Das Innerste denken: Das Groteske in den Filmen Jan Svankmajers 9783839446201

In this treatise in the philosophy of film, Mareike Sera places the surrealistic film language of Jan Þ-U+0160-Þvankmaje

180 79 8MB

German Pages 300 Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
Groteske Immunität
Die Kategorie des Grotesken und ihr Bezug zur Wahrheit
Abdruck und Kommunikation: Das verführerische Zeichen und die Unnahbarkeit des Objekts
Eindruck und Emotion: Don Juan und verkörperte Emotion
Leidenschaftlicher Ausdruck als Eindruck: The Fall of the House of Usher
Schlusskapitel: Zum Grotesksein der Filme Švankmajers
Literaturangaben
Filmographie
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Das Innerste denken: Das Groteske in den Filmen Jan Svankmajers
 9783839446201

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Mareike Sera Das Innerste denken

Film

Dieses Buch ist meinem Tutor Professor Michael O’Pray gewidmet, in Dank für seine niemals endende Unterstützung. Jedes Wort dieser Arbeit, wie alle anderen die ich schreibe, neigen sich ihm in Freundschaft und Anerkennung zu. Zu großem Dank bin ich außerdem meiner Doktormutter Frau Professor Alfrun Kliems, meinem Doktorvater Herrn Professor Peter Zajac und ganz besonders meinem Zweitgutachter Herrn Professor Rolf Sachsse verpflichtet. Die Arbeit, die dem Buch zugrunde liegt, hat Zeit gebraucht und ohne die unermüdliche Unterstützung meiner Professoren wäre ein Abschluss unerreichbar gewesen. Große Unterstützung habe ich zudem von meiner Familie und meinen Freunden erfahren, die in einer Vielzahl von wertvollen Gesprächen die Arbeit bereichert haben. Für das sorgfältige Korrekturlesen bedanke ich mich bei Olivia Hardebeck und Olaf Mürer. Der größte Dank gilt jedoch meiner Tochter Philomena als unerschöpfliche Quelle der Inspiration sowie Olaf Mürer, der sich unentwegt mit mir zu dem Thema auseinandergesetzt und mich auf dem ganzen Weg begleitet hat.

Mareike Sera, geb. 1977, arbeitet als freie Wissenschaftlerin und publiziert in Fachzeitschriften und Buchprojekten zum Werk Jan Švankmajers. Sie studierte Filmwissenschaften an der University of East London und promovierte am Institut für Slawistik der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschung befasst sich mit der Schnittstelle von Filmwissenschaft, Philosophie und Literaturwissenschaft. Besonderes Interesse gilt hierbei der Hermeneutischen Phänomenologie nach Paul Ricœur als Perspektive für den filmwissenschaftlichen Diskurs.

Mareike Sera

Das Innerste denken Das Groteske in den Filmen Jan Švankmajers

Der diesem Buch zugrundeliegende Text wurde unter dem Titel ›Wirkungsprinzipien des Grotesken im Werk Jan Švankmajers‹ vom Institut für Slawistik, Philosophische Fakultät II, an der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines doctor philosophiae (Dr. phil.) angenommen. Erste Gutachterin: Prof. Dr. Alfrun Kliems Zweiter Gutachter: Prof. Dr. Rolf Sachsse Tag der mündlichen Prüfung: 20. April 2017

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Filmstill Don Juan, Jan Švankmajer, 1970 © reproduced with permission of ATHANOR Film Production Company, Prague. Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4620-7 PDF-ISBN 978-3-8394-4620-1 https://doi.org/10.14361/9783839446201 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Groteske Immunität | 7

Einleitung | 7 Vom äußeren zum inneren Groteskbegriff | 25 Umwegigkeit sinngebender Strukturen | 31 Vom Schema über den Abdruck zum Eindruck | 36 Resümee | 46 Die Kategorie des Grotesken und ihr Bezug zur Wahrheit | 47

Einleitung | 47 Victor Hugos ›Vorrede zum Cromwell‹ | 49 Die Filme Švankmajers im Licht der Bestimmung Hugos | 65 Resümee | 110 Abdruck und Kommunikation: Das verführerische Zeichen und die Unnahbarkeit des Objekts | 115

Einleitung | 115 Zeichenkörper/Objektkörper | 116 Baudrillard und die Macht der Verführung: Filmbeispiel Faust | 120 Der Zeichen-Objekt Körper | 144 Der Rudolfinische Manierismus und die Alchemie | 164 Resümee | 171 Eindruck und Emotion: Don Juan und verkörperte Emotion | 175

Menschen in Puppenkörpern: Filmbeispiel Don Juan | 175 Phänomenologie und Film | 183 Resümee | 215

Leidenschaftlicher Ausdruck als Eindruck: The Fall of the House of Usher | 217

Leidenschaft und Wahnsinn: Filmbeispiel The Fall of the House of Usher | 217 Surrealismus | 233 Der sexuelle Körper | 240 Resümee | 253 Schlusskapitel: Zum Grotesksein der Filme Švankmajers | 261 Literaturangaben | 277 Filmographie | 287

Groteske Immunität

EINLEITUNG Verstehen und Erfahren gehören zusammen. Künstlerische Werke – in diesem Punkt sind filmische, literarische, bildkünstlerische, musikalische Werke gleich – berühren auf unterschiedlichen Ebenen. Sie setzen Impulse und regen Emotionen an. Ziel dieses Buches ist es zu zeigen, dass Fühlen und Denken in Prozessen des Verstehens neue Horizonte schaffen. Kunstwerke reagieren auf Lebenswelten und stellen die Aporien menschlicher Wirklichkeitserfahrungen heraus: Widersprüche, Unzulänglichkeiten und Fehlbarkeiten. Die Erkenntnis und Erfahrung von Lebenswelten sind limitiert, das Ganze zu schauen ist unmöglich. Wirklichkeitserfahrung ist zudem durch menschliche Fehlbarkeit und Schlechtigkeit gezeichnet. Erleben und Erkennen reagiert auf diese Wahrheiten und stellt sie in einem kritischen Sinne heraus. Das kritische Moment deutet jedoch nur auf eine Dimension hin. Die vielen Punkte, an denen sich Denken und Fühlen berühren, münden in unzählige Möglichkeiten der Bereicherung und Erneuerung. Die kritischen und bereichernden Momente komplementieren einander. Der Körper spielt eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang. Abstrakte Vorstellungen, die sich von körperlichen/medialen Realitäten ablösen, sind den bereichernden Berührpunkten fern. Körper bilden ab, aber sie hinterlassen auch Eindrücke, gekennzeichnet durch Tendenzen, Spannungen und Intentionen. Körper reagieren auf Körper und stellen sich ihnen in gewissen Haltungen und Attitüden gegenüber. Damit entstehen Handlungszusammenhänge. Die Emotionen, die sich in Bezug auf Objekte herausstellen und sich auf sie richten, motivieren Handlungen: Wohlwollende oder zerstörerische Akte. Auf dieser Grundlage geraten Körper in Schwingung zueinander: Der Körper des Zuschauers/Lesers und die Körper künstlerischer Werke, aber auch andere Körper: Der narrative und der materielle Körper, der fiktive und der reale Körper, etc. Körper bilden sich auf verschiedenen Ebenen des Schemas, des Abdrucks und des Eindrucks heraus. Begriffe resonieren mit Objekten und Attitüden, die Haltungen zu Gegenständen der Erfahrung und Er-

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kenntnis beinhalten. Körperlichkeit erlaubt den Zusammenhang von Fühlen und Denken zu realisieren, die Grenzen zu spüren, aber auch die Möglichkeiten zu erfahren. Die These dieses Buches ist, dass das Phänomen des Grotesken den Zusammenhang von Fühlen und Denken auf besondere Weise herausstellt. Grotesken sind nicht abstrakt, das heißt kategorial zu verstehen, sondern ausschließlich im Erleben, welches Erkennen und Erfahren zusammenführt. Sie stehen in engem Zusammenhang mit dem Willen ›Normalzustände‹ zu durchbrechen und sie zu verzerren. Darin stellen sie Gegenwelten her und dar. Entstellte Körper, überreizte Geisteszustände, übersteigerte Emotionen und entgleiste Situationen bilden das Repertoire des Grotesken. Groteske Darstellungen überzeichnen und verzerren die menschliche Form und Situation auf alle möglichen Weisen. Diese Überzeichnung stellt menschliche Fehlbarkeit heraus, stellt den Menschen als gefräßig, lustgetrieben, gehässig, brutal, etc. dar. Erscheinen groteske Darstellungen demnach eigentlich ›unmenschlich‹, weil sie normative und moralische Grenzen überschreiten, zeichnet diese Fehlbarkeit den Menschen als menschlich. Grotesken heben das Menschliche heraus, die Ungereimtheiten und Disproportionen in der Selbstwahrnehmung und schaffen damit Raum für Veränderung. Das Groteske weiß beide Dimensionen – den kritischen und den bereichernden Aspekt – in Resonanz zueinander zu bringen. Normative und moralische Idealvorstellungen treten als degeneriert und wandlungsfähig hervor. Der Punkt, an dem Veränderung und Kritik ineinandergreifen, ist an der Schnittstelle zwischen Fühlen und Denken. Er verweist auf Intimitäten. Groteske Gegenwelten lassen sich nicht abstrahieren, weil sie Kritik und Wandlung nicht im Sinne eines Suchens und Einsetzens ›neuer‹ Idealvorstellungen verstehen, sondern ›neue‹ imaginäre Objekte emotional und handelnd entwerfen: In Handlungszusammenhängen und emotionalen Zugängen. Diese Herangehensweise impliziert eine gewisse Naivität. Hat sich die Diskussion zum Ziel gesetzt, dem Grotesksein in einem filmischen Werk nachzugehen – nämlich die Filme des tschechischen Künstlers und Filmemachers Jan Švankmajer – dann sollen diese Wesenseigenschaften des Grotesken – Menschlich-Zeichnen im Unmenschlichen – herausgearbeitet werden. »Das Innerste denken«, wie es im Titel heißt, bezeichnet Spannungen, Intentionen, Attitüden und Motivationen, die zwischen Körpern stattfinden und auf der Ebene des Eindrucks ›grotesk‹ wirken. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, einen Begriff des Grotesken ›zurecht zu schneiden‹, wie es später in Anlehnung an Gilles Deleuze ausgeführt wird. Die Methode, die zur Anwendung kommt, ist die Hermeneutisch-Phänomenologische. In gewisser Weise dienen die Überlegungen dazu, die hermeneutische Phänomenologie Paul Ricœurs dem filmwissenschaftlichen Diskurs zugänglich zu machen. Ricœurs Philosophie widmet sich dem Zu-

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sammenhang von Fühlen und Denken in Bezug auf die Bewältigung von Widersprüchen in der menschlichen Wirklichkeitserfahrung, aber auch von möglichen Bereicherungen derselben. In diesem Sinne stellt das Buch eine filmphilosophische Diskussion dar. Die hermeneutische Phänomenologie steht im Mittelpunkt. Sie gewährt Zugang zum Phänomen des Grotesken sowie zum Werk Švankmajers. Ein spezifisches ›Grotesksein‹ beschreibt Daseinsbewältigungsstrategien im kritischen wie bereichernden Sinne. Entsprechend liegt der filmanalytische Fokus auf narrativen Zusammenhängen: Die Attitüden, die sich in Bezug auf Realitäten ergeben und Handlungszusammenhänge schaffen. Intentionen, Spannungen und Motivationen durchwirken die ›Filmkosmen‹ Švankmajerscher Werke und zeichnen sie darin grotesk. Sie führen an Punkte der Zerbrechlichkeit, Fehlbarkeit, Widersprüchlichkeit und Intimität. Die filmphilosophische Perspektive erlaubt diesen charakteristischen Zug des Grotesken – bildgebend auf Widersprüche und Disproportionalitäten in der Wirklichkeitserfahrung zu reagieren – hervorzuheben. Es entstehen Gegenwelten, die sich auf Realitäten kritisch wie bereichernd beziehen. Die folgenden Ausführungen sollen dazu dienen, diesen Zusammenhang in Bezug auf das Phänomen des Grotesken deutlich zu machen. Von der Unmöglichkeit, das Groteske zu definieren Das Groteske in Zusammenhang mit einem filmischen Schaffen zu beschreiben, stellt eine Herausforderung dar. Definitionen des Grotesken beziehen sich vor allem auf bildkünstlerische und literarische, aber auch filmische Werke.1 Gegensätze wie schön und hässlich oder tot und lebendig sehen sich im Grotesken zusammengeführt. Ein Kunstwerk als grotesk wahrzunehmen, heißt ›Etwas‹ über das Phänomen des Grotesken sowie das Werk selbst in Erfahrung zu bringen. Dieses ›Etwas‹ ist der intuitiven Perspektive näher und dennoch stellt sich ein Verstehen im hermeneutischen Sinne ein. Kategorien und Begriffe werden gebildet. Die Naivität des Grotesken bringt Verstehensweisen an ihre Grenzen und erscheint in eben diesem Aspekt analytisch wertvoll. Das folgende Zitat von Elisheva Rosen

1

Vgl. Herzogenrath, Bernd (Hrsg.) (2008). The Cinema of Tod Browning: Essays of the Macabre and Grotesque. Jefferson (NC): McFarland; Weishaar, Schuy R. (2012). Masters of the Grotesque: The Cinema of Tim Burton, Terry Gilliam, the Coen Brothers and David Lynch. Jefferson (NC): McFarland; Sera, Mareike (2018). ›Abwegige Resonanzen: Jan Švankmajers Der Untergang des Hauses Usher‹ (1980). In Eckel, Julia; Feyersinger, Erwin und Uhrig, Meike (Hrsg.) Im Wandel… Metamorphosen der Animation. Wiesbaden: Springer. Stam, Robert (1992). Subversive Pleasures. Bakhtin, Cultural Criticism, and Film. Baltimore (MD): Johns Hopkins University Press.

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beschreibt die Schwierigkeit, das Phänomen des Grotesken kategorial zu fassen zu bekommen: »In dem Maße wie der Metadiskurs des Grotesken auffällig metaphorisch bleibt, fixiert er weniger ein Objekt, als dass er Derivate hervorbringt, die das Feld immer nur erweitern. Definitionsversuche enden in Umschreibungen und greifen auf Analogien zurück, die oftmals eher Verwirrung und Missverständnisse hervorrufen als eine konkrete Abgrenzung zu sein.«2

Die Konzeptualisierung des Phänomens als Metadiskurs, wie sie von Denkern wie Friedrich Schlegel und Victor Hugo in der Romantik maßgeblich vorangetrieben wurde, trägt zu dieser Schwierigkeit bei. In der jahrhundertealten Geschichte des Begriffs gibt es eine Reihe von Denkansätzen, die sich zum Ziel setzen, dem schillernden Phänomen gerecht zu werden.3 Inmitten des breitangelegten Diskurses 2

Rosen, S. 884.

3

Die wichtigsten Referenzstudien in der Kontroverse um das Phänomen sind und bleiben Bachtin, Michail M. (1965/1995). Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt am Main: Suhrkamp und Kayser, Wolfgang (1957). Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung, Oldenburg: Stalling, welche die Debatte seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts entscheidend geprägt haben. Häufig genannte, frühere Studien zum Thema umfassen: Möser, Justus (1777/1968). Harlekin oder die Vertheidigung des Groteske-Komischen, Bad Homburg: Gehlen; Rosenkranz, Karl 1853/1996). Ästhetik des Häßlichen Leipzig: Reclam; Schneegans, Heinrich (1894). Geschichte der Grotesken Satire, Strassburg: Trübner. Zur Geschichte der Begriffsverwendung haben insbesondere Knaak, Paul (1913). Über den Gebrauch des Wortes ›grotesque‹, Greifswald: Adler; Clayborough, Arthur (1965). The grotesque in English literature, Oxford: Clarendon Press und Barasch, Frances (1971). The Grotesque: A Study of Meanings, The Hague: Mouton die Debatte geprägt und vorangebracht. Jüngst erschienene Studien, die das Groteske in Bezug auf einen spezifisch gefassten Rahmen hin beleuchten, sind: Best, Otto (1980). Das Groteske in der Dichtung, Darmstadt: Wiss. Buchges., Chastel, André (1997). Die Groteske: Streifzug durch eine zügellose Malerei, Berlin: Wagenbach, Fuß, Peter (2001). Das Groteske: Ein Medium des kulturellen Wandels, Köln: Böhlau, Kröll, Katrin (1994). Mein ganzer Körper ist Gesicht: Groteske Darstellung in der europäischen Kunst und Literatur des Mittelalter, Freiburg im Breisgau: Rombach, Scholl, Dorothea (2004). Von den ›Grottesken‹ zum Grotesken: Die Konstituierung einer Poetik des Grotesken in der italienischen Renaissance, Münster: Lit-Verl. Beispiele für die werkbezogene Studie, hingegen, umfassen: Braeuer-Ewers, Ina (1995). Züge des Grotesken in den Nachtwachen von Bonaventura, Paderborn: Schöningh; Cramer, Thomas (1966). Das Groteske bei E.T.A. Hoffmann

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entsteht der Eindruck, dass die drei Sphären – allgemeine Begrifflichkeit, Phänomen und praktische Umsetzung – im Grotesken nicht zusammen kommen. Wie gezeigt werden soll, stellt die Kategorie des Grotesken eine gesprengte Systematik dar. Ein Werk vor dem Hintergrund einer phänomenologisch reichen, aber systematisch undurchsichtigen Kategorie zu beschreiben, welche labyrinthische und chaotische Züge zeigt, erlaubt, dem Aspekt des Verwirrenden/Irrenden gerecht zu werden. Das Werk Švankmajers teilt dieses Wesen. Metadiskursive Beschreibungen arbeiten gegen die phänomenale Komplexität des Grotesken und damit dem Aspekt einer gesprengten, labyrinthischen Systematik. Das Grotesksein von einem Werk hebt diesen Aspekt hervor. Entsprechend bemüht sich die Diskussion, sich dem Wesen des Grotesken und der Filme beschreibend anzunähern. Formale Aspekt spielen vor diesem Hintergrund weniger eine Rolle, als Begriffe wie Daseinsbewältigung und Wirklichkeitserfahrung. Interessant in dieser Hinsicht ist ein Kommentar von Arnold Heidsieck. Laut Heidsieck, steht das Groteske als ein Phänomen der Daseinsbewältigung in Spannung zu seinem formalen, begriffsgeschichtlichen Vorverständnis: »Er [der Begriff des Grotesken] bezeichnet ein literarisches wie zugleich reales Phänomen, das anscheinend erst mit der Zeit stärker hervorgetreten ist und mit dem die Kategorien der klassischen Ästhetik, die bisher als Oberbegriffe für das Groteske dienen mussten: Komisch, tragikomisch, lächerlich, satirisch usf., nicht mehr in Deckung zu bringen sind.«4

In der Beschreibung des Grotesken erscheint demnach eine diskursive Verschiebung stattgefunden zu haben, die Wirklichkeitsbezüge hervorhebt. Diese zeichnen sich durch eine für das Groteske bestimmende, mimetische Relation aus. Mimetisch entwirft sich eine Gegenwirklichkeit, die sich weder als wirklichkeitsgetreues Abbild, noch als losgelöstes, unabhängiges Spiel der Zeichen darstellt. Vielmehr kennzeichnet den grotesken Wirklichkeitsbezug eine Sensibilität für Aporien in der Daseinserfahrung, für die Konflikte zwischen Stillstand und Bewegung, zwischen Tod und Leben, zwischen reflektierter Außen- und gelebter InMünchen: Fink oder Leopoldseder, Hannes (1973) Groteske Welt: Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Nachtstücke in der Romantik, Bonn: Bouvier. Außerdem in diesem Zusammenhang zu nennen sind Essaysammlungen, wie etwa die jüngst erschienen Sammlungen von Bloom, Harold (2009). The Grotesque New York (NY): Bloom's Literary Criticism; Mills, Alice (1999). Seriously weird: papers on the grotesque New York (NY): Lang und Meyer, Michael J. (1995). Literature and the Grotesque, Amsterdam: Rodopi. Diese Aufzählung stellt lediglich einen ersten Abriss zur Orientierung da, der an gegebener Stelle vertieft wird. 4

Heidsieck, S.7.

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nenansicht. Aporien heben innere Konflikte in der Wirklichkeitserfahrung hervor, sie unterstreichen menschliche Fehlbarkeit und Unzulänglichkeit. Jacques Derrida schreibt in Bezug auf den Begriff der Aporie: »I gave in to the word aporias, in the plural, without really knowing where I was going and if something would come to pass, allowing me to pass with it, except that I recalled that, for many years now, the old, worn-out Greek term aporia, this tired word of philosophy and of logic, has often imposed itself on me, and recently it has done so even more often. Thus, I speak here in memory of this word, as of someone with whom I would have lived a long time, even though in this case one cannot speak of a decision or a contract.«5

Das Zitat Derridas hebt den gelebten sowie verworrenen Aspekt des Aporiebegriffs hervor, der sich – wie in Bezug auf das Groteske – kategorisierender Systematik entzieht und stattdessen einen labyrinthischen und chaotischen Verlauf aufzeigt. Den Begriff, und ein damit verbundenes Aporiesein zu verstehen, heißt, dem Verlauf in seinen komplexen Verästelungen zu folgen, ohne ihn metadiskursiv systematisieren zu wollen. Northrop Frye bezeichnet das Labyrinth in Anatomy als »the image of lost direction«, als unlösbarere Ver(-w-)irrung.6 Eine von Aporie gekennzeichnete Wirklichkeitserfahrung entzieht dem Verstehen jede Form des Gerichtetseins oder Geordnetseins, dem groteske Darstellungen begegnen. Die entstehende Gegenweltlichkeit löst sich nicht von der Realität. Sie entwirft ein freies Spiel der Zeichen und Formen, welche der Essenzialität der aporetischen Daseinserfahrung verbunden bleibt. Ein Beispiel verdeutlicht den Zusammenhang. Laut August Schmarsow stellt eine Groteske »ein willkürliches Spiel mit phantastisch[en], ohne jedes innere Gesetz der Wahl kombinierte[n] Formen und Gegenstände[n]« dar. Schmarsow fährt fort: »Menschen und Vierfüßler, Vögel, Insekten und allerlei Getier drängen sich ein oder müssen Teile ihres Körpers zur Herstellung abenteuerlicher Fabelwesen hergeben; dazu Masken und Schleier, Geschmeide und Gefäße, Waffen und Schrifttafeln, selbst Architekturstücke in winziger haltloser Gestalt. Die Verbindungen werden aufs Subtilste in Fäden und Drähte ausgesponnen, oder gar zum bloßen Schein; das Aufsteigen oder Herabfallen kommt nicht zu konsequenter Durchführung, die Andeutung des Tragens, Festhaltens, Wachsens, ist wiederum nicht erstlich gemeint, denn im Grunde schwebt alles in der Luft.«7

5

Derrida, S. 13.

6

Frye, S. 150.

7

Schmarsow, S. 137.

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Abbildung 1: Groteske Darstellung von Christoph Jamnitzer.

Quelle: Blatt 25 aus Christoph Jamnitzer Neuw Grottessken Buch, 1610, Nürnberg, nachgedruckt 1966, Akademische Druck und Verlagsanstalt, Graz, Österreich.

Betrachtet man die groteske Darstellung von Christoph Jamnitzer in Abbildung 1, dann wird deutlich, was gemeint ist. Die Figuren erscheinen unfasslich in einen Moment des Schwebens und damit des Werdens gebannt. Eine konsequent zu Ende gebrachte Darstellung würde den Körper des alten Mannes, der die Kerze hält, voll entfalten und nicht bruchstückhaft ornamental auflösen. Das gleiche gilt für die ineinandergeschlungenen Tierkörper. Der Kopf eines Wildschweins schmiegt sich an den versteinerten Körper eines Fossils, welches gestützt wird durch eine Stelze und sich wiederum verlängert in eine Krebszange und den uneindeutig charakterisierten Hinterlauf eines Vogels oder Säugetiers. Diese Chimäre schwebt, zeitlich wie räumlich. Sie erscheint zugleich alt und jung, getragen von der Symbolkraft der eingebauten Fragmente und den entstehenden Dynamiken. Das Fossil und die Stelze zeichnen die Gestalt alt und gebrechlich, während die schwungvollen Bögen und prallen runden Formen der Figuration jugendliche Kraft und Übermut verleihen. Werden und Sterben fallen in dieser Konfiguration von Elementen und Formen zusammen. Die Themen ziehen hermetische Kreise und stellen kosmische Bezüge her.

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›Grotesksein‹ der Filme Švankmajers: Der kulturelle Hintergrund Auf den ersten Blick teilt das Werk Švankmajers den manieristischen Zug der Darstellung. Die Figuren, Dinge und Motive seiner Filme ›schweben‹ jedoch nicht auf vergleichbare Weise. Gegriffen aus dem Hier und Jetzt des alltäglichen Lebens, sind sie gezeichnet von der Schwere des Daseins und tief verwurzelt in ihrer kulturellen Umgebung. Abbildung 2 zeigt Don Juan und Kasper aus Švankmajers Don Juan. Abbildung 2: Marionettenmenschen Don Juan und Kasper.

Quelle: Don Juan, 1970, dir. Jan Švankmajer.

Die Bühne formt einen festen Rahmen, in dem die Figuren verankert sind. Das filmische Werk Švankmajers ist unlösbar mit seiner alltäglichen und kulturellen Umwelt verknüpft. Im Falle von Don Juan sind die Masken und Kostüme tschechischen Marionetten aus dem 19. Jahrhundert nachempfunden. Neben der Ästhetik des 19. Jahrhundert dienen Švankmajer noch das manieristische Prag Rudolfs II und die Aufbruchstimmung der 60er Jahre als wichtige Inspirationsquellen. Der Beitrag tschechischer Künstler im Kontext gesellschaftlicher und künstlerischer Umwälzungen dieser Zeit ist bemerkenswert, wobei eine umfassende kritische Würdigung in Bezug auf Ausdrucksmittel wie Animationsfilm, Film, Photographie und Theater noch aussteht.8 Das Werk Švankmajers ist in diesem Kontext zu

8

In den letzten Jahren sind einige wichtige Studien in diesem Zusammenhang erschienen wie Fijalkowski, Krzystof; Richardson, Michael und Walker Ian (2013) Surrealism and photography in Czechoslovakia: On the Needles of Days, Farnham: Asgate.; Burian, Jarka (2000) Modern Czech Theatre: Reflector and Conscience of a Nation, Iowa City

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situieren. Auch wenn der Künstler sich von den ›New Wave‹ Filmexperimenten tschechischer Filmmacher wie Jaromil Jireš, Milos Forman und Věra Chytilová der 60er Jahre distanziert (genauso wie er sich nicht einer tschechischen Animationsfilmtradition, repräsentiert durch Filmemacher wie Jiří Trnka und Karel Zeman, zugehörig fühlt), zitiert Švankmajer doch etwa eine zeitgenössisch wichtige Person wie Emil Radok als Einfluss auf seine Filme.9 Radok ist ein Pionier von multi-screen Produktionen und Švankmajer hat mit ihm an einer Reihe von Projekten am Laterna Magica Theater in Prag gearbeitet. Auch sind Ähnlichkeiten zu photographischen und graphischen Arbeiten, die in dieser Zeit entstanden sind, durchaus erkennbar, wie etwa die Photographien von Josef Sudek und Jindřich Štyrský. Auf diese Bezüge wird später eingegangen. Den wichtigsten Referenzrahmen stellt jedoch die Prager Surrealisten Gruppe dar, welcher Švankmajer und seine Frau 1970 beitraten. Švankmajer studierte an der Prager Theater Akademie und arbeitet zunächst im Theater. Seine ersten Filme, die er ab Mitte der 1960er Jahre machte, zeigen diesen Hintergrund deutlich. Die surrealistische Affinität Švankmajers zeichnet sich bereits in den frühen Filmen ab. Mit dem Eintritt in die Gruppe begann sich jedoch, laut František Dryje, eine Form der surrealen Imagination in Švankmajers Filmen zu entfalten, die »[…] im vollen Licht einer bewusst surrealistischen Reaktion auf die Welt und einer kritischen Reflexion ihrer eigenen Bemühungen«10 entstand. Filme wie The Garden (1968), The Ossuary (1970) und Jabberwocky (1971) machen dies deutlich. Diese Entwicklung knüpft sich an Vratislav Effenberger, um den sich die Surrealisten Gruppe in dieser Zeit neuformierte. Zwischen Švankmajer und Effenberger entstand eine intensive professionelle Beziehung, die andere Mitglieder der Gruppe wie Ludvík Šváb, Andrew Lass, Martin Stejskal, and Albert Marenčin miteinschloss.11 Während die Bezüge zu Alltagswelt und kulturellen Hintergründen zum Verständnis von Švankmajers Werk wichtig sind, lässt sich fragen, wie sie sich zum Groteskseins seines Werkes verhalten. Vergleicht man Švankmajers Don Juan (1970) und Jamnitzers Darstellung, sagen formale Anhaltspunkte zunächst wenig aus. Diese Einschätzung ändert sich, sobald man die Perspektive dahingehend öffnet, wie sich ›Gegenweltlichkeit‹ darstellt. In Jamnitzers Bild entsteht eine los(IA): University of Iowa Press; Tippner, Anja (2009) Die permanente Avantgarde? Surrealismus in Prag. Köln: Böhlau. 9

Hames (1995), S. 27.

10 Dryje (2012), S. 263, Übersetzung der Authorin. Es heißt im Original: »In the full light of a consciously Surrealist response to the world and a critical reflection on his own endeavors.« 11 Dryje (2012), S. 263; vgl. Fijalkowski and Richardson (2001).

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gelöste, phantastische Welt in der Schwebe, die wenig Orientierung bietet und doch den Bezug zur Realität nicht verliert. Für Don Juan gilt etwas Vergleichbares. Auch wenn die Welt nicht schwebt und in der Darstellung nicht ähnlich zerstückelt und durchmischt erscheint, so führt Švankmajers Verwendung von Schauspielern, die durch Masken und Kostüme zu lebensgroßen Puppen werden, doch zur Gegenweltlichkeit. Beiden Welten wohnt eine Tragik-Komik inne, die bezeichnend ist für das Groteske. Sie unterstreicht die Gegenwart eines kosmischen Bezuges oder einer universalen Dramatik. Dieser Punkt ist wichtig im Verständnis von Švankmajers Werk. Bertrand Schmitt führt den Zusammenhang in Bezug auf Švankmajers Hintergrund im Theater aus. Er weist darauf hin, dass symbolische Aggression in seinen Theaterproduktionen, Kunstwerken und Filmen nicht alleine als eine Katharsis im Umgang mit Ängsten und Sehnsüchten dient, sondern zudem als Auseinandersetzung mit universalen Kräften zu verstehen ist. Schmitt schreibt: »These forces in conflict, these shadows, are equally those that govern, act, transform and destroy the world. In this way the opposition and confrontation between the natural, vital and energetic forces which move, assemble, oppose or tear away all forms of existence and physical states at the heart of the universe are re-enacted through the intimate conflicts and unconscious dramas which […] mark individuals.«12

Der Widerstreit universaler Kräfte (Tod und Leben, Jung und Alt, etc.) im Sinne eines thematischen Bezugs, der sich auf persönlicher Ebene in emotionalen Konflikten ausdrückt, verbindet Jamnitzers Darstellung mit Švankmajers Film und zeichnet beide grotesk. Der Gegenweltlichkeitsaspekt entsteht in einer Überspitzung bestehender Sinnstrukturen, die emotional erlebt und ausgeführt werden. Die kosmische Dimension ist Teil der Überzeichnung und grenzt sich von epischen oder phantastischen Gegenweltlichkeiten ab. Groteske Welten lösen sich in ihren Sinnstrukturen nicht von alltäglichen Realitäten, sondern intensivieren sie und ihr aporetisches Potential. Die Welt gerät aus den Fugen, um sich in grotesken Hybriden neu zu formieren. In diesem Sinne entsprechen groteske Realitäten einer gesprengten Systematik, die wesentliche Konflikte der menschlichen Wirklichkeitserfahrung nachzeichnen, transzendieren und überspitzen. Um den Bogen zwischen gesprengter Systematik und aporetischer Wirklichkeitserfahrung zu verdeutlichen, wird die Diskussion sich in diesem ersten Kapitel zunächst mit der kategorialen Widerspenstigkeit des Phänomens sowie seinem Wahrheits-/Realitätsbezug auseinandersetzen. Ricœurs Mimesisbegriff soll hierzu herangezogen werden sowie die Terminologien ›Heterogenität‹ und ›Parakate12 Schmitt (2012a), S. 30.

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gorie‹. Zudem werden Positionen der Groteskforschung exemplarisch aufgegriffen und die Herkunft des Groteskbegriffs beleuchtet. Im zweiten Kapitel soll sich dem romantischen Groteskbegriff Viktor Hugos zugewendet werden. Zwei Dinge stehen im Vordergrund. Zum einen eignet sich Hugos Beschreibung, um groteske Motive in Švankmajers Werk zu erläutern. Zum anderen interessiert der Begriff des Romantischen im Sinne einer Fortführung des kulturellen Traumas, welches die Aufklärung herbeigeführt hat. Holt Meyers Studie zum Phänomen der ›Romantischen Orientierung‹ argumentiert in diese Richtung. Kapitel 3 widmet sich dann dem Zusammenhang von Zeichen und Objekt. Hierzu werden verschiedene Perspektiven grotesktypisch in Spannung zu einander gesetzt. Schreiben über ein Grotesksein erfordert neue Zugänge zu suchen und zu finden. Diese Offenheit soll in der vorliegenden Studie über den Vergleich zu anderen künstlerischen Werken und rhetorischen Phänomenen im Sinne von Analogien geschaffen werden. Das dritte Kapitel widmet sich diesem Anspruch und entfaltet ihn methodisch. Zunächst wird das Grotesksein des Werkes von Švankmajer aus der Perspektive des verführerischen Zeichens im Kontext von Švankmajers Faust (1994) betrachtet, komplementiert durch Vergleiche zu den Portraits Giuseppe Arcimboldos, einer Kurzgeschichte von Angela Carter, dem Rudolfinischen Manierismus, der Geheimwissenschaft der Alchemie sowie der rhetorischen Figur des acumen. Stellt die Diskussion im Kern eine filmphilosophische Betrachtung dar, mit dem Ziel die hermeneutisch-phänomenologische Perspektive dem filmwissenschaftlichen Diskurs zugänglich zu machen, eröffnet sich über Analogien die Möglichkeit, den Aspekt der Bereicherung anschaulich zu machen. Während der erste Teil des Kapitels im Zusammenhang mit den Theorien Jean Baudrillards und Martin Heideggers eine reduzierende Sichtweise beschreibt, hebt der zweite Teil das bereichernde Moment im Grotesksein Švankmajers Werkes hervor. Dieser Gedanke setzt sich in den folgenden Kapiteln fort. Das vierte Kapitel befasst sich mit dem Zusammenhang von Grotesksein und der Puppenform als Ausdrucksmittel. Dazu zieht die Diskussion das literarische Werk E.T.A. Hoffmanns heran und fokussiert sich filmanalytisch auf Švankmajers Don Juan. Die Analogie erlaubt, die Beziehung des Werkes von Švankmajer zur Romantik aus einer weiteren Perspektive zu betrachten und die Spannung zwischen einem mittelalterlichen und einem romantischen Grotesksein einzubeziehen. Das Groteske des Werkes Švankmajers sieht sich hier vor allem mit einer emotionalen/moralischen Fragilität, die in der Fehlbarkeit des Menschen gründet, in Verbindung gebracht. Kapitel 5 hingegen befasst sich mit dem surrealistischen Aspekt. Aufgegriffen wird die Geschichte des Begehrens in Zusammenhang mit Schulderfahrung im

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Sinne einer existenziellen Teilhabe/Teilhabe am Nicht-Sein. Der erste Teil des Kapitels konzentriert sich auf die Diskussion von Švankmajers The Fall of the House of Usher (1980), die im Folgenden filmanalytisch auf Conspirators of Pleasure (1996), Alice (1987) und Lunacy (2005) ausgeweitet wird. In diesem Kontext wird Gilles Deleuzes Unterscheidung zwischen einer sadistischen und masochistischen Lust sowie Antoine Artauds ›Theater der Grausamkeit‹ herangezogen, um die utopische Funktion des Grotesken im Gegensatz zu seiner kritischen Dimension besser zu verstehen. Mimesis I-III Charakteristisch für Ricœurs hermeneutisch-phänomenologische Philosophie ist, dass sie von einem indirekten Zugang zur menschlichen Existenz ausgeht, der über die Auslegung von Zeichen sowie die Auseinandersetzung mit Artefakten und Objekten verläuft. In diesem Aspekt unterscheidet sie sich von der hermeneutischen Phänomenologie Heideggers, wie dieser sie in Sein und Zeit entfaltet. Ich bin liegt dem Ich denke voraus und lässt sich alleine an der Schnittstelle von Denken und Fühlen in Erfahrung bringen. Die Symbolik des Ich bin gewährt einen indirekten Zugang, der dem Verstehen umfassende Transparenz verwehrt und stattdessen die Ahnung oder Ankündigung eines Begreifens in den Vordergrund hebt. Die phänomenologische Dimension gewinnt damit an Bedeutung. Wahrheit kündigt sich im Erleben und emotionalen Verarbeiten von Symbolen an. Insbesondere Ricœurs frühe Philosophie hebt diesen Gedanken hervor, indem er sich der Problematik der Symbolik des Bösen und dem Phänomen des bösen Willens annähert. Die Erfahrung von Schuld, etwa, lässt sich »nur unter Rekurs auf die Bildhaftigkeit einer indirekten, symbolischen Sprache« finden.13 Es folgt eine Philosophie der Narrativität, die Ricœur in Zeit und Erzählung formuliert hat und sich eingehend mit dem Mimesisbegriff auseinandersetzt. Zeichnet sich die Welterfahrung und Selbsterfahrung des Menschen durch Aporien aus – wie etwa das Paradox zwischen kosmologischer und phänomenaler Zeit – erlaubt die Auseinandersetzung mit Narration den Umgang mit diesen Aporien in der Daseinsbewältigung nachzuzeichnen. Ricœurs Mimesisbegriff hilft, den Zusammenhang zwischen grotesker Überformung und Wirklichkeitsbezug zu verdeutlichen. Groteske Darstellungen entwerfen Gegenwelten, die in Berührung mit gelebten Realitäten stehen. Damit stellt sich die grundlegende Frage nach dem gegenseitigen Einwirken von aktuellen und fiktiven Welten. So versteht Ricœur Mimesis nicht im Sinne einer Nachahmung, welche das Model einer ersten Ordnung (Realität) auf eine zweite Ordnung (Fik13 Mattern, S. 53 f.

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tion) überträgt, sondern im Sinne des aristotelischen Mimesisbegriffes. Dieses Verständnis geht von einer aktiven, gestaltenden Teilhabe auf der Grundlage von motivationalen Strukturen aus, welche den Bezug zwischen Realität und Gegenweltlichkeit zugleich umschreibt und bestehen lässt. Wie Ursula Meyer erläutert: »Im Zusammenhang mit der aristotelischen Poetik wird die Mimesis als kreativer Akt definiert, dessen Fähigkeit zur Nachahmung nicht auf den Inhalt eines Ereignisses, sondern auf dessen Bedeutung angewandt wird. Ricœur bezeichnet die Mimesis als Metapher, da sie den bildlichen Charakter der menschlichen Handlung widerspiegelt. Als treibende Kraft für die Entstehung der Mimesis kennzeichnet Ricœur auch hier die produktive Imagination, deren Qualität nicht in der Kopie der Realität, sondern in der Neubeschreibung liegt.«14

Ahmt die Erzählung also in der Mimesis Alltagspraxis nach, so stellt dieser Akt der Nachahmung keine einfache Wiedergabe von Handlungsstrukturen dar, sondern eine Intensivierung der Bedeutung vorhandener Strukturen, eine Erhöhung des Sinns. So erklärt sich, warum hier vor allem die intensivierten Gefühlsebenen der Leidenschaften und der Hingabe, wie sie in Švankmajers Filmen ausgeprägt in Erscheinung treten, die mimetische Neubeschreibung eine Verstärkungsfunktion gegenüber den Sinndimensionen der Alltagspraxis hat. Dabei unterscheidet Ricœur drei Stufen: Mimesis I, Mimesis II und Mimesis III. Mimesis I beschreibt das kulturell eingelassene Vorverständnis von Handlungsstrukturen; wie sie zusammenhängen, was sie symbolisieren, und wie sie Zeit verkörpern. Die zweite Ebene der Mimesis entspricht dem Neubeschreibungsprozess, der sich im textuellen Rahmen vollzieht. So heißt es bei Ricœur: »Mimesis at this stage signifies the production of a quasi-world of action through the activity of emplotment. Far from being an effigy or a replica of action, this emplotment is its intelligible schema (épure). It imitates in that it is intelligible.«15 Der Begriff der Intelligibilität ist von zentraler Bedeutung an dieser Stelle, da er zu der Konjunktion von Fühlen und Verstehen führt. Besonders hervorzuheben ist die Integrations- und Vermittlerfunktion in Zusammenhang mit Mimesis II. Auf dieser Ebene werden die textuellen Schichtungen in Beziehung zueinander gebracht und als Einheit geformt. Sie fordert die produktive Einbildungskraft mit der Aufgabe, zwischen rein Begrifflichem und Sinnlichem zu vermitteln. Es ist laut Ricœur schwierig, das Wirken der Mimesis II über rationale Denkstrukturen zu erschließen. In Abgrenzung zum semiotischen Model formuliert er die Frage, die sich im Kontext der aristotelischen Poetik stellt:

14 Meyer, Ursula, S. 189f. 15 Meyer, Ursula, S. 189f., Ricœur (1981), S. 21.

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»If the plot is an intelligible schema of action, what intelligibility is involved? Here, it seems to me, contemporary semiotics or poetics does not give the appropriate answer. The rationality of its models […] to my mind provides only a simulation of the basic intelligibility preliminary to the activity of emplotment. [Hermeneutics] interrogate[s] the condition of the intelligibility of the rational process that presides over the whole process. It shows that semiotic rationality actually produces a new text, one constituted by the narrative codes inscribed in a new form of writing where the concrete narratives are taken to be only a manifestation of this new text. This new text does have its readers, but they are readers of codes rather than of messages; readers for whom the message is significant only as ›display‹ of its immanent code.«16

Das Zitat Ricœurs legt nahe, dass zwischen einer codierten textuellen Ebene und einer phänomenalen Realität zu unterscheiden ist. Die entstehenden Einschreibepraxen entsprechen der übergeordneten textuellen Ebene, nicht aber unbedingt der phänomenalen Realität. Groteske Gegenwelten erscheinen hierin den Praktiken von Überhöhung und Intensivierung, von Integration und Vermittlung näher als Codifizierung und Strukturierung. Sie widersetzen sich textueller Systematisierung und Kategorisierung. In Mimesis III überlappen sich die Welt des Textes und des Zuschauers/Betrachters/Lesers; das Textaußen und das Textinnen. Im Akt des Lesens bindet sich die Mimesis II an die Mimesis III und erhält als kommunikativer Akt eine zusätzliche Referenzfunktion, das heißt es kommuniziert sich in ihr »die spezifische Erfahrung, die durch das Werk zur Sprache kommt, und damit der zu ihr gehörige Welthorizont«17. Dieser Horizont, der essenziell einen Existenzhorizont darstellt, sieht sich in Verlängerung der Bedeutungsintensivierung, die auf der zweiten Ebene stattfindet, erweitert. Es ist wichtig, die Progression, die von der ersten über die zweite zur dritten Ebene (Mimesis I-III) verläuft, als ineinandergreifende Entwicklung oder Entfaltung zu begreifen, die sich mit der Intelligibilität textueller und damit symbolischer Strukturen befasst (weshalb auch die Unterscheidung zwischen Textinnen und Textaußen in ihr kollabiert). Doch es stellt sich die Frage, inwieweit man auf der dritten Ebene der Mimesis überhaupt von einer Imitation motivationaler Strukturen (Ebene I) sprechen kann, die Voraussetzung für die Intelligibilität in der Progression von Mimesis I-III ist. Hierzu schreibt Ricœur: »However must we say that, at the stage of mimesis III, the poem still imitates real action? Not, if real means already there and available. But yes, if real means that human action is ›effectively‹ re-figured through the fact of being configured.«18 16 Ricœur (1981), S. 22f. 17 Mattern, S. 132. 18 Ricœur (1981), S. 30.

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Wenn also Ricœur Mimesis III als die Ebene der Umschreibung beschreibt, dann bezieht sich dieser Prozess auf eine Umschreibung (tatsächlicher) motivationaler Strukturen, die sich in der Erweiterung des Erfahrungshorizontes vollzieht; eine Erweiterung, die sich auf ein Vorverständnis dieser Strukturen stützt und ihre Überhöhung und Intensivierung in der vermittelnden Rekonfiguration auf der zweiten Ebene und in der Transfiguration auf der dritten Ebene der Mimesis erfährt. In diesem Sinne beschreibt die Progression von Mimesis I zu III eine Ineinanderschachtelung symbolischer Vermittlung, die Anlass für neue Strukturierungen gibt (von der Erfahrung, über die Rekonfiguration, zur Transfiguration und wieder zur Erfahrung). Handlungen werden, laut diesem Model, immer wieder symbolisiert (Wiederholung) und neu symbolisiert (Neubeschreibung). Die Theorie der dreifachen Mimesis ist eine allgemeine Formulierung des hermeneutischen Zirkels und sogar die hermeneutische Dimension menschlicher Existenz überhaupt, wie Mattern feststellt. Mattern schreibt: »Sofern jede symbolische Vermittlung […] von einer vorherigen symbolischen Vermittlung ausgehen muss, die – wenn auch über eine Vielzahl von Vermittlungsstufen – in der menschlichen Lebenswelt gründet und zuletzt wieder, diese transformierend, zu unserer alltäglichen Realität zurückführt, kann der Theorie der dreifachen Mimesis eine universale Bedeutung zugeschrieben werden.«19

Exkurs: Haben, Herrschen, Gelten Der Bogen zwischen Realität und Gegenweltlichkeit spannt sich demnach auf der Grundlage von Bedeutungssyntaxen, die sich intransparent darstellen und so einer Oberflächenansammlung von Codes entziehen. Ein Exkurs zu den Begriffen des Habens, Herrschen und Geltens in Verbindung mit drei Filmbeispielen soll diesen paradoxen Zusammenhang zwischen Fortschreibung und Umschreibung, welcher für groteske Gegenweltlichkeiten bezeichnend ist, verdeutlichen. Švankmajers Food (1992) sowie Historia naturae (suita) (1967) zeigen, wie in Bezug auf das Aneignen von Objekten als Nahrung oder als Wissensgegenstand ›neue‹ Gefühle entstehen, die über den biologischen Vorgang und Nutzen hinausgehen. Die gezeigten Vorgänge überzeichnen das Thema/den Akt des Essens derart, dass neue Objektbeziehungen entstehen. In der ersten Episode verwandeln sich Menschen in Essensautomaten, in der zweiten verspeisen zwei Restaurantbesucher das sie umgebende Inventar sowie ihre Kleidung und in der dritten verzehren Bürger unterschiedlicher Schichten ihre ›besten‹ Körperteile. Die groteske 19 Mattern, S. 135.

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Überzeichnung lässt neue Affektbeziehungen zwischen Subjekt und Objekt, die auf Prozesse des Aneignens und Habens zurückgehen, hervortreten. Die Affektbeziehung steht im Vordergrund: Eine ernüchternde Funktionalisierung in der ersten, eine grenzendlose Aneignungswut in der zweiten und eine narzisstische Leere in der dritten Episode. Sie artikulieren sich über den Akt der Aneignung und gehen doch über diesen hinaus. Ricœur schreibt hierzu: »[D]iese Gefühle entstammen nicht dem Leben, sondern der Reflexion innerhalb der menschlichen Affektivität über einen neuen Objektbereich, eine spezifische Objektivität, nämlich die ›ökonomische‹ Objektivität. […] Auf diese Weise wird der Mensch erwachsen und, in derselben Bewegung, erwachsener Entfremdung fähig; doch das wichtigste hierbei ist, dass der Herd der Proliferation jener Gefühle und Leidenschaften und Entfremdungen neue Objekte sind, Tauschwerte, monetäre Zeichen, Strukturen, Institutionen.«20

Die Objekte stellen sich nicht alleine als verfügbar dar, sondern wecken Triebe, Vorstellungen und Affekte, die sie übersteigen und doch an sie binden. Damit erlebt der Mensch neue Modalitäten seiner Subjektivität und gelangt damit zu »spezifisch menschlichen ›Gefühlen‹ […], die sich auf die Verfügbarkeit der Dinge als bearbeitete, angeeignete Dinge beziehen, während er selbst zum angeeigneten Enteigneten wird; und diese neue Objektivität erzeugt eine besondere Gruppe von Trieben, Vorstellungen, Affekten.«21 In Bezug auf Food stellen diese ›neuen‹ Gefühle, die sich über gegebene Sinnstrukturen entwickeln, Funktionalisierung, Gier und Narzissmus dar. Historia naturae (suita) thematisiert den Akt des Aneignens in Bezug auf Wissensgegenstände. Das antiquierte Model der Rudolfinischen Wunderkammer, welches motivisch immer wieder in Švankmajers Filmen in Form von Schaukästen und Schubladenschränken aufgegriffen wird, stellt den Zusammenhang der Objektivierung von affektiven Bindungen in Richtung einer Ökonomie des Wissens zur Schau. Es hinterfragt die moderne Ökonomie der diskursinternen Austauschbarkeit von Wissen auf der Grundlage von vermeintlicher Transparenz und Differenz. Die Verbindung zum Motiv des Essens, genauso wie das Hervorheben der haptischen Qualitäten, setzt diese Ökonomie, wie in Food, in Spannung zu libidinösen Besetzungen: Eine Akkumulation von Wissen, die sich entweder aus einer grotesk angelegten Erforschung von Gegenständlichkeit im Sinne einer pervertierten/lustvollen Erweiterung des existenziellen Horizontes erschließt (aus der reziprok-reversiblen Beziehung von Subjekt-Objekt und Objekt-Subjekt her-

20 Ricœur (1965/1974), S. 519f. 21 Ricœur (1965/1974), S. 520.

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aus) oder in der entfremdete, der Leiblichkeit und dem eigenen Bedeutungshorizont enteignete Gefühle einer machtbezogenen Tauschökonomie vorherrschen. Das Motiv des Essens wird außerdem mit der Sinnsphäre des Herrschens in Verbindung gebracht. Beide Bereiche gehen eine enge Verflechtung ein. So schreibt Ricœur: »Auch hier [im Bereich des Herrschens] ist die Heraufkunft des Selbstbewusstseins der Heraufkunft einer ›Objektivität‹ reziprok. Es sind rein menschliche ›Gefühle‹, die sich um dieses Objekt, die Macht, gruppieren: Ambition, Unterwerfung, Verantwortung – und auch spezifische Entfremdungen, deren Beschreibung schon bei den Alten in der Gestalt des ›Tyrannen‹ begonnen hatte. […] Es lässt sich also sagen, dass der Mensch insofern Mensch wird, als er fähig ist, in die politische Problematik der Herrschaft einzutreten, als er zu den Gefühlen gelangt, die um die Herrschaft kreisen, und sich den Übeln preisgibt, die ihnen anhaften. Hier entsteht eine eigentlich erwachsene Sphäre der Schuld: Herrschaft macht wahnsinnig, sagt Alain nach Platon.«22

Aneignen bindet sich an beherrschen. Entsprechend steht am Ende jeder der sieben Episoden in Historia naturae (suita) die Nahaufnahme eines Mundes, der sich ein Stück Fleisch zum Mund führt und isst. Mit diesem Bild wird eine Analogie zwischen dem Aneignen von Wissensgegenständen und Nahrung hergestellt: Im Akt des Habens und Beherrschens entstehen ähnliche affektive und libidinöse Beziehungen. Aneignungsprozesse produzieren Machtgefälle und stellen die Frage nach Verantwortung und Schuld. In der zweiten Episode von Food wendet sich der sozial besser situierte Restaurantbesucher – getrieben von grenzenloser Gier – gegen den sozial Schwächeren mit der Intension, ihn aufzuessen. Machtgefälle erlauben ihm, sich auf diese Weise gegen ihn zu wenden, und die Maßlosigkeit seiner Gier jedes Verantwortungsbewusstsein hinter sich zu lassen. Das Gleiche gilt für den dritten und letzten Themenkomplex: Die Sinnsphäre des Geltens. Liefert das Institutionelle den Übergang von der Sphäre des Habens zu der des Herrschens, schlägt das antagonistische Gegenüber den Bogen von der Sphäre des Herrschens zu der des Geltens. Wie Ricœur schreibt: »Meine Existenz für mich selbst ist in der Tat abhängig von jener Selbstkonstituierung in der Meinung Anderer; mein ›Selbst‹ wird – wenn ich so sagen darf – von der Meinung Anderer empfangen, die es sanktionieren. Aber diese Konstituierung der Subjekte, diese gegenseitige Konstituierung mittels ›Meinung‹ wird von neuen Gestalten gelenkt, von denen man in einem neuen Sinne sagen kann, dass sie ›objektiv‹ sind; diese Objekte sind nicht mehr Dinge wie noch in der Sphäre des Habens, es entsprechen ihnen nicht einmal mehr 22 Ricœur (1965/1974), S. 520.

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Institutionen wie in der Sphäre des Herrschens. Nichtsdestoweniger finden sich diese Gestalten des Menschen in den Werken und Denkmälern des Rechts, der Kunst und der Literatur.«23

Steuern auf der Ebene des Herrschens Gefühle wie Ambition, Unterwerfung, Verantwortung und Schuld die Gefühlsbeziehung zwischen Subjekt-Objekt und Objekt-Subjekt, herrschen auf dieser weiteren Ebene Gefühle vor, die die Würde des Menschen und seine Selbstachtung angehen. Die wahnsinnige Leidenshaft Rodericks in The Fall of the House of Usher macht den Übergang zwischen den Ebenen deutlich. In dem Film besucht ein namenloser Erzähler seinen Jugendfreund auf seinem Familiensitz, dem Haus Usher. Er findet ihn in einem geistig verwirrten und überreizten Zustand vor. Die Vorstellung hat von dem Hausherrn Besitz genommen, dass sich eine existenzielle Angleichung zwischen ihm als Bewohner und dem alten Gemäuer des Hauses vollzieht. In dieser Annahme eignet er sich das Haus und dessen Umgebung an, um sich zugleich von ihm im Sinne von Besitz aneignen zu lassen. Der Wahnsinn, der dieser Annahme zugrunde liegt, leitet über zur nächsten Ebene. Dem Gemäuer kommt als Familiensitz ein institutioneller Wert zu, der aristokratische Machtansprüche legitimiert. Da Roderick jedoch der letzte Nachkomme ist, befindet sich dieser Anspruch in Degeneration, was sich physisch so wie psychisch auf Roderick und seine Schwester auswirkt. Im Verlauf der Erzählung potenziert sich dieser degenerative Aspekt des Wahnsinns in der Erfahrung von Schuld, was den Übergang zur Ebene der Wertschätzung bildet. Identifiziert sich Roderick über seinen Familiennamen mit dem Gemäuer (institutionelle Ebene) und macht sich diesem gegenüber schuldig (Degeneration/Auslöschen des letzten Lebensfunkens seiner Zwillingsschwester) reflektiert er in der Erfahrung von Schuld Gefühle der Würde und Selbstachtung, wenn er sich in der einnehmenden Macht des familiären Erbes um seine Menschlichkeit gebracht sieht. Diese letzte reflexive Ebene stellt den Hauptgegenstand der intensiven Gespräche mit seinem Freund dar, der zugleich den wertenden (und in dem Sinne auch sanktionierenden) Anderen in Form des Erzählers verkörpert. Er wird zur personifizierten Gestalt des Anderen, von dem Ricœur spricht; oder anders ausgedrückt zum reflexiven Objekt, an dem sich die Frage nach Würde und Selbstachtung stellt. Auf dieser Ebene zu scheitern, sprich sich zu entfremden, heißt sich zu degradieren, lächerlich zu machen, sich zu vernichten – genauso wie es Roderick im Angesicht des über die Jahre entfremdeten Freundes erfährt. Die Person des Erzählers ist der Erzählung als objektivierte Gestalt synonym, die Gefühle der Würde und Selbstachtung zum Gegenstand der Kontemplation macht.

23 Ricœur (1965/1974), S. 521.

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VOM ÄUßEREN ZUM INNEREN GROTESKBEGRIFF Der Exkurs verdeutlicht, wie affektive und libidinöse Affektbeziehungen über vorhandene Sinnstrukturen entstehen, welche die phänomenale Realität übersteigen und doch in ihr verankert bleiben. Es entwickeln sich ›neue‹ Beziehungen, die einen textuellen Charakter besitzen, der sich allerdings nicht als transparent darstellt. Die zugrundeliegenden Sinndimensionen sind intuitiv zugänglich und bedürfen doch der Interpretation, da sie sich transparenter Systematisierung und Kategorisierung entziehen. Interpretation trifft auf gelebte Realitäten, deren textueller Charakter sich verborgen und verworren darstellt. Diese Realitäten und die sie bestimmenden Konflikte zu verstehen, bedeutet, sich diesen labyrinthischen Sinnstrukturen hinzugeben. Indem das Groteske die Konflikte gelebter Realitäten (aporetische Wirklichkeitserfahrung) übersteigert, hebt es diesen Zusammenhang von Verstehen-Wollen und Nicht-Verstehen-Können hervor. Anknüpfpunkt sind affektive sowie libidinöse Beziehungen, die den Bogen zwischen Realität und grotesker Gegenweltlichkeit fortspannen und umspannen. Die kategoriale Unzugänglichkeit, den dieser Zusammenhang mit sich bringt, macht es notwendig, interpretative Wege von ›Innen‹ (Naivität, Intuition) und nicht von ›Außen‹ zu finden. Wie Gilles Deleuze zu denken gibt: »Also wird die Philosophie entweder dieses Mittel wählen und sich dieses Ziel setzen (Wesensdifferenz, um zur inneren Differenz zu gelangen), oder sie wird zu den Dingen nur eine negative oder generische Beziehung haben und im Element der Kritik oder Allgemeinheit landen, jedenfalls in einem Zustand der rein äußerlichen Reflexion.«24 [Hervorhebung M. Sera]

Deleuze erläutert in diesem Kontext den unschätzbaren Wert, den er im Denken Bergsons für die Disziplin der Philosophie sieht, nämlich anstelle einer äußeren Differenz zu einer inneren Differenz zu gelangen. Er schreibt: »Die innere Differenz muss sich vom Widerspruch, von der Andersheit, von der Negation unterscheiden. Genau hier werden Bergsons Methode und Theorie der Differenz jener anderen Theorie der Differenz, der Dialektik, entgegentreten, sowohl Platons Dialektik der Andersheit wie Hegels Dialektik des Widerspruchs, die beide das Vorhandensein und die Macht des Negativen implizieren.«25

24 Deleuze (2003), S.45. 25 Deleuze (2003), S.54.

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Im Moment äußerer Differenz zu verharren, führt zu einer Beschreibung und Erklärung des Grotesken in generischen oder negativen Begriffen. Die Entwicklung eines Groteskseins ausschließlich aus seiner Geschichte heraus oder in Abgrenzung zum Medialen bzw. verwandter Tropen bleibt notwendig äußerlich. Es bedeutet, dem Moment der Kritik und Allgemeinheit verpflichtet zu bleiben, anstelle sich einem spezifischen Grotesksein zu zuwenden. Letzteres bedarf der Verkehrung einer Außen- zu einer Innenansicht, was in sich bereits ein groteskes Motiv darstellt (Verkehrung). Deleuzes weitere Ausführungen, die sich direkt an die Zeilen des ersten Zitats anschließen, unterstützen dieses Sichtweise: »Indem Bergson den ersten Standpunkt einnimmt, benennt er das Ideal der Philosophie: Sie schneidet ›für den Gegenstand einen Begriff zurecht, der nur diesem allein angemessen ist, ein Begriff, von dem man kaum noch sagen kann, dass es ein Begriff ist, weil er nur noch auf eine einzige Sache anwendbar ist‹.26 Diese Einheit von Sache und Begriff ist die innere Differenz, zu der man durch die Wesensdifferenz aufsteigt.«27

Das Vorhaben, einen Begriff derart ›zurechtzuschneiden‹, dass er mit der Sache zusammenfällt, scheint eine Antwort oder Lösung in Bezug auf das Problem anzutragen. Ein ›allgemeiner‹ Begriff von Grotesksein bringt in der spezifischen Analyse eines Werkes nicht weiter, da er ihm eben notwendig äußerlich bleibt. Daran schließt sich unmittelbar die nächste Frage an: Wo (er-)findet sich diese andere, neue Innerlichkeit? Welcher andere, analytische Zugang wird gewährt, als jener der textinternen Textur/Struktur? Die Sinnstrukturen, auf die groteske Phänomene sich beziehen, sind textuell, sie entziehen sich allerdings einer erschöpfenden Strukturierung. Heterogenität Um den Übergang von einem äußerlich zu einem innerlich angewendeten Begriff zu verstehen, soll im Folgenden auf die wissenschaftliche Literatur zum Thema näher eingegangen werden. Der Anspruch einer zu verallgemeinernden Beschreibung des Phänomens und die Unmöglichkeit zu einer solchen zu gelangen, stellt sich als unverkennbares Problem dar, wie bereits hervorgehoben wurde. Carl Pietzcker legt unmissverständlich dar: »Seit Wolfgang Kaysers umsichtig abwägende Untersuchung das Groteske wieder in das wissenschaftliche Gespräch brachte, wurde der Begriff in verschiedenen Arbeiten zumeist 26 Bergson, S. 198, zitiert nach Deleuze (2003). 27 Deleuze (2003), S.45.

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in recht unterschiedlicher Bedeutung verwandt. Er umfasst inzwischen das Manierierte, das Derb-Komische, das Burleske, das Phantastische, das Makabre, das Monströse, das GrauenErregende, das Absurde, das Surrealistische, das romantisch Exzentrische und die produzierte Deformation des Menschlichen. Wissenschaftlichen Ansprüchen kann er in solcher Bedeutungsvielfalt kaum genügen.«28

Offenbar setzen groteske Phänomene Anreize in viele unterschiedliche Richtungen. Dem muss ein Problem der Perspektivität innewohnen: Die Perspektivität einer Epoche, eines Zeitgeistes, eines Werkes, eines Kritikers, eines Autors, eines Künstlers oder einer ganz allgemeinen, alltäglichen Situation des Hier und Jetzt. Singularität und Pluralität verbinden sich im Grotesken unzulässig miteinander. Die Frage stellt sich, was dies für das Problem der Werkanalyse bedeutet. Was geht einher mit dem proliferierenden, grenzüberschreitenden Aspekt des Grotesken in Bezug auf das Grotesksein eines bestimmten Werkes? Groteske als ›Parakategorie‹ Eine mögliche Antwort auf diese Fragen ist die Auslegung des Grotesken als übergreifende ›Parakategorie‹. Diese Sichtweise hebt den Aspekt des Proliferierenden, Grenzüberschreitenden hervor und kommt vor allem in der jüngeren Literatur zum Tragen. Dorothea Scholl verwendet ihn explizit in der Einleitung zu ihrer Studie zum Stellenwert des Grotesken in der Renaissance. Sie schreibt hierzu: »Das Groteske kann als eine (wie auch immer bewertete oder zu bewertende) konstante ästhetische Kategorie angesehen werden, deren Verhältnis zur dominanten Ästhetik einer Epoche oder zu unterschiedlichen ästhetischen Konstellationen innerhalb einer Epoche mal oppositionell (wie im Paradigma klassischer oder klassizistischer Ästhetiken), mal affirmativ (wie im Paradigma romantischer oder modernistischer Ästhetiken), sein kann. In den traditionellen Ästhetiken erscheint das Groteske aber entweder nicht als eigenständige Kategorie, oder es wird unter die Ästhetik des Hässlichen oder unter die Kategorien des Komischen und des Humors subsumiert. Das Groteske ist jedoch – wie auch das Erhabene – eine bedeutsame Konstante und ein wichtiges Bindeglied in der Abfolge verschiedener Ästhetiken. Deshalb ist es sinnvoll, das Groteske als ein transhistorisches Konzept zu betrachten, das jedoch sowohl epochenspezifisch als auch gattungs- und autorenspezifisch variieren kann. […] In Anbetracht der in jeder Epoche mal mehr und mal weniger anzutreffenden Präsenz des Grotesken halte ich es für angebracht, vom Grotesken als einer Para-Ästhetik zu sprechen. Wie in einer linea serpentinata begleitet, umspielt und konterkariert das Groteske in der bildenden Kunst wie 28 Pietzcker, S. 85.

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auch in der Literatur den Wechsel und die Aufeinanderfolge verschiedener Ästhetiken und Ausdrucksformen und sichert Kontinuität beispielsweise zwischen der römischen Spätantike und dem Mittelalter oder zwischen dem Mittelalter und der Renaissance.«29

Mit dieser Sicht auf das Groteske als Bindeglied, welches in erster Linie Verbindungen schafft, macht Scholl dem Phänomen das größtmögliche Zugeständnis: Es appelliert an das Moment der Beweglichkeit, der Veränderlichkeit, der Lebendigkeit und der Dynamik: »Durch Selektion, Kombination, Integration und Innovation werden die Formen [des Grotesken] immer wieder neu variiert und aktualisiert, nicht nur im Hinblick auf sich verändernde historische Gegebenheiten, auch innerhalb der eigenen Tradition, so dass es, wie bereits erwähnt, verschiedene epochen-, gattungs- und autorenspezifische Ausprägungen des Grotesken gibt.«30

Der Ansatz der Lösung liegt darin, wie im Folgenden herausgearbeitet werden soll, dieses Zugeständnis an die Lebendigkeit und Beweglichkeit als ›Bindeglied‹ zwischen Epochen, Kategorien, Diskursen und Künsten auszudehnen; sich die Spannung dieser Idee vom Grotesken als umspielende, umwertende ›Gelenkstelle‹ künstlerischen Ausdrucks zunutze zu machen. Man darf sich jedoch nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass das eigentliche Paradox in der Sache bestehen bleibt; nämlich die Spannung zwischen Singulärem und Dehnbarem/Übergreifendem; eine Spannung, die Widersprüche und Kontroversen schafft, indem sie die grotesken Gestalten und Gestaltungen konkret belebt und beseelt. In dieser labyrinthischen Verworrenheit sieht man sich beständig auf den erfahrbaren, dehnbaren Horizont des Phänomenalen zurückgeworfen – groteske Motive, phantastische Gestalten, Chimären, deformierte Körper, vermischte Realitäten – und gleichzeitig seltsam deplatziert zwischen den auseinanderstrebenden Ansprüchen, die Werkanalyse und die verallgemeinernde Analyse an das Phänomen stellen. Während die Werkanalyse dazu tendiert, Grotesksein mit einer Weltsicht oder einer Philosophie zu identifizieren, die einem Werk oder Autor ursprünglich scheint, versucht die begriffliche Analyse sich von diesem einen Blickwinkel vorneweg zu lösen und dem Phänomen werkübergreifende Konturen zu verleihen. Doch weder der eine noch der andere Ansatz wird dem unsagbaren Dritten gerecht.

29 Scholl, S.17f. 30 Scholl, S.18.

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Relativierender Ansatz Entsprechend scheint es – für sich genommen – wenig Abhilfe zu schaffen, Grotesksein in einem amorphen Feld von ›Möglichkeitsrelationen‹ aufzulösen, welches sich begrenzt, ausgetestet und ausgelotet sieht in einem Pool vorbeiziehender Begrifflichkeiten und Konzeptualisierungen. Peter Fuß Studie Das Groteske: Ein Medium des kulturellen Wandels widmet sich diesem Aspekt.31 Fuß argumentiert gegen die Versuche der Groteskforschung, das Phänomen entweder mit Elementen des Satirischen oder Absurden, Phantastischen oder Komischen, Unheimlichen oder Realistischen zu identifizieren, da diese Ansatzweise der Identitätslogik verhaftet ist und dem Phänomen nicht gerecht werden kann. Vielmehr stellt das Groteske, seiner Überzeugung nach, eine ambivalente, chimärische Kategorie dar, die eine amorphe Verdichtung sich überlagernder Schnittmengen ohne feste Kontur und damit sämtliche ihr zugesprochenen Elemente vereint, auch wenn diese in Widerspruch zueinander stehen. Im Sowohl-Als-Auch und im Weder-Noch der grotesken Chimäre liquidiert sich der Anspruch der Widerspruchsfreiheit, der tief im Prinzip der (Identitäts-)Logik wurzelt. Von ihrem Wesen her kollabieren in ihr artbildende Unterschiede. Auch Scholl vertritt diese Ansicht, wenn sie in Bezug auf die Gegensätzlichkeit der Positionen Wolfgang Kaysers und Michael Bachtins schreibt: »Beide Theoretiker engen durch ihre Definitionen das Groteske ein. Das Groteske kann Ausdruck von Entfremdung sein, ebenso wie es Ausdruck eines karnevalesken Weltgefühls sein kann.«32 Dieser relativierende Ansatz, der Möglichkeiten herausfordert und offenhält, ist eine notwendige und wichtige Voraussetzung für die Konzeptualisierung des Phänomens als paraästhetische, bewegliche Kategorie, wie sie auch in der Argumentationsweise von Fuß zu finden ist. Fuß versäumt nicht zu unterstreichen, dass groteske Gestaltungen vor allem in Zeiten des kulturellen Umbruchs, wie der Renaissance, der Romantik und der Moderne florieren; und verwurzelt das kreative, umcodierende Potenzial einer kulturellen Konstante, die das Groteske für ihn darstellt, fest in diesem Zusammenhang. Dennoch erhärtet sich der Verdacht – und diesem Impuls soll hier gefolgt werden – dass dem relativierenden Aspekt etwas hinzugefügt oder entgegengehalten werden muss, insbesondere, wenn man auf werkspezifische Ausprägungen schaut. Die Werkanalyse verlangt eine veränderte Sicht auf das Phänomen, wobei es wichtig wird, dem reduzierenden, verallgemeinernden Moment entgegenzuarbeiten. Wie Geoffrey Galt Harpham es in seiner Studie On the Grotesque: Strategies of contradiction in art and literature zu denken gibt:

31 Fuß 2001. 32 Scholl, S.28.

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»No definition of the grotesque can depend solely upon formal properties, for the elements of understanding and perception, and the factors of prejudice, assumptions, and expectations play such a crucial role in creating the sense of the grotesque. […] The perception of the grotesque is never a fixed or stable thing, but always a process, a progression.«33

Immunität Die Immunität, die das Groteske als kreativer Mechanismus, aber auch als Lesestrategie schafft, lässt sich nicht entkoppeln vom Moment des konkreten Ausdrucks/Abdrucks bzw. der konkreten Interpretation. Das Phänomen des Grotesken distanziert, wodurch das Verlangen entsteht, es als ästhetischen Begriff oder Struktur theoretisch zu fassen. Man möchte sein Wesen verstehen. Intuitiv scheint es nah und greifbar. Es bringt zusammen, was nicht zusammengehört. Es deformiert und diffamiert Ordnungen; soziale, ästhetische, menschliche. So schreibt Frances Barasch in ihrer Studie zu begrifflichen Verschiebungen und Transpositionen des Groteskbegriffs in der englischsprachigen Literatur und Kritik: »[N]ew perceptions and conceptions of the grotesque occurred with every new generation of artists and critics; each created its own grotesque art, understood the past in its own way, and invested the word with its own meaning.«34 Barasch macht hier deutlich, wie die Bedeutung des Begriffs sich unaufhörlich und unveränderlich an das Moment seiner konkreten Verwendung anpasst. Dem strukturellen, strategischen Aspekt gesellt sich das Moment des Intentionalen, des Gewollten, des Motivischen hinzu, worin sich sowohl die unauflösliche Bindung an das Phänomenale, als auch an die übertragene Figur des Autors begründet. Denn das vermeintlich Intuitive, Beständige, Wiederkehrende verliert sich zwischen einer Überfülle an Figuren und Motiven, die Interpretation herausfordern. Jede Ausformung, jede Ausformulierung provoziert und projiziert eigene Gesetze, definiert Grotesksein neu; entwirft neues Potenzial und Möglichkeiten; arbeitet gegen Stereotypen und Verallgemeinerung. Spannung entsteht zwischen Struktur und Erneuerung, zwischen Kontur vermittelndem Vorverständnis und dem Ungesehenen, Unsäglichen, welches das Grotesksein in Bezug auf ein bestimmtes Werk ausmacht. Sowohl die zitierten Zeilen von Barasch als auch das eingehende Zitat von Pietzcker zur begrifflichen Fülle des Grotesken legen die grundlegende Eigenschaft von Widerspenstigkeit und Immunität nahe. Die Studien von Pietzcker und Barasch messen dieser Wesenseigenschaft einen entgegengesetzten Wert zu. Für Pietzcker stellt sie einen Hinderungsgrund dar; ein Übel, dem beizukommen ist. 33 Harpham, S.14. 34 Barasch, S.152.

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Für Barasch hingegen öffnet sie eine zusätzliche Dimension; eine Art Urdimension, die sich dem Kunstwerk hinzufügt und dem direkten Zugriff oder Zugang verwehrt. Diese ›zusätzliche Dimension‹ bindet sich, entsprechend dem von Barasch verfolgten generischem Ansatz, an die Vorstellungskraft des Künstlers und Kritikers. Aus ihr heraus mündet sie ins Phänomenale, wo sie sich verräumlicht, Ausdruck gewinnt und auf gleichem Weg sich so dem kritisch wachsamen Auge – wohlgemerkt indirekt – offenbart. Sie schreibt: »It would seem then that artists and writers of any era, given the freedom or license to express their caprice, invariably produced forms, which in respect to the conventional ideas of their worlds, were irrational and grotesque. Such traditional and modern forms, viewed objectively, would be understood in their relationship to each other, for the artists of different ages, instinctively or consciously, expressed in fantasies of mixed humor and fear, the common perception that the total human experience is beyond logical ordering. A definition of the word ›grotesque‹ designating such uncanny phenomena would not help us to control them, but it would give us the means of identifying and understanding the complex disorder of experience and art.«35

Es wird deutlich, wozu diese Zeilen dienen. Sie stellen den Versuch einer Definition dar, indem sie die Allgemeinheit menschlicher Erfahrung, die paradoxe Erfahrung von Passivität gegenüber einem zugleich sich permanent Entziehenden und Gegenwärtigen und ein thematisch/strukturell ›Wiederkehrendes‹ grotesker Vorstellung zusammenbringen. Mit anderen Worten, in der grotesken Vorstellung verräumlicht/objektiviert sich ein als allgemeingültig verstandener Grundtonus von Passivität und Immunität; stellt sich der Erfahrung, aber auch dem kritischen Bewusstsein.

UMWEGIGKEIT SINNGEBENDER STRUKTUREN Die Erfahrung von Immunität und Passivität zeichnet das Phänomen als Rhetorik aus. Als sinnhafte Figuration, als Bildsprache, als Motivik verweist die groteske Form immer auch auf die unumgängliche Sprachlichkeit menschlicher Erfahrung, über deren vermittelnden Umweg sich die vorsprachliche Existenz lediglich erahnen lässt: »Die Sprache ist stets schon zwischen uns und die Welt und damit zwischen uns und uns selbst getreten, denn ihre symbolische Funktion bedeutet, dass

35 Barasch, S.164.

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eine sinnhafte Beziehung an die Stelle der natürlichen Integration ins Sein tritt.«36 Das Thema der Indirektheit oder Umwegigkeit, welches die Abhängigkeit des vermeintlich primären, sich selbst setzenden Subjekts von einem ›Anderen‹, ›Fremden‹ inszeniert, investiert den literaturkritischen Diskurs um das Phänomen sprachlicher Tropen mit Hintergründigkeit, welche kontinuierlich mitschwingt. Dieses ›Schwingen‹ bindet sich vor allem an den Begriff der Wahrheit. Wahrheitsbezug des Grotesken Die Verbindung zu einer verborgenen Wahrheit taucht beharrlich in der Literatur zum Phänomen des Grotesken auf. So ist zum Beispiel bei André Chastel zu lesen: »Ich bin überzeugt, dass man […] unterschwellig sehr viel über die Modalitäten, die Konstanten und die Unbeständigkeit unserer Kultur erfährt, wenn es sich auch um eine ambivalente und verschwommene ›Kategorie‹ [die Kategorie des Grotesken] handelt, die kein Gegenstück in der gewöhnlichen Gruppierung der Gattungen besitzt und ihrer Definition nach schon zwischen einem dekorativen Vergnügen, einer Darstellung des Unwirklichen und reiner Unterhaltung schwankt.«37

Laut Chastel bezieht sich demnach dieser ›Wahrheitsgehalt‹ grotesker Formationen auf ein vertieftes, umwegiges, indirektes Verständnis kultureller Strukturen. Der Wahrheitsanspruch kann genauso auf Archetypen unseres Bewusstseins zielen, die dieses vermeintlich Fremde/Andere ins ›Innere‹ des Ichs verlegen, wie es etwa bei Michael Meyer zum Ausdruck kommt: »It cannot be denied that grotesque characters and plots provoke endless questions and spur insatiable interpretive activity from the world around them. And although the world seeks to confine the inexplicable events and persons within familiar categories, it must also confess that such creations refuse to be encircled by any organising principle of unity and comprehensibility. Instead, according to Laura Quinney, they represent ›shadowy remnants of consciousness, wavering presences that become uncanny because their residualised subjectivity appears as otherness.‹ Quinney further suggest that the grotesque has the uncanny ability to become either an external projection of the internal split between the consciousness and its other or as a representation of an excess consciousness which cannot be absorbed by the rational categorising ego.«38

36 Mattern, S.72. 37 Chastel, S.12. 38 Michael J. Meyer, S.II.

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Oder diese groteske Verbindlichkeit gegenüber dem Archetypischen wird mehr in Richtung des Mythischen und Volkstümlichen verortet, wie es die folgenden Zeilen von Robert Petsch darlegen: »Alles in allem bedeutet das Groteske nicht nur eine lächerliche Übertreibung des Wirklichen und nicht bloß das Hervortreten innerer Dissonanzen, sondern die sinnbildliche Verwertung des Übertriebenen mit der Richtung auf tiefere, hintergründige Werte und vor allem auf eine Welt von weiteren Spannungen und größeren Tiefen, als sie der Alltag uns darbietet. Was dem einfachen Menschen seine Mythen, Sagen und Märchen boten, das muss sich der ›Gebildete‹ von heute erst durch die Zertrümmerung seiner wohlgefügten und geordneten Welt, durch die Aufdeckung ihrer Lügen und ihres trügenden Scheins und durch die Erinnerung an ihre Urgewalten erobern, die draußen und drinnen walten und die immer wieder ein Leben aus den Quellen ermöglichen. Diesen Dienst aber leistet uns vor allem die groteske Dichtung.«39

Die Unterschiedlichkeit der Positionen dieser drei Beispiele bekräftigt, dass dem Grotesken offenbar nicht nur ein vielschichtiger und schillernder Ausdruckswert zukommt, der auf semantischer Ebene operiert und Gestaltungsformen ineinander changieren lässt, sondern darüber hinaus sich Wahrheitsansprüche gegenüber kulturellen Strukturen und Wertigkeiten herstellen, wobei das Eine in das Andere greift. Es obliegt dem grotesken Zerrbild vor diesem Hintergrund, auf der Verfahrensebene Wahrheiten zu reflektieren (Ausdruckswert/Wahrheitsanspruch); oder vielmehr den Zuschauern/Lesern/Betrachtern verbleibt es, das Moment der Reflexion/Reflexivität als eine Verhüllung und Enthüllung von Wahrheit zu erkennen. Diese Wahrheit relativiert. Sie negiert und parodiert kulturelle Grenzziehungen und setzt darin kreatives Potenzial frei. In diesem Punkt treffen sich das Groteske und »das Manierierte, Derb-Komische, Burleske, Phantastische, Makabre, Monströse, Grauenerregende, Absurde, Surrealistische, romantisch Exzentrische und die produzierte Deformation des Menschlichen«. In der Tat darf man glauben, dass der Diskurs um das Groteske nachhaltig geprägt ist von dieser unterschwellig schwingenden Hintergründigkeit des Phänomens. Anstatt sich rational fassbar klar zu formulieren, äußert die Essenzialität sich mehr als kritisches Bewusstsein gegenüber Gegensätzlichkeiten und die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit diesen; ein Wissen um die Aporien menschlicher Existenz.

39 Petsch, S.38f.

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Anfänge des Groteskbegriffs Verfolgt zu den Anfängen des Groteskbegriffs, findet derselbe sich auf das italienische Wort ›la grottesca‹ zurückgeführt; ein Begriff, der dazu diente, ornamentale Wandmalereien aus der Antike zu bezeichnen, die Ende des 15. Jahrhunderts bei Ausgrabungen in Italien entdeckt worden sind.40 Zunächst denotierte der Begriff also eine Form der Malerei, welche sich rasch in Europa in der Wandmalerei, Tapisserie und in der Graphik verbreitete und damit einen festen Bestandteil der Kunst der Renaissance bildete. In diesen Grotesken verbanden sich, gehalten durch schwerelose, linear wiederkehrende Strukturen, pflanzliche, tierische und menschliche Formen zu fremdartigen Wesen und Welten »gemäß den anmutigen oder verquälten Bewegungen des Ornaments«41. Umso beliebter diese Art der Gestaltung sich jedoch unter Künstlern ausnahm, umso feindseliger standen Kritiker und Theoretiker ihr gegenüber, eben aufgrund der seltsam referenzlos wirkenden ›Versch(r)obenheit‹, die ihr zu eigen ist. Mitte des 16. Jahrhunderts brach ein regelrechter Streit um das »namenlose Ornament«42 aus. Während Künstler sich europaweit im Ersinnen grotesker Drolerien geradezu überschlugen, standen die Kritiker empört und ratlos der Frage gegenüber, wie eine derart ›sinnlose‹, ›ungestalte‹, allen Regeln des mimetischen Kunstideals des Schönen und Maßvollen widerstrebende Gestaltungsform sich solch enormer Beliebtheit erfreuen konnte; mit anderen Worten, wie eine Gestaltungsform, die sich geistiger Bezugnahme und Einflussnahme entzieht, mit solcher Macht in die Kunstwelt eindringen konnte. Erich Kleinschmidt bringt dies folgendermaßen auf den Punkt: »Die ornamentalen Gestaltungen, die pflanzliche und menschlich-mythologische Elemente in der Fläche mischten, brachten Verwirrung in die Kunstlehre der mimetischen Bilder. Ein Nichtort, eine Leerstelle der malerischen Ordnungswelt traten ins Licht der diskursiven Präsenz, um dort kreativ gefüllt zu werden.«43

Scheinbar verwirrt die Groteske den kritischen Verstand, während sie die Leidenschaft der Sinne anregt. In einem Gespräch, welches Franzisco de Olanda um 1540 aufzeichnete, verteidigt Michelangelo die kapriziöse Launenhaftigkeit des Grotesken gegenüber dem mimetischen Anspruch an die Kunst. Zunächst kommt Zapata, der Spanier zu Wort: 40 Diese etymologische Herleitung findet sich in jeder Studie, die sich dem Phänomen zuwendet. Vgl. insbesondere Chastel und Scholl. 41 Chastel, S.32. 42 Chastel, S.15. 43 Kleinschmidt, S.185.

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»Pray, Signor Michael, said Zapata the Spaniard, explain a doubt of mine about the art of painting: Why is it that artists sometimes, as we see in many parts of this city, paint a thousand monsters and animals, some of them with a woman’s face and the lower parts and tail of a fish, other with arms of tigers and with wings, or with a man’s face, anything in fact that delights the painter’s fancy has never existed. I shall be glad, said Michael, to tell you why it is the custom to paint things that have never existed and how reasonable is this license and how it accords with the truth […]. But if, in order to observe what is proper to a time and place, he exchanges the parts or limbs (as in grotesque work which would otherwise be very false and insipid) and converts a griffin or a deer downwards into a dolphin or upward into any shape he may choose, putting wings in place of arms, and cutting away the arms if wings are more suitable, this converted limb, of lion or horse or bird, will be most perfect according to its nature; and this may seem false but can really only be called ingenious or monstrous. And sometimes it is more in accordance with reason to paint a monstrosity (to vary and relax the senses and the object presented to men’s eyes, since sometimes they desire to see what they have never seen and think cannot exist) rather than the ordinary figure, admirable though it be, of man or animals.«44

Michelangelos Worte legen dar, wo das Gefallen am Grotesken entspringt: Dem Gefallen am Unmöglichen, am Seltsamen. Wenn sich Mensch- und Tierleiber entlang kunstvoll geschwungener Pflanzenranken ineinander drehen und damit die Ränder ausfüllen und schmücken, spricht daraus die grenzwertige, grenzüberschreitende Lust, die dem Grotesken zu eigen ist. Im Grotesken überträgt sich das Reale auf das Fiktive und vice versa. Sinnstiftende, kategoriale Ordnungen werden auf den Kopf gestellt und durcheinander gebracht. So entsteht der Eindruck des Seltsamen, einer entstellten Realität, die vor allem auch Švankmajers Filme prägen. Kontinuierlich lassen Švankmajers Filme Übertragungen zwischen Realität und Fiktion, unterschiedlichen künstlerischen Medien, Empfindungen, Affekten, ästhetischen Kategorien, Gattungen und Genres etc. stattfinden. Das mediale Gefüge Švankmajers Filme sprengt diskursive Sinngefüge. Darin zeichnet sich sein Werk grotesk. Der Katalog der divergierenden und sich doch zusammenfügenden Begrifflichkeiten, die Pietzcker unter die Kategorie des Grotesken subsumiert (das Manierierte, das Derb-Komische, das Burleske, das Phantastische, das Makabre, das Monströse, das Grauenerregende, das Absurde, das Surrealistische, das romantisch Exzentrische und die produzierte Deformation des Menschlichen), liest sich wie auf die Filme zugeschnitten. Es mischen sich manieristische und surrealistische Tendenzen, was nach der eigenen Aussage des Filmemachers auf die enge Verflechtung seines Werkes mit dem reichen, kulturellen Erbe seiner Heimatstadt Prag zurückgeht. Prag war sowohl zur 44 de Hollanda, S. 108f.

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Zeit der Blüte des Manierismus (Rudolf II.) als auch des Surrealismus (Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert) ein Zentrum künstlerischer und intellektueller Innovativität und Kreativität. In ›Jan Švankmajer: A Mannerist Surrealist‹ widmet sich Michael O’Pray ausführlich der Frage, wie diese beiden Kunststile in Švankmajers Werk zusammengehen. Der These, dass es zwei ›Phasen‹ in Švankmajers Schaffen gibt, eine frühe ›manieristische‹ und eine späte ›surreale‹, hält O’Pray entgegen: »Cursory attention to the films might suggest that it resides in the films’ themes. For example the Surrealist films seem to offer a more social and political message than the playful hermetic Mannerist films. I believe that is much too simple; not only do Švankmajer’s films exemplify a shading of Mannerism into Surrealism, and vice versa, but also their formal aspects are as telling as their themes.«45

Formale Aspekte changieren in Thematische und Thematische in Formale; oder anders ausgedrückt, das Formale wird zum Thematischen, zum Quasiinhalt. Verfremdende antimimetische Strategien, die das Manieristische wie das Surrealistische, aber auch das ›romantisch Exzentrische‹ – um in Pietzckers Terminologie zu bleiben – auf sich vereinen, versammeln sich, drängen sich in den Vordergrund, verdrehen und zerstückeln den medialen sowie den referenziellen Grund und werden darin zum Thema, welches eine Aussage trifft – eine Aussage, die sich in Effekten ausdrückt – makaber, grauenhaft, grotesk etc. Die Aussage ist also keine Aussage im direkten, eigentlichen Sinne. Sie verweist, ohne eigentlichen Inhalt, zurück auf die Bewegungen und Operationen, die sich medial/referenziell abspielen. Die Attitüde, die darin inszeniert wird, bestimmt die Wirkung, welche zudem und obendrein kulturell signifikant erscheint; auch wenn es sich um eine rätselhafte, undurchdringliche Signifikanz handelt, da sie lediglich als ›uneigentlicher Sinn‹ mitschwingt.

VOM SCHEMA ÜBER DEN ABDRUCK ZUM EINDRUCK Die bisherigen Erläuterungen legen nahe, dass der kategoriale Widerspruch zwischen Eigentlichem und Uneigentlichem zum einen die Dimension des Schematischen sowie die phänomenale Spannung zwischen Zeichen und Ding einbringt, welche das von Grund auf problematische Wesen des Bedeutens, der Semiotizität, in den Raum stellen. Hinzu kommt das Wirken eines ›dritten Elements‹. Den

45 O’Pray (1995), S.51.

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Problemen, die sich dem Verstehen im Schema und Abdruck stellen, gesellt sich auf der Ebene des Kritischen/Künstlerischen, das des Eindrucks hinzu. Die Dimension des Eindrucks bewirkt, dass die Immunität, Widerständigkeit oder Passivität, die sich dem verstehenden Subjekt in den sprachlichen Tropen als Abhängigkeit von einem von ihm nicht zu verstehenden und doch kontinuierlich präsenten, dehnbaren Hintergrund offenbart, dass diese Abhängigkeit von einem ›dritten‹ Anderen in Form des grübelnden, entwerfenden, interpretierenden Subjekts bezeugt wird. In Erklärung zu diesem ›dritten‹ Anderen schreibt Ricœur, der sich in seinem Werk intensiv mit dieser zusätzlichen Dimensionalität auseinandersetzt: »[D]ie Abhängigkeit des Cogito vom Gesetzsein des Wunsches wird nicht direkt anhand der unmittelbaren Erfahrung begriffen, sondern von einem anderen Bewusstsein interpretiert, anhand von scheinbar sinnlosen, dem Gesprächspartner dargebotenen Zeichen; es ist keine empfundene Abhängigkeit, sondern eine mittels der Träume, Phantasien, Mythen erschlossene, interpretierte Abhängigkeit, die in gewisser Weise die mittelbare Rede dieser stummen Finsternis bilden. Das Wurzeln der Reflexion im Leben kann im reflexiven Bewusstsein nur als hermeneutische Wahrheit verstanden werden.«46

(Re-)iteriert und (re-)inszeniert das Groteske also auf unterschiedlichsten Ebenen Immunität und Widerspenstigkeit, dann ist es wichtig diese Ebenen nicht nur kategorisch zu unterteilen (soweit dies überhaupt möglich ist), sondern sie auch zueinander in Beziehung zu setzen. Die Ebenen des Schemas, Abdrucks und Eindrucks erscheinen nicht synchron (das heißt nebeneinander, hierarchisch gleichwertig zueinander angeordnet), sondern diachron (das heißt verschachtelt und in die Tiefe verzweigt); sie geben in die Tiefe nach. Moment der Dezentrierung Im Moment des Erzählerischen – so die These, die hier im Anschluss an den hermeneutisch-phänomenologischen Ansatz Ricœurs verfolgt werden soll – gelingt es das Verstehen eines bestimmten Groteskseins aus der Blockierung herauszulösen, die das Subjekt im Moment der Dezentrierung erfährt, das heißt in dem Moment, in dem sich die Welt der Objekte nicht mehr länger auf das Subjekt zentriert und ihm darin jeglichen Zugang zu seiner Zugehörigkeit zum Sein versagt. Dieser Positionierung, die unweigerlich als Unterschlagung, Abtrennung, Unmöglichkeit verstanden werden muss, steht die kurzfristige, belebende, berauschende Wieder-

46 Ricœur (1965/1974), S.468f.

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herstellung gegenüber, die zugleich auch die (fiktive) Wiederherstellung einer naiven, distanzlosen Integration ins Sein bedeutet. Der Versuch, diese Positionierung für den Moment zu suspendieren, ermöglicht scheinbar eine »schrittweisen Aufdeckung unserer vorreflexiven Integration ins Sein«, »die sich nicht von vorneherein mit dem Argument ihrer Abkünftigkeit von den epistemologischen Fragen verabschieden kann« und auf diesem Wege, dem Weg einer hermeneutischen Analyse, »die Manifestationen, die Spuren zu suchen, in denen sich unserer Zugehörigkeit offenbart.«47 Das zweite Moment der doppelten Distanzierung besteht darin, den Rausch des Erzählerischen nicht mit dem Wieder(er)finden einer verloren geglaubten, das heißt naiven Integration ins Sein zu verwechseln, sondern eben die Symbole, Embleme, Zeichen als Figuren zu erkennen, die in Verbindung miteinander und zueinander, indirekt und auf Umwegen, über diese vorgängige Zugehörigkeit erzählen (verborgene Sinnstrukturen). Die Vermutung einer verborgenen Essenzialität, die den Diskurs um das Groteske in die Sphäre des Unsagbaren drängt und sich eng an das diskursive Streben nach Unmittelbarkeit knüpft, bestätigt sich in diesem Sinne. In dieser Verknüpfung scheitert und manifestiert sich zugleich der künstlerische und kritische Wille zum Irrweg und Umweg. In ihm füllt und entleert sich der dehnbare Horizont; er füllt sich im Moment der Distanzierung (Appell an das kritische Bewusstsein) und entleert sich mit ebenso großer Kraft in dem Verlangen nach Distanzlosigkeit; der (Wieder-)Erschaffung von Naivität, Konkretheit und Direktheit. Dieses paradoxe Verlangen entzündet das fiebernde Sinnen; sowie es trauernd erstarren und in Sinnlosigkeit versinken lässt (Melancholie). Der Widerständigkeit des grotesken Motivs hängt dieses Paradox unnachahmlich an. Es führt ein Verhaftetsein, eine Zugehörigkeit zum Sein vor Augen, welche unserem Denken uneinholbar voraus liegt. Es erinnert an die Verwurzelung des Subjekts im Sein, aber anstelle der distanzlosen Verschmelzung mit der körperlichen, gestischen, materiellen Welt, zeichnet sich die Möglichkeit einer temporären Ablösung oder Herauslösung ab: An der Stelle, an der das Bewusstsein Distanz zum Sein gewinnt, um die Welt, die es umgibt, zu reflektieren; Abstand zur Realität des eigenen Körpers und der Realität der Dinge, um sich ein Urteil zu bilden. Worauf richtet sich diese erneuernde, erneute Möglichkeit? Zu erfahren bleibt sie im ›dritten‹ Anderen, im Zeichen und Artefakte ersinnenden, (er-)findenden Subjekt, vor allem jedoch als Ausdruck des dem Leben verhafteten, handelnden, leidenden Anderen. Bleibt der direkte, unmittelbare Einblick verwehrt, so wird diese Zugehörigkeit doch gelebt und erlebt (affektive und libidinöse Sinnstrukturen). Gefühle, Wünsche, Träume, Intentionen, Motivationen verwurzeln im ›Ver47 Mattern, S.68f.

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stehen‹ des vorgängigen Seins; und insbesondere Figuren, wie die des Grotesken, erinnern an diese Verankerung; eine leibliche, konkrete Verflechtung, die dem Rückfall in eine naive Integration zugleich widersteht und auf ihn zustrebt. Es scheint also aussichtsreich – so suggerieren es die bisherigen Beobachtungen – einer gestrichelten Gedankenlinie zu folgen, die den Bogen spannt vom Moment des Grübelnden, über zum Erzählenden, hin zum Handelnden und Leidenden. Doch darf der Aspekt der doppelten Dezentrierung an dieser Stelle nicht aus dem Blick geraten: Doppelt – zum einen – im Sinne des diskursiven, reflexiven Zweifels an dem sich selbstsetzenden, selbstgewissen Subjekt, dessen Inadäquation des Bewusstseins sich beharrlich entlarvt und dekonstruiert zeigt und – zum anderen – im Sinne der hermeneutischen Zuwendung zur Welt der Zeichen, Symbole und Artefakte. Diese doppelte Dezentrierung hebt die Umwegigkeit der Wirklichkeitserfahrung (und den darin implementierten Aspekt der Daseinsbewältigung) hervor und führt zu dem wichtigen Moment des Entlarvenden und Provokativen zurück. Das reduzierende und das utopische Moment Die Verquickung von gelebter Erfahrung und dem dezentrierenden Moment des Provokativen, Entlarvenden, Subversiven, welche die Verbindung zwischen Realismus und grotesker Gegenweltlichkeit schafft, bereitet Bachtin in seiner einflussreichen Studie zum Werk Francoise Rebelais auf. Einleitend diskutiert der Autor die karnevaleske Dezentrierung des Subjekts; wie es im Grotesken seiner subjektiven Verwurzelung in der existenziellen, gelebten Erfahrung eines ihm vorgängigen, leiblichen Seins Ausdruck verleiht; und dabei permanent eine Syntax miteinander kommunizierender Körperöffnungen und leiblicher Vorgänge in den Vordergrund stellt. Bachtin schreibt: »Die echte Groteske ist alles andere als statisch: Sie ist bestrebt, in ihren Motiven das Werden selbst, das Wachstum, die ewige Unabgeschlossenheit und Unfertigkeit des Lebens einzufangen. Daher stellt sie beide Pole zugleich dar – das Vergehende und das Neue, das Sterbende und unmittelbar vor seiner Geburt Stehende; sie zeigt zwei Körper in einem, die Knospung und die Teilung der lebendigen Zelle des Lebens. Auf dem Höhepunkt des grotesken und folkloristischen Realismus gibt es wie bei einzelligen Lebewesen im Tod keinen Leichnam […]. Hier geht das Alte schwanger, der Tod hat einen dicken Bauch, und alles Begrenzte, Typische, Erstarrte und Fertige wird in den kollektiven Unterleib geworfen zur Einschmelzung und Neugeburt.«48

48 Bachtin, S.103f.

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Das entlarvende Moment bestärkt die Position des Kritikers und Künstlers. Momente des Verdachts entzünden sich an gelebten Realitäten und verbünden sich in ihnen. In dem ›Sich-Verbünden‹ scheint es möglich und nötig, nicht alleine die destruktive, reduzierende Seite des entlarvenden Moments hervorzuheben, sondern ihr auch eine konvergierende, positive abzugewinnen. So scheint es, rückblickend, dass die (Er-)Findung des Grotesken (und mit ihr anderer Tropen, wie die Allegorie, Metapher, Melancholie, etc.) als semantische Geste diese zwar (re-)codierend in Kontakt mit ihrem kulturellen Umfeld setzt, sie (die groteske, allegorische etc. Geste) jedoch zugleich, in verräumlichende Modelle gebannt und perpetuiert, von den Strömungen, Tendenzen, Motiven, Intentionalitäten, in denen sich das eigentliche Leben abspielt (Raum/Zeit des Narrativen), abtrennt. Diese Abtrennung vom eigentlichen Leben (in der Abtrennung vom narrativen Moment) bewirkt, dass sich die kulturelle Referenzialität begünstigt in eine Richtung entfaltet (das zertrümmernde, negierende, parodierende, verdächtige Moment). Die Verkürzung und Funktionalisierung entwirft die groteske Wirkung, die aufhebelt und dekonstruiert. Das Problem, welches sich dieser Strategie jedoch stellt, ist ein mimetisches. Dahin weist die Problematik der Auslöschung des Referenten im Moment der selbstreferenziellen Geste. Das Moment des Entlarvens muss nicht zwangsläufig in die Richtung der Reduktion gehen. Es kann Verbündete schaffen. So zielt die hermeneutische Analyse auf die Aufdeckung und Bildung heimlicher Allianzen. In Bezug auf Nietzsche, Freud und Marx argumentiert Ricœur, zum Beispiel, dass diese drei Vordenker der westlichen Philosophie, trotz aller Unterschiede in ihren Methoden, Verbündete darstellen: »Die Genealogie der Moral im Nietzscheschen Sinne, die Theorie der Ideologie im Marxschen Sinne, die Theorie der Ideale und Illusionen im Freudschen Sinne stellen im Grunde drei konvergierende Verfahren der Entmystifizierung dar.«49 Und weiter heißt es: »Doch dies ist vielleicht noch nicht ihre größte Gemeinsamkeit; ihre unterirdische Verwandtschaft reicht weiter; alle drei beginnen mit dem Zweifel bezüglich der Illusion des Bewusstseins und fahren mit der List der Entschlüsselung fort; und schließlich trachten alle drei, weit entfernt, das ›Bewusstsein‹ zu verleumden, nach dessen Ausdehnung.«50

Der Begriff der Ausdehnung führt zurück zum Begriff der zusätzlichen Dimension, wie er zuvor in Bezug auf die Ausführungen von Barasch gefunden wurde; eine zusätzliche Dimension, welche das Groteske in seiner Widerspenstigkeit und Immunität dem Werk hinzufügt. Es stellt sich nun deutlicher dar, worin diese Dimension besteht, bzw. wie sie sich im Spezifischen, im zugeschnittenen Sinne be49 Ricœur (1965/1974), S.48. 50 Ricœur (1965/1974), S.48.

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schreiben lässt: Als Moment der Entlarvung, welches sich gelebten Realitäten zuwendet; als Raum der Ausdehnung, der sich Lebenswelten mimetisch zuneigt, anstatt sich reduzierend abzuwenden. Im Herausarbeiten des Unterschieds zwischen begrifflicher Ebene, bedeutender Konfiguration/Figur und einem spezifischen Grotesksein, wird deutlich, wo das Problem liegt. Es besteht darin, Verbindungen und Konvergenzen zwischen der Welt der Symbole und der phänomenalen Welt als gelebter, erfahrbarer Raum zu schaffen. Dem Grotesken kommt die Rolle eines Intermediären zu; nicht alleine im widerständigen, interferierenden Sinne, sondern zudem als Vermittelndes, welches in Richtung des Heterogenen und seiner Synthesis strebt. Hierin schöpft das Groteske innovative und subversive Energie – beide Momente gehören zusammen. Die Komplexität mimetischer Verbindungen entsteht dort, wo Sprache und Körper zueinander different sind und doch gemeinsam ›Realität‹ konstituieren: Die ›Realität‹ der Handlungen, logischen Attribute und Motivationen entspringen den unkörperlichen Idealitäten der Sätze, genauso wie den körperlichen Qualitäten und Wechselbeziehungen der Körper. Darin ähnelt die Position derjenigen, die die Figur des Humpty Dumpty in Lewis Carrolls Alice im Wunderland in Bezug auf das Moment der Unerschütterlichkeit bezieht. Deleuze erklärt diese Position in Logik des Sinns wie folgt: »Humpty Dumpty stellt die Unerschütterlichkeit der Ereignisse den Aktionen und Passionen der Körper gegenüber, die Unverzehrbarkeit des Sinns der Essbarkeit der Dinge, die Undurchdringlichkeit des flachen Unkörperlichen den Mischungen und wechselseitigen Durchdringungen der Substanzen, die Festigkeit der Oberfläche der Nachgiebigkeit der Tiefen, kurz den ›Stolz‹ der Verben der Bereitwilligkeit der Substantive und Adjektive. Und Unergründlichkeit meint auch die Grenze zwischen beidem – und dass derjenige, der auf der Grenze sitzt, genauso wie Humpty Dumpty auf seiner schmalen Mauer sitzt, beides zur Verfügung hat, ungerührter Herr der Artikulation ihrer Differenz (›Ich kann alles so benutzen, wie es mir gefällt‹).«51

Humpty Dumptys Auffassung des Moments der Unerschütterlichkeit gibt zu erkennen, was sich am Übergang zwischen Körper und Sprache, zwischen Leben und Denken, zwischen Bios und Logos ereignet: Es bilden sich Räume der Gegenplatzierung heraus, zwischen denen sich nicht nur unüberbrückbare Grenzen herausbilden, sondern sich auf der gleichen Basis Vermittlungen formieren; Vermittlungen im Imaginären. Diese spielen sich insbesondere auf dem Grund unserer Leidenschaften, Wünsche, Begehrlichkeiten ab; dahingehend öffnet sich – vor allem in der Funktion des Betrachters/Kritikers/Künstlers – das Groteske, indem es 51 Deleuze (1993), S. 45.

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etwas hinzufügt; eine intermediäre Dimension, Welt oder Kosmos. Es füllen sich die Räume der Gegenplatzierungen zwischen Körper und Sprache, zwischen Leben und Denken, mit ganz realen Dingen des alltäglichen Lebens und Erlebens; Konkurrenzverhältnisse werden zu Konvergenzverhältnissen und vice versa. Ricœur schreibt in dem Vorwort zu From text to action: Essays in Hermeneutics II: »To be sure, texts – mainly literary ones – are ensembles of signs that have more or less broken their ties to the things they are held to denote. But amid the things that are said there are people, acting and suffering; what is more, discourses are themselves actions, this is why the mimetic bond – in the most active sense of the term mimetic – between the act of saying (and of reading) and effective action is never completely severed. It is only made complex, more indirect by the break between signum and res.«52

Dieser methodische und gedankliche Vorschub, der sich entlang bereits erwähnter, gestrichelter Gedankenlinie vorarbeitet – vom Moment des Grübelnden, über zum Erzählenden, hin zum Handelnden und Leidenden – dieser Vorschub scheint vor allem notwendig, um der produktiven Seite des Phänomens fasslich zu werden; und zwar in der konkreten Realisation eines künstlerischen Schaffens und der kritischen Auseinandersetzung mit diesem. Sich dem Phänomen von dieser Seite zuzuwenden, heißt vor allem, sich dem Problem der Referenzialität zu stellen, sprich der Frage, wie sich Bezüge zur Realität des Lebens und Erlebens ergeben, anstatt das Phänomen von vorneherein dieser Referentialität zu entbinden, bzw. sie hinten anzustellen: »This is why suspending the reference can only be an intermediary moment between the preunderstanding of the world of action and the transfiguration of daily reality brought about by fiction itself. Indeed, the models of actions elaborated by narrative fiction are models for redescribing the practical field in accordance with the narrative typology resulting from the work of productive imagination. Because it is a world, the world of the text necessarily collides with the real world in order to ›remake‹ it, either by confirming it or denying it.«53

Das Aufheben oder Suspendieren der Referenzfunktion entbindet das Phänomen (und mit ihm das Werk) von entscheidenden Momenten seiner Produktivität, die über das (selbst-)referenziell Gestische hinausgehen. Diese Produktivität stellt den Bezug des Werkes zum Geist des Utopischen, Nach-Vorne-Gewandten, Progressiven, Zugewandten her, der jedem schöpferischen Akt anhaftet und innewohnt; 52 Ricœur (1991), S. XIV. 53 Ricœur (1991), S. 6.

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mindestens ebenso unerschütterlich und nachhaltig, wie der des Zerstörerischen. Sie ist es, die Ricœur mit dem Mimetischen gleichsetzt: Eine Produktivität, die sich konkret an Handlungsmomenten orientiert; schöpferischen Handlungsmomenten, die imitieren und transfigurieren in Richtung eines neuen, erneuernden Horizontes, der sich Realitäten zuneigt und sich von ihnen abwendet. Affektive Sinnstrukturen Švankmajers Filme sind geprägt durch Leidenschaften und Affekte, die Verbindungen zwischen grotesken Gegenwelten und Realitäten herstellen. Bereits in Švankmajers erstem Film The Last Trick of Mr. Schwarzwald and Mr. Edgar (1964) setzen die Antagonisten Herr Schwarzwald und Herr Edgar alles daran sich gegenseitig in der Zurschaustellung ihres magischen Geschickes zu übertrumpfen. Angestachelt von Leidenschaft und Ehrgeiz, reift der Konkurrenzkampf zu einem Kampf auf Leben und Tod, welcher von den beiden Antagonisten nur je einen Arm übriglässt. Während die Arme nach wie vor nicht voneinander lassen können, hebt die letzte Einstellung des Films das eigentlich Opfer hervor. Ein schwarzer Käfer, der zuvor über die bemalten und beklebten Innen- und Außenflächen der Pappmascheekörper der Magier inmitten der komplexen Mechanik ihres Innenlebens krabbelte, liegt nun tot auf seinem Rücken mit überkreuzten Beinen. Ähnlich getrieben von zerstörerischer Leidenschaft zeigen sich auch die Protagonisten anderer Filme, wie etwa die beiden Handpuppen aus Punch and Judy (1966), zwischen denen ein wütender Streit um den Besitz eines Meerschweinchens entsteht und die sich, angestachelt von Neid und Habgier, gleich mehrfach gegenseitig zu Tode bringen. Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel liefert Don Juan. Wut, Enttäuschung und verletzter Stolz veranlassen Švankmajers Don Juan, einen blutigen Rachefeldzug anzutreten, der seinen eigenen Vater, den Vater seiner Braut, und seinen Bruder tötet. Auslöser dafür ist das heimliche Liebesversprechen zwischen seiner Verlobten Doña Maria und seinem Bruder Don Felipe. Am Ende des Films fährt Don Juan, wie zu erwarten, für seine Gräueltaten in die Hölle. Außerdem bieten sich als Beispiele an: Der vom Wahn getriebene Manfredo in The Castle of Otranto (1973-79); Roderick Usher in The Fall of the House of Usher, der seine Zwillingsschwester lebendig begräbt; Doktor Faust in Faust, welcher seine Seele dem Teufel verschreibt, um ›zu sehen, was die Welt im Innersten zusammenhält‹; und die von Begierde getriebenen Protagonisten in Conspirators of Pleasure, die Apparaturen, Schläuche und Puppen benutzen, um ihre Begehren heimlich zu befriedigen.

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Die geballte Ladung an Aktionen und Passionen widerfährt den Körpern. Don Juans Schwert fährt wieder und wieder in die hölzerne Brust, Augen und Ohren seines ärgsten und erbittertsten Widersachers, Don Felipe und unterstreicht darin mit Nachdruck die Heftigkeit des Verlangens nach Rache. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf den abschließenden Kampf zwischen den beiden Handpuppen in Punch and Judy. Während die beiden sich in einer wilden Verfolgungsjagd gegenseitig mit Holzhämmern auf die Köpfe schlagen, sieht sich nicht nur das Umfeld, sondern vor allem auch die Köpfe in Mitleidenschaft gezogen: Unter der Wucht der Hammerschläge brechen sie entzwei, bersten und fransen aus oder verlieren mit einem Schlag die Farbe. Leidenschaftlich mischen und durchdringen sich Körper und Materialien. Sie wirken aufeinander ein, dekomponieren sich gegenseitig. Dies zeigt sich auch deutlich in Dimensions of Dialogue (1982). In den drei Episoden, betitelt als ›faktischer Dialog‹, ›leidenschaftlicher Dialog‹ und ›erschöpfender Dialog‹, nimmt das frenetische Bearbeiten von Körpern und Materialien den Hauptteil des Films ein. In der ersten Episode geraten arcimboldische, das heißt aus verschiedenen Gerätschaften und Materialen zusammengesetzte, ins Profil gerichtete Köpfe, aneinander: Ein Kopf bestehend aus Gemüse, einer aus Küchenutensilien, einer aus den Materialen und Medien der Künste und Wissenschaft und schließlich ein Tonkopf, der erst zum Ende des Films hin auftaucht. Diese Köpfe fallen in neun ›Begegnungen‹ übereinander her, wobei sich immer ein Kopf den anderen einverleibt, mithilfe der ihm eigenen Waffen die ›Kompositionselemente‹ des Widersachers zerkleinert und zersetzt und ihn anschließend, sichtlich lädiert, wieder ausspeit. So nehmen die Elemente zunehmend eine breiartige Konsistenz an, bis schließlich, am Ende der ersten Episode, die Tonköpfe nur noch dazu fähig sind, sich selber endlos zu reproduzieren. Einmal in Ton modelliert, setzt sich dies in den Körpern der folgenden Episoden fort; zunächst im ganzen Körper im ›leidenschaftlichen Dialog‹ (zweite Episode), dann wieder mit zwei Köpfen im ›erschöpfenden Dialog‹, die auf einem Tisch platziert, sich nicht viel mehr bewegen können, als – immer den anderen geradeaus fixiert – die Plätze zu tauschen (dritte Episode). Die Emotionalität der zweiten Episode, in der sich eine Frau und Mann an einem Tisch gegenübersitzen, sich dann zuerst lustvoll vereinen und infolgedessen aufgrund eines ›Rests‹ – einem kleinen, unförmigen Häufchen, welches zwischen ihnen übrig bleibt – so heftig in Streit geraten, dass sie sich regelrecht zerfleischen, steht in Kontrast zu der Starrheit der ›Dialogführung‹ in der dritten Episode, wo sich die Kontrahenten mithilfe ihrer Zungen diverse Gegenstände des alltäglichen Lebens (zum Beispiel einen Bleistift und einen Spitzer oder einen Schuh und einen Schnürsenkel) entgegenstrecken und die zunehmende Inkompatibilität der ›möglichen‹ Paarungen,

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den Effekt absoluter Erschöpfung hat (bezogen auf die Antagonisten sowie die Materialien und Gegenstände). An diesen Beispielen zeigt sich, dass die Protagonisten in Švankmajers Filmen sich tatsächlich durch sehr reale Leidenschaften, wie Rache, Geltungsbedürfnis, Neid, Liebe, Hass oder sehr menschliche Bedürfnisse wie Kommunikation, Essen oder Sex getrieben sehen. Dass es sich dabei selten um Akteure aus Fleisch und Blut handelt, sondern um ›künstliche‹ Figuren aus Ton oder Holz oder Objekte und Materialien des alltäglichen Lebens, die sich gegenseitig in Mitleidenschaft ziehen, scheint diesem Umstand wenig Abbruch zu tun. Im Gegenteil, denn wie Švankmajer in Sight and Sound zur Puppenform erklärt: »I prefer the wooden hand with blood coming from it as it expresses the idea of metamorphosis and cruelty. It is a stronger image than a real hand, just as a puppet’s expression is stronger than an actor’s.«54 Die groteske Überschreitung von belebt/unbelebt, wie sie sich im Blut, das aus hölzernen Körpern quillt oder Puppenkörpern, die zu Akteuren und Opfern ›realer‹ Leidenschaften werden, findet, ist bedeutend für das Schaffen Švankmajers. Es bleibt zu erwarten, dass sich der Überschreitung von belebt/unbelebt weitere hinzufügen, die ähnlich starke Effekte erzielen. Der Frage, warum Blut, das aus einem hölzernen Arm quillt, den Ideen von Metamorphose und Grausamkeit näherliegt, wird später im Detail nachgegangen. Die Rolle/Funktion der Puppenform ist ein faszinierender Aspekt in Švankmajers Werk, dem sich das vierte Kapitel widmet. An dieser Stelle genügt es, das Blut aus dem hölzernen Arm oder den unbeweglichen Gesichtsausdruck der Marionette als Beispiel für jene Räume der Gegenplatzierung oder kulturell überformte Gegenweltlichkeit stehen zu lassen, die an Humpty Dumpty auf seiner Mauer und das Moment der Unerschütterlichkeit erinnern; jene Räume, die sich für den Kritiker/Künstler im Grotesken eröffnen; wie die harte, unbeugsame Materie zum Schauplatz der Szene wird und gleichzeitig selbst zum Akteur und Opfer von Leidenschaften (und damit Subjektives und Objektives ineinander changieren). Die miteinander in Disput stehenden Oberflächen und Tiefen entwerfen Vermittlungsmöglichkeiten: Zwischen der Realität der körperlichen/materiellen Oberfläche und ihrer dinglichen, hermetischen Verschlossenheit und Andersheit; zwischen der imaginären, kommunikativen Tiefe und der medialen Abhängigkeit von der harten, unnachgiebigen Oberfläche der Zeichen; und zwischen dem ›tieferen‹ Sinn von Handlungen, Motivationen, Attributen und der reduzierten Oberfläche von zielgerichteter, rationalisierter Sinnhaftigkeit. Ob im Hinblick auf die Pappmascheekörper von Herrn Schwarzwald und Herrn Edgar, die Handpuppen in Punch and Judy, die Marionetten in Don Juan oder die arcimboldischen Köpfe/Tonfiguren in Dimensions of Dia-

54 Švankmajer (1994a), S. 20.

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logue, in allen Konfigurationen mischen, durchdringen und befremden sich diese Formen des ›Anderen‹ und verkomplizieren darin maßgeblich das Bild. In diesem Sinne bleiben Räume der Gegenplatzierung, formal wie inhaltlich, das Hauptaugenmerk der Untersuchung des Grotesken. In und durch diese Konkurrenz-/Konvergenzverhältnisse hindurch entfalten sich Momente des Miteinanders, welche die Sicht auf das Groteske bereichern und die Analyse des zerstörerischen, selbstverleugnenden Moments komplementieren.

RESÜMEE Die intermediären Instanzen, die sich ›dazwischenschalten‹ und unterschiedliche Konkurrenz-/Konvergenzverhältnisse abarbeiten, sind offensichtlich vielfältig. Damit kommt das Ende dieses einführenden Kapitels in Sicht. Es verbleibt, ein kurzes Resümee zu ziehen. Die bisherigen Beobachtungen führen methodisch in Richtung einer beschreibenden Analyse, welche die Bilder und Sprache der Filme mit den Aporien menschlicher Erfahrung in Beziehung setzt – Aporien des Alltags, die es vermögen, den abstrahierenden, um Klarheit ringenden Verstand in Abgründe zu stürzen, und doch tagtäglich begleiten und umgeben. Im Bezug zum Alltäglichen, zu Realitäten des Miteinanders, zu Macht, Gewalt, Leidenschaft und Geltungsbedürfnis; in diesen Bezügen entfaltet sich das Groteske durch seine mannigfaltigen Bilder und Ausdrucksformen und wächst zu einem beweglichen, Grenzen verschiebenden und überschreitenden Phänomen. Nichtsdestotrotz, die Bezüge geben Rätsel auf und ziehen diskursive Grenzen. Sie trennen das Phänomen von allgemeingültigen Aussagen und direkten Zugriffen, was sich in einer Art andauernder, unbequemer Widerständigkeit oder Immunität des Grotesken niederschlägt. Ziel der beschreibenden Analyse, die zu einer ›inneren Begrifflichkeit‹ gelangen will, scheint es, begrifflichen und phänomenalen Vorverständnissen in Form von Horizonten zu begegnen; diese aber auch zu überschreiten. Vorgegangen wird vom Schema, über den Abdruck, hin zum Eindruck. Dabei sollen Anreize und Impulse, die aus Konkurrenz-/Konvergenzverhältnissen entstehen – wie dargelegt wurde – das methodische Vorgehen zentral prägen; denn das Moment der semantischen Innovation bedarf für seine Beweglichkeit und Lebendigkeit des Aspekts des Widerständigen – genauso wie den des Zusammenführenden und Vereinenden.

Die Kategorie des Grotesken und ihr Bezug zur Wahrheit

EINLEITUNG Das erste Kapitel bemühte sich, Prämissen darzulegen. In diesem Kapitel ist es notwendig, auf Details einzugehen. Dazu muss sich folgenden Punkten zugewandt werden: Es bedarf einer weiteren Einführung des Werkes Švankmajers sowie der Beziehung zwischen den Filmen und dem Phänomen des Grotesken. Diese Gegenstände sollen zunächst im Spiegel des abstrakten Bezugs zur ›Wahrheit‹ – zu den allzu menschlich erfahrenen Aporien seiner Existenz, welche dem Grotesken anhaften – betrachtet werden, um in den folgenden Kapiteln, wie angekündigt, das Problem der grotesken Semiotizität (Abdruck) und der künstlerischen Potenzialität (Eindruck) anzugehen. Methodisch stellt dies eine Herausforderung dar. Ziel ist es, einer rein äußerlich verbleibenden Kritik entgegenzuwirken – einer Kritik, die gegenüber ihren Voraussetzungen, ihrer Annahmen blind bleibt. Es soll möglich sein, Entschlüsse zu verändern und Erfahrungen zu widerlegen, entgegen dem objektiven Anspruch.1 Das Grotesksein des Werkes Švankmajers hebt ab auf den dramaturgischen Verflechtungen, die Lebenswirklichkeiten nachzeichnen. Eben die mediale Erfahrung dieser Verknüpfungen zeichnet Švankmajers Filme ›grotesk‹ – die mediale Erfahrung des Zuschauers, aber auch die Erfahrungen und Entschlüsse, die den Figuren und Objekten im Inneren des Švankmajerschen Erzählkosmos obliegen und widerfahren. Zunächst gilt es, sich dem Werk und dem Phänomen so zu nähern, wie es diskursiv, objektiv wissenschaftlichen Ansprüchen entspricht: Im Sinne eines Kataloges identifizierbarer Einheiten. Dieses Vorgehen erlaubt das Groteske in Bezug zu modernen Begriffen des Ästhetischen und Rhetorischen zu setzen. Wie gezeigt werden soll, bemüht sich Victor Hugos ›Vorrede zum Cromwell‹ einen modernen 1

Vgl. Popper, S. 270.

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Groteskbegriff auszumachen, der in Zusammenhang mit dem (Früh-)Romantischen gesehen werden muss. Wird hier davon ausgegangen, dass das Wesen (moderner) Grotesken in den mimetischen Verbindungen zu finden ist, die sich zwischen Gegenwelten und Realitäten herstellen und darin Räume der Gegenplatzierung schaffen, dann scheint es möglich, diese Eigenschaft mit Autonomie und Authentizitätsbegriffen moderner Ästhetiken in Zusammenhang zu bringen. Wie erläutert wird, hat eine Verschiebung des Rhetorischen in den Raum des Ästhetischen stattgefunden und mit ihr eine Verlagerung auf den rhetorischen Ereignischarakter mündlicher Rede und eine sinnlich rationale Doppelstruktur. Das moderne Verständnis grotesker Phänomene, wie es Hugos geprägt hat, orientiert sich an diesem Ereignischarakter. Hinzu kommt, dass das mimetische Selbstverständnis des Grotesken – zugleich abbildend und nicht abbildend zu wirken – einer aporetischen Wirklichkeitserfahrung entspricht, deren Wurzeln im (Früh-)Romantischen zu finden sind. Holt Meyers Studie zur ›Romantischen Orientierung‹ wird herangezogen werden, um diesen Zusammenhang deutlich zu machen. Im verbleibenden Teil des Kapitels werden dann in Anlehnung an Hugos Schrift groteske Motive und ihre Gegenwart in Švankmajers Werk untersucht. Es wird auf einzelne thematische Bezüge, die laut Hugos Schrift bezeichnend sind für das Groteske, eingegangen. Aspekte wie das Gemeine, das Gefräßige und das Heuchlerische sollen in der Bildsprache verortet werden. Hinzu kommt eine Beschäftigung mit der Rolle grotesker Phänomene in Bezug auf kulturgebende Strukturen wie Sitten und Gesetze. Die mittelalterliche unterscheidet sich hier von der romantischen Groteske, wie in Bezug auf Bachtin und O’Pray dargelegt wird, auch in Bezug auf die subversive Kraft des Grotesken. Humor spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle, wie an Filmbeispielen Švankmajers gezeigt wird. Im Schlussteil dieses Kapitels wird dann der Nexus transformativ, integrativ, ideologisch auf der einen Seite und disruptiv, disintegrativ und utopisch auf der anderen Seite in Bezug auf das Phänomen des Grotesken und die Philosophie Ricœurs behandelt. Ein wichtiges methodisches Instrument, welches die darauffolgenden Kapitel prägt, wird außerdem etabliert, nämlich das ›zweier Körper in Konjunktion‹: Der Komplex Zeichen/Objekt im Kontext des Manierismus, die Relation Puppenkörper und menschlicher Körper in Bezug auf die Romantik, die Verkettung materieller Körper und medialer Körper im Hinblick auf den Surrealismus und das Verhältnis zwischen vorgestelltem und leiblichem Körper im Zusammenhang mit der Psychoanalyse.

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VICTOR HUGOS ›VORREDE ZUM CROMWELL‹ Wenn das Grotesksein des Werkes Švankmajers zunächst unter Einbeziehung verwandter Begriffe/Tropen angegangen werden soll, so liegt es nahe, dort anzusetzen, wo der moderne Begriff des Grotesken seine wesentliche Prägung erfahren hat, nämlich in Victor Hugos ›Vorrede zum Cromwell‹. Der durchschlagende Erfolg dieses Textes, der 1827 erschien, markiert den Durchbruch der romantischen, sprich modernen, antiklassizistischen Ära in der französischen Literatur und wurde als wahres Manifest derselben gefeiert.2 Entsprechend fest verankert findet sich auch der Begriff des Grotesken. So unumstößlich der hohe literaturhistorische Wert Hugos Schrift ist, umso fraglicher wird oft der theoretische Gehalt derselben Schrift behandelt, was paradox anmutet. Dies weist in Richtung des hier behandelten theoretischen Problems: Der objektive Anspruch von ›Wissenschaftlichkeit‹ verblendet die Sicht auf den eigentlichen Gehalt des Gegenstandes. So schreibt etwa Paul Knaak in seiner 1913 verfassten Dissertationsschrift zur Rolle des Grotesken in der ›Vorrede zum Cromwell‹: »Victor Hugo wollte, dass es [das Groteske] eine weitere Ausdehnung, einen größeren Raum, eine neue Rolle vor allem im Drama gewinnen sollte. Er [Hugo] stempelte das Groteske zu einem besonderen, hervorragenden Element, er machte es zu einem neuen Prinzip der neuen dramatischen Kunst, er gab ihm einen höheren Rang, eine eigene Stellung in der Ästhetik und poetischen Technik, aber eigentlich keinen neuen, klaren Sinn für sich.«3

Dieses vermeintliche Versäumnis Hugos sieht Knaak vor allem in der »unsicheren und weiten Begrenzung des Begriffs«4 begründet, was die Schrift in eine »keineswegs sehr durchsichtige Theorie über den poetischen und ästhetischen Charakter des Grotesken«5 münden lässt. Knaaks Kritik an Hugos Ausführungen erinnert an die Problematik, die auch Pietzcker in der Verwendung des Begriffs sieht: Zu verworren, zu vielschichtig, zu undurchsichtig. Knaaks Untersuchung unterscheidet sich dennoch in einem wichtigen Punkt. Der Autor ist weniger bemüht, von vorne-

2

Charles W. Eliot (2001) schreibt hierzu: »Victor Hugo (1802–1885) the chief of the romantic school in France, issued in the ›Preface to Cromwell‹ the manifesto of the movement. Poet, dramatist, and novelist, Hugo remained through a long life the most conspicuous man of letters in France; and in the document here printed he laid down the principles which revolutionized the literary world of his time.« (Anm.1, Eliot 2001)

3

Knaak, S. 38f.

4

Knaak, S. 57.

5

Knaak, S. 57.

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herein das Wesen des Begriffs im Allgemeinen zu ergründen und anstelle dessen dieses Wesen in einem direkten, konkreten Zusammenhang zu behandeln, eben Hugos ›Vorrede zum Cromwell‹. Knaak versucht offenbar durch das Moment der konkreten Verwendung hindurch – so vielschichtig und verwirrend diese auch sein mag –, sich dem Begriff zu nähern. Dieser Umstand soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Knaaks Abhandlung wie Pietzckers und Baraschs an einer übergreifenden, unmittelbaren Definition des Begriffs interessiert bleibt – trotz (oder gerade wegen) der wertvollen Detailgetreue, in der sie Hugos einschlägigen Überlegungen zum Phänomen des Grotesken durch die verwirrende Landschaft einer jede Systematik sprengenden Anhäufung von historisch-literarischen Beispielen nachgeht. Diese Tatsache zeichnet sich zum einen darin ab, dass der Titel des von ihm vorgelegten Dissertationsschreibens Über den Gebrauch des Wortes ›grotesque‹ jeden Bezug zu Hugos Schrift missen lässt. Argumentativ begründet sie sich darin, dass Knaak weniger an einer streng begriffsgeschichtlich orientierten Abhandlung interessiert ist, sondern sich der aufkeimenden Idee einer antiklassizistisch modernen Auffassung des Grotesken widmet. Die Verortung dieser Idee im Allgemeinen setzt er der Hugoschen Analytik entgegen – und begründet ebenso essenziell seine Kritik auf dieser. In folgender Weise bringt er beide zusammen: »Aus den Zitaten, dem Sprachgebrauche und aus der Theorie des Grotesken ergibt sich, dass Hugo alles das, was sich dem Erhabenen, Schönen, Ernsten entgegenstellt, das Groteske nennt und dass ferner das Groteske zweierlei Art ist. Das Groteske fällt in das Gebiet des: Eigentümlichen, original, III, 5 Seltsamen, bizarre, III, 2d, 6 Wunderbaren, merveilleux, III, 7 Wunderlichen, singulier, III, 4f. Abergläubischen, superstitieux, III, 4a Merkwürdigen, pittoresque, III, 10a Ungeheuerlichen, monstrueux, I, 1, e, f Phantastischen, fantastique, III, 15b. Alles dieses kann nun sein: α) lächerlich, resible, ridicule, III, 4e. komisch, comique, comédie, III, 14 possenhaft, buffon, III, 1a. β) häßlich, laid, I, 1, f. unförmlich, difforme, III, 1b fürchterlich, effrayant, III, 4b

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scheußlich, hideux, I, 1e, f, III, (b) schauderhaft, horrible, III, 1b schrecklich, terrible, III, 1a. B) Verbindet man einen der in A angegebenen Begriffe mit einem Begriff von α oder β, so ergibt sich einerseits ›le grotesque bouffon‹, andererseits ›le grotesque terrible‹. C) Diese Auffassung des Grotesken Victor Hugos deckt sich auch mit der für die moderne Zeit alleine zutreffende Definition des Begriffs ›grotesk‹, wenn man sagt: Grotesk ist die seltsame oft phantastische Übertreibung des Charakteristischen im Ganzen und zwar sowohl zur komischen als auch zur grauenhaften Wirkung.«6 [Hervorhebung M. Sera]

Dieser begrifflichen Verortung merkt man die Mühe an, mit der Knaak versucht, der Überfülle an Beispielen, die Hugos Text bereitstellt, Herr zu werden. In Abgrenzung zur vermeintlichen Klarheit der modernen Definition des Grotesken identifiziert Knaak die schmälernde, abschlagende Wirkung des Phänomens mit dem Hugoschen Denken: »Wie im Drama ist auch im Roman die seltsame Verbindung des Grotesken mit dem Erhabenen in seinen Personen eine Manie Victor Hugos, durch die sie zu unmöglichen Wesen werden. Mag sich auch in Wirklichkeit in jedem Menschen Groteskes und Erhabenes vereinen, so doch nicht in der ausschließlichen, konsequenten Weise, die Hugo zeigt. Was Goethe von dem Roman ›Notre-Dame de Paris‹ meint, lässt sich von allen anderen Romanen Victor Hugos sagen: Es fehlen dem Dichter die Kenntnis der menschlichen Natur und die Fähigkeit Figuren zu schaffen, die der Wirklichkeit entsprechen: Diejenigen, die er zeigt sind nur Schöpfungen seiner Phantasie, ›in der unselig romantischen Richtung‹, unklar vor allem, und unklar, äußerst wandelbar, in schwankenden Bedeutungsgrenzen erscheint auch das Stichwort seiner originellen Stichtheorie: Grotesque.«7 [Hervorhebung M. Sera]

Deutlich zeichnet sich zwischen den Zitaten jenes Gefälle von vermeintlich wertfreier, neutraler Abgrenzung im Allgemeinen zum unseligen, abwertenden Verlust derselben Kontrolle im Konkreten, Vereinzelten und Singulären ab. Die Verfehlung oder das Versäumnis Hugos als Schriftsteller und Theoretiker wird im Moment des Grotesken zum Makel des Grotesken und vice versa. Nach Knaaks Einschätzung verführen Hugos kontradiktorisch, dualistischen Anschauungen, die ihn als Romantiker auszeichnen, dazu, sich den Ausgeburten seiner Phantasie maßlos und zügellos hinzugeben – und darin in das Groteske münden. Persönliche Vorlieben und Neigungen machen Hugo als Autor und Theoretiker gewissermaßen anfällig für das Groteske. In diesem ›Wahnsinn‹ wohnt jedoch das Originelle, 6

Knaak, S. 73f.

7

Knaak, S. 100f.

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Wunderbare und Einzigartige. Dieses Zugeständnis an die inspirierende Kraft der ›Vorrede zum Cromwell‹ bleibt am Ende unumstößlich. Die zitierten Zeilen sind diejenigen, die die Abhandlung beschließen. Verfehlung und Erfolg verbinden sich in ihnen, mit und durch das Moment des Grotesken. Die Ambivalenz, wie sie sich offenbar eng an das Phänomen des Grotesken heftet, ist es, die interessiert. Es ist erstaunlich zu sehen, wie sich dieses Moment entgegen aller Kritik und allem Ringen nach Unmittelbarkeit durchsetzt – und selbst Knaak dazu verführt, beinahe im gleichen Atemzug, in dem er Hugo für dieselbe Schwäche kritisiert, sich der Ambivalenz des Grotesken hinzugeben. Die Art der Diversifizierung von Sinn, die eine unerwartete Umkehrung oder Verkehrung von Wertigkeit möglich macht und zulässt, ist typisch für das Groteske. Der Aspekt des Rhetorischen Es stellt sich die Frage, wie mit dieser Ambivalenz umzugehen ist. Peter Zajac gibt in seinem Essay ›Zur Ästhetik des Pulsierens‹ zu denken, dass Vieldeutigkeit nicht rationalistisch zu verwerfen ist, sondern vielmehr als »pulsierend (und damit existenziell) zu akzeptieren«8 ist. Momente der Diversifizierung von Sinn, von Doppeldeutigkeiten und Ambivalenzen sind demnach weniger im Sinne einer Zerstreuung oder Auslöschung, sondern vielmehr als eine Bündelung zu verstehen, die in der gegenseitigen Durchdringung von Eigenschaften pulsiert. Zajac schreibt hierzu: »Es geht hierbei [Ambivalenz] entweder um die Sinnsuche, um das Begreifen der Abwesenheit von Sinn, oder auch um die Unmöglichkeit, zu einem eindeutigen Sinn zu gelangen. Solche Situationen mögen ›herzzerreißend‹ sein, aber andererseits sind sie auch beruhigend: Extreme nichtlineare Situationen sind durch und durch menschlich.«9

Das Pulsieren des Sinns zeichnet denselben menschlich. Tatsächlich ist es diese Hinwendung zum Menschlichen, auf die Zajac hinweist und die Knaak in der Verquickung von Phänomen und dem Denken Hugos vollzieht, die besonders interessiert. Sie führt in Bezug auf das Grotesksein Švankmajers Werkes weg von einem abstrakten Verständnis des Phänomens hin zu der Erforschung eines konkreten, existenziellen Zustands. Der existenziellen Anbindung eines Kunstwerkes kommt ein übergeordneter Stellenwert zu. Viele ästhetische Theorien befassen sich mit dem Problem der existenziellen Teilhabe und wie sich die drei werkkonstituierenden Elemente – 8

Zajac (1992), S. 745.

9

Zajac (1992), S. 753.

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Autor/Figur/Zuschauer – in diesem Zusammenhang verhalten. Folgendes Zitat von Meyer Howard Abrams erinnert an das Zitat Pietzckers, welches im ersten Kapitel zitiert wurde. Abrams schreibt: »Der Bereich der Ästhetik bietet dem Literaturhistoriker ein besonders schwieriges Problem. Kunsttheoretiker der neueren Zeit waren nur allzu schnell bereit, vieles – wenn nicht sogar alles – was ihre Vorgänger gesagt hatten, als verschwommen, chaotisch und trügerisch zu bezeichnen. ›Was sich als Kunstphilosophie ausgibt‹, erschien Santayana als ›schierer Wortschwall‹. D. W. Prall, der selbst zwei hervorragende Bücher über diesen Gegenstand schrieb, beanstandete, dass die traditionelle Ästhetik ›in Wirklichkeit nur eine Pseudowissenschaft oder eine Pseudophilosophie ist‹.«10

Der wissenschaftliche Anspruch nach Objektivität, dem der Begriff des Ästhetischen wie der des Grotesken nicht gerecht werden tritt hervor. Das Ästhetische und das Rhetorische zeigen nicht zufällig die Affinität aus dem Blickwinkel des (Früh-)Romantischen. Die Untersuchung von Eberhardt Ostermann Die Authentizität des Ästhetischen: Studien zur ästhetischen Transformation der Rhetorik verdeutlicht, warum. Ostermann argumentiert, dass mit der Emanzipierung des Ästhetischen im 18. Jahrhundert, das Rhetorische sich seiner Funktion enthoben sah, als Orientierungshilfe für Dichtung, bildende Künste und Architektur zu dienen. Von dieser Warte aus beginnt das Moment der Verworrenheit, der Undurchsichtigkeit – auf welches in Bezug auf das Groteske, aber auch Hugos Schrift und das Ästhetische hingewiesen wurde – verständlich zu werden. Verwirrung entsteht dort, wo Orientierungsmechanismen versagen. Die Literatur des Grotesken greift auf dieses Moment zurück. Als Erklärungsmerkmal alleine reicht es jedoch nicht aus. Ostermann führt aus, dass das Rhetorische mitnichten seine Relevanz für das Kunstdenken und das Selbstverständnis der ästhetischen Moderne verloren hat. Wie der Titel seiner Abhandlung vermuten lässt, hat sich seine Funktion verschoben oder transformiert, indem »Elemente der Rhetorik in dem Maße in den ästhetischen Diskurs aufgenommen werden, wie sie von ihrer Aufgabe, die Kunst auf etwas Sekundäres hin zu zurichten, abgekoppelt und im Kontext ästhetischer Selbstrepräsentation interpretiert wurden«11. Mit anderen Worten, rhetorische Begriffe wie das Groteske hören auf Begriffe der ›téchne‹ zu sein – Werkzeuge, Zurichtungen oder Zuspitzungen –, die das Kunstwerk organisieren, sondern sie binden sich zusätzlich an Wahrheiten, an Momente der Weltorientierung, an Substanzen und Essenzen. Mehr noch, sie bekräftigen den ästhetischen Geltungsanspruch eines Kunstwerkes. Dafür spricht die Fülle an Studien im literaturwissenschaft10 Abrams, S. 14. 11 Abrams, S. 13.

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lichen Bereich, die das Werk eines Autors oder Künstlers über den Umweg eines rhetorischen Phänomens erschließen (wie es auch im Sinne dieser Untersuchung ist). Dieser Weg ist jedoch nicht ohne Tücken, wie die Eingangserläuterungen gezeigt haben. Die Fülle birgt ein brüchiges und fragmentarisches Verhältnis zu Lebenswirklichkeiten. Die Ausrichtung an den Ereignischarakter mündlicher Rede und ihre sinnlich rationale Doppelstruktur lassen sich als Grund hierfür anbringen.12 Damit wird der Bogen auf das Problem des ausgelöschten/auslöschenden Referenten zurückgeschlagen, welches im Sinne einer Doppelstruktur zugleich entwertet und umwertet und damit Sinnstrukturen durchlässig und brüchig macht. Ist die Hinwendung des Ästhetischen an ebendiese Elemente des Rhetorischen fähig, sich selbst im Sinne einer kontinuierlich perpetuierenden (selbstreferenziellen) Gestik zu legitimieren, so bleibt doch das Problem der Leere. Es entsteht ein Nichtort, eine Leerstelle, die es zwar kreativ zu füllen gilt, die aber prinzipiell ein negatives, umwertendes Potenzial in Richtung (bestehender) Sinnstrukturen besitzt – Bindungen an ›Wahrheiten‹ sehen sich fragmentiert, zerschlagen, ausgelöscht. In diesem Potenzial begründet die ästhetische Erfahrung ihre Authentizität. Der Aspekt des Ästhetischen Zunächst erklärt sich in der Verbindung des (Früh-)Romantischen, des Grotesken und des Ästhetischen, warum gerade Hugos Schrift sich als wichtig erweist. Wie dargelegt wurde, steht diese Verbindung ein für die (früh-)romantische Wegbereitung moderner Begriffe des Ästhetischen im Sinne von Authentizität, aber auch Autonomität; beide Begriffe sind im Verständnis einer modernen Ästhetik zentral. Hugo schreibt: »Die Dichtung, die ihre Geburt dem Christentum verdankt, die Dichtung unserer Zeit ist somit das Drama; das Kennzeichen des Dramas ist das Wirkliche; das Wirkliche ergibt sich aus der ganz natürlichen Verbindung zweier Seinsarten: Des Erhabenen und des Grotesken, die sich im Drama begegnen, wie sie sich im Leben und in der Schöpfung begegnen. Denn die wahre, die alles umfassende Poesie entsteht aus der Harmonie der Gegensätze. Ferner – und es ist an der Zeit, es laut zu sagen, und besonders hierfür gilt, dass Ausnahmen die Regel bestätigen würden: Alles, was es in der Natur gibt, ist in der Kunst.«13

Diese Zeilen fassen das theoretische Anliegen der ›Vorrede zum Cromwell‹ zusammen und lassen darüber hinaus erkennen, welche zentrale Stellung das Groteske tatsächlich in dieser Wegbereitung einer modernen Ästhetik einnimmt. Erst 12 Ostermann, S. 13. 13 Hugo.

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durch das Moment des Grotesken vervollständigt sich die künstlerische Darstellung, gewinnt an Ganzheitlichkeit und setzt den Durchbruch zur Moderne voraus. Der Begriff des ›Natürlichen‹ sticht hervor. Wenn der Begriff des Grotesken in Zusammenhang mit dem Natürlichen genannt wird, wird deutlich, dass Hugos Verständnis von Authentizität wenig gemein hat mit einer inaktiven, rezeptiven Nachahmung. Das groteske Moment verzerrt, durchbricht, verschreckt, erstaunt und stellt sich darin der Idee einer unverstellten, direkten ›Natürlichkeit‹ entgegen, ganz im zuvor erläuterten Sinne transformierter rhetorischer Strukturen. Das Moment des Grotesken gereicht der Natürlichkeit der Darstellung in seiner Wirkung, indem es mobilisiert – die Wahrnehmung des Künstlers, des Kunstwerkes und des Zuschauers/Lesers. Dazu ist ein Verständnis von Kunst Voraussetzung, welches nicht einfach im passiven Sinne nachahmt, das heißt die Außenwelt und das Kunstwerk als voneinander isolierte, autarke Bereiche versteht. Hugos Aussage ›alles, was es in der Natur gibt, ist in der Kunst‹ arbeitet vielmehr auf die Austauschbarkeit von Kunst und Natur hin und macht die Grenzen zwischen Realität und Fiktion durchlässig. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf den zweiten Punkt, den der Autonomität. Knaaks Ausführungen zeigen, wie eng beide Impulse, der der Authentizität und der Autonomität, im Denken Hugos miteinander verbunden sind. Knaak spricht Hugo selbst jedoch die Fähigkeit zur authentischen Gestaltung, zur ›Natürlichkeit‹ ab.14 Als Grund hierfür führt Knaak die seiner Meinung nach übermäßige, unerschrockene Bevorzugung des Unschönen an, was für ihn in die mechanische Herausarbeitung oder Abarbeitung von Gegensätzlichkeiten mündet, »anstatt sie miteinander organisch zu verbinden und mit überzeugender Natürlichkeit zu verschmelzen«15. Er schreibt weiter: »Warum hielt er [Hugo] sie für gleichberechtigt? Weil er das Schöne für sich allein bestehend nicht als wahr gelten ließ, sondern wahr ist für ihn nur das, was Gegensätze in sich erhält: Wahr ist das Leben nach ihm nur gezeichnet, wenn neben ernsten Handlungen komische, schreckliche einhergehen, wahr ist der Mensch mit all seinen Kleinlichkeiten, Lächerlichkeiten, Schwächen, Lastern und Gebrechen in Verbindung mit seinen erhabenen Eigenschaften. Auch hierin liegt ein Fehler; denn das Schöne wie das Unschöne sind wahr und haben ihren ästhetischen Wert, auch wenn sie getrennt sind.«16

Aus Knaaks Ausführung wird deutlich – vielleicht entgegen der eigentlichen Intension des Autors – dass Hugos vermeintliches Ringen nach ›Natürlichkeit‹ nicht 14 Vgl. dieses Kapitel, S. 47, Knaak, S. 100f. 15 Knaak, S. 77. 16 Knaak, S. 77.

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nur dem Anspruch von Authentizität genüge trägt, sondern auch dem von Autonomität. Den von Knaak bemängelten ›Vorzug‹, den Hugo dem Hässlichen gibt, ist dabei von entscheidender Wichtigkeit. Dieser bindet sich, wie Hans Robert Jauß zeigt, an das Moment der Provokation, welches sich ebenfalls als wichtig in Bezug auf Švankmajers Schaffen erweist.17 Laut Jauß ist es Hugos ›Vorrede zum Cromwell‹, die den klassischen Kanon des Schönen in der Legitimierung des Hässlichen durchbricht, und nicht Karl Rosenkranzes berühmte Schrift Ästhetik des Hässlichen. Jauß selbst interessieren die Verbindungen, die sich zwischen Hugos Schrift und der christlichen Rechtfertigung des Hässlichen herstellen. Abgesehen von der Legitimierung des Hässlichen in Bezug zu christlichen Dogmen und dem Bruch mit den Idealen des Klassischen, für die Hugo argumentiert, fordert er nicht nur die bloße Einbeziehung des Hässlichen als Antithetisches, sondern die Anerkennung der Eigenständigkeit des Hässlichen im Sinne einer rückhaltlosen Erweiterung des Darstellungswürdigen; ein Eindringen des Hässlichen in einem ihm bis dato nur beschränkt zugänglichen Bereich. Jauß stellt das provokative Moment heraus, wenn er dazu schreibt: »Denn die provokative Spitze dieser Kritik [Hugos Kritik], dass die einseitige Beschränkung der klassischen Kunst auf das Schöne und zeitlos Typische die Natur ›verstümmelt‹ habe, ist keine bloße Übertreibung Hugos; sie meint das klassizistische Prinzip der imitation de la belle nature, trifft damit zugleich die neuhumanistische Auslegung antiker Kunst und schließlich auch die Autonomie des Ästhetischen, aus der in den Jahren der Préface de Cromwell die Theorie des L’Art pour L’Art hervorging.«18

Dieser Bruch implementiert, dass das Individuelle und die historisch alltägliche Wirklichkeit uneingeschränkt darstellungswürdig wird; eine Privilegierung, die in Bezug auf Švankmajer ohne Frage zur Geltung gebracht werden kann. Švankmajers Filme setzen ausnahmslos in der hässlichen Wirklichkeit des Alltäglichen an. Die Begriffe des ›Natürlichen‹ verschieben sich so maßgeblich – weg von einem rationalistischen bzw. klassizistischen Schönheitsbegriff, der Regelmäßigkeit, Ordnung, Proportion, Verhältnismäßigkeit und Symmetrie einbringt – hin zu einer Ästhetik der Moderne, die sich essenziell als eine doppelte Ästhetik ausmacht und um die Dichotomie des Schönen und des Erhabenen revoltiert.19 In ihrer exzessiven Form entwickelt sie sich im 20. Jahrhundert zu einer Ästhetik der Gewalt, die auch Švankmajers Filme prägt. Laut Zajac nimmt sie radikale Gestalt in der Avantgarde an: 17 Jauß 1977. 18 Jauß, S. 146. 19 Vgl. Zelle.

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»Radikale Asketisierung, Revolutionierung, Provozierung, Schockierung, Skandalisierung, Blasphemie (Lästerung) und Exzessivität sind für sie [die Ästhetik der Gewalt] bezeichnend. Die Avantgarde-Ästhetik ist katastrophisch und apokalyptisch. Sie ist eine agonistische Ästhetik des Kampfes und bei Artaud Ästhetik der Grausamkeit. Ihr grundlegendes Schlüsselthema ist der Tod und dessen Ästhetisierung. Sie ist eine Ästhetik des Krieges, Horrors und des Thrillers.«20

Die detaillierte Analyse der Filme wird zeigen, wie eng verflochten das Werk Švankmajers tatsächlich mit dieser Ästhetik der Gewalt ist. Im Moment interessiert, wie dieser Aspekt der Verdopplung, der das Schöne und das Hässliche in der modernen Ästhetik in Spannung zueinander setzt, diese grundlegende Spannung im Verhältnis zum dritten Verbündeten anbahnt, nämlich dem der ›unseligen romantischen Richtung‹. Der Aspekt des Romantischen Wie ist der Begriff der ›unseligen romantischen Richtung‹, den Knaak in Bezug auf Hugo anbringt, in Zusammenhang mit Švankmajers Werk zu verstehen? Es erscheint überflüssig den ohnehin tendenziell überdeterminierten Diskurs um das Werk mit einem weiteren Begriff zu belegen; dazu noch mit einem derart komplexen und verworrenen, wie dem des Romantischen. Der Diskurs in Bezug auf Švankmajers Werk scheint tatsächlich mit den Kontexten – Surrealismus, Manierismus und Psychoanalyse – gesättigt. Diese Gewichtung hat ihre Berechtigung. Surrealistische, manieristische und psychoanalytische Elemente stellen die zentralen Aspekte in Švankmajers Schaffen dar. Der Grund, weshalb zusätzlich – das heißt komplementierend und hinzufügend – der Begriff des Romantischen hinzugenommen werden soll, erklärt sich darin, dass in dem Begriff des Romantischen der Aspekt der Bündelung und der Aspekt der (existenziellen) Angleichung zentral zur Sprache kommen. Holt Meyer hebt beide in seiner Studie zum Phänomen der ›Romantischen Orientierung‹ hervor. Er argumentiert zunächst, dass die Romantik oder das Romantische nicht alleine einen Bruch mit Vorgängigem impliziert, im Sinne von einer Gegenbewegung zum Klassischen, Aufklärerischen, Empirie, Rationalismus und Sensualismus etc. Vielmehr stellt es eine Art traumatische Reaktion auf die Verpflichtung dar, welche die Aufklärung in ihrem Anspruch die Metaphysik zu besiegen schafft. Zu diesem Anspruch bemerkt Holt Meyer: »Die Nullstufe der Empirie bzw. der Sinne ist die erste in einer Reihe von erträumten Unmittelbarkeiten (die Unmittelbarkeit ist eine Metapher), die eine bis zum heutigen Tag 20 Zajac (2005).

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reichende Kette von Substitutionen auslöst.«21 In dieser Formulierung wird der Wert von der These Holt Meyers für die Argumentation hier deutlich. Sie führt zusammen, was bislang weit entfernt lag: Der Aspekt von Rationalität oder Objektivität und das konstituierende Moment der Leerstelle. Holt Meyer legt dar, dass diskursive Strukturen sich nur an der Oberfläche, äußerlich in rationale und irrationale Lager teilten mit dem Anbruch der Romantik, wobei im Inneren das gleiche Problem vorlag; das Problem der Unmittelbarkeit. Folgt man Holt Meyers Argumentation, wird dieses ›rational‹, ›kritisch‹ gelagerte Problem zur ähnlichen Schwierigkeit, wie das der Leerstelle im Herzen moderner, ästhetischer Diskursivität. Diese Verbindung ist so erstaunlich, wie sie einleuchtend ist, da sie dem gleichen kulturhistorischen Zusammenhang erwächst. Laut Holt Meyer wird die Aufklärung in ihrem Anspruch zu etwas, dem sich kaum zu entziehen ist; ein Umstand, der nicht unbedingt das Unbehagen an ihr schmälert, sondern im Gegenteil intensiviert. In Antwort auf den Legitimationsdruck, den diese verpflichtende Metaphorisierung der Aufklärung mit sich bringt, setzt die Romantik eine Bewegung der Meta-Metaphorisierung in Kraft: Eine Bewegung der umcodierenden Fortschreibung. Im Zuge dieser Bewegung wird die Romantik zur umcodierenden Wiederholung der Aufklärung (sprich eine Aufklärung der Aufklärung) und die historische Moderne (Neoromantik, Symbolismus) und Psychoanalyse zu parallelen Wiederholungen der Romantik.22 So erklärt Holt Meyer: »Die Aufklärung ist das Trauma der Romantik (und in gewisser Weise auch umgekehrt). Man geht zurück, macht dieselben Reisen noch einmal durch, um sie sich zu ›verbildlichen‹ oder ›vergegenwärtigen‹ und stellt fest, dass man an ein anderes Ziel kommt und dass die aufgezeichnete Karte anders aussieht als diejenige, die man aus der Aufklärung mitgenommen hatte. Gerade dieser Aspekt der unheimlichen Wiederholung (der Wiederholung der Wiederholung) ist für die Romantik symptomatisch.«23

Mit anderen Worten, Verfahren werden zu ›Transportmitteln‹ von Inhalten, Aussagen, Formgebung etc., indem sie sich von den sie umschließenden, bekannten, sie festlegenden Kriterien/Funktionalisierungen ablösen lassen (selbstreferenzielle Geste). Ruft man sie in neuem Terrain wieder auf, fallen die Aspekte ihrer ursprünglichen Konstituierung wie Hüllen von ihnen ab. Holt Meyer zieht in diesem Zusammenhang den Derridaschen Begriffs des ›retrait‹ heran: »Den retrait in der Diachronie kann man so zusammenfassen: Bewegungen der Aufklärung 21 Holt Meyer, S. 65. 22 Holt Meyer, S. 68. 23 Holt Meyer, S. 138.

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werden wiederholt (rezitiert) und dabei gleichzeitig relativiert (parodiert/negiert).«24 Indem die gleichen Bewegungen in fremden Terrains ausgeführt (Akontextualisierung) und/oder unter veränderten Vorzeichen fortgeführt werden, bleibt es nicht aus, dass die Grenzen der Aufklärung vorgeführt werden; dass ironisch auf ihre Quellen, Fundamente und Antriebe verwiesen wird. Genauer gesagt, wie Holt Meyer es später formuliert, der retrait beschreibt die Bewegung des doppelten (Ent-)Zugs, gleichzeitiger Entzug und doppelter Zug.25 Hinzuzufügen bleibt, dass das ›Unbehagen‹ mit der Aufklärung nicht erst mit der Romantik einsetzt. Am Beispiel der Diskursmischung illustriert Holt Meyer, wie sich dieses Moment schon früher im Zusammenhang mit ›antirationalistischen‹ Bewegungen ankündigt. Das ›Diskursmischen‹ geht zurück auf die in antiaufklärerische Tendenzen eingebettete ›gnostische‹ Textproduktion von Geheimbünden und die phantastische Literatur, beides Textsorten, die nach Holt Meyer »entscheidende Auswirkungen auf die diskursiven Formationen haben, in denen romantische Texte entstehen«26. Diese Form der ›Diskursmischung‹ beinhaltete das Ineinandergreifen von literarischen, religiösen und wissenschaftlichen Diskursen sowie das Verflechten heterogenen Gedankenguts, wie zum Beispiel hermetischer und aufklärerischer Inhalte. Auch die Psychoanalyse geht, nach Holt Meyer, essenziell auf eine Mischung von literarischen und wissenschaftlichen Denkansätzen zurück: »[D]ie Psychoanalyse [macht] den Versuch, einen neuen wissenschaftlichen Diskurs hervorzubringen, der die Literatur ebenso wie Traumtexte und andere Äußerungen von Patienten ›entschlüsselt‹ (das heißt die ›fiktional‹ markierten Tropen durch ›faktisch‹ glaubhafte ersetzt). Die Verlagerung des Diskurses soll dem Lesenden ›sicheren Boden‹ unter den Füssen und eine Orientierung für künftige ›irrational‹ anmutende Texte bieten.«27

In diesem Sinne veranschaulicht das Beispiel der Psychoanalyse, inwiefern sich das Moment der Diskursmischung an die Bewegung der umcodierenden Fortschreibung bindet. Holt Meyer zeichnet ein emotional gefärbtes Bild mit einer unmissverständlich pathologischen Tendenz: Unbehagen, Legitimationsdruck, Verpflichtung, Bewegung der umcodierenden Fortschreibung, Bann, Trauma, symptomatische, unheimliche Wiederholung. Dies sind Begriffe, die einen übersteigerten Zustand beschreiben; eine manische Haltung, gespannt, irritiert, rastlos; eine Attitüde, wie 24 Holt Meyer, S. 64. 25 Holt Meyer, S. 93. 26 Holt Meyer, S. 51. 27 Holt Meyer, S. 68.

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Knaak sie Hugo attestiert.28 Dieser überspannte, sich ins Negative kehrende Zustand entspricht dem Bild, welches man sich gewöhnlich von dem romantischen Dichter und seinem Zeitalter macht. Die Umwertung des Romantischen von einem Begriff in einen Zustand steht so gesehen im Mittelpunkt. Filmbeispiel J. S. Bach: Fantasia g-Moll Es ist dieselbe Umwertung, die den Begriff des Romantischen so greifbar in Bezug auf Švankmajers Werk macht. Denkt man zum Beispiel an das ekstatische Finale von Švankmajers J. S. Bach: Fantasia g-Moll (1965), dann nimmt den Zuschauer ein tief verwurzelte Gefühl von Unbehagen ein, welches Holt Meyer als romantisch beschreibt und Knaak dazu bewegt, die ›romantische Richtung‹ als unselig zu bezeichnen: Ein Unbehagen, in welchem sich die Idee eines persönlichen Scheiterns mit der eines kollektiven Verfehlens und Versagens mischt und zwischen suspendierender Leere (Trauma) und rastlosem Getriebensein (Manie) in eine Flucht umcodierender Fortschreibungen einpasst. Die Kamerafahrt durch die schier endlos sich öffnenden Flügeltüren am Ende des Films, welche ihr jähes Ende in der Sackgasse eines Innenhofs findet, steht als Sinnbild ein. Beide Bilder beschreiben Momente der Ekstase und Manie. Die sich öffnenden Flügeltüren, die in eine Kamerafahrt münden, beschreiben ein Hochgefühl, welches sich an dem im Film zu hörenden Bachstück orientiert; ein in Ekstase gesteigertes Empfinden, welches den Gefühlen von Befreiung und Beflügelung gleicht; ein Moment des Erhabenen. Weitere Bilder, die den Film bestimmen, schließen ein: Schwere Eisenschlösser, verschlossene Türen, verwitterte Mauern, kleine vergitterte Maueröffnungen, ein Briefkasten mit herabhängender Lade, geborstene Klingelanlagen – alles Motive, die den Eindruck des Verlassenen, Ruinenhaften bestärken. Doch unter dem Einfluss der Musik gewinnt diese tote Ruine Leben: Vertiefungen und Löcher graben sich in das alte Mauerwerk und arbeiten sich heraus; Farbverläufe erwachen zum Leben und wachsen aufeinander zu; Linien entstehen entlang von Wänden, geschmückt mit Gebilden aus Steinen und Draht. Aus dem Hässlichen geht Schönheit hervor, die transformiert, belebt, erhellt (siehe Abbildung 3).

28 Vgl. Knaak, S. 100f.

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Abbildung 3: Musik in Darstellung.

Quelle: J. S. Bach: Fantasia g-Moll, 1965, dir. Jan Švankmajer.

So gibt dieser ›Aufschwung‹ der Gefühle den Weg frei zur ekstatischen Steigerung, die es tatsächlich vermag, die eben noch verschlossenen Türen zu öffnen. Diesem Hochgefühl folgt eine vernichtende Ernüchterung, sobald die Kamera den Eingang zum Innenhof findet. An dieser Stelle wechselt der Film von Nahund Großaufnahmen auf Halbtotalen und es findet sich ein neues Moment in der Kamerabewegung hinzugefügt. Während im Zuge des In-Bewegung-Setzens der Kamerafahrt die zuvor aus dem Stand gefilmten Bilder in eine rasante Vorwärtsbewegung münden, scheint sich die Kamera, nun im Innenhof angelangt, plötzlich um die eigene Achse zu drehen. Dieser abrupte Wechsel in der Auswahl des Bildausschnitts, der Kameraausrichtung und der Bewegung macht deutlich, dass man mit der Ankunft in dem Innenhof in einem anderen Bewusstseinszustand angelangt ist. Der Eindruck der schweren, unzugänglichen Materie von Stein und geschmiedetem Eisen, von menschenleeren, verlassenen Räumen, in denen jede Kommunikation zusammengebrochen ist, von verschlossenen Türen bereitet bereits im Vorhergehenden Unbehagen, welches sich im beflügelnden Moment des Erhabenen verflüchtigt sah. Nun kehrt es mit aller Wucht zurück. Die schwere Unzugänglichkeit der Materie legt sich lähmend über die Szene, gepaart mit dem irritierenden, erschreckenden Gefühl der Unentrinnbarkeit, die sich vor allem an die sich um die eigene Achse drehende Kamera bindet. Die Fenster in dem Innenhof sind blind, das heißt es lässt sich nicht in sie hineingucken. Zudem sieht der Zuschauer die Wände und Fenster von schräg unten, was ihnen bedrohliche Autorität verschafft. So werden die Fenster zu leeren, blinden Augenpaaren, wobei sich das Letzte sogar als zugemauert erweist – verlorene Seelen. Verglichen mit dem erhebenden, beglückenden Moment, welches sich Sekunden zuvor aufbaute, wirkt diese Szene umso beklemmender und verstärkt den Eindruck der Irritation und Angst. Švankmajers Filme öffnen Durchgänge und Passagen. Die unbändige Flucht, die in ihrem zerstückelnden Wesen fähig scheint, sich alles einzuverleiben, drängt in Bewegungen des kontinuierlichen Sich-Verschließens gegenüber jeglichen

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rationalen Ordnungsprinzipien und des Sich-Öffnens hin zu einem grenzüberschreitenden ›Fremden‹. Doch findet die Kamerafahrt ein Ende. Sie kommt zu einem jähen Ende in der Sackgasse eines Innenhofs, die kein Entrinnen erlaubt und damit der manischen Fahrt Einhalt gebietet. Wohin weist dieses Einhaltgebieten? Es setzt sich dem fliegenden, dem fortschreibenden, dem umcodierenden, dem entwertenden Moment entgegen. Und eben in diesem entgegen formuliert sich das Unbehagen, nämlich nicht nur das Unbehagen von Sinnstrukturen abgeschnitten zu sein, sondern zudem im Sinne eines Verwehrt-Bleibens ›letztgültiger Evidenz‹. Schlägt man den Bogen zurück zu Ostermann, dann schreibt er in Bezug auf die (früh-)romantische Reintegration des Rhetorischen in ästhetische Theorien, dass es dabei zuallererst darum ging »den Sinn, den Wirklichkeitscharakter der Poesie selbst unter Beweis zu stellen«29, allein in Richtung einer Selbstdurchsetzung und Selbstvermittlung des Ästhetischen. Diese Verschiebung hat einen Preis. Denn wo der Realitätscharakter durch das Fragmentarische, Brüchige und Ruinöse sich zwar im Sinne von Wahrscheinlichkeiten weiter und weiter annähert, bleibt die Aussicht auf »letztgültige Evidenz«30 verwehrt. Ein ›rohes Stück Realität‹ J. S. Bach: Fantasia g-Molls distinktive Ästhetik, welche romantische Motive wie das Ruinöse und das Fragment mit dem nüchternen Blick des unbeteiligten Beobachters in Resonanz bringt, zeichnet nicht alleine Švankmajers Werk aus. Viele Werke des tschechischen Surrealismus und der tschechischen Avant Garde teilen diese Herangehensweise an die Absurdität des alltäglichen Lebens. Absurdität (im Sinne einer aporetischen Wirklichkeitserfahrung, die Widersprüche und Fehlbarkeit in den Vordergrund stellt) muss nicht konstruiert werden, sondern erscheint bei genauem Hinsehen in der Banalität des Lebens. Ein nüchterner Blick – gewöhnlich, unaufdringlich und informell – erlaubt, viel über groteske Züge des Alltäglichen herauszustellen.

29 Ostermann, S. 180. 30 Ostermann, S. 181.

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Abbildung 4: Objekte aus dem Hier und Jetzt.

Quelle: Ohne Titel, 1934, Photographie, Jindřich Štyrský.

Abbildung 5: Ordnung und Unordnung.

Quelle: Gegenlicht, Studio, 1973, Photographie, Josef Sudek.

Abbildung 4 und 5, Photographien von Jindřich Štyrský und Josef Sudek verdeutlichen diesen Zusammenhang. Štyrskýs Photographien sind Teil eines umfangreichen bildkünstlerischen Werkes des Künstlers. Zwischen 1934 und 1935 arbeitete er hauptsächlich photographisch und die Bilder, die in dieser Zeit entstanden, gehören zu den bekanntesten Beispielen für den tschechischen Surrealismus aus internationaler Perspektive. Štyrský teilt eine ähnliche Sicht auf die Kunst der Photographie wie Vítězslav Nezval, ebenfalls ein berühmter Vertreter des tschechischen Surrealismus. Beide veröffentlichten kurze Texte zur Photographie in 1935-

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36, in denen sie sich dafür aussprachen, das photographische Medium mit minimalem technischem Einsatz zu nutzen. 31,32 Formalismus und Abstraktion, wie das zeitgenössische Werk Man Rays in die Kunstkreise einführte, lehnten beide ab. Wie Štyrský schreibt: »[T]he only thing that fanatically attracts me is searching for surreality hidden in everyday objects.«33 Josef Sudek ist ebenfalls ein wichtigster Vertreter tschechischer Photographie und arbeitete wie Nezval und Štyrský mit dem, was er in seiner unmittelbaren Umgebung vorfand. Interessant vor dem Hintergrund der Diskussion zu Švankmajers J. S. Bach: Fantasia g-Moll ist, dass seine Bilder einen eigenen Bezug zu Chaos, Unordnung und dem Labyrinthischen hegen. Vojtech Lahoda hat diesen Aspekt in einem Essay hervorgehoben. Das Beispiel in Abbildung 5 ist deutlich in dieser Hinsicht. Die Unordnung, die in der Komposition sichtbar ist, herrschte in Sudeks Studio. Es lässt sich gut vorstellen, dass der Künstler dieses Motiv so vorgefunden hat und sich von der Unordnung in seinem Atelier hat inspirieren lassen. Bemerkenswert ist »the internal chaos of space, the uncanniness of ordinary things, and the prominence of objects, whose utiliarian and functional nature is supressed.«34 Die Bildeigenschaften seiner Photographien suggerieren eine Nähe zum Surrealismus, die in Bezug auf Sudek bislang wenig Beachtung fand. Sie heben auch eine Verbindung zu (früh-)romantischen Sichtweisen und Verfahren hervor. Unordnung stellt auf unheimliche wie auf konstruktive Weise ein Fehlen von Ordnung dar. Die ›Abwesenheit‹ bietet die Möglichkeit Ordnungen anderer Art zu finden. Sie birgt Geheimnisse und erlaubt zu forschen und erfinden. Auf diese Weise heben Sudeks Photographien die romantische Affinität des tschechischen Surrealismus hervor, welche Švankmajers Werk teilt. Der Exkurs in die surrealistische Photographie unterstreicht diesen Punkt.

31 Štyrský ›Surrealistická fotografie‹ und Nezval ›Surealismus a Fotografie‹, S. 488-9. 32 Fijalkowski, Richardson und Walker (2013), S. 42. 33 Štyrský ›Surrealistická fotografie‹, zitiert und übersetzt in Fijalkowski, Richardson, Walker (2013), S. 42. 34 Lahoda, S. 3.

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DIE FILME ŠVANKMAJERS IM LICHT DER BESTIMMUNG HUGOS In und durch Aspekte des Rhetorischen verstehen und entwerfen sich zentrale Elemente moderner Ästhetik, kulturhistorische Entwicklungsprozesse und Diskursmodalitäten. Von dieser Warte aus gesehen verwundert es nicht, die Psychoanalyse als umcodierende Fortschreibung des Manieristischen und Surrealistischen zu finden. Der Sprung von ›objektiver‹ Vermittlung zum Moment des ›Menschlichen‹ ist Teil der Lösung, wie in Bezug auf die transformierte Funktion des Rhetorischen festgestellt wurde. ›Sinn‹ erweist sich dort menschlich, wo er in Doppelbödigkeit und Ambivalenz verstrickt ist und darin bündelt und pulsiert. Wie folgendes Zitat von Ricœur verdeutlicht: »Inwiefern bindet mich, was den Sinn an den Sinn bindet? Darin, dass mich die Bewegung, die mich zum zweiten Sinn führt, dem angleicht, was ausgesagt worden ist und mich dessen teilhaftig macht, was mir verkündet wurde. Die Ähnlichkeit, in der die Kraft des Symbols liegt und der es seine enthüllende Macht verdankt, ist in der Tat nicht eine objektive Übereinstimmung, die ich als eine vor mir ausgebreitete Beziehung betrachten könnte; es ist eine existenzielle Angleichung meines Seins an das Sein, gemäß der Bewegung der Analogie.«35

Wenn es also um die Frage geht, was mich an die Architektur des Sinns bindet, die aus ambivalenten Bewegungen erwächst, dann geht es hier offenbar um den Gedanken der menschlichen Teilhabe an dieser Architektur; im zurückgewandten, aber auch nach vorne gerichteten Sinne. ›Natürlich‹ wirkt in diesem Zusammenhang, sich den Prozess der existenziellen Angleichung zu vergegenwärtigen und ihn zu zulassen. Dieses Zulassen fällt dem Künstler leichter als dem Kritiker, denn der Prozess ist dem Moment des Konkreten näher als dem des Abstrakten. Der ›zweite Sinn‹ führt zurück zum Problem des L’Art pour L’Art, zur Schwierigkeit der referenziell nach innen gewandten (und damit immer bereits potenziell entwerteten, entleerten) Geste; der interpretativen Konzentration auf Textimmanenz. Wie Jens Mattern es in seiner Einführung zum philosophischen Werk Ricœurs analysiert, wendet sich der zweite Sinn als eine indirekte Form von Referenz zurück an die außersprachliche Welt. Er schreibt: »Die Textwelt wird nicht nur im Ausgang von Erfahrung des In-der-Welt-Seins entworfen, sie kehrt über die in der Lektüre aktivierte Referenzfunktion wieder zur Welt der Praxis zurück. Wenn der Literatur im Sinne Walter Benjamins ein subversiver Charakter zuge-

35 Ricœur (1965/1974), S. 45.

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schrieben werden kann, dann nur, weil sie über ihre Referenzfunktion zu einer Neubeschreibung von Realität fortschreitet und unsere Integration in unsere alltägliche Realität, unsere Zugehörigkeit zu einem tradierten Weltverständnis aufzusprengen vermag.«36

Švankmajer betont in Interviews, dass seine Filme als subversiv und politisch zu betrachten sind.37 Die subversive Funktion wird üblicherweise den surrealistischen Wurzeln seines Werkes zugeschrieben. Dieser interpretative Weg verbleibt jedoch textimmanent. Auch wenn die textimmanente Analyse wichtig ist, um zu sehen, aufgrund welcher Mechanismen Švankmajers Werk als subversiv und politisch zu betrachten und zu bewerten ist, so darf sich die Analyse ebengenau in diesem Punkt nicht mit der Analyse von Verfahren (surrealistisch, manieristisch, romantisch etc.) begnügen. Denn genauso wie Švankmajer darauf besteht, dass seine Filme politisch/subversiv gesehen werden müssen, beharrt er auf die direkten Bezüge seines Werkes zu Alltagswirklichkeiten.38 Diese Hinwendung zur Welt der Praxis, zur Welt menschlicher Handlung ist als zentral anzusehen. Sie führt zurück zu Hugo und dem von Jauß herausgearbeiteten Punkt der ›Natürlichkeit‹ der Darstellung, indem es zu verstehen gilt, dass eine Intensivierung, Verschiebung oder Verstärkung in der Darstellung des Gegenstandes nicht gleichbedeutend damit ist, dass die Darstellung in seinem nachahmenden Charakter unwahrer oder unrealistischer wird. Vielmehr bündelt der Begriff des Nachahmenden, des Mimetischen die Aspekte, mit denen wir in Bezug auf den Legitimationsanspruch moderner Ästhetik in Berührung gekommen sind: Autonomität und Authentizität. Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich um eine indirekte Form von Referenzialität zur Außenwelt handelt. Mattern erläutert: »Ricœurs ausführlicher Nachweis, dass die Mimesis bei Aristoteles als eine Bruchstelle zur Wirklichkeit verstanden werden muss, ist allerdings nur der erste Teil seines Arguments. Denn gerade wenn anerkannt ist, dass Mimesis sich nicht in Form einer Kopie auf die Realität bezieht, wird die Frage interessant, welchen Realitätsbezug sie dann haben kann. Sich auf die Charakterisierung der Mimesis als ›mimesis praxeos‹ stützend, weist Ricœur die These der modernen Semiotik zurück, die literarischen Texten einen Wirklichkeitsbezug abspricht. Jenseits des Bruches mit der gegebenen Wirklichkeit bleibt die Mimesis mit der Welt der Praxis verbunden. Es ist die Welt der Praxis, die Welt menschlicher Handlung, 36 Mattern, S. 112. 37 O’Pray schreibt hierzu: »Švankmajer has stated, since the ›Velvet Revolution‹, that all his work has been political.« O’Pray (1995), S. 48. 38 In dem mit Peter Hames geführten Interview heißt es zum Beispiel: »Surrealism is a revolution […] which wants to return ›magic function‹ to life and objects.« in Hames (1995), S. 106.

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welche der Bezugspunkt der poetischen Umsetzung durch den Mythos bleibt. Während also der Mythos für das Moment der Diskontinuität zwischen Poesie und Wirklichkeit steht, sichert der Bezug auf die Praxis eine Kontinuität.«39

Geht man von Ricœurs Mimesisbegriff aus, wie er ihn in Zeit und Erzählung expliziert, dann ist es faszinierend zu sehen, wie er sich an Hugo und seine Begriffe des Darstellungswürdigen annähert. Der ›zweite Sinn‹, der den Text, Künstler, Kritiker und Zuschauer bzw. Leser an die Architektur des Sinns bindet und den Akt des ›Menschlich-Zeichnens‹ in der Darstellung vollzieht, entsteht im Moment der Vermittlung zwischen einer »ihr vorhergehenden Stufe der praktischen Erfahrung und einer ihr nachfolgenden Stufe«40 subversiver Produktivität. Im Moment der Vermittlung zwischen beiden entstehen Momente mimetischer Verschiebung, die unsere Kategorien von Praxis bereichern und welche die Sinndimensionen unserer Alltagspraxis intensivieren und verstärken. Hier entfaltet sich die Produktivität des Fiktiven; sein subversives und kreatives Potenzial. Den Akt der Vermittlung erfüllt das Moment des Grotesken wie kaum eine andere Trope/Figuration; ein Hauptgrund für die zentrale Rolle, welche das Groteske in der modernen Ästhetik spielt. Das Groteske bindet sich an die aporetische Erfahrung menschlicher Existenz, an den Widersinn, der ›normale Verhältnisse‹ verzerrt und entlarvt und im Hohlspiegel vorführt. Hugo hat laut Knaak erkannt, dass es sich als Notwendigkeit darstellt, die Komödie mit der Tragödie zu verbinden, da »im Drama der christlichen Völker der erste jener beiden Typen [Komödie] das Tier im Menschen, der zweite [Tragödie] die Seele im Menschen darstelle«41. Knaak schreibt weiter: »[J]ene beiden Zweige der Kunst würden nach seiner Meinung, wenn man sie hindern würde, sich miteinander zu vereinigen, auf der einen Seite Abstraktion der Laster, der Lächerlichkeit, auf der anderen Seite Abstraktion der Verbrechen, des Heroismus und der Tugend hervorbringen; würden die beiden Typen voneinander getrennt und jeder für sich bleiben, so würden sie jeder für sich gehen und die Wirklichkeit zwischen sich lassen.«42 [Hervorhebung M. Sera]

Vor dem Hintergrund des ›zweiten Sinns‹ im Sinne des mimetischen Anspruchs und des ästhetischen Legitimationsdrucks versteht sich klarer, was hinter dieser Aussage Hugos steckt. Wenn Hugo sich dafür ausspricht, dass sich in der Dar39 Mattern S. 125f. 40 Mattern, S. 126. 41 Knaak, S. 67. 42 Knaak, S. 67.

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stellung alles wie in der Wirklichkeit ableiten und verbinden lässt, dann verbirgt sich dahinter nicht ausschließlich die romantische, dualistische Anschauung des Autors, wie Knaak es darstellt,43 sondern bezeugt vielmehr Hugos Gespür für die Intensivierung und Anreicherung bestehender Sinndimensionen und -strukturen, die er in der grotesken Figuration sieht. Für Hugo war die Verbindung des Grotesken mit dem Erhabenen das besondere Kennzeichen der Moderne.44 Die oszillierende Bewegung zwischen Leere und Fülle, welche die Diskussion begleitet, verstärkt sich an diesem Punkt. Zu der ›Leerstelle‹ und dem kulturhistorischen sowie diskursiven Nexus, der damit einhergeht, wurde bereits berichtet. Es ist allerdings die erklärte Absicht, die mit dieser ›Leerstelle‹ verbundenen Ansprüche aufzuweichen und in ›Suspension‹ zu bringen – wie es in Bezug auf Ansätze Ricœurs aufgenommen wurde und im Moment des Erzählerischen weitergeführt werden soll. In der Fabula beginnt der Sinn zu pulsieren und bindet das Kunstwerk an den Menschen. Die Geschichten, welche die ›Grotesken‹ eines Werkes erzählen, sie näher ans Menschliche ziehen und darin pulsieren lassen, versprechen das zerstörerische, selbstverleugnende Moment zu vervollständigen. ›Die Fülle und sein überschüssiges Potenzial im Grotesken zu zulassen‹ findet sich beachtlich in Švankmajers Werk umgesetzt. An dieser Stelle lohnt es sich, Hugos ›Vorrede zum Cromwell‹ bzw. den Katalog, den Knaak herausgearbeitet hat, als Vorlage wieder aufzunehmen. Im zweiten Kapitel, ›Der Sprachgebrauch bei Victor Hugo‹, geht Knaak die einzelnen Punkte und Zusammenhänge nach. Die Aufzählung fasst achtzehn Seiten. Sie soll lediglich als Orientierung dienen, da es offenbar darum geht, groteske Elemente im Werk Švankmajers zu fassen. Aussehen, Charakter und Handlung von Personen Der erste Punkt, den Knaak anbringt, stellt einen der Wichtigsten und Umfangreichsten dar: Aussehen, Charakter und Handlung von Personen. In Bezug auf die poetische Theorie und Anwendung in der dichterischen Komposition ist zu lesen: »Das Groteske ist in Viktor Hugos Augen also jenes Element der menschlichen Natur, dem man das Missgestaltete, Unordentliche, und Lächerliche zuschreibt, kurz alles das, was dem Schönen entgegengesetzt ist, wie die Seele dem Körper. Und der Dichter sollte als treuer Nachahmer der Natur ebenfalls diese Kontraste hervorbringen. […] Grotesk ist, sagt Victor Hugo, der Gemeine, Gefräßige, Geizige, Hinterlistige, Unzüchtige, Zänkische und Heuchlerische […].«45 43 Knaak, S. 39. 44 Knaak, S. 72. 45 Knaak, S. 68.

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Rivalität: Das Gemeine, Geizige, Zänkische und Hinterlistige Beides zusammengenommen beschreibt treffend den Typ von Figuren und die Art von Handlungen, die im Švankmajerschen Kosmos zu finden sind. Die Švankmajerschen Figuren sind – ganz in Übereinstimmung mit Hugo – der tierischen, fleischlichen, vergänglichen Seite des Menschen näher als seiner ›tugendhaften‹, weil sie sich sowohl in ihrem Aussehen, als auch in ihren Handlungen durch und durch an ihre Bedürfnisse und Leidenschaften gebunden zeigen. Dies zeigt sich zum einen deutlich in den Filmen, in denen das Motiv der Rivalität im Mittelpunkt steht, wie bereits im ersten Kapitel dargestellt wurde. Zum Beispiel die beiden Magier in The Last Trick of Mr. Schwarzwald and Mr. Edgar mit ihren übergroßen Pappmascheeköpfen, denen es unmöglich scheint, sich vom Konkurrenten in seiner Darstellungskunst übertrumpfen zu lassen. Oder in Punch and Judy in dem zwei Handpuppen sich aus Habgier und Missgunst in aller Brutalität bekämpfen. Ebenfalls zu den ›Rivalenfilmen‹ zählt Don Juan. Hier bekämpfen sich lebensgroße Marionetten bis aufs Blut. Don Juan besitzt jedoch nicht die gleiche Linearität wie die beiden zuvor erwähnten Filme. Hinter dem Motiv wütender, blinder Rache, welches den (Anti-)Helden des Films, Don Juan, dazu treibt, seinen Bruder, seinen eigenen Vater und seinen Schwiegervater zu töten, besitzt das emotionale Geflecht, welches den Film durchwirkt, eine erhabene Seite: Don Juan tötet aus Liebe und dieser romantische Aspekt zeichnet seine Figur ambivalenter, ›menschlicher‹. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Das Motiv der Rivalität und die damit verbundene Spur der Zerstörung und Demütigung, welche die Filme durchzieht, gehört zu den wichtigsten Motiven in Švankmajers Werk. Faust und Mephisto in Faust gehören genauso in diese Liste unerbittlicher Rivalen, wie Manfredo und Theodor in The Castle of Otranto, eine Vielzahl dialogischer Gegenüber in Dimensions of Dialogue, der multiplizierte Gegner in Virile games (1988) sowie die beiden missachteten Restaurantbesucher in der zweiten Episode von Food. Nicht zu vergessen ist auch das sadomasochistische Nachbarpaar in Conspirators of Pleasure sowie die Rivalität des Marquis de Sade und des Anstaltsdirektors aus Lunacy. Die Länge der Liste bezeugt die Wichtigkeit dieses Motives in den Filmen Švankmajers, auch wenn es eine Vielzahl von Varianten gibt. Neben gleichstarken Rivalen, die sich gegenseitig den Gar ausmachen, wie in The Last Trick of Mr. Schwarzwald and Mr. Edgar und Punch and Judy, Conspirators of Pleasure und den beiden letzten Episoden von Dimensions of Dialogue, ereilt den (Anti-)Helden sein Schicksal entweder auf ›Umwegen‹ des Übernatürlichen, wie in Don Juan und The Castle of Otranto oder es gibt ganz offensichtliche Machtgefälle, die einem von beiden Antagonisten zum voraussehbaren Verhängnis werden; wie zum Beispiel zwischen den beiden Restaurantbesuchern in Food; in der zweiten Episo-

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de von Dimensions of Dialogue; dem vermessenen, aufstrebenden Faust; oder dem aufbegehrenden und die Institution herausfordernden Marquis de Sade. Das Gefräßige: Das Motiv des Essens Wie das Motiv der Rivalität, sprich das von Hugo herausgestellte Gemeine, Geizige, Zänkische und Hinterlistige, findet sich der Hang zum Gefräßigen, Unzüchtigen und Heuchlerischen oft im Grotesken betont. Das Motiv des Essens sowie Anspielungen auf einen zügellosen Sexualtrieb gehören zu ständig präsenten Motiven in den Filmen. Švankmajer sagt, dass das Motiv des Essens für ihn ein Schlüsselsymbol menschlicher Aggressivität darstellt, dessen exzessive Steigerung der Kannibalismus ist.46 Nicht minder rücksichtlos motiviert und als selbstverständlich erachtet – wie die Besessenheit den Rivalen auszustechen –, setzt sich der moderne Mensch an die Spitze der Nahrungskette. In Historia naturae (suita) wird diese motivische Facette hervorgehoben, wenn zwischen den einzelnen ›Kategorien‹ von tierischen Lebewesen die untere Hälfte eines menschlichen Gesichtes auftaucht, welches sich mit einer Gabel ein Stück Fleisch zum Mund führt, dieses kaut und herunterschluckt. Das Motiv des Essens funktioniert nach dem Prinzip der Analogie47; ein wichtiges kreatives Prinzip im Schaffen Švankmajers. In der von Švankmajer herausgegebenen Essaysammlung Transmutace smyslů schreibt er: »Our rationalist civilisation is based on an identical principle of thought. Analogy is characteristic for primitive cultures and, of course for small children, because through analogy they can broaden their horizon of knowledge and only thanks to this can they form their concept of the world, which has been typical of man since time immemorial. […] Through analogy, a child adds other things and objects to what it already knows […] thunder, drum cannon; or penis, worm, snake, fish. This knowledge, of course, does not disappear with the

46 O’Pray verweist in diesem Zusammenhang auf ein Zitat von Švankmajer, welches sich in dem Ausstellungskatalog The Communication of Dreams (Cardiff, 1992) abgedruckt findet. Hier steht: »The whole process of eating can thus be made intensely erotic. Or it can be translated into a cannibalistic and aggressive act through which accumulated misanthropy can be released. In any case such activity can become ludic, and as such is no longer perceived merely as an act of filling the belly.” Zitiert nach O’Pray (1995), S. 71. 47 So zum Beispiel im zuvor genannten Sinne: Ich verleibe mir ein und darin bemächtige ich mich des Einverleibten. Die Prozesse des Einverleibens und des Bemächtigens sind hier als analog zu betrachten.

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rationalization of one’s later years; it is just pushed into the subconscious from where it operates further, forged into a symbol or poetic image.«48

Ein eindrucksvolles Beispiel für eine solches Symbol oder poetisches Bild aus der Perspektive eines Kindes findet sich in Down to the cellar (1982). In Down to the cellar wird ein kleines Mädchen in den Keller geschickt, um Kartoffeln zu holen. Dieser ›gewöhnliche‹ Kellergang entwickelt sich zu einem Angst einflößendem Erlebnis, da ihr allerhand reale sowie irreale Bedrohungen entgegentreten. In einem Interview mit Peter Hames bezeichnet Švankmajer Down to the cellar als den autobiographischsten seiner Filme.49 Ungewöhnlich stark lässt der Filmemacher uns an dem, was im Inneren der kleinen Protagonistin vorgeht, teilhaben. Die kindliche Perspektive birgt für Švankmajer eine große Faszination. Neben Down to the cellar erzählen vor allem Alice, aber auch Jabberwocky und Little Otik (2001) aus dieser Perspektive. Dabei grenzt es oftmals an schlechten Geschmack, welchen grausamen Phantasien die kindlichen Figuren ausgesetzt sind. Allen voran zählt zu diesen bedrohlichen Motiven jenes des alten lüsternen Mannes, der den Mädchen im Treppenhaus begegnet, und entweder verlockend mit Süßigkeiten raschelt (Down to the cellar) oder sich verrenkt, um ihnen durch enorm dicke Brillengläser unter den Rock zu schauen (Little Otik). Auch die alte Frau, die mürrisch die Treppe schrubbt, und vorwurfsvoll hochschaut, verheißt nichts Gutes. Beiden begegnet das Mädchen in Down to the cellar in der dunklen Abgeschiedenheit des Kellers wieder. Durch die halb offenen Lattenverschläge beobachtet sie erst den Mann, wie er sich im Schlafanzug den Mund ausspült und sich daraufhin in ein reichlich mit Kohlebriketts gefülltes Bett legt und diese über seinen Körper verteilt. Als er das Mädchen sieht, winkt er es zu sich heran und bietet ihr ein nahestehendes Kinderbett an, wo ebenfalls anstelle von Matratze, Decke und Kopfkissen Kohlen das Bett füllen. Das Kind weicht verschreckt zurück und stößt mit dem Rücken gegen den Lattenverschlag des gegenüberliegenden Kompartiments. Dort steht die Frau aus dem Treppenhaus am Ofen und backt. Jedoch auch hier werden Kohlebriketts zweckentfremdet, denn die Frau backt nicht mit Mehl, sondern mit zerstoßener Kohle. Mit Eiern und etwas Wasser verarbeitet sie diese zu einem zähen Teig, formt kleine Küchlein daraus und schiebt sie in den Ofen. Als sie das Mädchen entdeckt, sucht sie ein Küchlein aus, streut etwas Puderzucker darüber und bietet es dem Mädchen an. Bedrohlich wirken diese durch Traumlogik entrückten Szenen wirklich erst dann, sobald ihre ›Akteure‹ versuchen das kleine Mädchen mit Nachdruck dazu zu bringen ›mitzumachen‹; was das Mädchen verängstigt ablehnt. 48 Švankmajer (1994b), S. 81. 49 Hames (1995), S. 115.

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Diese umformenden, überformenden Visionen, die daran anknüpfen, was dem Kind als subtile Bedrohung und Verlockung in der Frau und dem Mann (und dem Bonbon) im Treppenhaus begegnet ist, und es um das Motiv der Kohle in die Umgebung des Kellers eingliedern, diese Art der assoziativen, (re-)iterierenden Traumlogik setzt sich in den weiteren Begegnungen, die das Mädchen auf seinem Gang durch den langen dunklen Keller macht, fort. Zunächst begegnet sie einer Meute von alten Schuhen, die an den Schuhleisten aufgerissen sind und an dieser Stelle Zähne tragen. Als dem Mädchen vor Schreck sein Brötchen herunterfällt, machen diese sich wie ausgehungerte Tiere darüber her und zerren ihre Beute in die Dunkelheit eines der angrenzenden Kompartiments. Dieses Motiv des zu Eigenleben erwachten Objekts gewinnt weiter an Bedrohlichkeit und Bösartigkeit. So prügeln Holzscheite urplötzlich aus dem Nichts auf das Mädchen ein. Der Deckel der schweren Holztruhe, in der die Kartoffeln aufbewahrt sind, klappt so unvermittelt zu, dass man an eine Köpfungsphantasie denkt, wie sie in Alice mit dem fortlaufenden Befehl der Herzkönigin ›runter mit ihren Köpfen‹ zum Ausdruck kommt. Widerspenstig dagegen erweisen sich die Kartoffeln, die immer wieder aus dem Korb in die Truhe zurückwandern und nur mit Not von dem kleinen Mädchen in dem Korb gehalten werden können; bis sie am Ende des Films diesem wieder entkommen und die Treppe herunterspringen. Dies wird von dem kleinen Mädchen als großes Unglück erfahren. Maßgeblich Schuld daran hat eine Katze, deren verdeckte Gegenwart die Anspannung und Furcht des kleinen Mädchens ins Unermessliche steigert. Die Bedrohlichkeit, die von der Katze ausgeht, zeigt, wie schmal sich der Grat zwischen Harmlosigkeit und Bedrohlichkeit bzw. Widerständigkeit in den Phantasien des Mädchens zeigt. Die dunkle, unheimliche Umgebung des Kellers macht diesen zum Reich der Katze und so nimmt sie hier monströse Ausmaße an. Wenn das Mädchen allerdings verzweifelt und erschöpft auf der Treppe sitzt und den Kartoffeln nachschaut, sitzt die Katze wieder in normaler Größe neben ihr und putzt sich unschuldig. Unheil geht erst wieder von ihr aus, wenn sie dem Mädchen abermals in den Keller folgt. Die Aggressivität, Bösartigkeit und Widerständigkeit der ›Widersacher‹ des kleinen Mädchens spiegeln auf einer Ebene eine tiefsitzende Abneigung, die sich gegen ›Essen‹ im Allgemeinen richtet, was wiederum für den autobiographischen Zug des Films spricht. Švankmajer wurde als Kind gezwungen zu essen und befand sich sogar eine Zeit lang in einem Ferienlager für Kinder mit Essproblemen. In dem Film schlägt sich dies in dem Bild der Holztruhe mit dem Deckel nieder, der nur unter Zwang offenbleibt. Die Truhe erinnert in Form und Gebaren an einen Mund, der sich sträubt, geöffnet zu bleiben, mit dem Unterschied allerdings, dass die Truhe sich nicht weigert, etwas aufzunehmen, sondern etwas herzugeben. Die

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Verkehrung entspricht der Tatsache, dass das Mädchen gezwungen wurde, in den Keller zu gehen; wahrscheinlich hat ihre Mutter sie geschickt und so spiegelt sich in der Widerständigkeit der Truhe und der Kartoffeln auch die Widerwilligkeit des Mädchens. Auf ähnliche Weise spricht das Bonbon von Verlockung, die Kohlen von Verweigerung, das Kohlenbrötchen/die Frau von Zwang, die Holzscheite von Züchtigung und die Truhe/die Kartoffeln von Widerstand, alles in Bezug auf Essen. Auch für die Katze wird das kleine Mädchen zur Beute. Im Vergleich zu der Monstrosität der Katze schrumpft das Mädchen auf die Größe einer Maus und hockt hinter den Lattenverschlägen wie in einem Mauseloch. Diese sehr persönliche Interpretation, welche die Verarbeitung des Motivs des Essens auf die Person des Mädchens fixiert (und in Verlängerung auf Švankmajer) bedeutet nicht, dass das gleiche Motiv nicht auch darüberhinausgehende Interpretationen des Films zulassen würde; was zu dem kreativen Prinzip der Analogie zurückführt. Die mit Zähnen bewaffneten Schuhe, verführerischen Bonbons, ungenießbaren Holzkohlen, prügelnden Holzscheite und die widerspenstige Holztruhe stellen schonungslos, entblößend dar, wodurch sich die Erwachsenenwelt auszeichnet: es ist eine barbarische Welt, geprägt vom Recht des Stärkeren, Verführung, Widerstand, Zwang und blanker, roher Gewalt. In Bezug auf die blitzenden Zähne, mit denen die Schuhe ausgestattet sind, und die Rohheit mit der sie über das Brötchen herfallen, hebt folgendes Zitat von Elias Canetti aus Masse und Macht hervor, was dieser Szene allegorisch als Wahrheit über ›unsere‹ Welt und den Menschen unterliegt: »Das auffälligste Instrument der Macht, das der Mensch und auch sehr viele Tiere an sich tragen, sind die Zähne. Die Reihe, in der sie angeordnet sind, ihre leuchtende Glätte, sind mit nichts anderem, was sonst zu einem Körper gehört und an ihm in Aktion gesehen wird, zu vergleichen. Man möchte sie als die erste Ordnung überhaupt bezeichnen [...]; eine Ordnung, die als Drohung nach außen wirkt, nicht immer sichtbar, aber immer sichtbar, wenn der Mund sich öffnet, und das ist sehr oft. [...] Glätte und Ordnung, als manifeste Eigenschaften der Zähne, sind in das Wesen der Macht überhaupt eingegangen. Sie sind unzertrennlich von ihr und an jeder Form der Macht das erste, das sich feststellen lässt.«50

Die Ausführungen Canettis nehmen das Verspeisungs- und Verdauungsgeschehen als einen der »zentralste[n], wenn auch verborgenste[n] Vorgänge der Macht« ins Visier, welche in der Tat ein fester Bestandteil grotesker Motivik sind. In ihnen eignet sich der Mensch die Körper unzähliger Pflanzen und Tiere nicht nur an, sondern gleicht sich ihnen auch an. Mannigfaltiges fremdes Leben und die eigene Identität werden in Einverleibungsprozessen zusammengepresst. Die Todes50 Canetti (1992), S. 236.

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schreie der Tiere denunzieren die Machtbeziehung des Menschen zum Anderen, zum Sein schlechthin. In dem Band Die Provinz des Menschen heißt es bei Canetti, dass wir ein Massengrab in uns tragen und dass beide Lösungen unmöglich seien: Sich vom Leben abzuwenden und nicht vom Tode der anderen Geschöpfe zu leben. Wie Canetti schreibt: »Mit der wachsenden Einsicht, dass wir auf einem Haufen von Toten sitzen, Menschen und Tieren, dass unser Selbstgefühl seine eigentliche Nahrung aus der Summe derer bezieht, die wir überlebt haben, mit dieser rapid um sich greifenden Einsicht wird es auch schwerer möglich, zu einer Lösung zu kommen, deren man sich nicht schämt. [...] Denn in uns ist auch das Massengrab der Geschöpfe.«51

Diese Logik zentriert die Erfahrung von Identität im Körperlichen und seiner einverleibenden Macht. In unseren Beziehungen zum Anderen, zum Nichteigenen und Fremden, werden wir zum angeeigneten Enteigneten. Die Verdauungslogik verwischt zwar die Grenzen und entgrenzt den Menschen zu anderen Geschöpfen und Wesenszuständen, löst sie aber nicht auf. Im Gegenteil, sie dehnt diesen Zustand zum suspendierenden Dauerzustand aus. Im ›Anderen‹ – das heißt in den Dingen, die wir uns aneignen und die wir bearbeiten, den autoritativen Institutionen, die wir errichten und unterhalten und unserer Abhängigkeit von der Meinung Anderer – zementieren sich Antagonismen, die Widerstand perpetuieren. Diese vorgängige Widerständigkeit bildet die Grundlage für »die Gefühle und die entsprechenden Bedeutungen, die uns in eine ökonomische und politische Ordnung eingliedern«52. An ihnen bilden sich jene ökonomischen, politischen und kulturellen Objektivitäten aus, die unsere Gefühle, Affekte, Leidenschaften erregen und in Handlungen übertragen. Aus dieser Perspektive erklärt sich die Wichtigkeit des Motives für Švankmajers Werk. Wie in Historia naturae (suita) und Down to the cellar, prägt es auch essenziell andere Filme. In Alice, Little Otik, The Flat (1968), Picknick mit Weissmann (1968), Jabberwocky, Meat Love (1989) und auch Faust tritt der Vorgang des ›Essens‹ als zentrales Motiv auf. In Little Otik etwa entwickelt sich ein ›Wurzelbaby‹, welches aus der unbändigen Sehnsucht eines Ehepaares nach einem Kind entsteht, zu einem stetig wachsenden, gefräßigen Monster. Nachdem es die Katze und den Postboten gefressen hat, wird es in den Keller verbannt und dort von einem Kind mit Kohlköpfen gefüttert. Auf die gleiche Weise befremdend und verstörend wirken die Szenen in Lekce Faust, in denen der Hauptdarsteller des Films in der Theaterkantine eine Mahlzeit zu sich nimmt. Die in Nahaufnahmen 51 Canetti (1973), S. 211. 52 Ricœur (1965/1974), S. 531.

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aufgenommene Szene überzeichnet diesen sehr alltäglichen Akt derart, dass er äußerst unappetitlich und gefräßig wirkt. Kannibalismus Beide Motive, das des Essens und der Rivalität, sind eng miteinander verflochten. Entsprechend steigert sich ihr groteskes Potenzial dort, wo sie direkt zusammentreffen. In Dimensions of Dialogue hat die massive Bearbeitung der Materialien, ihr Zerklopfen, Zerschneiden, Zerdrücken den Beigeschmack exzessiver Aggressivität; Aggressivität, die in und durch die Rivalitäten der verschiedenen Dialogpartner entsteht. Dieser Grundtenor zügelloser Aggressivität spiegelt sich in dem Motiv des Einverleibens und Ausspeiens wieder, welches den Film maßgeblich trägt. Da sich bei Dimensions of Dialogue die Figuren gegenseitig verspeisen und einverleiben – insbesondere die an arcimboldische Portraits angelehnten, ins Profil gerichteten Köpfe aus der ersten Episode –, schließt sich dieses Motiv direkt an ein drittes verwandtes Motiv in Švankmajers Filmen an, nämlich dem des Kannibalismus. In Food artikuliert sich die Verkettung dieser beiden Motive am deutlichsten. Der Film ist in drei Episoden unterteilt: Frühstück, Mittagessen und Abendessen. Die erste Episode zeigt zwei Männer, die sich in einem kleinen Raum an einem Tisch gegenübersitzen. Einer der beiden erstarrt zu einem Essautomaten, während der andere diesen mit Schlägen auf den Kopf und ins Gesicht, Fingerstößen ins Auge und Tritten gegen das Schienbein zum Laufen bringt. Wenn die Mahlzeit, bestehend aus einem Getränk, einer Wurst, etwas Senf und einer halben Scheibe Brot, verzehrt ist, erwacht der Automatenmensch aus seiner Starre und verlässt den Raum. Derjenige, der zuvor die Mahlzeit verzehrt hat, erstarrt augenblicklich zu derselben automatischen Vorrichtung, welche die Mahlzeit per Flaschenzug aus großer Tiefe nach oben befördert, und wird von dem Nächsten benutzt, um an seine Mahlzeit zu gelangen. Eine lange Schlange von Menschen vor dem Raum suggeriert, dass dieser ›Rollentausch‹ sich auf unbestimmte Zeit fortsetzt. Die gleiche Konstellation zweier Männer, die sich an einem Tisch gegenübersitzen, findet sich auch in der nächsten Episode. Hinsichtlich des Grades an Aggressivität in Verbindung mit dem Motiv des Essens findet jedoch eine deutliche Steigerung statt. Die beiden Männer sind offensichtlich unterschiedlicher gesellschaftlicher Herkunft. Der Eine trägt einen feinen Anzug mit Krawatte, während der Andere mit hängendem Kopf, langen Haaren und T-Shirt unter einer schlechtsitzenden Anzugjacke und Jeans am Tisch sitzt. Beide sehen sich von dem vorbeieilenden Kellner ignoriert. So dazu verdammt sich gegenüberzusitzen, beginnen die beiden ihre Kleidung und das Inventar zu verspeisen: Zuerst die Blumen auf dem Tisch (der ›Reiche‹ vertilgt den gesamten Strauß samt Blumenwasser, währ-

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end der ›Arme‹ nur ein Blümchen und die Vase bekommt), dann ihre Taschentücher, ihre Kleidung, das Gedeck auf dem Tisch samt Tischtuch, dann den Tisch und die Stühle. Je größer und unhandlicher die Teile werden, welche die beiden verschlingen, desto grotesker verzerren sich ihre Gesichter. Am Schluss sitzen beide nackt auf dem Boden. Nur noch Messer und Gabel sind übrig. Nachdem der Kellner abermals vorübergeeilt ist, ohne die beiden zu beachten, verschlingt der ›Reiche‹ Messer und Gabel, jedoch nur vorgeblich. Denn sobald der ›Arme‹ sein Besteck hinuntergeschlungen hat (denn er folgt auch zuvor ahnungslos und ausnahmslos dem Vorgehen des ›Reichen‹), zieht dieser Messer und Gabel aus seinem Mund wieder hervor und stellt dem ›Armen‹ nach, mit der offensichtlichen Intension ihn zu verspeisen. Die Kannibalismus-Referenzen setzten sich in der dritten Episode fort. Denn zum ›Abendbrot‹ gibt es von jedem ›sein bestes Stück‹: Ein Geschäftsmann verspeist seinen linken Arm, ein Sportler seinen Unterschenkel mit Fuß, eine Frau ihre Brüste und ein Arbeiter sein Glied. Die ausführliche Beschreibung zeigt, wie sarkastisch und gesellschaftskritisch Food ist. In Bezug auf die Verquickung der Motive des Essens und der Rivalität wird deutlich, dass Food, genauso wie die anderen zuvor genannten Filmbeispiele die nach Freud ältesten Triebverzichte und Kulturforderungen anrühren: Sexualität (Inzest), Ernährung (Kannibalismus) und Gewalt (Mordlust).53 Die ungezügelte Mordlust eines Don Juan wirkt hier genauso verstörend grotesk, wie der Restaurantbesucher, der über seinen Tischnachbarn herfällt; oder ein menschlicher Faust, der den Koitus mit einer lebensgroßen Marionette vollzieht. Sie stellen filmisch-literarische Paradebeispiele für Antihelden dar, deren Drang nach unsublimierter Triebbefriedigung sie so handeln lässt. Die stark grotesken Motive, die in diesem Zusammenhang entstehen, rühren von dem Moment der Grenzüberschreitung her. Wie Fuß schreibt: »Die Verbote von Mord, Inzest und Kannibalismus sind archaische Formen jener Gewalt-, Sexual- und Esstabus, deren Übertretung in abgeschwächter und virtualisierter Form noch in den Brutalitäten, Obszönitäten und Völlereien der grotesken Literatur aufscheint. Weil diese Verbote Möglichkeitsbedingungen jeder kulturellen Formation sind, ist ihre Übertretung persistentes Element der grotesken Deformation.«54

Food ist, wie die meisten Filme Švankmajers, ein paradigmatisches Beispiel für das Moment einer solchen grotesken Deformation – ganz im Sinne des Hohlspiegels, der ›normale Verhältnisse‹ verzerrt und entlarvt, von dem Hugo spricht. Das amorphe und vielschichtige Begriffsfeld des Grotesken entsteht als Produkt der 53 Vgl. Freud (1927/1993), S. 114f. 54 Fuß, S. 455.

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Dekomposition symbolisch-kultureller Ordnungsstrukturen wie Sprach-, Verhaltens-, Erkenntnis- und Geschmacksordnung, wie Fuß eindrucksvoll in seiner Studie darlegt. Dabei sieht Fuß das Groteske nicht nur als Produkt kreativer Prozesse, sondern vor allem auch als ihr auslösender Faktor. Wenn die im Zuge der grotesken Dekomposition freigesetzten Elemente sich neu verbinden – in einem Prozess der Permutation und modifizierten Re-Kombination –, erschüttert dies, in Kollision mit der bestehenden Kulturordnung, den Schein der Unhinterfragbarkeit durch den Hinweis auf mögliche Alternativen. In diesem Sinne, argumentiert Fuß, untergräbt das Groteske durch die Produktion von Unentscheidbarkeit und Unbestimmtheit die normative Kraft der symbolisch kulturellen Ordnung einer Kulturformation, liquidiert deren Strukturen, setzt Kreativität frei, ermöglicht Transformationen und kann so Innovation bewirken. Das Moment der Produktion von Unentscheidbarkeit, welches Fuß tatsächlich als strukturelles Hauptmerkmal des Grotesken einsetzt, führt wieder zur aporetischen Funktion: Die groteske Bindung an die aporetischen Existenzbedingungen menschlichen Daseins. Wesenseigenschaften wie Gemeinheit, Gefräßigkeit und Mordlust machen den Menschen fehlbar. Das Unzüchtige: Sexualität Die kulturhistorische Dimension des Grotesken, die auf symbolische Ordnungsstrukturen zielt, indem sie Sprach-, Verhaltens-, Erkenntnis- und Geschmacksordnungen untergräbt, erweist sich nah an Hugos Klassifizierung, auch wenn Fuß einen struktural orientierten Ansatz verfolgt. Die groteske Übertretung von Sexualtabus, die Normen der Verhaltensordnung untergräbt, ist bei Hugo unter dem Begriff des Unzüchtigen zusammengefasst. Es wurde bereits auf Fausts sexuellem Verkehr mit einer Marionette hingewiesen, was zu den stärksten Beispielen einer grotesken Verletzung von Verhaltensnormen oder Sexualtabus in Švankmajers Werk gehört. Faust verfolgt in seiner Menschgestalt die Marionette Helene, die kokettierend vor ihm wegläuft. Die ›Lustjagd‹ endet in einer Höhle mit besagtem Ausgang. Was folgt, ist tatsächlich schwierig anzuschauen, da das Gezeigte sehr graphisch dargestellt ist und die Puppe ihren animierten Lebensgeist mit einem Mal verliert. Nach vollzogenem Akt tropft das Ejakulat aus einem Eisenrohr heraus. Wenn Švankmajer einen Kontrast zwischen Illusion und brutaler, harter Realität zeichnen will, was er tatsächlich als häufiges Stilmittel einsetzt, ist es ihm an dieser Stelle gelungen. Die starken sexuellen Konnotationen von Down to the cellar dagegen lassen die Themen von Inzest und Pädophilie mitschwingen: Etwa der lüsterne Blick des alten Mannes, der die Treppe heraufkommt und mit Süßigkeiten raschelt. Wie erwähnt wurde, begegnet dieser Mann ihr später in der Abgeschiedenheit des Kellers

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wieder und bietet ihr ein nahestehendes Kinderbett an, wo anstelle von Matratze, Decke und Kopfkissen Kohlen das Bett bedecken. Dieses Bild ist eindeutig, insbesondere da es sich um den gleichen Mann handelt, der sie soeben noch mit Süßigkeiten gelockt hat. Die Verbindung von Süßigkeiten und vernichtender sexueller Energie spiegelt sich in der Tatsache, dass in der Kellerszene neben dem Bett des Mannes nun ein ganzer Eimer voll Süßigkeiten steht und das Kinderbett, das er ihr anbietet, aufgrund eines auf beiden Seiten halb herabhängenden Netzes, einem Gefängnis ähnelt; eine deutliche Anspielung auf die sexuelle Versklavung, die mit andauerndem Missbrauch einhergeht. Dabei scheint die Größe des Eimers mit Süßigkeiten mit der Deutlichkeit der Anspielung und der Stärke des sexuellen Untertons der Szene zu korrelieren, wenn man zum Vergleich an die ›Harmlosigkeit‹ der Szene in der Treppe denkt, wo nur ein Bonbon beteiligt war. Das Motiv des mit Süßigkeiten lockenden Sexualverbrechers, wie die Angst vor ihm, ist bei Kindern ebenso wie bei Erwachsenen tief verwurzelt und beide korrespondieren miteinander. Švankmajer hat in einem Interview auf die Frage, warum das Motiv des Kellers und der Pädophilie in Down to the cellar aufkommt, Folgendes geantwortet: »During my childhood, the cellar was one of the most terrifying places for me. Every time my mother asked me to fetch potatoes or coal from the cellar, my knees shook with fear. The fact that the threat was not explicit made it even more frightening. It’s very similar to how children think of paedophiles. They are always being warned about them, but their parents are not capable or are unwilling to precisely explain what that danger is, but the child can sense it. He can see that the warning from his parents has an emotional background. Thus a paedophile becomes a phantom of his childhood.«55

Unzüchtig verhalten sich auch die Charaktere in Conspirators of Pleasure. Der Film beginnt mit einer Ansammlung von anzüglichen Radierungen, die historische Darstellungen von Masturbationsvorrichtungen und Ähnlichem zeigen. Damit bereitet Švankmajer vor, was im Folgenden zum Hauptgegenstand des Filmes wird. Conspirators of Pleasure zeigt, wie sechs Charaktere Objekte nutzbar machen, bzw. Maschinen und Vorrichtungen bauen, um ihre erotischen Phantasien zu befriedigen. Die Verbindung der Charaktere zueinander ist nachbarschaftlicher Natur. Und dennoch, die Blicke, die Sie austauschen, machen sie zu eben dem, was der Titel des Films verrät: Verbündete der Lust. Der eigenen, egoistischen Lustbefriedigung gilt all ihre Aufmerksamkeit. Und die Befriedigung finden sie in fetischistischen Ersatzobjekten, die durch und durch grotesk wirken. Die Postbotin Frau Malková, zum Beispiel, rollt aus Brot kleine Kügelchen und zieht sie 55 Steinhart.

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mit Hilfe von langen, roten Gummischläuchen die Nase hoch. Polizeihauptkommissar Beltinsky spickt Nudelhölzer und Topfdeckel mit gestohlenen Stücken von Pelz und scharfen Gegenständen, die er später über seinen nackten Körper reibt. Seine Ehefrau Beltinska, die Nachrichtensprecherin beim Fernsehen ist, fühlt sich vernachlässigt und lässt sich von Karpfen ihre Füße liebkosen. Dabei hat sich Herr Kula aus dem Zeitschriftenladen nebenan in das Fernsehbild von Frau Beltinska verliebt und konstruiert sich eine Maschine, die ihn streichelt und masturbiert, während er sich die Nachrichten mit ihr im Fernsehen anschaut. Wie in Bezug auf die sexuelle Vereinigung von Faust und Helene spricht das Groteske an diesen Phantasien aus der Überschreitung und Vereinigung von toter und lebendiger Materie. Auch die Tatsache, dass sie in komplexen Fertigungsakten hergestellt werden, nährt ihren grotesken Charakter. Sie wirken ebenso grotesk wie die Kasperlefigur aus Faust, welche Faust auf der Toilette trifft, nachdem dieser offensichtlich uriniert hat; oder wie Kasperle, der auf einer seiner Reisen als Begleiter und Diener von Faust bei einer regelrechten Fressorgie zu sehen ist. In Bezug auf das Thema Sexualität oder Erotik ist interessant, wie nah die in Conspirators of Pleasure beschriebenen Phantasien an sadomasochistische Praktiken heranreichen. Abgesehen davon, dass die groteske Vermischung von Totem und Lebendigem in diesem Zusammenhang an sich die Frage nach Perversion und pervertierter Phantasie stellt, wie es sich im Falle von Down to the cellar erweist, zeigt sich die sadomasochistische Dimension in der Intentionalität, der Zielgerichtetheit der Akteure eingebunden. Hierin verbinden sich beide Aspekte. Im fetischistischen Kontext richtet das Subjekt seine sexuelle Lust und Energie auf ein Objekt, im sadomasochistischen Zusammenhang hingegen sieht sich ein weiteres Subjekt in diesen Prozess der Objektivierung einbezogen, und zwar nicht nur im imaginären, sondern auch im ganz realen Sinne. Conspirators of Pleasure macht diesen Unterschied deutlich. Während die vier bisher beschriebenen Charaktere sich im Reich des Imaginären ihren Gelüsten hingeben und dort verweilen, gehören die sexuellen Phantasien, denen die zwei noch fehlenden Charaktere, Herr Pivonka und Frau Loubalová, nachgehen, einer anderen Ordnung an. Es ist bemerkenswert, wie subtil der Film den Übergang zwischen diesen beiden Ordnungen vom Fetischistischen zum Sadomasochistischen gestaltet. Und doch entscheidet sich bereits am Anfang des Films, dass in Bezug auf diese beiden Charaktere etwas anders ist. Denn während die Anderen alleine im Nachgehen ihrer Lusterfüllung bleiben, findet zwischen Herrn Pivonka und seiner Nachbarin Frau Loubalová Kontakt in Form eines Briefs statt. Dieser Brief beinhaltet nur eine zeitliche Angabe. In ihm steht lediglich ›Am Sonntag‹, zusätzlich anonymisiert durch aus Zeitung ausgeschnittene Buchstaben. Herr Pivonka verbrennt ihn sofort nach Erhalt; und doch bezieht der Brief die Phan-

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tasien der beiden aufeinander. Was folgt, ist ein komplexes Widerspiel von realen und irrealen Elementen, welches Herrn Pivonka und Frau Loubalová imaginäre Räume zur Lustempfindung und -erfüllung eröffnet. So fertigt Herr Pivonka aus Regenschirmen, Ton, Schnipseln von einer pornographischen Zeitung und Hahnenfedern von einem frisch geschlachteten Hahn (geschlachtet von Frau Loubalová) eine Hahnenkopfmaske mit Flügeln an. Vom jeweils Anderen bewahren sie eine lebensgroße Puppe in ihren Kleiderschränken auf. Den Kleiderschränken kommt in dieser Verbindung eine besondere Funktion zu, die über ihre normale, alltägliche Funktionalität hinausgeht. Was sich genau in den Schränken abspielt, bleibt verborgen. Es wird nur deutlich, dass sie eine Art imaginäre Verbindung zwischen den Charakteren und ihren Ebenbildern sowie den verschiedenen Schauplätzen herstellen. Dafür spricht ihre äußerliche Ähnlichkeit. Aktiviert wird diese verborgene Funktionalität durch das Öffnen und Schließen der Türen bzw. das Einsteigen und das Aussteigen der Charaktere. Eine ähnliche Funktionalisierung eines magischen Schrankes findet sich in Jabberwocky. Am Sonntag verlassen Frau Loubalová und Herr Pivonka ihre Wohnungen. Frau Loubalová sucht eine alte, verlassene Krypta auf. In dem Gewölbe befinden sich einer der Schränke, ein Stuhl mit Kerzen und eine Wanne randvoll mit Wasser. Sie steigt in den Schrank ein, um wenig später mit einer schwarzen Maske und Peitsche wieder herauszukommen. Die Strohpuppe von Herrn Pivonka, die sich auch in dem Schrank befindet, wirft sie in hohem Bogen in eine Ecke. Sie lässt die Peitsche knallen und die Puppe erwacht zum Leben. Herr Pivonka hingegen fährt mit einem Koffer, einem Stuhl und der Strohpuppe von Frau Loubalová aufs Land. Dort zieht er sein Hahnenkostüm an und beginnt um die an den Stuhl gefesselte Strohpuppe herumzustolzieren. Auch ihre Puppe erwacht zum Leben und klappert mit den Zähnen. Im weiteren Verlauf wird deutlich, dass mörderische Absichten der eigentliche Gegenstand der Phantasien sind und diese zum Abschluss bringen. Frau Loubalová ertränkt ihre Strohpuppe, nachdem sie sie ausgepeitscht hat, während Herr Pivonka seine würgt und schließlich mit einem Felsbrocken erschlägt. Die Tatsache, dass beide gemeinsam einen Hahn schlachten und die Lust und Genugtuung, die dieser Akt Frau Loubalová offensichtlich zu bereiten scheint, weist bereits in diese Richtung. Die mörderische Intentionalität, die sadomasochistische Absicht ein anderes Subjekt zu objektivieren und damit schlussendlich zu vernichten – imaginär oder real –, lässt die Phantasien von Herrn Pivonka und Frau Loubalová zu einer anderen Ordnung gehören. Das macht der Film besonders deutlich darin, dass er die beiden am Schluss tatsächlich der mörderischen Intension des jeweils Anderen zum Opfer fallen lässt. Wenn Herr Pivonka nach Hause kommt, sieht er, wie Frau

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Loubalová tot aus dem Haus getragen wird. Ein herabfallender Felsblock hat sie in ihrer Wohnung getötet. Kurioserweise findet Herr Pivonka auch die Mahlzeit, die er bei der zerschmetterten Puppe gelassen hatte, wieder. In seiner eigenen Wohnung entdeckt er dann, dass der Stuhl mit den Kerzen und die Wanne aus der Krypta von Frau Loubalová auf ihn warten. Am Ende des Films hört man nur noch, wie sich langsam knarrend die Schranktüren öffnen. Die metaleptische Überkreuzung von Realität und Imagination am Ende von Conspirators of Pleasure macht die vermeintlich schützende Umhüllung des Imaginären als abgeschlossener Raum durchlässig und brüchig. Wähnen sich die Akteure in Sicherheit, weil sich der Bereich des Imaginären kulturell als abgetrennt und isoliert, das heißt ins Virtuelle gebannt sieht, 56 belehrt sie der ›Fall‹ Pivonka und Loubalová eines anderen; und damit auch den Zuschauer. Die Imagination besitzt subversive Kraft, die in Realitäten eingreift und sie verändert. Diese subversive Kraft formuliert sich darin, dass sie sich dem Raum des Realen als ebenbürtig gegenüberstellt und darin herausfordert. Es ist ein Charakteristikum von Švankmajers Filmen, dass sie den Bereich des Imaginären und Realen derart in Spannung zueinander setzen. Der tschechische Literaturtheoretiker und führende Kopf der surrealistischen Gruppe, Vratislav Effenberger, schreibt: »It is quite natural that the strengthening concentricity of both poles of Švankmajers creative work (the lyricizing principle of free associations and the tendency towards a raw, real expression) is getting close to those mystifying planes of imagination where reason occurs to be on the border of reality and fiction, on that elastic boundary on which reality becomes illusion and illusion becomes reality.«57

Der Effekt dieses Kippens von Illusion in Realität dient nicht primär ästhetischen Zwecken, sondern zielt, laut Effenberger, auf die psychosozialen Instabilitäten der zeitgenössischen Welt – ganz im Sinne des Grotesken. Es geht um einen Prozess des Bewusstwerdens, des Bewusstmachens, der dem psychoanalytischen Geist tatsächlich nahe ist. Die Sinne spielen bei Švankmajer in diesem Prozess eine übergeordnete Rolle – sie sollen angeregt, stimuliert und damit ultimativ befreit werden. Dies ist die positive Dimension der Masturbationsmaschinen aus Conspirators of Pleasure, ihre utopische Funktion. Experimente mit Objekten, die sich mit den Dimensionen der Taktilität, mit der materiellen Beschaffenheit befassen, wie Švankmajer sie ausgiebig im Rahmen seines bildnerisch-künstlerischen Wer56 Besonders deutlich wird dies in Bezug auf Kula und seine Lustempfindung in Relation zu einem Fernsehbild. Kula ›liebt‹ nicht Frau Beltinska, sondern ihr virtuelles Abbild. 57 Effenberger (1994a), S. 63.

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kes betrieben hat, adressieren in den Augen von Effenberger diesen Aspekt am Innigsten. Er schreibt: »Here [experimentation with tactile objects] the play acquires a purely noetic function at the level of Surrealist phenomenology of imagination, which is meant to make accessible the hidden relations between the unconsciousness and the process of becoming conscious. Like his objects and collages which through film strive for a temporal and spatial continuity, at least two-dimensional, his imagination demands the expansion of the field of sensual perception to live more and more on the dynamics of reality, to reach its universal integrity. By this tendency, Švankmajer’s principle of play becomes a significant part of a perspective which can be considered to have arisen from the opposition to the rationalist orientation of values and to be directed towards surrationality as a source of the future cycle of civilization.«58 [Hervorhebungen M. Sera]

Die utopische Funktion ist wichtig in Bezug auf das Anliegen, dem Grotesken mehr zuzugestehen als destruktive, zerstörerische Kraft. Sie beinhaltet die gleiche Energie, die weiß, die Sinne wie den Sinn zu bereichern und anzureichern, mit dem Ziel universelle Integrität zu erlangen. Dafür behauptet sie sich gegenüber der Kategorie des Erhabenen, des Guten und Schönen, fordert sie heraus, produziert Unentscheidbarkeit, ebnet artbildende Unterschiede ein und lässt Hierarchien taumeln – nicht nur in Bezug auf Švankmajers Werk. Das Adressieren und Aufdecken psychosozialer Missstände, welche verborgene und nicht verborgene Aggressionspotenziale freilegen im Sinne eines Prozesses der Bewusstwerdung oder Bewusstmachung (Hohlspiegel), komplementiert die utopische Funktion, vermischt sich mit und spiegelt sich in ihr. Hierdurch gewinnt sie an Zielgerichtetheit, an Intentionalität und damit an subversiver Kraft. Die Szene, in welcher Herr Pivonka in Conspirators of Pleasure strauchelt, ihm seine Hahnenmaske vom Kopf fällt und sich damit seine Phantasie jäh unterbrochen sieht, ist ein gutes Beispiel für den soeben beschriebenen Nexus. So sehr seine Phantasie von Zerstörungswut und dem absoluten Willen zu vernichten handelt, so spricht sie auch von dem Wunsch, sich im Raum der Imagination erhaben zu fühlen. So gleitet er förmlich schwerelos über den Boden, begleitet von klassischer Musik. In der Realität, in der er lebt, können sich diese erhebenden Gefühle in nichts Anderes umwerten als Akte der Aggression. Diese sehen sich nicht durch rationale, sondern unbewusste Prozesse gesteuert und im Widerspiel von verborgenen/offenen Energien verschaffen sie sexuelle Befriedigung. Wieder in der Realität angelangt verspürt Herr Pivonka, erschöpft von den Anstrengungen, ein anderes körperliches Bedürfnis: Hunger. Nicht nur, dass der 58 Effenberger (1994b), S. 55f.

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Akt des Essens für Švankmajer einen aggressiven Akt darstellt. Er schließt sich auch essenziell an den Bereich der Lustbefriedigung an. Entsprechend hinterlässt Herr Pivonka eine Mahlzeit für seine Liebesgespielin, nachdem er ihren Schädel zerschmettert hat. Er stellt ihr diesen Teller aus einem Impuls der Erhabenheit, Fürsorge und Rache hin. Die Wichtigkeit dieser Mahlzeit spiegelt sich darin, dass sie später in der Wohnung der real Ermordeten wiederauftaucht. Sie ist ein fester Bestandteil der Phantasie, die an die Grenze des Rituellen im Sinne einer Opfergabe stößt (und seiner grotesken Pervertierung/Umkehrung). Auch in Down to the cellar findet sich eine starke sexuelle Anbindung an das Motiv des Essens wieder, so wie eine subtile, unterschwellige Tendenz zu sadomasochistischen Energien. Die abwehrende Haltung des Mädchens Kohle zu essen oder sich in sie zu legen, entspricht auf der libidinösen Ebene den Abwehrmechanismen, die dem eigentlichen Wunsch, sich mit Kot zu beschmieren und ihn zu essen, entgegenstehen. Denkt man an Farbe, Form und Verdichtung von Kohle, erstellt sich selbstredend die assoziative Verknüpfung von Kohle und Kot und es erscheint aus der Sicht des Mädchens umso erschreckender, wenn dieselben Erwachsenen, die es ihr abgewöhnt haben, diesem regressiven Verhalten und Verlangen nachzugeben, ihm in ›ihrem eigenen Keller‹ frönen. Infolgedessen werden sie als Bedrohung empfunden. Sie unterminieren dieses Verbot in ihrer vermeintlichen Schwäche gegenüber diesem Verlangen. Geht man von der kindlichen Perspektive aus, lassen sich auch andere Phasen der frühkindlichen Sexualentwicklung (und mit ihnen die korrespondierenden Konfliktpotenziale) in dem Film wiederfinden. Das Erste, was der Zuschauer von dem Mädchen sieht, ist eine Nahaufnahme des Mundes, wie sie an einem Brötchen nuckelt. Dem Thema des Essens liegt die Idee des oralen Lustgewinns und seiner Frustration nahe. Die Verbindung zwischen einer Störung dieser frühen kindlichen Phase und einer Störung des Essverhaltens liegt auf der Hand und wird durch das erste Filmbild unterstützt. Auch in anderen Filmen taucht der Bezug zur oralen Lust und seiner aggressiven Frustration häufig auf. In Punch and Judy, zum Beispiel, klafft am Ende des Films anstelle des Mundes im Frauenporträt, welches die Bühnenwände in mehrfacher Ausführung ziert, ein schwarzes Loch. An anderer Stelle des Films penetriert ein Nagel zuerst den Mund einer Frauenabbildung auf der Innenseite eines Sargdeckels und dann den Mund der darin liegenden Handpuppe; eine der beiden Handpuppen, die sich in mörderischer Lust gegenseitig erbittert bekämpfen. In Jabberwocky rutschen Hörnchen durch die Münder von Frauenabbildern und am Ende durchstößt eine Zunge das Bild eines Mannes. Zungen an sich, vor allem abgetrennte Zungen oder lebensechte Zungen in Mündern von animierten Figuren, tauchen oft in der Bildsprache von Švankmajers Filmen auf (A Quiet Week in a House (1969), Dimensions of Dialogue, Virile games,

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Darkness-light-darkness (1989), The death of Stalinism in Bohemia (1990), Little Otik, und Lunacy). Abgetrennt sprechen sie von Kastrationsphantasien bzw. ängsten, zudem stellen sie sicherlich einen oralen Bezug her. Vor allem mit der Zunge ertastet und erkundet das kleine Kind die Welt um sich herum und setzt sich in lustvoller Beziehung zu ihr. Neben der oralen Phase birgt die phallische Phase Konfliktpotenzial: Die Phase des Ödipuskomplexes, wenn das Kind in der Liebe gegenüber dem andersgeschlechtlichen Elternteil Rivalitätsgefühle mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil entwickelt, gleichzeitig jedoch den Verlust der Liebe desselben befürchtet und das empfundene sexuelle Begehren unterdrückt. Auf dieser Ebene treten der mit Süßigkeiten lockende Mann und die Frau mit dem strengen, strafenden Blick symbolisch für die Mutter und den Vater ein und der stark sexuelle Unterton der Kellerszene geht nicht mehr primär von dem Mann aus, sondern von dem Mädchen. In dieser Phase, in welches das Kind die Genitalien als erogene Zonen entdeckt, entwickelt sich beim Jungen die Kastrationsangst und beim Mädchen der Penisneid, denn der Junge führt den fehlenden Penis beim Mädchen auf eine Bestrafung zurück. Diese Angst oder dieser Neid findet sich sowohl in den gefräßigen Schuhen wieder, die über das Hörnchen herfallen, als auch in der Köpfungsphantasie, welche sich in Bezug auf den zufallenden Truhendeckel aufdrängt. Außerdem symbolisiert die Katze verborgenes sexuelles Verlangen (und die monströse Größe der Katze dessen schwelende, omnipotente Macht), welches unter der Last von Schuld- und Angstgefühlen ins Reich der traumhaften Vision, des eigentlich/uneigentlich Gemeinten gedrängt wird. Dabei kommt man nicht umhin, den starken sadomasochistischen Aspekt in Bezug auf die belebte/unbelebte Objektwelt und dem ihnen innewohnenden Fetischcharakter zu bemerken: Aufgetrennte Schuhe, in denen messerscharfe Zahnreihen blitzen; die Ungenießbarkeit und Unnachgiebigkeit der Kohlen; prügelnde und züchtigende Holzscheite; und der Deckel einer Holztruhe, welcher droht den Kopf abzuschlagen. Wie der Mann und die Frau, denen das Mädchen in der Treppe begegnet, werden die Umgebung und die ›Dingwelt‹ des Kellers zur Projektionsfläche einer zerstörerischen, verneinenden Wut, die sich gegen das Objekt der Begierde genauso wie gegen den Begehrenden selbst, das Mädchen, wendet. Diese sadomasochistische Aggression, die sich in der Grausamkeit und Bedrohlichkeit der Phantasien niederschlägt, begegnet einem nicht nur in Down to the cellar und Conspirators of Pleasure. Švankmajers Filme zeigen sich im Allgemeinen stark geprägt durch diese aggressive Form der Zerstörungswut. Wie František Dryje ausführt: »Whether a film by Švankmajer contains black farce, blasphemy or tragedy, the erotic meaning is always shown in its negative aspect, which in psychological terms can most

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probably be read as unrecognized sado-masochisitic aggression. The destructive obsession, which permeates all Švankmajer’s films is now somewhat hesitatingly exposed: The destruction of the object of love and at the same time self-destruction as a defining, dominant feature of the erotic relationship. In ›Dialogue Passionate‹ [Dimensions of Dialogue] the couple – two clay figures of a naked man and woman – go through the motions of love, in which passion devours and penetrates, but also aggressively destroys the loved creature. This ironic, grimly sarcastic view of the emotion and ecstasy of love corresponds more to the de Sade tradition then to the romantic surge of, for example, Breton’s L’Amour Fou (Mad Love).«59

Down to the cellar zeigt, wie diese Art der (selbst-)zerstörerischen, erotischen Beziehung sich auf die Objektwelt überträgt. In Bezug auf das Thema des Essens, trägt die Verweigerung selbstzerstörerisches Potenzial und korrespondiert mit der abwehrenden Haltung gegenüber der Mutter, die erst die Brust verweigert (das heißt dem oralen Lustgewinn entgegensteht) und später auf die Essensverweigerung des Kindes mit Zwang und Züchtigung reagiert. Der Fokus auf Verweigerung und Zwang veranschaulicht, was Dryje meint in Bezug auf die negativen Aspekte libidinöser Bindungen in Švankmajers Werk. Gegenüber diesen Aspekten sieht sich die Objektwelt instrumentalisiert, das heißt dazu gebracht, Zähne zu zeigen, zu prügeln, zu drohen. An ihnen entlädt sich die Leidenschaft der libidinösen Besetzung, die immer wieder die kindliche Beziehung zum Vater und zur Mutter thematisiert und dessen Konfliktpotenzial für die kindliche Selbstfindung (re-)iteriert. Wie der Bereich des Sexuellen in diesem Nexus für Švankmajer funktioniert, ist interessant und wird in einem späteren Kapitel (Kapitel 5) weiter ausgeführt werden. An dieser Stelle verbleibt es, darauf aufmerksam zu machen, wie sich die psychoanalytische Strategie zu der grotesken Strategie der Bewusstwerdung/-machung verhält. Was verbindet und was trennt sie als Wegbegleiter der Interpretation? Sie stellen literarische Strategien dar, aber sie funktionieren doch unter unterschiedlichen Vorzeichen. Wie es im Schlussteil ausführlich behandelt wird, liegt der Unterschied explizit dort, wo sich die Geister an der utopischen Funktion literarischer Strategien scheiden. So heißt es bei Ricœurs, dass der psychoanalytische Ansatz als Strategie in Richtung Regression weist, ganz ähnlich zu dem, was soeben in Bezug auf Dryjes Zitat zur Sprache kam. Wenn Švankmajer schreibt: »Poetry comes into being as a defense mechanism against reality«,60 dann wird deutlich, dass diese ›Verteidigungsmechanismen‹ für Švankmajer notwendig aus unbewussten, tradierten Prozessen und Mechanismen entstehen: Im Unbewussten, 59 Dryje (1995), S. 147. 60 Švankmajer (1994b), S. 82.

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Traumhaften, Magischen, Alchemistischen, Sexuellen, Triebhaften, Volkstümlichen, Primitiven. Im Švankmajerschen Sinne jedoch weist dieser Prozess immer in zwei Richtungen: In eine Rückwärtige, Regressive und eine Vorwärtsgewandte, Utopische. Das Heuchlerische: Gesellschaft Die subversive Kraft der Imagination oder des Grotesken in Verbindung mit ihrer utopischen Funktion ist ein polarisierendes Thema. Am Anfang dieses Abschnitts wurde bereits auf die Wichtigkeit dieses Themas eingegangen. Zu ihm soll auch im Schlussteil zurückgekehrt werden. In Bezug auf Hugos Katalog, laut dem das Groteske das Gemeine, Gefräßige, Geizige, Hinterlistige, Unzüchtige, Zänkische und Heuchlerische im menschlichen Wesen hervorhebt, berührt das Thema der politischen oder gesellschaftlichen Subversion am innigsten den Aspekt des Heuchlerischen, zumindest in Zusammenhang mit dem ersten Punkt, den Knaak in Bezug auf Hugos Gebrauch des Wortes Grotesk nennt: Aussehen, Charakter und Handlung von Personen. Heuchlerisch verhält man sich gegenüber seinen Mitmenschen, seinem Vorgesetzten, seinen Untergebenen, seiner gelebten Realität. Der groteske Hohlspiegel deckt durch das Moment seiner Verzerrung (ganz im Sinne der mimetischen Vermittlung einer vorgefundenen, vorhergehenden Realität und einer nachfolgenden Stufe subversiver Potenzialität) den heuchlerischen Kern gesellschaftspolitischer Realität auf, inklusive des prägenden Stempels, den gesellschaftliche Institutionen den Menschen aufzwingen. In ›From surveys and interviews‹ äußert sich Švankmajer folgendermaßen dazu: »Society build on values that are dear to us, such as freedom, love and poetry, would have to have a non-repressive character, but in fact all civilization and culture are based on repression; it would mean denouncing the achievements of ›civilization‹, a kind of return along the evolutionary spiral back to the ›society of primitive nations‹ and that is something, I am afraid, that the majority of mankind will not be willing to undertake – they would rather be annihilated by an atomic bomb and AIDS and be killed of poisonous food and water.«61

Aus diesem Zitat wird deutlich, wie eng das regressive und das utopische Moment im Švankmajerschen Denken miteinander verbunden sind. Auch wenn beide Momente in gegensätzliche Richtungen weisen, so fallen sie grotesktypisch doch ineinander, sehen sich miteinander verbunden bzw. in Verhältnis zueinander gebracht und auf Augenhöhe gesetzt; ganz ähnlich dazu, wie in Švankmajers Filme mit dem Unterschied zwischen Realität und Fiktion verfahren wird. Dieses groteske ›Verfahren‹ des Enthierarchisierens, des Einebnens und auf Augenhöhe61 Švankmajer (1994b), S. 83.

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Bringens ist ein wichtiges Merkmal des Grotesken und seinem Umgang mit ›Realitäten‹, die Außen- und Innenwirklichkeit ineinander verschränken und darin die Themen Sexualität, Rivalität, Traum, Politik, Kultur, Poetik, Gesellschaft etc. zueinander in Verhältnis setzen. Gemeinsames Thema ist das der Macht, welches Hierarchien aufwirft und festigt und Alltagswirklichkeiten an das Moment des Heuchlerischen bindet. Švankmajers Begriffe von Macht und Machtausübung sehen sich nah an denen Michel Foucaults. In Dispositive der Macht schreibt Foucault: »[D]ie Macht ist nicht als ein massives und homogenes Phänomen der Herrschaft eines Individuums über andere, einer Gruppe über andere, einer Klasse über andere aufzufassen, sondern man muss erkennen, dass die Macht [...] nicht etwas ist, das sich unter denjenigen aufteilt, die über sie verfügen und sie ausschließlich besitzen, und denjenigen, die sie nicht haben und ihr ausgeliefert sind. Die Macht muss als etwas analysiert werden, das zirkuliert oder vielmehr als etwas, das nur in einer Art Kette funktioniert. Sie ist niemals hier oder dort lokalisiert, niemals in den Händen einiger weniger, sie wird niemals wie ein Gut oder wie Reichtum angeeignet. Die Macht funktioniert und wird ausgeübt über eine netzförmige Organisation. Und die Individuen zirkulieren nicht nur in ihren Maschen, sondern sind auch stets in einer Position, in der sie diese Macht zugleich erfahren und ausüben; sie sind niemals die unbewegliche und bewusste Zielscheibe dieser Macht, sie sind stets ihre Verbindungselemente. Mit anderen Worten: Die Macht wird nicht auf die Individuen angewandt, sie geht durch sie hindurch.«62

Der Foucaultsche Ansatz spricht sich explizit gegen die Vorstellung aus, dass Macht ›von oben‹ wirkt, dass sie im Wesentlichen in den zentralen Operationsorganen eines Staatsapparates oder einer ökonomischen ›Superstruktur‹ angesiedelt werden kann, von wo sie über das Individuum waltet. Hiermit wendet sich Foucault sowohl gegen klassische Souveränitätslehren aus dem Gebiet der Machttheorie als auch die marxistische Identifizierung von Macht und Klassenmacht, denen er kritisch entgegenhält, dass sie sich auf die Fiktion eines machtinnehabenden Subjektes stützen. Seiner Ansicht nach setzt eine tiefgängige Analyse voraus, dass Macht nicht als Eigentum verstanden wird, sondern vielmehr in Begriffen von Strategie und Taktik sowie als Effekt von Kräfteverhältnissen; »dass in ihr ein Netz von ständig angespannten und tätigen Beziehungen entziffert wird, anstatt eines festgehaltenen Privilegs; dass ihr als Modell die immerwährende Schlacht zugrunde gelegt wird [...]«63. Foucault wendet sich in seiner Analyse also vielmehr den Wirkungsprinzipien von ›Mikromächten‹ zu, die den gesamten Ge62 Foucault (1978), S. 82; vgl. auch Foucault (1976/1994), S. 38. 63 Foucault (1976/1994), S. 38.

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sellschaftskörper bis in seine kleinsten Zellen durchziehen. Dieses Netzwerk von Machtbeziehungen, das sich nicht als »schlichte und einfache Projektion der großen souveränen Macht auf die Individuen«64 begreifen lässt, stellt den »bewegliche[n], konkrete[n ] Boden«65 dar, »in dem sich die Macht verankert, die Bedingungen der Möglichkeit, damit sie funktionieren kann«66. Es bedarf nicht viel, die Parallelen zwischen der Konzeption von Macht, wie sie Foucault ausgearbeitet hat, und jenen Vorstellungen, die Švankmajers Filme nachhaltig prägen, nachzuvollziehen. Macht wird in Švankmajers Filmen weniger als allgemeines, ›übermächtiges‹ Phänomen begriffen, welches von oben nach unten wirkt, als vielmehr in die untersten Zellen und Ebenen der Gesellschaft vordringend, um dort die Funktionsweisen der Macht in Form von Unterdrückungsund Ausschlussphänomenen zu verankern. Seine Filme lassen kaum Zweifel daran, dass sie nach Kanälen und Wegen von Machtgefällen inmitten der Verstrickung alltäglicher Beziehungen suchen, bzw. andersherum den gesellschaftlichen Körper von den »Dispositionen, Manövern, Techniken, Funktionsweisen«67 von Machtbeziehungen durchdrungen und geprägt sehen. So rücken gesellschaftliche und kulturelle Institutionen in den Fokus der Filme; eine Tatsache, die Švankmajers Filme nicht beliebt bei offiziellen Stellen gemacht hat. Die Beispiele, die bislang im Zusammenhang mit den Themen Rivalität, Essen und Sexualität in den Filmen angebracht wurden, sprechen dafür, dass das Thema der Macht ihnen nicht äußerlich bleibt, sondern explizit durch sie hindurch läuft. Die Begegnungen des Mädchens mit seinen Nachbarn in Down to the cellar oder zwischen den sechs ›Verbündeten‹ aus Conspirators of Pleasure legen deutlich das Moment des unmittelbaren Hervorbringens von Machtrelationen in jedem Augenblick und an jedem Punkt nahe; sogar in dem Moment, in dem man lediglich aneinander vorübergeht. Ebenso sprechen Rivalitätskämpfe zwischen Figuren und Charakteren über Machtrelationen. Die Allgegenwart von Machtbeziehungen ist ständig präsent in Švankmajers Filmen. Sie lassen sogar, wie gezeigt wurde, abstrakte Widersacher wie Realität und Fiktion oder Objekt und Subjekt Rivalitätsbeziehungen zueinander eingehen. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang sind eine Reihe von Filmen, die im Zeitraum von 1968 bis 1972 entstanden sind: The Garden, The Flat, Picknick mit Weissmann, A Quiet Week in a House, Jabberwocky und Leonardo’s Diary (1972). The Garden wird in der Literatur zu Švankmajers Werk oft als Wendepunkt in seinem Schaffen bezeichnet. Realistischer im Vergleich zu den Vorgängerfilmen zeichnet The Gar64 Foucault (1978), S. 110. 65 Foucault (1978), S. 110. 66 Foucault (1978), S. 110. 67 Foucault (1976/1994), S. 38.

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den sein surreales Sujet aus. Der Film beginnt mit einer Autofahrt zweier Personen, wobei das Ziel das Haus des Fahrers ist. Dort angekommen stellt sich heraus, dass der Zaun des Hauses aus einer Kette von Menschen besteht, aus Fleisch und Blut und in alltäglicher Kleidung gekleidet, die das Haus, den Rücken kehrend, und sich an den Händeln haltend, umzäunen. Der Fahrer bittet seinen Gast hinein, dieser jedoch reiht sich in die Menschenkette ein. Mit dieser Hinwendung zu einer gesteigerten realen/surrealen Bildsprache sehen viele Kritiker eine Wendung des Werkes weg von seiner manieristischen Wurzel hin zu surrealen Sujets.68 Auch die drei folgenden Filme The Flat, Picknick mit Weissmann und A Quiet Week in a House entsprechen dieser Tendenz. Hier ist es jedoch vor allem die Objektwelt, die sich gegen die Menschheit verschworen hat. Finden sich in The Garden eine Kette von Menschen anonymisiert und darin objektiviert, sieht sich in The Flat ein Mann in einen geschlossenen Raum geworfen, in der sich die Objektwelt verschworen hat. In wilden Metamorphosen entziehen die Objekte dem Gefangenen ihre Funktionalität: Nahrungsmittel werden ungenießbar oder schrumpfen zu verschwindend geringen Mengen; ein Löffel wird mit einem Mal löchrig; der Tisch ›trägt‹ nicht mehr; das Bett löst sich regelrecht in seine Bestandteile auf, etc. Auch in Picknick mit Weissmann und A Quiet Week in a House geht es ähnlich zu. Während in dem ersten Film das Subjekt auf seltsame Weise völlig ausgespart scheint und die Objekte alleine (Anzug, Nahrungsmittel, Mobiliar, Grammophon etc.) einen entspannten Sommernachmittag im Freien verbringen (das vermisste Subjekt erweist sich am Ende des Films als geknebelt und gefesselt in einen Schrank gesperrt und soll alsbald verschachert werden), stiehlt sich in A Quiet Week in a House ein Mann in ein Haus, wo er sich für sieben Tage einquartiert und durch Gucklöcher, die er in die angrenzenden Zimmertüren bohrt, die seltsamsten Dinge beobachtet: Stille Tableaus, in denen Objekte, Möbelstücke und Spielzeuge zum Leben erwachen und sich in skurrile Narrativen verstricken. Am siebten Tag steckt er Dynamitstangen in die Löcher, versieht sie mit seinem Wecker als Zeitzünder und entfernt sich rasch vom Haus; jedoch nicht bevor er noch einmal kurz ins Haus zurückkehrt und den siebten Tag im Kalender durchstreicht, wie er es die Tage zuvor schon getan hat. The Garden, The Flat, Picknick mit Weissmann und vor allem A Quiet Week in a House sind nicht einfach zu deuten. In Bezug auf das gegenwärtige Anliegen, nämlich einen Überblick über das Grotesksein Švankmajers Werkes aus der Hugoschen Perspektive zu geben, verbleibt es anzumerken, dass ein Aspekt gemein 68 O‘Pray widerspricht dieser Sichtweise, wie im vorhergehenden Kapitel dargelegt wurde. Für ihn stellen das manieristische und das surrealistische Element in Švankmajers Werk keine konträren Aspekte dar. In seinem Essay ›Jan Švankmajer: A Mannerist Surrealist‹ (O’Pray, 1995) argumentiert er für die Kontinuität beider Elemente.

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scheint. Prägt sich ihre gesellschafts- und sozialkritische Botschaft tief in die unmenschlich agierende Objekt-Welt oder Um-Welt ein, die Freiheit raubt, Lebensgrundlagen entzieht, foltert und mordet, steht diesem ›Apparat‹ ein Subjekt entgegen, welches versucht, mehr oder minder erfolgreich, seine Existenz zu legitimieren. Darin wirken die Filme Kafkaesque. So verwandelt sich die Menschenkette in The Garden in ein Bild für organisierten Widerstand, in Analogie zur surrealistischen Gruppe, der Švankmajer angehört. Gesehen von den Autoritäten (Mann, dem das Haus gehört) und doch nicht richtig wahrgenommen, lassen sich die Akteure in ihrem Tun nicht beirren; agieren am Rande des Möglichen, wobei sie die vorgegebenen Grenzen nicht nur austesten, sondern auch ausweiten (Zaunmetapher/Raumgewinnung durch den zusätzlichen Akteur). Diese Sichtweise erlaubt es zu erklären, warum es dem ›Gast‹ widerstrebt, mit ins Haus zu gehen (und es sich dort leiblich wohlergehen zu lassen), und er sich stattdessen bereitwillig in die Menschenkette einreiht. Vielsagend ist auch die dieses groteske Bild begleitende Stille, in der die Akteure agieren. Es ist eine bedrückende, auferlegte Stille, die jedoch zugleich ein ungemeines Maß an Würde schafft. Für dieses Streben nach existenzieller Selbstlegitimation im Angesicht erdrückender machtpolitischer Zustände und Kräfteverteilungen stehen Kafkas Erzählungen wie Der Prozess oder Das Schloss emblematisch ein. In Der Prozess sieht sich Josef K. unschuldig angeklagt und trotz aller Bemühungen am Ende hingerichtet. In Das Schloss konzentriert sich Herr Ks ganzes Streben darauf, sich dem Schloss zu nähern, welches durch einen gewaltigen, undurchschaubaren, bürokratischen Apparat organisiert ist (und darin jeden Einzelnen der Dorfbewohner kontrolliert) und selbst unnahbar und unerreichbar bleibt. In beiden Erzählungen irren die Protagonisten durch ein Labyrinth, das auf den ersten Blick keinen direkten Bezug zu ihnen hat und doch so angelegt ist, sie scheitern zu lassen. Nichtsdestotrotz bleibt Widerstand möglich. Am Ende von The Flat, zum Beispiel, schlägt der Protagonist, in einem letzten Akt der Verzweiflung, eine Holztür ein. Hinter dieser Tür erscheint eine Mauer, die mit unzähligen Signaturen übersät ist, wahrscheinlich von Vorgefangenen. Der Protagonist wendet sein Gesicht der Kamera zu und eine Vielzahl elliptischer Stopmotion-Aufnahmen erscheint, wie Grimassen, schnell hintereinander geschnitten. Dann wendet er sich wieder der Wand zu und unterzeichnet mit Josef, in deutlicher Anlehnung an Kafka. Bevor der Zuschauer nämlich seinen Nachnamen lesen kann, blendet die Kamera aus. Sieht sich also der ominös Gefangene der Wohnung besiegt, von dem der Zuschauer weder weiß, warum er dorthin gebracht wurde, noch von wem, so hinterlässt er in seinen Grimassen und seiner Unterschrift doch einen Aufruf zum Widerstand im Sinne einer verschlüsselten Botschaft. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf The Garden. Der Hausbesitzer objektiviert zwar die Menschenkörper,

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macht sie sich nutzbar, aber die Objekte können sich im Widerstand verschwören. Wie weit diese Verschwörung geht, wird sich im folgenden Kapitel im Zusammenhang mit den Theorien Jean Baudrillards zeigen. Auch das Subjekt aus A Quiet Week in a House leistet offenen, aktiven Widerstand und lässt sich in diese Richtung interpretieren. Spricht die Zerstörung des Hauses als Symbol für das Selbst für pure, blinde Selbstaggression und -zerstörung, kann man das Haus ebenso als Sitz für die Kreativität oder als kreatives Medium lesen. So gesehen lässt der Akteur als Künstler, in der Manier eines Partisanenkriegers, in dem Haus seine Visionen aufleben; gibt ihnen Raum sich zu entfalten und zu entwickeln. Allerdings nur im Sinne eines konstatierten, organisierten Schachzuges, der das Haus für kurze Zeit belebt und zurückerobert, bevor er es dann wieder verlässt (oder verlassen muss) und weiterzieht. Diese unterschiedlichen Lesarten zeigen, wie grotesktypisch verschachtelt und ineinander verwoben die interpretativen Reize in Švankmajers Filmen sind. Erweist sich die eben beschriebene Gruppe von Filmen charakterisiert dadurch, wie sie unmenschliche und menschliche Realitäten aufeinanderstoßen lässt, zeigt sich eine andere Reihe von Filmen explizit auf gesellschaftlich soziale Institutionen und ihre prägende Wirkung ausgerichtet. So richten sich etwa Historia naturae (suita) an den machtpolitischen Umgang mit Erkenntnisrelationen; Jabberwocky an den Institutionalisierungsprozess heranwachsender Kinder; Leonardo’s Diary an die Verflachung gesellschaftlicher Gemeinschaft, The Pendulum, the Pit and Hope (1983) an die machtpolitische Gewalt der Kirche; Virile games an den Wahnsinn hinter dem Sportgeschäft; The death of Stalinism in Bohemia an die Irritation und Verblendung nach dem Sturz des totalitären Regimes und Food an die ökonomischen Strategien und Interessen in Bezug auf die Fixierung gesellschaftspolitischer Machtverhältnisse. Die Sprengkraft, die zwischen selbstverleumderischen und selbstaffirmierenden Aspekten entsteht, entlädt sich jäh in den Filmen und verstärkt damit die Radikalität, der es bedarf, um dieses Moment zu entlarven. Dabei sind es die Formen und Ausformungen des Grotesken, die diese Radikalität maßgeblich tragen. Hugos Verwendung des Begriffs in diesem Zusammenhang bindet sich, wie bei Švankmajer, stark an Körperlichkeiten, die das Verhalten und den Charakter von Akteuren widerspiegeln. Dieser Punkt, nämlich das Verhältnis des Grotesken zum Körper und Körperlichen, bildet einen zentralen Aspekt, dem sich zu Beginn des nächsten Kapitels detaillierter zugewandt wird. Mit Blick auf die etymologische Herkunft des Wortes ›heucheln‹ in seiner Bedeutung ›sich verstellen, unaufrichtig, scheinheilig reden und handeln‹ (16. Jahrhundert, Luther) erscheint die Herkunft ungeklärt. Eine mögliche Herleitung ist, dass das Wort eine Iterativbildung zu ›hūchen‹ im Sinne von ›kauern, sich ducken, einschrumpfen‹ oder ›hūken‹ ›sich

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mit gebeugten Knien tief herablassen‹ bildet.69 Dazu passen in Leonardo’s Diary die ausgedehnten Szenen rhythmisch gymnastischer Bewegungen, die von einer Gruppe von Leuten ausgeübt werden. In Bezug auf gesellschaftspolitische Realitäten ist und bleibt jedoch das Heuchlerische die Wurzel allen gesellschaftlichen Übels und Gebarens. Für diese ›Verdorbenheit‹ kennen Švankmajers Filme ein sehr markantes Motiv, nämlich das der verfaulenden und von Maden zerfressenen Äpfel. In Jabberwocky sind die Äpfel, wie unsere Kinder, bereits vom Baumkeimling an verdorben. Die von Švankmajer geforderte Rückkehr entlang des evolutionären Rückgrats führt unvermeidlich durch ein Grab, einen Haufen Blätter (Don Juan, Picknick mit Weissmann), ein Auto (Faust), einen Anzug (Jabberwocky) oder die Sackgasse eines Hinterhofs (J. S. Bach: Fantasia g-moll). Švankmajers Filme kennen mehr Gesichter und Gestalten für Gräber als für irgendetwas anderes Motiv. Masken Der zweite Punkt ›Masken‹, den Knaak in Bezug auf den Hugoschen Begriff des Grotesken herausarbeitet, bindet sich eng an ein weiteres wichtiges Darstellungsmoment seines Schaffens: Die Puppe. Hugo hebt den grotesken Charakter von Masken/Puppen aus demselben Grund hervor, weshalb sie auch für Švankmajers Schaffen wichtig sind: Es gibt kaum ein vergleichbares Medium, in dem der Übergang vom Komisch-Lächerlichen zum Schrecklichen so einfach zu gestalten ist.70 Dabei scheint es nicht so wichtig, Unterschiede zwischen Masken und Puppen zu suchen, als vielmehr ihre Gemeinsamkeiten aufzudecken. In A Dictionary of Puppetry heißt es hierzu: »Although there are differences there is a close relationship with the puppet, which has been called ›the complete mask‹. […]The main difference between the mask and the puppet is that the puppet is seen by its operator as well as by the audience, the control is to some degree remote, whereas the masked actor becomes his own puppet.«71

Dieses Zitat ist in Bezug auf Švankmajers Puppenfilme in doppelter Hinsicht interessant, denn insbesondere der Teil, dass der maskierte Schauspieler seine eigene Puppe wird, ist hier im wörtlichen wie im übertragenden Sinne zu verstehen. Wörtlich, weil in Filmen wie The Last Trick of Mr. Schwarzwald and Mr. Edgar, Don Juan und Faust sich tatsächlich die Demarkierungslinie zwischen Maske und Puppenform verwischt sieht, wenn Schauspieler als lebensgroße Pappmaschee69 Etymologisches Wörterbuch (nach Wolfgang Pfeifer). 70 Vgl. Knaak, S. 44. 71 Philpott, S. 152.

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und Marionettenfiguren auftreten. In dieser medialen Vermischung schwingt jedoch mehr mit. Nicht nur, dass sich das Subjekt objektiviert sieht. Die Ineinanderfaltung von Puppen- und Menschenkörper drängt die Frage nach der aporetischen Erfahrung menschlicher Existenz, die dem Grotesken anhaftet, förmlich auf. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Bindung, die sich in Švankmajers Gebrauch von Marionetten und Puppen an die Romantik herstellt. In Bezug auf Faust zum Beispiel erläutert Švankmajer: »I made the puppets, they are not copies, but are based on the nineteenth century. The original puppets were carved over generations by families with their own carving styles. I copied their patina to make them look as authentic as possible without stylizing them. In my films I do not like to present a signature or artistic style; I’d like the audience to discover an authentic object that exists beyond me.«72 Dieses gestalterische Annähern an romantische Traditionen spricht dafür, dass Švankmajer sie auch fest in dem romantisch-symbolischen Gehalt, welcher der Marionette anhaftet, verankert sehen will. Gemeint ist der tragisch-komische Aspekt des ›Gebundenseins‹, welcher sich als unumgänglicher Symbolgehalt in die Puppenform eingeschrieben hat. Nimmt man noch den beengt begrenzten Raum der Bühne hinzu, in welchem die Marionette sich bewegt und handelt, dann ist das Bild des manipulierten, beschränkten Ichs, welches sich seiner Autonomie beraubt sieht, vollständig. Fuß erklärt, dass die Dekomposition des Subjekts ein Charakteristikum der romantischen Groteske ist. Die romantisch-grotesken Topoi der Marionette und der Automatenmenschen liquidieren, seiner Meinung nach, »die Vorstellung eines autonomen, sein Handeln selbstmächtig steuernden Subjekts und verkehrt sie in die Vorstellung unfreier Fremdbeherrschung«73. Die Ausführungen in dem einleitenden Kapitel deuten jedoch bereits an, dass man an dieser Stelle nicht zu einseitig denken darf. Švankmajers Gebrauch der Puppenform erschöpft sich nicht in dieser Lesart, obwohl sie sicherlich mit hineinspielt. Wie O’Pray es trefflich formuliert: »Švankmajer’s use of puppets and marionettes is one that is always aware of their tradition and history, and to this extend they are less the embodiment of some symbolic attempt to describe modern alienation and rather more an attempt to develop their emotional connotations.«74 Diesem Reichtum, der sich zwischen den überschießenden Gesten, Emotionen und Handlungen von Švankmajers Marionetten und Puppen hervortut, soll in Zusammenhang mit 72 Švankmajer (1994a), S. 20. 73 Fuß, S. 288. 74 O’Pray (1987), S. 15.

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dem romantischen Topos im vierten Kapitel am Beispiel von Don Juan verfolgt werden. Dinge Der dritte Punkt, den Knaak in seiner Auflistung nennt, trifft einen ebenso integralen Teil wie die Puppenform in Švankmajers Schaffen. Es heißt bei Knaak: »Dinge, die von Haus aus ehrwürdig, zufällig auch ein lächerliches Aussehen haben, auf komische, seltsame Art zusammengesetzt sind, kennzeichnet der Dichter [Hugo] als grotesk.«75 Wo die Marionettenform den Bogen zur Romantik schlägt, stellt dieser Punkt eine direkte Verbindung zum Manierismus und Surrealismus her. Švankmajers Bezug zur Materialität der Dinge ist deutlich geprägt vom Surrealismus und auf ungewöhnliche Weise erinnert Knaaks Beschreibung an das surrealistische ›Objet trouvé‹, gefundene Gegenstände, die transformiert, arrangiert, fragmentiert neue Zusammenhänge sehen lassen. In diesem Kontext denkt man zunächst an die zusammengesetzten Wesen in Dimensions of Dialogue und Flora (1989), die aus verschiedenen ›charakteristischen‹ und dennoch autonomen Geräten und Materialen zusammengesetzt sind.76 Elza Adamowicz beschreibt den Reiz, den das Zusammentreffen unterschiedlichster Objekte auf den Surrealisten ausübt, folgendermaßen: »A British Columbian mask alongside a painting by Douanier Rousseau, a case of tropical butterflies next to an Ormec statuette, a schizophrenic drawing by Wölfli, an inua mask from Alaska: The surrealists were alert to the hallucinatory, auratic, fetishistic or disorienting character of certain elective objects, images or textual fragments, ces obejts à halo qui nous subjuguent. More essentially, perhaps, they were interested in the potential of such objects to create new encounters.«77

Es ist nicht allein der Aspekt des Transformierens und Zusammensetzens heterogener Elemente, der die Verbindung zum Surrealismus herstellt (und darin essenziell auch zum Grotesken), sondern vor allem auch die Hervorhebung der Materialität der gebrauchten Gegenstände. Švankmajer insistiert darauf, dass allen Objekten sowie ihrer Materialität besondere Qualitäten innewohnen, die es gilt, hervorzuheben. O’Pray schreibt hierzu: 75 Knaak, S. 45. 76 In dem kurzen aber prägnanten Film Flora sehen wir ein Wesen, welches an ein Bett gefesselt ist und verzweifelt versucht ein Glas Wasser zu erreichen. Ihr gesamter Körper sieht sich in arcimboldischer Manier zusammengesetzt aus Gemüsen und Früchten, nur das Gesicht und die Hände bestehen aus Ton. 77 Adamowicz, S. 43.

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»Švankmajer’s work seems extremely anti-occult in its rigorous materialism, its emphasis on the very stuffness of things – the surfaces of stone, walls, the viscosity of mud, the ancient battered painted marionettes, the pulp of vegetables, etc. However, Švankmajer’s animation is one of transformation before our very eyes, from object to its broken parts, from parts to the object, and in this aspect is alchemical.«78

Entsprechend wirken viele seiner Filme wie Fallstudien zum Umgang mit unterschiedlichen Materialien. J. S. Bach: Fantasia g-moll und Spiel mit Steinen (1965), zum Beispiel, sind Filme, die sich in der Hauptsache der Beschaffenheit von Stein widmen. In J. S. Bach: Fantasia g-moll finden wachsende und sich schließende Mulden und Löcher in Steinmauern ihre Entsprechung in den vollmundigen barocken Klängen des begleitenden Bachstückes, wie bereits gezeigt wurde. Ebenso in Spiel mit Steinen: Das Zerteilen, Zerschlagen und Zerbröseln der in unterschiedlichen Formationen arrangierten Steine scheint das Resultat ausgiebiger Experimente mit diesem Material.79 In ähnlicher Weise widmen sich die meisten Filme Švankmajers einem oder mehreren Materialien, mit denen sie sich intensiv auseinandersetzen: Ton, Holz, Papier, Metall, Knochen, etc. Die besonderen Qualitäten, die er in den Materialien findet, nutzt Švankmajer als Grundlage für die Art des animierten Lebens, welches er ihnen in den Filmen gibt. Dieser Ansatzpunkt ist für die Wirkung der Filme nicht zu vernachlässigen. Wenn Švankmajers Filme sich auf narrativer Ebene in grotesker Weise verstricken und verschachteln, wie gezeigt wurde, dann ist dies auf genau dieser Grundlage möglich. Die unbeugsame Materialität und die aus ihr erwachsenden Qualitäten liefern den stabilen Unterbau für die Brüche und Interferenzen, die sie durchwirken. Dieser Punkt des Zusammentreffens des Unbeugsamen (welches einen Abdruck aufnimmt/hinterlässt) und des Durchwirkenden (welches einen Eindruck aufwirft/reflektiert) ist interessant in Bezug auf das Moment des Grotesken in Švankmajers Filmen. Es wirft Licht auf die essenzielle Wichtigkeit, die das Körperliche für das Groteske hat. Zwischen dem Unbeugsamen (Abdruck) und dem Einwirkenden (Eindruck) beschreibt sich einer der essenziellen Räume der grotesken Gegenplatzierung, von denen im einleitenden Kapitel gesagt wurde, dass sie formal wie inhaltlich das Hauptaugenmerk der Untersuchung bilden. Entsprechend intensiv soll sich diesem Raum zwischen Abdruck und Eindruck im dritten und vierten Kapitel gewidmet werden. Auch fühlt man sich zurückverwiesen auf Ricœurs Mimesisbegriff, der ebenfalls in der Einleitung zur Sprache gekommen ist, nämlich dass das Moment des ›Menschlich-Zeich78 O’Pray (1987), p. 11. 79 Vgl. das dritte Kapitel dieser Abhandlung, wo Spiel mit Steinen detailliert in Zusammenhang mit Martin Heideggers ›Der Ursprung des Kunstwerks‹ analysiert wird.

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nens‹ in der Darstellung, in der Vermittlung zwischen einer ihr vorhergehenden Stufe der praktischen Erfahrung und einer ihr nachfolgenden Stufe subversiver Produktivität, entsteht. Wenn sich nun die Konkretheit, Materialität und Physikalität der Filme als bedeutend darstellen, weil sie im Spannungsfeld versatiler Gegenplatzierungen Halt bieten, dann, weil die Erfahrung von Materialität und Physikalität diesen mobilisierenden, subvertierenden Spannungen vorgängig ist. Sprache Ist also die Rede von narrativen, codierenden und körperlichen Aspekten in der Erfahrung, die in Momente grotesktypischer Vermittlung und Verschiebung geraten, dann können dieselben Momente auch den Bereich der Sprache treffen. Hugo hat dies ebenso gesehen, wie Knaak schreibt: »Selbst Wörter oder Sprache, die künstlich gemacht, oft aus heterogenen Elementen komponiert sind, so dass sie komisch anmuten, nennt Hugo grotesk.«80 In diesem Zusammenhang stehen bei Švankmajer vor allem die Carroll Filme. Jabberwocky beginnt mit Lewis Carrolls berühmten Nonsens Gedicht ›Legende vom Schebberroch‹ aus Durch den Spiegel und was Alice dort fand. Švankmajer hat sich den Alicetexten außerdem in Alice zugewendet. Laut Fuß erschüttern Nonsens-Texte, wie die von Carroll, die kulturelle Erkenntnisordnung, jedoch seiner Meinung nach eher in Richtung des Komischen (wie auch Hugo es offensichtlich gesehen hat): »Carrolls Nonsens-Texte sind jedoch eher am harmlosen und komischen Pol grotesker Ambivalenz angesiedelt. Dies beruht auf der scheinbaren Unmöglichkeit einer realen Transformation der als unveränderlich geltenden Erkenntnisordnung. Ihre virtuelle Anamorphose scheint keine Gefahr für die Kulturordnung darzustellen, da sie nicht realisierbar sind. Dennoch erschüttert sie für einen Moment die Unhinterfragbarkeit der konventionellen Erkenntnisordnung.«81

Dessen ungeachtet muss man in diesem Zusammenhang den Bezug zum Surrealismus herstellen und die Wörter der Nonsens-Texte – transformiert, fragmentiert, arrangiert – als Körper oder Materialitäten wahrnehmen. In Don Juan, zum Beispiel, werden kontinuierlich Ausrufe der Charaktere durch Einblendungen von handschriftlichen Schriftzügen hervorgehoben, was in Konjunktion des gesprochenen und geschriebenen Wortes Aspekte der Materialität und Körperlichkeit bereits betont. In Steigerung dessen taucht im Moment des Sterbens von Don Felipe eine geschriebene Zeile auf, die sich an seine geliebte Doña Maria richtet, aber diesmal wird diese Zeile nicht gesprochen. So heißt es im Film: »Oh Doña 80 Knaak, S. 45. 81 Fuß, S. 291.

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Maria, my soul is being laid to rest.« Diese Zeile tastet die Kamera ab und – auf dem letzten Wort einen Moment verharrend – wird sie zusehends unscharf. Mehrere Medialisierungsschichten legen sich in diesem filmischen Moment mit großem Effekt übereinander: Das geschriebene Wort; das gelesene Wort (wobei gleichzeitig dessen metonymische Qualität in den Vordergrund gehoben wird); das theatrale Wort, in dem Emotionen darauf warten sich im Gelesen-Werden im Wahrnehmungsgrund (der Körper des Zuhörers) zu entfalten; das vom filmischen Auge rezipierte, abgetastete Wort, welches sich bemüht, den in den Worten verschlossenen Gefühlskörper zu erschließen (worin es auch erfolgreich ist, indem es formend eingreift – langsames Abtasten und Unscharfwerden). Das Spiel mit der Kamera, welches untypisch ist für Švankmajer, da er die Kamera ansonsten eher statisch einsetzt, hebt die filmische Wahrnehmung der Worte als Körper und Materialität hervor und illustriert den Respekt, den Švankmajer ihnen – ähnlich den Dingen und Objekten im Sinne von Qualitäten – entgegenbringt. Diese Achtung wächst aus der Sicht auf die Dinge und Materialitäten (hier Zeichenmaterialität) als entbindende, kreative Kräfte. Tatsächlich möchte man so weit gehen, dass in diesem Aspekt, den der Entbindung von Kreativität, nicht nur das Hauptinteresse von Švankmajers Werk im Grotesken liegt, sondern vor allem auch das Interesse des utopischen Moments (subversive Produktivität). Die Verbindung, die Zeichen- und Dingmaterialität in diese Richtung eingehen, zeigt die Anfangssequenz von Jabberwocky in Verbindung mit Lewis Carrolls Gedicht ›Legende vom Schebberroch‹. Dinge und Worte verbinden sich nicht nur auf der Grundlage stakkatoartiger Rhythmen, sondern die Unbestimmtheit der Neologismen, die das Gedicht füllen, spiegelt sich auf der Seite der Dinge in Dynamiken, Emotionen und Metaphern wieder, die mit dem erzählerischen Rahmen des Gedichts – ein Junge, der ein Monster mit dem Schwert tötet und von seinem Vater dafür gepriesen wird – wenig gemein haben. In dem Gedicht heißt es: Legende vom Schebberroch »’s war britzlich, und der schlinke Totz Zerschirrt’ und drilberte’s Geweech; Ganz jimmrig war’s dem Borgoglotz, Und die traue Schratte schreech. Hüt’ dich, mein Sohn vorm Schebberroch, des Maules Biß, der Klauen Krall! Nah weder’m Sabbsabb-Vogel, noch Wutschnaufgem Geißelprall!

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Er nahm’s vorpale Schwert zur Hand: Nach dem kattmanen Feind er spürt’ – Als unterm Tamtam-Baum er stand Und Selbstgespräche Führt’, In zwidrer Stimmung, da kam bald Der Schebberroch mit Flammenblick Laut jiffelnd durch den tulgen Wald: Senkt’ burbelnd das Genick! Eins, zwo! Eins, zwo! Und so! Und so! Die Klinge führt’ er schnacke-schnick! Schlug ab den Kopf, ergriff den Schopf, Und galumphiert’ zurück. »Erschlugst den Schebberroch? Dann, ach: Strahlischer Knab’, an meine Brust! Fantabler Tag! Ich juch! Ich jach!« Gluckst der in seiner Lust. ’s war britzlich, und der schlinke Totz Zerschirrt’ und drilberte’s Geweech; Ganz jimmrig war’s dem Borgoglotz, Und die traue Schratte schreech.«82

Die Zeilen sehen sich im Film durch eindrucksvolle, typisch Švankmajeresque Bilder begleitet: Ein Schrank, der durch eine mit Bäumen bepflanzte Landschaft rückt und sich plötzlich in einem mit Spielzeug vollgeräumten Zimmer wiederfindet; große Einmachgläser, gefüllt mit Knöpfen, Muscheln und Kastanien, die zu brodeln anfangen; das flackernde Bild eines Mädchens, welches eine Puppe durch das Zimmer jagt, hinter einem Tisch verschwindet und wenig später sich in abwehrender Haltung in die hintere Ecke des Zimmers drückt und abermals verschwindet; der aus einer Schüssel emporspringende Matrosenanzug und zum Schluss die Nahaufnahme einer Puppe, die auf ihre Hände blickt und dann wieder aufblickt. Vergleicht man das Gedicht mit der Darstellung im Film, fällt zunächst der Kontrast auf, in dem beide zueinanderstehen. Im Gegensatz zu dem Kind im Gedicht, welches imaginäre Freiheit, Macht und Anerkennung genießt, wirkt die Kinderstube, in die der Schrank zum Stehen kommt, beengt und vollgestellt. Der 82 Carroll, Lewis, S. 28f.

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Raum für Freiheit, Macht und Anerkennung scheint hier kaum gegeben. Die Leblosigkeit und Starrheit des umherstehenden Spielzeugs verneint kraftvolle Potenzialität, Phantasie und Lebensfreude. Entsprechend flackert auch das Bild des auftauchenden und wieder verschwindenden Mädchens. Der Kontrast zwischen Gedicht und Film sieht sich zum Ende der Szene noch gesteigert. Wird das Kind in dem Gedicht für seine Heldentaten bejubelt, drückt es sich in dem Film abwehrend in eine Ecke, als hätte es Angst vor einer drohenden Strafe, bevor es abermals verschwindet. Das Verschwinden spricht für sich. Während die ›Institution‹ der Kinderstube beharrlich fortbesteht, durchläuft das Kind auf Gedeih und Verderb die Prozesse, die dieser Institution angedacht sind. Darin bereitet die Eingangsszene vor, was später zum Hauptthema des Films wird: Prozess der Institutionalisierung. Die gleiche Szene gehört indessen auch zu den poetischsten in Švankmajers Werk; eben aus dem Grunde der Divergenz zwischen gesprochenem Wort und Bild. Durch das Fenster, welches das Gedicht öffnet, kreiert Švankmajer ein atemberaubendes Beispiel filmischer Poesie auf der Grundlage multimedialer Gestaltung. Dieses kreative Prinzip, welches Gegebenes nutzt und transformiert, bedeutet mehr, als eine kolumbianische Maske, ein Gemälde und einen Schaukasten mit Schmetterlingen nebeneinander zu arrangieren. Es beschreibt wie Švankmajer Medien nicht nur in ihrer Medialität, sondern vor allem auch in ihrer Materialität begreift und verarbeitet. Medialität und Materialität falten sich bei Švankmajer wortwörtlich ineinander (ähnlich wie der Puppenkörper und der menschliche Körper) und produzieren darin ein immenses Potenzial kreativer Kraft und filmischer Poetik. Wie Roger Cardinal es formuliert: »Švankmajers films seriously reflect the workings of the mind in its operations of comparison, discrimination, categorization, dialectical evaluation, generalisation, memorialization and so on. More specifically I see his habit of flexible recycling, of repetition with variation, together with his wry asymmetries and panicky transitions as offering a perfect model of poetic thought as understood by surrealism.«83

Auf diesen Zusammenhang soll detailliert im fünften Kapitel eingegangen werden, wenn sich im Kontext von The Fall of the House of Usher der leidenschaftlichen, surrealistischen Seite Švankmajers Werkes zugewandt wird.

83 Cardinal, S. 93.

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Sitten, Gesetze, Skulptur, Malerei, Märchen: Das subversive Potenzial des Grotesken Neben den vorhergehenden Zuordnungen des Begriffs geht Knaak ebenso der Herstellung historischer, kulturgeschichtlicher und gesellschaftlicher Bezüge in Hugos Verwendung des Begriffs des Grotesken nach. Auch diese erweisen sich in mancher Hinsicht als interessant in Bezug auf Švankmajers Werk. Zum Beispiel schreibt er unter den Punkten fünf und sechs, dass laut Hugo auch in den Sitten und den Gesetzen das Groteske vertreten sei, genauso wie in der Skulptur des Mittelalters (Punkt 7), der Malerei des Hell-Dunkels (Punkt 8) und den vulgären Phantasien und Märchen des Volkes (Punkt 9). Diese Punkte spielen auf die kulturhistorische Relevanz des Grotesken an, auf seine Funktion und Rolle im Innern einer kulturellen Formation im Rahmen gesellschaftlicher und ästhetischer Normen. Hugo unterstreicht hier, worauf Fuß in seiner Untersuchung der kulturellen Relevanz des grotesken Phänomens aus ist, nämlich zu zeigen, dass groteske Gestaltungen Produkte einer virtuellen Anamorphose symbolischer Ordnungsstrukturen wie Sprachordnung, Verhaltensordnung, Erkenntnisordnung und Geschmacksordnung sind, die gesellschaftliche und ästhetische Normen formen.84 Was grotesk wirkt in Bezug auf Sitten und Gesetze, Skulptur und Malerei oder was Volkstraditionen unterwandert und verändert, was als verständlich/unverständlich, gut/böse, wahr/falsch und schön/hässlich wahrgenommen wird und sich in Form von Grenzüberschreitungen äußert. Das Verhältnis zur übergeordneten Kulturformation stellt sich hingegen komplex dar, denn im Sinne eines Marginalisierten konstituiert und affirmiert dieses grotesk Überschreitende zugleich die Grenzen der Kulturformation, in der es agiert. Wie Fuß erläutert: »Eine Kulturordnung formiert sich, indem sie Teile ihrer selbst marginalisiert, das heißt ausgrenzt, und zugleich als Ausgegrenztes in ihrem Inneren repräsentiert. Das Ausgegrenzte, das dabei zum Abnormen und Fremden, zum Unheimlichen und Lächerlichen erklärt wird, muss innerhalb dieser Kultur abgebildet werden, damit sie eine Form erhält, ein Bild von sich gewinnt, sich selbst gegenständlich werden kann. Das führt zu jener seltsamen Zwischenposition des Grotesken, das jenseits der kulturellen Ordnung und doch eines ihrer Elemente ist.«85

Sieht sich dieses Ausgegrenzte (re-)zentriert, forciert es den Wandel der dominanten Kulturordnung. Als Marginalisiertes also sieht sich das Ausgegrenzte im Innern der Kulturformation repräsentiert und funktionalisiert, um Grenzen aufzuweisen und zu fixieren. Zugleich sehen sich diese Grenzen jedoch im Ausge84 Vgl. Fuß, S. 13. 85 Fuß, S. 55.

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schlossenen übertreten, aufgeweicht und beweglich gemacht. Es ist in dieser doppelten, paradoxen Ausrichtung, dass sich groteske Darstellungen als Räume der Gegenplatzierung präsentieren: »[I]maginäre Orte im imaginären Raum, die jedoch keineswegs irreal sind.«86 Ein Beispiel erläutert die doppelte, paradoxe Wertigkeit grotesker Gestaltung. Es lohnt sich hierzu ein Beispiel aufzugreifen, welches auch in Knaaks Aufzählung auftaucht: Die mittelalterliche Skulptur. Groteske Gestaltungen des Mittelalters sehen sich kunsthistorisch eng verbunden mit dem Begriff der Drolerie. Laut Katrin Kröll verbirgt sich hinter diesem Begriff das Gros der grotesken Bilderwelt, die das Mittelalter zu bieten hat. Hier tummeln sich: »[M]onströse Tiermenschen, Wildleute, Kopffüßler, Bauchköpfler, die vielgesichtigen Teufel, die Maulaufreißer und Hinternentblößer, die sackpfeifenden Schweine, und Harfe spielenden Esel, die Gänseprediger und die alles menschliche Tun parodierenden Affen«87. Ebenso sieht sich diese Bilderwelt mit einem weiteren Begriff assoziiert, nämlich dem der Marginalie. Dieser Umstand wurzelt in der charakteristisch ikonographischen Randstellung der Gestaltungen. Im Verhältnis zu sakralen Darstellungen zeigen sich Drolerien als Rankenfiguren oder Zwickelgemälde, die funktional oder architektonisch bedingte Bauöffnungen im Gebäude als ›Körperöffnungen‹ grotesker Masken und Figuren ausnutzen (z.B. Wasserspeier). Trotz dieser marginalisierten Positionierungen insistiert Kröll jedoch darauf, dass Drolerien einen integralen Teil der sakralen Bildprogrammatik bilden. Sie schreibt: »In der mittelalterlichen Kirche gibt es, dies kann als wichtiges Ergebnis festgehalten werden, keinen Ort, an dem Drolerien isoliert auftreten. [A]lle grotesken Denkmäler stehen, wenn auch in unterschiedlicher Weise, mit der sakralen Thematik in Verbindung.«88 Damit stellt Kröll sich gegen den weitverbreiteten Deutungsansatz, Drolerien als ›heidnische‹ oder ›subversive‹ Elemente zu interpretieren und somit aus dem kirchlichen Kontext herauszulösen. Vielmehr macht Kröll an der marginalen Platzierungen der Fabel- und Mischwesen die Funktionalität dieser Figuren als ›exampla ex negativo‹ innerhalb der sakralen Kontexte fest; »als an rechter Stelle angebrachtes, antithetisches Interludium, das Schönheit und moralische Überlegenheit der heiligen Vorbilder erst recht zur Geltung bringt«89. Auch der Tendenz, groteske Komik als ›nieder‹ zu klassifizieren, setzt Kröll entgegen, dass die intellektuelle Elite eine nicht zu unterschätzende Teilhabe an der Produktion und Rezeption von Drolerien gehabt hat. In diesem Sinne veranschaulicht die Drolerie das Prinzip der Verschränkung von zentral-ernstem Jenseitsglauben und komisch86 Fuß, S. 56. 87 Kröll, S. 12. 88 Kröll, S. 41. 89 Kröll, S. 82.

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marginaler Erdverbundenheit, welches das christliche Weltverständnis zunehmend seit dem 12. Jahrhundert geprägt hat. Krölls Analyse artikuliert klare Standpunkte. Die Vehemenz der Argumentation kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihr die Frage nach der subversiven Kraft grotesker Darstellung Probleme bereitet. Ihre deutliche Aussprache für die verbindliche Verankerung der Darstellungen im Innern des religiösen Kontexts nähert die Gestaltungen dem Kultur fixierenden, stabilisierenden Pol jenes grotesken Paradoxes an, welches das Phänomen in Prozesse der Marginalisierung und (Re-)Zentrierung mit der dominanten Kulturformation verstrickt. Im Spannungsfeld legitimierender und transformierender Prozesse aber scheint es wichtig, beide Aspekte in die Betrachtung einzubeziehen. Fuß versucht dieses Problem zu lösen, indem er exemplarisch an zwei gängigen Figurentypen mittelalterlicher Darstellungen – die Zanner und Blecker, Figuren, die ihren Mund aufreißen bzw. Hinterteil/Genitalien entblößen – zeigt, wie diese durch komplexe Prozesse der Verkehrung sich beiden Polen, dem des Affirmierenden und dem des Mobilisierenden, annähern. Wichtig in diesem Prozess ist, laut Fuß, die Transposition der Figuren aus dem religiösen in einen ästhetischen Kontext. Er schreibt: »Einerseits hatten die verfemten Gesten [zannen und blecken] im christlichen Kontext eine negative Bedeutung. Sie galten als Symbole der Sündhaftigkeit und Hurerei sowie als göttliche Strafe für dieses Vergehen. Dies machte ihre Darstellung im Kirchenraum zur Einschreibung der Grenze einer Ordnung in diese Ordnung, zur Immanenten Repräsentation des Ausgegrenzten.«90 [Hervorhebung M. Sera]

Dies entspricht der Position, die Kröll einnimmt, welche die Ordnung affirmierende Seite mittelalterlicher grotesker Darstellungen hervorhebt. Einige Zeilen weiter jedoch heißt es bei Fuß: »Im Kontext grotesker Texte fungieren die Zanner und Bleckermotive […] hingegen als positiv konnotierte Symbole befreiter Leiblichkeit. In einer komplexen Verkehrung wird das positiv heidnische Symbol (zur Vertreibung böser Geister), das im christlichen Kontext zum negativen Symbol (des Unchristlichen) umgewertet wurde, bei der Transposition in einen ästhetischen Kontext erneut zum positiven Symbol (befreiter Leiblichkeit) verkehrt. Dieser ambivalente Wechsel widersprüchlicher Funktionalisierungen liquidiert schließlich jede Eindeutigkeit. Zanner und Blecker werden zum polyvalenten Semion.«91 [Hervorhebung M. Sera]

90 Fuß, S. 264. 91 Fuß, S. 265.

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Während sich also Krölls Argumentation dahin wendet, das vermeintlich Ausgegrenzte nicht so sehr als ein solches zu betrachten und anstelle dessen davor warnt, die Integrationsfähigkeit der mittelalterlichen Elite nicht zu unterschätzen, sieht Fuß es in dem Wesen des Phänomens verankert, dass sich im Wandel seiner Gestaltungen Bedeutungsebenen verketten, verkehren und vermischen. Auch Kröll ist sich dieses Aspektes ambivalenter Mehrdeutigkeit in der mittelalterlichen grotesken Darstellung bewusst. Wenn Drolerien als seelenlose, alle Gesetze von Sittlichkeit, Harmonie und Körperkontrolle verletzende Wesen eine Semiotik der Leibesfreuden zelebrieren, dann birgt dieser offene Umgang mit Leiblichkeit Raum für Komik und damit für Ambivalenz. Dieser Aspekt des Komischen, welcher befreit und mobilisiert, bringt Kröll dazu einzuräumen, dass »eine gewisse semantische Mehrdeutigkeit auch im Hinblick auf die Bildformel selbst nicht in Abrede [gestellt werden kann]«92. Die Rolle der Komik im Grotesken und Švankmajers Werk Der befreiende Aspekt des Komischen ist ohne Zweifel ein wichtiges Moment des Grotesken und auch in Bezug auf Švankmajer von großer Bedeutung. Für Bachtin, welcher den gesellschaftskritischen bzw. utopischen Aspekt grotesker Äußerungsformen in seiner Abhandlung zu Rabelais herausarbeitet, charakterisiert die volkstümliche Lachkultur tatsächlich den Kern dieser Ausdrucksformen. So schreibt er über das Karnevalslachen: »Es ist ein Festtagslachen und folglich nicht individuelle Reaktion auf die eine oder andere ›komische‹ Erscheinung. Das Karnevalslachen ist zum ersten das Lachen des ganzen Volks (wie schon gesagt, gehört die Gemeinsamkeit zum Wesen des Karnevals), es lachen alle, es ist ein kollektives Lachen. Zum zweiten ist es universal, das heißt auf alles und alle (auch auf die Teilnehmer am Karneval selbst) gerichtet, die ganze Welt erscheint komisch, wird in ihren lächerlichen Aspekten wahrgenommen und begriffen, in all ihrer heiteren Relativität. Drittens schließlich ist dieses Lachen ambivalent: Es ist heiter, jubelnd und zugleich spöttisch, es negiert und bestätigt, beerdigt und erweckt zum Leben.«93

Aus diesem Zitat geht deutlich hervor, was Bachtin in Bezug auf die romantische Groteske hervorhebt. Die mittelalterliche Groteske, welcher das karnevaleske Lachen zentral innewohnt, vereint auf sich nicht nur eine befreiende, sondern vor allem auch eine erneuernde Kraft. Dieser essenziell utopische Aspekt sieht sich laut Bachtin in Bezug auf die romantische Groteske marginalisiert. Bachtin begründet dies auf folgende Weise: 92 Fuß, Kröll, S. 72. 93 Bachtin, S. 60f.

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»Die tiefgreifendste Umgestaltung in der romantischen Groteske betraf das Lachprinzip. Das Lachen bleibt selbstverständlich erhalten – unter der Bedingung absoluten Ernstes ist nicht einmal die bescheidenste Groteske möglich. Aber es wurde reduziert, nahm die Gestalt von Humor, Ironie und Sarkasmus an, war nicht mehr froh und triumphierend. Das positive, erneuernde Moment des Lachprinzips war auf ein Minimum eingeschränkt.«94

Dies hat zur Folge, dass auch der materiell-leibliche Aspekt, welchen Bachtin als zentral für die mittelalterliche Groteske beschreibt, der romantischen Groteske fremd scheint. Grund hierfür wiederum scheint, dass die romantische Weltaneignung in der Hauptsache über abstrakte Kategorien und den Verstand verläuft, wobei ihr jedoch in diesem Zusammenhang ebenfalls der erneuernde Aspekt verloren geht. Die letzten beiden Punkte sind interessant in Bezug auf Švankmajer und das Verhältnis seines Werkes zur Komik. Der Humor von Švankmajers Filmen ist in der Tat sehr düster und sarkastisch und entspricht in diesem Sinne eindeutig der romantischen Wendung des grotesken Lachens, von dem Bachtin spricht. Komische Momente werden durch plötzliche, dramatische Wendungen oder drastische Bilder überschattet. Diese Tendenz bindet sich dabei vor allem an drei Momente: Die existenzielle Erfahrung des Aporetischen, die Erfahrung des Körperlich-Leiblichen und die Freude am Geschmacklosen und Makabren – alles drei charakteristische Momente des Grotesken. Auf diesen wichtigen Punkt wird noch an anderer Stelle detailliert eingegangen werden. Für den Moment interessiert es, dass offenbar beide Richtungen, die Bachtin gegenüberstellt, sich in Švankmajers Werk realisieren. Švankmajers Filme erweisen sich eben nicht als in gewisser Weise ›romantische‹ Grotesken, die Bachtin für degradiert gegenüber der mittelalterlichen und Renaissance-Groteske beschreibt; aus dem schlichten Grund, dass sie das erneuernde, utopische Moment nicht verdrängen, sondern im Gegenteil forcieren. Švankmajers Filme umarmen das romantisch Schreckliche, Unheimliche, indem die Welt urplötzlich fremd und feindlich wird. Dieser Tendenz jedoch zu einem vernichtenden Humor, zu einer Komik charakterisiert durch Melancholie und Terror, die sich vor allem in den von Edgar Allen Poe inspirierten Filmen The Fall of the House of Usher und The Pendulum, the Pit and Hope (1983) kommunizieren (die existenzielle Erfahrung des Aporetischen), setzt sich auf der anderen Seite eine Komik entgegen, die in ihrer Betonung des Materiell-Leiblichen beinahe slapstickartige Züge trägt, wie man sie aus frühen Hollywoodkomödien kennt. Die Filme The Flat, Virile games oder Darkness-light-darkness leben von dieser körperlichen, praktischen Komik, in der Körper und Gegenstände beständig einander im Weg scheinen. Die Harmlosigkeit und Verspieltheit einer frühen 94 Bachtin, S. 88.

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Hollywoodkomödie teilen Švankmajers Filme jedoch nicht. Körperliche Komik heißt im Švankmajerschen Sinne Körper, die sich aggressiven Akten wie Schlagen, Zerteilen, Zerschneiden, Zerstückeln, etc. ausgesetzt sehen. Švankmajers Virile games, eine Parodie auf Fußball Versessenheit, erweist sich hier als treffendes Beispiel. Ein Fußballspieler nach dem anderen fällt auf groteske, brutale Weise dem Spiel zum Opfer. Dabei ist immer der Kopf/das Gesicht die Zielscheibe der Übergriffe. Kurioserweise haben alle Spieler das Gesicht des Mannes, der sich das Fußballspiel im Fernsehen anschaut, und die Übergriffe werden anschließend überschwänglich bejubelt, so als wäre ein Tor gefallen. Was den Gesichtern nun der Reihe nach widerfährt, liest sich wie aus einem Horrorkabinett. Doch wirken diese Szenen auf eine makabre Art und Weise komisch: Der Kopf wird zerquetscht zwischen zwei Topfdeckeln; die Hälfte des Gesichts ausgesaugt mit einer Saugglocke; er läuft aus einem Wasserhahn; wird auseinander geschnitten mit einer Schere; mit einer Spritze aufgebläht und dann zum Platzen gebracht; durch einen Fleischwolf gedreht; von einem Spielzeugzug durchquert; mit einem Korkenzieher geöffnet; durch Schläge mit einem Holzhammer auf den Kopf in den Boden gerammt; ausgestochen mit Plätzchenförmchen; aufgekehrt; abgetrennt durch das Schließen eines Deckels; abgeschält; zusammengenäht; mit einer Bierflasche erschlagen und es wird sich auf ihn daraufgesetzt. Die Tatsache, dass die Tongesichter Augen, Zähne und Haare haben, die sehr real aussehen, macht es oftmals schwierig, sich die zerstörten Gesichter anzusehen. Während sich die erste Hälfte der Übergriffe auf dem Spielfeld abspielt, findet sich in der zweiten Spielhälfte der übrig gebliebene Teil der Mannschaft im Wohnzimmer des Mannes wieder. Auffallend ist, dass die meisten Übergriffe Gegenstände verwenden, die zuvor im Zusammenhang mit der Wohnung des Mannes aufgetaucht sind, wie die blauen Topfdeckel, die Plätzchen, der Korkenzieher, der Zug, etc. Gilt dies für den ersten Teil im Sinne einer imaginären Übertragung (der Zuschauer im Film hat die Gegenstände gesehen und baut sie infolgedessen in die traumhaften Sequenzen ein, welche die verschiedenen Übergriffe beinhalten), kommen in der zweiten Hälfte des Spiels die Gegenstände ›real‹ zum Zuge, wie etwa das Kehrblech, der Schäler, die Bierflaschen, etc. Viel Humor beinhaltet das Ende: Der Kopf eines Spielers wird zerquetscht, indem der Mann sich draufsetzt. Wenn der Mann nun nach dem Spiel aufsteht, klebt der zerquetschte Kopf immer noch auf seinem Sessel und bewegt sogar ein Auge. Das andere Auge klebt an seinem Hosenboden. Dieses Ende ist äußerst komisch und folgendes Zitat von O’Pray erklärt warum: »The joke in Švankmajer’s films is the release of an unbearable tension set up by the shocking images, the bad taste activities, the dialectical relationship of aggression between beings

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and the world. A black humour is perhaps at the core of film animation itself in that to animate any object is to merge fear and humour immediately. Švankmajer is continually exploring the cups of that tension between an animated world that is always the projection of our greatest fears and our most repressed desires, and such impulses are at the root of all humour.«95

Diese Spannung, die O’Pray beschreibt und die für ihn das zentrale Moment des Grotesken in Švankmajers Filmen verkörpert,96 zeigt, wie seine Filme tatsächlich das ›romantische‹ und das ›mittelalterliche‹ Moment des Grotesken ineinander verschränken. O’Pray siedelt Švankmajers Werk jenseits des romantischen Pols an, jenseits der romantischen Wendung zum düsteren, reduzierten Lachen, welches sich anstelle des ›Wir‹ dem einzelnen Subjekt in seiner Tiefe und Komplexität annimmt. Das Lachen der mittelalterlichen Renaissance-Groteske gehört dem öffentlichen Raum an, es zeigt sich geteilt und getragen von der Gemeinschaft. Wenn sich hier Symbole des Werdens und Vergehens der materiell-körperlichen Existenz auf groteske Weise vereinen (wie etwa Bilder von alten Frauen, die schwanger sind, etc.), dann produziert diese Vereinigung ein frohes, heiteres Lachen. O’Pray sieht in dieser Hinwendung zum Öffentlichen, zum Gemeinsamen im Gegensatz zum Privaten und Isolierten die Verbindung zu Švankmajers Werk. So bezeichnet er in diesem Zusammenhang Švankmajers Werk nicht nur als antirealistisch, sondern vor allem auch als antipsychologistisch. Insbesondere Švankmajers Einsatz von Puppen und Marionetten sieht O’Pray aufschlussreich in diesem Kontext, da sie die offensichtliche Antipathie seiner Filme gegen existenzialistische Charaktere und Narrativen, die innere Emotions- und Geisteszustände projizieren (Introspektion), unterstreichen.97 Ähnlich bedeutsam sieht er Švankmajers Verhältnis zum Surrealismus, welches er als verwandt zu dem Buñels verortet: Filme, die sich vor allem an der Oberfläche sozialen Lebens bewegen und sich darin der vielfältigen Symbole und Inkohärenzen des Erlebens dieser Realitäten annehmen und sie aufbrechen.98 In dieser Ausrichtung, die auf das gesellschaftliche Ganze zielt, unterscheidet sich Švankmajers Verhältnis zum Surrealismus deutlich von einer primär ästhetischen Auffassung, die in Švankmajers Augen surrealistische Prinzipien zu einem stumpfen Design und Werbeinstrument degradiert (indem sie das groteske Element auf ein Minimum reduzieren). Auf dieses Verhältnis wird detailliert im fünften Kapitel eingegangen.

95 O’Pray (1987), S. 20. 96 Vgl. O’Pray (1989). 97 Vgl. O’Pray (1989), S. 258. 98 O’Pray (1989), S. 258.

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Zwei weitere Aspekte ziehen Švankmajers Werk in Richtung der mittelalterlichen Renaissance-Groteske: Die stark politische Ausrichtung seines Schaffens und die innige Beziehung, die es zu volkstümlichen Erzählungen und Kunstformen unterhält. Beide Punkte haken für O’Pray ineinander. Er schreibt hierzu: »Historically, according to Bakhtin, the grotesque liberated thought and imagination through degeneration, low humour (the Marxian ›belly laugh‹) and a celebration of the body’s ›base‹ function. The grotesque is thus a sign of resistance, a symbolic destruction of official culture. It is also a communal act of assertion and renewal. It is this original medieval and Renaissance conception that Švankmajer seems to share, rather than the Romantic and ›modernist‹ manifestations of the grotesque, which Bakhtin sees as subjectivist, deterministic and marginalised as ›high art‹.«99

O’Pray ist im Recht in seiner Bewertung und Beschreibung der mittelalterlichen Groteske. Man sieht sich auf das zurückverwiesen, was Fuß anhand der komplexen Verkehrung erläutert hat. Wie es in Bezug auf The Garden beschrieben wurde, werden viele Symbole und Bilder, die in Švankmajers Werken anzutreffen sind, auf einer ›höheren‹ abstrahierten Ebene zu Symbolen des Widerstands. Das kritische, verneinende, zerstörerische Wirkungsprinzip des Grotesken verkehrt sich zu einer affirmierenden, bejahenden Symbolik. Dieses bejahende, utopische Moment bindet sich stark an surrealistische Prinzipien, die nicht nur ästhetische Kontexte befreien und erneuern, sondern auch das gesellschaftliche Miteinander. Wenn O’Pray schreibt, dass Švankmajers Filme die Freiheit der Imagination und die Möglichkeiten der Kunst in einem populären Medium ausloten100 (im Sinne eines utopischen Moments), dann gehört die Verzahnung des Gesellschaftlichen und des Ästhetischen essenziell zu diesem utopischen Moment. Die komplexe, auf Verkehrung basierende Verzahnung von Kritik und Affirmation erklärt, warum sich das romantische und mittelalterliche Moment im Bachtinschen Sinne in Švankmajers Werk vermischt. Švankmajers Werk affirmiert das kreative Prinzip der Erneuerung und Befreiung nicht nur in Richtung des Ästhetischen, sondern auch der Gemeinschaft, wie es Bachtin als charakteristisch für die mittelalterliche Renaissance-Groteske sieht. Diese Affirmation implementiert jedoch die Kritik des Vorgefundenen, dort wo es diesem kreativen Prinzip entgegensteht – und in Konsequenz Verneinung und Zerstörung dieses Vorgefundenen. Letzteres Moment entspricht dem düsteren, makabren Aspekt des Lachens, welcher in Švankmajers Schaffen überwiegt. Ungeachtet der Hinwendung zur düsteren Seite des Lachens sind beide Aspekte präsent und müssen in 99

O’Pray (1989), S. 258.

100 O’Pray (1989), S. 258.

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Konjunktion zueinander gedacht werden, genauso wie es zusammengedacht werden sollte, dass das utopische Moment das Gesellschaftliche und das Ästhetische einbezieht. Volkskultur Ähnlich verhält es sich in Bezug auf eine weitere Unterscheidung, die Švankmajers Schaffen adressiert, und zwar die Unterscheidung zwischen den sogenannten ›niederen‹ und ›hohen‹ Künsten. So vereinen Švankmajers Filme scheinbar mühelos Texte von hohem literarischen Wert mit den ›vulgären Phantasien und Märchen des Volkes‹ in den Worten Hugos. Die Kunstformen und Erzählungen des Volkes üben auf Švankmajer eine große Faszination aus, und wieder sind es die Puppentraditionen, wo sich dieser Aspekt am deutlichsten in seinem Werk niederschlägt. Hierin spiegelt sich die Verquickung des Romantischen und des Mittelalterlichen wieder. Wie Bachtin schreibt, ist es der Romantik positiv zuzurechnen, dass sie die volkstümlichen Wurzeln des Grotesken erforschte und aufdeckte.101 Švankmajers Faust stellt in diesem Sinne eine durch und durch romantische Auseinandersetzung mit den literarischen Überlieferungstexten dar. Der Film stützt sich dabei nicht nur auf traditionelle Puppentheaterstücke, sondern verfolgt den Stoff auch anhand verschiedener Quellen, wie den literarischen Bearbeitungen von Christopher Marlowe, Christian Dietrich Grabbe und Johann Wolfgang von Goethe. Filme wie Punch and Judy und Don Juan verwenden Puppenstücke als Vorlage, während andere Filme ausschließlich literarische Vorbilder haben, wie The Flat Kafka, Jabberwocky und Alice Lewis Carroll, The Castle of Otranto Horace Walpole und The Fall of the House of Usher und The Pendulum, the Pit and Hope Edgar Allen Poe. Bemerkenswert in dieser Hinsicht ist noch Little Otik, dessen Narrative sich auf ein altes tschechisches Volksmärchen bezieht. Gegen Ende des Films, wenn sich das Wurzelkind bereits in den Keller verbannt findet, erzählt das Mädchen Alžbětka das Märchen, dessen Version auf den bekannten Sammler tschechischer Volksmärchen, Karel Jaromír Erben, zurückgeht. Laut Švankmajer ist dies ein sehr wichtiger Punkt in dem Film, wie er im Interview mit Peter Hames erläutert: »Erben’s tale read by Alžbětka is an independent animated short that has an important role in the film, in that it gives the spectator a clear picture of the original myth, unadulterated by the deformations of present-day society. It is this that provides the source of Alžbětka’s ›knowledge‹ and her ›counteractivity‹. Thus animated, the Erben tale could stand on its own (with minor alterations), as an independent short film. It’s a film within a film.«102 101 Bachtin, S. 94. 102 Hames (2002).

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Aus diesem Zitat geht deutlich hervor, dass in Verbindung mit dem volkstümlichen Charakter von Märchen die Idee des Ursprünglichen eine wichtige Rolle für Švankmajer spielt. Der Aspekt des ›Wissens‹ hingegen, den Švankmajer nennt, bindet sich im Sinne eines geteilten Wissens an den Begriff ›Kultur‹. Raymond Williams erläutert in seinem Buch Keywords, dass der Begriff der ›Kultur‹ in seinem modernen Sinn vor allem drei Bedeutungen auf sich vereint: Erstens beschreibt der Begriff als ein unabhängiges und abstraktes Nomen einen generellen Prozess intellektueller, spiritueller und ästhetischer Entwicklung; zweitens indiziert er gewisse Lebensarten einer Gruppe von Leuten, einer Epoche oder der Menschheit im Allgemeinen; drittens wird er benutzt, um auf die Arbeit und Praxis intellektueller und vor allem künstlerischer Aktivität zu verweisen.103 Die Schwierigkeit des Begriffs besteht darin, dass die beiden letzten Bedeutungen zu der ersten in einem zweifelhaften Verhältnis stehen, nämlich dass die Zweite/Dritte sich tendenziell gegenüber der Ersten (zum generellen ›Vorankommen der Menschheit‹) herabgesetzt und gemindert sieht – daher die Unterscheidung zwischen niederer und hoher Kunst. Williams erklärt: »It is especially interesting that in archeology and in cultural anthropology the reference to culture or a culture is primarily to material production, while in history and cultural studies the reference is primarily to signifying or symbolic systems. This often confuses but even more conceals the central question of the relation between ›material‹ and ›symbolic‹ production, which in some recent argument […] have always to be related rather than contrasted.«104

Williams Anregung ›hohe‹ und ›niedere‹ Kunst im Verbund zu verstehen, ist hilfreich in Bezug auf die Analyse Švankmajers Werkes. Švankmajers Studien von Puppen- und Volkstraditionen sprechen genauso wie die groteske Spannung, die er in vielen seiner Filmen zwischen ›materieller‹ und ›symbolischer‹ Kultur aufbaut, für diesen Punkt. J. S. Bach: Fantasia g-moll und The Fall of the House of Usher stehen in diesem Kontext exemplarisch ein. In beiden Filmen kommt das materielle Element in Verbindung mit der Intensität der literarischen (The Fall of the House of Usher) und der musikalischen Vorlage (J. S. Bach: Fantasia g-moll) besonders stark zum Tragen. ›Tragen‹ ist hier wortwörtlich zu nehmen, denn die Narrativen, die sich in beiden Filmen aufbauen, spielen sich ausschließlich im Spiegel konkreter Materialien wie Stein, Holz, Ton und Eisen ab; ihres Durchwirkens und Metamorphosierens. Die Narrativen erzählen sich in und durch diese Elemente hindurch. Wenn sich das Groteske bei Švankmajer tatsächlich an das 103 Williams, S. 90. 104 Williams, S. 91.

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Moment verirrter Leidenschaften heftet, wie es im Rahmen dieser Abhandlung herausgefunden werden soll, dann spielt diese Konjunktion, welche die Filme zwischen ›materieller‹ und ›symbolischer‹ Kultur herstellen, eine entscheidende Rolle. Ein Punkt ist hinzuzufügen. Švankmajer bringt in obigem Zitat nicht zufällig den Aspekt des Ursprünglichen und des Widerständigen zusammen (»[T]he original myth, unadulterated by the deformations of present-day society. It is this that provides the source of Alžbětka’s ›knowledge‹ and her ›counteractivity‹«). Bringen Švankmajers Filme ›hohe‹ und ›niedere‹ Kunst bzw. ›materielle‹ und ›symbolische‹ Kultur in Konjunktion, dann scheint der Zusammenschluss für Švankmajer eben dieses Ziel zu verfolgen, nämlich im Sinne eines Ursprünglichen, Rituellen eine reiche Ressource des Widerständigen und Subversiven zu finden. Dieser Aspekt führt zurück auf die Frage, inwieweit das Groteske sich tatsächlich subversiv gestaltet, was nun abschließend für dieses Kapitel adressiert werden soll. Die Frage jedoch, inwieweit ein ursprüngliches, rituelles Moment an dem spezifisch Grotesken seines Werkes und dessen Subversivität beteiligt ist, wird erst im fünften Kapitel eingehend analysiert. Um diese Frage beantworten zu können, muss zunächst mehr über das Moment der Subversivität des Grotesken und das Grotesksein von Švankmajers Filmen in Erfahrung gebracht werden.

RESÜMEE Abschließend soll die Frage nach der Subversivität grotesker Darstellung gestellt werden. Sie scheint wichtig im Zusammenhang mit dem Problem der Bindung des Grotesken an gelebte Realitäten und die heuristische Funktion, um die sie sich im Moment des Aporetischen bereichert sieht. Was für eine Wahrheit wird vermittelt? Welche Funktion kommt dem Grotesken darin zu? Dies sind interessante Fragen in Bezug auf das Groteske. Leider zeigen sie sich in der Rezeption des Phänomens tendenziell an den Rand gedrängt. Die Abwanderung des Rhetorischen in den Bereich des Ästhetischen, wie es zu Anfang dieses Kapitels mit Eberhardt Ostermann zur Sprache kam, wirkt sich gerade in Bezug auf diesen Aspekt negativ aus. Es lohnt sich zum Moment der komplexen Verkehrung zurückzukehren. Erst in der ästhetischen, literarischen Wiederaufnahme der Motive sah Fuß das subversive Potenzial der Zanner und Blecker realisiert. Dieser Ansatz stellt jedoch die subversive Kraft des Grotesken infrage. Wie Fuß schreibt:

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»Verglichen mit diesen Einbrüchen in die gesellschaftlichen Realitäten [französische und amerikanische Revolution sowie die revolutionären Umbrüche in Russland und Deutschland, der Spanische Bürgerkrieg und die Ausbrüche unsublimierter Gewalt im ersten und zweiten Weltkrieg] sind die übrigen Manifestationen des Grotesken virtuell. Sie lassen die gesellschaftspolitische Ordnung intakt. […] Dies ist die anthropologische Dimension des Grotesken als Ventil. Die weitgehend virtualisierten, ihrer unmittelbaren subversiven Potenz beraubten, zum Ventil herabgeminderten Manifestationen der grotesken Struktur im religiösen, ästhetischen und theoretischen Kontext stellen die aktuelle Kulturordnung virtuell in Frage, ohne sie real zu zerstören. Allein dieses In-Frage-Stellen ermöglicht die kontinuierliche Transformation kultureller Ordnungsstrukturen, die durch ihre Zerstörung ebenso unmöglich gemacht würden wie durch die Aufrechterhaltung ihrer scheinbaren Unhinterfragbarkeit.«105

Bindet sich das Groteske also im Moment der rhetorischen Transposition in den Bereich des Ästhetischen an Wahrheiten und Realitäten (Selbstlegitimation), dann wurde gezeigt, dass diese notwendig brüchig und fragmentarisch sind (Aporie). Es gilt sich jedoch dem Moment der Bereicherung an dieser Stelle zuzuwenden. Bereicherung komplementiert das Moment der Fragmentierung und steuert in gleichem Maße Prozessen der Selbstlegitimation bei. Die Subversivität von Švankmajers Werk, seine politische Kraft als Ausdruck surrealistischen Widerstandes, erweist sich wichtig im Hinblick auf dessen Selbstlegitimation; vor allem in Verbindung mit dem Phänomen des Grotesken. Die virtuelle Arretierung des subversiven Potenzials hat schwerwiegende Folgen. Es bindet das Groteske an die ›Leerstelle‹, vergräbt es dort und raubt ihm seine provokative Spitze. Kurz gesagt, es entzieht ihm seine Macht. Im Hinblick auf ein Werk wie Švankmajers ist dies gleichbedeutend damit, ihm seine politische Dimension abzusprechen. Es hat keine ›unmittelbare‹ Wirkung auf die Realitäten, die es teilt. Dieser Aspekt des Unmittelbaren, Direkten scheint dem Virtuellen abgesprochen und umgelenkt ins kontinuierlich Prozessuale (Transformation). Transformation liest sich synonym mit Integration, während Subversion das disintegrative Potenzial betont. Transformative Prozesse arbeiten dem Moment der Selbstlegitimation von Autorität, Macht, Strukturen, Systemen zu, wie es Fuß deutlich formuliert. Die Grenze setzt sich, indem sie übertreten wird. Diese Sicht schmälert das disintegrative Potenzial im Sinne eines erneuernden, disruptiven Moments, welches Švankmajers Werk im Grotesken sucht. Die Rückbesinnung auf ursprüngliche Momente (die kindliche Perspektive, volkstümliche Elemente, etc.) im Sinne eines Bruchs anstelle einer Kontinuität macht diesen Punkt deutlich. Ein Werk mit dem Hintergrund wie Švankmajers ist unvereinbar mit einer Schmälerung und Arretierung erneuernder 105

Fuß, S. 425.

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und konstituierender Kräfte. Das erneuernde Moment aus der virtuellen Arretierung herauszuheben, ist allerdings keine einfache Aufgabe und erfordert vor allem Überlegungen, die in die hermeneutisch-phänomenologische Richtung gehen. Wichtig in diesem Zusammenhang bleibt das Problem der Selbstlegitimation (Umbruch zur modernen Ästhetik). Im Zusammenhang mit dem Romantischen wurde erläutert, dass Selbstlegitimationsansprüche kulturhistorische Entwicklungsprozesse und Diskursmodalitäten maßgeblich prägen. Dieser Gedanke lässt sich weiterführen. Wie in Bezug auf das Rhetorische und das Ästhetische lässt sich, nach Ricœur, auch das Ideologische und das Utopische über den Aspekt der Selbstlegitimation in Verhältnis zueinander setzen. In seiner Schrift zu Ideologie und Utopie versteht Ricœur Ideologie als das Werkzeug zur Legitimation eines gegebenen Autoritätssystems.106 Die Beschreibung der utopischen Funktion erweist sich bemerkenswert in Übereinstimmung mit grotesken Funktionsweisen. Ricœur schreibt: »We assumed that one of the functions, if not the main function, of ideology was to provide a kind of overvalue or surplus value to the belief in the validity of authority such that the system of power may implement its claim to legitimacy. If it is true that ideologies tend to bridge the credibility gap of every system of authority and eventually dissimulate it, could we not say that it is one of the functions of utopia, if not the main function, to reveal the undeclared overvalue and in that way unmask the pretense proper to every system of legitimacy? In other words, utopias always imply alternative ways of using power, whether in family, political, economic, or religious life, and in that they call established systems of power into question.«107

In dieser Funktionalität, nämlich Heuchelei und Falschheit aufzudecken und ›im Hohlspiegel‹ vorzuführen, erscheint das Utopische dem Grotesken in der Tat nahe. Ricœur schreibt dem Utopischen sogar die gleiche ›Zwischenposition‹ einer Leerstelle oder eines Nullpunktes zu, wie es in Bezug auf das Groteske erläutert wurde: »Let us begin from the kernel idea of ›nowhere‹, implied by the very word of utopia and Thomas More’s descriptions: A place that has no place, a ghost city; for a river, no water; for a prince no people, and so on. What must be emphasized is the benefit of this kind of extraterritoriality for the social function of utopia. From this ›no place‹, an exterior glance is cast on our reality, which suddenly looks strange, nothing more being taken for granted. The field of the possible is now opened beyond that of the actual, a field of alternative ways

106 Ricœur (1991), S. 320. 107 Ricœur (1991), S. 320f.

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of living. The question therefore is whether imagination could have any constitutive role without this leap outside.«108

In diesem Sinne sehen wir uns nicht nur an Hugo und seine Funktionalisierung des Grotesken im Sinne einer Erweiterung des Kanons des Darstellungswürdigen um das Hässliche und Singuläre erinnert, sondern erkennen auch das angesprochene Moment der Bereicherung wieder, nämlich im Hinblick auf die konstitutive Rolle von Imagination und wie es sich zu dem Verhältnis zwischen transformativen und subversiven Prozessen verhält. Während transformativ auf der Seite des Guten, Schönen und Erhabenen bleibt, scheint subversiv dem Utopischen näher. Wie Ricœur ausführt: »The utopian mode may be defined as the imaginary project of another kind of society, of another reality, another world. Imagination is here constitutive in an inventive rather than an integrative manner, to use an expression of Henri Desroche.«109 Innovativ (›inventive‹) deutet hier auf einen erneuernden, bereichernden Aspekt grotesker/utopischer Mechanismen hin, die es gilt, in Švankmajers Werk festzumachen, wenn man dem Phänomen gerecht werden will. Die Nähe, die sich hier offenbar zwischen dem Begriff des Utopischen und dem des Grotesken zeigt, unterstreicht vor allem eins: Den Aspekt sozialer Erneuerung, der beiden Momenten innezuwohnen scheint. Diese Erneuerung findet vor allem im Durcharbeiten des ›Gegebenen‹ und ›Vorgefundenen‹ statt, eine Funktionalität, welche die ideologische Seite, laut Ricœur, nicht kennt: »Ideology has no literary existence, since it has no knowledge of itself; whereas utopia asserts itself as utopia and knows itself as utopian.« Diese selbstreflexive Geste des Grotesken/Utopischen spiegelt sich in Švankmajers Werk in der minutiösen Auseinandersetzung mit der kulturellen Verfasstheit der Gegenstände, Objekte, Texte und Kunstwerke, die in seinen Arbeiten auftauchen und sie inspirieren. Schicht um Schicht lagert sich Narrative um Narrative dieser kulturellen Verfasstheit übereinander. Den Druck kultureller Selbstlegitimation, wie ihn Holt Meyer vom Beginn der Aufklärung über die Romantik zur Psychoanalyse verfolgt, lässt sich in den Filmen deutlich ablesen. Aus diesem Grunde sollen die folgenden Kapitel sich ausgiebig den kulturellen Schichtungen, die in dem Werk präsent sind, widmen: Manierismus, Romantik, Surrealismus und Psychoanalyse. Mit Blick auf den weiteren Verlauf der Argumentation sollen diese Schichtungen aus der Perspektive ›zweier Körper in Relation‹ betrachtet werden. Wie Bachtin schreibt: »Eine Haupttendenz der grotesken Körpermotive besteht darin, zwei Körper in einem zu zeigen, einen der gebiert und abstirbt, und einen der em-

108 Ricœur (1991), S. 320. 109 Ricœur (1991), S. 319.

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pfangen, ausgetragen und geboren wird.«110 Das Motiv ›zweier Körper in Konjunktion‹, welches argumentativ für die weiteren Kapitel nutzbar gemacht werden soll, entspricht dem grotesken Anliegen, Mobilisierung zu schaffen (Raum der Gegenplatzierung), wo hierarchische Arretierungen Stillstand zu verursachen droht. Im Zusammenhang mit eben genannten kulturellen Schichtungen sollen im folgenden verschiedene ›Körper in Konjunktion zueinander‹ aufgegriffen werden. In Bezug auf den Manierismus wird dazu auf den Komplex Zeichen/Objekt geschaut, im Kontext mit der Romantik auf die Relation zwischen Puppenkörper und menschlichem Körper, im Hinblick auf den Surrealismus auf die Verkettung materieller Körper und medialer Körper und im Zusammenhang mit der Psychoanalyse auf das Verhältnis zwischen vorgestelltem Körper und leiblichem Körper. Dieses Vorgehen korreliert mit dem im Einleitungsteil vorgestellten Bogen vom Schema (dieses Kapitel) über den Abdruck (Kapitel 3) zum Eindruck (Kapitel 4 und 5). Im Schlussteil wird dann die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion des Grotesken wieder aufgenommen.

110 Bachtin, S. 76.

Abdruck und Kommunikation: Das verführerische Zeichen und die Unnahbarkeit des Objekts

EINLEITUNG Zum Einstieg in den Themenkomplex der Rolle der Zeichen- und Objektwelt (im Sinne eines Abdrucks) in Švankmajers Werk und die Beziehung zum Grotesken sollen zunächst zwei Gedanken aufgegriffen werden. Zum einen die Idee der Konjunktion zwei Körper, welche im Zusammenhang mit dem Zitat von Bachtin zum Ende des letzten Kapitels als strukturgebend aufgeworfen wurde, und zum anderen ein Resümee dessen, was bislang über das Grotesksein in Švankmajers Werk in Erfahrung gebracht werden konnte. Beides scheint im Sinne eines referenziellen Rahmens notwendig. Wie bereits erwähnt, wird dieses Kapitel der Frage nachgehen, wie Zeichenkörper und Objektkörper im Švankmajerschen Kosmos eine Allianz eingehen. Im Sinne eines Körpers wird das Zeichen zum Objekt, wie das Objekt zu einem Zeichen wird, sobald es sich kontextuell mit Bedeutung investiert sieht. Dennoch verorten sich beide offenbar in unterschiedlichen Räumen: Zeichen entfalten sich in abstrahierten Systemen und Symbolwelten, die der Kommunikation dienen, während Objekte in ihrer Funktionalität vor allem in zweierlei Hinsicht dienlich sind: Sie staffieren aus und sie neigen sich der Welt der Handlungen zu. In Bezug auf die Theorien Baudrillards wird gezeigt werden, dass diese ›Dienlichkeit‹ der Zeichen und Objekte sich bei Švankmajer erschüttert findet. Für den Moment interessiert es aufzudecken, was den Reiz ausmacht, gerade diese beiden Körper analytisch in Konjunktion zueinander zu bringen, und was es in Bezug auf das Grotesksein in Švankmajers Werk damit auf sich hat. Der erste Teil des Kapitels wird sich dazu mit dem sinnentleerten Zeichen sowie dem unentborgenen Objekt befassen. Baudrillards Theorien zum verführerischen Zeichen und Martin Heideggers Begriffe von Erde und Welt aus ›Der Ursprung des Kunstwerkes‹ dienen

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dazu, diese beiden Körper im Moment der Annihilation zu beschreiben. Der zweite Teil des Kapitels zielt dann darauf ab, Aspekte der Bereicherung festzumachen. Hierzu werden Referenzen auf eine Kurzgeschichte von Angela Carter, den Rudolfinischen Manierismus, die Geheimwissenschaft der Alchemie, Bachtins Begriffe des karnevalesken, monologischen und dialogischen Zeichens sowie benachbarte Tropen, wie acumen, einbezogen. Filmbeispiele helfen darzulegen, dass das reduzierende sich durch ein bereicherndes Moment im Grotesken komplementiert sieht. Um dieses mehr erkennen zu können, bedarf es eines erweiterten Objektbegriffs, der eine Angleichung auf der Grundlage emotionalen Empfindens erlaubt und sich in der Konjunktion von Zeichen- und Objektkörper herstellt.

ZEICHENKÖRPER/OBJEKTKÖRPER Es ist gerade die Verschiedenheit der Räume, in denen sich beide entfalten und doch dazu fähig sind, sich aufeinander zu beziehen. Zeichen als Körper wahrzunehmen, entspricht nicht ihrer eigentlichen Funktion. Das filmische Hervorheben von Ausdehnung, Bewegung und Beschaffenheit von Zeichenkörpern, wie es zum Beispiel in Zusammenhang mit der Sterbeszene von Don Felipe zum Ausdruck kommt, in welcher die Kamera eine handgeschriebene Zeile abtastet, lenkt von ihrer Funktion zu bedeuten ab; die Semiotizität der Zeichen. Demgegenüber steht eine gewisse unüberwindliche Verschlossenheit der Objekt- und Dingwelt. Objekte und Materialien verschließen sich in ihrer Körperlichkeit, und entsprechend bleiben narrative Verflechtungen von Objekten und Körpern auf dieser Ebene oberflächlich. Wenn Švankmajer sagt, dass es für ihn mehr Ausdruckskraft besitzt, Blut aus einem Puppenkörper quellen zu sehen, dann spricht die Aussage für die bedeutende Rolle, die dieser Aspekt innehat. In Bezug auf den menschlichen Körper neigt man dazu zu vergessen, was der Puppen-, Objekt- und Zeichenkörper unmittelbar ins Bewusstsein drängt: Auch der menschliche Körper ist Körper im Sinne eines sich Verschließenden und Entziehenden (in Bezug auf Bedeutung), antipsychologisch und antirealistisch. Um diese Seite des Puppenkörpers besser zu verstehen, muss sich der Verschlossenheit in Detail gewidmet werden. Beziehen sich nämlich beide Räume aufeinander, entstehen die Formen von Interferenzen, die in Bezug auf das Groteske bedeutsam sind. Zeichen werden zu Objekten und Objekte zu Zeichen. Die Prozesse des Aufeinandertreffens von Vermittlungsräumen, Räume der Gegenplatzierungen, sind interessant. Mehr noch, dieser Punkt soll bis an den Punkt seiner Erschöpfung gebracht werden, um den Bogen über besagten Körper in Konjunktion hinweg, über den Punkt absoluter (diskursiver) Erschöpfung hinaus (welcher dem destruktiven, reduzierenden As-

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pekt innewohnt) in Richtung dessen zu spannen, was bereichert, menschlich zeichnet, Lebendigkeit schafft. Vor diesem Hintergrund soll sich zunächst dem ›erschöpfenden Diskurs‹ zugewandt werden. In ihrem Essay ›Attraktion des Augenblicks – Aufführung, Performance, performativ und Performität als theaterwissenschaftliche Begriffe‹1 beschreiben Erika Fischer-Lichte und Jens Roselt die Prozesse, die sich zwischen Zeichen und Objekten anbahnen, wenn sie in Konjunktion zueinander gebracht werden: Prozesse des Sich-Öffnens und Sich-Verschließens. Laut den Autoren findet im Akt künstlerischer Handlung zunächst eine radikale Reduktion der Semiotizität statt: »Die Handlungen, welche die Performer durchführen, bedeuten zunächst einmal nichts anderes, als was sie vollziehen [...]. Auch die Objekte, die bei den Handlungen Verwendung finden, bedeuten zunächst nichts anderes als sich selbst [...].«2

Diese Reduktion hat paradoxerweise zur Folge, dass sich ›Semiotizität‹ um ein Vielfaches potenziert: »Denn da die Objekte und Handlungen bedeuten, was sie sind bzw. was sie vollziehen, vermögen sie einer weitergehenden Semiotisierung kaum Widerstand entgegenzusetzen. So kann der fünfzackige Stern höchst unterschiedliche und ihn in unterschiedlicher Weise fixierende mythische, metaphysische, kulturhistorische und politische Kontexte aufrufen [...]. Das heißt, die Reduktion von Semiotizität öffnet zugleich unterschiedliche semantische Felder, so dass sie eine Pluralisierung des Bedeutungsangebotes bewirkt.«3

Die Schwäche des Gezeigten, der Objekte und Handlungen, ihr Unvermögen sich einer weitergehenden Semiotisierung zu widersetzen, wird zu einer Stärke, einer unbändigen Kraft. Werten Fischer-Lichte und Roselt diese Reduktion ausschließlich in Hinsicht einer Öffnung, in Richtung unerschöpflicher, semantischer Bedeutungsfelder, fällt es nicht schwer in dieser Form von Unbestimmtheit im Sinne einer fadenscheinigen, doppelbödigen Bestimmtheit den Grundstein für ein ›Alles und Nichts‹ gelegt zu sehen, welches sich eng mit einem spezifischen Grotesksein eines Werkes zu verbinden vermag. Wenn die Hände des Puppenspielers in Punch and Judy am Anfang der Vorführung in die Puppen schlüpfen und sich am Ende ihrer wieder entkleiden und stumm im Unterboden der Bühne verschwinden – völlig unberührt von den drama1

Fischer-Lichte/Roselt.

2

Fischer-Lichte/Roselt, S. 246.

3

Fischer-Lichte/Roselt, S. 246.

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tischen Ereignissen, die sich soeben abgespielt haben – dann hinterlässt diese rahmende Handlung ein Gefühl von Ratlosigkeit und Verwirrung. Die Geste bewegt sich ambivalent zwischen Unschuldsbekundung und Selbstreflexivität. Zugleich stiften die in dem Film zu findenden Bilder nicht nur Verwirrung, sondern sprechen auch eine klare Sprache: Die emblematisch vorangestellte, mechanische Affenband, abgelöst von der ebenfalls mechanisch animierten Familienszene/Arbeiterszene sowie Bildern von Engeln; dann die Puppenbühne, die Nahaufnahme eines Meerschweinchens, um welches der mörderische Zwist zwischen den beiden Puppen entbrennt; ein Zwist gezeichnet von Geiz, Brutalität, Habgier, Mordlust. Die Lage spitzt sich zu, der Kampf wird erbitterter, frenetischer, zügelloser; bis die beiden Puppen erschöpft und leblos umfallen in dem Moment, in dem sich die Hände ihrer entledigen. Anschließend eine leicht veränderte Draufsicht auf die Bühne. Die Bühnenbilder haben sich multipliziert; alle zeigen das Gesicht der Frau, welches am Anfang schon die Bühne einrahmte. Nun ist jedoch an der Stelle des Mundes die Leinwand geborsten und ein Loch klafft an seiner Stelle; durch ein ebensolches verlässt schließlich das Meerschweinchen den Ort des Geschehens. Der ›Sinn‹ dieser Fabel scheint greifbar. Eine Fabel, die ein apokalyptisch düsteres Bild des menschlichen Wesens zeichnet: Seine Verdorbenheit, seine Neigung zur Gewalt, ob in Sphären des Künstlerisch-Geistigen, des Privat-Familiären, des Spirituellen, oder des Öffentlich Ökonomischen. Die vorangestellte Affenband und mechanische Familien-/Arbeiterszene sowie die Bilder von Engeln öffnen die Narrative referenziell in diese Richtungen. In Bezug auf die zerstörten Frauengesichter der Bühnenbilder wurde bereits auf das Moment oraler Aggressivität im Zusammenhang mit dem Motiv des Essens verwiesen. Das Gleiche gilt für die ebenfalls bereits angesprochene Szene, wenn ein Nagel zuerst den Mund einer Frauenabbildung auf der Innenseite des Sargdeckels penetriert, und dann den Mund der darin liegenden Puppe. Hier scheinen Freud und eine psychoanalytische Interpretation unumgänglich. Ambiguität bestimmt die Szene. Das menschliche Wesen? Der moderne Mensch und dessen Habgier und unermessliche Zerstörungswut? Mehr als diese vagen ›Bedeutungsfelder‹ sind nicht zugelassen. Auch wenn die Filme sich ›komplexeren‹ Narrativen zuwenden, wie etwa die Geschichten um Doktor Faust, den Untergang des Hauses Usher, Don Juan oder das Schloss von Otranto, sieht sich das ›Deutungspotenzial‹, welches sich in Bezug auf die literarischen Vorlagen ergibt, seltsam unterbunden. In Švankmajers Filmen bleibt in der Figur des Doktor Fausts oder Don Juans lediglich das allegorische Grundgefüge schemenhaft erkennbar (Fausts grenzenüberschreitender Wissensdurst als Parabel auf den neuzeitlichen Menschen; Don Juans nicht minder grenzenüberschreitender Lustdrang

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als Gegenwurf zum Rationalisierungswahn der Aufklärung). Es lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, wofür der Švankmajersche Doktor Faust oder Don Juan stehen. In diesem Sinne gesellt sich in Punch and Judy der düsteren Parabel auf das Wesen des Menschen eine Zweite hinzu, die sie überlagert, beschneidet, einhüllt, aufhält – die Allegorie der Allegorie, die selbstreflexive Kehrtwende, in welcher der Text aufhört eine verschlüsselte Botschaft zu sein und alles an ihm Rätsel wird, weil er selber das Rätsel ist.4 Mit anderen Worten, irgendwo und irgendwann hört Punch and Judy auf, eine Parabel zum Wesen des modernen Menschen zu sein, und beginnt gänzlich und urplötzlich ein Film über Verführung und das Grotesksein zu werden. Die Reduktions-/Pluralisierungsbewegungen der Suche nach Bedeutung (die immer gleichzusetzen ist mit der Suche nach Wahrheit) beenden auf diese Weise die spielerische Harmlosigkeit der Arabeske und machen das Vorgefundene zu ebenbürtigen grotesken Realitäten, die aufgrund ihrer paradoxen Widersprüchlichkeit nicht nebeneinander bestehen können. Das Durchwandern der sich öffnenden semantischen Felder führt zu Frustration und Verzweiflung: Vielleicht bedeutet alles wirklich nicht mehr als die semantische Geste zurück auf das Objekt/die Handlung, also die Andeutung eines sich bedrohlich und unaufhaltsam ausbreitenden ›Nichts‹. Das unstillbare Verlangen, Bedeutung oder Sinn zu generieren, verweigert sich dieser Möglichkeit und begibt sich erneut auf die Suche, unermüdlich und immer wieder von Neuem. Die Bewegung einer von vorneherein zum Scheitern verurteilten Reflexion ist die Bewegung des Allegorischen. Gesicherte Referenzialität oder Semiotizität des Kunstwerkes sieht sich so ausgeblendet; mit anderen Worten, die ›Normalität‹ des Dazwischen wird verweigert, welche ›normalerweise‹ den Zugang zu einem Werk vorgibt. Zwischen absoluter Verschlossenheit und unwiderruflicher Öffnung, in deren Zug alles relativiert wird und damit ins Wanken gerät, konstituieren sich Švankmajers Filme. Das Moment der Diversifikation, welches die Reduktion der Semiotizität als auslösenden Funken einer endlosen Bewegung oder Schleife von sich verzweigenden/differenzierenden ›semantischen Feldern‹ anrührt, stellt demnach nur eine – wenn auch fraglos unsäglich wichtige und faszinierende – Seite des Effektes dar. Dabei genügt es nicht, in diesem Effekt die Problematisierung von ›Bedeutung‹ an sich herauszustellen, wie es zweifellos der Fall ist. Worauf sich viel mehr das Augenmerk richtet, wovon der Effekt lebt und was ihn auszeichnet, ist die sich empfindlich bemerkbar machende Kluft, welche sich wie ein Riss, Sprung oder Spalt zwischen jenem ›Nichts‹ und ›Allem‹ in der Bedeutung auftut, ein Effekt, der dem Allegorischen vertraut ist. Als unschließbare Lücke drängt sie sich vor bezieh4

Vgl. Krumme, S. 3.

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ungsweise sieht sich im Moment der Reduktion/Pluralisierung von Semiotizität in den Vordergrund gedrängt; festgesetzt zwischen einem kompromisslosen ›Entweder-Oder‹, welches zugleich aber auch immer ein ›Sowohl-Als-Auch‹ ist, im Widerschein des Infiniten. Es gibt kein Dazwischen. Die Grauzone ist ausgeblendet, der Weg in die ›Normalität‹ abgeschnitten. Der Grund dafür ist, dass sich hier nichts Geringeres als das Unvereinbare, das Unvergleichbare angerührt sieht – dasjenige, welches in der Bruchstelle auf ewig vereint und gleichzeitig getrennt ist: Die Hintergehung von Realität.

BAUDRILLARD UND DIE MACHT DER VERFÜHRUNG: FILMBEISPIEL FAUST Die Sicht auf das Groteske als ›Hintergehung des Realen‹ ist durchaus verführerisch, auch wenn sie im Licht der vorhergehenden Beobachtungen als die unzweckmäßige Bevorteilung der zerstörerischen, verleumderischen Dimension des Phänomens gesehen werden muss. Es verbleibt dennoch interessant und wichtig, diesen Aspekt zu beleuchten. Der verleumderische, selbstreferenzielle Anteil besitzt einen hohen Stellenwert in der gegenwärtigen Literatur zum Phänomen. Später soll der Bogen auf die Argumentationsebene geschlagen werden, auf der sich dem zugewendet wird, was Lebendigkeit schafft, was sich der Realität verbürgt und ihr zuspielt (Narrative). Zunächst soll sich jedoch dem Gedanken des Verführerischen gewidmet werden. Der Begriff des Verführerischen in Verbindung mit einer Entleerung der Zeichen (welche immer mit einer Hervorhebung der Zeichenkörper einhergeht) ist untrennbar verbunden mit der Philosophie Jean Baudrillards. Baudrillard zeichnet in Zusammenhang mit dem Begriff der Verführung die eindringliche Vision einer hintergangenen Realität in apokalyptischer Manier nach: »Der Niedergang der Psychoanalyse und der Sexualität als starke Strukturen [...] lässt auf diese Weise ein anderes Universum zum Vorschein treten [...] ein Universum, das sich nicht mehr in Begriffen der psychischen oder psychologischen Beziehungen deuten lässt noch in den Begriffen der Verdrängung und des Unbewussten, sondern in den Begriffen des Spiels, der Herausforderung, der Duell-Beziehungen und der Strategien des Scheins: In den Begriffen der Verführung [...].«5

5

Baudrillard (1979/1992), S. 16.

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Die Begriffe des Antipsychologischen und Antirealistischen drängen sich in diesem Kontext auf. Das Verführerische hat die Macht, diese um ihre Autorität zu bringen und zu erniedrigen: Es täuscht. Es bemächtigt sich der Zeichen, indem es sie von ihrer Wahrheit ablenkt. So beraubt sie die Zeichen ihres Sinnes und begründet anstelle eine Komplizenschaft der Zeichen. Daraufhin sind diese nicht länger repräsentativ, sondern bezwecken im Bann der Verführung ausschließlich eine »Irreführung aller Wahrheit, eine Verschwörung von Zeichen, eine Exaltation der Zeichen zu unheilvollem Nutzen«6. Einzig das Zeichen, welches sich selber absorbiert und somit jeglichem Sinn entrissen wird, hat die Macht die Leitprinzipien des Realen zu hintergehen: Ein insignifikanter Signifikant. Es ist das ablenkende/abgelenkte Zeichen, das irreführende/irregeführte Symbol, welches aus der Welt des Realen hinausführt, ihr entkommen kann; die Leidenschaft, die sich aus dem Spiel mit den Zeichen, dem äußeren Schein erhebt. Die Beherrschung des äußeren Scheins, sein strategischer Einsatz ist es, der sich gegenüber der Macht des Seins und des Realen behaupten kann, nach Baudrillard: »Es führt zu nichts das Sein gegen das Sein, die Wahrheit gegen die Wahrheit auszuspielen: Das ist die Falle der Subversion der Grundfeste, wo es doch nur einer leichten Manipulation des äußeren Scheins bedarf.«7

Sowie die Macht das Reale beherrscht, beherrscht die Verführung die symbolische Ordnung; dies ist ihr Refugium. Außerhalb des Scheins ist sie machtlos, aber indem sie die Zeichen reversibel macht, das heißt sie der Irreversibilität des Realen entreißt, sie aus dem Zirkulationsmodus des Sinns in einen eigenen überführt, kann sich ihre Kraft voll entfalten. Der Verführung bedarf es also eines Verlassens des bekannten Terrains. Es muss so etwas wie eine ›Exorzierung‹ von Sinn und Wahrheit stattfinden in Art der geheimnisvollen Verschwörung, welche die Zeichen in der Verführungsform miteinander eingehen, um in dieser ›Eklipse von Sinn‹ in die Duell-Beziehung und das Rituelle, die endlose Spirale von Einsatz, Verführung/Herausforderung und Tod münden zu können. Über diese Eckpfeiler spannt sich der Zirkulationsmodus, in den das sich selbst genügende, referenzlose Zeichen eintritt. Baudrillards Entwurf des verführerischen Zeichens wohnt eine einnehmende Logik inne, nicht zuletzt, weil in ihr auf erschreckend konsequente Weise sich ein Bezug zur Realität herstellt, wie er sich auch in Bezug auf Švankmajers Filme andeutet: Eine Ausnivellierung von Kräften, die eigentlich zugunsten der Ordnung 6

Baudrillard (1979/1992), S. 8.

7

Baudrillard (1979/1992), S. 20.

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der Wirklichkeit als leitendes Prinzip eingestellt sind. Diese Vorrangherrschaft sieht sich eingebüßt, womit die Verdrängung oder Hintergehung, von der bislang die Rede war, erst möglich wird. Die Verführung ist gleichbedeutend mit einer besonderen Form des gegenseitigen Austausches. Sie stellt eine Herausforderung dar, die, wenn man sie annimmt, in einen rituellen Austausch mündet. Ihr Geheimnis gründet in einer Gegenseitigkeit, in ihrer Umkehrbarkeit, womit sie als Trägerin und Verwirklichung der Reversibilität eine Gegenkraft zum Kausalprinzip begründet. In diese Form des ununterbrochenen rituellen Tausches wird die Frage, wer der Verführer und wer der Verführte ist, unentscheidbar bleiben. Der Verführungszyklus kennt keine Grenzen; ist ihr geheimer, ritueller Zirkulationsmodus einmal eröffnet, fallen alle Grenzen, gibt es weder Objekt noch Subjekt, weder Innen noch Außen. Die verführerische Macht der Leere Unter allen Objekten und Figuren in Švankmajers Filmen zeigt sich Faust wohl am meisten dieser Idee der Verführung verhaftet. Der Film spricht vom Verführen und Verführt-Werden. Ein Mann aus Prag, dessen Namen wir nicht kennen, über dessen Identität wir tatsächlich nicht vielmehr erfahren, als dass es sich um einen Gelehrten handelt, dieser Mann gerät immer tiefer in die unentrinnbare Spirale von Verführung/Herausforderung, Einsatz und Tod. Von Anfang an haben sich die Zeichen gegen ihn verschworen, Zeichen die vortäuschen einen tieferen Sinn in sich zu bergen, um ihn zu locken und zu verführen: Die geheimnisvolle Karte; der Blick, den einer der beiden Männer, die sie austeilen, ihm nachwerfen; die Puppe, deren Kopf zwischen den beiden Schwenktüren zerquetscht wird; das schwarze Huhn; das Ei, welches sich völlig unerklärlich im Innern des Brotleibes befindet; das Gewitter, der Sturm und die Dunkelheit, die plötzlich hereinbrechen; und schließlich die geisterhafte Erscheinung der beiden Männer unter seinem Fenster, die mit der Pupille und Iris beraubten Augen hinaufstarren. Aber der Zuschauer wird keinen Moment im Zweifel darüber gelassen, dass dies alles Täuschungen sind, trügerische Zeichen in einem Spiel, welche dennoch jeglicher Kausallogik widersprechen; dass sich in ihnen etwas Unpersönliches, etwas Rituelles, Übersubjektives und Übersinnliches ankündigt, welches dem verführerischen Zeichen anhaftet; dass sie Teile einer das Subjekt übersteigenden Dramaturgie sind.8 Wird einerseits klar, dass die zwei Männer das geisterhafte Weiß ihrer Augen einsetzbaren Schalen verdanken und es sich hier um eine Manipulation im Rahmen des Machbaren handelt, liegt es sicherlich jenseits ihrer Macht ein Gewitter heraufzubeschwören und die Möbel in dem Zimmer wie von Geisterhand hin und her 8

Vgl. Baudrillard (1979/1992), S. 139.

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zu bewegen. Es wird von Anfang an deutlich, dass es sich hier um etwas weitaus Mächtigeres handelt, als dass die zwei Männer die Drahtzieher hinter dieser Verschwörung sein könnten. Der Film bewegt sich jenseits jeder Kausallogik oder Teleologie; und an die Stelle nachvollziehbarer Logik tritt ein verhängnisvolles Netz geheimnisvoller Zeichen, die das Geheimnis des Scheins beherrschen; einzig den Zweck verfolgen, von der Wahrheit abzubringen und zu verführen. Gerade die Leere der Zeichen ist es, die verführt, da es sich um nichts weiter als die Manipulation des äußeren Scheins handelt. Das Ei erweist sich nach dem Öffnen als leer, genauso wie der Blick der beiden Männer. »[...] Verführung ist das Angezogensein von der Leere«, schreibt Baudrillard, »niemals eine Akkumulation von Zeichen, noch die Botschaft des Begehrens, sondern die esoterische Komplizenschaft in der Absorption der Zeichen«. Sie wird »im Geheimnis geknüpft, in dieser langsamen und brutalen Entkräftung des Sinns, die eine Komplizenschaft der Zeichen untereinander begründet, und genau hier wird sie ausgeheckt«9. Diesem Prozess der ›langsamen Entkräftung des Sinns‹ hat der Mann nicht viel entgegenzusetzen. Er wird eins mit der Person des Doktor Faustus, der die dunklen Mächte herausfordert, um das in sich Paradoxe zu verlangen: Die dunklen Mächte sollen ihn zu höherer Wahrheit führen. Weil er nicht von der Suche nach der Wahrheit ablassen kann, von dem Glauben an einen tiefen Sinn, weil er nicht erkennt, dass die Machtstrategien des Realen, die ›Beherrschung‹ der dunklen Geister in der Welt der Täuschung und des äußeren Scheins von vorneherein unterlegen sind, aus diesen Gründen fällt er der verschwörerischen Macht der Verführung zum Opfer. Er unterschätzt die Macht des äußeren Scheins und verkennt die bindende Kraft der Verpflichtungen, die er im Spiel und im Pakt eingeht. Viel zu spät erkennt er, dass sein Einsatz in diesem Spiel – seine Seele – gleichbedeutend ist mit seinem Tod und dass er diesen Einsatz nicht mehr zurückziehen kann. Dieser Einsatz ist bindend. »[D]er Tod bleibt der Spieleinsatz eines jeden symbolischen Paktes, sei es nun ein Pakt der Herausforderung, des Geheimnisses, der Verführung oder der Perversion.«10 Dem ist so und kann nur so sein, da das Rituelle und Spielerische dem System des Realen ein Ende setzt; hierin ruht, laut Baudrillard, ihre wahre Grausamkeit, die mit verschüttetem Blut nicht viel gemein hat.11 In diesem Aspekt ist die Verführung das Einzige, was von der Kultur der Grausamkeit geblieben ist. »Verführen heißt als Realität sterben und sich als Täuschung produzieren.«12 Der Tod des Mannes am Ende des Films ist in diesem Sinne zu verstehen. Im Tod ist 9

Baudrillard (1979/1992), S. 109.

10 Baudrillard (1979/1992), S. 173. 11 Vgl. Baudrillard (1979/1992), S. 174. 12 Baudrillard (1979/1992), S. 98.

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er nicht mehr von seinem vermeintlichen Double, der Figur des Doktor Faustus, zu trennen; der Tod ist gleichbedeutend mit einer vollständigen Absorption; und der Zeitpunkt dieser Absorption fällt zusammen mit der Verschmelzung von Faust mit seinem Double, Mephistopheles, sprich seiner vollständigen Transposition von der göttlichen Ordnung in die Welt der Täuschungen und des Scheins. Somit beschließt der Tod einen Prozess der Absorption, einen Endpunkt, der in dem zirkulären Modus der Verführung zugleich auch immer wieder ein Anfang ist. Als unser Mann den auf der Karte verzeichneten Ort aufsucht, begegnet er dem vorherigen Opfer. Genauso begegnet er am Ende des Films dem Darauffolgenden. Ein unendlicher zirkulärer Prozess. Und getreu der Maxime der Verführung, dass jede Macht reversibel sein muss, könnte man sagen, dass nun er als das verführerischste Zeichen des Films schlechthin, die mythische geheimnisvolle Figur des Doktor Faustus, den Neuankömmling verführt, seine Position im Spiel einzunehmen, die Position des Verführten, des Opfers, des Herausforderers der dunklen Mächte, um sich im Prozess der Verschmelzung immer tiefer in die Spirale aus Einsatz, Verführung und Tod einsaugen zu lassen bis hin zur unausweichlichen völligen Auslöschung jeglichen Sinns, der Selbstabsorption des verführerischen Zeichens. »[D]er Punkt, an dem es keine Rückkehr mehr gibt, wird zum Punkt einer totalen Reversibilität, zum Punkt einer Katastrophe, an dem der Bogen des Todes sich in einem neuen Verführungseffekt auflöst.«13 Demnach entspricht der Tod des Mannes im Moment der vollständigen Verschmelzung mit der Figur des Dr. Faustus einer unausweichlichen Konsequenz, einem unerlässlichen Element der rituellen Dramaturgie der Verführung, welcher der Mann verfällt. Es ist ein schicksalhafter Tod, der sich mehrfach während des Films ankündigt und somit nicht viel gemein hat mit einer Konzeption von Tod, welcher dem Zufall oder dem organischen Verfall unterstellt ist. Nichts in dem Film ist zufällig: Die Puppe, deren Kopf am Anfang des Films zwischen den Schwingtüren zerquetscht wird; die Verwandlung des Schädels des Babys in einen Totenkopf, welches der Mann mit Hilfe von Magie zum Leben erweckt; der Obdachlose im Biergarten, der den Unterschenkel des Vorläufers in Zeitungspapier gewickelt unter dem Arm trägt; die ertrinkende Biene im Bier des Mannes; all dies sind prophetische Zeichen, die seinen Tod am Ende dieses Zyklus der Verführung als schicksalhafte Unausweichlichkeit ankündigen. Wie Baudrillard schreibt: »Als über das Gesetz hinausgehende rituelle Dramaturgie ist die Verführung ein Spiel und ein Schicksal, das die Protagonisten ihrem unausweichlichen Ziel entgegentreibt, ohne dass sie dabei gegen die Regel verstoßen – denn diese verbindet sie ja gerade –, und die grund-

13 Baudrillard (1979/1992), S. 179.

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legende Verpflichtung besteht darin: Das Spiel muss weitergehen, und sei es um den Preis des Todes.«14

Aus diesen Gründen spricht Baudrillard auch von Verführungsschicksal und dieses Schicksalhafte begründet sich in der Affinität zur Ordnung der Regel und der Verpflichtung, die sich der Ordnung des Gesetzes, des Zwangs und Verbots entgegensetzt. Während das Gesetz auf einer transzendenten Verkettung notwendiger Zeichen beruht und fest verankert ist in dem Leitgedanken einer irreversiblen Kontinuität, begründet die Regel eine immanente Verkettung von arbiträren Zeichen, welche ausschließlich auf Übereinkunft beruhen, der Konvention. Das heißt, im Unterschied zum Gesetz besitzt die Regel keine determinierte Zielgerichtetheit. In ihr wohnt nicht das Versprechen einer verborgenen Wahrheit, sondern ihr arbiträrer, auf Übereinkunft basierender Charakter entzieht ihr jeglichen Sinn, der über die Verpflichtung, die sie beinhaltet, hinausgeht. Die Zeichen der Regel sind zyklisch und reversibel und ihnen haftet die unmittelbare Faszination des Konventionellen an, die Intensität der rituellen Form. Die Ordnung des Spiels Das Schicksalhafte verbirgt sich in der Verbindlichkeit, die das Spiel schafft. Genauso wie der Herausforderung muss man dem Spiel bis zum Ende folgen. Laut Baudrillard stellt sich im Spiel so etwas wie »ein uneingeschränkter Zwang« zur Befolgung ein, ein symbolischer Pakt, der im Geheimen geschlossen wird und dem nicht zu entrinnen ist.15 Das Spiel ist eine initiatorische Form; es lädt ein dazu, sich in ein rituelles System von Verpflichtungen hineinzubegeben. Und hierin liegt auch die heimliche Überlegenheit der Regel gegenüber dem Gesetz, die ihr die Macht verleiht, das Gesetz innerhalb ihres Einflussgebietes außer Kraft zu setzen. Immanent in einem geschlossenen, beschränkten System liegt der Regel – die jeglicher psychologischer oder metaphysischer Grundlage entbehrt – nichts daran, dieses zu transzendieren. Anders das Gesetz: Eingeschrieben in ein universelles Sinn- und Wertesystem strebt das Gesetz danach, sich in der Transzendenz als Totalisierungsinstanz des Realen zu konstituieren. Wie Baudrillard schreibt, begründet sich in der Transzendenz des Gesetzes erst die Irreversibilität von Sinn und Wert; demzufolge ist es »die Immanenz der Regel, ihre Eigenschaft als etwas Arbiträres und Geschlossenes, was innerhalb ihrer eigenen Sphäre die Reversibilität des Sinns und die Umkehrung des Gesetzes nach sich zieht«16. Dies ist die 14 Baudrillard (1979/1992), S. 183. 15 Baudrillard (1979/1992), S. 185. 16 Baudrillard (1979/1992), S. 186.

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Sphäre, in welche das Spiel hineinführt, die Sphäre einer anderen Logik, einer künstlichen und initiatorischen Logik, die sich selber genügt und damit umso faszinierender und einnehmender ist. In dem Film Faust handelt es sich um eine besondere Form des Spiels: Das theatralische Spiel. Das Konventionelle liegt in den Figuren und dem Ablauf: Fausts Abschwören von der Wissenschaft und Zuwendung zur Schwarzen Magie; die Heraufbeschwörung Mephistopheles; der Wirtshaustisch aus dem der Wein sprudelt; Fausts Begehren, ein Leben in Überschwang und uneingeschränkter Macht zu führen; Fausts Beinahe-Zurückwendung zum Göttlichen, die durch einen geschickt eingefädelten Plot des Mephistopheles vereitelt wird, indem er nämlich die Begierde des Fausts für ein unwiderstehliches Objekt erweckt – die unschuldige junge Frau – etc. Aber Švankmajers Inszenierung dieses allseits bekannten Stoffes zeichnet sich dadurch aus, dass er das verführerische Potenzial dieser Figuren und Abläufe in den Vordergrund rückt. Er entzieht sie jeglichem Realismus, jeglicher psychologischer und metaphysischer Grundlage und hebt so ihren rituellen, arbiträren Charakter hervor. Er treibt sie nicht-transzendenten Zeichen entgegen, wie sie nur in der Sphäre des Spiels existieren. Die gesamte Intensität des Films verlagert sich auf die Ebene der Zeichen. Metaphysische Dimensionen des Fauststoffes, Sinn und Bedeutung des Handelns der Figuren und des Laufes der Dinge sind auf dieser Ebene nicht von großem Interesse. Im Gegenteil, sie erfahren lediglich Spott und Hohn, besonders in der Figur des Kaspers. Die ›Entsublimierung‹ der Kultur des Scheins Metaphysische Instanzen sehen sich instrumentalisiert von der Verführung, um ihrem einzigen Ziel entgegenzustreben: Zu verführen. So zum Beispiel die Sehnsucht die innerste Wahrheit zu erkennen, die höchste Erfüllung des Begehrens zu finden oder über uneingeschränkte Macht zu verfügen. Diese drei Hauptantriebsmomente des Faustischen Charakters, welche offensichtlich den Ordnungen des Realen und Natürlichen angehören, erscheinen in dem verschwörerischen Treiben wie ein unwiderstehliches Versprechen, welches eine ungeheure Anziehungskraft auf das Opfer ausübt, aber notwendigerweise unerfüllt bleiben muss. Wie kann man die Sehnsucht nach Wahrheit oder die Erfüllung von Begehren in einer Welt stillen, die nichts als Trug und Schein kennt; das heißt eine Welt, in der sich diese Ordnungsprinzipien außer Kraft gesetzt sehen; im Spiel des ritualistischen, verführerischen Zeichens? Wie kann man Macht besitzen über Kräfte, die insgeheim weitaus mächtiger sind, da sie nur Trug und Schein sind und sich in der Demontierung der Machtstrategien des Realen als überlegen erweisen? Die einzige Erkenntnis, zu der die dunkle Welt der Verführung Faust führen kann, ist,

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dass das Phantasma einer verborgenen Wahrheit, der Wunsch nach der höchsten Erfüllung allen Begehrens oder die Verlockung uneingeschränkter Macht sich im Nichts auflöst; dass es nur Phantasmen sind, unverzichtbare Pfeiler einer »Metaphysik, die nur von dem Phantasma einer verborgenen Wahrheit und der Enthüllung dieser Wahrheit lebt […] auf dem obszönen Schauplatz des Realen«17. Phantasmen, die lediglich Teil eines Simulakrums sind, »das heißt ein Wahrheitseffekt, der verbirgt, dass es die Wahrheit gar nicht gibt«. Steht also hinter der Verführung nichts als Leere, deren verführerisches Potenzial sie nutzt, so gilt dasselbe für die göttliche Ordnung, die Welt des Realen, mit dem einzigen Unterschied, dass diese Leere eine entzauberte ist. Diese Erkenntnis, der Faust sich nicht stellen will, formuliert sich deutlich in den Worten Mephistopheles in dem letzten Dialog, den Faust in dem Film mit Mephistopheles führt: Mephistopheles (M): »Do I intrude upon your rest, or would you care to talk?« Faust (F): »What I’ve learned through your instructions reasserts again that big and small are only the two sides to one coin and that the elephant for all its mighty strength no different basically to the tiny flee. So I still seek the force, the reason governing lives flow and not just its external show.« M: »The governing force, the reason? Some things can’t be known. They are beyond your reach, even when shown.« F: »Why should that be so?« M: »They lay outside the boundaries that words can address. And man can only grasp that thought, which language can express.« F: »What do you mean the words are greater yet than man?« M: »Indeed they are.« F: »Then what of longing, affection or pain and grief? I can’t describe these, yet I know they are in my breast. What are they?« M: »Without substance as mists.«

17 Baudrillard (1979/1992), S. 49.

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F: »In that case man is only air as well. (Faust unterbricht und nimmt das Skript, um von dort die nächsten Zeilen abzulesen.) What has made me thirst then to be instructed in those things that are more than speech allows?« M: »Your thirst is artificial, fostered by the arrogance in you. So look no further than all your human brothers. Do eat, drink and let that be sufficient.« F: »Liar and fool, traitor! Where are the pulse and core of nature you promised to reveal? Where?« M: »Faustus, you lack the wit to see them in every blade of grass.« F: »Fire phantom, lying fiend.« M: »[...]« F: »I’m learning, the devil knows no more than we poor fools.« M: »The man who gives his soul to Satan for instructions, I would agree with you, he is a poor fool.« F: »As a guide to higher truth I cannot recommend you. And, yet, says my contract signed in blood, you still remain constrained to serve me. Serve me then! I will make use of your deceptive guile and your satanic anger.« M: »Those will I put at your disposal.«

Die Transparenz, welche Faust ersehnt, eine Transparenz in der sich die Welt vor seinen Augen offenbaren soll, ihr Geheimnis preisgeben soll, entspricht ganz und gar dem Prinzip einer »Kultur der Entsublimierung des Scheins«18; der gewaltsame Versuch hervorzuzerren, sichtbar zu machen, zu materialisieren, was zu einer anderen Ordnung, der Ordnung des Geheimnisses und der Verführung gehört; dieses zu entzaubern, es der Ordnung des Realen zu zuführen. Nichts soll dem Schein überlassen werden: »Alles soll vorgeführt (produit) werden, soll gelesen werden, alles soll in den Bereich des Realen, des Sichtbaren, und der messbaren Effizienz treten, alles muss sich in Kräfteverhältnisse übertragen, in konzeptuelle Systeme oder berechenbare Energie, alles soll gesagt, 18 Baudrillard (1979/1992), S. 53.

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akkumuliert, erfasst, aufgezählt werden: So ist der Sex im Porno beschaffen, aber so funktioniert allgemein betrachtet unsere ganze Kultur, deren natürliche Seinsform die Obszönität ist: Eine Kultur des Zeigens, des Vorzeigens, der produktiven Monstrosität.«19

Die Kultur der Entsublimierung und Obszönität haftet der Figur des Faust, wie sie sich in Švankmajers Film darstellt, zweifellos an. Sie stellen den Grund dar, aus dem heraus er die dunklen Mächte herausfordert, um zu verstehen. Er sucht das Geheimnis zu lüften, indem er sich der Welt des Scheins und des Truges zuwendet, nur um vor Augen geführt zu bekommen, dass dieses Geheimnis nicht im rationellen Sinne verstehbar ist, wie jedes Geheimnis sich dem Wort entzieht.20 In diesem Sinne tritt deutlich hervor, dass sich in der Figur des Fausts so etwas wie das Entgegengesetzte zur Welt der Verführung und des Scheins angelegt sieht, was einem Verhaftet-Bleiben dem Transparenten, Messbaren, Sagbaren entspricht. Fausts Abschwören von der göttlichen Ordnung, der das Transparente, Messbare und Sagbare innert ist, ändert nichts an der Tatsache, dass er immer noch auf deren Grundlage handelt und denkt. Dies zeigt sich deutlich in Bezug auf Faust. Švankmajers Faustcharakter spricht und handelt in Übereinstimmung mit Prinzipien, die der Ordnung des Realen und Natürlichen entstammen. Er befiehlt Mephistopheles, ihn zum Königreich von Portugal zu bringen und es aufgrund verletzen Stolzes im Wasser versinken zu lassen. Auch auf die Verführung durch den Teufel, der sich als junge, begehrenswerte Frau verkleidet hat, kennt er nur eine Antwort: Begehren = Sex.21 Die Auflösung der Einheiten Raum, Zeit, Subjekt Ohne Zweifel wird in dem Film die Spannung zwischen Realität (oder vielmehr das, was im photo-realistischen Sinne als solche gemeinhin akzeptiert wird) und Illusion gesucht. Vom gegenseitigen Durchdringen sowie wechselseitigen Unterbrechen bzw. Außer-Kraft-Setzen dieser beiden Sphären, lebt der Film in vieler Hinsicht. Die Ebene, auf der sich dies am deutlichsten zeigt, ist die Ebene des Raums. Wie in Don Juan bleibt die Illusion weder auf den begrenzten Raum der Bühne, noch den des Theaters beschränkt. Im Bann der Illusion wird alles zur Bühne: Die Wohnung des Protagonisten, der öffentliche Raum der Straße, der Biergarten, kultivierte und unkultivierte Gebiete der Natur etc. In diese ›realen‹ Örtlichkeiten brechen die verschwörerischen Zeichen ein und bemächtigen sich 19 Baudrillard (1979/1992), S. 54f. 20 Vgl. Baudrillard (1979/1992), S. 110ff. 21 Denn Sex und Begehren gehören zu der Ordnung des Natürlichen. Vgl. Baudrillard (1979/1992), S. 35.

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ihrer, machen sie zur Bühne ihres Spiels. An verschiedenen Stellen des Films werden sogar ›außenstehende‹ Passanten involviert. Die Grenzen zwischen Theaterraum und Nicht-Theaterraum verwischen. Die Charaktere können sich frei zwischen ihnen bewegen. Wenn sie aus dem Theaterraum hinaustreten, hören sie nicht auf, diese Charaktere weiterhin zu verkörpern. Wie zum Beispiel in der Szene, in der Kasper die Teufel herbeiruft, kurz nach Fausts Beschwörung des Mephistopheles. In dem Hin und Her des Beschwörens und Wegwünschens der Teufel, welches Kasper betreibt, werden die Marionetten gezeigt, wie sie zwischenzeitlich mit einem Hut und Mantel bekleidet auf die Straße laufen und wieder zurückkehren, sobald Kasper seine Beschwörungsformel gesprochen hat. Nahe dem Ende des Films geht auch Kasper auf die Straße, um dort im Auftrag von Faust zwei starke Männer zur Abwehr Luzifers zu suchen. Die andere Ebene, auf der sich dieser Konflikt zwischen Realität und Illusion abzeichnet, ist zwischen Darsteller, sprich dem Mann und seiner Rolle, der fiktiven Gestalt des ›Doktor Faustus‹. Die Beziehung stellt eine Herausforderung für den Zuschauer dar, eben weil die herkömmliche, psychologische ›Vertiefung‹ des Charakters in Bezug auf Motivation, Hintergründe, etc. ausgespart bleibt. Auf die Frage, warum der Faustdarsteller sich in dieses Spiel hineinziehen und seinem Verderben entgegentreiben lässt, gibt der Film nur eine Antwort: Die verführerische Macht der Illusion ist größer als die Realität; Strategien gegen die Verführung sind schwach und wirkungslos. Setzt die Verführung die Realität außer Kraft, gilt dasselbe auch für die Besonderheiten, die ein jedes Individuum in dem Netz von Macht und Kräfteverhältnissen auf sich vereint. Der Faustdarsteller zeigt sich in dem Film radikal solcher ›Besonderheiten‹, die in der realen Welt seine Identität konstituieren, entkleidet. Wenn seine ›reale Identität‹ dem Zuschauer vorenthalten wird, weil sie letzten Endes von wenig Interesse ist, so sieht sich der Konflikt auf eine andere Ebene transponiert: Seine Rolle als Opfer der Verführung. Švankmajer legt hier eine undurchsichtige Verschachtelung an. Während Faust von den dunklen Mächten verführt wird, wird der Mann von der Figur des Doktor Faustus verführt. Dabei ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, den Darsteller/Mann von seiner Verkörperung des Doktor Fausts zu unterscheiden, was sich in der Verschachtelung von Illusion und Realität begründet. Verschwimmen auf der örtlichen Ebene die Grenzen zwischen Realität und Illusion, so verschwimmen sie ebenfalls in Bezug auf den/die Körper und damit auf Darsteller/verkörpertem Charakter. Auch wenn der Film das Verführungsschicksal des Doktor Faust zu dem des Mannes macht, indem beide unheilvoll miteinander verschmelzen, so bleibt es doch ein wichtiges narratives Element, die verführerische Macht der Figur gegenüber dem ›realen‹ Menschen hervorzukehren. Erst hier entsteht die Spannung zwischen Realität und Illusion. Die Verankerung des Darstellers in der Welt des

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Realen, genauso wie die Verankerung der vom alltäglichen Leben gezeichneten Schauplätze, machen es dem Film möglich, die Verführungskraft gegenüber dem Realen ins Bild zu setzen bzw. das zum Ausdruck zu bringen, worin die Hauptfaszination der Verführung besteht: Das Reale zum Aussetzen zu bringen, es in Taumel zu versetzen. Die Logik der Reversibilität Zum Aussetzen bringen, in Taumel versetzen, in den Abgrund stürzen, annullieren, absorbieren, aufheben –die Dinge auf einen Nullpunkt zu zutreiben, sie auszulöschen, kurzfristig, gerade so lange, um das Spiel wieder von vorne beginnen zu lassen, knüpft sich eng an zwei Realisationsmomente: Die Logik der Reversibilität sowie die Logik einer sich unendlich emporwindenden Spirale des SichGegenseitig-Überbietens. Die Verführung stützt ihre Macht auf die Reversibilität, das heißt in der Verführung sieht sich das zu Verführende konfrontiert mit demjenigen, welches dem Prinzip der Umkehrung entsprechend die Macht besitzt, ihm seine eigene Macht gänzlich zu entziehen; sie zu annullieren. Mit anderen Worten, die grundsätzliche Umkehrbarkeit einer jeden Macht ist die Grundlage der Verführbarkeit. Wie Baudrillard in Der symbolische Tausch und der Tod über die Reversibilität sagt: »Die Umkehrbarkeit (Reversibilität) der Gabe durch die Gegengabe, Umkehrbarkeit des Tauschs durch das Opfer, die Umkehrbarkeit der Zeit durch den Zyklus, die Umkehrbarkeit der Produktion durch die Destruktion, die Umkehrbarkeit des Lebens durch den Tod, die Umkehrbarkeit jedes sprachlichen Ausdrucks und Werts durch das Anagramm: Eine einzige große Form, die gleiche in allen Bereichen, die der Umkehrbarkeit, der zyklischen Umkehrung, der Annullierung – jene, die überall der Linearität der Zeit ein Ende setzt, der der Rede, der des ökonomischen Tauschs und der Akkumulation, der der Macht. Überall nimmt sie für uns die Form der Vernichtung und des Todes an. Es ist die Form des Symbolischen selbst. Weder mystisch noch struktural: Unausweichlich.«22

Diese grundsätzlich geltende Reversibilität stellt die gefährlichste Waffe der Verführung dar. Sie bringt ins Spiel, was gegenüber dem Opfer der Verführung ein unüberwindlicher Opponent ist, da es eigentlich schon seit jeher in schicksalhafter Verkettung mit ihm verbunden ist – die andere Seite der Münze, der ewige Gegenspieler, das gefährliche Andere. Von vorneherein scheint das Opfer dazu bestimmt, seinem Gegenpart ein Ende zu setzen, es dem Nichts, der Leere, der Auflösung, dem Scheinhaften entgegenzutreiben. Es stellt die vorbestimmte, unum22 Baudrillard (1976/1991), S. 8.

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gängliche Falle dar, in die das Opfer sich notwendigerweise verfangen muss, da es an seiner verwundbarsten Stelle getroffen wird; der Punkt, an dem sich alles ins Gegenteil verkehrt, sich um die eigene Achse dreht und somit alles zum Einsturz kommt; der Punkt der Selbstabsorption. Dieser Punkt muss provoziert werden; die Dinge müssen an ihre Grenzen, ihre Abgründe getrieben werden. Hier kommt das zweite Realisationsmoment ins Spiel. In der Herausforderung lockt die Verführung ihr Opfer aus der Reserve, verführt dazu, sich immer weiter aus seiner Sicherheit, von seiner Wahrheit wegzubewegen eben bis zu diesem Punkt, in dem Sicherheit und Wahrheit kollabieren und sich in Nichts auflösen. Die Provokation, dieses ›aus der Reserve locken‹ bedarf des Duellhaften und Antagonistischen, weshalb es auch zur essenziellen Form der Verführung gehört; nicht reziproker Austausch, sondern sich gegenseitig anstachelnde, selbstgenügende Herausforderung; oder ein ›mit und mit‹ sich steigerndes und konspiratives ›in die Enge Treiben‹ oder ›Hinüberziehen‹ als Grundlage des geheimen Austauschs der Verführung. The Last Trick of Mr. Schwarzwald and Mr. Edgar und Punch and Judy zeigen sich bemerkenswert nahe der ersten hier genannten Form der Verführung, dem uneingeschränkten Überbieten im Rausch der Herausforderung. Auch wenn sich Verführung und Herausforderung sehr ähnlich sind, weist Baudrillard doch auf einen Unterschied zwischen den beiden hin. Die Herausforderung besteht darin, »den anderen auf das Terrain ihrer Kraft führen zu wollen«, wobei die Verführung den Anderen auf das »Terrain ihrer eigenen Ohnmacht« ziehen will.23 Auch wenn beides eigentlich auf das Gleiche hinausläuft, nämlich sich »verrückt zu machen in einem wechselseitigen Rausch«24, wie Baudrillard es nennt, ist es unbestreitbar, dass die Filme den Unterschied deutlich illustrieren. The Last Trick of Mr. Schwarzwald and Mr. Edgar und Punch and Judy zeugen von der schieren Verführungskraft des Kräftemessens, des Rivalisierens. Nichts anderes zählt für die Protagonisten, als sich gegenseitig bis zum Äußersten herauszufordern. In The Last Trick of Mr. Schwarzwald and Mr. Edgar treiben zwei Artisten das gegenseitige Überbieten soweit, bis nichts mehr als jeweils ein Arm von ihnen bleibt. Gebietet das Auseinanderbrechen der Protagonisten das Ende der Darbietung, so findet die Rivalität noch lange kein Ende. Selbst die in der letzten Einstellung angedeutete Geste der Versöhnung, nämlich ein Händereichen, scheitert: Zu Körperfragmenten reduziert – zwei abgerissene Arme – bleiben die Artisten erbitterte Rivalen. Genauso in Punch and Judy. Auch hier scheint der eigentliche Grund des Streits bald vergessen; was fortan zwischen den beiden zählt, ist ein gegenseitiges Überbieten im Aushecken und Hineinlocken in tödliche Hinterhalte. 23 Baudrillard (1979/1992), S. 115. 24 Baudrillard (1979/1992), S. 114.

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Faust schließt das Moment der Herausforderung in die Darstellung mit ein, aber die Verführung stützt sich nicht so ausschließlich und offensichtlich auf dieses Realisationsmoment wie im Falle von The Last Trick of Mr. Schwarzwald and Mr. Edgar und Punch and Judy. Gemeint ist Fausts Herausforderung der dunklen Mächte als eines der zentralen Themen des Fauststoffes, welche ihn inmitten des ewigen Widerstreits zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel zieht. In zwei Szenen hebt der Film diese alles Andere übergreifende Duellbeziehung in den Vordergrund: Der Appell an Doktor Faustus von beiden Mächten, sich nicht der anderen zu zuwenden, unmittelbar nach der Szene in der Faust das Baby aus Ton zum Leben erweckt; und selbstverständlich die Szene der Unterzeichnung des Paktes, in der eine Horde von kleinen Teufelchen die sich ihnen entgegenstellenden Engelchen auf das Grausamste daran hindern, erneut die Feder zu zerbrechen, mit welcher der Pakt unterzeichnet werden soll. Im Gegensatz zu den beiden anderen Filmen weicht in Faust das Leidenschaftliche des Taumels – den das Rivalisieren, das grenzenlose Sich-Gegenseitig-Überbieten implementiert – dem bleiernen Gewicht des Strategischen und Verschwörerischen. Mit Ausnahme der Leidenschaftlichkeit in der Heraufbeschwörungsszene haftet dem Taumel, der in Faust von dem Protagonisten Besitz ergreift, vielmehr etwas Schleichendes, Dumpfes, Lähmendes an; etwas, das im Augenblick der Realisation in Panik versetzt und in diesem Sinne nicht viel gemein hat mit dem Taumel des hitzigen, gegenseitigen Anstachelns, der einen alles um einen herum vergessen lässt; im Gegensatz zum unendlich lähmenden Gefühl der Ohnmacht. Ungemein verführerisch ist beides, das steht außer Frage; zwei Wege zum gleichen Ziel, dem Abgrund der Reversibilität. Die Unmittelbarkeit im Moment der Realisation, wenn der Rand des Abgrundes erreicht ist, die Intensität des Augenblicks, ist dieselbe, genauso wie beides durch die gleiche Faszination mit der Leere, des Unsinnigen, des Rauschhaften angetrieben wird. »[V]errückt nach der schwindelerregenden Abwesenheit, die sie vereint, nach einer wechselseitigen Verschlingung.«25 Die Logik der Reversibilität, angetrieben durch den Stachel des Antagonistischen, des Duellhaften, des Sich-Gegenseitig-Übertreffens – sie ist es, die sich hinter dem zerstörerischen Aufeinanderprallen von Gegenkräften verbirgt, welches formal wie dramaturgisch nicht nur Faust prägt. Die Duellbeziehung ist das strukturale Element, welches sich in allen Filmen von Švankmajer auf die eine oder andere Weise wiederfindet. Dramatische Figuren, Antagonismen, formelle Gegensätze, kurz Alles, was sich in eine duellhafte Beziehung setzen lässt, sieht sich über kurz oder lang in diese schicksalhafte Umarmung mit seinem tödlichen Gegenpart hineingezogen; nicht die Art von oppositioneller Beziehung, welche 25 Baudrillard (1979/1992), S. 114.

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die jeweiligen strukturalen Positionen der Gegenspieler auf ewig arretiert (Dialektik); sondern eine der unmittelbaren Steigerung und antagonistischen Reversibilität. In-Bann-Ziehen, Verdrängen, Ersetzen; der Prozess der rätselhaften Auflösung des Realen und seiner Machtstrategien geht Hand in Hand mit der Provokation durch sein radikales Gegenüber, welches verführerisch lockt, gerade weil ihm in jede Faser die Macht der Auslöschung eingeschrieben ist. Der strategische Einsatz der Antipode, des Anderen, der Alternative, welche unaufhörlich die Katastrophe, die Apokalypse ankündigt (aufgrund der einfachen Tatsache, dass sie selber den Keim dafür in sich trägt), diese Strategie der Verführung blickt einem beständig aus Faust entgegen. Das Verwirrspiel zwischen Illusion und Realität wurde bereits untersucht; wie sich die Illusion Schritt um Schritt der Realität bemächtigt, sie an verschiedenen Schauplätzen aushöhlt, unterwandert, überwuchert, manchmal schleichend, manchmal überfallartig und hitzig, bis das Reale sich soweit entkräftet sieht, dass alles für einen schrecklichen Moment zum Stillstand kommt; der Punkt der Reversion, welcher in den letzten Sekunden des Films seinen Zoll verlangt, wenn der Faustcharakter von dem Auto überfahren wird und der Zyklus der Verführung sich damit für ihn zu Ende gebracht sieht. Vom verführerischen Zeichen zum unnahbaren Objekt: Martin Heideggers ›Der Ursprung des Kunstwerkes‹ Diese konsequente Logik des ›Beendens‹ oder ›Zu-Tode-Bringens‹, die dem bisher Gesagten unterstellt scheint, im Bann dieser Logik steht Švankmajers Faust. Das haben die bisherigen Beobachtungen ergeben. Verallgemeinern lässt sich dieser Gedanke allerdings nicht. Scheint es auf Faust zu zutreffen, dass sich eine Realität durch eine andere ersetzt sieht und in diesem Prozess zwei ineinander verschränkte Realitäten gegeneinander arbeiten – das verführerische Prinzip und das Reale – dann muss man auf andere Filme Švankmajers bezogen feststellen, dass dieses Prozessuale, dieses Schritt-Um-Schritt, welches so einmalig in Faust zum Tragen kommt, sich nicht unbedingt festmachen lässt. Die Spirale der Verführung, die dem Moment der Reversion, des Kollapses, des Antagonistischen entgegentreibt, bleibt Faust vorbehalten. Nichtsdestotrotz, in anderen Filmen wie The Garden, The Flat, Picknick mit Weissmann und A Quiet Week in a House findet sich der Zuschauer in einer Welt wieder, in der die Logik der Verführung bereits gewirkt hat, indem die eine Realität durch eine andere ersetzt wurde und dem Subjekt ganz im Sinne einer von seiner Bedeutung enthobenen Entität eine neue Rolle zugewiesen hat. Dieses Herauslösen von Entitäten aus ihrer Funktionalität, über die Bedeutung generiert wird, über dieses Herauslösen kann man sagen, dass ihm eigentlich immer die Logik

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der Verführung zugrunde liegt, auch wenn der Prozess sich oft bereits vollzogen zeigt. So befindet sich in The Garden der menschliche Zaun bereits an Ort und Stelle. Die Frage, wie diese menschliche Zaunkette in Entstehung gekommen ist, begründet das zentrale Mysterium des Films. Auch scheint der Mann, der sich ohne Weiteres in die Menschenkette einreiht, bereits eingeweiht in das Geheimnis. Die Logik der Verführung ist ihm vertraut. Im Gegensatz zu dem menschlichen Faustcharakter sieht er sich nicht erst an den Punkt der Reversion herangeführt, sondern akzeptiert seine Objektivierung ohne Weiteres, ganz so wie Josef K. in Der Prozess sich am Ende ohne Widerstand abführen und hinrichten lässt. Hier hat die Logik der Reversibilität bereits gegriffen. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf The Flat, Picknick mit Weissmann und A Quiet Week in a House. In The Flat sieht sich der Mann konfrontiert mit einer Welt, in der die Logik der Verführung eine neue Ordnung geschaffen hat und die Funktionalität der Objektwelt aufgekündigt hat. Ganz Zeichenkörper, der sich seines Signifikates entledigt hat, üben die Objekte lediglich Effekte aus, welche die neue Position des Mannes definieren: Reversiert und damit eliminiert. Das Gleiche trifft auf den Mann zu, der am Ende von Picknick mit Weissmann geknebelt und gefesselt aus dem Schrank fällt. In A Quiet Week in a House hingegen erhält das menschliche Subjekt die Rolle des außenvorstehenden Beobachters, was seinen Bezug zu den seltsam agierenden, ihrer Funktionalität enthoben Dingen in den Zimmern neu definiert. Präsentieren sich demnach The Garden, The Flat, Picknick mit Weissmann und A Quiet Week in a House als Momentaufnahmen, in denen der Prozess der Verführung sich bereits vollzogen hat und der Zuschauer sich im Nachhinein von dem Sog der Verführung und dem ›In-Taumel-Versetzen‹ der Realität ergriffen sieht, erlebt er das Verführungsprinzip in Bezug auf Faust im Moment seiner Entfaltung. In diesem Sinne nimmt es als darstellerisches Verfahren, als ›Mechanismus der Umkehrung‹ eine wichtige Stellung ein. Als Philosophie hingegen hat das ›ZuTode-Bringen‹ der Realität eigene Konsequenzen und Intensionen. Baudrillard schreibt in Die fatalen Strategien: »Das Universum ist nicht dialektisch – es ist auf Extreme gerichtet und nicht auf das Gleichgewicht; es unterliegt einem radikalen Antagonismus, das heißt weder der Versöhnung noch der Synthese.«26 In diesen Zeilen tritt deutlich hervor, was Baudrillard in der Konzeption der Verführung verfolgt: Das Prinzip des Antagonistischen und Taumels gegenüber dem der Ausgeglichenheit und Wahrhaftigkeit zu privilegieren. Im Rahmen des philosophischen Diskurses hat er damit sicherlich erreicht, was eine solche These mit einer schwer auszuhebelnden, inneren Logik tut: Provozieren und polarisieren.

26 Baudrillard (1983/1991), S. 7.

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Jedoch der Leidenschaft, die sich aus dem Spiel mit den Zeichen, dem äußeren Schein erhebt, fügt sich im Kontext von Švankmajers Werk eine zweite Leidenschaft hinzu, nämlich die Leidenschaft gegenüber der Objektwelt. Diesem zweiten Körper, der in Konjunktion zum Ersten, dem verführerischen Zeichen, untersucht werden soll, wird sich im Folgenden zugewendet werden. Das Grotesksein in Švankmajers Werk definiert sich stark über die Spannung, die sich zwischen Essenzialität und Spontanität aufbaut. Essenzialität bindet sich dabei an das Gegebene: Vorgefunden in Bezug auf Körper im Allgemeinen, die Materialität und Dingwelt, aber auch auf gegebene kulturell-soziale Strukturen. Die Seite der Spontanität hingegen bindet sich an Leidenschaften und Intimitäten und wie diese sich in Akten der Reversion und Subversion einrichten. Wenden wir uns also dem verschlossenen Objekt zu. Grundvoraussetzung ist, dass die Zeichen/Objekte, derer sie sich bedienen, wie beim verführerischen Zeichen eine unheimliche und undurchsichtige Eigenständigkeit erlangen und sich verschwörerisch zusammenschließen. Dabei sieht sich der Aspekt der Verschlossenheit des Objekts in besonderem Maße hervorgehoben. Mehr noch als Zeichen einer symbolischen Ordnung sind darstellerische Gegenstände der Welt der Dinge verhaftet, welche ausstaffieren und sich der Welt der Handlungen zuneigen, wie es zu Anfang des Kapitels erwähnt wurde. Diese Gegenstände des Alltags und der Darstellung vermögen es ebenfalls, laut Baudrillard, sich in Eigenständigkeit zu behaupten. Wie Baudrillard in Die fatalen Strategien schreibt: »Die Dinge haben einen Weg gefunden, der ihnen langweilig gewordenen Dialektik des Sinns und der Bedeutung zu entfliehen: Sie wuchern bis ins Unendliche, potenzieren sich und übersteigern ihr eigenes Wesen bis ins Extrem, bis hin zu einer Obszönität, die von nun an zu ihrer inneren Zweckbestimmung und unvernünftigen Vernunft wird.«27

Die Idee eines eigenständig gewordenen, zum Leben erwachten Objekts ist zentral zu Švankmajers Filmen. Sie begegnet uns in den angesprochenen Filmen The Flat, Picknick mit Weissmann, A Quiet Week in a House, aber auch Jabberwocky, The Fall of the House of Usher, Dimensions of Dialogue, Down to the cellar, Alice und Little Otik. Noch deutlicher allerdings artikuliert sich der Zusammenhang von Unnahbarkeit und verschwörerischer Eigenständigkeit in den Filmen, in denen Švankmajer Stein und Knochen als Schaffensgrundlage wählt: J. S. Bach: Fantasia g-moll, Spiel mit Steinen und The Ossuary. Die ›rohe‹ Materialität im Sinne eines der ›Bedeutung Vorgängigem‹ bespricht Heidegger in ›Der Ursprung des Kunstwerkes‹.28 In der Tat findet sich hier die gedankliche Grundlage zur para27 Baudrillard (1983/1991). 28 Heidegger (1994).

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doxen Bewegung des Sich-Verschließens und Sich-Öffnens darstellerischer Inhalte und Gegenstände wieder, die zum Eingang des Kapitels angesprochen wurde.29 Laut Heidegger findet diese Bewegung zwischen dem, was er ›Erde‹ und ›Welt‹ nennt statt, den beiden Konstitutiven eines Kunstwerkes. ›Erde‹ ist dabei das, »wohin das Werk sich zurückstellt und was es in diesem Zurückstellen hervorkommen lässt«30, »das Hervorkommend-Bergende«31. Erst aufgrund dieses ›Zurückstellens‹ kommt in dem Werk das »Massige und Schwere des Steins«32 zum Tragen, das »Feste und Biegsame des Holz«33, das »Leuchten und Dunkeln der Farben«34, der »Klang des Tones«35 und die »Nennkraft des Wortes«36. Die ›Erde‹ im Sinne von Qualitäten wird somit in gewisser Weise hergestellt im Werk. Auch wenn das implementiert, dass etwas ins Offene, ins Unverborgene getragen wird, heißt das noch lange nicht, dass es sich damit öffnet. Charakteristisch ist vielmehr, dass die ›Erde‹ jedes Eindringen in sie versagt. Sie bleibt im Verborgenen. Die Schwere des Steins, das Leuchten der Farben etc. bleiben, entgegen jeglichen naturwissenschaftlichen oder technischen Bemühungen, erhalten im Unentborgenen und Unerklärten: »Versuchen wir solches [das Eindringen in die Erde], indem wir den Fels zerschlagen, dann zeigt er in seinen Stücken doch nie sein Inneres und Geöffnetes. Sogleich hat sich der Stein wieder in dasselbe Dumpfe des Lastens und des Massigen seiner Stücke zurückgezogen. Versuchen wir, dieses auf anderem Wege zu fassen, indem wir den Stein auf die Waage legen, dann bringen wir die Schwere nur in die Berechnung eines Gewichts. Diese vielleicht sehr genaue Bestimmung des Steins bildet eine Zahl, aber das Lasten hat sich uns entzogen.«37

J. S. Bach: Fantasia g-moll und Spiel mit Steinen bringen diesen Zusammenhang bemerkenswert zum Ausdruck. In Spiel mit Steinen zeigen sich Steine auf verschiedene Weisen in Aktion zueinander gebracht. Sie werden im Bann eines rhythmischen Reigens zerteilt und zerbröselt. Zu Anfang des Films sieht sich der Zuschauer durch eine schwere Holztür in einen Raum eingelassen. Anstatt jedoch, 29 Vgl. die Thesen von Fischer-Lichte/Roselt. 30 Heidegger (1994), S. 32. 31 Heidegger (1994), S. 32. 32 Heidegger (1994), S. 32. 33 Heidegger (1994), S. 32. 34 Heidegger (1994), S. 32. 35 Heidegger (1994), S. 32. 36 Heidegger (1994), S. 32. 37 Heidegger (1994), S. 33.

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dass der Raum in seiner vollen Ausdehnung gezeigt wird, erkundet die Kamera zunächst, wie in J. S. Bach: Fantasia g-moll, die verputzten Steinwände des Raums. Die Kamera folgt Rissen in den Wänden und Spinnengewebe in den Ecken, in denen nur vertrocknete Überreste von Spinnentieren hängen. Begleitet wird diese Szene von lautem Uhrenticken. Dem trostlosen Anblick folgt ein abrupter Kameraschwenk, der die Quelle des Tickens preisgibt: Ein an der Wand hängender Uhrmechanismus. Sobald die Uhr schlägt, öffnet sich ein Wasserhahn und lässt Steine in den an der Uhr hängenden Eimer fallen. Wenn dies geschehen ist, vollzieht der Film erneut einen abrupten Wechsel, der sich im Folgenden, immer mit der Auslösung des Mechanismus, wiederholen wird. Der Film wechselt zu einer tableau-artigen Ansicht, in der sich das mechanische Ticken der Uhr durch verspielte Drehorgelklänge ersetzt sieht. Innerhalb dieses Tableaus bewegen, formieren und multiplizieren sich die Steine, die zuvor in den Eimer gefallen sind. Mit jeder Wiederholung scheint dieses Spiel komplexer zu werden und auch die Musik wird frenetischer und zügelloser, während der Film am Ende jeder Wiederholung zu dem Uhrmechanismus zurückkehrt und der Eimer sich entleert. Zunächst fallen nur ein großer weißer und ein schwarzer Stein in den Eimer. Das dazugehörige Tableau zeigt die Steine hauptsächlich in Reihen angeordnet, wobei sich die beiden Farben vertauschen und vermischen. Im nächsten Tableau hingegen überwiegen organische Bewegungsmuster, wie zum Beispiel ein kleiner Stein, der sich zwischen zwei großen Steinen hindurchschlängelt, oder ein rötlich gefärbter Stein, der über die Rundung eines großen Steins hin und her rollt. Dem folgt die dritte der fünf Episoden, welche die Steine in anthropomorphe Konfigurationen arrangiert zeigen, die wie Hampelmänner ihre Gliedmaße auf und ab bewegen. Diese Figuren sind recht komplex in der Anordnung der Steine. Auch begegnet uns ein Gesicht in Direktansicht, welches die arcimboldischen Köpfe aus Dimensions of Dialogue vorwegnimmt. Diese anthropomorphen Figurationen wiederholen sich in der nächsten Episode sowie ein weiteres entscheidendes formsprachliches Element, das in Dimensions of Dialogue wiederauftaucht. Aus zerkleinerten und zerbröselten Steinen formieren sich wieder Köpfe, dieses Mal in Seitenansicht. Diese Köpfe kommunizieren miteinander, küssen sich, essen und verleiben sich gegenseitig ein. In diesem Sinne sehen sich hier bereits vier der wichtigsten Motive aus Švankmajers Werk angelegt, welche im vorhergehenden Kapitel ausführlich beschrieben wurden: Kommunikation, Sex, Essen und Rivalität, alles Grundlagen gemeinschaftlichen Miteinanders, aber auch menschlichen Begehrens. Spiel mit Steinen endet in Zerstörungswut. Im letzten Tableau zerbröseln die Steine nicht mehr, sondern zerbersten. Größere Steine stoßen kleinere Steine an, alleine oder in Gruppen, zermalmen sie oder springen einfach auseinander. Das Resultat dieses Treibens ist letztlich auch die Zerstörung des Mecha-

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nismus. Das Gewicht der Steine bringt den Topf zum Bersten. Der Uhrenmechanismus versucht erneut zu starten, jedoch das Tableau greift ins Leere. Die Steine fallen durch das Loch geradewegs auf den Haufen Steine, der sich unter dem Mechanismus gebildet hat, ohne dass die Möglichkeit eines weiteren Spiels besteht. In diesem Sinne endet Spiel mit Steinen in der gleichen trostlosen Weise, wie er begonnen hat. Es liegt nahe, in Spiel mit Steinen die Grundzüge eines Schöpfungsmythos wiederzuerkennen. Der schwarze und weiße Stein zu Anfang des Films stehen ein für ein weibliches und ein männliches Prinzip. Dem folgt die erste Regung organischen Lebens, welches sich zu komplexeren Formationen zusammenschließt, sich in Gemeinschaften arrangiert und schließlich darin ergeht, sich gegenseitig zu zerstören und auszulöschen. Diesem Moment eines ursprünglichen Prinzips begegnet man ebenfalls in anderen Filmen, wie zum Beispiel Jabberwocky. In dem Schrank steht am Boden eine Schüssel mit Wasser, die zu dampfen beginnt, bis daraus ein Matrosenanzug emporspringt und an einem Kleiderbügel zu hängen kommt. Was folgt, ist strukturgebend für den gesamten Film: Beflügelt durch ein euphorisches, ekstatisches Moment, beginnt der Anzug zu tanzen. Doch plötzlich wachsen aus den Wänden Äste, die den Raum ausfüllen und dem Anzug die Möglichkeit zum Tanzen nehmen. Der Anzug kommt zum Stillstand und sieht sich in der Mitte des Bildes arretiert. Anstelle dessen sprießen Blätter aus den Ästen, Äpfel reifen heran, fallen herab und zeigen sich unmittelbar zerfressen von Maden. Der symbolische Gehalt dieser Szenen ist stark und spricht in der Tat dafür, den Epilog und die erste Episode von Jabberwocky als eine Art Švankmajersche Version des ›Wunder des Lebens‹ zu lesen. Dafür steht der symbolische Gehalt der Äpfel, der auf das Paradies verweist, aber auch auf den Sündenfall. Hinzu kommt, dass der Baum ein uraltes Symbol für das Leben ist. Auch das Bild des Anzugs, der aus dem emporsteigenden Wasserdampf hochspringt, legt diese Sichtweise nahe. Evolutionär betrachtet entstand alles Leben im Wasser. In diesem Sinne bestimmen kosmische und magische Bildelemente die ersten Szenen des Films. Jabberwocky zeigt, wie das Auftauchen natürlicher Elemente wie Wasser und Stein diese mit der Magie des Ursprünglichen verbindet. Zu diesen zählen auch Feuer, Holz und Erde, wie es eindrucksvoll in der Beschwörungsszene des Mephistopheles in Faust zum Ausdruck kommt. Zur Heraufbeschwörung des Mephistopheles zeichnet der Faustcharakter einen Kreidekreis (Stein) auf den Fußboden. Wenn er im Folgenden die magische Heraufbeschwörungsformel spricht, während er den Boden zu seinen Füßen mit einer Peitsche geißelt, findet er sich innerhalb dieses Kreises magisch an verschiedene Orte transponiert: In eine Holzhütte, an einen Scheideweg im Wald, in die schwindelerregende Höhe eines Ge-

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birges, in eine Schneelandschaft, unter einen herabstürzenden Bach und inmitten eines Sees. Am Ende fährt ein brennender Heuwagen ein, der um den magischen Kreis herumfährt. Faust zeigt damit, wie das Heraufbeschwören der Elemente in Švankmajers Filmen zu deren Magie beiträgt. Eine ähnliche magische Allianz gehen Eisen, Stein, Holz, Ton und Wasser in The Fall of the House of Usher ein. Die Intensität des Films ist bemerkenswert in der Art und Weise, wie er die überspannten emotionalen Zustände der Erzählung durch die Materialität der Elemente erzählt. Dabei zeigen sich diese weniger im Sinne anthropomorpher Konfigurationen arrangiert, wie etwa im zweiten und dritten Tableau von Spiel mit Steinen, sondern die Intensität stellt sich im Moment des Durchwirkens her. Die Elemente erwachen scheinbar mitsamt dem Haus magisch zum Leben, ganz und gar im Bann der schrecklichen Geschehnisse, die an ihnen haften und sie umtreiben. In diesem Zusammenhang kommuniziert das Steinerne sicherlich am eingängigsten die Idee von Dichte, Unverfügbarkeit und Zeitlosigkeit. Komplementär tritt es in Spiel mit Steinen dem Uhrenmechanismus entgegen, der Veränderung, Manipulation und Transmutation provoziert. Trotz dieser Bemühungen und Zudringlichkeiten, die in den Tableaus stattfinden, bleibt dem Steinernen das Unentborgene und Unerklärliche erhalten, wie es mit Heidegger zur Sprache gekommen ist. Darin wird es zum Fremden, welches herausfordert und inspiriert. Denn diese Art von ›Zurückstellen‹ in die Erde, auf das Heidegger in Bezug auf die Stofflichkeit des Kunstwerkes hin argumentiert, diese Art des ›Herstellens‹ erlaubt nicht nur, für die ungewöhnliche Unvoreingenommenheit und Unmittelbarkeit der animierten Materialien in Švankmajers Filmen Rechnung zu tragen, sondern vermag auch den Kurzschluss des Ästhetischen mit dem Semiotischen in diesem Zusammenhang in den Vordergrund zu heben, der sich in Richtung ›Fatale Strategien‹ neigt: Das sich Erheben der Dinge; eine Welt, die sich in der künstlerischen Darstellung zugleich ins Offene gebracht sieht und doch als Fremdes auf ewig verschlossen ist. »Die Erde ist das wesenhaft Sichverschließende. Die Erde herstellen heißt: Sie ins Offene bringen als das Sichverschließende.«38 In diesem allegorischen Sinne muss das Darstellende, die Rolle der Ästhetizität, bei Švankmajer verstanden werden: Das Ins-Offene-Tragen eines sich Sich-Verschließenden, Fremden, Undarstellbaren. Auf diese Weise scheint es möglich, nicht nur den Kurzschluss mit der Welt der Dinge herzustellen, sondern auch andere ›fremde‹ Terrains anzuschließen. Demgegenüber beinhaltet das ›Weltsein‹ eines Werkes das Offenhalten des Offenen der Welt. Indem das Werk eine Welt aufstellt, sie öffnet, sie einrichtet, »bekommen alle Dinge ihre Weile und Eile, ihre Ferne und Nähe, ihre Weite und

38 Heidegger (1994), S. 33.

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Enge«39. Denn eine Welt besteht für Heidegger weder in der »bloßen Ansammlung der vorhandenen abzählbaren oder unabzählbaren, bekannten und unbekannten Dinge«40, noch in »nur eingebildeter, zur Summe des Vorhandenen hinzu vorgestellter Rahmen«41. Wie Heidegger weiter dazu schreibt: »Welt weltet und ist seiender als das Greifbare und Vernehmbare, worin wir uns heimisch glauben. Welt ist nie ein Gegenstand, der vor uns steht und angeschaut werden kann. Welt ist das immer Ungegenständliche, dem wir unterstehen, solange die Bahnen von Geburt und Tod, Segen und Fluch uns in das Sein entrückt halten. Wo die wesenhaften Entscheidungen unserer Geschichte fallen, von uns übernommen und verlassen, verkannt und wieder erfragt werden, da weltet die Welt.«42

Das Offenhalten der Welt im Werk sieht sich demnach in dem Setzen von Verhältnissen und der Eröffnung von Räumen, in denen diese Verhältnisse walten, bestimmt. In diesem Sinne bezieht sich das ›Weltsein‹ grundlegend auf die Bewegung eines Einrichtens, während sich das ›Zurückstellen in Erde‹ in der Herstellung charakterisiert sieht; zwei unterschiedliche Bewegungen, die im Kunstwerk aufeinander einwirken und sich darüber hinaus noch im Streit zueinander befinden. »Die Welt gründet sich auf die Erde, und Erde durchrankt Welt.«43 Sie können nicht wirklich miteinander aber auch nicht ohne einander, denn: »Die Welt trachtet in ihrem Aufruhen auf der Erde diese zu überhöhen. Sie duldet als das Sichöffnende kein Verschlossenes. Die Erde aber neigt dahin, als die Bergende jeweils die Welt in sich einzubeziehen und einzubehalten.«44

Gleichzeitig aber kann die Erde »das Offene der Welt nicht missen, soll sie selbst als Erde im befreiten Andrang ihres Sichverschließens erscheinen. Die Welt wiederum kann der Erde nicht entschweben, soll sie als waltende Weite und Bahn alles wesentlichen Geschickes sich auf ein Entschiedenes gründen.«45

39 Heidegger (1994), S. 31. 40 Heidegger (1994), S. 30. 41 Heidegger (1994), S. 30. 42 Heidegger (1994), S. 30f. 43 Heidegger (1994), S. 35. 44 Heidegger (1994), S. 35. 45 Heidegger (1994), S. 35f.

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»Das Werk hält das Offene der Welt offen«46, das ist Teil seines Wesens und damit Teil seiner Bestimmung. In diesem Sinne ist die Bewegung, die sich dem Begriff ›Welt‹ unterstellt sieht, die Bewegung des Ins-Offene-Drängenden, des Aufbegehrlichen, des Aufsässigen, des Aufdringlichen. So formuliert fällt es nicht schwer, das wiederholt auftauchende Motiv des ›Eigenständigkeit-Zustrebenden‹ und ›Eigenständigkeit-Erlangenden‹ wiederzuerkennen; im Sinne eines dem ›Geschlossenen-Widerstrebenden‹, etwa wie der Einbruch des Hässlichen in den Bereich des Kanons des Guten und Schönen; des Unbewussten in ein eingezwängtes Bewusstsein (Ratio, Doxa); des Fiktiven in eine transparente, vereinheitlichte, nach Ursache und Wirkung geordnete Welt, usw. Dabei verortet der heideggersche Weltbegriff dieses Drängen nicht nur auf der Werkebene und untergelegt den Gedanken der Möglichkeit eines vollkommenen, von der Realität abgewendeten Rückzugs in das Fiktive, sondern er wirft auch Licht auf eine weitere wichtige Unterscheidung. Wenn bislang von ›Hintergehung‹ der Realität die Rede war, wurde bezweckt, einen entscheidenden Aspekt hervorzuheben: Bei den Aufbegehrlichkeiten und den damit verbundenen Grenzüberschreitungen handelt es sich nicht um territorial gedachte Grenzen, sondern um imaginär gezogene, diskursiv auferlegte Grenzen, die das Verhältnis der verschiedenen Terrains zueinander markieren und fixieren; autoritative Verhältnisse. Die territorialen Grenzen bleiben von der plötzlichen und ungewohnten Investition mit Eigenständigkeit unangetastet. Diese Unterscheidung ist nicht zu vernachlässigen, dient sie dazu, das Moment des Divergenten, des Asyndetischen, Synkretistischen gegenüber dem Synthetischen, Sich-Gegenseitig-Subsumierenden und damit Vereinheitlichenden hervorzuheben und zu erhalten. Der Einbruch des Hässlichen in den Kanon des Schönen bedeutet nicht deren Synthetisierung, sondern die Gleichstellung des Hässlichen mit dem Schönen. Der Einbruch des Traums in den Raum des Wachzustands ist nur deshalb ein erschreckender Gedanke, weil die Kontrolle über den Traum verloren geht und er sich nicht länger der Autorität des Wachzustandes beugt, sprich sich auf Augenhöhe befindet. Dieser Gedanke kann nur entstehen – und das unterstreicht der heideggersche Weltbegriff – wenn die Grenzen, die in den Verhältnissen der Dinge zueinander gesetzt sind, plötzlich und ungewohnt geöffnet sind, ganz und gar im Sinne eines Offenhaltens des Offenen der Welt im Werk; sprich ›Offen‹ im Sinne des Zulassens eines Unerwarteten, Ungewohnten. Das Unerwartete, Ungewohnte und Plötzliche stellt sich dann ein, wenn Zusammenhänge sich aufgelöst sehen, die in der dominanten Wahrnehmung zur Normalität gehören. Die Auflösung dieser von autoritativen Verhältnissen geprägten Wahrnehmung von Normalität zeigt sich nicht im dialektischen Gegeneinander am effektivsten, sondern im paradoxen Nebenein46 Heidegger (1994), S. 31.

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ander konkurrierender Realitäten und Wahrheiten. Nur in diesem paradoxen Nebeneinander sich ausschließender Sachverhalte (zum Beispiel Traum und Wachzustand) sehen sich Verknüpfungen autoritativer Verhältnisse in einer aporetischen Unbestimmtheit aufgelöst, da sie sich zu einer erschreckenden Konstellation verdreht sehen: Entweder Traum und Wirklichkeit regieren gleichzeitig (unmöglich) oder keiner von beiden (ebenso unmöglich). In seinem ›Weltsein‹ hat das Werk also die Möglichkeit, dieses apokalyptische Szenario des ›Eigenständigkeit-Zustrebenden‹ und ›Eigenständigkeit-Erlangenden‹ heraufzubeschwören, weil es die Welt dafür offenhält. Durch diese Öffnung wird es möglich, Grenzen zu überspringen, Verträge aufzulösen: Alles wird möglich. Nicht nur möglich, sondern zudem in der ›Erdung‹, im materiellen Zurückstellen dieses Szenarios in die ›Erde‹ konkret. Verführerisches Zeichen und unnahbares Objekt Wie das Verführerische der Zeichen erweist sich die Wahrnehmung der Unnahbarkeit des Objektkörpers wichtig in Zusammenhang mit dem spezifischen Grotesksein in Švankmajers Werk. Das ausgleichende, nivellierende Wesen des Grotesken trägt weitreichende Konsequenzen, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis dieser beiden Körper zueinander. In den folgenden Kapiteln wird auf weitere Körperkonjunktionen eingegangen, Puppen-menschlicher Körper, materiellermedialer Körper, vorgestellter-leiblicher Körper. Es wird gezeigt, wie sehr das ausgleichende, nivellierende Wirken des Grotesken auch in diesen Zusammenhängen zum Tragen kommt. Doch der Verbund zwischen dem verführerischen, sinnentleerten Zeichen und dem unnahbaren Objekt zeichnet maßgeblich verantwortlich für den Aspekt des Unheimlichen und des Beunruhigenden, der dem Grotesken gerne zugeschrieben wird.47 Die Dinge des Alltags, die sich in Švankmajers Filmen wiederfinden, haben eine seltsame Eigenständigkeit erlangt, als wenn ihnen plötzlich ein ›fremder‹ Geist eingefahren wäre, der sie aus ihrer ›Bestimmung‹ herauslöst; der sie dazu bringt, den Zusammenhang ihres ›Zuhandenseins‹ im heideggerschen Sinne hinter sich zu lassen.48 So wachsen sie über sich hinaus, ganz im Sinne des letzten gehörten Zitats von Baudrillard aus Die Fatalen Strategien,49 beginnen in dieser neu erlangten Eigenständigkeit zu intervenieren und zu intrigieren. Über die Mechanismen der Verführung wurde bereits berichtet, wie sie sich der Zeichen bemächtigen, indem sie diese von ihrer Wahrheit ablenken; 47 Besonders einflussreich im Hinblick auf die Interpretation des Grotesken in diese Richtung ist die Studie von Wolfgang Kayser. 48 Heidegger (1926/1993), S. 72ff. 49 Baudrillard (1983/1991), S. 7.

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sie ihres Sinnes berauben und an dessen Stelle eine Komplizenschaft der Zeichen begründen; eine »Irreführung aller Wahrheit, eine Verschwörung von Zeichen, eine Exaltation der Zeichen zu unheilvollem Nutzen«50. Mit Heidegger wird es nun möglich, nicht nur auf dem semiotischen Level, sondern auch auf der ästhetischen Ebene die Bewegung eines ungreifbaren Verschließens und unfassbaren Öffnens wieder zu finden. »Welt ist das immer Ungegenständliche«51 und Erde ist ›ausschließlich erhalten im Unentborgenen, Unerklärten‹; keine Frage, hier überwiegt der Geist des Ereignischarakters gegenüber dem des Werkcharakters. Bewegungen, Intensitäten prägen das Kunstwerk; nicht das Wahrnehmbare, Aufzählbare, sondern das, was sich der Darstellung entzieht; das Undarstellbare rückt in den Mittelpunkt. Betrachtet man also die Nivellierungsbestrebungen des Grotesken als zentral zu den Wirkungsmechanismen des Phänomens, dann ergibt sich daraus, dass die Momente der Entleerung und des Unnahbaren hervorgehoben werden und darin das Moment der Verunsicherung nähren. Die Strategien des Grotesken dienen den Prozessen der Entleerung und Unnahbarkeit, fallen mit ihnen regelrecht zusammen, wie in Bezug auf die Filmbeispiele gezeigt wurde. In diesem aufrührerischen Akt, welcher der im ersten Kapitel beschriebenen Widerspenstigkeit des Phänomens zuarbeitet, erlangen die Objekte und die Zeichen Eigenständigkeit und brechen den Kanon des Selbstverständlichen und Unabänderlichen auf.

DER ZEICHEN-OBJEKT KÖRPER Die Anforderungen, welche die Filme in ihrem Grotesksein an den Zuschauer weitergeben, entsprechen tatsächlich dem Anspruch einer neuen Phänomenologie. Aspekte einer unwillkürlichen Lebenserfahrung wiederherzustellen, die sich verloren sehen. In der Einleitung zu seinem Buch Was ist Neue Phänomenologie schreibt Herman Schmitz: »Die Neue Phänomenologie entspringt der Beirrung darüber, dass sich das Denken (heute zunehmend in der Hand technischer Spezialisten) zu weit von der unwillkürlichen Lebenserfahrung entfernt hat. Die Urschuld daran liegt nicht erst in der Neuzeit, der sogenannten Moderne, sondern schon bei einem Paradigmenwechsel der Griechen um 400 v. Chr.: Bei der Abschließung des Erlebens in privaten Innenwelten, die nur noch durch eine bis auf manipulierbare Merkmale verarmte Außenwelt verbunden sind. Damals fielen die wich-

50 Baudrillard (1979/1992), S. 8. 51 Heidegger (1994), S. 30.

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tigsten Massen der Lebenserfahrung ›unter den Tisch‹: Der gespürte Leib und die leibliche Kommunikation; die subjektive Tatsache des affektiven Betroffenseins; die tieferen Schichten der Räumlichkeit unter dem von Flächen durchzogenen, dreidimensionalen, für das Zusehen bereitgestellten Raum; die Gefühle als Atmosphären; die von sich aus bedeutsamen Situationen (darunter die vielsagenden Eindrücke). Die Subjektivität wurde als Subjekt und dieses als Seele verdinglicht mit lauter Objekten um sich herum und naiven Kausalvorstellungen (Andrang der Objekte oder Zupacken der Subjekte) zur Vermittlung beider Seiten; der gemeinsame Ursprung von Subjektivität […].«52

Der Ansatz unwillkürlichen Erlebens, welches Vermittlungsräume zwischen Subjekt- und Objektwelten öffnet, ist dem grotesk-surrealistischen Denken Švankmajers nah. Švankmajer sagt beispielsweise Folgendes zum Erleben eines alltäglichen Objekts wie einem Teller: »The truthfulness of Teige’s statement that people are more interested in what is on their plate than in the plate itself as an art object is historically conditioned. In perceiving the world based on analogical thinking (and that is what we are interested in), we can evoke a number of associations of analogical activities, for example, by a shape of a plate, cutlery, and etc. during the meal, thus making the eating process erotic or turning it into a cannibalaggressive act which vents accumulated misanthropy, etc. In any case this activity would acquire a ludicrous character and would no longer be merely stuffing one’s belly. The world inhabited by these new objects ceases to be a slave of formalized utilitarianism and becomes a play of analogies, thus returning to a chilled embrace of synaesthesia which could possibly become one of the basic psychological elements of the future cycle of civilization.«53

Dieses Zitat widerspricht dem Denken, nach dem die Gegenstände des Alltags um uns herum etwas Selbstverständliches und Naturgegebenes darstellen. Es reduziert sie zu »distanzierten Objekten möglichen Verfügens, Planens und Behandelns«54, unterwirft sie dem Utilitarismus, den Švankmajer bemängelt. Wenn Švankmajer demgegenüber das Prinzip der Analogie anbringt, um diesen Mechanismus der Reduktion zu durchbrechen, dann spricht die Analogie tatsächlich für ein Verfahren genauster Beobachtung, welches Objekte im Sinne eines Wesens begreift und die Merkmale ihrer Erscheinung hervorhebt und erlebt. Das Verständnis von Objekten im Sinne von Wesen bringt die Momente subjektiver Erfahrung und objektiver Vergegenständlichung zusammen, wie der Phi52 Schmitz, S. i. 53 Švankmajer‚ (1994c), S. 57. 54 Großheim, S. 202.

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losoph und Begründer der Graphologie Ludwig Klages es verstanden hat. Klages orientiert sich in diesem Ansatz an dem Denken der Vorsokratiker wie Thales, Anaximenes, Empedokles und Heraklit, wobei er sich insbesondere Heraklits Schriften zugetan fand.55 Die Symbolsprache der Vorsokratiker verbindet Erfahrung und Vergegenständlichung dergleich, dass sich ein erstaunliches Analogienetz ursprünglicher Weltauffassung entwirft. Die griechischen Quellen, die Klages dazu heranzieht, berufen sich auf das Erleben elementarer Mächte, wie Wasser, Wind und Feuer. Die symbolischen Beschreibungen dieser Mächte fassen die Schriften nicht im Sinne sachlicher Ereignisse, sondern umschreiben sie in ihrer erlebten Wirksamkeit, in ihrer beglückenden oder bedrohenden Wirkung. Diese Wirkung liest sich nicht als nachträgliche Metaphorisierung, sondern sie gehört zum ursprünglich erlebbaren Besitz des Gegenstandes. Michael Großheim erklärt den Sachverhalt folgendermaßen: »Um die Wandlung des eigenen Zustands unter der Wirkung erlebter Wesen zu verstehen, genügt die Besinnung auf den Gehalt dessen, was einigermaßen jeder spürt, der die ›Frische des Morgens‹, das ›Wüten des Sturms‹, die ›bittere Kälte‹ der Dezembernacht erlebt (Sämtliche Werke 6, 429). Diese Eindrücke passen in ihrer ursprünglichen Fülle nicht in das reduzierte Körperschema. Die von ihnen bewirkten Wandlungen drücken wir etwa aus, wenn wir vom Betroffensein, vom Gepackt-, Ergriffen-, Erschüttert-Werden sprechen; eine solche Fähigkeit zu Wandlungen traut Klages ›keiner atomistischen Wahrnehmungslehre‹ zu.«56

Den Anspruch, diese ›ursprüngliche Fülle‹ im Erleben wiederherzustellen, teilt Švankmajers Werk. Die Vorstellung beseelt die Elemente, wie die Elemente die Vorstellung beseelen, und ruft Wandlung hervor. Das Prinzip der Analogie scheint hier genauso wichtig wie das Zurückfinden zu einem Moment des Ursprünglichen oder Unmittelbaren. Die Analogie stellt ein wichtiges kreatives Prinzip im Kontext des tschechischen Surrealismus dar.57 Die eigentliche Basis, auf der sich analoge Verbindung55 Vgl. Klages (1974), S. 654 Hier heißt es: »Wer sich mit Liebe und mit Verständnis für eine symbolisierende Sprache in die Vorsokratiker vertieft, wird die Überzeugung davontragen, dass keine Folgezeit […] das Wissen wiedererreichte, dessen prachtvolle Ruinen wir mit dem Namen Thales, Anaximander, Heraklit, Empedokles und selbst noch der Pythagoräer zu verknüpfen gewohnt sind. Diese Seher waren mindestens auf dem Wege, Weltwissenschaft überhaupt als Lebenslehre und das Mechanische als bloße Nebensache des Lebendigen zu verstehen.« 56 Großheim, S. 206. 57 Vgl. Sera, Mareike (2018b).

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en herstellen, ist rational nicht zu bestimmen und doch sieht man sich in die Lage versetzt, etwas ›Neues‹ in Erfahrung zu bringen. Wie Julian Weitzenfeld schreibt: »One of the attractions of analogical reasoning has been that it is commonly taken to be a form of ampliative reasoning, reasoning that leads to knowledge about the target that is not contained in its premises.«58 Diese charakteristische Besonderheit des analogen Prinzips führt im Kontext der Imagination dazu, dass ›neue‹, unerwartete Objekte und Zusammenhänge entstehen. Das imaginäre Objekt entbehrt jeglicher Zielgerichtetheit, da sein Ergebnis nicht im Vorhinein zu bestimmen ist. Effenberger war sich dieser Besonderheit bewusst und räumte der Analogie eine zentrale Rolle in der surrealistischen Imagination ein. Seiner Meinung nach erlaubt die Analogie, die noetischen und integrativen Aspekte der Imagination zu bewahren.59 Imaginäre Objekte, die im Zusammenhang mit analogen Prozessen entstehen kreieren »retroactively […] reality itself, or rather clears a way of access by creating the new imaginary object […] through the faculty of dynamising thought in the sense of the most consequent objectification and materialization of this thought – towards the act«60. Kreative Akte sehen sich demnach nicht durch Vorstellungen und Ideen bestimmt (Zielgerichtetheit), auf deren Grundlage sich Realitäten entwerfen, sondern sie entstehen in der Handlung selbst, in den Intentionen, Motivationen und Spannungen. Damit öffnen sie Realitäten, anstatt in Ideen und Vorstellungen vorbestimmt zu sein. Effenberger lehnt sich in dieser Konzeptualisierung an die einflussreichen Schriften des tschechischen Kunsttheoretikers und Künstlers Karel Teige und dessen Begriff der spirituellen Funktion der Kunst bzw. der Auto-Intentionalität an. Teige schreibt: »The work of art is complete and represents itself alone. […] it has its own order, its own language, independent and autonomous and a full and specific form of expression. […] It does not try to change the world or influence practical life.«61

Teige zielt hier nicht auf eine autonome Rolle der Kunst, sondern vielmehr der Imagination ab. Wie es am Ende des Zitates heißt, versucht ein Kunstwerk nicht die Welt zu ändern, d.h. es ist nicht seine Intention. Diese Formulierung schließt nicht eine tatsächliche Umgestaltung aus, aber eine Umstrukturierung ohne vor-

58 Weitzenfeld, S. 137. 59 ›The Platform of Prague Twenty Years On‹, S. 87. 60 ›The Platform of Prague Twenty Years On‹ S. 89 f. 61 Teige, Karel. (1924/1971), ›Moderní umění a společnost‹ In Vlašín, Štěpán (Hrsg), Avantgarda známá a neznámá, vol. I, Prague: Svoboda; zitiert nach Vojvodík, S. 28.

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gefasste Vorstellungen, wie dieses ›neue‹ imaginäre Objekt (Realität/Gegenwelt) auszusehen hat. Filmbeispiele Picknick mit Weismann und The Flat Vor diesem Hintergrund eröffnet sich die Möglichkeit, das verführerische Zeichen und das verschlossene Objekt nicht ausschließlich in einem ekliptischen Zusammenhang zu lesen, wie es dem erschöpfenden Diskurs des Fragmentierenden, Reduzierenden entspricht, sondern diesem einen Diskurs der Fülle hinzuzufügen. Im Folgenden sollen verschiedene Filmbeispiele angeführt werden, die beide Diskurse zueinander in Spannung setzen und darin vor Augen führen, was geschieht, wenn der in Konjunktion gesetzten Zeichen-/Objektkörper dieser Spannung ausgesetzt wird. Es wird sich zeigen, dass sich ein ebensolches Analogienetz spannt, welches die eben gehörten Zitate Švankmajers und Klages zusammenführt: Ein Netzwerk literarisierender, literarisierter Bewegungen, die über die Portraits Giuseppe Arcimboldos, zu einer Kurzgeschichte von Angela Carter, zum Rudolfinischen Manierismus und der Geheimwissenschaft der Alchemie führt und benachbarte Tropen, wie acumen, einbezieht. Das ekliptische Gebaren des in sich verschlossenen Objekts, welches zu Eigenleben erwacht und seine Dienlichkeit gegenüber dem Subjekt aufgekündigt hat, soll den Anfang bilden. In Švankmajers Werk stehen dafür die Filme Picknick mit Weissmann sowie The Flat exemplarisch ein. Der Titel des erstgenannten Films setzt klare Erwartungen in Bezug auf die Ausgangssituation, die sich dem Zuschauer präsentiert, nämlich ein Picknick. Das gezeigte Mobiliar (ein Grammophon, Schrank, Tisch, Stühle, ein Kanapee) scheinen zunächst nicht so recht zu einem Picknick passen. Zu schwer und unhandlich sind sie, eben gewöhnliches Wohnungsmobiliar. Sie wirken in der natürlichen Umgebung deplatziert. Das Kartenspiel, der Teller mit Pflaumen und das Schachspiel hingegen passen wieder in die Situation. Was sich aber im ersten Drittel des Films zeigt und sich im weiteren Verlauf des Films bestärkt sieht, ist noch verwunderlicher: Die Gegenstände – ein Anzug ist auch zugegen – halten diesen Tag im Freien unter sich ab. Abgesehen von einigen alten Photographien und den Abbildungen auf den Karten, sind menschliche Subjekte abwesend oder zumindest nicht sichtbar, wie sich am Ende des Films herausstellt. Die Karten decken sich von alleine auf, die Schachfiguren bewegen sich in eigener Regie über das Brett, eine Kehrichtschaufel wühlt in der Erde, der Anzug tut sich gütlich an den Pflaumen, die Stühle spielen Ball und rollen einen Hügel hinunter, eine Photokamera nimmt Bilder von den posierenden Kleidungs- und Möbelstücken. Gegen Ende des Films verdüstert sich die Szene. Die Sonne neigt sich, die Bäume zeigen sich auf einmal kahl und auf dem Gram-

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mophon, den Möbelstücken und dem Schachspiel beginnt sich Laub zu sammeln, bis sie vollständig darunter verschwinden. Zu guter Letzt öffnet sich die Tür des Schrankes. Ein gefesselter Mann fällt aus dem Schrank in eine Grube, welche die Kehrichtschaufel vor diesem ausgehoben hat und welche auch wieder, mit dem darin liegenden, regungslosen Mann zugeschüttet wird. In The Flat haben sich die Objekte auf ähnliche Weise verschworen. Am Anfang des Films sieht sich ein Mann in eine Wohnung regelrecht hineingeworfen. Die Tür schließt sich hinter ihm und wie zur Bekräftigung, dass kein Hinauskommen mehr möglich ist, schnürt sie sich rundherum zu. Kreidepfeile auf dem Boden animieren den Mann, ihnen zu folgen (verführerisches Zeichen). Sie enden jedoch an einer verschlossenen Tür, deren Klinke abbricht. Als der Mann sich daraufhin umschaut, findet er sich in einem Zimmer mit den üblichen Einrichtungsgegenständen wieder: Bett, Stuhl, ein gedeckter Tisch, ein Ofen, ein Wasserhahn, ein Spiegel und eine Waschschüssel. Die Gebrauchsgegenstände künden jedoch ihre Dienste auf. Der Spiegel spiegelt (in Anlehnung an die berühmten Bilder René Magrittes) den Kopf des Mannes von hinten, obwohl er ihm von vorne zugewandt ist und wenn er sich dreht, dreht sich sein Spiegelbild mit ihm. Ähnlich ergeht es ihm, wenn er sich an den Tisch setzt und beginnen will zu essen. Das halbe Brot findet sich von einer Maus ausgehöhlt. Der Löffel, den er nimmt, um die Suppe auf dem Teller vor ihm zu essen, zeigt sich mit einem Mal durchlöchert. Der bis zum Rand gefüllte Bierkrug ändert rastlos Form und Größe, bis von ihm nicht mehr übrigbleibt als ein Glas in der Größe eines Fingerhuts. Ein Ei widersetzt sich den Versuchen, es zu öffnen. Erst bricht der Löffel ab, mit dem der Mann das Ei aufschlagen will, dann fällt es durch die Tischplatte und als er das Ei gegen die Wand wirft, verschwindet es in den Tiefen derselben. Wenn der Mann an der gleichen Stelle in die Wand hineingreift und das Ei darin auch wiederfindet, steckt sein Arm fest und er muss ihn mühselig wieder ausgraben. Das Ei in seiner Hand jedoch ist zerbrochen. Auf diese Weise setzten sich die gescheiterten Versuche des Mannes, die Gebrauchsgegenstände zu nutzen bzw. Nahrungsmittel zu verzehren, fort. Aus dem Wasserhahn fallen Steine in die Waschschüssel und zerbrechen sie. Eine Horde von Hunden frisst die noch auf dem Tisch verbliebenen Würste auf und, als der Mann sich erschöpft in das Bett legt und einschläft, löst sich dieses in seine Bestandteile auf. Seine Kleidung beginnt sich aufzulehnen und ihre Dienste zu kündigen. Die Knöpfe fallen von der Jacke ab und sobald ein Teil der Kleidung sich auf Holz befindet, sieht sich dieser Teil mit Nägeln an das Holz geheftet. Die Verzweiflung des Mannes steigert sich und er beginnt wieder den Kreidepfeilen vom Anfang des Films zu folgen. Die gleiche Tür, die er zuvor verschlossen fand, öffnet sich nun und herein kommt ein Mann in Anzug, mit Melone

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auf dem Kopf (also wiederum nah an der Bildsprache Magrittes) und einem Huhn im Arm. Die Gangart des Mannes erinnert mehr an ein Schweben als an Gehen. Als er dem Protagonisten des Films anweist, zu ihm zu kommen, überreicht er ihm eine Axt und verschwindet danach wieder. Mit der Axt in der Hand wendet sich der Mann der Tür zu, durch welche der andere Mann gerade hereingeschwebt ist, und beginnt, sie zu zertrümmern. Doch auch bei diesem letzten Versuch scheitert der Mann, denn hinter der Tür befindet sich nun eine Mauer, auf der sich unzählige Signaturen befinden. Der Mann wendet sich noch kurz der Kamera zu, blickt direkt in sie hinein, verzieht sein Gesicht als letzten verzweifelten Versuch eines kommunikativen Aktes und unterzeichnet dann selber. Auf den Schluss des Films wurde bereits verwiesen. Der bereichernde Aspekt leiblichen Erlebens: Filmbeispiel Jabberwocky Demgegenüber findet sich das Moment des ›Gefasst-‹ und ›Erfasst-Werdens‹, welches sich im Ekliptischen zeigt, auch im Sinne einer ›ursprünglichen Fülle‹ im Erleben wieder; was von einem Diskurs der Leere zu seinem Gegenstück führt. Das Zusammentreffen von Zeichen- und Objektkörper findet auch hier Anklang. Die Klappmesserszene aus Jabberwocky macht dies deutlich. Sie gehört zu den wunderbarsten Episoden in Švankmajers Filmen. Die Szene beginnt damit, dass der Strohhut des Kindermatrosenanzuges, welcher den Protagonisten des Films darstellt, auf eine Kommode niedersinkt. Unter dem Hut werden die Ecken einer gehäkelten Tischdecke sichtbar, die sich auf der Oberfläche der Kommode ausbreitet. Während der Hut im Folgenden vom Tisch gleitet und damit von der Bildfläche verschwindet, entblößt er in der Mitte des Tisches das Klappmesser. Sein Griff stellt eine kunstvoll geschnitzte menschliche Figur dar, welche der Zuschauer zunächst in Nahaufnahme gezeigt bekommt. Erst als die Figur sich dreht, wird die eingeklappte Klinge sichtbar. Die Klinge springt unvermittelt auf und die Figur dreht sich so, dass sie, zugleich auf den Kopf und der Klinge ruhend, wieder auf dem Tisch zum Stehen kommt. Was folgt, ist ein Widerspiel von behäbiger Stagnation und eleganter Leichtigkeit. Jede Bewegung, welche das Messer ausführt, orientiert sich eng an dem Wesen des Gegenstandes, dessen Merkmale hervorgehoben sind. So erscheinen die Bewegungen des Messers keineswegs anthropomorphisiert. Zwischen den Sprüngen kreucht es recht unbeholfen, sich zugleich auf Griff und Messerspitze stützend, über den Tisch. Diese Ungelenkigkeit bindet sich eng an den Klappmechanismus, welcher den Holzkörper und den Klingenkörper miteinander verbindet und die Beugung des einen in den anderen nur in eine Richtung zulässt. Hinzu tritt ein weiteres Wesensmerkmal, welches das

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Wesen des Objekts entscheidend bestimmt: Die Schärfe der Klinge. Zum Schwungholen bewegt das Messer sich entweder im zuvor beschriebenen Bewegungsmuster oder es stellt sich auf die Messerspitze und bewegt den Holzkörper auf und ab, bis es schließlich genügend Schwung erhält, um sich emporzuschwingen. Dabei versenkt sich die Klinge in den Tisch. Die Kraftaufwendung, welche die Figur benötigt, um die Klinge wieder zu befreien, ist ihr förmlich anzusehen. Der erlangte Schwung reicht aus, um in die Höhe zu gelangen und in Diagonalen über den Tisch und in die Höhe zu springen. So schwingt sich das Messer, getragen und beflügelt durch das euphorische Moment, zu immer höheren Sprüngen auf. Die Momente der Stagnation und der Schwerfälligkeit kreieren einen wunderbaren Kontrast zu der Leichtigkeit und Eleganz, mit welcher das Messer sich in der Tanzsequenz bewegt. Die Musik spielt in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle. Auch hier zeigen sich die Töne und Rhythmen abwechselnd zögerlich zurückhaltend und dann befreit und beschwingt. Dagegen kündigt sich in der Schärfe der Klinge Unheil an. Zwischen den Sprüngen bohrt sich die Klinge tief in die Holzoberfläche der Kommode und zerstört das feine Gewebe der Tischdecke. In der Tat hinterlässt jede Berührung der Klinge Spuren der Zerstörung auf der Tischoberfläche. Diese Ankündigung von Unheil realisiert sich am Ende des Films in vollem Ausmaß. Plötzlich und völlig unvermittelt zeigt sich das Messer dem euphorischen Moment beraubt. Wie ein Stein fällt es aus großer Höhe in angewinkelter Stellung herab und landet auf den Tisch. Die Figur kippt um und, nachdem das Messer zugeschnappt ist, quillt Blut aus dem geschnitzten Holzkörper der Figur hervor. In der beflügelnden Euphorie, welche die Bilder zusammengenommen mit der Musik hervorbringen, und das betäubende Gefühl der Lähmung, welches dem Schluss der Episode innewohnt, wird deutlich, warum in den bisherigen Ausführungen im Verweis auf die Konjunktion von Objekt und Zeichen vor allem die Betonung auf ›Körper‹ lag. Das Erleben dieser Körper in Konjunktion bringt den kommunikativen Körper und den spürbaren Körper zusammen, wie es in Bezug auf die Klappmesserfigur aus Jabberwocky zu erfahren ist. Die groteske Überkreuzung von unentborgenem Objekt und beseelter, sich bewegender Figur, die formal menschliche Züge trägt, führt das Erleben des Grotesken zwar in die ekliptische, entleerende Richtung. Das herausquellende Blut am Ende der Episode verstärkt diesen Effekt. Die detaillierte Beschreibung der Szene bezeugt jedoch, dass das groteske Moment der Darstellung nicht nur einen annihilierenden Effekt, sondern auch eine affirmierende Wirkung besitzt. Menschlich gezeichnet, in der Bewegung und formal, öffnet sich der Objekt-/Zeichenkörper leiblich und kommuniziert deshalb auch leiblich, ganz im Sinne Bachtins. Der Körper in Konjunktion verschließt sich nicht nur, er öffnet sich auch, indem er uns seine Leiblichkeit

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näherbringt. Diese Leiblichkeit schließt den Tod mit ein. Es bleibt sich daran zu erinnern, wie eng verflochten Bachtin den Aspekt des Lebensspendenden und Todbringenden im Grotesken sieht. Um den Punkt weiter zu erläutern, lohnt es sich zu den Thesen von Schmitz, die er in Zusammenhang mit einer neuen Phänomenologie formuliert hat, zurückzukehren. Schmitz beschreibt, wie der »spürbare, weder sicht- noch tastbare« Leib zusammengenommen mit Aspekten leiblicher Kommunikation, die »von vorn herein den eigenen Leib des Individuums übergreift und sich mit anderen Leibern oder […] anderen Gegenstände der Zuwendung verknüpft«, der psychologistischen und reduktionistischen Vergegenständlichung zum Opfer gefallen ist.62 Dabei erscheinen insbesondere die Aspekte leiblicher Kommunikation, die Schmitz nennt, relevant für das Erleben von Körpern – Körper, die uns begegnen und mit denen wir interagieren. Schmitz erläutert: »Die Kernidee der leiblichen Kommunikation besteht darin, dass der vitale Antrieb nicht bloß auf die einzelnen Leiber der Individuen verteilt ist, sondern diese auch übertrifft und in größere Zusammenhänge einschließt. Diese bestehen nicht nur in einem gemeinsamen vitalen Antrieb, der mehrere Leiber verbindet, sondern umfassen auch Bindungen mit leiblosen Gegenständen.«63

Diese Auffassung entspricht dem geöffneten, grotesken Körper, den Bachtin beschreibt: Ein Körper, der individuelle Grenzen der Vereinzelung überschreitet und zum gemeinschaftlichen Körper wird. Diese übergreifende Kommunikation funktioniert laut Schmitz über Brückenqualitäten, die Momente des vitalen Antriebs hervorrufen und steuern: Bewegungssuggestionen, Gestaltenverlauf oder synästhetische Charaktereigenschaften. Wo sich diese Momente abzeichnen, »kann ein den einzelnen Leib übertreffender und einschließender vitaler Antrieb gleichsam landen und Anker werfen«64. Im Kontext der Klappmesserszene aus Jabberwocky entfalten die beschriebenen Bewegungsmuster (das Wechselspiel zwischen Stagnation und beflügelter Euphorie, die Musik, die Farben, die Schärfe der Klinge, die Verletzungen der Tischoberfläche und des feinen Tischgewebes, das hervorquellende Blut am Ende der Episode etc.) ebensolche Brückenqualitäten, die den Leib des Zuschauers und den grotesken, überkreuzten Leib der Klappmesserfigur suggestiv (im Affekt) zusammenführen. Diesen Prozess beschreibt Schmitz als einen Prozess der Einleibung, einen Prozess, der sich entweder auf konkurrierende

62 Schmitz, S. 10. 63 Schmitz, S. 38. 64 Schmitz, S. 38f.

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Tendenzen bezogen antagonistisch gestaltet oder solidarisch.65 Der solidarische Typ entspricht Bachtins Konzeption, »die ohne Verteilung des übergreifenden vitalen Antriebs auf Partner mit verschiedenen Rollen im Antrieb auskommt, indem mehrere Leiber durch einen gemeinsamen Antrieb in der Einstellung auf ein Thema oder in einem gemeinschaftlichen Impuls zusammengeschlossen werden […]«66. Demgegenüber beschreibt Schmitz Prozesse der Ausleibung, wie sie etwa in Trancezuständen zustande kommen und »deren Brücke nicht der vitale Antrieb, sondern privative Weitung ist«.67 Filmbeispiel Dimensions of Dialogue und die Portraits Giuseppe Arcimboldos Diese Sicht auf die animierten, mehr oder minder menschlich gezeichneten Objekte aus Švankmajers Filmen geht in eine andere Richtung als die ekliptische, reduzierende, verschließende Sichtweise. Sie öffnet das Feld nicht alleine im Sinne einer semiotischen Öffnung, wie es in den oben zitierten Zeilen aus Erika Fischer-Lichtes und Jens Roselts Essay ›Attraktion des Augenblicks – Aufführung, Performance, performativ und Performität als theaterwissenschaftliche Begriffe‹ angeklungen ist, sondern auch an der Stelle, an welcher der kommunikative und der leibliche Körper zusammentreffen. Dieser Aspekt scheint wichtig in Bezug auf die affektive Beziehung, die der Zuschauer zu den Subjekten/Objekten im Film aufnimmt (im Sinne leiblicher Kommunikation). Das Thema der Kommunikation bindet sich bei Švankmajer essenziell an das Körperliche/Leibliche. Filme wie Dimensions of Dialogue, einer der bekanntesten und am meisten gezeigten Filme Švankmajers, machen dies deutlich. Der Film unterteilt sich in drei Episoden, die sich thematisch verschiedenen Arten der Dialogführung widmen: Faktischer Dialog, leidenschaftlicher Dialog und erschöpfender Dialog. Der Film bietet eine Reihe von Beispielen antagonistischer bzw. solidarischer Einleibung. In der ersten Episode, dem faktischen Dialog, treffen stark an arcimboldische Portraits angelehnte, ins Profil gerichtete Köpfe, die aus allen möglichen verschiedenen ›charakteristischen‹ und dennoch autonomen Geräten und Materialen zusammengesetzt sind (siehe Abbildung 6).

65 Vgl. Schmitz, S. 39f. 66 Schmitz, S.40. 67 Schmitz, S.39.

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Abbildung 6: Arcimboldische Köpfe.

Quelle: Dimensions of Dialogue, 1982, dir. Jan Švankmajer.

Die Elemente, aus denen die jeweiligen Köpfe geformt sind, charakterisieren unterschiedliche ›Streitpositionen‹. Vier Arten von Köpfen geraten aneinander: Ein Kopf bestehend aus verschiedenen Gemüsen, einer aus Küchenutensilien, einer aus den Materialien und Medien der Künste und Wissenschaft, und schließlich der Tonkopf, der erst zum Ende des Films hin auftaucht. Die Kampfszenen, die nun aufeinanderfolgen, zeichnen sich dadurch aus, dass es immer einen Angreifer und ein Angegriffenes gibt, welches unterliegt. Zunächst greift das Scharfe-Metallene das Organisch-Weiche an, dann das Geistig-Künstlerische das Harte-Eherne und schließlich das Organische das Künstlerische, womit sich der Kreis schließt und das Organische wieder auf das Eiserne trifft und fortsetzt, was es in der vorhergehenden Runde begonnen hat. Die Rahmung, dass es sich um Dialog-Positionen handelt, führt dazu zu mutmaßen, dass die Qualitäten, die durch die Anhäufung verschiedener Materialien sprechen, verschiedenen Qualitäten menschlicher Wahrnehmung entsprechen. So stehen sich ein Geistig-Abstraktes, ein Ehern-Bodenständiges und ein Naiv-Wildes gegenüber, wobei die Szenarien von Angriff und Unterwerfung relativ deutlich ein Machtgefälle zwischen den drei Positionen darlegen. Spricht die Folge von Angriffen und Unterwerfungen der ersten beiden Kampfszenen von einer aufsteigenden Verfeinerung und Anpassung der Mittel, im Sinne einer gesteigerten Intellektualisierung, zeigt die dritte Kampfarena, dass in der Auseinandersetzung des Geistig-Abstrakten mit dem Naiv-Wilden Ersteres seine Vorrangstellung einbüßt. In diesem Treiben sehen sich die Materialien zusehends von den Akten fortwährender Aggressivität und Demütigung mitgenommen und in eine breiartige Konsistenz überführt. Im dritten Aufeinandertreffen der Widersacher ist dieser

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Prozess dermaßen vorangetrieben, dass die Angreifer beginnen, Tonköpfe auszuspeien, die viel, wenn nicht Alles von der anfänglichen Diversität der Positionen eingebüßt haben; anstelle eines aus autonomen Teilen zusammengesetzten Kopfes tritt die glatte, vereinheitlichte, mimetisch-geschlossene Oberfläche des Tonkopfes. Die Tatsache, dass diese Tonköpfe nach einem letzten Angriff dazu übergehen sich ausschließlich in eine Richtung fortzusetzen, indem immer gleiche Köpfe Weitere von exakt dem gleichen Aussehen, also in perfekter Reproduktion, wieder ausspeien, unterstreicht den Gedanken von einer zunehmenden Angleichung bis hin zur automatischen Reproduktion, welche das Moment des Einverleibens auslässt und gleich zum Ausspeien übergeht. In Bezug auf die beiden folgenden Episoden scheint es demnach wenig zufällig, dass die Körper ebenfalls aus Ton bestehen, zunächst ganze Körper im ›leidenschaftlichen Dialog‹, dann wieder nur Köpfe im ›erschöpfenden Dialog‹, die auf einem Tisch platziert sind und sich nicht mehr bewegen können, als, immer den Anderen geradeaus fixierend, die Plätze zu tauschen. Die Emotionalität der zweiten Episode, in der sich eine Frau und Mann an einem Tisch gegenübersitzen, sich zuerst lustvoll vereinen und dann aufgrund eines ›Rests‹ – einem kleinen, unförmigen Häufchen, welches zwischen ihnen übrig bleibt – so heftig in Streit geraten, dass sie sich regelrecht zerfleischen, steht tatsächlich in starkem Kontrast zu der Starrheit der ›Dialogführung‹ in der dritten Episode, wo sich die Kontrahenten alltägliche Gegenstände, die auf ihren Zungen liegen (ein Schuh, ein Bleistift, Zahnpasta, etc.) entgegenstrecken und die zunehmende Inkompatibilität der ›möglichen‹ Paarungen den Effekt absoluter Erschöpfung hat. Dieser Zustand der Erschöpfung zeichnet in besonderem Maße sowohl die Antagonisten als auch das Material der Gegenstände, die sie sich gegenseitig entgegenstrecken. Die Faszination, die von Dimensions of Dialogue ausgeht, begründet sich maßgeblich darin, dass der Film sich des Themas ›Dialog‹ annimmt, ohne tatsächlich das Medium der Sprache zu bemühen. Lediglich die Titel zwischen den Episoden machen hier eine Ausnahme. Dieses spärliche Erscheinen bis hin zur Abwesenheit des sprachlichen Mediums, was Švankmajers Kurzfilme grundsätzlich prägt, mutet im Zusammenhang mit dem Thema der leiblichen Kommunikation als relevant an. Die Kommunikation, die in Dimensions of Dialogue stattfindet, ist eine leibliche und auf dieser Ebene tatsächlich nah an den Portraits Arcimboldos, die Švankmajer als eine große Quelle der Inspiration für sein Werk benannt hat.

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Abbildung 7: Arcimboldo als Quelle der Inspiration.

Quelle: Sommer, Giuseppe Arcimboldo, 1563. Arcimboldos Portraits faszinieren aufgrund ihrer Vergegenständlichungsweise. Angelegt als Portraits zeigen sie Köpfe im Profil, die aus unterschiedlichen Materialien zusammengesetzt und sich inhaltlich entweder an einem abstrakten Thema orientieren oder charakteristische Materialen in Bezug auf die porträtierte Person verwenden. Am bekanntesten sind die Jahreszeitenporträts (siehe Abbildung 7), aber es gibt auch Portraits, welche die Elemente zeigen oder Portraits von Persönlichkeiten entsprechend ihren Professionen (zum Beispiel Der Bibliothekar, um 1566, oder Der Jurist, 1566). Diese Art der Vergegenständlichung ist einmalig in der Kunstgeschichte. Die sorgsame Ausarbeitung der einzelnen Elemente kreiert einen reizvollen und zugleich irritierenden Kontrast zum überformenden Ganzen des Gesichts, des Halses und der Brust. Auch formal gleichen sich die Elemente

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zwar an die korrespondierenden Teile des menschlichen Körpers an, wie Haut, Nase, Ohren, Augen etc., jedoch bleiben sie zugleich in ihrer Eigenständigkeit erhalten, was den grotesken Effekt dieser Kunstwerke zur Folge hat. Die Flächen schließen sich nicht. Aspekte der Vereinzelung und Vereinheitlichung arbeiten zwar Hand in Hand, aber sie sehen sich auf Augenhöhe zueinander gesetzt (Nivellierungsstrategie des Grotesken). Betrachtet man die Fülle der Formen und Farben, die im Zuge dieser Vergegenständlichungsweise zustande kommt, bieten Arcimboldos Portraits in der Kommunikation mit dem Betrachter eine Reihe von Ansatzpunkten leiblicher Kommunikation. Die Gestaltung der Farben und Formen trägt zu der Wirkung bei, welche die Portraits auf den Betrachter haben. Nimmt man zum Beispiel die Jahreszeiten, dann kontrastieren die zarten, feinen, verspielten Farben und Formen des Frühlings die träge Gesetztheit des Sommers. Der Herbst hingegen wirkt in seiner überladenen Fülle des herangereiften Obstes und Gemüses bereits gebrechlich, während der knorrige Baumstamm, welcher die Figur des Winters darstellt, ein altes, verhutzeltes aber zähes Männlein zeigt, dessen Mund, bestehend aus einem Pilz, missmutig verzogen ist. Auf diese Weise kommunizieren die Portraits im Sinne menschlich gezeichneter Konfigurationen mit ihren Betrachtern über Stimmungen, Blicke, Mimik, Gestik, wie es in der Klappmesserszene aus Jabberwocky ebenfalls zum Ausdruck kommt. Diese Art der Kommunikation wird auf der Seite des Betrachters ohne viel Zutun erwidert. Schmitz beharrt darauf, dass Interaktionen wie diese wenig zu tun haben mit Projektionen, wie psychologische Erklärungsmuster es darstellen. Laut Schmitz geschieht dieses »Zusammenwirken ohne merkliche Reaktionszeit als Leitsymptom der Einleibung, das dadurch ermöglicht wird, dass nicht aufgrund empfangener Reize nachträglich eine Reaktion gewählt werden muss, sondern ein von vornherein übergreifender vitaler Antrieb durch Abstimmung der Rollen von Engung, Weitung und Richtung in ihm das so eingespielte Verhalten zueinander unwillkürlich vorgibt.«68 Diese Ebene der Kommunikation erweist sich ausgeprägt in Bezug auf die Portraits Arcimboldos, aber auch im Hinblick auf Dimensions of Dialogue. Es gibt die interessante These von Thomas DaCosta Kaufmann, dass die im Profil dargestellten Jahreszeiten und Elemente zusammenhängend betrachtet werden können, und zwar im Sinne von Zwiegesprächen, die zwischen Winter und Wasser, Frühling und Luft, Sommer und Feuer und Herbst und Erde stattfinden: »Gleiches ist mit Gleichem verbunden«69. Grundlage für diese Behauptung findet der Autor in einem Gedicht von Giovanni Baptista Fonteos, der ein enger Mitarbeiter Arcimboldos war. Dieses Gedicht mit dem Titel ›Vertumnus‹ soll Maximilian II. 68 Schmitz, S. 39. 69 DaCosta Kaufmann (1978), S. 98.

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zusammen mit den Bildern Arcimboldos zur Neujahrsfeier 1569 überreicht worden sein. Demnach gibt es also Grund zur Annahme, dass auch Arcimboldos Portraits dialogisch miteinander verknüpft sind, wie die Figuren aus Dimensions of Dialogue und dass sich diese Dialoge in der Hauptsache auf der Ebene sinnlicher/leiblicher Qualitäten (Brückenqualitäten) abspielen. Dabei scheint vor allem der Kontrast zwischen der ersten und der dritten Episode bei Dimensions of Dialogue auffallend. Denn während sich die Kommunikation zwischen den Köpfen in der ersten Episode auf die Interaktion sinnlicher Qualitäten fokussiert (wie man es sich in einem Zwiegespräch etwa zwischen Arcimboldos Winter und Wasser vorstellen würde), haben die Köpfe in der dritten Episode diese Heterogenität (und mit ihr die Leidenschaft und Beweglichkeit) eingebüßt und kommunizieren stattdessen mit dem, was die Zunge tragen kann (Sprache) und was sich rein rechnerisch durchexerzieren lässt. Die Erschöpfung, die diese Art der Dialogführung nach sich zu ziehen scheint, spricht intensiv über die Reduktion, welcher die sinnliche Verknappungs- und Psychologisierungstendenzen nach sich ziehen. Beide zusammen hält der leidenschaftliche Dialog, welcher dem Kopf seinen Rumpf wieder angliedert und über die so erweiterte, geweitete Körperfläche kommuniziert. Diese zweite Episode versinnbildlicht wohl am deutlichsten die Idee der Einleibung, die laut Schmitz jeder Wahrnehmung und jedem Gespräch zugrunde liegt. Denn sie zeichnet dafür verantwortlich, dass man sich eines ›Du‹ im Gegenüber überhaupt erst bewusst ist. Wie Schmitz schreibt: »Jedes Gespräch ist nur durch Einleibung möglich, schon wegen der dazu erforderlichen Du-Evidenz vom Gesprächspartner, die im Nahgespräch u.a. durch Blickwechsel zu Stande kommt, beim Ferngespräch durch stimmliche Signale und Pausen.«70

Das karnevaleske, monologische und dialogische Zeichen: Angela Carters Alice in Prague Das Prinzip des Dialogischen genießt einen hohen Stellenwert im Denken Bachtins, was sich vor allem in seinen ästhetischen Schriften niederschlägt. Die graduelle Abstufung, die Bachtin zwischen dem karnevalesken Zeichen (welches dem Leiblich-Kommunikativen nahekommt), dem Monologischen und dem Dialogischen trifft, fasst Rainer Grübel wie folgt zusammen: »Im Karneval ist das Zeichen Vollzug (zum Beispiel Umzug, grotesker Leib) ohne Dauer, im Monolog erstarrt es zur Permanenz des Dings. Erst im Dialog gewinnt das Zeichen Kraft

70 Schmitz S. 41.

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der Ambivalenz der Semiose lebendige Kontinuität: Es ist veränderbar und doch unvergänglich. Der semiotische Status dieses Zeichens ist die Metamorphose.«71

Das dialogische Zeichen unterscheidet sich von der leiblich-kommunikativen Qualität. Affektives, leibliches Nachspüren von Bewegungssuggestionen, synästhetischen Qualitäten, Situationen und Atmosphären, welches zwei Körper zusammenführt, findet auf einer anderen Zeichenebene statt als monologische und dialogische Zeichen. ›Leibliches Erspüren‹ unterlegt jede Monolog- und Dialogsituation, wie in Zusammenhang mit der Argumentation von Schmitz deutlich wird. Es zeigt sich zugleich jedoch immer bereits überlagert und überschnitten von anderen semiotischen Prozessen. Die Ambivalenz des karnevalesken Zeichens (re-)orientiert den Blick auf Prozesse, die sich durch diese dominanten semiotischen Strategien verdrängt sehen: Leibliche Aspekte, welche die sinnliche Erfahrung des Zeichen- und Objektkörpers stärken und seinen lustvollen Gehalt hervorheben. Auf dieser Ebene verliert (im Zuge der Nivellierungsstrategien des Grotesken, welche die Dominanz des Semiotischen begrenzen) die thematische Rahmung ihre kritische und destruktive Dimension. In Konjunktion mit dem Zeichenkörper regt sich im thematisch eingebetteten und eingerahmten Objektkörper Leidenschaft. Diese Leidenschaft veranlasst dazu, sich ein Zwiegespräch zwischen den arcimboldischen Portraits Winter und Wasser vorzustellen; oder das Klappmesser aus Jabberwocky sich in die Lüfte schwingen zu sehen. Angela Carter schreibt in ihrer Kurzgeschichte ›Alice in Prague or The Curious Room‹, die sie Švankmajer gewidmet hat: »Are they animate or not, these beings that jerk and shudder into such a semblance of life? Do these creatures believe themselves to be human? And if they do, at what point might they, by virtue of the sheer intensity of their belief, become so? (In Prague, the city of the Golem, an image can come to life).«72

Im Anschluss an diese Passage bringt Carter ein skurriles Wesen zum Leben, welches dem Švankmajerschen Kosmos in jeder Faser seiner zweifelhaften Existenz würdig ist. Es lehnt sich an Arcimboldos Portrait ›Sommer‹ an. Gleichwohl stellt dieses Wesen kein Bild oder Portrait dar, sondern eine menschengroße Frauenfigur, geformt aus Früchten und Gemüsen, die Arcimboldo für den Erzherzog entworfen hat und welche von einem Doktor Dee sowie seinem Diener Ned Kelly zum Leben gebracht wird, sobald der Erzherzog nach ihr verlangt. Dieses ›Ver71 Grübel, S. 61. 72 Carter, S. 65.

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langen‹ ist sexueller Natur und Carter beschreibt den Akt sexueller Vereinigung des Erzherzogs mit diesem Wesen, bevor der Leser tatsächlich Näheres zu der Erscheinung der Figur selbst erfährt. Informationen hierzu erhält der Leser nur nach und nach, was die Mysteriösität der Figur steigert. Erst zum Ende hin erfahren wir von der Figur, dass sie überhaupt einer Frau ähnelt. Folgendes erfährt der Leser im Verlauf der Erzählung über diese weibliche Figur: »Meanwhile, the Archduke, in the curtained privacy of his bed, embraces something, God knows what. Whatever it is, he does it with such energy that the bell hanging over the bed becomes agitated due to the jolting and rhythmic lurching of the bed, and the clapper jangles against the sides. […] A split fig falls out of the bed on to the marble floor with a soft, exhausted plop, followed by a hand of bananas that spread out and go limp, as if in submission. ›Why can’t he make do with meat, like other people‹, whined the hungry lion. Can the Archduke be effecting intercourse with a fruit salad? Or with Carmen Miranda’s hat? Worse. […] It rolled on little wheels, a wobbling, halting, toppling progress, a clockwork land galleon, tall as a mast, advancing at a stately if erratic pace, nodding and becking and shedding inessential fragments of its surface as it came, its foliage rustling, now stuck and perilously rocking at a crack in the stone floor with which its wheels cannot cope, now flying helterskelter, almost out of control, wobbling, clicking, whirring, an electric juggernaut evidently almost on the point of collapse; it has been a heavy afternoon. But, although it looked as if eccentrically self-propelled, Arcimboldo the Milanese pushed it, picking up bits of the thing as they fell off, tut-tutting at its ruination, pushing it, shoving it, occasionally picking it up bodily and carrying it. He was smeared all over with its secretions and looked forward to a good wash once it had been returned to the curious room from whence it came. There, the Doctor and his assistant will take it apart until the next time. This thing before us, although it is not, was not and never will be alive, has been animate and will be animate again, but, at the moment, not, for now, after one final shove, it stuck stock-still, wheels halted, wound down, uttering one last, gross, mechanical sigh.«73

In diesem Sinne findet sich die Figur genauso zwischen Vereinzelung und Vereinheitlichung, wie es zuvor in Zusammenhang mit den Portraits Arcimboldos angemerkt wurde, nur dass Carter sich den suspendierenden Aspekt der Sequenzierung zunutze macht. Im suspendierenden Moment, welches die körperliche Erfahrung und Lust am Objekt zur Geltung kommen lässt, bevor die Figur überhaupt in Erscheinung tritt, das heißt in seiner vereinheitlichten Gestalt synästhetisch erfahren wird, trifft Carter den Puls von Švankmajers Werk. Der Tastsinn, nicht nur der

73 Carter, S. 61ff.

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Hände, sondern des gesamten Körpers, nimmt für Švankmajer eine übergeordnete Rolle ein: »Hands are the most communicative organ of touch, but they are far from being the most sensitive, emotive and excitable because hands are closely connected with the utilitarian functions of our other senses. However, the physical sense registers and perceives the world (its stimuli) with the entire surface of the body, with all its cavities and inner organs and mucous membranes. It is these ›passive‹ parts of our body which mediate the most intense sensual experience to us. Tactile spoons, rolling pins, boards and lids of pots are designed in a sense to ›aesthetically‹ massage our body. If we realize that our whole body is one big erogenous zone waiting for its tactile awakening, then these objects are the means to evoke this arousal – to stimulate and sensualize these zones. Is it a new eroticism or ipsatio totalis? Tactile spoons, lids of pots, rolling pins and boards are alchemist tools and our body is a melting pot for the Magnum Opus of tactilism.«74

Die Bereicherung im Sinne einer erweiterten Sensibilität gegenüber dem Abdruck, dem Zeichen/Objektkörper, ist wichtig in diesem Kontext. Es wird sich zeigen, dass die Leidenschaften, die sich an diese knüpfen, geradewegs zur utopischen Funktion und zum spezifischen Grotesksein von Švankmajers Werk führen. Die geweitete Zone dieser Sensibilität führt über den Körper des karnevalesken, grotesken Zeichens/Objekts, dem der utopische, euphorische Funke innewohnt und ein Gegengewicht zum Zwang des monologischen Zeichens schafft.75 Wie in den Beispielen aus Dimensions of Dialogue und der Klappmesserszene aus Jabberwocky zum Ausdruck kommt, erweist sich diese aus Bachtins ästhetischer Theorie entlehnte Metaphorik als durchaus erhellend. Durch das Moment des Dialogischen hindurch entlädt sich in seinen Filmen spielerisch die Dialektik von befreiter und subordinierter Körperlichkeit. Die Konjunktion Zeichen-/Objektkörper hat zur Folge, dass sich Eigentliches und Uneigentliches grotesk überkreuzen. Die Frage stellt sich, ob die leidenschaftliche Regung von dem Zeichen-/Objektkörper ausgeht oder ob er sich dieser lediglich unterworfen sieht. Im dialogischen Verschmelzen beider Körper, im Moment des gegenseitigen Einleibens, 74 Švankmajer (1994e), S. 45f. 75 Vgl. Grübel. Er schreibt: »Gedächtnis erzeugt freilich auch [wie das karnevaleske Zeichen] der durchgängig einwertige Monolog. Das monologische Gedächtnis fordert jedoch – wie wir uns an der höchsten monologischen Form, dem Gesetz, verdeutlichen können – die Unterwerfung der Gegenwart unter die Vergangenheit […]. Das Gesetzt bedarf zu seiner Wahrung des Zwangs (als inneres Gesetz, inneren Zwanges); der Monolog bewirkt erzwungenes Gedächtnis, totes Gedächtnis, dessen höchstes Ziel in der Identität von Erinnertem und Erinnerung liegt.«, S. 61.

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bleibt diese Frage unentscheidbar. Beide Pole rücken auf Augenhöhe zueinander. Dieser groteske ›Nivellierungsprozess‹ zeigt sich in den soeben zitierten Zeilen von Švankmajer, und zwar in den Anführungszeichen, die das Wort ›aesthetically‹ einrahmen: »Tactile spoons, rolling pins, boards and lids of pots are designed in a sense to ›aesthetically‹ massage our body«. Die Zeichen uneigentlicher Rede bewerkstelligen es an dieser Stelle, ein Massieren und Stimulieren des Körpers im ästhetischen Sinn mit einem Massieren und Stimulieren des Körpers im eigentlichen, analogen Sinne gleichzustellen. Wie deutlich gemacht wurde eröffnet sich diese Möglichkeit vor allem auf der Grundlage des Körperlich-Leiblichen. Diese paradoxe Konjunktion eigentlicher und uneigentlicher Rede im Zuge des Grotesken äußert sich vor allem auf der Grundlage der paradoxen Verknüpfung eigentlichen und uneigentlichen Handelns und Fühlens menschlich gezeichneter Zeichen-/Objektkörper. Die Verknüpfung bezieht ein anderes, nicht minder relevantes Begriffspaar ein, welches das in Leidenschaften verfasste Objekt betrifft: Animiert und belebt. Geht man zurück zu den abschließenden Zeilen der zuvor zitierten Beschreibung des aus Früchten und Gemüsen zusammengesetzten, unerhörten Frauenkörpers, so heißt es über dieses ›Ding‹, wie die Frauengestalt in der Geschichte zunächst genannt wird: »This thing before us, although it is not, was not, and never will be alive has been animate and will be animate again, but at the moment, not, for now, after one final shove, it stuck stock-still, wheels halted, wound down, uttering one last, gross, mechanical sigh.«76 Der Aspekt absoluter Erschöpfung, der aus diesen Zeilen spricht und welcher dem Zuschauer kontinuierlich aus Švankmajers Filmen entgegentritt, bindet sich eng an die Unterscheidung, die sich in Carters Kurzgeschichte zwischen ›lebendig‹ und ›animiert‹ andeutet. Das Moment des Von-Leidenschaften-Durchwirkten ist hinzugefügt, es entsteht im Akt des Dialogischen, und zwar ausschließlich hier. Dieses Moment ist jedoch flüchtig. Es zeigt, dass die drei Zeichenebenen, die Bachtin anführt, das karnevaleske, das monologische und das dialogische Zeichen, zusammenhängen und nur in diesem Kontext verstanden werden können. Das karnevaleske Zeichen fügt das utopische Moment hinzu, welches Gemeinsamkeit schafft, jedoch flüchtig, spontan und nicht von Dauer ist, während das monologische Zeichen zwar Permanenz bewirkt, jedoch von Zwang geprägt ist. Zwischen diesen Polen vermittelnd wirken kann nur das dialogische Prinzip, welches Lebendigkeit schafft. Die textuelle Teilhabe, die Bachtin diesem Prozess im Sinne von Intertextualität zuschreibt, stellt sich interessant in Zusammenhang mit der vorliegenden Diskussion dar. Das gleiche gilt für die Unterscheidung animiert/lebendig. Ihr wird sich die Arbeit an anderer Stelle widmen. Für den Moment verbleibt es anzu76 Carter, S. 65.

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merken, dass das filmisch animierte Wesen wie kein anderes vor Augen führt, dass es unzureichend ist es einer zweiten Ordnung zu subsumieren, die die Repräsentation der Realität unterordnet. Sieht sich ein repräsentatives Wesen lediglich animiert, während ein reales lebt? Die Unterscheidung animiert/lebend unterfüttert dieses hierarchische Gefälle, welches sich, wie zu erwarten ist, im Grotesken untergraben und subvertiert sieht. Auf die Fragen hin ›was erwarten wir von einem Animationsfilm‹ und ›was erwartet er von uns‹ antwortet Vivian Sobchack in einem Essay: »What we privilege is animation always visibly marked by the thread of inertia and ›livedeath‹, animation filled with ›uncanny‹ gaps, starts stops, and stutters that, as Cholodenko suggests, ›simultaneous[ly] bring …death to live and live to death‹.77 Nonetheless, what the majority of spectators seem to want and value from animation is not a gloss on ›metaphysical effort‹ but rather, as film theorist Noël Carroll has said of ›trick films‹, ›metaphysical release‹78 – that is, the vicarious playing out of the ›plasmatic‹ possibilities for subverting and/or substituting the laws of physics (and I might add, the laws of mathematical calculation) with the laws of imagination.«79

Die These, die diese Abhandlung verfolgt, ist, dass der Animationsfilm im Zuge des Grotesken bereit ist, mehr zu investieren und zu subvertieren als Gesetze physikalischer Natur. Die imaginäre Grenze zwischen Repräsentation und Realität erscheint an dieser Stelle zwar plausibel, jedoch hegt sich ein heftiger diskursiver Widerstand, diese Grenze durchlässig zu machen. Dieser Problematik wird weiter mit Referenz auf Richard Rushtons Gedanken zur filmischen Realität im Schlusskapitel untersucht. An dieser Stelle soll die Diskussion zu Carter, Arcimboldo und den Hof Rudolf II. zurückgelenkt werden. Wie uns die Portraits Arcimboldos vor Augen führen, liegt der Zeit der Renaissance und des Manierismus tatsächlich ein eigenes Verständnis der Unterscheidung zwischen ›animiert‹ und ›lebendig‹ zugrunde. Milada Franková schreibt dazu in ihrem Essay ›Angela Carters Mannerism in Rudolph II’s Curious Room‹: »The attraction that all such transfigurations [wie die Frauenfigur zusammengestellt aus Früchten] obviously hold for Carter also happens to coincide with the Renaissance liking for animation. The questions that Carter poses in ›Alice in Prague‹ examine the relationship between reality and artificiality, of interest to both the early modern and postmodern

77 Cholodenko, S. 28f. 78 Carroll, Noël, S. 25. 79 Sobchack (2006), S. 172f.

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periods, and could well be addressed to the Prague animator (and creator of an animated film version of Alice) Jan Švankmajer, to whom the short story is dedicated […].«80

DER RUDOLFINISCHE MANIERISMUS UND DIE ALCHEMIE Die Vorliebe, Objekte zu animieren, das heißt sie zu Wesen zu machen und ihnen Lebendigkeit zu geben, prägt maßgeblich die Verbindung, die Švankmajers Werk zum Rudolfinischen Manierismus hat. Die Nähe von Švankmajers Werk zur Hermetik oder Alchemie stellt in der Literatur zu seinem Werk eine allseits anerkannte, diskursive Größe dar. Sie bindet sich an einen viel beschworenen Aspekt: Den Einfluss Prags auf die Filme – nicht irgendeines Prags, sondern das des magischen Prags Rudolf II. Auf die Frage von Peter Hames, wie es zu diesem distinktiven Einfluss kommt, antwortet der Filmemacher mit einer Gegenfrage: »What is it about Arcimboldo’s method that holds such an irresistible fascination for me that I do not even shrink from the imitation that I otherwise so despise? Is it, perhaps, that profound mark of Prague Mannerism with which Rudolf II bewitched the capital, this new Hermes Trismegistos, as he was known by the initiated of that time and who is capable hundreds of years later of controlling kindred spirits? […] My weakness for Rudolfine Mannerism is well known […].«81

Die arcimboldischen Köpfe bilden in Švankmajers Werk vielleicht einen der sinnfälligsten Hinweise in Richtung Rudolfinischer Manierismus, jedoch bei Weitem nicht den Einzigen. Es scheint vielmehr das manieristische Genie, das Erbe einer unbändigen Schöpferkraft, welches die Filme nachhaltig und dezisiv prägt und an das Wirken Rudolf II. bindet; und damit auch an die Alchemie, setzt Švankmajer den Herrscher doch mit ›Hermes Trismegistos‹ gleich, also nicht nur einen Kundigen oder Meister (Adepten) dieser hohen Kunst, sondern ihres legendären Begründers, dem »dreimal Größten Hermes«82. Diese Verbindung zum Rudolfinischen Manierismus ist nach Jaromír Neumann ein Phänomen, welches nicht nur bei Švankmajer zu finden ist. Nach seiner Einschätzung wirkt die »komplizierte Welt von Andeutungen und Symbolen«83

80 Franková, S. 132. 81 Hames (1995), S. 108. 82 Vgl. Gebelein, S. 12. 83 Neumann, S. 172.

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sowie die »bildnerische Magie der Formen«84 Rudolfinischer Kunst »mit unverminderter Kraft in verschiedenen Strömungen des heutigen Schaffens weiter«85. Obwohl ihm nur drei Jahrzehnte vergönnt waren, ist das Nachwirken des Rudolfinischen Einflusses bis in die Zeiten modernen tschechischen Kunstschaffens nachweislich evident. Sie prägte nicht nur die Voraussetzungen für die unmittelbar folgende Blüte des böhmischen Barockes, sondern grub sich tief in den Puls Prager Kultur. Die Atmosphäre reichhaltiger und mannigfaltiger künstlerischer Tätigkeit, die am kaiserlichen Hofe herrschte – denn Rudolf nutzte seine Stellung, um Gelehrte und Künstler aus ganz Europa an seinen Hof zu ziehen und Prag so zu einem der bedeutendsten Zentren für Bildung und Kultur in Europa Ende des 16. Jahrhunderts/Anfang des 17. Jahrhunderts zu machen –, diente einem einzigen Ziel: Das Erleben und Erkennen der Welt als Ganzes. Unter diesem Stern ist das gesamte Streben am Hofe zu verstehen, mit Rudolf II. und seinem Wirken als Mäzen und Sammler als geistigem Fluchtpunkt. Seine Offenheit gegenüber den verschiedenen geistigen und künstlerischen Strömungen ließ, in den drei Jahrzehnten seiner Regierungszeit (1576-1612), eine unvergleichlich fruchtbare Wissenschafts- und Kunstkultur entstehen, wo Künstler Hand in Hand mit Alchemisten, Philosophen, Astronomen und Naturforschern arbeiteten. Die berühmte Sammlung Rudolf II. (gemeinhin bekannt als Wunderkammer Rudolf II.) bildete darin weit mehr als eine Sammlung zu repräsentativen Zwecken. Die in ihr vom Kaiser aus aller Welt zusammengetragenen Kunst- und Naturobjekte, Gerätschaften, Kuriositäten usw. dienten dem Zweck, den Künstlern und Wissenschaftlern zur aktiven, schöpferischen Tätigkeit und Forschung zur Verfügung zu stehen. In diesem von Synkretismus geprägten Umfeld scheint es schier unmöglich, alle Kräfte auszumachen, die auf den Rudolfinischen Manierismus einwirkten. Magische und okkulte Vorstellungen spielten in jedem Fall eine bedeutende Rolle, da sie einen festen Bestandteil der zur Zeit der Renaissance gängigen naturphilosophischen, kosmologischen und kunsttheoretischen Auffassungen bildeten. So war auch die Kunst der Alchemie Teil dessen, als weitverbreitete Methode der Naturerkenntnis. Laut Neumann wusste die Kunst des späten Manierismus »wandelbaren Artismus mit durchdringender Sachlichkeit«86 zu verbinden, genauso wie »magische Beschwörung mit der Leuchtkraft humanistischer Ideen«87 und »abstrakte Spekulation mit lyrischem Sensualismus, der den Neigungen des

84 Neumann, S. 172. 85 Neumann, S. 172. 86 Neumann, S. 173. 87 Neumann, S. 173.

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heimischen Milieus entgegenkam«88. Ohne Weiteres lässt sich die Beschreibung der Synthese dieser widersprüchlichen Tendenzen auf die Filme Švankmajers übertragen. Auch sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine Mischung aus übersteigerter Artifizität und Sachlichkeit, magischer Transzendenz und humanistischer Subjekt-Zentriertheit sowie kühler Distanz und überspannter Emotionalität herstellen, die laut Neumann typisch für den Rudolfinischen Manierismus sind. Eine ikonographisch unmittelbar ersichtliche Verbindung zur Alchemie zeigt sich weniger in den Filmen gegeben, aber die enge Naturverbundenheit, die Wertschätzung demiurgischer Schaffenskraft und die Verneigung vor der Welt der Magie suggeriert eindeutig die Verbindung zur Kunst der Alchemie in Švankmajers Werk; ganz gemäß dem eingangs betonten, universalen Geist, der am Hofe herrschte. So schreibt Neumann über die Verbindung von Kunst und Alchemie: »In der Alchemie genauso wie in der Kunst fesselte ihn [Rudolf II.] das Drama des Suchens – querere, des Erfindens – inveniere, des zielbewussten Strebens – operatio und der Realisierung der Idee im Kunstwerk, also die endgültige Verwandlung, verbunden mit der Entstehung von etwas qualitativ Neuem – also der Transmutation zum Opus.«89

Die hermetisch-magische Verschlossenheit der alchemistischen Naturerkenntnis setzt sich den Paradigmen der modernen, naturwissenschaftlichen Annäherung an die Natur entgegen. Sie geht auf ein anderes Weltbild zurück, ein magisches, welches seinen eigenen geheimen Gesetzmäßigkeiten folgt. Voraussetzung für die Naturverbundenheit war, dass sie nicht nur von der Verwandelbarkeit der Metalle ausging, sondern auch davon, dass jede Materie von einem »dumpfen Bewusstsein erfüllt ist, in das der Mensch sich einfühlen kann«90. Isoliert in den Gerätschaften und Apparaturen des Laboratoriums ahmt man die Entwicklungsprozesse der Natur operativ nach, während man von verschiedenen ›Reinheitsstufen‹ der Metalle ausgeht (Blei als unterste Stufe und Gold als höchste). Im Gegensatz zur Chemie ist die Alchemie demnach auf Vervollkommnung der Stoffe aus. Läuterung ist das Ziel bis hin zum höchsten Prinzip, der Quintessenz, »das was im Innersten der Natur die ewige ›Gestaltung, Umgestaltung‹ bewirkt, aber nur dem Auserwählten verfügbar ist: Lapis Philosophorum«91. Anzeichen eines nahenden ›Übergangs‹, wie Verwesung und Fäulnis, Verdampfung oder Farbveränderungen spielten auf diesem Weg eine ebenso große Rolle wie die Idee und das Streben nach einer ›prima materia‹, eines noch unbe88 Neumann, S. 173. 89 Neumann, S. 183. 90 Hartlaub, S. 18. 91 Hartlaub, S. 16.

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rührten Ausgangsstoffes, welcher unter Einfluss der Zustände des Übergangs zum Leben erwacht. Der ›doppelte‹ Zugang zur Natur, der sich als Problem in der Rezeption hervortut, zeigt sich demnach verankert in der Praxis der Alchemie. Der Ebene der Prozesse, die sich auf materieller Seite abspielen, gesellt sich eine zweite Ebene hinzu, die verschlüsselt in Erstere einzieht und von einem undurchsichtigen Netzwerk von zugesprochenen Qualitäten und Kräften der Stoffe spricht. Auf der einen Ebene offenbart sich im ›primitiven‹ Vorbildcharakter das, was »ein auf höherer Ebene analoges Herausdestillieren eines großen universellen Arcanums«92 vollbringen kann. Diese ›höhere Ebene‹ erfordert gewiss neben dem operativen Laborieren das Eingreifen des Okkulten. Groteske und acumen: Ähnlichkeitsdenken in der Krise Dieser kurze Exkurs in das Wesen der Alchemie und die kulturhistorische Bedeutung der Regierungszeit Rudolf II. hebt die magische Weltauffassung, die diesen Strömungen unterliegt, hervor. Die alchemistische Vorstellung, dass Materie sich mit einem dumpfen Bewusstsein investiert sieht, entspricht Švankmajers sorgsamen Umgang mit der stofflichen Grundlage seiner Animationen und verweist zurück auf das Zitat des Filmemachers, dass Gegenstände dazu gemacht sind, unsere Körper in einem ästhetischen Sinne zu massieren. Die magische Vorstellung, dass Gegenstände/Materialitäten mit einem Bewusstsein investiert sind, schließt jedes hierarchische Gefälle zwischen lebendigem Geist und toter Materie kurz, welches als Grundlage der Legitimation von Machtansprüchen dient. Die Vorstellung einer mit Bewusstsein investierten Materie nähert die Körper einander an, anstatt sie voneinander zu distanzieren. Dieser Aspekt führt zurück zu dem Zitat, in dem Švankmajer über die Aufgabe spricht, neue Bezüge zu alltäglichen Gegenständen wie einem Teller herzustellen auf der Grundlage der Analogie.93 Dieser Anspruch, die Welt auf der Basis anlogen Denkens wahrzunehmen, welches Ähnlichkeitsbeziehungen sucht und schafft, erweist sich nicht nur zentral zum magischen Denken der Alchemie, sondern wirft außerdem ein bedeutendes kulturhistorisches Problem im Zusammenhang mit dem Umbruch zur Moderne auf. Die Grundlage magischer Weltauffassungen, wie sie in der Alchemie und am Hofe Rudolf II. vorzufinden sind, ist tatsächlich das Denken in Ähnlichkeitsbeziehungen. Rationalisierungsbestrebungen und die Umstellung von topologischen zu empirischen Ähnlichkeitsvorstellungen hatten zur Folge, Ähnlichkeitsdenken in eine Krise zu werfen. Die kulturhistorische Relevanz dieses Umbruchs wird deutlich, wenn man sieht, dass Foucault an 92 Hartlaub, S. 19. 93 Vgl., Švankmajer (1994c), S. 57.

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ihm »zwei große Diskontinuitäten in der episteme der abendländischen Kultur« festmacht, »die, die das klassische Zeitalter in der Mitte des 17. Jahrhunderts einleitete, und die, die am Anfang des 19. Jahrhunderts, die Schwelle unserer modernen Epoche bezeichnet«94. Foucault schreibt über das 17. Jahrhundert: »Am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, in jener Periode, die man zu Recht oder zu Unrecht das Barock genannt hat, hört das Denken auf sich in dem Element der Ähnlichkeit zu bewegen. […] Das Zeitalter des Ähnlichen ist im Begriff, sich abzuschließen. Hinter sich lässt es nur Spiele, deren Zauberkräfte um jene neue Verwandtschaft der Ähnlichkeit und Illusion wachsen. Überall zeichnen sich die Gespinste der Ähnlichkeit ab, aber man weiß, dass es Chimären sind. Es ist die privilegierte Zeit des trompe-l’œil, der komischen Illusion, des Theaters, das sich verdoppelt und ein Theater repräsentiert, des Quiproquos, der Träume und Visionen. Es ist die Zeit der Sinnestäuschungen, die Zeit in der die Metapher, die Vergleiche und die Allegorien den poetischen Raum der Sprache definieren. Durch die Tatsache selbst hinterlässt das Wissen des sechzehnten Jahrhunderts die deformierte Erinnerung einer gemischten und regellosen Erkenntnis, in der alle Dinge der Welt sich dem Zufall der Erfahrung, der Traditionen oder der Leichtgläubigkeit nähern konnten. Künftig werden die schönen, strengen und zwingenden Figuren der Ähnlichkeit vergessen werden.«95

Aus der Krise der Ähnlichkeit entwickelte sich nicht nur ein gesteigertes Interesse an Formen des Grotesken, sondern die barocke Ästhetik fand insbesondere Gefallen an einem anderen rhetorischen Phänomen, der Rhetorik des acumen. Das Mitdenken und Äußern des von der Ordnung Verschiedenen, welches die Faszination für das Groteske begründet und für sein plötzliches mannigfaches Auftreten in der Kunst der Renaissance mitverantwortlich zeichnet, beschreibt Renate Lachmann konstitutiv für die spätbarocke, concettistische Rhetorik, der ›scharfsinnig zugespitzten Rede‹. Die Rhetorik des acumen, welche der polnische Poet und Theoretiker Maciej Kazimierz Sarbiewski (1595-1640) in dem Traktat nachgeht, welches Renate Lachmann zum Gegenstand ihrer Untersuchung macht, gibt vor, ›Wahrheit im Unwahren erzeugen zu können‹, und zwar auf der Grundlage der Herstellung von fiktiven Korrespondenzen bzw. Ähnlichkeiten. Wie Lachmann feststellt: »Die Traktate [concettistische Traktate] führen eine ästhetische und eine intellektuelle Faszination durch eine aus Unähnlichkeit entwickelte Ähnlichkeit oder der aus Ähnlichkeit entwickelten Unähnlichkeit vor. Die Ähnlichkeit/Unähnlichkeit wird als Spiel, Illusion,

94 Foucault (1966/1974), S. 25. 95 Foucault (1966/1974), S. 83f.

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Theater, Traum, Vision, Phantasma erlebt in einer neuen, ›ingeniösen‹ Ordnung der Dinge und der sprachlichen Zeichen, deren konzeptuelles Pendent das acumen ist.«96

Das Ineinandergreifen des Ähnlichen und Unähnlichen, welches auch aus den Portraits Arcimboldos entgegentritt, stellt eine fingierte Erzeugung von Ähnlichkeitsbeziehungen dar, die »Maß und Angemessenheit verletzend, Verblüffung und Schock hervorrufen kann, angesichts der unähnlichen Ähnlichkeit«97. Ähnlichkeit stellt sich demnach nicht aufgrund eines Vergleichsmoments bekannter Konstanten ein, welches das Wiedererkennen sichert, sondern erzeugt ein Widerspiel zwischen Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, welches neue, verblüffende Zusammenhänge knüpft. In der Manie dieses fiktiven Spiels zerstört sie die »Ordnung der vorgefundenen Analogien«98. In Zusammenhang mit den Zitaten Foucaults und Lachmanns scheint es nicht schwer den Gestaltungsraum des Grotesken sowie acumen wiederzufinden; ›Träumereien‹ des Umbruchs, in denen das Vergangene verzerrt und deformiert nachbebt; wo Verbindlichkeiten weder gegenüber dem Alten noch dem Herannahenden zugestanden, sondern anstelle dessen ins Reich des Fiktiven und Darstellenden transponiert, suspendiert und aufgehoben werden. Von dieser alles entscheidenden Ambiguität gezeichnet, treten die Gebilde des Grotesken und acumen an den Leser/Betrachter/Zuschauer heran, geprägt und entwachsen aus einem Denken, welches »sich vor sich selbst beunruhigte und sich von seinen vertrauten Gestalten zu lösen begann«99. Darin entwerfen sie aus der heutigen Perspektive eine Gegen- oder Andersweltlichkeit, die der ›klassischen‹ Disposition sowie der ihr eigenen Ähnlichkeitskonzeption zuwiderläuft und Ähnlichkeit als »fundamentale Erfahrung und erste Form des Wissens ausschließt […]«100. Indem das klassische Denken Analogiebeziehungen auf der Basis von Identität, Unterschied, Maß und Ordnung universalisiert, das heißt zu vereinheitlichen sucht, verliert die Analogie ihre Rolle als fundamentale Kategorie des Wissens. Die ›Neuordnung‹ hin zu Transparenz und Neutralität unterlaufen und suspendieren acumen sowie Groteske, indem sie Ähnlichkeits-/Unähnlichkeitsbeziehung zunächst in ein fiktiv-unbegrenztes Kontinuum bannen und sie zum Allegorisch-Technischen, Zufälligen, Fragmentarischen und Konventionellen neigen. So verhindern sie, dass jener Spalt aus dem Blick gerät, der sich als nicht-schließbare Diskontinuität in die ›Neuordnung‹ eingelassen hat und durch den die überkommene Ordnung der Ähnlichkeits96

Lachmann, S. 88.

97

Lachmann, S. 89.

98

Lachmann, S. 90.

99

Foucault (1966/1974), S. 85.

100 Foucault (1966/1974), S. 85.

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beziehungen sich als Trauma der ›Dissoziation von Ähnlichkeit‹ weiter bemerkbar macht: »Die gleichzeitig unbegrenzte und geschlossene, volle und tautologische Welt der Ähnlichkeiten findet sich dissoziiert und wie in der Mitte geöffnet. Auf der einen Seite wird man die zu analytischen Instrumenten gewordenen Zeichen als Markierungen der Identität und des Unterschiedes, als Prinzipien des Ordnens, als Schlüssel für eine Taxonomie finden; auf der anderen Seite die empirische und murmelnde Ähnlichkeit der Dinge, jene stumme Ähnlichkeit, die unterhalb des Denkens die unbegrenzte Materie der Trennungen und Distributionen liefert. Auf der einen Seite steht die allgemeine Zeichentheorie, die Theorie der Einteilungen und der Klassifizierungen, auf der anderen Seite das Problem der unmittelbaren Ähnlichkeit, das der spontanen Bewegung der Vorstellungskraft, der Wiederholungen in der Natur. Zwischen diesen beiden stehen die neuen Wissensgebiete (savoirs), die ihren Raum in jener offenen Distanz finden.«101

Die Relevanz dieser Dissoziation im Kontext von Švankmajers Werk ist offenkundig. Was Foucault in Spannung zum klassischen Epistem als das ›Problem der unmittelbaren Ähnlichkeit‹, der ›spontanen Bewegung der Vorstellungskraft‹ oder der ›Wiederholung in der Natur‹ formuliert und es als unwiderruflich der Materie verhaftet sieht, formuliert sich essenziell als Grund, auf dem sich die Filme bewegen, ihre Fluchten und Netzwerke von Verknüpfungen (ent-)werfen; Fluchten, die uns kontinuierlich immer wieder zurückwerfen zu eben diesem Bruch der Dissoziation von Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Objektivität und Subjektivität, der bereits in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Medium und Material erwähnt wurde; Fluchten, die hypnotisierend, obsessiv, lähmend, suspendierend, allegorisch wiederholen und tausendfach multiplizieren, was ihnen im Sinne eines Traumas begegnet und widerfahren ist und weiter widerfahren wird. Acumen und Groteske vernetzen, tragen und öffnen diese Fluchten, während sie rhetorisch überzeugend handeln, um sich durchzusetzen und das ›Problem der unmittelbaren Ähnlichkeit‹ und der ›spontanen Bewegung der Vorstellungskraft‹ zu ihrem Vehikel machen und die Materie in diesem Sinne bearbeiten. Wie Kleinschmidt zur Rezeption des Grotesken schreibt: »Die grotesken Figurationen entzogen sich einer Bestimmung, weil sie Gegenstände nicht signifikant durch Ähnlichkeiten repräsentieren konnten. Sie erschienen als gestische Zeichen, als ›Malerträum(e)‹, für die künstlerisch keine umsetzbaren Referenten existierten.«102 An die begriffliche ›Geburt‹ des Grotesken knüpft sich demnach nicht nur eine beabsichtigte Weigerung zu ›ähneln‹, sondern auch ein (Un-)Bewusstsein gegenüber einem ge101 Foucault (1966/1974), S. 91. 102 Kleinschmidt, S. 185.

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fühlten, erfahrenen, unveränderlichen Unvermögen. Ein vergleichbares Zitat findet sich bei Lachmann in Bezug auf acumen: »In der metaphorisierenden Argumentation und der argumentierenden Metaphorik werden ästhetische und kognitive Verfahren zusammengeführt, die in der Problematisierung der Ähnlichkeitsbeziehung zwischen res und verba ein neues Konzept der Ähnlichkeit formulieren.«103 Das Bewusstsein um den Bruch zwischen den Dingen/Gegenständen und den Worten, den Verlust eines eng geknüpften Netzes von Ähnlichkeitsbeziehungen, spricht aus Švankmajers Anspruch, entsprechend dem Prinzip der Analogie eben ein solches Netz wieder enger zu knüpfen, wie es in Zusammenhang mit obigem Zitat des Filmemachers erscheint. Švankmajers Überzeugung, dass sich dieses Netzwerk über das Anspannen leiblicher Körperfelder knüpfen und an erogenen Zonen orientieren soll, zieht sein Werk näher an die Logik des Grotesken als des acumen. Die Figuren des acumen stellen Spielereien des Intellekts, phantastische Träumereien dar, die das Groteske im Sinne einer amorphen Schnittmenge zwar teilt, jedoch nicht in ihnen aufgeht. Konzentrieren sich die monströsen, verzerrten Körper des Grotesken auf die Verbindungen zwischen Wort und Gegenstand, indem sie eine Zuordnung im eigentlichen Sinne unmöglich machen, konzentriert sich das possenhafte, gewitzte Gebaren des acumen auf die Ebene des Generierens von Bedeutung, auf die Prozesse der Semiose, während es spielerisch Gegenstände, Begriffe und Vorstellungen jongliert.

RESÜMEE Dessen ungeachtet bezeugen beide Figuren den unwiderruflichen Bruch, der sich auch durch den in Berührung gebrachten Zeichen-/Objektkörper zieht und an einen Punkt der Erschöpfung führt. Diese ›Erschöpfung‹ bezieht sich nicht auf die Beschreibung der komplexen Verbindungslinien, die Švankmajers Werk mit dem Rudolfinischen Manierismus eingeht.104 In diesem Kontext war es Ziel, sich auf die Rolle des Zeichen-/Objektkörpers zu konzentrieren. Das fünfte Kapitel wird auf diese Konjunktion von Körpern zurückkommen, wenn der surrealistische Aspekt in Švankmajers Werk betrachtet wird. Nicht umsonst werden Arcimboldos Portraits als surrealistische Vorläufer gesehen, was sich im Umgang mit dem Objektkörper und das dialogische In-Beziehung-Setzen der Körper erklärt. Der Zu-

103

Lachmann, S. 87.

104 Vgl. O’Pray (1995).

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sammenhang zwischen Vereinzelung und Vereinheitlichung spielt hier eine bedeutende Rolle, wie gezeigt werden wird. Wichtiger erweist sich, was als beflügelndes, utopisches Moment in der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt bezeichnet wurde. Dieses Moment setzt sich der Erschöpfung entgegen und begrenzt sie. Das beflügelnde Moment besteht in einer Anreicherung auf der Gefühlsebene, die der Objektwelt sonst aus der Sicht reduktionistischer und psychologisierender Tendenzen verwehrt wird. Die Bereicherung scheint grundlegend für den Anspruch synästhetischer Erweiterung der Sinnes- und Körperwahrnehmung, die Švankmajer wichtig ist, wie in Zusammenhang mit dem analogischen Prinzip erläutert wurde. Es soll gezeigt werden, wie weit dieser von Švankmajer formulierte Anspruch geht und welche kulturhistorischen Implikationen er mit sich bringt. Wichtig und zugleich am Problematischsten in diesem Kontext ist der Widerspruch zwischen dem Eigentlichen und dem Uneigentlichen. Wie passt der Anspruch der Bereicherung nach den Prinzipien der Analogie zu den von Švankmajer gewählten Mitteln des Uneigentlichen im Ausdruck: Das filmische Medium, die Formen des Grotesken, das fetischisierte ›Ersatz‹ Objekt, der Puppenkörper, etc.? Diesen Widerspruch aufzulösen ist unmöglich und seine Funktionen sind vielfältig. Im Uneigentlichen lassen sich kulturhistorische Implikationen präziser und wirkungsvoller zum Ausdruck bringen als im Eigentlichen, dessen Legitimationsund Transparenzansprüche sich unmittelbar Vorwürfen der Voreingenommenheit stellen müssen. Was das Moment der Bereicherung angeht, erscheint der entleerte, reduzierte Körper ebenfalls besser geeignet als der pulsierende, mit Leben gefüllte Körper, der sich mit viel (schauspielerischem) Geschick erst in die Narrative einfügen muss. Das mit Leidenschaften investierte, menschlich gezeichnete Objekt verbleibt im Sinne eines Uneigentlichen eine Figur uneigentlicher Rede, Vorspiegelung, Schein, Rhetorik. Diesen Widerspruch löst das utopische Moment nicht auf. Es zeigt auf, formuliert Ansprüche der Anreicherung und beklagt Momente der Reduktion, jedoch verbleibt es essenziell dem Paradox, der Leerstelle, dem Nichtort verhaftet. Das Klappmesser aus Jabberwocky sieht sich am Ende des Films mit einem Mal dem utopischen, beflügelnden Moment beraubt, fällt zurück in den Zustand des unentborgenen, murmelnden Objekts. Hat im Moment der Bereicherung, welches sich von dem Erscheinen des Messers auf der Leinwand, über seine erhebende Performance, bis zu seinem stummen Fall spannt, nichts stattgefunden (Eklipse)? Diese groteske Facette eines ›narrativen Dazwischen‹, interessiert in Zusammenhang mit Švankmajers Werk und Grotesksein. Hat das uneigentliche Moment dieser Performance nicht mehr hinterlassen, ganz im Sinne einer existen-

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ziellen Angleichung von der Ricœur spricht (Bereicherung)?105 Nicht nur der Objektkörper des Klappmessers sieht sich (menschlich-)gezeichnet, sondern das narrative Moment des Beflügelnden hinterlässt einen Eindruck, der sich auf die Welt des Handelns auswirkt und damit direkt, unmittelbar auf die Realität verändernd einwirkt. Dieser Akt bezieht sich dabei sowohl auf den filmischen Körper (für sich gedacht)106 sowie den Körper des Zuschauers. In diesem Sinne erweist sich das beflügelnde Moment als dialogstiftend im bachtinschen Sinne. Während im verführerischen Zeichen/Objekt jede Möglichkeit des Dialogs zusammengebrochen scheint und das zwanghafte Wesen des Monologischen zur vollen Entfaltung kommt (trotz oder gerade im Moment der leidenschaftlichen Investition des Zeichens/Objektkörpers), sieht sich im beflügelnden, utopischen Moment beides zusammengenommen, das flüchtige karnevaleske Zeichen und das Monologische. Dieses Bild entspricht der vorgebrachten Interpretation von Dimensions of Dialogue. Als Studie zur Möglichkeit/Unmöglichkeit menschlicher Kommunikation wurde deutlich, dass der Film nicht ausschließlich über den Zusammenbruch kommunikativer Mittel spricht, sondern auch den Anspruch einer Weitung dieses Vermittelnden hin zum Leiblichen, Gefühlten, analog Erschlossenen geltend macht. Dieser Aspekt des Weitenden, Erweiternden, dem das Prinzip des Analogen zugrunde liegt, erweist sich wichtig darin, den subversiven Bezug zur Realität im Sinne einer existenziellen Angleichung zu verstehen; alleine beide Momente zusammengenommen geben Auskunft über das Grotesksein von Švankmajers Werk. Erst wenn man beginnt zu verstehen, wo sich Švankmajers Filme aus der verführerischen Falle des in sich verschließenden Zeichen/Objektkörpers heraus begeben und eine Gegenwelt dazu entwerfen, die vervollständigt und komplementiert, dann beginnt man das Grotesksein Švankmajers Werkes zu erkennen. Die Beschäftigung mit der Konjunktion des Zeichen-/Objektkörpers vor dem kulturhistorischen Hintergrund des Rudolfinischen Manierismus bedeutete den ersten Schritt in diese Richtung. Es wurde verdeutlicht, was passiert, wenn sich beide Körper kurzschließen: Eklipse auf der einen und Magie auf der anderen Seite. Beide Seiten treten im Grotesken hervor. Dieser Erscheinung gilt es in seiner uneigentlichen (literarisierenden/literarisierten) Beschreibung nachzugehen und, mit Klages gesprochen, zu der Physiognomie der Erscheinung zurückzufinden.107 Wie Klages schreibt:

105 Vgl. Ricœur (1965/1974), S. 45. 106 Vgl. Barker. Barker argumentiert, wie im folgenden Kapitel herausgearbeitet wird, dass sich über die sinnlichen Aspekte der kinematischen Erfahrung ein filmischer Körper entwirft, der für sich gesehen werden kann. 107 Klages (1966), S. 1123.

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»Was in der Renaissance die farbenstarke, aber kurzlebige Blüte einer Mystik der Materie trieb, schuf im Altertum die minder farbige, aber dauerhaftere Elementenlehre der jonischen Naturphilosophen. Man muss anhand des symbolischen Wortsinns zu den Physiognomien der Erscheinungen zurückgefunden haben, um auch nur einigermaßen zu verstehen, was dem Thales das Wasser, dem Anaximenes die Luft, dem Heraklit das in Luft und Wasser und Erde sich wandelnde Feuer, dem Parmenides, wann er zum Volke spricht, oder dem Zenon das Warme, Kalte, Trockene, Feuchte gewesen sei.«108

Auf ähnliche Weise lässt sich das Groteske im Sinne einer Erscheinung verstehen, welche sich einfügt in ein Analogienetz verwandter Tropen.109 In dem literarisierenden/literarisierten Feld,110 welches eben dieses Analogienetz aufwirft und entwirft, erscheint es möglich und notwendig, sich dem Grotesksein in Švankmajers Werk zu nähern. Dazu soll sich im nächsten Kapitel einer weiteren Konjunktion zweier Körper zugewendet werden, der Konjunktion des Puppenkörpers und des menschlichen Körpers, und in diesem Kontext auf den Bereich konzentriert werden, der bereits wiederholt in den Mittelpunkt gerückt ist: Das angleichende Wesen emotionalen Empfindens.

108 Klages (1966), S. 1123f. 109 Vgl. Fuß These, dass das Groteske eine amorphe Schnittmenge mit verwandten Tropen eingeht. 110 Dieses Feld schließt sich analog an das literarisierende/literarisierte Feld in Švankmajers Filmen an.

Eindruck und Emotion: Don Juan und verkörperte Emotion »Puppets are firmly fixed in my mental morphology, and therefore I keep returning to them in my creative work as something which, for me, represents a certainty in relation to the outside world. I usually resort to them at moments when I feel threatened. Thus I make my own Golems that are designed to protect me from the pogroms of reality«.1

MENSCHEN IN PUPPENKÖRPERN: FILMBEISPIEL DON JUAN Der Puppenkörper hält eine besondere Faszination für Švankmajer, das bezeugt nicht zuletzt das diesem Kapitel vorangestellte Zitat.2 Von allen Puppenfilmen 1

Švankmajer (1994d), S. 35.

2

Puppen stellen eine wichtige Inspirationsquelle für Švankmajer dar, wie bereits hervorgehoben wurde. Diese Faszination reicht in seine Kindheit zurück sowie seine Studienzeiten an der Prager Schule für Dekorative Künste sowie der Prager Theater Akademie (DAMU) (Schmitt, 2012b, 66-67). Švankmajer studierte an der DAMU im Fachbereich Puppentheater. Wie Švankmajer in einem Interview mit Peter Hames erklärt: »[A]t DAMU I took courses in the puppetry faculty (which was a rarity at that time and a great number of foreigners also studied there). […] Puppet theatre has its own special kind of magic. I was able to see authentic folk puppeteers at work with their wonderful diction and spontaneous humour. I must say that nothing I have seen from modern puppet theatre compares with the old puppet art.« (Hames, 1995, S. 97) Švankmajers Abschlussprojekt Král jelenem (The King Stag, basierend auf dem Stück Re cervo von dem venezianischen Schriftsteller Carlo Gozzi, 1762) war stark beeinflusst von dieser

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zeigt dies insbesondere sein 1970 fertiggestellter Don Juan.3 Die Kamera erfasst zu Beginn des Films den Blick des Zuschauers und führt ihn in den Unterbau eines Theaters, wo alles in einem bedeutungsschweren Zustand der Suspension zu ruhen scheint. Es wird von Anbeginn deutlich, dass Figuren des Bruchs und des Übergangs herangezogen werden, um den Rhythmus und das Tempo des Films zu bestimmen. Unvermittelte Brüche in der musikalischen Begleitung unterstreichen diesen Aspekt. Emotional geladene, beinahe pathetische Musik begleitet den Weg ins Theater hinein. Dabei alternieren unstete Kameraeinstellungen mit frontal statischen Bildern, die kontinuierlich zum mutmaßlichen Ort des Eintritts zurückkehren: Zwei Steinpfosten, die zu beiden Seiten eine massive Steinmauer begrenzen und zwischen ihnen den Eintritt freihalten. Dann, just in dem Moment, in dem Švankmajers Name erscheint, scheint auch der Zuschauer seinen ›angemessenen‹ Platz erreicht zu haben: Das Auditorium. Mit dem Eintritt in den dunklen Raum ändert sich die Stimmung des Films. Man wohnt nicht mehr länger alternierenden Kameraeinstellungen bei, sondern sieht sich in einen Zustand gesteigerter Aufmerksamkeit und Wachsamkeit versetzt; ein Zustand eindringlicher Suspension. Anstelle von tongewaltiger, pathetischer Musik hört man nun leise, zaghafte Töne, die mit leisem, unverständlichem Murmeln und verführerischen Atemgeräuschen verquickt sind. In der Zwischenzeit erforscht die Kamera weiter den Raum und bewegt sich langsam aus dem dunkleren Bereich des Auditoriums in Richtung der hell erleuchteten Bühne. Der Zuschauer folgt ihr weiter hinter die Bühne, entlang multipler Leinwände, welche die Bühne säumen; entlang einer Reihe von Marionetten, die bewegungslos und steif an der Wand hängen und mit ihren unbeweglichen Augen und Gesichtern in die Dunkelheit starren; bis man schließlich den Bereich hinter der Bühne erreicht, in dem

Erfahrung. Das gleiche gilt für seine Zusammenarbeit mit Emil Radok an dem Filmprojekt Johannes Doktor Faust (1958). Nachdem Švankmajer seine Studien an der DAMU abgeschlossen und seinen Militärdienst geleistet hatte, gründete er das Theater der Masken für das Semafor Theater in Prag. Später wechselte er mit dem Ensemble zur Laterna magika, wo er bis 1964 blieb. Švankmajers Theaterhintergrund ist deutlich merklich in seinen Filmen, insbesondere den frühen Kurzfilmen wie The Last Trick of Mr. Schwarzwald and Mr. Edgar und Don Juan. Die Spannung zwischen Masken- und Puppentheater stellt ein wichtiges Merkmal in seinem Umgang mit der Puppenform dar. Das gilt auch für Švankmajers spätere Filme wie Alice, Faust und Conspirators of Pleasure, wo Švankmajer die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Konjunktion von Puppenkörper und menschlichem Körper ausdehnt. Vgl. Hames (2009), S. 175-186. 3

Vgl. Sera, Mareike (2018c) Jan Švankmajer’s Don Šajn (1970): Puppets as intimate objects, animation: an interdisciplinary journal (13), Nr. 1.

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man auf das Durcheinander von Holzrahmen, Seilen und Halterungen stößt, welche die Mechanismen der Bühne kontrollieren. Das ist es. Kein weiteres Vordringen ist möglich. In dem Moment, in dem die Vorwärtsbewegung der Kamera zum Stillstand kommt, sieht sie sich jedoch wieder in Bewegung gesetzt. Begleitet von schrillen Klängen, schwenkt sie zur Seite und es wird sichtbar, wodurch diese sprunghafte Bewegung ausgelöst wurde. Eine der Seilspulen hat begonnen, sich behutsam zu bewegen und damit den Bann schwebender Suspension zu unterbrechen. Ein Stein gewinnt seine Schwere zurück und setzt, über einen Flaschenzug, die Theatermaschinerie in Gang. Eingeläutet durch einen kleinen Hammer, der frenetisch gegen eine Metallscheibe schlägt, setzt auch die Musik ein, zusammen mit einer sich in Bewegung setzende Drehorgelanlage. Eine andere Vorrichtung entzündet Kerzen, die sich vor der Bühne platzieren. Leinwände entrollen sich. Und schließlich springen zwei der Marionetten, Don Felipe und Doña Maria, von ihren Haken und eilen auf die Bühne, bereit die dramatischen Geschehnisse, die dabei sind sich zu entfalten, heraufzubeschwören. Die Eingangsszene Don Juans nimmt viel von dem vorweg, was den Zuschauer in dem Film erwartet. Der Referenzrahmen des Puppentheaters spielt darin eine entscheidende Rolle. Švankmajer gelingt es die vermeintliche Subjektivität des Blickwinkels, die durch die sich bewegende Kamera erzeugt wird, mit der Steifheit und Unbeweglichkeit der an den Haken hängenden Puppen zu kontrastieren. Hierzu schreibt O’Pray: »[T]heir almost magical potential for life paradoxically conjures the sensation of death prior to their theatrical lives which will end in death.«4 O’Prays Zitat erinnert daran, was im vorhergehenden Kapitel dargelegt wurde. Zu erst ist der Puppenkörper ein Objektkörper, der sich in seinem Unentborgensein verschließt, sich aber zugleich in Konjunktion zum Zeichenkörper menschlich gezeichnet sieht. Auf der Grundlage der kommunikativen Ebene der Einleibung nimmt man die leiblichen Qualitäten des Puppenkörpers wahr, seine Schwere, seine Steifheit, seine Künstlichkeit, den Charakter seiner Stilisierung, seine von Gebrauchspuren gezeichnete Oberfläche. Wie im zweiten Kapitel erläutert wurde, hat Švankmajer betont, dass seine Marionetten solchen aus dem 19. Jahrhundert nachempfunden sind. Doch gerade dieser Umstand sieht sich durch die Konjunktion Puppenkörper/menschlicher Körper verkompliziert. Deutlich heben sich in Don Juan die übergroßen Köpfe und steifen Armgliedmaße von den lediglich in Kleider gehüllten Oberkörpern und Beingliedmaßen der Schauspieler ab. Auch als Švankmajer die Schauspieler angewiesen hat, sich in der staccatoartigen Weise von Puppenkörpern zu bewegen, welche diese beständig zwischen Beschleunigung und Trägheit hin und her wirft, bleibt der körperliche/materielle 4

O’Pray (1988), p. 345.

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Unterschied dennoch augenfällig. Hinzukommt, dass die Marionetten zwar eine Vorrichtung auf dem Kopf tragen, an denen die Marionettenfäden ihrer Arme befestigt sind, diese sich jedoch nicht durch einen Puppenführer manipuliert zeigen. Dem ist zumindest so, wenn die Marionetten in Großaufnahme gezeigt werden. In Nahaufnahme können sich die Fäden sehr wohl manipuliert erweisen, wie zum Beispiel in der Sterbeszene des Don Avenis, von der gleich ausführlicher berichtet wird. Entsprechend ambivalent zeigt sich das Verhältnis zwischen Puppenkörper und menschlichem Körper. Wie es sich in der Eingangsszene ankündigt, sieht sich diese groteske Überkreuzung nicht nur beständig hervorgehoben, sondern tatsächlich zum Hauptgegenstand des Films gemacht. Nimmt man zum Beispiel das charakteristische Merkmal Beschleunigung und Trägheit, dann sieht der Zuschauer eine Figur regungslos verharren, während eine andere spricht. Dieses Verharren geschieht jedoch nicht in einer entspannten Körperhaltung, sondern im Gegenteil in Posen großer Anspannung, wie ein Ausfallschritt nach vorne. Dieses Verhalten entspricht dem einer Puppe auf der Bühne, die von dem Puppenführer zugunsten einer anderen Puppe aus dem Mittelpunkt des Interesses genommen wird, indem sie ruhig in der Position gehalten wird, in der sie zuletzt war. Diesen Aspekt nutzt Švankmajer auch für komische Zwecke. So lässt er Don Felipe nach der Szene, in der er Doña Maria seine Liebe gesteht und sie sich dazu verabreden, sich um die neunte Stunde wiederzutreffen, um im Geheimen den Bund der Ehe einzugehen, von der Bühne abgehen und vor eine Uhr setzen, vor der er leblos verharrt. Don Felipe sitzt dort später noch, wenn der gekränkte, nach Rache dürstende Don Juan den Entschluss gefasst hat, seinen Vater zu töten, sowie jeden anderen, der seiner Heirat mit Doña Maria im Wege steht. Die drei Gegner des Don Juan Ein weiteres Charakteristikum des zwischen Beschleunigung und Trägheit verharrenden Puppenkörpers zeigt der Vergleich der drei Gegner des Don Juan. Don Juan tötet wie gesagt zunächst seinen eigenen Vater, der ihm ein Darlehen verwehrt, um die Hochzeit mit Doña Maria zu bezahlen. Obendrein demütigt der Vater Don Juan, indem er seinen Gesandten, den Kasper, mit nicht mehr als zehn Pfennig zurückschickt. Als Don Juan nach ihm sucht, findet er seinen Vater hinter der Bühne regungslos an einem Tisch sitzen. Er wirft ihm einen schweren Stein an den Kopf, woraufhin die Marionette ohne Weiteres umkippt. Sie hat sich weder vorher geregt, noch regt sie sich im Kampf mit Don Juan. Sie liegt einfach am Boden, während Don Juan das Gesicht der Marionette abwechselnd mit dem Stein und dem Schwert demoliert.

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Der zweite Mord hingegen findet auf der Bühne statt. Don Juan hat sich zu dem Ort begeben, an dem sich Doña Maria und Don Felipe verabredet haben. Sich als Don Felipe ausgebend, ruft er Doña Maria zu sich. Zuvor hat er sich vorgenommen, auch sie zu töten, wenn sie ihm ihre Liebe verwehrt. Als er sie verfolgt, stellt sich ihm ihr Vater, Don Avenis, in den Weg. In rasender Wut erschlägt er auch diesen, indem er ihm mit einem Hieb das Gesicht vom Kopf abschlägt. Don Avenis zeigt sich nicht so regungslos wie das vorhergehende Opfer. Er fällt zwar um, verflucht jedoch Don Juan, bevor er stirbt. Der Eintritt des Todes zeigt sich durch die zu Boden sinkenden Arme sowie durch die in Unschärfe versinkenden Schriftzeichen, von denen bereits in Verbindung mit dem Tod von Don Felipe die Rede war. Vielsagend ist die Zeile, die zu lesen ist: »Already I am dead.« Dieser Satz spielt offensichtlich ironisch auf den paradoxen Zustand des Puppendaseins zwischen Leben und Tod an, den O’Pray so treffend beschrieben hat. Die dritte Tötungsszene, die von Don Felipe, ist die komplexeste. Don Felipe folgt Don Juan in die Wälder, in denen dieser sich versteckt hält. Sobald die beiden Brüder aufeinandertreffen, wehrt sich Don Felipe nicht nur, sondern beide liefern sich einen ausgedehnten Kampf, in dem Don Felipe schließlich unterliegt. Im Moment des Unterliegens durchtrennt Don Juan zunächst die Marionettenfäden, woraufhin die Arme schlaff herabsinken, und löst den Brustpanzer. Dann durchlöchert Don Juan den Körper seines Bruders. Er sticht Don Felipe wiederholt in die Brust, das Auge, die Ohren und ins Gesicht. Bei jedem Stoß spritzt theatralisch Blut aus den Öffnungen, bis dieses schließlich versiegt und Don Felipes geschundener Körper mit einem Tritt von Don Juan zu Fall gebracht wird. Wieder wechselt die Kamera zu einer handgeschriebenen Zeile, an welcher sie vorbei gleitet und dabei jeden Buchstaben abtastet. Allerdings stellt diese Zeile keinen ironischen Verweis dar, wie im Fall des Don Avenis, sondern richtet sich an Doña Maria: »Oh Doña Maria, my soul is being laid to rest.« Vergleicht man die drei Tötungsszenen, dann wird deutlich, dass hier tatsächlich so etwas wie eine graduelle Steigerung zwischen dem ›Objektcharakter‹ der drei Opfer stattfindet. Don Juans erstes Opfer, sein Vater, entspricht einem ausschließlich von außen menschlich gezeichnetem Objekt-Körper, welcher in Leblosigkeit und Regungslosigkeit verharrt. Demgegenüber erweist sich der Puppenkörper des zweiten Opfers, Don Avenis, handlungsfähiger. Wenn er sich auch nicht den Angriffen des Don Juan erwehrt, so handelt er doch über die symbolische Dimension der Sprache, indem er ihn verflucht. Die Bedeutsamkeit dieses Fluches ist nicht zu unterschätzen, da sie eine Gegenebene zum emotionalen Abdruck/Eindruck entwirft; eine Ebene, die anders auf Körper wirkt, eben geistig, spirituell, narrativ. Auch wenn der Abdruck/Eindruck dieser Ebene sich nicht unmittelbar zeigt, wie dies in Bezug auf den emotionalen Abdruck/Eindruck der Fall

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zu sein scheint (siehe zum Beispiel die körperlichen Kampfspuren der Zerstörungswut des Don Juan), so birgt er doch Konsequenzen. Zunächst erscheinen diese Auswirkungen gegenstandslos, wie das nicht im Film zu sehende Blut, welches Doña Maria neben dem toten Körper ihres Vaters beweint (»His blood stains the floor.«), oder die nicht existenten Tränen in den Augen der Doña Maria, auf die der heraneilende Don Felipe hinweist (»Your eyes are tearful.«). Die spätere Wiederkehr des Don Avenis als Geist bezeugt hingegen die körperliche Wirkungskraft dieser Ebene, insbesondere, wenn der Geist Don Juans Hand über eine Kerze hält und sie empfindlich verbrennt. Hierzu sagt Don Avenis: »Dear son, I have come so that you can repent for you are hastily approaching damnation. Give me your right hand so that I can bid you a fatherly goodbye.« Mit der geisterhaften Erscheinung löst sich die Prophezeiung, die narrative Konsequenz ein, nicht nur auf der unkörperlichen Ebene des symbolischen Zeichens, sondern auch im Sinne eines schmerzlichen Abdrucks/Eindrucks einer verbrannten Hand, welche die herannahende Verdammung einläutet und den gesamten Körper mit sich reißt. Dieser Akt des ›Menschlich-Zeichnens‹ unterscheidet sich von der Art und Weise, wie sie uns in der dritten Tötungsszene entgegentritt (Don Felipe). Sieht sich im Falle von Don Juans Vater der Objektkörper hervorgehoben, während die Szenen in Verbindung mit Doña Marias Vater den Zeichenkörper privilegieren, so trägt die Tötungsszene Don Felipes das Zusammentreffen beider Körper im Emotionalen zur Schau. Nicht zufällig erscheint dieser Gegner Don Juan näher als die beiden Vaterfiguren aus den vorhergehenden Szenen. Die einige Minuten andauernde Kampfsequenz zwischen den beiden hebt diese Nähe hervor. Don Felipe handelt, genauso von Wut und Rache getrieben wie sein Bruder, auf der Grundlage von Gefühlen und diese Handlungen hinterlassen tiefe Spuren auf den Körpern. Don Felipe scheint im Vergleich zu den anderen von Don Juans Gegnern am menschlichsten gezeichnet. Aus seinem Körper spritzt tatsächlich Blut und es wird nicht lediglich darauf verwiesen. In seiner Emotionalität zeigt sich Don Felipes theatralischer Körper am Weitesten entfernt von seinem ›Objektstatus‹. Entsprechend liest sich die Zeile, die ihn in seinem Tod begleitet: »Oh Doña Maria, my soul is being laid to rest.« In diesen Worten sieht sich sein Körper/seine Figur mit tiefen Gefühlen der Liebe investiert und vielleicht noch wichtiger einer Seele, welche die Gesamtheit menschlicher Gefühlsregungen und geistiger Vorgänge an den Puppenkörper bindet.

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Gesten der Intimität Es ist nicht alleine das Aufkommen des Wortes ›Seele‹, welches diese Korrelation schafft. Es ist die Intimität der filmischen Darstellung. In Bezug auf die Eingangsszene fällt auf, dass die Intensität der Sequenz sich tatsächlich mit einem Gefühl der Intimität in der Darstellung verbindet, die der subjektiven Kameraführung innewohnt. Die Szene, in der sich Don Juan dem Geist des Don Avenis nähert, dient als Beispiel und spricht für einen Zustand höchster emotionaler Spannung. Don Juan schickt zunächst den Kasper vor, um mit dem Geist zu sprechen und geht dann schließlich selber. Beide Szenen begleiten Nahaufnahmen der Gesichter, der laufenden Beine und eine unstete, unruhige Kameraführung: Mittel, die den Eindruck gesteigerter, emotionaler Anspannung und damit auch gesteigerter Intimität filmisch darstellen. Eines dieser Mittel tritt dabei besonders in den Vordergrund, eine Geste, die immer wieder in Zusammenhang mit der Figur des Don Juan auftritt, nämlich das Verschränken der Hände und Arme vor dem Gesicht. Diese Geste stellt eine ungewöhnlich intime Beziehung des Zuschauers zur Figur des Don Juan her, die im Kontrast zu seinem Puppendasein steht. Denn die Bühnenpräsenz der Figuren erweist sich zwar als emotional investiert, wie es im Besonderen in Verbindung mit Don Felipe deutlich wird, jedoch der Wechsel zwischen Detailaufnahmen der Augen und des Gesichts (filmisches Medium) und halbtotalen Aufnahmen, welche die ganzen Figuren auf der Bühne zeigen (Theater) spielt mit Aspekten der Nähe und Distanz, die sich auf die Beziehung des Zuschauers zu den Geschehnissen und Figuren auswirkt. Diese Wechsel und die daraus resultierenden Spannungen (oder anders ausgedrückt, die grotesken Räume der Gegenplatzierung) tragen maßgeblich zum prekären Zustand bei, der sich zwischen lebendem und Puppenkörper, zwischen Menschen- und Objektkörper in Don Juan einstellt. Die wiederholte Geste Don Juans, seine Hände und Arme vor dem Gesicht zu verschränken, stellt sich in diesem Zusammenhang als menschliche Regung dar, in der sich Gefühle des Betrogenseins, der Reue, der Scham, der Angst vereinen. So begegnet die Geste dem Zuschauer zum ersten Mal in der Einführungssequenz des Don Juan. Don Felipe und Doña Maria bekunden ihre Liebe auf der Bühne, da schwenkt die Kamera von der Bühne weg ins Auditorium und zeigt Don Juan, der von der Loge aus zuschaut. Das Geständnis trifft ihn offenbar tief, was sich in besagter Geste äußerst; zusätzlich begleitet von Bildern, welche die beiden heimlich Liebenden in Momenten intimen Zusammenseins zeigen. Diesen ›Vorstellungsbildern‹ folgen in der nächsten Szene ›Erinnerungsbilder‹ des soeben Gesehenen, welche Don Juans wütende Rede und Anweisungen an den Kasper eindrucksvoll begleiten und unterbrechen. Die Bilder, die scheinbar vor dem inneren

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Auge des Don Juan entstehen, verleihen den Worten und dem Vorhaben des Don Juan emotionale Tiefe, indem sie von Verrat und emotionaler Verwundung sprechen. Zeigen sich seine Worte und Taten von Rachsucht, ehrlosem Kalkül und frecher Arroganz bestimmt, so zeigen die wortlosen Momente, in denen Don Juan die Hände vor das Gesicht schlägt, die Figur verwundbar und angreifbar. Die Spannung zwischen innerlicher Verletzlichkeit und äußerlicher Fassade findet sich ebenso prägnant an anderen Stellen im Film wieder. Etwa nachdem Don Juan Don Avenis getötet hat und dieser ihn verflucht. Kurz sehen wir eine Detailaufnahme des Gesichts von Don Juan, wie er einen Arm vor seine Augen hält. Unmittelbar danach jedoch kehrt der Film zurück zur Halbtotalen, in der Don Juan mit einem Fuß auf sein Opfer steigt und dazu sagt: »You grey doormat, do you dare threaten me?« Ähnlich verhält es sich in der Tötungsszene von Don Felipe. Auch hier folgt dem grausamen Akt der Tötung eine halbnahe Einstellung, die Don Juan zeigt, wie er sein Schwert an seinem Mantel säubert und es dann in die Scheide steckt. Das nächste Bild zeigt die Augenpartie Don Juans, die hinabblickt und sich im Folgenden die Hände vors Gesicht hält. Wenn Don Juan jedoch von seiner Tat erzählt und den Kasper fortschickt, um ihm etwas zu trinken zu holen, dann scheint von diesem Moment emotionaler Betroffenheit nicht viel übriggeblieben. Die Spannung, die der Film zwischen intimer Nähe und schroffer Distanz in der Figur des Don Juan aufbaut, steigert sich gegen Ende des Films. In der Szene, in der Don Juan auf den Geist trifft, wiederholt sich die Geste der schützend vors Gesicht gehaltenen Hände mehrmals hintereinander und verleiht darin dem beängstigenden Aspekt der Erscheinung Ausdruck. Diese Spannung sieht sich in der Verdammungsszene weiter ausgedehnt. Wenn Don Juan sich kurz nach der Erscheinung des Geistes dem Moment der Verdammung gegenübersieht, greift der Film auf einen darstellerischen Kunstgriff zurück: Er verdoppelt die Figur des Don Juan, um betroffene Emotionalität und entrückte Distanziertheit zu kontrastieren. Die eine Figur sitzt ruhig auf der Bühne und hält, eingekreist von Kerzen, einen Monolog. Diese Darstellung ist unterbrochen und begleitet von Bildern, die einen anderen Don Juan zeigen, der getrieben von Panik und Furcht durch den Wald rennt. Selbst im Moment des Todes vereinen sich beide Figuren nicht. Während die Figur auf der Bühne auf den Ausruf hin: »Open the jaws of hell.« mit einem Theatermechanismus unter die Bühne fährt und schließlich leblos nach vorne überkippt, zeigt der Film die andere Don Juan Figur von verschiedenen Seiten, wie sie die Arme vor die Augen schlägt. Schließlich fällt auch diese Don Juan Figur um, Blätter sammeln sich über seinem Körper und er verschwindet vollständig darunter.

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Die Verdammungsszene des Don Juan macht die Diskrepanz zwischen intimem, emotionalem Erleben und veräußertem, objektiviertem Darstellen eminent sichtbar. Es wird deutlich, dass es an dieser Stelle um mehr geht als das Moment intermedialer Heterogenität, wie es dem Phänomen des Grotesken, verstanden als entleertes/entleerendes Element, zuspielt.5 Im Moment des Emotionalen findet eine Erweiterung und Ausdehnung statt, die nicht allein in Aspekten narrativer Motivation aufgeht. Die emotionale Tiefe, welche die Figur des Don Juan erhält, zeigt sich zu wenig in dessen Bühnenpräsenz eingefügt, zu stark im grotesken Modus des Unvereinbaren auf Distanz gehalten, um lediglich der charakterlichen Vertiefung der Figur zu dienen. Diese Tiefe steht für sich und zieht darin alle Aufmerksamkeit auf sich. Sie gewährt in ihrer wortlosen Intimität Zugang zu einem Bereich, der dem unmittelbaren Erleben vertraut ist und sich doch dem Wort und Verstehen zwar nicht entzieht, aber doch eine ganz besondere Beziehung zu ihm hat, nämlich eine den Akt des Verstehens formende und hervorbringende. Diese vermittelnde Rolle der Emotion oder des Gefühls zwischen Gegenstand und Verstehen erscheint nah an dem, was in Bezug auf das Phänomen des Grotesken dargelegt wurde. Im Moment des Erlebens ist das Phänomen unmittelbar zugänglich. Wenn man seinen Äußerungsformen begegnet, stellt sich die Gewissheit, dass es sich um ein Moment des Grotesken handelt, unmittelbar ein. Diesem Moment des Erlebens Worte beizufügen, fällt jedoch schwer. Wie im Bereich der Emotionen oder Gefühle formen und entwerfen diese Worte den Gegenstand selbst, spiegeln, was dem Phänomen entgegengebracht wird. Dieses paradoxe Moment des hervorbringenden Spiegelns definiert den Bereich des Emotionalen, verbindet ihn mit dem Phänomen des Grotesken und zeigt sich in den intimen Momenten, welche der Zuschauer mit Don Juan teilt, in seinem vollen Ausmaß.

PHÄNOMENOLOGIE UND FILM Denkt man an die starre, unbelebte Mimik der Puppenköpfe und das paradoxe Gefühl der Intimität, welche die Detailaufnahmen ihrer aufgemalten Gesichtszüge erzeugt, dann wird deutlich, dass sich hier etwas hinzufügt, etwas belebt sieht, ganz so wie es einem im euphorischen Moment in der Klappmesserszene aus Jabberwocky begegnet. In diesem Zusammenhang wurde ausgeführt, dass das Moment des Hinzufügens in der Wahrnehmung sich nicht allein im Kopf, sondern vor allem im und über den Körper abspielt. Beide Körper vereinen sich im Sinne

5

Im Sinne eines selbstreferenziellen Rückzugs ins Mediale, wie es im vorhergehenden Kapitel erläutert wird.

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einer Einleibung, in dem jede Faser des einen Körpers auf Bewegungen des anderen Körpers reagiert. Dies trifft auf die Tanzbewegungen des Klappmessers genauso zu, wie auf das Verschränken der Arme vor dem Gesicht Don Juans. Die Starrheit des Klappmesserkörpers jedoch, wie die unbewegten Gesichter der Marionetten, führen vor Augen, dass es sich bei diesem Erleben um ein vermitteltes Erleben handelt; vermittelt nicht nur durch hölzerne Körper, sondern vor allem und im Besonderen auch durch das filmische Medium. Das filmische Medium entbehrt eines sichtbaren Körpers auf der Filmoberfläche und doch, so argumentiert Jennifer Barker, kommuniziert es körperlich. In ihrem ebenso provokanten wie bemerkenswerten Buch The tactile eye: touch and the cinematic experience arbeitet sie auf der Grundlage der Philosophie Merleau-Pontys die These aus, dass gewisse Aspekte filmischer Darstellung in sich als körperlich angesehen werden können und darin die Körper des Mediums, der dargestellten Figuren und Dinge und des Zuschauers einander zuführen. Barker schreibt: »The point though is that all these bodies – characters’, actors’, viewers’ and films’ are entities whose attitude and intentions are expressed by embodied behavior.«6 Das Moment körperlicher Kommunikation bindet sich eng an die Attitüden und Intentionen, welche die filmische Darstellung den Geschehnissen und den Figuren entgegenbringt und darin die beteiligten Körper zusammenführt. Zielgerichtete Bewegungen, die für Intentionalitäten sprechen, zeichnen das Medium körperlich. Dabei richtet sich diese Intentionalität danach, wie sich Körper und Medium in Beziehung zueinander setzen und sich im Verhältnis zueinander bewegen und handeln. In diesem Sinne stellen Kameraführungen, wie sie etwa in der Eingangsszene von Don Juan vorkommen, verkörpertes Verhalten dar, welches die körperliche Wahrnehmung des Zuschauers anspricht und schwingen lässt. Der filmische Körper reagiert auf die Körper, die er darstellt und bringt darin Empfindungen und Wahrnehmungen auf der Seite des Zuschauers hervor, welche diesem im Sinne des spiegelnden Hervorbringens folgen. Dass in Don Juan der Bereich des Emotionalen in diesem Kontext von besonderem Interesse scheint, suggeriert tatsächlich die Attitüde, die das filmische Medium den Figuren und Geschehnissen entgegenbringt. Besonders Momente intensiven Fühlens sehen sich hervorgehoben und amplifiziert. Als Beispiel dient die Szene, in der Doña Maria auf den trügerischen Ruf des Don Juan zum verabredeten Ort eilt. In Erwartung ihres Liebsten zeigt der Film die Figur zunächst im Theater von ihrem Haken springen, durch mehrere seitlich aufgehängte Leinwände das Theater verlassen und dann durch einen Park rennen. Dieser Park jedoch reduziert sich bald auf hintereinander geschnittene grüne Gassen, die sich multiplizieren und darin jede räumliche Logik auflösen. Gerade in diesem Auflösen des räumlichen und zeitlichen Kontinuums, welches dem filmischen 6

Barker, S. 10.

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Medium im Gegensatz zum Theater möglich ist, spiegelt sich das Moment zügelloser Euphorie, welches die Figur in ihrer Vorfreude erfasst und welches an die Klappmesserszene aus Jabberwocky erinnert. Das überschwängliche Multiplizieren der Gassen, zusammengenommen mit den Detailaufnahmen der laufenden Beine von Doña Maria, lässt den filmischen Körper in seiner Eigenständigkeit erscheinen und sprechen, in weit überzeugenderer und mitreißenderer Weise, als jede schauspielerische Darstellung von Vorfreude es je hätte ausdrücken können. Dieser Punkt lässt sich umso deutlicher machen, als die multiplizierten Gassen tatsächlich wenig später wieder auftauchen, jedoch in Verbindung mit einer anderen Figur und einem anderen Gefühl. Wenn Don Felipe seine Liebste verlässt, um Don Juan in den Wäldern zu suchen, verlässt er sie zunächst entlang einer solchen Gasse, während Doña Maria im Theater verbleibt und zum Abschied winkt. Die Beständigkeit der Kamera und ihr langer Blick entlang der dunklen Gasse stehen im deutlichen Kontrast zu den schnellen Schnitten der vorhergehenden Szene und kommunizieren deutlich den dumpfen Schmerz des Abschieds und die große Sorge, in der Doña Maria ihren Liebsten entlässt. Wenig später erscheint Don Felipe dann wieder im Park und nun beginnen sich auch für ihn die Gassen zu multiplizieren, jedoch aus einem anderen Grund als im Zusammenhang mit Doña Maria. Hier mischen sich Gefühle der Orientierungslosigkeit, der Verzweiflung und des Verlorenseins. Das Bild des Irrgartens der Gefühle drängt sich auf und stellt sich im körperlichen Empfinden des Dargestellten auch so ein. In gewissem Sinne scheint sich also eine ähnlich intime Beziehung mit dem Filmkörper wie mit dem Puppen-/Menschkörper des Don Juan herzustellen. Die Auffassung des filmischen Mediums als Körper erweist sich darin als durchaus phänomenologisch. Wie Barker schreibt: »The phenomenological description seeks to identify the underlying structures of the phenomenon at hand by studying its intimate entailment with the intentional act of perception to which the phenomenon is present.«7 Entsprechend dieses Ansatzes zeigt Barker, wie sich entlang den Linien von Ähnlichkeit und Unterschied körperliche Merkmale zwischen filmischer Darstellung und Zuschauererlebnis duplizieren und ein reziprokes Verhältnis zueinander eingehen. Wichtig in diesem Zusammenhang erweist sich wiederum das Prinzip der Analogie. Barker (er-)findet, ungeachtet der tatsächlichen, eigentlichen Unterschiede des Filmkörpers zum menschlichen Körper aus Fleisch und Blut, Ansatzpunkte, an denen beide Körper sich berühren und in dieser Berührung einander nachahmen, sich gegenseitig abstoßen, aufeinander eingehen und sich gegenseitig führen und lenken. Diese Berührung findet im Moment des Uneigentlichen statt und doch hat sie einen Effekt, der sich vor allem körperlich auswirkt. So bewegt und drückt sich das filmische Medium sehr ähnlich dem 7

Barker, S. 11.

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menschlichen Körper aus. Kamerabewegungen, Bildausschnitte, Schnittmuster etc. lassen Strukturen entstehen, die sich an menschliche Bewegungsmuster und emotionale Zustände angleichen oder gezielt von ihnen unterscheiden. In diesem Sinne vollführt der filmische Körper Bewegungen und expressive Gesten, die sich vom menschlichen Körper analog lesen lassen, auf die er eingehen kann und zu denen er sich in Verhältnis setzen kann. Wie Barker ausführt: »We comport ourselves by means of arms, legs, muscles, and tendons, whereas the film does so with dollies, camera tracks, zoom lenses, aspect ratios, and editing patterns, for example. We mark our position in relation to space by such things as shoulders and hips, whereas the film’s ›frame‹ is marked off by edges of the celluloid strip, viewfinder, screen, and theatre. Still, despite the differences, we and the film both present ourselves to the world by moving through it, carrying ourselves and arranging our bodies certain way in relation to space and things.«8

Diese Analogie im ›Sich gegenüber der Welt präsentieren‹ zwischen Filmkörper und menschlichem Körper richtet sich demnach weniger nach physischen Merkmalen, sondern vielmehr nach Verhaltensmustern bzw. nach der Art und Weise, wie der Körper als Ausdrucksmittel benutzt und eingesetzt wird. An diesen Intentionalitäten, diesen Attitüden, die man der Welt entgegenbringt und die sich bewusst oder unbewusst in Gesten und Emotionen ausdrücken, orientiert sich die Filmsprache. Sie moduliert sich auf diesen Aspekten. Die Vermittlerfunktion des Körpers nimmt demnach in der Argumentation Barkers eine bedeutende Rolle ein. An ihr lässt sich ablesen, dass es sich bei der Empathie, die der Zuschauer mit den Figuren auf der Filmleinwand empfindet, weniger um durch den Verstand gesteuerte Mechanismen der Identifikation handelt, als vielmehr um ein körperliches Miteinander, in dem zwei Körpern aufeinander eingehen, sprich sich gegenseitig einleiben, wie es im vorhergehenden Kapitel ausgedrückt wurde. Dabei handelt es sich bei den Prozessen der Einleibung, die beschrieben wurden, um die Reaktion eines eigentlichen auf einen uneigentlichen Körper. Dieser Aspekt ist weniger problematisch, als es auf den ersten Blick scheint, wenn man sich auf das gerichtete Moment konzentriert; das der Attitüde, der Intention und ihres körperlichen Ausdrucks (oder Abdrucks). Dieses gerichtete Moment stellt nichts anderes dar, als das Moment des Rhetorischen. Wie Kenneth Burke es in A rhetoric of motives formuliert:

8

Barker, S. 77.

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»Whereas poetic language is a kind of symbolic action, for itself and in itself, and whereas scientific action is a preparation for action, rhetorical language is inducement to action (or to attitude, attitude being an incipient act).«9

In diesem Sinne stellt Barkers Studie eine Untersuchung rhetorischer Wirkungsmechanismen dar, wie sie Bereiche des Eigentlichen (menschliches Verhalten und Fühlen) und Uneigentlichen (filmisches Verhalten) auf der Grundlage von Intentionalitäten und Attitüden in Handlungszusammenhänge zueinander bringen, d.h. sich gegenseitig formen, berühren und entwerfen. Die Beziehung, die Barker zwischen Mensch und Film beschreibt, ist eine reale und produktive Beziehung, die reziprok wirkt; und dies ist sie vor allem, weil sie eine körperlich vermittelte ist. Diese Form der Reziprozität, die eine reale, subversive Beziehung zwischen der Welt des Eigentlichen und Uneigentlichen herstellt, soll hier in Bezug auf das Moment des Narrativen beschrieben werden. Die These lautet, dass sich im Grotesken jene Intimität zum Werk herstellt, der es laut Barker in der phänomenologischen Beschreibung bedarf. Sie erlaubt, im Zuge der Beschäftigung mit Gerichtetheit, Attitüden, Motivationen und Intentionalitäten mehr über den Bezug der Darstellung zum Realen zu erfahren. Die Verbindung, die sich zum Bereich des Emotionalen herstellt, ist von großer Wichtigkeit. Mit Blick auf die Figur des Don Juan wird dieser Zusammenhang deutlich. Wie bereits im zweiten Kapitel erläutert wurde, haftet der Puppenform von sich aus der Charakter des Grotesken an. Zwischen dem Puppenkörper und seinem menschlich gezeichneten Aussehen und Verhalten öffnen sich Räume der Gegenplatzierung, die beide auf Augenhöhe setzen und halten. Die Wirkung dieses Groteskseins reicht von urkomisch bis zu unheimlich. Švankmajers filmische Darstellung hebt genau diesen Aspekt hervor und verkompliziert ihn, indem er den menschlichen und den Puppenkörper direkt in Konjunktion zueinander setzt. Als Beispiel bieten sich die Szenen, in denen Don Juan in Rage gerät, an. In dem Moment, in dem er seinen mörderischen Plan fasst, zeigt die Kamera ihn von unten. Diese Ansicht ist unkomfortabel für den Zuschauer. In dem Bild der gewaltig emporragenden Figur des Don Juan unterstreicht die Darstellung die Gewalttätigkeit und Erbarmungslosigkeit Don Juans. Wenig später zeigt sich, dass Don Juan den Worten Taten folgen lässt, die dieser Radikalität in nichts nachstehen. Bevor Don Juan das Schwert gegen Don Avenis und seinen Bruder erhebt, redet er sich regelrecht in Rage, mit der entsprechenden Gestik untermalt. Doch in diesen Momenten der Ereiferung fehlt die Ansicht von unten, die der Figur unumschränkte Macht verleiht. Im Gegenteil, die Naheinstellung der Kamera lässt die Figur beinahe verletzlich und unbeholfen wirken und doch graut es einem vor der Unbarmherzigkeit und Mordlust, die aus seinen Wor9

Burke, S. 42.

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ten spricht. Der Aspekt des Unbeholfenen im Falle Don Juans rührt von der Puppenform her. Die Unflüssigkeit in der Bewegung, die den Puppenkörper im Gegensatz zum menschlichen Körper kennzeichnet, äußert sich am stärksten, wenn dieser sich schnell und abrupt bewegt. Auch die Naheinstellung, die weder die Intimität der Detailaufnahme schafft, noch die Distanz des halbnahen Bildes, sieht sich verantwortlich für die gesteigert groteske Wirkung dieser Szenen. Der Zuschauer schwankt regelrecht zwischen Verständnis und Unverständnis, zwischen Nähe und Distanz, legt Don Juan doch die Gründe für sein grausames Verhalten dar. In diesen Aufnahmen treffen sich die Verletzlichkeit des Gedemütigten und das kalte Herz des Mordenden. Die Zerbrechlichkeit, die aus diesen Szenen spricht, führt an das spezifische Grotesksein Švankmajers Werkes heran. Vor allem in der Darstellung der Zerbrechlichkeit menschlicher Realitäten findet die unsägliche Hintergründigkeit des Grotesken, der im ersten und im zweiten Kapitel nachgegangen wurde, Einlass in Švankmajers Werk; dieselbe Hintergründigkeit, die das Phänomen an Wahrheiten und Aporien bindet und diese Bezüge doch immer verworren und irritierend erscheinen lässt. Im Kontext der eben beschriebenen Szenen aus Don Juan beginnt man zu verstehen, dass gerade der Aspekt der Intimität es vermag, die kontinuierlich Unruhe stiftende Hintergründigkeit des Phänomens nah zu bringen. Enthüllend wirkt das Groteske wie das/der intime Moment. Don Juan beginnt unvermittelt mit der Enthüllung des Liebesbekenntnisses zwischen Don Felipe und Doña Maria und der Zuschauer erfährt in den intimen Momenten, welche die Kamera mit Don Juan herstellt, viel über die Gefühle, Motivationen und Impulse, die ihn bewegen. Die Momente der Enthüllung von Innerlichkeit erzählen dem Zuschauer nicht nur über die dramatischen Personen, Geschehnisse und die Intentionalitäten, die sie schaffen, sondern zeichnen zugleich dafür verantwortlich, dass die Erzählung die Dimension des Mythischen erhält. Die Erzählung des sagenumwobenen Don Juan, die Don Juan zugrunde liegt, stellt, genauso wie die des Doktor Faust, den Stoff eines modernen Mythos dar. In dieser Dimension liegt, worauf die Szenen der Intimität und Zerbrechlichkeit im Besonderen aus sind: Die Fehlbarkeit des Menschen darzustellen. Beide Figuren thematisieren die innere Zerrissenheit im Menschen. Wie Jürgen Kühnel schreibt: »Das ›Volksbuch‹ vom Doktor Faustus und Tirso de Molinas ›comedia‹ vom Burlador de Sevilla sind warnende Exempla, sind ›Anti-Legenden‹, deren Helden jeweils am Ende vom Teufel geholt werden. Darin erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten. Beide Werke sind in ihrer jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Umgebung sehr genau situiert. Das eine Werk entstammt dem orthodoxen deutschen Protestantismus, das andere der spanischen

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Gegenreformation; Faust ist ein bürgerlicher Gelehrter, Don Juan ein adeliger Wüstling. An dieser ständischen Fixierung der Figuren hält im Übrigen die ganze spätere Stofftradition fest.«10

Die Szenen, in denen sich Don Juan ereifert und darin so grotesk komisch-schauerlich wirkt, zeigen noch mehr. Sie führen im Moment affektiver Zerbrechlichkeit nicht nur zum Ort der Zerrissenheit, sondern auch zum Ort des Bösen. Diese Beobachtung unterstützen die Ausführungen Ricœurs im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen zur Phänomenologie der Schuld. In Die Fehlbarkeit des Menschen legt Ricœur dar, wie diese Fehlbarkeit zur Einbruchstelle des Bösen wird. Die Zerrissenheit entsteht zwischen dem Streben nach Unendlichkeit und dem Bewusstsein von Endlichkeit. Sie macht den Menschen zu einem Mittelwesen, was sich in den Versuchen, zwischen den beiden Extremen zu vermitteln, äußert. Dabei situiert sich auch die Fehlbarkeit in dieser Mittelposition.11 Švankmajers Darstellung der Don Juan Figur orientiert sich tatsächlich eng an Fragen nach Schuld. Don Juan wird als Wüstling dargestellt, jedoch eine wichtige Komponente, welche die mythische Figur sonst noch prägt, nämlich ihr absolutes Streben nach Lustgewinn in Vielweiberei, Spielsucht und Völlerei, sieht sich mit Švankmajers Don Juan marginalisiert. Anstelle dessen nehmen verletzter Stolz, Verrat und Demütigung die Vorrangstellung als prominente Erzählmomente ein. Diese Reorientierung deckt sich mit einer Fokussierung der Erzählung auf das Problem der Schuld und die Entstehung des Bösen. Die menschliche Realität der Schuld, wie er/sie diese erlebt und zu welchen Taten sie ihn bringt, steht im Mittelpunkt des Erzählerischen bei Don Juan. Die Relevanz des Grotesken Ricœur legt dar, wie sich in der Frage nach der Fehlbarkeit die Frage nach dem Bezug des Selbst zur Welt formuliert und zugleich zur Einbruchstelle des Bösen wird. Dieser Bezug zeigt sich essenziell gekennzeichnet durch ein nicht mit sich eins sein, welches diesen Bezug stört und Disproportionen im menschlichen Selbstverständnis und Weltverständnis entstehen lässt. Wie Ricœur schreibt: »Diesen heimlichen Riss, dieses Nicht-Zusammenfallen von mir mit mir enthüllt das Gefühl; es ist Konflikt und enthüllt den Menschen als Urkonflikt; es macht offenbar, dass die

10 Kühnel, S. 36f. 11 Ricœur (1960/1971), S. 18ff.

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Vermittlung oder Einschränkung nur intentional ist, vereint in einem Ding oder in einem Werk, und dass der Mensch für sich das Zerren dieser Spannung erleidet.«12

Spricht man in diesem Sinne also über Enthüllungsstrukturen, dann tritt die Relevanz des Grotesken hervor. Das Groteske enthüllt nicht nur etwas über die Welt, sondern auch über den Bezug des Selbst zu dieser Welt. Die Referenzstrukturen des Grotesken sind von besonderem Interesse. Der Unruhe stiftende, sich entziehende Charakter dieser Strukturen wurde bereits dargelegt. Die Widerspenstigkeit erinnert daran, dass sich Wahrheiten nicht bloß als Inhalte präsentieren, sondern als Zusammenhänge und Innerlichkeiten. Die groteske Struktur bindet sich an Essenzen des Menschen und seine Menschlichkeit, an sein Innerstes. Dieses Wissen kommuniziert die groteske Konfiguration, im Sinne eines ›das Innerste denken‹. Es zeigt sich jedoch, dass dieses Kommunizieren mehr einem Schwingen gleicht, welches suggeriert, aber nicht äußert. Die Ursache hierfür liegt in der Struktur des Referenzgrundes, auf welches es sich bezieht. Im Gefühl trifft man auf diesen Grund, welcher sich entzieht und doch im paradoxen Prozess des spiegelnden Hervorbringens Erkenntnis schafft. Enthüllt das Gefühl, enthüllt mit ihm und durch es hindurch das Phänomen des Grotesken. Der emotionale Körper trägt den des Grotesken und bestimmt darin essenziell dessen Struktur, insbesondere seine Referenzstruktur. Hierin begründet sich das paradoxe Gebaren des Grotesken; dass man seine Äußerungsformen unmittelbar zu verstehen meint, das Phänomen sich jedoch dem objektivierenden, distanzierenden Zugriff verweigert. Die Referenzstruktur des Gefühls vermittelt vor allem zwei Dinge. Zum einen das Vermitteltsein jeder Erkenntnis oder Wahrheit im dritten Anderen und zum anderen Wertigkeiten, die von der Grundwertigkeit gut/böse ausgehen. Der zweite Aspekt führt zurück zum Problem der Reduktion/Pluralisierung, welches sich als entscheidend in Bezug auf den diskursiven Umgang mit dem Grotesken erweist. Geht man vom Vermitteltsein menschlicher Existenz aus, dann scheint es wichtig, dem Pessimismus und Fatalismus dieser Orientierung etwas entgegenzusetzen. Dieses ›Etwas‹ beschreibt sich in der Vorstellung des Ursprünglichen, der Utopie. Wie Ricœur ausführt: »Kann man nun die Vorstellung des Ursprünglichen absetzen von der Beschreibung des Bösen, durch welches das Ursprüngliche gesichtet wurde? Ja, jedoch nur auf imaginäre Weise; die Imagination der Unschuld ist nichts anderes als die Vorstellung eines menschlichen Lebens, das all seine Grundmöglichkeiten ohne Auseinanderklaffen seiner Urbestimmung und ihrer geschichtlichen Kundgabe verwirklichen würde. Die Unschuld wäre die Fehlbarkeit ohne Fehl, und diese Fehlbarkeit wäre nur Zerbrechlichkeit, Schwäche, aber 12 Ricœur (1960/1971), S. 183.

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nicht Fehl. Es hat wenig zu bedeuten, dass ich mir die Unschuld nur in den Formen des Mythos, als einen ›anderswo‹ und ›ehedem‹ verwirklichten Zustand an Orten und in Zeiten vorstellen kann, die keinen Platz in der Geographie und der Geschichte des Vernunftmenschen haben. Wesentlich am Mythos der Unschuld ist, dass er ein Symbol des Ursprünglichen hergibt, das in der Verderbtheit durchscheint und sie als Verderbtheit anzeigt; meine Unschuld, das ist meine Urverfassung, in eine phantastische Geschichte projiziert.«13

Wenn das Groteske in Zusammenhang mit Švankmajers Werk als eine Art Menschlich-Zeichnen begriffen werden soll, dann sollte in diesem Verständnis das Ursprüngliche mitgedacht werden, an dem sich die Verderbtheit zeigt und von ihr abhebt. Die Fülle geht damit nicht nur von der Fülle der Vermittlungsmomente aus, wie es uns die Allegorie suggeriert, sondern von dem Zulassen der Vorstellung imaginativer Variation, das Zulassen eines Modus der Erforschung der Möglichkeiten, welcher Realitäten umformt und generiert. Das Moment des Ursprünglichen und dessen Verfehlung kommuniziert sich im Grotesken, enthüllt sich in ihm als Intimität, als Innerlichkeit des Menschlichen. Die Beziehung, die das Selbst darin zur Welt erhält, orientiert sich neu. Der Aspekt der Neuorientierung interessiert, denn er hinterfragt die Beziehung des Fiktiven zum Realen. Er stellt sich außerdem als wichtig dar, weil er den Begriff, den man sich von der Referenzstruktur macht, differenziert. In diesem Lichte muss ein Begriff genauer betrachtet werden, der bislang in Richtung des Reduzierenden/Zerstörerischen verwendet wurde, nämlich den der Selbstreferenzialität. Die Selbstreferenzialität des Grotesken erschien synonym mit dem Begriff des ausgelöschten/auslöschenden Referenten, welcher im Sinne einer Doppelstruktur zugleich entwertet und umwertet und damit Sinnstrukturen durchlässig und brüchig macht. Im Entwerfen eines Nichtorts oder einer Leerstelle verweist das Phänomen auf Aspekte seiner inneren Struktur. Erweist sich dieser Punkt vor der Prämisse des Vermitteltseins durchaus als richtig und umfasst die Berührung des menschlichen und des Zeichen-/Objektkörpers, so versäumt dieser Ansatz wiederum die Potenzialität in Richtung der Neuorientierung, die diese Berührung in sich birgt. Mehr zu lernen über die Referenzstruktur, die in der Disproportion entsteht, in dem nicht mit sich eins sein des ›Selbst‹, heißt auch ein tieferes Verständnis der zeitlichen Komponente dieser Referenzstruktur zu erlangen; das heißt wie sich diese Disproportionen kulturhistorisch zum Ausdruck gebracht sehen. Über diese zeitliche Komponente gelangt man zur kulturhistorischen Referenzialität des Grotesken, die im Mindesten ebenso schwer wiegt, wie die nach innen gerichtete, den Aspekt des ›Selbst‹ berührende Seite des Phänomens. Die Prämisse des Vermitteltseins bezeugt, dass ›Welt‹ und ›Selbst‹ nicht unabhängig voneinander zu ver13 Ricœur (1960/1971), S. 187.

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stehen sind. Sie gehen eine Beziehung der Reziprozität ein, welche die übliche Hierarchisierung subvertiert und auflöst. Spricht man also von Selbstreferenzialität, dann beginnen sich tatsächlich die Wendung nach außen zur Welt und nach innen in das Selbst ineinander zu falten und darin Intimitäten und Zerbrechlichkeiten herzustellen. Diese Zerbrechlichkeit entsteht im Bezug zum ›Selbst‹ im Gefühl, während sie sich zur ›Welt‹ in der Zeitlichkeit entwirft. Diese Bezüge kommunizieren sich ausschließlich über die Dinge, Werke und Menschen, die dieses ›Selbst‹ umgibt und seine Zerrissenheit spürbar macht; dieselbe Zerrissenheit, die das Groteske als Zusammentreffen des Unvereinbaren, als Synthesis des Heterogenen aufscheinen lässt. Über das Gefühl vermag man etwas über beides zu erfahren, denn in ihm entwirft sich der Zugang zum Selbst und zur Welt. Dem ist so, weil das Gefühl in sich selbst die menschliche Disproportion und Zerrissenheit trägt. Ricœur beschreibt den entstehenden Riss in der Selbst-/Weltwahrnehmung auf drei Ebenen in Die Fehlbarkeit des Menschen, dem im Folgenden mit Referenz auf Don Juan nachgegangen werden soll. Die Fehlbarkeit des Menschen: Perspektive und Intension Die Disproportion, die sich zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit einstellt und sich im Streben des Menschen auf Wahrnehmung und Handlung auswirkt, analysiert Ricœur auf der theoretischen, praktischen sowie affektiven Bewusstseinsebene. Die Spannungen, die sich dabei auf der ersten Ebene einstellen, berühren die Begriffe der Perspektive und der Bedeutungsintension.14 In der Erfahrung des Leibes etwa erfährt der Mensch diesen einerseits als offen, auf die Welt gerichtet, jedoch zugleich begrenzt im Sinne seiner Perspektivität. Wie Ricœur schreibt: »Von hier aus wahrnehmen ist die Endlichkeit des Etwas-Wahrnehmens. Der Gesichtspunkt ist die vorgegebene Enge, die meine Öffnung zur Welt unausweichlich bestimmt.«15 Diese Erfahrung von Endlichkeit überschreitet der Mensch im sprachlichen Akt der Reflexion. Wie Ursula Meyer erläutert: »Die Fähigkeit zur eigentlichen Überschreitung der begrenzten Perspektive liegt dann in der Sprache. […] Indem sich der Mensch eine Meinung über seine eigene Wahrnehmung bildet, nimmt er einen übergeordneten Standpunkt ein. Die endliche Perspektive wird verlassen, indem der Mensch eine Aussage über seine Endlichkeit macht.«16

Den Akt der Bedeutungsintension beschreibt Ricœur im Begriff des unendlichen Verbes, welches für ihn die Fähigkeit zur Überschreitung in sich versammelt. Als 14 Vgl. Ursula Meyer, S. 41. 15 Ricœur (1960/1971), S. 41f. 16 Ursula Meyer, S. 42.

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vermittelnde Kraft wirkt dabei die kantische Einbildungskraft oder Imagination, die laut Ricœur die Möglichkeit der Synthese von unendlichem Verb und endlicher Perspektive herstellt. Aufgrund der Einbildungskraft gelingt es dem Menschen eine Mittelposition zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit einzunehmen, das heißt im Akt produktiver Imagination eine Brücke zwischen dem menschlichen Streben nach dem Unendlichen und dem Bewusstsein der Endlichkeit zu schlagen. Dabei ist der Akt der transzendentalen Imagination selbst nicht der Reflexion zugänglich. Sie kann nur am Gegenstand selbst wahrgenommen werden. Die Mittelposition in Bezug auf die theoretische Disproportion zwischen Perspektivität und Bedeutungsintension, die Zerrissenheit herstellt und sich im Moment der Imagination vermittelt sieht, findet sich nicht nur emblematisch auf den Puppenkörper/animierten Objektkörper projizierbar, sondern spiegelt zugleich wieder, was bislang zu den Momenten filmischer Intimität in Don Juan ausgeführt wurde. Denkt man zum Beispiel an die Anfangsszene des Films, dann macht sich die Enge, welche die subjektive Kameraführung auf den Weg in das Theater erzeugt, deutlich bemerkbar. Es ist eine Enge, unter der man förmlich leidet, die Enge des beschränkten Sichtfelds. Dieses ›Leid‹ wandelt sich in den Detailaufnahmen des Don Juan zu Mitleid und verbindet den Zuschauer mit der Figur, denn er/sie teilt diese Zerrissenheit mit ihr. Intime Momente wie diese, sowohl zu Anfang des Films als auch später, finden sich im Akt der sprachlichen Überschreitung verflüchtigt. Sobald die Figuren beginnen zu sprechen, erlaubt der Film, sich von diesem ›Leid‹ zu distanzieren und mit den Zuschauern/Figuren die Kamera, indem sie zur Halbtotalen wechselt. Detailaufnahmen der Puppengesichter finden immer nur in Abwesenheit von gesprochener Sprache statt. Allerdings es ist nicht nur das ›Verflüchtigungsmoment‹, welches hier zählt. Es geht nicht darum, die Wahrnehmung der Endlichkeit vergessen zu machen, sondern im Gegenteil sie sich zu vergegenwärtigen. Damit trifft man wiederum auf das Problem der Selbstreflexivität, dem eine Schlüsselfunktion in Bezug auf die romantischen Begriffe der Ironie und des Fragments zukommt. Die selbstreflexive Bündelung oder Spiegelung des Endlichen im Unendlichen und des Unendlichen im Endlichen erweist sich als wegweisend für das Verständnis dieser Begriffe. Die Prominenz des Puppenmotives in der Romantik illustriert dies, da sie die Überschreitung des Einen ins Andere vergegenwärtigt. In Don Juan kommt dieser Zusammenhang in der Sterbeszene des Don Avenis zum Ausdruck. Mit Ricœur gesprochen verdeutlicht sich in ihr die Synthese des unendlichen Verbes und endlicher Perspektivität. Das begrenzte Sichtfeld einer subjektiven Kameraführung in Verbindung mit den ironisch, selbstreflexiven Worten »I am already dead.« spielt direkt auf die menschliche Fähigkeit der Überschreitung im Akt der Selbstreflexion an; dieselbe Fähigkeit, welche den Mensch zu einem Zwischen-

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wesen macht; aber auch die Mittelposition, in welcher Ricœur den Ort der Fehlbarkeit situiert. Sie kehrt darin einen besonderen Vorzug dieses reflexiven Vorgehens hervor, welche Richtung Transzendenz strebt: Der Umstand, dass Reflexivität von der Sache, dem Gegenstand, dem Objekt ausgeht. Wie Ricœur es formuliert: »Man wird fragen, was denn eine Reflexion über die vermittelnde Funktion der im Sinne Kants bestimmten Einbildungskraft mit einer Philosophie der Fehlbarkeit zu tun habe. Hier meldet sich der zweite Vorzug einer Reflexion ›transzendentalen Stils‹: Es ist eine Reflexion vom Gegenstand aus, genauer von der Sache aus. ›An‹ der Sache sieht sie das Erkenntnisvermögen ab. An der Sache entdeckt sie das spezifische Missverhältnis des Erkennens, zwischen Empfangen und Bestimmen. An der Sache gewahrt sie das Vermögen zur Synthesis. […] [Denn] Reflexion ist nicht Innenschau; ihr Weg geht über das Objekt; sie ist Reflexion über das Objekt. Darin ist sie recht eigentlich transzendental: Sie lässt am Objekt aufscheinen, was im Objekt die Synthesis ermöglicht.«17

Dieses Aufscheinen am Objekt, von dem Ricœur hier spricht, ist dem Grotesken nah. In Konjunktion mit dem filmischen Körper, durch den hindurch der groteske Körper wahrgenommen und gefühlt wird, wird man auf die Mittel und Möglichkeiten des menschlichen Erkenntnisvermögens aufmerksam, die der Synthese im imaginären Akt vorausgehen. Indem der filmische Körper sich dem menschlichen auf zuvor beschriebene Weise angleicht, spiegeln sich in seinen Bewegungen und Mitteln auch die Mittel des Erkennens. Die Thematik der Fehlbarkeit des Menschen dient darin nicht nur dem Zweck, Disproportionen im Verständnis von Selbst und der Welt aufzudecken (Zerrissenheit), sondern die Realität dieser Wahrheiten an diese Fähigkeiten und Möglichkeiten essenziell anzuschließen. Das eine bedingt das andere. Erweist sich der Körper des Grotesken als Gegenstand, dann orientieren sich die Mittel des Erkennens an diesem Gegenstand und dessen Realität. Mit anderen Worten, die Fülle der Erscheinungsformen des Grotesken sollte nicht als getrennt von ihrer Funktion als Erkenntnis bringendes, wahrheitsstiftendes Medium wahrgenommen werden, da beide sich gegenseitig bedingen. Folgen wir Ricœur, lässt sich an der phänomenalen Realität erst die Möglichkeit der Synthese und damit des Erkennens ablesen und gibt darüber gleichzeitig Auskunft über das Phänomen. Dafür spricht auch das ‚›spezifische Missverhältnis des Erkennens, zwischen Empfangen und Bestimmen‹ im Falle des Grotesken; die Widerspenstigkeit des grotesken Phänomens, wie es dargelegt wurde. Das Phänomen des Grotesken gliedert die Synthese zwischen Erscheinung und Sinn auf, indem es die vorgängigen Mechanismen und Strukturen dieser Syn17 Ricœur (1960/1971), S. 35.

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these hervorhebt. Diese Zergliederung resultiert in dem zuvor genannten Missverhältnis und widmet sich damit essenziell den Mechanismen und Möglichkeiten der Überschreitung sowie der Zerbrechlichkeit des menschlichen Wesens. Ricœur schreibt: »Die Objektsynthese ist die schweigende Synthese des Sagens und Erscheinens, jedoch in der Sache selbst, am Objekt; wennschon diese Synthese Bewusstsein genannt werden kann, ist sie doch nicht Selbstbewusstsein; die transzendentale Einbildungskraft, die sie ermöglicht, bleibt eine ›verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele‹.«18

Charakter und Glückseligkeit Findet sich auf der theoretischen Ebene die Objektsynthese, wendet sich Ricœur in Zusammenhang mit der zweiten Ebene, der praktischen Ebene, der Personensynthese zu. Hier siedelt Ricœur das Spannungsfeld zwischen Charakter und Glückseligkeit an. Ricœur unterscheidet dabei zwischen dem affektiven und dem praktischen Charakter. Ersterer drückt sich als Antriebsenergie des Willens oder der Motivation aus und öffnet das menschliche Streben gegenüber der Welt. Gleichwohl wohnt diesem Antriebswillen eine ebenso einschränkende Perspektivität inne wie im Falle der Wahrnehmung, denn der Wille verstrickt sich mit dem eigenen Begehren und der Eigenliebe. Die zweite Form der Fixierung, die Charakterzüge, ordnet Ricœur den Gewohnheiten zu. Sie schränken das Feld der eigenen Verfügbarkeit über den Körper ein.19 In diesem Sinne erweist sich der Charakter »in den verschiedenen Erscheinungsweisen der Endlichkeit – Perspektive, ursprüngliche Selbstliebe, Beharren und Trägheit« als die »endliche Ganzheit meines Daseins«20. Demgegenüber strebt der Mensch im Glück nach der Überschreitung dieser Begrenztheit des eigenen Daseins, wobei der subjektive Entwurf des vorgestellten Selbst in der Person zwischen beiden Polen vermittelt. Die Disproportion entsteht in der Spannung, die sich zwischen Selbstentwurf und den Merkmalen der eigenen Persönlichkeit entwickelt. Die Person ist Synthesis, »die in der Vorstellung einer Aufgabe, eines Ideals der Person sich selbst ergreift«21. Dieses objektivierende Moment weist es als eine reflexive Bewegung aus, welche wiederum, wie im Falle der Objektsynthese, die Zerbrechlichkeit des Menschen aufscheinen lässt. Wie Ricœur schreibt:

18 Ricœur (1960/1971), S. 182. 19 Ursula Meyer, S. 4420 Ricœur (1960/1971), S. 83. 21 Ricœur (1960/1971), S. 97.

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»Wir erinnern uns, dass die Objektivität nichts anderes war als die Erwartung einer Wirklichkeit, die sowohl imstande wäre zu erscheinen, indem sie mich in meiner Rezeptivität affiziert, als auch, sich durch ein artikuliertes Wort bestimmen zu lassen. In Form der Person lege ich mir eine Synthesis ganz neuer Art vor: Die von einem Zweck meines Handelns, der gleichzeitig eine Existenz wäre. Ein Zweck, folglich ein Ziel, der sich alle Mittel und alle Berechnungen der Mittel unterordnet; besser noch ein Zweck an sich selbst, ein solcher nämlich, dessen Wert nichts anderem untergeordnet ist; und zugleich eine Existenz, die man feststellt, besser eine Präsenz, mit der man in Beziehung gegenseitigen Verstehens, Beziehungen des Austauschs, der Arbeit, der Gesellschaft eintritt.«22

Über das Werk also, über die gesellschaftliche Funktion oder Institution findet die Disproportion auf der praktischen Ebene Einlass in die Realität des Menschen. Hier findet die Synthesis zwischen Sinn und Materie, zwischen Wert und Arbeit statt.23 Die Charakterisierung des Don Juan zeigt diese Disproportionen deutlich. Don Juans Liebe gegenüber Doña Maria wirkt nicht minder authentisch und aufrichtig als Don Felipes. In diesem Sinne fungiert sie als Öffnung zur Welt. In ihr überschreitet Don Juan die persönliche Begrenztheit, die seinen Charakter in zügelloses Begehren und Eigenliebe verstrickt, wie die mythische Figur des Don Juan es versinnbildlicht. Eben die gleichen Persönlichkeitsstrukturen, jedoch, intervenieren mit dem reinen, idealen Kern dieser Gefühle, welche Glückseligkeit versprechen und Don Juans Handeln anspornen. In den intimen Momenten der Selbstwahrnehmung, die wir mit Don Juan teilen, wird dies besonders deutlich. Sie kontrastieren die Unschuld im Streben mit der Verfehlung in den Taten, was sich Don Juan in den Momenten der Innenschau offenbart. Blicken wir in diesem Zusammenhang auf die ideelle Selbstwahrnehmung des Anti-Helden, dann bezeichnet sich Don Juan als Edelmann und Held, wie folgende Zeilen es belegen: »I am a young nobleman. I shall go deep into the woods and perform heroic feats there, assaulting and murdering whoever I meet.« Diese Worte Don Juans, die er unmittelbar nach der Tötung des Don Avenis spricht, zeigen, wie sich in seiner ideellen Selbstwahrnehmung Unschuld und Verfehlung grotesk ineinander verflechten. Das Moment der Selbstwahrnehmung vermittelt darin. Es reflektiert über den Zweck von Handlungen; wie sie sich an Idealen orientieren; sich dem Streben nach dem Unendlichen oder den Verstrickungen in Begehren und Eigenliebe zuwenden und zwischen beiden Polen zerrissen finden. Die Ebene der Reflexion, die sich von der ausschließlich emotionalen, die anschließend betrachtet wird, unterscheidet, findet in Don Juan auf der theatralen Ebene statt. Sie wirkt verklärt, distanziert und filmisch markiert durch halbnahe/halbtotale Aufnahmen. Dennoch 22 Ricœur (1960/1971), S. 99f. 23 Vgl. Ricœur (1960/1971), S. 182.

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beschreibt auch sie eine Zerbrechlichkeit oder Disproportion, die den Menschen in seinem Handeln bestimmt. Diese Disproportion veranschaulicht die Zerbrechlichkeit des Ideals. Es zeigt auf, wo in den Vermittlungsbemühungen des Menschen zwischen den Polen der Unendlichkeit und Endlichkeit die weichen, verwundbaren Stellen liegen, wie etwa in Bezug auf moralische Vorstellungen, Ideale, Begehren und Vorlieben, die sein Handeln leiten, und stellt darin körperliche Intimität her. Diesen wichtigen Bereich des Praktischen, der Motivationen und Intentionen an Werke und Institutionen bindet, wird später noch ausführlich im Zusammenhang mit dem Grotesken analysiert. Die Zerbrechlichkeit des Affektiven: Das Innerste denken Die emotionale Nähe, die der ideellen Selbstwahrnehmung im Sinne einer Innerlichkeit zu fehlen scheint, führt geradewegs zur nächsten Ebene auf der Ricœur die Zerbrechlichkeit des Menschen sieht, nämlich die des Affektiven. Tatsächlich ist die Funktion dieser Ebene die Verinnerlichung der Disproportionen der theoretischen und der praktischen Ebenen. Die Szenen, in denen sich Don Juan in Rage redet und in denen er schützend die Hände vors Gesicht hält, sind bezeichnend. Die Intimität dieser Szenen unterstreicht unterschiedliche Aspekte. Während Erstere die Zerrissenheit Don Juans auf emotionaler Ebene beschreibt, erweist sich Letztere als Moment unangetasteten Selbstbewusstseins, welches den Konflikt nicht nur reflektiert, sondern realisiert, das heißt verinnerlicht. In diesen intimen Momenten nimmt Don Juan alle sich in den grotesken Disproportionen spiegelnden Konflikte auf, macht sie Teil seiner Selbst und wird damit zugleich zu ihrem Ursprung. Der Aspekt des spiegelnden Hervorbringens macht Don Juan zu einer mythischen Figur. Die Doppelstruktur, welche sich im Gefühl entfaltet, erweist sich wichtig in diesem Zusammenhang. Einzigartig an der intentionalen Struktur des Gefühls ist, laut Ricœur, dass sie »einerseits die empfundenen Qualitäten an den Dingen, an den Personen, an der Welt bezeichnet [und] andererseits die Weise bekundet, enthüllt, in welcher das Ich zuinnerst affiziert ist«24. Wie Ricœur weiter ausführt: »Dieses Paradox ist sehr bedenklich: In demselben Erleben treffen sich eine Intention und eine Affektion, eine transzendierende Meinung und die Enthüllung einer Innerlichkeit. Mehr noch, gerade indem das Gefühl die an der Welt empfundene Qualität meint, bekundet es ein affiziertes Ich.«25

24 Ricœur (1960/1971), S. 182. 25 Ricœur (1960/1971), S. 113.

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Die Zusammenhänge, die sich aufgrund dieser Struktur ergeben, spiegeln den Aspekt des wechselseitigen Hervorbringens. Ricœur geht davon aus, dass Erkennen und Empfinden sich gegenseitig hervorbringen und damit eine Einheit eingehen. Sie äußert sich in der Kundwerdung einer Beziehung zur Welt, welche »unaufhörlich unser Mitverwickeltsein, unsere Inhärenz, unsere Zugehörigkeit, die tiefer sind als jede Polarität und jede Dualität, in Gang hält«26. Veräußert die Objektsynthese im Erkennen den Gegenstand, auf den sie sich richtet, und distanziert sie das Subjekt von diesem Gegenstand, generieren Empfinden und Erkennen in Schwingung zueinander versetzt einen intentionalen Bezug, welcher diese Spaltung aufhebt. Wir erkennen, indem wir fühlen, und wir fühlen, indem wir dieses Gefühl als eben dieses erkennen und darüber hinaus als aus uns kommend erkennen. Laut Ricœur erlebt man bestimmte Aspekt einer Sache, während sich zugleich in diesem Sachaspekt ein Innerstes meines Ichs enthüllt; eine Affektion, eine Tendenz gegenüber diesem Sachaspekt, der ihn liebenswert oder hassenswert macht. Dabei handelt es sich jedoch um meine Liebe und meinen Hass. Darin gleicht das Gefühl dem, was die Verhaltenspsychologie Tendenzen, Spannungen oder Triebe nennt. Ricœur schreibt: »Das Verhältnis zwischen Gefühl und Tendenz verstehen heißt in eins damit den Bezug zur Welt verstehen, der sich in diesen beiden gebrochenen Sprachen ausdrückt, in der Sprache des Verhaltens, in der des Erlebens. Wenn wir verständen, dass die objektive Richtung eines Verhaltens und die Meinung eines Gefühls ein und dasselbe sind, dass das Gefühl nichts anderes ist, als eben diese Richtung des Verhaltens, insofern es gefühlt wird, dann würden wir sowohl die Tendenzen als auch das Gefühl verstehen, und indem wir eines durch das andere verständen, kämen wir einen Schritt weiter im Begreifen dieser fundamentaleren Wechselwirkung: Der des Fühlens und des Erkennens.«27

Die fundamentale Wechselwirkung interessiert in Bezug auf ein spezifisches filmisches Grotesksein, denn es bindet Verstehen an emotionale Intentionalität, die körperlich berührt. Durch die mythische Dimension der Don Juan Figur, welche die Thematik der Unschuld und Fehlbarkeit des Menschen aufwirft, lässt sich der Bogen zurück zum Ausgangspunkt der Diskussion dieses Kapitels schlagen, nämlich die phänomenologischen Thesen Barkers. Intentionalität generiert Sinn, spricht jedoch auch die Sinne an, äußert sich körperlich und verinnerlicht Tendenzen und Spannungen. Der filmische Körper artikuliert sich über bestimmte Verhaltensweisen, Intensionen, Attitüden gegenüber den Objekten, die er adressiert; und diese Verhaltensweisen schließen sich an Gefühle und Tendenzen an, über die 26 Ricœur (1960/1971), S. 115. 27 Ricœur (1960/1971), S. 115f.

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der Mensch diese Objekte versteht. Dieser bindende Faktor, welcher der paradoxen Struktur des Gefühls innewohnt, bringt die Körper in Konjunktion – den Zeichen- und Objektkörper, den menschlichen und den Puppenkörper, den filmischen und den grotesken Körper, den fiktionalen und den realen Körper – in Verbindung und in Schwingung zueinander. Damit versteht sich, was eigentlich mit ›in Schwingung zueinander bringen‹ gemeint ist: Emotionale Antworten auf Objekte und Strukturen, die in Schwingung mit dieser Antwort Sinn generieren und das Ich affizierend in Bezug dazu setzen. Nimmt man also einen vielseitigen und widersprüchlichen Begriff wie das Groteske, dann erscheint er aus einem solchen Sinngenerierungsprozess zu entstammen, der sich nicht loslösen lässt vom Moment der intentionalen Affizierung. Als Objekt lässt er sich nicht distanzieren, weil der Begriff der paradoxen Struktur des Gefühls verhaftet bleibt; und doch oder gerade deswegen legt sich Sinnschicht an Sinnschicht entlang unterschiedlichen Intentionalitätslinien. Auf dieser Grundlage – Verquickung des Fühlens und Denkens – lässt sich nicht nur die mediale Struktur besser verstehen, sondern auch der referenzielle Grund, der enthüllt und entlarvt. Betrachtet man zum Beispiel folgendes Zitat von Vincent Bounoure zur Puppenform und vergleicht es im Anschluss mit einem Zitat von Ricœur: »Let us recall Kleist’s paradox about puppets: Their charm, he said, consists in the free, wavering and swaying movement of limbs around the centre of gravity: Space is divided in a vertical way by the puppeteer’s strings. Have we noted before that the scriptwriter and director Švankmajer shows us very contemporary people disguised as puppets? They are figure subjected to gravity, to all modern burdens in the womb of age-old fables. The earthly essence of these creatures allows us to think that Kleist’s hope has been fulfilled. ›The soul of dance‹, which is nothing else but the quivering of spirit in movement, is in a free play of imagination abandoned by the scriptwriter layering fiction upon fiction at the moment when he leaves the heart of the puppet suddenly stricken by its sad, lowly fate.«28

Ricœur schreibt: »Was das Gefühl durch die an den Sachen gemeinten affektiven Akzente offenbar macht, ist die Intentionalität der Tendenzen; das Liebenswerte, das Hassenswerte, das Leichte, das Schwere, das ist eben das, ›worauf zu‹ unser Begehren treibt, ›wovon weg‹ es sich zurückzieht, ›wogegen‹ es kämpft.«29

28 Bounoure, S. 40. 29 Ricœur (1960/1971), S. 116.

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Ricœurs Worte beschreiben, was an der Puppenform fasziniert: Die Verquickung von (narrativer) Intentionalität und Affizierung, die sich in Begehren und Tendenzen artikulieren. Laut Ricœur bringt das Gefühl »die Dränge unseres Wesens« und seine »vor- und überobjektive Bindung an das Seiende in der Welt«30 ans Licht, beides essenzielle Merkmale des romantischen Puppenmotivs. Der volkstümliche Charakter des Puppentheatergenres privilegiert den vulgären Humor und die triebgesteuerte Hauptfigur, wie es die Beliebtheit der Kasperlefigur oder des Don Juan und Doktor Faust bezeugt. Hugos und Bachtins Ausführungen zum Begriff des Grotesken legen die Privilegierung des Triebhaften des menschlichen Wesens in der grotesken Darstellung auf ähnliche Weise nah. In Spannung zu diesem Punkt liegt der symbolische Gehalt der Puppenform. Spricht sich Ricœur dafür aus, dass unsere Integration in das Sein immer bereits eine Vermittelte ist, dann bietet sich das Puppenmotiv im pessimistischen, fatalistischen Sinne dieser Auffassung an. Wie Eleonore Rapp schreibt: »In dem symbolischen Sinn der ohne Willen und Bewegungsfreiheit am Draht gezogenen, jeder Zufälligkeit des Materials, jeder Laune und Willkür einer fremden Leitung preisgegebenen Puppe scheint mir ein wesenhafter Zug des Puppenspiels, vielleicht die Voraussetzung und Bedingtheit seiner Existenzmöglichkeit überhaupt zu liegen. Wo bewusst oder unbewusst ein Gefühl des Menschen für die Zufälligkeit, die Relativität der ihn umgebenden Erscheinungswelt vorhanden ist […] da kann auch das Symbol der Marionette instinktiv gefühlt und bewusst erkannt werden und das Puppenspiel zu einer geistigen Bedeutung langen.«31

Die ›geistige Bedeutung‹, welche die Marionettenform für Rapp in der Romantik erlangt, steht in gewisser Spannung zum volkstümlichen Charakter und Ursprung des Puppenspiels. Der symbolische Gehalt offenbart sich jedoch instinktiv. Wie Rapp weiter ausführt: »Bei den abendländischen Völkern […] blieb das Puppenspiel lange Zeit hindurch auf die Belustigung und Erbauung des ungebildeten Volks beschränkt, das mit dem Instinkt des sozial gedrückten Menschen für die Zufälligkeit und Unbeständigkeit der ihn umgebenden Welt den tieferen Sinn der Marionette unbewusst erahnte. Zugleich ergötzte es sich an der mehr oder minder unfreiwilligen Komik der Puppen, der Freiheit und Derbheit der eingestreuten Späße und setzte sich dadurch über den tragischen Grundton solcher Weltauffassung hinweg.«32 30 Ricœur (1960/1971), S. 116. 31 Rapp, S. 13f. 32 Ricœur (1960/1971), S. 14.

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Rapps Ausführungen weisen darauf hin, dass die Puppenform in dem ihr inhärenten Paradox zwischen Leben und Tod, zwischen dramatischer Existenz und der stummen Existenz ihres hölzernen Körpers, eben jenes Paradox formuliert, welches die menschliche Existenz zwar einerseits in Gefühlen, Wünschen, Träumen, Intentionen, Motivationen, in dem Verstehen vorgängigen Seins verankert sieht (dramatische Existenz), diese Verankerung sich jedoch nur in der Vermittlung offenbart. Mit anderen Worten, die Marionette erinnert wie kaum eine andere repräsentative Figuration daran, dass diese »vor- und über-objektive Bindung an das Seiende in der Welt« zwar einer leiblich konkreten Verankerung entspricht, das heißt sich körperlich gefühlt und gelebt sieht, diese Integration jedoch unserem Geist ausschließlich durch unsere Gefühle, durch Spannungen, Tendenzen, Begehren und Begierden hindurch zugänglich ist. In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass die Marionettenform in der Romantik zum Sinnbild für den menschlichen Konflikt zwischen Lust und Streben nach Glück geworden ist. Entspricht das Gefühl, laut Ricœur »dem intentionalen Ausdruck einer ungeteilten Bindung an die Welt«33, steht die Stummheit des hölzernen Körpers für die Prämisse des Vermitteltseins dieser Bindung; ein Vermitteltsein, welches den lebendigen, fühlenden Körper zugleich seiner Existenz gewahr und beraubt erweist. In diesem Sinne ist die Stummheit des Puppenkörpers als grotesk zu bezeichnen, indem sie durch Impulse, Intentionen und Tendenzen Intimitäten des menschlich gezeichneten Körpers enthüllt; eine Innerlichkeit enthüllt, die sich geprägt erweist durch den Konflikt, den die existenzielle Situation des Menschen in sich birgt. Zeichnet sich dies im Sinne einer Zerbrechlichkeit in den Gesten des Don Juan ab – in den Momenten, in denen er sich von Wut entbrannt, heftig gestikulierend ereifert oder schützend seine Hände vor die Augen hält –, dann wird in diesen Gesten deutlich, warum die Ebene des Affektiven als die zerbrechlichste Stelle im menschlichen Wesen erscheint. In ihr verinnerlicht der Mensch den Konflikt, erlebt und lebt ihn. Zeigten sich die Ebenen der Objektsynthese (Verstehen) und der Personensynthese (Handeln) durch das Wirken von Disproportionen bestimmt, dann enthüllt sich auf der Ebene des Affektiven der persönliche Bezug zur menschlichen Entzweiung (aporetischer Konflikt). Wie Ricœur schreibt: »Die Disproportion zwischen dem Prinzip der Lust und dem Prinzip der Glückseligkeit bringt die wesentlich menschliche Bedeutung des Konflikts an den Tag. Denn nur das Gefühl vermag die Zerbrechlichkeit als Konflikt zu enthüllen; seine Funktion als Verinnerlichung, gegenläufig zur Funktion der Objektivierung des Erkennens, erklärt es, warum die-

33 Ricœur (1960/1971), S. 119.

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selbe menschliche Dualität, die sich in der Objektsynthese entwirft, sich im Konflikt reflektiert.«34

Im Gegensatz zur Synthesis im Objekt verinnerlicht das Gefühl die unserer Menschlichkeit wesentliche Dualität, dramatisiert sie zum Konflikt. Der festen Synthesis der Objektivität stellt es die polemische Dualität der Subjektivität gegenüber. Diese Dualität schließt sich in der Marionettenform symbolisch kurz, in der Konjunktion des dramatisierten und des hölzernen Körpers. Der dramatisierte Körper enthüllt, ›worauf zu‹ das menschliche Begehren treibt, ›wovon weg‹ es sich zurückzieht, ›wogegen‹ es kämpft, wie es in Bezug auf Ricœur dargelegt wurde. Der hölzerne Körper offenbart die Entzweiung mit dem Selbst, die sich zwischen unser drängendes Wesen und dem Ziel menschlichen Strebens schiebt. Die Dramatisierung dieses Konflikts spricht aus jeder unbeholfenen und ungelenken Bewegung des Marionettenkörpers, verkörpert in dem von Verletzung und Stolz getriebenen Don Juan. Wie Rapp über die Marionettenform schreibt: »Die symbolische Wirkung der Drahtpuppe aber findet eine starke Unterstützung in ihrer Primitivität. Die scheinbare Unlebendigkeit der hölzernen Figur, die geometrische Vereinfachung aller ihrer Bewegungen macht sie zu einem einzigartigen Ausdrucksmittel einfacher, den Sinn des Lebens mit großer eindeutiger Geste umgreifender Gedankengänge und verleiht ihnen eine metaphysische Überlebendigkeit, die an erschütternder Wirkung jedes menschliche Pathos übertrifft, sondern die reine Primitivität der Gedanken und Puppen gewahrt bleibt und das Empfinden der Zuschauer noch rein und unverkünstelt genug ist, um die Größe und Einfachheit der Linie erfassen zu können.«35

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen lässt sich nunmehr erkennen, worin der ›expressive Vorteil‹ der Marionette liegt.36 Die Marionettenform hebt den Aspekt der Dramatisierung hervor, die Zerbrechlichkeit der Vermittlung, welche die Sehnsucht nach einer naiven, unvermittelten Integration ins Sein und dem sich entziehenden Charakter dieser Integration entzweit. Die Entzweiung mit mir selbst spiegelt die vorgängige Entzweiung von Sein und Welt. Treffen im Marionettenkörper der dramatisierte und der hölzerne Körper zusammen, dann drückt sich in dieser Konjunktion der Urkonflikt, den das menschliche Wesen prägt, aus. Die grundlegende Essenz (oder schwingende Hintergründigkeit im Sinne eines Referenzgrundes, wie es im Kontext mit dem Grotesken gefunden wurde) transportiert sich in der Marionettenform, erklärt ihre enge Verflechtung mit dem Phä34 Ricœur (1960/1971), S. 140f. 35 Rapp, S. 15. 36 Vgl. Švankmajer (1994a), S. 20.

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nomen des Grotesken und stellt die besondere Position, die sie im Schaffen Švankmajers inne hat, heraus. Der Aspekt des Romantischen und das Puppenmotiv Die Ausführungen Rapps legen nahe, dass die Ausdruckskraft der Puppenform in Verbindung mit der erkenntnisstiftenden Funktion des Gefühls sich mit dem Romantischen in Beziehung setzt. Im Folgenden soll der Rolle des Romantischen in diesem Nexus nachgegangen werden. Im zweiten Kapitel wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Romantische als eine Fortsetzung von Aufklärungsbestrebungen zu verstehen ist. Wie Olaf Hansen und Jörg Villwock erklären: »Charakteristiken, die den Hauptwert auf Begriffe wie Empathie, Sehnsucht, Irrationalität legen, bleiben letztlich irreführend, weil sie das genuin romantische Motiv verkennen, die Aufklärung fortzusetzen und im Rückgang auf das, was sie im Zeichen des Vorrangs empiristischen und rationalistischen Denkens der Reflexion entzogen hatte, zu überbieten. […] Der an der Literatur orientierte Erkenntnisimpuls der Romantik gilt den tieferen, elementaren Zonen menschlicher Weltbeziehungen und den in ihnen waltenden transsubjektiven Ordnungsformen. So gestaltet sich die Romantik als zweite Aufklärung, welche die Beschränkung der ersten reflektiert und ihre verborgenen Fundamente, Quellen und Antriebe freilegt.«37

Im Vergleich dazu schreibt Bachtin: »Doch die Romantik macht eine positive Entdeckung von größter Bedeutung: Die des Subjekts in seiner Tiefe, Komplexität und Unerschöpflichkeit. Der mittelalterlichen und der Renaissance-Groteske war die innere Unendlichkeit des Individuums fremd. Die Entdeckung der Romantik wurde erst durch die Anwendung der grotesken Methode möglich, sie verdankt sich deren von allem Dogmatischen, Vollendeten und Begrenzten befreiende Kraft. In einer geschlossenen, fertigen, starren Welt mit festen unbeweglichen Grenzen zwischen allen Bereichen und Werten hätte die innere Unendlichkeit des Menschen nicht entdeckt werden können. Davon wird man sich leicht überzeugen, wenn man die rationalisierenden und ermüdenden Analysen inneren Erlebens bei den Klassizisten mit entsprechenden Darstellungen bei Sterne und den Romantikern vergleicht. Hier tritt die künstlerischheuristische Kraft der grotesken Methode deutlich zutage.«38

37 Hansen/Villwock, S. 9. 38 Bachtin, S. 95.

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Die künstlerisch-heuristische Kraft wiederum, die das Unabschließbare, Allegorische, Ironische, Fragmentarische privilegiert, bindet sich eng an das ›entwerfende‹ Potenzial des Gefühls. Wie Meyer Howard Abrams in Spiegel und Lampe ausführt: »Die ständige Berufung auf Emotionen und Geistesprozesse des Dichters als Quelle der Dichtung hatte zur Folge, dass die etablierten Lösungen eines Grundproblems der Ästhetik: Dem der Diskrepanz zwischen dem sujet der Dichtung und den Objekten der Erfahrung, von Grund auf erschüttert wurden. Bisher hatte gegolten, dass die Dichtung im Wesentlichen deshalb vom tatsächlich Gegebenen abweicht, weil sie eine Natur widerspiegelt, die 1. Angeordnet wurde, um zu neuer Schönheit gestaltet zu werden; die 2. Gefiltert wurde, um eine Grundform bzw. den gemeinsamen Nenner einer Gattung zu offenbaren, und die schließlich 3. Gewissermaßen sortiert und ausgeschmückt wurde, um dem Leser größeres Vergnügen zu bereiten. Für den romantischen Kritiker hingegen ist Dichtung – bei aller Idealität – vom tatsächlichen Gegebenen hauptsächlich dadurch abgegrenzt, dass sie sinnliche Objekte zu ihrem Inhalt hat, die bereits von den Gefühlen des Dichters durchdrungen und transformiert worden sind.«39

Spricht Bachtin also die künstlerisch-heuristische Funktion des Grotesken an, die sich mit der utopischen Funktion des Phänomens verknüpft zeigt, dann erscheint die Verquickung von Verstehen und Empfinden, laut den Ausführungen Ricœurs, von Wichtigkeit. Diesen Schluss legen die drei soeben aufgegriffenen Zitate nahe. Denn erst das Nachdenken über das enge, sich gegenseitig bedingende Verhältnis von Verstehen und Fühlen lässt erahnen, dass das groteske Phänomen mehr in sich birgt, als Gegensätze unentscheidbar offenzuhalten (zerstörerisches Potenzial). Wie das Allegorische, Ironische und Fragmentarische brechen groteske Formationen Ganzheiten auf und lassen sie in die Darstellbarkeit des unendlichen Zusammenhangs/die innere Unendlichkeit des Individuums münden. Dabei erklärt dieser Punkt alleine noch nicht die heuristische Kraft. Sie bindet sich an das Mitverwirktsein des Individuums in dem unendlichen Zusammenhang, der diesem immer bereits vorgängig ist und ihm doch in dem, was um dieses Mitverwirktsein herum in Erzählungen, Mythen, Bildern etc. entsteht (Konflikt), verständlich wird. Dieses Verstehen ist keines im objektivierenden Sinne, welches Distanz schafft, sondern ein einbeziehendes, verinnerlichendes Verstehen, welches den Konflikt dramatisiert. Darin fügt es dem objektivierenden, distanzierenden Verstehen etwas hinzu, erweitert die Wahrnehmung. Wie Ricœur schreibt:

39 Abrams, S. 74f.

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»Wenn das Gefühl kundmacht, was das Leben meint, wenn es den Aufbruch der Tendenzen enthüllt, die unser Leben zur Welt hin spannen, dann muss das Gefühl dem rein transzendentalen Verständnis der menschlichen Realität eine Urdimension hinzubringen. Wenn hinwiederum das Gefühl seinen Sinn nur im Gegensatz zu dem Objektivierungswerk des Erkennens zu fassen gibt, wenn seine Allgemeinfunktion darin besteht, die Wirklichkeit, die wir uns entgegenhalten, zu verinnerlichen, dann geht das Aufkommen des Gefühls notwendig mit dem der Erkenntnis einher. Und man versteht, dass die Disproportion des Erkennens sich in der des Gefühls zugleich widerspiegeln und vollenden kann.«40

Mit anderen Worten über die Bilder, Metaphern, Mythen, Geschichten verinnerlichen wir die heuristische Kraft der Formationen, die sie tragen. Das Moment der Verinnerlichung fügt die utopische Funktion hinzu. Das Romantische erscheint demnach das Moment der Verinnerlichung zu veranlassen. In ihr erfährt der Mensch die Unendlichkeit des Individuums, wie Bachtin es herausgestellt hat; in ihr berührt uns die Unendlichkeit körperlich und geistig (Groteske). Schreiben Hansen und Villwock, dass der Erkenntnisimpuls der Romantik den tieferen, elementaren Zonen menschlicher Weltbeziehungen gilt, dann findet sich diese Einschätzung im Moment der Intimität widergespiegelt, welches in Bezug auf Don Juan herausgestellt wurde. Bringt das Moment der Verinnerlichung spiegelnd hervor, bildet sich in ihm die mythische Dimension der Don Juan Figur. E.T.A. Hoffmanns Imaginationslehre: Ein Refugium imaginärer Freiheit Es zeigt sich, dass sich über den Zugang der Intimität ein spezifisches Grotesksein von Švankmajers Werk abzeichnet, welches sich mit den romantischen Wurzeln seiner Filmsprache verbindet. Es wurde gezeigt, dass das Puppenmotiv diesen Zusammenhang in besonderer Weise herausstellt. Blickt man auf die zahlreichen Vorkommnisse dieses Motivs in der romantischen Literatur, bietet sich der Vergleich zu der literarischen Verwendung bei E.T.A. Hoffmann an. Dafür spricht, dass Hoffmann das Puppenmotiv in Verbindung mit einem gesteigerten Interesse an geistigen Extremzuständen verwendet, welches seine Figuren, wie auch Švankmajers, in Grenzbereiche wie Traum, Phantasie und Somnambulismus, neurotische Reaktionen und psychopathologische Ausfälle bannt.41 Diese Tendenz, jedoch, wie sie häufiger in der Romantik anzutreffen ist, findet seine Begründung

40 Ricœur (1960/1971), S. 122. 41 Drux, S. 109.

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nicht allein in der Faszination an pathologischen Vorgängen, sondern heftet sich an die künstlerischen Überzeugungen Hoffmanns. Peter von Matt hat diesen Zusammenhang explizit untersucht. Er weist in seiner Studie Die Augen der Automaten nach, dass Hoffmanns künstlerische Überzeugungen sich in der Erzählkunst seiner Werke widerspiegeln. So legt der Wahnsinn einer der Hauptfiguren aus Hoffmanns Werk, Serapion, aus Die Serapionsbrüder42 nah, dass dieser »gerade wegen seiner Spielart […] zum Urbild des Dichters wird, zur Zielform dessen, wonach jeder erzählende Künstler streben soll: Alles in und aus seinem Innern zu bilden. […] Denn für Serapion ist die ›fantastische Gestalt‹ des Kunstwerkes, von der wir gesprochen haben, der ›Prototyp‹ im Innern oder die Präformation, das vollendete und abgeschlossene, aus Traumstoff modellierte Dasein bereits ›außen‹, ist von der Beschaffenheit greifbarer Realität. Er sieht es vor sich, genau umrissen im Licht, mit all den Nuancen und Schattierungen des Lebendigen«43. Matt schreibt weiter: »Und daran, an diesen äußersten Möglichkeiten generativer Phantasie, denkt Hoffmann, wenn er immer wieder verlangt, der Dichter müsse das, was er spreche, ›wirklich geschaut‹ haben. Sein Begriff des ›Schauens‹ enthält somit eine indirekte Absage an alle Außenwelt – eine Absage, genau besehen, an Himmel und Erde, wie man sie radikaler kaum irgendwo trifft und auch an Hoffmann selber wohl noch nicht entschieden genug festgehalten hat.«44

Die Absage mobilisiert, ähnlich wie im Werk Švankmajers, das groteske Potenzial hoffmannscher Dichtung. Die objektive Welt, ob als Natur, Gesellschaft oder personales Gegenüber, degeneriert zu harter, erkalteter Materie, der sich der Ursprung aller Kunst, der ›strahlende Karfunkel‹ gegenüberstellt und darin die völlige Autonomie jeder produktiven Einbildungskraft begründet. In dieser radikalen Trennung von Außen und Innen entfernt sich Hoffmann von Denkern wie Novalis und Jean Paul, denen er sonst in vielen Dingen nahe steht. Entgegen den Überzeugungen dieser beiden Denker bleiben »für Hoffmann Außen- und Innenwelt heterogen. Sie können nie ineinander verfließen, wie es die Vorstellungen Novalis von der Liquidität alles Seienden postulieren, und sie können auch nicht einander anverwandelt werden in der Art der jean-paulschen Welt-Absorption«45. Wie Matt abschließend feststellt: »Nach Hoffmanns unerschütterlicher Überzeugung ist der lebendige, kreative Geist ‚›eingeschachtet‹ in die Außenwelt, feindselig und un-

42 Hoffmann, Band 3 und 4. 43 Matt, S. 16. 44 Matt, S. 16. 45 Matt, S. 21.

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lösbar verhängt mit der schweren Mechanik der Materie.«46 Der Exkurs in die hoffmannsche Imaginationslehre hilft zu verstehen, wie die groteske Verquickung von Verstehen und Fühlen sich der objektiven Synthese hinzufügt und diese komplementiert. Dualitäten fließen in ihr nicht ineinander und lassen sich nicht einander anverwandeln, sondern sie postulieren den paradoxen Bezug, den Tendenzen, Affektionen und Stimmungen in dem Erleben und Erkennen der uns umgebenden Objekte herstellen. Die Tatsache, dass dieser Bezug zugleich ein Innerstes unseres Selbst und einen Aspekt des uns Gegenüberliegenden enthüllt, tritt ein für dieses Paradox; und in ihm öffnet sich der Kosmos grotesker Konfigurationen, den romantische und postromantische Künstlergenerationen seither bedienen, einschließlich Hoffmann und Švankmajer. Es verspricht ein Refugium der Freiheit (utopische Funktion) und hat darin seinen festen Platz im Repertoire künstlerischen Ausdrucks seit der Romantik. Die Freiheit besteht darin, eben nicht die ideale, transparente Aussöhnung des sinnlich Fassbaren und des übersinnlich Jenseitigen zu suchen und zu finden, sondern das Persönliche, Individuelle zu privilegieren, in all seiner Hässlichkeit. Für Hoffmann bewirkt (im Gegensatz zu Achim von Arnim) »die tätige Phantasie keine objektive Transparenz, sondern schafft projizierend einen magischen Kreis um das erregte Ich, in dem dieses die gefährliche, aber einzig mögliche Art von Freiheit findet«47. Dieses Suchen und Finden eines Refugiums der Freiheit in der Imagination, welche jedoch nicht aussöhnend fungiert, sondern das Paradox zwischen Erkennen und Fühlen in Tendenzen, Begierden und Spannungen nachzeichnet und aufspürt, dieses Suchen und Finden erweist sich nicht nur als romantisch (Sehnsucht), sondern außerdem als ausgesprochen Švankmajeresque. Švankmajers Figuren und Objekte erscheinen durch einen ›magischen Kreis um das erregte Ich‹ derart gebannt und gebunden, dass sie von vorneherein aus dem ihnen ursprünglichen Rahmen herausfallen, ihn übertreten und über ihn hinauswachsen. Leblose Objekte, wie das Klappmesser in Jabberwocky, beginnen zu tanzen. Naturgeschichtliche Objekte bewegen sich rhythmisch zur Musik, formieren sich zu anthropomorphen Gestalten und erscheinen und verschwinden aus den Schaukästen in Historia naturae (suita). Ähnlich verhält es sich in Bezug auf narrative Figuren. Der menschliche Faustcharakter betritt in der Heraufbeschwörungsszene des Mephistopheles buchstäblich einen magischen Kreis, der ihn dazu veranlasst es der literarischen Figur nachzutun und den Pakt mit dem Teufel zu schließen. Alice hingegen entschließt sich, dem Kaninchen zu folgen, und geht damit auch eine Art magischen Pakt ein. Das Motiv des Paktes, der stillschweigenden Übereinkunft ist den meisten Figuren Švankmajers gemein und interessant in Bezug auf den hier unter46 Matt, S. 21. 47 Matt, S. 39 Anm.

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suchten Zusammenhang. Ihr Handeln sieht sich so unmittelbar von Sehnsüchten, Affekten, Trieben bestimmt und jeder rationalen Logik entledigt. Die Logik der Verführung erlaubt es, den euphorischen Funken unmittelbar auf die erhärtete, erkaltete Materie der Rahmung oder Hülle treffen zu lassen und so das Moment der Einwirkung/Verinnerlichung darzustellen, wie das Moment des Kontrasts zweier unüberwindlicher Dualitäten. Im Moment des (grotesk) Unvereinbaren findet ein Moment der Verinnerlichung statt, welches Freiheit verspricht und schafft. Die Kraft der künstlerischen Imagination und das Puppenmotiv: Filmbeispiel The Ossuary The Ossuary hebt den Nexus des Romantischen, der künstlerischen Imagination und des Refugiums einer prekären Freiheit, die dieser innewohnt, hervor. Es gibt zwei Versionen des Films, mit identischem Bildmaterial, aber unterschiedlichen Vertonungen. Die erste Version, mit den voice-over Erläuterungen eines tschechischen Tourguides, wurde von den Autoritäten gesperrt, sodass eine zweite Version mit musikalischer Untermalung von Zdeněk Liška erstellt wurde. Es ist erstaunlich zu sehen, wie unterschiedlich beide Filme sind. Obwohl das Bildmaterial tatsächlich identisch ist, kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass es sich um zwei völlig verschiedene Filme handelt. Damit steht The Ossuary emblematisch ein für die Dualität, die sich zwischen erregter, zügelloser Euphorie und verkrusteter, verhärteter Materialität einstellt. Abbildung 8: Kircheninnenraum: Groteskes Ornament.

Quelle: The Ossuary, 1970, dir. Jan Švankmajer.

Alleine der Ort, an dem der Film gedreht wurde, ist ein unwirklicher, grotesker Ort: Eine mit Gebeinen ausstaffierte Kirche. Vom Königshaus beauftrag, hat der

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Künstler František Rint zwischen 1870 und 1880 den Kirchenraum der Allerheiligenkirche in Sedlec in der Nähe von Kutná Hora ausgestattet und als Grundlage für seine Gestaltung tausende Skelettteile von Pest- und Kriegsopfern genommen (siehe Abbildung 8). Die Überfülle an Knochen, die sich ornamental als Schmuck zusammenfügen, mutet grotesk an. Dennoch erschien es Rint möglich und nötig, durch die Unnachgiebigkeit des Materials hindurch den künstlerischen Funken zu schauen. Das Gedicht, welches eine Frauenstimme in der zweiten Version des Films singend rezitiert, bringt die Beharrlichkeit dieser ›Schau‹ zum Ausdruck. In dem Gedicht heißt es: »Male zuerst einen Käfig mit einer offenen Tür dann male irgendetwas Hübsches irgendetwas Einfaches irgendetwas Schönes irgendetwas Nützliches was nur den Vogel angeht Dann lehne die Leinwand an einen Baum in einem Garten in einem Wäldchen verbirg dich hinter dem Baum ohne zu sprechen ohne dich zu rühren... Bisweilen kommt der Vogel bald aber er kann ebenso gut viele Jahre brauchen bis er sich dazu entschließt Verlier nicht den Mut warte Warte wenn es sein muss jahrelang denn der rasche oder langsame Anflug des Vogels hat nichts zu tun mit dem Gelingen des Bildes Wenn der Vogel kommt

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falls er kommt so sei ganz still Warte bis der Vogel in den Käfig schlüpft und wenn er hineingeschlüpft ist schließe mit dem Pinsel leise die Tür dann tilge nacheinander alle Gitterstäbe aus wobei du keine einzige Feder des Vogels berühren darfst Sodann male den Baum und wähle den schönsten seiner Äste für den Vogel Male auch das grüne Laub und den frischen Wind den Sonnenstaub und das Gesumm der Grastiere in der Sommerglut Und dann warte ob der Vogel sich entschließt zu singen Wenn der Vogel nicht singt so ist es ein schlechtes Zeichen ein Zeichen dass das Bild schlecht ist Aber wenn er singt ist es ein gutes Zeichen ein Zeichen dass du das Bild mit deinem Namen zeichnen darfst dann zupfst du ganz sacht eine Feder aus dem Vogelgefieder und schreibst in einer Ecke des Bildes deinen Namen nieder« (›Wie man einen Vogel malt‹ Jacques Prévert)48

Im Vergleich zur ersten Version, in welcher die Tonspur von dem immer wieder unterbrochenen, aber doch unbeirrbaren Redefluss des weiblichen Tourguides bestimmt wird, wird deutlich, welche Sprache hier im Gegensatz zu der poetischen Sprache des Gedichts gesprochen wird, nämlich eine, die Autoritäts- und Sanktionsstrukturen (re-)produziert. Vornehmlich gestaltet sich diese Sprache monologisch, belehrend und maßregelnd. Das Belehrende knüpft sich an Ansprüche, die Macht, Erziehung und Identität an Institutionen und Wissensstrukturen binden. Dafür spricht etwa, dass der Tourguide die nationale und historische Bedeutung 48 Prévert.

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des Ortes hervorhebt und betont, wie wichtig es ist, sich Wissen darüber anzueignen. Sanktionierend gebärdet sich die Sprache des Tourguides in der wiederholten Androhung einer Geldstrafe von 50 Kronen. Der Ton verschärft sich mit jeder Androhung. Die Ineffektivität der Sanktionierungsmaßnahme materialisiert sich in den zahlreichen Schriftspuren auf den Skelettköpfen, die in den Filmbildern von den zu Schmuck zusammengefügten Skelettteilen zu sehen sind. Sie zeugen davon, dass es offenbar nicht wenige unauslöschliche ›Übertretungen‹ gegeben hat. Zu guter Letzt mündet die wiederholte Drohung der sich zunehmend ereifernden Stimme in ein Streitgespräch mit einem der Kinder. Ein Kind wird beschuldigt und versucht, die drohende Strafe von sich abzuwenden. Damit endet abrupt die Tonspur dieser Version. Nicht nur der Puppenkörper, jedweder in dem Film präsenter Körper, ob gesellschaftlicher Körper, künstlerischer Körper, geistiger Körper, ökonomischer Körper, leidenschaftlicher Körper etc. teilt die hoffmannsche Heterogenität eines Außen und Innen. Die Kontinuität in der Unnachgiebigkeit der Materie, auf die sich Švankmajers Filme rückbeziehen, gilt nicht nur für den Puppenkörper, sondern für die diversen und versatilen Stellvertreterkörper, die sich in seinen Filmen zeigen. Verkrustung und Erhärtung gesellschaftlicher und künstlerischer Dynamiken spiegeln sich auf diesen Körpern wieder, nehmen sie ein und prägen sie. Was in diesem Sinne für den Puppenkörper gilt, gilt für den animierten Körper in Švankmajers Werk an sich. Im Sinne des romantischen Motivkomplexes spielt die Puppenform eine vorrangige Rolle. Die Puppenform steht als Ausdrucksmittel für die Verhärtung und Verkrustung eines mechanisierten Außen sowie die Kontinuität und Beharrlichkeit, die der Unnachgiebigkeit des Materials innewohnt. Dem fügt sich eine schaffend-utopische Funktion hinzu, welche die leblosen Hüllen zu Spiegeln macht und damit zu hervorbringenden Instanzen einer zügellosen Kreativität. Laut Hoffmann wird die Marionette, der Automat oder die Puppe zu einem romantischen Sinnbild für die Abgrenzung gegenüber der Natur und der Gesellschaft. »Der Mensch ist nur frei als ein Schauender. Als Schauender aber separiert er sich gleichzeitig von aller Menschengesellschaft und von aller Natur«49, schreibt Matt. Im Puppenmotiv entfernt sich der Mensch nicht nur von sich selber und seinen Mitmenschen, sondern es verstummt zugleich das Murmeln einer als Gegenwelt verstandenen Natur. Schaut der Mensch den ›Karfunkel‹, verlässt er jede objektive Zeitlichkeit, das Fundament jedes Verständnisses von Natur, Geschichte und Individuum. Matt führt weiter aus:

49 Matt, S. 117.

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»Somit entdeckt sich das zentrale Paradoxon von Hoffmanns Menschenkunde, sein spezifischer Dualismus als das Faktum, dass der Einzelne, der Geschichtliche sich in sich selber schlagen muss, wenn er aus der Zeit aussteigen will, dass er dazu aber letztlich nicht nur seine soziale, sondern auch seine leibhaftig kreatürliche Existenz aufzuheben hätte. Dieses Paradoxon ist in seinen Konsequenzen tragikomisch, grotesk.«50

So paradox diese Sicht Hoffmanns scheinen mag, sie spiegelt doch in ihrer Logik und Konsequenz Švankmajers Verwendung des Puppenmotivs wieder. Die gesellschaftliche Abgrenzung knüpft sich auf dieser Grundlage an den Motivkomplex der Puppe. Erstarrt die menschliche Hülle in der Marionette, erstarrt mit ihr jeder Aspekt, der diese Hülle angeht, zwecks der kritischen und metaphysischen Hinterfragung. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf die hoffmannschen Ansichten zur Natur, die erstaunen, heften sich doch bei romantischen Denkern oftmals die Sehnsüchte nach transzendentaler Übersteigung an Naturbilder. Im Denken Hoffmanns existiert ein Geheimzustand der Welt, an den es gilt, sich nicht anzugleichen. Für ihn entsteht die Beseelung der Dinge einzig im Innern des Menschen, im Karfunkel, der unbändige kreative Energie freisetzt. Schaut die Seele dieses Karfunkel, setzt sie sich von aller Natur, aller Gesellschaft, allem personalen Gegenüber ab. Die aporetische Grundstruktur dieses Denkens ist überdeutlich. Absolute Abgrenzung führt in einen Zustand absoluter Suspension. Erfährt man im Schauen des Karfunkels die Suspension alles Zeitlichen, gerät man in einen Zustand zwischen Leben und Tod. Matt zeigt anhand der Figuren, die im Werk Hoffmanns erscheinen, dass dieser Zustand in zwei Richtungen geht. Entweder die Figur bleibt diesem Zustand verhaftet, der als »autistische Grenz- oder Gegenform des magischen Idealismus, die ja nur Phase eines Prozesses sein sollte«51 beschrieben wird oder die Figur erfährt eine »entscheidende Umkehr«52 oder »jähe Selbsterkenntnis«53, welche sie aus diesem Zustand herausführt. Emblematisiert findet sich dieser Zustand in der lebendig gewordenen Puppe, »dem Teraphim aus Spiegel und Herzblut«54. Der Teraphim erscheint in vielen von Hoffmanns Erzählungen, zum Beispiel in Der Sandmann, Nussknacker und Elementargeist. Wenn die Helden dieser Erzählungen in den Augen des ihnen begegnenden Teraphims das Licht des eigenen Inneren entdecken, wie Nathanael in den Augen des Automaten-

50 Matt, S. 118. 51 Matt, S. 105. 52 Matt, S. 105. 53 Matt, S. 105. 54 Matt, S. 105.

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mädchens Olympia, so bleibt ihnen doch die gute Wendung, die sie aus der Aporie herausführt, verwehrt. Nathanael stürzt sich am Ende vom Turm. Andere Figuren, wie der Giglio Fava aus Prinzessin Brambilla oder der Peregrinus Tyss aus Meister Floh sind in dieser Hinsicht glücklicher. Sie dürfen am Ende das geschaute Glück (er-)leben. So heißt es über den Helden aus Meister Floh: »Peregrinus erkannte sich selbst, er fühlte, dass der zum Leben entzündete Karfunkel glühe in seiner eigenen Brust.«55 Auch der Figur des Don Juan widmet sich Hoffmann. Jedoch das Glück des Peregrinus bleibt Hoffmanns Don Juan Figur verwehrt. Er findet nicht die Umkehr und stürzt in sein Unglück. Matt erläutert: »Don Juans Schicksal liegt darin, dass ihm jede Frau zum Teraphim wird! Wie Nathanael auf die spiegelnde Olympia, wirft er auf alle Frauen eben die Schönheit, um derentwillen er sie liebt, und zerstört sie erbarmungslos, sobald er die Diskrepanz zwischen ›Bild‹ und Gesicht (dem doppelten Augenpaar Claras in Nathanaels Gedicht!) feststellt.«56

Die Enttäuschung über die Diskrepanz zwischen dem Geschauten und dem Gefundenen entscheidet darüber, in welche Richtung das Schicksal geht. Lässt sich die Enttäuschung überwinden, führt sie heraus aus der Aporie. Findet diese Überwindung nicht statt, bleibt die Figur ihrem Schicksal überlassen und sieht sich immer wieder mit ihrem Teraphim konfrontiert, bis zur Vernichtung. Die Kraft der Imagination fordert also einen Akt der Selbsterkenntnis heraus, welcher veranlasst, den Teraphim entweder enttäuscht von sich zu stoßen oder aber Illusion und Faktum zusammenfließen zu lassen und darin den Teraphim anzunehmen. Dieses Annehmen ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Schau dieses höheren Inneren und das rücksichtslose Ergreifen dessen, notwendig in eine Absage an die Natur, die Gesellschaft und das personelle Gegenüber mündet, welche die Verneinung des eigenen Körpers einschließt. In diesem paradoxen Auftreten fühlt man sich an die Figuren Švankmajers erinnert, etwa wenn Don Juan sich aus der Gemeinschaft in den Wald zurückzieht, um dort weiter zu morden. Auch The Ossuary bietet sich als Beispiel an. Die Knochenteile in dem Film stehen ein für den erstarrten Körper, dem das künstlerische Produkt und Potenzial gegenübersteht. Das Gedicht von Prévert handelt davon, wie das Zusammenfließen zweier Realitäten, der Geschauten und der Gefundenen, schließlich über den Wert des Kunstwerkes entscheidet. Nur wenn sich die Enttäuschung über die Diskrepanz überwinden lässt, dann gewinnt das Werk an Legitimation und Wert. Der Künstler muss unmerklich den Käfig, in dem er zuerst den Vogel gefangen hat, 55 Hoffmann, S. 181. 56 Matt, S. 106.

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auslöschen und erst, wenn er ihm leise eine Feder auszupft und das Bild mit seinem Namen versehen hat, kann man davon ausgehen, dass das von ihm Geschaute angenommen wurde. Zugleich ist dieser Akt gezeichnet von repressiven Maßnahmen (Locken und Fangen des Vogels, Auszupfen einer Feder). Sie sprechen, wie die Stimme des Tourguides, von der Erstarrung alles Gesellschaftlichen und Natürlichen. Demgegenüber steht der Gesang des Vogels als Höhepunkt des ›Schauens‹, welcher die Überwindung der Diskrepanz anzeigt und die Berührung erlaubt (Auszupfen der Feder). Der widersprüchliche Prozess der Vereinnahmung des Vogels verdeutlicht, wie die Mechanismen der Bemächtigung als hervorbringende Instanzen der Erstarrung zwar unantastbar bleiben, sich zugleich jedoch auch verkehren lassen in Vehikel des ›Schauens‹ und damit der Überwindung der Diskrepanz des Geschauten und des Gefundenen dienen. Der Akt des Auszupfens der Feder hebt diesen Aspekt hervor. Wie das Moment der Erstarrung Teil des Prozesses des Schauens bleibt, wird die Überwindung der Diskrepanz im Moment des Schauens Teil der Bemächtigung und Erstarrung. Diesem Widerspruch begegnet Prévert, genauso wie Hoffmann und Švankmajer, im Utopischen. Hoffmann etwa entwirft artifizielle Naturgärten und dehnt darin die »einzig absolute Realität, den strahlenden Karfunkel zu einem Raume […], der die paradoxe These, es bleibe dem Menschen keine andere Wahl, als sich um seiner Freiheit willen ganz in sich selber zu begeben […] möglich macht«57. Die Švankmajersche Utopie hingegen entlässt ihre Figuren selten aus dem ihnen vorbestimmten Schicksal. Dennoch räumt sein Werk der Kraft der Imagination einen ähnlich hohen Stellenwert ein wie Hoffmanns Schriften. Imagination tritt in seinem Schaffen vornehmlich als weitende, ausdehnende Kraft auf, wie es in Hinblick auf die Wahrnehmung der objektiven Welt gefunden wurde (unentborgenes Objekt/verführerisches Zeichen). Hoffmanns Werk hingegen fokussiert sich auf die Erkundung psychologischer Facetten des menschlichen Daseins. Švankmajers Werk unterbindet diesen Fokus auf das psychologische Innenleben seiner Charaktere in der Privilegierung des Objekts. Die bisherigen Ausführungen lassen den antipsychologischen und antirealistischen Charakter seiner Filme deutlich hervortreten. Laut O’Pray bezeichnet das gehäufte Auftreten von Puppen und Marionetten die Antipathie Švankmajers Filme gegen existenzialistische Charaktere und Narrativen, die innere Emotions- und Geisteszustände projizieren.58 Es scheint, als wenn diese Projektion sehr wohl stattfindet; nur hebt sie die Objekte und Handlungen hervor, in Bezug auf welche sie stattfindet. Darin hebt sie kontinuierlich und unnachgiebig den aporetischen Konflikt der Fehlbarkeit und Zer57 Matt, S. 155. 58 Vgl. O’Pray (1989), S. 258.

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brechlichkeit hervor. Der Konflikt lenkt vom Subjekt ab und zeigt sich dort gesucht und gefunden, wo er im eigentlichen Sinne stattfindet: In den Objekten und Handlungen, die das Subjekt angehen.

RESÜMEE Der Zusammenhang zwischen Projektion und Projektionsfläche stellt sich demnach als interessant in Bezug auf die romantischen Wurzeln in Švankmajers Werk dar. Die Hauptfigur des Don Juan sieht sich nicht einer Puppe gegenüber, wie Nathanael der Olympia in Hoffmanns Sandmann, sondern wird selbst zur Puppe. Dennoch wurde deutlich, dass Aspekte der Verinnerlichung nicht alleine das Phänomen des Grotesken in dem Film maßgeblich tragen, sondern auch die mythische Dimension der Figur und damit das Kernstück der Narrative. Die Projektion, der Fluss von Innen nach Außen, zeigt sich nicht unterbunden oder unterbrochen, sondern umgelenkt. Es ist zu erwarten, dass diese Umleitung sich auch auf die utopische Funktion auswirkt. Švankmajers Filme erschaffen keine Utopie im Sinne von Hoffmanns magisch artifiziellen Gärten, sondern die utopische Funktion wirkt in seinem Werk an anderer Stelle. Sie bindet sich an Leidenschaften. Die Kraft der Imagination kanalisiert sich in Richtung der Privilegierung des Objekts. Abrams erläutert in Bezug auf den englischen Romantiker Wordsworth, wie dieser vehement daran festgehalten hat, dass Objekte ihren Einfluss nicht von dem ableiten, »was sie de facto als solche sind, sondern von dem, was ihnen von jenen Gemütern verliehen wird, die mit diesen Objekten vertraut oder von ihnen affiziert sind«59. Der Kraft der dichterischen Imagination kommt somit eine modifizierende, modulierende Kraft in Bezug auf die Objektwelt zu, indem sie diese in den Dienst der Leidenschaften stellt. Diese Brückenqualität erlaubt es, die Heterogenität des Innen und Außen, welche sich bei Hoffmann und Švankmajer angelegt sieht, zu überwinden. Mehr noch, sie überwindet sie, indem sie transformierend wirkt, das heißt etwas Ungesagtes, Unerhörtes hinzufügt. Ausschließlich der Fokus auf die Handlungen und Objekte, die das Selbst angehen, fördert dieses Unerhörte zutage; erlaubt, die Erweiterung und Ausdehnung, die in ihr stattfindet, zu bemerken; veranlasst sich von ihr verführen zu lassen und in den Spiegel zu schauen, den sie uns vorhält. Damit verliert sie auch ihre aller Zeitlichkeit enthobene Position, die sie bei Hoffmann innehat. Die (Re-)Fokussierung auf die Handlungen und Objekte, wie man sie eindrucksvoll im Werk Švankmajers beobachten kann, entbindet das Selbst von der Last des allegorischen Sinnierens. Anstelle der Arretierung im Kon-

59 Vgl. Abrams, S. 75.

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text interner Bezüge verschiebt sich der Fokus auf Wirklichkeitsbezüge, welche narrative Zeitlichkeit wiederherstellen. Den Weg zurück zum Selbst findet sie durch die ihm eigenen Leidenschaften. Diese werfen das Selbst immer wieder an den Punkt der Zerbrechlichkeit und Fehlbarkeit zurück. Veräußerlichung und Verinnerlichung fügen sich in ihr zusammen. Stellt sich also die Frage, wohin sich die Kraft der Imagination in Švankmajers Werk kanalisiert, dann erscheint dies die Richtung zu sein, in die sie sich entlädt. Gegenstand des folgenden Kapitels wird sein, ihr weiter zu folgen, zunächst im Hinblick auf The Fall of the House of Usher und die manische Leidenschaft, dann mit Blick auf Alice und Lunacy im Kontext der lustvollen Leidenschaft. Deutlicher als in der Puppenform wird sich dieser Zusammenhang jedoch nicht mehr zeigen. Es versteht sich nunmehr, warum Švankmajer die Marionette und das aus ihrem Arm fließende Blut für ausdrucksstärker hält als den menschlichen Darsteller und warum sie ihm als Künstler Sicherheit und Freiheit im Ausdruck vermittelt. Keine menschliche Konfiguration fördert deutlicher den Aspekt des spiegelnden Hervorbringens in Bezug auf die innere Unendlichkeit des menschlichen Subjekts und die ihm eigenen Disproportionen (Konflikt) zutage als die Marionette; der Grund, warum auch die Romantiker sich ihr als Sinnbild so reichlich bedient haben.

Leidenschaftlicher Ausdruck als Eindruck: The Fall of the House of Usher »Der erste Grad des kinematographischen Denkens scheint mir im Gebrauch der vorhandenen Gegenstände und Formen zu liegen, die man alles sagen lassen kann, denn die Anordnungen der Natur sind tiefgründig und wirklich unendlich.«1

LEIDENSCHAFT UND WAHNSINN: FILMBEISPIEL THE FALL OF THE HOUSE OF USHER Švankmajers The Fall of the House of Usher ist ein leidenschaftlicher Film, auch wenn es sich um eine in Grauen und Wahnsinn versunkene Leidenschaftlichkeit handelt. In der Erzählung Edgar Allen Poes, gelesen von Petr Čepek, sucht ein namenloser Erzähler nach vielen Jahren seinen Jugendfreund Roderick Usher auf. Ein dringlicher Brief seines von Krankheit gezeichneten Freundes hat ihn dazu bewegt. Bereits bei seiner Ankunft jedoch muss er sich der erdrückenden, düsteren Stimmung, die von dem Anwesen und seinen Bewohnern ausgeht, erwehren. Unheimlich und gespenstisch wirken das Haus und seine Umgebung. So heißt es in der Erzählung: »An einem dunklen, stummen Herbsttag, an dem die Wolken tief und schwer fast bis zur Erde herabhingen, war ich lange Zeit durch eine eigentümlich trübe Gegend geritten und sah endlich, als sich schon die Abendschatten niedersenkten, das Stammhaus der Familie Usher vor mir. Ich weiß nicht wie es kam – gleich beim ersten Anblick der Mauern breitet sich eine unerträgliche Düsterkeit über meine Seele.«2

1

Artaud (2012), S. 85.

2

Poe, S. 99.

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Diese Stimmung geprägt von Melancholie und Schwermut verstärkt sich in der Wahrnehmung des herannahenden Reiters. So steht weiter in der Erzählung: »Meine Phantasie war so überreizt, dass ich wirklich zu sehen glaubte, wie das ganze Gebäude und seine nächste Umgebung in eine besondere, nur ihnen eigentümliche Atmosphäre gehüllt waren, eine Atmosphäre, die sich durchaus nicht mit der gewöhnlichen Himmelsluft zu vermischen schien, sondern von den verdorrenden Bäumen, den grauen Mauern und dem schweigenden Teich aufstieg – wie ein giftiger, mystischer Hauch, bleifarben, trübe, schwer, doch kaum erkennbar.«3

Die Spannung, die sich so zwischen Ahnung und Gewissheit aufbaut, prägt tatsächlich die gesamte Erzählung und steht dafür ein, wie essenziell die Erzählung sich von Stimmungen und Atmosphären getragen zeigt. Švankmajers Verfilmung des Stoffes folgt der Erzählung in diesem Aspekt. In bebender Resonanz mit dem Text entfaltet der Film eindrucksvolle Bild- und Klangkulissen und reagiert damit auf den engen Zusammenhang zwischen Stimmung, Klang und Bild, der in der Erzählung selbst besteht. Denn sowohl die Erzählung als auch der Film nutzen diesen Zusammenhang inständig. So beginnt der Film mit alternierenden Nahaufnahmen des unheilvollen Sumpfbodens, der das Haus umgibt, und des wolkenbehangenen Himmels, begleitet von düsterer Musik. Kurz darauf prägt sich ein Hufabdruck in den lehmigen Boden. Das Erscheinen des Abdrucks bereitet auf das vor, was sich im weiteren Verlauf des Films fortsetzen soll: Die erscheinenden Charaktere sehen sich zwar mit von ihnen ausgeführten Handlungen und begleitenden Geräuschen/Objekten in Verbindung gesetzt und durch diese charakterisiert, treten jedoch selbst als Personen nicht in Erscheinung. Die eingängige Beschreibung der Gesichtszüge des Hausherrn Rodericks etwa sieht sich im Film begleitet von Detailaufnahmen kunstvoller Schnitzereien eines Stuhls. Auch im weiteren Verlauf des Films steht dieser Stuhl ein für die Person des Hausherrn. Ähnlich verbindet sich das flüchtige Auftreten von dessen Zwillingsschwester, Lady Magdalena (von der man erfährt, dass sie schwer erkrankt ist), mit dem sachten Zufallen einer Tür im Film. Dieses erzählerische Motiv der ins Schloss fallenden Tür greift das grauenerregende Schicksal von Magdalena voraus. Wenn sie wenige Tage später vermeintlich stirbt, sieht man nicht nur einen Sarg in die tief gelegene Gruft fahren, sondern man hört auch die Schläge der Hämmer, die den Sarg vernageln, sowie das Zuschlagen und Zuschließen einer schweren Eisentür, welche die Gruft verriegelt. Das anfänglich angedeutete Motiv des Einschließens sieht sich aufgegriffen und (re-)iteriert. Fasst die Zartheit des sachten Zufallens 3

Poe, S. 104.

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die schwindende Lebenskraft Magdalenas, beschreibt das pochende Geräusch des Hämmerns und das gewaltige Zuschlagen und Zuschließen der Eisentür einen Gewaltakt, nämlich den grausamen Umstand, dass ihr Bruder Roderick sie lebendig begraben lässt. Die Gewissheit darüber erlangt der Leser/Zuschauer jedoch erst später in der fulminanten Zuspitzung der Geschehnisse. Nichtsdestotrotz, der Erzähler (und mit ihm der Leser/Zuschauer) ahnt etwas im Voraus. Die grausige Tat hinterlässt Spuren im Wesen des Hausherrn. So heißt es in der Erzählung: »Und jetzt, nachdem einige Tage bitteren Schmerzes vorübergegangen waren, trat in den äußeren Anzeichen der geistigen Störung meines Freundes eine bemerkenswerte Veränderung ein. Seine gewohnten Beschäftigungen vernachlässigte er oder gab sie ganz auf. Mit hastigen, ungleichen und ziellosen Schritten durchirrte er die lange Reihe der Gemächer. Die Blässe seines Antlitzes war noch geisterhafter geworden – das frühere Leuchten seiner Augen erloschen. Die Heiserkeit, die vorher seine Stimme oft verschleierte, war verschwunden, doch wurden seine Worte jetzt stets von jenem Beben getragen, das nur der höchste Schreck verursachen kann. Es gab Zeiten, in denen ich annahm, sein erregter Geist ringe nach Mut, irgendein quälendes Geheimnis auszusprechen – dann wieder schob ich alles auf die Laune des beginnenden Wahnsinns. Stundenlang sah ich ihn oft mit dem Ausdruck tiefster Aufmerksamkeit ins Leere starren, als lausche er auf irgendeinen eingebildeten Ton. Es war kein Wunder, dass ein solcher Zustand mich erschreckte, ja ansteckte. Schon fühlte ich, wie seine phantastischen und doch ergreifenden Wahngebilde sich langsam und sicher den Weg zu meinem Hirn bahnten.«4

Diese eingängige Beschreibung geistiger Verwirrung findet im Film eine bemerkenswerte Antwort. Sie bestätigt, was zuvor in Bezug auf den Antipsychologismus in Švankmajers Filmen erläutert wurde. Der Film erkundet zunächst in Nahaufnahmen brüchige Steinwände und mit Spinnenweben behangene Decken des Hauses. Diese Kamerabewegung suggeriert sowohl Rastlosigkeit, also auch den umherschweifenden Blick eines intensiven Hörens, wie es in Zusammenhang mit Rodericks verändertem Wesenszustand in der Erzählung vorkommt. Damit nimmt die Kamera die Position Rodericks ein. Dieses Umherschweifen wird jedoch jäh unterbrochen von schnellen Kameraschwenks zu einem Tisch, auf dem Hammer, Nägel und ein Schlüssel liegen (siehe Abbildung 9).

4

Poe, S. 115.

220 | Das Innerste denken

Abbildung 9: Von Leidenschaft durchwirkte Objekte.

Quelle: The Fall of the House of Usher, 1980, dir. Jan Švankmajer.

Die Objekte, die sich eng an die Schuld Rodericks knüpfen (das Zunageln des Sarges sowie das Zuschließen der Eisentür besiegeln das Schicksal der lebendig begrabenen Magdalena), vibrieren unruhig in der Erwartung, dass das Geheimnis entdeckt wird; so wie Roderick in dieser Erwartung bebt. In den abrupten Kameraschwenken stellt der Film einen direkten Bezug zwischen dem sonderbaren Verhalten des Hausherrn und dessen Schuld her. Rodericks Blick schweift nicht unmotiviert umher, sondern er lauscht auf Lebenszeichen seiner Schwester. Nägel und Hammer ruhen nicht, sondern sie erweisen sich investiert mit verborgener Lebensenergie, die sich im Falle von Magdalena aufs Grausamste unterbunden und geraubt sieht. Das Motiv des Hammers und der Nägel zeigt so eindringlich, wie Švankmajer in The Fall of the House of Usher Objekte/Geräusche und Attitüden/Intentionen in der Weise charakteristisch zusammenbringt, dass es ganz und gar entbehrlich wird, das menschliche Subjekt körperlich darzustellen, obwohl die Erzählung von den Abgründen menschlichen Verhaltens handelt. Die Konjunktion des von Attitüden/Intentionen gezeichneten Filmkörpers und des Objekts/Geräuschkörpers reduziert die Darstellung auf das Wesentliche. In diesem Sinne wirkt die Darstellung auch antipsychologisch. Die Abwesenheit des menschlichen Körpers dezentriert das menschliche Subjekt, und doch büßt die Darstellung nicht an Essenzialität ein. Im Gegenteil. Der aporetische Gehalt der Darstellung, der sich essenziell an das Thema der Schuld bindet, wie es im letzten Kapitel dargestellt wurde, tritt in der ›Reduzierung auf das Wesentliche‹ deutlicher hervor. In diesem Sinne wirken sowohl die Erzählung Poes5 als auch Švankmajers 5

Die Erzählung erschien 1840, nochmals überarbeitet, in einer Sammlung von Kurzgeschichten mit dem vielsagenden Titel ›Tales of the Grotesque and Arabesque‹.

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Verfilmung des Stoffes eminent grotesk: Der groteske Körper entwirft fragmentierende, dezentrierende Körperkonjunktionen, die kraftvoller und ausdruckstärker sind, als der in sich ruhende, vollständige Körper es je sein kann. Die ›Reduzierung auf das Wesentliche‹, die sich im Prozess dieses Entwerfens ereignet, trägt den Aspekt der Essenzialität, die diese grotesken Körper an die Aporien und Abgründe der menschlichen Existenz bindet. Die Wucht hingegen, mit der das schreckliche Geheimnis darauf drängt, enträtselt zu werden, zeigt sich in der folgenden Szene. Bestimmen zuvor Bilder des Verschließens den Bezug zu Magdalena, bereiten nun Bilder des gewaltsamen Öffnens und Heraustretens die herannahende Zuspitzung der Ereignisse vor. Während einer Sturmnacht, einige Tage nach dem Begräbnis, sind sowohl der Erzähler als auch Roderick schlaflos. Roderick kommt in das Zimmer des Erzählers mit den Worten: »Und du hast es nicht gesehen? Du hast es also nicht gesehen? Aber warte nur! Du wirst es bald sehen!«, reißt die Fenster auf und gewährt damit dem Sturm freien Einlass in das Zimmer.6 Diese Geste greift der Film auf, indem auch hier ein Fenster gepeitscht von Wind aufschlägt und Blitze in dem geöffneten Fensterausschnitt zucken. Blätter wehen hinein. Ein Spalt in der Wand öffnet sich und es fallen Steinreste heraus. Doch der Film geht in diesem Punkt weiter als die Erzählung. Wir sehen außerdem Baumwurzeln nicht in die Erde, sondern nach oben hinauswachsen. Ein im Morast versunkener Baumstumpf gräbt sich wieder an die Oberfläche, kreucht über den Boden, trifft auf einen anderen Stumpf und beide geraten miteinander in Streit. In der nächsten Einstellung bricht die Erdoberfläche auf, wird von unzähligen Rissen durchzogen, aus denen sich schließlich der Name der begrabenen Zwillingsschwester formt. Diese Bilder sind Vorboten dessen, was sich im Folgenden ereignet, nämlich das Wiedererscheinen von Magdalena. Poe verwendet in Vorbereitung dieses Ereignisses einen Kunstgriff, nämlich den der Erzählung in der Erzählung, und steigert damit enorm den Aspekt der Suspense. Der Erzähler hofft Roderick besänftigen zu können, indem er ihm etwas vorliest. Dieses Vorhaben scheitert jedoch, da das Vorgelesene nur das Grauen potenziert. Denn, in für den Erzähler höchst alarmierender Weise, fallen Geräuschbeschreibungen, die Teil der Geschichte sind, mit Geräuschen, die sich im Haus ereignen, zusammen. Drei Mal hält der Erzähler inne und lauscht auf diese Geräusche: Berstendes Holz; ein schriller Schrei; und das Umfallen einer schweren metallenen Platte. Sehen sich diese Geräusche in der Geschichte offenbar in Handlungszusammenhänge integriert (ein Ritter, der einen Drachen besiegt), lehnen sie sich in unheimlicher Weise an die düsteren Geschehnisse im Haus an.

6

Poe, S. 116.

222 | Das Innerste denken

Im Film hat dieses alarmierende Zusammentreffen zur Folge, dass nicht nur die Objekte/Geräusche, die sich mit den verzweifelten Befreiungsversuchen von Magdalena überschneiden, zum Ausdruck kommen, sondern sich außerdem unheilvoll mit jenen, die Rodericks Schuldigkeit vermitteln, vermischen. Es tauchen der Hammer, die Nägel und der Schlüssel wieder auf. In Verbindung mit dem Schlüssel hören und sehen wir Geräusche und Bewegungen des Abschließens einer Tür, wie es bereits zuvor in dem Film vorgekommen ist. Der Schlüssel steckt nun nicht im Schloss, sondern liegt auf dem Tisch. Des Weiteren verbiegen sich die Nägel, wie sie es tun würden, wenn man eine Vernagelung wieder löst, und wenn der Holzgriff des Hammers sich plötzlich auflöst, tut dies wenig später auch das Holz des Sarges. Das Geheimnis um Magdalenas Tod drängt nach Außen und zwar nicht nur im Sinne der sich anbahnenden Wiedererscheinung der lebendig Begrabenen, sondern auch im Bewusstsein Rodericks, dessen Geist um das Bekenntnis der Schuld ringt. Beide Ereignisse werden wenig später ineinander fallen und entsprechend zeigen sie beide sich bereits im Vorfeld des tragischen Höhepunktes miteinander verbunden. Dies gilt auch für die zwei weiteren Momente, in denen der Erzähler von Grauen gepackt innehält und lauscht. Den unnatürlichen Schrei, den der Drache im Moment seines Todes ausstößt und den der Erzähler glaubt, im Haus widerhallen zu hören, setzt der Film bildlich um. Geometrische Formen, die entfernt an Teile eines Gesichtes erinnern, tauchen auf der Oberfläche des Gemäuers auf. So sehen wir zunächst sich zwei Kreise formen (Augen), dann zwei Kerben, die ein Dreieck bilden (Nase), und schließlich die Ahnung eines schmallippigen Mundes. Der ziellos herumwandernde Blick ist mit der Person Rodericks verknüpft und doch zeichnen sich die Gesichtszüge Magdalenas ab. So zeigt sich auch hier, wie der Film Bezüge auf die herannahende Wiedererscheinung Magdalenas und die Schuldigkeit Rodericks ineinanderfließen lässt. Während der Erzähler nun im Folgenden die Reaktion seines Freundes auf dieses unheimliche Zusammentreffen von Realität und Fiktion beschreibt, kehrt der Film wieder zu Detaileinstellungen des geschnitzten Stuhls zurück, welche bereits vom Anfang des Films her bekannt sind. Der Erzähler beschreibt den sonderlichen Zustand, den Roderick einnimmt, folgendermaßen: »Ich war mir nicht sicher, ob er [Roderick] die fraglichen Töne auch gehört hatte, wiewohl während der letzten paar Minuten eine sonderbare Veränderung in seinem Wesen vor sich gegangen war. Anfangs saß er mir gerade gegenüber, nun hatte er seinen Stuhl so herumgedreht, dass er mit dem Gesicht gerade der Zimmertür zugewandt war. Seine Züge konnte ich nur teilweise erblicken, doch bemerkte ich, dass sich seine Lippen zitternd bewegten, als murmelte er leise vor sich hin. Sein Kopf war auf die Brust gesunken, aber ich erkannte

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aus einem flüchtigen Blick auf sein Profil, an seinen starr aufgerissenen Augen, dass er keineswegs schlief. Außerdem war sein Körper in beständiger Bewegung, er wiegte sich unablässig sanft und gleichmäßig von einer Seite auf die andere.«7

Im Film dreht sich der Stuhl ebenfalls zur Tür. Auch das langsame Hin-Und-HerWiegen, welches der Erzähler erwähnt, findet sich im Film wieder. Selbst die starraufgerissenen Augen Rodericks bringt der Film zur Darstellung, nämlich in besagter Detailaufnahme der kunstvollen Schnitzereien des Stuhls, die entfernt an eine Augenpartie erinnern. Besaßen die Kamerabewegungen in den vergleichbaren Aufnahmen vom Anfang des Films eine erforschende Attitüde, zeigt die Kamera sich hier unangenehm starr und gerichtet auf einen bestimmten Ausschnitt, was die Assoziation starr aufgerissener Augen nahelegt. Im weiteren Verlauf beginnt der Film wieder, Aufnahmen eines ziellos herumwandernden Blickes zu zeigen. Diese werden unterbrochen von Bildern, die zeigen, wie die Kamera wiederholt mit hastigen Bewegungen gegen die schwere eiserne Tür der Gruft angeht, und darin die Wucht heftiger Schläge nachempfinden. Nimmt dann der Erzähler das Vorlesen der Geschichte wieder auf, bewegt sich wieder der Schlüssel, dann sieht man die eiserne Tür zu Boden fallen und schließlich die Kamera sich einen Weg aus der Gruft, die Treppe hinauf, ins Haus bahnen. Während dessen spricht Roderick folgendes Geständnis: »Es nicht hören? – O ja! Ich höre es wohl und habe es gehört! Lange – lange – lange – viele Minuten – viele Stunden – viele Tage lang schon habe ich es gehört! Und ich wagte nicht – o beklage mich jammervoll Elenden! – ich wagte nicht – ich wagte nicht zu reden! Wir haben sie lebendig ins Grab gelegt.«8

Mit dem Geständnis erscheint Lady Magdalena in der Tür, in Leichentücher gehüllt, »mit Blut befleckt und an ihrem abgezehrten Körper waren überall die Spuren eines zähen Kampfes zu erkennen«9. Auch im Film öffnet sich die Tür und es erscheint zunächst grelles Licht und dann ein weißer Stoff, auf dem sich Blutflecken ausbreiten. Wenn Magdalena sich mit letzter Kraft auf Roderick stürzt, stirbt dieser auf der Stelle. Der Tod Rodericks wird im Film als Umkippen und Auseinanderfallen des Stuhls dargestellt. Das mächtige Haus beginnt in sich zusammenzufallen, bis es schließlich vollständig im dunklen Teich versinkt. Der Erzähler flieht. Im Film ›fliehen‹ Stühle und Schränke aus dem berstenden Haus. Sie versinken kläglich in dem sumpfigen Morast, den das Haus umgibt. Dem folgen alter7

Poe, S. 119.

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Poe, S. 120.

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224 | Das Innerste denken

nierende Detailaufnahmen einer lebendigen Krähe (wie zu Anfang des Films) von unten gefilmt und Nahaufnahmen einer scheinbar ausgestopften Krähe, die sich in ihre Bestandteile auflöst, von oben gefilmt. Damit endet der Film. Leidensfähigkeit und Hingabe an das Objekt The Fall of the House of Usher zeigt eindringlich, wie der ›Abdruck‹ im Sinne einer bedeutenden Figuration (Äußerlichkeit) untrennbar verbunden ist mit dem Eindruck als Gefühl des Abgestimmtseins des erlebenden Subjekts mit den Objekten/Körpern und Intentionalitäten/Handlungen, die es umgibt (Innerlichkeit). Im ersten Kapitel schien es wichtig, zwei Bögen (kategorialer und semiotischer Bogen) aufzuweisen, um schließlich zum dritten Bogen zu gelangen. Dieser ›dritte Bogen‹ stellt sich nunmehr, ganz im Sinne dessen was in Bezug auf Ricœur über die Funktion des Gefühls gefunden wurde, als ein Zusammenführen dieser beiden ohnehin miteinander verwobenen Ebenen dar. Die Verbindung stellt den Konflikt heraus, der in Leidenschaften zum Ausdruck kommt. Leidenschaften binden sich an Körper, jedoch Körper stellen sich immer zugleich als Äußeres und Inneres dar (Objekt/Intentionalität). Soll in diesem Kapitel der Konjunktion des medialen und des materiellen Körpers in Zusammenhang mit dem Surrealismus nachgegangen werden, dann erweist es sich als unerlässlich, die paradoxe Dualität von Äußerlichkeit und Innerlichkeit zu untersuchen. In ihrem für filmphänomenologische Studien wegweisenden Buch Carnal thoughts: embodiment and moving image culture widmet sich Vivian Sobchack dieser Dualität. Von besonderem Interesse ist das letzte Kapitel ›The passion of the material: towards a phenomenology of interobjectivity‹. Folgendes Zitat weist den Bezug zu The Fall of the House of Usher auf. Sobchack schreibt: »On the one hand, passion is defined as suffering; it is the state or capacity of being acted on and affected by external agents and forces, usually adversely. […] However, insofar as the passion of suffering names a certain condition of passive existence in which a bodysubject or an embodied object is subjected to the will of others or the action of external forces, and insofar as it suggests a lack of intentional agency the passion of suffering brings subjective being into intimate contact with its brute materiality and links it as well to the passive, mute, and inanimate objects of the world.«10

Der Zusammenhang, inwieweit Subjekte und Objekte sich in ihrer Leidensfähigkeit berühren, motiviert Švankmajers Werk, wie man in Bezug auf The Fall of the House of Usher und Don Juan eindrucksvoll erfahren kann. Dabei bindet sich die 10 Sobchack (2004), S. 287.

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Leidensfähigkeit essenziell an die Absorptionsfähigkeit des körperlichen Aspekts. Der körperliche Abdruck gewinnt in seiner Absorptionsfähigkeit nicht alleine Autonomie, wie es Baudrillards Thesen provokativ nahelegen (reduzierend, destruktives Argument), sondern bringt dem Subjekt außerdem seine eigene Körperlichkeit/Objektivität nahe und damit die Grundlagen, auf denen es ethisch handelt. Sobchack unterscheidet dazu die Wahrnehmung als objektives Subjekt und als subjektives Objekt. Sie schreibt hierzu: »That is, the passion of suffering not only forces recognition of oneself as an objective subject always immanently and substantially ›here‹ and open to being externally acted on regardless of one’s volition – but it also enhances the awareness of oneself as a subjective object: A material being that is nonetheless capable of feeling what it is to be treated only as an object. Indeed, it is our own reversibility as subjects and objects that provide us the material, corporeal foundation for the possibility of recognizing – and caring for – material objects external to ourselves, be they other animate beings or inanimate worldly things.«11

Wie in Bezug auf die Argumentation Barkers stößt man auch bei Sobchack auf das Moment der Reversibilität. Stellt Barker eine intime Relation zwischen dem Filmkörper und dem menschlichen Körper in seiner Objektivität/Intentionalität her, so findet man den gleichen Ansatz hier wieder. Sobchack fokussiert sich nicht ausschließlich auf den absorbierenden Aspekt des In-Sich-Aufnehmens (Leidensfähigkeit) des Körpers/Objekts, sondern weitet den Fokus aus. Der Punkt ist interessant in Bezug auf Švankmajer. Es ist nicht nur die Verschlossenheit des Objekts, in der es sich distanziert, sondern eine Verschiebung in der Selbstwahrnehmung des Subjekts hin zu seiner Objektivität/Materialität. Das Moment der Reversibilität öffnet den Dialog zwischen Subjekt und Objekt, anstatt einseitig den reduzierenden, absorbierenden Aspekt dieser Beziehung zu privilegieren. Das Grotesksein in Švankmajers Werk, wie tatsächlich sein Bezug zum Surrealismus, ist nicht zu verstehen ohne den Aspekt der Reversibilität. Die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit, spielt eine entscheidende Rolle. Spricht Sobchack von Interobjektivität, dann spielt sie auf die Komplexität dieser Beziehung aus der Sicht des Körperlich-Materiellen an. Entsprechend fügt Sobchack der Leidensfähigkeit des Objekts, welcher sich der Körper im Moment des Leidens annähert, den aktiven Aspekt der Hingabe hinzu. In der Hingabe zeigt sich die Sehnsucht, andere Subjekte und Objekte in ihrer Materialität und Objektivität zu erfahren und sie darin in ihrer Andersheit als Eigenes zu erfassen.12 Dieses ›Erfassen‹ funktioniert nach dem imaginären Prinzip 11 Sobchack (2004), S. 288. 12 Sobchack (2004), S. 288.

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der analogen Anpassung oder Nachahmung, welches bereits im dritten Kapitel in Bezug auf das Wirkungsprinzip der Analogie zur Sprache kam. Das Moment des Analogen, des Nachahmenden (Mimesis) ist von zentraler Bedeutung. Sobchacks Begriff der Interobjektivität zielt darauf ab, dass das hingebungsvolle Erforschen und Entfalten der eigenen körperlichen Materialität und der gegenständlichen Welt, eine Bereicherung in Bezug auf Sensibilität und Sensualität beinhaltet. Interessant sind die Thesen Sobchacks im Hinblick auf die bisherige Argumentation, weil Sobchack diese Bereicherung im Zusammenhang mit Tendenzen, Spannungen und Intentionen sieht. Laut Sobchack beeinflusst uns die erlebte sensuelle/sensible Bereicherung entscheidend in unserem Handeln. Sie schreibt: »I would argue that it is this sense of passion that provides the material foundations of our aesthetic behavior towards the world and others. That is, it allows us to understand in a primordial way the general pervasion in existence of material sense-ability. Our recognition of and care for ourselves not only as objective subjects who are capable of grasping and feeling the alterity of other worldly objects, but also as subjective objects that can be experienced in such a way by others allows us the possibility of appreciating – and caring – for the form and substance of ›things‹ external to ourselves. It allows us to hope that the world and others’ material grasp of us will be appreciative and care-full.«13

Wenn also im dritten Kapitel herausgestellt wurde, dass Švankmajers Werk sich mit besonderer Hingabe der materiellen Welt zuwendet, dann wird der Zusammenhang zur utopischen Funktion deutlich. Die Hingabe an die Materialität der gegenständlichen Welt begrenzt sich nicht auf die psycho-biographische Dimension des Werkes (Autorenfigur), sondern gewinnt an Essenzialität, indem sie nach Würde und Schönheit im Umgang mit körperlicher Materialität fragt; ebenbürtig zu der Essenzialität, die sich an die Frage der Schuld bindet (aporetisches, reduzierendes Argument). Die Leidenschaft, die sich an den Umgang mit der gegenständlichen Welt und die darin umfangenen Körper bindet, sieht sich nicht marginalisiert, sondern zentriert. Impulsgebende Momente reduzieren sich nicht auf eine ästhetische Entscheidung in Richtung einer bestimmten Wirkung, sondern beschreiben eine das Werk überschreitende Wirkung. Diese Reziprozität verläuft, ähnlich wie es bereits im Zusammenhang mit den Thesen Barkers aufkam, auf den Wegen mimetischer Operationen – in dem Sinne, dass es sich um Handlungszusammenhänge, um Motivationen, Intentionen und Spannungen handelt. Wenn Švankmajer sagt, Surrealismus stellt keine Ästhetik, sondern eine Philosophie dar, dann zielt er darauf ab, dass Lebenswelten wie gegenständliche Welten, narrative 13 Sobchack (2004), S. 290.

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Welten und subjektive Welten sich nicht voneinander trennen lassen, da sie auf der Ebene des Operativen ineinanderfließen. Im Sinne einer existenziellen Angleichung zehren sie voneinander (Absorption), geben sich einander hin und stellen dabei, in den leidenschaftlichen Verbindungen, Gutes wie Böses heraus. Die Motive des Grotesken nehmen sich diesen leidenschaftlichen Verbindungen wie keine andere Figuration an, da sie sich zu aller erst in der Intimität der körperlichen Ebene wiederfinden. Besteht also ein Zusammenhang zwischen der Thematik der existenziellen Angleichung und dem Phänomen des Grotesken, erweist sich The Fall of the House of Usher als vortreffliches Beispiel. Wiederholt beschreibt der Erzähler den geheimnisvollen Einfluss, den das Haus und die Umgebung auf den zunehmend verwirrten Geisteszustand seines Freundes haben. So heißt es in der Erzählung: »Nach und nach ließen mich abgebrochene, unbestimmte Andeutungen noch eine andere Eigentümlichkeit seines geistigen Zustands erkennen. Gewisse abergläubische Vorstellungen fesselten ihn so eng an das Haus seiner Väter, dass er schon seit langen Jahren nicht mehr gewagt hatte, dasselbe zu verlassen. Verschiedentlich deutete er mir den Einfluss, den seine Umgebung auf ihn ausübe, an, jedoch immer in so vagen, schattenhaften Worten, dass ich sie nicht wiederholen kann. Er glaubte etwa, dass gewisse Besonderheiten in der Bauart und dem Material seines Stammschlosses, in Verbindung oder vielmehr mittels seines langen Leidens, wie er sich ausdrückte, eine Wirkung auf seinen Geist ausübten – eine Wirkung, die von den physikalischen Bestandteilen der grauen Mauern und Türme und des schwärzlichen Teiches, in dem sich alles spiegelt, ausging und nach und nach sein geistiges Dasein in Mitleidenschaft gezogen habe.«14

Doch Poe belässt es nicht bei dieser Annäherung von gegenständlicher und subjektiver Welt im psychologischen Sinne. Er fügt ihr eine weitere Dimension hinzu, die von dem Erzähler als sonderbar und überreizt abgetan wird, aber inhaltlich das Thema der existenziellen Angleichung aufgreift. So berichtet er über gewisse Ansichten seines Freundes: »Im Allgemeinen bezog sich diese Ansicht auf das Empfindungsvermögen der Pflanzen. Doch hatte sich diese Idee in seiner überreizten Phantasie fast ins Unbegrenzte fortgesponnen, er hatte sie auf die unorganischen Stoffe übertragen. Ich finde die Worte nicht, um seine Ansicht ihrer vollen Bedeutung nach und den Ernst, mit dem er sie vertrat, zu schildern. Sie stand, wie ich schon andeutete, mit den grauen Mauern seines Stammschlosses in Verbindung. Er behauptete, die Bedingungen jenes Empfindungsvermögens seien hier erfüllt worden – durch die Art und Weise, wie man die Steine zusammengefügt, wie man den 14 Poe, S. 107f.

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Plan der Mauern entworfen, durch die vielen Schwämme und Pilze, die sie allenthalben überwuchern, durch die vermodernden Bäume – vor Allem aber durch das lange, ungestörte Bestehen der ganzen Besitzung und die fortwährende Spiegelung des Hauses in dem Teiche. Der augenscheinliche Beweis für jenes Empfindungsvermögen liege – hier versetzten mich seine Worte in grenzenlose Bestürzung – in der allmählichen, aber sicher fortschreitenden Verdichtung der über dem Teich und dem Gebäude lagernden Atmosphäre. Das Ergebnis sei in dem stillen, aber schreckensvollen Einfluss unverkennbar, den diese Umgebung schon seit Jahrhunderten auf das Schicksal seiner Familie gehabt und die das aus ihm gemacht habe, was ich nun vor mir sähe. – Solche Ansichten lassen sich nicht erläutern, und ich will es auch nicht versuchen, es zu tun.«15

Es stellt eine groteske Verkehrung dar, ein Gebäude und seine Umgebung mit einer heimlichen, lebendigen Kraft zu investieren; eine Verkehrung, die Švankmajer in seiner Verfilmung wortwörtlich nimmt, wenn er anstelle der Personen Gegenstände auftreten lässt. Diese Kraft existiert jedoch und äußert sich nur in dem vermeintlichen Einfluss, den sie auf die Bewohner des Hauses ausübt, auf die Spannungen, Tendenzen und Intentionen, die mit dem Mauerwerk und dem schwärzlichen Teich verflochten sind. Stellt man sich die Frage, was Roderick Usher letztlich dazu treibt, nicht auf die Lebenszeichen seiner Schwester zu reagieren und sie ihrem grausamen Schicksal zu überlassen, dann gibt die Erzählung diese Art der Verschmelzung, die zwischen dem Haus und dem Hausherrn stattfindet, als Antwort. Wie die Wände des Hauses hören Rodericks Ohren die stummen Schreie der lebendig Begrabenen und doch befreit er sie nicht. Umgetrieben von der Schuld sieht er sich dennoch nicht fähig, darauf hin zu handeln – stumm und absorbierend wie ein Gemäuer. Stehen sich die Opazität des Gemäuers und die erregte Handlungsbereitschaft des Gemüts gegenüber, sehen sich beide einander zugeführt im Moment der Leidenschaft, eine Leidenschaft, die mit einer gewissen Atmosphäre der Melancholie zusammenfließt – dasselbe Gefühl der Melancholie, dessen sich der Erzähler bereits beim ersten Erblicken des Hauses nicht erwehren kann.16 In diesem Sinne führt die Handlungsunfähigkeit Rodericks vor Augen, wie Sobchack die Wahrnehmung des Subjekts seiner objektiven, materiellen Dimension in zuvor beschriebener Weise versteht – entweder als objektiviertes Subjekt, in Bezug auf welches gehandelt wird, oder als subjektiviertes Objekt, welches fühlt und versteht. Beide Momente sind vertreten in Švankmajers Filmen und beschreiben die Intimität, in der die Motive des Grotesken sie darstellen und 15 Poe, S. 112. 16 Melancholie stellt in sich ein komplexes Phänomen dar, welches dem Grotesken in vieler Hinsicht ähnlich ist. Vergleiche dazu Jean Clair Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst Berlin, 2006.

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offenlegen. Die Fähigkeiten, Leid zu ertragen und sich hinzugeben, fügen sich ineinander. Diese Verflechtung von Leid und Hingabe führt geradewegs zur Thematik der sadomasochistischen Tendenz Švankmajers Filme, welche bereits im zweiten Kapitel zur Sprache kam. Als illustratives Beispiel führt Sobchack den von Lawrence Weschler verfassten Artikel ›The furniture philosopher‹ an. Er berichtet von dem schwer an Parkinson erkrankten Ed Weinberger, dem es schwere Krämpfe zeitweilig unmöglich machen, sich zu bewegen. Aus diesen krankheitsbedingten Anfällen heraus entwickelte sich in Weinberger ein ungewöhnliches Interesse für Möbel, was ihn dazu bringt, hochwertige und verblüffende Designs für Möbelstücke zu kreieren. Auf die Frage hin, wie beides zusammenhängt, schildert Weinberger folgendes Erlebnis: »[F]eeling myself starting to freeze up, I’d arrange to crumple slowly onto the floor, falling on my side right there, beside the table, my arms extended towards the back of the drawer. Frozen, I’d gaze at the drawer, referencing the perpendicular, trying, as it were, to gain conceptual leverage, a sense of uprightness. I would follow a plane and shift to the next plane – the intersection of one plane with another, the distribution of weight, tension across space, fulcrum and transparency. These were all classically modernist themes, but what for them [the modernists] has been metaphor for me was immediate experience.«17

Während sich Ed Weinberger also auf den Boden gebannt sieht, unmöglich sich zu bewegen, beginnt er, die Möbel um ihn herum nicht länger konzeptuell wahrzunehmen (das heißt, in dem was sie repräsentativ darstellen), sondern tatsächlich in ihrer Körperlichkeit. In der mimetischen Annäherung der eigenen Körperlichkeit an die Unbeweglichkeit und Ausdehnung der Möbel erlebt er unmittelbar, wie sich diese Aspekte der Körperlichkeit für die Objektkörper anfühlen. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf Roderick. Die Verbindungen, die sich herstellen zwischen den alten Gemäuern und seinen Bewohnern, übersteigen das Ausmaß einseitiger Projektion. Poe zeigt sich gründlich darin, die Reziprozität dieses Einflusses in die Erzählung einzuarbeiten; genauso wie Švankmajer. Roderick gleicht sich dem Gemäuer und seiner Umgebung in dem Maße an, dass er schließlich aufhört Mensch zu sein und als solcher zu handeln. Diese Angleichung beantwortet der Film darin, dass er Subjekte gänzlich durch Objekte ersetzt. Die Verschmelzung läuft jedoch über die Ebene des Gefühls, welches Reflexion anregt und dieser vorausgeht. Wie es in Bezug auf Ricœurs Argumentation im letzten Kapitel dargelegt wurde, setzt jedes Verstehen die Dimension des Fühlens voraus. Doch im 17 Lawrence Weschler, ›The furniture Philosopher‹, New Yorker Nov.8, 1999, S. 72, zitiert nach Sobchack (2004), S. 292.

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Moment der existenziellen Angleichung tut sich eine Ebene auf, die sich durch das Moment der Pre-Reflexivität auszeichnet; eine Ebene, auf der Körper mit Körpern kommunizieren, über existenzielle Grenzen hinweg. Der Austausch findet über Ausdehnungen und Wesenseigenschaften statt, die Tendenzen, Spannungen und Intentionen auslösen und dabei das reflexive Moment bereits vorausgreifen, es aber nicht ausformulieren. Diese Ebene entflieht dem rationalen Zugriff repräsentativer Funktionalisierung. Greift man die einleitenden Gedanken auf, die vor allem die Widerspenstigkeit des Phänomens des Grotesken gegenüber rationalen Zugriffen herausgestellt haben, dann kommt man an dieser Stelle dem spezifischen Grotesksein von Švankmajers Werk näher. Das mimetische Moment der Angleichung, welches reziprok wirkt, deckt auf und erlaubt Freiheit. Die Widerspenstigkeit grotesker Motivik ist gleichbedeutend mit einer Abkehr von den autoritativen Strukturen repräsentativer Systeme, wie Sprache, Diskurs, Logos. Die destruktiv reduzierende Seite zielt auf diese Strukturen ab, untergräbt und unterwandert sie, während die utopische Funktion auf die Ursprünglichkeit eines pre-reflexiven Zustands mimetischer Angleichung zustrebt. Die Paradoxie des hoffmannschen Menschenbildes, die zum Ende des letzten Kapitels ausgeführt wurde, beschreibt dieses Verhältnis. Sie beantwortet die Frage, was im eigentlichen Sinne die ›Schau‹ beinhaltet, die den Künstler entweder ins Verderben stürzt oder in ein bereichertes Leben entlässt. Die Paradoxie der hoffmannschen Position zeichnet sich darin aus, dass ein innerlich erregtes Ich sich einem reduzierten Außen entgegensetzt und entweder kläglich an diesem scheitert oder die Enttäuschung überwindet, die das Gesehene auslöst.18 Sie enthält eine radikale Absage an die Außenwelt (absolute Suspension) und eröffnet doch die Möglichkeit einer utopischen Überschreitung. Das Problem, welches diesem Paradox zugrunde liegt, ist das Gleiche, welches das Moment des Grotesken in der Aporie arretiert und Švankmajers Filme so düster und menschenfremd wirken lässt. Das utopische im Angesicht des reduzierenden Moments: Ein Paradox Jonathan Owens Studie zu den Filmen Švankmajers widmet sich diesem Paradox. Da er sich auf den surrealistischen Bezug in Švankmajers Werk zur Post-Sechziger Bewegung im tschechoslowakischen Kino konzentriert, kommt der Autor nicht umhin zu fragen, welchen utopischen Gehalt die Filme Švankmajers transportieren. Er schreibt:

18 Vgl. Matt, S. 16.

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»Švankmajers work must therefore be distinguished from those manifestations of countercultural utopianism (such as the Vienna Aktionists) that valorize the return to infancy and to the instinctual freedom that state entails. Švankmajer has affirmed in interviews that Surrealism’s ultimate ambition, and implicitly his own, is ›liberation‹, yet the possibility or advisability of complete instinctual liberation is something severely problematised by the films themselves […]. [T]o that extent Švankmajer’s films are representative of the antiutopian, pessimistic tendencies of post-war Czech Surrealism. However, if his work never implies that we might someday enact our repressed desires and urges in life, it does demonstrate that a certain kind of ›liberation‹ is offered by ›self-expression‹ by art itself. Švankmajer argues that Surrealism has ›tried to return art, which has become representational, aesthetic, commercial, to its level of magic ritual‹.«19

Owens Ausführungen zeigen, wie schwierig es ist, einen utopischen Gehalt in den Filmen Švankmajers festzumachen. Der groteske, aporetische Charakter der Filme, welcher der Abgrenzung und Aufdeckung von repressiven, autoritativen Strukturen dient, unterbindet den Gedanken an Befreiung. Zu tief sitzen die Übel, die sich an dieselben Strukturen binden, die das Groteske – im Sinne eines ›das Innerste denken – aufhebelt und aufdeckt.20 Dennoch bestätigen die Ausführungen Owens, dass ein utopischer Impuls in den Filmen zu finden ist und zwar verbunden – ähnlich wie bei Hoffmann und dem an Parkinson erkrankten Ed Weinberger – mit einer maßlosen Hingabe an eine ›reduzierte Körperlichkeit‹. Reduziert heißt in diesem Zusammenhang, dem ›erregten Ich‹ gegenübergestellt und damit entweder in die Erwartung gegenseitiger Annihilation (Verführung) oder einer bereichernden, reziproken Teilhabe mündend. Wendet man sich erneut der Frage zu, worin der hoffmannsche Gedanke der Freiheit besteht, dann wird deutlich, dass die soziale und persönliche Abgrenzung es zwar in ihrer Radikalität verbietet, in diese Strukturen zurückzukehren, zugleich jedoch an der Möglichkeit der Subversion festhält. Diese Möglichkeit bindet sich an die Kraft der Erneuerung, die der künstlerischen Imagination obliegt. Sie gewährt Freiraum, wenn sie es schafft, in die operativen Strukturen des Lebens einzutauchen, die sich von Impulsen, Leidenschaften, Tendenzen und Intensionen gelenkt sehen. Der Vogel in Préverts Gedicht, welches im vorhergehenden Kapitel zitiert wurde, sieht sich repressiven Strukturen unterworfen und doch beginnt er zu singen, eben weil er nicht lediglich ein Bild darstellt, sondern wortwörtlich zum Leben erwacht. Dieses ›zum Leben erwachen‹ findet in der Hingabe des Künstlers statt. Die Hingabe gilt dabei einer Erforschung der ursprünglichen, pre-reflexiven Voraussetzung menschlichen 19 Owen, S. 213. 20 Vgl. das Zitat von Švankmajer im zweiten Kapitel dieser Abhandlung, Švankmajer (1994b), S. 83.

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Handelns an der Schnittstelle zwischen Fühlen und Denken. Die fortwährende Spiegelung im Außen, interobjektiv und intersubjektiv, ist die Vorbedingung für die reziproke Teilhabe an diesen Außenwelten. Wie Owen herausstellt, widmet Švankmajer sich in seinen Filmen intensiv der Erforschung einer solchen Ebene. So schreibt er: »Švankmajer’s work might impress us with its capacity to synthesise the fanciful and the corporeal […] yet for Švankmajer himself physical reality might be less an impediment to the imagination than its precondition. This idea seems to have been a central principle of Czech Surrealism in general; it is evident, for instance, in the Czech Surrealists’ group activities focused around ›tactile experiments‹, where group members would touch the same hidden objects and then imaginatively extrapolate from those tactile sensations.«21

Švankmajers Hingabe an Sensualität, wie sie in Zusammenhang mit diesen surrealistischen Experimenten hervortritt, erschöpft sich nicht in der Materialität der Körper, sondern bezieht immer den Aspekt der reziproken Teilhabe mit ein: Was macht das Befühlen und Wahrnehmen dieses Körpers mit meinem Körper? Welche Impulse, Intentionen, Assoziationen stimuliert dieses Fühlen in mir und dem Körper, den ich berühre? Wohin führen mich diese Impulse, Intentionen, Assoziationen? An der Schnittstelle zwischen Interobjektivität und Intersubjektivität entsteht die Konjunktion des materiellen und medialen Körpers, welcher der Gegenstand dieses Kapitels ist. Die Konjunktion ermöglicht es zu verstehen, wie die Frage nach der Fehlbarkeit Don Juans im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erfahrung steht, die von dem von Gebrauchsspuren gezeichneten Puppenkörper ausgeht. Sie führt zurück zu einer gewissen Ursprünglichkeit, die beiden innewohnt. Das Beispiel The Fall of the House of Usher zeigt, dass Švankmajer den Körper von Poes Erzählung im Sinne eines medialen Körpers erforscht. In Attitüden, Intentionen und Leidenschaften fließen Materialität und Medialität ineinander. In der Szene, in der die Kamera die Steinwände und mit Spinnenweben behangenen Decken abtastet, wird dies überaus deutlich. Die Anspannung, die in der Resonanz der Worte und Stimme des Erzählers, der rastlos umherschweifenden Kamera und der Filmgeräusche entsteht, bebt leidenschaftlich mit den Gefühlsäußerungen des Hausherrn mit, der grausam schweigend auf die Lebenszeichen seiner lebendig begrabenen Zwillingsschwester hört. In diesem Moment angespannter Resonanz gleichen sich die Medien des literarischen Schriftstücks, des filmischen Mediums, der hörbaren und sichtbaren Instanzen auf der Leinwand drastisch an. Sie berühren sich wortwörtlich. Dabei stellen die Leidenschaften und Irrungen die Grundlage für diese Berührung dar, die Materie wie Medium gleich21 Owen, S. 196.

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ermaßen erfassen und erforschen. Ähnlich verhält es sich im Moment der Zuspitzung der Ereignisse, wenn zu den Höhepunkten der Rittererzählung das Bersten von Holz, der bestialische Schrei und das Scheppern vom Umfallen einer schweren Eisenplatte durch das Haus schallen, bevor Lady Magdalena blutüberströmt in der Zimmertür erscheint. Poes Erzählung weiß sich Resonanzen zwischen Materialität und Medialität erzählerisch zunutze zu machen, indem beide einer übersteigerten, überreizten Intimität zugeführt werden (Suspense). The Fall of the House of Usher stimmt filmisch in die Überspannung ein, da der Film der Anspannung, die sich vonseiten des Hausherrn und des Opfers ausbreitet, Raum macht und so beide ineinander verschränkt. Die enorme, fast übermenschliche Kraft, die Lady Magdalena aufbringt, um sich zu befreien, spiegelt sich wieder in dem langsamen Aufbiegen und Lösen der Nägel, dem Zerschmettern des Holzes, der Wucht der Schläge gegen die Eisentür und den schnellen, aufstrebenden Schritten die Treppe herauf. Die unheilvolle Mischung aus tiefsitzender Schuld und dem gewaltsamen, unaufhaltsamen Herausbrechen ebendieser, verleiht Lady Magdalena diese übermenschlichen Kräfte, was The Fall of the House of Usher filmisch mit rasanten Filmschnitten, -bewegungen und -bildern beantwortet. Bringt Švankmajer also in seinen Filmen unterschiedliche Medien zusammen, wie die Welt des Puppentheaters und Film in Don Juan oder Literatur und Film in The Fall of the House of Usher, dann vereinen sich die intermedialen Ebenen in diesem Konsens: Einer narrativ verbundenen, pre-reflexiven Ursprünglichkeit, welche sich bei Švankmajer als tief verwurzelt sieht mit dem Surrealismus seines Werkes.

SURREALISMUS Wie es bereits in den Anmerkungen Owens zum Thema des Surrealismus zum Tragen kommt, vertritt Švankmajer die Ansicht, dass die surrealistischen Ansätze und Praktiken, die er im Rahmen seines Schaffens verfolgt, nicht primär ästhetischen Zwecken dienen, sondern sich ausschließlich der Realität und dem Leben widmen. Dieser Anspruch lässt sich zu einer zugleich verneinenden und bereichernden Ursprünglichkeit verfolgen, die dem magischen Ritual innewohnt, so die These, die zusammen mit der Frage nach Subversion abschließend für dieses Kapitel untersucht werden soll. Zunächst zum Aspekt des Ursprünglichen. Aus den vorhergehenden Beobachtungen lässt sich folgern, dass die Verneinung ästhetischer und autoritativer Strukturen zur Voraussetzung gerinnt. Hinzu kommt, dass die einfühlende Teilhabe an affektiven Strukturen dazu führt, in den ästhetischen und autoritativen Strukturen Veränderung zu provozieren. Dieses Einsinken richtet sich an ebensolche Strukturen, welche das menschliche Handeln und Denken

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maßgeblich lenken und beeinflussen: Tendenzen, Intentionen und Motive. Das Phänomen des Grotesken, wie andere rhetorische Phänomene, findet seinen Ausdruck über diese Leidenschaften. Sie widmen sich dabei den Disproportionen der menschlichen Seele, wie es im vorhergehenden Kapitel dargelegt wurde (subversive Funktion des Grotesken) genauso wie dem lebensspendenden, magischen, alchemistischen Potenzial, welches vor allem Bachtin in seiner Analyse des Grotesken hervorhebt (utopische, karnevaleske Funktion). Die romantische und die surrealistische Groteske: Fallbeispiel Klein Zaches, genannt Zinnober Die groteske Magie bindet sich an Affekte und Impulse, die das menschliche Handeln lenken, erforscht diese, lotet sie aus, allerdings im Sinne einer einnehmenden Teilhabe und nicht als repräsentativ ausgestaltete Utopie. Darin liegt der Unterschied zwischen einem Werk wie Švankmajers und Hoffmanns. In Hoffmanns Denken deutet sich zwar der Gedanke der künstlerischen Teilhabe mittels der Kraft der Imagination an (die es gilt für den Künstler zu erlangen oder in sein Verderben zu stürzen), jedoch findet sich nicht die gleiche Bereitwilligkeit, sich dem reduzierten Äußeren hinzugeben, im Sinne eines Erforschens und Auskostens. Diese Hingabe zeichnet Švankmajers Werk surrealistisch, genauso wie es Arcimboldos Arbeiten als surrealistische Vorläufer kennzeichnet. Wie Švankmajer über Conspirators of Pleasure sagt: »Conspirators of Pleasure is actually a film about liberation, and about gaining a freedom. It is not art, but a film. Just as, for example, André Breton would not say ›Surrealistic painting‹, he would say ›Surrealism in painting‹. In the same way, I speak of Surrealism in film. Surrealism is psychology, it is philosophy, it is a spiritual way, but it is not an aesthetic. Surrealism is not interested in actually creating any kind of aesthetic. It was drawn as an element from various different artists, but it does not exist.«22

Freiheit versteht sich hier in dem von Owen implementierten Sinn als eine Freiheit der Imagination, im Sinne einer Hingabe an die Imagination. Darin erscheint Švankmajers Wirken romantisch (vgl. Hoffmann). Das groteske Prinzip einer überbordenden Leiblichkeit scheint jedoch dem Romantischen fern. Wie Fuß schreibt:

22 Jackson.

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»Typisch für die romantische Groteske ist nicht das ins Riesenhafte Gesteigerte, sondern das ins zwergenhafte verkleinerte oder verkrüppelte Monstrum. Diese beiden Formen der Verzerrung sind im Gegensatz zur Vergrößerung vorwiegend negativ konnotiert. Der Leib wird abgewertet. Die Betonung des Körperlichen im Monströsen durch die Abweichung von der Körpernorm fungiert als Verweis auf die pure Leiblichkeit jenseits ihrer kulturellen Codierung. Während im Riesen der Renaissancegroteske diese Aufhebung der kulturellen Ordnung positive Effekte (Zuwachs an Kraft und Genuss) zeitigt, wird sie in der romantischen Groteske als negative Deformation, Verkrüppelung und Verkümmerung gestaltet. Diese negative Wertung des Leiblichen entspricht der größeren normativen Kraft leibfeindlicher Moralgesetze in der romantischen Epoche.«23

Als Beispiel für diese These dient Fuß ebenfalls ein Werk Hoffmanns, und zwar Klein Zaches, genannt Zinnober.24 In diesem Kunstmärchen sieht sich ein missgestaltetes Männchen von einer Fee mit der Gabe versehen, dass er allseits für einen hübschen und verständigen Menschen gehalten wird und alle Leistungen, die in seiner Gegenwart vollbracht werden, ihm zugerechnet werden. In diesem Sinne steht die Figur des Klein Zaches für eine Gestalt, die mehr Schein als Sein darstellt. Der Zauber wird während der Hochzeitsfeier mit der schönen Candida gebrochen. Das Männchen wird in seiner Verkrüppelung und Monstrosität entlarvt. Die Referenz auf die Figur des Klein Zaches macht deutlich, wie weit entfernt die hoffmannsche Utopie tatsächlich von einer positiven Konnotation von Leiblichkeit entfernt ist. Die hoffmannsche Utopie schließt in ihrer radikalen Absage die eigene Körperlichkeit des Schauenden mit ein. Trotz der radikalen Verneinung alles Leiblichen kommuniziert sich durch die hoffmannsche Utopie doch der Aspekt der existenziellen Teilhabe. Wenn nämlich die hoffmannschen Charaktere ihrem Teraphim (die lebendig gewordene Puppe) begegnen und es vermögen, ihr eigenes Inneres in diesem Teraphim zu schauen, dann spricht dieses ›Erkennen‹ von einer maßlosen Hingabe an die Körperlichkeit reduzierter Außenwelten. Die Hingabe gilt mehr einer abstrakten Vorstellung, als einer lustvollen Leiblichkeit. Im Kern ist der Fokus auf ein Verstehen und Erforschen angelegt, welches sich dem praktischen Verstehen im Sinne von Trieben, Intentionen und Motivationen zuwendet und von einem theoretischen Verstehen, welches sich vom Objekt und dem Aspekt der existenziellen Teilhabe distanziert, abwendet. Nicht umsonst liegt der Fokus hoffmannscher Erzählungen auf dem Traumhaften und Wahnhaften. Hinzu kommt, dass die Einsicht des Helden, die ihn dazu bewegt, seinen Teraphim anzunehmen, zwar den ›Karfunkel‹ in der Brust erglühen lässt, die Lebensum23 Fuß, S. 324. 24 Hoffmann, Band 5.

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stände des Helden sich gleichwohl nicht verändern. Die Einsicht, die sich in dem Erkennen des ›Karfunkels‹ eröffnet, sinkt wortwörtlich in das Leben ein und wirkt dort. Švankmajers Werk wendet sich ab von dem Anspruch der Transzendenz einer solchen Einsicht, die den Widerspruch zwischen Vorstellung und praktischem Verstehen offenhält – und hebt, ähnlich wie die Renaissancegroteske, die negative Konnotation von Leiblichkeit auf (wobei die Filme zugleich an der romantischen Prädestinierung des Subjekts und dessen Ringen um Selbstlegitimation thematisch festhalten). Das Subjekt sieht sich jedoch grotesktypisch dezentriert – zum einen in seinem Denken und Handeln, welches autoritative und repressive Strukturen forciert, und zum anderen in seinem Verhältnis zum Objekt. Diese Art der Dezentrierung schwebt auch Hoffmann vor, wenn die Schau des Karfunkels mit einer Abkehr des Einzelnen von seiner sozialen und leibhaftigen, kreatürlichen Existenz einhergeht. Der Verweis auf eine Vorstellung oder Leiblichkeit jenseits ihrer kulturellen Codierung führt im Sinne einer utopischen Funktion zurück auf eine Ursprünglichkeit, die sie der negativen, reduzierenden Aporie vorwegnimmt, sie bereichert und umspielt. Mittelalterliche Gefühlswelten als Medien und Maschinen Dies wird besonders deutlich in Gefühlsregungen, die körperlich und motivational im Moment des Erlebens zusammenfließen, wie zum Beispiel das Erröten im Gefühl der Scham. Gefühle sind kulturell codiert. Eine Ausnahme stellt darin der Schmerz dar. Wie Wolfgang Reinhard schreibt: »Schmerz ist radikal wie der Tod, denn er bedeutet zunächst einmal Abtrennung des leidenden Menschen vom symbolischen Sinngeflecht seiner Kultur. Anders als der eigene Tod kann er erfahren werden. Das bedeutet, Schmerz ist die einzige wirkliche Einbruchstelle der ›Natur‹ in die ›Kultur‹.«25

Von daher überrascht es nicht, dass der Schmerz, wie kaum ein anderes Phänomen, das Bedürfnis erweckt, ihn kulturell zu bewältigen, sprich, ihn sich symbolisch anzueignen. Die mittelalterlichen Höllenvisionen, zum Beispiel, gehören in diese Tradition. Hartmut Böhme beschreibt in seinem Aufsatz ›Himmel und Hölle als Gefühlsräume‹, wie mittelalterliche Vorstellungen bezüglich des Jenseits nicht nur eine außerordentliche Bedeutung für den Alltag der Menschen hatten, sondern zudem feste Realitäten darstellten, deren Sensualität dem diesseitigen Leben in

25 Reinhard, S. 92f.

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nichts nachstanden.26 Mit anderen Worten, Gefühle und das Moment des sensuellen Erlebens fungierten als Übergang zwischen diesseitigen und jenseitigen Räumen. Erforderte das Hinübergleiten von einer in eine andere Sphäre einen Wechsel in der Seinsmodalität, so verneinte dies nicht die Vorstellung, dass Gefühlsräume als Medien fungieren konnten, über die das Jenseits mit dem Diesseits in Kontakt treten konnte; eine Sache, die einen gemeinsamen Grund voraussetzte. In Berührung mit diesem gemeinsamen Grund – das Moment der Sensualität – dienten die Jenseitsvorstellungen laut Böhme dazu, Sachverhalte in Erscheinung zu bringen, die sonst der allgemeinen Aufmerksamkeit entgehen: »So gesehen sind Himmel und Hölle gewaltige Medien oder Maschinen, welche Gefühle ›ins Licht‹ und ›in Erscheinung‹ bringen, die zum Menschlichen gehören und darum für das historische Selbstverstehen aufschlussreich sind.«27 Böhme betont, wie intensiv die Höllenvisionen in ihrer Vorstellungskraft an die Grenze des Aushaltbaren gehen und darin nicht nur Vorstellungswelten, wie denen des Marquis de Sade oder Antoine Artauds vorgreifen, sondern sogar übertreffen: »Wahrlich unheimlich aber sind Himmel und Hölle in der Radikalität, in der sie das Äußerste an Gefühlen erkunden, die der menschliche Leib herzugeben hat. Die Texte und Bilder der Hölle sind extremster Realismus an der Grenze des überhaupt noch Fühlbaren. Jenseits davon ist nichts, beginnt das Nichts.«28

Ist der durch klangliche, visuelle oder haptische Reize stimulierte Körper zu einem ekstatischen Erleben fähig, welches ihn ›heraustreten lässt‹, bewegt sich der extremen Schmerzen ausgesetzte Körper einem Nichts entgegen. Der ursprüngliche, utopische Ort dieses ›Nichts‹ bleibt essenziell der Gleiche. Die Vermischung entspricht den grotesktypischen Prozessen der Dezentrierung, so wie die Betonung der körperlichen Dimension dieses Erlebens (in Verquickung mit der motivationalen Dimension) die Verbindung zum Grotesken hervorhebt. Existenzielle Teilhabe und Teilhabe am Nichtsein Das Grotesksein in Švankmajers Werk folgt dem aporetischen Zug des Grotesken, jedoch es formuliert und kommuniziert ebenso die ekstatische Hingabe an die Leiblichkeit unterschiedlicher Verkörperungsinstanzen (Objekte, menschliche Körper, mediale Körper) als utopisches Ideal. Scheint die motivationale Seite im Sinne von Tendenzen, Trieben, Intentionen und Motiven dabei zunächst dem 26 Böhme, S. 62. 27 Böhme, S. 65. 28 Böhme, S. 78.

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aporetischen Zug näher, indem Fragen der Schuld, Niederträchtigkeit und Fehlbarkeit in den Vordergrund rücken, und erscheint die körperliche Seite der ekstatischen Übertretung näher, dann hebt erst die Konjunktion des Motivationalen und Körperlichen den tatsächlich grotesken Körper in Švankmajers Werk hervor. Denkt man zum Beispiel an Don Juan, dann kommt der groteske Charakter seiner Figur vor allem in der Konjunktion der ekstatischen Übertriebenheit seiner körperlichen Erregung in Momenten der Rage und der Disproportion zwischen romantischer Zuneigung und Mordlust zur Geltung. In Bezug auf Roderick wird ebenfalls deutlich, dass die reziproke Hingabe des Hausherrn an die materielle Körperlichkeit des Hauses und seiner Umgebung ein exzessives Hineinsteigern erfordert. Dieser Exzess fügt der materiellen Verbundenheit qualitative Intensitäten hinzu, und zwar im Sinne einer einnehmenden, düsteren Melancholie. Die fatale Verquickung begründet das grausame Schweigen des Hausherrn. Beide Beispiele zeigen, dass die Schulderfahrung als Teilhabe am Nichtsein (wie es das Böse darstellt) Zugang zur Geschichte des Begehrens verschafft. Wie Ricœur in Gedächtnis, Geschichte, Vergessen erläutert: »Die Schuld verfügt, wenn man so sagen kann, über die Kraft, zu dieser vorempirischen, aber nicht geschichtslosen Vergangenheit Zugang zu verschaffen, so sehr hängt die Schulderfahrung mit der Geschichte des Begehrens zusammen.«29 In der Geschichte des Begehrens spielen Schulderfahrungen eine maßgebliche Rolle. In ihr fließen die Fehlbarkeit Don Juans und seine von Begehren und Leibeslust getriebene Seele zusammen; sowie die Schuld Rodericks in der reziproken Verbundenheit mit den materiellen Qualitäten seines Herrensitzes. Dort wo man nicht mehr nach einem Begehren in ekstatischer Suspension fragt, sondern nach dessen Geschichtlichkeit, fällt sie mit dem Erleben von Schuld zusammen. Das Verfolgen des eigenen Begehrens (Handelnder) schließt die Möglichkeit der Leiderfahrung eines Anderen (in Bezug auf den gehandelt wird) ein. Auf dieser Ebene erklärt sich das Auflösen des Zustands absoluter Suspension in der Anfangssequenz von Don Juan. Wenn der Theatermechanismus sich wie von Geisterhand in Bewegung setzt, beginnt sich in der Fehlbarkeit Don Juans auch die Geschichte der Begehrlichkeit zu entfalten, und zwar in einem pre-reflexiven Sinne, der erst sekundär zum Verstehen führt. Diese Geschichte verknüpft sich mit der Geschichte des Grotesken in seinen beharrlichen Referenzen zur ›niederen‹, tierischen Natur des Menschen, leibliche Begierden, Sexualität, körperlicher Verfall und Tod. Ricœur stellt einen direkten Zusammenhang her, wenn er schreibt: »Die Grenzsituation des Kampfes nach Karl Jaspers fügt der Unterbrechung, die der Einsamkeit eigentümlich ist, die Vorstellung eines unüberwindlichen Antagonismus hinzu, zu 29 Ricœur (2004), S. 706.

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dem dann noch eine Agnostik der Rede und des Handelns hinzutritt: Eine Agnostik der Rede, die den nicht auf die politische, soziale Ebene reduzierbaren Charakter des Dissens auferlegt […]; eine Agnostik des Handelns, die untrennbar mit der Tatsache verbunden erscheint, dass alles Handeln (action) ein ›Einwirken auf …‹ (action sur) ist, also eine Quelle der Asymmetrie zwischen dem Urheber der Handlung und demjenigen, dem sie gilt. In diesen Zusammenhang zurückversetzt, deckt sich die negative Erfahrung der Schuld mit der Dimension des Bösen.«30

Vor dem Hintergrund dieses Zitates sieht sich das Motiv des Antagonistischen, welches als zentral im Werk Švankmajers beschrieben wurde, in neuem Licht. Steht es für den unüberwindlichen Bruch, der zwischen den feindlichen Parteien entsteht, spiegelt sich dieser Bruch in der Asymmetrie wieder, die im Moment des Nicht-Übereinstimmens der Rede entsteht. Hinzu kommt die Disproportionalität, die das Böse in der Beziehung des Handelnden zu demjenigen/dasjenige im Kontext dessen gehandelt wird, hinterlässt. Das Zitat Ricœurs implementiert, dass der Bruch im Sinne einer Teilhabe am Nichtsein diese Bereiche aneinanderfügt und sie in Beziehung zueinander setzt. Wo Begehren von Fülle des Lebens spricht, von Ekstase, Ausdehnung und Erweiterung (existenzielle Teilhabe), entwirft sich im Moment des Bösen und Grausamen eine Teilhabe am Nichtsein. Beide Momente – existenzielle Teilhabe und Teilhabe am Nichtsein – erweisen sich im Zusammenhang mit dem Utopischen als wichtig. Die utopische Funktion überschneidet sich als Teilhabe am Nichtsein mit den Akten der Überschreitung und Überkreuzung kulturell geformter Grenzen motivationaler und körperlicher Strukturen, wobei das subversive Potenzial sich der existenziellen Teilhabe zuwendet. Im Schlussteil soll aufgewiesen werden, wie das Verständnis operativer Strukturen dazu beiträgt, das Einsinken utopischer Potenziale als Wahrnehmen von Handlungsstrukturen (Eindruck) zu verstehen, was diese maßgeblich formt und verändert. In dem Sinne wird die Überschreitung zu einem Akt der Dehnung, der Erweiterung und Bereicherung. Die affektive Verquickung des Motivationalen und Körperlichen soll an zwei Beispielen festgemacht werden, welche im Kontext von Böhmes Zitat bereits angedacht wurden: Dem pervertierten, sexuellen Körper im Sinne sadomasochistischer Praktiken und der Utopie eines Theaters jenseits repräsentativer Strukturen, wie Artaud es in seinem Theater der Grausamkeit verfolgt hat. Der Zusammenhang einer Teilhabe am Nichtsein im Sinne eines Bruchs oder einer Leerstelle31 und einer affirmativen, existenziellen Teilhabe wird in diesen Kontexten deutlicher. 30 Ricœur (2004), S. 707. 31 In Bezug auf die Argumentation von Kleinschmidt war von dem Grotesken ebenfalls als ›repräsentative Leerstelle‹ die Rede, vgl. Kleinschmidt.

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DER SEXUELLE KÖRPER Die erotischen Phantasien der sechs Charaktere in Conspirators of Pleasure und die Vorrichtungen, die sie sich bauen, um diese Phantasien auszuleben, wurden bereits im zweiten Kapitel ausführlich behandelt. Es lohnt sich jedoch, sich erneut Conspirators of Pleasure zu zuwenden, denn die Grenze, die Conspirators of Pleasure zwischen der fetischistischen und der sadomasochistischen Erotik zieht, erweist sich als interessant im Kontext einer negativen Ästhetik, die František Dryje in diesem Kontext angesprochen hat.32 Deleuzes Aufsatz ›Sacher-Masoch und der Masochismus‹ beleuchtet die sadomasochistische Aggression, indem er die sadistische von der masochistischen Neigung abgrenzt. Der Unterschied beginnt in der Sprache. Während sich die Sprache des Sadisten auf elementare Funktionen wie Befehle und Beschreibungen reduziert, erzieht und überzeugt ein Masochist mit dem Ziel, einen Vertrag abzuschließen. In diesem Sinne haben beide Sprachen eine direkte Wirkung auf die Sinnlichkeit: Der Sadist rationalisiert und institutionalisiert, während der Masochist ein dialektisch und mythisch geformtes Phantasma erzeugt. So schreibt Deleuze über den Sadisten: »Worum es in der Tat geht, ist der Nachweis, dass die rationale Darlegung selbst eine Gewaltsamkeit ist, dass sie mit ihrer ganzen Strenge, ihrer ganzen Heiterkeit, ihrer ganzen Gelassenheit auf der Seite ist, wo Gewalt ausgeübt wird. Es geht nicht einmal darum jemanden etwas zu zeigen, sondern um das bloße Erbringen des Beweises kraft einer logischen Demonstration, in der sich nur die totale Einsamkeit und die Allgewalt des Beweisführenden immer wieder selbst beweist. Es geht um den Nachweis, dass die Ausübung von Gewalt und die logische Beweisführung identisch sind.«33

Aus dieser rationalistischen Strenge ergibt sich, dass das de sadesche Werk ein Werk absoluter Negation ist. Diese Negation bezieht sich dabei nicht nur auf Teilprozesse des Todes und der Zerstörung. Vielmehr verlangt der Sadismus nach einer Negation, die über allen Gesetzen und Ordnungen steht und als ursprünglicher Wahn oder uranfängliches Chaos sich selbst von der Notwendigkeit von Zeugung, Erhaltung und Individuation befreit hat.34 Deleuze verweist in diesem Zusammenhang auf die Analyse von Pierre Klossowski, der zwischen einer ersten und

32 Vgl. das Zitat von Dryje zur sadomasochistischen Aggression in Švankmajers Werk, Dryje (1995), S. 147. 33 Deleuze (1980), S. 174f. 34 Deleuze (1980), S. 181.

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zweiten Natur im Sadismus unterscheidet.35 Die zweite Natur umfasst die Welt der Erfahrung und umschließt das persönliche Moment, aus dem heraus der Sadist seine Macht ableitet und Gewalttaten ausübt. Die erste Natur hingegen schließt in seiner Absolutheit die Negation des Sadisten selbst mit ein und mündet darin ins Unpersönliche. Spricht die zweite Natur von Verdichtung, indem der Sadist Gewalttaten anhäuft und wiederholt, verlangt die erste Natur danach, dass der Sadist sich selbst zu strenger Zucht anhält und kaltblütig die Verdichtung der zweiten Natur verfolgt. Das Ziel dieser Verdichtung ist nicht in erster Linie Lustgewinn, sondern die Vernichtung der Natur und schließlich des eigenen Ichs des Sadisten. Im Masochismus sieht sich das Moment der Verneinung ebenfalls an zentraler Stelle eingesetzt. Die masochistische Verneinung gilt jedoch nicht der Negierung oder Zerstörung der Welt und auch nicht ihrer Idealisierung, sondern ihrer ästhetischen und dramatischen Suspension. Wie Deleuze schreibt: »Es geht darum sie [die Welt] zu verneinen, sie im Akt der Verneinung in einen Zustand des Schwebens zu versetzen und sich selbst einem Ideal zu öffnen, das seinerseits im Schwebezustand des Phantasmas verharrt. […] Am Ende geht die masochistische Lust sogar soweit, dass sie die sexuelle Lust als solche in ihre Bewegung hineinzieht: Die Lust selber wird verneint, indem der Masochist sie so lange hinauszögert, bis er genau im Augenblick der Lustempfindung ihre Wirklichkeit verneinen kann, um dem ›neuen‹ Menschen ohne Geschlechtsliebe gleich zu werden.«36

In diesem Sinne wird deutlich, dass die Gratwanderung, der man in Bezug auf die erotischen Phantasien der sechs Charaktere in Conspirators of Pleasure begegnet, tatsächlich einem Übergang vom Masochistischen ins Sadistische entspricht. Das fetischistische Objekt ist dem Wesen des Masochismus in seiner suspendierenden Funktion näher als dem Sadismus. Laut Deleuze ist der Sinn des Fetischismus zuerst Verneinung (fehlender Phallus), dann defensive Neutralisierung und schließlich schützende Idealisierung.37 Ähnlich verhält es sich in Bezug auf das Moment der Wiederholung. Während die Wiederholung im Sadismus dem Ziel grausamer Verdichtung dient, verfolgt sie im Masochismus die Absicht ästhetischer und dramatischer Suspension. Im Masochismus sieht sich die Welt verneint und jegliche Beschreibung von Obszönität verschoben und suspendiert. Die Erfahrung von masochistischer Lust befindet sich in einem Prozess des kontinuierlichen Verschiebens und Verneinens: Vom Gegenstand auf den Fetisch, von einem Aspekt des Gegenstandes auf einen anderen, von einer Seite einer Person auf 35 Deleuze (1980), S. 181. 36 Deleuze (1980), S. 187. 37 Deleuze (1980), S. 186.

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eine andere. Übrig bleibt, wie Deleuze schreibt, eine lastende, seltsame Atmosphäre – wie ein zu schweres Parfüm –, die sich in der erstarrenden Bewegung ausbreitet und durch keine Verschiebung aufgelockert wird.38 Fallbeispiel: Conspirators of Pleasure Wenn am Ende von Conspirators of Pleasure die Rollen sich mit einem Mal seltsam verschoben zeigen, das heißt die sexuellen Praktiken von einem Charakter auf einen anderen übergehen und die sechs Charaktere sich in diesem Sinne als untereinander Verschworene oder Verbündete erweisen, dann spricht diese Suspension für ein masochistisches Lustempfinden. Einzig für Herrn Pivonka und Frau Loubalová endet die Phantasie im Akt vollständiger, gegenseitiger Zerstörung. Jedoch auch ihrem Liebesspiel geht der Vertrag voraus (anonymer Brief) und die Erschaffung lebensgroßer Puppen, die sie anstelle der lebendigen Personen züchtigen und schließlich erschlagen, spricht ebenfalls mehr von Akten der dramatisierenden und ästhetisierenden Suspension und Fetischisierung als von der rationalisierten Zufügung von Grausamkeiten. Die Frage stellt sich jedoch, warum Herr Pivonka und Frau Loubalová am Ende des Films von diesem suspendierten Phantasma, welches sie selbst kreiert haben, eingeholt werden und sterben. Der ritualisierte Tod gilt im Masochismus der Lust an der Wiedergeburt. Stellt im Sadismus der Übergang von der zweiten in die erste Natur das unpersönliche Element dar, begegnet es einem im Masochismus in den Mythen und Riten, denen der Masochist sich ausliefert. Diese überführt er, in seinen Phantasien, von der väterlichen in die mütterliche Ordnung und setzt sie darin einer grotesken Verkehrung aus. So schreibt Deleuze über die Beziehung des Masochisten zu seinen Schuldgefühlen: »Der Masochist lebt zu tiefst aus seinen Schuldgefühlen, aber er erlebt seine Schuld keineswegs dem Vater gegenüber. Es ist im Gegenteil die Vaterähnlichkeit, die er als zu sühnendes Makel erlebt. Gerade deshalb ist das masochistische Schuldgefühl zugleich das Tiefste, Lächerlichste und ›Verdrehteste‹; es ist integrierender Bestandteil des masochistischen Triumphes. Es macht den Masochisten frei. Es ist eines Wesens mit dem Humor.«39

Beschreibt sich der masochistische Lustgewinn also in einer Verneinung der Welt, welche vor allem mit einer Verneinung der väterlichen Ordnung einhergeht, dann findet er im Mythos und Ritus die mütterliche Subversion dieser Ordnung. Durch den Vertrag endet das väterliche und geht über in das mütterliche Gesetz. Was 38 Deleuze (1980), S. 189. 39 Deleuze (1980), S. 249.

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zuvor verboten war, ist nun erlaubt. Den Masochisten interessiert einzig – wie die sechs Charaktere in Conspirators of Pleasure –, was sich in der symbolischen Ordnung des Vertrages festgelegt sieht und diese Ordnung widmet sich ganz dem Rituellen und Mythischen. Die Implikationen des Begriffs ›Sadomasochismus‹ (ein Begriff, welcher für Deleuze aus den dargelegten Gründen eine unzulässige Vermischung darstellt) ist für Švankmajers Werk weitreichend, denn sie erklärt die lustbezogene und suspendierende Verneinung autoritativer Strukturen in der negierenden, sühnenden Teilhabe am Nichtsein (das Böse, Gewalt). Der alleinige Zweck dieser Verneinung ist, in der Wiedergeburt einer subvertierten (mütterlichen) Ordnung den vertraglich gebundenen Elementen des Mythischen und Rituellen zu begegnen. Deleuze schreibt zum Abschluss seiner Abhandlung: »[…] die Ausdrucksform Masochs vervielfacht die Verneinung, in deren Kälte ein ästhetisches Spannungsfeld geschaffen wird«40. Diese Zeilen beschreiben in der Tat ein inneres Grotesksein in Švankmajers Werk; seine negierende aporetische Funktion; seinen Bezug zur Fehlbarkeit, Niederträchtigkeit und Bösartigkeit; seinen antagonistischen, dialektischen Charakter (Unentscheidbarkeit); seine humoristische Verdrehtheit; seine Bezogenheit auf die lustvolle Leiblichkeit nicht nur des menschlichen Körpers, sondern auch objektiver und darstellender Körper; sowie seine subvertierende Kraft, die mit dieser Hingabe an die Leiblichkeit einhergeht und sich dem Rituellen und Mythischen darbietet und damit die Utopie einer subvertierten Ordnung schafft. In diesen Instanzen, die sich dem Masochistischen entlehnen, erweisen sich die Filme Švankmajers grotesk. Vor allem in der Überkreuzung des Motivationalen und des Körperlichen. Die rein körperliche Teilhabe am Nichtsein des Bösen entspräche mehr der apathischen Strenge des Sadisten. Der Einbezug des Motivationalen lässt das ästhetisierende, dramatisierende, suspendierende Element in die Teilhabe mit einfließen, am Nichtsein, wie am Sein. Švankmajers Alice weist eine ähnliche Nähe zum Rituellen auf wie die sexuellen Praktiken in Conspirators of Pleasure. Alice soll im Folgenden eingehender betrachtet werden. Fallbeispiel: Alice Ähnlich wie in Down to the cellar sieht sich die Hauptfigur in Alice Perversionen ausgesetzt.41 Deleuze beschreibt in Logik des Sinns, wo er sich mit der literarischen Kunst Carrolls und vor allem den Alice Büchern auseinandersetzt, dass

40 Deleuze (1980), S. 277. 41 Vgl. Sera, Mareike (2016). Adorned shadows and rebellious tropes in Jan Švankmajer’s Alice, Critical Studies: Interdisciplinary Journal of the Humanities (2).

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»Perversion eine merkwürdige Kunst der Oberflächen umfasst«42. Diese Kunst bezieht sich, laut Deleuze, vor allem auf ein Springen zwischen Oberflächen, in der Hauptsache zwischen Dingen und Sätzen und zwischen Essen und Sprechen. Diese unüberwindliche Grenze, die sich zwischen Essen und Sprechen abzeichnet, stellt der Hauptuntersuchungsgegenstand in Logik des Sinns dar. In Bezug auf Alice im Wunderland, welches auch die literarische Vorlage zu Švankmajers Alice ist, arbeitet Deleuze heraus, dass die Geschichte sich in drei Teile unterteilt, welche vor allem durch Ortsveränderungen gekennzeichnet sind. Den ersten Teil umfasst Alices Fall in den Kaninchenbau, in welchem Alice, laut Deleuze, vollständig in das schizoide Element der Tiefe eintaucht: »Alles ist Nahrung, Exkrement, Trugbild, inneres Partialobjekt, giftige Mischung. Alice selbst ist eines dieser Objekte, sobald sie klein ist; als große verschmilzt sie mit deren Behältnis.«43 Švankmajers Verfilmung stellt Alices Fall in den Kaninchenbau als Fahrt mit einem Fahrstuhl in die Tiefe dar, nachdem Alice dem weißen Kaninchen durch eine Schreibtischschublade in seinen Bau gefolgt ist. Während der Fahrt nach unten fährt der Aufzug an unterschiedlichen Regalen vorbei, welche sich herunterzählend mit den Zahlen von drei bis eins nummeriert zeigen. Zunächst befinden sich in den Regalen Papierfiguren von Frauen, Spielzeuge, Häuser aus Bauklötzen, Marionetten und Spielkarten. In der darauffolgenden Sektion von Regalen stehen hauptsächlich Einmachgläser. Darin sehen wir Brötchen mit Nägeln, Kekse und viele andere Sachen. Alice nimmt ein Glas heraus, öffnet es und steckt ihren Finger hinein. Als sie ihren Finger wieder herauszieht, klebt nicht nur Marmelade, sondern auch eine Heftzwecke daran. In der letzten Reihe von Regalen finden sich vor allem Skelette und Skelettteile von Tieren. Die meisten dieser Gegenstände begegnen Alice, in dem was folgt, wieder. Deleuze behält jedoch recht darin, dass sich das Verhältnis zu diesen Gegenständen maßgeblich ändert, sobald sich nach dem Fall durch den Kaninchenbau die zweite Ebene der Erzählung entfaltet. Stellen die Einmachgläser und Tierskelette zunächst in erster Linie ›Nahrung‹ und ›giftige Mischungen‹ dar (wie die Brötchen mit den Nägeln und die Marmelade mit den Heftzwecken), wird Alice in den verschiedenen Episoden des Wunderlandes, die folgen, selbst zum inneren Objekt. Eine Szene macht dies besonders deutlich. Nachdem Alice in das Bauklotzhaus geklettert ist, um für das weiße Kaninchen eine Schere zu besorgen, trinkt sie wieder Tinte, welche sie von ihrer Puppengröße in das Mädchen zurückverwandelt. Viel zu groß nun für das Haus, verweigert sie dem weißen Kaninchen den Zutritt zu dem Zimmer, in dem sie gefangen ist. Außerdem vertreibt sie eine Eidechsengestalt mit Skelettkopf gewaltsam aus dem Haus. Nachdem sie schließlich wieder 42 Deleuze (1969/1993), S. 169. 43 Deleuze (1969/1993), S. 289.

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Kekse findet, verwandelt sie sich in die Puppengestalt zurück und kann das Haus verlassen. Nun jagen sie aber das weiße Kaninchen und die Eidechse mit anderen grotesken Skelettwesen und treiben sie schließlich auf eine Planke, die über den Rand eines Topfes, gefüllt mit milchiger Flüssigkeit, führt. Von einem Bett mit Vogelflügeln aus der Luft attackiert, fällt sie schließlich in den Topf und geht unter. Die Flüssigkeit bewirkt, dass sie wieder zu Menschengröße heranwächst, jedoch eingeschlossen in eine überdimensionale Puppenhülle, die es ihr unmöglich macht, sich zu bewegen. Nur ihre Augen bleiben sichtbar. Das weiße Kaninchen bindet ein Seil um ihre Füße und schleppt sie in eine Vorratskammer, in der die Einmachgläser wiederzufinden sind. Alice befreit sich aus der Hülle, indem sie mit einem Finger durch die Oberfläche bohrt und so die Hülle abstreifen kann. Die Szene macht deutlich, wie Alice zum inneren Objekt wird. Das Haus stellt sich als viel zu klein für ihren großen Körper dar. Die Schädel und Skelette, an denen sie im Aufzug vorbeigefahren ist, und die als Sinnbild für die unstillbare Gefräßigkeit des Menschen stehen, sind zum Leben erwacht, bedrängen sie und treiben sie dazu, in einen Topf mit milchiger Flüssigkeit zu fallen. Der Topf und die milchige Flüssigkeit assoziieren sich mit Essenzubereitung (oder Samenflüssigkeit im sexuellen Sinne). Am Deutlichsten zeigt sich die Assoziation jedoch in Bezug auf die überdimensionale Puppenhülle. Man kennt dieses Bild zum Beispiel aus dem sechsten Streich der Max und Moritz Geschichten, in denen die beiden in den Teig fallen und der Bäcker sie braun zu Brot backt. Doch auch Max und Moritz essen sich aus dieser Hülle wieder heraus. Alice bohrt sich mit dem Finger heraus, genauso wie sie zuvor während der Aufzugfahrt mit dem Finger in die Plastikabdeckung des Marmeladenglases hineingebohrt hat. Das Versinken in der milchigen Flüssigkeit und das Entkommen aus der überdimensionalen Puppenhülle bewirken eine Bewusstseinsveränderung bei Alice. In der Vorratskammer entdeckt sie sowohl Tinte als auch Kekse, die sie zu Puppengröße schrumpfen oder zu Mädchengestalt wachsen lassen können, jedoch Alice verbietet sich diese selbst: »Keine Tinte oder Kekse mehr!« Stattdessen erhält sie in der darauffolgenden Szene von der Raupe die linke und die rechte Seite des Pilzes, auf dem diese sitzt. Jeweils die eine oder die andere Seite lässt sie schrumpfen oder wachsen. Damit erhält Alice die Entscheidungsgewalt darüber, ob sie der Welt der Tiefe (Regression) oder der Höhe (Abstraktion) angehören will. Entsprechend zentral erscheint dieses Thema in den folgenden Episoden. In der Szene im Haus des Herzogs, in der ein Kind erbärmlich schreit und Geschirr aus Fenster und Türe schmeißt, verwandelt dasselbe Kind sich in den Armen von Alice zu einem Ferkel. Die Wahlmöglichkeit für Alice heißt: Kind oder Ferkel. Ebenso verhält es sich in Bezug auf die darauffolgende Szene, in der sie sich mit dem

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Hutmacher und dem Schnapphasen an den Tisch setzt. Entscheidet sie sich für den Künstler der Köpfe (Hutmacher) oder das Tier der Löcher?44 Kurz danach folgt sie dem weißen Kaninchen eine steile Treppe hinauf auf die dritte Ebene: Ein Land bestehend vornehmlich aus Oberflächen, bevölkert von flachen Spielkarten und platten Figuren. Das Erste was Alice von diesem Land erblickt, ist ein Schattenspiel. Als sie das Tuch zurückzieht, sieht sie, wie zwei Spielkartenfiguren, aus der bildlichen Fixierung herausgelöst und frei beweglich, miteinander kämpfen. Bald darauf erscheint die Königin und ruft ihr wohl bekanntes: »Runter mit den Köpfen!«, was sofort von dem weißen Kaninchen ausgeführt wird. Das gleiche Schicksal erleiden der Hutmacher und der Schnapphase, die an einem Tisch sitzen und Karten spielen, sowie eine Reihe von Figuren, die in dem Krocketspiel mit Flamingos als Kegel zur Verfügung stehen. Während Alice jedoch zum Schlag ausholt, verwandeln sich die Flamingo-Schläger zu Hühnern und die Nadelkissen, die zuvor als Bälle dienten, zu Igeln. Es erscheint, als wenn die kleine Alice zunehmend die Kontrolle übernimmt. Diese Tendenz setzt sich in der anschließenden Gerichtsszene fort, in welcher der König und die Königin, am Tisch über Schulheften sitzend, Gericht halten über Alice. Sie wird beschuldigt, Kekse gegessen zu haben, was sie zunächst vollständig und dann einschränkend verneint. Die meisten der grotesken Wesen, denen sie begegnet ist, sind ebenfalls anwesend: Die Skelettwesen, der Frosch- und der Fischherzog, der Hutmacher und der Schnapphase, etc. Sie sitzen der Verhandlung mit Töpfen und anderen Küchenutensilien lärmend bei. Die Königin ruft nur immer wieder »Runter mit dem Kopf!«, wird aber von dem König dazu angehalten, den Prozess abzuwarten. Er zeigt nun Alice in einem der Schulhefte, welche Passagen sie vortragen soll, was sie jedoch verweigert, da sie sich keiner Schuld bewusst ist. Ihr widerspenstiges Verhalten gipfelt darin, dass sie anfängt, die Kekse von dem Teller, der als Beweismittel auf dem Tisch steht, aufzuessen, und als sie sich wiederholt dem Befehl des Königs widersetzt, damit aufzuhören, stimmt der König schließlich in das »Runter mit dem Kopf!« der Königin mit ein. Damit ist das Urteil gesprochen und das weiße Kaninchen kommt mit der Schere auf sie zu. In der Szene, die nun folgt, wird Alices Kopf in mehrfachen Überblendungen durch andere Köpfe der im Gerichtssaal Anwesenden ausgewechselt und sie fragt sich in Grauen und Angst nur: »Welcher?« In diesem Moment erwacht Alice in ihrem Spielzimmer. Sie findet ein Kartenspiel auf ihrem Schoss sowie viele andere Sachen, denen sie im Wunderland begegnet ist. Nur in einem zerbrochenen Glaskasten fehlt das weiße Kaninchen, aus dem es zu Anfang des Films entkommen ist. Alice findet einen Knauf am Boden, zieht eine Schublade heraus und nimmt die darin liegende Schere in die 44 Deleuze (1969/1993), S. 290.

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Hand. Zum Schluss des Filmes sagt sie: »Das weiße Kaninchen ist zu spät. Ich denke, ich schneide ihm den Kopf ab!« Švankmajers Version weicht von Carrolls Text ab, und zwar vor allem dahingehend, dass sich die Seite der Tiefe privilegiert sieht. Wie O’Pray in ›A Švankmajer Inventory‹ schreibt: »Švankmajer has never claimed to adapt Carroll, rather they have been free interpretations. This is quite apparent in Alice [Alice] where Švankmajer has stressed the physical strangeness and antiques of the world down the hole, but ignored the rendition of English upper class life so important in the original stories.«45

Sehen sich in Alice, laut Deleuze, die Regression in die oralen/analen Tiefen der Freilegung einer anderen, glorreichen und neutralisierten Oberfläche gegenübergestellt,46 dann fällt die regressive Seite in Švankmajers Version mehr ins Gewicht. Nur um der masochistischen Tendenz, wie sie zuvor beschrieben wurde, entgegenzukommen. Dies macht das Ende des Films besonders deutlich. Als Alice die autoritative Sprache der Vaterfigur verweigert, um am Ende die Worte der Mutter zu übernehmen, dann spricht dies dafür, dass die mütterliche die väterliche Ordnung ersetzt. In Carrolls Text gewinnt Alice zum Schluss ebenfalls die Kontrolle, indem sie ihre ursprüngliche Größe zurückgewinnt. Doch gewinnt sie diese in dem Moment, in dem sie die Macht der Mutter schmälert; als sie ihr nämlich sagt, dass es Unsinn ist, das Urteil vor dem Verfahrensschluss auszusprechen, und dass sie nicht den Mund halten wird, wenn sie ihr dies befiehlt. Während Carrolls Alice sich der Königin wiedersetzt, verhält sich Švankmajers Alice in der Hauptsache dem König gegenüber ungehorsam. Die Grausamkeit der Königin in Alice spricht für die Grausamkeit einer Venus im Pelz.47 Die Tatsache, dass Alice am Ende der Gerichtsverhandlung ihren Kopf durch unterschiedliche Köpfe ersetzt sieht – sowohl Wesen der Tiefe wie der Höhe –, zeigt, dass der Entscheidungsprozess bei ihr noch nicht abgeschlossen ist. Sie sieht nur, dass ihr auf der Seite der Höhe Sprache, Wissen, Intellekt und Macht sowie auf der Seite der Tiefe libidinöser Lustgewinn verweigert werden und dass sie sich aufgrund dieser Verweigerung von der Utopie einer ›anderen, glorreichen und neutralisierten Oberfläche‹ angezogen sieht. Zu spüren bekommt sie dieses Unrecht zuhauf (Sühne). Die Verweigerung von Sprache/Wissen/Intellekt/Macht wird bereits in der Anfangsszene deutlich, als die Schwester ihr auf die Hand schlägt, weil Alice im Buch blättert, aus dem sie gerade vorliest. Mehr noch steht das weiße Kaninchen für diese Absage. Der Weg in den Kaninchenbau führt durch 45 O’Pray (1987), S.16. 46 Deleuze (1969/1993), S. 292. 47 Sacher-Masoch (1870/1968).

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eine Schreibtischschublade, welche als bestimmendes Motiv wiederkehrt im Film. Öffnet das Kaninchen diese Schublade durch ein leichtes Klatschen in die Hände, sieht sich für Alice der Zugang deutlich erschwert. Oft bricht der Knauf ab oder die Schublade ist ungewöhnlich schwergängig, weshalb Alice sie gewaltsam öffnen muss. Der Schreibtisch symbolisiert (verwehrtes) Wissen. Auch die Schädel und Skelette stehen in ihrem naturkundlichen Sinne für Wissen sowie die Schulhefte am Ende des Films. Sieht sich Sprache/Wissen/Intellekt im Sinne autoritativer Strukturen verwehrt, findet sich die andere Seite, die der libidinösen Lustgewinnung, ebenfalls negativ belegt. Die mit Nägeln bestückten Brötchen und die mit Heftzwecken versetzte Marmelade sind aussagekräftig in dieser Hinsicht. Der Verzehr von ungenießbaren Objekten wie die Holzspäne, die Tinte, die Holzstücke vom Pilz der Raupe oder das Öl, in welches der Schlüssel eingelegt ist, mit dem Alice aus der Vorratskammer entkommt, pervertieren das Moment oraler Lustgewinnung. Damit etabliert Alice das Paradox der beiden unvereinbaren Serien des Essens und des Sprechens, welche Deleuze in Logik des Sinns untersucht. Der gegebene Fokus auf Oralität sieht sich besonders in dem wiederholt eingeblendeten Mund von Alice in Detailaufnahme aufgegriffen. Wenn dieser Mund im Verlauf des Films die Zeile »sprach das weiße Kaninchen« unablässig wiederholt, dann zieht dieser Kunstgriff von Švankmajer einerseits die Aufmerksamkeit auf die literarische Vorlage des Films sowie andererseits auf die Tatsache, dass es sich bei den Vorkommnissen um die Phantasien des Mädchens handelt. Erscheint Alice den Ereignissen im Wunderland ausgeliefert, wird ihr zugleich die Kontrolle über diese Ereignisse gegeben. Entsprechend zieht sie am Ende des Filmes die Schublade problemlos heraus und droht mit der Schere in der Hand, dem weißen Kaninchen den Kopf abzuschneiden. Die Ambivalenz, die sich hier in Bezug auf die Figur der Alice abzeichnet, wiederholt sich in der Figur des weißen Kaninchens. Das hängt vor allem damit zusammen, dass das weiße Kaninchen der Ordnung des Rituellen angehört. Alice verwendet das Element der Wiederholung, um die ritualisierte Ordnung der Mutter zu markieren. Zum einen ist das weiße Kaninchen Alice immer voraus, was in Richtung kontinuierlicher Suspension weist. Selbst wenn Alice wieder aus ihrem Traum erwacht, ist das Kaninchen nicht an Ort und Stelle. Die Suspension setzt sich also weiter fort. Zum anderen wiederholt das Kaninchen fortwährend: »Ich werde zu spät sein!« und schaut dabei auf seine Taschenuhr. Dieses ›Zu-SpätSein‹ bezieht sich auf die Königin. An einer Stelle fügt das Kaninchen hinzu: »Sie wird mich köpfen lassen!« Erreicht Alice also das weiße Kaninchen nie wirklich und bittet es, auf sie zu warten, ist das weiße Kaninchen in kontinuierlicher Sorge darum, zu spät bei der Königin zu sein. In diesem Sinne fungiert das weiße Kaninchen als Mittelsmann. Es führt Alice ins Wunderland und begleitet es in der

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Erforschung der Verwehrung und Gewährung libidinösen Lustgewinns und Wissens/Macht, indem es das Mädchen in erster Linie unter den Restriktionen einer feindlichen Umgebung leiden lässt (autoritative Strukturen). So verändert sich das Verhältnis zwischen Alice und dem weißen Kaninchen entsprechend, sobald Alice beschließt, sich nicht länger ausschließlich regressiven Phantasien hinzugeben, sondern der neutralisierenden Utopie Raum zu gegeben (die Szene mit der Raupe auf dem Pilz). Ab diesem Zeitpunkt ist das weiße Kaninchen nicht mehr ausschließlich antagonistischer Weggefährte, sondern findet sich inmitten der Phantasien wieder, die sich dem Mädchen in der Entscheidung zwischen libidinösem Lustgewinn und abstraktem Lustgewinn stellen (Kind/Ferkel; Künstler der Köpfe/Tier aus einem Erdloch; König/Königin). Interessant in diesem Zusammenhang ist insbesondere die Szene, in der der Hutmacher und der Schnapphase Tee trinken. In dieser Szene kulminieren die Momente der Wiederholung und Ritualisierung. Auch das Motiv der Taschenuhr häuft sich hier, wenn der Hutmacher am Ende nicht nur eine, sondern gleich mehrere Taschenuhren an seinem hölzernen Puppenkörper hängen hat. Zeit ist das Symbol für Abstraktion schlechthin. Der Schnapphase schmiert Butter in die Uhren und verdirbt sie damit. Nicht umsonst tauchen diese beiden Charaktere auf bevor Alice sich in das Land neutraler Abstraktion (dritte Ebene) begibt und ähnlich wie in Bezug auf die regressiven, libidinösen Elemente Kontrolle über den abstrakten Lustgewinn übernimmt. Der Hutmacher und der Schnapphase heben die Unterschiede zwischen beiden Elementen der Lust hervor. Die ritualisierten Elemente setzen sich wie folgt zusammen: Tee einschütten; der Uhrmacher schüttet sich den Tee durch das hölzerne Innenleben seines Körpers; eine Uhr wird aus der Teekanne herausgenommen; Butter wird auf die Uhr geschmiert; der Schnapphase, der einen Schlüssel im Rücken stecken hat, wird aufgezogen; die Uhr wird am Körper des Hutmachers aufgehängt; der Hutmacher erhebt sich von seinem Platz und ruft: »Ich möchte eine saubere Tasse! Jeder rückt einen Platz weiter!«; der Schnapphase saust auf einem Radgestell um den Tisch und nimmt neben dem Hutmacher wieder Platz. Wie sich die Elemente zwischen dem Erheben des Hutmachers und Herumsausens des Hasen wiederholen, variiert. Zwischendurch gibt der Hutmacher auch Rätsel auf, welche Alice amüsieren. Diese Szene ist die Einzige, in der das Kind eine freudige Gemütsregung zeigt, was andeutet, dass sie sich zum einen der Herausforderung gewachsen fühlt, die abstrakte Ebene zu betreten, und zum anderen die ritualisierte, mütterliche Ordnung im Sinne eines utopischen Ineinander von Fleisch und Geist begreift. Tatsächlich begegnen ihr der Hutmacher und der Schnapphase in der Welt der Oberflächen wieder, wie es bereits erwähnt wurde. Als die Königin ruft: »Runter mit den Köpfen!«, und der Befehl vom weißen Kaninchen ausgeführt wird, setzen sich

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der Hutmacher und der Schnapphase jeweils den Kopf des anderen wieder auf und spielen weiter. Die ständige Drohung der Königin, die symbolisch mit Kastrationsängsten verbunden ist, sieht sich demnach zwar ausgeführt, aber der Austausch der Köpfe unterstreicht die humoristische Verdrehtheit, die Deleuze in der masochistischen Neigung sieht. In der ritualistischen Verquickung von Fleisch und Geist verliert das, was in der väterlichen Ordnung als bedrohlich wirkt (Kastration), seinen angsteinflößenden Charakter, sobald die väterliche in die mütterliche Ordnung übergeht. Ein weiteres deutliches Zeichen ist, dass kurz vor dem Ende der Hutmacher-Und-Schnapphasen-Szene ein langer Marderpelz aus der Teekanne gekrochen kommt und die Teetassen ausleckt, damit der Hutmacher im nächsten Zyklus wieder rufen kann: »Ich möchte eine saubere Tasse!« Pelz ist ein unentbehrliches Fetischobjekt des masochistischen Kosmos. Fallbeispiel: Lunacy Der Film Lunacy, welcher narrativ zwei Kurzgeschichten von Poe (›Das System des Doktor Teer und des Professor Feder‹ und ›Die Scheintoten‹) und de Sade als literarische Figuren behandelt, geht einer anderen Frage nach. Konzentriert sich Alice auf die körperliche Sensibilität eines Kindes, widmet sich Lunacy der Thematik des Wahnsinns und seiner Institutionalisierung. Die Verbindung von Schmerz und Lust, von Versklavung und Erniedrigung nimmt in diesem Kontext einen anderen Stellenwert ein. Der Film beginnt in der Manier Hitchcocks mit einem Kommentar gesprochen von Švankmajer. Dort heißt es: »Ladies and Gentleman, what you are about to see is a horror film, with all the degeneracy peculiar to that genre. It is not a work of art. Today art is all but dead anyway. In its place is a kind of trailer for the reflection of the face of narcissus. Our film is an infantile tribute to Edgar Allan Poe, from whom I borrowed a number of motives and to Marquise de Sade, to whom the film owes its blasphemy and subversiveness. [Eine herausgeschnittene Zunge rutscht auf dem Boden vorbei] The subject of the film is essentially an ideological debate about how to run a lunatic asylum. Basically, there are two ways of managing such an institution, each equally extreme. One encourages absolute freedom; the other the old-fashioned method of control and punishment. But there is also a third one that combines and exacerbates the very worst aspects of the other two and that is the mad house we live in today.«

Die Hauptfigur des Films ist der junge Berlot, der auf der Rückkehr von der Beerdigung seiner Mutter Marquis de Sade begegnet und ihm auf sein Schloss folgt. Nachdem er heimlicher Zeuge einer Schwarzen Messe und libertinischen Orgie

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geworden ist, will er das Schloss verlassen, doch der Marquis bringt ihn dazu, zu bleiben. Da Berlot unter wiederkehrenden Albträumen leidet, bringt der Marquis ihn in eine Anstalt, der Dr. Murlloppe als Direktor vorsteht und wo den wahnhaften Phantasien ihrer Insassen freien Lauf gelassen wird. Charlotte, eine der Schwestern und unfreiwillige Mitwirkende der libertinischen Orgie am Schloss des Marquis, erzählt Berlot, dass der Marquis und Dr. Murlloppe den wirklichen Direktor Dr. Coulmiere im Keller gefangen halten. Berlot befreit Dr. Coulmiere aus Liebe zu Charlotte. Es stellt sich allerdings heraus, dass Dr. Coulmiere ein überaus grausamer Mensch ist. Er behandelt die Patienten nach dem Prinzip eines dreizehnstufigen Systems körperlicher Züchtigung. Dieses beginnt mit Stockschlägen (Stufe eins) und steigert sich kontinuierlich in Amputationen unterschiedlicher Körperteile, wie etwa der Zunge (Stufe neun) oder der Augen (Stufe zehn). Berlot findet zu seinem Grauen heraus, dass Charlotte die Handlangerin und Liebesgespielin von Dr. Coulmiere ist, und wird von Dr. Coulmiere dauerhaft interniert. Švankmajers Blick auf die Figur de Sades fokussiert sich auf die Radikalität, mit der de Sade autoritativen Strukturen entgegentritt. Aus den fulminanten Reden und schäumenden Gotteslästerungen des Marquis tritt die absolute Negativität, die das de sadesche Denken dem menschlichen Wesen und der Natur entgegenbringt, deutlich hervor. De Sade sieht sich jenseits autoritativer Strukturen und entsprechend amüsiert oder ungehalten zeigt er sich, wenn er sieht, wie Menschen wie Berlot in ihrem Denken und Handeln diesen Strukturen verhaftet bleiben. Stattdessen frönt er dem zügellosen, blasphemischen Lustgewinn, dessen oberstes Gebot Freiheit im Denken und Handeln ist. Die rationalisierte Grausamkeit, die wir aus den Schriften kennen, transferiert sich hingegen vollständig auf Dr. Coulmiere. Am Anfang des Films sehen wir dreizehn Spielkarten, die verschiedene Amputationen zeigen. Erst mit der Befreiung von Dr. Coulmiere wird jedoch deutlich, dass es sich bei diesen grauenhaften Szenen um körperliche Züchtigungen handelt, welche die Insassen unter ihm als Direktor zu erleiden haben. Švankmajer trennt damit das libidinös Freiheitliche von der Grausamkeit und implementiert darin eine Trennung von Persönlichem (de Sade als Künstler) und Zivilisatorischem (Institution). Wenn im Verlauf des gesamten Films immer wieder Szenen erscheinen, in denen ausgetrennte Zungen, Augen, Gehirne, Knochen, Fleischstücke etc. erscheinen, die umherwandern, als würden sie einem bestimmten Ziel zustreben, und Berlots Kopf und Gesicht in dem Moment von ebensolchen Fleischstücken belagert wird, nachdem er den grausamen Direktor befreit hat und selbst von einem prügelnden Wächter niedergeschlagen wurde, dann ist dieses Zusammentreffen gleichbedeutend damit, dass

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die institutionalisierte zivilisatorische Grausamkeit am Fleisch, die de Sade beschreibt, im Begriff ist, Berlot einzuholen. In der Entdämonisierung der literarischen Figur de Sades macht Lunacy einen bedeutenden Punkt, der auch für die Diskussion hier von Interesse ist. Es geht nicht darum zu zeigen, inwieweit Švankmajers Filme Tendenzen zu perversen Praktiken aufweisen. Im Gegenteil. Es ist vielmehr von Interesse herauszustellen, wie die literarischen Systeme von Poe, Carroll, de Sade und Sacher-Masoch utopische Freiräume schaffen, gerade durch die Körperlichkeit der Pathologien und Symptome hindurch. Hierin begründet sich die Affinität Švankmajers zu diesen Texten, denen die Erzählungen vom Faust und Don Juan genauso angehören. Wie Deleuze in Bezug auf de Sade und Sacher-Masoch festhält, stellen die beiden Schriftsteller weniger große Kliniker als große Anthropologen dar.48 Dem ist so, weil sie sich eben nicht in den Pathologien und Symptomen, die sie beschreiben, verlieren, sondern wissen, sie zu abstrahieren und zu desexualisieren. In Logik des Sinns erklärt Deleuze den Zusammenhang folgendermaßen: »[A]ls große stehen die Autoren einem Arzt näher als einem Kranken. Wir wollen sagen, dass sie selbst erstaunliche Diagnostiker sind, bemerkenswerte Symptomatologen. In einer Symptomzusammenstellung, in einem Tableau, in dem ein bestimmtes Symptom von einem anderen unterschieden, wieder einem anderen angenähert wird und sich zur neuen Figur einer Störung oder einer Krankheit fügt, steckt immer viel Kunst. Die Kliniker, denen ein neues symptomatologisches Tableau zu erstellen gelingt, schaffen ein künstlerisches Werk; umgekehrt sind die Künstler Klinker zwar nicht ihres eigenen Falls oder eines allgemeinen Falls, doch Klinker der Zivilisation.«49

In diesem Sinne ist zu verstehen, warum Deleuze de Sade und Sacher-Masoch große Anthropologen nennt. Švankmajers Werk verfügt über den kulturellen Weitblick, welcher sich vor allem in und durch das Phänomen des Grotesken eröffnet. Es verhilft seinem Werk zu der analytischen Schärfe, wie es utopische Freiräume schafft. Die Schere des weißen Kaninchens steht sinnbildlich für diese Doppelfunktion in Alice ein. In ihr kulminiert die rituelle Ordnung der Mutter, die das autoritative System entlarvt und die anziehende Utopie der ›anderen, glorreichen und neutralisierten Oberfläche‹ schafft. In der gleichen Oberfläche erkennt man die hoffmannsche Utopie wieder, den imaginären Freiraum des Künstlers, den dieser in der Absage an seine geschichtliche, soziale und leiblich-kreatürliche Existenz erhält. Wie Deleuze weiter schreibt: 48 Deleuze (1980), S. 172. 49 Deleuze (1969/1993), S. 293.

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»Den Symptomen […] den unverwirklichbaren Teil des reinen Ereignisses zu extrahieren – wie Blanchot sagt: Das Sichtbare zum Unsichtbaren emporzuheben –, alltägliche Aktionen und Passionen wie essen, scheißen, lieben, sprechen, sterben bis zu ihrem noematischen Attribut, dem entsprechenden reinen Ereignis zu führen, von der physikalischen Oberfläche, auf der sich die Symptome abspielen und über die Verwirklichungen entschieden wird, zur metaphysischen Oberfläche überzugehen, auf der sich das reine Ereignis abzeichnet, hervortritt, von der Ursache der Symptome zur Quasi-Ursache des Werkes überzugehen – das ist der Gegenstand des Romans als Kunstwerk und das was ihn vom Familienroman unterscheidet. Mit anderen Worten besteht der positive, höchst affirmative Charakter der Desexualisierung darin: Dass die spekulative Besetzung die psychische Regression ersetzt.[…] Das Mysterium besteht eben in diesem Sprung, diesem Übergang von einer Oberfläche zur anderen, und in dem, was aus der ersten wird, die von der zweiten überflogen wird.«50

Wenn sich in Alices Reise durch das Wunderland am Ende die Flamingo-Schläger und die Nadelkissen in lebendige Wesen verwandeln, dann entspricht diese Verwandlung durch die Kraft der Imagination einem Akt alchemistischer Magie; oder dem Glühen des Karfunkels. Alices Teraphim ist die Königin der Herzen und dieser Einsicht folgt sie.

RESÜMEE Švankmajers Kommentar in der Einleitung zu Lunacy unterstreicht, dass der Film für ihn kein Kunstwerk darstellt. Er selbst ordnet sein Schaffen einer Antiästhetik zu, die sich in der Hinwendung zur grotesken Hässlichkeit von jeglichem Schönheitsideal des Menschen abwendet und diesen Aspekt in den von ihm filmisch aufgegriffenen literarischen Figuren und Texten herausstellt. Doch wurde sich in den vorangegangenen Überlegungen nicht so sehr der Negativität dieser Ästhetik gewidmet, sondern vielmehr der Frage danach, inwieweit sie ein Moment des Utopischen bereithält; gerade in und durch die Ausdrucksmittel derselben Negativität, wie sie die Ausdrucksformen des Grotesken darstellen. Die literarischen Figuren und Texte, denen man in Švankmajers Werk begegnet, setzen die entgrenzenden Motive des Grotesken an zentraler Stelle ein: Hoffmann in der Absage an die Natur (Puppenmotiv); Poe in der Entgrenzung menschlicher Abgründe (Schuld); Carroll in Bezug auf die kindliche Perspektive (libidinöser Lustgewinn); de Sade im Bereich körperlicher Entgrenzung; und Sacher-Masoch im Kontext von körperlich-abstrahierten Vorstellungen. Eine zentrale Figur fehlt noch in dieser Reihe

50 Deleuze (1969/1993), S. 293f.

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von Autoren, deren Schriften moderne Ästhetiken der Entgrenzung essenziell geprägt und vorangetrieben haben: Antoine Artaud. Die Schriften Artauds sind aufschlussreich in Bezug auf die Frage, wie in Zusammenhang mit den Werken von Hoffmann, de Sade, Poe, Carroll, Sacher-Masoch und Švankmajer der Wechsel oder Sprung zu einer Art ›metaphysischen‹, glorreichen, neutralisierten Oberfläche zu verstehen ist, wenn die Hinwendung zu einer Antiästhetik tatsächlich die radikale Abkehr von autoritativen und damit metaphysischen Strukturen implementiert. Wie Allen Thiher herausstellt, war Artauds eigenes Wirken und Schaffen darauf konzentriert, metaphysische Strukturen aufzubrechen. Wie Thiher schreibt: »Artaud’s destructive revolt aimed at destroying a metaphysical view of language that separated thought from voice, voice from sign, or speech from writing. His fate was struggle against the metaphysics of representation that, in language as on stage, made the visible or perceptible merely a surrogate for an absent plentitude – logos, God, or the thought of the theatrical author.«51

Artaud lässt in seinen radikalen Schriften zum Theater der Metaphysik der Sprache die Metaphysik der Repräsentation entgegentreten und setzt damit einen zerstörerischen Konflikt in Gang, welcher den Geist zersetzt. Wie Thiher weiter ausführt: »The overcoming of the metaphysics that determine madness demands that Artaud reduces language to something other than a representative signifier pointing to some transcendental concept. He must fill the stage with words that are words before words, incantatory cries that maintain their primeval and sacred force as sign-things.«52

Das gleiche Moment der ›Ritualisierung‹ und ›Verdinglichung‹, welches Thiher hier beschreibt, findet sich in The Fall of the House of Usher, wenn Švankmajer die Personen durch Gegenstände und Möbel ersetzt. Es wurde dargestellt, dass dieses Moment der ›Ritualisierung‹ und ›Verdinglichung‹ eine Teilhabe anstrebt, die auf eine Verknüpfung von Schulderfahrung (Teilhabe am Nicht-Sein des Bösen) und einer pre-reflexiven Teilhabe an der Geschichtlichkeit des Begehrens im Sinne von Intentionen, Motivationen, Tendenzen und Spannungen (existenzielle Teilhabe) anstrebt. Diese potente Verknüpfung verfügt über die Leidenschaftlichkeit des Wahnsinnigen, Infantilen und Traumhaften, welche autoritative Strukturen unterwandert, doch gleichermaßen auch Raum für Utopie schafft; die Leiden51 Thiher, S. 504. 52 Thiher, S. 506.

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schaft der grotesken Formation. Das Groteske einseitig mit der Lust am Ekelhaften, Hässlichen und Grauenerregenden zu identifizieren, ist gleichbedeutend damit, die Syntax, die dem Phänomen unterliegt, zu übergehen. Die Re-Orientierung von Strukturen, die ein Grotesksein im Sinne von Substanz, Attribut und Akzidenz versteht, hin zu Strukturen, die dieses Grotesksein als Handlungsvermögen und Akt deuten, macht ein tieferes Verständnis dieser Strukturen möglich. Entlang von Handlungsstrukturen, die sich verwurzelt finden in der Geschichte des Begehrens, lässt sich in der ›Ritualisierung‹ und ›Verdinglichung‹ von Körpern – dem Zeichenkörper, dem sexuellen Körper, dem textuellen Körper, dem medialen Körper, dem Körper, auf den man Gewalt ausübt, dem gegenständlichen Körper, dem natürlichen Körper, dem verkommenen Körper – eine Geschichte der Begehren und Fehlbarkeiten ablesen, die sie entgegen dem Moment der Ritualisierung und Verdinglichung wieder menschlich zeichnen. Mit anderen Worten, der grotesk subvertierte Körper sieht sich zunächst entgrenzt, um ihn dann wieder menschlich zu zeichnen, das heißt mit einer utopischen, kulturellen Dimension zu investieren. Dieser Prozess radikaler Entgrenzung des repräsentativen Körpers (Antiästhetik, Zerstörung), nur um in demselben Körper eine anthropologische Urdimensionalität wiederzuentdecken und wiederaufzubauen (utopisch, wahnhafter, metaphysischer Akt der Rekonstruktion), erlaubt es einem Werk, mit den Worten Deleuzes, von der Oberfläche tiefster Regression zur utopischen, glorreichen, neutralisierten Oberfläche überzuspringen. Es wurde gezeigt, dass Alice einen eben solchen Akt mythischer Rekonstruktion in der Zuwendung zu einer mütterlichen Ordnung beschreibt, welcher oraler und analer Regression vorausgeht. Das Gleiche gilt für Lunacy. Der orale, orgiastische Lustgewinn der schwarzen Messe, die der Marquis in seinem Schloss abhält, stellt sich eindeutig als privilegiert zu der rationalisierten Grausamkeit des de sadeschen Systems dar, der Dr. Coulmiere als Lustgewinn frönt. In dieser Abstufung privilegiert der Film das Ritualistische und Ursprüngliche gegenüber dem Rationalistischen. Diese Privilegierung jedoch widerspricht der Absolutheit der Negation im de sadeschen System, wie dargelegt wurde, weshalb sowohl der Marquis als auch Berlot ihm zum Opfer fallen. Die Hingabe an die zweite Natur, welcher die orgiastische Messe entspricht, muss im sadistischen Denken der apathischen, sich selbst disziplinierenden Strenge der ersten Natur, welche Dr. Coulmiere repräsentiert, weichen und von ihr übertrumpft werden. Nichtsdestotrotz, die Privilegierung, welche dem metaphysischen System vielleicht nicht entrinnen kann, es aber subvertiert und potenziell erneuert, ist eine Privilegierung, die Švankmajer vornimmt und darin die mythisch, rituelle Rekonstruktion einer anthropologischen, kulturellen Urdimensionalität wiederspiegelt, die sich als tief verwurzelte Syntax durch sein gesamtes Werk zieht und sich eng mit dessen surrealen Tendenzen und spezifischem Grotesksein verbindet.

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Artauds Begriff der Grausamkeit, den er seinem Theaterentwurf aufgeprägt hat, spiegelt in der Tat die Negativität des de sadeschen Systems wieder: Gelungenes Theater vergleicht er mit der Pest und die Menschen riechen für Artaud nach Aas.53 Das Bild vom Theater als Pest nimmt Artaud ernst, was in seiner Radikalität befremdlich wirkt. Als Begründung schreibt er: »Die Pest benutzt schlummernde Bilder, eine latent vorhandene Unordnung und treibt sie plötzlich bis zu den äußersten Gebärden; und auch das Theater benutzt Gebärden und treibt sie bis zum Äußersten: Wie die Pest stellt es die Kette wieder her zwischen dem was ist, und dem was nicht ist, zwischen der dem Möglichen innewohnenden Kraft und dem, was in der verwirklichten Natur existiert. Es findet wieder zu der Vorstellung von Figuren und Typen-Symbolen, die wie plötzlich eintretende Stille, wie Orgelpunkte, Blutstockungen, Säftereizungen, entzündliche Ausbrüche von Bildern in unseren unverhofft erwachten Köpfen wirken; es stellt alle in uns schlummernden Konflikte mitsamt den ihnen innewohnenden Kräfte wieder her und verleiht diesen Kräften Namen, die wir als Symbole begrüßen: Und hier nun spielt sich vor unseren Augen ein Kampf von Symbolen ab, die übereinander hergefallen sind wie in einem unmöglichen Getrampel; denn Theater kann es nur von dem Augenblick an geben, in dem tatsächlich das Unmögliche beginnt und in dem die Poesie, die sich auf der Bühne ereignet, verwirklichte Symbole speist und überhitzt.«54

Auf die Frage hin, warum gerade das radikal zerstörerische Bild der Pest einen passenden Vergleich für das Theater darstellt, schreibt Artaud: »Wie die Pest ist das Theater ein Abbild dieses Gemetzels, dieser unerlässlichen Trennung. Es löst Konflikte, es macht Kräfte frei, es bringt Möglichkeiten zur Auslösung, und wenn diese Möglichkeiten und diese Kräfte, diese Mächte schwarz sind, so ist das nicht die Schuld der Pest oder des Theaters, sondern des Lebens. Wir sehen nicht, dass das Leben, so wie es ist und wie man es uns zurechtgemacht hat, viel Anlass zur Überschwenglichkeit bietet. Es hat den Anschein, als leere sich durch die Pest und auf kollektiver Basis ein gigantischer Abszess, der sowohl geistig wie gesellschaftlich ist; und wie die Pest ist auch das Theater zur kollektiven Entleerung von Abszessen da.«55

Das Bild des Theaters als Pest ist in seiner Negativität überdeutlich. Neben der aufdeckenden und subversiven Funktion erfüllt es offenbar auch eine bildgebende, welche die ›äußersten Gebärden‹ und ›schlummernden Konflikte‹ dieser Nega53 Dem Motiv der Pest widmet Artaud in Das Theater und sein Double ein ganzes Kapitel, während sich das Bild des Aases in dem gleichen Werk auf S. 44 findet. 54 Artaud (1996), S. 30. 55 Artaud (1996), S. 33f.

Leidenschaftlicher Ausdruck als Eindruck | 257

tivität grotesk zur Darstellung bringen. Die Theatralität, die diesem Bildgebungsprozess durch den Exzess von Naturgewalt, systematischer Verkommenheit, Schulderfahrung und Gewalt am Körper zugrunde liegt, erinnert dabei nicht nur an de Sade (wie sie sich in den überschäumenden, gotteslästernden Monologen des Marquis in Lunacy niederschlagen), sondern vor allem auch an die Erzählungen Poes. Die verrenkten und verdrehten Körper und Köpfe oder düsteren Szenen von Alfred Kubins Illustrationen heben die ›äußersten Gebärden‹ und ›schlummernden Konflikte‹, welche die Erzählungen zur Schau stellen, hervor, wie folgende Illustration zu ›Die Scheintoten‹ es zeigt (siehe Abbildung 10). Die Graphik stellt eine in ein Leichentuch gehüllte Frauengestalt dar, die scheinbar mit letzter Kraft versucht hat, die Verrieglung ihrer Gruft zu öffnen und sich mit Klopfen bemerkbar zu machen, nachdem es ihr gelungen ist, sich aus dem Sarg zu befreien. An der Tür verharrend, die Arme emporgestreckt, ist sie elend gestorben. Indessen hat sich der Todeskampf der lebendig Begrabenen in dieser äußersten Geste symbolisch präserviert. Das gleiche Moment der Präservation, mit dem sich die ›äußersten Gesten‹ und ›schlummernden Konflikte‹ symbolisch in die Körper einschreiben, haben Švankmajer dazu bewegt, Gegenstände und Möbel anstatt von Personen in The Fall of the House of Usher auftreten zu lassen, da sie es vermögen den Zusammenhang von Schulderfahrung und Gewaltausübung symbolisch deutlicher zur Darstellung zu bringen, als es menschliche Figuren je können. Abbildung 10: Körper verdreht zur ›äußersten Gebärde‹.

Quelle: Illustration zu ›Die Scheintoten‹, Alfred Kubin.

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Ritualisierung und Verdinglichung haben in dem Sinne etwas mit Präservation der äußersten Gesten und innersten Konflikte zu tun; eine Präservation, die suspendiert. Sie führt jedoch aus dieser Suspension auch erzählerisch heraus, indem das eingeschlossene Geheimnis, der schlummernde Konflikt, darauf drängt herauszubrechen. Das Blut, welches sich in The Fall of the House of Usher auf dem weißen Tuch ausbreitet, ist das Resultat eines tagelangen Befreiungskampfes der lebendig begrabenen Lady Magdalena und als solches präsentiert es sich auch in der Zuspitzung der Ereignisse. Wenn die Sprache von einer tiefliegenden Syntax ist, welche es gilt zu beschreiben und zu erfahren, dann führt das Moment körperlicher Erregung (Intimität) zum Grotesksein äußerster Gesten und innerster Konflikte, welche sich in die motivationale Syntax von Körpern (textuell, medial, gegenständlich, leiblich) eingelassen sehen. Da es sich um eine pre-reflexive Syntax der Geschichte des Begehrens handelt, ist die Intimität der körperlichen Erregung im Sinne eines Ansprechens der Sinne Eintrittspunkt; ein Prozess, der prinzipiell zum Verstehen führen kann, jedoch nur in Verbindung mit der Instanz des Fühlens. Die rationalistische Objektivierung hat hier wenig Handhabe, wie es an den vielen gescheiterten Versuchen, das Groteske zu kategorisieren, abzulesen ist. Die Švankmajersche Groteske führt Körper und Begehren im Sinne einer Präservation ritualisierend und verdinglichend zusammen, worin eben beschriebene, narrative Syntax entsteht. In all ihrer zerstörerischen Kraft, aus der heraus sie sich erhebt, kennt diese Sprache eine metaphysische Dimension, welche Artaud treffend beschreibt: »Die Metaphysik der artikulierten Sprache verwirklichen heißt, dass man die Sprache dasjenige ausdrücken lässt, was sie für gewöhnlich nicht zum Ausdruck bringt: Heißt sich ihrer auf neue ungewohnte Weise bedienen, heißt ihr die eigenen Möglichkeiten körperlicher Erregung zurückgeben, heißt sie aktiv zu zerlegen und im Raum zu verteilen, heißt, die Intonationen auf eine unbedingt konkrete Art und Weise aufzufassen und ihnen ihre Fähigkeit wiederzugeben, etwas wirklich zu zerreißen und kundzutun, heißt, sich gegen die Sprache und ihre gemeinen utilitaristischen, man könnte sagen der Ernährung dienende Quelle wenden, gegen diese ihre Ursprünge eines gehetzten Tiers, heißt mit einem Wort, die Sprache als Beschwörung sehen.«56

Diesen Akt der Beschwörung suchen Švankmajers Filme in der motivationalen Interaktion von Körpern – textuell, medial, leiblich – und finden darin die Reduzierung auf das Wesentliche, die dem Surrealismus eigen ist; und die auch Artauds Denken essenziell surrealistisch prägt.57 In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass 56 Artaud (1996), S. 49. 57 Vgl. Mattheus, S. 224.

Leidenschaftlicher Ausdruck als Eindruck | 259

die Beschreibung des fragmentierten, deformierten, sozialen Menschen als Teil einer verkommenen, degenerierten Zivilisation nicht im Mittelpunkt des grotesken Interesses steht. Die perversen Repressionsmechanismen dieser Verkommenheit treten in der Abkehr deutlich hervor, jedoch erscheinen sie beinahe unwichtig im Vergleich zu den Möglichkeiten, die sich aus ihrer Zerstörung bildlich erheben. Liest man das vorhergehende Zitat von Artaud, in dem er die Gewalt der Pest und des Theaters vergleicht, dann erscheint die Verkommenheit tatsächlich zweitrangig zu den Kräften und Möglichkeiten, welche die Zerstörung dieser Mechanismen bewerkstelligt; Kräfte und Möglichkeiten, die Riten und Symbole aus der Zerstörung der Fehlbarkeit hervortreten lassen. Die Möglichkeit und Kraft der Rekonstruktion besteht fort, auch im Angesicht einer erdrückenden Verdorbenheit.

Schlusskapitel: Zum Grotesksein der Filme Švankmajers

Es stellt sich abschließend die Frage, welche Ergebnisse sich verzeichnen lassen, nachdem – wie im Eingangskapitel angekündigt – der diskursive Horizont in drei Richtungen aufgespannt wurde: In Richtung des Kategorialen, des Semiotischen (Abdruck) und des Phänomenologischen/Hermeneutischen (Eindruck). Bestätigt zeigt sich, dass die Leserichtung vom Kategorialen über das Semiotische zum Phänomenologischen Außenansichten und Innenansichten in Spannung zueinander setzt, wobei sich in der Progression eine deutliche Gewichtungsverlagerung von außen nach innen vollzieht. Diese Verschiebung beschreibt eine diskursive Verlagerung. Während die kategoriale Herangehensweise eine diskursinterne rationale Abwägung bestimmter Charaktereigenschaften des zu untersuchenden Phänomens des Grotesken vorantreibt (mit dem Ziel der Abgrenzung und Annäherung zu vergleichbaren Phänomenen), konzentriert sich die semiotische Analyse auf ein Textinneres, welches die primäre Funktionalisierung der Zeichen ›zu bedeuten‹ unterwandert und anstelle dessen das freie Spiel von Substanz, Attribut und Akzidenz der Zeichen forciert. Baudrillards verführerisches Zeichen diente als philosophischer Subtext für eine Analyse der Švankmajerschen Grotesken unter ebensolchen Voraussetzungen. Folgendes Zitat des Westdeutschen Rundfunks auf der Rückseite von Baudrillards Der symbolische Tausch und der Tod fasst kurz, was das Ziel dieses Analysetypus ist: »Baudrillard formuliert das Gespenst, das eine technisierte und mediale Welt für den einzelnen sein kann. Nicht die Gegenwart interessiert ihn dabei, sondern die Übersteigerung ihrer Tendenzen«.1 Die Groteskforschung verfolgt, wie im ersten und im zweiten Kapitel dargelegt wurde, entweder einen begrifflich-genealogischen Ansatz – vor allem, wenn sich die Studien auf Entfaltungen des Grotesken in einer bestimmten historischen Epoche fokussieren (zum Beispiel Scholl, Barasch, Chastel) – oder einen umfassenden begrifflichen Denkansatz, welcher zu einer Verquickung des kategorialen und des 1

Baudrillard (1991).

262 | Das Innerste denken

semiotischen Ansatzes führt (zum Beispiel Fuß). Obwohl in den meisten Studien zum Grotesken der kategoriale Ansatz als die Komplexität des Phänomens übersteigend und verfehlend dargestellt wird (man denke an die Vielzahl von Zitaten, welche die Kategorie des Grotesken als unbrauchbar und unwissenschaftlich ablehnen), bleibt der Anspruch, das Phänomen zu definieren, dennoch das Ziel der meisten Studien. Der Grund ist eine Privilegierung des Allgemeinen gegenüber dem Konkreten. Allgemein formulierte Fragen implementieren ein objektivierend-distanzierendes Verstehen, welches Definitionen fordert, was sowohl für die begrifflich-genealogisch orientierte Studie, wie für den kategorial-semiotischen Ansatz gilt. Studien, wie die von Fuß, werden diesem Anspruch gerecht, indem sie Anhaltspunkte aus der Begriffsgeschichte in Richtung eines semiotischen Ansatzes auflösen. Im freien Spiel des aufgelösten Zeichens werden zeicheninterne Wesenseigenschaften herausgearbeitet, die wiederum als Definitionsmerkmale dienen. Das Begriffsgeschichtliche verbleibt der Ausgangspunkt beider Ansätze, aus dem sich der genealogische und der semiotische Ansatz entwickeln. Die Notwendigkeit diskursiver Verschiebungen und Entwicklungen, wie sie sich hier andeuten, vergegenwärtigt die Multidimensionalität des Phänomens des Grotesken. In der Auseinandersetzung darf die eindrucksvolle Begriffsgeschichte nicht vernachlässigt werden; genauso wenig wie begriffliche und strukturelle Wesensmerkmale, die von genealogisch und semiologisch orientierten Studien herausgestellt werden. Zwar ziehen sich semiologische Analysen textimmanent zurück, doch entwerfen sie in dem freien Spiel der Zeichen eine Scheinwelt, die Quasi-Referenzialitäten zu kulturellen Realitäten aufbauen. Damit spiegelt sich auf der reduzierenden, zerstörerischen Seite die Aporie des fragmentierten, deformierten, sozialen Menschen als Teil einer verkommenen, degenerierten Zivilisation. Der Aspekt der Essentialität sieht sich auf der affirmierenden Seite durch den der euphorischen, utopischen Spontanität komplementiert. Im dritten Kapitel wurde der Klappmessertanz aus Jabberwocky dahingehend untersucht. Auch die Analyse von Faust im Licht des baudrillardschen Konzepts der Verführung hebt den methodisch-diskursiven Rückzug in eine Scheinwelt hervor. Wie die zuvor genannte Rezension des Westdeutschen Rundfunks es deutlich macht, erscheinen aus dieser Perspektive die Philosophie Baudrillards und die Filme Švankmajers tatsächlich weniger an der gegenwärtigen Realität interessiert, sondern vielmehr an übersteigerten Tendenzen. Das fremde Terrain, in welches der menschliche Faustdarsteller und mit ihm der Zuschauer in Faust hineingelockt wird, ist nicht nur eine übersteigerte symbolische Ordnung kultureller Realität, welche das Herrschaftsgebiet der Verführung ist, sondern auch jenes andere Hoheitsgebiet, nämlich das der Repräsentation, des Abbilds. Diese wird der Faustfigur zum Verhängnis, genauso wie dem kleinen Mädchen in Alice und der Gesamtheit der in Švank-

Schlusskapitel | 263

majers Filmen auftretenden menschlichen Akteure, Objekte, Tongebilde, Marionettenpuppen und Papierfiguren. Eine exaltierte, überreizte Scheinwelt stülpt sich über die symbolische Ordnung, reflektiert sie, verdoppelt sie, allegorisiert sie; wie die Marionettenmasken, die sich über die menschlichen Gesichter in Don Juan und Faust legen. Der diskursiven Ausdehnung kategorialer und begrifflicher Aspekte (und damit essenziell geschichtlicher Aspekte) des Grotesken wurde im vierten und fünften Kapitel die zusätzliche Dimension des Hermeneutisch-Phänomenalen hinzugefügt. Diese bezieht den Effekt, den das Phänomen des Grotesken auf den Zuschauer/Betrachter/Leser ausübt, in die Betrachtung mit ein. Das Groteske hat eine starke, unverwechselbare Wirkung, die oft psychologisch erklärt wird. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist das Eintreten eines humoristischen Entlastungsmoments, welches die gleichzeitige Anwesenheit von Schrecken und Grauen überflügelt. Ausgehend von dieser psychologischen Funktion tritt ein verändertes Verständnis des grotesken Phänomens ein, sobald man beginnt, die sich im kategorialen und semiologischen Zusammenhang versammelnden, diskursiven Begrifflichkeiten im Kontext einer konkreten Medialisierung zu befragen. Orientiert man sich an hermeneutisch-phänomenologischen Modellen, dann spricht das Werk nicht so viel über das Phänomen (mit dem Ziel einer allgemeinen, rationalen Definition), sondern das Phänomen über das Werk (mit dem Ziel, mehr über ein spezifisches Grotesksein zu erfahren). Mehr noch, driften Quasiwelt und ›Realität‹ in der semiologisch-textuellen Analyse auseinander, da sie durch selbstperpetuierende und selbstreferenzielle Motive, Tendenzen, Strukturen, Strömungen charakterisiert sind, rücken beide Welten im hermeneutisch-phänomenologischen Ansatz zusammen. Fühlen und Denken nähern sich einander an. So schreibt Richard Rushton zum Beispiel in Bezug auf sein Anliegen, reversible ›filmische‹ Realitäten zu beschreiben: »In this book I take up Castoriadis’ challenge – though my examination of the ›reality of things‹ is here concentrated on films. I argue that films are part of reality. Against the idea that films are abstracted from reality and can thus only offer a deficient mode of reality, I instead try to see films as part of the reality we typically inhibit, as part of the world we live in, as part of our lives. I argue that films help us to shape what we call ›reality‹. It is this attempt to acknowledge the reality of film that I call filmic reality.«2

Ähnlich, wie der Aspekt des ›Menschlich-Zeichnens‹, der Zerbrechlichkeit und der Intimität als Einstiegspunkte in das spezifische Grotesksein Švankmajers Filme festgehalten wurde, nimmt Rushton den Kontext der Filmerfahrung als Aus2

Rushton, S. 2.

264 | Das Innerste denken

gangspunkt: Zuschauer bauen diese in ihre Erinnerungen, ihre Gedanken, ihre Gefühle ein und machen sie damit nicht nur zu einem Teil ihrer Persönlichkeit, sondern essenziell auch zu ihrer Realität. So schreibt Rushton weiter: »In this way I argue that films provide what might be called ›reverential experience‹ that help us to flesh out our understanding of the world and our place in that world. Films make available concepts, feelings and ways of seeing and relating to the world that contribute to what we understand as reality.«3

In diesem Sinne kreieren oder produzieren Filmtexte nicht etwas, was jenseits ihrer Selbst liegt; vielmehr zeigen sie sich definiert durch das, was sie produzieren. Rushton stellt hier einen direkten Zusammenhang zwischen Erleben und Handeln her, der eine perspektivische Umkehrung bewirkt. In dieser Verkehrung sieht sich die fiktionale Welt nicht länger zu einer Realität zweiter Ordnung degradiert (Gefälle zwischen attributiver/akzidenzieller und substanzieller Realität), sondern erhebt sich auf Augenhöhe mit der erlebten Realität, die zur geteilten Realität wird. Im Erleben gewinnt die mediale Realität Gewicht und führt zu Spezifitäten, die ihr eigen sind. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Suzanne Buchan in Bezug auf die Spezifizität des Erlebens eines Animationsfilms, wenn sie schreibt: »[T]here are a number of questions we need to ask persistently when thinking, for example, about animation spectatorship. Besides the stylistic elegance, what do these images affect in our perception that is different from when we watch films that show the actions and dialogues of living, sentient beings? How can a piece of metal be endowed with a gesture that moves us emotionally? In what kind of world can a screw ›be‹? Or for that matter, what entails the experiential difference between a screw animated on screen and one that we twirl in our fingers. If we get the questions right, the definitions, terminology, and ›answers‹ to these questions should follow.«4

Buchan verweist hier auf den interessanten Punkt, dass sich die filmische Erfahrung jeweils eines gezeichneten Raums (2D Animation), eines miniaturisierten Raums (3D Animation) und eines abgefilmten Raums (Realfilm) voneinander unterscheidet, da sich die Orientierung jeweils in diesen Räumen voneinander unterscheidet. Jeder dieser Räume wird anders erfahren, da eine gezeichnete Schraube, eine nachgebildete Schraube und eine abgefilmte Schraube sich anders kulturell codiert sehen. Die Codierung, auf die Buchan verweist, entspricht nicht so sehr 3

Rushton, S. 7.

4

Buchan, S. 36.

Schlusskapitel | 265

einer semiologisch-textuellen, sondern einer phänomenologisch-haptischen. In den filmischen Realitäten werden von der Zuschauerin/dem Zuschauer nicht nur eigene Welten kreiert, an denen sie/er mit Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen teilhat und darin essenziell Realitäten produziert (Rushton), sondern auch indem sie/er die ihnen ganz eigene Materialität und Haptik wahrnimmt. 3D Animation präsentiert und manipuliert physikalisch anwesende Objekte, was in der Erfahrung ganz anders ist, als die gemalte oder zeichnerische Darstellung der gleichen Objekte. Diese haptischen Qualitäten spielen auf eine andere kulturelle Codierung an, die auf Sinnstrukturen abzielt; eine Codierung, die auf sinnliche Qualitäten und ihre Lustbezogenheit anspielt (Geschichte des Begehrens). So tragen physikalisch-materielle Beschaffenheiten zur spezifischen Charakterisierung filmischer Medialität bei. Die Verschiebung von dem textuell-semiotischen zum hermeneutisch-phänomenologischen Model implementiert eine Verlagerung in der Wahrnehmung struktureller Gegebenheiten. Rückt die Wahrnehmung von einem rational-kategorialen Außen in Richtung eines text- und zeichenbezogenen ›Innen‹, vervollständigt sich diese Verschiebung in der textübersteigenden Erforschung dieses (kategorialen/textuellen/medialen) ›Innen‹ aus der Perspektive des praktischen Erlebens und Fühlens. Wie erläutert wurde, schreiben vor allem genealogisch orientierte Studien dem Phänomen des Grotesken eine kulturelle Relevanz zu. Sie schwingt als hintergründige Referenzialität des Phänomens mit. Mit der Bewegung in Richtung der textuell-semiotischen Analyse wird in diesem Zusammenhang auf gestische Attribute wie Essenzialität und Spontanität, Aporie und Euphorie verwiesen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die affirmierenden Aspekte wie Spontanität und Euphorie erst wirklich zum Tragen kommen, sobald der körperlich-leibliche Aspekt in Betracht gezogen wird. Aus den beschriebenen Gründen widmet sich die textuell-semiotische Analyse allein dem aporetischen Aspekt: Sie privilegiert das fragmentierende, deformierende Menschenbild vor dem Hintergrund eines kulturellen Traumas der Aufklärung. Demgegenüber ist die affirmierende Seite nicht zu vernachlässigen und verbindet sich mit einer utopischen Funktionalität des Phänomens des Grotesken. Weder der begrifflich-genealogische noch der textuell-semiologische Ansatz scheinen geeignet, diese Funktion, der sich vor allem Bachtin in seinen Schriften zum Grotesken und Karnevalesken angenommen hat, herauszuarbeiten. Aus diesem Grunde wurde sich dem erlebnisund handlungsorientierten Ansatz der Hermeneutischen-Phänomenologie zugewandt, da dieser es ermöglicht, die utopische Funktion zu beschreiben und einzuschreiben. Die hermeneutisch-phänomenologische Herangehensweise kann zwar die Aporie nicht aufhalten (kulturelles Trauma), jedoch Möglichkeiten der Umwertung und Aufwertung aufweisen (Ritus). Ricœur schreibt hierzu:

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»For a semiotic theory that abstracts from this whole span of meaning, the work is constituted as an interior that alone is relevant, while the two other sides are the irrelevant exterior. The antecedent side of fiction is referred to as merely the psychobiography of the author, while the second side is taken as merely the psychosociology of the reception of literary works. For this kind of textual semiotics, in other words, the only remaining operative concept is that of the literary text. For hermeneutics, on the contrary, which seeks to reconstruct the whole arc of operations by which practical experience is turned into work, authors, and readers, there is neither an inside nor an outside to the work – the distinction of inside and outside being a methodological artifact – instead there is a concrete process in which textual configuration conjoins the practical prefiguration and the practical transfiguration.«5

Das Moment praktischer Erfahrung setzt sich einem abstrakten Verständnis von Strukturen und Codes entgegen. Dieses Verständnis von Handlungsstrukturen, genauso wie von medialen Gegebenheiten, begründet sich auf der Grundlage praktischer Nachvollziehbarkeit. Wohnt dem Phänomen des Grotesken also eine sich kategorial-rationalen Zugriffen verweigernde ›Hintergründigkeit‹ oder Essenzialität inne, die sich in Verlängerung dieser Verweigerung oder Widerspenstigkeit gegen die Einschreibung einer semiotischen Metanarrative sperrt, dann scheint es möglich, dieser Essenzialität auf der Grundlage einer phänomenologisch-hermeneutischen Analyse bedeutend näher zu kommen. Die detaillierten Filmanalysen heben diesen Zusammenhang hervor. Die exemplarische Untersuchung von Don Juan hat gezeigt, dass die aporetischen Tendenzen der semiotisch-textuellen Metanarrative an der Stelle in die pre-reflexive Syntax des Begehrens hineinführen, wo sich die Aporie essenziell mit der Frage von Schuld und Fehlbarkeit des Menschen verbindet. Die Erfahrung von Schuld erwies sich als zentral in Švankmajers Verfilmung des Don Juan Stoffs, wobei die Verwendung von realen Schauspielern mit Marionettenköpfen und Armen den Effekt hat, dieses Moment zu intensivieren und zu überhöhen. Das Gleiche gilt für die Seite der Utopie und Euphorie, denen sich im darauffolgenden Kapitel gewidmet wurde. Lässt sich die Erfahrung von Lust nicht abtrennen von der Frage nach Schuld, resultiert diese Vermischung von Begehren und Schuld in Perversion. In Bezug auf diesen Zusammenhang wurde sich den Schriften de Sades und Sacher-Masochs zugewandt. Der regressiven Seite des oralen und analen Lustgewinns gesellt sich ein utopisches, euphorisches Moment zu, welches die Möglichkeit der Überschreitung bereithält: Im Sinne eines Refugiums, in dem Innen und Außen ineinander fallen. Dieses ursprüngliche, rituelle Refugium weiß sich die Mittel der Überhöhung zunutze zu machen. Die Möglich5

Ricœur (1981), S. 17f.

Schlusskapitel | 267

keit der Überschreitung äußert sich hier essenziell körper-, lust- und damit motivational bezogen; mit anderen Worten, bezogen auf die Geschichte des Begehrens. Das groteske Phänomen verlangt demnach nicht so sehr nach rationaler, genealogischer Kategorisierung, noch findet es sich in der Quasi-Referenzialität einer textuell-semiotischen Metanarrative wieder. Vielmehr ruft die Erfahrung des Grotesken danach, dem konkreten Ineinandergreifen symbolischer Vermittlungsprozesse nachzugehen, die sich in den Zyklen von Erfahrung, Rekonfiguration, und Transfiguration beständig wiederholen; und doch immer wieder zur Realität zurückkehren, da sie sich der grundlegenden Syntax motivationaler Strukturen zuwenden (Tendenzen, Motivationen, Spannungen). Es ist das affektive Eintauchen in diese Syntax symbolischer Vermittlungsprozesse mit den Mitteln ikonographischer Erhöhung und Intensivierung, welche die groteske Konfiguration in der Dichotomie der pervertierten/lustvollen Leiblichkeit vermittelt; vielmehr als ein kontinuierliches Verweisen auf den Umstand des (melancholischen, allegorischen) trauernden Bewusstseins (semiotisch-textuelle Metanarrative). Die groteske Konfiguration stellt den Zugang des affektiven, einnehmenden Erlebens aus sich heraus her. Wenn es also heißt, dass die Betonung von Physikalität und Materialität in der Objektanimation eine direkte Verbindung zu der Geschichte des Begehrens herstellt, dann eröffnet sich ein Zugang über das räumlich/körperliche Erleben, wie Buchan im Hinblick auf den 3D Animationsfilm feststellt. Die Spezifik des Erlebens bindet das Erfahren räumlicher Strukturen (Miniaturisierung) und deren Haptik an Tendenzen, Spannungen und Intentionen. Švankmajers Filme sind in diesem Sinne Filme über von Leidenschaften durchwirkte Körper, Handlungen, Objekte und Texte, wobei insbesondere die reversible Kommunikation zwischen Objekt und Subjekt im Mittelpunkt des Interesses steht. Zu dem gleichen Ergebnis kommt Michael Richardson in seiner Abhandlung zu Švankmajers Werk. Richardsons Text befasst sich vor allem mit dem surrealistischen Hintergrund von Švankmajers Filmen. So schreibt er: »There is thus in Švankmajer a profound distrust of the word, and understanding emerges, when it does, from touch and recognition of what is contained within the power of images. [I]t is only through images that genuine communication can occur. And this is precisely, because images – at least when they are used well – impose nothing on the viewer.«6

Aus diesem Zitat wird die Anreicherung und Überhöhung von Sinnstrukturen deutlich, die der grotesken, pre-reflexiven Kommunikation obliegt und sich als zentral in Švankmajers Filmen erweist; eine Kommunikation, die der Bereicher6

Richardson, S. 125.

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ung und Erweiterung des Erfahrungshorizontes dient. Genauso zielen der von Rushton verwendete Begriff einer filmischen Realität, die Erinnerungen, Gedanken und Gefühle beschreibt, sowie Buchans Begriff einer Welt, welche sich im räumlichen/körperlichen Erleben eines animierten Kosmos eröffnet, auf die erlebte, gefühlte Erweiterung eines existenzialen Horizontes, welcher (Re-)Konfigurationsprozessen und Transfigurationsprozessen der Mimesis II und III folgen (siehe erstes Kapitel) ab. Da jedoch der allgemeine Blick auf den Animationsfilm die repräsentative Funktion anstelle der verändernden mimetischen Funktion hervorhebt, sieht sich Švankmajer nicht gerne als Animationsfilmemacher bezeichnet. Wie Richardson schreibt: »His approach [Švankmajer’s] actually undermines the usual assumptions of animation as he uses to disturb the relation between the tangible and the intangible worlds, rather than, like most animators, as a medium that enables the free play of the imagination. Max Fleischer’s assertion that ›if it exists in reality, it isn’t animation‹ finds little favour with Švankmajer, who rejects the distinction, it contains.«7

Richardsons Argumentation stützt Buchans Sichtweise, wonach sich ein 2D Animationsfilm von einem 3D Animationsfilm unterscheidet, aufgrund der Unterschiedlichkeit der Erfahrungen, die beide Filmerlebnisse als Eindrücke hinterlassen. Richardson geht dabei so weit zu behaupten, dass Švankmajers Filme nicht Realitäten hinterfragen, sondern diese vielmehr ausdehnen und erweitern. Er schreibt zur pre-reflexiven Kommunikation, die sich zwischen Objekt und Subjekt entfaltet: »Thus, Švankmajer claims that his mode of animation is not about giving life to animate things, but rather about coaxing another life out of them, a ›life‹ that isn’t life but which enables them to reveal themselves by means of magic ritual. […] No matter how complex the technique he uses, it is always subservient to the process of communication through which he imbues his objects with life that is their own.«8

Diese ›Mittel des magischen Rituals‹, die Švankmajer anwendet, um Objekten nicht Lebendigkeit einzuhauchen, sondern eine ihnen bereits innewohnende Lebendigkeit herauszubringen, setzt Richardson in direkten Zusammenhang mit motivationalen Strukturen: »Švankmajer, however, expects more of them [the objects]: He wants them not simply to reveal what they have witnessed, but to also

7

Richardson, S. 128.

8

Richardson, S. 128.

Schlusskapitel | 269

enact it.«9 Dieses Ausagieren gewisser Eindrücke, die ein Objekt sich angeeignet hat, spricht von einer reziprok-teilhabenden Hingabe an das Objekt und seine Gebrauchsgeschichte, die sich an der Schnittstelle zwischen Fühlen und Denken mit der Geschichte des menschlichen Begehrens verbindet und darin die pervertierten/lustvollen Qualitäten der leiblich-objektiven Existenz hervorhebt; mit anderen Worten: Groteske Qualitäten. Richardsons Abhandlung bricht mit einer Reihe von Annahmen, die sich in Bezug auf Švankmajers Werk diskursiv etabliert haben. Zu behaupten, sein Werk hinterfrage nicht Realitäten, sondern bereichere sie hermeneutisch-phänomenologisch, widerspricht der diskursiven Meinung, dass filmische Realitäten und Außenwirklichkeiten im Sinne eines repräsentativen Innens und faktischen Außens zu trennen sind. Auch die metaphysische Vorstellung, dass der 3D Animationsfilm den animierten Objekten Leben einhaucht, stellt eine Sichtweise dar, die in wissenschaftlichen Beschreibungen dieses Prozesses immerzu zur Anwendung kommt, obwohl sie eigentlich als überholt angesehen werden sollte. Sie miss-repräsentiert die Beziehung zwischen Zuschauer und Objekten. Ausgehend vom Objekt, entwirft sich so eine Sicht auf die (Selbst-)Reflexivität des Menschen, die von ihm ausgeht und zu ihm über den Umweg des Objekts/Artefakts zurückkommt (hermeneutischer Zirkel). Richardson stellt diesen Aspekt in Švankmajers Werk heraus. In Die Interpretation schreibt Ricœur dazu: »Die erste Wahrheit – ich bin, ich denke – bleibt ebenso abstrakt und leer wie unbezwinglich. Sie muss ›mediatisiert‹ werden durch die Vorstellungen, Handlungen, Werke, Institutionen und Denkmäler, welche sie objektivieren; in diesen Objekten im weitesten Sinn des Wortes, muss das Ego sich verlieren und finden.«10

Lässt Švankmajer Objekt-Subjekte leiblich handeln oder Subjekt-Objekte in die Realität der Objektwelt eintauchen (wie zum Beispiel der menschliche Zaun in The Garden oder der Straßenkämpfer in A Quiet Week in a House, dann verinnerlichen diese Objektbeziehungen affektive Bindungen, die ökonomische, politische und kulturelle Tendenzen und Spannungen zur Wahrnehmung bringen. Ricœur sieht diese affektiven Bindungen in der Trilogie der Leidenschaften des Habens, des Herrschens und des Geltens verkörpert, wie im ersten Kapitel dargelegt wurde. Die Leidenschaft des ›Habens‹, die im Sinne von Aneignen und Arbeiten verstanden werden kann, findet sich in Švankmajers Werk vor allem in zwei Hinsichten wieder, nämlich in Verbindung mit dem Motiv des Essens und der Aneignung von Wissen. Motivationale Strukturen, die aus der Geschichte des Begehrens hervor9

Richardson, S. 129.

10 Ricœur (1965/1974), S. 57.

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gehen, erweisen sich vorrangig objektbezogen. Wie Claude Lévi-Strauss in Traurige Tropen schreibt: »Man muss schon sehr naiv oder unredlich sein, um zu glauben, dass die Menschen ihre Überzeugungen unabhängig von ihren Verhältnissen wählen. Nicht die politischen Systeme bestimmen die Form des sozialen Lebens, es sind vielmehr die Lebensformen, welche den Ideologien, in denen sie zum Ausdruck kommen, einen Sinn geben: Diese Zeichen bilden eine Sprache nur in Gegenwart von Objekten, auf die sie sich beziehen.«11

Diese Form von objektbezogener Identität, welche die Sprache sozialer und ideologischer Zugehörigkeit prägt, sieht sich besonders in Food hervorgehoben. Dies ist umso mehr der Fall, da sie sich mit der grotesktypischen Thematik des Essens (Aneignens/Einverleibens) verbunden findet. Wenn Körper zu Essensautomaten degradiert werden, Menschen sich gegenseitig verspeisen oder der biologische Drang zur Essensaufnahme sich gegen den eigenen Körper richtet (und zwar gegen dieselben Körperteile, welche der objektbezogenen, sozialen Identität am nächsten stehen, wie im Falle des Geschäftsmannes sein rechter Arm, der wohlhabenden Frau ihr Busen und dem sozial niedrig gestellten Arbeiter sein Geschlechtsteil), dann erscheinen diese Akte der Aneignung grotesk pervertiert. Sie vermischen den Aspekt des Leiblichen mit eben jenen ›neuen‹ Gefühlen, die der erwachsene, entfremdete Mensch in der affektiven Bindung an Objekte, Strukturen, Institutionen der Ökonomie erfährt. Food schiebt geschickt zwei Ebenen übereinander und wirkt darin umso verstörender: Die libidinöse Fixierung und die affektive Bindung an »Tauschwerte, monetäre Zeichen, Strukturen, Institutionen«. Jabberwocky zeigt Spannungen zwischen der kindlichen und der entfremdeten, erwachsenen Perspektive in ähnlicher Weise auf. Sie driften auseinander und fallen doch ineinander, da sie als affektive Bindung leiblich orientiert sind. Bindet sich das Regressiv-Libidinöse in Food an das Motiv des Essens, tauchen die ›neuen‹ Gefühle vor allem in Verbindung mit Statussymbolen, wie Kleidung und Schmuck, auf. Der feine Anzug des einen Restaurantbesuchers vermittelt ihm das Gefühl von Erhabenheit, während der andere sich unterwürfig verhält mit seiner zerschlissenen Kleidung. Ebenso markieren und kommunizieren Kleidungsstücke und Schmuckteile in der dritten Episode des Films entscheidende Aspekte der sozialen und kulturellen Identität. Die erste Episode, hingegen, verdeutlicht im Rollentausch zwischen Subjekt-Objekt, welches verzehrt, und Objekt-Subjekt, welches die Nahrung befördert, die Tatsache, dass neue Objektbeziehungen auch neue Beziehungen zu Mitmenschen mit sich bringen, »durch die hindurch man

11 Claude Lévi-Strauss, S. 140.

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den Hegelschen Prozess der Verdopplung des Bewusstseins und die Entwicklung des Selbstbewusstseins verfolgen kann.«12 Vor diesem Hintergrund macht Švankmajers Beharren auf die politische Dimension seiner Filme Sinn. Sie sind politisch, weil sie sich in die spezifischen Gefühle, die das Objekt ›Macht‹ charakterisieren und es an Objekte binden, vertiefen. Das Thema der Macht sieht sich beständig herausgearbeitet, wie an verschiedenen Stellen im Kontext Foucaultscher Machtanalysen gezeigt wurde. Motivisch erforschen die Filme diese spezifischen Gefühle vor allem in Bezug auf Rivalen. Insbesondere die Puppenfilme, aber auch die anderen Rivalenfilme, wie zum Beispiel The Last Trick of Mr. Schwarzwald and Mr. Edgar, Punch and Judy, Don Juan, Lekce Faust, The Castle of Otranto, Dimensions of Dialogue, Virile games, Food, Conspirators of Pleasure und Lunacy, widmen sich intensiv den Gefühlen von Ambition, Unterwerfung, Verantwortung und Schuld. Wie die detaillierte Analyse von Don Juan gezeigt hat, widmet sich dieser Film intensiv der Erforschung dieses spezifischen Gefühlsgeflechts sowie dessen Entfremdung. Im Kontext der zentralen Motivik von Švankmajers Filmen, wie Essen und Rivalität, zeigt sich demnach deutlich, dass die Analyse spezifischer Gefühlsverkettungen, die in Bezug auf Objekte (Haben), Institutionen (Herrschen) und Gestalten (Gelten) entstehen, die einseitige Privilegierung des grotesk degradierenden, deformierenden Aspekts der Aporie komplementieren und dass die hermeneutisch-phänomenologische Analyse nur bedingt aus der Aporie herausführt. Komplementieren heißt nicht beenden. In diesem Punkt ist das kulturelle Trauma der Aufklärung, welches ein fragmentiertes, sozial degeneriertes Menschenbild entwirft, zu stark. Entfremdung, Degeneration und Regression sehen sich in der utopischen Funktion einer rituellen Ursprünglichkeit aufgehalten und suspendiert, dem grotesken Kosmos entsprechend. Vor allem die Ausführungen Sobchacks erweisen sich in dieser Hinsicht der utopischen Funktion zugewandt. Sie heben den Punkt hervor, dass Gefühlsbeziehungen zwischen Subjekt-Objekt und ObjektSubjekt als Grundlage menschlicher Ethik entstehen. In Sobchacks Argumentation setzt sich der Sinnsphäre des Habens die Reziprozität des gegenseitigen Annäherungs- (und damit prinzipiell Aneignungs-) Prozesses entgegen; in Bezug auf das Herrschen, hebt sie das Thema der Achtung hervor; und im Kontext des Geltens betont Sobchack Aspekte der Wertschätzung. Vergleicht man diese Argumentation mit der einnehmenden Macht, die Baudrillard den Objekten und Zeichen einschreibt, dann wird deutlich, wie konträr sich beide Ansätze erweisen. Die einnehmende aporetische Macht der textuell-semiotischen Metanarrative hat eine ähnlich bindende Kraft, wie die der Regression der psychoanalytischen Metanarrative. Die Logik beider Narrativen hat zur Folge, dass der Punkt der Überwindung 12 Ricœur (1965/1974), S. 519.

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in unerreichbare Ferne rückt, während sie sich textuell – sprich phänomenal – konstant überwunden findet. Das Phänomen des Grotesken beschreibt in der utopischen Funktion Punkte der (suspendierenden) Überschreitung, welche die degenerierte, fragmentierte Seite komplementiert und sich diskursiv der Logik einschreibender Metanarrativen widersetzt. Richardsons Abhandlung steht für diese Problematik exemplarisch ein. Er bewerkstelligt in der Analyse von Švankmajers Filmen verschiedene Punkte der Überwindung. Doch am entscheidenden Punkt greift sein Vorhaben zu kurz, nämlich in Bezug auf die subversive Funktion. Ähnlich verhält es sich in Zusammenhang mit Fuß Studie zum Phänomen des Grotesken. Hält seine Studie an der Logik der Einschreibepraxis einer textuell-semiotischen Metanarrative fest, bleibt es ihr ein unüberwindliches Hindernis, dem grotesken Phänomen subversives Potenzial zu zugestehen. Fuß Position mindert die Subversivität des Phänomens zu einer Ventilfunktion herab, die lediglich virtuell und textintern wirkt, sich jedoch in Bezug auf die ›Außenwelt‹ als wirkungslos erweist. Laut Fuß umschreibt die Subversivität des Phänomens die anthropologische Dimension des Grotesken. Im Vergleich zu archaischen Riten argumentiert Fuß: »Wie der archaische Opferritus als (Re-)Konstruktion des präkulturellen Zustands gesetzloser, subjektloser und unsublimierter Gewalt, so zielen auch die Grotesken neuzeitlich abendländischer Kulturformationen auf die (Re-)Konstruktion der primären Schicht. Sie wählen dabei den Weg über ältere Formen der Sublimierung, etwa über die virtuelle Wiederbelebung der Opferriten. Das im Grotesken (re-)konstruierte Primäre ist nicht ‚die Natur, sondern eine primäre Manifestation der Kultur. Die Transposition der grotesken Struktur vom rituellen in den ästhetischen Kontext bewirkt eine Transformation, die sich als Virtualisierung beschreiben lässt. Wird die Opferung noch im Realen vollzogen, hat sich die Groteske ins Symbolische zurückgezogen. Sie symbolisiert die Restitution des Semiotischen, die der Opferritus realisiert. Poesie ist trotz aller Parallelen kein Mord.«13

Das Zitat erklärt nicht, wie das Groteske sich in den Bereich des Semiotisch-Textuellen zurückzieht, sondern vielmehr wie die diskursive Praxis, die Fuß in seiner Abhandlung verfolgt, eine Bewegung des Rückzugs vollzieht. Die ›Ungefährlichkeit‹, die dem Phänomen darin angelastet wird, widerspricht der Position mimetischer Konfigurations- und Transfigurationsprozesse, die in einer hermeneutischphänomenologischen Analyse verfolgt wird. Geht man davon aus, dass textuell wie phänomenologisch motivationale Strukturen angesprochen werden (und beide Ebenen sich darin im Denken und Fühlen treffen und berühren), dann gewinnt die 13 Fuß, S. 463f.

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textuelle Ebene ihre Wirksamkeit zurück.14 Diese Gefährlichkeit oder Subversivität manifestiert sich zum einen im Entlarven der Strukturen der ökonomischen/körperlichen Entfremdung (subversives Wirkungsprinzip) und zum anderen in einer grotesk, utopischen Bemächtigung benachteiligter Kräfte und Strukturen. Der Švankmajerschen Groteske ist darin spezifisch, dass diese entmachteten Strukturen sich auf den kindlichen Blick und die lustvolle Erforschung der objektiven Körperlichkeit der Welt bezieht, wobei beide Themenkomplexe sich eng ineinander verwoben zeigen. Wie Švankmajer in einem Interview mit Petr Kral sagt: »The vision of childhood as a paradise lost is certainly a distortion. From the start, our entry into the world is probably an unpleasant experience. Afterwards, childhood itself is likewise full of constraints, injustices and cruelty. Moreover, children are pressured into adulthood – an error which, from their point of view, must look analogous to the mistaken idealization of childhood which we adopt as we get older. No one knows better than a child how to be cruel … But in no way do I mean to disavow my own childhood by this, I just want to retain an ›active‹ attitude towards it.«15

Die aktive Bindung, die Švankmajer zur kindlichen Perspektive beibehält, bezieht sich auf die kindliche Sensibilität, deren unbändiger Drang, zu experimentieren und zu erforschen, der lustvollen/pervertierten Hingabe an die objektive Körperlichkeit der Welt entspricht und dabei Unerhörtes und Ungesagtes entdeckt. In Referenz auf Walter Benjamin bezieht auch Sobchack die kindliche Perspektive mit ein, wenn sie über die Leidenschaft der Hingabe schreibt: »Actively – passionately – expensive it [the passionate devotion] expresses our desire to enfold other subjects and objects (and often the world itself), to know their materiality and objectivity intimately and, indeed, embrace their alterity as our own. This kind of devotion engages what Walter Benjamin has called the ›mimetic‹ faculty. […] Hence, the mimetic and corporal activity of a child who, as Benjamin suggests ›plays at not only being a shopkeeper or teacher, but also as a windmill or train‹.«16

Der einnehmende Charakter des kindlichen Spiels, welcher in der Nachahmung keinen Unterschied zwischen einem Gegenstand, einem Beruf (Institution) oder einer Figur (Gestalt) macht, unterstützt die These Ricœurs, welche die Objektivität 14 Vgl. Ricœur (1981), S. 26: »We forget, that fiction is precisely what makes language that supreme ›danger‹, about which Walter Benjamin spoke with such awe and admiration, following Hölderlin.« 15 Kral, S. 28f. 16 Sobchack (2004), S. 289; Benjamin, S. 333.

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verschiedener Instanzen als Auslöser affektiver Gefühle hervorhebt. Im Sinne eines pre-reflexiven Erforschens und Drängens weiß das Kind intuitiv um diesen objektiven Status. Des Weiteren ist die kindliche Perspektive offener gegenüber der Verquickung pervertierter/regressiver und progressiver/utopischer Lustgewinne. Die eingehende Filmanalyse von Alice hat gezeigt, wie Švankmajer sich über die groteske (Re-)Konfiguration/Transfiguration den kindlichen Blickwinkel erschließt. Vor allem das ritualisierende Moment dient als Marker der utopischen Funktion, wie es in Bezug auf die Figur des weißen Kaninchens, Hutmachers, Schnapphasens und der Königin der Herzen besprochen wurde. Mit diesen Figuren verlässt Alice die väterliche Ordnung und sieht sich in der mütterlichen Ordnung mit ›neuen‹ Kräften ausgestattet, die ihr die Macht über Schere und Schublade zurückgeben. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf den fetischistischen Lustgewinn der Charaktere aus Conspirators of Pleasure. Beziehen sich ihre lustvollen Phantasien auf Objekte, zeigen sich die Praktiken ritualisiert. Mit dem Verweis auf das ritualistische Moment sieht sich die utopische Funktion grotesker Gestaltungen mit einer ursprünglichen, archaischen Dimension investiert, die sie in den Bereich des Kulturanthropologischen zieht. Der Aspekt führt zurück zur Subversivität der grotesken Formation. Fuß erklärt in Bezug auf den archaischen Begriff des Mythos: »Die Undifferenziertheit archaischer Kulturformationen erklärt Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Mythos und Groteske. Wie die Groteske ist der Mythos jenseits der identitätslogischen Kulturordnung angesiedelt. Er unterscheidet sich jedoch von ihr, weil er diese Ordnung nicht nur dekomponiert und liquidiert, sondern auch konstituiert und durch seine regelmäßige Wiederholung stabilisiert.«17

Ritus und Mythos unterscheiden sich für Fuß vom Grotesken also dahingehend, dass ihnen eine stabilisierende, affirmierende, utopische Funktion innewohnt, welche das Groteske vermissen lässt. Diese Abhandlung spricht sich dafür aus, dass das Phänomen über eine vergleichbare Dimensionalität verfügt, wie es in den Filmen Švankmajers zum Ausdruck kommt. Sie wirkt vielleicht nicht affirmativ im klassisch-apollinischen Sinne, wie Ritus und Mythos es für Fuß tun, aber sie führt mit der grotesken Erforschung pervertierter/lustvoller Leiblichkeit in ein Geflecht von affektiven, objektbezogenen Gefühlen. Diese artikulieren nicht alleine regressive Symptome ungelöster Konflikte (Schuld), sondern dienen ebenfalls als prospektive Symbole. Zu dieser Erkenntnis führen die hermeneutisch-phänomenologischen Analysen Ricœurs. Das prospektive Symbol, welches sich mittels Motivationen, Tendenzen und Intentionen erforschen lässt, öffnet einen imaginären 17 Fuß, S. 433.

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Freiraum, der das Unerhörte und Ungesehene hervortreten lässt. Diesem Wahrnehmungsmodus entspricht die Perspektive des Grotesken, welche Švankmajers Werk sucht. Scheint nun die perverse Seite sich dem Aufbrechen verkrusteter, autoritativer Strukturen zu zuwenden (Aporie), während die utopische Seite sich einer sentimentalen Vorstellung, in der diese Strukturen subvertiert werden, zuneigt, dann muss man tatsächlich zu dem Schluss kommen, dass beide Richtungen zusammenfallen. Wie Ricœur schreibt: »Indem wir zur intentionalen Einheit des Symbols Zugang erhalten, haben wir überwunden, was zwischen Regression und Progression noch an Distanz verblieb. Regression und Progression sind nunmehr weniger zwei wirklich entgegengesetzte Vorgänge, als vielmehr die abstrakten, einem einzigen Symbolisierungsmaßstab entnommenen Termini, dessen beide extreme Grenzen sie bezeichnen. Ist der Traum nicht selbst ein variabler Kompromiss zwischen diesen beiden Funktionen, je nachdem, ob der neurotische Aspekt der Wiederholung und zum Archaismus tendiert oder ob er auf dem Weg einer therapeutischen, von sich auf sich selbst ausgeübten Aktion befindet? Und gibt es umgekehrt ein einziges Symbol, das nicht in den Archaismus der Konflikte und individuellen oder kollektiven Kindheitsdramen tauchte? Auch die bahnbrechendsten Gestalten, die der Künstler, Schriftsteller, oder Denker zu erzeugen vermag, mobilisieren alle zuerst in archaische Gestalten investierte Energien; aber indem der Schaffende jene dem Traum – oder neurotischen Symbolen vergleichbare Gestalten mobilisiert, enthüllt er das am wenigsten verstrichene, am wenigsten geschehene Mögliche und errichtet es als jeweils neues Symbol für den Schmerz des Selbstbewusstseins.«18

Der Schmerz des (Selbst-)Bewusstseins, welches um Legitimation in einer ihm feindlichen Umgebung ringt, artikuliert sich wieder und wieder in Švankmajers Filmen und vermischt die Symbole der Regression und Progression. Die grotesk pervertierte/lustvolle Erforschung objektiver Leiblichkeit führt zu diesen Symbolen und damit zu dem spezifischen Grotesksein von Švankmajers Filmen. Was dieses Grotesksein von dem eines anderen Werkes unterscheidet, bestimmt das konkrete objektbezogene Geflecht von Gefühlen, Tendenzen, Spannungen und Intentionen, welches sich in dem Werk artikuliert. Die ritualisierte, utopische Funktion nutzt die konfigurierende und transfigurierende Kraft der Mimesis, um die gelebte Erfahrung dieses konkreten objektbezogenen Geflechts von Gefühlen, Tendenzen, Spannungen und Intentionen kontinuierlich zu überwinden, zu erneuern und neuen Sensibilitäten zu zuführen. Wenn dieses Geflecht zudem analytisch-subversiv und leiblich-konkret erforscht wird, wie in den Filmen Švankmajers, dann fällt dieser erneuernden Funktion umso mehr Gewicht zu. 18 Ricœur (1965/1974), S. 533.

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Filmographie

The Last Trick of Mr. Schwarzwald and Mr. Edgar Poslední trik pana Schwarcewalldea a pana Edgara CZ/1964/11 min/col/35mm Produzent: Josef Soukup Produktionsgesellschaft pany: Krátký film Praha Kamera: Svatopluk Malý Schnitt: Milada Sádková Musik: Zdeněk Šikola Besetzung: Juraj Herz, Jiří Procházka, Eva Švankmajerová, Blanka Vrbecká, Josef Jakoubek, Karel Řehořek DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films, British Film Institut (BFI), disc one, early shorts 1964-72 J. S. Bach: Fantasia g-moll CZ/1965/8 min/bw/35mm Produzent: Zdeněk Novák Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha Kamera: Svatopluk Malý Schnitt: Milada Sádková Musik: J. S. Bach Besetzung: Jiří Ropek DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc one Spiel mit Steinen Hra s kameny Game with Stones AT/1965/8 min/col/35 mm Produzent: A. Hans Puluj

288 | Das Innerste denken

Produktionsgesellschaft: Studio A (Linz) Kamera: Peter Puluj Schnitt und Animation: Jan Švankmajer DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc one Punch and Judy The coffin house The lych house Rakvičkárna CZ/1966/10 min/col/35mm Produzent: Jiří Vaněk, Erna Kmínková Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha/Jiří Trnka Studio Kamera: Jiří Šafář Schnitt: Helena Lebdušková, Hana Walachová Musik: Zdeněk Liška Besetzung: Nad’a Munzarová, Jiří Procházka, Bohuslav Šrámek DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc one Et cetera (1966) CZ/1966/7 min/col/35mm Produzent: Jiří Vaněk Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha/Jiří Trnka Studio Kamera: Jiří Šafář Schnitt: Helena Lebdušková Animation: Vlasta Pospíšilová, Jan Adam Musik: Zdeněk Liška DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc one Historia naturae (suita) (1967) CZ/1967/9 min/col/35mm Produzent: Antonín Vaněk Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha Kamera: Zdeněk Šibrava Schnitt: Editing: Milada Sádková Animation: Jan Švankmajer Musik: Zdeněk Liška DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc one

Filmographie | 289

The Garden Zahrada CZ/1968/19 min/bw/35 mm Produzent: Jiří Vaněk, Erna Kmínková Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha Idee and Dialog: Ivan Kraus Kamera: Svatopluk Malý Schnitt: Milada Sádková Kostüm: Eva Švankmajerová Besetzung: Jiří Hálek, Luděk, Míla Myslíková, Václav Borovička DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc one The Flat Byt CZ/1968/12 min/bw/35 mm Produzent: Jiří Vaněk, Erna Kmínková Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha Kamera: Svatopluk Malý Schnitt: Hana Walachová Animation: Zdeněk Šob Musik: Zdeněk Liška Besetzung: Ivan Kraus, Juraj Herz DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc one Picknick mit Weissmann Piknik s Weissmannem Picnic with Weissmann AT/1968/13 min/col/35 mm Produzent: A. Hans Puluj Produktionsgesellschaft: Studio A (Linz) Kamera: Peter Puluj Schnitt und Animation: Jan Švankmajer DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc one A Quiet Week in a House Tichý týden v domě CZ/1969/13 min/col and bw/35 mm Produzent: Jiří Vaněk Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha/Jiří Trnka Studio

290 | Das Innerste denken

Kamera: Svatopluk Malý, Karel Suzan Schnitt: Helena Lebdušková Animation: Zdeněk Šob Besetzung: Václav Borovička DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc one Don Juan Don Šajn CZ/1970/30 min/col/35 mm Produzent: Josef Soukup Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha Kamera: Svatopluk Malý Schnitt: Milada Sádková Musik: Zdeněk Liška Besetzung: Vítězslav Kuschmitz, Josef Podsedník, Miroslava Volkova, Miroslav Krajník DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc one The Ossuary Kostnice CZ/1970/10 min/bw/35 mm Produzent: Josef Soukup Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha Kamera: Svatopluk Malý Schnitt: Milada Sádková Musik: Zdeněk Liška (Gedichtversion) DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc one Jabberwocky Žvahlav aneb šatičky Slaměného Huberta Straw Hubert’s Clothes CZ/1971/12 min/col/35 mm Produzent: Jiří Vaněk, Erna Kmínková, Marta Šíchová Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha/Wester Wood Studio (US) Kamera: Boris Baromykin Schnitt: Helena Lebdušková Animation: Vlasta Pospíšilová Musik: Zdeněk Liška DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc one

Filmographie | 291

Leonardo’s Diary Leonardův deník CZ, IT/1972/10 min/col/35 mm Produzent: Jiří Vaněk Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha/Jiří Trnka Studio/Corona Cinematografica (Rome) Kamera: Jiří Šafář Schnitt: Helena Lebdušková Design: Vladimír Kladiva Animation: Vladimír Kladiva, Karel Chocholín Musik: Zdeněk Liška DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc one The Castle of Otranto Otrantský zámek CZ/1973 – 79/17 min/col/35mm Produzent: Marta Šíchová Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha/Jiří Trnka Studio Kamera: Jiří Šafář Schnitt: Helena Lebdušková Design: Vladimír Kladiva Animation: Xenie Vavrečková, Karel Chocholín Musik: Zdeněk Liška Besetzung: Miloš Frýba, Jaroslav Vozáb DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc two, late shorts 1979-92 The Fall of the House of Usher Zánik domu Usherů CZ/1980/15 min/bw/35 mm Produzent: Viktor Mayer Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha/Jiří Trnka Studio Kamera: Miloslav Špála Schnitt: Helena Lebdušková Animation: Bedřich Glaser Musik: Jan Klusák Erzähler: Petr Čepek DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc two

292 | Das Innerste denken

Dimensions of Dialogue Možnosti dialogu Tücken des Gesprächs CZ/1982/10 min/col/35 mm Produzent: Klára Stoklasová Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha/Jiří Trnka Studio Kamera: Vladimír Malík Schnitt: Helena Lebdušková Animation: Vlasta Pospíšilová Musik: Jan Klusák DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc two Down to the cellar Do pivnice Do sklepa CZ/1982/15 min/col/35 mm Produzent: Eduard Galbavý Produktionsgesellschaft: Slovenská filmová tvorba (Bratislava) Kamera: Juraj Galvánek Schnitt: Peter Beňovsky Animation: Zlatica Vejchodská Ton: Ivo Špalj Besetzung: Monika Belo-Cabanová, Olga Vronská, Alexander Letko DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc two The Pendulum, the Pit and Hope Kyvadlo, jáma a naděje CZ/1983/14 min/bw/35 mm Produzent: Miroslav Kubricht, Klára Stoklasová Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha/ Jiří Trnka Studio Kamera: Miloslav Špála Schnitt: Helena Lebdušková Design: Eva Švankmajerová Animation: Bedřich Glaser Ton: Ivo Špalj Besetzung: Jan Žáček DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc two

Filmographie | 293

Alice Něco z Alenky Something from Alice CH, DE, GB/1987/84 min/col/35 mm Ausführender Produzent: Keith Griffiths, Michael Havas Produzent: Peter-Christian Fueter Produtkionsmanagment: Jaromír Kallista Produktionsgesellschaft: Condor Film (Zürich), Hessischer Rundfunk (DE), Film Four International (GB) Kamera: Svatopluk Malý Schnitt: Marie Zemanová Design: Eva Švankmajerová Animation: Bedřich Glaser Ton: Ivo Špalj Besetzung: Kristýna Kohoutová Virile games Mužné hry CZ/1988/12 min/col/35 mm Produzent: Věra Šašková Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha/Jiří Trnka Studio Kamera: Miloslav Špála Schnitt: Věra Benešová Animation: Bedřich Glaser Besetzung: Miroslav Kuchař DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc two Another kind of love (Musikvideo) GB, DE/1988/3 min/col/35 mm Produzent: Jaromír Kallista Produktionsgesellschaft: Virgin Records, Nomad Films, Koninck International Kamera: Svatopluk Malý Schnitt: Marie Zemanová Animation: Bedřich Glaser Musik/Besetzung: Hugh Cornwell DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc two

294 | Das Innerste denken

Meat Love Zamilované maso Fleischliche Liebe US, GB, DE/1989/1 min/col/35 mm Produzent: Jaromír Kallista Produktionsgesellschaft: MTV (US) Nomad Films (DE), Koninck International (GB) Kamera: Svatopluk Malý Schnitt: Marie Zemanová Animation: Bedřich Glaser DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc two Darkness-light-darkness Tma-světlo-tma CZ/1989/8 min/col/ 35 mm Produzent: Alena Dětáková Produktionsgesellschaft: Krátký film Praha/Jiří Trnka Studio Kamera: Miloslav Špála Schnitt: Marie Zemanová Animation: Bedřich Glaser Ton: Ivo Špalj DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc two Flora US/1989/20 sec/col/35mm Produzent: Jaromír Kallista Produktionsgesellschaft: MTV (USA) Kamera: Svatopluk Malý Schnitt: Marie Zemanová Animation: Bedřich Glaser DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc two The death of Stalinism in Bohemia Konec stalinismu v Čechách Der Tod des Stalinismus in Böhmen GB, DE, CZ/1990/14 min/col/35 mm Ausführender Produzent: Keith Griffiths, Michael Havas Produzent: Jaromír Kallista Produktionsgesellschaft: BBC (GB), Nomad Films (DE)

Filmographie | 295

Kamera: Svatopluk Malý Schnitt: Marie Zemanová Animation: Bedřich Glaser Ton: Ivo Špalj DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc two Food Jídlo Das kleine Fressen CZ, GB/1992/17 min/col/35 mm Ausführender Produzent: Keith Griffiths, Michael Havas Produzent: Jaromír Kallista Produktionsgesellschaft: Channel Four (GB), Heart of Europe (Prague), Koninck International (GB), Krátký film Praha Kamera: Svatopluk Malý Schnitt: Marie Zemanová Animation: Bedřich Glaser Ton: Ivo Špalj Besetzung: Ludvík Šváb, Josef Fiala, Bedřich Glaser, Jan Kraus, Pavel Marek, Jaromír Kallista DVD Verfügbarkeit: Jan Švankmajer, the complete short films (BFI), disc two Faust Lekce Faust The Lesson of Faust GB, FR, DE, CZ/1994/95 min/col/35 mm Ausführender Produzent: Karl Baumgartner, Keith Griffiths, Michael Havas, Hengameh Panahi, Colin Rose Produzent: Jaromír Kallista Produktionsgesellschaft: BBC (GB), Lumen Films (FR), Pandora Film (DE), Heart of Europe (Prague), Athanor Film (Prague), Koninck International (GB) Kamera: Svatopluk Malý Schnitt: Marie Zemanová Kostüm: Ruzena Bláhová Animation: Bedřich Glaser Ton: Ivo Špalj Musik: Gounod, J. S. Bach Künstlerische Mitarbeit: Eva Švankmajerová Besetzung: Petr Čepek, Jan Kraus, Vladimír Kudla

296 | Das Innerste denken

Conspirators of Pleasure Spiklenci slasti GB, CH, CZ/1996/85 min/col Ausführender Produzent: Keith Griffiths, Pierre Assouline Produzent: Jaromír Kallista Produktionsgesellschaft: Athanor Film (Prague), Koninck International (GB), Delfilm (Genf) Kamera: Miloslav Špála Schnitt: Marie Zemanová Design: Eva Švankmajerová Kostüm: Ruzena Bláhová Animation: Bedřich Glaser, Martin Kublák Ton: Ivo Špalj Musik: Olga Jelinkova, Stephen Quay, Timothy Quay Besetzung: Petr Meissel, Gabriela Wilhelmová, Barbora Hrzánová, Anna Wetlinská, Jirí Lábus, Pavel Nový Little Otik Otesánek CZ, GB/2001/132 min/col/ Ausführender Produzent: Keith Griffiths, Helena Uldrichová Produzent: Jaromir Kallista Produktionsgesellschaft: Athanor Film (Prague); Filmové Studio Barrandov (Prague), FilmFour (UK); Illuminations Films (UK) Verleih: Zeitgeist Films Kamera: Juraj Galvánek Schnitt: Marie Zemanová Kostüm: Jan Švankmajer, Eva Svankmajerová, Miroslava Gailová, Katerina Rudova, Katerina Stejskalová Animation: Bedřich Glaser, Martin Kublák Ton: Ivo Špalj Besetzung: Veronika Zilková, Jan Hartl, Kristina Adamcová Lunacy Šílení CZ, SK, JP/2005/118 min/col/ Ausführender Produzent: Veřa Ferdová, Juraj Galvánek, Jaroslav Kucera, Jiri Kostýr, Helena Uldrichová, Toshiharu Manabe, Yoshihiro Komiya Produzent: Jaromir Kallista

Filmographie | 297

Produktionsgesellschaft: Athanor Film (Prague); C-GA Film (Bratislava); Filmové Studio Barrandov (Prague); Česká televise (CZ); At Armz (JP); Ren Corporation (JP) Verleih: Warner Bros. (CZ), Zeitgeist Films (US) Kamera: Juraj Galvánek Schnitt: Marie Zemanová Design: Eva Švankmajerová Kostüm:Veronika Hrubá, Eva Švankmajerová Animation: Bedřich Glaser, Martin Kublák Ton: Ivo Špalj Musik: Carl Maria von Weber Besetzung: Pavel Liška, Jan Tříska, Aňa Geislerová, Martin Huba, Jaroslav Dušek Pavel Nový, Stano Dančiak, Jiři Krytinář Surviving Life Přežít svůj život CZ, SK/2010/109 min/col Produzent: Jaromir Kallista Produktionsgesellschaft: Athanor Film (Prague); C-GA Film (Bratislava) Verleih: Bontonfilm Kamera: Jan Růžička, Juraj Galvánek Schnitt: Marie Zemanová Musik: Alexandr Glazunov, Jan Kalinov Besetzung: Václav Helšus, Klára Issová, Zuzana Kronerová, Emília Došeková, Daniela Bakerová

Medienwissenschaft Susan Leigh Star

Grenzobjekte und Medienforschung (hg. von Sebastian Gießmann und Nadine Taha) 2017, 536 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3126-5 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-3126-9 EPUB: ISBN 978-3-7328-3126-5

Geert Lovink

Im Bann der Plattformen Die nächste Runde der Netzkritik (übersetzt aus dem Englischen von Andreas Kallfelz) 2017, 268 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3368-9 E-Book PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3368-3 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3368-9

Gundolf S. Freyermuth

Games | Game Design | Game Studies Eine Einführung 2015, 280 S., kart. 17,99 € (DE), 978-3-8376-2982-8 E-Book: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2982-2

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Medienwissenschaft Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele, Julia Elena Goldmann (Hg.)

Kommunikationswissenschaftliche Gender Studies Zur Aktualität kritischer Gesellschaftsanalyse April 2018, 308 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3837-0 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3837-4

Ramón Reichert, Annika Richterich, Pablo Abend, Mathias Fuchs, Karin Wenz (eds.)

Digital Culture & Society (DCS) Vol. 3, Issue 2/2017 – Mobile Digital Practices January 2018, 272 p., pb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3821-9 E-Book: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3821-3

Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.)

Zeitschrift für Medienwissenschaft 17 Jg. 9, Heft 2/2017: Psychische Apparate 2017, 216 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4083-0 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-4083-4 EPUB: ISBN 978-3-7328-4083-0

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