser Mensch vollbringt viele Zeichen? 48Wenn wir ihn (weiter) so (gewähren) lassen, werden alle an ihn glauben, und die Römer werden kommen und uns die Stätte und die Nation wegnehmen. 49Einer aber von ihnen, Kaiphas, der Hohepriester jenes Jahres war, sprach zu ihnen: Ihr wisst nichts 50und bedenkt auch nicht, dass es besser für euch ist, dass ein Mensch für das Volk stirbt und nicht die ganze Nation umkommt. 51Das aber sagte er nicht von sich selbst aus; sondern weil er Hohepriester jenes Jahres war, sagte er als Prophet, dass Jesus für die Nation sterben würde, 52und nicht nur für die Nation, sondern dass er auch die verstreuten Kinder Gottes in eins zusammenführen würde. 53Von jenem Tag an waren sie entschlossen, ihn zu töten. 54 Jesus hielt sich nicht mehr öffentlich unter den Juden auf, sondern ging von dort weg in die Gegend nahe der Wüste in eine Stadt, die Ephraim heißt, und dort blieb er mit den Jüngern.
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Die V. 45–54 bilden den Abschluss der Lazaruserzählung. Auch dieser Abschnitt ist wieder als eine Art Triptychon gestaltet: Die V. 45f verbinden die vorherige Erzählung mit dem folgenden Bericht, indem sie von unterschiedlichen Wirkungen der Auferweckung des Lazarus berichten. Der Mittelteil (V. 47–53) erzählt, warum die jüdischen Autoritäten gerade wegen dieser Tat Jesu seinen Tod beschließen. Ein knapper Schluss (V. 54) informiert darüber, dass sich Jesus angesichts dieser Bedrohung zunächst aus der näheren Umgebung von Jerusalem zurückzog. Die V. 55–57 erzählen von den Überlegungen der Festpilger zu den Plänen Jesu und den Maßnahmen der Jerusalemer Behörden gegen Jesus. Sie bilden den Übergang zu Kap. 12 und werden dort besprochen werden. Die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus hat einen doppelten Ausgang (4 4 5f). Es gibt eine äußert positive Reaktion: Viele von den Juden nun, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was er getan hatte, kamen zum Glauben an ihn. Immer wieder wird im Johannesevangelium darauf hingewiesen, dass Jesu Zeichen Menschen zum Glauben führen: so das erste Mal nach dem Wunder bei der Hochzeit zu Kana (2,11) und später bei weiteren Anlässen (2,23; 4,53; 10,42). Auch hier werden die, die die Trauer Marias teilten, zu Zeugen der Vollmacht Jesu und fassen Vertrauen zu ihm. Auch darin bildet das erste und letzte Zeichen Jesu den Rahmen für seine öffentliche Wirksamkeit. Die Ausleger rätseln darüber, ob der Evangelist dies wirklich als echten Glauben ansieht oder ihn eher als ungenügend bewertet, da er nicht – wie etwa der Glaube Martas (V. 27) – »an Jesu Persongeheimnis, das sich allein in seinem Wort erschließt«, heranreicht (Theobald, 751). Grund dafür ist die Bemerkung in 2,24, dass Jesus sich denen, die aufgrund seiner Zeichen zum Glauben kamen, nicht anvertraute (vgl. die Auseinandersetzung mit »den Juden, die an ihn glaubten« [8,31ff]). Die Leute haben zwar gesehen, was Jesus getan hat (vgl. 2,23). Aber sehen sie auch die Herrlichkeit Gottes, auf die die Zeichen verweisen (vgl. V. 40)? Der Evangelist lässt diese Frage offen. Es gibt keinen klaren Hinweis darauf, dass er den Wunderglauben geringschätzt. In 12,42 wird sogar berichtet werden, dass viele der führenden Leute zum Glauben an Jesus kamen. Diese immer wiederkehrenden Notizen scheinen ein Signal an Leser und Leserinnen und vor allem an jüdische Sympathisanten im Umfeld der johanneischen Gemeinden zu sein: Lasst euch auf den Glauben an Jesus ein! Lasst euch vom Sehen zum Glauben, dann aber auch vom Glauben zu wirklichem Sehen führen!
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Aber es gibt auch eine negative Reaktion (44 6): Einige von den Leuten, die bei der Auferweckung des Lazarus dabei gewesen waren, gingen weg zu den Pharisäern und sagten ihnen, was Jesus getan hatte. Wieder erscheinen die Pharisäer als eine Art Inquisitionsbehörde, der man verdächtige Aktivitäten melden musste (vgl. zu 1,24). Auf den ersten Blick ist das ganz unproblematisch. Denn einen Toten ins Leben zurückzurufen war kein Vergehen, das nach dem jüdischen Gesetz geahndet werden müsste. Im Alten Testament wird dies auch von Elia und Elisa berichtet (1Kön 17,17–24; 2Kön 4,18–37). Dennoch führt ihre Meldung dazu, dass die jüdischen Autoritäten beschließen, Jesus zu beseitigen. Denn diese zeigen sich äußerst besorgt (4 4 7). Wieder werden Hohepriester und Pharisäer als die treibenden Kräfte der Aktionen gegen Jesus dargestellt. (Historisch gesehen war es wohl die Priesteraristokratie in Jerusalem, die in den letzten Tagen Jesu seine Beseitigung betrieb. Das pharisäische Rabbinat war dagegen in der Zeit der Entstehung des Evangeliums Kern des Widerstands gegen die christliche Bewegung; vgl. zu 1,24; 7,32). Sie rufen eine Ratsversammlung zusammen, um über die Lage zu beraten. Zunächst breitet sich Ratlosigkeit aus. Im Raum steht die Frage: Was sollen wir tun, denn dieser Mensch vollbringt viele Zeichen? Seine Popularität wächst immer mehr. Warum das ein Problem ist, macht die folgende Überlegung klar (4 4 8): Wenn wir ihn (weiter) so (gewähren) lassen, werden alle an ihn glauben. Und zwar – so die unausgesprochene Annahme – werden sie in ihm den messianischen König sehen, der das Volk zu Freiheit und Unabhängigkeit führen soll. Das aber wird zum Konflikt mit den Römern führen. Sie werden keine Befreiungsbewegung in ihrem Herrschaftsgebiet dulden. Nein, die Römer werden kommen und uns die Stätte und die Nation wegnehmen. Die Wendung die Stätte und die Nation bezieht sich auf den Tempel als Ort der Gegenwart Gottes, die Stätte, wo er »seinen Namen wohnen lässt« (vgl. Dtn 12,5; 2Makk 1,29; 5,19), und auf das jüdische Volk als nationale Gemeinschaft. Johannes wechselt in diesen Versen zwischen den beiden griechischen Worten für Volk. Das eine (ethnos = Nation) bezeichnet die soziale und politische Größe, das andere (laos = Volk) wird im biblischen Griechisch vor allem für Israel als religiöse Gemeinschaft verwendet. Die Sorge der etablierten Kräfte ist also, dass die Römer bei der Niederschlagung einer messianischen Bewegung nicht nur diese bekämpfen, sondern zugleich reinen Tisch machen und den Tempel zerstören und den letzten Rest jüdischer Selbstverwaltung beseitigen würden. Das ist vom Erzähler zweifellos in dem Wissen formuliert, dass genau das beim ersten Jüdischen Krieg (66–70 n.Chr.) geschehen ist!
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Einer aus diesem Kreis jedoch ärgert sich über die Ratlosigkeit und über die Unentschlossenheit seiner Kollegen, und er macht aus sei4 9f : Ihr wisst nichts und bedenkt auch nem Ärger keinen Hehl (4 nicht …). Es ist Kaiphas, der amtierende Hohepriester (vgl. Mt 26, 3; Lk 3,2). Irritierend ist, dass Johannes schreibt, dass Kaiphas der Hohepriester jenes Jahres war. Das klingt, als würde er meinen, das Amt des Hohepriesters hätte jährlich gewechselt. Grundsätzlich war es ein Amt auf Lebenszeit. Allerdings hielt sich die römische Besatzungsmacht nicht daran, sondern setzte Hohepriester gelegentlich auch nach kurzer Amtszeit ab. Kaiphas übte das Amt relativ lange aus (18–36 n.Chr.). Er scheint mit Pilatus ein gut funktionierendes Arbeitsverhältnis aufgrund gemeinsamer Machtinteressen gehabt zu haben. Beide wurden vom römischen Statthalter Vitellius im selben Jahr ihres Amtes enthoben. Da der Evangelist in der Regel gut über jüdische Sitten Bescheid weiß, dürfte er mit der Formulierung Hohepriester jenes Jahres nur festhalten, dass in jenem schicksalhaften Jahr Kaiphas Hohepriester war.
Der Rat, den er seinen Kollegen gibt, ist von kalter Staatsräson geprägt. Sie sollen bedenken, dass es besser für euch ist, dass e in Mensch für das Volk stirbt und nicht die ganze Nation umkommt. Wenn von einem Mann wie Jesus eine solche Gefahr ausgeht, dann ist es besser, ihn zu beseitigen, als Wohl und Existenz eines ganzen Volks aufs Spiel zu setzen. Heute würde man von einem Bauernopfer sprechen: Das Leben des einen wird geopfert, um die Vernichtung des ganzen Volks zu verhindern. Für den Evangelisten jedoch gewinnen diese Überlegungen politischen Machtkalküls eine tiefere Bedeutung. Ohne es zu wollen und zu wissen hat Kaiphas gewissermaßen von Amts wegen etwas vom Geheimnis des stellvertretenden Todes Jesu ausgesprochen (55 1): Das aber sagte er nicht von sich selbst aus; sondern weil er Hohepriester jenes Jahres war, sagte er als Prophet, dass Jesus für die Nation sterben würde. Langfristig ist das politische Kalkül des Kaiphas nicht aufgegangen. Aber als Hohepriester jenes denkwürdigen Jahres hat er ungewollt die wahre Bedeutung des Todes Jesu erkannt: Er würde sein Leben für sein Volk einsetzen und für die Nation der Juden sterben. Um welche Art des stellvertretenden Todes es sich handeln wird, wird nicht ausdrücklich gesagt. Vom Zusammenhang her steht weniger das Motiv des Sühnopfers im Hintergrund als das eines stellvertretenden Todes, der das Todesgeschick einer Gemeinschaft auf sich nimmt (vgl. 15,13). Dem Evangelisten ist in diesem Zusammenhang jedoch eine andere Erläuterung wichtig (5 5 2): Jesu Tod geschah nicht nur für die Na-
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tion, sondern dass er auch die verstreuten Kinder Gottes in eins zusammenführen würde. Hier weitet sich der Blick über Israel hinaus, denn die verstreuten Kinder Gottes sind nicht nur – wie manche Ausleger meinen – Juden, die in der Diaspora leben, sondern alle Menschen, für die Jesu stellvertretender Tod die Tür zur »Familie Gottes« aufstößt. Hier die gleiche Aussage wie in 10,15–18 vor: Durch Jesu Tod werden die Schafe des guten Hirten, die aus verschiedenen »Ställen« kommen, zu einer Herde zusammengeführt. Dabei ist zu beachten, dass der Gedankengang, der die Aussage des Hohepriesters erklärt, nicht gradlinig durchgeführt wird. Am Anfang steht eine soteriologische, d.h. eine das Heil betreffende Aussage: Jesus stirbt für die Nation, also für das jüdische Volk, und nimmt das Todesgeschick, das diesem droht, auf sich. Dann aber wird nicht nur gesagt, dass er auch für die zerstreuten Kinder Gottes stirbt. Das wäre zu wenig; Jesus stirbt nicht »nur für Erwählte« (gegen Becker II, 434). Für Johannes ist und bleibt Jesus »das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegträgt«. Doch in der Weiterführung bekommt die Aussage einen ekklesiologischen, d.h. die Kirche betreffenden Akzent. Kinder Gottes dürfen sich die nennen, die sich darauf verlassen, dass Jesu Tod für sie gilt, die »an seinen Namen glauben« (1,12). Sie aber werden nicht in der Vereinzelung bleiben. Dass Jesus sein Leben für sie gab, wird sie in eins zusammenführen, d.h. die Einheit derer begründen, die zu ihm gehören. Dieser Gedanke wird in Kap. 17 vertieft werden. Freilich ist in der Wendung verstreute Kinder Gottes noch ein anderer Akzent zu hören: »Im Verborgenen gibt es schon die Kinder Gottes, das heißt: Der erwählende Gott weiß um sie; durch Jesu Tod werden sie in die sichtbare Einheit der Heilsgemeinde versammelt.« Doch wird daraus keine systematische Prädestinationslehre entwickelt. In dieser Formulierung »äußert sich vielmehr die Überzeugung, dass ›Gotteskindschaft‹ nicht dem eigenen Glaubensentschluss entspringt, sondern Geschenk des erwählenden Gottes ist« (Theobald, 756). Der Erzähler kommt zurück auf die Beratung der Hohepriester und der Pharisäer (5 5 3). Das Ergebnis fasst er so zusammen: Von jenem Tag an waren sie entschlossen, ihn zu töten. Wörtlich übersetzt steht da: Von jenem Tag an fassten sie den Beschluss. Im griechischen Text vermischen sich somit zwei Gedanken: Zunächst wird gesagt, dass an jenem Tag endgültig der Entschluss fiel, Jesus zu beseitigen. Zwar war von dieser Absicht immer wieder die Rede gewesen (vgl. 5,18; 7,1; 8,59; 10,31). Jetzt aber wurde ein formeller Beschluss gefasst. Eine Verurteilung im juristischen Sinn war das freilich nicht, denn die jüdischen Behörden hatten nicht das
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Recht, die Todesstrafe zu verhängen (18,31). Deshalb spielt in die Formulierung auch der andere Akzent des Textes herein: von jenem Tag an »berieten sie, wie sie vorgehen sollten« (Theobald, 757). Aber zunächst entzieht sich Jesus ihren Nachstellungen (55 4). Noch ist seine »Stunde« nicht gekommen. Darum mied er für die nächste Zeit die Öffentlichkeit in Judäa (unter den Juden), sondern ging von dort weg in die Gegend nahe der Wüste in eine Stadt, die Ephraim heißt. Ein Städtchen Ephraim wird auch im Alten Testament erwähnt (2Sam 13,23; 1Makk 11,34). Es wird meist mit dem heutigen Dorf Et-Taijibe identifiziert, das etwa 20 Kilometer nordöstlich von Jerusalem an der Straße von Ramallah nach Jericho liegt. Die Lage an der Grenze von Judäa und am Rand der Wüste machte es zu einem geeigneten Rückzugsort. Dort blieb Jesus für einige Zeit zusammen mit seinen Jüngern. Johannes arbeitet den Skandal, der hier geschieht, in aller Schärfe heraus: Die Auferweckung eines Toten wird zum Grund für ein Todesurteil! Aber gerade darin zeigt sich, wie Gott auch Bosheit und Widerstand der Menschen zum Werkzeug für sein Heilshandeln macht: Jesus, der für die Staatsräson geopfert werden soll, stirbt für das Volk, nimmt dessen Todesverhängnis auf sich, um durch seinen Tod wahres Leben zu schenken. Doch nicht nur das: Jesu Lebenshingabe gilt nicht nur für das Volk Israel, nicht nur für diese »Nation«. Durch sie geschieht auch, was der Täufer angekündigt hat, als er sagte: »Dies ist Gottes Lamm, das die Sünde der Welt wegträgt« (1,29). Jesu Tod ist Ausdruck der Liebe Gottes zur ganzen Welt, und deshalb werden durch ihn alle, die zu Gott gehören, zu einer neuen Gemeinschaft zusammengeführt. Für Johannes wird die Kirche aus Juden und Heiden auf Golgota begründet! Aber erneut stellt sich die Frage: Wer sind die zerstreuten Kinder Gottes? Ist es die Schar der Erwählten oder die Frucht der universalen Liebe Gottes, die durch das Zeugnis der Jüngergemeinde in der Welt und für die Welt wächst? Oder sind dies falsche Alternativen? Kinder Gottes sind die, die an Jesu Namen glauben (1,12). Glaube aber erwächst da, wo Gottes Ruf einen Menschen trifft und in die Gemeinschaft mit ihm und seiner Gemeinde stellt. Obwohl der Rat des Kaiphas seinen einmaligen historischen und heilsgeschichtlichen Ort hat, bleibt er bis heute ein Beispiel dafür, wie eigenmächtiges menschliches Raten und Wollen von Gott in sein Planen und Handeln eingebunden werden. »Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade«, sagt ein portugiesisches Sprichwort.
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11,55 – 12,50 Jesu Weg zum Todespassah Kap. 12 des Evangeliums berichtet über die letzte Phase der öffentlichen Wirksamkeit Jesu. Vor dem Passahfest kommt er wieder nach Jerusalem und spricht noch einmal in aller Öffentlichkeit über seine Sendung. Diese letzte Darstellung seiner Botschaft wird eingeleitet durch zwei Episoden, die sich auch in den anderen Evangelien finden: die Salbung Jesu in Betanien (11,55 – 12,11) und sein Einzug in Jerusalem (12,12–19). Sie bilden die beiden Pfeiler der Eingangspforte zu Jesu Weg in seine Passion. Auffällig ist, dass Johannes die beiden Geschichten zeitlich anders einordnet als die anderen Evangelien. Bei Markus – und ihm folgend auch bei Matthäus und Lukas – steht Jesu Ankunft in Jerusalem am Beginn einer Woche, die er mit Gesprächen mit unterschiedlichen Gruppen in Jerusalem verbringt (vgl. Mk 11,1–11; Mt 21,1–11; Lk 19,29–40). In Betanien hatten Jesus und seine Jünger nach Mk 11,11 ihr Nachtquartier. Markus und Matthäus kennen die Geschichte von der Salbung in Betanien ebenso. Doch bei ihnen findet sie erst zwei Tage vor dem Fest statt, während sie Johannes an den Anfang von Jesu letztem Aufenthalt in Jerusalem stellt, sechs Tage vor dem Fest. Für ihn ist diese Geschichte das Vorzeichen für das, was anschließend folgen wird. Nicht ein triumphaler Empfang steht am Anfang des Aufenthalts Jesu im Gebiet von Jerusalem, sondern die vorweggenommene Salbung für sein Begräbnis. Auf diese beiden Erzählungen folgen zwei größere Abschnitte, die berichten, wie sich Jesus noch einmal dem Volk offenbart. Inhalt des ersten Abschnitts (V. 20–36: Jesu Tod und die Verherrlichung Gottes) ist Jesu letzter Auftritt in der Öffentlichkeit. Er wird angestoßen durch den Wunsch einiger Griechen, Jesus zu sehen, und mündet in eine letzte Einladung an das Volk, an ihn zu glauben. Der zweite Abschnitt (V. 37–50: Glaube und Unglaube – eine Zwischenbilanz) beginnt mit einem Rückblick des Evangelisten auf das öffentliche Wirken Jesu (V. 37–43) und endet mit einer Zusammenfassung seiner Botschaft (V. 44–50). Daraus ergibt sich folgende Einteilung des Kapitels: 11,55 – 12,11 12,12–19 12,20–36 12,37–50
Die Salbung in Betanien Festlicher Empfang in Jerusalem Jesu Tod und die Verherrlichung Gottes Glaube und Unglaube – eine Zwischenbilanz
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11,55 – 12,11 Die Salbung in Betanien 55
Es war aber das Passah(fest) der Juden nahe, und viele gingen (schon) vor dem Passah(fest) aus dem Land hinauf nach Jerusalem, um sich zu reinigen. 56Da suchten sie Jesus und sagten zueinander, als sie im Heiligtum standen: Was meint ihr? Wird er denn etwa nicht zum Fest kommen? 57Aber die Hohepriester und Pharisäer hatten Anordnungen erlassen, dass, wenn jemand wisse, wo er sei, er Anzeige erstatten solle, damit sie ihn verhaften könnten. 1 2,1 Jesus nun kam sechs Tage vor dem Passahfest nach Betanien, wo Lazarus war, den Jesus von den Toten auferweckt hatte. 2Da bereiteten sie dort ein Festmahl für ihn, und Marta bediente, aber Lazarus war einer von denen, die mit ihm zu Tisch lagen. 3 Da nahm Maria ein Pfund echtes, kostbares Nardenöl und salbte die Füße Jesu und wischte seine Füße mit ihren Haaren ab. Das Haus aber wurde vom Geruch des Öls erfüllt. 4Aber Judas Iskariot, einer seiner Jünger, der ihn ausliefern würde, sagt: 5Warum wurde dieses Öl nicht für 300 Denar verkauft und (das Geld) den Armen gegeben? 6Aber er sagte das nicht, weil ihm an den Armen lag, sondern weil er ein Dieb war, der die Kasse verwaltete und die Einlagen zu entwenden pflegte. 7Da sagte Jesus: Lass sie, sie sollte es für den Tag der Vorbereitung für mein Begräbnis aufbewahren; 8denn die Armen habt ihr immer bei euch, mich aber habt ihr nicht immer. 9 Da erfuhr die große Menge der Juden, dass er dort sei, und sie kamen (dorthin), nicht nur wegen Jesus, sondern um Lazarus zu sehen, den er von den Toten auferweckt hatte. 10Aber die Hohepriester beschlossen, auch Lazarus zu töten, 11denn viele der Juden gingen seinetwegen hin und glaubten an Jesus. Der Abschnitt 11,55 – 12,11 stellt noch einmal ein kleines Triptychon dar. Die eigentliche Erzählung von der Salbung (V. 1–8) ist das Mittelstück, das die Tat überschwänglicher Verehrung mit dem Hinweis auf Jesu Begräbnis verbindet. Davor führt 11,55–57 zu Jesu letztem Aufenthalt in Jerusalem hin und erinnert zugleich an die drohende Verhaftung Jesu. 12,9–11 verbindet das Geschehen in Betanien mit den Nachwirkungen der Auferweckung des Lazarus und berichtet noch einmal vom Glauben vieler an Jesus. Wird Jesus nach Jerusalem zurückkehren? Der Erzähler erhöht die Spannung in seinem Bericht, indem er eine Szene einflicht, in der diese Frage von vielen gestellt wird (11 1 ,5 5–57) . Das Johannesevangelium erwähnt drei Passahfeste, die während der Wirksamkeit Jesu stattgefunden haben. Jeder dieser Hinweise beginnt mit den Worten: Es war aber das Passah(fest) der Juden nahe (55 5; vgl.
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2,13; 6,4). Die Formulierung Passah der Juden zeigt wohl, dass die christlichen Gemeinden zur Zeit der Abfassung des Evangeliums das Passahfest nicht mehr gemeinsam mit der Synagoge feierten. Schon vor dem eigentlichen Fest trafen viele Pilger in Jerusalem ein, um sich zu reinigen (wörtlich: zu heiligen). In der Tora gab es für die Feier des Passah besondere Reinheitsvorschriften (Num 9,4– 14; vgl. 2Chr 30,15–20). Da man sich auf der Reise leicht verunreinigen konnte, war es besser, die entsprechenden kultischen Waschungen erst in Jerusalem vorzunehmen. Unter den schon Angekommenen war Jesus das Gesprächsthema. Die Leute hielten nach ihm Ausschau und suchten ihn (5 5 6). Anschaulich schildert Johannes, wie sie im Heiligtum, also wohl im Vorhof des Tempels, standen und einander fragten: Was meint ihr? Wird er denn etwa nicht zum Fest kommen? Die Übersetzer sind sich nicht ganz einig, wie sie diese Frage verstehen sollen. Manche meinen, es müsse heißen: Er wird wohl kaum zum Fest kommen! (EÜ). Im griechischen Text ist die Frage jedoch so formuliert, dass eine bejahende Antwort erwartet wird: Doch! Natürlich wird er kommen! (vgl. GNB). Allerdings gab es handfeste Gründe anzunehmen, dass er fernbleiben würde. Der Evangelist nennt sie (55 7): Aber die Hohepriester und Pharisäer hatten Anordnungen erlassen, dass, wenn jemand wisse, wo er sei, er Anzeige erstatten solle, damit sie ihn verhaften könnten. Jesus wird also steckbrieflich gesucht – Grund genug, sich in Jerusalem nicht blicken zu lassen. Aber die nächste Szene (11 2, 1–8) zeigt ihn schon auf dem Weg nach Jerusalem: Jesus nun kam sechs Tage vor dem Passahfest nach Betanien (1 1 ). Nach der johanneischen Chronologie begann das Passahfest in diesem Jahr am Vorabend des siebten Tages der Woche, also des Sabbats (vgl. 19,31). Das heißt: Jesus trifft am ersten Tag der Woche, nach christlicher Zählung am Palmsonntag, in Betanien ein. Wie die Leserinnen und Leser aus 11,18 wissen, liegt Betanien in unmittelbarer Nähe von Jerusalem (ca. 3 km entfernt). Und noch einmal wird daran erinnert, dass Betanien der Ort ist, in dem Lazarus lebt. Dort war er gestorben und von Jesus auferweckt worden. Vielleicht war die Dankbarkeit dafür der Grund, dass für Jesus ein festliches Mahl veranstaltet wurde. Wer Gastgeber war, wird nicht gesagt. Ausdrücklich erwähnt wird jedoch, dass Marta die Gäste bediente und Lazarus mit zu Tisch lag ( 2) . Das legt den Schluss nahe, dass das Mahl im Haus der Geschwister stattfand. Die folgende Begebenheit von der Salbung Jesu durch eine Frau wird in allen vier Evangelien erzählt. Sie begegnet uns aber in drei unterschiedlichen Fassungen. Eine Version bietet Markus (14,3–9), dem Matthäus im
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Wesentlichen folgt (26,6–13). Sie weist relativ viele Übereinstimmungen mit der Fassung bei Johannes auf. Die Frau salbt Jesus mit Nardenöl, dessen Wert auf 300 Denar geschätzt wird. Der Einspruch über die Verschwendung wird durch den Hinweis auf die Armen begründet. Jesus nimmt die Frau mit der Begründung in Schutz, es handle sich um eine einmalige Aktion für sein Begräbnis, während den Armen immer Gutes getan werden kann. Aber es gibt auch eine Reihe von Differenzen: Bei Markus findet das Mahl im Haus eines Simon, des Aussätzigen, statt. Der Name der Frau, die Jesus salbt, wird nicht genannt, auch nicht, wer Einspruch erhebt. Johannes identifiziert die Frau mit Maria, der Schwester des Lazarus, und den Kritiker mit Judas Iskariot; er weiß auch über dessen wahre Motive Bescheid. Bei Markus schüttet die Frau das Öl über den Kopf Jesu, bei Johannes salbt sie seine Füße und wischt das überschüssige Öl mit den Haaren ab. Dagegen fehlt bei Johannes der Hinweis, dass man sich an die Frau erinnern wird, wo immer das Evangelium verkündet werden wird. Von diesen beiden Versionen der Geschichte unterscheidet sich die dritte, die Lukas bietet, beträchtlich (7,36–50). Sie spielt nicht in Betanien, sondern findet während der Wanderungen Jesu in Galiläa im Haus eines Pharisäers namens Simon statt. Die Frau wird als stadtbekannte »Sünderin«, also wohl als Prostituierte, identifiziert. Sie benetzt Jesu Füße zunächst mit ihren Tränen, trocknet sie mit ihren Haaren ab und salbt dann die Füße. Diese Details erscheinen etwas verändert auch bei Johannes. Aber anstelle des Einspruchs wegen der Verschwendung gibt es hier ein Streitgespräch mit dem Pharisäer darüber, ob Jesus diese Handlung überhaupt zulassen durfte. In welchem Verhältnis diese drei Fassungen zueinander stehen, ist in der Forschung umstritten. Die meisten Ausleger nehmen an, dass sich dieser Vorgang nur einmal ereignet hat, also entweder in Betanien kurz vor Jesu Tod oder schon in Galiläa als Aktion einer Frau mit schlechtem Ruf. Welcher aber der ursprüngliche Bericht ist, darüber sind die Meinungen geteilt. Wir tendieren dazu anzunehmen, dass beide Geschichten auf zwei verschiedene Ereignisse zurückgehen, die beim Erzählen aneinander angeglichen wurden. So könnte in der Geschichte von der »großen Sünderin« das Motiv der Salbung ergänzt worden sein, während in die Johannesfassung der Salbung Details aus der Geschichte von der Sünderin aufgenommen wurden. Offen ist auch die Frage, ob Johannes sowohl den Markusbericht als auch den des Lukas kannte und daraus seine Darstellung komponierte oder ob er eine eigenständige Überlieferung benutzt, in die Details aus den beiden anderen Traditionen eingeflossen sind. Auffällig ist ja auch, dass seine Erzählung Züge aufweist, die an die Geschichte von Marta und Maria aus Lk 10,38–42 erinnern (z.B. den Tischdienst Martas). Wir können diese Frage auf sich beruhen lassen und legen die Geschichte so aus, wie sie der Evangelist erzählt, um ihre theologische Aussage möglichst klar zu erfassen.
Maria aber, die Schwester Martas und des Lazarus, hilft nicht bei der Bedienung der Gäste (33 ). Sie hat sich ein Pfund echtes, kostba-
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res Nardenöl beschafft (ein römisches Pfund wog 327,5 Gramm), mit dem sie den Raum betritt und auf Jesus zugeht. Dieses Öl wird aus der Wurzel der indischen Nardenpflanze (Nardostachys grandiflora) gewonnen und war außerordentlich kostbar. Maria nahm das Öl, goss es aber nicht – wie das in Mk 14,3 berichtet wird – über den Kopf, sondern salbte damit die Füße Jesu. Sie, die nach Lk 10,39 zu Jesu Füßen saß und ihm in 11,32 voll Trauer zu Füßen fiel, salbt jetzt seine Füße. In Lk 7,38 wird dies von der »großen Sünderin« berichtet, und wie diese bindet Maria ihre Haare los und wischt mit ihnen das überfließende Öl von Jesu Füßen. Ein solches Verhalten in der Öffentlichkeit galt damals als äußerst ungebührlich. Es ist Ausdruck einer überschwänglichen Liebe, für die nach Hld 1,12 der Duft von Narde ein untrügliches Zeichen ist. Im Johannesevangelium ist die Handlung Marias aber auch Vorwegnahme dessen, was Jesus selbst tun wird, wenn er seinen Jüngern die Füße wäscht (13,1–17). Der Evangelist setzt durch die Art seiner Schilderung klare Akzente. Auffallend ist, dass er für salben nicht das griechische Wort benutzt, das verwendet wird, wenn von der Salbung zum König berichtet wird, sondern eines, das gebraucht wird, wenn es um therapeutisches und kosmetisches Salben oder Salben als Zeichen der Gastfreundschaft geht. Dem entspricht, dass Maria nicht den Kopf Jesu salbt, wie das angemessen wäre, wenn ihre Handlung einer Salbung zum Messias entsprechen sollte, sondern seine Füße. Das ist ein Zeichen von Gastfreundschaft und Verehrung, aber eben auch ein Vor-Zeichen einer Salbung für die Grablegung (vgl. 19,39, wo Nikodemus die hundertfache Menge an wohlriechenden Essenzen bringt, um Jesus einzubalsamieren). Ein letztes Detail ist Johannes wichtig: Das Haus aber wurde vom Geruch des Öls erfüllt. Viele Ausleger sehen darin eine Bemerkung, die im Gegensatz zu dem Ausspruch Martas in 11,39 steht: »Herr, er stinkt schon!« An die Stelle des Geruchs des Todes und der Verwesung tritt der Duft des Lebens und der Liebe (vgl. Hld 1,12). Soviel Verschwendung erregt Protest (4 4 ). Während Mk 14,4 von einigen spricht, die sich empören, und es in Mt 26,8 die Jünger sind, die Einspruch erheben, kritisiert bei Johannes Judas Iskariot die Tat Marias. Wie schon in 6,71 wird er ausdrücklich als derjenige aus dem Kreis der Jünger vorgestellt, der ihn ausliefern würde. Er stellt die vorwurfsvolle Frage (55 ): Warum wurde dieses Öl nicht für 300 Denar verkauft und (das Geld) den Armen gegeben? (vgl. Mk 14,5). 300 Denar waren etwa der Jahresverdienst eines Taglöhners! Soviel wert mochte das Öl gewesen sein, das Maria über die Füße Jesu ausgoss! Wie viel Gutes hätte man tun können, wenn man es verkauft und den Erlös unter den Armen verteilt hätte.
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Das Argument leuchtet ein und gibt immer wieder zu denken, wenn in der Kirche verschwenderisch mit Geld umgegangen wird, um Jesus mit teurer Kunst und kostbarer Ausstattung zu ehren. Aber der Evangelist wendet zunächst eine Diskussion darüber ab, indem er darauf hinweist, dass es Judas nicht wirklich um die Armen, sondern um persönliche Bereicherung ging (6 6 ): Aber er sagte das nicht, weil ihm an den Armen lag, sondern weil er ein Dieb war, der die Kasse verwaltete und die Einlagen zu entwenden pflegte. Damit wird der verschwenderischen Verehrung der Maria die Geldgier des Verräters gegenübergestellt. Zwar berichtet Johannes nichts davon, dass Judas Jesus gegen Bezahlung verraten hat (anders Mt 26,14–16). Aber hier soll deutlich werden, aus welchen Motiven heraus er handelt. Dies ist übrigens neben 13,29 die einzige Stelle in den Evangelien, die davon spricht, dass es im Jüngerkreis Jesu eine gemeinsame Kasse gab, in der Spendengelder verwaltet wurden. Auch wenn der Erzähler die Lauterkeit der Anfrage des Judas in Zweifel zieht, nimmt Jesus den Einwand ernst und rechtfertigt das Handeln der Frau (77 ). Allerdings ist der griechische Wortlaut seiner Antwort schwer zu verstehen. Wörtlich übersetzt heißt sie: Lass sie, damit sie es für den Tag meines Begräbnisses aufbewahre (vgl. ZB; REB). Aber nirgends ist angedeutet, dass sie etwas von der Narde aufbewahrt hat, und bei Jesu Begräbnis sorgt Nikodemus für entsprechende Essenzen (19,39f). Nun kann das griechische Wort für Begräbnis auch Vorbereitung des Begräbnisses bedeuten. Das richtige Verständnis dürfte also sein: Lass sie (in Frieden)! (Sie hat das Öl zu Recht nicht verkauft,) um es für den Tag der Vorbereitung für mein Begräbnis aufzubewahren. Dieser Tag aber ist jetzt gekommen. Sinngemäß liegt also die gleiche Bedeutung vor wie in Mk 14,8: »Sie hat meinen Leib im Voraus für das Begräbnis gesalbt« (vgl. LÜ: Es soll gelten für den Tag meines Begräbnisses; EÜ: damit sie es für den Tag meines Begräbnisses tue). Damit ist die Notwendigkeit, etwas für die Armen zu tun, nicht bestritten (8 8 ): Aber: die Armen habt ihr immer bei euch, mich aber habt ihr nicht immer (vgl. Mk 14,7). Hinter dem ersten Teil der Formulierung dürfte Dtn 15,11 stehen: »Denn es wird immer Arme geben im Land« – was keine fatalistische Kapitulation vor der Armut darstellt, sondern zu dem Gebot führt: »Du sollst deine Hand willig auftun für deinen Bruder, der bedrängt und arm ist in deinem Land«. Die Stunde des Abschieds von Jesus aber ist einmalig: mich habt ihr nicht immer. Die Handlung der Maria hält die außerordentliche Bedeutung dieses Augenblicks fest. Die tiefere Bedeutung und die Notwendigkeit dieses Abschieds wird dann in den sog. Abschiedsreden (Kap. 13–16) erklärt und entfaltet werden.
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9 – 11) nimmt die Frage der Einleitung auf: Der Schlussabschnitt (9 Wird Jesus wieder nach Jerusalem kommen? Dass er sich inzwischen in Betanien aufhielt, blieb nicht verborgen (9 9 ): Da erfuhr die große Menge der Juden, dass er dort sei. Und die Leute machten sich auf den Weg und kamen (dorthin), aber nicht nur wegen Jesus, sondern um Lazarus zu sehen, den er von den Toten auferweckt hatte. Dieser Mann wird zum lebendigen Zeugnis für Jesu Vollmacht. Das lässt die führenden Leute nicht in Ruhe (11 0): Aber die Hohepriester beschlossen, auch Lazarus zu töten. Nicht nur Jesus soll als Störer der öffentlichen Ordnung und der bestehenden Machtverhältnisse beseitigt werden, sondern auch der, dessen Auferweckung ihn als Geber wahren Lebens ausweist. Denn – so begründet der Evangelist noch einmal diesen Beschluss – viele der Juden gingen seinetwegen hin und glaubten an Jesus (1 1 1). Durch diese Bemerkung entsteht eine spannende Querverbindung zu Jesu Erzählung vom reichen Mann und vom armen Lazarus (Lk 16,19–31). Der Reiche bittet Abraham, Lazarus zu seinen Brüdern zu schicken, denn »wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun«. Abraham lehnt das ab: »Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstehen würde« (16,30f). In unserer Geschichte scheint der auferweckte Lazarus den Gegenbeweis zu bieten: Viele glaubten an Jesus seinetwegen. Allerdings bezweifeln viele Ausleger, dass hier von echtem Glauben die Rede ist. Denn es ist ein Glaube, der durch ein Wunder entstand. Er ist nur »Zeichenglaube« und wurde nicht durch das Wort des Offenbarers hervorgerufen. Aber – wie schon an ähnlichen Stellen bemerkt – der Erzähler sagt nichts, was solche Skepsis stützt. Ihm ist wichtig, festzustellen: Immer wieder bricht auch unter den Juden der Glaube an Jesus auf. Das Wort glaubten steht im griechischen Text im Imperfekt, was andeutet, dass es sich dabei nicht nur um ein kurzfristiges Strohfeuer handelt, sondern um ein Verhalten, das länger andauert. Diese Geschichte lässt manche Fragen offen. Sie betreffen das Verständnis des Textes, aber auch die Konsequenzen, die sich für heute ergeben. Die erste Frage betrifft die Bedeutung des Tuns Marias: Ist die Salbung Jesu messianisches Zeichen oder vorweggenommene Einbalsamierung? Unsere Auslegung hat viele Argumente für die zweite Alternative erbracht. Obwohl Jesus bei seinem Empfang in Jerusalem und in seinem Prozess König von Israel bzw. der Juden genannt werden wird (vgl. 12,13–15; 18,33; 19,19), steht sein Weg dorthin von vornherein unter dem Vorzeichen seines Todes.
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Die zweite Frage stellt sich bis heute: Gibt es so etwas wie fromme Verschwendung, und wie verhält sie sich zur notwendigen Sorge für die Armen? Anders gefragt: Ist die Handlung Marias etwas Einmaliges oder kann sie auch Vorbild in Situationen im Leben von Glaubenden sein, in denen die Liebe zu Jesus so überwältigend wird, dass nichts kostbar genug ist, um Dankbarkeit und liebende Verehrung auszudrücken? Darauf wird es keine pauschale Antwort geben. Diskutiert wird die Frage, wenn es um den Schmuck von Kirchen oder deren Ausstattung mit kostbaren Orgeln geht. Doch leider ist Handeln zur Ehre Gottes und aus Liebe zu Jesus nicht immer vom Bedürfnis nach Prestige klar zu unterscheiden! Die dritte Frage gilt wieder dem Bericht selbst: Was geschieht hier mit Judas? War er wirklich ein Dieb, der sich an der gemeinsamen Kasse vergriff, oder gehört das zum Trend der Überlieferung, die das Unbegreifliche seines Handelns menschlich verständlich zu machen sucht (vgl. Mt 26,14f)? Der Bericht von der vergeblichen Reue des Judas in Mt 27,3–5 lässt die Vermutung aufkommen, dass Judas von ganz anderen Motiven geleitet war. Aber wir kennen sie nicht. Viertens kann man noch einmal fragen: Wie tief geht der Glaube, von dem hier erzählt wird? Klar ist: Es gibt im Johannesevangelium keine vorlaufende Qualitätskontrolle für den Glauben. Wo Menschen sich dem Wort Jesu öffnen und durch sein Wirken bewegt werden, ihm zu vertrauen, spricht Johannes vom Glauben – ohne Wenn und Aber. 12,12–19 Festlicher Empfang in Jerusalem 12
Am anderen Tag, als die große Menge, die zum Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem kam, 13nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus, ihm zum Empfang entgegen, und riefen: Hosanna, gesegnet sei der, der im Namen des Herrn kommt, der König Israels. 14Aber Jesus fand einen jungen Esel und setzte sich auf ihn, wie geschrieben steht: 15»Fürchte dich nicht, Tochter Zion, siehe, dein König kommt, sitzend auf dem Füllen einer Eselin« (Sach 9,9). 16Das verstanden seine Jünger zuerst nicht, aber als Jesus verherrlicht worden war, da erinnerten sie sich daran, dass dies über ihn geschrieben stand und sie dies für ihn getan hatten. 17 Die Volksmenge nun, die bei ihm gewesen war, als er Lazarus aus dem Grab gerufen und ihn von den Toten auferweckt hatte, legte (dafür) Zeugnis ab. 18Deshalb war die Menge ihm entgegengezogen, weil sie gehört hatten, dass er dieses Zeichen getan hatte. 19Da sagten die Pharisäer zueinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, die Welt läuft hinter ihm her.
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Die Geschichte von Jesu »Einzug in Jerusalem« wird in allen vier Evangelien erzählt. In den Grundzügen stimmen die verschiedenen Versionen überein, aber in Einzelheiten gibt es erhebliche Unterschiede zwischen der Fassung in den drei ersten Evangelien (Mk 11,1–10; Mt 21,1–9; Lk 19,28–40) und der im Johannesevangelium. Ein wichtiger Unterschied wurde schon erwähnt. Bei den Synoptikern leitet diese Geschichte den einzigen Aufenthalt Jesu in Jerusalem ein; unmittelbar danach folgt die Tempelreinigung, und die Zeit danach ist gefüllt mit vielen Gesprächen und Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Gruppierungen. Die Salbung in Betanien findet nach diesem Zeitplan erst zwei Tage vor dem Passahfest und der Verhaftung Jesu statt. Bei Johannes steht die Tempelreinigung am Beginn des ersten Besuchs Jesu in Jerusalem (2,13–17), während der dritte und letzte Aufenthalt mit der Salbung in Betanien beginnt, auf die dann der Empfang in Jerusalem folgt. Danach wird nur noch kurz über ein öffentliches Wirken Jesu dort berichtet (Kap. 12), während die Kap. 13–17 ganz dem letzten Zusammensein Jesu mit seinen Jüngern gewidmet sind. Aber auch Aufbau und Inhalt der Geschichte unterscheiden sich in vielen Details. In den anderen Evangelien ergreift Jesus die Initiative und schickt seine Jünger aus, um das Reittier zu besorgen. Sie scheinen auch die Demonstration zugunsten Jesu anzuführen (vgl. Mk 11,7f; Lk 19,35–37; etwas anders Mt 21,8). Bei Johannes geht die Initiative von der Menge aus, die Jesus jubelnd entgegengeht. Erst als Reaktion darauf besorgt sich Jesus einen jungen Esel als Reittier. Es ist schwer zu sagen, ob diese Unterschiede daher rühren, dass Johannes eine andere Überlieferung des Ereignisses kennt, oder ob er die Erzählung, wie sie die Synoptiker bieten, bewusst umgestaltet hat. In jedem Fall werden durch die andere Erzählweise auch theologisch andere Akzente gesetzt, die zu beachten sind. Am folgenden Tag begibt sich Jesus auf den Weg nach Jerusalem (11 2f). Davon hört die große Menge der Pilger, die zum Fest gekommen war, und findet spontan zu einer ganz besonderen Demonstration zusammen. Die Leute besorgten sich Palmzweige und gingen zur Stadt hinaus, Jesus zum Empfang entgegen. Der Evangelist benutzt hier Worte, die aus dem Bereich der Politik stammen. Das griechische Wort, das wir mit Empfang übersetzt haben, wird für die feierliche Einholung von hochgestellten Persönlichkeiten, insbesondere von Königen, durch die Bevölkerung einer Stadt verwendet. Auch Palmzweige galten als Symbol für königliche Macht, die Frieden garantiert (vgl. 1Makk 13,51).
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Dem entsprechen die Jubelrufe, in die die Menge ausbricht: Hosanna, gesegnet sei der, der im Namen des Herrn kommt, der König Israels. Der erste Teil dieses Rufs stammt aus Ps 118,25f. Das Wort Hosanna kommt vom hebräischen Hoschiana und bedeutet eigentlich: Ach, Herr, hilf! (vgl. Ps 12,2). Doch da Ps 118 zusammen mit den anderen Hallel-Psalmen (113–117) als Wallfahrtspsalm gebraucht wurde, wurde das Hosanna zu einem Jubelruf, vergleichbar dem Halleluja. Wurde der Psalm als Pilgerlied gesungen, war das Gesegnet sei der, der im Namen des Herrn kommt ein Segenswort, das die Pilger einander zusprachen. Hier aber wird es zur Huldigung für den, der in einzigartiger Weise im Namen des Herrn kommt, weil er von ihm gesandt ist. Das wird unterstrichen durch den Zusatz: der König Israels. Diese Aussage über Jesus stand schon am Anfang des Evangeliums, nämlich im Bekenntnis Nathanaels (1,49), eines »rechten Israeliten, in dem kein Falsch ist«. Jetzt ertönt sie in den Jubelrufen der Menge. Jesus wird damit zum Messias ausgerufen, dem Gesalbten Gottes und König Israels, der Gerechtigkeit und Frieden schaffen wird. Im Prozess gegen ihn wird man Jesus vorwerfen, er wolle sich zum König der Juden machen und gegen die Herrschaft der Römer rebellieren (18,33; 19,19). Welche Vorstellungen die Menge, die Jesus entgegengeht, nach Meinung des Evangelisten mit diesem Ruf verbindet, bleibt offen. Aber klar ist jedenfalls, dass hier dem rein politisch verstandenen Titel König der Juden ein Bekenntnis zu dem von Gott gesandten König Israels entgegengestellt wird. Fast scheint es, als wolle Jesus mit seiner folgenden Aktion eine Interpretationshilfe dafür geben (11 4). Denn Jesus suchte und fand einen jungen Esel und setzte sich auf ihn. Der Evangelist sieht darin eine prophetische Zeichenhandlung mit tiefer symbolischer Bedeutung. Er erklärt das durch ein Zitat aus der Schrift (1 1 5): Fürchte dich nicht, Tochter Zion, siehe, dein König kommt, sitzend auf dem Füllen einer Eselin (Sach 9,9). Das Zitat ist freilich nicht wörtlich aus Sacharja übernommen. Statt Freue dich, Tochter Zion schreibt Johannes nach Zeph 3,16: Fürchte dich nicht, Tochter Zion, kürzt den weiteren Wortlaut und lässt die Wendung dem Füllen einer Eselin aus Gen 49,11 einfließen. Durch das Zitat der Schrift wird für die Leserinnen und Leser klar, was es bedeutet, dass Jesus den Menschen, die ihm huldigen, auf einem Eselsfüllen entgegenreitet: Er kommt als demütiger König, der Frieden stiftet, nicht mit weltlicher Macht, wohl aber mit göttlicher Vollmacht ausgestattet. Jesus wird dies im Gespräch mit Pilatus noch einmal deutlich machen (vgl. 18,33–40). Aber schon hier macht die Symbolik seiner Aktion klar: »Der göttliche König, der
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machtlose Zeuge für die Wahrheit Gottes, kommt auf einem kleinen Esel zu den Menschen!« (Theobald, 790). Doch selbst seine Jünger verstanden das zuerst nicht (11 6). Erst als Jesus verherrlicht worden war – also nach seiner Kreuzigung und Auferstehung –, da erinnerten sie sich daran, dass dies über ihn geschrieben stand und sie dies für ihn getan hatten. Ähnlich wie in 2,17.22 bringt der Evangelist hier die nachösterliche Perspektive seiner Erzählung ins Spiel. Am Anfang und am Ende des ersten Hauptteils des Evangeliums, der von Jesu Wirken in der Öffentlichkeit berichtet, macht der Evangelist klar: Was hier geschieht und welche Hinweise es dafür schon in den Schriften des Alten Testaments gibt, haben die Jünger erst verstanden, nachdem sie erkannt haben, wie Jesu Weg am Kreuz ans Ziel kommt (19,30). Denn Jesu Verherrlichung geschieht ja nicht erst bei seiner Auferstehung, sondern vollzieht sich schon am Kreuz (vgl. 12,28–33). Unter dem Eindruck dieses Geschehens bekommen die Jünger einen neuen Blick für Aussagen der Schrift. Sie entdecken in ihr Hinweise auf Jesu Geschick (dass dies über ihn geschrieben stand) und verstehen erst richtig, was ihr eigenes Handeln und das des Volks wirklich bedeutete (und sie dies für ihn getan hatten). Gleich, was sich die Leute und sie selbst damals dabei gedacht haben, sie haben den wahren König Israels, den verheißenen Friedefürsten, willkommen geheißen. Noch einmal schafft der Erzähler die Verbindung zur Auferweckung des Lazarus (11 7– 1 9). Die Vielen, die Zeugen dieses Ereignisses gewesen waren, behalten das nicht für sich. Sie erzählen immer wieder, dass Jesus Lazarus aus dem Grab gerufen und ihn von den Toten auferweckt hat (1 1 7). Die Formulierung ist sehr bewusst gewählt: Es ist der vollmächtige Ruf Jesu, der Lazarus aus dem Grab, dem Machtbereich des Todes, herausgeholt und ihm neues Leben geschenkt hat. Das Zeugnis dieser Leute – so wird als Erklärung nachgetragen – war der Grund dafür gewesen, dass die Menge Jesus entgegenging und ihm diesen Empfang bereitete (1 1 8). Sie hatten gehört, dass er dieses Zeichen getan hatte, und waren überzeugt: Jesu Vollmacht weist ihn als den von Gott gesandten Retter aus. Das bleibt den Gegnern Jesu nicht verborgen (11 9). Es klingt fast resignierend, wenn es heißt: Da sagten die Pharisäer zueinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet. Man kommt ihm nicht bei! Seht doch, die Welt läuft hinter ihm her. Vermutlich ist der Begriff Welt hier nicht negativ besetzt, sondern neutral für alle gebraucht (manche Handschriften ergänzen: die ganze Welt). Die abwertende Übertreibung (alle laufen ihm nach) hat eine tiefere Bedeutung: Jesu Ruf wird noch viele erreichen – weit über das jüdische Volk hin-
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aus – und viele werden ihm nachfolgen. Für die Geschichte Jesu jedoch hat die Bemerkung noch eine andere Nuance: Nicht weil seine Gegner so übermächtig waren, konnten sie sich seiner bemächtigen. Wenn nicht seine von Gott bestimmte »Stunde« der Passion gekommen wäre, hätten sie von sich aus nichts ausrichten können. Ist dies eine Geschichte für den ersten Advent als Vorbereitung auf das Kommen Christi oder für den Palmsonntag als Hinführung zur Passion Jesu? Für beide Sonntage ist der »Einzug in Jerusalem« die vorgesehene Evangelienlesung: für den 1. Advent Mt 21,1–9, für den Palmsonntag Joh 12,12–19. In der johanneischen Fassung der Erzählung sind beide Ebenen präsent: Jesus wird als künftiger König Israels und Messias begrüßt, zugleich aber wird deutlich gemacht, dass die wahre Tragweite dieses Geschehens erst durch das Geschehen von Karfreitag und Ostern verständlich wird. Auch die enge Verbindung mit der Salbung in Betanien, die als Salbung für Jesu Begräbnis gedeutet wird, unterstreicht die Nähe zur Passion. Dabei wird die positive Reaktion der Menge ohne jeden negativen Kommentar erzählt und ihre Bedeutung nicht in Frage gestellt. Aber verstanden, was hier geschieht, haben die Jünger erst nach Ostern. Der Empfang Jesu vor den Toren Jerusalems war ein einmaliges Ereignis. Dennoch stellt es uns die Frage, wie wir heute Jesus begegnen. Paul Gerhardts Lied »Wie soll ich dich empfangen« (EG 11) nimmt diese Frage auf. Dafür, dass Jesus triumphal als Heilsbringer empfangen und gerade so missverstanden wird, gibt es in der Geschichte der Kirche viele Beispiele. Was es bedeutet, dass er auf einem Esel kommt, hat man oft übersehen. Was geschieht heute, wenn Jesus im Lobpreis als König gefeiert wird? Gilt dieser Jubel wirklich dem, der Heil und Frieden auf dem Weg der Erniedrigung und des Leidens bringt? 12,20–36 Jesu Tod und die Verherrlichung Gottes 20
Aber es waren einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um am Fest anzubeten. 21Diese kamen nun zu Philippus, der von Bethsaida in Galiläa stammt, und baten ihn mit den Worten: Herr, wir möchten Jesus sehen. 22Philippus geht und sagt es Andreas, Andreas und Philippus gehen und sagen es Jesus. 23Jesus aber antwortet ihnen und sagt: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werden wird. 24Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. 25Wer sein Leben liebt, der verliert es, und wer sein Leben gering achtet in dieser
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Welt, wird es für das ewige Leben bewahren. 26Wenn jemand mir dient, soll er mir folgen, und wo ich bin, wird auch mein Diener sein. Wenn jemand mir dient, wird ihn der Vater ehren. 27 Nun ist meine Seele erschüttert, und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde? Doch (nein), deshalb bin ich ja in diese Stunde gekommen. 28Vater, verherrliche deinen Namen. Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe (ihn schon) verherrlicht und werde (ihn) wieder verherrlichen! 29 Die Menge, die (da) stand und (es) hörte, sprach: Es hat gedonnert. Andere sagten: Ein Engel hat zu ihm gesprochen. 30Jesus antwortete und sagte: Nicht um meinetwillen ist diese Stimme ergangen, sondern um euretwillen. 31Jetzt geschieht Gericht über diese Welt, jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden. 32 Und wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alle zu mir ziehen. 33Das aber sagte er, um anzudeuten, durch welchen Tod er sterben würde. 34 Da antwortete ihm die Menge: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Messias in Ewigkeit bleibt, und warum sagst du (dann), dass der Menschensohn erhöht werden muss? Wer ist (denn) dieser Menschensohn? 35Jesus sagte zu ihnen: Noch eine kurze Zeit ist das Licht bei euch. Geht euren Weg, solange ihr das Licht habt, damit euch nicht die Dunkelheit überwältigt. Und wer seinen Weg in der Dunkelheit geht, weiß nicht, wo er hingeht. 36Solange ihr das Licht habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne des Lichts werdet. Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen. Herr, wir möchten Jesus sehen – mit dieser Bitte einiger Griechen an Philippus und der Schilderung, wie dieser zunächst Andreas ins Vertrauen zieht und dann mit ihm zu Jesus geht, gelingt dem Evangelisten eine der anschaulichsten Eröffnungen eines Gesprächs in seinem Evangelium. Aber ähnlich wie in der Erzählung von dem nächtlichen Kommen des Nikodemus sind heutige Leserinnen und Leser überrascht und enttäuscht, dass die Eingangssituation bald aus dem Blick schwindet und an die Stelle eines lebendigen Gesprächs das Referat grundsätzlicher Worte Jesu tritt. Die Frage stellt sich: Inwiefern sind Jesu Aussagen eine Antwort auf die Bitte der Griechen? Der Abschnitt gliedert sich in zwei Teile, beginnend mit 20–28: Die Bitte der Griechen und die Antwort Jesu. Kern der Antwort Jesu ist der Hinweis auf das Kommen der Stunde, in der Jesus verherrlicht werden wird (V. 23.27f). Eingefügt in diese Thematik sind Worte Jesu über die Notwendigkeit der Lebenshingabe, und zwar für ihn selbst und für seine Jünger (V. 24–26). Der zweite Teil, 29–36, berichtet von der Reaktion der Menge auf die Stimme vom Himmel
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und der folgenden Auseinandersetzung mit Jesus. Der Ruf zum Glauben in V. 36 ist Jesu letztes Wort in der Öffentlichkeit. Anlass für Jesu Äußerungen im ersten Teil des Abschnitts (22 0–28) ist die Bitte einiger Griechen, die sich unter den Pilgern befanden und die heraufgekommen waren, um am Fest anzubeten (2 2 0). Als Griechen werden im Neuen Testament nicht nur Leute aus Griechenland bezeichnet, sondern Menschen, die die griechische Sprache und Kultur angenommen haben (vgl. Mk 7,26: »eine Griechin aus Syrophönizien«). Bei Paulus ist das Wort im Gegenüber zu Juden zum Synonym für Heiden geworden (vgl. Röm 1,16; 3,9; 1Kor 1,22–24 mit Röm 3,29f). In anderem Zusammenhang kann das Wort auch griechisch sprechende Juden in der Diaspora meinen (vgl. 7,35). Wer ist hier gemeint? Da es sich um Leute handelt, die nach Jerusalem gekommen sind, um am Fest anzubeten, sind viele der Meinung, es müsse sich um griechisch sprechende Juden oder zum Judentum übergetretene Proselyten handeln, da nur sie am Passahmahl teilnehmen durften (vgl. Ex 12,43). Aber das Gegenüber von Griechen und der Menge jüdischer Festpilger und der betonte Hinweis in V. 32, Jesus werde alle zu sich ziehen, lässt vermuten, dass der Erzähler bei den Griechen an sog. Gottesfürchtige denkt, also an Heiden, die den Gott Israels verehren, aber nicht zum Judentum übergetreten sind. Dafür könnte auch die sehr allgemein gehaltene Aussage sprechen, sie seien gekommen, um am Fest anzubeten (so auch der Kämmerer aus Äthiopien in Apg 8,27). Diese Leute haben von Jesus gehört und wenden sich an Philippus mit der sehr höflich vorgebrachten Bitte: Herr, wir möchten Jesus sehen (22 1). Dass sie sich an Philippus wenden, mag nicht zufällig sein. Er und Andreas tragen griechische Namen und stammen beide aus Bethsaida, das stark von hellenistischer Kultur geprägt war (siehe zu 1,44). Sie sprachen wahrscheinlich Griechisch. Die Leute wenden sich mit ihrer Bitte an einen der Jünger, weil es ihnen um mehr geht als nur darum, einen Blick auf Jesus zu werfen. Sie möchten Jesus persönlich kennenlernen (vgl. Lk 8,20; Apg 28,20) und herausfinden, was es mit diesem Mann auf sich hat. Aber als Fremde und Nichtjuden sind sie dafür auf Hilfe und Vermittlung angewiesen. Warum Philippus zuerst Andreas informiert (22 2) und sie gemeinsam zu Jesus gehen, um ihm die Bitte vorzutragen, wird nicht gesagt. Außer in 1,40–44 werden die beiden auch in 6,5–10 zusammen als Helfer bei der Speisung der Fünftausend erwähnt. Jedenfalls gibt dieses kleine Detail der Erzählung eine menschliche Note, die auch ein Licht auf die spätere missionarische Praxis wirft: Zu Jesus
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führt man niemand allein (vgl. die Aussendung der Jünger zwei und zwei in Mk 6,7). Hier aber informieren die beiden zunächst einmal Jesus über das Anliegen der Leute. Auch das ist ein Hinweis darauf, dass nach Meinung des Erzählers die Erfüllung ihrer Bitte einen Schritt in neues Land, nämlich zur Begegnung von Heiden mit Jesus, bedeuten würde. Das ist vermutlich der Grund dafür, dass der Evangelist weder von einer direkten Antwort Jesu auf diese Bitte noch von einer Begegnung der Griechen mit ihm berichtet, sondern eine ganz grundsätzliche Äußerung Jesu anfügt (22 3): Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werden wird. Die Stunde Jesu, von der er immer wieder sagte, dass sie noch nicht gekommen sei (2,4; 7,30; 8,20), ist jetzt gekommen bzw. – wie das griechische Perfekt signalisiert – ist jetzt angebrochen und ist da. Diese Aussage bezieht sich jedoch nicht etwa »auf den triumphalen Einzug in Jerusalem, sondern auf das Kreuz« (Zumstein, 454). Das zeigt sich in V. 24 und 27, weiter in 13,1; 17,1 (vgl. auch Mk 14,41, wo Jesus dies angesichts seiner Verhaftung sagt). Jesu Passion hat begonnen. Ganz eigentümlich aber ist, dass Jesu Tod als seine Verherrlichung gedeutet wird; das heißt nach johanneischem Sprachgebrauch: »als Offenbarung Gottes inmitten der Welt«. Jesu Passion wird nicht als Erweis der »Abwesenheit Gottes betrachtet, sondern als Ort seiner vollkommenen Präsenz« (Zumstein, 454). Deshalb spricht Jesus wieder von sich als dem Menschensohn. Er ist der, der von Gott kommt, Gottes Gegenwart unter den Menschen lebt und durch den Tod am Kreuz zum Vater zurückkehrt (vgl. 3,14). Das aber muss geschehen, bevor auch die Heiden ihn sehen können. Aber ehe Jesus in V. 27 weiter davon spricht, wie er die Stunde seines Wegs zum Kreuz bestehen kann, fügt der Evangelist eine kleine Gruppe von Worten ein, in denen die Bedeutung des Todes Jesu für seine künftigen Nachfolger beschrieben wird (2 2 4–26). Es ist die johanneische Entsprechung zur ersten Leidensankündigung in Mk 8,31.34f. Zu dem Spruchpaar V. 25f gibt es sowohl in der Markustradition (Mk 8,34f; Mt 16,24f; Lk 9,23f) als auch in der sog. Logienquelle (Mt 10,39; Lk 17,33) genaue Parallelen. Am Beginn dieser Worte steht ein kleines Gleichnis, das eine Erfahrung aus dem bäuerlichen Alltag aufnimmt (2 2 4): Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn ein Weizenkorn nicht in die Erde ausgesät und im Boden »begraben« wird, dann bleibt es ein einzelnes Korn, das nichts bewirkt. Wenn es aber stirbt, also das Geschick des Vergehens auf sich nimmt, dann sprießt ein Halm aus ihm auf, entsteht eine Ähre, und es bringt viel Frucht. So könnte ein allgemeines Gesetz des
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Lebens beschrieben werden: Es gibt Situationen, in denen etwas sterben muss, damit neues Leben aufbrechen kann. Hier aber geht es um das Geschick Jesu: Sein Tod ist keine Katastrophe; sein Tod ist notwendig, damit Leben in Fülle entsteht, nämlich – wie dann in V. 32 ohne Bild gesagt wird – eine neue, die ganze Menschheit durchdringende Gemeinschaft. »Das Gleichnis ist also eine erste indirekte Antwort für die Griechen: Jesus wird den Heiden nicht durch eine unmittelbare geschichtliche Begegnung zugänglich, sondern durch Tod und Erhöhung« (Zumstein, 455). Das aber hat Konsequenzen für das Leben derer, die zu Jesus kommen. Das Wort vom Weizenkorn gilt auch für Jesu Jünger. Das machen die beiden folgenden Worte Jesu deutlich. Das erste stellt eine der zentralen Aussagen der Botschaft Jesu und ihrer Weitergabe in der christlichen Gemeinde dar. Wie schon erwähnt, findet es sich in etwas unterschiedlichem Wortlaut sowohl in der Markustradition (Mk 8,35; Mt 16,25; Lk 9,24) als auch in der sog. Logienquelle (Mt 10,39; Lk 17,33). Bei Johannes lautet das Wort (2 2 5): Wer sein Leben liebt, der verliert es, und wer sein Leben gering achtet in dieser Welt, wird es für das ewige Leben bewahren. Das klingt zunächst wie eine allgemeine menschliche Weisheit: Wer nur nach dem eigenen Leben fragt und sich nur um sich selbst kümmert, verspielt in Wirklichkeit all das, was wahres Leben ausmacht. Wer aber bereit ist, sein eigenes Leben zu riskieren – für andere oder für eine wichtige Sache –, der wird erfahren, was wahres Leben bedeutet. Aber spätestens die Schlusswendung: wird es für das ewige Leben bewahren zeigt, dass es um mehr als um einen allgemeinmenschlichen Grundsatz geht. Es geht um das Leben vor und mit Gott. Das Wort, das wir mit Leben übersetzt haben, heißt im Griechischen psyche, ein Wort, das auch Seele bedeutet. Gemeint ist aber nicht die Seele als (unsterblicher) Teil der menschlichen Existenz, sondern die von Gott eingehauchte »Identität des Menschen, die im Tod auf dem Spiel steht« (Theobald, 804; vgl. Gen 2,7). Wer seine von Gott geschenkte Existenz zum Ein und Alles seines Lebens macht und sie nur für sich beansprucht, wird sie verlieren, weil er sie gerade dadurch verfehlt. Wer aber bereit ist, in dieser Welt sein Leben zurückzustellen und gering zu achten und es für Gottes Sache und andere Menschen einzusetzen, wird es für das ewige Leben bewahren. Wer nicht an seinem Ich klebt und sich nicht selbst vergöttert, wird seine Identität in Gott geborgen finden. Nicht das, was in dieser Welt gilt, ist entscheidend, also nicht das Ansehen, das wir hier genießen, oder die Sicherheiten, die wir hier für uns aufbauen, sondern das, was
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vor Gott gilt, das bleibt und hat Bestand. Die Wendung für das ewige Leben zeigt sehr schön, wie im Johannesevangelium durchaus die Perspektive eines Lebens mit Gott in der Ewigkeit festgehalten ist, dass aber dieses ewige Leben schon in die jetzige Existenz hereinragt. In vielen Übersetzungen heißt der zweite Teil dieses Verses: wer sein Leben hasst (LÜ; REB; ZB). Das ist die wörtliche Übersetzung des griechischen Textes. Dennoch ist sie irreführend. Denn im Hintergrund der Aussage steht eine Bedeutung des Gegensatzpaares lieben – hassen, die im Hebräischen häufig vorkommt und mit bevorzugen – zurücksetzen / gering achten übersetzt werden muss; so etwa, wenn das Verhältnis eines Mannes zu seinen beiden Frauen beschrieben wird (vgl. Dtn 21,15–17; Gen 29,31, LÜ: nicht lieb haben. So wohl auch in Mal 1,2f; Röm 9,13: Gott hat Esau nicht gehasst, sondern zurückgesetzt). Es geht also an unserer Stelle nicht um ein Gebot zum Selbsthass. Es geht um die Mahnung, das eigene Leben nicht absolut zu setzen, sondern bereit zu sein, sich um anderer willen zurückzunehmen; vgl. EÜ2016: Wer sein Leben liebt, verliert es, wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben. V. 25 spricht nicht mehr von Jesus und seinem Weg ans Kreuz. Dass er sein Leben für die Menschen hingibt, ist jedoch die Voraussetzung dafür, dass auch sie nicht krampfhaft an der eigenen Sicherheit und dem eigenen Wohlergehen festhalten müssen, sondern ihr Leben zurückstellen können, um Gott und anderen Menschen zu dienen. Davon spricht V. 2 6. In der Markustradition steht dieses Wort über den Preis der Nachfolge vor dem Wort vom Gewinn und Verlust des Lebens (Mk 8,34; Mt 16,24; Lk 9,23; so auch Mt 10,38). Johannes fügt diese Aussage danach ein, freilich in etwas anderer Form. Bei Markus geht es um Selbstverleugnung und Kreuzesnachfolge, bei Johannes um den Dienst für und mit Jesus: Wenn jemand mir dient, soll er mir folgen, und wo ich bin, wird auch mein Diener sein (vgl. dazu Mk 10,43–45). Hier werden Menschen angesprochen, die bereit sind, etwas für Jesus zu tun (vgl. LÜ; EÜ: Wer mir dienen will). Die Dienstanweisung, die sie erhalten, ist ganz einfach: Jesus folgen. Im Neuen Testament begegnet uns diese Aussage auf zwei Ebenen. Jesus hat während seines irdischen Wirkens eine Gruppe von Leuten in seine Nachfolge gerufen (vgl. Mk 1,16–20; 2,14; Mt 8,18–22; Lk 9,57– 62). Sie sollten ihm als seine Schüler auf seinen Wanderungen folgen, mit ihm leben, auf ihn hören und an seinem Wirken teilnehmen. Bald aber bekommt das Wort Nachfolge einen weiteren Sinn. Auch in der Zeit nach Ostern gilt es, Jesu Geschick zu teilen und im Reden und Tun seinem Beispiel zu folgen (vgl. Mk 8,34 und, be-
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sonders deutlich, Lk 9,23). Nachfolge ist nicht nur Aufgabe einiger besonders Herausgerufener während der Erdentage Jesu, sondern beschreibt das Wesen des Christseins überhaupt (vgl. 1Petr 2,21). Auch bei Johannes ruft Jesus am Beginn seines Wirkens Menschen in seine Nachfolge (vgl. 1,43). An unserer Stelle ist aber (wie in 8,12) an die Situation nach Ostern gedacht. Menschen folgen Jesus, indem sie auf seine Stimme hören (10,4.27), d.h. die Botschaft Jesu annehmen und ihr Leben von ihr bestimmen lassen. Jesus zu dienen heißt also primär nicht, sich in dieser oder jener Aktion zu engagieren, sondern sich mit Leib und Leben zu ihm und seiner Botschaft zu stellen. Darin aber liegt zugleich eine Verheißung: wo ich bin, wird auch mein Diener sein. Damit werden einerseits Motive der Kreuzesnachfolge aufgenommen. Jünger Jesu binden sich mit ihrem Leben an das Geschick Jesu und werden deshalb wie er Verfolgung und unter Umständen auch das Martyrium erleiden müssen. Aber andererseits werden sie wie er verherrlicht werden. Das wo ich bin, wird auch mein Diener sein weist auch voraus auf »die Gemeinschaft mit ihm in der himmlischen Welt« (Theobald, 805). Sie »ist der Raum Jesu, seine wahre Heimat, auf die er zugeht (14,2ff)« (Schnackenburg II, 483) und die in seinen Worten und seiner Person für die Seinen schon gegenwärtig wird. Diese Verheißung wird noch einmal mit anderen Worten wiederholt: Wenn jemand mir dient, wird ihn der Vater ehren. Bei Jesus zu sein heißt auch, zum Vater zu gehören, ja von ihm geehrt zu werden. Das ist die johanneische Art und Weise, von der Rechtfertigung zu sprechen: Von Gott geehrt zu werden bedeutet, von ihm angenommen und aufgenommen zu werden und zu erfahren, dass er Ja zu unserem Leben sagt. Wir haben gesehen: Der »Einschub« der V. 24–26 entfaltet die grundsätzliche Aussage von V. 23. V. 24 macht deutlich, dass es gerade Jesu Tod ist, durch den er verherrlicht werden wird. Die V. 25f zeigen, wie dieser Tod auch den Weg seiner Jünger bestimmt. Wer Jesu folgt, muss mit schwierigen Aufgaben, erniedrigenden Situationen und Anfeindungen rechnen. Und doch führt dieser Weg »zu einer unverbrüchlichen Beziehung mit Jesus und mit Gott« (Zumstein, 457). Nachdem das klargestellt ist, kommt der Evangelist wieder auf die Aussagen von V. 23 über die Stunde, die gekommen ist, zurück (22 7). Jetzt aber thematisiert er mit Worten Jesu die Ambivalenz der Feststellung, dass in ihr der Menschensohn verherrlicht werden wird. Wenn Jesus sagt: Nun ist meine Seele erschüttert, ist dies eine deutliche Anspielung auf den Gebetskampf Jesu in Gethsemane, von dem die anderen Evangelisten berichten (Mk 14,32–42; Mt 26,
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Die Stimme vom Himmel ist die Stimme Gottes, des Vaters, der die Bitte des Sohnes erhört. In den anderen Evangelien ertönt die Stimme vom Himmel bei der Taufe (Mk 1,11; Mt 3,17; Lk 3,22) und der Verklärung Jesu (Mk 9,7; Mt 17,5; Lk 9,35). In beiden Fällen wird Jesus als »mein geliebter Sohn« proklamiert. Hier verkündet die Stimme vom Himmel, dass der Vater seinen Namen im Geschick des Sohnes schon verherrlicht hat und wieder verherrlichen wird. Die Verherrlichung des Menschensohns (vgl. V. 23; 13,31) dient der Verherrlichung Gottes. Schwierigkeit macht den Auslegern die Frage, worauf sich die doppelte Zeitangabe in Vergangenheit und Zukunft bezieht. Es gibt verschiedene Vorschläge. Am wahrscheinlichsten ist, dass sich Ich habe verherrlicht auf das gesamte Wirken Jesu von der Hochzeit zu Kana bis zur Auferweckung des Lazarus bezieht, und zwar auf die Verherrlichung Gottes und des Sohnes in den Zeichen (vgl. 2,11; 11,4.40), aber nicht nur durch sie, sondern durch den ganzen Lebensgehorsam des Sohnes in seinem Reden und Handeln (vgl. 8,54; 17,4). Die zukünftige Aussage aber bezieht sich auf die Verherrlichung Gottes durch Tod und Erhöhung Jesu (12,32f). Durch sie wird das Wesen Gottes als des Gottes, der Liebe ist (vgl. 3,16; 1Joh 4,7–16), endgültig und eindeutig ans Licht gebracht werden. Nach dem Bericht des Johannes erschallt diese Stimme in aller Öffentlichkeit. Wie aber reagieren die Menschen darauf? Plötzlich kommt wieder die Menge ins Blickfeld. Die jüdischen Zeitgenossen Jesu und ihre Auseinandersetzung mit Jesus treten neben die Griechen und ihren Wunsch, Jesus zu »sehen« (2 2 9–36). Die Reaktion der Leute auf die Stimme vom Himmel bleibt skeptisch. Die meisten meinen, nur ein lautes Geräusch vernommen zu haben, und sagen: Es hat gedonnert (22 9). Aber es gibt auch andere, die merken, dass es hier um eine Botschaft aus der Welt Gottes geht. Sie vermuten: Ein Engel hat zu ihm gesprochen. Jesus korrigiert sie. Die Botschaft der Stimme vom Himmel galt nicht ihm, sondern war an sie gerichtet (3 3 0): Nicht um meinetwillen ist diese Stimme ergangen, sondern um euretwillen. Wir haben hier einen ähnlichen Vorgang wie beim Gebet Jesu am Grab des Lazarus (11,41f). Die Zwiesprache zwischen Vater und Sohn soll helfen zu verstehen, worum es bei Jesu Sendung und Wirken geht. Uns kommt das etwas »inszeniert« vor. Aber für Johannes steht alles, was Jesus tut, im Dienst seiner Mission, den Menschen Gott zu offenbaren. Dabei stört es ihn nicht, dass die aktuellen Zeugen des Vorgangs in der Mehrzahl die Himmelsstimme gar nicht verstanden haben. Wichtig ist, dass die Leser und Leserinnen erfahren, worum es geht. Dann aber folgt eine sehr überraschende Erklärung
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dessen, was die Stimme vom Himmel verkündet hat und was in Jesu Passion geschieht. Dabei signalisiert das doppelte Jetzt von V. 3 1 die epochale Bedeutung des unmittelbar bevorstehenden Zeitpunkts der Kreuzigung Jesu: »Er ist der entscheidende Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte« (Zumstein, 460). Denn durch Jesu Tod wird der Widerstand gegen die Herrschaft Gottes und die Verherrlichung seines Namens gebrochen: Jetzt geschieht Gericht über diese Welt. Für Johannes ist das Gericht Gottes kein Ereignis am Ende der Zeit. Das Gericht vollzieht sich hier und jetzt, wenn Menschen lieber in der Finsternis bleiben, statt sich ins Licht rufen zu lassen, das heißt, wenn sie die Botschaft Jesu ablehnen und im Unglauben verharren (3,18f). Genau das aber geschieht bei der Kreuzigung Jesu in einer Weise, durch die endgültig aufgedeckt wird, dass nicht nur einige böswillige Menschen, sondern die Welt als Ganze gegen Gott steht und deshalb dem Gericht verfallen ist. Dass Menschen sich so verhalten, liegt nicht nur an der falschen Entscheidung Einzelner. Es gibt »einen universalen Verblendungszusammenhang«, in dem sie »sich immer schon vorfinden« (Theobald, 813), oder anders ausgedrückt: Sie sind gefangen durch die Macht des Bösen, deren Herrschaft gebrochen werden muss. Darum wird als zweite Konsequenz des Geschehens am Kreuz genannt: Jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen. Der Herrscher (LÜ: Fürst) dieser Welt ist der Teufel (so in 8,44; 13, 2) bzw. der Satan (so in 13,27). Herrscher dieser Welt wird er auch in 14,30 und vor allem in 16,11 genannt (das Gericht besteht darin, »dass der Herrscher dieser Welt gerichtet ist«). Paulus kann den Teufel sogar einmal den »Gott dieser Welt« nennen (2Kor 4,4), obwohl er wie Johannes überzeugt ist, dass es nur einen Gott und Herrn in dieser Welt gibt. Aber das Rätsel, dass Menschen immer wieder der Macht des Bösen erliegen, drängt die Apostel dazu, hinter diesem Phänomen das Wirken einer personhaft vorgestellten, zielbewusst und beherrschend agierenden Größe zu sehen. Von diesem Herrscher aber heißt es: Er wird jetzt hinausgeworfen. Woraus und wohin wird nicht gesagt. Aber die Aussage erinnert an ein Wort Jesu in Lk 10,18: »Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz«. Ähnlich heißt es in Offb 12,9, dass der Satan aus dem Himmel auf die Erde hinausgeworfen wurde. So wird auch an unserer Stelle der Hinauswurf des Herrschers dieser Welt als seine totale Entmachtung zu verstehen sein. Vor allem in seiner Rolle als Ankläger vor Gott hat er ausgespielt. Aber anders als in Offb 12,9 bedeutet das nicht, dass er jetzt auf der Erde wüten darf. Grundsätzlich ist er aus seinem Herrschaftsgebiet, aus dieser Welt, vertrieben worden, und es ist vielleicht kein Zufall,
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dass das griechische Wort für hinauswerfen in den anderen Evangelien für die Austreibung von Dämonen gebraucht wird. Diese Berichte fehlen bei Johannes. Der Satan wird nicht durch einzelne Exorzismen besiegt, sondern durch den Tod Jesu. Was aber heißt das? Wie kann der Tod Jesu, an dem der Teufel nicht unbeteiligt scheint (13,2.21), dessen Entmachtung bewirken? Weil der Sohn Gottes durch seine Passion seine Sendung vollendet hat, ist die Herrschaft des Satans über die Menschen zu Ende. Denn Jesu Aufgabe war es, »unter den sich selbst zerstörenden Menschen« Gott als den Gott darzustellen, der das zerstörte Menschsein heilt (Dietzfelbinger I, 393). Die Menschen sind nicht mehr zwangsweise Gott entfremdet. Darum ist die Macht des Bösen, die ihre Kraft daraus bezieht, den Menschen in dieser Entfremdung festzuhalten, gebrochen. Der Tod Jesu bewirkt zunächst die Überwindung des Bösen, also die Negation des Negativen. Unheil wird gebannt. Aber daneben tritt die positive Seite des Heilswirkens Jesu (33 2f): Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alle zu mir ziehen. Die Wendung von der Erde erhöht werden weist auf Jesu Kreuzigung hin, wie der nachgeschobene Kommentar des Evangelisten in V. 33 erklärt (vgl. 3,14). Es geht um die Heilsbedeutung des Todes Jesu. In dem schrecklichen Vorgang, dass Jesus an das Kreuz gehängt wird, sieht der Evangelist die Erhöhung zum Vater. Durch seinen Tod aus liebendem Gehorsam wird Jesus zu Gott, seinem Vater, emporgehoben. Das aber hat Folgen für die Menschen. Jesu Weg zum Vater macht auch ihnen den Weg zu Gott frei. Bildlich gesprochen: »Der Vater schlägt mit der himmlischen ›Erhöhung‹ seines Sohnes in den Himmel eine Bresche in das ›Totenhaus‹ dieser Erde, so dass allen, die an ihn glauben, nun der Weg ins himmlische Leben ein für alle Mal eröffnet ist« (Theobald, 814). Oder ohne Bild: Durch die Lebenshingabe Jesu strömt Leben aus Gottes Hand hinein in eine Welt, die vom Tod beherrscht ist. Das aber verschafft den Todgeweihten Zugang zu einem Leben mit Gott, in dem der Tod überwunden ist. Aber die Menschen müssen sich nicht aus eigener Kraft auf den Weg zu Gott machen. Jesus verspricht: Dann werde ich alle zu mir ziehen. Mit dem Stichwort alle ist einmal mehr der universale Horizont der Botschaft von Jesus im Johannesevangelium umrissen. Damit ist auch noch einmal eine Antwort auf die Frage der Griechen gegeben, die Jesus kennenlernen wollten. Nach Jesu Tod und Auferstehung wird die Tür zu ihm – und damit zu Gott – für alle, Juden wie Heiden, geöffnet sein. Im Zusammenhang des ganzen Evangeliums ist allerdings klar, dass dieses alle nicht im Sinne ei-
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ner »Allversöhnung« die Erlösung aller Menschen bedeutet. Es sind alle gemeint, die glauben (vgl. 3,16). Aber zugleich macht das Bild vom ziehen deutlich, dass solcher Glaube keine geforderte Eigenleistung darstellt, sondern Geschenk ist, bestenfalls Reaktion auf die Aktion Jesu, ein Sich-Einlassen auf seinen Ruf (vgl. zu 6,44). Inhaltlich steckt in dem zu mir ziehen eine doppelte Aussage: Einerseits wird damit eine Perspektive eröffnet, die über den Tod hinausweist. In 14,3 wird Jesus davon sprechen, dass er wiederkommen wird »und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin«. Bei Jesus geborgen zu sein auch im Tod und darüber hinaus – das ist die eine Seite. Andererseits wird damit nicht nur in die Zukunft gewiesen. Mit Jesu Tod und Auferstehung hat die Zukunft der Gemeinschaft mit Jesus schon begonnen. Von ihm zu sich geholt zu werden und zu ihm zu gehören wird im Glauben schon lebendige Wirklichkeit. Die Überzeugung, dass Jesus durch seinen Tod erhöht und verherrlicht wird, hat ihre Wurzel in der griechischen Übersetzung von Jes 52,13. Sie gibt die Aussage des hebräischen Textes, dass der Knecht Gottes »erhöht und sehr hoch erhaben sein« wird, mit »er wird erhöht und überaus geehrt bzw. verherrlicht werden« wieder. Damit wird im Rahmen des 4. Gottesknechtslieds Gottes Antwort auf Passion und Tod des Gottesknechts beschrieben. Für Johannes ereignet sich Jesu Erhöhung und Verherrlichung nicht erst bei seiner Auferweckung oder einer (nicht erzählten) Himmelfahrt Jesu, sondern in seinem Tod am Kreuz, weil durch ihn der Heilsplan Gottes und Jesu Auftrag erfüllt wird.
Die Menge scheint Jesus zu verstehen und missversteht ihn doch (33 4). Sie nimmt an, dass Jesus von sich als dem Messias spricht. Der aber wird nach traditioneller jüdischer Messiaserwartung sein Friedensreich für immer auf der Erde errichten (vgl. PsSal 17,4). Eine Erhöhung oder Entrückung in den Himmel oder gar – falls die Menge ahnen sollte, wovon Jesus wirklich spricht – ein Sterben des Messias, das Heil bewirkt, ist nicht vorgesehen. Doch die Leute argumentieren nicht mit der Tradition, sondern mit der Schrift und wenden ein: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Messias in Ewigkeit bleibt. Dabei meint Gesetz wie in 10,34 das Ganze der Schrift. Auffällig ist auch, dass sie nicht sagen: Wir haben im Gesetz gelesen, sondern aus dem Gesetz gehört. Aus dem Gesetz meinen sie die Stimme Gottes zu hören. Allerdings ist nicht sicher, auf welche Stelle der Schrift sie anspielen. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie Ps 89,37 meinen, wo in der griechischen Übersetzung über David gesagt wird: »Sein Same wird in Ewigkeit bleiben«. Ursprünglich war damit eine Garantie für den Bestand der Dynastie Davids gemeint. Bei dieser Auslegung aber wird der Be-
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griff Same = Nachkomme Davids auf den Messias bezogen (vgl. Röm 1,3). Von daher die verwunderte Frage: Warum sagst du (denn), dass der Menschensohn erhöht werden muss? Nun hatte Jesus hier gar nicht vom Menschensohn gesprochen; die Menge scheint 3,14 zu zitieren. Das zeigt einmal mehr, dass Johannes bei seinen Dialogen nicht ein aktuelles Gespräch möglichst wortgetreu wiedergibt, sondern sie so formuliert, dass die verhandelte Sache klar wird. Der Begriff Menschensohn wird im 4. Evangelium von Jesus ja gerade deswegen so häufig verwendet, um den Unterschied seines Auftrags zur herkömmlichen Messiaserwartung deutlich zu machen. Darum fragt die Menge eigentlich zu Recht: Wer ist (denn) dieser Menschensohn? Denn außer in den apokalyptischen Kreisen, die im Äthiopischen Henochbuch (1Hen) zu Wort kommen, war der Begriff im damaligen Judentum nicht mit einer klar umrissenen Vorstellung verbunden. Aber wie oft im Johannesevangelium antwortet Jesus nicht direkt auf diese Frage. Er lässt sich nicht auf eine Diskussion über die Würdetitel ein, die seiner Sendung entsprechen. Er sagt, was »Sache« ist (33 5): Noch eine kurze Zeit ist das Licht bei euch. Einerseits greift er damit ein geläufiges Bild auf: Licht ist Inbegriff für lebenspendende Energie. Andererseits wird im Johannesevangelium Jesus selbst als das Licht bezeichnet, das wahres Leben von Gott schenkt (vgl. 1,5–9 vom WORT und Jesu Ich-bin-Wort in 8,12; 9,5). Dieses Licht leuchtet in der Person und im Wirken Jesu unter den Menschen. Das gilt es zu nutzen: Geht euren Weg bzw. wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch nicht die Dunkelheit überwältigt. Das griechische und hebräische Wort, das oft mit dem kaum noch gebrauchten deutschen Wort wandeln übersetzt wird, bezeichnet in der Sprache der Bibel die praktische Lebensführung, den konkreten Weg des Lebens, sowohl im Blick auf die täglichen Schritte als auch auf das Ziel, das das Ganze bestimmt (vgl. Ps 56,14; 119,1–3; Gal 5,16). Wer den richtigen Weg finden will, braucht Licht. Das gilt nicht nur für die Wege im Haus und unterwegs, es gilt für das ganze Leben. Daher der Appell Jesu an seine Gesprächspartner: Sucht für euer Leben nach Orientierung und Sinn, solange ich, das Licht, das von Gott her in euer Leben leuchtet, bei euch bin. Nur so ist es möglich, den Weg des Lebens wirklich »erleuchtet« und zielsicher zu gehen und nicht über Hindernisse zu stürzen oder in Gruben zu fallen. Denn die Dunkelheit, von der hier die Rede ist, ist nicht nur Mangel an Licht; sie ist eine Macht, die nach denen greift, die sich nicht vom Licht Gottes leiten lassen.
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Und so ist auch der nächste Hinweis doppelsinnig: Und wer seinen Weg in der Dunkelheit geht, weiß nicht, wo er hingeht. Das ist zunächst eine alltägliche Erfahrung. Aber es beschreibt zugleich eine ganz existenzielle Wahrheit: »Wer in der Finsternis wandelt, kann seinem Leben keine kohärente Richtung geben; ihm fehlt das Wissen …, das ihm erlauben würde, sein Leben zu verstehen und auszurichten« (Zumstein, 463). Deshalb noch einmal der dringende Rat Jesu (3 3 6): Solange ihr das Licht habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne des Lichts werdet. Hier geht das Bild in die Sache über. Es geht nicht nur darum, im Licht zu wandeln, sondern darum, an das Licht zu glauben, und das heißt ja nichts anderes, als an Jesus zu glauben, sich seinem Wort und seiner Führung anzuvertrauen. Wer so handelt, wird zum Sohn bzw. zur Tochter des Lichts. Diese Wendung findet sich häufig in den Texten von Qumran (1QS 1,9f; 2,16; 3,24f). Sie bezeichnet dort die Angehörigen dieser Gemeinschaft im Gegensatz zu den »Söhnen der Finsternis«, die nicht den »Geist der Wahrheit« empfangen haben. Im Neuen Testament begegnet der Begriff in Lk 16,8; 1Thess 5,5; ähnlich Eph 5,8. Kinder des Lichts sind alle, die sich hineinnehmen lassen in das Licht der Liebe Gottes und von ihm her ihr Leben gestalten. An unserer Stelle bekommt die Wendung noch einen besonderen Akzent: Denn Sohn oder Tochter des Lichts zu sein bedeutet, in die Leben schaffende Beziehung zu Jesus zu treten. Es geht nicht nur um ein neues Verhalten (Wandel im Licht), sondern um eine neue Existenz als Kind des Lichts, die der Glaube an Jesus schenkt. Das sind die letzten Worte, die Jesus in der Öffentlichkeit an seine jüdischen Zeitgenossen richtet. Der Evangelist stellt lapidar fest: Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen. Die Zeit seines öffentlichen Wirkens ist vorüber. Wir wollen Jesus sehen – darum bitten die Griechen. Sie scheinen keine Antwort zu bekommen. Aber genau betrachtet geben die V. 23–26 doch eine Antwort auf ihre Anfrage. Sie – und mit ihnen alle, die Jesus nicht mehr persönlich kennenlernen können – werden »auf den Weg verwiesen, den der Gekreuzigte-Erhöhte gegangen ist. Es gibt keinen direkten Zugang zum erhöhten Christus. Der Weg, auf dem man ihm begegnen kann, ist der Weg des Dienens, der die Erniedrigung und den Tod in der Nachfolge in Kauf nimmt« (Zumstein, 457). So begegnen wir dem Menschensohn, der die Verbindung mit Gott schafft. Auch heute noch geht von der Gestalt Jesu eine große Faszination aus. Man möchte Jesus sehen, und zwar den wirklichen Jesus. Allerdings kommen die Menschen deshalb nicht ohne Weiteres in die
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Kirche. Selten melden sich Leute bei Pfarrern oder Pfarrerinnen mit der Bitte: Wir wollen Jesus kennenlernen. Die Kirchen stehen in Verdacht, Jesus für sich vereinnahmt zu haben. Doch Jesu Antwort nennt eine klare Bedingung: Ihn sehen kann nur, wer sich auf den Weg der Nachfolge macht und sich für das Licht der Liebe Gottes öffnet, das durch Jesu Lebenshingabe in unsere dunkle Welt hineinleuchtet. Eine »Besichtigung« Jesu aus sicherer Distanz bringt nichts. Zwei Vorgaben machen es möglich, dass Menschen Jesus begegnen und ihn sehen, d.h. erkennen und glauben, wer er wirklich ist: 1. Die Herrschaft des Bösen ist grundsätzlich gebrochen; Menschen können ihrem Bann entrinnen und sich unter die Herrschaft der Liebe stellen. 2. Die »Attraktivität« Jesu ist mehr als die Faszination durch das eine oder andere Wort. Ich werde alle zu mir ziehen, sagt er. Menschen werden »angezogen« durch die Liebe, die er lebt. 12,37–50 Glaube und Unglaube – eine Zwischenbilanz 37
Aber, obwohl er so große Zeichen vor ihnen getan hatte, glaubten sie nicht an ihn, 38damit das Wort des Propheten Jesaja erfüllt würde, das er gesagt hat: »Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt? Und der Arm des Herrn, wem wurde er offenbart?« (Jes 53,1). 39Deshalb konnten sie nicht glauben, denn wiederum hat Jesaja gesagt: 40»Er hat ihre Augen geblendet und ihr Herz verhärtet, damit sie nicht mit den Augen sehen und mit dem Herzen verstehen und sie umkehren und ich sie (dann) heilen werde« (Jes 6,10). 41Dies sagte Jesaja, weil er seine Herrlichkeit gesehen hatte, und über ihn sprach er. 42Dennoch glaubten sogar viele von den führenden Leuten an ihn, aber wegen der Pharisäer bekannten sie (es) nicht, um nicht aus der Synagoge ausgeschlossen zu werden. 43Denn sie liebten die Ehre vor den Menschen mehr als die Ehre Gottes. 44 Jesus aber rief und sagte: Wer an mich glaubt, glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat, 45und wer mich sieht, sieht (auch) den, der mich gesandt hat. 46Ich bin als das Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt. 47Und wenn jemand meine Worte hört und sie nicht befolgt, werde ich ihn nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, damit ich die Welt richte, sondern damit ich die Welt rette. 48Wer mich ablehnt und meine Worte nicht annimmt, hat schon den, der ihn richtet: (nämlich) das Wort, das ich gesagt habe, das wird ihn richten am letzten Tag. 49Denn ich spreche nichts aus mir selbst, sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir geboten, was ich reden und sagen soll. 50Und ich weiß, dass sein Gebot ewiges
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Leben ist. Was ich also rede, rede ich so, wie mir der Vater (es) gesagt hat. Kap. 12 – und damit der erste Hauptteil des Evangeliums – endet mit zwei sehr gegensätzlichen Abschnitten, die dennoch eng zusammengehören. Die V. 37–43 bieten eine sehr pessimistisch gehaltene Zwischenbilanz des Evangelisten über den »Erfolg« des Wirkens Jesu. Sie entspricht dem, was schon im Prolog des Buches in 1,11 gesagt worden war: Das WORT »kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht auf«. Das aber ist nicht das letzte Wort. Am Schluss des zweiten Hauptteils in 20,30f werden wir lesen: »Diese Zeichen sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und durch den Glauben das Leben in seinem Namen habt«. Das entspricht der Fortsetzung der Feststellung im Prolog in 1,12: »Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Vollmacht, Gottes Kinder zu heißen«. An unserer Stelle jedoch zeigt der Evangelist an Aussagen des Propheten Jesaja auf, warum das jüdische Volk eigentlich gar nicht glauben kann (V. 39f). Doch wie als Kontrapunkt dazu spricht im zweiten Teilabschnitt (V. 44–50) noch einmal Jesus selbst und lädt die Menschen zum Glauben ein. Die Verse sind eine knappe Zusammenfassung der Botschaft Jesu und nehmen viele grundsätzliche Aussagen seiner Reden im ersten Teil des Evangeliums auf. Ein letztes Mal wird in knappen Worten noch einmal wiederholt, was Inhalt und Ziel seiner Botschaft und Sendung war. Der Evangelist zieht ein düsteres Fazit der Wirksamkeit Jesu (33 7): Obwohl er so große Zeichen vor ihnen getan hatte, glaubten sie nicht an ihn. Sie – das sind zunächst einmal die Leute der Volksmenge, mit denen Jesus in den V. 29–36 diskutiert hat. Aber sie stehen stellvertretend für alle, die die großen Wunder Jesu von der Hochzeit in Kana bis zur Auferweckung des Lazarus erlebt haben und doch nicht an Jesus glaubten. Die Pauschalität der Aussage verwundert allerdings. Hatte der Evangelist nicht immer wieder berichtet, dass Menschen gerade aufgrund der Zeichen Jesu zum Glauben gekommen waren (vgl. 4,53 und zuletzt 11,45; 12,11)? Es gehört offensichtlich zur Erzähltechnik des Evangelisten, diese unterschiedlichen Perspektiven auf die Wirkung des Handelns Jesu unverbunden nebeneinanderzustellen (vgl. V. 42 und schon 1,11f). Auf die Frage, warum so wenige aus dem jüdischen Volk der Botschaft Jesu Glauben schenkten, fanden die ersten Christen schon im Alten Testament eine Antwort (33 8). Wurde dadurch doch ein Wort des Propheten Jesaja erfüllt, das dieser gesagt hatte: »Herr, wer hat
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unserer Botschaft geglaubt?« (Jes 53,1). Es scheint geradezu der Normalfall zu sein, dass die Botschaft derer, die Gott gesandt hat, bei seinem Volk keinen Glauben findet. Auch Paulus zitiert dieses Wort in Röm 10,16, wo er über das Rätsel des Unglaubens Israels nachdenkt. Johannes fügt auch den zweiten Teil des Wortes an: Und der Arm des Herrn, wem wurde er offenbart? Der Arm des Herrn ist ein alttestamentliches Bild für das rettende Eingreifen Gottes (Ex 14,8; Jes 51,9; 59,19). Der Evangelist liest darum im Wort Jesajas die Frage: Wer hat das befreiende Handeln Gottes in den Zeichen wahrgenommen, die Jesus getan hat? Warum Jesu Zeitgenossen das, was hier geschah, nicht wirklich sehen und verstehen und darum auch nicht glauben konnten, das erklärt ein weiteres Wort Jesajas (33 9f): Er hat ihre Augen geblendet und ihr Herz verhärtet, damit sie nicht mit den Augen sehen und mit dem Herzen verstehen und sie umkehren und ich sie (dann) heilen werde. Dies ist ein freies Zitat von Jes 6,10. Die gleiche Stelle wird auch in Mk 4,12 (par Mt 13,14f; Lk 8,10) als Erklärung dafür angeführt, dass Jesu Hörer und Hörerinnen seine Gleichnisse nicht verstehen. In Apg 28,25–27 wird sie von Paulus als Begründung dafür zitiert, dass die Juden so oft seine Botschaft ablehnten. Es handelt sich also um ein Wort der gemeinsamen Heiligen Schrift, das in der Urchristenheit als Erklärung dafür gelesen wurde, dass das Evangelium gerade unter den Juden so wenig Glauben fand. Das lag nicht an der Kraftlosigkeit der Verkündigung Jesu und seiner Gemeinde und auch nicht nur an einer freien Entscheidung der Hörenden gegen Gottes Ruf. Gott selbst hat ihre Augen geblendet, sodass sie nicht sehen, worauf die Zeichen Jesu verweisen. Er hat ihre Herzen verhärtet, sodass sie sich nicht vom Ruf der Liebe Gottes berühren lassen und zu ihm umkehren und er den tödlichen Schaden ihres Lebens heilen könnte. »Das ›nicht glauben können‹ des Volks ist kein Widerruf der Autorität Gottes, sondern paradoxerweise ihre beabsichtigte Bestätigung. … Die göttliche Offenbarung führt nicht nur zum Glauben der einen, sondern provoziert gleichzeitig die Ablehnung und Verstockung der anderen« (Zumstein, 468f). Das entlastet nicht nur die Verkündiger, sondern in gewissem Maß auch die ungläubigen Juden! Es scheint nicht ihre Schuld zu sein, wenn sie nicht glauben. Sie können ja gar nicht glauben! Aber darin liegt auch die Problematik dieser Aussage. Wozu dann der Ruf zum Glauben, der so oft laut wird (so auch unten in V. 44)? Und warum kann doch immer wieder vom Glauben jüdischer Menschen berichtet werden (siehe V. 42)? Und wie kann es dann Sünde sein, nicht an Jesus zu glauben (vgl. 16,9)?
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Zunächst stehen diese verschiedenen Aussagen unausgeglichen nebeneinander, und wir werden in der Zusammenfassung fragen müssen, in welcher Weise sie sich gegenseitig interpretieren. Doch zuerst muss der Evangelist begründen, inwiefern Jesaja überhaupt 4 1). Der Provon Jesus und seiner Verkündigung gesprochen hat (4 phet konnte dies tun, weil er seine Herrlichkeit gesehen hatte. Damit wird auf die Schau der Herrlichkeit Gottes hingewiesen, von der in Jes 6 berichtet wird. Nach Auffassung des Evangelisten sah Jesaja dabei nicht nur die Herrlichkeit Gottes, sondern auch die des Sohnes, der von Anfang an bei Gott war. Deshalb kann er von dessen Wort in Jes 6,10 so zuversichtlich sagen: und über ihn, Jesus, sprach er. Überraschend schiebt Johannes eine Information nach, die dem eben Gesagten zu widersprechen scheint (4 4 2): Dennoch glaubten sogar viele von den führenden Leuten an ihn. Nicht nur Menschen aus dem einfachen Volk glauben an Jesus, auch aus der Schicht der führenden Leute (LÜ: der Oberen) kommen viele zum Glauben an ihn. Konkret ist dabei wohl an Ratsmitglieder wie Nikodemus (3,1; 7,50; 19,39) und Josef von Arimathia (19,38) gedacht. Aber es gibt ein Problem: Wegen der Pharisäer bekannten sie (es) nicht, um nicht aus der Synagoge ausgeschlossen zu werden. Auch hier erscheinen die Pharisäer wie eine Art Inquisitionsbehörde (vgl. 1,24), die ihre jüdischen Mitbürger überwacht und vor deren Eingreifen sich selbst die führenden Leute fürchten. Denn wenn ihr Bekenntnis zu Christus bekannt würde, könnte auch ihnen drohen, aus der Synagoge ausgeschlossen zu werden. Dieser Hinweis projiziert freilich die Verhältnisse zur Zeit der Abfassung des Evangeliums zurück in die Zeit Jesu, in der es diese Maßnahme, soweit wir wissen, noch nicht gab (vgl. zu 9,22). Die Haltung dieser Christen im Untergrund wird vom Evangelisten sehr kritisch gesehen. Für ihn handeln solche Leute nicht aus einer echten Notlage heraus, sondern weil sie die falschen Prioritäten setzen (4 4 3): Sie liebten die Ehre vor den Menschen mehr als die Ehre Gottes. Das Ansehen bei den Religionswächtern war ihnen wichtiger als das klare Bekenntnis zu dem, was Gott durch Jesus für die Menschen tat. Diese Kritik gewinnt noch an Schärfe, wenn man sieht, dass das griechische Wort, das hier mit Ehre übersetzt wird, doxa heißt und im Johannesevangelium meist mit Herrlichkeit wiedergegeben wird. Die Herrlichkeit, die Menschen ihnen zugestehen, war ihnen wichtiger als die Herrlichkeit Gottes, übersetzt die BasisBibel. Durch ihre Feigheit verleugnen sie die Wirklichkeit Gottes, die sich in Jesus offenbart. Das dürfte eine deutliche Warnung an jüdische Menschen zur Zeit der Abfassung des Evangeliums sein, die inner-
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lich mit der Botschaft Jesu sympathisierten, aber es nicht wagten, sich offen zu ihm zu bekennen – gerade weil sie wichtige Positionen in der jüdischen Gemeinde innehatten, die sie nicht verlieren wollten. Im Glauben an Jesus geht es letztlich um die Offenheit für Gott und seine Heil schaffende Gegenwart in ihm. Um das deutlich zu machen, ertönt plötzlich noch einmal die Stimme Jesu laut und vernehmlich (er rief) (4 4 4 – 5 0). Jesus zeigt sich nicht noch einmal in der Öffentlichkeit, es fehlt jede zeitliche und räumliche Situationsangabe der Rede. Jesus spricht gewissermaßen »aus dem Off«, wie man heute sagen würde. Was er sagt, gilt immer und überall und ist nichts weniger als die Zusammenfassung seiner öffentlichen Verkündigung. Zu jedem Satz gibt es Parallelen im sonstigen Evangelium. Die Rede beginnt mit einer ganz grundlegenden Aussage Jesu (44 4f): Wer an mich glaubt, glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat, und wer mich sieht, sieht (auch) den, der mich gesandt hat (vgl. 7,16–18; 13,20; 14,9). So sehr der Ruf zum Glauben an Jesus im Mittelpunkt des Evangeliums steht, er bleibt immer ein Ruf zum Glauben an Gott. Jesus ist Stellvertreter Gottes, aber nicht in dem Sinne, dass er die Stelle Gottes einnimmt, sondern dass er den Platz für ihn freihält. Wer ihm begegnet und sich seiner Botschaft öffnet, der begegnet Gott und lässt ihn in sein Leben ein. Darum ist für Johannes glauben auch nicht einfach blindes Vertrauen, sondern ein Sich-Öffnen für Gottes Gegenwart in der Person Jesu, ein Sehen mit den Augen des Herzens. Das hat heilvolle Konsequenzen. Denn Jesus kann von sich sagen (44 6): Ich bin als das Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Dunkelheit bleibt (vgl. 1,9; 3,19; 8,12; 9,5; 12,35). Die Begegnung mit Jesus stellt die Menschen ins Licht der Wirklichkeit Gottes. Wer sich ihm anvertraut, bleibt nicht dem Dunkel verhaftet, das die Menschen in Irrtum, Entfremdung, Sünde und Tod gefangen hält. Im Licht der rettenden Liebe Gottes, die in Jesus in diese Welt gekommen ist, können Menschen Sinn und Ziel ihres Lebens erkennen und für sich annehmen. Sich diesem Licht zu verschließen hat ebenfalls Konsequenzen (4 4 7): Und wenn jemand meine Worte hört und sie nicht befolgt, werde ich ihn nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, damit ich die Welt richte, sondern damit ich die Welt rette. Damit wird die grundsätzliche Aussage von 3,17 noch einmal aufgenommen (vgl. auch 8, 15). Jesu Aufgabe ist nicht, Gericht zu halten, sondern die rettende Botschaft in diese Welt zu tragen und für sie zu leben. Auf diesem Hintergrund wird noch einmal neu formuliert, was glauben heißt: Jesu Wort hören und befolgen bzw. halten. Die Übersetzung be-
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wahren (LÜ) ist zu schwach; es geht nicht nur darum, den Wortlaut der Verkündigung Jesu festzuhalten, sondern darum, dem Ruf Jesu mit allen Konsequenzen zu folgen (vgl. Mk 4,20). Was aber geschieht, wo man sich Jesu Ruf verweigert? Darauf gibt 4 8): Wer mich ablehnt und meine Worte es eine klare Antwort (4 nicht annimmt, hat schon den, der ihn richtet: (nämlich) das Wort, das ich gesagt habe, das wird ihn richten am letzten Tag. Jesu Botschaft nicht anzunehmen bedeutet auch, ihn abzulehnen. Das gilt nicht nur für die Zeit seines irdischen Wirkens, sondern auch für die Begegnung mit ihm in der Verkündigung der Gemeinde. Beim Gericht wird darum Jesu Wort als für das Urteil entscheidender Belastungszeuge auftreten (vgl. schon Dtn 18,18f: Gott wird die zur Rechenschaft ziehen, die nicht auf das Wort hören, das er in den Mund des endzeitlichen Propheten legen wird). Hatte es in 3,18 geheißen: »Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet«, so wird hier doch von einem Gericht am letzten Tag gesprochen (vgl. 6,39). Das bedeutet allerdings keinen grundsätzlichen Unterschied. Denn letztlich fällt auch nach diesem Wort der, der nicht glaubt, »sein eigenes Urteil, indem er das Licht ablehnt und somit von Gott getrennt bleibt. Das Gericht offenbart lediglich unumkehrbar den Tod, den er gewählt hat« (Zumstein, 473). Durch den Verweis auf den Jüngsten Tag wird aber ein deutlicher Vorbehalt gegen ein schnelles Urteil über andere genannt. Nicht das, was die Zeitgenossen oder die christliche Gemeinde bei anderen an Glaube oder Unglaube beobachten, ist für das Urteil entscheidend, sondern Jesu Wort am Ende der Tage. Noch einmal wird begründet, warum Jesu Wort entscheidend für Leben oder Tod ist (4 4 9): Denn ich spreche nichts aus mir selbst, sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir geboten, was ich reden und sagen soll. Damit wird die Aussage von V. 44f aufgenommen. Jesus ist der Gesandte Gottes. Und wie es dem antiken Botenrecht entspricht, richtet er die Botschaft aus, die ihm von Gott aufgetragen ist – nicht mehr und nicht weniger. Das ist das Herzstück der johanneischen Christusverkündigung: In Jesus spricht Gott zu den Menschen. Damit werden noch einmal die entscheidenden Aussagen des Prologs aufgenommen (1,1f.14.18), aber auch die Anliegen der Abschiedsreden vorweggenommen (vgl. 14,7–11; 15,15). Dass Jesu Wort nichts anderes als Gottes Wort ist, gibt ihm seine rettende und Heil bringende Wirkung (55 0). Jesus richtet die ihm von Gott aufgetragene Botschaft in dem Wissen aus, dass sein Gebot ewiges Leben ist. Mit dem Wort Gebot sind hier nicht nur ethische Anweisungen gemeint, sondern Gottes Auftrag und Weisung, die in die Gemeinschaft mit Gott führen. Darum ist und
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schenkt sein Gebot ewiges Leben. Wer sich Jesu Botschaft öffnet, öffnet sich für das wahre Leben, Leben aus und mit Gott. Das ist Leben in Fülle, das bleibt. Deshalb wird noch einmal versichert, dass Jesu Wort Gottes Wort ist: Was ich also rede, rede ich so, wie mir der Vater (es) gesagt hat. Damit wird eine Art Gütesiegel für die Verkündigung Jesu, wie sie in den Kap. 2–12 berichtet wurde, geprägt. Zugleich aber wird auf die Willenseinheit von Vater und Sohn hingewiesen, das Thema, das die folgenden Abschiedsreden bestimmen wird. So endet die erste Abschiedsrede mit den Worten: »die Welt soll erkennen, dass ich den Vater liebe und tue, was mir der Vater geboten hat« (14,31). Jesus ist eins mit dem Vater in Wort und Tat. Das Wunder des Glaubens und das Rätsel des Unglaubens, insbesondere des Unglaubens Israels, stehen am Ende dieses Abschnitts. Damit ist auch der Inhalt des ersten Hauptteils des Evangeliums charakterisiert. Immer wieder wird dankbar berichtet, dass viele zum Glauben kamen, weil Jesu Ruf sie getroffen und sein Wirken in ihnen Vertrauen erweckt hat. Aber daneben stehen heftige Auseinandersetzungen mit Menschen, die sich seiner Botschaft verschließen und ihn aus dem Weg schaffen wollen. Oft werden sie pauschal als »die Juden« bezeichnet, und in unserem Abschnitt wird durch ein prophetisches Wort der Schrift auch eine Erklärung für ihr Verhalten gegeben. Gott hat ihre Augen verschlossen, dass sie nicht wahrnehmen können, wer ihnen in Jesus begegnet. Jes 6,10 war offensichtlich für die Urchristenheit eine wichtige Schriftstelle, um das Rätsel der Ablehnung Jesu durch viele in Israel zu erklären. Aber anders als Paulus in Röm 9–11, für den die (zeitweise) Verstockung Israels den Weg des Evangeliums zu den Heiden öffnet, gibt Johannes keine Erklärung für dieses Handeln Gottes. Es ist in seinem unerforschlichen Ratschluss begründet. Doch zugleich wird warnend darauf hingewiesen, dass es sehr menschliche-allzu menschliche Gründe dafür gibt, den Glauben, den Jesu Wirken in einem Menschen entzündet hat, zu verleugnen, z.B. Rücksicht auf Status und Ansehen in der Gesellschaft oder der Peergroup. Deshalb ergeht am Schluss dieses Abschnitts noch einmal die Einladung zum Glauben und die Warnung davor, sich Jesu Ruf zu verschließen. Die Hörer und Hörerinnen Jesu und die Leser und Leserinnen des Evangeliums sollen nicht darüber grübeln, warum andere nicht glauben, sondern die Verantwortung für das eigene Leben und seine Beziehung zu Gott übernehmen. Offensichtlich geht es Johannes darum, »auf dem Hintergrund negativer Missionserfahrungen die genuine und originäre Heilsabsicht des Gottes Jesu Christi am Ende
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der ersten Buchhälfte gegen alle Zweifel noch einmal herauszustreichen« (Theobald, 843). Bis heute ist es eine quälende Frage, warum sich so viele Menschen dem Evangelium verschließen. Auch in einer noch christlich geprägten Gesellschaft kann es Gründe geben, ein entschiedenes und offenes Bekenntnis zu Jesus zu scheuen, weil das dem Prestige unter den säkularisierten Zeitgenossen schadet. Aber das erklärt nicht alles. Auch der Hinweis darauf, dass Gott die verblendet hat, die nicht glauben, ist nur teilweise entlastend. Er würde zwar erklären, warum sie nicht glauben können. Aber er könnte sie auch als Verworfene brandmarken. Die Aussage hält zwar fest, dass es nicht »an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen liegt«, wenn Menschen zum Glauben finden (Röm 9,16). Das darf aber nicht davon abhalten, immer wieder neu den Menschen zu sagen, wer Jesus ist, und zu bezeugen, dass uns in ihm die Liebe Gottes in einzigartiger Weise begegnet. Die Einladung, sich dem Licht dieser Liebe zu öffnen, bleibt gültig.
B Zweiter Hauptteil
13,1 – 20,31 Die Offenbarung der Herrlichkeit Jesu vor den Seinen Der zweite Hauptteil des Evangeliums hat eine völlig andere Ausrichtung als der erste. In Kap. 2–12 wendet sich Jesus meist an Menschen, die ihm in der Öffentlichkeit begegnen oder ihn heimlich aufsuchen, und sehr selten direkt an seine Jünger (Ausnahme: 6,60–71). Dagegen sind ab Kap. 13 nur noch die Jünger seine Gesprächspartner. Deshalb setzen die meisten Ausleger die Zäsur zwischen beiden Teilen bei 13,1. Auch was Jesus im sog. hohepriesterlichen Gebet in Kap. 17 mit dem Vater bespricht, ist eigentlich an die Jünger gerichtet. In der Passionsgeschichte steht Jesus zwar dem Hohepriester und vor allem Pilatus Rede und Antwort, aber nur seine Jünger werden erkennen, dass sein Tod am Kreuz die Vollendung seines Wirkens ist (vgl. 19,26f.35 und die Berichte von den Erscheinungen des Auferstandenen). Inhaltlich geht es in diesem zweiten Hauptteil um die Vollendung der Liebe (13,1). In Jesu Weg ans Kreuz kommt Gottes rettende Liebe an ihr Ziel (vgl. 3,16; 19,30). Durch seinen liebenden Gehorsam verherrlicht Jesus den Vater, und durch sein Ja zum Weg Jesu verherrlicht der Vater den Sohn (17,1). In heutigen Worten: In der Person und im Geschick Jesu leuchtet die Wirklichkeit Gottes auf als Wirklichkeit des Gottes, der Liebe ist (17,26; 1Joh 4,8.16). I 13,1 – 17,26 Jesu Abschied von seinen Jüngern Zu den Besonderheiten des Johannesevangeliums gehört, dass es berichtet, wie Jesus sich vor seiner Verhaftung und Hinrichtung sehr intensiv von seinen Jüngern und Jüngerinnen verabschiedet. Ausgangspunkt dafür ist ein letztes Mahl, das Jesus mit ihnen feiert. Johannes erzählt aber nichts vom Essen selbst, sondern nur,
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dass Jesus anlässlich dieses Mahls seinen Jüngern die Füße gewaschen hat (13,1–20) und ihnen danach zeigte, wer ihn verraten würde (13,21–30). Ab 13,31 folgt ein langes Gespräch mit den Jüngern darüber, was Jesu Tod und sein Weg zum Vater für sie bedeuten (13,31 – 16,33: Gespräche Jesu zum Abschied von seinen Jüngern, die sog. Abschiedsreden). Es wird in 14,31b von der Aufforderung unterbrochen, sich auf den Weg zu machen, geht aber dann überraschenderweise bis 16,33 weiter und mündet mit Kap. 17 in ein Gebet Jesu für diejenigen, die Gott ihm anvertraut hat (das sog. hohepriesterliche Gebet). Auch in den anderen Evangelien spricht Jesus am Ende seiner öffentlichen Wirksamkeit über seine Wiederkunft und das kommende Gericht (die sog. Endzeitrede; vgl. Mk 13; Lk 21,7–36 und vor allem Mt 24–25). Aber diese Rede steht vor der Salbung in Betanien und dem letzten Mahl. Nur in Lk 22,24–38 findet sich nach dem Mahl und der Bezeichnung des Verräters ein kurzes Gespräch Jesu mit den Jüngern. Auch inhaltlich gibt es Berührungen mit Joh 13 (vgl. Lk 22,27). Doch bei Johannes ist die Situation der späteren Gemeinde, die ihren Weg ohne die leibliche Gegenwart Jesu gehen muss, durch die Abschiedsreden sehr viel präsenter als sonst. Der ganze Abschnitt gliedert sich in drei Teile: Die Kap. 13 und 14 bilden eine erste Einheit. Sie beginnt mit der Erzählung von der Fußwaschung (13,1–20) und der Bezeichnung des Verräters (13,21– 30) und geht relativ bruchlos in eine Reihe von Gesprächen über, die meist als die Erste Abschiedsrede bezeichnet werden (13,31– 14,31). 14,31b signalisiert schon den Aufbruch in die Nacht der Verhaftung. Eine zweite, etwas anders strukturierte Gesprächsrunde, die Zweite Abschiedsrede, umfasst 15,1 – 16,33, und darauf folgt als dritter Teil in Kap. 17 Jesu Gebet für die Seinen, das sog. hohepriesterliche Gebet. 13,1–20 Die Fußwaschung 1
Aber vor dem Passahfest, da Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen, und weil er die Seinen, die in der Welt (waren), liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung. 2Es war bei einem Mahl, als der Teufel dem Judas, dem (Sohn) des Simon Iskariot, ins Herz eingegeben hatte, dass er ihn ausliefern solle 3– (Jesus) wusste freilich, dass ihm der Vater alles in die Hände gegeben hatte und dass er von Gott ausgegangen war und nun (wieder) zu Gott gehen würde – 4da steht er vom Mahl auf und legt sein Obergewand ab, nimmt ein Leinentuch
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und band es sich um. 5Dann gießt er Wasser in das Waschbecken und begann, die Füße der Jünger zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, das er umgebunden hatte. 6Da kommt er zu Simon Petrus; der sagt zu ihm: Herr, du willst meine Füße waschen? 7 Jesus antwortete und sagte zu ihm: Was ich dir tue, das weißt du (jetzt) noch nicht; du wirst es aber später verstehen. 8Petrus sagt zu ihm: In Ewigkeit sollst du mir nicht die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Teil an mir. 9Sagt Simon Petrus zu ihm: Herr, (dann aber) nicht nur die Füße, sondern auch die Hände und den Kopf! 10Jesus sagt zu ihm: Wer gebadet ist, hat nichts nötig, als sich die Füße waschen zu lassen; ja, er ist ganz rein, und ihr seid ja rein, aber nicht alle. 11Denn er kannte den, der ihn ausliefern würde. Deshalb sagte er: Ihr seid nicht alle rein. 12 Als er nun ihre Füße gewaschen, sein Obergewand angezogen und sich wieder (zu Tisch) gelegt hatte, sagte er zu ihnen: Versteht ihr, was ich euch getan habe? 13Ihr nennt mich »Lehrer« und »Herr« und sagt das zu Recht, denn ich bin’s. 14Wenn nun ich, der Herr und der Lehrer, eure Füße gewaschen habe, dann seid auch ihr verpflichtet, einander die Füße zu waschen. 15Denn ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit, wie ich an euch getan habe, auch ihr tut. 16Amen, amen, ich sage euch: Der Sklave ist nicht mehr als sein Herr und ein Gesandter nicht mehr als der, der ihn gesandt hat. 17Wenn ihr das wisst, glücklich seid ihr, wenn ihr es tut. 18 Ich spreche nicht von euch allen. Ich weiß, welche ich erwählt habe; aber (das ist geschehen,) damit die Schrift erfüllt würde: »Der mein Brot verzehrt, hat seine Ferse gegen mich erhoben« (Ps 41,10). 19 Schon jetzt sage ich (es) euch, bevor (es) geschieht, damit ihr glaubt, wenn es geschieht, dass ich es bin. 20Amen, amen, ich sage euch, wer jemanden aufnimmt, den ich senden werde, nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. Die Geschichte von der Fußwaschung wird nur im Johannesevangelium berichtet, und zwar in herausgehobener Stellung am Anfang des zweiten Hauptteils und als Hinführung zu ausführlichen Gesprächen Jesu mit seinen Jüngern und Jüngerinnen über das, was ihm und ihnen bevorsteht. Jesu Aktion geschieht im Rahmen eines letzten Mahls, das jedoch – anders als in den drei anderen Evangelien – kein Passahmahl ist. Nach der johanneischen Chronologie werden die Passahlämmer erst einen Tag später, am Freitag, zur Todesstunde Jesu geschlachtet (s. unten). Johannes berichtet auch nichts davon, dass Jesus deutende Worte zu Brot und Kelch gesprochen habe. Dagegen erzählt auch er, dass Jesus während dieses Mahls seinen Verräter bezeichnet hat (vgl. 13,26 mit Mk 14,20).
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Der Bericht über die Fußwaschung ist in einen komplexen Rahmen eingebettet. Die Erzählung beginnt mit einer Reihe unterschiedlicher Situationsangaben und Vorbemerkungen (V. 1–3). Sie bilden zugleich die Einleitung in die folgende Passionsgeschichte. Die eigentliche Handlung wird ganz knapp in V. 4f erzählt. Eine erste Deutung des Geschehens ergibt sich im folgenden Gespräch Jesu mit Petrus (V. 6–11). Danach ergreift Jesus die Initiative zu einer zweiten Deutung (V. 12–17), die in eine etwas andere Richtung weist. Das Verhältnis dieser beiden Deutungen wird von den Auslegern sehr kontrovers gesehen; hier muss die Einzelauslegung Klarheit bringen. Die Erzählung schließt mit einer nochmaligen Ankündigung des Verrats und einem allgemeinen Schlusswort (V. 18–20). Auffallend ist, dass der Hinweis auf den kommenden Verrat sowohl am Anfang (V. 2), als auch in der Mitte (V. 11) und am Ende (V.18f) des Abschnitts steht. Dadurch wird nicht nur der nächste Abschnitt mit der Bezeichnung des Verräters vorbereitet, sondern auch die enge Beziehung zwischen Fußwaschung und Passion Jesu deutlich gemacht. Die V. 1 –3 beschreiben die Situation, in der Jesus den Jüngern die Füße wäscht, unter ganz verschiedenen Aspekten. Fast scheint es, als würde sich die Komplexität der Umstände auch in der Kompliziertheit des Satzbaus niederschlagen. Wichtig gleich zu Beginn die Zeitansage: vor dem Passahfest. Das Mahl, von dem gleich die Rede sein wird, ist kein Passahmahl. Aber es findet am Vorabend des Festes statt, an dem Jesus als das wahre Passahlamm am Kreuz sterben wird (vgl. 19,14.36). Die Passahthematik, in der das geschlachtete Lamm das Zeichen für Verschonung und Befreiung ist, bildet also das Vorzeichen für alles, was im Folgenden berichtet wird. Jesus geht – im Unterschied zu seinen Jüngern – als ein Wissender seinen Weg in den Tod. Er wusste, dass seine Stunde gekommen war. Immer wieder war im ersten Teil darauf hingewiesen worden, dass diese Stunde noch nicht gekommen war (2,4; 7,30; 8,20; vgl. auch 12,23.27). Hier wird nun gesagt, was diese Stunde für Jesus bedeutet: Er wird in sie gestellt, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Damit aber wird nichts anderes als die positive Bedeutung seines Todes umschrieben. Denn »im Tod begegnet Jesus dem Vater. Im Kreuz fallen die Bewegung des Sohnes zum Vater und des Vaters zum Sohn ineinander« (Schnelle, 277). Zugleich wird all das, was im Folgenden berichtet werden wird, von der Fußwaschung bis zum letzten Atemzug am Kreuz, als Konsequenz der Liebe Jesu beschrieben: Weil er die Seinen, die in der Welt (sind), liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung.
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Die Seinen – das sind Jesu Jüngerinnen und Jünger, alle, die zu ihm gehören und die er in 10,14 die Meinen nennt. Zumindest äußerlich wird er sie allein zurücklassen. Darum gilt ihnen seine besondere Fürsorge. Das steht in einer gewissen Spannung dazu, dass in 1,11 mit die Seinen das Volk Israel oder – wahrscheinlicher – die Menschheit als »Eigentum« des Wortes/Logos bezeichnet wird – freilich mit dem Hinweis, dass sie nicht bereit waren, das WORT aufzunehmen. Aber nicht der Welt gilt die Liebe des Sohnes, sondern den Seinen in der Welt. Das ist eine Engführung, auch gegenüber 3,16, die in Kap. 17, dem Abschiedsgebet Jesu, ausführlich thematisiert werden wird. Für die Seinen aber erweist Jesus seine Liebe bis zum Ende (so wörtlich). Das hat eine doppelte Bedeutung: bis zuletzt, also bis zum Ende seines irdischen Wirkens, und bis zur Vollendung, also bis zur äußersten Konsequenz der Hingabe seines Lebens. Die Aussage findet ihre Entsprechung in dem letzten Wort des sterbenden Jesus: Es ist vollbracht! (wörtlich: Es ist vollendet!; 19,30). Dieser letzte, entscheidende Liebeserweis beginnt zeichenhaft mit der Fußwaschung und findet seine Erfüllung im Tod Jesu für die Seinen (vgl. 15,13: Jesus lässt sein Leben für seine Freunde). Wir werden zu fragen haben, in welchem Verhältnis diese Aussagen zu der Ankündigung im ersten Teil stehen, dass Jesus als Lamm Gottes durch seinen Tod die Sünde der ganzen Welt wegträgt (1,29; vgl. 3,16; 4,42). Nun nennt der Evangelist den äußeren Rahmen der folgenden Handlung Jesu (22 ): Es war bei einem Mahl, offensichtlich einem festlich gestalteten Abendessen, aber nicht beim Passahmahl, sondern am Abend davor. Aber bevor er weiter berichtet, muss der Erzähler noch eine doppelte Zwischenbemerkung einfügen. Die erste betrifft den äußeren Anlass der baldigen Verhaftung Jesu, also einen negativen Aspekt seines Todes: Der Teufel hatte dem Judas, dem (Sohn) des Simons Iskariot, ins Herz eingegeben, dass er ihn ausliefern solle. Der Verrat des Judas (zum Namen s. zu 6,71), und damit die Möglichkeit, Jesus festzunehmen, war schon beschlossene Sache. Als eigentlicher Initiator dieser Tat wird hier der Teufel genannt. Er hat dem Judas diesen Plan ins Herz eingegeben. Was immer man als menschliche Beweggründe für sein Handeln vermuten kann, die »Idee« dafür stammt vom »Fürsten dieser Welt«, wie der Teufel in 14,30 genannt werden wird (s. dort). Übrigens berichtet Johannes nichts darüber, dass Judas Jesus für Geld verraten habe, stellt also selbst keine Verbindung zwischen der Geldgier des Judas und seiner Tat fest. Aber vielleicht setzt er voraus, dass seine Leserinnen und Leser davon wissen. Für sie kommt die Verbindung des
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Judas mit dem Teufel nicht überraschend. In 6,70f war ausdrücklich gesagt worden, dass Jesus mit seinem Hinweis, einer der Zwölf sei »ein Teufel«, Judas gemeint habe. Der Teufel scheint also Regie zu führen. Aber seine Machenschaften sind eingebunden in Gottes Weg mit Jesus. Auch das weiß Jesus, wie die zweite Zwischenbemerkung zeigt (33 ). Jesus war bereit, den Leidensweg zu gehen, und konnte den Sklavendienst des Füße Waschens tun, weil er wusste, dass ihm der Vater alles in die Hände gegeben hatte. Gerade angesichts des geplanten Verrats und des drohenden Todes wird noch einmal festgestellt, dass Jesus diesem Geschick nicht ohnmächtig ausgeliefert ist, sondern dass er im Tun und im Leiden aus der Vollmacht heraus handelt, die ihm Gott gegeben hat (vgl. 3,35; 10,29). Zu dieser Vollmacht gehört auch sein Wissen darüber, dass er von Gott ausgegangen war und nun (wieder) zu Gott gehen würde. Jesus weiß um seinen Ursprung aus Gott und darum, dass sein Weg in den Tod in Wirklichkeit der Weg zurück zu ihm sein wird. »Das Todesschicksal, das den Offenbarer ereilt und dessen Auslöser Judas ist, vermag in keinem Augenblick seine souveräne Autorität zu entkräften oder seine Freiheit anzurühren. Das Kreuz, das von nun an einen immer größeren Schatten auf die Erzählung wirft, ist grundsätzlich der Ort, an dem der Offenbarer seinen Auftrag zu Ende und zur Erfüllung bringt« (Zumstein, 485). Nachdem dies alles klargestellt ist, kann endlich erzählt werden, was sich bei diesem Mahl Besonderes ereignet hat (4 4 f). Das geschieht in knappen, aber anschaulichen Worten. Jesus steht vom Mahl auf und legt sein Obergewand ab, um die Arme für das Waschen frei zu haben. Dann nimmt er ein Leinentuch und band es sich um. Dann gießt er Wasser in das Waschbecken, das offensichtlich im Raum bereitstand, und begann, die Füße der Jünger zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, das er umgebunden hatte. So sorgsam und bedacht, wie dies geschildert wird, so handelt Jesus bei dem, was er für seine Jünger tut. Das Waschen der Füße wurde in der Antike unter unterschiedlichen Aspekten gesehen. Es war eine Hygienemaßnahme, die vor einem festlichen Essen üblich war, galt aber auch als Geste der Gastfreundschaft (vgl. Lk 7,44). Es konnte auch Teil ritueller Waschungen sein. Wurden einem die Füße durch eine andere Person gewaschen, so war das in aller Regel jemand, der einen niedereren gesellschaftlichen Rang einnahm. In der jüdischen Gesellschaft waren dies meist heidnische Sklaven, denn selbst jüdische Sklaven durften nicht damit beauftragt werden. Umgekehrt konnte die Übernahme dieser Aufgabe auch ein besonderer Liebesbeweis sein (vgl. JosAs 20,1–5: Die Ägypterin Aseneth wäscht Josef anstelle einer Sklavin die Füße).
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Die Zeichenhandlung Jesu hat eine doppelte Bedeutung: Sie markiert einen tiefgreifenden Rollentausch: Der Herr und Lehrer übernimmt den niedrigsten Sklavendienst. Zugleich ist diese Selbsterniedrigung Ausdruck einer hingebungsvollen Liebe, die sich nicht scheut, sich auf die tiefste Stufe menschlicher Existenz zu begeben, um für die anderen da zu sein und sich für sie hinzugeben. Das Waschen der Füße wird zur Vorausdarstellung des Wegs zum Kreuz. Was das für die Gemeinschaft der Jünger Jesu bedeutet, wird in den nächsten beiden Unterabschnitten in verschiedener Perspektive herausgearbeitet. Die erste Deutung wird in einem Gespräch Jesu mit Petrus entwickelt (66 –11). Nachdem Jesus wohl schon einer Reihe anderer die Füße gewaschen hat, kommt er zu Simon Petrus. Der aber protestiert und sagt zu ihm: Herr, du willst meine Füße waschen? (66 ). Die Frage signalisiert entschlossene Abwehr: Das kommt auf keinen Fall in Frage. Jesus gibt aber zunächst keine Erklärung für sein Handeln, sondern sagt nur zu ihm (7 7 ): Was ich dir tue, das weißt du noch nicht; du wirst es aber später verstehen. Dabei bezieht sich das später nicht auf die Erklärung, die Jesus gleich in den V. 12–17 geben wird, sondern auf die Zeit nach Jesu Tod und Auferstehung. Erst dann werden die Jünger wirklich erkennen, was Jesu Liebesdienst bedeutet. Erst dann wird klar werden, dass Jesu Sklavendienst Abbild seiner Lebenshingabe ist und in der Erniedrigung in Wahrheit die Erhöhung zum Vater geschieht. Aber Petrus ist von dieser hinhaltenden Auskunft nicht überzeugt. Mit großem Nachdruck sagt er (8 8 ): In Ewigkeit nicht, d.h. nie und nimmer, sollst du mir die Füße waschen! Er hält es nicht aus, dass Jesus diesen Sklavendienst an ihm tut. Dass er sich nicht würdig fühlt, sich so von seinem Herrn dienen zu lassen, ist aber wohl nur die eine Seite dieser Abwehr. Die andere ist, dass er seinen Herrn nicht zum Sklaven erniedrigt sehen möchte. Er soll stark und mächtig sein. In gewisser Hinsicht nimmt die Ablehnung des Petrus, sich von Jesus die Füße waschen zu lassen, bei Johannes den gleichen Platz ein wie seine Ablehnung der Leidensansage Jesu bei Markus und Matthäus (Mk 8,32f; Mt 16,22f). Das erklärt die warnende Antwort Jesu: Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Teil an mir. Nur wer sich von Jesus dienen lässt, kann in Gemeinschaft mit ihm leben; nur wer zulässt, dass Jesus sein Leben für ihn oder sie hingibt, gehört ganz zu ihm. Petrus scheint das zu begreifen und missversteht Jesus dennoch gründlich, wenn er sagt (99 ): Herr, (dann aber) nicht nur die Füße, sondern auch die Hände und den Kopf! Das klingt zunächst konsequent: Wenn überhaupt, dann der ganze Mensch! Petrus versteht jedoch
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den Dienst Jesu als eine Art kultischer Reinigung, bei der Ganzkörperwaschungen die höchste Stufe darstellten. Das aber ist nicht die Meinung Jesu. Er sagt deshalb zu Petrus (11 0): Wer gebadet ist, hat nichts nötig, als sich die Füße waschen zu lassen; ja, er ist ganz rein. Sich die Füße waschen zu lassen, bedeutet also, ganz rein zu werden. Die Wirkung der Fußwaschung ist so, als hätte man gebadet. Wer den Niedrigkeitsdienst Jesu an sich geschehen lässt und sein Sterben für sich in Anspruch nimmt, kann ganz zu Jesus gehören und ist damit auch in die Gemeinschaft mit Gott hineingenommen. Die Auslegung dieser Aussage wird durch zwei Probleme erschwert: Erstens ist der Text nicht einheitlich überliefert. Eine wichtige griechische Handschrift (der Codex Sinaiticus) und eine Reihe lateinischer Zeugen haben einen kürzeren Text: Wer gebadet ist, hat nicht nötig, sich waschen zu lassen, sondern ist ganz rein (vgl. ZB). Dieser Text ist viel klarer und scheint sehr viel besser in den Zusammenhang zu passen; er wird darum von vielen Auslegern bevorzugt. Allerdings haben so gut wie alle griechischen Handschriften den längeren Text. Er stellt auch die schwierigere Version dar, was sonst als Zeichen dafür gilt, dass er ursprünglich ist und nachträglich verbessert wurde. Dazu tritt zweitens die Frage, warum Jesus hier vom Gebadet-Werden spricht. Da der entsprechende griechische Wortstamm oft für die Taufe verwendet wird (Apg 22,16; 1Kor 6,11; Eph 5,26; Tit 3,5; Hebr 10,22), hat man schon in der frühen Kirche angenommen, Jesus spreche hier von der Taufe. Wer getauft ist, ist ganz rein, d.h. grundsätzlich von der Sünde befreit. Allerdings bedarf es dann wegen der Sünden, die nach der Taufe begangen wurden, immer wieder einer Reinigung: Dem würde die Fußwaschung entsprechen, also die aktuelle Sündenvergebung, wie sie im Sakrament der Buße und des Herrenmahls geschieht. Das entspricht jedoch mit ziemlicher Sicherheit nicht dem, was Jesus nach Meinung des Johannes hier sagt. Vielmehr sind wohl ganz bewusst das Baden (als Vollbad) und die Fußwaschung gleichgesetzt, um deutlich zu machen: Sich die Füße waschen zu lassen macht ganz rein. Dabei ist nicht eine Konkurrenz zwischen dem Ritual der Taufe und der Fußwaschung im Blick. In der Sache geht es um die Teilhabe am Sterben Jesu, die sowohl durch die Taufe als auch durch die Fußwaschung symbolisiert wird.
Denen, die sich die Füße haben waschen lassen, kann Jesus die Gewissheit geben: ihr seid ja rein. Doch er muss eine Ausnahme machen: aber nicht alle. Und der Erzähler begründet auch sogleich warum (1 1 1): Denn Jesus kannte den, der ihn ausliefern würde. Deshalb sagte er: Ihr seid nicht alle rein. Das Rätsel, dass einer aus dem engsten Kreis um Jesus ihn verraten hat, beschäftigte schon die frühe Christenheit, insbesondere auch die Frage: Was bedeutet es, dass er am letzten Mahl Jesu teilgenommen hat (so auch Mk
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14,17–25; Mt 26,17–30)? Selbst »der zukünftige Verräter ist einer, dem der Dienst der unbedingten Liebe Jesu zuteil geworden ist«. Dieser unbedingte Zuspruch des Heils ist jedoch »kein Automatismus; er wird in der Geschichte, der Endlichkeit und Fehlbarkeit erlebt, und er kann nur im Glauben empfangen werden« (Zumstein, 490). Auf diese erste Deutung der Fußwaschung folgt noch eine zweite. Sie wird von Jesus selbst am Ende seiner Aktion eingebracht (1 1 2– 17). Davon berichtet der Erzähler, indem er den Faden von V. 4f wieder aufgreift (11 2) : Als er nun ihre Füße gewaschen, sein Obergewand angezogen und sich wieder (zu Tisch) gelegt hatte, sagte er zu ihnen: Versteht ihr, was ich euch getan habe? Aber er wartet nicht auf eine Antwort, sondern gibt selbst eine Erklärung für sein Handeln. Dabei weist er zunächst darauf hin, was seinen Rang in der Gemeinschaft mit seinen Jüngern ausmacht und sein Verhalten in den Augen von Petrus so unakzeptabel zu machen schien (1 1 3): Ihr nennt mich »Lehrer« und »Herr« und sagt das zu Recht, denn ich bin’s. Lehrer nannte man Jesus im Freundeskreis (11,28), und so wurde er von Jüngern und Jüngerinnen angeredet (1,38; 20,16). Herr kann im Johannesevangelium höfliche Anrede sein (vgl. 4,11.15; 6,34), aber auch Ausdruck des Respekts und der Ehrfurcht Jesus gegenüber (11,21; 14,8; 20,18.28; 21,7). Beide Titel beschreiben die Autorität, die Jesus ausstrahlt und die er durch sein Tun nicht verloren hat. Wenn er also so handelt, wie er es gerade getan hat, dann sollte das auch Konsequenzen für die haben, die sich als seine Schüler und Anhänger betrachten (1 1 4): Wenn nun ich, der Herr und der Lehrer, eure Füße gewaschen habe, dann seid auch ihr verpflichtet, einander die Füße waschen. Das wird durch den folgenden Satz begründet (1 1 5): Denn ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit, wie ich an euch getan habe, auch ihr tut. Offen bleibt freilich die Frage, ob Jesus damit seine Jünger beauftragt, sich in regelmäßigen Abständen gegenseitig die Füße zu waschen, oder ob es um die Bereitschaft geht, das Leben füreinander einzusetzen. Ein Hinweis wird durch 13,34 gegeben, wo sich eine parallele Aussage findet: »Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebt«. Einander die Füße zu waschen ist also eine bildkräftige Konkretisierung für das Gebot, einander in einer Weise zu lieben, die auch erniedrigende oder demütigende Arbeiten und Verhaltensweisen auf sich nimmt. Die Parallele macht zugleich deutlich, wie der Begriff Beispiel und die Aufforderung, wie Jesus zu handeln, zu verstehen sind: Jesus hat nicht nur ein Vorbild gegeben, das nachgeahmt werden soll. Je-
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su Verhalten und seine Liebe sind zugleich »Grund und Norm« für die Liebe der Jünger (Bultmann, 417). Denn durch seinen Weg in den Tod hat er ihre Gefangenschaft in Egoismus, Sünde und Tod durchbrochen und sie zur Liebe befreit (vgl. 1Petr 2,21–25). Er ist mit seinem Tun »Urbild und Vorbild zugleich« (Schnelle, 282). Ein feierliches Amenwort unterstreicht das Gesagte (11 6): Amen, amen, ich sage euch: Der Sklave ist nicht mehr als sein Herr und ein Gesandter nicht mehr als der, der ihn gesandt hat. Eine vergleichbare Aussage findet sich in Mt 10,24: »Ein Jünger steht nicht über seinem Lehrer und auch nicht ein Sklave über seinem Herrn« (vgl. Lk 6,40). Hier wie dort ermutigt die sprichwörtliche Redensart dazu, mit Jesus auch das Leiden zu teilen. Johannes spitzt die Aussage noch mehr auf das Geschick der Jünger zu. Jesus ist von Gott gesandt und handelt so, wie es dem entspricht, der ihn gesandt hat. Wie er sind auch seine Jünger Gesandte und nicht beauftragt zu herrschen, sondern zu dienen und mit dem Leben für den Weg der Liebe einzustehen. Obwohl im Griechischen für Gesandter das Wort apostolos steht, sind damit nicht nur die Apostel gemeint, sondern alle, die zur Gemeinde gehören. Als Gesandte repräsentieren sie den, der sie sendet. Darum müssen sich in ihrem Verhalten sein Tun und sein Wesen widerspiegeln. Eine Seligpreisung beschließt diese Mahnung (11 7). Sie macht auf sehr schöne Weise klar, dass für eine solche Haltung zwei Dinge zusammenkommen müssen: Wenn ihr das wisst, glücklich seid ihr, wenn ihr es tut. Einerseits ist das Wissen um Jesu Willen und Wirken nötig, um das Richtige tun zu können. Andererseits bliebe dieses Wissen tot und leer, wenn es nicht zum Tun führt. Beides gehört untrennbar zusammen, und wo sich das Wissen im Tun bewährt und das Tun das Wissen lebendig hält, da gelingt das Leben. Ein solcher Mensch darf glücklich gepriesen werden. Das Wort, das wir mit glücklich wiedergegeben haben, wird meist mit selig übersetzt. Das macht zwar deutlich, dass hier nicht ein flüchtiges Glück gemeint ist, das sich Menschen bereiten können. Es erweckt aber heute den Eindruck, als ginge es dabei nur um eine jenseitige, zukünftige Seligkeit. Das aber ist nicht ausschließlich gemeint. Bei einer »Seligpreisung« geht es um ein Leben, das nach Gottes Urteil gelingt (vgl. die Ausführungen in meinem Matthäuskommentar, Bd. 1, S. 82–93 zu Mt 5,3–12, den Seligpreisungen der Bergpredigt).
Ein drittes Mal kommt Jesus auf die Situation seines drohenden Verrats zu sprechen – jedoch in sehr verschlüsselter Form (11 8–20). Im Blick auf das, was er bisher gesagt hat, muss er einschränken: Ich spreche nicht von euch allen (11 8). Denn er weiß, dass mindestens einer sich dieser Botschaft verweigern wird. Das führt freilich
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zu der Frage: Warum hat er ihn in diesen engen Kreis der Zwölf berufen? Schon in 6,70 stellt Jesus die rhetorische Frage an die Jünger: »Habe ich nicht euch Zwölf ausgewählt? Und doch ist einer von euch ein Teufel.« Das aber ist nicht unbedacht geschehen. Jesus stellt ausdrücklich fest: Ich weiß, welche ich erwählt habe. Aber warum musste auch einer dabei sein, der zum Verräter werden wird? Auch darauf gibt es eine Antwort: (Das ist geschehen,) damit die Schrift erfüllt würde. Der Verweis auf die Heilige Schrift erklärt, warum ein Verräter in den engsten Kreis der Vertrauten gerufen wurde. Zitiert wird aus Ps 41,10: Wer mein Brot verzehrt, hat seine Ferse gegen mich erhoben. Das ist eine nicht ganz wörtliche Wiedergabe des hebräischen Textes des Psalms. Der Psalmist klagt, dass auch sein Freund, dem er vertraute und der sein Brot aß, also zu seinen Tischgenossen gehörte, ihn mit Füßen tritt (»seine Ferse gegen mich erhebt«). Die auffälligste Besonderheit des Zitats bei Johannes ist, dass statt des normalen Verbs für essen das gleiche Wort steht wie in 6,54.56, wo es um das Verzehren des Fleisches Jesu geht – zweifellos eine Anspielung auf das Abendmahl. Obwohl Johannes nichts von einer Einsetzung des Abendmahls berichtet, wird indirekt vorausgesetzt, dass Judas mit dem Bissen, den er nach 13,26 essen wird, Brot vom Mahl des Herrn verzehrt. Dass einer aus dem engsten Kreis um Jesus sein Vertrauen missbrauchen wird, ist also schon in der Schrift vorausgesagt, und daher musste auch ein Judas in diesen Kreis berufen werden. Was er tun wird, kündigt Jesus schon jetzt an (1 1 9), bevor es geschieht, damit ihr glaubt, wenn es geschieht, dass ich (es) bin. Wieder erscheint die knappe Formel Ich bin als Kennzeichen der Identität Jesu (vgl. 8,24.28.58): Er ist der Repräsentant Gottes unter den Menschen, und der Verrat des Judas stellt das keineswegs in Frage. Im Gegenteil: Auch das gehört zu dem vorgezeichneten Weg des Gesandten Gottes hinein in die Abgründe einer menschlichen Existenz. Ein zweites, feierliches Amen-Wort schließt den Bericht ab (2 2 0): Amen, amen, ich sage euch, wer jemanden aufnimmt, den ich senden werde, nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. Auch zu diesem Wort gibt es – wie zu V. 16 – eine enge Parallele in Mt 10,40. Es beruht auf dem Grundsatz des Botenrechts: Ein Beauftragter ist wie der, der ihn gesandt hat. Während dieser Satz sonst die Vollmacht des Gesandten beschreibt, wird er hier in die andere Richtung gedeutet: Wer den aufnimmt, der gesandt wurde, nimmt auch den auf, der ihn gesandt hat. Damit wird im Johannesevangelium zum ersten Mal die Kette der Sendung um ein Glied erweitert: Nicht nur Jesus ist vom Vater gesandt, sondern auch die Jünger von Jesus. Darum gilt umgekehrt
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auch: Wer sie aufnimmt, nimmt Jesus und mit ihm Gott auf. Mit diesem »Kettenschluss« wird dann in 20,21 von der Sendung der Jünger berichtet werden: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch«. Die beiden Amen-Worte in V. 16 und 20 greifen also auf gesamtchristliche Tradition zurück, um das Verhältnis der Jünger zu dem, der sie sendet, zu beschreiben. Das erste Wort hebt hervor, welche Bedeutung es hat, sich in das Geschick Jesu hineinnehmen und in sein Handeln einfügen zu lassen. Das zweite AmenWort macht angesichts von Untreue und Verrat im Jüngerkreis klar, in welcher Autorität die Jünger handeln werden und welche Bedeutung dem Verhalten ihnen gegenüber zukommt – wenn sie sich denn senden lassen. Am Anfang des ersten und zweiten Teils des 4. Evangeliums stehen zwei ganz unterschiedliche Erzählungen. Sie sind aber durch eine tiefe Symbolik aufeinander bezogen: Am Anfang von Teil 1 steht die Geschichte von der Hochzeit zu Kana. In ihr wird Wasser, das zur rituellen Reinigung dienen sollte, in Wein verwandelt, Symbol für die festliche Freude, die Gottes Gegenwart in Jesus Christus schenkt. Am Anfang von Teil 2 steht eine Geschichte, in der Jesus Wasser nimmt, um seinen Jüngern die Füße zu waschen, Symbol dafür, wozu wirkliche Liebe fähig ist: füreinander da sein und einander dienen bis zur Hingabe des eigenen Lebens. Die Fußwaschung ist die lebendige Veranschaulichung des Wortes Jesu aus Mk 10,45 par Mt 20,20: »Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele«. Die Fußwaschung hat also eine doppelte Bedeutung: Einerseits ist sie Beispiel für den Dienst, zu dem Jesu Vorbild seine Jünger und Jüngerinnen aufruft. Andererseits wird sie als »Vorausdarstellung des Kreuzesgeschehens« verstanden (Hofius, Fußwaschung 175) und ist in dieser Hinsicht einzigartig und unwiederholbar. Allerdings scheint in 13,14 eine klare Anweisung vorzuliegen, die Fußwaschung zu wiederholen (sie heißt in der katholischen Tradition daher mandatum = Auftrag, Befehl). Müsste nicht neben Taufe und Abendmahl die Fußwaschung als weiteres Sakrament gefeiert werden, ist sie doch eine zeichenhafte Handlung, die von Jesus selbst eingesetzt wurde? Bei den Adventisten und Mennoniten wird sie im Zusammenhang mit dem Abendmahl vollzogen, in der katholischen Kirche gehört sie – allerdings nicht verbindlich – zur Messliturgie am Gründonnerstagabend. Zweifellos ist eine Fußwaschung eine sehr eindrückliche Handlung, und wenn Papst Franziskus Flüchtlingen die Füße wäscht und durchsetzt, dass auch Frauen die Fußwaschung empfangen dürfen, ist das ein starkes Zeichen. Zugleich aber ist offensichtlich, dass die eigent-
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liche Absicht des Wiederholungsbefehls Jesu in V. 14 nicht die Einsetzung eines Rituals war, sondern die Aufforderung, einander auch die niedrigsten Dienste nicht zu verweigern und bereit zu sein, selbst das Leben für andere einzusetzen. Eine rituelle Fußwaschung kann das in Erinnerung rufen, aber nicht ersetzen. Das eigentliche Beispiel für den Dienst der Liebe und das wirkliche Sakrament »als ein das menschliche Sein effektiv veränderndes Geschehen« (Hofius, Fußwaschung 175) ist – wie in Mk 10,45 – der Tod Jesu. Jesu Zusage: »Ihr seid rein« (V. 10) wird darum in 1Joh 1,7 zu Recht mit der Aussage erklärt: »Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde«. Bei der Hochzeit zu Kana wird Wasser zu Wein, bei der Fußwaschung wird Wasser zum Bild für das Blut Jesu. 13,21–30 Die Bezeichnung des Verräters 21
Als Jesus das gesagt hatte, wurde er im Geist tief erschüttert und bezeugte und sagte: Amen, amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern. 22Die Jünger blickten einander an, weil sei nicht wussten, von wem er redete. 23Einer der Jünger lag an seiner Brust, der, den Jesus liebte. 24Dem also gab Simon Petrus einen Wink, er solle fragen, wer das sei, von dem er rede. 25Da lehnt sich jener an die Brust Jesu und sagt zu ihm: Herr, wer ist es? 26Jesus antwortet: Der ist es, für den ich den Bissen eintauche und ihm gebe. Da taucht er den Bissen ein, nimmt (ihn) und gibt (ihn) Judas, (dem Sohn) des Simon Iskariot. 27Und nach dem Bissen fuhr der Satan in jenen hinein. Jesus sagt darauf zu ihm: Was du tun willst, das tue bald. 28Aber keiner derer, die zu Tisch lagen, wusste, warum er dies zu ihm sagte; 29einige meinten nämlich, da Judas die Kasse verwaltete, dass Jesus zu ihm sage: Kaufe, was wir für das Fest brauchen, oder dass er den Armen etwas geben solle. 30Als nun jener den Bissen genommen hatte, ging er sofort hinaus. Es war aber Nacht. In allen vier Evangelien wird erzählt, dass Jesus seinen Jüngern während einer letzten Mahlzeit eröffnet hat, wer ihn aus ihrem Kreis verraten würde. Der Bericht bei Johannes ist besonders ausführlich und einprägsam. Das zeigt sich schon an der Schilderung Jesu (2 2 1): Er wurde im Geist tief erschüttert. Wenn Jesus bei Johannes erschüttert wird (11,33; 12,27), geschieht das immer in der »Konfrontation mit der Unheilsmacht des Todes« (Schnelle, 285). Durch das, was Judas tun wird, scheint sie den Sieg zu behalten. Die Erschütterung darüber reichte bis ins Innerste der Existenz Je-
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su (im Geist). Deshalb erklärte (= bezeugte) er feierlich mit einem Amen-Wort: Amen, amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern. Dass es einer von den Zwölfen war, der Jesus verriet, gehört fast formelhaft zum Bericht über die Tat des Judas (vgl. Mk 14,10.43; Joh 6,71 und die Liste der Zwölf in Mk 3,19). Diese Tatsache hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der Urchristenheit eingeprägt. Während wir meist davon sprechen, dass Judas Jesus verraten habe, sagen die Evangelien einhellig, er habe ihn ausgeliefert. Der »Verrat« des Judas bestand wohl darin, dass er den jüdischen Behörden einen Tipp gab, wo man Jesus verhaften konnte, ohne dass dies in der Menge der Festpilger Unruhe oder Widerstand hervorrief (vgl. Mk 14,1f.10f). Im Rahmen des Passionsgeschehens hat aber der Begriff ausliefern, der auch mit preisgeben, dahingeben übersetzt werden kann, eine tiefgründige Doppeldeutigkeit: Einerseits beschreibt er die schmerzliche Tatsache, dass einer der Zwölf seinen Herrn und Meister den jüdischen Behörden preisgab, indem er seinen nächtlichen Aufenthaltsort verriet. Andererseits beschreibt er aber auch die Notwendigkeit, dass der Menschensohn dahingegeben werden muss, und zwar von Gott selbst ausgeliefert an die Macht der Sünde und des Todes, um die Menschen aus ihrer Herrschaft zu befreien (vgl. Mk 9,31; Röm 4,25; 8,32; Jes 53,12 LXX). Die Jünger aber waren ratlos (22 2) und hatten keine Ahnung, von wem er redete. Doch selbst Petrus traut sich nicht, Jesus einfach offen zu fragen. Aber es gibt einen der Jünger, der Jesus besonders nahestand (2 2 3). Er wird hier zum ersten Mal erwähnt: Es ist der Jünger, den Jesus liebte. Bei solch einem festlichen Mahl, bei dem man zu Tisch lag, hatte er den Ehrenplatz zur rechten Seite Jesu, das heißt: Er lag an seiner Brust. Im Griechischen steht hier die gleiche Wendung wie in 1,18, wo es vom WORT heißt, dass es im Schoß des Vaters war. Es liegt also nicht nur eine Information über die »Sitzordnung« beim Festmahl vor, sondern der Hinweis auf ein besonders inniges Verhältnis. Der Name des Jüngers wird nicht genannt – auch an keiner anderen Stelle, wo er erwähnt wird. Für den Jünger, den Jesus liebte, hat sich im Deutschen der Name Lieblingsjünger eingebürgert. Nach 13,1f liebte Jesus alle seine Jünger, doch diesen ganz besonders (vgl. die BasisBibel: der Jünger, den Jesus besonders liebte). Dennoch wäre die Bezeichnung Geliebter Jünger treffender (so auf Englisch: Beloved Disciple). Von diesem Jünger ist nur hier und in der Passions- und Ostergeschichte die Rede: Er steht mit der Mutter Jesu unter dem Kreuz (19,26f), findet mit Petrus das leere Grab (20,2–10) und ist eine der Hauptpersonen bei der letzten Begegnung des Auferstandenen mit seinen Jüngern (21,7.20–23). In den Ostererzählungen ist die Bezie-
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hung dieses Jüngers zu Petrus ein wichtiger Aspekt der Berichte über ihn. Auch in 13,23 spielt sie eine Rolle. Nach 21,24 ist dieser Jünger der Verfasser bzw. der Gewährsmann des 4. Evangeliums. Es kommt offensichtlich weniger darauf an, wer er war, sondern darauf, welche Funktion er hat. Gegen die traditionelle Identifikation mit Johannes, dem Sohn des Zebedäus, sprechen allerdings sehr gewichtige Gründe: Dieser Jünger taucht erst im zweiten Teil des Buches auf und keine der Geschichten aus den anderen Evangelien, in denen Johannes besonders erwähnt wird, kommt im Johannesevangelium vor (vgl. die Einleitung in Bd. 1, S. 14–16 und die Zusammenfassung unten S. 295f). Viele Ausleger halten ihn für eine fiktive Gestalt. Das ist aber unwahrscheinlich, da die Kontroverse in 21,23 über die angebliche Verheißung Jesu, dass er nicht sterben werde, bei einer erfundenen Figur unverständlich wäre. Dagegen lässt sich schwer bestreiten, dass die Schilderung seiner Person idealisierende Züge aufweist – besonders im Vergleich mit Petrus. Auch dass das Evangelium offensichtlich bewusst seinen Namen verschweigt und ihn nur durch die Wendung der Jünger, den Jesus liebte identifiziert, zeigt, dass seine Funktion wichtiger war als seine Person. Die Auslegung der einzelnen Stellen muss zeigen, welches Profil sich daraus ergibt.
Diesem Jünger gab Petrus einen Wink und bedeutete ihm durch dieses Zeichen, er solle fragen, wer das sei, von dem er rede (22 4). Es ist merkwürdig, dass Petrus – sonst der Sprecher des Jüngerkreises – Jesus nicht direkt fragt, sondern einen Mittelsmann braucht. Es ist der Geliebte Jünger, der Jesu Worte weitergibt. Das dürfte eine tiefere Bedeutung haben! Der Gefragte folgt der Bitte (2 2 5), wendet sich Jesus zu (lehnt sich an die Brust Jesu) und fragt ihn: Herr, wer ist es? Jesus zögert nicht mit der Antwort (22 6): Der ist es, für den ich den Bissen eintauche und ihm gebe. Auch die anderen Evangelien berichten von einer solchen Geste, mit der Jesus den Verräter identifiziert. Doch dort heißt es: »Der mit mir in die Schüssel taucht« (Mk 14,20). Hier dagegen ist es Jesus selbst, der den Bissen eintaucht und ihn Judas gibt; er allein hat die Initiative. Dadurch ergibt sich auch eine deutlichere Anspielung auf das Zitat aus Ps 41,10 (»der mein Brot aß«), das in V. 18 als Schriftgrund genannt worden war. Auf Jesu Ankündigung folgt sogleich die Tat, das eigentliche Zeichen: Er taucht den Bissen ein, nimmt (ihn) und gibt (ihn) Judas, (dem Sohn) des Simon Iskariot. Auch hier gibt es bedeutsame Details: In den anderen Evangelien dürfte im Rahmen des Passahmahls an das gemeinsame Eintauchen von Kräutern in eine Schüssel mit Fruchtmus gedacht sein. Bei Johannes scheint mit dem Bissen, den Jesus eintaucht, nimmt und Judas gibt, ein Stück Brot gemeint zu sein, obwohl das Wort Brot nicht erscheint (doch vgl. V. 18). Das letzte Mahl weist also auch bei Johannes versteckte Hinweise auf das Abendmahl auf (vgl. Mk 14,22; 1Kor 11,23).
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Damit ist der Verräter eindeutig identifiziert. Wie in 6,71; 13,2 wird er Judas, (Sohn) des Simon Iskariot genannt, während er in 12,4 wie in Mk 3,19; 14,10.43 und den Parallelen Judas Iskariot heißt (s. zu 6,71). Aber nachdem Jesus seine Absicht öffentlich gemacht hat, geschieht auch etwas in seinem Inneren (2 2 7): Und nach dem Bissen fuhr der Satan in jenen hinein. Hatte nach 13,2 der Teufel Judas schon vor dem Mahl den Plan ins Herz gegeben, so nimmt er jetzt, nachdem ihn Jesus als Täter gekennzeichnet und gewissermaßen dafür freigegeben hat, ganz von ihm Besitz (so auch Lk 22,3). Doch Jesus behält die Initiative. Er sagt zu Judas: Was du tun willst, das tue bald. Das Gesetz des Handelns bleibt in Jesu Hand, und auch die Machenschaften des Teufels sind eingebunden in Gottes großen Plan, dem Jesus folgt. Diese Bemerkung Jesu verursacht allerdings ein merkwürdiges Missverständnis (2 2 8). Denn keiner derer, die zu Tisch lagen, wusste, warum er dies zu ihm sagte. Haben sie so schlecht aufgepasst? Müsste nicht wenigstens der Lieblingsjünger verstanden haben, worum es geht? Ist ihr Nichtwissen Symptom einer kollektiven Verdrängung dessen, was nicht wahr sein darf? Die anderen Jünger sind noch völlig in der Normalität ihres Lebens miteinander befangen und stellen von daher ihre Vermutungen an (2 2 9): Einige meinten nämlich, da Judas die Kasse verwaltete, dass Jesus zu ihm sage: Kaufe, was wir für das Fest brauchen, oder dass er den Armen etwas geben solle. Das Unverständnis auch der Jünger für Jesu Passion wird an diesem kleinen Detail aufgezeigt, zugleich aber auch ihre Ahnungslosigkeit demonstriert (zur gemeinsamen Kasse vgl. 12,6). Dann aber nimmt der Erzähler wieder den Faden des Berichts über Judas auf, der der Aufforderung Jesu folgt (3 3 0): Als er den Bissen genommen hatte, ging er sofort hinaus. Menschlich gesehen nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Von Gottes Plan aus gesehen vollendet sich der Weg Jesu. Und dann folgt eine kurze, aber tiefgründige Bemerkung: Es war aber Nacht. Das ist zweifellos mehr als eine Angabe über die Tageszeit. Judas hat sich vom Licht abgewandt, das Jesus in diese Welt gebracht hat. Er geht hinaus in die Dunkelheit eines Lebens fern von Gott. »Aber die anbrechende Nacht steht auch für das Ende des Wirkens des joh(anneischen) Jesus (9,4; 11, 9f). Der Leser wird bis zum Verhör vor Pilatus (18,28) und bis zum Ostermorgen (20,1) warten müssen, bis das Licht wieder zum Vorschein kommt« (Zumstein, 502). Wer war Judas, und was hat ihn zu seinem Handeln bewegt? Einerseits ist der Name Judas zum Schimpfwort geworden. Andererseits fehlt es nicht an Versuchen der Ehrenrettung für ihn. Historisch ist gesichert, dass er einer der Zwölf, dem engsten Kreis um Jesus, war.
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Er hat Jesus den jüdischen Behörden ausgeliefert, indem er ihnen verriet, wo sie Jesus verhaften konnten, ohne in der Menge der Festpilger Aufsehen zu erregen. Damit hat er ihn dem sicheren Tod preisgegeben. Doch die Frage ist: Was war sein Motiv? Eine Erklärung in den Evangelien ist der Hinweis auf seine Geldgier (Mt 26,14– 16; vgl. Joh 12,6). Weil aber sein Verhalten menschlich völlig unverständlich ist, gibt es auch die Erklärung, dass Judas zum Werkzeug des Satans geworden war (6,70; 13,27; vgl. Lk 22,3). Sein Handeln kann nur Werk des Bösen sein. Doch die Bemerkung in Mt 27,3: »Als Judas … sah, dass er zum Tode verurteilt war, reute es ihn« hat immer wieder zu der Frage geführt, ob hinter dem »Verrat« des Judas nicht eine ganz andere Absicht stand. Wollte er Jesus provozieren, endlich aktiv und kämpferisch seine Rolle als endzeitlicher König von Israel wahrzunehmen? Wir wissen es nicht. Auf theologischer Ebene liegt das eigentliche Problem woanders: War die Tat des Judas – wie immer sie motiviert war – nicht nötig, damit Jesus den ihm vorgezeichneten Weg in den Tod zum Heil der Menschen gehen konnte? War er nicht eher eine wichtige Figur im Heilsplan Gottes als ein Werkzeug des Teufels? Und was bedeutet beides für seine persönliche Verantwortung? Eine erste Antwort auf diese Frage gibt ein Wort Jesu in Mk 14,21 par Mt 26,24: »Der Menschensohn geht zwar dahin, wie über ihn geschrieben steht, doch wehe dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird. Für diesen Menschen wäre es besser, wenn er nicht geboren wäre.« Dass Gott auch das Fehlverhalten von Menschen nutzt, um seinen Plan zu erfüllen, entlässt sie nicht aus ihrer Verantwortung. Johannes scheint nicht an diese Fragen zu rühren. Aber ihm gelingt »eine Judasdarstellung, in der der stumme Judas zur fragenden Anrede an die jeweiligen Leser wird. Nur solche, die Jesus ganz nahe stehen, können sich in der Weise des Judas von Jesus lossagen, können zu Verrätern an Jesus werden. … Ihn verraten, seine Sendung zur Lüge machen, seine Liebe in Herrschaftsansprüche umfälschen, seine schneidende und heilende Wahrheit in bloße Plattitüden verkehren, seine Hingabe an Menschen zur Rechtfertigung von menschenverachtendem Handeln benutzen, das können nur die, die ihn zuvor als den Wahrhaftigen, als Inkarnation göttlicher Liebe verstanden haben. Das ist – Judas zeigt es – die Möglichkeit der Kirche, nur der Kirche« (Dietzfelbinger II, 23). Dass in den Evangelien geradezu stereotyp formuliert wird: »Judas, einer der Zwölf«, soll also nicht dazu verleiten, mit besonderer Verachtung auf ihn zu zeigen, sondern zu heilsamem Erschrecken anleiten: »So sehr Judas in der Passionsgeschichte ein Ausnahmefall ist, so sehr ist er ›kein Sonderfall. Er ist unser aller Fall‹« (Dietzfelbinger nach H. Gollwitzer, Krummes Holz 274).
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13,31 – 16,33
13,31 – 16,33 Gespräche Jesu zum Abschied von seinen Jüngern Eine der wichtigsten Besonderheiten des Johannesevangeliums besteht darin, dass zwischen dem letzten Mahl Jesu und seiner Verhaftung mehr als drei Kapitel mit Worten und Gesprächen Jesu zum Abschied von seinen Jüngern gesammelt sind. Es hat sich eingebürgert, diese Worte als Abschiedsreden zu bezeichnen. Das ist aber eine moderne Benennung. Vergleicht man Anfang und Schluss der Abschiedsreden mit den entsprechenden Passagen der Bergpredigt, dann zeigt sich deutlich, wie wenig dem vierten Evangelisten daran lag, diese Abschnitte als Reden zu kennzeichnen. So ist z.B. schwer zu sagen, wo die erste »Rede« beginnt, in 13,31 oder 14,1, während ihr Ende mit 14,31b klar markiert ist. Offensichtlich ist es dem Evangelisten sehr viel wichtiger, den dialogischen Charakter der Worte Jesu festzuhalten. Er schildert lieber ein Gespräch im Aufbruch, als eine formvollendete Rede Jesu zu konstruieren. Das gilt vor allem für die erste Rede, in der die Jünger immer wieder Fragen stellen. Weil aber der Begriff Abschiedsrede fest im Sprachgebrauch der Auslegungen verankert ist, behalten wir ihn bei, halten aber fest, dass es dabei eigentlich um Abschiedsgespräche Jesu geht. Die »Reden« entfalten deshalb ihr Thema auch nicht systematisch, sondern beleuchten eine Reihe von Motiven in immer neuer Perspektive. So entsteht ein Geflecht von wechselnden und sich wiederholenden Aussagen. Der Gedankengang verläuft eher in meditativen Spiralen als in zielgerichteter Argumentation. Das macht es auch schwer, die Reden zu gliedern. Es gibt thematische Schwerpunkte, aber die Übergänge sind fließend. In der ersten Rede bildet 13,31–38 eine Art Hinführung, während in 14,1–3 das Thema umrissen wird: Welche Bedeutung hat für die Jünger, dass Jesus zu seinem Vater gehen wird? Ein Ich-bin-Wort und zwei Worte über das Geschenk des Heiligen Geistes, der in diesen Kapiteln Beistand bzw. mit einem aus dem Griechischen stammenden Fremdwort Paraklet genannt wird, bilden den Kern für drei Teile der Rede. Das ergibt folgende Gliederung: 13,31–38 14,1–14 14,15–24 14,25–31
Einleitendes Gespräch: Liebesgebot und Verleugnung Jesus – der Weg zum Vater Der Geist der Wahrheit und das Kommen Jesu (1. Parakletwort) Der Geist als Lehrer und der Friede Christi (2. Parakletwort)
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In der sog. zweiten Rede sind diese Fragen noch schwieriger zu beantworten. Denn sie beginnt nach Jesu Mahnung zum Aufbruch in 14,31b ganz überraschend ohne jede Einleitung in 15,1. Dagegen ist der Übergang zum Abschiedsgebet in Kap. 17 wieder relativ klar markiert. Über die exegetischen Probleme, die sich daraus ergeben, werden wir in der Einleitung zur zweiten Abschiedsrede sprechen. Bei der genaueren Analyse der Rede zeigt sich, dass sie in lockerer, aber klar erkennbarer Symmetrie zur ersten Rede gestaltet ist. Auch in ihr bilden ein Ich-bin-Wort den Kern eines ersten Teils und Worte über das Kommen des Beistands oder Parakleten das Zentrum des zweiten und dritten Teils. Ein längerer Schlussabschnitt bildet das Gegenstück zur Einleitung der ersten Rede. Das ergibt folgendes Bild: 15,1–17 Jesus – Grund und Kraftquelle der Gemeinde 15,18 – 16,4a Der Hass der Welt und der Geist als Zeuge (3. Parakletwort) 16,4b–15 Der Geist als Ankläger und Führer (4. und 5. Parakletwort) 16,16–33 Abschließendes Gespräch: Der Sieg über die Welt
Die Tabelle auf S. 87, in der die Struktur der beiden Reden und ihr Inhalt in Stichworten nebeneinandergestellt sind, zeigt das Motivgewebe innerhalb der beiden Reden ebenso wie die Parallelen und Unterschiede zwischen ihnen auf. Inhaltlich stellt die erste Rede klar, dass der Weggang Jesu zum Vater kein wirklicher Abschied ist, sondern Voraussetzung für seine Wiederkunft und für eine neue Gemeinschaft zwischen ihm und seiner Gemeinde. Dagegen ist die zweite Rede der Frage gewidmet, wie die Gemeinde in dieser Welt bestehen kann, wenn Jesus nicht mehr sichtbar unter den Seinen weilt. Die Form der Abschiedsrede, in der eine berühmte Person vor ihrem Tod wichtige Einsichten und Weisungen weitergibt, ist in der Antike weit verbreitet. Gerade auch im Judentum sind viele solcher Texte überliefert. Am bekanntesten die »Testamente der Zwölf Patriarchen«, die Abschiedsreden der zwölf Söhne Jakobs. Im Neuen Testament sind die Rede des Paulus in Milet vor den Ältesten von Ephesus (Apg 20,17–38) und in gewisser Weise auch der zweite Timotheusbrief ein Beispiel dafür. In aller Regel sind solche Texte keine wörtliche Aufzeichnung gehaltener Reden, sondern formulieren, was als Summe des Wirkens dieser Personen gesehen wird. Das gilt auch für die Abschiedsreden im Johannesevangelium. Unter Verwendung überlieferter Jesusworte formuliert der Evangelist die Botschaft des scheidenden Christus an seine Jünger.
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D ie Struktur der A b schied s re den Jesu 13,31 – 14,31 Der Abschied des Kommenden – erste Abschiedsrede
13,31–38 Einlei t e nd es Gespräch: Liebesgebot und Verleugnung 33 Noch kurze Zeit bin ich bei euch
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Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe
15,1 – 16,33 Die Ermu tigu ng der Bleibenden – zwei te Abschiedsrede
(1 ) 15,1–17 Jesus – Grund u nd Kraftq u elle der Gemeinde Ich bin der wahre Weinstock,
bleibt in mir Ihr werdet bitten, was ihr wollt Dies ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch liebe
(1 ) 14,1–14 Jesus – der W eg z um Va ter 1 EUER H ERZ ERSCHRECKE NICHT 3 Wenn ich hingehe, will ich wiederkommen 6 I ch bin der Weg, die Wahrheit und das Leben 13 Worum ihr bittet, das will ich tun
Wenn ihr in meinem Namen bittet, wird er’s euch geben Das gebiete ich, dass ihr einander liebt
(2 ) 14,15–24 Der Geist der Wahrh ei t u nd das Kommen Jesu
(2 ) 15,18 – 16,4a Der Hass der W el t u nd der Geist als Zeuge
(1. Parakletwort) Ich komme zu euch Wer mich liebt, wird mein Wort halten Er wird euch einen anderen Beistand geben, den Geist der Wahrheit
(3. Parakletwort)
(3 ) 14,25–31 Der Geist als Le hrer u nd der Friede C hristi
(3 ) 16,4b–15 Der Geist als Ankläger u nd Führer
(2. Parakletwort)
(4. und 5. Parakletwort) Es ist gut, dass ich weggehe Wenn der Beistand kommt, wird er die Welt überführen. Der Geist der Wahrheit wird euch in aller Wahrheit führen.
Der Beistand wird euch alles lehren und euch an alles erinnern.
Der Geist der Wahrheit wird Zeugnis für mich ablegen
16,16–33 Abschlie ß e ndes Gespräch: Der Sieg über die W el t
Meinen Frieden lasse ich euch EUER HERZ ERSCHRECKE NICHT
Ich gehe hin und komme wieder Es kommt der Fürst der Welt
Noch kurze Zeit Dann werdet ihr mich wiedersehen Damit ihr in mir Frieden habt Ich habe die Welt besiegt
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13,31–38
13,31 – 14,31 Der Abschied des Kommenden – erste Abschiedsrede 13,31–38 Einleitendes Gespräch: Liebesgebot und Verleugnung 31
Als er nun hinausgegangen war, sagt Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht worden, und Gott ist in ihm verherrlicht worden. 32 Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich selbst verherrlichen und wird ihn sogleich verherrlichen. 33Kinder, nur noch kurze (Zeit) bin ich bei euch; ihr werdet mich suchen, und wie ich zu den Juden sagte: Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht gehen, (so) sage ich (es) jetzt auch euch. 34Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebt. 35Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt. 36 Sagt zu ihm Simon Petrus: Herr, wohin gehst du? Jesus antwortete ihm: Wohin ich gehe, kannst du mir jetzt nicht folgen; du wirst mir aber später folgen. 37Sagt zu ihm Petrus: Herr, warum kann ich dir jetzt nicht folgen? Ich will (sogar) mein Leben für dich geben. 38 Jesus antwortete: Du willst dein Leben für mich geben? Amen, amen, ich sage dir: Der Hahn wird nicht krähen, bevor du mich dreimal verleugnet hast. Dieser Abschnitt verbindet mehrere thematische Elemente miteinander: Er beginnt mit einer Grundsatzerklärung zu dem, was jetzt geschieht: die Verherrlichung Jesu und Gottes (V. 31b.32); dann folgt das eigentliche Thema der Abschiedsreden, die Bedeutung des Weggehens Jesu (33); darauf – etwas überraschend – das Gebot, einander zu lieben (34f), und schließlich – anknüpfend an das Motiv von Jesu Weggang und der Frage der Nachfolge – die Ankündigung der Verleugnung des Petrus (36–38). Mit dem Weggang des Judas ist der ersten Schritt zum Leidensweg Jesu getan (3 3 1). Nun kann Jesus offen reden und erklären, welchen Sinn sein Tod hat. In der Situation, in der Jesus spricht, sind seine Worte freilich überraschend: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht worden, und Gott ist in ihm verherrlicht worden. Für aufmerksame Leser und Leserinnen sind diese Aussagen jedoch durch 12,23.28 vorbereitet und aus der nachösterlichen Perspektive verständlich. Jesus identifiziert sich ein letztes Mal mit dem Menschensohn. Auch in den anderen Evangelien ist dieser Begriff oft mit der Ansage der Notwendigkeit des Sterbens Jesu verbunden
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(vgl. Mk 8,31; 9,31; 10,33; 14,21). Bei Johannes wird daraus die paradoxe Aussage, dass der Menschensohn erhöht werden muss (3, 13f). Der Menschensohn ist der, der vom Vater kommt, den Weg zum Kreuz geht und gerade so zurück zum Vater findet. In Anleh nung an die griechische Übersetzung von Jes 52,13 wird seine Erhöhung auch als Verherrlichung gesehen, d.h. als Offenbarung der göttlichen Gegenwart in seinem Leben und Leiden. Wie in 12,23 wird das, was am Kreuz geschehen wird, als schon geschehen geschildert. Aus der Perspektive der nachösterlichen Gemeinde ist der Menschensohn, der bewusst den Weg des Leidens beschreitet, schon verherrlicht worden, und auch Gott ist in ihm und durch ihn verherrlicht worden. Nicht nur die wahre Größe und Bedeutung der Sendung und der Person Jesu wird am Kreuz offenbart, sondern auch die Wirklichkeit Gottes wird sichtbar werden, das heißt: seine Heiligkeit und seine Liebe, sein ganzes göttliches Wesen, das im Alten Testament mit dem Begriff Herrlichkeit des HERRN beschrieben wird. Was hier geschieht, kann aber auch in zukünftiger Perspektive formuliert werden (33 2): Wenn Gott in ihm verherrlicht wird, dann wird auch Gott ihn in sich verherrlichen, und er wird ihn bald verherrlichen. Damit ist kein Ereignis gemeint, das noch weiter in der Zukunft liegen würde als Jesu Tod am Kreuz. Vielmehr wird noch einmal ins Auge gefasst, was eben über die Bedeutung des Todes Jesu ausgesagt wurde, jetzt aber in einer Perspektive, die über das Kreuz hinaus auf Jesu Auferstehung und seine Rückkehr zum Vater blickt. »Wenn das Kreuz der Ort der Verherrlichung ist, dann liegt die Zukunft des Gekreuzigten bei Gott« (Zumstein, 513). Dass Gott ihn in sich verherrlichen wird, und zwar sogleich, bedeutet nichts anderes als dies, dass auch in der Zeit nach Kreuz und Auferstehung Gottes Wesen und Wirklichkeit an der Gestalt und dem Werk des Sohnes sichtbar werden. Damit wird nicht nur ein Rahmen für das Verständnis der Abschiedsworte Jesu gezeichnet, sondern auch eine Art Überschrift formuliert, die aufzeigt, wie alles Folgende zu verstehen ist – gerade auch der Bericht von Jesu Passion und Auferstehung. Dann aber kommt Jesus zum eigentlichen Thema der folgenden Gespräche, dem Abschied von seinen Jüngern (33 3): Kinder, nur noch kurze (Zeit) bin ich bei euch. Die Anrede Kinder (wörtlich: Kindlein) signalisiert Nähe und familiäre Wärme. Sie findet sich sonst nirgends im Evangelium, dagegen häufig im 1. Johannesbrief (2,1.12.18 u.ö.). Auch das dürfte ein Indiz dafür sein, dass diese Worte Jesu schon aus der Perspektive der späteren Gemeinde formuliert worden sind. Aber zunächst sind es die Jünger, die Jesus während seines irdischen Wirkens begleitet haben, denen er sagen
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muss: Ich bin nur noch kurze Zeit bei euch. Weil das WORT Fleisch geworden ist und sich in die Grenzen einer menschlichen Existenz eingelassen hat, findet auch die irdische Wirksamkeit Jesu im Tod ihre zeitliche Grenze. Dass sie Jesus dann suchen werden, ist wohl nicht wörtlich gemeint, sondern beschreibt die Rat- und Hilflosigkeit, in die sie die Trennung von Jesus stürzen wird. Auch zu den Dienern der Hohepriester, die ihn verhaften sollten, hatte Jesus gesagt, dass er nur noch kurze Zeit bei ihnen sein werde. Dann würden sie ihn suchen und nicht finden. Denn: »Wo ich dann bin, könnt ihr nicht hinkommen« (8,21). An das, was er damals den Juden gesagt hat, erinnert er nun seine Jünger mit fast den gleichen Worten: Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht gehen. Werden die Freunde Jesu in die gleiche Situation kommen wie seine Feinde? Jesus reagiert auf dieses erschreckende Szenario nicht mit tröstlichen Worten, sondern mit einem Gebot (3 3 4): Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebt. Inhaltlich gesehen ist dieses Gebot nicht neu, basiert es doch auf dem alttestamentlichen Gebot in Lev 19,18: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«. Neu ist die Begründung. An die Stelle von wie dich selbst tritt wie ich euch geliebt habe. Jesu Liebe, die er mit der Fußwaschung in einer symbolischen Handlung gezeigt hat und die er mit seinem Tod für die Seinen besiegeln wird (vgl. 10,11; 15,13), ist nicht nur Vorbild für die gegenseitige Liebe der Jünger, sondern auch Grund und Befähigung dafür, einander zu lieben (vgl. zu 13,15). »Indem der präexistente, inkarnierte, gekreuzigte und erhöhte Christus das Liebesgebot formuliert, erhält es eine neue Qualität« (Schnelle, 297). Neu ist freilich auch die Konzentration auf die gegenseitige Liebe in der Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger. Während Jesus in der Bergpredigt das Gebot der Nächstenliebe als Aufruf zur Feindesliebe deutet (Mt 5,44), liegt in der Darstellung des Johannes aller Ton auf der Bruder- bzw. Geschwisterliebe. In dieser Form ist das Liebesgebot das Zentrum der ethischen Weisungen in der johanneischen Theologie, gerade auch mit seiner Begründung durch die Liebe Gottes und Jesu (vgl. 15,12f; 1Joh 2,7–11; 4,10–19; 2Joh 4– 7). Ob dies eine problematische Verengung oder eine wichtige Konkretion des Liebesgebotes darstellt, muss noch diskutiert werden. Eine erste Antwort auf diese Frage liegt aber schon in dem, was Jesus als erwünschte Folge solchen Verhaltens nennt (33 5): Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt. Nicht um die Gemeinde der Jünger von der Welt abzusondern, wird die gegenseitige Liebe betont. Durch dieses Verhalten soll vielmehr das Zeugnis von der Kraft der Liebe Jesu zu
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den Menschen in die Umgebung der Gemeinde ausstrahlen. Nicht mehr daran, dass sie dem durch Judäa und Galiläa wandernden Jesus folgen, wird man die Christen als Jünger und Jüngerinnen Jesu erkennen, sondern daran, dass sie dem Beispiel der Liebe Jesu folgen. Damit ist indirekt auch die Antwort auf die Frage gegeben, wie die Jünger Jesus finden können, wenn er von ihnen gegangen ist: Nicht anders als so, dass sie ihm in seiner Liebe begegnen. Durch seine Liebe bleibt er für sie gegenwärtig. Viele Ausleger halten die V. 34f für die Einfügung einer späteren Redaktion des Evangeliums. In der Tat unterbrechen sie den Zusammenhang ziemlich unmotiviert. Die Verse 33 und 36–38 fügen sich bruchlos aneinander an. Das Gebot, einander zu lieben, spielt dann auch erst in der zweiten Abschiedsrede, die von vielen ebenso dieser späteren Redaktion zugewiesen wird, eine Rolle. Die Möglichkeit, dass die Verse erst in einem zweiten Arbeitsgang, evtl. vom Evangelisten selbst, eingefügt wurden, ist nicht von der Hand zu weisen. Sie sind aber im jetzigen Zusammenhang ein wichtiges Element. Denn das Thema Liebe zieht sich wie ein roter Faden durch den zweiten Teil des Evangeliums: Es beginnt mit 13,1, wird indirekt in 13,15 und 14,15.23 weitergeführt und dann in 15,9–15 und 17,24–26 voll entfaltet. Hier wird es zum Kennzeichen der Gemeinschaft mit Jesus.
Jesu Wort bleibt zunächst unkommentiert. Die Jünger scheinen es überhört zu haben oder können nicht verstehen, was es mit Jesu Ankündigung zu tun hat, dass er sie verlassen werde. So fragt Simon Petrus – hier wohl stellvertretend für die anderen Jünger – voll Unverständnis: Herr, wohin gehst du? (33 6). Er hat nicht begriffen, dass Jesus von seinem Weg in den Tod und durch den Tod hindurch zum Vater spricht. Darum muss ihm Jesus antworten: Wohin ich gehe, kannst du mir jetzt nicht folgen. Noch ist es nicht Zeit für Petrus, auch diesen Weg zu gehen. Doch Jesus fügt sogleich hinzu: Du wirst mir aber später folgen. Das ist ein klarer Hinweis auf das spätere Martyrium des Petrus, vor allem für Leserinnen und Leser, die in 21,18f das Wort des Auferstandenen an Petrus lesen werden, das ihm seinen Märtyrertod voraussagt. Möglicherweise steckt in dem Wort aber auch noch eine weitere Bedeutung, und das später bezieht sich nicht nur auf das Martyrium des Petrus, sondern wie in 13,7 insgesamt auf die Zeit nach Ostern. In ihr wird Petrus in eine neue Weise der Nachfolge geführt werden, die nicht mehr von der leiblichen Gegenwart seines Herrn abhängig, sondern von der Orientierung an seiner Liebe geprägt ist. Petrus aber kann das nicht verstehen (33 7). Verwundert und irritiert fragt er Jesus: Herr, warum kann ich dir jetzt nicht folgen? Er
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ist sich im Klaren, dass Jesu Weg gefährlich sein würde. Aber das schreckt ihn nicht. Er ist bereit, für Jesus alles dranzugeben, und beteuert: Ich will (sogar) mein Leben für dich einsetzen. Man kann auch übersetzen: mein Leben für dich lassen (LÜ). Der Text spielt mit beiden Möglichkeiten: sein Leben für andere zu riskieren (vgl. den guten Hirten in 10,11.15.17) oder es für andere aufzuopfern (15,13; 1Joh 3,16). Der Versuch des Petrus, Jesus bei seiner Verhaftung mit dem Schwert freizuhauen (18,10f), zeigt, wie er sich das vorstellt. So fragt Jesus skeptisch zurück (33 8): Du willst dein Leben für mich geben? Dann konfrontiert er ihn in einem feierlichen Amen-Wort mit der traurigen Wirklichkeit: Amen, amen, ich sage dir: Der Hahn wird nicht krähen, bevor du mich dreimal verleugnet hast. Alle Evangelien berichten davon, dass Jesus zwischen dem letzten Mahl und seiner Verhaftung die Verleugnung des Petrus angekündigt hat. Auch die Versicherung des Petrus, wenn es sein müsse, sei er bereit, für Jesus zu sterben, findet sich bei ihnen (vgl. Mk 14,27– 31; Mt 26,31–35; Lk 22,31–34). Bei Johannes ist dieser Vorblick auf das Versagen des Petrus eng verbunden mit dem Thema der Nachfolge. Nicht der heroische Entschluss zur Selbstaufopferung ist gefragt. Der ist zum Scheitern verurteilt und führt in die Verleugnung. Gefragt bleibt das geduldige Hören und gehorsame Befolgen von Jesu Gebot und ein Leben in gegenseitiger Liebe (vgl. 14,15.23; 15,9–12; 21,18). Wie eine Ouvertüre nimmt dieses einleitende Gespräch verschiedene Themen der folgenden Abschiedsrede auf: die Verherrlichung Jesu durch seinen Tod und seine Auferstehung, die neue Situation durch den Abschied Jesu und die Leitlinie für das Leben der Gemeinde im Liebesgebot. Die Verleugnung des Petrus dagegen wird erst wieder in der Passionserzählung thematisiert (18,27). So werden ganz unterschiedliche Aspekte der Zukunft nebeneinandergestellt: Der Sieg Gottes im Gehorsam Jesu und die Situation der Jüngergemeinde ohne die leibliche Gegenwart Jesu, die Weisung Jesu für ihren zukünftigen Weg und das drohende Versagen des Petrus. Welche Perspektive ergibt sich aus diesem spannungsvollen Nebeneinander? Das ist die Frage, mit der dieses einleitende Gespräch die Leserinnen und Leser in die Abschiedsreden hineinführt. Ähnlich spannend ist das Nebeneinander der Ankündigung des Verrats des Judas (13,21–30) und der Verleugnung des Petrus. Beide versagen. Petrus aber wird in einer eindrucksvollen Szene rehabilitiert werden (21,15–17), Judas hingegen scheint bleibend von der Macht des Teufels besessen. Worin liegt der Unterschied? Jedenfalls wird die Gefährdung derer, die zu Jesus gehören, am Beispiel der beiden ein-
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dringlich vor Augen gestellt: Auch die, die Jesus ganz nahe sind, können ihn verraten oder verleugnen. Angesichts dieser Gefahr bietet das Liebesgebot eine erste Hilfestellung. Wie aber die Verherrlichung Jesu das Verlassensein der Jünger überwinden wird, das müssen die weiteren Teile der Abschiedsrede zeigen. 14,1–14 Jesus – der Weg zum Vater Mit 14,1 beginnt der Hauptteil der ersten Abschiedsrede, in der Jesu Gespräche mit seinen Jüngern angesichts seines bevorstehenden Todes zusammengestellt sind. Er wird markiert durch die zweimalige Aufforderung Jesu am Anfang und Ende des Abschnittes: Euer Herz soll sich nicht erschüttern lassen (V. 1 und 27). Seine Binnenstruktur ist weniger klar ausgeprägt. Die thematischen Schwerpunkte gehen fließend ineinander über, sodass die Ausleger zu sehr unterschiedlichen Gliederungen kommen. Uns scheint folgende Einteilung am wahrscheinlichsten: 14,1–14 14,15–24 14,25–31 1
Jesus – der Weg zum Vater Der Geist der Wahrheit und das Kommen Jesu (1. Parakletwort) Der Geist als Lehrer und der Friede Christi (2. Parakletwort)
Euer Herz soll sich nicht erschüttern lassen. Glaubt an Gott und glaubt an mich. 2Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen. Wenn nicht, hätte ich euch dann gesagt, dass ich hingehe, um euch einen Platz vorzubereiten? 3Und wenn ich hingegangen bin und euch einen Platz vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit, wo ich bin, auch ihr sein werdet. 4 Und wo ich hingehe, (dahin) wisst ihr den Weg. 5Thomas sagt zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir (dann) den Weg wissen? 6Jesus sagt zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich. 7Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von jetzt an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. 8 Philippus sagt zu ihm: Herr, zeige uns den Vater, und (es) genügt uns. 9Sagt zu ihm Jesus: So lange Zeit bin ich mit euch, und du hast mich (noch) nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat (auch) den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeige uns den Vater? 10Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir ist? Die Worte, die ich euch sage, rede ich nicht von mir selbst aus, sondern der Vater, der in mir bleibt, tut seine Werke. 11Glaubt mir,
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dass ich im Vater bin und der Vater in mir; wenn nicht, glaubt wenigstens um der Werke selbst willen. 12 Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der wird auch die Werke tun, die ich tue, ja noch größere Werke als diese wird er tun, denn ich gehe zum Vater. 13Und was immer ihr in meinem Namen bitten werdet, das werde ich tun, damit der Vater im Sohn verherrlicht wird. 14Wenn immer ihr mich in meinem Namen um etwas bitten werdet, werde ich es tun. Wie wird die Zukunft der Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu aussehen, wenn er nicht mehr unter ihnen ist? Das ist die Frage, auf die die Gespräche und Worte Jesu Antwort geben wollen, die in den Abschiedsreden gesammelt sind. Der erste Abschnitt der ersten Abschiedsrede tut dies wieder in einer Art Triptychon: Die V. 1–3 greifen das Thema auf und weisen auf das gemeinsame Endziel des Wegs Jesu und seiner Jüngerinnen und Jünger hin. Das Mittelstück, die V. 4–11, entfaltet das Motiv des Wegs. Hier geht es nicht mehr um den Weg, den Jesus und die Jünger gehen, sondern darum, dass Jesus selbst der Weg zum Vater ist. Mit der Zusage Jesu, die Gebete seiner Jünger zu erhören, geben die V. 12–14 eine wichtige Hilfe für die unmittelbar bevorstehende Zeit. Am Anfang der Worte Jesu steht eine doppelte Ermutigung (1 1 ). Die erste macht den Jüngern Mut, sich nicht von Bedrohung und Verlassenheitsängsten verunsichern zu lassen: Euer Herz soll sich nicht erschüttern lassen; oder nach der LÜ: Euer Herz erschrecke nicht. Diese Ermutigung wird am Ende der ersten Rede wiederholt (V. 27), umschließt sie also wie eine Klammer, die alles zusammenhält, was dazwischensteht. Von Jesus selbst war mehrfach gesagt worden, dass er angesichts der drohenden Macht des Todes erschüttert wurde (11,33; 12,27; 13,21). Im Blick auf seinen zukünftigen Sieg über den Tod kann er seine Jünger jedoch schon jetzt mit den Worten stärken: Euer Herz soll sich nicht erschüttern lassen. Aber es bleibt nicht bei der Abwehr von Angst und Verzagtheit. Jesus hat auch eine positive Weisung: Glaubt an Gott und glaubt an mich. Sich Gott und seinem Handeln in Jesus ganz anzuvertrauen, das schenkt den Halt und die innere Kraft, allen Erschütterungen und Drohungen zu trotzen, die von außen auf die Jünger eindringen. Dabei geht es nicht um eine doppelte Aufforderung im Sinne von: Glaubt zuerst an Gott und dann auch noch an mich. In Jesus offenbart sich die Wirklichkeit Gottes eindeutig. An Jesus zu glauben heißt auch, an den Gott zu glauben, der ihn gesandt hat und sich in ihm unverwechselbar zeigt. Und wirklich an Gott zu glauben bedeutet, sich ihm anzuvertrauen, wie er in Jesus begegnet.
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Die Begründung für die Aufforderung, sich auch durch die äußere Trennung von Jesus nicht erschüttern und entmutigen zu lassen, 2 f ). Dabei greift Jewird in den nächsten beiden Versen gegeben (2 sus eine Thematik und eine Begrifflichkeit auf, die für das Johannesevangelium ungewöhnlich sind. Wahrscheinlich verwendet der Evangelist für die Formulierung der Worte Jesu ältere Gemeindetradition. Jesus versichert seinen Jüngern: Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen. Das Haus meines Vaters bezeichnete in 2,16 den Tempel. Das ist der Ort, an dem Gott gegenwärtig ist. Hier ist dagegen das himmlische Heiligtum gemeint, der jenseitige Raum, in dem Gott wohnt. Aber anders als beim irdischen Tempel ist dieser Ort nicht allein für Gott reserviert. Es gibt dort viele Wohnungen oder – ganz wörtlich übersetzt – viele Bleiben, Räume, in denen Menschen ganz nahe bei Gott ihre Bleibe finden können. Dieses Bild beschreibt einprägsam die jüdische und urchristliche Hoffnung auf die Wirklichkeit eines Lebens in persönlicher Gemeinschaft mit Gott jenseits der Todesgrenze (vgl. 1Hen 39,4–8; ApkAbr 17,15; 2Kor 5,1– 10; Phil 1,23; Offb 21,3f). Dass es diesen neuen und bleibenden Lebensraum für sie gibt, darauf dürfen sich die Jünger und Jüngerinnen Jesu fest verlassen. Denn – so fragt Jesus zurück: Wenn (es) nicht (so wäre), hätte ich euch dann gesagt, dass ich hingehe, um euch einen Platz vorzubereiten? Jesu bevorstehender Tod ist zugleich der Weg zum Vater. Dass er den Weg der Liebe bis zum Ende geht und damit seiner Gemeinschaft mit dem Vater treu bleibt, das heilt die zerstörte Beziehung zwischen den Menschen und Gott und schafft für die, die zu ihm gehören, bleibenden Raum in der Gemeinschaft mit Gott. Allerdings bleibt unklar, wann Jesus darüber mit seinen Jüngern gesprochen hat. Deshalb übersetzen manche: Wenn nicht, würde ich euch dann sagen, dass ich jetzt hingehe? Diese Übersetzung ist zwar sprachlich möglich, löst aber das Problem nicht wirklich. Vermutlich denkt der Evangelist bei dem Selbstzitat Jesu an Worte wie 12,26 (»wo ich bin, soll mein Diener auch sein«) oder 13,33 (»wo ich hingehe, könnt ihr jetzt nicht hinkommen«). Doch Jesu Ermutigung besteht nicht nur in der Zusage, dass für seine Jünger ein Platz im Himmel reserviert ist. Er gibt den Seinen auch eine Perspektive für ihre Zukunft (33 ): Und wenn ich hingegangen bin und euch einen Platz vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit, wo ich bin, auch ihr sein werdet. Das Kommen des Messias bzw. des Menschensohns, der am Ende der Geschichte für Gerechtigkeit und Frieden sorgen und im Auftrag Gottes Gericht halten wird, gehört zu den wich-
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tigsten Inhalten jüdisch-apokalyptischer Zukunftserwartung (1Hen 62; 69,26f; 4Esr 11,31–34). Da für die Urchristenheit Jesus der Messias und Menschensohn war, stand für sie die Hoffnung auf die Wiederkunft Jesu Christi im Zentrum von Glauben und Leben (Mt 16,27; 25,31; 1Kor 11,26; 16,22; 1Thess 4,16f; Offb 22,20). Auch bei Johannes spricht Jesus von seinem Wiederkommen. Aber anders als in den anderen Evangelien, die erwarten, dass er als Menschensohn zum Gericht über die Menschheit kommen und sich aller Welt zeigen wird (vgl. Mt 16,27; 25,31; 26,64), gilt hier sein Kommen der Heimholung seiner Jüngerinnen und Jünger. Ihr Ziel ist die vollkommene Gemeinschaft zwischen ihm und den Seinen, die durch seinen Tod und seine Rückkehr zum Vater unterbrochen schien. Im Johannesevangelium gibt es also eine doppelte Perspektive im Blick auf das Heil, das Christus bewirkt: Einerseits sind diejenigen, die an ihn glauben, schon jetzt hineingenommen in das Leben, das Gott durch ihn schenkt; sie haben das ewige Leben (3,16.36; 5,24; 6,47). Andererseits kennt auch dieses Evangelium eine Vollendung dieser Gemeinschaft in der Zukunft, in der alles noch Trennende überwunden sein wird und die ganze Existenz der Glaubenden im Leben mit Christus geborgen sein wird (vgl. 5,28f; 6,39f.44.54). Über das Wann und Wie gibt es keine Auskunft (anders z.B. 1Thess 4,13–17). 1Joh 3,2 wird die Gewissheit, die Jesu Zusage gibt, in unvergleichlicher Klarheit ausdrücken: »Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.« Eine knappe Bemerkung Jesu leitet über zum folgenden Abschnitt V. 4 –11: Und wo ich hingehe, (dahin) wisst ihr den Weg (4 4 ). Das klingt wie eine Einladung, Jesus auf seinem Weg zu folgen. Diese Möglichkeit aber hat Jesus in 13,33 verneint (»Wohin ich jetzt gehe, könnt ihr nicht kommen«; so auch 13,36). Nein, Jesus wird wiederkommen und die Seinen zu sich holen (V. 3). Es geht also offensichtlich sehr viel grundsätzlicher um den Weg zum Heil. Das wird im folgenden Gespräch herausgearbeitet werden. Es wird eingeleitet durch die Frage des Thomas (55 ): Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir (dann) den Weg wissen? Obwohl Thomas aufgrund von 20,24–29 als notorischer Zweifler gilt, ist es merkwürdig, dass gerade er diese Frage stellt. War er es doch, der in 11,16 erkannte, dass Jesu Weg nach Bethanien in den Tod führen könnte. Und hatten nicht Jesu Worte in V. 2f klar vom Ziel seines Wegs gesprochen? Aber wie oft bei Johannes dient sein Missverständnis dazu, die tiefere Bedeutung dessen zu erklären, was Jesus sein Ziel und den Weg dorthin nennt.
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Das geschieht in dem vorletzten der sieben Ich-bin-Worte des Evangeliums (6 6 ): Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich. Dieses Wort dürfte eines der wirkungsmächtigsten Worte Jesu im Johannesevangelium sein. Durch seinen zweiten Teil ist es aber auch eines der umstrittensten geworden. Was sagt es aus? Es greift zunächst das Stichwort vom Weg auf, versteht es aber ganz neu. Es geht nicht mehr um den Weg, den Jesus geht. Jesus selbst ist der Weg! Er – mit seiner ganzen Person, seiner Botschaft, seinem Wirken und der Bereitschaft, sein Leben hinzugeben – ist der Weg zu Gott. In ihm öffnet sich der Zugang zum Vater, durch ihn findet der Mensch zum Herzen Gottes. Das hat seinen Grund: Jesus ist der Weg, weil er auch die Wahrheit und das Leben ist. Jesus wird im Gespräch mit Pilatus sagen, dass er in die Welt gekommen sei, um »für die Wahrheit Zeugnis abzulegen« (18,37). Und schon zu Beginn des Evangeliums bezeugen Jünger Jesu, dass sie in dem Fleisch gewordenen Wort eine Herrlichkeit sahen »voller Gnade und Wahrheit« (1,16 vgl. 18). Hier sagt Jesus von sich selbst, dass er die Wahrheit ist: In ihm ist die Wirklichkeit Gottes gegenwärtig. Durch ihn erschließt sich das Wesen Gottes. Menschen erkennen, dass Gott Liebe ist (1Joh 4,8), und erfahren durch ihn, was ihre eigentliche Bestimmung und der Sinn ihres Lebens ist: aus der Dunkelheit ihrer Gottferne ins Licht der Liebe Gottes zu treten und in der Gemeinschaft mit ihm für andere zu leben. Weil Jesus die Menschen in die Begegnung mit ihrem Schöpfer führt, darum ist er auch das Leben. Schon in 11,25 hatte er gesagt: »Ich bin die Auferstehung und das Leben« und gezeigt, dass er Leben schenkt, das nicht auf das biologische Funktionieren des menschlichen Körpers beschränkt ist, sondern aus der Verbindung mit Gott, der Quelle des Lebens, Lebenskraft und -dauer erhält. Wenn also Jesus sagt: Ich bin … das Leben, dann versichert er seinen Jüngern: In mir begegnet euch wirkliches Leben in seiner ganzen Fülle, weil euch in mir Gott und seine Liebe begegnen. Die Wahrheit, die Jesus verkörpert, ist nicht bedrohlich oder gar tödlich. Im Gegenteil: Sie schafft und erhält Leben. Und das Leben, das Jesus in diese Welt bringt, ist nicht nur ein flüchtiger Hauch und vergänglicher Schein. Es bleibt, weil es echt und wahr und in Gott gegründet ist. Wo so klar gesagt wird, wer Jesus ist, da muss auch die negative Kehrseite genannt werden: Niemand kommt zum Vater außer durch mich. Wenn alles, wodurch Gott in dieser Welt erfahrbar wird, auf die Person Jesu konzentriert ist, ist dieser Schluss unvermeidlich. Neben dem Wegweiser, der auf Jesus als den wahren Weg
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zu Gott hinweist, steht eine Warntafel, die alle anderen angeblichen Wege zu ihm als Sackgassen oder Holzwege bezeichnet. Ob damit auch ein Urteil über das Heil all der Menschen ausgesprochen ist, die sich nach unserer Kenntnis nicht zu Jesus bekennen, muss in der Zusammenfassung bedacht werden. Die Fortsetzung nennt den Grund für die Behauptung Jesu: Zu erfahren, wer er ist, öffnet die Tür für die Begegnung mit Gott (77 ): Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Die Veränderung der Aussage gegenüber V. 6 ist typisch für die Jesusverkündigung im Johannesevangelium. Was gerade zum Vater kommen hieß, wird jetzt mit den Vater erkennen umschrieben. Denn mit erkennen ist nicht die intellektuelle Bewältigung eines Sachverhaltes gemeint, sondern eine intensive persönliche Begegnung (vgl. zu 10,15). Wer sich auf eine solche Begegnung mit Jesus einlässt, der wird in ihm Gott selbst begegnen. Das aber wird nicht erst in ferner Zukunft, in der letzten, vollendeten Begegnung mit ihm geschehen. Nein, es ereignet sich schon jetzt, gerade angesichts der bevorstehenden Passion Jesu. Weil Gott im Sieg Jesu über den Tod sein wahres Gesicht zeigt, darum gilt: Von jetzt an kennt ihr ihn, ja noch mehr: ihr habt ihn gesehen. Gott zu sehen ist nach alttestamentlicher Überzeugung unmöglich (vgl. zu 1,18) und auch nach dem Zeugnis des Neuen Testaments erst in der Ewigkeit denkbar (vgl. 1Joh 3,2). Dennoch kann Jesus hier sagen: In der Begegnung mit mir habt ihr nicht nur Gott in seinem wahren Wesen kennengelernt, nein, ihr habt ihn sogar gesehen. Wie ist das zu verstehen? Es ist überrascht nicht, dass es erneut zu einem Missverständnis kommt. Diesmal ist es Philippus, der durch seine Bitte deutlich macht, dass er nicht verstanden hat, was Jesus meint (8 8 ). Er sagt zu Jesus: Herr, zeige uns den Vater, und (es) genügt uns. In dieser Bitte wird die menschliche Sehnsucht laut, Gott, der menschlichen Blicken unerreichbar ist, unmittelbar und unzweifelhaft schauen zu können. Philippus hofft, dass Jesus das Wunder einer solchen Gottesschau bewirken kann. Aber in der Formulierung zeige uns den Vater verrät sich zugleich der problematische Wunsch nach einem Vorführeffekt, der den Schauenden in einer unbeteiligten Zuschauerhaltung lässt. Jesus reagiert enttäuscht (99 ): So lange Zeit bin ich mit euch, und du hast mich (immer noch) nicht erkannt, Philippus? Philippus hat begriffen, dass Jesus den Weg zu Gott zeigt. Aber er hat noch nicht erkannt, dass er in Jesu Person, in seinen Worten und seinem Wirken, Gott selbst begegnet. Darum wiederholt Jesus noch einmal ausführlich, was er gerade in knapperer Form schon gesagt hat: Wer mich gesehen hat, hat (auch) den Vater gesehen. Wer in Jesus
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das Fleisch gewordene WORT gesehen hat, der hat auch Gott gesehen. »Sein Dasein ist die Offenbarung Gottes« (Thyen, 626f). Jesus ist insofern »der Weg zum Vater, als in ihm der Vater anschaubar und erfahrbar geworden ist und jeweils anschaubar und erfahrbar wird« (Dietzfelbinger II, 49). Wer also Jesus wirklich erkannt hat, für den öffnet sich auch der Blick auf den Vater. Das Sehen, von dem hier die Rede ist, meint zunächst das Sehen der ersten Zeugen. Das sind die, die im Prolog bezeugen: »und wir sahen seine Herrlichkeit als die Herrlichkeit des einziggeborenen Sohnes«. Aber das Perfekt, das im Griechischen steht, meint ein Geschehen in der Vergangenheit, dessen Bedeutung auch noch die Gegenwart bestimmt. Insofern ist die Übersetzung Luthers: Wer mich sieht, sieht auch den Vater nicht falsch, sondern markiert die bleibende Aktualität des Sehens der ersten Jünger. Auch heute gilt: »In der Begegnung mit Jesus gelangt die Frage nach Gott ans Ziel. Der Glaube erkennt: In Jesus ist Gott bleibend gegenwärtig« (Schnelle, 301). Das hat Philippus nicht verstanden, und darum trifft ihn die vorwurfsvolle Frage Jesu: Wie kannst du sagen: Zeige uns den Vater? Aber Jesus fährt nun nicht mit der Frage fort: Siehst du denn nicht, dass …? Er fragt vielmehr (1 1 0): Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir ist? Glauben und Sehen stehen im Johannesevangelium in einem dialektischen Verhältnis. Echtes Sehen ist mehr als ein Anschauen von außen. Das Auge des Herzens öffnet sich im Glauben für die Wirklichkeit Gottes, die in Jesus begegnet. Und wahrer Glaube ist mehr als ein Für-wahr-Halten. Wer glaubt, sieht Gott, indem er ihn in der Person und im Wirken Jesu wahrnimmt (vgl. zu 20,29). Inhalt des Glaubens ist die Einheit von Vater und Sohn. In V. 1 1a wird Jesus das in einer dringenden Einladung zum Glauben wiederholen: Glaubt mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir. Damit wird keine Wesenseinheit oder gar Identität von Vater und Sohn behauptet, wohl aber die völlige Einheit im Reden und Handeln, also eine funktionale Identität. Die räumliche Redeweise ich im Vater und der Vater in mir macht das bildhaft deutlich: »Jesus wohnt im Vater, und der Vater wohnt in Jesus«. In der Sache heißt das: »Jenes Sein Jesu im Vater und des Vaters Sein in Jesus wird darin konkret, daß, was Jesus redet, die Rede des Vaters ist, und das, was Jesus tut, Tun des Vaters ist« (Dietzfelbinger II, 49f). Dass das gemeint ist, zeigt Jesu Kommentar dazu in 1 0b: Die Worte, die ich euch sage, rede ich nicht von mir selbst aus; sondern der Vater, der in mir bleibt, tut seine Werke. »Jesus ist in seiner Existenz vollständig durch Gott bestimmt, der sich wiederum in Jesu Wirken offenbart« (Schnelle, 301). Was Jesus tut, das sind Gottes
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Werke. Das zeigt sich natürlich in besonderer Weise an seinen Wundern. Aber Jesu bzw. Gottes Werke meinen bei Johannes nicht nur die spektakulären Wunder. Sie umfassen alles, was Gott durch Jesus tut und wirkt (vgl. 10,37f). Das ist wichtig für das Verständnis des ziemlich rätselhaften V. 1 1b: Wenn nicht (d.h. wenn ihr nicht glauben könnt, dass ich im Vater bin und der Vater in mir), dann glaubt wenigstens um der Werke selbst willen. Was will Jesus damit nach Meinung des Evangelisten sagen? Macht er hier eine Konzession an Leute, die mit dem Glauben aufgrund seiner Verkündigung Schwierigkeiten haben, aber doch wenigstens wegen der Wunder glauben sollten (vgl. 10,38)? Unterstreicht er so die herausragende Bedeutung seiner Wunder, die seine göttliche Identität erweisen? So Schnelle: »Die Wunder Jesu haben Offenbarungsqualität und zwingen unmittelbar zu der Einsicht, dass Jesus der alleinige Offenbarer ist« (301f). Oder geht es um das Ganze des Offenbarungswirkens Jesu, das sich in seinem Weg in den Tod erfüllt und die Jünger über alle Zweifel an ihm hinweghelfen sollte? Für die zweite Alternative spricht manches. Wir haben gesehen, dass der Glaube aufgrund der Wunder im ersten Teil des Evangeliums keineswegs nur negativ gesehen wird, wie das manche Ausleger meinen. Aber ihm haftet doch auch eine gewisse Zweideutigkeit und Vorläufigkeit an. Deshalb wird man unter den Werken, um derentwillen die Jünger glauben sollen, nicht nur die Wunder verstehen, sondern das Wirken Jesu insgesamt einschließlich seiner Bereitschaft, den Weg in den Tod zu gehen (vgl. 5,36). In jedem Fall aber gilt: Auch im Johannesevangelium ist der Glaube nicht das reine, blinde Wagnis des Vertrauens auf das senkrecht von oben ergehende Wort. Es gibt Hilfen für den Glauben durch die kleinen und großen Zeichen auf dem Weg des Glaubens. Dass es bei den Werken Jesu nicht nur um die Wunder geht, macht auch die Fortsetzung im kurzen Schlussteil des Abschnitts deutlich (1 1 2–14). Nun tritt wieder, wie im Eingangsteil, die Frage nach der Zukunft der Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen in den Vordergrund. Was wird mit ihnen geschehen, wenn Jesus nicht mehr unter ihnen sein wird? Aber anders als am Anfang, wo es um das letzte Ziel ihres Wegs ging, steht jetzt Jesu Zusage für die Zeit nach Ostern im Vordergrund. Eingeleitet durch das feierliche doppelte Amen verspricht Jesus ihnen (11 2): Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der wird auch die Werke tun, die ich tue. Der Glaube an Jesus stellt die Glaubenden nicht nur in eine neue Beziehung zu Gott und wird so zum Tor zum Heil und zum ewigen Leben. Der Glaube ist auch die Basis für ihre Beauftragung und Bevollmächtigung, die Sache Jesu weiterzuführen. Dazu gehörte für
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die Urchristenheit auch die Vollmacht, wie Jesus Kranke zu heilen und Menschen aus der Gewalt zerstörerischer Mächte zu befreien, vor allem aber die Gewissheit, in Jesu Namen die Heilsbotschaft weitersagen und Menschen zur Umkehr und zum Glauben rufen zu sollen. »Wer euch hört, hört mich«, heißt es auch in Lk 10,16 (vgl. Mt 10,40; Joh 13,20). Im Johannesevangelium wird diese Bevollmächtigung noch eindeutiger ausgesprochen. Nach Ostern wird der Auferstandene die Jünger mit den Worten aussenden (20,21): »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch«. Die Jünger setzen das Wirken Jesu fort, und daher wird, wer glaubt, auch die Werke tun, die ich tue. Diese Zusage wird freilich noch in erstaunlicher Weise gesteigert: ja noch größere Werke als diese wird er tun. Was kann mit solchen Werken gemeint sein? Um größere Wunder kann es sich kaum handeln, denn woran könnte dabei gedacht sein?! Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass zunächst die geographische und zeitliche Entgrenzung der Mission der Jünger im Blick ist. Jesu Auftrag war auf das jüdische Siedlungsgebiet in Galiläa, Judäa und Samaria und auf den kurzen Zeitraum von zwei bis drei Jahren beschränkt. Nachdem Jesus seinen Auftrag erfüllt hat und zu seinem Vater zurückgekehrt ist, ist diese Begrenzung aufgehoben, und die Mission der Jünger richtet sich an alle Menschen. Aber gerade die Begründung denn ich gehe zum Vater zeigt, dass dies nur die Außenseite eines sehr viel tiefergreifenden »qualitativen Sprungs« ist. Dadurch, dass Jesus seinen Auftrag erfüllt hat und zum Vater gegangen ist, gewinnt die Offenbarung Gottes in seinem Leben und seinem Tod erst »ihre wahre und definitive Bedeutung« (Zumstein, 533). Was sein Leben und sein Tod wirklich bedeuten, entfaltet sich erst nach seiner endgültigen Verherrlichung. Und es werden seine Jünger sein, die – befähigt durch die Sendung des Geistes – diese »größere« Wahrheit der Welt verkünden. Die Zeit nach dem (äußerlichen) Weggang Jesu wird also keine Zeit der Trauer, sondern des intensiven und vollmächtigen Wirkens sein. Das aber werden Jesu Jünger und Jüngerinnen nicht aus eigener Kraft bewältigen. Deshalb wird in den Abschiedsreden immer wieder die Verheißung ausgesprochen, dass ihre Gebete erhört werden – oft gerade am Ende eines Abschnitts (vgl. 15,7.16; 16,23f). Hier in V. 13f wird diese Zusage sogar zwei Mal gegeben. Zunächst heißt es (11 3): Und was immer ihr in meinem Namen bitten werdet, das werde ich tun. Es geht um ein Bitten in Jesu Namen, das heißt unter Berufung auf seine Zusage und in Übereinstimmung mit seinem Willen. Ganz ungewöhnlich für neutestamentliches Beten aber ist, dass das Gebet an Jesus gerichtet ist und er es ist, der es
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erfüllt. Auch die zweite Verheißung ist so formuliert (11 4): Wenn immer ihr mich in meinem Namen um etwas bitten werdet, werde ich es tun. Offensichtlich soll diese überraschende Formulierung zeigen, »dass es wirklich der erhöhte Christus ist, der in der nachösterlichen Zeit am Werk sein wird und seine Aufgabe durch Vermittlung der Gläubigen fortführen wird« (Zumstein, 534). Das unterstreicht auch die weitere Begründung der Erhörungszusage. Jesus wird tun, was sein Jünger erbitten, damit der Vater im Sohn verherrlicht wird. Das war Inhalt der Sendung Jesu und bleibt das Ziel des Auftrags der Gemeinde. Indem sie sich mit ihren Bitten an Jesus wenden und er tut, was sie erbitten, wird unter den Menschen offenbar, wer Gott wirklich ist: der Gott, der für die Seinen sorgt. Ohne dass es ausdrücklich gesagt wird, ist damit auch deutlich: Es geht nicht um beliebige, persönliche Bitten, sondern um das Gebet für den Dienst der Gemeinde. Mit dieser doppelten Zusage endet dieser erste Teil der ersten Abschiedsrede, der allerdings fast bruchlos in den zweiten übergeht. Auf drei Fragen antwortet Jesus in diesem Abschnitt: Wohin wird er gehen und seine Jünger und Jüngerinnen führen? Wie finden Menschen den Weg zu Gott und damit zum Ziel ihres Lebens? Wozu wird Jesus die Seinen durch die bleibende Verbindung mit ihm befähigen? Am Anfang steht die Zusage: Wohin Jesus gehen wird, dorthin wird er auch die holen, die zu ihm gehören. »Wohnrecht im Himmel« verspricht er ihnen, und das heißt: Für die, die ihr Leben aufgrund seines Wortes ganz Gott anvertrauen, gibt es eine Bleibe bei Gott; ihr Leben ist auch über den Tod hinaus in seiner Liebe geborgen. Wie Menschen den Weg zu Gott finden, das wird eindeutig beantwortet: Jesus selbst ist der Weg, weil er durch seine Person und durch sein Wirken den Zugang zu Wahrheit und Leben, und das heißt: zur Wirklichkeit Gottes als Grund allen Seins, auftut. Darauf ist Verlass. Aber die Kehrseite dieser Gewissheit ist die negative Feststellung: Jesus allein ist der Weg. Niemand kann ohne ihn den Weg zu Gott finden. Ist das nicht das Ende aller Toleranz gegenüber der Gotteserkenntnis anderer Religionen? Vor allem: Kann dieser Anspruch den Juden gegenüber aufrechterhalten werden, die nicht an Jesus als den Messias glauben, aber an dem Bund festhalten, den Gott mit ihrem Volk geschlossen hat? Angesichts dieser drängenden Fragen ist es wichtig, genau wahrzunehmen, was hier positiv gesagt wird. Wie Gott in Jesus begegnet und was er durch ihn zum Heil der Menschen getan hat, kann sachgemäß nur »als ein Akt der Liebe Gottes zu den Menschen verstanden wer-
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den« (vgl. Joh 3,16; 1Joh 4,8.16). Wahrheit und Liebe legen sich gegenseitig aus. Wahrheit gibt es nicht ohne Liebe und umgekehrt. »Der joh(anneische) Absolutheitsgedanke ist nichts anderes als eine Variation der Absolutheit der göttlichen Liebe zu den Menschen in Jesus Christus. Der Wahrheitsanspruch Jesu Christi ist die Unbedingtheit der Liebe« (Schnelle, 301). Es geht hier also nicht um einen Absolutheitsanspruch des Christentums. Der »Absolutheitsanspruch« Jesu in Joh 14,6 ist ein Plädoyer für die Eindeutigkeit Gottes, wie sie durch Jesu Wort und Werk begründet wird. An der Liebe Gottes, die Jesus verkörpert, müssen sich alle Gottesvorstellungen messen lassen – nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Bibel! Eine oft zitierte Parabel vergleicht die menschliche Gotteserkenntnis mit Blinden, die einen Elefanten beschreiben, nachdem sie einen Teil betastet haben. Sie kommen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, die alle richtig sind. Doch was die Parabel sagen will, stimmt nur teilweise. Es gibt Bilder von Gott, die nicht zur Wahrheit, sondern in die Irre führen. Maßstab dafür ist, wie Jesus uns Gott durch sein Leben und Sterben zeigt. Wichtig ist vor allem ein Letztes: Jesu Wort in 14,6 gibt seinen Jüngern und Jüngerinnen einen klaren Wegweiser für ihren eigenen Weg und auch für den Weg, den sie anderen zeigen. Es ist zugleich eine Warntafel, sich nicht auf die Meinung einzulassen, irgendwie seien alle religiösen oder philosophischen Ansichten über Gott und die Welt gleich gültig. Die Erkenntnis, die Jesus schenkt, dass Gott die Liebe ist (1Joh 4,8.16), bleibt der gültige Maßstab. Was Jesus aber den Seinen nicht gibt, ist ein Gesetzesparagraph zur Be- oder Verurteilung aller, die nach ihrer Kenntnis nicht an Jesus glauben. Die Überzeugung, dass Jesus der einzige Weg zu Gott ist, schließt nicht aus, dass es »Jesuswege« gibt, die wir Christen nicht als solche erkennen können und die doch zu Gott führen. Darum gibt Jesus am Schluss des Abschnitts klare Auskunft darüber, wozu ein Leben in Verbindung mit ihm befähigt: Es ist ein Wirken in den Spuren und in der Vollmacht Jesu. Seine Werke zu tun, ja noch größere als er, bedeutet nichts anderes, als das Werk seiner Liebe weiterzutragen. Was sich anhört wie garantierte Gebetserhörung, ist kein Blankoscheck, in den alle denkbaren Wünsche eingetragen werden können, sondern die Zusicherung, dass die Verbindung mit Jesus allen, die zu ihm rufen, immer wieder neu die Kraft geben wird, sein Werk in dieser Welt zu tun. Zu wissen: Es gibt eine bleibende »Wohnung« für sie in der Gemeinschaft mit Gott, wird für die Jünger und Jüngerinnen Jesu also nicht zum Anlass für Weltflucht und Rückzug aus irdischer Verantwortung, sondern schenkt die Kraft, in dieser Welt im Namen Jesu zu wirken.
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14,15–24 Der Geist der Wahrheit und das Kommen Jesu (1. Parakletwort) 15
Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten; 16und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, damit er für immer bei euch sein wird, 17(nämlich) den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn weder sieht noch erkennt; ihr (aber) erkennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. 18Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme zu euch. 19Noch kurze (Zeit wird es sein,) und die Welt wird mich nicht mehr sehen, ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr werdet (auch) leben. 20An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch. 21 Wer meine Gebote hat und sie befolgt, der ist es, der mich liebt; wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und werde mich ihm selbst offenbaren. 22 Sagt zu ihm Judas, nicht der Iskariot: Herr, wie kommt es, dass du dich uns offenbaren willst und nicht der Welt? 23Jesus antwortete und sagte zu ihm: Wenn mich jemand liebt, wird er mein Wort bewahren; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. 24Wer mich nicht liebt, hält meine Worte nicht; und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern von dem Vater, der mich gesandt hat. Dieser zweite Teil der ersten Abschiedsrede ist zwar durch das Motiv des Bittens (V. 16) eng mit dem Schluss des ersten verbunden. Aber er grenzt sich durch ein ganz neues Thema deutlich von dem vorhergehenden und nachfolgenden Gespräch ab: Es geht um den Zusammenhang zwischen der Liebe zu Jesus und dem Halten seiner Gebote. Die V. 15 und 21 sprechen dieses Thema an und rahmen dadurch den ersten Teil. Eine Rückfrage (V. 22) gibt Jesus Anlass, die Konsequenzen solchen Verhaltens positiv und negativ zu benennen (V. 23f). Im Zentrum aber steht die Verheißung des Heiligen Geistes, der als anderer Beistand vorgestellt wird, und die Zusage Jesu, immer bei seinen Jüngern zu bleiben (V. 16–20). Ganz unvermittelt greift Jesus in V. 1 5 ein neues Thema auf: Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. Es wird in unterschiedlichen Variationen immer wieder auftauchen (14,21. 23f.31; 15,10.12f.17). Jesus fragt nach der Liebe seiner Jünger und nennt als wichtigstes Indiz für diese Liebe das Halten seiner Gebote. Die Liebe zu Jesus ist also nicht sosehr eine Sache des Gefühls, sondern des Willens und des Tuns. Allerdings versteht Johannes unter den Geboten Jesu keinen Katalog von gesetzlichen
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Vorschriften. Es geht um das Ganze seiner Botschaft, die Gesamtheit seiner Weisungen. Das zeigt die parallele Formulierung in V. 23: mein Wort halten. Wer Jesus liebt, hält sich an das, was er verkündet und geboten hat. Aber das macht aus denen, die in Zukunft zu Jesus gehören werden, keine Gruppe von Leuten, die versuchen müssen, aus eigener Kraft den von ihrem Stifter hinterlassenen Regeln und Vorschriften zu folgen. Jesus lässt sie nicht allein mit dieser Aufgabe (11 6). Er wird den Vater bitten, dass seine Jünger und Jüngerinnen die Leitung und Hilfe bekommen, die sie brauchen. Darum kann er ihnen versprechen, dass Gott ihnen einen anderen Beistand geben wird. Dessen Kommen ist nicht auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Gott wird ihn senden, damit er für immer bei euch sein wird. Mit Beistand haben wir ein griechisches Wort übersetzt, das im Deutschen schwer adäquat wiedergegeben werden kann. Es wird deshalb oft einfach als das Fremdwort Paraklet ins Deutsche übernommen. Die Schwierigkeit zeigt sich schon daran, dass die gängigen Übersetzungen ganz unterschiedliche Übersetzungsmöglichkeiten wählen: Tröster (LÜ); Fürsprecher (ZB), Helfer (GNB; Menge, alternativ: Anwalt); Beistand (REB; EÜ; BasisBibel), wobei oft in Anmerkungen auch die anderen Begriffe genannt werden. Wörtlich übersetzt bedeutet das griechische Wort jemand, der (zur Unterstützung bzw. als Beistand) herbeigerufen wird. In den außerbiblischen Belegen bezeichnet es jemand, der für einen anderen vor Gericht oder einer anderen Instanz eintritt, also den Fürsprecher, Beistand oder Anwalt. Das Wort ist aber keine Berufsbezeichnung für einen Anwalt vor Gericht. Die Bedeutung Tröster (so LÜ) ist nirgends bezeugt. Im Johannesevangelium wird klar gesagt, wer mit diesem Beistand gemeint ist: Es ist der Geist der Wahrheit (14,17; 15,26) bzw. der Heilige Geist (14, 26), den Gott sendet, um den Jüngern Jesu beizustehen. Die Ausleger haben lange nach Vorbildern für diesen Sprachgebrauch gesucht. Aber weder in der griechisch-hellenistischen Literatur noch in der jüdischen Überlieferung gibt es eine vergleichbare Verwendung des Begriffs. Offensichtlich handelt es sich um eine Formulierung, die in der johanneischen Gemeinschaft entstanden ist, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach aufgrund eines Jesuswortes, das in Mk 13,11 im Rahmen der Endzeitrede überliefert ist. Jesus verheißt seinen Jüngern: Wenn sie sich vor Gericht verantworten müssen, wird ihnen der Geist zu Hilfe kommen, sodass nicht sie es sind, »die reden, sondern der Heilige Geist« (vgl. auch Mt 10,20; Lk 12,11f). Johannes zitiert diese Zusage nicht wörtlich. Aber 15,26f und 16,7–11 zeigen, dass er sie kennt. Die Verheißung, dass Gottes Geist für die Jünger im Gericht spricht, ist zu der Aussage weiterentwickelt worden, dass Gott ihnen den Geist als Beistand senden wird, der sie leitet und lehrt. Eine vergleichbare Zusage findet sich auch bei Paulus in Röm 8,27: »Der Geist tritt für die Heiligen ein«.
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Jesus spricht von einem anderen Beistand. Das kann nur bedeuten, dass er bisher selbst der Beistand, Fürsprecher und Anwalt seiner Jünger war. Tatsächlich wird Jesus in 1Joh 2,1 Beistand genannt, auch für die Zeit nach Ostern: »Wenn aber einer sündigt, haben wir einen Beistand beim Vater: Jesus Christus, den Gerechten« (vgl. Röm 8,34). Im Evangelium wird den Jüngern und Jüngerinnen für diese Zeit Gottes Geist, der Geist der Wahrheit, als der neue, andere Beistand verheißen (11 7). Die Wendung Geist der Wahrheit kommt im Neuen Testament nur in den Abschiedsreden vor (14,17; 15,26; 16,13). Sie findet sich auch in zwei frühjüdischen Schriften, dort aber im Zusammenhang einer Gegenüberstellung des Geistes der Wahrheit und des Geistes des Frevels, die um das Herz des Menschen ringen (vgl. TestJud 20,5; 1QS 3,18f; 4,21). Bei Johannes steht sie dagegen in engem Zusammenhang mit der Selbstbezeichnung Jesu als die Wahrheit. So wie er selbst die Wirklichkeit Gottes unter den Menschen bezeugt und vergegenwärtigt, so wird ihn der Geist Gottes in der Gemeinschaft seiner Jünger und Jüngerinnen vertreten und ihnen diese Wahrheit in ihrer ganzen Fülle erschließen (16,13). Allerdings gibt es eine klare Einschränkung im Blick auf die Wirkung des Geistes: die Welt kann ihn nicht empfangen. Die Welt ist hier die Repräsentantin einer Menschheit, die sich Gottes Wirken verschließt und sich gegen ihn auflehnt. Sie hat kein Organ für seine Gegenwart im Geist, sodass sie ihn weder sieht noch erkennt. Das Wirken des Geistes ist für das menschliche Auge nicht sichtbar. Wer nur glaubt, was er sieht, kann nicht erkennen, wie Gott durch den Geist handelt. Um ihn zu empfangen, muss sich das Auge des Herzens öffnen. Nur so ist das Wirken Gottes im Geist zu »sehen« und zu erkennen. Seinen Jüngerinnen und Jünger und damit auch der nachösterlichen Gemeinde sagt Jesus: Ihr (aber) erkennt ihn, ihr seid offen für das Wirken des Geistes und erkennt in ihm die Gegenwart Gottes. Die Begründung dafür ist überraschend. Dass das so ist, liegt nicht daran, dass sie sich selbst um mehr Offenheit bemühen. Es ist Gottes Geist selbst, der ihnen diese Erkenntnis schenkt: denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Wir begegnen hier einmal mehr dem Hinweis, dass Glaube und Erkenntnis Gottes nicht der eigenen Anstrengung entspringen, sondern der unverdienten Gnade Gottes zu verdanken sind. Warum sie bei den einen wirkt, während sich andere dagegen immunisieren können, wird nicht erklärt. Inhaltlich wird über das Wirken des Geistes zunächst nichts ausgesagt. Entscheidend ist seine Gegenwart: er bleibt bei euch. Die Gemeinde Jesu wird kein verlassener Haufen ohne Führung und
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Begleitung sein. Ja noch mehr: Er wird in euch sein. Der Geist wirkt nicht durch Fremdbestimmung oder Außensteuerung. Er wird die Jünger und Jüngerinnen Jesu von innen her erneuern und bestimmen (vgl. Röm 5,5; 8,11). Doch Jesus kommt zurück zum grundsätzlichen Anliegen der Abschiedsreden: Was wird aus der Gemeinschaft seiner Jünger und Jüngerinnen werden, wenn er nicht mehr unter ihnen sein wird? Auf diese Frage geben die nächsten Verse eine klare Auskunft (V. 18–20). Zunächst die tröstliche Zusage: Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen (V. 18). Waisen waren in der Antike besonders gefährdet, da sie niemand hatten, der für sie eintrat. Jesus wird die Seinen nicht schutzlos der Willkür anderer Mächte preisgeben. Denn – so die Begründung: ich komme zu euch. Diese Aussage überrascht an dieser Stelle, und die Ausleger sehen sich mit zwei Fragen konfrontiert: In welchem Verhältnis steht das Kommen Jesu zur Sendung des Geistes? Und spricht Jesus von seiner Wiederkunft am Ende der Zeit oder von der Begegnung mit ihm nach Ostern? Dafür, dass Jesu endzeitliches Kommen gemeint ist, sprechen der Hinweis in 14,3 und die Wendung an jenem Tag. Auch die Verheißung in V. 19 ihr werdet (auch) leben, scheint sich auf die Auferstehung der Toten zu beziehen. Wäre das gemeint, gäbe es auch keine Konkurrenz zwischen der Sendung des Geistes und dem Kommen Jesu. Aber es gibt zugleich gute Gründe, die für den Bezug auf die Begegnung Jesu nach Ostern sprechen: 1. Wenn Johannes auf endzeitliche Ereignisse hinweist, gebraucht er die Wendung am letzten (bzw. Jüngsten) Tag. 2. Die Zeitangabe Noch kurze (Zeit) kann sich nur auf das Ereignis der Kreuzigung beziehen, und deshalb wird auch die Aussage ihr aber seht mich in V. 19 auf die Erscheinungen Jesu an Ostern hinweisen. 3. Die Zusage Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen ist nur sinnvoll, wenn Jesu Kommen nicht erst am Ende der Zeit erfolgt. Jesus spricht also von der Weise, wie er nach seinem »Weggang« im Tod am Kreuz bei seinen Jüngern sein wird. Ein systematischer Ausgleich mit der Zusage der Gegenwart des Geistes erfolgt nicht. Möglicherweise werden hier unterschiedliche Überlieferungen zusammengefügt. Dem Evangelisten ist gerade die Zusammenschau der Sendung des Geistes mit einer neuen Weise der Gegenwart Jesu wichtig. Im Grunde ist die Trennung Jesu von den Seinen eine optische Täuschung, die nur die Welt betrifft, also die Menschen, die sich seiner Botschaft verschließen. Für sie ist Jesus mit seinem Tod von der Bildfläche verschwunden (1 1 9): Noch kurze (Zeit wird es sein,) und die Welt wird mich nicht mehr sehen. Das aber gilt nicht für
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seine Jünger: ihr aber seht mich, denn ich lebe. An Ostern wird Jesus ihnen als der Lebendige begegnen. Das aber begründet eine neue Gemeinschaft mit ihm. Auch die, die zu ihm gehören, werden in sein Auferstehungsleben mit einbezogen werden: und ihr werdet (auch) leben. Diese Zusage hat ihre Wurzel in der Überzeugung der frühen Christenheit, dass die Auferstehung Jesu die zukünftige Auferstehung derer, die an ihn glauben, begründet (vgl. 1Kor 15,20–22; 2Kor 4,14; Röm 8,11). Aber schon für Paulus ist klar, dass die Verbindung mit dem auferstandenen Christus bereits jetzt neues Leben schenkt (vgl. Röm 6,4: »… damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln«; weiter 2Kor 5,14f; Gal 2,20; Kol 2,12f). Im 4. Evangelium wird dies zum Zentrum der christlichen Hoffnung: Wer an Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, glaubt, wird hineingenommen in das Leben, das er mit Gott lebt: Ewiges Leben beginnt schon hier. Das Datum an jenem Tag ist also der Ostersonntag, doch zugleich jeder Zeitpunkt, an dem ein Mensch hineingenommen wird in die Wirklichkeit des Osterereignisses und mit den Augen, die der Glaube schenkt, sieht: Jesus lebt. Dann, sagt Jesus, werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch (2 2 0) . Zu glauben, dass ich im Vater bin und er in mir, ist nach 14,10f Inhalt des Glaubens an Jesus. Hier nimmt er auch seine Jünger und Jüngerinnen in diese Gemeinschaft auf. Wer dem lebendigen Christus begegnet, wird nicht nur erkennen, dass dieser ganz von der Gemeinschaft mit dem Vater bestimmt ist. Er wird auch erfahren: Dieses Ineinander und Miteinander gilt auch für das Verhältnis zwischen Jesus und denen, die zu ihm gehören. »Die Gemeinschaft Jesu mit seinem Vater ist von nun an eine mit den Jüngern geteilte Gemeinschaft« (Zumstein, 543). Das aber ist die entscheidende Antwort, die gewiss macht: Jesus wird die Seinen nicht allein lassen! Doch diese Gemeinschaft wird nicht in mystischer Verschmelzung gelebt, sondern in einer Beziehung, die durch Liebe geprägt ist, und zwar einer Liebe, die von gegenseitigem Geben und Nehmen lebt. Hier kommt Jesus noch einmal auf sein Wort am Anfang dieses Abschnitts zurück (vgl. V. 15): Wer meine Gebote hat und sie befolgt, der ist es, der mich liebt (2 2 1). Wie wir schon bei V. 15 sahen: Bei Jesu Geboten handelt es sich nicht um einen Katalog gesetzlicher Vorschriften, die man zu akzeptieren hat. Es geht darum, sich für seine Worte und Weisungen zu öffnen und nach ihnen zu leben. In gewissem Sinne ist das eine Umschreibung dessen, was lebendiger Glaube ist. Wer an Jesus glaubt, liebt ihn.
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Das aber ist die Tür, die in die Gemeinschaft mit Gott, Vater und Sohn, führt. Sie ist von gegenseitiger Liebe bestimmt: wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben. Geliebt zu werden gibt dem Leben eines Menschen Halt und Sinn. In der Beziehung zu Christus, und durch ihn in der Beziehung zu Gott und seiner Liebe, »erfährt die Beziehungsfähigkeit eines Menschen, sein Bedürfnis nach Nähe, nach einem bis ins Letzte verlässlichen Gegenüber eine ganz eigene Erfüllung« (Dietzfelbinger II, 62). Die Öffnung der Glaubenden für Jesus und sein Wort findet ihre Entsprechung in der Öffnung Jesu für sie. Jesus verspricht denen, die ihn lieben: Ich werde mich ihnen selbst offenbaren. Er, der Gekreuzigte, wird sich an Ostern den verängstigten Jüngern als der Lebendige zeigen. Das aber wird auch dort geschehen, wo sich Menschen in die Liebe Jesu einladen lassen. Dann wird der Jesus der Vergangenheit lebendig und zeigt sich als der, durch den und in dem uns Gott ganz nahe ist. Eine letzte Frage bleibt offen. Ein Jünger namens Judas stellt sie, von dem sofort gesagt wird, dass er nicht der Iskariot, also der Verräter ist. In der Liste der Zwölf, die Lukas überliefert, taucht ein zweiter Judas, Sohn des Jakobus, auf (Lk 6,16). Er fragt (22 2): Herr, wie kommt es, dass du dich uns offenbaren willst und nicht der Welt? Hinter dieser Frage mögen Einwände von nichtchristlichen Kritikern stehen: Warum hat sich der Auferstandene nur seinen Jüngern gezeigt? Aber die Frage greift auch ein Problem auf, das wir heute mit dem Grundduktus der Abschiedsreden haben: Warum richten sie sich ausschließlich an die Gemeinschaft der Jünger? Ist die Liebe Gottes zur Welt, die ihn nach 3,16 zur Sendung des Sohnes motiviert hat, völlig ausgeblendet? Jesu Antwort (2 2 3f ) greift noch einmal die Aussagen von V. 21 auf (vgl. auch V. 15). Sie geht nicht direkt auf die Frage des Judas ein. Aber sie stellt klar, warum die Erfahrung, dass Jesus lebt, so vielen verschlossen bleibt: Nur die Liebe öffnet den Zugang zur Begegnung mit der Wirklichkeit des Auferstandenen. Zunächst formuliert Jesus diesen Sachverhalt positiv: Wenn mich jemand liebt, wird er mein Wort bewahren; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Dabei stellt er nicht pauschal die böse Welt der Gemeinde der Jünger gegenüber. Die Entscheidung fällt bei jedem Einzelnen. Wer sein Leben Jesus anvertraut und sich von seiner Liebe anstecken lässt, wird auch seine Botschaft und sein Gebot aufnehmen und festhalten. Das aber öffnet die Tür für eine neue Beziehung zu Gott. Denn »die Liebe Gottes trägt Jesus, so dass alle, die Jesus lieben und
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sein Wort beachten, auch die Liebe des Vaters erfahren« (Schnelle, 305). Das führt zu einer ganz neuen, intensiven Gemeinschaft mit Vater und Sohn: wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Zu Beginn der Rede in 14,2f hatte Jesus von den vielen Wohnungen im Haus des Vaters gesprochen, wo er einen Platz für seine Jünger vorbereiten würde. Jetzt geht die Bewegung in die umgekehrte Richtung: Wer Jesus liebt und sein Wort bewahrt, wird selbst zum Haus Gottes, zum Ort, wo Gott und Jesus Wohnung nehmen. Gemeinschaft mit Gott gibt es nicht erst bei der endzeitlichen Wiederkunft Jesu. Jesus kommt schon heute, und wo er Einlass in ein Leben findet, da wohnt auch Gott (vgl. die Rede von den Christen bzw. der Gemeinde als Tempel Gottes bei Paulus; 1Kor 3,16f; 6,19). Aber es muss auch die negative Seite der Zusage Jesu benannt werden (2 2 4): Wer mich nicht liebt, hält meine Worte nicht. Wer die Liebe Gottes, die Jesus lebt, nicht erwidert, wird auch seine Botschaft nicht annehmen und nach ihr leben. Aber merkwürdigerweise werden nun nicht parallel zu den positiven Aussage die negativen Konsequenzen dieser Haltung aufgezählt, sondern Jesus macht noch einmal deutlich, warum es lebenswichtig ist, sich seiner Botschaft zu öffnen: das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern von dem Vater, der mich gesandt hat. Was Jesus sagt, ist von Gott selbst autorisiert. Er ist mit seiner Person, seinem Reden und Handeln nichts anderes als die Verkörperung und Aktualisierung des ersten Gebots und seiner Auslegung durch das doppelte Liebesgebot (Ex 20,2f; Dtn 5,6f; 6,4f; Lev 19,18). Nicht allein werden die Jüngerinnen und Jünger Jesu sein, auch wenn Jesus nicht mehr leibhaftig unter ihnen sein wird. Gottes Geist, der Geist der Wahrheit, wird bei ihnen sein und Jesu Person und Werk auf neue Weise unter ihnen vergegenwärtigen. Wie der Geist wirkt, signalisiert Jesus im 4. Evangelium durch den Namen Paraklet, mit dem er den Geist vorstellt: Er ist Beistand und Fürsprecher, Anwalt und Helfer, kurz: einer, der da ist, wo man ihn braucht. In diesem Sinne mag er auch Tröster sein, wie Luther das Wort übersetzt. Doch setzt diese Übersetzung für heutiges Sprachgefühl ein missverständliches Signal. Der Geist tröstet nicht über den Verlust Jesu hinweg, sondern ermutigt zu neuem Handeln, indem er Jesus und sein Wort vergegenwärtigt. Der Name Paraklet für den Heiligen Geist findet sich nur bei Johannes, die Sache begegnet jedoch auch bei Paulus in Röm 8,26f, wenn es heißt: »Der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen«. Die weiteren Worte über das Wirken des Parakleten werden das entfalten (vgl. 14,26; 15,26; 16,7–11.13f). Dabei fällt auf, dass
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außerordentliche Erscheinungen und enthusiastischer Überschwang keine Rolle spielen. Der Geist wirkt im Wort und in der Liebe. Der Hinweis auf die Liebe und die Gemeinschaft, die sie stiftet, ist die zweite Begründung, durch die Jesus seinen Jüngern und Jüngerinnen zusichert, dass sie nicht allein sein werden. Sie sind hineingenommen in die Liebe Gottes und Jesu. Das aber führt zu einer neuen Gemeinschaft mit Jesus, die ihr bisheriges Miteinander an Intensität übertreffen wird. Die Schar der Jünger und Jüngerinnen Jesu wird nach Ostern in ganz neuer Weise Ort der Gegenwart Jesu und des Vaters sein (V. 23). Die Verbindung zwischen dem Kommen des Geistes und einem Leben in der Liebe wird nicht ausdrücklich benannt. Aber das Ineinander der Motive Geist und Liebe weist auf das, was bis heute das Wesen echter Geistesgegenwart ausmacht: »Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist« (Röm 5,5). 14,25–31 Der Geist als Lehrer und der Friede Christi (2. Parakletwort) 25
Das habe ich euch gesagt, solange ich (noch) bei euch bleibe. Aber der Beistand, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen schicken wird, der wird euch alles lehren und wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. 27 Frieden lasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch. Nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch. Euer Herz soll nicht erschrecken und nicht verzagt sein. 28Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe weg und komme (wieder) zu euch. Wenn ihr mich lieben würdet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe, denn der Vater ist größer als ich. 29Und (schon) jetzt habe ich es euch gesagt, bevor es geschieht, damit ihr glauben werdet, wenn es geschieht. 30Ich werde nicht mehr viel mit euch sprechen (können), denn der Herrscher der Welt kommt. Doch er hat keine Macht über mich, 31sondern (das geschieht,) damit die Welt erkennen soll, dass ich den Vater liebe, und wie mir der Vater aufgetragen hat, so handle ich (auch). Steht auf, lasst uns von hier weggehen. 26
Die V. 25f schließen eng an den vorhergehenden Abschnitt an. Viele Ausleger beginnen den neuen Abschnitt daher erst mit V. 27 und sehen in den V. 27–31 das Schlusswort der ersten Abschiedsrede. Aber die Wendung Das habe ich euch gesagt markiert oft Anfang oder Ende eines Abschnittes (vgl. 16,4b.33); sie wird hier noch einmal in V. 29 aufgenommen und bindet so die beiden Teile zusammen. Auch inhaltlich schlägt das zweite Parakletwort in V. 26 ein neues Thema an. Das wird freilich nicht wei-
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ter entfaltet, denn die V. 27–31 bilden den zusammenfassenden Abschluss der ganzen Rede. V. 2 5 blickt auf das bisher Gesagte zurück, führt aber zugleich zur nächsten Aussage über das Kommen des Geistes hin: Das habe ich euch gesagt, solange ich (noch) bei euch bleibe. Hier zeigt sich sehr schön, dass die Abschiedsreden auf zwei verschiedenen Zeitebenen gedacht und formuliert sind. Obwohl Jesus das kurz vor seiner Verhaftung sagt, blickt er doch schon zurück auf die Zeit, in der er bei seinen Jüngern war bzw. unter ihnen geblieben ist. Das erinnert an ihre erste Begegnung mit ihm, bei der sie ihm folgen und ihn fragen: »Rabbi, wo wohnst (= bleibst) du?« Dieses Bleiben und Wohnen des Fleisch gewordenen Wortes unter den Menschen ist von entscheidender Bedeutung (vgl. 1,14); seine Zeit ist jedoch begrenzt. Was aber kommt danach? Darauf gibt das zweite Parakletwort Antwort (2 2 6): Aber der Beistand, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen schicken wird, der wird euch alles lehren und wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Hier wird der Beistand oder Fürsprecher (griechisch: Paraklet) ausdrücklich mit dem Heiligen Geist identifiziert und damit die Brücke zum allgemeinen biblischen Sprachgebrauch geschlagen. Gott, der Vater, wird ihn schicken, aber im Namen des Sohnes; die Einheit ihres Wirkens ist also auch in der Sendung des Geistes gewahrt. Nun wird zum ersten Mal auch inhaltlich etwas über den Auftrag des Geistes gesagt: Er wird euch alles lehren und wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Die Aufgabe des Geistes besteht also zunächst in nichts anderem als darin, die Botschaft Jesu, die er im Namen des Vaters verkündet hat, lebendig zu erhalten. Dabei werden zwei Funktionen genannt: Der Geist wird lehren, das heißt: Er wird Jesu Lehren in der Synagoge (6,59; 18,20) oder im Tempel (7,14.28; 8,20) fortsetzen und für die Situation der Gemeinde der Jünger und Jüngerinnen aktualisieren. Aber er wird dies tun, indem er sie an das erinnert, was Jesus gelehrt und gesagt hat. Der Geist offenbart keine neuen Erkenntnisse über Gott und sein Tun, nichts, was über Gottes Handeln in Jesus Christus hinausführen würde. Aber bei solchem Erinnern geht es nicht um ein einfaches Wiederholen dessen, was Jesus damals gesagt hat, kein buchstäbelndes Einschärfen der Worte Jesu. Dieses Erinnern ist ein kreativer Prozess, es ist »ein Erinnern, das in ein vorher nicht gekanntes Verstehen hineinführt« (vgl. 2,17.22; 12,16; Dietzfelbinger II, 67) Es geht »um die Vergegenwärtigung des Vergangenen in einer durch die Gegenwart des Geistes bestimmten Auslegung« (Schnelle, 308f).
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Durch dieses Ineinander von Lehren und Erinnern im Wirken des Geistes gewinnt die johanneische Theologie die Freiheit zu einer auf die Gegenwart bezogenen und zukunftsweisenden Auslegung der Botschaft Jesu, die aber an der ein für alle Mal in Jesus Christus geschehene Offenbarung in großer Treue festhält. Man kann das ganze Evangelium in seiner freien Gestaltung der Jesusüberlieferung und seinem Festhalten an ihren Grunddaten als erstes Beispiel für dieses Wirken des Geistes und seine Rolle als Beistand und Begleiter der Gemeinde bezeichnen. Die V. 2 7–31 bilden das eindrucksvolle Schlusswort zur ersten Abschiedsrede Jesu. Hier wird noch einmal ganz ernsthaft die Situation ins Auge gefasst, dass Jesus (zumindest nach dem Augenschein) seine Jünger verlässt (V. 28f), und eine Antwort auf die Frage gesucht, was das für sie bedeutet. Jesu Zusage: Frieden lasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch (22 7) gehört sicher zu den bekanntesten und meist zitierten Worten der Abschiedsreden. Sie bekommt ihr klares aber Profil erst, wenn sie im Zusammenhang gelesen wird. Es ist ein Wort an eine verunsicherte Schar von Jüngern, die ängstlich in eine bedrohliche Zukunft blickt, und damit auch an eine angefochtene Gemeinde, die sich der Gegenwart ihres Herrn und Meisters nicht immer gewiss ist. Nicht umsonst steht am Beginn der eigentlichen Rede in 14,1 die Aufforderung: Euer Herz soll sich nicht erschüttern lassen. Sie wird hier mit etwas anderen Worten wiederholt und durch die Ergänzung und nicht verzagt sein verstärkt. Gegen all das, was die Jünger und Jüngerinnen Jesu mit Grund erschrecken und in Angst versetzen könnte, stellt Jesus sein Versprechen: Frieden lasse ich euch. Was er bei den Seinen zurücklässt, ist nicht die große Leere des Verlassenseins, in der sich Angst und Schrecken breitmachen können. Was er ihnen zum Abschied lässt, ist Friede, alttestamentlich gesprochen Schalom, also Fülle des Lebens aus Gottes Hand, Geborgenheit, die eine geheilte Beziehung zu Gott schenkt, und die Gewissheit, von Gott geliebt zu sein. Solcher Friede übersteigt die Möglichkeit menschlicher Friedensarbeit. Jesus macht das durch zwei Erläuterungen klar. Die erste lautet: meinen Frieden gebe ich euch. Die Gewissheit der Liebe Gottes, die neue Gemeinschaft mit ihm und das Ende allen Lebenshungers und -dursts durch das Geschenk wahren Lebens, all das, was wirklichen Frieden ausmacht, ist Frucht der Begegnung mit Jesus. Mit Eph 2,14 könnte auch Johannes sagen: »Er ist unser Friede«. Diese Frucht bleibt und wird denen, die zu ihm gehören, neu zuteil durch das Geschenk des Geistes, der Beistand und Anwalt in schwierigen Zeiten ist. Bei der ersten Begegnung des Auferstandenen mit dem Kreis der Jünger und Jüngerinnen wird dieser Zu-
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sammenhang noch einmal ganz anschaulich werden (20,21f). Auf Jesu Zuspruch »Friede sei mit euch!« folgt die Beauftragung und die Begabung mit dem Heiligen Geist. Aber zur Erklärung ist auch die negative Abgrenzung nötig: Nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch. Es gibt so viele Friedensangebote in dieser Welt. Manche entspringen zumindest einem guten Willen, andere sind von vornherein trügerisch oder dem Eigennutz verpflichtet. Es ist nicht sicher, ob Johannes bei dieser Formulierung konkret an die Problematik der Pax Romana denkt, also der Friedensordnung, die durch die Herrschaft der Römer über das ganze Mittelmeergebiet geschaffen wurde. Diese hatte zweifellos auch gute Seiten und wurde von vielen Zeitgenossen hoch gepriesen, insbesondere dort, wo man sich an die schrecklichen Zeiten der Bürgerkriege erinnerte. Aber sie hatte auch ihren Preis, weil sie vielfach nur durch die gewaltsame »Befriedung« aufmüpfiger Bevölkerungsgruppen aufrechterhalten werden konnte. Das jüdische Volk musste das in dieser Zeit in zwei mörderischen Kriegen schmerzlich erfahren, und für die junge Christenheit, die von ersten Verfolgungen betroffen war, war die Versuchung groß, um des lieben Friedens willen wesentliche Inhalte ihres Glaubens aufzugeben. Wirklicher Friede aber ist ein Geschenk Gottes und bewährt sich auch, wenn die äußeren Umstände bedrohlich scheinen. Darum kann Jesus seine Jünger ermutigen: Euer Herz soll nicht erschrecken und nicht verzagt sein. Auch wenn ich äußerlich von euch getrennt werde, mein Friede und damit die Gewissheit, in Gottes Hand geborgen zu sein, bleiben euch. Doch noch einmal wird die Situation des Abschieds angesprochen (22 8f ): Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe weg und komme (wieder) zu euch. Auch hier bleibt offen, worauf sich das Ich komme (wieder) zu euch bezieht. Ist die nachösterliche Begegnung mit dem Auferstandenen oder Jesu Wiederkunft am Ende der Zeit gemeint oder vielleicht das Kommen des Beistands, also des Heiligen Geistes (vgl. zu 14,18–20)? Die folgenden Aussagen in V. 29 sprechen dafür, dass Jesu Kommen an Ostern gemeint ist, ein Kommen, das durch das Wirken des Geistes immer wieder neu vergegenwärtigt wird. Wer Jesu Weggang in dieser Perspektive sieht, sollte eigentlich nicht traurig sein. Daher der Vorwurf Jesu an die Jünger: Wenn ihr mich (wirklich) lieben würdet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe. Damit wird nicht grundsätzlich ihre Liebe zu Jesus, wie sie in den V. 15, 21 oder 23 beschrieben wurde, in Frage gestellt. Aber noch sind sie zu sehr von dem gefangen, was sie selbst ängstigt und bedroht, als dass sie verstehen und bejahen
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könnten, was der Weg Jesu in Wirklichkeit bedeutet: seine Rückkehr zum Vater. Er ist Ursprung und Ziel der Sendung Jesu. Darum erklärt Jesus: Der Vater ist größer als ich. Von ihm bin ich ausgegangen, zu ihm kehre ich zurück. So sehr im Johannesevangelium die Willens- und Handlungseinheit von Vater und Sohn betont wird, so klar bleibt doch die Unterordnung unter den Vater grundlegend für das Wirken des Sohns. Der Vorwurf Jesu an die Jünger ist auch eher ein Impuls an die Leser und Leserinnen des Evangeliums: Sie sollen verstehen, dass Jesu Weg in den Tod sein Wirken zu ihrem Heil vollendet, und dies in dankbarer Liebe bejahen. Auf sie, also auf die nachösterliche Gemeinde, zielt ja auch die folgende Bemerkung Jesu (2 2 9): Und schon jetzt habe ich es euch gesagt, bevor es geschieht, damit ihr glauben werdet, wenn es geschieht. Fast mit den gleichen Worten hatte Jesus schon in 13,19 angesichts des Verrats des Judas argumentiert. Jetzt gilt seine Vorhersage dem zentralen Ereignis von Kreuz und Auferstehung. Hier zeigt sich eine wichtige Intention der Abschiedsreden Jesu. Sie sollen der nachösterlichen Gemeinde die Gewissheit schenken: Jesu Geschick hat seine Ursache nicht in der Willkür böser Menschen, sondern im Heilsplan Gottes, der sich nach seinem Willen erfüllt. Die Wendung: damit ihr glauben werdet könnte auch übersetzt werden mit: damit ihr zum Glauben kommen werdet (so REB). Wir haben das an dieser Stelle nicht getan, weil nicht der Eindruck entstehen soll, als seien Jesu Jüngerinnen und Jünger noch ungläubig. Aber die Art der Formulierung im Griechischen deutet an, dass ihr Glaube kein endgültiger Besitz ist, sondern ihnen nach den Ereignissen des Karfreitags neu geschenkt werden muss. Jesu Worte zeigen, »dass die Geburtsstunde des Glaubens nachösterlich ist: nach seinem Weggang, also nach dem Kreuz und Ostern« (Zumstein, 549). Aber die Zeit des Redens und Erklärens ist begrenzt. Jesu Passion steht unmittelbar bevor (3 3 0f ). Jesus sagt dies mit knappen Worten: Ich werde nicht mehr viel mit euch sprechen können, denn der Herrscher der Welt kommt. Anders als in Mk 14,41f weist Jesus nicht auf das Kommen des Verräters hin. In Wirklichkeit ist es der Herrscher der Welt, der kommt, d.h. der Teufel, dessen Werkzeug Judas geworden ist (vgl. 13,2). Er meint, Jesus überwältigen zu können und seine Sendung scheitern zu lassen. Aber das wird ihm nicht gelingen, denn – so sagt Jesus – er hat keine Macht über mich (wörtlich: er hat nichts an mir). Er wird zwar Jesus dem Tod ausliefern, aber gerade so wird dieser seinen Gehorsam seinem Vater gegenüber unter Beweis stellen und seinen Auftrag er-
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füllen. Er wird nicht zum Opfer des Bösen, sondern durch seinen Tod den Sieg über ihn erringen (vgl. 16,11). Denn darin liegt der Sinn des Wegs Jesu ans Kreuz. Er geht ihn 3 1), damit die Welt erkennen soll, dass ich den Vater liebe und (3 so handle, wie mir der Vater aufgetragen hat. Ganz überraschend ist es nun doch die Welt, für die Jesus ins Leiden geht. »Die Botschaft des Kreuzes ist gerade an die Welt gerichtet«. Denn »am Kreuz wird die Liebe des Sohnes für den Vater offenbart. Der Sohn geht ans Kreuz, um das Werk zu vollenden, das ihm der Vater übertragen hat, und um dessen Wirklichkeit voll und ganz zu offenbaren« (Zumstein, 550). Das aber soll (und kann) die Welt am Kreuz erkennen (vgl. auch 17,21.23). Gerade im Erleiden dieses schmählichen Todes handelt Jesus aus der Liebe Gottes heraus, die ihn auf diesen Weg geschickt hat (3,16). Dass Jesus Herr des Geschehens ist, macht auch sein letztes Wort deutlich: Steht auf, lasst uns von hier weggehen. Er wird nicht von den Machenschaften des Widersachers überrascht. Er geht bewusst seiner Verhaftung und seinem Tod am Kreuz entgegen. Damit scheint alles Nötige gesagt. Ihr bleibt nicht allein! Mit diesen Worten kann man die Botschaft der ersten Abschiedsrede zusammenfassen. Das wird mit zwei Zusagen Jesu begründet: Gott wird im Namen Jesu den Heiligen Geist senden, der alles lehrt und an alles erinnert, was Jesus gesagt hat. Durch ihn bleibt Jesu Botschaft in der Gemeinde seiner Jünger und Jüngerinnen lebendig. Und er wird ihnen seinen Frieden lassen: Die Geborgenheit und die Zuversicht, die seine Gegenwart ihnen geschenkt hat, werden ihnen nicht genommen werden. Menschen, die zu Jesus gehören, sind nicht allein, auch wenn Jesus nicht mehr leiblich unter ihnen weilt. Er bleibt mit seiner Liebe bei ihnen. Damit sind die drei Ebenen angedeutet, auf die die Botschaft der Abschiedsreden zielt: Vordergründig setzen sie die Lage der Jünger angesichts der bevorstehenden Trennung von Jesus voraus. Aber was Jesus ihnen sagt, wird transparent für die Situation der christlichen Gemeinden am Ende des ersten Jahrhunderts, die ihren Weg suchen und sich fragen, wie Jesus bei ihnen gegenwärtig bleibt. Damit aber spricht diese Botschaft auch zur Gemeinde Jesu bis heute und zu allen, die unter der scheinbaren Abwesenheit Jesu leiden und seine Gegenwart erfahren wollen. Drei Schwerpunkte hat die Botschaft der ersten Abschiedsrede: 1. Die bleibende Bedeutung Jesu. Durch seinen Tod kehrt er zum Vater zurück. Aber weil damit alles, was er war und tat, bei Gott aufgehoben ist, verschwindet es nicht im Grab der Geschichte, sondern wird in seiner entscheidenden Bedeutung bestätigt. Jesus ist und
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bleibt der Weg zu Gott, weil er das wahre Wesen Gottes offenbart (14,6f). Und er führt die, die sich ihm anvertrauen, ans Ziel ihres Lebens, in die bleibende Gemeinschaft mit Gott (14,2f). 2. Die Sendung des Geistes. Indem Gott seinen Geist sendet, erfahren die Jünger und Jüngerinnen Jesu auf neue Weise die Gegenwart der Zuwendung Gottes: Er ist für sie Beistand und Fürsprecher, Anwalt und Helfer; sie sind nicht allein, auch wenn sie sich einsam und verlassen fühlen (14,16f.26). 3. Die Liebe als tragender Grund der Gemeinschaft mit Gott. Die Liebe zu Jesus wird zur Tür, durch die Gottes Liebe in das Leben eines Menschen einzieht. Durch sie wird die Beziehung zwischen Gott und Jesus und denen, die zu ihm gehören, zu einem lebendigen Miteinander, einer schöpferischen »Wohngemeinschaft« (14,21.23). Es bleiben Fragen offen: Wie wird sich das Leben der Gemeinde der Jünger und Jüngerinnen Jesu nach seinem Abschied von ihnen gestalten? Wie wird der Geist als Beistand unter ihnen wirken und für sie einstehen? Wie werden sie ihre Angst vor Bedrohung und Verfolgung überwinden können? Auf diese Fragen wird die zweite Abschiedsrede antworten. 15,1 – 16,33 Die Ermutigung der Bleibenden – zweite Abschiedsrede Die erste Abschiedsrede schloss mit den Worten: Steht auf, lasst uns von hier weggehen (14,31). Die perfekte Fortsetzung dieser Aufforderung findet sich in 18,1: Als Jesus das gesagt hatte, ging er mit seinen Jüngern hinaus. Warum der Evangelist in 15,1 Jesus ohne jede einleitende Bemerkung weiterreden lässt und damit eine zweite Rede und ein Gebet Jesu einfügt, gehört zu den großen Rätseln des 4. Evangeliums. Die nächstliegende Erklärung dafür ist, dass der ganze Abschnitt 15–17 erst in einem zweiten Arbeitsgang eingefügt wurde – entweder vom Evangelisten selbst, der noch neue Gesichtspunkte nachtragen wollte, oder von seinen Schülern (vgl. 21,24), die hier Material unterbrachten, das sie im Nachlass des Verfassers gefunden oder selbst weiterentwickelt hatten. Aber wer immer für diese Erweiterung des Textes verantwortlich war, ganz unbedacht ist die zusätzliche Rede Jesu nicht hinter 14,31 eingeschoben worden. Denn es wäre ja ein Leichtes gewesen, den neuen Text schon einen Satz früher einzufügen. Offensichtlich ist die Spannung zwischen der Aufforderung zum Aufbruch, der zur Trennung von Jesus führt, und die Mahnung zum
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Bleiben in ihm (15,4) beabsichtigt. Die Jünger und damit auch die spätere Gemeinde bleiben mit Jesus verbunden, auch wenn es zur äußeren Trennung kommt. Zwischen der ersten und der zweiten Abschiedsrede gibt es eine ganze Reihe thematischer Entsprechungen (s. die Tabelle auf S. 87). Aber die Perspektive der beiden Reden ist verschieden. Bei der ersten geht es darum, die Bedeutung des Wegs Jesu zum Vater deutlich zu machen. Bei der zweiten Rede ist der Blick auf die Zurückbleibenden gerichtet und auf die Verheißung, die Jesus ihnen zum Abschied gibt. Viele Ausleger sind der Meinung, dass 15,1 – 16,33 zwei Reden enthält. Der Beginn der zweiten wird dann entweder bei 16,4b oder 16,16 gesehen. Aber die Uneinigkeit der Exegeten zeigt, dass es keine klare Zäsur gibt. Der ganze Abschnitt ist ja auch vom Evangelisten weniger als eine formelle »Rede« stilisiert, sondern als ein zweites Gespräch Jesu mit den Jüngern, allerdings mit einer langen monologischen Einleitung. Es gliedert sich wie die erste Rede in drei Teile: Auch hier ist der erste Teil (15,1–17) durch ein Ich-binWort Jesu geprägt, während der zweite (15,18 – 16,4a) und dritte (16,4b–15) um das 3. bzw. 4. und 5. Parakletwort komponiert ist. Das abschließende Gespräch (16,16–33) ist das Gegenstück zur Einleitung der ersten Rede. Das ergibt folgende Gliederung: 15,1–17 Jesus – Grund und Kraftquelle der Gemeinde 15,18 – 16,4a Der Hass der Welt und der Geist als Zeuge (3. Parakletwort) 16,4b–15 Der Geist als Ankläger und Führer (4. und 5. Parakletwort) 16,16–33 Abschließendes Gespräch: Der Sieg über die Welt
15,1–17 Jesus – Grund und Kraftquelle der Gemeinde 1
Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen, und jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, damit sie mehr Frucht bringt. 3Ihr seid schon rein durch das Wort, das ich zu euch gesprochen habe. 4Bleibt in mir, und ich (bleibe) in euch. So wie die Rebe aus sich selbst keine Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. 5Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, bringt viel Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun. 6 Wenn jemand nicht in mir bleibt, wird er wie die Rebe weggeworfen werden und verdorren, und man sammelt sie und wirft sie ins 2
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Feuer, und sie verbrennen. 7Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet, was immer ihr wollt, und es wird euch (zuteil)werden. 8Dadurch wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und meine Jünger seid. 9 Wie mich mein Vater geliebt hat, (so) habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! 10Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, wie ich die Gebote meines Vaters befolgt habe und in seiner Liebe bleibe. 11Das habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und eure Freude ganz erfüllt wird. 12Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe. 13 Größere Liebe hat niemand als die, dass er sein Leben für seine Freunde hingibt. 14Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. 15Ich nenne euch nicht mehr Sklaven, denn der Sklave weiß nicht, was sein Herr tut; ich aber habe euch Freunde genannt, denn alles, was ich vom meinem Vater gehört habe, habe ich euch wissen lassen. 16Nicht ihr habt mich für euch ausgewählt, sondern ich habe euch für mich ausgewählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, was immer ihr den Vater in meinem Namen bittet, er euch gibt. 17Dies habe ich euch geboten, dass ihr einander liebt. Jesu Aufforderung zum Aufbruch in 14,31 weist auf die bevorstehende Trennung von ihm. Aber »der Trennung setzt Johannes die Verbundenheit entgegen. Obwohl Jesus geht, bleibt die Gemeinde mit ihm verbunden, so wie Weinstock und Reben innig miteinander verbunden sind« (Schnelle, 316). Dieser erste Abschnitt der zweiten Abschiedsrede gliedert sich in zwei Teile. Im Mittelpunkt des ersten Teils (V. 1–8) steht die Bildrede von Jesus als dem wahren Weinstock und daraus abgeleitet die Mahnung, eng mit ihm verbunden zu bleiben. Der zweite Teil (V. 9–17) interpretiert das Bleiben in Jesus als Bleiben in seiner Liebe (V. 9). An seinem Anfang und Ende wird das Thema Liebe entfaltet: Aus der Wirklichkeit der Liebe Jesu (V. 9.12f) wird das Gebot abgeleitet, einander zu lieben (V. 12.17). Jeweils am Ende der beiden Teile steht die Verheißung der Gebetserhörung und der Hinweis auf die Bestimmung, Frucht zu bringen (V. 7f.16). Ich bin der wahre Weinstock – das ist das letzte der Ich-bin-Worte Jesu (11 ). Ohne Einleitung steht es am Anfang des Abschnitts und wird in V. 5 noch einmal aufgenommen. Das Bild vom Weinstock war den Menschen im Land der Bibel und im ganzen Mittelmeerraum vertraut. Weinbau war und ist dort ein wichtiger Zweig der Landwirtschaft. Das Bild hat deshalb eine eindrucksvolle Vorgeschichte im Alten Testament. Jesaja verglich in seinem Weinberg-
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lied (5,1–7) Israel mit einem Weinberg, der keine Frucht bringt, obwohl der Weinbergbesitzer alle Mühe an ihn gewandt hat. Häufig wird das Volk als edler Weinstock bezeichnet, den Gott in gute Erde gepflanzt hat, der sich aber weigert, Frucht zu bringen (Jer 2,21; Ez 17,5–10; Ps 80,9–20). Dabei ist der Text von Jer 2,21 besonders interessant. Die griechische Übersetzung in der Septuaginta lautet: »Ich aber, ich pflanzte dich als fruchtbaren Weinstock, ganz wahr und echt. Wie hast du dich in Bitterkeit gewandelt, du fremder Weinstock!« Dieser Feststellung steht nun Jesu Wort gegenüber: Ich bin der wahre Weinstock. Wahr heißt im johanneischen Sprachgebrauch nicht nur das, was wahrhaftig und echt ist, sondern das, was der Wirklichkeit Gottes entspricht und Gottes Willen und Wesen offenbart. Dass Jesus der wahre Weinstock ist, heißt also: Er ist der Ort der Gegenwart und des Wirkens Gottes. Darum geht es bei diesem Ich-bin-Wort nicht nur um Jesus und seine Bedeutung, sondern auch um die Gemeinschaft, die aus der Verbindung mit ihm erwächst und lebt. Zunächst aber führt Jesus das Bild vom Weinstock weiter aus und zeigt, was seine Verbindung mit Gott bedeutet: Mein Vater ist der Weingärtner. Das heißt: Ihm gehört der Weinstock, er ist sein »Gewächs«. Das ist wichtig. »Jesus ist nur ›wahr‹, weil er von Gott kommt« (Zumstein, 562). Bei der Beschreibung dessen, was der Weingärtner tut, wird nun aber nicht berichtet, wie er den Weinstock gepflanzt und gehegt hat. Vielmehr wird geschildert, wie er mit den Reben umgeht (2 2 ). Sie gehören zum Weinstock und wachsen an ihm und sind doch von ihm zu unterscheiden. Dass damit die Menschen gemeint sind, die an Jesus glauben, wird erst in V. 5 gesagt. Aber wenn Jesus von jeder Rebe an mir spricht, weist das schon auf diese Bedeutung hin. Und mit diesen Reben macht der göttliche Weingärtner, was jeder gute Winzer macht: Eine Rebe, die keine Frucht bringt, wird ausgebrochen, und eine Rebe, die Frucht bringt, wird zurückgeschnitten. Das Zurückschneiden der Reben gehört seit alters zu den wichtigen Arbeiten in einem Weinberg. Es wird schon im Alten Testament erwähnt (Lev 25,3f; Jes 5,6), und an der grundsätzlichen Notwendigkeit hat sich nichts geändert. In einer modernen Anleitung zum Rebschnitt heißt es: Bei der Pflege von Reben im eigenen Garten gibt es eigentlich nur einen echten Fehler. Und zwar ist es der, überhaupt nicht zur Schere zu greifen und die Reben zu schneiden. Wer glaubt, darauf verzichten zu können, erhält bald wuchernde, überalterte Rebenpflanzen, die keine Früchte mehr tragen und innen völlig verkahlen. Dabei werden damals wie heute nach der Ernte im Spätherbst oder Frühjahr die Frucht tragenden Reben zurückgeschnitten, oft aber auch im Sommer Triebe, die keinen Fruchtansatz zeigen, herausgeschnitten.
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Auf diesem Hintergrund ist Jesu Wort über das Wirken seines Vaters zu verstehen: Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, die wird er wegnehmen. Dass Gott von den Menschen Frucht erwartet, das ist eine Aussage, die die ganze Bibel durchzieht (Ps 1,3; Jes 5,2; Mt 7,16; Gal 5,22). Damit sind keine großartigen Leistungsbilanzen gemeint, wohl aber ein Ertrag des Lebens, der dem entspricht, was Gott an Potential in es gelegt hat. In der Verbindung mit Christus zu stehen, ohne dass dies etwas im eigenen Leben und für andere bewirkt, ist unmöglich. Eine solche Nicht-Verbindung wird erkannt und beendet werden. Der Hauptton liegt jedoch auf der positiven Seite: Jede Rebe, die Frucht bringt, die wird er reinigen, damit sie mehr Frucht bringt. Das Wort Jesu nutzt die Doppeldeutigkeit des Wortes reinigen. Im Bild bedeutet es das Zurückschneiden des Weinstocks, der von unnützen Trieben gesäubert wird. In der Sache heißt das, dass die Jünger und Jüngerinnen Jesu von allem befreit und gereinigt werden, was sie daran hindert, eine »produktive Beziehung« zu Jesus zu leben. Frucht bringen heißt das im Bild; der Sache nach ist ein Verhalten gemeint, das das Leben anderer fördert und bereichert. In den V. 3 –4a wird eine kurze sachliche Erklärung eingefügt, die zunächst im Widerspruch zu dem bisher Gesagten zu stehen scheint. Jesus versichert seinen Jüngern (3 3 ): Ihr seid schon rein durch das Wort, das ich zu euch gesprochen habe. Heißt das, dass diejenigen, die zu Jesus gehören, das reinigende Handeln Gottes nicht mehr brauchen? Wohl kaum. Aber durch diese Zwischenbemerkung soll klargestellt werden, dass die Jünger und Jüngerinnen nicht erst durch ein Wirken Gottes in der Zukunft rein werden, das heißt: zur Gemeinschaft mit ihm und Christus befähigt werden. Sie sind schon rein, hineingenommen in die Verbindung mit Jesus durch das Wort, das er zu ihnen gesprochen hat und das ihr Leben erreicht und verwandelt hat. Das Wort, das ist Jesu Botschaft, die besagt, dass in seinem Wirken Gott den Menschen ganz nahegekommen ist. Deshalb erfolgt nun die entscheidende Aufforderung: Bleibt in mir, und ich (bleibe) in euch (44 a ). Das Wort bleiben ist ein zentraler Begriff der Verkündigung Jesu im Johannesevangelium. Es beschreibt die Treue zu Jesus und seiner Botschaft. Bleiben bedeutet, an ihm und seinem Wort festzuhalten, noch mehr aber, sich von ihm und seiner Liebe halten zu lassen. Jesu Zusage: und ich (bleibe) in euch ist also wohl nicht so sehr als Folge zu verstehen: und dann werde ich in euch bleiben, sondern als Begründung: wie bzw. weil ich in euch bleibe. Durch das ihr in mir und ich in euch wird die Beziehung zu Jesus in ihrer Intensität eindrücklich beschrieben. Jünger und Jüngerinnen
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Jesu bleiben nicht nur an ihm oder bei ihm, sondern in ihm wie er in ihnen. Ihr ganzes Wesen ist von ihm und seiner Liebe bestimmt: Er ist der Raum, in dem sie leben, sowie die Kraft und die Orientierung, die sie von innen her erfüllt. Dass sie in ihm bleiben ist daher selbstverständliche Bedingung dafür, dass sie ihr Leben fruchtbar und sinnvoll gestalten. Das wird noch einmal am Bild von Weinstock und Reben veranschaulicht (4 4 b): So wie die Rebe aus sich selbst keine Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Damit wird zugleich klargestellt: Es ist gerade nicht irgendeine Eigenleistung, die hier gefordert wird. Es geht allein darum, mit Jesus verbunden zu bleiben und sich von ihm die Kraft und die Fähigkeit schenken zu lassen, ein fruchtbares Leben zu führen. Die Wirklichkeit, dass sie zu Jesus gehören, müssen seine Jünger nicht erst schaffen. Sie ist durch Jesu Wort und Wirken gegeben. Das macht die zweite Fassung des Ich-bin-Wortes klar (5 5 ): Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Was schon bisher Thema der Worte Jesu war, wird nun ausdrücklich im Bild formuliert: Jüngerinnen und Jünger Jesu gehören zu ihm wie die Reben zum Weinstock. Einerseits bilden Weinstock und Reben ein organisches Ganzes. Die Reben sind Teil des Weinstocks. Aber andererseits sind sie doch unterscheidbar; die einzelne Rebe kann vom Weinstock getrennt werden und ist dann nicht mehr lebensfähig. Positiv bedeutet das: Wer in mir bleibt und ich in ihm, bringt viel Frucht. Wo die Verbindung mit Jesus gelebt wird, da wird ein Leben reich und fruchtbar, weil es von der Liebe lebt. Bedingung dafür ist freilich, in Jesus zu bleiben, denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun. Mit nichts tun ist nun ein ganz bestimmtes Tun gemeint. Man kann sehr viel ohne Jesus tun, und manches mag auch durchaus wertvoll sein. Aber ein Handeln aus Liebe im Sinne Jesu ist nur in lebendiger Gemeinschaft mit ihm möglich. Das führt dann freilich zu der negativen Konsequenz (66 ): Wenn jemand nicht in mir bleibt, wird er wie die Rebe weggeworfen werden und verdorren, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. Das ist noch ganz mit den Farben des Bildes vom Weinstocks ausgemalt. In der Sache bedeutet es zunächst einfach: Ein Leben, das nicht in Verbindung mit Jesus gelebt wird, hat keinen Bestand. In wessen Leben nichts von der Liebe lebendig und fruchtbar geworden ist, die Gott in Jesus den Menschen gezeigt hat, dessen Existenz verkümmert und verdorrt an der eigenen Lieblosigkeit und vergeht wie dürres Holz im Feuer. Diesem abschreckenden Hinweis aber folgt eine große Verheißung für die, bei Jesus bleiben (77 ): Wenn ihr in mir bleibt und meine
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Worte in euch bleiben, dann bittet, was immer ihr wollt, und es wird euch (zuteil)werden. Dabei interpretiert der zweite Teil des Bedingungssatzes sehr schön, was es heißt, in Jesus zu bleiben: Es bedeutet, seine Worte in sich aufzunehmen und ihnen Raum im eigenen Leben zu geben. Und genau das ist die Art, wie Jesus selbst in seinen Jüngern bleibt. Es geht nicht um mystische Erlebnisse einer »Einwohnung« Jesu, sondern um seine Gegenwart in seinem Wort! Wer so mit Jesus in Verbindung bleibt, dem gilt die Verheißung: bittet, was immer ihr wollt, und es wird euch (zuteil)werden. Jesu Verheißung, dass die Gebete seiner Jünger und Jüngerinnen erhört werden, gehört zum Grundbestand der Jesustradition (vgl. Mt 7, 7–11 par Lk 11,9–13; Mk 11,24 par Mt 21,22) und zieht sich wie ein roter Faden durch die Abschiedsreden des Johannesevangeliums (vgl. 14,13f; 15,16; 16,23f). Alle, die zu Jesus gehören, dürfen wissen: Sie sind nicht allein und auf die eigene Kraft angewiesen. Wenn sie Gott bitten, wird er sie erhören. Für uns heute ist die Pauschalität der Zusage ein Problem: Erhört Gott wirklich alle Gebete? An unserer Stelle scheint das am umfassendsten versprochen zu werden: Was immer ihr wollt, Gott wird es euch geben (das Passiv es wird euch zuteil werden umschreibt das Handeln Gottes). Doch trotz dieser starken Formulierung ist das kein Blankoscheck, dass Gott alle unsere Wünsche erfüllen wird. Denn der Wille, der diese Bitten vor Gott bringt, ist ja eingebunden in die Gemeinschaft mit Christus und lässt sich auch in seinem Beten von ihm bestimmen. In 1Joh 5,14 wird die Zusage Jesu dann auch in diesem Sinne präzisiert: »Darauf gründet unsere Zuversicht: dass er uns erhört, wenn wir etwas erbitten nach seinem Willen« (ZB). Auch die parallele Aussage in V. 16 weist in diese Richtung. Hier macht V. 8 klar, dass es bei der Zusage der Erhörung der Gebete nicht um die Erfüllung unserer Wünsche geht. Dass Menschen zu Jüngern und Jüngerinnen Jesu berufen werden, ist nicht Selbstzweck und dient nicht einfach ihrem zeitlichen Glück und ewigen Heil. Es ist Teil dessen, was Ziel der Sendung Jesu ist, nämlich die Verherrlichung des Vaters: Dadurch wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und meine Jünger seid. Wenn durch Leben und Handeln der Jünger »Gott in der Welt vergegenwärtigt und geehrt wird«, wird der Vater verherrlicht. »Die Glaubensexistenz dreht sich also nicht um sich selbst, sondern findet ihren Ausdruck im Engagement und der Treue« (Zumstein, 567f). Ein ganz ähnlicher Gedanke findet sich in Mt 5,16, wo die Jünger aufgefordert werden, ihr Licht vor den Leuten leuchten zu lassen, »damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen«.
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Wie das aussieht, wird im folgenden Abschnitt am Thema Liebe erläutert. Die V. 9 –17 zeigen eindrucksvoll auf, wie für Johannes das Gebot, einander zu lieben, in der Liebe begründet ist, durch die Jesus die Liebe Gottes in diese Welt hineingetragen hat. Der Abschnitt beginnt mit einem typisch johanneischen Kettenschluss (99 ): Wie mich mein Vater geliebt hat, (so) habe auch ich euch geliebt. Die Liebe Gottes zu Jesus Christus ist Grund und Vorbild für die Liebe Jesu zu den Seinen. Die innige Beziehung zwischen Vater und Sohn ist nicht Selbstzweck, sondern macht erst die Offenbarung Gottes im Sohn möglich. Indem Gott Jesus seine Liebe schenkt, gibt er »der Welt sein Gesicht zu erkennen: ein Gesicht aufmerksamer Fürsorge und Großzügigkeit« (Zumstein, 569). Die griechische Vergangenheitsform (geliebt hat) bedeutet nicht, dass die Liebe vergangen ist; sie beschreibt die bleibende Gültigkeit der ein für alle Mal erwiesenen Liebe Gottes und Jesu. Darum kann Jesus seine Jünger auffordern: Bleibt in meiner Liebe! Damit wird konkret, wie die Mahnung Bleibt in mir in V. 5 zu verstehen ist: In Jesus zu bleiben heißt, sich ganz seiner Liebe anzuvertrauen und sie zum Lebensraum und Lebensgrund der eigenen Existenz zu machen. In Jesu Liebe zu bleiben bedeutet, in ihr den Wert und den Sinn des Lebens zu finden. Es bedeutet aber auch, sich von seiner Liebe zur Welt motivieren und befähigen zu lassen, selbst Liebe zu anderen zu wagen. Jesu Weisungen, seine Gebote, wollen nur eines: alle, die ihm nachfolgen, in diese Liebe einweisen. Deshalb gilt (11 0): Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben. Schon in 14,15. 21.23 wurde eingeschärft, dass sich die Liebe zu Jesus darin zeigt, zu halten, was er geboten hat. Hier wird damit klargestellt, dass in der Liebe Jesu zu bleiben eine aktive Seite hat: Sich der Liebe Jesu hinzugeben und sich von ihr tragen und bestimmen zu lassen wird dort konkret, wo man dem folgt und das befolgt, was er durch sein Wort und sein Gebot vorgegeben hat. Noch einmal wird das Verhalten Jesu als Vorbild und Begründung für diese Aufforderung genannt: wie ich die Gebote meines Vaters befolgt habe und in seiner Liebe bleibe, so können und sollen auch der Jünger und die Jüngerin Jesu sich seinem Gebot anvertrauen. Das zeigt, dass mit den Geboten des Vaters bzw. Jesu keine Vielzahl unterschiedlicher Vorschriften gemeint ist. Letztlich geht es immer um das Liebesgebot und seine Begründung in der Liebe Gottes. Durch eine Zwischenbemerkung Jesu wird das ausdrücklich festgehalten. Er will seinen Jüngern und Jüngerinnen nicht die Last schwieriger Gesetzesvorschriften auferlegen. Im Gegenteil. Er betont (1 1 1): Das habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch
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ist und eure Freude ganz erfüllt werde, das heißt, dass sie ihre Fülle erreicht bzw. vollkommen wird. An der Liebe Gottes zu Jesus teilzuhaben bedeutet auch, an der Freude teilzuhaben, die solche Liebe schenkt. Wo man sich ganz dieser Liebe hingibt und sich von ihr zur Liebe entzünden lässt, da wird das Leben von Freude erfüllt und wird die Freude vollkommen. Nachdem Jesus so den Sinn seiner Rede klargestellt hat, legt er sein Anliegen nun noch einmal in umgekehrter Perspektive dar (1 1 2). Er beginnt mit dem Gebot, das er bereits in 13,34 als neues Gebot bezeichnet hat: Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, fügt aber sogleich an, was Begründung und Vorbild für diese Liebe ist: wie ich euch geliebt habe. Die griechische Vergangenheitsform zeigt hier, wie sehr die Abschiedsreden schon aus der nachösterlichen Perspektive formuliert sind. Denn der nächste Vers macht klar, dass mit der Wendung wie ich euch geliebt habe nicht nur auf Jesu Zuwendung zu seinen Jüngern während der gemeinsamen Zeit seines Wirkens oder auf die Aktion der Fußwaschung verwiesen wird, sondern auf seinen Tod am Kreuz. Das wird in V. 1 3 ganz deutlich ausgesprochen: Größere Liebe hat niemand als die, dass er sein Leben für seine Freunde hingibt. Die griechische Wendung bedeutet beides: sein Leben für andere einsetzen (ZB; vgl. 10,11.15) und es für sie hingeben (REB, EÜ; LÜ: sein Leben lassen). Sein Leben für die Freunde zu riskieren und – wenn nötig – es sogar für sie zu opfern galt sowohl in der griechischen Philosophie (vgl. Plato, Symp 179B; Aristoteles, e.N. IX 1169) als auch im Judentum (1Makk 6,44; 9,10; 2Makk 8,21) als höchstes Ideal freundschaftlicher Liebe. Der Grund, warum der Einsatz des Lebens für andere nötig wird, mag unterschiedlich sein. Aber immer geht es darum, dass das Leben von Menschen dadurch gerettet wird, dass ein anderer sein Leben stellvertretend für sie einsetzt. Jesus spricht hier schon aus nachösterlicher Perspektive zur Gemeinschaft seiner Jünger und Jüngerinnen und macht klar: Meine Liebe zu euch habe ich dadurch erwiesen, dass ich mein Leben für euch gegeben habe. Diese Verbindung von Lebenshingabe und Liebe ist zentral für die neutestamentlichen Aussagen zur Bedeutung des Todes Jesu (vgl. Gal 2,20: Paulus lebt »im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat«; so auch Eph 5,2). Aber damit ist denen, die an Christus glauben, nicht nur ein neues Leben in der Gemeinschaft mit ihm und Gott geschenkt. Damit ist für sie auch der Grund für ein Leben in der Liebe gelegt und die Freiheit eröffnet, das eigene Leben für andere einzusetzen. Das unterstreicht der nächste Satz (11 4). Ihr seid meine Freunde, sagt Jesus zu seinen Jüngern und Jüngerinnen. Das ist zunächst ein
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wunderbarer Zuspruch: Ihr gehört zu denen, für die ich mein Leben hingegeben habe. Ihr gehört zu mir. Freund Jesu ist im Neuen Testament eine seltene Bezeichnung für die, die ihm nachfolgen. Nur Lazarus wird von Jesus in 11,11 unser Freund genannt. Von ihm und seinen Schwestern wird in 11,3.5 gesagt, dass Jesus sie liebt (wobei in V. 3 für lieben auch das griechische Wort philein für Freundschaftsliebe verwendet wird). Allerdings steht diese Zusage unter einer Bedingung: wenn ihr tut, was ich euch gebiete. Heißt das, dass Jesu Freundschaft durch entsprechendes Wohlverhalten verdient werden muss? Dass dies nicht gemeint ist, zeigt sich daran, dass im Johannesevangelium das Befolgen der Gebote Jesu Ausdruck echter Liebe zu ihm ist (14,21.23). Es geht nicht um blinden Gehorsam, sondern um die Übereinstimmung mit dem Ziel seines Lebens und Wirkens. Das macht der nächste Vers deutlich (11 5). Ich nenne euch nicht mehr Sklaven, sagt Jesus. Damit wird der rechtlose Status des Sklaven dem des Freundes gegenübergestellt. In der Antike ist der Sklave der absoluten Willkür seines Herrn ausgeliefert. Jesus hebt einen Aspekt dieser Problematik besonders hervor: Der Sklave weiß nicht, was sein Herr tut. »Er verfügt nicht über das Wissen, das es ihm erlauben würde, das Tun seines Herrn zu verstehen. Aus diesem Grund ist er nicht in der Lage, seinem Leben Inhalt und Richtung zu geben« (Zumstein, 573). Dem steht der Status des Freundes gegenüber, der von seinem Freund ins Vertrauen gezogen wird und erfährt, wohin der gemeinsame Weg geht. Sklaven hat Jesus in 8,34 die genannt, die Sünde tun: »Wer Sünde tut, ist Sklave der Sünde.« Aber anders als Paulus in Röm 6,12–23 spricht Jesus bei Johannes nicht davon, dass diejenigen, die zu ihm gehören, zu Sklaven der Gerechtigkeit bzw. Gottes werden sollen. Er nennt sie Freunde und begründet das gerade damit, dass sie hineingenommen sind in die Vertrauensgemeinschaft zwischen ihm und dem Vater: ich aber habe euch Freunde genannt, denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch wissen lassen. Auch hier bezeichnet die Vergangenheitsform (habe genannt, griechisch: Perfekt) nicht nur ein Ereignis in der Vergangenheit. Dass die Jünger Freunde Jesu sind, hat seinen Grund in ihrer Berufung durch Jesus, die auch jetzt ihr Verhältnis zu ihm bestimmt. Dadurch ist auch ihre Beziehung zu Gott völlig neu begründet und gestaltet: »Die Gottesbeziehung der joh(anneischen) Christen ist nicht von blinder Unterwerfung geprägt, sondern vom Wissen um den Willen und das Wesen Gottes: die Liebe. … Die Jünger und mit ihnen die joh(anneische) Gemeinde sind eingeweiht in das Wesen und das Wollen Gottes, so dass ihnen die Ehrenbezeichnung … ›Freunde‹ zu Recht gebührt« (Schnelle, 319).
14,25–31
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Doch obwohl das Tun dessen, was Jesus geboten hat, ein Kriterium dafür ist, von Jesus Freund genannt zu werden, liegt es nicht am Wollen oder Können der Jünger und Jüngerinnen Jesu, dass sie zu ihm gehören. Nicht sie haben ihn als Freund ausgesucht (11 6): Nicht ihr habt mich für euch ausgewählt, sondern ich habe euch für mich ausgewählt. Dieser Satz ist von zentraler Bedeutung für das, was im Johannesevangelium über die Zugehörigkeit zu Jesus und seiner Gemeinde gesagt wird. Obwohl immer wieder der Ruf ergeht, zu Jesus zu kommen und an ihn zu glauben (vgl. 7,37f), entscheidend ist nicht der eigene Entschluss, diesem Ruf zu folgen. Nicht unsere Entscheidung für Jesus, sondern die Entscheidung Jesu für uns begründet die Zugehörigkeit zu ihm. Dieses »Auswahlprinzip« gilt nicht nur für die Zwölf (vgl. 6,70), sondern für alle, die zu Christus gehören. Allerdings wird nichts darüber gesagt, welche Kriterien Jesus bei seiner Auswahl leiten und ob er sich auch gegen manche entscheidet. Hier wird keine »Erwählungslehre« entfaltet. Wichtig ist, dass die, die Jesu Ruf gefolgt sind, wissen: Grund dafür ist nicht unsere im Überschwang der Gefühle oder nach reiflicher Überlegung getroffene Entscheidung, sondern Jesu gnädige Berufung. Jesus stellt auch klar, dass dieser Ruf nicht nur Erwählung zum persönlichen Heil ist, sondern zugleich Berufung zum Dienst. Er fügt deshalb hinzu: Ich habe euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt. Nun wird noch einmal das Motiv vom Frucht bringen aufgegriffen, das vom Bild des Weinstocks herkommt und den ersten Teil des Abschnitts bestimmt hat (V. 2 und 5). Die Wendung dass ihr hingeht lässt an den missionarischen Auftrag der Jünger denken, der in 20,21 ausdrücklich ausgesprochen wird: »Wie mich der Vater gesandt hat, sende ich euch«. Jesu Ruf zum Glauben weiterzugeben bedeutet, Leben weiterzutragen. Das ist die Frucht, die aus der Verbindung mit Jesus erwächst. Dabei geht es nicht um den kurzfristigen Erfolg, etwa große Zahlen von Bekehrten und Getauften. Ziel der Sendung der Jünger ist, dass eure Frucht bleibt. Dem Bleiben in Jesus und seiner Liebe entspricht das Bleiben der Frucht, das heißt, die Nachhaltigkeit dessen, was unser Leben mit Christus bewirkt. Das gilt nicht nur für die missionarischen Bemühungen der Gemeinde und der Christen, sondern für alles, was im Namen Jesu gelebt und getan wird. Dass das geschieht, liegt nicht zuerst an der Anstrengung und dem Können der Beauftragten. Sie sind auf Gottes Hilfe angewiesen. Darum hat Jesus seinen Jüngern nicht nur einen Auftrag gegeben, sondern mit ihm auch die nötige Vollmacht, damit, was immer ihr den Vater in meinem Namen bittet, er euch gibt. Die Zusage der Erhörung der Gebete, die schon am Ende des ersten Teils des Ab-
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schnitts in V. 7 stand, wird am Ende des zweiten noch einmal wiederholt. Hier aber nicht als pauschale Zusage (was immer ihr wollt), sondern bezogen auf Bitten, die aus dem Leben und Wirken in Verbindung mit Jesus erwachsen (in meinem Namen) und in denen es darum geht, dass daraus bleibende Frucht, neues Leben aus Gott entsteht. Der Abschnitt schließt mit der schlichten Erinnerung (11 7): Dies habe ich euch geboten, dass ihr einander liebt. Mit diesem Wort Jesu kennzeichnet Johannes »noch einmal die Liebe als die Frucht eines Lebens mit Jesus und Gott« (Schnelle, 319). Das zu erkennen und zu beherzigen ist gerade in der Stunde des Abschieds tröstlich und ermutigend. Jesu Liebe bleibt gegenwärtig in der gegenseitigen Liebe in der Gemeinde. Leben, das Frucht bringt, so beschreibt Jesus die Existenz seiner Jünger und Jüngerinnen – gerade unter dem Vorzeichen seines bevorstehenden Abschieds. Wie eine Klammer umrahmt diese Aussage unseren Abschnitt (V. 2 und 16). In der Natur ist Frucht Beispiel für eine Win-win-Situation: Die Frucht einer Pflanze schenkt anderen Lebewesen Nahrung; so aber pflanzt sich die Pflanze fort, und ihr Leben wird weitergetragen. Frucht ist ein Bild für Lebensgewinn – nicht auf Kosten anderer, sondern zum Besten aller. Darum ist das Bild so zentral für die Botschaft des Neuen Testaments (vgl. Mt 7,16–19; Gal 5,19–23). Alles, was dem Leben und der Gemeinschaft mit Gott dient, das ist Frucht. Frucht kann man nicht machen, Frucht wächst. Das ist der zweite wichtige Grundzug im Bild von der Frucht. Das Bild vom Weinstock und den Reben, die Frucht tragen, wenn sie am Weinstock bleiben, veranschaulicht das eindrücklich. Indem Jesus sich mit dem Weinstock identifiziert, macht er klar: Wer in Verbindung mit ihm bleibt, dessen Leben bringt Frucht, wird reich für andere und für ihn selbst. Wichtig ist also, bei Jesus zu bleiben und sich an ihn zu halten. Das bedeutet auch, seine Gebote zu halten – nicht als erzwungene Gehorsamsleistung, sondern als Ausdruck der Zugehörigkeit zu ihm (V. 10). Das Entscheidende aber tut Gott. Das Bild vom Beschneiden der Reben zeigt Gott als kundigen Winzer, der Wildwuchs verhindert und Unfruchtbares wegnimmt, ein Vorgang, der manchmal schmerzlich, jedoch unbedingt nötig ist. Wachsen an Jesus bedeutet nicht, das eigene Leben üppig wuchern zu lassen. Dazu gehören auch Grenzen, die der ungezügelten Expansion gesetzt werden, notwendige Abschiede von eigensüchtigen Vorlieben und Umkehr von Fehlwegen. Das Ziel ist: in Jesus bleiben – gerade wo er leiblich nicht mehr da ist. Was das in der Sache bedeutet, wird klar gesagt: In Jesus zu bleiben heißt, sich ganz seiner Liebe anzuvertrauen und sie zum Lebensraum
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und Lebensgrund der eigenen Existenz zu machen (V. 10). Tragender Grund der Verbindung der Jünger und Jüngerinnen Jesu mit Gott, mit Jesus und untereinander ist die Liebe des Vaters und des Sohnes (V. 9f). Das Bildwort vom Weinstock und den Reben beschreibt ein Leben in und aus der Liebe Gottes. Und darum ist auch die Frucht eines solchen Lebens nichts anderes als gegenseitige Liebe (16f). In der Mitte des Abschnitts wird durch einen weiteren Vergleich gezeigt, was diese Liebe bedeutet: Größere Liebe hat niemand als die, dass er sein Leben für seine Freunde hingibt (V. 13). Sein Leben hinzugeben für die, die man liebt, ist das größte Zeugnis und die tiefste Konsequenz echter Liebe. Diese Liebe hat Jesus gelebt, indem er für die Seinen starb. Aber, so wird man fragen: Starb Jesus nur für seine Freunde? Das stünde im Widerspruch zu dem, was Paulus in Röm 5,6–10 sagt: »Christus ist … als wir noch schwach waren, für uns Gottlose gestorben. … Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. … Wir sind mit Gott versöhnt worden durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren«. Christus starb auch für seine Feinde! Auch Johannes weiß, dass die Jünger nicht immer Freunde waren. Erst durch die Liebe Jesu, der für sie starb, sind sie zu Freunden geworden, vorher waren sie Sklaven (V. 15). Nicht sie haben sich Jesus als Freund ausgesucht, er hat sie gesucht und erwählt (V. 16). Durch seine Liebe werden Feinde und Sklaven zu Freunden. Freunde und Freundinnen Jesu – was für ein Name für die, die zu Jesus gehören! 15,18 – 16,4a Der Hass der Welt und der Geist als Zeuge (3. Parakletwort) 18
Wenn die Welt euch hasst, wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat. 19Wenn ihr von der Welt wäret, würde die Welt ihr Eigenes lieben; weil ihr aber nicht aus der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt heraus erwählt habe, deshalb hasst euch die Welt. 20Erinnert euch an das Wort, das ich euch gesagt habe: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen; wenn sie mein Wort gehalten haben, werden sie auch eures halten. 21Aber all das werden sie euch antun um meines Namens willen, weil sie den nicht kennen, der mich gesandt hat. 22 Wenn ich nicht gekommen wäre und zu ihnen geredet hätte, hätten sie keine Sünde; so aber haben sie keine Entschuldigung für ihre Sünde. 23Wer mich hasst, hasst auch meinen Vater. 24Wenn ich die Werke nicht unter ihnen getan hätte, die kein anderer getan hat, hätten sie keine Sünde. Nun aber haben sie sie gesehen, und den-
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noch haben sie sowohl mich als auch meinen Vater gehasst. 25Aber (das ist geschehen,) damit das Wort erfüllt wird, das in ihrem Gesetz geschrieben steht: »Sie haben mich ohne Grund gehasst« (Ps 69,5). 26 Wenn der Beistand kommt, den ich euch vom Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird für mich Zeugnis ablegen. 27Aber auch ihr werdet Zeugnis ablegen, weil ihr von Anfang an mit mir seid. 1 6,1 Das habe ich euch gesagt, damit ihr nicht zu Fall kommt. 2Sie werden euch aus den Synagogen ausschließen; ja, es kommt sogar die Stunde, dass jeder, der euch tötet, meint, Gott einen Dienst damit zu tun. 3Und das werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben. 4aAber ich habe euch das gesagt, damit ihr, wenn ihre Stunde kommt, euch daran erinnert, dass ich es euch gesagt habe. Galt im ersten Teil der zweiten Abschiedsrede das Interesse fast ausschließlich der Beziehung der Jünger und Jüngerinnen Jesu zu ihm, so ist jetzt das Augenmerk ganz auf ihr Verhältnis zur Außenwelt gerichtet. Das aber scheint völlig von Ablehnung, ja Hass bestimmt. Was hier auf die Gemeinde zukommt, wird in drei Abschnitten entfaltet. Der erste Abschnitt (15,18–25) beschreibt ausführlich den Hass der Welt, der die Jünger treffen wird, und nennt seine Ursachen. Im Mittelteil (15,26f) steht die gute Nachricht: Das dritte Parakletwort verheißt, dass der Beistand (der Paraklet), der Geist der Wahrheit, den Jüngern gerade in dieser Situation beistehen und ihnen helfen wird, Jesu Zeugen zu bleiben. 16,1–4a kehrt zu dem negativen Aspekt der Aussichten für die Zukunft zurück und geht besonders auf die Auseinandersetzung mit jüdischen Gegnern ein. Hier wird auch erklärt, warum Jesus schon jetzt vor diesen Gefahren warnt. Nirgends im Neuen Testament wird der Gemeinde Jesu verheißen, sie werde, wenn sie nach Ostern ihrem Auftrag folgt und die Botschaft Jesu in die Welt trägt, Erfolg haben und große Anerkennung finden. Im Gegenteil: An vielen Stellen finden sich Warnungen vor Verfolgung und die Ankündigung, dass ihr Wirken bei vielen nicht auf Zustimmung, sondern auf Ablehnung, ja Hass stoßen würde. In den drei ersten Evangelien findet sich der warnende Hinweis: »Ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen« (so in Jesu Endzeitrede in Mk 13,13; Mt 24,9f; Lk 21,17, bei Matthäus auch in der Aussendungsrede in Mt 10,22). Im 4. Evangelium wird Jesus noch einmal in 17,14 auf dieses Thema zurückkommen, und in 1Joh 3,13 heißt es: »Wundert euch nicht, wenn euch die Welt hasst«. In gewisser Weise ist der Hass der Menschen so etwas wie ein Gütesiegel, weil er zeigt, dass man zu Jesus gehört (Lk 6,22;
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vgl. Mt 5,11; 1Petr 4,12–14). Zugleich werden die Jünger ermahnt: »Tut wohl denen, die euch hassen« (Lk 6,27; vgl. Mt 5,44; Röm 12,14; 1Kor 4,12). Aber gerade die, die unter dem Hass ihrer Umwelt zu leiden haben, werden von ihr beschuldigt, die Menschheit zu hassen (»odium humani generis«, Tacitus, Ann 15,44). Der Grund für die Unpopularität der Christen war wohl, dass sie sich von der andersgläubigen Gesellschaft abschotteten, den Kaiserkult und die Verehrung der Stadtgötter ablehnten und sich nur wenig am alltäglichen Leben beteiligten.
Jesus spricht zunächst das grundsätzliche Problem an, das hinter dieser Erfahrung steckt (11 8–21). Der Hass vieler Menschen ist kein unglücklicher und eigentlich vermeidbarer Nebeneffekt der christlichen Mission. Wo die Botschaft von Jesus verkündet wird, regt sich unvermeidlich Widerstand, weil hier zwei »Welten« aufeinandertreffen: Einerseits die Welt, die bei Johannes Inbegriff einer menschlichen Kultur ist, die sich der Botschaft Jesus verschließt, weil sie auf ihr eigenes Können und ihre eigene Frömmigkeit vertraut, und andererseits die Gemeinschaft derer, die sich ganz auf Gott verlassen und von seiner Liebe her leben. Das war schon angesichts des Wirkens Jesu so und wird auch seinen Jünger und Jüngerinnen so gehen (1 1 8): Wenn die Welt euch hasst, wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat. Menschen, die Jesus nachfolgen, leben nach anderen Maßstäben und aus anderen Quellen, als das in dieser Welt üblich ist. Sie wirken daher in ihr als Fremdkörper, dem mit Misstrauen und mit Feindschaft begegnet wird. Die Jünger Jesu sollen das ganz klar sehen (11 9): Wenn ihr von der Welt wäret, das heißt: Wenn ihr nach den Spielregeln dieser Welt leben würdet und eure Kraft aus dem schöpfen würdet, was sie bietet, würde die Welt (in euch) ihr Eigenes lieben, also das, was sie kennt und schätzt. Es gibt also so etwas wie geistlichen Fremdenhass, der die trifft, die nicht von der Welt sind. Sie richten ihr Leben an Jesus und seiner Botschaft aus und leben ihr Leben dankbar als Geschenk aus Gottes Hand. Sie tun das nicht, weil sie sich nach reiflicher Überlegung für diesen Lebensstil entschieden haben, sondern – wie Jesus sagt – weil ich euch aus der Welt heraus erwählt habe. Jesus hat sie aus der falschen Ausrichtung ihres Lebens herausgerufen und ihnen neuen Lebensgrund und neue Lebenskraft geschenkt. Aber dass sie davon leben, macht sie zum Fremdkörper in dieser Welt. Sie werden zur permanenten Anklage gegen die Weise, wie in ihr gelebt wird, und deshalb hasst euch die Welt. Jesus erinnert die Jünger an eine Aussage, die er kurz vorher in 13,16 im Rahmen der Fußwaschung gemacht hat (22 0): Der Sklave ist nicht größer als sein Herr. Dort ging es um einen gemeinschaftlichen, von Liebe geprägten alternativen Lebensstil, auf den Jesus
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seine Jünger verpflichtet. Hier geht es um eine Schicksalsgemeinschaft angesichts von Widerstand und Verfolgung: Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen. Aber es gibt auch die andere Seite: So wie Jesu Botschaft immer wieder bei Menschen Glauben fand, so wird es auch den Jüngern mit ihrer Verkündigung ergehen: wenn sie mein Wort gehalten haben, werden sie auch eures halten. Die Mission der Gemeinde Jesu ist nicht aussichtslos, das feindliche Gegenüber der Welt ist keine unüberwindliche Front. Es wird immer wieder Menschen geben, die sich durch die Verkündigung der Gemeinde von Jesus rufen lassen. Der negative Aspekt bleibt jedoch im Vordergrund. Der Name und damit auch die Sache Jesu, also das, wofür er mit seinem Leben und Sterben eingetreten ist, wird immer wieder Anlass dafür sein, dass Menschen seine Boten und ihr Wirken bekämpfen (22 1): Aber all das werden sie euch antun um meines Namens willen. Das hat jedoch seinen tieferen Grund. Die Menschen tun dies, weil sie den nicht kennen, der mich gesandt hat. Sie wissen und akzeptieren nicht, dass Gott es ist, der Jesus gesandt und bevollmächtigt hat. Und darum kennen sie auch nicht den wahren Gott, der sich in ihm offenbart. Sie mögen sich in ihrem Kampf gegen seine Botschaft sogar auf Gott berufen; aber ihre Ablehnung zeigt, dass sie ihn in Wirklichkeit nicht kennen. Darin liegt eine tiefe Tragik, die im Folgenden (22 2–25) zunächst im Blick auf die Begegnung Jesu mit seinen Zeitgenossen durchdacht wird. Erst durch die Ablehnung seiner Botschaft ist ihre Verschlossenheit, ja Feindschaft Gott gegenüber ans Licht gekommen: Wenn ich nicht gekommen wäre und zu ihnen geredet hätte, hätten sie keine Sünde. Erst dadurch, dass sie sich Jesu Verkündigung und damit Gott und seiner Liebe verweigert haben, hat sich gezeigt, wo sie wirklich stehen. Weil sie aber Jesus und seine Botschaft abgelehnt und sich damit eindeutig gegen Gott entschieden haben, haben sie keine Entschuldigung für ihre Sünde. Sie können nicht mehr sagen: Wir haben nicht gewusst, worum es geht. Jesu Wirken war eindeutig. Er hat im Auftrag Gottes, ja mehr noch, er hat als dessen Mensch gewordenes Wort gewirkt. Deshalb geht kein Weg an der Schlussfolgerung vorbei (22 3): Wer mich hasst, hasst auch meinen Vater. Dabei bestand Jesu Wirken nicht nur in Worten. Er half durch seine Wunder Menschen in schwieriger Situation und setzte so Zeichen, die bezeugten, woher seine Vollmacht stammt. So wird das, was in V. 22 über die Wirkung seiner Verkündigung gesagt wurde, noch einmal für seine Werke, d.h. für sein helfendes Handeln gesagt (22 4): Wenn ich die Werke nicht unter ihnen getan hätte,
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die kein anderer getan hat, hätten sie keine Sünde. Seine Zeitgenossen haben diese Wunder gesehen, und nach dem, was Johannes erzählt, ist von niemand bezweifelt worden, dass Jesus sie getan hat. Doch er muss feststellen: Dennoch haben sie mich gehasst. Sie haben verstanden, dass auch diese wunderbare Taten Ausdruck seiner Botschaft und seines Anspruchs waren, der Gesandte Gottes zu sein, und haben ihn trotz allem, was er tat, abgelehnt (vgl. 9,41). Dieser Hass traf aber nicht nur Jesus, sondern mit ihm auch Gott, seinen Vater. Aber all das ist eben nicht einfach zufällig geschehen oder war ein vermeidbarer Irrtum. Auch hier erfüllt sich in dem, was mit Jesus geschieht, eine Vorhersage der Schrift (22 5): Aber (das ist geschehen,) damit das Wort erfüllt wird, das in ihrem Gesetz geschrieben steht: »Sie haben mich ohne Grund gehasst« (Ps 69,5; vgl. 35,19). Mit ihrem Gesetz ist somit nicht nur das mosaische Gesetz, die Tora, gemeint, sondern alles, was im Judentum zu den heiligen Schriften gezählt wurde, also auch das Buch der Psalmen. Die Formulierung ihr Gesetz zeigt: Es sind die Juden, genauer gesagt, die jüdischen Autoritäten, die Jesus bekämpft haben, die hier als Vertreter der Welt gesehen werden (so dann ausdrücklich in 16,2f). Aber zweierlei ist bei dieser Feststellung zu beachten: 1. Nirgends in den Abschiedsreden werden die Juden insgesamt als feindliche Gruppe genannt. Das Gegenüber Jesu und der Seinen ist hier die Welt. Wo also in diesem Zusammenhang auf die Feindschaft jüdischer Gruppen als Beispiel für die Haltung der Welt verwiesen wird, zeigt dies exemplarisch, wie Menschen sich gegen die Botschaft stellen. Die Gefahr, vor der hier gewarnt wird, droht allen. 2. Auch wenn die Redeweise von ihrem Gesetz einen distanzierenden Unterton trägt und zeigt, dass es für die johanneische Gemeinde nicht mehr die alles bestimmende Norm darstellt, so werden die alttestamentlichen Schriften damit nicht abgewertet oder nur für Juden bedeutsam erklärt. Die Schrift sagt ja präzise voraus, worum es hier geht, und hält denen, die sie für sich beanspruchen, den Spiegel vor: ohne Grund, ohne jede denkbare Rechtfertigung, gilt ihr Hass dem von Gott Gesandten und damit Gott selbst. Ps 69 gehört zu den Psalmen, in denen die Urchristenheit das Geschick Jesu vorhergesagt fand (vgl. 2,17; 19,28; Apg 1,20), also auch die Ablehnung durch sein eigenes Volk. Mitten in dieses düstere Bild von Feindschaft und Hass tritt die Verheißung, dass die Jünger und Jüngerinnen Jesu diese Herausforderung nicht alleine bestehen müssen (22 6f ) . Mit dem dritten Parakletwort weist Jesus darauf hin, dass der Beistand, den er
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versprochen hat, kommen wird. Anders als in 14,16.26 ist es hier Jesus selbst, der ihn senden wird. Allerdings wird zugleich betont, dass er ihn vom Vater senden wird, und hinzugefügt, dass dieser Beistand der Geist der Wahrheit ist (vgl. 14,17), der vom Vater ausgeht. Auch bei der Sendung des Heiligen Geistes bleibt die Handlungseinheit von Vater und Sohn gewahrt. In der Auseinandersetzung mit der Welt um Jesus und seine Botschaft wird sich der Geist wirklich als Beistand und Anwalt für Jesus und seine Sache erweisen. Er wird – so verheißt Jesus – für mich Zeugnis ablegen. Dass für Jesus Zeugnis abgelegt wird, ist ein wichtiges Thema im Johannesevangelium. Die Auseinandersetzung Jesu mit der Welt gleicht einem großen Prozess, in dem Jesus angeklagt ist. Aber für ihn treten gewichtige Zeugen auf: »die Schriften des Alten Testaments (5,39), Johannes der Täufer (1,7f.15; 1,19–34; 5,33), die Werke Jesu (5,36; 10,25), der Vater (5,32.37; 8,16–18) und Jesus selbst (8,13f.18). In der Zeit der Kirche wird es der Geist sein …, der gemeinsam mit den Jüngern Zeugnis ablegt« (Beutler, 432). Weil er der Geist der Wahrheit ist, kann er wie Jesus selbst Zeugnis für die Wahrheit ablegen (vgl. 18,37), und das heißt konkret: für die Wirklichkeit Gottes, die in Jesus gegenwärtig ist. In dieser Funktion des Geist-Parakleten ist die Herkunft der Vorstellung aus der Geistverheißung Mk 13,11 par Mt 10,19f deutlich zu erkennen. Dort kündigt Jesus seinen Jüngern an, dass sie sich vor Königen und Statthaltern verantworten werden müssen zum Zeugnis für oder gegen diese Ankläger. Doch sollen sie sich keine Sorge machen, was sie in dieser Situation sagen sollen, »sondern was euch in jener Stunde eingegeben wird, das redet. Denn nicht ihr seid es, die reden, sondern der heilige Geist« (Mk 13,11 ZB). Bei Johannes sind die Jünger nicht einfach Sprachrohr des Geistes. Aber weil dieser kommt und ihnen beisteht, sagt Jesus ihnen zu (2 2 7): Aber auch ihr werdet Zeugnis ablegen. Damit ist nicht nur die Situation gemeint, in der sich Christen vor Gericht verantworten müssen. Die Jünger und Jüngerinnen Jesu werden mit allem, was sie sind, reden und tun, bezeugen, wer Jesus ist und was sein Kommen in diese Welt für die Menschen bedeutet. Die Begründung dafür klingt überraschend: weil ihr von Anfang an mit mir seid. Damit scheinen zunächst nur die Jünger der ersten Stunde angesprochen. Ihr Zeugnis ist wichtig, und auf ihm beruht all das, was das Evangelium berichten kann (vgl. 1,14; 20,31; 21,24f). So wie der Geist an das erinnert, was Jesus gelehrt hat (14,26), so ist christliches Zeugnis immer auch Erinnerung an das, was Jesus getan und gesagt hat. Aber dieses Zeugnis ist lebendi-
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ges, kreatives Zeugnis und erschöpft sich nicht in der Wiederholung der Worte Jesu und der Berichte über seine Wunder. Jesus sagt nicht: weil ihr mit mir gewesen seid, sondern: weil ihr mit mir seid. Die Verbindung mit ihm lebt, auch über sein irdisches Wirken hinaus. Der dritte Teil dieses Abschnitts spricht noch einmal über die Schwierigkeiten und Gefahren, die auf die Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger Jesu zukommt (11 6,1–4a). Warum erzählt Jesus ihnen das alles? Macht er ihnen damit nicht unnötige Angst? Jesus begründet ausdrücklich, warum er diese Hinweise gibt: Das habe ich euch gesagt, damit ihr nicht zu Fall kommt. Wer Jesus nachfolgt, soll wissen, was auf ihn oder sie zukommt, um nicht an Jesus irre zu werden und von ihm abzufallen. Die Übersetzung: damit ihr keinen Anstoß nehmt (EÜ), ist zu schwach. Es geht um die Gefahr des Abfalls vom Glauben (vgl. 6,61; weiter Mk 9,43– 47; Mt 5,29f; 18,8f). Jesus nennt konkrete Beispiele für das, was denen droht, die sich zu ihm bekennen. Es besteht Grund zur Annahme, dass das Beispiele sind, die zur Zeit der Niederschrift des Evangeliums schon zur konkreten Bedrohung für die christliche Gemeinde geworden sind. Das erste betrifft die Trennung von der jüdischen Gemeinschaft: Sie werden euch aus den Synagogen ausschließen (22 ). Die Christen jüdischer Herkunft haben also wohl länger, als das heute oft angenommen wird, innerhalb von Synagogengemeinden gelebt. Der Ausschluss aus dieser Gemeinschaft bedeutete nicht nur den Verlust der sozialen und religiösen Heimat. Damit ging auch der rechtliche Schutz durch das Privileg verloren, nicht zu Opfern für die Stadt- und Staatsgötter verpflichtet zu sein. Noch gravierender ist das zweite Beispiel: ja, es kommt sogar die Stunde, dass jeder, der euch tötet, meint, Gott einen Dienst damit zu tun. Auch das weist auf Auseinandersetzungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. Der Vorwurf der Gotteslästerung, der gegen Jesus erhoben wurde, traf auch seine Anhänger. Sie zu töten, schien nötig, um die Ehre Gottes zu verteidigen. Beispiele dafür sind die Steinigung des Stephanus (Apg 7,57f), die Verfolgertätigkeit des Saulus/Paulus (Apg 9,1), die Hinrichtung des Zebedaiden Jakobus (Apg 12,2) oder die Steinigung des Bruders Jesu, Jakobus (Josephus, Ant 20,200; vgl. weiter Mt 10,21f; Mk 13,12). Leider haben in späteren Zeiten auch Christen gemeint, um der Ehre Gottes willen Andersgläubige töten zu müssen. Der Begriff der Stunde bezeichnet auch hier nicht einfach irgendeinen Zeitpunkt. Gemeint ist der entscheidende Moment, in dem die Welt mit der Botschaft Jesu konfrontiert wird. »Diese Stunde, in der sich Gott durch das verkündete Wort ein für alle Mal ver-
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gegenwärtigt, ist Ort eines tödlichen Konflikts«. Daher kann »die durch Leiden und Tod gekennzeichnete ›Stunde der Jünger‹ … nicht ohne ›die Stunde Jesu‹ gedacht werden, die sich in seiner Kreuzigung und seiner Verherrlichung vollendet (vgl. 15,20)« (Zumstein, 589f). Der Grund für das feindselige Verhalten liegt in einem falschen Gottesverständnis. Noch einmal wird wiederholt, was schon in 15, 21 gesagt worden ist (3 3 ): Und das werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben. Auch dass Jesus schon jetzt von der kommenden Verfolgung spricht, wird noch einmal begründet (4 4 a ): Aber ich habe euch das gesagt, damit ihr, wenn ihre Stunde kommt, euch daran erinnert, dass ich es euch gesagt habe. Dass die Gemeinde Jesu keiner immer glänzenderen Zukunft entgegengeht, sondern schwierige Zeiten zu bestehen haben wird, soll sie nicht überraschen. Möglicherweise gab es gerade zur Zeit, in der das Evangelium geschrieben wurde, entsprechende Erfahrungen, die viel Unsicherheit hervorriefen. Dann sollen sich die Christen daran erinnern: Jesus hat das schon vorhergesagt. Die Ansage einer endzeitlichen Verfolgung gehört zum Grundbestand der Evangelienüberlieferung (vgl. Mk 13,9–20; Mt 10,17–26; 24,9–22). Hier spricht Jesus von ihrer Stunde, d.h. der Stunde der Verfolger, also der Zeit, in der sie die Oberhand zu behalten scheinen. Aber sie werden nicht das letzte Wort haben. Davon handeln der dritte Teil und der Schluss der zweiten Abschiedsrede. Schlechte Aussichten für die Zukunft der christlichen Gemeinde? Jesus gibt seinen Jüngern zum Abschied keine sehr optimistische Perspektive mit auf den Weg. Ihre Verkündigung wird auf heftigen Widerstand und Hass treffen. Das war nicht nur am Anfang der Geschichte der Kirche so. Weltweit gehört es bis heute zur Wirklichkeit christlicher Existenz, auch wenn es die Christen nicht überall gleich trifft. Umgekehrt muss man fragen, ob gesellschaftliche Anerkennung der Kirche und Teilhabe an Macht und Einfluss nicht oft durch den Verzicht auf ein klares Bekenntnis und auf prophetische Kritik an Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch erkauft war und ist. Die Kirche Jesu Christi steht immer wieder neu vor der schwierigen Aufgabe, einen Weg zwischen opportunistischer Anpassung und sektiererischer Totalverweigerung zu finden. Sie hat eine Botschaft für die Welt und eine Aufgabe in der Welt. Aber wenn sie ihrem Auftrag treu bleibt und aus Quellen und nach Maßstäben lebt, die nicht von der Welt sind, wird sie immer wieder schmerzlich erfahren müssen, dass ihr Dasein Widerstand erregt. Nicht von ungefähr haben sich die Kirchen wohl am weitesten von dem Weg entfernt, den Jesus ihnen hier vorzeichnet,
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wenn sie selbst Macht erlangt und gegenüber Minderheiten missbraucht haben und so zur Welt wurden. Jesus lässt seine Gemeinde jedoch auch in dieser Situation nicht allein. Mitten hinein in Bedrängnis und Hass, aber auch angesichts von Fehlwegen und Verirrungen sendet er den Geist der Wahrheit. Er sorgt dafür, dass hinter entstellten Gottes- und Jesusbildern die Gestalt des Mannes aus Nazareth und seine Botschaft von der Liebe Gottes neu sichtbar wird. So schmerzlich es ist, sehen zu müssen, wie die Kirche ihren Herrn immer wieder verraten hat, so tröstlich ist es, erkennen zu können, dass durch das Wirken des Geistes auch immer wieder der Ruf zur Umkehr gehört wurde und es Aufbrüche gab, die zur Neubesinnung auf das Evangelium führten. Der Beistand des Geistes wird der Gemeinde Jesu helfen, in Jesu Namen auszusprechen, was diese Welt, aber auch sie selbst nötig hat. In diesem Sinne verheißt Jesus seiner Gemeinde Geistesgegenwart angesichts unterschiedlicher Herausforderungen wie Bedrohung und Verfolgung, aber auch in Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung. Ein Letztes: Im Nizänischen Glaubensbekenntnis bekennen evangelische und katholische Christen den Heiligen Geist, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht. In 15,26 spricht Jesus dagegen vom Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht. So lautete ursprünglich auch der Wortlaut des Bekenntnisses, und so wird es bis heute in den orthodoxen Kirchen gesprochen. Die Ergänzung und dem Sohn, das sog. filioque, wurde in der westlichen Christenheit zur Zeit Karls des Großen eingefügt. Allerdings spricht in 15,26 auch Jesus vom Beistand, den ich euch vom Vater senden werde. Vater und Sohn wirken in der Sendung des Geistes zusammen. Beide Fassungen können sich also auf biblische Aussagen berufen. Es ist zu hoffen, dass der Geist der Wahrheit den Kirchen hilft, zu erkennen, dass die unterschiedlichen Formulierungen nicht kirchentrennend sein müssen, sondern unterschiedliche Aspekte der Verheißung Jesu bezeugen. 16,4b–15 Der Geist als Ankläger und Führer (4. und 5. Parakletwort) 4b
Das aber habe ich euch nicht von Anfang an gesagt, denn ich war (ja noch) bei euch. 5Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat, und niemand von euch fragt mich: Wohin gehst du? 6Sondern weil ich euch dies gesagt habe, hat Trauer euer Herz erfüllt. 7Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist hilfreich für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, wird der Beistand nicht kommen; wenn ich aber fortgehe, werde ich ihn zu euch senden.
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Und wenn er kommt, wird er die Welt überführen, (und zwar) in Bezug auf die Sünde und in Bezug auf die Gerechtigkeit und in Bezug auf das Gericht: 9in Bezug auf die Sünde, dass sie nicht an mich glauben, 10in Bezug auf die Gerechtigkeit, dass ich zum Vater gehe und ihr mich nicht mehr sehen werdet, 11in Bezug auf das Gericht, dass der Herrscher dieser Welt gerichtet ist. 12 Ich habe euch noch vieles zu sagen, aber ihr könnt (es) jetzt nicht ertragen. 13Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, er wird euch in der ganzen Wahrheit leiten; denn er wird nicht aus sich selbst reden, sondern alles, was er hören wird, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkünden. 14Er wird mich verherrlichen, weil er (alles) aus dem Meinen empfangen und euch verkünden wird. 15Alles, was der Vater hat, ist mein; deshalb habe ich gesagt, dass er (alles) aus dem Meinen empfängt und es euch verkünden wird. Der dritte Teil der zweiten Abschiedsrede bildet den Höhepunkt der Paraklet-Worte. In einem ersten Abschnitt (V. 4b–7) wird einmal mehr Jesu Weggang thematisiert. Er ist nötig, denn nur dadurch kann der Beistand/Paraklet kommen. Die beiden nächsten Abschnitte beschreiben zwei zentrale Aspekte seines Wirkens: Der eine betrifft die Welt (V. 8–11). Der Beistand wird ihr ihre Schuld aufzeigen und das Urteil Gottes verkünden (4. Parakletwort). Der andere Aspekt betrifft die Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen (V. 12–15). Sie wird er zu einem umfassenden Verständnis des Handels Gottes in Jesus Christus führen (5. Parakletwort). Noch einmal spricht Jesus von der Notwendigkeit des Abschieds von seinen Jüngern (4 4 –7). Was er ihnen jetzt gesagt hat und gleich noch sagen wird, hat er ihnen nicht von Anfang seines Wirkens an gesagt, denn ich war (ja noch) bei euch (44 ). Solange die Jünger mit Jesus unmittelbar im Gespräch waren, bedurfte es keiner Belehrungen über die Herausforderungen der Zukunft. Nun aber steht ein ganz neuer Abschnitt ihres Wegs mit Jesus bevor. Er wird nicht mehr leiblich mit ihnen unterwegs sein und unmittelbar gefragt werden können. Wieder weist Jesus auf die bevorstehende Veränderung hin (55 ): Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat. Die Sendung Jesu durch den Vater, war Grund für sein Wirken in dieser Welt und für die Gemeinschaft mit denen, die er zu sich gerufen hatte. Aber zum Auftrag eines Gesandten gehört auch die Rückkehr zu dem, der ihn gesandt hat. Die Jünger scheinen das immer noch nicht begriffen zu haben. Deshalb sagt Jesus mit einem gewissen Vorwurf: und (= aber)
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niemand von euch fragt mich: Wohin gehst du? Diese Feststellung verwundert. Denn in 13,36 hat Petrus ausdrücklich und in 14,5 Thomas indirekt gefragt, wohin Jesus geht. Diese Unstimmigkeit ist für viele Ausleger Anlass zur Vermutung, es habe Umstellungen im Text gegeben bzw. die zweite Abschiedsrede sei zunächst unabhängig von der ersten entstanden. Aber es scheint so, dass für den Erzähler (oder diejenigen, die Kap. 15–17 eingefügt haben,) solche äußerlichen Unstimmigkeiten ein Mittel sind, um deutlich zu machen, in welcher inneren Verwirrung sich die Jünger befinden. Sie sind innerlich blockiert. Jesus nennt auch den Grund dafür (66 ): weil ich euch dies gesagt habe, hat Trauer euer Herz erfüllt. Die Jünger sehen nur, dass ihnen Jesus genommen wird. Die Sorge und Trauer darüber, dass sie verlassen zurückbleiben, verdrängt die Frage nach dem Weg Jesu. So bleibt ihnen die heilvolle Perspektive verschlossen, die sein Weggang und seine Rückkehr zum Vater eröffnet. Jesus will ihnen dafür jedoch die Augen öffnen. Er versichert ihnen (7 7 ): Ich sage euch die Wahrheit: Es ist hilfreich für euch, dass ich weggehe. Die Formulierung hat einen typisch johanneischen Doppelsinn: ich sage euch die Wahrheit bedeutet zunächst wie üblich: Was ich euch sage, stimmt; ihr könnt euch darauf verlassen. Es klingt aber auch eine tiefere Bedeutung an: Ich lasse euch wissen, wie sich in meinem Geschick die Wirklichkeit Gottes zeigt und sich sein Plan zum Heil erfüllt. Denn dass ich weggehe und zum Vater zurückkehre, ist hilfreich für euch, weil es eine neue Dimension der Gegenwart Gottes unter den Menschen eröffnet. Jesus begründet das mit der Verheißung der Sendung des Geistes: Denn wenn ich nicht weggehe, wird der Beistand nicht kommen. Würde Jesus bei seinen Jüngern bleiben, käme Gottes Plan mit ihm nicht zum Ziel. »Allein das Kreuz als Ort des Todes und der Erhöhung des Sohnes bringt die Offenbarung zu ihrer Vollendung« (Zumstein, 595). Das ist die Bedingung dafür, dass durch die Sendung des Geistes der Wirkungskreis Jesu über den Aktionsradius eines einzelnen Menschen hinaus entgrenzt und entschränkt wird. Nun aber kann er versprechen: Wenn ich aber fortgehe, werde ich ihn zu euch senden. So wie der Vater den Sohn in die Welt gesandt hat, um mit seiner Liebe in ihr gegenwärtig zu sein, so sendet der Sohn den Geist in die Gemeinschaft seiner Jünger und Jüngerinnen, um unter ihnen mit der Vollmacht gegenwärtig zu sein, die der Vollendung seines Wirkens entspricht. Doch hat das Kommen des Geistes gerade auch für die Welt entscheidende Bedeutung (8 8 ): Denn wenn er kommt, wird er die Welt überführen. Das Stichwort überführen verrät: Hier geht es
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um ein Gerichtsverfahren. Das griechische Wort bedeutet in diesem Zusammenhang: etwas ans Licht bringen, jemanden einer Sache überführen, die Schuld aufdecken. Der Geist ist also nicht nur der Zeuge, der für den angeklagten Jesus eintritt und Zeugnis ablegt (so in 15,26). Er hat auch die Funktion eines Anwalts der Anklage. Die Welt, die als Anklägerin gegen Jesus und die Seinen auftritt, wird selbst zur Angeklagten. Das endzeitliche Gerichtsverfahren, das Gott bzw. sein Beauftragter nach dem Zeugnis des Alten Testaments und der frühjüdischen Apokalyptik gegen diese Welt durchführen wird (vgl. Jes 41,1–5; 4Esr 12,32f; 13,37f), wird von Gottes Geist, dem Parakleten, verwirklicht werden. Drei Dinge sind es, die in diesem Gerichtsverfahren geklärt werden. Es sind nicht alles Anklagen. Aber in allen Punkten wird der Geist eine gerichtliche Klärung herbeiführen, die den wahren Sachverhalt ans Licht bringt (LÜ: der Welt die Augen auftun): (und zwar) in Bezug auf die Sünde und in Bezug auf die Gerechtigkeit und in Bezug auf das Gericht. In knappen Worten wird im Folgenden angedeutet, was das bedeutet. in Bezug auf die Sünde (9 9 ) meint: Durch das Wirken des Geistes wird sich erweisen, dass die grundsätzliche Schuld der Welt, ihre Sünde vor Gott, darin besteht, dass sie nicht an mich (Jesus) glauben. Nicht die vielen moralischen Verfehlungen, auch nicht das himmelschreiende Unrecht, der systemische Egoismus und die menschenverachtende Unbarmherzigkeit, die das »System« dieser Welt kennzeichnen, sind ihre wahre Schuld. Es ist vielmehr ihre Feindschaft gegen Gott, die sich in der Weigerung dokumentiert, an Jesus zu glauben, obwohl ihn Gott gesandt hat und in ihm gegenwärtig ist (vgl. 8,24; 15,22–24). Es ist wichtig, die Formulierung der Anklage genau zu lesen. Zwar ist es die Welt, deren Schuld aufgedeckt werden soll. Aber ein anonymes System kann nicht des Unglaubens beschuldigt werden. Die Anklage ist im Plural formuliert: dass sie nicht glauben. Sie bezieht sich also auf Menschen, die der Sünde, d.h. ihrer Entfremdung von Gott, überführt werden. Wer ist damit gemeint? Im Zusammenhang des Evangeliums sind es sicher zunächst die Zeitgenossen Jesu, die Zeugen seines Wirkens waren und ihm doch den Glauben verweigert haben. Aber darüber hinaus werden alle gewarnt: Die entscheidende Lebensverfehlung der Menschen besteht darin, dass sie den Glauben an Jesus verweigern. Dadurch werden sie zum gottfeindlichen System der Welt. Das provoziert eine Rückfrage: Wird die »Engführung« des Begriffs »Sünde« auf diesen einen Punkt den Menschen und dem, woran sie schuldig werden, wirklich gerecht? Oder gibt es eine in-
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nere Verbindung zwischen dem, was in dieser Welt an Lebensfeindlichem geschieht, und der Feindschaft gegen Gott, deren Leitsymptom die Weigerung ist, an Jesus zu glauben? Hinzu tritt die Frage, wo und in welcher Form sich der Aufweis der Schuld der Welt vollziehen wird. Aber das bleibt zunächst offen. Der nächste Punkt, bei dem dieses Gerichtsverfahren Klarheit schaffen soll, bezieht sich auf die Gerechtigkeit (11 0). Im Gegensatz zum Befund bei Paulus und auch bei Matthäus, wo der Begriff Gerechtigkeit eine wichtige Rolle spielt, kommt er bei Johannes nur hier vor. Er steht als positiver Gegenbegriff zur Sünde. Dabei geht es aber nicht allgemein um die Durchsetzung von Gerechtigkeit in der Welt, sondern um Gottes Gerechtigkeit, seine Heilstreue, mit der er die Gottfeindschaft der Welt überwindet. Wie das geschieht, wird in theologischer Kurzschrift notiert. Gottes Gerechtigkeit zeigt sich darin, dass ich zum Vater gehe. Was heißt das? Gottes Heilstreue, seine Gerechtigkeit, erweist sich darin, dass Jesus den Weg in den Tod nicht scheut, sondern durch ihn hindurch zu dem zurückkehrt, der ihn gesandt hat (vgl. 1Tim 3,16). »Gerade indem das Kreuz der Ort ist, an dem Jesus sein Werk vollendet und zu Gott erhöht wird, der ihn empfängt und somit anerkennt, gerade darin bestätigt sein Tod nicht seine Niederlage und seine Ablehnung, sondern seinen Sieg und seine Rechtfertigung in der Auseinandersetzung mit der Welt« (Zumstein, 599). »Die Welt wird also Jesu Tod als seine Rückkehr zum Vater und damit als Erweis seiner Gerechtigkeit, seines Gott-recht-Seins erkennen müssen« (Dietzfelbinger II, 147f). Merkwürdig ist der zweite Teil dessen, was als Erweis der Gerechtigkeit genannt wird. Er besteht darin, dass ihr mich nicht mehr sehen werdet. Dies zeigt: Zunächst gilt das Wirken des Geistes der Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu. Sie sollen wissen: Dass ihr Herr und Meister ihren Blicken entzogen ist, ist nicht Grund zur Trauer, sondern Beweis dafür, dass er in einer neuen Dimension für sie da sein wird. Darin liegt ein Auftrag für sie. Nun sind es die Jünger Jesu, »die ihm Gestalt und Stimme verleihen« und durch die er sich für die Welt, die ihn weder sehen noch erkennen kann, »sichtbar (und) hörbar machen wird« (Thyen, 664). Ein dritter Sachverhalt wird in diesem Prozess aufgedeckt werden: Wie erfolgt das Gericht (11 1)? Die Erwartung eines letzten Urteils, mit dem Gott bzw. sein Beauftragter endlich dem Recht und der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen werden, gehört zum Zentrum jüdischer und christlicher Zukunftshoffnung. Es gibt eindrucksvolle Darstellungen dieses Gerichts (Dan 7,13–25; Mt 25,31–46; Offb 20,12–15). Hier, in der Parakletverheißung, ist der Blick auf
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ein zentrales Ergebnis des Gerichts gerichtet: dass der Herrscher dieser Welt gerichtet ist. Schon in 12,31 betonte Jesus: »Jetzt geschieht Gericht über diese Welt, jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden«. Aber das war – trotz des »Jetzt« – Vorwegnahme eines künftigen Ereignisses. Denn in 14,30 begründet er das Ende des Gesprächs mit dem Hinweis: »Es kommt der Herrscher dieser Welt«. So wird auch hier die Aussage, dass der Herrscher dieser Welt, der Teufel, gerichtet ist, aus der nachösterlichen Perspektive formuliert sein: Weil Jesus den anscheinend vom Herrscher dieser Welt inszenierten Tod im Gehorsam gegen den Vater bestanden und seinen Auftrag vollendet hat, ist die Macht des Bösen endgültig gebrochen. Das Urteil über ihn ist ergangen, und das gilt. Damit ist aber auch das Urteil über die Welt gefällt (vgl. 12,31): »Die Welt ist schon gerichtet. Das Entscheidende ist schon geschehen« (Onuki, Gemeinde 147). Davon darf die Gemeinde Jesu ausgehen. Die Feststellung, dass der Herrscher dieser Welt verurteilt und entmachtet ist, könnte auch bedeuten, dass die Welt damit von der Herrschaft des Bösen befreit ist und gerade deshalb zur Adressatin der Botschaft von Jesus werden kann. Die Welt wird von jetzt an durch die Gemeinde zum Glauben und zum Heil gerufen werden. Aber indem das geschieht, wird durch die Verkündigung »gleichzeitig das bereits erfolgte Gericht der Welt ›aufgedeckt‹ oder die Welt dessen ›überführt‹« (Onuki, Gemeinde 148). Das Kommen des Beistands/Parakleten ist also auch für das Wirken und die Verkündigung der Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu nach Ostern entscheidend. Davon spricht Jesus in den V. 1 2–15. Manches von dem, was die Jünger dafür wissen müssen, ist noch nicht gesagt. Aber dass es so ist, sollen sie wissen. Deshalb betont Jesus: Ich habe euch noch vieles zu sagen (11 2). Doch das ist nicht möglich. Denn – so begründet Jesus: ihr könnt (es) jetzt nicht ertragen. Für viele Ausleger bedeutet das: Ihr könnt es noch nicht verstehen. Aber das sagt Jesus nicht. Er weiß: In dieser Stunde der Trauer ist es den Jüngern nicht möglich, die Fülle dessen, was auf sie zukommt, aufzunehmen und zu verarbeiten. Das Wissen um die Größe der Aufgabe, die Bedeutung ihrer Vollmacht und die Bandbreite beglückender und erschreckender Erfahrungen würde sie erdrücken. Doch es ist nicht nötig, dass er jetzt davon spricht. Die Jünger und Jüngerinnen werden in dieser Situation nicht allein sein (11 3): Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, er wird euch in der ganzen Wahrheit leiten. Jener – das ist wie in V. 8 der Beistand, der Paraklet, den Jesus in V. 7 angekündigt hat und der noch ein-
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mal ausdrücklich mit Gottes Geist, dem Geist der Wahrheit, identifiziert wird (vgl. 14,17; 15,26). Dies ist also das fünfte und letzte Parakletwort, das umfassend über das Wirken des Geistes in der Gemeinde informiert. Leider ist das Verständnis der Aussage durch eine Unsicherheit im Blick auf den ursprünglichen Text erschwert. Zwei der alten und zuverlässigen Handschriften und die Mehrheit der späteren Textzeugen schreiben: wird euch in die ganze Wahrheit führen (so auch EÜ; vgl. LÜ: in alle Wahrheit leiten). Aber der Codex Sinaiticus und einige andere älteren Handschriften haben: wird euch in der ganzen Wahrheit leiten (so ZB und jetzt auch EÜ2016; LÜ2017: in aller Wahrheit). Geht man nach Gewicht und Zahl der Handschriften, wäre die erstgenannte Fassung ursprünglich. Sie entspricht auch der Erwartung, dass der Geist die Jünger all das lehren wird, was sie jetzt noch nicht erfahren können, weil sie es noch nicht verstehen. Aber gerade das macht die Sachverständigen stutzig: Ist diese erste Lesart nicht eher eine Anpassung an diese Erwartung, unter anderem verursacht durch die falsche Deutung von nicht ertragen in V. 12 als nicht verstehen? Und widerspricht sie bei genauem Lesen nicht gerade der Überzeugung des Johannes, dass Jesus selbst die Wahrheit ist? Es ist also nicht erst der Geist, der in die ganze Wahrheit führen wird. Wir haben deshalb die zweite Fassung für unsere Übersetzung und Auslegung gewählt.
Gottes Geist, der Geist der Wahrheit und von Jesus gesandte Beistand, wird die nachösterliche Gemeinde leiten und begleiten, und zwar in der ganzen Wahrheit. Jesus selbst ist die Wahrheit und der Weg. Die göttliche Wirklichkeit, die er in diese Welt gebracht und in ihr und für sie gelebt hat, sie wird Lebensraum der Gemeinde sein, und der Geist wird die Jüngerinnen und Jünger Jesu anleiten, aus und in dieser Wirklichkeit zu leben und ihren Auftrag zu erfüllen. Ausdrücklich wird in den nächsten Sätzen betont, dass er keine bisher unbekannten Wahrheiten und keine neuen Erfahrungen verkünden, sondern die Botschaft Jesu für die neue Situation der Gemeinde auslegen wird. Drei Mal sagt Jesus in den V. 13–15 zu seinen Jüngern: Er, der Geist, wird euch verkünden. Und drei Mal betont er, dass der Geist nur das weitergeben wird, was er von ihm, Jesus, empfangen wird. Der Geist leitet somit die Gemeinde, indem er Jesu Botschaft für ihre Situation aktualisiert. Wie der Sohn nichts aus sich selbst tut, sondern redet, was er vom Vater hört und lernt (vgl. 5,30; 7,17; 8,28; 12,49), so wird auch der Geist nur reden, was er hören wird. In diesen drei parallelen Sätzen werden drei Aufgaben genannt, die der Geist wahrnehmen wird. Erstens: Das Kommende wird er euch verkünden. Darüber, was das Kommende ist, sind sich die Ausleger nicht einig. Ist es das Geschehen von Tod und Aufer-
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weckung Jesu, dessen Bedeutung erst der Geist erschließen wird? Oder sind damit die Herausforderungen gemeint, denen sich die Gemeinde in der Zukunft zu stellen hat? Oder geht es um endzeitliche Ereignisse, die der Geist durch das Wirken urchristlicher Propheten ankündigen wird? Keine dieser Möglichkeiten ist sicher auszuschließen. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Evangelist die unmittelbar bevorstehenden Ereignisse von Tod und Auferstehung Jesu als das Kommende bezeichnet. Umgekehrt ist nicht anzunehmen, dass im 4. Evangelium in zeitlicher Ferne liegende Endereignisse als Inhalt der Botschaft des Geistes erwartet werden. Es geht bei der Verkündigung des Kommenden um die Aktualisierung der Botschaft Jesu für die Situation der Gemeinde. »Durch den Beistand wird Jesu Wirken so zum Zuge kommen, dass die Gemeinde die Herausforderungen dessen bestehen kann, was in ihrer Situation auf sie zukommt« (Wengst II, 174). Das führt zur zweiten Aufgabe, die der Geist/Paraklet erfüllt (11 4): Er wird mich verherrlichen, weil er (alles) aus dem Meinen empfangen und euch verkünden wird. Bisher war die Rede davon, dass der Vater sich und den Sohn und der Sohn den Vater verherrlicht (vgl. 8,54; 12,28; 13,31f; weiter 17,1.5). In Zukunft wird es der Geist sein, der Jesus verherrlicht, und das heißt: Durch das Wirken des Geistes wird offenkundig, dass in der Person und der Botschaft Jesu die Wirklichkeit Gottes gegenwärtig und wirksam ist. Das aber geschieht gerade dadurch, dass er Jesu Wort und Werk lebendig macht und vergegenwärtigt. Er wird (alles) aus dem Meinen empfangen, sagt Jesus. Das griechische Wort, das wir mit empfangen übersetzen, kann auch nehmen bedeuten (so LÜ; EÜ; REB). Aber die Parallele zu hören (V. 13) spricht für die Wiedergabe durch empfangen (ZB). Alles, was der Geist wirkt und sagt, empfängt er aus der Fülle dessen, was Gott in Jesu Person und Geschick gelegt hat. »Sein Wort ist ganz das Wort Jesu« (Dettwiler, Gegenwart 234). Die dritte Ansage dessen, was der Geist tut, knüpft daran an. Jesus betont zunächst die grundlegende Einheit zwischen dem Vater und ihm (11 5): Alles, was der Vater hat, ist mein. Die Fülle göttlichen Seins und göttlicher Liebe ist auch dem Sohn zu eigen, und daran gibt er auch dem Geist Anteil: Deshalb habe ich gesagt, dass er (alles) aus dem Meinen empfängt und es euch verkünden wird. Das Wort des Beistands/Parakleten ist also nicht sein eigenes Wort und nicht nur das Wort Jesu, es ist »ganz das Wort Gottes« (Dettwiler, Gegenwart 235). Der Geist wirkt durch das Wort. Es sind keine ekstatischen Erscheinungen und auch nicht mystische Eingebungen, es ist die Verkün-
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digung der Gemeinde, durch die der Geist zu den Menschen spricht. Deshalb gilt auch: Der Geist wird nichts anderes als das vergegenwärtigen und weitergeben, was Jesus verkündet und getan hat (V. 13–15). Das wird mit derart großem Nachdruck betont, dass man vermuten möchte, dies sei ein Streitpunkt in den johanneischen Gemeinden gewesen. Doch eindeutig wird festgehalten: Der Geist wird keine neuen Offenbarungen bringen, sondern das entfalten und erklären, was Gott durch Wort und Werk Jesu offenbart hat. Der Geist wird die Tiefe und Größe dessen, was durch Jesus geschehen ist, aufdecken und die Wirklichkeit der Gegenwart Gottes in seiner Person und seinem Wirken neu zum Leuchten bringen (ihn verherrlichen). So wird er die Kirche anleiten, ihr Leben und ihre Verkündigung aus dieser Wirklichkeit heraus zu gestalten (sie in der ganzen Wahrheit leiten). Hier zeigt sich sehr eindrücklich die trinitarisch orientierte Grundkonzeption des johanneischen Denkens: »Der Vater gibt dem Sohn das Wort, das der Sohn verkörpert und offenbart; der Geist wiederum bringt als Gesandter von Vater und Sohn das Wort nachösterlich zur Geltung« (Schnelle, 325). So ist anzunehmen, dass auch das Überführen der Welt durch das Wirken des Geist-Parakleten nicht an einem zukünftigen Gerichtstag geschieht, sondern durch die Verkündigung der Gemeinde. Sie hat die Aufgabe, offenzulegen, wie es um die Gottesferne der Welt steht; sie soll bezeugen, dass Jesu Tod nicht das Ende, sondern das Ziel seines Wegs war, und sie soll zeigen, dass sich die Menschen nicht mehr von der Macht des Bösen beherrschen lassen müssen. Und sie darf darauf hoffen, dass der Geist als Beistand und als Anwalt bewirkt, dass ihr Wort und ihr Tun nicht ohne Wirkung bleiben. Jesus zeichnet das Bild einer Gemeinschaft seiner Jünger und Jüngerinnen, die sich von Gottes Geist leiten lässt und darauf vertraut, dass er ihrem Wort und ihrem Wirken Kraft verleiht. Es ist eine Gemeinde, die durch den Beistand des Geistes immer wieder neu entdeckt, wie eindeutig Gottes Wesen und Wirklichkeit in der Person und dem Leben Jesu von Nazareth erkennbar ist, wie lebendig und kreativ seine Liebe weiterwirkt und wie daraus Antwort und Hilfe auch für die Herausforderungen einer späteren Zeit zu finden sind. Es ist eine Kirche, die in der Kraft des Geistes den Mut hat, die Menschen damit zu konfrontieren, dass sie ohne eine lebendige Verbindung mit Gott ihr Leben verfehlen, und ihnen zu bezeugen, dass Jesus den Weg zu Gott für alle geöffnet hat und sie sich nicht mehr von der Macht des Bösen beherrschen lassen müssen. Sie sitzt nicht über die Welt zu Gericht, aber fordert sie heraus, indem sie ihren Glauben lebt, sich für die Gerechtigkeit einsetzt und dem Bösen widersteht.
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16,16–33 Abschließendes Gespräch: Der Sieg über die Welt 16
(Noch) eine kurze Zeit, und ihr seht mich nicht (mehr), und wiederum eine kurze Zeit, und ihr werdet mich sehen. 17Da sagten einige seiner Jünger zueinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Eine kurze Zeit, und ihr seht mich nicht (mehr), und wiederum eine kurze Zeit, und ihr werdet mich sehen? Und (dass er sagt): Ich gehe zum Vater? 18(Weiter) sagten sie: Was bedeutet das, dieses »eine kurze Zeit«? Wir verstehen nicht, wovon er redet. 19 Jesus erkannte, dass sie ihn fragen wollten und sagte zu ihnen: Darüber befragt ihr euch untereinander, dass ich sagte: Eine kurze Zeit, und ihr seht mich nicht (mehr), und wiederum eine kurze Zeit, und ihr werdet mich sehen? 20Amen, amen, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, die Welt aber wird sich freuen; ihr werdet trauern, aber eure Trauer wird zur Freude werden. 21Eine Frau, wenn sie gebären soll, ist traurig, weil ihre Stunde gekommen ist; wenn aber das Kind geboren ist, denkt sie nicht mehr an die Bedrängnis, weil sie sich freut, dass ein Mensch in die Welt hineingeboren wurde. 22 Auch ihr habt also jetzt Trauer; aber ich werde euch wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen, und niemand nimmt eure Freude von euch weg. 23 Und an jenem Tag werdet ihr mich nichts (mehr) fragen. Amen, amen, ich sage euch: Wenn immer ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, wird er (es) euch geben. 24Bis jetzt habt ihr nichts in meinem Namen erbeten; bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei. 25 Dies habe ich in Rätseln mit euch geredet; es kommt die Stunde, in der ich nicht mehr in Rätseln mit euch reden werde, sondern ich werde euch offen vom Vater verkünden. 26An jenem Tag werdet ihr in meinem Namen bitten, und ich sage nicht, dass ich den Vater wegen euch bitten werde. 27Denn der Vater selbst liebt euch, weil ihr mich geliebt und geglaubt habt, dass ich vom Vater ausgegangen bin. 28Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater. 29 Seine Jünger sagen: Siehe, jetzt redest du offen und sprichst nicht in Rätseln. 30Jetzt wissen wir, dass du alles weißt und nicht nötig hast, dass jemand dich fragt. Deswegen glauben wir, dass du von Gott gekommen bist. 31Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr? 32 Siehe, es kommt eine Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, jeder in das Seine, und ihr mich allein lasst; aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. 33Dies habe ich euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Bedrängnis; aber habt Mut, ich habe die Welt besiegt.
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Der letzte Teil der zweiten Abschiedsrede besteht aus einem abschließenden Gespräch Jesu mit seinen Jüngern, das noch einmal die Situation des Abschieds aufnimmt. Es gliedert sich in zwei klar umgrenzte Abschnitte: In den V. 16–24 geht es um den Weg der Jünger von der Trauer zur Freude und in den V. 25–33 um ihren Glauben, der aus neuem Verstehen erwächst, aber auch um Ermutigung angesichts drohenden Versagens. Der erste Abschnitt (1 1 6–24) gliedert sich in drei Unterabschnitte: In V. 16–18 greift Jesus zum letzten Mal das Thema Abschied und Wiedersehen auf, ohne dass ihn seine Jünger verstehen. In den V. 19–22 stellt er ihnen vor Augen, wie sich ihre Trauer über seinen Weggang in Freude über die neue Begegnung mit ihm verwandeln wird. Und in V. 23f erneuert er noch einmal die Zusage, dass die Gebete der Jünger erhört werden. Schon in 7,33 hatte Jesus den Dienern der Hohepriester und Pharisäer gesagt: »Nur noch kurze Zeit bin ich bei euch, dann kehre ich zu dem zurück, der mich gesandt hat«. Diese Ansage hat er gegenüber seinen Jüngern zu Beginn der ersten Abschiedsrede in 13,33 erneuert und dann in 14,19 zum ersten Mal angedeutet, dass es für seine Jünger ein Wiedersehen mit ihm geben werde. Das bekräftigt er hier noch einmal ausdrücklich (11 6): (Noch) eine kurze Zeit, und ihr seht mich nicht (mehr), und wiederum eine kurze Zeit, und ihr werdet mich sehen. Das hört sich an wie ein Rätsel, und doch scheint klar zu sein, dass Jesus hier auf seine kurz bevorstehende Verhaftung und Hinrichtung verweist, der dann in Kürze die Neubegegnung mit ihm nach seiner Auferstehung folgen wird. Allerdings fragen viele Ausleger, ob den Lesern und Leserinnen des Evangeliums damit nicht signalisiert werden soll, dass auch für sie Jesus bald wiederkommt. Auch sie litten darunter, dass sie Jesus nicht sehen konnten. Soll hier die Naherwartung neu belebt werden? Dass das so gelesen wurde, ist nicht unmöglich. Aber dass Jesus hier nach Meinung des Evangelisten von der Zeit bis zu seiner Wiederkunft spricht, ist unwahrscheinlich. Überall, wo bisher von der kurzen Zeit die Rede war, ist damit die Zeit bis zur Kreuzigung gemeint (7,33: 12,35; 14,19). Doch für die Jünger bleibt Jesu Rede rätselhaft. Sie reden untereinander darüber und wiederholen dabei noch einmal Jesu Aussage ausdrücklich (1 1 7). Ja, sie ergänzen sie sogar um einen Hinweis, den er schon 14,13 gegeben hat: Ich gehe zum Vater. Das ist ein wichtiges Argument dafür, dass mit und ihr seht mich nicht (mehr) Jesu Weg in den Tod gemeint war. Vor allem zerbrechen sie sich den Kopf, was dieses eine kurze Zeit bedeutet (1 1 8).
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Die ausführliche Schilderung des (eigentlich unverständlichen) Unverständnisses der Jünger und die dreimalige, fast wörtliche Wiederholung des Rätselwortes Jesu zeigt: Der Evangelist möchte seine Leserinnen und Leser zum intensiven Nachdenken anregen. Was bedeutet Jesu Rede wirklich? Steckt in der Problematisierung der Wendung eine kurze Zeit vielleicht doch ein versteckter Hinweis darauf, dass Jesu Wiederkunft nahe ist, auch wenn schon so viel Zeit verstrichen ist? Oder soll dieses Signal darauf hinweisen, dass es bei dieser Zeitangabe nicht nur um eine chronologische Zeitbestimmung geht? Es sind sicher nicht nur die wenigen Stunden gemeint, die bis zur Kreuzigung und dann wieder bis zur Auferstehung vergehen werden. Die österliche Begegnung mit Jesus kann und muss immer wieder neu geschehen; sie ist keine langfristig planbare Gegebenheit. Jesus erkennt, was seine Jünger umtreibt und worauf sie eine Antwort suchen (1 1 9). In seiner Rückfrage an sie zitiert er zum dritten Mal sein rätselhaftes Wort: Eine kurze Zeit, und ihr seht mich nicht (mehr), und wiederum eine kurze Zeit, und ihr werdet mich sehen. Und wie oft, wenn er auf das Unverständnis oder Missverstehen anderer reagiert, gibt er keine direkte Antwort. Das Rätsel wird nicht einfach aufgelöst. Aber er gibt einen Hinweis, wie das Wort zu verstehen ist. Vor allem aber macht er den verunsicherten Jüngern Mut, dass ihr Weg trotz aller Schwierigkeiten zu einem guten Ziel führt. Wieder leitet ein feierliches doppeltes Amen seine Antwort ein (22 0): Amen, amen, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, die Welt aber wird sich freuen. Es kann kein Zweifel sein, dass damit die Situation der Jünger nach dem Tod Jesu beschrieben wird. Die Feinde Jesu (die Welt) werden voll Freude triumphieren in der Meinung, einen lästigen oder gar gefährlichen Störenfried des Status quo beseitigt zu haben. Die Jünger aber werden in tiefer Trauer weinen und klagen in der Meinung, den verloren zu haben, auf den sie alle Hoffnung für sich und ihr Volk setzten. Das aber wird nicht das letzte Wort sein. Jesus redet weiter: ihr werdet trauern, ganz sicher. Doch das ist nicht das Ende eures Wegs mit mir: eure Trauer wird zur Freude werden. Damit ist die Situation der Jünger an Ostern beschrieben. Bei der ersten Begegnung des Auferstandenen mit den versammelten Jüngern heißt es: »Da freuten sich die Jünger, weil sie den Herrn sahen« (Joh 20,20 ZB). Die Osterfreude folgt der Karfreitagstrauer. Welche unterschiedlichen Gefühle die Jünger überwältigen werden, macht Jesus durch einen Vergleich anschaulich (22 1): Eine Frau, wenn sie gebären soll, ist traurig, weil ihre Stunde gekommen ist; wenn aber das Kind geboren ist, denkt sie nicht mehr an die Be-
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drängnis, weil sie sich freut, dass ein Mensch in die Welt hineingeboren wurde. Die Art, wie Jesus das kleine Gleichnis erzählt, lässt die Anwendung auf die Situation der Jünger schon durchscheinen: Statt von schmerzhaften Wehen, wie sie eine Frau zu bestehen hat, spricht er von Trauer und Bedrängnis, also von dem, was die Jünger nach seinem Tod erleiden werden. Geburtswehen und die Schmerzen, die sie bereiten, sind schon im Alten Testament Gleichnis für die Not des Volks und ihre Überwindung (vgl. Jes 26,17f; 66,7f). Vor allem aber wird der Vergleich mit Wehen für die Beschreibung notvoller endzeitlicher Ereignisse verwendet, die vor der endgültigen Erlösung zu erdulden sind (Mk 13,8; Offb 12,2–5; 1Hen 62,4; 4Esr 4,42). Deshalb nehmen viele Ausleger an, dass auch hier von der endzeitlichen Bedrängnis und der Freude endgültiger Erlösung gesprochen wird. Doch ist der Vergleich für die Anwendung auf unterschiedliche Situationen offen und nicht auf die endzeitliche Bedrängnis festgelegt. Jesus selbst bezieht den Vergleich auf die jetzige Situation der Jünger (22 2): Auch ihr habt also jetzt Trauer; aber ich werde euch wiedersehen und euer Herz wird sich freuen, und niemand nimmt eure Freude von euch weg. Damit sind auf der Erzählebene zunächst die Jünger im Blick, die voll Angst und Sorge in eine ungewisse Zukunft blicken und angesichts der Hinrichtung Jesu in tiefe Trauer und Verzweiflung versinken. Doch das wird sich ändern. Hieß es in den V. 16–19: ihr werdet mich sehen, so hier: ich werde euch wiedersehen. Der Wechsel des Subjekts zeigt, dass die Initiative von Jesus, dem Auferstandenen, ausgeht. In der Begegnung mit ihm werden sie von überwältigender Freude erfüllt werden und mit dieser Freude im Herzen dem Auftrag ihres Herrn und Meisters folgen (vgl. 20,20–23). Für die ersten Leser und Leserinnen des Evangeliums lag es nahe, sich mit den Jüngern zu identifizieren. Auch ihre Situation war schwierig und – wie Jesus in 16,33 selbst sagen wird – ihre Existenz in der Welt von Bedrängnis und Verfolgung gekennzeichnet. Aber sie werden an dieser Stelle nicht auf die Wiederkunft Jesu und die endzeitliche Erlösung verwiesen. Dagegen spricht die Verheißung und niemand nimmt eure Freude von euch weg. Denn am Ende, wenn alle Feinde Gottes und der Seinen besiegt sein werden, wird niemand mehr da sein, der ihre Freude wegnehmen könnte. Vielmehr wird den Jüngern – und mit ihnen der späteren Gemeinde – verheißen, dass die Osterfreude immer wieder neu in ihre Herzen leuchten wird und ihnen von niemanden genommen werden kann. Sie ist unzerstörbar. Die eigenartige Spannung zwischen einer Verheißung für die Zeit nach Ostern und dem Vorblick auf die Wiederkunft Jesu prägt
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auch die nächsten Verse (22 3f ). Denn Jesus fährt fort mit den Worten: Und an jenem Tag werdet ihr mich nichts (mehr) fragen. Die Wendung an jenem Tag bezeichnet im Neuen Testament normalerweise das Ende dieser Weltzeit mit der Wiederkunft Chris-ti und dem Anbruch der neuen Zeit Gottes (vgl. Mk 13,32; 14,25; 2Tim 1,12.18; 4,8). Auch die Zeit, in der sich alle Fragen erübrigt haben werden, wird man eher in der Ewigkeit suchen als schon nach Ostern im Leben der Kirche (vgl. 1Kor 13,12). Aber wie wir schon bei 14,20 vermutet haben und in 16,26 eindeutig feststellen werden, verweist die Wendung an jenem Tag im Johannesevangelium auf die Wende des Geschicks der Jünger durch die Begegnung mit dem auferstandenen Christus. Das Ende dieser Weltzeit wird bei Johannes mit am letzten Tag bezeichnet (vgl. 6,39f; 11,24; 12,48). Doch mit Ostern beginnt schon eine neue Gemeinschaft mit Jesus und Gott, die ein Stück weit die endzeitliche Begegnung vorwegnimmt. Darum wird dies eine Zeit des Verstehens sein. Nicht, dass alle Fragen schon erledigt wären. Aber in einer Zeit, in der der Geist-Paraklet Jesu Jünger in der ganzen Wahrheit leiten wird, wird es das ratlose Fragen, das die Existenz der Jünger bisher gekennzeichnet hat (vgl. V. 17f), nicht mehr geben. Doch noch wird die Gemeinschaft mit Gott nicht vollkommen sein. Darum ist das Gebet so wichtig. Es befähigt dazu, diese Gemeinschaft unter irdischen Bedingungen zu leben. Dass Jesus hier und in V. 26 vom Beten spricht, zeigt ebenfalls, dass er nicht die Zeit nach seiner Wiederkunft im Blick hat. Immer wieder hat Jesus in den Abschiedsreden seinen Jüngern versprochen, dass ihre Gebete erhört werden (vgl. 14,13f; 15,7.16). Das wird hier und in V. 26 noch einmal ausdrücklich und feierlich wiederholt: Amen, amen, ich sage euch: Wenn immer ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, wird er (es) euch geben. Das Gebet im Namen Jesu ist neu für die Jünger. Jesus sagt ausdrücklich (2 2 4): Bis jetzt habt ihr nichts in meinem Namen erbeten. Dabei geht es um mehr als um die formelhafte Erwähnung des Namens Jesu beim Beten. Wenn Jünger und Jüngerinnen Jesu im Namen Jesu beten, werden sie hineingenommen in die »Nähe …, die Jesus mit Gott vereint. … Das unanfechtbare Vertrauen Jesu in die Liebe und die Fürsorge des Vaters in der Zeit seines irdischen Wirkens wird in nachösterlicher Zeit zum Privileg des Glaubenden« (Zumstein, 615). Darum kann auch die Verheißung bittet, und ihr werdet empfangen nicht als Blankoscheck missverstanden werden, den man mit beliebigen Bitten füllen kann. Wer im Namen Jesu bittet, betet im Sinne Jesu und vertraut darum ganz auf Gottes Großmut und erwartet alles von ihm.
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In diesem Vertrauen werden Jesu Jüngerinnen und Jünger leben, auch wenn er nicht mehr leibhaftig unter ihnen weilt. Jesus ermutigt und ermächtigt sie zu diesem Vertrauen, damit eure Freude vollkommen sei. Vollkommene Freude – auch das scheint ein Privileg der Ewigkeit zu sein, und doch leuchtet sie schon hinein in die Existenz der nachösterlichen Gemeinde und in das Leben derer, die zu Jesus gehören. Der zweite Teil des Schlussteils der zweiten Abschiedsrede (22 5– 33) gliedert sich in zwei Abschnitte: In den V. 25–28 spricht Jesus von dem Geschenk des Verstehens und der Unmittelbarkeit des Zugangs zu Gott in nachösterlicher Zeit. In den V. 29–33 greifen die Jünger diese Aussagen zunächst auf und sprechen selbstsicher von ihrem Glauben und Verstehen (29f). Doch Jesus stellt ihre Selbstsicherheit mit dem Hinweis auf die kommende Krise ihres Glaubens in Frage (30f), nicht ohne sie zugleich auf den wahren, tragenden Grund ihrer Glaubensgewissheit hinzuweisen (33). Diese Zusage bildet den eindrucksvollen Abschluss beider Abschiedsreden. Dass die Jünger Jesus so oft nicht verstanden haben, ist nicht nur ihre Schuld. Jesus selbst räumt ein (22 5): Dies habe ich in Rätseln mit euch geredet. Tatsächlich hat er in 16,16 die Jünger mit einer Art Rätselwort konfrontiert (vgl. auch zu 10,6). Aber er bezieht sich nicht nur auf diese eine Aussage. Im Grunde ist alles, was Jesus bisher zu den Jüngern gesagt hat, für sie Rätselrede geblieben – nicht, weil er so unverständlich geredet hätte, sondern weil die Grundvoraussetzung seines Redens für sie verborgen blieb. Das wird sich jedoch ändern, denn es kommt die Stunde, in der ich nicht mehr in Rätseln mit euch reden werde, sondern ich werde euch offen vom Vater verkünden. Die Stunde, von der Jesus spricht, ist auch hier das Ereignis von Kreuz und Auferstehung. Das wird den Jüngern die Augen für die wahre Natur der Sendung Jesu öffnen. Das Johannesevangelium berichtet nichts von einer ausführlichen nachösterlichen Verkündigung Jesu. Die Formulierung: ich werde euch offen vom Vater verkünden zeigt ja auch, dass sich der Inhalt der Verkündigung nicht ändern wird. vom Vater verkünden – nichts anderes tat Jesu in seinem irdischen Wirken. Aber dann, nach seiner Rückkehr zum Vater, wird für die Jünger offen zutage treten, dass in der Sendung Jesu Gott selbst gegenwärtig wurde. In Jesu Auftrag wird ihnen dies der GeistParaklet offen und verständlich verkünden (vgl. 16,13–15). Dass die Jünger nun die Botschaft Jesu und die Offenbarung Gottes in ihr wirklich verstehen, wird sie nicht in die vermeintliche Autonomie von Wissenden führen. Im Gegenteil, es wird die Gewissheit schenken, im Gebet ganz unmittelbar zu Gott reden zu
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2 6; vgl. V. 23f): An jenem können. Jesus verspricht noch einmal (2 Tag werdet ihr in meinem Namen bitten. Diese Formulierung zeigt eindeutig, dass die Wendung an jenem Tag sich nicht auf die Wiederkunft Jesu bezieht. Denn wenn Jesus wiederkommt, wird Beten nicht mehr nötig sein. Gemeint ist die Wende der Situation der Jünger durch Kreuz und Auferstehung Jesu. Aber obwohl die Jünger im Namen Jesu bitten, wird er nicht als Fürsprecher benötigt werden. Jesus betont ausdrücklich: ich sage nicht, dass ich den Vater wegen euch bitten werde. Die betende Gemeinde hat unmittelbaren Zugang zu Gott. Eine Vermittlung ist nicht nötig, auch nicht durch Jesus. Das wird begründet (22 7): Denn der Vater selbst liebt euch. Das ist eine unerwartete Aussage, die deshalb ausführlicher erklärt wird: weil ihr mich geliebt und geglaubt habt, dass ich vom Vater ausgegangen bin. Durch ihre Beziehung zu Jesus sind die Jünger und Jüngerinnen Jesu in eine neue Beziehung zu Gott getreten. Dabei ist aber nicht nur ein Schritt in der Vergangenheit im Blick. Das griechische Perfekt beschreibt auch dessen bleibende Wirkung. Wir könnten ebenso übersetzen: Denn ihr liebt mich und glaubt. Die Jünger haben sich mit ihrem ganzen Leben der Wahrheit anvertraut, dass ihnen in Jesus Gott selbst begegnet, und sich ihm voll Liebe als dem entscheidenden Gegenüber ihres Lebens geöffnet. Deshalb nimmt Gott sie hinein in seine Liebe, mit der er den Sohn liebt und die nun auch ihnen gilt. Jesus gehört ganz auf die Seite Gottes, und gerade so hat er Gott in dieser Welt verkörpert. Daran erinnert er in einem knappen Satz (2 2 8): Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater. Jesus kommt vom Vater, er ist das präexistente WORT, das von Gott in die Welt gesandt wurde. Und in seiner Erhöhung am Kreuz kehrt er zurück zum Vater und vollendet so Gottes offenbarendes und rettendes Handeln. Was wie eine nüchterne Beschreibung des Wegs des Sohns erscheint, ist in Wirklichkeit »Ausdruck der bedingungslosen und vorausgehenden Liebe Gottes (3,16; 13, 1; 15,9)« (Zumstein, 620). Die Jünger freuen sich über das, was Jesus sagt (22 9f ). Endlich werden sie ihn ganz verstehen. Dankbar stellen sie fest: Siehe, jetzt redest du offen und sprichst nicht in Rätseln. Das wirft für sie ein Licht auf Jesu Wesen und Vollmacht: Jetzt wissen wir, dass du alles weißt. Die neue Erkenntnis, die Jesu offenes Reden schenkt, ist ein Wissen über das Wissen Jesu! Dass Jesus die Menschen durchschaut und weiß, was in ihnen vorgeht, ist in den Erzählungen des Evangeliums immer wieder deutlich geworden (vgl. 1,47– 49; 2,24f; 3,2f; 4,17–19). Er muss niemanden fragen, um zu wis-
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sen, was er oder sie denkt. Ja, die Jünger stellen sogar fest, dass du nicht nötig hast, dass jemand dich fragt. Jesus ist nicht darauf angewiesen, durch entsprechende Fragen zu erfahren, was seine Gesprächspartner bewegt. Für die Jünger ist klar: Nur jemand, der ganz zu Gott gehört und von ihm bevollmächtigt ist, kann solch umfassendes Wissen haben. Das führt sie zu der Folgerung: Deswegen glauben wir, dass du von Gott gekommen bist. Das ist das entscheidende Bekenntnis, auf das Jesu Wirken zielt: Jesus ist der, den Gott gesandt hat, um in ihm den Menschen auf ganz neue Weise nahe zu sein. Jesu Antwort fällt jedoch zurückhaltend aus (3 3 1f ). Es ist nicht ganz klar: Ist es eine Frage oder eine ironische Feststellung, wenn er sagt: Jetzt glaubt ihr? oder: Ihr glaubt jetzt!? Jedenfalls stellt er die Sicherheit in Frage, mit der die Jünger beanspruchen zu glauben und zu verstehen. Das überrascht. Hat Jesus nicht selbst gerade (V. 27) den Jüngern attestiert, dass sie an ihn glauben? Aber dieser Glaube hat sich noch nicht im Feuer der Erfahrung der Passion Jesu bewährt. Das steht den Jüngern noch bevor: Siehe, es kommt eine Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, jeder in das Seine, und ihr mich allein lasst. Diese Voraussage, die Motive aus Sach 13,7 aufnimmt (vgl. 10,12), hat ihre Entsprechung in der Ansage der Flucht der Jünger in Mk 14,27 par Mt 26,31. Markus und Matthäus berichten dann auch, dass die Jünger Jesus bei seiner Verhaftung verlassen und fliehen (Mk 14,50 par Mt 26,56). Davon erzählt Johannes nichts. Nach Joh 18,8 sorgt Jesus selbst dafür, dass seine Jünger unbehelligt weggehen können. Wenn Johannes dennoch diesen Hinweis aufnimmt, muss für ihn die Vorhersage Jesu eine tiefere Bedeutung haben. Für ihn geht es dabei nicht um eine Flucht nach Galiläa, sondern um die innere »Zerstreuung« der Jünger durch Unverständnis und Furcht angesichts seines Todes (20,9.19). Damit lassen sie ihn allein! Aber nicht nur ihre Situation ist im Blick, sondern auch die Bedrohung und das Versagen der nachösterlichen Gemeinde. Der Glaube der Jünger, auf den sie so stolz sind, hat also ein doppeltes Defizit: 1. »Zu einem wirklichen, umfassenden Glauben kann es erst kommen, wenn der Tod Jesu am Kreuz erfasst ist«. Nur wenn »das Ärgernis des Kreuzes« angenommen wird, kommt der Glaube zu seiner Erfüllung (Schnelle, 330). 2. Das aber ist nicht nur ein intellektueller Prozess theologischer Erkenntnis, sondern hat eine existentielle Dimension, weil »nur der Glaube, der die Krise, d.h. das Zusammenbrechen der eigenen Sicherheit akzeptiert und der den Anspruch aufgibt, sich selbst zu tragen, ein echter Glaube werden kann« (Zumstein, 623).
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Die Jünger werden Jesus untreu werden und ihn verlassen. Gott aber bleibt treu. Mit dieser Gewissheit geht Jesus in seine Passion: aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. Für Johannes ist das Kreuz kein Ort der Gottverlassenheit. Im Gegenteil: Mit dem Sohn teilt auch der Vater die Schrecken des Todes und überwindet sie dadurch. Darum kann Johannes auch nichts davon berichten, dass Jesus mit dem Schrei: »Mein Gott, warum hast du mich verlassen« gestorben sei (so in Mk 15,34; Mt 27,46 nach Ps 22,2). Bei ihm stirbt Jesus mit dem Ruf: »Es ist vollbracht!« (19,30). Gerade deswegen hat die Kritik an den Jüngern nicht das letzte Wort. Sie – und all das, was Jesus in diesen letzten Gesprächen vor dem Abschied gesagt hat – hat ein positives Ziel (33 3): Dies habe ich euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. Wie am Ende der ersten Abschiedsrede steht auch am Schluss der zweiten die Verheißung des Friedens. Meinen Frieden lasse ich euch, hieß es in 14,27. Hier verspricht Jesus Frieden in mir. Er selbst ist der »Raum«, in dem alle, die zu ihm gehören, geborgen sind. In der Beziehung zu ihm können sie ein erfülltes und bewahrtes Leben führen. Das bedeutet nicht ein Leben in einem irdischen Paradies. Jünger und Jüngerinnen Jesu leben weiter in einer Welt, die ihnen feindlich gesinnt ist. Das werden sie spüren: In der Welt habt ihr Bedrängnis, sagt Jesus. Seine Gemeinde wird immer wieder bedroht sein und unter Verachtung und Verfolgung zu leiden haben. Das gehört zu der Wirklichkeit, in der sie lebt und wirkt. Die Erfahrung, »wir müssen durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes eingehen« (Apg 14,22), war tief im Bewusstsein der Urchristenheit verankert. Man kannte die Ankündigung einer »großen Bedrängnis« vor Jesu Wiederkunft aus seiner Endzeitrede (Mk 13,19.24 par Mt 24,21.29; vgl. Offb 7,14). Zugleich sah man in Bedrängnis und Verfolgung Realitäten, mit denen ein Christ schon jetzt Tag für Tag rechnen musste (vgl. Mk 4,17 par Mt 13,21; Röm 5,3; 8,35; 12,12; 2Kor 4,17; 8,2; 1Thess 1,6; 3,3; Hebr 10,33). Sich gegenseitig in solcher Bedrängnis beizustehen und zu ermutigen war für die junge Christenheit sehr wichtig (2Kor 1,4.8; Jak 1,27; Offb 1,9). Luther hat das griechische Wort, das wir mit Bedrängnis übersetzen (so durchgehend ZB; EÜ und jetzt oft auch LÜ2017), ursprünglich meist mit Trübsal wiedergegeben. An unserer Stelle aber übersetzte er: In der Welt habt ihr Angst. Damit verschiebt er den Akzent von der Bedrängnis, die den Menschen von außen in die Enge treibt, auf das, was diese bedrängende Enge im Herzen des Menschen bewirkt, also die Angst (so auch in Röm 8,35; 2Kor 6,4; 12,10). Obwohl er damit ein Stück weit über die ursprüngliche Aussage des Textes hinausgeht, trifft er einen wichtigen Aspekt der Wirklichkeit, in der sich Christen oft vorfinden und in der sie Jesu Wort tröstet und ermutigt.
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Diese nüchterne Analyse dessen, was Jünger und Jüngerinnen Jesu zu erwarten haben, soll sie nicht entmutigen. Im Gegenteil. Jesus ruft ihnen zu: Habt Mut oder mit der traditionellen Übersetzung: Seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Wieder einmal zeigt sich hier, dass die Abschiedsworte Jesu schon aus nachösterlicher Perspektive formuliert sind. Der Sieg der Liebe Gottes über den Hass der Welt, der Sieg des Lebens über den Tod, das ist der Sieg, den Jesus am Kreuz erringen wird. Er »bedeutet die definitive Niederlage der gegen Gott revoltierenden Welt« (Zumstein, 624) und wird hier als schon geschehen beschrieben. Auch hier macht das griechische Perfekt deutlich: Der Sieg ist geschehen und gilt – auch für die, die nach Ostern zum Glauben kommen. Freilich: »Die Welt besteht weiter, aber sie hat ihre zerstörerische Macht verloren. Der Konflikt zwischen Gott und seiner Schöpfung ist gelöst. Die Gemeinde der Jünger darf von nun an in Frieden und mutig in der Welt leben« (Zumstein, 624). Keine glorreiche Zukunft verheißt Jesus seinen Jüngern und Jüngerinnen. Doch trotz Schwierigkeiten und Verfolgung werden sie Anlass zu bleibender Freude haben. Denn sie werden erfahren: Jesus wird ihnen durch seinen Tod nicht weggenommen werden. Er wird vielmehr auf neue Weise bei und mit ihnen sein. »In dir ist Freude in allem Leide«, so hat Cyriakus Schneegaß (1546–1597) diese Erfahrung beschrieben (EG 398). Drei Zusagen sind mit dieser Verheißung verbunden: 1. Wer sich in der Begegnung mit Jesus Gottes Wirken in ihm öffnet, darf wissen: Ich bin von Gott geliebt (V. 27). Das begründet eine verlässliche Verbindung zu Gott, die im Gebet gelebt und erlebt werden wird. Das muss nicht bedeuten, dass jede Bitte erhört wird, auch wenn Jesu Worte oft so verstanden werden. Aber Jüngerinnen und Jünger Jesu dürfen gewiss sein: Gott hört uns. 2. Jesu Zusage gilt auch einem angefochtenen Glauben, ja selbst denen, die meinen zu glauben und doch nicht sicher sein können, ob ihr Glaube alle Herausforderungen bestehen wird. Nicht die Stärke der subjektiven Gewissheit des Einzelnen, aber auch nicht die Schwäche ängstlichen Zweifels sind entscheidend dafür, ob sich der Glaube bewährt, sondern die Treue Gottes, die auch das Versagen der Jünger aushält (vgl. V. 30–33). 3. Nicht um sie zu erschrecken und zu ängsten, spricht Jesus von dieser Zukunftsperspektive, sondern um seinen Jüngern und Jüngerinnen Mut zu machen. Sie sollen wissen: Gottes Liebe, die Jesus für sie und für alle Menschen lebt, ist stärker als der Hass der Welt. Darum werden sie inmitten von Bedrängnis und Angst erfahren: Die Gemeinschaft mit Jesus schenkt Frieden. Dieser Friede erwächst aus
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der festen Gewissheit: Das Leben derer, die zu Jesus gehören, ist in seiner Liebe geborgen. Es ist nicht den zerstörerischen Mächten ausgeliefert, sondern erhält die Kraft und den Mut, für andere zu leben. 17,1–26 Jesu Gebet für die Seinen – das hohepriesterliche Gebet Am Ende der Gespräche Jesu zum Abschied von seinen Jüngern steht ein Gebet. In den anderen Evangelien wird berichtet, dass Jesus sich oft zum Beten zurückzog; vgl. Mk 1,35; 6,46 par Mt 14,23 (aber nicht in der Parallele Joh 6,15!); weiter Lk 6,12; 9,18. Bei Johannes betet er immer öffentlich; der Inhalt des Gebets soll gehört werden (11,41f; 12,27f). Jesu letztes Gebet kreist um zwei Themen: das Verhältnis des Sohnes zum Vater und seine Fürsorge für die, die an ihn glauben. Dabei werden viele Motive aus dem Evangelium aufgenommen. Das Gebet ist also in mancher Hinsicht eine Zusammenfassung der Botschaft Jesu im 4. Evangelium. Aber es bringt auch einen ganz neuen Aspekt, nämlich den Blick auf die Zukunft einer Gemeinde, in der Menschen durch die Verkündigung der Jünger und Jüngerinnen Jesu zum Glauben kommen. Werden sie Glaubende zweiter Klasse sein, Leute, die Jesus nur vom Hörensagen kennen? Oder werden auch sie in die Gemeinschaft mit Jesus aufgenommen werden wie die Jünger der ersten Stunde? Angesichts dieser Fragestellung ist es nicht verwunderlich, dass in diesem Gebet wie in den Abschiedsreden die vorösterliche und nachösterliche Perspektive miteinander verschmelzen. Einerseits blickt Jesus auf sein Wirken zurück (V. 12.26) und spricht aus der Abschiedssituation heraus (V. 13), andererseits kann er schon sagen, dass er das Werk vollendet (V. 4) und seine Jünger ausgesandt hat, worüber erst später berichtet werden wird (vgl. V. 18 mit 20,21). Auch die Aussage, dass die Welt die Jünger gehasst hat, nimmt vorweg, was der Gemeinde nach Ostern widerfahren wird (vgl. V. 14 mit 15,18). Der lesenden Gemeinde schenkt das die tröstliche Gewissheit: Bei seinem Abschied hatte Jesus auch uns schon im Blick; wir sind nicht allein. All das macht deutlich: Dies ist keine Mitschrift eines Gebets, das Jesus kurz vor seiner Verhaftung laut gesprochen hat, sodass es jemand mithören und aufschreiben konnte. Mit den Worten dieses Gebets soll Leserinnen und Lesern ein Einblick in das Herz Jesu gewährt und ihnen gezeigt werden, wie Jesus seine Beziehung zu
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Gott und seine Verantwortung für die Menschen, die sich ihm anvertrauen, angesichts seines Todes verstanden und gelebt hat. Weil Jesus in diesem Gebet so fürsorglich für die Seinen vor Gott eintritt, hat sich dafür die Bezeichnung hohepriesterliches Gebet eingebürgert. Allerdings wird im Gebet selbst nicht von einem priesterlichen Handeln Jesu gesprochen. Das Abschiedsgebet Jesu ist ein sehr sorgfältig komponierter Text, der eine große Einheit bildet. Es gibt in ihm unterschiedliche Gliederungssignale, sodass sich die Ausleger über die Aufteilung in kleinere Abschnitte nicht einig sind. Wir folgen den Vorschlägen, die sich an den inhaltlichen Schwerpunkten des Textes orientieren. Das ergibt drei Teile: 17,1–8 17,9–19 17,20–26
Bitte um Verherrlichung und Rechenschaft vor Gott Gebet für die Jünger und ihren künftigen Auftrag Bitte um Einheit und Vollendung für die Gemeinschaft der Jünger
17,1–8 Bitte um Verherrlichung und Rechenschaft vor Gott 1 7 1Dies sagte Jesus, und er hob die Augen zum Himmel auf und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche den Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht, 2wie du ihm Macht über alles Fleisch gegeben hast, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben gebe. 3Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, erkennen und den, den du gesandt hast, Jesus Christus. 4Ich habe dich auf der Erde verherrlicht, indem ich das Werk vollendet habe, das du mir übergeben hast, damit ich es tue, 5und nun verherrliche du selbst mich, Vater, bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war. 6 Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Dein waren sie, und mir hast du sie gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. 7Jetzt haben sie erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir stammt, 8denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben (sie) angenommen und wirklich erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie haben geglaubt, dass du mich gesandt hast. Dieser erste Abschnitt des Gebets Jesu hat zwei Schwerpunkte: Die V. 1–5 entfalten die Bitte Jesu um Verherrlichung, die er in den V. 1 und 5 ausspricht. Die V. 6–8 erinnern an Jesu Wirken für seine Jünger. Beides ist eng miteinander verflochten: Die Bitte um Ver-
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herrlichung wird mit der Vollendung des Werkes Jesu begründet (V.4). Dieses Werk aber, das Gott ihm aufgetragen hat, besteht darin, dass er die ihm anvertraute Botschaft weitergegeben hat. Noch einmal blickt der Evangelist auf die Gespräche Jesu mit den Jüngern zurück (1 1 : Dies sagte Jesus). Dann aber schildert er, wie Jesus sich ganz Gott zuwendet. Auch wenn der Eindruck entsteht, dass die Jünger mithören können (und sollen), was Jesus betet, redet er im Gebet nicht mehr mit ihnen. Nun spricht er zu Gott – für seine Jünger. Dies zeigt auch seine Gebetshaltung: er hob die Augen zum Himmel auf. Der Aufblick zum Himmel beschreibt die vertrauensvolle Hinwendung zu Gott (vgl. Ps 123,1; Hiob 22,26). Er ist typisch für Jesus, gerade in besonderen Situationen (Mk 6,41; 7,34; Joh 11,41), bleibt aber dem Sünder verwehrt (Lk 18,13). Vater – so redet Jesus Gott im Johannesevangelium an, wenn er betet (vgl. 11,41; 12,28). Vater, das ist auch die Anrede Gottes in der kürzeren Fassung des Unser Vaters in Lk 11,2. Sie ist offensichtlich charakteristisch für das Beten Jesu. In Joh 17 ist die Vater-Anrede geradezu das Leitmotiv, das die einzigartige Beziehung Jesu zu Gott signalisiert. Jesus beginnt das Gebet mit einer »Zeitansage«: Die Stunde ist gekommen. Immer wieder hatte er betont: »Meine Stunde ist noch nicht gekommen« (2,4; 7,30; 8,20). Erst am Ende seines öffentlichen Wirkens deutet er vorausschauend und unter Vorwegnahme der kommenden Ereignisse an, weshalb jetzt »diese Stunde gekommen ist« (12,27). Am Beginn des zweiten Teils des Evangeliums heißt es dann, dass Jesus »wusste, dass seine Stunde gekommen war« (13,1). Und nun stellt er schlicht fest: die Stunde ist gekommen. Es ist die Stunde seines Todes am Kreuz, aber auch die Stunde der Rückkehr zum Vater, die Stunde seiner Verherrlichung (12,23). Es ist eine Stunde, die datiert werden kann (vgl. 19,14), deren Bedeutung aber weit über das hinausgeht, was irdische Uhren messen können. Es ist die Stunde, in der Gottes Heilshandeln vollendet wird. Um diese Vollendung geht es, wenn Jesus bittet: Verherrliche den Sohn. Das darf nicht im landläufigen Sinn als Glorifizierung verstanden werden. Natürlich steckt darin auch der Aspekt der öffentlichen Anerkennung dessen, was Jesus war und getan hat. Aber verherrlichen im Sinne des Johannesevangeliums bedeutet vor allem, dass in Jesu Person und Werk Gottes Gegenwart, seine Herrlichkeit und sein Wesen, aufleuchtet und gegen alle Widerstände wirksam wird. Die paradoxe Wahrheit, dass diese Verherrlichung gerade in und durch Jesu Tod am Kreuz geschieht, wurde im Evangelium immer wieder betont (12,23.28; 13,31). Erst danach wird
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Gottes Geist ausgegossen werden (7,39), der Gottes Wirken in Jesus Christus in die Herzen der Menschen trägt. Wenn Jesus also bittet: Verherrliche den Sohn, dann geht es nicht um ihn selbst. Es soll geschehen, damit der Sohn dich verherrlicht. Diese gegenseitige Abhängigkeit der Verherrlichung des Sohnes und der des Vaters wird im 4. Evangelium immer wieder betont (vgl. 13,31f). Dadurch, dass in Jesu Tod am Kreuz Gottes rettende Gegenwart sichtbar wird, wird Gottes Gott-Sein, seine Liebe und Treue zu den Menschen offenbar, und zwar gerade dort, wo ihre Feindschaft am offensichtlichsten ist. So verherrlicht der Sohn den Vater, und das bleibt nicht auf die »Stunde« seiner Hinrichtung beschränkt, sondern geschieht weiterhin überall dort, wo die Botschaft von Jesus verkündigt wird. Damit es zur Verherrlichung des Sohnes durch den Vater und des Vaters durch den Sohn kommt, hat ihn der Vater für seine Sendung mit der entsprechenden Vollmacht ausgerüstet (22 ): Er verherrlicht den Vater, wie bzw. weil du ihm Macht über alles Fleisch gegeben hast. Alles Fleisch ist in biblischer Sprache die ganze Menschheit (Jes 40,6; Joel 3,1 = Apg 2,17). Jesus vergegenwärtigt Gott für alle Menschen. Doch die Vollmacht, die ihm dazu gegeben ist, ist Macht zum Heil. Er hat sie vom Vater empfangen, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben gebe. Dieser Satz bildet eine interessante Parallele zur Grundsatzerklärung in 3,16: »So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einziggeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, … das ewige Leben haben«. Hier wie dort findet sich die universale Perspektive: Die Welt bzw. alles Fleisch sind Adressat des Heilshandelns Gottes. Aber beide Stellen kennen auch die Einschränkung: Nicht alle empfangen das ewige Leben durch das Wirken des Sohnes, sondern nur die, die an ihn glauben bzw. die ihm der Vater gegeben hat. Noch einmal stehen wir vor der Frage, wie sich diese beiden »Bedingungen« des Heils zueinander verhalten. Hier jedenfalls wird der Sachverhalt aus der Perspektive Jesu formuliert. Er spricht nicht von denen, die sich entschlossen haben, zu ihm zu kommen, sondern von denen, die ihm der Vater gegeben hat (vgl. 15,16). Sie sind ihm anvertraut, damit er ihnen das Größte gibt, was Menschen empfangen können: ewiges Leben. Was aber heißt das: ewiges Leben? Das wird in einer Zwischenbemerkung geklärt (33 ): Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, erkennen und den, den du gesandt hast, Jesus Christus. Ewiges Leben ist also nicht einfach Leben von unbegrenzter Dauer in einem besseren Jenseits. Ewiges Leben besteht in wirklicher Gemeinschaft mit Gott. Diese Gemeinschaft beginnt
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damit, dass Menschen den erkennen, der allein Gott ist. Er allein ist wirklich und wahrhaftig der, dem sie ihr ganzes Vertrauen schenken und von dem sie Heil und Leben erwarten dürfen. Gott aber erkennen sie, indem sie den erkennen und anerkennen, den er in die Welt gesandt hat, damit die Menschen erfahren, wer er wirklich ist. Jesus, den Gott als Verkörperung seiner Liebe in diese Welt hineingegeben hat, ist die Gestalt, in der er sich den Menschen offenbart. In ihm Gott zu erkennen öffnet die Tür zur Gemeinschaft mit ihm, und in dieser Gemeinschaft zu leben bedeutet wahres, ewiges Leben. Nachdem das geklärt ist, kommt Jesus im Gebet wieder auf das Thema Verherrlichung zurück. Noch einmal legt er Rechenschaft darüber ab, dass er seinen Auftrag erfüllt hat (44 ): Ich habe dich auf der Erde verherrlicht, indem ich das Werk vollendet habe, das du mir übergeben hast, damit ich es tue. Jesus blickt auf sein Wirken zurück und kann feststellen: Er hat mit dem, was er gelebt und getan hat, Gott verherrlicht, das heißt, seine göttliche Wirklichkeit erfahrbar gemacht. Das geschah auch durch die wunderbaren Zeichen, die er getan hat (vgl. 11,40; weiter 2,11; 9,3; 11,4). Doch das Werk, von dem er spricht, meint mehr als die Zeichen. Es umfasst alles, was er gelebt hat, um den Willen des Vaters zu erfüllen und dessen Liebe den Menschen zu offenbaren. Dass er dieses Werk vollendet hat, schließt auch seine Passion mit ein, in der er die Erfüllung des Willens des Vaters vollendet (19,30: »Es ist vollbracht!«). Daraus aber ergibt sich noch einmal die Bitte, die schon in V. 1 ausgesprochen war (55 ): Und nun verherrliche du selbst mich, Vater, bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war. Angesichts seines bevorstehenden Sterbens am Kreuz heißt dies: Jesus bittet darum, »dass das Kreuz zum Moment seiner Erhöhung und nicht seiner Vernichtung werde« (Zumstein, 636). Zugleich aber wird mit diesen Worten zurückgelenkt auf die Aussagen, die am Beginn des Evangeliums über das WORT, den Logos, gemacht wurden (vgl. 1,1f). Davon war bisher kaum die Rede. Aber jetzt, am Ende des irdischen Wirkens Jesu, wird der Blick bewusst auf seinen Ursprung bei Gott gelenkt. Aber worum geht es Jesus bei dieser Bitte? Nur um die Rückkehr in seine ursprüngliche Würdestellung und Herrlichkeit für sich persönlich? Ganz sicher nicht. Am Ende seines Wirkens geht es Jesus um Gottes Ja zu seinem Weg, das heißt um »die definitive Bestätigung der einzigartigen Nähe zwischen Vater und Sohn«. Jesus bittet darum, »dass am Kreuz seine einzigartige Zugehörigkeit zu Gott bewiesen und bestätigt werde. … Die Bedeutung des Todes wird ins Gegenteil verkehrt. Er ist nicht der Moment, in dem die
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Beziehung abgebrochen wird, sondern er ist die definitive Bestätigung der Beziehung« (Zumstein, 637). Doch nun richtet Jesus den Blick auf die Menschen, die an ihn glauben: die Jünger und Jüngerinnen, die ihm auf seinem irdischen Weg gefolgt sind, aber auch die, die sich später als seine Gemeinde sammeln werden (6 6 – 8). Bei ihnen ist die Botschaft Jesu angekommen: Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Dass in Jesu Wirken die Wirklichkeit der Gegenwart Gottes sichtbar wird, ist eine Grundaussage des 4. Evangeliums (2,11; 9,3). Hier wird diese Aussage präzisiert. Jesus hat den Namen Gottes offenbart. Für das Denken der Antike offenbart der Name das Wesen einer Person. Das gilt insbesondere für den Namen Gottes (vgl. Ex 3,15; 6,2f; Jes 42,8). Doch es ist nicht der alttestamentliche Gottesname JHWH, den Jesus den Menschen offenbart hat. Welcher Name ist gemeint? Viele Ausleger denken an die Anrede Gottes mit Vater. Das ist zweifellos der zentrale Begriff für Gott in diesem Evangelium. 118-mal spricht Jesus in ihm von Gott als seinem Vater. Aber nur an einer Stelle nennt er Gott auch euren Vater (20,17). Vater ist also kein »Name« für Gott, den Jesus seinen Jüngern weitergibt. Eher schon ist es jenes geheimnisvolle ICH BIN, mit dem Jesus sich immer wieder den Menschen vorstellt und das die Umschreibung des Gottesnamens in Gen 3,14f und Jes 52,6 aufnimmt (vgl. 4,26; 8,28.58; 18,5f und die Ich-bin-Worte Jesu). Aber wahrscheinlich ist gar nicht an einen bestimmten Namen gedacht. Mit diesem Begriff wird vielmehr umschrieben, dass Jesus den Menschen die wahre Wirklichkeit Gottes gezeigt hat. Wer Gott ist, das können sie an ihm erkennen, so wie man die Identität einer Person an ihrem Namen erkennt. Doch obwohl Jesu Wirken allen galt, hat sich Gottes Wesen nicht allen erschlossen, sondern nur denen, die du mir aus der Welt gegeben hast. Das sind Menschen, die wie alle anderen dem gottfernen und gottfeindlichen System dieser Welt verhaftet und von ihm verblendet waren. Aber Gott hat sie zu sich gerufen und sie Jesus gegeben, das heißt: Er hat ihre Herzen für sein Wort und sein Wirken geöffnet und sie befähigt, sich ihm anzuvertrauen. Sie gehören zu ihm. Jesus betont diesen Gedanken noch einmal auf eindrückliche Weise: Dein waren sie, und mir hast du sie gegeben. Im Grunde gehören alle Menschen Gott; aber es gibt solche, die Gott in besonderer Weise zu sich ruft und dies dadurch bekundet, dass er sie unter die Leitung und in die Obhut Jesu stellt. Das aber lässt die Betroffenen nicht müßig. Sie werden mit ihrem Willen und ihrem Tun einbezogen in das Handeln Gottes: sie haben dein Wort bewahrt. Das ist das zweite Merkmal derer, die zu Jesus gehören. Seltsamerweise
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wird nicht zuerst gesagt, dass sie das Wort, das Gott in der Person Jesu gesandt und gesprochen hat, angenommen haben (vgl. V. 8). Nicht der Glaube der ersten Begeisterung zählt, sondern das treue Festhalten an dem Wort und das Bleiben bei und in Jesus (vgl. 15,4–9). Deshalb kann Jesus dankbar sagen (7 7 ): Jetzt haben sie erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir stammt. Dieses Jetzt bezieht sich nicht nur auf diesen Augenblick kurz vor der Verhaftung Jesu. Was die Jünger zu diesem Zeitpunkt erkannt haben, ist eine offene Frage. Dieses Jetzt fasst Kreuz und Auferstehung Jesu als entscheidenden Moment zusammen, in dem die Jünger begreifen und ergreifen, erkennen und anerkennen: Jesu Reden und Handeln, sein Leben und Sterben, alles, was seine ganze Person ausmacht, stammt von Gott und stellt sie in die Gegenwart Gottes. Das aber hat seinen Grund darin, dass Jesus seinen Auftrag in großer Treue gelebt und an seine Jünger und Jüngerinnen das weitergegeben hat und weitergibt, was er von Gott empfangen hat (88 ): denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben. Weil in Jesu Worten Gott selbst zu Wort kommt, bleiben sie nicht ohne Wirkung bei denen, denen Gott das Herz dafür öffnet: sie haben (diese Worte) angenommen und wirklich erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie haben geglaubt, dass du mich gesandt hast. Damit ist noch einmal angesprochen, was für das Johannesevangelium der Kern des christlichen Glaubens und der tragende Grund für die Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu darstellt: erkennen und glauben (man beachte die Reihenfolge!), dass Jesus von Gott gesandt ist, um ihn und seine Liebe unter den Menschen zu leben. Die Bitte um Verherrlichung ist das »Leitmotiv« dieses Abschnitts. Sie zeigt sehr klar die Eigenart johanneischen Denkens: Einerseits hat Jesus durch sein Leben und Wirken Gott schon verherrlicht (V. 4); andererseits bittet er nun darum, dass Gott ihn verherrlichen möge, damit er, Jesus, ihn wiederum verherrlichen könne (V. 1.5). Übersetzt in unsere Begrifflichkeit heißt das: Jesus hat durch alles, was er tat, Gott und seine Bedeutung für die Menschen groß gemacht. Nun bittet er darum, dass Gott durch Kreuz und Auferstehung auch die Bedeutung seiner Sendung und Person groß macht. So soll helles Licht auf die Größe der Liebe Gottes fallen, die sich in seinem Handeln in Kreuz und Auferstehung erweist. Gott wird dort verherrlicht, wo seine Liebe für die Menschen erkennbar wird. Auch die Charakteristik der Person und des Wirkens Jesu wird anhand einer fruchtbaren Spannung geschildert. Jesus hat Macht über alle Menschen (V. 2). Aber diese Macht ist nichts anderes als die Voll-
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macht, weiterzugeben, was Gott ihm gegeben hat. Und dieses kostbare Gut ist Leben, ewiges Leben, das darin besteht, Gott zu kennen und damit den, den Gott gesandt hat. Denn er ist es, der den Menschen zeigt, dass Gott Quelle und Grund ihres Lebens ist. In der Gemeinschaft mit ihm geborgen zu sein ist Leben auch jenseits des Todes. Ein weiteres Paradox charakterisiert die, die zu Jesus gehören. Gott hat an ihnen gehandelt. Alles, was durch Jesus geschieht, ist von Gott gegeben – das ist das zweite Leitmotiv des Abschnitts. Er hat ihm nicht nur seine Vollmacht, seinen Auftrag (sein Werk), seine Botschaft und die Gabe wahren Lebens anvertraut (gegeben, V. 2–4.8). Er hat ihm auch die Menschen aus der Welt gegeben, denen er Gottes Namen, d.h. sein wahres Wesen, geoffenbart hat (V. 6). Aber sie sind dabei nicht willenlose Objekte göttlichen Handelns geblieben. Sie haben Jesu Wort angenommen und bewahrt (V. 6.8), haben erkannt, dass er von Gott kommt, und glauben, dass er ihn gesandt hat (V. 8). Dass sie nicht mehr gefangen sind in der Blindheit ihrer Gottferne und Gottvergessenheit, verdanken sie allein Gottes Gnade; es ist seine Gabe. Doch Gott gibt sich ihnen so, dass sie nicht blind bleiben, sondern ihre Augen und Herzen geöffnet werden und sie in Jesu Leben und Wirken Gottes Güte erkennen und sich ihr im Glauben anvertrauen können. 17,9–19 Gebet für die Jünger und ihren künftigen Auftrag 9
Ich bitte für sie – nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, die du mir gegeben hast, denn sie sind dein, 10und alles, was mein ist, ist dein, und was dein (ist), (ist) mein, und ich bin in ihnen verherrlicht. 11Und ich bin nicht mehr in der Welt, doch sie sind in der Welt, und ich komme zu dir. Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir. 12Als ich bei ihnen war, habe ich sie in deinem Namen bewahrt, den du mir gegeben hast. Und ich habe (sie) bewahrt, und niemand von ihnen ging zugrunde, außer dem Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt würde. 13Jetzt aber komme ich zu dir; und dies rede ich in der Welt, damit sie meine Freude in Fülle in sich haben. 14Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hat sie gehasst, denn sie sind nicht von der Welt, so wie (auch) ich nicht von der Welt bin. 15Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst. 16Sie sind nicht von der Welt, wie (auch) ich nicht von der Welt bin. 17Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. 18So wie du mich in die Welt gesandt hast,
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so habe auch ich sie in die Welt gesandt. 19Und für sie heilige ich mich, damit auch sie in (der) Wahrheit geheiligt sind. Mit diesem Abschnitt beginnt Jesu Fürbitte für die Menschen, die zu ihm gehören. Er gliedert sich in drei Teile: Die V. 9–11a begründen, warum Jesus nur für sie und nicht für die ganze Welt bittet. Die V. 11b–16 nennen als erstes Anliegen die Bitte um Bewahrung der Jünger und Jüngerinnen Jesu und erklären ausführlich, warum dies nötig ist. Und in den V. 17–19 bittet Jesus zweitens um die Heiligung der Seinen. Denn wie er sind auch sie in die Welt gesandt (V. 18). In den vorhergehenden Versen hat Jesus von den Menschen gesprochen, die Gott durch seine Botschaft in seine Gemeinschaft gerufen hat und die diese Botschaft aufgenommen und bewahrt haben. Es sind die Jünger und Jüngerinnen der ersten Stunde, die aber zugleich »Platzhalter« für die nachösterliche Gemeinde sind. Für sie tritt Jesus im Gebet ein – nicht für die Welt (99 ). Diese ausdrückliche Weigerung, für die Welt zu beten, befremdet auf den ersten Blick. Ist die Welt durch ihre Ablehnung »der gnadenlose Bereich des Unglaubens und des Unheils« geworden, »dem nicht einmal die Fürbitte Jesu helfen kann« (Blank II, 269)? Das ist nicht gemeint. Die Zusage von 3,16, dass Gott die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen einziggeborenen Sohn in sie hineingibt, ist nicht widerrufen. Beweis dafür ist, dass auch die Jünger wie Jesus in die Welt gesandt sind (V. 18). Die Welt ist nicht preisgegeben. Aber das, was Jesus für seine Jünger und Jüngerinnen erbitten wird, nämlich Bewahrung in der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn und Heiligung in der Wahrheit des göttlichen Wortes, wäre keine angemessene Bitte für eine Welt, die sich dieser Gemeinschaft und der Wahrheit des Wortes verschlossen hat. Noch einmal werden die charakterisiert, die zu Jesus gehören: Es sind die Menschen, die du mir gegeben hast. Gott hat sie als sein Eigentum aus dieser Welt herausgerufen (sie sind dein), und sie sind jetzt Teil der innigen Gemeinschaft zwischen Vater und Sohn (11 0): alles, was mein ist, ist dein, und was dein (ist), mein. Die Gemeinde der Jüngerinnen und Jünger Jesu gehört dem Vater ebenso wie dem Sohn, und deshalb legt Jesus die Fürsorge für sie ganz in die Hand des Vaters. Weil die Gemeinde Teil der Gemeinschaft von Vater und Sohn ist, darum bleibt in ihr und ihrer Verkündigung all das gegenwärtig, was Gott in Jesus getan und zum Heil der Menschen bewirkt hat. Darum kann Jesus von der Gemeinschaft seiner Jünger und Jüngerinnen sagen: Ich bin in ihnen verherrlicht. Das heißt: Im Raum
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der Gemeinde, in ihrem Glauben, ihrer Liebe und ihrer Verkündigung, wird offenbar, was Gott in Jesus getan hat. Durch ihre Existenz und ihr Wirken setzt Gott sein Heilswerk fort (vgl. Schnelle, 336). Das ist wichtig (11 1a), denn von sich selbst muss Jesus sagen: ich bin nicht mehr in der Welt. Sein irdischer Auftrag ist vollendet, wenn er am Kreuz sein »Es ist vollbracht!« gerufen hat (19,30). Von ihm gilt nun: Ich komme zu dir. Der Abschied von seinen Jüngern ist für Jesus Heimkehr zum Vater; doch sie sind in der Welt. Als Jünger und Jüngerinnen Jesu haben sie den bleibenden Auftrag, Jesu Wirken in ihr weiterzutragen (vgl. V. 18; 20,21). Ist das klargestellt, kann Jesus die erste seiner Bitten nennen (1 1 1b). Noch einmal redet er Gott feierlich mit den Worten Heiliger Vater an. Die vertrauensvolle und intime Anrede Gottes mit Vater ist verbunden mit dem Wissen, dass Gott heilig ist, also ganz anders als diese Welt, unnahbar (vgl. Jes 6,3) und doch ganz nahegekommen. Ihn bittet Jesus für seine Jünger: bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast. In dieser Bitte geht es um mehr als um Bewahrung vor den Angriffen einer feindlichen Welt. Bewahrung in deinem Namen, den du mir gegeben hast bedeutet: Bewahrung in der Wirklichkeit Gottes, die Jesus offenbar gemacht hat. Hier zeigt sich deutlich: Dein Name meint nicht ein bestimmtes Wort oder einen Titel für Gott; dein Name beschreibt das Wesen Gottes, wie es in Jesu Wirken unter den Menschen gegenwärtig wurde. In dieser Wirklichkeit sollen die Jünger und Jüngerinnen Jesu bewahrt werden, damit sie eins sind wie wir. Damit ist ein grundlegendes Motiv des Abschiedsgebets Jesu angesprochen: die Einheit der Gemeinde Jesu (V. 21–23). Grundlage dieser Einheit ist die bleibende Gemeinschaft mit Jesus und der Wirklichkeit Gottes, die er ihnen erschlossen hat. Eins wie wir sollen sie sein: »Die angestrebte Einheit ist demnach eine Einheit, die durch die einzigartige Verbindung Gottes mit seinem Gesandten gegeben und inspiriert ist« (Zumstein, 643). Jesu Bitte hat ihre Grundlage in seinem eigenen Wirken. Was er für die Zukunft der Jünger erbittet, hat er in der Zeit mit ihnen, auf die er jetzt zurückblickt, schon verwirklicht (11 2): Als ich bei ihnen war, habe ich sie in deinem Namen bewahrt, den du mir gegeben hast. Der Name des Vaters, den er dem Sohn gegeben hat, ist die Offenbarung der Wirklichkeit Gottes, die sich im Wirken Jesu ereignet. Diese Wirklichkeit war der schützende Raum für Jesu Jünger, solange er bei ihnen war. Jesu Gegenwart hat die Jünger in seiner Gemeinschaft bewahrt. Sie ist zugleich Gemeinschaft mit Gott und schenkt deshalb Heil und Leben.
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Darum ist niemand von den Jüngern zugrunde bzw. verloren gegangen, weil die Verbindung zu Gott als Quelle des Lebens verloren gegangen wäre. Nur für einen, den Sohn des Verderbens, gilt das nicht. Mit dem griechischen Wort für Verderben wird im Neuen Testament das Geschick derer umschrieben, deren Leben vor Gott nicht bestehen kann und die darum einer Existenz anheimfallen, die durch den Schmerz endgültiger Gottferne gekennzeichnet ist. Sohn des Verderbens ist eine semitische Redewendung und bezeichnet jemanden, der dem Verderben verfallen und in Sein und Handeln davon bestimmt ist. In 2Thess 2,3 wird der endzeitliche Widersacher Christi, der »Mensch des Frevels« und Antichrist, so genannt. Hier bezieht sich die Bezeichnung auf Judas. Nach 13,27 fuhr in ihn der Satan, nachdem ihn Jesus als den Verräter gekennzeichnet hatte. Dass er nicht vor dem Verderben bewahrt wurde, liegt aber nicht am Versagen Jesu. Es geschah, damit die Schrift erfüllt würde. Wie in 13,18 wird eine Aussage der Heiligen Schrift als Ursache dafür genannt, dass einer der Jünger Jesus nicht treu blieb. In 13,18 wird dazu Ps 41,10 zitiert; vermutlich ist auch hier an diese Stelle gedacht. Die Ausnahme, dass einer abgefallen ist, bestätigt also die Regel, d.h. die Tatsache, dass Jesus die ihm Anvertrauten vor dem Verderben und der ewigen Verlorenheit bewahrt hat. Jetzt aber ist eine neue Situation entstanden (1 1 3). Jesus wird seine Jünger verlassen und zum Vater zurückkehren (Jetzt aber komme ich zu dir). Doch noch ist er bei ihnen, und sein Gebet ist nicht nur Zwiesprache mit dem Vater, sondern auch Anrede an sie, mitten in der Welt, in der sie sich mehr und mehr fremd fühlen: dies rede ich in der Welt, damit sie meine Freude in Fülle in sich haben. Nicht Trauer und Furcht wird das zukünftige Leben der Jünger und Jüngerinnen Jesu bestimmen, sondern Freude in Fülle. Damit ist nicht nur die Freude gemeint, die sie empfinden, wenn sie den Auferstandenen sehen werden (20,20). Es ist die vollkommene Freude, die Jesus schenkt, die sie erfüllen wird: das Heil, das durch Jesu Tod und Auferstehung endgültig Wirklichkeit für sie wird, und die Freude des ewigen Lebens und der Gemeinschaft mit Gott, an der die Gemeinde teilhaben wird. Das sollen und müssen die Jünger und Jüngerinnen Jesu wissen, denn ihre Existenz in dieser Welt ist gefährdet und angefochten – gerade weil Jesus für sie die Verbindung zu Gott geschaffen hat (11 4): Ich habe ihnen dein Wort gegeben. Was Jesus lehrt und lebt, ist Wort Gottes, das er ihnen als bleibendes Geschenk gegeben hat. Dein Wort, das ist Gottes Anrede, die die Verbindung zu den Menschen herstellt; es ist seine Zusage, die ihnen Leben verheißt, und seine Weisung, die ihrem Leben Orientierung gibt.
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Doch das Leben aus anderen Quellen als die der Welt macht die Gemeinde der Jünger und Jüngerinnen Jesu zum Fremdkörper in ihr und ruft deshalb den Hass der Welt hervor (vgl. schon 15,18f). Das hat schon begonnen und wird weiter ihr Leben bestimmen, denn sie sind nicht von der Welt, so wie (auch) ich nicht von der Welt bin. Menschen, die zu Jesus gehören, wissen: Wir sind nicht nur ein Rädchen im Getriebe dieser Welt, sondern Gottes geliebte Kinder. Wir gehören zu ihm. Darum beziehen sie ihre Kraft und Orientierung nicht von bzw. aus der Welt, sondern von Gott. Jesu Verweis auf sein eigenes Leben zeigt ihn einerseits als Vorbild für eine solche Existenz: so wie (auch) ich nicht von der Welt bin. Er hat vorgelebt, was es heißt, unabhängig und frei von den Zwängen des »man« zu leben und zu handeln. Aber andererseits liegt in dem Hinweis auch die Begründung für die Möglichkeit einer solchen alternativen Lebenshaltung: Weil ich nicht von der Welt bin, darum wird es auch für meine Jünger und Jüngerinnen möglich, sich frei von den Zwängen eines Ich-zentrierten Systems zu machen, das in dieser Welt herrscht. Das bedeutet aber keine Weltflucht. Jesus betont ausdrücklich (1 1 5): Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst. Die Gemeinde Jesu hat einen Auftrag in der Welt (vgl. V. 18). Damit sie den ausführen kann und nicht erneut dem Denk- und Handlungsschema dieser Welt verfällt (vgl. Röm 12,2), erbittet Jesus vom Vater, dass du sie vor dem Bösen bewahrst. Wie in der entsprechenden Bitte im Vaterunser (Mt 6,13) bleibt dabei offen, ob damit der Böse, also der Teufel als Herrscher dieser Welt (vgl. 12,31; 14,30; 16,11; 1Joh 2,13f; 3,12; 5,18f), gemeint ist oder das Böse, also der Inbegriff all dessen, was Leben schädigt und zerstört. In jedem Fall bittet Jesus, dass die Macht, die die Menschen von Gott trennt, nicht die Herrschaft über die Seinen gewinnt. Wichtig ist: Die Welt wird nicht mit dem Bösen identifiziert. Sie ist gottfeindliches System, insofern der oder das Böse in ihr herrscht. Dennoch bleibt sie Gottes Schöpfung, in die Jesu Jünger und Jüngerinnen gesandt sind (V. 18). Aber weil die Welt voller Zweideutigkeit ist, müssen die Jünger wissen, wohin sie gehören und wovon sie leben. Darum unterstreicht Jesus noch einmal (11 6): Sie sind nicht von der Welt, wie (auch) ich nicht von der Welt bin. »Die Spannung zwischen der Zugehörigkeit zu Gott und der Existenz in der Welt kann nicht umgangen werden« (Zumstein, 646). Der dritte Teil des Abschnitts (11 7 – 20) nennt die positive Entsprechung zu der Bitte: bewahre sie in deinem Namen von V. 11 und 15: Heilige sie in der Wahrheit (11 7). Jesu Jünger und Jüngerinnen sollen nicht nur vor dem Bösen bewahrt bleiben, sondern in ihrem
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ganzen Sein und Wesen davon geprägt und erfüllt werden, dass sie zu Gott gehören. Das Wort heilig und seine Ableitungen (heiligen, Heiliger, Heiligung u.a.) gehören zu den zentralen biblischen Begriffen. Heilig ist Gott (Ps 22,4) und das, was in besonderer Weise zu Gott gehört. Heilig sind Orte, an denen Gott begegnet (Gen 28,17), insbesondere der Tempel, aber auch die Geräte, die dem Dienst Gottes geweiht sind, und die Priester, die vor Gott dienen. Aber auch ganz Israel ist von Gott dazu berufen, »ein heiliges Volk« zu sein, und zwar gerade deshalb, um dadurch zu demonstrieren: »die ganze Erde ist mein« (Ex 19,5f). Heilige Menschen sind Zeichen für Gottes Gegenwart in dieser Welt. Darum ruft das sog. Heiligkeitsgesetz (Lev 17–25) Israel dazu auf: »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der HERR, euer Gott« (Lev 19,1). Grundsätzlich gilt freilich, dass Gott es ist, der heiligt und aussondert, was zu ihm gehören und auf ihn verweisen soll: »Ich bin der HERR, der euch heiligt, der euch aus Ägypten geführt hat, um euer Gott zu sein« (Lev 22,32f). Zugleich aber soll das Volk sich so verhalten, wie es der Zugehörigkeit zu Gott entspricht. Nicht umsonst steht das Gebot, den Nächsten, ja selbst den Fremden zu lieben, im Heiligkeitsgesetz (Lev 19,18.34). In den paulinischen Briefen werden die Christen als Heilige bezeichnet (Röm 1,7; Eph 1,1), und zwar nicht aufgrund ihres Verhaltens, sondern weil sie »Geheiligte in Christus Jesus« sind (1Kor 1,2). Aber auch ihnen gilt die Aufforderung, in ihrem Verhalten nachzuvollziehen, dass sie zu Gott gehören: »Stellt eure Glieder in den Dienst der Gerechtigkeit, sodass ihr heilig werdet«, heißt es in Röm 6,19 (EÜ).
Die Bitte: Heilige sie macht also zuallererst deutlich: Hier muss Gott handeln. Während es von den jüdischen Pilgern in 11,55 heißt, dass sie frühzeitig nach Jerusalem kamen, um sich für das Passahfest zu heiligen (so wörtlich für reinigen), zeigt die Bitte Jesu: Heiligung ist Gottes Tat. Wie das geschieht, erklärt der Zusatz in der Wahrheit: Indem Menschen hineingenommen werden in die Wirklichkeit des heiligen Gottes, werden sie für ihn und sein Wirken ausgesondert. Das ist in der Begegnung mit Jesus geschehen, soll sich aber immer wieder neu in der Begegnung mit Gott in seinem Wort ereignen. Deshalb gilt: dein Wort ist Wahrheit. Wie die Begegnung mit dem Fleisch gewordenen Wort erfüllt war von der Gegenwart der Herrlichkeit Gottes »voller Gnade und Wahrheit« (1,14), so wird Gottes Wort auch die Jüngergemeinde zum Ort göttlicher Gegenwart machen und sie so heiligen. Aussonderung aus der Welt bedeutet aber nicht Absonderung von ihr. Schon im Alten Testament werden Aaron und seine Söhne geheiligt (LÜ: geweiht), um dem Volk als Priester zu dienen (Lev 8,12), und Jeremia wird ausgesondert zum Propheten für die Völker (Jer 1,5). Jesus selbst spricht von sich als dem, »den der Vater
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geheiligt und in die Welt gesandt hat« (10,36). Das gilt nun auch 1 8): So wie du mich in die Welt gesandt hast, so für seine Jünger (1 habe auch ich sie in die Welt gesandt. Noch ist das nicht vollzogen. Aber in der nachösterlichen Perspektive der Abschiedsworte Jesu wird schon vorweggenommen, was dann in der Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen geschieht, wenn Jesus zu ihnen sagen wird: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch« (20,21). Die Sendung der Jüngergemeinde setzt die Sendung Jesu fort. Aber sie tut das nicht aus eigener Kraft, sondern ist auf das angewiesen, was Jesus für sie getan hat (1 1 9): Und für sie heilige ich mich, damit auch sie in (der) Wahrheit geheiligt sind. Jesus ist der Heilige Gottes (6,69), denn der Vater hat ihn geheiligt (10,36). Zugleich wird seine Gemeinschaft mit Gott durch die Hingabe seines Lebens, auf die er vorausblickt, fruchtbar für die, die zu ihm gehören. Für sie gibt er sein Leben hin und stellt es damit ganz Gott zur Verfügung, für sie heiligt er sich. Deshalb werden seine Jünger und Jüngerinnen hineingenommen in die Wirklichkeit Gottes, die im Tod Jesu hineinreicht bis in die letzte Tiefe menschlicher Existenz. Sie gehören ganz zu Gott, sind durch Jesu Tod Geheiligte in der Wahrheit – eine Parallele zur paulinischen Aussage, dass die Christen »Geheiligte in Christus Jesus« sind, weil Christus für sie »zur Heiligung wurde« (1Kor 1,2.30). Ich bitte für sie – so beginnt dieser Abschnitt. Jesus spricht nun ganz konkrete Bitten für die Zukunft seiner Jünger und Jüngerinnen aus. Was braucht die Gemeinde Jesu Christi auf ihrem Weg durch die Zeit? Zwei Bitten am Anfang und Ende des Abschnitts geben die entscheidenden Stichworte: bewahre sie in deinem Namen (V. 11) und Heilige sie in der Wahrheit (V. 17). Damit sind zwei Herausforderungen für die künftige Existenz der Gemeinde angesprochen: 1. Bewahrung vor der Gefahr, in die Irre zu gehen und wieder unter die Herrschaft des Bösen zu geraten, und 2. Heiligung und Befähigung für die Aufgabe, Gottes Sache in dieser Welt zu vertreten. Beides geschieht dadurch, dass die Jünger und Jüngerinnen Jesu in der Verbindung mit Gott bleiben, in die sie Jesus geführt hat. Das ist gemeint, wenn Jesus um Bewahrung in deinem Namen und Heiligung in der Wahrheit bittet. Denn mit Gottes Name und seiner Wahrheit beschreibt das Johannesevangelium die Wirklichkeit Gottes, wie sie den Menschen in Jesu Wirken begegnet. Sie ist der Raum, in dem die Gemeinde Jesu bewahrt bleibt, und die Realität, die ihr Leben und Handeln gestaltet. Die Voraussetzungen dafür hat Jesus geschaffen: Er hat seine Jünger und Jüngerinnen in Gottes Namen bewahrt (V. 12), er hat ihnen sein
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Wort, das Wort der Wahrheit, gegeben (V. 14.17), und er heiligt sich in seinem Leiden und Sterben für sie, damit auch sie ganz vom Wesen und der Liebe Gottes bestimmt werden (V. 19). Und sie haben darauf reagiert: Sie haben das Wort bewahrt (V. 8). Die Botschaft Jesu gibt ihnen Halt und Orientierung, sie ist Quelle der Kraft und schenkt Freude in Fülle (V. 13). Das aber macht sie zum Fremdkörper in ihrer Umgebung. Gerade weil die Gemeinde Jesu aus anderen Quellen lebt und nach anderen Maßstäben handelt als die Gesellschaft, in der sie lebt, erhebt sich Widerstand, ja Hass gegen sie. Das Bild einer angepassten und wohlgeachteten Kirche, das heute unser Ideal ist, findet sich im Neuen Testament nicht – nicht nur deswegen, weil es nicht der Erfahrung dieser Zeit entspricht, sondern weil das grundsätzlich nicht möglich scheint. Die Gemeinde gehört Gott (sie sind dein, V. 9f) und lebt von seiner Liebe. Wer aus der Liebe und nicht aus der Welt lebt, d.h. nicht nach den Grundsätzen des in der Gesellschaft üblichen Gruppenegoismus, ist fremd, und alles Fremde wird gemieden und gehasst. Dennoch ist der Platz der Gemeinde in dieser Welt. Jesus betont das gerade zu dem Zeitpunkt, an dem er diese Welt verlassen wird. Nicht Weltflucht ist die Devise für Jesu Jünger und Jüngerinnen, sondern umgekehrt ihre Sendung in die Welt. Sie setzen Jesu Sendung fort (V. 18; vgl. 20,21). Sein Abschied ist der Beginn ihrer Mission. Das erklärt auch den engen Zusammenhang von Heiligung und Sendung. Jünger Jesu sollen geheiligt werden, das heißt: ausgesondert für Gott, erfüllt von seiner Art und damit anders als diese Welt. Sie sind nicht durch Äußerlichkeiten von ihren Zeitgenossen unterschieden, sondern durch das, was ihr Leben ausmacht. Und gerade so sind sie in die Welt gesandt. Sie können ihren Mitmenschen nur helfen, wenn sie anders sind als sie, können nur für die Welt sein, wenn sie nicht von der Welt sind. Jesus hat diese Wahrheit in der Bergpredigt durch ein Bild ausgedrückt: »Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt«, heißt es in Mt 5,13f. Die Menschen, die Jesus glücklich preist, sollen und können wie Salz und Licht in ihre Umgebung hineinwirken. Aber sie können das nur, weil sie anders sind als diese, erfüllt von der Energie einer Liebe, die sich für andere einsetzt. Dieses Paradox kennzeichnet ja auch die Sendung Jesu. Das Wort wurde in ihm Fleisch, ein Mensch wie wir. Und doch leuchtet in seinem Leben und Wirken die Herrlichkeit Gottes auf. Er ist Licht für die Welt. Der Inkarnation des Sohnes Gottes entspricht die Inkulturation seiner Gemeinde: Sie lebt mit den Menschen ihrer Zeit und ihrer Kultur, mit ihren Schwächen und Stärken, und doch leuchtet durch ihre Existenz, ihre Verkündigung und ihr Handeln das Licht der Liebe Gottes hinein in das Dunkel der Zeit.
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17,20–26 Bitte um Einheit und Vollendung der Gemeinschaft der Jünger 20
Aber nicht nur für diese bitte ich, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben, 21damit sie alle eins sind, wie du, Vater, in mir und ich in dir, damit auch sie in uns sind, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. 22Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, damit sie eins sind, wie wir eins (sind): 23ich in ihnen und du in mir, damit sie vollendet sind in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast. 24 Vater, ich will, dass jene, die du mir gegeben hast, (dort,) wo ich bin, auch bei mir sind, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast. Denn du hast mich schon vor Grundlegung der Welt geliebt. 25Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt, und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast. 26Und ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde (ihn) bekannt machen, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, (auch) in ihnen ist und ich in ihnen. Dieser dritte Abschnitt des Gebets Jesu gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil (V. 20–23) bittet Jesus ausdrücklich auch für die, die durch das Zeugnis der Jünger zum Glauben kommen. Es soll keine Jünger und Jüngerinnen zweiter Hand geben. Durch die Verbindung mit Jesus sollen alle zu einer Gemeinschaft gehören. Darum sind ab V. 22 alle im Blick, die zu Jesus gehören – mit dem, was ihnen gegeben ist, und dem, was von ihnen erwartet wird. Daran knüpft der zweite Teil (V. 24–26) als Abschluss des Gebets an, in dem Wesen und Ziel der jetzigen und künftigen Gemeinschaft mit Jesus eindrücklich formuliert wird. Es ist für ein Evangelium ganz ungewöhnlich, dass Jesus auch von den Menschen spricht, die durch die Verkündigung der nachösterlichen Gemeinde in seine Nachfolge gerufen werden. Seine Fürbitte gilt nicht nur denen, die ihn während seines irdischen Wirkens begleitet haben. Er bittet auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben (2 2 0). Damit taucht plötzlich ein klares Bild von der missionarischen Wirksamkeit der späteren Gemeinde auf. Durch ihre Verkündigung kommen Menschen zum Glauben an Jesus. Was Jesus für sie erbittet, formuliert er in drei hintereinandergeschalteten Finalsätzen (damit …) (2 2 1). Der erste (damit sie alle eins sind) bittet darum, dass ihr Glaube kein Glaube aus zweiter Hand, sozusagen nur vom Hörensagen, sein wird, sondern dass auch diese Glaubenden vollgültig zur Gemeinschaft der Jünger und
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Jüngerinnen gehören werden. Ging es in V. 11 um die Einheit aller, die miteinander auf dem Weg mit Jesus sind, so hier um die Einheit von Glauben und Leben der Gemeinde über die »Generationen« hinweg. Es ist Gott selbst, der die Zuverlässigkeit der Weitergabe des Evangeliums im Prozess der Überlieferung und Verkündigung sichern muss. Wie in V. 11 wird auch hier die Einheit der Christen mit dem Verweis auf die Einheit von Vater und Sohn begründet: wie du, Vater, in mir und ich in dir, so sollen auch die Christen eins sein. Die Treue, mit der der Sohn aus der inneren Verbundenheit mit dem Vater dessen Wort weitergegeben hat, ist Vorbild und Grund für die Einheit, die Glaube und Verkündigung der aufeinanderfolgenden Generationen von Jüngern Jesu miteinander verbindet. Diese Einheit im Glauben und in der Weitergabe der Botschaft Jesu ist nötig – so der zweite Finalsatz –, damit auch sie, die Jünger und Jüngerinnen späterer Zeit, in uns sind, also zur Gemeinschaft mit Vater und Sohn gehören. Das wiederum ist wichtig, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Dieser dritte Finalsatz zeigt, dass die Einheit der Kirche nicht Selbstzweck ist, sondern der Glaubwürdigkeit ihrer missionarischen Verkündigung dient. Dass die Gemeinde Jesu durch die Zeiten hindurch seine Botschaft treu bewahrt und dadurch eins mit ihm bleibt, ist ein klares Zeugnis für die Welt, dass Jesus von Gott gesandt wurde und Gott in Jesu Wort zu den Menschen spricht. Die Welt ist also keineswegs preisgegeben, sondern weiterhin Adressat der Botschaft von der Liebe Gottes. Die Voraussetzungen dafür hat Jesus selbst geschaffen, indem er an seine Jünger und Jüngerinnen weitergegeben hat, was er selbst empfangen hat (2 2 2): Die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben. Das ist eine erstaunliche Aussage. Denn Jesus sagt hier nicht mehr und nicht weniger, dass er die göttliche Wirklichkeit, die sich in seinen wunderbaren Zeichen, aber auch in seinem Weg ans Kreuz gezeigt hat, an die Gemeinde seiner Jünger und Jüngerinnen weitergegeben hat. Wann und wie das geschehen ist, wird nicht gesagt. Aber offensichtlich geht es nicht nur um das, was sie während seines irdischen Wirkens erlebt und gehört haben. Das Ganze seines Wirkens, einschließlich seines Todes und seiner Auferstehung, ist der nachösterlichen Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger Jesu als Lebensgrund anvertraut und wirkt in ihrer Verkündigung weiter. Noch einmal wird wie in V. 21 in drei Finalsätzen entfaltet, mit welchem Ziel die Gemeinde diese Gabe erhalten hat. Der erste lautet wie dort: damit sie eins sind, wie wir eins (sind). Dass die Gemeinde teilhat an der Herrlichkeit, d.h. an der göttlichen Wirklich-
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keit, die ihr in Jesus begegnet, ist der Grund dafür, dass auch das Miteinander der Menschen in ihr von dieser Wirklichkeit und damit von der Einheit von Vater und Sohn geprägt ist. Es gibt eine richtige Beziehungskette zwischen der Gemeinde, Jesus und Gott 2 3). Wie der Vater im Sohn gegenwärtig ist, so der Sohn in der (2 Gemeinde: Ich in ihnen und du in mir. Diese Zielangabe wird im zweiten Finalsatz noch gesteigert. Jesus – und durch ihn auch der Vater – ist in der Gemeinde gegenwärtig, damit sie vollendet sind in der Einheit. Die genaue Übersetzung dieser Aussage ist schwierig. Wörtlich heißt es: vollendet in eins (vgl. REB). LÜ und GNB schreiben vollkommen eins, was aber zu statisch klingt. Es geht um eine Bewegung hin zur Vollendung der Gemeinschaft mit Gott und untereinander. »Einheit ist nach Johannes beides: gegenwärtige Gabe und bleibendes Ziel aller Glaubenden« (Blank II, 282). Jesus bittet darum, dass sich diese Einheit schon jetzt im Leben der Gemeinde als Zeugnis für die Welt ereignet. Es geht also nicht erst um die Vollendung am Ende der Zeit. Es geht um ein immer intensiveres Miteinander, das auf dieses Ziel ausgerichtet ist. Das macht der dritte Finalsatz deutlich. Er ist parallel zu V. 21 formuliert. Die vollkommene Einheit ist nicht Selbstzweck. Sie wird der Gemeinde geschenkt, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast. In V. 21 hieß es: damit die Welt glaubt, hier: damit sie erkennt. Die Parallelität von Glauben und Erkennen macht deutlich: Dieses Erkennen ist nicht die beschämende Einsicht im letzten Gericht, auf der falschen Seite gestanden zu sein. Es ist die heilsame Erkenntnis, dass Jesus ganz im Auftrag Gottes gelebt und gewirkt hat. Inhalt dieser Erkenntnis aber ist wahrzunehmen und anzuerkennen, dass du sie (d.h. meine Jünger) … geliebt hast, wie du mich geliebt hast. Noch einmal wird deutlich: Die Welt ist nicht abgeschrieben. Die Gemeinde soll sich als Ort erweisen, an dem Menschen Gottes Liebe erfahren und diese Liebe miteinander und füreinander leben, damit auch der gottfeindlichen Welt die Augen und das Herz für das geöffnet werden, was Gott für sie in Jesus Christus und durch seine Gemeinde tut. »Durch die Sendung der Gemeinde wird die Welt befähigt, das in Christus realisierte Heil, das auch ihr Heil ist, zu erkennen. Das, was an der Gemeinde offenbar wird – ihr Eins sein mit Gott und Jesus und das darin zur Wirkung kommende Christusgeschehen –, enthält für die Welt Möglichkeit und Aufruf, sich selbst diesem Geschehen zu öffnen und an ihm teilzuhaben« (Dietzfelbinger II, 228). Der Abschluss des Gebets (2 2 4 –2 6) besteht aus einer letzten konkreten Bitte (V. 24) und einer nochmaligen Rechenschaftsablage
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Jesu vor dem Vater. Damit schließt sich der Kreis zum Anfang des Gebets (vgl. vor allem V. 6–8). Allerdings verändert sich der Ton, in dem Jesus seine Bitte ausspricht: Vater, ich will, sagt er (22 4). Das ist mehr als eine demütige Bitte. Jesus setzt damit jedoch gerade nicht seinen eigenen Willen dem des Vaters gegenüber, sondern spricht aus der völligen Willenseinheit mit ihm. Seine Gemeinschaft mit denen, die du mir gegeben hast, soll ihre volle Erfüllung finden. Darum erfolgt seine Bitte, dass wo ich bin, auch sie bei mir sind. An dieser Stelle ist besonders deutlich, dass dieses Gebet aus der Perspektive des auferstandenen und erhöhten Christus gesprochen ist. Er ist schon beim Vater und teilt dessen himmlische Herrlichkeit. Dorthin soll auch der Weg derer führen, die zu ihm gehören, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast. Es gibt eine Vollendung der Gemeinschaft Jesu mit seiner Gemeinde, die über das hinausführt, was diese jetzt in der Beziehung zu ihm erfährt. Das ist kein Widerspruch zu 1,14 (»wir sahen seine Herrlichkeit«) und 17,22 (»die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben«). Für den Evangelisten gibt es eine Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes, die über das hinausgeht, was jetzt von Menschen erfahrbar ist. Jesus gibt keinen Hinweis auf das Wann und Wie dieser vollendeten Schau seiner Herrlichkeit. Das Entscheidende ist, wie 1Joh 3,2 formuliert: »wir werden ihn sehen, wie er ist«. Was dann endgültig für die Augen derer, die zu Jesus gehören, offenbar werden wird, liegt in dem begründet, was von Anfang an das Wesen des Sohnes ausgemacht hat: Denn du hast mich schon vor Grundlegung der Welt geliebt. Damit wird V. 5 wieder aufgenommen, wo Jesus von der Herrlichkeit sprach, »die ich bei dir hatte, ehe die Welt war«. Die Herrlichkeit des Sohnes entspringt der Liebe des Vaters! Es ist immer geschenkte Herrlichkeit (die du mir gegeben hast, V. 22 und 24), so wie auch die Schar der Jünger und Jüngerinnen ein Gottesgeschenk ist (V. 6–9.24: die du mir gegeben hast). Noch einmal spricht Jesus seinen Vater direkt an (2 2 5): Gerechter Vater, sagt er, vergleichbar der Anrede Heiliger Vater in V. 11b. Gottes Heiligkeit kennzeichnet ihn als den, der ganz anders ist als diese Welt. Seine Gerechtigkeit aber bezeichnet auf dem Hintergrund des alttestamentlichen Verständnisses von Gerechtigkeit die Treue und Zuwendung zur Welt, mit der Gott sein Handeln zum Heil der Welt vollendet hat (vgl. 16,8–10). Umso schmerzlicher ist die Feststellung: die Welt hat dich nicht erkannt. Auch das muss in aller Offenheit gesagt werden. Die Welt, der Inbegriff einer gottfeindlichen Menschheit, hat sich der Gegenwart Gottes in Jesus Christus verweigert und Gott in seinem
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wahren Wesen weder erkannt noch anerkannt. Damit hat sie selbst das gerechte Urteil über sich gefällt. Überraschenderweise stellt Jesus dem als Kontrastbild jedoch nicht die glaubende Gemeinde gegenüber, sondern sich selbst: Ich aber habe dich erkannt. Er ist das eigentliche Gegenbild zu einer Welt, die blind für Gott und sein Wesen ist. Er allein hat Gott wirklich erkannt (vgl. 1,18). Daher ist auch die Gotteserkenntnis seiner Jünger eine indirekte: diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Indem sie erkannt und anerkannt haben, dass Jesus der einzigartige Gesandte und Repräsentant Gottes ist, haben sie auch Gott erkannt und sein Handeln in Jesus als Weg zum Heil anerkannt. Das aber geschah nicht aufgrund ihrer eigenen Erkenntnisfähigkeit, sondern weil Jesus ihnen Gottes Wesen und Wirklichkeit erschlossen hat (2 2 6): ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht. Noch einmal taucht das Motiv des Namens auf (vgl. V. 6.11f), und auch hier ist klar, dass damit nicht ein bestimmter Gottesname gemeint ist, sondern die wahre Identität Gottes. Sie hat Jesus seinen Jüngern erschlossen. Aber dieser Prozess der Offenbarung ist noch nicht abgeschlossen. Jesus wird Gottes Namen und Wesen weiter bekannt machen. Damit ist zweifellos das Geschehen von Kreuz und Auferstehung Jesu im Blick, in dem sich die Liebe Gottes in ihrer ganzen Tiefe erweist, aber auch das Werk des Geistes, des Parakleten, der dieses Geschehen immer wieder neu vergegenwärtigt. So wird Jesus auch in Zukunft denen, die zu ihm gehören, Gottes Wesen und Wirklichkeit erschließen, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, (auch) in ihnen ist und ich in ihnen. Die Liebe des Vaters zum Sohn ist der Inbegriff für Gottes schöpferische Kraft und seines Willens zur Rettung einer verlorenen Menschheit. Sie ist Ausdruck seines wahren Wesens, der Wahrheit, dass Gott Liebe ist (1Joh 4,8.16). Diese Liebe soll auch in der Gemeinschaft und den Herzen derer wohnen, die zu Jesus gehören, und sie wird dies tun, weil Jesus selbst bei und in ihnen sein wird (vgl. 14,23). Jesu Gebet zum Abschied von seinen Jüngern schließt mit der Verheißung der bleibenden Gegenwart der Liebe Gottes, so wie der ganze zweite Teil des Evangeliums mit dem Hinweis auf die vollendete Liebe Jesu begonnen hat (13,1). »Der Weg der Gemeinde in die Zukunft ist der Weg der Liebe« (Schnelle, 339). Diese Liebe gründet in der Liebe Gottes. Sie findet in der Liebe des Vaters zum Sohn ihren tiefsten Ausdruck. Diese Liebe ist ihrem Wesen nach aber kein geschlossenes Binnenverhältnis, sondern Quelle der Zuwendung Gottes zur Welt, wie das im Prolog beschrieben wurde. Es ist diese Liebe, die der Gemeinde Jesu geschenkt werden und in den Herzen ihrer Glieder wohnen wird.
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Der Blick weitet sich: Nicht nur für die Jünger, die bei ihm sind, bittet Jesus, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden. Hier wird ganz deutlich, wie sehr die Abschiedsworte Jesu schon die Situation der späteren Gemeinde ansprechen. Auch am Schluss des Gebets fällt der Blick auf die Aufgabe der Weitergabe der Botschaft Jesu an andere. Die Fürsorge Jesu für die Seinen schließt die Perspektive ihrer Sendung in die Welt mit ein. Jesu Gebet gilt zwar nicht direkt der Welt (V. 9). Aber mit der Bitte, dass die Seinen alle eins seien, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast, bleibt auch die Welt im Horizont des Heilswillen Jesu. Ungewöhnlich ist die Verbindung von Sendung und Einheit. Die Einheit der künftigen Gemeinde Jesu ist Johannes wichtig. Schon in der Hirtenrede wird verheißen: »sie werden eine Herde sein, ein Hirte« (10,16). Auch dort steht das Thema in Zusammenhang mit der künftigen Mission der Kirche, denn es geht offensichtlich um die erhoffte Einheit von Juden- und Heidenchristen in einer Kirche. Hier aber wird ganz grundsätzlich die Notwendigkeit der Einheit für eine erfolgreiche Verkündigung der Botschaft Jesu betont. Dabei zielt die Bitte um das Einssein der Jünger und Jüngerinnen Jesu zunächst auf die Kontinuität von Verkündigung und Glaube im Prozess der Weitergabe des Evangeliums (V. 20f). So wie der Sohn eins mit dem Vater blieb, auch als er sich in die Welt hat senden lassen, so sollen auch die, die in unterschiedlichen Zeiten der Missionsgeschichte zum Glauben kommen, im Glauben eins sein. Kirche soll mit ihrem Ursprung identisch bleiben, auch wenn sie mit ihrer Verkündigung auf neue Herausforderungen reagieren muss. Es muss erkennbar bleiben, dass sie Gemeinde Jesu ist. Jesu Bitte um Einheit bezieht sich jedoch nicht nur auf die Kontinuität durch die Zeiten hindurch. Wie V. 22 zeigt, geht es ganz grundsätzlich um die Einheit der Kirche in ihrer Begegnung mit der Welt. Einheit ist dabei nicht Selbstzweck, sondern Zeugin dafür, dass die Kirche aus ihrer Gemeinschaft mit Gott und Jesus lebt und wirkt. Evangelische Ausleger betonen gern, dass diese Einheit »nicht institutionell hergestellt werden« kann (Schnelle, 338). Sie ist Gabe und Werk Gottes. Das ist richtig. Nicht die organisatorische Einheit einer machtvoll und geschlossen auftretenden Kirche ist das Ziel der Bitte Jesu, sondern eine Einheit, die aus der gemeinsamen Verbindung mit Jesus und der Verwurzelung in der Liebe Gottes erwächst. Auch der katholische Theologe Josef Blank stellt fest, dass die Einheit, von der hier die Rede ist, nicht einfach »als eine ›Rückkehr nach Rom‹ unter die Oberhoheit des Papstes verstanden werden« kann. »Sie muß zunächst verstanden werden als die Frage der Kirchen nach dem wahren geistlichen Grund ihrer Existenz und als je neue Bewegung auf diese innerste Mitte hin. Die Kirchen müssen sich ›bei Christus‹ tref-
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fen« (Blank II, 287f). Ziel ist, dass die Welt glaubt, dass Jesus von Gott gesandt wurde und in ihm Gott und seine Liebe den Menschen begegnen. Aber das darf nicht zur Rechtfertigung für eine im Protestantismus weit verbreitete Vernachlässigung des Ringens um sichtbare Einheit missbraucht werden. Denn die Einheit, von der Jesus spricht, soll ja von außen erkennbar sein. Es geht um ein Miteinander und Füreinander der Christen, das erkennen lässt, wovon sie gemeinsam leben. Es geht um Einheit in der Liebe im Dienst am gemeinsamen Auftrag. Dass die ökumenische Bewegung diese Herausforderung erkannt hat, gehört zu den kirchengeschichtlich bedeutsamsten Ereignissen des letzten Jahrhunderts. Dass Jesus in Joh 17 die Einheit der Christen von Gott erbittet und sie nicht zum Thema einer Mahnung macht, ist wichtig. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Kirchen nicht darum mühen müssten, das, was sie trennt, zu überwinden. Vor allem aber geht es darum, gemeinsam so von der Botschaft Jesu her zu leben, dass erkennbar wird: Es geht im Leben der Kirche und in ihrer Mission um Gott und um die Welt, die er liebt. Die Botschaft der Abschiedsworte Jesu für die Kirche Jesu Christi Thema der Abschiedsworte Jesu nach Joh 13–17 sind die Existenz der Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu nach Ostern und die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert wird. Das ist für die Evangelienüberlieferung einzigartig. In den Endzeitreden der anderen Evangelien (vgl. Mt 24–25; Mk 13; Lk 21) ist davon nur in der Perspektive endzeitlicher Ereignisse die Rede! Bei Johannes aber wird ganz grundsätzlich von der Existenz und dem Auftrag der Gemeinde Jesu Christi in einer feindlichen Welt gesprochen. Drei zentrale Aussagen werden hervorgehoben: 1. Jesu Jünger und Jüngerinnen werden die Bedeutung der Sendung Jesu nach Karfreitag und Ostern ganz neu verstehen. Nicht, was neutrale Historiker von seinem irdischen Wirken erfassen können, kann die Frage beantworten, wer Jesus war und ist. Entscheidend ist die Sicht seiner Sendung durch Gott, wie sie sich durch Kreuz und Auferstehung eröffnet. 2. Dass Gott den Jüngern und Jüngerinnen Jesu seinen Geist als Beistand und Fürsprecher sendet, macht dieses neue Verstehen möglich. Der Geist wird keine neuen Erkenntnisse offenbaren und lehren. Er wird die Botschaft Jesu so vergegenwärtigen und neu entfalten, dass sie unmittelbar in die jeweilige Situation der Gemeinde Jesu spricht. Die Neuerzählung der Jesusgeschichte im 4. Evangelium stellt eine solche geistgeleitete Neuinterpretation der Botschaft Jesu dar. 3. Jesu Abschiedsworte sprechen von der nachösterlichen Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen, also von der Gemeinde bzw. der
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Kirche Jesu Christi. Diese erscheint aber nicht als durchorganisierte, mit Leitungsfunktionen ausgestattete Institution, sondern als Gemeinschaft von Glaubenden, Fragenden und Betenden. Drei Aussagen sind grundlegend für sie: 1. Jesu Jünger und Jüngerinnen leben von der Liebe Gottes und Jesu und werden dadurch befähigt, diese Liebe auch füreinander zu leben. Darin sollen sie eins sein, denn diese Einheit wird ihre Botschaft von Gottes Liebe glaubwürdig machen. 2. Als Menschen, die von Gottes Liebe geleitet sind, werden sie zu Fremden in der Gesellschaft. Sie werden gehasst und verfolgt und sind dennoch in die Welt gesandt. Sie sollen die Botschaft von Gottes Liebe, die sich in Jesu geoffenbart hat, für die Welt leben und verkünden. Mit anderen die Liebe und das Leben zu teilen, die Jesus schenkt, das ist der Ertrag ihres Lebens, die Frucht, die von ihnen erwartet wird und die sie mit Freude erfüllt. 3. Die Aussicht auf Bedrängnis und Hass, der sie trifft, soll die Jünger und Jüngerinnen nicht ängsten und erschrecken. Ihr Leben und Wirken ist in dem Frieden, den Jesus schenkt, geborgen. II 18,1 – 20,31 Die Vollendung der Sendung in Kreuz und Auferstehung Der Bericht von Jesu Tod am Kreuz und seinen Begegnungen mit seinen Jüngerinnen und Jünger nach seiner Auferstehung bildet eine zusammenhängende Erzählung. Anders als in der Tradition evangelischer Passionsoratorien wird Jesu Leiden und Sterben nicht als isoliertes Geschehen betrachtet, sondern von vorneherein im Zusammenhang mit seiner Auferstehung gesehen. Die Bedeutung von Jesu Tod hat sich seinen Jüngern ja erst im Licht seiner Auferstehung erschlossen. Das nimmt Jesu Weg zum Kreuz nichts von seiner Dramatik. Johannes führt seine Leser und Leserinnen in einem großen Spannungsbogen durch das Geschehen: Der Weg geht von der Verhaftung Jesu über die Verhöre vor Hannas und Pilatus, seine Hinrichtung am Kreuz und die Bestattung am Abend hin zu den Erscheinungen des Auferstandenen vor Maria aus Magdala, seinen Jüngern und Jüngerinnen und zuletzt vor Thomas. Er wird das entscheidende Bekenntnis zu Jesus aussprechen, mit dem das Evangelium einen ersten, eindrucksvollen Abschluss findet. Aus praktischen Gründen werden wir aber den Abschnitt doch in zwei gesonderten Teilen behandeln:
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18,1 – 19,42 Der Passionsbericht des Johannes 20,1–31 Das Ostergeschehen nach Johannes
Kap. 21 ist ein Nachwort zum Evangelium, in dem vor allem Rolle und Auftrag des Petrus und des sog. Lieblingsjüngers geklärt werden. 18,1 – 19,42 Jesus stirbt und siegt – der Passionsbericht des Johannes Der Bericht über Jesu Leiden und Sterben im 4. Evangelium weist einerseits eine erstaunliche Nähe zu dem auf, was die anderen Evangelien darüber schreiben; andererseits gibt es in Details deutliche Unterschiede. Die Übereinstimmungen betreffen vor allem die Grundzüge der Erzählung: Der Verhaftung in einem Gartengrundstück im Kidrontal folgt ein Verhör durch die Führer der jüdischen Behörden, das bei Johannes aber wenig Gewicht hat, und der Bericht von der Verleugnung des Petrus. Es schließt sich das Verhör vor Pilatus an, über das Johannes ausführlich berichtet, mit der Wahl zwischen Jesus und Barabbas und der Auspeitschung Jesu. Die Erzählung von Jesu Hinrichtung am Kreuz auf Golgota zwischen zwei andern Delinquenten und der Hinweis auf eine Inschrift, die Jesus als König der Juden identifiziert, bilden den Kern der übereinstimmenden Informationen. Dazu gehört auch der Bericht von der Bestattung Jesu vor Einbruch des Sabbats durch Josef von Arimathia in einer neuen, noch nicht belegten Grabkammer in der Nähe. Für das Johannesevangelium ist das ein erstaunlich großes Maß an Übereinstimmung. Deshalb nehmen manche Ausleger an, dass es einen alten Passionsbericht gab, den sowohl Markus (und ihm folgend Matthäus und Lukas) als auch Johannes kannten. Andere gehen davon aus, dass Johannes sich hier stärker als sonst an den Leitfaden hält, den die Passionserzählung des Markus vorgab. Beides ist möglich, lässt sich aber schwer beweisen. So oder so ist deutlich, dass es für die Passion Jesu in der frühen Christenheit eine relativ feste Erzähltradition gegeben hat, der auch das Johannesevangelium folgte. Allerdings gibt es auch gravierende Unterschiede zwischen Johannes und den anderen Evangelien. Der auffälligste betrifft die Datierung des Todestages Jesu. Alle Evangelien sind sich einig darüber, dass Jesus an einem Freitag starb und kurz vor Einbruch des Sabbats bestattet wurde. Bei Johannes ist dieser Freitag der Tag vor
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dem Passahfest, also der 14. Nisan (etwa April). Am Spätnachmittag dieses Tages wurden die Passahlämmer im Tempel geschlachtet und nach Einbruch der Dunkelheit gegessen (vgl. 18,28; dort weitere Erklärungen). Nach den anderen Evangelien nimmt Jesus am Vorabend seiner Verhaftung mit seinen Jüngern schon das Passahmahl ein (vgl. Mk 14,12–26; Mt 26,17–30; Lk 22,7–23) und wird am folgenden Tag, dem 15. Nisan, hingerichtet. Auffallend ist weiterhin, dass Jesus bei Johannes auch in der Passionsgeschichte sehr viel mehr als Handelnder denn als Leidender gezeichnet wird. Das zeigt sich sehr schön an der Szene, in der Jesus seine Mutter dem Lieblingsjünger anvertraut (19,26f), aber auch daran, dass die Geschichte vom Gebetskampf Jesu in Gethsemane (Mk 14,32–42) bei Johannes fehlt. Auf andere Stellen werden wir bei der Einzelauslegung hinweisen. Die Passionserzählung des 4. Evangeliums zeichnet sich durch einen einprägsamen Spannungsbogen aus, der sich auch in der Länge der Erzähleinheiten wiederspiegelt: Zwei kürzere Szenen führen ins Zentrum des Geschehens: ein knapper Bericht über die Verhaftung Jesu (18,1–11), dem das Verhör durch Hannas und die Verleugnung des Petrus (18,12–27) folgen. Höhepunkt und Mitte der Darstellung bilden die nächsten beiden Abschnitte: Das Verhör vor Pilatus (18,28 – 19,16) führt noch einmal ins Zentrum der Auseinandersetzung um Jesu Auftrag, und der Bericht von Kreuzigung und Tod Jesu (19,17–30) beschreibt eindrucksvoll, wie der sterbende Jesus diesen Auftrag ans Ziel führt. Zwei kurze Szenen, die von der Bestätigung des Todes (19,31–37) und vom Begräbnis Jesu (19,38–42) berichten, schließen die Erzählung ab. 18,1–11 Jesus stellt sich seinen Feinden 1
Als Jesus dies gesagt hatte, ging er mit seinen Jüngern hinaus über den Bach Kidron, wo ein Garten lag, in den ging er und seine Jünger. 2Aber auch Judas, der ihn auslieferte, kannte den Ort, weil Jesus dort oft mit seinen Jüngern zusammengekommen war. 3Nachdem Judas die Kohorte und die Diener der Hohepriester und der Pharisäer geholt hatte, kommt er mit Laternen und Fackeln und Waffen. 4Da nun Jesus alles wusste, was über ihn kommen würde, ging er hinaus und sagt zu ihnen: Wen sucht ihr? 5Sie antworteten ihm: Jesus, den Nazoräer. Er sagt zu ihnen: Ich bin (es)! Aber auch Judas, der ihn auslieferte, stand bei ihnen. 6Als er nun zu ihnen sagte: Ich bin (es)!, wichen sie zurück und fielen zu Boden. 7Da fragte er
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sie wieder: Wen sucht ihr? Sie aber sagten: Jesus, den Nazoräer. 8Jesus antwortete: Ich habe euch gesagt, dass ich (es) bin. Wenn ihr also mich sucht, lasst diese weggehen. 9(Das tat er,) damit das Wort erfüllt würde, das er gesagt hatte: Von denen, die du mir gegeben hast, habe ich keinen Einzigen verloren. 10Simon Petrus, der ein Schwert (dabei) hatte, zog es und traf den Knecht des Hohepriesters und hieb (ihm) das rechte Ohr ab. Der Name des Knechts aber war Malchus. 11Da sagte Jesus zu Petrus: Stecke das Schwert in die Scheide; soll ich den Becher, den mir der Vater gegeben hat, nicht trinken? In dieser ersten Szene der Passionsgeschichte wird in drei Schritten von Jesu Verhaftung erzählt: Die V. 1–3 beschreiben die näheren Umstände, die V. 4–9 schildern den Vorgang selbst, und in V. 10f wird von einem kurzen, aber dramatischen Nachspiel berichtet. In den Grundzügen stimmt die Erzählung mit dem Bericht der anderen Evangelien überein. Jesus will die Nacht mit seinen Jüngern in einem Gartengrundstück am Fuß des Ölbergs verbringen. Auch Judas kennt diesen Ort und nutzt die Gelegenheit, Jesus im Schutz der Nacht ohne Aufsehen an die jüdischen Behörden auszuliefern. Aber es gibt auch eine Reihe von Unterschieden: So wird der Name des Gartens, Gethsemane, nicht genannt (anders Mt 26,36; Mk 14,32), und der Bericht über Jesu Ringen mit Gott in Gethsemane fehlt ganz, ebenso ein so eindrucksvolles Detail wie der Kuss, mit dem Judas Jesus als den Gesuchten identifiziert (vgl. Mt 26,48f; Mk 14,44f). Dagegen weiß Johannes, wer versucht hat, Jesus mit dem Schwert zu verteidigen, und kennt den Namen dessen, dem das Ohr abgehauen wurde (V. 10). Vielleicht bezog sich die Wendung: Als Jesus dies gesagt hatte (1 1) ursprünglich einmal direkt auf die Aufforderung in 14,31b (»Steht auf, lasst uns von hier weggehen«). Im jetzigen Zusammenhang aber wird damit signalisiert: Jesus hat alles gesagt, was er seinen Jüngern zum Abschied mitgeben wollte. Jetzt kann er sich getrost auf den Weg machen, auch wenn er ihn in den Tod führen wird. Von dem Saal in Jerusalem, in dem Jesus das letzte Mahl mit seinen Jüngern feierte, geht es ins Kidrontal hinunter und über den Bach Kidron. Das griechische Wort für Bach deutet an, dass er nur in der Regenzeit im Winter Wasser führt. Jenseits des Bachs, am Fuß des Ölbergs, lag ein Garten, in den Jesus mit seinen Jüngern ging. Offensichtlich wollen sie dort die Nacht unter freiem Himmel verbringen. Darüber wusste auch Judas Bescheid (2 2 ), der – wie immer im Evangelium – durch den Zusatz der ihn auslieferte identifiziert wird
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(6,64.71; 12,4). Dass er es war, der Jesus an seine Gegner verraten hat, kennzeichnet ihn wie ein Brandmal. Dass er den Ort kannte, wird damit begründet, dass Jesus dort oft mit seinen Jüngern zusammengekommen war – eine Bemerkung, die auf einen längeren Aufenthalt Jesu in Jerusalem schließen lässt. Doch im Unterschied zu den anderen Evangelisten berichtet Johannes nichts von Jesu intensivem Ringen mit seinem himmlischen Vater angesichts seines bevorstehenden Todes (vgl. Mk 14,32–42; Mt 26,36–46 und – deutlich kürzer – Lk 22,39–46). Dabei scheint er diese Überlieferung zu kennen, denn er setzt sich mit ihr in 12,27f auseinander. Für ihn geht Jesus mit einem klaren Ja zu seinem Weg in den Tod. Die Perspektive des Erzählers richtet sich aber zunächst auf Judas (3 3 ). Er hat die Leute zusammengeholt, die nötig waren, um Jesus festzunehmen: Die Kohorte ist die Abteilung römischer Soldaten, die mit Pilatus von Cäsarea zum Fest nach Jerusalem gekommen waren. Eine Kohorte zählte 600 Fußsoldaten und 120 Reiter, die natürlich nicht alle zur Gefangennahme Jesu ausgerückt sind. Nur Johannes berichtet, dass die Römer schon an der Gefangennahme Jesu beteiligt waren. Für ihn gab es von Anfang an eine gemeinsame Front von Juden und der Weltmacht Rom gegen Jesus. Der andere Teil des Verhaftungskommandos besteht aus den Dienern der Hohepriester und der Pharisäer, also wohl einer Abteilung der Tempelpolizei und anderen schlagkräftigen Männern im Dienst der hohepriesterlichen Familien. Die Erwähnung der Pharisäer soll zeigen: Neben den Priestern waren auch die »Laien« im Hohen Rat an der Verhaftung Jesu beteiligt, wobei die Gruppe der Pharisäer erst in der Zeit der Entstehung des Evangeliums eine führende Rolle im Judentum einnahmen. Es ist Nacht. Daher kommen Judas und seine Truppe mit Laternen und Fackeln, aber auch mit Waffen, um jeden möglichen Widerstand zu brechen. »Die ›Welt‹, die sich dem Licht verweigert hat und in Finsternis getaucht wurde, zieht aus, um Jesus zu ergreifen – ausgestattet mit Fackeln und Lampen, also mit einem Licht, das … keines ist« (Zumstein, 669). Aber nicht Judas und seine Leute sind die eigentlichen Akteure in der folgenden Schilderung von Jesu Gefangennahme (44 –9). Jesus, der alles wusste, was über ihn kommen würde, ergreift die Initiative. Er ging hinaus und sagt zu ihnen: Wen sucht ihr? Diese Frage ist wie vieles im Johannesevangelium doppelsinnig: Zunächst ist gefragt, wem diese nächtliche Aktion gilt. Aber wie auch sonst klingt darin die Frage an, die in der Passionsgeschichte noch einmal aus neuer Perspektive behandelt werden wird: Wer ist dieser Jesus, den diese Leute verhaften wollen, wirklich? Die Leute antworten
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kurz und knapp: Jesus, den Nazoräer – oder freier übersetzt: Jesus 5 ). von Nazareth (5 Jesus, der Nazoräer, ist eine Form des Namens Jesu, die im Neuen Testament relativ häufig vorkommt; vgl. Mt 2,23; 26,71; Lk 18,37; Joh 18,5.7; 19,19; Apg 2,22; 3,6; 4,10 u.ö. Markus verwendet konsequent die Form der Nazarener (1,24; 10,47; 14,67; 16,6) und stellt damit klar, was die Wendung bedeutet: Jesus aus bzw. von Nazareth. Ob das auch die ursprüngliche Bedeutung von Nazoräer war, ist umstritten, vor allem aufgrund des Hinweises auf ein nicht zu identifizierendes Prophetenzitat in Mt 2,23: »Er wird Nazoräer heißen«. So wird etwa vermutet, dass eine Anspielung auf die Nasiräer vorliegt, Menschen, die sich durch ein Gelübde in besonderer Weise (zeitweilig) Gott weihen (Num 6,1–21; Ri 13,5.7; s. zu Mt 2,23). Doch Johannes geht von der Bedeutung von Nazareth aus (vgl. 1,45f). Für ihn ist Jesus, der Nazoräer so etwas wie die amtliche Bezeichnung Jesu (vgl. die Inschrift am Kreuz in 19,19).
Jesu Antwort ist eindeutig. Er sagt zu ihnen: Ich bin (es). Hier wird die Doppelbedeutung dieser Wendung augenscheinlich. Einerseits sagt Jesus damit schlicht und einfach: Ich bin der, den ihr sucht. Der Erzähler fügt ausdrücklich ein: Aber auch Judas, der ihn auslieferte, stand bei ihnen. Man soll ihn als Zeugen für Jesu Identität quasi mit dem Kopf nicken sehen. Aber andererseits wird gerade an unserer Stelle deutlich, dass in Jesu Antwort auch das göttliche ICH BIN zu hören ist, mit dem sich der Gott Israels vorstellt (vgl. Ex 3,14; Jes 43,10). Denn diese Worte haben eine unerwartete Wirkung (6 6 ): Als er nun zu ihnen sagte: Ich bin (es)!, wichen sie zurück und fielen zu Boden. Die spürbare Gegenwart Gottes wirft die Männer um! Dabei denkt der Evangelist wohl nicht daran, dass die Leute sich anbetend vor dem sich offenbarenden Gott niederwerfen. Aber in dem Moment, in dem sie sich Jesu bemächtigen wollen, »erfahren seine Feinde noch einmal seine Größe und seine Macht«, die Gott dem verleiht, der in seinem Auftrag wirkt und leidet (vgl. Ps 27,2; 35,4; Zumstein, 671). Sie spüren: Im Grunde haben sie keine Macht über ihn. Aber Jesus stellt sich ihrem Zugriff (77 ) und fragt sie wieder: Wen sucht ihr? Sie aber sagten: Jesus, den Nazoräer. Noch einmal antwortet Jesus (88 ): Ich habe euch gesagt, dass ich (es) bin. Er hat nicht vor, sich vor ihnen zu verstecken oder wegzulaufen. Er liefert sich ihnen aus, aber unter einer Bedingung: Wenn ihr also mich sucht, lasst diese weggehen. Seine Jünger sollen unbehelligt gehen können. Während Markus und Matthäus berichten, dass die Jünger in wilder Flucht Jesus verließen (Mk 14,50; Mt 26,56), sorgt Jesus nach Johannes dafür, dass sie ungefährdet die Szene verlassen können.
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Wie der Evangelist ausdrücklich feststellt, erfüllt Jesus damit ein 9 ): (Das tat er,) damit das Versprechen, das er selbst gegeben hat (9 Wort erfüllt würde, das er gesagt hatte: Von denen, die du mir gegeben hast, habe ich keinen Einzigen verloren. Damit wird auf Worte wie 6,39; 17,12 (vgl. auch 10,28) Bezug genommen. Jesu Worte erfüllen sich, erweisen sich als verlässlich und wahr, so wie das sonst von Worten der Heiligen Schrift gesagt wird. Damit werden nicht nur die Jünger von dem Makel entlastet, geflohen zu sein. Auch Jesus wird als der gute Hirte bestätigt, der selbst auf dem Weg in den Tod schützend für die Seinen eintritt. In Mk 14,27; Mt 26,31 wird das Versagen der Jünger mit dem Zitat aus Sach 13,7 begründet: »Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe werden sich zerstreuen«. Bei Johannes erweist sich dagegen Jesus als der Hirte, der auch noch in dieser Situation für die Seinen sorgt. Damit werden seine Aussagen über sich als guten Hirten (vgl. 10,11–15.27–29) eindrücklich bestätigt. Aber einer der Jünger will sich nicht auf eine kampflose Kapitulation einlassen (11 0). Es ist Simon Petrus, der ein Schwert (dabei) hatte. Er zog es und traf den Knecht des Hohepriesters und hieb (ihm) das rechte Ohr ab. Die Information, dass bei Jesu Verhaftung de m Knecht bzw. Sklaven des Hohepriesters (war es der Anführer der Gruppe?) ein Ohr abgehauen wurde, gehört zum Grundbestand der Passionserzählung. Sie wird aber unterschiedlich erzählt. In der ältesten Fassung (Mk 14,47) ist es »einer der Dabeistehenden«, der das Schwert zog, nach Mt 26,51 »einer derer, die mit Jesus waren«; nach Lk 22,51 heilt Jesus das verletzte Ohr wieder, und Johannes weiß nicht nur, dass es Petrus war, der den Schwerthieb ausführte, und es das rechte Ohr war, das getroffen wurde, sondern kennt auch den Namen des Knechts, nämlich Malchus. Aber alle diese Einzelheiten werden nicht besonders betont. Petrus zeigt durch sein Verhalten, dass er und seine Mitjünger noch nicht verstanden haben, dass Jesus diesen Weg gehen musste. Johannes nützt die Identifikation des Schwertträgers mit Petrus, um die vermeintlich positive Seite seiner Reaktion auf den Leidensweg Jesu zu zeigen. Der feigen Verleugnung geht der mutige, aber fehlgeleitete Versuch voraus, Jesus freizukämpfen. Beides aber zeigt, wie sehr Petrus noch seinen eigenen Vorstellungen folgt und daher auch von seinen eigenen Ängsten überwältigt werden wird. Jesus aber weist ihn zurecht (1 1 1): Stecke das Schwert in die Scheide; soll ich den Becher, den mir der Vater gegeben hat, nicht trinken? Der Becher oder der Kelch, den Jesus trinken will, ist Bild für seinen Tod. Es nimmt die prophetischen Worte vom Becher des Gerichts auf, den Gott Israel zu trinken gibt (vgl. Jes 51,17; Ez 23,32– 34; Hab 2,16; Ps 75,9). Jesus ist bereit, stellvertretend den Gerichts-
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tod auf sich zu nehmen, den das Volk durch seinen Ungehorsam erwirkt hat. Zweifellos spielt Johannes mit dieser Aussage Jesu auf die Gethsemaneszene der anderen Evangelisten an. Dort bittet Jesus den Vater darum, den Kelch von ihm wegzunehmen (Mk 14,36; Lk 22,42) bzw. an ihm vorübergehen zu lassen (Mt 26,39). Jesu Wort bei Johannes setzt voraus, was das Ergebnis dieses Ringens Jesu um seine Bestimmung war: Er ist bereit, das Todesschicksal aus der Hand des Vaters anzunehmen. Den Schluss dieser Szene erzählt V. 1 2. Dort wird berichtet werden, dass die Leute des Verhaftungskommandos Jesus ergriffen und fesselten. Dieser Vers ist jedoch fest mit dem Bericht vom Verhör vor Hannas verbunden und gehört zu ihm. Hier hat Jesus das letzte Wort – gerade dort, wo ihn feindliche Mächte in ihre Gewalt bringen wollen. Johannes erzählt diese Geschichte mit den Augen des Glaubens: Jesus geht seinen Weg ins Leiden souverän und aus eigenem Antrieb. Das zeigt eindrucksvoll der Vergleich mit der entsprechenden Erzählung in den anderen Evangelien (Mt 26,47–56; Mk 14,43–52; Lk 22,47–53). Während sie erzählen, wie Jesus von den Schergen der jüdischen Obrigkeit verhaftet wurde, berichtet Johannes, wie Jesus sich in die Hände seiner Gegner begibt. Er ist der Herr des Geschehens. Die Art, wie Johannes das Verhalten der Jünger schildert, kann einer angefochtenen Gemeinde Trost und Rückhalt geben. Nicht immer heißt die Alternative Flucht oder Bereitschaft zum Martyrium. Zwar wird auch im Johannesevangelium betont, dass die Jünger in das Geschick ihres Meisters eingebunden sind. Hier aber wird deutlich, dass sie nicht in jedem Fall seinen Weg in den Tod mitgehen müssen. Er geht ihn allein und sorgt dafür, dass sie bewahrt bleiben. Die johanneische Fassung des Berichts vom Zwischenfall mit dem Schwert wehrt am deutlichsten die Versuchung ab, die Sache Jesu mit der Waffe zu verteidigen. Wo das versucht wird, ist die Verleugnung Jesu nicht fern. Eine Warnung, die die Kirche zu ihrem Schaden nicht beachtet hat. 18,12–27 Jesus wird von Hannas verhört und von Petrus verleugnet 12
Da ergriffen die Kohorte und der Zenturio und die Diener der Juden Jesus und banden ihn 13und führten ihn zuerst zu Hannas. Er war nämlich der Schwiegervater des Kaiphas, der in jenem Jahr Hohepriester war. 14Es war aber Kaiphas, der den Juden geraten hatte, es sei besser, dass ein Mensch für das ganze Volk stirbt.
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Simon Petrus aber folgte Jesus und auch ein anderer Jünger. Jener Jünger aber war mit dem Hohepriester bekannt und ging mit Jesus in den Hof des Hohepriesters hinein. 16Petrus aber stand draußen vor der Tür. Da kam der andere Jünger, der mit dem Hohepriester bekannt war, heraus und sprach mit der Türwächterin und führte Petrus hinein. 17Da sagt die Magd, die die Tür bewachte: Bist nicht auch du einer von den Jüngern dieses Menschen? Spricht jener: Ich bin (es) nicht. 18Die Knechte und Diener aber hatten ein Kohlenfeuer gemacht, weil es kalt war, und standen da und wärmten sich. Es stand aber auch Petrus bei ihnen und wärmte sich. 19 Der Hohepriester nun fragte Jesus nach seinen Jüngern und nach seiner Lehre. 20Jesus antwortete ihm: Ich habe öffentlich zur Welt geredet, ich habe immer in einer Synagoge und im Heiligtum gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen, und habe nichts im Verborgenen geredet. 21Was fragst du mich? Frage die, die zugehört haben, was ich geredet habe; siehe, sie wissen, was ich gesagt habe. 22 Als er das gesagt hatte, gab einer der Diener, der dabeistand, Jesus eine Ohrfeige und sagte: So antwortest du dem Hohepriester? 23 Jesus antwortete ihm: Wenn ich etwas Unrechtes gesagt habe, weise nach, dass es unrecht war; wenn (es) aber recht (war), was schlägst du mich? 24Da sandte ihn Hannas gebunden zu Kaiphas, dem Hohepriester. 25 Simon Petrus aber stand da und wärmte sich. Da sagten sie zu ihm: Bist nicht auch du (einer) von seinen Jüngern? Er leugnete und sagte: Ich bin (es) nicht. 26Sagt einer von den Knechten des Hohepriesters, ein Verwandter dessen, dem Petrus das Ohr abgeschlagen hatte: Habe ich dich nicht im Garten mit ihm gesehen? 27Da leugnete Petrus wieder, und sofort krähte ein Hahn. Wie die anderen Evangelien erzählt auch Johannes, dass Jesus zunächst zum Verhör in den hohepriesterlichen Palast gebracht wurde und Petrus ihn dort verleugnete. Allerdings gibt es Unterschiede im Detail. Das eigentliche Verhör findet nicht vor dem Hohepriester Kaiphas, sondern vor seinem Vorgänger und Schwiegervater Hannas statt. Doch zu einer ernsthaften Befragung des Angeklagten kommt es weder vor dem einen noch dem anderen, und der Hohe Rat scheint überhaupt nicht in das Verfahren einbezogen zu sein (anders Mk 14,55). Eigentümlich für Johannes ist auch die Erwähnung eines anderen Jüngers, der mit dem Hohepriester bekannt war, und die Art wie der Bericht von der Verleugnung des Petrus mit dem vom Verhör Jesu verflochten ist: Auf die knappe Information über Jesu Verhaftung und seiner Überstellung an Hannas (V. 12–14) folgt der erste Teil der Erzählung von der Verleugnung des Petrus (V. 15–18).
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Dann erst wird über das Verhör vor Hannas berichtet (V. 19–24), und daran schließt sich der zweite Teil der Verleugnungsgeschichte an (V. 25–27). V. 1 2 bildet eigentlich den Abschluss der vorherigen Szene: Jesus wird verhaftet. Noch einmal betont Johannes die Komplizenschaft von römischer Besatzungsmacht und jüdischen Behörden: Da ergriffen die Kohorte und der Zenturio und die Diener der Juden Jesus und banden ihn. Römer und Juden verbünden sich gegen Jesus: Die gottfeindliche »Welt« wird zum Gegenbild der Kirche aus Juden und Heiden. Doch sie hat nun freie Hand, sich der Person Jesu zu bemächtigen und ihn zu fesseln. Aber der Bericht geht nahtlos über in die nächste Szene, Jesu Verhör durch Vertreter der hohepriesterlichen Familie (1 1 3). Allerdings findet es nicht vor dem amtierenden Hohepriester Kaiphas statt. Vielmehr führten die Leute des Verhaftungskommandos Jesus zuerst zu Hannas. Der Erzähler erklärt auch sogleich, wer dieser Hannas war und warum er so eine wichtige Rolle spielte. Er war nämlich der Schwiegervater des Kaiphas, der in jenem Jahr Hohepriester war. Damit ist angedeutet, dass Hannas das Oberhaupt der hohepriesterlichen Familie war. Dass er dann in V. 19 selbst Hohepriester genannt wird, verrät, dass auch er dieses Amt innegehabt hat. Wie wir durch den jüdischen Historiker Josephus wissen, war Hannas von 6–15 n.Chr. Hohepriester, wurde dann aber vom römischen Prokurator Valerius Gratus abgesetzt (Ant 18,26; 20,198). Sein Schwiegersohn Kaiphas wurde drei Jahre später zum Hohepriester ernannt und übte das Amt von 18–37 n.Chr. aus. Dann wurde auch er abgesetzt. Insgesamt hatten fünf Söhne des Hannas nach und nach dieses Amt inne. Auch Apg 4,6 setzt voraus, dass Hannas während der Amtszeit des Kaiphas Verhöre im Hohen Rat leitete. Intern hatte er offensichtlich weiterhin die Fäden der Macht in Händen.
An dieser Stelle weist Johannes auf einen Vorgang hin, den er berichtet hat und an den sich seine Leser und Leserinnen erinnern sollen (1 1 4): Es war aber Kaiphas, der den Juden geraten hatte, es sei besser, dass ein Mensch für das ganze Volk stirbt (11,50). Dass er dies hier an einer Stelle tut, an der Kaiphas noch gar nicht in Aktion ist, zeigt, wie wichtig ihm der Inhalt von dessen Aussage ist. In 11,51 hat er dies als prophetisches Wort bezeichnet, mit dem der amtierende Hohepriester – ohne sich dessen bewusst zu sein – die wahre Bedeutung des Todes Jesu ausgesprochen hat. Nun wird dieses Wort zum entscheidenden Vorzeichen, unter dem das, was folgt, zu sehen ist: Jesus stirbt für das ganze Volk!
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Aber bevor er weiter vom Verhör durch Hannas berichtet, wechselt der Erzähler den Schauplatz und erzählt von Petrus und dem, was er in dieser Nacht erlebt hat (11 5– 1 8). Er beginnt mit der knappen Feststellung (11 5): Simon Petrus aber folgte Jesus. Damit setzt er zunächst ein äußerst positives Signal. Simon macht sein Versprechen wahr, dass er bereit sei, Jesus überallhin zu folgen (vgl. 13, 36f). Aber Johannes fügt ein Detail an, das keiner der anderen Evangelisten berichtet: auch ein anderer Jünger ist Jesus auf diesem Weg gefolgt. Über ihn gibt es eine wichtige weitere Information: Jener Jünger aber war mit dem Hohepriester bekannt und ging mit Jesus in den Hof des Hohepriesters hinein. Er gehört zum Bekanntenkreis der hohepriesterlichen Familie und kann daher ungehindert in den Hof, d.h. in das Atrium des hohepriesterlichen Palastes hineingehen. Wer war dieser andere Jünger? Zwei Fragen bewegen die Ausleger: Handelt es sich nach Meinung des Evangelisten um den Lieblingsjünger, von dem in 13,23 die Rede war und der in 19,26; 20,2–10 und Kap. 21 eine wichtige Rolle spielen wird? Und ist dieser mit Johannes, dem Sohn des Zebedäus, identisch? Dass er dem Hohepriester bekannt war, hilft nur wenig zur Beantwortung dieser Frage. Immerhin weist die Verwendung des Wortes an anderen Stellen der griechischen Bibel auf einen engeren Kreis von Freunden und Verwandten (vgl. 2Kön 10,11; Ps 31,12; 55,14; 88,9; Lk 2,44; 23,49). Das scheint den Zebedaiden auszuschließen, stammt er doch aus einer galiläischen Fischerfamilie. Allerdings wurde schon früh die Vermutung geäußert, Zebedäus, der Vater des Johannes, sei Priester gewesen, der in Galiläa wohnte und sich nur in den Wochen, in denen seine Abteilung Dienst hatte, in Jerusalem aufhielt. Dafür gibt es aber keine sonstige Anhaltspunkte. Davon unabhängig ist die Frage, ob es sich bei dem anderen Jünger nach Meinung des Evangelisten um den Lieblingsjünger handelt. Hier sind die Meinungen geteilt. Viele Ausleger wenden ein: Wenn der Evangelist den anderen Jünger für diesen Jünger hielt, dann ist ganz unverständlich, warum er ihn nicht wie sonst auch hier mit dem Zusatz: »der Jünger, den Jesus liebte« identifiziert hat. In neuerer Zeit neigen viele dennoch dazu, in dem anderen Jünger den Lieblingsjünger zu sehen, vor allem, weil dieser in 20,2 mit der Wendung »der andere Jünger, den Jesus liebte« eingeführt wird und er in Kap. 20 und 21 immer zusammen mit Petrus erwähnt wird. Die Wendung »den Jesus liebte« werde hier weggelassen, weil die Beziehung zu Jesus in dieser Szene keine Rolle spielt. Sehr viel umstrittener ist die Frage, ob es sich dabei um eine historische Person, also um einen in Jerusalem ansässigen, aus priesterlichen Kreisen stammenden Jünger, oder um eine fiktive Gestalt handelt. Mit der zweiten Alternative ist oft die Meinung verbunden, der andere Jünger diene hier als positives Gegenbild zu Petrus. Davon verrät der Text aber nichts, sodass man einen historischen Kern der Nachricht nicht ausschließen sollte.
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1 6). Er stand draußen vor der Tür, Petrus aber kann nicht hinein (1 wie der Erzähler kurz und knapp vermerkt. Bleibt er ausgeschlossen von dem, was mit Jesus geschieht? Doch sein Begleiter lässt ihn nicht allein: Da kam der andere Jünger, der mit dem Hohepriester bekannt war, heraus und sprach mit der Türwächterin. Was er ihr sagte, erfahren wir nicht. Vielleicht hat er sich einfach für die Harmlosigkeit des Petrus verbürgt. Jedenfalls genügt es, um ihn auch ins Innere des Anwesens führen zu können. Aber im Vorbeigehen sieht ihn die Magd, die die Türe bewachte, genauer und sagt (1 1 7): Bist nicht auch du einer von den Jüngern dieses Menschen? Das ist zunächst eine einfache Feststellung, und man fragt sich, ob von dem anderen Jünger auch bekannt war, dass er zu der Anhängerschaft Jesu gehörte. Bei Petrus aber läuten die Alarmglocken. Vielleicht war es zunächst nicht einmal die Angst, verhaftet zu werden, die ihn bewegte, sondern die Sorge, dass ihn ein Bekenntnis zu Jesus hindern könnte, ihm weiter zu folgen. So antwortet er rasch und ohne weiteres Besinnen: Ich bin (es) nicht. So kann er ungehindert in den Innenhof des Gebäudes hineingehen. Mit knappen Strichen skizziert der Erzähler, was sich dort abspielte (1 1 8): Die Knechte und Diener aber hatten ein Kohlenfeuer gemacht, weil es kalt war, und standen da und wärmten sich. Petrus aber stellte sich unauffällig zu ihnen und wärmte sich. Hier hofft er unerkannt zu bleiben und den Verlauf des Geschehens um Jesus weiterhin verfolgen zu können. Die Erzählung macht aber nun wieder den Schwenk in das Innere des Palastes zum Verhör Jesu durch Hannas, der hier einfach Hohepriester genannt wird (1 1 9 –2 4). Der Bericht darüber unterscheidet sich grundsätzlich von dem, was wir in den anderen Evangelien darüber lesen. Es ist kein förmliches Verhör in Anwesenheit des Hohen Rates. Es treten keine Zeugen auf, die Jesus beschuldigen und behaupten, er habe gesagt, dass er den Tempel abbrechen und in drei Tagen wieder aufbauen wolle. Es wird nur summarisch gesagt, der Hohepriester habe Jesus nach seinen Jüngern und nach seiner Lehre gefragt (1 1 9). Es gehört zu den Besonderheiten des 4. Evangeliums, dass bestimmte Motive der Passionsgeschichte schon im Verlauf der öffentlichen Wirksamkeit abgehandelt worden sind: Die Kontroverse um das Tempelwort war in 2,18–22 berichtet worden, die inquisitorische Frage: »Bist du der Messias?« schon in 10,24 gestellt und das Todesurteil im Grunde bereits in 11,53 gefällt worden. Jetzt ging es um die Frage, wie es weitergehen würde: Wie steht es um Jesu Anhängerschaft, und was würde als seine Lehre weitergegeben werden? Dass der Evangelist die Frage des Hannas so formuliert, soll
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vermutlich den Lesern und Leserinnen signalisieren: Genau darum geht es auch in euren Auseinandersetzungen mit jüdischen Gegnern. 2 0). Er weist daraufhin, Jesus aber beantwortet die Fragen nicht (2 dass er keine Geheimlehren verbreitet habe: Ich habe öffentlich zur Welt geredet, ich habe immer in einer Synagoge und im Heiligtum gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen, und habe nichts im Verborgenen geredet. Diese Aussage hat eine doppelte Spitze: Jesus hat zur Welt geredet. Seine Verkündigung war an alle gerichtet, gerade auch an die, die fern von Gott sind. Zugleich aber galt sein Lehren ganz besonders den Juden, die hier zu Repräsentanten der Welt werden. Jesus »redet zur Welt« (8,26), das ist sein Auftrag. Er lehrt dort, wo seine jüdischen Zeitgenossen die Gegenwart Gottes erwarten: in der Synagoge (6,59) und im Heiligtum, dem Tempel (5,14; 7,14; 8,20; 10,23). Und er redet »in der Öffentlichkeit«, »frei und offen« (7,26). Für das Evangelium sind das wichtige Feststellungen. Was über Jesu Verkündigung und Lehre in den Kap. 2–12 berichtet wurde, ist die ganze Offenbarung. Was Jesus seinen Jüngern in den Kap. 13–17 sagte, sind keine esoterischen Geheimlehren, die erst die eigentliche Offenbarung darstellen würden. Sie entfalten das, was Jesus vor aller Welt gesagt hat, in seiner Bedeutung für die Zukunft der Jünger und Jüngerinnen Jesu. Die Welt und die Juden waren die Adressaten der Verkündigung Jesu und bleiben die seiner Gemeinde. Sie können wissen, worum es Jesus und seinen Jüngern geht! Darum muss Jesus die Frage des Hohepriesters entschieden zurückweisen (2 2 1): Was fragst du mich? Frage die, die zugehört haben, was ich geredet habe; siehe, sie wissen, was ich gesagt habe. Es gibt Zeugen für das, was Jesus verkündet und gelehrt hat. Sie können befragt werden. Das ist auch wichtig für die Auseinandersetzungen nach Jesu Tod und Auferstehung. Auch wenn Jesus selbst nicht mehr Rede und Antwort stehen kann, es gibt Zeugen, die zuverlässig Auskunft geben können. Damit sind nicht Leute gemeint, die Jesus zufällig im Tempel gehört haben. Es sind seine Jünger und Jüngerinnen, die mit ihm waren und bezeugen, was Jesus gelehrt hat. Ihr Zeugnis ist im Evangelium zusammengefasst (21,24). Einer der Diener des Hohepriesters, der dabeistand, fand Jesu Antwort jedoch ungehörig (2 2 2). Ein Angeklagter hatte zu antworten, wenn ihn eine Respektsperson wie der Hohepriester etwas fragte, und nicht mit ihm zu argumentieren. Empört gab er Jesus eine Ohrfeige und wies ihn zurecht: So antwortest du dem Hohepriester? Das gehört sich nicht! Während die anderen Evangelien berichten, dass Jesus während des Verhörs vor dem Hohepriester von einer ganzen Gruppe durch
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Schläge ins Gesicht misshandelt und verhöhnt wurde (vgl. Mk 14, 65; Mt 26,67; Lk 22,63), erzählt Johannes nur von dieser einen entehrenden Ohrfeige. Für ihn ist das eine Gelegenheit zu zeigen, wie souverän Jesus auch in dieser schwierigen Situation reagiert hat 2 3). Jesus sagte zu dem Mann: Wenn ich etwas Unrechtes gesagt (2 habe, weise nach, dass es unrecht war; wenn (es) aber recht (war), was schlägst du mich? Fast könnte man diesen Satz in etwas verändertem Wortlaut in die Strafprozessordnung eines Rechtsstaats aufnehmen. Aber für Jesus gilt nicht nur die Unschuldsvermutung. »Das Recht und die Wahrheit sind auf seiner Seite« (Schnelle, 348). Nur Recht und Wahrheit sollten über seine Schuld oder Unschuld entscheiden. Über ein Urteil des Hannas wird nichts berichtet. Sein Verhör ist nicht Teil eines förmlichen Prozesses. Das inoffizielle Todesurteil der Verantwortlichen über Jesus ist ja auch schon gefällt (11,53). Deshalb schickt Hannas Jesus, der weiterhin gefesselt bleibt, zu Kaiphas, dem (amtierenden) Hohepriester, dem eigentlich Zuständigen (2 2 4). Welche Botschaft er für ihn mitgibt, wird nicht gesagt. Von einem Verhör durch den Hohepriester Kaiphas, von dem die anderen Evangelien ausführlich berichten, erfahren wir nichts. Was Kaiphas zu dem »Fall Jesus« zu sagen hat, ist längst berichtet (11,49f). Der Erzähler richtet stattdessen die Aufmerksamkeit auf Petrus, der immer noch im Innenhof des Palasts bei den Knechten des Hohepriesters am Feuer stand und sich wärmte (2 2 5). Aber das Feuer verbreitete nicht nur angenehme Wärme. Sein Schein gab auch genügend Licht, dass die Umstehenden das Gesicht des Petrus erkannten und zu ihm sagten: Bist nicht auch du (einer) von seinen Jüngern? Petrus erschrickt. Er sitzt in der Falle. Jetzt bekommt er Angst um sein Leben. Und deshalb leugnete er, etwas mit Jesus zu tun zu haben, und sagte: Ich bin (es) nicht. Alle, die das aufmerksam lasen, musste diese Formulierung an Jesu Verhalten bei seiner Verhaftung erinnern. Er hatte klar bekannt: »Ich bin (es)« und sich zugleich für seine Jünger eingesetzt und freies Geleit für sie ausbedungen (18,4–9). Petrus dagegen verleugnet seinen Herrn, um mit heiler Haut davonzukommen. Die Leute geben sich mit seiner Antwort aber nicht zufrieden (22 6). Und einer von den Knechten des Hohepriesters war ein Verwandter dessen, dem Petrus das Ohr abgeschlagen hatte – eine Information, die von den Evangelisten nur Johannes kennt. Der schaut Petrus noch einmal genauer an und sagt: Habe ich dich nicht im Garten mit ihm gesehen? Man kann den drohenden Unterton dieser Frage förmlich spüren. Und Petrus merkt: Nun wird es wirklich gefährlich. Mit welchen Worten er reagierte, erfahren wir nicht. Der Er-
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zähler berichtet nur lapidar (22 7): Da leugnete Petrus wieder, und sofort krähte ein Hahn. Petrus scheint sich nach dem Bericht bei Johannes – anders als in Mk 14,71 par Mt 26,74 – nicht förmlich von Jesus loszusagen. Genau genommen leugnet er nur, im Garten dabei gewesen zu sein. Aber was dort Beispiel für fehlgeleiteten Todesmut war, findet nun in der Verleugnung der Zugehörigkeit zu Jesus ein negatives Gegenbild. Jesu Voraussage von 13,38: »Der Hahn wird nicht krähen, bevor du mich dreimal verleugnet hast«, war in Erfüllung gegangen. Petrus, der sein Leben für Jesus geben wollte, leugnet, zu ihm zu gehören, um sein Leben zu retten. Sein Verhalten steht als abschreckendes Beispiel und eindrückliches Warnsignal neben Jesu Treue zu seinem Auftrag, durch den Einsatz seines Lebens die Menschen zu retten. »… und er ging hinaus und weinte bitterlich« – so endet diese Szene in Bachs Johannespassion. Aber dieser Satz steht nicht im Text des Evangeliums. Bach hat ihn aus Mt 26,75 übernommen. Wollte er sich den musikalischen Effekt, der sich mit diesen Worten verbinden ließ, nicht entgehen lassen? Oder fand er, dass diese Geschichte und ihre Fortsetzung in 21,15–18 ohne ein Zeichen der Reue des Petrus unverständlich bleibt? Johannes stellt das Fehlverhalten des Petrus ohne Kommentar oder einen Hinweis auf dessen Reaktion neben das Bild Jesu, der auch in dieser Situation sich und seiner Sendung treu bleibt. Dass der Weg des Petrus mit Jesus damit noch nicht zu Ende war, das wussten die Leser und Leserinnen. Umso eindrücklicher musste die Geschichte seines Versagens auf sie wirken. Stellt der andere Jünger das positive Gegenbild zu Petrus dar? Viele Ausleger sehen das so. Aber er ist in dieser Geschichte eigentlich nicht mehr als der Türöffner für Petrus; über sein sonstiges Verhalten wird nichts weiter gesagt – weder positiv noch negativ. Dass seine Rolle nicht idealisiert wird, könnte für die Historizität dieses Details sprechen. Jesu Antwort an Hannas aber sendet ein Signal an alle, die Jesu Verkündigung hinterfragen: Was Jesus gelehrt hat, kann man wissen. Es ist allen zugänglich. Offen bleibt die Frage, ob und wie man sich davon betreffen lässt. 18,28 – 19,16a Jesus vor Pilatus 28
Nun führen sie Jesus von Kaiphas zum Prätorium; es war aber früh (am Morgen), und sie gingen nicht ins Prätorium hinein, damit sie
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sich nicht verunreinigten, sondern das Passahmahl essen (könnten). Da ging Pilatus zu ihnen hinaus und sagte: Welche Anklage bringt ihr gegen diesen Menschen vor? 30Sie antworteten und sagten: Wenn dieser kein Verbrecher wäre, hätten wir ihn dir nicht ausgeliefert. 31 Da sagte Pilatus zu ihnen: Nehmt ihr ihn und richtet ihn nach eurem Gesetz. Die Juden sagten zu ihm: Uns ist nicht erlaubt, jemanden zu töten. 32(Das geschah,) damit das Wort Jesu erfüllt würde, das er sagte, um anzudeuten, welchen Todes er sterben würde. 33 Da ging Pilatus wieder hinein in das Prätorium und rief Jesus und sagte zu ihm: Bist du der König der Juden? 34Jesus antwortete und sagte: Sagst du das von dir selbst aus oder haben dir das andere über mich gesagt? 35Pilatus antwortete: Bin ich denn ein Jude? Dein Volk und die Hohepriester haben dich mir ausgeliefert! Was hast du getan? 36Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, hätten meine Diener für mich gekämpft, damit ich nicht den Juden ausgeliefert worden wäre; nun aber ist mein Königtum nicht von hier. 37Da sagt Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete ihm: Du sagst es. Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme. 38Pilatus sagt zu ihm: Was ist Wahrheit? Und nachdem er dies gesagt hatte, ging er wieder hinaus zu den Juden und sagt zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm. 39Es ist aber Sitte bei euch, dass ich euch beim Passah(fest) einen (Gefangenen) freilasse. Wollt ihr also, dass ich euch den König der Juden freilasse? 40 Da schrien sie wieder und sagten: Nicht diesen, sondern Barabbas! Barabbas aber war ein Räuber. 1 9 1Darauf nahm Pilatus Jesus und ließ ihn auspeitschen. 2Und die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten (sie ihm) auf seinen Kopf und zogen ihm einen purpurnen Mantel an 3und traten zu ihm und sagten: Sei gegrüßt, König der Juden!, und verabreichtem ihm Ohrfeigen. 4 Und Pilatus ging wieder hinaus und sagt zu ihnen: Siehe, ich bringe ihn zu euch heraus, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde. 5Jesus kam nun heraus und trug die Dornenkrone und den purpurnen Mantel. Und er sagt zu ihnen: Siehe, der Mensch! 6 Als ihn nun die Hohepriester und die Diener sahen, schrien sie und sagten: Kreuzige! Kreuzige! Pilatus sagt zu ihnen: Nehmt ihr ihn und kreuzigt (ihn). Denn ich finde keine Schuld an ihm. 7Die Juden antworteten ihm: Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muss er sterben, denn er hat sich (selbst) zu Gottes Sohn gemacht. 8 Als nun Pilatus dieses Wort hörte, geriet er noch mehr in Furcht 9 und ging wieder hinein ins Prätorium und sagt zu Jesus: Woher 29
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bist du? Aber Jesus gab ihm keine Antwort. 10Da sagt zu ihm Pilatus: Du sprichst nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich frei zu lassen, und Macht habe, dich kreuzigen zu lassen? 11Jesus antwortete: Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre; deshalb hat der, der mich dir ausgeliefert hat, größere Sünde. 12Daraufhin suchte Pilatus, ihn frei zu lassen. Die Juden aber schrien und sagten: Wenn du diesen frei lässt, bist du kein Freund des Kaisers. Jeder, der sich selbst zum König macht, widersetzt sich dem Kaiser. 13Als nun Pilatus diese Worte hörte, führte er Jesus heraus und setzte sich auf den Richtstuhl an dem Ort, der Lithostrotos heißt, auf Hebräisch aber Gabbata. 14Es war aber der Rüsttag für das Passah(fest), ungefähr um die sechste Stunde. Und er sagt zu den Juden: Seht, euer König! 15Jene aber schrien: Weg! Weg! Kreuzige ihn! Pilatus sagt zu ihnen: Euren König soll ich kreuzigen? Die Hohepriester antworteten: Wir haben keinen König außer dem Kaiser! 16aDa nun lieferte er ihn ihnen aus, damit er gekreuzigt würde. Zusammen mit dem Bericht von der Kreuzigung ist dieser Teil der Erzählung das Kernstück der Johannespassion. Das Verhör Jesu durch Pilatus wird sehr viel ausführlicher als in den anderen Evangelien geschildert. Die Auseinandersetzung Jesu mit seinen Gegnern wird noch einmal in konzentrierter Form dargestellt, wobei Pilatus eine seltsam unentschlossene Stellung zwischen den »Fronten« einnimmt. Er stellt mehrfach Jesu Unschuld fest und wagt doch nicht, ihn freizulassen. Der Abschnitt stellt eine zusammenhängende Einheit dar, die trotz ihrer Länge nicht aufgeteilt werden sollte. Er ist sorgfältig gegliedert und setzt sich aus sieben knappen Szenen zusammen, deren Schauplatz ständig zwischen drinnen und draußen wechselt. »Draußen« ist die Welt, repräsentiert durch die Hohepriester und Juden, die Jesu Tod fordern. »Drinnen« ist der Raum, in dem Jesus noch einmal Zeugnis für die Wahrheit seiner Botschaft ablegt. Eine genaue Analyse der Struktur des Abschnitts ergibt, dass sich die Szenen der ersten und zweiten Hälfte in umgekehrter Reihenfolge entsprechen und die Verspottung Jesu als König der Juden im Zentrum steht. Eine schematische Darstellung des Aufbaus (nach Zumstein, 688) zeigt dies sehr schön: 18,28 Einleitung Jesus wird zu Pilatus gebracht 18,29–32 Draußen Die Juden fordern von Pilatus, Jesus zu verurteilen
19,16a Schluss Pilatus liefert Jesus seinen Henkern aus 19,13–15 Draußen Pilatus urteilt über Jesus
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18,33–38a Drinnen 19,8–12 Drinnen Gespräch zwischen Pilatus und Jesus Gespräch zwischen Pilatus und Jesus 18,38b–40 Draußen 19,4–7 Draußen Pilatus beteuert die Unschuld Jesu s Pilatus beteuert die Unschuld Jesus 19,1–3 Drinnen Die Verspottung Jesu
Einleitung: Jesus wird zu Pilatus gebracht (18,28) Nach dem Bericht über die Verleugnung des Petrus steigert sich die Dramatik des Geschehens. Eine nicht näher identifizierte Gruppe von Leuten bringt Jesus von Kaiphas zum Prätorium (22 8). Etwas später werden sie die Juden genannt (V. 31.33 u.ö.), auch von den Hohepriestern ist die Rede (19,6 u.ö.). Es sind also Vertreter der Jerusalemer Behörden, die gegen Jesus auftreten. Das Prätorium ist der Amtssitz des römischen Statthalters. Er residierte dort, wenn er zu den Festzeiten von Cäsarea nach Jerusalem heraufkam, um dort für alle Fälle präsent zu sein. Vermutlich benutzte er dazu den Palast des Herodes, der sich in der Nähe des Jaffators befand. Die Aktion findet früh (am Morgen) statt, das heißt bei Tagesanbruch, etwa gegen 6 Uhr. Tatsächlich begannen römische Beamte ihren Dienst schon so früh. Aber die Angabe dürfte auch symbolische Bedeutung haben: Während der Verrat des Judas, die Verhaftung Jesu, das Verhör vor Hannas und die Verleugnung des Petrus in der Nacht geschehen, »bricht mit dem Prozess vor Pilatus und der bevorstehenden Kreuzigung das Morgenlicht des Sieges und die Stunde der Vollendung für den Sohn an« (Zumstein, 691). Als Erklärung für das »Setting« der folgenden Szenen nennt der Erzähler noch ein wichtiges Detail: Die Leute, die Jesus gebracht hatten, gingen nicht ins Prätorium hinein, damit sie sich nicht verunreinigten, sondern das Passahmahl essen (könnten). Die Häuser und Wohnungen von Nichtjuden galten für Juden als kultisch unrein. Für das Essen des Passahmahls galten aber strenge Reinheitsvorschiften (vgl. zu 11,55). Hätten sich die jüdischen Gegner Jesu durch das Betreten des Prätoriums verunreinigt, hätten sie nicht am Passahmahl teilnehmen können, das nach der johanneischen Chronologie erst am Abend des Todestages Jesu stattfand. Wir haben schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Chronologie des Johannesevangeliums von der der anderen drei Evangelien abweicht. Übereinstimmung besteht darüber, dass Jesus an einem Freitag starb, sein letztes Mahl mit seinen Jüngern also am Donnerstagabend stattfand. Aber das Datum dieser Tage wird verschieden bestimmt. In den synoptischen
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Evangelien ist der Donnerstag der 14. Nisan. Am Nachmittag dieses Tages werden die Passahlämmer im Tempel geschlachtet und am Abend, der nach jüdischer Zeitrechnung schon als 15. Nisan zählt, im Rahmen des festlichen Passahmahls verzehrt. Jesu letztes Mahl mit seinen Jüngern war also ein Passahmahl (vgl. Mt 26,17 par Mk 14,12; Lk 22,7). Bei Johannes ist der Freitag der 14. Nisan. Nach seinem Bericht stirbt Jesus zur selben Stunde, in der im Tempel die Passahlämmer geschlachtet wurden. Der 14. Nisan fiel in den Jahren 30 und 33 n.Chr. auf einen Freitag, der 15. Nisan in den Jahren 27 und 34, evtl. auch im Jahr 31. Es gibt Versuche, beide Chronologien miteinander zu harmonisieren. So wird darauf hingewiesen, dass die Gruppe von Qumran einem anderen Kalender folgte. Johannes würde dem zufolge das offizielle Passahdatum, das von der Tempelpriesterschaft vorgegeben wurde, voraussetzen, während der Bericht der anderen Evangelien darauf fußt, dass sich Jesus mit seinen Jüngern an das abweichende Passahdatum der Qumranleute anschloss. Es ist jedoch ganz unwahrscheinlich, dass man in Jerusalem an zwei hintereinander folgenden Tagen Passah feiern konnte. Viele Ausleger halten die johanneische Chronologie für historisch zuverlässiger. Denn es scheint sehr viel wahrscheinlicher zu sein, dass Jesus noch vor dem Fest verhaftet, verurteilt und hingerichtet wurde, als dass dies alles in der Passahnacht und am ersten Tag des Festes geschah. Das würde auch der Absicht der Jerusalemer Behörden entsprechen, Jesus »nicht am Fest« zu verhaften (Mk 14,2). Allerdings bleibt das unsicher, denn auch die Chronologie des Johannes ist stark von dem theologischen Interesse geprägt, Jesu Tod und das Schlachten der Passahlämmer in Beziehung zu setzen.
1. Szene (draußen vor dem Palast): Die Anklage gegen Jesus (18,29–32) Pilatus, der römische Gouverneur, der die Empfindlichkeiten der Juden in religiösen Dingen kennt, lässt sich auf ihr Verhalten ein und geht zu den Leuten, die Jesus zu ihm gebracht haben, hinaus. Johannes setzt offensichtlich voraus, dass seine Leser und Leserinnen wissen, wer Pilatus ist. Pontius Pilatus war von 26–36 n.Chr. Präfekt von Judäa und Samaria. Ihm unterstand die römische Finanz- und Militärverwaltung. Er übte auch die oberste Gerichtsbarkeit aus, vor allem, wenn es um Staatsverbrechen und andere Vergehen ging, für die die Todesstrafe verhängt wurde. Er unterstand dem Statthalter der Provinz Syrien, hatte aber de facto weitgehend freie Hand, die Dinge selbstständig zu regeln. Sein Amtssitz war Cäsarea, zu den großen Festen kam er jedoch mit einer Kohorte Soldaten nach Jerusalem, um bei etwaigen Unruhen eingreifen zu können. Von den jüdischen Quellen wird er als grausam und unsensibel im Blick auf die religiösen Gefühle der Juden geschildert (vgl. Lk 13,1). So wurde er 36 n.Chr. aufgrund von Beschwerden der Samaritaner wegen der ungesetzlichen
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Hinrichtung von angesehenen Bürgern vom syrischen Statthalter Vitellius abgesetzt und zur Rechenschaftsablage nach Rom geschickt. Dass er relativ lange im Amt war, lässt darauf schließen, dass er zumindest mit den Vertretern der jüdischen Selbstverwaltung eine Basis für eine tragfähige Zusammenarbeit fand. Darauf könnte auch die Tatsache verweisen, dass der Hohepriester Kaiphas gleichzeitig mit ihm abgesetzt wurde.
Nachdem Jesus in das Prätorium geführt worden war, ging Pilatus zu dessen Anklägern hinaus (2 2 9) und fragte sie: Welche Anklage bringt ihr gegen diesen Menschen vor? Merkwürdigerweise nennen diese keine konkreten Tatbestände, sondern entgegnen fast vorwurfsvoll (3 3 0): Wenn dieser kein Verbrecher (wörtlich: kein Übeltäter) wäre, hätten wir ihn dir nicht ausgeliefert. Der Erzähler will damit deutlich machen: Eigentlich können die Gegner Jesu keine Anklage vorbringen, die Jesus wirklich eines todeswürdigen Verbrechens bezichtigen würde. Daher setzen sie auf eine »politische« Argumentation, indem sie sagen: Wenn dieser Mensch kein Verbrecher wäre und nicht wirklich etwas Schlimmes, Todeswürdiges, getan hätte, hätten wir ihn nicht deiner Gerichtsbarkeit überstellt. Hier musst du mit deinen Befugnissen eingreifen! Pilatus scheint wenig Lust zu haben, sich auf dieses Spiel einzulassen. Er vermutet, dass es um innerjüdische Auseinandersetzungen geht und erwidert (33 1): Nehmt ihr ihn und richtet ihn nach eurem Gesetz. Für Rechtsstreitigkeiten, die das jüdische Gesetz betreffen, ist er nicht zuständig. Doch Jesu Gegner weisen ihn darauf hin, dass das, was hier geschehen muss, ihre Kompetenzen übersteigt: Uns ist nicht erlaubt, jemanden zu töten, das heißt: Wir haben nicht das Recht, die Todesstrafe zu verhängen und zu vollziehen. Seitdem die Römer im Jahr 6 n.Chr. die direkte Verwaltung von Judäa übernommen hatten, stand die Kapitalgerichtsbarkeit, also das Recht, ein Todesurteil zu fällen, allein dem römischen Statthalter zu. Wo es doch zu Hinrichtungen kam, etwa bei der Steinigung des Stephanus (Apg 7,58f) oder des Herrenbruders Jakobus (Josephus, Ant 20,200–203), handelte es sich um Lynchjustiz oder ein illegales Verfahren. Die jüdische Strafe für ein todeswürdiges religiöses Vergehen wäre die Steinigung gewesen. Wenn hingegen ein römisches Gericht jemanden, der nicht römischer Bürger war, wegen Aufruhrs zum Tod verurteilte, wurde die Strafe in der Regel durch Kreuzigung vollzogen. Dass die jüdischen Behörden den Fall dem Statthalter zuschoben, war Teil ihres Planes, Jesus und seinen Einfluss durch diesen schändlichen Tod ein für alle Mal zu eliminieren. Für den Evangelisten steckt so etwas wie göttliche Ironie dahinter: In Wirklichkeit geschah es, damit das Wort Jesu erfüllt würde, das er sagte, um anzudeuten, welchen Todes er sterben würde (3 3 2). Damit wird
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auf Jesu Wort in 12,32f angespielt, wo Jesu Aussage »wenn ich von der Erde erhöht werde« als Hinweis auf seinen Tod am Kreuz gedeutet wird (vgl. auch 3,14; 8,28). 2. Szene (drinnen im Palast): Das erste Verhör Jesu (18,33–38a) Pilatus kehrt wieder zurück ins Prätorium (3 3 3). Er pendelt während der ganzen Verhandlung zwischen drinnen und draußen, zwischen Angeklagtem und Anklägern hin und her. Das ist auch ein Bild für seine unentschlossene Haltung, die dann am Schluss doch zur Entscheidung gegen Jesus führt. Obwohl das römische Recht für einen Fall wie diesen ein relativ formloses Verfahren vorsah (die Cognitio extra ordinem [lat.]: Gerichtsverfahren außerhalb der Ordnung), das dem Richter viel Spielraum gab, war ein Verhör des Angeklagten unerlässlich. Darum fragt er Jesus: Bist du der König der Juden? Pilatus scheint also doch darüber informiert zu sein, mit welcher Anklage die Gegner Jesu ein Todesurteil erreichen wollten. Sie beschuldigten Jesus, er trete als der verheißene Messias auf, der von Gott gesandte König des Volks, von dem man hoffte, er werde Israel von der heidnischen Fremdherrschaft befreien (PsSal 17,21– 25). Wer sich als König der Juden ausgab, signalisierte offen den Aufruhr gegen die römische Besatzung. Zwar gab es im Römischen Reich Könige von Roms Gnaden; Herodes z.B. wurde von Rom der Titel »König von Judäa« zugebilligt. Aber nach seinem Tod gab es eine Reihe von Aufständen, deren Anführer für sich den Königstitel beanspruchten und die von den Römern blutig niedergeschlagen wurden (Josephus, Ant 17,273–285). Schon am Beginn der Wirksamkeit Jesu stand das Bekenntnis des Nathanael zu Jesus als König Israels (1,49), und am Ende seines öffentlichen Wirkens wurde er von der Menge der Pilger vor Jerusalem mit den Worten empfangen: »Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König Israels« (12,13). Da Israel zu dieser Zeit keine politische Größe mehr war, tönt aus dieser Fassung des Titels weniger der Anspruch auf politische Herrschaft als vielmehr der volle Klang der messianischen Hoffnung auf ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit. Darum hinterfragt Jesus dieses Bekenntnis nicht. Der Titel König der Juden aber konnte nur als Kampfansage an Rom verstanden werden. Deshalb fragt Jesus zurück (3 3 4): Sagst du das von dir selbst aus, oder haben dir das andere über mich gesagt? Hat Pilatus Informationen erhalten, die ihm diesen Verdacht nahelegen, oder wurde Jesus von seinen Gegnern denunziert? Pilatus
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3 5): Bin ich denn sieht sich durchschaut und reagiert abwehrend (3 ein Jude? Wie soll ich mich in den schwierigen Verhältnissen eures Volks auskennen? Nein, es liegt eine Anzeige vor: Dein Volk und die Hohepriester haben dich mir ausgeliefert! Das Wort für Volk, das Pilatus hier verwendet, bezeichnet eine ethnische, nationale Institution. Es waren also die Repräsentanten des jüdischen Gemeinwesens, die Jesus mit einer entsprechenden Anklage den römischen Behörden übergeben haben. Aber nun lag es an Pilatus, durch Befragen des Angeklagten herauszufinden, was an dieser Anklage dran war. Daher seine Frage: Was hast du getan? Was hat in deinem Verhalten zu dieser Anklage geführt? Jesus antwortet darauf. Er streitet seinen Anspruch auf die Königswürde nicht ab. Aber er verweist auf den entscheidenden Unterschied, wenn er sagt: Mein Reich bzw. (präziser übersetzt:) mein Königtum ist nicht von dieser Welt (3 3 6). Das Wort, das wir mit Königtum übersetzen, hat ein breites Bedeutungsspektrum: Es meint Königsherrschaft, Königtum, Königreich. Alle diese Bedeutungen schwingen in dem Wort mit. An unserer Stelle liegt der Akzent aber weniger auf der Frage nach dem Bereich der Königsmacht, also dem Reich Jesu, als vielmehr auf der Frage nach der Herkunft seiner Autorität und Vollmacht als König, also nach seinem Königtum. Die entscheidende Aussage Jesu lautet jedoch: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt bzw. aus dieser Welt. Jesu Autorität beruht nicht auf dem, was in dieser Welt Macht verleiht: weder auf familiärer Herkunft noch auf politischem Einfluss oder Reichtum oder militärischer Stärke. Jesus macht das durch den Hinweis auf sein Verhalten bei seiner Verhaftung deutlich: Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, hätten meine Diener für mich gekämpft, damit ich nicht den Juden ausgeliefert worden wäre. Zwar hatte Petrus versucht, Jesus mit seinem Schwert freizukämpfen. Aber Jesus hatte ihm das verboten (18,10f). Er war bereit, den Weg des Leidens zu gehen. Das aber ist nicht die Art und Weise, wie in dieser Welt Königsherrschaft und Königswürde begründet werden. Deshalb wiederholt Jesus ausdrücklich: nun aber – wie mein Verhalten zeigt – ist mein Königtum nicht von hier. Es gewinnt seine Autorität aus anderen Quellen und anhand anderer Maßstäbe als sie hier, in dieser Welt, gelten. Pilatus hört aus dem, was Jesus sagt, heraus, dass er nicht rundweg ablehnt, König genannt zu werden. Darum fragt er (3 3 7): Also bist du doch ein König? Jesus bejaht das ausdrücklich: Du sagst es. Ich bin ein König. Dann aber gibt er eine ganz eigenständige Erklärung dafür ab, wie er sein Königtum versteht: Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ab-
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lege. An die Stelle eines Königtums, das durch die Herrschaft über Menschen mit äußeren Machtmitteln gekennzeichnet ist, tritt ein Königtum, dessen Vollmacht allein darauf beruht, dass es die Menschen von innen her von der Wahrheit und Wirklichkeit Gottes überzeugt. Seine Sendung beschreibt Jesus mit zwei parallelen Aussagen: Ich bin dazu geboren – damit kennzeichnet er sich als Mensch unter Menschen – und dazu in die Welt gekommen – damit beschreibt er seine Sendung von Gott her und macht deutlich, dass er nicht von der Welt ist, aber in der Welt wirkt. Was im Prolog vom göttlichen WORT gesagt wird, dass es in diese Welt kam und Fleisch wurde, also Mensch wie wir, das sagt Jesus hier von sich selbst. Inhalt seiner Sendung aber ist: dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Diese Wahrheit ist die Wirklichkeit Gottes, des Gottes, der sich in Jesus als rettender und liebender Gott offenbart. Es ist die befreiende Wahrheit, die sich in Jesus Wirken und Reden den Menschen eröffnet (vgl. 8,32). Und es ist die Leben schaffende Wahrheit, die Jesus selbst verkörpert (14,6) und für die er durch sein Leben und Sterben Zeugnis ablegt. Im Alten Orient galt es als Aufgabe des Königs, Gott für sein Volk zu repräsentieren. Durch das Königtum Jesu ist diese Aufgabe erfüllt: »In diesem ganz und gar Mensch gewordenen Jesus offenbart sich das Kommen Gottes« (Zumstein, 699). In der Begegnung mit Jesus zeigt sich freilich auch, wie es um die Menschen steht. Nicht alle öffnen sich dem Zeugnis Jesu. Aber: Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme. Damit werden die Menschen nicht von vorneherein in zwei Klassen eingeteilt: Solche, die aus der Wahrheit sind und ihr Leben von der Wirklichkeit Gottes, wie sie sich in Jesus offenbart, bestimmen lassen, und solche, die das nicht sind und sich nur an die Wirklichkeit der Welt halten, wie sie sie verstehen. Jesu Wort ist vielmehr eine Einladung, sich ganz für Jesu Botschaft zu öffnen und sich auf die Wahrheit, die er bezeugt, einzulassen. Es geht darum, auf die Stimme Jesu zu hören und sich ihr voll Vertrauen zu öffnen. Allerdings zeigt Jesu Wort auch den paradoxen Zirkel des Glaubens auf, »daß nur, wer gehorsam hört, aus der Wahrheit ist und daß zugleich allein, wer aus der Wahrheit ist, so zu hören vermag« (Thyen, 721). Dass Menschen glauben können, ist ein Geschenk. Durch das Zeugnis seines Lebens und Sterbens für die Wahrheit schafft Jesus den Raum, der es Menschen ermöglicht, »aus der Wahrheit« zu sein und auf seine Stimme zu hören. Pilatus verschließt sich dieser Einladung (33 8a). Seine Antwort besteht in der skeptischen Frage: Was ist Wahrheit? Die Ausleger rätseln darüber, wie diese Frage nach Meinung des Evangelisten zu
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verstehen ist. Zeigt sich Pilatus hier als tiefskeptischer Philosoph, der bezweifelt, dass wir Menschen erkennen können, wie es letztlich um uns steht? Oder spricht aus ihm die kalte Ironie des Zynikers und Machtpolitikers, der die Frage nach der Wahrheit der Träumerei von Idealisten und religiösen Enthusiasten überlässt? Oder ist die Frage schlicht ein Ausweichmanöver, mit dem sich der Richter um eine Entscheidung drückt? Johannes lässt diese Frage offen. Das Gespräch bricht ab. Die Leser und Leserinnen sind gefragt, wie sie auf diese Frage antworten. 3. Szene (draußen vor dem Palast): Pilatus will Jesus freilassen (18,38b–40) Pilatus hat genug gehört, um sich ein Urteil zu bilden, und geht hinaus vor den Palast, um mit den dort versammelten Leuten zu sprechen (33 8b). Die Gegner Jesu werden nun wieder pauschal als die Juden bezeichnet; de facto handelt es sich um Mitglieder des Hohen Rats und einige ihrer Gefolgsleute. Ihnen teilt Pilatus mit, welchen Eindruck er durch das Verhör Jesu gewonnen hat: Ich finde keine Schuld an ihm. Sein Urteil müsste also eigentlich auf Freispruch lauten. Aber offensichtlich hat er Sorge, die führenden Leute der jüdischen Gemeinschaft vor den Kopf zu stoßen, wenn er ihre Anklage einfach abweisen würde. Deshalb verfällt er auf einen Ausweg (3 3 9). Er will den Angeklagten anlässlich der üblichen Amnestie zum Passahfest freilassen. An sie erinnert er die Gegner Jesu: Es ist aber Sitte bei euch, dass ich euch beim Passah(fest) einen (Gefangenen) freilasse. Von dem Brauch einer Passahamnestie und der Entscheidung der Volksmenge für Barabbas anstatt für Jesus berichten alle Evangelien (vgl. Mt 27,15–26; Mk 15,6–15; Lk 23,18f). Die Begebenheit gehört also zum Grundstock der Passionsüberlieferung. In den Details gibt es freilich Unterschiede: Nach Mk 15,8 versammelt sich die Volksmenge, um die Freilassung eines Gefangenen zu erbitten, und in Mt 27,17 lässt Pilatus von sich aus das Volk zwischen Jesus und Barabbas wählen. Der knappe Bericht bei Johannes hat manche Gemeinsamkeit mit dem in Lk 23,18f. Es gibt keine außerbiblischen Informationen über eine solche Amnestie. Deshalb bezweifeln manche Ausleger, dass es diesen Brauch gegeben hat. Allerdings gibt es im Passahtraktat der Mischna einen versteckten Hinweis auf einen solchen Brauch (Pes 8,6a), sodass die Begebenheit in ihren Grundzügen wohl doch historisch ist.
Da es zu diesem Brauch gehörte, dass das Volk über die Person der Freizulassenden entscheidet, fragt Pilatus: Wollt ihr also, dass ich euch den König der Juden freilasse? Aber damit provoziert er die
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Leute nur. Sie, die vor Pilatus die Anklage erhoben hatten, Jesus wolle sich zum König der Juden machen, konnten aus dieser Formulierung nur Spott und Hohn hören. Sie merkten, dass Pilatus ihre Anklage nicht ernst nahm, sondern in Jesus eher einen harmlosen Spinner sah, den er ihnen als ihren König präsentierte. Sie reagierten entsprechend und schrien (4 4 0): Nicht diesen, sondern Barabbas! Dieser Barabbas (das bedeutet: Sohn des Abbas, Sohn des Vaters), war offensichtlich sehr bekannt. Der Evangelist schiebt auch sogleich die Erklärung nach: Barabbas aber war ein Räuber. Dass seine Freilassung gefordert wird, lässt freilich darauf schließen, dass er kein gewöhnlicher Straßenräuber war. Der jüdische Schriftsteller Josephus, der viel über die Zeit des Neuen Testaments berichtet – wenn auch bewusst aus der Perspektive der Römer –, nennt auch Leute Räuber, die mit Gewalt gegen die römische Herrschaft opponierten. Dem entspricht, dass Mk 15,7 berichtet, Barabbas sei »mit den Aufrührern gefangen worden, die in dem Aufstand einen Mord begangen hatten«. Der Mann scheint also zu den Zeloten, jenen »Eiferern« zu gehören, die das Volk mit Gewalt aus der Herrschaft der Römer befreien wollten. Statt Jesus, der für seine »Herrschaft« bewusst auf Gewalt verzichtet (18,36), wählen seine Gegner einen, der das Heil für Israel mit Mord und Raub herbeizwingen will. Von der Freilassung des Barabbas berichtet Johannes nichts (anders Mt 27,26; Mk 15,15; Lk 23,25). Sie ist für ihn unwichtig. 4. Szene (drinnen im Palast): Jesus wird ausgepeitscht und verspottet (19,1–3) Um die abschreckende Wirkung der Kreuzesstrafe zu verstärken, war es üblich, die Verurteilten vor ihrer Hinrichtung mit einer Geißel aus Lederriemen, an deren Enden Knochensplitter angebracht waren, auspeitschen zu lassen. Diese Situation ist in Mt 27,26; Mk 15,15 vorausgesetzt. Bei Johannes aber versucht Pilatus das Todesurteil gerade dadurch zu vermeiden, dass er Jesus auspeitschen lässt. Er hofft offensichtlich, durch diese grausame Strafe dem Volkszorn Genüge zu tun und so das Leben Jesu schonen zu können (1 1 9, 1). Allerdings findet die Züchtigung nicht draußen im Freien vor den Augen aller statt, sondern im Hof des Palastes. Dort treiben die Soldaten mit Jesus ihren Spott (22 ): Sie flochten eine Krone aus Dornen und setzten (sie ihm) auf seinen Kopf und zogen ihm einen purpurnen Mantel an. Ein Kranz aus Dornzweigen und ein roter Soldatenmantel sollen Krone und Königsmantel, die Zeichen königlicher Würde, markieren. So ausstaffiert gilt dem eben Ausge-
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peitschten die höhnische Verehrung der Soldateska (33 ): Sei gegrüßt, König der Juden! Was für eine Jammergestalt, dieser König der Juden! Wehrlos steht er vor seinen Peinigern, die ihm voller Hohn Ohrfeigen verabreichen, um seine erbärmliche Ohnmacht zu demonstrieren. Da die Soldaten, die in Judäa eingesetzt wurden, in der Regel Leute aus Syrien oder anderen nichtjüdischen Gebieten waren, steckt in diesem Schauspiel eine gehörige Portion antijüdischer Ressentiments. Einen König der Juden so demütigen zu können, war ein Ventil für viele angestaute Aggressionen gegen dieses Volk. Es gibt Berichte, dass es einige Jahre später in Alexandrien und Cäsarea ähnliche antijüdische Demonstrationen gegen König Agrippa I gab, natürlich unter Verwendung einer Ersatzperson (vgl. Philo, Flacc 36–40). Mk 15,16–20 par Mt 27,27–30 berichten noch ausführlicher von der Verspottung Jesu: Ein Rohr soll das Zepter darstellen, das ihm dann auf den Kopf geschlagen wird; die Soldaten beugen die Knie vor ihm und speien ihn dann an. Johannes ist knapper, aber seine Darstellung ist nicht weniger eindrucksvoll. Sie steht nicht zufällig in der Mitte dieses Abschnitts. Die schmerzliche Ironie der Szene wird angesichts der Bedeutung, den der Titel König der Juden in Fassung der Passion bei Johannes hat, besonders deutlich: Die Soldaten verspotten den, der wirklich der König der Juden ist. 5. Szene (draußen vor dem Palast): Pilatus beteuert die Unschuld Jesu (19,4–7) Die Handlung verlagert sich wieder nach draußen, wo vor dem Palast die Gegner Jesu auf das Urteil des Pilatus warten (44 ). Es ist merkwürdig, wie vorsichtig sich dieser verhält. Statt einfach den Freispruch Jesu als sein Urteil zu verkünden, versucht er, die Ankläger von Jesu Unschuld zu überzeugen. So sagt er, nachdem er wieder hinausgegangen war, zu ihnen: Siehe, ich bringe ihn zu euch heraus, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde. Damit die Leute das auch so sehen, will er ihnen Jesus vorführen und ihnen zeigen, wie lächerlich und ungefährlich dieser Mensch ist. »Er ist kein Volksheld und kein gefährlicher Revolutionär, sondern eine klägliche, armselige Gestalt, die man nicht ernst nehmen kann« (Zumstein, 705). Und so lässt er Jesus herauskommen (55 ): mit der Dornenkrone auf dem von Schlägen gezeichneten Kopf und dem purpurnen Mantel über dem geschundenen Rücken »die Karikatur eines Königs« (Bultmann, 510) und doch der König der Welt! Auf ihn zeigt der Vertreter Roms, der alles beherrschenden Weltmacht der Zeit. Er
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sagt nun aber nicht etwa voller Hohn: Seht, euer König! In einer merkwürdigen Mischung von zynischer Ironie und der Andeutung von Mitleid ruft er den Anklägern Jesu vielmehr zu: Siehe, der Mensch! Das ist zweifellos eine der tiefgründigsten Aussagen des Evangeliums, die – wie oft bei Johannes – auf verschiedenen Sinnebenen zu verstehen ist. Auf der Ebene der erzählten Handlung ist es ein Wort voll böser Ironie: Seht, da ist dieser Mensch! sagt Pilatus zu den Juden: »Das ist der Mensch, den ihr anklagt? Wie kann ein solch lächerlicher Mensch auch nur die geringste Furcht auslösen?« (Zumstein, 705). Seht, die Jammergestalt! Aber »im Sinne des Evangelisten ist damit die ganze Paradoxie des Anspruches Jesu zu einem ungeheuren Bild gestaltet. In der Tat: solch ein Mensch ist es, der behauptet, der König der Wahrheit zu sein!« (Bultmann, 510). Den Blick für den tieferen Sinn dieser Szene hat zweifellos die Erinnerung an Jes 53,3 geschärft, wo es vom Knecht Gottes heißt: »Verachtet war er und von Menschen verlassen, ein Mann der Schmerzen und mit Krankheit vertraut und wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, ein Verachteter, und wir haben ihn nicht geachtet« (ZB). Nach Ostern erkannten die Jünger Jesu: Dieses Wort trifft auf Jesus zu. In dem Erniedrigten und Verachteten zeigt sich der Mensch in seinem ganzen Elend und Jammer. Zugleich jedoch begegnet in ihm Gott, der in seiner Liebe auch die tiefste Schmach des Menschseins auf sich nimmt. Was hier geschieht, ist die Konsequenz der Menschwerdung Gottes (1,14). Das Staunen über dieses wunderbare Paradox klingt aus Luthers Übersetzung des Ecce homo: Sehet, welch ein Mensch! Zwei Zitate sollen die beiden Aspekte dieses Wortes beleuchten: »Jesus Christus begegnet den Menschen in der Entäußerung des Leiden, und er ist gerade darin ›der Mensch‹. Jesus Christus ist der Mensch schlechthin, denn er schafft durch seine Selbsthingabe am Kreuz den Menschen Raum, in der Wahrheit und der Liebe zu leben« (Schnelle, 358). Zugleich aber gilt: »In diesem gedemütigten und lächerlichen Menschen soll der wahre Gesandte Gottes erkannt werden. … Gott nimmt Gestalt an in diesem zum Narren gemachten Menschen. In ihm offenbart sich Gott der Welt« (Zumstein, 706). Würde das Spiel »Präsentation des Königs vor dem Volk« zu Ende gespielt, müsste an dieser Stelle die Akklamation erfolgen, der zustimmende Jubel der künftigen Untertanen. Hier aber verläuft die Geschichte ganz anders (66 ). Als ihn nun die Hohepriester und die Diener sahen, schrien sie: Kreuzige! Kreuzige! Ihr Urteil stand fest. Doch es ist nicht das Volk, das Jesu Tod fordert, sondern seine reli-
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giösen Führer und ihr Gefolge. Pilatus ist verärgert und enttäuscht und antwortet: Nehmt ihn und kreuzigt (ihn). Denn ich finde keine Schuld an ihm. Auch das ist ironisch; denn Pilatus wusste natürlich genau, dass die jüdischen Behörden niemand hinrichten durften, und auch, dass die Kreuzigung als Strafe nicht im jüdischen Strafgesetzbuch vorkam. Aber er will diesen Mann loshaben. Interessanterweise reagieren die Gegner Jesu hier nicht wie in 18,31 mit dem Hinweis auf die Rechtslage. Sie wollen Pilatus von der Schuld Jesu überzeugen, und dazu verweisen sie nun doch auf das im Judentum geltende Gesetz (7 7 ): Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muss er sterben. Das begründen sie zugleich, indem sie das Vergehen nennen, mit dem er sein Leben verwirkt hat: denn er hat sich (selbst) zu Gottes Sohn gemacht. Zwar gibt es in der Tora, dem jüdischen Gesetz, keine Bestimmung, die das direkt als todeswürdiges Verbrechen auflistet. Aber immer wieder ist im Johannesevangelium deutlich geworden, dass die religiösen Autoritäten diesen Anspruch Jesu als Gotteslästerung betrachteten, die nach Lev 24,15f mit Steinigung zu bestrafen war (vgl. 5,18; 8,59; 10,33). Konsequenz dieses Argument wäre freilich gewesen, dass die Ankläger Pilatus um Erlaubnis bitten, Jesus nach den Bestimmungen ihres Gesetzes hinrichten zu dürfen, d.h. ihn zu steinigen. Das aber geschieht nicht. Jesus soll als Aufrührer, der sich zum König der Juden machen wollte, gekreuzigt werden. Doch Johannes ist es wichtig, von dieser Anschuldigung zu berichten. Denn sie zeigt, was in seinen Augen der Kern der Auseinandersetzung zwischen Jesus und der Elite seines Volks war: ihre Weigerung, Jesu Anspruch, von Gott zu kommen und ihn unter den Menschen zu vertreten, Glauben zu schenken. 6. Szene (drinnen im Palast): Das zweite Verhör Jesu (19,8–12) Die Argumentation der Gegner Jesu scheint Pilatus zu beeindrucken (8 8 ). Als er hörte, was sie sagten, geriet er noch mehr in Furcht. Schon bisher hatte er eher ängstlich agiert, nun aber erschrickt er ernstlich. Warum, bleibt freilich offen. Fürchtet er die Wut des in religiösen Fragen so empfindlichen Volks? Hat er Angst, dass ihm das Verfahren aus den Händen gleitet? Oder ist er unsicher geworden, ob der Angeklagte nicht doch in besonderer Weise mit Gott in Verbindung steht? Die Fortsetzung spricht für das letzte Motiv, ohne dass dies die anderen ausschließt (99 ). Denn er ging wieder hinein ins Prätorium und fragte Jesus: Woher bist du? Damit ist die entscheidende Frage gestellt, um die es im Johan-
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nesevangelium geht: Woher kommt Jesus? Woher hat er seine Vollmacht? Wer ist er in Wirklichkeit? (vgl. 7,27f; 8,14; 9,29f). Während seiner Wirksamkeit hat Jesus immer wieder bezeugt, dass er »von oben«, also von Gott kommt und dass diese Herkunft seine Identität bestimmt (vgl. 3,13). Dass ihn der Vater gesandt hat, ist das Zentrum seiner Selbstaussagen. Jetzt aber, auf die Frage des Pilatus, gibt er keine Antwort. Dass Jesus im Verhör durch Pilatus geschwiegen hat, ist bei Markus und Matthäus das beherrschende Motiv (Mk 15,5; Mt 27,12–14); bei Johannes verweigert er nur auf diese entscheidende Frage die Antwort. »Der dem Irdischen verhaftete Pilatus könnte die Antwort des himmlischen Offenbarers ohnehin nicht verstehen« (Schnelle, 359). Pilatus kann Jesu Schweigen nicht einordnen. In der römischen Prozessordnung galt Schweigen des Angeklagten als Schuldeingeständnis (1 1 0). Vorwurfsvoll sagt er zu Jesus: Du sprichst nicht mit mir? Offensichtlich ist sich dieser Jesus nicht im Klaren, wie sehr sein Leben von der Entscheidung des Statthalters abhängt: Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich frei zu lassen, und Macht habe, dich kreuzigen zu lassen? Formal hat Pilatus Recht. Er war der Richter und konnte Jesus freisprechen oder zum Tod verurteilen. Dennoch klingen seine Worte für die Leser und Leserinnen des Evangeliums wie bitterer Hohn. Denn obwohl Pilatus Jesus gerne freigelassen hätte, wird er sich dem Druck der Gegner Jesu beugen und ihn hinrichten lassen. Deshalb überrascht es nicht, wenn Jesus ihn darauf hinweist, wer in Wirklichkeit über sein Leben entscheidet (11 1). Er bricht sein Schweigen und korrigiert Pilatus: Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre. Über Leben und Tod seines Sohnes entscheidet allein Gott, und wenn der Statthalter Roms über ihn das Todesurteil fällen kann, dann nur deshalb, weil Gott das zulässt. Jesus spricht hier nicht (wie Paulus in Röm 13) grundsätzlich von der Macht, die Gott dem Staat verliehen hat, sondern von der Macht, die Pilatus für diesen besonderen Fall gegeben ist. Das macht die Fortsetzung deutlich, die zunächst befremdlich klingt: deshalb hat der, der mich dir ausgeliefert hat, größere Sünde. Ist das ein »Persilschein« für Pilatus, der ihn von jeder Schuld an dem Justizmord an Jesus reinwäscht? Das ist nicht der Fall. Aber diejenigen, die den Tod Jesu aktiv betrieben haben, haben größere Schuld auf sich geladen, als der, der nicht den Mut hatte, sich ihrem Treiben zu widersetzen, obwohl er die Macht dazu gehabt hätte. Er war dabei nicht mehr als ein Werkzeug, das Gott gebrauchte, um den Weg seines Sohnes zum Ziel zu führen. Trotz der Formulierung im Singular ist mit der mich dir ausgeliefert hat wohl nicht
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nur Judas gemeint, sondern auch Kaiphas und die anderen jüdischen Führer, die Jesus an Pilatus ausgeliefert haben (18,30). Pilatus ist immer noch beeindruckt von Jesus, und deshalb suchte er, ihn frei zu lassen (11 2). Das ist eine merkwürdige Formulierung für den, der gerade noch behauptet hat, er habe die Macht, Jesus freizusprechen oder ihn kreuzigen zu lassen (V. 10). Aber es macht deutlich, dass er in Wirklichkeit nicht mehr Herr des Verfahrens ist. Das zeigt sich sofort: Die Ankläger Jesu, die draußen stehen und die der Erzähler nun wieder pauschal die Juden nennt, merken, was Pilatus vorhat, und erheben mit lautem Geschrei Einspruch. Was sie rufen, zeigt Pilatus, in welche schwierige Situation er sich manövriert hat: Wenn du diesen frei lässt, bist du kein Freund des Kaisers. Freund des Kaisers war ein offizieller Titel, der aber in der Regel nur an Senatoren und andere hochstehende Persönlichkeiten verliehen wurde. Pilatus kam aber nur aus dem sog. Ritterstand. Auch dass er ein Günstling des einflussreichen Kommandanten der Prätorianer Seianus war, dürfte kaum genügt haben, um in diesen illustren Kreis der besonderen Freunde des Kaisers aufgenommen zu werden. Die Wendung ist also wohl im allgemeinen Sinn zu verstehen: Wenn du diesen Jesus freilässt, stehst du nicht mehr auf der Seite des Kaisers und verhältst dich nicht loyal zu ihm. Denn – so die Begründung: Jeder, der sich selbst zum König macht, widersetzt sich dem Kaiser. Wenn jemand ohne die Zustimmung des Kaisers sich zum König machte, bedeutete das Auflehnung gegen die Oberhoheit Roms, also Rebellion. Das aber hatte Jesus laut ihrer Anklage getan. Sollte Pilatus also Jesus freilassen, machte er gemeinsame Sache mit einem Aufrührer gegen die Herrschaft des Kaisers. Und Tiberius, der von 14–37 n.Chr. römischer Kaiser war, stand nicht im Ruf, in solchen Fällen besonders nachsichtig zu sein. Pilatus saß in der Falle! 7. Szene (draußen vor dem Palast): Pilatus sitzt zu Gericht über Jesus (19,13–15) Pilatus hört, was Jesu Ankläger rufen (11 3). Er setzt zu einem letzten Versuch an, Jesus frei zu lassen, ohne sich selbst in Schwierigkeiten zu bringen. Noch einmal lässt er Jesus herausbringen und setzte sich dann ganz offiziell auf den Richtstuhl zum Zeichen, dass er das Urteil sprechen will. Der Erzähler unterstreicht die Bedeutung dieses Moments, indem er den genauen Ort nennt: Es handelt sich um einen gepflasterten und vermutlich etwas erhöhten Platz vor dem Prätorium, der auf Griechisch Lithostrotos, das heißt Steinpflaster, und auf Hebräisch (genauer: auf Aramäisch) Gabbata, das heißt Anhöhe, genannt wurde. Allerdings ist er nicht iden-
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tisch mit dem gepflasterten Platz, der im Kloster der Schwestern vom Zion als Lithostrotos gezeigt wird; der stammt aus späterer Zeit. 1 4): Es war aber der Rüsttag Dazu tritt eine genaue Zeitangabe (1 für das Passah(fest), also der 14. Nisan, an dem die Vorbereitungen für das Passahfest getroffen wurden, und zwar ungefähr um die sechste Stunde, das heißt: um die Mittagszeit, der Zeit also, zu der im Tempel die Passahlämmer zur Schlachtung für das Passahmahl vorbereitet wurden. Dies ist eine der Stellen, an der die unterschiedliche Datierung des Todestages bei Johannes am klarsten zutage tritt (s. oben zu 18,28). Zugleich aber ist die tiefe Symbolik, die gerade auch diese Datierung prägt, mit Händen zu greifen. Ein letztes Mal versucht Pilatus, das Blatt zugunsten Jesu zu wenden. Möglicherweise ist sogar zu übersetzen: und setzte ihn (Jesus) auf den Richtstuhl (statt setzte sich). Das würde die Demonstration, die er plant, noch verstärken. Jedenfalls präsentiert er den Juden noch einmal den Mann mit der Dornenkrone mit den Worten: Seht, euer König! Es ist nicht klar, ob Pilatus an das Mitleid der Leute oder an ihren Nationalstolz appelliert oder ob er einfach noch einmal demonstrieren will, wie ungefährlich dieser Mensch ist. Aber die Menge reagiert ganz anders (1 1 5). Anstelle der Forderung nach einem Freispruch, die Pilatus die Möglichkeit gegeben hätte, Jesus gegen den Willen der jüdischen Oberen freizulassen, ertönt der Ruf: Weg! Weg! Kreuzige ihn! Mit schlecht verhohlenem Sarkasmus fragt Pilatus zurück: Euren König soll ich kreuzigen? Dass er das nicht ernst meint, ist mit Händen zu greifen, aber für die Leser und Leserinnen wird klar: Die Menge ist gerade dabei, den, der wirklich ihr von Gott gesandter König ist, zu verraten und in den Tod zu schicken. Den Hohepriestern aber bietet Pilatus mit dieser Äußerung geradezu eine »Steilvorlage«: Ihre Antwort wird zum entscheidenden Zug in dieser Partie, mit dem sie den Statthalter matt setzen. Sie antworten: Wir haben keinen König außer dem Kaiser! Das ist ein erstaunliches Bekenntnis der jüdischen Führer zu der Herrschaft des römischen Kaisers, der im Osten des Reichs oft auch König genannt wurde. War es doch eine Grundüberzeugung Israels, dass Gott der wahre König des Volks sei und er seinen Gesalbten, den Messias, senden würde, um diese Herrschaft irdisch durchzusetzen. Allerdings war die sadduzäische Führungsschicht in Jerusalem diesen Ideen gegenüber sehr zurückhaltend, während die Zeloten aus Galiläa meinten. dieses Prinzip mit Waffengewalt durchsetzen zu müssen. So war die Jerusalemer Priesteraristokratie in Jerusalem durchaus bereit, sich mit der römischen Herrschaft zu arrangieren,
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wenn sie nur genügend Freiraum bot, den Tempeldienst nach den Vorschriften der Tora auszuüben. Ein Bekenntnis zu dem Anspruch späterer Kaiser auf Verehrung als Gott, wie er zur Zeit des Evangelisten schon in der Luft lag, war damit nicht verbunden. Pilatus stand nun vor der Alternative, entweder durch einen Freispruch die Anklage, Jesus wolle sich zum König der Juden machen, zurückzuweisen – was er offensichtlich für politisch sehr gefährlich hielt – oder Jesus als gefährlichen Aufrührer zu verurteilen. Schluss: Pilatus gibt Jesu preis (19,16a) Das entscheidende Urteil des Pilatus berichtet der Erzähler in einem einzelnen kurzen Satz: Da lieferte er ihn ihnen aus, damit er gekreuzigt würde. Eine merkwürdige Formulierung für ein Todesurteil! Der Evangelist will deutlich machen: Ein richtiges Urteil hat Pilatus gar nicht gesprochen. Er hat letztlich den Gegnern Jesu nachgegeben und ihnen Jesus ausgeliefert. Aber wie der weitere Verlauf zeigt, ist auch dieser Satz in typisch johanneischer Doppeldeutigkeit formuliert: Einerseits hält er fest: Wie die Hohepriester Jesus an Pilatus ausgeliefert haben, damit er das Todesurteil über ihn fällt (18,30), so gibt ihn dieser nun ihrem Willen preis und lässt ihn kreuzigen. Aber die Hohepriester und ihre Leute können ja nicht das ausführende Organ für dieses Urteil sein. So ist andererseits auch klar, was auf der Handlungsebene geschieht: Pilatus erteilt seinen Soldaten den Befehl zur Exekution Jesu und übergibt ihn dem Hinrichtungskommando, damit sie ihn kreuzigten. Jesus wird ausgeliefert und preisgegeben: dem Hass der Führer seines Volks und der Brutalität römischer Soldaten, für die grausame Hinrichtungen zu ihrem Job gehören. Wer ist Jesus von Nazareth? Diese Frage ist das Thema aller Evangelien, besonders aber das des Johannesevangeliums. In seinem Verhör durch Pilatus gibt Jesus selbst noch einmal eine klare Antwort. Er ist nicht der König der Juden im Sinne der Anklage. Aber was viele Könige, die sich »von Gottes Gnaden« nannten, fälschlicherweise von sich behauptet haben, das tut er: Er zeigt den Menschen die Wahrheit und lebt unter ihnen und für sie die Wirklichkeit des lebendigen und liebenden Gottes, und zwar gerade auch dort, wo er sich demütigen und erniedrigen lässt. Ecce homo, sehet, der Mensch! sagt Pilatus mit ungeahnter prophetischer Klarheit. Das ist der Mensch in all dem Elend, das sich Menschen gegenseitig zufügen, und zugleich ist das der Mensch, in dem Gott mit seiner Liebe gegenwärtig ist.
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In Pilatus und Jesus treten sich die Machtfrage und die Wahrheitsfrage gegenüber. Dabei wird Pilatus in der Darstellung des Johannes als Spielball in den Händen der Gegner Jesu eher zur Karikatur des Machtmenschen. Es ist allerdings eine Karikatur, die mit treffender Schärfe das Problem dieser Haltung aufzeigt: Die beanspruchte Macht erweist sich als ohnmächtig, wo es darum geht, dem Recht und der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen. Weil diese Macht von dieser Welt ist und von den in ihr herrschenden Kräften des Egoismus, der Lüge und des Hasses abhängig bleibt, hat sie nicht die Macht, sich gegen deren Ansprüche zu behaupten. Das kann nur die Vollmacht Jesu, die nicht von dieser Welt, sondern von Gott ist, dem Gott der Wahrheit und der Liebe. Schon der Kirchenvater Augustin (354–430 n.Chr.) hat auf eine wichtige Unterscheidung aufmerksam gemacht: Wenn Jesus sagt, seine Herrschaft sei nicht von hier, dann bedeutet das nicht, dass sie nicht hier in dieser Welt präsent ist und sich in ihr wirksam erweist. Dass Jesus seine Herrschaft nicht auf die Spielregeln weltlicher Machtpolitik baut, heißt nicht, dass seine Herrschaft »unpolitisch« in dem Sinne ist, dass sie sich nicht auf die Gesellschaft auswirkt. Ihm darin zu folgen ist eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben der Kirche Jesu Christi. An ihrem Auftrag, in dieser Welt für die Herrschaft von Recht und Gerechtigkeit und von Liebe und Frieden zu wirken, ohne sich von der Macht korrumpieren zu lassen, ist sie immer wieder gescheitert. Und doch ist dies die bleibende Aufgabe der Gemeinschaft derer, die dem gekreuzigten Jesus nachfolgen. Eine letzte Bemerkung gilt Pilatus. Wir wissen nicht sicher, wie sich der römische Statthalter im Prozess gegen Jesus wirklich verhalten hat. Die Darstellung der Evangelien zeigen unterschiedliche Facetten seines Handelns, tendieren aber dazu, ihn eher zu entschuldigen und die Hauptschuld an diesem Justizmord den jüdischen Behörden zu geben. Allerdings wird sein Bild dadurch nicht unbedingt sympathischer. In Wirklichkeit hätte weder der Einspruch von einheimischen Würdenträgern noch die Demonstration des angeblichen Volkswillens durch eine wütende Menge einen römischen Gouverneur daran hindern können, einen Angeklagten, den er für unschuldig hielt, freizusprechen. Dass Pilatus bei Johannes zur Karikatur des machtlosen Machtmenschen wird, porträtiert vielleicht den historischen Pilatus nicht akkurat, aber zeigt an ihm das Problem eines Menschen auf, der die Einsicht und die Macht hätte, das Rechte zu tun, aber es unterlässt, weil er meint, »die Verhältnisse sind nicht so«. Er wird so zum Beispiel für die Wahrheit des Jesuswortes: »Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich« (Mt 12,30).
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19,16b–30 Jesus stirbt am Kreuz 16b
Da übernahmen sie Jesus. 17Und er selbst trug das Kreuz und ging hinaus an den Ort, der Schädelstätte genannt wird, was auf Hebräisch Golgota heißt. 18Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere, auf jeder Seite einen, aber Jesus in der Mitte. 19 Pilatus aber hatte eine Inschrift schreiben und am Kreuz anbringen lassen. Es war aber (darauf) geschrieben: Jesus, der Nazoräer, der König der Juden. 20Diese Inschrift lasen nun viele der Juden, denn der Ort, wo Jesus gekreuzigt worden war, lag nahe bei der Stadt. Und es war auf Hebräisch, Lateinisch und Griechisch geschrieben. 21Da sagten die Hohepriester der Juden zu Pilatus: Schreibe doch nicht: der König der Juden, sondern dass jener gesagt hat: Ich bin König der Juden. 22Pilatus antwortet: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben. 23 Die Soldaten nun, als sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider – und machten daraus vier Teile, für jeden Soldaten ein Teil – und das Untergewand. Das Untergewand aber war ohne Naht, von oben an ganz durchgewebt. 24Da sagten sie zueinander: Wir wollen es nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. (Das geschah,) damit die Schrift erfüllt würde, die sagt: »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt, und um mein Gewand haben sie das Los geworfen« (Ps 22,19). Dies also taten die Soldaten. 25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die (Frau) des Klopas, und Maria aus Magdala. 26Als nun Jesus seine Mutter sah und den Jünger, den er liebte, dabeistehen, sagt er zu der Mutter: Frau, sieh, dein Sohn! 27Dann spricht er zu dem Jünger: Sieh, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich. 28 Danach, da Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, sagt er – damit die Schrift vollendet würde: Ich habe Durst! 29Es stand da ein Gefäß voll Essig; also steckten sie einen Schwamm voll Essig auf einen Ysop(stängel) und hielten ihn an seinen Mund. 30Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sagte er: Es ist vollbracht! Und er neigte den Kopf und übergab den Geist. Die Erzählung von der Kreuzigung Jesu ist der Höhepunkt der Passionsgeschichte. Bei Johannes besteht sie aus fünf deutlich voneinander abgegrenzten Szenen, die auch hier als eine Art Triptychon angeordnet werden können. Die beiden Seitenflügel zeigen die entscheidenden Ereignisse: Jesu Kreuzigung (16b–18) und Jesu Tod (28–30). Auf der mittleren Tafel sind drei sehr unterschiedliche Szenen zu sehen: Die Inschrift am Kreuz (19–22) informiert dar-
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über, welche Botschaft das Kreuz für die Öffentlichkeit aussendet. Jesus sorgt für seine Mutter (25–27) zeigt die Bedeutung des Kreuzes für die, die zu Jesus gehören. In der Mitte steht eine Szene, die eine unbedeutende Nebenepisode zu erzählen scheint und doch hohe symbolische Bedeutung aufweist: Die Soldaten teilen Jesu Kleider (23f). Der Ablauf der Erzählung weist einen klaren Spannungsbogen auf: Von der Kreuzigung führt ihr Weg über die Reaktion der Gegner Jesu, das Verhalten der unbeteiligten Soldaten und Jesu Sorge für die, die ihm am nächsten standen, hin zu dem Es ist vollbracht! seines Sterbens. Jesu Kreuzigung (19,16b–18) Die lapidare Feststellung: Da übernahmen sie Jesus (11 6b) lässt offen, von wem hier die Rede ist. Der Zusammenhang scheint auf die Hohepriester zu verweisen (V. 15). Doch sie waren nicht für die Exekution zuständig. Es können nur die Soldaten des römischen Hinrichtungskommandos gemeint sein, denen Jesus übergeben wird, damit sie an ihm das Todesurteil vollstrecken. Aber vielleicht formuliert der Erzähler wie beim vorhergehenden Satz (V. 16a) so vage, um die jüdischen Führer in die Verantwortung für Jesu Tod mit einzubeziehen. Von der Verspottung Jesu, die in den anderen Evangelien erst nach dem Todesurteil stattfindet, hat Johannes schon in 19,1–3 berichtet. Bei ihm wird Jesus sofort zur Hinrichtung geführt. Es war üblich, dass die Delinquenten den Querbalken des Kreuzes selbst zur Hinrichtungsstätte tragen mussten. Der Pfahl, an dem dieser Balken zusammen mit dem Verurteilten aufgehängt wurde, war dort schon in den Boden eingerammt. Auch die anderen Evangelien gehen davon aus, dass Jesus sein Kreuz selbst zu tragen hatte. Aber nach ihrem Bericht war Jesus durch die vorangegangene Auspeitschung so geschwächt, dass die Soldaten einen vorbeikommenden Mann namens Simon von Kyrene zwangen, den Kreuzbalken für Jesus zu tragen (Mk 15,21 par Mt 27,31; Lk 23,26). Davon erzählt Johannes nichts. Es liest sich fast wie eine bewusste Korrektur ihres Berichts, wenn er schreibt (11 7): Und er selbst trug das Kreuz und ging hinaus an den Ort, der Schädelstätte genannt wird, was auf Hebräisch Golgota heißt. Jesus ist auch auf dem Weg in den Tod nicht auf Hilfe angewiesen, sondern trägt sein Kreuz selbst. Einhellig wird dagegen in allen Evangelien der Name der Hinrichtungsstätte überliefert: Schädelstätte, auf Hebräisch (bzw. Aramäisch) Golgota. Vermutlich kommt der Name von einem Felsen, der wie ein Schädel aussah.
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Golgota lag vor der damaligen Stadtmauer, wohl nicht weit von einem der Stadttore entfernt (vgl. V. 20), und zwar vermutlich an der Straße, die nach Norden führte. Archäologische Untersuchungen zum Verlauf der nördlichen Stadtmauer zur Zeit Jesu und Grabungen in der Grabeskirche machen wahrscheinlich, dass sich der Ort der Hinrichtung Jesu auf diesem Gelände befand, das damals noch vor den Toren Jerusalems lag.
Es ist bemerkenswert, dass keines der Evangelien den Vorgang der Kreuzigung in seinen grausamen Details schildert. Antike Leser und Leserinnen wussten Bescheid. So begnügt sich auch Johannes mit der knappen Notiz (1 1 8): Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere, auf jeder Seite einen, aber Jesus in der Mitte. Markus und Matthäus kennzeichnen die beiden, die mit Jesus gekreuzigt wurden, als »Räuber« (Mk 15,27; Mt 27,38), was unter Umständen auch zelotischen Freiheitskämpfer meinen kann (vgl. zu 18,40). Lukas nennt sie »Verbrecher« (Lk 23,33). Johannes verzichtet auf solche Angaben. Bei ihm ruht der Blick allein auf Jesus. Sein Kreuz wird in der Mitte aufgerichtet. Aber auch Johannes ist wichtig, dass Jesus diesen grausamen Tod zusammen mit anderen stirbt, was auch immer ihre Schuld gewesen sein mag. Gekreuzigt zu werden galt in der Antike nicht nur als die schändlichste Art der Hinrichtung, sondern auch als eine der grausamsten. Die Römer, die sie von den Persern oder Puniern übernommen hatten, verhängten sie vor allem gegen Sklaven bzw. in den Provinzen gegen Aufständische. Im Judentum galt sie als besonders schimpflich, da man Menschen, die ans Kreuz gehängt wurden, nach Dtn 21,23 als von Gott verflucht ansah (vgl. Gal 3,13). Nachdem man dem Verurteilten die Kleider ausgezogen hatte, wurde er mit den Armen an den Querbalken gebunden oder genagelt. Dieser wurde dann an dem in der Erde eingerammten Pfahl hochgezogen und in Form eines T oder eines Kreuzes befestigt und dann die Beine des Delinquenten an den Pfahl gebunden oder mit einem großen Nagel fixiert. (In einem Grab in der Nähe Jerusalems wurden die mit einem Nagel durchbohrten Fersenbeine eines am Kreuz hingerichteten Mannes gefunden.) Der Tod trat langsam und unter großen Qualen ein, manchmal bereits nach drei Stunden, manchmal aber auch erst nach drei Tagen, verursacht durch Sauerstoffmangel aufgrund multiplen Organversagens. Die Verurteilung zum Tod am Kreuz wurde durch die römischen Statthalter ausgesprochen, im Falle Jesu offensichtlich wegen Aufruhrs gegen die römische Oberhoheit (vgl. zu 19,19). Doch könnte dazu auch die Anklage wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch seine tempelkritischen Worte und Aktionen getreten sein (vgl. 2,13–22; Mk 11,15–19). Das würde erklären, warum auch der Hohe Rat in den Prozess einbezogen war, wie das vor allem durch Mk 14,53–65 par Mt 26,57–65 bezeugt wird. (Josephus berichtet von einem ähnlichen Fall in Bell 6,300–309).
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Nun folgen drei knappe Szenen, in denen die Bedeutung des Geschehens am Kreuz in ganz unterschiedlicher Perspektive geschildert wird. Die Inschrift am Kreuz (19,19–22) Es war im Römischen Reich üblich, dass bei Exekutionen der Grund der Verurteilung auf eine Tafel geschrieben wurde, die auf dem Weg zu Hinrichtung vor dem Delinquenten hergetragen oder ihm um den Hals gehängt wurde. Es gibt keine anderen Belege dafür, dass solche Aufschriften auch an einem Kreuz angebracht wurden, aber es gibt auch keinen Grund die Historizität dieser Angabe zu bezweifeln. Alle Evangelien berichten von ihr, Johannes am ausführlichsten. Nach ihm hatte Pilatus selbst eine solche Inschrift schreiben und am Kreuz anbringen lassen (11 9). Für das Wort Inschrift verwendet der Evangelist das griechische Lehnwort für das lateinische titulus und »unterstreicht damit, dass die Kreuzesinschrift Anklagetafel und Ehrentitel zugleich ist« (Schnelle, 366). Das zeigt der Text der Inschrift: Jesus, der Nazoräer, der König der Juden. Er ist nicht in allen Evangelien im selben Wortlaut überliefert. Die kürzeste Fassung steht in Mk 15,26: »Der König der Juden«. Das ist zweifellos der historische Kern und auch der Kern der Urteilsbegründung: Jesus wurde als politischer Aufrührer verurteilt, der sich zum König der Juden machen wollte. In der Fassung des Johannes ist dieser Titel mit dem Namen Jesu verbunden: Jesus, der Nazoräer, oder – freier übersetzt – Jesus von Nazareth. Unter diesem Namen wurde Jesus von dem Verhaftungskommando gesucht, und zu diesem Namen bekennt sich Jesus (18,5.7). Damit wird zum Anfang der Jesusgeschichte in 1,45–49 zurückgeblendet: Nathanael, der zunächst spöttisch gefragt hatte: »Was kann aus Nazareth Gutes kommen?«, hatte zum Bekenntnis zu Jesus gefunden: »Du bist der Sohn Gottes, der König Israels«. Eine Variante dieses Bekenntnisses steht jetzt auf der Inschrift am Kreuz, freilich in der politisch gefärbten Abwandlung: König der Juden. Die Inschrift erweckt Aufsehen (2 2 0). Viele der Juden lasen sie, denn der Ort der Kreuzigung lag an einer viel begangenen Straße nahe bei der Stadt. Zudem war die Inschrift dreisprachig abgefasst, nämlich auf Hebräisch (bzw. Aramäisch), der Sprache der Juden, Lateinisch, der Amtssprache des Römischen Reiches, und Griechisch, der Sprache für Kultur und Handel, mit der man sich in der ganzen antiken Welt verständigen konnte. Alle sollen das Urteil über Jesus lesen können. Für den Evangelisten bedeutet das: Die Botschaft der
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Inschrift gilt allen: dem Judentum, der weltlichen Macht und dem universalen Einfluss von Handel und Kultur. Die Hohepriester spüren freilich, dass Pilatus mit der Formulierung der Inschrift nicht nur die Begründung für das Todesurteil veröffentlichen wollte, sondern auch eine subtile Verhöhnung des jüdischen Volks beabsichtigte: Seht Leute, diese Elendsgestalt, die am Kreuz unter Qualen stirbt, das ist euer König! Sie werden deshalb bei Pilatus vorstellig und bitten ihn (2 2 1): Schreibe doch nicht: der König der Juden, sondern dass jener gesagt hat: Ich bin König der Juden. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, als habe irgend jemand Jesus ernsthaft für den König der Juden gehalten. Er allein war es, der sich zu Unrecht für den König der Juden ausgegeben hat. Aber diesmal bleibt Pilatus hart und antwortet kühl (22 2): Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben. Und mit diesen Worten bekommt die Inschrift für die Leser und Leserinnen plötzlich eine andere Qualität. Aus einer Inschrift, die die Juden verhöhnen sollte, wird plötzlich – ähnlich wie bei der Äußerung des Kaiphas in 11,51 – ein prophetisches Wort: In der Person des gekreuzigten Jesus von Nazareth hängt der König der Juden, der verheißene Messias, am Kreuz. Der König, der gekommen ist, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen, bezeugt mit seinem Tod die Wirklichkeit Gottes als Wirklichkeit der Liebe. Von der Mehrheit seines Volks verkannt bleibt er dennoch der von Gott geschenkte Herrscher, der in allen Sprachen der Welt proklamiert werden wird. Die Soldaten teilen Jesu Kleider (19,23f) Dem Hinrichtungskommando, das auch die Aufgabe hatte, den Gekreuzigten zu bewachen, standen nach römischem Recht die Habseligkeiten zu, die der Verurteilte am Leib trug. Auch die anderen Evangelien berichten davon, dass die Soldaten die Kleider Jesu untereinander verteilten (Mk 15,24; Mt 27,35; Lk 23,34). Bei ihnen ist das aber nur eine kurze Notiz, in Anklang an Ps 22,19 formuliert. Bei Johannes wird daraus eine kleine, liebevoll erzählte Szene. Er misst diesem Vorgang besondere Bedeutung bei. Nachdem die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleidungsstücke und was er sonst an sich trug und teilten sie unter sich auf (22 3). Offensichtlich bestand das Kommando aus vier Leuten, denn sie machten vier Teile, für jeden Soldaten ein Teil. Doch bei dem Untergewand war das nicht so einfach, denn es war ohne Naht, von oben an ganz durchgewebt. Als Untergewand (griechisch: chiton) wird das von Männern und Frauen auf dem bloßen Körper getragene Unterkleid aus Wolle oder Leinen bezeichnet, das
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aber nicht nur als Unterwäsche, sondern auch als normale Oberbekleidung diente (manche übersetzten deshalb Hemd- oder Leibrock; LÜ: Rock). Bei Bedarf wurde darüber der Mantel (das Obergewand) getragen. Das Untergewand, das Jesus getragen hatte, war aber nicht aus kleineren Teilen zusammengesetzt, sondern bestand aus einem großen, am Stück gewebten Tuch. Das war offensichtlich eine Besonderheit (2 2 4). Deshalb war den Soldaten dieses Kleidungsstück zu schade dafür, in vier Teile zerschnitten zu werden, und darum sagten sie zueinander: Wir wollen es nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. Für den Evangelisten aber zeigt dieser Vorgang, dass Jesu Todesweg bis in Detail hinein von der Heiligen Schrift vorausgesagt war. Dass die Soldaten so vorgingen, das taten sie, damit die Schrift erfüllt würde, die sagt: »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt, und um mein Gewand haben sie das Los geworfen« – ein wörtliches Zitat von Ps 22,19. Damit ist eine Erklärung dafür gegeben, warum dem Evangelisten dieser Vorgang so wichtig ist. In der Erfüllung der Aussagen der Schrift zeigt sich, dass Jesus diesen Weg nach Gottes Willen geht. In V. 28f wird das noch einmal betont werden. Aber vielleicht liegt in dem Hinweis auf das Untergewand ohne Naht, das nicht zerteilt wird, noch eine tiefere symbolische Bedeutung? Zwei Möglichkeiten werden diskutiert: 1. war auch das Gewand des Hohepriesters »als einziges langes Stück gewebt« (Josephus, Ant 3, 161; vgl. auch Ex 31,10). Wird damit Jesu Tod als hohepriesterliches Tun gesehen (»er wirkt Versöhnung«; Wengst II, 273; vgl. 11,50–52)? Dagegen spricht, dass Jesus bei Johannes keine priesterliche Funktion zugeschrieben wird und dass es sich bei dem hohepriesterlichen Ornat um das Obergewand handelt. 2. wird der ungeteilte Rock Jesu als Symbol für die Kirche gesehen, der verheißen wird, dass sie trotz aller Gefährdung eine unzerstörbare Einheit bleiben wird. Indiz dafür könnte sein, dass das Wort für zerteilen im Griechischen von der gleichen Wurzel gebildet wird wie das Wort Schisma, das für Kirchenspaltungen verwendet wird (vgl. bereits 1Kor 1,10). Zudem könnte dafür sprechen, dass das Thema Einheit der Kirche für Johannes ein wichtiges Thema ist. Gegen solche und andere symbolische Deutungen wird aber eingewandt, dass Jesus ja seiner Kleidung beraubt wird und deshalb das unzerteilte Untergewand weder Jesu hohepriesterliche Würde noch die Einheit seiner Gemeinde bezeichnen könne. Dennoch scheint der ausdrückliche Hinweis auf diesen Vorgang, der ja über das im Psalm Gesagte deutlich hinausgeht, ein typisch johanneischer Impuls für die Leserinnen und Leser zu sein, darüber nachzudenken, was das Berichtete bedeuten könnte. Die Spannung zwischen dem
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Bild dessen, der nackt am Kreuz hängt, gedemütigt und zur Schau gestellt, und seinem Gewand, das sich auch die rohe Soldateska nicht zu zerteilen traut – aus welchen Gründen auch immer –, spricht eine deutliche Sprache. Das Kleid wird zum Symbol der Existenz: Die Integrität Jesu ist unzerstörbar – auch wenn man ihn äußerlich seiner Kleider beraubt, sein Innerstes (das Untergewand) wird nicht zerrissen! Mit der knappen Bemerkung: Dies also taten die Soldaten, holt der Erzähler seine Leser und Leserinnen jedoch wieder zurück zu dem, was unter dem Kreuz geschieht, und leitet damit zur nächsten Szene über. Jesus sorgt für seine Mutter (19,25–27) Alle Evangelisten berichten davon, dass einige Frauen bei Jesus geblieben sind, als er gekreuzigt wurde. Allerdings sprechen die synoptischen Evangelien davon, dass sie »von ferne sahen«, was mit Jesus geschah (Mk 15,40f par Mt 27,55f; Lk 23,49), während Johannes berichtet, dass sie bei dem Kreuz Jesu standen (2 2 5). Matthäus und Markus nennen auch drei dieser Frauen mit Namen: Maria aus Magdala, Maria, die Mutter Jakobus des Kleinen und des Jose(f)s, und die Mutter der Söhne des Zebedäus (nach Mt 27,56 hieß sie Salome). Johannes nennt dagegen die Mutter Jesu und die Schwester seiner Mutter, Maria, die (Frau) des Klopas, und Maria aus Magdala (wörtlich: die Magdalenerin). Offen ist, ob mit Maria, der (Frau) des Klopas, der Name der Schwester Marias genannt wird. Dann wären es drei Frauen. Das würde bedeuten, dass zwei Schwestern den gleichen Namen trugen. Wahrscheinlicher ist daher, dass vier Frauen gemeint sind, die paarweise aufgezählt sind: zuerst die beiden Schwestern, dann die beiden Marien. So bilden die vier Frauen, die Jesus in seinem Sterben beistehen, ein Gegenbild zu den vier Soldaten, die ihn bewachen und seine Kleider unter sich verteilen. Allein Maria aus Magdala wird in allen drei Aufzählungen genannt, während die Mutter Jesu nur bei Johannes erwähnt wird. Auf sie richtet sich im Folgenden die ganze Aufmerksamkeit (22 6). Jesus sieht seine Mutter am Fuß des Kreuzes stehen und bei ihr den Jünger, den er liebte, der ganz unerwartet auftaucht. Auffallend ist, dass dies die einzigen wichtigen Personen im Evangelium sind, die nie mit Namen genannt werden. Sie werden durch ihre Beziehung zu Jesus identifiziert: Die Mutter als nächste leibliche Verwandte des Sohnes, der geliebte Jünger als der, der ihm im Kreis seiner geistlichen »Verwandten« am nächsten stand. Beiden ist Jesus in besonderer Liebe verbunden. Ihnen wendet er sich nun zu.
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Zuerst spricht er seine Mutter an und sagt zu ihr: Frau, sieh, dein Sohn! Sie, die ihren ältesten Sohn, zu dem sie nach 2,5 unbegrenztes Vertrauen hat, zu verlieren scheint, erhält einen anderen Sohn, der für sie sorgt und dem sie vertrauen kann. Die Anrede Frau, die in der Geschichte von der Hochzeit zu Kana so distanziert klang (2,4), wirkt auf einmal sehr viel wärmer und offener. Dann wendet sich Jesus dem Jünger zu und sagt zu ihm (22 7): Sieh, deine Mutter! Der Jünger, den Jesus liebt, der nicht mehr an Jesu Brust liegen kann (13,23), wird in eine neue Beziehung gestellt, die für ihn Aufgabe und Geschenk zugleich darstellt. Der antiken Rollenverteilung zufolge war er gefordert, aktiv zu werden. Das wird auch sogleich als Reaktion von seiner Seite berichtet: Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich. Jene Stunde kennzeichnet das Geschehen um Jesu Tod als Wendepunkt des Geschicks derer, die zu ihm gehören. Damit ist zugleich angedeutet, dass mit nahm sie zu sich mehr gemeint ist, als dass er die Mutter Jesu in sein Haus aufgenommen hat. Was aber hat diese so anrührende Szene zu bedeuten? Welches Vermächtnis gibt Jesus den Seinen durch diese Aktion und durch die letzten Worte, die er zu ihnen spricht, weiter? Es gibt verschiedene Deutungen, die sich nicht unbedingt gegenseitig ausschließen. 1. Die naheliegendste Deutung sieht in Jesu Handeln vor allem die Fürsorge für seine Mutter. Als ältester Sohn hat er die Verantwortung für sie, da Josef, ihr Mann, wohl schon lange nicht mehr am Leben ist. Nun setzt er seinen Lieblingsjünger als ihren Vormund ein, der für sie zu sorgen hat. Vertreter dieser Deutung nehmen meist an, dass der Lieblingsjünger mit dem anderen Jünger von 18,15 identisch ist und in Jerusalem ein Haus besaß, in das er Maria aufnahm. Diese Deutung hat freilich die Schwierigkeit, dass Jesus nach Mk 6,3 weitere Brüder hatte und eigentlich Jakobus als der nächstälteste für seine Mutter sorgen musste. Rechtlich konnte Jesus nicht einfach für seine Mutter einen Sohn adoptieren. Aber der allgemeine Aspekt der Fürsorge (etwa im Sinn von Sir 4,10) ist zweifellos für die Deutung der Szene wichtig. Doch schon früh hat man auch noch eine andere, symbolische Bedeutung für die Aktion Jesu gesucht und gefunden. 2. Die mariologische Deutung sieht in dem Geschehen die Einsetzung Marias zur Mutter der Kirche. Der Lieblingsjünger repräsentiert die zukünftige Gemeinde, die hier der Fürsorge ihrer Mutter Maria anvertraut wird. Diese Deutung scheitert daran, dass in Jesu Worten die Mutter dem Sohn anvertraut wird. Der Jünger nimmt die Mutter Jesu zu sich und nicht umgekehrt. Darum haben auch die meisten katholischen Exegeten die mariologische Deutung in dieser Form aufgegeben.
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3. Eine weitere Deutung sieht in Maria aufgrund ihrer Rolle bei der Hochzeit zu Kana die »Repräsentantin aller das wahre Heil Suchenden« (Schnackenburg, III, 324). Sie wird an den Lieblingsjünger als den Garanten der Überlieferung der Offenbarung des Heils in Jesus Christus gewiesen. Gleichzeitig ist die künftige Gemeinde in der Gestalt des Lieblingsjünger aufgefordert, sich all derer anzunehmen, die nach dem Heil fragen. 4. Eng verwandt damit ist die heilsgeschichtliche Deutung der beiden Personen auf das alte und das neue Gottesvolk: »Indem Jesus seiner Mutter seinen geliebten Jünger als neuen Sohn gibt, macht er sie zur Mittlerin zwischen der alten und der neuen Familie Gottes. Mit dem geliebten Jünger sind zugleich alle Christen, für die er spricht und für die er dieses Evangeliums ›geschrieben hat‹ (21,24), aufgefordert, Jesu ›Mutter‹, nämlich das messianische Volk Israel, wahrzunehmen und in ihrer Gemeinschaft willkommen zu heißen« (Thyen, 739). 5. Verwandt damit ist die Deutung, für die Maria »exemplarisch die Glaubenden aller Zeiten« repräsentiert. Wie sie sind diese »an den Lieblingsjünger gewiesen«. Er »tritt an die Stelle Jesu« und ist als Sohn Marias »sein wahrer Nachfolger. Als legitimer Deuter und Vermittler der Botschaft Jesu ist der Lieblingsjünger zugleich der Gründer und anerkannte Führer der joh(anneischen) Gemeinde« (Schnelle, 369). »Das ›Zuhause‹ des Lieblingsjüngers beschreibt den Ort, an dem er als Zeuge des joh(anneischen) Jesus lebt, redet und handelt … Indem er die Mutter Jesu zu sich nimmt, ermöglicht er ihr im Raum der Offenbarung zu leben« (Zumstein, 725). Während die vierte Deutung die Rolle, die Jesu Mutter bei Johannes spielt, überfordert, ist bei dieser zu fragen, ob nicht die Bedeutung des Lieblingsjüngers deutlich überzeichnet ist. 6. Die Deutung der Szene als Geburtsstunde der Gemeinde Jesu dürfte das Richtige treffen – allerdings in einer Form, die das Element der Fürsorge, das die Erzählung so eindrücklich bestimmt, mitberücksichtigt. »Indem Jesus seine Mutter an den geliebten Jünger weist und diesen an seine Mutter, stellt sich dar, wie die Liebe Jesu zu den Seinen (13,1) sich im Leben der Gemeinde darstellt« (Dietzfelbinger II, 302). Das Vermächtnis Jesu zielt darauf, »dass von seinem Kreuz herkommend solidarisch gehandelt wird« (Wengst II, 275). Jesu Tod (19,28–30) Schon am Beginn der Passionsgeschichte stellt der Evangelist fest, dass Jesus »alles wusste, was über ihn kommen sollte« (18,4). Nun am Ende seines Leidenswegs, kann er sagen, dass Jesus wusste, dass
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2 8). Seine Sendung ist am Ziel, das schon alles vollbracht war (2 Werk, das ihm aufgetragen war, ist mit seinem Tod vollendet. Damit aber ist auch das, was die Heilige Schrift über Gottes Willen zum Heil der Menschen sagt, vollendet. Jetzt, am Ende des Wirkens Jesu, heißt es nicht mehr, dass dies oder jenes geschah, damit die Schrift erfüllt würde, wie sonst oft im Evangelium (12,38; 13,18; 15,25 u.ö.), auch wenn LÜ und EÜ so übersetzen. Was Gott in ihr über sein Handeln durch seinen Messias ankündigt, ist nun zur Vollendung gebracht. Damit das noch einmal an einem einzelnen Punkt deutlich wird, sagt Jesus: Ich habe Durst! Das bleibt nicht ohne Reaktion (22 9). Denn die Soldaten hatten ein Gefäß voll Essig, genauer: voll saurem Wein dastehen. Denn es handelt sich dabei »um mit Wasser vermischten sauren Wein: das alltägliche Getränk der Arbeiter und Soldaten« (Zumstein, 727). Sie tränkten einen Schwamm mit diesem Getränk, steckten ihn auf einen Ysop(stängel) und hielten ihn an seinen Mund. Diese Schilderung verwundert etwas, denn ein Ysopzweig ist relativ kurz (50 cm) und schwach (Mk 15,36 par Mt 27,48 notieren: »Rohr«). Es liegt nahe, an eine symbolische Bedeutung zu denken. So heißt es in Ps 51,9: »Entsündige mich mit Ysop, dann bin ich rein«. Und nach Ex 12,22 wurden für die Passahnacht Pfosten und Sturz der Türen der israelitischen Häuser mit einem in Blut getauchten Büschel Ysop bestrichen, sodass sie von dem »Verderber« verschont blieben. Obwohl kein direkter Bezug der Erwähnung des Ysops auf diesen Vorgang erkennbar ist, erinnert sie doch an die Bedeutung des Passahs als Verschonung vor Gottes Gericht. Denn die Passahtypologie spielt eine wichtige Rolle in der Passionserzählung des Johannes: Jesus stirbt zur selben Stunde, in der die Passahlämmer im Tempel geschlachtet werden, und in 19,33.36 wird die Tatsache, dass Jesu Beine nicht gebrochen wurden, mit einem Hinweis auf das Passahlamm erklärt (Ex 12,10). Stand am Anfang des Wegs Jesu die Aussage des Täufers: »Siehe, das ist Gottes Lamm, das die Sünde der Welt wegträgt« (1,29), so am Ende der vielfache Verweis auf die Heilsbedeutung des Todes Jesu mit Hilfe der Passahsymbolik. Jesus trank von dem Essig – das wird (im Unterschied zu den anderen Evangelisten) ausdrücklich festgestellt (33 0). Es zeigt, dass er bereit war, den Kelch des Leidens zu trinken, den ihm sein Vater gegeben hat (18,11). Die kleine Szene ist ein schönes Beispiel dafür, wie Johannes die Passionstradition fortschreibt. Auch Markus und Matthäus berichten darüber, dass man Jesus Essig zu trinken gab (Mk 15,36 par Mt 27,48). Ohne dass sie die Stelle zitieren, erfüllt sich für alle Evan-
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gelisten damit das Wort aus Ps 69,22: »Sie geben mir … Essig zu trinken für meinen Durst«. Aber nur bei Johannes ist es Jesus selbst, der durch den Ruf: Ich habe Durst, diese Aktion auslöst. Das zeigt das Doppelgesicht der Darstellung des Leidens Jesu in diesem Evangelium: »Durst gehört zu den physischen Qualen einer Kreuzigung« (Schnelle, 370). Jesus erleidet diesen schrecklichen Tod. Dennoch bleibt er der, der durch sein Wort bestimmt, was geschieht. Und so sagt Jesus, nachdem er den Essig genommen hatte: Es ist vollbracht! Kein Ruf aus der Gottverlassenheit eines qualvollen Sterbens, kein Schrei der Verzweiflung (vgl. Mk 15,34.37 par Mt 27,46.50), sondern die dankbare Feststellung: Mein Werk ist vollendet, ich bin am Ziel. Ich habe den Menschen die Liebe Gottes bis in die Tiefe des Todes nahegebracht (vgl. 3,16). Und noch einmal begegnen wir den beiden unterschiedlichen Seiten der johanneischen Passionsschilderung. Auch in ihr stirbt Jesus nicht erhobenen Hauptes: Und er neigte den Kopf, seine Kraft verlässt ihn. Doch wo Markus notiert: »und verschied« (15,37) und Matthäus: »und gab den Geist auf« (27,50 REB), da schreibt Johannes: und übergab den Geist. Indem er sein Leben aushaucht, gibt er den Geist, der ihn erfüllt und geleitet hat (vgl. 1,33), zurück an den Vater (vgl. Lk 23,46: »Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände«). Jesu letzte Worte werden in den verschiedenen Evangelien unterschiedlich zitiert. Bei Markus und Matthäus stehen am Ende Jesu Ruf: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« mit Worten aus Ps 22,2 und der unartikulierte Schrei, mit dem er stirbt. Eine Finsternis über dem ganzen Land, das Zerreißen des Vorhangs im Tempel und (bei Matthäus) das Beben der Erde veranschaulichen die tiefe Erschütterung, die dieser Tod bedeutet. Was hier geschieht, führt zum Bekenntnis des Hauptmanns unter dem Kreuz: »Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!« (Mk 15,33–40; Mt 27,45– 54). Lukas berichtet aus einer ganz anderen Perspektive: »Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun« sagt Jesus zu denen, die ihn ans Kreuz schlagen. »Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein« verspricht er dem reuigen Schächer zu seiner Rechten. Und er selbst stirbt mit den Worten: »Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände« (Lk 23,32–43). Jesus stirbt als Freund der Sünder und als gehorsamer Sohn des Vaters (vgl. Lk 10,21f; 15,1f). Wieder anders stellt sich das Sterben Jesu bei Johannes dar. Alle äußere Dramatik fehlt. Jesu Worte an seine Mutter und den geliebten Jünger: Frau, sieh, dein Sohn bzw. Siehe, deine Mutter begründen die neue Familie derer, die zu Jesus gehören. Am Ende aber stehen der
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19,31–37
Ausdruck menschlicher Not: Ich habe Durst und das dankbar strahlende: Es ist vollbracht! nebeneinander. Sorge für die Seinen und die Schaffung einer neuen, umfassenden Gemeinschaft kennzeichnen Jesu Weg in den Tod ebenso wie die Verherrlichung Gottes und seiner Liebe und der Sieg über die Macht des Bösen durch die Übernahme menschlicher Schuld und irdischen Leids (vgl. 1,29; 3,14–16; 10,11; 12,27–33). Was aber ist nun »eigentlich« geschehen? Die Antwort darauf hängt davon ab, was man unter »eigentlich« versteht. Lässt man als Wirklichkeit nur gelten, was das Mikrophon einer Videokamera aufgenommen hätte? Oder ist auch das wahr, was die Jünger Jesu in der Begegnung mit dem auferstandenen Jesus als wirkliche Bedeutung dessen erkannt haben, was sich im Sterben Jesu ereignet hat? Johannes schildert das Sterben Jesu und seine letzten Worte aus dieser Perspektive. Durch sie macht er deutlich, was in Jesu Tod »eigentlich« geschah. Durch die Art seiner Erzählung entfaltet er das urchristliche Bekenntnis, dass Christus für uns gestorben ist, wie das die Schrift vorausgesagt hat (1Kor 15,3–5). Dabei bedeutet bei ihm das für uns nicht nur für unsere Sünden, obwohl auch dieser Aspekt der Heilsbedeutung des Todes Jesu im Blick ist (vgl. 1,29 und die Passahmotive in der Passionsgeschichte). Doch die Bewältigung menschlicher Schuld ist nur ein Teil des Heilshandelns Gottes. Seine umfassende Bedeutung besteht darin, dass Jesus durch sein Leben und Sterben Gottes Liebe bis in die tiefste Tiefe menschlichen Elends trägt (vgl. 3,16). Das verändert alles! Darum wird Jesus als König der Juden und Messias Israels nicht nur auf Hebräisch, sondern in den Sprachen der Welt proklamiert. Darum entsteht unter dem Kreuz die Keimzelle einer neuen Familie, in der man sich in Liebe umeinander kümmert. Und so wird Gott als der Gott der Liebe verherrlicht und groß gemacht. 19,31–37 Jesu Tod wird bestätigt 31
Weil es Rüsttag war, baten die Juden Pilatus, damit die Leiber nicht am Kreuz (hängen) bleiben sollten – denn dieser Sabbat war ein großer (Fest-)Tag –, ihre Schenkelknochen zerbrechen und sie vom Kreuz abnehmen zu lassen. 32Da kamen die Soldaten und zerbrachen die Schenkelknochen des ersten und (dann die) des anderen der mit ihm Gekreuzigten; 33aber als sie zu Jesus kamen und sahen, dass er schon tot war, zerbrachen sie seine Schenkelknochen nicht, 34sondern einer der Soldaten stach ihn mit einer Lanze in die Brust, und sofort flossen daraus Blut und Wasser. 35Und der (das)
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gesehen hat, hat (es) bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr, und jener weiß, dass er die Wahrheit sagt, damit auch ihr glaubt. 36Das aber ist geschehen, damit die Schrift erfüllt wird: »Kein Knochen wird ihm zerbrochen werden« (Ex 12,10). 37Und wieder eine andere Schrift sagt: »Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben« (Sach 12,10). Jesus ist wirklich gestorben. Das bezeugen dieser und der nächste Abschnitt der johanneischen Passionsgeschichte auf ganz unterschiedliche Weise. Während alle Evangelien die Geschichte von Jesu Begräbnis erzählen, kennt nur Johannes die Episode von der Kreuzabnahme. Manche Ausleger sehen in ihr den Abschluss der Erzählung von Jesu Sterben. Dafür kann man gute Gründe anführen. Aber deutlich ist auch, dass der Evangelist mit dem »Es ist vollbracht!« von V. 30 und dem erzählerischen Neueinsatz in V. 31 einen klaren Einschnitt markiert hat, der signalisiert: Jetzt beginnt die Nachgeschichte des Todes Jesu und das Nachdenken über seine Bedeutung anhand der Schrift. So wie die Passionserzählung durch den Bericht von Jesu Gefangennahme, seinem Verhör vor dem Hohepriester und der Verleugnung des Petrus eingeleitet wurde, so wird sie – quasi in umgekehrter Reihenfolge – durch die Aussage eines glaubwürdigen Zeugen über Jesu Tod und den Bericht von seiner Grablegung zu Ende geführt. Nach Dtn 21,22f soll der Leichnam eines zum Tod Verurteilten, der zur Abschreckung »an ein Holz«, d.h. an einen Pfahl oder Galgen, gehängt wurde, »nicht über Nacht an dem Holz bleiben, sondern du sollst ihn am selben Tage begraben«. Denn ein Gehenkter galt als von Gott verflucht und sein Leichnam würde das Land verunreinigen. Das betraf aus jüdischer Sicht auch solche, die gekreuzigt worden waren. Meist werden die Römer einer sofortigen Abnahme der Leichen nicht zugestimmt haben; denn die gemarterten Körper der Gekreuzigten sollten den Menschen zur Abschreckung möglichst lange vor Augen stehen. Aber in diesem Fall war eine besondere Situation gegeben (33 1). Der Tag der Hinrichtung, ein Freitag, war der Rüsttag; also der Tag der Vorbereitung für den Sabbat. Das aber war kein gewöhnlicher Sabbat, sondern zugleich ein großer und wichtiger Festtag, nämlich der erste Tag des Passah. An einem solchen Tag sollte das Land vor einer so schweren Verunreinigung bewahrt bleiben. Darum baten die Juden, d.h. die Vertreter der jüdischen Selbstverwaltung, Pilatus, er solle veranlassen, dass den Gekreuzigten die Schenkelknochen gebrochen und sie so zu Tode gebracht wurden, damit man ihre Leichen noch vor Einbruch der Nacht vom Kreuz abnehmen konnte.
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Das Zerbrechen der Schenkelknochen mit einer eisenbeschlagenen Keule führte in der Regel den sofortigen Tod der Gehenkten herbei. Es war aber keineswegs eine Art Gnadenstoß zur Abkürzung des Leidens, sondern aufgrund der Brutalität des Verfahrens und der Schmerzen, die damit verbunden waren, eine letzte Folter der Verurteilten. Offensichtlich war Pilatus bereit, auf die religiösen Gefühle der Juden Rücksicht zu nehmen, und gab den entsprechenden Befehl (33 2). Die Soldaten des Hinrichtungskommandos kamen und brachen zuerst dem einen der mit Jesus Gekreuzigten die Schenkelknochen und dann dem anderen. Als sie aber zu Jesus kamen, stellten sie fest, dass er schon gestorben war (3 3 3f ). Sie konnten sich also die Mühe dieser Prozedur sparen, wollten aber zur Sicherheit feststellen, ob er wirklich tot war. Darum nahm einer von ihnen eine Lanze und stach ihn damit in die Brust, und – so berichtet der Evangelist – sofort flossen daraus Blut und Wasser. Physiologisch gesehen dürfte dies ein Indiz für das Vorliegen einer tödlichen Herzbeuteltamponade sein, bei der sich wässrige Flüssigkeit und Blut im Inneren des Herzens sammeln. Für den antiken Leser sind aber Blut und Wasser Grundelemente des Lebens. Dass beides aus der Brust Jesu fließt, zeigt einerseits, dass er wirklich Mensch »aus Fleisch und Blut« war, andererseits wird damit auch augenscheinlich, dass er wirklich tot war. Weil aber im nächsten Satz so nachdrücklich betont wird, dass dieser Vorgang absolut verlässlich bezeugt ist, vermuten die meisten Ausleger, dass Blut und Wasser noch eine tiefere, symbolische Bedeutung haben. Meist sieht man darin einen Hinweis auf die Bedeutung von Blut und Wasser in Abendmahl und Taufe. Denn vom Blut Jesu redet Johannes nur im Zusammenhang mit dem Abendmahl (6,53–56), und das Stichwort Wasser in 3,5 weist zweifellos auf die Taufe hin. Aber beide Begriffe haben im johanneischen Schrifttum auch noch eine weitere Bedeutung. In 1Joh 1,7 heißt es: »Das Blut Jesu, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde«, wobei Blut nach urchristlichem Sprachgebrauch Bild für den sühnenden Charakter des Todes Jesu ist (vgl. Röm 3,25; Hebr 9,14; 1Petr 1,19). Wasser ist in 4,10– 14 Bild für Jesu Wirken, das ewiges Leben schenkt, und in 7,38f ist Wasser, das »von seinem (Jesu) Leib fließt«, Symbol für die Gabe des Heiligen Geistes. Auch die Reihenfolge Blut und Wasser, entgegen der üblichen Reihenfolge von Taufe und Abendmahl, mahnt zur Vorsicht, die Aussage nur als Hinweis auf die Sakramente zu sehen. Dass Blut und Wasser aus der Brust des Gekreuzigten fließen, weist darauf hin, dass Jesu Tod neues, wahres Leben schenkt: Blut symbolisiert die
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Bereinigung der Vergangenheit durch die Lebenshingabe Jesu und Wasser neue Lebenskraft durch das Geschenk des Geistes (vgl. die Weiterführung von 3,5 und 19,34 in 1Joh 5,6–8). Die kurze Szene schließt mit einem doppelten Kommentar. Der 3 5): Und der erste bekräftigt die Zuverlässigkeit dieses Berichts (3 (das) gesehen hat, hat (es) bezeugt. Es gibt einen Augenzeugen des Vorgangs, der das gesehen und das, was er gesehen hat, auch weitergegeben (bezeugt) hat. Sein Bericht ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern sein Zeugnis ist wahr und gibt zuverlässig wieder, was in Wirklichkeit geschah. Das wird noch einmal bekräftigt: Jener weiß, dass er die Wahrheit (wörtlich: Wahres) sagt. Es ist wichtig, das zu betonen, denn er gibt dieses Zeugnis weiter, damit auch ihr glaubt. Diese Feststellung wird allerdings merkwürdig verklausuliert getroffen. Wer ist dieser Augenzeuge? Und wer ist jener, der weiß, dass er die Wahrheit sagt? Die meisten Ausleger nehmen an, dass der Lieblingsjünger gemeint ist. Er sei in der Nähe des Gekreuzigten geblieben (vgl. V. 26) und habe gesehen, was mit Jesus geschah. Er sei auch jener, der sich für die Wahrheit des Bezeugten verbürgt und als Autorität hinter dem ganzen Evangelium steht (vgl. zu 21,24). Aber es ist merkwürdig, dass der Evangelist das nicht einfach sagt. Deshalb halten es manche für möglich, dass einer der Soldaten gemeint ist. Aber angesichts der Bedeutung, die diesem Zeugnis zugeschrieben wird, ist das unwahrscheinlich. Auffällig ist auch, dass dies die erste Stelle ist, an der der Evangelist aus dem Modus des Erzählens heraustritt und seine Leser und Leserinnen direkt anspricht: damit auch ihr glaubt! Damit begegnen wir der typisch johanneischen Stichwortfolge: sehen – bezeugen – glauben. Sie führt zu der Frage: Welches Sehen wird hier bezeugt, um zum Glauben zu führen? »Dass Blut und Wasser austreten, ist keine Frage des Glaubens« (Wengst II, 283). Inhalt des Glaubens ist auch nicht, dass Jesus gestorben ist, sondern welche Bedeutung und Wirkung sein Tod hat, also die Überzeugung, dass von seinen Sterben Heil und Leben ausgehen. Das ist die Sicht der Dinge, die die Leser und Leserinnen zum Glauben führen bzw. ihren Glauben stärken soll. In der Frage, ob damit auch ihr glaubt eher auf ein zum Glauben kommen oder auf die Stärkung des Glaubens zielt, ist die handschriftliche Überlieferung (wie bei der parallelen Stelle 20,31) leider gespalten. Die Mehrzahl der Handschriften hat eine Form des Verbs glauben, die man mit damit ihr zum Glauben kommt übersetzen müsste (so ZB). Aber die beiden ältesten und zuverlässigsten großen Handschriften des Neuen Testaments (der Vaticanus und der Sinaiticus) und ein weiteres Manuskript haben eine Form, die sich nur durch das Fehlen eines Buchstabens davon unter-
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scheidet, jedoch einfach bedeutet: damit ihr glaubt (= im Glauben lebt). Da das Johannesevangelium offensichtlich primär zu Menschen spricht, die schon im Glauben stehen, halten die meisten Ausleger trotz der schmalen Bezeugung die zweite Form für ursprünglich.
Der, von dem hier die Rede ist, hat nicht nur etwas gesehen, er hat dadurch einen entscheidenden Impuls für seinen Glauben erhalten. Er möchte durch sein Zeugnis diesen Impuls auch den Lesern und Leserinnen des Evangeliums vermitteln. Was er gesehen hat, hält er durch sein Zeugnis fest (beide Verben stehen im Griechischen im Perfekt, das die bleibende Gültigkeit vergangenen Geschehens benennt). Diese Sicht aber umfasst nicht nur den äußeren Vorgang, sondern erkennt auch seine Bedeutung. Deshalb ist sein Zeugnis für den Glauben so entscheidend: Es lässt erkennen und verstehen, was in Jesu Tod geschehen ist. Wer hier spricht, ist der Evangelist – gleich, ob er selbst als Lieblingsjünger den geschilderten Vorgang beobachtet hat oder sich auf einen unbekannten Augenzeugen beruft (vgl. zu 21,14). Der zweite Kommentar weist darauf hin, dass sich damit erfüllt hat, was schon in den Heiligen Schriften angekündigt worden ist. Das kann für beide Ereignisse gezeigt werden, die berichtet wurden. Dass Jesus nicht die Schenkelknochen gebrochen wurden, ist Erfüllung des Wortes der Schrift: »Kein Knochen wird ihm zerbrochen werden« (33 6). Das ist allerdings kein wörtliches Zitat einer uns bekannten Stelle im Alten Testament. Gedacht ist entweder an Ex 12,46 (vgl. Num 9,12), wo es vom Passahlamm heißt: »Ihr sollt keinen Knochen an ihm zerbrechen«, oder an Ps 34,21, wo vom leidenden Gerechten gesagt wird: Gott »bewahrt alle seine Gebeine, nicht eines von ihnen wird zerbrochen« (REB). Angesichts der Tatsache, dass nach der johanneischen Chronologie Jesus zur gleichen Stunde stirbt, in der die Passahlämmer im Tempel geschlachtet wurden, spricht viel dafür, dass Jesus hier mit dem Passahlamm identifiziert wird. Aber die Urchristenheit hat die Passion Jesu sehr früh mit Hilfe der alttestamentlichen Aussagen vom Leiden des Gerechten gedeutet. Darum könnte auch Ps 34,21 im Blick und das Zitat deshalb frei formuliert worden sein. Das andere Schriftzitat bezieht sich auf den Lanzenstich und lautet (33 7): »Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben«. Das ist ein fast wörtliches Zitat aus Sach 12,10. Dort geht es um den Märtyrertod eines geheimnisvollen Beauftragten Gottes, vergleichbar dem Knecht Gottes in Jes 53, und um die Klage derer, die ihn getötet haben. Für die Urchristenheit lag es nahe, in dieser Gestalt einen Hinweis auf Jesus und sein Geschick zu sehen (vgl. auch Offb 1,7). Offen ist, an wen an unserer Stelle gedacht ist, wenn es heißt:
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»Sie werden … schauen«. Das alttestamentliche Vorbild lässt zunächst vermuten, dass die gemeint sind, die Jesu Tod verursacht haben, also vor allem die jüdische Führung, vielleicht auch die römischen Soldaten. Aber woran wäre bei ihrem Schauen gedacht? An eine Zeit der Buße oder, wie in Offb 1,7, an das Erscheinen des »Durchbohrten« zum Gericht? Für keine der beiden Vorstellungen gibt es im Johannesevangelium einen Anhaltspunkt. Daher ist es wahrscheinlicher, dass der Evangelist das Zitat auf seine Leser und Leserinnen bezogen hat: Sie (die diesen Bericht mit den Augen des Glaubens lesen) werden den schauen, den sie (die römischen Soldaten) durchbohrt haben, und werden erkennen, dass er für sie gestorben ist. Drei wichtige Impulse sendet diese kurze Episode aus: 1. Noch einmal wird in einer gleichnishaften Begebenheit betont, dass die Integrität und Unversehrtheit Jesu auch im Tod gewahrt geblieben ist. Nicht nur seine Schenkelknochen sind nicht zerbrochen worden, er selbst ist im Sterben nicht zerbrochen. 2. Dennoch gilt: Jesus ist wirklich gestorben. Das mag uns selbstverständlich erscheinen, aber es ist immer wieder bezweifelt worden. Der Lanzenstich in Jesu Brust beweist das. Aber dass aus seinem Herzen Blut und Wasser fließen, hat ebenfalls symbolische Bedeutung. Von seinem Tod geht Kraft zu neuem Leben aus. 3. Dass die Adressaten des Evangeliums Jesu Tod so sehen dürfen und daher glauben können, dafür verbürgt sich der Evangelist. Die Frage, ob sie dadurch erst zum (wahren) Glauben kommen oder in ihrem Glauben bestärkt werden sollen, dürfte für Johannes eine Scheinfrage sein. Er hat in seinem Evangelium immer wieder erzählt, wie Menschen, die schon glauben, neu zum Glauben gerufen werden. Glaube ist nie Besitz, sondern bleibt Geschenk und Gabe. 19,38–42 Jesus wird begraben 38
Danach bat Josef von Arimathia, weil er ein Jünger Jesu war, aber verborgen aus Furcht vor den Juden, dass er den Leichnam Jesu abnehmen dürfe, und Pilatus erlaubte es. Da kam er und nahm seinen Leichnam ab. 39Es kam aber auch Nikodemus, der zu ihm das erste Mal in der Nacht gekommen war, und brachte eine Mischung aus Myrrhe und Aloe, etwa hundert Liter. 40Da nahmen sie den Leichnam Jesu und wickelten ihn in Leinenbinden zusammen mit den wohlriechenden Stoffen, wie es bei den Juden Sitte ist, (die Toten) zu bestatten. 41Es war aber an dem Ort, wo er gekreuzigt worden
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war, ein Garten und in diesem Garten ein neues Grab, in dem noch niemand gelegen hatte; 42dorthin also, wegen des Rüsttages der Juden, weil das Grab nahe war, legten sie Jesus. Alle Evangelien berichten, dass Jesus durch einen reichen Mann namens Josef von Arimathia ordnungsgemäß bestattet wurde (Mt 27, 57–61; Mk 15,42–47; Lk 23,50–56). Auch Johannes kennt diese Überlieferung. In den wesentlichen Elementen stimmt sein Bericht mit dem der anderen Evangelien überein. Aber er erzählt er ihn mit eigenen Worten und mit Details, die nur bei ihm zu finden sind. Nach der vorausgegangenen Episode wäre zu erwarten gewesen, dass die Leichen der Gekreuzigten auf Bitte der Juden durch die römischen Soldaten abgenommen und in ein Massengrab geworfen würden. Aber im Fall Jesu nehmen die Dinge einen anderen Verlauf. Gleich nachdem die Soldaten den Tod Jesu festgestellt hatten, bittet ein Mann namens Josef von Arimathia Pilatus darum, den Leichnam abnehmen und – so wird stillschweigend vorausgesetzt – ihn ordnungsgemäß bestatten zu dürfen (3 3 8). Das war normalerweise nicht gestattet, da die Leichen zur Abschreckung möglichst lange zur Schau gestellt werden sollten. Aber es gab Ausnahmen, wie der Fund der Gebeine eines Gekreuzigten in einem Familiengrab in Giv˛at ha-Mivtar im Nordosten Jerusalems gezeigt hat. Wer war dieser Josef von Arimathia? Nach Mk 15,43 war er ein angesehener Ratsherr, der aus dem Städtchen Arimathia stammte, das östlich von Joppe (Jaffa) in der Nähe der Grenze von Judäa und Samaria lag. Er war aber wohl schon lange in Jerusalem ansässig, wenn er dort Ratsmitglied war. Interessanterweise wird er von jedem der Evangelisten auf eine für sein Evangelium typische Art charakterisiert. Für Markus und Lukas ist er einer, der »auch selbst das Reich Gottes erwartete« (Mk 15,43; Lk 23,51), und für Matthäus jemand, der »selbst ein Jünger Jesu geworden war« (27,57). Auch Johannes sagt, er habe sich für Jesus eingesetzt, weil er ein Jünger Jesu war. Doch er fügt hinzu: aber verborgen aus Furcht vor den Juden (auch das ein Beispiel für den merkwürdigen Sprachgebrauch, dass sich vornehme Juden vor den sog. Juden fürchten!). Jetzt aber bekennt er sich zu Jesus, indem er zu Pilatus geht und um die Freigabe des Leichnams bittet! Pilatus kam der Bitte nach und erlaubte es ihm. So ging er zur Hinrichtungsstätte – sicher mit einigen seiner Bediensteten – und nahm seinen (Jesu) Leichnam ab. Im Bericht des Johannes taucht hier überraschenderweise noch ein weiterer heimlicher Jünger Jesu auf (33 9): Auch Nikodemus kam – nach 7,50 wird auch er ein Mitglied des Hohen Rats gewesen sein. Noch einmal wird daran erin-
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nert, dass er das erste Mal, als er Jesus traf, in der Nacht gekommen war (3,1f), vermutlich auch er, weil er um seinen Ruf fürchtete. Ob er in der Zwischenzeit noch häufiger mit Jesus zusammen war, wie hier angedeutet scheint, ist nicht berichtet, wohl aber, dass er sich im Hohen Rat für Jesus eingesetzt hat (7,50–52). Nikodemus kam nicht mit leeren Händen. Er brachte eine Mischung aus Myrrhe und Aloe mit, und zwar eine große Menge, etwa hundert Pfund (ca. 33 Kilo). Myrrhe ist ein wohlriechendes Harz und Aloe eine Art Duftholz. Beide Substanzen wurden zu Pulver gemahlen, miteinander vermischt und dann in die Tücher oder Binden gestreut, mit denen der Leichnam eingewickelt wurde, um den Leichengeruch zu überdecken. Gemeinsam bereiteten sie nun Jesu Leichnam für die Bestattung vor (4 4 0): Sie nahmen den Leichnam Jesu und wickelten ihn in Leinenbinden zusammen mit den wohlriechenden Stoffen, d.h. der Mixtur aus Myrrhe und Aloe. Ein ähnliches Verfahren ist in 11,44 bei Lazarus vorausgesetzt, während nach Mk 15,46 Jesu Leichnam in ein großes Leichentuch gewickelt wurde. Ganz ungewöhnlich ist die riesige Menge an Duftstoffen, die hier verwendet wird: ein wahrhaft königliches Begräbnis für den König der Juden (vgl. Ps 45,9, wo zum König gesagt wird: »Von Myrrhe, Aloe und Kassia duften deine Kleider«). Vom Waschen und Salben des Leichnams, das sonst an erster Stelle der Vorbereitung für das Begräbnis steht, wird nichts erzählt. Das hat Maria schon in Betanien vorweggenommen (vgl. 12,7). Für seine nichtjüdische Leserschaft fügt der Evangelist an, dass die beiden handelten, wie es bei den Juden Sitte ist, (die Toten) zu bestatten. Das mag sich nicht nur auf die Art beziehen, wie sie den Leichnam für die Grablegung vorbereiteten, sondern auch ein Hinweis darauf sein, dass im Judentum die ordentliche Bestattung von Toten zu den hochgeschätzten Werken der Barmherzigkeit gehörte (vgl. Tob 2,3–7; Sir 38,16). Aber die Zeit drängte. Es war der Rüsttag, der Tag vor dem Sabbat und dem Passahfest, und der Tote musste vor Einbruch der Dunkelheit in ein Grab gelegt werden (4 4 1f ). Aber zum Glück lag ganz nahe an dem Ort, wo Jesus gekreuzigt worden war, ein Garten und in diesem Garten ein neues Grab, in dem noch niemand gelegen hatte. Diese Angabe stimmt gut mit den archäologischen Untersuchungen zur Topographie der Stelle überein, an der heute die Grabeskirche steht. Neben einem aufgelassenen Steinbruch scheint dort ein Gartengelände vor den Toren Jerusalems gelegen zu haben. Dass das Grab, das sich dort befand, in den Felsen gehauen war (so Mk 15,46), erwähnt Johannes nicht, auch nicht, dass es Josef von Arimathia gehörte (so Mt 27,60), wohl aber, dass es neu war
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und noch niemand darin gelegen hatte (vgl. Mt 27,60; Lk 23,53). Es war noch nicht durch einen Toten verunreinigt! In dieses Grab wurde Jesus gelegt. Mehr war dazu nicht zu sagen, denn für Johannes ging die Geschichte ja sofort weiter. Die Bedeutung dieser Erzählung und die Rolle der beiden Hauptakteure wird von den Auslegern völlig unterschiedlich beurteilt. Das liegt daran, dass hier plötzlich zwei heimliche Jünger auftauchen. Zahlreiche Exegeten lesen zwischen den Zeilen dieser Geschichte eine vernichtende Kritik an solchen Jüngern. Erst jetzt, als Jesus tot ist, wagen sie sich aus ihrem Versteck. Darum bleibt es ihnen überlassen, die Leiche Jesu einzubalsamieren und zu begraben. Hätten sie wirklich an Jesus geglaubt, dann wäre ihnen klar gewesen, wie unnötig dieser Liebesdienst war. Für sie endet die Geschichte Jesu am Grab. Aber es gibt in der Geschichte selbst keine wirklichen Hinweise für eine solch negative Bewertung des Tuns der beiden. Wie wir vor allem bei der Gestalt des Nikodemus sahen (3,1–21; 7,50–52; vgl. auch zu 12,42f), lässt sie der Evangelist bewusst im Zwielicht und hält die Bewertung ihres Verhaltens offen. Aus dieser Perspektive liest sich die Geschichte wie eine Einladung an Juden, die mit Jesus sympathisieren, aber nicht wagen, sich zu ihm zu bekennen, doch aus ihren Verstecken herauszukommen und sich für Jesus einzusetzen – allerdings auch mit dem Impuls, sich nicht damit zu begnügen, die Erinnerungen an Jesus sorgfältig einzubalsamieren und zu Grabe zu tragen, sondern sich mitnehmen zu lassen in die Begegnung mit dem Auferstandenen. Josef von Arimathia und Nikodemus repräsentieren ein Judentum »at its best«: Sie sind Juden, handeln nach der Sitte der Juden und haben doch Furcht vor den Juden. Aber auch die anderen Jünger versammeln sich am Ostermorgen hinter verschlossenen Türen aus Furcht vor den Juden. Erst die Begegnung mit dem Auferstandenen befreit sie von ihrer Angst und macht sie fähig zu glauben und zu bekennen. Josef und Nikodemus stehen vor der Tür zu dieser Erfahrung. Was mit ihnen weiter geschieht, wird nicht erzählt. Aber gerade darin liegt eine Einladung an Leser und Leserinnen in einer ähnlichen Situation, sich zur Begegnung mit dem Auferstandenen einladen zu lassen.
Zur Passionserzählung des Johannes Herr, unser Herrscher, dessen Ruhm in allen Landen herrlich ist. Zeig uns durch deine Passion,
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dass du, der wahre Gottessohn, zu aller Zeit, auch in der größten Niedrigkeit, verherrlicht worden bist.
So beginnt die Johannespassion von Johann Sebastian Bach. Man kann das Anliegen der Passionserzählung nach Johannes kaum treffender zusammenfassen, als das der unbekannte Textdichter – vielleicht war es Bach selbst – mit diesem Gebet getan hat. Der lutherische Magistrat von Leipzig scheint das anders gesehen zu haben, denn er monierte, dass die Passion das Thema Sünde und Buße zu sehr vernachlässige. Vermutlich war das der Grund, warum Bach bei der Wiederaufnahme der Passion 1725, ein Jahr nach der ersten Aufführung, diesen Eingangschor durch eine Choralbearbeitung von »O Mensch, bewein dein Sünde groß« ersetzte. Aber er hat gespürt, dass das nicht passte, und in den späteren Fassungen den ursprünglichen Anfang wiederhergestellt. Auch in der größten Niedrigkeit verherrlicht – das ist das Vorzeichen, unter dem der Bericht vom Leiden und Sterben Jesu durch vielfache Signale im Evangelium steht. Immer wieder wurde Jesu Sterben am Kreuz als Erhöhung (3,14f; 8,28; 12,32f) oder Verherrlichung (12,23. 27f; 13,31; 17,1) angekündigt. Im Weg Jesu ans Kreuz kommt die Bewegung der Liebe Gottes hin zu einer verlorenen Menschheit ans Ziel (3,16; 13,1; 10,11; 15,13). Diese Paradoxie erzählerisch zu gestalten ist nicht einfach. In knappen Strichen zeichnet der Evangelist das Drama des schändlichen Todes Jesu am Kreuz: Er schildert den Schmerz, verleugnet zu werden, und die Demütigung durch Auspeitschung und Verspottung; er erzählt von der Erniedrigung durch Entblößung und öffentliche Hinrichtung und von der Realität seines Sterbens. Zugleich betont der Evangelist die Souveränität, mit der Jesus diesen Weg geht: Er setzt sich dafür ein, dass seine Jünger nicht verhaftet werden, bietet dem Hohepriester die Stirn und fordert Pilatus durch sein Zeugnis für die Wahrheit heraus, trägt sein Kreuz selbst zum Richtplatz, sorgt für seine Mutter und stirbt mit einem dankbaren und gewissen »Es ist vollbracht!« Die Bedeutung dieses Sterbens für das Heil der Menschen wird nicht mit kommentierenden Worten erläutert. Sie ergibt sich aus dem Geschehen selbst. So wie die Menschen in den Worten und Taten Jesu dem heilenden und rettenden Gott begegnet sind, so trägt Jesus die Wirklichkeit der Liebe Gottes hinein in den Tod, in die tiefste Tiefe menschlichen Leidens. Das deutlichste Signal für das, was das bedeutet, ist die kurze Notiz, dass nach dem Lanzenstich, der Jesu Tod erweisen sollte, Blut und Wasser aus seiner Seite flossen. Jesu Tod ist Quelle neuen Lebens: Die belastete Vergangenheit wird bewältigt und
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bereinigt und Kraft und Inspiration für den Weg in die Zukunft werden geschenkt. »Ruhet wohl, ihr heiligen Gebeine«, singt der Chor in der Johannespassion vor dem abschließenden Schlusschoral, fährt aber sogleich fort: »die ich nun weiter nicht beweine«. In der Tat ist bei Johannes kein Platz für eine Beweinung Christi, und auch von Grabesruhe kann schwerlich die Rede sein. Denn anders als in den Passionen der Barockzeit bilden die Passionserzählungen der Evangelien keine in sich abgeschlossene Einheit, sondern leiten unmittelbar hinüber zu dem, was über Jesu Auferstehung zu berichten ist. Ohne Ostern würde es keine Passionserzählung geben. Das gilt insbesondere für Johannes: Ohne die Auferweckung Jesu und die Erfahrung der Begegnungen mit dem Auferstandenen hätte Jesu letztes Wort am Kreuz nicht »Es ist vollbracht!« sein können. 20,1–31 Jesus lebt und spricht – das Ostergeschehen nach Johannes Alle Evangelisten sehen in dem Ereignis der Auferstehung Jesu die unmittelbare Fortsetzung seiner Passion. Eine Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu ohne das Wissen darum, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wäre aber nicht wert, erzählt zu werden. Das gilt auch für Johannes, obwohl bei ihm das Licht, das von Ostern ausgeht, auch schon die Passion durchleuchtet. Aber warum Jesus seinen Leidensweg zu Recht mit dem Ruf »Es ist vollbracht!« beendet, erschließt sich erst, wenn man auch die Ostergeschichte kennt. Für normale Bibelleser und -leserinnen scheint klar zu sein, dass die Ostergeschichte bei Johannes die Kap. 20 und 21 umfasst. Das ist auch richtig, wenn man sich nur an dem Inhalt der Erzählung orientiert. Aber wer genauer hinsieht, wird schnell bemerken, dass 20,30f ein Schlusswort für das ganze Evangelium darstellt. Kap. 21 setzt noch einmal neu an und scheint auch die Ereignisse, von denen Kap. 20 berichtet hat, kaum zu kennen. Es handelt sich also um einen Nachtrag, der nach Abschluss einer ersten Fassung des Evangeliums angefügt wurde. Das Verhältnis dieses »Nachtrags« zum ganzen Evangelium wird von den Auslegern kontrovers diskutiert. Wir werden darauf bei der Auslegung von Kap. 21 zurückkommen. Hier soll nur eine Beobachtung bereits kurz erwähnt werden: Schwerpunkt der Ostererzählungen in Kap. 20 sind Begegnungen mit dem Auferstandenen, die den Glauben an Jesu Auferstehung begründen und noch einmal
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deutlich machen, wer Jesus ist. Sie sind der eigentliche Abschluss des Evangeliums. Die Erzählungen in Kap. 21 haben als Schwerpunkt die Frage, wie es mit den Jüngern weitergeht, wobei insbesondere der Weg des Petrus und die Gestalt des Lieblingsjüngers im Mittelpunkt stehen. Der »Nachtrag« ist ein Epilog, ein Nachwort, das einen Ausblick auf die Zukunft der Jüngergemeinde eröffnet und so zum Gegenstück zum Prolog, dem Vorwort und der Hinführung zum Evangelium, wird. Kap. 20 stellt eine sorgfältig komponierte Einheit dar. Sie hat zwei Teile: Der erste, 20,1–18, erzählt von Ereignissen, die sich beim Grab Jesu abspielen. Ein erster Abschnitt, V. 1–10, berichtet von der Entdeckung des leeren Grabes durch Maria aus Magdala und von den Erfahrungen, die Petrus und der Lieblingsjünger damit machen. Der zweite Abschnitt, V. 11–18, erzählt – gewissermaßen als positives Gegenstück zum Rätsel des leeren Grabs – von Jesu Begegnung mit Maria aus Magdala. Beide Begebenheiten signalisieren auf unterschiedliche Weise, dass sich das, was hier geschah, menschlichem Verstehen entzieht. Wir haben diesen ersten Teil von Kap. 20 daher mit Das Geheimnis der Auferstehung überschrieben. Der zweite Teil (20,19–29) berichtet von den Begegnungen des Auferstandenen mit seinen Jünger und Jüngerinnen dort, wo sie sich aus Furcht vor den Nachstellungen der jüdischen Behörden versteckt haben. Auch dieser Teil besteht aus zwei Abschnitten, die sich komplementär aufeinander beziehen: V. 19–23: Die Begegnung Jesu mit seinen Jüngern, bei der er sie sendet und ihnen die Gabe des Geistes und die Vollmacht zur Sündenvergebung schenkt, und V. 24–29: Die Begegnung Jesu mit Thomas, der an Jesu Auferstehung zweifelt, aber durch Jesu Kommen zum eindeutigsten Bekenntnis im ganzen Evangelium geführt wird. Eine letzte Vorbemerkung: Während Johannes die Passionsgeschichte in einer Fassung erzählt, die in Grundzügen dem Bericht der anderen Evangelien folgt, geht er bei den Osterberichten sehr viel stärker eigene Wege. Dennoch benutzt er auch hier Überlieferungen, die Berührungspunkte mit den anderen Ostererzählungen aufweisen. Der Besuch Marias aus Magdala am Grab und ihre Begegnung mit dem Engel (V. 1f.11–13) hat eine Parallele in der Geschichte von den Frauen am Ostermorgen (Mk 16,1–8). Der Begegnung Jesu mit Maria entspricht seine Erscheinung vor den Frauen in Mt 28,9f. Sein Kommen zu den Jüngern in einen geschlossenen Raum (V. 19–22) berührt sich mit der entsprechenden Erzählung in Lk 24,36–43. Es gab also Haftpunkte gemeinsamer Erinnerungen in der Urchristenheit, die dann aber unterschiedlich überliefert und ausgestaltet wurden.
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20,1–18 Das Geheimnis der Auferstehung 20,1–10 Die Entdeckung des leeren Grabes 2 0 1Am ersten Tag der Woche kommt Maria aus Magdala früh am Morgen, als es noch dunkel war, und sieht den Stein vom Grab weggenommen. 2Da läuft sie und kommt zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagt zu ihnen: Sie haben den Herrn aus dem Grab geholt, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 3Da ging Petrus und der andere Jünger los und gingen zum Grab. 4Die beiden aber liefen zusammen. Und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam als erster zum Grab. 5 Und als er sich vorbeugt, sieht er die Leinenbinden, ging jedoch nicht hinein. 6Da kommt auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging ins Grab hinein und sieht die Leinenbinden liegen 7und das Schweißtuch, das auf seinem Kopf gewesen war, (und zwar) nicht zusammen mit den Leinenbinden liegen, sondern für sich zusammengewickelt an einem eigenen Ort. 8Jetzt ging auch der andere Jünger, der zuerst gekommen war, in das Grab und sah und kam zum Glauben. 9Denn sie hatten die Schrift noch nicht verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse. 10Dann gingen die Jünger wieder weg zu den anderen. Am Tag nach dem Sabbat, dem ersten Tag der Woche und dem dritten Tag nach Jesu Kreuzigung und Bestattung, macht sich Maria aus Magdala sehr früh am Morgen, als es noch dunkel war, auf den Weg zum Grab (11 ). Nach dem Bericht der anderen Evangelien sind es mehrere Frauen, die zunächst wohlriechende Öle kaufen, um Jesu Leichnam nachträglich zu salben (Mk 16,1; Mt 28,1; Lk 24,1). Das ist nach dem, was Johannes in 19,39f berichtet hat, nicht mehr nötig. So geht Maria allein zum Grab, nur von der Trauer um Jesus getrieben. Maria aus Magdala ist eine der faszinierendsten Gestalten in den Evangelien. Ihr Beiname heißt wörtlich: die Magdalenerin und bedeutet: aus bzw. von Magdala. In der christlichen Tradition wurde daraus Maria Magdalena. Magdala war nach antiken Berichten und dem Befund von Ausgrabungen zu urteilen ein reiches jüdisches Städtchen am Nordwestufer des Sees Genezareth mit einem florierenden Fischereigewerbe. Dass Maria nach ihrem Herkunftsort und nicht nach dem Namen ihres Mannes benannt wurde, lässt darauf schließen, dass sie unverheiratet war. Außerhalb der Passions- und Osterüberlieferung wird sie nur einmal in den Evangelien genannt, nämlich in Lk 8,2f. Danach gehörte sie zu einer
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Gruppe wohlhabender Frauen, die von Jesus geheilt worden waren und nun mit ihm durchs Land wanderten und ihn finanziell unterstützten. Von Maria wird dort gesagt, dass Jesus sieben Dämonen aus ihr ausgetrieben habe. Alle Evangelien berichten, dass sie zu den Frauen gehörte, die Zeugen seiner Kreuzigung und Grablegung waren und die am Ostermorgen zum Grab gingen und es leer fanden. Dabei wird Maria aus Magdala außer in Joh 19,25 immer an erster Stelle genannt (vgl. Mk 15,40f.47; 16,1 par Mt 27,55f.61; 28,1; Lk 24,10). Ihre herausragende Rolle als erste Auferstehungszeugin zeigt sich aber vor allem im Bericht des Johannes (20,1f.11– 18). Dieser Bericht lässt auch auf eine besondere Nähe zwischen ihr und Jesus schließen. Alle Vermutungen aber, dass sie seine Geliebte oder Frau war, sind reine Spekulation. Maria Magdalena gewinnt später eine besondere Bedeutung in einigen apokryphen gnostischen Evangelien; sogar ein Evangelium nach Maria, das ihr zugeschrieben wird, ist in griechischen und koptischen Fragmenten überliefert. Sie enthalten keine historisch zuverlässigen Überlieferungen über Maria, geben aber wichtige Einblicke in die Auseinandersetzung über die Rolle von Frauen in Verkündigung und Lehre der frühen Kirche.
Als Maria aus Magdala am Grab ankommt, sieht sie voll Schrecken, dass der Stein, der das Grab verschloss, weggenommen worden war. Anders als Mk 15,46 par Mt 27,60 hat Johannes nicht erzählt, dass man das Grab mit einem Stein verschlossen hat. Aber auch hier setzt er voraus, dass seine Leser und Leserinnen wissen, dass das geschehen ist. Ohne die Sache näher zu untersuchen läuft sie zurück zu den anderen Jüngern (22 ). Sie trifft auf Simon Petrus und den anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagt zu ihnen: Sie haben den Herrn aus dem Grab geholt, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Zwei Dinge sind an ihrer Aussage merkwürdig: Erstens, dass sie davon ausgeht, dass jemand Jesus aus dem Grab geholt hat, obwohl nicht erzählt worden war, dass sie ins Grab hineingeschaut hat. Zweitens stellt sich die Frage, warum Maria im Plural spricht: wir wissen nicht. Eine Erklärung dafür ist, dass Johannes auch hier den Bericht der anderen Evangelien voraussetzt, nach dem zwei oder drei Frauen zum Grab gekommen waren und gesehen hatten, dass es leer war (Mk 16,5f; Lk 24,3.22f). Zwei weitere Details sind bemerkenswert. Maria spricht von Jesus als dem Herrn. Diese respektvoll und doch auch vertraulich klingende Anrede war bisher nur in 6,23 und 11,21–34, hier bezeichnenderweise im Mund von Marta und Maria, den Schwestern des Lazarus, benutzt worden. Jetzt, in den Erzählungen von den Erscheinungen des Auferstandenen, wird der Titel zu der Bezeichnung, mit der Maria und die Jünger von Jesus sprechen und ihn
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anreden (20,13.18.25; 21,7.15–21). Blank charakterisiert den Eindruck, der dadurch entsteht, sehr treffend als »eine eigenartige Schwebe zwischen Vertrautheit und Distanz« (Blank III, 162). Jesus ist der Herr, der jetzt als Weltherrscher inthronisiert ist; aber er ist auch ihr Herr, zu dem sie voller Vertrauen reden dürfen. Das andere wichtige Detail ist, dass Simon Petrus und der Jünger, den Jesus liebte, hier erneut miteinander auftreten (vgl. schon 13, 23f; evtl. auch 18,15f). Ihr Verhältnis zueinander wird Thema der folgenden Erzählung, dann aber vor allem des in Kap. 21 Berichteten sein. Beide machen sich gemeinsam auf den Weg (33 ): Da ging Petrus und der andere Jünger los und gingen zum Grab. Beide haben es eilig und laufen zusammen los (4 4 ). Aber sie bleiben nicht lange beieinander, denn der andere Jünger (also der Lieblingsjünger) lief voraus, denn er war schneller als Petrus (weil er jünger war?), und kam als Erster zum Grab. Und nun beginnt ein eigenartiges Wechselspiel (55 ): Als dieser Jünger sich vorbeugt, sieht er die Leinenbinden, in die Josef von Arimathia und Nikodemus den Leichnam Jesu gewickelt hatten (19,40) und die nun aufgewickelt im Grab lagen. Aber er ging nicht hinein. Warum nicht, wird nicht gesagt. Dann aber kommt auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war (6 6 ). Er ist nicht so vorsichtig und ging ins Grab hinein, und auch er sieht die Leinenbinden liegen. Aber er sieht noch mehr (7 7 ). Er sieht auch das Schweißtuch, das auf seinem [Jesu] Kopf gewesen war (vgl. 11,44). Das aber liegt nicht auf einem Haufen zusammen mit den Leinenbinden, sondern für sich zusammengewickelt an einem eigenen Ort. Diese Beobachtung scheint wichtig zu sein; aber ihre Bedeutung wird nicht erklärt. Offensichtlich wird darin ein Indiz dafür gesehen, dass weder ein Leichenraub noch ein hastiges Umbetten der Leiche vorliegt. Jesus lebt! Petrus sieht das zwar, versteht aber nicht, was hier geschah (so auch in Lk 24,12). Anders der andere Jünger, der zuerst gekommen war (8 8 ): Auch er ging in das Grab und sah und kam zum Glauben! Das ist eine außerordentlich überraschende Aussage. Was sah dieser Jünger, und was glaubte er? Offensichtlich ist Johannes gerade das Ineinander von Sehen und Glauben wichtig. Auch Petrus sah Leinenbinden und Schweißtuch. Aber er sah nicht die Wirklichkeit, die sich in dem, was er sah, verriet. Dennoch ist ganz außergewöhnlich, dass »der Lieblingsjünger zum Glauben findet, ohne dass der Auferstandene ihm erschienen wäre; er glaubt allein auf das Sehen des leeren Grabes hin, also allein auf das Wahrnehmen der radikalen Abwesenheit Jesu hin« (Zumstein, 746f). Noch rätselhafter wird diese Aussage aber durch die Begründung, die ihr im nächsten Satz gegeben wird (9 9 ): Denn sie hatten die
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Schrift noch nicht verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse. Setzt diese Formulierung nicht voraus, dass beide, Petrus und der Lieblingsjünger, noch nicht wirklich glauben konnten? Viele Ausleger nehmen deshalb an, dass sie ursprünglich in einer Fassung der Geschichte gestanden haben muss, die vom Unglauben der Jünger erzählte. Aber das erledigt nicht die Frage, welchen Sinn diese Aussage in ihrem jetzigen Zusammenhang hat! Klar ist jedenfalls, dass der Osterglaube der urchristlichen Gemeinde sehr stark von einem neuen Verständnis der heiligen Schriften Israels geprägt und gestützt wurde. Es gab hier ein enges Ineinander zweier Erkenntnisvorgänge: Die Erscheinungen des Auferstandenen haben eine neue Sicht der alttestamentlichen Aussagen angestoßen, und diese hat dazu geholfen, die Bedeutung dieses Geschehens theologisch zu erfassen und das Auferstehungszeugnis der Gemeinde zu formulieren. »… auferweckt am dritten Tag gemäß den Schriften« so lautet das Christusbekenntnis, das Paulus in 1Kor 15,3f zitiert. Auch das Johannesevangelium weiß um die entscheidende Rolle eines neuen Schriftverständnisses nach Ostern (vgl. 2,22). Deshalb dürfte die Bemerkung des Evangelisten in V. 9 eine doppelte Funktion haben: Sie nennt erstens den Grund, warum Petrus noch nicht zum Glauben fand. »Ihm stand noch kein Schriftzeugnis zur Verfügung, das ihm ermöglicht hätte, die Bedeutung seiner Entdeckung zu entschlüsseln«. Zugleich begründet sie das Besondere am Glauben des Lieblingsjüngers, »der die Botschaft des leeren Grabes auslegen konnte, ohne dass er sich schon auf ein Schriftzeugnis hätte berufen können« (Zumstein, 747). Aber der Evangelist sieht darin auch eine Einschränkung für das Glaubenszeugnis des geliebten Jüngers (anders Zumstein, der vom »vollkommenen Glauben« dieses Jüngers spricht): Ohne Hilfe der Heiligen Schrift ist sein Glaube noch nicht sprachfähig! Das zeigt die Fortsetzung (1 1 0). Der Erzähler berichtet ganz knapp: Dann gingen die Jünger wieder weg zu den andern. Sie reihen sich ein in die Gruppe der verängstigten Anhänger Jesu (vgl. V. 19). Dass sie etwas von ihrer Entdeckung erzählt hätten und der Lieblingsjünger seinen Glauben den anderen bezeugt hätte, davon wird nichts gesagt. Nur die Begegnung mit dem Auferstandenen selbst kann das Zeugnis von seiner Auferstehung begründen. Das wird die Fortsetzung der Erzählung von Maria von Magdala zeigen, die sich unmittelbar anschließt. In dieser Geschichte wird zunächst nur vom Faktum des leeren Grabs berichtet, aber zugleich dessen Zweideutigkeit demonstriert. Auch Maria und Petrus sehen, dass das Grab leer war, aber verstehen nicht,
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was hier geschah. Bei Johannes fehlt die Stimme eines deutenden Engels, der von Jesus sagt: »Er auferstanden, er ist nicht hier« (vgl. Mk 16,7). Das Geheimnis der Auferweckung Jesu bleibt. Der Jünger, den Jesus liebte, scheint es zu ergründen. Sein Beispiel zeigt: Auch die »Leerstelle« des leeren Grabs kann Glauben wecken, einen Glauben, der freilich nur die Gewissheit schenkt, dass Jesus selbst dort anwesend sein kann, wo er nicht zu sein scheint. Doch dieser Glaube ist noch nicht sprachfähig, vergleichbar der Erfahrung eines Mystikers. Johannes ist bemüht, in seiner Erzählung die Balance zwischen Petrus und dem Lieblingsjünger zu halten, allerdings mit einem gewissen »Vorsprung« für diesen. Petrus wird nicht negativ dargestellt. Wie oft ist er der aktivere, der die Erkenntnis des Lieblingsjüngers vorbereitet. Aber dieser sieht tiefer, gerade dort, wo Petrus zuerst gesehen hat. Warum? Was steht dahinter? Ist es das Wissen, um das Geliebtsein, das ihn tiefer blicken und glauben lässt? Der Evangelist überlässt es seinen Lesern und Leserinnen, sich ihre Gedanken dazu zu machen. 20,11–18 Die Begegnung Jesu mit Maria aus Magdala 11
Maria aber stand draußen am Grab und weinte. Während sie nun weinte, bückte sie sich ins Grab hinein 12und sieht zwei Engel in weißen (Gewändern) sitzen, einen am Kopf und einen zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. 13Und jene sagen zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie sagt zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben. 14Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich nach hinten und sieht Jesus stehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. 15Sagt Jesus zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Weil sie meint, es sei der Gärtner, sagt sie zu ihm: Herr, wenn du ihn fortgetragen hast, sage mir, wo du ihn hingelegt hast, und ich will ihn holen. 16Sagt Jesus zu ihr: Maria! Jene wandte sich um und sagt zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni, das heißt: Lehrer. 17Sagt Jesus zu ihr: Halte mich nicht fest, denn ich bin noch nicht zum Vater aufgestiegen. Gehe aber zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. 18Maria aus Magdala kommt zu den Jüngern und verkündet ihnen: Ich habe den Herrn gesehen!, und (sagt ihnen), er habe ihr dies gesagt. Maria aus Magdala hat von den Entdeckungen der beiden Jünger offensichtlich nichts mitbekommen. Sie stand draußen am Grab, dem Ort, der die Endgültigkeit des Todes zu besiegeln scheint, und
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1 1). Aber sie versinkt nicht völlig in ihrer Trauer, sondern weinte (1 im Weinen bückte sie sich und schaut ins Grab hinein. Und plötzlich nimmt auch sie noch etwas anderes wahr als nur den nackten Fels des leeren Grabes (1 1 2). Sie sieht zwei Engel in weißen (Gewändern) sitzen, einen am Kopf und einen zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. Die »Leerstelle«, die der auferstandene Jesus hinterlassen hat, wird durch himmlische Boten eingefasst. Aber die Engel scheinen keine Botschaft zu haben, sondern stellen nur eine Frage (11 3): Frau, warum weinst du? Sie stellen diese Frage nicht, weil sie nicht wissen, was Maria bewegt. Die Frage soll ihr weiterhelfen. Maria antwortet bereitwillig: Sie, d.h. irgendwelche Leute, die ich nicht kenne, haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben. Sie sagt meinen Herrn und signalisiert damit ihre sehr persönliche, aber zugleich von tiefem Respekt und Vertrauen gekennzeichnete Beziehung zu Jesus. Sie wartet aber nicht die Reaktion der Engel ab, sondern: Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich nach hinten und sieht Jesus stehen (1 1 4). Doch sie erkennt Jesus nicht, wusste also nicht, dass es Jesus war. Jesus selbst spricht sie an (11 5) und fragt sie noch einmal: Frau, warum weinst du? Und er fügt noch die entscheidende zweite Frage hinzu: Wen suchst du? Es ist die gleiche Frage, die Jesus denen stellte, die ihn verhaften wollten. Auch Maria sucht Jesus von Nazareth, genauer gesagt seinen Leichnam. Aber das ist vergebliche Liebesmüh. Würde sie das sagen, könnte die Antwort nur sein: »Er ist nicht hier. Er ist auferstanden« (vgl. Mk 16,6). Aber Maria antwortet gar nicht auf die Frage. Denn sie meint, der, der zu ihr spricht, sei der Gärtner, der für diesen Garten (vgl. 19,41) zuständig ist. Sie geht davon aus, dass er weiß, worum es geht. Deshalb sagt sie zu ihm: Herr, wenn du ihn fortgetragen hast, sage mir, wo du ihn hingelegt hast, und ich will ihn holen. Hier ist Herr natürlich nur höfliche Floskel. Aber die Leser und Leserinnen, die wissen, dass es nicht der Gärtner ist, mit dem sie spricht, dürfen sich freuen mitzuerleben, wie Maria »ihren Herrn«, den sie sucht, unbewusst so anredet. Sie spüren auch die Ironie, die darin liegt, dass Maria Jesus bittet, ihr zu sagen, wo er seinen toten Körper hingelegt hat, damit sie ihn holen und sicher begraben kann! Aber anstelle einer Antwort sagt Jesus nur ein Wort (11 6): Maria! Die Gestalt Jesu hatte sie in der Morgendämmerung nicht erkannt; aber als er sie bei ihrem Namen rief, wusste sie sofort, wer zu ihr sprach. Schnell wandte sie sich um und sagt zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni. Wie in 1,38 die Anrede Rabbi, die die gleiche Bedeutung hat, übersetzt der Evangelist das aramäische Wort für seine Leser
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und Leserinnen. Es heißt: (Mein) Lehrer. Das ist kein steiles christologisches Bekenntnis, aber Ausdruck dankbaren Wiedererkennens. An dieser Stelle trifft die Übersetzung Luthers mit Meister die Mischung von tiefem Respekt und großer Nähe sehr schön. Jesus, der ihr den Weg zum Leben gezeigt hat, ist wieder da! Aber das bedeutet nicht einfach die Rückkehr in die Art und Weise der Gemeinschaft mit ihm wie vor seinem Tod am Kreuz. Wenn in ihrer Hinwendung zu Jesus der Impuls gelegen haben sollte, ihm zu Füßen zu fallen und seine Füße zu umfassen (vgl. 11,32; Mt 28,9), dann wird sie durch Jesu Aufforderung: Halte mich nicht fest daran gehindert (1 1 7). Die geläufige wörtliche Übersetzung dieses Satzes: Rühre mich nicht an trifft den Sinn an unserer Stelle nicht. Sie stünde auch im Widerspruch zur Aufforderung Jesu an Thomas, seine Hand in die Wunde in seiner Seite zu legen (20,27; vgl. auch Mt 28,9). Es geht darum, den Jesus der irdisch gelebten Gemeinschaft nicht mehr festhalten zu wollen, sondern ihn loszulassen und frei zu werden für eine ganz neue Art der Begegnung und der Gemeinschaft mit ihm. Das signalisiert die Begründung dieser Aufforderung: denn ich bin noch nicht zum Vater aufgestiegen. Diese Aussage macht Schwierigkeiten. Bisher war der Eindruck entstanden, Jesu Erhöhung am Kreuz sei zugleich sein Weg zum Vater (vgl. 3,14; 13,1.3; 14,28; 16,5.17.28). War hier an eine Art Zwischenzustand gedacht, in dem Jesus bis zu seiner Himmelfahrt quasi zwischen Erde und Himmel lebte? Doch von ihr berichtet Johannes nichts. Jesu Wort deutet an, wie der Auferstandene seinen Jüngern und Jüngerinnen begegnet: noch mit irdischen Sinnen erfahrbar und doch schon ganz auf die neue Dimension der Existenz in der völligen Gemeinschaft mit Gott ausgerichtet. Dass dies gemeint ist, zeigt der Auftrag, den Maria erhält: Gehe aber zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Diese Formulierung ist außerordentlich bemerkenswert. Es ist das erste Mal, dass Jesus die Jünger seine Brüder bzw. seine Geschwister nennt. Es ist auch das erste Mal, dass er in einem Atemzug von meinem Vater und eurem Vater und von meinem Gott und eurem Gott spricht und damit seine Jünger und Jüngerinnen in seine Gemeinschaft mit Gott einschließt. »Erst jetzt, nachdem Jesus das ihm aufgetragene Werk sterbend erfüllt hat, sind seine Freunde zu seinen Brüdern geworden« (Thyen, 764). »Dies bedeutet, dass die Jünger durch den Gesandten, der seinen Weg vollendet hat, nun Zugang zu dem durch Jesus geoffenbarten Gott haben. Die Offenbarung hat ihr Ziel erreicht: Der Gott der Liebe ist für die Jünger Wirklichkeit geworden« (Zumstein, 755).
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1 8). Es klingt wie ein feierliches Maria erfüllt diesen Auftrag (1 Schlusskommuniqué, wenn der Evangelist feststellt: Maria aus Magdala kommt zu den Jüngern und verkündet ihnen: Ich habe den Herrn gesehen! So sprechen Auferstehungszeugen (vgl. V. 25). »Habe ich nicht Jesus, unsern Herrn gesehen?« fragt auch Paulus in 1Kor 9,1 und beansprucht damit, als Träger des grundlegenden Auferstehungszeugnisses und Apostel anerkannt zu werden. Eine solch apostolische Funktion kommt auch Maria aus Magdala zu. Merkwürdig ist, dass der Evangelist das, was sie darüber hinaus im Auftrag Jesu zu sagen hat, seltsam nachklappend in indirekter Rede referiert; Maria verkündete den andern Jüngern, er habe ihr dies gesagt. Die Osterbotschaft braucht Erläuterung und Auslegung. Das, was Maria aufgetragen war, war Erklärung dessen, was an Ostern geschehen und was Inhalt des Osterevangeliums ist. Durch Jesu Tod und Auferstehung ist eine neue Gemeinschaft mit Gott begründet. Der äußerliche Abschied von Jesus und seinem irdischen Wirken wird zur Tür für ein ganz neues, intensiveres Miteinander mit ihm und mit Gott und dadurch auch untereinander in der Gemeinde Jesu. Aber – und das könnte der stilistische Bruch andeuten – das eine ist Auslegung, das andere die Grundlegung. Maria aus Magdala ist die erste Osterzeugin. Dabei hat sie zunächst gar nichts gesehen, nicht einmal die Leichentücher im leeren Grab – im Unterschied zu Petrus und dem Lieblingsjünger. Es war der Anruf Jesu, der ihr die Augen öffnete. Weil Jesus sie beim Namen rief, konnte sie als Erste bezeugen: Ich habe den Herrn gesehen! Warum sie in 1Kor 15,3–5 in der Liste derer, denen Jesus als der Auferstandene erschienen ist, fehlt, ist eine schwierige Frage. Möglicherweise, weil Frauen nicht als rechtsfähige Zeuginnen galten, vielleicht aber auch, weil es in der Urchristenheit für diese Erfahrungen unterschiedliche Traditionswege und -kreise gab. Nur der spätere Markusschluss (16, 9) erwähnt als erste Erscheinung des Auferstandenen seine Begegnung mit Maria aus Magdala. Maria wird aber auch zur Zeugin dafür, dass im Abschied ein neuer Anfang liegt. Voraussetzung für eine neue Gemeinschaft mit Jesus ist der Abschied von dem, wie er irdisch mit seinen Jüngern und Jüngerinnen gelebt hat. Aus Schülern und Schülerinnen werden dann Brüder und Schwestern Jesu. Wo Jesus bisher exklusiv von meinem Vater sprach, spricht er nun von meinem und eurem Vater, von meinem und eurem Gott – eine neue Gemeinschaft ist begründet. Immer wieder hatte Jesus in den Abschiedsreden gesagt, dass es gut sei, wenn er weggehe, weil das für die, die zu ihm gehören, einen neuen Horizont für die Gemeinschaft mit Gott, mit ihm und untereinander eröffne. Das erfüllt sich jetzt.
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Eine Beobachtung muss noch genannt werden: Im Griechischen können die Pluralformen für Brüder und Jünger immer auch Männer und Frauen bezeichnen Und doch scheint merkwürdig unklar, ob und wie Maria aus Magdala zu diesem Kreis gehört. Aber sie ist ja nur die letzte und bedeutendste einer Reihe von Frauen, an denen im Johannesevangelium deutlich wird, dass Frauen in gleicher Weise wie Männer gültig und wirksam bezeugen können, was Gott durch Jesus für Menschen tun. Das beginnt – freilich noch sehr zurückhaltend – mit der Mutter Jesu bei der Hochzeit zu Kana (2,5), zeigt sich in eindrücklicher Weise an der Frau am Jakobsbrunnen (4,29), wird noch prägnanter im Bekenntnis der Marta (11,27) und findet seinen Höhepunkt in dem Zeugnis der Maria aus Magdala. Es bleibt ein Rätsel, warum die spätere Kirche so lange und teilweise bis heute nicht bereit war, sich für den Zeugendienst der Frauen zu öffnen. 20,19–29 Die Gegenwart des Gekreuzigten 20,19–23 Die Begegnung Jesu mit seinen Jüngern 19
Als es nun Abend geworden war an jenem Tag, dem ersten der Woche, und obwohl dort, wo die Jünger sich aufhielten, die Türen aus Furcht vor den Juden verschlossen waren, kam Jesus und trat in die Mitte und sagt zu ihnen: Friede (sei) mit euch! 20Und als er dies gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und die Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. 21Da sagte Jesus noch einmal zu ihnen: Friede (sei) mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich auch euch. 22Und als er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagt zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! 23Welchen immer ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen, welchen immer ihr (sie) festhaltet, (für die) sind sie festgehalten. Die Erzählung geht weiter. Die nächste Szene spielt noch am gleichen Tag, am Abend des ersten Tages der Woche (1 1 9). Die Jünger sind beieinander, und die Leser und Leserinnen dürften darin auch eine Anspielung darauf gesehen haben, dass die urchristlichen Gemeinden am Abend des ersten Tages der Woche zum Gottesdienst zusammenkamen (vgl. Apg 20,7; 1Kor 16,2; Did 14,1). Sie konnten sich also gut mit den versammelten Jüngern identifizieren. Denn die Gruppe wird nicht auf die Zwölf begrenzt, und Johannes spricht auch nie nur von den Aposteln. Das griechische Wort für Jünger schließt auch Frauen mit ein; es waren also wohl Jünger und Jüngerinnen, die hier beieinander waren.
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Allerdings hatten die Versammelten die Türen verschlossen, und zwar aus Furcht vor den Juden. Einmal mehr sind hier mit Juden die jüdischen Behörden in Jerusalem gemeint, denn die Anwesenden waren ja auch alle Juden. Ob die Botschaft Marias aus Magdala einen Eindruck auf sie gemacht hat, wird nicht erzählt. Furcht und Unsicherheit beherrscht weiter die Gemüter. Obwohl sie versuchen, sich von der Welt abzuschließen, gilt, was Jesus in den Abschiedsreden gesagt hat: »In der Welt habt ihr Bedrängnis (LÜ: Angst)« (16,33). Aber Jesus kommt, wie er es versprochen hat (vgl. 14,3.28; 16,22), und zeigt den Jüngern, dass er die Welt besiegt hat. Dass die Türen verschlossen sind, ist kein Hindernis für ihn. Er lebt in einer neuen Existenzweise und kann in die Verschlossenheit ihrer Angst eintreten und mitten unter ihnen sein. Der Auferstandene grüßt sie mit dem Friedensgruß: Friede sei mit euch! Friede, Schalom, das ist der traditionelle semitische Gruß, mit dem man sich in Israel grüßte (Ri 19,20; 1Sam 25,6 u.ö.; vgl. auch Mt 10,13) oder Briefe begann (Esr 5,7; Dan 3,31; vgl. Röm 1,7). Auch Gott redet Menschen so an (Ri 6,23). Im Mund des Auferstandenen liegt darin aber mehr als nur der Wunsch, es möge den Begrüßten gut gehen. Jesus nimmt damit seine Zusage von 14,27 auf: »Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch … Euer Herz soll nicht erschrecken und nicht verzagt sein«. Die Gegenwart des Auferstandenen schenkt den Jüngern Geborgenheit und Kraft für ihr gemeinsames Leben. Das befreit sie von Angst und Mutlosigkeit und befähigt sie zu kreativem Handeln in dieser Welt. Um jeden Zweifel daran zu beseitigen, wer zu ihnen spricht, zeigte er ihnen die Hände und die Seite (2 2 0). Wie die parallele Stelle in der Thomasgeschichte in V. 25 zeigen wird, lässt er sie damit die Wunden sehen, die die Nägel bei der Kreuzigung und der Lanzenstich nach seinem Tod verursacht haben. Jesu Wunden sind die unveränderlichen Kennzeichen seiner Identität geworden. Der Auferstandene ist der Gekreuzigte (vgl. Mk 16,6; Lk 24,40). Jesu Auferstehung und Erhöhung löschen die Malzeichen des Leidens an ihm nicht aus. »Er ist kein heiler Siegertyp, sondern bleibend als Verwundeter gekennzeichnet« (Wengst II, 310; vgl. das Bild des kommenden Retters als »Lamm, das geschlachtet ist« in Offb 5,6.12). Der Blick auf den Auferstandenen überwindet Trauer und Angst der Jünger: Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. Damit geht in Erfüllung, was Jesus den Jüngern bei seinem Abschied von ihnen versprochen hat: »Eure Trauer wird zur Freude werden … (denn) ich werde euch wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen« (16,20.22). Bemerkenswert ist, dass in den nachösterlichen Texten – anders als im Evangelium selbst – von Jesus als
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dem Herrn geredet wird. Es ist der gekreuzigte Jesus, der ihnen begegnet. Aber sie sahen ihn so, »dass sie ihn als Herrn erkannten. Wo in verstellter und niederschmetternder Situation gerade der Gekreuzigte, das Opfer brutaler Gewalt, doch als Herr erkannt und bekannt wird …, da bricht sich mitten in Klage und Trauer doch auch schon Freude Bahn« (Wengst II, 311). Noch einmal spricht Jesus die Jünger an und sagt: Friede (sei) mit euch (22 1). Die Wiederholung signalisiert: Der Friede, den Jesus schenkt, ist mehr als der persönliche Seelenfriede einiger Vertrauter, und die Freude, die er entzündet, mehr als die Herzensfreude, die ihr Inneres erwärmt. Der Friede Jesu ist schöpferische Kraft, die in eine friedlose Welt hineinwirkt. Darum bedeutet die Begegnung mit Jesus immer auch Sendung. Die Worte, mit denen der Auferstandene seine Jünger sendet, sind von überwältigender Kühnheit: Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich auch euch. Die Sendung des Sohnes ist das zentrale Thema des Johannesevangeliums. Sie ist Ausdruck der Liebe Gottes. Er hat diese Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn in sie hineingab, um den Menschen Gottes rettende Liebe nahezubringen. Jesu Sendung hat mit Kreuz und Auferstehung ihr Ziel erreicht. Aber Gottes Werk mit dieser Welt ist noch nicht zu Ende. Wie der Sohn den Menschen Gott und die Wahrheit seiner Liebe nahegebracht hat, so sind nun Jesu Jünger und Jüngerinnen beauftragt, diese Liebe in eine lieblose Welt hineinzutragen. Vorausschauend hatte Jesus im hohepriesterlichen Gebet dieses Ziel ihrer Sendung schon klar genannt: »Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt« (17,18). Dabei ist wichtig, dass Johannes keine herausgehobene Gruppe unter den Jüngern nennt, die diesen Auftrag und die damit verbundene Vollmacht erhalten. Weder begrenzt er sie auf die Zwölf noch auf einen Kreis ausgewählter Apostel. Alle Jünger und Jüngerinnen sind angesprochen und damit alle, die zur Gemeinde Jesu gehören werden. Alle sind gesandt, und in diesem Sinne sind alle Apostel, d.h. Gesandte. Wer gesandt ist, braucht eine entsprechende »Ausrüstung«, die ihn oder sie befähigt, diesen Auftrag zu erfüllen. Dafür gibt Jesus seinen Jüngern den Heiligen Geist (22 2). Dass Jesus den Seinen Gottes Geist geben wird, ist im Evangelium an mehreren Stellen angekündigt worden: durch den Täufer in 1,33, durch Jesu Einladung am Laubhüttenfest in 7,38f und vor allem durch die Verheißung des Beistands bzw. Parakleten in den Abschiedsreden in 14,17.26; 15, 26; 16,7–11.13. Dort werden die verschiedenen Funktionen, durch die der Geist die künftige Gemeinde zu ihrer Sendung befähigen und ihr beistehen wird, entfaltet.
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Eine eindrückliche Symbolik veranschaulicht die Geistbegabung der Jünger: Jesus hauchte sie an. Diese Geste erinnert an den zweiten Schöpfungsbericht. Dort wird bei der Erschaffung des Menschen erzählt: Gott »hauchte in seine Nase Atem des Lebens« (Gen 2,7 REB). Der Hauch Jesu schenkt seinen Jüngern den Atem neuen Lebens, die »Inspiration«, die sie brauchen, um seinen Auftrag zu erfüllen. Doch zu der sprechenden Handlung tritt das wirkende Wort: Empfangt den Heiligen Geist! Indem Jesus das ausspricht, geschieht, was er sagt: Gottes Geist, die Weise, in der Gott sich in dieser Welt vergegenwärtigt und in den Menschen wirkt, wird Teil ihres innersten Wesens, das sie erfüllt und leitet. Dass Gott seinen Geist auf besonders Beauftragte ausgießt, wird schon im Alten Testament berichtet (vgl. Num 11,24–29; Jes 11,2; 42,1; 61,1). Vor allem aber wird immer wieder die Hoffnung ausgesprochen, dass zu Gottes Heilshandeln in der Zukunft auch die Ausgießung des Geistes über das ganze Volk gehört, vgl. Jes 32,15; 44,3; Ez 11,19; 36,26f (der Geist wird ins Herz gegeben); 39,29; Joel 3,1–5. Im Neuen Testament wird diese Verheißung vor allem in Apg 2,1–34 aufgenommen und ihre Erfüllung geschildert. Doch bleibt dieses Wunder kein einmaliges Ereignis, sondern erfüllt sich immer wieder neu in der Mission der Kirche (vgl. Apg 8,15–17; 10,44; 19,6). Für Paulus empfangen Menschen den Geist Gottes dort, wo die Verkündigung des Glaubens ihr Herz trifft (Gal 3,2–5; 4,6; Röm 5,5; 8,15f; vgl. auch Tit 3,5f). Die Vorstellung, dass die Jünger schon an Ostern in der Begegnung mit dem Auferstandenen den Geist empfangen haben, ist singulär im Neuen Testament und lässt sich historisch nicht mit den lukanischen Angaben vereinbaren (vgl. Lk 24,49; Apg 1,8. Joh 20,22 kann auch nicht als vorläufige Ausrüstung der Amtsträger mit dem Geist verstanden werden, wie manche meinen, um beide Darstellungen doch zu harmonisieren). Sachlich aber besteht Übereinstimmung darin, dass die Geistbegabung eng mit dem Ostergeschehen verbunden ist (Apg 2,32f; vgl. Röm 8,11: Der Geist ist »der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat«). Sachlich stimmen Lukas und Johannes auch darin überein, dass der Geist die Kirche für ihre Mission befähigt und bevollmächtigt. Die Hoffnung auf Reinigung und Vergebung der Sünden durch das Wirken des Geistes ist in der biblischen Tradition fest verankert (Ps 51,3–14; Ez 36,25–27) und wurde auch in der Gemeinde von Qumran aufgenommen (1QS 3,6–8; 4,21). Nach 1Kor 6,11 ist diese Hoffnung in der christlichen Gemeinde erfüllt. Dass der Geist dazu bevollmächtigt, die Sünden anderer zu vergeben oder die Vergebung zu verweigern, ist aber eine ganz singuläre Vorstellung.
Die Begabung der Jünger mit dem Heiligen Geist ist nicht Selbstzweck und soll nicht einfach ihrem seelischen Wohlbefinden dienen. Sie bevollmächtigt sie für ihren Auftrag (2 2 3): Welchen immer ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen, welchen immer ihr
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(sie) festhaltet, (für die) sind sie festgehalten. Die Zuspitzung von Sendung und Auftrag der Jünger auf die Vollmacht, Sünden zu vergeben, überrascht. Von Sündenvergebung war bisher im Johannesevangelium nicht die Rede, auch nicht bei der Verheißung des Geistes als Beistand. Dagegen ist sie ein wichtiges Thema im 1. Johannesbrief (1,7–10; 2,1f.12; 3,5; 5,16f). Nachdem Jesus sein Leben für die Menschen gegeben hat (vgl. 3,16; 6,51; 10,11.15.17f; 11,50–52; 12,24; 15,13), ist die Aussage Johannes des Täufers, Jesus sei »das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegträgt« (1,29), erfüllt. Jetzt werden die Jünger beauftragt und bevollmächtigt, die »Frucht« seines Todes (12,24) anderen weiterzugeben. Die Formulierung erinnert in vielem an die Vollmacht, die in Mt 16,19 zunächst Petrus und dann in Mt 18,18 der ganzen Gemeinschaft der Jünger verliehen wird: »Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein.« In dem Wort an Petrus bedeuten binden und lösen die Vollmacht zu verbindlichem Lehren. Dagegen legt der Zusammenhang von 18,18 nahe, dass dort wie hier die Bevollmächtigung zum Zuspruch der Vergebung der Sünden in der Gemeinde gemeint ist. Dass im Plural von Sünden gesprochen wird, ist für das Johannesevangelium ungewöhnlich (vgl. den Singular in 1,29; 8,34; 16,8f; Plural nur in 8,24). Das lässt erstens vermuten, dass die Formulierung traditionell ist (vgl. 1Kor 15,3), und zweitens, dass es hier nicht um die »Grundsünde« des Unglaubens geht (16,8f), sondern um die vielfachen Verfehlungen im Alltag des Miteinanders einer Gemeinde. Auch davon spricht vor allem der 1. Johannesbrief. Solche Verfehlungen widersprechen einerseits grundsätzlich einem Leben, das von Gottes Liebe erfüllt ist (1Joh 3,4–6.9; 5,18), dürfen aber andererseits auch nicht geleugnet werden (1Joh 1,8–10). Menschen in ihrer Gewissensnot das befreiende »dir sind deine Sünden vergeben« zusprechen zu dürfen, das ist die Vollmacht, die der Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen mit der Gabe des Geistes gegeben ist. Die negative Entsprechung, jemand die Sünden zu behalten, klingt zunächst befremdlich. Warum muss auch diese Vollmacht genannt werden? Leider ist der Maßstab nicht genannt, nach dem diese Entscheidung fällt. Das könnte verhindern, dass sie zum Werkzeug klerikaler Machtausübung wird. Wichtig ist: Es geht nicht um eine Aktion gegen jemand, um keinen Bann oder gar Fluch. Es geht um die Vollmacht, etwas nicht zu tun, das heißt: jemand auch einmal die Last seiner Sünde nicht abzunehmen, Vergebung zu verweigern (EÜ; GNB). Mt 18,21–35 gibt ein Beispiel dafür, wann das geschehen muss: Wenn jemand nicht bereit ist zu vergeben, kann ihm
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oder ihr auch nicht die Vergebung Gottes zugesprochen werden! Doch liegt darauf nicht der Ton. Die negative Abgrenzung soll den Ernst des positiven Handelns deutlich machen. »Intendiert ist das Vergeben; das Behalten ist das Ergebnis verweigerter Versöhnung« (Wengst II, 313). Dies ist die erste und entscheidende Begegnung der Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen mit dem auferstandenen Christus. Aber die Art der Erzählung macht klar: Hier geht es nicht nur um das Erlebnis einer Handvoll Männer und Frauen im Jahr 30 n.Chr., sondern um eine Erfahrung, die für diese Gemeinschaft auch in späteren Zeiten prägend sein wird. Drei Aspekte des Berichtes sind wichtig: 1. Die Begegnung mit dem Auferstandenen schenkt Frieden: Geborgenheit in der durch ihn begründeten Gemeinschaft mit Gott, schöpferische Kraft für das Leben mit anderen und Freude darüber, dass Gottes Liebe stärker ist als der Tod. 2. Der Auferstandene ist der Gekreuzigte. Seine Wundmale sind nicht nur äußere Erkennungszeichen, durch die er identifiziert werden kann. Sie weisen auch auf die unveränderlichen Kennzeichen seiner Existenz: Durch sein Wirken und Sterben hat er die Liebe Gottes inmitten einer von Egoismus und Hass erfüllten Welt gelebt und das Leid, das dadurch verursacht wird, auf sich genommen. Das wird durch Ostern nicht überholt, sondern bestätigt. »Der christliche Osterglaube ist also keine illusorische Erhebung über das Leiden der Welt. Doch gewährt er mitten im unbegreiflichen, sinnlosen Leid der Welt die Hoffnung auf Überwindung dieses Leids« (Blank III, 177). 3. Die Begegnung mit dem Auferstandenen setzt nicht zur Ruhe, sondern in Bewegung. Drei Merkmale dessen, was dadurch angestoßen wird, nennt die Erzählung: a) Aus dieser Bewegung erwachsen Sendung und Auftrag der Gemeinde Jesu. Was in den anderen Evangelien schon bei der Erstberufung in die Jüngerschaft genannt wird (Mk 1,17; Mt 4,19; Lk 5,10), wird bei Johannes in der Begegnung mit dem Auferstandenen ausgesprochen: Zu Jesus zu gehören bedeutet, mit ihm zu den Menschen unterwegs zu sein. Bei Johannes wird diese Aussage im Blick auf die nachösterliche Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen präzisiert. Ihre Sendung setzt seine Mission fort. Wie er Gottes Liebe den Menschen vergegenwärtigt hat, so soll das auch durch ihr Miteinander und ihr Leben für andere geschehen! b) Zur Sendung aber gehört die Begabung und Befähigung der Gesandten durch den Heiligen Geist. Jesu Mission weiterzuführen kann nicht durch den Einsatz eigener Kräfte und Begabungen gelingen. Das ist nur möglich durch die Gegenwart des Heiligen Geists. Seine
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Aufgabe ist aber weniger die Begeisterung derer, die ihn empfangen – das Verständnis vom Wirken des Geistes Gottes bei Johannes ist absolut unenthusiastisch –, sondern die Ausrüstung der Begabten für ihren Dienst. c) Die Aufgabenbeschreibung und die Bevollmächtigung konzentrieren sich – vielleicht beispielhaft – auf die Vollmacht, die Sünden zu vergeben oder – wo nötig – auch jemand bei dem zu behaften, was unbereinigt und unversöhnt auf dem Leben lastet. Es ist also eine seelsorgerliche Aufgabe, die im Zentrum steht. Dazu ist Geistesgegenwart nötig. Offen ist die Frage, wie weit diese Beauftragung auch eine missionarische Dimension hat. Ist damit auch die Vollmacht verbunden, durch die Verkündigung der Botschaft Jesu Menschen aus der »Ursünde« ihres Lebens zu holen, d.h. der »Lebensunwahrheit« des Unglaubens, die ihr Leben beherrscht (vgl. 8,34; 16,8f; Dietzfelbinger II, 340)? Dann wäre die Kehrseite davon die Freiheit, zu akzeptieren und stehen zu lassen, dass es Menschen gibt, die sich der rettenden Wirklichkeit Gottes, die in der Botschaft Jesu begegnet, verweigern. Behalten der Sünde hieße dann: Wer sein durch Christus geschenktes »Bejahtsein durch Gott verneint oder es durch eine eigenmächtige Selbstbejahung ersetzt, verfällt seinem zerstörerischen Selbstwiderspruch« (ebd., 340). Die Bedeutung dieser ersten Begegnung des Auferstandenen mit seinen Jüngern könnte man ganz knapp so charakterisieren: Der, der von sich sagt: »Ich bin das Licht der Welt« (8,12), nimmt seine Jünger und Jüngerinnen in die Wirklichkeit seiner Sendung hinein. Nun gilt für sie, was Jesus in der Bergpredigt sagt: »Ihr seid das Licht der Welt« (Mt 5,14). 20,24–29 Die Begegnung Jesu mit Thomas 24
Thomas aber, einer der Zwölf, genannt Zwilling, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25Da sagten die anderen Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sagte ihnen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel in seinen Händen sehe und meinen Finger in das Mal der Nägel lege und meine Hand in seine Seite lege, glaube ich bestimmt nicht. 26Und nach acht Tagen waren seine Jünger wieder drinnen und Thomas bei ihnen. Jesus kommt, obwohl die Türen verschlossen waren, und trat in ihre Mitte und sagte: Friede (sei) mit euch! 27Danach sagt er zu Thomas: Lege deinen Finger hierher und sieh meine Hände und nimm deine Hand und lege sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig. 28Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29Jesus sagt zu ihm:
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Weil du mich gesehen hast, glaubst du; glücklich, die nicht sehen und (doch) glauben. War die erste Begegnung des Auferstandenen mit Maria aus Magdala von sehr persönlicher, ja intimer Natur, so trug die zweite Begegnung mit der ganzen Gruppe der Jünger und Jüngerinnen einen sehr viel allgemeineren und grundsätzlicheren Charakter. Die dritte Begegnung dagegen gilt wieder einem Einzelnen und geht auf sein ganz persönliches Problem ein. Einer fehlte, als Jesus am Abend des ersten Tages den anderen Jüngern erschien. Es war sogar einer der Zwölf, Thomas, genannt Zwilling (22 4). Thomas wurde schon in 11,16; 14,5 erwähnt und wird noch einmal in 21,2 genannt werden. Johannes stellt ihn fast immer mit dem Beinamen Zwilling vor, der Übersetzung des aramäischen Namens ins Griechische. Er wird in allen Listen der Zwölf genannt (Mt 10,3; Mk 3,18; Lk 6,15; Apg 1,13), kommt aber außerhalb des Johannesevangeliums nie im Zusammenhang einer einzelnen Erzählung vor. Im 2. Jahrhundert entstand unter seinem Namen ein gnostisches Spruchevangelium, das sog. Thomasevangelium. Die Zwölf spielen bei Johannes so gut wie keine Rolle; sie kommen außer an unserer Stelle nur in 6,67.70f vor.
Ein Grund für sein Fehlen wird nicht genannt. Als er aber bei den anderen eintrifft, rufen sie ihm voll Freude zu (22 5): Wir haben den Herrn gesehen. Das Zeugnis der Maria aus Magdala (V. 18) ist zum Bekenntnis der ganzen Gruppe geworden (vgl. auch Lk 24,33f). Aber Thomas hat Zweifel. Er will seinen Glauben nicht aufs Hörensagen bauen. Er sagt zu den anderen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel in seinen Händen sehe und meinen Finger in das Mal der Nägel lege und meine Hand in seine Seite lege, glaube ich bestimmt nicht. Was er als Bedingung nennt, kann auf zwei Ebenen verstanden werden: Einerseits scheint er einen untrüglichen Beweis für die physische Fortexistenz Jesu zu verlangen; andererseits signalisieren seine konkreten Angaben, dass er an einen auferstandenen Jesus nur glauben kann, wenn er sich mit dem gekreuzigten identisch erweist. Von einer Reaktion der anderen Jünger wird nichts erzählt. Aber nach acht Tagen waren die Jünger wieder in diesem Raum versammelt (2 2 6), und diesmal war Thomas bei ihnen. Und es geschieht dasselbe wie eine Woche zuvor: Jesus kommt, obwohl die Türen verschlossen waren, und trat in ihre Mitte und sagte: Friede (sei) mit euch! Dann aber spricht er Thomas direkt an, und – als hätte er alles gehört, was dieser zu den anderen Jüngern gesagt hat – sagt zu ihm (22 7): Lege deinen Finger hierher und sieh meine Hände und
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nimm deine Hand und lege sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Der Auferstandene geht auf die Bedingungen des Zweiflers ein. Er bietet ihm an, sich durch einen empirischen Beweis von der physischen Realität seiner Existenz zu überzeugen. Zugleich aber macht er mit seinem Angebot deutlich: Ich, der ich dir jetzt begegne, bin kein anderer als der, der für dich am Kreuz gestorben ist. Deshalb: sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Die Einladung, sich von der Realität seiner Gegenwart zu überzeugen, ist in Wirklichkeit eine Einladung, sich Jesus glaubend anzuvertrauen. Thomas ist überwältigt (2 2 8). Er denkt nicht daran, das zu tun, was er gefordert und Jesus ihm angeboten hat. Dass er den Gekreuzigten sieht und dieser zu ihm spricht, ist genug. Er kann nur noch stammeln: Mein Herr und mein Gott! Sein Bekenntnis wird zum Höhepunkt des ganzen Evangeliums. »Mein Gott und Herr!« so spricht der Beter in Ps 35,23 zu seinem Gott. Thomas spürt: In dem auferstandenen Jesus, der noch die Wundmale des Todes am Kreuz an sich trägt, ist Gott gegenwärtig. Stand am Anfang des irdischen Wegs Jesu das Bekenntnis des Nathanael: »Du bist Gottes Sohn, der König Israels« (1,49), so an seinem Ende das Bekenntnis des Thomas. Es war auch das Bekenntnis der johanneischen Gemeinde. Für die ersten Leser und Leserinnen des Evangeliums lag in ihm auch politische Brisanz, denn Kaiser Domitian, der von 81 – 96 n.Chr. regierte, verlangte, dass er mit »Unser Herr und Gott« angeredet wurde! Das war Ausdruck seines übersteigerten Machtanspruchs. Wenn Christen das Bekenntnis des Thomas: Mein Herr und Gott nachsprachen, stellten sie sich gegen den totalitären Anspruch, der im Kaiserkult lag. Diese Auseinandersetzung wird in der Offenbarung des Johannes in aller Härte beschrieben werden. Leider ist im griechischen Text nicht sicher festzustellen, welchen Akzent die Antwort Jesu hat (2 2 9). Ist es eine (tadelnde) Frage: Weil du gesehen hast, glaubst du? der dann als Korrektur die Seligpreisung derer folgt, die nicht sehen und doch glauben (so LÜ2017)? Oder ist es eine (eher bestätigende) Feststellung: Weil du gesehen hast, glaubst du, der dann als Weiterführung und Überbietung die Seligpreisung folgt (EÜ, REB, ZB und viele Ausleger). Für das Zweite spricht, dass die Verben im Perfekt stehen (wörtlich: hast du geglaubt), womit im Griechischen ein Vorgang beschrieben wird, der in der Vergangenheit begann, aber auch in der Gegenwart gültig bleibt; deshalb im Deutschen das Präsens: glaubst du. Jesus kritisiert also nicht nachträglich, was er Thomas gewährt hat. Dass die ersten Osterzeugen den Herrn gesehen haben, ist für den Evangelisten die Grundlage des Osterglaubens. Und doch ist wah-
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rer Glaube nicht auf solches Sehen angewiesen. Für alle späteren Generationen, die durch das Zeugnis früherer Zeugen zum Glauben kommen, gilt Jesu Seligpreisung: glücklich, die nicht sehen und (doch) glauben. Der Glaube der Späteren ist nicht nur Glaube aus zweiter Hand oder vom Hörensagen. Sie können zwar die Wundmale Jesu nicht sehen oder gar betasten. Aber dass der Gekreuzigte als der Auferstandene verkündigt werden wird, gibt ihrem Glauben das Fundament, das ihn trägt. Die Geschichte von der Begegnung Jesu mit Thomas gehört sicher zu den faszinierendsten Szenen des Johannesevangeliums. Unzählige Zweifler haben sich mit Thomas identifiziert und Verständnis und Ermutigung darin gefunden, dass Jesus auf seine Fragen eingeht. Freilich hat die Massivität, mit der die Geschichte vorauszusetzen scheint, dass ein empirischer Nachweis der Auferstehungswirklichkeit möglich wäre, andere auch wieder abgeschreckt. Doch zeigt die Tatsache, dass dieser Beweis nicht angetreten wird, wie sehr Jesu Angebot an Thomas von vorneherein auf ein sehr viel tieferes Verständnis der Auferstehungswirklichkeit zielt. Den Finger in Jesu Nägelmale und die Hand in seine Seitenwunde zu legen heißt dann, zu begreifen und zu verstehen, dass Gott den Weg des Gekreuzigten bestätigt und der Liebe, die er gelebt hat, zum Sieg verholfen hat. Das schafft Glauben. Das aber gelingt nicht aufgrund eigener intellektueller oder spiritueller Anstrengung, sondern dadurch, dass der Gekreuzigte und Auferstandene dem Fragenden im Wort der Botschaft entgegenkommt und sich ihm durch die Kraft seiner gelebten Liebe beweist. So schenkt er auch denen Glauben und Ein-Sicht, die ihn nicht mehr mit ihren leiblichen Augen sehen können. Das Bekenntnis des Thomas: Mein Herr und mein Gott! wird damit zum krönenden Schlusswort des Evangeliums. Schon im ersten Satz des Buchs wurde erklärt, dass das WORT, das in Jesus von Nazareth ganz und gar Mensch geworden ist, Gott von Art war (1,1). Jesus selbst sagt von sich: »Wer mich sieht, sieht den Vater« (14,7). Jetzt, nach Jesu Tod am Kreuz und aus der Erfahrung heraus, dass der Gekreuzigte lebt, bekennt ein Mensch: In Jesus begegnet mir Gott, er ist mein Herr und mein Gott. Damit wird Jesus nicht als zweiter Gott neben den einen Gott Israels und Schöpfer der Welt gestellt. Für Johannes ist Jesus »Gott in dem Maße, in dem er ihn unter den Menschen repräsentiert und offenbart; er ist es in dem Maße, in dem er das einzige Gesicht Gottes ist, das die Menschen erkennen können« (Zumstein, 766). Dass das 4. Evangelium dennoch so selten »vom Gottsein Jesu spricht, zeigt an, daß das Gottesprädikat für den Evangelisten ein äußerstes Wagnis ist, das an den Rand dessen führt, was man sagen kann«. Und doch
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gilt: »Jesus ist für das Johannesevangelium in so vollendeter Weise Träger göttlichen Willens und Wirkens, daß in ihm, an dessen Menschsein kein Zweifel ist, Gott in uneingeschränkter Wirklichkeit erscheint« (Dietzfelbinger II, 345). Blicken wir zurück auf diesen ersten Kranz von Ostergeschichten, dann können wir feststellen: Sie handeln alle von der Entstehung des Osterglaubens – auch wenn das Stichwort glauben nur in der ersten und letzten vorkommt. Und alle zeigen, dass die Wirklichkeit der Auferweckung Jesu nicht Glauben fordert, sondern Glauben schafft und begründet. Wie das geschieht und was das bedeutet, wird unter ganz unterschiedlicher Perspektive aufgezeigt. Am rätselhaftesten ist zweifellos die Glaubensgeschichte des Lieblingsjüngers in 20,3–10. Zu sagen, ihm habe es genügt zu sehen, dass das Grab leer war, um zum Glauben zu finden, wäre zu einfach. Das sahen auch Maria und Petrus. Was er »sah« (V. 8), wird nicht gesagt. So bleibt offen: Sah er plötzlich, worauf das Arrangements der Leichentücher schließen ließ, oder war es gerade die Einsicht, dass hier für menschliche Augen nichts zu sehen war, die ihm das Geheimnis der Auferweckung aufschloss und ihn zum Glauben führte? Geheimnisvoll ist auch die Begegnung von Maria aus Magdala mit dem Auferstandenen. Warum sagt er zu ihr: Rühre mich nicht an bzw.: Halte mich nicht fest? Welche Dimension der Osterwirklichkeit kann nicht angerührt oder nicht festgehalten werden? Berührend und unmittelbar verständlich aber ist, wie Maria den Auferstandenen in dem Augenblick erkennt, in dem er ihren Namen nennt. Hier wird die persönliche Dimension des Ostergeschehens sichtbar: Von Jesus angesprochen zu werden, das begründet den Glauben, dass er lebt. Dagegen steht die dritte Ostergeschichte ganz im Zeichen dessen, was Auferstehung für die Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu bedeutet: Friede und Freude, Sendung, Begabung mit dem Geist und Bevollmächtigung. Wie die Einzelnen darauf reagieren, wird nicht gefragt und berichtet. Das ist dann bei der Begegnung Jesu mit Thomas der Fall: Glaube ist Geschenk. Eine letzte Beobachtung: In allen Begegnungen mit dem Auferstandenen sehen die Menschen Jesus. Entscheidend aber ist, dass er zu den Seinen spricht. Darin erweist sich, dass er kein Phantom ist, sondern lebt, und dadurch erfahren sie, was das für sie bedeutet. Darin liegt aber zugleich eine wichtige Botschaft für die Nachgeborenen: Auch wer Jesus nicht mehr mit den Augen sehen kann, kann ihm begegnen. Durch die Botschaft, die die Jünger weitertragen und die durch das Wirken des Heiligen Geists immer wieder neu lebendiges Wort wird, spricht Jesus weiter zu den Menschen, sodass sie die Wirklichkeit seiner Liebe und des Lebens, das er schenkt, mit den Augen des Herzens sehen.
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20,30–31 Das Ziel des Evangeliums 30
Noch viele andere Zeichen also hat Jesus vor seinen Jüngern getan, die nicht in diesem Buch aufgeschrieben sind. 31Diese aber sind aufgeschrieben worden, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und dass ihr dadurch, dass ihr glaubt, Leben in seinem Namen habt. Die V. 3 0f stellen einen typischen Buchschluss dar. Zunächst wird betont, dass es noch vieles zu berichten gäbe, was aber nicht in diesem Buch Aufnahme finden konnte. Eine solche Bemerkung findet sich nicht selten in vergleichbaren literarischen Werken. Dann aber gibt der Verfasser Rechenschaft darüber, mit welchem Ziel und zu welchem Zweck er sein Werk verfasst hat. Auch das hat seinen Platz am Schluss eines solchen Unternehmens. Zwei Formulierungen sind bemerkenswert. Die erste scheint uns vielleicht selbstverständlich. Der Autor nennt sein Werk Buch. Er benutzt nicht den Begriff Evangelium, den er auch sonst meidet. Ähnlich wie Matthäus (Mt 1,1) spricht er von einem Buch. Damit kennzeichnet er den literarischen Charakter seiner Arbeit. Die Botschaft von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus wird zur Schrift. Die mündliche Weitergabe der Botschaft soll eine feste Grundlage bekommen. Das niedergeschriebene Evangelium wird zum »Glaubensbuch« der Gemeinde (Schnelle, 394). Die zweite Formulierung ist sehr viel überraschender. Der Inhalt des Buches wird mit dem Begriff Zeichen umschrieben. Zeichen aber sind nach dem Sprachgebrauch des Johannes die eindrucksvollen Wunder, die Jesu Wirken kennzeichnen (2,11.23; 4,54 u.ö.). Es hätte noch von vielen anderen solcher Taten berichtet werden können; aber die, die jetzt aufgenommen worden sind, wurden niedergeschrieben, um Menschen zum Glauben zu führen und im Glauben zu stärken. Diese Aussage ist deshalb überraschend, weil ja von solchen Zeichen nur im ersten Teil des Buchs berichtet wurde (das letzte in Kap. 11). Und auch der erste Teil enthält weit mehr als nur Berichte von Wundern. Verwunderlich ist die Betonung der Bedeutung der Zeichen an dieser Stelle auch deswegen, weil am Schluss der Thomasgeschichte, die glücklich gepriesen wurden, die nicht sehen und doch glauben! Gehört es aber nicht zum Wesen eines Zeichens, dass es gesehen werden soll? Viele Ausleger versuchen dieses Dilemma damit zu lösen, dass sie annehmen, die V. 30f hätten ursprünglich den Schluss der sog. Zeichenquelle gebildet. So bezeichnet man eine hypothetische Samm-
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lung von Wunderberichten, die möglicherweise von Johannes als Quelle benutzt wurde. Er habe diesen Schluss seiner Vorlage aus Pietät gegenüber dem Text unverändert übernommen, obwohl er selbst ihrer Wunderfrömmigkeit eher kritisch gegenüberstand. Nun ist es sehr umstritten, ob es diese Vorlage gab, und die meisten Ausleger haben diese Annahme aufgegeben. Zudem lässt sich zeigen, dass gerade die V. 30f viele für den Evangelisten typische Stilmerkmale aufweisen. Aber selbst dann, wenn der Text aus einer Quelle übernommen worden wäre, sollte man dem Verfasser zugestehen, dass er sich dabei etwas gedacht hat, als er ihn so stehen ließ. Wichtig ist folgende Beobachtung: Johannes spricht von Zeichen am Beginn und Ende des ersten Hauptteils: Nach 2,11 wird das erste Zeichen Jesu zum Fenster für die Offenbarung der Herrlichkeit Jesu und zum Anstoß für den Glauben seiner Jünger. Umgekehrt stellt 12,37 fest, dass das Volk nicht an Jesus glaubte, obwohl er »solche Zeichen« getan hat. Und in der Mitte dieses ersten Teils, in Kap. 6, wird die Zweideutigkeit der Zeichen diskutiert: Obwohl Jesus das Zeichen der wunderbaren Brotvermehrung gewirkt hat (6,14), fragen die Leute nach einem »Zeichen, damit wir sehen und glauben« (6,30)! Dieses Zeichen aber, das »Brot vom Himmel«, ist kein anderes als Jesus selbst. Und so gewinnt auch am Ende des zweiten Teils des Evangeliums das Wort Zeichen eine doppelte Bedeutung. Einerseits bezieht es sich auf die wunderbaren Taten Jesu, die auf die Bedeutung seiner Person und seines Wirkens hinweisen sollen. Andererseits benennt der Begriff prägnant »die Glauben stiftende Offenbarungsqualität« des ganzen Wirkens Jesu, das im Evangelium geschildert worden ist (Schnelle, 393). »Die im Evangelium erzählte Geschichte« soll als Zeichen verstanden werden, »das zum Erkennen der wahren Identität des joh(anneischen) Jesus und somit zum Glauben führt« (Zumstein, 771). So verstanden gehört zu den Zeichen Jesu auch die Fußwaschung und vor allem die Erscheinungen des Auferstandenen, ja »das gesamte Auftreten und Wirken Jesu« (Dietzfelbinger II, 349). Das ist zu beachten, wenn es heißt: Diese Zeichen sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt (3 3 1). Immer wieder haben wir bei der Lektüre des Evangeliums festgestellt, wie ambivalent das Verhältnis von Zeichen und Glaube ist. Tatsächlich finden Menschen aufgrund von Wundern zum Glauben (2,11; 2,23; 4,53f 11,45). Aber Zeichen können auch missverstanden (6,14) oder übersehen werden (12,37). Vor allem wird Glaube gerade dann verweigert, wenn Zeichen als »Beweise« für Jesu Vollmacht (2,18; 6,30) gefordert werden. Zeichen sind Hinweise, die helfen sollen zu verstehen, wer Jesus wirk-
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lich ist, sie sind Wegweiser, die einladen, zu ihm zu kommen und sich ihm ganz anzuvertrauen. Durch solche Zeichen möchte das Evangelium anleiten, darauf zu vertrauen und zu glauben, dass Jesus der Messias ist, also Christus, der Gesalbte, der Sohn Gottes. Offen ist dabei die Frage: Sollen vor allem Menschen, die Jesus noch nicht kennen, eingeladen werden, zum Glauben zu kommen? Oder ist eher an Menschen in der Gemeinde gedacht, deren Glaube angesichts von Anfechtung und Zweifel gestärkt und gefestigt werden soll? Grundsätzlich müsste die Form des griechischen Verbs zeigen, welcher der beiden Aspekte gemeint ist. Aber leider ist die handschriftliche Überlieferung (wie bei der parallelen Stelle 19,35) gespalten, und zwar so sehr, dass die Herausgeber der maßgeblichen Ausgabe des griechischen Textes nicht entscheiden können, welche Fassung ursprünglich ist. Die meisten Handschriften haben eine Form des Verbs glauben, die bedeutet: damit ihr zum Glauben kommt. Aber einige der ältesten und zuverlässigsten Handschriften des Neuen Testaments (u.a. Papyrus 66, Vaticanus und Sinaiticus) bezeugen eine Form des Verbs, bei der nur ein Buchstaben fehlt und die übersetzt heißt: damit ihr glaubt (= im Glauben bleibt). Da die Adressaten des Johannesevangeliums aber Christen sind, die schon glauben, wird von den meisten Auslegern die zweite Form als ursprünglich angesehen.
Doch sind das wirklich sich ausschließende Alternativen? Sowohl vom griechischen Text der Stelle als auch von der allgemeinen Ausrichtung des Evangeliums her wird man sagen können, dass es dem Evangelisten nicht primär um missionarische Verkündigung an Nichtchristen geht, sondern grundsätzlich darum, Menschen das Wunder des Glaubens nahezubringen. Und das kann beides heißen: Sie im Glauben zu stärken und anzuleiten, aber auch sie zum Glauben zu führen und für das Vertrauen zu Jesus zu öffnen. Wie wir an einer Reihe von Stellen sahen: Glaube ist für Johannes kein Besitz, den man ein für alle Mal hat, sondern eine Beziehung, die immer wieder neu bejaht und gelebt sein will. Dieser Glaube hat einen klaren Inhalt. Es ist der Glaube, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes. So hat auch Marta in 11,27 ihren Glauben bekannt. Für Johannes ist das offensichtlich die geprägte Form, in der die christliche Gemeinde ihren Glauben an Jesus Christus formuliert. Zwei Aussagen sind für sie grundlegend: Jesus ist der Messias, d.h. der Gesalbte, griechisch: der Christus, d.h. der königliche Herrscher, der Israel verheißen ist und der Frieden und Gerechtigkeit bringen wird. Vom Beginn seiner Wirksamkeit an stand dieses Bekenntnis über dem Leben Jesu (vgl. 1,20.41.49), und im Prozess gegen ihn ging es vor allem um diese Frage (18,33 –
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19,22). Weil in Jesus diese Verheißung erfüllt ist, kommt das Heil von den Juden (4,22)! Entscheidend ist für Johannes aber der zweite Teil dieses Bekenntnisses: Jesus ist Gottes Sohn. Schon im Alten Testament wird der König Gottes Sohn genannt (2Sam 7,14; Ps 2,7; 89,27f). Darum schließt das Bekenntnis zu Jesus als König Israels und Messias mit ein, ihn Gottes Sohn zu nennen (vgl. zu 1,34; 11,27). Diese Bezeichnung ist jedoch mehr als ein messianischer Ehrentitel. Sie erschließt auch Nichtjuden die Bedeutung Jesu. Dabei denkt Johannes nicht an eine biologische Abstammung. Anders als in dem Bekenntnis des Thomas wird Jesus auch nicht mit Gott identifiziert. Aber als Gottes Sohn ist er der, in dem sich Gott selbst offenbart und »in dessen Existenz Gott anschaulich und begreifbar wird«. Er ist »das Sein Gottes für die Welt«, wie das in 1,1–18 durch den Prolog programmatisch ausgeführt wurde (Dietzfelbinger II, 349). In Jesus ist Gott, die Quelle allen Lebens, in ganz neuer Weise gegenwärtig. Das ist Grundlage für das eigentliche Ziel des Evangeliums: Es ist geschrieben, dass ihr dadurch, dass ihr glaubt, Leben in seinem Namen habt. Damit wird die Grundsatzerklärung von 3,16 wieder aufgenommen: »So (sehr) hat Gott die Welt geliebt, dass er den einziggeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt … ewiges Leben hat«. Dabei ist der Glaube keine Bedingung, für deren Erfüllung es als Belohnung das wahre Leben gibt. Der Glaube an Jesus Christus ist die Tür zur Gemeinschaft mit Gott, die Leben schenkt und Leben ist (wörtlich heißt es: damit ihr als Glaubende Leben … habt). Leben in seinem Namen bedeutet ein Leben, das von dem getragen und erfüllt ist, was Jesus mit seiner Person gelebt hat und was an ihm erkennbar geworden ist (vgl. 1,12: »glauben an seinen Namen«). Immer wieder betont Johannes, dass es die Bestimmung Jesu ist, Leben aus Gott zu schenken, ewiges Leben, das schon hier im Glauben beginnt (3,36). Programmatisch sagt Jesus in 10,10: »Ich bin gekommen, damit sie Leben haben und (es) im Überfluss haben.« Er bringt wahres Leben, »Leben wie Gott es sich gedacht hat; Leben in seiner Fülle und Vollendung; Leben, gegen das der Tod sich nicht behaupten kann« (Zumstein, 772). Warum hat Johannes sein Evangelium geschrieben? Hier gibt er klare Auskunft darüber. Er erzählt, was Jesus getan und verkündet hat, damit Menschen wahres Leben finden. Sie sollen nicht nur als biologisches System vegetieren oder als Rädchen im Getriebe der Gesellschaft funktionieren, sondern wirklich leben. Was Johannes vom Wirken Jesu berichtet, soll ihnen Mut machen, sich der Liebe Gottes, die er verkörpert hat, ganz anzuvertrauen. Zu glauben, dass Jesus der
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Messias und Gottes Sohn ist, bedeutet nichts anderes, als darauf zu vertrauen, dass uns in ihm Gott mit seiner Liebe in einzigartiger Weise begegnet. Zu wissen: Ich bin von Gott geliebt, gibt dem Leben Halt und Sinn, es hilft, Ja zu sich selbst zu sagen, und schenkt die Offenheit und die Kraft, in einer liebenden Gemeinschaft zu leben. Sich darauf zu verlassen – auch angesichts von bedrängenden Fragen und Schwierigkeiten – ist Tür und Weg zu wahrem Leben. Das wäre ein wunderbarer Schluss für ein Evangelium. Aber es geht noch weiter. Was hat das zu bedeuten?
Epilog
21,1–25 Ausblick: Wie geht es weiter? Mit einer knappen einleitenden Floskel (danach) geht die Erzählung weiter, als wäre nicht gerade ein feierliches Schlusswort über Zweck und Ziel der ganzen Unternehmung niedergeschrieben worden. Es wird von weiteren Erscheinungen des Auferstandenen vor seinen Jüngern berichtet, obwohl Jesu letztes Wort an Thomas eigentlich signalisiert, dass die Zeit des »Sehens« vorüber ist und die glücklich sind, die glauben, ohne zu sehen (20,29). Deshalb wird von den meisten Auslegern angenommen, dass Kap. 21 ein Nachtrag ist, der an eine erste Fassung des Evangeliums, die mit 20,30f endete, angefügt wurde. Schon der harte Übergang von 14,31b zu 15,1 gab zur Vermutung Anlass, dass das Evangelium in mehreren Schritten entstanden ist. In Kap. 21 verstärkt sich dieser Eindruck noch dadurch, dass in V. 24 eine Gruppe das Wort ergreift, die auf das Werk des Verfassers zurückblickt und ihn mit dem Lieblingsjünger identifiziert. Die Vermutung liegt nahe, dass es diese Gruppe von Schülern des Verfassers war, die auch Kap. 21 an das Evangelium anfügte. Umstritten ist aber, in welchem Verhältnis der Inhalt dieses Kapitels zur Theologie des übrigen Evangeliums steht. Deutlich ist, dass thematisch ein neuer Schwerpunkt gesetzt wird. In den Mittelpunkt des Interesses tritt der Kreis der Jünger und vor allem das Verhältnis zwischen Petrus und dem Lieblingsjünger und ihr weiterer Weg. Wird hier durch eine spätere »kirchliche Redaktion« auch theologisch ein ganz neuer Akzent gesetzt im Sinne einer »Verkirchlichung« und Institutionalisierung der johanneischen Gemeinschaft, die dem ursprünglichen Anliegen des Evangelisten widerspricht? Oder hat ein Kreis von Schülern weitere Überlieferungen eingearbeitet, die geeignet waren, die Fragen nach dem Weg der Gemeinde Jesu und ihrer wichtigsten führenden Gestalten zu beantworten? Eine Entscheidung darüber wird erst nach der Einzelauslegung des Textes möglich sein. In der neueren Exegese wird aber meist versucht, sowohl das besondere Profil dieses Kapitels herauszuarbeiten als auch die Kontinuität zum übrigen Evangelium zu berücksich-
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tigen. Soweit wir wissen, ist das Evangelium nie anders als mit Kap. 21 verbreitet worden. Das Kapitel besteht aus einer einheitlichen Erzählung, die sich jedoch in zwei klar unterschiedene Erzählabschnitte gliedert: Der erste, 21,1–14: Jesus im Alltag der Jünger – Begegnungen in Galiläa, berichtet von einer erneuten Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen, diesmal am See Genezareth. Die Grundlage dieser Erzählung dürfte aus einer Ostertradition stammen, die unabhängig von den Berichten über die Erscheinungen Jesu in Jerusalem von Kap. 20 entstand. Der Verfasser bemüht sich aber, die Erzählung in den Zusammenhang des Evangeliums einzufügen. Der zweite Abschnitt, 21,15–25, gibt Antwort auf die Frage: Wer führt die Kirche weiter? Er gliedert sich wiederum in zwei Unterabschnitte: 20,15–19: Auftrag und Weg des Petrus und 20,20–24: Geschick und Dienst des Lieblingsjüngers. 20,25: Ein Nachwort zum Nachwort bildet den Abschluss des Evangeliums in seiner endgültigen Gestalt. 21,1–14 Jesus im Alltag der Jünger – Begegnungen in Galiläa 1
Danach offenbarte sich Jesus noch einmal den Jüngern am See von Tiberias; er offenbarte (sich) aber so: 2Es waren Simon Petrus und Thomas, genannt Zwilling, und Nathanael von Kana in Galiläa und die (Söhne) des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger beieinander. 3Simon Petrus sagt zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagen zu ihm: Wir kommen auch mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in jener Nacht fingen sie nichts. 4Als es aber schon Morgen wurde, trat Jesus ans Ufer; die Jünger wussten jedoch nicht, dass es Jesus war. 5Da sagt Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr denn nichts zu essen? Sie antworteten: Nein. 6Er aber sagt zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Boots aus, und ihr werdet (Fische) finden. Da warfen sie (es) aus und konnten es wegen der Menge an Fischen nicht mehr einholen. 7Da sagt jener Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als nun Simon Petrus hörte, dass es der Herr ist, gürtete er sich das Obergewand um – denn er war nackt (gewesen) – und sprang in den See. 8Die anderen Jünger aber kamen mit dem Boot – denn sie waren nicht weit entfernt vom Land, sondern (nur) etwa zweihundert Ellen – und schleppten das Netz mit den Fischen hinter sich her. 9Als sie nun an Land gingen, sehen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf liegen und Brot. 10Jesus sagt zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt. 11 Da stieg Simon Petrus herauf und zog das Netz ans Land, voll von
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153 großen Fischen. Und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht. 12Jesus sagt zu ihnen: Kommt, frühstückt. Niemand aber von den Jüngern wagte, ihn auszufragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. 13Jesus kommt und nimmt das Brot und gibt es ihnen, ebenso den Fisch. 14Dies war schon das dritte Mal, dass Jesus sich seinen Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferweckt worden war. Mit einer knappen einleitenden Floskel (danach) knüpft der Erzähler an das bisher Berichtete an (1 1 ): Danach offenbarte sich Jesus noch einmal den Jüngern. Es ist Jesus, der aktiv wird. Nicht nur wird berichtet, dass er von den Jüngern gesehen wurde (vgl. 20,18. 25; 1Kor 15,5–7). Sehr betont wird hier und in V. 14 gesagt: Jesus offenbarte sich ihnen in einer Weise, die zeigte, wie Gott an ihm und durch ihn gehandelt hat (vgl. auch 1Joh 1,2; 3,5.8; 4,9). Das aber geschah am See (wörtlich Meer) von Tiberias, also am See Genezareth (vgl. 6,1). Warum die Jünger plötzlich wieder in Galiläa sind, bleibt offen. Es ist nur eine kleine Gruppe von sieben Jüngern, die hier versammelt ist. Teilweise werden sie namentlich genannt (22 ): Simon Petrus und Thomas, genannt Zwilling, – von ihnen war schon in Kap. 20 die Rede. Dann Nathanael von Kana in Galiläa, der in 1,45–51 bei der Berufung der Jünger eine wichtige Rolle spielte und hier zum ersten Mal wieder erwähnt wird. Wir erfahren nun, dass er aus Kana in Galiläa stammt, dem Ort, in dem Jesus Wasser in Wein verwandelte (vgl. Bd. 1, S. 70). Weiter dabei sind die (Söhne) des Zebedäus, die im 4. Evangelium nur hier und ohne ihren Namen genannt werden, und zwei andere seiner Jünger. Spannend an der Aufzählung ist, dass nach V. 7 auch der Jünger, den Jesus liebte, zu dieser Gruppe gehörte. Er muss also mit einem der Genannten identisch sein. Aber mit wem? Mit einem der Söhne des Zebedäus, nämlich Johannes, wie es die Tradition will, oder einem anderen der Jünger? Merkwürdigerweise fehlt jeder Hinweis darauf. Diese sieben Jünger sitzen beieinander, offensichtlich ratlos, wie ihr Weg weitergehen soll. Das überrascht angesichts der Tatsache, dass sie nach 20,21 von Jesus beauftragt wurden, sein Werk fortzusetzen. Viele Exegeten sehen darin ein Indiz, dass die Geschichte ursprünglich unabhängig von ihrem jetzigen Zusammenhang im Rahmen der galiläischen Ostertradition überliefert wurde (vgl. Mk 16,7). Das mag hinsichtlich der Herkunft der Geschichte stimmen. Wir werden aber sehen, dass gerade die Spannung zum Sendungsauftrag Jesu in 20,21 zu einer wichtigen Pointe der Erzählung wird.
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Wieder einmal ist es Simon Petrus, der die Initiative ergreift und 3 ): Ich gehe fischen. Diese sind einverstanden zu den anderen sagt (3 und sagen: Wir kommen auch mit dir. Sie machen sich auf den Weg und stiegen in das Boot, das am Ufer bereitlag. Sie sind wieder im Alltag bei ihrem Handwerk angekommen. Auch die Enttäuschungen und Misserfolge, die damit verbunden sind, bleiben nicht aus. Man fischte am See Genezareth oft nachts beim Schein von Fackeln; der Fang war in der Regel besser, und die Fische kamen am Morgen frisch auf den Markt. Aber – so die deprimierende Bilanz – in jener Nacht fingen sie nichts. Das erinnert an Lk 5,5, wo Petrus zu Jesus sagt: »Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen«. Am Ende einer langen Nacht, als es schon Morgen wurde, kehrten sie müde zurück (4 4 ). Da trat Jesus ans Ufer. Doch den Jüngern ging es ähnlich wie Maria aus Magdala (20,14) und den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus (Lk 24,15f): Sie wussten nicht, dass es Jesus war. Das liegt an der neuen Existenzweise des Auferstandenen. »Er ist identisch mit dem irdischen Jesus und doch zugleich von ihm verschieden« (Zumstein, 781). Doch Jesus spricht sie an (5 5 ): Kinder, sagt er. Das ist die Anrede des Lehrers an seine Schüler (vgl. 13,33), aber in den johanneischen Briefen auch an die Glieder der Gemeinde (1Joh 2,18; 3,7). Und voll Anteilnahme fragt er: habt ihr denn nichts zu essen (wörtlich: keine Zukost, d.h. keinen Fisch, der zum Brot gegessen wird)? Im Griechischen ist die Frage so formuliert, dass klar ist: Der Frager rechnet mit einer verneinenden Antwort. Er kennt das Problem. Und in der Tat, die Jünger müssen mit Nein antworten. Jesus aber will ihnen helfen und weist sie an (66 ): Werft das Netz auf der rechten Seite des Boots aus. Die rechte Seite gilt als die positive, glückverheißende Seite. Aber das ist nicht der entscheidende Punkt, sondern das Versprechen Jesu: und ihr werdet (Fische) finden. Doch anders als Petrus in der Geschichte vom wunderbaren Fischzug in Lk 5 weisen ihn die Jünger nicht auf ihr vergebliches Mühen während der ganzen Nacht hin. Sie tun einfach, was er ihnen sagt, und warfen das Netz aus. Sie werden reich belohnt. Das Netz wurde so voll, dass sie es wegen der Menge an Fischen nicht mehr ins Boot einholen konnten. Das öffnet zumindest einem von ihnen die Augen (7 7 ). Der Jünger, den Jesu liebte, der offensichtlich zu den Genannten gehört, sagt zu Petrus: Es ist der Herr! Nach 20,8 glaubte er, weil er das Grab leer sah und verstand, was das bedeutete. Hier erkennt er an der Fülle des wunderbaren Fangs, wer der ist, der am Ufer steht. Die Formulierung: Es ist der Herr! spricht die neue Identität Jesu an: Es ist der auferstandene Herr, der ihnen begegnet (vgl. 20,18.20.25.28).
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Aber wieder ist es Petrus, der aktiv wird. Als er hörte, dass es der Herr ist, hält es ihn nicht im Boot. Er gürtete sich das Obergewand um, denn bei der nächtlichen Arbeit war er nackt, und nackt wollte er seinem Herrn und Meister nicht gegenübertreten. So bekleidet sprang er in den See. Er wollte möglichst schnell bei Jesus sein. Doch das wird merkwürdigerweise nicht erwähnt und auch nicht erzählt, wie er schwimmend oder watend ans Ufer kam (vgl. Mt 14, 28–31, wo Petrus versucht, auf dem Wasser zu Jesus zu gehen). Der Erzähler richtet stattdessen den Blick wieder auf die anderen Jünger (8 8 ). Sie kamen inzwischen mit dem Boot auch in Ufernähe; denn das Ganze hatte sich nicht weit vom Ufer abgespielt, nicht mehr als etwa zweihundert Ellen (knapp 100 Meter) entfernt. Da sie das Netz nicht einholen konnten schleppten sie es hinter sich her. Sie legten an (9 9 ), und als sie an Land gingen, sehen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf liegen und Brot. Jesus hat schon für sie gesorgt. Es ist alles für ein gutes Frühstück bereit. Aber obwohl nichts zu fehlen scheint, sagt Jesus zu ihnen (1 1 0): Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt. Jesus spricht diese Bitte nicht aus, weil die vorbereitete Menge nicht für sieben hungrige Männer reichen würde, obwohl das manche Ausleger meinen. Die Bitte führt in die symbolische Bedeutung des ganzen Geschehens ein. Jesus hat alles vorbereitet, und doch fragt er nach dem, was die Jünger erarbeitet (gefangen) haben. Das ist der Moment, in dem Petrus noch einmal aktiv wird (11 1). Fast scheint es, als habe er im Wasser stehend abgewartet, was Jesus tun würde. Denn jetzt heißt es: Da stieg Simon Petrus herauf und zog das Netz ans Land. Das schwere Netz, das die Jünger mit vereinten Kräften nicht ins Boot einholen konnten, zieht er allein ans Land! Er bringt die »Ernte« ein. Damit sollen weniger die körperlichen Kräfte des Petrus gerühmt als vielmehr auf seine entscheidende Funktion in der kommenden Kirche hingewiesen werden. Zwei kurze Hinweise unterstreichen die Bedeutung des großen Fangs. Es stellte sich heraus, dass das Netz voll von 153 großen Fischen war – eine überwältigende Fülle, die aufgrund Jesu Weisung eingebracht wurde. Und eine zweite wunderbare Tatsache wird vermerkt: Obwohl es so viele Fische waren, zerriss das Netz nicht. Nichts geht verloren von dem, was Jesus seinen Jüngern anvertraut hat (vgl. dazu 6,39; 10,28f; 17,12; 18,9). Die Frage, was die Zahl von 153 Fischen bedeutet, hat die Ausleger vielfach beschäftigt. Manche begnügen sich mit der Auskunft, die Jünger hätten die Fische eben gezählt und diese Zahl sei herausgekommen, und gerade weil es keine symbolische Zahl war, habe man sie sich gemerkt. Aber angesichts der vielfältigen Symbolik in der Geschichte ist das unwahrscheinlich. Im Wesentlichen sind es drei Erklärungsmöglichkeiten, die dis-
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kutiert werden: 1. Der Kirchenvater Hieronymus berichtet, Naturwissenschaftler seiner Zeit hätten festgestellt, dass es 153 Arten von Fischen gäbe. Der Fang der Jünger wäre also ein Symbol dafür, dass sie mit ihrer Arbeit Menschen aller Art erreichen (vgl. dazu auch Ez 47,10). Aber es gibt zu dieser Angabe keine Bestätigung bei einem der antiken Autoren. 2. Beliebt ist auch die Deutung, dass 153 die Summe der Zahlenwerte der Buchstaben eines Wortes ist (gematrische Deutung; vgl. Offb 13,8). Z.B. soll die Summe der Zahlenwerte der Buchstaben des hebräischen Wortes für Kinder Gottes 153 ergeben. Das wäre eine sinnvolle Lösung, aber die Fülle anderer Vorschläge zeigt: Mit dieser Methode kann man fast alles beweisen. 3. 153 ist die Zahl der Fülle und Vollkommenheit. Es ist die sog. Dreieckszahl von 17, d.h. die Summe aller Zahlen von 1–17. 17 aber kann als Summe der beiden Zahlen für Vollkommenheit (zehn plus sieben; aber auch zwölf plus fünf, vgl. Joh 6,13) verstanden werden. Auch wenn diese mathematische Erklärung nicht explizit hinter der Zahl stehen sollte, symbolisiert sie sicher die Fülle dessen, was Jesu Weisung bewirkt.
Aber es müssen nicht erst noch einige der frisch angelandeten Fische ausgenommen und gebraten werden. Petrus wird nicht zum Gastgeber. Jesus lädt ein zum Mahl (1 1 2): Kommt, frühstückt, sagt er. Doch die Jünger scheinen zu zögern. Sie finden sich in einem eigentümlichen Dilemma: Niemand von den Jüngern wagte, ihn auszufragen: Wer bist du? Ein bohrendes Nachforschen, ob es wirklich Jesus ist, der sie einlädt, wäre unangemessen gewesen und hätte eine Haltung des Misstrauens und des Zweifels verraten. Denn sie wussten im Grund alle ganz genau, dass es der Herr war. Wenn es doch Zweifel gab, so wurden sie nicht durch detektivische Nachforschungen beseitigt, sondern dadurch, dass Jesus selbst auf die zögernden Jünger zugeht und handelt (11 3): Jesus kommt und nimmt das Brot und gibt es ihnen, ebenso den Fisch. Jesus begegnet seinen Jüngern, wie er einst am Ufer des Sees von Tiberias den Menschen bei der wunderbaren Speisung begegnet ist (vgl. 6,11). Anders als die Emmausjünger haben sie Jesus nicht erst beim Mahl erkannt (vgl. Lk 24,30). Aber durch die Art, wie er das Brot austeilt, wird ihnen gewiss: Er ist es! Auch wenn dieses Frühstück mit Brot und Fischen nicht einfach das Abendmahl mit Brot und Wein abbildet, so ist doch die Botschaft klar: Das Mahl, das der Auferstandene spendet, schenkt denen, die zu ihm gehören, die Gewissheit: Es ist Jesus selbst, der ihnen begegnet und ihnen Anteil an dem Leben gibt, das er mit Gott lebt. Eine knappe Bemerkung des Erzählers stellt die Verbindung dieser Geschichte zu dem her, was bisher über die Begegnungen der Jünger mit dem Auferstandenen berichtet worden war (11 4): Dies war schon das dritte Mal, dass Jesus sich seinen Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferweckt worden war. Was hier am
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See von Tiberias geschehen ist, wird in eine Reihe mit den Erscheinungen Jesu in Jerusalem gestellt (20,19.23.24–29). Drei Mal hat sich Jesus der Gemeinschaft der Jünger offenbart und dadurch gezeigt, wie Gott an ihm gehandelt hat (die Erscheinung vor Maria aus Magdala wird wohl mehr als persönliche Begegnung gesehen). Damit wird nicht nur abgezählt, wie oft es war. Die Zahl drei als Symbol für Vollkommenheit und Vollständigkeit soll Gewissheit schenken, dass damit die ganze Wirklichkeit des Geheimnisses der Auferstehung erschlossen ist. Die Jünger sind wieder im Alltag angekommen. Ist denn vergessen, dass sie Jesus feierlich ausgesandt hat (20,21)? Keineswegs. Aber noch war offen, wohin die Sendung geht. Es war nicht gesagt, dass sie sich möglichst bald um Fahrkarten nach Antiochien, Alexandrien oder Rom kümmern sollten. Sie sind wieder bei ihrem täglichen Geschäft gelandet, und die Frage, die die Geschichte durch ihre bildhafte Erzählung stellt, lautet: Was bedeutet Jesu Sendung jetzt für sie? Dass es tatsächlich um die Sendung der Jünger geht, ist klar. Fische fangen ist Bild für die Mission der Jünger. Johannes berichtet nichts von Jesu Wort, das die Jünger zu »Menschenfischern« macht (vgl. Mk 1,17; Mt 4,19; Lk 5,10). Aber dieses Bild steht im Hintergrund der Erzählung. Uns mag dieser Vergleich fremd vorkommen. Kann und darf man den Ruf zum Glauben mit dem Fangen von Fischen vergleichen? Aber das Bild macht einfach die Alltagsbeschäftigung dieser Menschen für ihre neue Aufgabe durchsichtig: Sie sind beauftragt, Menschen hereinzuholen in die Gemeinschaft mit Gott und mit Jesus (vgl. zu Mk 1,17). Am Beispiel der alltäglichen Arbeit wird auch deutlich, was die Jünger im Dienst Jesu erwartet: Frustration und Wunder, Enttäuschung über viel vergebliches Mühen und Staunen über das Geschenk großer Resonanz aufgrund des Wortes Jesu. Fragen bleiben. Wie lange muss man unter Umständen warten, bis sich Menschen für Jesus gewinnen lassen? Und: Reißt das Netz wirklich nicht? Ist es nicht vielfach in der Geschichte der Kirche zerrissen? Eigentümlich ist wieder die Rolle des Lieblingsjüngers und des Petrus. Da ist der eine, der sieht, dass es Jesus ist, der ihnen begegnet, und da der andere, der aktiv auf Jesus zugeht und den Fang unversehrt ans Land bringt. Was wird dadurch abgebildet? Steht neben dem Evangelisten, der durch sein Zeugnis auf Jesus und seine Bedeutung verweist, der kirchliche Pragmatiker, der dafür sorgt, dass die Ernte auch eingebracht wird? Das könnte einerseits auf die einmalige heilsgeschichtliche Funktion dieser beiden Personen hinweisen, aber andererseits auch Aufgaben beschreiben, die in der Kirche immer wieder wahrgenommen und gebraucht werden.
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Wichtig aber ist: Jesus hat alles bereit und fragt doch nach dem Ertrag der Arbeit. Sein Wort ist entscheidend, dass die Arbeit erfolgreich ist, und doch wartet er auf den Gehorsam der Tat und den Einsatz, die Ernte zu bergen. Vor allem aber: Er begegnet den Seinen dadurch, dass er austeilt: Brot und Fisch bei einem Frühstück nach einer durchwachten Nacht und immer wieder neu in seinem Mahl das, was Jüngerinnen und Jünger zum Leben brauchen. Ein Letztes: Die Geschichten von den Begegnungen der Jünger mit dem Auferstandenen werden auf unterschiedliche Weise erzählt. Sie lassen sich mit ihren Details nicht ohne Weiteres zu einer historisch plausiblen Gesamterzählung zusammenfügen. Das ist auch nicht ihre Absicht. Sie haben ein doppeltes Ziel: Sie bezeugen je auf ihre Weise die grundlegende Erfahrung der Jünger und Jüngerinnen Jesu nach der Kreuzigung: In Begegnungen mit ihm haben sie die Überzeugung gewonnen: Jesus lebt! Er ist auferstanden. Zugleich wird durch die Verschiedenheit der Berichte erzählerisch entfaltet, was das für sie bedeutet. Jede dieser Begegnungen – sei es die mit Maria aus Magdala, mit Thomas, mit den Jüngern, die nach Emmaus gingen, mit denen, die sich in Jerusalem versteckten, oder denen, die mutlos am See Genezareth warten – zeigt einen wichtigen Aspekt dieser Erfahrung auf. 21,15–25 Wer führt die Kirche weiter? 15
Als sie nun gefrühstückt hatten, sagt Jesus zu Simon Petrus: Simon, (Sohn) des Johannes, liebst du mich mehr als diese? Er sagt zu ihm: Ja, Herr; du weißt, dass ich dich liebe. Sagt er zu ihm: Weide meine Lämmer. 16Zum zweiten Mal sagt er wieder zu ihm: Simon, (Sohn) des Johannes, liebst du mich? Er sagt zu ihm: Ja, Herr; du weißt, dass ich dich liebe. Sagt er zu ihm: Hüte meine Schafe. 17Sagt er zum dritten Mal zu ihm: Simon, (Sohn) des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, dass er zu ihm zum dritten Mal gesagt hatte: Hast du mich lieb? Und er sagt zu ihm: Herr, du weißt alles, du weißt, dass ich dich liebe. Sagt Jesus zu ihm: Weide meine Schafe. 18Amen, amen, ich sage dir: Als du jünger warst, hast du dich selbst umgürtet und gingst, wohin du wolltest; wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und wird dich führen, wohin du nicht willst. 19 Das aber sagte er, um anzuzeigen, durch welchen Tod er Gott verherrlichen würde. Und als er das gesagt hatte, sagt er zu ihm: Folge mir! 20 Als Petrus sich umwandte, sieht er den Jünger nachfolgen, den Jesus liebte, der auch bei dem Mahl an seiner Brust lag und gesagt
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hatte: Herr, wer ist es, der dich ausliefern wird? 21Diesen also sieht Petrus und sagt zu Jesus: Herr, was aber ist mit diesem? 22Sagt Jesus zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach! 23Da ging nun dieses Wort hinaus unter die Brüder und Schwestern: Jener Jünger stirbt nicht. Aber Jesus hatte nicht zu ihm gesagt, dass er nicht sterben werde, sondern: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? 24 Dies ist der Jünger, der über (all) dies Zeugnis ablegt und der das geschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist. 25 Es gibt aber (noch) vieles andere, was Jesus getan hat, wofür, wenn es einzeln aufgeschrieben würde – so meine ich –, die Welt die Bücher nicht fassen würde, die zu schreiben wären. Dieser Abschnitt stellt noch einmal einen Höhepunkt des 4. Evangeliums dar und setzt einen ganz eigenen Akzent am Schluss des Buches. Die Frage: Wie geht es weiter nach dem irdischen Wirken Jesu und seiner Auferstehung? wird im Blick auf die Leitungsverantwortung in der Kirche behandelt. Die Frage: Wer führt die Kirche – d.h. die Gemeinschaft derer, die zu Jesus gehören – weiter? wird zwar nicht ausdrücklich gestellt. Aber sie steht deutlich hinter der Diskussion über das Verhältnis von Petrus und dem Lieblingsjünger, das schon in den vorigen Abschnitten immer wieder angesprochen wurde. Der Abschnitt bildet eine geschlossene erzählerische Einheit. Dennoch lassen sich deutlich zwei Teile unterscheiden: Die V. 15–19 handeln vom Auftrag und Weg des Petrus, die V. 20–24 vom Geschick und Dienst des Lieblingsjüngers. V. 25 bildet ein knappes Schlusswort des Verfassers des Schlusskapitels. 21,15–19 Auftrag und Weg des Petrus Diese Verse gehören zu den berührendsten Episoden im Johannesevangelium. Auf den ersten Blick geht es um etwas sehr Persönliches, die Bereinigung der schweren Verfehlung des Petrus. Doch scheinen sich dahinter auch wichtige Entscheidungen hinsichtlich der Leitungsverantwortung in der frühen Kirche zu zeigen. Das steht im Vordergrund der meisten heutigen Auslegungen des Textes. Aber die persönliche Ebene, die bis heute Leser und Leserinnen unmittelbar anspricht, sollte darüber nicht vergessen werden. Die Erzählung knüpft an die vorhergehende Szene an (11 5). Nach dem Mahl, als Jesus und seine Jünger gefrühstückt hatten und noch um das verlöschende Kohlenfeuer sitzen, spricht Jesus Simon Pet-
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rus persönlich an und fragt ihn: Simon, (Sohn) des Johannes, liebst du mich mehr als diese? Die Bedeutung dieser Frage wird durch die feierliche Nennung des vollen Namens Simons unterstrichen. So hat ihn Jesus auch bei ihrer ersten Begegnung angeredet (1,42). Damals hatte er ihm den Namen Kephas (griech.: Petros; deutsch: Stein, Fels) gegeben. Doch jetzt verwendet er diesen Namen nicht, sondern greift auf seinen Geburts- und Vatersnamen zurück, der ihn bei seiner menschlich-allzu menschlichen Identität behaftet. Auffallend ist auch die Formulierung der Frage: Liebst du mich mehr als diese? Damit ist zweifellos auf die Szene nach dem letzten Mahl angespielt, in der Petrus versprach, dass er bereit sei, für Jesus auch in den Tod zu gehen (13,38). Nach Mk 14,29 par Mt 26,33 hat er sogar beteuert: »Wenn alle zu Fall kommen – ich nicht!« Ist Petrus immer noch in seiner überheblichen Haltung gefangen und meint, er sei der Treueste und Zuverlässigste, der Jünger, der Jesus am meisten liebt? Doch Petrus geht nicht in die Falle, die in dieser Frage auf ihn lauert. Er vergleicht sich nicht mehr mit den anderen. Er beruft sich nicht einmal auf sein eigenes Selbstbewusstsein. Er appelliert an die Menschenkenntnis Jesu, der ihn besser kennt, als er sich selbst, und sagt: Ja, Herr; du weißt, dass ich dich liebe. Jesus kommentiert diese Aussage nicht, sondern antwortet mit einer Beauftragung: Weide meine Lämmer. Im Kontext des Johannesevangeliums ist das ein ganz außerordentlicher Auftrag. Denn Jesus hatte in Joh 10,11.14 von sich selbst gesagt: »Ich bin der gute Hirte«. In der Nachfolge dieses Hirten soll nun Petrus die Lämmer Jesu führen und weiden. Dass nur von Lämmern gesprochen wird, bedeutet keinen Spezialauftrag für besonders hilfsbedürftige oder noch unmündige Gemeindeglieder. Gemeint ist die ganze »Herde«, die Gemeinschaft derer, die zu Jesus gehören, die Fürsorge und Leitung braucht. Jesus fragt aber zum zweiten Mal – diesmal ohne Anspielung auf das überhebliche Verhalten des Petrus (11 6): Simon, (Sohn) des Johannes, liebst du mich? Und dieser antwortet wieder: Ja, Herr; du weißt, dass ich dich liebe. Auch dieses Mal besteht Jesu Reaktion in dem Auftrag: Hüte meine Schafe. Die andere Wortwahl signalisiert keinen Bedeutungsunterschied, sondern schärft ein, welche große Verantwortung darin liegt, Jesu Schafe, also alle, die seine Stimme folgen (vgl. 10,27f), vor Irrwegen und Gefahren zu bewahren. Doch Jesus fragt ein drittes Mal – zweifellos eine Anspielung auf die dreimalige Verleugnung (11 7): Simon, (Sohn) des Johannes, hast du mich lieb? (Dass Jesus hier für hast du mich lieb das griechische Verb für Freundesliebe verwendet, stellt eine emotionale Verstärkung der Frage dar, bedeutet aber keine Veränderung des Sinns.) Jesu Insistieren auf der Frage tut Petrus weh: Petrus wurde
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traurig, dass er zu ihm zum dritten Mal gesagt hatte: Hast du mich lieb? Aber gerade deshalb beruft er sich nicht auf seine innere Gewissheit, sondern appelliert noch intensiver an das Wissen Jesu: Herr, du weißt alles, du weißt, dass ich dich liebe. Und noch einmal antwortet Jesus: Weide meine Schafe. Der Auftrag ist durch die dreimalige Bestätigung gültig erteilt. Es ist die Mischung von beharrlichem Fragen und verzeihendem Vertrauensbeweis, die dieses Gespräch für viele, die es lesen, so anziehend macht. Allerdings ist merkwürdig, dass die Verleugnung gar nicht direkt angesprochen wird. Das wirft sowohl historische als auch seelsorgerliche Fragen auf. So bezweifeln manche Ausleger, ob das Gespräch ursprünglich auf die Verleugnung des Petrus bezogen war. Das scheint uns freilich durch die Art der Formulierung der ersten Frage und die dreimalige Wiederholung der Frage gesichert zu sein. Aber seelsorgerlich könnte man fragen: Müsste nicht das Fehlverhalten des Petrus offen angesprochen werden, damit er es verarbeiten kann? Das ist grundsätzlich richtig. Hier aber tritt an die Stelle der Vergangenheitsbewältigung die Begründung einer neuen Zukunft. Die entscheidende Frage heißt: Hast du mich lieb? Darauf kommt es an. Auch in der lukanischen Fassung der Berufung des Petrus wird dessen Bekenntnis: »Geh weg von mir, Herr, denn ich bin ein sündiger Mensch« (Lk 5,8) nicht durch ein Wort der Vergebung beantwortet, sondern durch den Auftrag: »Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen« (Lk 5,8–10). Dass einem Menschen eine wichtige Aufgabe anvertraut wird, ist die zukunftsoffene Form der Vergebung im Neuen Testament (vgl. die Berufung des Verfolgers Paulus zum Apostel: 1Kor 15,9f; Gal 1,13–17; Apg 26,15–18). Aber die Person des Petrus geht nicht in seinem Auftrag auf. Jesus spricht auch seinen persönlichen Weg an. In einem letzten, feierlichen Amen-Wort sagt Jesus zu ihm (1 1 8): Amen, amen, ich sage dir: Als du jünger warst, hast du dich selbst umgürtet und gingst, wohin du wolltest. Wer sich in der Antike auf den Weg machte, steckte die langen Zipfel des Obergewands in den Gürtel und schnallte den Gürtel enger, um richtig ausschreiten zu können. Damit charakterisiert Jesus die bisherige Lebenseinstellung des Petrus: Er wollte die Dinge selbst in die Hand nehmen und selbst entscheiden, was er tat. Dabei hatte er durchaus hehre Ziele vor Augen; weil er jedoch meinte, sie aus eigener Kraft erreichen zu können, hat er immer wieder Schiffbruch erlitten (vgl. Mt 14,28–31 und Joh 13,37f mit 18,15–27). Aber es wird eine andere Zeit kommen, in der Petrus nicht mehr selbst über seinen Weg bestimmen wird: Wenn du aber alt gewor-
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den bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und wird dich führen, wohin du nicht willst. Dieses Wort an Petrus ist nicht nur im Blick auf seine persönliche Lebensgeschichte formuliert. Durch die Gegenüberstellung von Jugend und Alter als Gegensatz von selbstmächtiger Eigenentscheidung und unausweichlicher Fremdbestimmung spricht die Aussage das Geschick vieler an. Auch die Einzelheiten der Vorhersage Jesu können in ihrer allgemeinen Bedeutung, aber auch in ihrer speziellen Zuspitzung auf Petrus gelesen werden, der nach der Überlieferung unter Nero (64/65 n.Chr.) in Rom am Kreuz starb: Du wirst deine Hände ausstrecken stellt vor Augen, wie ein alter Mensch nach Hilfe und Unterstützung sucht. Es kann aber auch verstanden werden als das Ausstrecken der Hände, die an den Querbalken des Kreuzes gebunden oder geschlagen werden. Die Wendung ein anderer wird dich gürten und wird dich führen, wohin du nicht willst veranschaulicht, wie ein älterer Mensch von anderen betreut und geführt wird. Zugleich aber deutet sie an, wie Petrus gefesselt und zur Hinrichtung geführt werden wird. Der andere kann der Henker sein, der Petrus zur Hinrichtung bringt, aber genauso kann damit ein ganz anderer gemeint sein, der ihn auf diesem Weg in den Spuren seines Herrn führen wird. Dass das gemeint ist, wird durch einen Kommentar des Erzählers ausdrücklich festgestellt (11 9). Jesus sagte das, um anzuzeigen, durch welchen Tod Petrus Gott verherrlichen würde. Damit wird eine eindrückliche Parallele zwischen dem Weg Jesu und dem zukünftigen Geschick des Petrus gezogen. Jesus hat im Evangelium immer wieder davon gesprochen, dass durch seinen Tod am Kreuz der Vater verherrlicht würde (13,31f; 17,4f; vgl. auch 12,32f). Das gilt auch für den Jünger. Indem er auf Jesu Spuren gehorsam den Weg zum Kreuz geht und damit bezeugt, dass die Treue zu Gott und Jesus mehr wert ist als das irdische Leben, wird Gott verherrlicht. Jesus schließt das Gespräch mit einer knappen Weisung: Folge mir! Als Wort des Auferstandenen, der seinen Jüngern nicht mehr auf den Straßen dieser Erde vorangehen wird, klingt das zunächst merkwürdig. Verständlich wird es, wenn der Bezug zu dem gesehen wird, was in 13,36–38 berichtet wurde. Dort hatte Jesus bei seinem Abschied von den Jüngern zu Petrus gesagt, er könne ihm jetzt nicht folgen, werde das aber später tun. Petrus antwortete darauf, er sei bereit, auch sein Leben für Jesus zu lassen. Wie Jesus vorausgesagt hat, endete diese selbstgewählte Bereitschaft zum Martyrium in der Verleugnung. Jetzt aber ist die Zeit gekommen, Jesus zu folgen – wenn es sein muss, auch in den Tod.
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Worum geht es in diesem Gespräch? 1. Es geht nicht nur um den kirchlichen Auftrag des Petrus. Das Gespräch ist auch Beispiel dafür, wie Jesus einen Sünder begnadigt oder, richtiger gesagt, einen Versager rehabilitiert. Das ist Trost für viele, die sich ihres Versagens schämen und nicht wissen, wie es weitergehen soll. Verlangt wird nicht Zerknirschung oder Bußleistung. Gefragt wird nach der Liebe! Die Liebe genügt. Nicht mehr Liebe als andere, sondern einfach Liebe. 2. Von Vergebung scheint keine Rede zu sein. Und doch geschieht Vergebung. Dabei wird nicht nur annulliert, was geschehen ist. Hier vollzieht sich aktive Vergebung. Sie besteht im Vertrauensbeweis einer neuen Beauftragung. Auch Paulus hat die überwältigende Kraft der Gnade Gottes dadurch erfahren, dass er, der Verfolger, zum Apostel berufen wurde. Petrus, der Jesus verleugnet hat, wird mit der Verantwortung betraut, die zu leiten und vor Irrwegen zu bewahren, die zu Jesus gehören. Der Verfolger wird zum Apostel, der Verleugner zum Hirten. Ihre Vollmacht aber erhalten sie nicht aufgrund erwiesener Treue und erprobter Fähigkeiten, sondern allein aus Gnade. 3. Es gibt in der Urchristenheit das Wissen um eine besondere Beauftragung des Petrus. In Mt 16,16 nennt ihn Jesus aufgrund seines Bekenntnisses das Fundament, auf dem er seine Kirche bauen wird. In Joh 21 wird er durch die Begegnung mit dem Auferstandenen zum Oberhirten der ganzen Christenheit. (Interessanterweise taucht das Hirtenthema auch in 1Petr 5,2–4 auf, dort freilich wirkt Petrus unter der Leitung des Oberhirten Jesus als Hirte unter anderen.) Das sind zwei sehr unterschiedliche Beschreibungen seiner Aufgabe, die aber deutlich machen: Petrus ist trotz allen Versagens mit einer entscheidenden Aufgabe betraut, durch die er die Sendung Jesu in besonderer Weise fortsetzt. In der Sache dürfte in beiden Fällen die Lehrautorität des Petrus angesprochen sein, die er im Auftrag Jesu für alle ausübt. Wahrscheinlich hängt das auch damit zusammen, dass er als der erste Auferstehungszeuge galt (vgl. 1Kor 15,5; Lk 24,34). 4. Unklar bleibt, wie Petrus diese Aufgabe ausübte. Er war eine Zeitlang zusammen mit Jakobus und Johannes Leiter der Jerusalemer Urgemeinde (Gal 2,7), wurde in dieser Funktion aber durch Jakobus abgelöst (Apg 21,18). Später ist er – zusammen mit seiner Frau – durch die urchristlichen Gemeinden gereist (1Kor 9,5). Trotz seines Schwankens in Fragen des Zusammenlebens von Juden- und Heidenchristen, das zu einem Konflikt mit Paulus führte (Gal 2,11–14), scheint er in der Urchristenheit eine wichtige Brückenfunktion zwischen diesen beiden Gruppen ausgeübt zu haben. Petrus wurde zum Symbol der Einheit. 5. Doch welche Bedeutung hatte diese Beauftragung zur Zeit der Niederschrift des Evangeliums? War die Erzählung nur eine kostbare
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Erinnerung an den Dienst des Petrus oder hatte sie noch aktuelle Bedeutung? Die V. 18f setzen voraus, dass Petrus schon den Märtyrertod erlitten hat. Davon, dass es einen Nachfolger im Hirtenamt gegeben hätte, wird nichts angedeutet. Galt Petrus weiter als Repräsentant und Garant des Miteinanders aller Christen? Manche Ausleger sehen hier eine Spannung zu Joh 19,25f, wo ihrer Meinung nach dem Lieblingsjünger die Sorge für die Kirche aufgetragen ist. Ob das dort so gemeint ist, ist jedoch fr aglich. Richtig ist, dass Kap. 21 (und auch bereits 20,1–11) versucht, eine Balance zwischen beiden Autoritätspersonen, die wohl beide schon tot sind, zu schaffen. Das wird im nächsten Teilabschnitt noch einmal vertieft werden. 21,20–24 Geschick und Dienst des Lieblingsjüngers Das Gespräch zwischen Petrus und Jesus ist noch nicht zu Ende. Noch einmal ist das Verhältnis zwischen Petrus und den anderen Jüngern zu klären (22 0f). Denn: Als Petrus sich umwandte, sieht er den Jünger nachfolgen, den Jesus liebte. Dieser Jünger wird ganz ausdrücklich durch eine früher erzählte Szene identifiziert: Er ist der, der auch bei dem Mahl an seiner Brust lag und gesagt hatte: Herr, wer ist es, der dich ausliefern wird? (vgl. 13,25). Damit wird daran erinnert: Dieser Jünger steht Jesus besonders nahe. Die Bemerkung, dass Petrus ihn nachfolgen sieht, ist ein Signal für die Leser und Leserinnen. Sie spüren: Hier wird nicht einfach nur erzählt, wie Jesus mit Petrus spazieren geht und dieser plötzlich be– merkt, dass auch der andere Jünger hinter ihnen herkam; nachfolgen ist im übertragenen Sinn zu verstehen. Während Jesus Petrus aufs Neue aufgefordert hat, ihm zu folgen, nimmt dieser wahr, dass der andere Jünger schon immer Jesus folgt. Das aber provoziert ihn zu der Frage (22 1): Herr, was aber ist mit diesem? Wird sein Weg auch ins Martyrium führen? Jesu Antwort weist Petrus, der schon wieder beginnt, sich mit anderen zu vergleichen, in die Schranken (2 2 2): Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? Der Weg in der Nachfolge führt nicht alle die gleiche Strecke und bedeutet nicht für alle das Martyrium. Wenn Jesus will, dass dieser Jünger in der Gemeinschaft der anderen Jünger und Jüngerinnen bleibt, bis er wiederkommt, dann ist das möglich. Aber das sollte Petrus weder verunsichern noch neidisch machen. Für ihn gilt: Folge du mir nach! Gehe du den Weg, den ich für dich bestimmt habe. Dieses Wort – so berichtet der Erzähler – hat in der johanneischen Gemeinschaft eine eigene Dynamik entwickelt (22 3). Es wurde zum Schlagwort, das sich unter den Brüdern und Schwestern, also den
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Mitgliedern der johanneischen Gemeinden (vgl. 20,17; 1Joh 3,13), verbreitete und lautete: Jener Jünger stirbt nicht. Dass sich diese Meinung bildete, dürfte ein Wort Jesu mitverursacht haben, das in Mk 9,1 (par Mt 16,48; Lk 9,27) überliefert wird: »Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie das Reich Gottes kommen sehen mit Kraft.« Der Jünger Jesu, der hinter der Gestalt des Lieblingsjüngers steht, ist offensichtlich recht alt geworden, und die Zahl derer, die mit Jesus unterwegs gewesen waren, wurde immer kleiner. Jesu Wort vom Bleiben des Lieblingsjüngers hat deshalb dazu geführt, dass behauptet wurde, Jesus habe ihm verheißen, er werde nicht sterben, bevor er wiederkomme. Doch diese Meinung wird korrigiert und ausdrücklich festgestellt: Aber Jesus hatte nicht zu ihm gesagt, dass er nicht sterben werde. Dass man sich dazu genötigt sah, kann nur bedeuten, dass die Person, in der man den Lieblingsjünger sah, inzwischen gestorben war. Deshalb wird klargestellt, was Jesus wirklich gesagt hat, nämlich: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? Jesus hat also von einer hypothetischen Möglichkeit gesprochen. Wenn er wollte, dass dieser Jünger am Leben bleibt, bis er wiederkommt, ginge das Petrus nichts an und sollte ihn nicht an dem ihm von Jesus bestimmten Weg irremachen. Für den Verfasser dieser letzten Verse aber liegt die entscheidende Bedeutung des Lieblingsjüngers darin, dass er der Autor des Evangeliums bzw. die entscheidende Autorität ist, die hinter diesem Text steht (22 4). Das wird mit zwei Aussagen erläutert: 1. Dies ist der Jünger, der über (all) dies Zeugnis ablegt. Das Zeugnis des Lieblingsjüngers ist Quelle für das, was in diesem Evangelium steht. Mit der Autorität, die ihm seine Nähe zu Jesus verleiht, bürgt er für die Zuverlässigkeit der Überlieferung, und zwar bis heute (deshalb Präsens), auch wenn er schon tot ist. Dadurch bleibt er bei der Gemeinde, bis Jesus wiederkommt. 2. Der Lieblingsjünger ist der, der das geschrieben hat. Er ist nicht nur der Garant für das, was hier weitergegeben wird, sondern auch der Autor des geschriebenen Evangeliums. Nach griechischem Sprachgebrauch muss der das geschrieben hat nicht unbedingt bedeuten, dass er das ganze Evangelium eigenhändig niedergeschrieben oder Satz für Satz diktiert hat. Es kann auch heißen, dass er die Niederschrift veranlasst und autorisiert hat. Das ist freilich ein Vorgang, der mit seinem Tod abgeschlossen ist (daher Vergangenheit). Von beidem aber, der grundsätzlichen Autorisierung der hier vorliegenden Überlieferung und der Niederschrift des Evangeliums, kann gesagt werden: wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist. Plötzlich spricht hier eine Mehrzahl von Personen. Sind es die Verfasser
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des Nachtrags bzw. die Herausgeber des Evangeliums in seiner Letztgestalt? Das ist möglich; doch wird in V. 25 noch einmal ein Einzelner das Wort ergreifen. In jedem Fall steht hinter diesem wir eine Gruppe oder Gemeinschaft, für die das Zeugnis dieses Jüngers, und damit auch dieses Evangelium, grundlegende Bedeutung hat. Ihr wir erinnert an das wir derer, die in 1,14 bezeugen, dass sie die Herrlichkeit des Fleisch gewordenen Wortes gesehen haben. Spricht am Anfang, im Prolog, die Gemeinschaft derer, die sich dafür verbürgen, dass in Jesus Christus Gottes Gnade und Wahrheit, seine Barmherzigkeit und Treue den Menschen ganz nahegekommen ist, so am Schluss, im Epilog, die Gemeinschaft derer, die in diesem Zeugnis der Wirklichkeit und Wahrheit des liebenden und rettenden Gottes begegnet sind (vgl. das wir in 1Joh 1,1–4). Die Formulierung, dass sein Zeugnis wahr ist, erinnert an das, was in 19,35 von dem Zeugen unter dem Kreuz gesagt wurde. Das legt nahe, dass auch dort der Lieblingsjünger gemeint war. Aber wie dort gilt auch hier, dass dieses Zeugnis nicht deshalb wahr ist, weil es wiedergibt, was auch eine Überwachungskamera aufgenommen hätte, sondern weil es weitergibt, was in all diesen Ereignissen wirklich zwischen Gott und Mensch geschah! Zur Person des Lieblingsjüngers und der Bedeutung dieser Gestalt wird in der Einleitung und der Zusammenfassung ausführlich Stellung genommen (vgl. Bd. 1, S. 14–16; Bd. 2, S. 295–297). Hier eine kurze Zusammenfassung der Beobachtungen in diesem Abschnitt: 1. Hinter der Figur des Lieblingsjüngers steht eine reale Person. Es ist keine fiktive Gestalt, wie manche Ausleger meinen. Denn die Auseinandersetzung über die Frage, warum er trotz einer angeblich anderslautenden Verheißung doch gestorben ist, würde bei einer fiktiven Person keinen Sinn machen. Aber vieles deutet daraufhin, dass diese Person zu einer Idealfigur wurde, deren Bedeutung über das hinausgeht, was von der real existierenden Person gesagt werden könnte. Das dürfte auch der Grund sein, warum die Gestalt nicht durch einen Namen identifiziert wird, sondern anonym bleibt. 2. Auch unser Text bietet keinen klaren Hinweis für eine Identifikation. Es gibt Indizien, die aber in verschiedene Richtung weisen. Ein Sohn des Zebedäus kommt in Frage (vgl. V. 2), aber dass gerade sein Name nicht genannt wird, spricht eher dagegen. 3. Die Person, die hinter der Figur des Lieblingsjüngers steht, ist die Autorität, die für die Zuverlässigkeit der Überlieferung, die im »johanneischen« Kreis weitergegeben wird, bürgt und die Niederschrift des Evangeliums veranlasst bzw. durchgeführt hat. 4. Es handelt sich um die entscheidende Autorität in den »johanneischen« Gemeinden. Wie über das Verhältnis dieses Jüngers zu Petrus
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berichtet wird, verrät eine Konkurrenzsituation zur Petrustradition. Durch wen diese zur Zeit des Evangeliums repräsentiert wurde, wissen wir leider nicht. Offensichtlich bemühen sich die Erzähler, eine gewisse Balance herzustellen. Die Rolle und Bedeutung des Petrus wird gewürdigt, auch wenn sein Bild ambivalent (und dadurch menschlich) bleibt. Die entscheidenden Erkenntnisse sind dem Lieblingsjünger zu verdanken (20,8; 21,7). Das begründet den Rang seines Evangeliums. Die Initiative des Petrus und die besondere Beauftragung durch Jesus machen auch ihn jedoch zur Symbolfigur: Es muss in der Kirche Menschen geben, die für den Zusammenhalt aller Christen einstehen und sie dazu anleiten, miteinander auf dem Weg zu bleiben. Das ist der »Petrusdienst«, von dem das Johannesevangelium spricht (s. auch unten S. 294f). 21,25 Ein Nachwort zum Nachwort Noch einmal ergreift ein Einzelner das Wort (2 2 5), vermutlich der eigentliche Verfasser des letzten Kapitels. Aber er begnügt sich mit einer knappen Schlussbemerkung: Es gibt aber (noch) vieles andere, was Jesus getan hat. Damit wird aufgenommen, was schon im ersten Schlusswort in 20,30 festgestellt wurde. Aber anders als dort versucht der Verfasser anzudeuten, wie viel noch zu berichten wäre. Jesus hat so viel getan, dass, wenn es einzeln aufgeschrieben würde – so meine ich –, die Welt die Bücher nicht fassen würde, die zu schreiben wären. Das klingt wie eine arge Übertreibung und hat dem Autor viel Tadel eingebracht. Aber vermutlich haben die damaligen Leser und Leserinnen sehr wohl verstanden, was er damit sagen wollte: Der Reichtum dessen, was von Jesus zu sagen wäre, ist unerschöpflich. Ein Buch über sein Leben und Wirken kann und muss abgeschlossen werden. Aber mit dem Zeugnis von dem, was Gott durch sein Kommen bewirkt hat, ist man nie zu Ende. Der Nachtrag zum Evangelium ist eine wichtige Ergänzung. Hatte der Prolog die Leserinnen und Leser aus der Weite der schöpferischen und offenbarenden Wirkung des Logos hinein in die begrenzte Zeit und den umgrenzten Ort des Wirkens des Fleisch gewordenen Wortes geführt, so richtet nun das Nachwort, der Epilog, ihren Blick auf die Zukunft und das Weiterwirken seiner Sendung im Weg der Gemeinde Jesu. Der Nachtrag knüpft an das Evangelium an. Aber er setzt einen neuen Akzent: Wie geht es weiter?
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Die erste Antwort gibt die Geschichte vom wunderbaren Fischfang. Jesus erscheint im Alltag der Jünger. Ihr Aktionsradius scheint sich wieder auf die armselige Existenz von Fischern am See von Tiberias zu verengen. Aber der wunderbare Fang symbolisiert: Die Sendung der Jünger beginnt mit ihrem alltäglichen Geschäft, doch ihre Wirkung wird weit darüber hinausgehen und alle umfassen. Die zweite Antwort wird durch die Erzählung von der Beauftragung des Petrus und der bleibenden Bedeutung des Lieblingsjüngers gegeben. Sie haben unterschiedliche Aufgaben und gehören doch zusammen. Was das konkret bedeutet, ist schwer zu sagen, weil zur Zeit der Niederschrift beide schon tot sind und nicht erkennbar ist, dass sie ihre Aufgaben an Nachfolger weitergegeben haben bzw. durch ihren Dienst unterschiedlichen Ämter in der Kirche begründet wurden. Sie repräsentieren Funktionen, die es in der Kirche Jesu geben muss. Der Lieblingsjünger steht für die Wahrheit der Botschaft, die bezeugt: In Jesus wurde Gott in seinem wahren Wesen unter den Menschen gegenwärtig. Menschen, die durch dieses Zeugnis erkennen und glauben, dass ihnen in Jesus Christus Gott und seine Liebe begegnen, werden mit bleibendem Leben in der Gemeinschaft mit Gott beschenkt. Petrus aber steht für die Notwendigkeit, Menschen in diese Gemeinschaft hineinzuholen und sie in der Nachfolge Jesu anzuleiten und zu begleiten. Gerade in seiner Fehlbarkeit steht er für eine Leitungsautorität, die nicht aus eigener Machtvollkommenheit ausgeübt wird, sondern in den Spuren Jesu – bis hin zur Konsequenz des Martyriums.
Die Botschaft des Johannesevangeliums – eine Zusammenfassung
Wer war und wer ist Jesus von Nazareth? Im Grunde wollen alle Evangelien diese Frage beantworten. Am eindringlichsten geschieht dies im 4. Evangelium. Alles, was erzählt wird, ist auf diese eine Frage ausgerichtet. In den Würdenamen, mit denen sich Menschen zu Jesus bekennen, und in Jesu Selbstaussagen geht es um die grundsätzliche Erkenntnis: In Jesus von Nazareth ist Gott den Menschen in einzigartiger Weise nahegekommen! In ihm begegnen ihnen Gott und seine Liebe. Zwar werden relativ selten Aussagen über Gott gemacht – fast alles kreist um die Bedeutung Jesu –, und doch geht es allein darum, Gott den Menschen bekannt und ihnen seine Liebe groß zu machen! 1. Ein neues Profil: Die Geschichte Jesu als Geschichte der Offenbarung Gottes Warum erzählt Johannes die Geschichte Jesu noch einmal auf ganz neue Weise? Vermutlich kannte er Markus und Lukas. Aber in der Art und Weise, wie sie die Geschichte Jesu erzählen, folgt er ihnen nicht. Für sie bricht mit Jesu Wirken die Herrschaft Gottes an. Markus erzählt, wie Jesus schon jetzt die Herrschaft des Bösen und die Not der Kranken überwindet und in seinem Tod am Kreuz die Gottverlassenheit der Menschen auf sich nimmt. Matthäus schildert Jesus als Lehrer der Gerechtigkeit, der den Weg ins Reich Gottes weist. Für Lukas ist Jesus der Heiland der Sünder, der Gottes Güte bis in sein Sterben hinein vorbildlich lebt. Für Johannes aber ist vor allem eines wichtig: Jesus offenbart den Menschen Wesen und Wirklichkeit Gottes. Diesem Anliegen dienen nicht nur die einzelnen Aussagen des Evangeliums. Auch die Struktur der Erzählung ist darauf ausgerichtet. Zwar waren ihm manche Besonderheiten von seiner Tradition vorgegeben – so vermutlich die Überlieferung von einem mehrmaligen Aufenthalt in Jerusalem, vielleicht auch das Datum der Hinrichtung Jesu. Beide Beispiele zeigen, wie sehr der Evangelist auch solche Angaben der theologischen Ausrichtung seines Werks dienstbar macht. Insgesamt aber ist das Evangelium darauf ausgerichtet, mit allen Mitteln deutlich zu machen, worum es in der Geschichte Jesu von
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Die Botschaft des Johannesevangeliums – eine Zusammenfassung
Nazareth geht. Das zeigt schon die Einleitung des Buchs. Sie beginnt mit dem Prolog (1,1–18), der in Gestalt eines Lehrgedichts beschreibt, wie in der Person Jesu Gott selbst durch sein WORT, den schöpferischen Logos, in die Welt kommt und Mensch wird. Dann folgt wie in den anderen Evangelien der Bericht vom Auftreten des Täufers und der Berufung der ersten Jünger. Aber auch hier geht Johannes eigene Wege. Der Täufer ist nur noch Zeuge für Jesus. In seinen Worten und in den Bekenntnissen der ersten Jünger werden die entscheidenden christologischen Titel schon am Anfang des Wirkens Jesu genannt (1,29.34.41.45.49). Auch die Zweiteilung des Evangeliums dient diesem Ziel. Der erste Teil wird inhaltlich durch sieben »Zeichen« Jesu bestimmt – vollmächtige Taten, die auf die Bedeutung seiner Person hinweisen. Sie werden zum Anlass für lange Gespräche über Jesu Vollmacht. Auch die anderen Gespräche Jesu (Kap. 3.4.7f.12) sind ganz von dieser Thematik geprägt. An die Stelle der Gleichnisse, die das Kommen der Herrschaft Gottes im Wirken Jesu veranschaulichen, treten Ichbin-Worte, die aufzeigen, wer Jesus für die Menschen ist. Der Glaube der Jünger (2,11) und das Glaubensbekenntnis der Marta (11,27) bilden den Rahmen für diesen Teil des Evangeliums, in dem immer wieder Menschen ihren Glauben an Jesus bekennen oder ihn vehement ablehnen. Im zweiten Teil des Evangeliums nimmt Jesus Abschied von seinen Jüngern (13–17). Nur die Ich-bin-Worte, die auch hier vorkommen (14,6; 15,1.5), erinnern weiter an die Bedeutung seiner Person für das Heil der Menschen. Jetzt geht es darum, dass die Jünger verstehen, was Jesu Leben und Sterben für sie bedeutet und wie ihr Weg mit ihm ohne seine leibliche Anwesenheit weitergehen wird. Die Verheißung des Heiligen Geistes, des Beistands und Fürsprechers, öffnet den Blick für die Zukunft der Gemeinde Jesu. Die zweite Hälfte des zweiten Teils bildet noch einmal das Nacheinander von Offenbarungsgeschehen und Sorge für die Jünger ab. Die Passionsgeschichte (18f) kreist um die Anklage, Jesus wolle sich zum König der Juden machen, und zeigt, wie sich Jesu Weg mit der Kreuzigung vollendet und er erhöht und verherrlicht wird. Die Osterberichte gipfeln im Bekenntnis des Thomas zu Jesus als Herr und Gott (20,29), und der erste Schluss des Evangeliums nennt als sein Ziel, den Glauben zu begründen, dass Jesus der Messias und Sohn Gottes ist (20,30f). Doch im Nachtrag in Kap. 21 wird dann wieder der Weg der Jünger in der Zeit nach Ostern zum Thema. Johannes erzählt die Geschichte Jesu von Nazareth. Aber er erzählt sie so, dass immer wieder deutlich wird: In ihm begegnet Gott. Durch ihn offenbart Gott sein wahres Wesen. Die Gemeinschaft der Zeugen, die hinter dem Evangelium steht, sah seine Herrlich-
Die Botschaft des Johannesevangeliums – eine Zusammenfassung
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keit als »Herrlichkeit des einziggeborenen Sohnes vom Vater« (1, 14; 2,11). Jesus beansprucht, Gottes einzigartiger Repräsentant zu sein (»Ich und der Vater sind eins«; 10,30; »Wer mich sieht, sieht den Vater«; 14,9). Das bringt ihm den Vorwurf ein, er mache »sich selbst Gott gleich«, und führt zum Entschluss, ihn zu beseitigen (5,18; 10,33). Doch gerade die Begegnung mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen führt zum Bekenntnis: »Mein Herr und mein Gott!« (20,29). 2.
Das Thema: Die Sendung des Sohnes
Es geht um Jesus im Johannesevangelium. Die Bedeutung seiner Person ist das alles durchdringende Thema. Es bestimmt die Art, wie Jesu wunderbare Taten erzählt werden, und ist Inhalt der ausführlichen Dialoge und Streitgespräche. Im Lauf der Erzählung werden alle traditionellen christologischen Titel auf Jesus bezogen. Es gibt aber auch ganz eigenständige Weisen, von Jesu Wesen und Vollmacht zu reden, vor allem, wenn es darum geht, seine einzigartige Beziehung zu Gott zu kennzeichnen. Der Prolog setzt das entscheidende Vorzeichen (1,1–18). Er beschreibt, wie das ewige WORT, der göttliche Logos, durch den alles geschaffen wurde und durch den Gott schon immer mit seiner Schöpfung kommuniziert hat, in Jesus Mensch wurde. In ihm wurde das WORT Fleisch, Mensch unter Menschen (es »wohnte unter uns«). Daher wurde an ihm Gottes Wirklichkeit sichtbar (»wir sahen seine Herrlichkeit«; 1,14). Was grundsätzlich irdischen Augen und menschlichem Verstehen verschlossen ist, das hat er, der vom Herzen Gottes kommt, für Menschen erfahrbar gemacht (1,18). Die Spannung zwischen der Aussage: Das WORT wurde Fleisch, also ein der Vergänglichkeit unterworfener Mensch, und dem Bekenntnis: wir sahen seine Herrlichkeit, durchzieht das ganze Evangelium. Zwar hebt das 4. Evangelium die »menschlichen« Züge Jesu nicht besonders hervor. Seine Wunder sind Zeichen seiner göttlichen Vollmacht, in denen seine Jünger seine Herrlichkeit sehen (2,11). Sie veranlassen Menschen zu glauben, dass er von Gott kommt (3,2). Dennoch ist er ganz Mensch: Sohn seiner Mutter und »Josefs Sohn aus Nazareth« (1,45), Bruder unter Brüdern (2,12; 7,3–5), ein Mann, der weint (11,35) und am Kreuz den Tod des Menschen stirbt und begraben wird. Wer Jesus ist, zeigt sich auch nicht erst seinen Wundern. Die entscheidenden Bekenntnisaussagen fallen schon in Kap. 1! Im 4. Evangelium kommen alle traditionelle Würdenamen für Jesus, die sog. christologischen Hoheitstitel, vor. Besonders hervor-
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Die Botschaft des Johannesevangeliums – eine Zusammenfassung
gehoben ist das Bekenntnis zu Jesus als Messias, das eigentliche Christusbekenntnis. Es ist das erste Bekenntnis im entstehenden Jüngerkreis, mit dem Andreas seinen Bruder Simon zu Jesus führt (1,41). Marta spricht dieses Bekenntnis in der Geschichte von der Auferweckung des Lazarus aus, dem letzten Zeichen Jesu (11,27). Und am Schluss des Evangeliums wird gesagt, es sei geschrieben worden, »damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias, Gottes Sohn, ist« (20,31). Johannes kennt die ursprüngliche Bedeutung des Namens Christus. Schon der Täufer war gefragt worden, ob er der Christus, d.h. der Messias, sei. Er hatte das verneint (1,20f). Im Bekenntnis des Andreas verwendet Johannes das gräzisierte hebräische Fremdwort Messias und übersetzt es für seine Leser und Leserinnen mit christos, griechisch: Gesalbter (1,41; so auch 4,25). Damit wird klargestellt: Jesus ist der verheißene endzeitliche Herrscher Israels, der Frieden und Gerechtigkeit für sein Volk bringen soll (vgl. Jes 8,23 – 9,6; 11,1–5; Jer 23,5f; PsSal 17–18; s. zu 1,20). Er ist auch gemeint, wenn Jesus am Beginn und Schluss des ersten Teils König Israels genannt wird (1,49; 12,13). Die Anklage in der Passionsgeschichte, Jesus habe sich zum König der Juden gemacht, zielt auf die politischen Implikationen dieses Titels. Im Gespräch mit Pilatus erklärt Jesus, wie er sich als endzeitlicher »König« versteht: Er ist gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen, das heißt um den Menschen die Wirklichkeit Gottes nahezubringen. Zu glauben, dass Jesus der Messias ist (11,27; 20,31), bedeutet also, sich Gott anzuvertrauen, wie er sich in Jesus offenbart. Johannes stellt das traditionelle Christusbekenntnis in die Mitte seiner Jesuserzählung, gibt ihm aber eine neue, vertiefte Bedeutung. Eng mit dem Messiastitel ist das Bekenntnis zu Jesus als Gottes Sohn verbunden (1,49; 11,27; 20,31; vgl. Mt 16,16). Seinen Ursprung hat diese Bezeichnung in der altorientalischen Herrscherideologie, die den König als Gottes Sohn, den Stellvertreter Gottes auf Erden, sah. Das ist – mit gewissen Einschränkungen – auch im Alten Testament aufgenommen und dann auf den Messias übertragen worden (2Sam 7,14; Ps 2,7; 89,27f; vgl. Röm 1,3f; s. zu 1,34). Damit ist nicht die Vorstellung einer biologischen Abstammung verbunden. Dass Jesus als Josefs Sohn gilt, lässt Johannes unkommentiert stehen (vgl. 1,45; 6,42). Dennoch ist das Bekenntnis zu Jesus als Gottes Sohn eines der wichtigsten Elemente der Christusverkündigung des 4. Evangeliums. Schon das Zeugnis des Täufers für Jesus gipfelt in dieser Aussage (1,34). Umgekehrt lautet die schärfste Anklage gegen Jesus, er habe sich »selbst zu Gottes Sohn gemacht« (19,7). Damit wird nicht nur auf die politische Problematik seiner Messianität hingewiesen,
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sondern sein Anspruch, für Gott zu sprechen, als lästerlich denunziert (vgl. 5,18). Darauf aber kommt es Johannes an. Als Sohn Gottes ist Jesus der einzigartige Vertreter des Vaters. Nur er ist in der Lage, den Menschen Gott in seinem wahren Wesen nahezubringen. Damit wird die Tradition der jüdischen Messiaserwartung universal erweitert. Auch der jüdische Philosoph Philo von Alexandrien (30 v.Chr. – 40 n.Chr.) bezeichnet den Logos, das WORT, als Sohn Gottes (All II,86; Conf 146f; Fug 109). Diese Tradition greift Johannes auf, wenn er in 1,18 das Fleisch gewordene WORT als den Einziggeborenen bezeichnet, der allein zuverlässig vom Vater berichten kann. Und wenn 3,16 sagt: »So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einziggeborenen Sohn gab«, heißt das: Im Sohn kommt, spricht, wirkt und leidet der Vater! Mit diesem Verständnis von Jesus als Gottes Sohn wird das Hoffnungspotential der jüdischen Messiaserwartung auf die ganze Welt ausgeweitet. Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, »damit die Welt durch ihn gerettet wird« (3,17). Adressat des Heilshandeln Gottes in Jesus Christus ist die Welt. Diese universale Bedeutung von Person und Wirken Jesu wird noch deutlicher im Bekenntnis der Samaritaner: »Dieser ist wirklich der Retter der Welt« (4,42). Retter/Heiland ist in der griechisch sprechenden Welt ein Hoffnungsbegriff für Juden wie Heiden. So wird im griechischen Alten Testament Gott bezeichnet (Ps 24,5; Mi 7,7; Hab 3,18). Aber auch viele heidnische Götter und vergöttlichte Herrscher beanspruchten diesen Titel. Für die Menschen in Samarien ist Jesus »wirklich der Retter der Welt«, denn er allein eröffnet den Menschen den Weg zu Gott und schenkt wahres Leben. Die Verwurzelung der Hoffnung für die ganze Welt in der jüdischen Messiaserwartung ist die wichtigste Konkretion der Aussage Jesu: »Das Heil kommt von den Juden« (4,22). Ein zentraler Titel, mit dem sich Jesus selbst bezeichnet, ist der Begriff Menschensohn. Er ist kein Gegenbegriff zu Gottessohn. Es handelt sich um die wörtliche Übersetzung der aramäischen bzw. hebräischen Wendung Sohn des Menschen, die den einzelnen Menschen bezeichnet (vgl. Ps 8,5; Ez 2,1; s. Bd. 1, S. 65f). Ausgehend von Dan 7,13f ist daraus in der apokalyptischen Literatur der Titel Menschensohn für den endzeitlichen Beauftragten Gottes geworden (vor allem 1Hen 37–71). Wie in den anderen Evangelien erscheint der Begriff auch bei Johannes nur im Mund Jesu (in 12,34 wiederholt das Volk eine Aussage Jesu). Sein Vorkommen konzentriert sich auf den ersten Teil des Evangeliums, eindrucksvoll gerahmt durch die beiden grundsätzlichen Äußerungen in 1,51 und 13,31. In den anderen Evange-
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lien kann bei manchen Aussagen gefragt werden, ob Jesus nicht einen anderen als den kommenden Menschensohn erwartet; bei Johannes ist der Begriff jedoch eindeutig zur Selbstbezeichnung Jesu geworden. Bei ihm sind zwei Akzente prägend: 1. Der Menschensohn ist vom Himmel herabgekommen und wird wieder dorthin hinaufsteigen (3,13; 6,62); er ist der Mensch, der von Gott kommt und ganz zu Gott gehört. 2. Der Menschensohn wird am Kreuz erhöht und verherrlicht werden (3,14; 8,28; 12,34; 13,31f). Durch seinen Tod bringt Jesus die Liebe Gottes zur Vollendung. Damit verherrlicht er Gott und wird selbst als sein endgültiger Beauftragter beglaubigt. Er wird nicht am Ende der Zeit kommen, um Gericht zu halten (so Mt 24,30f, 25,31f); das Gericht vollzieht sich jetzt und heute im Glauben oder Unglauben der Menschen (5,24–27; vgl. 9,35). Diejenigen, die sich seinem Ruf öffnen und ihm folgen, werden »sehen« und mit den Augen des Glaubens wahrnehmen, dass Jesus als der Menschensohn in ständiger Verbindung mit Gott steht (1,51). Gerade so aber handelt und wirkt er nach Gottes Willen zum Heil der Menschen (6,27). Darum berühren und überschneiden sich bei Johannes die Rede von Jesus als Menschensohn und als Gottessohn (vgl. 3,13–18; 5,25–27). Beide Begriffe beschreiben ihn aus unterschiedlicher Perspektive als wahren Beauftragten Gottes. Dies gilt vor allem für die Selbstbezeichnung Jesu, die für seine Verkündigung im Johannesevangelium am charakteristischsten ist: das absolut gebrauchte der Sohn. Ihm entspricht die Rede Jesu von Gott als dem/meinem Vater (vgl. Joh 5,19–27). Dieser Sprachgebrauch ist eng mit der Bezeichnung Jesu als Gottes Sohn verwoben, setzt aber einen besonderen Akzent und hebt die intensive Verbundenheit und Handlungseinheit zwischen Gott und Jesus hervor (so schon in Mt 11,27 / Lk 10,22; vgl. Mk 13,32 parr). Konstitutiv ist dabei nicht eine biologische Abstammung des Sohnes vom Vater, sondern seine Sendung (vgl. 3,17.34; 5,23.36; 6,29. 57 u.ö.). Schon bei Paulus ist das ein wichtiges Motiv (Gal 4,4; Röm 8,3). Bei Johannes ist es der zentrale Ausdruck der Sendungschristologie, die das Evangelium bestimmt. »Der, der mich gesandt hat« wird geradezu zur Gottesbezeichnung (4,34; 5,24.30.37f; 6,38f.44 u.ö.; vgl. schon Mt 10,40; Lk 9,48). Hintergrund ist das altorientalische Botenrecht: »Der Abgesandte eines Menschen ist wie dieser selbst« (mBer 5,5). In den Evangelien heißt das: »Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat« (Mt 10,40; 18,5; Mk 9,37; Lk 9,48; 10,16; Joh 13,20). Aus diesem Ansatz entwickelt Johannes den Grundzug seiner Darstellung der Person und des Wirkens Jesu: Als von Gott Gesandter repräsentiert Jesus Gott in
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dieser Welt und handelt in seinem Auftrag. In ihm begegnet Gott: »Wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat« (12,45) oder knapper: »Wer mich sieht, der sieht den Vater« (14,9). Seinen klarsten Ausdruck findet das in dem Bekenntnis des Thomas in 20,29: Mein Herr und mein Gott. Der Ruf: Herr ist Jesus gehört zu den grundlegenden Bekenntnissen der Urchristenheit (vgl. Röm 10,9). Gegenüber all den göttlichen Herren, zu denen sich die heidnischen Zeitgenossen bekannten, wird festgehalten, dass Gott Jesus die Herrschaft über die ganze Schöpfung übergeben hat (vgl. Phil 2,9–11). Aber obwohl im griechischen Alten Testament der hebräische Gottesname JHWH mit HERR (griechisch: kyrios) wiedergegeben wurde, hat man Jesus nicht mit Gott gleichgesetzt (vgl. die klare Unterscheidung in 1Kor 8,5f). Das gilt auch für Johannes. Die Anrede Herr für Jesus kann einfach Ausdruck einer respektvollen Haltung sein (4,11.49; 5,7; 6,34). Der Herr ist offensichtlich der Begriff, mit dem man nach Ostern in der Gemeinde von Jesus geredet hat. Darum findet sich der Titel oft in den Ostererzählungen (20,2.18.20; 21,7.15 u.ö.), aber auch schon vorher, wo aus nachösterlicher Perspektive erzählt wird (6,23.68; 11,2f.12.21; 13,6.9.13f u.ö.). Das Bekenntnis des Thomas aber führt noch einmal einen deutlichen Schritt weiter. Zum einen erinnert die Formulierung mein Herr und mein Gott an den Anspruch des Kaisers Domitian (81–96 n.Chr.), mit »Unser Herr und Gott« angeredet zu werden. Das Bekenntnis zu Jesus widerspricht diesem totalitären Machtanspruch. Zum anderen aber wird durch die enge Verbindung von Herr und Gott ausgesprochen, was im ganzen Evangelium gezeigt werden sollte: In der Person und im Wirken Jesu begegnet Gott selbst den Menschen. Dies kommt am klarsten – und doch auch wieder verschlüsselt – zum Ausdruck, wo Jesus sich mit dem göttlichen Ich bin vorstellt, in dem die Selbstvorstellung Gottes aus Ex 3,14 anklingt (vgl. 8,28.58). Darauf bauen die Ich-bin-Worte Jesu auf, in denen entfaltet wird, was die Begegnung mit Gott in der Person Jesu für die Menschen bedeutet. Gott offenbart sich in Jesus. Das ist die Botschaft des Evangeliums. Und doch wird Jesus nicht mit Gott identifiziert. Schon im Prolog wird differenziert: Das WORT hat Teil an Gottes Wesen, gehört ganz zu ihm, ist »Gott von Art« und wird doch von ihm unterschieden (1,1). Das gilt auch für das Fleisch gewordene WORT, den einziggeborenen Sohn (1,18). In ihm gibt sich Gott in diese Welt und bleibt doch Gott (3,16). So kann Jesus sagen: »Ich und der Vater sind eins« (10,30) und zugleich betonen: »Der Vater ist größer als ich« (14,28). Deshalb handelt er in der Verantwortung vor dem
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Vater, der ihn gesandt hat, dessen Willen er tut und zu dem er betet. Die Einheit von Vater und Sohn ist eine Einheit des Wollens und des Handelns (5,21). Jesus ist das menschliche Gesicht Gottes: »Wer mich sieht, sieht den Vater« (14,9). In ihm und durch ihn wird Gott eindeutig. Es ist der Gott, der die Welt so sehr liebt, dass er in Jesus, dem einziggeborenen Sohn, zur Welt kommt, um den Menschen den Weg in die Gemeinschaft mit sich zu öffnen. 3.
Im Zentrum: Die Offenbarung des Vaters
Es geht um Jesus, und gerade darum geht es um Gott! Das ist das Paradox des 4. Evangeliums. Jesus fordert Glauben und Gefolgschaft letztlich nicht für sich, sondern für »den, der mich gesandt hat«. Er sagt: »Niemand kommt zum Vater, außer durch mich« (14,6), weil es sein Auftrag ist, die Menschen von den Irrwegen, auf denen sie Gott suchen, abzubringen und ihnen den einzig wahren Weg zu Gott zu zeigen. Wenn davon gesprochen wird, dass die Jünger seine Herrlichkeit sahen (1,14; 2,11), dann ist dies keine andere als die Herrlichkeit vom Vater. An Jesus zeigt sich das wahre Wesen und Wollen Gottes. Darum ist er nicht nur mit seinen Worten, sondern mit seiner ganzen Person Zeuge und Verkörperung der Wahrheit, der Wirklichkeit Gottes, des Schöpfers allen Seins und der Quelle allen Lebens (14,6; 18,37). Gott ist der, der Jesus gesandt und sich in ihm in diese Welt hineingegeben hat; Gott ist der, der in Jesus spricht und handelt und dadurch verherrlicht wird, dass Jesus im Leben und Sterben seinen Willen tut. Die häufigste Bezeichnung für Gott im 4. Evangelium ist Vater. In keiner Schrift des Neuen Testaments wird Gott so häufig so genannt. Zunächst wird damit ausschließlich die Beziehung Jesu zu Gott beschrieben. Der Anspruch seiner jüdischen Gegner, Gott zum Vater zu haben, wird dagegen in 8,41–44 vehement bestritten, und zwar gerade deshalb, weil auch das 4. Evangelium von der Überzeugung geprägt ist, dass der Vater Jesu Christi kein anderer ist als der Gott Israels. Die Heiligen Schriften des jüdischen Volks sind gültiges Zeugnis für sein Wirken in Jesus (5,39f.47; vgl. 2,22; 10,34f). Ziel des Wirkens Jesu ist, dass Menschen durch den Glauben an ihn zu freien Kindern Gottes werden (1,12f; 8,36; vgl. 12,36). Doch erst nach seiner Auferweckung spricht Jesus von seinen Jüngern und Jüngerinnen als von »meinen Brüdern und Schwestern« und sagt, er werde »zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott« gehen (20,17). Nun sind sie hineingenommen
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in das Gottesverhältnis Jesu. Die innige Gemeinschaft zwischen Gott und Jesus wird zur Gemeinschaft der Glaubenden mit Jesus und dem Vater: »An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch« (14,20; 15,4–7; 17,21; vgl. 1Joh 3,24; 4,16). Diese »Einheit zwischen Gott und Jesus ist … eine Einheit in der Liebe«, in die auch die Jünger einbezogen werden (14,21.23; 17,23. 26). »Das joh(anneische) Denken ist im Innersten vom Liebesgedanken geprägt; die vom Vater ausgehende Liebe setzt sich im Wirken des Sohnes und der Jünger fort … Es entspricht dem Wesen der Liebe, nicht bei sich selbst zu bleiben; weil Liebe Bewegung ist, setzt sie sich im Wirken des Sohnes und der Jünger fort« (Schnelle, Theologie 624). Diese Bewegung der Liebe ist der Grund, dass Gott nicht bei sich selbst geblieben, sondern im WORT, dem Logos, aus sich herausgetreten ist und sich in ihm, dem einziggeborenen Sohn, in diese Welt hineingegeben hat (1,1–18; 3,16). Gott ist Liebe. Mit dieser Wesensbestimmung fasst der erste Johannesbrief das zusammen, was das Evangelium über Gott aussagt (1Joh 4,8.16). Gottes Sein bestimmt sein Handeln: »So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einziggeborenen Sohn gab …« 1Joh 4,9f spitzt das noch weiter zu: Gottes Liebe erweist sich in der sühnenden Lebenshingabe des Sohnes. Gott ist Licht ist eine weitere Wesensbestimmung Gottes, mit der der erste Johannesbrief zusammenfasst, was schon im Evangelium über Gott und sein Wirken in Jesus Christus gesagt wurde (1Joh 1,5). Das WORT, der Logos, ist das Licht von Gott, das alle Menschen erleuchtet und in die Finsternis ihrer Gottferne hineinscheint. Und Jesus selbst sagt von sich: »Ich bin das Licht der Welt« (8,12; vgl. 9,5; 12,46). In Jesus und seinem Wirken strahlt das Leben schaffende Wesen Gottes auf (vgl. Ps 27,1; 36,10). Von dunklen Seiten Gottes weiß Johannes nichts: »In ihm ist keine Finsternis« (1Joh 1,5). Gott ist Geist ist die dritte Wesensbestimmung Gottes in der johanneischen Theologie. Sie findet sich schon im Evangelium (4,24). Gott ist Geist im Unterschied zum Fleisch als Kennzeichen der menschlichen Existenz, die vergänglich ist und begrenzt. Gott ist Geist bedeutet: Gottes Möglichkeiten sind ohne Grenzen. Er trägt unvergängliches Leben in sich, schafft Leben und schenkt neues Leben in Fülle (5,26; 6,63; 10,10). Sein Wirken ist frei und unverfügbar wie das Wehen des Windes (3,8) und erweist sich doch als treu und verlässlich für alle, die sich ihm öffnen. Wahre Gottesverehrung muss also dem Wesen Gottes entsprechen, d.h. »im Geist und in der Wahrheit« geschehen. »Weil Gott Geist ist und nur im und aus dem Geist richtig angebetet werden kann,
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ist das joh(anneische) Gottesverständnis universal und lässt weder religiös-nationale noch soziale oder geschlechtliche Differenzierungen zu. Samaritaner, Griechen und Juden können an diesen Gottesdiensten ebenso teilnehmen wie Frauen« (Schnelle, Theologie 628). Gott ist Geist, und darum wird er denen, die zu ihm gehören, auch an seinem Geist Anteil geben. 4.
Der Ausblick: Die Verheißung des Geistes
Es geht um Jesus und darum auch um die Frage, wie er nach seiner Auferstehung weiter unter seinen Jüngern und Jüngerinnen wirkt. Deshalb hat die Verheißung, dass sie nach seinem Weggang den Heiligen Geist empfangen würden, so große Bedeutung. Sie ist ein schönes Beispiel dafür, wie Johannes Motive der gemeinsamen Evangelientradition weiterentwickelt. Nach Mk 13,11 müssen sich Jesu Jünger keine Sorge machen, was sie sagen werden, wenn sie sich vor Gericht wegen ihres Glaubens verantworten müssen. »Denn nicht ihr werdet dann reden, sondern der Heilige Geist« (EÜ; vgl. Mt 10,19f; Lk 21,13f). Diese Aussage wird zum Ausgangspunkt für die sehr viel umfassendere Zusage Jesu in den Abschiedsreden des 4. Evangeliums, dass Gott seinen Jüngern und Jüngerinnen den Heiligen Geist in Gestalt des Parakleten, d.h. des Beistands bzw. Fürsprechers, senden wird (14,16f; 14,26; 15,26; 16,7–11; 16,13f). Schon vorher ist im Evangelium vom Heiligen Geist die Rede. Auch bei Johannes kündigt der Täufer an, dass Jesus mit dem »Heiligen Geist taufen« werde (vgl. Joh 1,33; Mk 1,8; Mt 3,11; Lk 3,16). Er sieht, wie der Geist auf Jesus herabkommt, und das ist für ihn das Zeichen, dass Jesus wirklich Gottes Sohn ist (1,33f). Doch die, die an Jesus glauben, werden erst nach seinem Tod und seiner Auferweckung den Geist empfangen (7,38f). Grundsätzlich aber gilt: In der heilvollen Gemeinschaft mit Gott kann nur leben, wessen Leben von Gottes Geist erfüllt ist. Nur wer aus dem Geist geboren ist, kann ins Reich Gottes kommen (3,5–8), und wer Gott wirklich anbeten möchte, muss ihn »im Geist und in der Wahrheit anbeten« (4,24). Denn allein »der Geist ist es, der lebendig macht« (6,63); in ihm ist Gott mit seinem schöpferischen, rettenden und heilenden Wirken gegenwärtig. Darauf beruht die Verheißung, dass Gott den Jüngerinnen und Jüngern Jesu seinen Geist als Beistand und Fürsprecher (griechisch: Parakleten) senden wird. Gott sendet ihn auf Bitten des Sohnes (14,16) bzw. »in seinem Namen« (14,26). Und wo es heißt, dass Je-
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sus ihn sendet (15,26; 16,7), wird betont, dass er »vom Vater ausgeht« (15,26). Es ist der »Geist der Wahrheit« (14,17; 15,26; 16,13), eine Bezeichnung, die wie »Heiliger Geist« (14,26) signalisiert: Es ist der Geist, der von Gott kommt und ihn, sein Wesen und seinen Willen, unter den Menschen vergegenwärtigt. Darum haucht Jesus den Jüngern bei ihrer Beauftragung in einer symbolträchtigen Handlung den Geist ein und gibt ihnen die Vollmacht, Sünden zu vergeben (20,21–23). Das Wirken des Beistandes gilt also nicht nur den einzelnen Glaubenden, sondern der künftigen Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen. Für sie wird er die Botschaft Jesu vergegenwärtigen: Er »wird euch alles lehren und an alles erinnern, was ich gesagt habe« (14,26) und »wird Zeugnis geben von mir« (15,26). Das heißt: Er wird für die Gemeinde die Verkündigung Jesu aktualisieren und ihr helfen, in die jeweilige Zeit zu sprechen: Er wird sie »in aller Wahrheit leiten. Denn was er hören wird, wird er reden; was zukünftig ist, wird er verkünden« (16,13). Er wird also auch dafür sorgen, dass die Botschaft Jesu bewahrt wird und die Bedeutung seiner Person und seines Wirkens im Zentrums bleibt: »Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkünden« (16,14). Eigentümlich ist die Ankündigung, dass der Beistand auch die Aufgabe haben wird, »die Welt zu überführen« (16,8–11). Auch für ihre Verkündigung gegenüber der »Welt« darf die Gemeinde mit dem Beistand des Geistes rechnen, gerade wenn es darum geht, den Menschen deutlich zu machen, wie es um sie steht und dass sie ihr Leben verfehlen, wenn sie sich nicht für Gottes Handeln in Jesus Christus öffnen. Vom Heiligen Geist wird bei Johannes wie von einer handelnden Person gesprochen (er hört und redet, lehrt und erinnert, verherrlicht und überführt usw.). Damit treffen wir auf erste Ansätze zu einem trinitarischen Denken. Zwar sind der Sohn und der Geist in ihrem Handeln ganz auf den Vater ausgerichtet und ihm untergeordnet. Zugleich aber betont der Evangelist die absolute Einheit im Wollen und Handeln von Vater und Sohn und die Gegenwart des Sohnes und seiner Botschaft im Wirken des Geistes. Es ist Gott, der als Vater alles bestimmt, sich im Sohn der Welt zuwendet und im Geist bleibend in der Gemeinde wirkt. Das begrifflich zu klären wird dann das Anliegen der späteren Trinitätslehre sein. 5.
Der Anlass: Die Not der Menschen
Es geht im Johannesevangelium um die Not der Menschen. Darum ist Jesus und das, was Gott durch ihn tut, so wichtig. Äußerlich
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zeigt sich das an Jesu wunderbaren Taten. Seine Zeichen sind Hilfe in vielfachen menschlichen Nöten, wie Krankheit, Hunger und Tod. All das sind Beispiele für die Not, aus der Jesus hilft. Aber so dramatisch diese Notsituationen geschildert werden, sie sind doch nur Symptom für das, was den Menschen wirklich fehlt. Ihr eigentliches Problem liegt tiefer. Die wahre Not der Menschen ist ihre Entfremdung von Gott. Schon am Beginn des Evangeliums wird festgestellt: Die Welt, die Gott erschaffen hat, erkannte das Licht, das der Schöpfer gesandt hat, nicht und hat sich der Gemeinschaft mit ihm verweigert (1,5.10f). Diese Ablehnung hat ihren Grund: »Die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse« (3,19). Weil sie nicht in der Gemeinschaft mit Gott leben, können die Menschen nicht das tun, was Gottes Willen entspricht und gut für ihr Miteinander wäre. Und weil sie spüren, dass ihr Leben nicht in Ordnung ist, öffnen sie sich nicht für die Gegenwart Gottes in seinem WORT und im Wirken Jesu: »Wer Böses tut, der hasst das Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden« (3,20). Wie es um die Menschen steht, das zeigt sich in seiner ganzen Problematik erst in der Begegnung mit Gottes Liebe, die ihnen in Jesus Christus nahekommt. Ist es bei Paulus das Kommen des Gesetzes, das die verborgene Sünde der Menschen entlarvt (Röm 7,7– 9), so bei Johannes das Kommen Jesu, an dem sich zeigt, wo die Menschen wirklich stehen. Dass sie ihn ablehnen, deckt auf, wie sehr sie sich von Gott getrennt haben und ihm feindlich gegenüberstehen (15,22–24). Deshalb ist für Johannes die eigentliche Sünde der Menschen ihr Unglaube (16,9; vgl. 3,18). Das mag überraschen, ja problematisch klingen. Denn gibt es nicht unendlich viel Ungerechtigkeit und Bosheit unter den Menschen, die nicht einfach auf Unglauben zurückgeführt werden können? Haben nicht auch viele Menschen, die behaupteten, an Jesus zu glauben, sehr viel Leid über andere gebracht? Aber wenn Jesus sagt, dass die Sünde der Welt darin bestehe, »dass sie nicht an mich glauben«, geht es nicht um das formale Ablegen eines Glaubensbekenntnisses. In der Begegnung mit der Liebe Gottes in Jesus Christus offenbart sich die grundsätzliche Ausrichtung eines Lebens: Ist es offen für diese Liebe und damit für Gott als Quelle und Freund des Lebens oder nicht? Die Bedeutung des Tuns ist bei Johannes keineswegs ausgeblendet (vgl. 3,20f). Für ihn hat die Sünde »gleichermaßen Tat- und Verhängnischarakter« (Schnelle, 686): »Wer Sünde tut, ist Sklave der Sünde« (8,34). Weil die Menschen von Gott getrennt sind, tun sie Böses, handeln lebensfeindlich, und gerade dadurch unterwerfen sie
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sich der Macht der Sünde. Es ist ein »Teufelskreis«, der in den Tod als endgültige Trennung von Gott führt (8,21.24). Das aber soll die Sendung des Sohnes verhindern. Gott will nicht, dass Menschen zugrunde bzw. verloren gehen (3,16). Die drohende Gefahr ewiger Verlorenheit, die hier angesprochen wird, wird im Johannesevangelium nicht näher beschrieben oder gar ausgemalt. Von einer Hölle ist nicht die Rede und auch nicht von einer Strafe, die über die verhängt würde, für die ihr Unglaube zum Gericht wird (3,18). Am deutlichsten ist 3,36: »Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm«. Das aber heißt: Wo sich Menschen nicht durch Jesus in die Gemeinschaft mit Gott rufen lassen, da wird ihre Entfremdung von Gott verewigt. Ihr physischer Tod entlässt sie nicht ins Nichts, in dem alles verlischt, sondern stellt endgültig und schmerzlich fest, dass das, was sie gelebt haben, nicht wirklich Leben war, Leben, das in der Gemeinschaft mit Gott bleibend aufgehoben ist. 6.
Die Hilfe: Die Liebe Gottes und das Heil der Menschen
Weil es um die Menschen geht, geht es um Jesus und um die Liebe Gottes, die ihn zum Retter der Welt bestimmt hat. Die Grundsatzerklärung des Johannesevangeliums zum Heilshandeln Gottes steht in 3,16f: »Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er den einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe. Denn Gott hat den Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde« (ZB). Johannes benutzt die traditionellen Begriffe verloren bzw. zugrunde gehen und gerettet werden, um zu beschreiben, was Rettung und Heil bedeuten (so auch Paulus in 1Kor 1,18; vgl. Röm 1,16f). Parallel dazu steht ein Ausdruck, der für das 4. Evangelium typisch ist und das Heil positiv beschreibt: das ewige Leben haben (vgl. 3,15.36; 5,24; 6,40.47). Rettung bedeutet, für immer in der durch Christus geschenkten Lebensgemeinschaft mit Gott geborgen zu sein. Was aber bedeutet, gerettet zu werden? Die traditionelle Deutung, freigesprochen zu werden im Jüngsten Gericht, ist bei Johannes ausgeklammert. Das letzte Urteil über das Leben vor Gott fällt schon jetzt in der Entscheidung angesichts der Botschaft Jesu (3,17– 21; 5,24). Das 4. Evangelium beantwortet diese Frage auf drei sprachlichen Ebenen.
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Da ist die Sprache der Zeichen. Jesu Wunder sind Zeichen für seine Vollmacht, Menschen in ihrer Not zu helfen. Er schenkt Freude, wo Mangel droht, rettet aus tödlicher Krankheit, heilt, wo andere Hilfe versagt, gibt den Menschen zu essen, leistet Beistand in rauer See, schenkt einem Blindgeborenen das Augenlicht und erweckt Tote zu neuem Leben. Die Art, wie Johannes das erzählt, könnte freilich den Eindruck erwecken, was hier an Rettung aus handgreiflicher Not geschieht, sei nur »Kulisse« für das eigentliche Geschehen, über das dann in den folgenden Gesprächen diskutiert wird. Tatsächlich senden Jesu Taten eine Doppelbotschaft aus: Sie sind Hilfe in der Not und Hinweis auf das, was Menschen letztlich brauchen: Heilung von der Krankheit der Sünde, Hilfe für den Hunger und Durst nach Leben, bleibendes Leben aus dem Tod. Das wird unterstrichen durch die Sprache der Bilder, die Jesus bei Johannes verwendet. Die Ich-bin-Worte Jesu verwenden Urbilder menschlichen Lebens und Hoffens, um zu zeigen, was Jesu Person und sein Wirken bedeuten. Auch wenn mit Wasser und Brot Grundbedürfnisse menschlichen Lebens angesprochen sind, werden die Bilder transparent für eine tiefere Bedeutung: Durch Jesu Wort und Weg wird der Lebensdurst und der Lebenshunger der Menschen gestillt, Licht erhellt die Finsternis eines verfehlten Lebens, am Weinstock wachsen und Frucht bringen bedeutet erfülltes Leben, Weg und Tür führen in die Gemeinschaft mit Gott, Wahrheit, Auferstehung und Leben sind Inbegriff für eine Existenz, die in Gott geborgen ist. Es ist Leben in Fülle, das die Begegnung mit Jesus schenkt (10,10). Entscheidend aber ist die Sprache des Kreuzes. Zwar entfaltet das Evangelium, anders als der 1. Johannesbrief (1Joh 1,7; 2,2; 4,9f), keine ausgesprochene Sühnetheologie, aber die Bedeutung der Hingabe des Lebens Jesu für das Heilshandeln Gottes kann schwerlich überschätzt werden. Im Zentrum steht die Aussage, dass durch seinen Tod die Sünde der Menschheit verarbeitet und damit ihre tödlichen Folgen überwunden werden: Er ist Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt (1,29). Und immer wieder wird in diesem Zusammenhang betont, dass dies für die Welt geschieht (3,17; 4,42; 6,33.51; 8,12; 9,5). Oft wird die Bedeutung des Todes Jesu damit verglichen, dass ein Mensch durch die Hingabe seines Lebens andere rettet. Der gute Hirte gibt sein Leben für die Schafe (10,13); er stirbt für das Volk; aber nicht nur für das Volk, sondern für alle verstreuten Kinder Gottes (11,52); Jesus lässt sein Leben für die Freunde (15,13). Er nimmt den Tod auf sich, damit die Menschen Leben haben. Daher stirbt Jesus mit den Worten: »Es ist vollbracht!« (19,30).
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Ganz eigengeprägt ist die Aussage in 3,14f: Nach dem Vorbild der Geschichte von der ehernen Schlange wird Jesu Tod am Kreuz als »erhöht werden« bezeichnet (vgl. 12,32.34). Sein Kreuz wird zum Sühnezeichen, das Schuld der Menschen und rettendes Handeln Gottes in einem darstellt. Wer sich der Anklage dieses Zeichens stellt und zugleich auf Gottes Handeln in ihm vertraut, wird ewiges Leben haben. Heil ist für Johannes Überwindung der Sünde. Am Beginn des Evangeliums nennt der Täufer Jesus »Gottes Lamm, das die Sünde der Welt wegträgt« (1,29). Am Ende steht die Bevollmächtigung der Jünger, Sünden zu vergeben (20,21). Die eigentliche Heilsverheißung aber ist positiv: Jesus ist gekommen, »dass sie das Leben haben«, und zwar »Leben in Fülle«, wahres Leben, »ewiges Leben«. Ewiges Leben aber meint nicht nur die Fortdauer der Existenz nach dem Tod, sondern Leben in der Gemeinschaft mit Gott, Leben, das in ihm geborgen, von seiner Liebe erfüllt und durch seinen Geist geleitet wird. Es wird im Glauben schon jetzt geschenkt (3,36; 5,24) und in der letzten Begegnung mit Gott vollendet (5,28f). 7.
Das Ziel: Die Antwort der Menschen
Wenn es um Jesus geht, geht es auch um die Antwort der Menschen. Es ist das erklärte Ziel dieses Evangeliums, Menschen zum Glauben zu führen und im Glauben zu bewahren (20,30f). In keiner Schrift des Neuen Testaments kommt das Wort glauben so oft vor wie im 4. Evangelium: 98-mal findet sich das griechische Verb, das Substantiv dagegen kein einziges Mal! Glauben wird also vor allem als menschliche Aktivität gesehen. Zu glauben beschreibt den Schritt in die heilvolle Gemeinschaft mit Gott, aber auch das Leben in dieser Gemeinschaft (3,18; 11,27; 20,31). Das zeigen die Parallelbegriffe: zu Jesus kommen (6,35; 7,37), ihm nachfolgen (vgl. 8,12 mit 11,25), sein Wort annehmen und halten (17,6–8; vgl. 12,47f), in ihm und seinem Wort bleiben (6,56; 15,4) und – interessanterweise – auch ihn erkennen (6,69; 17,8.23) und ihn sehen (6,40; 14,9f; aber vgl. 20,29). Es geht also darum, sich mit seiner ganzen Existenz Jesus zuzuwenden und das Leben für ihn und sein Wirken zu öffnen. Dieser Glaube hat einen Inhalt: glauben, dass Jesus der Messias und Gottes Sohn ist (11,27; 20,31), abgekürzt: an ihn glauben (2,11; 3,16) bzw. an seinen Namen glauben (1,12; 2,23; 3,18). Das heißt auch: zu glauben, dass er von Gott gesandt (6,29; 11,42; 17,8.21) bzw. von ihm ausgegangen ist (16,27.30; 17,8) und dass er im Vater ist und der Vater in ihm (14,10f). Kurz gesagt: Es heißt, sein Leben
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dafür zu öffnen, dass Gott in Jesus den Menschen in einzigartiger Weise begegnet. An Jesus zu glauben bedeutet daher zugleich, an Gott zu glauben – und umgekehrt (5,24; 12,44; 14,1). Wer glaubt, vertraut sich ganz der Wirklichkeit Gottes in Jesus an. Wer glaubt, wird in Jesu Gemeinschaft mit Gott hineingenommen und erhält Anteil an wirklichem Leben aus Gott, an einem Leben, das aus der Fülle der Liebe Gottes lebt und nicht mehr dem Tod unterworfen ist. Hier zeigt sich freilich eine Spannung, die das ganze Evangelium durchzieht. Gott hat den Sohn gesandt, damit durch ihn die Welt gerettet werden soll (3,17). Er ist »der Retter der Welt« (4,42; vgl. 1,29; 6,33.51¸12,47). Wirksam aber wird dieses rettende Handeln bei jedem, der glaubt: »Wer glaubt, hat das ewige Leben« (3,15f; 5,24; 6,40.47). Gottes Retten ist keine Zwangsbeglückung. Weil Heil Leben in Beziehung ist, fragt Gottes Ja nach dem Ja der Menschen. Wird damit der Glaube eine zu leistende Bedingung? Die Antwort ist nicht einfach. »Erarbeitet euch … die Speise, die zum ewigen Leben bleibt«, sagt Jesus in 6,27. Doch auf die Frage der Leute: »Was sollen wir tun, damit wir die Werke Gottes wirken?«, antwortet er: »Das ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat“ (6,28f). Damit ist die Spannung, die hier besteht, knapp umrissen: Jesus lädt die Menschen ein, an ihn zu glauben (3,15–18.36; 5,24; 6,40; 14,11f). Aber gleichzeitig kann er sagen: »Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater ihn nicht zieht« (6,44.65; 15,16; vgl. 17,6–10). Der Glaube ist also Tat des Menschen und bleibt doch Gottes Werk! Oder mit Paulus gesprochen: »Es liegt nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen« (Röm 9,16). Johannes zitiert Worte Jesu, die von Gottes Vorherbestimmung sprechen, aber er entwickelt keine Prädestinationslehre. Das Paradox bleibt: Menschen werden zum Glauben gerufen und für ihren Unglauben verantwortlich gemacht (3,36; 16,9), aber dass sie glauben können, ist Gnade! Doch die menschliche Antwort auf Jesu Kommen, die Gottes Gnade bewirkt, ist noch umfassender. Am Ende seines Wirkens fasst Jesus dessen Ziel so zusammen (17,26): »Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen«. Die Jünger und Jüngerinnen Jesu sollen teilhaben an der Liebe Gottes. Ähnlich in 15,9: »Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!« Die Liebe Jesu ist die irdische Verwirklichung der Liebe Gottes. Sie wird zum Lebensraum derer, die sich ihr öffnen. Erwartet wird nur eines: Bleibt in dieser Liebe, dann bleibt ihr in Gott!
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Das führt zu einem fruchtbaren Zirkel. Denn es gilt auch umgekehrt: »Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen« (14,23; vgl. V. 21). Oder mit etwas anderem Akzent: »Denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin« (16,27). Es gibt also ein intensives Ineinander von Glaube und Liebe: »Wer Jesus liebt, glaubt an ihn, und wer an ihn glaubt, liebt ihn« (Schnelle, 305 zu 14,21). Das Liebesgebot, in dem die ganze johanneische Ethik zusammengefasst ist, ist also kein sekundärer Anhang zur Glaubensverkündigung, sondern unmittelbare Konsequenz des Lebens von der Liebe Christi: »Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt« (13,34). Neu ist dieses Gebot nicht durch seinen Inhalt, sondern dadurch, dass es in der Liebe Christi begründet wird (15,12). Solche Liebe ist auch das entscheidende Kennzeichen der Gemeinde Jesu: »Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt« (13,35). Dass nur von der Liebe untereinander gesprochen wird, steht nicht im Dienst gruppenegoistischer Abgrenzung. Das Eins sein der Gemeinde in der Liebe soll dazu führen, dass »die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst« (17,23). 8. Die Zukunft: Die Gemeinde Jesu und die johanneische Gemeinschaft Weil es um die Liebe geht, darum ist die Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen wichtig. Sie soll zur Verkörperung der Liebe Gottes werden. Wie es weitergeht mit der Jesusbewegung, das ist ein wichtiges Thema für das 4. Evangelium. In den anderen Evangelien wird es nur bei Matthäus ähnlich intensiv behandelt. Am Beginn des Wegs der Gemeinde steht die Sendung der Jünger durch den Auferstandenen. Sie war mehrfach angekündigt worden (4,38; 15,16; 17,18). Nun erfolgt das eigentliche Sendewort: »Wie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch« (20,21). Bedenkt man die grundlegende Bedeutung des Motivs der Sendung im 4. Evangelium, wird man das Gewicht dieser Aussage kaum überschätzen können. Durch die Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu wird sein Auftrag weitergeführt! In den anderen Evangelien erhalten die Jünger bei ihrer Aussendung teilweise sehr umfassende Beauftragungen (vgl. Mk 6,7; Mt 10,1.7f; Lk 9,1; 10,9; nach Ostern Mt 28,19f; Lk 24,47). Dagegen
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wird bei Johannes kein konkreter Auftrag genannt – außer der Bevollmächtigung, Sünden zu vergeben oder zu behalten (20,22). Das ist ein neuer Akzent gegenüber Jesu Wirken (doch vgl. 5,14). Weil Jesus seinen Auftrag vollendet und »sein Werk« vollbracht hat, weitet sich der Wirkungskreis seiner Jüngerinnen und Jünger in doppelter Weise aus (vgl. 14,12): Sie haben die Vollmacht, Menschen das zuzusprechen, was Gott durch den Tod Jesu bewirkt hat: die Bereinigung ihrer schuldhaften Vergangenheit. Doch auch der geographische Horizont ihres Auftrags wird umfassender. Nicht nur Israel ist im Blick, sondern die ganze Menschheit, aus der viele in die Gemeinschaft der Gemeinde Jesu finden werden (10,16; 11,51). Damit sie diesen Auftrag in der Nachfolge und im Geist Jesu ausüben können, sendet Gott den Jüngern den Beistand, den Parakleten, den Geist der Wahrheit, der Jesu Wort und Werk unter ihnen vergegenwärtigt (14,16f; 26; 15,26; 16,13). So gerüstet können sie die Botschaft in die Welt hineintragen, in die sie von Christus gesandt sind (15,27; 16,7–11; 17,18). Durch ihre Zugehörigkeit zu Jesus werden die Jünger und Jüngerinnen zur Gemeinschaft der Gemeinde Jesu zusammengeführt und in ihr zusammengehalten. Die Liebe Gottes und Jesu ist der Raum, in dem die Menschen verschiedener Herkunft und unterschiedlicher Generationen zur Einheit zusammenfinden (17,20– 23.26). Diese Einheit in Liebe ist ein Zeichen für die Gegenwart Gottes und für sein Handeln in Jesus und wird zum Zeugnis für die Welt, das sie zum Glauben an Jesus führen soll (17,21). Irgendwelche organisatorische Strukturen dieser Gemeinschaft sind nicht zu erkennen. Den Gemeinden, aus denen das Evangelium stammt und zu denen es spricht, scheint jedes hierarchische Denken fremd zu sein. Was in diesem Kontext die Beauftragung des Petrus bedeutet, die Schafe Jesu zu weiden (21,15–17), ist schwer zu sagen. Zur Zeit der Abfassung des Evangeliums war Petrus wohl schon gut zwei Jahrzehnte tot. War die Erzählung von seiner Rehabilitation nur Erinnerung an seine historische Bedeutung? Oder stand mehr dahinter? Oft wird angenommen, die johanneischen Gemeinden würden durch diese im Nachwort aufgenommene Erzählung aufgefordert, die Autorität des Petrus als Hirten der Kirche und Stellvertreter Christi anzuerkennen und »sich der von ihm geführten Herde anzuschließen« (Zumstein,788). Aber welche »Herde« konnte das sein? Am Ende des ersten Jahrhunderts gab es wohl noch nicht einmal in Rom Ansätze zur Idee eines gesamtkirchlichen Petrusamtes. Eine großkirchliche Organisation unter Leitung des Petrus bzw. eines Nachfolgers ist nirgends erkennbar.
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Vielleicht ist die Beauftragung des Petrus eher Beispiel dafür, wie geistliche Leitung begründet wird. Es ist eine Aufgabe, die im Wissen um das eigene Versagen übernommen wird. Ihre Grundlage ist die Liebe zu Jesus, und die Bevollmächtigung durch ihn erfolgt sola gratia, allein aus Gnade. Sie geschieht im Kontext einer Verkündigung des Evangeliums, dessen Verlässlichkeit durch die Gestalt des Lieblingsjüngers garantiert ist. Das Wesen der Gemeinde Jesu nach johanneischem Verständnis zeigt sich auch im Bild des Miteinanders der Jünger und Jüngerinnen, wie es im Evangelium gezeichnet wird. Es ist eine Gemeinschaft der Fragenden und Glaubenden, eine Gemeinschaft, in der Menschen miteinander zu Jesus kommen und untereinander im Gespräch bleiben. Es ist eine Gemeinschaft der Freunde Jesu, seiner Brüder und Schwestern, die auch untereinander in freundschaftlicher Liebe verbunden sind. Ihre gegenseitige Liebe strahlt etwas von der Liebe Gottes und Jesu in eine lieblose Welt hinaus und führt Menschen zum Glauben an Jesus. So erfüllen sie ihre Mission, sind »Salz der Erde« und »Licht der Welt« (Mt 5,13–16). 9.
Das Rätsel: Die Entstehung des Evangeliums
Es geht um Jesus und seine wahre Bedeutung. Um das ganz klar zu machen, wurde das vierte Evangelium mit seinem ganz besonderen Profil geschrieben. Das führt zu der Frage: Wer kann diesen Neuentwurf gewagt haben? Am Ende des Buches steht ein klarer Hinweis (21,24): Der Jünger, den Jesus liebte, der ist es, »der über (all) dies Zeugnis abgelegt und es geschrieben hat«. Die Verfasser des letzten Kapitels des Evangeliums berufen sich auf die Autorität des Lieblingsjüngers, von dem schon in 13,23–25; 19,26f; 20,2–10 und 21,7.21–23 die Rede war. Er hat das Evangelium geschrieben bzw. seine Niederschrift autorisiert. Wer aber war dieser Jünger? Wir haben diese Frage schon in der Einleitung in Bd. 1 (S. 14–16) behandelt. Was lässt sich am Ende unserer Auslegung sagen? Zunächst ein Wort zur Über- bzw. Unterschrift des Buchs. Sie lautet in allen Handschriften Evangelium nach Johannes bzw. nur Nach Johannes. Die Formulierung nach Johannes deutet freilich an, dass diese Angabe erst später hinzugefügt wurde, als die Notwendigkeit bestand, dieses Evangelium von den anderen zu unterscheiden. Immerhin war damit sehr früh eine Spur gelegt. Als erster hat Irenäus (ca. 135–200 n.Chr.) die Meinung vertreten, es handle sich da-
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bei um den Apostel Johannes, den Sohn des Zebedäus, der bis ins hohe Alter in Ephesus gewirkt und dort das Evangelium geschrieben habe. Seither galt er als Verfasser des Evangeliums. Aber dagegen gibt es gravierende Einwände. Heute werden hauptsächlich vier verschiedene Hypothesen im Blick auf den Verfasser des vierten Evangeliums vertreten: 1. Der Lieblingsjünger war der Zebedaide Johannes, der auch das Evangelium verfasst oder autorisiert hat. Aufgrund des Gewichts und Alters der kirchlichen Tradition wird dies immer noch gelegentlich vertreten. Dagegen spricht, dass die beiden Söhne des Zebedäus nur einmal, in 21,2, erwähnt werden. Keines der Ereignisse, bei denen nach den anderen Evangelien nur sie und Petrus anwesend waren, wird im 4. Evangelium berichtet (vgl. Mk 5,37; 9,2; 14,33 und Parallelen). Es ist zugleich schwer vorzustellen, dass ein Jünger der ersten Stunde die Verkündigung Jesu so radikal neu gestaltet hat. 2. Der Lieblingsjünger ist eine fiktive Person für den idealen Jünger, die bewusst anonym bleiben und als Autor des Evangeliums gelten soll, das aber von einer Gruppe verfasst worden ist. Das ist die Gegenthese zur traditionellen Auffassung. Sie scheitert jedoch daran, dass in 21,20–23 das Gerücht, Jesus habe diesem Jünger versprochen, er werde nicht sterben, bevor er wiederkommt, als unzutreffend zurückgewiesen wird. Bei einer fiktiven Gestalt wäre diese Diskussion unsinnig. 3. Der Lieblingsjünger ist eine fiktive Gestalt, die aber so dargestellt ist, dass sie mit dem Zebedaiden Johannes identifiziert werden soll (wobei diese Spur aber u.U. erst bei der Endredaktion durch 21,2.24 gelegt worden ist). Das ist die unwahrscheinlichste der vier Hypothesen. Abgesehen von den Einwänden gegen die Annahme einer fiktiven Person: Ein Evangelium, das den Eindruck erwecken wollte, es sei von Johannes, dem Sohn des Zebedäus, geschrieben, müsste anders aussehen als unser 4. Evangelium. Gäbe es nicht die kirchliche Tradition, würde man kaum auf die Idee kommen. 4. Hinter der realen, aber mit idealisierten Zügen gezeichneten Gestalt des Lieblingsjüngers steht eine Person aus dem Kreis der Jerusalemer Jünger Jesu (vgl. 18,30). Deshalb wird er erst ab 13,23 erwähnt. Er gehörte nicht zu den Zwölfen, aber zum engsten Kreis um Jesus. Auch er könnte Johannes geheißen haben, denn Papias, Bischof in Hierapolis um 150 n.Chr., kennt einen zweiten Jünger Jesu mit Namen Johannes. Er nennt ihn den Alten oder Ältesten (griech.: Presbyter). So bezeichnet sich auch der Verfasser des 2, und 3. Johannesbriefs (2Joh 1; 3Joh 1). Es liegt nahe anzunehmen, dass sich das 4. Evangelium auf das Zeugnis dieses Jüngers beruft. Vielleicht ist er erst später zum Jüngerkreis gestoßen. Das würde
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erklären, dass er sich frei fühlte, Jesu Worte in einer anderen Gestalt zu überliefern, als dies die anderen Evangelien vor allem aufgrund der galiläischen Verkündigung Jesu tun. Aber diese Berufung auf einen »historischen« Zeugen scheint dem Evangelium nur teilweise wichtig zu sein. Dass das Zeugnis dieses Gewährsmanns wahr ist (19,35; 21,24), beansprucht zwar grundsätzlich auch, dass die Jesusgeschichte kein erfundener Mythos, sondern Bericht über geschichtlich Geschehenes ist. Vor allem aber wird damit versichert, dass Sinn und Ziel des Wirkens Jesu zutreffend wiedergegeben sind. Dass der Lieblingsjünger anonym bleibt und seine Gestalt die Züge eines idealen Jüngers aufweist, soll den Blick von der einzelnen Person weg auf die grundsätzliche Zeugenfunktion des Evangeliums lenken. Wie wir gesehen haben, dürfte der Evangelist das Markus- und wohl auch das Lukasevangelium gekannt haben. Er benutzt sie aber nicht direkt als Vorlage. Er setzt bei seinen Leser und Leserinnen ein Grundwissen über Ereignisse und Personen der Evangelienüberlieferung voraus. Weiter lässt sich beobachten, wie bestimmte Aussagen Jesu aus Worten der sonstigen Wortüberlieferung weiterentwickelt und in prophetischer Freiheit neu gesprochen werden (vgl. zu 3,5; 12,25f; 14,16; 15,26f). Vielfach wird angenommen, dass der Evangelist eine Sammlung von Berichten über die Wunder Jesu, die sog. Zeichenquelle, übernommen hat. Darauf scheint die Erwähnung eines ersten und zweiten Zeichens in 2,11 und 4,54 hinzuweisen, vor allem jedoch der Schluss in 20,30f, wo von diesen und vielen anderen Zeichen die Rede ist. Dagegen spricht aber, dass es keine sprachlichen Unterschiede zwischen den Abschnitten, die dieser Quelle zugeschrieben werden, und dem übrigen Text gibt. Wahrscheinlich ist daher, dass das Evangelium in mehreren Schritten entstanden ist. Dass nach Jesu Aufforderung zum Aufbruch in 14,31 und dem Schlusswort des Evangelisten in 20,30f die Erzählung noch einmal neu einsetzt, lässt sich kaum anders erklären. Auch andere inhaltliche »Brüche« mögen dadurch zu erklären sein, dass im Zuge einer Neubearbeitung bzw. dem Prozess des »Wiederlesens«, einer relecture des Textes, zusätzliches Material eingefügt wurde. Unsere Auslegung hat jedoch gezeigt, dass es sich dabei nicht um eine Umarbeitung des Evangeliums durch theologisch anders ausgerichtete Bearbeiter handelt, sondern um eine sehr bedachte Weiterentwicklung der theologischen Grundlinie des Evangeliums – vermutlich durch den Evangelisten selbst oder ihm nahestehende Schüler. Die Situation der Gemeinden, für die das Evangelium geschrieben wurde, ist offensichtlich von heftigen Auseinandersetzungen mit
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der jüdischen Gemeinde gekennzeichnet. Jüdische Christen sind aus der Synagoge ausgeschlossen worden, und es gibt heftigen Widerstand gegen das Bekenntnis zu Jesus als dem Messias. Dennoch hält das Evangelium an der Verwurzelung Jesu und seiner Botschaft im Judentum fest. Eine ähnliche Situation findet sich im Matthäusevangelium. Anders als bei Matthäus hat Johannes jedoch auch Vorstellungen aus dem griechischsprechenden Judentum aufgenommen. Vor allem die Nähe der Aussagen des Prologs zu Gedanken des jüdischen Religionsphilosophen Philo zeigen das. Die für uns fast unerträgliche Schärfe der Polemik gegen »die Juden« ist also im Grunde noch eine innerjüdische Auseinandersetzung, die sich gegen bestimmte Kreise des zeitgenössischen Judentums richtet. Durch ihre unheilvolle Verallgemeinerung hat sie aber eine verheerende Wirkungsgeschichte gehabt und muss – nicht nur deshalb – sehr kritisch gesehen werden. Anders als oft behauptet waren die johanneischen Gemeinden keine isolierte Sondergruppe innerhalb der Urchristenheit, stellten aber eine eigengeprägte Strömung dar. Die traditionelle Beheimatung in Ephesus könnte durchaus das Richtige treffen. Die jüdischen Wurzeln des Verfassers und seiner Tradition sind noch klar erkennbar, er setzt jedoch bei seiner Leserschaft keine Aramäisch- oder Hebräischkenntnisse voraus. Auch der jüdische Festzyklus, der im Evangelium eine so große Rolle spielt, scheint ihr fremd zu sein. Sie dürfte folglich mehrheitlich heidenchristlicher Herkunft sein. Die missionarische Existenz der Gemeinde ist Johannes wichtig; das Evangelium selbst ist trotz 20,31f primär jedoch keine Missionsschrift. Ein Indiz dafür ist auch, dass es bei seinen Adressaten Grundkenntnisse über Ereignisse und Personen im Leben Jesu voraussetzt. Die Abschiedsreden zeigen die eigentliche Intention des Buches: Eine angefochtene Gemeinde soll in ihrem Glauben gestärkt werden. 10.
Die Botschaft: Das Johannesevangelium heute
Es geht auch um uns, die Menschen von heute – das jedenfalls ist der Anspruch dieses Evangeliums. Die historische Wirkung des 4. Evangeliums kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Es hat vor allem durch den Prolog der jungen Christenheit geholfen, in ein konstruktives Gespräch mit der griechischen Philosophie einzutreten. Die Art, wie Jesus im Evangelium von sich als Sohn und von Gott als Vater redet, hat wichtige Impulse für die Entwicklung der altkirchlichen Trinitätslehre und Christologie gegeben. Nicht umsonst trägt Johannes in
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der katholischen und orthodoxen Tradition den Beinamen: der Theologe. Luther hat das Evangelium wegen seiner Christusverkündigung und der Betonung des Glaubens sehr geschätzt. Aber – anders als Paulus – stand es nicht im Zentrum reformatorischer Auseinandersetzungen. Als das »geistige Evangelium« wurde Johannes auch von Philosophen beachtet und gerühmt. Durch die im 19. Jahrhundert aufkommende historische Kritik wurde dann freilich bewusst, wie fremd vieles in seinem Evangelium für modernes Denken ist. Seither wird es in Theologie und Gemeindepraxis sehr unterschiedlich bewertet. In der Orthodoxen Kirche wird Johannes weiter als der Theologe unter den Evangelisten geschätzt. Wo man in evangelischen und katholischen Kreisen noch in der Sprachwelt der traditionellen Theologie lebt, bleibt er ebenfalls ein wichtiger Gewährsmann. In der allgemeinen kirchlichen Verkündigung erfreuen sich einzelne Episoden aus dem Evangelium (z.B. die Gestalt der Samariterin, der ertappten Ehebrecherin oder Jesu letztes Gespräch mit Petrus) ungebrochener Beliebtheit. Aber die zentralen christologischen Aussagen werden eher gemieden, und der Vorwurf des Antijudaismus lastet schwer auf dem Ruf der Schrift. Das Jesusbild der anderen Evangelien erscheint sehr viel attraktiver. Der Jesus, der sich mit Zöllnern und Sündern an einen Tisch setzt oder die provozierenden Thesen der Bergpredigt äußert, scheint sehr viel treffender in unsere Zeit zu sprechen als der johanneische Jesus. Die Bewertungen in der wissenschaftlichen Theologie sind sehr unterschiedlich. Rudolf Bultmann rühmte die »Paradoxie des Offenbarungsgedankens, … daß in Jesus Gott selbst begegnet, und zwar gerade in Jesus als einem Menschen, an dem nichts Außerordentliches wahrnehmbar ist als seine kühne Behauptung, daß in ihm Gott begegne« (Bultmann, Theologie 403). Sein Schüler Ernst Käsemann kam zum genau entgegengesetzten Ergebnis. Für ihn schildert Johannes Jesus als »den über die Erde schreitenden Gott« (Jesu letzter Wille, 26). Was er über dessen Menschsein sagt, sei nicht mehr als »das unabdingbare Mindestmaß an Ausstattungsregie« (28) für eine triumphalistische »Herrlichkeitschristologie«. In ihr zeige sich ein »naiver Doketismus«, für den Jesus nur zum Schein Mensch war (61f). Unsere Auslegung hat ein anderes Bild erbracht. Aber nicht wenige heutige Leser und Leserinnen gewinnen einen ähnlichen Eindruck wie Käsemann, und das macht es ihnen schwer, die Botschaft des Johannes zu hören. Wichtig für ein heutiges Verstehen der Botschaft des Johannes ist die Erkenntnis, dass sein Evangelium nicht – wie gelegentlich behauptet – die anderen Evangelien ersetzen will, sondern einen
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neuen Bezugsrahmen für die Jesusgeschichte schafft. Es ist also legitim, wenn wir die unterschiedliche Profilierung dieser Geschichte in den Evangelien aufeinander beziehen und so ein mehrdimensionales Bild von Gottes Handeln in Jesus Christus erhalten. Dann wird sich zeigen: Der Beitrag des Johannes zu dem einen, gemeinsamen Evangelium ist, die Bedeutung der Person Jesu für das Heil, das Gott schenkt, herauszustellen. Die Botschaft für heute. Alles, was im Johannesevangelium die Gestalt Jesu überhöht und so fast »unmenschlich« erscheinen lässt, steht im Dienst der Grundaussage des Buchs: In der Begegnung mit Jesus Christus bekommen wir es wirklich mit Gott zu tun. Wer sich dieser Begegnung voll Vertrauen öffnet, erfährt, was wahres Leben ist. Es ist Leben aus der Liebe Gottes und darum Leben in liebender Gemeinschaft. Was bedeutet das für Menschen von heute? Drei Stichworte sollen das umreißen: a) Jesus – das menschliche Antlitz Gottes Das Johannesevangelium erinnert unübersehbar daran, dass es Jesus darum ging, Gott den Menschen nahezubringen. Was in den anderen Evangelien durch die Verkündigung der hereinbrechenden Gottesherrschaft ausgesagt wurde, wird bei Johannes in die Botschaft von der Menschwerdung des Sohnes transformiert. In ihm kommt Gott den Menschen ganz nahe. Die vielen unterschiedlichen Formulierungen des Bekenntnisses zu Jesus, die wir bei Johannes finden, weisen alle auf die eine grundsätzliche Aussage hin: Jesus ist der Stellvertreter, besser noch: der Platzhalter Gottes. Wer ihm begegnet, begegnet dem menschlichen Antlitz Gottes. Der Prolog knüpft an die Gottesahnung der Menschen an: Die Verlässlichkeit der Naturgesetze und die Lebensträchtigkeit des Universums führen zu der Rückfrage nach dem Sinn und der Kraft, die dahinterstehen. Aber weil sie nicht wirklich offen für Gottes Handeln und Reden sind, verfehlen die Menschen Gott, wie er wirklich ist, und verschreiben sich Göttern und Götzen sehr unterschiedlicher Machart. Indem das WORT, der Logos, d.h. der Sinn Gottes, der in allem waltet, in Jesus Mensch wird, zeigt sich, wer Gott wirklich ist. Gott ist kein statisches Prinzip, kein sich selbst genügendes und um sich selbst kreisendes System. Gott ist Bewegung hin auf ein Gegenüber. Darum schafft sich Gott in seiner Schöpfung dieses Gegenüber und sind wir Menschen als Wesen geschaffen, die sich ihm öffnen können. Darum fragt Gott nach unserer Antwort auf sein Reden. Der erste Johannesbrief bringt das auf die kurze Formel: Gott ist Liebe (1Joh 4,8.16). Das ist der Gott, dem wir in Jesus begegnen.
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Dieser Satz, »Gott ist Liebe«, verdankt seine Wahrheit Gottes Handeln in Jesus Christus. Denn – wie Eberhard Jüngel schreibt – »Jesus Christus ist derjenige Mensch, in dem Gott sich als menschlicher Gott definiert hat«. Die Menschlichkeit Gottes, die sich im Wirken Jesu zeigt, erweist »die Identität von Gott und Liebe« (Jüngel, Geheimnis 470). Konkrete Beispiele für diese Menschlichkeit entnimmt Jüngel dann vor allem den anderen Evangelien. Aber auf den Punkt gebracht wird dies wieder mit Motiven der johanneischen Theologie: »Als der ganz von Gott her existierende Mensch ermöglichte Jesus den Glauben an Gottes väterliche Nähe, an die Nähe Gottes als des Vaters« (493). Jesus ist die Verkörperung des Ja Gottes, das seine Liebe zu uns spricht. Darin liegt die Eindeutigkeit Gottes, die Wahrheit, für die Jesus Zeugnis ablegt, ja deren Verkörperung er selbst ist. Es ist die Herausforderung der johanneischen Theologie an uns heute, diesen Anspruch nicht eilfertig aufzugeben, sondern ihn so zu leben, dass seine vorgebliche Exklusivität nicht ausschließend wirkt, sondern einladend und überzeugend. Toleranz bedeutet nicht Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheitsfrage. Es ist die Bereitschaft, die Erkenntnis anderer zu respektieren und aufmerksam auf sie zu hören, ohne die eigene Überzeugung deswegen aufzugeben. Im Gespräch mit dem Judentum ist wichtig festzuhalten: Diese Wahrheit hat ihre Wurzel in der Begegnung Gottes mit Israel. Sie wird für alle Wirklichkeit, die sich ihr voll Vertrauen öffnen. »Das Heil kommt von den Juden« (4,22)! b) Glaube – die Tür zu wahrem Leben Sich Gottes Gegenwart in Jesus zu öffnen, heißt bei Johannes, an Jesus zu glauben. Auch dafür gibt es unterschiedliche Formulierungen, die alle auf die Grundbedeutung hinauslaufen, sich Gottes Reden und Handeln in Jesus anzuvertrauen. Diese Vielfalt gibt auch uns die Freiheit, eigene Formen des Bekennens zu Gottes Wirken in Jesus zu wagen. Wichtig für das heutige Verständnis ist, dass es konkrete, parallele Formulierungen für glauben gibt, wie z.B. zu Jesus kommen, ihm nachfolgen, sein Wort bewahren, ihn erkennen oder sogar ihn sehen. All das zeigt: Glaube ist etwas anderes als die blinde Zustimmung zu bestimmten Bekenntnisaussagen. Es bedeutet, sich mit der ganzen Existenz Gottes Gegenwart in Jesus Christus zuzuwenden und sie zur Grundlage des eigenen Lebens zu machen. Das freilich kann man nicht einfach »machen«, es ist kein Entschluss aus rationaler Erwägung oder überwältigendem Gefühlsüberschwang. Dass wir unser Ja zu Gottes Ja sagen können, dass seine Liebe auch in uns Liebe entzündet, ist Gottes Geschenk.
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Dieses Ja des Glaubens stellt hinein in die Gemeinschaft Jesu mit Gott, und sie schenkt Anteil an wirklichem Leben aus Gott. Das Heil, das Gott schenkt, beginnt nicht erst in einer jenseitigen, himmlischen Existenz bei Gott nach dem Tod. Es gibt ein Leben vor dem Tod, das schon jetzt unsere göttliche Bestimmung lebt! Das ist einer der wichtigsten Beiträge johanneischer Theologie für Menschen von heute. Frieden verspricht Jesus und Leben in Fülle. Damit sind nicht alle möglichen irdischen Segnungen und Güter gemeint, sondern ein Leben, das in Gott geborgen, von seiner Liebe erfüllt, von seinem Geist geleitet und für andere Menschen offen ist. Es ist ewiges Leben, nicht im Sinn einer unbegrenzten Fortsetzung des jetzigen Lebens unter optimalen Bedingungen, sondern einer Existenz, die verankert ist in der Ewigkeit der unbegrenzten Liebe Gottes. Um zu verstehen und weiterzusagen, was das konkret bedeutet, gibt das Evangelium einige wichtige Sprachhilfen, die auch für die Übersetzung der Botschaft in unsere Zeit hilfreich sein können. Teilweise sind sie schon unter Punkt 7 erwähnt worden. Hier sollen sie noch einmal im Blick auf unsere heutige Situation zur Sprache kommen. (1) Die Symbolik der Zeichen. Auf den ersten Blick scheint gerade das Wunderverständnis des Evangeliums heutigen Menschen den Zugang zu seiner Botschaft zu verbauen. Sind die Wunder, die es erzählt, nicht zu krass, als dass sie uns heutigen, naturwissenschaftlichem Denken verpflichteten Menschen etwas sagen könnten? Hier ist wichtig zu sehen: Johannes fordert keinen Wunderglauben. Er zweifelt nicht, dass die Wunder, die er erzählt, so geschehen sind. Aber sie sind nicht Gegenstand des Glaubens, sondern Inhalt des Zeugnisses, Zeichen für eine tiefere Wahrheit, um die es eigentlich geht. Sie sind Symbole für das »Kontrafaktische« des Glaubens, eines Glaubens, der die Realität nicht verleugnet und das Leid und die Not sieht, die es in dieser Welt gibt, und sich doch nicht von angeblich unüberwindlichen Sachzwängen blockieren lässt oder in ein »da kann man nichts machen« flüchtet. In diesen Zusammenhang gehört auch die Paradoxie des Kreuzes: einerseits Zeichen für die kalte Grausamkeit, mit der menschliche Macht und politische Interessen durchgesetzt werden, andererseits Signal für den Sieg der Liebe, die sich selbst für andere aufopfert. Gerade auch für den heutigen Menschen mag es hilfreich sein, dass sich das 4. Evangelium nicht einseitig auf das Motiv der Sühne als Begründung des Todes Jesu festlegt, sondern eine Reihe weiterer Deutungen für die Heilsbedeutung der Lebenshingabe Jesu nennt. (2) Die Sprache der Bilder. Wir haben es schon kurz angesprochen: Die Bildworte Jesu sind in ihrer Symbolik Veranschaulichung
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dessen, was Heil für die Menschen bedeutet. Die Sprache der Bilder reicht hinein in die tiefen Schichten menschlichen Sehnens und Hoffens. Manche der Bilder wie Brot, Wasser, Licht, Leben oder auch Tür haben ihre Kraft nie verloren. Aber auch wenn andere, wie etwa das des Hirten, nicht mehr unmittelbar aus der Lebenswelt heutiger Mitteleuropäer stammen, sprechen sie weiter zum Herzen vieler. Und gerade für den heutigen Menschen ist es eine außerordentliche Hilfe, Sachverhalte bildhaft erklärt zu bekommen und sich in solche »Urbilder« vertiefen zu können. Allerdings erfordert das dann auch Methoden der Auslegung und der Verkündigung, die diesem Zugang gerecht werden. (3) Die Fingerzeige des Menschlichen. Es ist eine merkwürdige Beobachtung: In den Begegnungen Jesu mit anderen Menschen, wie sie Johannes schildert, scheint das Menschliche, der »human touch«, oft ausgeblendet. Das Gespräch mündet sehr schnell in steile theologische Aussagen, die zu Missverständnissen oder Unverständnis führen. Und doch finden sich in keinem anderen Evangelium so viele faszinierende menschliche Charaktere. Da ist Nikodemus, der in der Nacht kommt, verschwindet und dennoch wieder auftaucht. Da ist die Frau am Jakobsbrunnen mit ihrer anrührenden Lebensgeschichte und ihrer ansteckenden Begeisterung. In den Heilungsgeschichten erleben wir so unterschiedliche Typen wie den Vater des todkranken Kindes, den Mann vom Teich Bethesda oder den Blindgeborenen. Im Freundeskreis Jesu finden sich lebendige Figuren wie Marta und Maria, aber auch die schattenhafte Gestalt des Lazarus, und im Jüngerkreis Charaktere wie Nathanael und Thomas, Philippus und Andreas, Petrus und Judas und, nicht zu vergessen, Maria aus Magdala. Manche Personen sind freilich zu idealen Figuren geworden: Johannes der Täufer verkörpert mit seinem Wirken nur noch den ausgestreckten Zeigefinger, mit dem ihn Matthias Grünewald auf dem Isenheimer Altar gemalt hat. Die Mutter Jesu ist Modell für einen Glauben, der Jesu Widerstand aushält, aber auch für die Fürsorge des scheidenden Jesus. Vor allem der Lieblingsjünger zeigt das Idealbild des rechten Jüngers, der ganz nahe bei Jesus ist. Er ist historische Person, Gewährsmann des Evangeliums, lädt aber auch dazu ein, sich mit ihm zu identifizieren. Vielen Menschen heute wird es freilich leichter fallen, sich versuchsweise mit der einen oder anderen Figur zu identifizieren. Und dazu laden gerade die »Leerstellen« in manchen Geschichten ein, in denen das Verhalten der handelnden Personen offenbleibt. Zu dem, was mit der Verheißung der Gabe des Geistes versprochen wird, gehört auch, dass Menschen angeleitet werden, ihre eigene Geschichte ins Gespräch mit Jesus zu bringen.
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c) Kirche – gemeinsam gelebte Liebe Was das Johannesevangelium zur Existenz der Gemeinde Jesu sagt, steht ziemlich quer zu dem, was heute in unseren Kirchen und Gemeinden diskutiert wird. Jesus redet weder von Strukturen noch von Strategien, nicht vom Machen oder Haben, sondern vom Sein, genauer gesagt: vom Bleiben. Der grundsätzlichen Zusage seiner Abschiedsworte an die Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen: »Ihr seid nicht allein« entspricht die Aufforderung: »Bleibt in mir«. Das ist kein Rezept für alle Probleme, an denen die Kirche heute krankt, auch nicht der Generalschlüssel, der alle Türen öffnet, die den Weg der Kirche in die Zukunft zu blockieren drohen. Aber es ist eine Herausforderung an die Kirche von heute, sich in aller Geschäftigkeit und Betriebsamkeit auf das Wesentliche zu besinnen. Fünf Merkmale sind für die Gemeinde Jesu nach dem Zeugnis des Johannes wichtig: (1) Vom Wort erfüllt. »Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben« (15,7), das sind für Jesus die Grundvoraussetzungen für eine Gemeinde, die in Verbindung mit ihm und dem Vater steht. Sein Wort zu bewahren und zu halten ist ein wichtiges Kennzeichen wahrer Gemeinschaft mit ihm (8,51; 14,23f; vgl. auch 17,6.17). Das aber meint kein sklavisches Festhalten an überlieferten Formulierungen und deren buchstäbliche Repetition. Jesu Wort bleibt dann in einer Gemeinschaft, wenn sich Menschen kreativ und offen mit seiner Botschaft auseinandersetzen, wenn sie immer wieder neu nach ihrer Bedeutung für heute befragen, ihr Leben nach ihr ausrichten und das, was sie schenkt, auch mit anderen teilen. Für das johanneische Traditionsprinzip gilt das bekannte Wort: Tradition heißt nicht die Asche hüten, sondern die Glut weitertragen. Der Überlieferung treu zu bleiben, indem sie neu formuliert wird, ist Auftrag und Gabe des Heiligen Geistes. (2) Vom Geist geleitet. Die Gemeinde Jesu soll eine Gemeinschaft sein, die von Gottes Geist geleitet wird. Deshalb verspricht Jesus, ihr den Beistand, den Geist der Wahrheit, zu senden. Geistesgegenwart ist das Kennzeichen der Gemeinde und ihrer Verkündigung. Angesichts von viel Geistvergessenheit auf der einen und schwärmerischem Enthusiasmus auf der anderen Seite ist das eine große Herausforderung für die Kirche von heute. Vertraut sie darauf, dass der Geist der Wahrheit auch heute in ihr wirkt und lebt? In allem Fragen und Mühen, Sorgen und Planen angesichts einer ungesicherten Zukunft und einer schwieriger werdenden Stellung in der Gesellschaft darf sie sich darauf verlassen: Gottes Geist vergegenwärtigt und aktualisiert die Botschaft Jesu, macht gelassen in der Verteidigung des Glaubens und mutig in der Konfrontation der Gesellschaft mit den Konsequenzen der Liebe Gottes.
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(3) Im Gespräch mit Gott. Die Abschiedsreden sind in bemerkenswerter Dichte von Verheißungen unbedingter Gebetserhörung durchzogen (14,13f; 15,7; 16,23f). Ihre pauschalen Erhörungszusagen sind seelsorgerlich nicht unproblematisch, weil das Problem der »unerhörten Gebete« auf die Betroffenen zurückzufallen scheint. Aber die Aufforderung zum Gebet »in Jesu Namen« ist ja nicht die Ausrüstung mit dem Universalcode für die Erfüllung aller Wünsche, sondern Ermutigung zum vertrauensvollen Gespräch mit Gott, bei dem alle Anliegen, und gerade die der Kirche, gut aufgehoben sind. Kirche Jesu Christi ist betende Gemeinde. (4) Geeint in der Liebe. »Liebt euch untereinander«, das ist das Gebot, das Jesus seinen Jünger immer wieder einschärft (13,34; 15, 12.17). Im 1. Johannesbrief wird es zum Hauptthema werden (2,10; 3,11.23; 4,11f.19–21). Die Begrenzung auf das untereinander ist keine Verengung des Gebots der Nächsten- und Feindesliebe, sondern ihre beispielhafte Anwendung auf die Gemeinde. Zwei Merkmale sind dabei wichtig: (a) Die Begründung für das Gebot: »wie ich euch geliebt habe« (13,34; vgl. 17,26). Die Liebe Gottes, die Jesus lebt, ist Kraft und Maßstab für die Liebe seiner Jüngerinnen und Jünger. (b) Das Ziel dieser Liebe ist das Eins sein derer, die zur Gemeinde Jesu gehören, und zwar nicht als Selbstzweck, um ein harmonisches Miteinander zu haben, sondern als Zeugnis für die Welt, »damit die Welt glaubt« (17,21–23). Es ist in den letzten Jahrzehnten unendlich viel zu dieser Begründung echter Ökumene gesagt worden. Vieles ist auch erreicht worden. Dabei wird immer wieder betont, dass diese Einheit in der Liebe Geschenk ist und nicht machbar. Das ist wahr. Und doch setzt Jesus in der Fußwaschung ein Zeichen, das auffordert, solche Liebe praktisch zu leben. Liebe ist nicht zuerst Gefühl von Sympathie, sondern Offenheit für das, was andere brauchen, Bereitschaft, sich umeinander zu kümmern und auch schwierige Dienste zu übernehmen. Was bedeutet das heute in den Kirchen und zwischen den Kirchen? Und muss daraus nicht auch eine völlig andere Haltung zu »den Juden« folgen, als sie das Evangeliums selbst einnimmt? (5) In die Welt gesandt. Ich bin unschlüssig: Muss die Kirche Jesu heute von Johannes vor allem lernen, dass sie nicht von der Welt ist, weil die Selbstsäkularisierung und die Angleichung an die Werte des gesellschaftlichen Mainstreams überhand nehmen? Oder muss ihr vor allem wieder klarwerden, dass sie in die Welt gesandt ist und in der Gesellschaft einen Auftrag hat, auch wenn der nicht immer populär ist? Jesus sendet – doch das ist nicht unbedingt eine Aus-Sendung, sondern Bevollmächtigung zu missionarischer Existenz inmitten der Menschen, mit denen wir leben. Nicht von ungefähr finden sich die
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Jünger in Kap. 21 wieder beim Fischen am See Genezareth vor. Kirche ist gesandt, Kirche ist Mission, das ist die Botschaft des Johannes. Darum ist nicht zuerst die missionarische Aktion im Blick, sondern eine missionarische Existenz, in der die in der Gemeinde gelebte Liebe andere zum Vertrauen auf die Liebe Gottes anleitet. Damit wird das, was die Kirchen heute an missionarischen und diakonischen Möglichkeiten haben und in vielen Aktionen wahrnehmen, nicht für unnötig erklärt. Aber es wird daran erinnert, was das Herzstück dieses Tuns ist: die Liebe Gottes, die allen gilt.
Weiterführende Literatur
a)
Allgemeinverständliche Auslegungen
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b)
Wissenschaftliche Auslegungen
Barrett, Charles Kingsley, Das Evangelium nach Johannes (Kritisch-exegetischer Kommentar zum Neuen Testament, Sonderband), Göttingen 1990 Barth, Karl, Erklärung des Johannes-Evangeliums (Kapitel 1–8) [1925/26/ 33] (Karl-Barth-Gesamtausgabe II,4), Zürich 1976 Becker, Jürgen, Das Evangelium nach Johannes (Ökumenischer Taschenbuchkommentar 4,1–2), Gütersloh/Würzburg 31991 Beutler, Johannes, Das Johannesevangelium, Freiburg i.Br. 2013 (Strack, Hermann L. /) Billerbeck, Paul, Das Evangelium nach Markus, Lukas und Johannes und die Apostelgeschichte, erläutert aus Talmud und Midrasch. Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, München, Bd. 2, 91989 Blank, Josef, Das Evangelium nach Johannes (Geistliche Schriftlesung, Neues Testament 4,1–3), Düsseldorf, Bd. 1a/b, 1981; Bd. 2, 21986; Bd. 3, 1977 Brown, Raymond Edward, The Gospel according to John (Anchor Bible 29/29A), New York, Bd. 1, 1966; Bd. 2, 1970 Bultmann, Rudolf, Das Evangelium nach Johannes (Kritisch-exegetischer Kommentar zum Neuen Testament 2), Göttingen 211986 Keener, Craig S., The Gospel of John I/II, Peabody 2003
308
Weiterführende Literatur
Schlatter, Adolf, Der Evangelist Johannes: Wie er spricht, denkt und glaubt. Ein Kommentar zum 4. Evangelium, Stuttgart 41975 Schnackenburg, Rudolf, Das Johannesevangelium (Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament IV,1–4), Freiburg/Basel/Wien, Bd. 1, 7 1992; Bd. 2, 41985; Bd. 3, 61992; Bd. 4, 31994 Schnelle, Udo, Das Evangelium nach Johannes (Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament 4), Leipzig 52016 Theobald, Michael, Das Evangelium nach Johannes, Kapitel 1–12 (Regensburger Neues Testament), Regensburg 2009 Thyen, Hartwig, Das Johannesevangelium (Handbuch zum Neuen Testament 6), Tübingen 22015 Wengst, Klaus, Das Johannesevangelium (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 4,1.2), Stuttgart, Bd. 1, 22004; Bd. 2, 22007
c)
Sonstige zitierte und wichtige neuere Literatur
Bultmann, Rudolf, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 61968 Dettwiler, Andreas, Die Gegenwart des Erhöhten (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 169), Göttingen 1995 Frey, Jörg, Die Herrlichkeit des Gekreuzigten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 307), Tübingen 2013 Frey, Jörg, Die johanneische Eschatologie, Bd. 1: Ihre Probleme im Spiegel der Forschung seit Reimarus (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 96), Tübingen 1997; Bd. 2: Das johanneische Zeitverständnis (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 110), Tübingen 1998; Bd. 3: Die eschatologische Verkündigung in den johanneischen Texten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 117), Tübingen 2000 Frey, Jörg / Schnelle, Udo (Hg.), Kontexte des Johannesevangeliums (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 175), Tübingen 2004 Gollwitzer, Helmut, Krummes Holz – aufrechter Gang. Zur Frage nach dem Sinn des Lebens, München 91982 Hofius, Otfried, Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu. Joh 13,1–11 als narratives Christuszeugnis, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 106, 2009, 156–175 Jüngel, Eberhard, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 72001 Käsemann, Ernst, Jesu letzter Wille nach Johannes 17, Tübingen 41980 Kierkegaard, Sören, Werke IV: Die Krankheit zum Tode. Übersetzt von Lieselotte Richter (Rowohlts Klassiker 113), Reinbek 1962 Onuki, Takashi, Gemeinde und Welt im Johannesevangelium. Ein Beitrag zur Frage nach der theologischen und pragmatischen Funktion des johanneischen Dualismus (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 56), 1984
Weiterführende Literatur
309
Söding, Thomas (Hg.), Johannesevangelium – Mitte oder Rand des Kanons. Neue Standortbestimmungen (Quaestiones Disputatae 203), Freiburg/ Basel/Wien 2003 Zumstein, Jean, Kreative Erinnerung. Relecture und Auslegung im Johannesevangelium, Zürich 22004
Abkürzungen
Altes Testament Gen Buch Genesis = 1. Buch Mose Ex Buch Exodus = 2. Buch Mose Lev Buch Levitikus = 3. Buch Mose Num Buch Numeri = 4.Buch Mose Dtn Buch Deuteronomium = 5. Buch Mose Jos Buch Josua Ri Buch der Richter Rut Buch Ruth 1/2Sam Erstes und zweites Buch Samuel 1/2Kön Erstes und zweites Buch der Könige 1/2Chr Erstes und zweites Buch der Chronik Esr Buch Esra Neh Buch Nehemia Est Buch Ester Hiob Buch Hiob = Ijob Ps Buch der Psalmen Spr Buch der Sprüche Salomos = Sprichwörter Pred Buch des Predigers = Kohelet Hld Hohelied Salomos Jes Buch Jesaja Jer Buch Jeremia Klgl Klagelieder Jeremias Ez Buch Ezechiel = Hesekiel Dan Buch Daniel Hos Buch Hosea Joel Buch Joel Am Buch Amos Obd Buch Obadja Jon Buch Jona Mi Buch Micha Nah Buch Nahum Hab Buch Habakuk Zef Buch Zefanja Hag Buch Haggai Sach Buch Sacharja Mal Buch Maleachi Apokryphen Jud Buch Judith Weish Weisheit Salomos
312 Tob Sir 1/2Makk
Abkürzungen
Buch Tobias Buch Jesus Sirach Erstes und zweites Buch der Makkabäer
Neues Testament Mt Evangelium nach Matthäus Mk Evangelium nach Markus Lk Evangelium nach Lukas Joh Evangelium nach Johannes Apg Apostelgeschichte Röm Brief an die Römer 1/2Kor Erster und zweiter Brief an die Korinther Gal Brief an die Galater Eph Brief an die Epheser Phil Brief an die Philipper Kol Brief an die Kolosser 1/2 Thess Erster und zweiter Brief an die Thessalonicher 1/2 Tim Erster und zweiter Brief an Timotheus Tit Brief an Titus Phlm Brief an Philemon Hebr Brief an die Hebräer Jak Brief des Jakobus 1/2 Petr Erster und zweiter. Brief des Petrus 1/2/3Joh Erster, zweiter und dritter Brief des Johannes Jud Brief des Judas Offb Offenbarung des Johannes Andere antike und frühchristliche Schriften All Philo, Legum Allegoriae – Allegorische Erklärung der Gesetze Ann Tacitus, Annalen Ant Flavius Josephus, Antiquitates – Jüdische Altertümer ApkAbr Apokalypse Abrahams BerR Bereshit Rabba – Midrasch (Auslegung) zur Genesis Conf Philo: De confusione linguarum – Über die Verwirrung der Sprachen Did Didache – Lehre der zwölf Apostel Fug Philo: De fuga et inventione – Über die Flucht und das Finden 1Hen 1. (= äthiopischer) Henoch JosAs Joseph und Aseneth mBer Traktat Berakhot der Mischna 4Makk Viertes Buch der Makkabäer Pes Traktat Pesachim der Mischna und des Talmuds PsSal Psalmen Salomos 1QS Die Gemeinderegel von Qumran aus Höhle 1 Symp Plato: Symposion – Das Gastmahl TestJud Testament Judas
Abkürzungen
313
Bibelübersetzungen BasisBibel BasisBibel. Das Neue Testament EÜ Einheitsübersetzung GNB Gute Nachricht Bibel LÜ Lutherübersetzung (Revision 1964/84; in LÜ2017, der Fassung von 2016, stimmt die Verszählung in den Apokryphen mit der Einheitsübersetzung überein) LXX Septuaginta (»die Siebzig«) – griechische Übersetzung des Alten Testaments REB Revidierte Elberfelder Bibel ZB Zürcher Bibel
Register wichtiger Begriffe
Das Register umfasst Band I und II; Stellen aus Band II sind außer der Bandzahl auch durch Kursivdruck kenntlich gemacht. Es werden vor allem Stellen angeführt, an denen die genannten Begriffe erklärt werden. Abendmahl I: 165.173.185f.188.190 // II: 78.82.224.263 Abraham I: 238–241.246–250 // II: 41 Angst I: 285 // II: 17.94.113f.117.149.154f.178.230.243 Ärgern, Ärgernis, Anstoß, siehe zu Fall bringen Arme I: 164.220 // II: 38–42 Auferstehung/Totenerweckung I: 80f.144–151.180 // II: 19.21f.26.28. 107f.162.178.232–237.241.243.251f Ausliefern, preisgeben I: 193 // II: 39.72.75.81.115 Barmherzigkeit I: 37.40.43.142 // II: 53.273 Bedrängnis II: 137.149.154f.178 Beistand, siehe Geist Beten, siehe Gebet Bethlehem I: 62.210.219.223 Blut I: 34.185–190 // II: 80.224f.227.231 Brot I: 173–189 // II: 78.82.263.290.303 Brüder und Schwestern I: 74.200–204 // II: 218.240–242.271.279.284. 295 Bund I: 53.159 // II: 102 Buße, siehe Umkehr Christus, Messias I: 39f.46f.63.117f.210.212.219.283 // II: 23.39.44.46. 57f.95f.198.208.215.222.255–257.278.280f.298 Dienst, dienen, Diener
II: 51f.59.73–77.79f.127.264.271.274f.305
Einziggeboren I: 37f.40f.95.182 // II: 164.279.281.283–285 Erfüllung I: 62.80f.122.127.209.216 // II: 72f.160,174.216.226.243.256. 305 Erkennen I: 94.194.232f.236 // II: 60.74.90f.97f.103.106.108.116.159– 163.173.175–177.226f.237f.275f.291.293f.301 Ewiges Leben, siehe Leben Finsternis, Dunkelheit I: 29f.95.225 // II: 55.58f.64.83.97.285.288.290 Fleisch I: 35.38.42.87.185–188.192f.226 // II: 23.90.97.99.112.159.170. 200.224.279.281.285
316
Register wichtiger Begriffe
Freunde II: 14–17.25.125–127.129.240.291.295.303 Frieden I: 47.63.219f // II: 44.57.95.113f.116.154f.178.243.247.280.292 Frucht, Ernte I: 123f // II: 49f.113.120–123.127–129.178.262.264f.290 Gebet I: 114–119 // II: 21.27.101–103.123.150f.155–177.284.286.305 Gebot I: 138.207 // II: 65f.76.90–93.104f.108–110.124–128.293.305 Geist Gottes, Heiliger Geist I: 53f.87f.97.103f.112.116f.192f.218.222 // II: 24.80f.105–107.110–117.134.137–145.175.177.221.224f.244– 248.278.285–287.291.294.302–304 Gemeinde, Kirche I: 280f // II: 33f.69.77.84.86.90–92.102.106f.109f.113. 115–117.119.127f.130.132f.136f.142–146.152–156.164–178.187.210.216. 218f.233.241.244–247.258.264.266f.271.275.287.293–295.297f.304–306 Gerechtigkeit I: 47.209 // II: 44.95.141.145,174.210.280 Gericht I: 56.94f.105.145–151.226.247.265 // II: 22.55.64f.95f.105.140– 142.145.220.282.289 Gesetz I: 39f.43.62.158.207–9.221.226.287 // II: 57.108.124.133.197.205 Glaube I: 30.34.74f.81.93f.96–98.104.126f.131.146.158.175.178.189.194. 201.212.233f 236.263f.288.291 // II: 17f.21–36.41f.57.59–67.94–96.99– 106.108f.115.120.127.140f.151–156.162f.171–173.176–178.200.225–227. 236–238.249–256.282.284–289.291–295.298f.301–303 Gottesdienst I: 116f.119 // II: 285f Heiden I: 214.278.281 // II: 34–48–50.56.176.187.281 Heiligtum, siehe Tempel Herrlichkeit I: 36f.43.73f.75f // II: 14.26f.63.89.99.160.170.172.174.273. 279.284.299 Herrschaft Gottes, siehe Reich Gottes Himmel I: 64.89f.102f,174–187 // II: 27.54–57.102.158.240.282 Hirte I: 274–281 // II: 33.92.176.184.267.270f.290.294.303 Hohepriester I: 212f // II: 31–33.186–191 Inkarnation, Fleischwerdung I: 35f.42f.181.191 // II: 23.84.170.300 Israel I: 63.88.115.119 // II: 23,31.33f.44–46.66.72.168.198.219.280.284. 294.301 Johannes der Täufer I: 30f.38.43.48f.55–58.66.100.105.108 // II: 135.220. 244.278.280.286.291.303 Juden I: 46.115.119.138.204.239.250.260f // II: 20.24.30.34.37.41.48.56. 62.66.102.133.176.190.195.201.223.228.230.243.281.298.301.305 Jünger I: 56–66.74.80.100f.108.190–197.236 // II: 17.25.34.50.52.68.72. 76–79.89–97.100–117.121–178.183–185.190–228.230.240–249.252.258– 265.269.274.278–280.284–287.291–294.303–306 Kirche, siehe Gemeinde Kinder/Söhne Gottes I: 33f.239f // II: 33f.59.263 Knecht Gottes I: 50.278 // II: 57.204.226 König Israels / der Juden I: 63f // II: 41.44–46.84.198–205.207–209.214f. 222.250.255f.278.280
Register wichtiger Begriffe
317
Krankheit, Krankenheilung I: 128–132.135–142.145.212.253–267 // II: 14.18.24.277.288.290 Kreuz, Kreuzigung I: 50f.55f.65.76.91–93.97.122.167.174.184.191.213.215. 217f.222.232.234.264 // II: 14.45.49.51f.55–57.68.71.73f.89.107–109. 116.139.141.152–155.158–160.178–180.211–227.231f.243f.247.249.251. 269.278f.282.290f.302 Leben, ewiges Leben I: 28f.91–94.104f.112.123.146–151.156.174.177f.180. 185–187.192.194.225 // II: 14f.21–29.34.50–52.56.58f.65f.76.92.96f. 100–103.107–111.113.117.122–129.131.145.154–156.159f.163.166f.192. 224f.256f.281.285.289–292.300–302 Lehre I: 182.188.206 // II: 112f.177.189f Leiden und Sterben Jesu (siehe auch Kreuz) I: 50f.213.233f.276.279.281 // II: 32–34.49f.53–56.69.72.89.100.145.153.169f.178–180.187.220f.228. 231.277–279.282.284.290f.294.302 Licht I: 28–31.95f.154.224f.228.256 // II: 16.55.58–60.64.97.170.182.248. 285.288.290.295 Liebe Gottes I: 55.91–98.144.157.187.190.201.222.226–229.237.249 // II: 34.59f.64.67.90.97.102f.109–111.116.124f.129.152.155.162.170.175f. 178.221.231.244.247.256.282.289.292–295.300–306 Liebesgebot II: 90.92f.110.124.293.305 Lieblingsjünger II: 81–83.180.188.218f.225f.233.236–238.252.258f.264.266. 271–275.295–297 Logos, siehe Wort Maria aus Magdala, Maria Magdalena: II: 178.217.233–243.249.252.264f. 303 Menschensohn I: 65f.90f.148.174.185.232.263f // II: 49.52–54.58f.81.88f. 95f.281f Messias, siehe Christus Mission I: 123–127.217 // II: 48.54.101.127.131f.170–172.176f.247f.255. 264.295.298.305f Mose I: 37.39f.43.62.90f.155f.158.166.176.207f.262 Mutter Jesu: I: 70–74 // II: 21.180.217–219.221.231.242.279.303 Nachfolge I: 58.61.66.225.272 // II: 51f.59f.91f.171.267.271.291.294.301 Nächstenliebe II: 90.168.305 Naherwartung II: 147 Nazareth, Nazoräer I: 62.129.219f.219.223 // II: 183.214.279 Opfer
I: 50f.78.92.276.279 // II: 116.135.244
Paraklet, siehe Geist Passahfest, -mahl, -lamm I: 50.77f.81.163.283 // II: 36f.70–72.180.195f. 201.208.220.226 Petrus I: 59f.194 // II: 74–76.180.195f.201.208.220.226.246.260–263.266– 274.294f.303 Pharisäer I: 48.84.107.212.220.258f.266.270.272 // II: 31.63.182
318
Register wichtiger Begriffe
Prophet(en) I: 47,62.114.166.176.204,216.219–222.259.273.289 // II: 32. 61.63.66.144.187 Reich Gottes/Jesu I: 85f.91 // II: 199f.286 Rein und unrein I: 72 // II: 75.80.121.195 Rettung, Retter, retten, gerettet werden I: 48.56.62.91.93–96.115.126–128. 141.154 // II: 64f.125.175.192.248.281.289–291 Sabbat I,138–142.209.258.261 // II 37.223 Satan/Teufel I: 195–197.241–244.250.276 // II: 55f.72f.83f.115.142.167 Schöpfer I: 21.25–28.32.73.87.92.156.187 // II: 21.97.175.247.251.274. 284.286.288 Schrift(en), Heilige I: 80f.156.158–160.206.217.219.287 // II: 44f.57.62. 66.78.133f.166.216.220.222f.226.237.284 Seele, siehe Leben Sohn (Gottes) I: 37f.62.92–95.104.144–151.180.238f.243.250 // II: 14f.23. 27.53f.56.63.66.89.99.102.109f.115f.124.129.137.139.143–145.152.154. 158–160.164–176.205f.244.255–257.278–287.289.291f.298.300 Stellvertretung I: 276.280f // II: 32f.125.184f.280.295.300 Sühne I: 50f.93.97 // II: 224.285.290f.302 Sünde I: 50f.56.94.230f.238f.255.261–263.266.273.281 // II: 62.75.81.126. 132f.140f.206.222.245f.248.287–291.294 Taufe I: 48f.53.55.86f.99f.105.108.289 // II: 75.224 Tempel I: 76–82.206.216f.283 // II: 31.95.110.189f Teufel, siehe Satan Tod I: 29.93.97.104.146f.151.187.222f.230.243.245f.276.285 // II: 14–18. 21–29.32.45.53.56–65.94f.102.154f.160f.163.221.231.247.279.288–292. 302 Tod Jesu, siehe Leiden und Sterben Jesu Totenerweckung, siehe Auferstehung Umkehr, Buße I: 159.216 // II: 62.101.137.227 Unrein, siehe rein Vater (Gott) I: 37f.41.104.140.144–147.151.154f.176.187.227.232f.241f. 244.277.285–288 // II: 14f.27f.52–54.65f.71.89.95–102.108–111.114– 116.123–129.137.144.150–154.158–176.184f.221.240f.279.281–287.293. 298.301 Verfolgung II: 52.114.117.130.132.136f.149.154f Verherrlichen I: 36f.65.76.215.218.246.264.266 // II: 14f.45.49.52–57.68. 88f.92f.102.123.144f.158–164.222.231.269.278.282.284.287 Verleugnen II: 63.66.92f.184f.191f.267–270 Verrat, siehe ausliefern, preisgeben Völker, siehe Heiden Vollmacht I: 33.75f.79.104.132,142.148f.151.155.174.206f.241.259.262f. 279 // II: 14f.27–30.41.44f.73f.100–103.127.132.139.152f.159.163.199f. 210.233.244–248.254.270.278f.287.290f.294f.305
Register wichtiger Begriffe
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Wahrheit I: 37.39.96.116f.119.153.237f.240 // II: 5f.97.101–106.110.134. 137.142–145.152.164.167–170.199–201.209f.215.225.273.280.284–288. 290.294.301f.304 Wasser: I: 48.53.72f.86f.110–112.216–218 // II: 17.28f.73.79f.224f.227. 231.290.303 Werk, Werke I: 95f.121f.144,154f.200–202.208.240.255 // II: 99–103. 132–134.158–160.244.260.288.292.294 Wiedergeburt I: 85–88.97 Wiederkunft Christi I: 247 // II: 69.86.96.107.110.114.147–152 Wille Gottes I: 121f.179f.207 // II: 27.53.66.115.120.123.160.174f.216. 220.252.282.284.287f Wort (Gottes/Jesu) I: 25–43.103.146.192.194.236.239.243.245f // II: 64– 66.99f.110.121–123.161f.166.168.278.281.285.290.297.300–304 Wunder, siehe Zeichen Zeichen I: 73f.76.85.130–132.173–176.212 // II: 12.15–17.24–31.41.44f. 61f.74.100f.132.160.172.253–255.279.288.290.297.302 Zeichenforderung I: 9.130f.173.175f // II: 254f Zu Fall bringen/kommen I: 191.231 // II: 135.267