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German Pages 319 [321] Year 2014
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament · 2. Reihe Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) · James A. Kelhoffer (Uppsala) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL) · Tobias Nicklas (Regensburg) J. Ross Wagner (Durham, NC)
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Marion Moser
Schriftdiskurse im Johannesevangelium Eine narrativ-intertextuelle Analyse am Paradigma von Joh 4 und Joh 7
Mohr Siebeck
Marion Moser, geboren 1982; 2002–2009 Theologiestudium an der Universität Zürich; 2009– 2013 SNF-Doktorandin bei Prof. Dr. Jean Zumstein an der Universität Zürich; 2013–2014 Pfarrvikarin in Winterthur Veltheim (ZH, Schweiz); seit 2014 Pfarrstelle in Adliswil (ZH, Schweiz).
e-ISBN PDF 978-3-16-153544-4 ISBN 978-3-16-153543-7 ISSN 0340-9570 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2014 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Nehren auf alterungbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
A mes parents et à mes sœurs Aline, Mireille & Anne-Claire
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die für den Druck geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift, die im Juli 2013 eingereicht und im Sommersemester 2014 von der Theologischen Fakultät der Universität Zürich auf Antrag von Herrn Prof. Dr. Jean Zumstein und Herrn Prof. Dr. Jörg Frey als Dissertation angenommen wurde. Viele haben dazu beigetragen, dass diese Arbeit entstehen konnte. Ihnen möchte ich an dieser Stelle danken. Mein besonderer und herzlicher Dank gilt Herrn Prof. Dr. Jean Zumstein, der mich zu dieser Arbeit ermutigte. Er weckte zuerst als Lehrer meine Faszination für die neutestamentliche Forschung und insbesondere für das Johannesevangelium. Er hat dann als Doktorvater durch kritischkonstruktive und engagierte Gespräche über johanneischen und hermeneutischen Fragen mein theologisches Können gefördert und die Entstehung dieser Arbeit kompetent begleitet. Mein Interesse für die Narratologie und die Intertextualität verdanke ich seinem Bewusstsein für die methodologischen Fragen. Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. Jörg Frey für sein Interesse an meiner Forschung. Während der drei Jahre des Forschungsstudiums stand er mir jederzeit als zuvorkommender, aufmerksamer und kritischer Gesprächspartner zur Verfügung. Seine zahlreichen exegetischen Ratschläge haben die Arbeit bereichert. Wertvoll waren auch alle Gespräche im Rahmen der neutestamentlichen Sozietät und des Kolloquium Johanneum der Universität Zürich und des Doktorandentreffens der Universität Lausanne. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die zweite Reihe der „Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament“ und dem Verlag Mohr Siebeck für die ebenso kompetente wie freundliche Betreuung der Drucklegung. Die Arbeit in einer Fremdsprache zu verfassen war für mich eine Herausforderung. Ich bin Kollegen und Freunden zu Dank verpflichtet, die sich immer wieder hilfsbereit zeigten, Abschnitte mit mir sprachlich zu überarbeiten und Korrektur zu lesen. Mein Dank geht an Nicole Frei, Monika Götte, Martin Müller, Daniela Röse und Eva Supriadi, die sich diese Arbeit teilten, mich dabei immer wieder ermutigten und meinen gelegentlichen Unmut mit Humor ertrugen. In diesem Zusammenhang
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Vorwort
möchte ich auch Kathrin Hager für die Übernahme der Schlusskorrektur und die Erstellung der Druckvorlage danken. Das Verfassen einer Dissertation ist ein Abenteuer mit Hochs und Tiefs. Die Unterstützung meiner Freunde und Familie war mir in dieser Zeit sehr wichtig. Ich danke ihnen nicht zuletzt für die wertvollen, erfrischenden und wohltuenden Momente der Ablenkung. Zürich, September 2014
Marion Moser
Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................. VII
I. Einleitung ............................................................................................ 1 1. Fragestellung .................................................................................... 1 2. Forschungsstand ............................................................................... 2! 3. Vorgehensweise ................................................................................ 5! 3.1 Methodischer Hintergrund und Eingrenzung der Untersuchung ........................................................................ 5! 3.2 Die Auswahl der zwei Perikopen ................................................ 6!
II. Methodik: Intertextualität............................................................... 8! 1. Einleitung ........................................................................................ 8! 2. Begriffliche Klärung ......................................................................... 9! 2.1 Intertextualität ............................................................................ 9! 2.2 Weitere Begriffe ....................................................................... 10! 2.2.1 Haupttext, Prätext und Bezug ........................................... 10! 2.2.2 Intratextualität .................................................................. 11! 2.2.3 Kotext und Kontext .......................................................... 11! 3. Die Rolle des Lesers und die „Grenzen der Interpretation“ ............. 12! 4. Kategorisierung der Bezüge ............................................................ 16! 4.1 Methodischer Hintergrund ........................................................ 16! 4.2 Schriftbezüge im JohEv ............................................................ 19! 4.2.1 Kopräsenz ........................................................................ 20! 4.2.1.1 Verweise und Zitate im JohEv .............................. 20! 4.2.1.2 Implizite Zitate und Anspielungen im JohEv ........ 24! 4.2.2 Ableitung ......................................................................... 25! 4.2.2.1 Strukturähnlichkeit ............................................... 25! 4.2.2.2 Motivübernahme .................................................. 26! 4.3 Eckdaten zu den expliziten Schriftbezügen im JohEv ............... 27! 4.3.1 Herkunft ........................................................................... 27! 4.3.1.1 Zitate .................................................................... 27!
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Inhaltsverzeichnis
4.3.1.2 Verweise .............................................................. 28! 4.3.1.3 Ergebnis ............................................................... 28! 4.3.2 Einleitung der Zitate und Verweise .................................. 29 4.3.3 Einbettung der expliziten Schriftbezüge in die Erzählung ............................................................... 32! 4.3.4 Ergebnisse und thematischer Ausblick ............................. 33! 5. Funktion ......................................................................................... 35! 5.1 Funktion innerhalb des Haupttextes: Charakterisierung der Figuren .................................................. 36! 5.1.1 Methodischer Hintergrund ............................................... 36! 5.1.2 Charakterisierung der Figuren im JohEv .......................... 37! 5.1.2.1 Erkenntnisse der bisherigen Forschung ................ 37! 5.1.2.2 Charakterisierung der Figuren durch intertextuelle Bezüge ............................................ 40! 5.2 Funktion hinsichtlich des Prätextes ........................................... 41! 5.2.1 Methodischer Hintergrund ............................................... 41! 5.2.2 Interpretation und Beurteilung der Schrift im JohEv ........ 42! 5.2.2.1 Aporie der Forschung und begriffliche Ungenauigkeiten .................................................. 42! 5.2.2.2 Weiterführung durch die intertextuelle Reflexion .............................................................. 43! 5.3 Soziale Funktion ....................................................................... 45! 5.3.1 Methodischer Hintergrund ............................................... 45! 5.3.2 Soziale Funktion im JohEv .............................................. 46! 6. Schlussfolgerungen aus der Methodologie für die weitere Arbeit ... 48
III. Johannes 4 ...................................................................................... 50 1. Textanalyse von Joh 4 .................................................................... 50! 1.1 Abgrenzung und Kotext ............................................................ 50! 1.2 Struktur ..................................................................................... 51! 1.3 Übersetzung und Versauslegung ............................................... 52! 1.3.1 Übergang zum vorherigen Kotext (V.1–4) ....................... 52! 1.3.2 Situationsbeschreibung (V.5–7a) ..................................... 53! 1.3.3 Der Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin (V.7b–26) ............................................ 54! 1.3.3.1 Die Gabe des Wassers (V.7b–15) ......................... 54! 1.3.3.2 Die Männer der Samaritanerin (V.16–19) ............ 59! 1.3.3.3 Die Anbetung (V.20–26) ...................................... 60! 1.3.4 Überleitung (V.27–30) ..................................................... 65! 1.3.5 Jesus mit seinen Jüngern (V.31–38) ................................. 67! 1.3.5.1 Die Nahrung Jesu (V.31–34) ................................ 67!
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1.3.5.2 Metaphern aus dem Feldarbeit (V.35–38) ............ 68! 1.3.6 Der Glaube in Samaria (V.39–42) .................................... 71! 1.4 Reflexion über die dialogische Form ........................................ 73! 1.4.1 Charakterisierung der Figuren .......................................... 73 1.4.2 Die aktive Rolle des Lesers .............................................. 75! 1.5 Die Frage nach der Einheit der Perikope ................................... 76! 1.5.1 Einzelmotive .................................................................... 77! 1.5.1.1 Die Geber (Jesus und Jakob) und die Gabe (das Wasser) (V.7–15) .......................................... 77! 1.5.1.2 Die Männer der Samaritanerin (V.16–18) ............ 79! 1.5.1.3 Die Anbetung (προσκυνέω) ................................. 82! 1.5.1.4 Die Nahrung Jesu ................................................. 84! 1.5.1.5 Metapher der Feldarbeit ....................................... 85! 1.5.2 Thematische Einheit und sukzessive Vertiefung .............. 85! 1.5.3 Die durchgehenden Motive .............................................. 86! 1.5.3.1 Das Wissen (οἶδα) ............................................... 86! 1.5.3.2 Das Kommen eschatologischer Ereignisse (ἔρχοµαι) ............................................................. 88! 1.5.4 Zusammenspiel verschiedener Ebenen ............................. 88! 2. Diskussion mit der bisherigen Forschung ....................................... 90! 2.1 Der mögliche samaritanische Hintergrund der Aussagen der Frau .................................................................................... 91! 2.1.1 Forschungsüberblick ........................................................ 91! 2.1.2 Auswertung ...................................................................... 93! 2.2 „Das Heil ist aus den Juden“ ..................................................... 97! 2.2.1 Das literarkritische Problem ............................................. 97! 2.2.2 Joh 4,22b in der Antijudaismusdiskussion ....................... 98! 2.2.3 Inhaltliche Bestimmung ................................................. 100! 2.3 Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau an einem Brunnen ........................................................................ 101! 2.3.1 Jesus als messianischer Bräutigam ................................. 102! 2.3.2 Jesus als Gast ................................................................. 105! 2.3.3 Auswertung .................................................................... 106! 2.4 Jakob (und der Brunnen Jakobs) ............................................. 107! 2.4.1 Der traditionelle Hintergrund ......................................... 107! 2.4.2 Bestimmung des Verhältnisses zwischen Jakob und Jesus........................................................................ 110! 2.5 Das lebendige Wasser ............................................................. 111! 2.5.1 Wasser als Symbol für den Heiligen Geist (Theobald) ... 112! 2.5.2 Wasser als Symbol für die Offenbarung Jesu (Pancaro) ...112! 2.5.3 Wasser als Symbol für die eschatologische Heilsgabe (Schapdick) .................................................................... 113!
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2.5.4 Wasser als „the anticipation and the fulfillment“ (Ng) ... 114! 2.5.5 Auswertung .................................................................... 115! 3. Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 4 ........................... 117! 3.1 Beschreibung der intertextuellen Bezüge auf die Schrift ......... 117! 3.2 Inhaltliche Vertiefung der Schriftbezüge ................................ 118! 3.2.1 Verweise auf Jakob ........................................................ 119! 3.2.1.1 „Jakob“ in den Worten der Samaritanerin .......... 119! 3.2.1.2 Die implizite Auslegungskorrektur von Jesus ..... 121! 3.2.2 Die Ernte ........................................................................ 123! 3.2.2.1 Ernte im AT und NT .......................................... 123! 3.2.2.2 Ernte in Joh 4 ..................................................... 129! 3.2.3 Synthese der bisherigen Ergebnisse ............................... 130! 3.2.3.1 Die Messiaserwartung ........................................ 130! 3.2.3.2 Jakob .................................................................. 131! 3.2.3.3 Das Heil ist von den Juden ................................. 131! 3.2.3.4 Das Symbol des Wassers .................................... 132! 3.2.3.5 Das Motiv der Ernte ........................................... 132 3.2.4 Zusammenspiel der verschiedenen Schriftbezüge .......... 132 3.2.4.1 Die Gegenwart des Heils in Jesus ....................... 132 3.2.4.2 Neuer Blick auf die Anbetung ............................ 134! 3.2.4.3 Weitere Schriftanspielungen............................... 135! 3.3 Funktion ................................................................................. 136! 3.3.1 Funktion im Bezug auf den Haupttext: Charakterisierung der Figuren ........................................ 136! 3.3.2 Funktion der Intertextualität in Bezug auf den Prätext ... 139! 3.3.3 „Soziale Funktion“ ......................................................... 141! 3.4 Ergebnisse .............................................................................. 142
IV. Johannes 7 .................................................................................... 144 1. Textanalyse................................................................................... 144! 1.1 Kotext und Abgrenzung .......................................................... 144! 1.2 Struktur ................................................................................... 145! 1.2.1 Schwierigkeiten und dreiteilige Strukturierungsvorschläge .............................................. 145! 1.2.2 Rochais’ These: die dramatische Darstellung ................. 146! 1.2.3 Eigener Vorschlag .......................................................... 147! 1.3 Übersetzung und Versauslegung ............................................. 149! 1.3.1 Vorspiel in Galiläa: das Gespräch zwischen Jesus und seinen Brüdern (V.1–10) ................................................ 149! 1.3.2 Anfang des Festes (V.11–13) ......................................... 155! 1.3.3 Mitte des Festes (V.14–36) ............................................ 157!
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1.3.3.1 Jesu Lehre im Tempel und erste Reaktionen (V.14–15) ........................................................... 157! 1.3.3.2 Antwort Jesu mit einer Zwischenfrage der Zuhörer (V.16–24) ....................................... 158! 1.3.3.3 Fragen von Leuten aus Jerusalem (V.25–27) ...... 165! 1.3.3.4 Jesu Worte über sein „Woher“ (V.28–29) .......... 166! 1.3.3.5 Meinungen über Jesus (V.30–32) ....................... 167! 1.3.3.6 Jesu Worte über sein „Wohin“ (V.33–34) .......... 170! 1.3.3.7 Reaktion der Juden auf das Wort Jesu (V.35–36) ........................................................... 171! 1.3.4 Letzter Tag des Festes (V.37–52) ................................... 172! 1.3.4.1 Offenbarungswort Jesu: Einladung und Verheissung (V.37–39) ...................................... 172! 1.3.4.2 Reaktionen auf die Worte Jesu (V.40–44) .......... 175! 1.3.4.3 Beim Hohen Rat (V.45–52) ................................ 176! 1.4 Die „Ἰουδαῖοι“ in Joh 7 ......................................................... 180 1.4.1 Die Juden in der Erzählwelt von Joh 7 ........................... 181! 1.4.1.1 Vorbemerkungen: Die Juden in den vorangegangenen Kapiteln ................................. 181 1.4.1.2 Unscharfe Abgrenzung der Ἰουδαῖοι von anderen Gruppen in Joh 7 ............................ 182! 1.4.1.3 Nähere Bestimmung der drei Gruppen ............... 184! 1.4.2 Der historische Hintergrund ........................................... 186! 1.5 Die durchbrochene Dialogstruktur .......................................... 188 1.5.1 Gespräche über Jesus ..................................................... 189! 1.5.2 Rede Jesu ....................................................................... 190! 1.5.3 Schlussfolgerungen ........................................................ 192! 1.6 Aufforderung an die Leser ...................................................... 193! 1.6.1 Fragen und Imperative in den Dialogen ......................... 193! 1.6.2 Spiel mit Sinnmehrdeutigkeit ......................................... 194! 1.6.2.1 „Wer den Willen Gottes tun will, erkennt ob...“ (V.17) ................................................................. 194! 1.6.2.2 Gnomische Formulierung (V.18) ........................ 195! 1.6.2.3 Verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten (V.51) ................................................................. 196! 2. Diskussion mit der Forschung ...................................................... 198! 2.1 V.37–38 (39) ........................................................................... 198! 2.1.1 Das Interpunktionsproblem und die Frage, aus wessen Leib das Wasser fliesst ................................ 199 2.1.1.1 Aus dem Leib des Glaubenden ........................... 200! 2.1.1.2 Aus dem Leib Jesu ............................................. 200! 2.1.1.3 Auswertung ........................................................ 201!
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2.1.2 Umfang und Herkunft des Schriftbezuges ...................... 202! 2.1.3 Das Laubhüttenfest ........................................................ 206! 2.1.4 Rück- und Ausblick ....................................................... 208! 2.2 Die messianischen Erwartungen ............................................. 210! 2.3 Weisheitsmotive in Joh 7 ........................................................ 213 2.3.1 Die Einladung zu kommen und zu trinken ..................... 214! 2.3.2 Suchen und Nichtfinden ................................................. 214! 2.3.3 Der Weg der Weisheit und der Weg Jesu ....................... 215! 2.3.4 Ergebnisse ...................................................................... 216! 3.Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 7 ............................ 217 3.1 Beschreibung der intertextuellen Bezüge auf die Schrift ......... 217 3.2 Inhaltliche Vertiefung ............................................................. 219 3.2.1 Verweise auf die christologische Heilsbotschaft ............ 219! 3.2.2 Verweise und die offen gelassene Interpretation ............ 220! 3.2.2.1 Die Worte der Leute aus dem Volk (V.27.31.41.42) .................................................. 221! 3.2.2.2 Die Aufforderung, die Schrift zu erforschen (V.52) ................................................................. 224! 3.3 Funktion ................................................................................. 226 3.3.1 Funktion der Schriftbezüge: Charakterisierung der Figuren ........................................ 226! 3.3.1.1 Charakterisierung Jesu ....................................... 227! 3.3.1.2 Charakterisierung der Juden, der Pharisäer und des Volkes ................................................... 228! 3.3.1.3 Charakterisierung des Nikodemus ...................... 229! 3.3.2 Funktion hinsichtlich des Prätextes ................................ 233! 3.3.3 „Soziale Funktion“ ......................................................... 236 3.4 Ergebnisse .............................................................................. 239!
V. Abschliessende Beobachtungen ................................................ 242! 1. Die Einbettung der Schrift in die joh Dialoge ............................... 243! 1.1 Die Schriftdeutung Jesu .......................................................... 244! 1.1.1 Ergebnisse der Analysen von Joh 4 und Joh 7 ................ 244! 1.1.2 Weitere Texte mit einer ähnlichen Schriftinterpretation ....................................................... 245! 1.2 Die Schriftdeutung der Juden und der Pharisäer ..................... 249! 1.3 Die Schriftdeutung des Volkes ................................................ 251! 1.4 Die Schriftdeutungen der einzelnen Figuren ........................... 254! 1.5 Fazit: Die Einbettung der Schrift in die joh Dialoge als narrative Strategie ............................................................. 256!
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2. Die Beurteilung der joh Schriftauslegung und das Ringen der heutigen Exegeten......................................................................... 257! 2.1 Eine Interpretation gegen den „ursprünglichen“ Sinn? ............ 257! 2.2 Eine antijüdische Schriftauslegung? ....................................... 258! 2.2.1 Zwei unterschiedliche Positionen ................................... 259! 2.2.2 Ein exklusiver Anspruch? .............................................. 261! 2.2.3 Preisgabe der Heilsgeschichte? ...................................... 262! 2.3 Fazit ........................................................................................ 264! 3. Genügt ein christologisches Verständnis der Schrift im JohEv? ... 266! 4. Persönliches Schlusswort .............................................................. 268 Literaturverzeichnis ........................................................................... 271 Stellenregister.................................................................................... 285 Autorenregister .................................................................................. 298 Sachregister ....................................................................................... 301
I. Einleitung 1. Fragestellung Schon bei der Lektüre des ersten Satzes des Johannesevangeliums merkt der schriftkundige1 Leser2, dass zwischen dem JohEv und den Schriften Israels eine Verbindung bestehen muss, denn „am Anfang war das Wort...“ lässt „am Anfang schuf Gott...“ aus Gen 1,1 anklingen. Im weiteren Verlauf des Prologs sind noch zahlreiche andere Anspielungen auf die Schrift zu entdecken, bevor schliesslich in V.17 das Verhältnis zwischen dem Gesetz, das durch Mose gegeben wurde, und der Gnade, die durch Jesus geworden ist, explizit angesprochen wird. Auch in den ersten narrativen Teilen des JohEv spielt die Schrift eine zentrale Rolle. So wird etwa in V.23 beim Dialog zwischen Johannes und den Abgesandten der Pharisäer das Jesajabuch zitiert, um die Frage nach der Identität des Täufers zu beantworten. Ebenso steht in V.45 beim Bekenntnis des Philippus, eines der ersten Jünger, der Verweis auf die γραφή im Vordergrund, wenn er von seiner Begegnung mit Jesus erzählt. Diese Fülle an Schriftbezügen ist keine Besonderheit des ersten Kapitels, sondern zieht sich durch das ganze Evangelium hindurch. Von daher drängen sich Fragen zum Schriftgebrauch und zur Schrifttheologie des JohEv geradezu auf: Wie, an welchen Stellen und mit welcher Absicht wird die Schrift verwendet? Welches sind die Gründe dafür, dass die Schrift im JohEv eine so zentrale Position einnimmt? Verändert sich die 1
„Schrift“ wird im Rahmen dieser Arbeit als Wiedergabe des joh Begriffs γραφή verwendet und bezeichnet als solche eine kanonähnliche Grösse (vgl. R USAM, Testament, 2), die heute meist „Altes Testament“ genannt wird. Das JohEv verwendet daneben auch andere Ausdrücke, um auf diesen Textkorpus oder Teile davon zu verweisen (z.B. ὁ νόµος; ὁ λόγος Ἠσαΐου τοῦ προφήτου). Aus praktischen Gründen und um Wortwiederholung zu vermeiden, werden „AT“ und „Schrift“ in dieser Arbeit synonym verwendet, obwohl dadurch ein gewisser Anachronismus entsteht: Die Herausbildung eines atl. Kanons, dessen Bücher sich von anderen jüdischen Texten deutlich unterscheiden, war erst nach der Redaktion des JohEv abgeschlossen. Zudem erhält die Bezeichnung „Altes Testament“ ihren eigentlichen Sinn erst im Kontrast zur Bezeichnung „Neues Testament“. 2 Aus praktischen Gründen wird in der vorliegenden Arbeit jeweils die männliche Form (Leser, Rezipient, Hörer, usw.) verwendet, wobei die weibliche Form immer mitgemeint ist.
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I. Einleitung
Geltung oder der Wert der Schrift angesichts der Offenbarung in Jesus? Welche Meinung vertritt der Autor? Solchen Fragen möchte ich in dieser Arbeit nachgehen. Heuristisch weiterführend scheint hierfür die Unterscheidung „zwischen der johanneischen Schriftauslegung im engeren Sinn, also der konkreten Schriftverwendung im fortlaufenden Text des Evangeliums und der johanneischen Schrifttheologie. Diese Schrifttheologie ergibt sich einerseits implizit aus der spezifischen Schriftauslegung, andererseits explizit aus grundsätzlichen Aussagen über die Schrift im Johannesevangelium (vgl. bes. Joh 5,36–47; 10,34–35).“3
2. Forschungsstand In seiner Monographie über die Schrift im JohEv bietet Andreas Obermann4 eine gute Übersicht über die bisherigen Untersuchungen zum Thema, so dass eine Darstellung der verschiedenen Arbeiten zum Schriftgebrauch im JohEv an dieser Stelle eine unnötige Wiederholung wäre. Dennoch erscheint es mir wichtig, die sich aus der bisherigen Forschung herauskristallisierenden Tendenzen und Fragestellungen zu erwähnen. Dies erfolgt mit dem Ziel, die Forschungsdesiderate aufzuzeigen, welche die vorliegende Arbeit zu beheben versucht. Die Ausführungen bleiben an dieser Stelle sehr allgemein, denn wichtige Ergebnisse oder offene Fragen, an die ich anknüpfe, werden im Verlauf der Arbeit thematisch geordnet behandelt.5 Trotz der Vielfalt der Ansätze herrscht in einem wichtigen Punkt Konsens: Unumstritten steht für alle Exegeten fest, dass nach der joh Auffassung die Schrift christologisch zu verstehen ist. Wie in Joh 5,46–47 dargelegt wird, ist der Glaube an das, was Mose geschrieben hat, untrennbar mit dem Glauben an die Worte Jesu verknüpft; die Schrift zeugt von Jesus. Die verschiedenen Untersuchungen zu den atl. Zitaten, Verweisen und Motiven bestätigen stets aufs Neue diese Ansicht. Leider lässt sich nicht immer eindeutig bestimmen, was die verschiedenen Forscher genau unter einer christologischen Interpretation der Schrift verstehen und ob sie damit alle wirklich das Gleiche meinen. Haben wir es mit einem hermeneutischen Grundsatz zu tun, der besagt, dass die Schrift im Lichte des 3
SCHOLTISSEK, Auslegung, 148. Vgl. O BERMANN, Erfüllung, 3–36. 5 Die Fragen der Kategorisierung der Schriftbezüge (II.4.2) und der Bewertung der Schrift (II.5.2.2) werden u.a. im methodischen Teil dieser Arbeit behandelt. Weitere wichtige Ergebnisse sind im Abschnitt II.4.3 (Eckdaten zu den expliziten Schriftbezügen) zu finden. Schliesslich wird auch bei der Textanalyse jeweils ein Forschungsüberblick geboten. 4
2. Forschungsstand
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Christusereignisses zu lesen ist? Oder ist damit gemeint, dass die Identität Jesu durch Verweise auf die Schrift bestimmt wird? Oder ist an eine andere, eher lockere Beziehung zwischen dem AT und Jesus zu denken? Und welche Folgen hat eine christologische Interpretation für die Bewertung der Schrift?6 Es herrscht also nur ein Scheinkonsens: Zwar sind alle überzeugt, dass nach joh Auffassung die Schrift von Jesus zeugt, doch es muss erst noch geklärt werden, was damit genau gemeint ist. Es fällt auf, dass bei den verschiedenen Analysen der Rolle der Schrift oft dieselben Textstellen angeführt werden. So sind einige der wichtigsten Monographien7 den Schriftzitaten im JohEv gewidmet, was nicht ohne Folgen für die Entfaltung der Fragestellung bleibt. Der Schwerpunkt dieser Untersuchungen liegt auf der Bestimmung des Quellentextes und den im joh Text zu beobachtenden Veränderungen, wobei die christologische Deutung und das Motiv der Erfüllung herausgestrichen werden. Weiter lässt sich ein besonderes Interesse für die Verse 1,17; 1,45; 8 2,22 ; 3,14; 5,39.45–49; 8,37–59; 10,34–36; 12,37–43 beobachten,9 ohne dass diese Auswahl wirklich begründet wird. Die Beschränkung auf diese Textstellen lässt sich jedoch einfach erklären: Es handelt sich dabei ausschliesslich um explizite Schriftverweise10. Damit ist ein sicherer methodischer Rahmen gegeben, der die Schwierigkeit der Bestimmung, wo implizit auf die Schrift verwiesen wird, gekonnt vermeidet. Doch dies kann zu einem Zerrbild der Schrifthermeneutik des Evangeliums führen, da wichtige Schriftbezüge nicht immer explizit hervorgehoben werden. Andere Exegeten betonen, dass die Schrift dem Leser des JohEv in verschiedenen Formen (Anspielungen, Verweise, atl. Motive usw.) begegnet
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Besonders diese Frage wird kontrovers diskutiert. Vgl. das untenstehende Kapitel „Funktion hinsichtlich des Prätextes“ (II.5.2). 7 FREED, Quotations; SCHUCHARD, Scripture; M ENKEN, Quotations; O BERMANN, Erfüllung. 8 Die Bedeutung dieser Stelle für die Schrifthermeneutik des JohEv liegt darin, dass in 2,22 die Worte von Jesus und die Schrift nebeneinander gestellt werden, was den Wert der Schrift zu relativieren scheint. Ohne die Wichtigkeit von 2,22 zu bestreiten, kann m.E. das Schriftverständnis des JohEv nicht anhand einer einzelnen Stelle erfasst werden. Auch wird in dieser Arbeit die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Worten Jesu und der Schrift ausgeklammert. Die Problemaitk des Stellenwertes der Schrift, die damit berührt wird, kann und soll m.E. anders berarbeitet werden (II.5.2). 9 Vgl. die Textbeispiele, die LABAHN (Autorität, 185–206), D IETZFELBINGER, (Aspekte, 203–218), K RAUS (Johannes, 1–23) und B EUTLER (Gebrauch, 295–315), anführen. 10 Nur wenige explizite Verweise (u.a. 7,19.22–23.51; und 9,28–29) werden in den verschiedenen Beiträgen kaum berücksichtigt. Pancaro bietet in „Law“ eine andere Auswahl als die meistens Forscher, denn er legt das Gewicht bewusst auf das Gesetz. Genau wie die anderen Exegeten begründet er aber seine Textauswahl nicht.
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I. Einleitung 11
und versuchen, diese Vielfalt zu berücksichtigen. In solchen Untersuchungen wird jedoch, sofern sie sich nicht auf ein einzelnes Kapitel be12 schränken , oftmals kaum reflektiert, weshalb gewisse Stellen behandelt, andere aber beiseite gelassen werden. Das offensichtliche Fehlen eines methodischen Rückhaltes lässt diese Arbeiten, trotz einiger wertvoller Beobachtungen und Ergebnisse, in einem zwiespältigen Licht erscheinen.13 Die Herausforderung besteht somit darin, sich nicht nur auf Zitate und explizite Schriftbezüge zu beschränken und zugleich eine für andere Exegeten nachvollziehbare Auswahl zu treffen.14 Die Untersuchungen zur Schrift im JohEv, besonders diejenigen, die sich primär auf die Zitate konzentrieren, legen die „wichtigsten“ Textstellen der Reihe nach aus. Neben der bereits erwähnten Schwierigkeit der Textauswahl verursacht diese Vorgehensweise ein weiteres Problem, da der jeweilige Kotext15 nur unzureichend mitberücksichtigt wird. So bleibt die Tatsache, dass die Schriftbezüge stets Figuren in den Mund gelegt werden, meist unbeachtet. Die Dialogsituation, die m.E. konstitutiv ist für das Verständnis des Schriftgebrauchs des vierten Evangelisten, wird dadurch nicht angemessen in die Analyse miteinbezogen. Weiter wird durch die Fokussierung auf die einzelnen Schriftbezüge ihr Zusammenspiel fast vollständig ausgeblendet. Was Zumstein für Joh 6 schreibt, gilt aber 11
So urteilt, M AIER, Schriftrezeption, 58: „Die Zahl der alttestamentlichen Zitate im Johannesevangelium ist streng genommen nicht sonderlich gross, daher dominieren in der Fachliteratur mehr oder minder nachvollziehbare Anspielungen, wobei die Grenzen zu motiv- und theologiegeschichtlichen Untersuchungen verschwimmen.“ Vgl. die folgenden Monographien: R EIM, Jochanan; W ESTERMANN, Johannesevangelium; H ANSON, Gospel. 12 Der am meisten bearbeitete Text in diesem Zusammenhang ist Joh 6, da er sich aufgrund seiner zahlreichen expliziten und impliziten Bezügen sehr gut dafür eignet, vgl. D ENNIS, Presence; H YLEN, Allusion; ZUMSTEIN, Schriftrezeption; K URZ, Bread; T HEOBALD , Schriftzitate; S CHOLTISSEK , Brotrede. 13 Eine ähnliche Schwierigkeit ist bei den Arbeiten zu beobachten, welche die Rezeption eines alt. Textkorpus, eines Motivs oder einer Figur im JohEv untersuchen: Entweder liegt das Gewicht auf den expliziten Bezügen oder die Auswahl der bearbeiteten Stellen wird kaum begründet, vgl. D ALY-D ENTON, David; B OISMARD, Moïse; SCHLUND, Knochen; FISCHER, Johannesevangelium, 7–11. PICHLER, Abraham, 67–68; H ASITSCHKA, Mose, 122–129; S CHAPDICK, Autorität. 14 Die Worte H ENGELS lassen erahnen, wie grundlegend das Problem ist (Schriftauslegung, 282, von mir hervorgehoben): „Der eigentliche Schwerpunkt der Verwendung des Alten Testaments liegt jedoch […] der ganzen Denk- und Darstellungsweise des Evangelisten entsprechend nicht so sehr bei den eindeutigen, durch Formeln eingeleitet Zitaten, sondern bei den sehr viel zahlreicheren Anspielungen und der Übernahme alttestamentlicher Motive. Hier bewegen wir uns allerdings auf einem umstrittenen, da notwendigerweise unsicherem Gebiet […]. Ich kann mich im Folgenden nur auf wenige, eher zufällige Beispiele beschränken.“ 15 Zur Definition von Kotext vgl. II.2.2.3.
3. Vorgehensweise
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sicherlich für fast alle Perikopen des JohEv und für das Werk insgesamt: „Es ist von Bedeutung zu erörtern, ob die Zitate, die Verweise und die An16 spielungen miteinander ein System bilden.“
3. Vorgehensweise 3.1 Methodischer Hintergrund und Eingrenzung der Untersuchung Um die Erforschung der Schrift im JohEv weiterzuführen und die erwähnten Schwierigkeiten zu vermeiden, ist zunächst eine methodologische Reflexion notwendig. Hierfür werden die Theorien der Intertextualität, welche die Eigenheiten der Beziehungen zwischen zwei (oder mehreren) Texten beleuchten, herangezogen und für die Analyse des vierten Evangeliums fruchtbar gemacht. Diese (theoretisch-)methodische Fundierung ermöglicht zum einen die Berücksichtigung von impliziten Schriftbezügen, ohne dadurch der Willkür Tür und Tor zu öffnen, denn dank präziser Begriffe können die verschiedenen Schriftbezüge genauer kategorisiert und die Textbeobachtungen besser erfasst werden. Zum anderen eröffnen die intertextuellen Theorien auch neue Perspektiven für die Textanalyse und ermöglichen andere Akzentsetzungen als bis anhin: Das Forschungsinteresse verlagert sich zum Teil, da die typisch ntl. Art und Weise, die Problematik anzugehen, durch Fragen bereichert wird, die bei intertextuellen Untersuchungen von Belang sind. So verliert z.B. die inhaltliche Beschreibung der Schriftbezüge (die christologische Interpretation) an Relevanz, hingegen gewinnt die Analyse ihrer Funktion (vgl. unten) an Bedeutung. Weiter ist eine Begrenzung der zu untersuchenden Texte notwendig. Nur so erhalten die Fragen, die sich durch die intertextuelle Methodik (neu) stellen, genügend Aufmerksamkeit. Um das Problem, dass immer wieder die gleichen Stellen behandelt werden, zu umgehen und um die schwierige Frage, in welchen Fällen ein Schriftbezug vorliegt, ernst zu nehmen, untersuche ich nicht primär Schriftbezüge, deren Kotexte mitberücksichtigt werden, sondern lege zunächst zwei Perikopen als Ganzes aus und frage erst danach, welche Rolle die Schriftverweise und -anspielungen für ihre Interpretation spielen. Ich gehe bewusst exemplarisch vor und erhoffe mir davon, dass sich die neu gewonnenen Erkenntnisse zum Schriftgebrauch und zur Schrifttheologie auch auf andere Perikopen des
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Z UMSTEIN, Schriftrezeption, 127. Indem er diesem Aspekt Aufmerksamkeit schenkt, gelingt es ihm zu zeigen, (128) „dass die Rezeption der Schrift Joh 6 nicht punktuell und isoliert, sondern durch ‚dissémination‘ (= Ausstreuung) erfolgt. Der in Anspruch genommene Text bildet die semantische Matrize der ganzen Erzählung.“
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I. Einleitung
Evangeliums ausdehnen lassen. Eine solche Möglichkeit wird mit der gebotenen Vorsicht im Ausblick erwogen. 3.2 Die Auswahl der zwei Perikopen 17
Joh 4,1–42 und Joh 7,1–52 eignen sich m.E. besonders gut, um die Problematik der Schrift im JohEv zu vertiefen, denn in der bisherigen Forschung zum Thema spielen die beiden Perikopen nur eine untergeordnete Rolle, obwohl verschiedene Bezüge auf die Schrift oft beobachtet werden (z.B. das Motiv des Wassers in Joh 4; der Verweis auf Jakob in 4,5.6.12; das „Zitat“ in 7,37–38). Die intertextuellen Bezüge werden aber entweder nur kurz erwähnt und knapp abgehandelt oder isoliert betrachtet, ohne dass der Kotext wirklich wahrgenommen wird. Die zwei Perikopen sind sehr zweckdienlich, um den Schriftgebrauch des JohEv besser zu verstehen, auch weil sie eine Vielfalt an unterschiedlichen Schriftbezügen beinhalten. In Joh 4 finden sich zwar ausser dem Verweis auf Jakob (V.5.6.12) kaum explizite Schriftbezüge, dennoch lassen sich das Symbol des Wassers, die Metapher der Ernte und die von der Samaritanerin erwähnte Messiaserwartung nur vor ihrem atl. Hintergrund adäquat verstehen. Zudem weist der Text eine bemerkenswerte Strukturähnlichkeit mit den atl. Erzählungen von der Begegnung eines Mannes und einer Frau am Brunnen (z.B. Gen 24) auf. Da die Perikope auf verschiedenste Art und Weise auf die Schrift rekurriert, eignet sie sich gut, um einerseits die Frage der Kategorisierung der Schriftbezüge zu vertiefen und andererseits das Zusammenwirken verschiedener intertextueller Elemente zu untersuchen. Auch in Joh 7 spielt die Schrift eine wichtige Rolle: Dreimal wird der νόµος erwähnt (V.19.49.51); in V.22–23 wird eine Gesetzesfrage mit Rekurs auf die Praxis der Beschneidung am Sabbat diskutiert; das Volk thematisiert seine messianischen Erwartungen zum Teil mit explizitem Verweis auf die Schrift (V.27.31.41–42) und das „Schriftzitat“ von V.37–38 ist eine der umstrittensten Stellen der joh Forschung überhaupt. In Anbetracht der vielen Schriftbezüge in dieser Perikope wird wiederum die Frage zu stellen sein, ob, und falls ja, wie sie zusammenwirken. Die Untersuchung von Joh 4 und Joh 7 ist auch deshalb sinnvoll, weil die zwei Textabschnitte sehr unterschiedlich sind, so dass die Problematik der Schrift aus zwei verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden kann. In Joh 4 wird die Schrift in einen Dialog eingebettet, in dem sich eine Samaritanerin Schritt für Schritt dem Glauben an Jesus öffnet. Der Text bildet eine gewisse Einheit, da eine Einzelperson im Gespräch mit Jesus ihre anfänglichen Missverständnisse überwindet und zu einem besseren Ver17
Aus praktischen Gründen wird Joh 4,1–42 in der Arbeit mit Joh 4 abgekürzt, obwohl die Perikope nicht das ganze Kapitel umfasst.
3. Vorgehensweise
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ständnis seiner Identität gelangt. Joh 7 hingegen besteht aus einer Reihung von kurzen Wortmeldungen, die kaum eine Struktur erkennen lässt. Jesus spricht meist zu Gruppen, die ihm feindlich gesinnt sind und im Unglauben verharren. Der Kontrast zwischen Joh 4 und Joh 7 hinsichtlich der Zahl der Gesprächspartner Jesu (Einzelne/Gruppen), ihrem Geschlecht (Frau/Mann), ihrer religiösen Herkunft (samaritanisch/jüdisch) und ihrer Reaktion auf Jesu Rede (Glaube/Unglaube) kann sich m.E. als fruchtbar erweisen.18
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Ein letzter interessanter Unterschied der zwei Perikopen betrifft ihre Beachtung in der Forschung. Während Joh 4 ein „Lieblingsgegenstand der Exegese“ (FRÜHWALD-KÖNIG, Tempel, 108; vgl. auch SCHAPDICK, Weg, 6–7) zu sein scheint, gehört Joh 7 zu den joh Texten, die in der Forschung kaum behandelt werden (vgl. DEVILLIERS, Fête, 19).
II. Methodik: Intertextualität 1. Einleitung Wer sich mit Intertextualität befasst, sieht sich statt mit einer einzelnen, in sich geschlossenen textanalytischen Methode, mit vielfältigen Theorien über Texte und ihr Verhältnis zueinander konfrontiert. Mein Anliegen ist es, aus diesen theoretischen Impulsen, die sich teilweise widersprechen, die für die Untersuchung der Schrift im JohEv hilfreichen Aspekte herauszuarbeiten.1 Hierfür sollen in diesem Kapitel zunächst wichtige Begriffe wie Intertextualität, Haupttext, Prätext usw. definiert werden. Da das Reden über Intertextualität unvollständig bliebe, wenn die zentrale Rolle, welche der Leser dabei einnimmt, ausgeklammert würde, widme ich mich in einem zweiten Schritt dieser Thematik und der damit zusammenhängenden Frage nach der Gültigkeit einer bestimmten Textinterpretation. Zum Schluss rücken die Kategorisierung der intertextuellen Bezüge und die verschiedenen Funktionen der Intertextualität ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In den Ausführungen zu den verschiedenen Aspekten wird jeweils zuerst eine methodische Grundlage geschaffen, die dann im Hinblick auf das JohEv vertieft wird. Dabei werden der Ertrag und die Grenzen der methodischen Reflexion für die Fragestellung aufgezeigt. Zudem werden die aufgrund der gewählten Methode zu erwartenden neuen Perspektiven – im Vergleich zu den bisherigen Forschungsergebnissen, die kurz vorgestellt werden – dargelegt. Darüber hinaus ermöglicht dieses Kapitel eine erste Annäherung an das Thema der vorliegenden Arbeit, indem im Folgenden erste grundlegende Informationen zu den Schriftbezügen des JohEv zusammengetragen werden (vgl. insbesondere den Abschnitt II.4.3 zu den Eckdaten der expliziten Schriftbezüge).
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Dieser Teil bietet also keine umfangreiche Abhandlung über Intertextualität, sondern begrenzt sich auf das, was an dieser Stelle für das Verständnis der Intertextualität notwendig und für die Untersuchung der Schrift im JohEv hilfreich ist.
2. Begriffliche Klärung
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2. Begriffliche Klärung 2.1 Intertextualität Die Theorien zur Intertextualität befassen sich mit der Beziehung zwischen Texten. „Dies ist unumstritten; umstritten jedoch ist, welche Arten von Beziehungen darunter subsumiert werden sollen. Und je nachdem, wieviel man darunter subsumiert, erscheint Intertextualität entweder als eine Eigenschaft von Texten allgemein oder als eine spezifische Eigenschaft von Texten.“2 In der Forschung lassen sich infolgedessen zwei Fraktionen ausmachen3: Die Autoren der ersten postulieren, „dass jeder Text in all seinen Elementen intertextuell ist, d.h., auf andere Texte verweist oder aus Echos anderer Texte besteht.“4 Demzufolge knüpft notwendigerweise jeder Text an andere Texte an, setzt ein bestimmtes Wissen voraus, entlehnt Muster, Genres und Gattungen von anderen Texten (oder Texttypen) und steht in einem ständigen Prozess des gegenseitigen Rezipierens und Rezipiert5 Werdens. Zudem ist jedem Text eine bestimmte Sprache eigen, deren Grammatik, Wortschatz, Struktur, usw. wiederum nur durch andere Texte (mit)vermittelt werden. Eine so verstandene Intertextualität löst „den Autor als Instanz ab. Sie enthält den Gedanken, dass sich Texte subjektlos permanent selbst absorbieren, transformieren, produzieren und reproduzieren und damit völlig ‚offen‘ bleiben.“6 Sie stellt „bestehende Konzepte zur Literatur (Einmaligkeit, Abgeschlossenheit, strukturale Totalität, Systemhaftigkeit) in Frage“7 und birgt implizit ein immenses literarturkritisches Potential, „indem der alte Text-Begriff der Textwissenschaft relativiert 2
PFISTER, Konzepte, 11. M ERZ, Selbstauslegung, 5, bemerkt zu Recht: „Die Polysemie des Begriffs Intertextualität und der sich in verschiedenen Ausprägungen von Intertextualitätstheorien anlagernden Unterbegriffe wird allerorten beklagt“. STOCKER, Theorie, 16, spricht sogar von der „‚Undisziplinierbarkeit‘ des Begriffes“. Vgl. weiter H OLTHUIS, Intertextualität, 1; SAMOYAULT, Intertextualité, 5; LACHMANN, Ebenen, 134. 3 Vgl. B ROICH, Intertextualität, 175–176; S AMOYAULT, Intertextualité, 7; JAKOBS, Textvernetzung, 15. 4 B ROICH, Intertextualität, 175. 5 Vgl. JAKOBS, Textvernetzung, 16–19. 6 JAKOBS, Textvernetzung, 15. 7 L ACHMANN, Ebenen, 132. Lachmann unterscheidet deswegen nicht nur zwei Grunddefinitionen, sondern drei (vgl. Ebenen, 134). Auch andere Autoren sind mit ihr dieser Meinung (H OLTHUIS, Intertextualität, 15; M ERZ, Selbstauslegung, 5–22). Die Betonung des literaturkritischen Potentials knüpft an das Intertextualitätsverständnis von Julia Kristeva an, die den Begriff als erste verwendet und ihre Meinung zum Thema in einem inzwischen berühmten Satz auf den Punkt gebracht hat: „Tout texte se construit comme mosaïque de citations, tout texte est absorption et transformation d’un autre texte.“ (K RISTEVA, Mot, 146).
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II. Methodik: Intertextualität
wird, der Terminus Intertextualität auf die Fahne jener literaturtheoretischen Ansätze geschrieben wird, die – im Gefolge des Dekonstruktivismus und Poststrukturalismus – gegen das Postulat des ‚einmaligen und finiten‘ Texten antreten und damit einen neuen literaturwissenschaftlichen Diskurs entwerfen.“8 Die Autoren der zweiten Fraktion, die an der Operationalisierbarkeit des Begriffs der Intertextualität interessiert sind, qualifizieren nur jene Textbeziehungen als „intertextuell“, die klar identifizierbar und somit für die Textanalyse relevant sind. So definiert z.B. Genette Intertextualtität restriktiv als „Beziehung der Kopräsenz zweier oder mehrerer Texte, d.h. in den meisten Fällen, eidetisch gesprochen, als effektive Präsenz eines Textes in einem anderen Text.“9 Damit sind primär Zitate (implizite wie explizite) und Anspielungen gemeint. Obwohl der ersteren, umfassenderen Definition auf texttheoretischer Ebene zuzustimmen ist, da ausnahmslos jeder Text in Beziehung zu anderen Texten steht, ist es aus textanalytischer Sicht unumgänglich „bestimmte intertextuelle Beziehungen gegenüber anderen zu isolieren, aus dem undifferenzierten Rauschen der Intertextualität gezielt einzelne Stimmen als privilegierte herauszufiltern.“10 Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, weitere Begriffe zu definieren, die ganz bestimmte, ausgewählte intertextuelle Beziehungen präzise zu beschreiben und so den angestellten Textbeobachtungen gerecht zu werden vermögen. „Intertextualität“ fungiert in diesem Konzept als Oberbegriff für alle identifizierbaren Textbeziehungen.11 2.2 Weitere Begriffe 2.2.1 Haupttext, Prätext und Bezug Die Intertextualitätstheorie widmet sich gemäss der obigen Definition den identifizierbaren Beziehungen zwischen Texten und ist deswegen auf ein geeignetes Begriffspaar angewiesen, „um die beiden Texte zu bezeichnen, die bei einer konkreten intertextuellen Bezugnahme interagieren.“12 Verschiedenste Begriffspaare (wie hypertexte/hypotexte; target text/source
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H OLTHUIS, Intertextualität, 16. G ENETTE, Palimpseste, 10. 10 M ERZ, Selbstauslegung, 18. 11 Damit wird eine eher enge Definition des Begriffs der Intertextualität vorgezogen. Intertexualität wird dabei nicht als „Oberbegriff, der potenziell alle möglichen Beziehungen zwischen Texten umfasst“ (M ERZ, Selbstauslegung, 5), verwendet, sondern bleibt für bestimmte Textbeziehungen, die im Teil Kategorisierung der Bezüge genauer definiert werden, reserviert. 12 M ERZ, Selbstauslegung, 5. 9
2. Begriffliche Klärung
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text, primary text/referent text usw. ) werden gegenwärtig hierfür benutzt, ohne dass sich bisher eines allgemein durchsetzen oder theoretisch vollumfänglich hätte überzeugen können. In der vorliegenden Arbeit wird das Begriffspaar Haupttext/Prätext verwendet. Während Haupttext den zu analysierenden Text bezeichnet, der auf einen anderen Text zurückgreift, wird der aufgenommene Text Prätext genannt. Ein Haupttext kann dabei einen Prätext zitieren, auf ihn verweisen oder anspielen, ihn imitieren, kommentieren, übersetzen, usw. Um eine (noch nicht definierte oder absichtlich unbestimmte) Beziehung zwischen Texten zu erfassen, wird ein Oberbegriff für Zitate, Anspielungen, Verweise, Motivübernahmen und alle anderen Arten von Textbeziehungen benötigt. Dafür gebrauche ich das Wort „Bezug“. Die drei hier vorgeschlagenen Begriffe ermöglichen es, ein konkretes intertextuelles Phänomen zu beschreiben: Der Haupttext nimmt Bezug auf den Prätext. 2.2.2 Intratextualität Was Intertextualität ist, kann noch genauer definiert werden durch die Abgrenzung vom verwandten Textphänomen der Intratextualität. In beiden Fällen kommen Textbeziehungen in den Blick: „Wenn das Zusammenspiel [zwischen dem Haupttext und dem Prätext] innerhalb eines literarischen Werkes selbst zu beobachten ist, wird in einem engeren Sinn von ‚Intratextualität‘ gesprochen; wenn sich dieses Phänomen hingegen zwischen unterschiedlichen literarischen Werken entfaltet, wird stricto sensu von ‚Intertextualität‘ geredet.“14 Die Verhältnisbestimmung zwischen dem Prolog, dem Epilog und dem Hauptteil des JohEv ist somit ein intratextuelles Problem, während die Erforschung des Schriftgebrauchs im JohEv in den Bereich der intertextuellen Fragestellungen gehört. 2.2.3 Kotext und Kontext Da Intertextualität ein komplexes Textphänomen ist, erfordert seine Erforschung eine präzise Sprache, um Missverständnisse und unnötige Verwirrungen zu vermeiden. Daher verwende ich den Begriff Kotext als Bezeichnung für „das textuelle Umfeld einer Textpassage“15 und den Begriff Kontext, um auf die historische Situation, in der ein Text entstanden ist, zu verweisen. So lassen sich zwei Sachverhalte, die sonst üblicher-
13
Vgl. H ELBIG, Markierung, 76. ZUMSTEIN, Intratextualität, 217–218. Zur Definition vgl. auch B ROICH, Bezugsfelder, 49–50. 15 M ERZ, Selbstauslegung, 10. 14
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II. Methodik: Intertextualität
weise ohne Unterscheidung als Kontext bezeichnet werden, präziser erfas16 sen und benennen.
3. Die Rolle des Lesers und die „Grenzen der Interpretation“17 Die Frage der Rolle des Lesers und die eng damit zusammenhängende Problematik der Grenzen der Interpretation sind für jede Form der Textauslegung relevant. Rezeptionsästhetische Konzepte machen zu Recht darauf aufmerksam, dass „der Sinn eines Textes diesem nicht einfach inhärent [ist], sondern […] erst im ‚Akt des Lesens‘ generiert [wird] –, und zwar bei verschiedenen Rezipientinnen und Rezipienten in durchaus unterschiedlicher Weise.“18 Dies bedeutet nicht, dass einem Text alle Interpretationen gleichermassen gerecht werden, dennoch ist damit zu rechnen, dass er für verschiedene Deutungen offen ist. Wo aber verläuft die Grenze zwischen angemessenem und unangemessenem Textverständnis? In Anbetracht der intertextuellen Phänomene wird die Frage noch akuter,19 denn diese fordern den Leser in seiner Kompetenz als Textinterpret ganz besonders heraus: Da in knappen Hinweisen (seien es Verweise, Zitate, Anspielungen oder Ähnlichkeiten im Erzählablauf) ganze Erzählungen in Erinnerung gerufen werden können, benötigt der Rezipient einiges an Vorwissen, um den Text und seine intertextuellen Bezüge richtig erfassen zu können. Je nach Kenntnisstand und Scharfsinn des Lesers wird dabei die Wahrnehmung und die Interpretation der Bezüge auf andere Texte in ganz unterschiedlichem Ausmass erfolgen können.20 Das Spektrum reicht dabei von einer „minimalen Lektüre“, bei welcher der Leser nur punktuell die explizit erwähnten intertextuellen Bezüge im Haupttext erkennt, bis zu einer „maximalen Lektüre“, bei welcher der Leser gezielt nach den impliziten Bezügen sucht und den ihm bekannten Kotext des Prätextes bewusst 16
Der Kotext und der Kontext sind zwar kaum verwechselbar, doch die begriffliche Genauigkeit ist sehr hilfreich angesichts der Komplexität der intertextuellen Analyse von Haupt- und Prätext mit jeweils eigenen Ko- und Kontexten. 17 Diese äusserst passende Formulierung habe ich von E CO, Grenzen, übernommen. 18 FREY/POPLUTZ, Narrativität, 10. 19 Da „Intertextualität“ besonders zu Beginn „zur Untermauerung poststrukturalistischer Grundüberzeugungen wie der Dezentrierung des Textes, dem Tod des Autors etc., herangezogen“ (M ERZ, Selbstauslegung, 12) wurde, ist es sowieso unmöglich, den Begriff zu benutzen, ohne den schalen Beigeschmack dieser Vorgeschichte wahrzunehmen und Stellung dazu zu beziehen. 20 Dieser Aspekt wird von ZUMSTEIN (Schriftrezeption, 137–138) hervorgehoben. Er erläutert am Beispiel von Joh 6, wie die unterschiedlichen Kompetenzen der Leser zu verschiedenen Interpretationen führen können.
3. Die Rolle des Lesers und die „Grenzen der Interpretation“
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in seine Interpretation miteinbezieht. Dies führt notwendigerweise zu ganz unterschiedlichen möglichen Deutungen des Haupttextes. Aber nicht nur das unterschiedliche Vorwissen und die unterschiedlichen Kompetenzen der Leser sind dafür verantwortlich, dass verschiedene Interpretationen nebeneinander bestehen, sondern es „ist – gerade bei einem metaphorisch dichten Text wie dem Johannesevangelium – damit zu rechnen, dass nicht einfach ein einziger Ursprungssinn oder ein klare Intention erhebbar sind, sondern vielmehr Räume eröffnet werden, die von Rezipientinnen und Rezipienten betreten und abgeschritten werden sollen.“21 Dies gilt vor allem für jene Perikopen, in denen Intertextualität eine massgebliche Rolle spielt. Sie bieten dem Leser viel Raum für eigene Interpretationsleistungen, sofern er mögliche (auch implizite) Schriftbezüge erkennt und dank seiner Kenntnisse der Prätexte der Zitate, der Verweise oder der Anspielungen Kontraste oder Ähnlichkeiten zwischen Haupt- und Prätext entdeckt, die sein Verständnis des joh Textes erweitern können. Ein bestimmter Schriftbezug kann den Leser aber an verschiedene atl. Stellen erinnern und zugleich kann er verschiedene Elemente des atl. Textes für seine Interpretation miteinbeziehen. Die dabei entstehende Vielfalt zeugt vom Reichtum des JohEv und sollte nicht primär als eine notwendige, aber leider unvermeidbare Konsequenz22 der Auslegungsarbeit angesehen werden. Gerade angesichts dieses breiten Spektrums an möglichen Textinterpretationen stellt sich die Frage, „wie man eine adäquate, zulässige, gültige – oder wie immer man sagen will, wenn man ‚richtig‘ vermeiden möchte – Rezeption und/oder Interpretation von einer weniger adäquaten etc. unterscheiden kann“23. Für Riffaterre scheint jede intertextuelle Assoziation eines Rezipienten legitim zu sein, denn er definiert Intertextualität als „perception, par le lecteur, de rapports entre une oeuvre et d’autres, qui l’ont précédée ou suivie.“24 Anders urteilt Stierle: Obwohl jedes Werk mit jedem korrelierbar ist, „wird die privilegierte, in den Blick genommene Relation doch gewöhnlich dadurch gelenkt, dass der Text selbst eine oder mehrere intertextuelle Relationen anzeigt.“25 Für ihn sind Texte nicht unendlich bedeutungsoffen. „Das Werk selbst ist das Zentrum eines Sinns, 21
FREY/POPLUTZ, Narrativität, 11. Anders urteilt H EMPFER (Gültigkeitskriterium, 18), der für jeden literarischen Text von einer überaus komplexen Voraussetzungssituation ausgeht, die notwendigerweise Rezeptions- und Interpretationsprobleme hervorruft, und betont: „Diese Komplexität kann neben anderem begründen, warum es empirisch zur Polyvalenz und divergierenden wissenschaftlichen Interpretationen kommt, sie kann aber keineswegs Polyvalenz und Polyinterpretabilität als positive Normen fundieren.“ 23 H EMPFER, Gültigkeitskriterium, 2. 24 R IFFATERRE, Trace, 4. 25 STIERLE, Werk, 141. 22
14
II. Methodik: Intertextualität
der über es hinausreicht, es konstituiert ein Sinnfeld, dessen Mittelpunkt es 26 zugleich ist.“ Genauso wie die Offenheit des joh Textes zu unterstreichen ist, soll auch betont werden, dass nicht alle Interpretationen gleich berechtigt sind. Wie jeder Text ist das JohEv ein Bindeglied in einem Kommunikationsgeschehen zwischen dem Autor, der „in der Regel nicht beliebig verstanden werden [will]“27 und seinen Lesern, die meistens bemüht sind, dessen Botschaft richtig zu erfassen. Dies gilt auch für intertextuelle Bezüge, da „ein Autor bei der Abfassung seines Textes sich nicht nur der Verwendung anderer Texte bewusst ist, sondern auch vom Rezipienten erwartet, dass er diese Beziehung zwischen seinem Text und anderen Texten als vom Autor intendiert und als wichtig für das Verständnis des Textes erkennt. Intertextualität [...] setzt also das Gelingen eines ganz bestimmten Kommunikationsprozesses voraus, bei dem nicht nur Autor und Leser sich der Intertextualität eines Textes bewusst sind, sondern bei dem jeder der beiden Partner des Kommunikationsvorgangs darüber hinaus auch das Intertextualitätsbewusstsein seines Partners miteinkalkuliert.“28 Aus dieser treffenden Beobachtung von Broich lassen sich m.E. zwei Kriterien ableiten, welche zur Beurteilung der Gültigkeit einer „intertextuellen“ Interpretation taugen.29 Zum einen ist der Autor im Sinne einer gelingenden Kommunikation darauf bedacht, seinem Leser Lektürehinweise zu geben, damit dieser die intertextuellen Bezüge als solche erkennt. Man spricht in diesem Zusammenhang von „Markierung“. Als solche „werden die literarischen Mittel der LeserInnensteuerung bezeichnet, die AutorInnen einsetzen, um den Fremdtext als solchen hervorzuheben, und mit denen sie sicherzustellen versuchen, dass der intendierte Dialog mit dem Prätext oder den Prätexten auch wirklich stattfindet.“30 Im JohEv geschieht dies meist durch die Einleitung (oder Ausleitung) von Zitaten und Verweisen oder durch die namentliche Erwähnung von atl. Figuren, die eindeutig identifizierbar sind.31 Eine grosse Anzahl an intertextuellen Bezügen auf engem Raum kann jedoch beim Leser eine Rezeptionshaltung hervorrufen, welche die Schwelle der Markierungsbedürftigkeit herabsetzt,32 so dass 26
STIERLE, Werk, 144. H EMPFER, Gültigkeitskriterium, 18. 28 B ROICH, Markierung, 31. 29 Dass die vermuteten impliziten intertextuellen Bezüge nicht in Spannung bzw. im Widerspruch zu anderen inhaltlichen Elementen des Textes stehen dürfen, ist selbstverständlich und wird hier nicht weiter ausgeführt. 30 M ERZ, Selbstauslegung, 62. 31 Vgl. H ELBIG, Markierung, 113–115: „Onomatische Einschreibungen bilden generell einen Aufmerksamkeitsfokus mit eindeutiger Verweisrichtung...“ (113). Vgl. auch M ERZ, Selbstauslegung, 66. 32 Vgl. M ERZ, Selbstauslegung, 64. 27
3. Die Rolle des Lesers und die „Grenzen der Interpretation“
15
implizite Bezüge mit einer gewissen Legitimität berücksichtigt werden können. Aufgrund der zahlreichen markierten Schriftbezüge ist dies m.E. zum Teil im JohEv der Fall, etwa in Kapitel 6. Somit lässt sich ein erstes Kriterium für die Beurteilung der Gültigkeit einer Interpretation festhalten: Diese gewinnt an Plausibilität, wenn sie durch die Markierung der intertextuellen Bezüge gestützt wird oder wenn gute Gründe für die Abwesenheit dieser Intertextualitätssignale angeführt werden können. Darüber hinaus machen die Ausführungen von Broich darauf aufmerksam, dass Intertextualität, weil sie im Rahmen eines Kommunikationsvorganges stattfindet, an einen bestimmten historischen Kontext gebunden ist. Daher ist natürlich vorauszusetzen, dass dem Autor die in Frage kommenden Prätexte bekannt sind und er auch entsprechende Kenntnisse von seinem potentiellen Leser erwartet. Folglich liefern Assoziationen des Lesers aus Werken, die nach dem Haupttext entstanden sind, keine solide Grundlage für eine angemessene Auslegung des Textes, obwohl natürlich auch die Wirkungsgeschichte eines Textes einen Einfluss auf seine Interpretation haben kann. Weniger selbstverständlich, aber genauso wichtig ist es, auf die zahlreichen impliziten Urteile, die (oft unbewusst) in die Interpretation mit einfliessen, zu achten. De facto wird die Art und Weise, wie Texte zueinander in Verbindung gesetzt werden, von den jeweils herrschenden Werten und der jeweiligen Kultur geprägt, so dass der Abstand zwischen den heutigen und den damaligen Lesern des JohEv niemals gänzlich überwunden werden kann. Zwei Beispiele sollen dies illustrieren: In welchem Medium uns der Text begegnet, beeinflusst massgeblich unsere Lektüregewohnheiten, wobei der offensichtliche Unterschied zwischen einer mündlichen Überlieferung, einem Papyrus und Bible Works keinen weiteren Kommentar erfordert. Dies hat auch Auswirkungen auf die Intertextualität; dass wir alle Texte, die ein bestimmtes Stichwort enthalten, mit einem einzigen Mausklick vergegenwärtigen können, nivelliert den Unterschied zwischen den der Leserschaft sehr wohl bekannten Texten und denjenigen, die es weniger oder gar nicht sind. Zudem liegt bei der Bearbeitung eines Motivs das Gewicht eher auf einem oder bestenfalls einigen wichtigen Lexemen, die in die Suchmaschine eingegeben werden können, als auf dem gesamten Wortfeld und den damit assoziierten Bildern. Dies bleibt z.B. für die Auslegung des Motivs der Ernte in Joh 4 nicht ohne Folgen. Auf ganz andere Weise beeinflussen aktuelle Werte und Fragestellung das Verständnis gewisser intertextueller Bezüge. In der gegenwärtigen Praxis (sei es in wissenschaftlichen Arbeiten oder in Predigten) ist es nicht unüblich, sich beim Verweis auf einen Bibeltext von anderen Interpretationen desselben Textes zu distanzieren. Angesichts der dramatischen Wirkungsgeschichte der joh Kritik an den Juden und ihrer
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II. Methodik: Intertextualität 33
Schriftauslegung berühren uns jedoch gewisse joh Texte (z.B. Joh 8) unangenehm. Ohne zu hinterfragen, ob dieses Gefühl legitim ist, scheint es evident – und dies ist Gegenstand der Untersuchung – dass unser Unbehagen aktuelle Werte und Problematiken widerspiegelt, die weder einfach in den Text hineinprojiziert noch ignoriert werden dürfen. Die weitere intertextuelle Arbeit wird insofern von den soeben angestellten Überlegungen zur Rolle des Lesers beeinflusst, dass einerseits die Sinnpluralität und Offenheit bewusst wahrgenommen und wo nötig und nützlich mehrere Deutungen nebeneinander gestellt werden sollen, so dass sich dem Rezipienten, der sich sonst meist mit dem erstbesten von ihm erkannten Sinn zufrieden gibt, neue Perspektiven eröffnen. Andererseits soll auf anachronistische Assoziationen und Problematiken hingewiesen werden. Ebenso sollen die (unbewussten) Bewertungen gewisser intertextueller Bezüge Gegenstand der Reflexion sein.
4. Kategorisierung der Bezüge 4.1 Methodischer Hintergrund Die Notwendigkeit, Begriffe zu definieren, die bestimmte intertextuelle Bezüge präzise zu erfassen vermögen, hat zur Herausbildung unterschiedlichster Modelle geführt, die alle den Versuch unternehmen, so viele Textbeziehungen wie nur irgend möglich in ein kohärentes System zu integrieren.34 Die grossen Unterschiede zwischen den verschiedenen Kategorisierungsvorschlägen lassen die Schwierigkeiten dieses Unterfangens erahnen. „Dass jeder Versuch einer Theoretisierung und/oder Systematisierung des Phänomens ‚Intertextualität‘ notwendig perspektivisch bleibt und das Spektrum potentieller intertextueller Bezüge nicht einmal approximativ erfasst wird, muss daher als Ausgangspunkt jeder Konzeption [...] mitgedacht werden.“35 33
Dies kann auch bei der Untersuchung der Schrift in anderen Evangelien beobachtet werden, wie das folgende Zitat zeigt: „Meines Erachtens erlaubt uns schon der historische Befund als solcher nicht mehr, diese Art matthäischer Inanspruchnahme alttestamentlicher Schriftstellen noch mitvollziehen zu wollen [...]. Unsere ,Verwandtschaft‘ und zugleich unsere Nichtidentität mit Israel muss es uns verbieten, Israels ‚Schriften‘ uns in einer Weise anzueignen, die auf die Enteignung Israels hinausläuft, weil eben eine solche Art der Aneignung den Anspruch erhebt, nur das christologische Verständnis des Alten Testaments als in Jesus aus Nazareth ‚erfüllte‘ Schrift als legitim anzusehen“ (W ALTER, Problematik, 353). 34 Vgl. die Vorschläge von G ENETTE, Palimpseste, 9–18; JAKOBS, Textvernetzung, 38–40; M ERZ, Selbstauslegung, 22–26; STOCKER, Theorie, 49–72; H OLTHUIS, Intertextualität, 40–153; und STIERLE, Werke, 147–148. 35 H OLTHUIS, Intertextualität, 28.
4. Kategorisierung der Bezüge
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Trotz ihrer verwirrenden Vielfalt machen die verschiedenen Bezeichnungen intertextueller Bezüge auf wichtige Klassifikationskriterien aufmerksam, die fast alle Autoren teilen, obwohl sie sie unterschiedlich benennen. So sind z.B. die Ausdrücke „Architextualität“ (Genette), „Systemreferenz“ (Merz, Broich/Pfister) und „generische Beziehung“ (Jakobs) fast bedeutungsgleich und bringen allesamt den Unterschied zwischen den Bezügen auf einen bestimmten Text (oder einige bestimmte Texte) und den Bezügen „auf bestehende Stile, Genres, Schreibweisen oder allgemein auf poetische Muster“36, also der Prägung des Textes durch bestimmte Schreibregeln und -gewohnheiten, zum Ausdruck. Trotz gewissen Ähnlichkeiten bleibt ein Vergleich der Begrifflichkeiten verschiedener Autoren schwierig, denn jeder Forscher trifft hierbei Entscheidungen, die es ihm ermöglichen, verschiedene Textverhältnisse als kohärentes System darzustellen, ausserhalb dessen die gewählten Begriffe jedoch ihre Stichhaltigkeit verlieren. Folglich können zwei Begriffe, die ein ähnliches Textphänomen beschreiben, nicht wirklich als Synonyme behandelt werden. Der Vergleich wird auch dadurch erschwert, dass die Ergebnisse stark von den untersuchten Texten, bzw. Texttypen, geprägt sind. So werden z.B. intertextuellen Bezüge eines Gedichts anders erörtert als diejenigen einer Erzählung oder eines wissenschaftlichen Artikels. Im Folgenden stelle ich eines dieser Modelle vor, das einerseits die Thematisierung wichtiger Unterscheidungsmerkmale ermöglicht (z.B. wörtlich/nichtwörtlich; implizit/explizit) und sich andererseits für die Untersuchung der Schriftbezüge im JohEv eignet. Aus drei Gründen habe ich mich hierbei für das Konzept von Piégay-Gros entschieden: Erstens nimmt ihr Ansatz Bezug auf das Modell von Genette, das in der Forschung breit rezipiert wurde, und verbessert es noch, indem sie oft beobachtete Mängel behebt, so dass es m.E. über eine gewisse Konsensfähigkeit verfügt. Zweitens benutzt Piégay-Gros eine nachvollziehbare und präzise Begrifflichkeit, die im Vergleich zu anderen Intertextualitätstheorien übersichtlich und leserfreundlich bleibt. Es ist ihr gelungen, Textbeziehungen genau zu beschreiben und zu benennen, ohne mit hochkomplexen Begriffen zu jonglieren. Drittens lässt ihre Klassifizierung weitere präzisierende Unterscheidungen zu, ohne dass dadurch ihre Grundkategorien in Frage gestellt würden, so dass Ergebnisse anderer Forscher in die Darstellung miteinfliessen können, was die nötige Flexibilität schafft, um ihr System an meinen Untersuchungsgegenstand (die Schrift im JohEv) anzupassen.37
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STOCKER, Theorie, 68. Für ihn spielt diese Unterscheidung eine wichtige Rolle, dennoch soll Architextualität präziser erfasst werden, so dass er drei Unterkategorien definiert: Demotextualität, Thematextualität und Similtextualität. 37 Vgl. z.B. unten die Unterscheidung innerhalb der Verweise (II.4.2.1).
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II. Methodik: Intertextualität
Piégay-Gros unterscheidet zwei Typen von intertextuellen Bezügen: Diejenigen, die auf der Kopräsenz von zwei oder mehreren Texten beruhen 38 und diejenigen, die durch Ableitung (dérivation) entstanden sind. Die kopräsentischen intertextuellen Bezüge wiederum lassen sich dank zweier weiterer Unterscheidungskriterien in vier Untergruppen unterteilen:39 Zitat, Plagiat, Verweis und Anspielung. Zum einen kann zwischen expliziten intertextuellen Bezügen (Zitat und Verweis), die durch eine 40 „Markierung“ (z.B. eine Einleitung, Anführungs- und Schlusszeichen, eine besondere Schriftart, usw.) als solche hervorgehoben werden, und impliziten Bezügen, bei denen nicht angezeigt wird, dass es sich um die Einfügung eines Fremdtextes handelt (Plagiat und Anspielung), differenziert werden. Weiter werden wörtliche Übernahmen (Zitat und Plagiat) von jenen Bezügen unterschieden, die den Prätext erwähnen, ohne ihn zu zitieren. Dazu zählen der Verweis, der „n’expose pas le texte cité mais y renvoie par un titre, un nom d’auteur, de personnage ou l’exposé d’une situation spécifique“41 und die Anspielung, die auf den Prätext Bezug nimmt, ohne ihn eindeutig zu erwähnen. Die folgende Tabelle fasst die vier Arten von kopräsentischen Bezügen zusammen:
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Ein kurzer Vergleich mit Genette lohnt sich. Was Piégay-Gros „Kopräsenz“ nennt, entspricht bei Genette der „Intertextualität“, ihre „relation de dérivation“ seiner „Hypertextualität“. Genettes Kategorie der „Architextualität“ lässt sie unberücksichtigt. Mit diesem Begriff (vgl. das Präfix archi: Ursache, Urgrund, Prinzip) werden Regeln, Prinzipien und Sprachgewohnheiten bezeichnet, die einem Text zugrunde liegen und die er mit anderen teilt. Beispiele hierfür sind Gattungen, Sprachen, Versbildungsregeln usw. Diese Kategorie ist kaum hilfreich für die textanalytische Untersuchung der Beziehung zwischen zwei bestimmten Texten und kann deswegen ignoriert werden. Auch die Kategorie der Paratextualität, welche „die im allgemeinen weniger explizite und weniger enge Beziehung [betrifft], die der eigentliche Text im Rahmen des von einem literarischen Werk gebildeten Ganzen mit dem unterhält, was man wohl seinen Paratext nennen muss: Titel, Untertitel, Zwischentitel, Vorworte, Nachworte, Hinweise an den Leser, Einleitungen usw.“ (G ENETTE, Palimpseste,11), kann aussen vor gelassen werden. „Denn […] viele Paratexte [sind], auch wenn sie peripher sind, eben doch Bestandteile des Textes. Wie sollten sich intratextuelle Elemente wie Titel, Zwischentitel und Motto intertextuell auf den Text, zu dem sie gehören, beziehen können?“ (STOCKER, Theorie, 59). Zu Genettes Kategorie der Metatextualität siehe unten. 39 Vgl. PIÉGAY-G ROS, Intertextualité, 45–55 und SAMOYAULT, Intertextualité, 34–37. G ENETTE (Palimpseste, 10) sieht drei statt vier Kategorien vor: das Zitat, das Plagiat und die Anspielung. Die Kategorie „Verweis“ scheint mir aber unabdingbar. 40 Um die Definition der Markierung und ihre verschiedenen Formen zu vertiefen, vgl. H ELBIG, Markierung; B ROICH, Markierung, 31–47; M ERZ, Selbstauslegung, 60–69. 41 SAMOYAULT, Intertextualité, 35.
4. Kategorisierung der Bezüge
Explizit
Nicht explizit
Wörtlich
Zitat
Plagiat/implizites Zitat
Nicht wörtlich
Verweis
Anspielung
19
42
Während bei der Kopräsenz der Prätext auf irgendeine Weise im Haupttext präsent ist und einen abgrenzbaren Fremdkörper bildet, wird der Prätext bei der Ableitung vom Haupttext überlagert. Genette verdeutlicht diesen Vorgang anhand des Bildes des „Palimpsestes“, einer antiken oder mittelalterlichen Manuskriptseite oder -rolle, die beschrieben, durch Schaben oder Waschen gereinigt und danach neu beschrieben wurde. Der Prätext steht also im Hintergrund des Haupttextes und wird entweder nachgeahmt oder transformiert.43 Wichtige Merkmale des Prätextes werden übernommen und umgestaltet, so dass ein neuer Text entsteht. 4.2 Schriftbezüge im JohEv Zwar haben einige Neutestamentler ein Raster vorgeschlagen, um die unterschiedlichen Formen der Schriftbezüge des JohEv zu erfassen, indem sie ihre Beobachtungen zum Schriftgebrauch systematisierten, dennoch fallen aufgrund des mangelnden theoretischen Hintergrunds bei allen begriffliche Ungenauigkeiten auf (vgl. Hanson44, Reim45, Klauck46). Zudem werden
42
Der Begriff Plagiat stammt aus der modernen Literaturtheorie und hat im alltäglichen Gebrauch eine negative Konnotation. Zudem lässt er sich schwer auf antike Texte anwenden. Als Bezeichnung für die wörtliche Wiedergaben von atl. Texten, die nicht eingeleitet werden, ziehe ich deswegen den Ausdruck „implizite Zitate“ vor. 43 Piégay-Gros definiert die Nachahmung oder Imitation als „Pastiche“ und die Transformation als „Parodie“. 44 H ANSON (Technique, 157–176) unterscheidet fünf Wege, wie der Evangelist das AT aufnimmt. „1. He uses scripture because it has come to him in his source“ (157, vgl. z.B. Joh 1,23). 2. Er zitiert die Schrift und leitet sie formal (mit ἵνα ἡ γραφὴ πληρωθῇ oder mit ἵνα τελειωθῇ ἡ γραφή) ein (12,38–40; 13,18; 15,25; 17,12; 19,24.28–29.36–37). 3. Die Schrift wird explizit zitiert und diskutiert, aber ohne eine Einleitungsformel (2,17; 3,14–15; 6,31.45; 7,35; 10,34). 4. „Scripture can be detected as the basis of his Christology. […] I can detect four such passages, 1.18; 1.51; 5.35; 8.49 and 58“ (162). 5. „Scripture can be shown to have influenced his narrative“ (166). Ein Hauptproblem dieser Klassifikation ist die Überbetonung der Zitate (drei Kategorien von fünf) und das Ausblenden der expliziten Bezüge, wie die Erwähnungen atl. Namen (Jakob, Abraham usw.) und das Besprechen atl. Stellen, die nicht zitiert sind (z.B. 7,22–23). 45 R EIM (Jochanan, 97–98) unterscheidet zwischen Zitaten, offensichtlichen Anspielungen, wahrscheinlichen Anspielungen, möglichen Anspielungen, „Jüdischem“ und formalen Parallelen sprachlicher oder theologischer Art. Diese Klassifikation ist für eine präzise Beschreibung intertextueller Bezüge ungeeignet. Zwar wird das Problem, das
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II. Methodik: Intertextualität
wichtige Unterscheidungen, die in der intertextuellen Forschung quasi zum Konsens gehören (z.B. jene zwischen explizit und implizit) kaum reflektiert. Die hier vorgeschlagene Kategorisierung hingegen, die auf der Anpassung des intertextuellen Modells von Piégay-Gros an die Eigenheiten der Schriftverwendung im JohEv beruht, hebt deutlich hervor, welche Bezüge für den Leser unübersehbar, also unumstritten sind (Zitate und Verweise), und welche implizit und von daher weniger konsensfähig sind (implizite Zitate, Anspielungen, Strukturähnlichkeiten und Motivübernahmen). Darauf soll im Folgenden eingegangen werden. 4.2.1 Kopräsenz 4.2.1.1 Verweise und Zitate im JohEv Die Anwendung dieser Kategorie auf das JohEv ist erst dann sinnvoll, wenn zwei weitere Präzisierungen vorgenommen werden: Zum einem lässt sich nur schwer eine klare Trennlinie zwischen wörtlicher und nichtwörtlicher Übernahme ziehen, da die mündliche Tradition zur Zeit der Redaktion viel grösseres Gewicht hatte als heutzutage, so dass sich die Frage stellt, ob sich mögliche Abweichung nicht damit erklären lassen, dass der Autor aus dem Gedächtnis zitierte. Es ist aber auch möglich, dass ihm die zitierte darin besteht, dass viele Schriftbezüge implizit und daher umstritten sind, ernst genommen, dennoch weist dieser Vorschlag mehr auf Schwierigkeiten hin, als dass er sie löst. 46 K LAUCK (Geschrieben, 143–144) unterscheidet neun Kategorien: 1. Ein markiertes Zitat liegt vor, wenn eine wörtliche Übernahme eines atl. Textes mit einer Einleitungsformel vorhanden ist. 2. Ein unmarkiertes Zitat ist eine „wörtliche Übereinstimmung mit einem atl. Prätext über wenigstens einen Satz“ (143). 3. Eine Anspielung ist eine deutliche Bezugnahme auf einen atl. Text, der als bekannt vorausgesetzt wird, trotz der Abwesenheit wörtlicher Übereinstimmung (z.B. in 3,14). 4. Das Echo bezeichnet eine Anspielung in unklaren Fällen. 5. Die biblische Sprache wird imitiert (besonders die stilistische Eigentümlichkeit der Septuaginta). 6. Erzählfigur und Erzählmuster kommen vor, wenn „Personen aus dem Alten Testament und mit ihnen verbundene Erzählmuster“ (144) (pattern) verwendet werden. 7. Allgemeine Aussagen über die Schrift sind vorhanden, wenn „Bemerkungen über die Schrift [...] keine bestimmte Stelle ins Auge fassen, sondern generell gemeint sind“ (144). 8. Jüdische Auslegungstraditionen und -techniken werden manchmal von Joh übernommen. 9. Schriftbezüge werden mit dem christlichen Überlieferungsstück, in dem sie vorkamen, übernommen. Dieser Vorschlag ist ziemlich ausgereift und bei weitem der solideste, dennoch ist er mit drei Schwierigkeiten behaftet. Zum einen unterscheidet er in Kategorie 3 nicht zwischen Anspielungen (implizit) und Verweisen (explizit). Anders als die Verweise können impliziten Bezüge vom Leser übersehen werden und werden in der Forschung kontrovers diskutiert, weswegen eine Differenzierung unabdingbar ist. Zweitens können patterns übernommen werden, ohne dass eine Erzählfigur benannt wird, so dass seine Kategorie 6 problematisch ist. Schliesslich stehen die Kategorien 8 und 9 auf einer anderen Ebene, denn sie beschreiben nicht mehr die „Form“ der Textbezüge, sondern stellen Fragen nach den Quellen und Traditionen, die grundsätzlich für jede Art von Schriftbezug zu untersuchen sind.
4. Kategorisierung der Bezüge
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Quelle in einem anderen Wortlaut vorlag, als ihn die uns heute zugänglichen Texte bieten. Ebenfalls ungenügend geklärt ist die Frage, welche 47 schriftliche Vorlage der Autor des vierten Evangeliums verwendete. 48 Höchstwahrscheinlich benutzte er die LXX , dennoch ist nicht auszuschliessen, dass er auch den hebräischen Text kannte. Diese Schwierigkeiten führen dazu, dass sich der Prätext eines Zitates nicht immer eindeutig bestimmen lässt. Deswegen unterscheide ich bei den expliziten Bezügen zwischen49: a) Zitaten, deren Prätext klar identifizierbar ist; b) Zitaten, die eine klare Einleitungsformel ausweisen, deren Prätext sich jedoch nicht mit Sicherheit bestimmen lässt, da mehrere Prätexte (mit wörtlichen Übereinstimmungen) in Frage kommen; c) Verweisen, die zwar gewisse Schriftinhalte wiedergeben, für die sich aber kein Prätext als Zitatgrundlage eruieren lässt. Zum anderen kann m.E. die Kategorie der Verweise mit Blick auf das JohEv noch genauer erfasst werden. Während die Mehrzahl der Verweise inhaltliche Elemente wiedergeben, wird manchmal auch über den Prätext gesprochen: „Im Johannesevangelium finden sich auch Bemerkungen über die Schrift, die keine bestimmte Stelle ins Auge fassen, sondern generell gemeint sind“.50 So können etwa die Worte „Schrift“ (γραφή/γράµµα) oder „Gesetz“ (νόµος) als Einleitung für einen Verweis auf eine spezifi47
Die Quellenfrage erschwert das Urteil über wörtliche Übernahmen, welche Zitate von anderen Schriftbezügen unterscheiden. Das Kriterium ist also weniger eindeutig, als es auf den ersten Blick scheint: „Ist das bei der Aufnahme von einzelnen bis hin zu mehreren aus den Schriften identifizierbaren Worten gegeben, oder ist eine in diesen Worten erkennbaren Sinneinheit im Evangelium ausschlaggebend?“ (O BERMANN, Erfüllung, 70). In der Forschung ist auch das zweite Kriterium, das eine Stelle als Zitat erkennbar macht, die explizite Markierung (Einleitung) umstritten. Das erklärt, warum die Zahl der Zitate je nach Autor variiert. So zählt SCHNACKENBURG I (103) 19 Zitate, NA 27 16, SCHUCHARD (Scripture, XIII) 13; FREED (Quotations, 117-130) 17. Zu dieser Schwierigkeit vgl. O BERMANN, Erfüllung, 69–76; er selber plädiert für die Annahme von 14 Zitaten im JohEv. 48 Die Bestimmung der vom Evangelisten benutzten Quellen ist dadurch erschwert, dass die Textgestalt der LXX zu dieser Zeit unsicher ist, da die Handschriften meist jünger und LXX-Stellen von ntl. Zitaten beeinflusst sind. 49 Damit folge ich dem Vorschlag von B EUTLER (Gebrauch, 299–304), der zwischen „Stellen mit klarem Bezug auf Einzeltexte“ und „Stellen mit unklarem oder ungenauem Bezug“ unterscheidet. Dies trägt m.E. zur Klärung der Situation bei. Die von ihm vorgeschlagene Zitatliste übernehme ich hingegen nicht: Sowohl 7,12 als auch 7,42 gehören m.E. zu den Verweisen. Die Versangaben von Beutler, 12,13–16 betreffend, sind falsch oder unklar angegeben, was die Beurteilung erschwert. Da er zwei Zitate erwähnt, wird wahrscheinlich auch 12,13 als Zitat betrachtet. Da keine Einleitung vorhanden ist, handelt sich aber m.E. um ein implizites Zitat. 50 K LAUCK, Geschrieben, 144. B EUTLER (Gebrauch, 305–307) macht ähnliche Beobachtungen. Seiner Ansicht nach sind in diesem Zusammenhang 1,45; 2,22; 5,31–38; 7,15; 10,35 zu erwähnen.
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II. Methodik: Intertextualität
sche atl. Stelle dienen, es ist aber auch möglich, dass damit ganz generell die Funktion der Schrift, ihre Autorität, ihre Gültigkeit, ihre Auslegung usw. thematisiert werden. In Anlehnung an den Begriff der „Metatextualität“51, welcher jene Art von Beziehung zwischen Prätext und Haupttext benennt, bei der letzterer sich über den ersteren äussert, werden solche Bezüge als „metatextuelle Verweise“ bezeichnet.52 Eine weitere besondere Gruppe von Verweisen bilden die Nennungen von atl. Figuren (Mose, Ab53 raham, Jakob usw.) . „Aufgrund des spezifisch referenziellen Charakters von Namen rufen diese ohne weitere Markierung zuverlässig ganz bestimmte literarische Zusammenhänge auf und korrelieren Texte durch ‚Interfiguralität‘“54. Diese onomastischen Verweise unterscheiden sich dadurch von anderen Verweisen, dass sie eher grössere Textzusammenhänge denn spezifisch ausgewählte Textelemente anklingen lassen.55 Daraus ergibt sich folgende Liste für die expliziten Schriftbezüge der Kopräsenz im JohEv: Zitate mit klaren Prätexten: 1,23; 2,17; 6,45; 10,34; 12,38; 12,39–40; 13,18; 19,24; 19,37. Zitate mit unklaren Prätexten: 6,31; 12,15; 15,25; 19,36.
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Stocker und Genette verwenden diesen Begriff, um eine bestimmte Form der Intertextualität zu benennen. Diese Form zeichnet sich dadurch aus, „dass nicht mit den Worten eines fremden Textes, sondern über diesen gesprochen wird. Berufsmässige Verfasser von Metatexten finden sich also in der Literaturwissenschaft und in der Literaturkritik“ (STOCKER, Theorie, 55). Metatextualität bezeichnet die „Beziehung zwischen einem Text und einem anderen, der sich mit ihm auseinandersetzt, ohne ihn unbedingt zu zitieren (anzuführen) oder auch nur zu erwähnen“ (G ENETTE, Palimpseste, 13). 52 Der Unterschied zwischen inhaltlichen und metatextuellen Verweisen ist nicht immer eindeutig auszumachen. Unklar ist z.B. 5,45–47. Der Unterschied wird m.E. deutlich anhand der Frage, ob das Augenmerk auf dem Inhalt der Schrift liegt, der in der Argumentation gebraucht wird (Verweis), oder auf der Schrift selber (als Textgrösse). Wichtig ist nicht die Einordnung in die richtige Kategorie, sondern die Möglichkeit zu reflektieren, was im Vordergrund steht: der Inhalt eines Textabschnittes oder die Schrift als solche. 53 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie die Bezeichnung „unsere/eure Väter“ (4,20; 6,31.49.58; 7,22) einzuordnen ist. 54 M ERZ, Selbstauslegung, 23. 55 Vgl. M ERZ, Selbstauslegung, 23. An einigen Stellen wird mit der Nennung des Namens auch kurz ein atl. Ereignis erwähnt (deutlich in 1,17; 3,14; 9,28–29). Oft bleibt es aber dem Leser überlassen, welche Erzählungen er für die Interpretation mitberücksichtigt. Dabei spielen nicht nur Texte aus der Schrift eine Rolle, sondern auch zeitgenössische jüdische Traditionen und Literatur. So untersucht FREY (Deutung) die frühjüdische Auslegungstradition von Joh 3,14 und zeigt die daraus folgenden Konsequenzen für die Interpretation des joh Textes auf. Eine ähnliche Reflexion über Abraham in Joh 8 findet sich bei C OTHENET (Arrière-plan, 53–54).
4. Kategorisierung der Bezüge
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Verweise auf Schriftinhalte: 1,45; 7,22–24; 7,38; 7,42 ; 7,52 ; (8,5) ; 59 60 8,17; 12,34; 17,12 ; 19,7; 19,28 . Metatextuelle Verweise: 1,17; 2,22; 5,39; 5,46–47; 7,15; 7,19; 7,49; 7,51; 10,35, 18,31; 20,9. Onomastische Verweise61: Abraham: 8,33.37.39.40.52.53.56.57.58. Mose: 1,17+; 1,45*; 3,14; 5,45–46+; 6,32; 7,19+; 7,22*; 8,5*; 9,28–29. Jakob: 4,5.6.12. Jesaja: 1,23*; 12,38*; 12,39*; 12,41. Joseph: 4,5 Elia62: 1,21.25 David: 7,42° Salomo: 10,23
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Erstaunlicherweise wird 7,42 von B EUTLER (Gebrauch, 302) als Zitat betrachtet. Mir scheint es aber inkonsequent, 7,42 anders zu beurteilen als 8,17 oder 12,34: In allen drei Fällen werden Meinungen oder Positionen der Schrift in zusammenfassender Form dargeboten. 57 Wegen des Gebrauchs des Verbs ἐρευνάω, das sich wahrscheinlich auf die Erforschung der Schrift bezieht, wird 7,52 den expliziten Verweisen zugeordnet, auch wenn weder das Wort γραφή, noch das Lexem νόµος vorkommen. 58 7,53–8,11 findet sich nicht in den älteren Handschriften und ist eine spätere Hinzufügung. Deshalb wird 8,5 in Klammer gesetzt und in der weiteren Untersuchung nicht berücksichtigt. 59 Trotz der Wendung „damit die Schrift erfüllt wurde“, die oft zur Zitateinleitung gebraucht wird, ist m.E. 17,12 ein Verweis: Der Finalsatz erklärt lediglich das Resultat des Ereignisses, das im vorherigen Vers erzählt wird. Eine wörtliche Wiederholung des atl. Textes erfolgt nicht. 60 Diese Stelle ist sehr schwierig einzuordnen: Einerseits ist das Wort „διψῶ“ doppelt eingeleitet, als Wort Jesu und als Schriftzitat. Andererseits handelt es sich nicht um eine wörtliche Übernahme (bei den Prätexten, die in Frage kämen, so LXX Ps 68,22 und LXX Ps 41,3, hat das Verb ein anderes Subjekt [„meine Seele“ statt „ich“]). Bei der Kürze dieser Stelle ist es zudem schwierig, von einem Zitat zu sprechen. 61 Um Verwirrungen zu vermeiden, werden Stellen, die zwei Kategorien angehören, wie folgt gekennzeichnet: + markiert Stellen, die auch zur Metatextualität gehören, * Verweise auf Namen, die in einer Zitateinleitung (bzw. in einer Verweiseinleitung) vorkommen. Die Funktion dieser Namensnennungen begrenzt sich meist darauf, den Schriftbezug als solchen zu markieren. ° kennzeichnet die Verweise auf Namen, die innerhalb eines Verweises vorkommen. 62 „Elia“ wird hier der Vollständigkeit halber erwähnt. Der Name verweist aber nicht primär auf die atl. Einzelgestalt und hat deswegen nicht die Funktion eines Eigennamens, sondern fungiert als Bezeichnung für eine eschatologische Heilsfigur. Somit stellt sich die Frage, ob christologische Titel oder die Erwähnung von Heilsgestalten (z.B. Menschensohn in Joh 1,51; 3,13.14; 6,27.53.62; 8,28; 9,35; 12,23; 12,34; 13,31; oder Messias in 1,41; 4,25) intertextuelle Phänomene sind. Aufgrund der herrschenden Auffassung zur Rolle des Titels „Christus“ wird diese Problematik vorerst ausgeklammert.
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II. Methodik: Intertextualität
4.2.1.2 Implizite Zitate und Anspielungen im JohEv Implizite Bezüge können beim Lesen schnell einmal übersehen werden, da sie vom Autor nicht als solche markiert sind. Es kann aber auch passieren, dass Anspielungen oder implizite Zitate an Stellen vermutet werden, bei denen der Autor keinen intertextuellen Bezug beabsichtigte. Da somit die Gefahr besteht, einerseits vorhandene Schriftbezüge zu übergehen und andererseits nicht vorhandene in den Text hineinzulesen, wird in der Forschung kontrovers diskutiert, in welchen Fällen tatsächlich solche Bezüge vorliegen. Während 1,5163 und 12,1364 aufgrund der ziemlich langen und fast wörtlichen Übernahme so gut wie immer als implizite Zitate angese65 hen werden, wird zwischen 12,27 und Ps 6,4 wie auch zwischen 16,22 66 und Jes 66,14 nur hie und da eine gewisse Nähe postuliert67. 2,5 (ὅ τι ἂν λέγῃ ὑµῖν, ποιήσατε.) wiederum wird in diesem Zusammenhang nur selten erwähnt, obwohl die Nähe zu Gen 41,55 (ὃ ἐάν εἴπῃ ὑµῖν, ποιήσατε) unübersehbar ist.68 Noch intensiver wird die Debatte über mögliche Anspielungen im JohEv geführt. Obwohl sicherlich zahlreiche implizite Bezüge im JohEv zu finden sind, ist in der Forschung sehr umstritten, welche joh Stellen als Anspielungen in Frage kommen. Ohne Zweifel klingt in den ersten Worten des Evangeliums, ἐν ἀρχῇ, Gen 1,1 an. Dafür sprechen ihre prominente Stellung und der Rekurs auf einen der bekanntesten Texten des AT. Umstritten ist hingegen, ob die 38-jährige Krankheit des Gelähmten in Betseda möglicherweise auf die 38 Jahre dauernde Wanderung der Israeliten in der Wüste anspielt.69 63
Vgl. LXX Gen 28,12: οἱ ἄγγελοι τοῦ θεοῦ ἀνέβαινον καὶ κατέβαινον ἐπ’ αὐτῆς und Joh 1,51: ὄψεσθε […] τοὺς ἀγγέλους τοῦ θεοῦ ἀναβαίνοντας καὶ καταβαίνοντας ἐπὶ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου. 64 12,13 ist m.E. kein Zitat, da der Vers keine Einleitung enthält. Vgl. zwischen LXX Ps 117,26: εὐλογηµένος ὁ ἐρχόµενος ἐν ὀνόµατι Κυρίου und Joh 12,13: εὐλογηµένος ὁ ἐρχόµενος ἐν ὀνόµατι Κυρίου, ὁ βασιλεὺς τοῦ Ἰσραήλ. 65 Vgl. LXX Ps 6,4: καὶ ἡ ψυχή µου ἐταράχθη σφόδρα und Joh 12,17: νῦν ἡ ψυχή µου τετάρακται. 66 Vgl. LXX Jes 66,14: καὶ ὄψεσθε καὶ ὑµῶν ἡ καρδία und Joh 16,22: πάλιν δὲ ὄψοµαι ὑµᾶς, καὶ χαρήσεται ὑµῶν ἡ καρδία. 67 Für 12,27 vgl. W ENGST II, 65; SCHNELLE, 227; für 16,22 vgl. B ROWN II, 722; W ENGST II, 166; S CHNELLE, 276. 68 In Nestle-Aland27 gilt diese Stelle als Anspielung (≠ 1,51, das als Zitat markiert ist). Bei B ROWN I (100) wird 2,5 als „Echo“ von Gen 41,55 bezeichnet; Barett (214) schlägt lediglich in einer Klammer vor, die beiden Stellen zu vergleichen. Erstaunlicherweise misst hingegen B OISMARD (Moïse, 12) diesem möglichen intertextuellen Bezug grosse Bedeutung zu: „Cette citation implicite nous indique que Jésus doit être comparé au patriarche Joseph.“ 69 Diese Möglichkeit wird in Kommentaren manchmal erwähnt, aber fast im gleichen Satz als unwahrscheinlich zurückgewiesen, so B ULTMANN, 180 FN 7; B ARRETT, 269.
4. Kategorisierung der Bezüge
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4.2.2 Ableitung Im Falle der „relation de dérivation“ sind die Unterschiede zwischen der Klassifizierung der Bezüge bei Piégay-Gros und dem, was sich im JohEv beobachten lässt, erheblich grösser als bei den kopräsentischen Bezügen. Keinesfalls kann das JohEv oder auch nur Teile davon als Parodie (bzw. Pastiche) bestimmter atl. Texte bezeichnet werden. Dennoch behält die Kategorie der Ableitung auch für das JohEv ihre Relevanz. So kann sinnvollerweise jeweils dann von der Ableitung joh Perikopen von gewissen atl. Texte gesprochen werden, wenn sie entweder in ihrer Struktur einer atl. Erzählung ähneln oder wiederkehrende atl. Motive aufnehmen und vertiefen, so dass der ganze Haupttext vom Prätext durchdrungen ist, ohne dass Einzelelemente des Letzteren (sei es ein Satz, ein Orts- oder Personenname) deutlich identifizierbar wären. „C’est donc une mémoire des faits et des épisodes, des thèmes et des personnages qui est supposée“70. Da der Prätext nicht explizit erwähnt wird und quasi mit dem Haupttext verschmolzen wird, kann der unkundige Leser Ableitungen leicht übersehen. Oft wird auf kulturelles (bzw. transkulturelles) Wissen zurückgegriffen, indem ein literarisches pattern verwendet wird, alltägliche Bilder gebraucht werden oder an typisch agrarische Erfahrungen angeknüpft wird, so dass der Text problemlos auch ohne seinen atl. Bezug verstanden werden kann. Meist erhält dennoch die Interpretation des joh Textes vor dem Schrifthintergrund eine tiefere Bedeutung. Demnach lassen sich kaum methodologische Regeln dazu erstellen, wo es im engen Sinn einen intertextuellen Schriftbezug gibt und wo es sich um ein kulturübergreifendes (religiöses) Symbol handelt, dessen Verwendung in der Schrift für die Auslegung des joh Textes eher zweitrangig ist. 4.2.2.1 Strukturähnlichkeit Einige joh Perikopen sind strukturell so stark von Erzählungen aus der Schrift geprägt, dass sich die Frage stellt, inwiefern der Aufbau dieser atl. Erzählung für die Gestaltung des joh Textes mitbestimmend ist.71 Exemplarisch sei Joh 6,5–13 erwähnt: Die Speisung der 5000, wie sie der Evangelist erzählt, erinnert an ein Wunder Elisas (2 Kön 4,42–44), denn beide Hingegen plädiert H ENGEL (Schriftauslegung, 286–287) dafür, dass es sich bei 5,5 um eine Anspielung handelt. 70 PIÉGAY-G ROS, Intertextualité, 61. 71 R USAM (Testament, 41) spricht in diesem Zusammenhang von diegetischer Allusion, „d.h. die Intersemantizität bezieht sich auf das diegetische Material der Geschichte, nämlich auf die Geschichte als ganze, bzw. ihre Konstituenten (Situationen, Protagonisten, Handlungen).“ Er illustriert dies mit der Verwandtschaft der Geburtsgeschichte des Täufers (Lk 1,5–25.57–80) mit der von Jesus (Lk 1,26–38.46–56; 2,1–21) sowie mit atl. Geburtsgeschichten (1Sam 1–2; Ri 13; Gen 15–18).
26
II. Methodik: Intertextualität
Erzählungen bestehen aus den gleichen drei Hauptelementen: a) Anhand eines Dialogs werden die grosse Zahl der Menschen und die Knappheit der Nahrungsmittel deutlich hervorgehoben. b) Das Brot wird verteilt und auf wundersame Art und Weise bekommen alle genug zu essen. c) Abschliessend wird festgehalten, dass sogar Reste übrig bleiben. Obwohl der atl. Text im Haupttext nirgends explizit sichtbar ist, bildet sein Aufbau möglicherweise den Hintergrund der joh Darstellung, so dass eine (hier eher schwache) intertextuelle Beziehung zwischen Joh 6 und 2 Kön 4 denkbar ist. Die beiden Texte könnten folglich parallel gelesen werden und sich gegenseitig interpretieren. Die Strukturähnlichkeit kann aber auch dadurch erklärt werden, dass das JohEv die synoptische Tradition (vgl. Mk 6,35–44 // Mt 14,15–21 // Lk 9,10–17), die einen ähnlichen Aufbau aufweisen72, kannte, oder dass ein bestimmtes pattern, im vorliegenden Fall ein bestimmter Typus der Gattung der Wundererzählungen, übernommen wird, so dass sich Joh 6 nicht spezifisch auf 2 Kön 4 beziehen muss. Auch die Anwendung eines pattern ist intertextuell relevant, da Abweichungen vom üblichen Textmuster für die Auslegung sehr interessant sind. 4.2.2.2 Motivübernahme Joh Texte sind auch dann als Schriftableitungen zu qualifizieren, wenn sie 73 atl. Motive übernehmen und vertiefen . Das atl. Motiv prägt dabei thematisch den ganzen Text und ist omnipräsent, obwohl explizite Bezüge auf die Schrift fehlen. Mehrere Reden Jesu etwa kreisen um atl. Bilder, die sie verändern und immer wieder variieren, so dass neue Bildfelder entstehen, die der Entfaltung der joh Christologie dienen. So wird im Dialog mit der Samaritanerin (Joh 4,7–25) das Symbol des Wassers verwendet, das im AT eine zentrale Position einnimmt. Weiter taucht im Gespräch zwischen Jesus und seinen Jüngern in 4,34–38 die atl. Metapher der Ernte auf, die auf die Endzeit hinweist. Zudem knüpft die sogenannte Hirtenrede Jesu (Joh 10,1–6) möglicherweise an die prophetischen Worte über den wahren Hirten an (vgl. Jer 23,1–8; Ez 34,1–31). Die joh Texte bleiben für einen Leser 72
In dieser Arbeit wird die Frage nach der intertextuellen Beziehung zwischen dem JohEv und den Synoptikern ausgeklammert, die für unsere Fragestellung dennoch relevant sein könnte. Man sollte z.B. untersuchen, inwiefern Strukturähnlichkeiten zwischen dem JohEv und den atl. Erzählungen sich auch bei den Synoptikern finden. Zudem „besteht die Möglichkeit, dass ein Schriftzitat [oder ein intertextueller Bezug] bereits zum festen Bestandteil eines christlichen (oder täuferischen) Überlieferungsstücks geworden ist und vom Evangelisten zusammen mit dieser Tradition übernommen wurde“ (K LAUCK, Geschrieben, 144). Ich halte es z.B. im Fall des Jesajazitates in Joh 1,23 für wahrscheinlich. 73 Im Falle von Motivübernahmen ist das AT nicht der einzige Gesprächspartner des JohEv. Es ist auch mit dem Einfluss frühjüdischer Texte zu rechnen, doch dieser Aspekt kann in der vorliegenden Arbeit nicht vertieft werden.
4. Kategorisierung der Bezüge
27
ohne Schriftkenntnis verständlich. Dennoch, wer die joh Darstellung mit den atl. Texten in Zusammenhang bringt, kann seine Auslegung berei74 chern. Demnach ist mit verschiedenen Verständnisniveaus zu rechnen. 4.3 Eckdaten zu den expliziten Schriftbezügen im JohEv Dieser Abschnitt soll einen ersten Einblick in den Schriftgebrauch des JohEv ermöglichen. Zu diesem Zweck werden im Folgenden allgemeine Beobachtungen über die Herkunft der expliziten Schriftbezüge, über die Art und Weise, wie sie eingeleitet werden, über ihre Verteilung im JohEv und über die dabei behandelten Themen zusammengetragen. 4.3.1 Herkunft 4.3.1.1 Zitate Bei der Zusammenschau der verschiedenen atl. Herkunftsstellen der joh 75 Zitate fällt auf, dass des Öfteren Psalmen und Jesajaworte zitiert werden, wie die folgende Übersicht zeigt:76 Joh Zitate mit klarem Prätext
Herkunft (LXX)
1,23
Jes 40,3
2,17
Ps 68,10
6,45
Jes 54,13
10,34
Ps 81,6
12,38
Jes 53,1
12,39–40
Jes 6,1
13,18
Ps 40,10
19,24
Ps 21,10
19,37
Sach 12,10
77
74
Vgl. II.3. Der Autor greift manchmal Schriftbezüge auf, die im Urchristentum generell geläufig waren. Die Frage, ob er dabei direkt aus dem AT zitiert, oder indirekt einen anderen Text (z.B. die synoptischen Evangelien) rezipiert, in welchem die Schrift wörtlich vorkam, wird hier nicht berücksichtigt. 76 Bei impliziten Zitaten spielen Jes und Ps, aber auch Gen, eine wichtige Rolle. 75
Joh Stelle Herkunft (LXX) 77
1,51 Gen 28,12
2,5 Gen 41,55
12,13 Ps 117,26
12,27 Ps 6,4
16,22 Jes 66,14
Das joh Zitat ist näher am MT (41,10) als an der LXX (40,10). Vgl. ZUMSTEIN II, 31; M ENKEN, Quotations, 123–138; O BERMANN, Erfüllung 255–271.
28
II. Methodik: Intertextualität
Joh Zitate mit unklarem Prätext
Mögliche Herkunft
6,31
Ps 77,24, Ex 16,4, Ex 16,15
12,14–15
Ps 88,4f., 2 Sam 7,12, Jer 23,5, Mi 5,1, Sach 9,9
15,25
Ps 34,19, Ps 68,5
19,36
Ps 33,21, Ex 12,46, Num 9,12
4.3.1.2 Verweise
78
Die atl. Texte, auf die sich die joh Verweise möglicherweise beziehen, sind grösstenteils kaum bestimmbar: So werden messianische Erwartungen erläutert, die sich nicht mit der Schrift belegen lassen (vgl. 1,45; 7,42; 12,34) und es wird unspezifisch auf allgemein bekannte Gebote rekurriert, um die Fragen des Sabbats (7,22–23) des Zeugnisses (8,17) und der Nähe zwischen Jesus und dem Vater, welche die Juden als Gotteslästerung interpretieren (19,7), zu erörtern. Dabei wirkt es etwas gesucht, eine genaue Herkunftsstelle zu eruieren, obwohl es natürlich nicht unmöglich ist. Bei 7,38; 17,12 und 19,28 sieht die Lage etwas anders aus, da sie m.E. zugleich auf verschiedene atl. Texte verweisen, die sich gegenseitig beleuchten.79 Auch in diesem Fall sind verlässliche Stellenangaben kaum möglich. Ein anderes Bild ergibt sich bezüglich der onomastischen Verweise. Ausser bei Zitateinführungen oder -kommentierungen, in denen oft der Name des Propheten Jesaja fällt, erwähnt der Autor fast nur Figuren aus der Tora (Abraham, Jakob, Joseph, Mose). In Zusammenhang mit messianischen Erwartungen spielen zwar auch die Namen David und Elia eine gewisse Rolle, aber die entsprechenden atl. Erzählungen werden kaum berücksichtigt. 4.3.1.3 Ergebnis Dieser kurze Überblick zeigt, dass das Jesajabuch, die Psalmen bei expliziten Bezügen eine vorrangige Stellung einnehmen. Die grossen Unterschiede zwischen der Herkunft der Zitate, die eher aus den Psalmen und aus Jesaja stammen und der Herkunft der onomastischen Verweise, die eher Figuren aus der Tora anführen, lässt jedoch erahnen, dass die Form des intertextuellen Bezugs auch mit dem Prätext zusammenhängt: Gebote werden in der Regel zusammengefasst, Prophetenworte und Psalmen dagegen 78
Metatextuelle Verweise, die sich prinzipiell auf die ganze Schrift oder auf das ganze Gesetz beziehen, so dass eine genauere Bestimmung der Herkunftsstelle nicht sinnvoll ist, bleiben hier natürlich unberücksichtigt. 79 Dies wird bei der Untersuchung von 7,38 deutlich. Vgl. IV.2.1.
4. Kategorisierung der Bezüge
29
meist zitiert, während Erzählungen offenbar als bekannt vorausgesetzt werden, so dass eine kurze Erwähnung der Hauptprotagonisten zu genügen scheint. 4.3.2 Einleitung der Zitate und Verweise 80
Joh Stelle
Zitat- und Verweiseinleitungen (Letztere sind kursiv hervorgehoben)
1,23
wie der Prophet Jesaja gesagt hat καθὼς εἶπεν Ἠσαΐας ὁ προφήτης
1,45
Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz geschrieben hat und die Propheten, ὅν ἔγραψε Μωσῆς ἐν τῷ νόµῳ καὶ οἱ προφῆται εὑρήκαµεν
2,17
Es steht geschrieben ὅτι γεγραµµένον ἐστίν
6,31
wie geschrieben steht καθώς ἐστι γεγραµµένον
6,45
Es steht geschrieben in den Propheten ἔστι γεγραµµένον ἐν τοῖς προφήταις
7,23
Wenn ein Mensch am Sabbat die Beschneidung empfängt, damit das Gesetz Moses nicht übertreten werde, was zürnet ihr mir denn, dass ich den ganzen Menschen am Sabbat gesund gemacht habe? εἰ περιτοµὴν λαµβάνει ἄνθρωπος ἐν σαββάτῳ, ἵνα µὴ λυθῇ ὁ νόµος Μωσέως, ἐµοὶ χολᾶτε ὅτι ὅλον ἄνθρωπον ὑγιῆ ἐποίησα ἐν σαββάτῳ;
7,38
wie die Schrift sagt καθὼς εἶπεν ἡ γραφή
7,42
Sagt nicht die Schrift οὐχὶ ἡ γραφὴ εἶπεν
7,52
Erforsche (die Schrift)! ἐρεύνησον
8,17
Es steht aber auch in eurem Gesetze geschrieben ἐν τῷ νόµῳ δὲ τῷ ὑµετέρῳ γέγραπται
10,34
Steht nicht in eurem Gesetz geschrieben οὐκ ἔστι γεγραµµένον ἐν τῷ νόµῳ ὑµῶν
80
81
Da weder Personennennungen noch metatextuelle Bemerkungen eine Einleitung benötigen, beschränke ich mich hier auf die Einleitung der Verweise auf Schriftinhalte. 81 Der Hinweis auf den Gebrauch eines fremden Textes findet sich meist vor dem Zitat (oder Verweis). In 1,23 steht er aber gleich nach dem Zitat. Vgl. auch 17,12 und eventuell 7,38 (je nach dem, wie der Umfang des Verweises bestimmte wird).
30
II. Methodik: Intertextualität
82
Joh Stelle
Zitat- und Verweiseinleitungen (Letztere sind kursiv hervorgehoben)
12,14
wie geschrieben steht καθώς ἐστι γεγραµµένον
12,34
wir haben aus dem Gesetze gehört ἡµεῖς ἠκούσαµεν ἐκ τοῦ νόµου
12,38
damit das Wort des Propheten Jesaja erfüllt wird, welches er gesprochen hat ἵνα ὁ λόγος Ἠσαΐου τοῦ προφήτου πληρωθῇ, ὃν εἶπε
12,39
denn Jesaja spricht wiederum ὅτι πάλιν εἶπεν Ἠσαΐας
13,18
damit die Schrift erfüllt wird ἵνα ἡ γραφὴ πληρωθῇ
15,25
damit das Wort erfüllt wird, das in ihrem Gesetz geschrieben steht ἵνα πληρωθῇ ὁ λόγος ὁ γεγραµµένος ἐν τῷ νόµῳ αὐτῶν
17,12
damit die Schrift erfüllt wird ἵνα ἡ γραφὴ πληρωθῇ
19,7
Wir haben ein Gesetz, und nach unserm Gesetz muss er sterben ἡµεῖς νόµον ἔχοµεν, καὶ κατὰ τὸν νόµον ἡµῶν ὀφείλει ἀποθανεῖν
19,24
damit die Schrift erfüllt würde, die da spricht ἵνα ἡ γραφὴ πληρωθῇ ἡ λέγουσα
19,28
damit die Schrift erfüllt wird ἵνα τελειωθῇ ἡ γραφή
19,36
damit die Schrift erfüllt wird ἵνα ἡ γραφὴ πληρωθῇ
19,37
Und abermals spricht eine andere Schrift: καὶ πάλιν ἕτερα γραφὴ λέγει
Zwischen Zitat- und Verweiseinleitungen ist kaum ein Unterschied auszumachen. Auch wenn die Wendung γεγραµµένον ἐστίν (manchmal mit dem Zusatz ἐν τοῖς προφήταις oder ἐν τῷ νόµῳ) häufiger in Zusammenhang mit Zitaten (vgl. 2,17; 6,45; 10,34; 6,31; 12,14; 15,25) verwendet wird, kann sie gelegentlich auch einen Verweis (8,17) einleiten. Ebenso wird der Ausdruck „die Schrift sagt“ als Einleitung für Verweise (7,38.42) und Zitate (19,24; 19,37)83 gebraucht. Noch bedeutsamer ist, dass die Er82
Da weder Personennennungen noch metatextuelle Bemerkungen eine Einleitung benötigen, beschränke ich mich hier auf die Einleitung der Verweise auf Schriftinhalte. 83 Die Formulierung εἶπεν Ἠσαΐας bildet hierbei eine Ausnahme, da sie ausschliesslich Zitate einleitet, wohl weil sie eine präzise Herkunftsangabe darstellt.
4. Kategorisierung der Bezüge
31
84
füllungsformel sowohl Zitate (12,38; 13,18; 15,25; 19,24; 19,36.37) als auch Verweise (17,12; 19,28) kennzeichnet. Für den Autor spielt also offenbar die formale Unterscheidung zwischen wörtlich/nichtwörtlich keine entscheidende Rolle; Verweise und Zitate werden ähnlich eingeführt und übernehmen somit eine ähnliche Funktion. Während also die Differenzierung zwischen Zitat- und Verweiseinleitungen unerheblich erscheint, heben sich bei einer anderen Gruppierungsvariante die Einleitungsworte umso deutlicher voneinander ab85: Bis zum Ende des 12. Kapitels werden explizite Schriftbezüge ziemlich neutral eingeleitet (z.B. mittels „es steht geschrieben“, „die Schrift sagt“), es geht dabei einzig darum, hervorzuheben, dass nun mit einem Schriftwort oder einem bekannten Schriftinhalt argumentiert wird. Doch in der Mitte des Evangeliums ändert sich dies: „Ab 12,38 liegt eine zweite Gruppe vor, in der alle Schriftzitate ausschliesslich durch eine Erfüllungsformel eingeleitet werden, nämlich fünfmal durch ἵνα […] πληρωθῇ“86, was auch auf die Mehrzahl der Verweise zutrifft. Das Verb πληρόω bedeutet zunächst einfach „füllen, ausfüllen“ im konkret materiell-räumlichen Sinn.87 Die Bedeutung des Wortes weitet sich aber im Laufe der Wortgeschichte aus: „Es erfolgt eine Übertragung ins Zeitliche, sofern eine Tätigkeit, [eine] Aufgabe oder ein Werk vollbracht und vollendet wird.“88 Somit interpretiert die Erfüllungsformel die Schriftbezüge in zweierlei Hinsicht: Einerseits erreicht die Schrift durch das vorliegende Ereignis ihre Ganzheit89, ihre Vollendung und somit ihr Ziel, das sie selbst angekündigt hatte (die Erfüllungsformel macht also eine Aussage über die Schrift); andererseits entspricht das, was sich ereignet, den Verheissungen der Schrift (womit die Erfüllungsformel die Ereignisse im JohEv deutet).90 Das Verb τελέω in
84
Interessanterweise bezieht sich die Erfüllungsformel auch auf die Worte Jesu; vgl. ἵνα ὁ λόγος (τοῦ Ἰησοῦ) πληρωθῇ in 18,9.32. 85 Vgl. F AURE (Zitate, 99), der als erster auf diese Unterscheidung aufmerksam gemacht hat. 86 O BERMANN, Erfüllung, 79. Im Doppeltzitat (12,38.39–40; 19,36.37) wird die Erfüllung der Schrift nur bei der ersten Einleitung erwähnt. In 19,28 wird das Verb τελέω, mit der ähnlichen Bedeutung „das Ziel erreichen“, „zur Vollendung gelangen“ gebraucht, auch wenn ein leichter Sinnunterschied sich feststellen lässt. 87 Dieser Aspekt wird in der deutschen Übersetzung (die Schrift wurde vollendet/erfüllt) beibehalten. Dies ist auch auf Französisch (l’écriture est accomplie) und auf Englisch (the Scripture is fulfilled) der Fall. 88 O BERMANN, Erfüllung, 81. 89 D ELLING (πλήρης, 289) betont zu Recht, dass „der Gedanke der Ganzheit, des Voll-Erfüllens entscheidend“ ist. 90 Auch wenn sich logischerweise eine Entsprechung zwischen dem in der Schrift verheissenen und vorangekündigten Ereignis und dem Christusereignis ergibt, ist die Übersetzung von πληρόω in einem übertragenen Sinn als „einer Setzung entsprechen“ (vgl.
32
II. Methodik: Intertextualität
19,28 hat eine ähnliche Bedeutung, auch wenn hier „teleioun is more appropriate than plēroun for this particular reference to Scripture because 91 this is the final fulfillment, the, telos, the end.“ 4.3.3 Einbettung der expliziten Schriftbezüge in die Erzählung Kapitel des JohEv
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Anzahl der Bezüge
5
2
1
3
2
3
8
10
1
3
0
5
Kapitel des JohEv
13
14
15
16
17
18
19
20
21
Anzahl der Bezüge
1
0
1
0
1
1
5
1
0
Wie die obige Tabelle zeigt, sind die expliziten Schriftbezüge ungleichmässig über das JohEv verteilt. Es ist eine Konzentration der Bezüge auf bestimmte Perikopen zu beobachten, da an vier Stellen intensiver auf die Schrift rekurriert wird: im ersten Kapitel, im Erzählzyklus rund um das Laubhüttenfest (Joh 7–8); im Kapitel 12, in dem das öffentliche Auftreten Jesu abgeschlossen und der Weg zur Passion eröffnet wird, und in der Kreuzigungsszene (Joh 19). Noch auffälliger ist der Unterschied zwischen Joh 1–12 und Joh 13–21. Den über 40 Bezügen im ersten Erzählteil, der Offenbarung Jesu vor der Welt, stehen lediglich 10 Belege im zweiten Teil, der Passion Jesu, gegenüber.92 Diese statistische Übersicht bekräftigt die bei der Einleitung der Schriftbezüge beobachtete Zäsur in Kapitel 1293. Die Schrift scheint bei der Schilderung des öffentlichen Auftretens Jesu und seiner Auseinandersetzung mit den Juden (Joh 1–12) anders gebraucht zu werden, als im zweiten Teil, der die Passion im Voraus deutet (Abschiedsreden und -gebet) und erst danach von den Geschehnissen erzählt, STUHLMANN, πληρόω, 580) problematisch, da der Aspekte der Fülle, der Ganzheit, des Erreichens eines Zieles, dadurch unberücksichtigt bleibt. 91 B ROWN, Death, 1072. 92 Interessanterweise finden sich fast genauso viele Zitate im ersten wie im zweiten Teil. Was auf die Zitate zutrifft, lässt sich aber nicht auf die anderen expliziten Bezüge übertragen. Dies zeigt wiederum deutlich, wie sich aus einer Untersuchung, die sich auf die Zitate beschränkt, in gewissen Punkten ein Zerrbild des joh Schriftgebrauchs ergibt. 93 Das Kapitel 12 hat eine Scharnierfunktion, da es den öffentlichen Auftritt Jesu abschliesst, aber zugleich den Passionszyklus (Fusswaschung, Abschiedrede und Gebet, Verhaftung, Prozess und Kreuzigung) einleitet.
4. Kategorisierung der Bezüge
33
wobei besonders auffällt, dass in den Abschiedsreden kaum Schriftbezüge zu finden sind. Eine weitere Beobachtung bestätigt die angenommene Zäsur in der Mitte des JohEv. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der einzelnen Schriftbezüge bilden die Personen, in deren Mund sie gelegt werden.94 Die folgende Tabelle soll uns deshalb helfen, unsere Analyse weiter zu vertiefen: Im Munde Jesu
Im Munde anderer Figuren
Erzähler
Bis 12,34
16 Belege
18 Belege
6 Belege
Ab 12,38
4 Belege
2 Belege
7 Belege
Bis zum Ende des Kapitel 11 werden die meisten Schriftbezüge dergestalt in die Erzählung integriert, dass sie von einer Figur (oder Figurengruppe) ausgesprochen werden.95 Die verschiedenen Protagonisten (Jesus, die Juden, das Volk, Nikodemus usw.) benutzen die Schrift, um ihre Ansichten darzulegen. Nicht nur Jesus, sondern in der Hälfte der Fälle auch andere Figuren, führen Schriftargumente an, die dann in Dialogen (bzw. Streitgesprächen) diskutiert werden. Es geht dem Autor also nicht darum, ein autoritatives Schriftverständnis zu entfalten, das durch den Hauptprotagonisten Jesus vertreten oder im Erzählerkommentar zur Geltung gebracht würde. Vielmehr wird durch diese Einbettung der Bezüge die Debatte um die Schriftinterpretation in die Dialoge verlagert. Im zweiten Teil übernehmen die Schriftbezüge eine ganz andere Funktion. Sie kommentieren die Erzählung und erläutern ihren tieferen Sinn, denn sie befinden sich im Erzählerkommentar oder werden Jesus in den Mund gelegt, der hier als autoritative Figur in längeren Reden die Bedeutung seines bevorstehenden Todes erörtert.96 4.3.4 Ergebnisse und thematischer Ausblick Obwohl nach dem JohEv die Schrift von Jesus zeugt (5,39) und die atl. Stellen meist christologisch interpretiert werden, bestätigt die thematische 94
Vgl. O BERMANN, Erfüllung, 77. Der Erzähler übernimmt nur sechs Schriftverweise: 1,17 (im Prolog); 4,5.6; 10,23 (wo er dank atl. Namen ein Geschehen präzis verortet); 2,17; 2,22 (zum nachösterlichen Verständnis der Jünger). Auch in diesen Fällen werden Schriftelemente aus der Perspektive von Figuren der Erzählwelt wiedergegeben, aber nicht wie üblich in direkter Rede, sondern durch die Erwähnung ihrer Gedanken. 96 Es gibt nur zwei Ausnahmen, beim Gespräch zwischen Pilatus und den Juden: 18,31; 19,7. 95
34
II. Methodik: Intertextualität
Erkundung der Schriftbezüge die bisher beobachtete Zäsur zwischen dem 97 ersten und dem zweiten Teil des JohEv . „Die Funktion der Schriftzitate während des Wirkens Jesu ἐν παρρησίᾳ (vgl. 11,54) zeigt sich nicht durch das Motiv der Erfüllung (wie bei den Zitaten ab 12,38), sondern der Deutung: Die Zitate sind Interpretamente des Wirkens Jesu und beleuchten seinen Weg, wobei ihre christologische Dimension jeweils durch die Aussage der Zitate und deren Einbettung in den Geschehenszusammenhang zu erschliessen ist.“98 Die Schriftbezüge werden grösstenteils in Reden eingebettet und von den Protagonisten dafür verwendet, Ereignisse zu deuten und der Frage nach der Identität Jesu nachzugehen. Dabei ist die christologische Interpretation der Schrift vielfältig. So verweist z.B. Jesus auf die Schrift, um Handlungen zu rechtfertigen (2,17; 7,22–23), aber auch, um seine Gegner, die ihn der angeblichen Missachtung von Schriftgeboten anklagen, zu diskreditieren, indem er ihnen vorwirft, sie selber würden das Gesetz nicht einhalten (7,19; 8,39–40, eine ähnliche Kritik wird von Nikodemus in 7,51 formuliert). Weiter hinterfragt das Volk aufgrund seiner Messiaserwartung die Selbstoffenbarung Jesu (7,42; 12,34). Überdies wird Jesus einige Male wichtigen atl. Figuren gegenübergestellt (Mose: 1,17; 6,31–32; 9,28–29; Jakob 4,12; Abraham 8,53). Auch das Motiv der Auferstehung findet Aufnahme (2,22; 20,999). Während auf einer Metaebene der christologische Bezug eindeutig ist (1,45; 5,39.45–47), wird an anderen Stellen die spezifisch christologische Perspektive vielmehr vom Leser aufgrund des Kotextes angenommen, als explizit vom Autor entfaltet. Die Reflexion über die Identität Johannes des Täufers ist z.B. nur indirekt christologisch, indem er sein Verhältnis zu Jesus klärt und sich weigert, den Jesus vorbehaltenen Titel in Anspruch zu nehmen (1,21.23.25). Ab 12,38 und bis zum Schluss der Passionserzählung ist der Schriftgebrauch hingegen untrennbar mit dem Motiv der Schrifterfüllung verknüpft. Die Schrift wird entweder von Jesus in seiner Abschiedsrede und seinem -gebet verwendet, um den Verrat von Judas und den Hass der Welt zu erklären (13,18; 15,25; 17,12), oder sie wird in Erzählerkommentaren gebraucht, um den Unglauben des Volkes (12,38–40) und Elemente der Passion (19,24.28.36–37) zu deuten. Bei all diesen Stellen geht es nicht um die Bekräftigung der Identität Jesu als Christus, sondern darum, die negative Reaktion ihm gegenüber zu deuten und eine plausible Erklärung für seinen scheinbaren Misserfolg zu geben. „What the Johannean community 97
M.E. ist diese Zäsur nicht durch literarkritische Thesen (so E VANS, Quotation, 81) zu erklären, sondern ergeben sich aus der narrativen Strategie des Werks. 98 O BERMANN, Erfüllung, 215–216. 99 Zwar befindet sich 20,9 im zweiten Teil, doch wird kein Bezug zur Passion hergestellt und das Motiv der Erfüllung nicht erwähnt. 20,9 ähnelt also mehr den Schriftbezügen von Joh 1–12 als denjenigen von Joh 13–19.
5. Funktion
35
needed was more than an explanation of the passion, but an explanation that established the very grounds for rejection, for Israel’s rejection of the Messiah was unthinkable. What was needed was a formidable Old Testament testimonium that would provide such an explanation.“100
5. Funktion101 Zu den wesentlichen Aspekten der Analyse eines intertextuellen Bezuges gehört neben der Beschreibung seiner Form, der Bestimmung seiner Herkunft und der inhaltlichen Beobachtung auch die Untersuchung seiner Funktion102. Intertextualtität erfüllt immer einen bestimmten Zweck, der ihren Gebrauch motiviert. Da ein Autor den gleichen Inhalt prinzipiell mit eigenen Formulierungen statt mit einem Zitat bieten könnte, stellt sich die Frage, warum er Worte aus einem Fremdtext entlehnt. Es scheint, als ob die intertextuellen Bezüge eine bestimmte Funktion übernehmen, eine bestimmte Wirkung auf den Leser ausüben sollen, die ihren Gebrauch (über den inhaltlichen Gehalt hinaus) unersetzbar macht. Und sei es, dass sie die Formulierungsarbeit des Autors erleichtern, seine Gelehrtheit hervorheben oder seine Argumente durch den Bezug auf einen Text mit einer gewissen Autorität verstärken sollen. 100
E VANS, Quotation, 82. Die Problematik der Funktion wird meines Wissens selten vertieft bearbeitet. Die Beiträge von JAKOBS (Textvernetzung, 110–133), STOCKER (Theorie, 73–92) und SCHULTE-M IDDELICH (Funktionen) liefern zwar eine methodische Grundlage, auf der die hier vorgeschlagene Methodik aufbaut. Die Ergebnisse ihrer Forschung werden jedoch zum Teil vereinfacht und zum Teil weitergeführt, um sie für die Textarbeit, insbesondere für die Auslegung des JohEv, fruchtbar einsetzen zu können. 102 „Aussagen über mögliche Funktionen von Intertextualität setzen eine Verständigung über den Begriff der Intertextualität selbst voraus. [… Und] angesichts der Vielfalt der bisher diskutierten Konzepte von Intertextualität leuchtet unmittelbar ein, dass die Diskussion um die Funktion intertextueller Texte kaum weniger komplex sein kann.“ (SCHULTE-M IDDELICH, Funktionen, 198–199). Die hier entfaltete Methodik steht im Dienst der Textanalyse und fokussiert deshalb auf die Funktion der identifizierbaren intertextuellen Bezüge. In diesem Zusammenhang verstehe ich Intertextualität nicht als Eigenschaft, die jedem Text zukommt, sondern als eine Art Stilmittel, das in der Kommunikation zwischen Autor und Leser (meist bewusst) eingesetzt wird (vgl. die Definition von Intertextualität in II.2.1). Dabei frage ich nach der Funktion der einzelnen intertextuellen Bezüge und nicht nach der Funktion von Intertextualität als Gesamtphänomen. Damit verfolgt dieser Methodikteil ganz andere (fast gegensätzliche) Ziele als die Reflexion von Stocker, der versucht, „die Leistung der Intertextualität ‚in ihrem Wesen‘, d.h. unabhängig vom Beitrag, den sie überdies in einem bestimmten Kotext zur Figurencharakterisierung, zur Ortsbeschreibung, zum Erzählerkommentar leistet, zu erfassen“ (S TOCKER, Theorie, 75). 101
36
II. Methodik: Intertextualität
Die Bestimmung dessen, was die intertextuellen Bezüge leisten, wird dadurch erschwert, dass sich eine Auflistung aller möglichen Funktionen, die einen gewissen Anspruch auf Vollständigkeit erheben könnte, in Anbetracht der bei der konkreten Textarbeit zu beobachtenden Vielfalt als wenig praktikabel erweist. Möglich und für die Textinterpretation hilfreich ist es hingegen, Funktionen zu kategorisieren.103 Damit können bei der Textanalyse verschiedene Perspektiven bewusst reflektiert und das Spektrum der üblicherweise berücksichtigten Funktionen erweitert werden. Dank dieses veränderten Blickwinkels tritt zudem zutage, dass ein intertextueller Bezug zugleich verschiedene Funktionen übernehmen kann. Ich unterscheide im Folgenden drei Gruppen von Funktionen: die Funktion der intertextuellen Bezüge innerhalb des Haupttextes, ihre Funktion hinsicht104 lich des Prätextes und ihre soziale Funktion. 5.1 Funktion innerhalb des Haupttextes: Charakterisierung der Figuren 5.1.1 Methodischer Hintergrund Innerhalb des Haupttextes bewirken intertextuelle Bezüge einen Sinnüberschuss, denn durch den Rekurs auf den Prätext werden beim Leser Assoziationen geweckt, die seinen Interpretationshorizont bereichern. „Intertextualität ist ein Faktor literarischer Sinnkonstitution. Wo intertextuelle Phänomene auftreten, versprechen diese einen ‚semantischen Mehrwert‘.“105 Trotz der Vielfalt an möglichen intertextuellen Funktionen ist die Fokussierung auf eine Funktion weiterführender, denn dies vermeidet zum einen Wiederholungen im Vergleich mit dem ersten Teil der Textanalyse, der sich mit dem Inhalt der Schriftbezüge auseinandersetzt, und hebt zudem einen Aspekt hervor, der sonst oft im Hintergrund bleibt und kaum Beach103
In dieser Hinsicht ist die Kategorisierung von SCHULTE-M IDDELICH, (Funktionen, 214–240, insbesondere 214) vielversprechend. Er unterscheidet vier Typen. Der erste Funktionstyp konzentriert sich auf die „Zusatzkodierung“ (d.h. vereinfacht, auf den Sinngewinn) des Prätextes, der zweite auf die Zusatzkodierung des Haupttextes, der dritte auf die Zusatzkodierung, die Prätext und Haupttext gemeinsam erhalten; der vierte tritt erst auf einer Metaebene auf: „Eine letzte Stufe intertextueller Funktionalisierung liegt dort vor, wo sich Intention und Rezeption nicht mehr primär auf Prätext und/oder Folgetext richten, sondern wo jenseits der Bedeutung der benutzten individuellen Texte auf einer höheren Ebene metakommunikativ auch das Verfahren und die Funktion der intertextuellen Techniken selbst thematisch werden“ (S CHULTE-M IDDELICH, Funktionen, 230). 104 Auch bei der Charakterisierung der Figuren kann Intertextualität eine Rolle spielen, wenn etwa eine Figur an eine bekannte Figur aus einer anderen Schrift (z.B. Don Juan) erinnert. Dieser Aspekt, der auch im JohEv von Bedeutung sein könnte (vgl. z.B. die möglichen Bezüge zwischen dem Blindgeborenen und dem Syrer Naaman), wird in der vorliegenden Arbeit nicht weiter vertieft. 105 STOCKER, Theorie, 80.
5. Funktion
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tung findet: die Charakterisierung der Figuren. „Une des fonctions importantes de l’intertextualité [...] est la caractérisation des personnages qu’elle autorise. Par la référence qu’un personnage peut faire à une œuvre, la narration mettant en scène ses lectures, précise par exemple, sa psychologie, ses hantises ou ses obsessions, mais aussi son savoir, ses compétences culturelles, et par la même, d’un point de vue sociologique, son appartenance à un milieu donné.“106 Besonders wenn Figuren einen Prätext zitieren, darauf verweisen oder ihn miteinander besprechen, wirft dies indirekt auch ein Licht auf ihr Wissen, auf ihre argumentativen Fähigkeiten und ihr Interesse. 5.1.2 Charakterisierung der Figuren im JohEv Die Frage nach der Charakterisierung der Figuren ergibt sich hier aufgrund der intertextuellen Methodik. In der joh Forschung wird sie zwar im Rahmen der narratologischen Reflexion ebenfalls behandelt, jedoch kaum zur Erörterung des Schriftgebrauchs und -verständnisses des JohEv herangezogen. Es empfiehlt sich deswegen, zunächst die wichtigsten Erkenntnisse der bisherigen narrativen Untersuchungen zu den Figuren des JohEv zusammenzutragen. In einem zweiten Schritt sollen dann die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Vergleich zum hier gewählten Zugang, der das intertextuelle Phänomen stärker in die Überlegungen miteinbezieht, erläutert werden. 5.1.2.1 Erkenntnisse der bisherigen Forschung Die meisten Arbeiten107 zur Charakterisierung der Figuren (oder einer Figur) des JohEv untersuchen deren verschiedene Reaktionen auf Jesus und versuchen, sie zu bewerten und einzuordnen.108 So erläutert Dschulnigg: „Die Personen neben Jesus interessieren nicht primär als Individuen mit einer einmaligen Persönlichkeit und deren Entfaltung und Entwicklung. In ihnen ist vielmehr von Interesse, wie sie auf die Hauptperson Jesus reagieren, sei es positiv in einer Antwort des Glaubens oder negativ in der Ver106
PIÉGAY-G ROS, Intertextualité, 76. Zur Charakterisierung von Figuren dank Intertextualität vgl. auch das gewählte Beispiel von S TOCKER (Theorie, 73) und Z UMSTEIN (Schriftrezeption, 130–132). 107 Vgl. C ULPEPPER, Anatomy, 99–148; D SCHULNIGG, Begegnung; N ICKLAS, Ablösung; H ARTENSTEIN, Charakterisierung, vgl. insbesondere ihren Forschungsüberblick, 15–29. 108 Das Gewicht der Analyse liegt somit nicht auf der Beschreibung der Figurenmerkmale, sondern auf der Bestimmung ihres Verhältnisses untereinander. (Dies entspricht der Analyse der Figurenkonstellation bei P FISTER [Drama, 232–235], der damit „die Interaktionsstruktur der Figuren zueinander bezeichnet, d.h. die positive, negative oder neutrale Haltung zueinander und deren Veränderung“ [F INNERN, Narratologie, 147].)
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II. Methodik: Intertextualität
weigerung von Glaube und Nachfolge. In den Personen wird den Lesern und Leserinnen gleichsam ein Spiegel möglicher Antworten auf Jesus als 109 Offenbarer vorgestellt“ . Trotz der Ähnlichkeit der Zugänge fallen die Ergebnisse sehr unterschiedlich aus, es gibt kaum je einen Konsens bei der 110 Beurteilung des „Glaubensstatus“ einer einzelnen Figur . Angesichts dieser Schwierigkeit verschiebt sich die Fragestellung zum Teil. Statt „die dogmatische Frage (Inwiefern ist der Glaube der Figuren echt und tragfä111 hig, oder falsch und kritikwürdig)“ zu stellen oder die Erzählung quasibiographisch zu deuten (die Figur bewegt sich vom Unglauben hin zum Glauben), wird primär danach gefragt, „welche christologische Erkenntnis die johanneische Erzählung ihren Rezipientinnen und Rezipienten durch die jeweiligen Figurencharakterisierungen vermittelt.“112 Die Figuren der Erzählwelt und ihre mögliche Einschätzung haben demzufolge die Funktion, den Lesern zu weiteren Einsichten zu verhelfen. Bei der Figurenanalyse des JohEv tritt zudem eine weitere, des Öfteren erwähnte Schwierigkeit auf: Nicht nur Einzelfiguren, sondern auch Gruppen betreten die „Bühne“. „Da sie aus einer bekannten oder unbekannten Anzahl von Einzelfiguren bestehen, müssen sie in einer Erzählung wie ein single character agieren: Sie sprechen und handeln zumeist im Kollektiv, was komplexe Einzelzüge des Figurenaufbaus von vornherein ausschliesst.“113 Probleme entstehen dabei vor allem dann, wenn die Bezeichnung einer Gruppe im JohEv nicht konsequent durchgehalten wird, sondern zum Teil sogar innerhalb einer Szene wechselt. „Es wird nicht immer deutlich, ob damit verschiedene, Unter- oder konkurrierende Gruppen gemeint sind, also ein Wechsel der GesprächspartnerInnen vorliegt, oder ob die gleiche Gruppe nur verschieden benannt wird.“114 Diese Schwierigkeit wird noch dadurch verstärkt, dass innerhalb einer Gruppe Spaltungen und Meinungsverschiedenheiten auftreten können und manchmal einzelne Mitglieder aus ihr ausbrechen. Das Verhältnis zwischen den Einzelnen und der Masse ist zudem nicht immer eindeutig bestimmbar. Sicher ist, dass die Erwähnung einer Gruppenzugehörigkeit Auswirkungen 109
D SCHULNIGG, Nikodemus, 103. Vgl. dazu C ULPEPPER, Anatomy, 145–148. Angesichts der in der Forschung auseinandergehenden Meinungen zur Bedeutung der Figuren scheint es berechtigt zu fragen, ob die Worte der Figuren wirklich ein eindeutiges Urteil über ihren Glauben ermöglichen oder inwiefern nicht (dogmatische) Kriterien der jeweiligen Forscher in den joh Text projiziert werden. Mehr dazu in III.1.3.4 (Auslegung von Joh 4,29) und in IV.3.3.1.3 (Charakterisierung von Nikodemus). 111 FREY/POPLUTZ, Narrativität, 13. 112 FREY/POPLUTZ, Narrativität, 13. 113 POPLUTZ, Pharisäer, 27. 114 H ARTENSTEIN, Charakterisierung, 57. Diese Problematik ist z.B. in Joh 7 akut. Dort sind die Figurengruppen der Ἰουδαῖοι, des Volkes, wie auch die der Pharisäer und Hohepriester nicht immer deutlich voneinander zu unterscheiden. Vgl. auch IV.1.4. 110
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auf das Bild der ihr angehörenden Personen hat. Wahrscheinlich hat aber auch umgekehrt das Verhalten eines einzelnen Mitglieds Rückwirkungen auf die Einschätzung des Kollektivs, dem es zugerechnet wird, sei es, weil es dieses nach aussen hin repräsentiert oder sich – ganz im Gegenteil – vom Rest der Gruppe absetzt. An dieser Stelle ist eine letzte Besonderheit der Figuren des JohEv zu erwähnen: Die dargestellten Personen existieren auch ausserhalb des JohEv, denn zum einen verweist ein Teil der in der Erzählwelt auftretenden Figuren auf historische Personen (was z.B. bei Petrus der Fall ist)115 und zum anderen ist die Erzählung der Vita Jesu mitgeprägt von der damaligen Situation der joh Gemeinde und ihrer Geschichte. Vor allem in der Darstellung der Figurengruppen lassen sich, insbesondere im Falle der Ἰουδαῖοι, Spuren des Konflikts zwischen der joh Gemeinde und dem damaligen synagogalen Judentum erkennen.116 Die Darstellung der Figuren und ihre Rolle in der Erzählung kann somit nur dann richtig erfasst werden, wenn die historische Komponente der Figurencharakterisierung mitberücksichtigt wird. Zudem sollte auch die Wirkung auf den Rezipienten, der sich möglicherweise in einem realen Konflikt mit einer der in der Erzählung erwähnten Gruppen befindet oder sich selber als Teil eines darin geschilderten Kollektivs wahrnimmt, mitbedacht werden: „Leser, Hörer und Zuschauer lernen beispielsweise etwas über Sachverhalte oder über andere Personengruppen, die sie auch in ihrem eigenen Umfeld kennen (‚so sind die also!‘), oder sie entdecken, dass eine Figur in einer Hinsicht so ähnlich ist wie sie (‚so bin ich ja auch‘).“117
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Dieser Aspekt wird von H ARTENSTEIN (Charakterisierung, 37) hervorgehoben: „Die Figuren der Erzählung sind nicht unbedingt neu entworfen, sondern sie sind historisch (oder literarisch) schon vorhanden. Das hat Konsequenzen für die Interpretation, weil die Wechselwirkungen zwischen der Darstellung im JohEv und den ausserhalb vorhandenen Vorstellungen einbezogen werden müssen.“ 116 Es ist zu betonen, dass die Ansätze sehr unterschiedlich sind, „wenn es um das Verhältnis zwischen der Erzählung und der Welt der LeserInnen geht. Vor allem in den früheren Untersuchungen, aber auch noch später, werden Personen als repräsentativ angesehen bzw. typologisch gedeutet. Auch eine historisch-kritische Auswertung des Textes als Abbildung der historischen Wirklichkeit der johanneischen Gemeinde wird vorgenommen“ (H ARTENSTEIN, Charakterisierung, 28). Obwohl die Figurencharakterisierung sicher von der Gemeindesituation mitinspiriert ist, lässt sich weder ihre Funktion auf die Repräsentation eines bestimmten Glaubenstyps reduzieren, noch spiegelt sie eins zu eins die Wirklichkeit. Die historische Situation lässt sich nicht exakt und mit Sicherheit aus Textelementen erschliessen. 117 FINNERN, Narratologie, 205. Poplutz hebt bei ihrer Analyse der Figurengruppe der Pharisäer diesen Aspekt hervor: „Da die literarische Darstellung sozialer Gruppen wie der Pharisäer im Spannungsfeld zwischen Fiktionalität und extra- oder kontextuellen Referenzen angesiedelt ist, wirkt die Evangeliumserzählung stabilisierend: Sie nimmt
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II. Methodik: Intertextualität
5.1.2.2 Charakterisierung der Figuren durch intertextuelle Bezüge Die Berücksichtigung des Schriftgebrauchs der joh Figuren ist kein neuer methodischer Ansatz, sondern stellt eine Präzisierung eines bereits bestehenden Aspekts der narrativen Analyse dar. Gemäss Letzterer werden Figuren dann direkt charakterisiert, wenn ihnen verschiedene Eigenschaften explizit zugesprochen werden. „Dies erfolgt z.B. durch Beilegung von Adjektiven oder substantivischen Ausdrücken und kann sowohl von der Erzählstimme als auch von anderen Charakteren vorgenommen werden.“118 Meistens „müssen [aber] die Figurenmerkmale aus Handlungen, Reden 119 oder verschiedenen Formen von Analogien erschlossen werden“ , was dann einer indirekten Charakterisierung entspricht. Da die Dialoge im JohEv eine zentrale Position einnehmen120, gewinnen die Aussagen einer Figur an Bedeutung für ihre Charakterisierung. Daran, was sie sagt und wie sie es sagt, lässt sich erkennen, wer sie ist. Werden die Protagonisten der Erzählwelt anhand der Schriftbezüge in ihren Worten näher qualifiziert, wird zwar bewusster als bis anhin auf einen Teil ihrer Rede geachtet, doch stellt dies keinen Bruch mit der bisherigen Forschung dar. Gleichwohl öffnet die hier vorgeschlagene Fragestellung neue Perspektiven. So trägt sie der Tatsache Rechnung, dass sich Jesus, obwohl er in der Erzählung einen besonderen Status einnimmt, genauso charakterisieren lässt wie die anderen Figuren auch. Da er sich ebenfalls auf die Schrift bezieht, kann er nach den gleichen Kriterien beurteilt werden wie sie. Zudem verschiebt sich durch die neue Fragestellung möglicherweise die Gewichtung der Figuren untereinander, denn während gewisse zentrale Figuren unberücksichtigt bleiben, weil sie die Schrift nicht verwenden121, bekommen andere, die sonst eher eine Nebenrolle spielen, mehr Aufmerksamkeit. Überdies wird durch den bewussten Einbezug der intertextuellen Bezüge in die Charakterisierung der Figuren der Blick nicht mehr primär auf ihre Reaktion auf Jesus gerichtet, sondern stärker auf ihre anderen Funktionen, obwohl nicht bestritten werden kann, dass der Glauben und die Glaubensentwicklung der Figuren (sei es Annahme oder Ablehnung Jesu) ‚eine mimetisch sozio-kulturelle Funktion‘ wahr, indem sie bestehende soziale Gruppen sinnstiftend zeigt und legitimiert“ (POPLUTZ, Pharisäer, 38). 118 H ARTENSTEIN, Charakterisierung, 58. 119 FINNERN, Narratologie, 152. 120 Zu Recht betont H ARTENSTEIN (Charakterisierung, 80): „Alle ausgeführten Szenen im Evangelium enthalten ein Gespräch oder bestehen aus einem; nur wenige kurze, überleitende Notizen kommen ohne direkte Rede aus.“ 121 Vgl. z.B. die Jünger, Thomas, Petrus, der Kranke von Betesda, der Blindgeborene. Für die Auslegung von Joh 4 und Joh 7 hat es keine negativen Folgen, dass fast alle Figuren die Schrift verwenden.
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eine zentrale Stelle einnimmt. Die Figurenreden im JohEv haben aber oft den Zweck, den Rezipienten zur Einnahme einer eigenen Position und einer Glaubensentscheidung zu bringen, denn sie sprechen Argumente, Fragen oder Probleme an, mit denen sich der Leser selbst auseinandersetzt oder -setzen soll. Der Text strebt in den meisten Fällen keine Bewertung seiner Protagonisten in Form einer Zuordnung zu den Kategorien Glaubende/Nichtglaubenden an, sondern zielt auf den Glauben des Lesers ab, den er wecken und vertiefen will122. Dass intertextuelle Bezüge, besonders wenn sie Figuren in den Mund gelegt werden, für ihre Charakterisierung einen wichtigen Beitrag leisten, regt darüber hinaus dazu an, die Dialoge genauer unter die Lupe zu nehmen: Wer spricht zu wem? Sind die Redeanteile der verschiedenen Gesprächspartner gleich lang? Sind besondere Stilmittel (Fragen, Aufforderungen, Bekenntnisse) zu beobachten? Wird eher die erste, die zweite oder die dritte Person verwendet? Erst wenn der Ablauf des Dialogs prinzipiell erörtert ist, kann den expliziten Schriftbezügen, die in Reden eingebettet sind, Aufmerksamkeit geschenkt werden. Von Bedeutung ist auch das durch den Schriftgebrauch implizierte Wissen einer Figur.123 Verfügt eine Figur über besonders gute Schriftkenntnisse? Angesichts der Wichtigkeit der Thematik des Wissens im JohEv scheint es erfolgversprechend, auch darauf zu achten, ob sich Figuren gegenseitig die Schriftkenntnis absprechen. Im Hinblick auf Charakterisierungen sind solche Figurenreden jedoch mit Vorsicht zu lesen: „[Eine] Figur kann auch die Unwahrheit über eine andere Figur sagen und denken; in diesem Fall wird nur die Figur selbst charakterisiert.“124 5.2 Funktion hinsichtlich des Prätextes125 5.2.1 Methodischer Hintergrund Intertextuelle Bezüge üben hinsichtlich des Prätextes eine wichtige Funktion aus, da sie eine gewisse Wertung und/oder Auslegung des Prätextes 122
Die Wortmeldungen, die sich schwer einordnen lassen, fordern den Leser dazu auf, sich selber zu fragen, inwiefern er diesen zustimmen kann und will. Er sollte nicht als „Glaubensrichter“ der Figuren walten. Zur Rolle des Lesers vgl. II.3. 123 FINNERN (Narratologie, 139) unterstreicht die Rolle des Wissens für die Charakterisierung von Figuren: „Der intendierte Rezipient kann das Wissen der Figur erschliessen, indem er darauf achtet, was sie selbst an Kenntnissen äussert, was ihr Verhalten implizit voraussetzt und was der Erzähler oder andere Figuren über ihr Wissen sagen. […] Allerdings existiert m. W. in der Narratologie noch keine genaue Methode, um Wissensbestände von Figuren zu erfassen und zu beschreiben.“ 124 FINNERN, Narratologie, 155. 125 Diese Kategorie entspricht ungefähr dem Funktionstyp 1 von SCHULTE-M IDDELICH (Funktionen, 216–220).
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II. Methodik: Intertextualität
beinhalten. Durch das Zitieren, Anspielen oder Verweisen auf einen Fremdtext wird dieser implizit oder explizit interpretiert und die Richtig126 keit seiner Aussage wird bekräftigt oder in Frage gestellt . Dieser Funktion der intertextuellen Bezüge kommt insbesondere in jenen Fällen grosse Bedeutung zu, „in denen es um die Vermittlung einer bestimmten Perspektive des Prätextes geht.“127 Dabei wird der Prätext selten einfach abgewertet oder in seiner Bedeutung bestätigt, sondern es läuft ein komplexer Deutungsvorgang ab: Durch die Loslösung aus seinem ursprünglichen Kound Kontext, die Einbettung in einen neuen Textzusammenhang und mögliche Änderungen in der Wiedergabe seines Wortlautes wird eine Interpretation des Prätextes etabliert, die ihm einen neuen Sinn verleiht. Der Leser wird dadurch dazu eingeladen, den ihm bekannten Text neu zu lesen. Für die Auslegung ist es deswegen wichtig, nach möglichen Sinnverlagerungen, Uminterpretationen oder Beurteilungen des Prätextes Ausschau zu halten. Aufmerksamkeit verdienen dabei auch die narrativen Strategien128, welche die zum Teil unausgesprochene Einschätzung des Prätextes verstärken oder relativieren und bestimmte Interpretationen desselben präferieren oder kritisieren. 5.2.2 Interpretation und Beurteilung der Schrift im JohEv 5.2.2.1 Aporie der Forschung und begriffliche Ungenauigkeiten Innerhalb der Forschung über die Schrift im JohEv gehört die Frage nach ihrer Auslegung und ihrem theologischen Stellenwert zu den am meisten diskutierten Problemen. Die Ergebnisse zeichnen sich jedoch vor allem durch ihre Widersprüchlichkeit aus129. Während die einen Forscher die hohe Bedeutung der Schrift und ihre Unaufhebbarkeit (vgl. Joh 10,35) betonen130, unterstreichen andere die angebliche Abwertung des atl. Zeugnisses, das für das JohEv nur noch marginale Bedeutung besitze131. 126
Bei scheinbar negativer Haltung gegenüber dem Prätext ist eine gewisse Vorsicht geboten: „Kritische Rezeption kann sich weniger oder gar nicht gegen den Prätext selbst, sondern gegen bestimmte Automatisierungsprozesse in der Rezeption, gegen ‚falsche‘ Rezeption bestimmter Rezipientengruppen usw. richten; häufig ist mit der Kritik an bestimmten Rezeptionshaltungen ausdrücklich die Affirmation des Originaltextes verbunden“ (S CHULTE-M IDDELICH, Funktionen, 220). 127 SCHULTE-M IDDELICH, Funktionen, 216. 128 Wenn z.B. eine negativ qualifizierte Figur ständig auf einen bestimmten Prätext rekurriert, wirft dies ein ungünstiges Licht auf ihn. 129 Zur aporetischen Situation der Forschung vgl. D IETZFELBINGER, Aspekte, 203–204, und T HEOBALD, Schriftzitate, 327–328. 130 Vgl. S CHOLTISSEK, Auslegung, 175–177; H ENGEL, Schriftauslegung, 262–263. 131 Vgl. PLÜMACHER, Bibel, 18. Vgl. auch K RAUS, Vollendung, 635: „Die Weitergeltung alttestamentlicher Grundaussagen, etwa das Festhalten Gottes an seinem Bund mit Israel, wird bei Joh nicht thematisiert. Damit nimmt Joh eine Hauptlinie alttestamentli-
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Auch wenn sich neuere Ansätze von dieser Polarisierung distanzieren, herrscht weiterhin kein Forschungskonsens. Zudem werden die Diskussion und dadurch die Entfaltung differenzierter Ansichten durch den Gebrauch unpräziser Begriffe erschwert. So ist z.B. fraglich, was die Ausdrücke „christologische Zuspitzung“, „Aufhebung der Schrift“ oder „typologische Interpretation“, die in diesem Zusammenhang immer wieder gebraucht werden, genau bedeuten. Dass mit diesen Benennungen kein einheitliches Verständnis verbunden ist, lässt sich exemplarisch anhand des Begriffs der „Typologie“ aufzeigen. Während Menken „Typos“ wie folgt definiert: „By ‚types‘ I understand: persons, acts, events institutions from the OT that prefigure – in the eyes of the evangelist – Jesus as God’s eschatological envoy, in such a way, that Jesus corresponds to them and at the same time (as ‚antitype) surpasses them“133, betont Ostmeyer: „Ein hierarchisches und d.h. ein abwertendes Verhältnis der atl. Parallelen, wird dem durch den Terminus τύπος bezeichneten Verhältnis nicht gerecht.“134 Trotz dieses Dissenses wird der Begriff von vielen Forschern, oft ohne weitere Präzisierung, verwendet, um die Auslegung der Schrift und deren Stellenwert im JohEv zu erläutern.135 5.2.2.2 Weiterführung durch die intertextuelle Reflexion
M.E. hilft die intertextuelle Reflexion, diese Aporie zu überwinden. Zum einen lehrt sie uns, die besondere Dialektik zwischen Haupttext und Prätext besser wahrzunehmen, wobei sich die Gegensätze Kontinuität/Diskontinuität oder Anerkennung/Abwertung als ungeeignet erweisen, um das Verhältnis zwischen zwei Texten zu beschreiben. So setzt Intertextualität immer eine gewisse Kontinuität und Wertschätzung des Prätextes voraus: Indem der Autor auf den Prätext Bezug nimmt, anerkennt er seine Relevanz und setzt zugleich voraus, dass ihn auch seine Leser kennen. Auf der anderen Seite entsteht durch die Einbettung in einen neuen Kotext und
cher Gottesverkündigung nicht auf, und der Behauptung in Joh 10,35 fehlt hinsichtlich solcher auf Israel bezogenen Schriftstellen die inhaltliche Ausführung.“ 132 SCHOLTISSEK (Auslegung, 149–159) versucht die neueren Ansätze zu systematisieren und unterscheidet drei Modelle: die christologische Erfüllung als ‚Aufhebung der Schrift‘; die Annullierung der Heilsgeschichte und die typologische Interpretation der Schrift. 133 M ENKEN, Observation, 137, (zitiert von SCHOLTISSEK, Auslegung, 158). In diesem Sinne vgl. auch die von F REY (Deutung, 134) vorgeschlagene Definition. 134 O STMEYER, Typologie, 131. Zum Thema Typologie vgl. H ALL, Typologie; G OPPELT , τύπος. 135 Vgl. u.a. T HEOBALD, Abraham, 163 und 172; M ENKEN, Feste, 285; C OTHENET, Typologie, 179; C OTHENET, Arrière-plan, 57–60; D IETZFELBINGER, Aspekte, 205; H ENGEL, Schriftauslegung, 267, 271, 285–287.
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II. Methodik: Intertextualität
die Uminterpretation des Prätextes ein neuer Text, was offensichtlich Diskontinuität zur Folge hat. Zweitens ermöglichen die Anregungen aus der Intertextualitätstheorie, von falschen Alternativen wegzukommen, indem die Fragestellung präzisiert wird. Denn es ist eine Sache, zu klären, ob die Schrift für den Autor des vierten Evangeliums eine grosse Bedeutung hatte und wie er sie verstand, aber eine ganz andere, seinen Schriftgebrauch und seine Schrifttheologie kritisch zu hinterfragen, die von ihm vorgenommene Interpretation zu bewerten und z.B. zu urteilen, ob das AT durch die joh christologische Auslegung seines ursprünglichen Sinnes entleert wird. Gerade an dieser zweiten Frage scheiden sich die Geister. Da es unumstritten ist, dass die Schrift im JohEv eine wichtige Position einnimmt, besteht eine erste Aufgabe darin, zu erörtern, wie sie interpretiert wird. Es ist zu klären, welche neuen Deutungen das JohEv anbietet und welche Aspekte des Prätextes es (vielleicht auch zum Nachteil anderer) hervorhebt. Um den Stellenwert der Schrift im JohEv zu eruieren, ist danach auf die Eingliederung des Prätextes in die Erzählung des Haupttextes zu achten, denn die Bewertung der Schrift und deren Interpretation geschehen im JohEv meist implizit durch narrative Einbettung. Dabei sind besonders die Fragen, welche Figuren auf die Schrift Bezug nehmen und in welchem Zusammenhang Argumente oder Bilder aus dem AT verwendet werden, relevant. Die weitere strittige Frage, ob der Evangelist „manche seiner Vorlagen in ‚christologischer Zuspitzung‘, gelegentlich auch ‚gegen den Strich‘ [interpretiert], d.h. entgegen ihrer ursprünglichen Ausrichtung und Aussage“136 und ob er dadurch die Gültigkeit der Schrift hinterfragt, ist m.E. kaum zu beantworten, denn dabei lässt es sich fast nicht vermeiden, dass die joh Deutung der Schrift an dem gemessen wird, was für die jeweiligen Forscher als adäquate Interpretation gilt. Wenn z.B. Kraus die „Zurückdrängung der Dimension der Heils-(Erwählungs-)geschichte“137 beklagt, oder wenn Vahrenhorst bedauert, dass der Evangelist das Toraverständnis seiner Gemeinde verabsolutiert, da dies „für das Miteinander von Juden und Christen heute keine besonders verheissungsvolle Perspektive“138 darstelle, lassen sich deutlich ihre theologischen Anliegen und ihr Bemühen 139 um einen gelingenden interreligiösen Dialog erkennen. Auf den ersten 136
FISCHER, Johannesevangelium, 12 (der diese Frage bejaht). K RAUS, Johannes, 22. 138 V AHRENHORST, Johannes, 34. 139 Aus der heutigen Perspektive wird der Schriftgebrauch und die Schriftauslegung des JohEv mit zwei (m.E. zum Teil anachronistischen) Massstäben beurteilt. Zum einen wird die Frage der Schrift im Kontext der Frage nach dem Antijudaismus des JohEv thematisiert. S CHOLTISSEK (Auslegung, 149) fasst die Problematik folgendermassen zusammen: „Dokumentiert die johanneische Schriftauslegung implizite oder explizite anti137
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Blick mag es zwar unzureichend erscheinen, den Umgang mit der Schrift 140 im JohEv einfach nur darzustellen . Dennoch ist diese Arbeit sinnvoll, da die Forschung bis anhin – angesichts der begrifflichen Unklarheiten und der Vernachlässigung des narrativen Kotextes – eine genaue Beschreibung des Schriftgebrauchs und dessen Auslegung im JohEv schuldig geblieben ist.141 Zudem wird mit dem Verzicht auf eine kritische Beurteilung der joh Schriftinterpretation zu vermeiden versucht, dass aktuelle Interessen an den Text herangetragen werden, die ihm nicht unbedingt gerecht werden. 5.3 Soziale Funktion142 5.3.1 Methodischer Hintergrund Unsere intertextuelle Praxis erfolgt nicht nur aus inhaltlichen Erwägungen, sondern ist auch von gesellschaftlichen Konventionen geprägt und teilweise sogar durch zwischenmenschliche Beziehungen bedingt. Die m.E. oft unterschätzte soziale Komponente der Intertextualität wird anhand der Schilderung konkreter Fälle offensichtlich. So ist es z.B. ein offenes Geheimnis, dass Studenten (nicht nur aber auch) deshalb auf Fachartikel verweisen, um zu belegen, dass sie die Sekundärliteratur kennen und angemessen berücksichtigen, und wir können problemlos nachvollziehen, warum Hinterbliebene ungeachtet jeglicher inhaltlicher Überlegungen ein Zitat aus dem Lieblingsbuch des Verstorbenen für seine Todesanzeige aussuchen. Gerade diese Dimension der Intertextualität versucht die soziale jüdische Prämissen? Anders gefragt: Bleibt bei der exklusiven christologischen Soteriologie des Johannesevangeliums noch Platz für eine ernstzunehmende vorgängige Gottesoffenbarung einerseits und für Gottes unwiderrufliche Heilszusagen für Israel andererseits?“ Zum anderen wird am joh Anspruch, die einzig richtige Schriftdeutung zu vertreten, Anstoss genommen. 140 Damit werden bewusst andere Ziele verfolgt, als die von K RAUS (Johannes, 23) erwarteten: „Es erscheint daher nicht zureichend, den aus Christologie und Offenbarungstheologie resultierenden Umgang mit der Schrift im Joh-Ev darzustellen. Es muss neben der grossartigen Leistung des Johannes auch die Grenze benannt werden.“ 141 Darüber hinaus wird die Darstellung des Schriftgebrauchs oft nicht eindeutig von deren Beurteilung getrennt. Daher fliessen oft schon implizite Bewertungen in die Beschreibung hinein. Deswegen kann der Versuch, die Fragestellungen deutlich auseinanderzuhalten, obwohl sich dies bei der konkreten Textanalyse manchmal als schwierig erweist, gewinnbringend sein. 142 Ich entlehne den Ausdruck „soziale Funktion“ von Jakobs, die meiner Kenntnis nach als erste auf diesen Aspekt aufmerksam macht. Sie beobachtet in ihrer Untersuchung von Zitaten und Verweisen in wissenschaftlichen Texten: „Zu sachlich bedingten Funktionen kommen soziale Funktionen hinzu, die der Herausbildung und Abgrenzung von Fachgemeinschaften, der Konstitution von Gruppen in Fachgemeinschaften und der Verortung von Individuen in diesen dienen“ (JAKOBS, Textvernetzung, 114, Hervorhebung von mir).
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II. Methodik: Intertextualität
Funktion in den Blick zu nehmen. Mit dem Ausdruck wird also darauf aufmerksam gemacht, was ein intertextueller Bezug im Rahmen einer bestimmten Kommunikationssituation bezweckt und was über inhaltliche Erwägungen hinaus das Motiv für seine Verwendung bildet. Besonders im Falle von religiösen Texten scheinen mir die sozialen Funktionen intertextueller Bezüge extrem wichtig. Da sich viele religiöse Gruppierungen durch ihre „Heiligen Schriften“ (seien es die Bibel, der Koran, das Buch Mormon usw.) von anderen religiösen Gemeinschaften unterscheiden, ist der Rekurs auf jenen Text, der an die gemeinsame Herkunft und an die von allen Mitgliedern anerkannte Autorität erinnert, konstitutiv für die Identität der Gruppe. Besonders im Falle von religiösen Gruppierungen, die zwar den gleichen autoritativen Text anerkennen, sich aber voneinander abgrenzen wollen, stellt sich die brennende Frage nach der richtigen Interpretation und intertextuelle Verweise auf die anerkannte „Schrift“ werden dabei zum wichtigen Mittel, um die eigene Position klarzumachen und sich zugleich von der jeweils anderen Gruppe abzugrenzen. So ist es z.B. nicht unüblich, dass ein reformierter Pfarrer in seiner Predigt den Unterschied zwischen seiner Textauslegung und freikirchlichen oder katholischen Glaubensüberzeugungen aufzeigt. 5.3.2 Soziale Funktion im JohEv Die Frage, welche Wirkung die Schriftbezüge in der Kommunikationssituation des JohEv, insbesondere im Konflikt mit dem synagogalen Judentum seiner Zeit, entfalten, wird in der Forschung kaum behandelt, obwohl eine verwandte Problematik durchaus zur Sprache kommt: Schriftgebrauch und -theologie des JohEv werden nämlich in der Tat oft dahingehend befragt, ob sie eine mögliche Wurzel antijüdischen Denkens bilden. Dabei wird aber erstaunlicherweise der geschichtliche Kontext der Schriftbezüge kaum berücksichtigt, sondern nur vordergründig danach gefragt, ob die Schriftinterpretation inhaltlich die besondere Rolle Israels in der Heilsgeschichte relativiert oder negiert. Dies ist besonders bemerkenswert, weil der Einfluss des historischen Kontextes auf das eher negative Bild der Juden im JohEv sonst in der Regel bei der Behandlung der Frage nach dessen möglichem Antijudaismus durchaus beachtet wird. Zum besseren Verständnis der joh Schriftbezüge ist es deswegen hilfreich, zu fragen, ob und inwiefern die konfliktreichen Verhältnisse zum Judentum den Schriftgebrauch des JohEv beeinflussen und inwiefern die atl. Verweise polemisch verwendet werden und zum Konflikt beitragen.143 Denn die intertextuelle Praxis 143
Leider gibt es meiner Kenntnis nach kaum Beiträge, welche diesen Aspekt explizit behandeln. Ich selber habe ansatzweise versucht, die soziale Funktion von Joh 9 zu untersuchen, vgl. M OSER, Verständnis.
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des JohEv hängt ganz offensichtlich mit der Frage nach der Kontinuität der Tradition und der Identität der joh Gemeinde (besonders in ihrer Abgrenzung vom synagogalen Judentum) zusammen. Die Frage nach der sozialen Funktion der Schriftbezüge berührt aber nicht nur das Verhältnis der joh Gemeinde zum damaligen Judentum, sondern es ist auch zu klären, ob weitere soziale Faktoren den Schriftgebrauch beeinflussen, sei es in der Beziehung der joh Gemeinde zu anderen christlichen Gemeinden oder innerhalb der joh Gemeinde selbst. Dietzfelbinger vermutet z.B., dass der Evangelist mittels der Schriftbezüge zwischen zwei konkurrierenden Gruppen der joh Gemeinde vermitteln will. Seiner Ansicht nach lassen sich im JohEv zwei gegensätzliche Arten des Umgangs mit der Schrift erkennen: eine traditionelle Position, die besagt, dass das AT von Jesus zeugt, und eine von der joh Christologie inspirierte, die die Schrift abwertet. Der Evangelist „versucht, die beiden sich widerstreitenden Aspekte auf einen Nenner zu bringen und auf diese Weise zwei Gruppierungen, die in ihrem Umgang mit dem Alten Testament sich tief unterscheiden, beieinander zu halten. Er wollte einerseits die Gegensätze zwischen den zwei Aspekten so weit abschleifen, dass die Vertreter der Gegensätze in einer Gemeinde beieinander bleiben konnten, und er wollte andererseits die Unterschiedlichkeit der Aspekte so weit festhalten, dass jede der zwei Gruppen sich in seinem Evangelium 144 wieder erkennen konnte.“
Obwohl diese These sehr problematisch ist, da die Teilung der Schriftbezüge des JohEv in zwei Gruppen, deren eine die Schrift positiv aufnimmt und deren andere sie abwertet, zu systematisch und die zugrunde liegende Textinterpretation oft zu einseitig ist145, erscheint es vielversprechend, dem möglichen Zusammenhang zwischen dem Schriftgebrauch und seiner einheitsstiftenden Funktion für die Gemeinde nachzugehen. Gelichwohl scheint mir bei der Rekonstruktion der Gemeindesituation mehr Vorsicht geboten, denn der Textbefund ermöglicht es nicht, den historischen Kontext der joh Gemeinde mit Sicherheit zu erschliessen. Die joh Erzählung bildet keinen genauen Spiegel der Situation, in der sie entstanden ist.
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D IETZFELBINGER, Aspekte, 217. Fragwürdig ist besonders die Interpretation gewisser Textabschnitte, bei denen die postulierte kritische Einstellung des Evangelisten der Schrift gegenüber zu sehr betont wird. Kann man wirklich sagen, dass die Neuinterpretation der Manna-Episode in Joh 6 „auf eine gründliche Abwertung nicht nur der jüdischen Manna-Interpretation, sondern der alttestamentlichen Mannageschichte [hinausläuft]“ (D IETZFELBINGER, Aspekte, 205)? 145
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II. Methodik: Intertextualität
6. Schlussfolgerungen aus der Methodologie für die weitere Arbeit Die aus den oben angestellten Überlegungen zu intertextuellen Phänomenen abgeleitete textanalytische Arbeitsweise fügt sich gut in den Rahmen bisheriger exegetischer Methoden ein. Für die vorliegende Untersuchung erweist sich insbesondere die Narratologie als sinnvolle Ergänzung, da beide Methoden primär synchron arbeiten und den Text in seiner überlieferten Endgestalt wahrnehmen.146 Überdies steht die hier darlegte Methodik auch deswegen in enger Verbindung zum narrativen Ansatz, da die Schriftbezüge meistens in Dialogen eingebettet sind, die einen konstitutiven Teil der narrativen Struktur des JohEv bilden. Nichtsdestotrotz darf die historische Frage nicht ausgeklammert werden, da die Berücksichtigung des historischen Kontextes, in dem das JohEv entstand, für dessen Verständnis unabdingbar ist. Obwohl dieser Aspekt in der vorliegende Arbeit eher in den Hintergrund rückt, findet er hie und da Erwähnung und wird bei der Erforschung der sozialen Funktion explizit thematisiert. Die Berücksichtigung des Intertextualitätsphänomens vertieft die Textinterpretation, ohne im Widerspruch zur (narrativen) Analyse von Joh 4 bzw. Joh 7 zu stehen. Deswegen soll vor der intensiven Beschäftigung mit der Thematik der Schrift die jeweilige Perikope selber zur Sprache kommen. Diese vorangestellte Gesamtinterpretation des Haupttextes steckt die Grenzen des Interpretationsfreiraumes ab, der dem Leser durch den Einbezug der intertextuellen Phänomene eingeräumt wird. Deutungen von Schriftbezügen, die nicht zum Gesamtkotext der jeweiligen Perikope passen, können so von vornherein ausgeschlossen werden; zudem wird vermieden, dass implizite (also nur vermutete) Schriftbezüge die Hauptgrundlage der Interpretation bilden. Dieser erste Teil der Textarbeit besteht jeweils aus einer Übersetzung der Perikope (unter Berücksichtigung ausgewählter textkritischer Varianten), der Begründung der gewählten Abgrenzung (mit kurzen Bemerkungen zum Kotext), der Erläuterung ihrer Struktur und einer Versauslegung. Zudem lädt der hohe Redeanteil dazu ein, den Dialogablauf und die verschiedenen Kommunikationselemente (Fragen, Imperativ usw.) zu analysieren. Darüber hinaus werden für jede Perikope weitere je eigene textspezifische Problematiken untersucht. So ist für Joh 4 die Frage nach der Einheit der Perikope relevant. Für ein angemessenes Verständnis von Joh 7 ist es dagegen vor allem notwendig, die Ἰουδαῖοι näher zu qualifizieren und eine Besonderheit der Perikope, die Rolle des Lesers betreffend, zu erläutern. 146
Literarkritische Probleme werden deswegen nur am Rand behandelt entweder in den Fussnoten oder in den Darstellungen von Forschungspositionen.
6. Schlussfolgerungen aus der Methodologie für die weitere Arbeit
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Nach diesem ersten Durchgang durch den Text rückt die Thematik der Schrift ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Dafür findet zunächst eine Aus147 einandersetzung mit der bisherigen Forschung statt. Es gibt zwar keine Gesamtstudie, die sich vollumfänglich der Schriftthematik in der jeweiligen Perikope widmet, doch sind bereits viele Einzelaspekte untersucht worden, weswegen dieser zweite Teil thematisch strukturiert wird. Das Ziel besteht dabei darin, die strittigen Punkte herauszuarbeiten und vor dem Hintergrund der textanalytischen Arbeit zu beleuchten. Anknüpfend an die hier darlegte Methodik werden in einem letzten Teil der Schriftgebrauch und die Schrifttheologie der jeweiligen Perikope untersucht. Drei zentrale Fragen sind hierfür zu bearbeiten: Zuerst werden die für die Auslegung wichtigsten Schriftbezüge der jeweiligen Perikope aufgelistet und kategorisiert. Da sich aber besonders die impliziten Bezüge nicht mit Sicherheit vollständig erfassen und einordnen lassen, muss diese Liste notgedrungenermassen ein Vorschlag bleiben. Dennoch wird damit eine konsensfähige Grundlage für die weitere Forschungsarbeit geschaffen. Im zweiten Abschnitt liegt der Schwerpunkt auf dem Inhalt der Schriftbezüge. Dabei will ich zum einen näher auf jene intertextuellen Phänomene eingehen, die weder bei der Textauslegung noch bei der Diskussion mit der Forschung ausführlich behandelt werden, und zum anderen das Zusammenspiel, das Zusammenwirken der verschiedenen Zitate, Verweise, Anspielungen und atl. Motive genauer untersuchen. Zum Schluss rückt die Frage nach den Funktionen der Schriftbezüge in den Vordergrund. Dabei werden die drei oben entfalteten Perspektiven berücksichtigt, so dass nacheinander die Funktion der intertextuellen Elemente innerhalb des Haupttextes (Charakterisierung der Figuren), ihre Funktion hinsichtlich des Prätextes und ihre soziale Funktion besprochen werden. Abgerundet wird die Untersuchung des Schriftgebrauchs der jeweiligen Perikope durch eine Schlussbetrachtung, in der ich die gewonnenen Ergebnisse zusammengefasst darstelle.
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Es ist zwar unüblich, den Forschungstand nicht an erster Stelle darzulegen, dies lässt sich aber in diesem Fall dadurch legitimieren, dass der Schriftgebrauch nur verstanden werden kann, wenn der Text schon bekannt und dargelegt worden ist.
III. Johannes 4 1. Textanalyse von Joh 4 1.1 Abgrenzung und Kotext Die Perikope 4,1–42 lässt sich nach vorne gut abgrenzen, denn an die Stelle von Johannes dem Täufer und seinen Jüngern tritt Jesus und zudem findet ein Ortswechsel statt (von Judäa nach Samaria). Auch nach hinten ist die Zäsur deutlich: In 4,43 folgt ein Ortswechsel auf eine Zeitangabe. Darüber hinaus verschwinden wichtige Protagonisten: Die Samaritanerin und die Bewohner Sychars spielen von jetzt an bis zum Schluss des Evangeliums keine Rolle mehr. Die Erzählung des Aufenthaltes Jesu in Samaria ist in einen von den zwei Wundern in Kana umrahmten Erzählzyklus (Joh 2–41) eingebettet, der die soteriologische Bedeutung des Kommens und des bevorstehenden Todes Jesu verdeutlicht, bevor der Konflikt mit den Juden ab Kapitel 5 eskaliert. Nach der eröffnung durch ein Wunder, welches das Einbrechen der eschatologischen Zeit in der Person Jesu hervorhebt (2,1–12), werden sodann der Tod und die Auferstehung Jesu in der Szene der Tempelreinigung programmatisch thematisiert (2,13–22). Hierauf entfaltet Jesus den soteriologischen Sinn seiner Sendung (3,1–21), bevor Johannes der Täufer das Thema nochmals aufgreift und vertieft (3,22–36). Joh 4,1–42 fügt sich hier thematisch sehr gut ein (vgl. z.B. das Kommen der eschatologische Stunde [V.21.23.35], Jesus als der Ort der Heilspräsenz Gottes [V.20–24],
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Auch wenn die Thesen einer Ringkomposition für diese drei Kapitel, sei es durch Entsprechungen von Motiven (vgl. M LAKUZHYIL, Structure, 191–199: Die beide Wunder in Kana, 2,1–12 und 4,43–54, seien parallel, 2,13–25 entspräche 4,1–42 und 2,23–3,21 sei in Verbindung mit 3,22–4,3 zu lesen) oder sei es durch die Analogie in der Glaubensentwicklung (vgl. M OLONEY, Cana, 185–213: Jeweils werden Figuren als Beispiel für „no faith“ / „partial faith“ / „complete faith“ im jüdischen und im nichtjüdischen Milieu angeboten) ansprechend sind, können sie nicht ganz überzeugen, weil jeweils wichtige Aussagen des Textes in die Struktur gepresst werden. „Joh 2–4 unterliegen keiner strukturmässig ausgeprägten Grosskonzeption, sondern finden ihre Einheit unter inhaltlichen und textpragmatischen Gesichtspunkt“ (S TOWASSER, Johannes, 164). Zur Struktur von Joh 2–4 vgl. auch S CHAPDICK, Weg, 383–419.
1. Textanalyse von Joh 4
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seine Sendung [V.31–34] usw. ). Das zweite Wunder in Kana, das die Lebensgabe Jesu veranschaulicht, schliesst diesen narrativen Abschnitt ab. 1.2 Struktur Obwohl die Erzählung Einblick gibt in das, was an zwei Schauplätzen gleichzeitig geschieht (am Brunnen und in der Stadt Sychar), ist die Aufmerksamkeit der Leser meistens auf das Hauptgeschehen – die Dialoge mit Jesus – gelenkt. Deswegen lässt sich der Text am besten anhand des Wechsels der Gesprächspartner und der Ortsangaben gliedern. Ergänzend sollen inhaltliche Erwägungen die Struktur verfeinern, denn im Gespräch mit der Frau werden drei klar zu unterscheidende Themen nacheinander besprochen, die jeweils von einem Wortfeld beherrscht sind (vgl. in V.7–15: die Betonung von δίδωµι und das Wortfeld des Wassers; in V.16–19: die Frage nach dem ἀνήρ; in V.20–26 die Wiederholung von προσκυνέω). Genauso werden im Dialog mit den Jüngern zwei verschiedene Problematiken behandelt (vgl. in V.31–34 das Wortfeld des Essens; in V.35–38 das Metaphernnetz um die Feldarbeit). Somit lässt sich eine klare Struktur erkennen, die im Wesentlichen in der Forschung Konsens ist: 1–4: Übergang zum vorherigen Kotext 5–7a: Situationsbeschreibung 7b–26: Jesus und die Samaritanerin 7b–15: das lebendige „Wasser“ 16–193: die „Männer“ der Samaritanerin 20–26: die „Anbetung Gottes“ 27–30: Überleitung 31–38: Jesus mit seinen Jüngern 31–34: Die Nahrung Jesu 35–38: Metaphernnetz um die Feldarbeit 39–42: Der Glaube in Sychar 2
Oft wird nicht die Gemeinsamkeit sondern der Kontrast zwischen Joh 4,1–42 und dem Gespräch mit Nikodemus hervorgehoben: Ein Mann versus eine Frau; ein Jude versus eine Samaritanerin; jemand angesehener (ein Mitglied des Hohen Rates) versus eine „Sünderin“; ein Gespräch inmitten der Nacht versus ein Gespräch in der Mitte des Tages; eine benannte Figur versus eine unbenannte. Für mehr Informationen über diese Gegenüberstellung s. M UNRO, Pharisee, und SCHAPDICK, Weg, 325–356. 3 V.19 übernimmt eine Scharnierfunktion. Das Bekenntnis „Du bist ein Prophet“ ist die Schlussfolgerung der Frau angesichts des Wissens Jesu über ihre Lebenssituation, aber ermöglicht zugleich den Übergang zum nächsten Thema, denn als Prophet ist Jesus in der Lage, über religiöse Fragen zu sprechen.
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III. Johannes 4
1.3 Übersetzung4 und Versauslegung 1.3.1 Übergang zum vorherigen Kotext (V.1–4) 1. Als nun Jesus5 erkannte, dass die Pharisäer gehört hatten, dass Jesus mehr Jünger gewinnt und tauft als Johannes 2.6 – freilich taufte Jesus nicht selber, sondern seine Jünger – 3. verliess er Judäa und ging wieder weg nach Galiläa. 4. Er musste aber durch Samaria (hin)durchgehen. Die V.1–4 bilden einen gut angeschlossenen Übergang zum vorherigen Kapitel. Obwohl der Hauptprotagonist bisher Johannes der Täufer war und nun Jesus auftritt, ist die neue Erzähleinheit im Kotext sehr gut eingebettet, zumal die Erwähnung der Tauftätigkeit und des Erfolgs Jesu zeigen, „dass die Ankündigung des Johannes von 3,30, Jesus müsse wachsen und er
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Diese Übersetzung versucht, den griechischen Urtext treu wiederzugeben und hat deswegen keinen literarischen Anspruch. Die Zeit der Verbformen des griechischen Textes wurden deshalb übernommen, auch im Fall des „historischen Präsens“; Präsens und Aorist stehen deshalb (als Gegenwart und Vergangenheit) teilweise unversöhnt nebeneinander. Die relevanten textkritischen Abweichungen sind in den Fussnoten erwähnt, falls sie für die Erläuterung des Sinns wichtig sind. In dieser Perikope sind die meisten Varianten nicht wirklich diskussionswürdig. Einige sind für den Inhalt des Texts kaum von Bedeutung. So kann zum Beispiel der Wechsel der Gesprächpartner verschieden angezeigt werden (cf. V.11 λέγει αὐτῷ / λέγει αὐτῷ ἡ γυνή oder V.16. λέγει αὐτῇ / λέγει αὐτῇ Ἰησοῦς). Andere Abweichungen lassen sich durch Kopiefehler gut erklären: Der Abschreiber übersieht in V.5 einen Teil des Satzes wegen der Wiederholung des Wortes Samaria. Ähnlicr lässt sich die Auslassung von V.37 in P 75 durch Homoioteleuton erklären. Schliesslich sind gewisse Abweichungen von wenigen oder unwichtigen Handschriften bezeugt, so dass sie mit Sicherheit als sekundär betrachtet werden können, auch wenn sie manchmal interessant sind. Als Beispiel dafür kann der Schluss benannt werden: In den ältesten Papyri (P66.75) und dem Sinaiticus findet sich ὁ σωτὴρ τοῦ κόσµου. Dieser Titel wird in zahlreichen anderen Handschriften (A, C 3, D, L, Θ, Ψ u.a.) durch ὁ χριστός ergänzt. Nicht nur die Qualität der Textzeugen, sondern auch der Inhalt spricht für die erste Variante: Der übliche Titel wird neben den ungewöhnlichen gesetzt. 5 In anderen wichtigen Handschriften (P66.75 A, B, C, L u.a) ist statt ὁ Ἰησοῦς κυρίος zu lesen. B ROWN I, 164, vermutet: „The original was probably ‘When he learned’; and the above readings represent scribal attempts to clarify the pronominal subject.“ Es ist auch möglich (vgl. BARRETT, 248), dass der Abschreiber die Wiederholung von Jesus (zwei weitere Nennungen im selben Satz) vermeiden wollte. Da κυρίος selten im Erzählstoff des JohEv gebraucht wird, könnte es auch zu Ἰησοῦς abgeändert worden sein. 6 V.2 („freilich taufte Jesus nicht selber, sondern seine Jünger“) widerspricht gerade dem, was in V.1 steht. Von daher ist zu vermuten, dass es sich um eine Glosse handelt. „Ihre Funktion besteht wohl darin, mit dem synoptisch bezeugten Jesus-Bild einen Ausgleich zu schaffen“ (THEOBALD, 297). Ähnlich urteilen SCHNELLE, 128; SCHNACKENBURG I, 458 FN 2; B ARRETT , 249; B ULTMANN , 128; B ROWN I, 164; L INDARS , 177; S CHAPDICK, Weg, 463–465; B ECKER I, 197. Hingegen hält THYEN, 239, V.2 nicht für eine sekundäre Hinzufügung.
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kleiner werden, schon Realität wird.“ Überdies erklärt eine Reisenotiz den 8 Ortswechsel und die Präsenz Jesu in Samaria : Letzterer will eine mögliche Auseinandersetzung mit den Pharisäern vermeiden9, was den Konflikt, der ab Kapitel 5 zwischen ihm und den Juden aufbrechen wird, ankündigt. Weiter ermöglichen diese vier Verse, die Allwissenheit Jesu und seine Souveränität zu unterstreichen. 1.3.2 Situationsbeschreibung (V.5–7a) 5. Er kommt nun in eine Stadt Samarias, genannt Sychar, nahe dem Grundstück, das Jakob Joseph, seinem Sohn, gegeben hatte. 6. Es war dort die10 Quelle11 Jakobs. Jesus nun, ermüdet von der Reise, setzte sich ohne weiteres an die Quelle hin; es war um die sechste Stunde. 7. Eine Frau aus Samaria kommt, um Wasser zu schöpfen. In V.5–7a wird die Situation des folgenden Dialogs beschrieben (Orts-, Zeitangabe und Ankommen der Protagonisten), so dass wichtige Themen des Gesprächs zwischen Jesus und der Frau schon angetönt werden. Die Ortsangaben (V.5–6a) sind daher programmatisch: Die Nähe zum Berg
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W ENGST I, 150. Die Reiseangabe (trotz ἔδει) dient dazu, „den Schauplatz des Folgenden schlüssig einzuführen“ (Z ANGENBERG, Christentum, 91). Die Notwendigkeit (vgl. ἔδει) ergibt sich primär aus geographischen Gründen, denn der schnellste Weg zwischen Galiläa und Judäa führt durch Samaria (vgl. u.a. B ARRETT, 249; B ULTMANN, 129; SCHNACKENBURG I, 458; SCHNELLE, 98). Überdies hat das Verb vielleicht einen theologischen Unterton: „Si Jésus traverse la Samarie, c’est que sa mission l’exige selon le dessein de Dieu“ (LÉOND UFOUR, 340). Vgl. auch B ROWN I, 169; O LSSON, Structure, 145; L ENGLET, Passage, 501; ZUMSTEIN, Surprise, 325. M.E. schliessen sich geographische und theologische Deutungen nicht aus (vgl. T HEOBALD, 298; T HYEN, 241; SCHAPDICK, Weg, 110–112). 9 Der potentielle Konflikt ist nur angedeutet. Der Leser kann ihn aber befürchten, obschon es zwischen Jesus und den Pharisäern noch nicht zur Auseinandersetzung gekommen ist, denn diese Gruppe hatte „schon Johannes wegen seiner Tauftätigkeit zur Rechenschaft gezogen (1,24)“ (SCHNACKENBURG I, 457). 10 „Das Fehlen eines Artikels bei πηγή hat man als semitisch angenommen. Es ist jedoch korrektes Griechisch, den Artikel bei Ortsnamen wegzulassen, und ‚Jakobsbrunnen‘ könnte so verstanden worden sein“ (B ARRETT, 250). Die Quelle Jakobs wird also wie ein Eigenname benutzt und nicht wie ein Nomen, das durch einen Genitiv näher bestimmt wird. Dafür spricht auch, dass im vorherigen Vers „die Lage der Ortschaft Sychar nach dem χωρίον bestimmt wird und nicht umgekehrt; natürlich wäre doch der Jakobsacker bei Sychar...“ (S CHENKE, Jakobsbrunnen, 167). Daraus lässt sich erkennen, dass der allgemein bekannte Ortsname nicht „Sychar“ ist, sondern „der Acker mit seinem Brunnen“. 11 Es werden in dieser Perikope zwei verschiedene Wörter mit ähnlichem Sinngehalt verwendet: πηγή und φρέαρ, deren Bedeutungsunterschied trotzdem nicht unterschätzen werden darf (vgl. III.3.2.1). Um diesen Unterschied in der Übersetzung beizubehalten, wird πηγή stets mit Quelle wiedergegeben und φρέαρ mit Brunnen. 8
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Garizim (vgl. Sychar ) wird die Diskussion über den richtigen Kultort ermöglichen. Ebenso führt die genauere Ortsbestimmung das Thema von V.10–15 ein, indem mit πηγὴ und δίδωµι zwei zentrale Stichwörter aufgegriffen werden. Weiter bereiten die zwei Erwähnungen Jakobs den Vergleich zwischen ihm und Jesus vor und diejenige Josephs, der als Stammvater der Juden und Samaritaner galt,13 weist diskret auf die ursprüngliche Einheit der zwei religiösen Gemeinschaften hin14, die in der kommenden Stunde wiederhergestellt wird (V.20–24). Die Müdigkeit Jesu (V.6b) bei seinem Ankommen macht seine Bitte um Wasser (V.7) im Voraus verständlich. Die Zeitangabe (V.6c), die sechste Stunde, erklärt primär den Durst und die Müdigkeit Jesu15, spielt aber vielleicht auch auf die Zeit seines Prozesses und seines Todes (vgl. 19,34) an16, denn seine Heilsgaben, die im Dialog verheissen werden, stehen nach der joh Theologie immer unter dem Zeichen des Kreuzes17. Bei ihrer Ankunft (V.7a) wird die Frau als Samaritanerin charakterisiert, so dass die im Dialog wichtige Gegenüberstellung mit den Juden (vgl. V.9.20.22) von Anfang an thematisiert wird. Auch die Angabe des Ziels ihres Kommens (Wasser zu schöpfen) hängt mit dem Thema des Gesprächs mit Jesus zusammen. 1.3.3 Der Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin (V.7b–26) 1.3.3.1 Die Gabe des Wassers (V.7b–15) Jesus sagt ihr: „Gib mir zu trinken.“ 8. Denn seine Jünger waren zur Stadt gegangen, um Nahrung zu kaufen. 9. Die samaritanische Frau sagt nun zu ihm: „Wie kannst du, der du ein Jude bist, von mir, die ich eine samaritanische Frau bin, etwas zu Trinken erbitten?“ Denn die Juden verkehren18 12
Ob Συχάρ mit Askar (vgl. B ARRETT, 249–250; S CHNACKENBURG I, 458; SCHNELLE, 98) oder mit Sichem (vgl. einige Handschriften der syrischen Überlieferung, so R UBEL, Erkenntnis, 82; B OERS, Mountain, 155; B ROWN I, 169; THEOBALD, 308) zu identifizieren ist, bleibt für die Textinterpretation unwichtig. Allein die Nähe zum Berg Garizim spielt eine Rolle. 13 Vgl. JOSEPHUS, Ant XI 341 und Ant IX 291. 14 Vgl. T HEOBALD, 309. 15 Vgl. B ARRETT, 250; B ULTMANN, 130; T HEOBALD, 309. 16 So B ROWN I, 169; SCHAPDICK, Weg, 116–117. Vgl. auch L IGHTFOOT, 122, der eine theologische Parallele zwischen Joh 4 und Joh 19 vermutet. 17 Weiteren Deutungen (Kontrast mit dem nächtlichen Begegnung mit Nikodemus [so T HYEN, 245]; Betonung der Sündhaftigkeit der Samaritanerin, die anderen Frauen deswegen meidet; Bestimmung der Frau als Lohnarbeiterin [W ENGST I, 156]; Verbindung mit der Zeit des jüdischen Mittagsgebets [LINK, Was, 253] usw.) fehlen m.E. im Text Anhaltspunkte und diese gewinnen auch mit Rekurs auf die joh Theologie kaum Plausibilität. 18 συγχράοµαι bedeutet einerseits „gebrauchen“, anderseits „Verkehr haben“, „umgehen mit jemandem“. In diesem Verb schwingen verschiedene Bedeutungen mit. Für
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nicht mit Samaritanern. 10. Jesus antwortete und sagte ihr: „Wenn du die 19 Gabe Gottes kennen würdest und wer derjenige ist, der dir sagt: ‚Gib mir zu trinken‘, du hättest ihn gebeten und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.“ 11. Sie [die Frau] sagt ihm: „Herr20, du hast keinen Schöpfeimer und der Brunnen ist tief; woher hast du nun das lebendige Wasser? 12. Bist du etwa grösser als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben hat21, und der selbst aus ihm getrunken hat, und (auch) seine Söhne und seine Herdentiere?“ 13. Jesus antwortete und sagte ihr: „Jeder, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder dürsten. 14. Derjenige aber, der vom Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird in Ewigkeit nicht mehr dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer Quelle von sprudelndem22 Wasser in ewiges Leben hinein. 15. Die Frau sagt zu ihm: „Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich nicht dürste und nicht hierher kommen (muss), um zu schöpfen. V.7b. Jesus eröffnet das Gespräch, indem er die Frau um etwas zu trinken bittet. Auch wenn die Worte Jesu möglicherweise an seine Worte am Kreuz erinnern23, hat sein Ersuchen seinen Zweck vorrangig darin, die Diskussion zu beginnen und nicht, Wasser zu bekommen.24
E SLINGER (Wooing, 176) z.B., der in der Perikope einen sexuellen Unterton sieht, ist dieses Wort zweideutig: „With a personal dative objekt it can mean ‚to associate with, to be intimate with‘, or ‚to have sexual intercourse with‘.“ Für D AUBE (Jesus, 137–147) geht es um das Mit-gebrauchen eines Trinkgefässes. Dies wäre üblicherweise wegen der Reinheitshalacha nicht möglich gewesen. Ihm folgte z.B. B ARRETT, 251. Meistens wird συγχράοµαι mit „verkehren“, „Kontakt haben“ übersetzt; diese Übersetzung ist neutral und bleibt offen für verschiedene Deutungen. 19 Wir haben es hier mit einem irrealis zu tun: Wenn es die Frau wüsste (aber sie weiss es nicht), würde sie Jesus auf jeden Fall um Wasser bitten (aber sie tut es nicht). Ihre Unkenntnis wird dadurch festgehalten und offen angesprochen. 20 Die Anrede, κύριε, sollte nicht überinterpretiert werden: „Es handelt sich um eine ganz natürliche Form der höfliche Anrede, die nicht in Zusammenhang mit christologischer Erwägung zu bringen ist“ (S CHAPDICK, Weg, 142). Für mehr Informationen zum Gebrauch des Vokativs vgl. B OTHA, Samaritan, 124. 21 Einige Handschriften (deren wichtigste sind P 66.75) betonen mit dem Perfekt, dass die Wirkung der Gabe bis in die Gegenwart hineinreicht; in der Tat können die Samaritanerin und ihr Volk immer noch dort Wasser holen. In anderen Handschriften findet sich ein Aorist, so dass das Gewicht auf der in der Vergangenheit geschehenen Handlung des Gebens liegt. 22 ἅλλοµαι heisst in seiner eigentlichen Bedeutung „springen“ und bezieht sich auf die rasche Bewegung lebender Wesen, kann aber im übertragenen Sinn auch auf leblose Elemente (wie Wasser) bezogen werden. 23 Vgl. B ROWN I, 169. 24 Vgl. SCHAPDICK, Weg, 137. Andere Interpretationen sind m.E. gesucht und entsprechen weder dem Duktus der Perikope noch der joh Theologie. (Vgl. z.B. L ÉON-D UFOUR,
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V.8. bildet einen Einschub, der den Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin unterbricht und die Abwesenheit der Jünger feststellt und begründet. Diese Zwischenbemerkung streicht heraus, dass Jesus mit der Samaritanerin allein ist und bereitet die Rückkehr der Jünger und ihr Erstaunen vor (vgl. V.27.31). Zudem wird der Zusammenhang der zwei Gespräche der Perikope von Anfang an angedeutet: Wenn V.7 den Durst Jesu erwähnt, werden V.32–34 seinen Hunger thematisiert. V.9. Auf die Worte Jesu reagiert die Frau mit einer Frage, die ihrem Erstaunen Ausdruck verleiht. Sie weist aber weder seine Bitte zurück, noch reagiert sie feindlich, da sie sich nicht weigert, ins Gespräch zu kommen. Sie wundert sich, denn dieser Fremde überschreitet die sozio-religiöse Konvention, die darin besteht, dass die Juden den Kontakt mit den Samaritanern vermeiden. Dieser Sachverhalt wird in einem Kommentar des Erzählers erklärt, falls der Leser ihn nicht kennen sollte.25 V.10. Jesus geht gar nicht auf ihre Frage ein, sondern deckt ihre Unkenntnis auf, die die Gabe Gottes und seine eigene Identität betrifft. Er stellt fest, dass sie sich anders verhalten würde, wenn sie mehr wüsste: Sie hätte ihn nämlich um Wasser gebeten (und nicht umgekehrt, er sie). Hiermit formuliert er das Ziel des Dialogs: Die Frau sollte die Bedeutung der Gabe Gottes wahrnehmen und ihren Gesprächspartner als Geber erkennen. Um sie auf die lebensspende Kraft der Gabe Gottes aufmerksam zu machen, „bedient er sich einer Bildsprache (‚lebendiges Wasser‘), die viel nachdrücklicher ist und wohl auch geeigneter, die Sache ins Wort zu bringen.“26 27 V.11. Die Frau aber missversteht Jesus, denn sie versteht ὕδωρ ζῶν nicht als lebendiges Wasser, sondern als fliessendes Wasser und bezieht 354. Für ihn dürstet Jesus nicht nach Wasser, sondern „ce dont il a soif est de sa soif à elle, de son désir à elle de l’eau vive que, seul, il peut lui donner.“) 25 Aufgrund der Textbezeugungen von V.9e („denn die Juden verkehren nicht mit Samaritanern“ findet sich in verschiedenen Papyri und zahlreichen Handschriften) ist es wahrscheinlicher, davon auszugehen, dass V.9e zum ursprünglichen Text gehörte und dass es in gewissen Handschriften ausgelassen wurde, weil die Erklärung für eine bekannte Tatsache unnötig erschien (vgl. B ARRETT, 250; T HEOBALD, 311; SCHNELLE, 99). Anders B ECKER I, 197; B ULTMANN, 130 FN 5; LINK, Was, 189; R ITT, Frau, 304; SCHAPDICK, Weg, 465–468. Für sie bildet V.9e einen späteren Zusatz, der eine soziale Konvention erklärt, mit der heidenchristliche Leser nicht mehr vertraut waren. 26 T HEOBALD, 312. 27 Das Wortspiel, welches das Missverständnis ermöglicht, lässt sich im Deutschen nur schwer wiedergeben: ὕδωρ ζῶν hat einerseits „eine normalsprachliche (empirisch beobachtbare) Bedeutung als ‚lebendiges Wasser‘, als (fliessendes, durstlöschendes, somatisches, Leben spendendes) Quellenwasser; […] es wird auch dem (stehenden) Zisternenwasser gegenübergestellt“ (R ITT, Frau, 299). Von daher ist die Reaktion der Frau nachvollziehbar. Andererseits eröffnet die wörtliche Wiedergabe „lebendiges Wasser“ eine symbolische Deutung und gerade auf diese Bedeutung zielt der Text ab. Die Fragen,
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deswegen den Ausdruck auf das materielle Wasser des Brunnens. Um ihrem Unverständnis Ausdruck zu verleihen, stellt sie rhetorische Fragen, die darauf zielen, aufzuzeigen, dass die Worte Jesu keinen Sinn ergeben. Aufgrund der Tiefe des Brunnens kann er ohne Schöpfeimer schlicht und einfach kein Wasser schöpfen. Ironischerweise stellt sie aber, ohne es zu wissen, eine erste relevante Frage. Denn die Frage nach dem Woher (πόθεν) Jesu (und seiner Gabe) ermöglicht es, seine Identität zu verstehen. Sie ist deswegen ein wiederkehrendes Thema des Evangeliums.28 „The question operates on two levels simultaneously – it makes sense to ask a man with no bucket where he will get water, but the question can also be asked of Jesus’ gift of living water. The irony arises because the reader knows the appropriateness of the ques29 tion on both levels, but the woman is aware only of the first, literal level of meaning.“
V.12. Die Frau fügt ihrer ersten rhetorischen Frage eine zweite hinzu, in der sie Jakob und Jesus vergleicht. Dadurch soll wiederum die Unmöglichkeit der Behauptung Jesu, er könne Wasser geben, hervorgehoben werden: Nur wer grösser als Jakob ist, könnte dies tun und dieser Fremde ist es bestimmt nicht. Indem sie Jakob als ὁ πατὴρ ἡµῶν charakterisiert, lässt sie ihm eine gewisse Autorität zukommen, die sogar ihr Gesprächspartner anerkennen sollte, weil „sie mit diesem Ausdruck Juden und Samaritaner in ihrer gemeinsamen Herkunft vom Patriarchen zusammennimmt“30. Zudem nimmt sie Jakob als Massstab, an dem jeder (und daher auch Jesus) gemessen werden soll. Weiter betont sie, um die Unsinnigkeit der Aussage Jesu noch zu verdeutlichen, die Qualität des Brunnens und erwähnt alle, die daraus getrunken haben (Jakob selbst, seine Söhne und seine Herden), was die Fülle zeigt, mit welcher der Brunnen die Menschen (und ihre Tiere) zu versorgen vermag. Vielleicht spielt der Text an eine Legende an, in welcher Jakob bei einem Brunnen auf wunderbare Weise Wasser im Überfluss und ohne Mühe hervorbringt31, so dass die Grösse des Brunnens Jakobs noch mehr unterstrichen wird: Was er gab, ist viel mehr als ein gewöhnlicher Brunnen. In jedem Fall berührt die Frau mit ihrer Frage, ohne es zu wissen, wiederum eine tiefe Wahrheit, die der Leser schon ahnt: Wenn schon Jesus und Jakob verglichen werden, ist natürlich ersterer grösser und die Jakobslaudatio der Samaritanerin streicht indirekt die Grösse Jesu heraus. was „ὕδωρ ζῶν“ symbolisiert und ob es eine Identifikation zwischen Jesus und der Gabe gibt, wird im Forschungsteil genauer besprochen (vgl. III.2.5). 28 Vgl. 7,27–29; 8,14; 9,29–31; 19,9. 29 O’D AY, 566. 30 T HEOBALD, 313. 31 Auch wenn die schriftlichen Quellen, die diese Legende belegen (vgl. III.2.4.1), später als das JohEv zu datieren sind, rezipiert Joh 4 möglicherweise eine ältere Tradition.
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V.13–14. Jesus knüpft an den Vergleich zwischen ihm und Jakob an, um die Qualität seiner eigenen Gabe hervorzuheben, wobei sich die Frage von dem Geber (Jesus oder Jakob) auf die Wirkung der Gabe verlagert. Er hebt das Wasser, das er gibt, von demjenigen Jakobs ab, weil es eine andere Art von Durst löscht. Während das Wasser des Brunnens das tägliche und konkrete Trinkbedürfnis des Menschen befriedigt, steht die Gabe Jesu als lebendiges Wasser zur Verfügung und stillt den existentiellen Durst des Menschen; es erfüllt, wonach der Mensch sich im Tiefsten sehnt,32 und dies endgültig. Um dieses Nichtmehrdürsten zu veranschaulichen, benutzt Jesus ein Bild: Das Wasser wird zur Quelle im Menschen.33 Damit bringt er nicht nur die quantitative Unerschöpflichkeit des Wassers zum Ausdruck, sondern verdeutlicht, dass seine Gabe den ganzen Menschen erfasst und durchdringt, da alles, was er spendet, zu Gaben und Kräften wird, die im Menschen wohnen und wirken.34 Durch εἰς ζωὴν αἰώνιον wird sowohl die Fortdauer der Gabe, die nie aufhört, betont als auch ihr tieferes Ziel: Diese Gabe ist auf das ewige Leben ausgerichtet.35 Dabei soll ζωή αἰώνιος nicht auf ein Leben nach dem Tod reduziert werden, sondern bezieht sich auf ein Leben von einer anderen Qualität in der Gemeinschaft mit Gott. Und dieses Leben fängt schon in der irdischen Lebenszeit an, denn der Mensch bekommt schon jetzt Teilhabe am göttlichen Leben. αἰώνιος36 bedeutet zwar ewig (im Sinne einer unbegrenzten Zeit), qualifiziert aber als Adjektiv primär Gott und wird deshalb für göttliche Eigenschaften, Güter oder Gaben verwendet. Wenn Gott das ewige Leben schenkt, gibt er also seine eigene Lebenskraft und deswegen haben die zerstörenden Mächte, insbesondere der Tod, keinen endgültigen, vernichtenden Einfluss mehr. Jesus verheisst also ein Wasser, welches das Leben in aller Fülle ermöglicht. In diesen Worten wechselt er von der zweiten (du) zur dritten Person (jeder), seine Aussagen richten sich nicht nur an die Samaritanerin, die direkt angesprochen wird, sondern gelten jedem. Die Allgemeingültigkeit und Universalität seiner Aussage wird durch den Gebrauch der Partikel ἄν mit 32
Nicht zufällig wird im AT der Durst oft mit einem Verlangen nach Gott in Verbindung gebracht, vgl. z.B. Ps 63,2. 33 Die oft vertretene Interpretation, dass der Empfänger eine Quelle für andere Menschen wird, indem er z.B. die frohe Botschaft weitersagt (so z.B. W ENGST I, 168, vgl. auch 159.174; LENGLET, Passage, 502; JONES, Symbol, 100; W ILCKENS, 82; H AENCHEN, 241), ist m.E. problematisch. Theobald und Dietzfelbinger lehnen diese missionstheologische Deutung ab, weil „ihre Pointe (die Quelle sprudelt für andere) in V. 14 gar nicht ausgesprochen wird“ (T HEOBALD, 314) und weil „nirgends sonst im Johannesevangelium der Glaubende seinerseits Ursprung des Lebens für andere wird“ (D IETZFELBINGER I, 103). 34 Vgl. S CHNACKENBURG I, 466. 35 Vgl. S CHAPDICK, Weg, 161. 36 Vgl. S ASSE, αἰών, 208–209.
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Konjunktiv verstärkt. Das lebendige Wasser steht zur Verfügung und 38 wird jedem zu aller Zeit geschenkt werden. V.15. Die Samaritanerin schenkt den Worten Jesu Vertrauen und wünscht sich dieses Wasser, das den Durst endgültig löscht, obschon sie in einem irdisch-materiellen Verständnis gefangen bleibt: „Sie denkt: eine Art Zauberwasser, dessen Besitz jedes fernere Wasserschöpfen unnötig machen würde.“39 Obwohl den Fragen und den Bitten der Frau Missver40 ständnisse zugrunde liegen, sollte ihre Reaktion nicht zu schnell als unangebracht verurteilt werden. Denn sie lehnt Jesus nicht ab, obwohl sie Zweifel ausspricht und nach Erklärung verlangt. Zudem macht die Samaritanerin eine Entwicklung durch. „She has moved from seeing Jesus as a thirsty Jew who knowingly violates social convention to seeing him as someone whose gifts she needs.“41 Aber noch wichtiger ist, dass der Text keine Beurteilung der Samaritanerin im Blick hat, die ja eine literarische Figur ist. Er möchte vielmehr das Geheimnis der Gabe Jesu und seiner Person näher bringen und benutzt dafür zwei Stilmittel, das Missverständnis und die Ironie (vgl. III.1.4.2). 1.3.3.2 Die Männer der Samaritanerin42 (V.16–19) 16. Er sagt ihr: „Geh, ruf deinen Mann und komm (wieder) hierher.“ 17. Die Frau antwortete und sagte ihm: „Ich habe keinen Mann.“ Jesus sagt ihr: „Richtig hast du gesagt: ‚Ich habe keinen Mann‘; 18. du hast nämlich fünf Männer gehabt und derjenige, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Dies hast du wahr geredet.“ 19. Die Frau sagt ihm: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.“ V.16. Durch einen unerwarteten Themenwechsel zwischen V.15 und V.16 entsteht ein augenfälliger Bruch in der Konversation. Er gehört aber m.E. zu einer Kommunikationsstrategie, welche der Frau hilft, die wahre Gabe Jesu (und damit seine Identität) besser zu verstehen. Bis zu diesem Punkt blieb sie in einem materiellen Verständnis des Wassers verhaftet, weshalb Jesus versucht, statt auf der kognitiven Ebene weiter zu argumentieren, sie 37
Durch den Relativsatz im Konjunktiv mit ἄν wird die allgemeine Gültigkeit und der prospektive Charakter des Satzes betont: Die Aussage ist gültig, jetzt und in Zukunft, und sie gilt für jeden Menschen. Vgl. H OFFMANN/SIEBENTAL, Grammatik, § 290f. 38 Zur Deutung des Futur δώσω s. III.3.2.1. 39 B ULTMANN, 137. 40 Gegen SCHOTTROFF, Samaritanerin, 125 (gefolgt von W ENGST I, 158.160), die in den Antworten der Frau ein volles Verständnis hineinlesen. 41 O’D AY, 567. 42 Die Funktion des Abschnittes besteht m.E. hauptsächlich darin, der Samaritanerin zu einem besseren Verständnis der Identität Jesu zu verhelfen. (Zur oft vertretenen symbolischen Deutung vgl. III.1.5.1.2).
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III. Johannes 4
mit der Diskussion über ihre Lebensführung zu weiteren Erkenntnissen zu führen. „Ce que l’entretien sur l’eau vive n’avait pu atteindre – se poser la question du lieu de la vie authentique et en attente de plénitude – le retour à l’existence vécue va le permettre.“43 Deshalb fordert er sie auf, ihren Mann zu holen. V.17–18. Die Frau weigert sich aber und behauptet, sie habe keinen Mann. Obwohl ihre Aussage wortwörtlich genommen der Wahrheit entspricht, lässt sie den Leser eine andere Lebenssituation erahnen, als sie tatsächlich vorgibt. Während „ich habe keinen Mann“ die Vermutung nahe legt, sie sei eine Witwe oder eine Jungfrau, hat sie in der Wirklichkeit fünf Männer gehabt und lebt jetzt in einer unehelichen Beziehung. Jesus durchschaut ihre Worte und deckt ihre wirklichen Männerbeziehungen auf. Der ironische Nebenklang von καλῶς εἶπας und τοῦτο ἀληθὲς εἴρηκας kann in diesem Kontext nicht übersehen werden, dennoch besteht ihre Hauptfunktion nicht darin, die Frau schlecht darzustellen, sondern hervorzuheben, dass Jesus derjenige ist, der wahr spricht. V.19. Angesichts seines wunderbaren Wissens über ihre Vergangenheit und ihre aktuelle Situation gelangt die Samaritanerin auch zu dieser Schlussfolgerung und vermutet, er sei ein Prophet,44 derjenige, der ἀληθές redet. Diese Erfahrung ist für die Samaritanerin von grosser Bedeutung und wird den inhaltlichen Kern ihres Zeugnisses bilden (vgl. V.29.39: Jesus ist derjenige, der über ihr Leben Bescheid weiss).45 Die Samaritanerin gelangt also zu einem besseren Verständnis der Identität Jesu und formuliert eine Art „anfängliches Glaubensbekenntnis“. 1.3.3.3 Die Anbetung (V.20–26) 20. „Unsere Väter beteten auf diesem Berg an und ihr sagt, dass in Jerusalem der Ort ist, wo man anbeten muss.“ 21. Jesus sagt ihr: „Glaub mir, Frau46, dass eine47 Stunde kommt, da ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. 22. Ihr betet an, was ihr nicht kennt, 43
Z UMSTEIN, Surprise, 330. Im Text steht ein Prophet (nicht der Prophet), folglich benutzt die Frau jüdische (nicht samaritanische) Begriffe und entfaltet jüdische Glaubensvorstellungen; vgl. III.2.1. 45 Die Allwissenheit Jesu spielt im JohEv eine wichtige Rolle und führt auch andere Figuren dazu, seine Identität bzw. seine Messianität anzuerkennen, vgl. Joh 1,43–51; 5,42; 16,29–30. 46 „Glaube mir, Frau“ ist ein Vertrauensappell und sollte nicht als ein Ruf zum Glauben an die Offenbarung Jesu überinterpretiert werden. Die Anrede als „Frau“ hat keine negative Konnotation (vgl. 2,4; 19,26; 20,13.15). 47 ὥρα wird hier ohne Artikel gebraucht. Obwohl der griechische Artikel nicht dem deutschen entspricht (vgl. K RAUS, Artikel, 261) ziehe ich die unübliche Überseztung eine Stunde vor, um der Nuance im Textsinn, die der unterschiedliche Gebrauch von ὥρα und ἡ ὥρα im JohEv mit sich bringt, gerecht zu werden (vgl. III.1.3.3.3). 44
1. Textanalyse von Joh 4
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wir beten an, was wir kennen, weil das Heil aus den Juden ist. 23. Aber eine Stunde kommt und jetzt ist sie da, da die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden, denn der Vater sucht solche, die ihn (so) anbeten. 24. Gott ist Geist, und die Anbeter müssen ihn in Geist und Wahrheit anbeten.“ 25. Die Frau sagt ihm: „Ich weiss, dass der Messias kommt, der Christus genannt wird; wenn dieser kommt, wird er uns alles kundtun.“ 26. Jesus sagt ihr: „Ich bin (es), der zu dir spricht.“ V.20. Da sie Jesus als Prophet erkennt, stellt ihm die Frau indirekt eine religiöse Frage und schildert den Streit um den richtigen Kultort, der Samaritaner und Juden entzweit. Ihre Darstellung der Situation ist aber leicht polemisch, denn indem sie oἱ πατέρες ἡµῶν den Juden gegenüberstellt, beansprucht sie indirekt, dass die Samaritaner die einzigen richtigen Erben der Erzväter sind. Zugleich begründet sie ihren eigenen Kultort dank einer auf die Väter zurückgehenden Gebetspraxis48 (προσκυνέω im Aor49) und rekurriert somit auf eine Autorität, die ihr Gesprächspartner, ein Jude, auch anerkennen sollte (vgl. Jakob, unser Vater in V.12). Hingegen hat ihrer Ansicht nach der Standpunkt der Juden keine Legitimität, denn er beruht nur auf einer blossen Behauptung (vgl. λέγω im Pr.). Trotz der tiefen Uneinigkeit mit den Juden setzt die Frau bei ihrer Schilderung des Streites voraus, dass der Gegenstand des Konflikts auf den Kultort begrenzt ist und dass Juden wie Samaritaner den gleichen Gott ehren. V.21. Jesus antwortet nicht direkt auf ihre Frage, sondern kündigt an, dass der Streit um den richtigen Kultort bald irrelevant sein wird, denn eine Stunde kommt, wo Jerusalem und der Garizim nicht mehr die Orte der Heilserfahrung Gottes sein werden. ὥρα ἔρχεται ist „a technical expression in John for the eschatological event, which he sees as bound with the destiny of Jesus, especially with the paradox of his glory revealed in the Passion“50. Die kommende Stunde verweist aber hier primär auf die eschatologische Zeit, die in der Person Jesu anbricht, und nicht präzis auf seine
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Um ihren Kultort zu begründen, die Samaritaner „s’appuyaient pour cela non seulement sur le privilège de l’ancienneté [dort wurde der Segen über Israel ausgesprochen, Dt 11,29; 27,12], mais aussi sur la conviction que Béthel, ‚lieu sacré et non profane’ (selon le targoum de Gn 28,17) où le patriarche Jacob avait eu sa vision de Dieu, avait été le Garizim; d’ailleurs le patriarche n’avait-il pas élevé un autel à Sichem (Gn 33,19– 20)?“ (L ÉON-D UFOUR, 365). 49 „Dass das Anbeten als ein Akt der Vergangenheit geschildert wird, bedeutet nicht, dass dieser schon vergangen, mithin obsolet geworden ist, sondern führt gerade diese Vergangenheit als Argument ins Feld, um die Legitimität der Anbetung auf diesem Berg zu untermauern“ (SCHAPDICK, Weg, 201). 50 L INDARS, 188.
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Todesstunde , selbst wenn das Motiv der Passion eventuell auch angetönt ist. Genau wie in 2,14–22 (vgl. auch 1,51) liegt der Grund für die Kritik an der lokalen Bindung der Gottesverehrung darin, „dass die Wirklichkeit Gottes selbst nun in völlig neuer, authentischer Weise offenbar geworden ist, nämlich in Jesus, welcher der einzig wahre Ort Gottes in dieser Welt ist“52. Im Gegensatz zu V.20 ist deswegen προσκυνέω nicht mehr absolut gebraucht, sondern mit einem Dativ ergänzt, denn der Gegenstand der Anbetung ist nun Gott, wie er sich in und durch Jesus zeigt: das heisst als Vater. V.22.53 Bevor Jesus diese zukünftige Situation näher erläutert (23–24), erörtert er die aktuelle Situation (vgl. Präsens), indem er zur (leicht polemischen) Darstellung der Samaritanerin Stellung bezieht, wobei er die Diskussion von der „richtigen“ Kultstätte zur „richtigen“ Erkenntnis verlagert. Genau wie die Frau stellt er Samaritaner (ihr) und Juden (wir) gegenüber.54 Während er ersteren jegliche Gotteskenntnis abspricht, anerkennt er für die Juden, mit denen er sich identifiziert55, ein bestimmtes religiöses Wissen und begründet es: Die Juden kennen, was sie anbeten, weil das
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Vgl. R UBEL, Erkenntnis, 111. Diese Interpretation wird dadurch gestützt, dass der Artikel unbestimmt ist. Denn wenn die Stunde (Jesu) sich immer auf seine Verherrlichung bezieht (vgl. 2,4; 7,30; 8,20; 12,23; 12,27; 13,1), verweist eine Stunde (4,21.23; 5,25.28; 16,2.25.32) auf zukünftige eschatologische Ereignisse, die je nach Kotext näher bestimmt werden. Zum Begriff „Stunde“ vgl. auch B ROWN I, Appendix I, 517–518. 52 T HEOBALD, 325. 53 Vers 22 oder Teilverse werden des Öfteren als sekundäre Glosse betrachtet, allerdings ohne stichhaltige Gründe. Mehr dazu in III.2.2.1. 54 Interpretationen, die eine Opposition zwischen Juden und Samaritanern (ihr) einerseits und den Christen (wir) andererseits sehen (so z.B. B ECKER I, 208; O LSSON, Structure, 197–198; LINDARS, 188; B AUER, 70; B ULTMANN, 139 FN 6) sind m.E. (mit SCHNACKENBURG I, 470; L ÉON-D UFOUR, 370) sehr problematisch: Ausser der positiven Wertung der Juden, die zwar für das JohEv unüblich, aber im Kotext doch plausibel ist, ist das Hauptargument, das in einer Analogie mit 3,11 besteht, oberflächlich. Während Jesus in seinen Worten zu Nikodemus von der ersten Person Singular zur ersten Plural wechselt, so dass der Eindruck entsteht, dass ein christliches Bekenntnis der joh Gemeinde (mit wir formuliert) in seinen Mund gelegt wird, finden in Joh 4 von Anfang an die 1. und 2. Pers. Pl. Verwendung (vgl. S CHAPDICK, Weg, 209). Zudem lassen sich das ἀλλά (V.23) und der Wechsel der Verbzeiten (Präsens in V.22; Zukunft in V.23) nur erklären, wenn die gegenwärtige Situation, die von der Opposition Juden – Samaritaner geprägt ist, überwunden wird. Auch V.22b (ὅτι ἡ σωτηρία ἐκ τῶν Ἰουδαίων ἐστίν), der begründet, warum den Juden ein gewisses Wissen zugesprochen wird, verlöre seine Berechtigung im Kotext, wenn das „wir“ sich nicht auf die Juden bezöge. Weiter zu diesem Problem vgl. T HEOBALD, 323 (für den die Deutung je nach Textwachstumsstufe variiert); vgl. auch POTTERIE, Salut, 107–111 (der von verschiedenen Lektürestufen ausgeht, die sich ergänzen). 55 Vgl. O’D AY, 568.
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Heil aus ihnen ist. Das heisst, die richtige Erkenntnis Gottes ist aus Israel, weil Gott dieses Volk auserwählt und ihm seinen Heilswillen offenbart hat und immer wieder zu erkennen gibt. Wer Gott ist, wie er sich gegenüber den Menschen verhält und wie seine Verheissungen für die Zukunft aussehen, lässt sich in der Geschichte mit Israel und in seinen Worten zu diesem Volk erkennen, die in der Schrift niedergeschrieben wurden. Das Heil erwächst aus dieser Geschichte und wird sich in der Erfüllung der dort enthaltenen Verheissungen ereignen. Somit stellt sich Jesus in die Linie der jüdischen Schrift und Tradition, wobei sein Judesein nicht geleugnet ist, aber auch nicht im Vordergrund57 steht. V.23. Die Situation ändert sich jedoch radikal (vgl. die Einleitung mit ἀλλά58), weil eine neue Zeit anbricht. Die eschatologische Stunde (vgl. ἔρχεται ὥρα) wird nun gegenwärtig und eine neue Anbetung wird möglich, wobei Gott als Vater von wahren Anbetern59 verehrt wird (vgl. V.21). Abgesehen davon wird bei der Beschreibung der neuen Anbetung das Gewicht auf die Art und Weise gelegt: πνεύµατι καὶ ἀληθείᾳ. Dabei „geht es dem Evangelisten nicht um eine menschliche Gesinnung, Spiritualität oder ‚idealistische‘ Frömmigkeit; nach ihm ist Geist, in dem Anbetung zu geschehen hat, vielmehr Gabe Gottes, der Raum den er selbst dem ‚Anbetenden‘ bereitstellt.“60 Gott in Geist und Wahrheit anzubeten heisst, ihn als Vater im vom Gottesgeist gewirkten Glauben an Jesus (πνευµάτι), der die Wirklichkeit Gottes in der Welt (ἀληθείᾳ) offenbart, zu verehren.61 Die Anbetung der eschatologischen Stunde, die nun anbricht, ist hiermit christologisch bestimmt, weil sie „nur über die Person Jesu und ihr Heilswerk, das Heilswerk Gottes, denkbar ist“62, denn Jesus eröffnet eine neue Möglichkeit der Gottesbeziehung.
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Hier ist daran zu erinnern, dass das Heil, obwohl seine Herkunft bei den Juden zu suchen ist, nicht an der Grenze des Judentums aufhört, wie das Schlussbekenntnis der Samaritaner: „Jesus ist der σωτήρ der Welt“ (gleiche Wurzel wie σωτηρία) es zeigt. 57 Das Judesein Jesu wird im JohEv nur im Mund der Samaritanerin (nie beim Erzählerkommentar) festgestellt und dient vorrangig, die Opposition zwischen den zwei religiösen Gemeinschaften, die von der Frau und Jesus vertreten werden, hervorzuheben. 58 ἀλλά markiert den Gegensatz zur alten Situation, die einerseits durch eine Spaltung zwischen Juden und Samaritanern wegen des Kultortes (V.21) und andererseits durch die Unkenntnis der Samaritaner (V.23) gekennzeichnet war. Die Herkunft des Heils (von den Juden) wird nicht in Frage gestellt. 59 Zum Wechsel des Subjektes der Anbetung vgl. III.1.5.1.3/III.2.4.2. 60 T HEOBALD, 327. 61 „Wegen dieses einzigartigen personalen Bezuges darf ἀλήθεια auch nicht im abstrakten Sinne ‚wahrer Gotteserkenntnis‘ verstanden und dementsprechend zwischen einer προσκύνησις κατὰ ἀλήθειαν und einer Anbetung κατὰ πλάνην unterscheiden werden“ (THYEN, 262). Zur πνευµάτι καὶ ἀληθείᾳ vgl. P OTTERIE, Vérité II, 673–706. 62 SCHAPDICK, Weg, 223.
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Die neue Anbetung und das Kommen der Stunde sind nicht von Menschen herbeigeführt, sondern von Gott, denn (vgl. γάρ) er sucht solche Anbeter. Die sich eröffnende neue Wirklichkeit entspricht einzig dem Willen Gottes, der den Menschen liebt63 und deswegen die Initiative übernimmt, so dass die Anbetenden zunächst nur Objekt seiner gnadenvollen Suche und also passiv sind. „Zu Gott und seinem himmlischen Reich hat der irdische Mensch von sich aus keinen Zugang (vgl. 3, 31); auch zum wirksamen Gebet muss er durch Gott ermächtigt werden, mit seinem Geist erfüllt werden.“64 V.24 vertieft die Argumentation. „Ähnlich wie die Sätze: ὁ θεὸς φῶς ἐστιν (1Joh 1,5), und ὁ θεὸς ἀγάπη ἐστίν (1Joh 4,16) hat auch die Wendung: πνεῦµα ὁ θεός, definitorischen Charakter. Definiert wird damit freilich nicht jeweils ein abstraktes ‚Wesen‘ Gottes, sondern seine verlässliche Relation zu den Menschen und seine Gabe von Geist, Licht und Liebe an sie“.65 Die Anbetung der eschatologischen Stunde wird somit dadurch ermöglicht, dass Gott Geist ist, d.h. sich als glaubens- und lebenswirkende Kraft offenbart (vgl. das Bild des Wassers in V.13–14). Die menschliche Antwort darauf soll diesem entsprechen und ist nur dann legitim (vgl. δεῖ), wenn sie ἐν πνεύµατι καὶ ἀληθείᾳ geschieht. V.25. Obwohl die Frau für den tieferen Sinn der Worte Jesu verschlossen ist, knüpft ihre Antwort an seine Aussagen an: Gegen seine Kritik „ihr kennt nicht“ behauptet sie ihr Wissen (οἶδα) und zugleich nimmt sie den eschatologischen Charakter der von Jesus angekündigten Stunde wahr und formuliert ihre eigene66 religiöse Erwartung diesbezüglich: Der Messias kommt, der alles kundtun wird. „La réaction de la Samaritaine [...] est à la fois adéquate et inadéquate. Adéquate en ce qu’elle met en relation l’annonce de Jésus avec la venue du messie. Pour elle, ‚l’heure‘ de la pleine révélation de Dieu est inséparable de l’espérance messianique. Inadéquate en ce que, pour elle, l’heure décisive n’est pas encore arrivée“.67 V.26. Darauf reagiert Jesus mit einer Selbstoffenbarung, die den Höhepunkt des Dialogs bildet. Das Ich-bin-Wort ist formal betrachtet ohne Prädikat. Der Leser ergänzt jedoch ohne Schwierigkeiten die Lücke anhand des Kotextes: Ich bin es, der Messias. „Aber im Sinne des Evangelisten dürfte auch schon die absolute Redeweise anklingen, mit der Jesus sein göttliches Wesen enthüllt (vgl. 6,20; 8,24.28.58; 13,19).“68 Jesus ergänzt 63
Mit LÉON-D UFOUR, 374, ist zu betonen, dass „dans son registre propre, la phrase [= Dieu cherche] rejoint l’affirmation que ‚Dieu aime le monde‘ (3,16).“ 64 SCHNACKENBURG I, 471. 65 T HYEN, 263. 66 Die Samaritanerin formuliert eine jüdische Erwartung und nicht eine samaritanische, genau wie in V.19. Vgl. III.2.1. 67 Z UMSTEIN, Surprise, 333–334. 68 SCHNACKENBURG I, 476.
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aber die Offenbarungsformel mit einer Apposition: ὁ λαλῶν σοι. Seine Identität hängt also damit zusammen, wie und was er sagt. Es geht aber 69 nicht primär um eine allgemeingültige Offenbarungsrede , sondern um ein Gespräch mit ihr (vgl. σοι). In der persönlichen Begegnung mit Jesus lässt sich erkennen, dass Gott in und durch ihn gegenwärtig wird. Hierdurch bilden die letzten Worte Jesu und der Anfang des Dialogs eine Klammer (vgl. V.10: Wenn du den kennen würdest, der dir sagt...), so dass das Gespräch sein Ziel erreicht. 1.3.4 Überleitung (V.27–30) 27. Und überdies kamen seine Jünger und staunten, dass er mit einer Frau sprach. Keiner freilich sagte: „Was suchst du?“, oder: „Was70 sprichst du mit ihr?“ 28. Nun verliess die Frau ihren Wasserkrug und ging in die Stadt und sagt allen Menschen: 29. „Auf, seht den Menschen, der mir alles sagte, was ich getan habe, ist dieser etwa71 der Christus?“ 30. Sie gingen aus der Stadt hinaus und kamen zu ihm. V.27–30 bilden ein Zwischenstück, das die Begegnung zwischen der Frau und Jesus abschliesst, den Dialog mit seinen Jüngern einleitet und die glaubende Annahme Jesu in Sychar vorbereitet. Interessanterweise sind alle Protagonisten ausser Jesus unterwegs: Die Jünger kommen am Brunnen an, während die Frau zur Stadt geht und die Dorfbewohner sich auf den Weg machen. V.27. Die Jünger kommen von der Stadt zurück und sind erstaunt, dass Jesus sich mit einer Samaritanerin unterhält, wobei sie sich darüber wundern, dass er allein mit einer Frau spricht, anders als bei der Samaritanerin, die eher über das Nichteinhalten des religiösen Kodexes staunte72. Im Gegensatz zu ihr trauen sich aber die Jünger nicht, Jesus anzusprechen und fragen weder nach dem von Jesus verfolgten Ziel (τί ζητεῖς73) noch nach 69
In diesem Sinn wird die messianische Erwartung der Frau relativiert. Der Messias ist zwar derjenige, der alles kundtun wird, jedoch nicht im üblichen Sinn: Er offenbart keine neue allgemeingültige Wahrheit. Die Wahrheit, die er bringt, wird jedem einzelnen zugesprochen und berührt die eigene persönliche Situation (so auch die V.16–19). Die Wahrheit ereignet sich in der Begegnung mit Gott, der in der Person Jesu präsent ist. 70 τί kann „warum“ oder „was“ bedeuten. Mit LÉON-D UFOUR, 379, wird die Lösung vorgezogen, die hier zwei verschiedene Fragen sieht. 71 µήτι zeigt, dass eher eine negative Antwort erwartet wird. 72 Ob der geschlechtliche oder der religiöse Gegensatz im Vordergrund steht, sollte nicht überbetont werden. Beide Aspekte sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, denn es handelt sich eher um eine Nuance: In beiden Fällen wird auf das Ungewöhnliche des Gesprächs aufmerksam gemacht. 73 Hier wird nicht zufällig das gleiche Verb wie im V.23 (Gott sucht solche Anbeter) gebraucht. „Während den Jüngern nicht klar wird, was Jesus im Gespräch mit der Frau
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III. Johannes 4
dem Thema des Dialogs (τί λαλεῖς µετ’αὐτῆς). Die Frage, was Jesus durch seine Begegnung mit der Frau suche, wird dennoch indirekt in V.31– 34 beantwortet. V.28–29. Die Frau geht fort aber lässt dabei ihren Krug beim Brunnen liegen,74 was ihre Eile, das Dorf zu erreichen, herausstreicht75. Zudem zeichnet sich in dieser Geste eine Veränderung ihrer Haltung ab: Das Wasserschöpfen, welches das Ziel ihres Kommens an den Brunnen (V.7) und das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit (V.15) war, ist angesichts der Verheissung des Lebenswassers76 und der Begegnung mit Jesus sekundär geworden. Die Frau hat eine grosse Entwicklung durchgemacht: „la femme ne confesse sans doute pas sa foi, mais son empressement à alerter les gens de 77 la ville montre qu’elle a entrevu la dignité de Jésus.“ In der Stadt fordert sie die Dorfbewohner auf, zu Jesus zu gehen, indem sie von ihrem Gespräch erzählt. Das Gewicht liegt auf dem besonderen Wissen Jesu über ihre Lebensgeschichte. Sie fragt hoffnungsvoll, ohne jedoch daran ganz glauben zu können,78 ob Jesus nicht der Christus wäre. eigentlich sucht, m. a. W., was das Gespräch überhaupt soll, kennt der Leser oder Hörer natürlich schon Jesu Motive. Er sucht der Frau die Gottesoffenbarung zu vermitteln. Jesu Suchen ist das Durchführen seines Offenbarungsauftrags (= das Suchen Gottes)“ (SCHAPDICK, Weg, 254). Vgl. Joh 1,38. 74 Diese Zwischenbemerkung über das Stehenlassen des Kruges führte zu zahlreichen Interpretationen (vgl. T HYEN, 271–272). Während einige sich sinnvollerweise ergänzen können (vgl. die Interpretation des Fliesstextes), sind hingegen andere problematisch, denn sie werden von keinen anderen Elementen des Textes gestützt. Vgl. z.B. L INK, Was, 297: Die Samaritanerin sei das „weibliche Pendant“ zu den Jüngern, die nach den synoptischen Berufungserzählungen (z.B. Mt 4,19–22; 9,9), alles liegen lassen um Jesus zu folgen. (Ähnlich bei Z ANGENBERG, Christentum, 171.) Vgl. auch B ARRETT, 257: Die Frau lasse „den Wassertopf zurück, wahrscheinlich, damit Jesus daraus trinken – und dabei sich verunreinigen würde.“ 75 Das Zurücklassen des Kruges wird in dieser Weise von SCHNACKENBURG I, 478; B AUER, 72; SCHNELLE, 105; B ECKER I, 211, interpretiert. 76 Der Krug ist ein Zeichen für das Wasserschöpfen und weist damit auf den ersten Dialogteil hin. Jesus hatte ihr lebendiges Wasser verheissen, ein Wasser, das den Durst endgültig löscht. „Abandonnée, la cruche dit, sans paroles, que la Samaritaine compte désormais uniquement sur la promesse de Jésus“ (L ÉON-D UFOUR, 378). Vgl. auch O’D AY, 569; B ROWN I, 173. 77 L ÉON-D UFOUR, 377. 78 Es gibt scheinbar eine Spannung im Text. Die Frage mit µήτι (d.h. eine negative Antwort wird erwartet) lässt vermuten, dass die Frau nicht zum Glauben gelangt ist. Angesichts des Zurücklassens des Kruges, ihres Eifers bei der Verkündigung und des Erfolgs ihrer Worte scheint aber genau das Gegenteil richtig zu sein. Zur hier vorgeschlagenen Lösung vgl. LEE, Symbolic Narratives, 86, gefolgt u.a. von T HYEN, 272. Möglicherweise wird die Frage auch indirekt an den Leser adressiert (dazu vgl. III.1.4.2 und IV.1.6.1). Zum Problem dieses „Bekenntnisses mit µήτι“ vgl. SCHAPDICK, Weg, 257–259; M OSER, Samaritanerin, 33–38.
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V.30. Die Leute verlassen die Stadt, um Jesus zu begegnen. Dieses Sich-auf-den-Weg-Machen wird in V.39 als Glaube bezeichnet. 1.3.5 Jesus mit seinen Jüngern (V.31–38) 1.3.5.1 Die Nahrung Jesu (V.31–34)
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31. Mittlerweile baten ihn seine Jünger, indem sie sagten: „Rabbi, iss!“ 32. Er aber sagte ihnen: „Ich habe eine Speise80 zu essen, die ihr nicht kennt.“ 33. Nun sagten die Jünger zueinander: „Hat ihm etwa81 jemand zu Essen 82 gebracht?“ 34. Jesus sagte ihnen: „Meine Speise ist, dass ich den Willen desjenigen tue, der mich gesandt hat und sein Werk vollende.“ V.31–33 bereiten die Erläuterung Jesu über sein Essen vor (V.34), wobei er in einer symbolischen Sprache erklärt, wovon und wofür er lebt. V.31. Die Jünger eröffnen ein Gespräch mit Jesus, indem sie ihm etwas von dem aus der Stadt (vgl. V.8) mitgebrachten Essen anbieten. V.32. Jesus lehnt es ab, denn er hat andere Speise zu essen und legt zugleich ihre Unkenntnis dies betreffend offen. V.33. Seine Jünger, die in einem materiellen Verständnis der Nahrung gefangen bleiben, missverstehen seine Worte und fragen sich deswegen untereinander, obwohl sie es selbst für unwahrscheinlich halten (vgl. µή), ob jemand ihm vielleicht schon etwas zum Essen gebracht hat. V.34. Obwohl die Frage nicht an ihn direkt gestellt war, antwortet Jesus und erklärt anhand des Bildes der Speise, den Sinn seines Lebens. Er lebt davon und dafür, dass er τὸ θέληµα τοῦ πέµψαντος αὐτόν tut. Seine Lebenskraft bekommt er aus der Einheit mit demjenigen, der ihn gesandt hat, die in der vollkommenen Einheit des Willens, in anderen Worten im vollkommenen Gehorsam des Sohns seinem Vater gegenüber,83 ihren Ausdruck findet. Inhaltlich lässt sich „der Wille Gottes“ näher bestimmen, denn er wird in 5,30 und 6,38–40 expliziert: Es handelt sich um den Heilswillen Gottes, der das Leben durch den Glauben an seinen Sohn schenken will.84 „Die zweite Wendung καὶ τελειώσω αὐτοῦ τὸ ἔργον scheint diesen Gedanken nur zu variieren, vielleicht um noch stärker die 79
Diese Verse sind parallel zu V.7–15 zu lesen. Vgl. III.1.5.1.4. In V.32 wird βρῶσις benutzt, in V.34 steht hingegen βρῶµα. Wahrscheinlich werden die beiden Begriffe hier als Synonyme gebraucht. 81 µή zeigt, dass eher eine negative Antwort erwartet wird. 82 „Der Gebrauch von ἵνα und dem Konjunktiv, ohne finale Bedeutung, der nun im Griechischen üblich geworden ist, kommt bereits in Joh vor“ (B ARRETT, 258). 83 Vgl. L INDARS, 194. 84 C UVILLIER (Disciples, 250) sieht deswegen in dem Willen Gottes einen Missionsauftrag: Der Wille Gottes besteht darin, Jünger zu machen, „c’est à dire, dans le contexte du chapitre 4, amener les Samaritains à croire en lui.“ 80
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III. Johannes 4
sich bis zum Ende durchhaltende Erfüllung des göttlichen Erlösungsauf85 trags auszudrücken (vgl. 17,4; 19,3).“ 1.3.5.2 Metaphern aus dem Feldarbeit (V.35–38) 35. „Sagt ihr nicht: ‚Es sind noch vier Monate und die Ernte kommt?‘ Siehe, ich sage euch, erhebt eure Augen und schaut auf die Felder: Sie sind schon86 weiss zur Ernte. 36. Der Erntende bekommt einen Lohn und er sammelt die Früchte zu ewigem Leben, damit der Säende und der Erntende sich gemeinsam freuen. 37. In diesem nämlich ist das Wort wahr: Einer ist der Säende und ein anderer der Erntende. 38. Ich habe euch gesandt zu ernten, wofür ihr euch nicht abgemüht habt; andere haben sich bemüht, und ihr seid in ihre Mühe eingetreten.“ V.35. Jesus leitet ein neues Thema87 ein, wobei er seine Jünger einlädt, ihre Wahrnehmung der Situation zu revidieren. Während sie nach ihren eigenen Worten noch auf die Ernte warten, fordert Jesus sie auf, ihre Augen zu erheben88, um zu sehen, dass die Felder schon weiss89 sind. Er benutzt hier natürlich eine Bildsprache, bei der θερισµός auf die eschatologische Zeit verweist. „Dans la Bible, l’image de la moisson est traditionelle pour signifier le rassemblement des hommes à la fin des temps sous l’aspect soit du jugement, soit de la joie.“90 Dabei evoziert die Ernte eine Zeit der Freude91, die schon längst (seit dem Säen) erwartet wird, oder das Gericht, da die 85
SCHNACKENBURG I, 481. Obwohl der Heilswille Gottes gerade am Kreuz seinen vollendeten Ausdruck findet und dies auch angetönt wird, ist hier m.E. die Perspektive nicht kreuzestheologisch, sondern der Akzent liegt auf dem Heil, das durch das Gesamtwirken Jesu zur Wirklichkeit wird (gegen SCHAPDICK, Weg, 267). 86 Die Interpunktion ist unklar. ἤδη kann zu V.35 (Die Felder sind schon weiss) oder zu V.36 (Schon kommt der Erntende …) gehören. In beiden Fällen zielt der Text darauf ab, zu zeigen, dass die Zeit der Ernte am Anbrechen ist. 87 Obschon es einen tiefen inneren Zusammenhang mit dem Vorherigen gibt (vgl. III.1.5.1.5), zeigt der Gebrauch eines neuen metaphorischen Wortfeldes, dass Jesus ein neues Thema einführt. 88 THEOBALD, 334: „Die Redewendung ‚erhebt eure Augen‘ stammt aus dem Alten Testament (Gen 13,14; Jes 60,4; Sach 5,5; vgl. auch Gen 13,10; 2 Sam 18,24; 1 Chr 21,16; Sach 2,1.5; 5,1; 6,1), wo sie in der Regel die Funktion besitzt, auf eine von Gott eröffnete oder vom Menschen visionär geschaute neue Wirklichkeit aufmerksam zu machen.“ 89 „L’adjectif λευκός (‚blanc‘, ‚brillant‘) signifie que les épis, de verts qu’ils étaient, sont devenus quasiment blancs (ou jaunes or) et sont donc mûrs pour la moisson. Si le sens premier s’impose ici, le lecteur se rappellera que cet adjectif, dans le NT, intervient quasiment exclusivement dans des contextes eschatologiques et apocalyptiques (la transfiguration, Pâques, etc. …)“ (ZUMSTEIN, Surprise, 336 FN 43). 90 L ÉON-D UFOUR, 385. 91 Vgl. Jes 9,2; Ps 126,5–6.
1. Textanalyse von Joh 4
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Ernte auch die Zeit der Bilanz ist, wo klar wird, ob die Arbeit die erwünschten Früchte trägt. Zudem schwingt das Bild der Sammlung (der 92 Früchte als die Verlorenen Israels) mit. Das hier entfaltete Bild der Ernte 93 lässt sich also nicht auf einen Punkt reduzieren . Jesus bittet seine Jünger, „die Wirklichkeit mit ganz neuen Augen anzuschauen: ihr meint in eurem religiösen Bescheidwissen, die Ernte – das Weltgericht bzw. die Vollendung der Zeit – stünde noch aus. In Wahrheit sind die Felder – wenn ihr sie nur recht zu ‚betrachten‘ wisst [...] bereits ‚weiss zur Ernte‘.“94 Mit anderen Worten sollen die Jünger wahrnehmen, dass die ihrer Ansicht nach noch ausstehende eschatologische Zeit95 nun durch das Kommen Jesu schon gegenwärtig ist. V.36 qualifiziert diese anbrechende Endzeit und bedient sich hierfür weiter aus dem Metaphernnetz um die Ernte, wobei die Bildsprache ihre Offenheit behält, so dass die verschiedenen Elemente sich unterschiedlich interpretieren lassen. Das Einsammeln der Früchte kann sich z.B. sowohl auf die Sammlung der Gläubigen beziehen, „d. h. die Frucht repräsentiert diejenigen, die sich zum christlichen Glauben bekehrt haben (in erster Linie die Samaritaner), die ewiges Leben empfangen werden“96, als auch µισθός explizieren (καί epexegeticum97): Der Lohn, der empfangen wird, besteht in den Früchten zum ewigen Leben. Bei aller Offenheit herrscht bei der Beschreibung dieser Erntezeit eindeutig Freude vor (vgl. den Lohn, den reichen Ertrag und die gemeinsame Freude des Säenden und des Erntenden). V.37. Um die Positivität der „Ernte“ noch mehr herauszustreichen, verweist Jesus auf ein weiteres Sprichwort: Einer ist der Erntende, ein anderer
92
Vgl. T HYEN, 274: „Denn zur eschatologischen ‚Ernte‘ gehört zuerst die Sammlung der Zerstreuten und die Versöhnung der Verfeindeten des Gottesvolks, und das heisst vornehmlich: die Heilung des Bruchs zwischen Ephraïm (Israel) und Juda (vgl. Ez 37,16ff; Jer 31,17–20; Sach 10,6f).“ Vgl. auch S CHNACKENBURG I, 482. 93 Es entstehen grosse Schwierigkeiten, wenn eine Entsprechung für jedes Element des Bildes gesucht wird. So kann z.B. nicht befriedigend beantwortet werden, wer der Säende und der Erntende in V.36–37 oder wer die anderen in V.38 sind. Man gerät fast unvermeidlich in einer Sackgasse, wenn eine vorgeschlagene Entsprechung (z.B. Jesus ist der Säende) für den gesamten Teil 35–38 gelten soll. 94 T HEOBALD, Ernte, 97. 95 Obschon die Zeit der Ernte mit derjenigen der Mission (vgl. V.39) identisch ist und die glaubenden Annahme Jesu durch die Samaritaner als Illustration dafür dient, es ist m.E. fragwürdig, das Erheben der Augen auf die Samaritaner zu beziehen, die aus der Stadt kommen, statt sie als Teil der Bildsprache zu verstehen (gegen THEOBALD, 335; O’D AY, 570; W ENGST I, 172; SCHNACKENBURG I, 482.483; T HYEN, 274; N G, Water, 127). 96 B ARRETT, 259. 97 Vgl. BDR § 442,6
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III. Johannes 4 98
der Säende. Auch wenn der Unterschied zwischen den zwei Feldarbeitern aufrecht erhalten bleibt, ersetzt die gemeinsame Freude die im Sprichwort angeklungene Ungerechtigkeit, die darin besteht, dass wer sich abgemüht hat, nicht den Ertrag seiner Arbeit geniessen kann. „Durchweg haftet an der Einsicht, dass die Menschen die Ernte der eigenen Lebensarbeit oft gar nicht selbst einbringen können, sie vielmehr anderen überlassen müssen, ein resignativer Ton“.99 Das Sprichwort behält seine Bedeutung in dem 100 Sinn (vgl. ἐν γὰρ τούτῳ ), dass der Erntende und der Säende nicht immer die gleiche Person sind. Sein pessimistischer Unterton wird mit dem Kommen Jesu hinfällig101, denn die gemeinsame Freude überwiegt nun. Das Festhalten am Unterschied zwischen Erntenden und Säenden ermöglicht eine Überleitung zu einer anderen Problematik, die für die als Endzeit qualifizierte Gegenwart von grosser Bedeutung ist: die Mission. Da die Metapher aus der Feldarbeit sich auch sehr gut eignet, um die Missionsarbeit zu beschreiben, erleichtert dies den Übergang.
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Die Frage, wer der Erntende und der Säende ist, kann m.E. nicht beantwortet werden und ist für die hier vertretene Interpretation, die auf die gemeinsame Freude das Gewicht legt, auch nicht relevant. Exemplarisch werden einige Vorschläge, wer der Säende und der Erntende sei, angeführt: Exegeten
Der Säende ist...
Der Erntende ist (bzw. die Erntenden sind)...
SCHNACKENBURG I, 485 SCHAPDICK, Weg, 289
der Vater
Jesus
SCHNELLE, 106
Jesus
die joh Missionare
T HYEN, 275–276 B OERS, Mountain, 92
die Samaritanerin
Jesus
L ÉON-D UFOUR, 386.388
Jesus
Jesus und dann seine Jünger
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T HEOBALD, 336–337. ἐν γὰρ τούτῳ wird von VAN DER W ATT (Family, 100) in eine andere Richtung interpretiert: „It [= V. 37] is a remark indicating a truth, which applies equally to the literal and the figurative realities. The implication of using such a remark is that there are definite analogies between the physical and figurative realities of harvesting. […] ἐν γὰρ τούτῳ most probably refers to this specific situation which Jesus is referring to and does not represent a general truth.“ 101 Das Gewicht liegt auf der neuen Interpretation des Sprichwortes. Gegen SCHAPDICK (Weg, 288), der darauf insistiert, dass die Differenz zwischen Säendem (Gott) und Erntendem (Jesus) erhalten bleibt. Wie T HYEN, 275, es bemerkt: „eine derart schiedlich-friedliche Aufteilung des Erlösungswerkes auf den ‚Vater‘ und den ‚Sohn‘ lässt unser Evangelium schwerlich zu.“ 100
1. Textanalyse von Joh 4
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V.38. Da zur eschatologischen Stunde, die im Kommen Jesu anbricht, wesentlich auch die Sendung seiner Jünger als Feldarbeiter gehört, vertieft Jesus die Reflexion, wobei er die konkreten Missionserfahrungen seiner Jünger nach Ostern thematisiert102. Das Gewicht liegt aber darauf, dass die Jünger ernten, wofür andere sich abgemüht haben. Wer sind aber diese ἄλλοι? M.E. lässt sich die Frage nicht mit Sicherheit beantworten103. Geht man davon aus, dass die Reflexion auf einer theologischen Ebene weiter geführt wird, ist es möglich, die ἄλλοι als Gott und Jesus zu bestimmen. „L’œuvre de révélation qui a été accomplie par Jésus (v. 34) est la condition de possibilité de leur [= des disciples] propre travail missionnaire. Ils sont intégrés à un projet où ils ont tout d’abord un statut de bénéficiaires (ils moissonnent !). En tant qu’envoyés, il leur est fait don de ce qu’ils ont à accomplir.“104 Die Sendung zur Erntearbeit, zur Sammlung der Gläubigen, fügt sich in die Kontinuität zur Sendung Jesu ein. Andererseits ist es nicht unwahrscheinlich, dass die konkrete Missionssituation der joh Gemeinde die Worte Jesu mitprägt.105 An verschiedenen Orten knüpften Missionare an die Verkündigungsarbeit anderer an, was womöglich Konflikte verursachte (vgl. z.B. 1 Kor 3,5–8, mit einer ähnlichen Bildsprache). So betrachtet steht hinter V.35–38 eine paränetische Absicht: Lasst die Konflikte beiseite, wichtig ist die gemeinsame Freude am Erfolg der Verkündigung. Ob hier sogar auf konkrete Missionserfahrungen bzw. -schwierigkeiten der joh Gemeinde in Samaria angespielt wird, kann nicht ausgeschlossen werden, lässt sich aber auch nicht verifizieren. 1.3.6 Der Glaube in Samaria (V.39–42) 39. Aus jener Stadt aber glaubten viele von den Samaritanern an ihn wegen des Wortes der Frau, die bezeugte: „Er sagte mir alles, was ich getan ha102
Der Tempus von ἀποστέλλω (Aorist) weist m.E. darauf hin „that we must place ourselves in the post-resurrectional outlook of the evangelist“ (B ROWN I, 183). Mehr Informationen über diesen Aorist und andere Interpretationsvorschläge befinden sich bei T HYEN, 278–279; T HEOBALD, Ernte, 103–104. 103 Neben den oben entfalteten Möglichkeiten haben andere Interpretationen eine gewisse Legitimität. Sie müssen sich auch nicht unbedingt ausschliessen, denn je nach dem in welchem Zusammenhang man V.38 versteht, gewinnen andere Hypothesen an Plausibilität (vgl. L INK, Was, 313): Innerhalb von Joh 4 bereiten die Samaritanerin (und Jesus) die Begegnung zwischen den Samaritanern und den Jüngern vor; im Kotext von Joh 3 und 4 bereitet Joh der Täufer (mit seinen Schülern) den Weg Jesu (und seiner Schüler); im Bezug auf das Gesamtevangelium haben schon die Propheten und Mose (bzw. die Schrift) von Jesus gezeugt (vgl. 1,45; 5,39.46–47). 104 Z UMSTEIN I, 162. 105 Wie an anderen Stellen in JohEv werden Erfahrungen der Gemeinde in die Zeit Jesu rückprojiziert. Vgl. z.B die Auseinandersetzungen zwischen der joh Gemeinde und der Synagoge, insbesondere den Ausschluss aus den Synagogen in 9,22; 12,42; 16,2.
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III. Johannes 4
be.“ 40. Als nun die Samaritaner zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben; und er blieb zwei Tage dort. 41. Und noch viele mehr glaubten wegen seines Wortes. 42. Sie sagten zur Frau: „Nicht mehr wegen deiner Rede106 glauben wir, denn wir haben selbst gehört und wissen: Dieser ist wahrhaftig der Retter der Welt.“ V.39–42 schliessen die Perikope ab, indem sie den Missionserfolg in Samaria dank des Zeugnisses der Frau (thematische Nähe zu V.36–38 und Anknüpfung an V.28–29) erzählen. Die Samaritaner, die aufgrund ihrer Worte einen aufkeimenden Glauben haben107, kommen nun zu Jesus und bitten ihn, zwei Tage bei ihnen zu bleiben. „Jetzt führt die unmittelbare Begegnung mit ihm zu einer qualitativen und quantitativen Intensivierung des schon entstanden Glaubens“108, wobei keine Abwertung des Zeugnisses der Frau vorliegt109: „This is the model of witness and faith in the fourth Gospel: The witness that leads to Jesus is replaced by one’s own experience of Jesus“110 (vgl. Joh 1,35–51). Dieses Glaubenswachstum wird nochmals im Mund der Samaritaner wiederholt und gipfelt schliesslich in dem Bekenntnis: ὅτι οὗτός ἐστιν ἀληθῶς ὁ σωτὴρ τοῦ κόσµου. Mit diesem Titel111, der an V.22 (σωτερία) erinnert, wird die Universalität des Heilsangebots betont: „Salvation may be from the jews (v. 22b), but it is not limited to the jews.“112 Damit wird die Klimax der Erzählung erreicht, denn die soteriologische Bedeutung der Begegnung mit Jesus wird erkannt. Zudem wird der Leser, der den Glaubensweg der Samaritanerin mitgeht, eingeladen, das Bekenntnis mitzusprechen, weil auch er die Lebensgabe Gottes bekommt und zu einem neuen Anbeter werden kann.
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λαλιά ist nicht geringschätzig gebraucht, wie die Bezeichnung der Worte der Frau mit λόγoς in V.39 zeigen. 107 Der Aorist kann als ingressiver Aorist (sie kamen zum Glauben) oder als punktueller Aorist (sie glaubten) verstanden werden. 108 T HEOBALD, 340. 109 Dagegen findet S CHAPDICK (Weg, 307) das Zeugnis der Frau inhaltlich zweifelhaft, denn sie bezieht sich auf das Wunderwissen Jesu (mittlerer Teil des Dialogs) und nimmt nicht „die eigene eschatologische Qualität der Person Jesu als Gottesoffenbarung zum Heil des Menschen“ wahr (Gesamtdialog). 110 O’D AY, 570. Vgl. auch B ULTMANN, 148: „[D]er vermittelnde Bote ist von entscheidender Bedeutung, denn er führt ja die Anderen zu Jesus; aber eben damit erledigt er sich selbst, und der Hörer-‚zweiter Hand‘ wird zum Hörer-‚erster Hand‘.“ 111 Zum Titel „Retter der Welt“ vgl. SCHAPDICK, Weg, 312–313; JUNG, ΣΩΤΗΡ, insbesondere 293–309. 112 O’D AY, 570.
1. Textanalyse von Joh 4
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1.4 Reflexion über die dialogische Form Joh 4 besteht fast ausschliesslich aus Redeteilen, die narrativen Teile sind kurz und dienen hauptsächlich dazu, die Situation der Dialoge zu beschreiben. Die zahlreichen Verben, die das „Kommen und Gehen“ der verschiedenen Protagonisten schildern (ἀφίηµι, ἀπέρχοµαι, διέρχοµαι, ἔρχοµαι, καθέζοµαι, ἐξέρχοµαι), ermöglichen lediglich die verschiedenen Begegnungen in eine sinnvolle Erzähllogik einzubetten. Die Verba dicendi (λέγω, ἀποκρίνοµαι, ἐρωτάω) übernehmen eine ähnliche Funktion: Sie dienen als Regieanweisung, indem sie den Wechsel der Gesprächspartner markieren. 1.4.1 Charakterisierung der Figuren Aufgrund des dialogischen Charakters der Erzählung werden die Figuren hauptsächlich durch ihre Worte (also nicht durch ihre Handlungen) gekennzeichnet: Wie und was jemand sagt, zeigt, wer er ist. Dass die Worte der Figuren für ihre Charakterisierung sehr wichtig sind, zeigt sich auch daran, dass ihr „Sprechen“ innerhalb des Dialogs explizit wiedergegeben oder/und kommentiert wird (vgl. V.9.17.18.21.26.27.35.42). In seinen Worten unterscheidet sich Jesus von den anderen Figuren durch seine Kompetenz und seine Autorität. Seine Überlegenheit zeigt sich hauptsächlich in den vergleichsweise langen Redeteilen, in denen er eine lehrende Rolle übernimmt (Aufklärung von Missverständnissen, Erläuterung von religiösen Fragen). Zudem ist er berechtigt, über das Wissen (bzw. Unwissen) seiner Gesprächspartner zu urteilen. Seine Autorität ist darüber hinaus auch in den zahlreichen Imperativen113, die seinen Worten einen besonderen Akzent verleihen, sichtbar. Innerhalb der Erzählwelt verursacht nicht nur der Inhalt seiner Worte, sondern auch mit wem und wie er spricht, Erstaunen und Fragen (vgl. V.9 und V.27), denn er lässt sich nicht von sozialen oder religiösen Schranken aufhalten. Wie er in den Dialog tritt, zeigt, wer er ist, selbst wenn er meistens seine Identität auch in seinen Worten enthüllt und selbst darauf aufmerksam macht (vgl. V.10.26)114. Was er gegenüber der Frau sagt, gibt Hinweise auf seine Person, wie auch ihr Zeugnis zu den Samaritanern „er hat mir gesagt, alles 113
Während Jesus fünf Imperative an die Frau (gib V.7; geh, ruf und komm V.16; glaube V.21) und drei an seine Jüngern (siehe, erhebt eure Augen, schaut die Felder V.35) richtet, werden nur zwei Imperative zu ihm gesprochen: „Herr, gib mir dieses Wasser“ (V.15) und „Rabbi, iss“ (V.31), wobei in beiden Fällen die Imperative zeigen, dass die Redenden Jesus missverstehen. 114 Die Frage und die Offenbarungsworte Jesu, die seine Identität und seine Dialogtätigkeit verbinden, umrahmen den Dialog mit der Samaritanerin. Aufgrund dieser Inklusion und seiner Einbettung in die ersten ἐγώ-εἰµί-Worte des Evangeliums darf dieser Aspekt nicht unterschätzt werden.
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III. Johannes 4
was ich getan habe“ [V.29.39] deutlich macht. Jesus wird somit in seinen eigenen wie in den Worten seiner Gesprächspartnerin geschildert als derjenige, der „alles kundtut“. Es ist kein Zufall, dass in V.25 diese Qualität (ἀναγγελεῖ ἡµῖν ἅπαντα) dem Messias zugesprochen wird115. Jesus erfüllt aber nicht eins zu eins diese messianische Erwartung, sie wird nämlich leicht uminterpretiert: Sein Kundtun betrifft nicht nur allgemeingültiges Wissen über Gott und religiöse Themen, sondern ereignet sich in der persönlichen Begegnung, wie seine Enthüllung der Lebenssituation der Frau es zeigt. Die Worte der Samaritanerin zeichnen sich durch ihre zahlreichen Fragen aus (mehr als die Hälfte ihrer Wortmeldungen an Jesus: V.9.11.12.20). Auch ihr Zeugnis zu den Dorfbewohnern (V.29) besteht aus einer Frage. Dabei werden stets religiöse Themen berührt: das Nichtverkehren zwischen Juden und Samaritanern, ein Vergleich zwischen der Gabe Jesu und derjenigen Jakobs, der Ort der Anbetung, die Messianität Jesu. Auch wenn die Samaritanerin dadurch ihre Unsicherheit in Bezug auf die religiöse Problematik eingesteht, zeigen sich darin zugleich ihr Interesse und ihre Offenheit: „The woman’s behavior stands in marked contrast to many characters in the Fourth Gospel who will insist on their own certitudes (e.g. Nikodemus, 3:9; the crowds, 6:25–34; the Pharisees, 9:24–34) and hence close themselves to what Jesus offers.“116 Auch die Jünger lassen sich dank ihrer Kommunikationshaltung charakterisieren, wobei der Kontrast zwischen ihnen und der Samaritanerin auffällig ist. Während sie ihre Fragen immer wieder ausspricht, trauen sich die Jünger nicht, Jesus direkt zu fragen: Entweder schweigen sie (V.27) oder sie sprechen zueinander (V.33). Ihr einziges an Jesus gerichtetes Wort ist ein Imperativ („Rabbi, iss!“ [V.31]), das nach Jesu Urteil ihre Unkenntnis offen legt („ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt“ [V.32]). Sicherlich wird durch ihr Schweigen auch ihr Unverständnis unterstrichen und der hervorstechende Unterschied zu der Frau lässt sie eher in einem schlechten Licht erscheinen,117 obschon ihre Reaktion in keiner Weise explizit kritisiert oder verurteilt wird. Da der Text keine Erklärung für die erstaunliche Haltung der Jünger angibt, entsteht in der Erzählung eine Leerstelle118. M.E. dient diese Erzähllücke dazu, den Rezipienten zu einer 115
Mit SCHOLTISSEK (Ironie, 244) ist zu betonen, dass sich Jesus auch über die Begegnung in Joh 4 hinausgehend als derjenige erweist, der alles kundtut, als derjenige, der „alles, was er von seinem Vater gehört hat“ weitergibt (vgl. 15,14–15; 3,11–12.32; 8,40; 18,20). 116 O’D AY, 569. 117 Vgl. F ARELLY, Disciples, 40. 118 Diese ziemlich frei zu ergänzende Lücke in der Erzählung führt in der Forschung zu sehr abweichenden Erklärungen für das Verhalten der Jünger. Vgl. C UVILLIER, Disciples, 257–258. Für ihn dient der Vergleich als Warnung an die Leser: „L’auditeur chrétien
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Reflexion anzuregen. Angesichts des Vergleiches mit der Samaritanerin soll der Leser über die Möglichkeit, die Worte Jesu richtig zu erfassen und über den Umgang mit dem eigenen religiösen Wissen und über die eigene Unsicherheit nachdenken. 1.4.2 Die aktive Rolle des Lesers Der hohe Redeanteil in Joh 4 lädt den Rezipienten dazu ein, eine aktive Rolle zu übernehmen. Die Dialogform ermöglicht es dabei, drei Stilmittel einzusetzen, welche den Leser zum Nachdenken auffordern: Zuerst begegnen Missverständnisse, wobei das Nichtverstehen der Figuren eine erzählstrategische Funktion hat. „Sie haben Jesu Worte ex negativo zu profilieren, […] indem sie Positionen markieren, die nicht gemeint sind, um so die Intention Jesu in ihrem positiven Sinn Schritt für Schritt für die Leser deutlich werden zu lassen.“119 So soll der Rezipient gleichsam mit der Samaritanerin einen Erkenntnisweg durchgehen. Im Spiegel ihres weltlichen Verständnisses des ὕδωρ ζῶν kann Jesus dessen symbolische Bedeutung herausstreichen. Genauso gibt ihm ihre Frage über den konkreten Ort des Kultes120 Anlass zur Klärung der Anbetung, die durch sein Kommen ermöglicht wird. Ebenso setzt die Erörterung Jesu über das Essen das Missverständnis seiner Jünger (V.33) voraus. Zweitens entgeht dem Leser die Ironie verschiedener Wortmeldungen nicht, die entsteht, „wenn ein Dialogpartner Jesu ungewollt und unwissentlich die Wahrheit sagt (7,35; 8,22; 12,34; vgl. auch 19,14f) oder ihr gemäss handelt“121. Der Leser, der über einen Wissensvorsprung verfügt, weiss mehr als die Protagonisten der Erzählung, nimmt die tiefere Wahrheit der court le risque de se sentir supérieur à cette femme. Il est en effet au courant du malentendu qui s’instaure entre Jésus et la femme, il en est même le complice. Pour éviter qu’il statue sur le cas de cette femme, l’évangéliste, par la présentation qu’il propose des disciples, l’invite à constater que ceux auxquels il a tendance à s’identifier le plus facilement ne sont pas dans une situation plus favorable que la Samaritaine, bien au contraire. La supériorité de cette femme par rapport aux disciples réside justement en ce qu’elle prend le risque d’une parole, aussi imparfaite soit-elle.“ Vgl. weiter SCHAPDICK, Weg, 254–255. Für ihn dokumentieren die zwei nicht gestellten Fragen das Unverständnis der Jünger und es „ist zu konstatieren, dass der ohne Einschränkung präsentierte Glauben der Jünger sie nicht davor bewahrt, Jesus nicht zu verstehen. […] In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass nur nach der Vollendung des Offenbarungswerkes Gottes ein im johanneischen Sinn adäquater Glauben an Jesus möglich ist (vgl. Joh 20,24–29; vgl. auch Joh 2,17–22).“ Weitere Erklärungen finden sich bei F ARELLY, Disciples, 41–42; O KURE, Approach, 134–135; T HYEN, 271; SCHNACKENBURG I, 477; B ARRETT, 257. 119 T HEOBALD, 26. 120 Vielleicht schwingt in ihren Worten ein Verständnis von προσκυνέω als Beten an einem Pilgerort mit. 121 T HEOBALD, 27.
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Aussagen der Figuren wahr und wird zum Mitwisser des Autors, was eine bestimmte Wirkung erzielt. „The effect of John’s Irony is to provide a subtle but powerful incentive for the reader to believe ‚that Jesus is the Christ, te Son of God (20:31).“122 In Joh 4 erweisen sich die Fragen der Samaritanerin, woher (πόθεν) Jesus das Wasser bekommen kann und ob Jakob grösser als Jesus ist, als ironisch, denn beide haben einen tieferen Sinn, der ihr entgeht. Sie sind nämlich für die Erschliessung der Identität Jesu von grosser Bedeutung. Auch die Aussage der Frau über ihre Messiaserwartung (V.26) ist ironisch, denn sie formuliert eine Eigenschaft des erwarteten Messias, die gerade für Jesus zutrifft, ohne es zu merken. Überdies stehen die zahlreichen rhetorischen Fragen123 der Figuren (woher Jesus seine Wassergabe habe [V.11], ob Jesus grösser als Jakob sei [V.12], ob er der Messias sei [V.29], was Jesus im Gespräch mit der Samaritanerin suche [V.27], ob jemand ihm zu essen gebracht habe [V.33]) im Dienst einer wichtigen Kommunikationsstrategie. Da Jesus sich nicht explizit zu den verschiedenen Behauptungen äussert, werden die Fragen indirekt an den Rezipienten gerichtet, der sie selbst beantworten soll. Auch wenn die in der Erzählung entfaltete Theologie meistens kaum Zweifel lässt, wie die verschiedenen Aussagen zu beurteilen sind, beziehen die Fragen den Leser stärker in den Reflexionsprozess ein und fordern ihn zu einer persönlichen Stellungnahme in einem Mass auf, wie dies positive Aussagen nicht zu leisten vermögen. 1.5 Die Frage nach der inhaltlichen Einheit der Perikope Auch wenn sich die Perikope gut vom Kotext abgrenzen lässt, stellt sich die Frage nach dem inhaltlichen Zusammenhang, denn die im Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin und zwischen ihm und seinen Jüngern angesprochenen Themen sind sehr disparat, wie die verschiedenen Wortfelder zeigen. Während in V.7–15 die Häufigkeit von δίδωµι und die zahlreichen Begriffe, die zum Bedeutungsfeld des „Wassers“ gehören, auffallen, ist in V.16–19 die Wiederholung von „ἀνήρ“ nicht zu übersehen, wohingegen ab V.20 die Problematik der Anbetung im Mittelpunkt steht. Auch in den Worten Jesu zu seinen Jüngern sind verschiedene Wortfelder zu erkennen: Ein erstes betrifft das Essen und ein zweites die Feldarbeit. Um die Problematik der Kohärenz der Perikope zu erörtern, untersuche ich zuerst die verschiedenen Themenkreise der Dialoge, wobei das Schwergewicht auf dem Zusammenhang und dem Verhältnis der einzelnen Dialogteile untereinander liegt. Dies erlaubt es, Gemeinsamkeiten zwischen den unterschiedlichen Themen festzustellen. In einem dritten Schritt 122 123
C ULPEPPER, Irony, 195. Zu rhetorischen Fragen vgl. IV.1.6.1.
1. Textanalyse von Joh 4
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wird die Aufmerksamkeit auf zwei wiederkehrenden Verbe gerichtet: οἶδα (V.22.25.32.42) und ἔρχεται (wenn es im Dialog verwendet wird V.21.23.25.35). Schliesslich gehe ich auf eine Textbesonderheit von Joh 4 ein, die den inhaltlichen Zusammenhang verstärkt: Das Zusammenspiel verschiedener Ebenen (einer narrativen, einer reflexiven und einer performativen). 1.5.1 Einzelmotive 1.5.1.1 Die Geber (Jesus und Jakob) und die Gabe (das Wasser) (V.7–15) Der erste Teil des Dialogs zwischen Jesus und der Samaritanerin ist von zwei Wortfeldern beherrscht: Das erste bezieht sich auf das „Geben“ (δίδωµι [8x] und δωρεά) das zweite auf das „Wasser“ (ἀντλέω [2x], πίω [4x], ὕδωρ [7x], ἄντληµα, φρέαρ [2x], διψάω [2x], πηγή [2x]). Dabei wird die Thematik des Wassers der Frage des Gebens untergeordnet, denn dank der Wassersymbolik wird die Frage, was die Gabe ist, näher erläutert. Die Beantwortung der Fragen, wer der Geber ist und was die Gabe ist, entspricht dem Ziel des Gesprächs, wie Jesus es in V.10124 formuliert. Zwei Hindernisse sollen behoben werden, damit die Frau ihn um Wasser bitten kann: Sie soll die Gabe Gottes (symbolisiert durch das Bild des Wassers) und die Identität Jesu (als wahrer Geber) erkennen. Die Frage nach der Identität des Gebers prägt also den ganzen ersten Teil des Dialogs. Nicht zufällig umrahmen zwei Imperative „gib mir“ (V.7 und 15) den ersten Gesprächsgang. Während Jesus den ersten Befehl ausspricht125, wird die zweite Bitte von der Samaritanerin geäussert, wobei dieser Wechsel des Bittenden der Entwicklung der Frau entspricht126, die gemerkt hat, dass Jesus entgegen dem ersten Eindruck nicht der Bittsteller ist, sondern ihr ein besonderes Wasser geben kann. Somit ist sie zu einer wichtigen Erkenntnis gelangt, auch wenn sie immer noch die Gabe missversteht (vgl. die Hoffnung auf konkretes Wasser und auf Arbeitserleichterung [V.15]). Auch durch den Vergleich zwischen Jesus und Jakob (vgl. die Aussage der Samaritanerin „bist du etwa grösser als unser Vater Jakob?“) wird die Frage, wer der Geber ist, vertieft. Zweimal ist nämlich Jakob als derjenige, der gegeben hat, angeführt. Zuerst erwähnt der Erzähler bei der Ortsbeschreibung, dass sich die Protagonisten auf dem Feld begegnen, „das Jakob seinem Sohn Joseph gegeben hat“ (V.5). Dann vergleicht die Frau Jesus 124 Ich stimme O KURE (Approach, 79) zu, wenn sie schreibt: „with v 10 constituing the structural and theological watershed of the entire dialogue.“ 125 Die Wiederholung der Bitte in V.10 gibt seinen Worten, die das Gespräch eröffnet haben, noch mehr Gewicht. 126 Zur Wechselrolle vgl. S CHOLTISSEK, Ironie, 243.
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mit Jakob, „der uns [=Samaritanern] diesen Brunnen gegeben hat“ (V.12). Der Erzvater wird nicht kritisiert, obwohl ein Kontrast zwischen dem Geber Jesus und dem Geber Jakob entfaltet wird.127 Das Hauptgewicht dieses Dialogteils liegt aber auf der Gabe selber, die anhand des Symbols des Wassers dargestellt wird. Dass ausserhalb seiner Funktion als Gabe „ὕδωρ“ in Joh 4 kaum eine Rolle spielt, ist zwar offensichtlich, kann aber dennoch nicht genug herausgestrichen werden. Mit dem Metaphernnetz um das Wasser wird thematisiert, was Gott in und durch Jesus Christus schenkt. Es ist Teil einer breiteren Reflexion über die göttliche Gabe und die Identität Jesu als Geber. Nur unter dieser Voraussetzung wird „Wasser“ richtig interpretiert. In der Forschung gibt es keinen Konsens darüber, was Wasser symbolisiert.128 Dabei wird oft nach einer präzisen Entsprechung gesucht, als ob ὕδωρ auf eine bestimmbare Grösse (z.B. Heiliger Geist, Offenbarung Jesu) verweisen würde. Dabei wird aber übersehen, dass „Wasser“ ein Symbol ist, d.h. es ist keine Chiffre für eine andere Realität, die man einfach entschlüsseln soll, sondern es ist vorauszusetzen (genau wie bei Metaphern), dass Symbole offen bleiben. Ihre Untersuchung kann die Ambivalenz nicht vermeiden, „because symbols are versatile in their power to signify.“129 Die Realitäten, auf die sie verweisen, lassen sich nicht mit anderen Worten benennen oder erschöpfend beschreiben. „This is not to say that they [= die Metaphern] cannot be paraphrased, just that such a paraphrase is infinite and incapable exhausting the innovative meaning.“130 Wer einfache Entsprechungen für die jeweiligen Begriffe sucht, berücksichtigt den symbolischen Charakter der Erzählung nicht genügend und verflacht die Aussagen des Textes. In Joh 4 können folglich keine anderen Begriffe (Heiliger Geist, Heilsgabe usw.) „lebendiges Wasser“ ersetzen. Dass mit dem Bild mehr gesagt wird, gilt auch für die anderen Begriffe (Trinken, Dürsten, Quelle), welche das Wassersymbol begleiten. Wir haben es nicht nur mit einem Symbol (Wasser) zu tun, sondern mit einem Netz von Bildern, die auf unterschiedliche Weise auf die Gabe Jesu und seine Wirkung verweisen. Wenn diese Begriffe in die Reflexion einbezogen werden, wird klar, dass die lebensstiftende Funktion des Wassers im Vordergrund steht.131 Joh 4 knüpft an die fundamentale menschliche ErfahMehr dazu in III.3.2.1. Zum Wasser(symbol) im JohEv vgl. N G, Water; JONES, Symbol; K OESTER, Symbolism, vgl. insbesondere den kurzen Forschungsüberblick bei N G, Water, 49–58. Zum Symbol im vierten Evangelium vgl. den Forschungsüberblick bei N G, Water, 5–43. 129 N G, Water, 46. 130 R ICOEUR, Interpretation Theory, 52. 131 G OPPELT (ὕδωρ, 314–315) unterscheidet drei verschiedene Weisen, wie Wasser in den Erfahrungsbereich des Menschen eintritt: „es ist die Flut, die das Festland umgibt und bedroht, der entscheidende Spender biologischen Lebens und das wichtigste Reini127 128
1. Textanalyse von Joh 4
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rung an, wonach der Mensch immer wieder trinken muss, damit er nicht verdurstet. Demnach ist in Wüstengegende die Wasserversorgung (Quelle, Brunnen, Zisterne) lebensnotwendig. Mit Wasser wird also alles, was das Leben ermöglicht und fördert, symbolisiert. Deshalb kann das Symbol Wasser und das mit ihm zusammenhängende Metaphernnetz m.E. verschieden interpretiert werden.132 1.5.1.2 Die Männer der Samaritanerin (V.16–18) In V.16–18 kommt das Wort ἀνήρ fünfmal vor und dies viermal im Ausdruck „(k)einen Mann haben“. Nachdem sich Jesus im Dialog Schritt für Schritt als derjenige offenbart hat, der das ewige Leben schenkt, irritiert der übergangslose Themawechsel, insbesondere weil die Frage nach der Identität Jesu kurz ausgeblendet wird, um die konkrete Ehesituation der Frau in den Blick zu nehmen. Auch wenn gerade dieser Umweg die Samaritanerin zu weiteren Erkenntnis führt, erstaunt doch die hohe Männeranzahl der Frau und löst verschiedene Interpretationen133 aus. Für einige Exegeten134 liegt das Gewicht auf der moralischen Verwerflichkeit der Lebensweise der Frau. Dem Jesusbild der Synoptiker entspre-
gungsmittel.“ Aufgrund der Begriffe „trinken“ und „dürsten“ scheint mir evident, dass der Text die Erfahrung von Wasser als Lebensspender meint. Nicht alle Assoziationen mit Wasser (z.B. Reinigung oder Bedrohung) sind hier zu berücksichtigen. So sollen die Versuche kritisch beurteilt werden, die alle Stellen des JohEv, an denen Wasser vorkommt, auf einer Ebene behandeln. Z.B. soll die Methodik von Jones hinterfragt werden, der alle Texte bearbeitet, in denen Wasser als Symbol vorkommt, sei es bei der Fusswaschung (Reinigung) oder bei Joh 6 (Jesus wandelt auf dem Wasser als Symbol für Bedrohung). Aus dem gleichen Grund ist auch die Arbeit von Ng gelegentlich problematisch. 132 Z.B. symbolisiert das Wasser den Geist, der das Leben verheisst, oder die Offenbarung Jesu und das eschatologische Heil, denn all dies ist Teil der göttlichen Gabe des Lebens. Vgl. Forschungsteil. 133 Im Haupttext werden nur die in der Forschung am häufigsten vertretenen Deutungen kurz besprochen. Die Interpretation von Schottroff (auch von W ENGST I, 160–162, vertreten) wird deswegen nicht in Detail diskutiert, denn sie ist nicht haltbar, weil sie aus den von Schottroff (mit ziemlich viel Imagination und Willkür) gefüllten Lücken des Textes hervorgeht und nicht aus dem Text selbst stammt. Da sie unbedingt eine moralische Wertung vermeiden will, versteht sie nämlich die Geschichte als die Erzählung der Befreiung einer unterdrückten Frau, die wegen ihren aufeinanderfolgenden Ehen, die aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen notwendig vollzogen wurden, eine sozial verachtete Frau sei, die in „der Abhängigkeit von einem Mann, der sie ausnutzt und noch nicht einmal heiratet“ (S CHOTTROFF, Samaritanerin, 126) lebt. Jesus erweist sich als Prophet, da er „einer Unterdrückten und Leidenden zur Befreiung aus ihrem Gefängnis hilft“ (SCHOTTROFF, Samaritanerin, 121). 134 Wenn die zeitgenössischen Exegeten hier auch sehr zurückhaltend sind, hat diese Auslegung eine lange Geschichte, die bis zu den Kirchenvätern zurückreicht und deren Erfolg in der Reformationszeit nicht zu unterschätzen war.
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III. Johannes 4 135
chend ruft Jesus also eine Sünderin zur Umkehr. Das Problem dieser Deutung besteht darin, dass der Text kein Interesse an der Schuld der Samaritanerin zeigt, denn es fehlt jegliche explizite moralische Wertung, da die Frau sich weder ihrer Schuld bekennt, noch von Jesus wie der Gelähmte in Joh 5,14 dazu aufgefordert wird, nicht wieder zu sündigen. Zudem ist Sünde im vierten Evangelium „keine ethische Kategorie sondern durch die fehlende Relation sowohl zu Gott als auch zu Jesus bestimmt“.136 Um die Probleme der moralisierenden Deutung zu umgehen, werden symbolische Deutungen137 vorgeschlagen, wobei die am häufigsten vertretene Auslegung in den Ehen der Samaritanerin ein Symbol für den Götzendienst der Samaritaner sieht. Die Frau steht repräsentativ für ihr Volk und verehrt fünf falsche Götter (symbolisiert durch die fünf Männer) und ist nun aufgefordert, in Jesus ihren wahren Ehemann zu erkennen. Diese Interpretation wird von 2 Kön 17,24–41138 gestützt, wo fünf Völker Samaria bewohnen und ihre Religionen (insgesamt sieben fremde Götter) mitbringen. Dass der Bibeltext hingegen nur eine Auflistung (die Zahl fünf wird nicht erwähnt) liefert und dass es sieben Götter (nicht fünf) gibt, schreckt die Exegeten aber nicht ab, die sich auf eine Paraphrasierung des Textes bei Josephus berufen, bei der die Götterzahl auf fünf reduziert ist.139 In der Rezeption – so wird vermutet – war der Text vereinfacht und der joh Leser habe den Wortwechsel übe die Männer der Samaritanerin mit seinem traditionellen Wissen in Verbindung gebracht. Auch wenn das Zahlenproblem
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So SCHNACKENBURG I, 468: „Dass sich die Frau trotz ihrer moralischen Gesunkenheit ein religiöses Suchen und Sehnen bewahrt hat (vgl. VV 20 25), ist nichts Aussergewöhnliches, und Jesu Bemühen um sie entspricht dem, was wir aus den Syn wissen. Hier bei Joh erweist sich Jesus als der gleiche Retter des Verlorenen auch gegenüber der nicht jüdischen Welt.“ Vgl. auch ZAHN, 244. 136 K NÖPPLER, Theologia crucis, 76. 137 Eine davon bezieht die fünf Männer auf die fünf Bücher der Tora. Dafür gibt es aber kaum Anknüpfungspunkte im Text und eine solche Interpretation wird heute nach meiner Kenntnis nur noch von W ESSEL (Männer) vertreten. Das Hauptproblem besteht darin, dass das Bild der Ehe, um die Beziehung zwischen den Juden/Samaritanern und der Schrift zu veranschaulichen, sonst nicht belegt ist. Weiter kann die Frage, wer der sechste Mann ist, nicht befriedigend beantwortet werden und nebenbei lässt die Ehesymbolik ein „Nacheinander“ vermuten, während die fünf Bücher Moses immer „nebeneinander“ gelesen wurden. 138 Vgl. besonders, 2 Kön 17,29–31: Doch machten sie sich – Nation für Nation – ihre [eigenen] Götter und stellten sie in die Höhenhäuser, die die Samaritaner – Nation für Nation – in ihren Städten gemacht hatten, in denen sie wohnten. Und die Leute von Babel machten Sukkot-Benot, die Leute von Kuta machten Nergal, die Leute von Hamat machten Aschima, die Awiter machten Nibhas und Tartak, die Sefarwiter verbrannten ihre Söhne im Feuer dem Adrammelech und dem Anammelech, den Göttern von Sefarwajim. 139 JOSEPHUS, Ant IX 288.
1. Textanalyse von Joh 4
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nicht unüberwindbar ist und weitere Schwierigkeiten eventuell ignoriert oder widerlegt werden können, bleibt diese Interpretation m.E. hochproblematisch, weil sie den joh Symbolismus mit einer Art kodierter Sprache verwechselt. Während im joh Symbolismus eine konkrete Realität (die nicht negiert wird) auf eine spirituelle/religiöse Realität (meistens die Identität Jesu und die Beschreibung seiner Gabe) verweist, so dass eine (christologische) Wahrheit, die sich nicht einfach benennen und beschreiben lässt, veranschaulicht werden kann141, vertreten die Ausleger, die in der Männerbeziehung der Frau samaritanischen Götzendienst erkennen, ein Symbolverständnis, bei dem das Symbol quasi entziffert wird (fünf Männer gleichen den fünf Göttern). Zudem wird in den Text eine Fragestellung (der samaritanische Götzendienst) hineinprojiziert, die nirgends – weder in der Perikope, noch im JohEv – explizit thematisiert wird. Im weiteren Gespräch zwischen Jesus und der Frau wird sogar vorausgesetzt, dass Juden und Samaritaner den gleichen Gott verehren. Diskutiert werden einzig die Frage des Kultortes und der richtigen Erkenntnis Gottes. Weiter ist eine solche Auslegung problematisch, denn „[nach] dem Folgenden, besonders V.29.39.42, nimmt der Evangelist die Frau und ihr Vorleben im individuellen Sinn ernst; so ist jene symbolische Deutung, wenigstens als einzige und isolierte, abwegig.“142 Um die kritischen Anmerkungen, insbesondere den letzten Einwand, abzuschwächen, wird vermehrt versucht, in die Auslegung dieses Abschnitts sowohl die Lebensgeschichte der Frau als auch ihre potentielle Repräsentationsfunktion miteinzubeziehen. So schreibt Thyen: „Die meisten Exegeten nehmen jedoch das für den symbolischen Modus konstitutive ‚Zugleich‘ von narrativer und symbolischer Ebene nicht wahr und wissen ihn nicht von dem allegorischen Modus zu unterscheiden. Und weil sie eine allegorische Interpretation der Szene zu Recht verwerfen, trifft dieses Urteil auch deren möglichen Symbolismus.“143 Auch Theobald geht mit 140
Ich nenne hier drei Schwierigkeiten: a) Es erstaunt, dass ein synkretistisches Nebeneinander im Bild eines ehelichen Nacheinanders wiedergegeben wird. Es verhält sich anders beim atl. Bild des Ehebruchs, in dem die legitime Relation mit Jahwe durch Götzendienst zerstört wird (wie die Ehe durch den Ehebruch). b) Die Identifikation des sechsten Mannes ist schwierig, wobei die verschiedenen Vorschläge nicht wirklich zu überzeugen vermögen (vgl. S CHAPDICK, Weg, 176). c) Die Reaktion der Frau „du bist ein Prophet“ setzt voraus, dass Jesus ihr etwas mitteilt, das er eigentlich nicht wissen kann. „Darüber hinaus würde der damit ausgesprochene Vorwurf der Fremdgötterverehrung durch einen Juden gegenüber den Samaritanern kaum als Prophetie, sondern als reine Streitlust interpretiert werden“ (S CHAPDICK, Weg, 180). 141 Vgl. z.B. Jesus als Licht, Brot, Weg. Vgl. auch Joh 9, wo die reale Blindheit als Behinderung auf die religiöse Blindheit der Menschen, die sich Jesus verschliessen, verweist. 142 SCHNACKENBURG I, 468. 143 T HYEN, 255.
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III. Johannes 4
dem symbolischen Potential des Textes differenziert um. Für ihn schliessen sich die individuelle und die repräsentative Ebene nicht aus. „Dabei geht es nicht um die angebliche Untreue der Frau gegenüber ihrem ersten rechtmässigen Gatten, der im Text gar nicht erwähnt wird (so aber die in das Bild ehelicher Untreue gekleidete prophetische Kritik an Israel in Hos 2,4ff; Ez 16), sondern der springende Punkt ist vielmehr der, dass die Frau ihren eigentlichen, sie wahrhaft liebenden Ehegatten noch gar nicht gefunden hat (man beachte, dass Jesus zweimal [V. 17d.e.18b.c] feststellt, sie hätte keinen Mann). Was Jesus also in Wahrheit aufdeckt, ist der Lebensdurst (vgl. V. 10) der Frau – biographisch betrachtet wie religiös in der symbolischen Tiefe des Textes.“ 144
Auch wenn die Interpretationen, welche die narrative und symbolische Ebene gleichzeitig und nuanciert wahrnehmen, weniger problematisch sind als die oben dargestellte Auslegung, bleiben die erwähnten Schwierigkeiten zum Teil bestehen. In der vorliegenden Arbeit wird deswegen auf symbolische Deutungen der V.16–18 verzichtet. Dies lässt die innere Kohärenz des Gesprächs erkennen, da die Erwähnung der konkreten Lebenssituation der Samaritanerin es ihr ermöglicht, in Jesus einen Propheten zu erkennen, so dass die Samaritanerin einen Erkenntnisschritt vollzieht. Zudem veranschaulichen V.16–18 die Verheissung des lebendigen Wassers, denn die Gabe des Heils bekommt ihre wirkliche Bedeutung in der persönlichen Begegnung mit Jesus, wobei der Mensch in seiner konkreten Situation wahrgenommen wird. Die Diskussion über die Männer der Frau ist ein Beispiel, das den existentiellen Durst illustriert. „Und zwar wird dem Menschen die Unruhe seines Lebens zum Bewusstsein gebracht, die ihn von einer scheinbaren Erfüllung zur anderen treibt, und in der er nie ein Endgültiges erreicht, ehe er das Lebenswasser findet, wovon ‚ein Trunk den Durst auf ewig stillt‘. Diese Unruhe wird durch die bewegte Vergangenheit und die unbefriedigende Gegenwart der Frau veranschaulicht.“145 1.5.1.3 Die Anbetung (προσκυνέω) In den V.20–24 kommt das Verb προσκυνέω neunmal vor. Hinzu kommt noch das davon abgeleitete Nomen προσκυνητής146; die Frage der Anbe144
T HEOBALD, 318. Das Durstmotiv, das angesprochen wird, ist wichtig. Jedoch kann es thematisiert werden, ohne dass eine symbolische Deutung nötig ist. 145 B ULTMANN, 138. Auch wenn Bultmann das Durstmotiv gut herausarbeitet, ist der Rest seiner Auslegung mit Vorsicht zu geniessen: V.16–19 bilden einen Teil der Offenbarung, die Aufdeckung des menschlichen Seins: „Der Offenbarer wird nur erkannt, indem der Mensch sich selbst durchsichtig wird; Gottes- und Selbsterkenntnis vollziehen sich in einem“ (B ULTMANN, 138). Hier muss gefragt werden, ob nicht theologische und dogmatische Überzeugungen – mögen sie richtig sein – in den Text hineingelesen werden. 146 Diese Häufigkeit fällt nicht nur auf, weil der Begriff im Rest des JohEv kaum vorkommt (nur in 9,38 und 12,20), sondern erstaunt auch, weil seine Bedeutung im Ver-
1. Textanalyse von Joh 4
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tung wird demnach sorgfältig abgehandelt, wobei insbesondere die Unterschiede zwischen der bisherigen und der kommenden Situation deutlich herausgearbeitet werden. Bisherige Situation
Kommende Situation
Subjekt
Samaritaner
Juden
Die wahren Anbeter
Ort
Auf dem Berg Garizim
In Jerusalem
In Geist und Wahrheit
Objekt
Was sie nicht kennen
Was sie kennen
Der Vater
Die neue Anbetung hebt sich von der alten zunächst durch deren Subjekt ab. Bei der Besprechung der bisherigen Situation verwenden die Dialogpartner, die sich jeweils mit einer der religiösen Gruppen identifizieren, die erste (wir) und die zweite Person (ihr), so dass die Gegenüberstellung Juden / Samaritaner herausgestrichen wird. Hingegen benutzt Jesus bei der Besprechung der neuen Anbetung eine dritte Person Plural (die wahren Anbeter), denn die neue Relation zu Gott ist universell. Was Jesus kundtut, betrifft nicht nur die Samaritanerin und die religiöse Gruppe, die er vertritt, sondern gilt jedem Menschen (auch den Rezipienten) und geht somit über die eigentliche Gesprächssituation hinaus. In der kommenden Stunde, die schon da ist, wird allen der Zugang zum Vater ermöglicht. Daher wird jede religiöse Spaltung hinfällig und das bisherige Schisma überwunden. Weiter verlagert sich in der kommenden Stunde die Frage nach dem Ort der Anbetung: War der Ort der Präsenz Gottes in der Welt bisher geographisch festgelegt (Jerusalem oder Garizim), wird er nun christologisch (bzw. pnuematologisch) bestimmt (vgl. ἐν πνεύµατι καὶ ἀληθείᾳ147), was die Wichtigkeit der konkreten Kultstätte relativiert. „Was in 2,13–22 für gleich zum Rest des NT unüblich ist. Zwar kann προσκυνέω anbeten bedeuten, jedoch wird das Verb im NT von seinem ursprünglichen Sinn als „sich vor etwas (meistens Gott oder Jesus) niederwerfen“ sehr geprägt. In den Evangelien fallen verschiedene Personen vor Jesus (auch als Auferstandenem) nieder (Mt 2,2.8.11; 8,2; 9,18; 14,33; 15,52; 20,20; 28,9; 28,17; Mk 5,6; 15,19; Lk 24,52; Joh 9,38); an wenigen Stellen ist das konkrete Niederfallen vor einer anderen Person bzw. vor Satan oder vor Götzen gemeint (Mt 4,9.10; 18,26; Lk 4,7–8; Apg 7,43); an zwei Stellen kommt das Verb im Zusammenhang mit einer Pilgerreise (Apg 8,27; 12,20) vor. In der Apk spielt das „προσκυνεῖν“ eine wichtige Rolle beim himmlischen Gottesdienst. In der Briefliteratur ist der Begriff sehr selten. „Auch das ist wieder ein Beweis dafür, wie plastisch die Bedeutung noch empfunden ist: Die Proskynese bedarf einer vor Augen stehenden Majestät, vor der sich der Anbetende beugt. Der Gottessohn auf Erden war allen sichtbar (Evangelien), und der Erhöhte wird sich den Seinen dereinst wiederum zeigen, wenn der Glaube dem Schauen weichen wird (Apokalypse)“ (G REEVEN, προσκυνέω, 766). 147 Vgl. die Interpretation von „in Geist und Wahrheit“ in der Versauslegung (III.1.3.3.3).
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III. Johannes 4
den Tempel in Jerusalem und damit für die Juden festgehalten wurde, wird 148 nun auf die Samariter und ihren heiligen Berg übertragen“ . Jesus übt 149 aber keine Kritik an der bisherigen Kultpraxis , denn die neue Anbetung wird nicht durch die Beseitigung einer falschen Kultausübung ermöglicht, sondern durch einen radikalen Paradigmenwechsel: Durch sein Kommen geschieht die Anbetung unter einer neuen Voraussetzung. „War die 150 Heilserfahrung früher lokalisiert, so ist sie jetzt personifiziert.“ Die neue Anbetung hängt mit einem letzten Perspektivenwechsel zusammen, der nicht zu unterschätzen ist. Obschon der Angebetete selbstverständlich immer Gott ist, wird er jeweils anders qualifiziert. In den Worten der Samaritanerin fehlt sogar jegliches Akkusativobjekt, was ihre Unkenntnis, die Jesus hervorhebt, schon vorahnen lässt. Für Jesus hingegen ist gerade die Frage, an wen sich der Betende richtet, zentral. Damit stellt er bei der Beurteilung der Situation bis zur kommenden Stunde die Juden den Samaritanern gegenüber, denn erstere erkennen denjenigen, den sie anbeten, letztere nicht. Diese Opposition wird schliesslich in der neuen Anbetung, die dem Vater gilt, überwunden. Durch die letztgültige Offenbarung in und durch Jesus zeigt Gott ein neues Gesicht: Er wird zum Vater, was eine neue durch Nähe bestimmte Beziehung zu ihm ermöglicht. 1.5.1.4 Die Nahrung Jesu V.31–34, die das Essen Jesu thematisieren, bilden das Pendant der V.7–15, da zwischen den zwei Dialogteilen Unterschiede und Ähnlichkeiten festzustellen sind. Die Gegensätze betreffen die Gesprächspartner (Frau versus Männer, Samaritanerin versus Juden, eine Einzelne versus Gruppe, offenes Anfragen versus Schweigen). Die Analogien beziehen sich hingegen auf das Thema (Wasser / Essen) und auf den Ablauf. In beiden Fällen legt Jesus kurz nach Anfang des Gesprächs das Nichtwissen seiner Gegenüber offen (V.10 / V.32), worauf eine verwunderte Reaktion (formuliert mit rhetorischen Fragen vgl. πόθεν V.11, µή V.12 und µήτις V.33) folgt. Denn sowohl die Samaritanerin als auch die Jünger bleiben gefangen in der eigentlichen Bedeutung und übersehen die symbolische Tiefe der Worte Jesu, der thematisiert, was das Leben ermöglicht, was ihm seinen Sinn und seine Qualität verleiht. Hierfür verwendet Jesus in V.7–15 das Bild des Wassers und greift die Frage auf, wovon der Mensch lebe, aber die Samari148
FRÜHWALD-K ÖNIG, Tempel, 121. Der Kontrast zur prophetischen Kritik ist deutlich. Dort „waren es in erster Linie nicht der Kult und der Tempel an sich, die von den Propheten kritisiert wurden, sondern die Menschen, die den Kult in falscher Gesinnung ausgeübt hatten“ (FRÜHWALD-K ÖNIG, Tempel, 44). Im JohEv werden die Kultorte hingegen implizit aufgehoben, denn Gott ist jetzt in Jesus anwesend. 150 FRÜHWALD-K ÖNIG, Tempel, 138. 149
1. Textanalyse von Joh 4
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tanerin denkt an das konkrete Wasser des Brunnens und erhofft sich Arbeitserleichterung. In 31–34 benutzt Jesus das Bild der Speise und legt dar, wovon er selbst lebt, aber seine Jünger fassen es als konkrete Nahrung auf und denken an gekaufte Speisen, welche sie mitbringen oder anderen Personen zur Verfügung gestellt haben. Sowohl die thematische Nähe als auch die strukturelle Parallelität laden dazu ein, beide Gespräche als eine kohärente Einheit wahrzunehmen. Während V.7–15 verdeutlicht, dass der Mensch von der Gabe lebt, welche seinen existentiellen Durst löscht, einer Lebensgabe durch und in Jesus, erklären V.31–34, dass Jesus von und für seinen Sendungsauftrag lebt, deren Ziel darin besteht, das Leben zu schenken. Demnach spiegeln sich beide Gespräche ineinander. 1.5.1.5 Metapher der Feldarbeit Die beiden Dialogteile zwischen Jesus und seinen Jüngern stehen in einem engen Zusammenhang. „Der Gesandte lebt als Beauftragter und durch dieses Werk (vgl. 5,30.36; 6,38; 9,4; 12,27f.; 19,30). Dieses Werk ist das endzeitliche Werk, zum Glauben (Joh 3) und Leben (5,19–30) zu führen, d. h. es geht um Sendung, Mission.“151 Somit tut Jesus das θέληµα Gottes und vollendet sein ἔργον gerade dadurch, dass er das Heil den Menschen schenkt, was sich konkret im Anbrechen der Ernte (als eschatologische Heilszeit) und in der „Sammlung“ der Gläubigen vollzieht. Deswegen gehört die Mission konstitutiv zur Sendung des Sohnes und von daher leitet auch die joh Gemeinde ihre weitere Missionstätigkeit ab.152 1.5.2 Thematische Einheit und sukzessive Vertiefung Die verschiedenen Abschnitte der Perikope bilden eine kunstvoll gestaltete Einheit, die darin besteht, dass die Identität Jesu schrittweise offenbart und erkannt wird. Im Dialog mit der Samaritanerin erweist er sich nacheinander als der wahre Geber, als derjenige, der wahr spricht (Prophet) und schliesslich als derjenige, der die wahre Anbetung ermöglicht. Im Gespräch mit den Jüngern wird erläutert, wovon Jesus lebt, was dem Leser weitere Informationen zu seiner Person liefert. Darüber hinaus geht der Rezipient den Erkenntnisweg der Samaritanerin mit: „Die Steigerung der Offenbarung bzw. die Höherführung des Glaubens wird aus folgenden Stichworten ersichtlich: V 9 Ἰουδαῖος – V 11 κύριε – V 12 µείζων τοῦ πατρός ἡµῶν Ἰακώβ; – V 19 προφήτης – VV 26 29 ὁ χριστός – V 42 ὁ σωτὴρ τοῦ κόσµου.“153 151
B ECKER I, 211–212. Vgl. S CHNELLE, 105. 153 SCHNACKENBURG I, 456. 152
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III. Johannes 4
Überdies wird die Einheit von Joh 4 dadurch verstärkt, dass die christologische Botschaft immer wieder an ihr soteriologisches Korrelat gekoppelt ist. In der Perikope lässt sich deshalb ein weiteres durchgehendes Thema erkennen: das geschenkte Heil. Im ersten Dialogteil zwischen Jesus und der Samaritanerin wird die Heilsgabe anhand des Wassersymbols erläutert. Bei der Reflexion über die Anbetung wird der Ort der Heilspräsenz Gottes neu definiert. Die beiden Dialogteile beziehen sich also eng aufeinander: Es geht jeweils um die Frage nach dem von Gott in Jesus geschenkten Heil, das sich sowohl in Form von Leben in Fülle als auch in Form der Ermöglichung einer neuen Beziehung zu Gott, einer neuen Anbetung, konkretisiert. In beiden Gesprächsgängen enthüllt Jesus somit seine Identität als derjenige, der die Heilserfahrung ermöglicht. In der sukzessiven Offenbarung seiner Person vertieft er zugleich schrittweise die Bedeutung des Heils, bevor er es schliesslich beim Gespräch mit den Jüngern aus einer anderen Perspektive wieder aufgreift. Dort erörtert er das Ziel seiner Sendung, das darin besteht, dass der Heilswille Gottes in seinem Leben und Tod zur Wirklichkeit wird. Deswegen bricht die Heilszeit in seinem Kommen an, wie er es mit dem Bild der Ernte kundtut. 1.5.3 Die durchgehenden Motive Der inhaltliche Zusammenhang von Joh 4 ergibt sich auch aus zwei wiederkehrenden Motiven, die auf alle Teile der Perikope verteilt sind: die Problematik des religiösen Wissens und die Ankündigung der eschatologischen Wende. 1.5.3.1 Das Wissen (οἶδα) Durch die Wiederholung von οἶδα wird die Problematik des religiösen Wissens reflektiert, denn das Verb kommt nur im Mund von Figuren, die sich entweder eigenes Wissen zusprechen oder Kenntnisse anderer Protagonisten abstreiten, vor. Die Person, die am meisten legitimiert ist, das Wissen anderer zu beurteilen, ist natürlich Jesus, der dreimal auf die Unkenntnis seiner Gesprächspartner hinweist. Am Anfang seines Dialogs mit der Frau wirft er ihr vor, weder die Gabe Gottes noch denjenigen, der mit ihr spricht, zu kennen (V.10) und behauptet schliesslich, dass sie und die anderen Samaritaner nicht wissen würden, was sie anbeten (V.22). Auch das Gespräch mit den Jüngern beginnt mit der Offenlegung der Unkenntnis der Gesprächspartner Jesu (V.32), die seine Worte über das Essen missverstehen. Das Unwissen ist jedoch immer vorläufig und wird häufig zu Beginn der verschiedenen Gespräche explizit festgestellt, damit es durch die Erklärungen Jesu überwunden werden kann.
1. Textanalyse von Joh 4
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Da Jesus eher die Unkenntnis (nicht die Kenntnisse) anderer aufdeckt und da die Juden im JohEv tendenziell negativ dargestellt werden, erstaunt 154 der Gebrauch von οἶδα in V.22a umso mehr : „Wir (Juden) wissen, was wir anbeten“, was eine Begründung erfordert, die sogleich in V.22a gegeben wird: „Das Heil ist aus den Juden.“ Da die Juden, im Gegensatz zu den Samaritanern, Gott kennen, hängt ihre Geschichte mit Gott zusammen. Nicht durch eigene Leistung, sondern dank ihrer Heilserfahrungen kennen sie, wen sie anbeten und dadurch heben sie sich von anderen religiösen Gruppierungen, wie z.B. von den Samaritanern, ab. Durch das Werk Jesu weitet sich aber das den Juden geschenkte Heil auf die ganze Welt aus. Da die Juden den Gesandten Gottes nicht annehmen, entsteht eine Spannung zwischen dem ihnen von Jesus aufgrund ihrer bisherigen Geschichte mit Gott zugestandenen Wissen und dem empirisch feststellbaren Unwissen bzw. Unglauben der Juden, welches in der weiteren Erzählung immer wieder thematisiert wird. Anders als Jesus, der die Kenntnis anderer beurteilt, behauptet die Samaritanerin ihr eigenes Wissen (V.25): „οἶδα ὅτι Μεσσίας ἔρχεται“. Auch wenn ihre religiöse Erwartung korrekt ist, ist der ironische Unterton nicht zu überhören, denn trotz ihrer Kenntnis über den Messias, kann sie ihn zuerst nicht erkennen, wenn er ihr gegenübersteht und mit ihr spricht. Ihre Worte zeigen Ähnlichkeiten mit Aussagen von Nikodemus oder Martha, die beide überzeugt sind, religiöses Wissen zu besitzen und dennoch Jesus und seine Aussagen nicht richtig verstehen (vgl. 3,2; 11,24). Damit zeigt sich eine im JohEv durchgehende Kritik gegen ein religiöses Wissen, das sich nicht mehr hinterfragen lässt und sogar gegen Jesus angewendet wird (vgl. z.B. 9,24.27).155 Selbstbehauptungen religiöser Kenntnisse erweisen sich immer wieder als Überschätzungen, die das eigene Unwissen bzw. die Begrenztheit des eigenen Wissens verkennen, es sei denn, sie führten Bekenntnisse zu Jesus ein156. Demnach sind die Samarita154
Deswegen haben einige Exegeten m.E. zu Unrecht eine spätere Glosse vermutet, vgl. III.2.2.1. Andere schlagen vor, den Satz als Opposition zwischen Juden und Samaritanern (ihr) einerseits und den Christen (wir) andererseits zu lesen. (Vgl. III.1.3.3.3). 155 In diesem Sinn ist die Beobachtung von FRÜHWALD-K ÖNIG (Tempel, 131) richtig: „Es ist nicht falsch, wenn der Eindruck entsteht, dass die ‚defizitären‘ Kultverhältnisse der Samariter sie gegenüber den Juden in einen unschätzbaren Vorteil bringen: Da sie ‚nicht wissen, was sie anbeten‘, sind sie offen für die Offenbarung durch und in Jesus.“ Vgl. auch ZUMSTEIN, Crise. Er betont zu Recht (167), dass die joh Schule „a […] développé une réflexion approfondie sur le problème du savoir. Elle a notamment concentré son attention sur la crise de la connaissance sucitée par la venue de celui dans lequel elle reconnaissait le Révélateur.“ Er entfaltet dann diese These in Bezug auf Joh 9. Vgl. auch PANCARO, Law, 9–125. Er untersucht, wie die Juden ohne Erfolg versuchen, ihr religiöses Wissen gegen Jesus zu verwenden. 156 οἶδα/οἴδαµεν ist nur berechtigt, wenn es sich um Bekenntnisse zu Jesus handelt, wie hier in Joh 4,42 (vgl. auch 11,22; 16,30; [21,24]), oder wenn Jesus selber spricht: Er
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ner tatsächlich zur Erkenntnis gelangt, wenn sie sagen (V.42): „Wir wissen, dass dieser wirklich der Retter der Welt ist.“ In einem solchen Kotext 157 sind Wissen und Glauben fast austauschbar. 1.5.3.2 Das Kommen eschatologischer Ereignisse (ἔρχοµαι) Nicht nur die Frage des religiösen Wissens verbindet die verschiedenen Dialogteile thematisch miteinander, sondern auch die Wiederholung von ἔρχοµαι, das im NT neben seiner eigentlich Bedeutung bei der Ankündigung eschatologischer Ereignisse verwendet wird. In diesem Sinn wird dieses Verb bei den Synoptikern in Zusammenhang mit dem Kommen des Reiches Gottes (z.B. Mt 6,10; Lk 11,2), dem Kommen des Messias (Mt 11,14: 17,10.12; 27,19; Mk 9,12–13 auch 15,35) dem eschatologischen Kommen Gottes zum Gericht (vgl. die Gleichnisse in Mt 21,40; Lk 13,6–7; Mt 25,19; Lk 19,13–26) und dem Kommen von entscheidenden Tagen (Lk 17,22; 21.6; 23,29; vgl. auch Mt 9,15) benutzt.158 In Joh 4 wird so das Kommen der eschatologische Stunde, des Messias und der Ernte (als Bild für die Endzeit) angekündigt, dennoch verändert sich die Zeitperspektive, denn das Eintreffen der eschatologischen Zeit ereignet sich schon jetzt (vgl. die Stunde ist da, Jesus ist der Messias und die Felder sind schon weiss). Im Kommen, im Tod und in der Auferstehung Jesu geschieht eine Zeitenwende, indem das endzeitliche Heil zur Gegenwart wird. Dennoch behalten die futurischen Aussagen ihre Bedeutung, denn auch wenn in Jesus das Heil schon jetzt anbricht, behält es weiterhin seinen Verheissungscharakter, einerseits weil das Werk Jesu nur am Kreuz vollendet ist und andererseits weil Gott immer wieder das Heil zum Ereignis werden lässt.159 1.5.4 Zusammenspiel verschiedener Ebenen Die verschiedenen Abschnitte des Textes beziehen sich auch auf eine ganz andere Weise aufeinander. Okure vermutet, dass der Dialog mit der Samaritanerin (V.7–26) eine Missionserzählung (Jesus führt die Samaritanerin zum Glauben) bildet, die in einem zweiten Schritt erklärt (V.31–38)160 ist die einzige Person, die Gott kennt und von daher auch die Wirklichkeit durchschaut (vgl. u.a. 5,32; 7,29; 8,37.55; 13,1.11.18; 16,30; 19,28; 21,17). 157 Vgl. B ROWN I, Appendix I, 513. 158 Vgl. S CHNEIDER, ἔρχοµαι, 666–668. 159 Vgl. T HYEN, 260: „Die Paradoxie dieser doppelten Bestimmung der ‚Zeit‘ der eschatologische Stunde darf weder nach der einen, noch nach der anderen Seite hin ausgelöst werden. Darum wird durch die Hinzufügung καὶ νῦν ἐστιν die Stunde nicht etwa total ‚vergegenwärtigt‘ als solle damit die Verheissung ihres ‚Kommens‘ ausser Kraft gesetzt werden. Die Stunde bleibt vielmehr zukünftig, sie wird kommen.“ 160 Okure sieht noch dazu in V.28–20, 39–42 eine „demonstratio“ (Approach, 76–77). Denn „... vv 28–30, 39–42 deals with it dramatically and conclusively by illustrating on
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wird. „On a different level, the structural relationship between vv 1–26 and 28–42 can be compared to that which exists elsewhere in the Gospel 161 between the semeion and its relevant explanatory discourse.“ Auch wenn ihre These zu schematisch ist, macht sie zur Recht darauf aufmerksam, dass sich ein Motiv auf verschiedenen Ebenen entfaltet. M.E. kann man diesen Gedanken weiterführen und in der Gesamtperikope ein kunstvolles Zusammenspiel zwischen einer narrativen Ebene und einer Metaebene erkennen. Die Dialoge entfalten nämlich eine theologische Reflexion. Ihr Inhalt bildet eine Art „Metaebene“, die das, was durch die Begegnung mit Jesus geschieht, kommentiert und erklärt. Die Erzählung illustriert, wie diese theologischen Inhalte konkrete Gestalt annehmen können. Diese zwei Ebenen, die sich nicht trennen lassen162, verstärken zusammen den performativen Charakter der Erzählung163: Der Text soll durch seine Wirkung auch das konkrete Leben des Lesers beeinflussen. Die Verheissungen von Joh 4 sollen sich während der Lektüre ereignen und so zur Wirklichkeit werden. Drei Beispiele sollen diese Beobachtung illustrieren: 1) Im ersten Teil des Dialogs zwischen Jesus und der Samaritanerin wird „die Gabe des lebendigen Wassers“ dargestellt. Anhand eines Missverständnisses werden verschiedene Fragen diskutiert: Was (oder wer) ist dieses Wasser? Wer gibt es? Was bringt es? Wie kann man es bekommen? Dies entspricht der „Metaebene“. Gleichzeitig bekommt aber die Samaritanerin durch ihre Begegnung mit Jesus das lebendige Wasser. So kann sie auch ihren Krug liegen lassen.164 Die Wassergabe wird auf der Erzählebene geschildert. Auf der Ebene der Kommunikation mit dem Leser soll sich genau dasselbe ereignen: Auch der Leser soll das lebendige Wasser be-
the one hand the normative character of Jesus’ Mission (with regard to both its scope and method) and, on the other, the nature of the relationship which must needs [sic] exist between the disciples/missionaries and those whom they bring to faith in Jesus.“ 161 O KURE, Approach, 77. 162 Hier ist zu betonen, dass eine schematische Teilung zwischen Versen, welche zur Erzählung zählen und denjenigen, welche zur Metaebene gehören, ein sinnloses Unternehmen ist, denn jeder Vers wirkt zugleich auf die zwei Ebenen! 163 O’D AY, 572, hebt den performativen Charakter der Erzählung hervor: „The give and take of the dialogues, the play of Irony and misunderstanding, and the rich metaphors invite the reader to take an active role in reading this text. The Text does not position the reader as observer, nor does it simply present propositions to which the reader is to give assent. Rather, the narrative techniques of John 4:4–42 draw the reader into participation in the Text. The invitation to discover Jesus’ identity that Jesus extends to the woman (4:10) is extended to the reader also.“ 164 Vgl. III.1.3.4.
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kommen, er ist zum Glauben eingeladen. Darin besteht die beabsichtigte 165 166 Wirkung des Textes, der Perikope wie des Evangeliums als Ganzem . 2) Die Frage der Mission wird explizit im Gespräch Jesu mit seinen Jüngern thematisiert. Dabei werden verschiedene Aspekte erörtert: Die Zeit der Mission ist angebrochen; damit ist Freude verbunden und es gibt verschiedene Arbeiter (Metaebene).167 Während dieses Wortwechsels findet in der Erzählwelt die Mission in Sychar statt: Die Frau ermutigt nämlich die Stadtbewohner, zu Jesus zu kommen (Erzählebene). Darüber hinaus wird der Leser selber durch den Text zum Glauben geführt; er wird einerseits „missioniert“, andererseits wird er implizit aufgefordert, die Botschaft Jesu weiter zu verkündigen (performative Ebene). 3) Im Rahmen einer Reflexion über die richtige Anbetung wird festgestellt, dass Gott seine Anbeter sucht (ζητέω). „Dabei dient das Verb zur Charakterisierung des aktiven Handelns Gottes, um dem Menschen ein neues Gottesverhältnis zu ermöglichen.“168 Auf der narrativen Ebene wird dies illustriert: Die Samaritanerin wird von Gott durch die Vermittlung Jesu „gesucht“.169 Wiederum gilt dieser Aspekt auch für den Leser. Gott sucht ihn, sehnt sich und verlangt nach ihm. Er ist gerufen, sich finden zu lassen, er soll ein wahrer Anbeter werden.
2. Diskussion mit der bisherigen Forschung Kapitel 4 ist im Vergleich zu anderen Abschnitten des Evangeliums stark erforscht und zu Recht beobachtet Frühwald-König, dass die Perikope „zu einem Lieblingsgegenstand der Exegese und zu einem Exerzierfeld für Methodenübungen, hermeneutische Planspiele und Interpretationen aus wechselnden Perspektiven geworden ist und das bis in die jüngste Zeit hinein.“170 Für ein besseres Verständnis des Schriftgebrauchs des JohEv sollen aber nur fünf Aspekte vertieft werden: 1) Der mögliche samaritanische Hintergrund der Aussagen der Frau; 2) Die Aussage Jesu: „Das Heil 165
Der Leser wird dazu eingeladen, das Schlussbekenntnis (V.42) mitzusprechen (vgl. die Auslegung dieses Verses). 166 Vgl. der Epilog: Joh 20,30–31. 167 Es ist umstritten, ob auch V.14 eine Missionsanspielung beinhaltet. Vgl. III.1.3.3.1. 168 SCHAPDICK, Weg, 254. 169 Die Wiederaufnahme des Lexems ζητέω in der nicht gestellten Frage der Jünger (V.27) deutet darauf: Der Leser weiss seit dem V.23, dass „Gott Anbeter sucht“. Jetzt schwebt die Frage in der Luft: Was sucht Jesus, indem er mit einer Samaritanerin spricht? Vgl. THYEN, 271. 170 FRÜHWALD-K ÖNIG, Tempel, 108. Für mehr Informationen über die Forschung vgl. LINK, Was, 30–171, und bei SCHAPDICK, Weg, 1–13.
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kommt aus den Juden“; 3) Die Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau an einem Brunnen und seine mögliche Nähe zu atl. Erzählungen; 4) Die Verweise auf Jakob; 5) Das Motiv des Wassers. 2.1 Der mögliche samaritanische Hintergrund der Aussagen der Frau Es stellt sich die Frage, mit welchem religiösen Hintergrund die Sätze der Frau „Ich sehe, du bist ein Prophet“ und „Ich weiss, dass der Messias kommt“ zu verstehen sind. Einerseits – wenn auch nur in der Textwelt – wird der Satz von einer Samaritanerin gesprochen, weshalb er manchmal im Rahmen samaritanischer Erwartung erläutert wird. Andererseits ist das ganze Evangelium durch die verschiedenen Schriftbezüge vor einem jüdischen Hintergrund zu verstehen. Die Bestimmung des religiösen Hintergrundes könnte für die Frage nach der Rezeption der Schrift (und weiterer religiöser Traditionen) in der Perikope relevant sein, obwohl sich zeigen wird, dass der samaritanische Einfluss kaum von Bedeutung ist. 2.1.1 Forschungsüberblick Die Frage des samaritanischen Einflusses171 wird aus zwei Perspektiven erforscht. Zum einen wird gefragt, inwiefern die Situation der joh Gemeinde in Samaria oder der Kontakt zu den Samaritanern bzw. samaritanischen Christen das JohEv mitgeprägt hat: War das JohEv oder eine mögliche Quelle, die es rezipiert, interessiert an einer Mission in Samaria? Gab es eine Rivalität, einen Konflikt oder einen positiven Kontakt zwischen der joh Gemeinde und den Christen aus Samaria?172 Zum anderem wird untersucht, inwiefern samaritanische Theologumena (z.B. die Erwartung eines Propheten wie Mose) im Text Eingang gefunden haben. Beide Problemstellungen lassen sich nicht ganz voneinander trennen, denn wer behauptet, dass die Erzählung von historischen Fakten, wie der Mission in Samaria 171
Vgl. den Forschungsüberblick von Z ANGENBERG, Christentum, 79–84. Hier zeigt sich eine Entwicklung: In älteren Werken wird der samaritanische Einfluss eher betont, wo später mehr Zurückhaltung angebracht scheint. Weitere Literaturhinweise finden sich bei N G, Water, 99 FN 9. 172 Zangenberg z.B. ist vorwiegend an der historischen Frage interessiert, ohne inhaltliche Aspekte ganz auszuschliessen, wie es seine Hauptthese über Joh 4 zeigt: „In der Erzählung von der Begegnung Jesu mit der Samaritanerin am Jakobsbrunnen liegt die literarisch durchgestaltete Spiegelung frühchristlicher Missionstätigkeit in der Gegend Sychar vor. Man könnte den Text somit als ätiologische Legende zur Begründung der Existenz samarischer Christen und zur Legitimation ihrer Aufnahme in den joh Gemeindeverband bezeichnet“ (Z ANGENBERG, Christentum, 178). Obschon es nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Konfliktsituation zwischen joh und samaritanischen Christen Joh 4 mitgeprägt hat, besteht das Hauptziel der Erzählung darin, die joh Christologie auszuführen; daher ist diese These zu einseitig.
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geprägt ist, wird eher mit samaritanischem Einfluss rechnen, während umgekehrt derjenige, der hinter Vorstellungen von Joh 4 samaritanische Vorstellungen vermutet, daraus Argumente entweder für die Historizität der Erzählung oder für einen Kontakt zwischen der joh Gemeinde und den Samaritanern bzw. den samaritanischen Christen ableiten wird. Eine zirkuläre Argumentation kann fast nicht vermieden werden.173 In der vorliegenden Arbeit wird primär auf den möglichen inhaltlichen Einfluss geachtet, wobei sich diese Problematik besonders bei der Frage nach dem „Messiasbild“ der Samaritanerin zuspitzt. Ob hinter dem Bekenntnis der Frau die Vorstellung einer samaritanischen Heilsfigur174 steht, ist in der Forschung umstritten. Während ein Teil der Exegeten dies als plausibel erachtet175, wird diese Sichtweise von anderen kritisiert.176 So schreibt z.B. Becker: „Zur Interpretation von Joh 4 sind konstitutiv: die Feindschaft zwischen Juden und Samaritanern, der verschiedene Kultort und ein allgemeines Wissen um die Besonderheit christlicher Mission in Samaria. Alle anderen angeblichen samaritanischen Spezialissima sind hypothetisch in den Texthintergrund eingetragen.“177 Zwischen diesen beiden Polen finden sich auch nuancierten Positionen. So betont etwa Theobald einerseits den jüdischen Standpunkt der Erzählung (vgl. den Titel Messias), schliesst aber andererseits nicht aus, dass „auch spezifisch samaritanische Züge einer eschatologischen Heilsfigur in die von der Frau ins Spiel gebrachte jüdische Gestalt des Messias Eingang gefunden haben“178. Auch Zangenberg zeigt sich eher zurückhaltend, was einen möglichen samaritanischen Einfluss in Joh 4 betrifft, zumal für ihn darin keine Übernahme spezifischer samaritanischer Theologumena zu finden ist: Es gäbe 173
Vgl. z.B. die Argumentation von N G, Water, 99: „we may expect to find in Joh 4 a literary presentation of historical facts. Here I will also try to show that the Samaritan background in the Text is reflected with a coherence that speaks for historicity.“ 174 Ich vermeide hier absichtlich den Begriff Taheb, denn er ist nur ab dem 4 Jh. belegt und deswegen, obwohl er wahrscheinlich an frühere Vorstellungen anknüpft, anachronistisch. Die Bezeichnung „samaritanischer Messias“ ist auch zu vermeiden, denn sie ist irreführend. D EXINGER (Taheb, 2) schreibt zu Recht: „Der Messias der jüdischen Tradition ist eine davidisch-königliche Gestalt. Wie das samaritanische Quellenmaterial zeigen wird, sind diese Elemente aber beim samaritanischen thb (= Taheb) keineswegs konstitutiv.“ Er betont deswegen, „dass die Anwendung des Messiastitels auf Heilsbringergestalten des ausserbiblischen Bereiches nur nach ‚Entspezifizierung‘ desselben legitim sein kann“ (Taheb, 2). 175 Vgl. u.a. SCHNACKENBURG I, 475–476; O’D AY, 568; W ENGST I, 167; B ARRETT, 254.257; B ROWN I, 171; H AHN, Hoheitstitel, 362; L INDARS, 191; auch mit Vorsicht LÉON-D UFOUR, 376. O DEBERG, 187, vermutet sogar, dass Taheb vielleicht in einer ursprünglichen Fassung gestanden hat; ihm folgt B ULTMANN, 141 FN 5. 176 Vgl. u.a. S CHAPDICK, Weg, 241–243; B ECKER I, 211; T HYEN, 264. 177 B ECKER I, 202. 178 T HEOBALD, 328.
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zwar Themen, die „entweder typisch samaritanisch (Garizim), oder Samaritanern und Juden gemeinsam bzw. zwischen ihnen umstritten waren (Mo179 se, Jakobtradition, ‚lebendiges Wasser‘, Prophet nach Dtn 18).“ Diese samaritanischen Züge seien aber sehr allgemein gehalten und derart ‚biblisch‘, dass sich diese meistens aufgrund des gemeinsamen atl. Erbes und des allgemeinen Basiswissens über die jeweils andere Gruppe gut erklären 180 liesse. Darüber hinaus werde deutlich „wie stark die Samaritanerproblematik aus jüdischer Perspektive beleuchtet wird und wie sehr ihre Darstel181 lung sprachlich durch den typisch joh Jargon überformt wird.“ 2.1.2 Auswertung Die in der Sekundärliteratur knapp gehaltene Bejahung oder Verneinung samaritanischen Einflusses ist nicht zufriedenstellend, denn es fehlen die explizite Thematisierung des Unterschieds zwischen der/einer samaritanischen und der/einer jüdischen Heilsfigur, so dass die Bestimmung des traditionellen Hintergrundes kaum zur Erhellung des in Joh 4 vorhandenen Messiasverständnisses beizutragen vermag. Hingegen ist die Beurteilung von Zangenberg sehr hilfreich, aber seine Position muss in zwei Hinsichten weitergeführt werden. Zum einen sind die mit der Problematik verbundenen methodischen Schwierigkeiten m.E. nicht genügend berücksichtigt. Zum anderen können Beobachtungen aus dem joh Text seine Position, wonach Joh 4 nicht auf spezifische samaritanische Traditionen anspiele, stärker untermauern. Um zu wissen, ob hinter den Worten der Frau samaritanische Heilserwartungen stehen, ist es notwendig, die samaritanische Vorstellung der Zeit, besonders diejenige ihrer Heilsbringergestalt, genauer zu kennen. Dies ist leider wegen des Fehlens von Quellen eine sehr schwierige Aufgabe: Die „samaritanischen Texte stammen [... nämlich] frühestens aus dem 2., eher erst aus dem 4. Jh. n. Chr. und sind daher im Verhältnis zum Alter der samaritanischen Religion sehr jung.“182 Was später geschrieben wurde, 179
Z ANGENBERG, Christentum, 195. Vgl. z.B. seine Einschätzung der Jakobstradition: „Betrachtet man diese leicht vernehmbaren Übereinstimmungen des in Joh 4 impliziten Jakobbildes mit der spätern jüdischen Jakoblegende, dann fällt es schwer anzunehmen, Joh beziehe sich in Joh 4 auf exklusiv samaritanische Traditionen. Während freilich nicht auszuschliessen ist, dass ähnliche Legenden auch in samaritanischem Milieu zirkulierten, aber textlich nicht erhalten sind, resultiert die samaritanische wie auch die jüdische Rezeption der Jakobtradition zu sehr aus dem gemeinsamen pentateuchischen Erbe beider Religionsparteien, als dass sie zweifelsfrei als exklusives Produkt einer dieser Gruppe nachweisbar wäre“ (Z ANGENBERG , Christentum, 129). 181 Z ANGENBERG, Christentum, 196. 182 D EXINGER, Taheb, 25. Es ist aber bei gewissen Quellen (z.B. diejenige aus dem Memar Marqah) umstritten, ob „Stellen, an denen der Taheb genannt wird, überhaupt auf 180
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knüpft natürlich an frühere Vorstellungen an. Was wir von der damaligen samaritanischen Heilsfigur wissen, ist jedoch aus späteren oder nichtsamaritanischen (meistens jüdischen) Quellen rekonstruiert. Das daraus entstandene Bild ist notwendigerweise fragmentarisch. Dazu ist es schwer, mit Sicherheit zu bestimmen, welche Charakteristika der Heilsfigur schon zur Zeit Jesu bzw. des JohEv wichtige Bestandteile der samaritanische Erwartung waren und welche erst später dazugekommen sind. Was lässt sich trotz allem zu der von samaritanischer Seite her erwarteten Heilsfigur sagen? Zumeist wird angenommen, dass sich die „Grundvorstellung [...] an der Wiederkehr des Moses nach Dtn 18,15.18 orientiert und damit prophetisch ausgerichtet [ist].“183 Zusätzlich können weitere Elemente mit Vorsicht aus Quellen184 aus dem 4. Jh. entnommen werden: Er wird die Wahrheit offenbaren185. Zudem ist sein Kommen mit Frieden186 und Erbarmen187 verbunden und fällt mit der Befreiung der Feinde und dem Gericht188 zusammen. Im übrigen steht seine Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Garizim.189 Marqah [= 4. Jh ] zurückgehen oder erst Jahrhunderte später (etwa im 11. oder 14.Jh.) interpoliert wurden“ (D EXINGER, Taheb, 163). 183 FABRY, Testament, 43. T HYEN, 264, warnt jedoch den „Prophet wie Mose“ mit dem Taheb zu identifizieren. Vgl. auch K IPPENBERG, Garizim, 276–327. D EXINGER (Taheb, 26) geht davon aus, „dass die voll entfaltete Taheb-Vorstellung erst als das Endprodukt einer mit der eschatologischen Interpretation von Dtn 18,18 beginnenden Entwicklung anzusehen ist.“ Am Anfang dieser Entwicklung „trug der Prophet wie Mose sicher noch nicht den Namen ‚Taheb‘“ (D EXINGER, Taheb, 30). 184 Vgl. insbesondere die Texte aus Memar Marqah und Durann. 185 Verweise auf die Offenbarung der Wahrheit befinden sich eindeutig in Memar Marqah II, 9 (Macdonald, Memar I, 44); Memar Marqah IV, 12 (Macdonald, Memar I, 110). Weniger eindeutig ist Memar Marqah I, 9 (Macdonald, Memar I, 22): „Kommen möge der Taheb. Es verschwindet das Dunkel“ (Übersetzung, D EXINGER, Taheb, 166). Vgl. auch Memar Marqah III, 4 (Macdonald, Memar I, 64): „... Taheb, der, wenn er kommt, euch segnen wird, indem er euch unterweist über den Rang des Königsreiches“ (Übersetzung, D EXINGER, Taheb, 167). 186 Vgl. in Memar Marqah I, 9 (Macdonald, Memar I, 22) der wiederkehrende Satz: „Kommen möge der Taheb in Frieden“ (Übersetzung, D EXINGER, Taheb, 166). Vgl. auch Memar Marqah IV, 12 (Macdonald, Memar I, 110) und Cowley, Liturgy I, 45 Zeile 12– 16: „... Er kommt, der den Frieden bringt...“ (Übersetzung, D EXINGER, Taheb, 174). 187 Vgl. Memar Marqah IV, 12 (Macdonald, Memar I, 112) und Cowley, Liturgy I, 42 Zeile 14–18. 188 Vgl. Memar Marqah I, 9 (Macdonald, Memar I, 22): „Er scheide zwischen Auserwählten und Verworfenen. Es wandle sich diese Bedrückung in Befreiung“ (Übersetzung, D EXINGER, Taheb, 166); Memar Marqah IV, 11 (Macdonald, Memar I, 108): „Wehe dem Sünder, der Böses getan hat mit aller Macht... Er [= der Taheb ... wird [die] Welt reinigen...“ (Übersetzung, D EXINGER, Taheb, 168); Memar Marqah IV, 3 (Macdonald, Memar I, 88: „So wird der grosse Prophet Mose am Tag der Vergeltung tun. Er wird sein Erbarmen gewähren und alle Feinde vernichten“ (Übersetzung, D EXINGER, Taheb, 169); Cowley, Liturgy I, 42 Zeile 14–18: „Die Finsternis wird beseitigt, die Bosheit wird
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Wenn die Samaritanerin sagt: „Ich sehe, dass du ein Prophet bist“, spricht sie m.E. nicht von einer Heilsfigur. „Es ist ernst zu nehmen, dass 190 hier der bestimmte Artikel nicht verwendet wird.“ Im Text steht ein Prophet, nicht der Prophet. Das Johannesevangelium kennt einen vielfältigen Gebrauch des Wortes προφήτης, wobei sich dennoch eine klare Gebrauchsregel erkennen lässt. Wenn ὁ προφήτης verwendet wird (1,21.23.25; 6,14; 7,40), ist eine endzeitliche Heilsfigur gemeint, während es sich bei der Verwendung von ὁ προφήτης mit Namen oder im Plural (οἱ προφῆται) (1,45; 6,45; 8,52.53; 12,38) um Verweise auf atl. Figuren handelt und bei προφήτης (ohne Artikel) die allgemeine Bedeutung von „Gottesmann“ (4,19; 4,44; 7,52191; 9,17) vorliegt. So wird in 4,44 die Anerkennung eines Propheten in seinem Vaterland thematisiert und in 7,52 die unmögliche Herkunft eines Propheten aus Galiläa behauptet, während 4,19 und 9,17 ein vorläufiges Bekenntnis zu Jesus enthalten. Durch einen Dialog werden die Gesprächspartner Jesu schrittweise zur richtigen Erkenntnis Jesu geführt. Sie sehen in ihm zuerst einen Propheten, also einen Mann, der über göttliche Macht verfügt, die in seinem besonderen Wissen (Joh 4) oder in seiner Heilkraft (Joh 9) sichtbar wird. In einem zweiten Schritt wird das Bekenntnis genauer: In Jesus ist die eschatologische Erwartung erfüllt: Er ist der Messias (4,26) und der Menschensohn (9,37).192 In Joh 4 ist es also philologisch ungenau, mit „der Prophet“ zu übersetzen und inhaltlich irreführend an eine samaritanische Heilsfigur zu denken: Es verflacht die klimaktische Entwicklung der Bekenntnisse des Textes und passt im Kotext nicht: Die Frau macht keine Aussage über ihre Zukunftserwartung, sondern wundert sich über das besondere Wissen Jesu. Wenn die Frau sagt: „Ich weiss, dass der Messias kommt, und er wird uns alles kundtun.“ drückt sie ihre Zukunftserwartung aus: Sie hofft auf das Kommen einer Heilsfigur, die Messias genannt wird und die als Lehrer auftritt. Es gibt zwar zwischen ihrer Aussage und der samaritanischen Ervertrieben“ (Übersetzung, D EXINGER, Taheb, 173–174). Vgl. auch Memar Marqah III, 32f (Macdonald, Memar I, 62); Memar Marqah IV, 12 (Macdonald, Memar I, 111). 189 Vgl. Memar Marqah I, 9 (Macdonald, Memar I, 22): „Man opfere das rechte Opfer gegenüber von Bet El“ (Übersetzung, D EXINGER, Taheb, 166); Memar Marqah IV, 12 (Macdonald, Memar I, 110): „Er besitzt den Ort, den Gott erwählt hat...“ (Übersetzung, D EXINGER, Taheb, 170); Cowley, Liturgy I, 45 Zeile 12–16: „der, den Berg Garizim – Bet El reinigt“ (Übersetzung, D EXINGER, Taheb, 174). 190 SCHAPDICK, Weg, 190. 191 7,52 ist textkritisch unsicher, aber die Lesart ohne bestimmten Artikel (ein Prophet) ist vorzuziehen. Vgl. IV.1.3.4. 192 Vgl. den parallelen Aufbau: Messias und Menschensohn werden erwähnt, ohne auf Jesus bezogen zu sein, bevor dieser den Titel für sich beansprucht, wobei er seine Funktion als Gesprächspartner (vgl. 4,26: ἐγω εἰµι, ὁ λαλῶν σοι und 9,37: καὶ ὁ λαλῶν µετὰ σοῦ ἐκεῖνός ἐστιν) betont.
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wartung eine Gemeinsamkeit, die in der Betonung der prophetischen Züge der Heilsfigur besteht. Sie reicht jedoch nicht aus, um hinter dem Text den Einfluss samaritanischer Vorstellungen zu vermuten. Ausser dem Lexem „Messias“, das eindeutig jüdische Herkunft hat193 und in der Tora, der einzig anerkannten Schrift der Samaritaner, nicht vorkommt, sprechen drei Argumente für eine solche Interpretation. Zuerst fehlen alle spezifisch samaritanischen Merkmale der Heilsfigur: Das Bringen von Frieden und Erbarmen, die Befreiung von Feinden sowie Gerichtsgedanken spielen in Joh 4194 keine Rolle. Die enge Verknüpfung von Taheb und Garizim steht sogar im Widerspruch zu V.20–24, in denen „dieser Berg“ als Kultort von Jesus relativiert wird. Zweitens wäre es vereinfachend und historisch unzutreffend zu behaupten, dass es eine jüdische Heilsfigurerwartung (ein Messias mit königlichen Eigenschaften) und eine samaritanische (ein Taheb mit prophetischen Zügen) gab.195 Vielmehr ist von einer Vielfalt jüdischer Messiaserwartungen auszugehen.196 Schliesslich lässt sich kein Unterschied zwischen dem Messiasbild in Joh 4 und demjenigen im Rest des JoEv feststellen. Das wunderbare Wissen Jesu als Zeichen seiner Göttlichkeit,197 die Offenbarung seiner Lebensgabe in Bildern und die dialogische Hinführung zu einem besseren Verständnis seiner Identität198 sind wiederkehrende Motive. Wer der Messias ist und was er tut, ist vorwiegend, wie sonst im JohEv, von jüdischen Vorstellungen geprägt und dennoch nicht identisch mit ihnen, denn die im Text dargestellte Position ist eine Interpretation dieser Messiaserwartung, deren Deutung weder jüdisch noch samaritanisch ist, sondern johanneische Theologie widerspiegelt.
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Der Begriff „Messias“ taucht erst im 16. Jh. in samaritanischen Quellen auf. (Vgl. K IPPENBERG, Garizim, 303 FN 218). 194 Dies gilt erst recht für das Gesamtevangelium. (Gegen B OISMARD, [Moïse, 44] die versucht, die samaritanische Herkunft des JohEv zu beweisen und behauptet: „Nous sommes donc en présence de thèmes ‚christologiques‘ spécifiquement samaritains“.) 195 Die Vielfalt jüdischer messianischer Erwartungen wird von L ICHTENBERGER (Erwartungen, 9) und F ABRY (Testament, 11.53) deutlich hervorgehoben. 196 Die Erwartung eines Propheten wie Mose und die damit verbundene eschatologische Uminterpretation von Dtn 18,18 findet sich auch in jüdischen Quellen und ist folglich nicht genuin samaritanisch. Vgl. 1 Makk 4,44–46; 14,41; vgl. auch 1QS IX 11; 4Q175 5–8; 4Q158 VI 6–7. Vgl. D EXINGER, Prophet, 110: „Die Prophetenerwartung ist im Anschluss an Dtn 18,18 bereits in vorsamaritanischen Texten belegt und kann daher nicht als samaritanisches Spezifikum gelten, sondern muss vielmehr als Teil des gemeinjüdischen Erbes der Samaritaner gesehen werden.“ 197 Vg. u.a. 1,47–49; 16,29–30; 21,17. 198 Vgl. SCHOLTISSEK, Testament, 90: „Charakteristisch für das johanneische Christusbild ist seine mystagogische Dynamik: Jesus führt Menschen, die durch Zeugen und Boten zu ihm hin vermittelt wurden, in der Begegnung mit ihm zu einer wachsenden, zukunftsoffenen Christuserkenntnis.“
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2.2 „Das Heil ist aus den Juden“ Auf den ersten Blick scheint die Aussage „das Heil ist aus den Juden“ zur Frage nach dem Schriftverständnis des JohEv nicht viel beitragen zu können. Der Satz enthält keinen expliziten Schriftbezug und auch keine implizite Anspielung. Dazu kommt weder das Wort „Schrift“ noch das Wort „Gesetz“ vor. Dies ist aber ein oberflächliches Urteil. „Das Heil ist aus den Juden“ bejaht eine Kontinuität mit der jüdischen Tradition. Im Kotext der V.19–26 bedeutet V.22, „que le changement annoncé par Jésus s’enracine dans le révélation qu’a reçu Israël. En d’autres termes, Jésus ne nie en aucune façon que l’Ecriture juive soit l’expression de la révélation divine. Tout au contraire, la Torah mène précisément à ce que le ‚prophète‘ Jésus 199 annonce.“ Ist diese Deutung richtig, enthält der Satz schrifttheologische Implikationen. Die Interpretation des V.22 wird aber in der Forschung200 kontrovers diskutiert, zumal literarkritische Hypothesen oft vertreten werden. V.22 nimmt auch in der Debatte über den Antijudaismus im JohEv eine zentrale Stellung ein. Zudem ist die Pointe der Aussage strittig: Ist der Akzent eher christologisch oder heilsgeschichtlich? 2.2.1 Das literarkritische Problem Anhand eines kurzen Überblicks will ich die Grenze literarkritischer Ansätze aufzeigen: Der Satz „das Heil ist aus den Juden“ kann nicht als spätere Glosse abgewertet werden. Auch wenn eine Zurückführung auf eine ältere Tradition oder Quelle für möglich gehalten wird, erspart es nicht eine sorgfältige Auslegung des zur Verfügung stehenden Endtextes. Die Echtheit dieses Verses (oder von Teilen davon) war vor allem in der älteren Forschung heftig umstritten,201 wobei die Hauptargumente202 zugunsten einer Glosse inhaltlicher Natur sind, denn die „Juden“ im Rest des JohEv fallen unter ein negatives Licht, was zu der sehr positiven Aussage von 4,22 im Widerspruch steht. Dieses Argument verkennt die Komplexität der Problematik „Juden“ im JohEv. In der neuen Forschung wird ein sehr nuanciertes Bild gezeichnet, das von einem pauschalen Urteil über die Juden im JohEv warnt203. Die besondere Rolle der Juden in der Heilsge199
Z UMSTEIN, Surprise, 332. Ein Forschungsüberblick befindet sich auch bei K UTSCHERA, Heil, Erster Teil. 201 Für einen Überblick über die verschiedenen Forschungspositionen vgl. VAN B ELLE, Salvation, 372–381, und H AHN, Heil, 99–103. 202 Die Argumente für eine Glosse sind in Details vorgestellt und widerlegt von VAN B ELLE, Salvation, 382–393. 203 Schon der Begriff Ἰουδαῖοι zeugt von einem vielfältigen Gebrauch: „Er umfasst ein Spektrum von der Bezeichnung Jesu als Ἰουδαῖος (Joh 4,9a) über die unpolemische Zuordnung von Gesprächspartnern oder Sympathisanten Jesu zu den Ἰουδαῖοι (vgl. Joh 3,1; 8,31; 11,45; 12,11; 19,38a), die kulturelle Zuordnung von Sitten oder Festen zu den 200
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schichte wird trotz der zahlreichen Streitgespräche zwischen ihnen und Jesus und der breiten Darstellung ihres Unglaubens im Gesamtevangelium nicht hinterfragt: Gerade weil die Juden eine besondere Stellung in der Heilsgeschichte einnehmen, wird ihr Unglaube besonders heftig kritisiert. In Bezug auf 4,22 „zeigt sich immer mehr, dass bei einer differenzierten Sichtweise auf die ‚Juden‘ im Johannesevangelium das entscheidende Motiv für die Glossentheorie entfällt.“204 Eine weitere Spannung zwischen dem V.22 und anderen theologischen Aussagen des Ev ist nach Becker zu beobachten: „Sicher ist Jesus Jude – das leugnet auch das Joh nicht –, aber Jesu Heilsangebot ist ‚von oben‘, ‚vom Vater‘, nicht aber von Israel her zu verstehen.“205 M.E. reicht ein solches Argument nicht aus, um eine spätere Redaktion des V.22 zu begründen. Es werden nämlich die göttliche Herkunft des Heils (von oben, von Gott) und die Kontinuität mit der Heilsgeschichte gegeneinander ausgespielt, obwohl beide Vorstellungen sich nicht ausschliessen müssen. Für die Glossenhypothese fehlen auch Gründe, welche die spätere Hinzufügung erklären206. Ein anderer literarkritischer Vorschlag findet sich bei Theobald, der vermutet, dass der Vers 4,22 von einer älteren Quellen stammt und dass der Evangelist ihn beibehält, indem er seinen ursprünglichen Sinn (Betonung des Vorrangs jüdischer Heilsgeschichte aus judenchristlicher Perspektive) umdeutet: „Dem Evangelisten konnte der Satz ‚das Heil kommt aus den Juden‘ im Blick auf Herkunft und Ursprung des Heils bzw. das wahre ,Woher‘ des ‚Heilands‘ nicht genügen […] In einem abgeleiteten Sinne konnte er den Satz aber akzeptieren: ,aus den Juden‘ ist die Schrift und sie legt Zeugnis für Christus und damit für das mit ihm gekommen ‚Heil‘ ab“207. 2.2.2 Joh 4,22b in der Antijudaismusdiskussion Wenn V.22 nicht als Glosse betrachtet (bzw. abgewertet) wird, wird er häufig verwendet, um die ‚antijüdischen‘ Aussagen des JohEv zu relativie-
Ἰουδαῖοι (Joh 2,6.13; 4,9b; 5,1; 6,4; 7,2; 11,55; 19,40.42), in der sich deutlich eine Aussenperspektive verrät, bis hin zur Identifizierung der Gegner Jesu als Ἰουδαῖοι in den Streitreden (ab 5,10), wobei sich οἱ Ἰουδαῖοι teilweise auf Repräsentanten und Autoritäten, teilweise aber auch einfach auf Angehörige der so benannten Gruppe (Joh 11,19.31; 12,9) oder die Volksmenge (Joh 18,20.35.38b; 19,20) bezieht“ (FREY, Juden, 351). 204 K UTSCHERA, Heil, 67. 205 B ECKER I, 207. Eine ähnliche Argumentation befindet sich bei H AENCHEN, 243. 206 „Zumal die Entfremdung der johanneischen Gemeinde von der Synagoge ständig und rasch gewachsen ist, kann der zitierte Satz [= das Heil ist aus den Juden] kaum als die sachlich verfehlte Glosse eines ‚kirchlichen Redaktors‘ der Spätzeit entstammen, wie Blutmann vermutet“ (T HYEN, Heil, 169). 207 T HEOBALD, 324.
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ren. So wird 4,22b „ὅτι ἡ σωτηρία ἐκ τῶν Ἰουδαίων ἐστίν“ dem Vers 209 8,44 „ὑµεῖς ἐκ τοῦ πατρὸς τοῦ διαβόλου ἐστέ“ entgegengesetzt . Auch wenn diese Deutung sympathisch ist, wird der Vers aus dem Kotext gerissen, was zu einem Zerrbild seines Inhaltes führt.210 Die Frage nach dem Verhältnis des JohEv zum Judentum ist komplex und kann nicht gelöst werden, indem Verse als „Slogans“ gebraucht werden, um die judenfreundlichen und -feindlichen Intentionen des JohEv zu begründen. Die Einbeziehung von 4,22b in die Diskussion über den Antijudaismus ist sicher legitim, kann aber nur sinnvoll geschehen, wenn der Kotext des Verses mitberücksichtigt wird. In diesem begründet der V.22, warum den Juden ein religiöses Wissen („wir kennen, was wir anbeten“) zugestanden wird, obwohl sie im Laufe des Ev meistens als die Gegner Jesu auftreten. Dabei „wird natürlich nicht das tatsächliche Verhalten Israels gebilligt, wohl aber sein Erwähltsein zum Volk der Offenbarung.“211 „Das Heil ist aus den Juden“ steht also nicht im Widerspruch zur an anderen Stellen des Ev geschilderten Polemik gegen die ungläubigen Juden, sondern erklärt vielmehr, warum der Konflikt so heftig ist: Trotz ihres besonderen Wissens („wir wissen, was wir anbeten“), das in der bisherigen Offenbarung Gottes gründet, erkennen sie den Gesandten Gottes nicht. Im Rahmen der Debatte über den Anitijudaismus wird auch diskutiert, ob die Herkunft des Heils aus den Juden bleibende Bedeutung habe oder ob die heilsgeschichtliche Rolle Israels „post Christum“212 an Relevanz verloren habe. Zu diesen Fragen gibt eine grosse Bandbreite von Positionen: So betont Ritt (u.a.) mit Bestimmtheit die Diskontinuität: „Der Messias geht aus Israel hervor. Diese unbestreitbare heilsgeschichtliche Tatsache
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Vgl. K UTSCHERA, Heil, 77: „Im Zuge der Aufarbeitung der Geschichte des christlichen Antijudaismus findet sich auch Joh 4,22 häufig inmitten einer kontroversen Diskussion über einen möglichen Antijudaismus im Johannesevangelium.“ 209 Vgl. N EUHAUS, Einleitung, 1; VAN B ELLE, Salvation, 384. 210 In dem Sinn übt schon POTTERIE (Salut, 75) Kritik: „Il est tout aussi erroné de prétendre que Jean est ‚contre les Juifs‘ que de vouloir s’appuyer sur Jn 4,22 pour montrer qu’il est ‚pour les Juifs‘.“ In beiden Fällen wird der Text auf die Ebene des menschlichen Konflikts reduziert. „L’évangéliste se situe à un niveau plus élevé, celui de la révélation et de l’histoire du salut […] Les textes que l’on considère abusivement comme des preuves de son ‚anti-judaïsme‘ ou son ‚anti-sémitisme‘ doivent être interprétés à ce niveau de foi. Mais il en va exactement de même pour Jn 4,22b...“ (Salut, 75). 211 STRATHMANN, 88. 212 Ich übernehme diesen Ausdruck von K UTSCHERA (Heil, 364). Zugespitzt stellt er die Frage, (Heil, 366) „ob Israel ausschliesslich eine Zuträgerfunktion für das Heilsgeschehen in Christus hatte, d.h. ob es bildlich gesprochen wie ein Steigbügel an einem Pferdesattel war bzw. – in einem moderneren Bild gesprochen – wie eine ausgebrannte Raketenstufe, die ihre Funktion, den Satelliten in seine Umlaufbahn zu befördern, nun erfüllt hat und verglühen kann.“
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ist aber in ihrer aktuellen Bedeutung überholt.“ Hingegen verteidigt Thyen die bleibende Bedeutung Israels: Es kann sich beim Satz „das Heil ist aus den Juden“ „schwerlich nur um einen Blick zurück auf eine vergangene Phase der Heilsgeschichte handeln, als solle hier – etwa gar im Sinne einer Beerbungstheorie – nur die historische Genese der ‚christlichen‘ Religion aus der ‚jüdischen‘ beschrieben werden. [...] Darum muss der Begründungssatz, ‚denn das Heil kommt von den Juden‘ schon grundsätzlichere und wohl auch aktuellere Bedeutung haben.“214 Eine nuancierte Position vertritt Potterie. Auf der einem Seite sieht er eine deutliche Bruchlinie, welche die Heilsgeschichte in zwei verschiedene Epochen teilt: „Jean veut évoquer la division des deux grandes époques de l’histoire du salut: d’une part, la tradition d’Israël d’où viennent ‚le salut‘ et le Messie lui-même; de l’autre, le temps eschatologique qui commence avec Jésus.“215 In diesem Sinn verliert die Herkunft des Heils aus den Juden an Bedeutung. Auf der anderen Seite legt er Gewicht auf den ἐστίν: „ce présent (‚est‘) prend une valeur permanente et universelle, mais en un sens très précis : il est vrai pour eux, et il le restera toujours pour tous les hommes, que Jésus et le salut qu’il apporte ne peuvent se comprendre que sur l’arrière-fond de la tradition d’Israël.“216 Die Gefahr einer solchen Debatte um Joh 4,22 besteht darin, anachronistische Anliegen in die Diskussion einzubeziehen und hierbei den Kotext und die Funktion dieser Aussagen in der Argumentation zu Unrecht auszublenden (vgl. z.B. die Frage nach der bleibenden Bedeutung des Judentums für das Christentum, wozu der Text keine Antwort gibt, da V.22 Teil einer Reflexion über das religiöse Wissen ist, dessen Grundlage das sich in der Geschichte Gottes mit Israel ereignende Heil ist). 2.2.3 Inhaltliche Bestimmung Eine wichtige Interpretation des Verses stellt die Kontinuität mit der Heilsgeschichte in den Vordergrund. Dabei ist besonders die Rolle der Schrift, die von Jesus zeugt, hervorgehoben. „Das Heil ist aus den Juden“ bedeutet, dass das Heil, das sich in Jesus Christus ereignet, seine Wurzel in der bisherigen Geschichte Gottes mit seinem erwählten Volk hat: In Jesus werden die jüdischen Heilsverheissungen vollendet und in ihm bekräftigt Gott seinen Heilswillen für Israel und erweitert ihn auf alle Menschen. Eine andere Akzentsetzung ist dennoch möglich, wenn die Nähe zwischen 213
R ITT, Frau, 305. THYEN, Heil, 177. Der Hauptverteidiger dieser Position ist Kutschera. So besteht das Hauptanliegen seines Buches darin, die bleibende Bedeutung der jüdischen Herkunft des Heils herauszustreichen. 215 POTTERIE, Salut, 92. 216 POTTERIE, Salut, 91–92. 214
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dem Abstraktum Heil (σωτηρία) und der Bezeichnung Jesu als Retter (σωτήρ) betont wird, so dass die Pointe der Aussagen nicht mehr in der heilsgeschichtlichen Kontinuität liegt, sondern in der christologischen Bestimmung des Heils, das sich im Juden Jesus realisiert.217 „Das Heil kommt von den Juden, weil der Jude Jesus der Messias ist. […] Weil es aber für die Samaritaner nicht selbstverständlich ist, dass der jüdische Messias auch ihr Retter ist, darum ist Joh 4,22 nötig.“218 Bei den christologischen und heilsgeschichtlichen Auslegungen handelt es sich um zwei Akzentsetzungen, die zu Recht von fast keinem Forscher gegeneinander ausgespielt werden.219 Vielmehr wurde von verschiedenen Forschern (Söding, Thyen, Schapdick) die „unlösbare Verbindung des von den Juden kommenden Heils mit dem universalen Heil in Jesus“220 deutlich herausgearbeitet. 221 Nichtsdestotrotz ist m.E. aufgrund des Kotextes eine Hervorhebung des heilsgeschichtlichen Aspekts vorzuziehen. Der Satz „das Heil ist aus den Juden“ soll begründen, warum Jesus den Juden eine bestimmte Gotteserkenntnis zuspricht. Dass das Heil sich im Juden Jesus ereignet, vermag das besondere religiöse Wissen der Juden um die Anbetung nicht genügend zu erklären. Wenn es dennoch denkbar ist, dass die Hervorhebung des Judeseins Jesu die Interpretation von V.22 bereichern und ergänzen kann, scheint mir dieser Aspekt trotzdem zweitrangig, denn das Judesein Jesu wird im Rest des Evangeliums kaum thematisiert.222. 2.3 Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau an einem Brunnen Gen 24, 29, Ex 2 und Joh 4 weisen gemeinsame Strukturelemente und Erzählmotive auf. In allen vier Erzählungen wird die Begegnung zwischen 217
Eine solche Akzentsetzung findet sich z.B. bei SCHAPDICK, Weg, 210; L EIDIG, Gespräch, 129; SCHNELLE, 102; FRÜHWALD-K ÖNIG, Tempel, 132. So auch SÖDING (Was, 21), der stark das Judesein Jesu betont, aber gleichzeitig den Wissensvorsprung der Juden mit der Heiligen Schrift erklärt. 218 L EIDIG, Gespräch, 129. 219 Eine einseitige Betonung ist kaum zu finden. Eine Ausnahme findet sich bei L INK (Was, 194). K UTSCHERA (Heil, 364) stellt fest, dass eine gewisse einseitige Betonung des christologischen Aspekts bei gewissen Kirchenvätern zu lesen ist. Zur (einseitigen) Auslegung der Kirchenväter vgl. auch POTTERIE, Salut, 83–84. 220 K UTSCHERA, Heil, 80. 221 Vgl. auch L EIDIG, Gespräch, 130: „Wir sollten die beiden Möglichkeiten, das Denken von der Erwählung her und die christologische Deutung zusammensehen, um Joh 4,22 zu verstehen.“ 222 T HEOBALD (324) geht soweit, dass er eine solche Interpretation ablehnt: „Es fällt auf, dass im Evangelium immer nur andere Jesus als Juden anreden (die Samaritanerin, Pilatus), er selbst sich nie so definiert. […] Nur ein vorläufiger Blick auf Jesus nimmt ihn in seiner nationalen Eingebundenheit wahr, in Wahrheit liegen seine Wurzeln woanders: er ist Gottes einziggeborener Sohn!“ Gegen S ÖDING (Was, 21–41), der die Bedeutung des Judeseins Jesu für das Gesamtevangelium hervorhebt.
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einem Mann und einer Frau an einem Brunnen erzählt. Die Gemeinsamkeiten eröffnen ein intertextuelles Spiel, so dass sich die Frage stellt, wie die Parallelität zwischen Joh 4 und den atl. Erzählungen zu deuten ist, falls diese als relevant gewertet wird. In der Forschung begegnen wir zwei Grundvorschlägen: Entweder dient die Parallele dazu, Jesus als messianischen Bräutigam zu schildern, oder sie ermöglicht es, die Thematik der Gastfreundschaft herauszustreichen. 2.3.1 Jesus als messianischer Bräutigam Alter erklärt die Ähnlichkeit von Gen 24, 29 und Ex 2 durch die Anwesenheit von literarischen Konventionen, so dass alle drei unter einem pattern, „the betrothal type-scene“, subsumiert werden können: „The betrothal type-scene […] must take place with the future bridegroom, or his surrogate, having journeyed to a foreign land. There he encounters a girl […] or girls at a well. Someone, either the man or the girl, then draws water from the well; afterward, the girl or girls rush to bring home the news of the stranger’s arrival […]; finally, a betrothal is concluded between the stranger and the girl, in the majority of instances, only after he 223 has been invited to a meal.“
Anlehnend an Alters These haben zahlreiche Exegeten224 versucht, auch Joh 4 aus dieser Perspektive zu beleuchten. Die Ergebnisse sind jedoch sehr unterschiedlich, wie die drei hier vorgestellten Positionen illustrieren. Michael W. Martin knüpft an Alters These an, erweitert aber die Liste der Gemeinsamkeiten dieser type-scene (12 statt 5 Elemente) und untersucht auch andere Texte, die zu diesem pattern gehören könnten: Neben Gen 24, Gen 29 und Ex 2 berücksichtigt er Ruth, 1Sam 9, 1Sam 19, Tobias, und Joh 4.225 Dabei fragt er „how interpretation of each of these narratives is informed by recognition not only of conformity to the pattern but also innovation in it“226, so dass er im Spiegel seiner 12 Elemente die verschiedenen Texte erläutert. Exemplarisch erwähne ich hier einige Elemente des pattern und die entsprechende joh Umarbeitung. Zentral für Joh 4 ist z.B. das fünfte Element: „The suitor revelas his identity“227, da das Ziel des ganzen Gesprächs in der Enthüllung der Identi223
A LTER, Art, 52. Vgl. ARTERBURY, Breaking; CARMICHAEL, Marriage; ESLINGER, Wooing; MCWHIRTER, Bridegroom; N EYREY , Jacob 426; J ONES , Symbol, 91–92; S CHRÖDER , Israel, 138– 141; O LSSON, Structure, 172; ZIMMERMANN, Brautwerbung; T HEOBALD, 307; T HYEN, 276. Weitere Literarturhinweise finden sich bei A RTERBURY, Breaking, 65 FN 13 und 14 und bei M ARTIN, Betrothal, 507 FN 9. 225 Hier wäre zu fragen, inwiefern diese pattern-Zuordnung wirklich für jede dieser Erzählungen angebracht ist. 226 M ARTIN, Betrothal, 523. 227 M ARTIN, Betrothal, 508. 224
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tät Jesu besteht, der sich zuerst als derjenige, der das Wasser des Lebens gibt (4,10–15) zeigt, der dann aber im Kontrast zu den anderen Ehemännern der Samaritanerin – als Symbol für Samaria und ihre Götzengottesdienste gedeutet228 – als der siebte und vollkommene Ehemann dargestellt (4,16–19) wird. Er ist schliesslich auch derjenige, der Auskünfte über den richtigen Kultort geben kann und sogar eine neue Art und Weise der Anbetung begründet. Wichtig für die Interpretation von Joh 4 ist aber auch die Hochzeit und das in diesem Kontext stattfindende Mahl (8. Element). Jesus wird als messianischer Bräutigam vorgestellt und eine symbolische Hochzeit findet statt, wenn die Samaritanerin zum Glauben kommt. Zudem wird das „Mahl“ wird durch die Frage des Essens Jesu (V.31–34) erwähnt. Beide Aspekte hängen zusammen, weil die Nahrung Jesu darin besteht, den Willen seines Vaters zu tun und dessen Werk zu vollenden und daher Jünger zu gewinnen. Martin sieht im joh Text sogar eine Entsprechung zum atl. Erzählungsteil, bei dem Kinder gezeugt werden (Element 9 und 12 ). „The children in view, of course, are not literal offspring but rather the disciples of each man. [...] [E]lement 9 is fulfilled not merely when Jesus stays with the Samaritan women’s fellow Samaritans (the residency with the bride’s kin) but also when they become disciples (the begetting of children during the residency). Similary, element 12 is fulfilled not merely when Jesus returns home to Galilee (the residency with his kin) but also when Gentiles there become his disciples (the begetting of Children during the residency).“229 230 In eine ähnliche Richtung zielt die Interpretation von Schröder: Die Bezugnahme auf diese atl. Erzählung lässt das Hochzeitsmotiv anklingen. In Anlehnung an Gen 24 handelt es sich bei der Bitte Jesu um Wasser um „eine Art ‚Heiratsantrag‘, wobei dem symbolischen Gehalt der Hochzeit die übertragene Bedeutung des Durstes entspricht“.231 Viel Gewicht wird 228
Vgl. III.1.5.1.2. M ARTIN, Betrothal, 522. Die Interpretation, welche die Hochzeit mit der Geburt von Kindern verbindet und dann die Geburt auf den Gewinn von Jüngern bezieht, geht auf C ARMICHAEL, Marriage, zurück. Dessen Argumentation stützt sich auf seine Interpretation von Joh 3,28–30: „The episode of the Samaritan woman is better understood by linking it to the Baptist’s words about Jesus as a bridegroom. When the Baptist expresses his joy at the latter’s voice and makes mention of the completion of his joy and how Jesus must now increase, we are justified in anticipating the Johannine symbolical equivalent of a marriage and subsequent births“ (335). 230 Im Vergleich zu Martin betont er dennoch die Nähe zu Gen 24 stärker. Gen 29 und Ex 2 „entsprechen Joh 4 vor allem in Bezug auf den gemeinsamen Plot“ (SCHRÖDER, Israel, 139), während Gen 24 „sich durch die Stichwortverbindungen als die wichtigste Basiserzählung für Joh 4 erweist“ (S CHRÖDER, Israel, 139). 231 SCHRÖDER, Israel, 140. 229
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auf den Unterschied zwischen Joh 4 und den atl. Erzählungen gelegt: Die Frau weigert sich, diese Dienstleistung zu erbringen und lehnt damit den Antrag aufgrund des „Judeseins“ Jesu ab. Dies ist auf der übertragenen Ebene zu verstehen: Die Samaritanerin kann aufgrund des Schismas zwischen den Juden und ihrem Volk das eschatologische Heil (im Bild der messianischen Hochzeit) von Jesus, einem Juden, zuerst nicht annehmen. Erst nach dem Dialog, in dem „Jesus die sich sträubende Auserwählte Schritt für Schritt (vgl. ihre sich steigernden Bekenntnisse: V. 12; V. 19; V. 25; V. 29) zur ‚Heirat‘ bewegen kann,“232 wird die Erzählung gemäss der atl. Vorlage fortgesetzt, so dass die Hochzeit stattfinden kann. Für Eslinger ist die atl. betrothal type-scene Teil eines Anspielungsnet233 zes , die den Eindruck erweckt, dass Jesus an der Samaritanerin als Frau interessiert wäre. So wird z.B. auf Prov 5,18–19 angespielt, wo das Trinken an einem Brunnen eine Metapher für eine Beziehung mit sexuellem Unterton ist. Die Funktion all dieser Anspielungen besteht darin, dem Leser eine Falle zu legen. „In chapter 4 the reading experience becomes an actual experience of the communication gap that the reader has already observed several times between the human characters in the story and Jesus.“234 Der Leser macht also die gleiche Erfahrung wie die Figur der Erzählung: Er missversteht die Rede Jesu. Er bleibt gefangen im irdischen Sinn und denkt an eine normale Hochzeit zwischen einem Mann und einer Frau und übersieht dabei die übertragene Ebene. Es handelt sich nämlich um „a spiritual or symbolic marriage with Jesus.“235 M.E. ist diese Interpretation gesucht, da der Leser eher die atl. Anspielungen übersehen würde, als an eine konkrete Hochzeit zwischen Jesus und der Frau zu denken. Die verschiedenen Interpretationen, die in Joh 4 wegen der Nähe zu Gen 24, 29 und Ex 2 eine symbolische Hochzeit sehen, bzw. Jesus als den Bräutigam erkennen, sind repräsentativ für das Auseinandergehen verschiedener Positionen der Forschung. Dennoch wird in Jesus mehrheitlich der messianische Bräutigam gesehen236, ohne dabei einzelne Details der 232
SCHRÖDER, Israel, 171. Einige Beispiele sollen dies anschaulicher machen a) Das Verb συνγράομαι „verkehren“ kann wie im Deutschen eine sexuelle Konnotation haben. b) „Gib mir dieses Wasser“ (V.15) ist eine Aufforderung zur Tat, da die Metapher des Wassergebens von Anfang der Perikope an zweideutig ist. Die Antwort Jesu „hol deinen Mann“ ist kein abrupter Wechsel des Themas, wie von anderen Exegeten oft vermutet, kein Bruch im Gespräch, der mit Mühe erklärt wird, sondern eine deutliche Weigerung, die Bitte der Frau zu erfüllen. 234 E SLINGER, Wooing, 173. 235 E SLINGER, Wooing, 180. 236 Vgl. z.B. T HEOBALD, 307: „Jesus ist der messianische ‚Bräutigam‘ – Samaria, repräsentiert durch die Frau am Brunnen, seine messianische ‚Braut‘.“ Vgl. auch T HYEN, 276. 233
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Erzählung zu interpretieren, bzw. überzuinterpretieren. Trotz Divergenzen wird dabei auf ähnliche Argumente rekurriert.!Zum einen wird beobachtet, dass die vorhergehenden Abschnitte (2,1–12: Hochzeit von Kana und 3,29: Bildrede des Johannes des Täufers über den Bräutigam und seinen Freund) schon das Thema der „Hochzeit“ ankünden und dessen symbolisches Potential vorbereiten. Zum anderen wird bei einer symbolischen oder allegorischen Lektüre von 4,16–19 plausibel, dass das Motiv der messianischen Hochzeit auch in Joh 4 relevant ist. Verfechter einer moralischen Interpretation der verschiedenen Ehen der Samaritanerin greifen sehr gern auf diese Lösungen zurück.237 ! Da sich in Jesus alle atl. eschatologischen Heilserwartungen erfüllen238, ist es wahrscheinlich, dass Jesus im JohEv als messianischer Bräutigam geschildert wird (vgl. auch 2,1–12; 3,29). Dennoch scheint mir dieses Motiv in Joh 4 fast künstlich hineingelesen, besonders bei gewissen postulierten Entsprechungen (z.B. die Kinderzeugung, die den Jüngergewinn symbolisiert), die sehr gesucht wirken. Dazu wird das Grundmotiv, die Hochzeit zwischen Jesus und der Samaritanerin an keiner Stelle explizit thematisiert. 2.3.2 Jesus als Gast Für Andrew E. Arterbury verweist die Strukturähnlichkeit zwischen Gen 24, 29 und Ex 2 nicht auf die gemeinsame Thematik der Ehe, sondern auf diejenige der Gastfreundschaft, denn „[yet] ancient depictions of the custom of hospitality generally follow the same recognizable pattern that Alter describes“239. Sogar die wiederholten Eheschliessungen finden dadurch eine Erklärung: „that in many ancient narratives, the act of betrothal essentially functioned as the pivotal act of a host giving a gift to a guest. When a host gave his daughter as a gift to the guest, it created an intimate and unending relationship.“240 Für eine solche Deutung spricht u.A. die Wichtigkeit dieses Themas in der Antike, das oft in der paganen aber auch jüdischen Literatur Eingang fand. Unter Berücksichtigung der Gastfreundschaftsthematik kann die Interpretation von Joh 4 weiter vertieft werden. Das anfängliche Erstaunen der Frau „Du, ein Jude...“ (V.9) findet z.B. eine plausible Erklärung: „while Greeks and Romans simply sought out a receptive household with a 237
Als weiteres Argument bemerkt, Z IMMERMANN, Brautwerbung, 46: „Es zeigt sich, dass die metaphorische Verbindung von Wasser – Mann-Frau-Relation und Gottesverehrung in der Bildfeldtradition geläufig ist und somit auch die Sprachbildung in Joh 4 erhellen kann.“ 238 Vgl. V.1.1. 239 A RTERBURY, Breaking, 69. 240 A RTERBURY, Breaking, 74.
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worthy host, Jewish travelers generally requested hospitality from a distant 241 relative or kinsman ... or at least from a fellow Israelite.“ Zudem kommt Jesus als Fremder an einem Ort an, dessen Bewohner als nicht sehr gastlich gelten und deren Offenheit ihm gegenüber ihrem Ruf entgegensteht. Der Kontrast der positiven Annahme Jesu zur Ablehnung der Juden wird dadurch noch unterstrichen. Ebenfalls von Bedeutung ist die Tatsache, dass die Frage nach der Identität des Gastes im Zentrum der atl. Erzählung steht und dass Joh 4 in dieser Hinsicht keine Ausnahme bildet, denn der Text enthüllt Schritt für Schritt, wer Jesus ist. Wenn angenommen wird, dass in V.37–38 die Mission thematisiert wird, ist es nicht uninteressant, dass „traveling prophets, were some of the most common guests in Jewish and early Christian hospitality contexts.“242 Demzufolge ist die kritische Anfrage von Arterbury, ob es in Gen 24, 29 und Ex 2 wirklich um Eheschliessung geht, legitim und die Beleuchtung von Joh 4 durch das Topos der Gastfreundschaft plausibel.243 2.3.3 Auswertung Auch wenn die Strukturähnlichkeit zwischen Joh 4 und den atl. Erzählungen, bei denen ein Mann einer Frau an einem Brunnen begegnet, unübersehbar ist, bleibt dessen Interpretation schwierig, denn es handelt sich um einen impliziten intertextuellen Bezug und konkrete Hinweise, die eine sichere Deutung ermöglichen, fehlen im Text. Der Leser wird an dieser Stelle wenig geführt. Durch die intertextuelle Anspielung öffnet sich somit ein freier Interpretationsraum. Auch wenn eine Vielzahl von Auslegungen denkbar ist, scheinen einige weniger plausibel (wie die Betonung der messianischen Hochzeit zwischen Jesus und der Samaritanerin) und andere wahrscheinlicher (wie die Hervorhebung der Gastfreundschaft), wobei weitere Assoziationsmöglichkeiten244 nicht von vornherein auszuschliessen sind. Sie sollten aber weder der joh Theologie allgemein noch dem Duktus von Joh 4 gegenübergestellt werden. Auf jeden Fall ist aber eine zurückhaltende Auslegung vorzuziehen, da „die Parallelität zwischen der Samarienperikope und den alttestamentlichen Brunnenerzählungen nicht überbewertet werden [darf], wenn ein Brunnen per se als idealer Kontak241
A RTERBURY, Breaking, 67. A RTERBURY, Breaking, 78. 243 Die Berücksichtigung des Motivs der Gastfreundschaft kann, obschon sie für die Interpretation von Joh 4 legitim ist (vgl. T HEOBALD, Gastfreundschaft), auch zur Überinterpretation führen, vgl. z.B. den Vergleich zwischen Jesus und Zeus, dem Gott der Gastfreundschaft, von dem A RTERBURY (Breaking, 82) ausgeht. 244 Vgl. die eher fragwürdige These von A ITKEN, Well. Aufgrund der Nähe zu Gen 29 sieht sie eine Parallele zwischen Rachel, die die Mutter der Samaritaner ist, und der Samaritanerin, die die Mutter der Christen ist. 242
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tort anzusehen ist.“ Die Deutung der Nähe zwischen Joh 4 und den Brunnenerzählungen kann bestehende Aspekte der Auslegung ergänzen oder vertiefen, sollte aber keine Grundlage für Interpretationen bilden, wenn sie im Rest des Textes nicht explizit Ausdruck finden. Am wahrscheinlichsten ist m.E. die mehr „emotional-psychologische“ Beeinflussung246 einiger Rezipienten durch die erkennbare Nähe zu Gen 24 und 29: „Indem die Samaritanerin in der beim Leser positiv besetzten traditionellen Rolle der zukünftigen Patriarchenfrau auftritt, wirbt der Autor um Sympathie und stellt einen grundsätzlich positiven Ausgang der Begegnung in Aussicht“.247 Auch sehr plausibel ist, dass die Nähe zu Gen 29 wegen der expliziten Erwähnung Jakobs in V.5.6.12 im Vordergrund steht und dass die Parallelität den Vergleich zwischen Jesus und Jakob verstärkt. Die Frage der Samaritanerin, wer grösser sei, wird so direkt an den Leser adressiert, der eingeladen wird, sich an alles zu erinnern, was er über Jakob weiss. 2.4 Jakob (und der Brunnen Jakobs) Die expliziten Verweise auf Jakob (V.5.6.12) sind natürlich Bestandteil der Reflexion über die Übernahme von Schriftmotiven. In den bisherigen Beiträgen (vgl. Neyrey „Jacobs Tradition and the Interpretation of John 4:10– 25“; Theobald, „Abraham – (Isaak) – Jakob. Israels Väter im Johannesevangelium“; der Exkurs von Olsson über den Brunnen im Alten Testament248) lassen sich ähnliche Schwerpunkte wie bei den Forschungen über die Schrift im JohEv allgemein feststellen. Das Schwergewicht liegt einerseits auf den möglichen Quellen und Traditionen, die im Hintergrund der Perikope stehen und andererseits auf einer wertenden Bestimmung des Verhältnisses zwischen Jakob und Jesus. 2.4.1 Der traditionelle Hintergrund V.5 verweist explizit auf eine Tradition, nach der Jakob Joseph ein Grundstück, auf dem eine Quelle liegt, geschenkt hat und V.12 erinnert daran, dass Jakob den Brunnen gegeben hat. Die angespielte Erzählung findet sich in dieser Form nicht in der Schrift. „The Genesis account do not record that Jacob even dug a well much less that he gave it to any of his sons; the text, however, does mention that Jacob bought and then gave
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SCHAPDICK, Weg, 118. Z ANGENBERG, Christentum, 107. 247 Z ANGENBERG, Christentum, 107–108. 248 Vgl. auch B IENAIMÉ, Don, 245–272.278–281, der jüdische Quellen (Targumim und Midrasch) darstellt, die für die Interpretation des NT relevant sein können. 246
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Shechem to Joseph (Gen 33,19; 48,22)“ . „So scheint das Grundstück selbst weiterhin den Namen des ersten Besitzers Jakob getragen zu haben, der sich im Laufe der Zeit offensichtlich auch auf die dort liegende Brunnenanlage übertragen hat“ 250, obschon der Patriarch nirgends im AT als Erbauer oder Geber eines Brunnens bezeichnet wird. Der Name der Wasserstelle und deren Lokalisierung oder Bedeutung als Erinnerungsort des Patriarchen Jakob dürfte somit traditionell sein251, auch wenn dafür keine schriftliche Quelle vorliegt. Möglicherweise rezipiert aber der Autor auch weitere mündliche Traditionen, die schon zur Zeit seiner Entstehung in Umlauf waren, die schliesslich in Targumim oder Midrashim Eingang gefunden haben, denn diese aramäischen interpretativen Übersetzungen und jüdischen Auslegungen, obwohl sie später als der joh Text zu datieren sind252, greifen auf ältere mündliche Überlieferungen zurück. M.E. gibt es mindestens drei traditionelle Motive, die mit grösserer Wahrscheinlichkeit einen Einfluss auf die Schilderung des Dialogs zwischen Jesus und der Samaritanerin haben.253 Eine Tradition, die möglicherweise Joh 4 beeinflusste, und die in den Targumim rezipiert wurde, erzählt, wie Jakob verschiedene Wunder vollbracht hat. Auch wenn die verschiedenen Targum-versionen leicht voneinander abweichen, lässt sich deutlich erkennen, dass Jakob in einer wunderbaren Weise der Zugang zum Brunnenwasser ermöglicht wird. Hier wird exemplarisch T. PsJ Gen 28,10 zitiert254: „ […] The third miracle: the stone which they rolled form the mouth of the well, when all the flocks were gathered, he rolled it with one of his arms. The fourth miracle: that the well flowed and the waters came up before him and continued to flow all the days that he was in Haran. […]“ Da in Joh 4 explizit ein Vergleich zwischen Jesus und Jakob, der den Brunnen gegeben hat, zur Sprache kommt, ist es nicht abwegig zu vermuten, dass die Erzählung des Wunders des Patriarchen dem Autor bekannt war.
249
N EYREY, Jacob, 421. Z ANGENBERG, Christentum, 119. 251 Z ANGENBERG, Christentum, 119. 252 Zur möglichen Datierung der verschiedenen Targumim (die extrem umstritten ist) vgl. G LESSNER, Einleitung, 84–94.95–101.110–115.181–196. 253 N EYREY (Jacob, 429–432) vermutet die Rezeption weiterer Motive. Für ihn spielt z.B. die Messiaserwartung der Samaritanerin „er wird alles kundtun“ auf die prophetische Gabe Jakobs (vgl. u.a. Gen 28,12–15; 49,1 und Jub 32,21–26; 4Q252, V 1–7) an, der sogar den Messias im Voraus angekündigt hat (vgl T. PsJ Gen 49,1). M.E. haben die Traditionen um Jakob für die Gesamtdeutung von Joh 4 nur eine geringe Bedeutung und sollten daher nicht überbewertet werden. 254 Vgl. T. Neof I Gen 28,10. Weiter wird die Legende in Pirqe R. El. 36 erzählt. 250
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Weiter kann die in den Targumim zu Num 20,16–19 überliefer255 te Tradition relevant sein , die zweifelsohne zur Zeit der Entstehung des JohEv bereits bekannt war, da sie schon von Paulus rezipiert wurde (vgl. 1 Kor 10,4): „16. And from the well was given to them. This is the well of which the Lord said to Moses: ‚Gather the People together and I may give them water.‘ 17. […] 18. It is the well which the princes of the world, Abraham, Isaac, and Jacob, dug from the beginning; the intelligent ones of the people perfected it, the seventy sages who were distinguished, the scribes of Israel, Moses, and Aaron, measured it with their rods. And from the wilderness it was given to them as a gift. 19. And after the well had been given to them as a gift, it went on to become for them swelling torrents, and after it had become swelling torrents, it went on to go up with them to the tops of the mountains and to go down with them to the deep valleys“256. In dieser Interpretation wird das einmalige Ereignis der Wassergabe durch Mose zu einer sich immer wiederholenden Gabe, da der Brunnen die Israeliten begleitete. Zudem ist für die Interpretation von Joh 4 die Verbindung mit den Erzvätern wichtig. „The Well did not only exist during the desert wandering. When the patriarchs, Abraham, Isaac and Jacob dug their wells, it was this divine Well which they found.“257 Obwohl vielleicht die Erinnerung an diese göttliche Gabe, die die Israeliten begleitete, mitschwingt, wenn der Autor des JohEv auf den Jakobsbrunnen verweist und auch wenn ein Leser, der ein solches Motiv kennt, möglicherweise seine Interpretation vertieft, wird dieser Aspekt in Joh 4 nicht explizit erwähnt. Auch bei der Frage nach dem richtigen Kultort (vgl. V.20) kann ein Zusammenhang mit Elementen der Jakobserzählungen258 bestehen. Um den richtigen Ort des Kultes (Jerusalem oder Garizim) zu begründen, wurde der Ort der Vision Jakobs (Gen 28) oder der Errichtung eines Altars bei Sichem (Gen 33,20) sowohl von den Samaritanern259 als auch von den Juden260 als Legitimation benutzt. Bei der Frage des Kultortes „spielt [aber] die Jakob-Sichem-Tradition, die auch an Abraham haftet (Gen 12,6f.), in Joh 4 keine ausdrückliche Rolle.“261
255
Vgl. N EYREY, Jacob, 421–425; O LSSON, Structure, 163–169. T. Neof. Num 21,16–19. Vgl. auch T. PsJ Num 21,16–19 und T. Onk Num 21,16–19. 257 O LSSON, Structure, 166. 258 Vgl. N EYREY, Jacob, 426–429. 259 Vgl. N EYREY, Jacob, 428; M ACDONALD, Theology, 327–333; K IPPENBERG, Garizim 258–259. 260 Spuren des Konflikts begegnen in Jub 32,22. Dort wird betont, dass der Ort der Vision nicht der Platz ist, wo der Tempel gebaut werden soll. Vgl. auch Tg. PsJ I Gen 28,17. 261 T HEOBALD, 309. 256
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III. Johannes 4
2.4.2 Bestimmung des Verhältnisses zwischen Jakob und Jesus Bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Jakob und Jesus und der damit zusammenhängenden Frage der Kontinuität mit der Schrift fällt das Auseinandergehen der Positionen, wobei sich kein Weg zu einem möglichen Konsens abzeichnet, auf. Obschon Olsson überzeugt ist, „that the tradition of the Well was present in the environment in which the Samaria text was written and that it affected its compostion“262, führt er leider kaum aus, wie die Kenntnis dieser Tradition die Interpretation von Joh 4 beeinflusst, so dass die Beachtung der jüdischen Quellen nur verallgemeinert in die Argumentation einfliesst: Seiner Ansicht nach geht es in Joh 4 darum zu zeigen, „how the new people of God was born from the old“263. Er betont damit, dass es im JohEv eine tiefe Kontinuität mit der Schrift und mit der Geschichte Israels gibt. Ganz anders urteilt Neyrey, der mit einem Überbietungsschema arbeitet. Für ihn ist Jesus der neue Jakob, den er gleichsam übertrifft. Mit Bezügen auf jüdische Traditionen wird gezeigt, dass Jesus nicht nur grösser als Jakob ist, sondern ihn ersetzt: „Finally, since the primary thrust of the question in 4:12 was to present Jesus as supplanting Jacob and traditions associated with him, a summary of the worship replacement motif in the gospel might be in order.“ Neyrey verallgemeinert seine Ergebnisse und kommt zur Schlussfolgerung: „Understanding how the Jacob allusions function invites us further to reinvestigate the worship of the Johannine community, especially in its dialectical conflict with supplanted Jewish rites.“264 Davon weicht wiederum die Einschätzung Theobalds ab. In seinem Beitrag über die Erzväter im JohEv bearbeitet er Joh 4, wo er aufgrund literarkritischer Erwägungen zwischen zwei Funktionen Jakobs unterscheidet. Die erste Funktion, die in der von ihm rekonstruierten Grunderzählung sichtbar wird, wird wie folgt eingeschätzt: „Wenn die Geschichte über die eher partikuläre Überlieferung einer Abstammung der Samaritaner von den Söhnen Josephs (Ephraim und Mannasse) hinaus auch noch auf den Patriarchen Jakob – Israel zurückgreift, dann könnte das auf der Linie ihrer Strategie insgesamt liegen, das unversöhnliche gegenüber Samaria – Jerusalem in Jesus, dem grenzüberschreitenden ‚Messias‘ (4,25.42), als aufgehoben zu erweisen.“265 In Bezug auf die Funktion Jakobs im Endtext, der seines Erachtens durch Überarbeitungen (Diskussion über die Wassergabe [10–15], Ergänzungen im Gespräch über den Kultort [21c.23f], Ein262
O LSSON, Structure, 172–173. O LSSON, Structure, 255. 264 N EYREY, Jacob, 437. 265 T HEOBALD, Abraham, 168. 263
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fügung der Jünger [8.27.31–38]) entstanden ist, unterstreicht Theobald, dass wir es nicht mit einem Überbietungsschema zu tun haben. „Jesus ist kein neuer Jakob, er und seine Gabe sind von ganz anderer Qualität, in ihm bricht etwas auf, was Jakob nicht zu ‚geben‘ vermochte.“266 Anders formuliert: „Wie Mose und Jesus inkommensurabel sind (vgl. 6,32), so gilt das analog auch für Jesus und den Erzvater Jakob. Dieser kann für Jesus kein Vorbild, kein Typos sein, denn Jesus, der von Gott herkünftig ist (vgl. 4,34), überragt ihn unendlich.“267 So sind für Theobald die beiden anderen Vorschläge unzureichend: In Jesus bricht etwas Neues an, er lässt sich weder mit Jakob vergleichen, noch kann er in Kontinuität zu ihm verstanden werden. Der Evangelist erwähnt den Erzvater nur, weil in einer älteren Quelle, die er übernimmt, auf Jakob verwiesen wurde. „Was die Grunderzählung mit ihrer Szenerie vom Jakobsbrunnen an leisen Tönen anklingen lässt, das überführt der Evangelist durch seinen Einschub Vv. 10.15 in Eindeutigkeit, allerdings ist dies von einer Art, dass sie jeglichen Gedanken an eine ‚heilsgeschichtliche‘ Kontinuität ausschliesst.“268 Angesichts der stark auseinandergehenden Positionen ist zu untersuchen, ob sich die Frage nach der heilsgeschichtlichen Kontinuität (bzw. Diskontinuität), die sich hier in der Beurteilung des Verhältnisses zwischen Jesus und Jakob konkretisiert, wirklich vom Text her beantworten lässt. Joh 4 zielt nicht auf einen Gesamtvergleich zwischen Jakob und Jesus, sondern behandelt explizit nur einen Aspekt der Jakobstradition: Jakob ist derjenige, der gibt. Nicht zufällig ist er zweimal Subjekt von δίδωµι, dessen Wichtigkeit schon betont wurde.269 Was er wem und wann gibt, wird deswegen im nächsten Kapitel untersucht, bevor auf den Vergleich mit Jesus und allgemein auf die Problematik der Kontinuität eingegangen wird. Vielleicht erübrigt sich die Frage oder sie verliert an Relevanz. 2.5 Das lebendige Wasser Es mag zuerst erstaunen, dass die Frage, was „lebendiges Wasser“ symbolisiere, in dem Teil behandelt wird, in dem Forschungspositionen über Schriftbezüge in Joh 4 besprochen werden. Jedoch sprechen zwei Gründe dafür: Einerseits sind einige Auslegungen (oder Argumente) vom atl. Gebrauch des Bildes des Wassers beeinflusst. Andererseits messen einige Forscher dem Wasser (aus dem Brunnen Jakobs) als Symbol für ältere Tradition(en) (Schrift, Tora, samaritanische Tradition) grosse Bedeutung zu, so dass eine Wertung (bzw. Abwertung) dieser Tradition bzw. der Schrift auf einer Metaebene erfolgt. In der Forschung finden sich unter266
T HEOBALD, Abraham, 171. T HEOBALD, Abraham, 172. 268 T HEOBALD, Abraham, 171. 269 Vgl. III.1.5.1.1/III.3.2.1. 267
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III. Johannes 4
schiedlichste Positionen, wobei Wasser als Symbol für den Heiligen Geist, die Offenbarung Jesu oder die eschatologische Heilsgabe steht. Um mit den verschiedenen Argumenten vertraut zu werden, erörtere ich die geläufigsten Interpretationen jeweils exemplarisch anhand der Auslegung eines ausgewählten Exegeten. Diese Begrenzung erlaubt die Darstellung nicht nur der Ergebnisse, sondern auch der Argumentationswege. 2.5.1 Wasser als Symbol für den Heiligen Geist270 (Theobald) Für Theobald symbolisiert das Wasser den Heiligen Geist. Für eine solche Auslegung spricht zunächst, dass das Bild der Quelle in den Gläubigen (V.14) sehr gut die Wirkung des Geistes als Quelle des Lebens im Menschen veranschaulicht271. Dass „Wasser“ in 7,38–39 explizit als Heiliger Geist interpretiert wird, stützt ebenfalls diese Interpretation und erklärt zugleich am besten die Futurformen „ich werde geben“ (V.14): Sie sind „als österliche Prophetie zu lesen, denn erst der erhöhte Christus wird den Jüngern ‚heiligen Geist‘ ‚einhauchen‘ (20,22; vgl. auch 7,39).“272 Weiter liefert diese Deutung die beste Erklärung für das Fehlen einer Identifikation Jesu mit der Gabe (anders als im Joh 6, wo Jesus das Brot ist): „Nur unter dieser Voraussetzung begreift man auch, warum der Evangelist die Unterscheidung zwischen der Gabe, die eigentlich ‚Gabe Gottes‘ ist und ihrem faktischen Geber – Jesus – aufrecht erhält und beide nicht miteinander identifiziert (wie in 6,27, anders dann 6,35).“273 Schliesslich wird die These dadurch bekräftigt, dass Wasser als Symbol für den Heiligen Geist auch in der Schrift bezeugt ist (Jes 44,3–5; Joel 3,1–2). 2.5.2 Wasser als Symbol für die Offenbarung Jesu (Pancaro) Für Pancaro verweist das Wasser auf die Offenbarung Jesu und auch für diese Auslegung können gute Argumente ins Feld geführt werden. Pancaro knüpft am jüdischen Gebrauch an, wo „Wasser“ sowohl den Geist als auch die Lehre (Offenbarung und Weisheit)274 symbolisiert. Von daher sind für ihn diese beiden Interpretationsmöglichkeiten die wahrscheinlichsten. Das lebendige Wasser (Joh 4) und das Brot des Lebens (Joh 6) sollen aber we270 Vgl. auch T HYEN, 251; B ARRETT, 252. Ähnlich B ROWN I, 180. Er sieht sogar in Joh 4 eine mögliche Anspielung auf die Taufe. 271 Zudem wird das Verb ἅλλεσθαι in LXX in Verbindung mit dem Geist gebraucht (Vgl. Ri 14,6.19; 15,14; 1 Sam 10,2.10). Vgl. B ROWN I, 171. 272 T HEOBALD, 315. 273 T HEOBALD, 315. 274 Der Gebrauch von „Wasser“ als Metapher für „Weisheit“, Lehre oder „Offenbarung“ ist besonders häufig in der Weisheitsliteratur: Prov 13,14, (vgl. 14,27); 18,4; 16,22; Sir 15,1–3; 24,21.30–33. Dazu gibt es an gewissen Stellen eine Identifikation der Weisheit mit der Tora: Sir 15,1–3 und 24,21.23–29. Vgl auch Ps 1.
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gen der Ähnlichkeit der zwei Perikopen auf das Gleiche verweisen. Da in Kapitel 6 eine Interpretation des Brotes als Heiliger Geist unwahrscheinlich ist, scheidet diese Auslegung auch für das Wasser aus, das folglich die Offenbarung Jesu symbolisiert. Dennoch betont Pancaro angesichts der Nähe zu 7,37–39, dass Geistgabe und Offenbarung Jesu aufeinander bezogen sind: „In the Johannine perspective, the gift of the Spirit is itself seen in function of the revelation brought by Jesus. The Mission of the Spirit is to lead to a fuller understanding of the revelation Jesus gives“.275 Aufgrund des Vergleichs zwischen dem Wasser, das Jesus gibt (die Offenbarung), und dem Wasser aus dem Brunnen Jakobs vermutet Pancaro, dass letzteres auch symbolisch verstanden werden soll: „the comparison invites us to interpret the (water of the) well of Jacob in a metaphorical, symbolic sense: it represents the Law“276. Dafür spricht, dass Wasser und Brunnen im damaligen Judentum bzw. im AT, als Symbole für die Tora277 verwendet werden. Die Offenbarung Jesu steht hiermit im Kontrast zur Tora: „Jesus’ Revelation (and the gift of the Spirit) is life-giving and is seen as the fulfilment of what the Scriptures (Torah) promised but could not give (Jn 5,39.40).“278 2.5.3 Wasser als Symbol für die eschatologische Heilsgabe (Schapdick) Für Schapdick symbolisiert das Wasser die eschatologische Heilsgabe. „Das Lexem ὕδωρ dient dabei zur Darstellung der unüberbietbaren Lebendigkeit dieser Heilsgabe.“279 Diese Gabe konkretisiert sich im ζωὴ αἰώνιος, d.h. in einem Leben in der durch Christus ermöglichten neuen Gemeinschaft mit Gott. Demnach schlägt Schapdick eine christologische Auslegung vor und betont immer wieder, dass Jesus nicht nur der Geber ist, sondern auch die Gabe selbst.280 PANCARO, Law, 479. PANCARO, Law, 484. Eine andere Verbindung zwischen Wasser und Tora sieht M ARSH (212–213). Für ihn symbolisiert das lebendige Wasser den Heiligen Geist, aber zugleich verweist es auf die Tora: „This makes excellent sense; for Jesus would then be saying of the woman, and to the Samaritan religion through her, that if only she understood the Torah, and could see, because of the understanding it was meant to provide, the reality of his nature, then Samaritans would be among those who came to him for the living water alone could impart“ (M ARSH, 213). Zu Wasser und Tora vgl. auch K OESTER, Symbolism, 169–170; JONES, Symbol, 111. 278 PANCARO, Law, 485. 279 SCHAPDICK, Weg, 156. 280 So schreibt er (Weg, 157): „Das lebendige Wasser das Jesus hier […] geben wird, verweist nicht nur auf seine ihm anvertraute Lebensgabe Gottes, die er weitergeben möchte, sondern auch auf ihn selbst, weil er das Leben Gottes ist, das als Gabe an die Menschen zu ihrem Heil in die Welt gekommen ist.“ 275 276
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Ausgehend von diesem Grundverständnis des ὕδωρ ζῶν als Offenbarungs- und Heilsbegriff par excellence deutet Schapdick die anderen Lexeme, die mit dem semantischen Feld „Wasser“ zusammenhängen. So versteht er das „Trinken“ als Metapher für Glauben281. Weiter ermöglicht es das Dürsten, „das menschliche Heilsverlangen und die Stillung desselben auszudrücken“ und mit dem Durst wird „die irdisch-physische Konstitution des Menschen insbesondere unter dem Aspekt seiner Todverfallenheit in den Blick genommen“.282 Derjenige, der das ὕδωρ ζῶν bekommt und in Ewigkeit nicht mehr dürstet, „ist der vernichtenden Kraft des Todes ein für alle Mal enthoben, weil die Lebensgabe Gottes in Jesus diese Kraft für immer überwunden hat.“ 283 Schliesslich wird auch die πηγὴ ὕδατος ἁλλοµένου vor diesem Hintergrund interpretiert. Die Quelle im Menschen erinnert daran, dass die Gabe des Heils kein Besitz ist, sondern ein neues ganzes Dasein im Glauben, welches das Leben ganz prägt. 2.5.4 Wasser als „the anticipation and the fulfillment“284 (Ng) Für Ng hat das Wassersymbol in Joh 4 einen Doppelbezug. Es bezieht sich einerseits auf die (samaritanischen) Traditionen. „Water from Jacob’s well stands for a Samaritan tradition of eschatological expectations, which the woman appeals to in her conversation with Jesus (4:15–26).“285 Andererseits ist Wasser ein Symbol für die Erfüllung dieser eschatologischen Erwartung, die sich im Segen Christi ereignet.286 Darüber hinaus funktioniert das Symbol auf zwei Ebenen, denn zum einen verweist das Irdische (konkretes Trinkwasser aus dem Brunnen) auf das Himmlische (die lebensnotwendige Gabe Gottes) („vertical dimension“) und zum anderen deutet das Geschichtliche (die Gabe des Brunnens durch Jakob, der Kult auf dem Garizim oder in Jerusalem) auf das Eschatologische (die Gabe des lebendigen 281 In diesem Zusammenhang vgl. auch G OPPELT (ὕδωρ, 326), der in seiner Interpretation von 7,38 schreibt: „Trinken bedeutet glauben!“ 282 SCHAPDICK, Weg, 157. 283 SCHAPDICK, Weg, 158. 284 N G, Water, 76. 285 N G, Water, 76. 286 Ihrer Beobachtung nach steht „Wasser“ in den vorherigen Kapiteln als Symbol für die alte Tradition. Hingegen symbolisiert Wasser nach dem Kapitel 7 die Segnungen Christi, welche in seinem Tod zur Vollendung kommen, so dass Joh 4 eine Scharnierfunktion übernimmt: „Looking back, the juxtaposition, with ‚water from the well‘ symbolizing anticipation. Looking forward to subsequent chapters, ‚the living water‘ is the first in a series of metaphorical symbols that stands for eschatological fulfillment“ (N G, Water, 77). In Joh 4 und 7 verweist „Wasser“ auf das „Anticipation“ und zugleich auf das „fulfillment“: In Joh 4 wird der Brunnen Jakobs (alte Tradition) dem lebendigen Wasser (Segnungen Christi) entgegengesetzt, genauso hebt sich in Joh 7 das Wasser Jesu (hier der Geist) vom Wasser, das am Laubhüttenfest zum Tempel gebracht wird, ab.
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Wassers und die Anbetung in Geist und Wahrheit) („horizontal dimension“). Ihre Interpretation streicht somit den eschatologischen Aspekt des lebendigen Wassers heraus, wobei Ng inhaltlich verschiedene Elemente verknüpft, indem sie die Offenheit und die Polysemie des Symbols betont: „the ‚living water‘ means the gifts of God including Christ himself and all that he bestows, salvation, purification, joy, and eternal life. These gifts are fulfilles in the life of a believer through the Holy Spirit, who is also symbolizied by ‚living water‘ and that the living life-giving quality symbolized by the constant quenching of thirst.“287 2.5.5 Auswertung Was Wasser symbolisiert, ist eine höchst umstrittene Frage, die verschieden beantwortet wird (vgl. den Heiligen Geist; die Segnungen, die in Christus ihre Erfüllung finden; die eschatologische Heilsgabe; die Offenbarung Jesu usw.). Die unterschiedlichen Positionen können jeweils mit guten Gründen vertreten werden. Dabei ermöglicht es aber die jüdische (bzw. atl.) Verwendung des Wasserbildes, das sowohl auf die Weisheit, auf die Tora, auf den Heiligen Geist oder auf das eschatologische Heil verweist, nicht, eine der Interpretationen einer anderen vorzuziehen. Bei einer solchen Argumentation werden jeweils nur die für die These passenden Stellen herangezogen, statt die mit dem Bild des „Wassers“ verbundene Vielfalt288 zu berücksichtigen. Vielmehr sollte darauf geachtet werden, dass Wasser ein Symbol ist, das für weit mehr steht als die blosse Benennung der Realität, auf die es verweist. Es ist immer ambivalent und für verschiedene Interpretationen offen, wobei die Lebensgabe im Vordergrund steht. Die Wassermetapher wird folglich nicht als Chiffre für eine N G, Water, 141. Vgl. C LEMENS, Èîiám , 843–865. Wasser ist ein Element, das im natürlichen Bereich (Meer, Fluss, Quelle, Regen) und im alltäglichen Leben (Trinken, Waschen, Kochen) fast überall anzutreffen ist, so dass zahlreiche menschliche Erfahrungen aus ganz verschiedenen Bereichen mit „Wasser“ zusammenhängen. In der metaphorischen Verwendung spiegelt sich diese Bandbreite wider. Exemplarisch kann auf die Gewalt des Platzregens, welcher die Basis für das prophetische Bild des Anstürmens feindlicher Mächte bildet (Jes 28,17), auf den Vergleich zwischen dem Wohlbefinden eines Gerechten und demjenigen eines Baums, der an Wasserbächen gepflanzt ist, oder auf die geläufige Metapher, bei der das Wasser, das jemanden umgibt, als Bedrohung verstanden wird, verwiesen werden. Auch im religiösen Kontext sind jeweils verschiedene Aspekte des „Wassers“ hervorgehoben. Wasser symbolisiert z.B. die Chaosmacht, über welche Gott Herr ist, denn er setzt ihr eine Grenze und kann sie ermessen (vgl. Hiob 26,5.8; 28,25; 38,30; Amos 5,8; Jes 28,2; 40,12; usw.). Häufig wurden aufgrund der Wasserknappheit Wasserquellen zu besonderen Orten (vgl. die zahlreichen Ortsbezeichnungen, in welchen Èîiám vorkommt) bzw. zu Kultorten. Auch bei (rituellen) Reinigungen spielt das Wasser eine zentrale Rolle, wobei die Unterscheidung zwischen dem profanen und dem heiligen Waschen unscharf ist. 287 288
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III. Johannes 4
andere Grösse gebraucht, sondern ermöglicht es, bildlich darzustellen, dass die Gabe der Tora (oder des Geistes, der Weisheit usw.) nicht weniger ist als die Gabe des Lebens schlechthin. In der Interpretation von Joh 4 soll deswegen in erster Linie die lebensstiftende Eigenschaft des Wassers betont werden. Damit schliessen sich m.E. die verschiedenen Positionen nicht aus, sondern können sich gegenseitig ergänzen. Lebendiges Wasser symbolisiert z.B. die Offenbarung Jesu, denn durch sein Wort und seine Tat wird ewiges Leben vermittelt. Darüber, ob Jesus nur der Geber des Wassers oder ob er, wie in Joh 6, zugleich auch die Gabe ist, herrscht auch kein Konsens.289 Trotz der Abwesenheit eines ἐγώ-εἰµι-Wortes: „Ich bin das Wasser des Lebens“ bleibt die Frage offen, ob der Text eine solche Aussage zulässt oder sogar stillschweigend voraussetzt. Indem Wasser auf die Lebensgabe im weitesten Sinn verweist, ist das Symbol auch für eine christologische Interpretation offen. Jesus gibt das Leben, aber er ist nicht nur Geber, er ist das Leben selbst und damit ist er auch Gabe. Eine solche Interpretation findet aber keine explizite Erwähnung im Text und bildet nicht das Hauptanliegen von Joh 4. Weiter divergieren die Ansichten darüber, ob wir es mit nur einem Symbol, wobei lebendiges Wasser für die Gabe Jesu steht, oder ob wir es mit zwei Symbolen zu tun haben, wobei das lebendige Wasser ein Symbol für die neue Gabe in und durch Jesus und das fliessende Wasser aus dem Brunnen ein Symbol für die alte Ordnung ist. Einige vermuten nämlich, dass das Wasser Jesu, das auf seine neue Gabe hinweist mit dem Wasser Jakobs, das bildlich auf die Tora290 oder auf die samaritanische Tradition291 verweist, verglichen wird, und werten somit die älteren Traditionen meisten ab292. Solche Interpretationen sind problematisch, denn sie versuchen, das Bild „Wasser“ zu entziffern und mit anderen Grössen zu identifizieren, statt den Sinnüberschuss des Symbols (Positivität, Lebensnotwendigkeit der Gabe Jesu, Antwort auf die tiefsten Bedürfnisse des Menschen usw.) zu sehen. Darüber hinaus erweisen sich solche Deutungen als problematisch, weil die Beurteilung der Tora oder der samaritanischen Traditionen (positiv oder negativ) die voreingenommene Meinung des Autors wider289
Für eine Identifikation zwischen Gabe und Geber plädieren u.a. T HYEN, 250; O LSStrucutre, 179; SCHAPDICK, Weg, 136. Hingegen argumentiert T HEOBALD, 312, dagegen. 290 Vgl. P ANCARO, Law, 482–485. 291 Vgl. N G, Water, 75–81. 292 So z.B. bei PANCARO, Law, 484–486. Ng vertritt eine nuanciertere Position: „The relation between the juxtaposed old and new […] is one of ‚anticipation and fulfillment,‘ rather than ‚renoncement and repalcement‘“ (N G, Water, 69). Einzig M ARCH (212–213) bewertet die ältere Tradition positiv: die Samaritaner müssen sie annehmen, damit sie an Jesus glauben können. SON ,
3. Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 4
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spiegelt, zumal der Text an dieser Stelle aufgrund der metaphorischen Sprache kein explizites Argument gibt, das einen Bruch oder eine Kontinuität mit der bisherigen Tradition begründen könnte. Die in solchen Auslegungen künstlich entstandene Gegenüberstellung der Geschichte Gottes mit Israel vor Jesus einerseits mit der Zeit der neuen Offenbarung in Jesus andererseits entspricht m.E. nicht der Differenziertheit, mit der dieses Thema im JohEv sonst behandelt wird. Schliesslich wird der eschatologische Charakter der Wassergabe unterschiedlich stark betont. Während dieser Aspekt für Ng und Schapdick ein wesentliches Merkmal der Wassersymbolik in Joh 4 darstellt, spielt er bei Pancaro und Theobald kaum eine Rolle, auch wenn er nicht negiert wird. Wegen der Wichtigkeit der präsentischen Eschatologie in Joh 4 und wegen des atl. Hintergrundes scheint dieser Aspekt für das Wasserverständnis zentral. Die Gabe des Wassers im Überfluss ist ja ein Bestandteil der atl. Heilsverheissung, vgl. z.B. Jes 12,3: „Und mit Freude werdet ihr Wasser schöpfen aus den Quellen des Heils.“293 Wasser wird auch oft symbolisch bei Schilderungen der Heilszeit verwendet, wobei es auf unterschiedlich positive Gaben Gottes verweist, ohne dass eine klare Entsprechung zwischen „Wasser“ und einer anderen Grösse erkennbar ist. Wasser kann also als Bild für Recht und Gerechtigkeit (Amos 5,24), für die Herrlichkeit Gottes (Jes 11,9; Hab 2,14) oder für die Ausgiessung des Heiligen Geistes (Jes 44,3) fungieren. Demnach ist es evident, dass die Gabe des Wassers in Joh 4 an solche (eschatologischen) Erwartungen anknüpft: In Jesus ist die Heilszeit mit ihrem Überfluss an Wasser und allem was damit symbolisiert wird, angebrochen. Jeder, der vom Wasser, das Jesus gibt, trinkt, wird in Ewigkeit nicht mehr dürsten.
3. Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 4 3.1 Beschreibung der intertextuellen Bezüge auf die Schrift Die im Methodikteil294 dargestellte Kategorisierung von intertextuellen Bezügen erlaubt es nun, die unterschiedlichen Verwendungsweisen der Schrift in Joh 4 zu erfassen und somit eine konsensfähige Grundlage für die weitere Analyse bereitzustellen. Obwohl die Perikope von atl. Vorstellungen durchdrungen ist, begegnet man nur einer sehr geringen Anzahl expliziter Schriftbezüge. Die einzigen sind die Verweise auf Jakob (V.5.6 und 12); es fehlen Zitate, Zitate mit unklarem Prätext oder andere Ver293
Vgl. auch Ps 107,33.35; Jes 32,2; 35,6.7; 41,17–19; 43,20; 49,10; 55,11; 58,11; Jer 31,9; Joel 4,18; Sach 14,8; Ez 32,14; 36,25. 294 Vgl. II.4.
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III. Johannes 4
weise. Genauso findet keine explizite Reflexion über die Schrift (Metatextualität) statt; zwar betont V.22 die heilsgeschichtliche Kontinuität und liefert damit ein wichtiges Element für das Schriftverständnis des Evangeliums, jedoch wird das Wort „Schrift“ nicht erwähnt. Die Schrifttheologie, die sich darin eventuell spiegelt, ist durch einen Umweg zu erschliessen. Implizite Bezüge295 spielen hingegen eine viel wichtigere Rolle, auch wenn die am häufigsten erwähnte Form, die wörtliche Übernahme eines Prätextes (implizite Zitate), m.E. in Joh 4 nicht vorkommt. Allerdings fällt, wie bereits dargelegt, die Strukturähnlichkeit mit den Erzählungen von Gen 24, 29 und Ex 2 auf. Zudem werden zwei wichtige atl. Motive übernommen und weiterentwickelt: das Metaphernnetz um das „Wasser“ und dasjenige um die „Ernte“. Die Aussage der Samaritanerin über den Messias, die auf jüdische Vorstellungen zurückgreift, ist nicht im engeren Sinn „intertextuell“, dennoch ist sie zu berücksichtigen, zumal sich bei der Schilderung von Messiashoffnungen im JohEv nicht feststellen lässt, ob sie aus der Schrift stammen oder ob sie eher mündliche oder parabiblische Traditionen rezipieren. 3.2 Inhaltliche Vertiefung der Schriftbezüge Aus den sechs erwähnten Schriftbezügen (die Erwähnung Jakobs, der V.22, die Motive der Ernte und des Wassers, die Strukturähnlichkeit mit Brunnenerzählungen und die Messiaserwartung) möchte ich zwei genauer erörtern: erstens die Verweise auf Jakob, deren Darlegung Vertiefung verdient, da bisher der dialogische Kotext nicht genug berücksichtigt wurde, und zweitens das Motiv der Ernte, das nach wie vor sowohl in die Forschung296 als auch in die vorliegende Arbeit kaum Eingang gefunden hat. In einem zweiten Schritt möchte ich die wichtigsten Ergebnisse aus der Textanalyse, dem Forschungsüberblick und der vertieften Analyse297, kurz 295
Hier soll daran erinnert werden, dass die impliziten Bezüge sich nicht mit Vollständigkeit und Sicherheit benennen lassen. Besonders bei der Motivübernahme kann nicht eindeutig bestimmt werden, ob ein Motiv eines Textes aus dem atl. Bildreservoire schöpft oder ob es Bilder verwendet, die aus dem alltäglichen oder agrarischen Erfahrungen stammen. 296 Meiner Kenntnis nach vertiefen nur drei Artikel die Auslegung von Joh 4,35–38, jedoch hebt keiner den Schriftgebrauch hervor: T HEOBALD (Ernte) setzt einen literarkritischen Akzent; VAN DER W ATT (Family) beschränkt sich auf die Beschreibung der Metapher und Z IMMERMANN (Arbeit) stellt die wichtigsten Aspekte für die Interpretation dar, wobei er nur ansatzweise den atl. Hintergrund erläutert. Der Exkurs über die Mission von O LSSON (Structure, 241–249) erwähnt einige Aspekte des atl. Erntebildes, er untersucht aber die atl. Erntemetapher nicht systematisch und betont den Missionsaspekt zu einseitig zu Ungunsten der eschatologischen Dimension. 297 Dabei wird die Parallelität zwischen Joh 4 und den atl. Brunnenerzählungen nicht wieder aufgegriffen, da der intertextuelle Bezug wegen seiner Implizität und seiner gros-
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zusammenfassen, bevor ich schliesslich das Zusammenwirken der verschiedenen Schriftbezüge untersuche: Welche neuen inhaltlichen Gesichtspunkte der Schriftmotive und -bezüge lassen sich erkennen, wenn sie zusammen genommen betrachtet werden? Die Frage, ob und wie die verschiedenen Schriftbezüge sich gegenseitig beeinflussen und ein zusammenhängendes System bilden, ist nämlich noch nicht hinreichend geklärt. 3.2.1 Verweise auf Jakob Während der Verweis auf Jakob in V.5 auf der Erzählebene stattfindet, wird der Schriftbezug in V.12 der Samaritanerin in den Mund gelegt, die in Missverständnissen gefangen ist und deswegen eine problematische Auslegung darlegt. In seiner Entgegnung wird Jesus daran anknüpfen und implizit ihre Interpretation korrigieren. Die Schrift erscheint somit in zwei verschiedenen Deutungen, wobei diejenige von Jesus natürlich dem Schriftverständnis des Evangelisten entspricht. 3.2.1.1 „Jakob“ in den Worten der Samaritanerin Wenn die Samaritanerin zu Jesus sagt (V.12): „Bist du etwa grösser als Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat?“, merkt der Leser sofort, dass die Frau die wahre Identität ihres Gesprächspartners noch nicht ahnt, denn wenn Jesus sich mit Jakob vergleichen liesse298, bestünde kein Zweifel, dass dieser unendlich grösser als der Patriarch wäre. Aber ihr Missverstehen betrifft nicht nur Jesus, sondern auch die Geschichte Jakobs, wie der Vergleich mit V.5, der ein (objektives) Wissen auf der Erzählebene angibt, erkennen lässt. Auch wenn der Erzvater jeweils Subjekt von ἔδωκεν ist, kann dennoch ein wichtiger Unterschied festgestellt werden. Während Jakob nach dem Erzähler den χωρίον Joseph übergab, auf dem die πηγή lag, schenkte er nach der Samaritanerin ein φρέαρ. Auch wenn es sicherlich richtig ist, dass πηγή und φρέαρ fast gleichbedeutend sind,299 denn beide Begriffe bezeichnen einen Ort, an dem man Trinkwasser schöpfen kann, ist im Sprachgebrauch m.E. eine zentrale Nuance in Bezug auf die Thematik der Gabe erkennbar300. πηγή bezeichnet eine Quelle, einen Ort, aus dem sen Deutungsoffenheit für die Klärung des Schriftgebrauchs und der Schriftinterpretation des JohEv nicht weiterführend ist. 298 Ein solcher Vergleich ist aber m.E. nicht unproblematisch. 299 Normalerweise bezeichnet πηγή eine Quelle, φρέαρ einen Brunnen und λάκκος eine Zisterne. Jedoch können sie in einem Text fast synonym gebraucht werden (vgl. M ICHAELIS , πηγή, 112–117). In Gen 16 und Gen 24, wie in Prov 5,15, stehen die zwei Begriffe als Synonyme nebeneinander. πηγή und φρέαρ werden auch als Ortsbezeichnungen benutzt (vgl. z.B. Gen 14,7; 22,19). 300 Obwohl es in der Forschung nicht an Erklärungen für die Verwendung der zwei unterschiedlichen Begriffe mangelt (vgl. die literarkritische Erklärung [FORTNA, Gospel,
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Wasser (ohne spezielles menschliches Zutun) hervorsprudelt, und deswe301 gen ist Gott derjenige, der sie versiegelt oder zur Verfügung stellt. Diese Eigenschaft der πηγή als Geschenk Gottes erklärt, warum die Verwandlung der Wüste in Quellen oder die Verheissung von Quellen und von Wasser im Überfluss302 in der Heilsankündigung eine zentrale Position einnehmen. Zudem ist eine übertragene Bedeutung geläufig, wobei der Ausdruck Quelle des Lebens303 und sogar die Bezeichnung Gottes als Quelle 304 des lebendigen Wassers anzutreffen sind. Dagegen bezeichnet φρέαρ den Herkunftsort des Wassers, wenn dieser von Menschen gebaut bzw. gegraben wurde305 und ruft die Assoziation von „Loch“ und „Tiefe“ hervor.306 In übertragenem Sinn ist der Begriff φρέαρ eher selten zu finden und wenn, wird dieser eher negativ konnotiert.307 Dank dieser Präzisierung kann die misslungene Deutung der Samaritanerin erklärt werden. Während Jakob nach dem Erzähler den Acker, auf dem die πηγή lag, Joseph schenkte und somit „nur“ eine Gottesgabe weitergab, ist er in der Auffassung der Frau der Geber des φρέαρ. Mit diesem Begriff weist sie auf einen Bau von Menschen hin und obwohl sie den Zugang zum lebensnotwendigen Wasser schätzt, erkennt sie darin keine Gabe Gottes. Der wahrhaftige Geber bleibt ihr verborgen, da sie nur Jakob, den Vermittler der Gabe, sieht. Sie nimmt ihn als Massstab und deswegen könne Jesus nur Wasser geben, wenn er ihn überstiege, was sie für unmöglich hält. Somit verweist sie auf den Patriarchen, um ihre Zweifel an den Worten Jesu zu legitimieren, denn sie ist tief davon überzeugt, dass dieser 190 FN 3; W ELLHAUSEN, 22], die Rückführung auf stilistische Variation [O LSSON, Strucutre, 163] oder inhaltliche Erwägungen [L INK, Was, 206; B ROWN I, 170]), wird hier aufgrund des atl. Gebrauchs und der Wichtigkeit der Gabenthematik in V.7–15 die oben vertretene Auslegung vorgezogen. 301 Für das Versiegeln der Quelle vgl. Jer 51,36; Hos 13,15; für das Geben der Quelle vgl. Ps 104,10; 114,8; vgl. auch Dtn 8,7. 302 Vgl. Joel 4,18; Jes 35,7; 41,18; 49,10; in einem metaphorischen Kotext vgl. Jes 12,3; 58,11. 303 Als Quelle des Lebens werden Gott (Ps 36,10), der Mund der Gerechten (Prov 10,11), die Weisung des Weisen (Prov 13,14), die Frucht des Herrn (Prov 14,27) usw. bezeichnet. 304 Vgl. Jer 2,13; 17,13. 305 φρέαρ ist oft von ὀρύσσω (graben) (Gen 21,30; 26,15.18.19.21.22.25.32; Num 21,18) oder von ποιέω (machen) (Jer 41,9) begleitet. In Gen 21 und 26 entsteht Streit um den Besitz eines solchen Brunnens. Hingegen ist πηγή nie im Zusammenhang mit Menschenarbeit oder in Verbindung mit Streit erwähnt. 306 So können Männer oder Leichen in φρέαρ hinabgestürzt werden (Ps 55,24; Jer 41,7.9). 307 Vgl. Ps 69,16; Prov 23,27. φρέαρ wird nur in zwei Versen in einer übertragenen Bedeutung positiv gebraucht (Prov 5,15 und Hoheslied 4,15). In beiden Fällen bildet φρέαρ das zweite Glied eines parallelismus membrorum, bei dem auch πηγή vorkommt.
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Fremde ihr entgegen seiner Behauptung kein Wasser anbieten kann. Ihr religiöses Wissen, weit davon entfernt, sie zu einem besseren Verständnis Jesu zu führen, steht ihr also im Weg. Sie verkennt, dass hinter der Gabe des Erzvaters eine Gottesgabe zu entdecken ist und dass die konkrete Gabe des lebensnotwendigen Wassers auf die Gabe des Lebens schlechthin verweist.308 3.2.1.2 Die implizite Auslegungskorrektur von Jesus In Joh 4 wird die Wiedergabe der Jakobstradition durch die Samaritanerin nicht explizit von Jesus widerlegt.309 Jedoch weist die Entgegnung Jesu (V.13–14) den Weg, um die problematische Interpretation der Samaritanerin zu überwinden. Obwohl er an den Vergleich zwischen ihm und Jakob anknüpft, indem er sein Wasser demjenigen von Jakob gegenüberstellt310, besteht sein Ziel nicht darin zu zeigen, dass er Jakob übersteigt, sondern vielmehr darin zu erörtern, inwiefern seine Worte missverstanden wurden. Hierfür thematisiert Jesus zuerst ihr Verständnis seiner angebotenen Gabe. Er hat nicht vom konkreten trinkbaren Wasser des Brunnens gesprochen, das den Durst nur für eine Zeit stillt, also das Leben nur begrenzt ermöglicht. Auch wenn es als wahrnehmbares Symbol auf das, verweist, was Jesus schenkt, darf es nicht mit der Gabe Jesu verwechselt werden, denn das Wasser, das er gibt, ist inkommensurabel, denn es löscht den Durst in Ewigkeit und wird zu einer Quelle (πηγή) im Menschen. Dieser beschriebene Vorgang, der nach menschlicher Logik unmöglich ist – es verhält sich so, dass eine Quelle Wasser hervorbringt und nicht umgekehrt das Wasser plötzlich zur Quelle wird – verdeutlicht den Überfluss, den das Trinken des von Jesus gegebenen Wassers mit sich bringt. Jesus gibt nicht nur genügend Wasser, so dass der Durst ein für alle mal gestillt wird, sondern soviel Wasser, dass es im Übermass sprudelt, einer Quelle gleich, unerschöpflich herausfliessend. Diese Bildsprache verdeutlicht, dass das
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„In this way there is a double dimension in John’s use of symbolism, the horizontal and the vertical. In the horizontal dimension the historical anticipates the eschatological. In the vertical dimension the earthly symbolizes the heavenly. This double dimension is also a characteristic of John eschatology” (N G, Water, 194). 309 Die Frage der Frau, ob er grösser als Jakob sei, lässt dieser unbeantwortet. Obwohl der Text ihm einen bestimmten Interpretationsrahmen vorgibt, bleibt es dem Leser überlassen, wie er sich dazu verhält. 310 Zu Recht beobachtet O LSSON (Structure, 179): „[We] have in Jn a contrast between what God gives through Moses, and what He gives through Jesus, 1:17; 7,19ff; cf. 3:14; 6:32f; 5:47; 1:45. […] This pattern in Jn indicates that we have a similar instance in Jn 4: God’s gift through Jacob, namely the Well, and that which God gives through Jesus.“
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von Jesus geschenkte Wasser die Lebensgabe, das Heil schlechthin, sym311 bolisiert und daher eine Gabe Gottes ist. In den Worten Jesu lassen sich zwei weitere Korrekturen erkennen, da das Missverständnis der Samaritanerin tiefer greift. Zum einen kommt es zu einem Wechsel der Empfänger des Brunnens. Während die Frau daran festhält, dass Jakob ihn „ihr und den Samaritanern“ gegeben hat, verlässt Jesus die Dialogebene und verheisst Wasser jedem, der Durst hat (Formulierung in der dritten Person). Dabei sprengt er den Rahmen des Gesprächs, denn sein Wasserangebot gilt auch dem Leser. Zudem lässt er damit anklingen, dass das Heil universell ist. Zum anderen hinterfragt Jesus die von der Samaritanerin als selbstverständlich angenommene vergangene Zeit des Ereignisses. Statt auf eine frühere Geschichte zu verweisen (vgl. δίδωµι zweimal im Aorist), lädt er dazu ein, in die Zukunft zu blicken (vgl. δίδωµι zweimal im Futur)312. Anders als die eschatologische Erwartung des Wassers, die auf eine entfernte Zeit verweist, rückt die Verheissung Jesu, ohne die Futurdimension ganz zu verdrängen, fast in der Gegenwart, denn er, der jetzt vor der Samaritanerin steht, wird der Geber sein. Die Zukunftsperspektive, die vielleicht in einem gewissen Gegensatz zur präsentischen Eschatologie des JohEv steht, ist dennoch unproblematisch313, denn einerseits verweist sie auf eine spätere Zeit in der Erzählwelt, sei es auf den Schluss des Gesprächs, wo die Samaritanerin die Gabe Jesu annimmt,314 oder auf die Passion Jesu, da erst durch seinen Tod die Gabe des Lebens in Fülle zur vollendeten Wirklichkeit wird.315 Andererseits unterstreicht die Zukunftsform den Verheissungscharakter der Worte Jesu. Die Gabe des lebendigen Wassers ist zwar nicht auf die Zukunft begrenzt, 311
Diese Eigenschaft des Wassers als Geschenk Gottes wird möglicherweise auch durch die Verwendung des Wortes πηγή unterstrichen, da Quellen immer von Gott gegeben werden und da der Begriff möglicherweise Assoziationen mit den atl. Verheissungen des eschatologischen Heils hervorhebt. 312 Das Verb δίδωµι kommt erstaunlicherweise in Joh 4 nie im Präsens vor! Vgl. zwei Imperative, die den Dialog umrahmen, zwei Aoriste mit Jakob als Subjekt, ein Aorist von ἄν begleitet, und zwei Futurformen (in der ersten Person) mit Jesus als Subjekt. 313 Von daher sind literarkritische Erwägungen, die mit einer späteren Hinzufügung für die zwei Relativsätze „das ich geben werde“ rechnen (vgl. u.a. L INK, Was, 216–218), nicht stichhaltig. 314 Ähnlich bei R UBEL (Erkenntnis, 99), der m.E. die Notwendigkeit der Erkenntnis jedoch zu sehr betont. Für ihn wird das Geben erst am Ende des Dialogs stattfinden: „Da die Frau noch nicht zur Erkenntnis gekommen ist, worin die Gabe des lebendigen Wassers besteht und wer er ist, der ihr diese Gabe vermittelt, kann ihr Jesus auch nicht das lebendige Wasser für die Gegenwart verheissen, sondern stellt es ihr als zukünftige Gabe in Aussicht. Daraus geht hervor, dass die Gabe des lebendigen Wassers an die Erkenntnis der Offenbarung und des Offenbarers gebunden ist.“ 315 Für T HEOBALD, 315; SCHAPDICK, Weg, 161–165 und T HYEN, 251 bezieht sich die Futurform auf die Passion und die nachösterliche Zeit.
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denn in Jesus ist sie schon gegenwärtig, allerdings ist sie auch nicht auf die Gegenwart beschränkt, denn Jesus wird immer wieder geben. 3.2.2 Die Ernte 3.2.2.1 Ernte im AT und NT Methodische Vorüberlegung Um das metaphorische Netz um die Ernte in Joh 4 zu verstehen, wird der Leser eingeladen, an den atl. Hintergrund des Bildes und an seinen urchristlichen Gebrauch zu denken. Die Elemente, welche ein Rezipient für sein Verständnis von Joh 4 mitberücksichtigen kann, lassen sich nicht vollständig auflisten. Zudem variieren die Aspekte, die tatsächlich mitbedacht werden, von Leser zu Leser. Um diese verschiedenen Assoziationsmöglichkeiten zu eruieren, reicht es nicht aus, allein das Vorkommnis des Wortes „θερισµός“ (Ernte) zu untersuchen316, denn „Ernte“ ist ein Motiv, das an vielen Stellen begegnet, ohne dass θερισµός benutzt wird, wie z.B. in Jer 9,21: „Rede: So spricht der Herr: Ja, die Leichen der Menschen werden fallen wie Dünger auf die Fläche des Feldes und wie eine Garbe hinter dem Schnitter, doch niemand sammelt.“ Da Ausdrücke, die Ernte umschreiben317, nicht selten sind, sollten solche Stellen nicht ausser Acht gelassen werden. Statt einer systematischen Durchsuchung von „θερισµός“-Belegen werden hier deswegen Grundgedanken dargelegt, die häufig mit „Ernte“ in Verbindung stehen. Der methodische Unterschied zwischen der Untersuchung der θερισµός-Stellen und der Reflexion über die Vorstellung, die mit „Ernte“ zusammenhängt, ist keine Haarspalterei, welche die verschiedenen Textverständnisse der Experten widerspiegelt, sondern führt zu verschiedenen 316
Die Konkordanzarbeit, die nur die Stellen mit einem bestimmten Wort berücksichtigt, weist Schwächen auf, denn sie nivelliert den Unterschied zwischen bekannten Stellen und anderen (weniger bekannten) und zudem berücksichtigt sie nicht genügend, dass die intertextuellen Bezüge des JohEv heterolingual sind, d.h. mehrere Sprachen umfassen. Werden die Stellen der LXX mit θερισµός untersucht, ergibt sich ein anderes Bild, als wenn die Stellen mit riîcâq im MT bearbeitet werden, denn riîcâq wird auch mit ἄµητος übersetzt. 317 Die die „Ernte“ umschreibenden Ausdrücke sind sowohl auf die Personen, welche die Ernte vollziehen (Schnitter, Traubentreter, Garbenbinder, Weinleser), als auch auf das Ergebnis (vgl. Ertrag der Erde, Ertrag des Erdbodens, die Frucht des Bodens) bezogen. Die Tätigkeit selbst wird ebenfalls beschrieben: „…die Sichel an die Saat [zu legen]…“ (Dtn 16,9; vgl. auch Dtn 23,26). Als weitere Beispiele vgl. Jes 24,13: „Wie beim Abschlagen der Oliven, wie bei der Nachlese, wenn die Weinernte [τρύγητος] zu Ende ist.“; Jes 55,10: „Sondern die Erde tränkt, sie befruchtet und sie lässt spriessen, dass sie dem Sämann Samen gibt und Brot dem Essenden.“; Joel 2,24: „Und die Tennen werden voll Getreide sein und die Kelterkufen überfliessen von Most und Öl.“
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Ergebnissen. So erklärt sich der Kontrast zwischen meiner eigenen Interpretation, die ohne den Gerichtsgedanken als wichtige Assoziation abzustreiten mehr die Freude der Ernte betont, und der Schlussfolgerung Hausmanns, der bei der Untersuchung des Wortes riîcâq schreibt: „Im Kontrast zur positiven Wertungen von qsr bei den konkreten, agrarischen gefüllten Verwendung fällt auf, dass im theologisch orientierten Kontext qsr weitgehend negativ gebraucht wird, um die Vernichtung, Strafe oder negative Tatfolge zu beschreiben.“318 Die verschiedenen Ergebnisse kommen primär nicht durch eine abweichende Interpretation von atl. Texten zustande, sondern aufgrund der Berücksichtigung anderer Stellen. In Texten, bei denen Ernte mit Freude verbunden wird, werden meistens der Vorgang oder der Ertrag beschrieben, so dass das Wort riîcâq nicht vorkommt. Ernte im Alten Testament319 „Ernte“ (Wort und Umschreibung) ist im AT oft im eigentlichen Sinn des Wortes zu verstehen: a) Die Ernte wird in verschiedenen Gesetzestexten erwähnt.320 b) Die (Weizen- oder Gersten-)Ernte kann auch als Zeitangabe etwa für die Monate Mai bis August dienen.321 c) Der Ernteertrag wird oft, besonders in den Psalmen, mit Freude, Segen Gottes und Wohlstand assoziiert.322 Dabei verschwimmt die Grenze zwischen dem eigentlichen Sinn – Freude entsteht dank der Ernte und dem damit verbundenen konkreten Wohlstand – und der übertragenen Bedeutung, bei der „Ernte“ ein Symbol für allen Segen Gottes und von ihm geschenkte Freude wird.323 Zudem ist die Verheissung, den Ertrag der Ernte H AUSMANN, riîcâq, 112. Was kann ein Leser mit „Ernte“ in Verbindung setzen? Die Antwort auf diese Frage kann keinen Vollständigkeitsanspruch erheben. In diesem Sinn bildet der folgende Überblick einen Vorschlag, bei dem mögliche Assoziationen mit „Ernte“ aufgelistet werden. Ihre Relevanz für eine Interpretation von Joh 4 wird am Schluss reflektiert. Um den Fluss der Lektüre wenig zu stören, befinden sich Stellenangaben in den Fussnoten. (Meistens wird dort eine Stelle zitiert, damit das Gesagte veranschaulicht wird.) 320 Vgl. das Nachleserecht (Lev 19,9–10; 23,22; Dtn 24,19), die Festordnung (Ex 23,16), die Abgabebestimmung (Lev 23,10; in anderem Zusammenhang auch Gen 47,24), die Gesetze über das Sabbat (Ex 34,21) und den Sabbatjahr (Lev 25,5.11) oder andere Gesetztexte (Dtn 16,19; 23,26; Lev 27,16). 321 Vgl. H AUSMANN, riîcâq, 108. Vgl. Gen 30,14: „Und Ruben ging aus in den Tagen der Weizenernte und fand Dudaim auf dem Feld […]“ Vgl. auch Jos 3,15; Ri 15,1; Ruth 1,22; 2 Sam 21,9.10; 23,13; Hag 2,19. 322 Vgl. Ps 67,7: „Die Erde gibt ihren Ertrag; Gott, unser Gott, wird uns segnen.“ Vgl. auch Gen 26,12; Ps 4,8; 107,37. 323 Vgl. Ps 65,10–14: „Du hast das Land heimgesucht und es überschüttet, du bereicherst es sehr: Gottes Bach ist voll Wasser. Du bereitest ihnen Getreide, wenn du [das Land] so bereitest: Du tränkst seine Furchen, ebnest seine Schollen, du erweichst es mit 318 319
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geniessen bzw. die Felder bearbeiten zu können, ein fester Bestandteil der 324 Heilsbotschaft bei den Propheten, so dass die Ernte zu einem Symbol für Prosperität wird. d) Umgekehrt gilt die Unmöglichkeit, vom Ertrag der Ernte zu profitieren, als Gericht Gottes. Sei es, dass der Ertrag des Feldes in die Hände von Feinden fällt oder dass die Ernte durch Kriegsumstände oder Naturkatastrophen zerstört wird.325 e) Ernten stehen im engen Zusammenhang mit Fleiss und Arbeit, „wonach der Fleissige erkannt wird daran, dass er sich in rechter Weise um die Ernte kümmert.“326 Es ist nicht erstaunlich, dass „Ernte“ (Wort und Umschreibung) auch in einer übertragenen Bedeutung gebraucht wird, denn „[als] Katalog der elementaren Lebensgrundlagen der bäuerlichen Menschen Palästinas ist das Wortfeld um Saat und Ernte, Reifen und Fruchtbringen seit alters zum festen und bevorzugten Bestand der religiösen Metaphorik Israels geworden“.327 a) „Ein […] zentraler Aspekt ist die naturgesetzliche Zusammengehörigkeit von Saat und Ernte, die etwa für ethische Aussagen nutzbar gemacht wurde. So taucht der bildspendende Bereich von Saat und Ernte häufig im Horizont des weisheitlichen Tun-Ergehen-Zusammenhangs auf.“328 b) Das Bild der Ernte dient aber auch der Beschreibung des göttlichen Gerichts.329 „Zum Ausdruck wird damit u.a. gebracht, dass aufgrund äusserer Geschehen (wie Einbruch von Feinden) vom Volk nichts oder kaum etwas übrig bleibt, dass es also einem abgeernteten Feld gleicht“330. Zimmermann bemerkt zu Recht: „Vielfach wird dabei die Gewalt, mit der VeRegengüssen, segnest sein Gewächs. Du hast das Jahr mit deiner Güte gekrönt und deine Spuren triefen von Fett. Es triefen die Weideplätze der Steppe und mit Jubel umgürten sich die Hügel. Die Weiden bekleiden sich mit Herden und die Täler bedecken sich mit Korn; sie jauchzen, ja, sie singen!“ Vgl. auch Ps 72,16; 104,14–15. 324 Vgl. Jes 65,21–22; Sach 8,12; Joel 2,24–25; Jer 31,5; Mal 3,10–12. 325 Vgl. Jer 5,17; Joel 1,11; Amos 4,7; 5,11; 7,1–2.4; Mi 6,15; Hab 3,17; Zef 1,13; Hag 1,6; Mal 2,2–3; Ps 105,35; Jes 1,7; 16,9–10; 17,11; (vgl. weiter Jes 5,24; 32,10–15). 326 H AUSMANN, riîcâq, 109. Vgl. Prov 6,8; 10,5; 20,4. Ähnlich auch in Koh 11,4. 327 THYEN, 273. Bilder aus der Feldarbeit werden oft verwendet, um die Beziehung zwischen Gott und Israel zu beschreiben. Die Erwählung Israels wird z.B. mit dem Ausdruck „Gott hat Israel gepflanzt“ (vgl. Jer 2,21; 11,17; Ez 17,1–10; Hos 9,13) thematisiert oder metaphorisch durch die Bezeichnung Israels als Weinberg Gottes umschrieben (vgl. Jes 5,1–7; 27,2–6; Jer 12,10). 328 Vgl. ZIMMERMANN, Arbeit, 739–740. Vgl. Prov 22,8: „Wer Unrecht sät, erntet Böses.“ Vgl. auch Hiob 4,8; Sir 7,3. Die Vorstellung findet sich aber auch ausserhalb der weisheitlichen Literatur, vgl. Hos 8,7. 329 Vgl. Jer 9,21; Jes 17,5–6; 17,10–11; 24,13. 330 H AUSMANN, riîcâq, 111.
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getation im Zeitpunkt der Ernte zu Ende gebracht wird, in den Mittelpunkt 331 gerückt.“ Einzelne Elemente der Erntearbeit werden in diesem Zusammenhang metaphorisch gebraucht: Es wird abgemäht332, gedroschen333, 334 335 336 nachgelesen , die Ähren werden ausgeklopft , es wird geworfelt , Frev337 338 ler und Gottlose werden wie Spreu zerstreut , usw . Solche Bilder sind sowohl innerhalb von konkreten Gerichtsandrohungen wie auch in der Schilderung von Endgerichtserwartungen zu finden, so dass das Eintreten 339 der Zeit der Ernte bildlich auf den Anbruch der Endzeit hindeutet. c) Ernte wird in verschiedenen Vergleichen und Metaphern mit Freude, Ende der Trauer und Überfluss in Verbindung gebracht.340 Die Feststellung von allgemeinem Wohlstand einschliesslich reicher Ernte dient der Beschreibung der zukünftigen Heilszeit341. Interessanterweise wird der Überfluss in Amos 9,13 dadurch betont, dass die Zeit zwischen Saat und Ernte kürzer wird.342
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Z IMMERMANN, Arbeit, 740. Jes 17,5. 333 Am 1,3; Jes, 41,15. 334 Die Nachlese weist auf die totale Verwüstung hin. Nach der Zerstörung (Ernte) wird nochmals geerntet, so dass wirklich nichts übrig bliebt. Jer 6,9; 49,9; Obad 5; Jes 17,6; Mi 4,12. In Heilsworten ist die Nachlese hingegen ein Bild für die Rückkehr aus dem Exil (Jes 27,12). 335 Jes 28,17. 336 Jes 41,16; Jer 15,7; 51,2. 337 Hiob 21,18; Ps 1,4; 35,5; 83,14; Jes 17,13. 338 Andere Bilder aus der Feldarbeit können auch erwähnt werden. Es ist zu fragen, ob diese nicht mehr unter das Thema „Ernte“ zu subsumieren sind: vgl. z.B. das Keltertreten: Jes 63,1–6; Klgl 1,15. 339 In diesem Zusammenhang verweist die Erntezeit meistens auf die Zeit des Gerichts. Vgl. Jer 51,33: „Denn so spricht der Herr der Heerscharen, der Gott Israels: Die Tochter Babel ist wie eine Tenne zur Zeit, da man sie stampft. Noch kurze Zeit, dann kommt die Zeit der Ernte für sie.“ Vgl. auch Jes 18,4–5; 24,13; Joel 4,13. Aber die Zeit der Ernte kann auch positiv konnotiert werden als die Zeit der Schicksalswende Israels, vgl. Hos 6,11; Amos 9,13–15. 340 Vgl. die Stellen, bei denen Ernte und Freude zusammenfallen. Die übertragene Bedeutung wird im Ps 85,12–14 deutlich: „Wahrheit wird sprossen aus der Erde, Gerechtigkeit herniederschauen vom Himmel. Auch wird der Herr das Gute geben und unser Land wird seinen Ertrag bringen. Gerechtigkeit wird vor ihm hergehen, und er wird ihre Tritte zum Weg machen.“ 341 Jes 9,2: „Du vermehrst den Jubel, du machst die Freude gross. Sie freuen sich vor dir, wie man sich freut in der Ernte, wie man jauchzt beim Verteilen der Beute.“ Vgl. auch Ez 34,27; 36,8–9.30; Jes 30,23; Joel 4,18. 342 Vgl. Amos 9,13: „Siehe, Tage kommen, spricht der Herr, da rückt der Pflüger nahe an den Schnitter heran und der Traubentreter an den Sämann und die Berge triefen von Most und alle Hügel zerfliessen.“ 332
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Ernte im Neuen Testament
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343
Grundsätzlich kann ein ähnlicher Gebrauch wie im AT festgestellt werden, obwohl die eigentliche Bedeutung seltener344 anzutreffen ist. Ernte kommt des Öfteren in verschiedenen Gleichnissen345 und Vergleichen346 vor, was bestätigt, dass die allgemein bekannten landwirtschaftlichen Erfahrungen fruchtbar gemacht wurden, um bildhaft religiöse Sachverhalte zu veranschaulichen. Die enge Zusammengehörigkeit von Saat und Ernte bleibt bestimmend, so dass θερίζω in Verbindung mit σπείρω in verschiedenen Kotexten anzutreffen ist347. Wie im AT wird das Bild der Ernte (und die enge Verbindung zum Säen) häufig in Zusammenhang mit Gerichtsansagen verwendet. Dabei ist die Vorstellung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs, wie sie uns im AT begegnet, weniger ausgeprägt, ohne jedoch ganz zu verschwinden.348 Die Schilderung des Endgerichts anhand von Erntetätigkeiten wird hingegen breiter ausgeführt.349 Das Bedrohliche wird aber an gewissen Stellen zurückgedrängt. Der Umgang mit dem impliziten Zitat aus Joel 4,13 in Mk 4,26–29 veranschaulicht dies gut: „Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag, und der Same spriesst hervor und wächst, er weiss selbst nicht wie. Die Erde bringt von selbst Frucht hervor, zuerst Gras, dann eine Ähre, dann vollen Weizen in der Ähre. Wenn aber die Frucht es zulässt, so schickt er sogleich die Sichel, denn die Ernte ist da.“ In diesem Gleichnis hat die Erntesichel nichts Erschreckendes mehr, 343
Genau wie im Alten Testament begegnet uns die Schwierigkeit, dass an einigen Stellen die Erntetätigkeiten beschrieben werden, ohne dass die Wörter „θερισµός/θερίζω“ benutzt werden. Z.B. steht in Mt 3,12 (// Lk 3,17): „Seine Wurfschaufel ist in seiner Hand und er wird seine Tenne durch und durch reinigen und seinen Weizen in die Scheune sammeln, die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen.“ Jedoch ist dieses Phänomen eher selten im NT (anders als im AT). Auch beim Überblick über ntl. Vorstellungen, die in einem engen Zusammenhang mit der Ernte stehen, wurden solche Stellen berücksichtigt. 344 Eine Ausnahme findet sich in Jak 5,4: Bei dieser Stelle geht es um die konkrete Klage der Schnitter bei Gott. 345 Mt, 21,33–46 // Mk 12,1–12 // Lk 20,9–19; Mk 4,26–29; Lk 12,16–21. 346 Lk 12,24: „Betrachtet die Raben, die nicht säen noch ernten, die weder Vorratskammer noch Scheune haben, und Gott ernährt sie. Wieviel mehr seid ihr wert als die Vögel!“ // Mt 6,26. 347 Folgerichtig wird der Herr, der erntet, wo er nicht gesät hat, als hart beurteilt (vgl. das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden [Mt 25,14–30 // Lk 19,21–22]). Der untrennbare Zusammenhang von Ernten und Säen hilft in 1 Kor 9,11, den Lohnanspruch für Missionare zu legitimieren: „Wenn wir euch das Geistliche gesät haben, was ist es da Grosses, wenn wir von euch das Irdische ernten.“ 348 Vgl. 2 Kor 9,6; Gal 6,7–9. 349 Apk 14,14–19; Mt 13,24–30.36–43.
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III. Johannes 4
so dass das Prophetenzitat deutlich umgedeutet und neu interpretiert wird: 350 „Der Ruf an die Schnitter ist ein Jubelruf.“ Wenn Ernte im NT in Anlehnung an den atl. Gebrauch auf das eschatologische Ereignis verweist, rückt demnach der bedrohliche Aspekt der totalen Zerstörung als Strafe Gottes eher in den Hintergrund. Neben der Vernichtung der Feinde tritt nämlich oft der Gedanke der Sammlung der Gerechten auf. Die Scheidung (Spreu / Weizen) gewinnt an Bedeutung (Mt 3,12; // Lk 3,17). Zudem wird die mit der Ernte assoziierte Freude wichtiger.351 An zwei Stellen (Mt 9,35–38352 und Lk 10,1–11353) wird das Wort θερισµός metaphorisch in Zusammenhang mit der Mission verwendet. Dies erklärt sich dadurch, dass das Sammeln der Gerechten dem Sammeln 354 der Früchte bildlich entsprechen kann und dass Mission oft in Zusammenhang mit anderen Bildern aus der Landwirtschaft thematisiert wurde (Säen355, Früchte tragen356). Zudem wird der eschatologische Charakter der
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G NILKA, Markus, 184. Vgl. Mk 4,29 und auch Jak 5,7: Dort wird das Warten auf die Ankunft des Herrn verglichen mit dem Warten des Bauern auf die „köstliche Frucht der Erde“. 352 Bei der Interpretation der mt Stelle gehen die Meinungen auseinander: Für Grundmann wird dank dem Bild der grossen Ernte und der wenigen Arbeiter die Jüngeraussendung begründet: Jesus sieht „im notvollen Zustand des Volkes die grosse Erntemöglichkeit […], aber er ist der einzige Arbeiter in der Ernte, so dass die Arbeiter fehlen. Deshalb will er die Jünger zu seinen Mitarbeitern machen“ (G RUNDMANN, Matthäus, 286). Hingegen betont Luz, dass „sich für das Bild der Ernte das Gericht als fester Assoziationshorizont“ (L UZ, Matthäus, 81) ergibt und dass die Erntearbeiter die Engel des Menschensohns sind und gerade nicht die Jünger. 353 Im LkEv ist das Logion in die Jüngeraussendung eingebettet. Daraus schliesst Klein, dass es hier um die Missionsarbeit geht, die gerne mit der Arbeit am Acker verglichen wird, so dass die in atl. und jüdischen Traditionen übliche Assoziation der Ernte mit dem Strafgericht Gottes im lk Kontext nicht passt. (Vgl. K LEIN, Lukasevangelium, 376 FN 39). Er streicht aber den eschatologischen Charakter der Mission heraus. Vgl. auch W IEFEL, Lukas, 197: Für ihn verweist das Bild der Ernte den alttestamentlichen Vorbildern entsprechend auf die endzeitliche Situation aber zugleich ist es mit der Mission zu assoziieren. 354 Der Begriff συνάγω „sammeln“ ermöglicht die Verbindung zwischen Ernte und Mission. Vgl. T HEOBALD, 335. 355 So verweist das Säen im Gleichnis vom vierfachen Acker auf das Verkündigen des Wortes: Mt 13,1–23 (// Lk 8,4–15; Mk 4,3–20), vgl. insbesondere Mk 4,4: „Der Sämann sät das Wort.“ Ähnlich in anderen Gleichnissen: vgl. Mt 13,24–29 und seine Deutung 13,36–43; Mt 13,31 (// Lk 13,18–21; Mk 4,30–34). „Geistlich säen“ ist auch in 1 Kor 9,11 ein Bild für die Missionsarbeit. 356 Bei Paulus wird der Missionserfolg als Frucht bezeichnet (vgl. H AUCK, καρπός, 618,). Vgl. Röm 1,13: „Ich will aber nicht, dass euch unbekannt sei, Brüder, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen – und bis jetzt verhindert worden bin –, damit ich auch unter euch etwa Frucht haben möchte, wie auch unter den übrigen Nationen.“ Vgl. weiter Phil 1,22. 351
3. Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 4
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Mission dadurch unterstrichen: „[Die] Sammlung Israels für das Gottes357 reich und die Verkündigung der Jünger ist Endzeitgeschehen.“ 3.2.2.2 Ernte in Joh 4358 Anknüpfend an die übliche Verwendung, wie wir ihr im AT und NT auch sonst begegnen, verweist das Bild der Ernte in Joh 4 auf die Endzeit, dennoch wird das Motiv umgearbeitet. Im Unterschied zum traditionellen Gebrauch betont Joh 4 jedoch die Gegenwart der Ernte. „Der traditionellen futurischen Eschatologie vom noch ausstehenden Weltende wird eine neue Sicht der Geschichte gegenübergestellt, nach der die Vollendung bereits da ist.“359 Damit wird die Gegenwart als Endzeit qualifiziert. Sie wird sogar als Heilszeit präzisiert, denn der Aspekt der Freude steht im Vordergrund. Die Ungerechtigkeit, die damit entsteht, dass ein anderer erntet als derjeni360 ge, der gesät hat, wird in gemeinsamer Freude überwunden. Weiterhin fällt auf, dass der Gerichtscharakter der Erntevorstellung zurückgedrängt wird. Weder Strafe (wie im AT) noch Scheidung (wie im NT) werden erwähnt.361 Ernte verweist auf das Heilsereignis, das in Jesus Wirklichkeit wird. Deswegen werden Bilder, die mit der Endgerichtsvorstellung zusammenhängen, zum gegenwärtigen Heilszuspruch umgedeutet: Der Lohn wird empfangen, die Sammlung der Erwählten (im Bild der Früchte) zum ewigen Leben hat angefangen. Eine weitere Besonderheit von Joh 4 be357
L UZ, Matthäus, 81. Vgl. auch ZANGENBERG (Christentum, 176), der erklärt: „Beide Bereiche (die christliche Mission und die Gerichtsaussagen) hängen bekanntlicherweise dadurch zusammen, dass irdische Mission nach frühchristlichem Verständnis darauf zielt, dass die Auserwählten gesammelt und im Eschaton bewahrt werden.“ 358 Die „Ernte“ spielt im Rest des JohEv keine Rolle. Andere Bilder aus der Landwirtschaft kommen zwar vor (Joh 12,24; 15,1–8), tragen aber für ein besseres Verständnis von Joh 4 wenig bei. 359 T HEOBALD, 334. 360 Es kann gefragt werden, ob im Text eventuell Spuren der Heilserwartung von Amos 9,13 zu finden sind, wo Ernte und Saat zeitlich näher rücken, weil in Joh 4 die Arbeiter (Erntende und Säende) sich zusammen und gleichzeitig freuen. 361 Im Blick auf das gesamte JohEv schreibt SCHAPDICK in seiner Auslegung dieses Abschnittes (Weg, 279): „Die ursprüngliche Doppelintention des Gerichts als Schaffung des endgültigen Heils für die Gerechten und Vernichtung der Gottlosen im Gericht wird aber unmissverständlich negiert. Die Sendung des Sohnes in die Welt wird ja als Liebe, als umfassende Zuwendung Gottes zur Welt, interpretiert (vgl. Joh 3,16), so dass der Gedanke der Vernichtung des Bösen durch Gott unmöglich geworden ist. Mit der Gottesoffenbarung Jesu entsteht für den Menschen eine Wahlmöglichkeit zwischen zwei Alternativen. […] Die Alternativen heissen Glauben und Unglauben als Stellungsnahmen der Annahme oder Nichtannahme des eschatologischen Heilsereignisses in Jesus von Nazareth.“ Das Verschwinden des Gerichts im traditionellen Sinn ist damit gut erfasst, obwohl das Entscheidungsmoment m.E. hier zu sehr betont wird. Der Ruf zum Glauben geschieht in Joh 4 nur implizit durch das Vorbild der Samaritanerin und der Samaritaner.
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III. Johannes 4
steht darin, dass Bilder aus der Feldarbeit, die auf die Mission und auf die Endzeit verweisen, stärker als in anderen ntl. Texten ineinander verschmolzen werden (vgl. das Früchtesammeln, das Säen, der Unterschied zwischen Säenden und Erntenden362 und den Begriff κοπιάω363). Somit ist die Mission Bestandteil der eschatologischen Zeit, die in Jesus anbricht. Die Einheit des Dialogs zwischen Jesus und seinen Jüngern wird damit sichtbar: Der Lebensauftrag (vgl. V.34) besteht darin, den Willen Gottes zu tun und sein Werk zu vollenden, also das Heil der Menschen zu ermöglichen. Die Mission (V.36–38), die Menschen zum Glauben führt, ist als Verlängerung dieses Auftrages zu sehen. 3.2.3 Synthese der bisherigen Ergebnisse Bevor die einzelnen, an unterschiedlichen Stellen dieser Arbeit analysierten Schriftbezüge in Beziehung zueinander gesetzt werden, möchte ich im Folgenden die wichtigsten bisherigen Ergebnisse kurz zusammenfassen. 3.2.3.1 Die Messiaserwartung Die von der Samaritanerin formulierte Messiaserwartung (V.25) knüpft, trotz ihrer religiösen Zugehörigkeit, an jüdische Vorstellungen an. Sie erhofft sich für die Zukunft eine umfassende Verkündigung, die alle religiösen Streitigkeiten klärt. Indem Jesus antwortet „Ich bin es, der mit dir spricht“, erhebt er den Anspruch, diese Erwartung zu erfüllen. Er nimmt aber implizit zwei Korrekturen an der Äusserung der Samaritanerin vor. Zum einen ist der Inhalt der Verkündigung keine allgemeine Wahrheit, die religiöse Fragen beantwortet, so dass klar wird, welcher Anbetungsort der richtige ist, sondern eine umfassende Offenbarung Gottes, der in der persönlichen Begegnung mit Jesus (vgl. mit dir) präsent wird. Zum anderen verliert die jüdische Erwartung der Frau ihre futurische Perspektive, denn was für die Zukunft erhofft wurde, wird nun zur Wirklichkeit.364 Der Autor 362
In 1 Kor 3,6–9 wird das Unrecht des Streites, der aufgrund der Präsenz verschiedener Prediger hervorbrach, anhand eines Bildes aus der Landwirtschaft verdeutlicht: „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber hat das Wachstum gegeben. So ist weder der da pflanzt, etwas, noch der da begiesst, sondern Gott, der das Wachstum gibt. Der aber pflanzt und der begiesst, sind eins; jeder aber wird seinen eigenen Lohn empfangen nach seiner eigenen Arbeit. Denn Gottes Mitarbeiter sind wir; Gottes Ackerfeld, Gottes Bau seid ihr.“ 363 κόπος, bzw. κοπιάω wird im NT „für die christliche Arbeit an der Gemeinde und für die Gemeinde“ verwendet. H AUCK, κόπος, κοπιάω, 828. 364 Vgl. ZANGENBERG, Christentum, 169: Durch die Selbstoffenbarung Jesu (ἐγώ εἰµι V.26) „erhält der traditionell futurisch geprägte Titel [Messias] eine präsentische Bedeutung, zum anderen ist der Titel nicht mehr konturenlos und beliebig füllbar, sondern wird an die konkrete Person Jesu gebunden“.
3. Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 4
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knüpft somit erkennbar an jüdische Traditionen und nicht nur an bestimmte Schriftstellen an. Dabei wird der intertextuelle Bezug einer Figur in den Mund gelegt, so dass kein Unterschied im Gebrauch zwischen Schriftzitaten und -verweisen und allgemeinen Übernahmen jüdischer Messiasvorstellungen festzustellen ist. 3.2.3.2 Jakob Der Verweis auf Jakob ermöglicht es der samaritanischen Frau, die die Worte Jesu von Grund auf missversteht, ihrer Skepsis Ausdruck zu verleihen: Nur jemand, der grösser als Jakob ist, kann das Versprechen dieses Mannes, Wasser zu geben, erfüllen. Der Erzvater ist der Massstab, an dem man die Gabe und den Geber messen soll. Sowohl die objektive Angabe der Erzählers (V.5) als auch die Antwort Jesu (V.14–15) verweisen darauf, dass diese Haltung problematisch ist: Die Samaritanerin verkennt den wahren Geber, der Gott und nicht Jakob ist; sie missversteht die Gabe, denn es handelt sich nicht nur um konkretes Trinkwasser, sondern um alles, was das Leben fördert; und sie hält daran fest, dass die Gabe zur Vergangenheit gehört und nimmt deswegen nicht wahr, dass Gott (bzw. Jesus) jetzt gibt und auch zukünftig immer wieder geben wird. Obwohl die Geschichte Jakobs missverstanden wird, hat sie eine wichtige hermeneutische Funktion, indem sie den Sinn der Sendung Jesu erhellt: Gott hat ihn gesandt, um entsprechend seinem Heilswillen alles, was für das Leben notwendig ist, zu schenken, wie er es in der Geschichte mit seinem Volk immer wieder getan hat, obschon seine Gabe sich immer wieder anders konkretisierte (vgl. das konkrete Wasser und alles, was es symbolisiert). Die Inanspruchnahme der Schrift bildet somit den Hintergrund, vor dem die Gabe Jesu verstanden werden kann, auch wenn dem Leser zunächst eine falsche Deutung präsentiert wird. 3.2.3.3 Das Heil ist von den Juden Indem Jesus sagt: „Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt aus den Juden.“, dokumentiert er auf einer Metaebene die Kontinuität mit der jüdischen Tradition, denn er gesteht den Juden ein bestimmtes Wissen zu aufgrund ihrer Erfahrung und Geschichte mit Gott365. Dennoch liegt das Schwergewicht nicht primär auf der Erwählung des Volkes Israel, sondern auf dem von Gott geschenkten Heil. Weil Gottes Wirken in der Geschichte mit Israel von seinem lebensfördernden Willen zeugt, fügt sich das erfüllte Heil, das im Kommen, im Tod und in der Auferstehung Jesu zum Ereignis wird, in diese Geschichte ein. Somit 365
Somit wird eine positive Wertung der Schrift impliziert, obwohl eine explizite Erwähnung der Schrift fehlt, so dass eine gewisse Vorsicht geboten ist.
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III. Johannes 4
präzisiert Jesus, dass σωτηρία das Stichwort ist, welches die Kontinuität 366 gewährleistet; das Heil, das aus den Juden kommt , dehnt sich auf die ganze Welt aus (vgl. V.42). Ohne γραφή oder νόµος verwenden zu müssen, streicht der Evangelist dadurch die bleibende Bedeutung der atl. Geschichte heraus und betont die Entsprechung zwischen den Taten Gottes für Israel und seiner Offenbarung in Jesus. 3.2.3.4 Das Symbol des Wassers Das „Wasser“ in Joh 4 versinnbildlicht die lebensfördernde Gabe Gottes, weswegen der Text für verschiedene Interpretation offen ist, was sich auch in der Vielfalt der Forschungspositionen widerspiegelt. Auch wenn es der atl. Gebrauch nicht erlaubt, eine Auslegung anderen vorzuziehen, gewinnt der Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin für den schriftkundigen Leser an Tiefe, denn die Verheissung des Heils und diejenige des Wassers in Fülle (konkret und symbolisch) hängen zusammen,367 wobei es das Wasser ermöglicht, bildlich die Positivität der Gabe Gottes zu veranschaulichen. Durch die Anlehnung an solche Texte erhält die Gabe des Wassers in Joh 4 eine eschatologische Konnotation. In Jesus ist die Heilszeit mit ihrem Überfluss an Wasser und allem, was damit symbolisiert wird, angebrochen. Beim Gebrauch dieses Schriftmotivs geht es um die eschatologische Vergegenwärtigung des im AT verheissenen Heils in Jesus. 3.2.3.5 Das Motiv der Ernte Anhand des Bildwortes der Ernte korrigiert Jesus die unausgesprochene eschatologische Erwartung seiner Jünger und interpretiert sie leicht um. Hierfür fordert er seine Zuhörer auf, zu erkennen, dass die durch die gemeinsame Freude (nicht wie traditionell üblich durch das Gericht) qualifizierte Endzeit nun anbricht. Zudem charakterisiert er diese eschatologische Zeit inhaltlich, weil sie mit der Mission zusammenfällt. Durch die Rezeption dieses traditionellen Motivs wird die Uminterpretation der atl. Bildsymbolik des Evangelisten deutlich. 3.2.4 Zusammenspiel der verschiedenen Schriftbezüge 3.2.4.1 Die Gegenwart des Heils in Jesus Es mag gesucht erscheinen, eine thematische bzw. inhaltliche Einheit zwischen den verschiedenen Bezügen zu suchen, denn die intertextuellen As366
Die Herkunft des Heils aus dieser Tradition darf nicht hinterfragt werden, selbst wenn die Juden sich trotz ihres Wissens für den Glauben an Jesus verschliessen. 367 Vgl. III.2.5.
3. Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 4
133
soziationen spiegeln die Vielseitigkeit wider, welche die Perikope insgesamt charakterisiert. Dennoch ermöglicht die gemeinsame Betrachtung der verschiedenen atl. Bezüge auffallende Ähnlichkeiten wahrzunehmen, so dass sich die Hauptcharakteristik der joh Schriftinterpretation herausarbeiten lässt. Auch wenn es richtig ist, dass alle intertextuellen Bezüge christologisch zu lesen sind, ist diese Feststellung dennoch zu präzisieren, denn die atl. Verweise, Anspielungen und Motive kreisen stets um das eine Thema, das Heil. Während V.22 das christologische Heilsereignis in die Geschichte Gottes mit Israel einbettet ist, ermöglichen es die Verweise auf Jakob, in nuce die Identität Jesu als Geber zu bekräftigen. Die Metapher des lebendigen Wassers erläutert ihrerseits die Lebensgabe, also die Heilsgabe schlechthin, in und durch Jesus näher. Genauso offenbart sich Jesus nicht zufällig als Messias, die Heilsfigur par excellence und verweist anhand des Bildes der Ernte auf die Heilszeit, die mit seinem Kommen anbricht. Die Inanspruchnahme der Schrift ist somit nicht weniger soteriologisch als christologisch, womit gegenüber der bisherigen Forschung ein anderer Akzent gesetzt wird, obschon beide Aspekte in joh Sicht natürlich eine Einheit bilden und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Darüberhinaus lässt sich eine Uminterpretation der atl. (bzw. jüdischen) Heils- bzw. Endzeiterwartungen beobachten, denn die Messiaserwartung, die Verheissung des Wassers und die mit dem Erntemetaphernnetz thematisierte Endzeit werden konsequent auf die Gegenwart hin umgedeutet. Immer wieder werden Ankündigungen zukünftiger endzeitlicher Ereignisse, die als solche durch den wiederholten Gebrauch von ἔρχοµαι368 qualifiziert sind, durch präsentische Aussagen durchbrochen und nuanciert: vgl. „eine Stunde kommt und sie ist da“ (V.23); „der Messias kommt und er ist, der mit dir spricht“ (V.25–26); „die Ernte kommt, und die Felder sind schon weiss“ (V.35). Jesus sagt somit deutlich, dass die erwartete Heilszeit und sein Kommen ein einziges Geschehen bilden, wodurch die Gegenwart indirekt neu bestimmt wird: Sie ist die eschatologische Zeit. Nichtsdestotrotz bleibt Joh 4 von der Spannung zwischen zukünftigen Erwartungen und ihrer schon gegenwärtigen Erfüllung in Jesus geprägt, weil der Text in verschiedener Hinsicht zukunftsoffen bleibt. Innerhalb des Mikrokotextes sind die Gespräche Jesu mit der Samaritanerin und mit den Jüngern noch nicht zum Ziel gekommen, denn seine Dialogpartner nehmen die in ihm schon angebrochene Heilszeit nicht wahr und verkennen die neue Wirklichkeit, die sich in ihm öffnet. Auch in Bezug auf den Rest des Evangeliums bleibt der Text offen, da die Offenbarung Jesu bis zu seinem Tod am Kreuz unvollendet bleibt. Seine Rückkehr zu seinem Vater ist weiterhin mit Verheissungen verbunden. Schliesslich behält die Einladung 368
Vgl. bei III.1.5.3.2.
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III. Johannes 4
Jesu, seinen Gabe anzunehmen, ihre Bedeutung über die Zeit des Evangeliums hinaus. 3.2.4.2 Neuer Blick auf die Anbetung Die Omnipräsenz der atl. Heilserwartungen, die in Jesus erfüllt werden, fordert den Leser auf, weitere Motive der Perikope vor diesem Hintergrund zu interpretieren. Er kann z.B. das in Joh 4 zentrale Motiv der neuen Anbetung neu verstehen, denn er erinnert sich sicherlich daran, dass προσκυνέω eine – wenn auch marginale – Rolle in der atl. Verheissung spielt. So wird z.B. in Ps 86,9 gebetet: „Alle Nationen, die du gemacht hast, werden kommen und vor dir anbeten, o Herr, und deinem Namen Ehre geben.“369 So kann die Ankunft der Stunde der neuen Anbetung als eine Uminterpretation der Verheissung der Wallfahrt aller Nationen zum Zion verstanden 370 werden , wobei das Motiv stark umgedeutet wird, da die Samaritaner möglicherweise die Rolle der Fremdvölker übernehmen. Dabei wird die Universalität der Anbetung herausgestrichen. Dank der Ähnlichkeit mit der Thematik der Gabe wird dieser weitere Zug der joh Uminterpretation der Schrift unübersehbar. Denn sowohl für δίδωµι als auch für προσκυνέω ist ein auffallender Wechsel des Verbsubjekts zu beobachten. Bei den ersten Wortwechseln der jeweiligen Abschnitte sprechen Jesus und die Samaritanerin in der ersten und zweiten Person371, denn die Aussagen betreffen direkt die Dialogpartner, hingegen wird bei den präsentisch-eschatologischen Aussagen die dritte Person verwendet. Zwar sind die sich in der Gegenwart ereignenden Verheissungen an die Samaritanerin gerichtet, aber über sie hinaus gelten sie auch jedem einzelnen Menschen. Die Worte Jesu haben einen allgemeingültigen Charakter, der das universelle Angebot des Heils widerspiegelt. Das Motiv der für die Zukunft erwarteten Anbetung wird aber umgedeutet und diese Uminterpretation wird von Jesus dargestellt, der sich hier369
Vgl. auch Ps 22,8; 66,4; 72,11; Sach 2,11; Jes 27,13. Diese These wird von Elke SCHWAB („Exegese von Joh 4,19–26 und die Frage nach dem Ort der Anbetung“; unveröffentliche Seminararbeit) vertreten. Sie erklärt: „Durch Dramaturgie und Szenerie gelingt es dem Evangelisten Jesus als den Tempel Gottes darzustellen. Er greift die Vorstellung der Völkerwallfahrt nach Zion auf. An die Stelle von Zion tritt Jesus Christus. Das eschatologische Bild der Völkerwallfahrt nach Zion in Mi 4,15 und Jes 2,2ff. bricht hier an: Die Samaritaner stehen als Exempel für die Völker und erkennen den ὁ σωτὴρ τοῦ κόσµου“. 371 Die Richtigkeit der Beobachtung wird nicht davon abgeschwächt, dass προσκυνέω im Plural konjugiert wird, was es von den anderen Verben des Dialogs unterscheidet, denn sowohl Jesus als auch die Samaritanerin sprechen nicht als Einzelperson, sondern als Mitglied ihrer jeweiligen Religionsgemeinschaft. Interessanterweise ist auch die eschatologische Anbetung keine individuelle Angelegenheit, wie der Plural οἱ ἀλητινοὶ προκυνηταί es zeigt. 370
3. Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 4
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für von dem Verständnis der Samaritanerin abhebt. Während die Frau nach dem richtigen geographischen Ort fragt, verlagert Jesus die Problematik auf die richtige Erkenntnis Gottes, die aus seiner Geschichte mit seinem Volk (vgl. V.22) herauswächst und in der Offenbarung Jesu zur Vollendung kommt (vgl. V.23). Zugleich wird die neue „Anbetung“ primär christologisch bestimmt372, wobei die für die Heilszeit erwartete Anbetung im Kommen Jesu gegenwärtig wird, denn der Ort der Präsenz Gottes in der Welt ist nun seine Person. Dies eröffnet ein neues Gottesverständnis: Der Angebetete ist der Vater, d.h. Gott wie er sich in Jesus zeigt. Auch wenn die Uminterpretation des Motivs der Anbetung unübersehbar ist, lässt sich erkennen, dass sich in Jesus die atl. Verheissungen der Anbetung aller Nationen erfüllt haben und dass in seinem Kommen eine Zeitenwende stattfindet, denn die Stunde der in der Heilserwartung erhofften Anbetung bricht an. Somit legt der Leser, der besonderes Augenmerk auf das Zusammenspiel der verschiedenen Schriftbezüge richtet, mehr Gewicht auf den atl. Hintergrund des Motivs der Anbetung und nimmt neben der christologischen Umdeutung des Motives auch die präsentisch-eschatologische Färbung der Worte Jesu deutlich wahr. 3.2.4.3 Weitere Schriftanspielungen Joh 4 ist durchdrungen von atl. Motiven, die alle darauf abzielen hervorzuheben, dass das in der Schrift verheissene Heil in Jesus gegenwärtig wird. Da durch die hohe Zahl373 an Anspielungen und Verweisen der Eindruck erweckt wird, dass im Leben (und Tod) Jesu alle atl. Verheissungen erfüllt werden374, wird der Rezipient angeregt, andere intertextuelle Bezüge zu suchen und die weiteren Schriftassoziationen aus dieser Perspektive zu interpretieren. Indem der Leser diese Sichtweise bewusst in seine Lektüre einfliessen lässt, erschliesst sich ihm ein neuer Blick auf den Text und er kann Motive entdecken, die ihm zuerst nicht aufgefallen waren. So tönt die Betonung des Wissens in Joh 4 vielleicht die Verheissung einer vollkommenen Erkenntnis Gottes (für Israel und die anderen Nationen) an, die Überwindung des Schismas zwischen Samaritanern und Israeliten wiede372
Vgl. die Interpretation von Geist und Wahrheit III.1.3.3.3. Es herrscht m.E. in Joh 4 ein „Kontext permanenter Intertextualität, welcher den Leser veranlasst, auch nach weniger offen oder gar nicht gekennzeichneten Zitaten und Anspielungen zu suchen“ (B ROICH, Markierung, 43). Vgl. II.3. 374 Um diese These zu vertiefen, sind weitere Forschungen nötig, welche den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden. Die atl. Heilserwartungen (z.B. Jes 2,1–5; 9,1–6; 11,1– 16; 32,1–5; 35,1–10; 40,1–11; Ez 34,23–31; 35,15–18; Jer 23,1–8; 31; Mi 2,12–13; 4,1– 14; Zef 3,9–20; Hag 2,20–23; usw.) sollten für sich alleine untersucht werden und ihre frühjüdische Rezeption besondere Aufmerksamkeit erhalten, bevor die Problematik der Rezeption solcher Motive in Joh 4 und im JohEv insgesamt nochmals aufgegriffen wird. 373
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III. Johannes 4 375
rum spielt eventuell auf die Erwartung der Wiedervereinigung Israels an und hinter der Anbetung in Geist und Wahrheit lassen sich möglicherweise Spuren der Verheissung der Gabe des Geistes entdecken. Obwohl solche Interpretationen sich nicht aufzwingen und sogar bei der Erwähnung des Einzelmotivs etwas gesucht erscheinen mögen, spricht doch die Fülle der möglichen Anspielungen (vgl. die Freude an der Erntezeit, die Ankunft des Messias, das Wasser im Überfluss, die Anbetung aller Nationen, die wahre Erkenntnis Gottes usw.) für ihre Berücksichtigung. Neben der jeweiligen Umarbeitung und der neuen Akzentsetzung der einzelnen Motive lässt sich das hermeneutische Prinzip des JohEv, – die Schrift zeugt von Jesus –, gut erkennen und an konkreten Beispielen veranschaulichen. 3.3 Funktion 3.3.1 Funktion im Bezug auf den Haupttext: Charakterisierung der Figuren
Intertextuelle Bezüge übernehmen zahlreiche Funktionen, die meistens inhaltliche Relevanz haben. Hierbei ist jedoch eine Fokussierung notwendig, um Wiederholungen mit dem vorherigen Teil (inhaltliche Vertiefung) zu vermeiden und um Aspekte, die üblicherweise unbeleuchtet bleiben, bewusst zu reflektieren. Aus diesem Grund wird im Rahmen dieser Arbeit besonderes Augenmerk auf die Charakterisierung der Figuren durch intertextuelle Bezüge gelegt.376 Während Jesus nur implizit auf die Schrift verweist und sich deswegen kaum dadurch charakterisieren lässt, ist der Schriftgebrauch der Samaritanerin aufschlussreich. Die Tatsache, dass sie die religiösen Themen anspricht (vgl. sie erkennt in Jesus einen Propheten, erkundigt sich über den richtigen Anbetungsort und erwähnt ihre Messiaserwartung), charakterisiert sie als religiöse Person. Sie wird durch ihr Interesse und ihre Kenntnis als Mitglied einer religiösen Gemeinschaft gekennzeichnet. Erstaunlicherweise aber widerspiegeln ihre Aussagen eine jüdische377 Auffassung (keine samaritanische). Zwar verweist sie auf Jakob, der sowohl für Juden als auch für Samaritaner von grosser Bedeutung ist, aber sie arbeitet sonst mit 375
Diese Hypothese wird von LÉON–D UFOUR, 341–342, verteidigt: „Relié au projet de se rendre en Galilée, le passage de Judée en Samarie fait songer à la Prophétie d’Isaïe selon laquelle les deux royaumes séparés (Israël et Juda) seraient un jour réconciliés. Alors qu’Achaz, roi de Juda (734–719), avait eu peur de la coalition syro-éphraïmite [vgl. Jes 7,8–9], Isaïe annonce que le roi juste sur lequel reposera l’Esprit de Dieu, regroupera les bannis d’Israël, il rassemblera les dispersés de Juda’ [vgl. Jes 11,2; Hos 2,2; Jer 3,18; Ez 37,16–24].“ Er fasst dann (342) zusammen: „Il apparaît donc qu’en passant par la Samarie pour se rendre en Galilée, Jésus veut réconcilier symboliquement les deux peuples, les frères divisés dès les débuts de la royauté“. 376 Vgl. II.5.1. 377 Vgl. III.2.1.
3. Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 4
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typisch jüdischen Vorstellungen (vgl. die Ausdrücke Messias und Prophet). Damit entsteht eine gewisse Spannung: Zwar betont der Erzähler ihre Zugehörigkeit zum Samaritanertum, jedoch ist der Inhalt ihres Glaubens, wie er in ihren Worten vorkommt, eher jüdisch. Der Autor ist aber nicht an einer kohärenten geschichtstreuen oder glaubwürdigen Darstellung interessiert, vielmehr steht diese zweifache religiöse Bestimmung der Frau im Dienst seiner narrativen und theologischen Ziele. Auf den ersten Blick dient die Qualifizierung der Frau als Samaritanerin dazu, die Universalität des Heils zu betonen378. Jesus bricht nämlich die religiöse und soziale Konvention, indem er mit ihr ein Gespräch anfängt, so dass seine Botschaft keine religiöse Grenze kennt. Dies wird auch durch das Bekenntnis der Bewohner Sychars bestätigt: Er ist der Retter der Welt. Auch wenn damit ein wichtiger Aspekt der Perikope benannt wird, greift diese Erklärung zu kurz, denn eine essentielle Dimension in Joh 4, die Schapdick zu Recht unterstreicht, wird unterschätzt: Es „fällt in der Charakterisierung der samaritanischen Religionsgemeinschaft auf, dass es gerade ihre Gegensätzlichkeit zum (Jerusalemer) Judentum ist, die für den Text von Interesse ist.“379 Samaritaner verehren denselben Gott wie die Juden und haben mit ihnen gemeinsame Traditionen. Sie „sind nämlich eine jüdische Religionsgemeinschaft, ohne (jerusalemer) Juden zu sein.“380 Das Gewicht liegt aber auf der Gegenüberstellung der zwei jüdischen Gruppierungen (vgl. die Opposition du/ich; wir/ihr). „Daher sind die Samaritaner nicht bloss als Nichtjuden einzuschätzen. Im Gegenteil, sie werden auch und vor allem als jüdischer Gegenentwurf zu den (Jerusalemer)
378
Weitere Gründe sind denkbar. SCHNACKENBURG I, 455, vermutet z.B., dass ein besonderes Interesse an einer Mission in Samaria vorliegt, dass der Kontrast zwischen der Glaubensbereitschaft der Samaritaner und dem Unglauben der Juden betont wird, dass die Universalität des Heils hervorgehoben wird und dass der Streit zwischen Samaritanern und Juden die Diskussion über den Kult veranlasst. Dass sich in Joh 4 Ereignisse in Verbindung mit einer Mission in Samaria widerspiegeln, findet in der Forschung immer wieder Zustimmung. Vgl. u.a. B ROWN I, 175; C ULLMANN, Kreis, 51–52; T HEOBALD, Ernte, 108; ZANGENBERG, Christentum, 178. 379 SCHAPDICK, Weg, 361. Schapdick warnt vor zwei falschen Interpretationswegen: a) Einige Forscher versuchen die Wichtigkeit der Samaritaner in Joh 4 historisch zu bewerten (vgl. die These des Einflusses samaritanischer Theologumena oder die Erwägung über die christliche Mission in Samaria). Es gibt aber sehr wenige Elemente im Text, die solche Thesen untermauern. b) Auch problematisch ist eine Deutung des nichtjüdischen Status der Samaritaner in Richtung Heidentum oder „halbes Heidentum“. „Damit wird zwar die Stellung der Samaritaner ausserhalb des (Jerusalemer) Judentums wahrgenommen, jedoch gleichzeitig die Möglichkeit unterschätzt, dass in Joh 4,1–42 mit Juden und Samaritanern zwei jüdische Religionsgemeinschaften aufeinandertreffen, die einander diametral gegenüberstehen“ (S CHAPDICK, Weg, 443). 380 SCHAPDICK, Weg, 360.
138
III. Johannes 4 381
Juden, sozusagen als Gegenjuden, wahrgenommen.“ Dass die Samaritanerin jüdische Glaubensüberzeugungen zur Sprache bringt, bestätigt diese These. Sie verhält sich und spricht wie eine Jüdin, sie ist jedoch keine, so dass ihre Darstellung tatsächlich als Kontrast zu derjenigen der Juden fungieren kann. Dank des Kontrastes zu dem Verhalten der Juden382 ermöglichen es die Worte der Samaritanerin, die Problematik des Umgangs mit religiösem Wissen zu thematisieren. Da die Samaritanerin in eine ähnliche Situation wie die Juden in anderen Texten gerät, sticht ihr gegensätzliches Verhalten besonders heraus. Alle nehmen auf jüdische Traditionen Bezug, ohne dass zwischen den Schriftverweisen der Samaritanerin und denjenigen der Juden inhaltliche Unterschiede auffallen. Wenn aber Jesus ihre religiösen Kenntnisse als defizitär enthüllt, reagieren die Beteiligten dennoch ganz anders. Während das (begrenzte) Wissen der Samaritanerin den Ausgangspunkt ihrer Reflexion bildet, benutzen die Juden ihre religiösen Kenntnisse gegen Jesus. Der Unterschied wird besonders deutlich, wenn man Joh 2,13–22 und Joh 4,19–26, zwei Perikopen mit einer ähnlichen Thematik (Problematisierung des Kultortes durch Jesus), vergleicht. In 2,18 verlangen die Juden „von Jesus ein Legitimationszeichen für seinen Offenbarungsanspruch. Damit wird das Wissen um das bisherige Wirken Gottes in der Welt (Schöpfung, Tora, Tempel) dafür instrumentalisiert, irdisch nachprüfbare Massstäbe für die göttliche Offenbarung zu erhalten.“383 Hingegen hält die Samaritanerin nicht an der Anbetung auf dem Berg Garizim fest, obwohl es scheint, dass sie die Rede Jesu über das Eintreffen der Stunde des neuen Kultes nicht verstanden hat. Vielmehr bezieht sie weitere religiöse Überzeugungen ins Gespräch ein: „Wenn der Messias kommt, wird er uns alles kundtun.“ Ihr religiöses Wissen wird weder missbraucht, um Jesu Worte zu widerlegen, noch wird es im Kontext einer Glaubensverweigerung verwendet. Es wird lediglich als wichtiger hermeneutischer Rahmen thematisiert. Ihre Kenntnisse, obwohl sie sich als ungenügend entpuppen, da sie nicht zu einem besseren Verständnis Jesu führen, haben eine gewisse Legitimität. Die Verweise auf die Schrift und die Tradition sind für neue Interpretationen offen und bilden den Ausgangspunkt weiterer Antworten Jesu384, so dass sie im Dienst einer Weiterführung der Reflexion stehen. 381
SCHAPDICK, Weg, 360. Da die Juden in Joh 4 als Figuren nicht auftreten, (sie werden lediglich in den Reden anderer Figuren erwähnt), ist der Kontrast zwischen den Juden und der Samaritanerin erst unter Einbeziehung anderer Texte möglich, wie z.B. Joh 5; 7 und 9. 383 SCHAPDICK, Weg, 405. 384 Jesus reagiert auf ihre Verweise auf Jakob, indem er den qualitativen Unterschied zwischen dem Wasser des Brunnens und dem lebendigen Wasser, das er gibt, erläutert. Die Frage nach dem Anbetungsort ist ernst genommen und ermöglicht es, die Anbetung 382
3. Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 4
139
Hierbei verhält sich die Frau (im Gegensatz zu den Juden) in ihrem Umgang mit ihren religiösen Kenntnissen vorbildlich: Sie knüpft zwar an ihr religiöses Wissen an, richtet dieses aber weder gegen Jesus noch verschliesst sie sich damit für die Neuheit der Offenbarung Gottes. 3.3.2 Funktion der Intertextualität in Bezug auf den Prätext Wie immer bei intertextuellen Bezügen wird auch in der Samarienperikope eine gewisse Uminterpretation des Prätextes impliziert. Die Frage, welche Deutung oder Wertung der Schrift in Joh 4 vorliegt, hat sich aber in der bisherigen Forschung auf die Einschätzung der Rolle Jakobs reduziert, wobei die übliche Alternative der Kontinuität/Schätzung versus Diskontinuität/Abschätzung oder andere schwer fassbare Verhältnisbestimmungen zwischen Jakob und Jesus im Zentrum stehen. Damit entsteht eine erste Schwierigkeit: Die Frage, wer grösser ist, geht von einem Missverständnis der Samaritanerin aus und führt in eine Sackgasse, denn Jakob lässt sich in keinem Fall mit Jesus vergleichen. Ebenso ist jeder Versuch der Klärung ihres Verhältnisses zueinander zum Scheitern verurteilt: Es geht nicht darum, Jakob einzuschätzen, sondern dank der atl. Erzählung die christologischen Ereignisse zu beleuchten. Deshalb bieten die Verweise auf den Erzvater einen wichtigen hermeneutischen Rahmen an. Der Rezipient ist eingeladen, in der Gabe Jakobs das Wirken Gottes zu entdecken und soll die Entsprechung der Ereignisse um Jakob und der Handlung Gottes durch und in Jesus erkennen, wobei die Ähnlichkeit darin besteht, dass Gott durch Jakob und genauso in und durch Jesus Christus das Lebensnotwendige schenkt. Die Gemeinsamkeit ist also nicht primär äusserlich (Wassergabe), „sondern vor allen in der Wesensgleichheit von Gottes Handeln zu suchen.“385 Die Heilstaten Gottes in der Geschichte Israels zeugen von seinem Heilswillen, der unveränderlich ist, und sind deswegen Vorzeichen seiner endgültigen Liebestat in Jesus. Die gleiche hermeneutische Funktion der Schrift, die darin besteht, das Kommen, den Tod und die Auferstehung Jesu zu deuten, ist bei den anderen atl. Bezügen in Joh 4 zu erkennen. Alle atl. Motive werden konsequent christologisch umgedeutet, wobei das Heil zum Leitgedanken wird. Die Schrift wird nicht so verwendet, dass sie den Beweis für die Messianität Jesu in dem Sinne, dass sein Leben atl. Verheissungen entspräche, liefert, sondern bildet vielmehr den notwendigen interpretativen Rahmen für seine Sendung. Mit Hilfe der Schriftbezüge wird aufgezeigt, dass der Heilswille Gottes, der sich in der bisherigen Geschichte Israels immer wieder anders in Geist und Wahrheit zu thematisieren. Auf die Formulierung ihrer Messiaserwartung antwortet Jesus mit einem Offenbarungswort. 385 G OPPELT, τύπος, 251.
140
III. Johannes 4
konkretisiert hat, in Jesus zu seiner Vollendung kommt und dass die Heilsverheissung in ihm ihre Erfüllung findet. Neben neuer Akzentsetzung bei gewissen atl. Motiven lassen sich zwei wichtige Tendenzen bei der Uminterpretation beobachten: Zum einen rückt die Zukunftsperspektive zugunsten der Betonung der gegenwärtigen Erfüllung der Heilsverheissung in den Hintergrund. Zum anderen werden anstelle von Erwartungen, welche eher die Kollektivität (Israel) betreffen, die Universalität des Heils und die Problematik des Menschen in seiner Individualität zentraler386 (vgl. die Subjektwechsel und die Betonung des ewigen Lebens, das jedem einzelnen zugesprochen wird).387 Für die Beurteilung des Schriftgebrauchs des JohEv ist auch die Einbettung der Bezüge in die Dialoge relevant. Denn durch die Gespräche wird dem Leser Schritt für Schritt zu einem besseren Verständnis der Schrift verholfen. Dabei wird primär nicht die richtige Auslegung dargelegt, sondern es geht um die falschen Interpretationen der Gesprächspartner Jesu, die der Rezipient aufgrund der impliziten Korrekturen Jesu richtig deuten soll.388 Nur im Spiegel der verschiedenen Missverständnisse und der Offenbarungsrede Jesu entdeckt er, wie die Schrift zu lesen ist, wobei er eher damit konfrontiert wird, wie das AT nicht verstanden werden darf, so dass die spezifisch joh Deutung und insbesondere die Schwierigkeiten, die sie eventuell verursacht, von vorherein thematisiert werden.389 Er geht somit den gleichen Weg wie die Zuhörer Jesu. Der Rezipient wird dabei ausgehend von einem religiösen Wissen, das für ein besseres Verständnis der Identität Jesu hinderlich ist, hin zu einer Schriftauslegung geführt, die es ermöglicht, Jesu Leben und seinen Tod richtig zu erfassen. Die fragwürdige Interpretation der Samaritanerin wird dabei nicht einfach verworfen, sondern dient als Ausgangspunkt der Reflexion. Dies ermöglicht es, die Frage der richtigen Interpretation zu stellen und zeigt, dass dabei eine Entwicklung möglich ist.
386
Auch T HEOBALD beobachtet diese Umwandlung der Kollektivität zur Individualität. Dieses Phänomen ist für ihn mit dem zur Zeit des JohEv sichtbaren „Niedergang“ der Apokalyptik verbunden. So schreibt er (49): „Die Frage nach dem Tod als dem je meinigen setzt einen Umbau der am Weltgericht, der Auferstehung der Toten und Neuschöpfung orientierten Apokalyptik in eine eher individuell denkende Jenseits-Eschatologie voraus.“ 387 Diese zwei Züge spiegeln wichtige theologische Ansätze des Autors wider, so dass ähnliche Umdeutungen von atl. Motiven mit grosser Wahrscheinlichkeit auch in anderen joh Texten beobachtet werden könnten. Mehr dazu in V.1.1. 388 Vgl. hierzu die Überlegung zur didaktischen Funktion von Joh 4; s. R EBELL, Gemeinde, 177–212. 389 Diese Abgrenzung zur inkorrekten Auslegung darf nicht als eine allgemeine Abwertung der Schrift verstanden werden.
3. Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 4
141
3.3.3 „Soziale Funktion“ Statt das Gewicht auf den Inhalt der Schriftbezüge zu legen, wird bei dieser Untersuchung ihre soziale Funktion analysiert. Die Schriftbezüge des JohEv hatten innerhalb der Gemeinde, in der sie gelesen (bzw. gehört) wurden, eine Wirkung. Durch intertextuelle Bezüge wird auf ein gemeinsames Wissen des Autors und der von ihm postulierten Leser (bzw. Hörer) Bezug genommen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass in der joh Gemeinde der Verfasser und seine Leserschaft die Erzählung Jakobs und die prophetischen Worte über die Ernte kannten. Mit den Schriftbezügen wird also vorausgesetzt, dass die Mitglieder der Gemeinde Schriftkenner sind. Es wird zugleich bekräftigt, dass die Schrift für diese religiöse Gemeinschaft, die aus dem Judentum stammt, eine bleibende Bedeutung behält. In den verschiedenen intertextuellen Anspielungen und Verweisen kommt somit ihr religiöses Selbstverständnis zum Ausdruck. Damit wird die jüdische Identität der joh Gemeinde betont und verstärkt.390 Dieser Aspekt darf aber nicht ausblenden, dass die historische Situation komplexer ist und dass im JohEv ein sehr nuancierter Umgang mit dem jüdischen Erbe gepflegt wird. Nicht zufällig wird die Schrift – wie oft im JohEv – in die Figurenrede eingebettet391. Hiermit bildet die Schrift keine absolute Grösse, die ohne weiteres in einer Argumentation verwendet wird, sondern sie begegnet dem Leser innerhalb verschiedener Interpretationen, wie die Juden sie verstehen, wie die Samaritanerin sie wiedergibt oder wie Jesus sie liest. Dies weist m.E. auf die historische Situation der joh Gemeinde hin und lässt vermuten, dass die joh Christen inmitten eines Konflikts stecken, bei dem die Schriftinterpretation von grosser Bedeutung ist.392 Auch der in Joh 4 thematisierte Umgang mit dem religiösen Wissen lässt sich vor dem Hintergrund des historischen Kontexts erklären. Die Samaritanerin fungiert in Joh 4 in dieser Hinsicht als Gegenentwurf zu den 390
Auch wenn die soziale Funktion der Schriftbezüge sich nicht auf die Betonung der jüdischen Identität der joh Gemeinde reduzieren lässt, ist dieser Aspekt für Joh 4 von grosser Bedeutung. SCHAPDICK (Weg, 452) postuliert sogar: „Der in der Samarienperikope verhandelte jüdisch-samaritanische Konflikt ermöglicht es also primär, die jüdische Identität der joh Gemeinde herauszustellen.“ Er ergänzt seine Erklärung wie folgt (453): „Im Gegenüber zu den Samaritanern gelingt es also dem Evangelisten in der Samarienperikope, deutlich zu machen, dass das christliche Bekenntnis ein genuin jüdisches Bekenntnis ist, oder besser das einzige jüdische Bekenntnis, dem sich dann auch die ausserhalb der jüdischen Offenbarungstradition stehenden Samaritaner anschliessen.“ 391 Vgl. II.4.3. 392 Nicht zufällig sind die „Juden“ meistens an Dialogen über die richtige Schriftauslegung beteiligt. Es zeigt, dass die Interpretation ein wichtiger Teil des Konflikts mit den „Juden“ und der Aufarbeitung der schmerzhaften Trennung von der Synagoge war.
142
III. Johannes 4 393
Juden. So wird sie zum Vorbild für die Mitglieder der joh Gemeinde, die nicht jüdisch sind oder sich explizit vom Judentum distanzieren. In ihrem Verweis auf Jakob bietet sie eine ähnliche (defizitäre) Argumentation wie die Juden in Kapitel 8 (vgl. „Bist du etwa grösser als unser Vater Jakob “ [4,12] parallel zu „Bist du etwa grösser als unser Vater Abraham?“ [8,53]), jedoch ist ihr Umgang mit ihrem religiösen Wissen ein anderer, so dass sie positiv bewertet wird. In der Art und Weise, wie sie einerseits die Tradition (hier von Jakob) ernst nimmt und andererseits für eine Infragestellung ihrer religiösen Überzeugungen offen bleibt, ist sie eine mögliche Identifikationsfigur für die joh Christen, welche die Trennung von der Synagoge reflektieren müssen. Sie zeigt einen Weg, wie der christliche Glaube im Anknüpfen an die jüdische Schrift oder an ihre zentralen Inhalte (hier Jakob) möglich ist. Die Juden übernehmen in der Erzählwelt die gegensätzliche Rolle: Sie wählen den Weg des Unglaubens, indem sie an ihrer Schriftinterpretation festhalten. Sie sind somit Stereotypen der falschen Schriftinterpretation und einer falschen religiösen Sicherheit. Die Reflexion über das religiöse Wissen des JohEv und insbesondere der Samarienperikope ist nicht die Frucht eines erkenntnistheoretischen Ansatzes, sondern lässt sich in der sozialen Situation der joh Gemeinde verorten. Die Schriftverweise dienen nicht bloss dazu, die jüdische Identität der joh Gemeinde zu betonen, sondern geben angesichts der durch die Abgrenzung vom Judentum verursachten Identitätskrise wichtige Impulse: Juden und Christen lesen die Schrift und haben deshalb eine jüdische Herkunft; es ist jedoch erst möglich, in Jesus den Gesandten Gottes zu erkennen, wenn die bisherigen Interpretationen und Glaubensüberzeugungen hinterfragt werden, ohne jedoch die Wichtigkeit des jüdischen Erbes zu verleugnen. 3.4 Ergebnisse „Wir haben den gefunden, von welchem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesus, den Sohn Josephs von Nazareth.“ Was dieses Bekenntnis des Philippus (Joh 1,45), das für das ganze Evangelium eine programmatische Funktion einnimmt, konkret bedeutet, wird in Joh 4 verdeutlicht: Alle atl. Verheissungen finden in Leben und Tod Jesu ihre Erfüllung. Dabei ergänzen sich die verschiedenen Schriftbezüge (das Bild des Wassers als Heilsgabe, das Kommen der Erntezeit als Symbol für das Anbrechen der Endzeit, das Kommen des Messias, die neue Anbetung durch alle Nationen usw.) gegenseitig zu einem grösseren Ganzen, das die hermeneutischen Grundsätze des Autors gut erkennen lässt: Das eschatologische Heil und alle damit zusammenhängenden Erwartungen ereignen sich in Jesus Christus. Auf diese Weise liefern die atl. Bilder den Interpretati393
Vgl. III.3.3.1.
3. Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 4
143
onsrahmen, der es ermöglicht, das jesuanische Heilsangebot besser zu verstehen. Die christologische Inanspruchnahme der Schrift soll keine Beweise der Messianität Jesu liefern, sondern den Sinn seiner Sendung darlegen: Er ist gekommen, „dass jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“ (Joh 3,15). Diese soteriologische Dimension des Werkes Jesu wird anhand der Heilserwartungen der Schrift verbildlicht und entspricht dem in der Geschichte Israels immer wieder sichtbaren Heilswillen Gottes. Sie fügt sich so in die Tradition der Juden (vgl. V.22) ein, auch wenn der Empfänger der Gaben Gottes nicht mehr Israel ist, sondern jeder einzelne Mensch, der der Einladung Jesu folgt. Es genügt aber nicht, nur den Inhalt der Schriftbezüge zu beschreiben, da die intertextuellen Bezüge auch eine soziale Funktion haben. Im historischen Kontext der schmerzhaften Spaltung zwischen den joh Gemeinden und dem synagogalen Judentum stellte sich zunehmend die Frage des richtigen Umgangs mit dem gemeinsamen Erbe. Gerade im Dialog mit der Samaritanerin, die keine Jüdin ist – obwohl sie im Gespräch immer wieder auf jüdische Tradition Bezug nimmt – kann der Evangelist einerseits die jüdische Komponente des christlichen Bekenntnisses betonen394 und andererseits die Frage des Stellenwerts des religiösen Wissens erörtern. Während die Samaritanerin ihre religiösen Überzeugungen, ohne sie preiszugeben, hinterfragt und dank ihrer Begegnung mit Jesus auch korrigiert, sind die Juden „Vertreter eines ganz spezifischen Unglaubens, indem sie sich dabei auf das Gesetz und die hierin begründete kultische Observanz berufen.“395 Der Kontrast zwischen diesen Protagonisten erlaubt es dem Evangelisten, näher auf die Problematik der richtigen Schriftinterpretation, die in der konfliktreichen historischen Situation der joh Gemeinden eine zentrale Position einnahm, einzugehen.
394 395
Vgl. S CHAPDICK, Weg, 450–457. H AHN, Heil, 113.
IV. Johannes 7 1. Textanalyse 1.1 Kotext und Abgrenzung Mit den Orts- (7,1) und Zeitangaben (7,2) und dem Auftreten neuer Protagonisten (die Brüder Jesu [7,3] statt des Kreises der Jünger [6,66–71]) beginnt in 7,1 eindeutig eine neue Szene. Nach den Dialogen über das „wahre Brot des Lebens“, in denen die soteriologische Dimension der Person Jesu verdeutlicht wurde, beginnt eine neue Texteinheit (Joh 7 und 81), in der die Frage der Messianität Jesu und die daraus resultierenden Auseinandersetzungen mit den „Juden“ entfaltet werden.2 Obwohl der Text aus kleinen Szenen besteht, wird die Einheit gewahrt, denn nach der einleitenden Szene zwischen Jesus und seinen Brüdern spielt sich das gesamte dargestellte Geschehen in Jerusalem (meistens in der Nähe des Tempels) am Laubhüttenfest ab. Dabei handelt es sich bei den auftretenden Personen immer um Jesus und um verschiedene jüdische Gruppierungen (und Nikodemus). Beide Kapitel werden von Konflikten, Spaltungen, Tötungsund Festnahmeversuchen sowie von starken Vorwürfen beherrscht3. Trotz der Zusammengehörigkeit von Joh 7 und 8 lässt sich Kapitel 7 aufgrund struktureller Beobachtungen und der stilistischen Besonderheiten vom nachfolgenden Kapitel abkoppeln und für sich bearbeiten. Denn Joh 7,1–52 besteht aus kleinen Szenen, in denen häufig über einen Nichtanwesenden (Jesus) geredet wird. Darin unterscheidet sich Kapitel 7 deutlich von anderen Dialogen oder Perikopen des JohEv (und auch von Joh 8) wie auch Schnackenburg bemerkt: „Die schnelle Szenenfolge mit nicht langen Reden Jesu und Diskussionen über ihn in verschiedenen Kreisen steht im
1
Der Einschub der in den ältesten Handschriften fehlenden Perikope der Ehebrecherin (7,53–8,12) hat die ursprüngliche, eindeutige Zusammengehörigkeit der zwei Kapitel geschwächt; vgl. Z UMSTEIN, Exegète, 230–231. 2 Zwar lassen sich die Kapitel 7 und 8 im Rahmen des Textabschnittes Joh 7–10 gut interpretieren (vgl. SCHENKE, Szene, 172–183; D EVILLERS, Fête, 16–18), dennoch markiert 9,1–2 deutlich eine Zäsur, da neue Figuren (die Jünger und ein Blindgeborener) auftreten. 3 Zur Zusammengehörigkeit der Kapitel 7 und 8 vgl. D ODD, Interpretation, 345–354.
1. Textanalyse
145
4
Joh-Ev einzig da und ist auffällig.“ Diese Besonderheit, die eindeutig die narrative Entwicklung und die inhaltliche Entfaltung der verschiedenen 5 Themen stark mitprägt, berechtigt eine Fokussierung auf Kapitel 7. 1.2 Struktur 1.2.1 Schwierigkeiten und dreiteilige Strukturierungsvorschläge Kapitel 7 lässt sich auf den ersten Blick schwer gliedern, denn es besteht aus einer Reihe einzelner Szenen, die um das Laubhüttenfest gruppiert sind, ohne dass eine argumentative oder narrative Entwicklung deutlich erkennbar wird. Kleine, kurze Wortmeldungen und narrative Notizen scheinen fast zusammenhangslos nebeneinander zu stehen. Das Problem wurde schon von Wellhausen folgenderweise beschreiben: „Ein Faden, ein Fortschritt ist nicht zu entdecken. In einer Anzahl von Varianten wird immer das Gleiche wiederholt und man kommt nicht vom Flecke.“6 M.E. ist aber ein solches Urteil eher kurzschlüssig, denn diese Strukturschwierigkeit hängt mit stilistischen und inhaltlichen Besonderheiten der Perikope zusammen und kann für die Auslegung fruchtbar gemacht werden.7 Das ändert aber nichts daran, dass die Gliederung uneindeutig ist und dass die Strukturierungsvorschläge der verschiedenen Exegeten stark voneinander abweichen8. Meistens wird der dreiteilige Aufbau, welcher die Zeitangabe als wichtiges Strukturmerkmal berücksichtigt (V.1–13: vor dem Fest; V.14–36 in der Mitte des Festes; V.37–52 am letzten Tag des Festes), unterschiedlich verfeinert.9 Z.B. beobachtet Barrett10 m.E. zu Recht eine Ent-
4
SCHNACKENBURG II, 190. Darüber hinaus unterscheidet sich Kapitel 7 von Kapitel 8 durch seine Strukturierung, die dem Ablauf des Laubhüttenfestes (vgl. 7,2.14.37) folgt: Auch wenn die Gespräche des Kapitels 8 in der narrativen Logik weiterhin während des Festes stattfinden, fehlen explizite Erwähnungen (vgl. in 8,12 πάλιν οὖν, in V.21 πάλιν οὖν). 6 W ELLHAUSEN, Evangelium, 37. Der scheinbare Kohärenzmangel und das Fehlen einer logischen Progression werden von vielen Exegeten wahrgenommen, die gegebenenfalls Erklärungen dafür suchen. Vgl. A TTRIDGE, Development, 161; N EYREY, Trials, 107; R OCHAIS, Construction, 355; A SHTON, Understanding, 330–336; F RÜHWALD-K ÖNIG, Tempel, 177–179. 7 Vgl. IV.1.5. 8 Viele Exegeten bieten keine Gliederung des vorliegenden Textes an, denn sie nehmen aufgrund verschiedener Beobachtungen (die Strukturschwierigkeit ist nur eine davon) literarkritische Rekonstruktionen vor. Vgl. Schnackenburg II, Bultmann, Becker I; alle drei klammern u.a. V.15–24 aus. 9 Vgl. Theobald, O’Day, Brown, Schnelle, Schneider (Komposition). Eine ganz andere Gliederung wird fast einzig von Thyen vorgeschlagen (V.1–13; V.14–52, der weiter unterteilt: V.14–31; 32–52). 5
146
IV. Johannes 7
sprechung zwischen den zwei längeren Teilen, die jeweils aus drei Szenen bestehen: Teilelemente der Szene
V.14–36
V.37–52
Jesus lehrt
V.15–24
V.37–39
Seine Lehre ruft Spekulation im Volk hervor
V.25–31
V.40–44
Die Sendung der jüdischen „Knechte“ und ihre Konsequenzen
V.32–36
V.45–52
1.2.2 Rochais’11 These: die dramatische Darstellung Vielversprechend ist die Ausführung von Rochais, der die schnelle Abfolge der kurzen Szenen, die auf den ersten Blick keine Einheit bilden, durch den dramatischen Charakter der Erzählung erklärt. Seines Erachtens erzielt die kunstvolle Anordnung des Textes eine bestimmte Wirkung: „Ces divers scènes, bien cadrées, se succèdent rapidement et sans ordre apparent, ce qui a pour effet d’évoquer dans l’imagination du lecteur le spectacle de turbulences suscité par la présence de Jésus à Jérusalem.“12 Mit Hilfe von Begriffen aus der Theater- und Filmwelt beschreibt er die Inszenierung von Joh 713. Besonders treffend ist seine Schilderung der verschiedenen „Bühnenbilder“: Wie ein Filmregiseur szenische Angaben in sein Script schreibt, „Jean a, lui aussi, mis dans son texte quelques indices qui permette au lecteur de diriger son regard et son écoute.“14 Im Vorder10
Vgl. B ARRETT, 324. Für die V.25–36 und 37–52 sieht B ROWN I, 330–331, auch „a great number of parallels in the reaction of the crowds and of the authorities to Jesus“ (detaillierte Ausführung, 330). 11 Auch SCHNEIDER (Komposition) widmet sich spezifisch der Struktur von Joh 7. Dennoch wird hier nur die Ausführung von Rochais berücksichtigt, denn er erklärt die scheinbare Zusammenhanglosigkeit und die Einheit der Perikope besser. Die Ausführung von Schneider ist hingegen ein wenig veraltet und enttäuscht darin, dass seine These, dass ein Chor (Worte der Menge V.11–12.31.43–44) jeden der Hauptteile abschliesst, dadurch geschwächt wird, dass er V.32 umstellt, um seine Hypothese künstlich zu bestätigen. 12 R OCHAIS, Construction, 368. 13 SCHENKE, Szene, 187, der das Aufbaukonzept von Joh 7–10 untersucht, vertritt eine ähnliche These: „Zur Durchführung der Gliederung der Texteinheit Joh 7–10 haben wir Bezeichnungen verwendet, die aus der Welt des Theaters stammen. Durch solche Kategorien scheint in der Tat die szenische Vielfalt des Textes auf der einen Seite und seine dramatische Entwicklungslinie und thematische Einheit auf der anderen Seite am angemessensten begriffen werden zu können. […] Beim Drama wirkt der häufige Wechsel der Szenen und Personen keineswegs deplaziert, nicht einmal störend, sondern dient der dramatischen Entwicklung“. 14 R OCHAIS, Construction, 361.
1. Textanalyse
147
grund steht natürlich Jesus, auf den die Aufmerksamkeit gerichtet werden soll. Der Blick wird aber immer wieder auf kleinere Gruppen aus der Volksmenge gelenkt: „Le narrateur place le faisceau lumineux de son projecteur sur Jésus, puis le déplace très rapidement sur divers groupes isolés dans la foule, à la manière d’un spot.“15 Im Hintergrund stehen die jüdischen Autoritäten, deren bedrohlicher Schatten die Ereignisse prägt; sie beobachten und überwachen Jesus und das Volk. 16 Auch wenn die Ausführung von Rochais im Detail nicht ganz stichhaltig ist, überzeugt seine These einer dramatischen Darstellung, denn sie liefert eine stimmige Erklärung für die scheinbaren Brüche und den schnellen Szenenwechsel: „Dans ce récit […] Jean ne raconte pas d’abord une histoire; il peint dans divers tableaux, évoque par plusieurs touches et mises en perspective le drame de la Révélation; les questions, controverses, hostilités que suscita la foi en Jésus, l’Envoyé de Dieu, sont placées sous les 17 yeux du lecteur.“ 1.2.3 Eigener Vorschlag Joh 7 besteht mehrheitlich aus der Wiedergabe der Rede oder von Fragen der Protagonisten, so dass die narrativen Teile sehr begrenzt gehalten wer18 den und fast ausschliesslich als Regieanweisungen dienen . Ausser Orts-, Zeit- und Personenangabe, welche den Rahmen für die verschiedenen 15
R OCHAIS, Construction, 362. Drei Aspekte seiner Ausführung sollen m.E. nuanciert oder präzisiert werden: a) Leider überzeugt die von ihm vorgeschlagene Gliederung in 12 Szenen (1–9; 10–13; 14– 18; 19–24; 25–27; 28–30 [wahrscheinlich ist 29 gemeint]; 30–31; 32–36; 37–39; 40–43; 44; 45–52) nicht, denn er versucht, sowohl thematischen Kriterien als auch der szenischen Beschreibung gerecht zu werden, was zu Inkonsequenzen führt (vgl. die Trennung zwischen V.18 und 19 in der Mitte der Rede Jesu und die künstliche Einheit zwischen V.32–36, die wohl aus drei Szenen besteht: die Sendung der Gerichtsdiener [Hintergrundbühne]; die Worte Jesus [Vordergrund] und eine Reaktion der Hörer [Lichtspot auf eine kleine Gruppe aus der Menge]). Aufgrund seiner guten Beobachtungen zur „Filmregie“ des Kapitels wäre eine Gliederung, die die verschiedenen Szenen abbildet, einleuchtender. b) Auch problematisch ist die Überbetonung des Kampfes zwischen Licht und Finsternis. Sicherlich bilden die verschiedenen Festnahme- und Tötungsversuche „un fond d’écran“ (364) und prägen die Atmosphäre. Ob sie aber hauptsächlich „le combat entre la lumière et les ténèbres, entre le Révélateur et le monde“ (364) symbolisieren, ist m.E. fraglich. Auch zu hinterfragen ist die Funktion der Erzählerkommentare (V.5 und V.39). Kann man sagen, dass sie „sont un clin d’oeil fait au lecteur pour lui indiquer que dans le combat entre les ténèbres et la lumière, la lumière finira par triompher“ (365)? c) Trotz guter inhaltlicher Beobachtungen trägt seine Hypothese über die verwendeten (schriftlichen und mündlichen) Quellen (371–378) wenig zu seiner zentralen These bei. 17 R OCHAIS, Construction, 378. 18 Die hohe Zahl der verba dicendi fällt auf (λέγω [30x]; ἀποκρίνοµαι [6x]; κράζω [2x]). 16
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IV. Johannes 7
Wortmeldungen bilden, beschränken sich die narrativen Teile (Narratio) auf Erwähnungen von Festnahmeversuchen und Tötungsabsichten, welche die für die Dialoge prägende konfliktreiche Situation andeuten. Aufgrund dieser Beobachtung scheint es zuerst ratsam, den Text anhand des Wechsels von Gesprächsteilnehmern und der verschiedenen Redegänge zu gliedern. Natürlich werden aber auch die Orts- und Zeitangaben berücksichtigt. Die hier vorgeschlagene Gliederung erweckt zwar einen zerstückelten Eindruck, aber gerade darin besteht ihre Stärke. In der Tat entspricht das scheinbare Zersplittern der beobachteten Strukturschwierigkeit: Die Perikope besteht fast ausschliesslich aus kleinen Szenen. Gliederung: Das Gespräch zwischen Jesus und seinen Brüdern: V.1–10 Anfang des Festes: V.11–13
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Mitte des Festes: V.14–36 V.14–15: Lehre Jesu im Tempel und erste Reaktion V.16–24: Antwort Jesu mit einer Zwischenfrage der Zuhörer 20 V.16–19 : Antwort Jesu V.20: Zwischenfrage des Volkes V.21–24: Weitere Erläuterungen Jesu V.25–27: Fragen von Leuten aus Jerusalem 19
Auch wenn die Zäsur zwischen V.10 und V.11 unüblich ist, scheint sie mir legitim, da der Ort (Jerusalem statt Galiläa) und die Protagonisten (die Juden und die Volksmenge statt Jesus und seine Brüder) wechseln. 20 Die Zugehörigkeit von V.19 ist in der Forschung umstritten. Während die einen Autoren ihn mit den vorangehenden Versen in Verbindung bringen (vgl. u.a. z.B. B ARRETT, 326; T HEOBALD, 521; W ENGST I, 275; L INDARS, 318), ziehen es andere (vgl. B ULTMANN, 208; L ÉON-D UFOUR, 222; Z AHN, 386–387; D IETZFELBINGER I, 212) vor, ihn im Zusammenhang mit den nächsten Versen (20–24) zu verstehen. Eine solche Gliederung ist in verschiedenen Bibelausgaben (Nestle-Aland; Zürcherbibel usw.) stillschweigend übernommen worden. Zwar kann V.19.(20) „be called a ‚bridge‘ between the previous and the following sections“ (PANCARO, Law, 131), dennoch ist die Anknüpfung an den vorangehenden Vers m.E. stärker. Aufgrund der Dialogsituation ist mit dem Wechsel der Gesprächspartner bereits eine gewisse Struktur vorgegeben. Es tritt in V.19 kein neuer Sprecher (bzw. keine neue Sprechergruppe) auf, sondern Jesus behält weiterhin das Wort, so dass eine Zäsur eher künstlich erscheinen würde. Auf der thematischen Ebene kann eine solche Gliederung ebenfalls plausibel gemacht werden (vgl. unten die Auslegung von V.16–19), obwohl die Wiederholung von ζητεῖv ἀποκτεῖναι V.19 mit V.20 eng verknüpft. Zudem ermöglicht auch das Stichwort ἀδικία eine gute Überleitung: Jesus tut kein Unrecht, im Gegensatz zu seinen Zuhörern, die versuchen, ihn zu töten.
1. Textanalyse
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V.28–29: Worte Jesu über sein Woher V.30–32: Reaktionen und Meinungen über Jesus V.33–34 Worte Jesu über sein Wohin V.35–36: Reaktion der Juden auf dieses Wort Letzter Tag des Festes: V.37–52 V.37–39: Einladungsruf Jesu V.40–44: Reaktion auf die Worte Jesu V.45–52: Beim Hohen Rat 1.3 Übersetzung21 und Versauslegung 1.3.1 Vorspiel in Galiläa: das Gespräch zwischen Jesus und seinen Brüdern (V.1–10) 22
1. Und danach ging Jesus in Galiläa herum, denn er wollte nicht in Judäa herumgehen, weil die Juden ihn zu töten suchten. 2. Es war aber nahe das Fest der Juden, das Laubhüttenfest. 3. Seine Brüder sagten nun zu ihm: „Zieh fort von hier, und geh hinauf nach Judäa, damit auch deine Jünger deine Werke sehen, die du tust. 4. Denn niemand tut etwas im Verborgenen und sucht selbst in der Öffentlichkeit zu sein. Wenn du diese (Werke) tust, zeige dich der Welt.“ 5. Denn auch seine Brüder glaubten nicht an 23 ihn . 6. Nun sagt Jesus zu ihnen: „Meine Zeit ist noch nicht da, aber eure Zeit ist immer bereit. 7. Die Welt kann euch nicht hassen, aber sie hasst 24 mich, weil ich über sie zeuge , dass ihre Werke schlecht sind. 8. Ihr geht 25 zum Fest hinauf! Ich gehe nicht zu diesem Fest hinauf, denn meine Zeit
21
Genau wie in Joh 4 erhebt diese Arbeitsübersetzung keinen literarischen Anspruch, da ihr Ziel darin besteht, auf Besonderheiten des griechischen Textes aufmerksam zu machen, die für ein besseres Verständnis von Nutzen sind. Die relevanten textkritischen Abweichungen sind in den Fussnoten erwähnt. 22 Statt ἤθελεν ist in anderen Handschriften ἐξουσίαν ἔχειν zu finden. Letztere Variante, die in W it Sy c vorkommt, ist weniger gut bezeugt und wird deswegen meist für sekundär gehalten, da die inhaltlichen Gründe für die eine oder andere Lesart nicht eindeutig sind. Für Details zu diesem Problem vgl. D EVILLERS, Fête, 284–291, und R IESNER , Fehlender Wille, 259–262. 23 Die Negation wird noch betont durch die Platzierung am Anfang des Satzes. 24 B ULTMANN, 221 FN 3, schreibt zu Recht: „µαρτυρεῖν hat hier durchaus forensischen Sinn und bedeutet so viel wie anklagen“. 25 Die Gegenüberstellung der Brüder („ihr“) und Jesu („ich“) wird durch den Gebrauch der Pronomen ὑµεῖς und ἐγω, der in der Übersetzung nur schwer wiedergeben werden kann, verstärkt.
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IV. Johannes 7 26
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ist nicht erfüllt.“ 9. Nach diesen Worten blieb er selbst in Galiläa. 10. Als seine Brüder zum Fest hinaufgegangen waren, da ging auch er hinauf, (aber) nicht öffentlich, sondern im Verborgenen. In den Versen 1–2 wird die Situation geschildert, welche das folgende Gespräch zwischen Jesus und seinen Brüdern aber auch das Kapitel als Ganzes mitprägt. In V.1 werden zwei Orte gegenübergestellt: Judäa wird als Ort der Feindschaft, in Opposition zu Jesu Heimat Galiläa, gekennzeich28 29 net. Jesus bleibt deswegen zunächst in Galiläa, da die Zeit der Auseinandersetzung, die zu seinem Tod führen wird, noch nicht gekommen ist. Damit wird auch das Thema des Dialogs zwischen Jesus und seinen Verwandten eingeleitet: Er „selbst bestimmt, unabhängig und souverän über 30 seinen Weg ins Leiden, nicht andere.“ In V.2 findet sich die erste Zeitangabe, das Nahen des Laubhüttenfestes, dessen Ablauf das ganze Kapitel strukturiert und inhaltlich mitprägt. V.3–4. Nach der Situationsbeschreibung mit Orts- (V. 1) und Zeitangabe (V. 2) beginnt ein Gespräch zwischen Jesus und seinen Brüdern, die ihn 31 auffordern , nach Jerusalem zu gehen und sich dort öffentlich zu zeigen. In ihren Augen zählt einzig die bewundernde Reaktion anderer Men32 schen, also sein Erfolg, weswegen er ihrer Meinung nach seine Werke in 26
Obschon in sehr alten Handschriften (u.a. P 66.75) οὔπω steht, soll die Variante mit οὐκ vorgezogen werden. Denn der Widerspruch zwischen den Worten Jesu und seinem tatsächlichen Verhalten wurde wahrscheinlich von den Kopisten als störend empfunden und entsprechend die Negation korrigiert. 27 Wörtlich: Als er geredet hatte (Part. Aor.). 28 Eine ähnliche Opposition findet sich in Joh 4,1–3. Geographische Angaben, ganz besonders Galiläa und Judäa, haben im JohEv „über ihre topographische Funktion hinaus symbolische Obertöne“ (THYEN, 414). Galiläa ruft beim Leser positive Assoziationen hervor (vgl. z.B. den Ort der ersten Wunder: Joh 2,1–11; Joh 4,43–54), wohingegen Judäa (besonders Jerusalem) der „negative“ Ort ist, wo der Konflikt mit den Juden eskaliert. In der Erzählwelt haben hingegen viele Figuren negative Vorurteile gegenüber Galilaä (vgl. 7,41.52; weiter 1,46 mit Nazareth). Vgl. F REY, Heiden, 231. Weitere Erläuterungen über die geographischen Angaben des JohEv s. O LSSON, Structure, 28–29; M EEKS, Galilee. 29 περιπατέω (herumwandern) impliziert nicht unbedingt einen Ortwechsel. Hier verweist das Verb eher auf die Fortsetzung der Wandertätigkeit, denn nach dem Erzählablauf war Jesus bereits in Galiläa (vgl. 6,1.59). Gegen B ULTMANN, 218: „Vorausgesetzt ist also, dass er sich vor dieser Zeit in Judäa (Jerusalem) aufgehalten hat“. 30 T HEOBALD, 503. 31 Die Worte der Brüder sind von Imperativen (V.3: µετάβηθι ἐντεῦθεν, καὶ ὕπαγε. V.4: φανέρωσον σεαυτόν) umklammert, welche die Dringlichkeit ihres Wunsches betonen. 32 Zuerst möchten die Brüder Jesu, dass er seine Jünger mit Werken beeindruckt, dann, dass er sich der Welt selber zeigt. Es gibt eine Steigerung von der ersten zur zweiten Aussage, sowohl hinsichtlich der Adressaten (eine bestimmte Gruppe, die Jünger,
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Jerusalem zur Schau stellen soll. Sie thematisieren ausschliesslich seine öffentliche Anerkennung, so dass gar kein Platz für ein tieferes Verständnis seiner Handlungen oder seiner Mission bleibt. Die Argumentation der Brüder stützt sich auf eine allgemeingültige Sentenz, mit der sie Jesus unterstellen, „dass auch er wie ‚jedermann‘ (οὐδείς) nach Ansehen und 33 Macht ‚in der Öffentlichkeit‘ strebt.“ . Jesus unterscheidet sich aber eben gerade von „jedermann“ und sucht nicht seine eigene Ehre, sondern diejenige dessen, der ihn gesandt hat (vgl. V.18). V.5. Einige Exegeten vermuten hinter der Aussage der Verwandten Jesu ein Missverständnis. So schreibt z.B. Bultmann: „Ihr Unglaube zeigt sich nach V.3 nicht in der Ablehnung seiner Person, sondern im Missverständ34 nis seiner ἔργα, unter denen sie natürlich seine Wunder verstehen.“ Nach solcher Interpretation ähneln die Brüder denjenigen, die nur aufgrund der Zeichen glauben (vgl. 2,24) und Jesus deswegen misstrauen. Der Kom35 mentar des Erzählers (V.5: sie glauben nicht ) macht aber deutlich, dass der Vorwurf an die Verwandten Jesu noch tiefer geht. Es handelt sich nicht um ein vorläufiges Unverständnis, das im Laufe eines weiteren Dialogs (wie oft im JohEv) beseitigt werden kann. Die Zuhörer werden nicht zu weiterer Erkenntnis geführt, denn für sie ist nur entscheidend, wie die Welt die „Sache Jesu“ beurteilt. Indem sie den Erfolg (zahlreiche Jüngerschaft und Bewunderung) zum Massstab nehmen, verkennen sie nicht nur die tiefere Bedeutung der Werke Jesu, sondern sie wollen sie zugleich instrumentalisieren, um menschliche Anerkennung einzuholen. Ihre Worte spie-
versus die ganze Welt) als auch bezüglich des Inhalts der Offenbarung (die Werke versus die Person Jesu). Das Ringen um die Bestimmung der Jünger, auf die die Brüder verweisen, – unterscheiden sie sich von den Jüngern, die Jesus sonst begleiten? – genau wie die diversen Versuche, ihre Präsenz in Jerusalem zu erklären (vgl. B ARRETT, 329; T HYEN, 385; THEOBALD, 509–510), erübrigen sich somit: οἱ µαθηταί bezeichnet Menschen, die bereits an Jesus glauben oder besser gesagt schon von ihm beeindruckt waren, im Unterschied zur Welt, die Jesus noch ganz verschlossen gegenübersteht. Der Ausdruck οἱ µαθηταί wird also benutzt, um die Steigerung zu ὁ κόσµος zu ermöglichen. 33 SCHNACKENBURG II, 194. Implizit werden diejenigen Personen kritisiert, welche die öffentliche Anerkennung um jeden Preis anstreben. 34 B ULTMANN, 218. Vgl. auch B ARRETT, 321; SCHNACKENBURG II, 195. 35 Während Jesus seinen Zuhörern oft ihren Unglauben vorwirft (sicher mit der Absicht, sie zum Glauben zu bewegen) (vgl. 3,12; 5,46–47; 6,64), gibt es kaum Feststellungen des Unglaubens durch den Erzähler. Ein solches Urteil, das für eine Veränderung der Situation nicht mehr offen ist (anders, als wenn die gleiche Äusserung aus dem Mund Jesu käme), findet sich einzig in 12,37–40. Die Feststellung des Unglaubens schliesst dort die Offenbarung vor der Welt ab, wird explizit mit einem Zitat aus Jesaja erläutert und leitet die Passion ein. Der Erzählerkommentar überrascht also hier durch seine Härte und der Unglaube der Brüder darf nicht zu einem blossen Missverständnis entschärft werden.
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IV. Johannes 7
geln eindeutig ihre ungläubige Haltung wider, die darin ihren Ausdruck findet, nach weltlichen Kriterien zu urteilen. V.6. In seiner Antwort gibt Jesus zuerst Gründe an, die seine Weigerung, ihre Bitte zu erfüllen, erklären. Er will nicht jetzt zum Fest gehen, denn seine Zeit ist noch nicht da. Diese Aussage ist fast synonym mit dem Satz „meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (vgl. 2,4), denn sowohl seine ὥρα als auch sein καιρός verweisen auf seine Erhöhung am Kreuz, die noch bevorsteht. Da es nahezu unmöglich wäre, von einer Stunde der Brüder Jesu zu sprechen, wird das Wort „ὥρα“ hier vermieden und mit καιρός ersetzt, so dass die Gegenüberstellung mit der Zeit Jesu, die noch aussteht, 36 und derjenigen seiner Verwandten, die stets da ist, möglich bleibt. Die Worte Jesu sind zunächst auf die Situation des Pilgerns nach Judäa zu beziehen: „Jesus ist aufgrund seiner göttlichen Sendung und einzigartigen Bestimmung genötigt, den vorherbestimmten Augenblick abzuwarten; mit seinen Brüdern verhält es sich nicht so. Ihr Besuch in Jerusalem hat keine 37 besondere Bedeutung und kann deshalb jederzeit unternommen werden.“ Die Worte Jesu zeigen m.E. aber auch einen grundsätzlicheren Gegensatz auf. „Pour Jésus le moment du départ en Judée est suspendu à un dessein qui lui donne sens; pour les frères, la décision ne dépend que de leur 38 gré.“ Die Brüder bestimmen selber ihren καιρός, als ob er in ihrer Macht stünde, so dass er stets verfügbar ist. Dadurch verliert ihre Zeit den Gottesbezug und damit auch ihre Bedeutung: „Parler d’un *Kairós* qui est 39 toujours favorable, c’est suggérer une non-signifiance.“ V.7. Jesus weist die Bitte seiner Brüder auch wegen des Beweggrundes, der dahinter steht, zurück. Während sich die Brüder die weltliche Anerkennung Jesu und seiner Werke wünschen, weiss Jesus, dass sein Weg nicht an Konflikten vorbeiführen wird. Er wird keinen weltlichen Erfolg haben und strebt ihn auch nicht an. Wiederum deckt Jesus einen Gegensatz zwischen sich und seinen Brüdern auf: Während sie zur Welt gehören, ihre Urteile übernehmen und sich beliebt machen wollen, klagt er die Welt an und ruft Hass hervor. Seine Offenbarung „ist keine Selbstinszenierung, der die Welt zu Füssen fällt, sondern Gerichtsvollzug über die Welt: Jesus be36
Vgl. THYEN, 388. Desweiteren ist es möglich, zwischen dem Gebrauch von ὥρα und dem von καιρός einen feinen Unterschied festzustellen. Während ὥρα die Zeit umschreibt, die von Gott bestimmt ist und in der sein Wille sich erkennen lässt, „kommt bei dem καιρός das auffordernde Moment hinzu, sich unter dem Anruf Gottes zu entscheiden“ (SCHNACKENBURG II, 195). Dennoch sollte diese Unterscheidung nicht zu sehr betont werden, denn im NT wird die Bestimmtheit des καιρός durch den göttlichen Willen betont und „der καιρός-Sinn der von Menschen geforderten Entscheidung [ist] schon stark geblasst“ (D ELLING, καιρός, 462). 37 B ARRETT, 321. 38 L ÉON-D UFOUR, 214. 39 L ÉON-D UFOUR, 214.
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zeugt, dass ‚ihre Werke böse sind‘ (vgl 3,19f).“ Die Anklage bildet nicht den eigentlichen Zweck des Kommens Jesu, aber ist ein davon untrennbarer Aspekt seiner Heilsoffenbarung. Indem Licht in die Finsternis kommt, 41 vollzieht sich die Anklage von selbst. Im Licht der in Jesus ermöglichten neuen Gottesbeziehung wird die (bisherige) Gottabgewandtheit deutlich, „für die Sünde, Gesetzlosigkeit, Hass und Verfolgungswut nur Symptome 42 sind.“ V.8. Jesus zieht die notwendige Konsequenz aus seinen Worten: Während seine Brüder nach Judäa hinaufpilgern sollen, weigert er sich, zum Fest zu gehen. Der im Laufe der Rede Jesu immer wieder beobachtete Gegensatz zwischen ihm und seinen Brüdern wird aufrechterhalten. Schliesslich wiederholt Jesus nochmals mit anderen Worten seine Begründung („meine Zeit ist nicht erfüllt“ vgl. V.6). Dadurch bekommt seine Aussage 43 Gewicht und wird mittels des Verbs πληρόω zugleich vertieft. Dieses hat 44 nämlich einen eschatologischen Nebenklang , wird es doch in den Schrifterfüllungsformeln (vgl. Joh 12,38; 13,18; 15,25; 17,12; 19,24.36) verwendet und „is used to speak of the time of eschatological fulfillment 45 (3:29; 15:11; 16,24)“ . Mit seiner Verwendung im vorliegenden Kotext wird angedeutet, dass der καιρός Jesu, präziser die Zeit seiner Passion, mit der Stunde der endzeitlichen Wende, insbesondere der Zeit des Anbrechens des Heils, identisch ist. V.9. Die Worte Jesu bleiben nicht folgenlos, sondern werden in die Tat umgesetzt: er bleibt in Galiläa. 46 V.10. Der nun erzählte Pilgerweg Jesu steht im Widerspruch zu seiner geäusserten Absicht, nicht zum Fest zu gehen (V.6–8). Es ist jedoch m.E. 40
T HEOBALD, 511. Vgl. B ULTMANN, 221. Die Nähe zu 3,19–20 ermöglicht es, das Verständnis der Aussage Jesu zu vertiefen: Das Ziel der Menschwerdung ist das Heil und nicht das Gericht; Jesus kommt nicht, um von den schlechten Werken zu zeugen, sondern um den Menschen Heilung und Rettung zuzusprechen. Dennoch sind beide Aspekte untrennbar miteinander verbunden; wenn die Wahrheit kommt, wird die Lüge offenbart und wenn eine neue Gottesbeziehung geschenkt wird, wird die bisherige Gottesabgewandtheit bewusst. Jesus ist nicht gekommen, um zu richten, dennoch wird durch sein Kommen die Verlorenheit der Welt sichtbar. Die Welt, die nicht glaubt, bleibt unter dem Gericht, von dem Jesus befreien will. 42 SCHNACKENBURG II, 196. 43 Die zwei Aussagen über die Zeit Jesu umrahmen seine Worte, was ihre Wichtigkeit unterstreicht. 44 Das gleiche gilt für den fast synonymen Ausdruck „meine Stunde ist noch nicht gekommen“, bei dem ein eschatologischer Unterton mitschwingt. 45 O’D AY, 617. 46 Verschiedene Autoren versuchen eine plausible Erklärung für diesen Widerspruch zu geben. Exemplarisch erläutere ich zwei davon: a) Die erste Erklärung hebt das ἐν κρυπτῷ hervor. Dass Jesus insgeheim zum Fest hinaufgeht, bestätigt dass er keinen öf41
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IV. Johannes 7
irreführend, den Widerspruch zwischen dem faktischen Verhalten Jesu und seinen Worten zu sehr zu betonen, denn es wurde schon in V.9 deutlich gesagt, dass Jesus seiner Aussage entsprechend in Galiläa bleibt. Der Widerspruch entsteht nicht primär aufgrund der Diskrepanz zwischen Wort und Tat Jesu (er hat seine Meinung geändert), sondern eher aufgrund einer Spannung im Erzählablauf, die in den Angaben des Erzählers in V.9 und 10 sichtbar wird. Die kleine Störung in der Erzähllogik wird in Kauf genommen, denn der Dialog Jesu mit seinen Brüdern leitet kunstvoll das Geschehen am Fest ein. Denn auch wenn Jesus entgegen seiner geäusserten Absicht nach Jerusalem geht, wird sein καιρός nicht erfüllt.47 Im Voraus wird auch eine Erklärung für die häufigen Tötungsversuche und für die wiederholt gescheiterte Gefangennahme (vgl. V.19.25.30.32.44) gegeben: Das Zeugnis Jesu ruft zwar Hass hervor, aber die Zeit der letzten Konfrontation, die zu seinem Tode führt, ist noch nicht gekommen (vgl. 7,30). Ebenso behält die Relativierung des weltlichen Erfolgs Jesu trotz seiner Teilnahme am Fest ihre Aktualität, denn „keine Öffentlichkeit kann die 48 Wahrheit über ihn aussagen.“ Daran wird nicht zufällig am Anfang des Kapitels erinnert, in dem sich zahlreiche Äusserungen der Volksmenge über Jesus finden (vgl. V.12.25–27.31.40–42). Denn dadurch stehen diese Meinungen von vornherein in einem zwiespältigen Licht, da die Welt nicht die letztgültige Instanz ist, die Jesus und seine Werke beurteilen kann. fentlichen Erfolg nach der Vorstellung seiner Brüder sucht. Es entschärft aber nur teilweise den Widerspruch, denn damit „bleibt zwar Jesus seiner in V. 6–8 geäusserten Überzeugung treu, doch die Abänderung seines Beschlusses, zu diesem Fest nicht heraufzusteigen, ist unübersehbar“ (T HEOBALD, 512). Dazu lehrt Jesus ab der Mitte des Festes öffentlich im Tempel (vgl. V.14), was bedeutet, dass er nicht ἐν κρυπτῷ wirkt. b) Wie in 2,1–12; 4,46–54; 11,1–44 „geht Jesus auf verwandtschaftliche oder freundschaftliche Vorschläge bzw. Bitten nicht ein, verweigert sich diesen vielmehr, um kurz darauf von sich aus die Handlungsinitiative zu ergreifen entgegen seinem ablehnenden Bescheid“ (B ECKER I, 262). Darin lässt sich ein Erzählmuster erkennen, das unterstreicht, dass Jesus souverän und unabhängig von den von aussen an hin herangetragenen Erwartungen handelt. Vielleicht liefert diese gute Beobachtung einen Teil der Antwort, dennoch ist zu betonen, dass Jesus, anders als in Joh 2,4 und 11, die Bitte nicht erfüllt. Er hat sie endgültig zurückgewiesen. Auch wenn er äusserlich zum Fest geht, sucht er nicht die eigene Ehre und weiss, dass die Welt ihn hassen wird. 47 Mit THYEN, 389, kann man vermuten, dass die Rede Jesu mehrdeutig ist, denn ἀναβαίνω und die Präposition εἰς sind doppeldeutig. Es kommt zu einem Wortspiel, denn das Verb, das „hinaufgehen“ bedeutet, kann sowohl auf das Pilgern nach Jerusalem (vgl. Joh 2,13; 5,1; 11,55; 12,20) als auch auf das Hinaufgehen Jesu zu seinem Vater, also auf seinen Tod (vgl. Joh 3,33; 6,62; 20,17), verweisen. So bedeuten seine Worte: „1. ich reise nicht zu diesem Fest hinauf und 2. ich steige nicht an diesem Fest nach oben.“ Jesus sagt damit klar, dass seine Erhöhung nicht anlässlich des Laubhüttenfestes stattfinden wird und auf dieser Ebene spricht er nicht von seinem Pilgern zum Fest. Dies vermindert teilweise die empfundene Spannung. 48 B ARRETT, 322.
1. Textanalyse
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1.3.2 Anfang des Festes (V.11–13) 49
11. Die Juden nun suchten ihn auf dem Fest und sagten : „Wo ist dieser?“ 50 12. Und das Gerede über ihn in der Volksmenge war gross; die einen sagten: „Er ist gut“, und andere sagten: „Nein, sondern er verführt die Volksmenge.“ 13. Niemand sprach freilich öffentlich über ihn aus Angst vor den Juden. Mit sehr wenigen Mitteln schafft es der Autor, die Atmosphäre zu Beginn des Festes präzise und eindrucksvoll zu schildern. Erstaunlicherweise überwiegen nicht Freude, sondern feindliche Absichten, Spaltungen und Angst herrschen vor; die Feierlichkeiten geraten in den Hintergrund, denn alle erwarten Jesus, der schon im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Die Menge hat Jesu Dasein zwar noch gar nicht bemerkt, dennoch spekuliert und redet sie bereit intensiv über ihn. 51 V.11. Die Anwesenheit der Juden , deren Wichtigkeit durch die Inklusion (erstes Wort von V.11 letztes Wort von V.13) betont wird, bestimmt grundlegend die Stimmung; sie suchen Jesus. Der Gebrauch des Verbs 52 „ζητέω“ , um ihre Handlung zu bezeichnen, eröffnet eine doppelte Perspektive: Zum einen „ist ihr ‚Suchen‘ nach Jesus (dasselbe Verb in 5,18; 7,1.25c) auch hier kein unschuldiges Nachforschen nach ihm (‚wo ist er?‘), sondern ein feindseliges Auflauern mit dem Ziel, seiner habhaft zu wer53 den.“ Ihr Suchen, das sich in der Absicht, Jesus festzunehmen, konkretisiert, wird aber bis zum Schluss des Festes erfolglos bleiben. Zum anderen schimmert die joh Ironie durch: „à l’insu des locuteur, l’interrogation a une 54 résonance plus profonde que le sens obvie (cf. 7,34).“ Auch im religiösen Sinn suchen sie Jesus, ohne ihn zu finden. „Wo ist dieser?“, ist eine 55 Schlüsselfrage , um die Identität Jesus zu verstehen, auf die die Juden allerdings keine Antwort finden werden.
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Es handelt sich um eine dauerhafte Haltung und nicht um eine punktuelle Aktion (vgl. die Imperfekte). 50 Der Plural erstaunt und wurde bereits in einigen Handschriften (P 66 a D 33) durch einen Singular ersetzt. Man kann mit D EVILLERS (Fête, 165 FN 14) auch fragen: „La présence de ce pluriel, cas uniques chez Jean, sert-elle à souligner la division de la foule en deux camps?“ 51 Die Bezeichnung „Juden“ verursacht grösste Interpretationsschwierigkeiten, die im Teil IV.1.4 besprochen werden. 52 Zum Verb ζητέω vgl. die Auslegung von V.34 und den Teil IV.2.3.2. 53 T HEOBALD, 512. 54 L ÉON-D UFOUR, 217. 55 Vgl. D EVILLERS, Fête, 295.
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IV. Johannes 7
V. 12. Die Stimmung ist nicht nur von den Juden und ihrer bedrohlichen 56 Suche geprägt, sondern auch von dem γογγυσµὸς ἐν τοῖς ὄχλοις. Den 57 Juden wird ein gesichtloses Gemurmel entgegen gesetzt, keine klar definierbare Gruppe, welche eine andere Position verträte. In der Menschenmasse murmelt man über Jesus und zwar viel. In der Luft hängen zwei Aussagen, deren Sprecher anonym bleiben (vgl. οἱ µὲν … ἄλλοι [δέ]), welche die grundsätzliche Uneinheitlichkeit der Masse aufweisen und in58 haltlich etwas farblos erscheinen: Entweder ist man für Jesus oder gegen ihn. Bei diesen Urteilen wird der Messiasanspruch Jesu vorerst noch nicht thematisiert. Die summarischen Wiedergaben der Volksmeinungen „er ist gut“ und „er verführt das Volk“ sind nicht spezifisch christologisch zu ver56
Es ist zu fragen, ob durch die Wortwahl γογγυσµός ein negatives Urteil impliziert wird. B ARRETT, 322, verneint diese Möglichkeit: „γογγυσµός bedeutet im allgemeinen eine murrende Klage, wie die Israels in der Wüste […]; aber zuweilen bedeutet es ‚gedämpfte Unterhaltung‘, und diese Bedeutung muss hier vorliegen, denn die Massen sind geteilt […].“ (Vgl. auch B ROWN I, 307; SCHNACKENBURG II, 199 FN 3). O’D AY, 617, sieht hingegen, ohne es genau auszuführen, auch eine implizite Kritik: „this word choice repeats the description of the crowd and Jesus’ disciples in chap. 6 (vv. 41, 43, 61). The use of this noun suggests that the complaining is a sign of doubt and recalcitrance, and even affirmtaions of Jesus (v. 12a) are untrustworthy.“ M.E hat für den Leser, besonders wenn er gute atl. Kenntnis besitzt, γογγύζειν/γογγυσός einen negativen Klang. Der bisherige joh Gebrauch bestätigt diese Auslegung: In 6,41.43 bezeichnet γογγύζειν die ablehnende Reaktion der Juden Jesus gegenüber, die aufgrund der zahlreichen Anspielungen auf das Exodusgeschehen mit dem Verhalten Israels in der Wüste in Verbindung gebracht wird. „Wenn das Volk [in der Wüste] ‚murrt‘ so immer dann und darum, weil nach seinem Urteil seinem Anspruch keine Genüge geschehen ist oder geschieht“ (R ENGSTORF, γογγύζω, 730). Die zugesprochene Gnade, das gegebene Essen Gottes, wird nicht anerkennend angenommen, sondern wird zum Anspruch des Volkes. „Damit ist schon das wichtigste auch für den Wortgebrauch von 6,41.43 gesagt: die Hörer Jesu aus dem Volke messen Jesus mit ihren Massstäben und erledigen ihn auf diese Weise. Damit aber zeigen sie mutatis mutandis dasselbe grundsätzliche Verhalten wie ihre Väter in der Wüste“ (Rengstorf, γογγύζω, 735). In 6,51 wird Jesus (diesmal aber innerhalb des Jüngerkreises) wiederum an den Erwartungen des Volkes gemessen und von ihnen her kritisiert. Obwohl der Evangelist an den Gebrauch von γογγυσµός in der LXX nicht unmittelbar anknüpft, ist eine solche Interpretation auch für Joh 7,12(.32) denkbar: In der Volksmenge werden Ansprüche an Jesus herangetragen, die zu einer inkorrekten Einschätzung seiner Person führen. 57 Interessanterweise ist ὄχλος nicht das Subjekt des Verbs (es war in der Menge viel Gerede ≠ die Menge sprach viel über ihn), was den Eindruck einer unscharfen, unfassbaren Gruppe verstärkt. 58 Auch wenn ἀγαθός keine farblose Bezeichnung ist (mit T HEOBALD, 512–513: „Tatsächlich ist ‚gut‘ biblisches Gottesprädikat […]. Andererseits ist in jüdischenhellenistischen Kontexten das Prädikat auch für Menschen ungewöhnlich, dann aber stellt es eine hohe Auszeichnung dar […]“) fällt es auf, dass die Volksmenge über Jesus als Mensch urteilt, ohne die Messiasproblematik oder seine göttliche Sendung zu berühren.
1. Textanalyse
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stehen und könnten über jedermann gesagt werden. Das Verb πλανάω hat aber durchaus eine religiöse Bedeutung: In der Septuaginta „wird mit der Wortgruppe allgemein das Übertreten des offenbarten Willens Gottes, spe60 ziell das Verleiten zum Götzendienst, bezeichnet.“ In V. 13 wird das bisherige Bild der Feststimmung ergänzt: Es herrscht Angst. Dadurch wird das Verhältnis zwischen den zwei erwähnten Gruppen (die Juden und die Menge) näher charakterisiert: Die einen haben Macht, die anderen trauen sich nicht zu sprechen. 1.3.3 Mitte des Festes (V.14–36) 1.3.3.1 Jesu Lehre im Tempel und erste Reaktionen (V.14–15) 14. Als das Fest schon zur Hälfte (vorbei) war, ging Jesus in den/zum Tempel hinauf und lehrte. 15 Nun staunten die Juden, die sagten: „Wie 61 kennt er die Schriften , ohne studiert zu haben?“ 62
Mit V.14 beginnt ein neuer Abschnitt : Jesus, der bisher ἐν κρυπτῷ auf dem Fest war, tritt jetzt öffentlich auf und lehrt im Tempel. V.15 schildert die Reaktion der Juden auf seine Lehre. Nicht der Inhalt der Worte Jesu, der nicht wiedergegeben wird, verursacht die Verwunderung der Zuhörer, sondern die Tatsache, dass er im Tempel wie ein Schriftgelehrter spricht, obwohl er nicht die entsprechende Ausbildung 63 64 dafür hat. Die Zuhörer drücken ihr Erstaunen in Form einer gegenseiti59
Der Vorwurf, Jesus sei ein Volksverführer, spielt wahrscheinlich in der jüdischen Polemik, die nach 70 im Umlauf war, eine wichtige Rolle und wird in die vita Jesu zurückprojiziert. Obwohl der Einfluss historischer Ereignisse aus der Vergangenheit oder Gegenwart der joh Gemeinden in der Erzählung (vgl. insbesonders V.25–27.30–32.41– 42) nicht zu unterschätzen ist (vgl. dazu. IV.1.4.2), steht bei der hier vorgelegten Versauslegung die Erläuterung der narrativen Zusammenhänge im Vordergrund. 60 B RAUN, πλανάω, 235. 61 Hier wird nicht das Wort „γραφή“, als eindeutiger Verweis auf die Schrift, verwendet, sondern das Wort „γράµµατα“, das allgemeiner auf die Ausbildung hinweist. Man könnte deshalb eventuell auch übersetzen: „Woher hat er diese Bildung?“ Dennoch handelt es sich in diesem Kotext um die religiöse Ausbildung. 62 Die Orts- und Zeitangabe markieren eine Zäsur und unterstreichen gleichzeitig die Kontinuität mit dem Vorhergehenden: Die Szene spielt weiterhin in Jerusalem am Fest. 63 Dass die Worte Jesu nicht wiedergegeben werden, liefert keine Argumente für die literarkritische Hypothese, welche den Abschnitt 7,15–24 nach der Debatte über die Schrift (5,39–47) platziert. Die Reaktion der Zuhörer Jesu lässt sich genügend mit der Schriftkenntnis und dem Autoritätsanspruch erklären, die aus seinem Auftritt im Tempel abgeleitet werden (gegen T HEOBALD, 520; B ECKER I, 258; SCHNACKENBURG II, 184; B ULTMANN, 205). 64 Anders als L ÉON-D UFOUR, 220, („L’étonnement des juifs n’est pas stupéfaction devant la competence inexplicable de Jésus comme en Lc 26s; il s’agit de scandale pour sa pretention, comme en Mt 13,57”) sollten die Bewunderung über die Schriftkenntnis Jesu
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IV. Johannes 7
gen Frage aus, da sie eine Kluft feststellen zwischen dem, was sie von Jesus wissen (er hat keine Ausbildung bekommen) und dem, was sie von ihm 65 wahrnehmen (er kennt die Schriften). In ihren Worten versteckt sich eine 66 gewisse Irritation angesichts des impliziten Anspruchs Jesu – er traut sich im Tempel zu lehren ohne dazu legitimiert zu sein –, aber zugleich auch Anerkennung für seine offensichtliche Schriftkenntnis. 1.3.3.2 Antwort Jesu mit einer Zwischenfrage der Zuhörer (V.16–24) 16. Jesus antwortete ihnen nun und sagte: „Meine Lehre ist nicht mein, sondern von dem, der mich gesandt hat. 17. Wenn jemand seinen Willen tun will, wird er wissen über die Lehre, ob sie von Gott ist, oder ob ich aus mir selbst spreche. 18. Wer von sich aus spricht, sucht die eigene Ehre; wer aber die Ehre dessen sucht, der ihn gesandt hat, dieser ist wahrhaftig und es ist kein Unrecht in ihm. 19. Hat euch nicht Mose das Gesetz gegeben? Und niemand von euch tut das Gesetz. Warum sucht ihr mich zu tö67 ten?“ 20. Die Volksmenge antwortete: „Du hast einen Dämon ! Wer sucht dich zu töten?“ 21. Jesus antwortete und sagte ihnen: „Ein einziges Werk 68 habe ich getan und ihr alle wundert euch darüber . 22. Mose hat euch die Beschneidung gegeben – nicht dass sie von Mose ist, sondern von den Vätern – und am Sabbat beschneidet ihr einen Menschen. 23. Wenn ein Mensch die Beschneidung am Sabbat empfängt, damit das Gesetz Moses
und das Entsetzen über seinen Autoritätsanspruch nicht gegeneinander ausgespielt werden, denn beide Aspekte schwingen in den Worten der Juden deutlich mit. 65 Dieses literarische Mittel, das darin besteht, die Diskrepanz zwischen Vorurteilen der Zuhörer (seien es religiöses Wissen oder Vorkenntnisse über Jesus) und den Erkenntnissen über Jesus, die sich ihnen aus der Situation erschliessen, anhand einer Frage hervorzuheben, wird im Verlauf des Kapitels 7 häufig gebraucht. 66 θαυµάζω kann ohne negativen Nebenklang verwendet werden: „The Verb relates to the general reaction of human beings to asounding and imcomprehensible occurences, often, linked with epiphany and the actions of god(s), which is analogous with the use of taumazw in profane Greek“ (K RAUS, John 7,15b, 179). Im JohEv wird jedoch das Verb meistens mit negativer Konnotation in Zusammenhang mit Missverständnissen und ablehnender Haltung gegenüber Jesus gebraucht, wobei die Juden meistens Subjekt sind (5,20.28; 7,15.21; nur in 4,27 staunen die Jünger). 67 „Die Worte [= δαιµόνιον ἔχεις] scheinen nicht mehr zu bedeuten als ‚du bist verrückt‘, sie erinnern aber an die synoptische Anklage (Mk 3,22 parr), Jesus treibe Dämonen mit der Macht Beelzebuls aus. Es gibt keine theologische Erörterung dieser Beschuldigung bei Joh, wie es auch keine Erzählung von Dämonenaustreibungen gibt“ (B ARRETT, 327). 68 διὰ τοῦτο kann sowohl zu V.21 („Ihr wundert euch darüber“) gehören als auch den V.22 einleiten: „Deswegen [sage ich euch]: Mose hat euch die Beschneidung gegeben.“
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nicht aufgelöst wird, [warum] zürnt ihr gegen mich, da ich den ganzen Menschen gesund machte am Sabbat? 24. Urteilt nicht nach dem Augen70 schein, sondern fällt ein gerechtes Urteil.“ V.16–19: Antwort Jesu Obwohl die Juden Jesus gar nicht gefragt haben, sondern miteinander über ihn diskutiert haben, beantwortet Jesus ihre Frage, als ob sie ihm gestellt worden wäre. Die Entgegnung Jesu (V.16–19) ist ziemlich lang und bildet eine Einheit, die als Thema das Reden und das Zuhören hat. Der subtile Pronomenwechsel (erste Person, dritte Person/dritte Person, zweite Person) und der Wechsel von reden/hören ermöglichen es, eine kohärente Struktur 71 aufzudecken : Vers
Thema
Erläuterung
Subjektpronomen
16
a) Ich, Lehrer
komme vom Sendenden
erste Person (= Jesus): Dialogsituation
17
b) Gute Zuhörer Jesu
tun den Willen Gottes
dritte Person: allgemeine Reflexion
18
a’) Guter Lehrer
ist treu zum Sendenden
dritte Person: allgemeine Reflexion
19
b’) Ihr, Zuhörer
folgt dem Gesetz nicht
zweite Person (= die Juden): Dialogsituation
Hierbei entsprechen sich die V.16 und 18 insofern, dass die Rede in der dritten Person über den Lehrer, der gerecht ist, auf Jesus bezogen wird, dessen Lehre von Gott stammt. Ebenso steht V.17 in engem Zusammenhang mit V.19: Die Aussage über die guten Hörer Jesu, die den Willen Gottes tun, dient als Hintergrundfolie und verstärkt das negative Urteil 69
Jesus formuliert eine rhetorische Frage, die sich aber auf Deutsch ohne Fragewort kaum wiedergeben lässt. In der Handschrift D wird der fragende Charakter der Worte Jesu noch mit πῶς verstärkt. 70 Wir haben es hier mit einer figura etymologica zu tun: „Ein dem Verbum wurzeloder sinnverwandtes Substantiv kann als inneres Objekt den Verbalbegriff verstärken“ (BDR § 153). 71 Diese Struktur lehnt sich an die Beobachtung von M OBERLY (How, 242) an: Jesus „handels the question in terms of two general principles, one relating to any would-be hearer (v. 17, not specifically adressed to those present: ‚If you are prepared ...‘) and one relating to any would-be teacher (v. 18, though of course with reference to himself).“ Mein Vorschlag unterscheidet sich aber von demjenigen Moberlys darin, dass V.19, der trotz seiner Brückenfunktion zwischen V.15–18 und 20–24 zur Antwort Jesu gehört, auch in die Struktur miteinbezogen wird.
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IV. Johannes 7
über die Zuhörer in V.19, welche dem Gesetz nicht folgen. Die allgemeine Reflexion in V.17–18 konkretisiert sich somit in der Gesprächssituation von V.16 und 19, und umgekehrt wird der Dialog im mittleren Teil auf einer Metaebene reflektiert. V.16. Jesus erläutert, woher seine Lehre kommt und antwortet damit auf die eigentlich gar nicht an ihn gerichtete Frage der Juden. Jesus spricht nicht von sich, sondern als Gesandter Gottes, der dessen Lehre weitergibt. Damit wird zum einen die Herkunft seines religiösen Wissens, seiner 72 Schriftkenntnis, geklärt . Zum anderen widerlegt er damit auch die implizite Kritik, dass seine Lehre von keinem anerkannten Lehrer stamme und er deswegen nicht berechtigt sei, im Tempel zu sprechen. „Jesus’ answer […] is that he has received his doctrine from a recogniszed master, namely 73 his heavenly Father.“ In V.17 präsentiert Jesus zwei sich absolut ausschliessende Alternativen, die die Zuhörer zu einer Entscheidung nötigen (vgl. πότερον … ἤ): 74 entweder spricht er von sich aus oder seine Lehre stammt von Gott. Zugleich nennt er das Kriterium, welches ein Urteil in dieser Sache ermög75 licht: Wer den Willen Gottes tun will , wird es wissen. θέληµα αὐτοῦ 72
M.E. soll der Zusammenhang (nicht die Unterscheidung) zwischen der Herkunft der Schriftgelehrsamkeit Jesu (Frage seiner Gegner) und der göttlichen Herkunft seiner Lehre (Antwort Jesu) betont werden: Was Jesus von seinem Vater gehört hat und weitergibt, ist nicht eine andere Botschaft als diejenige der Schrift, sondern ihre Bestätigung und ihre Erfüllung. Gegen THEOBALD, 520: „Wie 7,28; 8,18f. […] zeigen, ist Gegenstand der ‚Lehre‘ Jesu (vgl. 6,59; 7,14; 8,20) seine Kunde vom Vater, nicht aber die Auslegung der ‚Schriften‘“, und SCHNACKENBURG II, 185: „Der Evangelist übernimmt den für den jüdischen Bereich wichtigen Ausdruck ‚Lehre‘, gibt ihm aber einen neuen Sinn. Für das Judentum konnte Gottes Wort und Wille nur aus der Schrift und ihrer Auslegung gelehrt und gelernt werden; einen anderen Zugang als die Tora gab es nicht. Jesus aber verkündigt unmittelbar Wort und Weisung Gottes, so wie ihn der Vater ‚gelehrt‘ hat.“ Darüber hinaus ist es eventuell möglich, dass Jesus in der Antwort nicht nur eine Erklärung für seine Schriftgelehrsamkeit gibt, sondern dass er sie den Zuhörern auch gleich vor Augen führt. Denn „für dieses Verständnis eines von Gott Gesandten kann er sich durchaus auf die Schrift berufen. Denn schon Mose hatte in Num 16,28 erklärt: ἐν τούτῳ γνώσεσθε ὅτι κύριος ἀπέστειλέν µε ποιῆσαι πάντα τὰ ἔργα ταῦτα ὅτι οὐκ ἀπ’ ἐµαυτοῦ κτλ. So gesehen ist Jesu ‚Antwort‘ sehr wohl als eine Demonstration seiner spezifischen ‚Schriftgelehrsamkeit‘ zu begreifen“ (T HYEN, 392). 73 B ROWN I, 316. 74 Es steht geschrieben: „Wenn jemand seinen Willen tun will, wird er wissen, ob meine Lehre von Gott stammt oder ob ich aus mir selbst spreche“ und nicht „... wird er wissen, dass meine Lehre von Gott stammt“. Auch wenn diese zwei Sätzen fast gleichbedeutend sind, ist der kleine Unterschied relevant für die rhetorische Strategie des Autors, vgl. Teil IV.1.6.2.1. 75 Jesus spricht wie schon im 5,35.44 das „Wollen“ seiner Zuhörer an. Deswegen schreibt der Evangelist, anders als erwartet, „den Willen Gottes tun wollen“ und nicht die üblichere Formulierung „den Willen Gottes tun“. Τὸ θέληµα τοῦ Θεοῦ ποιεῖν wird des
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[= τοῦ πέµψαντος] kann dabei auf zwei Weisen verstanden werden. Den Willen Gottes tun bedeutet einerseits, seinen Gesandten anzunehmen, sich 76 also für Jesus zu öffnen. Andererseits weist der Ausdruck auf einen gewissen Toragehorsam hin, wie er im Judentum anzutreffen ist, denn der 77 Wille Gottes wurde via Mose in der Schrift kundgetan . Die beiden Auffassungen des θέληµα τοῦ Θεοῦ zielen aber nach Johannes auf das Gleiche, da die Schrift von Jesus zeugt (5,39). Sie sollen also in keinem Fall gegeneinander ausgespielt werden, sondern es gilt: Wer den Willen Gottes tut, befolgt die Tora, die auf Jesus hinweist, und erkennt in Jesus den Gesandten Gottes. Wer den Willen Gottes tut, weiss, woher Jesu Lehre stammt. V.18 „ist eine Art Sentenz, die sagt, woran ein ‚zuverlässiger‘ Bote er78 kannt werden kann.“ Im Gegensatz zu einer Person, die für sich selber eintritt und ihre eigene Ehre sucht, ist ein Abgesandter durch seine Uneigennützigkeit gekennzeichnet. Seine Handlungen und Worte zielen auf die Ehre eines Anderen, es geht nicht um ihn, sondern um die Person, die er vertritt. Ein solcher Bote „spricht und handelt in Übereinstimmung mit 79 dem ihn Sendenden.“ Diese allgemeine Regel wird primär durch Jesus 80 aktualisiert. Die Kennzeichnung Jesu als des Botens Gottes ermöglicht 81 es, sein Verhältnis zum Vater sachgemäss darzustellen. Er vertritt ihn in 82 der Welt und ist nichts anderes als des Vaters Stimme und Hand. Er sucht 83 ausschliesslich die Ehre seines Vaters und nicht seinen eigenen Ruhm . Öfteren gebraucht, „um den Gehorsam Jesu seinem Vater gegenüber auszudrücken (4,34; 5,30; 6,38; 9,31; vgl. auch 6,39f.). Nur hier verwendet er sie für den Menschen, der mit Jesus konfrontiert ist“ (THEOBALD, 521). 76 Zahlreiche Exegeten betonen, dass „der Wille Gottes“ nicht ethisch-moralisch, sondern als Glauben an Jesus verstanden werden soll. Vgl. THEOBALD, 521; SCHNACKENBURG II, 186; L ÉON -D UFOUR , 221; B ULTMANN , 206; B ROWN I, 316; B ARRETT , 326; SCHNELLE, 161. 77 Eine solche Interpretation wird seltener vertreten, findet sich aber z.B. bei T HYEN, 392: „Wenn hier derart undefiniert vom ‚Willen Gottes‘ die Rede ist, so ist dabei vorausgesetzt, dass Jesus und seine Antagonisten über diesen Gotteswillen durch die von Mose übermittelte Tora […] zureichend informiert sind.“ 78 T HEOBALD, 521. 79 D IETZFELBINGER I, 212. 80 Aufgrund der generischen Formulierung (vgl. die dritte Person und das gnomistische Präsent) kann die Aussage auch auf andere Erzählfiguren bezogen werden. Implizit werden jene Personen kritisiert, welche ihren eigenen Ruhm und Erfolg im Blick haben, vgl. den Teil IV.1.6.2.2. 81 Die Vorstellung Jesu als Gesandter (Gottes) wird in V.16 vertieft. 82 Zum Botenverständnis und der Sendungschristologie des JohEv vgl. THEOBALD, 62–63; B ECKER I, 250–251 und insbesondere B ÜHNER, Gesandte. 83 Der Kontrast zu der Aufforderung seiner Brüder an Jesus (V.4), nach Jerusalem zu gehen, damit alle ihn bewundern können, ist zu unterstreichen.
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Der Satz ἀδικία ἐν αὐτῷ οὐκ ἔστιν wiederholt und verstärkt das Gesagte nochmals und unterstreicht als Kontrast, wie ungerecht der Tötungsversuch der Juden ist, der im nächsten Vers angesprochen wird. Auch wenn V.19 den folgenden Dialogteil einleitet, soll er m.E. vor dem Hintergrund von V.17 gelesen werden. Im Gegensatz zu denjenigen, die den Willen Gottes tun und wissen, woher die Lehre Jesu stammt, halten 86 sich die Juden nicht an das Gesetz, das Mose ihnen gegeben hat. Worin besteht nun aber ihre Gesetzesübertretung? Handelt es sich um eine allgemeine Enthüllung ihres Unglaubens, der im Widerspruch zum Zeugnis der 87 Schrift über Jesus steht (vgl. 5,46) ? Oder betrifft sie ihr ungenügendes 88 Sabbatverständnis (vgl. V.21–24)? Oder soll man aufgrund von V.19b und den wiederholten Tötungsabsichten und Festnahmeversuchen, welche 84
ἀδικία ἐν αὐτῷ οὐκ ἔστιν sollte mit „in ihm gibt es kein Unrecht“ übersetzt werden. Mit S CHNACKENBURG II, 186, soll hervorgehoben werden: „Das ist nicht dasselbe wie ‚Trug‘ (vgl. 1,47) und heisst nicht, bei ihm gebe es keine Lüge. ἀδικία ist umfassender (vgl. 1 Joh 5, 17): Widerspruch zu Gottes Willen, Sünde.“ Weniger treffend ist die Interpretation von P ANCARO (Law, 97–101), der die Nähe zu ψεῦδος zu sehr betont. 85 ἀδικία ἐν αὐτῷ οὐκ ἔστιν findet sich wortwörtlich Ps 91,16 (LXX). So ist es möglich, dass der Lobpreis, der dort an Gott gerichtet wurde, hier christologisch uminterpretiert wird. Der Gesandte, der Gott vertritt, entspricht ihm. Zur Möglichkeit einer christologischen Adaption des Psalms vgl. T HEOBALD, 521 (es müsse aber dort 91,16 [LXX] statt 92,16 [LXX] heissen). Weitere Anspielungen sind nicht ganz auszuschliessen, sind jedoch wegen der geringeren wörtlichen Übereinstimmung nicht so überzeugend (vgl. Jes 53,9 [Vorschlag von LÉON-D UFOUR, 221] oder 2 Sam 14,23 [Vorschlag von B ROWN I, 312]). 86 Aus dem Gebrauch des Possessivpronomens „euer Gesetz“ wie in Joh 10,34 (und nicht „unser Gesetz“) oder aus der vorliegenden Formulierung „er hat euch (statt uns) das Gesetz gegeben“ kann auf keinen Fall auf eine Abwertung des Gesetzes geschlossen werden. Das Verhältnis zwischen dem Evangelisten und der Synagoge (bzw. den Juden) ist komplex und lässt sich nicht allein anhand solcher Formulierungen bestimmen. Zu diesem Problem vgl. O BERMANN, Erfüllung, 57–59; T HYEN, 393; B ARRETT, 327. A UGENSTEIN (Jesus, 165–166) bemerkt zu Recht: „Diese Bezugnahme innerhalb der Argumentation macht keinen Sinn, wenn Jesus sich durch das Zitieren der Schrift von ihr distanzieren will, sondern nur, wenn er diese Basis mit seinen Gegnern auch teilt. Zudem demonstrieren Analogien aus den Reden des Mose im Pentateuch, dass auf der Ebene des Textes die Verwendung der Pronomina ‚euer‘ und ‚euch‘ paränetischen Charakter hat. Die Angeredeten werden durch die Pronomina verstärkt auf ihre eigene Grundlage hingewiesen, den gegen sie erhobenen Vorwürfen wird Nachdruck verliehen.“ Durch den Gebrauch von „euer“ erinnert Jesus die Juden daran, dass das Gesetz für sie Gültigkeit besitzt und sie darauf verpflichtet sind. 87 So urteilt z.B. L ÉON-D UFOUR, 223: „Jésus n’entend pas affirmer que ses auditeurs ne gardent pas les préceptes, mais qu’ils n’ont pas un rapport vivant avec la Loi, n’étant pas ouverts à l’appel qui la traverse.“ 88 Jesus erwartet auf seine Frage „warum wollt ihr mich töten?“ keine Antwort und keine Begründung der feindlichen Absichten seiner Zuhörer, sondern er will damit das Unrecht, das sie tun wollen, aufdecken.
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das Kapitel durchziehen, wie Brown vermuten, dass „[in] desiring to kill 89 Jesus […] they are violating one of the Commandments“ ? M.E. schliessen sich die verschiedenen Möglichkeiten nicht aus. Auf einer Ebene wirft Jesus den Juden vor, einen Menschen – im konkreten Fall ihn selbst – ohne Grund, oder zumindest ohne gerechten Prozess (V.51), töten zu wollen. Auf einer anderen Ebene aber rücken Gesetzesübertretung und Unglaube sehr nahe aneinander, genauso, wie Toragehorsam und die Erkennung der 90 göttlichen Herkunft Jesu in eins fallen (vgl. V.17) . In ihrer Ablehnung Jesu und seines Werkes zeigen die Juden, dass sie die Schrift nicht richtig verstehen bzw. den Willen Gottes nicht tun wollen, was in verschiedenen Konflikten sichtbar wird – etwa im Konflikt um das Sabbatgebot. V.20: Zwischenfrage des Volkes V.20. Eine Zuhörergruppe (ὁ ὄχλος) meldet sich zu Wort. Anders als die Ἰουδαῖοι, die zueinander gesprochen haben, wendet sich die Menge direkt an Jesus. Sie beschuldigt ihn, verrückt zu sein, um seinen Vorwurf zurückzuweisen. Mit der Frage, „wer soll dich wohl töten wollen?“, versuchen sie, die Frage Jesu „warum wollt ihr mich töten?“ ins Lächerliche zu ziehen und sie als absurde Verdächtigung erscheinen zu lassen. Dadurch wird ihre Unaufrichtigkeit offenbar, denn der Verzicht auf eine offene Stellungnahme über Jesus (V.13) und die Spekulation über die Reaktion der jüdischen Autoritäten ihm gegenüber (V.25–27) setzen voraus, dass die feindliche Absicht der Juden allgemein bekannt ist. V.21–24: Weitere Erläuterungen Jesu In einer längeren Antwort (V.21–24) wiederholt und begründet Jesus seine Anschuldigung aus V.19. Um die Absicht der Menge, ihn zu töten, zu verdeutlichen, erinnert er an den konkreten Konflikt um die von ihm am Sabbat vollzogene Heilung, was ihm zugleich ermöglicht, ihre heuchlerische Haltung zum Gesetz aufzuzeigen.
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B ROWN I, 316. So interpretiert hat die Frage Jesu eine ähnliche Bedeutung wie das spätere Verteidigungswort des Nikodemus (V.51). Beide Male werden die Juden mit Fragen darauf aufmerksam gemacht, dass ihre Verurteilung Jesu (zum Tode), bevor sie ihn gehört haben, gesetzwidrig ist. 90 Ein Zusammenhang zwischen Toragehorsam und Glaube (bzw. Gesetzesübertretung und Unglaube) wird z.B. auch von O’D AY, 619 impliziert, wenn sie die Entscheidung, welche die Zuhörer treffen sollen, anhand zweier Fragen zusammenfasst: „Will they recognize God’s teaching in Jesus’ word (7:17; cf. 5:37–39)? Will they act in accordance with their own law, Moses’ gift to them (7:19; cf. 1:17, 5:45–47)?“
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IV. Johannes 7
V.21 leitet das Thema ein: Es geht um das eine Werk Jesu, worüber 91 sich alle wundern . Die weitere Entfaltung der Diskussion zeigt deutlich, dass es sich um die Heilung des Gelähmten am Sabbat (Kapitel 5) handelt. V.22–23. Anders als in 5,17, wo Jesus sein Tun aufgrund seines besonderen Status als Sohn Gottes rechtfertigt, argumentiert er hier „unter innerjüdischen Voraussetzungen und unter Hinzuziehung des auch bei den Rabbinen beliebten Qal-wa-chomer-Schlussverfahrens […]: Auf der Basis eines allseits anerkannten Tatbestands, der in der Regel der Schrift entnommen ist (Vordersatz), soll ein strittiger Tatbestand plausibel gemacht werden (Nachsatz), insofern Analogie zwischen beiden waltet und ihr Ver92 hältnis zueinander sich als Steigerung der Evidenz darstellt.“ Der Hinweis auf die Beschneidungspraxis, die über dem Sabbatgebot steht, obwohl sie nur einen Körperteil betrifft, macht deutlich, dass auch das Gesundma93 chen des ganzen Menschen den Sabbat ausser Kraft setzen kann. Eine solche Argumentation ergibt nur Sinn, wenn für alle Dialogpartner die 94 Geltung des Gesetzes ausser Frage steht. Jesu Heilung am Sabbat ist keine versteckte Kritik an einem zu strengen, lieblosen oder unpraktikablen Gesetz, sondern Erfüllung des Gesetzes seinem tieferen Sinn (dem Heil des ganzen Menschen) gemäss. V.24. Ein Mahnruf Jesu schliesst den Dialog ab. Die Zuhörer werden aufgefordert, ein gerechtes Urteil zu fällen, das sich von einem Urteil nach 95 dem Augenschein abzuheben hat. Im gerade angesprochenen Konflikt sollen die Zuhörer „also nicht formal den Sabbatbruch konstatieren, sondern einsehen, dass auch sie formal den Sabbat brechen, ohne das als Sün96 de zu verstehen.“ Ganz im Gegenteil, die Sabbatruhe muss sogar wegen einer Beschneidung am achten Tag, die nur teilweise zum Heil des Menschen beiträgt, gebrochen werden. Umso mehr ist die Heilung durch Jesus, die den ganzen Menschen gesund macht, auch an diesem Tag mehr als legitim. Somit werden die Juden dazu aufgerufen, ihre eigene Sabbatpraxis zu bedenken und nicht nach zweierlei Mass zu richten. Die Aufforderung 91
Wie in V.15 soll θαυµάζω in seiner Ambivalenz verstanden werden. Primär weist es auf die feindselige Reaktion der Zuhörer hin, die am Bruch des Sabbats Anstoss nehmen; dennoch kann im Verb auch eine gewisse Bewunderung mitschwingen. 92 T HEOBALD, 523. 93 Wiederum (vgl. V.19) stellt Jesus eine Frage „was zürnt ihr, dass...?“, die keine Antwort verlangt und nur darauf zielt, dass seine Zuhörer sich ihres Unrechts bewusst werden. 94 Vgl. THYEN, 394. Anders T HEOBALD, 523: „So erlaubt es der Vorspann V. 22 [mit seiner distanzierten Rede mit ihr und euch] dem Evangelisten, die ‚judenchristliche‘ Argumentation des nachfolgenden V. 23 zu rezipieren, freilich ironisch-gebrochen, allein in der Absicht die tatsächliche Inkonsequenz der Gegner blosszustellen.“ 95 Vielleicht wird hier auf Jes 11,3 angespielt (so urteilt z.B. W ENGST I, 282). 96 B ECKER I, 259.
1. Textanalyse
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Jesu bezieht sich aber nicht nur auf diesen konkreten Fall. Es soll vielmehr ganz generell nicht auf die äusserliche Einhaltung von Geboten geachtet werden, sondern nach dem tieferen Sinn des Gesetzes gefragt werden. In der Tora wird der Wille Gottes vermittelt, und wer ihn tut, erkennt die Herkunft der Lehre Jesu (V.17). Jesus schliesst somit seine Rede mit einem Aufruf zum Glauben. 1.3.3.3 Fragen von Leuten aus Jerusalem (V.25–27) 25. Nun sagten einige aus Jerusalem: „Ist dieser nicht der, den sie zu töten suchten? 26. Und siehe, er spricht öffentlich und sie sagen ihm nichts. Haben die Oberen etwa wirklich erkannt, dass dieser der Christus ist? 27. Aber von diesem wissen wir, woher er ist; von dem Christus, wenn er kommt, weiss niemand woher er ist.“ 98
V.25–27.97 Einige aus der Menge beginnen, miteinander zu diskutieren. Sie reagieren nicht auf den Inhalt der Worte Jesu, sondern wundern sich 99 einfach, dass er überhaupt öffentlich lehren kann (genau wie in V.15) . Der mehrfache Wechsel von Hypothesen (in Form von Fragen formuliert) zu Gegenthesen, welche die in Betracht gezogene Möglichkeit jeweils sofort als Absurdität aufdecken (in Form von Aussagen), erwecken beim Lesen den Eindruck einer grossen Unschlüssigkeit. Es wird über den Auftritt Jesu im Tempel beraten und man weiss nicht so recht, wie die Situation einzuschätzen ist. V.25. Eine erste Frage wird aufgeworfen: „Ist dieser nicht der, den sie versuchen zu töten?“ Es fällt auf, dass die Akteure nur implizit genannt werden (dieser, sie); jeder scheint zu wissen, von wem man spricht. V.26. Sofort aber wird versucht, diese Möglichkeit als absurd hinzustellen: „Sie100 he, er spricht öffentlich und sie sagen nichts.“ Der Einwand scheint aber nicht zu überzeugen. Es handelt sich um ihn, den sie zu töten beabsichtigen, da er aber spricht, ohne bedroht zu werden, muss nach einer neuen 97
Die ganze Szenerie setzt wiederum spätere historische Verhältnisse voraus, die in die Zeit des Lebens Jesu zurückprojiziert werden. Genauso vermischen sich in den Argumenten des Volkes Elemente aus der Debatte über die Messianität Jesu, die die Juden und die Christen nach 70 trennte, vgl. IV.1.4.2. 98 Die Benennung (τινες ἐκ τῶν Ἱεροσολυµιτῶν) hat m.E. keine weitere Bedeutung, als eine kleine Gruppe der Anwesenden – die Szene findet ja in Jerusalem statt – zu bezeichnen. 99 Vgl. R OCHAIS, Construction, 360: „Ce n’est pas ce que Jésus vient de dire qui motive leurs observations, mais la seul présence de Jésus enseignant dans le temple.“ 100 Mit παρρησίᾳ wird der Kontrast zwischen dem Volk, wo keiner aus Angst vor den Juden öffentlich spricht (V.13), und Jesus, der trotz der Tötungsabsicht seiner Gegner öffentlich lehrt, hervorgehoben. Damit wird auch an den Dialog zwischen Jesus und seinen Brüdern erinnert (V.4).
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IV. Johannes 7
Erklärung gesucht werden. So drängt sich die nächste Frage auf, ob die Autoritäten überhaupt erkannt haben, dass er der Messias ist? V.27. Diese neue Möglichkeit wird ebenfalls sofort zurückgewiesen, „denn selbst ei101 nem Laien konnte sofort ein Einwand einfallen.“ Was sie von Jesus wissen (seine Herkunft aus Galiläa), passt nicht mit ihrer messianischen 102 Erwartung (unbekannte Herkunft) zusammen. Sie behaupten damit ein Wissen über Jesus, das sich bei genauem Hinsehen jedoch als Unwissen erweist, denn sie urteilen allein „nach dem Augenschein“ (vgl. V.24), indem sie das „Woher“ ausschliesslich irdisch (Eltern und Geburtsort) verstehen und es als „bekannt“ abwerten. 1.3.3.4 Jesu Worte über sein „Woher“ (V.28–29) 28. Nun rief Jesus, der im Tempel lehrte und sagte: „Mich kennt ihr und ihr wisst woher ich bin? Und ich bin nicht von mir aus gekommen, sondern 103 er ist wahrhaftig der, der mich gesandt hat, den ihr nicht kennt. 29. Ich aber, ich kenne ihn, weil ich von ihm bin und dieser mich gesandt hat.“ Die Worte Jesu der V.28–29 sind eine Antwort auf die Mutmassungen der Menge, obwohl die Leute aus Jerusalem wiederum nur zueinander über ihn und nicht direkt mit ihm gesprochen haben. Zugleich schliessen sie aber 104 auch an seine bisherige Rede im Tempel an, womit die in V.16.18 entfaltete Sendungschristologie wieder aufgenommen und vertieft wird. Die Einleitung seiner Rede mit dem Verb ἔκραζεν „macht auf den Offenbarungscharakter seiner Worte aufmerksam, die für alle Zeit gehört werden 105 sollen (vgl. 1, 15; 7, 37; 12, 44)“ . Es handelt sich also um mehr als eine durch die Situation bedingte Reaktion. Mit einer rhetorischen Frage versucht Jesus, die Unrichtigkeit der Wissensbehauptung seiner Zuhörer aufzudecken: „und mich kennt ihr und ihr 106 wisst woher ich bin?“ Zur Debatte stehen nicht ihre religiösen Kenntnis101
B ARRETT, 329. Die messianische Erwartung wird nur knapp angedeutet. Durch die sehr kurze Wiedergabe wird einzig der Unterschied zwischen dem von ihnen beteuerten religiösen Wissen und dem, was sie von Jesus wahrnehmen, verdeutlicht. Mehr dazu in IV.2.2/IV.3.2.2. 103 ἀληθινός sollte m.E. nicht als Adverb, sondern als Qualifikation des Sendenden (gegen B ROWN I, 313; mit THYEN, 395 und T HEOBALD, 528) übersetzt werden. 104 V.28 erinnert nicht zufällig an die Situation von V.14 (lehrend im Tempel). 105 SCHNACKENBURG II, 203. So auch T HEOBALD, 527. Ähnlich urteilt THYEN, 395. Interpretationen, die nicht den spezifisch joh Gebrauch des Verbs κράζω berücksichtigen, sind weniger überzeugend (vgl. z.B. S CHNELLE, 162, [Hervorhebung von mir]: „Jesus entgegnet dem Einwand der Jerusalemer mit einem Gefühlsausbruch“. 106 „Ob man den Satz: ‚mich kennt ihr, und ihr wisst, woher ich bin‘ als ironische Frage oder als Aussage lesen soll, weiss man nicht so Recht“ (T HYEN, 395). Ich plädiere für 102
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se über den Messias, die nicht weiter vertieft werden, sondern ihr Wissen über Jesus. Das Urteil über Jesus, das sie aufgrund seines irdischen Herkunftsortes fällen, erweist sich als unzureichend, so dass die Frage des „Woher“ wieder aufgegriffen wird. Die Erläuterung Jesu „ich bin nicht von mir aus gekommen“ bedeutet „ich bin nicht aus eigenem Antrieb gekom107 men, in meiner Vollmacht, für meine eigenen Ziele.“ Hinter Jesus steht ein anderer, der wahrhaftige Gott, den sie aber noch nicht erkannt haben. „Diese Aussage ist insofern grundsätzlicher Art, als nach Johannes erst Jesus der Welt die wahre Gottes-Erkenntnis bringt, und zwar deshalb, weil er diese nicht nur äusserlich mitgeteilt bekommen hat, sondern er besitzt 108 sie aufgrund seiner göttlichen Herkunft.“ Nur er kennt Gott, denn er war bei ihm. Dadurch werden zwei Themen ineinander verwoben: zum einen die Problematik des Wissens (über Jesus) und zum anderen diejenige der Herkunft Jesu. Während V.28 vom Wissen bzw. Unwissen der Zuhörer handelt (vgl. dreimal οἴδατε), wird in V.29 das Wissen Jesu reflektiert, das in seiner Sendung vom Vater her begründet ist. Für die Zuhörer fallen die Gottes-Erkenntnis und die Annahme seiner Gesandtschaft zusammen. Ihr Unverständnis angesichts des „Woher“ Jesu verweist auf ihre Unkenntnis des Sendenden und umgekehrt führt ihr ungenügendes Gotteswissen dazu, dass sie die Herkunft Jesu nicht richtig erfassen. Der Kontrast zwischen Wissen/Unwissen hebt Jesu Rolle als Offenbarer deutlich hervor: „Ce Dieu vrai, l’Envoyé – lui seul – le connaît bien, étant venu de lui et selon sa volonté. En parlant ainsi, Jésus suggère que sa mission est de le révéler (cf. 109 1,18).“ 1.3.3.5 Meinungen über Jesus (V.30–32) 30. Nun suchten sie, ihn festzunehmen, aber niemand legte Hand an ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen. 31. Von der Menge glaubten viele an ihn und sagten: „Der Christus, wenn er kommt, wird er etwa mehr 110 Zeichen tun als dieser getan hat ?“ 32. Die Pharisäer hörten die Volksmenge, die dies über ihn murrte, und die Hohepriester und die Pharisäer entsandten Diener, damit sie ihn festnehmen. ersteres, denn eine stilistische Besonderheit der Dialoge des Kapitels besteht darin, dass Jesus auf das Unwissen und das Unrecht seiner Zuhörer hinweist, indem er ihnen Fragen stellt (vgl. V.19.23). 107 B ARRETT, 330. 108 B LANK Ib, 88. 109 L ÉON-D UFOUR, 227. 110 a D Θ f13 pc lat syp bieten anstelle des Aorists ein Präsens. „Da Jesus ja weiterhin ‚Zeichen‘ wirkt, dürfte das Präsens eine sekundäre Korrektur aus der Leserperspektive sein“ (T HYEN, 396).
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IV. Johannes 7 111
V.30–32 sind gut in den Kotext eingegliedert , denn sie können als direk112 te Reaktion auf die Rede Jesu verstanden werden . Das Offenbarungswort Jesu stösst auf Widerstand oder führt zum Glauben. Jedoch ist auffallend, dass es hier keinen direkten Bezug auf seine Rede gibt. Vielmehr wird die Stimmung im Volk im Anschluss an V.11–13.25–27 so dargestellt, als ob Jesus gar nicht gesprochen hätte. Die kurze Schilderung der Haltung dreier verschiedener Gruppen (ein unbestimmtes sie [V.30]; viele aus der Menge [V.31] und die Hohepriester mit den Pharisäern [V.32]) reicht, um die Spaltung der Festteilnehmer offenzulegen. V.30. Eine unbestimmte Gruppe versucht, Jesus zu ergreifen. Die Unschärfe des Geschehens fällt beim Lesen auf: Wer sind die Täter, die sich hinter dem sie verstecken? Soll man an eine bedrohliche Massenaktion denken, vor der Jesus wunderbarerweise errettet wurde (wie im 113 Lk 4,30)? Oder handelt es sich um einen Versuch der jüdischen Autoritäten (etwa Gesandte der Hohepriester und der Pharisäer, vgl. V.32), Jesus 114 offiziell festzunehmen? Oder geht es um einen spontanen Festnahmever115 such von Leuten aus Jerusalem (vgl. V.27)? Diese Details erscheinen unwichtig. Der Versuch bleibt erfolglos, denn die Stunde Jesu (d.h. die Zeit seiner Passion) ist noch nicht gekommen. Wie im Dialog Jesu mit seinen Brüdern wird daran erinnert, „that it is Jesus’ hour, the time set for 116 him by God, that governs his life, not human plans.“ In V.31 wird eine andere Haltung Jesus gegenüber geschildert. Viele aus der Menge glauben offenbar an ihn und begründen ihre Überzeugung mit einer rhetorischen Frage: „Wird der Messias mehr Zeichen tun als dieser?“ Genau wie bei den negativen Urteilen über Jesus erstaunt, „dass diese ‚Vielen‘ mit ihrer Glaubensentscheidung gar nicht auf das Offenba117 rungswort Jesu reagieren, das er gerade gesprochen hat“ . Ihr positives Votum bezieht sich vielmehr allgemein auf das Wirken Jesu und besonders 111
Zur Struktur und zum Zusammenhang der verschiedenen Abschnitte vgl. IV.1.5. Eine Interpretation des V.30–32 als Reaktion auf die Worte Jesu wird meistens vorgezogen. Vgl. T HYEN, 396: „Die Reaktion der Jerusalemer ist gespalten“; LÉOND UFOUR, 227: „L’auditoire, touché au vif de ces certitudes, réagit negativement“; T HEOBALD , 528: „Die negativen Reaktionen auf Jesu Offenbarungsworte (V. 30/32) rahmen die positiven (V. 31)“. Vgl. auch SCHNACKENBURG II, 205; B ROWN I, 318; O’D AY, 621. 113 Vgl. B ARRETT, 330. 114 Vgl. LÉON-D UFOUR, 227, der seine Interpretation auf folgende Beobachtung stützt: „le verb *piazo* est régulièrement utilisé dans le sens propre d’‚arrêter‘ officiellement“. 115 So W ENGST I, 286 und 287. 116 O’D AY, 621. 117 T HEOBALD, 528. Dennoch entspricht V.31 keiner „kontextuell nur unzureichend motivierten stereotypen Notiz“ (528), denn dass die Äusserungen über Jesus gerade nicht an seine Worte anknüpfen, ist eines der Stilmittel des Kapitels. Dass Jesus am Fest kein Zeichen vollzieht, schliesst auch nicht aus, dass darüber gesprochen wird (vgl. V.21–24: die Rechtfertigung der Heilung am Sabbat). 112
1. Textanalyse
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auf seine Zeichenhandlungen. Dieser Glaube wird in der Forschung sehr unterschiedlich bewertet. Für die einen handelt es sich um einen blossen Wunderglauben, dem der Evangelist eher reserviert oder sogar ablehnend 118 gegenübersteht (vgl. 2,23). Für die anderen gibt es keinen Grund, diesen Glauben herunterzuspielen. „Denn in 20,30f. wird genau das programmatisch angegeben: Die von Jesus erzählten Zeichen sollen zum Glauben füh119 ren.“ Die Auslegung von Joh 7 sollte m.E. nicht auf eine Beurteilung (sei es eine positive oder negative) des Glaubens der „vielen“ zielen, sondern auf die Argumentation aufmerksam machen: Bereits zum zweiten Mal (vgl. V.27) messen Menschen aus dem ὄχλος Jesus an ihren Messiaserwartungen, die nur angedeutet werden, und versuchen so, ihn richtig einzuschätzen. Ihr religiöses Wissen bildet also den Hintergrund. Weder ihre 120 Erwartung, dass der Messias Wunder vollbringen wird, noch ihre Bewunderung für die Zeichen Jesu werden problematisiert oder breiter diskutiert. V.32. Das Gerede im Volk bewirkt eine negative Reaktion bei den Pha121 risäern, die gemeinsam mit den Hohepriestern Gerichtsdiener senden, um Jesus verhaften zu lassen. Ihr feindliches Vorhaben wird nicht durch die Worte Jesu verursacht, sondern dadurch, dass in der Volkesmenge viel über ihn geredet wird. Der Erfolg Jesu gefährdet ihre Machtposition, denn sie sind von ihrer Stellung und Geltung in der Welt abhängig; was das Volk sagt und denkt, ist ihnen sehr wichtig (vgl. 12,19). Deshalb bilden sie sich ihre Meinung allein über das von den direkten Zuhörern Weitergesagte. Auch übernehmen sie nicht selber die Festnahme Jesu (wie die unbestimmten sie in V.30), sondern delegieren diese an ihre Diener. Ihr Kontakt mit Jesus geschieht nur via Zwischenpersonen.
118
So B ULTMANN, 231; B ECKER I, 268; B ARRETT, 330; T HEOBALD, 528; O’D AY, 621; mit Vorsicht D IETZFELBINGER I, 220; W ILCKENS, 131; SCHENKE, 162. 119 W ENGST I, 286. Ähnlich T HYEN, 397. Vgl, auch L ÉON-D UFOUR, der nuanciert urteilt, 228: „Ici elle [=la question de la messianité] se fonde sur les miracles […]. L’adhesion de ceux qui la formule est certes encore fragile, mais la motivation qu’ils allèguent souligne l’importance, pour l’éveil de la foi, des miracles opérés par Jésus de Nazareth. Au niveau narratif, cette attestation d’une grande partie de la foule charge indirectemnt les incrédules: Jésus n’a pas seulement parlé, il a accompli des oeuvres qui confrimaient son envoi d’en haut (cf. 3,2).“ 120 Zum Wunder in der messianischen Erwartung vgl. IV.2.2. 121 Die Verbindung dieser zwei Parteien ist eigentümlich und lässt sich nur aus der Situation der Abfassungszeit heraus verstehen. Anachronistisch bilden die nach 70 vorherrschende Partei der Pharisäer, die in der Auseinandersetzung mit der joh Gemeinde eine wichtige Rolle spielte, und die Hohepriester, die wichtigsten Mitglieder des Sanhedrin die zur Zeit Jesu mit ihm in Konflikt gerieten, eine Gegnerfront, vgl. IV.1.4.2.
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IV. Johannes 7
1.3.3.6 Jesu Worte über sein „Wohin“ (V.33–34) 33. Nun sagte Jesus: „Noch eine kleine Zeit bin ich mit euch und (dann) gehe ich zu dem, der mich gesandt hat. 34. Ihr werdet mich suchen und 122 nicht finden, und wo ich bin , könnt ihr nicht (hin)kommen.“ V.33–34. Jesus ergreift wieder das Wort. Nachdem er in V.28–29 über sein 123 „Woher“ Auskunft gegeben hat, thematisiert er nun sein Wohin , so dass 124 sein ganzer Weg als Gesandter aufscheint . Darüber hinaus knüpft seine Rede kunstvoll an die vorherige Szene an: „L’envoi des gardes pour arrêter Jésus a indiqué que la situation va s’aggravant et que le moment de sa mort 125 approche.“ Weit davon entfernt, sich von der nahenden Gefahr ein126 schüchtern zu lassen, demonstriert Jesus seine Souveränität , indem er weiter öffentlich auftritt. Angesichts der gewaltvollen Bedrohung spricht er von seinem „Fortgehen zu demjenigen, der ihn gesandt hat“. So deutet er im Voraus seine Passion, die kurze Zeit später eintreten wird: Sein Tod 127 ist kein Ende, keine „natürliche Auflösung“ , sondern ein Gehen, eine Rückkehr zu seinem Vater. 128 In V.34 wird die Konsequenz dieses „Gehens“ für die Zuhörer , die 129 130 Jesus keinen Glauben schenken , thematisiert: „Sie werden ihn suchen 122
Man erwartet hier eher ein Futur: Sollte man also εἰµί (wo ich bin) durch εἶµι (wo ich hingehen werde) ersetzen? Möglicherweise kann das Präsens erklärt werden: So vermutet B ROWN I, 314: „more likely this reflects the divine use of egō eimi. […] It is Augustine who captures the atemporality of Jesus’ statement, ‚Christ was ever in that place to which he would return‘ (In Jo. XXXI 9; PL 35:1640).“ 123 Eine solche Struktur ist zu Recht von B ECKER I, 267, hervorgehoben: „Der Frage [des Woher] korrespondiert die andere nach Jesu wohin […]. Darum ist es konsequent, wenn 7,25–36 zweiteilig aufgebaut ist, dass zunächst der Unglaube vor dem Woher und dann vor dem Wohin steht (7,25–30.31–36).“ Vgl. 8,14; 8,21–23; 13,3; 16,28. 124 Für B ROWN I, 318 und THEOBALD, 531 ist die Wegmetaphorik und der Spruch über das Suchen und Finden vom Weisheitsmythos her gedacht. Mehr dazu in IV.2.3. 125 L ÉON-D UFOUR, 230. 126 Vgl. B LANK Ib, 93; W ENGST I, 287–288. 127 B ARRETT, 332. 128 Wer sind die Zuhörer, die mit dem Pronomen „ihr“ angesprochen werden? M.E. handelt es sich um den unbestimmten ὄχλος. Die Juden, die dann auf seine Worte reagieren, sind m.E. nur jener Teil der Volksmenge, an den seine Worte gerichtet sind. 129 Zum ersten Mal interpretiert Jesus seinen Tod als Hingang zum Vater. Eine solche Deutung wird im Laufe weiterer Dialoge und Missverständnisse (besonders in den Abschiedsreden) vertieft (vgl. 8,14.21–22; 13,3.33.36; 14,2–4.28; 16,5.10.17). „A la différence de ce qu’il a fait jusqu’ici, il [= Jésus] n’annonce pas sa mort en des termes qu’il sera glorifié ou que le don de sa personne sera source de vie“ (L ÉON-D UFOUR, 230). Dieser Unterschied resultiert daher, dass Jesus diesmal seinen Tod im Hinblick auf den Unglauben thematisiert. Der Evangelist zeigt, „wie Jesu Fortgang überhaupt den Juden zum Gericht (7,33–36; 8,21f.) und den Jüngern zu Trost und Verheissung (14,2–5[…]) ausgelegt werden kann“ (B ECKER I, 269).
1. Textanalyse
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und nicht finden“. Diese Aussage Jesu erinnert stark an das Schriftmotiv des „Findens und Suchens“, das meist auf Gott bezogen wird, indem mit dem „Finden“ die heilvolle Gegenwart Gottes verheissen und mit dem 131 ἔτι „Nicht-Finden“ ein strafender Rückzug Gottes angedroht wird. 132 µικρὸν χρόνον , die in der Schrift die Funktion der Drohung oder Ver133 heissung erhalten kann , verstärkt den Hauptgedanken: In Kürze wird das Gericht eintreten und dann wird es „zu spät“ sein. Die Zuhörer sollen Jesus deshalb jetzt als den wahren Gesandten Gottes anerkennen, als denjenigen, 134 der die Präsenz Gottes verkörpert und den Zugang zu ihm ermöglicht. Bald ist es dafür zu spät, denn Jesus wird zu seinem Vater zurückkehren und dort, wo er sein wird, können sie nicht hingehen. „‚Zuspät‘ sollte nicht als eine Feststellung begriffen werden, sondern vielmehr als Mahnung, 135 diese Möglichkeit, so früh es nur geht, also jetzt, zu ergreifen.“ Diese Aufforderung zum Glauben, die sich in der Textwelt an die direkten Adressaten Jesu richtet, gilt auch indirekt den Lesern des Evangeliums. 1.3.3.7 Reaktion der Juden auf das Wort Jesu (V.35–36) 35. Nun sagten die Juden zueinander: „Wo will dieser hingehen, dass wir ihn nicht finden? Will er etwa in die Diaspora der Griechen gehen und die Griechen lehren?“ 36. Was bedeutet das Wort, das er sagte: ‚Ihr werdet mich suchen und nicht finden, und wo ich bin, könnt ihr nicht (hin)kommen‘?“ V.35–36. Die Worte Jesu bleiben unverstanden und verursachen eine er136 neute Diskussion unter den Zuhörern , die den Dialog mit Jesus abbre130
Es wird mit der Doppelbedeutung von ζητέω gespielt: Hier verweist ζητέω primär auf ein „spirituelles Suchen“; die Hörer werden jetzt aufgefordert zu glauben, bevor es zu spät wird. Andererseits wird auch auf ihr konkretes Suchen, auf ihren Festnahmeversuch angespielt. Ihr „Suchen“ wird erfolglos bleiben. Damit wird deutlich, dass „Jesus ‚unfassbar bleibt‘ – auch wenn er schliesslich festgenommen werden wird. Weil bei Gott aufgehoben, ist er für jene doch ungreifbar, die ihn ergreifen wollen und schliesslich auch ergreifen werden“ (W ENGST I, 288). 131 Vgl. Dtn 4,29; 1 Chr 28,9; Jes 55,6; 65,1; Jer 29,13–14; Hos 5,6; Am 8,12. (Vgl. weiter Ps 9,11; 22,27; 36,2; 40,17; 69,7 ...). In den Sprichwörtern wird das Motiv des Suchen-und-Findens auf die Weisheit übertragen (Prov 1,28–29; 6,12; 8,17; 24,14). 132 ἔτι µικρὸν χρόνον ist ein häufiges joh Motiv, vgl. 12,35; 13,33; 14,19; 16,16–19. 133 Vgl. Jes 29,17; Jer 51,33 (LXX 28,33); Hos 1,4; Hag, 2,6–7. Vgl. auch Ps 37,10 (ἔτι ὀλίγον LXX 36,10). 134 Das Motiv des Suchens und Findens, das in der Schrift auf die heilvolle Gegenwart Gottes bezogen war, wird hier uminterpretiert und auf Jesus bezogen. Indirekt bekräftigt damit Jesus seinen Anspruch, der Gesandte Gottes zu sein. 135 W ENGST I, 288. 136 Die Zuhörer werden als „Juden“ bezeichnet. Es handelt sich dabei m.E. weder um alle Juden, noch spezifisch um die jüdische Autorität, die gar nicht anwesend ist, da sie
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IV. Johannes 7
chen und nur noch miteinander beraten. Die drei Fragen, die sie sich stellen, verdeutlichen, dass sie das Gehen Jesu als einen Ortswechsel innerhalb der Welt verstehen und dabei die Anspielungen auf seinen Tod ganz übersehen. Durch ihre erste Frage, wohin (ποῦ) Jesus geht, auf die dieser bereits geantwortet hat (ich gehe „πρὸς τὸν πέµψαντά µε“ [V.33]) wird ihr Unwissen über den Sendenden, das Jesus schon herausgestellt hat (V.28), nochmals verdeutlicht. Ratlos formulieren die Juden eine mögliche Erklärung, die sie selber für unwahrscheinlich halten (Frage mit µή): „Will er etwa in die Diaspora der Griechen gehen und die Griechen lehren?“ Für den Leser hat diese ahnungslose Äusserung eine prophetische Bedeutung,137 denn dank seines Gehens – seines Todes – wird das Heil alle Völker erreichen und durch die daraus folgende Mission seine Lehre auch in 138 der Diaspora gehört werden. Wie gross die Verlegenheit der Zuhörer ist, zeigt ihre dritte Frage, in der sie die Worte Jesu wiederholen, ohne sie tatsächlich zu begreifen. 1.3.4 Letzter Tag des Festes (V.37–52) 1.3.4.1 Offenbarungswort Jesu: Einladung und Verheissung (V.37–39) 37. Am letzten, dem grossen Tag des Festes, stand Jesus auf und rief, indem er sagte: „Wenn jemand dürstet, komme er zu mir und trinke, 38. wer an mich glaubt.139 Wie die Schrift sagte: Aus seinem140 Körper werden Flüsse des lebendigen Wassers fliessen.“ 39. Dies sagte er über den Geist, den diejenigen, die zum Glauben an ihn gekommen sind141, empfangen
Gerichtsdiener geschickt hat, sondern um die Zuhörer, die sich aufgrund ihrer religiösen Überzeugung der Neuheit der Gottespräsenz in Jesus verschliessen. 137 Der Autor verwendet auch an anderen Stellen dieses Stilmittel. Vgl. z.B. die Äusserungen von Kajaphas in 11,49–52; er erläutert einerseits eine politische Strategie, aber andererseits thematisiert er, ohne es selbst zu wissen, die soteriologische Bedeutung des Todes Jesu. 138 Vgl. L ÉON-D UFOUR, 231–232; S CHNACKENBURG II, 209; W ILCKENS, 132; THYEN, 399; W ENGST I, 289; FREY, Heiden, 251–253. 139 Die Interpunktion ist strittig, so dass sich verschiedene Übersetzungen ergeben. Dieses Problem und die Gründe, die zur hier gewählten Übersetzung führen, werden im Abschnitt IV.2.1.1 erläutert. 140 Es ist umstritten, ob αὐτοῦ sich auf Jesus oder auf den Glaubenden bezieht. Zu dieser Problematik vgl. IV.2.1.1. 141 Mit Theobald ziehe ich die Aorist-Form dem Partizip vor, da sie in den ältesten Textzeugen (P 66 B) bezeugt ist. Das Partizip Präsens, das a D Θ Ψ bieten, ist wahrscheinlich eine Angleichung an V.38a (wer an mich glaubt).
1. Textanalyse 142
173 143
werden ; denn der Geist war noch nicht (da) , weil Jesus noch nicht verherrlicht war. Mit V.37 beginnt eine neue Szene, die durch eine neue Zeitangabe als solche gekennzeichnet wird. Wie im ganzen Kapitel wird der Text durch den Ablauf des Laubhüttenfestes gegliedert. Die Erwähnung der ἑορτή ruft beim Leser ganz bestimmte Assoziation hervor, so dass die Riten und die Symbole des Festes den Hintergrund bilden, auf dem die Worte Jesu zu verstehen sind144, und die Präzisierung der Zeitangabe „am letzten, dem grossen Tag“ lässt ihn den Höhepunkt der Erzählung erwarten. ἐν δὲ τῇ ἐσχάτῃ ἡµέρᾳ hat aber vielleicht auch einen eschatologischen Nebenklang: „When John uses this phrases (6:39, 40, 44, 54, 11:24, 12:48), he has in mind the end of the age – i.e., the time when the Messiah would exact the resurrection of the saints. Resurrection day is directly linked with that new eschatological era to which the Old Testament pointed.“145 Die Einleitung der Worte Jesu εἱστήκει ὁ Ἰησοῦς καὶ ἔκραξε, λέγων unterstreicht ihren Offenbarungscharakter146 und verleiht ihnen Gewicht. Die Äusserung Jesu (V.37b–38)147 besteht aus einer Einladung und einer Verheissung. Dass dabei jeder (vgl. u.a. ἐάν τις) angesprochen wird, verdeutlicht die Universalität des Heilsangebotes. Mithilfe zweier Bilder verdeutlicht Jesus die Heilsbedeutung des Glaubens. So gebraucht er zunächst wie in Joh 4 die Metapher des Durstes, der Gabe von Wasser und des Trinkens, um den lebensförderlichen Charakter einer Beziehung zu ihm zu ent142
µέλλω, das hier durch eine Futur-Form wiedergegeben wird, drückt das baldige Eintreffen der Erwartung aus (es ist im Begriff zu geschehen) und bringt die Gewissheit, dass es geschehen soll/muss, zur Sprache. 143 Die zahlreichen textkritischen Varianten von V.39 spiegeln sicherlich die theologischen Schwierigkeiten wider, die der Vers möglicherweise verursacht: „Man hat verschiedene Versuche unternommen, die mögliche, wenn auch törichte Vermutung auszuschliessen, dass der Heilige Geist vor der Verherrlichung Jesu nicht existiert habe. Nach πνεῦµα haben die lateinischen und altsyrischen Versionen und einige Väter δεδοµένον; die gleiche Lesart, mit der Hinzufügung von ἅγιον, findet sich in B e hl. D fügt hinzu ἅγιον ἐπ’ αὐτοῖς, und sah hat ‚sie hatten den Heiligen Geist noch nicht empfangen‘. Diese Varianten sind fast sicher ‚Verbesserungen‘, und wir sollten wahrscheinlich auch πνεῦµα ἅγιον (Ω) zugunsten des πνεῦµα bei Nestle ablehnen“ (B ARRETT, 335). 144 Zum Laubhüttenfest vgl. IV.2.1.3. 145 K NAPP, Water, 112. Damit erscheint die Debatte, ob der siebte oder der achte Tag des Festes gemeint ist, von geringer Bedeutung zu sein. 146 Dank dem Verb „ἵστηµι“ und noch mehr dank des Verbs „κράζω“ (auch in V.28 verwendet) charakterisiert der Autor die Worte Jesu als Offenbarungsworte. 147 Die Interpretation seiner Äusserung wird sehr kontrovers diskutiert. Das Problem der Übersetzung (Interpunktion und Bestimmung des αὐτοῦ) und die Erläuterung des Schriftverweises habe ich deswegen in den nächsten Teil (IV.2.1.1) verlagert.
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IV. Johannes 7
falten. Er fügt nun aber eine weitere Verheissung hinzu, die sich auf den Überfluss an Wasser bezieht. Das Wasser, als Symbol für die Leben spendende Kraft Gottes, fliesst in Fülle. Diese Verheissung knüpft an atl. Heilserwartungen an, wie es auch Jesus mit dem Schriftverweis aufzeigt. V.39. Im Erzählerkommentar werden die vorangegangenen Worte Jesu aus nachösterlicher Perspektive148 erläutert. Zunächst verdeutlicht der Erzähler den Inhalt des Bildwortes. Die Heils- und Lebensgaben, die Jesus mit Hilfe des Symbols des Wassers verheisst, sind demnach auf die Gabe des Geistes zu beziehen. Damit wird, noch bevor Jesus in seiner Abschiedsrede149 den Parakleten ankündigt, eine wichtige Funktion des Geistes thematisiert: Durch seine Präsenz wird das Leben in Fülle geschenkt und durch seine Gegenwart werden die atl. Verheissungen der Heilszeit verwirklicht. Weiterhin betont der Kommentar den Zusammenhang zwischen dem Kommen des Geistes und dem Tod Jesu und präzisiert dadurch den Zeitpunkt der Geistgabe. Genau wie sich die Worte Jesu in ihrem vollen Sinngehalt erst nach seiner Verherrlichung erschliessen,150 werden auch seine gegenwärtigen Heilszusagen erst nach seiner Erhöhung verwirklicht werden.151 Das Gewicht liegt auf der Produktivität des Todes Jesu, die einen neuen Zugang zu Gott eröffnet und nicht auf der Abwertung der ihm vorangegangen Zeit.152 Schliesslich knüpft der Kommentar an das Erleben
148
Der Erzählerkommentar ist nur für die Leser/Hörer des Evangeliums zugänglich, die deswegen über mehr Wissen verfügen als die Figuren der Erzählwelt. Die Einladung und Verheissung Jesu gelten in der Erzählwelt den Zuhörern seiner Worte, da aber der Heilige Geist erst nach dem Tod Jesu empfangen wird, beinhalten sie eine zukünftige Perspektive. In der historischen Kommunikationssituation ist die Einladung Jesu hingegen an die Leser/Zuhörer des JohEv gerichtet und betrifft deren Gegenwart. 149 Sowohl das Verb δοξάζω als auch die Problematik des Geistes verweisen auf die Abschiedsreden Jesu. Die inhaltliche Nähe der Erzählerkommentare und der Abschiedsreden ist oft überraschend, vgl. C ULPEPPER, Anatomy, 39: „In Tracing the narrator’s foreshadowing of the events related to Jesus’ death, one sees that Jesus and the narrator share the same vocabulary, and use terms with the same veiled or double meaning.“ Siehe auch T HYEN, 405. 150 Vgl. Joh 2,21–22; 12,16; 13,7; 16,4; 20,9. 151 Vgl. S CHNACKENBURG II, 217. 152 Mit O’D AY, 624, ist hervorzuheben: „The Fourth Evangelist ist not denying the Spirit of God present in the OT […] The Fourth Evangelist is saying that the Spirit as it is known in the life of the Church did not yet exist because the Spirit of God is redefined in the light of Jesus’ death, resurrection, and ascension.“ Gegen T HEOBALD, 541, der m.E. zu einseitig betont: „Die Zeit vor Jesu ‚Verherrlichung‘ war ohne Geist […]: Es gab keinen wirklichen Zugang zu Gott, der menschliche Durst nach Leben blieb letztlich ungestillt, auf der Welt lastete die Finsternis […]“. M.E. kann die Zeit vor Jesus nicht in dieser Weise abgewertet werden. Vielmehr knüpft die nachösterliche Gabe des Heiligen Geistes an die atl. Heilsverheissung der Ausgiessung des Geistes an (vgl. Ez 37,1–14; 39,29; Joel 2,28–32).
1. Textanalyse
175
der nachösterlichen Gemeinden an, die den Erhöhten als nie versiegende 153 Quelle des Geistes erfahren. 1.3.4.2 Reaktionen auf die Worte Jesu (V.40–44) 40. Aus der Menge sagten nun (einige), die seine Worte gehört hatten: „Dieser ist wahrhaftig der Prophet.“ 41. Andere sagten: „Dieser ist der Christus.“ Andere wiederum sagten: „Kommt der Messias etwa aus Galiläa? 42. Sagte nicht die Schrift: ‚Christus kommt aus dem Samen Davids und aus Bethlehem, dem Dorf, wo David war‘?“ 43. In der Menge entstand nun eine Spaltung wegen ihm. 44. Einige von ihnen wollten ihn festnehmen, aber niemand legte die Hände an ihn. In dieser Szene, in der verschiedene Reaktionen auf die Offenbarungsrede Jesu geschildert werden, fallen grosse Ähnlichkeiten mit V.25–27 und 30– 32 auf.154 V.40–42. Bereits zum dritten Mal beraten unbestimmte Gruppen (ἐκ τοῦ ὄχλου, ἄλλοι, οἱ δε) über Jesus, ohne den Inhalt seiner vorherigen 155 Worte wirklich zu berücksichtigen . Sie versuchen wiederum lediglich, seine Identität anhand ihres religiösen Wissens zu erfassen. Eine erste Gruppe sieht in ihm den Propheten, andere erkennen ihn als den Chris156 157 tus. Die dritte Gruppe will anhand zweier rhetorischer Fragen die Diskrepanz zwischen dem, was man von Jesus weiss, und dem, was vom Messias nach der Schrift zu erwarten ist, hervorheben: Jesus kommt aus Galiläa, der Messias hingegen ist ein Davidide und kommt aus Bethle158 159 hem. Das Schriftargument wird nicht weiter diskutiert, denn das Ge-
153
Vgl. B ECKER I, 276. Wiederum spiegeln sich in der Debatte um die Identität Jesu Argumente aus dem Streit der joh Gemeinde mit dem synagogalen Judentum wider, vgl. IV.1.4.2. 155 Zwar verbindet οὖν ἀκούσαντες τῶν λόγων τούτων formal die Reaktion der Volksmenge mit den Worten Jesu (V.37–38), jedoch gibt es keine einzige inhaltliche Anknüpfung: Weder das Thema des Heils, des Glaubens, des Geistes, noch das Bild des Wassers oder der Schriftverweis finden Eingang in die Reflexion der Zuhörer! 156 Hier wird versucht, anhand jüdischer Endzeiterwartungen (der Prophet, der Messias) die Identität Jesu zu erfassen. Dadurch entstehen die Fragen, ob es einen Unterschied zwischen beiden Erwartungen gab, ob solche Erwartungen im Judentum wirklich geläufig waren und wie sie sich zu anderen Erwartungen (z.B. der unbekannten Herkunft des Messias [vgl. V.27]) verhalten. Mehr dazu in IV.2.2. 157 Die Fragen zielen nicht auf Antworten, sondern sollen die anderen Gruppen nur darauf aufmerksam machen, dass ihre Überzeugungen einer genauen Überprüfung nicht standhalten. So ist die erste Frage mit µή formuliert: „Kommt der Christus doch nicht aus Galliläa?“ (erwartete Antwort: „natürlich nicht!“) und die zweite mit οὐχ: „Sagt nicht die Schrift, dass der Messias...? („erwartete Antwort: „ja, klar!“). 158 Es ist offen, ob der Evangelist die synoptische Tradition der bethlehemitischen Geburt Jesu kannte und ob er absichtlich darauf anspielt. Mehr dazu in IV.3.2.2. 154
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IV. Johannes 7
wicht liegt einzig auf der Art und Weise der Beweisführung, die wie in V.27 und V.31 darin besteht, Jesus anhand religiöser Erwartungen korrekt einzuschätzen. Die summarische Wiedergabe der verschiedenen Positionen weckt bereits den Eindruck einer Spaltung der Festgemeinde. V.43. Die 160 explizite Feststellung des σχίσµα kommt also nicht unerwartet, sondern unterstreicht im Gegenteil, dass es sich nun nicht mehr überwinden lässt. Die verschiedenen Parteien beharren auf ihrem je eigenen Standpunkt, so dass weitere Gespräche unmöglich sind. V.44. Da Worte nicht mehr ausreichen, wird nun gehandelt. Einige Personen versuchen, Jesus festzunehmen. Ihr Versuch misslingt grundlos, doch Gründe dafür anzugeben ist auch gar nicht nötig, da der Leser weiss, dass die Stunde Jesu noch nicht gekommen ist (vgl. V.30). 1.3.4.3 Beim Hohen Rat (V.45–52) 45. Nun kamen die Diener zu den Hohepriestern und den Pharisäern (zurück) und diese sagten ihnen: Warum habt ihr ihn nicht (her)geführt? 46. Die Diener antworteten: „Nie hat ein Mensch so geredet.“ 47. Nun antworteten ihnen die Pharisäer: „Habt ihr euch etwa auch verführen lassen? 48. Glaubt etwa einer der Oberen oder der Pharisäer an ihn? 49. Sondern dieses Volk, welches das Gesetz nicht kennt, sei verflucht.“ 50. Nikodemus, 161 der früher zu ihm gekommen war , einer von ihnen, sagt zu ihnen: 51. „Richtet etwa unser Gesetz den Menschen, ohne dass man ihn zuerst gehört hat und weiss, was er tut?“ 52. Sie antworteten und sagten zu ihm: „Bist du etwa auch aus Galiläa? Forsche nach und sieh, dass aus Galiläa 162 kein Prophet erweckt wird.“
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M.E. ist es fragwürdig, diesen abrupten Gesprächsabbruch als ein Zeichen der Abwertung der Diskussion der Volksmenge zu interpretieren (so L ÉON-D UFOUR, 241: „L’argument contre la messianité ne mérite aucune réponse. Jésus a déjà déclaré qu’on ne peut juger selon les apparences.“). Zur Funktion des Gesprächsabbruchs und der unbeantworteten Fragen vgl. IV.1.5/IV.1.6.1. 160 Auch wenn Konflikte und Spaltungen im vierten Evangelium häufig anzutreffen sind, wird ein Schisma nur in 9,16 und 10,19 explizit festgestellt. 161 Verschiedene Handschriften erinnern nicht nur an den ersten Besuch von Nikodemus, sondern auch daran, dass er in der Nacht Jesus begegnet ist. Diese Lesart kann Konsequenzen für die Interpretation haben, wenn Nacht symbolisch interpretiert wird, womit die innere Gespaltenheit des Nikodemus unterstrichen würde. Die Lesart ohne νυκτός ist aber besser bezeugt (vgl. die Papyri P66.75 a L W). 162 Die Lesart ein Prophet ist vorzuziehen, denn nur P 66 weist hier den bestimmten Artikel (der Prophet) auf. Der Artikel wurde wahrscheinlich in Anlehnung an V.40, in dem die Vorstellung eines Propheten wie Mose entfaltet wird, hinzugefügt.
1. Textanalyse
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V.45. Der nächste Vers knüpft problemlos an den vorherigen an, da der 163 erfolglose Festnahmeversuch an die feindlichen Absichten der „Juden“ erinnert und so eine gute Überleitung ermöglicht. Die Szene beim Hohen Rat knüpft aber auch an die Sendung der ὑπηρέται durch die Pharisäer und Hohepriester in V.32 an. Die Diener kommen nun zurück, jedoch mit leeren Händen, so dass die Autoritäten vorwurfsvoll nach den Gründen hierfür fragen. V.46. Zu einer Rechtfertigung aufgefordert, legen die Diener mit ihrer Antwort unwillentlich Zeugnis ab über Jesus und die Macht seiner Worte und bestätigen unwissentlich die Aussage Jesu über die göttliche Herkunft 164 seiner Lehre (V.16): „Die Rede Jesu ist nicht die eines Menschen.“ Dass die Diener sich aufgrund ihrer Bewunderung für Jesus ihrem eigentlichen Auftrag verweigern, ist überraschend, denn „d’ordinaire la police n’a pas à 165 apprécier le coupable qu’elle est chargé d’arrêter“ . Es wird dadurch aber treffend verdeutlicht, dass die weltliche Macht angesichts des göttlichen Wortes machtlos ist166: „on n’arrête pas la Parole.“167 V.47–49. Der Ungehorsam der Diener und ihre für die Ratsmitglieder unverständliche Begründung provozieren drei heftige Stellungnahmen der Pharisäer. Zunächst äussern sie in Form einer rhetorischen Frage eine fast sinnlose Befürchtung: „Ihr habt euch doch nicht etwa verführen lassen?“ Unwahrscheinlich ist dabei nicht, dass Jesus πλανᾷ τὸν ὄχλον (vgl. V.12), davon sind seine Gegner überzeugt, sondern dass die Diener dann in ihrer Reaktion eins mit dem Volk wären. Sie sollten aber – darauf zielt die zweite rhetorische Frage – vielmehr dem Vorbild der ἀρχόντων oder der Φαρισαίων folgen, die nicht an ihn glauben. Die Unrichtigkeit dieser Behauptung (vgl. die Stellungnahme von Nikodemus und 12,42) lässt sie nicht vor ihr zurückschrecken, denn für sie zählt allein die absolute Gegenüberstellung der zwei beteiligten Gruppen: Auf der einen Seite stehen sie selbst, die in religiösen Fragen das nötige Wissen besitzen und auch legitimiert sind, ein entsprechendes Urteil zu fällen; sie lehnen Jesus ab. 168 Auf der anderen Seite befindet sich das Volk , welches das Gesetz nicht 163
In V.30–32 ist die gleiche Reihenfolge zu beobachten: zuerst ein erfolgloser Festnahmeversuch (V.30, hier V.40), gefolgt von offiziellen Massnahmen gegen Jesus (V.32: Sendung der Diener; V.45: Rückkehr der Diener). 164 B ARRETT, 337. Der enge Zusammenhang zwischen den Worten Jesu und seiner Identität ist typisch joh (vgl. III.1.4.1). 165 L ÉON-D UFOUR, 242. 166 Das Gleiche lässt sich bei der Verhaftungsszene (vgl. 18,6–11) beobachten. 167 C ALLOUD / G ENUYT, 19. 168 „Der Wendung ‚diese Menge, die die Tora nicht kennt‘ entspricht in der rabbinischen Literatur der Begriff am ha-arez (Vielleicht am ehesten verdeutscht mit ‚Landmensch‘, ‚Provinzler‘) bzw. im Plural amméj ha-arez“ (W ENGST I, 299). Damit wurden abwertend die Menschen aus den niederen Schichten der Landbevölkerung bezeichnet,
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kennt, von Jesus verführt wird und gar nicht legitim zu einem Urteil kommen kann. Ihre Worte gegen diese Gesellschaftsschicht sind hart und unversöhnlich und gipfeln gar in einem Fluch. „In dem durchbrechenden 169 Hass gibt sich für den Evangelisten der Unglaube zu erkennen.“ Um sich eine Meinung über Jesus zu bilden, werden die Diener aufgefordert, auf das Urteil von anderen Menschen zu vertrauen. Statt einer inhaltlichen Diskussion oder einer Reflexion über die Lehre Jesu wird somit ein Autoritätsargument angeführt. Die Pharisäer und die Hohepriester glauben nicht an Jesus und ihres Erachtens sollten sich die Diener an der Überzeugung der Elite orientieren, da sie nach eigener Einschätzung das religiöse Wissen besitzt. Ihre Macht- und Wissensansprüche ersetzen alle anderen Kriterien, welche ein Urteil über Jesus ermöglichen könnten. Ganz anders lautete nach Jesus die Bedingung, um die Herkunft seiner Lehre (und damit seine Sendung und seine Identität) richtig einzuschätzen. Er nämlich rief seine Zuhörer dazu auf, den Willen Gottes zu tun (V.17) und nicht nach menschlichen Kriterien, sondern gerecht zu urteilen (V.24). Der Kontrast könnte auffallender gar nicht sein. V.50. Auf das harte Votum der Obrigkeiten antworten nicht die angesprochenen Diener, sondern Nikodemus. Mit der näheren Bestimmung ὁ ἐλθὼν πρὸς αὐτόν πρότερον lädt der Autor dazu ein, sich an die erste Begegnung zwischen ihm und Jesus zu erinnern und eröffnet damit den Raum für ein intratextuelles Spiel. Einerseits gewinnt dadurch die Figur 170 des Nikodemus an Kontur, andererseits können sich Themen gegenseitig erhellen, die sowohl in der Rede des Nikodemus wie auch im Kapitel 7 entfaltet, aber verschieden gedeutet werden, (vgl. z.B. die göttliche Herkunft der Lehre Jesu [3,2; 7,16]; der Geist [3,5–8; 7,37–39]; der Tod Jesu [3,14; 7,33.39]; Unverständnis der „Lehrer Israels“ [3,10; 7,45–52]; die Sendungschristologie [3,13.17; 7,16.18.28] usw.). Die weitere Präzisierung εἷς ὢν ἐξ αὐτῶν betont die Zugehörigkeit des Nikodemus zum Hohen Rat, so dass sein Auftritt, bei dem er Partei für Jesus ergreift, die Frage „der Pharisäer, ob denn etwa einer der Archonten oder der Pharisäer an Jesus
denn ihre Torapraxis entsprach nicht derjenigen der Pharisäer (z.B. für die Zehntabgabe). Vgl. SCHNACKENBURG II, 222; THEOBALD, 545. 169 SCHNACKENBURG II, 222. Die Verurteilung Jesu (als Verführer) führt zur Abwertung seiner Anhänger (als Verführte und Verfluchte) geradeso, wie der positiven Anerkennung Jesu (als des Gesandten Gottes) eine positive Einschätzung seiner Nachfolger (als Glaubende) entspräche. Der Hass gegenüber Jesus überträgt sich auf seine Jünger (vgl. 15,18–20). 170 In der Forschung wird heftig diskutiert, wie die Figur von Nikodemus zu beurteilen ist: Kann er die Missverständnisse, die seinen Glauben an Jesus verhindern, überwinden oder nicht? Mehr dazu in IV.3.3.1.3.
1. Textanalyse
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glaube, den Boden zu entziehen und ihre allzu selbstsichere Antwort als 171 pure Heuchelei zu erweisen“ scheint. 172 V.51. Der Protest des Nikodemus deckt die Unzulänglichkeit der Aussagen der Pharisäer brilliant auf. Er erinnert daran, dass nicht sie, sondern das Gesetz die Instanz ist, welche ein Urteil ermöglicht, und relativiert damit die von ihnen soeben beanspruchte Macht. Nicht sie haben das 173 letzte Wort um zu richten, sondern die Tora . Darüber hinaus legt seine Frage nahe, „that it is the Pharisees’ knowledge of the law that is a matter 174 of doubt, not the crowd’s (v. 49).“ Ironischerweise kennen diejenigen, welche die Gesetzunkundigen verfluchen, selbst das Gesetz nicht, so dass ihre Worte zur Selbstverfluchung werden. Das Gebot, das Nikodemus geltend macht, ist allgemein formuliert und gültig für jeden Menschen. Jeder darf gehört werden, bevor er verurteilt wird. Dies gilt auch im konkreten Fall für Jesus. V.52. Die Erwiderung der Mitglieder des Hohen Rats zeigt, dass sie nicht zum Dialog bereit sind, denn sie argumentieren nicht auf einer sachlichen Ebene, sondern greifen Nikodemus persönlich an. Sie diskreditieren seine Äusserung, als ob sein Verteidigungswort nur auf der Sympathie zu einem Landsmann basieren würde. Seine Aussage ist für sie nur nachvollziehbar, wenn Nikodemus selber aus Galiläa stammt, wie derjenige, den er 175 gerade verteidigt hat. Um ihren Worten Kraft zu verleihen, verweisen sie 176 dabei auf die Schrift ; es scheint allgemein bekannt, dass aus dieser Ge171
T HYEN, 412. Vgl. auch SCHNELLE, 166, und T HEOBALD, 546. Es handelt sich wiederum um eine rhetorische Frage, die mit µή eingeleitet wird. 173 ὁ νόµος ἡµῶν ist das grammatische Subjekt von κρίνω. Das Gesetz, das dem Willen Gottes entspricht, bildet die höhere Instanz, der die Richter selbst untergeordnet sind. Interessanterweise wird diese Funktion des Gesetzes auch in Joh 5,45–47 (im Kontrast zu Jesus) hervorgehoben. 174 O’D AY, 624. Ähnlich auch SCHNACKENBURG II, 222: „Die das gesetzunkundige Volk verfluchenden Gesetzlehrer halten sich selbst nicht an das Gesetz.“ Genauso entlarvt sich in Joh 9,24–34 der Anspruch der Pharisäer, das Gesetz besser zu kennen als die anderen, als falsche Selbstsicherheit, die dann in Joh 9,40–41 („Jesus sprach zu ihnen: Wäret ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; nun sagt ihr aber: Wir sind sehend! So bleibt eure Sünde“) kritisiert wird. Dazu s. M OSER, Verständnis, 60–65. 175 Eine solche Möglichkeit wird aber zugleich von ihnen ausgeschlossen, denn sie erwarten eine Widerlegung dieser Frage (vgl. den Gebrauch von µή). Ihre rhetorische Frage soll nur die Absurdität der Worte des Nikodemus ans Licht bringen. 176 Auch wenn das Objekt von ἐραυνάω nicht expliziert wird, ist m.E. eine Ergänzung mit „Schrift“ am naheliegendsten (so auch stillschweigend die meisten Kommentatoren; vgl. B ARRETT, 338; B ECKER I, 278; B ULTMANN, 235; LÉON-D UFOUR, 246; SCHNELLE, 166; SCHNACKENBURG II, 223; T HEOBALD, 547; T HYEN, 415; O’D AY, 624). Mit Z UMSTEIN I, 201 FN 137: „le verbe ἐρευνάω est un terme technique désignat l’étude de la Bible dans l’AT (Esd 7,10; Es 34,16) et le judaïsme (1 QS 5,11; 6,6)“. Gegen W ESSEL, Verteidigungsrede, 199: „Die Aufforderung zum Nachforschen lässt sich dann ohne Schwierigkeiten auf eine Erkundung des gegenwärtigen Umstands beziehen, dass aus 172
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IV. Johannes 7
gend kein Prophet kommen kann. Die Lesart ohne bestimmten Artikel „ein Prophet“, die vorgezogen werden sollte, ermöglicht eine allgemeine Disqualifizierung von Galiläa. Sowohl Jesus als auch das Volk, welches das Gesetz nicht kennt, können unschwer mit dieser Gegend in Verbindung gebracht werden, die einen schlechten Ruf hat (vgl. Jes 8,23; Mt 4,15; Joh 7,41, vgl. auch die Vorurteile von Nathanael gegen Nazareth in Joh 177 1,46). Der Leser aber bezieht natürlich die Worte auch auf Jesus, dessen galiläische Herkunft bereits problematisiert wurde (vgl. V. 41–42), so dass er hinter dem Wort Prophet vielleicht auch an den Propheten, eine escha178 tologische Heilsfigur, denkt. 1.4 Die „Ἰουδαῖοι“ in Joh 7 Für eine genau Auslegung von Joh 7 ist es hilfreich, die Erzählfunktion und die Eigenschaften der „Ἰουδαῖοι“ näher zu bestimmen und die Frage, inwiefern die historischen Ereignisse (sei es in der Geschichte der joh Gemeinde oder der Gegenwart der Adressaten) einen möglichen Einfluss auf ihre Darstellung haben, zu klären. Solche Fragen sind für die Interpretation der Perikope von grossem Belang, denn die Juden bilden in Joh 7 eine wichtige Gruppe (vgl. V.2.11.13.15.35), deren unscharfe Abgrenzung von den Pharisäern und Hohepriestern einerseits und vom Volk andererseits Interpretationsschwierigkeiten verursacht. „Die Aussagen des vierten Evangeliums über ‚die Juden‘ sind in der neueren Exegese in den Brennpunkt der Diskussion gerückt. Angesichts der Schrecken der Geschichte und der aufgrund der ‚Shoah‘ neu erweckten Sensibilität für die möglichen Hintergründe des christlichen Antijudaismus stehen dabei vor allem ethische Fragen im Hintergrund: Ist der Antijudaismus nicht nur ein Phänomen der Wirkungsgeschichte des Johannesevange179 liums, sondern bereits zumindest als Potential in dem Werk selbst angelegt?“
Obwohl ein solches ethisches Anliegen legitim ist, kann es doch auch die exegetische Arbeit erschweren, denn das Interesse, eine „antijüdische Fortwirkung des Textes durch eine sachgemäße Erklärung auszuschliessen,
dem ‚Galiläa der Heiden‘ niemand mit prophetischer (d.h. göttlicher) Autorität zu sprechen in der Lage ist, auch ein Nikodemus nicht“. 177 Die in literarischen Texten stereotype Abwertung Galiläas ermöglicht keine Rückschlüsse auf die historischen Begebenheiten in dieser Gegend. Die in der älteren Forschung postulierte Opposition zwischen Galiläa und Judaä wird zunehmend kritisch reflektiert und nuanciert, vgl. D EINES, Galiläa, 271–320. Zur Geschichte Galiläas vgl. Z ANGENBERG, Jesus, 7–38. 178 Die Aufforderung der Pharisäer „forsche nach“ richtet sich nicht nur an Nikodemus, sondern auch an die Leser, die dadurch dazu aufgefordert werden, die unterbrochene Reflexion über die Herkunft des Messias (V.42) und die nur angedeuteten Schriftargumente selber zu überdenken. Vgl. den Teil IV.1.6. und den Teil IV.3.3.2.2. 179 FREY, Juden, 339.
1. Textanalyse
181 180
ohne seine theologische Autorität im Ganzen zu gefährden“ , kann dann die Ergebnisse entscheidend mitbestimmen. Der hier gewählte Zugang unterscheidet sich von anderen Untersuchungen darin, dass er nicht auf eine Bewertung der im JohEv den Juden zugeteilte Rolle abzielt, wodurch die Frage, ob das Evangelium antijüdisch ist oder nicht, in den Hintergrund rückt. Die Aufmerksamkeit liegt vielmehr auf der narrativen Funktion der Figurengruppe „Juden“, um eine solide Grundlage vorzubereiten, auf der ich aufbauen kann, wenn ich untersuche, wie jene Figuren oder Figurengruppe die Schrift anwendet und welche Implikationen dies für die Schrifttheologie des JohEv hat. Die nähere Bestimmung der Figurengruppe der Juden ist auch mit methodischen Problemen behaftet, denn einerseits wird durch ihre Benennung als „Ἰουδαῖοι“ auf eine historische Gruppe, mit der die joh Gemeinde im Konflikt stand, verwiesen, so dass die Erzählfiguren durch den Bezug auf die den Lesern bekannten historischen Gegebenheiten qualifiziert werden. Andererseits sind „die Juden“ eine fiktionale Figurengruppe, die innerhalb der Erzählwelt eine bestimmte Funktion übernimmt. Ihre Worte und Handlungen sind keine Abbildung der Realität, sondern Teil einer Fiktion, die in der Art und Weise, wie sie erzählt wird, die Absicht des Autors widerspiegelt. Um mich der Antwort auf die Frage, wer die Ἰουδαῖοι sind, anzunähern, konzentriere ich mich primär auf die narrative Funktion der „Juden“ im Vergleich zu den anderen Figurengruppen (das Volk und die jüdischen Autoritäten). Joh 7 steht natürlich im Mittelpunkt der Untersuchung, obwohl hie und da weitere Kapitel des JohEv berücksichtigt werden, da eine Antwort auf die Frage, wer die Ἰουδαῖοι sind und welche Rolle sie in der Erzählung übernehmen, nur unter Einbeziehung weiterer Perikopen möglich ist. Aufgrund der Fokussierung auf das Kapitel 7 lassen sich die hier dargestellten Ergebnisse nur schwer verallgemeinern und können nur mit Vorsicht auf das ganze JohEv ausgedehnt werden. Kurz wird darauf eingegangen, welche historischen Hintergründe eine solche Darstellung mitbeeinflusst haben könnten. 1.4.1 Die Juden in der Erzählwelt von Joh 7 1.4.1.1 Vorbemerkungen: Die Juden in den vorangegangenen Kapiteln Obwohl das Schwergewicht der Untersuchung auf dem Kapitel 7 liegt, ist es notwendig, einige Beobachtungen über die Ἰουδαῖοι in den vorherigen Kapiteln des JohEv anzustellen, da der Rezipient Joh 7 nicht unvoreingenommen liest, sondern sich in seiner Interpretation durch die bisherige Narratio beeinflussen lässt. Zuerst sind fast alle auftretenden Figuren des JohEv Juden, einzig die Samaritanerin gehört zu einer anderen religiösen 180
FREY, Juden, 349.
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IV. Johannes 7
Gruppierung und „Pilatus ist der einzige Heide mit dem Jesus nach Johan181 nes überhaupt redet.“ Obschon es nicht immer explizit erwähnt wird, ist das Judesein der Protagonisten somit selbstverständlich. Dies gilt auch für Jesus, der sogar als Jude angeredet wird (vgl. 4,9). Das teilweise sogar stillschweigend vorausgesetzte Judesein der Figuren ist sicherlich von grosser Bedeutung für die Frage des allgemeinen Judenbildes des JohEv, hilft aber auf der Suche nach einer Charakterisierung der Ἰουδαῖοι als Figurengruppe der Erzählwelt nur sehr beschränkt weiter. Das Gleiche gilt für die neutrale Bezeichnung von Gebräuchen (vgl, 2,6; 4,9; 19,40.41) und Festen als „von den Juden“, vgl. 2,13; 5,1; 6,4; 11,55. Weiter ist daran zu erinnern, dass die Juden in Joh 4 als handelnde Figuren nicht präsent sind, auch wenn die Bedeutung des Verses 22 für das joh Verständnis der „Juden“ wichtig ist. Von daher ergibt es sich, dass die Ἰουδαῖοι, wenn sie als Figurengruppe handeln und sprechen, als die Opponenten Jesu auftreten, vgl. 2,18.20; 5,10.15–16.18; 6,41.52. Auch in den Kapiteln nach Joh 7 findet die Auseinandersetzung mit den Juden und ihre Schilderung als Feinde Jesu eine Fortsetzung: 8,30.31.44.48.52.57; 9,18.22; 10,31.33; 11,8.54; 18,36; 19,7.14.38b; 20,19 (auch wenn an einzelnen Stellen ausnahmsweise auch positive Wertungen der Juden begegnen: 8,30; 11,45; 12,11). Der Konflikt zwischen Jesus und den Juden ist aber am intensivsten in den Kapiteln 5–11, wozu auch Joh 7 zählt, und im Passionsbericht. Die Ἰουδαῖοι haben also eine narrative bzw. dramatische Funktion: „Während der Evangelist mit Kap. 1–4 in die Erzählwelt einführt und die wesentlichen Handlungsträger vorstellt, eskaliert der Konflikt mit den Ἰουδαῖοι in Kap. 5–11, um dann im Todesbeschluss (Joh 11,45–53) seinen Höhepunkt und in der Passionsgeschichte sein Ziel zu erreichen.“182 1.4.1.2 Unscharfe Abgrenzung der Ἰουδαῖοι von anderen Gruppen in Joh 7 Ausser Jesus und Nikodemus treten in Joh 7 keine Einzelfiguren auf, sondern nur Gruppen: die Brüder Jesu, die Juden, die Volksmenge usw. Die Beschreibung dieser Gruppen wird dadurch erschwert, dass sie in sich nicht homogen sind. Im Volk gibt es Spaltungen und auch unter den Mitgliedern des Hohen Rats herrscht kein Konsens, wie die Worte des Nikodemus zeigen. Eine weitere Schwierigkeit kommt hinzu: Die verschiedenen Gruppen lassen sich einander nur schwer zuordnen. Insbesondere die Ἰουδαῖοι sind kaum präzise zu fassen: Handelt es sich dabei um einen Teil, oder sogar um die ganze Volksmenge, so dass beide Benennungen fast synonym sind? Oder sind mit dem Begriff Ἰουδαῖοι die jüdischen Autoritäten gemeint, so dass Ἰουδαῖοι quasi die gleiche Entität 181 182
FREY, Heiden, 230. SCHNELLE, 182.
1. Textanalyse
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bezeichnet wie οἱ Φαρισαῖοι καὶ οἱ ἀρχιερεῖς? Oder handelt es sich um eine dritte Gruppe, die sich von den beiden anderen unterscheiden lässt? Das Verhältnis zwischen den „Juden“ und dem „Volk“ ist nicht einfach zu bestimmen.183 Einerseits zeigt das Schweigen des Volkes aus Angst vor den Juden, dass die zwei Gruppen nicht identisch sind. Gleichwohl ist die Behauptung eines klaren Unterschieds kaum aufrechtzuerhalten, denn auf Worte, die an die Juden adressiert sind (V.15–19; vgl. den Bezug auf ihre Bewunderung und die direkte Anrede „euch hat Mose das Gesetz gegeben“), antwortet die ὄχλος (V.20), und umgekehrt reagieren, als Jesus zur Volksmenge spricht (V.33–34)184, die Juden darauf. Beide Gruppen bilden Gesprächspartner Jesu und scheinen in dieser Hinsicht fast austauschbar zu sein. Dazu sind in einigen Sätzen die Subjekte (dritte Person Plural) schwer zu bestimmen. Man kann nicht mit Klarheit entscheiden, ob die Juden oder das Volk gemeint sind. Es handelt sich ganz einfach unspezifisch um die Zuhörer Jesu. Aufgrund ihres Versuchs, Jesus zu töten (V.1.25), und der Angst, die sie dem Volk einflössen (V.13), werden von verschiedenen Autoren die Ἰουδαῖοι mit den jüdischen Autoritäten gleichgesetzt.185 Nicht alle Angehörigen der jüdischen Religion werden mit dem Begriff Ἰουδαῖοι bezeichnet, sondern nur die Machthaber, die ἀρχιερεῖς und die Φαρισαῖοι, die ἄρχοντες.186 Die Gleichsetzung der Ἰουδαῖοι mit den jüdischen Autoritä183
Zur möglichen Identifikation des Volkes mit den Ἰουδαῖοι vgl. D EVILLERS, Fête, 162–166. Für ihn kann aber der Begriff „Ἰουδαῖοι“ nicht das Gesamtvolk bezeichnen, ohne dass der Vorwurf des Antijudaismus laut wird, was er unbedingt vermeiden will. Dies ist ein Beispiel, wie quasi ideologische Vorstellungen eine Argumentation schwächen können. In gewissen Teilen seiner Argumentation scheint auch die nötige Unterscheidung zwischen narrativen Figuren und historischen Gruppen kaum vorhanden. 184 Die Adressaten der Worte Jesu in V.33–34 sind wahrscheinlich die gleichen wie in V.28–29. 185 Eine solche Interpretation wird in verschiedenen Kommentaren vertreten: vgl. u.a. T HEOBALD, 513: „Juden als einschüchternden Behörde“; SCHNACKENBURG II, 199: Mit „den Juden“ sind wahrscheinlich „die einflussreichen, führenden Kreise“ gemeint; B ROWN I, 307: „‚the Jews‘ are the Jerusalem authorities“. Diese These wird auch von D EVILLERS (Fête, 238) entfaltet, der zwar betont, dass sich die Ἰουδαῖοι im JohEv nicht „de façon univoque“ verstehen lassen, der aber dennoch auch eine vorherrschende Bedeutung dieser Bezeichnung herausstellt: Mit den Ἰουδαῖοι sind meistens „les représentants officiels du judaïsme dominant“ gemeint (239). Er zieht z.B. für die Belege des Kapitels 7 eine solche Interpretation vor. POPLUTZ (Pharisäer, 27) bemerkt zu Recht: „In der Tat ist es sehr schwierig, die ‚Juden‘ von den Pharisäern klar abzugrenzen: In zahlreichen Passagen sind beide Grössen Synonyme: [vgl. 1,19–21; 8,13–21; 9,13–41; 11,45– 47]. […] Allerdings ist das nicht durchgängig der Fall. Eine Stelle wie Joh 11,45–47 etwa zeigt, dass beide Gruppen auch getrennt wahrgenommen werden sollen.“ 186 Eine solche Interpretation wird besonders durch die Schilderung der Juden in Kapitel 9 unterstützt. Dazu vgl. M ARTYN (History, 24–36), der vermutet, dass sich in dieser Darstellung der Juden in der Erzählwelt die historische Gemeindesituation widerspiegelt.
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IV. Johannes 7
ten ist jedoch nicht unproblematisch. Während die Pharisäer immer im Hintergrund bleiben und nie direkt mit Jesus Kontakt haben, sind die Juden häufig am Gespräch mit Jesus (auch wenn sie ihn in Joh 7 nicht direkt ansprechen) beteiligt. Trotz dieses Unterschiedes bilden beide Figurengruppen eine feindliche Front gegen Jesus und rücken deswegen sehr nahe zusammen. Die Juden können teilweise mit dem Volk und teilweise mit den jüdischen Behörden identifiziert werden,187 dennoch bilden sie eine Gruppe für sich. Obwohl die unterschiedlichen Gruppen nicht austauschbar sind, sind die Grenzen zwischen ihnen fliessend und lassen sich nicht genau ziehen. Die unscharfe Trennung ist aber lehrreich. Sie macht darauf aufmerksam, dass jedes pauschale Urteil (bzw. jede Verurteilung einer Gruppe) unmöglich ist und verbietet zugleich jede Verallgemeinerung, denn mehrmals werden innerhalb einer Gruppe Meinungsverschiedenheiten festgestellt (vgl. die Spaltungen im Volk oder im Hohen Rat aufgrund der Wortmeldung des Nikodemus, der sich als Pharisäer mit Vorsicht für Jesus einsetzt). Die scheinbare Inkohärenz in der Abfolge der Dialoge (wenn z.B. gar nicht angesprochene Personen auf eine Frage antworten) und die kaum fassbaren Überzeugungen und Meinungen einer Gruppe sind dennoch nicht Missgriffe des Autors, sondern machen darauf aufmerksam, dass die Reaktion der Zuhörer sich nicht durch ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe vorherbestimmen lässt. 1.4.1.3 Nähere Bestimmung der drei Gruppen Die Juden sind in Joh 7 eine Entität für sich, die sich trotz grosser Nähe zum Volk und zu den jüdischen Autoritäten und der unscharfen Grenze zwischen ihnen, von diesen unterscheiden, denn sie übernehmen in der Perikope eine eigene Funktion. Es stellt sich aber die Frage, wie sich diese drei Gruppen näher charakterisieren lassen. Die Volksmenge ist durch ihre Gespaltenheit gekennzeichnet. Sie tritt fast nie als geschlossene Gruppe auf188, vielmehr werden immer Stimmen aus der Menge gehört (vgl. V.12: οἱ µὲν … ἄλλοι δέ; V.25: τινες ἐκ τῶν Ἱεροσολυµιτῶν; V.31: Ἐκ τοῦ ὄχλου δὲ πολλοί; V.40: Ἐκ τοῦ ὄχλου; V.41: ἄλλοι... οἱ δέ). Die explizite Feststellung einer Spaltung (V.43) kommt also nicht überraschend. Darüber hinaus wird das Volk von ande187
Die unscharfe Grenze zwischen Juden, Volk und Pharisäern lässt sich an anderen Stellen des JohEv gut beobachten (vgl. Kap. 6, 11, 12). S CHNEIDER (Komposition, 111– 112) macht eine ähnliche Beobachtung: An verschiedenen „Stellen des Evangeliums [ist es] kein wesentlicher Unterschied zwischen den ‚Juden‘ und dem ,Volk‘, obwohl der Ausdruck οἱ Ἰουδαῖοι im JohEv nicht eindeutig ist und sehr oft die geistliche Behörde, das Synedrium, bezeichnet.“ Vgl. auch W ENGST, Gemeinde, 68. 188 Nur in V.20 spricht das Volk als geschlossene Einheit zu Jesus.
1. Textanalyse
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ren Figuren als leicht beeinflussbare Masse wahrgenommen, die sich von Jesus verführen lässt, was die Pharisäer und andere Menschen aus dem Volk beunruhigt (vgl. V.12.32.49). Die Pharisäer sind nicht wirklich an den Ereignissen beteiligt189, sie nehmen vielmehr eine Beobachter- und Richterrolle ein und bleiben im Hintergrund des Geschehens. Wenn sie sprechen, dann fällen sie ein Urteil über eine andere Gruppe (über die Diener [V.47]; über das Volk [V.48]; über Nikodemus [V.52]) und zeigen so, dass sie über Macht verfügen und sich ihrer Stellung bewusst sind. Die Frage der Identität Jesu scheint für sie nicht diskussionswürdig und sie greifen erst ein, als ihre Stellung durch seinen Erfolg bedroht wird (V.32). Sie handeln jedoch auch dann nur indirekt, indem sie Diener entsenden, um das Problem zu lösen. „Zwei Punkte lassen sich für die Charakterisierung daraus ableiten: Zum einen verfügen die Pharisäer über genügend persönlichen oder institutionellen Einfluss, um Hilfskräfte zu beauftragen […]. Zum anderen wird genau in diesem Vorgehen ihre Distanznahme zu Jesus sichtbar: Indem die Pharisäer Gesandtschaften oder Diener schicken, wahren sie genügend Abstand und müssen sich nicht selbst mit Jesus konfrontieren oder gegebenenfalls von ihm hinterfragen lassen.“190 Die Juden bilden eine Jesus entgegenstehende, feindliche Gruppe191, deren böse Absicht von Beginn an verdeutlicht wird: Sie versuchen, Jesus zu töten (V.1.[11]). Anders als die Pharisäer nehmen sie direkt am Verhalten Jesu und an seinen Worten Anstoss. Sie „wundern“ sich darüber, dass er im Tempel spricht (V.15) und „zürnen“, weil er einen Gelähmten am Sabbat geheilt hat (V.22). Auch seine Rede missverstehen sie (V.35–36). In ihrer Reaktion werden ihr Unverständnis und ihre Ablehnung Jesus gegenüber sichtbar, die in ihrer religiösen Einstellung wurzeln. Sie bilden eine einflussreiche Gruppe, so dass sich das Volk vor ihnen fürchtet (V.13). Dennoch werden mögliche Sanktionen gegen diejenigen, die in der Öffentlichkeit für Jesus eintreten, nicht geschildert. In Anlehnung an Joh 9,22; 189
Dies entspricht ihrem sonstigen Verhalten: Sie senden ihre Diener, um Johannes den Täufer zu befragen (1,24); sie bilden eine Bedrohung im Hintergrund, wenn Jesu erste Erfolge deutlich werden (4,1); sie senden Diener zu Jesus (7,32); sie diskutieren untereinander, ohne dass Jesus zu ihren Worten Stellung nimmt (7,45–48; 11,46–47; 12,19); sie geben den Befehl, dass, wenn jemand wisse, wo er sei, er ihn anzeigen solle, damit sie ihn ergreifen können (11,57). In narrativen Teilen werden sie manchmal erwähnt, dennoch sind sie an keinem Dialog beteiligt (12,42; 18,3). Ausnahmen bilden einzig ihr Dialog mit Jesus in 8,12–20 (in diesem Sinn hat die Aufforderung Nikodemus’, Jesus zuzuhören, vielleicht ihre Wirkung gehabt) und das Kapitel 9, in dem sie eine zentrale Rolle spielen (und besonders auch mit Jesus sprechen [V.39–41]). 190 POPLUTZ, Pharisäer, 29. 191 Ein einziges Mal wird der Begriff neutral gebraucht: ἡ ἑορτὴ τῶν Ἰουδαίων ἡ σκηνοπηγία.
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IV. Johannes 7
12,42 kann man aber wohl an den Ausschluss aus der Synagoge denken. Dabei sollte man sich nicht primär eine offizielle „Exkommunikation“ vor192 stellen , sondern vielmehr an eine allgemeine soziale Ausgrenzung, die das „Volk“ fürchtet, denn wer sich der Position der Juden entgegenstellt, gehört nicht mehr zur religiösen Gemeinschaft dazu und steht in Gefahr, die soziale Anerkennung zu verlieren; seine gesellschaftliche Stellung ist 193 bedroht . 1.4.2 Der historische Hintergrund Die Juden im JohEv sind eine literarische Figurengruppe, die einerseits durch die Erzähllogik und ihre Funktion innerhalb der Erzählwelt bestimmt ist, die aber andererseits auch durch historische Ereignisse (aus verschiedenen Zeithorizonten) geprägt wurde: In der joh Darstellung der Juden „verschmelzen die Horizonte der Gegenwart der Adressaten, der Geschichte der Schule und – natürlich – der erzählten Geschichte Jesu von Nazareth zu einer Einheit, die sich nicht mehr säuberlich auseinanderlegen lässt.“194 Während die Funktion der Juden in der Erzählwelt oben angesprochen wurde, will ich im Folgenden mit Vorsicht auf den möglichen historischen Hintergrund eingehen, welcher das Bild der „Juden“ im JohEv mitgeprägt hat. Zwar beeinflussen die historischen Gegebenheiten die Schilderung der Juden im JohEv, dennoch bildet der Text keinen genauen Spiegel der historischen Umstände195, in denen er entstanden ist. Das Verhältnis zwischen der Erzählung und dem historischen Kontext seiner Redaktion ist komplexer. Diese Schwierigkeit wird präzise von Zumstein beschrieben: „Eine Erzählung distanziert sich immer von der Wirklichkeit, sie gestaltet eine spezifische Welt – die Welt des Textes, welche sich nicht zu unmittelbaren historischen Folgerungen eignet.“196 Deswegen halte ich es für unwahrscheinlich, dass die Geschichte der joh Gemeinde sich genau rekonstruieren lässt.197 Sicherlich haben die joh Gemeinden ein konfliktvolles Ver192
Gegen D EVILLERS, Fête, 157: „Pour notre part, nous devinons derrière le néologisme ἀποσυνάγωγος une mesure concrète prise par des autrorités juives à l’encontre de dissidents.“ 193 In diesem Sinn werden die Juden zum Symbol der Welt und ihrer Massstäbe. So urteilt in diesem Fall B ULTMANN, 222: „die Furcht vor den ‚Juden‘, d.h. vor den autoritativen Stimmen der Welt.“ 194 FREY, Juden, 376. 195 Vgl. SCHNELLE, 182. Aus diesem Grund sollte auch die These von M ARTYN (History, 90–121) relativiert werden. Einem einfachen mirror-reading gegenüber zeigt sich auch FREY (Juden, 353–365) sehr zurückhaltend. 196 Z UMSTEIN, Geschichte, 418. 197 Bei geschichtlichen Rekonstruktionshypothesen über den Trennungsprozess der joh Gemeinde von der Synagoge ist der Zusammenhang mit der Einführung der Birkat ha
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hältnis zur lokalen Synagoge, von der sie einerseits abstammen, von der sie sich andererseits aber auch distanzieren wollen. Die joh Schilderung der Juden deutet darauf hin, dass diese Situation für die joh Gemeinde als schmerzhaft empfunden wurde und dass die religiöse Trennung Verunsicherungen auslöste, die in einen (narrativ gestalteten) Reflexionsprozess mündeten. Wie der höchstwahrscheinlich gegenseitige Abgrenzungsprozess ablief und inwiefern er schon zur Vergangenheit der Gemeinde gehörte oder ihre Gegenwart mitprägte, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Allenfalls lassen sich einzelne Textelemente identifizieren, die von der Geschichte der joh Gemeinde, besonders durch ihre Trennung von der Synagoge, mitgeprägt sind. In Joh 7 lassen sich mindestens vier derartige Erzählzüge finden: 1. Die (künstliche) Unterscheidung zwischen „Volk“ und „Juden“ entspricht natürlich nicht der tatsächlichen Situation zur Zeit Jesu. Die Pilger und die Volksmenge, die sich zum Laubhüttenfest in Jerusalem einfanden, waren natürlich mehrheitlich Juden. Die Schilderung zweier getrennter Gruppen – des Volkes als unentschlossene, diffuse Masse auf der einen und der Juden als explizite Feinde auf der anderen Seite – ist eindeutig polemisch und entspringt der historischen Konfliktsituation der joh Gemeinde mit der Synagoge. 2. In V.13 werden die Angst des Volkes und sein damit verbundenes Schweigen beschrieben. „Wahrscheinlich sollte das vom Evangelisten gezeichnete Bild die eigene Leserschaft auf ihrem Weg abseits der Synagoge stärken, der gewiss Bekennermut erforderte.“198 Denn wer sich öffentlich zu Jesus bekannte, positionierte sich ausserhalb der Synagoge, was sicher nicht ohne Folgen blieb.199 Der Leser kann sich mit dem bedrohten Volk identifizieren und wird dadurch implizit dazu aufgefordert, Mut zu fassen und das Schweigen zu brechen. Die Darstellung ist also keine Abbildung der Wirklichkeit (weder der Zeit Jesu, noch der Gegenwart der Adressaten), sondern soll eine bestimmte Wirkung beim Leser erzielen, nämlich ihn dazu ermutigen, sich offen zum christlichen Glauben zu bekennen, auch wenn er deswegen unter Druck gerät. 3. Die Allianz der Pharisäer mit den Hohepriestern ist ungewöhnlich, begegnet im JohEv jedoch fünfmal und lässt sich nur aus der Situation zur Minim in das Achtzehngebet heftig diskutiert worden. Die neueren Untersuchungen zeigen sich eher kritisch bzw. vorsichtig z.B. FREY, Juden, 353–365; D EVILLERS, Fête, 135– 160; N ICKLAS, Ablösung, 49–55. 198 T HEOBALD, 514. 199 Hier ist aber Vorsicht geboten. Zwar kann man an den Ausschluss aus der Synagoge denken, dennoch ist unklar, ob es sich um eine konkrete Massnahme der jüdischen Autorität gegen die joh Christen oder vielmehr um eine gesellschaftliche/soziale Ausgrenzung handelt. Es ist auch zu fragen, inwiefern die Schilderung des JohEv in diesem Punkt die Realität seiner Gemeinde eins zu eins widerspiegelt.
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Abfassungszeit des Evangeliums erklären. Während die Pharisäer, die nach der Katastrophe von 70 vorherrschende Partei, erwähnt werden, weil sie eine wichtige Rolle bei der Auseinandersetzung mit der joh Gemeinde spielten, werden die Hohepriester entweder aufgrund ihrer vorherrschenden Rolle (vielleicht in Anlehnung an frühere Traditionen) in den Passionsszenen201 oder wegen ihrer wichtigen Funktion im Tempel zur Zeit Jesu202 angeführt. So erörtert Léon-Dufour: „Avant 70, les responsables de l’ordre dans le Temple étaient les grands prêtres. On comprend que les pharisiens, pour arrêter Jésus aient recours à eux. Mais c’est au prix d’un anachronisme que Jn associe les deux partis, traditionnellement opposés entre eux.“203 4. Die verschiedenen Aussagen über die Identität Jesu (er verführt das Volk, er ist der/ein Prophet, er ist der Messias) geben nicht die Gespräche seiner Zeitgenossen wieder, sondern entsprechen den Streitpunkten, ob derer sich die Meinungen der joh Christen und ihrer Opponenten schieden.204 Die christologischen Debatten und die in der Auseinandersetzung mit der Synagoge vorgetragenen Argumente werden literarisch ausgestaltet und in eine Szene eingebettet, die zu Lebzeiten Jesu spielt. Spätere Konflikte werden somit nachträglich in die vita Jesu hineinprojiziert. 1.5 Die durchbrochene Dialogstruktur Die beobachtete Zerstückelung der Perikope in sehr kleine Szenen macht auf stilistische, sprachliche und inhaltliche Besonderheiten in Joh 7 aufmerksam und ist somit für die Interpretation von Joh 7 lehrreich. In Joh 7 begegnet uns zwar einen hohe Zahl von direkten Redestücken, jedoch fällt es auf, dass wir es nicht wirklich mit einem Dialog (oder mehreren) zu tun haben205. Vielmehr ist der Text eine Zusammensetzung zahlreicher Wort200
Vgl. W ENGST I, 287. So W ENGST I, 287. 202 So SCHNACKENBURG II, 207, der in diesem Punkt die Kenntnis des Autors hervorhebt. Ganz anders B ECKER I, 269, der urteilt: „die ungewöhnliche Ausdrucksweise deutet auf Unkenntnis und Distanz“. 203 L ÉON-D UFOUR, 229. 204 Vgl. O’D AY, 620: „The Johannine discussion of Jesus as Messiah is thus another example of the way in which the Fourth Gospel simultaneously addresses two historical periods. It presents the messianic debate as occurring among Jesus’ contemporaries but shades the debate to reflect the messianic controversies in the Evangelist’s own time periode“. Vgl. auch T HEOBALD, 513; B ECKER I, 267. 205 M OBERLY (How, 241–242) beschreibt dieses Paradox wie folgt: „The passage is of course striking in the way in which the dialogue between Jesus and others both is and is not a dialogue. It is a dialogue in the obvious sense that that is how John presents the material. It is not a dialogue in the sense that the interlocutors are hardly talking to each other.“ 201
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meldungen, die zwar aneinander anknüpfen, aber nicht aus Rede und Gegenrede bestehen, denn die Gesprächspartner sprechen oft gar nicht zuei206 nander. Es besteht kein echter Dialog. Gerade wegen dieser Besonderheit empfiehlt es sich, genau zu untersuchen, wer zu wem, wie und über wen spricht. Dabei können wir zwei Hauptgruppen von Worten unterscheiden: die Gespräche über Jesus und die Rede Jesu. 1.5.1 Gespräche über Jesus
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Sowohl die Juden, die Pharisäer und Nikodemus als auch das Volk sprechen nicht mit sondern über Jesus. Fast alle ihre Äusserungen (V.11– 12.15.25–26.31.35–36.40–42,51–52)208 sind in der dritten Person Singular formuliert und bilden damit ein Nebeneinander von verschiedenen Meinungen über Jesus, die oft seine Identität als Christus aufgrund der Entsprechungen (oder Diskrepanzen) mit ihren Messiaserwartungen bestätigen (oder in Zweifel ziehen). Es entsteht aber kein echter Dialog zwischen den unterschiedlichen Positionen, geschweige denn ein Gespräch mit Jesus. Der Eindruck einer misslungenen Kommunikation wird durch den häufigen Gebrauch von rhetorischen Fragen, die als solche dank der Verwendung von Negationen gekennzeichnet werden, verstärkt. Die hohe Zahl von Fragen mit οὐκ/οὐχ (V.25.42.45), wenn eine bejahende, und mit µή (V.26 [mit µήποτε] 31.41.47.48.52), wenn eine verneinende Antwort erwartet wird,209 ist auffallend. Bei solchen Fragen erwartet der Redner keine (informative) Antwort, sondern es geht ihm dabei um die verstärkende Wirkung seiner Aussage. „Die rhetorischen Fragen haben die Funktion, den Angeredeten zur Anerkennung einer Tatsache […] zu bewegen“210. Der Zuhörer wird nicht zu weiterer inhaltlicher Auskunft aufgefordert, sondern soll das Offensichtliche annehmen.211 Solche Fragen führen zu 206
Vgl. R OCHAIS, Construction, 360: „Il n’y a pas […] véritablement de dialogues. Il y a juxtaposition de déclarations solennelles de Jésus et d’apartés de certains habitants de Jérusalem, de la foule et des Juifs.“ 207 Jesus ist das Hauptdiskussionsthema, dennnoch wird auch über den Glauben anderer Figuren spekuliert (vgl. der Vorwurf des Volksverführers [V.12.47.49] und die Mutmassung über das Verhalten der ἄρχοντες [V.25–27]). 208 Es gibt nur zwei Ausnahmen: V.19 (der Angeredete ist Jesus) und V.52 (der Angeredete ist Nikodemus). 209 Vgl. DBR § 427. 210 M EIBAUER, Fragen, 3. 211 Vgl. B ECHMANN, Fragen, 29: „Eine rhetorische Frage ist eine in die Form der Frage gekleidete Behauptung, die auf Zustimmung des Hörers ausgelegt ist.“ Vgl. auch FERNANDEZ-B RAVO, Funktion, 411: „Der Fragende will die Antwort der Hörer nicht haben, er hat sie bereits und will sie beim Hörer durch das Fragen evozieren, rhetorische Fragen sind also Fragen ohne Antworterwartung, weil der Fragende meint, die Antwort sei so evident, dass sie sich aus dem Fragen schon ergebe.“
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einem Dialogabbruch, da der Angeredete nichts zu antworten hat. Er kann entweder der in der Frage versteckten Aussage zustimmen oder sie ablehnen. Er wird vor eine Entscheidung gestellt, die eine Weiterführung der Diskussion unnötig macht. Bei den Wortmeldungen des Volkes, der Juden und der Pharisäer fällt auch auf, dass meistens weder die erste Person (ausser V.27 [wir wissen]) noch die zweite Person (ausser V.20.52) gebraucht wird, so dass niemand angeredet wird und niemand von sich selbst etwas Preis gibt. In grosser Anonymität werden verschiedene religiöse Überzeugungen mitgeteilt, die sich stark von Bekenntnissen unterscheiden, nicht primär aufgrund ihrer inhaltlichen Inkorrektheit, sondern aufgrund ihres unpersönlichen Charakters. Der Sprecher hält sich aus dem Spiel; er äussert scheinbare objektive Urteile, statt sich von einer persönlichen Begegnung mit Jesus berühren zu lassen. Deswegen bleiben die Worte Jesu für die Redenden ohne Bedeutung und werden in ihren Aussagen kaum berücksichtigt. Die verschiedenen Positionen (ausser in V.35–36) ignorieren die Offenbarungsworte Jesu und nehmen kaum Bezug auf seine Rede, obwohl sich Jesus direkt an die verschiedenen Adressaten (Volk, Juden, Pharisäer) wendet (vgl. die zweite Person). Somit fehlt die Voraussetzung für den Glauben: Es findet keine Begegnung statt. Eine weitere Besonderheit verdient unsere Aufmerksamkeit: Jesus wird im Mund von Figuren nie mit Namen erwähnt, sondern meistens mit einem Demonstrativpronomen bezeichnet (vgl. ἐκεῖνος [V.11], οὗτος [V.15.25.26.27.31.35.36.40]). Damit wird m.E. die Stimmung des Festes verdeutlicht212: Man braucht Jesus gar nicht namentlich zu erwähnen, denn jeder weiss, von wem man spricht: Jesus ist das Diskussionsthema. Andererseits wagt aus Angst vor den Juden niemand, offen über ihn zu sprechen (V.13). Nur mit Halbworten und Andeutungen traut man sich, über ihn zu reden; aus Vorsicht verschweigt man seinen Namen. 1.5.2 Rede Jesu Die Reden Jesu unterscheiden sich sehr stark von Worten anderer Figuren, denn er spricht hauptsächlich in der ersten und zweiten Person. Im Vordergrund steht nämlich die Enthüllung seiner Identität, die er selbst offenbart (Formulierung mit „ich“, „mein“ usw.), und die Aufforderung an seine Zuhörer (Anrede mit „ihr“, „euch“ usw.), ihn als Gesandten Gottes anzuerkennen. Um seine Botschaft zu verdeutlichen, arbeitet Jesus mit provokativer Opposition zwischen ihm und seinen Adressaten. So wird der Zeit 212
M.E. gibt es keinen Grund οὗτος (oder ἐκεῖνος) als verächtlich oder abwertend zu interpretieren, denn auch bei der positiven Aussage über Jesus (V.31) wird das Pronomen gebraucht. Gegen B ARRETT, der, je nach Stelle, eine negative Konnotation hineinliest; vgl. zu V.11, 322; zu V.15, 325; zu V.27, 329; vgl. auch B ROWN I, 307.
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Jesu diejenige seiner Brüder entgegengesetzt. Die Opposition zwischen ihnen wird durch die Schilderung ihrer Beziehung zur Welt noch verstärkt: Während Jesus gehasst wird, können seine Brüder nicht gehasst werden (V.6–7). In V.16–19 stehen sich verschiedene Gruppen (bzw. Jesus und seine Zuhörer) gegenüber. Derjenige, der den Willen Gottes tut, steht den Juden und den Leuten aus dem Volk, die dem Gesetz nicht Folge leisten, gegenüber; derjenige, der die Ehre Gottes sucht, den Menschen, die ihre eigene Ehre suchen. Weiter stellt er seine Heilungstat am Sabbat im Vergleich mit ihrer Beschneidung am Sabbat als wertvoller heraus (V.21–24). Während er seinen Vater kennt, wird ihnen die Gotteserkenntnis abgesprochen (V.28–29). Er thematisiert seinen Weggang und zugleich die Unmöglichkeit für sie, ihm zu folgen (V.33–34). Diese Gegenüberstellungen unterstreichen die polemische Ausrichtung der Worte Jesu, die zum Teil durch die konfliktreiche Situation bedingt sind. Die durchschimmernden Kritikpunkte sind aber nicht als Feststellungen zu verstehen, sondern als Mahnungen, welche die Zuhörer auffordern, ihre Haltung zu überdenken, ihre Positionen zu revidieren und ihr Handeln zu verbessern. Mit rhetorischen Fragen (vgl. V.19.23.28) deckt Jesus die Fehler seiner Zuhörer auf; mit Imperativ (vgl. V.24) und Gerichtswort (vgl. V.33–34) ruft er sie zu einem anderen Verhalten auf. Erst am letzten Tag des Festes (V.37–38) verzichtet Jesus auf den polemischen Ton und stellt in die Mitte seiner Offenbarungsworte das Heil, das mit seiner Person verbunden ist. Das Heilsangebot ist universal und gilt jedem, der Durst hat und zu ihm kommt, deswegen wendet er sich nicht mehr direkt an seine Zuhörer (keine Anrede in der zweiten Person). Die Worte Jesu (ausser V.37–38) zeigen nicht nur eine ähnliche Struktur (Gegenüberstellung Jesu und seiner Zuhörer), sondern auch eine grosse inhaltliche Geschlossenheit. Sie bilden eine Einheit, die darauf zielt, Jesus mitten im Konflikt mit den Juden als Gesandten Gottes zu legitimieren.213 In den verschiedenen Wortmeldungen Jesu wird die Argumentation sukzessive vertieft: Vor dem Fest kündigt Jesus den Konflikt an und weist darauf hin, dass die Zeit der endgültigen Konfrontation, die Zeit seiner Passion, noch nicht gekommen ist. Seine Sendung und die damit verbundene Botschaft stossen auf Widerstand und Hass (V.6–7). Bei der Entfaltung seines Weges als Gesandter erläutert Jesus zuerst, woher er kommt. Dabei hebt er hervor (V.16–24), dass er nicht in seinem eigenen Namen spricht und handelt, denn seine Werke und Worte entsprechen dem Willen desjenigen, den ihn gesandt hat. Er unterstreicht auch, dass diese Herkunft 213
Ausschliesslich in V.37–38 wird weder die Thematik der Sendung noch die Problematik des Konflikts explizit reflektiert. Inhaltlich kann der Leser jedoch eine Verbindung sehen: Jesus entfaltet das Ziel seines Weges als Gesandter: Sein Kommen bedeutet das Heil für alle, die zu ihm kommen.
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ihm ein besonderes Wissen verleiht: Nur er kennt denjenigen, der ihn gesandt hat, da er bei ihm war (V.28–29). Dann (V.33–34) thematisiert Jesus, wohin sein Weg ihn führen wird und deutet seinen bevorstehenden Tod als Rückkehr zu demjenigen, der ihn gesandt hat. Zugleich wird die Problematik der bis zu seiner Passion bleibenden Zeit (ἔτι µικρὸν χρόνον) wieder aufgegriffen, so dass eine Art Inklusion mit V.6–7 entsteht. Trotz dieser thematischen Einheitlichkeit bilden die Worte Jesu keine aufgebaute Rede, sondern sie bestehen aus kleinen Redestücken, die durch narrative Elemente und durch die Äusserungen der anderen Figuren voneinander getrennt sind. Jede Aussage Jesu ist in ihren Kotext gut einbezogen; deswegen vertiefen die Worte Jesu nicht nur seine vorherigen Aussagen, sondern sie nehmen darüber hinaus auf die Worte und Reaktionen der anderen Protagonisten Bezug. Dabei antwortet er ihnen, obwohl sie nicht zu ihm geredet haben (V.15; V.28–29), oder er thematisiert die Folgen ihrer Handlung. Diese direkte Anknüpfung an die Worte und Taten seiner Gegner unterstreicht die Allwissenheit und Souveränität Jesu. Obwohl das Volk und die Juden nur untereinander sprechen und obwohl er über den Plan der Pharisäer und Hohepriester nicht informiert sein kann, kennt Jesus ihre Worte und ihre Absicht und er kann darauf reagieren. Durch den kunstvollen Doppelanschluss (Vertiefung seiner bisherigen Worte und Antwort an die Behauptungen und Handlungen der anderen Figuren) können die Worte Jesu jeweils aus verschiedenen Perspektiven verstanden werden. Einerseits entfaltet sich sein Weg als Gesandter, andererseits antwortet er auf die Fragen und die Einwände der Juden und des Volkes: Er erläutert woher er die Schrift kennt (V.16–19). Er fragt zurück, ob sie seine Herkunft wirklich kennen und zieht damit ihre Wissensbehauptung in Zweifel (V.28–29). Er interpretiert nach der Sendung der Gerichtsdiener seine Festnahme (vgl. das Wortspiel mit Suchen und Finden) und seine Passion (V.33–34). 1.5.3 Schlussfolgerungen Der Text lässt sich schwer gliedern, da die Dialoge, die seine Struktur prägen, eine misslungene Kommunikation widerspiegeln. Dabei soll die Asymmetrie zwischen Jesus und den anderen Dialogteilnehmern betont werden. Während Jesus sich an seine Zuhörer wendet und ihre Einwände und Handlungen ernst nimmt (die er nicht direkt wahrnehmen kann, aber aufgrund seiner Allwissenheit doch kennt), sprechen die Juden und das Volk nur über ihn und nehmen kaum Bezug auf seine Worte, als ob sie sie nicht gehört hätten. Die Struktur, die sich aus den Dialogen ergibt, ist somit immer wieder durchbrochen. Auch die Wortwechsel unter den Juden, Pharisäern und Leuten aus dem Volk bilden keine gelungenen Gespräche. Hier entspricht wiederum die Form dem Inhalt: Jeder versucht seine Posi-
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tion (meistens anhand rhetorischer Fragen) durchzusetzen, so dass die verschiedenen Meinungen nebeneinander stehen, ohne wirklich diskutiert zu werden. 1.6 Aufforderung an die Leser Statt längeren thematischen oder argumentativen Entfaltungen begegnen in Joh 7 eher kurze Wortmeldungen, die keinen echten Dialog bilden. Mit dieser Form wird eine bestimmte Wirkung auf den Leser erzielt, die durch andere Stilmittel noch verstärkt wird. Die Schilderung der Ereignisse um das Laubhüttenfest löst beim Leser einen Reflexionsprozess aus214. Dabei fällt der Unterschied zu anderen Dialogen des JohEv auf: Statt den Leser (dank der Missverständnisse der Dialogpartner Jesu) Schritt für Schritt zu einem besseren Verständnis zu führen, wird der Rezipient hier zur Entscheidung aufgerufen. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich zwei Aspekte vertiefen: die Funktion von Fragen und Imperativen und das Spiel mit der Mehrdeutigkeit gewisser Aussagen. 1.6.1 Fragen und Imperative in den Dialogen In der Reflexion über die Dialogstruktur (vgl. IV.1.5) wurde schon auf die zahlreichen rhetorischen Fragen (drei im Mund Jesu und neun im Mund anderer Figuren) und ihre Funktion in der Erzählung (Verstärkung des Eindrucks eines Aneinander-Vorbeiredens) hingewiesen. Dennoch ist unsere Analyse bislang unzureichend, da die Wirkung auf die Leser noch unberücksichtigt blieb. Die rhetorischen Fragen, die in der Erzählwelt weder von den Zuhörern beantwortet werden noch zu einer Reaktion (Zustimmung oder Ablehnung) führen, stehen unkommentiert in der Luft. Da der Leser die Lücke der Erzählung füllt, sucht er Antworten für die gestellten Fragen, so dass der Leser an die Stelle der Figuren tritt, fast als ob diese Fragen an ihm adressiert wären. Treffend beschreibt Theobald dieses Phänomen für V.36: Die verständnislose Wiederholung der Rede Jesu, eingeleitet durch die Frage: „Was soll dieses Wort bedeuten, das er gesprochen hat?“, ist „eine Aufforderung an die Leser, über den tieferen Sinn des Wortes Jesu nachzudenken.“215 Genauso sind auch die Imperative V.24 und 52 nicht nur an die direkten Zuhörer der Erzählwelt adressiert. Zwar ruft Jesus die Juden zu einem ge214
M OBERLY (How, 242) stellt auch ein solches Phänomen fest, insbesondere für die V.16–17: „This suggests that, as so often is the case in John’s profound presentation of the mind of the master, Jesus is speaking not only to his interlocutors in his own context but also directly to the reader (or hearer) of the Gospel text.“ 215 T HEOBALD, 533. Nicht zufällig wird diese Frage in 16,16–19 wieder aufgegriffen und auch dort bleibt die Deutung der Worte Jesu dem Leser überlassen.
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rechten Urteil auf (V.24) und die Pharisäer verlangen von Nikodemus eine genaue Untersuchung der Schrift (V.52); dennoch sind beide Aufforderungen zugleich auch an die Leser gerichtet, die selber urteilen und nachforschen müssen.216 In beiden Fällen wird nicht erzählt, wie das gerechte Urteil aussieht und zu welchem Ergebnis Nikodemus gelangt, denn der Leser soll sich seine eigene Meinung bilden: Wie urteilt er? Was erkennt er, wenn er die Schrift untersucht? Der Text ist aussergewöhnlich offen. Somit stellen die Imperative (urteile!, forsche nach und siehe!) genau wie die rhetorischen Fragen den Leser vor eine eigene Entscheidung: Wer ist Jesus seines Erachtens? Was steht in der Schrift? Der Leser soll Stellung beziehen. 1.6.2 Spiel mit Sinnmehrdeutigkeit Eine Besonderheit von Joh 7 besteht darin, dass mehrere Sinne dank mehrdeutiger Ausdrücke gleichzeitig möglich sind, so dass verschiedene Deutungen in einem Satz kunstvoll und spielerisch nebeneinander stehen. Obschon der Leser meistens die nahe liegende Interpretation automatisch vorzieht, wird die Auslegung durch die anderen Möglichkeiten bereichert und vertieft. Insbesondere regt die Offenheit des Textes den Leser zum Nachdenken an. Hier möchte ich exemplarisch einige dieser mehrdeutigen Aussagen erläutern.217 1.6.2.1 „Wer den Willen Gottes tun will, erkennt ob...“ (V.17) Der V.17 ist für zwei Interpretationen offen, denn es heisst: „Wer den Willen Gottes tut, wird wissen, ob Jesu Lehre von Gott stammt oder ob ich von mir aus spreche“ und nicht „...wird wissen, dass Jesu Lehre von Gott stammt“. Durch πότερον … ἤ wird eine Alternative offen gehalten. Dazu kann der erste Satzteil „wer den Willen Gottes tun will“ verschieden interpretiert werden. Für Juden bedeutet er eindeutig: „Wer die Gebote und Verbote der Tora befolgt“; für die joh Christen hingegen wird er primär auf den Glauben an Jesus verweisen, der gerade dem Willen Gottes, wie er
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Diese Beobachtung soll besonders für das Schriftverständnis fruchtbar gemacht werden (mehr dazu bei IV.3.2.2.2), denn in V.52 (vgl. die Imperative) wird der Leser aufgefordert, dem Problem der irdischen Herkunft Jesu (Galiläa) und ihrer möglichen Inkompatibilität mit der Schrift selber nachzugehen und es zu lösen. Trotz möglicher Hinweise, wie eine solche Frage zu beantworten ist, fehlt im JohEv jedoch eine präzise Erläuterung. 217 In der bisherigen Untersuchung von Joh 7 wurden einige Doppeldeutigkeiten schon erwähnt: Vgl. die Auslegung von V.35, der ein grobes Missverständnis der Worte Jesu darstellt und zugleich auf die nachösterliche Mission in der Diaspora hinweist. Vgl. auch die Mehrdeutigkeit von ἀναβαίνω in V.10.
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in der Schrift kundgegeben wurde, entspricht. Das Tun des Willens Gottes und die Annahme der Lehre Jesu als von Gott stammende fallen in Eins, so dass der Satz quasi tautologisch wirkt: „Er liesse sich genauso gut umkehren: Wer Jesu Herkunft anerkennt, tut Gottes Willen!“219 Ironischerweise können aber die Juden, die sich dem Glauben verschliessen, die Worte Jesu in ihr Gegenteil verkehren: Wer den Willen Gottes tun will, also auf die Tora hört, wird wissen, dass die Lehre Jesu nicht von Gott stammt, weil er gegen das Gesetz handelt, denn er hat u.a. das Sabbatgebot gebrochen. Der Leser, der mit der Botschaft des JohEv vertraut ist, weiss genau, welche Interpretation intendiert ist. Jedoch werden dank der Mehrdeutigkeit in einer subtilen Weise verschiedene theologische Fragen verknüpft. Indem der „Wille Gottes“ als Kriterium für die Beurteilung der Herkunft der Lehre Jesu aufgestellt wird, stellt sich die Frage, wie θέληµα αὐτοῦ (= τοῦ Θεοῦ) ποιεῖν zu verstehen ist. Handelt es sich um die strenge Einhaltung der Toragebote oder um die Annahme des Gesandten Gottes, von dem die Schrift zeugt? Der Text formuliert keine explizite Antwort. Ob die Lehre Jesu von Gott stammt, soll jeder selbst beurteilen. Die Frage wird in der Erzählwelt an die Zuhörer (vgl. V.19) und auf der Kommunikationsebene des Evangeliums an die Leser gerichtet: Tun sie den Willen Gottes? In diesem Sinne liefern die Worte Jesu keine Argumente, sondern rufen zur Entscheidung auf. 1.6.2.2 Gnomische Formulierung (V.18) Die allgemeine Sentenz: „Wer aus sich selbst redet, sucht seine eigene Ehre; wer aber die Ehre dessen sucht, der ihn gesandt hat, der ist wahrhaftig, und keine Ungerechtigkeit ist in ihm.“, bezieht sich primär auf Jesus und dient der Entfaltung der für das JohEv typischen Sendungschristologie. Eine solche Interpretation ist jedoch einseitig, denn sie übersieht die Opposition, die aufgestellt wird: „In gnomischer Formulierung wird der, der auf die δόξα seines Auftraggebers aus ist, dem gegenübergestellt, dem es um seine eigene δόξα geht.“220 Dabei wird nicht nur die Sendung Jesu thematisiert, sondern auch das problematische Verhalten gewisser Menschen, die sich z.B. nicht öffentlich zu Jesus bekennen (V.13), denn sie lieben die
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Der Willen Gottes besteht einerseits im Glauben an Jesus, andererseits wird für Juden und Christen ein gewisser Toragehorsam impliziert. Bei der Auslegung von V.17 IV.1.3.3.2 wurde deutlich, dass beide Aspekte eng zusammen hängen. 219 T HEOBALD, 521. Anders als er möchte ich aber darauf aufmerksam machen, dass eine solche Interpretation nur für einen Teil der Zuhörer gilt, denn der Text ist für mehrere Sinnmöglichkeiten offen. 220 B ULTMANN, 207.
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Ehre bei den Menschen mehr als die Ehre bei Gott (Vgl. 12,42–43) . Somit kann der Text auf zwei Ebenen gelesen werden. Zum Einen handelt es sich um eine christologische Reflexion, welche die Beziehung Jesu zu Gott anhand des Motivs der Sendung entfaltet. Darin besteht natürlich das Hauptanliegen des Textes. Zum Anderen geht aus den Worten Jesu aber auch eine implizite Kritik an alle hervor, die genau wie seine Brüder (V.4) die öffentliche Anerkennung als oberstes Ziel setzen. Somit stellt sich die Alternative, ob man die eigene Ehre oder die Ehre Gottes sucht, jedem Menschen und auch dem Leser. Wiederum wird jener zur Entscheidung gerufen: Ist ihm die Ehre Gottes wichtiger als die eigene Ehre? Fürchtet er sich vor den menschlichen Meinungen, die er sehr hoch bewertet? Hat er den Mut, sich öffentlich zu bekennen? Und grundsätzlicher stellt sich die Frage: Was sucht (ζητέω222) er? 1.6.2.3 Verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten (V.51) Der griechische Satz „Μὴ ὁ νόµος ἡµῶν κρίνει τὸν ἄνθρωπον, ἐὰν µὴ ἀκούσῃ παρ᾿ αὐτοῦ πρότερον καὶ γνῷ τί ποιεῖ;“ kann unterschiedlich interpretiert werden, denn ἀκούω παρά kann entweder „verhören“ oder gemäss dem geläufigen joh Gebrauch quasi als Synonym für „glauben“ interpretiert werden. Diese Ambiguität kann auf Deutsch schwer wiedergegeben werden, denn eine Übersetzung ist immer auf eine Sinnmöglichkeit begrenzt und schliesst somit von vornherein andere Deutungen aus. Anders als die Mehrheit der Exegeten, die eine Deutung auf Kosten der anderen vorziehen, gehe ich davon aus, dass gerade die Mehrdeutigkeit des Textes die Auslegung bereichern kann und soll und deswegen erläutere ich im Folgenden nacheinander die zwei223 möglichen Übersetzungen der Worte des Nikodemus. 221
Vgl. auch Joh 5,41.44. Zur Bedeutung von ζητέω, vgl. die Auslegung von V.11.34 und den Teil IV.2.3.2. 223 W ESSEL (Verteidigungsrede) sieht sogar eine dritte Übersetzungsmöglichkeit: „Richtet etwa unser Gesetz den Menschen, ohne dass er (= der Mensch) von ihm (= das Gesetz) zuerst gehört hat und weiss, was er tut?“ Diese Übersetzung, die auf den ersten Blick überrascht, passt gut zum Kotext, denn dadurch werden die Worte Nikodemus’ als eine pointierte Stellungnahme für das gesetzesunkundige Volk verstanden, das gerade von den Pharisäern verflucht wurde: „Die Tora kann nur gegenüber demjenigen als Richterin auftreten, der sie auch kennt“ (W ESSEL, Verteidigungsrede, 198). Für eine solche Möglichkeit spricht auch die Frage der Pharisäer: „Bist du etwa auch aus Galiläa?“ (V.52), die sowohl eine mögliche Verteidigung des Volkes als auch Jesu entkräften kann, denn die Doppeldeutigkeit besteht weiterhin: „Das Wort „auch“ […] muss keineswegs notwendigerweise anzeigen, dass Nikodemus wie Jesus aus Galiläa sei, sondern kann auch bedeuten, dass Nikodemus, wie das verfluchte, gesetzesunkundigen Volk dort herstamme“ (W ESSEL, Verteidigungsrede, 199). Trotz dieser Argumente bleibt diese Übersetzung unwahrscheinlich, denn sprachlich ist das Subjekt des Nebensatzes entweder 222
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Die erste lautet: „Richtet etwa unser Gesetz den Menschen, ohne dass 225 man ihn zuerst gehört (= ihn verhört) hat und weiss, was er tut?“ Dabei ist die Übersetzung von ἀκούω παρά als „verhören“ zwar „sprachlich möglich, sie liegt nach joh Sprachgebrauch aber zunächst nicht nahe“226. Diese Interpretation bleibt dennoch aufgrund des Kotextes die wahrscheinlichste. Dabei ist das Ziel der Rede des Nikodemus klar: Er verlangt, dass Jesus zuerst verhört wird, bevor er verurteilt wird und untermauert seine Forderung, indem er auf das Gesetz verweist.227 Seine Worte sind darüber hinaus eine implizite Kritik an der Torakenntnis, die die Pharisäer für sich beanspruchen, um sich vom Volk abzuheben: Die Richter selbst kennen oder halten das Gesetz nicht; ihre Fähigkeit, ein gerechtes Urteil zu sprechen, wird angezweifelt. Indirekt wird dadurch auch betont, dass nicht sie urteilen, sondern einzig das Gesetz.228 Für V.51 ist aber auch die folgende Übersetzung denkbar:229 „Richtet etwa unser Gesetz den Menschen (= hier Jesu), ohne dass man ihn zuerst gehört hat (im joh Sinn „d’une écoute spirituelle conduisant à un accueil unbestimmt (man) oder nimmt das Subjekt des Hauptsatzes (das Gesetz) auf. Zudem wird dadurch eine Problematik in die Erzählung hineingelesen, die sonst für das JohEv keine Bedeutung hat. 224 So z.B. SCHNELLE, 166; T HEOBALD, 546; SCHNACKENBURG II, 222. 225 Grammatisch gesehen kann das Subjekt des Verbs auch ὀ νόµος sein, wodurch die Personifizierung des Gesetzes als Richter noch verstärkt würde. 226 W ESSEL, Verteidigungsrede, 197. Der Ausdruck wird öfter im Sinne von „hören von“ (vgl. 1,40; 6,45; 8,26.40; 15,15) verwendet. 227 Welche Textstellen bekräftigen die Position von Nikodemus? An verschiedenen Stellen fordert das Gesetz einen gerechten Prozess, wobei eine genauere Untersuchung verlangt wird (vgl. Dtn 1,16; 17,2–5; 19,15–19; Ex 23,1). Jedoch liegt meistens mehr Gewicht auf dem Verhör der Zeugen als auf dem Selbstverteidigungsrecht des Angeklagten. So warnt L ÉON-D UFOUR, 244: „Certes une audition est expressément requise en cas de procès, mais c’est l’audition de témoin à charge, alors que selon la requête présenté par Nicodème il s’agit d’entendre l’inculpé et lui seul.“ Er ergänzt (FN 105) „Il conviendrait de vérifier de près le sens des textes versés au dossier du ‚témoin‘, ordinairement conçu comme témoin à charge.“ 228 Deswegen wird hier vom Gesetz „wie von einer Person gesprochen, als ob es der Richter wäre“ (B ARRETT, 338). 229 Vgl. PANCARO, Law, 138–157; L ÉON-D UFOUR, 243–246. Pancaro und LéonDufour heben ihre Interpretation sehr stark von der oben zuerst angeführten Übersetzungsmöglichkeit ab, welche sie problematisieren: a) Es gibt kaum Toratexte, die für ein Recht auf Anhörung für den Angeklagten plädieren. Darüber hinaus spricht Jesus während seines ganzen Wirkens öffentlich und hat somit die Möglichkeit, seinen Standpunkt zu verteidigen. b) Der zweite Satzteil „und erkannt was er tut“ wird in der ersten Interpretation nicht genügend berücksichtigt. „If we recall the two modalities of revelation in Jn (‚word‘ and ‚works‘) it seems obvious that the evangelist, although using a formula which would be quite proper when speaking about the general requirements of legal procedure […], did not posit two conditions (viz., did not add the second condition) a purpose“ (PANCARO, Law, 143).
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de foi“ ), und weiss, was er tut?“ In diesem Fall ist Joh 7,51 „not prima231 rily a plaidoyer in favour of correct legal procedure.“ Es handelt sich vielmehr um eine Aufforderung, an Jesus zu glauben. Die Frage des Nikodemus „suggère, que les pharisiens transgressent eux-mêmes la Loi au nom de laquelle ils condamnent Jésus; mais ce n’est pas en raison d’une procèdure incorrecte; c’est bien plus profondément, par leur surdité au message qu’elle contient.“232 Obgleich der erste Vorschlag in der Erzähllogik plausibler ist, schliessen sich die zwei Übersetzungen m.E. nicht gegenseitig aus. Das mögliche Durchschimmern der zweiten Interpretation kann beim Leser einen Reflexionsprozess in Gang setzen. Er soll sich überlegen, was die Worte Nikodemus’ wirklich bedeuten und sich die Fragen stellen, was es heisst, Jesus zu hören, und welchen Gebrauch der Schrift er als legitim erachtet: Verlangt das Gesetz einen gerechten Prozessablauf für jeden – und in dem konkreten Fall auch für Jesus –, oder verweist die Schrift in einer besonderen Weise auf Jesus und fordert dazu auf, auf ihn zu hören und zu erkennen, was er tut?
2. Diskussion mit der Forschung Kapitel 7 ist im Vergleich zu den anderen Abschnitten des Evangeliums wenig erforscht worden, wobei das Forschungsinteresse sich meistens auf einige Schwerpunkte begrenzt. So werden beispielsweise die Problematik der Struktur und die Beurteilung des Nikodemus des Öfteren diskutiert. Für unsere Fragestellung (Schriftgebrauch und -theologie) sind drei Aspekte relevant: die Interpretation von V.37–39, die messianischen Erwartungen, die in den verschiedenen Voten des Volkes zur Sprache kommen, und die mögliche Rezeption von Weisheitsmotiven. 2.1 V.37–38 (39) „Joh 7,37–39 gehört bekanntlich zu den schwierigsten Texten des gesamten vierten Evangeliums.“233 Die Aufmerksamkeit, die diese Verse auf sich ziehen, spiegelt sich in den vergleichsweise sehr langen Ausführungen der 230
L ÉON-D UFOUR, 245. PANCARO, Law, 143. 232 L ÉON-D UFOUR, 246. 233 H AHN, Worte, 564. D EVILLERS (Fête, 313) spricht von „une des cruces interpretum du qautrième évangile“. Ebenso bemerkt FRÜHWALD-K ÖNIG (Tempel, 190–191): „Das kurze Offenbarungswort […] gehört zu den am schwierigsten zu erklärenden Passage des JE.“ Vgl. auch L INDARS, 298; B ECKER I, 272; H ANSON, Gospel, 69; D AISE, If Anyone, 687. 231
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Exegeten wider. Z.B. beansprucht die Interpretation der V.37–39 bei Devillers fast die Hälfte (ungefähr 35 Seiten) seiner Gesamtauslegung von 234 Joh 7 (ungefähr 80 Seiten). Das besondere Interesse für diese Verse erklärt sich einerseits durch die Komplexität des Abschnittes und andererseits durch seine besondere Stellung innerhalb von Joh 7. Während der Rest des Kapitels wegen seines polemischen Grundtons für die christologische Botschaft des Evangeliums wenig ergiebig scheint, bilden V.37–39 einen Kern der Heilsaussagen und enthalten spezifische Züge der johanneischen Theologie, so dass sie oft als Höhepunkt235 des Kapitels gelten. 236 Bei der Auslegung dieser Verse sind zwei Hauptschwierigkeiten zu diskutieren: die Interpunktion und die damit zusammenhängende Frage, aus welchem Leib (Jesu oder des Gläubigen) das Wasser fliesst, und die Problematik des „Zitates“, bei dem sowohl Umfang als auch Herkunft schwer zu bestimmen sind. In der Forschung wird dazu auch untersucht, welche Funktion das Fest, an dem Jesus seine Offenbarungsworte sagt, übernimmt, denn die Zeitangabe ἐν δὲ τῇ ἐσχάτῃ ἡµέρᾳ τῇ µεγάλῃ τῆς ἑορτῆς bildet nicht zufällig den Hintergrund der Szene. 2.1.1 Das Interpunktionsproblem und die Frage, aus wessen Leib das Wasser fliesst Die Frage, ob der Punkt nach oder vor καὶ πινέτω zu setzen ist und das damit zusammenhängende Problem, aus wessen Leib das Wasser fliesst, wird in der Forschung breit diskutiert, ohne dass ein Konsens gefunden wird. Grundsätzlich lassen sich drei Positionen237 unterscheiden, die dennoch inhaltlich nur zu zwei möglichen Deutungen führen: Die Verheissung, dass lebendiges Wasser aus dem Glaubenden fliesst (Vorschlag a) 234
Ein ähnliches Phänomen ist bei den Kommentaren zu beobachten: V.37–39 werden sehr breit behandelt. Vergleichen wir z.B. die Länge der Auslegung von V.37–39 und derjenigen von 40–44 (Brown I 5/0,5 Seiten; Theobald 6/4; Schnackenburg II 7/3; Thyen 7/4; Barrett 3/1,5). 235 Vgl. S CHNACKENBURG II, 210; FRÜHWALD-K ÖNIG, Tempel, 190 und 192. 236 Natürlich werden auch andere Problematiken im Zusammenhang mit V.37–39 diskutiert. Ich erwähne exemplarisch drei Schwierigkeiten, die zwar behandelt werden, dennoch für die Gesamtinterpretation zweitrangig sind und in der Forschung weniger Aufmerksamkeit bekommen haben: a) Der Umfang der Worte Jesu ist umstritten: Gehört der Schriftbezug noch dazu oder ist er Teil des Erzählerkommentars? b) Verschiedene Hypothesen versuchen, die Herkunft des schwierigen griechischen Ausdrucks ἐκ τῆς κοιλὶας αὐτοῦ zu klären (vgl. M ENKEN, Origin, 171–174 [gefolgt von FELSCH, Feste, 200–202], D EVILLERS, Fête, 321–324.336.341.344–348; M ARCUS, Rivers, 329–330). c) Es wird auch gefragt, inwiefern die jüdische Auslegungsmethode die Schriftrezeption von Joh 7,37–38 prägt. B ALFOUR (Jewishness, 357) argumentiert z.B.: „John’s use of the Old Testament is based on received Jewish exegetical Methods“ und erläutert diese These mit einer Auslegung von 6,31 und 7,37–38. 237 Vgl. T HYEN, 400–401 (gefolgt von F ELSCH, Feste, 190–191).
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IV. Johannes 7 238
oder dass es aus dem Leib Jesu fliesst (Vorschläge b und c). Nach einer kurzen Vorstellung der drei Vorschläge mit Besprechung der stilistischen und sprachlichen Argumente wird die Hauptproblematik diskutiert: Soll die christologische Interpretation, wie es oft der Fall ist, vorgezogen werden? 2.1.1.1 Aus dem Leib des Glaubenden a) „Wenn jemand dürstet, der komme zu mir und trinke. Wer an mich glaubt239, wie die Schrift sagt, aus seinem Körper (des Glaubenden) werden 240 Flüsse des lebendigen Wassers fliessen.“ Bei dieser Übersetzung wird der Punkt nach πινέτω gesetzt241 und das Pronomen αὐτοῦ auf den Glaubenden bezogen. Das wichtigste Argument für diesen Vorschlag wird präzis von Knapp erläutert: „it seems unlikely that ek tēs koilias autou refer to his own belly since that would entail an unnatural change from the first pronoun eme to the third autous.“242 Diese Argumentation lässt sich aber entkräften, da Jesus oft von sich selbst in der dritten Person spricht, besonders wenn er christologischen Anspruch erhebt, vgl. z.B. die Rede vom Menschensohn in der dritten Person: 1,51; 3,13–19 (hier spricht er auch von sich selbst als Sohn und Licht); 5,19–29 (hier nennt er sich „Sohn“); 6,25–26.62; 8,28; 12,23; 9,35–37; 13,31; vgl. aber auch 4,10; 6,29.40; 7,18; 8,35–36 usw. In derartigen Abschnitten ist oft auch ein Wechsel der ersten zur dritten Person zu beobachten. 2.1.1.2 Aus dem Leib Jesu b) „Wenn jemand dürstet, er komme zu mir. Und er trinke, derjenige der an mich glaubt. Wie die Schrift sagt, aus seinem Körper (Jesu) werden Flüsse des lebendigen Wassers fliessen.“ 238
Natürlich lassen sich weitere Interpretationsmöglichkeiten erwähnen. Sie weichen aber von den drei Grundpositionen nur in Nuancen ab und werden in der Forschung kaum berücksichtigt, da sie grössere Schwierigkeiten nach sich ziehen; vgl. B IENAIMÉ, Annonce, 286–289. 239 ὁ πιστεύων εἰς ἐµέ „est considéré comme un nominativus pendens. C’est la une forme d’anacoluthe selon laquelle le sujet psychologique de la phrase, différent du sujet grammatical, est, par emphase, laissé en suspens en tête de proposition, pour être repris ensuite par un pronom décliné“ (BIENAIMÉ, Annonce, 282). Die Verwendung des nominativus pendens ist nicht selten im JohEv: Vgl. Joh 1,12; 6,39; 8,45; 15,2; 17,2. 240 Diese Interpretationsmöglichkeit, die in der Auslegungsgeschichte von Origenes und ihm folgend von den griechischen Vätern vertreten wurde, hat heute nur noch wenige Anhänger. (Vgl. H AHN, Worte, 566–567; B ARRETT, 334–335; H OEGEN-R OHLS, Johannes, 66–69; R EIM, Jochanan 68–70; vgl. auch K NAPP, Water, 114–115.) Weitere Literaturangaben bei F ELSCH, Feste, 191 FN 99. 241 Diese Interpunktion (Punkt nach πινέτω) ist bereits vom P66 bezeugt. 242 K NAPP, Water, 114.
2. Diskussion mit der Forschung
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Der Punkt wird vor πινέτω gesetzt und αὐτοῦ auf Jesus bezogen. In diesem Fall ist die Aussage Jesu stilistisch kunstvoll gestaltet: Inhaltlich gibt es einen parallelismus membrorum, denn „und er trinke, derjenige der an mich glaubt“ variiert die Einladung „wenn jemand dürstet, er komme zu mir“. Formal entsteht ein „sort of chiasmus: the imperatives ἐρχέσθω and πινέτω are surrounded by ἐάν τις διψᾷ and ὁ πιστεύων εἰς ἐµέ; as a substantivized participle can easly have the meaning of a conditional clause, the two latter elements can be said to have the same syntactic function.“243 Während einige Exegeten die stilistischen Vorteile dieser Variante 244 dass „trinken“ und „glauben“ quasi betonen, unterstreicht Menken, gleichbedeutend sind und betont den tautologischen Charakter von „er trinke, derjenige der an mich glaubt“. Deswegen lehnt er diesen Vorschlag ab. M.E. bietet er damit kein entscheidendes Argument, denn der joh Stil zeichnet sich durch seine Wiederholung und Variationen des gleichen Motivs aus, so dass die Repetition nicht störend wirkt. Der Satz kann in jedem Fall sinnvoll paraphrasiert werden: „Wenn jemand Sehnsucht nach dem Heil hat, komme er zu mir. Und er bekomme das Heil, wenn er an mich glaubt.“ Zweimal lädt Jesus zum Glauben ein und verheisst das Heil, das bildlich in der Wassergabe (Trinken und Stillen des Durstes) entfaltet wird. c) Wenn jemand dürstet, der komme zu mir und trinke. Wer an mich glaubt (, der wird erleben, dass es so zugeht,) wie die Schrift sagt, aus seinem Körper (= Jesu) werden Flüsse des lebendigen Wassers fliessen.245 Diese Möglichkeit, welche ὁ πιστεύων εἰς ἐµέ als nominativus pendens fasst, stimmt, wie der erste Vorschlag, mit „la pratique johannique constante [qui] assortit au participe singulier ho pisteuôn, placé en tête de proposition, l’énoncé d’une promesse faite au croyant ou la déclaration de l’effet produit par l’adhésion de foi“246 überein. Darüber hinaus vermeidet sie die Schwierigkeit, die möglicherweise mit der zweiten Interpretation entsteht (Tautologie). Zugleich bleibt eine christologische Deutung, die oft aus inhaltlichen Gründen vorgezogen wird, möglich. Dennoch fällt die für Joh unübliche Stellung des Schriftverweises mitten im Satz auf und die Notwendigkeit der impliziten Konjektur – der wird erleben, dass es so zugeht – macht diesen Vorschlag eher unplausibel. 2.1.1.3 Auswertung Während die sprachlichen Argumente keine endgültige Entscheidung ermöglichen, ist aus inhaltlichen Kriterien deutlich die christologische Inter243
M ENKEN, Origin, 163. So M ENKEN, Origin, 164. 245 Vgl. die Übersetzung von B AUER, 112, und seine Erklärung 113. 246 B IENAIMÉ, Annonce, 284. 244
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pretation vorzuziehen. Die Einwände gegen eine Interpretation von V.37–38 als Verheissung, dass Ströme von Wasser aus dem Leib des Glaubenden fliessen, sind schwerwiegend. Zuerst widerspricht der Inhalt einer solchen Interpretation der joh Theologie, die als Quelle des Heils nur Jesus kennt.248 Besonders der Kommentar in V.39, der die Gabe des Wassers als Gabe des Geistes expliziert, schliesst einen Bezug auf den Gläubigen aus, „denn Spender des Geistes kann nur Jesus selbst sein.“249 Zweitens lassen sich kaum atl. Stellen finden, die eine solche Interpretation stützen. Die Schriftstellen oder Motive, die im Hintergrund von V.38 stehen könnten, beschreiben immer eine Wassergabe für den Glaubenden (nie einen Wasserfluss aus jenem heraus). Weiter spricht der Kotext auch deutlich für die christologische Interpretation. Im ganzen Kapitel wird die Frage nach der Messianität Jesu diskutiert. Es wäre erstaunlich, wenn die Krönung der Offenbarungsworte Jesu nicht seine Identität beträfe. Schliesslich finden diese Verheissungsworte ihre Erfüllung im Tod Jesu, indem aus der Seite des Gekreuzigten Wasser (und Blut) herausfliesst (Joh 19,34). Daher spricht die Gesamterzähllogik dafür, dass es sich in 7,37–38 um den Leib Jesu handelt. 2.1.2 Umfang und Herkunft des Schriftbezuges Um die Herkunft des Schriftbezuges zu bestimmen, sind zwei unterschiedliche Vorgehensweisen denkbar: Die einen Forscher gehen von einem Zitat aus und schlagen konkrete Textstellen als mögliche Quelle vor;250 die ande247
Einige Autoren kombinieren beide Deutungen (S CHENKE, 164 und H OSKYNS, 320: „The living water flows from the Christ to his faithful disciples, and from them to the world.“). Da in Kapitel 7 mit Mehrdeutigkeit gespielt wird (vgl. IV.3.2.2), kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass hinter dem christologischen Hauptsinn, eine weitere, vertiefende Interpretation mitschwingt. Die Unklarheit wäre beabsichtigt. Eine solche Interpretation ist dennoch eher unwahrscheinlich, denn die Verheissung, dass „eine Quelle aus dem Lieb der Glaubenden“ fliesst, wird weder vom Kotext gestützt noch durch die Theologie des JohEv bekräftigt. 248 Joh 4,14 kann nicht als Argument herangezogen werden, denn wie unsere Auslegung gezeigt hat, sprudelt die Quelle nicht für andere. „Es handelst sich also nicht um eine Quelle des Wassers bzw. des Heils für andere, sondern verheisst den einzelnen Gläubigen die Endgültigkeit und Unverlierbarkeit des Heils, das sie – von Jesus! – empfangen haben und das eben ewiges Leben bedeutet“ (F ELSCH, Feste, 192). Vgl. THYEN, 401; M ENKEN, Origin, 165; SCHNACKENBURG II, 214; B IENAIMÉ, Annonce, 293. 249 FRÜHWALD-K ÖNIG, Tempel, 191. 250 Dabei werden verschiedenste Hypothesen aufgestellt, um die Herkunft des Zitates zu erklären. Während B OISMARD (Ventre; Citation) und G RELOT (Ventre; A propos; Jean VII, 38) in einer wissenschaftlichen Disputatio zwischen 1958 und 1963 auf verschiedene Targumim rekurrieren, wird eine solche Herkunft heute kaum noch vertreten (Ausnahme: G RIGSBY, Observation). Genauso finden die Hypothesen einer Zitatherkunft aus einem Apokryphon (so B AUER, 113) kaum noch Eingang in die Debatte (vgl. B ECKER I,
2. Diskussion mit der Forschung
203
ren gehen davon aus, dass verschiedene Texte zugleich angespielt bzw. 251 zitiert werden . M.E ist der zweite Weg vorzuziehen, denn in V.38 handelt es sich um einen Verweis.252 Während das Zitat aus einer wörtlichen Wiedergabe einer anderen Textstelle besteht, der als Fremdkörper im Haupttext identifizierbar bleibt, referiert der Verweis auf einen Prätext oder führt Elemente von dessen Inhalt aus, jedoch ohne den Text Wort für Wort anzuführen. In Joh 7,37 wird kein bestimmtes Schriftwort eingeführt, sondern es wird mit einem Bild aus der Schrift argumentiert. Damit erklärt sich, warum kein Konsens über die Herkunft des „Zitates“ entstehen konnte. Die Debatten über den Umfang des „zitierten Textes“253 erweisen sich ebenfalls als fruchtlos, da die Bilder aus der Schrift und die mögliche Übernahme eigener Ausdrücke in den joh Duktus fast verschmolzen sind. Die Einleitung „καθὼς εἶπεν ἡ γραφή“ zwingt nicht zur Annahme, dass
272). Die Mehrheit der Exegeten versucht, eine Herkunft aus der Schrift plausibel zu machen und benennt ein (oder zwei) einzelne Stelle(n) als mögliche Quelle: M ENKEN, (Origin, 167–169) argumentiert für den Ps 78 (77),16.20; T HYEN, 404, für Sach 14,7–8; T HEOBALD, 540, vermutet, dass es sich um ein Mischzitat aus Ps 78 (77),16.20 und Sach 14,8 handelt; M ARCUS (Rivers, 328–329) denkt an Jes 12,3; B ALFOUR (Jewishness, 374) zieht Sach 14,8 vor, ohne den Einfluss anderer Texte auszuschliessen; FREED (Quotations, 21–38) wertet verschiedene Möglichkeiten [Jes, 12,3; 43,19; 44,3; 55,1; 58,11; Sach 14,8; Jer 2,13; 17,13; Prov 18,4] aus, ohne dass ein deutliches Ergebnis zur Tage tritt. 251 Vgl. z.B. O’D AY, 623: „The quotation in v. 38 appears to be a composite of a variety of OT texts that refer to life-giving water, wisdom, or the Spirit (e.g., Prov 18:4; Isa 12:3, 43:19–20; 44:3; Jer 2:13; 17:13; Ezekiel 47; Zech 14:8) rather than one particular text.“; FRÜHWALD-K ÖNIG (Tempel, 191) denkt an folgende Stellen: Ex 17,1–7; Jes 12,3; 48,21; 55,1; Ez 47,1–12; Joel 4,18; Sach 1,13; 14,8. Konsequenterweise verzichten gewissen Autoren darauf, von einem Zitat zu sprechen: vgl. FELSCH, Feste, 196: „Johannes zitiert […] nicht einen Vers der Schrift, sondern assoziiert einen Traditionszusammenhang, zu dem mehrere Schriftstellen gehören.“ Ähnlich auch L ÉON-D UFOUR, 238; G OPPELT , ὕδωρ, 326; M OLONEY , 252; K NAPP , Water, 116. 252 Ähnlich urteilt Obermann, der alle Zitate des JohEv untersucht, dennoch bewusst 7,37–38 auslässt. 253 Der Umfang kann verschieden bestimmt werden: a) Καθὼς εἶπεν ἡ γραφή leitet das Zitat ein, das auf ποταµοὶ ἐκ τῆς κοιλίας αὐτοῦ ῥεύσουσιν ὕδατος ζῶντος besteht. Diese Möglichkeit wird von der Mehrheit der Exegeten vorgezogen. b) Καθὼς εἶπεν ἡ γραφή schliesst den Schriftbezug ab, so dass entweder die ganze Einladung, zu Jesus zu Kommen und zu trinken, oder nur die letzten Worte ὁ πιστεύων εἰς ἐµέ (so R EIM, Jochanan, 71) als Zitat betrachtet werden. D AISE (If Anyone) versucht, durch Hinweise auf die Auslegungsgeschichte den Gewinn einer solche Abgrenzung des Zitates für die Interpretation zu erarbeiten (ohne diesen Umfang gutzuheissen). c) Möglich wäre auch, dass das Zitat καθὼς εἶπεν ἡ γραφή umklammert, so dass ὁ πιστεύων εἰς ἐµέ […] ποταµοὶ ἐκ τῆς κοιλίας αὐτοῦ ῥεύσουσιν ὕδατος ζῶντος, als der zitierte Text zu betrachten wäre. Da es fast unmöglich ist, eine atl. Stelle, die als Prätext fungieren könnte, zu finden, wird diese Möglichkeit kaum vertreten.
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IV. Johannes 7 254
es sich um ein Zitat handelt , denn im JohEv werden Verweise und Zitate 255 oft ähnlich eingeführt. In Gegenteil, V.38 sollte aufgrund der grossen Ähnlichkeit in der Einleitung (...ἡ γραφὴ εἶπεν)256 wie 7,42 beurteilt werden, zu dem Theobald sagt: „Es liegt kein Zitat, sondern ein aus der Schrift 257 hergeleiteter Lehrsatz vor“. Folglich wird nicht nach „der Herkunft des Zitates“ gefragt, sondern nach den Schriftstellen (Plural!) und -motiven, auf die Joh 7,38 verweist. Diese formale Unterscheidung bleibt nicht ohne Folgen für die weiteren Erläuterungen. Bei der Suche nach der Herkunft eines Zitates spielt das Kriterium der wörtlichen Übereinstimmung eine wichtige Rolle. Dazu ist eine Begrenzung auf eine (höchstens zwei) Stelle(n) notwendig. Ganz anders ist es bei der Untersuchung eines „Lehrsatzes“, der aus der Botschaft der Schrift insgesamt entstanden ist. Dort können problemlos verschiedene Motive miteinander kombiniert werden. Im Zentrum der Worte Jesu steht, dass das Heil, das im Bild des Überflusses des Wassers versprochen wurde, in ihm seine Erfüllung findet. Der Leser kann an unterschiedliche Verheissungen denken und verschiedene Bibelstellen oder Motive assoziieren, die in Joh 7,38 mitschwingen. „Der Hinweis auf das Schriftwort meint nicht eine einzelne alttestamentliche Stelle, sondern die vielfältig verheissene endzeitliche Wasserspende.“258 Genau wie in Joh 4 benutzt der Autor eine symbolische Sprache259. Das Wasser kann nicht mit einer anderen Grösse gleichgesetzt werden. Zwar verweist das Symbol grundsätzlich auf die Lebensgabe, dennoch konkretisiert sich diese Gabe unterschiedlich, so dass das Offenbarungswort Jesu zugleich an verschiedene atl. Verheissungen anknüpft. In der Einladung, herzukommen und der Aufforderung, zu trinken, wird wahrscheinlich an Motive aus der Weisheitsliteratur angespielt260. Der wichtigste Schriftbezug befindet sich dennoch in V.38: „Flüsse lebendigen Wassers werden aus seinem Leib fliessen“, wo das Motiv des Trinkens eher zweitrangig wird. Als möglicher atl. Hintergrund für die Worte Jesu
254
Der Singular (ἡ γραφή) verweist nicht zwingend auf eine bestimmte atl. Stelle, sondern bezeichnet auch die Schrift in ihrer Gesamtheit (vgl. 2,22; 7,42; 10,35; 20,9). Gegen B ARRETT, 333, und M ENKEN, Origin, 162. 255 Vgl. II.4.3. 256 Die Nähe besteht darin, dass das Verb λέγω benutzt wird (nicht γράφω wie oft bei Zitaten: vgl. 2,17; 6,31.45; 10,34; 12,15; 15,15). 257 T HEOBALD, 543. 258 G OPPELT, ὕδωρ, 326. 259 Genau wie in Joh 4 lässt sich das Symbol „Wasser“ nicht auf eine Bedeutung reduzieren, sondern behält seine Offenheit. Vgl. Teil Joh III.1.5.1.1/III.2.5. 260 Mehr dazu im Abschnitt: IV.2.3.1.
2. Diskussion mit der Forschung 261
205 262
steht die Verheissung einer Tempelquelle , wie sie in Sach 14 und in Ez 47 beschrieben wird. In der Endzeit wird aus Jerusalem (nach Sach 14) bez. aus dem Tempel (nach Ez 47) eine Quelle herausfliessen und mit ihr beginnt die Heilszeit, die dann unterschiedlich geschildert wird. Während das (explizit als lebendig qualifizierte) Wasser in Sach eher eine Nebenrolle spielt, hat der Fluss aus dem Tempel in Ez 47 (besonders in V.9.12) einen wichtigen, lebensschaffenden Charakter. Der Leser, der an dieses atl. Bild durch die Worte Jesu erinnert wird, erkennt, dass in der Gegenwart Jesu das erwartete Heil beginnt: Aus ihm strömt das lebendig machende Wasser im Überfluss. Das Motiv wird aber nicht eins zu eins übernommen. Vielmehr unterliegt es einer sorgfältigen Interpretation. Zum einen rückt die eschatologische Erwartung in eine nahe Zukunft, die mit dem Kommen Jesu beginnt. Zum anderen übernimmt Jesus die Funktion, die im atl. Bild dem Tempel zukommt: Aus ihm (und nicht mehr aus Jerusalem oder dem Heiligtum) fliesst das lebendige Wasser, denn in ihm ist Gott präsent und gegenwärtig. Indem die Nähe zu Ps 77,15–16 (LXX 78); 105,41 (LXX 104) und zu Dtn 8,15 (Num 20,11) hervorgehoben wird, kann auch die Tradition der Wasserspende aus dem Fels in der Wüstenzeit263 eine Hintergrundfolie für 7,38 bilden.264 Indem Jesus auf das Motiv des wasserspendenden Felsens verweist, erinnert er an die Rettung und die beschützende Gegenwart Gottes in der Vergangenheit, spielt aber zugleich an Heilsverheissungen an. Das Bild hat nämlich auch einen eschatologischen Klang,265 besonders in Deuterojesaja (Vgl. Jes 43,20; 48,21), wo ein neuer Exodus (als Rückkehr aus dem Exil) verheissen wird. „By means of the quotation, John has Jesus present himself as the true eschatological rock from which life-giving wa-
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Vgl. D ANIÉLOU, Joh. 7,38; F ELSCH, Feste, 197–198; D EVILLERS, Fête, 325–327; B ROWN I, 323. 262 Zur wichtigen Rolle von Sach 14 für die Interpretation von Joh 7 vgl. B ERGLER, Laubhüttenfest; T HYEN, 404, vermutet, dass nicht nur das Zitat aus Sach 14,7–8 stammt, sondern dass die letzten Kapitel des Buches Sacharia Buches im JohEv eine prominente Stelle übernehmen. 263 Zum Motiv des Wasserfelsens aus der Wüstenzeit vgl. Abschnitt III.2.4.1. 264 Vgl. M ENKEN, Origin, 168; B ROWN I, 322; FELSCH, Feste, 198–202; D EVILLERS, Fête, 327–328. 265 So urteilt G OPPELT, ὕδωρ, 318: „Dieses Widerfahrnis [Wassergabe in der Wüstenzeit] wird Grund der Paränese Dt 8, 15; Ps 78, 15f, 105, 41; der Anbetung Ps 114, 8 u vor allem der Heilsweissagung für den zweiten Exodus, in die sich Farben des wiederkehrenden Paradies mischen Js 48, 20; vgl. 41, 17f; 43, 20; 49, 10; 35, 6f; Jer 31, 9.“ Der eschatologische Charakter des Motivs des wasserspendenden Felsens wurde in der jüdischen Exegese durch die Verbindung mit dem Motiv des aus dem Tempel strömenden Wassers (besonders im Rahmen der Interpretation der Wasserspende an Sukkot) noch verstärkt. Vgl. FELSCH, Feste, 199.
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ter will flow.“ Wie in anderen Stellen des JohEv benutzt Jesus Bilder aus Exodus, um die heilvolle Gegenwart Gottes in seiner Person darzustellen 267 (vgl. die eherne Schlange [3,14] und das Manna [Kapitel 6] ) und zugleich das Anbrechen der Heilszeit anzudeuten. Nicht zu unterschätzen ist auch die Interpretation, die der Text selbst in V.39 liefert: „Damit meinte er den Geist...“ Somit spielen die Worte Jesu auch an die atl. Stellen an, in denen die Geistgabe mit der Metapher des 268 Wassers entfaltet wird (vgl. z.B. Jes 12,3; 44,3). Auch hier findet eine eschatologische Heilserwartung im Kommen Jesu ihre Erfüllung. Zwar wird die futurische Perspektive nicht ganz aufgehoben, dennoch wird sie umgedeutet, so dass die Verheissung, welche die Endzeit betrifft, nun in eine sehr nahe Zukunft rückt. Sie ereignet sich im Leben Jesu, auch wenn die Heilsgabe erst bei seiner Verherrlichung am Kreuz ihre volle Entfaltung findet. M.E. ergänzen sich die drei erwähnten möglichen Schrifthintergründe (Verheissung der Tempelquelle, Anspielung auf den wasserspenden Felsen und die Gabe des Geistes). Zwar stellt V.39 die Gabe des Geistes in den Vordergrund, dennoch werden andere Aspekte dadurch nicht verdrängt. Seinerseits ist der Text wegen des Gebrauchs des Wasserbildes und des Verweises auf die Schrift für verschiedene Interpretationen offen, da sowohl intertextuelle Bezüge als auch Symbole prinzipiell mehrdeutig sind. Andererseits lassen sich die verschiedenen Elemente inhaltlich nicht gegeneinander ausspielen, vielmehr legen sie sich gegenseitig aus. Das endzeitliche Heil, das als eine lebensschenkende Quelle aus dem Tempel und im Bild des wasserspendenden Felsens versprochen wurde, ereignet sich in der Gabe des Geistes, die untrennbar von der Person Jesu ist. Die Pluralität der Verheissung findet ihre Einheit im Heil, das sich in Jesus verwirklicht. 2.1.3 Das Laubhüttenfest Der Offenbarungsruf Jesu, der explizit auf die Schrift verweist, geschieht nicht zufällig „am letzten, dem grossen, Tag des Laubhüttenfestes“. Eine strenge Unterscheidung zwischen dem Verweis auf die Schrift und der Erwähnung des Festes ist zwar methodisch legitim – erster ist ein intertextu266
M ENKEN, Origin, 168. Um seine Argumentation zu untermauern, verweist er auf die typologische Interpretation des Motives des wasserspendenden Felsens, die sich auch in anderen christlichen Texten findet (vgl. z.B. 1 Kor 10,4). 267 B ROWN I, 322, bemerkt: „Ps cv 40–41, says: ‚He gave them their fill of bread from heaven; he cleft the rock and the water flowed forth.‘ This sequence of bread of heaven and water from the rock is exactly the sequence we have in chs. vi an vii of John (a reason, incidentally, for not changing the present sequence of the chapters).“ 268 Die Geistgabe wird auch in der jüdischen Literatur mit dem Bild des Wassers verknüpft, vgl. QS IV 20.
2. Diskussion mit der Forschung
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elles Phänomen, letztere hingegen nicht – dennoch in der Perspektive des JohEv eher künstlich, da beide Aspekte eng verstrickt sind. Jesus erfüllt die eschatologischen Heilserwartungen, die in der Schrift, aber auch in Festriten zum Ausdruck kommen. Deswegen sollen einige Überlegungen zum Laubhüttenfest269 die bisherige Reflexion über den Schriftgebrauch in V.37–38 ergänzen. Das Laubhüttenfest hat seinen Ursprung in einem jahreszeitlichen Erntefest, in welchem Gott als Schöpfer, der die notwendige Ernte schenkt, gepriesen wird. Es wurde „dann mit einem Ereignis der israelitischen Heilsgeschichte verbunden […], dessen Erinnerung im Festvollzug aktualisiert wird.“270 Durch den Brauch des Wohnens271 in Laubhütten wird an die Fürsorge Gottes während der Wüstenwanderung erinnert und die Erfahrung seiner beschützenden Präsenz vergegenwärtigt. An Sukkot wird dennoch nicht nur mit Dankbarkeit auf die Vergangenheit zurückgeschaut, sondern man hofft auch, dass „one day God would again dwell with his people, in a time which promised his greater and more complete presence.“272 Das Fest war also mit eschatologischen Erwartungen273 gekoppelt. Die heilvolle Gegenwart Gottes wird für Israel, aber auch für alle Völker erhofft, denn zum Fest sollen alle Nationen nach Jerusalem pilgern und die Herrschaft JHWHs anerkennen (vgl. Sach 14,16). Aufgrund seines heilsuniversellen Charakters soll Sukkot das „die Welt mit dem Gottesvolk in Jerusalem vereinende Fest der Endzeit werden.“274 Am Fest werden verschiedene Riten vollzogen. Besonders relevant ist für die Interpretation der Worte Jesu die Tradition der Wasserspende, die nicht zu den biblisch bezeugten Bräuchen des Festes gehört, der in der rabbinischen Literatur, hauptsächlich im Mischnatraktat Sukkot (vgl. mSuk IV 1.9), aber eine grosse Bedeutung zukommt.275 Am siebten Tag des Fes269
Hier werden nicht alle Aspekte des Festes berücksichtigt, sondern nur die Elemente erwähnt, welche die Auslegung von Joh 7 bereichern. Ausführliche Erläuterungen über Sukkot finden sich bei: FELSCH, Feste, 174–190; D EVILLERS, Fête, 27–76; K NAPP, Water; B ERGLER, Laubhüttenfest. 270 FELSCH, Feste, 174. 271 „Das Gebot des ‚Wohnens‘ umfasst essen und schlafen; vor allem was letzteres betrifft, sind aus klimatischen und gesundheitlichen Gründen Erleichterungen üblich“ (D AFNA, Feste, 110). 272 K NAPP, Water, 109. 273 Offen soll bleiben, ob die eschatologischen Züge des Festes mit messianischen Erwartungen gekoppelt waren. Obwohl dies zum Teil in der Forschung angedeutet wird (vgl. Bergler, der vom „messianischen Laubhüttenfest“, „messianischen Wasser“ usw. spricht; vgl. auch F ELSCH, Feste, 175; B ODI, Hintergrund, 142) fehlen m.E. Quellen, die dies belegen. 274 B ERGLER, Laubhüttenfest, 154. 275 Weitere Quellenangaben und Informationen sind bei FELSCH (Feste, 183) zu finden.
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tes wird Wasser aus dem Siloach-Teich geholt und auf dem Altar dargebracht. Ein Durchgang durch die rabbinische Literatur zeigt, dass dieser Akt einen symbolischen Charakter hat und von daher prinzipiell offen und mehrdeutig ist, obwohl alle Interpretationen um einen Kernpunkt kreisen: das Heil. So fasst Felsch zusammen: „Mit unterschiedlichen Nuancen ist in den verschiedenen Deutungsansätzen eines gemeinsam: Das Wasser an Sukkot symbolisiert eschatologisches Heil. Dieses umfasst den Heiligen Geist, die endzeitlichen Tempelwasser und in Kombination damit die rettenden Wasser der Wüstenzeit und die Urwasser der Schöpfung.“276 Viele Elemente des Festes bilden einen wichtigen Verständnishorizont für den Offenbarungsruf Jesu. Sowohl die heilvolle Gegenwart Gottes, die eschatologische Dimension und der Wasserritus finden Anklang in seinen Worten. „This dramatic calling by Jesus to come to him and drink holds significances given the particular typological natur of the Feast, of the Tabernacles and the eschatological expectation which had developed in relationship to it. Jesus declares that he is the fulfillment of the imagery which places the Feast“.277 2.1.4 Rück- und Ausblick Durch seine Worte offenbart sich Jesus als derjenige, in dem verschiedene Heilserwartungen ihre Erfüllung finden. Dabei verstärken sich verschiedene atl. Verheissungen, auf die der Schriftbezug verweist und unterschiedliche Aspekte des Festes gegenseitig. Die Tradition des Wasserspendefelsens, die eschatologische Erwartung einer Tempelquelle und die Wassermetapher, welche die Geistgabe veranschaulicht, spielen sowohl in der Schrift als auch in den Interpretationen der Festriten eine prominente Rolle. Jesus nimmt verschiedene Elemente auf und deutet sie um, um seine Heilsgabe zu verdeutlichen. Durch den Gebrauch der Wassersymbolik und das intertextuelle Spiel wird der Leser eingeladen, mehrere Motive zu assoziieren, die verschiedene Facetten des Heils zur Sprache bringen278, ohne sich einseitig für eine Interpretation zu entscheiden: In Jesus finden alle Heilserwartungen ihre Erfüllung, denn wer zu ihm kommt, hat das ewige Leben, das Leben in Fülle. In diesem Sinne fügen sich die V.37–38 theologisch sehr gut in den Rahmen des gesamten Evangeliums ein. Darüber hin276
FELSCH, Feste, 190. K NAPP, Water, 118. Ähnlich urteilt auch B ERGLER (Laubhüttenfest, 173–174): „In seinem [= Jesu] Kommen ist das anlässlich jenes Festes erflehte endzeitliche Heil gegenwärtig. […] Er erfüllt die eschatologische Festkomponente.“ 278 Sowohl die symbolische Sprache als auch das intertextuelle Spiel verstärken die Offenheit des Textes. Der Leser kann also innerhalb eines gegebenen Rahmens (Jesus verspricht das Heil) mehrere Texte und Festelemente assoziieren und dank des Bildes des Wassers an verschiedene Heilsgaben denken. 277
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aus ist die intratextuelle Verbindung zu Joh 19,34 unübersehbar, denn die Worte Jesu, in denen er sich atl. Verheissungen aneignet, finden darin ihre Erfüllung, dass Wasser (und Blut) aus seiner Seite herausfliessen. Die Verknüpfung mit einem weiteren Schriftbezug in Joh 19,37 (vgl. das Zitat von Sach 12,10) ist ein weiteres Beispiel dafür, wie der Autor verschiedene atl. Motive miteinander kombiniert. Die atl. Verheissungen werden nicht einfach wiederholt, sondern überarbeitet. Der wichtigste Unterschied besteht, darin, dass sich die Heilsgaben nicht mehr von Jesus Christus trennen lassen. Es liegt eine christologische Uminterpretation aller assoziierten Schriftmotive vor: In Bezug auf die Wüstenzeit beobachtet Menken zu Recht: „Jesus identified in ch. 6 as the true manna, is now identified as the true Rock.“279 Auch das Motiv der Tempelquelle wird auf Jesus hin ausgelegt. Dieser ist der wahre Ort der Gottesgegenwart, also der wahre Tempel280, wovon die in Ez 47 und Sach 14 versprochene (lebensschaffende) Tempelquelle entspringt. Genauso wird auch die Geistspende (V.39) mit Jesu Verherrlichung in Verbindung gebracht. Somit macht der Autor deutlich, dass das Heil sich in der Person Jesus ereignet. Die atl. Verheissungen lassen sich nicht von ihm lösen, denn sie finden in seinem Kommen und in seinem Tod ihre Erfüllung. Durch diese Fokussierung auf Jesus erfolgt eine Veränderung der zeitlichen Perspektive. Die Endzeit liegt nicht mehr in grosser Ferne, sondern bricht jetzt an281, auch wenn die futurische Dimension der Verheissung vor der Vollendung der Werke Jesu in seinem Tod nicht verschwindet. Weiter ist ein Wechsel bei den Empfängern der Verheissung zu beobachten. Der Adressat ist nicht mehr Israel, sondern jeder, der Durst hat und zu Jesus kommt. Dabei ist eine Doppeltendenz zu erkennen: Die Kollektivität verschwindet zugunsten der Individualität und zugleich wird eine neue Perspektive eröffnet: Das Heil ist universell, denn es ist allen Menschen zugänglich. Für eine Vertiefung der Auslegung von V.37–39 sollte m.E. der Rahmen, in dem diese Worte eingebettet sind, d.h. das ganze Kapitel 7, stärker berücksichtigt werden. Dazu scheinen mir zwei Beobachtung wichtig, die in der weiteren Ausführung wieder aufgegriffen werden. M.E. gibt es keinen Grund zu bezweifeln, dass der Schriftbezug der V.37–38 absichtlich in den Mund Jesu gelegt wird, denn es ist unwahrscheinlich, dass V.38 eine Erklärung des Erzählers ist, wenn ein Erzählkommentar explizit mit „τοῦτο δὲ εἶπεν...“ in V.39 eingeleitet wird. Dazu 279
M ENKEN, Origin, 169. Vgl. Joh 2,14–22. 281 Wie in der Auslegung von V.37 (IV.1.3.4.1) erwähnt, verstärkt möglicherweise der Ausdruck ἐν δὲ τῇ ἐσχάτῃ ἡµέρᾳ durch seinen eschatologischen Nebenklang den endzeitlichen Charakter der Offenbarungsworte Jesu. 280
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zeigt die Untersuchung solcher Erläuterungen, die im JohEv üblich sind (vgl. Joh 2,21; 6,6.71; 11,13; 12;33; 21;19): „[non] seulement ces clarifications donnent le sens de paroles rapportées en styles direct, mais d’ordinaire elles suivent immédiatement les paroles à interpréter.“282 Somit zeigen V.37–38 eine grosse Gemeinsamkeit mit dem Rest des Kapitels auf, indem in direkter Rede auf die Schrift rekurriert wird. Die Schrift ist keine objektive Grösse, auf welcher der Autor seine Argumentation aufbaut, sondern wird jeweils durch die Erzählfiguren interpretiert wiedergegeben. V.37–39 heben sich aber vom Rest des Kapitels deutlich ab. Während die anderen Aussagen Jesu von der polemischen Gegensätzlichkeit zwischen ihm und seinen Zuhörern (die immer wieder angesprochen werden),283 beherrscht werden, wird hier eine Verheissung formuliert, die jeden (Formulierung in dritter Person) betrifft. Im Vordergrund steht das Heil, das allen Menschen geschenkt wird, so dass die konkrete Konfliktsituation unberücksichtigt bleibt. Die sukzessiven Offenbarungsworte Jesu bilden keine lineare Steigerung bis zu einem Höhepunkt, sondern der Konflikt wird durch ein Heilswort durchbrochen, das in keiner Kontinuität zu den bisherigen Äusserungen Jesu steht. Während Jesus bis jetzt seine Identität in Abgrenzung zu den Ansichten seiner Zuhörer entfaltet, indem er den Massstab ihre Urteile hinterfragt und eine Opposition zu ihnen aufbaut (vgl. den Gegensatz zwischen der ersten Person [ich] und der zweiten Person Plural [ihr]), verlässt er in V.37–38 die Polemik und entfaltet die Heilsbedeutung seines Lebens. Ein qualitativer Sprung in der Argumentation ist spürbar, so dass V.37–38 nur mit einer gewissen Reserve als Klimax des Kapitels bezeichnet werden können. Sie bilden nicht den Gipfel der Offenbarung der Identität Jesu, die stufenweise entfaltet würde, sondern fallen dadurch auf, dass sie sich vom Rest der Äusserungen Jesu stark unterscheiden. Sie antworten nur indirekt auf die Frage, wer Jesus ist, indem sie die Zuverlässigkeit der Heilsverheissung der Schrift und ihre Erfüllung in seiner Person verkünden. 2.2 Die messianischen Erwartungen In Joh 7 wird dreimal explizit auf Messiaserwartungen284 verwiesen: V.27.31.40–42. Gegenstand der Forschungsdiskussion ist primär die Klärung des traditionellen Hintergrundes der Vorstellung, auf die das Volk rekurriert. Handelt es sich um jüdische Erwartungen? Oder werden jüdische Einwände gegen die Messianität Jesu aus der Zeit der Redaktion des 282
B IENAIMÉ, Annonce, 298. Vgl. IV.1.5. 284 Warum der Rückgriff auf Traditionen, besonders auf Messiaserwartungen, für das Schriftverständnis des JohEv relevant ist, wird bei der Reflexion über die Beschreibung der Schriftbezüge (IV.3.1) erörtert. 283
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Evangeliums in die vita Jesu rückprojiziert? Oder spiegeln die Worte der Menge eher eine christliche „Messiasdogmatik“ wider? Diese verschiedenen Alternativen schliessen sich natürlich nicht aus. Um die Messianität Jesu zu bestreiten, liefern einige aus Jerusalem folgendes Argument (V.27): „Aber von diesem wissen wir, woher er ist; von dem Christus, wenn er kommt, weiss niemand woher er ist...“ „Den Inhalt des Satzes wird der Evangelist nicht einfach aus der Luft gegriffen haben, obwohl es schwer ist, ihn einer spezifisch jüdischen Messiasvorstellung zuzuordnen.“285 In der Forschung werden zwei mögliche traditionelle Hin286 tergründe in Betracht gezogen. Für einige Exegeten knüpft die Aussage des Volkes an die Tradition des Menschensohnes (oder Messias) an, der aus der himmlischen Verborgenheit hervortritt287. Wie so oft im JohEv wird somit die Herkunft Jesu (vgl. πόθεν) thematisiert. Die Leute aus Jerusalem glauben, sie zu kennen, – er ist der Sohn Josephs aus Nazareth, – dennoch bleibt ihnen seine wahre Herkunft verborgen, – er kommt von Gott –, so dass ihre Aussage unwillentlich ihre „messianischen“ Erwartungen bestätigt. Für andere288 lehnt sich der Text vielmehr an die Vorstellung des „verborgenen Messias“ an, der bei den Menschen unbekannt verweilt, bis zu seinem Auftreten bzw. bis zu seiner Salbung durch Elia.289 Die Jerusalemer meinen, dass die Bekanntschaft der Herkunft Jesu einer solchen Erwartung widerspricht. „Dabei merken sie gar nicht, dass ihr Satz gerade auf Jesus zutrifft, wenn man nämlich die Kategorie des ‚Woher‘ nicht vordergründig irdisch begreift (Eltern, Geburtsort etc.), sondern in einem tieferen Sinn: ‚Mitten unter uns steht jemand, den ihr nicht kennt.‘ sagt schon der Täufer zu den Pharisäern in 1,26.“290 Nach der Auffassung des Volkes (V.31) wird vom Messias erwartet, dass er Wunder bewirkt. Eine solche Erwartung lässt sich jüdischerseits 285
T HEOBALD, 526. Vgl. u.a. W ENGST I, 284; SJÖBERG, Menschensohn, 210; B ULTMANN, 223 FN 2. 287 Vgl. SyrBar 29,3: „Und dann wird es geschehen: Wenn das vollendet ist, was kommen wird in diesen Zeitabschnitten, wird der Messias dann beginnen offenbar zu werden“. Vgl. auch äth Hen 46,2; 48,6; 69,29. 288 So z.B. B ROWN I, 313; THEOBALD, 526–527; SCHNACKENBURG II, 202–203; H AENCHEN, 356; STRACK/B ILLERBECK, 488–489. 289 Eine solche Erwartung ist in jüdischen Quellen kaum belegt (vgl. eventuell 4 Esr 13,52) aber scheint bei Justin im Dialog mit Tryphon rezipiert worden zu sein. Vgl. Dial 8,4: „[...] Vorausgesetzt dass Christus irgendwo geboren ist und irgendwo lebt, so ist er doch so lange nicht erkennbar, erkennt auch sich selbst so lange nicht, und hat so lange keine Macht, bis Elias erscheint, ihn salbt und aller Welt kundmacht. […]“ und Dial 110,1: „[…] Im Falle sie aber behaupten, er [= der Messias] sei erschienen, sagen sie, man weiss nicht, wer er ist; erst wenn er offen in Herrlichkeit auftritt, dann wird man erkennen, wer er ist.“ 290 T HEOBALD, 525. Zur Vorstellung vom verborgenen Messias in 1,26 vgl. auch B ROWN I, 53. 286
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schwer belegen, obwohl sie möglicherweise an zwei Vorstellungen anknüpft. Einerseits galten Wunder, besonders Heilungen, als Merkmal der Heilszeit. In gewissen Texten wird die Hoffnung darauf ausgedrückt, dass am Ende der Zeit Gott selbst Krankheit, Tod oder Unterdrückung beseitigen wird291 (vgl. Ps 146,7–8; 4Q521 Fr 2 II); in anderen Quellen wird dies von seinem Gesalbten ausgesagt (vgl. Jes 61,1). Andererseits wurden Zeichen (keine Heilungen) als Legitimationsmirakel von einem endzeitlichen Propheten wie Mose erwartet. Somit ist (auch wenn das Volk nicht eins zu eins jüdische Erwartungen wiedergibt) mit „partieller Deckung des Satzes durch jüdische Traditionen […] zu rechen, wobei diese Traditionen christlich gefiltert sein können.“292 Die Erwartungen gegenüber dem endzeitlichen Propheten einerseits und gegenüber dem Messias andererseits verschmolzen bereits im Frühjudentum, wie die Qumrantexte belegen293. Daher ist es nicht erstaunlich, dass Jesus Züge beider Heilsfiguren annimmt, so dass die Heilungswunder das Anbrechen der messianischen Zeit ankünden und zugleich die gleiche Funktion wie die Beglaubigungswunder des endzeitlichen Propheten haben und Jesus als den Gesandten Gottes legitimieren. Auch in den V.40–42 wird die Identität Jesu im Spiegel eschatologischer Erwartungen diskutiert. Ein Teil der Menge beantwortet die Frage, wer er ist, indem sie ihn mit dem Propheten identifizieren. Damit ist wie in 1,21.23.25; 6,14; an die Verheissung des „Propheten wie Mose“, die in Dtn 18,15.18 ihre Wurzel hat, erinnert. Diese endzeitliche Heilsbringerfigur lässt sich von dem erwarteten davidischen Messias unterscheiden, da sie kaum königliche Attribute besitzt. Eine andere Stimme macht sich aber im Volk hörbar: Jesus ist der Messias. Diese Position stösst auf Widerstand, weil Jesus die entsprechende Erwartung nicht erfüllt. Besonders problematisch ist seine Herkunft aus Nazareth, welche der Verheissung eines neuen Davididen aus Bethlehem widerspricht.294 Dieser Einwand wurzelt in jüdi291
Vgl. T HEOBALD, 529. Vgl. auch äth Hen 96,3; vgl. Jub 23,30. T HEOBALD, 529. 293 So beobachtet Z IMMERMANN (Erwartungen, 141) in seiner Untersuchung der messianischen Texte aus Qumran zu Recht: „Beim ‚königlichen‘-herrscherlichen, priesterlichen und prophetischen Aspekt handelt es sich nicht um ein dreiteiliges eschatologisches Credo der Essener, sondern um Grundlinien der messianischen Erwartung, die je nach Zeit und Text unterschiedlich akzentuiert wurden und sogar ineinander überfliessen konnten.“ Detaillierte Analyse in: ZIMMERMANN, Texte. 294 Interessanterweise steht eine solche Erwartung in Widerspruch zu V.27, wo die Unbekanntheit der Herkunft Jesu betont wird. Somit wird deutlich, dass in Joh 7 unterschiedliche messianische Erwartungen (und nicht nur eine) an Jesus herangetragen werden. Gegenüber einer weder historisch noch theologisch zutreffenden Rede von der jüdischen Messiaserwartung bzw. von dem Messias soll die Vielfalt messianischer Erwartungen und endzeitlicher Heilsgestalten betont werden, (vgl. L ICHTENBERGER, Erwartungen, 9). Die verschiedenen Vorstellungen lassen sich nicht zu einer quasi 292
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schen Erwartungen, denn „[depuis] la prophétie de Nathan, souvent reprise dans l’Ecriture [vgl. 2 Sam 7; Mi 5,1; Jes 7,13; 9,6; 11,1; Ps 18,51], la descendance davidique de Messie était un donné ferme de l’attente juive.“295 Dennoch ist deren christliche Rezeption (vgl. Mt 1–17 und Lk 1,32; 2,4) und die mögliche Auseinandersetzung mit Argumenten gegen die Messianität Jesu, die aus der Erwartung eines Davididen abgeleitet wurden, nicht zu unterschätzen. In den drei Wortmeldungen wird auf jüdische Tradition rekurriert. In diese Wiedergabe jüdischer Erwartungen fliessen aber sehr wahrscheinlich Argumente gegen die Messianität Jesu, die zur Zeit der Redaktion des Evangeliums im Umlauf waren, wie auch die christliche Rezeption der Messiasverheissung ein, so dass diese Aspekte sich nicht säuberlich trennen lassen. Wichtiger als eine genaue Bestimmung des traditionellen Hintergrundes (jüdisch oder christlich) ist m.E. die Analyse der joh Bearbeitung und besonders die Einbettung in den Kotext.296 2.3 Weisheitsmotive in Joh 7 Neben den expliziten Schriftbezügen befinden sich in Joh 7 auch implizite Schriftanspielungen. In diesem Zusammenhang wird auf die Nähe zu Motiven aus der Weisheitsliteratur hingewiesen297. Besonders Gemeinsamkei„abgeschlossene Messiasdogmatik“, die es so sowieso nie gab, zusammenfügen. Vielmehr werden je nach Quelle andere Aspekte in den Vordergrund gestellt, so dass bei einer Systematisierung Widersprüche sichtbar werden. 295 L ÉON-D UFOUR, 241. 296 Dass die messianischen Erwartungen in die Dialoge eingebettet bzw. in den Mund des Volkes gelegt werden, soll eine besondere Aufmerksamkeit bekommen. Somit setze ich einen anderen Akzent als die Mehrheit der Exegeten, welche der Untersuchung der traditionellen Hintergründe mehr Gewicht geben. Mehr dazu bei IV.3.2.2. 297 Vgl. B ROWN I, 318; SCHNACKENBURG II, 214; THEOBALD, 531; FRÜHWALDK ÖNIG, Tempel, 202. Die Thematik der Weisheit in Joh 7 und 8 wurde besonders von C ORY (Wisdom) herausgearbeitet. Sie unterscheidet zwischen den „Wisdom/Sophia Traditions“ und dem „wisdom tale“: „Wisdom/Sophia traditions employ the technique of personification to adress a number of questions concerning the origin and nature of God’s wisdom“ (99). Hingegen ist das wisdom tale „a story in which the protagonist is threatened with trial or ordeal but later is rescued, vindicated, and restored to power, while his or her opponents are made to suffer for their wrongdoing“ (95). Sie knüpft dabei an die Untersuchung von Nickelsburg an, der die Formelemente solcher Erzählungen erforschte. Er „investigates the stories of the Joseph Cycle (Genesis 37–42), the story of Ahikar, the Mordecai story in the book of Esther, Daniel 3, Daniel 6 and the story of Suzanna“ (96 FN 1). Die Funktion solcher Erzählungen besteht darin, „to assert the sovereignity of God against the forces of evil, who seeks to destroy the protagonist“ (99). Während die Anknüpfung an die „Wisdom/Sophia traditions“ viel Plausibilität aufweist, scheint mir der Hinweis auf das „wisdom tale“ weniger überzeugend, auch wenn ihre Textbeobachtungen sehr wertvoll sind. Die Merkmale des pattern „wisdom tale“ sind sehr allgemein gehalten und lassen sich eher durch die narrativen Elemente, die an einem Prozess- und
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ten zwischen der joh Darstellung Jesu und atl. Texten, in denen die Weisheit personifiziert als Frau in Szene gesetzt wird, wurden oft beobachtet. „Das führt zur These, dass hier Jesus in persona sapientiae spricht oder anders formuliert: Gottes Weisheit ist in seiner Person leibhaftig auf Erden erschienen.“298 Um die Stichhaltigkeit einer solchen Ansicht zu überprüfen, werden drei Themen kurz besprochen: die Einladung zu kommen und zu trinken, das Motiv des Suchens und Nichtfindens und die Ähnlichkeiten zwischen dem Weg der personifizierten Weisheit und demjenigen Jesu. Schliesslich werden die Ergebnisse zusammengefasst und ausgewertet. 2.3.1 Die Einladung zu kommen und zu trinken In Anlehnung an die Tradition, die gerne die Gabe der Weisheit mit dem Bild des geschenkten Wassers entfaltet (vgl. Prov 13,14; [14,27]; 18,4; 16,22 Sir 15,3), fordert „Frau Weisheit“ auf, zu ihr zu kommen, zu trinken und zu essen (vgl. Prov 9,3–6; Sir 24,19–33; 51,23–26). Die Worte Jesu in V.37–38 erinnern möglicherweise an eine solche Einladung. Dennoch spielt dieses Motiv m.E. im Vergleich zu den Heilsverheissungen, die dank der Schriftverweise und der Erwähnung des Laubhüttenfestes in Erinnerung gerufen werden, eher eine zweitrangige Rolle. Die Einladung Jesu dient primär dazu, das Kommen des Heils in seiner Person zu verdeutlichen und weniger dazu, ihn als personifizierte Weisheit zu schildern. 2.3.2 Suchen und Nichtfinden Die Aussage Jesu „ihr werdet mich suchen und nicht finden“ (V.34) entspricht quasi wörtlich Prov 1,28–29. Diese Drohung redet die Weisheit zu denjenigen, die sie ablehnen. „Joh 7,34 könnte auf diesen Vers anspielen, wenn das hier artikulierte Motiv der vergeblichen Suche (der Weisheit) nicht schon längst topisch geworden wäre.“299 Bei diesem Motiv sind Variationen zu beobachten. Besonders das Objekt des Suchens kann variieren (die Weisheit, aber auch das Wort Gottes und JHWH selbst). Jesus spielt nicht präzis auf die Weisheitsliteratur an, sondern benutzt allgemein eine Drohung, welche das Nichtfinden Gottes (seiner Worte oder seiner Weisheit) als Strafe für eine frühere Ablehnung thematisiert. Indem Jesus seinen Weggang zum Vater und seine Folgen mit ähnlichen Worten ankündigt, erhebt er indirekt den Anspruch, die heilvolle Präsenz Gottes in sich zu tragen. Gerichtsablauf anklingen, erklären. (Zu den forensischen Aspekten von Joh 7 vgl. N EYTrials, 109–116.) 298 T HEOBALD, Herrenworte, 432. 299 T HEOBALD, Herrenwort, 433. Vgl. Prov 6,12; 8,17; 24,14. Vgl. auch 4 Esr 5,9–10.
REY ,
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Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen den Worten Jesu und denjenigen der Weisheit. Während die Drohung in der atl. Schrift eindeutig eine (religiöse) Suche im übertragenen Sinn meint, wird in 7,34 mit der Doppeldeutigkeit von ζητέω gespielt. Die übertragene (religiöse) Bedeutung des Verbs verschwindet nicht: Es geht darum, die Notwendigkeit der Gegenwart Gottes zu erkennen und sie zu suchen. Jesus fordert die Zuhörer auf, die Präsenz Gottes in seiner Person zu entdecken. Dieses Verständnis von ζητέω steht aber im Kontrast zum Gebrauch des Verbs im ganzen Kapitel. Meistens300 bezeichnet es den feindlichen Versuch der Juden oder der Volksmenge, Jesus zu ergreifen oder zu töten. In V.34 spielt auch dieser (wörtliche) Sinn eine Rolle. In seiner Äusserung deckt Jesus die Vergeblichkeit ihrer Versuche auf: Ihr „Suchen“ wird erfolglos bleiben. Somit wird deutlich, dass „Jesus ‚unfassbar bleibt‘ – auch wenn er schliesslich festgenommen werden wird. Weil bei Gott aufgehoben, ist er für jene doch ungreifbar, die ihn ergreifen wollen und schliesslich auch ergreifen werden“301. Dank der Doppeldeutigkeit des Verbs ζητέω problematisiert Jesus ihr Suchen, das dasjenige, was sie tief bewegt, widerspiegelt: ζητέω umfasst nämlich das Streben und die Willensrichtung des Menschen im weitesten Sinne302. Während die Juden und das Volk sich bei ihrer Suche nach Jesus von ihren feindlichen Absichten leiten lassen, verfehlen sie das „wahre Suchen“, das Sehnen nach der Präsenz Gottes. Wenn sie so suchen würden, würden sie entdecken, dass Gott sich in Jesus offenbart, dass er in ihm und durch ihn gegenwärtig ist. 2.3.3 Der Weg der Weisheit und der Weg Jesu Noch weitere Züge der personifizierten Weisheit scheinen die joh Schilderung Jesu mitzuprägen. Eine wichtige Gemeinsamkeit besteht im Gebrauch der Wegmetaphorik, die Ursprung, Funktion und Ablehnung (der Weisheit bzw. Jesu) in der Welt reflektiert. Die Weisheit wohnte bei Gott, stieg zu den Menschen herab, wurde aber nicht erkannt und kehrte zum Himmel zurück. Die Nähe zum Schicksal Jesu, des präexistenten λόγος, der Fleisch wurde und zu seinem Vater zurückkehrt, ist auffällig. Genau wie derjenige der personifizierten Weisheit enthält sein Weg drei Stationen: Das vorwelt-
300
In Joh 7 kommt ζητέω elfmal vor: In V.1.19.20.25.30 bezeichnet es die feindlichen Versuche der Juden und der Volksmenge, Jesus zu töten; in V.4.18 wird damit das Suchen Jesu nach der Ehre Gottes bezeichnet, welche die Suche nach öffentlicher Anerkennung (V.4) und nach eigener Ehre (V.18) ausschliesst; in V.11.34.36 wird mit der Doppeldeutigkeit des Verbs gespielt. 301 W ENGST I, 288. 302 Vgl. G REEVEN, ζητέω, 895.
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liche Zusammensein bei Gott, der Versuch bei den Menschen zu wohnen 303 und die Rückkehr zum Himmel. Nach der Auffassung Theobalds ist dieser „Weisheitsmythos“304 ein wichtiger Hintergrund der Szenerie von Joh 7. Die Worte und das Auftreten Jesu in Joh 7 entsprechen seinem Wesen als personifizierter Weisheit. „Als solche tritt er zu gegebener Stunde aus seiner himmlischen Verborgenheit hervor, weilt für kurze Zeit auf Erden, um den Auftrag seines Va305 ters zu erfüllen, und kehrt dann wieder in seine Heimat zurück.“ Besonders V.33–34, wo der Weg Jesu thematisiert wird, sind vor diesem Hintergrund zu verstehen. Trotz einiger Gemeinsamkeiten mit dem „Weisheitsmythos“ scheint mir die joh Schilderung des Weges Jesu stärker von der joh Theologie geprägt zu sein, als die These von Theobald vermuten lässt, so dass eine Identifizierung Jesu mit der personifizierten Weisheit fragwürdig erscheint. Anders als bei der Weisheit wird das Kommen Jesu als Sendung beschrieben. Die Einheit wie auch die Differenz zwischen dem Sohn und dem Vater können dadurch thematisiert werden. Auch die Rückkehr Jesu zu seinem Vater wird im JohEv sorgfältiger und breiter reflektiert als im „Weisheitsmythos.“ Der Rückzug der Weisheit begründet und verstärkt das Motiv des Nichtfindens – weil die Weisheit nicht angenommen wurde, steigt sie zum Himmel zurück und kann nicht mehr gefunden werden. Demgegenüber übernimmt die Rückkehr Jesu zu seinem Vater eine ganze andere Funktion. Sie trägt zur Deutung seines Todes bei. Seine Kreuzigung ist nicht das Zeichen eines Misserfolgs, sondern seiner Erhöhung, denn die Passion ist der Moment der Rückkehr zum Vater, deren Positivität (Erfüllung seines Werkes und Gabe des ewigen Lebens) im Zentrum steht. Die Drohung des Nichtfindens ist im Vergleich wenig herausgearbeitet. 2.3.4 Ergebnisse Die intertextuellen Bezüge zwischen Joh 7 und der Weisheitsliteratur sind implizit. Sie bereichern zwar die Interpretation des Lesers, der sie bemerkt, 303
Ein solcher Einfluss ist besonders im Prolog sichtbar. Zur traditionsgeschichtlichen Linie zwischen verschiedenen Vorstellungen der personifizierten Weisheit vorweltlichen Ursprungs und ihrer Rezeption in Joh 1 vgl. LEUENBERGER, Weisheit. 304 Mit diesem Begriff bezeichnet THEOBALD, Herrenworte, 434, (in Anlehnung an W ILCKENS, σοφία, 508–509) die oben beschriebene Vorstellung des Weges der personifizierten Weisheit, an welche zahlreiche jüdische Texte anzuspielen scheinen, vgl. Prov 1,20–33; 8,27–36; 24,1–34; Sir 24,1–22; Bar 3,9–4,4; äth Hen 94,5 usw. Vgl. insbesondere äth Hen 42,1–2: „1. Die Weisheit fand keinen Platz, wo sie wohnen konnte, da hatte sie eine Wohnung in den Himmeln. 2. Die Weisheit ging aus, um unter den Menschenkindern zu wohnen und sie fand keine Wohnung; die Weisheit kehrte an ihren Ort zurück und nahm ihren Sitz unter den Engeln.“ 305 T HEOBALD, 530–531.
3.Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 7
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bilden aber nicht den Hintergrund, der für das Verständnis der Worte Jesu unentbehrlich ist. Durch kleine Striche wird die Identität Jesu in Joh 7 nach und nach verdichtet. Sukzessiv offenbart er sich als der Gesandte Gottes, übernimmt Züge der göttlichen Weisheit und erweist sich als derjenige, der Heil schenkt, denn in seiner Person finden die atl. Verheissung ihre Erfüllung. Darüber hinaus ist die Frage seiner Messianität Gegenstand von Diskussionen im Volk. Keiner dieser Aspekte ermöglicht es, ihn ganz zu erfassen, aber alle Elemente ergänzen sich und stehen im Dienst der Entfaltung der joh Christologie. Die Nähe zwischen Jesus und der personifizierten Weisheit bietet eine mögliche Erklärung für die negative Reaktion der Juden auf Jesus. Die Weigerung Jesus anzunehmen, wird in Joh 7 festgestellt und reflektiert. Schon vor den verschiedenen Tötungs- und Festnahmeversuchen in Jerusalem kündigt Jesus im Gespräch mit seinen Brüdern an, dass sein Zeugnis den Hass der Welt hervorruft. In seiner ersten Rede an die Juden (V.18) unterstreicht er, dass er nicht seine eigene Ehre, nicht seinen eigenen Erfolg sucht. Die Anspielungen an die Weisheitstradition übernehmen eine ähnliche Funktion. Das Motiv der vergeblichen Suche liefert dem Leser, für den die Ablehnung Jesu schwer nachvollziehbar ist, einen möglichen Interpretationsrahmen: „L’évangile en use pour souligner le refus d’accueillir Jésus, de la même façon que le refus d’accueillir la Sagesse est mis en relief dans le livre des Proverbes.“306
3.Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 7 3.1 Beschreibung der intertextuellen Bezüge auf die Schrift In Joh 7 wird hauptsächlich mit Schriftverweisen307 gearbeitet: In V.19–24 und 37–38 werden diese expliziten Bezüge in Jesu Mund gelegt und in den Dienst seiner Argumentation gestellt. Obwohl der Inhalt ziemlich genau wiedergegeben wird, handelt es sich nicht um Zitate.308 In V.15 und V.49 wird ebenfalls auf die Schrift verwiesen, wobei aber auffällt, dass inhaltliche Aspekte irrelevant bleiben. Im Vordergrund stehen die Schriftkenntnisse der verschiedenen Figuren. Legitimation und 306
D EVILLERS, Fête, 307. Zur Definition von Verweisen vgl. II.4.2.1.1. Andere Schriftbezüge spielen kaum eine Rolle. Es gibt keine Zitate und kaum Anspielungen. Einzig zu erwähnen sind die Anklänge an Motive aus der Weisheitstradition. Die wichtige Rolle des Laubhüttenfestes ist nicht zu unterschätzen, gehört aber nicht im engeren Sinne zur Problematik der Intertextualität. 308 Die Konsequenz dieser formalen Unterscheidung wurde schon für die V.37–38 hervorgehoben. Vgl. IV.2.1.2. 307
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Autorität bei den religiösen Fragen hängen von dem Wissen der Protagonisten ab. Es handelt sich um metatextuelle Bezüge, denn es wird über die Schrift und die Ansprüche, die mit ihren Kenntnissen zusammenhängen, gesprochen, ohne dass ihr Inhalt eine Rolle spielt. Mehrmals versucht das Volk, die Identität Jesu zu erfassen, indem es auf Messiaserwartungen verweist (V.27.31.41–42). Hier entsteht eine methodische Schwierigkeit. Handelt es sich wirklich um intertextuelle Bezüge? Im Vordergrund steht nämlich nicht die Bezugnahme auf einen Prätext, der sich identifizieren lässt, sondern es wird allgemeiner an eine religiöse Tradition erinnert. Es wird nicht präzis auf die Schrift verwiesen (auch wenn sie in V.42 erwähnt wird), sondern es wird höchstens eine von ihr abgeleitete Lehre kurz erwähnt. Eine solche formale Differenzierung hat aber m.E. für die Interpretation von Joh 7 kaum eine Folgewirkung, denn der Evangelist scheint nicht an dieser Unterscheidung interessiert zu sein. Vielmehr stellt er durch die Aussage seiner Figuren verschiedene Umgänge mit Schrift und Tradition (ohne beide voneinander abzuheben) dar. Die Voten des Volkes können somit als Verweise auf den Inhalt der Schrift gelten. Explizit auf die Schrift verweist auch Nikodemus in V.51. Auf den ersten Blick scheint es, als ob er an ein Gebot erinnert, das sich von verschiedenen Torastellen ableiten lässt. Er erläutert den Inhalt des Gesetzes und setzt sich für seine Einhaltung ein. Die Mehrdeutigkeit der Aussage lässt aber die Frage aufkommen, ob wir es mit einem metatextuellen Bezug zu tun haben. Zuerst wird das Gesetz fast personifiziert (ὁ νόµος ἡµῶν ist das Subjekt) und tritt als Richter auf: Es (ver)urteilt.309 Seine autoritative Funktion, die es über die menschlichen Ansprüche stellt, wird dadurch deutlich hervorgehoben. Die Macht zu urteilen liegt also nicht in den Händen der Menschen, die die Schrift kennen oder zu kennen behaupten, sondern es verhält sich genau umgekehrt: Allein die Tora ermöglicht ein Urteil, das dann durch die Menschen vollzogen wird. Sie ist die oberste Instanz. Zudem wird der Leser aufgrund des joh Gebrauchs von „hören“, der oft in einer gewissen Nähe zu „glauben“ steht,310 implizit dazu eingeladen, darüber nachzudenken, ob das Gesetz auf eine besondere Art und Weise dazu auffordert, auf Jesus zu hören bzw. an ihn zu glauben. Auch wenn die Wörter γραφή oder νόµος nicht vorkommen, befindet sich auch in V.52 ein Verweis auf die Schrift, da das Verb ἐρευνάω „erforschen, tiefgründig nachforschen“ sich im JohEv (vgl. 5,39) auf das Stu309
Vgl. die erste Übersetzungsmöglichkeit: „Richtet etwa unser Gesetz den Menschen, ohne dass man ihn zuerst gehört (= ihn verhört) hat und weiss, was er tut?“ 310 Vgl. die zweite Übersetzungsmöglichkeit: „Richtet etwa unser Gesetz den Menschen (= hier Jesus), ohne dass man ihn zuerst gehört hat (im joh Sinn „d’une écoute spirituelle conduisant à un accueil de foi“ [L ÉON-D UFOUR, 245]), und weiss, was er tut?“
3.Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 7
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dium der Schrift bezieht . Hier wird einerseits allgemein auf den schlechten Ruf Galiläas angespielt: Kein Prophet kommt aus dieser Gegend und 312 dies wird schon in der Schrift bezeugt. Andererseits wird die Reflexion über das Problem der galiläischen Herkunft Jesu angesichts der messianischen Erwartung einer bethlehemitischen Geburt (vgl. V.41–42) weiter vertieft. 3.2 Inhaltliche Vertiefung
313
Die verschiedenen Verweise werden nicht einzeln erläutert, sondern es sei auf ihre Behandlung im Rahmen der Versauslegung (V.19–24.52), des Abschnittes „Aufforderung an den Leser“ (V.51) oder der Diskussion mit der Forschung (V.27.31.41–42 und 37–38) verwiesen. Dennoch können weitere Inhalte präziser erfasst werden, wenn die verschiedenen Schriftbezüge zusammen betrachtet werden. Die Verweise bilden ein Art „System“, denn sie ergänzen sich und vertiefen sich gegenseitig. Wie in Joh 4 kreisen die Schriftbezüge um ein einziges Thema: Jesus und seine Identität. Jedoch ist ein wichtiger Unterscheid zwischen den beiden Perikopen festzustellen. In Joh 4 wirken alle Schriftbezüge zusammen, um die Botschaft des Evangeliums zu verdeutlichen; das in der Schrift verheissene Heil ereignet sich in Jesus. Hingegen erfolgt in Joh 7 nur teilweise eine solche christologische Inanspruchnahme der Schrift, denn nur in V.19–24.37–38 wird die Interpretation der Schriftbezüge präzise (im Munde Jesu) entfaltet. Im Gegensatz dazu wird in V.27.31.41–42.52 die Schrift in den Reden der anderen Figuren nur kurz erwähnt, ohne breit ausgelegt zu werden, so dass die Beurteilung und die Interpretation der Schriftverweise dem Leser überlassen werden. 3.2.1 Verweise auf die christologische Heilsbotschaft In V.21–24 verweist Jesus auf das Gesetz, um die von ihm am Sabbat vollzogene Heilung des Gelähmten zu rechtfertigen. Dabei übt er keine Kritik am Gesetz, als ob er es nicht halten wollte, sondern er zeigt die Nähe zwischen seiner Heilung und der Beschneidung auf, denn beide zielen auf das Heil des Menschen. Das Tun Jesu übersteigt aber die alte Tradition, denn ihm gelingt es, den ganzen Menschen gesund zu machen. Somit ist sein Verhalten „die Verwirklichung der erlösenden Absicht Gottes, auf welche 311
Vgl. die Auslegung von V.52 (IV.1.3.4.3). In ihrer Sicherheit, dass es unmöglich sei, dass ein Prophet aus Galiläa kommt, irren sie sich. Vgl. IV.3.2.2.2. 313 Da die Verweise der V.15 und 49 nur auf Äusserungen über die Schriftkenntnisse der anderen Figuren bestehen und kaum inhaltliche Schriftinterpretation vornehmen, werden sie hier nicht berücksichtigt. 312
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IV. Johannes 7
das Gesetz verwiesen hatte.“314 In seinem Verweis auf die Schrift legt Jesus ihren tieferen Sinn dar. Der Wille Gottes besteht darin, dass der Mensch das Leben in Fülle erhält, dass er ganz gesund wird und diese Heilsgabe ereignet sich in der Begegnung mit Jesus. In 7,37–38 ist ein ähnlicher Umgang mit der Schrift zu beobachten. In seiner Einladung zum Glauben verwendet Jesus die atl. Wassermetapher, um zu verdeutlichen, dass die Heilsverheissungen in seinem Kommen und in seinen Gaben ihre Erfüllung finden. Anhand der Schrift wird die Identität Jesu und der Sinn seiner Werke (Kommen, Zeichen, Passion) verdeutlicht. Im Vordergrund steht aber nicht die Messianität Jesu, denn die Kontinuität mit der Schrift wird nicht durch das Eintreffen messianischer Erwartungen gewährleistet, sondern durch die Erfüllung der tieferen Bedeutung des Gesetzes (das Heil des Menschen) und der atl. Verheissung. Der Heilswille Gottes, der in der Geschichte mit Israel sichtbar wurde, findet seine Vollendung in der Person Jesu. Eine solche christologische Interpretation führt zu einer neuen Akzentuierung der alt. Motive. Dies wird besonders in V.37–38 deutlich. Jesus ruft jeden einzelnen Mensch zu sich, so dass eine universelle Einladung (alle sind eingeladen) und die Individualität des Glaubens (jeder Einzelnen kommt zu ihm) an die Stelle von Verheissungen treten, die zu Israel gesprochen wurden (eine abgeschlossene Kollektivität). Auch die Zeitperspektive verändert sich. Während die atl. Verheissungen die Endzeit als eine entfernte Zukunft verstehen, in der das Heil dann eintreffen wird, kündigt Jesus die Erfüllung des Heils in der nahen Zukunft seiner Passion an. Für die nachösterlichen Leser ist das Heil nun gegenwärtig. 3.2.2 Verweise und die offen gelassene Interpretation Bei einigen Bezügen auf die Schrift wird dem Leser absichtlich ein interpretativer Freiraum zugestanden, wobei er aber durch Hinweise des Textes in seiner Lektüre geleitet wird. Der Rezipient soll nämlich selber in den gesetzten Grenzen der Erzähllogik und der im Werk vertretenen Theologie die im Dialog vorgeschlagenen atl. Deutungen richtig einschätzen. Die Verweise in V.31.41.42 sind nicht in positive Aussagen eingebettet, sondern kommen in rhetorischen Fragen vor, deren Funktion als Aufforderung an den Leser eine eigene Entscheidung zu treffen, schon hervorgehoben wurde315. In V.27 schliesst die Erinnerung an die Tradition des verborgenen Messias einen Dialog ab, bei dem verschiedene Stimmen aus dem Volk laut werden. Der Abschnitt ist so gestaltet, dass die Unschlüssigkeit des Volkes unterstrichen wird. Da der Erzähler diese verschiedenen Positi314 315
B ARRETT, 328. Vgl. IV.1.6.
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onen nicht kommentiert, wird der Leser eingeladen, selbst Stellung zu beziehen. Der Verweis des V.52 begegnet seinerseits dem Leser in der Form eines Imperativs. In der Erzählwelt verlangen die Pharisäer von Nikodemus eine genaue Untersuchung der Schrift (V.52), auf der Kommunikationsebene zwischen Autor und Leser wird letzterer angesprochen: Die Aufforderung ist indirekt auch an ihn gerichtet. Diese verschiedenen Stilmittel, seien es die rhetorischen Fragen, die unkommentierte Darstellung verschiedener Positionen oder der Befehl, die Schrift zu erforschen, nötigen den Leser, über die vorgeschlagenen Interpretationen nachzudenken und sich eine Meinung zu bilden, wobei Vorgaben des Textes selber seine Deutungsoffenheit einschränken. 3.2.2.1 Die Worte der Leute aus dem Volk (V.27.31.41.42) Die Leute aus dem Volk (V.27.41.42) lehnen Jesus als Messias ab, denn ihre Kenntnisse über ihn widersprechen den traditionellen aus der Schrift abgeleiteten Messiaserwartungen.316 Statt die Argumente explizit zu entkräften, überlässt der Autor dem Leser die Widerlegung der Einwände. Obwohl es klar ist, dass die Kritik des Volkes nicht wirklich die Messianität Jesu in Zweifel ziehen kann, bietet der Text keine Gegenargumente an. Der Leser sieht sich gezwungen, seine Position selbst zu rechtfertigen. Verschiedene Rezipienten können unterschiedliche Argumente liefern. Ich stelle exemplarisch drei mögliche „Interpretationen“ des Votums des Volkes vor.317 Wer die synoptische Tradition (oder eine andere christliche Form der Tradition der bethlehemitischen Geburt Jesu und seiner davidischen Herkunft) kennt318, kann wohl der Voraussetzung zustimmen, dass der Messias nach der Schrift aus Davids Geschlecht und aus Bethlehem hervorgehen soll. Es ist ihm aber zugleich bewusst, dass „nur mit der früheren Lebens316
In V.31 ist eine ähnliche Argumentation zu beobachten, obwohl diesmal die Leute aus dem Volk sich für Jesus aussprechen: Sie glauben an ihn, denn seine Wunder bestätigen ihn nach ihrer abgeleiteten Lehre aus der Schrift als Messias. 317 Bei meinem Vorschlag möglicher Interpretationen der Voten des Volkes lehne ich mich bis zu einem gewissen Grad an Positionen an, die von Kommentatoren vertreten wurden. Auch wenn gewisse Exegeten mit Nuancen verschiedene Interpretationen kombinieren, wird meistens eine Deutung (implizit oder explizit) auf Kosten anderer vorgezogen. Der Interpretationsraum, der dem Leser gegeben wird, wird meistens nicht wahrgenommen, da die Argumente stark von einer intentio auctoris ausgehen, wobei die Forscher eine eindeutige Beurteilung der Aussage des Volkes beabsichtigen. Somit wird die Offenheit des Textes, die gerade einen Reflexionsprozess auslöst, nicht genügend berücksichtigt. 318 Folgende Autoren gehen davon aus, dass Johannes mit der Tradition der bethlehemitischen Geburt Jesu vertraut war: T HYEN, 410; B ARRETT, 337; Ligthfoot, 184; Z AHN, 401; L ÉON-D UFOUR, 241; FREY, Infancy, 203.
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geschichte Jesu unbekannte Leute daraus Gründe gegen sein Anrecht auf 319 die Messiaswürde schöpfen konnten.“ Die Kritik des Volkes enthüllt ihre Unwissenheit über die Geburt Jesu und ironischerweise macht er sie zu unfreiwilligen Zeugen seiner Messianität.320 Ähnlich lässt sich V.27 verstehen. Der vermeintliche Einwand, dass der Christus vorab verborgen bleibt, erweist sich angesichts der joh Erzählung (vgl. 1,33) gerade als Rechtfertigung des Messiasanspruchs Jesu. Die Argumente des Volkes brauchen nicht entkräftet zu werden, denn für jemanden, der Jesus richtig versteht, bestätigen sie, dass er der Christus ist, statt es zu bestreiten. Für solche Leser stimmen die Messiaserwartungen mit ihrem Wissen über Jesus überein.321 Für andere Leser gehen die Argumente des Volkes für oder gegen die Messianität Jesu nicht tief genug, denn sie sind auf einem vordergründigen Verständnis der Wunder und der Herkunft Jesu aufgebaut. Die Leute, die als Grund ihres Glaubens die σηµεῖα angeben (V.31), disqualifizieren sich selber. Sie nehmen an, dass Zeichen als blosse Wunder einen Sinn haben könnten, und „fragen nicht nach der Bedeutung der Zeichen, dem, was durch das Zeichen ausgedrückt ist.“322 Die Unzuverlässigkeit eines solchen Glaubens wird wiederholt im Evangelium herausgestellt (vgl. 2,23; 4,48, u.a.). Genauso oberflächlich ist die Kritik an der Messainität Jesu aufgrund seines Kommens aus Nazareth (V.27.41–42). „Der Glaube an Jesus Christus als den Sohn und Gesandten Gottes kann nicht durch seine irdische Herkunft, sondern allein durch seine himmlische Herkunft belegt werden.“323 Angesichts seiner Offenbarungsreden (7,16–18.28–29), in denen Jesus seine Sendung vom Vater erläutert, verfehlt die Debatte um die geographische Herkunft Jesu den springenden Punkt. „Wer auf dieser Ebene diskutiert, hat […] nicht begriffen, woher Jesus in Wahrheit stammt.“324 319
Z AHN, 401. In diesem Sinn vgl. T HYEN, 410, der ein intertextuelles Spiel mit den Synoptikern vermutet. 321 Dies gilt natürlich auch für das Argument des V.31: Die Wunder Jesu entsprechen den eschatologischen Erwartungen und lassen deswegen die wahre Identität Jesu erahnen. Die Wunder werden auch bei den Synpotikern als Argument für die „Messianität“ Jesu oder für seine Vollmacht angeführt: vgl. Mk 2,1–11 (// Mt 9,1–8; Lk 5,17–26); Mt 8,17; 11,2–6 (// Lk 7,18–23); Lk 4,17–19. 322 B ARRETT, 331. 323 SCHNELLE, 165. Vgl. auch SCHNACKENBURG II, 220. 324 THEOBALD, 544. Vgl. auch FREY (Infancy), der aber den Gegensatz zwischen himmlischer und irdischer Herkunft Jesu nuancierter wahrnimmt: „The idea that Jesus is Joseph’s son from Nazareth, therefore in no way contradicts the idea that he may have been sent from God and that he has come from heaven. For the true believer, both can be true“ (206). Zusammenfassend erläutert er: „Whereas Jesus’ opponents merely see the one whose earthly origin and family they know (and thus refuse to accept his heavenly origin or divine authority), the true believers can perceive his divine glory within the earthly 320
3.Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 7
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Die gesamte Schriftargumentation des Volkes vermag nicht, die Messianität Jesu in Zweifel zu ziehen, denn sie urteilt κατ᾿ ὄψιν (vgl. V.24). Andere Leser nehmen Anstoss an der Argumentation der Menschen aus dem Volk, denn diese messen Jesus an ihren religiösen Überzeugungen, statt sich für seine Offenbarung zu öffnen. Der Leser sieht „the inadequacy of all pre-existent definition of the Messiah when applied to Jesus. Traditional messianic categories are inadequate because they rely on prior assumptions and expectations rather than judging Jesus on the basis of what he reveals about himself: that he is the one sent from God.“325 Der Leser distanziert sich vom Volk, das sein religöses Wissen als endgültigen Massstab setzt und sich somit den Glauben an Jesus verschliesst. Einem solchen Leser erscheint das Bekenntnis von V.31 fraglich: Zwar vermuten einige, dass Jesus der Messias ist, dennoch ist ihr aufkeimender Glaube ungenügend, denn er gründet in der Übereinstimmung zwischen ihrer Messiaserwartung, die als oberste Richtlinie fungiert, und ihrem Wissen über Jesus. Trotz der Skepsis gegen die messianische Tradition ist vor Interpretationen zu warnen, welche die kritische Haltung zu sehr betonen. Es ist übertrieben zu sagen, dass das AT daran hindern würde, sich für Jesus zu öffnen,326 oder „dass die Dogmatik den Weg zu Jesus verbaut“.327 Nur ein bestimmter Umgang mit der Tradition wird problematisiert. In der Kritik steht ein blindes Festhalten an Überzeugungen, die missbraucht und gegen Jesus gerichtet werden. Die messianischen Erwartungen, genau wie die Schrift, stehen nicht im Widerspruch zur Offenbarung in Jesus. Im Gegenteil, sie verweisen auf ihn. Besonders die eschatologischen Verheissungen finden in ihm ihre Erfüllung. Dennoch sind vereinfachte Lehrsätze aus der Schrift meistens ungenügend, als dass sie die Identität Jesu vollständig zu erfassen vermöchten. Das religiöse Wissen hat zwar eine gewisse Berechtigung am Anfang eines Reflexionsprozesses, benötigt es aber, angesichts der Offenbarung Jesu korrigiert, ergänzt und vertieft zu werden.328 Sobald Menschen die Identität Jesu durch ihre religiöse Überzeugung bestimmen wollen, entzieht er sich diesen Zuschreibungen.
appearance, without being scandalized by the human reality and humility or even, ultimatly, by his death on the cross. Within this perspective, the insertion of any concept that would need to reduce the human reality in order to maintain or confirm the divine origin and presence is not only unnecessary but an inappropriate view and a misunderstanding“ (214). 325 O’D AY, 624. Ähnlich urteilt B ARRETT, 337: „Ein vorgefasstes und streng bewahrtes Dogma hält Menschen davon ab, im Glauben […] zu Jesus zu kommen.“ Vgl. auch T HEOBALD, 525. 326 Vgl. B ECKER I, 277. 327 B ULTMANN, 231. 328 Vgl. u.a. Joh 3,2; 4,25; 9,24.29; 11,24. Zur Wissensproblematik vgl. III.1.5.3.1.
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IV. Johannes 7
Alle drei dargelegten Möglichkeiten sind im Rahmen der Theologie des JohEv und dessen narrativer Strategie denkbar. Denn sowohl der Gebrauch von Ironie, wobei eine Figur unwissentlich etwas Richtiges sagt (erste Interpretation), als auch das Einsetzen von Missverständnissen, bei denen Figuren in einem irdischen Verständnis gefangen bleiben (zweite Interpretation), als auch Kritik an einem bestimmten Umgang mit dem religiösen Wissen (dritte Interpretation), sind für das JohEv gebräuchlich. Der Rezipient wird dadurch genötigt, das Votum des Volkes zu beurteilen. Er weiss, dass die Einwände gegen die Messianität Jesu nicht richtig sind, aber er kann sie auf verschiedene Art und Weise widerlegen. Durch diese Offenheit des Textes wird der Leser selber in einen Reflexionsprozess hineingezogen und übernimmt somit eine sehr aktive Rolle, was zu seiner persönlichen Glaubensentscheidung und Meinungsbildung beiträgt. 3.2.2.2 Die Aufforderung, die Schrift zu erforschen (V.52) Die zwei Imperative des V.52 (ἐρεαύνησον καὶ ἴδε) sind an den Leser gewandt, der überprüfen soll, ob προφήτης ἐκ τῆς Γαλιλαίας οὐκ ἐγήγερται. Zuerst geht es allgemein um eine Disqualifizierung von Galiläa, dem Herkunftsort Jesu, aber auch des gesetzunkundigen Volkes, das ihm nachfolgt, und vermeintlich auch von Nikodemus, der ihn verteidigt. Im Laufe seiner Lektüre des JohEv wurde der Leser schon oft mit dem Gegensatz zwischen Galiläa und Judäa konfrontiert, wobei die traditionellen jüdischen Urteile über die Orte, auf welche die Pharisäer hier anspielen, eine Umkehrung erfahren. Galiläa, der Ort der „Heiden“ (vgl. Mt 8,22), wird zum Ort des Glaubens und Judäa, der Ort mit dem religiösen Zentrum, zum Ort des Unglaubens. Die Pharisäer sind aber davon überzeugt, dass Argumente aus der Schrift ihren Standpunkt untermauern, dass aus Galiläa gar kein Prophet kommen kann. Sie fordern nun Nikodemus (und durch ihn den Leser) auf, es zu überprüfen. Der schriftkundige Leser erkennt aber die Unkorrektheit ihrer Aussage, denn nach 2 Kön 14,25 stammt der Prophet Jona ben Amittai aus Galiläa.329 Im Kotext bezieht aber der Leser die Worte der Mitglieder des Hohen Rates auf Jesus, dessen galiläische Herkunft schon in V.41–42 problematisiert wurde. Er ergänzt die Aussage mit dem fehlenden Artikel ὁ, so dass die Frage nicht mehr allgemein jeden Prophet betrifft, sondern den Prophe329
Die mögliche Inkorrektheit der Aussage der Pharisäer ist m.E. kein Argument, dafür die Textvariante mit dem Artikel zu bevorzugen (gegen T HEOBALD, 547; und ähnlich O’D AY, 624), denn warum „sollte der Erzähler, der soeben durch die Stimme des Nikodemus offenbar gemacht hat, dass diejenigen, die das gemeine Volk verfluchen, weil es das Gesetz nicht kennt, selbst die elementarsten Gebote der Tora übertreten, warum sollte der sie nun nicht auch noch als solche überführen, die auch ihre Schriften nicht kennen?“ (T HYEN, 417).
3.Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 7
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ten, eine eschatologische Heilsfigur. Nun wird der Leser gefragt: Kann nach der Schrift wirklich keine Heilsgestalt aus Galiläa kommen? Wie bei den Worten der Leute aus dem Volk sind verschiedene Antworten möglich. Für gewisse Leser ist die Ironie wiederum offenkundig. Der Einwand der Pharisäer, dass nach der Schrift keine Heilsgestalt mit Galiläa in Verbindung gebracht werden kann, entpuppt sich als Irrtum, denn in Jes 8,23– 9,1 wird dem „Galiläa der Heiden“ neue Ehre verheissen, denn „das Volk, das in der Finsternis wandelt, sieht ein grosses Licht, über den Bewohnern des Landes der Todesschatten geht eine Leuchte auf.“ Die Abfolge in Joh 7,52 (Kann aus Galiläa ein Prophet geweckt werden?) und 8,12330 (Ich bin das Licht der Welt.) lässt vermuten, dass das Offenbarungswort Jesu auf diese Stelle anspielt. 331 Wie oft in JohEv bekommt die christologische Botschaft dadurch eine besondere Tiefe, indem sich in Jesus atl. Heilsverheissungen erfüllen. Andere Leser nehmen Anstoss an der Oberflächlichkeit der Argumentation, denn wie in V.41–42 steht vordergründig die irdische Herkunft Jesu zur Debatte, während sein wahres Woher und seine Identität als Gesandter Gottes unberücksichtigt bleiben.332 Wie bei den Worten der Volksmenge kann der Leser das Votum der Pharisäer unterschiedlich bewerten, wobei ihm die joh Theologie interpretative Grenzen setzt. Während sich dadurch die hier angeführten Interpretationen plausibilisieren lassen, ist m.E. hingegen die Abwertung der Aussage der Pharisäer mit der Begründung, dass hier der Unglaube in festgelegten religiösen Haltungen wurzelt, die sich für die Neuheit der Botschaft Jesu verschliessen, fragwürdig. Noch problematischer ist es deshalb, aus dem Text Kritik an jeglichem „Dogmatismus“333 herauszulesen. Solche Auslegungen spiegeln mehr die Positionen der Exegeten, als diejenige der joh Schrift wider. Darüberhinaus stehen die verschiedenen Interpretationen nicht als Auswahl zur Verfügung, sondern wirken zusammen, um die Geg330
Vor der späteren Hinzufügung der Szene mit der Ehebrecherin (7,13–8,11) folgte der Vers 8,12 direkt auf 7,52. 331 Vgl. T HYEN, 416–417. 332 So urteilt B ECKER I, 278–279: „Dass der Heilsbringer […] aus Galiläa kommt – so wird V 40f. zusammenfassend aufgegriffen –, ist gegen die Schrift. Dies ist […] ein richtiges Urteil, nur ist es wie 7,42 ein irdisches, das Jesu wahres Wesen gar nicht zur Kenntnis nimmt. So zeigt sich der feindliche Unglaube gerade mit korrekter Schriftbegründung.“ 333 Vgl. B ULTMANN, 236: „Ihre [= der Pharisäer] Schriftforschung führt zu jener Dogmatik, die ihnen ihre Sicherheit gibt, indem sie ihnen die Kriterien für die Offenbarung verfügbar macht und sie dadurch taub macht für das Wort der Offenbarung. Die Autoritäten zeigen durch ihr Verhalten, indem sie einerseits ‚schriftgemäss‘ lehren und sich andererseits um ihrer Sicherheit willen zur Inkorrektheit gegen das Gesetz fortreissen lassen (V.51) dass es ihnen eben um nichts Anderes als um diese ihre Sicherheit geht, für die die Schrift das Mittel ist.“
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ner Jesu auf verschiedenen Ebenen zu disqualifizieren. Obwohl die Pharisäer diejenigen verfluchen, die das Gesetz nicht kennen, erweist sich ihre Schriftkenntnis als ungenügend, denn gegen ihre Behauptung können Propheten aus Galiläa auftreten. Weiter urteilen sie κατ᾿ ὄψιν und spielen Jesu irdische Herkunft gegen seine Göttlichkeit aus. Schliesslich wird die Ironie offenkundig: Gerade das Argument, das sie gegen die Messianität Jesu anführen, nämlich seine galiläische Herkunft, bestätigt dass sich in ihm die Schrift (hier Jes 8,23–9,1) erfüllt. 3.3 Funktion 3.3.1 Funktion der Schriftbezüge: Charakterisierung der Figuren Im methodischen Teil über die Figuren im JohEv (vgl. II.5.1.2) wurde deutlich, dass sie eine besondere Funktion übernehmen. „Die Personen neben Jesus interessieren nicht primär als Individuen mit einer einmaligen Persönlichkeit und deren Entfaltung und Entwicklung. In ihnen ist vielmehr von Interesse, wie sie auf die Hauptperson Jesus reagieren, sei es positiv in einer Antwort des Glaubens oder negativ in der Verweigerung von Glaube und Nachfolge. In den Personen wird den Lesern und Leserinnen gleichsam ein Spiegel möglicher Antworten auf Jesus als Offenbarer vorgestellt“334. In diesem Sinn wird oft versucht, die verschiedenen Reaktionen auf Jesus, die in Kapitel 7 geschildert werden, zu bewerten, indem gefragt wird, ob die unterschiedlichen Gruppen aus der Volksmenge, die Juden, die Diener oder Nikodemus wirklich glauben, ob sie Jesus richtig verstehen, ob sie in Missverständnissen verhaftet bleiben oder schlimmer, im Unglauben verharren. Es ist unumstritten, dass ein intertextueller Bezug im Mund einer Figur für ihre Charakterisierung von Belang ist.335 Hier möchte ich diese These fruchtbar machen, indem ich die Protagonisten der Erzählwelt anhand der Schriftbezüge in ihren Worten näher qualifiziere. Die Figuren werden nicht (wie in der bisherigen Forschung) aufgrund ihrer Reaktionen auf Jesus bewertet, sondern aufgrund ihres Schriftgebrauchs, was natürlich nicht ohne Folgen bleibt. Zum einen werden Protagonisten, welche die Schrift nicht verwenden (z.B. die Diener), von der Untersuchung ausgelassen. Zum anderen wird auch Jesus charakterisiert. Der Hauptprotagonist gebraucht nämlich die Schrift und daraus lassen sich Hinweise zu seiner Person gewinnen. Er wird also nach den gleichen Kriterien wie die anderen Figuren beurteilt und bewertet.
334 335
D SCHULNIGG, Nikodemus, 103. Vgl. II.5.1.
3.Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 7
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3.3.1.1 Charakterisierung Jesu Bevor Jesus in einer direkten Rede eine Schriftargumentation durchführt, stellen die Juden seine durch seinen Auftritt im Tempel implizierte Autorität als Lehrer in Frage. In ihren Worten gestehen sie widerwillig ein336, dass οὗτος γράµµατα οἶδε, µὴ µεµαθηκώς (V.15). „[This] question serves as a charge against Jesus by calling into question his status as a valid teacher.“337 Hinter ihrer Anklage steht aber die Anerkennung, dass Jesus über Schriftkenntnisse verfügt, die seiner Bildung nicht entsprechen. In V.22–24 bestätigt Jesus ihre unwillige Bewunderung, indem er eine inhaltsreiche Lehre über Sabbat und Beschneidung bietet und somit seine Heilung rechtfertigt. Er kennt die Tora und er ist dazu befähigt, sie richtig auszulegen. Er verteidigt sich gegen die Anklage, den Sabbat zu brechen, und stellt zugleich seine Schriftkenntnis unter Beweis. Dazu kehrt er die Rollen um, indem er seinen Zuhörern vorwirft, das Gesetz Moses nicht zu halten. „Jesus no longer acts as accussed, but now begins to judge, they in turn change from judges to accused.“338 Durch seine Schriftauslegung beweist Jesus seine Souveränität, denn mit Argumenten aus dem Gesetz legitimiert er sein Tun. Zugleich gelingt es ihm, das Unrecht seiner Ankläger offenzulegen. Auch in V.37–38 demonstriert die Art und Weise, wie Jesus mit der Schrift umgeht, seine Kenntnisse und seine hermeneutische Kompetenz. Er spielt an verschiedene Verheissungen an, deren Inhalt er ziemlich präzise wiedergibt, ohne wörtlich zu zitieren, Dies ermöglicht ihm, unterschiedliche Erwartungen kunstvoll zu kombinieren. Zugleich benutzt er die Schrift um seinen christologischen Anspruch zu untermauern. In seiner kühnen Interpretation, in der er die Erfüllung der Heilsverheissungen in seiner Person verkündet, behauptet er indirekt, der Gesandte Gottes zu sein.
336
In den Worten der Juden lassen sich sowohl Entsetzen über den impliziten Anspruch, den Jesus durch sein Lehren im Tempel erhebt, als auch Erstaunen über seine Schriftkenntnis erkennen. Beide Aspekte schliessen sich nicht aus. Vgl. die Auslegung von V.15 (IV.1.3.3.1). 337 N EYREY, Trials, 111. 338 N EYREY, Trials, 112.
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3.3.1.2 Charakterisierung der Juden, der Pharisäer und des Volkes
339
Die Juden hinterlassen durch Festnahme- und Tötungsversuche Jesu sowie durch ihr Unverständnis einen schlechten Eindruck. Die Art und Weise, wie sie die Schrift verwenden, bestätigt und verstärkt dieses negative Bild. Explizit erwähnen sie einmal die γράµµατα (V.15). Bei ihrem Erstaunen, das sowohl die Frage der Legitimität des Auftritts Jesu im Tempel als auch diejenige seiner Schriftkenntnis berührt, werden keine inhaltlichen Elemente diskutiert, denn es geht einzig um den in ihren Augen unzulässigen Wissensanspruch Jesu. Ihre Worte bieten weder eine Interpretation noch eine auf der Schrift aufgebaute Argumentation. Auch wenn sie selber keine Auslegung der Schrift vornehmen, wird ihr Umgang mit dem Gesetz von Jesus thematisiert und kritisiert. Getadelt wird zunächst ihr Ungehorsam (V.19): καὶ οὐδεὶς ἐξ ὑµῶν ποιεῖ τὸν νόµον. Im Visier ist die ungerechtfertigte Absicht, ihn zu töten, ihr Sabbat- und Beschneidungsverständnis, bei dem sie den tieferen Sinn der Gebote nicht wahrnehmen, und ihre Weigerung, ein Zeugnis über Jesus in der Schrift zu sehen.340 Ihr ganzer Umgang mit ihrer Tradition steht unter dem Verdacht der Heuchelei, denn Jesus wirft ihnen vor, nach dem Augenschein zu urteilen und zweierlei Masse zu verwenden341: Sie verurteilen Jesus wegen einer Heilung, die er am Sabbat vollzogen hat, während sie die Beschneidung am gleichen Tag zulassen. In ein schlechtes Licht rücken auch die Pharisäer und Hohepriester. Sie verweisen auf die Schrift nur um ihre Wissensüberlegenheit bzw. die Inkompetenz anderer Protagonisten hervorzuheben (vgl. V.48 und 52). Sie verfluchen das Volk, das ihrer Meinung nach das Gesetz nicht kennt und befehlen Nikodemus, seinen Standpunkt in der Schrift zu überprüfen. Dass eine genauere Lektüre der Schrift sie ins Unrecht setzt, wird zwar nicht explizit entfaltet, kann aber vom Leser eruiert werden. In ihren quasi inhaltslosen Verweisen auf die Schrift spiegeln sich also keine besonderen religiösen Kenntnisse wider, sondern nur ihre Überheblichkeit und ihr Machtanspruch. Diese negative Einschätzung der Pharisäer und Hohepriester wird durch die anklagende Frage des Nikodemus verstärkt. Entweder 339
Die hier vorgestellte Analyse knüpft an die Ergebnisse der Untersuchung der Figur der Erzählwelt (Teil III.1.4) an, die sie bestätigt, aber auch präzisiert. Es wurde festgestellt, dass sich gewisse Tendenzen trotz der unscharfen Abgrenzung zwischen den verschiedenen Gruppen abzeichnen. Während die Pharisäer und Obersten als mächtige Feinde geschildert werden, repräsentieren die Juden die Unverständigen, die sich aufgrund ihrer Schriftauslegung der Offenbarung verschliessen. Seinerseits wird das Volk durch seine Unentschlossenheit charakterisiert. 340 Vgl. Versauslegung V.19. 341 Die Vorwürfe Jesu werden durch die Formulierung verdeutlich; vgl. den Imperativ „urteilt gerecht“ (V.24) und die rhetorische Frage „warum zürnt ihr...“ (V.23).
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sie kennen das Gesetz nicht, oder schlimmer, ignorieren es, weil es ihrer feindlichen Absicht gegen Jesus widerspricht. Juden wie Pharisäer treten als diejenige auf, die das Gesetz zu kennen behaupten und über die Kenntnis anderer urteilen (die Juden über Jesus [V.15]; die Pharisäer über das Volk [V.49]). Sie halten sich für die Autorität, in deren Hand die Entscheidung liegt, wer die Schrift richtig oder falsch auslegt. Sie beanspruchen dadurch eine Macht, die illegitim ist. Ihre Position wird nicht inhaltlich begründet, sondern autoritativ. Ihr Anspruch wird aber durch ihr Verhalten widerlegt: Sie tun das Gesetz nicht (vgl. die Kritik von Jesus [V.19] und von Nikodemus [V.52]). Ein fundamentaler Unterschied besteht jedoch zwischen den zwei Gruppen. Während die Pharisäer und Hohepriester sich hauptsächlich um ihre Machtstellung sorgen und die Schrift dafür missbrauchen, befolgen die Juden das Gesetz nicht, denn sie verstehen den tieferen Sinn des in der Schrift niedergeschriebenen Willens Gottes nicht. Sie verkennen, dass sie auf das Heil des ganzen Menschen zielt. Das Volk fällt in seinem Schriftgebrauch weder positiv noch negativ auf342. Die Leute aus der Menge weisen keine besondere Schriftkenntnis auf, denn sie verweisen nur auf verschiedene aus der Schrift abgeleiteten Lehren, ohne bestimmte Stellen zu benennen. Ihr ungenaues Wissen und ihre Argumente, die aus der Tradition stammen und keine klare Schriftauslegung aufweisen, stehen aber nicht nur unter Kritik. Sie können nämlich auch zu einem Bekenntnis zu Jesus als Messias führen. Das Volk, das sich durch seine Unschlüssigkeit und die innere Gespaltenheit kennzeichnet, lässt sich nicht einfach in eine dualistische Kategorisierung Glaube/Unglauben einordnen. Joh 7 ermöglicht es nicht, den ὄχλος zu beurteilen, denn die verschiedenen Wortmeldungen haben eine andere Funktion: Sie fordern den Leser auf, sich eine eigene Position über ihre Aussage zu bilden. 3.3.1.3 Charakterisierung des Nikodemus Als einzige Einzelfigur (ausser Jesus) fällt Nikodemus in Joh 7 auf. Während die Perikope sonst von kollektiven Reaktionen auf Jesus erzählt, zeigt sich in seinem Verhalten eine individuelle Haltung Jesus gegenüber. Das Interesse für diese Figur wird noch dadurch verstärkt, dass sie nicht nur in Joh 7, sondern auch in den Kapiteln 3 und 19 eine wichtige Rolle einnimmt. Das JohEv stellt durch die verschiedenen Protagonisten unter342
Das Votum in V.27 und 41b–42 ist eindeutig negativ zu bewerten, denn ein Teil der Menge spricht ihren Zweifel an der Messianität Jesu aus. In V.41a rücken einige (ἄλλοι) in ein positives Licht, da sie in Jesus den Christus erkennen. Schwieriger ist die Beurteilung von V.31 (und 40a), die entsprechend in der Forschung verschiedentlich eingeschätzt wurden. Für V.31 vgl. Versauslegung (IV.1.3.3.5).
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schiedliche Antworten auf Jesus dar und lädt den Leser dadurch ein, eine eigene Position zu wählen, wobei für den Autor die einzige adäquate Antwort natürlich der Glaube ist. „In a story of such clear contrasts, Nicodemus seems to be a real misfit.“343 Diese Figur lässt sich kaum einordnen und ist durch und durch von einer gewissen Doppeldeutigkeit gekennzeichnet. In der wissenschaftlichen Diskussion wird er deswegen unterschiedlich eingeschätzt. Während die einen344 an einem negativen Urteil festhalten, da Nikodemus seine Missverständnisse der Person Jesu nie 345 wirklich überwindet, vermuten andere , dass er eine positive Entwicklung 346 durchmacht und schliesslich zum Glauben gelangt. Noch andere halten an der Zwiespältigkeit der Figur fest. Bei der Untersuchung der drei Szenen, in welchen er erscheint, ergibt sich folgendes Bild: Er tritt als gesetzestreuer Jude auf, der für die Botschaft Jesu offen ist, ohne aber das Geheimnis seiner Person wirklich zu verstehen. In Joh 3,2 formuliert Nikodemus selber seine Überzeugung: „Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann diese Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm!“ Er erkennt Jesus als Lehrer an, bewundert seine Wundertätigkeit und ahnt deswegen die göttliche Herkunft Jesu. Dennoch entlarvt sich seine positive Haltung Jesus gegenüber als ungenügend. Schon im Vorfeld werden Menschen347, die aufgrund des Zeichens glauben, kritisiert. Die narrative Schilderung seines Besuchs liefert weitere Indizien in dieser Richtung. Sein kommen nachts lässt ihn negativ erscheinen, denn er gehört zu denen, die aus Angst sich nicht öffentlich zu Jesus bekennen. Dazu kann der symbolische Nebenklang dieser Zeitangabe nicht übersehen werden. Auch seine Bezeichnung als einer der Pharisäer, die eine feindliche Front gegen Jesus bilden, verstärkt den negativen Eindruck. Am deutlichsten wird aber die Grenze seines Verständnisses Jesu im Dialog aufgedeckt, in dem Jesus sich über seine Unfähigkeit wundert, seine Lehre zu verstehen (V.10). Nikodemus verstummt und scheint nicht zu weiteren Erkenntnissen zu gelangen. In Joh 7,50 wird bei der Einführung der Worte des Nikodemus an sein früheres Gespräch mit Jesus erinnert. Die Ambiguität setzt sich somit fort. Nikodemus war von Jesu Lehre und Tätigkeit beeindruckt und suchte den 343
R ENZ, Nicodemus, 255. Vgl. D AVIES, Rhetoric, 337–338; C ULPEPPER, Anatomy, 136. Weitere Literaturangaben bei R ENZ, Nicodemus, 255–256 FN 2. 345 Vgl. D SCHULNIGG, Nikodemus, 117–118; S CHNELLE, 150; Z UMSTEIN II, 263–264; B ULTMANN 94 FN 1; S CHWANK, 113. Weitere Literaturangaben bei R ENZ, Nicodemus, 256 FN 3. 346 Vgl. B ASSLER, Signals, 635–646; T HYEN, 414. Weitere Literaturangaben bei R ENZ, Nicodemus, 257–258 FN 14. 347 Die Bezeichnung Nikodemus’ als ἄνθρωπος (V.1 wiederholt den Ausdruck von 2,25) verstärkt seine Nähe zu dieser Gruppe. 344
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Dialog, dennoch weiss der Leser, dass die Diskussion fruchtlos geblieben ist. Auch die Erwähnung seiner Zugehörigkeit zu den Pharisäern wirft auf ihn ein zweideutiges Licht. Einerseits wird er zu einer Jesus gegenüber feindlich gesinnten Gruppe gerechnet, andererseits wird der Unterschied zwischen ihm und den anderen umso deutlicher. Er hebt sich von ihnen ab, denn er „ist der einzige Vertreter aus ihrem Kreis, der das Gesetz vollumgänglich ernst nimmt.“348 In dieser Szene wird er hauptsächlich durch seinen Verweis auf die Schrift qualifiziert. Er verhält sich als treuer Jude (genau wie in Joh 3). Das Gesetz ist ihm sehr wichtig und er kämpft gegen die mächtigen Pharisäer, damit es befolgt wird. Er setzt sich dafür ein, dass ein gerechter Prozess geführt wird.349 Anders als die Juden, die die Tora, insbesondere das Sabbatverbot, zu Lasten Jesu auslegen, benutzt Nikodemus ein Gebot, das für jeden angeklagten Menschen gilt, um Jesus zu verteidigen. In seiner Argumentation spiegelt sich seine bisher beobachtete Sympathie für Jesus und zugleich seine Unfähigkeit, dessen Identität ganz zu erfassen, wider. Trotz aller Bewunderung für ihn erkennt Nikodemus nicht, dass er der Gesandte Gottes ist, genauso versteht er, trotz aller Schriftkenntnis und des entsprechenden Toragehorsams, deren Sinn nicht, denn er übersieht, dass sie von Jesus zeugt. Beim Begräbnis Jesu (Joh 19,38–42) verhält sich Nikodemus (begleitet von Joseph von Arimathäa) weiterhin als frommer Jude. In V.40 wird explizit erwähnt, dass sie die jüdischen Riten pflegen. „The link between Jospeh and Nicodemus and ‚the Jews‘ ist strengthened even more by their hurried procedure due to the approaching Sabbath (19:42).“350 Seine Handlung ist vor dem Hintergrund seiner jüdischen Frömmigkeit zu verstehen. Die grosse Menge von Myrrhe und Aloë, die er mitgebracht hat, zeigt seine Ehrfurcht und Wertschätzung für Jesus. Er schenkt ihm eine königliche Bestattung. Dabei hat er aber nicht verstanden, dass das Reich Jesu nicht von dieser Welt ist (vgl. 18,36–37). Es wird auch deutlich, dass Nikodemus die noch bevorstehende Auferstehung überhaupt nicht ahnt.351 Wie ist der religiöse Status des Nikodemus zu bewerten? Ist er ein Jünger Jesu oder nicht? Er wird als ein frommer Jude geschildert, der Jesus als Lehrer und Wundertäter anerkennt, ohne dessen wahre Identität zu erfas348
D SCHULNIGG, Nikodemus, 113. Anders als die Volksmenge, die aus Angst schweigt, spricht Nikodemus freimütig. „Doch Nikodemus bekennt sich nicht zu ihm [= Jesus], sondern such den pharisäischen Kollegen auf der Ebene zu begegnen, auf der sie Kompetenz beanspruchen: der Ebene der Tora“ (T HEOBALD, 547). 350 R ENZ, Nicodemus, 278. 351 Nikodemus wird dadurch aber nicht endgültig disqualifiziert, denn auch die Jünger waren bis zur Entdeckung des leeren Grabes diesbezüglich verständnislos. Die Worte Jesu betreffend seiner Auferstehung haben sie erst im Rückblick verstanden (vgl. 2,22; 20,9). 349
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sen. Als Jude ist er bemüht, das Gesetz zu befolgen; er setzt sich für einen gerechten Prozess ein, begräbt Jesus nach den jüdischen Riten und ist besorgt um die Einhaltung des Sabbatgebots. Er hebt sich aber deutlich von den anderen „Juden“ ab, die die Schrift zu Lasten Jesu missdeuten, denn er zeigt eine grosse Sympathie und Offenheit für ihn, obwohl er zu keinem richtigen Bekenntnis gelangt. Gerade diese Beschreibung lässt uns aber kein klares Urteil über seinen Glaubenszustand fällen. Betont man seine jüdische Frömmigkeit und zugleich die Unterschiede zwischen ihm und den anderen Pharisäern352, genau wie seine Offenheit und Sympathie für Jesus, rückt er in ein positives Licht. Lenkt man hingegen die Aufmerksamkeit auf sein ungenügendes Verständnis Jesu und der Schrift, deren christologisches Zeugnis er nicht versteht, erscheint sein Glaube als unzureichend. Obwohl der Text für die zwei Interpretationen offen ist, herrscht keine Beliebigkeit. „In either reading, the function of Nicodemus, as a standard against which true faith and discipleship can be mesured, is fixed.“353 Der Text liefert klare Kriterien, die eine Bewertung ermöglichen. Als Glaubende gelten diejenigen, die die Identität Jesu richtig erfassen, die das christologische Zeugnis der Schrift verstehen und Mut aufweisen, sich öffentlich zu bekennen und sich dadurch von den Juden distanzieren. Nikodemus kann an diesen Kriterien bemessen werden, dennoch bleibt die Beurteilung dem Leser überlassen354, der somit aufgefordert wird, seine eigene Position zu reflektieren.355 „John’s reader ‚learns by doing‘ that there are but two responses to Jesus and that the right response is to become a 352
Der Abstand zwischen ihm und den anderen Pharisäern scheint im Laufe der Erzählung grösser zu werden. In Joh 3 ist er noch voll und ganz ein ἄνθρωπος ἐκ τῶν Φαρισαίων; in Joh 7 gilt er immer als εἷς ὢν ἐξ αὐτῶν, aber er vertritt einen anderen Standpunkt und streitet mit ihnen; in Joh 19 wird seine Zugehörigkeit zu den Pharisäern gar nicht mehr erwähnt. 353 R ENZ, Nicodemus, 280. 354 Ein endgültiges Urteil über den Glauben des Nikodemus wäre nur möglich, wenn der Text erzählen würde, wie sich Nikodemus nach der Auferstehung Jesu verhält. Es besteht aber eine Lücke in der Narration, so dass sich der Leser die weitere Entwicklung des Nikodemus ausdenken soll: Wird er sich von den Pharisäern noch mehr distanzieren und sich zu Jesus bekennen oder wird er weiterhin an seiner jüdischen Wurzel so festhalten, dass ein richtiges Verständnis Jesu ihm verschlossen bleibt? Angesichts der Doppeldeutigkeit des Textes und der Erzähllücke übernimmt der Leser eine aktive Rolle. 355 Die Figur von Nikodemus und besonders der Versuch, ihn zu beurteilen, konfrontiert den Leser mit einer Reihe von Fragen: Was fehlt Nikodemus, um ein voller Jünger Jesu zu werden? Wo ist das Verständnis Nikodemus’ mangelhaft? Inwiefern ist seine Nähe zum Judentum eine Hürde für seinen Glauben? Hat er den Mut, sich öffentlich zu Jesus zu bekennen? Der Leser wird damit indirekt auch selber angesprochen und gefragt: Wo unterscheidet er sich von Nikodemus und wo verhält er sich ähnlich? Was fehlt ihm, damit er wirklich Christ wird? Wo bleibt er in Missverständnissen verhaftet? Wie verhält er sich zu seinen jüdischen Wurzeln oder zum jüdischen Erbe? Hat er den Mut, sich öffentlich zu Jesus zu bekennen?
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disciple of Jesus Christ with a faith leading to eternal life. Some will do so by identifying with Nicodemus, others by dissociating themselves from 356 Nicodemus.“ 3.3.2 Funktion hinsichtlich des Prätextes Intertextuelle Bezüge schliessen immer eine bestimmte Auslegung des Prätextes und eine gewisse Wertung ein. Durch Zitieren, Anspielen oder Verweisen eines Fremdtextes wird dieser implizit oder explizit interpretiert und die Richtigkeit seiner Aussage wird bekräftigt oder in Frage gestellt. Durch narrative Strategien können unausgesprochene Einschätzungen verstärkt oder relativiert werden und eine bestimmte Interpretation des Prätextes vorgezogen werden. Folglich ist zu fragen, welche Interpretation der Schrift der Autor von Joh 7 vertritt und ob er gewisse Urteile über die Bedeutung der Schrift äussert. In unserer Perikope stehen verschiedene Deutungen der Schrift nebeneinander, da die Schriftbezüge in den Mund von Figuren (bzw. Figurengruppen) gelegt werden, die jeweils eine andere Interpretation vertreten. Der Autor stellt somit nicht seine eigene Auslegung vor, die er dann argumentativ rechtfertigt, sondern legt mehrere mögliche Umgänge mit der Schrift dar. Dadurch wird die Frage an den Leser gestellt, wie er selber die Schrift liest (bzw. lesen soll). Der Autor leitet ihn in seiner Reflexion und führt ihn zu einem Ergebnis, indem er verschiedene mögliche Interpretationen wiedergibt und sie zugleich durch die Beurteilung der Figuren, welche auf die Schrift Bezug nimmt, bewertet357. Als Autoritätsfigur entfaltet Jesus die vom Autor befürwortete Art und Weise, die Schrift zu verstehen. Seine Worte erläutern den tieferen Sinn des Gesetzes, das Heil des ganzen Menschen (vgl. V.21–24), das in der Begegnung mit ihm geschenkt wird. Die Botschaft der Schrift kreist um das Heil, sei es in den Gesetzen oder in den Verheissungen. In der Person Jesu wird das Leben in Fülle geschenkt, so dass das Heil nicht mehr eine zukünftige Grösse bleibt, sondern Teil der Gegenwart wird. In V.22–24 entfaltet Jesus seine Argumentation in Abgrenzung zur Gesetzespraxis seiner Zuhörer. Somit wird seiner Interpretation explizit das Schriftverständnis der Juden gegenübergestellt. Zwar halten sie das Sabbatgebot, dennoch verstehen sie den tieferen Sinn des Gesetzes, das auf das Heil des ganzen Menschen zielt, nicht und urteilen deswegen nur nach dem Augenschein. Gravierender ist ihre Haltung Jesus gegenüber. Sie ver356
R ENZ, Nicodemus, 280. Charakterisierung der Figuren und Bewertung der Schriftinterpretation beleuchten sich gegenseitig. Die Figuren werden durch ihren Schriftgebrauch qualifiziert und die Rechtmässigkeit einer Schriftinterpretation hängt davon ab, wer sie ausspricht. Eine gewisse zirkuläre Argumentation ist daher unvermeidlich. 357
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kennen, dass die Schrift auf ihn verweist und verschliessen sich seiner Per358 son , was in ihrer Tötungsabsicht sichtbar wird. Jesus wirft ihnen deswegen explizit vor, das Gesetz nicht zu befolgen (V.19) und fordert sie auf, nun gerecht zu urteilen (V.24). Ihre Interpretation wird nur indirekt, von Jesus selber, wiedergegeben und dient dem Kontrast zu seinem eigenen Umgang mit der Schrift. Sie lässt sich also nur negativ beschreiben. Die Schrift wird nicht als Zeugnis von Jesus gelesen und die hinter dem Gesetz stehende Absicht Gottes, das Heil des Menschen, wird nicht wahrgenommen. Eine weitere Art und Weise, die Schrift zu lesen, wird vom Volk359 vertreten. Dreimal verweisen sie auf Messiaserwartungen. Diese werden aber nicht genau dargestellt, sondern nur mit knappen Worten in Erinnerung gerufen.360 Dabei fällt auf, dass kaum inhaltliche Überlegungen über die Richtigkeit der Argumente entfaltet werden. Die verschiedenen Meinungen des Volkes bilden weder Ausgangspunkt einer Reflexion noch wichtige Bausteine der Argumentation und die verschiedenen Stellungnahmen werden weder widerlegt noch bestätigt.361 Noch erstaunlicher scheint es, dass die Traditionen sowohl in einer Aussage zugunsten der Messianität Jesu (V.31) als auch gegen sie (V.27.40–42) verwendet werden können. Indem die Volksmenge feststellt, dass ihre Messiaserwartung sich mit ihrer Jesuskenntnis deckt (oder gerade nicht), meinen sie, über seine Identität Bescheid zu wissen. Sie messen Jesus an ihrem religiösen Wissen. Auf diesem Weg gelangen sie aber nicht zu einem eindeutigen Ergebnis und das Volk bleibt unschlüssig und gespalten. Eine solche Argumentation, die Beweise aus der Schrift und der Tradition sucht, steht nicht explizit unter Kritik, erlaubt aber kein sicheres Urteil über die Frage, wer Jesus ist, und wird deswegen implizit diskreditiert. Die Beurteilung des Schriftgebrauchs des Volkes wird aber schlussendlich dem Leser überlassen. Auch wenn die Oberflächlichkeit der Debatte über die irdische Herkunft Jesu und seine Wunder genau wie ihre Überzeugung, Jesus an ihrem religiösen Wissen messen zu können, die Interpretation des Volkes eher disqualifizieren, be358
Ein ähnlicher Vorwurf wird in Joh 5,45–47 formuliert. Vgl. „einige aus Jerusalem“ (V.27); „einige aus dem Volk“ (V.31); „die einen“, „die anderen“, „noch andere“ (V.40–42). 360 Auf der Kommunikationsebene zwischen dem Autor und seinen Lesern sind zusätzliche Erläuterungen unnötig, da diese Messiaserwartungen als bekannt vorausgesetzt werden. 361 Weder der Erzähler noch Jesus kommentieren die Aussagen des Volkes, so dass keine autoritative Stimme Kritik oder eine positive Bestätigung formuliert. Dies erklärt wahrscheinlich, warum die Kommentatoren den Stellenwert der Messiaserwartung sehr unterschiedlich einschätzen und den Glaubensstatus des Volkes verschiedentlich beurteilen. Der Leser ist aufgefordert, die Argumente und die Diskussion selber zu bewerten (vgl. IV.3.2.2). 359
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hält ihre Schriftdeutung als mögliches Vorverständnis eine gewisse Berechtigung, denn die Einwände bekräftigen mit Ironie, dass Jesus der Christus ist. Die messianischen Erwartungen decken sich gerade mit dem, was der Leser von Jesus weiss. Als illegitime Schriftverwendung gilt natürlich deren Missbrauch durch die Pharisäer und Hohepriester, die nur auf ihr religiöses Wissen verweisen, um ihre besondere Machtposition zu untermauern. Sie stellen sich über andere Gruppierungen und urteilen über deren Schriftkompetenz. So verfluchen sie das Volk, das ihrer Meinung nach das Gesetz nicht kennt, und fordern Nikodemus mit Verachtung auf, die Schrift genauer zu erforschen, mit der falsche Sicherheit, dass dadurch ihre Position bestätigt würde.362 Gegen diesen Gesetzesmissbrauch wehrt sich Nikodemus. Die Schrift darf nicht verwendet werden, um ungerechte Urteile zu bekräftigen363. Auch wenn er sich gegen die Pharisäer und ihre falsche Interpretation äussert, sind seine Worte nicht uneingeschränkt positiv zu bewerten, denn er übersieht, dass die Schrift von Jesus zeugt. Als gerechter Jude befolgt er das Gesetz, dennoch versteht er seine tiefere Bedeutung nicht. Für die anderen Figuren sind die Frage der Identität Jesu und die des Schriftverständnisses untrennbar: Die Juden werfen ihm Sabbatbruch vor, das Volk misst ihn an seiner traditionellen Erwartung, Jesus selber deutet sein Kommen als Erfüllung der atl. Verheissung. Die Interpretation, die Nikodemus vorschlägt, vermeidet hingegen gerade den Kern des Streites, denn sie umgeht die Frage, was die Schrift über Jesus sagt. Zwar wird die Schrift nicht gegen Jesus angewendet, dennoch wird ihre christologische Pointe übersehen, so dass diese Art von Auslegung, genau wie Nikodemus364, der sie vornimmt, unter einem zwiespältigen Eindruck steht. In Joh 7 begegnet dem Leser nicht eine Interpretation der Schrift, sondern fünf (die von Jesus, den Juden, den Pharisäern, dem Volk und von Nikodemus). Dies macht deutlich, dass der Schrift eine immense Bedeutung zukam und zeigt, wie wichtig die Frage der richtigen Auslegung für den Autor war. Dass kein einziger Protagonist oder keine Gruppe der Erzählwelt die Gültigkeit der Schrift problematisiert, bestätigt ihren hohen Stellenwert. Argumente aus der Schrift sind ernst zu nehmen und ihre Autorität steht ausser Frage. Strittig ist einzig die Art und Weise, wie man sie deutet. 362
Anstatt die Meinung der Pharisäer zu bestätigen, wird die sorgfältige Erforschung der Schrift sie widerlegen (vgl. IV.3.2.2). 363 Schwer zu beschreiben und zu bewerten ist der Schriftverweis von Nikodemus. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass der Satz unterschiedlich übersetzt werden kann und daher mehrdeutig ist. (Vgl. IV.1.6.2.3). 364 Vgl. IV.3.3.1.3.
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3.3.3 „Soziale Funktion“ Bei der Analyse der „sozialen Funktion“ liegt das Gewicht auf der Rolle der intertextuellen Bezüge innerhalb der Kommunikation zwischen dem Autor und den Lesern (bzw. Hörern), hier der joh Gemeinde. Nicht inhaltliche Erwägungen stehen im Vordergrund, sondern die historische Situation, in der die Verwendung der Schrift eine bestimmte Wirkung hatte (sei es beabsichtigt oder nicht). Innerhalb eines Kommunikationsgeschehens sind intertextuelle Bezüge nur sinnvoll, wenn der Autor davon ausgeht, dass seine Leser über bestimmte Kenntnisse des Prätextes verfügen. In Joh 7 ist das vorausgesetzte Wissen besonders beachtlich. Der Autor sieht sich nicht verpflichtet, die Beschneidung, das Sabbatgebot, die Messiaserwartungen, die Rituale des Laubhüttenfestes, die Verheissung einer Quelle aus der Tempel oder die Anspielung auf den wasserspendenden Felsen zu erläutern. Es genügt ihm, kurz darauf zu verweisen, denn er rechnet damit, dass seine Leser (oder Hörer) diese Traditionen kennen und es wird erwartet, dass sie die Lücke füllen können. Die Schriftbezüge setzen die Identität der Mitglieder der joh Gemeinde als Schriftkenner voraus und zeigen, dass die bleibende Bedeutung der Schrift für ihre Identität konstitutiv ist. Die Hörer (bzw. Leser) des Evangeliums bilden eine Gruppe, die sich möglicherweise von Aussenstehenden dadurch unterscheidet, dass sie die Schrift als wichtig anerkennt und in einer besonderen Weise auslegt. Interessanterweise begegnen die intertextuellen Bezüge dem Leser in den verschiedenen Figurenreden. Die Schrift wird so wiedergegeben, wie die jeweiligen Figuren (die Juden, die Pharisäer, das Volk, Jesus oder Nikodemus) sie interpretieren und nicht wie eine objektive Grösse, die theologische Argumente untermauern würde. Diese intertextuelle Besonderheit erlaubt es, einige Vermutungen zur historischen Situation der joh Gemeinde aufzustellen. In der Vielfalt der Auslegungen, die in der Erzählwelt vertreten werden, spiegeln sich die unterschiedlichen Interpretationen wider, denen die joh Christen begegneten und angesichts derer sie ihre eigene Schriftdeutung verteidigen sollten. Dabei lässt sich im Mund Jesu, der natürlich die Bedeutung der Schrift richtig erfasst, erkennen, für welche Position der Evangelist einsteht. In den stark kritisierten Interpretationen der Juden und der Pharisäer lassen sich Spuren des Konflikts mit der Synagoge entdecken. Während die Pharisäer die Schrift missbrauchen, um ihre Machtstellung zu verbessern, missverstehen die Juden die atl. Botschaft radikal und wenden sie in ihr Gegenteil. Ein Zeugnis zugunsten von Jesus wird gegen ihn verwendet. Diese pauschale und verzerrte Darstellung ermöglicht es, die Feinde zu diskreditieren. Die Juden werden aufgrund einer für beide Parteien gültigen Autorität, der Schrift, in Verruf gebracht, denn sie halten das Gesetz
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nicht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die „Juden“ und die „joh Christen“ sich gegenseitig beschuldigten, die Schrift nicht zu verstehen oder ihre Autorität zu mildern, denn der „in Joh 5–12 vorgeführte Streit zwischen Jesus und ‚den Juden‘ reflektiert im Kern Auseinandersetzungen um die wahre Identität und Würde Jesu und um die von beiden Seiten gleichermassen in Anspruch genommen Schrift.“365 Dem inhaltlichen Disput über die Christologie und die Schriftinterpretation wird eine polemische Diskreditierung der anderen religiösen Gruppe beigefügt, so dass sie sich das Nichteinhalten der Tora gegenseitig vorwerfen. Mit Hilfe der intertextuellen Bezüge wird also die Polemik genährt. In Joh 7 wird aber auch eine weitere Schriftinterpretation, nämlich diejenige des Volkes, dargestellt. Angesichts des ausgeprägten Konflikts mit den Juden erstaunt das Gewicht dieser dritten Gruppe. M.E. ermöglichen die verschiedenen Wortmeldungen aus der Menge in Joh 7, sich mit anderen christlichen Auslegungen, wie sie z.B. bei den Synoptikern zu finden sind366, auseinander zu setzen. Eine frühchristliche Schriftargumentation, welche die Messianität Jesu durch seine Wunder, seine Abstammung oder seinen Geburtsort legitimiert, und die entsprechenden jüdischen Einwände werden in den Dialogen von Joh 7 kurz erwähnt, ohne weiter diskutiert zu werden. Die joh Interpretation schliesst somit diejenige anderer Christen nicht aus, dennoch kann sie sich davon abheben. Einerseits lehnt der Evangelist die traditionellen Schriftargumente für die Messianität Jesu nicht direkt ab. Im Gegenteil, der Leser, der sie kennt, entdeckt die Ironie des Textes, denn gerade die Einwände gegen Jesu Messianität bestätigen seinen christologischen Anspruch. Andererseits ahnt der Leser ihre Grenze. Die irdische Bestimmung der Herkunft Jesu ist ungenügend, denn wichtig ist seine himmlische Herkunft (vgl. Joh 1,1). Ebenso unzureichend ist ein Glaube, der auf den Wundern Jesu beruht, ohne ihre Zeichenfunktion wahrzunehmen. Dieser vorsichtige Umgang mit der Schriftinterpretation des Volkes, die wahrscheinlich eine Argumentation anderer christlicher Gruppen widerspiegelt, lässt vermuten, dass die joh Gemeinde in Kontakt mit anderen christlichen Gemeinschaften war, oder zumindest die Art und Weise, wie diese die Schrift auslegten, kannten. In welcher Beziehung diese verschiedenen Gruppierungen zueinander standen und ob Konkurrenzverhältnisse oder eher Sympathie herrschte367, lässt sich nicht genau 365
FREY, Juden, 373. Die Frage einer möglichen literarischen Abhängigkeit zwischen dem JohEv und den Synoptikern kann hier nicht behandelt werden. 367 Die Anschlussfähigkeit und -willigkeit der joh Gemeinde zu anderen christlichen Gemeinde wird im Rahmen der Forschung über die Schrift im JohEv selten erläutert. Die Problematik scheint aber in Joh 21, durch die Klärung des Verhältnisses zwischen Petrus und dem Lieblingsjünger, doch aktuell gewesen zu sein. 366
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beantworten. Jedenfalls finden ihre Schriftdeutungen Eingang ins Evangelium. Der joh Gemeinde wird somit ermöglicht, sich mit dieser Interpretationstradition auseinander zu setzen und ihre (u.a. von ihrem eigenen Schriftverständnis geprägte) Identität zu reflektieren. In der Art und Wiese, wie er mit Schrift und Tradition umgeht, tritt auch Nikodemus als Repräsentant einer bestimmten religiösen Auffassung auf. Er ist ein typischer Vertreter eines mit Jesus sympathisierenden Judentums. Diese religiöse Position wird dennoch in der Erzählwelt nicht von einer Gruppe vertreten, sondern von einer Einzelfigur. Dies entspricht der historischen Tatsache, dass eine solche Ansicht nicht von einer klar abgegrenzten religiösen Gemeinschaft geteilt wurde, sondern von einzelnen Personen, die sich zuerst innerhalb des synagogalen Judentums befanden, die dennoch aufgrund des wachsenden Konflikts ihren Glauben nicht mehr innerhalb des Judentums leben konnten.368 In der Zwiespältigkeit, die Nikodemus charakterisiert, öffnet sich ein freier Raum für den Leser, wo er selber zu einer Glaubensentscheidung aufgefordert wird. Nikodemus kann eine Identifikationsfigur werden. Er verhält sich als treuer Jude, der sich immer mehr für die Offenbarung Jesu öffnet und schliesslich sich durch seine Teilnahme an der Bestattung öffentlich zu ihm bekennt. Andere Leser werden sich eher von ihm distanzieren. Schliesslich bleibt er ein Jude, der nie zum vollen Verständnis Jesu und der Schrift gelangt, wenn seine Zugehörigkeit zum Judentum die Oberhand behält. „Both readings can do full justice to the text and both readings support the function of the book to persuade the audience to become devoted disciples of Christ.“369 Durch den Auftritt des Nikodemus wird aber auch deutlich, dass es innerhalb der feindlichen Front der Pharisäer auch Sympathisanten Jesu gibt. „In pragmatischer Hinsicht wäre deshalb zu fragen, ob in der Figur des Nikodemus […] die Gemeindesituation des Evangelisten greifbar wird, die Mut zuspricht: Mussten die Christinnen und Christen des johanneischen Gemeindeverbandes die übermächtigen Pharisäer, die die Neuformierung des Judentums nach 70 n.Chr. dominierten und so etwas wie die ausgemachten jüdischen ‚Gegenspieler‘ waren, tatsächlich als undurchdringbare feindliche Front sehen, die ihnen das Trauma des Synagogenausschluss bescherte? Oder gibt es nicht einzelne Vertreter, die man, wenn man sie schon nicht für die christliche Ausprägung des Glaubens gewinnen kann, wenigstens als interessierte Gesprächspartner 370 wahrnehmen darf?“
Die verschiedenen Schriftinterpretationen, die dem Leser in Joh 7 begegnen, sind keine fiktiven Erfindungen, sondern im Umfeld der joh Gemeinde vertretene Auslegungen, die vom Evangelisten zum Teil zugespitzt in 368
Jesu Sympathisanten können nach dem Tod und der Auferstehung aufgrund des wachsenden Konflikts mit der Synagoge ihren Glauben nicht mehr innerhalb des Judentums leben. 369 R ENZ, Nicodemus, 283. 370 POPLUTZ, Pharisäer, 36.
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den Mund seiner Figuren gelegt wurden. Durch die in der Erzählwelt geschilderte Debatte um die richtige Deutung kann die joh Gemeinde ihr eigenes Schriftverständnis innerhalb einer Pluralität von religiösen Positionen bekräftigen und sich von anderen Gruppierungen abgrenzen. Die historische Situation der joh Gemeinde lässt sich aber kaum rekonstruieren. Zwar ist die Erzählung beeinflusst durch die Polemik, sie bildet jedoch keinen Spiegel der Gegenwart des Evangelisten. Die geschilderten Auseinandersetzungen lassen eine komplexere Situation erkennen, als manchmal in der Forschung vermutet wird. Zwar ist die schmerzliche Trennung vom synagogalen Judentum prägend, dennoch spielen sicherlich auch Kontakte mit anderen christlichen Gruppen eine Rolle, wie die Erwähnung von Traditionen, die uns sonst von den Synoptikern bekannt sind, es zeigt. 3.4 Ergebnisse Um den Schriftgebrauch und das sich daraus ergebende Schriftverständnis von Kapitel 7 richtig zu beschreiben, ist die Berücksichtigung des Kotextes der intertextuellen Bezüge und ganz besonders ihre Einbettung in Dialoge von grosser Bedeutung. Indem die Schriftverweise Figuren in den Mund gelegt werden, wird es möglich, verschiedene Interpretationen nebeneinander zu stellen. Der Evangelist kann somit in der Erzählung Auslegungen, die in seinen Augen unzutreffend sind, anführen, um sie zu korrigieren oder zu widerlegen. Dem Leser begegnen fünf mögliche Weisen, die Schrift zu deuten, die in der Erzählwelt jeweils von einer Gruppe oder von einem Protagonisten vertreten werden. Die Beurteilung der Figuren und die Einschätzung der Interpretationen ergänzen sich gegenseitig, wobei ein inkorrekter Umgang mit der Schrift ein schlechtes Licht auf den Protagonisten wirft, aber auch umgekehrt die Bewertung der Figur auf die Deutungsansätze, die sie vertritt, abfärbt. Obwohl die Dialoge fiktiv sind, lassen sich mit Vorsicht in den verschiedenen Deutungsansätzen Einflüsse religiöser Gruppierungen erkennen, die im Kontakt mit der joh Gemeinde standen. Es ist zu betonen, dass die Autorität der Schrift von keiner der Gruppierungen hinterfragt wird. Im Zentrum der Debatte steht allein ihre richtige Auslegung und nie ihre Gültigkeit. Die folgende Tabelle ermöglicht eine Zusammenstellung der bisherigen Ergebnisse.
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IV. Johannes 7
Erzählfigur oder Gruppe, welche die Auslegung vornimmt
Beschreibung der Interpretation
Bewertung der Schriftauslegung in der Narration
Religiöse Gruppierungen, welche die Auslegung im historischen Kontext der joh Gemeinde vertreten
Jesus
Er betont die Kontinuität mit der Heilsbotschaft der Schrift und hebt ihr Christuszeugnis hervor, um seine Identität als der Gesandte Gottes zu entfalten.
Eine solche Interpretation ist uneingeschränkt positiv bewertet.
Die joh Gemeinde, besonders der Evangelist
Juden
Sie verkennen sowohl die Heilsbotschaft der Schrift, als auch dass sie von Jesus zeugt. Ihr Schriftverständnis ist der negative Spiegel der Schriftauslegung Jesu.
Dieser Umgang mit der Schrift steht unter 371 Kritik .
Jüdische Gruppierungen, die möglicherweise einen gewissen sozialen Druck auf die joh Christen ausübten oder sie sogar von der jüdischen Feier ausschlossen
Pharisäer und Hohepriester
Sie verwenden die Schrift, um ihren Wissens- und Machtanspruch zu untermauern.
Dieser Umgang mit der Schrift steht unter 372 Kritik .
Machtinhaber der Synagoge, die möglicherweise einen gewissen sozialen Druck auf die joh Christen ausübten oder sie sogar von der jüdischen Feier ausschlossen.
371
Jesus wirft den Juden vor, das Gesetz nicht zu halten und nach dem Augenschein zu urteilen (V.19.24). 372 Diese Inanspruchnahme der Schrift wird stark kritisiert: Nikodemus wirft ihnen vor, das Gesetz nicht zu befolgen.
3.Vertiefte Analyse des Schriftgebrauchs in Joh 7
241
Erzählfigur oder Gruppe, welche die Auslegung vornimmt
Beschreibung der Interpretation
Bewertung der Schriftauslegung in der Narration
Religiöse Gruppierungen, welche die Auslegung im historischen Kontext der joh Gemeinde vertreten
Volk
Es vergleicht zwischen traditionellen Messiaserwartungen und Jesus, um seine Messianität zu bestreiten oder zu bestätigen.
Die Beurteilung dieses Umgangs mit Schrift und Tradition wird dem Leser überlassen. Diese Interpretation hat eine mögliche Berechtigung als ein Vorverständnis, das dann aber vertieft werden muss.
Andere christliche Gemeinden, bei denen Schriftargumente für und gegen die Messianität Jesu diskutiert wurden.
Nikodemus
Er vertritt ein jüdisches Verständnis der Schrift, bei dem er die christologische Botschaft der Schrift verkennt, sie aber nicht gegen Jesus verwendet.
Die Beurteilung dieses Umgangs mit Schrift und Tradition wird dem Leser überlassen. Diese Intepretation hat eine mögliche Berechtigung als ein Vorverständnis, das dann aber vertieft werden muss.
Jüdische Sympathisanten, die vor der Entscheidung, Jesus anzunehmen oder abzulehnen, stehen.
Diese Tabelle unterstreicht die Wichtigkeit der „sozialen Funktion“ der Schriftbezüge. Bei der Reflexion über die eigene religiöse Identität hat die Schriftauslegung eine zentrale Stellung und ermöglicht es, sich zum Teil in Abgrenzung zu anderen religiösen Gemeinschaften zu profilieren. Die Darstellung der verschiedenen Interpretationen löst bei den Mitgliedern der joh Gemeinde eine Reflexion aus. Dies gilt aber auch für den heutigen Leser, der aufgefordert wird, seinen eigenen Umgang mit der Schrift zu reflektieren. Wie beurteilt er die verschiedenen Interpretationen? Wie bewertet er die Aussage des Volkes? Und diejenige von Nikodemus? Versteht er die christologische Pointe der Schrift? Erkennt er die tiefere Bedeutung des Gesetzes, welches das Heil des ganzen Menschen im Blick hat? Mit welcher Gruppe der Erzählwelt identifiziert er sich und von welcher distanziert er sich?
V. Abschliessende Beobachtungen Es war das Ziel dieser Arbeit, den Schriftgebrauch des JohEv besser beschreiben und dadurch auch seine Schriftinterpretation und -theologie besser erfassen zu können. Hierfür wurden exemplarisch zwei joh Texte untersucht. Dabei rückten dank der angewandten Methodik, die an Theorien der Intertextualität anknüpft, Aspekte, die in der Forschung bisher ungenügend berücksichtigt wurden, in den Vordergrund, wie etwa die Rolle des Lesers und die damit zusammenhängende Offenheit des Textes, die dialektische Bewegung zwischen Haupttext und Prätext, die Bedeutung des Kotextes der Schriftbezüge und die verschiedenen Funktionen der joh Intertextualität, so dass neue Einsichten gewonnen werden konnten. Zum Schluss möchte ich nun die Ergebnisse dieser Arbeit zusammenfassend darlegen und der Frage nachgehen, inwiefern sich aus Beobachtungen über den Schriftgebrauch in Joh 4 und Joh 7 ein Ertrag für das 1 Schriftverständnis des ersten Teiles des JohEv insgesamt gewinnen lässt. Die Aufmerksamkeit gilt hierfür zunächst der Einbettung der Schriftbezüge in die Dialoge. Anhand der Untersuchung von Joh 7 konnte aufgezeigt werden, dass jede Figur oder Figurengruppe eine bestimmte Schriftauslegung vertritt und dass die Bewertung der Figuren (bzw. Figurengruppen) und diejenige der Auslegung sich gegenseitig verstärken. An dieser Stelle ist nun danach zu fragen, ob Figuren, die an verschiedenen Stellen des JohEv die Bühne betreten (z.B. Jesus, die Juden, das Volk) immer wieder eine ähnliche Schriftinterpretation vertreten, oder ob je nach Kotext grosse Unterschiede festgestellt werden können. Aufgrund der engen Verbindung, die zwischen der Charakterisierung der Figuren und deren Schriftgebrauch besteht, ist Ersteres mehr als wahrscheinlich, wenn die Figurengruppen einheitlich gezeichnet sind. Der Vollständigkeit halber erwähne 1
Eine Fokussierung auf Joh 1,19 (Anfang der narratio) bis Ende Kapitel 12, das als Scharnier fungiert und die Passion einleitet, ist legitim, denn zwischen den zwei Hauptteilen des JohEv sind deutliche Unterschiede auszumachen: Sie betreffen sowohl die Zahl der expliziten Bezüge (mehr als 30 im ersten Teil / weniger als 10 im zweiten), die Art und Weise, wie sie in den Kotext eingebettet werden (Eingliederung mitten in die Dialoge / Kommentar des Erzählten in den Worten Jesu oder im Erzählerkommentar), die Einführung (ohne / mit Erfüllungsformel) wie auch die thematischen Schwerpunkte (vgl. II.4.3). Da beide Texte aus dem ersten Teil des JohEv stammen, ist eine Übertragung der Ergebnisse auf die zweite Hälfte des JohEv nicht ohne weiteres möglich.
1. Die Einbettung der Schrift in die joh Dialoge
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ich in diesem Zusammenhang auch kurz die jeweiligen Schriftauslegungen der Einzelfiguren. In einem zweiten Schritt möchte ich die Ergebnisse dieser Arbeit in den bisherigen Forschungsdiskurs einbetten. Dabei setze ich mich primär mit den verschiedenen sich widersprechenden Einschätzungen der Schrift im JohEv auseinander: Während nämlich einige Exegeten eine Hochschätzung des AT im JohEv vermuten, wollen andere in der Auslegung des Evangelisten eine Abwertung der Schrift erkennen. Es ist deshalb danach zu fragen, inwiefern diese Arbeit dabei hilft, aus dieser Aporie herauszufinden und die bisherige Debatte weiter voranzutreiben. Schliesslich ist daran zu erinnern, dass sich die joh Schriftinterpretation nicht einfach rein inhaltlich bestimmen lässt, sondern nur vor dem Hintergrund der damaligen historischen Kommunikationssituation verstanden werden kann. Hierfür wird die grosse Bedeutung der sozialen Funktion der Schriftbezüge nochmals hervorgehoben, auch wenn das Zusammenspiel zwischen dem intertextuellen und dem historischen Zugang in dieser Arbeit nur am Rand berührt wird.
1. Die Einbettung der Schrift in die joh Dialoge 1. Die Einbettung der Schrift in die joh Dialoge
In den zwei untersuchten Perikopen lässt sich eine je ähnliche narrative Strategie beobachten, die jeweils darin besteht, die Schriftbezüge in Dialoge einzubetten. Dabei ist auf den ersten Blick der inhaltliche Unterschied zwischen den beiden joh Texten unübersehbar: Während in Joh 4 eine Figur ihr problematisches Schriftverständnis in einem Gespräch mit Jesus revidiert, werden in Joh 7 verschiedene Schriftdeutungen nebeneinander gestellt, so dass sich der Leser mit einer Auswahl von Interpretationen konfrontiert sieht und mithilfe der joh Darstellung selber beurteilen muss, welche er für die richtige hält. Auf den zweiten Blick jedoch lässt sich eine tiefgreifende Ähnlichkeit entdecken, denn die Schrift übernimmt durch die Einbettung in die Dialoge in beiden Texten bis zu einem gewissen Grad die gleiche Funktion. So wird sie weder in Joh 4 noch in 7 als objektive Grösse angeführt, die weitere Argumente zur Untermauerung einer These liefern könnte, sondern mitten in die hitzige Debatte über ihre richtige Interpretation hineingestellt. Gerade durch die Einbettung der Schrift in die Reden der einzelnen Figuren wirft der Evangelist die Frage ihrer korrekten Auslegung auf, wobei diejenige Interpretation, für die er selber eintritt, mehr als deutlich dadurch hervorgehoben wird, dass er sie Jesus in den 2 Mund legt. Anders als die bisherige Forschung, die sich auf dieses Haupt2
Die vom Evangelisten vertretene Auslegung wird in der Rede Jesu entfaltet und ist daher kaum im Erzählerkommentar zu finden. H ARTENSTEIN (Charakterisierung, 38–39)
244
V. Abschliessende Beobachtungen
schriftverständnis beschränkt, unternehme ich jedoch in dieser Arbeit den Versuch, die jeweiligen Deutungen verschiedener Figuren (bzw. Figurengruppen) und ihre vom Autor durch narrative Mittel implizierten Bewertungen herauszuarbeiten. So gehe ich auf die Schriftdeutung Jesu, der Ju3 Juden, des Volkes und der Einzelfiguren ein. 1.1 Die Schriftdeutung Jesu 1.1.1 Ergebnisse der Analysen von Joh 4 und Joh 7 Die in den Worten Jesu darlegte Schriftinterpretation entspricht derjenigen, die der Evangelist vertritt. Jesus ist nämlich die Autoritätsfigur, die als Gesandter des Vaters die Schrift kennt und dazu legitimiert ist, sie richtig zu deuten (vgl. Joh 7,15–16). Die in den Mund Jeus gelegte Auslegung kann insofern im Einklang mit der Forschung als „christologische Deutung“ bezeichnet werden, als sie in engem Zusammenhang mit dem Verständnis der Person Jesu, seines Kommens und seiner Passion steht. Zugleich erweist sich aber diese Charakterisierung als ungenau und einer näheren Präzisierung bedürftig, denn die verschiedenen Worte Jesu erläutern verschiedene Facetten des gleichen Sachverhalts: In und durch ihn ereignet sich das in der Schrift verheissene Heil. Dabei liegt das Gewicht auf der soteriologischen Dimension des Werkes Jesu und auf seinem eschatologischen Charakter, denn die Schrift bildet die Hintergrundfolie, vor der seine Heilsgabe und das Einbrechen der Endzeit entfaltet werden. Ein kurzer Durchgang durch die verschiedenen von Jesus geäusserten Schriftbezüge der zwei Kapitel bestätigt diese These: Durch das Symbol des Wassers und der damit zusammenhängenden atl. Verheissungen sowie mit Hilfe der Erinnerung an die Geschichte Jakobs (Joh 4,7–15) expliziert Jesus seine Gabe, das Leben in Fülle. Mit dem Bild der Ernte (Joh 4,35–38) thematisiert er das Anbrechen der Heilszeit und die damit verbundene Freude, die sich mit seinem Kommen jetzt ereignen. In seiner Erläuterung der Heilung des Gelähmten offenbart er den tieferen Sinn des Gesetzes, der im Heilwerden des ganzen Menschen liegt (Joh 7,21–23). In seiner Einladung, zu ihm zu kommen und zu trinken, (Joh 7,38–39) verweist Jesus auf das endzeitliche Heil, das von seiner Person nicht zu trennen ist, indem er ein Bild benutzt, das sowohl auf die Erwartung einer Quelle, die aus dem beobachtet zu Recht, dass zwischen Jesus und der Erzählstimme eine gewisse Konkurrenz besteht, da er einen hohen Anteil an wörtlicher Rede hat, allwissend ist und zudem auch von sich selbst in der dritten Person spricht. „Dieses Phänomen zeigt […] die besondere Rolle Jesu im JohEv, er ist nicht nur eine Figur wie andere der erzählten Welt, sondern hat auch erzähltechnisch eine autoritative Position“ (39). 3 In diesem Zusammenhang fällt auf, dass bei Joh die Jünger nie explizit auf die Schrift verweisen.
1. Die Einbettung der Schrift in die joh Dialoge
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Jerusalemer Tempel herausfliesst, anspielt, als auch auf die Hoffnungen, die mit dem wasserspendenden Felsen in der Wüste verbunden werden, so wie auf die Verheissung der Gabe des Heiligen Geistes. In beiden Perikopen wird zwar die Schrift von Christus her auf Christus hin gelesen, aber eine derartige Analyse bleibt oberflächlich, denn das Gewicht liegt nicht auf irgendeiner Christusvorauskündigung, sondern präziser auf der Gabe des eschatologischen Heils in der Person Jesu, wobei die Schrift einer ganz bestimmten Interpretation unterzogen wird: Die Verheissungstexte bekommen im Vergleich zum Gesetz mehr Gewicht und Letzteres verliert zum Teil seine Funktion als moralisch-ethische Orientierung, denn es wird ausschliesslich auf seine tiefere Bedeutung, den Ausdruck des Heilswillens Gottes, referiert. Desweiteren verändert sich die Zeitperspektive. Was in der Schrift noch für die Zukunft verheissen wurde, ereignet sich jetzt im Kommen, im Tod und in der Auferstehung Jesu. Aufgrund der präsentischen Eschatologie, die das JohEv durchzieht, werden die Heilserwartungen umgedeutet; von Verheissungen für eine Zeit, die noch aussteht, verwandeln sie sich in Zusprüche, die für die Gegenwart der Leser gelten. Damit hängt auch eine Veränderung der Empfängerschaft der Heilsgaben zusammen. Während die Verheissungen der Schrift an Israel adressiert waren, richten sich die Worte Jesu neu an jeden einzelnen Menschen, der zu ihm kommt. Die Universalität des Heilszuspruchs, aber zugleich auch dessen individuelle Aneignung, ersetzen Verheissungen, die einem in sich abgeschlossenen Kollektiv galten. 1.1.2 Weitere Texte mit einer ähnlichen Schriftinterpretation In Joh 4 und 7 vertritt der Autor (durch seine Hauptfigur Jesus) eine christologische Auslegung der Schrift, die sich folgendermassen charakterisieren lässt: Jesus schenkt das eschatologische Heil und vereint in ihm verschiedene atl. Heilserwartungen, wobei eine Universalisierung und zu4 gleich eine Individualisierung der Empfänger zu beobachten ist. Die anhand von Schriftbezügen entfaltete Identität Jesu lässt sich nicht von dem in ihm verwirklichten endzeitlichen Heilsangebot trennen; entkoppelt von ihrer soteriologischen und eschatologischen Dimension scheint es gar keine Christologie mehr geben zu können. Die in Joh 4 und Joh 7 gebotene Schriftauslegung und die dabei entstehenden Umdeutungen bilden aber kein Spezifikum der zwei für die Untersuchung ausgewählten Perikopen, 4
Interessanterweise ist bei der Untersuchung der Feste im JohEv Ähnliches beobachtet worden: „Die Feste sind für Johannes mitnichten nur literarische Mittel und Anlässe, Jesus den Weg nach Jerusalem antreten zu lassen. Ihr soteriologischer Inhalt ist immer mitgedacht. Der johanneische Jesus wird durch sein Reden und Handeln auf den Festen als eben das Heil beschrieben, das Israel durch ihre Feiern erhofft und erfährt“ (F ELSCH, Feste, 272).
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V. Abschliessende Beobachtungen 5
sondern lassen sich ebenso an anderen Stellen des JohEv beobachten, wie 6 ich im Folgenden anhand dreier weiterer joh Textstellen exemplarisch 7 aufzeigen möchte. Joh 3,14–15 In seinem Gespräch mit Nikodemus verweist Jesus, um seinen Tod vorauszudeuten, auf die Ereignisse von Num 21,8–9, ohne sie im Detail zu schildern. Der schriftkundige Leser kann sich jedoch mit Sicherheit an die Erzählung erinnern: Die von Gott bestraften Israeliten, die von Schlangen gebissen wurden – und dies oft mit tödlichen Folgen –, konnten dadurch Heilung erfahren, dass sie auf eine von Mose auf einer Stange erhöhte Schlange blickten. Durch den Vergleich (κατὼς – οὕτως) erkennt der Rezipient, dass der Anblick Jesu am Kreuz, genau wie damals der Anblick der Schlange, seine Rettung aus dem Tod bedeutet. Das tertium comparationis ist hierbei das Erhöhen selber (ὑψοῦν bzw. ὑψοῦσθαι), wobei der erhöhte Menschensohn die gleiche Funktion übernimmt wie damals die Schlange: „[Zwischen] beiden von Gott selbst initiierten Heilsereignissen (ὑψοῦν) besteht im Sinne des Evangelisten eine deutliche Entsprechung, darüber hinaus aber auch zwischen den Akten der Heilsvermittlung (ἰδῶν 8 αὐτόν / ὁ πιστεύων) und der Heilsgabe (ἔχῃ ζωὴν αἰώνιον / ζήσεται).“ Die hier vorgenommene christologische Interpretation zielt also darauf ab, die Gabe des Lebens, die durch den Tod Jesu geschenkt wird, zu explizieren. Dabei verschiebt sich (ähnlich wie in Joh 4 und Joh 7) ein wichtiges Element der Erzählung, denn während die Erhöhung der Schlange das Heil für alle Israeliten ermöglichte, sprengt die Erhöhung des Menschensohnes 5
Obwohl eine Mehrzahl der Schriftbezüge, die Jesus in den Mund gelegt werden, diesen hermeneutischen Schlüssel zu bestätigen scheinen, wäre zu untersuchen, ob durch die Auslegung weiterer Stellen noch weitere Aspekte ans Licht kämen. Zudem sollten m.E. nicht unbedingt alle atl. Bezüge zwangsweise in dieses Schema gepresst werden. Insbesondere Joh 10,34, einer der seltenen Schriftbezüge, bei der die zweite Person (statt einer universellen dritten Person) beibehalten wird, sollte für sich untersucht werden. 6 Diese drei Stellen eignen sich für eine Vertiefung, denn sie unterscheiden sich durch ihren Kotext (Joh 3 besteht aus einem Dialog mit einer Einzelfigur, Joh 6 und Joh 8 aus einem Dialog mit eher feindlich gesinnten Gruppen), wie auch durch die formale Bestimmung der Schriftbezüge (in Joh 3 findet sich ein kurzer Verweis, in Joh 6 wird explizit die Exodusgeschichte [mit Zitaten, Anspielungen und expliziten Verweisen] diskutiert, in Joh 8 wird lediglich auf atl. Verheissungen angespielt). 7 Die drei Stellen können an dieser Stelle selbstverständlich nicht umfassend behandelt werden. Ich verzichte auf die Erläuterung zahlreicher Probleme, die diskussionswürdig wären, denn es geht mir hier nur darum, zu zeigen, dass in anderen Worten Jesu die gleichen Gemeinsamkeiten im Umgang mit der Schrift zu erkennen sind, wie in Joh 4 und Joh 7. 8 FREY, Deutung, 184.
1. Die Einbettung der Schrift in die joh Dialoge
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diese ursprüngliche Bundesgrenze und bringt Heil für alle (sc. jeden) Menschen, der glaubt. Joh 6 In Joh 6 charakterisiert Jesus seine Identität, indem er die Frage des Ge9 bens Gottes, die schon in Joh 4 erörtert wurde , vertieft. Zu diesem Zweck stellt er seine eigene Interpretation der Manna-Erzählung derjenigen des Volkes und der Juden gegenüber (vgl. V.32 [οὐ... ἀλλά...] und die Opposi10 tion in V.49–50) . Dabei lässt sich, wie die folgende Tabelle zeigt, erkennen, wie Jesus die Schrift christologisch uminterpretiert: Sie zeugt von dem Heil, das nun gegenwärtig durch ihn und in ihm jedem Einzelnen geschenkt wird. Thematik der Gabe
Schriftinterpretation des Volkes (und der Juden)
Geber
Mose
Zeit des Gebens
Vergangenheit Vgl. V.32 δέδωκεν, Perf.
Gegenwart Vgl. V.32 δίδωσιν, Pr.
Gabe
Brot aus dem Himmel
Wahres Brot aus dem Himmel, Jesus
Wirkung der Gabe
Ermöglichte das Überleben in der Wüste
Ermöglicht das ewige Leben
Empfänger
Die Israeliten Vgl. οἱ πατέρες ὑµῶν ἔφαγον (V.49)
Alle Menschen Vgl. u.a. τῷ κόσµῳ (V.33, vgl. auch V.51) ὁ ἐρχόµενος πρός µε (V.35) τις ἐξ αὐτοῦ φάγῃ (V. 50)
11
Schriftinterpretation Jesu
Gott
Obwohl die Antithese zur Interpretation des Volkes und der Juden bei Joh im Vordergrund steht, sollte die hermeneutische Funktion der Schrift nicht vergessen gehen, denn neben den vorherrschenden Auslegungskorrekturen, welche die Umdeutung durch Jesus betont, wird dank der Analogie zwi9
Joh 4 und Joh 6 weisen auch über dies hinaus grosse Ähnlichkeiten auf (vgl. die mögliche Parallelisierung zwischen Wasser / Brot, Durst / Hunger, Jakob und die Seinen, die damals davon getrunken haben / Mose und die Israeliten, die damals gegessen haben usw.). Zu Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen beiden Perikopen vgl. T HEOBALD, 311. 10 Ich vertiefe damit den Ansatz von S CHNACKENBURG II, 55. 11 Interessanterweise ist im von Juden zitierten Psalm (V.31) das Subjekt unbestimmt und kann sich sowohl auf Mose oder auf Gott beziehen. Erst im V.32 unterstellt Jesus seinen Adressaten, dass sie an Mose denken.
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V. Abschliessende Beobachtungen
schen der Mannagabe und der Sendung des Sohnes die Identität Jesu als 12 eine lebenserhaltende Gabe Gottes entfaltet. Joh 8,12 Anders als in Joh 3,14 und als im Kapitel 6 findet sich in Joh 8,12 kein expliziter Schriftbezug; es ist dennoch wahrscheinlich, dass der Text implizit an atl. Motive anknüpft. „Obwohl ‚Licht‘ ein kulturübergreifendes, sozusagen archetypisches religiöses Symbol für Heil und Leben darstellt […], hat es in der biblischen und frühjüdischen Literatur doch eine spezifische Ausprägung erhalten, von der auch das johanneische Bildwort ‚Licht 13 der Welt‘ profitiert“ . Zuerst kann die Aussage Jesu, genau wie die Verheissung des Wassers in Joh 7,37–38, vor dem Hintergrund des Laubhüttenfestes und seiner Riten, bei denen das Licht eine zentrale Stelle einnahm (vgl. mSuk V 2–4), verstanden werden: Jesus „affirme […] accomplir l’espérance eschatologique qui habitait cette célébration.“14 Darüber hinaus weckt der Ausdruck τὸ φῶς τοῦ κόσµου verschiendene atl. Assoziationen15. Anspielungen an die Weisheitsliteratur, bei der das Bild auf die Tora, Gottes Weisungen oder die Weisheit bezogen ist (vgl. u.a. Ps 43,4; 119,105; Prov 6,23), verdeutlichen, dass Jesus als Wort Gottes eine ähnliche Funktion hat: „In ihm und mit ihm ist das Licht der Offenba16 rung Gottes in dieser Welt aufgestrahlt.“ Weiter ist an den Gottesknecht zu denken, der zum Licht der Völker werden wird (Jes 42,6 und Jes 49,6). Dass der joh Text darauf anspielt, ist plausibel, weil diese Jesajastellen im Urchristentum oft messianisch gedeutet wurden und weil das Vereinen von verschiedenen atl. Heilsfiguren (der Menschensohn, der Prophet, der Messias und hier nun eben der Gottesknecht) in Jesus im JohEv nicht unüblich 12
Wenn D IETZFELBINGER (Aspekte, 205) schreibt: „Diese umstürzende Neuinterpretation der Manna-Episode läuft auf eine gründliche Abwertung nicht nur der jüdischen Manna-Interpretation, sondern der alttestamentlichen Mannageschichte hinaus […].“, übersieht er m.E. die positive Analogie zwischen dem Senden Jesu und dem Herabsenden des Mannas und die positive Funktion der Erzählung, welche den Interpretationsrahmen für die Klärung der Identität Jesu liefert. Darüber hinaus wird hier sichtbar, wie Wertung und Beschreibung der Auslegung ineinanderfliessen, was für die Klärung des Schriftgebrauchs im JohEv hinderlich ist. 13 T HEOBALD, 567. 14 Z UMSTEIN I, 284. 15 Obwohl hier nur drei wichtige atl. Assoziationen genannt werden, klingen höchstwahrscheinlich noch weitere Motive mit. Denn genau wie in Joh 7,37–38 beim Motiv der Quelle und in Joh 4,7–15 beim Motiv des Wassers kann der Leser hier an verschiedene atl. Vorstellungen denken und neue Erkenntnisse zur Interpretation gewinnen (zu weiteren atl. Texten, die hier möglicherweise im Hintergrund stehen, vgl. u.a. T HEOBALD, 567; H ANSON, Gospel, 116–122; B ARRETT, 341–343, der auch Einflüsse ausserhalb der jüdischen Tradition erwähnt). 16 T HEOBALD, 569.
1. Die Einbettung der Schrift in die joh Dialoge
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ist. Angesichts der joh Tendenz, die Universalität des Heils zu betonen, erstaunt weder der Wandel von φῶς ἐθνῶν zu φῶς τοῦ κόσµου, noch dass Jesus im anschliessenden präzisierenden soteriologischen Nachsatz (wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern er wird das Licht des Lebens haben) nicht mehr zu den Zuhörern (zweite Person) 17 spricht, sondern eine Formulierung in der dritten Person verwendet. Der Leser kann zudem aber die Worte Jesu auch mit den Verheissungen des Lichts verknüpfen, die einen unverzichtbaren Bestandteil atl. eschatologischer Erwartungen bildeten (vgl. Sach 14,7; Jes 60,19). Besonders Jes 8,23–9,2 ist m.E. eine sinnvolle Denkassoziation, denn wie Lindars schreibt: „the juxtaposition of a depreciatory comment on Galilee in 7.52, and of Jesus’ annoucement of himself as the light in the verse immediately following, even more strongly suggests that this text is in mind. This becomes still more probable when we turn our attention to the rest of the verse, and compare it with Isa 9.2: ‚The people who walked in darkness have seen a great light; those dwelt in a land of deep darkness, on them has 18 shined.‘“
Indem Jesus sich selbst als „Licht der Welt“ bezeichnet, verkündet er, was er mit Hilfe anderer zahlreicher Motive oft entfaltet hat: In seiner Person werden verschiedene endzeitliche Hoffnungen zum geschichtlichen Ereig19 nis. 1.2 Die Schriftdeutung der Juden und der Pharisäer
20
In Joh 7 fungiert die Schriftinterpretation der Juden als Negativfolie der Auslegung Jesu. Dort bietet diese Gruppe keine eigene Deutung an, jedoch lässt sich ihre Schriftinterpretation aus den Worten Jesu, die sich davon abheben, eruieren. Die Gegensätzlichkeit der zwei Standpunkte zieht sich durch das ganze Evangelium hindurch (besonders durch den ersten Teil) und lässt sich durch die Einbeziehung weiterer joh Texte noch genauer
17
Nicht zufällig sind die soteriologischen Nachsätze der ἐγώ-εἰµι-Worte immer in der dritten Person formuliert, vgl. THYEN, Licht, 38. 18 L INDARS, 315. 19 Die Häufigkeit solcher Inanspruchnahmen der Schrift lädt den Leser dazu ein, auf den möglichen atl. Hintergrund weiterer Motive zu achten, oder sie sogar gezielt zu suchen. Ein solches intertextuelles Spiel entsteht in Joh 4: Die verschiedenen expliziten Motive, die auf die eschatologische Heilszeit verweisen (Bild der Ernte, des Wassers und die Messiaserwartungen), fordern den Leser dazu auf, weitere implizite Motive der Heilszeit im Text aufzuspüren (Anbetung aller Nationen, vollständige Erkenntnis Gottes usw.). Vgl. dazu III.3.2.4.2. 20 Obwohl die Pharisäer eher als Macht im Hintergrund wirken und die Juden häufiger direkte Auseinandersetzungen mit Jesus haben, können die zwei Figurengruppen hier aufgrund ihres sehr ähnlichen Schriftgebrauchs zusammen behandelt werden.
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V. Abschliessende Beobachtungen
erfassen, die über die Ergebnisse der Analyse von Joh 7 noch hinausführen, ohne ihnen dabei in der Sache zu widersprechen. Die von den Juden vertretene Auslegung der Schrift wird zwar ab und zu auch in ihren eigenen Worten entfaltet, hauptsächlich jedoch von Jesus selbst charakterisiert und kritisiert (genau wie in Joh 7, wo sich die Schriftinterpretation der Juden lediglich in seinem Vorwurf an sie spiegelt). In Joh 5,39–47 wird der Hauptstreitpunkt zum ersten Mal entfaltet: In polemischen Worten setzt Jesus das Verhältnis der Juden zu ihm als Massstab, an dem ihre Beziehung zum Vater und ihre Schriftinterpretation gemessen werden. Da sie Jesus ablehnen, wird ihnen folglich auch jegliche Gotteserkenntnis abgesprochen – denn wer den Gesandten nicht annimmt, erkennt auch den Sendenden nicht –, und genauso wird ihnen das korrekte Schriftverständnis abgesprochen, denn sie glauben nicht, dass Mose von Jesus geschrieben haben soll. Diese „Verse enthalten in nuce die Schriftherme21 neutik des Evangelisten, die streng christologisch konzipiert ist“ . Dabei erscheint die Schriftinterpretation der Juden zunächst nur als deren Negation und als Verweigerung der Annahme des in der Schrift entfalteten Zeugnisses. Die Schriftauslegung der Juden lässt sich aber noch weiter präzisieren – und im Kontrast dazu kann dann auch das christologische Schriftverständnis des Evangelisten genauer charakterisiert werden –, denn in den Aussagen der Juden offenbart sich ein weiterer Dissens, der ihr Gesetzesverständnis betrifft. Während Jesus selten auf die Gebote der Tora verweist und wenn, dann nur um deren tieferer Bedeutung willen, nämlich dem Heilsplan Gottes für die Menschen, verweisen die Juden oft auf das Gesetz und streichen dessen Normativität heraus. So rekurrieren sie auf es, um Rechtsfragen zu erläutern: In Joh 5,10 etwa erinnern sie vorwurfsvoll an den von Jesus Geheilten, der am Sabbat kein Bett (κράββατος) tragen dürfte. Aufgrund ihres Sabbatverständnisses verfolgen sie auch Jesus, weil er die Heilung an diesem geheiligten Tag vollzieht (vgl. Joh 5,16; 9,16). Oftmals problematisieren sie die Aussagen Jesu, da er ihrer Ansicht nach das Gesetz übertritt, sei es weil er Gott lästere (Joh 5,16; 10,33) oder weil 22 er von sich selber zeuge (Joh 8,13 ). Schliesslich benutzen die Juden die Tora in einem legalen Prozess, um von Pilatus die Todesstrafe für Jesus zu 23 erwirken (Joh 19,7). In ihrer strengen Gesetzlichkeit und ihrer wortwörtlichen Einhaltung der Gebote blenden sie den eigentlichen Heilswillen 21
T HEOBALD, 415. Hier sprechen nicht die Juden, sondern die Pharisäer. 23 Auch ihre Befragung von Johannes dem Täufer (vgl. Joh 1,19–27) entspricht dieser gesetzlichen Haltung. Sie versuchen dabei zu klären, ob er taufen darf oder nicht und erkundigen sich hierfür zuerst nach seiner Identität, bevor sie ihn direkt fragen: „Warum taufst du denn, wenn du nicht der Christus bist, noch Elia, noch der Prophet?“ 22
1. Die Einbettung der Schrift in die joh Dialoge
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Gottes aus, welcher der Tora zugrunde liegt und den einzelnen Gebote ihren Sinn verleiht. Darüber hinaus ringen die Juden mit den Folgen der von Jesus vorgenommenen Interpretation der Schrift, da durch sie die Vergangenheit, die für ihre Identität bestimmend ist, relativiert wird. Die Erwählung des Gottesvolkes spielt bei ihm kaum noch eine Rolle, da das Heil gegenwärtig (statt in der Vergangenheit) jedem (statt Israel) geschenkt wird. In diesem Zusammenhang ist Joh 8,33 aufschlussreich. Dort widersprechen die Juden dem Wort der Befreiung Jesu, „weil es mit ihrem Selbstverständnis kollidiert und dieses in die Krise führt: ‚Wir sind Samen Abrahams, und niemandem sind wir je hörig gewesen; wie kannst du sagen: ihr werdet frei 24 werden?‘“ . Sie nehmen Anstoss an Jesu neuen Heilszusprüchen und -verheissungen, denn ihrer Meinung nach gelten diese für sie schon längst aufgrund ihrer Herkunft. Sie nämlich sind diejenigen, „die aus ihrer eigenen Geschichte und Tradition Erfahrungen der Befreiung und die Zusage 25 und Verheissung von Befreiung durchaus schon kennen.“ Da sie aber die tiefste Kontinuität des Heilshandelns Gottes verkennen, das in Jesus zur Vollendung kommt, betonen sie ihre religiöse Zugehörigkeit und sehen darin eine falsche Opposition zur Botschaft Jesu, obwohl genau das Gegenteil richtig wäre, denn die verschiedenen Heilstaten Gottes für Israel verweisen auf seinen Heilswillen für die ganze Welt, der sich in Jesus konkretisiert. Genauso schliessen die Juden in Joh 9,28 fälschlicherweise 26 ein gleichzeitiges Jüngersein Mose und Jesu streng aus, wobei gerade diese Alternative absolut sinnlos ist: „For the Fourth Evangelist and his readers, though, it is a both/and situation – to be a disciple of Jesus is also 27 to be a disciple of Moses.“ 1.3 Die Schriftdeutung des Volkes In Joh 7 bildet das Volk eine schwer abzugrenzende Gruppe, deren Nähe zu den Juden die analytische Arbeit erschwert. Eine diffuse Menschenmasse, die unterschiedlich bezeichnet wird (vgl. ὄχλος, οἱ µὲν… ἄλλοι δὲ, 28 τινες ἐκ τῶν Ἱεροσολυµιτῶν usw. ) meldet sich immer wieder zu Wort. Trotz aller Unschärfe lässt sich aber bei dieser Gruppe ein Schriftgebrauch erkennen, der sich von demjenigen der anderen Figuren (bzw. Figuren24
THEOBALD, 592. So urteilt auch THYEN, 437: „die Berufung auf Abraham als ‚unseren Vater‘ ist stereotyper Ausdruck jüdischer Erwählungsgewissheit.“ 25 W ENGST I, 328. 26 Vgl. M OSER, Verständnis, 61. 27 O’D AY, Word, 80. 28 Interessanterweise werden Ausdrücke, die eine diffuse Menschenmasse bezeichnen, ausschliesslich im ersten Teil des JohEv verwendet (vgl. insbesondere ὄχλος in: 5,13; 6,2.5.22.24; 7,12.20.32.43.49; [8,2]; 12,9.12.17.18.29.34).
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V. Abschliessende Beobachtungen
gruppen) deutlich unterscheidet, denn die Leute aus der Menge messen Jesus immer wieder an ihren Messiaserwartungen. Es ist nicht genau zu bestimmen, ob ihre Vorstellungen dabei eher jüdische oder urchristliche Traditionen widerspiegeln, aber eine gewisse Nähe zum Verständnis der Messianität Jesu, wie sie bei den Synoptikern anzutreffen ist, lässt sich auf jeden Fall erkennen. Obwohl die Äusserungen des Volkes explizit weder kritisiert noch gutgeheissen werden, führen sie nicht zu einer vollen Erkenntnis der Identität Jesu und bedürfen der Korrektur oder Ergänzung. Sie drücken also eine mögliche Vorstufe des Glaubens aus, der noch vertieft werden muss. Da die Figurengruppe des Volkes sich nicht präzise bestimmen lässt, wäre es nicht unbedingt zu erwarten, dass diese schwer definierbare Men29 schenmasse an anderen Stellen des JohEv einen ähnlichen Umgang mit der Schrift und den messianischen Traditionen an den Tag legt. Aber gerade dies lässt sich gut belegen, obwohl andernorts im Vergleich zu Joh 7 schärfere Anfragen gegen solche Vorstellungen erhoben werden: Während die ἄνθρωποι etwa in Joh 6,14 bekennen, dass Jesus der Prophet sei, der in die Welt kommen soll, problematisiert Jesus diese Vorstellung (Joh 6,15), indem er der Masse entflieht, damit sie ihn nicht zum König krönen kann. Dieser Glaube ist augenscheinlich unvollkommen, einerseits weil er in der Wundertätigkeit Jesu gründet und andererseits weil die politische Dimension ihrer Messiaserwartung dem Königtum Jesu, wie es in JohEv (vgl. Joh 18,36–37) charakterisiert wird, widerspricht. Die Frage nach der Messianität Jesu und seiner Legitimität wird vom Volk in V.31 erneut gestellt und weitergeführt, denn es verlangt ein Zei30 chen von ihm, das der Mannagabe durch Mose in der Wüste entsprechen oder sie noch überbieten würde, damit sie glauben können. Dabei tragen sie eine übliche jüdische Enderwartung an Jesus heran, die beinhaltet, dass der endzeitliche Prophet (wie Mose) Legitimationswunder vollbringt, „er werde – gemäss dem Grundsatz: ‚wie der erste Erlöser, so der letzte Erlö31 ser‘ – einst Manna wie Mose herabkommen lassen.“ Jesus korrigiert dann dieses „Messiasverständnis“, indem er seine eigene Interpretation der Exodusgeschichte darlegt (vgl. oben).
29
Das Volk spielt fast ausschliesslich in den Kapiteln 6 und 12 eine wichtige Rolle. Dabei verweist es weniger oft auf die Schrift als die Juden. 30 Interessanterweise handelt es sich formal nicht um einen Imperativ, sondern um eine Frage, was einer der üblichen Formen des Votums des Volkes entspricht (vgl. 6,25; 7,20; 12,34). Es wäre interessant, diesen Aspekt weiter zu vertiefen, um die Figuren des JohEv noch genauer zu charakterisieren. 31 SCHNACKENBURG II, 55. Vgl. auch Z UMSTEIN I, 223: [conformément], à l’attent apocalyptique, la répétition du miracle de la manne devait être le signe de la venue du temps eschatologique du salut.“ Siehe Apk 2,17; SyrBar 29,8.
1. Die Einbettung der Schrift in die joh Dialoge
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Ein ähnliches Grundmuster ist in der Reaktion des Volkes auf die Rede Jesu seinen Tod betreffend (Joh 12,34) zu erkennen. Es antwortet ihm nämlich: „Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass Christus in Ewigkeit bleibt; wie sagst du denn, der Menschensohn müsse erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?“ Wiederum streicht das Volk den Unterschied zwischen seiner Messiashoffnung und den Selbstoffenbarungsworten Jesu heraus und meint, so seine Lehre diskreditieren zu können. Die Übereinstimmungen mit Joh 7 sind frappierend: Erneut weist der Text eine gewisse Transparenz für die geschichtliche Situation der joh Gemeinde auf, da das 32 Volk einen grundlegenden jüdischen Einwand gegen die Messianität Jesu formuliert, der den joh Christen bestimmt bekannt war. Zudem kommentiert Jesus in der Weiterführung des Dialogs diese Aussage abermals kaum, so dass die Bewertung der Worte der Volksmenge dem Leser überlassen 33 bleibt. Dabei wird die Interpretationsaufforderung an den Rezipienten dadurch verstärkt, dass das Volk – wie so oft in Joh 7 – seinen Einwand als 34 Frage formuliert. Nicht nur in den von ihm geäusserten expliziten Schriftverweisen thematisiert das Volk seine messianische Hoffnung. In Joh 12,12–13 empfängt das Volk Jesus, der in Jerusalem einzieht, als den königlichen Messias mit einem impliziten Zitat aus Ps 118,25–26: „Hosanna! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!“. „Das ‚Hosanna‘ verwandelt sich dabei von einem Gebet um Hilfe in ein messianisches Begrüssungswort“35, wie die Hinzufügung ὁ βασιλεὺς τοῦ Ἰσραήλ eindeutig zeigt. Die Messiasvorstellung des Volkes wird hier zwar nicht explizit kritisiert, doch die ihr nachgestellte Geschichte mit dem Esel soll sie zumindest relativieren, denn Jesus kommentiert „durch sein Verhalten die Königsakklamation der Pilgerscharen und verweist all ihre nati36 onalistischen Untertöne und Hoffnungen in ihre Schranken.“
32
Es ist dabei nicht eindeutig zu eruieren, ob das Volk daran Anstoss nimmt, dass der Messias (Menschensohn) sterben (erhöht sein) wird, oder daran, dass das messianische Reich nicht ewig dauert. Vgl. dazu D IETZFELBINGER, 394–395, und T HEOBALD, 815–816. 33 Wie für die Worte des Volkes in Joh 7 rechnet eine mögliche Interpretation mit der Ironie des Evangelisten, vgl. THEOBALD, 817: „Vordergründig widerspricht der zitierte Grundsatz der Schrift dem Wort Jesu, aber vielleicht spricht die Volksmenge mit ihm noch unwissentlich – das wäre dann johanneische Ironie! – die Wahrheit aus: Jesus ist zwar gestorben, aber die Leser wissen es besser: Der Erhöhte ,bleibt in Ewigkeit‘ (vgl. ähnlich 14,16 für den Parakleten)!“ 34 In der Erzählwelt ist diese Frage natürlich an Jesu adressiert, aber indirekt wird sie auch dem Leser gestellt. 35 W ILCKENS, 188. 36 T HYEN, 555. So urteilt auch T HEOBALD, 788–789.
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V. Abschliessende Beobachtungen
1.4 Die Schriftdeutungen der einzelnen Figuren Bei der Untersuchung der Schriftbezüge, die Einzelfiguren in den Mund gelegt werden, fällt ihre geringe Zahl auf, denn nur an vier Stellen wird 37 explizit auf das AT verwiesen , nämlich in Joh 1,23; 1,45; 4,12 und 7,51. Zudem erstaunt, dass Jesus in drei Fällen gar nicht anwesend ist. Äusserst bemerkenswert ist auch, dass die vier Einzelfiguren sehr unterschiedliche Schriftauslegungen vertreten und dass dabei jeweils eine je andere Wirkung auf den Leser beabsichtigt ist. Das erste Schriftzitat des JohEv (1,23) findet sich in den Worten Johannes des Täufers, der als einzige Figur ausser Jesus die Schrift wörtlich 38 wiedergibt . Nach der Ablehnung dreier ihm zugetragener christologischer Titel klärt er seine Identität dadurch, dass er sich selbst positiv als „eine Stimme, die in der Wüste ruft“ bezeichnet; er ist ein Zeuge Jesu, nicht mehr und nicht weniger. Der Schriftbezug, durch den er seine Beziehung zu Jesus von vornherein klärt, steht im Einklang mit der Schriftauslegung des Autors, „[denn] die Schrift als Deutehintergrund des Geschilderten stellt Johannes als Stimme vor, die das bevorstehende Rettungshandeln 39 Gottes ansagt.“ In der nachfolgenden Erzählsequenz bekennt Philippus seinen Glauben (Joh 1,45), um Nathanael als Jünger zu gewinnen. Mittels seiner Worte wird der hermeneutische Grundsatz des Evangeliums verkündet: Jesus von Nazareth, der Sohn Josephs, ist derjenige, „von welchem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben.“ Die Spannung zwischen dem Herkunftsort Nazareth und seiner Anerkennung als Messias 40 schreckt Philippus nicht ab, der eine „vollkommen richtige“ Schriftauslegung vorlegt, die danach von Jesus durch interpretative Schriftbezüge aber auch durch eine Metareflexion vertieft wird (vgl. 5,39–47). Philippus und der Täufer sind somit die Einzigen (ausser Jesus), die eine Schriftdeutung vertreten, die genau mit der Auffassung des Evangelisten übereinstimmt. Ihre Äusserungen, die am Anfang des narrativen Teils des JohEv stehen,
37
In Joh 1,46; Joh 4,25 und Joh 11,24 werden traditionelle Glaubensvorstellungen, die meistens an messianische und/oder eschatologische Erwartungen anknüpfen, thematisiert. Ob dort deswegen implizit auf die Schrift rekurriert wird, lässt sich sicherlich diskutieren. 38 Dass das Zitat dem Täufer in den Mund gelegt wird (im Unterschied zu den Synoptikern, wo es im Erzählerkommentar auftaucht, vgl. Mk 1,2; Mt 3,3; Lk 3,3–6), entspricht dem typischen Schriftgebrauch des JohEv. 39 O BERMANN, Erfüllung, 113. 40 Ganz anders reagiert Nathanael, der eine Opposition zwischen dem Herkunftsort Jesu und dem von Philippus formulierten, quasi messianischen Bekenntnis sieht. Dabei stellt er eine ähnliche Frage, wie es üblicherweise das Volk tut. In der Begegnung mit Jesus wird dieses problematische Vorverständnis dann aber überwunden und Nathanael scheint zum Glauben zu kommen.
1. Die Einbettung der Schrift in die joh Dialoge
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haben also programmatischen Charakter und geben eine wichtige Leseanweisung. Viel problematischer ist die Schriftinterpretation der Samaritanerin, denn sie bleibt in Missverständnissen gefangen, sowohl in ihrem expliziten Verweis auf Jakob, als auch in der Formulierung ihrer Messiaserwartungen. Ihre Auffassung ist defizitär, denn sie missversteht die Gabe Gottes gänzlich. Sie beschränkt sie auf ihre materielle Dimension (Wasser aus dem Brunnen statt Wasser des Lebens) und verkennt den wahren Geber (Jakob statt Gott). So übersieht sie, dass die Geschichte Jakobs ihre Begegnung mit Jesus erhellen könnte und dass sich in beiden derselbe göttliche Heilswillen konkretisiert, so dass der Gabe Jakobs eine Verweisfunktion auf die Gabe in und durch Jesus zukommt, obwohl sie nicht miteinander verglichen werden können. Der Samaritanerin entgeht dabei auch die Essenz der Gabe Jesu, da sie die Symbolik des Wassers und die Anspielung auf die atl. Verheissung übersieht. Genauso ist ihre Messiaserwartung mangelhaft: All ihre Hoffnungen richten sich auf die Zukunft und verunmöglichen es ihr, den Messias, der vor ihr steht, zu erkennen. Die verschiedenen Wortmeldungen Jesu zielen sodann darauf ab, sie von ihrem problematischen Schriftverständnis und von ihrer falschen Einschätzung seiner Identität zu einem vollen Verständnis seiner selbst hinzuführen. Zu diesem Zweck soll sie ihr religiöses Wissen hinterfragen und korrigieren. Der Leser wird dadurch eingeladen, diesen Erkenntnisweg mitzugehen und so seinen eigenen Glauben zu vertiefen. Interessanterweise ist am Schluss die Frage, ob die Samaritanerin wirklich glaubt und nun all ihre Missverständnisse überwunden hat, nicht mit Gewissheit zu beantworten. Der Text bleibt auffallend offen, so dass der Leser an die Stelle der Protagonistin treten kann. Die letzten Worte der Samaritanerin bestehen nicht zufällig in einer Frage, die dem Leser indirekt gestellt wird, obwohl sie in der Erzählwelt an die Bewohner Sychars adressiert ist. In Joh 7,51 wird, genau wie in Joh 1,45, in Abwesenheit Jesu gespro41 chen. Hier verlangt Nikodemus einen gerechten Prozess für Jesus und verweist dafür auf das Gesetz. Seine Wortmeldung veranlasst den Leser zum Nachdenken, da sie durch Zwiespältigkeit gekennzeichnet ist: Zwar ergreift Nikodemus Partei für Jesus, aber er scheint dabei dessen wahre Identität zu verkennen; zwar verwendet er nicht wie die anderen Pharisäer die Schrift gegen Jesus, aber er legt, genau wie sie, den Akzent auf die Gesetzesfunktion der Schrift auf Kosten ihrer Heilsbotschaft; zwar schweigt er nicht aus Angst vor der Reaktion der jüdischen Autorität, aber er spricht kein Bekenntnis zu Jesus aus. Diese Spannung soll auch nicht 41
Auch wenn der Text mehrdeutig ist und eine andere Übersetzung denkbar ist (vgl. IV.1.6.2.3), besteht die Grundbedeutung darin, dass sich Nikodemus für einen gerechten Prozess einsetzt.
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V. Abschliessende Beobachtungen
aufgelöst werden, denn gerade diese Uneindeutigkeit des Nikodemus ist aus narratologischer Perspektive strategisch wirkungsvoll, da sie beim Leser einen Reflexionsprozess in Gang setzt. 1.5 Fazit: Die Einbettung der Schrift in die joh Dialoge als narrative Strategie Der Autor verweist weder auf Schriftstellen, um in einem argumentativen Kontext Beweise zu geben, wodurch sie als dicta probantia für seine Christologie dienen würden, noch kommentiert er die Schrift, um zu zeigen, wie sie ausgelegt werden soll. Stattdessen bettet er die Schrift so in seine Erzählung ein, dass sie einer sorgfältigen narrativen Strategie zugute kommt. Durch die Einbindung der Schrift in die Dialoge wird dreierlei erreicht: Erstens übernehmen die problematischen Schriftauslegungen eine ähnliche Funktion wie andere joh Missverständnisse: „Le narrateur se sert […] de l’imcompréhension des personnage du récit aux prises avec Jésus pour risquer des clarifications successives. L’accumulation des malentendus aboutit ainsi en définitive à profiler la perspective porprement johannique et à en rendre compli42 ce le lecteur.“
Der Rezipient soll erkennen, dass die Schrift in Jesus erfüllt wird, was soviel bedeutet, als dass sich in und durch Jesus das eschatologische Heil ereignet und allen Menschen das (ewige) Leben geschenkt wird. Hierfür müssen Schriftverständnisse, die an der Zukunft der Heilserwartung, an der Gesetzlichkeit der Tora oder am besonderen Status Israels festhalten, hinterfragt werden. Zweitens rückt diese Vorgehensweise, wobei verschiedene Interpretationen nebeneinander gestellt werden, die Problematik der Auslegung in den Vordergrund. Die Frage, wie die Schrift zu lesen ist, wird gleich mitthematisiert. Dem Autor ist somit bewusst, dass die Schrift, deren Autorität unumstritten ist, unterschiedlich gedeutet werden kann. Dies ist für ihn aber primär keine intellektuelle Erkenntnis, sondern ergibt sich aus der schmerzhaften Erfahrung der Trennung vom synagogalen Judentum. In dieser konfliktbeladenen historischen Situation ermöglicht es schliesslich der Einbezug der Schrift mitten in die narratio, die „Feinde“ polemisch darzustellen und zu diskreditieren: Die Juden werden als diejenigen karikiert, die die Schrift nicht verstehen und das Gesetz nicht befolgen.
42
Z UMSTEIN, Stratégie, 228.
2. Die Beurteilung der joh Schriftauslegung
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2. Die Beurteilung der joh Schriftauslegung und das Ringen der heutigen Exegeten 2. Die Beurteilung der joh Schriftauslegung
In dieser Arbeit wurde das Augenmerk auf die Interpretation bzw. Uminterpretation, die die Schrift durch ihre Einbettung in die narratio erfährt, gelenkt. Dies hat sich als heuristisch weiterführend erwiesen und ermöglicht es, die Dialektik zwischen Haupttext und Prätext zu reflektiert, ohne in eine Situation der Bipolarität von Kontinuität/Wertschätzung versus Diskontinuität/Abwertung zu geraten, da beide Aspekte zugleich wahrgenommen werden können. Durch seine intertextuellen Bezüge bejaht der Autor gerade die Bedeutung der Schrift, indem er ihre hermeneutische Funktion für das Christusgeschehen anerkennt, zugleich aber überarbeitet er dadurch das AT, so dass ein neuer Textsinn entsteht, der in gewissem Sinne einen Bruch mit der Tradition darstellt. Das Hauptziel dieser Arbeit war, diese Uminterpretation zu beschreiben, ohne dass heutige Wertungen 43 die Analyse zu sehr beeinträchtigen. So wurden Fragen über die Legitimität oder die Angemessenheit des joh Schriftgebrauchs bislang ausgeklammert. Überzeugt davon, dass es nicht möglich ist, die Grenzen und Stärken der joh Interpretation zu benennen, ohne Gefahr zu laufen, sie am eigenen Schriftverständnis zu messen und die eigenen Werte unüberlegt in den Text hineinzuprojizieren, begnüge ich mich an dieser Stelle damit, wichtige Kritikpunkte, die in der bisherigen Forschung laut wurden, aus intertextueller Perspektive und in Anbetracht der in dieser Untersuchung erarbeiteten Ergebnisse kurz zu beleuchten. 2.1 Eine Interpretation gegen den „ursprünglichen“ Sinn? Einen möglichen Anlass zur kritischen Rückfrage sieht Fischer darin, dass das JohEv an gewissen Stellen der Schrift nicht gerecht werde, da es sie 44 „entgegen ihrer ursprünglichen Ausrichtung und Aussage“ interpretiere. Abgesehen von der Frage, ob ein Text tatsächlich einen ursprünglichen Sinn hat, und von der Frage, ob dieser uns überhaupt zugänglich ist, setzt eine solche Kritik ein ganz bestimmtes Textverständnis voraus, das eher der Vorstellung eines protestantischen Exegeten des 20. bzw. 21. Jahrhunderts entspricht als der Interpretationspraxis zur Zeit des JohEv. Fischer selbst gesteht ein: „Wie rabbinische Texte und Paulusbriefe zeigen, war im damaligen Umgang mit Zitaten deren Deutung im eigenen Sinn üblich. Was im Johannesevangelium zu beobachten ist, hebt sich also diesbezüg45 lich nicht wesentlich ab.“ Überdies besteht ein wichtiger Unterschied 43
Vgl. II.5.2. FISCHER, Johannesevangelium, 12. Vgl. auch K OCH, Schriftauslegung, 468. 45 FISCHER, Johannesevangelium, 12 FN 41. 44
258
V. Abschliessende Beobachtungen
zwischen der Interpretation eines Literaturwissenschaftlers (bzw. Bibelwissenschaftlers), die darauf abzielt, den Sinn eines Textes so getreu wie möglich wiederzugeben und seine Kernaussage und „wahre“ oder „richtige“ Bedeutung herauszuarbeiten, und der intertextuellen (und somit zugleich interpretativen) Arbeit des Autors eines literarischen Werkes, der mit den Prätexten sehr frei, zum Teil sogar spielerisch, umgeht: Er kann sie verändern, mögliche Lücken in der Erzählung ausfüllen, gewisse Details weglassen, absichtlich bestimmte bekannte Figuren ins Lächerliche ziehen usw. So wird der Prätext, der einen wichtigen Texthintergrund für den Haupttext bildet, bisweilen fast komplett verwandelt und obwohl der sogenannte ursprüngliche Sinn dabei auf der Strecke bleibt, steht dieser künstlerische Umgang mit dem Prätext nicht in der Kritik. In Anbetracht dessen ist es fraglich, ob sich die joh Interpretation anhand des Kriteriums der „Treue zum ursprünglichen Sinn“ adäquat beurteilen lässt. Zwar erhebt das JohEv den Anspruch, die Schrift richtig zu interpretieren, aber dies eben nicht im heutigen wissenschaftlichen Sinn. Sowohl der damalige, ziemliche freie Umgang mit der Schrift, als auch der Charakter des Evangeliums als Erzählung lässt eine Schriftinterpretation zu, die nicht auf eine sklavische Wiedergabe des atl. Textes abzielt, sondern eine weiterführende und sinnschöpferische Deutung entfaltet. 2.2 Eine antijüdische Schriftauslegung? In den Forschungsbeiträgen zur Schrift im JohEv begegnen weitere Bedenken: Es wird kritisch nachgefragt, inwiefern die joh Schriftverwendung eine mögliche antijüdische Haltung unterstützt. Dabei ist einerseits zu überlegen, ob das JohEv den Anspruch erhebt, das einzig richtige Schriftverständnis zu bieten und somit das AT in einer Weise in Anspruch nimmt, „die für Israel als den eigentlichen, ursprünglichen ‚Besitzer‘ der ‚Schriften‘ nichts mehr übrig lässt, so dass also Israel vom eigenen Gebrauch seiner ‚Schriften‘ ausgeschlossen würde – natürlich nicht faktisch, aber doch 46 nach dem Anspruch der christlichen Kirche.“ Andererseits aber rührt diese Kritik an die weit grundlegendere Frage, ob der Evangelist in seiner Schriftinterpretation nicht die Heilsgeschichte Gottes mit Israel selbst 47 weitgehend preisgibt. Bevor diese Einwände gegen die Schriftauslegung des JohEv diskutiert werden, sollen mit Thyen und Wengst einerseits und Kraus andererseits exemplarisch zwei gegensätzliche Positionen dargestellt werden. Sie illustrieren, wie die Beurteilung der Schriftauslegung durch die heutige Problematik des möglichen Antijudaismus im JohEv beein46
W ALTER, Problematik, 354. Vgl. K RAUS, Vollendung, 635. Ähnlich urteilt THEOBALD, 420: Die Schriften Israels bieten „kein Zeugnis mehr für eine eigenständige Heils- und Offenbarungsgeschichte Gottes in und mit Israel.“ 47
2. Die Beurteilung der joh Schriftauslegung
259
flusst ist und wie die Frage der Einordnung der joh Gemeinde innerhalb oder ausserhalb des Judentums für das Thema eine zentrale Bedeutung einnehmen kann. 2.2.1 Zwei unterschiedliche Positionen 48
Für Wengst und Thyen kann der Schriftgebrauch und die Darstellung der Juden nur unter Berücksichtigung der Entstehungssituation des JohEv richtig erörtert werden, wobei das Evangelium im Kontext eines innerjüdischen Konflikts zu verorten ist. Die Auseinandersetzung „wurde geführt zwischen jüdischen Menschen, die den gekreuzigten Jesus für den Messias hielten, und der Mehrheit ihrer Landsleute, die diesen Glauben entschieden 49 ablehnten – und dafür Gründe hatten.“ Dabei ist zu betonen, dass die joh Gemeinde eine Minderheit bildete und „nicht in der Position der Sieger 50 redet, wie das die späteren Rezipienten dann vielfach getan haben.“ Die polemische Schilderung der Ἰουδαῖοι lässt sich nur mit der damaligen scharfen Ausgrenzung der Judenchristen durch diese mächtige Mehrheit erklären. Um der möglichen antijüdischen Tendenz des JohEv entgegenzuwirken ist es deshalb wichtig, die jüdischen Aspekte des vierten Evange51 liums bewusst wahrzunehmen und die Veränderung der Machtverhältnisse zwischen den religiösen Gruppierungen miteinzubeziehen, denn in den antijudaistischen Tönen des JohEv erklingt „noch nicht die Stimme jener heidenchristlichen Mehrheit, die als Usurpator triumphiert über das enterbte und vermeintlich von Gott verworfene Judentum. Sie sind vielmehr nur die polemische Kehrseite des tiefwurzelnden Judaismus einer im wesentlichen noch judenchristlichen Minderheit, die betroffen und bedroht 52 vom Synagogenausschluss ringt um das ihr bestrittene jüdische Erbe.“ Diese Ansicht prägt massgebend Wengst und Thyens Auslegung der joh Schriftbezüge, wobei die jüdische Komponente und die Unauflösbarkeit 48
Bei Thyen ist eine starke Entwicklung zu beobachten: Nachdem er literarkritische Hypothesen vertreten hat, hebt er die Kohärenz des JohEv und zugleich seine Entstehung im jüdischen Milieu hervor (vgl. seinen Artikel, Heil). In einer letzten Phase (z.B. zur Zeit der Redaktion seines Kommentars) klammert er fast ganz die historische Frage aus und wählt einen synchronen Zugang, wobei er das intertextuelle Spiel mit den Synoptikern unterstreicht. Dort schimmert immer wieder seine Überzeugung durch, dass das JohEv mitten in einem innerjüdischen Konflikt entstanden ist, obwohl die historische Frage kaum behandelt wird, 49 W ENGST I, 21. 50 T HYEN, Heil, 168. 51 Aus diesem Grund untersucht W ENGST I (vgl. 27) die jüdischen Quellen bewusst einseitig. Ähnlich geht auch T HYEN (vgl. 4) von einem jüdischen bzw. atl. Hintergrund des JohEv aus, anerkennt aber auch den Einfluss der Synoptiker, mit denen das JohEv eine privilegierte intertextuelle Beziehung pflegt. 52 T HYEN, Heil, 183.
260
V. Abschliessende Beobachtungen 53
der Schrift stets einseitig betont werden und zum Teil die unversöhnliche Gegensätzlichkeit zwischen der „joh“ und „jüdische“ Schriftinterpretation 54 preisgegeben wird . Einen ganz anderen Weg geht Kraus in seinen Artikel „Johannes und das Alte Testament“, in dem er (implizit) eine stärkere Gegenüberstellung der joh Christen und der Juden voraussetzt. Von diesem Standpunkt her fragt er nach der Grenze der Schriftinterpretation des Evangelisten, die seines Erachtens die Tür zum Antijudaismus öffnen. So problematisiert er Joh 5,37–40, wo die Exklusivität der joh christologischen Schriftdeutung alle anderen Interpreationen ausschliesst, insbesondere die jüdische. An dieser Stelle wird den Juden jegliche Gotteserkenntnis abgesprochen, denn „angesichts des Wortlauts der Schrift [soll] deutlich werden, dass bei den jüdischen Gegnern das richtige Hören und Sehen der Offenbarung Gottes 55 nie stattgefunden haben kann, denn sonst müssten sie Jesus anerkennen.“ Genauso zeigt sich in Joh 19,28 für Kraus eine illegitime Abwertung der bisherigen Geschichte Gottes mit seinem Volk, denn durch seine Worte führe Jesus die bis dato unvollkommene Schrift zur Vollendung (vgl. ἵνα τελειωθῇ ἡ γραφή).56 Weiter rücke die joh Darstellung der vita Jesu selbst 57 in den Rang der γραφή, so dass die bisherige Schrift überboten wird und sie kaum noch bleibende Bedeutung besitzt. Obschon Kraus versucht, die joh Schriftauslegung nach Massgabe des eigenen Kriteriums des Autors, wonach die Schrift nicht aufgehoben sein (vgl. Joh 10,35) kann, zu beurteilen, zeigt seine sehr kritische Haltung kaum Verständnis für die Interpretation des Evangelisten und lässt das aktuelle Bewusstsein für die Problematik des möglichen Antijudaismus im JohEv klar durchschimmern. Dies wird sogar zum Ausgangspunkt jeder Bewertung. Dabei lassen sich die Hauptkritikpunkte erkennen, die oft in der Forschung – manchmal auch nur implizit – zur Bestätigung der These einer Abwertung des AT im JohEv dienen: die Frage nach dem exklusiven Anspruch und nach der Preisgabe der Heilsgeschichte.
53
Vgl. z.B. T HYEN, 329: „Die ‚Schrift‘ ist für Johannes […] von ihrem ersten bis zu ihrem letzten Wort die Erzählung der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel.“ Vgl. auch 394, die Auslegung von Joh 7,24: „Denn Jesu Diskussion mit den Juden würde ja buchstäblich bodenlos, wenn er nicht die biblische Sabbattora als für beide Parteien verbindlich und unauflöslich voraussetzte.“ Dabei wäre m.E. dennoch zu fragen, ob der Sabbat für die joh Gemeinden tatsächlich absolut verbindlich blieb oder ob gewisse Änderungen in der Gebotseinhaltung stattfanden. 54 Vgl. z.B. die Interpretation von Joh 5,47 bei W ENGST I, 214. 55 Vgl. K RAUS, Johannes, 6. 56 Vgl. K RAUS, Johannes, 16. 57 Vgl. K RAUS, Johannes, 19.
2. Die Beurteilung der joh Schriftauslegung
261
2.2.2 Ein exklusiver Anspruch? Als fragwürdig abgestempelt werden Schriftauslegungen in der Forschung zumeist dann, wenn dahinter „eine Sicht steht, die Israel sein Recht auf ‚die Schriften‘ aberkennt und nur noch die christliche Gemeinde als Erbin des ‚recht verstandenen‘ Alten Testaments anerkennt.“58 Unter Verdacht steht dabei natürlich die joh Interpretation. So stellt Kraus kritisch fest: „Bei der Exklusivität dieser [= der joh] christologischen Schriftdeutung wird jegliches andere – etwa jüdische – Verständnis verunmöglicht und die Schrift auf einen – nämlich christologischen – Nenner gebracht.“59 Bevor aber die Exklusivität der Schriftinterpretation des JohEv problematisiert wird, ist zu prüfen, ob das JohEv wirklich den Anspruch erhebt, die einzig richtige Schriftauslegung zu vertreten. Hierfür soll an die narrative Strategie des JohEv erinnert werden, die darin besteht, verschiedene Schriftauslegungen in die verschiedenen Figurenreden einzubinden. Interessanterweise werden dabei nicht nur die Schriftauslegung Jesu (also die richtige) und diejenigen der Juden (also die falsche) einander gegenübergestellt, sondern weitere mögliche Umgangsweisen mit der Schrift skizziert. So erwähnt der Autor messianische Hoffnungen (in Wortbeiträgen des Volkes), denen er eine gewisse Legitimität (zumindest als Vorverständnis) zugesteht, obwohl er sie selbst für ungenügend erachtet. Angesichts dieser problematischen Messiasvorstellungen gesteht er dem Leser eine grosse Freiheit zu, denn jener soll selbst über solche Deutungen nachdenken und sie bewerten. Der Evangelist entfaltet zudem auch Deutungen, die vorläufig unrichtig sind, aber im Laufe eines Dialogs korrigiert werden. Diese besondere narrative Gestaltung zeigt, dass sich der Autor ganz bewusst der Frage der verschiedenen Interpretationen stellt und andere Schriftauslegungen in einem gewissen Ausmass auch anerkennt. Zudem rechnet er mit einem möglichen Erkenntnisprozess: Wer die Schrift zunächst nicht versteht, wird nicht primär als Feind angesehen, sondern dazu aufgefordert, seine Auslegung zu revidieren. Nichtsdestotrotz zeichnet sich der joh Schriftgebrauch durch eine starke Opposition zwischen der Auslegung Jesu und derjenigen der Juden aus. Dabei scheint es auf den ersten Blick absolut problematisch, dass „das Ju60 dentum […] mit seiner eigenen Schrift bekämpft und widerlegt“ wird. Diese Kritik lässt sich jedoch teilweise entschärfen, wenn die konkrete Situation der joh Gemeinden mitbedacht wird. Die joh Darstellung ist pri61 mär von einem innerjüdischen Konflikt geprägt, der sich kaum als Streit 58
W ALTER, Problematik, 353. K RAUS, Johannes, 8. 60 K RAUS, Johannes, 13. 61 Es lässt sich nicht mit Sicherheit rekonstruieren, ob die Abspaltung der joh Gemeinde vom Judentum der Vergangenheit angehört oder ob dieser Prozess die Gegenwart 59
262
V. Abschliessende Beobachtungen
zwischen Juden und Christen, also zwischen zwei klar getrennten religiösen Gemeinschaften, wie wir sie heute kennen, beschreiben lässt. Vielmehr machen sich hier zwei Gruppen, die beide dem Judentum entstammen, gegenseitig die richtige Schriftinterpretation streitig. Das Absprechen jeglicher Gotteserkenntnis und des richtigen Schriftverständnisses sind sicherlich durch diesen polemischen Kontext bedingt, denn die Abgrenzung von anderen Schriftinterpretationen stellt ein wichtiges Mittel dar, um die Pointe der je eigenen hervorzuheben. Dabei ist die Betonung der Unterschiede m.E. umso heftiger, je näher die eigenen Überzeugungen 62 dem anderen (feindlichen) Standpunkt eigentlich stehen. So gesehen relativiert die Berücksichtigung des historischen Kontextes und der damaligen Kommunikationssituation die Problematik, selbstverständlich ohne sie ganz aus der Welt schaffen zu können. 2.2.3 Preisgabe der Heilsgeschichte? Diese kritische Anfrage berührt einerseits einen wichtigen Aspekt der Schriftauslegung des JohEv, verkennt aber zugleich (vielleicht auch aufgrund der unpräzisen Benennung) ihre Pointe. M.E. drängt die Schriftdeutung des JohEv in keinem Fall die Heilsgeschichte zurück, dennoch relativiert sie die Rolle Israels stark, was (trotz einer gewissen inhaltlichen Nähe) nicht das Gleiche ist. Auf der einen Seite schwächt die joh Schriftinterpretation die Bedeutung der besonderen Geschichte Gottes mit seinem Volk ab und entzieht 63 der jüdischen Identität damit den Boden. Die Betonung der gegenwärtigen Heilsgaben in Jesus, die jedem gegeben werden, relativiert die vergander joh Christen noch sehr stark mitbestimmt. Wie die Heftigkeit der im JohEv geschilderten Debatte zwischen den beiden Gruppen erahnen lässt, ist der gegenseitige Abgrenzungsprozess wahrscheinlich noch nicht ganz abgeschlossen, obwohl die joh Christen sich nicht mehr als „Juden“ verstehen, da die (offizielle) Trennung mit der Synagoge möglicherweise zeitlich bereits zurückliegt. 62 Es erscheint mir einleuchtend, dass bei einer Spaltung, oder bei besonders grosser Nähe zu einer Nachbarreligion, die Abgrenzungspolemik verschärft wird und dass hingegen eine grosse Distanz die mögliche Reibung und die potentielle Konkurrenz vermindert, so dass die Auseinandersetzung mit dem anderen Standpunkt weniger dringlich erscheint. Meines Wissens ist eine solche These nirgends vertieft behandelt worden und sollte genauer überprüft werden. Interessanterweise wird sie aber zum Teil indirekt untermauert durch eine Beobachtung von W ENGST (Darstellung, 30); er beobachtet nämlich in der intertestamentlichen Literatur, dass „an einer Reihe von Stellen Ketzer schlimmer eingeschätzt werden als Heiden (vgl. tShab 13,5; bGit 45b; tHul 2,20; bShab 116a; tBM 2,33; bAZ 26a.b).“ 63 Die problematischen Folgen, die sich aus der christologischen Auslegung des Evangelisten für die Juden ergeben, werden sogar im JohEv erwähnt, jedoch natürlich nicht als ernstzunehmende Einwände, sondern als illegitime Argumente der Ἰουδαῖοι, die sich dem richtigen Glauben verweigern.
2. Die Beurteilung der joh Schriftauslegung
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gene Erwählung seines Volkes und seinen damit zusammenhängenden besonderen Status. Zwar verstehen sich die Juden weiterhin als Kinder Abrahams (Joh 8) oder als Jünger Moses (Joh 9), aber ihre Aussagen werden problematisiert, da die Universalisierung und Individualisierung des Heilsangebots die Stellung Israels als kollektive Empfänger des Heils relativiert; die Zugehörigkeit zu Israel bedeutet nun nicht mehr einen heilsgeschichtlichen Vorteil. Zudem werden gewisse jüdische „identity marker“ (z.B. die Heiligung des Sabbats und die Beschneidung) hinterfragt, da die sichtbare Befolgung von Geboten zweitrangig wird, weil das Gewicht nicht mehr auf der Einhaltung einzelner Vorschriften liegt, sondern auf dem im Gesetz zum Ausdruck kommenden Heilswillen Gottes. Auf der anderen Seite wird vom Autor des JohEv aber gerade die Kontinuität mit der Heilsgeschichte betont. Obwohl die Geschichte Gottes mit Israel ihre für die Juden identitätsstiftende Funktion verliert, behält sie eine zentrale Bedeutung, denn sie bildet von nun an den hermeneutischen Rahmen, der es erst ermöglicht, das Heilsereignis in Jesus richtig zu deuten. Die verschiedenen göttlichen Handlungen zielen immer wieder auf das 64 65 Heil des Menschen ab: Gott gab und gibt immer wieder das Leben . Die heilvolle Zuwendung Gottes findet ihre verheissene Vollendung im Kommen und in der Erhöhung Jesu. Sein Leben, sein Tod und seine Auferstehung fügen sich also nahtlos in die Geschichte Gottes mit seinem Volk ein. Um dies herauszustreichen, erinnert das JohEv daran, dass Gott die Heilung der von Schlangen gebissenen Israeliten ermöglichte, dass er in der Wüste durch Jakob den Zugang zum lebensnotwendigen Wasser schenkte, dass er sein Volk mit Manna versorgte und dass er Israel durch Mose das auf das Heil des Menschen zielende Gesetz zuteil werden liess. Nicht zufällig verweist der Autor auf diese Erzählungen und knüpft an Bilder aus atl. Heilsverheissungen an, um die Identität Jesu zu klären, denn ohne Rekurs auf diese Erfahrungen und Verheissungen bliebe das in Jesus geschenkte Heil eine abstrakte Grösse. Es lässt sich aber durch die Schriftbezüge konkretisieren, da so für den Evangelisten zentrale Aspekte hervorgehoben werden können: Das Heil ist eine Gabe, die alles umfasst, was das Leben fördert (Heilung, Licht, Brot, Wasser, Orientierung, liebende Fürsorge usw.). Zudem gründet es nicht auf einem neuen Anliegen irgendeines Gottes, sondern es ist die Verwirklichung der in der Geschichte 64
Dabei wird die geschichtliche Wirklichkeit der Ereignisse nie hinterfragt (gegen K RAUS, Johannes, 22: „Wenn die christologische Aneignung der Schrift bei Johannes zu einer Vernachlässigung elementarer Grundaussagen des atl. Gotteswortes führt, droht die gesamte geschichtliche Dimension des Redens Gottes im AT hinfällig zu werden“). 65 Der dabei zu beobachtende Wechsel des Empfängers (jedes einzelne Individuum statt Israel) braucht hier nicht nochmals entfaltet zu werden. Vgl. u.a. III.3.2.4.2; III.3.3.2; V.1.1.
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V. Abschliessende Beobachtungen
immer wieder bezeugten Absicht des Gottes Israels. Schliesslich beinhaltet es auch eine eschatologische Dimension: Im Werk Jesu ereignet sich bereits gegenwärtig die für die Endzeit verheissene endgültige Wende. Die simple Frage, ob der Evangelist denn so die Heilsgeschichte nicht weitgehend preisgibt, verkennt somit die Komplexität der joh Schriftauslegung. Je nachdem, ob das Gewicht auf die Beständigkeit des Heilshandelns 66 Gottes oder auf „das Festhalten Gottes an seinem Bund mit Israel“ gelegt wird, wird eher die Kontinuität oder eher die Diskontinuität hervorgeho67 ben. Unabhängig davon wird es in der Forschung als problematisch empfunden, dass die joh Schriftinterpretation die besondere Stellung Israels 68 relativiert , denn dies evoziere den Verdacht des Antijudaismus. Dabei wird übersehen, dass dies wahrscheinlich eine notwendige Konsequenz der Universalisierung des Heils (die als solche problemlos angenommen wird) darstellt. Darüber hinaus war es fast unvermeidlich, dass sich Gemeinden, die aus Juden- und Heidenchristen bestanden, mit den jüdischen identitätsstiftenden Gesetzen (Heiligung des Sabbats und Beschneidung) auseinandersetzen und mögliche Uminterpretationen vorschlugen. Dass wir heute aufgrund des interreligiösen Dialogs zwischen Juden und Christen mit der joh Auslegung ringen müssen, ist verständlich, sollte aber nicht dazu führen, dass die bleibende Erwählung Israels als Gottesvolk zum Hauptkriterium für eine angemessene Schriftauslegung erhoben wird, das dann unseren Blick für die durchdachte und interessante Schriftinterpretation des JohEv trübt. Zwar spielt die Erwählung des Gottesvolks im JohEv kaum noch eine Rolle, aber die vergangene Geschichte Gottes mit seinem Volk behält eine zentrale Bedeutung, gerade darin, dass das in und durch Jesus geschenkte Heil die Vollendung der Israel zugesprochenen Verheissungen und die Erfüllung des Heilswillens Gottes bildet, die bis jetzt ihren Ausdruck im Gesetz fand. 2.3 Fazit Die Kritik (Verrat am ursprünglichen Textsinn, intoleranter Exklusivitätsanspruch, Keimzelle des Antijudaismus), mit welcher die joh Schriftauslegung belegt wird, spiegelt zum Teil heutige Werte und Diskussionen wider, die nicht problemlos an das JohEv herangetragen werden können, die sich aber dennoch aufgrund ihrer aktuellen Bedeutung kaum ausklam66
K RAUS, Vollendung, 635. M.E. lässt sich die Rezeption der Heilsgeschichte im JohEv weder mit der Betonung der Diskontinuität noch mit der Hervorhebung der Kontinuität erfassen, denn sie wird im JohEv, genau wie die Schrift, (um)interpretiert, so dass das Evangelium zugleich in Kontinuität und Diskontinuität mit der Geschichte Gottes mit Israel steht. 68 Dennoch blenden gewisse Autoren (vgl. Thyen und Wengst) (wahrscheinlich aus ideologischen Gründen) diesen Aspekt komplett aus. 67
2. Die Beurteilung der joh Schriftauslegung
265
mern lassen. Aus der Spannung zwischen unserer modernen Erwartung und dem joh Text ergibt sich ein notwendiges Ringen, das über die Grenze der Exegese hinausgeht und an dieser Stelle auch nicht aufgelöst werden kann. Ich hoffe aber, dass diese Arbeit dank der wichtigen Unterscheidung zwischen der Beschreibung der Schriftauslegung und ihrer Bewertung und dank der im Ansatz vorgeschlagenen Reflexion über die Kriterien und Werte, die hierfür eine Rolle spielen, zur Klärung beiträgt und zum weiteren Nachdenken auf diesem Gebiet anregt. Obwohl das JohEv den Juden ihr Anrecht auf eine eigene Interpretation streitig macht, ist zu betonen, dass uns kein „destruktiver Schriftumgang 69 70 begegnet“ und dass die Schrift in keinem Fall bedeutungslos oder zu 71 „einer Sammlung von Weissagungen auf Jesus Christus“ degradiert wird, die bloss als dicta probantia eingesetzt wird. Vielmehr zeigt das JohEv auf, inwiefern die Schrift weiterhin ihre Relevanz behält: Sie bildet den Interpretationsrahmen des Kommens und des Todes Jesu. Ohne die vergangene Geschichte Gottes mit Israel kann die Identität Jesu gar nicht richtig erfasst werden. Die Offenbarungsreden (insbesondere die Bilder der Ich-bin-Worte) sind nicht zufällig durchdrungen von atl. Verheissungen und Motiven. Jene werden zwar christologisch umgedeutet, aber nicht primär im Sinne einer Christusvorankündigung, sondern dadurch, dass die soteriologische Dimension des atl. Geschehens oder der atl. Verheissungen in den Vordergrund rücken. Der Autor zeigt Analogien zwischen den Werken Jesu und seiner Erhöhung einerseits und Ereignissen aus der Geschichte Gottes mit seinem Volk andererseits auf und streicht dabei dessen Heilswillen heraus. Damit wird das Kommen bzw. der Tod Jesu als Heilsereignis gedeutet, das dieser immer wieder bezeugten göttlichen Absicht entspricht und letztlich zum Ziel führt. Wer dies nicht einsieht, hat nach joh Auffassung die Schrift als Ganzes nicht recht verstanden, denn bereits im vergangenen Heilshandeln Gottes zeichnet sich das volle Heil in Christus ab. Wer die in Jesus vollendete Heilsgabe Gottes nicht annimmt, hat also auch das Zentrum der Geschichte Gottes mit seinem Volk, seinen durchgehenden Heilswillen, nicht begriffen. Dabei entsteht eine vertiefende zirkuläre Argumentation, die von Jesus auf die Schrift und von der Schrift wiederum auf Jesus verweist. Ohne ihren Christusbezug bleibt die Schrift unverstanden, aber umgekehrt bleibt auch die joh Christologie getrennt von einem Bezug auf die Schrift unvollständig, da sie eine hermeneutische Schlüsselfunktion einnimmt.
69
T HEOBALD, Schriftzitat, 365. PLÜMACHER, Bibel, 18. 71 B AUER, 91. 70
266
V. Abschliessende Beobachtungen
3. Genügt ein christologisches Verständnis der Schrift im JohEv? 3. Genügt ein christologisches Verständnis der Schrift im JohEv?
Es ist sicher richtig, dass es im JohEv um eine christologische Inanspruchnahme der Schrift geht. Diese Feststellung erklärt aber den Schriftgebrauch des JohEv nur bedingt, da dabei verkannt wird, dass die christologische Hauptinterpretation des Textes – die Schrift zeugt von Jesus – erst in Abgrenzung zu anderen Interpretationen, die auch im JohEv dargestellt werden, ihre volle Bedeutung bekommt. Darüber hinaus reicht eine rein inhaltliche Bestimmung der Schriftbezüge nicht aus, denn der Gebrauch von Zitaten und Verweisen zielt auf eine bestimmte Wirkung auf die Rezipienten ab. Die in dieser Arbeit angewandte narrativ-intertextuelle Methodik ermöglicht es, dies differenzierter als bisher wahrzunehmen. In der konkreten historischen Situation der joh Gemeinden wurde wahrscheinlich die Frage der richtigen Schriftauslegung heftig diskutiert. In diesem konfliktreichen Kontext entfaltet gerade die narrative Kommunikationsstrategie des JohEv, die darin besteht, dass der Autor in den Mund jeder Figurengruppe der Erzählung eine eigene Schriftinterpretation legt, auf den Leser grosse Wirkung. Daher hebt diese Arbeit die zentrale Bedeutung des historischen Kontextes der Entstehung des JohEv für das Verständnis der Schriftbezüge – vielleicht sogar noch pointierter als die bisherige Forschung – hervor. Dabei wird dennoch stets betont, dass das JohEv keine genaue Rekonstruktion 72 73 der historischen Gegebenheiten zulässt. Im Gegensatz zu Exegeten , die im Text ein Abbild der Gemeindesituation erkennen wollen, sind m.E. Rückschlüsse von der joh Erzählung auf die konkrete Situation der Ge74 meinde nur bedingt möglich. Nichtsdestotrotz haben sich die Fragen nach der sozialen Funktion der Intertextualität, die den Schriftgebrauch des Evangelisten vor einem anderen Hintergrund beleuchten, für Joh 4 und Joh 7 als fruchtbar erwiesen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse lassen sich auf das ganze JohEv ausweiten. Zuerst haben Zitate und Verweise über die mögliche inhaltliche Ausführung hinaus aber auch eine identitätsstiftende Funktion, denn die häufigen Bezüge auf eine von allen joh Christen anerkannte Autorität för72
Vgl. S CHNELLE, 182. Vgl. z.B. W ENGST, Gemeinde, oder M ARTYN, History; in Bezug auf den Schriftgebrauch vgl. auch D IETZFELBINGER, Aspekte. 74 So bleiben m.E. viele Fragen – insbesondere in Bezug auf das Verhältnis zwischen der joh Gemeinde und dem damaligen Judentum – schwer zu beantworten: Liegt der Konflikt eher in der Vergangenheit, so dass die im JohEv geschilderte Auseinandersetzung also einen späteren Nachklang darstellt? Oder war die gegenseitige Abgrenzung der zwei religiösen Gemeinschaften zur Zeit der Redaktion noch ein aktuelles Problem? 73
3. Genügt ein christologisches Verständnis der Schrift im JohEv?
267
dern den Zusammenhalt der Gemeinde. Genauso bekräftigen Schriftanspielungen das Gruppenzugehörigkeitsgefühl des einzelnen Rezipienten, denn sie setzen gemeinsame Kenntnisse voraus und verwenden eine Sprache, die aufgrund ihres impliziten Charakters nur für Eingeweihte verständlich ist. Zweitens ermöglichen die Worte der Figurengruppe der Juden, die die zeitgenössischen jüdischen Interpretationen überspitzt und verzerrt wiedergeben, eine polemische Abgrenzung von der synagogalen Auslegungstradition. Dadurch wird der Glaube der joh Gemeinde, der durch die Krise 75 der schmerzhaften Trennung erschüttert wird, gestärkt . Das JohEv bestätigt die Mitglieder der Gemeinden in einer schwierigen Konfliktsituation in 76 ihrer Überzeugung: „Wir verstehen die Schrift, die Juden hingegen nicht“. Schliesslich lassen die Voten aus dem Volk erahnen, dass das JohEv versucht, sich mittels seiner Schriftbezüge innerhalb der weiteren christlichen Strömungen zu verorten. Ohne ihm ganz zuzustimmen, erwähnt das Evangelium einen Umgang mit der Schrift, der Ähnlichkeiten zu synoptischen Überlieferungen aufweist. Dabei werden Übereinstimmungen zwischen den Messiaserwartungen und Jesus gesucht und hervorgehoben. Trotz des nach joh Auffassung defizitären Charakters eines solchen Schriftverständnisses werden mögliche Anknüpfungspunkte eingestanden, so dass sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen den joh Gemeinden und anderen christlichen Gemeinden einerseits und zwischen dem JohEv und der synoptischen Tradition andererseits stellt. Ob sich in dem nuancierten Umgang mit der Schriftauslegung des Volkes ein Versuch des Evangelisten erkennen lässt, theologische Uneinigkeit zu überwinden, ohne dabei die Unterschiede zwischen den verschiedenen Strömungen preiszugeben, ist denkbar, kann aber nicht mit Sicherheit gesagt werden.
75
Mit Z UMSTEIN (Stratégie, 223) ist anzunehmen, dass „la rupture des chrétiens avec la synagogue a probablement ébranlé la conviction commune, conduit à des abandons et à des reniements. […] Le quatrième évanglie s’annonce alors comme une tentative de redire la pertinence de la foi en contexte de crise, de restaurer le croire des croyants en formulant l’identité décisive du Christ.“ 76 Das JohEv beschreibt nicht die wirklich vorhandenen Schriftinterpretationen, sondern seine Darstellung hat einen performativen Charakter, denn „[der] Autor eines literarischen Textes bildet die Wirklichkeit nicht ab, sondern er entwirft sie“ (R EBELL, Gemeinde, 32. vgl. auch 38 und 40). Vgl. in diesem Sinn auch C ULPEPPER, Anatomy, 4– 5: „The narrative world of the Gospel is therefore neither a window on the ministry of Jesus nor a window on the history of the Johannine community. Primarily at least, it is the literary creation of the evangelist, which is crafted with the purpose of leading readers to ‚see‘ the world as the evangelist sees it so that in reading the gospel they will be forced to test their perceptions and beliefs about the ‚real‘ world against the evangelist’s perspective on the world they have encountered in the gospel. The gospel claims that is world is, or at least reflects something that is, more ‚real‘ than the world the reader has encountered previously.“
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V. Abschliessende Beobachtungen
Obwohl die Problematik der Situation der joh Gemeinden und des historischen Kontextes der Entstehung des JohEv in dieser Arbeit nur am Rand berührt wurde, erweist sie sich als wichtige Frage für das Verständnis des joh Schriftgebrauchs. Wenn dabei der Ertrag dieser Arbeit mager scheinen mag, liegt dies einerseits an dem narratologischen Fokus der Untersuchung und andererseits an der Unsicherheit, die mit jeder historischen Rekonstruktion verbunden ist. Dieser Schwierigkeit zum Trotz macht die vorliegende Studie darauf aufmerksam, dass die Berücksichtigung der sozialen Funktion für das Schriftverständnis unabdingbar ist und dass umgekehrt die Beachtung der Schriftbezüge für historische Fragen äusserst aufschlussreich sein kann. Die notwendige Verknüpfung der historischen und intertextuellen Zugänge bleibt somit weiterhin eine offene Aufgabe.
4. Persönliches Schlusswort 4. Persönliches Schlusswort
Die Ergebnisse dieser Arbeit bestätigen die in der Forschung immer wieder zum Ausdruck kommende Überzeugung, dass die Schrift im JohEv christologisch gedeutet wird. Dennoch führt die vorliegende Untersuchung über den bis anhin geltenden fachlichen Konsens hinaus, da es ihr die Reflexionen über die Intertextualität ermöglichen, aus altbekannten Aporien herauszukommen. Die angewandte Methodik erwies sich hierfür als sehr geeignet und es wäre deshalb aus meiner Sicht wünschenswert, wenn weitere Arbeiten über die Schrift im JohEv (und auch allgemeiner über das AT im NT), ebenfalls an Theorien zur Intertexualität anknüpfen würden, um die Komplexität des Zusammenspiels von Haupttext und Prätext angemessen zu berücksichtigen. Zudem möchte ich durch die vorliegende Studie die beeindruckenden Fähigkeiten des Autors des JohEv würdigen: „Der Evangelist ist ein Schrifttheologe mit einem hohen Reflexionsniveau und -potential, der im Joh einen theologischen Entwurf von hoher methodischer Geschlossenheit und hermeneutischer Reflexion darbietet. Der wesentliche Hintergrund der johanneischen 77 Darstellung Jesu ist die Interpretation der Schrift.“
Dabei fasziniert die narrative Theologie des Autors nicht nur, weil er durch die Verwendung der Schrift eine wertvolle Interpretation anbietet, sondern auch, weil er die Problematik der Auslegung kunstvoll in seine narratio einbettet. Indem er die verschiedenen Deutungen in den Worten seiner Figuren (bzw. Figurengruppe) darlegt, und hiermit die Frage, wie die Schrift zu lesen ist, mitbedenkt, unterscheidet er sich m.E. deutlich von den anderen ntl. Autoren. So lässt er mittels seines Schriftgebrauchs eine klare Po77
O BERMANN, Erfüllung, 430.
4. Persönliches Schlusswort
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sitionierung im Streit um die richtige Interpretation erkennen. Die Erwähnung und implizite Bewertung (bzw. Abwertung) anderer Auslegungen, die durch den historischen Kontext bedingt sind, vertiefen kunstvoll seine eigene Deutung. Dabei zeigt er aber zugleich ein waches Bewusstsein für die hermeneutische Frage: Die Schrift behält zwar ihre Autorität und Gültigkeit, kann aber unterschiedlich ausgelegt und auch von der Gegenseite in ihrer Argumentation verwendet werden. Zu Christus führen kann sie deswegen nur dann, wenn sie „richtig“ interpretiert wird.
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Stellenregister
Die im Stellenregister kursiv gesetzten Seitenzahlen beziehen sich auf Fussnoten.
Altes Testament Genesis 1,1 1, 24 12,6f 109 13,10 68 13,14 68 14,7 119 15–18 25 16 119 21 120 21,30 120 22,19 119 24 6, 101–107, 118, 119 26 120 26,12 124 26,15.18.19.21.22. 25.32 120 28 109 28,10 108 28,12 24, 27 28,12–15 108 28,17 61, 109 29 101–107, 118 30,14 124 33,19 108 33,19–20 61 33,20 109 37–42 213 41,55 24, 27 47,24 124 48,22 108 49,1 108
Exodus 2 12,46 16,4 16,15 17,1–7 23,1 23,16 34,21
101–106, 118 28 28 28 203 197 124 124
Leviticus 19,9–10 23,10 23,22 25,5.11
124 124 124 124
Numeri 9,12 16,28 20,11 20,16–19 21,8–9 21,16–19 21,18
28 160 205 109 246 109 120
Deuteronomium 1,16 4,29 8,7 8,15 11,29 16,9
197 171 120 205 61 123
Stellenregister
286 16,19 17,2–5 18 18,15.18 18,18 19,15–19 23,26 24,19 27,12 27,16
124 197 93 94, 212 96 197 123, 124 124 61 124
Josua 3,15
124
Richter 13 14,6.19 15,1 15,14
25 112 124 112
Rut 1,22
102 124
1. Samuel 1–2 9 10,2.10 19
25 102 112 102
2. Samuel 7 7,12 14,23 18,24 21,9.10 23,13
213 28 162 68 124 124
2. Könige 4 4,42–44 14,25 17,24–41
26 25 224 80
1. Chronik 21,16 28,9
68 171
Esra 7,10
179
Ester
213
Hiob 4,8 21,18 26,5.8 28,25 38,30
125 126 115 115 115
Psalmen 1 1,4 4,8 6,4 9,11 18,51 21,10 22,8 22,27 33,21 34,19 35,5 36,2 36,10 37,10 40,10 40,17 41,3 43,4 55,24 63,2 65,10–14 66,4 67,7 68,5 68,10 68,22 69,7 69.16 72,11 77,15–16 77,24 78,15f 78,16.20 81,6 83,14 85,12–14 86,9 88,4f 91,16
112 126 124 24, 27 171 213 27 134 171 28 28 126 171 120, 171 171 27 171 23 248 120 58 124 134 124 28 27 23 171 120 134 205 28 205 203 27 126 126 134 28 162
Stellenregister 104,10 105,35 105,41 107,33.35 107,37 114,8 117,26 118,25–26 119,105 126,5–6 146,7–8
120 125 205 117 124 120, 205 24, 27 253 248 68 212
8,23 8,23–9,1 8,23–9,2 9,1–6 9,2 9,6 11,1 11,1–16 11,2 11,3 11,9 12,3
Sprüche 1,20–33 1,28–29 5,15 5,18–19 6,8 6,12 6,23 8,17 8,27–36 9,3–6 10,5 10,11 13,14 14,27 16,22 18,4 20,4 22,8 23,27 24,1–34 24,14
216 171, 214 119, 120 104 125 171, 214 248 171, 214 216 214 125 120 112, 120, 214 112, 120, 214 112, 214 112, 203, 214 125 125 120 216 171, 214
Kohelet 11,4
125
Hoheslied 4,15
120
Jesaja 1,7 2,1–5 2,2ff 5,1–7 5,25 6,1 7,8–9 7,13
125 135 134 125 125 27 136 213
12,13 16,9–10 17,5 17,5–6 17,6 17,10–11 17,11 17,13 18,4–5 24,13 27,2–6 27,12 27,13 28,2 28,17 29,17 30,23 32,1–5 32,2 32,10–15 34,16 35,1–10 35,6f 35,6.7 35,7 40,1–11 40,2 40,3 41,15 41,16 41,17f 41,17–19 41,18 42,6 43,19–20 43,20 44,3
287 180 225, 226 249 135 68, 126, 249 213 213 135 136 164 117 117, 120, 203, 206 203 125 126 125 126 125 125 126 126 123, 125, 126 125 126 134 115 115, 126 171 126 135 117 125 179 135 205 117 120 135 115 27, 117 126 126 295 117 120 248 203 117, 205 203, 206
Stellenregister
288 44,3–5 48,20 48,21 49,6 49,10 53,1 53,9 54,13 55,1 55,6 55,10 55,11 58,11 60,4 60,19 61,1 63,1–6 65,1 65,21–22 66,14
112 205 203, 205 248 117, 120, 205 27 162 27 203 171 123 117 117, 120, 203 68 249 212 126 171 125 24, 27
Jeremia 2,13 2,21 3,18 5,17 6,9 9,21 11,17 12,10 15,7 17,13 23,1–8 23,5 23,31 28,33 29,13–14 31,5 31,9 31,17–20 41,7.9 41,9 49,9 51,2 51,33 51,36
120, 203 125 136 125 125 123, 125 125 125 126 120, 203 26, 135 28 135 171 171 125 117, 205 69 120 120 126 126 126, 171 120
Klagelieder 1,15
126
Ezechiel 16 17,1–10 32,14 34,1–31 34,23–31 34,27 35,15–18 36,8–9.30 36,25 37,1–14 37,16ff 37,16–24 39,29 47
82 125 117 26 135 126 135 126 117 174 69 136 174 203, 205, 209
Daniel 3 6
213 213
Hosea 1,4 2,2 2,4ff 5,6 6,11 8,7 9,13 13,15
171 136 82 171 126 125 125 120
Joel 1,11 2,24 2,24–25 2,28–32 3,1–2 4,13 4,18
125 123 125 174 112 126, 127 117, 120, 126, 203
Amos 1,3 4,7 5,8 5,11 5,24 7,1–24 8,12 9,13 9,13–15
126 125 115 125 117 125 171 126, 129 126
Stellenregister Obadja 5
126
Micha 2,12–13 4,1–14 4,12 4,15 5,1 6,15
135 135 126 134 28, 213 125
Habakuk 2,14 3,17
117 125
Zefanja 1,13 3,9–20
125 135
Haggai 1,6 2,6–7 2,19 2,20–23
125 171 124 135
Sacharja 1,13 2,1.5 2,11
203 68 134
289
5,1 5,5 6,1 8,12 9,9 10,61f 12,10 14 14,7 14,7–8 14,8 14,16 14,18
68 68 68 125 28 69 27, 209 205, 209 249 203 203 207 117
Maleachi 2,2–3 3,10–12
125 125
Tobias
102
Sirach 7,3 15,1–3 15,3 24,1–22 24,19–33 24,21.23–29 51,23–26
125 112 214 216 214 112 214
Neues Testament Matthäus 1–17 2,2.8.11 3,3 3,12 4,5 4,9.10 4,19–22 6,10 6,26 8,2 8,17 8,22 9,1–8 9,9
213 83 254 127, 128 180 83 66 88 127 83 222 224 222 66
9,15 9,18 9,35–38 11,2–6 11,14 13,1–23 13,24–29 13,24–30.36–43 13,31 13,36–43 13,57 14,15–21 14,33 15,52 17,10.12
88 83 128 222 88 128 128 127 128 128 157 26 83 83 88
Stellenregister
290 18,26 20,20 21,33–46 21,40 25,14–30 25,19 27,19 28,17 28,29
83 83 127 88 127 88 88 83 83
Markus 1,2 2,1–11 3,22 4,3–20 4,26–29 4,29 4,30–34 5,6 6,35–44 9,12–13 12,1–12 15,19 15,35
254 222 158 128 127 128 128 83 26 88 127 83 88
Lukas 1,5–25.57–80 1,26–38.46–56 1,32 2,1–21 2,4 3,3–6 3,17 4,7–8 4,17–19 5,17–26 7,18–23 8,4–15 9,10–17 10,1–11 11,2 12,16–21 12,24 13,6–7 13,18–21 17,22 19,13–26 19,21–22 20,9–19 21,6
25 25 213 25 213 253 127, 128 83 222 222 222 128 26 128 88 127 127 88 128 88 88 127 127 88
23,29 24,52 26s Johannes 1 1–4 1–12 1,1 1,1–12,34 1,12 1,15 1,17
1,18 1,19–12 1,19–21 1,19–27 1,21.25 1,21.23.25 1,23 1,24 1,26 1,33 1,35–51 1,38 1,40 1,41 1,43–51 1,45
1,46 1,47 1,47–49 1,51 2–4 2,1–11 2,1–12 2,4 2,4.11 2,5 2,6 2,6.13 2,13 2,13–22 2,13–25 2,14–22
88 83 157
216 182 32, 34 140, 237 33 200 166 1, 3, 22, 23, 33, 34, 121, 163 19, 167 242 183 250 23 34, 95, 212 19, 22, 23, 26, 27, 29, 254 53, 185 211 222 72 66 197 23 60 1, 3, 21, 23, 28, 29, 34, 71, 95, 121, 142, 254, 255 150, 180, 254 162 96 19, 23, 24, 27, 62, 200 50 150 50, 105, 154 60, 62, 152 154 24, 27 182 98 154, 182 50, 83, 138 25 62, 209
Stellenregister 2,17 2,17–22 2,18 2,18.20 2,21 2,21–22 2,22 2,23 2,23–3,21 2,24 2,25 3 3,1 3,1–21 3,2 3,5–8 3,9 3,10 3,11 3,11–12,32 3,12 3,13.14 3,13.17 3,13–19 3,14 3,14–15 3,15 3,16 3,19–20 3,22–36 3,22–4,3 3,28–30 3,29 3,30 3,31 3,33 4
4,1 4,1–3 4,1–4
19, 22, 27, 29, 30, 33, 34, 204 75 138 182 210 174 3, 21, 23, 33, 34, 204, 231 169, 222 50 151 230 85, 229, 231, 246 97 50 87, 169, 178, 223, 230 178 74 178 62 74 151 23 178 200 3, 20, 22, 23, 121, 178, 206, 248 19, 246 143 64, 129 153 50 50 103 105, 153 52 64 154 40, 48, 54, 57, 62, 67, 73, 75, 78, 86, 88, 89, 91, 92, 93, 95, 96, 101– 112, 114, 116, 117, 121, 123, 124, 129, 132, 135, 137, 139, 141, 149, 173, 204, 219, 242–247, 249, 266 185 150 52–53
4,1–12 4,1–26 4,1–42 4,4–42 4,5
291
6, 7, 50 89 50, 51 89 23, 52, 77, 107, 119, 131 4,5.6 33 4,5–7a 53–54 4,5.6.12 23, 107, 117 4,7 66, 73 4,7–15 51, 67, 76, 77–79, 84, 85, 120, 244, 248 4,7–25 26 4,7–26 88 4,7b–15 54–59 4,8 67 4,9 85, 98, 105, 182 4,9.11.12.20 74 4,9.17.18.21.26.27. 35.42 73 4,9.20.22 54 4,10 65, 82, 84, 86, 89, 200 4,10.15 111 4,10–15 54, 103, 110 4,10–25 107 4,10.26 73 4,11 76, 84, 85 4,12 34, 61, 76, 84, 85, 104, 110, 119, 142, 254 4,13–14 64, 121 4,14 90, 112, 202 4,14–15 131 4,15 66, 73 4,15–26 114 4,16 73 4,16–18 79–82 4,16–19 51, 59–60, 65, 76, 82, 103, 105 4,19 64, 85, 95, 104 4,19–26 97, 134, 138 4,20 22, 76, 109 4,20–24 50, 54, 82–84, 96 4,20.25 80 4,20–26 51, 60–65 4,21 73 4,21.23 110 4,21.23.25.35 77 4,21.23.35 50 4,22 72, 86, 87, 97–101, 118, 133, 135, 143
Stellenregister
292 4,22.25.32.42 4,23 4,25 4,25–26 4,25.42 4,26 4,26.29 4,27 4,27–30 4,27.31 4,28–29 4,28–30 4,28–42 4,29 4,29.39 4,29.39.42 4,31 4,31–34 4,31–38 4,31–43 4,32 4,32–34 4,33 4,34 4,34–38 4,35 4,35–38 4,36–38 4,37 4,37–38 4,39 4,39–42 4,42 4,43 4,43–54 4,44 4,46–54 4,48 5 5–11 5–12 5,1 5,5 5,10 5,10.15–16.18 5,13 5,14 5,16 5,17
77 65, 90, 133, 135 23, 74, 87, 104, 130, 223, 254 133 110 76, 95, 130 85 74, 76, 90, 158 65–67 56 72 88 89 38, 74, 76, 104 60, 74 81 73,74 51, 66, 84–85, 103 88 67 74, 84, 86 56 74, 75, 76 111, 130, 161 26 73, 133 51, 68–71, 118, 244 72, 130 52 106 67, 69 71–72, 88 85, 87, 88, 90, 132 50 50, 150 95 154 222 50, 138, 164 182 237 98, 154, 182 25 98, 250 182 251 80 250 164
5,18 5,19–29 5,19–30 5,20.28 5,25.28 5,30 5,30.36 5,31–38 5,32 5,35 5,35.44 5,36–47 5,37–39 5,37–40 5,39 5,39.40 5,39.45–47 5,39–47 5,39.46–47 5,41.44 5,42 5,45–46 5,45–47 5,45–49 5,46 5,46–47 5,47 6
6,1.59 6,2.5.22.24 6,4 6,5–13 6,6.71 6,14 6,15 6,20 6,25 6,25–34 6,25–26.62 6,27.35 6,27.53.62 6,29.40 6,31 6,31–32 6,31.45 6,31–45 6,31.49.58 6,32
155 200 85 158 62 67, 161 85 21 88 19 160 2 163 260 3, 23, 33, 161, 218 113 34 157, 250, 254 71 196 60 23 22, 163, 179, 234 3 162 2, 23, 151 121, 260 6, 5, 12, 15, 26, 47, 79, 112, 113, 116, 184, 206, 209, 246, 247, 252 150 251 98, 182 25 210 95, 212, 252 252 64 252 74 200 112 23 200 22, 28, 29, 30, 199 34 204 19 22 23, 111, 247
Stellenregister 6,32f 6,33 6,35 6,38 6,38–40 6,39 6,39f 6,39.40.44.54 6,41.43.61 6,41.52 6,45 6,49 6,50 6,51 6,59 6,62 6,64 6,66–71 7
121 247 247 85, 161 67 200 161 173 156 182 22, 27, 29, 30, 95, 197 247 247 156, 247 160 154 151 144 38, 40, 48, 114, 138, 144, 145, 146, 147, 158, 169, 178, 180–184, 187, 188, 194, 198, 199, 202, 205, 207, 209, 212, 213, 214, 216–219, 229, 232, 233, 235–239, 242–246, 249–253, 266 7–8 32 7–10 144, 146, 148 7,1 144, 150, 185, 230 7,1–10 149–154 7,1.19.20.25.30 215 7,1.25 183 7,1.25c 155 7,1–52 6, 7 7,2 98, 144, 150 7,2.11.13.15.35 180 7,3 151 7,3–4 150 7,4 161, 165, 196 7,4.18 215 7,5 151 7,6 152 7,6–7 191 7,6–8 153, 154 7,7 152 7,8 153 7,9 153, 154 7,9.12 205 7,10 153, 154, 194, 230
293
7,11 155, 185, 190 7,11–12.31 146 7,11–13 148, 155 7,11–12.15.25–26. 31.35–36.40–42. 51–52 189 7,11–13.25–27 168 7,11.34 196 7,11.34.36 215 7,12 21, 23, 29, 156, 177, 184 7,12.20.32.43 251 7,12.32.49 185 7,12.47.49 189 7,13 157, 163, 165, 183, 185, 187, 190, 195 7,13–8,11 225 7,14 154, 160, 166 148, 157 7,14–15 7,14–24 145 7,14.25 157 7,14–36 148, 157–172 7,14–52 146 7,15 21, 23, 164, 185, 190, 192, 217, 219, 227–229 7,15b 158 7,15–16 244 7,15–18 159 7,15–19 183 7,15.21 158 7,15.25.26.27.31. 35.36.40 190 7,16 160, 161, 177, 178 7,16–17 193 7,16.18.28 178 7,16–18.28–29 222 7,16–19 159, 160, 191, 192 7,16–24 148, 158, 191 7,17 160, 162, 163, 178, 194, 195 7,18 151, 161, 195, 200, 217 7,19 23, 34, 162, 163, 164, 189, 195, 228, 229, 234 7,19b 162 7,19ff 121 7,19.22–23.51 3 7,19.23.28 191 7,19–24 217 7,19.24 240 7,19–24.37–38 219
294 7,19–24.52 7,19.25.30.32 7,20 7,20–24 7,20.52 7,21 7,21–23 7,21–24 7,22 7,22–23 7,22–24 7,23 7,24
Stellenregister 219 154 163, 183, 184, 252 159 190 145, 159, 164 244 162, 163, 168, 191, 219, 233 22, 23, 159, 164, 182, 185 28, 34, 164 23, 227 29, 164, 228 164, 166, 178, 191, 193, 194, 223, 228, 234, 260 165, 184 148, 163, 165, 175, 189 170
7,25 7,25–27 7,25–36 7,25–27.30–32. 41–42 157 7,25.42.45 189 7,26 165 7,26.31.41.47.48. 52 189 7,27 166, 169, 175, 176, 190, 211, 212, 220, 222, 229, 234 7,27–29 57 7,27.31.40–42 210 7,27.31.41–42 218, 219, 221 7,27.40–42 234 7,27.41–42 222 7,28 160, 172, 173 7,28–29 149, 166, 167, 183, 191, 192 7,29 88 7,30 62, 168, 169, 176 7,30–32 149, 167, 168, 175, 177 7,31 168, 176, 184, 211, 221, 222, 223, 229, 234 7,31.41.42 220 7,32 146, 156, 169, 177, 185 7,33 172 7,33–34 149, 170, 183, 191, 192, 216 7,33–36 170 7,33.39 178 7,34 155, 170, 214, 215
7,35 7,35–36 7,36 7,37 7,37–38
7,37–39 7,37–52 7,38 7,38b 7,38–39 7,38.42 7,39 7,39–41 7,40 7,40–42 7,40–44 7,41 7,41–42 7,41b–42 7,41.52 7,42 7,43 7,44 7,45 7,45–48 7,45–52 7,46 7,47 7,47–49 7,48 7,49 7,50 7,51
7,52
7,53–8,11 7,53–8,12 8 8,2 8,5
19, 75, 194 149, 171, 185, 190 193 166, 173, 203 173, 175, 191, 202, 207, 209, 210, 214, 217, 219, 220, 227, 248 113, 149, 172, 178, 198, 199, 209, 210 172–180 23, 28, 29, 203–205 172 112, 244 30 112, 173, 174, 202, 206, 209 185 95, 176, 177, 184 175, 212, 234 149, 175, 199 180, 184 180, 219, 224, 225 229 150 21, 23, 28, 29, 34, 180, 204, 218, 225 176, 184 176 177 185 149, 176, 178 177 185 177 185, 228 23, 179, 217, 219, 229 178, 230 23, 163, 179, 196, 197, 198, 218, 219, 225, 254, 255 23, 29, 95, 179, 185, 189, 193, 194, 196, 218, 219, 221, 224, 225, 228, 229, 249 23 144 22, 142, 144, 213, 246, 263 251 23
Stellenregister 8,12 145, 225, 248 8,12–20 185 8,13 250 8,13–21 183 8,14 57, 170 8,14.21–22 170 8,17 23, 28, 29 8,18f 160 8,20 62, 160 8,21f 170 8,21–23 170 8,22 75 8,24.28.58 64 8,26.40 197 8,27.31–38 111 8,28 23, 200 8,30 182 8,30.31.44.48.52. 57 182 8,31 97 8,33 251 8,33.37.39.40. 52.53.56.57 23 8,35–36 200 8,37.55 88 8,37–59 3 8,39–40 34 8,40 74 8,45 200 8,49.58 19 8,52.53 95 8,53 34, 142 9 46, 81, 95, 138, 185, 263 9,1–2 144 9,4 85 9,13–41 183 9,16 176, 250 9,17 95 9,18.22 182 9,22 71 9.24.29 223 9,24.27 87 9,24–34 74, 179 9,28 251 9,28–29 3, 22, 23, 34 9,29–31 57 9,31 161 9,35 23 9,35–37 200
9,37 9,38 9,40–41 10,1–6 10,19 10,23 10,31.33 10,33 10,34 10,34–35 10,34–36 10,35 11 11,1–44 11,8.54 11,13 11,19.31 11,22 11,24 11,45 11,45–47 11,45–53 11,46–47 11,49–52 11,54 11,55 11,57 12 12,9 12,9.12.17.18 12,11 12,12–13 12,13 12,13–16 12,14 12,14–15 12,15 12,16 12,17 12,19 12,20 12,23 12,24 12,27 12,27f 12,33 12,34 12,35
295 95 82, 83 179 26 176 23, 33 182 250 19, 22, 27, 29, 30, 162, 204, 246 2 3 21, 23, 42, 43, 204, 260 94, 184 154 182 210 98 87 87, 173, 223, 254 97, 182 183 182 185 173 34 98, 154, 182 185 32, 184, 252 98 251 97,182 253 24, 27 21 30 28 22, 204 174 24 169, 185 82, 154 23, 62, 200 129 24, 27, 62 85 210 23, 28, 30, 34, 75, 252, 253 171
296 12,37–43 12,38 12,38.39–40 12,38–40 12,38–21,25 12,39 12,39–40 12,41 12,42 12,42–43 12,44 12,48 13–19 13–21 13,1 13,1.11.18 13,3 13,3.33.36 13,7 13,18 13,19 13,31 13,33 14 14,2–5 14,2–4.28 14,16 14,19 15,1–8 15,2 15,11 15,14–15 15,15 15,18–20 15,25 16,2 16,2.25.32 16,4 16,5.10.17 16,16–19 16,22 16,24 16,28 16,29–30 16,30 17,2 17,4
Stellenregister 3 22, 23, 27, 30, 31, 34, 95, 153 31 19, 34 33 23, 30 22, 27 23 71, 177, 185, 186 196 166 173 34 32 62 88 170 170 174 19, 22, 27, 30, 31, 34, 153 64 23, 200 171 94 170 170 253 171 129 200 153 74 197, 204 178 19, 22, 28, 30, 31, 34, 153 71 62 174 170 171, 193 24, 27 153 170 60, 96 87, 88 200 68
17,12
19, 23, 28, 30, 31, 34, 153 18,3 185 18,6–11 177 18,9.32 31 18,20 74 18,20.35.38b 98 18,31 23, 33 18,36 182 18,36–37 231, 252 19 32, 54, 229, 232 19,3 68 19,7 23, 28, 30, 33, 250 19,7.14.38b 182 19,9 57 19,14 75 19,20 98 19,24 22, 27, 30, 31 19,24.28.36–37 19, 34 19,24.36 153 19,26 60 19,28 23, 28, 30, 31, 88, 260 19,30 85 19,34 54, 202, 209 19,36 22, 28, 30 19,36.37 31 19,37 22, 27, 30, 209 19,38a 97 19,38–42 231 19,40.41 182 19,40.42 98 20,9 23, 34, 174, 204, 231 20,13.15 60 20,17 154 20,19 182 20,22 112 20,24–29 75 20,30–31 90 20,30f 169 20,31 76 21 237 21,17 88, 96 21,19 210 21,24 87 Apostelgeschichte 7,43 83 8,27 83 12,20 83
Stellenregister Römer 1,13
128
1. Korinther 3,5–8 3,6–9 9,11 10,4
71 130 128 109, 206
2. Korinther 9,6 Galater 6,7–9
297
Philipper 1,22
128
1. Johannes 1,5 4,16 5,17
64 64 162
Jakobus 5,7
128
Apokalypse 2,17 14,14–19
252 127
127
127
Autorenregister
Aitken 106 Alter 102 Arterbury 102, 104, 106 Ashton 145 Attridge 145 Balfour 199, 203 Barrett 24, 52, 53, 54, 55, 56, 66, 67, 69, 75, 92, 112, 145, 146, 148, 151, 152, 154, 156, 158, 161, 162, 166, 167, 168, 169, 170, 173, 177, 1798, 180, 197, 199, 200, 204, 220, 221, 222, 223, 248 Bassler 230 Bauer 62, 66, 201, 202, 265 Bechmann 189 Becker 52, 56, 62, 66, 85, 92, 98, 145, 154, 157, 161, 164, 169, 170, 175, 179, 188, 198, 202, 223, 225 Van Belle 97, 99 Bergler 205, 207, 208 Beutler 3, 21, 22 Bienaimé 107, 200, 201, 202, 210 Blank 167, 170 Bodi 207 Boers 54, 70 Boismard 4, 24, 96, 202 Botha 55 Braun 157 Broich 9, 11, 14, 15, 17, 18, 135 Brown 25, 32, 52, 53, 54, 55, 62, 66, 71, 88, 92, 112, 120, 137, 145, 146, 156, 160, 161, 162, 163, 166, 168, 170, 183, 190, 205, 206, 211, 213 Bühner 161 Bultmann 25, 52, 53, 54, 56, 59, 62, 72, 82, 92, 145, 148, 149, 150, 151, 153, 157, 161, 169, 179, 186, 195, 211, 223, 225, 230
Calloud/Genuyt 177 Carmichael 102, 103 Clemens 115 Cory 213 Cothenet 22, 43 Cullmann 137 Culpepper 37, 38, 76, 174, 230, 267 Cuvillier 67, 74 Dafna 207 Daise 198, 203 Daly-Denton 4 Daniélou 205 Daube 55 Davies 230 Deines 180 Delling 31, 152 Dennis 4 Devillers 144, 149, 155, 183, 186, 187, 198, 199, 205, 207, 217 Dexinger 92, 93, 94, 95, 96, Dietzfelbinger 3, 42, 43, 47, 58, 148, 161, 169, 248, 253, 266 Dodd 144 Dschulnigg 37, 38, 226, 230, 231 Eco 12 Eslinger 55, 102, 104 Evans 34, 35 Farelly 74, 75 Faure 31 Felsch 199, 200, 202, 203, 205, 207, 208, 245 Fernandez-Bravo 189 Finnern 37, 39–41 Fischer 4, 44, 257 Fortna 119 Freed 3, 21, 203
Autorenregister Frey 22, 43, 98, 150, 172, 180–182, 186, 187, 221, 222, 237, 246 Frey/Poplutz 12, 13, 38 Frühwald-König 7, 84, 87, 90, 101,145, 198, 199, 202, 203 Genette 10, 16–19, 22 Glessner 108 Gnilka 128 Goppelt 78, 114, 139, 204, 205 Greeven 83, 215 Grelot 202 Grigsby 202 Grundmann 128 Haenchen 58, 98, 211 Hahn 92, 97, 143, 198, 200 Hanson 4, 19, 198, 247 Hartenstein 37–40, 244 Hasitschka 4 Hauck 128, 129 Hausmann 124, 125 Helbig 11, 14, 19 Hempfer 13, 14 Hengel 4, 25, 42, 44 Hoegen-Rohls 200 Holthuis 9, 10, 16 Hoskyns 202 Hylen 4 Jakobs 9, 16, 17, 35 Jones 58, 78, 79, 102, 113 Jung 72 Justin 211 Kippenberg 94, 96, 109 Klauck 19–21, 26 Klein 128 Knapp 173, 200, 203, 207, 208 Knöppler 81 Koch 257 Koester 78, 113 Kraus T. J. 60, 158, Kraus W. 3, 42, 44, 45, 258, 260, 261, 263, 264 Kristeva 9 Kutschera 97–101 Kurz 4 Labahn 3
299
Lachmann 9 Lee 66 Leidig 101 Lenglet 53, 58 Léon-Dufour 53, 55, 61, 62, 64, 65, 66, 68, 70, 92, 136, 148, 152, 155, 157, 161, 162, 167, 168, 169, 170, 172, 176, 177, 179, 188, 197, 198, 203, 213, 218, 221, Leuenberger 216 Lichtenberger 96, 212 Lightfoot 54 Lindars 52, 61, 62, 67, 92, 148, 198, 249 Link 54, 56, 66, 71, 90, 101, 120, 122 Luz 128, 129 Macdonald 109 Maier 4 Marcus 199, 203 Marsh 113 Martin 102, 103 Martyn 183, 186, 266 MCWhirter 102 Meeks 150 Meibauer 189 Menken 3, 27, 43, 199, 201–206, 209 Merz 9–12, 14, 16–18, 22 Michaelis 119 Mlakuzhyil 50 Moberly 159, 188, 193 Moloney 50, 203 Moser 46, 66, 179, 251 Munro 51 Neuhaus 99 Neyrey 102, 107–110, 145, 227 Ng 69, 78, 79, 91, 92, 114–117, 121 Nicklas 37, 187 Obermann 2, 3, 21, 27, 31, 33, 34. 162, 203, 254, 268 O’Day 57, 59, 62, 66, 69, 72, 74, 89, 92, 145, 153, 156, 163, 168, 169, 174, 179, 188, 203, 223, 224, 251 Odeberg 92 Okure 75, 77, 88, 89 Olsson 53, 62, 102, 107, 109, 110, 118, 120, 121, 150 Ostmeyer 43
300
Autorenregister
Pancaro 3, 87, 112, 113, 116, 117, 148, 162, 197, 198 Pfister 9, 17, 37 Pichler 4 Piégay-Gros 17–20, 25, 37 Plümacher 42, 265 Poplutz 38–40, 183, 184, 238 De La Potterie 62, 63, 99–101 Rebell 141, 267 Reim 4, 19, 200, 203 Rengstorf 156 Renz 230–233 Ricoeur 78 Rifaterre Ritt 56, 99 Rochais 145–147, 165, 189 Rubel 54, 62, 122 Rusam 1, 25 Samoyault 9, 18 Sasse 58 Schapdick 4, 7, 50–56, 58, 61–63, 66, 68, 70, 72, 75, 81, 90, 92, 94, 101, 107, 113, 114, 116, 117, 122, 137, 138, 141, 151 Schenke H.-M. 53 Schenke L. 144, 146, 169, 202 Schlund 4 Schnackenburg 21, 53, 54, 58, 62, 64, 66, 68, 69, 70, 75, 80, 81, 85, 92, 137, 144, 145, 151, 152, 153, 156, 157, 160, 162, 166, 168, 172, 174, 178, 179, 183, 188, 197, 199, 202, 211, 213, 222, 247, 252 Schneider 88, 145, 146, 184 Schnelle 24, 52, 53, 54, 56, 66, 70, 85, 101, 145, 161, 166, 179, 182, 186, 197, 222, 230, 266 Scholtissek 2, 4, 42–44, 74, 77, 96 Schottroff 59, 79 Schröder 102–104 Schuchard 3, 21 Schulte-Middelich 35, 36, 41, 42 Schwab 134 Schwank 230 Sjöberg 211 Söding 101 Stierle 13, 14, 16
Stocker 9, 16–18, 22, 35–37 Stowasser 50 Strack/Billerbeck 211 Strathmann 107 Stuhlmann 32 Theobald 42, 43, 60, 53, 54, 56, 57, 58, 62, 63, 68, 69, 70, 71, 72, 75, 81, 82, 92, 98, 101, 102, 104, 106, 107, 109, 110, 111, 112, 116, 117, 118, 122, 128, 129, 137, 140, 145, 148, 150, 151, 153, 154, 155, 156, 157, 160, 161, 162, 164, 166, 168, 169, 170, 172, 174, 178, 179, 183, 187, 188, 193, 195, 197, 199, 203, 204, 211, 212, 213, 214, 216, 222, 223, 224, 231, 247, 248, 250, 251, 253, 258, 265 Thyen 52, 53, 54, 63, 64, 66, 69, 70, 71, 75, 81, 88, 90, 92, 102, 98, 100, 101, 102, 104, 112, 116, 122, 126, 145, 150, 151, 152, 154, 160, 161, 162, 164, 166, 167, 168, 169, 172, 174, 179, 199, 202, 203, 205, 221, 222, 224, 225, 230, 249, 251, 253, 258, 259, 260, 264 Vahrenhorst 44 Walter 16, 258, 261 Von der Watt 71, 118 Wellhausen 120, 145 Wengst 24, 53, 54, 58, 59, 69, 79, 92, 148, 164, 168, 169, 170–172, 177, 185, 188, 211, 215, 251, 258–260, 262, 264, 266 Wessel 80, 179, 196, 197 Westermann 4 Wiefel 128 Wilckens 58, 169, 172, 216, 253 Zahn 80, 148, 221, 222 Zangenberg 53, 66, 91–93, 107, 108, 129, 130, 137, 180 Zimmermann J. 212 Zimmermann M./R. 102, 105 Zimmermann R 118, 125, 126 Zumstein 4, 5, 11, 12, 27, 37, 53, 60, 64, 68, 71, 87, 97, 144, 186, 230, 248, 252, 257, 267
Sachregister
Ableitung 25–27 Abraham 22–23, 28, 34, 109, 142, 251, 263 Abschiedsrede und –gebet 32–34, 170, 174 Allusion s. Anspielung Anbetung – Ort der Anbetung 61–62, 83–84, 96, 109 – eschatologische Anbetung 61–64, 83–84, 86, 114–115 Anspielung – Definition 18–19 – im JohEv 1, 3–4, 24, 135–136, 156, 213–217, 248–249 Antijudaismus 15–16, 44, 46, 97–100, 180–181, 183, 258–260, 264 Beschneidung 164 191, 219–220, 227– 228, 236, 263, Bezug – Definition 10–11 – Kategorisierung 16–19 – die Schriftbezüge im JohEv 19–35 Brot des Lebens 112–113, 247–248, 263 Brüder Jesu 150–153, 168, 191 Blindgeborener 36, 40, 95 Christologische Titel – Prophet, 60–61, 82, 85, 95, 175, 188, 212 s. auch der Prophet (unter Eschatologie) – Messias 64, 74, 130–131, 229 s. auch messianische Erwartung (unter Eschatologie) – Retter 72, 101
Dialog 33, 40–41, 73–76, 89, 140, 144, 147–149, 151, 160, 184, 188–193, 239, 242–243, 256, 261 – s. die verschiedenen Stilmittel: Imperativ, Ironie, Missverständnis, rhetorische Frage – s. Einbettung der Schrift in die Figurenreden Durst 58–59, 78, 82, 85, 114, 173 Endzeiterwartungen s. Eschatologie Erfüllung – der Schrift 3, 34, 43, 160 – der Heilsverheissungen 63, 114–115, 139–140, 142–143, 204, 206, 208– 210, 217, 220, 223, 227, 235, 264 – des Gesetzes 164, 219–220, 264 – Erfüllungsformel 31–32, 153 Ernte 15, 26, 68–71, 85, 123–130, 132– 133, 142, 244 Eschatologie – messianische Erwartungen 34, 95– 96, 130–131, 166, 168–169, 175, 210–213, 220–226, 234, 241, 248, 252–253, 254, 261, 267 – der Prophet (wie Mose) 91–96, 175– 176, 180, 212, 224–225, 248, 252 – Bilder für Heils- und Endzeiterwartung s. Anbetung, Ernte, Heilsfiguren, Laubhüttenfest, Licht, Wasser – präsentische Eschatologie 88, 122– 123, 129–130, 132–134, 205–206, 244–245, 256, 264 Explizites Zitat – Definition 18–19, – im JohEv 3–5, 20–23, 27–32, 202– 204, 254 Ewiges Leben 58, 113–114, 129, 140, 143, 208
302
Sachregister – als historische Gruppe 187–188
Fest – Feste im JohEv 182, 245 – Laubhüttenfest 32, 145, 173, 199, 206–208, 217, 236, 248 Figuren 36–41, 73, 136, 181, 226 – s. Wissen als Charakterisierung der Figuren (unter Wissen) – Einbettung der Schrift in die Figurenreden 33–34, 44, 141, 210, 219, 236, 239, 242–244, 261, 268–269 – s. die Einzelfiguren (Juden, Volk, usw.) Galiläa 150, 166, 175, 179–180, 219, 224–226 Gesetz 34, 159–165, 177–179, 194– 195, 197–198, 218–220, 226–235, 250–251, 255–256, 263–264 s. auch Erfüllung des Gesetzes Geist 63–64, 83, 112–113, 115–117, 136, 174–175, 178, 202, 206, 208, 245 Gericht 68–69, 88, 124–130, 132, 140, 152–153, 170–171, 216 Haupttext 10–11 Heil – s. Erfüllung der Heilserwartung – Individualität und Universalität des Heils 134, 139–140, 209, 220, 245– 249 – Heilswille Gottes 63, 64, 67, 100, 130–131, 139, 143, 219–220, 245 – Heilsgeschichte 62–63, 87, 97–101, 110–111, 116–117, 131–132, 139, 143, 220, 258–260, 262–265 – Heilsfigur s. der Prophet (unter Eschatologie) Herkunft Jesu 57, 166–167, 180, 192, 211–212, 221–222, 224–226, 237, 254 – seiner Lehre 160–161, 165, 177– 178, 195 Historische Situation der joh Gemeinde 39, 46–47, 141–143, 186–188, 236– 241, 256, 266–268 Hohepriester – als Erzählfiguren 177–179, 182–185, 228–229, 235, 240
Implizites Zitat – Definition 18–19 – im JohEv 24, 253 Imperativ 73–74, 77, 150, 193–194, 221, 224 Intratextualität 11, 178, 209 Ironie 59, 75–76, 155, 222–226, 234– 235, 237, 253 Jakob 22–23, 28, 54, 57–58, 61, 76–78, 107–111, 113–117, 119–122, 131, 133, 136, 139, 141–142, 244, 255, 263 Jesaja 23, 28 Johannes der Täufer 1, 34, 50, 52, 71, 105, 185, 211, 250, 254 Jünger 71, 150–151, 251 – die Zwölf (als Erzählfiguren) 40, 65, 67–68, 74–75, 84–86, 130, 132, 244 – Jünger Moses 251, 263 Judas 34 Juden – als Erzählfiguren 87, 137–139, 180– 186, 189–190, 192–193, 228–229, 233–234, 240, 247, 249–251 – Juden und Samaritaner 54, 56, 61– 62, 83–84, 87, 109, 137–139 – als historische Gruppe s. historische Situation der joh Gemeinde – s. Antijudaismus Kotext 4–5, 11–12, 42, 99–100, 144– 145 – s. Einbettung der Schrift in die Figurenreden Kontext 11–12 – s. historische Situation der joh Gemeinde Leser 12–16, 25–27, 38–39, 41, 48, 75– 76, 89–90, 106–107, 123, 134–135, 140, 171, 187, 193–198, 208, 219– 226, 229–235, 237–238, 241, 243, 256, 261, 266 – Wissen / Vorkenntnisse des Lesers 12–13, 25, 141, 174, 236, 267 Licht 64, 153, 200, 225, 248–249
Sachregister Messias s. christologische Titel und s. messianische Erwartung (unter Eschatologie) Metatextualität – Definition 21–22 – im JohEv 23, 118, 217–218 Missverständnis 56, 59, 75, 89, 119– 121, 139–140, 193, 224, 255–256 Mirror-reading 186 s. auch historische Situation der joh Gemeinde Mission 58, 70–71, 85, 90, 106, 128– 130, 132, – samaritische Mission 71, 91–92, 137 – Jesu s. Sendung Jesu Mose 1, 2, 22–23, 28, 34, 93, 109, 111, 161 162, 227, 246–247 – der Prophet wie Mose s. der Prophet (unter Eschatologie) Motivübernahme – Theorie 20, 25–26 – atl. Motive im JohEv 118, 135–136, 139–140, 171, 265, s. auch unter einzelnen Motiven (Ernte, Licht, Wasser, Weisheit) Narratologie 37–41, 48, 268 Nathanael 180, 254 Nazareth, 150, 180, 211–212, 222, 254 s. auch Herkunft Jesu Nikodemus 33, 74, 87, 177–180, 184, 189, 194, 196–198, 218, 226, 229– 233, 235, 238, 241, 255–256 Pattern s. Strukturähnlichkeit Paraklet s. Geist Petrus 39–40, 237 Pharisäer – als Erzählfiguren 39, 177–179, 182– 185, 189–190, 192–193, 197–198, 224–226, 228–229, 231, 235–237, 240, 249–250 – als historische Gruppe 187–188, 249 Philippus 1, 142, 254 Prätext – Definition 10–11 – Dialektik mit dem Haupttext 41–45, 139, 233, 257–258, 268 Prophet 28, 179–180, 219, 224
303
– Jesus als Prophet s. christologische Titel – s. der Prophet (unter eschatologische Figur) Rhetorische Fragen 57, 76, 84, 159, 166, 168, 175, 177, 179, 189–191, 193–194, 220–221 Sabbat 28, 162–164, 185, 191, 195, 219, 227–228, 231–233, 235–236, 250, 263–264 Samaria s. samaritische Mission (unter Mission) und Taheb Schriftbezüge s. Bezüge Sendung – Jesu 71, 85–86, 143, 159–161, 167, 172, 191–192, 195–196, 216, 250 – der Jünger 71, 85–86 s. auch Mission Suchen – Gott sucht Anbeter 64–66, 90 – suchen (und finden) 155, 170–171, 192, 196, 214–215, 217 Sünde 79–80, 152–153 Stunde 61–62, 88, 133, 152–153, 168 Symbol / symbolische Sprache, 78, 80– 82, 115–116, 204, 206 Strukturähnlichkeit – Theorie 25–26 – im JohEv 101–107, 121, 213 Synagogenausschluss 185–187, 238 Taheb 91–96 Tempel – s. Anbetungsort – Quelle aus dem Tempel 204–206, 208, 244–245 – Jesus als Tempel 83–84, 205, 209 – als Ort der Lehre 157–158, 227 Thomas 40 Traditionsgeschichte (Nähe und Abgrenzung zur Intertextualität) 118, 130–131, 218 Typologie 43, 139 Verweis – Definition 19–20 – im JohEv 20–23, 28–34, 202–204
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Sachregister
Verweiseinleitungsformel s. Erfüllungsformel Volk (als Erzählfigur) 182–185, 189– 190, 226, 229, 234–235, 241, 251– 253 Vollendung (der Schrift s. Erfüllung) Wasser 55–59, 77–79, 89–90, 111–117, 119–122, 131–132, 173–175, 199– 202, 204–209, 214 Wahrheit 60, 63, 65, 85 Wissen – Allwissenheit Jesu 53, 60, 66, 73– 74, 96, 158, 160, 192 – Wissen als Charakterisierung der Figuren 37, 41, 62–63, 69, 86–88, 99–100, 158, 166–167, 169, 172, 175, 177–178, 217–218, 228–229, 235
– Umgang mit religiösem Wissen 75, 138–139, 141–143, 223–224, 234, 255 – s. auch Wissen / Vorkenntnis (unter Leser) Weisheit 112, 116, 213–217, 248 Wunder – Jesu 25–26, 50–51, 151, 168–169, 222, 230, 234, 237, 252 – Elisas 25 – Jakobs 108 – des Messias 168–169, 211–212, 252 Zeichen s. Wunder von Jesu Zitat s. explizites oder implizites Zitat Zitateinleitungsformel s. Erfüllungsformel Zweifel 66