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German Pages 318 Year 2023
Beiträge zum Parlamentsrecht Band 84
Das Diskontinuitätsprinzip im Parlamentsrecht
Von
Alexander Aumüller
Duncker & Humblot · Berlin
ALEXANDER AUMÜLLER
Das Diskontinuitätsprinzip im Parlamentsrecht
Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von Professor Dr. Horst Risse, Berlin Professor Dr. Utz Schliesky, Kiel Professor Dr. Christian Waldhoff, Berlin
Band 84
Das Diskontinuitätsprinzip im Parlamentsrecht
Von
Alexander Aumüller
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.
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© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 978-3-428-18759-1 (Print) ISBN 978-3-428-58759-9 (E-Book)
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität im Wintersemester 2021/2022 als Dissertation angenommen. Sie hat ihren Ausgangspunkt in der Frage nach der Zweckmäßigkeit des Diskontinuitätsprinzips, welches ich selbst bereits früh in der Vorlesung zum Staatsorganisationsrecht kennenlernte und umfassend anerkannt ist, jedoch scheinbar in starkem Kontrast zu den gestiegenen Anforderungen an einen modernen Parlamentsbetrieb steht. Ich danke meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hermann Butzer, für die Unterstützung bei dieser Themenfindung, aber vor allem für das besondere Engagement, die wissenschaftliche Betreuung und die außerordentlich wichtigen Impulse auf dem gesamten Weg bis zu der Veröffentlichung dieser Arbeit. Ihm gilt auch meine tiefe Verbundenheit, deren Grundstein bereits durch meine langjährige Mitarbeit an seinem Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Sozialrecht seit dem Beginn meines Studiums und schließlich parallel zur Arbeit an der Promotion gelegt wurde. Auch den dortigen Kolleginnen und Kollegen bin ich für diese spannende Zeit und den vielfältigen Austausch sehr dankbar. Die Arbeit profitiert in besonderem Maße von dem unschätzbaren Einblick in den pragmatischen Umgang mit dem Diskontinuitätsprinzip in der parlamentarischen Praxis. Hierfür bin ich Herrn Prof. Dr. Philipp Austermann und Herrn Dr. Christoph Lontzek ausgesprochen dankbar, die ihre Erfahrungen ihrer damaligen Tätigkeit in der Verwaltung des Deutschen Bundestages bzw. des Abgeordnetenhauses von Berlin mit mir teilten. Ferner möchte ich Herrn Prof. Dr. Veith Mehde für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und seine wertvollen Hinweise herzlich danken. Darüber hinaus bin ich Herrn Prof. Dr. Tim W. Dornis für die Übernahme der Aufgabe des Prüfungsvorsitzenden und den zeitigen Abschluss des Prüfungsverfahrens trotz widriger Umstände zu großem Dank verpflichtet. Ebenso gilt mein Dank Frau Ass. iur. Kerstin Wagner, die mir als Studiengangskoordination stets eine sehr kompetente Ansprechpartnerin in allen Fragen zu den verschiedenen Studienschritten seit dem ersten Semester bis zur Disputation war. Schließlich gebührt besonderer Dank meiner Familie. Ausdrücklich danke ich zunächst meiner Schwester, Katharina Conrads, für das unermüdliche, akribische Korrekturlesen. Außerdem bin ich meinen Eltern, Sabine und Axel Aumüller, für ihre nie nachlassende Unterstützung in allen erdenklichen Belangen unendlich dankbar. Hannover, im Januar 2023
Alexander Aumüller
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einleitung
13
1. Kapitel: Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
2. Kapitel: Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
3. Kapitel: Terminologische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Personelle Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18 19
I. Erlöschen der Abgeordnetenmandate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
II. Personelle Diskontinuität als Teil des Diskontinuitätsprinzips . . . . . . . . . .
20
B. Organisatorische Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
C. Sachliche Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
2. Teil Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
28
1. Kapitel: Grundlagen des Diskontinuitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
A. Das Diskontinuitätsprinzip in der Ständeversammlung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
I. Der Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
II. Die Landtage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
III. Das Diskontinuitätsprinzip als „Erbe des ständischen Geschäftsganges“?
31
B. Das Diskontinuitätsprinzip im englischen Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
C. Entwicklung des Diskontinuitätsprinzip im post-revolutionären Frankreich . .
40
2. Kapitel: Das Diskontinuitätsprinzip in den Einzelstaaten des Deutschen Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
A. Entwicklung in den konstitutionellen Monarchien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
B. Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
I. Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
II. Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
III. Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
C. Entwicklung in den freien Städten des Deutschen Bundes . . . . . . . . . . . . . . . .
55
8
Inhaltsverzeichnis
3. Kapitel: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich . . . . . . . . . . . . 59 A. Parlamentarische Arbeitsperioden als Grundlage des Diskontinuitätsprinzips I. Legislaturperioden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sessionsabschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Auswirkungen des Diskontinuitätsprinzips, insbesondere im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vertagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachliche Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere diskontinuierliche Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auflösung und Ablauf der Legislaturperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Begründung des Diskontinuitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Politische Begründung und Bedeutung des Diskontinuitätsprinzips . . . . . . II. Rechtliche Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erster Versuch: eine allgemeine Durchbrechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zweiter Versuch: Durchbrechung nur für bestimmte Vorlagen . . . . . . . . . . III. Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60 60 61 64 66 67 68 68 74 75 77 78 84 90 91 94 96
4. Kapitel: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . 98 A. Parlamentarische Arbeitsperioden als Grundlage des Diskontinuitätsprinzips B. Auswirkungen des Diskontinuitätsprinzips, insbesondere im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Auswirkungen im parlamentarischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auswirkungen im außerparlamentarischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren nach dem Gesetzesbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Begründung des Diskontinuitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Politische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtliche Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Parlamentarische Arbeitsperioden und das Diskontinuitätsprinzip in den Ländern der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wahlperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sitzungsperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
101 108 108 109 110 112 114 114 119 121 125 126 131
Inhaltsverzeichnis
9
3. Teil Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
138
1. Kapitel: Parlamentarische Arbeitsperioden als Grundlage des Diskontinuitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 A. Wahlperioden als verbleibender Umbruch im immer kontinuierlicheren Parlamentsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Übergänge zwischen den Wahlperioden bis 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Abschaffung der Intervalle zwischen Wahlperioden durch eine Reform des Art. 39 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Kaum Einfluss auf die Gestaltung der Wahlperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139 142 145 147
2. Kapitel: Auswirkungen des Diskontinuitätsprinzips im parlamentarischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 A. Personelle Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Organisatorische Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Diskontinuität der autonomen Rechte des Bundestags . . . . . . . . . . . . . . . . II. Diskontinuität der Organe des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Obligatorische Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fakultative, aber regelmäßig gebildete Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einmalige Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausnahme von der organisatorischen Diskontinuität für die Bundestagsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Behauptete Ausnahmen von der organisatorischen Diskontinuität . . . . . . . . 1. Einberufung zur konstituierenden Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Parlamentarisches Kontrollgremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gremium nach Art. 13 Abs. 6 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wehrbeauftragter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vermittlungsausschuss, Gemeinsamer Ausschuss und Richterwahlausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Außerparlamentarische Gremien mit parlamentarischer Beteiligung . . C. Sachliche Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sachliche Diskontinuität der Kontrollrechte des Bundestags . . . . . . . . . . . II. Ausnahmen von der sachlichen Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153 155 155 157 158 160 161 162 163 164 165 168 168 170 177 180 181 187
3. Kapitel: Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für andere Verfassungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 A. B. C. D.
Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für den Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für die Bundesregierung . . . . . . . . . . Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für den Bundespräsidenten . . . . . . . . Die Bundesversammlung als Sonderfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
191 194 197 198
10
Inhaltsverzeichnis
E. Auswirkungen des Diskontinuitätsprinzips außerhalb des parlamentarischen Bereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfahren zum Zustandekommen von Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausfertigung und Verkündung nach Art. 82 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren bei Gesetzesbeschlüssen nach Art. 77 GG . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zustimmung der Bundesregierung nach Art. 113 GG . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
200 202 206 207 208 213 214
4. Kapitel: Begründung des Diskontinuitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 A. Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kein zwingendes Verfassungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kein striktes Verbot des „Hinüberwirkens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Alternativen zur Geschlossenheit der Wahlperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Wiederholte Verschiebung in der Begründung des Diskontinuitätsprinzips . . . I. Überkommene historische Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Pragmatische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abbrucheffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konzentrationseffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
217 226 226 230 232 232 234 235 238
5. Kapitel: Das Diskontinuitätsprinzip in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 A. B. C. D. E.
Starke Wahrnehmung der personell-diskontinuierlichen Effekte . . . . . . . . . . . . Drucksituation durch sachliche Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bereinigungswirkung durch sachliche Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskontinuierliche Praxis und organisatorische Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . Abschwächung der Diskontinuitätsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Hohe Wiederwahlquoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übernahme der organisatorischen Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschleunigungsmöglichkeiten „übernommener“ Gesetzentwürfe . . . . . .
241 243 246 250 251 251 252 255
6. Kapitel: Das Diskontinuitätsprinzip in den Ländern der Bundesrepublik . . 258 A. Abschluss der Wahlperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 B. Beginn der Wahlperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 C. Unterteilung der Wahlperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 4. Teil Reformansätze zum Diskontinuitätsprinzip
270
1. Kapitel: Vollständige Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2. Kapitel: Sachliche (Teil-)Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 A. Befristung von Gesetzesinitiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
Inhaltsverzeichnis
11
B. Generelle Kontinuität nur bei bestimmten Arten von Gesetzesinitiativen . . . . 276 C. Kontinuität einzelner Gesetzesinitiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 3. Kapitel: Normierung des Diskontinuitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 A. Normierung des Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 B. Normierung einer erleichterten Wiedereinbringungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . 283 5. Teil Fazit
288
1. Kapitel: Diskontinuität als Urzustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 2. Kapitel: Übernahme des Diskontinuitätsprinzips auch im Interesse der deutschen Fürsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 3. Kapitel: Positive Effekte und praktische Abmilderungsmöglichkeiten sichern diskontinuierliche Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 4. Kapitel: Tendenz zur Kontinuität insbesondere durch einen pragmatischen Umgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 5. Kapitel: Kein zwingendes Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 6. Kapitel: Reformierung durch Normierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
1. Teil
Einleitung Es gibt das Sprichwort, man möge doch das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Betrachtet man das Diskontinuitätsprinzip oberflächlich, könnte man den Eindruck bekommen, dass genau dies der Effekt des Diskontinuitätsprinzips ist. Zum Ende der Wahlperiode wird der gesamte parlamentarische Betrieb – alle Mandatsträger, die gesamte Organisation mit Ausschüssen, Fraktionen sowie Geschäftsordnung und alle liegengebliebenen Gesetzentwürfe – „ausgeschüttet“, nur um sich in der neuen Legislatur neu zu finden. Diese Arbeit will aufzeigen, warum sich dieser scheinbar sehr radikale Akt der Parlamentserneuerung mit jeder Wahl entwickelt und über alle Umbrüche in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus erhalten hat. Ein Blick ins Vereinigte Königreich zeigt, welche grundlegende praktische Relevanz dieses Prinzip plötzlich haben kann: Anfang September 2019 begann sich im Britischen Parlament deutlicher Widerstand gegen einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ohne Austrittsabkommen zu regen. Das Westminster Parliament bäumte sich gegen den (Notfall-)Plan der von Boris Johnson geführten Regierung auf und wollte ein Gesetz erlassen, was die Regierung zwang, einen weiteren Aufschub des Brexits bei der Europäischen Union über den 31. Oktober 2019 hinaus zu beantragen. Der Premierminister dagegen wollte das Parlament in eine Zwangspause schicken. Ein Parlament, das nicht versammelt war, konnte seine Interessen nicht durch- und den Premierminister auch nicht unter Druck setzen. Die Prorogation1 genannte Pause hätte aber noch eine weitere negative Auswirkung für den Plan des Parlaments gehabt, den Austritt ohne Abkommen zu verhindern. Wäre es nämlich nicht gelungen, das geplante Gesetz bis zur Prorogation zu beschließen, hätte dieses als erledigt gegolten, und der Gesetzgebungsprozess hätte nach der Pause von Neuem beginnen müssen. Es bestand die Gefahr, dass dann nicht mehr genug Zeit bis zum Ablauf des geplanten Austrittsdatums bleiben würde. Das galt besonders vor dem Hintergrund, dass auch bereits die Möglichkeit des sogenannten Filibusters im House of Lords diskutiert wurde, um das Gesetz so weit zu verzögern.2 Letztlich kam es anders, und die Regierung gab ihren Widerstand gegen die Verabschie1
Zur Entwicklung dieses Instituts: S. 33 ff. Zu der Diskussion: Proctor, Tory peers accused of wrecking tactics over bill to delay Brexit, The Guardian 2019 (letzter Zugriff am 7.1.2022). 2
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1. Teil: Einleitung
dung des Gesetzes auf.3 Dennoch überrascht es, dass das selbstbewusste Britische Parlament als Wiege des modernen Parlamentarismus, für welches die Britische Verfassung den Grundsatz der „parliamentary sovereignty“ als besonders gewichtiges Prinzip festschreibt, so einfach in der Durchsetzung seiner Interessen hätte gehindert werden können. Zwar ist die Situation mit Blick auf den Bundestag eine andere, da dieser nicht durch die Regierung in eine Zwangspause geschickt werden kann, trotzdem verdient auch hier das Diskontinuitätsprinzip eine vertiefte Betrachtung. Man muss feststellen, dass dieses Prinzip ein gewisses Schattendasein führt,4 obwohl – vielleicht aber auch weil – es allgemein in Staatspraxis und Literatur anerkannt und weitgehend unbestritten ist. Das Diskontinuitätsprinzip ist mit dem Parlamentarismus seit dem Beginn verbunden, auch in anderen europäischen Staaten anerkannt5 und hat in Deutschland die tiefgreifenden Umbrüche sowohl von der Monarchie wie auch der faschistischen Diktatur zur Demokratie überdauert. So gilt es auch unter dem Grundgesetz seit dessen Inkrafttreten. 1. Kapitel
Stand der Forschung Die jeweilige staatsrechtliche Literatur beschäftigt sich zumeist nur oberflächlich und beschreibend mit dem Diskontinuitätsprinzip. Soweit Monografien dazu erschienen sind, besteht deren beachtenswerte Leistung insbesondere darin, einen Überblick über dieses weitgehend ungeschriebene Prinzip zu verschaffen und den bis dahin gültigen Stand der Wissenschaft und Rechtspraxis darzustellen. Dies gilt insbesondere für die Dissertation „Die Diskontinuität der Parlamente“ von Fritz Wolfensberger aus dem Jahr 1923 (85 Seiten, erschienen 1927) als der umfangreichsten Darstellung des Diskontinuitätsprinzips in der Weimarer Repu-
3 Nach zehn Stunden Debatte hat das House of Lords die Vorlage doch verabschiedet (Walker/Murray, Lords agree to push through bill preventing no-deal Brexit by end of Friday, The Guardian 2019 (letzter Zugriff am 7.1.2022)). Später erklärte der Supreme Court die Prorogation für nichtig und hob damit die Zwangspause des Parlaments auf (Urteil des United Kingdom Supreme Court in den Fällen R (on the application of Miller) (Appellant) v The Prime Minister (Respondent) und Cherry and others (Respondents) v Advocate General for Scotland (Appellant) (Scotland) [2019] UKSC 41). 4 Ähnlich Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689. 5 Zu der breiten Anerkennung in Europa: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, die darauf verweisen, dass das Diskontinuitätsprinzip lediglich in Griechenland, Lettland, Litauen und den Niederlanden nicht existiere (Prinzip der Diskontinuität in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU, WD 3 – 014/07, 2007, S. 4, 12 ff. (letzter Zugriff am 7.1.2022)). Ebenfalls zur breiten Anerkennung: Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 43 ff. Aus einer eher historischen Perspektive Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 160 ff.
1. Kap.: Stand der Forschung
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blik6 und ebenso die 1968 erschienen Dissertation mit gleichem Namen von Reiner Belz (76 Seiten). Letztere verdient dabei besonders große Anerkennung, da sie wesentliche Fragestellungen zum Diskontinuitätsprinzip bereits in sehr kompakter Form darstellt. Damit bildete sie eine wertvolle Grundlage für die vorliegende Arbeit, genauso wie die weitergehende, 379 Seiten umfassende Untersuchung „Der Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit im Staatsrecht der Neuzeit und seine Bedeutung unter der parlamentarischen Demokratie“ von Jürgen Jekewitz aus dem Jahr 1977.7 Darin beschäftigt sich Jekewitz ausführlich insbesondere mit der rechtshistorischen Herleitung des Diskontinuitätsprinzips und liefert eine grundlegende rechtsdogmatische Einordnung, die bis heute das Verständnis des Prinzips wesentlich prägt. Daneben erschienen kurz vor dieser Zeit einige deutlich weniger umfassende Beiträge,8 die sich ebenfalls einzelnen Aspekten des Diskontinuitätsprinzips widmeten. Ausgelöst wurden die intensiveren Diskussionen um das Diskontinuitätsprinzip zu dieser Zeit davon, dass die große Strafrechtsreform in den 1960ern der sachlichen Diskontinuität zum Opfer zu fallen drohte, und 1972 die erste vorzeitige Parlamentsauflösung den praktischen Effekt besonders deutlich vor Augen führte.9 1976 wurde jedoch die Zentralnorm des Grundgesetzes zum Diskontinuitätsprinzip, Art. 39 GG, in einem bemerkenswerten Schritt zu nahtlos aneinander gereihten Wahlperioden geändert. Zuvor endete eine Wahlperiode nach dem Ablauf von vier Jahren. Das Diskontinuitätsprinzip beendete Mandate und beseitigte Organisationsstruktur sowie nicht abgeschlossene Beratungsgegenstände. Es entstand eine Pause, bis der neue Bundestag zusammentrat. Nach der Grundgesetzänderung endet die Wahlperiode erst mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages. Die Pause verschwand. Der alte Bundestag konnte nun bis zum letzten Tag arbeiten und sein Nachfolger unmittelbar und ohne Verzögerung seine eigene Arbeit aufnehmen. Konnte es dazwischen noch einen Abbruch geben, wie ihn das Diskontinuitätsprinzip vorsieht? Diese Frage blieb bisher weitgehend unbe6 Die Arbeit von Arno Hillmann mit dem Titel „Die Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität im Reich und in Bayern“ aus dem Jahr 1933 ist mit insgesamt 35 Seite, wovon sich lediglich 14 Seite mit dem Diskontinuitätsprinzip auf Reichsebene beschäftigen, deutlich überblicksartiger. 7 Siehe auch den weiteren, zum Teil aktualisierten Beitrag aus dem Jahr 1978: Jekewitz, Diskontinuität in der parlamentarischen Demokratie, in: JöR 27 (1978), S. 75 ff. 8 Etwa Bahlmann, Grundsatz der Diskontinuität, MVDA 1965, 189 ff.; Hilf, Unterbrechung der Diskontinuität, ZaöRV 1967, 742 ff.; Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 ff.; Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 ff.; Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 68 ff.; Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 ff.; Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 ff.; Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 ff. 9 Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 8.
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1. Teil: Einleitung
handelt. Selbst das Werk von Jekewitz geht darauf nur sehr knapp ein. Darüber hinaus haben sich seither viele Verfahrensregeln des Bundestages und ebenso die politischen Umstände geändert. So hat sich nicht nur die Zahl der Gesetzentwürfe deutlich erhöht, sondern der Bundestag besteht aktuell außerdem aus 736 Abgeordneten und sechs Fraktionen. Die vorliegende Arbeit möchte das Diskontinuitätsprinzip daher insbesondere auch vor diesem Hintergrund der Grundgesetzänderung und einer gewandelten parlamentarischen Praxis untersuchen und sich gleichzeitig kritisch mit dem Werk von Jekewitz auseinandersetzen. Die zuletzt zum Diskontinuitätsprinzip erschienene Dissertation von Ruth Schorn aus dem Jahr 2000 (151 Seiten) setzt einen anderen Schwerpunkt. Schon der Titel „Der Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht“ deutet an, dass es in dieser Arbeit im Wesentlichen darum geht, die Einführung des Diskontinuitätsprinzips auf europäischer Ebene zu diskutieren, wobei die jeweiligen nationalen Regelungen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Belgien lediglich einen Ausgangspunkt für entsprechende Überlegungen bilden und hierfür überblicksartig dargestellt werden. Insoweit ergeben sich kaum Überschneidungen mit dieser Untersuchung. 2. Kapitel
Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit nimmt die Fragestellung zum Ausgangspunkt, warum das Diskontinuitätsprinzip sämtliche historische Umbrüche seit der Ständeversammlung überdauert hat und selbst bei nahtlos aneinandergereihten Wahlperioden nach der Verfassungsreform 1976 seine Gültigkeit behält. Auch wenn die Betrachtung der sachlichen Ausprägung des Diskontinuitätsprinzips dabei der allgemeinen Diskussion folgend in der Regel den meisten Raum einnimmt,10 betont die vorliegende Untersuchung ebenso, dass es sich beim Diskontinuitätsprinzip um ein einheitliches Prinzip mit lediglich drei Ausprägung in personeller, organisatorischer und sachlicher Hinsicht handelt. Zunächst bedarf es einer terminologischen Einführung, die dazu dienen soll, Unterschiede in den Bezeichnungen darzustellen und eine allgemeine Einführung in das Diskontinuitätsprinzip zu geben. Anschließend wird dessen früheste Ausprägung in den Ständeversammlungen des Heiligen Römischen Reichs und vor allem die Entwicklung im bereits erwähnten englischen Parlamentarismus aufge10 Vgl. dazu allein diese Arbeit. Zum Teil wird der gesamte Grundsatz auch ausschließlich mit sachlicher Diskontinuität gleichgesetzt (etwa Schweiger, Diskontinuität der Legislaturperioden, DÖV 1954, 161 ff.; Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 257 ff.; Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 1. Ähnlich Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 7).
2. Kap.: Gang der Untersuchung
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zeigt. Es wird sodann nachgezeichnet, wie das Prinzip aus England und in Teilen über Frankreich für die Parlamente der Staaten des Deutschen Bundes übernommen wurde. Es folgen Kapitel zum Diskontinuitätsprinzip des Reichstags des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. In diesem historischen Teil der Arbeit soll sich jedoch auf wesentliche Punkte beschränkt werden, da im Übrigen auf die grundlegende Arbeit von Jekewitz verwiesen werden kann, die ihre prinzipielle Bedeutung insoweit nicht verloren hat. Diese historische Darstellung ist dennoch nötig, um verständlich zu machen, welchen Wandel das Diskontinuitätsprinzip insbesondere im Hinblick auf die damit beabsichtigte Wirkung genommen hat. So zeigt sich auch, dass neben dem Prinzip auch regelmäßig die staatsrechtlichen Fragestellungen übernommen wurden. Dies wird insbesondere durch den möglichst parallelen Aufbau der Kapitel zum Kaiserreich, der Weimarer Republik und der Bundesrepublik verdeutlicht. Den Einstieg bildet dabei stets die Darstellung der jeweils relevanten parlamentarischen Arbeitsperioden und die konkrete Ausgestaltung des Diskontinuitätsprinzips mit Blick auf das Parlament und die übrigen Verfassungsorgane. Daran anschließend werden die zeitgenössischen rechtlichen und politischen Begründungen als weiterer wesentlicher Teil des jeweiligen Kapitels erörtert. Die dabei festzustellende Bedeutungsverschiebung stellt ein wiederkehrendes Element der gesamten Arbeit dar. Darauf folgt jeweils ein auf die Rechtspraxis konzentrierter Teil, der im Kaiserreich und der Weimarer Replik die Durchbrechungen des Prinzips umfasst, während für die Bundesrepublik eine allgemeinere Betrachtung der praktischen Wirkungen vorgenommen wird. Neben dem Blick auf die Reichs- bzw. Bundesebene wird auch das Diskontinuitätsprinzip auf der Länderebene aufgegriffen. Die Darstellung der Arbeitsperioden der Länder unterstreicht dabei die umfassende Geltung des Diskontinuitätsprinzips trotz unterschiedlicher Regelungsgrundlage. Im Hinblick auf die Untersuchung des Diskontinuitätsprinzips unter dem Grundgesetz ist außerdem besonders auf die bereits angesprochene Grundgesetzänderung und der heutige Umgang seit der Neuregelung von 1976 in der parlamentarischen Praxis hinzuweisen. Gerade dieser Blick auf die praktische Seite des sonst so stark theoretisch geprägten Prinzips profitiert dabei enorm von verschiedenen Interviews mit Praktikern des Bundestages und der Länderparlamente. Allen voran muss hier Dr. Philipp Austermann erwähnt werden, der als damaliger Regierungsdirektor in der Bundestagsverwaltung im Sekretariat PD 4 – Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung die Arbeit mit Einblicken in das Wirken und die Wahrnehmung des Diskontinuitätsprinzips in der Praxis bereichert hat. Ebenso gebührt ein besonderer Dank dem Regierungsrat beim Berliner Abgeordnetenhaus, Dr. Christoph Lontzek. Schließlich sollen verschiedene Reformideen diskutiert werden, da der historische Rückblick nicht nur zeigt, dass das Diskontinuitätsprinzip trotz aller politischen Umbrüche tradiert wurde, sondern es auch stets Wünsche zu dessen
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1. Teil: Einleitung
Durchbrechung und Aufweichung gab. Deren Berechtigung soll im Rahmen der Reformüberlegungen abschließend untersucht werden. 3. Kapitel
Terminologische Einführung Diskontinuität stellt den Gegensatz zu Kontinuität dar. Dieses Wort, im 18. Jahrhundert von dem lateinischen continuitas entlehnt, beschreibt eine Stetigkeit, eine ununterbrochene Fortdauer oder einen lückenlosen Zusammenhang. Dementsprechend meint Diskontinuität wiederum einen zeitlich und/oder räumlich unterbrochenen Zusammenhang.11 Um von Diskontinuität zu sprechen, muss also eine gewisse Verbindung zwischen den einzelnen, durch Unterbrechungen getrennten Vorgängen bestehen.12 Dass darüber hinaus auch noch eine Wiederholung oder gar regelmäßige Wiederholung der Unterbrechung voraussetzt wird, wie sie Jekewitz13 fordert, erscheint nicht zwingend. Auch eine durch eine einmalige Zäsur unterbrochene Entwicklung, die sich im Anschluss dennoch in einer gewissen Weise fortsetzt, lässt sich als Diskontinuität beschreiben. Dennoch werden in der Regel mehrere zeitliche Unterbrechungen des betrachteten Ablaufs vorliegen. So liegt es auch bei der Diskontinuität im Parlamentsrecht. Die Arbeit des Parlaments wird durch sich regelmäßig wiederholende Zäsuren in periodische Abschnitte, namentlich in Sitzungstage, Sitzungs- und Legislaturperioden, unterteilt.14 Doch besteht zwischen diesen Abschnitten nicht immer Diskontinuität. Manche Abschnitte sind durch Kontinuität verbunden. Im modernen deutschen Verfassungsrecht ist die mit Blick auf das Diskontinuitätsprinzip relevante Zäsur das Ende der Legislaturperiode. Lediglich zu diesem Zeitpunkt werden die Zusammensetzung und Arbeit des Parlaments in personeller, organisatorischer und sachlicher Hinsicht unterbrochen. Dies wird unter dem Stichwort „Diskontinui11 Seebold, Kluge Etymologisches Wörterbuch, 2011, S. 527; Splett, Deutsches Wortfamilienwörterbuch, 2009, S. 381; Wahrig-Burfeind, Wahrig Deutsches Wörterbuch, 2011, S. 376, 874. Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache nennt zum Stichwort „Diskontinuität“ sogar explizit die Bedeutung: „demokratisches Prinzip, demzufolge mit Ende einer Legislaturperiode die Abgeordneten ihr Mandat verlieren und Besetzungen der Organe sowie offene Gesetzesvorhaben verfallen, sodass diese vom neuen Parlament erneut besetzt bzw. verhandelt werden müssen“ (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), letzter Zugriff am 7.1.2022). Scholze-Stubenrecht nennt für das Verfassungswesen die noch verkürztere Bedeutung: „Grundsatz, nach dem im Parlament eingebrachte Gesetzesvorlagen, die nicht mehr vor Ende der Legislaturperiode behandelt werden konnten, vom neuen Parlament neu eingebracht werden müssen“ (Duden Deutsches Universalwörterbuch, 2015, S. 429). 12 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 16. 13 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 16. 14 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 16 f.
3. Kap.: Terminologische Einführung
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tätsprinzip“ oder „Grundsatz der Diskontinuität“ zusammengefasst. Dabei sind beide Begrifflichkeiten synonym zu verstehen.15
A. Personelle Diskontinuität Die personelle,16 persönliche,17 personale,18 zeitliche19 oder formelle20 Diskontinuität ist sicherlich der auch in der breiten Bevölkerung präsenteste Ausfluss des Endes der Wahlperiode,21 auch wenn diese dabei wohl nicht mit dem parlamentarischen Diskontinuitätsprinzip verknüpft wird. 15 In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff des „Diskontinuitätsprinzips“ bevorzugt, da „Grundsatz der Diskontinuität“ ein strenges Regel-Ausnahme-Verhältnis suggeriert, das bei der Diskontinuität im Parlamentsrecht so nicht vorhanden ist. Vielmehr stehen der theoretischen Konzeption stark kontinuierliche Effekt in der Praxis entgegen, die zwar die Auswirkungen von Diskontinuität verringern, dabei aber trotzdem im Einklang auch mit einem streng verstandenen Diskontinuitätsprinzip stehen und dieses gerade nicht durchbrechen (dazu unten insbesondere S. 251). So beschreibt das Diskontinuitätsprinzip im Parlamentsrecht lediglich eines von verschiedenen zu berücksichtigenden, teilweise widerstreitenden Zielen, dessen strikte Umsetzung nicht angestrebt wird. 16 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 4; Dicke, in: Umbach/Clemens, 2002, Art. 39 Rn. 32; Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 16; Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 65 ff. [Lfg. 199 7/2019]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2020, Art. 39 Rn. 5; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 18 ff.; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 2022, Art. 39 Rn. 6; Lang, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 39 Rn. 41 [Lfg. 21 9/2007]; Lechleitner, Reichweite des Diskontinuitätsgrundsatzes, 2015, S. 4; W. G. Leisner, in: Sodan, GG, 2018, Art. 39 Rn. 3; Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 72; Magiera, in: Sachs, GG, 2021, Art. 39 Rn. 12; Morlok, in: Dreier, GG, 2015, Art. 39 Rn. 24; Pernice, Diskontinuität und Europäisches Recht, in: Gaitanides u. a. (Hrsg.), Europa und seine Verfassung, S. 147; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, GG, 2022, Art. 39 Rn. 4; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 88; Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (512); H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 7; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 39 Rn. 16; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 29. 17 Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689; Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 1 a); Troßmann, GO-BT, 1977, § 126 Rn. 1. 18 Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 23. 19 Bahlmann, Grundsatz der Diskontinuität, MVDA 1965, 189, der den Begriff in Abgrenzung zur sachlichen Diskontinuität verwendet. 20 Lechleitner, Reichweite des Diskontinuitätsgrundsatzes, 2015, S. 4. Unter dem Begriff die personelle und organisatorische Diskontinuität zusammenfassend: Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 208 ff.; Brüning, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 76 Rn. 175 [Lfg. 180 8/2016]; Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 75; Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 (619); Leinemann/Berrisch, Die parlamentarische Diskontinuität, FA 2005, 229; Ossenbühl, in: lsensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 2007, § 102 Rn. 41. Zu dieser Zusammenfassung im Ergebnis ablehnend: A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 391 f. 21 Bahlmann, Grundsatz der Diskontinuität, MVDA 1965, 189.
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1. Teil: Einleitung
I. Erlöschen der Abgeordnetenmandate Die personelle Diskontinuität meint alle Folgen, die die personelle Zusammensetzung des Parlaments betreffen. Das Parlament in seiner für eine Wahlperiode bestimmten konkret-personellen Zusammensetzung endet durch das Diskontinuitätsprinzip ebenfalls am Ende der Wahlperiode.22 Personelle Veränderungen durch das Ausscheiden einzelner Abgeordneter während der Wahlperiode gehören jedoch nicht zum Diskontinuitätsprinzip. Im Einzelnen legitimiert die Wahl die Abgeordneten zur Wahrnehmung ihrer Repräsentationsaufgabe auf Zeit. Wegen der personellen Diskontinuität endet dieses Mandat der Abgeordneten mit Ablauf der Wahlperiode zwingend. Jede oder jeder Einzelne muss sich erneut zur Wahl stellen und hat nur im Erfolgsfall die Möglichkeit, wieder in das sich dann neu konstituierende Parlament einzuziehen. Auch wenn typischerweise eine große Zahl von Parlamentariern wiedergewählt werden, erneuert sich das Parlament am Ende einer Legislaturperiode in personeller Hinsicht vollständig, indem alle Mandate enden müssen und nicht verlängert werden können. Eine Wiederwahl fußt auf dem freien Beschluss der Wahlberechtigten, das Mandat erneut an dieselbe Person zu vergeben. Dabei wird das Prinzip der vollständigen personellen Diskontinuität nicht durchbrochen, sondern nur deren Folgen durch die unabhängige Wahlentscheidung abgemildert. II. Personelle Diskontinuität als Teil des Diskontinuitätsprinzips Darüber hinaus knüpft das Erlöschen der Mandate wie das gesamte Diskontinuitätsprinzip an die Vorstellung von geschlossenen parlamentarischen Arbeitsperioden an. Zwar standen dabei zunächst die Sitzungsperiode und die mit ihr verbundene organisatorische und sachliche Diskontinuität stärker im Fokus, dennoch gewann die personelle Diskontinuität mit der Wahlperiode in der Weimarer Republik an Bedeutung. Nachdem die Wahlperiode unter dem Grundgesetz zum wesentlichen Zeitrahmen geworden ist, macht spätestens der Gleichlauf aller Diskontinuitätsfolgen in der Bundesrepublik deutlich, dass es sich bei der personellen, organisatorischen und sachlichen Diskontinuität um drei unterschiedliche Elemente des gleichen Diskontinuitätsprinzips handelt.23 Vereinzelt wird auch vertreten, dass die vollständige Erneuerung der Abgeordnetenmandate zwar eine Rechtsfolge der Beendigung der Wahlperiode, aber gerade kein Teil des Diskontinuitätsprinzips ist und es des Begriffs der personellen Diskontinuität daher nicht bedürfe. Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Möglichkeit einer personellen Kontinuität als Gegenstück zur Diskonti22
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 19. Zumindest skeptisch Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 23. 23
3. Kap.: Terminologische Einführung
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nuität nicht möglich sei und daher weder von Kontinuität noch von Diskontinuität gesprochen werden könne.24 Die Funktion der Wahlperiode besteht zwar gerade darin, die Dauer der Mandate der Abgeordneten vorzugeben, und eine umfassende, personelle Kontinuität über diese hinaus würde dieser demokratiesichernden Funktion zuwiderlaufen. So ist es korrekt, dass personelle Kontinuität mit dem demokratischen Erfordernis von regelmäßigen Legitimationsschüben nur unter engen Bedingungen vereinbar ist, jedoch sind solche durchaus konstruierbar. So ist die Gesamterneuerung des Parlaments keineswegs die einzige Form, die Zusammensetzung von Repräsentationsorganen zu bestimmen.25 Beispielsweise ist auch eine kontinuierliche Ausgestaltung denkbar, indem zunächst unbefristete Mandate in regelmäßigen Wahlen lediglich bestätigt oder widerrufen würden. In diesem Fall würden nicht alle Mandate im Sinne einer personellen Diskontinuität erlöschen, sondern es bestünde personelle Kontinuität, die durch den Wählerwillen durchbrochen werden müsste. Darüber hinaus könnten auch in gewissen Abständen immer nur ein Teil der Mandate erlöschen und erneuert werden. Bei der nächsten Wahl würde der andere Teil zur Wahl stehen. So sah die Verfassung der Hansestadt Hamburg von 1879 bis 1921 vor, dass alle drei Jahre jeweils die Hälfte der Mandate für sechs Jahre neu vergeben werden mussten.26 Eine solche Teilerneuerung hält Belz selbst auch für den Bundestag für möglich,27 welche dann aber zwangsläufig mit einer personellen Kontinuität für einen Teil und einer personellen Diskontinuität für den anderen Teil der Abgeordneten einhergehen müsste. Der Bundestag wäre dann personell (teil-)kontinuierlich und (teil-)diskontinuierlich zugleich. Das zeigt, dass personelle Kontinuität also auch über eine Wahlperiode hinausbestehen kann. Daneben lässt sich Kontinuität immer dort von Diskontinuität abgrenzen, wo diskontinuierliche Folgen nur einzelne Bereiche betreffen, während andere kontinuierlich ausgestaltet sind. Historisch war die Wahlperiode typischerweise in Sitzungsperioden unterteilt, zwischen denen grundsätzlich sachliche und organisatorische Diskontinuität, aber personelle Kontinuität herrschte.28 Auch heute gibt es weiterhin die Möglichkeit zu Vertagungen, die keine Diskontinuitätsfolgen auslö-
24 So Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 60. Ähnlich Michael, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 25. 25 So selbst Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 53 f. 26 Ähnliches galt für die beiden anderen Hansestädte Bremen und Lübeck, dazu unten S. 56. Noch heute hat der United State Senate eine sechsjährige Legislaturperiode, wobei alle zwei Jahre ein Drittel der Mandate neu vergeben wird (Haas, Zweite Kammer erster Klasse: der US-Senat, in: Riescher u. a. (Hrsg.), Zweite Kammern, 2010, S. 32). 27 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 53 ff. 28 Zu den historischen Grundlagen des Diskontinuitätsprinzips, insbesondere S. 42 ff. und S. 59 ff.
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1. Teil: Einleitung
sen. Auch in Abgrenzung zu solchen Konstellationen ist der Begriff „personelle Diskontinuität“ weiterhin sinnvoll.29 Im Ergebnis ist personelle Kontinuität über parlamentarische Arbeitsperioden hinaus durchaus möglich, sodass auch der Begriff der personellen Diskontinuität für den personellen Wechsel zum Ende einer solchen Periode seine Berechtigung hat. Das Erlöschen der Mandate wird daher nicht „vereinzelt“, wie Belz meint, sondern generell als personelle Diskontinuität zum Diskontinuitätsprinzip gezählt.30
B. Organisatorische Diskontinuität Die institutionelle,31 organisatorische32 oder formelle33 Diskontinuität, häufig auch Organ-Diskontinuität,34 ist eng mit der personellen verknüpft, was dazu führt, dass sie regelmäßig nicht gesondert erwähnt35 oder nur als Teil der personellen Diskontinuität benannt wird.36 Da sie jedoch über die rein personelle Erneuerung hinausgeht, ist es sinnvoll, eine Unterscheidung zu treffen.37 Organi29
Dazu bereits oben: S. 21. Als Nachweis können die Vielzahl der Benennungen der personellen Diskontinuität und die dort zitierten Quellen dienen. 31 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 4; Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 17; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2020, Art. 39 Rn. 5; Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 75 ff. [Lfg. 199 7/2019]; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 2022, Art. 39 Rn. 6; Lang, in: Friauf/ Höfling, GG, Art. 39 Rn. 41 [Lfg. 21 9/2007]; Lechleitner, Reichweite des Diskontinuitätsgrundsatzes, 2015, S. 4; W. G. Leisner, in: Sodan, GG, 2018, Art. 39 Rn. 3; Magiera, in: Sachs, GG, 2021, Art. 39 Rn. 13; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 50 [Lfg. 77 5/2016]; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 23; Morlok, in: Dreier, GG, 2015, Art. 39 Rn. 24; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, GG, 2022, Art. 39 Rn. 4; H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 7; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 39 Rn. 17. 32 So auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 63. Zumindest neben institutioneller Diskontinuität: H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 7. 33 Pernice, Diskontinuität und Europäisches Recht, in: Gaitanides u. a. (Hrsg.), Europa und seine Verfassung, S. 147. Zum Teil werden unter dem Begriff auch personelle und organisatorische Diskontinuität zusammengefasst, vgl. S. 19. 34 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 20; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 48 [Lfg. 77 5/2016]. 35 Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 72; Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 4. 36 Teilweise wird nur zwischen personeller und sachlicher Diskontinuität unterschieden (Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 15 Rn. 74; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 49 ff. [Lfg. 77 5/2016]). Ähnlich auch Leinemann, der unter dem Begriff „formelle Diskontinuität“ personelle und organisatorische Diskontinuität ohne nominelle Unterscheidung zusammenfasst (Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 (619)). Ebenso Dicke, der jedoch die organisatorischen Folgen der sachlichen Diskontinuität zuordnet (in: Umbach/Clemens, 2002, Art. 39 Rn. 31, 33). 37 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 63; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 20. 30
3. Kap.: Terminologische Einführung
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satorisch führt das Diskontinuitätsprinzip nämlich zum einen dazu, dass die Untergliederungen des Parlaments neu besetzt werden müssen, nachdem eine vollständige personelle Zäsur stattgefunden hat. Das gilt für das Präsidium genauso wie für die einzelnen Ausschüsse. Darüber hinaus müssen sonstige, einzelne Untergliederungen neu geschaffen werden, soweit sie weiterhin für nötig gehalten werden und nicht von der Verfassung vorgeschrieben sind.38 Schließlich beschränkt die Legislaturperiode die Geltungsdauer der autonomen Rechte des Parlaments. Das betrifft alle, also insbesondere auch endgültige Beschlüsse etwa in Immunitätsfragen.39 Besondere Beachtung findet hier regelmäßig die auf die Legislatur beschränkte Geltung der parlamentarischen Geschäftsordnung. Das neu gewählte Parlament muss sich danach eine neue Geschäftsordnung geben, wobei die der vorherigen Kammer übernommen werden kann.40 Bis 1918 ging die allgemeine Staatslehre außerdem davon aus, dass mit dem Ende der Legislaturperiode auch das Parlament an sich ein Ende findet und mit der konstituierenden Sitzung erneut entsteht. Jedes Parlament stand insofern allein.41 Obwohl dies zum Teil auch für den Bundestag vertreten wurde,42 ist nach zustimmungswürdiger Ansicht davon auszugehen, dass das Parlament als verfassungsrechtliche Institution im Staatsgefüge ständig existiert.43 Es herrscht insofern „Organkontinuität“.44 Schon in vordemokratischen Zeiten besaßen die Vertretungsorgane einen anerkannten Platz im Staatsgefüge und genossen bestimmte Rechte, auch wenn die konkrete Ausformung nicht präzisiert oder verschriftlicht war. Die Fürsten konnten die Wirkungsmacht der Vertretungen zwar stark ein-
38 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 21; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 88. 39 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 65. 40 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 22; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 66. 41 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 19. 42 So zur Rechtslage vor 1976: Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 (619); Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (512). 43 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 6; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 19, 22; Magiera, in: Sachs, GG, 2021, Art. 39 Rn. 14; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 48 [Lfg. 77 5/2016]. 44 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 8; Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 22; Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 29 [Lfg. 199 7/2019]; Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 15 Rn. 79; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 2022, Art. 39 Rn. 4, 9; A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 393; W. G. Leisner, in: Sodan, GG, 2018, Art. 39 Rn. 3; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 48 [Lfg. 77 5/2016]. Kritisch dazu Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 56. Alternative wird auch von „Organidentität“ gesprochen (etwa Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2020, Art. 39 Rn. 6; Lang, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 39 Rn. 42 [Lfg. 21 9/2007]; Risse/Witt, in: Hömig/ Wolff, GG, 2022, Art. 39 Rn. 4; H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 9).
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1. Teil: Einleitung
schränken, indem sie diese nicht versammelten, allerdings konnten sie ihre Existenz nicht beseitigen. Es ist daher davon auszugehen, dass schon die Vertretungsorgane zu diesem Zeitpunkt abstrakt-institutionell permanent waren.45 Dies gilt erst recht für den Bundestag des Grundgesetzes. Würde man der Gegenmeinung folgen, hätte nämlich zumindest vor der Änderung des Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG im Jahr 1976 die theoretische Möglichkeit einer parlamentsfreien Zeit („Interregnum“) bestanden.46 Eine solche wäre der Bedeutung, die das Grundgesetz dem Parlament zuwies, nicht gerecht geworden. Die angesprochene Änderung hat den Streit insofern entschärft, als nun die Wahlperiode des „alten“ Bundestages erst mit dem Zusammentritt des „neuen“ endet. Eine parlamentsfreie Zeit kann es damit auch theoretisch nicht mehr geben.47 Der verwendete Begriff „Organkontinuität“ ist insofern unglücklich, als die Existenz eines Parlaments als Verfassungsinstitution weder kontinuierlich noch diskontinuierlich ist, da ihr die regelmäßige Periodizität fehlt.48 Das abstrakte Organ Parlament hört erst zu existieren auf, wenn ein Wechsel der Staatsform oder ein vergleichbar tiefer Einschnitt in die Verfassung eintritt, der die Identität des Verfassungsorgans so stark verändert, dass von einer neuen Institution gesprochen werden muss. Dennoch ist der Begriff der „Organkontinuität“ zutreffend. Zum einen zeigt die deutsche Geschichte, dass die Existenz eines Parlaments tatsächlich auf die eben beschriebene Weise enden kann, sodass sich Phasen ohne solche Umbrüche durchaus als kontinuierlich beschreiben lassen. So handelt es sich etwa bei Reichstag und Bundestag gerade nicht um das gleiche abstrakte Parlamentsorgan. Wichtiger jedoch ist, dass der Begriff gerade als Abgrenzung zur sonst durch die Wahlperioden verursachten Diskontinuität verwendet wird. So wird betont, dass die Existenz des abstrakt-institutionellen Organs vom Ende der Arbeitsperioden ununterbrochen oder eben kontinuierlich ist, während im Gegensatz dazu die Zusammensetzung, Organisation und Tätigkeit des Parlaments diskontinuierlich ist. Der Organkontinuität der verfassungsrechtlichen Institution „Parlament“ steht auch die häufig zu findende Paarung des Namens des Parlaments mit einer Ordnungszahl nicht entgegen.49 Wenn etwa vom ersten, zweiten, dritten usw. Bundestag gesprochen wird, meint dies gerade den Bundestag in seiner konkreten perso-
45 Etwas vorsichtiger Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 32 f. 46 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 29 [Lfg. 77 5/2016]. 47 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 29 [Lfg. 77 5/2016]; Morlok, in: Dreier, GG, 2015, Art. 39 Rn. 16; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 39 Rn. 3, 26. 48 Darauf berechtigterweise hinweisend Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 56. Ähnlich H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 8. 49 Auch hierzu kritisch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 56.
3. Kap.: Terminologische Einführung
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nellen Zusammensetzung.50 Demgegenüber ist regelmäßig auch von „dem“ Bundestag die Rede, wenn das abstrakt-institutionelle Organ „Bundestag“ gemeint ist. So spricht beispielsweise Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG zunächst von dem Bundestag als Institution, während Satz 2 zwischen zwei Bundestagen unterscheidet. Weil also das Parlament als abstrakt-institutionelles Organ kontinuierlich und lediglich seine Organisation in Form von Unterorganen und seiner Geschäftsordnung diskontinuierlich ist, beschreibt „organisatorische Diskontinuität“ diesen Aspekt des Diskontinuitätsprinzips besser als „Organ-Diskontinuität“51 oder auch „institutionelle Diskontinuität“. Das Organ oder die Institution „Parlament“ ist gerade nicht diskontinuierlich. Darüber hinaus bildet der Begriff der „organisatorischen Diskontinuität“ besser ab, dass es um eine Gesamtbetrachtung geht und die Diskontinuitätsfolgen nicht für jedes parlamentarische Unterorgan identisch sind. Vielmehr gibt es einige Parlamentsorgane wie Untersuchungsausschüsse, die einmalig geschaffen werden und damit weder kontinuierlich noch diskontinuierlich sind, denn ihre Existenz endet mit der parlamentarischen Arbeitsperiode vollständig und für immer. Erst wenn ein Organ in der neuen Arbeitsperiode neu geschaffen wird, kann es überhaupt als diskontinuierlich beschrieben werden. Soweit es sich um ein von der Verfassung zwingend vorgesehenes Organ wie das Präsidium des Bundestages aus Art. 40 GG handelt, existiert es abstrakt-institutionell von dem Ende der einzelnen Arbeitsperioden ununterbrochen und damit kontinuierlich. In konkret-personeller Hinsicht verlieren die Mitglieder des Organs jedoch ihr Mandat, sodass das Organ in seiner personellen Zusammensetzung diskontinuierlich ist. Wird das Organ andererseits durch freien Parlamentsbeschluss in der neuen Periode erneut geschaffen, ist es nicht nur in seiner personellen Zusammensetzung, sondern auch in seiner Existenz diskontinuierlich. Zum Ende der Arbeitsperiode hört es auf zu existieren und wird erst durch den neuen Parlamentsbeschluss vollständig neu geschaffen. Bleibt ein solcher Beschluss trotz regelmäßiger Erneuerungen in der Vergangenheit aus, hört es mit dem Ende der letzten Arbeitsperiode für immer auf zu existieren. Das Ende des jeweils relevanten Zeitabschnitts unterbricht also die Existenz solcher Organe wenigstens bis zu einer Wiedergeburt durch Parlamentsbeschluss, sonst dauerhaft. Aufgrund dieser erheblichen Unterschiede ist es ungenau, von einer Diskontinuität der Organe zu sprechen, wenn nicht einzelne Organe, sondern gerade die Organisation des Parlaments als Ganzes diskontinuierlich ist.52 Folglich beschreibt „organisatorische Diskontinuität“ am präzisesten, dass dieses Element 50 Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 14; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 20, 251 f.; Ohne eine solche Differenzierung ablehnend Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 56; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 87. Dagegen Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 56. 51 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 63. 52 So im Ergebnis auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 63.
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1. Teil: Einleitung
des Diskontinuitätsprinzips neben der Auflösung von Unterorganen auch den Verfall von autonomen Beschlüssen und der Geschäftsordnung, mithin der parlamentarischen Organisation, zur Folge hat, dabei aber das abstrakte Organ unberührt lässt.
C. Sachliche Diskontinuität Die sachliche53 oder materielle54 Diskontinuität schließlich ist der Aspekt, der bisher in der Literatur am stärksten behandelt wurde.55 Er wird auch einen großen Teil dieser Arbeit ausmachen. Darunter wird verstanden, dass die gesamte Arbeit des Parlaments, die noch nicht durch Annahme oder endgültige Ablehnung abgeschlossen wurde und damit den Einflussbereich des Parlaments verlassen hat, mit dem Ende der Legislaturperiode verfällt. Davon sind insbesondere
53 Bahlmann, Grundsatz der Diskontinuität, MVDA 1965, 189; Brocker, in: Epping/ Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 4; Dicke, in: Umbach/Clemens, 2002, Art. 39 Rn. 33; Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 18; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2020, Art. 39 Rn. 5; Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 81 ff. [Lfg. 199 7/2019]; Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 22 f.; Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 15 Rn. 75; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke, GG, 2022, Art. 39 Rn. 7; Lang, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 39 Rn. 43 [Lfg. 21 9/2007]; Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 68; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 53 [Lfg. 77 5/2016]; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 23; Morlok, in: Dreier, GG, 2015, Art. 39 Rn. 24; Lechleitner, Reichweite des Diskontinuitätsgrundsatzes, 2015, S. 4; W. G. Leisner, in: Sodan, GG, 2018, Art. 39 Rn. 3; Pernice, Diskontinuität und Europäisches Recht, in: Gaitanides u. a. (Hrsg.), Europa und seine Verfassung, S. 147; Risse/ Witt, in: Hömig/Wolff, GG, 2022, Art. 39 Rn. 4; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 88, Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 39 Rn. 18; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 29; Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 4; Troßmann, GO-BT, 1977, § 126 Rn. 1. 54 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 208 ff.; Brüning, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 76 Rn. 175 [Lfg. 180 8/2016]; Magiera, in: Sachs, GG, 2021, Art. 39 Rn. 15; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 2007, § 102 Rn. 41. Zumindest neben „sachlicher Diskontinuität“ nutzt dies: Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 5; Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 40 Rn. 31; Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 75; Lechleitner, Reichweite des Diskontinuitätsgrundsatzes, 2015, S. 4; Pernice, Diskontinuität und Europäisches Recht, in: Gaitanides u. a. (Hrsg.), Europa und seine Verfassung, S. 147; Lang, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 39 Rn. 43 [Lfg. 21 9/2007]; H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 7. 55 Vgl. etwa den Überblick bei Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 23. Zum Teil wird der gesamte Grundsatz der Diskontinuität auch ausschließlich mit sachlicher Diskontinuität gleichgesetzt (etwa Creifelds/Weber (Hrsg.), Rechtswörterbuch, 2019, S. 352; Schweiger, Diskontinuität der Legislaturperioden, DÖV 1954, 161 ff.; Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 257 ff.; Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 1. Ähnlich Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 7).
3. Kap.: Terminologische Einführung
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Gesetzesvorlagen betroffen. Möchte das neu gewählte Parlament die Arbeit fortsetzen, muss es den Entwurf erneut einbringen und dazu die Einleitungsvorschriften beachten. Die Arbeit des Plenums wie auch der Ausschüsse beginnt also insgesamt von vorn.56 Sachliche Diskontinuität verwehrt es dem Parlament somit unmittelbar auf die Vorarbeiten seines Vorgängers zuzugreifen und diese nahtlos fortzusetzen, lässt aber den freien Entschluss zu einer Fortsetzung offen.57
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Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 22 f. A. A. A. Leisner, die jedoch ohne Begründung davon ausgeht, dass § 125 GO-BT genau eine solchen Entschluss verhindern will. Sie nennt dies „volle sachliche Diskontinuität“ (Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 400 ff.). 57
2. Teil
Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips 1. Kapitel
Grundlagen des Diskontinuitätsprinzips Die historischen Wurzeln des Diskontinuitätsprinzips sind umstritten. Geht man vom Grundgesetz über die Weimarer Verfassung und die Reichsverfassung zurück zu den frühkonstitutionellen Verfassungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, lässt sich mit Blick auf das Diskontinuitätsprinzip eine ungebrochene und nur partiell veränderte Verfassungstradition belegen. Mitte des 19. Jahrhunderts wird dieses Prinzip, nach dem nicht verabschiedete Gesetzesvorlagen am Ende der Sitzungszeit verfallen, sogar bereits als „ein allgemeines europäisches Rechtsbewusstsein und eine europäische Gewöhnung“ bezeichnet.1 Da der deutsche Parlamentarismus keine jahrhundertedauernde, kontinuierliche Entwicklung genommen hat, wie sie etwa beim englischen Parlament zu finden ist,2 ist jedoch weniger deutlich, woher diese Tradition genau stammt. Zum Teil werden die Ursprünge, entgegen der oben zitierten Behauptung, erst in der preußischen Staatspraxis dieser Zeit ausgemacht.3 Weitere Ansätze sehen die Herkunft aus der Entstehungszeit des englischen Parlaments4 oder sogar der ständischen Vertretung.5 Die gewählten Volksvertretungen, die sich mit dem Ende des Absolutismus und Beginn des Konstitutionalismus entwickelten, orientierten sich mit Blick auf das Diskontinuitätsprinzip sowohl an den ständischen Vertre1 So der konservative Abgeordnete Friedrich Julius Stahl während Beratungen eines Gesetzentwurfes zur Einführung von Kontinuität zwischen den Sessionen in der Ersten Kammer des Preußischen Landtages am 4.5.1853 (Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 13.11.1852 einberufenen Kammern, Erste Kammer, 2. Band, 1853, S. 1003). S. auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 25. 2 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 4. 3 Zorn, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Band, 1895, S. 420 Fn. 40. 4 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 4, 7 ff.; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Prinzip der Diskontinuität in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU, WD 3 – 014/07, 2007, S. 7 ff. (letzter Zugriff am 7.1.2022). 5 Am deutlichsten Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (511). Ebenso Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 13 ff.
1. Kap.: Grundlagen des Diskontinuitätsprinzips
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tungen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation wie auch am Vorbild anderer Volksvertretungen, insbesondere des englischen und des französischen Parlaments.6 Aus diesem Grund sollen zunächst die Ständeversammlung des alten deutschen Kaiserreichs, sodann die Wurzeln des englischen Parlaments und schließlich die Vorbildrolle der französischen Nationalversammlung in Blick genommen werden.
A. Das Diskontinuitätsprinzip in der Ständeversammlung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation I. Der Reichstag Das Heilige Römische Recht war von Anbeginn geprägt durch den Gegensatz zwischen römisch-deutschen König bzw. Kaiser und sonstigen hohen geistlichen und weltlichen Herrschern. Bereits im frühen Mittelalter bildeten letztere Mitwirkungsorgane und übten auf Hoftagen bei wichtigen Regierungsakten Einfluss auf den Herrscher aus. Hieraus entwickelte sich der Reichstag als Versammlung der Reichsstände, welche die direkt dem Reich zugeordneten Kräfte darstellten. Dessen Hauptaufgabe war die Mitwirkung bei der Gesetzgebung und die Bewilligung von Steuern. Die genaue Zusammensetzung und der Geschäftsgang waren jedoch kaum geregelt.7 Ab 1489 lassen sich jedoch zumindest grobe Richtlinien für das Verfahren ausmachen.8 Der Reichstag wurde vom Kaiser aufgrund des ihm zustehenden Convocationsrechts zu einem bestimmten Zweck, mindestens jedoch alle zehn Jahre, zusammengerufen. Der Reichstag hatte also kein Selbstversammlungsrecht. Die Zeitabstände zwischen den Reichstagen waren unregelmäßig.9 Verhandlungsgegenstände waren Propositionen des Kaisers, aber auch Vorschläge des Kurfürstenkollegs oder Anträge einzelner Reichsstände sowie anderer Personen. Beraten wurde getrennt nach Kurfürsten, Fürsten und reichsfreien Städten. Konnte eine Einstimmigkeit zwischen den Reichsständen erreicht werden und genehmigte der Kaiser diesen Beschluss, entfaltete er Bindungswirkung für alle Angehörigen des Reiches.10 Die erfolgreichen Beschlüsse wurden ab 1497 in einem sogenannten 6 Scheuner spricht sogar von einer „gemeineuropäischen ständisch-repräsentativen Tradition“ (Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (511)). Ähnlich Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 4; A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 396. 7 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 26 ff. 8 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 28. 9 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 4 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 28 f.; Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (511); Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 1. Teil, 1863, S. 206 f. 10 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 28 f.; Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 1. Teil, 1863, S. 207 f.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
Reichsabschied zusammengefasst. Als Spiegelbild zur Öffnung hatte der Kaiser das Recht, den Reichstag nach Erreichen des Zwecks auch wieder zu schließen.11 Der letzte Reichsabschied kam 1654 zustande. Der nächste einberufene Reichstag aus dem Jahr 1663 tagte permanent bis zum Untergang des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation im Jahr 1806.12 Dies hatte allerdings nicht die vom Reichstag gewünschte Stärkung seiner Position zur Folge. Die entsandten Vertreter mussten bei neuen Anträgen stets die Anweisung bei ihren Reichsständen einholen, was eine langwierige Prozedur darstellte.13 So lähmte eine erhebliche Menge unerledigter Geschäfte dauerhaft die Arbeit.14 Der häufig als reinigend beschriebene Effekt einer Unterbrechung der Legislatur trat nicht mehr ein, was schließlich die Arbeit des Reichstags so blockierte, dass der „ewige Reichstag“ an Bedeutung deutlich abnahm bis hin – so das Urteil von Belz – zur völligen Bedeutungslosigkeit.15 II. Die Landtage Für die absolute Mehrzahl der Landtage als Versammlung der Landstände des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation gilt das zum Reichstag Gesagte. Auch sie konnten trotz anfänglichem Selbstversammlungsrecht schließlich nur noch vom Landesherrn zusammengerufen werden, dieser machte seine Proposition, und am Schluss wurden die Landstände von diesem wieder geschlossen.16 Anders als beim Reichstag mussten die Landtage nicht nach einer gewissen Zeit einberufen werden. Daher nutzten einige Landesherren die Nichtberufung, um sich des Einflusses der Landstände zu entziehen.17 Darüber hinaus hatte der Landesherr die Möglichkeit, den Landtag auf bestimmte (Prorogation) oder unbestimmte (Limitation) Zeit zu vertagen und, sollte keine Einigung zustande gekommen sein, auch aufzulösen (Dissolution). Bei einer bloßen Vertagung wurden die Verhandlungen im Anschluss an die Unterbrechung unverändert fortgesetzt, während eine Dissolution die Arbeiten endgültig beendete.18 11 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 4 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 28 f.; Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (511). 12 Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 1. Teil, 1863, S. 206. 13 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 29. 14 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 5; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 29. 15 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 5. 16 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 5 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 30 f.; Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (511); Zachariä, Staats- und Bundesrecht, 1. Teil, 1865, S. 666. 17 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 31. 18 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 5 Fn. 16; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 32; Zachariä, Staats- und Bundesrecht, 1. Teil, 1865, S. 687 ff.
1. Kap.: Grundlagen des Diskontinuitätsprinzips
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Einen „ewigen“ Landtag, der wie der Reichstag ab 1663 permanent tagte, gab es nicht. Allerdings existierten im Staatsgefüge einiger Länder vereinzelt permanente Institutionen in Form von Ausschüssen, denen eine ständisch-repräsentative Rolle zukam. So verfügte beispielsweise das Land Württemberg über einen sogenannten „engen Ausschuss“, der als Vertretungsorgan der Landstände neben dem Landtag stand. Anders als der Landtag hatte dieser Ausschuss ein Selbstversammlungsrecht und konnte durch den Landesherren weder geschlossen noch vertagt werden. Lediglich der Landtag konnte, soweit er selbst berufen wurde, die personelle Zusammensetzung ändern. Da der Ausschuss auch tagen konnte, wenn der Landtag selbst gerade nicht tagte, konnte er über ein Selbstergänzungsrecht neue Mitglieder berufen. Von besonderem Interesse ist jedoch, dass der Landtag vor seiner eigenen Schließung unerledigte Verhandlungsgegenstände durch Landtagsabschied zur weiteren Beratung an diesen ständigen Ausschuss überweisen konnte. So wurden als besonders wichtig empfundene Gegenstände, bei denen zwischen Landtag und Landesherrn keine Einigung zustande kam, über die Schließung des Landtages gerettet.19 Diese beiden Formen der Durchbrechung der gegebenenfalls schweren Folgen einer Schießung eines Landtages stellen ein deutlich kontinuierliches Element dar.20 III. Das Diskontinuitätsprinzip als „Erbe des ständischen Geschäftsganges“? Wenn nun das Diskontinuitätsprinzip des sich entwickelnden modernen deutschen Parlamentarismus als „Erbe des ständischen Geschäftsganges“ beschrieben wird,21 ist dies zumindest zu hinterfragen.22 Der immerwährende Reichstag scheidet als Vorbild aus, nachdem er in über 150 Jahren keine Form der Unterbrechung im Sinne eines Diskontinuitätsprinzips als Anknüpfungspunkt übrig gelassen hat. Eher diente die Schwerfälligkeit und Wirkungslosigkeit als Abschreckung vor jeder Kontinuität.23 Die darin zum Ausdruck kommende Machtverschiebung war allerdings nur die Folge der unsicheren ständischen Machtverhältnisse und schloss eine Diskontinuität bloß rein faktisch aus, begründet aber nicht, dass es auch rechtlich kein entsprechendes Prinzip gab. Die Praxis der Landtage mit den deutlichen Unterbrechungen können überzeugender zum Nachweis eines solchen Erbes herangezogen werden. So griffen 19 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 6 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 34. 20 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 6 f. 21 So Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (511); Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 4 a). Ebenso Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 29. 22 Ablehnend Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 6. Skeptisch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 35. 23 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 5.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
deutsche Verfassungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwa in Bayern, Braunschweig, Oldenburg und Sachsen den Landtagsabschied als formellen Schluss der Session explizit auf.24 Darüber hinaus hörten die Landtage, genau wie ihre modernen Nachfolger, mit ihrer Schließung nicht auf, als abstrakt-institutionelles Gremium zu existieren, wie es Belz25 behauptet.26 Zwar richteten sich die Anliegen des Fürsten in der Tat immer an das jeweils konkret-personell versammelte Organ, allerdings war die Mitwirkung der Landstände ein ihnen zustehendes Recht, welches der Fürst nicht vollständig zum Erlöschen bringen konnte. Ihm blieb zwar die Möglichkeit, durch Nichtberufung dieses Recht weitgehend auszuhöhlen, allerdings war er, wollte er bestimmte Akte vornehmen, daran gebunden, den Landtag zusammenzurufen. Damit war zwar ein rein faktisches Erlöschen der Existenz möglich, berief der Landesherr aber die Landstände ein, erschuf er keinen Landtag aus dem Nichts, sondern aus einem Kreis von abstrakt Berechtigten wurde lediglich eine konkret-personelle Versammlung.27 Noch deutlicher wird dies beim Reichstag, der jedenfalls alle zehn Jahre versammelt werden musste und damit durch Nichtberufung noch nicht einmal rein faktisch seiner Existenz beraubt werden konnte.28 Damit lässt sich im Ergebnis eine noch recht schwach ausgeprägte Organkontinuität gut begründen, die eine deutliche Nähe zu den modernen Volksvertretungen des 19. Jahrhunderts aufweist. Dass die neuberufenen Landtage in personeller Hinsicht mit ihren Vorgängern nicht identisch waren und auch deren nicht verabschiedeten Vorlagen nicht behandelten, ist in beiden Fällen bereits Ausdruck des Diskontinuitätsprinzips.29 Der Abbruch der nichtvollendeten Arbeiten war auch konsequent, da das Vertretungsorgan vom Fürsten nur zu bestimmten Zwecken zusammengerufen wurde. Wurde die Versammlung geschlossen, obwohl einzelne Ziele nicht erreicht wurde, sollten die verbliebenden Initiativen nicht zum Abschluss gelangen. Es war also eine bewusste Entscheidung, die Arbeiten abzubrechen und kam nicht durch bloßen Zeitablauf zustanden. Es bedurfte also einer ebenso bewussten Entscheidung, eine verfallene Vorlage in einer späteren Versammlung erneut einzubringen, um das Ziel doch noch zu erreichen.30 Die Versammlungen waren also deshalb geschlossen, weil sie zweck-
24 Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (511). 25 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 6. 26 So auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 32. 27 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 32 f. 28 Jekewitz, Herrschaft auf Zeit, ZParl 1976, 373 (376). 29 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 33. 30 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 33; Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (511); Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 18 f.
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gerichtet waren. Wurde dieser Zweck erreicht oder wurde klar, dass der Zweck nicht mehr erreicht werden würde, fiel der Grund der Versammlung weg. Beim nächsten Zusammentritt gab es einen neuen Zweck. Diskontinuität zwischen diesen Versammlungen war daher der natürliche Urzustand.31 Dies ist nicht so weit vom sich entwickelnden deutschen Parlamentarismus des 19. Jahrhunderts entfernt. Auch hier wurde das Parlament zu bestimmten Zwecken, meist um den Haushalt zu verabschieden, zusammengerufen. Der einzige Unterschied war dann, dass der Bedarf immer häufiger gesehen, die zwischen den Zusammentritten liegenden Zeitspannen folglich kürzer und daher regelmäßige Abstände zweckmäßiger wurden. Die Idee der Diskontinuität zwischen den Zusammenkünften basierend auf deren zweckgerichteter Geschlossenheit ist aber die gleiche, sodass durchaus von einem „Erbe des ständischen Geschäftsganges“ gesprochen werden kann. Noch interessanter ist aber, wie schon die Entwicklung aus dieser Zeit zeigt, dass ein absolut verstandenes Diskontinuitätsprinzip den Anforderungen an ein sich entwickelndes, komplexes Staatsgefüge nicht gewachsen war. Obwohl sich absolute Kontinuität in der Form des immerwährenden Reichstags nicht bewährt hatte, zeigen der Reichstag ab 1663 und die ständigen Ausschüsse einiger Landtage, dass zumindest in einigen Bereichen der Bedarf an kontinuierlicher Parlamentsarbeit schon in frühen Vertretungsorganen existierte.
B. Das Diskontinuitätsprinzip im englischen Parlament Auch wenn die ständischen Vertretungen also bereits wesentliche Elemente des Diskontinuitätsprinzips kannten, hatte insbesondere das englische Parlament Vorbildcharakter für die Parlamente der konstitutionellen Monarchien im 19. Jahrhundert, indem es den Geschäftsgang und dabei auch das Diskontinuitätsprinzip stärker ausdifferenzierte.32 Während im alten deutschen Kaiserreich die Reichsebene an Bedeutung verlor, entwickelte sich in England nach der normannischen Eroberung bereits früh eine starke Zentralgewalt und parallel dazu ein Nationalinteresse. Insofern ist es nur konsequent, dass die Magna Charta neben den Privilegien der Baronie auch den freien Bürgern Freiheits- und Mitwirkungsrechte einräumte. Die so gestiegene Zahl an Berechtigten zusätzlich zur gestiegenen wirtschaftlichen Bedeutung der Städte machte ein Repräsentativsystem notwendig und ließ so im Verlauf des 13. Jahrhunderts das englische Parlament be-
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Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 21. Ausführlich zur Entwicklung in England: Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 333 ff. unter Rückgriff auf seinen Aufsatz: Session, Prorogation, Adjournement und Dissolution des Parlaments, ZgS 1901, 152 ff. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 35 ff. 32
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stehend aus dem „House of Commons“, dem „House of Lords“ und dem „King in Parliament“ entstehen.33 Vor jedem Zusammentritt erfolgten Wahlen der Repräsentanten in den Grafschaften und Städten, sodass hier eher als bei den Ständeversammlungen im alten deutschen Reich jede Zusammenkunft für sich als „ein neues, in sich geschlossenes“ Parlament oder als „historische Erscheinung“ gesehen werden kann.34 Allerdings betraf dies nur das House of Commons, da nur dessen Mitglieder gewählt wurden.35 Außerdem gilt auch hier, dass mit dem Zusammentritt des Parlaments ein abstrakt-institutionelles Organ, welches jederzeit zusammengerufen werden konnte, lediglich seine konkret-personelle Ausformung fand, wenn auch nur für kurze Zeit. Allein größere Zeitabstände zwischen den Zusammenkünften rechtfertigen nicht, eine Organkontinuität gänzlich zu verneinen. Das gilt umso mehr, da 1258 sogar noch drei, ab 1330 jedenfalls noch mindestens eine Zusammenkunft pro Jahr vorgesehen waren.36 Dieser jährliche Rhythmus wurde dadurch abgesichert, dass Steuern regelmäßig auf ein Jahr befristet wurden, sodass der Finanzbedarf der Krone, die nur mit Zustimmung des Parlaments Steuern erheben konnte, eine Einberufung häufig nötig machte.37 Diese Regelmäßigkeit, die weitgehend eingehalten wurde,38 rechtfertigt auch für das frühe englische Parlament, eine gewisse Organkontinuität zu bejahen.39 Diese regelmäßigen Zusammenkünfte veränderten das System wesentlich. Bisher wurde eine Versammlung stets zusammengerufen, wenn etwas beraten wer33 Ausführlich hierzu: Maitland, Constitutional History of England, 1965, S. 54 ff.; Plucknett, English Constitutional History, 1960, S. 127 ff. Auch Fenske, Der moderne Verfassungsstaat, 2001, S. 55 ff. 34 So Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 39. Auch Maitland, Constitutional History of England, 1965, S. 178; Plucknett, English Constitutional History, 1960, S. 158 Fn. 26. 35 Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte, 1913, S. 217 f. 36 Plucknett, English Constitutional History, 1960, S. 158; Stubbs, Constitutional History of England, Bd. II, 1875, S. 612. 37 Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte, 1913, S. 224, 232; Maitland, Constitutional History of England, 1965, S. 177 f. Auch heute bleiben jährliche Versammlungen des britischen Parlaments üblich, da öffentliche Mittel in der Regel durch Erlasse für jeweils ein Jahr bereitgestellt werden (vgl. dazu das Standardwerk zum britischen Parlamentsrecht („the Bible of parliamentary procedure“), welches erstmal im Jahr 1844 von Thomas Erskine May herausgegeben wurde: Natzler/Hutton (Hrsg.), Erskine May, 2019, Par. 8.3 Fn. 1). Zusätzlich weist Hallam auch auf die späteren Mutiny Acts hin, welche die parlamentarische Zustimmung zu einem stehenden Heer, dessen Finanzierung und Durchsetzung von Disziplinarmaßnahmen regelmäßig auf ein Jahr befristeten (Constitutional History of England, Bd. 3, 1827, S. 422). 38 Maitland, Constitutional History of England, 1965, S. 177 f.; Stubbs, Constitutional History of England, Bd. II, 1875, S. 613. Siehe auch die ausführliche, jedoch auf die Parlamentsdauer fokussierte Untersuchung in Borrello Beckmann, „King-in-Parliament“, 2018, S. 28, 611 ff. 39 Anders wohl Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 39.
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den musste, und trat wieder auseinander, wenn das Ziel erreicht oder erkennbar gescheitert war. Da offen war, wann die nächste Zusammenkunft stattfand, gab es eine stärkere Tendenz, alle Gegenstände so weit wie möglich zu verabschieden oder abzulehnen bzw. deren Scheitern zu akzeptieren. Man kann von einer „natürliche(n) Erledigung“ 40 sprechen, da sich der Zweck des konkreten Parlaments erledigte und dieses so sein natürliches Ende fand. Erst im Laufe der Zeit entstand vermehrt das Bedürfnis nach einer „künstlichen Erledigung von Parlamentsgeschäften“ 41 im Sinne eines Aufräumens am Ende einer Parlamentsperiode. In England entwickelte sich deshalb die Möglichkeit, dass der König das Parlament auflösen konnte, wenn der Zweck mangels Einigkeit nicht erreicht wurde (Dissolution). In diesem Fall verfiel die nicht erledigte Arbeit im Sinne einer sachlichen Diskontinuität. Dieser Abbruch war aber gewollt und gerade Ziel der Auflösung. Zum Teil scheiterten Vorhaben jedoch aus anderen Gründen als fehlender Einigung.42 In diesem Fall hatte eine Weiterbehandlung bei der nächsten, absehbaren Zusammenkunft dennoch Sinn und lag gegebenenfalls auch im Interesse der Krone. Eine Parlamentspause bot geradezu die Möglichkeit, Blockaden aufzubrechen und so zu lösen. Deshalb entstand das Bedürfnis, bestimmte Angelegenheiten bei der nächsten Zusammenkunft weiterbehandeln zu können. Diese besondere Art der Beendigung der Parlamentsarbeit, bei der Vorhaben nicht abgeschlossen wurden, aber beim nächsten Zusammentritt weiterbehandelt werden konnten oder sogar mussten, wurde „Prorogation“ genannt.43 Anders als das gleichnamige Institut der Landstände handelte es sich dabei zunächst weniger um eine Vertagung, da vor einer neuen Versammlung Neuwahlen nötig waren und sich die Art und Weise, wie das Parlament nach einer Prorogation zusammengerufen wurde, nicht davon unterschied, wie es nach einem erfolgreichen Abschluss oder einer Dissolution zusammengerufen wurde. Vollständig wurde zu diesem Zeitpunkt noch nicht zwischen Dissolution und Prorogation unterschieden.44 Es eröffnet sich aber die bisher unbekannte Möglichkeit von sachlicher Kontinuität bei personeller Diskontinuität. Allerdings häuften sich die Prorogationen, und der König wie auch die Mitglieder des House of Commons wollten Neuwahlen vermeiden, da diese neben Aufwand und Kosten auch Unruhe in der Bevölkerung verursachten. Deshalb wurden nach einer Prorogation im Jahr 1371 unter Edward III.45 nur die Mitglieder, die bereits bei der letzten Zusammenkunft des House of Commons anwesend 40
Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 336. Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 336. 42 Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 337 f. 43 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 40. Zu diesem weiterhin ähnlich im britischen Parlamentsrecht verwendeten Begriff: Natzler/Hutton (Hrsg.), Erskine May, 2019, Par. 8.5 f.). 44 Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 337 f., 341. 45 Edward III wurde 1312 geboren und regierte von 1327 bis zu seinem Tod 1377. 41
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waren, zur nächsten Parlamentssitzung geladen.46 Seitdem konnte also sowohl personelle wie auch sachliche Kontinuität zwischen zwei Zusammenkünften herrschen, soweit die letzte Versammlung nicht im Sinne einer Dissolution aufgelöst wurde. Für die so entstandenen, unterschiedlichen Arbeitsabschnitte eines einzigen konkret-personellen Parlaments bürgerte sich, abgeleitet von Lateinischen „sedere“ für sitzen der Name „sessions“ ein, welcher später auch in Kontinentaleuropa übernommen wurde.47 Edwards Nachfolger Richard II.48 nutzte dieses System nach Ansicht von Hatschek, indem er das Parlament prorogierte, sobald seine finanziellen Wünsche erfüllt waren, und damit bevor die Commons ihre Anliegen vortragen konnten. Diese Anliegen wurden auf die nächste Session, die in der Regel im nächsten Jahr stattfand, verschoben.49 So konnte sich Richard II weitgehend dem Einfluss des Parlaments entziehen und vermied gleichzeitig Neuwahlen. Diese Praxis konnten die Parlamentarier allerdings nicht akzeptieren, sodass schon während der Regentschaft Richards und schließlich unter Henry IV.50 festgeschrieben wurde, dass keine Zusammenkunft des Parlaments beendet werden durfte, bevor nicht auch alle Petitionen und Beschwerden der Commons gehört wurden. Hierfür räumte Henry IV. sodann bestimmte Tage der Woche ein.51 Dieses System verlängerte allerdings die Tagungszeit des Parlaments entgegen dem Interesse des Königs, aber auch der Commons.52 Hatschek weist zum einen darauf hin, dass sich die Abgeordneten der mühsamen Reise gerne entzogen.53 Zum anderen konnten sie erst nach der Erledigung aller Parlamentsgeschäfte in ihre Wahlkreise zurückkehren und bekamen bis dahin auch keine Diäten ausge46 Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 342; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 40 f.; Jekewitz, Herrschaft auf Zeit, ZParl 1976, 373 (376). 47 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 7 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 42 f. Hatschek nimmt daneben zusätzlich eine Ableitung von „sesona“ für Jahreszeit an (Englisches Staatsrecht, 1905, S. 350). Ebenso bereits Hatschek, Session, Prorogation, Adjournement und Dissolution des Parlaments, ZgS 1901, 152 (178 f.). Der Begriff „session“ wird auch heute noch so im britischen Parlamentsrecht verwendet, während der Zeitraum bestehend aus mehreren „sessions“ zwischen erstem Zusammentritt eines neu gewählten Parlaments und dessen Auslösung „a Parliament“ genannt wird (Natzler/Hutton (Hrsg.), Erskine May, 2019, Par. 8.2). 48 Richard II. wurde 1367 geboren und regiert von 1377 bis zu seiner Absetzung 1399. Er starb 1400. 49 Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 342; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 41. 50 Henry IV. wurde 1367 geboren und regierte von 1399 bis zu seinem Tod 1413. 51 Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 346. 52 Stubbs, Constitutional History of England, Bd. II, 1875, S. 611 f., 614. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 41 f. 53 Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 342. Ebenso Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 40.
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zahlt.54 Daher wurde mit der Prorogation die Fiktion verknüpft, dass alle unerledigten Arbeiten beendetet wurden, soweit sie nicht explizit in der die Prorogation anordnenden Proklamation von dieser Folge ausgenommen wurden.55 Bei personeller Kontinuität wurde also grundsätzlich sachliche Diskontinuität zwischen den Sessionen eingeführt. Dies schränkte bewusst den Anspruch wieder ein, dass alle Anliegen der Commons ebenfalls abgearbeitet werden mussten. Im Gegenzug verlangte es eine bewusste Entscheidung darüber, welche Angelegenheiten in der aktuellen Session abgeschlossen werden konnten, welche sinnvoller Weise in die nächste geschoben werden sollten und bei welchen eine Einigung unwahrscheinlich war. Dass dies tatsächlich zumindest auch im Interesse des Parlaments lag, lässt sich an einem späteren Streit zwischen Parlament und Krone ablesen. Das Parlament hatte 1621 mehrere Gesetze verabschiedet, die durch die königliche Zustimmung, den „royal assent“, durch James I.56 hätten in Kraft gesetzt werden müssen. Dieser hatte sich aber noch nicht entschieden, ob er zustimmen wollte, weshalb er das Parlament bloß vertagte.57 Anders als eine Prorogation, die dazu geführt hätte, dass die Session beendet wurde und die Entwürfe ohne „royal assent“ mit allen anderen nicht beschlossenen Arbeiten verfallen wären, pausierte das sogenannte „adjournment“ lediglich die Parlamentsarbeit. Im Anschluss konnten die Arbeiten unverändert fortgesetzt werden.58 Während der Zeit der Vertagung durften die Parlamentarier im Unterschied zu einer Prorogation außerdem nicht in ihre Wahlkreise zurückkehren.59 Gleichzeitig war sie jedoch auch nicht versammelt, sodass durch das Pausieren des Parlaments der König ohne parlamentarische Kontrolle darüber entscheiden konnte, wann und ob er den Gesetzesinitiativen zustimmte. Damit umging er den durch die sachliche Diskontinuität begründeten Zwang, dass beide Häuser wie auch der König bei gegenseitiger Kontrolle vor einer Prorogation endgültig entscheiden mussten, ob die Arbeiten abgeschlossen werden oder aber mit der Prorogation verfallen sollten.60 Dies hätte wieder zu der gleichen Entwicklung wie unter Richard II. führen können. 54 Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 345, 348; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 40, 42; Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 7 f. 55 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 8; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 42. 56 James I. wurde 1566 geboren und regierte von 1603 bis zu seinem Tod 1625. 57 Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 354 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 43. 58 Zu diesem weiterhin so im britischen Parlamentsrecht verwendeten Begriff: Natzler/Hutton (Hrsg.), Erskine May, 2019, Par. 8.5 ff. 59 Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 351; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 42. 60 Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 355; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 43.
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Durch die Vertagung hätte der König die aktuellen Beratungsgegenstände beliebig in der Schwebe halten können. Die Abgeordneten waren nicht versammelt und konnten daher nur eingeschränkt Druck auf den König ausüben und für ihre Anliegen eintreten. Gleichzeitig waren sie weiterhin an ihre parlamentarischen Pflichten gebunden. Sie konnten damit insbesondere nicht in ihre Heimatorte zurückkehren und erhielten so lange keine Diäten ausgezahlt. Um dies zu verhindern, konnte ab 1621 nicht mehr der König, sondern nur noch jedes Haus eigenständig und nur mit Wirkung für sich selbst eine Vertagung beschließen.61 Der König war damit darauf beschränkt, sich mit dem versammelten Parlament nicht nur über die Anliegen der Krone, sondern auch jene des Parlaments zu einigen oder die Versammlung zu schließen und hinzunehmen, dass sämtliche nicht erledigten Entwürfe verfielen. Im Ergebnis wurden die Prorogation und die damit verbundene sachliche Diskontinuität also zumindest auch als Kontrollmöglichkeit des Parlaments62 gegenüber dem König empfunden. Auf der anderen Seite war es gerade die Krone, die es allein in der Hand hatte, Diskontinuität durch Prorogation herbeizuführen.63 So nutzte Mary I.64 beispielsweise die Prorogation, um einen Gesetzentwurf, auf den sich die beiden Häuser nicht einigen konnten, zu vernichten, indem sie das Parlament für drei Tage prorogierte.65 Im Ergebnis war die Diskontinuität nicht bloß Ausfluss der Session als Handlungseinheit des Parlamentes,66 sondern auch Ausdruck der gegenseitigen Abhängigkeit und vor allem Kontrolle von Parlament und Krone.67 Jedoch konnten mittels Prorogation beliebig viele Sessions bis zu einer Dissolution hintereinander gereiht werden, ohne dass es Neuwahlen bedurft hätte. Dies schwächte die Legitimation, aber vor allem auch den Einfluss und die Bedeutung der Repräsentanten im House of Commons. Daher führte der Triennial Act von 1693 ein, dass ein konkret-personelles Parlament maximal drei Jahren bestehen
61 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 8; Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 356; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 43. Auch Blackstone, Commentaries on the Laws of England, 1771, S. 186 f. 62 Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 357 spricht gar vom „Kampfmittel gegen das Königtum“. 63 Blackstone, Commentaries on the Laws of England, 1771, S. 186 f.; Bowyer, Commentaries of the Constitutional Law of England, 1846, S. 97; Carroll, Constitutional and Administrative Law, 2015, S. 278; Natzler/Hutton (Hrsg.), Erskine May, 2019, Par. 8.5; Stubbs, Constitutional History of England, Bd. II, 1875, S. 613. 64 Mary I wurde 1516 geboren und regierte von 1553 bis zu ihrem Tod 1558. 65 Natzler/Hutton (Hrsg.), Erskine May, 2019, Par. 8.5. Auch Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 351; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 43. 66 So zu knapp Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 9 f. 67 So wohl auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 46.
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konnte,68 was 1715 durch den Septennial Act auf sieben Jahre verlängert wurde. Spätestens nach dieser Zeit fand die konkrete Versammlung ihren „natürlichen Tod“ und es bedurfte Neuwahlen.69 Zwar gab es weiterhin vor dem Ende der Wahlperiode eine Dissolution,70 jedoch fußte diese nicht mehr einer freien Entscheidung der Krone. Unabhängig von der Frage, ob die Parlamentsarbeit erledigt oder eine Erledigung weiterhin wahrscheinlich erschien, führte die Diskontinuität den Abbruch der Parlamentsarbeiten erstmals allein durch bloßen Zeitablauf herbei. Diese gesamte Entwicklung inklusive des Diskontinuitätsprinzips fand keinen Niederschlag in geschriebenen Rechtssätzen, wie es in England insgesamt keine geschriebene Verfassung oder parlamentarische Geschäftsordnung gibt. Vielmehr lebt das englische Verfassungsleben bis heute von bindenden Verfassungskonventionen, den „constitutional conventions“.71 Die sich im Laufe der Entwicklung immer stärker herausbildende Differenzierung nach Adjournment, Prorogation und Dissolution wurde von Edward Coke erstmals verschriftlicht und besteht bis heute in fast unveränderter Form im englischen Parlamentsrecht fort.72 Das Adjournment stellte dabei den geringsten Einschnitt dar. Das Parlament vertagte sich auf einen späteren Zeitpunkt. Im Anschluss setzten dieselben Abgeordneten in der bisherigen Parlamentsorganisation die vorherigen Parlamentsgeschäfte fort. Die Vertagung war folglich mit keinen diskontinuierlichen Effekten verbunden. Für die weitere Entwicklung ist außerdem festzuhalten, dass sich das englische Parlament nur selbst vertagen konnte, während die Krone kein Recht hierzu hatte. Die Prorogation steht dagegen allein dem Monarchen zu. Sie bewirkt den Schluss der Session und beendet damit die aktuelle Versammlung. Damit verbunden war im Grundsatz die bewusste Feststellung, dass die wesentlichen Beratungsgegenstände abgeschlossen waren und die nicht abgeschlossenen Arbeiten auch 68
Hallam, Constitutional History of England, Bd. 3, 1827, S. 420 ff. Blackstone, Commentaries on the Laws of England, 1771, S. 187; Bowyer, Commentaries of the Constitutional Law of England, 1846, S. 97 ff.; Maitland, Constitutional History of England, 1965, S. 178, 296; Erskine May/Holland, Constitutional History of England, Bd. 1, 1912, S. 196 ff. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 44 f. 70 Zu diesem weiterhin im britischen Parlamentsrecht bestehenden Automatismus: Natzler/Hutton (Hrsg.), Erskine May, 2019, Par. 8.4. 71 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 8 f. 72 Dazu etwa das zu Beginn der Einleitung erwähnt Beispiel aus der modernen englischen Parlamentspraxis. Vgl. auch Natzler/Hutton (Hrsg.), Erskine May, 2019, Par. 8.1 ff. Ausführlich zu der sich erst im Laufe der Zeit herausbildenden Differenzierung der Begriffe: Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1905, S. 333 ff.; ders., Session, Prorogation, Adjournement und Dissolution des Parlaments, ZgS 1901, 152 ff. So auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 8; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 44. 69
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nicht mehr abgeschlossen werden würden, sodass deren Verfall im Interesse aller Beteiligten war. Auch eine Gesetzessanktion durch den Monarchen als „King in Parliament“ war dann nicht mehr möglich. Im Gegensatz zu dieser sachlichen Diskontinuität waren die einzelnen Sessionen jedoch durch personelle Kontinuität verbunden. Dagegen war die Dissolution mit personeller, sachlicher und organisatorischer Diskontinuität verbunden. Dieses Auflösungsrecht der Krone ging über eine Prorogation hinaus, indem es die Abgeordnetenmandate beendete und Neuwahlen herbeiführte. Dieses sich im Lauf von mehreren Jahrhunderten so entwickelnde parlamentarische System wurde zum Vorbild für die frühkonstitutionellen Volksvertretungen, die sich nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation entwickeln.73
C. Entwicklung des Diskontinuitätsprinzip im post-revolutionären Frankreich Die Ideen der Französischen Revolution und die sich anschließend entwickelnden Verfassungsideen haben die frühen Verfassungen der konstitutionellen Monarchien in Deutschland mitbeeinflusst. Sie stellen gerade mit Blick auf das Diskontinuitätsprinzip eine Art Bindeglied und Weiterentwicklung des soeben beschriebenen englischen Systems dar. Daher sollen im Folgenden zumindest überblicksartig wenige prägende Element dargestellt werden. Für die weitere Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips in Deutschland waren die frühen Revolutionsparlamente allerdings nicht prägend. Die französische Nationalversammlung von 1789 war in weiten Teilen aufgrund der Erfahrungen mit dem Absolutismus gegenüber monarchischen Elementen skeptisch eingestellt. Sie schränkte die Macht des Monarchen deshalb deutlich ein. Die Konstituante sah daher vor, dass das Parlament das Recht haben sollte, permanent zu tagen, sich selbst zu versammeln und zu vertagen. Außerdem sollte das Auflösungsrecht des Königs entfallen und dieser nur noch ein suspensives Veto gegenüber Legislativakten haben. Fragen der Diskontinuität wurde allerdings nicht behandelt.74 Aus den permanenten Tagungen, dem Selbstversammlungs- und Selbstvertagungsrecht und dem eingeschränkten Einfluss des Monarchen auf die Nationalversammlung schließt Jekewitz, dass das Diskontinuitätsprinzip in dieser Phase nicht übernommen wurde.75
73 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 49; Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 6 f. 74 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 53. 75 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 53.
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Dagegen ist für die weitere Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips die Verfassung vom 4.6.1814 von entscheidender Bedeutung. Sie schuf den Rahmen für eine konstitutionell-monarchische Staatsform und stand in der Folge Modell für die sich auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation entwickelnden frühkonstitutionellen Staaten.76 Dabei war die Zeit der Restauration monarchischen Elementen wieder aufgeschlossener und konnte sich somit auch wieder stärker an der englischen Verfassungspraxis orientieren.77 Dies galt insbesondere für das Recht des Monarchen, die Session des Parlaments durch Berufung und Schließung zu gestalten, und damit auch für das Diskontinuitätsprinzip. So sprach Art. 50 der Charte constitutionnelle nach englischem Vorbild davon, dass der König neben der Pflicht, die Kammern jedes Jahr einzuberufen, auch das Recht habe, die Kammern zu prorogieren und die Deputiertenkammer aufzulösen.78 Dabei war jedoch nach französischem Verständnis mit dem Prorogationsrecht zunächst nur gemeint, dass der König das Parlament vertagen können sollte. Erst bei der Konkretisierung dieser Bestimmung durch die Geschäftsordnung wurde neben der ursprünglichen Möglichkeit einer Vertagung („ajournement“) auch ein Prorogationsrecht nach englischem Vorbild im Sinn einer Schließung des Parlaments („clôture“) vorgesehen. Anders als im englischen Recht stand dem französischen Monarchen damit nicht nur die Schließung, sondern auch die Vertagung zu.79 Aus monarchischer Sicht waren diese alternativen Instrumente auch sinnvoll, da sie mit verschiedenen Folgen einhergingen.80 Dem englischen Vorbild folgend war nur die Auflösung mit personeller Diskontinuität verbunden. Die Schließung entsprach der englischen Prorogation im engeren Sinn und bewirkte insbesondere den Verfall der unerledigten Parlamentsarbeiten als Folge einer sachlichen Diskontinuität. Dagegen hatte die Vertagung keinerlei diskontinuierliche Effekte. Der Herrscher hatte so die Möglichkeit, zu bestimmen, ob alle Arbeiten verfallen oder ob das Parlament nach einer gewissen Zeit die Chance haben sollte, die Arbeit zu vollenden.81 Damit kombinierte man laut Jekewitz traditionelle Gestaltungsmöglichkeiten des Herrschers gegenüber einer Ständeversammlung mit der englischen Unterscheidung einer Vertagung und Schließung. Das so geschaffene Instrument stärk76 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 10. Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2021, Rn. 94. 77 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 53. 78 „Le Roi convoque chaque année les deux Chambres; il les proroge, et peut dissoudre celle des députés des départements; . . .“ übersetzt als „Der König ruft jedes Jahr beide Kammern zusammen; er prorogiert sie, und kann die der Deputierten der Departements auflösen; . . .“ durch Pölitz, Die europäischen Verfassungen, Band 2, 1833, S. 92. 79 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 12; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 53 ff. 80 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 54. 81 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 11.
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te das monarchische Prinzip und widersprach damit der englischen Praxis.82 Die englische Unterscheidung wurde gerade als Stärkung des Parlaments erkämpft, indem die sachliche Diskontinuität als Folge der prorogierenden Schließung den Monarchen zu einer Entscheidung zwingen sollte, solange das Parlament versammelt war und auf ihn Druck ausüben konnte.83 Bei der Übernahme kam es also zu einer ersten Verschiebung bei der Begründung des Diskontinuitätsprinzips. Dass die Machtverhältnisse wieder zugunsten des Königs verschoben wurden, passte dabei gut in die bereits von Montesquieu stark vertretene Idee der Gewaltenteilung, konnte doch so die Exekutive eine Permanenz und Übermacht der Legislative verhindern.84 Unter anderem die Vordenker und Analysten dieser französischen Praxis Bentham und Constant schufen mit ihren Schriften, die bereits die Übertragung von der englischen in die französische Praxis ermöglichten und diese dann wesentlich beeinflussten, eine theoretische Grundlage der Diskontinuität als wünschenswerter Teil der Kontrollmöglichkeiten des Monarchen gegenüber dem Parlament, die im konstitutionell-monarchischen Kontinentaleuropa interessiert rezipiert wurde.85 2. Kapitel
Das Diskontinuitätsprinzip in den Einzelstaaten des Deutschen Bundes A. Entwicklung in den konstitutionellen Monarchien Als nach der Zeit des Absolutismus die ersten deutschen Verfassungen in der ersten Hälfe des 19. Jahrhunderts geschrieben wurden, hatten regelmäßig englische und von diesen beeinflusste französische Philosophen und Vordenkern bereits theoretische Grundlagen geschaffen.86 Nach Jekewitz bot sich besonders die Charte constitutionelle von 1814 als Vorbild für die konstitutionellen Monarchien an, da sie als oktroyierte, also einseitig vom Monarchen erlassene Verfassung den monarchisch-konstitutionellen Vorstellungen am ehesten entsprach.87 Über diesen Umweg kopierten auch die süddeutschen und schließlich die restlichen monarchischen deutschen Staaten die englische Trennung in Schließung und Vertagung und damit das Diskontinuitätsprinzip. In Preußen berief man sich dabei 82
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 54 f. Zu dieser Begründung in England oben: S. 37. 84 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 50 f., 56. 85 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 56 ff. 86 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2021, Rn. 281; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 47 ff. G. Jellinek wies ebenfalls auf die englischen und französischen Vorbilder hin, beschrieb die modernen Parlamente aber ebenso als „geschichtslose Institution“ (Besondere Staatslehre, in: Ausgewählte Schriften und Reden, 1911, S. 181). 87 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 58. 83
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bereits 1853 auf „ein allgemeines europäisches Rechtsbewusstsein und eine allgemeine europäische Gewöhnung“.88 Während dieser Entwicklung gab es erhebliche regionale und zeitliche Unterschiede, dennoch lassen sich gemeinsame Charakteristika erkennen.89 Ausgangspunkt war dabei die auf dem Wiener Kongress beschlossene Bundesakte des von den Fürsten des alten Reiches gegründeten Deutschen Bundes von 1815. Deren Art. 13 bestimmte: „In allen Bundesstaaten wird eine landständische Verfassung stattfinden.“ 90 Eine ursprünglich geplante konkretere Formulierung sah insbesondere eine Zustimmung der Stände zu neuen Gesetzen und Steuern und Mitaufsicht über die Steuerverwendung vor, scheiterten jedoch an den Königreichen Bayern und Württemberg, die einen zu starke Begrenzung der fürstlichen Macht fürchteten.91 Die gleiche Zielrichtung hatte auch die Wiener Schlussakte, die Ausfluss der zunehmend konservativer und damit monarchischer werdenden Stimmung war, und in Art. 57 bestimmte, dass „die gesamte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staates vereinigt bleiben“ 92 müsse. Der Vorstellung der Gewaltenteilung nach Montesquieu’schem Vorbild war damit weitgehend eine Absage erteilt.93 In den geschaffenen Verfassungen zentrierte sich dann auch sämtliche Staatsgewalt beim Monarchen, allerdings war er in gewissen Bereichen, worunter auch die Gesetzgebung fiel, auf die Mitwirkung der Volksvertretung angewiesen.94 Auch wenn die Einrichtung der Vertretungsorgane nun durch die Bundesakte garantiert war und die Monarchen damit die Existenz der Parlamente auch rein tatsächlich nicht beseitigen konnten,95 stand den Volksvertretungen kein Selbstver-
88 So der konservative Abgeordnete Friedrich Julius Stahl während Beratungen eines Gesetzentwurfes zur Einführung von Kontinuität zwischen den Sessionen in der Ersten Kammer des Preußischen Landtages am 4.5.1853 (Stenographische Berichte, Erste Kammer, 2. Band, 1953, S. 1003). S. auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 14. 89 Zu der Verfassungsentwicklung in dieser Zeit: Fenske, Der moderne Verfassungsstaat, 2001, S. 253 ff. Speziell zu der Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips insbesondere in den süddeutschen Staaten und in Preußen in dieser Zeit: Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 58 ff., 77 ff. 90 Art. 13 Deutsche Bundes-Akte vom 8. Juni 1815. 91 Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 2. Teil, 1863, S. 188. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 59 f. 92 Art. 57 Schluß-Acte der über Ausbildung und Befestigung des deutschen Bundes zu Wien gehaltenen Ministerial-Conferenzen vom 15.5.1820. 93 Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 2. Teil, 1863, S. 199 f. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 60. 94 Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 2. Teil, 1863, S. 367 ff. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 10; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 62; Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2008, Rn. 1392 f. 95 So jetzt auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 10.
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sammlungsrecht zu.96 Sie wurden von Monarchen einberufen und eröffnet, genau wie dieser sie auch wieder vertagte, schloss und auflöste.97 Die Eröffnung bildete den Beginn, während der Schluss das Ende der Tätigkeitsperiode des Parlaments bedeutete. Dabei galt weiterhin das Leitbild, dass das Parlament möglichst kurz und zweckorientiert versammelt sein sollte.98 Die Schließung bedeutete nicht nur, dass die Parlamentstätigkeit unterbrochen wird, sondern auch im Sinne einer sachlichen Diskontinuität,99 dass alle nicht vollendeten Arbeiten auch abgebrochen wurden und verfielen.100 Des Weiteren folgte aus dem Ende einer Session durch Schließung auch die Diskontinuität der Organe der Vertretungskörperschaft. Das Präsidium und die Ausschüsse mussten, soweit das Recht dazu bestand, zu jeder Session neu konstituiert werden.101 Obwohl der Landtag dank der Garantie der Bundesakte abstrakt-institutionell über die Legislaturperiode hinaus kontinuierlich war, bestand das konkret-personelle Organ „Landtag“ damit nur in der Zeit zwischen Eröffnung und Schluss.102 Die Verfahrensregeln der Parlamente wurden jedoch zumeist durch Gesetz geregelt und waren daher von keiner Diskontinuität betroffen.103 Anders war dies in Preußen, wo die Geschäftsordnung nur für die Dauer der jeweiligen Session erlassen wurde.104 96 Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes, 1. Buch, 1881, S. 489 ff.; Zachariä, Staats- und Bundesrecht, 1. Teil, 1865, S. 666; Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 2. Teil, 1863, S. 309 f. Beachte aber etwa die Ausnahmevorschrift in § 113 Neue Landschaftsordnung für das Herzogtum Braunschweig vom 12.10.1832, der in bestimmten Fällen ein Selbstversammlungsrecht vorsah (dazu Pollmann, in: Pöls/Pollmann (Hrsg.), Moderne Braunschweigische Geschichte, 1982, S. 14). 97 Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 359 f.; Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes, 1. Buch, 1881, S. 489 f., 493ff.; Zachariä, Staats- und Bundesrecht, 1. Teil, 1865, S. 666, 687 ff.; Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 2. Teil, 1863, S. 307, 312 ff. 98 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 64, 80 f. Vgl. etwa G. Jellinek, Besondere Staatslehre, in: Ausgewählte Schriften und Reden, 1911, S. 241 f.; Zachariä, Staats- und Bundesrecht, 1. Teil, 1865, S. 687; Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 2. Teil, 1863, S. 315. 99 Der Begriff „Diskontinuität“ wird jedoch erst Mitte des 19. Jahrhunderts im deutschen Staatsrecht verwendet (vgl. Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 11 Fn. 62). 100 Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 360; Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes, 1. Buch, 1881, S. 495. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 11; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 69, 83. 101 In Abgrenzung zur Vertagung: Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 360; Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes, 1. Buch, 1881, S. 494 f. 102 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 68 f., 83. 103 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 69. Vgl. etwa Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 363 f. 104 von Rönne/Zorn, Staatsrecht der Preußischen Monarchie, 1. Band, 1899, S. 397 f. So auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 83.
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Neben der Wirkung des eben beschriebenen Schlusses der Sitzung bewirkten die Auflösung des Parlaments und der Ablauf der Legislaturperiode zusätzlich auch die personelle Erneuerung im Sinne einer personellen Diskontinuität.105 Als weiteres Einflussmittel konnte der Landesherr wie schon der französische König – aber anders als der englische – durch Vertagung die Parlamentstätigkeit auf bestimmte oder unbestimmte Zeit pausieren. Danach wurde die Arbeit unverändert vorgesetzt.106 Wie in Frankreich – aber anders als in England – konnten die deutschen Fürsten damit ebenfalls wählen, ob alle Arbeiten durch Schließung verfallen oder ob das Parlament nach einer Vertagung die Chance haben sollte, die Arbeit zu vollenden.107 Die Vertretungsorgane selbst konnten sich nicht im formellen Sinne vertagen. Endete die Legislaturperiode, während die Kammern vertagt waren, trat mit deren Ende der Schluss ein.108 Schließlich konnten die Repräsentativorgane zunächst in der Regel keine eigenen Gesetzentwürfe einbringen.109 Lediglich mittels Gesetzespetition konnte sie den Monarchen auffordern, eine Gesetzesinitiative vorzulegen.110 Ganz nach französischem Vorbild und im Sinne der konstitutionellen Monarchie konnte der Fürst im Ergebnis die Arbeit dieser Organe also ganz erheblich beeinflussen und eine Permanenz der Vertretungsorgane verhindern. So wurde die zentrale Stellung des Monarchen betont und ein zu dominanter Einfluss des Parlaments verhindert.111 Daher ist es aus dieser konstitutionell-monarchischen Sicht zwar konsequent, aber für die weitere Betrachtung besonders zu betonen, dass das übernommene englische System gleich in doppelter Hinsicht zu Lasten des Parlaments abge-
105 Haym, Die Auflösung, 1912, S. 28 ff., 39; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 361 f.; Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes, 1. Buch, 1881, S. 495 f.; Zachariä, Staats- und Bundesrecht, 1. Teil, 1865, S. 688. 106 Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 360; Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes, 1. Buch, 1881, S. 494; Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 2. Teil, 1863, S. 316 f. 107 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 11; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 65 f., 82 f. 108 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 65 f. 109 Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 659 f.; Zachariä, Staats- und Bundesrecht, 1867, 2. Teil, S. 163; Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 2. Teil, 1863, S. 372 f. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 10; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 63; zur abweichenden, weil stark verspäteten Entwicklung in Preußen: S. 79. 110 Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 2. Teil, 1863, S. 372. 111 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 11; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 63. Zum Verhältnis der Monarchen und der Landtage in der Gesetzgebung auch: Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 651 ff.
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ändert wurde.112 Neben der bereits angesprochenen Vertagungsmöglichkeit der deutschen Fürsten konnten diese ihre Zustimmung zu den beschlossenen Gesetzen sogar noch nach dem Schluss der Sitzung erteilen, da es im deutschen Staatsrecht nicht die Figur des „King in Parliament“ gab, der Monarch also immer außerhalb des parlamentarischen Prozesses stand.113 Damit konnte ein vertagtes oder sogar bereits geschlossenes Parlament keinen Einfluss mehr darauf nehmen, ob und wann das Gesetz nach monarchischer Zustimmung zustande kam. Dies oblag nun allein dem Monarchen. Dagegen war Sinn und Zweck der ursprünglich zumindest auch im Interesse des englischen Parlaments eingeführten sachlichen Diskontinuität gerade das Gegenteil.114 Der Monarch sollte angehalten werden, sich der parlamentarischen Anliegen anzunehmen und Gesetze, die bereits die Zustimmung der Kammern gefunden hatten, auch während deren Versammlung zu sanktionieren. Der englische König sollte nicht die Möglichkeit haben, sich unmittelbar nach Erledigung seiner Interessen der parlamentarischen Kontrolle zu entziehen, indem er das Parlament vertagte oder schloss. Diese Schutzwirkung115 für das Parlament wurde sowohl durch die Vertagungsmöglichkeit als auch die Zustimmungsmöglichkeit nach dem Schluss der Sitzung umgangen. Dass man im deutschen Recht gleich beide Möglichkeiten in die Hände des Souveräns gelegt hat, zeigt, dass dieser Effekt verkannt oder bewusst gegen die sich erst (wieder) entwickelnden Vertretungsorgane genutzt wurde.
B. Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips Wie bereits in früherer Zeit entwickelte sich der Wunsch, die Folgen des Diskontinuitätsprinzips abzumildern. Die Durchbrechungen beschäftigten sich dabei sowohl mit der sachlichen wie auch mit der organisatorischen Diskontinuität,116 allerdings nicht mit der personellen Diskontinuität. Dies kann damit begründet werden, dass bereits personelle Kontinuität zwischen den einzelnen Sitzungen der Vertretungsorgane eingeführt wurde. Aus einer Zeit, in der jedes konkret-personelles Parlament für sich allein stand, für konkrete Zwecke zusammengerufen wurde und nur hierfür seine Organe gebildet hatte, hatten sich in der Zwischenzeit Parlamente entwickelt, die in der gleichen personellen Zusammensetzung für mehrere Sitzungsperioden bestanden. Im Folgenden sollen nun beispielhaft einzelne Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips knapp dargestellt werden.
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Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 70. Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 13. 114 Zu dem ursprünglichen Sinn und Zweck im englischen Parlament: S. 37. 115 Jekewitz spricht insofern sehr richtig von einer „Kautelwirkung“, welche Belz wohl verkennt (Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 70 gegen Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 13). 116 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 70. 113
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I. Württemberg In Württemberg wurde es als „großen Übelstand“ gesehen, dass bestimmte, bereits in die Kammern des Landtages eingebrachte und zum Teil sogar schon durch die Kammer der Standesherren beratene Gesetzentwürfe durch den Schluss der Sitzung verfallen sollten und entsprechend in der nächsten Sitzung hätten neu eingebracht werden müssen.117 Deshalb stimmten beide Kammern einem Antrag des Königs zu, dass diese Gesetzentwürfe im Stand der Beratung zur Zeit des Schlusses der Sitzungsperiode in der nächsten Sitzungsperiode wiederaufgenommen und weiterberaten werden konnten.118 Dies war jedoch ein einmaliger Vorgang, der sich nur auf die bereits zum Zeitpunkt des Antrags eingebrachten Gesetzentwürfe bezog. Anders als bei späteren Durchbrechungen in anderen Ländern war dies eine bloße Vereinbarung zwischen König und Ständen und bedurfte keines Gesetzes.119 II. Bayern In Bayern wurde dagegen die organisatorische Diskontinuität als problematisch identifiziert, um besonders umfangreiche Gesetze zu erlassen.120 Da Gesetzentwürfe zunächst von dem Gesetzgebungsausschuss der Kammer der Abgeordneten, dann in der Kammer selbst und anschließend von dem Gesetzgebungsausschuss der Kammer der Reichsräte und schließlich auch hier in der Kammer selbst beraten werden mussten,121 war das Gesetzgebungsverfahren besonders lang. Die Ausschüsse konnten aber nur beraten, während die Kammern versammelt, das heißt eröffnet und nicht vertagt oder schon geschlossen waren.122 Die Sitzungsperiode der Kammern hatte darüber hinaus grundsätzlich nur eine Dauer von zwei Monaten, es sei denn, der König machte von seinem Recht Gebrauch, die Sitzungszeit zu verlängern.123 117 So der Abgeordnete Damian von Mosthaf am 16.12.1835 als Berichterstatter zu dem „Königlichem Rescript in Betreff des Uebergangs unerledigter legislatorischer Arbeiten auf den nächsten Landtag“ (Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Königreichs Württemberg im Jahr 1835, 2. Band, 130. Sitzung, S. 69 f.). 118 Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Königreichs Württemberg im Jahr 1835, 2. Band, 130. Sitzung, S. 70 f.; die eigentlichen Beratungen finden sich auf S. 5 ff. 119 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 13; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 71. 120 Ausführlich Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 6 ff. 121 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 72 Fn. 143. 122 Titel VII § 31Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26.5.1818. So auch Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 5; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 68, 72. 123 Titel VII §§ 22 Abs. 3, 23 Abs. 1 Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26.5.1818; s. auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 65, 72.
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Der Staatsminister der Justiz von Zentner fasste die Situation deshalb so zusammen, dass selbst bei „angestrengtester Tätigkeit“ und „unter den günstigsten Voraussetzungen schon wegen der Länge der erforderlichen Zeit die Durchführung auch nur eines einzigen Gesetzbuches im Laufe der nämlichen Sitzungsperiode der versammelten Stände kaum zu hoffen“ 124 sei. Daher sollten die Kammern auf Initiative der Regierung ein Gesetz erlassen, welches den Ausschüssen mit Ermächtigung des Königs erlaubte, auch dann zu beraten, wenn die Kammern selbst nicht versammelt waren. Die Kammern stimmten diesem Gesetz125 zu, begrenzten dessen Geltungsdauer aber aufgrund einiger Bedenken wegen des Machtzuwachses der Ausschüsse auf Kosten der Kammern auf die laufende Wahlperiode der Ständeversammlung.126 Schon in der kommenden Wahlperiode tauchte das Problem der langen Verfahrensdauer aber erneut auf, sodass die Gültigkeit des vorherigen Gesetzes durch zweites, weitergehendes Gesetz127 um eine weitere Wahlperiode verlängert wurde. Wenn die Kammern nicht versammelt waren, konnte der König danach die Ausschüsse nun auch unmittelbar einberufen, um die Gesetzentwürfe direkt dort einzubringen. Gingen entsprechende Initiativen bisher von der Krone aus, folgte 1847 eine erfolglose Initiative der Abgeordnetenkammer, nachdem die Geltungsdauer auch des zweiten Gesetzes erschöpft war.128 Eine weitere Durchbrechung brachte schließlich ein Gesetz129 aus dem Jahr 1848, welches erneut auf einen Regierungsentwurf zurückging.130 Das Gesetz galt auf unbestimmte Zeit, aber zunächst nur für die Beratung einzeln bestimmter Gesetzbücher insbesondere über das bürgerliche Recht, das Strafrecht und die entsprechenden Verfahrensordnungen. Hierfür wurden spezielle Ausschüsse für beide Kammern gebildet, die nach königlicher Verfügung auch tagen konnten, wenn die Ständeversammlung vertagt oder geschlossen war.131 Schließlich wur-
124 Verhandlungen der zweyten Kammer der Ständeversammlung des Königreichs Bayern im Jahr 1831, 2. Band, Protokoll VI S. 10. 125 „Gesetz, die Behandlung neuer und revidierter Gesetzbücher betreffend“ vom 9.8.1831, GBl. für das Königreich Bayern 1831, S. 6 ff. 126 Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 7; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 72. 127 „Gesetz, die fernere Behandlung neuer und revidierter Gesetzbücher betreffend“ vom 1.7.1834, GBl. für das Königreich Bayern 1834, S. 34 f. 128 Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 8 ff.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 73 f. 129 „Gesetz, die Behandlung neuer Gesetzbücher betreffend“ vom 12.5.1848, GBl. für das Königreich Bayern 1848, S. 17 ff. 130 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 13; Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 11; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 73 f. 131 Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 11 ff.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 74. Zu den so be-
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den diese Gesetzgebungsausschüsse bevollmächtigt, bei bestimmten, vorläufigen Gesetzen an Stelle des geschlossenen Landtags zuzustimmen.132 Von den regelmäßig notwendigen Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips stellt es insofern die weitestgehende Ausnahme dar,133 da es die sachliche Diskontinuität durchbrach, ohne dass dies besonders problematisiert wurde. Eine Verlängerung der Sitzungsperiode der Ständeversammlung, die der König hätte verfügen können und in der Konsequenz ebenfalls eine längere Tagungszeit der Ausschüsse bewirkt hätte, konnte dabei keine Alternative zum gewählten Vorgehen sein. Der Landtag hätte bei fortlaufenden Kosten versammelt bleiben müssen, auch nachdem bereits alle Landtagsangelegenheiten erledigt wurden, nur damit die Ausschüsse weiterberaten konnten.134 Lange Sitzungsabschnitte ohne Heimkehr waren auch nicht im Interesse der Abgeordneten.135 Allerdings vermag dies nicht zu erklären, warum es nicht ausgereicht hätte, den Ausschüssen die Möglichkeit einzuräumen, beschränkt auf die Zeit eines bloß vertagten Landtages weiter zu beraten. Denn eine wirkliche Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität fand bei all diesen Gesetzen nur statt, soweit die Ausschüsse tagten, während die Kammern geschlossen waren.136 Nur in diesem Fall und nicht schon bei einer Vertagung hätte die organisatorische Diskontinuität sonst dazu geführt, dass sich die Ausschüsse auflösen und sie in der nächsten Sitzung neu konstituiert werden müssen. Dass jedoch auch die Zeiten einer Vertagung miterfasst wurden, zeigt noch einmal, dass das Diskontinuitätsprinzip zu diesem Zeitpunkt keine entscheidende Rolle in den Überlegungen spielte, sondern rein praktische Erwägungen das Hauptmotiv der Reform waren. Darüber hinaus waren regelmäßige Schließungen nötig, da der König erst am Schluss der Session entscheiden konnte, ob er seine Zustimmung zu den von den Kammern verabschiedeten Gesetzen erteilte.137 Damit die Gesetzentwürfe also frühestmöglich vom König sanktioniert werden und sodann in Kraft treten konnten, reichte es zunächst nicht, die Weiterberatungsmöglichkeit der Ausschüsse nur während der Vertagung der Kammern zu ermöglichen. Ab 1850 wurde diese schlossenen, auch über die ursprüngliche Aufzählung hinausgehenden Gesetzen: Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 15 ff. 132 Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 12 ff. 133 Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 16. 134 Vgl. hierzu die Begründung des Vortrags des liberalen Abgeordneten Karl Edel als Berichterstatter des Ausschusses, welcher 1847 den König erfolglos bat, ein Gesetz zur Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität mit Blick auf die Gesetzgebungsausschüsse einzubringen (Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Königreichs Bayern 1847, 1. Beilagen-Band, S. 149 (156)). Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 74. 135 Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 13. 136 Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 5; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 75. 137 Titel VII §§ 29 Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26.5.1818.
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Bindung der königlichen Zustimmung an den Schluss der Session aufgehoben.138 In der Folge wurden die Ständeversammlungen kaum noch geschlossen, sondern regelmäßig vertagt, sodass sich die Sessionen verlängerten und nachfolgende weitere Ausnahmegesetze meist lediglich den Ausschüssen ermöglichen sollten, sich während dieser Vertagungszeit zu versammeln.139 Eine Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität war dann kaum noch nötig. III. Preußen In Preußen erfolgte der erste Vorstoß einer Durchbrechung der Diskontinuität zwischen den Sessionen aus der Tatsache heraus, dass das Schicksal von unerledigten Beratungsgegenständen zunächst ungeklärt war. Wie in den meisten anderen Ländern sahen weder die Verfassungen von 1848/50 noch die Geschäftsordnung einer der beiden Kammern eine ausdrückliche Regelung vor.140 Aus diesem Grund schlug der konservative Danziger Abgeordnete Wilhelm von Brauchitsch 1850 eine Regelung für die Geschäftsordnung der zweiten Kammer des Landtages vor, die eine sachliche Kontinuität für Gesetzesvorschläge, Anträge und Petitionen zwischen den Sitzungsperioden eingeführt hätte.141 Zur Begründung führte er an, dass Regierungsentwürfe, wie auch Anträge und Petitionen entschieden werden müssen. Wenn dies in einer Sitzungsperiode nicht gelinge, dann müsse es in der nächsten Sitzungsperiode geschehen.142 Dabei ging er davon aus, dass die Kammer als „moralische Person“ über die gesamte Legislaturperiode bestand und auch vom Wechsel einzelner Mitglieder unabhängig war.143 Zwar erkannt die beauftragte Kommission die „fühlbare Lücke“ an, schlug aber ihrerseits einen gegenteiligen Entwurf vor. Dieser bestimmte, dass alle eingebrachten Beratungsgegenstände, die nicht beschlossen wurden, mit Ablauf der Sitzungsperiode als erledigt betrachtet werden sollten.144 Dies wurde zunächst damit be-
138 Art. 40, 41 „Gesetz, den Geschäftsgang des Landtages betreffend“ vom 25.6. 1850, GBl. für das Königreich Bayern, S. 297 ff. ersetzen Titel VII §§ 29 Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26.5.1818 und heben ihn auf. 139 Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 19; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 77. 140 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 85. 141 Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 2.11.1850 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 1. Band, 1851, S. 77, 93 ff. von Rönne/Zorn, Staatsrecht der Preußischen Monarchie, 1. Band, 1899, S. 349 Fn. 3. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 14; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 86. 142 Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 2.11.1850 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 1. Band, 1851, S. 77. 143 Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 2.11.1850 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 1. Band, 1851, S. 94. 144 Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 2.11.1850 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 1. Band, 1851, S. 93. von Rönne/Zorn, Staats-
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gründet, dass jede Sitzungsperiode ein in sich geschlossenes Ganzes bilde, was daraus folge, dass ein neuer Präsident gewählt und auch die Abteilungen und Fachkommissionen neu besetzt werden müssten. Darüber hinaus würde allein der zum Teil erhebliche Zeitabstand zwischen den Sitzungsperioden die Befassung mit den meisten Gegenständen unnötig machen, da diese faktisch überholt seien. Die übrigen Vorlagen könnten leicht erneut eingebracht werden. Dies entspreche auch dem bisherigen Vorgehen der Regierung bei ihren Gesetzentwürfen. Schließlich würde die Kontinuität eine Anhäufung von unerledigten Gegenständen bedeuten.145 von Brauchitsch akzeptierte zwar, dass Gesetzentwürfe leicht erneut eingebracht werden konnten, allerdings gelte dies nicht zwingend für Anträge und Petitionen. Gerade Petitionen seien mit hohem Zeit- und Geldaufwand verbunden und dürften als ein verfassungsmäßiges Recht nicht unerledigt bleiben.146 Im Ergebnis stimmte die zweite Kammer mit Zustimmung der Regierung für den Antrag der Kommission und legte so erstmals das sachliche Diskontinuitätsprinzip explizit in einer Rechtsvorschrift nieder.147 § 22 der Geschäftsordnung der Zweiten Kammer des Preußischen Landtags lautete: „Gesetzes-Vorschläge, Anträge und Petitionen sind mit dem Ablaufe der Sitzungs-Periode, in welcher sie eingebracht und noch nicht zur Beschlußnahme gediehen sind, für erledigt zu erachten.“ 148 Ein zweiter Versuch der Durchbrechung des Abgeordneten Nöldechen im Jahr 1853 sah vor, dass Gesetzesvorlagen der Regierung, die nicht von beiden Kammern abschließend beraten worden waren, mit Genehmigung der Regierung in der darauffolgenden Sitzungsperiode weiterberaten werden konnten. Dabei musste die Vorlage bereits durch eine Kammer beschlossen und zur Beratung in die andere Kammer gelangt sein.149 Neben der steigenden Zahl an unerledigten Gesetzentwürfen und der Furcht, „umfangreiche Gesetze auf dem jetzigen Wege recht der Preußischen Monarchie, 1. Band, 1899, S. 349 Fn. 3. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 87. 145 Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 2.11.1850 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 1. Band, 1851, S. 93. 146 Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 2.11.1850 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 1. Band, 1851, S. 94. 147 Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 2.11.1850 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 1. Band, 1851, S. 95; Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 14 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 89. 148 Zitiert nach Güth/Kretschmer, Geschäftsordnungen deutscher Parlamente, 1968, Paragraph 125; so auch von Rönne/Zorn, Staatsrecht der Preußischen Monarchie, 1. Band, 1899, S. 349 Fn. 3. 149 Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 13.11.1852 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 3. Band, 1953, S. 1072 ff. von Rönne/Zorn, Staatsrecht der Preußischen Monarchie, 1. Band, 1899, S. 349 Fn. 3. Dazu auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 90 f.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
niemals zu Stande zu bringen“, wurde als Motiv auch angeführt, das schlechte Ansehen der Kammer in der Bevölkerung zu verbessern, indem man die Qualität der Beratung verbesserte und die Sessionen kürzte.150 Dabei sprach der liberale Görlitzer Abgeordnete Albert von Carlowitz zum ersten Mal vom „Princip der Diskontinuität“, welches hier durch diese eine Ausnahme beschränkt werde, aber durch keine weiteren Ausnahmen durchbrochen werden sollte.151 Trotz einzelner Bedenken grundsätzlicher Art wegen des zeitlichen Auseinanderfallens der Zustimmungen der Kammern, des damit verbundenen Eingriffs in die Kammerautonomie und der Beschränkung auf Regierungsvorlagen,152 stimmte die zweite Kammer dem Entwurf zu.153 Dabei signalisierte auch die Regierung grundsätzliche Zustimmung.154 In der ersten Kammer wurde der Entwurf dennoch abgelehnt, obwohl man zunächst offen und kompromissbereit war.155 Wie schon in der Zweiten Kammer156 befürchtete man auch hier einen zu starken Eingriff in das konstitutionell-monarchische Gefüge.157 Der König sei das alleinige permanente legislative Organ, und das Verfallen der unerledigten Arbeiten sei „ein allgemeines europäisches Rechtsbewusstsein und eine europäische Gewöhnung“, die „eine große Garantie für die monarchische Gewalt“ böte.158 Nach dieser Vorstellung ging alle legislative Gewalt vom König aus, welcher die durch Verfassung zur Mitwirkung bestimmten Kammern durch Berufung legiti150 So die Abgeordneten Nöldechen und von Carlowitz, Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 13.11.1852 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 3. Band, 1853, S. 1073, 1079. 151 Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 13.11.1852 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 3. Band, 1953, S. 1079. Jekewitz irrt, wenn er schreibt, dass der Abgeordnete Albert von Carlowitz davon gesprochen habe, dass die Kontinuitätsfrage nicht berührt sei (Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 91). 152 Dazu insbesondere die ausführliche Begründung des Abgeordneten Georg von Vincke, Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 13.11. 1852 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 3. Band, 1953, S. 1073 ff. 153 Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 13.11.1852 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 3. Band, 1953, S. 1080. 154 Konservative Ministerpräsident Otto Theodor von Manteuffel, Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 13.11.1852 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 3. Band, 1953, S. 1072. 155 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 15; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 91. 156 Hier tat sich insbesondere der Abgeordnete Wilhelm Adolf Lette hervor (Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 13.11.1852 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 3. Band, 1953, S. 1073). 157 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 92. 158 So der konservative Abgeordnete Friedrich Julius Stahl, dessen Wortwahl besonders bemerkenswert ist, wenn man bedenkt, dass das Diskontinuitätsprinzips erst wenige Jahre zuvor erstmals überhaupt normiert wurde (Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 13.11.1852 einberufenen Kammern, Erste Kammer, 2. Band, 1953, S. 1002 f.).
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mierte und deren Vollmacht durch Entlassung wieder entzog. Nicht vollendete Akte der dann nicht mehr bevollmächtigten Organe konnten somit auch keine Wirkung mehr haben und durften nicht fortgesetzt werden.159 Ein dritter Versuch, die Diskontinuität für Gesetzentwürfe nur noch am Ende der Legislaturperiode eintreten zu lassen, scheiterte 1871 selbst an jenem Prinzip.160 Der vierte Vorschlag der inzwischen in „Herrenhaus“ umbenannten ersten Kammer strebte 1874 sogar einen Verfassungszusatz an, der den Inhalt des Vorschlages von 1853 haben sollte. Auch dieser scheiterte, da die Bedenken gegenüber einer Verfassungsänderung größer als der erwartete Nutzen der Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips eingeschätzt wurden.161 Im Ergebnis hat sich in der Preußischen Parlamentspraxis die zunächst lose Praxis der eintretenden Diskontinuität zu einem Prinzip verdichtet, welches es zu verteidigen und nicht zu durchbrechen galt. Dennoch gab es – nicht nur in Preußen – eine einfache Möglichkeit, um die Folgen des Diskontinuitätsprinzips abzumildern. Die Regierung konnte Gesetzentwürfe, Abgeordnete ihre Anträge und Petenten ihre Petition, soweit sie unerledigt geblieben waren, in der nächsten Session wieder einbringen. Dabei waren die gewöhnlichen Verfahrensschritte einzuhalten, also auch solche aus der vorherigen Sitzungsperiode zu wiederholen, allerdings konnte dabei auf Vorarbeiten zurückgegriffen werden.162 Nachdem die Vertretungsorgane im Laufe des 19. Jahrhunderts auch das Recht zur Gesetzesinitiative bekommen hatten,163 nutzten sie diesen recht modernen Weg ebenfalls. Indem sie nämlich die verfallenen Gesetze der letzten Session, in der neuen Session erneut einbrachten, respektierten sie zwar das Diskontinuitätsprinzip, ließen die Gesetzentwürfe aber nicht 159
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 92. Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 92 f. 161 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 93. 162 Der Abgeordnete Eduard von Parpart wies als Berichterstatter der Geschäftsordnungskommission, welche die Aufnahme der sachlichen Diskontinuität in die Geschäftsordnung der ersten Kammer des preußischen Landtages vorschlug, explizit auf diese Rückgriffsmöglichkeit hin (Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 2.11.1850 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 1. Band, 1851, S. 93). Dagegen wurden aber die bereits oben genannten Gegenargumente des Abgeordneten Wilhelm von Brauchitsch vorgebracht (Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 2.11.1850 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 1. Band, 1851, S. 94). von Rönne/Zorn weisen sogar darauf hin, dass sich diese Rückgriffmöglichkeit „ganz von selbst versteht“ (Staatsrecht der Preußischen Monarchie, 1. Band, 1899, S. 349 Fn. 3). 163 Beispielsweise in Bayern durch Art. I, II „Gesetz, die ständische Initiative betreffend“ vom 4.6.1848, GBl. für das Königreich Bayern, S. 61 ff. In Preußen direkt durch Art. 61 Abs. 1 Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat“ vom 5.12.1848, auch nach der Revision beibehalten in Art. 64 Abs. 1 Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat“ vom 31.1.1850. In Württemberg erst durch Art. 6 „Verfassungs-Gesetz, betreffend einige Änderung des IX. Kapitels der Verfassungs-Urkunde“ vom 23.6.1874, Regierungs-Blatt für das Königreich Württemberg 1874, S. 177 ff. 160
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
endgültig verfallen.164 Die Durchbrechungsversuche in Preußen, wo die Kammern des Landtags bereits seit der Verfassung von 1848 das Gesetzesinitiativrecht bekamen, zeigt jedoch, dass auf diese Weise nicht sämtliche Folgen des Diskontinuitätsprinzips zufriedenstellend beseitigt werden konnten. Vollends durchbrechen konnte ein Wiedereinbringen das Diskontinuitätsprinzip nämlich nicht, da die Gesetzgebungsprozedur in diesem Fall von Neuem begann und viele Ergebnisse der früheren Session verfielen.165 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Wege, die beschritten wurden, um die Folgen der sachlichen und organisatorischen Diskontinuität abzumildern, sich unterschieden, ihnen allerdings gemein war, dass die Zustimmung des Monarchen dabei eine wesentliche Rolle spielte.166 Lediglich bei Vorhaben wie Petitionen an den Monarchen, die originär von dem Parlament selbst kommen konnten, reichte ein Beschluss des Parlaments, um den Entwurf in der nächsten Session weiterberaten zu können.167 Ansonsten haben diese Durchbrechungen häufig auf Initiative oder mit Zustimmung der Krone stattgefunden, was belegt, dass die Fürsten ebenfalls ein Interesse an solchen Ausnahmen hatten und das Diskontinuitätsprinzip nicht allein zum Nachteil des Parlaments eingesetzt wurde. In Preußen versteifte sich die Diskontinuität jedoch laut Jekewitz zum fundamentalen Prinzip der konstitutionellen Monarchie, welches den Einfluss des Monarchen gegenüber der Arbeit des Landtages sicherte.168 Das Diskontinuitätsprinzip verstärkte die Wirkung der monarchischen Eingriffsrechte gegenüber dem Parlament durch die Möglichkeit, das Parlament nicht nur zu pausieren, sondern auch die Parlamentsarbeiten abzubrechen. In dieser Form findet sich das Diskontinuitätsprinzip ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in allen Monarchien des Deutschen Bundes und wurde sowohl in der Staatspraxis wie in der Literatur anerkannt und angewandt.169 Die ursprüngliche Funktion des Diskontinuitätsprinzips im englischen Parlament, sich zumindest im Grundsatz über den Abschluss der parlamentarischen Arbeiten zu einigen,170 war dabei vollständig verloren gegangen.
164
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 76. Vgl. etwa die Ausführungen des Abgeordneten Nöldechen, Stenographische Berichte der durch die Allerhöchste Verordnung vom 13.11.1852 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 3. Band, 1953, S. 1073. 166 Anders Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (511) Fn. 10, der von „Kontinuität zur Disposition des Parlaments“ spricht. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 14. 167 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 13 f. 168 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 85 ff., 90, 92, 94 ff. 169 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 95 m.w. N. insbesondere zur Literatur. 170 Zu dieser Funktion: S. 37. 165
2. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in den Einzelstaaten des Deutschen Bundes 55
C. Entwicklung in den freien Städten des Deutschen Bundes Die von der Bundesakte begründete grundsätzlich ähnlich verlaufende monarchisch-konstitutionelle Entwicklung der Staaten innerhalb des Deutschen Bundes insbesondere auch mit Blick auf das Diskontinuitätsprinzip galt jedoch nicht für die freien Städte Bremen, Hamburg, Frankfurt und Lübeck.171 Diese behielten ihre republikanische Staatsform.172 Gem. Art. 62 der Wiener Schlussakte war Art. 13 der Bundesakte mit der daraus folgenden Pflicht zu einer „Landständigen Verfassung“ nur insoweit auf die freien Städte anwendbar, „als die besondern Verfassungen und Verhältnisse derselben es zulassen“.173 Auch Art. 57 der Schlussakte, welcher den Fürsten weiterhin die gesamte Staatsgewalt garantierte, bezog sich explizit nicht auf die freien Städte. In diesen wurde die Staatsgewalt stattdessen vom Senat als Regierungs- und Verwaltungsgremium und der Bürgerschaft als Vertretungsorgan bestimmter Bürger mit Mitbestimmungsrechten und Verwaltungsbefugnissen geteilt. Dabei waren Senat und Bürgerschaft zumindest in Teilen gleichgeordnet.174 Der Senat konnte die Bürgerschaft zwar berufen, jedoch gab es zumindest in Bremen und Lübeck auch die Möglichkeit, dass die Bürgerschaft durch eines ihrer Organe berufen wurde oder dies vom Senat begehrte.175 Die Hamburger Verfassung unterschied zwischen der ersten Berufung nach einer hälftigen Erneuerung alle drei Jahre, die allein dem Senat zustand und wozu dieser auch verpflichtet war, und allen weiteren Zusammenrufen durch die Kanzlei der Bürgerschaft.176 Wesentlicher für die Frage nach der Diskontinuität ist aber die Tatsache, dass der Senat in keiner freien Stadt die Möglichkeiten hatte, in die Arbeit der Bürgerschaft einzugreifen, indem er die Bürgerschaft vertagte, schloss oder auflöste. Es gab also
171 Die zunächst freie Stadt Frankfurt wurde 1866 als Folge des Deutschen Krieges von Preußen annektiert (dazu auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 96). 172 Vgl. § 3 Abs. 1 Verfassung der Freien Hansestadt Bremen von 21.2.1854. 173 Art. 62 Schluß-Acte der über Ausbildung und Befestigung des deutschen Bundes zu Wien gehaltenen Ministerial-Conferenzen. 174 Vgl. § 3 Abs. 2 Verfassung der Freien Hansestadt Bremen von 21.2.1854; Art. 6 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13.10.1879; Art. 4 Verfassung der Freien und Hansestadt Lübeck in der revidierten Fassung vom 7.4.1875. Etwas vorsichtiger zur Frage der Gleichordnung: Melle, Hamburgisches Staatsrecht, 1891, S. 42 ff. Zum Ganzen auch: Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 96 f. 175 Vgl. § 49 Verfassung der Freien Hansestadt Bremen von 21.2.1854; § 55 Verfassungs-Urkunde für die Freie und Hansestadt Lübeck nach dem Beschlusse vom 29.12. 1851 bzw. Art. 37 Verfassung der Freien und Hansestadt Lübeck in der revidierten Fassung vom 7.4.1875. 176 Art. 41, 50 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13.10.1879. Zu dieser Besonderheit Hamburgs unter den freien Städte Melle, Hamburgisches Staatsrecht, 1891, S. 45 f.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
keine von außen gesetzten Einschnitte in die Parlamentsarbeit.177 Diese große Selbstständigkeit und Souveränität der Bürgerschaften stellte eine zentrale Besonderheit der freien Städte gegenüber den Vertretungsorganen der monarchischen Staaten dar. Darüber hinaus erneuerte sich die Bürgerschaft stets nur teilweise und tagte dazwischen permanent.178 Die Mitglieder der Bürgerschaft wurden auf sechs Jahre gewählt, wobei die Hälfte nach drei Jahren in Bremen und Hamburg bzw. in Lübeck jeweils ein Drittel nach zwei Jahren ausschied und neu gewählt werden musste.179 Dieses System der Teilerneuerung kannten aber auch Vertretungsorgane in konstitutionellen Monarchien.180 Durch die Partialerneuerung konnte es in diesen Systemen keine einheitlichen Legislaturperioden geben. Da aber die Bürgerschaften in den freien Städten außerdem auch Verwaltungsaufgaben wahrnahmen, konnten sie nicht wie die Landtage in den konstitutionellen Monarchien nur für kurze Sessionen181 zusammengerufen werden, sodass auch keine kurzen Sitzungsperioden als Handlungseinheiten der Bürgerschaften entstanden.182 Statt Diskontinuität war die gesamte Verfassung auf Kontinuität ausgerichtet. Ohne Eingriffe von außen oder durch Ablauf von Zeitperioden im Sinne einer Periodizität gab es auch keine Anknüpfungspunkte für Diskontinuität. Auch nach der regelmäßigen Teilerneuerung wurden die Geschäfte grundsätzlich fortgeführt.183 Die Ergänzungswahlen, um einen Teil der Mandate neu zu vergeben, hatten keine Auswirkungen auf bis dahin unerledigte Verhandlungsgegenstände. Für eine sachliche Diskontinuität gab es in den freien Städten auch keinen der ursprünglichen Gründe. Die permanente Bürgerschaft musste anders als das englische Parlament nicht befürchten, dass sich der Senat durch Vertagung, Schließung oder Auflösung ihrer Kontrolle entzog, und anders als in den konstitutionellen
177 Melle, Hamburgisches Staatsrecht, 1891, S. 47. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 97, 99. 178 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 2; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 97. 179 Vgl. etwa § 40 Verfassung der Freien Hansestadt Bremen von 21.2.1854; Art. 38 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13.10.1879; § 36 Verfassungs-Urkunde für die Freie und Hansestadt Lübeck nach dem Beschlusse vom 29.12.1851 bzw. Art. 27 Verfassung der Freien und Hansestadt Lübeck in der revidierten Fassung vom 7.4.1875. S. auch Melle, Hamburgisches Staatsrecht, 1891, S. 113 f., 114 Fn. 1. 180 Vgl. etwa § 83 Neue Landschaftsordnung für das Herzogtum Braunschweig vom 12.10.1832. 181 Melle ist deshalb auch skeptisch, ob die Bezeichnung Sessionen überhaupt passt (Hamburgisches Staatsrecht, 1891, S. 46). 182 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 2; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 97 f. Zum Vergleich die Regeldauer von drei Monaten der Landtage der Braunschweiger Landesstände nach § 146 Neue Landschaftsordnung für das Herzogtum Braunschweig vom 12.10.1832. 183 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 2; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 98 f.
2. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in den Einzelstaaten des Deutschen Bundes 57
Monarchien des Reiches musste kein Übergewicht zu Gunsten eines Monarchen geschaffen werden. Schwieriger zu beurteilen, ist die Frage, ob es eine organisatorische und eine personelle Diskontinuität in den freien Städten gab. Mit Blick auf die organisatorische Diskontinuität ist zunächst festzustellen, dass die Bürgerschaft als abstrakt-institutionelles Organ kontinuierlich war. Es bestand permanent fort und unabhängig von den Ergänzungswahlen eines Teils seiner Mitglieder. Dass diese Kontinuität nicht nur für die Bürgerschaft selbst sondern auch für deren Organe galt, zeigt beispielsweise die Lübecker Verfassung, die für den Bürgerausschuss ebenfalls ein System der bloß partiellen Erneuerung vorschrieb,184 oder die Hamburger Verfassung, nach der jeweils nur die Plätze der ausgeschiedenen Mitglieder des Bürgerausschusses neu besetzt wurden.185 Auch das Präsidium und die Kommissionen waren als abstrakte Organe von Ergänzungswahlen nicht betroffen und blieben davon unabhängig bestehen. Gleiches galt für die Geschäftsordnung, die nicht zu jeder Sitzungsperiode neu beschlossen werden musste, sondern fortbestand, bis sie durch die Bürgerschaft abgeändert wurde.186 Insoweit gab es keine organisatorische Diskontinuität.187 Allerdings wurden die Mitglieder der Bürgerschaft und auch ihrer Organe regelmäßig auf Zeit gewählt,188 sodass es nicht an jeder Periodizität als Anknüpfungspunkt für Diskontinuität fehlt.189 Größtmögliche Kontinuität konnte nur dort herrschen, wo es überhaupt keine Wahlperioden gab wie etwa im Senat, in den die Mitglieder auf Lebenszeit gewählt waren.190 Umgekehrt konnte ein Wechsel von einzelnen Mitgliedern, die ihr Mandat aus Krankheit oder anderen Gründen niederlegten oder niederlegen mussten, noch keine Diskontinuität für das gesamte Organ begründen, da diese Ausnahmen keine wesentlichen Auswirkungen auf das Gesamtorgan hatten. Wo aber Neuwahlen eines erheblichen Teils der Mitglieder wie bei den Bürgerschaften selbst oder auch vollständige Neu184 § 67 f. Verfassungs-Urkunde für die Freie und Hansestadt Lübeck nach dem Beschlusse vom 29.12.1851 bzw. Art. 53 f. Verfassung der Freien und Hansestadt Lübeck in der revidierten Fassung vom 7.4.1875. 185 Art. 54 f. Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13.10.1879. 186 Melle, Hamburgisches Staatsrecht, 1891, S. 129 Fn. 2 a. E. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 98. 187 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 98. 188 Vgl. etwa § 54 Verfassung der Freien Hansestadt Bremen von 21.2.1854; § 48, 68 Verfassungs-Urkunde für die Freie und Hansestadt Lübeck nach dem Beschlusse vom 29.12.1851 bzw. Art. 34, 54 Verfassung der Freien und Hansestadt Lübeck in der revidierten Fassung vom 7.4.1875. 189 So aber Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 98. 190 Vgl. § 24 Abs. 1 Verfassung der Freien Hansestadt Bremen von 21.2.1854; Art. 10 Abs. 1 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13.10.1879; § 18 Verfassungs-Urkunde für die Freie und Hansestadt Lübeck nach dem Beschlusse vom 29.12.1851 bzw. Art. 11 Abs. 1 Verfassung der Freien und Hansestadt Lübeck in der revidierten Fassung vom 7.4.1875.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
wahlen derer Organe in regelmäßigen Abständen stattfanden, kann man auch eine regelmäßige (Teil-)Diskontinuität erblicken. Im Falle dieser wiederkehrenden (Teil-)Erneuerung endete das individuell-personelle Organ vollständig und ein neues entstand. So bestand eine konkret-personelle Bürgerschaft nur zwischen den Ergänzungswahlen in Hamburg und Bremen für drei, in Lübeck für zwei Jahre. Danach herrschte zwischen zwei Bürgerschaften als konkret-personelle Organe vollständige personelle Diskontinuität.191 Für das abstrakt-institutionelle Organ Bürgerschaft folgte hieraus aber auch eine personelle Teildiskontinuität. Das gleiche gilt, soweit sich Organe der Bürgerschaft erneuerten. Dies geschah nur partiell wie beispielsweise bei dem Lübecker Bürgerausschuss nach zwei Jahren192 oder aber vollständig wie beim Bremer Bürgervorstand nach einem Jahr.193 Zum Teil wurde diese Art der organisatorischen Diskontinuität sogar mit der partiellen personellen Diskontinuität der Bürgerschaft verknüpft.194 So wurde insbesondere der Vorstand der Hamburger Bürgerversammlung nach jeder Ergänzungswahl für ein Jahr neu gewählt.195 Besonders deutlich wird dieser Gleichlauf von Sitzungsperioden zwischen den Ergänzungswahlen und Arbeitsperioden der Organe in der Lübecker Verfassung, wo die Wahl des Wortführers der Bürgerschaft und seiner Stellvertreter „in der ersten nach Beendigung der alle zwei Jahre stattfindenden Ergänzungswahlen (. . .) berufenen Versammlung“ stattfinden musste.196 Die Lübecker Verfassung unterstreicht diese bewusste Diskontinuität auch, indem sie bestimmt, dass Wortführer und Mitglieder des Bürgerausschusses nicht sofort wiedergewählt werden können.197 Im Ergebnis lässt sich also festhalten, dass die Freien Städte aufgrund ihrer republikanischen Tradition und den auf Kontinuität der Mitglieder basierenden, permanenten Bürgerschaften einen Parlamentarismus herausgebildet haben, der 191 Deshalb spricht Melle nicht ganz zu Unrecht auch davon, dass eine neue Legislaturperiode nach der Ergänzungswahl beginnt (Hamburgisches Staatsrecht, 1891, S. 45). 192 Vgl. § 68 Verfassungs-Urkunde für die Freie und Hansestadt Lübeck nach dem Beschlusse vom 29.12.1851 bzw. Art. 54 Verfassung der Freien und Hansestadt Lübeck in der revidierten Fassung vom 7.4.1875. Der Hamburger Bürgerausschuss kannte eine solche regelmäßige Teilerneuerung jedoch nicht, vgl. Art. 54 f. Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13.10.1879. 193 Vgl. § 54 Verfassung der Freien Hansestadt Bremen von 21.2.1854. 194 Vgl. etwa die Formulierung in Art. 41 Abs. 2 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13.10.1879: „Mit dem Termine für die theilweise Erneuerung der Bürgerschaft hören die Functionen der bisherigen Bürgerschaft auf.“ 195 Melle, Hamburgisches Staatsrecht, 1891, S. 148 f. 196 Art. 34 Verfassung der Freien und Hansestadt Lübeck in der revidierten Fassung vom 7.4.1875. 197 Vgl. §§ 48 Abs. 2, 68 Abs. 2 Verfassungs-Urkunde für die Freie und Hansestadt Lübeck nach dem Beschlusse vom 29.12.1851 bzw. Art. 34 Abs. 2, 54 Abs. 2 Verfassung der Freien und Hansestadt Lübeck in der revidierten Fassung vom 7.4.1875.
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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sich deutlich von dem der monarchischen Staaten unterschied. Bereits mit Blick auf die organisatorische und die personelle Diskontinuität sind deutliche Unterschiede, aber natürlich auch Gemeinsamkeiten auszumachen. Die Bürgerschaft und ihre Organe sind wie die Vertretungen in den Monarchien abstrakt-institutionell kontinuierlich, aber konkret-personell diskontinuierlich. Allerdings zeigen die Verfassungen der freien Städte eine Tendenz zur Kontinuität bei ihren Parlamenten,198 die dennoch bewusst auch durch diskontinuierliche Elemente durchbrochen wurde. Diese Durchbrechungen sind jedoch seltener, regelmäßig und nicht von außen mehr oder weniger willkürlich bzw. im Interesse eines Monarchen gesetzt. Ohne ausgeprägte Legislatur- und vor allem Sitzungsperioden war auch die Ausprägung einer sachlichen Diskontinuität kaum möglich. Obwohl es mit den regelmäßigen Ergänzungswahlen zur Teilerneuerung der Bürgerschaft durchaus Einschnitte gab, an die eine sachliche Diskontinuität hätte anknüpfen können,199 hat sich ein solcher Grundsatz in den freien Städten nicht entwickelt. Daran konnten die Bürgerschaften auch kein Interesse haben, da es ihre auf Kontinuität angelegte Arbeit bloß künstlich unterbrochen hätte. Anders als in den Monarchien gab es auch keinen Gegenpart, der stark genug war, ihnen einen solchen Abbruch aufzuzwingen. Damit blieben die freien Städte Bremen, Hamburg und Lübeck eine interessante Ausnahme in der Entwicklung des deutschen Parlamentarismus im 19. Jahrhunderts, die zeigen, dass zumindest sachliche Diskontinuität keine zwingende Voraussetzung für ein funktionierendes Parlament ist. 3. Kapitel
Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich Der Deutsche Bund als Ordnungsrahmen für die soeben beschriebenen Staaten fand aufgrund des sich verstärkenden Konflikts zwischen den dominierenden Mächten Preußen und Österreich 1866 sein Ende. Ihm folgte der Norddeutsche Bund, dem im Zuge des Deutsch-Französischem Krieges 1870/71 auch die süddeutschen Staaten Baden, Bayern, Hessen und Württemberg beitraten und welcher nach dessen Proklamation im Spiegelsaal von Versailles im deutschen Kaiserreich aufging. Eine modifizierte Verfassung des Norddeutschen Bundes wurde daher auch als Verfassung des Deutschen Reichs am 16.4.1871 neu verkündet.200 198 Wobei die Bezeichnung „Parlamente“ hier ungenau ist, da die Bürgerschaften in ihrer Doppelfunktion auch Verwaltungsaufgaben wahrnahmen (Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 99 Fn. 275). 199 Anders Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 98 f. 200 „Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs“ vom 16.4.1871, RGBl. S. 63 ff.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
A. Parlamentarische Arbeitsperioden als Grundlage des Diskontinuitätsprinzips Grundlage für jede Diskontinuität war auch im deutschen Kaiserreich ein zeitlicher Einschnitt in die Parlamentsarbeit. Dabei meint Parlament im Kaiserreich allein den Reichstag. Trotz einer gewissen Nähe zwischen Bundesrat und Reichstag in manchen Vorschriften der Verfassung201 stellte der Bundesrat nämlich keine erste Kammer des Parlaments dar, wie es für das Zweikammersystem der monarchischen Einzelstaaten typisch gewesen wäre, sondern ein gesondertes, föderatives Organ.202 Aufgrund dieser Stellung außerhalb des parlamentarischen Bereichs galt für die Arbeit des Bundesrates gerade nicht das Diskontinuitätsprinzip. Zwar gab es zunächst auch im Bundesrat periodische Einschnitte, indem der Kaiser diesen gem. Art. 12 RV einberief und schloss, jedoch konnte in der darauffolgenden Sitzungsperiode nahtlos weiterverhandelt werden.203 Seit 1883 schloss der Kaiser den Bundesrat dann auch überhaupt nicht mehr, sodass dieser endgültig permanent tagte.204 I. Legislaturperioden Das Diskontinuitätsprinzip galt damit nur für den Reichstag als einzige Kammer des Parlaments. Den äußeren Rahmen bildete dabei die Legislaturperiode, welche am Tag der Wahl205 begann und zunächst nach drei, ab 1888 nach fünf Jahren endete.206 Daneben bestand die Möglichkeit, die Legislaturperiode durch die Auflösung des Reichstags vorzeitig zu beenden. Ein solches Auflösungsrecht stand dem Reichstag nicht selbst zu, sondern eine Auflösung geschah formal
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Vgl. etwa Art. 5 und 12 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871. Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 88 ff., 99 ff.; von Jagemann, Deutsche Reichsverfassung, 1904, S. 95 f., 118; Loening, Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches, 1913, S. 53 ff., 76 f. 203 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 17; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 115 f. 204 Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 12 II S. 309; von Jagemann, Deutsche Reichsverfassung, 1904, S. 88; Loening, Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches, 1913, S. 58; von Seydel, Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich, 1897, Art. 14 S. 168; Zorn, Die deutsche Reichsverfassung, 1919, S. 69. 205 Haym, Die Auflösung, 1912, S. 53; Laband, Staatsrecht, Band 1, 1911, S. 340 Fn. 1; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 509; Perels, Legislaturperiode des preußischen Hauses der Abgeordneten und des deutschen Reichstages, AöR 19 (1905), 1 (16); von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 252. A. A. Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 133. 206 Vgl. Art. 24 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871; geändert durch „Gesetz, betreffend die Abänderung des Artikels 24 der Reichsverfassung“ vom 19.3. 1888, RGBl. S. 110; auch Laband, Staatsrecht, Band 1, 1911, S. 340 Fn. 1; Loening, Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches, 1913, S. 84; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 509. 202
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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durch Beschluss des Bundesrates und mit Zustimmung des Kaisers.207 Tatsächlich initiierte die Krone durch die Reichsleitung im Bundesrat jedoch in allen Fällen die Auflösung des Reichstages. Der preußische Einfluss und der damit einhergehende Gleichklang der Überzeugungen führten in allen Fällen dazu, dass der Bundesrat einen entsprechenden Auflösungsbeschluss auch fällte.208 60 Tage nach der Auflösung mussten Wahlen stattfinden, und 90 Tage danach der Reichstag erstmals wieder einberufen werden.209 Weiteren Beschränkungen unterlag die Auflösung nicht,210 sodass die Reichsregierung dieses Instrument nutzen konnte, um bei politischen Konflikten eine für sie günstigere Reichstagsmehrheit zu erreichen.211 Dieser Eingriff in die personelle Zusammensetzung, d. h. der Entzug des Mandates für alle Abgeordneten, war auch das primäre Ziel der Auflösungen. Es ging nicht vorrangig um den Abbruch der Parlamentsarbeit im Sinne einer sachlichen Diskontinuität.212 Die Auflösung konnte den Reichstag in seiner abstrakt-institutionellen Existenz als Organ nicht beseitigen, da diese durch die Verfassung und bestimmte Mitwirkungsrechte insbesondere bei der Gesetzgebung gesichert war, wie dies die Bundesakte zuvor bereits für die Einzelstaaten des Deutschen Bundes tat.213 In der Zeit des Kaiserreichs von 1871 bis 1918 wurden fünf der 13 Legislaturperioden durch vorzeitige Auflösung des Reichstags beendet.214 II. Sessionen Neben der Legislaturperiode war die Session oder die synonym verwendete Sitzungsperiode der zweite große Tätigkeitsabschnitt der Arbeit des Reichs207 Vgl. Art. 24 Satz 2 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871. Auch Haym, Die Auflösung, 1912, S. 48; Laband, Staatsrecht, Band 1, 1911, S. 343 f.; Loening, Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches, 1913, S. 60; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 509 f. 208 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 107 f. 209 Art. 25 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871. 210 Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 135 f.; Haym, Die Auflösung, 1912, S. 49. 211 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 18; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 108. 212 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 30 Fn. 101; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 108. Auch Haym deutet in seiner umfassenden Darstellung des Auflösungsrechts diese Folge mit Blick auf den Reichstag nur über einen Verweis auf das preußische Recht an (Die Auflösung, 1912, S. 39, 55). 213 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 18; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 108. 214 In den Jahren 1873, 1878, 1887, 1893 und 1906 erging jeweils eine „Verordnung, betreffend die Auflösung des Reichstags“ (vgl. die RGBl. der entsprechenden Jahre: S. 371, 103, 1, 155, 873). So auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 18. Zum Teil wird fälschlicherweise von lediglich vier Auflösungen gesprochen (etwa Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2021, Rn. 436; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band III, 1988, S. 883).
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
tages.215 Dabei entsprach es den konstitutionellen Vorstellungen der Zeit, dass Beginn und Ende der Sessionen allein von der Krone bestimmt wurde. Ganz diesem Ideal aus den monarchischen Einzelstaaten folgend hatte nur der Kaiser das Recht, den Reichstag (und den Bundesrat) zu berufen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen.216 Damit hatte der Reichstag kein Selbstversammlungsrecht. Anders als das englische Parlament, aber genau wie die Vertretungsorgane in den Einzelstaaten des Deutschen Bundes hatte er darüber hinaus auch kein Selbstvertagungsrecht.217 Während der Bundesrat seine Berufung durch den Kaiser mit einem Drittel der Stimmen verlangen konnte,218 stand den Mitgliedern des Reichstags ein solches Recht nicht zu. Man war sich darüber hinaus einig, dass eine eigenmächtige Versammlung verfassungswidrig, möglicherweise sogar strafbar war und gefasste Beschlüsse in jedem Fall keine rechtliche Wirkung hatten.219 Dennoch war der Kaiser in der Berufung des Reichstags nicht völlig frei. Neben der Einberufungspflicht 90 Tage nach einer Auflösung musste der Reichstag (und der Bundesrat) gem. Art. 13 RV auch mindestens einmal jährlich einberufen werden. Dabei konnte der Bundesrat vor dem Reichstag aber nicht der Reichstag vor dem Bundesrat berufen werden.220 Typischerweise wurde das Parlament im November zur Beratung des Haushaltsgesetzes für das neue im darauffolgenden April beginnende Haushaltsjahr versammelt. Der Kaiser berief das Parlament aber auch darüber hinaus zu außerordentlichen Sessionen.221 Durch die Berufung allein war der Reichstag aber noch nicht handlungsfähig. Die Eröffnung durch den Kaiser oder einen von diesem damit betreuten Würdenträger musste hinzukommen. Erst im Anschluss konstituierte sich der Reichstag, und die Session be-
215
Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 17 f., 18 Fn. 14. Vgl. Art. 12 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871. Auch Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 83, 131; Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 12 I–V S. 308 ff.; Loening, Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches, 1913, S. 84; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 511; von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 255, 257, 260 ff.; Zorn, Die deutsche Reichsverfassung, 1919, S. 68. 217 Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 131 f.; Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 12 I, IV S. 308 ff.; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S.512; von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 260. 218 Vgl. Art. 14 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871. 219 Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 129 f.; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 511; von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 262. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 109 f. 220 Vgl. Art. 13 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871. 221 Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 130; Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 12 II S. 309 f.; von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 255 f. 216
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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gann.222 Dabei gab es keine Mindest- oder Höchstdauer einer Sitzungsperiode. So kam es zu Sessionen, die wenige Tage223 oder mehrere Jahre224 dauerten. Die Sitzungsperioden wurden dabei tendenziell immer länger. Ab 1898 war jede Sitzungsperiode länger als ein Jahr. Auch davor hatten die Sessionen eine Durchschnittsdauer von vier Monaten.225 Diese Verlängerung der Versammlungszeit ist Ausdruck der steigenden Mitwirkung und der damit einhergehenden Stärkung der Machtposition des Reichstags.226 Das Gegenstück zur Eröffnung der Session war die Schließung durch den Kaiser. Dieser unterlag dabei keinen Beschränkungen.227 Nicht jede Session endete mit dem formellen Schluss durch den Kaiser. Das Ende einer Session konnte auch mit dem Ende einer Legislaturperiode zusammenfallen. Dann endete die Sitzungsperiode mit der Auflösung des Reichstages oder dem Ablauf der Legislaturperiode. Zu letzterem Fall ist es nicht gekommen, da vor jedem Ablauf der Legislaturperiode eine formelle Schließung oder zumindest eine Auflösung stattgefunden hat. Doch selbst vor Auflösungen wurde in den ersten Jahren des Reiches eine Schließung beschlossen,228 während später die Auflösung als Ende der Legislaturperiode gleichzeitig den Effekt einer Schließung umfasste.229 Dies sieht man besonders deutlich daran, dass nach dem Verlesen der kaiserlichen Verordnung einer Schließung gem. Art. 12 RV oder Auflösung gem. Art. 24 RV am Ende der letzten Sitzung durch einen Regierungsvertreter in allen Fällen die sich gleichende Formulierung folgte: „Auf Befehl Seiner Majestät des Kaisers erkläre ich im Namen der verbündeten Regierungen die Session des Reichstags
222 Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 12 III S. 310, von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 257. 223 So z. B. die 3. Session der 5. Legislaturperiode vom 29.8.–1.9.1883 oder die 3. Session der 6. Legislaturperiode vom 16.–20.9.1886 (zitiert nach der Aufstellung von Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 88 f.). So auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 19 Fn. 27. 224 So z. B. die 3. Session der 10. Legislaturperiode vom 14.11.1900–30.4.1903 und sämtliche Sessionen der 12. und 13. Legislaturperiode (zitiert nach der Aufstellung von Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 88 f.). Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 19 Fn. 28. 225 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 19; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 112. 226 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2021, Rn. 494; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 112. 227 von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 261. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 18 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 111. 228 So in den Jahren 1873 und 1878, vgl. Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 19 Fn. 24. 229 So in den Jahren 1887 und 1893, vgl. Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 136. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 19 Fn. 24; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 111.
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für geschlossen.“ 230 Damit ging dem Ende aller dreizehn Legislaturperioden entweder eine formelle Schließung der letzten Session oder eine Auflösung mit dem gleichen Effekt einer Schließung voraus. Der Reichstag wurde also nie durch Zeitablauf in seiner Tätigkeit unterbrochen, sondern immer durch einen bewusst gesetzten Einschnitt von außen. III. Sessionsabschnitte Als letzte Gestaltungsmöglichkeit hatte der Kaiser das Recht, den Reichstag zu vertagen. Eine Vertagung pausierte die Arbeit des Parlaments, ohne das Ende der Session zu bewirken. Auf diese Weise konnte eine Session in Tagungen oder Sessionsabschnitte eingeteilt werden.231 Gem. Art. 26 RV konnte der Kaiser ohne Zustimmung des Reichstags diesen lediglich für eine Frist von 30 Tagen vertagen und dies nicht in derselben Session wiederholen. Daraus wurde jedoch nicht der naheliegende Schluss gezogen, dass jede zweite Vertagung innerhalb einer Session der Zustimmung des Reichstags bedurfte, sondern lediglich, dass eine Höchstfrist von 30 Tagen pro Session bestand. Dabei konnten die 30 Tage aber auch über mehrere Vertagungsperioden einer Session verteilt werden. Erst wenn diese Höchstgrenze erreicht war, sollte eine Wiederholungsvertagung ohne Zustimmung ausscheiden.232 Die Frage, welche Folgen ein Verstoß gegen die Vorschrift hatte, ob sich der Reichstag nach 30 Tagen beispielsweise wieder selbst versammeln durfte,233 wurde mangels eines Verstoßes nie relevant.234 Dennoch ist ein beschränktes Vertagungsrecht bei einem unbeschränkten Schließungsrecht keineswegs sinnlos, obwohl der Kaiser immer die Schließung anordnen konnte, wenn die Zustimmung zu einer weitergehenden Vertagung ver230 So ohne die Hervorhebung der Staatsminister Karl Hofmann am 24.5.1878 als Beispiel für eine Schließung der eine spätere Auflösung folgte (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, 3. Legislaturperiode, II. Session 1878, 2. Band, S. 1557). Vgl. die ähnliche Formulierung von Staatsminister Karl Heinrich von Bötticher zu einer regulären Schließung am 24.5.1878 (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, 4. Legislaturperiode, IV. Session 1881, 2. Band, S. 1786) und Reichskanzler Otto von Bismarck am 14.1.1887 vor der ersten Auflösung, die gleichzeitig die Sitzung schließt (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, VI. Legislaturperiode, IV. Session 1886/87, 1. Band, S. 433). 231 Belz weist darauf hin, dass die Reichsverfassung selbst die Begriffe nicht nutzt, sie aber in der Literatur anerkannt waren und im Fall von Sessionsabschnitten auch im amtlichen Sprachgebrauch genutzt wurden (vgl. etwa Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, XI. Legislaturperiode, II. Session 1905/1906, 1. Sessionsabschnitt, 1.–4. Band; Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 18 Fn. 15, 19). 232 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 113. Gegen diese Ansicht Kieschke, Vertagung, Schließung und Auflösung des Deutschen Reichstags, 1907, S. 23 f. 233 So etwa Kieschke, Vertagung, Schließung und Auflösung des Deutschen Reichstags, 1907, S. 24. Dagegen Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 132. 234 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 113.
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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sagt wurde.235 Die Schließung hatte jedoch weitergehende Folgen, die der Kaiser durch die Entscheidung für eine bloße Vertagung möglicherweise gerade zu verhindern suchte. So ist es auch nie zu einer Schließung gekommen, weil der Reichstag die Zustimmung zu einer Vertagung verweigerte.236 Die Schließung und Vertagung sind gerade zwei verschiedene Instrumente, die nicht willkürlich zum Einsatz gebracht wurden.237 Das beide in den Händen des Monarchen lagen, ist ein schon aufgezeigter wesentlicher Unterschied des kontinentalen Konstitutionalismus zu der englischen Parlamentspraxis, wo die Vertagung gerade als Mittel des Königs, sich der Kontrolle des Parlaments zu entziehen, bekämpft wurde. Aus diesem Grund ist es für die schwächere Rolle des Parlaments im deutschen Kaiserreich geradezu bezeichnend, dass der Reichstag sich nicht selbst vertagen konnte, sondern die Zeiten seiner Tätigkeit vollkommen in der Hand des Kaisers lagen.238 Die Praxis machte aber bereits sehr früh eine Form der selbst gewählten Pausen der Reichstagstätigkeit notwendig, sodass man diesem den informellen Weg zugestand, durch Mehrheitsbeschluss Sitzungen zu verschieben239 und dadurch sich faktisch doch selbst zu vertagen. Dieser Zeitraum konnte Stunden, Tage oder sogar Wochen betragen.240 Für diese Verschiebung wurde auch der Begriff „Vertagung“ verwendet, auch wenn man diese streng von dem Vertagen durch den Kaiser unterschied, da nur letzteres eine Rechtswirkung haben konnte.241 Tatsächlich war jedoch kein Unterschied in der Rechtswirkung zu erkennen.242 Im Ergebnis gab es also vier unterscheidbare Arten, nach denen die Arbeit des Reichstages zeitlich strukturiert wurde. Zunächst bestand der zwingende Rahmen der Legislaturperiode von drei bzw. fünf Jahren ab 1888. Diese konnte durch 235 So aber Belz weist selbst auf die Folge der Diskontinuität nach einer Schließung hin (Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 19 f.). 236 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 113, 114 Fn. 76 mit Hinweis auf die damit rein theoretischen Überlegungen von Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 19 f. 237 Selbst Belz sieht dies an anderer Stelle so (Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 11). 238 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 114. 239 Vgl. etwa den Beschluss am Ende der ersten Sitzung des Reichstags, die zweite Sitzung um einen Tag zu verschieben, um den 74. Geburtstag von Kaiser Wilhelm gemeinsam zu begehen (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 6). Auch Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 131 f.; Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 12 IV S. 311 f.; von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 260 Fn. 5. 240 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 114. 241 Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 131 f. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 21. 242 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 115.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
Schließung in Sessionen unterteilt werden. Auch die Sessionen konnten durch kaiserliche Vertagung wiederum in Sessionsabschnitte unterteilt werden. Schließlich bestand jede Session oder Sessionsabschnitt aus einzelnen Sitzungen, deren Beginn und Ende wiederum von Reichstag selbst bestimmt wurden und mittels derer Verschiebung eine selbstständige „Vertagung“ des Reichstages möglich war.
B. Auswirkungen des Diskontinuitätsprinzips, insbesondere im Gesetzgebungsverfahren Die aufgezeigten zeitlichen Strukturierungsmöglichkeiten des Kaisers konnten nicht alle den gleichen Effekt auf den Reichstag haben, da sie sonst in ihrer Ausdifferenziertheit unnötig gewesen wären. Allerdings hatten sie alle gemeinsam, dass die Arbeit des Reichstags unterbrochen und für eine erneute Versammlung eine Einberufung durch den Kaiser abgewartet werden musste.243 Wäre es zu eigenmächtigen Versammlungen in der Zwischenzeit gekommen, hätte diesen die kaiserliche Autorisierung gefehlt und sie wären verfassungswidrig gewesen.244 Im Gegensatz dazu fehlte einer rein tatsächlichen Unterbrechung, beispielsweise wenn sich der Reichstag aus bestimmten Gründen selbst „vertagte“ oder einfach ohne einen solchen Beschluss aus tatsächlichen Gründen pausierte, dieser zwingende Charakter. Deshalb kann nur in den Fällen einer kaiserlichen Anordnung zur Unterbrechung von einer rechtlichen Unterbrechung gesprochen werden.245 Nur in diesen Fällen ist auch das Diskontinuitätsprinzip sinnvoll, da das Eintreten der Diskontinuitätsfolgen nach jeder tatsächlichen Unterbrechung die Arbeit des Reichstags faktisch lahmgelegt hätte. Soweit Jekewitz246 diese wichtige Unterscheidung zwischen kaiserlicher Vertagung und rein tatsächlichen Unterbrechungen klein zu reden versucht, ist dies wohl damit zu erklären, dass er Diskontinuität und Periodizität eng verknüpfen möchte und die Periodizität durch kaiserliche Vertagung eine Ausnahme im Vergleich zu den sonstigen kaiserlichen Eingriffsmöglichkeiten darstellt. Es gilt jedoch im Gegenteil, dass eine rechtliche Unterbrechung lediglich eine Voraussetzung für Diskontinuität, aber nicht hiermit gleichzusetzen ist.247 Über die Unterbrechung der Parlamentsarbeit hinaus 243 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 20; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 117. 244 Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 130. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 109. 245 So zutreffend Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 20 Fn. 32; gegen ihn: Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 117 Fn. 103. 246 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 117. 247 Belz kritisiert Scheuner für seine Umschreibung des Diskontinuitätsprinzips als „Prinzip der Unterbrechung“ daher zu Recht (Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 25 gegen Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (511)). So auch an anderer Stelle Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 138.
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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verlangt Diskontinuität auch einen Abbruch der Parlaments, Organ- und/oder Mandatstätigkeit. I. Vertagung Die Vertagung hatte keine dieser Folgen eines Abbruches. Sie stellte lediglich eine vorübergehende, kurzzeitige Unterbrechung dar, die keine weitergehenden Folgen haben sollte. Die Abgeordneten verloren durch eine Vertagung nicht ihr Mandat. Das Reichsgericht stellte auch fest, dass die Abgeordneten während einer Vertagung ihre Abgeordnetenrechte, insbesondere die Immunität, weiter besaßen.248 Es sprach davon, dass einer Vertagung schon begrifflich innewohnt, dass eine Angelegenheit von einem auf den anderen Tag verschoben werden soll.249 Entsprechend konnte die Parlamentstätigkeit nach einer Vertagung auch an dem gleichen Punkt wiederaufgenommen werden. Darüber hinaus mussten auch die einzelnen Organe wie Präsidium und Kommissionen nicht neu besetzt oder konstituiert werden.250 Es wurde deshalb auch vom Grundsatz der Kontinuität gesprochen.251 Die Frage, ob die Kommissionen auch während der Vertagung des Reichstags sich versammeln durften, die in diesem Zusammenhang oft diskutiert wird,252 betrifft allein die Wirkung der Unterbrechung und spielt für das Diskontinuitätsprinzip keine Rolle, da die Vertagung eben gerade keinen Abbruch in irgendeiner Form bewirkte. Verneint man mit der sich durchsetzenden Staatspraxis und der herrschenden Literaturansicht ein Versammlungsrecht der Kommissionen,253 verdeutlicht dieser Streit zum einen, dass die Folgen der kaiserlichen Eingriffe zum Teil nicht immer eindeutig geregelt waren, und zum anderen, dass selbst eine so umfassend verstandene Unterbrechung keinen Abbruch im Sinne einer Diskontinuität bedeutete.
248 RGSt 22, S. 379 ff. Vgl. auch Butzer, Immunität im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 283 f. 249 RGSt 22, S. 384 f. 250 Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 132; Laband, Staatsrecht, Band 1, 1911, S. 342. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 119. 251 von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 261. Ähnlich Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 12 V S. 312; G. Jellinek, Besondere Staatslehre, in: Ausgewählte Schriften und Reden, 1911, S. 247; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 511; Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes, 1. Buch, 1881, S. 495. 252 So etwa Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 12 IV S. 311; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 511 Fn. 5. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 20; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 117 f. 253 Dazu ausführlich Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 117 f.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
II. Schließung Im Gegensatz zur Vertagung führte die Schließung nicht lediglich zur Unterbrechung der Tätigkeit des Reichstages, sondern zu einem umfassenden Abbruch. Dieser hatte sowohl den Effekt einer organisatorischen wie auch einer sachlichen Diskontinuität, aber nicht den einer personellen Diskontinuität. 1. Sachliche Diskontinuität
Die sachliche Diskontinuität erfasste zunächst alle eingebrachten, aber nicht vollständig bearbeiteten Anträge, Vorlagen und Initiativen.254 Sollten sie in der nächsten Session weiterberaten werden, mussten sie erneut eingebracht werden, wodurch der jeweils vorgesehene Bearbeitungsprozess von Neuem begann.255 War der Bearbeitungsprozess jedoch bereits abgeschlossen, hatte die Vorlage den Reichstag damit verlassen und war vom Diskontinuitätsprinzip nicht mehr betroffen.256 Die sachliche Diskontinuität ist der Teil des Diskontinuitätsprinzips, der ab jener Zeit im Fokus stand und unter anderem in § 70 Geschäftsordnung des Reichstags Niederschlag fand, welcher mit der ersten, bereits angesprochenen Normierung in § 22 Geschäftsordnung der Zweiten Kammer des Preußischen Landtages nahezu identisch war.257 Obwohl die Geschäftsordnung nur exemplarisch eingebrachte Gesetzesvorlagen, Anträge und Petitionen als mit dem Schluss der Session als erledigt erklärte, wurde der Effekt der sachlichen Diskontinuität umfassend verstanden und erfasste alle parlamentarischen Beratungsgegenstände. Dennoch fokussierte sich die zeitgenössische und auch spätere Diskussion um das Diskontinuitätsprinzip hauptsächlich auf die Auswirkung im Gesetzgebungsverfahren.258 254 Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 133; Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 12 V S. 312; G. Jellinek, Besondere Staatslehre, in: Ausgewählte Schriften und Reden, 1911, S. 248; Perels, Legislaturperiode des preußischen Hauses der Abgeordneten und des deutschen Reichstages, AöR 19 (1905), 1 (23 f.). 255 Perels, Legislaturperiode des preußischen Hauses der Abgeordneten und des deutschen Reichstages, AöR 19 (1905), 1 (23); Laband, Staatsrecht, Band 1, 1911, S. 342. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 23. 256 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 23; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 124. 257 § 70 GO-RT lautete: „Gesetzes-Vorlagen, Anträge und Petitionen sind mit dem Ablaufe der Sitzungs-Periode, in welcher sie eingebracht und noch nicht zur Beschlußnahme gediehen sind, für erledigt zu erachten.“ Einziger Unterschied ist, dass nun „Gesetzes-Vorlagen“ statt „Gesetzes-Vorschlägen“ genannt werden. Hierzu insbesondere die Übersicht der Vorgänger und Nachfolger von § 70 GO-RT in Güth/Kretschmer, Geschäftsordnungen deutscher Parlamente, 1968, Paragraph 125. 258 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 124. Vgl. etwa Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 133; Kieschke, Vertagung, Schließung und Auflösung des Deutschen Reichstags, 1907, S. 39 ff.; Laband, Staatsrecht, Band 1, 1911, S. 342 f.; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 360, 511.
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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In Bezug auf das Schicksal von Gesetzesinitiativen, die im Reichstag eingebracht, aber vor einem Schluss der Session nicht mehr beschlossen wurden, herrschte Einigkeit. Unabhängig davon, ob sie ursprünglich vom Reichstag selbst oder vom Bundesrat stammten, verfielen sie mit dem Sessionsende.259 Dies führte dazu, dass der Reichstag Gesetzesinitiativen des Bundesrates, ohne diese ausdrücklich abzulehnen, durch (bewusste) Verzögerung dem Diskontinuitätsprinzip zum Opfer fallen lassen konnte. Damit konnte das Initiativrecht des Bundesrates ausgehöhlt werden. Dies traf insbesondere auch die Reichsleitung und den Kaiser, die zwar kein eigenes Initiativrecht hatten, allerdings über die preußischen Vertreter im Bundesrat einen erheblichen Teil der Gesetzentwürfe einbrachten.260 Spiegelbildlich hierzu stellt sich die Frage, ob auch der Bundesrat Gesetzentwürfe, welche der Reichstag beschlossenen hatte, in einer gewissen Zeit behandeln musste oder ob diese zu einem bestimmten Zeitpunkt verfielen.261 Die Frage hatte deshalb eine besondere Bedeutung, da Art. 7 Abs. 1 Ziffer 1 RV trotz der angelegten Gleichstellung des Bundesrats und des Reichstags, wie sie etwa in Art. 5 Abs. 1 RV zum Ausdruck kommt, dem Bundesrat eine weitergehende Stellung bei dem Zustandekommen von Gesetzen einräumte. Danach hatte der Bundesrat das letzte Wort bei allen Gesetzesvorlagen. Gesetzesinitiativen des Bundesrates wurden im Namen des Bundesrates durch den Kaiser im Reichstag eingebracht. Umgekehrt wurden die Initiativen des Reichstages von dessen Präsident an den Reichkanzler weitergeleitet, welcher sie sodann in den Bundesrat einbrachte. Das gleiche Verfahren galt jedoch auch für Bundesratsinitiativen, nachdem sie im Reichstag beraten wurden, selbst wenn sie der Reichstag unverändert beschlossen hatte.262 Auch in diesem Fall war der Bundesrat nicht mehr an seine ursprüngliche und gegebenenfalls vom Reichstag unveränderte Initiative gebunden und konnte frei über seinen eigenen Entwurf beschließen. Dagegen war der Reichstag an seinen einmal gefassten Beschluss gebunden, sobald dieser den Reichstag verlassen hatte.263 Damit wich das Gesetzgebungsverfahren wie die gesamte Verfassungsstruktur des deutschen Kaiserreichs durch das besondere, föderative Organ des Bundesrates von typischen konstitutionellen Monarchien ab. Nach der herrschenden Meinung sanktionierte der Bundesrat und nicht wie sonst im Konstitutionalismus üblich der Monarch durch seinen finalen Beschluss die
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Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 127. Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 178; von Jagemann, Deutsche Reichsverfassung, 1904, S. 87 f. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 126 f. 261 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 25; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 129 ff. 262 Laband, Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, DJZ 1904, Sp. 321 (326). Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 126 ff. 263 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 128. 260
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
Gesetze.264 Der Kaiser hatte dagegen formal eine untergeordnete, nicht inhaltlich gestaltende Rolle in der Gesetzgebung, da er lediglich für die Ausfertigung und Verkündung zuständig war.265 Als sich 1871 zum ersten Mal die Frage stellte, ob der Bundesrat eine in der vergangenen, geschlossenen Session des Reichstages beschlossene Vorlage weiterberaten und seine Zustimmung erteilen durfte, schien das Vorgehen der Reichsregierung die Frage auch bereits zu beantworten. Sie legte die entsprechenden Gesetzentwürfe dem Reichstag in der von ihm bereits verabschiedeten Form erneut zum Beschluss vor.266 Dieses Vorgehen wurde damit begründet, dass, „ungeachtet des nunmehr vorhandenen Einverständnisses, die Verkündung der Gesetze nicht angemessen“ erschien, nachdem der Reichstag bereits zu einer neuen Session zusammengerufen wurde.267 Dieses Vorgehen wurde im Reichstag auch ausdrücklich begrüßt, und es sollte in ähnlichen Fällen immer so verfahren werden.268 Es blieb jedoch ein Einzelfall.269 Im Gegenteil gab es in der weiteren Staatspraxis immer wieder Fälle, in denen der Bundesrat seine Zustimmung auch nach Schluss der Session des Reichstages, sogar zum Teil nach dem Ende der Legislaturperiode erteilte.270 Das prägendste Beispiel stellt das Gesetzgebungsverfahren dar, welches die Aufhebung eines während des Kulturkampfs zur Einschränkung 264 Dies war auch in der zeitgenössischen Literatur anerkennt: Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 107, 183; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 681; Laband, Staatsrecht, Band 2, 1911, S. 29 ff., insbesondere S. 33 m.w. N.; Loening, Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches, 1913, S. 49; von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 2, 1877, S. 48 ff.; von Seydel, Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich, 1897, Art. 5 I S. 117; Zorn, Die deutsche Reichsverfassung, 1919, S. 52. A. A. und ausführlich zum Streit, ob die Sanktion dem Bundesrat oder dem Kaiser zustand: E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band III, 1988, S. 922 ff. 265 Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 682; von Seydel, Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich, 1897, Art. 17 I S. 171. Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 125 f. 266 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 1. Legislaturperiode, II. Session 1871, 2. Band, S. 10 ff. S. auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 26; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 129. 267 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 1. Legislaturperiode, II. Session 1871, 2. Band, S. 16. 268 So der Abgeordnete August Grumbrecht, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, II. Session 1871, 1. Band, S. 51. 269 Kieschke, Vertagung, Schließung und Auflösung des Deutschen Reichstags, 1907, S. 44 f. Auch Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 31; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 130. 270 Etwa die Beispiele des Staatssekretärs des Reichsjustizamts Arnold Nieberding, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, XI. Legislaturperiode, I. Session, 1. Sessionsabschnitt 1903/1904, 3. Band, S. 2083 D f.
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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der Tätigkeiten des Jesuitenordens erlassenen Gesetzes zum Ziel hatte.271 Die Abgeordneten des katholisch geprägten Zentrums hatten sich bereits 1884 mit Anträgen dafür eingesetzt, die jedoch erst in der achten Legislaturperiode die Zustimmung einer Reichstagsmehrheit fanden. Auch in der neunten und zehnten Legislaturperiode beschloss der Reichstag Vorlagen mit diesem Ziel. Erst für den Entwurf aus dem Jahr 1899 ist gesichert, dass der Bundesrat auf eine Interpellation des Zentrums überhaupt Stellung nahm und einen Beschluss noch in der Session geplant war.272 Nachdem der Bundesrat fünf Jahre lang dem Entwurf weder zustimmte noch ihn ablehnte, fasste der Bundesrat schließlich in der neuen elften Legislaturperiode des Reichstags einen positiven Beschluss und das Gesetz wurde am 8. März 1904 ausgefertigt und verkündet.273 Beide Extremfälle wurden in der staatsrechtlichen Literatur als Argumente genutzt, um die Frage zu beantworten, ob der Bundesrat in seiner Beschlussfassung zeitlich begrenzt sei. Für die zeitliche Begrenzung wurde zunächst der Wortlaut des Art. 13 RV angeführt, welcher nach dieser Ansicht vorsah, dass der Bundesrat grundsätzlich gemeinsam mit dem Reichstag versammelt sein sollte und nur ausnahmsweise zur Vorbereitung, also gerade nicht zur Sanktion von Gesetzen, ohne den Reichstag zusammengerufen werden durfte.274 Nachdem der Bundesrat permanent tagte, war eine Unterscheidung in Vor- und Nachbereitung allerdings gar nicht mehr möglich.275 Als weiteres Argument sollte eine Begrenzung der Sanktionsmöglichkeit daraus folgen, dass das Gesetzgebungsverfahren wegen des Diskontinuitätsprinzips bis zur nächsten Session abgeschlossen sein müsse.276 Dagegen wandte die Gegenansicht ohne weitere Begründung ein, dass das Diskontinuitätsprinzip lediglich für das Parlament Geltung entfalte.277 Für den Reichstag
271 Zum Ganzen: Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 5 A 3 f) S. 178 f.; Müller-Meiningen, Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, in: Annalen des deutschen Reiches 1904, 301 ff. 272 So der Staatssekretär des Inneren Arthur von Posadowsky-Wehner, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, X. Legislaturperiode, II. Session 1900/1902, 4. Band, S. 3693 B. 273 „Gesetz, betreffend die Aufhebung des § 2 des Gesetzes über den Orden der Gesellschaft Jesu vom 4.6.1872 (Reichs-Gesetzbl. von 1872 S. 253)“ vom 8.3.1904, RGBl. S. 139. S. auch Müller-Meiningen, Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, in: Annalen des deutschen Reiches 1904, 301 f. 274 Hiersemenzel, Verfassung des Norddeutschen Bundes, 1867, Art. 13 1. Bemerkung S. 53. 275 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 132. Ähnlich Kieschke, Vertagung, Schließung und Auflösung des Deutschen Reichstags, 1907, S. 43. 276 Hiersemenzel, Verfassung des Norddeutschen Bundes, 1867, Art. 13 1. Bemerkung S. 53; von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 2, 1877, S. 51; Zorn, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Band, 1895, S. 420 Fn. 40. 277 Laband, Staatsrecht, Band 2, 1911, S. 35; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 663 Fn. c.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
war das Gesetzgebungsverfahren in den betroffenen Konstellationen aber abgeschlossen, sodass das Diskontinuitätsprinzips in diesem Fall nicht eingreife.278 Die Ansicht,279 nach der zumindest die Legislaturperiode die Grenze darstellen sollte, begründete dies damit, dass nach dem Ende der Legislaturperiode der Reichstag, der ursprünglich den Entwurf verabschiedet hatte, nicht mehr existiere und damit seine Autorität an seinen Nachfolger verloren habe. Dass mit Neuwahlen das Volk seinen neuen Willen regelmäßig kundtut, könne auch für den Bundesrat nicht ohne Bedeutung bleiben, da dieser Volkswille in der Gesetzgebung neben dem Willen des Bundesrats gleichberechtig sein sollte.280 Dem entgegnete die Ansicht,281 welche für eine unbeschränkte Zustimmungsfähigkeit des Bundesrats eintrat, dass, sobald die Abgeordneten des konkret-personellen Organs Reichstag einen Beschluss gefasst hatten, dieser zu einem Beschluss des abstrakt-institutionelles Reichstags wurde und damit einen vom Willen der konkreten Abgeordneten unabhängigen Kern bekommt. Daraus wurde zumindest vom Bundesrat der Schluss gezogen, dass ein einmal gefasster Beschluss des Reichstags eine „rechtliche und politische Potenz“ bleibe, also von diesem auch beachtet werden müsse, bis der Reichstag erkläre, dass er ihn zurücknehme.282 Auch der Versuch, eine zeitliche Grenze für die Bundesratsbeschlüsse aus einem vermeintlichen Gewohnheitsrecht herzuleiten,283 musste im Ergebnis an der eindeutigen, gegenteiligen Staatspraxis, die eine solche Übung gerade nicht kannte, scheitern.284 Der Fall aus dem Jahr 1871 wurde daher als freier, nicht 278 Kieschke, Vertagung, Schließung und Auflösung des Deutschen Reichstags, 1907, S. 45; von Seydel, Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich, 1897, Art. 5 II S. 118. 279 von Jagemann, Deutsche Reichsverfassung, 1904, S. 92 f.; Müller-Meiningen, Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, in: Annalen des deutschen Reiches 1904, 301 (305 f.). 280 Müller-Meiningen, Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, in: Annalen des deutschen Reiches 1904, 301 (305 f.). 281 G. Jellinek, Besondere Staatslehre, in: Ausgewählte Schriften und Reden, 1911, S. 249 f.; Laband, Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, DJZ 1904, Sp. 321 (323). Im Ergebnis so auch Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 183; Kieschke, Vertagung, Schließung und Auflösung des Deutschen Reichstags, 1907, S. 46; Meyer/ Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 663 Fn. c; von Seydel, Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich, 1897, Art. 5 II S. 118 f. 282 So der Staatssekretär des Reichsjustizamts Arnold Nieberding, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, XI. Legislaturperiode, I. Session, 1. Sessionsabschnitt 1903/1904, 3. Band, S. 2083 B. Zur Rücknahmemöglichkeit des Reichstags auch: Laband, Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, DJZ 1904, Sp. 321 (323). 283 Laband, Staatsrecht, 3. Auflage, Band 1, 1895, S. 539; in späteren Auflagen mit a. A. Laband, Staatsrecht, Band 2, 1911, S. 35. 284 So änderte Laband ausdrücklich seine früher vertretene Meinung (Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, DJZ 1904, Sp. 321 f.). Ebenso Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 183; Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910,
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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verfassungsrechtlich bindender Entschluss der Reichsregierung interpretiert.285 Alle Versuche, die Beschlussfassung des Bundesrates auf die Session oder wenigstens die Legislaturperiode, in der der Reichstag seine Zustimmung erteilt hat, zeitlich klar zu beschränken, konnten sich nicht durchsetzen.286 Anhand der zuvor aufgezeigten Argumentationslinien wurde auch die Frage beantwortet, ob der Reichskanzler eine dem Diskontinuitätsprinzip zum Opfer gefallene Vorlage des Bundesrates ohne erneuten Beschluss wieder einbringen konnte. Wer für eine zeitliche Beschränkung eintrat, musste auch hier einen erneuten Beschluss fordern. Die Staatspraxis setzt aber auch in dieser Frage keine Grenzen, sodass der Reichskanzler die Bundesratsvorlage ohne Weiteres wieder in den Reichstag einbringen konnte.287 Zusammenfassend zeigt die Diskussion in der staatsrechtlichen Literatur und Praxis, auch wenn sie nicht immer unmittelbar mit Bezug zum Diskontinuitätsprinzip geführt wurde, dass dieses sich sehr deutlich von seiner ursprünglichen Intention gewandelt und in dieser gewandelten Form verfestigt hat. War die sachliche Diskontinuität im englischen Parlament und auch in Teilen der einzelstaatlichen Staatspraxis ein Mittel, um die Stellung des Parlaments zu stärken, hatte sich dies nun zu Gunsten der Exekutive verschoben. Die ursprüngliche Idee, das Gesetzgebungsverfahren zwingend abzuschließen,288 während das Parlament versammelt ist, und es damit auch bis zum Abschluss unter dessen Kontrolle zu stellen, ging im Deutschen Reich nach dem Vorbild des preußischen Rechts verloren.289 Die Gesetzessanktion, die in den Einzelstaaten der Monarch und im Kaiserreich der Bundesrat vornahm, hatte als wesentlicher Teil des Gesetzgebungsverfahrens keinen zwingenden zeitlichen Bezug zu dem Teil des GesetzArt. 5 A 3 f) S. 177; Kieschke, Vertagung, Schließung und Auflösung des Deutschen Reichstags, 1907, S. 45; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 663 Fn. c; von Seydel, Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich, 1897, Art. 5 II S. 118. 285 Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 5 A 3 f) S. 177; Frormann, Streitfrage aus dem Rechte, AöR 14 (1899), 503 (508). Auch Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 31. A. A.: von Rönne, StaatsRecht des Deutschen Reiches, Band 2, 1877, S. 51. Dazu auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 26; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 131. 286 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 26 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 131 ff. Zu einer zeitlichen Begrenzung im außergewöhnlichen Einzelfall etwa: Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 5 A 3 f) S. 177 f.; Laband, Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, DJZ 1904, Sp. 321 (324). 287 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 136 f. 288 Laband verwies etwa explizit nochmal auf den zu der Zeit immer noch teilweise üblichen Landtagsabschied (Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, DJZ 1904, Sp. 322). 289 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 129.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
gebungsverfahrens, den der Reichstag in Händen hielt. Stattdessen hatte der Reichstag zwar ein Initiativrecht für Gesetze, welches seine gestalterischen Möglichkeiten steigerte, war aber ebenso bei parlamentarischen Gesetzentwürfen von Diskontinuitätsprinzip betroffen und konnte damit durch geschickten Einsatz des Mittels der Schließung und Auflösung in seiner Wirkung erheblich durch den Kaiser eingeschränkt werden. Diese Steuerungsmöglichkeit der Arbeit des Reichstags und die zeitlich unbeschränkte Sanktionsmöglichkeit des Bundesrats, die beide faktisch durch die preußische Führung kontrolliert wurden, hebelten die formelle Gleichstellung von Reichstag und Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren aus. Während 1871 die Wirkung des Diskontinuitätsprinzips noch näher am englischen Vorbild eines geschlossenen Gesetzgebungsverfahrens interpretiert wurde, setzt sich die konstitutionell-monarchische Vorstellung einer Kontrolle des Parlaments durch die kaiserliche Regierung mittels des Diskontinuitätsprinzips durch und verkehrt die sachliche Diskontinuität so von einer Stärkung endgültig in eine Schwächung des Parlaments.290 2. Weitere diskontinuierliche Auswirkungen
Neben der sachlichen Diskontinuität war eine Schließung mit weiteren diskontinuierlichen Auswirkungen verbunden. So behielten die Abgeordneten zwar ihre Mandate, allerdings verloren sie während der Schließung ihre Abgeordnetenrechte.291 Erst mit der erneuten Eröffnung lebten diese wieder auf. Hier kann jedoch nicht von einer personellen Diskontinuität gesprochen werden,292 da wieder lediglich eine Unterbrechung in der Gewähr dieser Rechte vorlag, aber eben gerade kein Abbruch oder keine vollständige Beendigung der Rechte. Demgegenüber gab es in der Folge der Schließung eine organisatorische Diskontinuität in dem Sinne, dass sich der Reichstag als Organ und seine Unterorgane neu konstituieren mussten. Die Mitglieder der Reichstagsorgane, insbesondere das Präsidium und die Kommissionen, musste darüber hinaus nach jeder auf eine Schließung folgenden Eröffnung neu gewählt werden.293 Der Reichstag bestand nach einer Schließung abstrakt-institutionell und auch konkret-personell fort, verlor aber seine Organisation. Die Unterorgane endeten durch die Schlie-
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Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 137. Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 121 f. 292 So aber Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 122 f. 293 G. Jellinek, Besondere Staatslehre, in: Ausgewählte Schriften und Reden, 1911, S. 248; Kieschke, Vertagung, Schließung und Auflösung des Deutschen Reichstags, 1907, S. 39; Perels, Legislaturperiode des preußischen Hauses der Abgeordneten und des deutschen Reichstages, AöR 19 (1905), 1 (23); von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 261; Zorn, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Band, 1895, S. 236. 291
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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ßung auch konkret-personell, während sie, soweit sie verfassungsmäßig zwingend vorgesehen waren wie das Präsidium, abstrakt-institutionell fortbestanden. Dies wurde zum Teil auch in der zeitgenössischen Literatur als Ausfluss des Diskontinuitätsprinzips anerkannt.294 Dem so verstandenen Diskontinuitätsprinzip entsprechend sah die Geschäftsordnung des Reichstages vor, dass die Kommissionen, das Präsidium und die Schriftführer nur für eine Session gewählt wurden.295 Als Ausnahme vom sonst streng verstandenen Grundsatz der Diskontinuität enthielt die Geschäftsordnung aber auch die Regelung, dass der Präsident der vorhergehenden Session zu Beginn einer neuen bis zur Neuwahl eines Präsidenten die Geschäfte weiterführte.296 Die größte Ausnahme stellte jedoch die Geschäftsordnung selbst dar, indem sie über den Schluss einer Session für die gesamte Legislaturperiode Gültigkeit hatte.297 III. Auflösung und Ablauf der Legislaturperiode Die Auflösung ging in ihrem Effekt über die Schließung hinaus, indem sie außerdem die Legislaturperiode beendete. Dies entzog nicht nur der Geschäftsordnung ihre Gültigkeit, sondern auch den Abgeordneten ihr Mandat. Es mussten also Neuwahlen stattfinden. Der Reichstag als konkret-personelles Organ hörte auf, zu existieren. Neben dieser zusätzlichen personellen Diskontinuität umfasste die Auflösung die gleichen diskontinuierlichen Folgen einer Schließung.298 Schwieriger ist dagegen die Frage zu beurteilen, ob der reguläre Ablauf der Legislaturperiode nach drei/fünf Jahren sich in seinem Effekt von dem Ende der Legislaturperiode als Folge einer Auflösung durch Bundesrat und Kaiser unterschied. Dabei spielte diese Art der Beendigung einer Handlungsperiode deshalb eine Sonderrolle, weil sie gerade unabhängig vom Willen der Beteiligten eintrat und damit insbesondere auch außerhalb der kaiserlichen Einflusssphäre lag. Das Ende einer Session durch Schließung konnte der Kaiser gem. Art. 12 RV unmit294 Ausdrücklich Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 12 IV S. 313; Kieschke, Vertagung, Schließung und Auflösung des Deutschen Reichstags, 1907, S. 39 f.; Perels, Legislaturperiode des preußischen Hauses der Abgeordneten und des deutschen Reichstages, AöR 19 (1905), 1 (23 f.). 295 Vgl. §§ 5 Abs. 2, 11, 26 GO-RT. 296 Vgl. § 1 Abs. 2 GO-RT. 297 Zorn, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Band, 1895, S. 231, 237. 298 Die personelle Wirkung der Auflösung wurde jedoch in der zeitgenössischen Staatsrechtsliteratur nicht als Teil des Diskontinuitätsprinzip beschrieben. Vgl. Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 136; G. Jellinek, Besondere Staatslehre, in: Ausgewählte Schriften und Reden, 1911, S. 248; Kieschke, Vertagung, Schließung und Auflösung des Deutschen Reichstags, 1907, S. 53; Laband, Staatsrecht, Band 1, 1911, S. 344; von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 263. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 22; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 120; Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 7.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
telbar verfügen, und auch Auflösungen gingen stets auf die Initiative der Exekutive im Bundesrat zurück. Der rein zeitliche Ablauf der Legislaturperiode wurde vom englischen Parlament aber gerade auch als Einschränkung des Monarchen erkämpft, um diesen zu hindern, bei einem ihm genehmen Parlament ohne Neuwahlen unbegrenzt beliebig viele Sessionen hintereinander zu reihen.299 In der Praxis des Kaiserreiches kam es jedoch nie zu einem solchen rein zeitlichen Ablauf, da zum Ende einer Legislaturperiode der Reichstag entweder bereits vorher geschlossen oder noch vor dem zeitlichen Ende aufgelöst wurde. Welchen Effekt der bloße Ablauf der Legislaturperiode im Lauf einer Session gehabt hätte, wurde also nie praktisch relevant. Daraus wurde zum Teil der Schluss gezogen, dass die Legislaturperiode gar nicht unmittelbar mit dem Diskontinuitätsprinzip verknüpft war, sondern Diskontinuität lediglich als Folge der vor dem Ende der Legislaturperiode eintretenden Schließung der Session eintrat.300 Dem wird mit dem Argument widersprochen, dass auch ohne kaiserlichen Eingriff die Legislaturperiode nach ihrem Ablauf eine geschlossene Handlungseinheit darstellte und somit Diskontinuität zur Folge hatte.301 Dabei geht Belz sogar davon aus, dass dies einen eigenen Grundsatz der Diskontinuität der Legislaturperioden neben der Diskontinuität der Sessionen darstellte. Dies begründet er damit, dass das Ende der Legislaturperiode auch zeitgenössisch als einschneidendere Zäsur im Vergleich zum Ende einer Session erlebt wurde und die Verfassung selbst nur Legislaturperioden als zwingende Handlungsabschnitte des Reichstags vorsah, während die Session in das Ermessen des Kaiser gestellt wurden.302 Die Initiativen zur Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips im Kaiserreich, die das Ende der Legislaturperiode als absolute Grenze jeder Weiterführungsmöglichkeit gesehen haben, belegen, dass das Ende der Legislaturperiode in der Tat nicht ohne Bedeutung für das Diskontinuitätsprinzip war.303 Allerdings behauptet dies auch die vermeintliche Gegenansicht nicht. Klaus Müller weist lediglich zu Recht darauf hin, dass dem Ende der Legislaturperiode
299 Zur historischen Begründung des Diskontinuitätsprinzips als Kontrollmöglichkeit des House of Parliament gegenüber dem Monarchen oben: S. 37. 300 So wird etwa lediglich vom „Principe der Discontinuität’ der Reichstagssessionen“ gesprochen (vgl. Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 183; von Seydel, Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich, 1897, Art. 5 II S. 118). Auch Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (507); Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 9. 301 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 22; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 121. 302 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 22. Gegen ihn: Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 120 f. 303 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 22; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 120 f.
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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regelmäßig das Ende der Session vorausging bzw. beide Zeitpunkte gleichzeitig zusammentrafen und sich damit die Frage, ob bei einem bloßen zeitlichen Ablauf der Legislaturperiode Diskontinuität eintrat, im Kaiserreich nie praktisch stellte.304 Er erkennt aber dennoch an, dass sowohl das Ende der Session wie auch das Ende der Legislaturperiode schon in der konstitutionellen Monarchie mit dem Diskontinuitätsprinzip zumindest indirekt verknüpft waren.305 Es besteht also Einigkeit darin, dass das Diskontinuitätsprinzip bei jeder Form des Endes der Legislaturperiode – durch zeitlichen Ablauf oder Auflösung – eintrat. Unterschiede ergeben sich dabei nur in der Begründung. Während ein Teil dies mit der ähnlichen Periodizität im Sinne einer geschlossenen Handlungseinheit wie beim Sessionsende begründet,306 führt Müller dies auf das mit jedem Legislaturperiodenende einhergehenden Ende der Session zurück.307 Sieht man das Diskontinuitätsprinzip deshalb als Ausfluss der monarchischen Kontrolle über den Reichstag, konnte Diskontinuität bei einem bloßen Ablauf der Legislaturperiode, die aus der Verfassung direkt und gerade nicht aus einer Eingriffsmöglichkeit von außen herrührt, nur eintreten, wenn vorher oder zumindest gleichzeitig auch eine Schließung des Reichstags durch den Kaiser erlassen wurde. Geht man dagegen davon aus, dass das Diskontinuitätsprinzip in der Periodizität des Reichstags in Form von Sessionen und Legislaturperioden begründet liegt, musste auch die Legislaturperiode als abgeschlossene Handlungseinheit zwingend Diskontinuität zur Folge haben. Im Ergebnis stellt sich also die Frage nach der Begründung des Diskontinuitätsprinzips im deutschen Kaiserreich.
C. Begründung des Diskontinuitätsprinzips Angesichts der Einigkeit308 in Bezug auf die Akzeptanz der Geltung des Diskontinuitätsprinzips ist die Vielfalt in der Begründung dieses Prinzips überraschend. Dies gilt nicht nur für die politische, sondern auch für die rechtliche Begründung.
304
Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (507). Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (508). 306 So wohl Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 22; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 121; Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (512). 307 Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (507). 308 Nur Zorn lehnt den Eintritt von Diskontinuitätsfolgen am Sessionsende ab, akzeptiert aber eine Diskontinuität am Ende der Legislaturperiode (von Rönne/Zorn, Staatsrecht der Preußischen Monarchie, 1. Band, 1899, S. 349 f.; Zorn, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Band, 1895, S. 243 Fn. 65, S. 420 Fn. 40; ders., Verfassungsurkunde, 1985, Art. 1 Anm. 1). Zur Diskontinuität der Legislaturperioden unten: S. 85. Zur sonstigen Einigkeit: Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 23 m.w. N. 305
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
I. Politische Begründung und Bedeutung des Diskontinuitätsprinzips Wie bereits im vorhergehenden Abschnitt dargestellt,309 ist insbesondere die Frage, aus welchem Grund am Ende einer Legislaturperiode und damit warum überhaupt sachliche Diskontinuität eintreten sollte, in der späteren staatsrechtlichen Literatur umstritten. Zum Teil sollte auch auf das Ende der Legislaturperiode Diskontinuität folgen, weil damit gleichzeitig die Session durch kaiserliche Verfügung endete. Auf der anderen Seite sollte unabhängig von diesem konstitutionell-monarchischen Element eine Legislaturperiode als geschlossene Handlungseinheit stets Diskontinuität zur Folge haben. Die beiden Begründungansätze lassen sich jedoch in der Rückschau nicht befriedigend überprüfen. Da ein Legislaturende durch bloßen Zeitablauf im Kaiserreich nie praktisch relevant wurde, lässt sich über dessen Folgen bloß mutmaßen. Doch, obwohl sie zum gleichen Ergebnis kommen, ist die Begründung hierfür für die weitere Untersuchung interessant. Unterstellt man nämlich, dass das Ende der Legislaturperiode deshalb Diskontinuität zur Folge hat, weil es einen geschlossenen Handlungsabschnitt erzeugt, ist diese Argumentation auch auf die Verfassung der Weimarer Republik und das Grundgesetz übertragbar. Geht man aber davon aus, dass die Diskontinuität eine Folge der Berufung und Schließung durch einen Monarchen ist, ist eine solche Übertragung nicht ohne Weiteres möglich. Zunächst scheint deshalb die Ansicht überzeugender, welche Diskontinuität stets an diese kaiserlichen Prärogativen binden will. So wie der Reichstag sich nicht versammeln durfte, ohne durch den Kaiser berufen und eröffnet worden zu sein, so hätte er auch nicht auseinander treten können, ohne geschlossen oder aufgelöst worden zu sein.310 Wie die Wahl als Beginn der Legislaturperiode allein keinen Einfluss auf den tatsächlichen Zusammentritt der Abgeordneten hatte, hätte auch das Ende der Legislaturperiode durch bloßen zeitlichen Ablauf keinen Einfluss haben können. Es ist außerdem nicht überzeugend, dass es in der Hand des Kaisers liegen sollte, ob es überhaupt im Laufe einer Legislaturperiode Sessionen gab. Es lag lediglich in seiner Hand, ob es mehr als eine Session gab, was im Kaiserreich auch stets der Fall war.311 Eine musste es aber zwingend pro Legislaturperiode geben. Die Sitzungsperiode beschreibt nämlich die Zeit, in der der Reichstag auch tatsächlich versammelt und handlungsfähig ist. Anders als die 309 Zu der späteren Diskussion unter dem Grundgesetz, warum schon im Kaiserreich der rein zeitliche Ablauf der Legislaturperiode mit sachlicher Diskontinuität einherging: S. 75. 310 Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 131; von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 260, 263. 311 Anders die Gegenansicht von Belz, der aber in Fn. 47 anerkennt, dass es in der Praxis immer mindestens zwei Sessionen pro Legislaturperiode gab (Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 22).
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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Legislaturperiode begann die Sitzungsperiode nicht mit dem Tag der Wahl, sondern erst mit der Eröffnung durch den Kaiser.312 Konsequenterweise hätte diese eine Sitzungsperiode nicht mit dem rein zeitlichen Ende der Legislaturperiode, sondern nur mit der Schließung durch den Kaiser enden können. Beide Zeitpunkte konnten demnach zusammenfallen, wie es typischerweise bei einer Auflösung passierte, waren aber nicht identisch.313 Der Zweck der Bestimmung in Art. 24 RV über die Länge einer Wahlperiode wäre dann neben dem Entzug der Abgeordnetenmandate gewesen, den Kaiser dazu anzuhalten, den Reichstag vor deren Ende zu schließen. Nur dann würde auch sachliche Diskontinuität eintreten. Dies würde auch erklären, warum es zu einem bloßen zeitlichen Ablauf der Legislaturperiode im Kaiserreich nie gekommen ist. Hätte der Kaiser einmal keine Schließung vor dem Legislaturende angeordnet, hätte man im Sinne dieser Ansicht noch unterstellen können, dass diese mit dem Zeitablauf konkludent erfolgt ist.314 Warum diese Ansicht aber im Ergebnis doch nicht überzeugen kann, zeigt sich, wenn man sie noch stärker zuspitzt. Hätte der Kaiser nämlich einmal bewusst und ausdrücklich den Reichstag nicht vor Ende der Legislaturperiode geschlossen, etwa damit ein bestimmter Gesetzentwurf noch zu Ende beraten werden konnte, hätte die Parlamentsarbeit eigentlich fortgesetzt werden müssen, da es an dem kaiserlichen Einschnitt fehlt, der nach Müllers Ansicht nötig gewesen wäre, um sachliche Diskontinuität eintreten zu lassen. Der damit einhergehende Verstoß gegen Art. 24 RV wäre zwar wohl wie ein Verstoß gegen die Neuwahl- und Berufungsfristen in Art. 25 RV an sich sanktionslos geblieben,315 allerdings hätten die Abgeordneten ihr Mandat dennoch verloren und eine unmittelbare Weiterberatung wäre somit nicht möglich gewesen. Eine Fortsetzung der absichtlich nicht geschlossenen Sitzungsperiode nach der Wahl wäre zwar theoretisch möglich, aber ein solcher Bruch mit der bekannten Tradition, dass es doch praktisch ausgeschlossen gewesen wäre, nachdem sämtliche Mitglieder ihr Abgeordnetenmandat verloren hätten und auch ein erheblicher Mitgliederwechsel stattgefunden hätte.316
312
Zu der Eröffnung der Session: S. 61. Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (507). 314 So wohl auch Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (507). 315 So zu einem Verstoß gegen Art. 12, Art. 13 und 25 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871, Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 130. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 110. 316 In diese Richtung ist wohl Zorn zu verstehen, der zumindest andeutete, dass der Mitgliederwechsel mit dem Ende der Legislaturperiode die Begründung für die nach seiner Ansicht lediglich zu diesem Zeitpunkt und nicht bereits bei jedem Sessionsschluss eintretende Diskontinuität darstellte (von Rönne/Zorn, Staatsrecht der Preußischen Monarchie, 1. Band, 1899, S. 349 f.; Zorn, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Band, 1895, S. 243 Fn. 65, S. 420 Fn. 40). 313
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
Insbesondere mit Blick auf die Besetzung von Organen wird endgültig deutlich, dass eine Session auch ohne Schließung durch den Kaiser nicht über das Legislaturperiodenende hinausgehen konnte. Zum einen wären einzelne Positionen mangels Wiederwahl des Inhabers zunächst unbesetzt geblieben, darüber hinaus gingen die entsprechenden Regeln der Geschäftsordnung auch davon aus, dass eine Session nur innerhalb einer Legislaturperiode liegen konnte.317 Daraus folgt, dass auch das Ende der Legislaturperiode als Ende eines von der Verfassung gesetzten Handlungsabschnitts zwingend und unabhängig von einem gegebenenfalls vorher bereits kaiserlich verfügten Sessionsende einen Verfall der unerledigten Parlamentsarbeiten in Sinne einer sachlichen Diskontinuität zur Folge hatte.318 Dies scheint mit Blick auf den historischen Ursprung geradezu offensichtlich, hatte das Diskontinuitätsprinzip im englischen Parlamentarismus doch gerade die Funktion, das unerledigte Parlamentsgeschäft endgültig scheitern zu lassen und damit dessen Schicksal der alleinigen Kontrolle des Monarchen zu entziehen. Diese Funktion hatte der kontinentale Konstitutionalismus aber so weit aufgeweicht, dass der Eindruck entstehen konnte, dass Diskontinuität nur nach dem Willen des Monarchen eintrat. Die vorgenannten Überlegungen zeigen, dass dem nicht so war, sondern noch die schon in den Ständeversammlungen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation geltende Vorstellung von zwingenden, tiefgreifenden Abbrüchen im Sinne von Diskontinuität am Ende von einheitlichen Handlungsabschnitt fortbestand.319 Nichtdestotrotz dominiert im späteren Kaiserreich die von der tatsächlich herrschenden, gelebten Staatspraxis genährte Überzeugung, dass diese Handlungsabschnitte in Form von Sessionen und gleichzeitig auch das Diskontinuitätsprinzip allein auf die Gestaltung durch den Kaiser bzw. die Reichsregierung zurückgehen. In diesem Sinne verteidigte der Staatsekretär des Innern Arthur von Posadowsky-Wehner das Diskontinuitätsprinzip auch nach Angriffen durch Abgeordnete, welche kritisierten, dass der Reichstag zuletzt geschlossen und nicht bloß vertagt wurde. Es beruhe auf „einem wichtigen monarchischen Recht, das verfassungsgemäß die Krone jederzeit nach ihrem eigenen Ermessen zu üben befugt ist“.320 Die Exekutive war nach von Posadowsky-Wehner bei der Wahl ihrer Mittel also frei. Die Krone konnte allein nach politischer Zweckmäßigkeit zwischen Vertagung und Schließung wählen und mit Zustimmung des Bundesrates auch
317
Vgl. etwa §§ 1, 5, 11 GO-RT. So auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 22; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 121; Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (512). 319 So legte von Rönne dar, dass jedenfalls die Sessionen ein „für sich geschlossenes Ganze“ darstellten (Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 261). 320 Staatssekretär Arthur von Posadowsky-Wehner, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, XI. Legislaturperiode, II. Session 1905/1906, 1. Band, S. 237 C. 318
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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die Auflösung nutzen.321 Dabei ging es aber nicht nur darum, den „Parlamentarismus in Permanenz“ 322 zu verhindern. Hierzu hätten einfache Unterbrechungen der Parlamentstätigkeit ausgereicht. Wie bereits vorher beschrieben, geht Diskontinuität in der Wirkung darüber hinaus, indem es einen Abbruch der Parlamentstätigkeit bewirkt.323 Während schon eine einfache Unterbrechung durch eine Vertagung in der Lage war, politische Auseinandersetzungen innerhalb des Reichstags oder zwischen diesem und der Exekutive zu beruhigen, eröffnete das Diskontinuitätsprinzip der Reichsleitung die Möglichkeit, den Erfolg von Gesetzentwürfen erheblich zu beeinflussen.324 Initiativen des Bundesrates, die häufig tatsächlich solche der Regierung selbst waren, konnten durch eine Schließung wieder beseitigt werden. Dies hatte gegenüber der formellen Rücknahme, die der Exekutive ebenfalls zustand, den Vorteil, dass man eine Veränderung in den politischen Umständen oder gar mangelnde Erfolgsaussichten nicht eingestehen musste. Außerdem konnte auf diese Weise die offene Konfrontation mit dem Reichstag vermieden werden, was insbesondere dann Bedeutung erlangte, wenn der Reichstag die Vorlage so veränderte, dass sie nicht mehr dem ursprünglichen Ziel entsprach.325 Noch deutlicher wird der Einfluss der Exekutive, wenn man die Gesetzentwürfe aus der Mitte des Reichstags betrachtet. Hier konnte das Diskontinuitätsprinzip als Folge einer Schließung bereits die bloße Erörterung und erst recht einen tatsächlichen Mehrheitsbeschluss von unliebsamen Vorhaben zumindest in derselben Session verhindern. Eine bloße Unterbrechung hätte dazu geführt, dass diese Diskussion lediglich aufgeschoben gewesen wäre. Zwar hatte der Reichstag die Möglichkeit, den Entwurf erneut einzubringen, jedoch konnte er in dieser Zeit bereits nicht mehr aktuell sein oder keine Priorität mehr darstellen.326 Trotz der scheinbaren starken Kontrollmöglichkeit der Exekutive über die Legislative dank des Diskontinuitätsprinzips nahmen Schließungen in der zweiten Hälfte des Kaiserreichs deutlich zugunsten von Vertagungen ab. Neben dem generellen Erstarken des Reichstags lag dies insbesondere auch daran, dass selbst ein Abbruch, wie ihn das Diskontinuitätsprinzip herbeiführte, nicht endgültig 321 Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 12 Anm. V S. 312 f. So auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 30; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 138. 322 So der Abgeordnete Ludwig Windthorst, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 641 f. 323 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 30; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 138. 324 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 30 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 139 f.; Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 71 f. 325 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 139. 326 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 31; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 139 f.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
sein musste und häufig tatsächlich auch nicht war.327 Gesetzentwürfe wurden, soweit weiterhin ein Interesse an ihrer Verabschiedung bestand, regelmäßig in der folgenden Session erneut eingebracht. Dies geschah nicht nur mit Reichstagsentwürfen, sondern auch die Reichsleitung modifizierte die gerade noch durch Schließung zu Fall gebrachten Entwürfe konform zu den Beratungen und leitete sie erneut an den Reichstag weiter.328 Auch wenn die Reichsleitung kein Interesse mehr an dem Entwurf hatte, konnte der Reichstag ihn erneut einbringen und dabei auch die Ergebnisse früherer Beratungen einfließen lassen. So konnte die Exekutive zwar einen ablehnenden Beschluss des Reichstags vermeiden, es gelang aber häufig nicht, dauerhaft zu verhindern, dass sich die Reichstagmehrheit mit ihrem Interesse durchsetzte.329 Soweit daraus gefolgert wird, dass das Diskontinuitätsprinzip nicht zur Beschränkung des Parlaments geeignet war, da es „lediglich zu einer gewissen Erschwerung der Arbeit des Parlaments“ kam,330 wird die politische Bedeutung dieses Prinzip für die Reichsexekutive als Möglichkeit des monarchischen Machterhalts verkannt.331 Zunächst ist es zwar korrekt, dass vor dem Kaiserreich das Diskontinuitätsprinzip in der Regel lediglich Gesetzesinitiativen der Exekutive erfasst hat, da historisch die Vertretungsorgane kein Initiativrecht hatten. Dennoch vernichtete die Diskontinuität schon zu diesem Zeitpunkt gerade nicht den Beitrag der Exekutive, sondern nur die Arbeiten, die das Parlament hieran vorgenommen hatte. Die Exekutive ist hiervon also nicht „eher“ berührt.332 Darüber hinaus hatte im Kaiserreich der Reichstag ein Initiativrecht, sodass auch seine Entwürfe unmittelbar betroffen waren. Gerade weil frühere Parlamente regelmäßig keine Gesetzentwürfe einbringen konnten, stellt das Diskontinuitätsprinzip im Kaiserreich einen besonderen Machtfaktor da, um die nun möglichen Reichstagsinitiativen, die sich zu stark gegen die Auffassung der Regierung richteten, erheblich zu beschränken. Auch wenn es die Möglichkeit gab, die Diskontinuitätsfolgen durch den Reichstag abzumildern, konnte dies bis zu einem er327
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 141. Auf dieses Vorgehen wies auch Staatssekretär Arthur von Posadowsky-Wehner beispielhaft für die 2. Session der 11. Legislaturperiode hin (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, XI. Legislaturperiode, II. Session 1905/1906, 1. Band, S. 237 D). S. auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 139. 329 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 31; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 141. 330 So Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 31, wohl auch Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (511 f.). 331 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 142; Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (508). 332 So aber Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (511). 328
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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folgreichen Beschluss bedeuten, dass wiederholt eine Reichstagmehrheit für ein einziges Vorhaben stimmen musste. Dies setzt Durchsetzungswillen und -kraft voraus, was angesichts vielfältiger Interessen im Reichstag oft nur schwer erreicht werden konnte. Insofern stellte das Diskontinuitätsprinzip gepaart mit dem noch stärkeren, aber auch konfrontativeren Mittel, die Sanktion offen zu verweigern oder zumindest zu verzögern, wie es im Fall des Jesuitengesetzes beispielhaft gezeigt wurde, eine wirksame Kontrollmöglichkeit der Parlamentsarbeit durch die Exekutive dar.333 Auf der anderen Seite hatte das Diskontinuitätsprinzip auch einen bereinigenden Effekt für die Parlamentsarbeit, der von den Reichstagsabgeordneten ausdrücklich begrüßt wurde. Die Diskontinuität führte zunächst dazu, dass man sich nicht mehr mit Vorlagen beschäftigen musste, die möglicherweise bereits in ihrem Sinn und Zweck überholt waren oder die Unterstützung verloren hatten. Sollte eine Vorlage aber erneut eingebracht werden, mussten die Erfolgsaussichten und ihr Nutzen neu evaluiert werden.334 So ist es zu erklären, dass Abgeordnete die gestiegene Zahl an Vertagung anstelle von Schließung auch kritisierten, weil sich so die Arbeitslast stetig erhöhte.335 Schließlich ermöglichte die Diskontinuität festgefahrene Meinungsverschiedenheiten zu beseitigen, sodass man sich „mit freien Händen“ gegenübertreten konnte. Das Diskontinuitätsprinzip führte zu einer „tabula rasa (. . .), so daß Gesetzesarbeiten und die Organe des Parlaments glatt abschließen, um für die nächste periodische Zusammenkunft eine neue Gruppierung der Meinungen, der Interessen und völlig neuer Arrangements möglich zu machen“.336 Dabei versinnbildlicht die tabula rasa sowohl den bereinigenden Effekt durch den Wegfall alter Vorlagen wie auch die Auflösung von festgefahrenen Positionen. Genau um diese Möglichkeit eines unbelasteten Neubeginns ging es dem englischen Parlament auch, als dort das Diskontinuitätsprinzip ursprünglich erdacht wurde, um einen klaren Abschluss der Parlamentsperiode zu schaffen. Die damit verbundene Idee, als versammeltes Parlament eine gewisse Kontrolle über den Monarchen und das Zustandekommen der Gesetze zu haben, spielte im Kaiserreich aber, wie bereits gezeigt, keine Rolle, da die Sanktion auch noch nach dem Schluss einer Session oder sogar einer Legislaturperiode erfolgen konnte.337 333 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 141 f.; Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 71 f. 334 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 32. 335 So der Abgeordnete Karl Schrader, auch wenn er die konkrete Schließung kritisierte, da sie viele bereits fortgeschrittene Entwürfe erfasste und den Reichstag unvorbereitet traf (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, XI. Legislaturperiode, II. Session 1905/1906, 1. Band, S. 241 C). 336 Abgeordnete Rudolph Gneist, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 2. Band, S. 967. 337 Zum Streit über eine im Ergebnis abgelehnte zeitliche Begrenzung der Sanktionsmöglichkeit des Bundesrates: S. 70.
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Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die politische Begründung für das Diskontinuitätsprinzip nicht allein in einer Kontrollmöglichkeit der Exekutive gegenüber der Legislativen zu suchen ist,338 dieser Aspekt eines monarchischen Prinzips aber zweifellos in der zeitgenössischen konstitutionellen Diskussion stets eine politisch wichtige Rolle spielte.339 Demgegenüber darf aber nicht vergessen werden, dass auch im Kaiserreich die Vorstellung präsent war, dass Diskontinuität als Folge des Abschlusses eines Handlungsabschnittes eintritt. Jeder dieser geschlossenen, individuell für sich zu betrachtenden Handlungsabschnitte war dann konsequenterweise auch mit einen (sachlichen) Neubeginn verbunden. Die kaiserlichen Prärogativen der Kontrolle gegenüber dem Parlament spielten daher auch deshalb eine besondere Rolle, da sie in der Praxis allein diese elementaren Handlungsabschnitte in Form von Sessionen überhaupt erst schufen. Dass Diskontinuität auch am Ende einer Legislaturperiode ohne einen solchen kaiserlichen Eingriff eintreten würde, ist stets reine Theorie geblieben. II. Rechtliche Begründung Da es keine geschriebene Verfassungsbestimmung gab, die das Diskontinuitätsprinzip für das Kaiserreich ausdrücklich normierte, dessen Geltung aber dennoch weitgehend unbestritten war, bildeten sich vielfältige Ansätze einer rechtlichen Begründung. Dabei verzichtete man zum Teil auf jedes Argument340 oder kumulierte verschiedenste,341 was die Unsicherheit bezüglich des theoretischen Fundaments dieses in der Praxis gemeinhin anerkannten Rechtssatzes besonders deutlich hervorhebt.342 Als geschriebene Grundlage kam dabei zunächst der bereits erwähnte § 70 der Geschäftsordnung des Reichstags in Betracht.343 Obwohl dieser die Erledigung von nicht beschlossenen Gesetzesvorlagen, Anträgen und Petitionen zum Ende der Sitzungsperiode und damit zumindest die sachliche Diskontinuität ausdrücklich vorsah, musste er als Quelle des Diskontinuitätsprinzips ausscheiden. Gem. Art. 27 Satz 2 RV konnte der Reichstag in seiner Geschäftsordnung nämlich nur 338 Deshalb zu einseitig Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (508). 339 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 31 Fn. 106; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 142. Daher auch zu einseitig Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (512). 340 Vgl. etwa Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 360 Fn. 11; von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876 S. 261. 341 Besonders eindrücklich, Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 58, der versucht, alle Meinungen zu vereinen. 342 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 144. 343 Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 183; Müller-Meiningen, Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, in: Annalen des deutschen Reiches 1904, 301 (303 f.).
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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seine inneren Angelegenheiten regeln. Das Diskontinuitätsprinzip betraf aber auch andere Verfassungsorgane, sodass § 70 der Geschäftsordnung über das hinausging, was der Reichstag selbstständig regeln konnte.344 Zum einen führte der Eintritt von Diskontinuität dazu, dass sich der Reichstag nicht mehr mit Initiativen des Bundesrats befassen musste. Eine Befreiung von dieser verfassungsrechtlichen Pflicht konnte der Reichstag aber nicht eigenmächtig in seiner Geschäftsordnung beschließen. Zum anderen hätte der Reichstag durch die Änderung seiner Geschäftsordnung die Folgen der kaiserlichen Prärogative der Schließung stark beschneiden können. Zwar ist festzuhalten, dass Diskontinuität gerade nicht direkt aufgrund der Ausübung eines kaiserlichen Vorrechts eintrat, jedoch war diese Machtbefugnis der Krone durch die so geschaffenen Handlungseinheiten praktisch eng mit dem Diskontinuitätsprinzip verbunden, was auch in der tatsächlichen Wahrnehmung als monarchisches Prinzip zum Ausdruck kommt. Damit wäre eine Änderung des § 70 der Geschäftsordnung deutlich über die inneren Angelegenheiten hinausgegangen, die der Reichstag gem. Art. 27 Satz 2 RV in seiner Geschäftsordnung selbstständig regeln konnte.345 Dafür, dass die Geschäftsordnungsvorschrift nicht Geltungsgrund des Diskontinuitätsprinzips sein konnte, spricht auch die nahezu wörtlich nachgebildete Vorgängervorschrift in der Geschäftsordnung des preußischen Abgeordnetenhauses, welche nachträglich eingefügt wurde und das Diskontinuitätsprinzip lediglich normierte, aber nicht begründete.346 § 70 der Reichstagsgeschäftsordnung war damit nicht der Rechtsgrund,347 sondern eine bloße Verschriftlichung, eine Bestätigung348 bzw. ein Hinweis.349 Mangels ausdrücklicher Normierung in der Verfassung wie auch im einfachen (Geschäftsordnungs-)Recht vertrat Zorn350 die Auffassung, dass es eine Diskontinuität der Sessionen überhaupt nicht geben konnte. Als ein „Fundamentalsatz des Rechtsstaats“ hätte dieser in der Verfassung ausdrücklich Niederschlag finden müssen. Dennoch erkannte er eine Diskontinuität der Legislaturperiode aus344 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 28; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 144. Auch Arndt lehnte zumindest die zeitliche Begrenzung der Sanktionsmöglichkeit des Bundesrates ab, da das Diskontinuitätsprinzip als Teil der Geschäftsordnung, so wie er es vertrat, nicht die Rechte der andere Gesetzgebungsorgane einschränken konnte (Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 183). 345 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 144. 346 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 144. 347 So auch Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 22. 348 Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 53. 349 So weist Belz zu Recht darauf hinweist, dass auch von einer „Anerkennung“ nicht gesprochen werden könne, weil eine solche gleichzeitig die Möglichkeit einer Ablehnung vorausgesetzt hätte (Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 28, Fn. 87). 350 Insbesondere mit Blick auf die Preußische Verfassung: von Rönne/Zorn, Staatsrecht der Preußischen Monarchie, 1. Band, 1899, S. 349 f.; für das Reich: Zorn, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Band, 1895, S. 243 Fn. 65, S. 420 Fn. 40; ders., Verfassungsurkunde, 1985, Art. 1 Anm. 1.
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drücklich an. Eine ausdrückliche Begründung blieb er hierfür jedoch schuldig. Aus den übrigen Ausführungen kann man lediglich schließen, dass er dem Mitgliederwechsel zum Ende der Legislatur insoweit eine wesentliche Bedeutung beimessen wollte.351 Letztlich kann diese Ansicht jedoch nicht erklären, warum die gesamte restliche Literatur und vor allem die Staatspraxis auch im Anschluss an eine Session den Eintritt von sachlicher Diskontinuität für zwingend hielten. Um eine Diskontinuität auch der Session dennoch rechtlich zu begründen, griff eine weitere und die wohl herrschende Meinung352 auf Gewohnheitsrecht zurück. Aufgrund der allgemeinen Anerkennung in der Staatspraxis lag ein solcher Rückgriff auch nah, traf allerdings ebenfalls auf erhebliche Argumentationsschwierigkeiten. Soweit angenommen wurde, dass es sich beim Diskontinuitätsprinzip um Gewohnheitsrecht im Rang eines einfachen Gesetzes handelt,353 stand dem die gleiche Argumentation wie bei § 70 der Geschäftsordnung entgegen. Da das Diskontinuitätsprinzip den Reichstag von der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Behandlung von Bundesratsbeschlüssen befreite, musste es Verfassungsrang haben. Ein einfach rechtliches Gewohnheitsrecht musste daher ausscheiden.354 Aber auch die Vertreter eines Gewohnheitsrechts mit Verfassungsrang standen vor dem Problem, dass das Diskontinuitätsprinzip von Anfang an im Kaiserreich in der Praxis als bindend anerkannt war und sich nicht, wie es für ein Gewohnheitsrecht notwendig gewesen wäre, aus einer längeren Übung und allgemeinen Anerkennung erst im Kaiserreich geformt hat.355 Wollte man deshalb auf eine entsprechende, allgemeine Übung im preußischen Staatsrecht zurückgreifen, müsste die Übernahme eines Gewohnheitsrechts von einer Verfassungsordnung in eine andere möglich sein. Dies wurde jedenfalls für die Frage der Befristung der Sanktionsmöglichkeit des Bundesrates verneint.356 Verfassungsgewohnheitsrecht ist so eng mit der jeweiligen Verfassungsordnung und -praxis verbunden, dass eine unbedachte Übernahme in eine neue Verfassungsordnung als geschlossenes Normensystem selbst dann nicht in Betracht kommt, wenn die Einflüsse so 351 Mit diesem Verständnis auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 145. 352 Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 5 A 3 f) S. 177; Laband, Staatsrecht, Band 1, 1911, S. 342; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 360 Fn. 11; Müller-Meiningen, Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, in: Annalen des deutschen Reiches 1904, 301 (302 f.); Perels, Legislaturperiode des preußischen Hauses der Abgeordneten und des deutschen Reichstages, AöR 19 (1905), 1 (23 f.). Auch Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 1. Band, 1922, S. 411, 414; Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 22. 353 So Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 26. 354 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 28, 30. 355 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 28; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 145. 356 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 145 f.
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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deutlich sind wie die der preußischen Verfassungspraxis auf die des Kaiserreichs.357 Darüber hinaus ist in einem gerade erst schriftlich fixierten, geschlossenen Normensystem für (Verfassungs-)Gewohnheitsrecht kein Raum.358 Eng mit der Übernahme einer preußischen Übung ist die Ansicht verbunden, welche das Diskontinuitätsprinzip als „feststehenden, aus der Natur der Sache mit Notwendigkeit folgenden Grundsatz des konstitutionellen Staatsrechts“ beschrieb.359 Dem begegneten grundsätzliche Bedenken in Bezug auf das Naturrecht, in welches alles hineingelesen werden kann, was zuvor als Prämisse aufgestellt wurde.360 Daraus folgt, dass das Diskontinuitätsprinzip nur mit der Natur des Kaiserreichs als konstitutionellen Staat hätte begründet werden können, wenn man der Grundannahme folgte, dass das Diskontinuitätsprinzip ein zwingender Bestandteil des konstitutionellen Staatsrechts wäre. Dabei handelte es sich jedoch um einen Zirkelschluss, bei dem man von der tatsächlichen Anerkennung des Diskontinuitätsprinzips im konstitutionellen Kaiserreich auf dessen rechtliche Verbindlichkeit im konstitutionellen Staatsrecht schloss und danach den Konstitutionalismus als Begründung für das Diskontinuitätsprinzip im Kaiserreich nutzte. Dies überzeugt umso weniger, wenn man bedenkt, dass es in der Geschichte des Diskontinuitätsprinzips auch in konstitutionellen Staaten immer wieder zu Abweichungen kam und dass es auch zur Zeit des deutschen Kaiserreichs Staaten mit vergleichbarem, konstitutionellen Staatsrecht gab, die das Diskontinuitätsprinzip nicht in gleicher Weise kannten.361 In eine ähnliche Richtung ging auch die Ansicht, dass die Geltung des Diskontinuitätsprinzips aus einen Organisationsparallelismus erwuchs.362 Als Organisationsparallelismus beschrieb Hatschek den Vorgang, bei dem parallele, das heißt 357
Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 29, Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 146, 149. 358 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 149. 359 So der Abgeordnete Friedrich Oskar Schwarze in einem Kommissionsbericht zum ersten Versuch der Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips (Aktenstück Nr. 150, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 3. Band, S. 385). So auch G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1914, S. 346 Fn. 1; von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 2, 1877, S. 16. 360 Zippelius, Rechtsphilosophie, 2011, § 12 VI. 361 Daraus wies G. Jellinek selbst hin (Allgemeine Staatslehre, 1914, S. 346 Fn. 1). Jekewitz stellt diese Schwäche in der Begründung ebenfalls dar und beschreibt ausführlich, dass von den weiteren Staaten zur Zeit des Kaiserreichs weder die Monarchien Belgien, Luxemburg, Niederlande und Spanien noch die französische Republik eine Diskontinuität der Sessionen kannten, wie sie im deutschen Kaiserreich vorgesehen war (Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 146, 159 ff.). 362 So Hatschek, der jedoch bereits andeutet, dass sich die ursprüngliche Übernahme als Organisationsparallelismus gewandelt haben könnte und später Gewohnheitsrecht mit Verfassungsrang als Rechtsgrundlage annimmt (Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 25).
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sich in ihrer Struktur ähnelnde Organisationseinheiten – wie etwa Parlamente – in bestimmten Situationen auf Regelungen der jeweils anderen zurückgreifen können. Dies geschehe typischerweise dort, wo das eigene Rechtssystem Lücken ausweise. Des Weiteren konnte eine solche Übernahme auch über die Grenzen der eigenen Rechtsordnung hinweg erfolgen. Das so übernommene Recht stellt dann eine Konventionalregel für die übernehmende Organisation dar, welche „kraft empirischer Faktizität“, also wegen ihres tatsächlichen Gebrauchs, Geltung erlangt.363 Besonderes klar wird die Funktion des Organisationsparallelismus dann, wenn ein Parlament zum allerersten Mal überhaupt oder nach dem Ablauf des für die Geltungsdauer der Geschäftsordnung bestimmenden Handlungsabschnittes zusammentritt. Mangels gültiger Geschäftsordnung erledigte der verfassungsberatende Reichstag des Norddeutschen Bundes 1867 die Geschäfte des ersten Zusammentritts nach der Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses. Selbst der Beschluss der provisorischen Übernahme jener preußischen Geschäftsordnung musste mittels Regeln erfolgen, die zunächst durch Organisationsparallelismus faktisch übernommen wurden. Gleiches konnte für die Übernahme der Geschäftsordnung des Reichstags der abgelaufenen Legislaturperiode zu Beginn einer neuen Legislaturperiode gesagt werden.364 Mit dieser Ansicht konnte die breite Anerkennung des Diskontinuitätsprinzips bereits zu Beginn des Kaiserreichs und in weiteren Rechtsordnungen erklärt werden, ohne dabei auf die Schwierigkeiten zu treffen, welche sich bei der Übernahme von Gewohnheitsrecht aus anderen Rechtsordnungen ergaben. Indem außerdem eine Übernahme aus nur einzelnen Rechtsordnungen und nicht etwa wie bei der vorherigen Ansicht auf konstitutionelle Rechtsordnungen an sich abgestellt wird, sind auch Abweichungen beim Diskontinuitätsprinzip in den verschiedenen Rechtssystemen unschädlich. Im Ergebnis bedarf es des Rückgriffs auf einen Organisationsparallelismus, Gewohnheits- und Naturrecht aber dann nicht, wenn sich das Diskontinuitätsprinzip schon aus dem Wortlaut der Verfassung des Kaiserreichs herleiten lässt.365 Ausgangspunkt war dabei eine Auslegung der Worte „schließen“ und „Auflösung“ in Art. 12 bzw. 24 Satz 2 RV. Diese hatten zur Zeit der Schaffung der Reichsverfassung je eine klare, festumrissene Bedeutung, welche das Diskontinuitätsprinzip einschloss. Dass die Verfassung selbst keine Bestimmung über die Rechtsfolgen enthält,366 macht die Ermittlung der Bedeutung mittels Auslegung 363 Zum Begriff der Konventionalregeln: Hatschek, Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 14, 18 ff. 364 Hatschek, Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 25 f. 365 In diese Richtung ebenso: Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 133; Dambitsch, Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 12 IV S. 311; Kieschke, Vertagung, Schließung und Auflösung des Deutschen Reichstags, 1907, S. 40. 366 So Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 1922, S. 410; Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 22.
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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aber gerade nötig.367 Dass von der allgemeinen Bedeutung abgewichen werden sollte, ist dabei nicht ersichtlich und wurde auch nie behauptet.368 Insbesondere die in Art. 12 RV vorgesehene Möglichkeit, den Reichstag zu vertagen oder zu schließen, macht nur dann Sinn, wenn damit klar unterscheidbare Rechtsfolgen verbunden sein sollten. Hätten beide Instrumente dieselbe Rechtsfolge haben sollen, wäre eine Beschränkung der Vertagungsmöglichkeit in Art. 26 RV ebenfalls nicht sinnvoll gewesen. Eine, wenn auch nicht die einzige, unterschiedliche Rechtsfolge war der Eintritt von Diskontinuität nur in Folge einer Schließung und nicht bei der Vertagung.369 Das spricht dafür, dass die Schließung und Auflösung fest mit dem Diskontinuitätsprinzip verknüpft waren und die damit verbundenen Rechtsfolgen in den entsprechenden Begriffen ihre rechtliche Verankerung hatten. Darüber hinaus müssen aber auch die von der Verfassung ebenfalls verwendeten Begriffe „Sitzungsperiode“ 370 bzw. „Session“ 371 und „Legislaturperiode“ 372 in diesem Licht betrachtet werden. Auch diese hatten bereits eine Bedeutung als abgeschlossene Arbeitsperioden, die klar mit diskontinuierlichen Folgen verknüpft waren.373 Somit findet sich die rechtliche Begründung für das Diskontinuitätsprinzip im Kaiserreich unmittelbar im Wortlaut der Reichsverfassung und eine problematische Herleitung aus dem Parlamentsrecht anderer Rechtsordnungen ist damit nicht nötig. Zum Teil wurden die dargestellten Ansichten auch kombiniert herangezogen.374 Hieraus lassen sich zwei Dinge ablesen. Zunächst war die eigentliche Rechtsgrundlage deshalb wenig bedeutend, weil die tatsächliche Staatspraxis deutlich machte, dass die beteiligten Organe das Diskontinuitätsprinzip für sich als bindend empfanden. Zum anderen liegen die verschiedenen Begründungsansätze dicht beieinander375 und gehen dabei regelmäßig von der praktischen 367
Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 29. Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 30. 369 Eine weitere Folge, die nur bei Schließung und nicht bei Vertagung des Reichstags eintrat, war der Verlust der Immunität gem. Art. 31 Abs. 1 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871. 370 Zu finden in Art. 31 Abs. 1 und 3 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871. 371 Zu finden in Art. 8 Abs. 2 und Art. 26 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871. 372 Zu finden in Art. 24 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871. 373 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 29. So auch mit Verweis auf das Preußische Abgeordnetenhaus: Haym, Die Auflösung, 1912, S. 39, 55. 374 Besonders beeindruckend dabei Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 56 ff. So auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 148 ff. 375 So griffen beispielsweise auch die Verfechter der Begründung im Naturrecht als „Stütze“ auf Art. 12 RV zurück, etwa der Abgeordnete Friedrich Oskar Schwarze in einem Kommissionsbericht zum ersten Versuch der Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips (Aktenstück Nr. 150, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des 368
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Anerkennung aus, um eine rechtliche Begründung herauszuarbeiten. Wenn man der hier vertretenen Meinung folgt, dass sich das Diskontinuitätsprinzip schon aus dem festumrissenen Sprachgebrauch der Verfassung ergab,376 wurde dieser gerade aus der Praxis anderer konstitutioneller Staaten wesentlich geprägt und war jedoch nur aus der sich daraus entwickelnden Gewohnheit so weitgehend anerkannt. Selbst der entgegengesetzte Ansatz von Zorn, welcher den Eintritt von Diskontinuität nur am Ende der Legislaturperiode nach dem Entfallen der Legitimation des konkret-personellen Reichstags annahm, hat insofern seine Berechtigung, als es deutlich macht, warum das Legislaturende als absolute Grenze jedes Versuchs der Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips gesehen wurde. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sowohl die rechtliche wie auch die politische Begründung des Diskontinuitätsprinzips vielfältig waren, am Schluss aber die geschlossenen Handlungseinheiten von Session und Legislaturperiode und deren festumrissene sprachliche Bedeutung, welche auch der Verfassung des Kaiserreiches zugrunde lag, das Diskontinuitätsprinzip begründeten.
D. Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips Da das Diskontinuitätsprinzip also ein Rechtssatz war, der seine Gültigkeit unmittelbar aus dem Verfassungstext gewann, bedurfte es konsequenterweise für eine Einschränkung dieses Grundsatzes eines verfassungsändernden Gesetzes. Unabhängig von der vertretenen rechtlichen Begründung des Diskontinuitätsprinzips herrschte zumindest an diesem Punkt auch sonst weitgehend Einigkeit in der Staatspraxis377 und der Literatur.378 Eine solche Verfassungsänderung verlangte dabei gem. Art. 78 RV im Vergleich zum Erlass von einfachen Gesetzen, dass es im Sinne einer qualifizierten Mehrheit keine 14 Gegenstimmen im Bundesrat geDeutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 3. Band, S. 385). So auch von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 2, 1877, S. 16. 376 So im Übrigen auch zusätzlich zum Gewohnheitsrecht als Quelle: Perels, Legislaturperiode des preußischen Hauses der Abgeordneten und des deutschen Reichstages, AöR 19 (1905), 1 (23 f.). Ähnlich Laband, Staatsrecht, Band 1, 1911, S. 342. 377 Vgl. etwa Kommissionsbericht zum ersten Versuch der Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips, Aktenstück Nr. 150, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 3. Band, S. 386. Auch die Äußerungen der Abgeordnete Eduard Lasker und Ludwig Windthorst, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 639, 642; so auch der Abgeordnete Hans Wilhelm von Unruhe-Bomst, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 2. Band, S. 963. 378 Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 133. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 30, 33; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 150. A. A.: Hillmann ging von einem Gewohnheitsrecht im Rang eines einfachen Rechts aus und hielt eine Verfassungsänderung nur deshalb für nötig, um den zwischen den Sessionen tätigen Kommissionsmitgliedern eine Aufwandsentschädigung zu zahlen (Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 26).
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ben durfte. Während des Kaiserreichs kam es zu zwei Versuchen, das Diskontinuitätsprinzip für das Gesetzgebungsverfahren auf diesem Wege zu durchbrechen, wobei sich Parallelen zu den bereits besprochenen Versuchen in den Einzelstaaten Bayern und Preußen zeigen.379 Daneben kam es zu einer gesonderten Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität als Folge des Ersten Weltkrieges. I. Erster Versuch: eine allgemeine Durchbrechung Der erste Versuch ging auf eine Initiative des nationalliberalen Abgeordneten Eduard Lasker bereits in der ersten Session der ersten Legislaturperiode im April 1871 zurück. Die sich dabei entfaltende Diskussion bildete in ihrer Ausführlichkeit erst das Diskontinuitätsprinzip und seine spätere Handhabung im Kaiserreich heraus.380 Der Antrag schlug ein „Gesetz, betreffend die geschäftliche Behandlung eines ungewöhnlich umfangreichen Gesetz-Entwurfes“ vor.381 Zur Begründung seines Entwurfes führte Lasker aus, dass umfangreiche Gesetzesvorhaben zu erwarten sein und nur erfolgreich verabschiedet werden könnten, wenn die Sessionslänge erheblich ausgedehnt, die Beratungen weniger ausführlich erfolgten oder die vorgeschlagene Ausnahme vom Grundsatz der Diskontinuität geschaffenen werden würde. Dies nannte er einen „Uebelstand“, den sein Antrag beseitigen helfen sollte, indem eine Diskussion über die Erfahrungen mit Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips in den einzelnen Ländern des Reiches angestoßen werden sollte.382 Sein Vorschlag sah vor, dass das Diskontinuitätsprinzip nicht nur für ein einzelnes Gesetzesvorhaben durchbrochen, sondern ein institutionalisierter Weg geschaffen werden sollte, der dies bei jedem „ungewöhnlich umfangreichen“ Entwurf ermöglicht hätte.383 Dabei sollte gleich in zweifacher Weise die Diskontinuität am Ende der Session ausgesetzt werden. Zunächst sollte der Reichstag Möglichkeit bekommen, nach einer ersten Lesung mit Zustimmung des Bundes379 Vgl. etwa den Kommissionsbericht, Aktenstück Nr. 150, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 3. Band, S. 387, der sich ausdrücklich in der Formulierung auf das Bayerische Gesetz aus dem Jahr 1848 bezieht. 380 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 151. 381 Aktenstück Nr. 80, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 3. Band, S. 187 f. 382 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 638. Vgl. auch die Ausführungen des Abgeordneten August Reichensperger, der von einem „Akt der Verzweiflung“ sprach, ohne den die Parlamentsarbeit nicht vorangehen könne (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 2. Band, S. 964). 383 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 34; Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 23. Ebenso Jekewitz, der Hillmann wohl falsch interpretiert (Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 151).
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rates zu beschließen, die weiteren Gesetzgebungsschritte in der nächsten Session der gleichen Legislaturperiode fortzuführen. Hierin lag eine Durchbrechung der sachlichen Diskontinuität am Ende der Session. Die Exekutive hätte damit weiterhin das Instrument der Schließung in ihrer Hand gehalten, allerdings wäre die Bestimmung über die Rechtsfolgen einer solchen zumindest teilweise auf den Reichstag und den Bundesrat verlagert worden.384 Darüber hinaus sollte aber auch eine Kommission ermächtigt werden, zwischen den Sessionen Vorberatungen durchzuführen, was eine Ausnahme von der sonst eintretenden organisatorischen Diskontinuität bedeutet hätte.385 Diese Möglichkeit sei – so Eduard Lasker – deshalb nötig, damit das Plenum nicht versammelt sein müsse, um Kommissionsberatungen zu ermöglichen. Insbesondere technische Gesetze müssten aber anders als „Fragen von hoher Politik“ in den Kommissionen bereits ausreichend vorbereitet werden, weil dem Plenum sonst für die Beratungen und anschließende Verabschiedung das Interesse und die Kenntnisse fehlte.386 Damit ging der Antrag jedoch über das zwingend notwendige Maß hinaus und setzte sich der zusätzlichen Kritik aus, den „Parlamentarismus in Permanenz“ 387 schaffen zu wollen.388 Dieser widerspräche der Befugnis des Monarchen, das Parlament in allen seinen Teilen aufzulösen und damit die Parlamentstätigkeit völlig zu unterbrechen, so der Zentrums-Abgeordnete Ludwig Windthorst aus Meppen als einer der größten Kritiker des Entwurfs.389 Aus diesem Grund und weil den Mitgliedern der sogenannten „Zwischenkommission“,390 anders als in Art. 32 RV vorgesehen, Diäten gezahlt werden sollten, hielt man dies für eine „tief einschneidende Verfassungsänderung“.391 Daneben erfuhr die Tatsache besonders viel Kritik, dass die vorgeschlagene Ausnahme 384
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 151. Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 34; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 152. 386 So der Abgeordnete Eduard Lasker, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 638 f. 387 So der Abgeordnete Ludwig Windthorst, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 641 f. 388 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 34 f. 389 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 642. 390 Vgl. die Verwendung des Terminus durch den Abgeordneten Eduard Lasker, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 639. Vgl. auch den Namensvorschlag des Gesetzes durch den späteren Ausschussbericht, Aktenstück Nr. 150, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 3. Band, S. 389. 391 So die Abgeordneten Ludwig Windthorst und Friedrich Oskar Schwarze, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 643 bzw. 648. 385
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sich nicht auf jene bereits absehbare, umfangreiche Gesetzesvorhaben, insbesondere die Reichsjustizgesetze, beschränkte, sondern ein allgemeines Ausnahmegesetz geschaffen werden sollte.392 Da der Initiator Eduard Lasker jedoch auf eine allgemeine Ausnahme besonders viel Wert legte, schlug er eine Verfassungsänderung vor, soweit eine Reichstagsmehrheit dies für nötig hielt. In diesem Fall sei ein allgemeines Ausnahmegesetz auch deshalb vorzuziehen, weil sonst regelmäßig verfassungsändernde Gesetze nötig wären.393 Dem Vorwurf, einen permanenten Ausschuss zu schaffen, welcher eigene Befugnisse auf Kosten der Handlungsmöglichkeit des Reichstags bekommt, trat der nationalliberale Abgeordnete Karl Braun aus Gera entgegen, indem er darauf hinwies, dass die Zwischenkommission vollständig vom Reichstag abhängig wäre, nur mit Zustimmung des Bundesrates eingesetzt werden könne und überdies spätestens mit der Legislaturperiode des Reichstags ebenfalls ihr Ende finden müsse.394 Außerdem führte er aus, dass die Ausnahme gleichzeitig eine Bestätigung des Diskontinuitätsprinzips als Regelfall darstelle.395 Im Anschluss wurde der Gesetzentwurf an eine speziell hierfür gewählte Kommission zur Beratung überwiesen.396 Diese sprach in ihrem Abschlussbericht dem Reichstag eine Annahmeempfehlung aus, schlug aber eine Beschränkung der Geltungsdauer des Ausnahmegesetzes auf die laufende Legislaturperiode vor.397 Obwohl auch in der zweiten Lesung398 von allen Seiten anerkannt wurde, dass grundsätzlich eine Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip bei umfangreichen Gesetzentwürfen wünschenswert sei, lehnte der Reichstag sowohl den Kommis-
392 Abgeordnete Ludwig Windthorst, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 642; so auch der Abgeordnete Hans Wilhelm von Unruhe-Bomst, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 2. Band, S. 963. 393 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 639. 394 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 644 f. 395 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 643. So führte der Abgeordnete Friedrich Oskar Schwarze, der hierzu das Beispiel Sachsens an (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 648). In diese Richtung ebenfalls von Rönne, Staats-Recht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 261 Fn. 5, Band 2, 1877, S. 51. 396 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 1. Band, S. 651. 397 Ergebnis des Ausschussberichtes, Aktenstück Nr. 150, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 3. Band, S. 389 f. mit anschließender Gegenüberstellung des ursprünglichen Entwurfes und der vorgeschlagenen Änderungen. 398 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 2. Band, S. 962 ff.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
sionsvorschlag wie jenen von Lasker im Ergebnis ab.399 Es geschah „teils aus politischen, teils aus rechtlichen, teils aus parlamentarischen Bedenken“.400 II. Zweiter Versuch: Durchbrechung nur für bestimmte Vorlagen Dass bei der Ablehnung insbesondere Bedenken bezüglich der Geltung der Durchbrechung für eine unbestimmte Zahl von Gesetzen, denen auch durch eine zeitliche Beschränkung allein nicht begegnet werden konnte, eine Rolle gespielt haben, zeigt der erfolgreiche zweite Versuch, eine Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip zu schaffen. Auch dieser 1874 vorgeschlagene Antrag ging auf Eduard Lasker zurück, wurde aber darüber hinaus von den entschiedenen Gegnern des ersten Entwurfs Ludwig Windthorst und Rudolph Gneist unterzeichnet,401 sodass Lasker in der ersten Lesung sogar von einer Einstimmigkeit des Hauses sprach und den Antrag nur knapp begründete.402 Der Entwurf beschränkte sich darauf, die Geltung des Diskontinuitätsprinzips für die Entwürfe des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Strafprozessordnung, der Zivilprozessordnung und der entsprechenden Einführungsgesetze am Ende der laufenden Session aufzuheben, einer Kommission zwischen den Sessionen die Beratung der Entwürfe und dem Reichstag die Fortsetzung der Verhandlung in der nächsten Session zu ermöglichen.403 Neben der Beschränkung der Geltung auf diese bestimmten, namentlich genannten Gesetzentwürfe wurde den früheren Bedenken dadurch Rechnung getragen, dass sich die so geschaffene Möglichkeit auf eine einmalige Überbrückung von der laufenden auf die nächste Session beschränkte. Nachdem auch die Reichsregierung grundsätzlich ihre Zustimmung signalisiert hat, wurde der Antrag so dann vom Reichstag in der Tat fast einstimmig angenommen.404 Den eigentlichen Gesetzentwurf brachte dann der Bundesrat aus politischen Gründen beim Reichstag ein.405 Dieser wurde auch zügig vom 399 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 2. Band, S. 976. 400 Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 26. Vgl. insbesondere die Ausführungen des Abgeordneten Rudolph Gneist, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 2. Band, S. 965 ff. 401 Vgl. Unterzeichner des entsprechenden Antrags, Aktenstück Nr. 64, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 2. Legislaturperiode, II. Session 1874/75, 3. Band, S. 782. 402 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 2. Legislaturperiode, II. Session 1874/75, 1. Band, S. 362. 403 Aktenstück Nr. 64, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 2. Legislaturperiode, II. Session 1874/75, 3. Band, S. 782. 404 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 2. Legislaturperiode, II. Session 1874/75, 1. Band, S. 363. 405 Vgl. Aktenstück Nr. 109, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 2. Legislaturperiode, II. Session 1874/75, 4. Band, S. 938. S. auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 35 Fn. 127.
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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Reichstag ohne größere Bedenken verabschiedet und am 23. Dezember 1874 verkündet.406 Da alle Verfassungsorgane ein großes Interesse an der schnellen Verabschiedung der Reichsjustizgesetze hatten, gab es auch kaum Bedenken gegen eine Verlängerung, nachdem deutlich wurde, dass die Entwürfe auch in der weiteren Session nicht zur Abstimmung gelangen würden. Außerdem wurde eine ähnliche Ausnahmeregelung für die Konkursordnung verabschiedet, die im engen Zusammenhang mit den Justizgesetzen stand.407 Diese Verlängerungen und Erweiterungen können möglicherweise als Indiz dienen, dass die Bedenken nicht ganz unbegründet waren, dass selbst eine einmalige Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips eine Art Dammbruch darstellen könnte, die regelmäßig vorgebracht wurde.408 Dennoch wurden keine weiteren Ausnahmen vom Eintritt der sachlichen Diskontinuität im Kaiserreich gemacht.409 Dies lässt sich insbesondere damit erklären, dass die Reichsleitung im Laufe der Zeit die Sessionslänge erhöhte, sodass mehr Zeit für ausführliche Beratungen geschaffen und entsprechende Ausnahmegesetze nicht mehr nötig wurden. Um eine Unterbrechung, wenn auch keinen Abbruch, der Parlamentsarbeit zu erreichen, stand immer noch die Möglichkeit der Vertagung zur Verfügung.410 Darüber hinaus ließ sich selbst ein umfang406 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 156. S. zur Verabschiedung, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 2. Legislaturperiode, II. Session 1874/75, 2. Band, S. 805; zur Verkündung: „Gesetz, betreffend die geschäftliche Behandlung der Entwürfe eines Gerichtsverfassungsgesetzes, einer Strafprozeßordnung und einer Civilprozeßordnung, sowie der zugehörigen Einführungsgesetze“ vom 23.12.1874, RGBl. S. 194 f. 407 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 33; Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 28; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 156 f. S. auch „Gesetz, betreffend die weitere geschäftliche Behandlung der Entwürfe eines Gerichtsverfassungsgesetzes, einer Strafprozeßordnung und einer Civilprozeßordnung, sowie der zugehörigen Einführungsgesetze“ vom 1.2. 1876, RGBl. S. 15 f. sowie „Gesetz, betreffend die weitere geschäftliche Behandlung der Entwürfe einer Deutschen Konkursordnung und des dazu gehörigen Einführungsgesetzes“ vom 20.2.1876, RGBl. S. 23. 408 Vgl. etwa die Ausführung des Abgeordnete Ludwig Windthorst selbst noch zum zweiten, mitunterzeichneten Entwurf 1874 (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 2. Legislaturperiode, II. Session 1874/75, 1. Band, S. 363). Ähnlich schon zum ersten Entwurf 1871 der Abgeordnete Rudolph Gneist, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871, 2. Band, S. 967. 409 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 36; Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 28; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 157, die insofern ungenau sind, weil sie jede weitere Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip in allen seinen Ausprägungen für das Kaiserreich verneinen und dabei die Ausnahme von der organisatorischen Diskontinuität durch das „Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst“ zumindest nicht in diesem Zusammenhang erwähnen. 410 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 33, 39; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 157.
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
reiches Gesetzesvorhaben wie das Bürgerliche Gesetzbuch innerhalb von weniger als sieben Monaten im Reichstag beraten. Dazu verzichtete die Exekutive auf jede Vertagung und Schließung in der Zeit der Einbringung am 17. Januar 1896 bis zur dritten Lesung am 1. Juli 1896.411 Außerdem wurde die Vorlage des kontinuierlichen Bundesrates in zwei Kommissionen, denen auch Reichstagsabgeordnete angehörten, im Vorfeld so gründlich vorbereitet und mit dem Reichstag abgestimmt, dass die eigentlichen Beratungen im Parlament dann weniger Zeit in Anspruch nahmen.412 Dieses Vorgehen beleuchtet gut, dass, soweit es im Interesse der Exekutive lag, einen Gesetzentwurf zu verabschieden, das Diskontinuitätsprinzip kaum ein Hindernis darstellte. Umgekehrt war der Reichstag aber davon abhängig, durch den von der Reichsleitung bzw. dem Bundesrat in den Vorbereitungsprozess miteinbezogen zu werden, ohne ein Recht hierauf zu haben. Dagegen war ein umfangreiches Gesetzesvorhaben aus der Mitte des Reichstags nach der gescheiterten allgemeinen Durchbrechungsmöglichkeit aus dem Jahr 1871 kaum denkbar, sodass das Diskontinuitätsprinzip in erster Linie ein Hindernis für Initiativen des Reichstags und weniger für den Bundesrat darstellte. III. Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität Auch die weitere, gesonderte Durchbrechung lediglich der organisatorischen Diskontinuität durch das „Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst“ vom 5. Dezember 1916413 stützt den Befund, dass ein rein dogmatisches Festhalten an dem Diskontinuitätsprinzip dort ausschied, wo die Exekutive an der Behinderung der Reichstagsarbeit kein Interesse haben konnte. Das auf die Kriegszeit beschränkte Gesetz schuf eine Arbeitspflicht in bestimmten, kriegswichtigen Bereichen der Wirtschaft für Männer zwischen 17 und 60 Jahren, die nicht zum Militär berufen waren.414 War der Regierungsentwurf mit gerade vier Paragraphen noch sehr kurz und übertrug allein dem Bundesrat die Verordnungskompetenz zur Ausführung des Gesetzes,415 erfuhr er in der zweiten Beratung im Reichstag416 umfassende Änderungen, die weitgehend auf einen Änderungsentwurf des Zentrums-Abgeordneten Peter Spahn (Bonn-Rheinbach) zurückgingen.417 Diese 411
Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 33. Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 29, Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 157. 413 RBGl. S. 1333. 414 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2021, Rn. 498. 415 Vgl. Aktenstück Nr. 509, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session 1914/18, Band 320, S. 1000. 416 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session 1914/18, Band 308, S. 2198 C. 417 Vgl. den Änderungsantrag von Peter Spahn und Genossen, Aktenstück Nr. 532, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session 1914/18, Band 320, S. 1042. S. auch die Gegenüberstellung des ursprünglichen Regierungsentwurfes und die Beschlüsse des Reichstags, 412
3. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Kaiserreich
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Änderungen bildeten auch die Grundlage für § 19 des späteren, mit großer Reichstagsmehrheit verabschiedeten418 Gesetzes, welcher die Bildung eines speziellen Reichstagsausschusses vorsah. Dieser Ausschuss musste vom Kriegsamt angehört und informiert werden. Darüber hinaus konnte der Bundesrat aber auch nicht, wie ursprünglich vom Regierungsentwurf vorgesehen, allein allgemeine Verordnungen bezüglich des Hilfsdienst-Gesetzes erlassen, sondern diese bedurften der Zustimmung des Reichstagsausschusses. Hierzu durfte sich der Ausschuss auch versammeln, während der Reichstag vertagt oder sogar geschlossen war. Zu Berufungen von Ausschüssen während einer Vertagung des Reichstags kam es bereits früher,419 allerdings lag nur in der neu geschaffenen Versammlungsmöglichkeit, während der Reichstag geschlossen war, auch eine Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität. Diese war außerdem nicht wie im Fall der Justizgesetze auf die Überbrückung von einer Session zu nächsten beschränkt, sondern galt allgemein für jede Unterbrechung des Reichstags.420 Überraschenderweise spielt diese Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips in der Diskussion im Reichstag kaum eine Rolle. Vielmehr wurde die Notwendigkeit einer solchen Permanenz einfach vorausgesetzt. Eingehender wurde die Frage diskutiert, ob angesichts der Ausnahmesituation des Krieges der Reichstag selbst und nicht ein Ausschuss permanent tagen sollte, um die dem Ausschuss zugedachten Aufgaben wahrzunehmen.421 Auch wenn diese Forderung keine Mehrheit fand, zeigt sie doch, dass der Reichstag gegen Ende des Kaiserreichs an Selbstbewusstsein gegenüber den übrigen Verfassungsorganen gewonnen hatte. Angesichts der Forderungen der Reichstagsmehrheit bei der Ausführung des Gesetzes wenigstens durch einen Ausschuss mitzubestimmen, waren die Regierung und der Bundesrat dann auch bereit, die organisatorische Diskontinuität für diesen Ausschuss aufzugeben, um so eine effektive Ausführung des für sie in Kriegszeiten besonders wichtigen Gesetzes zu sichern.422 Soweit der Reichstag also auf einer Mitbestimmung bestand, lag die Aktenstück Nr. 560, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session 1914/18, Band 320, S. 1069 ff. 418 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session 1914/18, Band 308, S. 2326 A, 2330. 419 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 117 f., 190. 420 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 191. 421 So der Abgeordnete Wilhelm Dittmann, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session 1914/18, Band 308, S. 2272 C. 422 Vgl. etwa die vorsichtigen Ausführungen des Staatsministers des Inneren und Bevollmächtigten des Bundesrates Karl Helfferich, der nur eine Mitbestimmung des Reichstages ausdrücklich ablehnte und bei der in der zweiten Lesung beschlossenen Fassung zum Zustandekommen des Gesetzes eine Opferbereitschaft einforderte, die auch für den Bundesrat gelte (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session 1914/18, Band 308, S. 2321 C, D).
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2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität auch im Interesse der Exekutive. Zusammenfassend lässt sich dennoch festhalten, dass beide erfolgreichen Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips in ihrer Wirkung sehr begrenzt waren. Die erfolgreiche Durchbrechung der organisatorischen und sachlichen Diskontinuität beschränkte sich – wie auch der frühere erfolglose Versuch – ausdrücklich auf eine Überbrückung von einer zur nächsten Session, die innerhalb einer Legislaturperiode liegen mussten. Die zweite erfolgreiche Durchbrechung war zwar in ihrer zeitlichen Geltung nicht so beschränkt, dafür betraf sie lediglich den Hilfsdienst-Ausschuss und galt nur während der Kriegszeit. Auch hier blieb die Legislaturperiode als zeitlicher Einschnitt erhalten.423 Einen Versuch der Überbrückung des Diskontinuitätsprinzips über eine Legislaturperiode hinaus gab es nicht.424 Wie schon bei früheren Durchbrechungen zeigte sich, dass diese maßgeblich vom Wohlwollen der Exekutive und der Krone abhingen. So wurde das Diskontinuitätsprinzip in erster Linie als politisches Prinzip gesehen, den Handlungsspielraum des Parlaments einzuschränken und ein permanentes Parlament zu verhindern. Aus diesem Grund lag der Fokus auf der Diskontinuität am Ende der Session und war eng mit der Prärogative des Kaisers verknüpft, die Versammlung des Parlaments zeitlich zu bestimmen. Wenn der Kaiser also die Sessionen frei gestalten konnte, war eine Durchbrechung auch stets möglich, soweit alle Verfassungsorgane zustimmten. Da das Ende der Legislaturperiode durch den Kaiser mit Zustimmung des Bundesrates durch Auflösung zwar vorgezogen, aber sonst nicht beeinflusst werden konnte, schien eine Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips der Legislaturperiode im Gegensatz dazu ausgeschlossen.425 Diese Grenze rückte in der Weimarer Republik jedoch stärker in den Fokus. 4. Kapitel
Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik Die gesellschaftlichen und sozialen Umwälzungen am Ende des Ersten Weltkrieges mündeten darin, dass die neue Weimarer Reichsverfassung am 14. August 1919 in Kraft trat.426 Hatte der letzte Reichskanzler des Kaiserreichs von Baden in der Bekanntmachung vom 9. November 1918,427 in der er eigenmäch423
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 191 f. Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 29. 425 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 158. 426 Verfassung des Deutschen Reiches (Weimarer Reichsverfassung) vom 11.8.1919, RGBl. S. 1383. Dazu Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2021, Rn. 505 ff., 515c. Zum revolutionären Ursprung der Reichsverfassung: E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band VI, 1981, S. 5 ff. 427 Deutscher Reichsanzeiger und Königlicher Preußischer Staatsanzeiger, 9.11.1918, Abends, Amtliches, S. 1. 424
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
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tig die Abdankung des Kaisers erklärte, die Frage der zukünftigen Staatsform des Reiches noch einer zu wählenden, verfassungsgebenden Nationalversammlung übertragen wollen, beantwortete die Realität diese zügig zugunsten einer Republik. Die Nationalversammlung beschäftigte sich im Anschluss nur noch damit, wie diese auszugestalten war.428 Der Wechsel der Staatsform von Monarchie zur Republik bedeutete insbesondere für den Reichstag eine Veränderung in seiner verfassungsmäßigen Stellung. Seine gesteigerte Bedeutung hatte sich beispielsweise in den deutlich längeren und nicht mehr durch Schließungen unterbrochenen Versammlungszeiten bereits am Ende des Kaiserreichs angedeutet und setzte sich nun in der frühen Weimarer Republik fort.429 Der Regierungsentwurf, welcher von dem Staatslehrer und damaligen Staatssekretär im Reichsamt des Inneren Hugo Preuß ausgearbeitet wurde, sollte diesen Bedeutungsgewinn demokratischer Elemente und der neuen Republik auch dadurch Ausdruck verleihen, dass aus der Reichsverfassung des Kaiserreichs nicht einfach übernommen werden sollte. Stattdessen waren die Verfassungen Englands, Frankreichs, der Schweiz und der USA sowie die Paulskirchenverfassung Vorbilder. Angelehnt an letztere430 sollte das Parlament zukünftig aus zwei Kammern, dem Volkshaus und dem Staatenhaus, bestehen. Ziel dieser Konzeption war es, eine doppelte demokratische Legitimation zu schaffen, indem das Volkshaus direkt von allen Wahlberechtigten und das Staatenhaus von den Mitgliedern der Landtage gewählt werden sollte. Stattdessen griff man in der Nationalversammlung jedoch auf die bekannte Idee eines Parlaments mit einer Kammer in Form des Reichstags und dem danebenstehenden föderalen Organ des Reichsrats zurück. Daneben stand ein direkt gewählter Reichspräsident als drittes oberstes Verfassungsorgan.431 Trotz der vertrauten Struktur bedeutete die Weimarer Verfassung einen Bedeutungszuwachs des Parlaments zulasten der anderen Organe. Nicht nur im Verfassungstext war der Reichstag damit an die erste Stelle unter den Verfassungsorganen gerückt.432 Das Volk als neuer Souverän gem. Art. 1 WRV wählte den Reichstag gem. Art. 22 WRV in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl. Zwar wurde auch der Reichspräsident vom ganzen Volk gewählt,433 allerdings war der Reichstag der eigentliche Repräsentant dieses Souveräns.434 428
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 192. Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 190. 430 Vgl. Art. 85 der Verfassung des deutschen Reiches (Paulskirchenverfassung) vom 28.3.1849. 431 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 193. 432 Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, 1926, S. 121. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 37; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 193 f. 433 Art. 41 Abs. 1 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919. 434 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 194. 429
100 2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
Dies wird auch dadurch ausgedrückt, dass die Reichsregierung nun des Vertrauens des Reichstags bedurfte und ohne dieses auch einzelne Mitglieder zurücktreten mussten.435 Wie der kaiserliche Reichstag hatte gem. Art. 68 WRV der Weimarer Reichstag neben der Regierung das Gesetzesinitiativrecht. Vorlagen der Regierung mussten mit Zustimmung des Reichsrates eingebracht oder die abweichende Auffassung des Reichsrats musste bei der Einbringung dargelegt werden.436 Der Reichsrat selbst konnte keine Vorlagen einbringen, sondern war auf einen indirekten Weg über die Regierung verwiesen, wobei diese die Vorlage gegebenenfalls unter Darlegung ihrer abweichenden Meinung beim Reichstag einbringen musste.437 Das stärkste Initiativrecht war also klar dem Reichstag zugewiesen. Eine weitere Schwächung des Föderalorgans zugunsten des Reichstags kommt in Art. 74 WRV zum Ausdruck. Hiernach hatte der Reichsrat zwar ein Einspruchsrecht gegen beschlossene Gesetze des Reichstags, allerdings war diese Einspruchsmöglichkeit auf zwei Wochen begrenzt und konnte vom Reichstag mit Zweidrittelmehrheit zurückgewiesen werden. In diesem Fall konnte der Reichspräsident das Gesetz entweder verkünden oder einen Volksentscheid anzuordnen. Die Möglichkeit, das Volk direkt zu befragen, hatte der Reichspräsident auch, wenn der Reichstag sich nach einem Einspruch des Reichsrats nicht einigen konnte und diesen nicht mit der erforderlichen Mehrheit zurückweisen konnte. Die Macht des Reichspräsidenten lag nach der Weimarer Verfassung darin, das Volk als Souverän zu befragen.438 So hatte er keine Einspruchsmöglichkeit gegen verfassungsgemäß zustande gekommene Gesetze, sondern musste diese gem. Art. 70 WRV innerhalb eines Monats ausfertigen und verkünden, er konnte jedoch innerhalb eines Monats auch einen Volksentscheid veranlassen.439 Wie schon seine direkte Wahl zeigt dies, dass die Weimarer Verfassung den Reichspräsident im Fall einer Konfrontation als das mächtigste Gegengewicht zum Reichstag ausgestaltet hat. Nicht umsonst sprach man vom „Ersatzkaiser“.440 Das Amtsverständnis insbesondere des zweiten Reichspräsidenten von Hindenburg und die Schwäche des Reichstags durch immer schwierigere Mehrheitsverhältnisse untermauerte in der Praxis die schon verfassungsrechtlich starke Position des Reichspräsidenten.441
435
Art. 54 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919. Art. 69 Abs. 1 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919. 437 Art. 69 Abs. 2 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919. 438 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 195. 439 Art. 73 Abs. 1 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919. 440 Butzer, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 38 Rn. 4; Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2008, Rn. 2296; Waldhoff, „Weimar“ als Argument, JuS 2019, 737 (740). 441 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 196. 436
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
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Diese Ambivalenz des einerseits beschriebenen Bedeutungszuwachs des Reichstages, bei gleichzeitig weiterhin starken Einflussmöglichkeiten anderer Verfassungsorgane auf dessen Arbeit, wird ebenso bei der Gestaltung der parlamentarischen Arbeitsperiode deutlich.
A. Parlamentarische Arbeitsperioden als Grundlage des Diskontinuitätsprinzips Damit es überhaupt zum Eintritt von Diskontinuität kommen konnte, musste sich auch die Arbeit des Reichstags der Weimarer Republik in unterscheidbare Handlungsabschnitt gliedern lassen. Hierfür kommen zunächst die aus dem Kaiserreich bekannten Abgrenzungen Legislaturperiode, Sessionen und Sessionsabschnitte in Betracht. Die Weimarer Verfassung benennt lediglich zwei Parlamentsperioden ausdrücklich. Sie spricht zum einen von „Tagungen“ bzw. „Sitzungsperioden“ und zum anderen von „Wahlperioden“.442 Wahlperioden begannen nach herrschender Auffassung am Tag der Wahl443 und endeten nach der Verfassung durch Zeitablauf oder durch Auflösung durch den Reichspräsidenten.444 Nachdem der ursprüngliche Verfassungsentwurf eine Legislaturperiode von drei Jahren, wie sie zu Beginn des Kaiserreichs galt, vorsah und sich zunächst die Nationalversammlung für fünf Jahre aussprach,445 einigte man sich in jeweils knappen Abstimmungen auf vier Jahre.446 Tatsächlich endete jedoch keine Wahlperiode der Weimarer Zeit durch Zeitablauf, sondern jede mit Auflösung des Reichstags durch den Reichspräsidenten.447 Es kam 442 Weitere Beispiele finden sich in Art. 24, 27, 35, 37 und insbesondere in dem später eingefügten Art. 40a Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919. 443 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 23 Anm. 1 m.w. N.; Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 23 WRV Anm. 1; Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, 1924, S. 102; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, 1926, S. 146; Giese, Verfassung des Deutschen Reiches, 1931, Art. 23 Anm. 1; W. Jellinek, Verfassung und Verwaltung, 1926, S. 64; Lammers, Reichstag, in: Stier-Somlo/Elter (Hrsg.), Handwörterbuch, 1928, S. 29; Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 1928, Art. 24 Anm. 1. A. A.: Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 1. Band, 1922, S. 414 ff. 444 Art. 23 Abs. 1 Satz 1 bzw. Art. 25 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8. 1919. 445 Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 327, S. 1288 D, 1289 A. 446 Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 328, S. 2106 B, C. Auch Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 23 Anm. 1. 447 Durch Reichspräsident Friedrich Ebert: 13.3.1924 (RGBl. I S. 173), 10.10.1924 (RGBl. I S. 713); durch Reichspräsident Paul von Hindenburg: 31.3.1928 (RGBl. I S. 136), 18.6.1930 (RGBl. I S. 299), 4.6.1932 (RGBl. I S. 255), 12.9.1932 (RGBl. I S. 441) und 1.2.1933 (RGBl. I S. 45). Ausführlich zum Auflösungsrecht: Lalla, laut dem die Parlamentsauflösung entsprechend auch „zum parlamentarischen System als normales Mittel“ gehöre (Auflösung des deutschen Reichstages, 1931, S. 81).
102 2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
ebenfalls nie zu dem Sonderfall einer automatischen Auflösung nach Art. 43 Abs. 2 Satz 3 WRV, der eintreten sollte, wenn der Reichstag den Reichspräsidenten absetzen wollte und dieser Antrag durch eine zwingend vorgesehene Volksabstimmung abgelehnt wurde.448 Der Reichstag hatte kein Selbstauflösungsrecht. Dafür war jenes des Reichspräsidenten umso freier. Es bedurfte nicht wie im Kaiserreich der Zustimmung der Ländervertreter, sondern lediglich wie alle Regierungsakte des Reichspräsidenten der Gegenzeichnung eines Regierungsmitglieds.449 Dass die Regierung wiederum formell auf das Vertrauen des Reichstags angewiesen war, stellt kein Hindernis dar. Gem. Art. 53 WRV konnte der Reichspräsident den Reichskanzler und auf dessen Vorschlag die Reichsminister ohne Beschränkungen ernennen und entlassen. Im Zweifel stand die Reichsregierung also an der Seite des Reichspräsidenten, da sie in der Praxis stärker auf das Vertrauen des Reichspräsidenten angewiesen war.450 Hätte man sich der Forderung der Auflösung wiedersetzt, hätte dieser die Entlassung anordnen können.451 Das mächtige Auflösungsrecht wurde auch nicht durch die formelle Einschränkung des Art. 25 Abs. 1 WRV beschnitten, welcher eine Auflösung nur einmal mit der gleichen Begründung erlaubte. Bei den Begründungen wurde nämlich jeweils auf eine bestimmte politische Situation abgestellt, die es dem Reichspräsidenten erlaubte, die Begründung in jedem Fall relativ frei zu wählen.452 Die gewählten Begründungen zeugen dabei zum Teil offen von einem Konflikt zwischen dem Reichstag und der Exekutive, insbesondere dem Reichspräsidenten. Bereits die erste Auflösung unter Reichspräsident Ebert wird damit begründet, dass sich der Reichstag weigerte, eine von der Regierung als „lebenswichtig“ bezeichnete Verordnung zu verlängern, die aufgrund des ersten und zweiten Reichs-
448 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 197. Zu dieser Möglichkeit: Lalla, Auflösung des deutschen Reichstages, 1931, S. 79 ff. 449 Art. 50 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919. Lalla, Auflösung des deutschen Reichstages, 1931, S. 72, insbesondere auch zur Gegenzeichnung S. 9 ff. Ebenso Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, 1924, S. 102 f.; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, 1926, S. 147; Pohl, Zuständigkeiten des Reichspräsidenten, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR, 1. Band, 1930, S. 486. Zum fehlenden Selbstauflösungsrecht: S. 40 f. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 37; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 195. 450 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 196. 451 Lalla, Auflösung des deutschen Reichstages, 1931, S. 46. Auch Gebhard, Handkommentar zur Verfassung, 1932, Art. 25 Anm. 3a; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, 1926, S. 147; Pohl, Zuständigkeiten des Reichspräsidenten, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR, 1. Band, 1930, S. 487 f. 452 Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, 1924, S. 102 f.; Gebhard, Handkommentar zur Verfassung, 1932, Art. 25 Anm. 2 ff.; Lalla, Auflösung des deutschen Reichstages, 1931, S. 66 ff., 70; Pohl, Zuständigkeiten des Reichspräsidenten, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR, 1. Band, 1930, S. 487.
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
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ermächtigungsgesetzes von 1923 erlassen wurde.453 1924 gab es keinen bestimmten Anlass, sondern allgemeine „parlamentarische Schwierigkeiten“ wurden als Begründung angeführt.454 Unter Reichspräsident von Hindenburg finden sich dann Auflösungen, weil der Reichstag sein Recht, eine präsidiale Notverordnung gem. Art. 48 Abs. 2 WRV außer Kraft zu setzen, ausgeübt hatte bzw. bloß die Gefahr eines solchen Verlangens bestand.455 Mit dem Auflösungsrecht, welches zumindest mitgedanklich von den Prärogativen des Kaisers der alten Reichsverfassung übernommen wurde,456 stand dem Reichspräsidenten also im Ergebnis ein starkes Instrument zur Kontrolle des Reichstags zur Verfügung.457 Dem setzte die Weimarer Verfassung ein deutliches Zeichen der Unabhängigkeit des Reichstages entgegen. Statt bei der ersten Sitzungsperiode auf eine Berufung durch die Exekutive angewiesen zu sein, sah Art. 23 Abs. 2 WRV vor, dass der erste Zusammentritt des Reichstags 30 Tage nach dessen Wahl erfolgen sollte. Darüber hinaus sollte der Reichstag jedes Jahr am ersten Mittwoch des Novembers zusammentreten und jeden weiteren Wiederzusammentritt selbst bestimmen.458 Spiegelbildlich zu diesem Selbstversammlungsrecht hatte der Reichstag gem. Art. 24 Abs. 2 WRV auch das Recht, sich selbst zu schließen. Umgekehrt hatte der Reichspräsident – anders als der Kaiser – konsequenterweise nicht die Möglichkeit, den Reichstag zu schließen oder auch nur zu vertagen.459 Ihm blieb lediglich das Recht gem. Art. 24 Abs. 1 Satz 2 WRV, einen Zusammentritt des Reichstags zu verlangen, was jedoch keine Abhängigkeit für jegliche parlamentarische Arbeit bedeutete. Eine stärkere Einflussmöglichkeit des Reichspräsidenten passte nicht zur neuen Stellung des Reichstags als oberstes Verfassungsorgan. Mit einem Selbstversammlungs- und Schließungsrecht verlor der Weimarer Reichstag die Abhängigkeit von der Exekutive bei der Gestaltung seines Handlungszeitraumes, die noch für seinen Vorgänger und andere Vertretungsorgane
453 Vgl. die Begründung der Auslösung, RGBl. I 1924 S. 173. Auch Lalla, Auflösung des deutschen Reichstages, 1931, S. 82 f. Allgemein zu den Ermächtigungsgesetzen vom 13.10.1923 (RGBl. I S. 943) und vom 8.12.1923 (RGBl. I S. 1179): E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band VI, 1981, S. 439 ff. 454 Lalla, Auflösung des deutschen Reichstages, 1931, S. 84. 455 Vgl. RGBl. I 1930, S. 299; RGBl. I 1932, S. 441. 456 Lalla, Auflösung des deutschen Reichstages, 1931, S. 38 f. 457 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 196. 458 Art. 24 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919. 459 Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 WRV Anm. 3; Bühler, Reichsverfassung, 1929, Art. 24 Voranm.; Gebhard, Handkommentar zur Verfassung, 1932, Art. 24 Anm. 2a, 5; Giese, Verfassung des Deutschen Reiches, 1931, Art. 24 Anm. 1; Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 1928, Art. 24 Anm. 1, 4.
104 2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
konstitutioneller Staaten prägend waren.460 Dabei sah der Regierungsentwurf in der Tradition der alten Reichsverfassung zunächst noch ein Schließungs- und Vertagungsrecht des Reichspräsidenten vor. Der Staatslehrer und mittlerweile erste Reichsminister des Inneren der Weimarer Republik Hugo Preuß legt in seiner Begründung des Regierungsentwurfes darauf Wert, dass jedenfalls die Unterscheidung zwischen Legislaturperiode und Session und zu diesem Zweck auch die Institution der Schließung aufrechterhalten bleibe. Dabei sollte der Reichspräsident ein solches Recht ausüben können, da die Exekutive das noch zu behandelnde Material am besten kenne und so am besten entscheiden könne, ob die Session unterbrochen werden könne.461 Die Gegenmeinung ging in der Nationalversammlung dabei so weit, die Schließung und damit auch die Sitzungsperiode ganz aus der Verfassung zu streichen,462 wie es dann schließlich unter dem Grundgesetz erfolgt ist.463 Als Kompromiss sah die Weimarer Verfassung „Tagungen“ bzw. „Sitzungsperioden“ dennoch als mögliche Unterabschnitte von Legislaturperioden vor, welche allerdings vom Reichstag selbst zu bestimmen waren.464 Dabei war man sich in der Literatur465 und Staatspraxis466 einig, dass beide Begriffe synonym zu verwenden waren. Dies macht insbesondere der später eingefügte Art. 40a WRV deutlich, indem dort dem Wort „Tagung“ in Klammern das Wort „Sitzungsperioden“ erklärend hinzugefügt wurde. Diese begriffliche Doppelung ist unverständlich, da sie unnötig war und die Verwendung des Begriffs „Tagung“ missverständlich war, da darunter nach der alten Reichsverfassung gerade nicht Sessionen, son-
460 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 37, 40; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 194. 461 Aktenstück Nr. 391, Stenographische Berichte über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 336, S. 250. 462 So die Äußerungen der Abgeordneten Oskar Cohn und Georg Davidsohn im 8. Verfassungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung, Aktenstück Nr. 391, Stenographische Berichte über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 336, S. 250 f. 463 Zu den Arbeitsperiode des Bundestages: S. 139. 464 Aktenstück Nr. 391, Stenographische Berichte über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 336, S. 251. 465 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 Anm. 4; Bühler, Reichsverfassung, 1929, Art. 24 Anm. 2; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, 1926, S. 148; W. Jellinek, Verfassung und Verwaltung, 1926, S. 65; Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 1928, Art. 24 Anm. 6; Schmitt, Einberufung und Vertagung des Reichstages, DJZ 1930 Sp. 1285 (1286). 466 Vgl. etwa die eindeutige und klare Erklärung des Vertreters der Reichsministeriums Hugo Preuß schon in der Nationalversammlung (Stenographische Berichte über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 328, S. 2107 C, D). So auch der Abgeordnete Wilhelm Kahl später im Reichstag (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, 1. Wahlperiode 1920, Band 357, S. 8975 A, 9051 A).
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
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dern bloß Sessionsabschnitte verstanden wurden.467 Dass man sich in der Nationalversammlung dieser Problematik bewusst war, zeigt die Diskussion um Art. 37 WRV, welcher die Immunität der Abgeordneten regelte. Bei diesem ersetzte man in der dritten Beratung „Tagung“ bzw. „Tagungszeit“ durch „Sitzungsperiode“, obwohl Hugo Preuß als Regierungsvertreter eindeutig klarstellte, dass beide Worte nach dem Verfassungsentwurf die gleiche Bedeutung haben sollten. Begründet wurde diese Entscheidung mit der Befürchtung, Gerichte könnten in für die Abgeordneten so wichtigen Immunitätsfragen „Tagung“ nach der sich im Kaiserreich herausgebildeten Bedeutung zu eng auslegen.468 In den sonstigen Vorschriften kam es dennoch zu keinem Austausch von „Tagungen“ durch „Sitzungsperioden“. Dass der Reichstag in der Praxis trotz des kompromisshaften Erhalts von Sitzungsperioden kein Interesse an der Unterteilung einer Wahlperiode hatte, zeigt sich unverkennbar daran, dass der Reichstag während des gesamten Bestehens der Weimarer Republik nicht eine einzige Schließung beschlossen hat. Damit bestand jede Wahlperiode aus lediglich einer Sitzungsperiode, die mit dem ersten Zusammentritt begann und gleichzeitig mit der Wahlperiode ihren Schluss fand.469 Da – wie schon erwähnt – keine Wahlperiode durch einfachen Zeitablauf endete, wurde somit jede Sitzungsperiode faktisch doch mittels Auflösung durch den Reichspräsidenten geschlossen. Es herrschte dabei weitgehende Einigkeit, dass der Reichstag lediglich ein Recht zu einer weiteren Unterteilung der Sitzungsperioden hatte, jedoch keine Pflicht.470 Dass die Weimarer Verfassung insbesondere in Art. 27 und Art. 37 im Grundsatz davon ausging, dass eine Wahlperiode in mehrere Sitzungsperioden unterteilt wird,471 belegt lediglich erneut, dass die Verfassung solch eine Unterteilung für möglich hielt, vermag aber
467
Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 39. Protokoll der dritten Beratung, Stenographische Berichte über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 328, S. 2107 f. 469 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 Anm. 5; Giese, Verfassung des Deutschen Reiches, 1931, Art. 24 Anm. 3; Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 1928, Art. 24 Anm. 6. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 40. 470 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 Anm. 5; Gebhard, Handkommentar zur Verfassung, 1932, Art. 24 Anm. 2b; W. Jellinek, Verfassung und Verwaltung, 1926, S. 65; Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 1928, Art. 24 Anm. 6, Art. 27 Anm. 1; Lammers, Reichstag, in: Stier-Somlo/Elter (Hrsg.), Handwörterbuch, 1928, S. 30, Schmitt, Einberufung und Vertagung des Reichstages DJZ 1930 Sp. 1285 (1286). 471 Aus den beiden Normen will von Freytagh-Loringhoven eine „Verletzung der Verfassung“ durch den Verzicht auf Sessions ziehen (Weimarer Verfassung, 1924, S. 101). Lammers äußert zumindest hinsichtlich der Wahl des Reichstagspräsidenten für die gesamte Wahlperiode Bedenken (Reichstag, in: Stier-Somlo/Elter (Hrsg.), Handwörterbuch, 1928, S. 30). 468
106 2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
keine entsprechende Pflicht zu begründen.472 Der Wunsch des Reichstags nach weitgehender Kontinuität während der Wahlperioden fand auch darin Ausdruck, dass die 1922 geschaffene Geschäftsordnung in § 14 vorsah, dass der Vorstand aus Reichstagspräsident, seinen Stellvertretern und den Schriftführern für die gesamte Wahlperiode gewählt wurden und nicht bloß für eine Session.473 Es finden sich generell in der Geschäftsordnung keine Hinweise auf die Möglichkeit, die Wahlperiode zu unterteilen.474 Stattdessen wurde diese als einheitlicher Handlungsabschnitt betrachtet.475 Hauptgrund für den Verzicht auf die Untergliederung der Wahlperioden in Sessionen waren aber nicht etwa der Eintritt möglicher diskontinuierlicher Folgen, sondern der mit dem Schluss der Tagung verbundene Verlust der Immunität bis zum nächsten Zusammentritt.476 In der Praxis setzte sich damit die Auffassung aus der Nationalversammlung schlussendlich doch durch, welche die Unterscheidung von Legislatur- und Sitzungsperiode völlig aufgeben wollte.477 Anstelle von Schließungen vertagte sich der Weimarer Reichstag regelmäßig, wie es auch in den späteren Jahren des Kaiserreichs immer üblicher geworden war. Aber anders als sein Vorgänger konnte der Reichstag der Weimarer Republik nur durch einen eigenen Beschluss vertagt werden und nicht auch durch die Exekutive. Ein solches Selbstvertagungsrecht war zwar in der Weimarer Verfassung nicht explizit erwähnt, obwohl es zunächst noch in Abgrenzung zum Vertagungsrecht des Reichspräsidenten im Regierungsentwurf vorgesehen war. Der Fokus in der Diskussion lag dann jedoch auf, das Berufungs- und Schließungsrechts, welches zunächst dem Reichspräsidenten zustehen sollte, auf den Reichstag zu übertragen und so ein Selbstversammlungsrecht zu schaffen, sodass ein Selbstvertagungsrecht nicht explizit in der Verfassung aufgenommen wurde.478 Es herrschte jedoch Einigkeit, dass ein solches – wie schon im Kaiserreich – fortbestand.479 Daraus entstanden in der Weimarer Republik aber keine 472
Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 40 Fn. 25. Geschäftsordnung für den Reichstag von 12.12.1922, RGBl. II 1923, S. 101 ff. Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 205. 474 Giese, Verfassung des Deutschen Reiches, 1931, Art. 23 Anm. 2. 475 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 42. 476 Dagegen nennt Fülster ohne weitere Auseinandersetzung als Grund für den Verzicht auf Schließungen explizit den andernfalls eintretenden Verlust bisheriger Arbeiten (Deutsches Reichsstaatsrecht, 1926, S. 149). Wie hier: Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 41; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 204. Zur Immunität auch in der Weimarer Republik ausführlich: Butzer, Immunität im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 63 ff. 477 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 204. 478 Aktenstück Nr. 391, Stenographische Berichte über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 336, S. 250 f. 479 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 Anm. 9; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, 1926, S. 148. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 40; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 201. 473
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
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formalisierten Unterabschnitte der Sitzungsperiode einer jeden Wahlperiode, wie sie im Kaiserreich noch in der Bezeichnung von „Sessionsabschnitten“ etwa in den Stenographischen Berichten zum Ausdruck kam. Im Ergebnis sind zwei Dinge zu den Handlungsperioden des Weimarer Reichstags besonders festzuhalten. Zunächst räumte die Weimarer Verfassung dem Reichstag nicht die volle Souveränität über seine Versammlung ein, indem sie dem Reichstag nur das Schließungs- und Vertagungsrecht übertrug, aber der Reichspräsident das kaiserliche Auflösungsrecht „erbte“ und dieser dabei nicht einmal auf die Zustimmung der Ländervertreter angewiesen war. Diese Freiheit auf der einen und der Mangel an milderen Mitteln auf der anderen Seite führte dazu, dass der Reichspräsident das scharfe Schwert der Auflösung jedes Mal nutzen musste, wenn er eine Unterbrechung der Reichstagsarbeit herbeiführen wollte.480 Dass keine Wahlperiode der Weimarer Zeit durch Zeitablauf endete, zeigt deutlich, dass die ehemaligen kaiserlichen Eingriffsmöglichkeiten zumindest in Form des Auflösungsrechts des Reichspräsidenten fortbestanden. Demgegenüber verzichtete der Reichstag im Bereich des Schließungsrechts, wo er eine volle Souveränität erlangt hatte, vollständig auf eine Unterbrechung seiner Arbeit, indem er seine Wahlperioden nicht in Sitzungsperioden gliederte, obwohl die Weimarer Verfassung solche Unterabschnitte noch vorsah. Dennoch war der Reichstag kein permanentes Parlament,481 da die Wahlperiode als deutlich ausgebildeter Zeit- und Handlungsabschnitt von der Verfassung zwingend vorgesehen waren. Dass in Art. 35 Abs. 2 WRV gerade ein Ausschuss zur Wahrnehmung der Rechte des Reichstags in dieser Zwischenzeit vorgesehen war, sicherte die permanente Wahrnehmung der Reichstagrechte, aber hebt dabei gleichzeitig hervor, dass der Reichstag aufgrund seiner fehlenden Permanenz seine Rechte in dieser Zeit gerade nicht selbst wahrnehmen konnte.482 Gemeint ist hier jedoch nur das konkret-personelle Organ, denn abstrakt-institutionell war der Reichstag als verfassungsmäßig vorgesehenes Organ wie schon seine Vorgänger permanent.483
480 So löste der Reichspräsident Paul von Hindenburg den Reichstag 1932 etwa deshalb auf, weil der Reichstag die Aufhebung seiner Notverordnung verlangte (Verordnung des Reichspräsidenten über die Auflösung des Reichstags vom 12.9.1932, RGBl. I S. 441). Ein solches Verlangen hätte der Reichspräsident auch durch eine Schließung beseitigen können, hätte er ein Recht dazu gehabt (so Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 38). 481 So aber Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (507). 482 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 41; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 205. 483 Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 5.
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B. Auswirkungen des Diskontinuitätsprinzips, insbesondere im Gesetzgebungsverfahren I. Auswirkungen im parlamentarischen Bereich Mit der Übernahme der parlamentarischen Arbeitsperioden des Kaiserreichs ging auch eine Übernahme der entsprechenden Dogmatik zum Diskontinuitätsprinzip einher. Die staatsrechtliche Literatur nahm entsprechend die gleichen Auswirkungen des Endes eines jeweiligen Handlungsabschnittes unter der Weimarer Verfassung an, wie sie sich bereits im Kaiserreich herausgebildet haben. Danach war eine Vertagung weiterhin nicht mit diskontinuierlichen Folgen verknüpft, sondern führte nur zu einer (kurzfristigen) bloßen Unterbrechung der Arbeit, wonach die Parlamentsgeschäfte nahtlos fortgesetzt werden konnten. Dagegen sollte mit dem Schluss der Session sachliche und organisatorische Diskontinuität mit dem bekannten Effekt eintreten.484 Da sich der Reichstag aber nie schloss und somit seine Wahlperiode nicht in Sitzungsperioden unterteilte, spielte für die Geltung des Diskontinuitätsprinzips praktisch lediglich das Ende der Wahlperiode überhaupt eine Rolle. In diesem Fall trat aber organisatorischen, sachlichen und personellen Diskontinuität zusammen ein, obwohl diese drei Aspekte regelmäßig485 noch nicht systematisch unterschieden wurden.486 Wie im Kaiserreich behielt die Geschäftsordnung über die Grenzen der Sitzungsperioden hinweg Geltung.487 Daneben gingen mit dem Verlust der Abgeordnetenmandate auch der Abbruch der Parlamentsarbeit sowie die Auflösung des parlamentarischen Unterbaus etwa in Ausschüssen einher. Bei der organisatorischen Diskontinuität verschob sich der Fokus allerdings vom Ende des Abschnittes zum Beginn des neuen, weil für die zentralen Organe Reichstagspräsident, seine Stellvertreter, die Ausschüsse für auswärtige Angelegenheiten und die Wahrung der Reichstagsrechte in Art. 27 bzw. 35 WRV explizit vorgesehen war, dass diese auch in der Zeit zwischen zwei Sitzungsperioden
484 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 Anm. 8 f.; Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 WRV Anm. 3; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, 1926, S. 148; Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 1. Band, 1922, S. 400; Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 32; W. Jellinek, Verfassung und Verwaltung, 1926, S. 65; Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 1928, Art. 24 Anm. 6; Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 6. 485 Eine Ausnahme bildet hier Gebhard, der die drei Aspekte zumindest teilweise ausführte (Handkommentar zur Verfassung, 1932, Art. 24 Anm. 6a). 486 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 42; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 207 f. Siehe beispielsweise die Arbeit von Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, passim. 487 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 26 Anm. 2; Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 26 WRV; Gebhard, Handkommentar zur Verfassung, 1932, Art. 26 Anm. 5b.
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
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oder sogar Wahlperioden488 tätig werden konnten und somit erst zum Beginn des neuen Abschnittes aus dem Amt schieden und neu gewählt wurden.489 Diese Übergangsregeln bildeten dabei jedoch eine verfassungsmäßig vorgesehene Ausnahme,490 die den Eintritt von (organisatorischer) Diskontinuität am Ende der Arbeitsperiode als Regelfall bekräftigte. Die Übergangsregelungen waren notwendig, weil der Reichstag nicht versammelt und daher selbst nicht in der Lage war, seine Rechte wahrzunehmen. Insofern ist es korrekt, wenn von Jekewitz angenommen wird, dass die Weimarer Verfassung im Grundsatz davon ausging, dass die Zeit zwischen zwei Sitzungsperioden und – in der Praxis allein entscheidend – zwischen zwei Wahlperioden „parlamentslos“ war.491 Allerdings verkennt die Verwendung des Begriffs „parlamentslos“ zum einen, dass auch in diesen Zwischenintervallen stets ein Reichstag vorhanden war. Der konkret-personelle Reichstag bestand zwischen Sitzungsperioden fort, und auch zwischen den Wahlperioden existierte zumindest der abstrakt-institutionelle Reichstag.492 Von einer parlamentslosen Zeit kann also nicht die Rede sein. Zum anderen war der Reichstag selbst während dieser Zwischenintervalle zwar nicht handlungsfähig, wohl aber seine eben beschriebenen Unterorgane. Diese Überbrückungsregeln stellten daher eine deutliche Entwicklung hin zu einer kontinuierlicheren parlamentarischen Tätigkeit dar,493 die vom Bundestag fortgesetzt wird.494 Wie schon im Kaiserreich und später in der Bundesrepublik galt dennoch auch in der Weimarer Republik, dass das Diskontinuitätsprinzip spätestens mit dem Zusammentritt des neuen Reichstags die personelle Zusammensetzung, den organisatorischen Unterbau und die nicht abgeschlossene Vorlagen des Vorgängers auflöste. II. Auswirkungen im außerparlamentarischen Bereich Das Diskontinuitätsprinzip war dabei in seiner Wirkung auf den parlamentarischen Bereich, das heißt auf den Reichstag, beschränkt und erfasste die andere 488 Für den Ausschuss zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung wurde die Möglichkeit zum Tätigwerden nach einer Reichstagsauflösung erst nachträglich noch in die Verfassung eingefügt („Gesetz zur Änderung des Artikel 35 der Reichsverfassung“ vom 15.12.1923, RGBl. I S. 1185). 489 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 42 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 202. 490 Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 32. 491 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 206 f. 492 Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 5. 493 W. Jellinek, Verfassung und Verwaltung, 1926, S. 64. In ähnlicher Weise wird das Selbstversammlungsrecht als Ausdruck der „Permanenz der Legislatur“ wahrgenommen (Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 1. Band, 1922, S. 400; Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 2 ff.) 494 Zu der sich weiter verkontinuierlichenden Entwicklung bis zu nahtlosen Wahlperioden beim Bundestag: S. 144 ff.
110 2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
Reichsorgane nicht unmittelbar. Dennoch traten in der Weimarer Staatspraxis zwei Fragen auf, die die Auswirkung der sachlichen Diskontinuität auf andere am Gesetzgebungsprozess beteiligte Reichsorgane betrafen. 1. Vorverfahren
Zunächst war umstritten, ob das Diskontinuitätsprinzip auch im Vorbereitungsstadium des Gesetzgebungsverfahrens im Reichstag galt. So musste die Reichsregierung, bevor sie eine Gesetzesvorlage in den Reichstag einbringen konnte, diese dem Reichsrat vorlegen.495 Die Reichsregierung blieb jedoch auch bei Zustimmung des Reichsrats frei, ob und wann sie den Entwurf in den Reichstag einbrachte.496 Daraus entwickelte sich die Frage, ob dieser Prozess wiederholt werden musste, wenn die Wahlperiode in der Zwischenzeit zu Ende gegangen war. Dies war jedenfalls zu bejahen, wenn die Vorlage beim Reichstag tatsächlich eingebracht wurde. In diesem Fall war die ursprüngliche Vorlage durch sachliche Diskontinuität verfallen, und ein neuer – gegebenenfalls sogar identischer – Entwurf begründete ein neues Gesetzgebungsverfahren, an dem der Reichsrat erneut zu beteiligen war.497 In der zeitgenössischen Literatur498 und auch in der Staatspraxis499 setzte sich die Ansicht durch, dass zudem eine Wiederholung auch dann notwendig war, wenn die Reichsregierung den Entwurf noch gar nicht beim Reichstag eingebracht hatte. Dies wurde damit begründet, dass die Stellungnahme des Reichsrats mit einem bereits eingebrachten Entwurf vergleichbar sei, da auch diese mit einem bestimmten konkret-personellen Reichstag vor Augen abgegeben wurde, 495 Art. 69 Abs. 1 WRV, der in Satz 1 zwar von „Zustimmung“ spricht, aber durch Satz 2 deutlich macht, dass eine solche nicht zwingend erforderlich ist. 496 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 214. A. A. Doertenbach, der jedoch die Zustimmung des Reichsrats zu einer Regierungsvorlage, die diese nicht mehr einbringen wollte, so umdeutete, dass aus der Regierungsvorlage eine Vorlage des Reichsrats wurde (Kontinuität des Gesetzgebungsweges, AöR 48 (1925), 90 (92)). 497 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 68, 69 Anm. 3a; Doertenbach, Kontinuität des Gesetzgebungsweges, AöR 48 (1925), 90 (97); W. Jellinek, Das einfache Reichsgesetz, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR, 2. Band, 1930, S. 167 f.; Poetzsch-Heffter, Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, II. Teil, in: JöR 17 (1929), S. 117; ders., Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, III. Teil, in: JöR 21 (1933/34), S. 190. So auch Grewe, der jedoch auch auf Verstöße der Reichsregierung hinweist (Betrachtungen, DVBl 1954, 114 (115)). 498 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 68, 69 Anm. 3a; Doertenbach, Kontinuität des Gesetzgebungsweges, AöR 48 (1925), 90 (94 f.); Giese, Verfassung des Deutschen Reiches, 1931, Art. 69 Anm. 1; W. Jellinek, Das einfache Reichsgesetz, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR, 2. Band, 1930, S. 168; Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 1928, Art. 69 Anm. 2; ders., Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, II. Teil, in: JöR 17 (1929), S. 117. 499 Dazu Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 216.
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
111
und das Diskontinuitätsprinzip des Reichstags „als beherrschender Träger der Volkssouveränität auf die übrigen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane ausstrahlte“.500 Richtigerweise muss aber festgehalten werden, dass der Entwurf, da er gerade (noch) nicht beim Reichstag eingebracht worden war, konsequenterweise am Ende der Wahlperiode auch nicht vom Diskontinuitätsprinzip erfasst werden konnte. Der Reichsregierung stand es deshalb frei, ihn in diesen Fällen ohne erneute Vorlage beim Reichsrat direkt nach dem nächsten Zusammentritt des Reichstags dort einzubringen.501 Allein die Vorstellungen und Motive des Reichsrats oder die gesteigerte Bedeutung des Weimarer Reichstags konnten nicht begründen, dass das Diskontinuitätsprinzip nun auch schon dann Anwendung finden sollte, wenn das Parlament mit der Vorlage gar nicht in Berührung gekommen war. Noch im Kaiserreich wurde jede Auswirkung des Diskontinuitätsprinzips für den Bundesrat etwa in der Frage seines Sanktionsrechts allgemein abgelehnt. Ein Recht des Reichsrats bzw. eine Pflicht der Reichsregierung, die Vertretung der Länder in jedem Fall erneut zu hören, wäre nicht mit dem hergebrachten Diskontinuitätsprinzip zu begründen, sondern stellt eine Ausweitung des auf den Parlamentsbereich beschränkten Prinzips dar, die explizit hätte geregelt werden müssen. Ein solches Recht passte auch nicht zu der schwachen Stellung, die die Weimarer Verfassung dem Reichsrat zuwies.502 Wenn die Reichsregierung im Laufe der Zeit regelmäßig das Verlangen des Reichsrats akzeptierte, auch wenn nicht alle Reichministerien diese Auffassung teilten,503 stellte dies bloß eine rein praktische Übung dar, die mit politischen Gründen und damit zu erklären ist, dass der Reichsrat schließlich den Wortlaut seiner Zustimmung explizit auf die laufende Wahlperiode des Reichstags beschränkte.504 Wäre eine entsprechende Wiedervorlagepflicht auf das Diskontinuitätsprinzip zurückzuführen, hätte die Reichsregierung eine solche Pflicht auch dann gehabt, wenn der Reichstag kurze Sitzungsperioden geschaffen hätte.505 Unter diesen
500
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 215. Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 43 f. 502 Insbesondere zur Abgrenzung zum Bundesrat und einem Staatenhaus: von Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, 1924, S. 171 ff., 175; auch Bilfinger, Reichsrat – Bedeutung und Zusammensetzung, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR 1. Band, 1930, S. 545 ff. 503 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 216. 504 Auf diese Praxis weist Jekewitz selbst hin (Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 216). 505 Daher ist Doertenbach konsequent, der zwar eine erneute Befassung des Reichsrats verlangt, dies aber nicht mit dem Diskontinuitätsprinzip begründete und daher für Sitzungsperioden auch explizit ablehnte (Kontinuität des Gesetzgebungsweges, AöR 48 (1925), 90 (94, 97)). 501
112 2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
Umständen hätte die Reichsregierung ein entsprechendes Verlangen des Reichsrats wohl nicht akzeptieren können, nachdem sie dies schon in der tatsächlichen Praxis von ganzen Wahlperioden nur mit Widerstand tat.506 Zusammenfassend lässt sich eine solche Praxis jedenfalls nicht mit dem Diskontinuitätsprinzip begründen. Der Reichsrat musste nur in den Fällen eine erneute Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen, in denen die Vorlage auch tatsächlich in den Reichstag eingebracht wurde und damit wie die restlichen unerledigten Gegenstände im Parlamentsbereich am Ende der Wahlperiode verfiel. Jekewitz nennt selbst die in Art. 73 Abs. 3 WRV vorgesehene Möglichkeit, einen Gesetzesbeschluss per Volksentscheid herbeizuführen,507 als Ausnahme von seiner Meinung, dass das parlamentarische Diskontinuitätsprinzip alle am Gesetzgebungsprozess Beteiligten betrifft. Er begründet dies damit, dass diese Gesetzgebungsinitiative durch ein Volksbegehren „eine gegen den Reichstag gerichtete Zielrichtung auszeichnete“ und somit von der Wahlperiode des Reichstags unabhängig sein musste.508 Dies erklärt dennoch nicht die Ausdehnung des Diskontinuitätsprinzips auf alle vorparlamentarischen Schritte des Gesetzgebungsverfahrens selbst dann, wenn der Reichstag mit der konkreten Vorlage noch nicht beschäftigte wurde. Der Volksentscheid selbst und der ihm zwingend zugrundeliegende Gesetzentwurf waren schon deshalb nicht vom Diskontinuitätsprinzip erfasst, weil sowohl der Volksentscheid wie auch der Gesetzentwurf außerhalb des parlamentarischen Bereichs standen und nicht wegen ihrer vermeintlichen Zielrichtung. Ein gegebenenfalls in der Zwischenzeit eintretendes Ende der Wahlperiode ließ beides unberührt. Soweit der Entwurf jedoch gem. Art. 73 Abs. 3 Satz 3 WRV von der Reichsregierung in den Reichstag eingebracht wurde, verfiel dieser als Teil der Parlamentsarbeit mit allen bereits stattgefundenen Beratungen bei Eintritt der Diskontinuität. Die Reichsregierung traf dann die Pflicht, den Entwurf dem neuen Reichstag erneut vorzulegen, soweit das Volksbegehren noch nicht entschieden war. Im Ergebnis galt auch in diesem Fall die Regel, dass von Diskontinuitätsprinzip nur diejenigen Teile des Gesetzgebungsprozesses betroffen waren, die im Bereich des Parlaments stattfanden. Der Volksentscheid außerhalb der Parlamentssphäre wie die Stellungnahme des Reichsrats blieben somit vom Eintritt von sachlicher Diskontinuität unberührt. 2. Verfahren nach dem Gesetzesbeschluss
Die zweite Frage entstand aufgrund der Einspruchsmöglichkeit des Reichsrates gegen Gesetzesbeschlüsse des Reichstags gem. Art. 74 WRV. Während der Bundesrat des Kaiserreichs durch sein unbefristetes Sanktionsrecht jedes Gesetzes506 Zum Widerstand der Reichsregierung selbst: Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 216. 507 Hierzu Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 73 Anm. 8. 508 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 217.
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
113
vorhaben verhindern konnte, konnte der Weimarer Reichsrat nur noch Einspruch gegen Gesetzesbeschlüsse einlegen, der den Reichstag dazu zwang, sich erneut hiermit zu beschäftigen.509 Hierfür hatte der Reichsrat gem. Art. 74 Abs. 2 WRV zwei Wochen Zeit. In dieser Zeit schwebte das Gesetzgebungsverfahren. Legte der Reichsrat keinen Einspruch innerhalb der Frist ein, hatte das Gesetz mit dem Beschluss des Reichstags bereits ex tunc den parlamentarischen Bereich verlassen und war vom Diskontinuitätsprinzip nicht mehr berührt.510 Endete die Wahlperiode also vor Fristablauf, ohne dass der Reichsrat davor oder danach fristgerecht Einspruch einlegte, blieb das beschlossene Gesetz vom Diskontinuitätsprinzip unberührt.511 Legte der Reichsrat jedoch Einspruch ein, wurde mindestens ein neuer Beschluss512 des Reichstags notwendig. Wenn sich der Reichsrat und der Reichstag einigten oder der Reichstag den Einspruch zurückwies, hatte das Gesetz den parlamentarischen Bereich endgültig verlassen, und das Ende der Wahlperiode hatte keinen Effekt mehr hierauf. Der weitere Prozess lag dann in den Händen des Reichspräsidenten.513 Erreichte der Reichstag weder eine Einigung noch einen Beschluss vor dem Ende der Wahlperiode, verfiel der Gesetzentwurf jedoch wie die anderen nicht zu Ende behandelten Gegenstände. Der Reichsratseinspruch begründete nämlich kein selbstständiges Verfahren, sondern bewirkte nur die Fortsetzung der parlamentarischen Behandlungen. Da das Gesetzgebungsverfahren also noch nicht abgeschlossen war, traf der Eintritt von sachlicher Diskontinuität auch die bereits einmal beschlossene Vorlage. Der Reichsratseinspruch verwandelte sich dann in ein absolutes Veto, und ein neu gewählter Reichstag konnte das Verfahren nicht fortsetzen.514 In der Praxis gelang es dem Reichsrat so immer häufiger, mittels Einspruchs unliebsame Gesetze zu verhindern, da der Reichstag zunehmend kür-
509 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 74 Anm. 1; Giese, Verfassung des Deutschen Reiches, 1931, Art. 74 Anm. 1, 4. 510 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 44. 511 A. A. wohl, wenn auch für diesen Grenzfall nicht ganz klar: Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 218. 512 Es war zwischen Reichstag und Reichsrat umstritten, ob ein einzelner erneuter Beschluss im Sinne einer „vierte Lesung“ ausreicht oder ob es einer vollen Beratung mit insbesondere drei Lesungen bedurfte (dazu Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 74 Anm. 8). In der Praxis gab der Reichstag der Forderung des Reichsrats nach drei Lesungen nach, obwohl jedenfalls die Verfassung selbst wohl einen weiteren Beschluss ausreichen ließ (vgl. Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 217 Fn. 151). 513 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 219. 514 Giese, Verfassung des Deutschen Reiches, 1931, Art. 74 Anm. 3; Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 1. Band, 1922, S. 404; Triepel, Weg der Gesetzgebung, AöR 39 (1920), 456 (515 f.). Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 44; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 218.
114 2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
zer tagte und dabei mit hochpolitischen Erörterungen abseits der Gesetzgebungsarbeit beschäftigt war. Umgekehrt zwang diese geringere Effektivität der Gesetzgebungsarbeit den Reichsrat auch dazu, einen Einspruch nicht gegen aus seiner Sicht verbesserungswürdige Einzelheiten einzusetzen, soweit er das Gesetz insgesamt für notwendig hielt.515 Das Diskontinuitätsprinzip verstärkte also einerseits die Wirkung des Einspruchs des Reichsrates, konnte aber in anderen Fällen dafür sorgen, dass der Reichsrat diese Möglichkeit nicht vollkommen frei nutzen konnte.
C. Begründung des Diskontinuitätsprinzips I. Politische Begründung In der beschriebenen Form galt das Diskontinuitätsprinzip unter der Weimarer Verfassung also „selbstverständlich“ fort.516 Eine ausdrückliche Regelung fand sich im Verfassungstext anders als etwa in der Hessischen Verfassung von 1919 nicht.517 Auch in der neuen Geschäftsordnung des Weimarer Reichstags von 1922 wurde – anders als noch in § 70 der Geschäftsordnung des kaiserlichen Reichstags – die sachliche Diskontinuität der Parlamentsarbeit weder für die Sitzungs- noch die Wahlperioden ausdrücklich aufgenommen.518 Hätte man mangels geschriebener Regelungen bei dem revolutionären Wechsel vom monarchischen Kaiserreich zur Demokratie der Weimarer Republik vielleicht einen stärkeren Begründungsaufwand für die Weitergeltung erwartet, ist dies nicht zu beobachten.519 Es wurde schlicht davon ausgegangen, dass mit der Übernahme der Handlungsperiode des Kaiserreichs auch das Diskontinuitätsprinzip übernommen wurde. Hierfür war der in der Nationalversammlung erzielte Kompromiss besonders bedeutend, nach dem der Reichstag gem. Art. 24 Abs. 2 WRV zwar den Schluss seiner Sitzungsperioden selbst bestimmen können sollte, diese zeit515 Poetzsch-Heffter, Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, III. Teil, in: JöR 21 (1933/34), S. 194 f. 516 So Bühler, Reichsverfassung, 1929, Art. 24 Anm. 1; Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 32. Ähnlich Gebhard, Handkommentar zur Verfassung, 1932, Art. 24 Anm. 6c; Lalla, Auflösung des deutschen Reichstages, 1931, S. 75. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 42; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 207 f. 517 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 45, der in Fn. 59 auf Art. 25 der Hessischen Verfassung vom 12.12.1919 verweist, welche als einzige Länderverfassung zumindest die sachliche Diskontinuität ausdrücklich regelt. 518 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 42. 519 Exemplarisch stellte Hatschek nach Darstellung des Diskontinuitätsprinzip im Kaiserreich knapp fest: „Als nun die Väter der neuen Reichsverfassung diesem Gewohnheitsrechtssatz der Diskontinuität gegenübertraten, übernahmen sie ihn einfach, da er auch in der Republik seine Dienste leisten kann“ (Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 1. Band, 1922, S. 414). Vgl. auch Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 Anm. 8; Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 WRV Anm. 3; Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 31.
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
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liche Untergliederung und das Institut der Schließung aber im Ergebnis übernommen wurde.520 Generell nahm in der gesamten Diskussion des Diskontinuitätsprinzips in der Weimarer Staatsrechtsliteratur die Diskontinuität der Sessionen weiter eine bedeutende Stellung ein, obwohl diese in der Praxis mangels Schließung des Reichstags keine Rolle mehr spielte. Dies lässt sich damit erklären, dass im Kaiserreich das Diskontinuitätsprinzip regelmäßig überhaupt nur im Zusammenhang mit dem Ende der Session diskutiert wurde, während es am Ende der Wahlperiode wegen der vorher kaiserlich verfügten Schließung oder Auflösung des Reichstags keine praktische Bedeutung erlangte. In der Weimarer Republik dreht sich dieses Verhältnis um, indem Sessionen mangels Schließung des Reichstags keine Bedeutung mehr erlangten und Diskontinuität nun ausschließlich am Ende der Wahlperiode eintrat. Diese Verschiebung wurde in der staatsrechtlichen Literatur allerdings nicht vollends nachvollzogen, da das Diskontinuitätsprinzip häufig weiterhin aus dem Konstitutionalismus des Kaiserreichs gedacht wurde.521 Wie die parlamentarischen Arbeitsperioden und die damit verbundene Periodizität des Kaiserreichs von der Weimarer Republik übernommen wurden, so wurde auch das zuvor noch monarchisch begründete Diskontinuitätsprinzip ebenfalls übernommen. Etwaige Bedenken gegen eine solche Übernahme trotz Wechsels der Staatsform wurden mit dem Hinweis auf demokratische Verbesserungen begegnet. Zunächst stellten das „Zwischenpräsidium“ 522 gem. Art. 27 WRV und die in Art. 35 WRV vorgesehenen Ausschüsse sicher, dass die Regierung stets der Kontrolle des Reichstags unterworfen war.523 Insbesondere der Ausschuss zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung in Art. 35 Abs. 2 WRV war gerade dazu geschaffen worden, um dem Reichstag ein Tätigwerden in diesen Zwischenzeiten zu ermöglichen.524 Darüber hinaus wurde insbesondere mit Blick auf das Diskontinuitätsprinzips argumentiert, dass der Reichstag, es nun selbst in der Hand habe, ob und wann die Auswirkungen des Diskontinuitätsprinzips eintrat, da er sich nun eigenständig zwischen Vertagung und Schluss der Session entscheiden konnte.525 Zumindest das letzte Argument trifft dabei allerdings allein auf die theoretisch gebliebene Unterteilung der Legislaturperiode in Sitzungsperioden zu. Denn das Ende der Legislaturperiode hatte im Fall des reinen Zeitablaufs kein Verfas520 Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 1. Band, 1922, S. 414. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 202. 521 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 204 Fn. 88. 522 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 43. 523 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 200 f. 524 Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, 1926, S. 142. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 42. 525 Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 1. Band, 1922, S. 414.
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sungsorgan in der Hand. Vielmehr traf das Gegenteil in der Praxis zu, da – wie bereits erwähnt – jede Wahlperiode der Weimarer Zeit mit Auflösung des Reichstags durch den Reichspräsidenten endete und sich so der Eintritt von Diskontinuität als Folge von Fremdbestimmung trotz gegenteiliger Konzeption auch in der Weimarer Republik durch- und fortsetzte.526 Insofern ist es kritisch zu sehen, wenn etwa Anschütz schlicht davon spricht, dass die Geltung des Diskontinuitätsprinzips, „da es durch die Eigenart des alten Staatsrechts nicht spezifisch bedingt war, als unbedenklich weitergeltend anzusehen“ sei.527 Jedoch war schon vor dem Kaiserreich das Diskontinuitätsprinzip durch die Vorstellung begründet, dass parlamentarische Handlungsperioden abgeschlossen betrachtet werden sollen. Dabei waren im Kaiserreich sowohl das Sessionsende wie auch das Legislaturende mit dem Eintritt von Diskontinuität verbunden.528 Die Erneuerung der Legitimation der Volksvertretung durch Wahlen stellte auch in der Weimarer Republik eine solche Zäsur dar, sodass das Ende der Legislaturperiode mit dem Diskontinuitätsprinzip verknüpft ist.529 Auch wenn man der Meinung folgt, dass sich eine Diskontinuität der Wahlperiode lediglich aus dem vorherigen oder gleichzeitigen Ende der Session ergibt,530 ändert sich nichts, indem jede Wahlperiode des Weimarer Reichstag theoretisch aus einer Sitzungsperiode bestand, die gleichzeitig mit Auflösung des Reichstags endete. Damit galt auch in der Weimarer Republik die als geschlossene Einheiten betrachteten Arbeitsperioden als Grundlage für Diskontinuität. Darüber hinaus wurde das Diskontinuitätsprinzip aber im Konstitutionalismus auch regelmäßig als wichtiges monarchisches Prinzip bezeichnet. Eine solche Begründung konnte für die Weimarer Republik nicht gelten, musste die Weitergeltung aus diesem Grund vielmehr stark zweifelhaft werden lassen.531 Doch der historische Ursprung in England und die Ausführungen zur Begründung des Diskontinuitätsprinzips im Kaiserreich haben bereits gezeigt, dass das Diskontinuitätsprinzip keineswegs zwingend die Kontrolle des Parlaments durch die monarchische Exekutive zum Ziel hat532 und insofern durchaus auch mit der parlamen526
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 207. Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 Anm. 8. 528 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 42. Zur Begründung des Diskontinuitätsprinzips der Legislaturperiode im Kaiserreich: S. 78. 529 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 Anm. 8; W. Jellinek, Verfassung und Verwaltung, 1926, S. 65. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 206 f. 530 So Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (507). Ähnlich wohl Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 WRV Anm. 3. 531 Vgl. etwa Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 29 f. 532 So aber Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (508). 527
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
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tarischen Staatsform der Weimarer Republik vereinbar war. Indem die Weimarer Verfassung dem Reichstag das im Kaiserreich noch so wichtige Schließungsrecht übertrug und dem Reichspräsidenten nur noch das als Ausnahmerecht konzipierte Auflösungsrecht zufiel, schien eine solche Gefahr auch gebannt. In der Praxis zeigte sich jedoch ein anderes Bild. Die Schließung verlor als Voraussetzung für den Eintritt von Diskontinuität durch den bewussten Verzicht des Reichstags jede praktische Relevanz. Politische Bedeutung erlangte das Diskontinuitätsprinzip lediglich in Folge der Auflösung jedes einzelnen Reichstags durch den Reichspräsidenten. Dabei stand die Herbeiführung von personeller Diskontinuität und die damit verbundene Neuwahl zwar im Vordergrund, allerdings steigerten auch die anderen diskontinuierlichen Effekte die Wirkung einer Auflösung. Wenn auch im Vergleich zum Kaiserreich mangels eigenem Schließungsrecht und damit stets zwingender Neuwahlen weniger flexibel, konnte die Auflösung ebenfalls als politisches Mittel durch den Reichspräsidenten eingesetzt werden.533 Der Reichspräsident nahm damit auch hinsichtlich dieser eng mit dem Diskontinuitätsprinzip verknüpften Eingriffsrechte die Rolle des „Ersatzkaisers“ ein. Während das Diskontinuitätsprinzip im Kaiserreich noch als ein monarchisches Prinzip beschrieben werden konnte, hätte es in der Weimarer Republik theoretisch ein parlamentarisches sein sollen und war tatsächlich doch ein präsidiales. Es lässt sich dabei jedoch trotzdem auch als demokratisches Prinzip beschreiben, da auch der Reichspräsident gem. Art. 41 WRV direkt von Volk legitimiert war. Dieser antiparlamentarische Aspekt der Fremdbestimmung wurde zur Begründung des Diskontinuitätsprinzips – anders als noch im Kaiserreich – jedoch nicht hervorgehoben. Trotz dieser praktischen Machtverschiebung wurde auch im Weimarer Reichstag mit dem Diskontinuitätsprinzip der bereits früher positiv hervorgehobene Bereinigungseffekt verbunden. So begründete der Reichsminister des Inneren Hugo Preuß bereits bei den Beratungen in der Nationalversammlung das Diskontinuitätsprinzip „gerade auch im Interesse des Reichstags“ damit, dass der Reichstag andernfalls „in einer Fülle von Anträgen und unerledigten Geschäften ersticken“ würde.534 Auch der Berliner Abgeordnete Wilhelm Kahl von der Deutschen Volkspartei äußert sein Bedauern darüber, dass der Reichstag auf Schaffung von Sitzungsperioden verzichtete, da aus diesem Grund der Reichstag genötigt wäre, „alte Ladenhüter aller Art von ältesten Anträgen immer und immer wieder fortzuschleppen“.535 Auch wenn in beiden Fällen der Vorteil des Eintritts der Dis533 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 46 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 220 f. 534 Aktenstück Nr. 391, Stenographische Berichte über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 336, S. 250. 535 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, 1. Wahlperiode 1920, Band 357, S. 8975 B, 9051 B.
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kontinuität am Ende von Sitzungsperioden beschrieben wurde, schuf auch das Diskontinuitätsprinzip am Ende der Wahlperiode die gleiche Erleichterung der Parlamentsarbeit durch Fokussierung auf aktuelle Verhandlungsgegenstände.536 So wurde darauf hingewiesen, dass auch die Schaffung von Sitzungsperioden im Interesse des Parlaments gewesen wäre, um dessen Agenda zu bereinigen.537 Hierauf hätte die Parlamentarier aber bewusst im eigenen Interesse verzichtet, um ihre Immunität für die gesamte Dauer der Wahlperiode aufrechtzuerhalten. Auch für die Weimarer Republik spielte dieser Bereinigungseffekt und die Überlegung dem „neuen“ Parlament einen „reinen Tisch“ zu überlassen,538 bei der Begründung des Diskontinuitätsprinzips eine gewichtige Rolle. Angesichts der Bedeutung, die das Diskontinuitätsprinzip im Konstitutionalismus als monarchisch verstandenes Prinzip hatte, wäre vielleicht zu erwarten gewesen, dass es mit dem Ende der Monarchie ebenfalls untergeht. Das erstarkte Parlament der Demokratie schneidet alte, monarchische Zöpfe ab und akzeptiert einen regelmäßigen, allumfassenden Abbruch seiner Arbeit durch das Diskontinuitätsprinzip schlicht nicht mehr. Dass dies nicht so war, zeigt erneut, dass das Diskontinuitätsprinzip nicht zwingend gegen das Parlament gerichtet ist. Es ergibt sich vielmehr aus der Gliederung der Parlamentsarbeit in Handlungsabschnitte, ist nur indirekt mit einem (monarchischen) Eingriff von außen verbunden und setzt diesen gerade nicht voraus. Als man diese Handlungsabschnitte und die damit verbundene Begrifflichkeiten in die Weimarer Verfassung übernahm, übernahm man auch das Diskontinuitätsprinzip, ohne dies ernsthaft zu hinterfragen. Zum anderen war mit dem Diskontinuitätsprinzip weiterhin der eben beschriebene Bereinigungseffekt verbunden. Dieser sollte die Übernahme rechtfertigen. Schließlich hatte der Weimarer Reichstag ein Selbstschließungsrecht, verzichtete in der Praxis vollständig auf die Schaffung von Sitzungsperioden, hatte somit zumindest theoretisch vier Jahre bis zu einem Abbruch der Parlamentsarbeit und konnte seine Rechte durch das Präsidium und zwei Ausschüsse auch zwischen Wahlperioden wahrnehmen. Selbst der verbleibende Fremdeingriff einer Auflösung durch den Reichspräsidenten war durch dessen Direktwahl demokratisch legitimiert. Außerdem blieb eine Durchbrechung als Ausnahme vom Grundsatz der Diskontinuität auch in der Weimarer Republik möglich.539 All diese Mecha536 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 47; skeptisch demgegenüber: Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 30. 537 Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, 1924, S. 101. 538 Während der Weimarer Republik finden sich entsprechende Überlegungen etwa bei Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 29; Woelker, Die Verfassung des Freistaates Sachsen, 1921, S. 91. 539 Zu den Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips während der Weimarer Republik: S. 121.
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
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nismen milderten die negativen Abbruchfolgen so weit ab, dass das Diskontinuitätsprinzip in der ohnehin bewegten Zeit der Weimarer Republik nicht als ein drängendes Problem erschien. II. Rechtliche Begründung Ebenfalls wie im Kaiserreich nahmen sowohl die Literatur540 wie auch die Staatspraxis541 überwiegend zur rechtlichen Begründung des Diskontinuitätsprinzips das Vorliegen von Gewohnheitsrecht an. Diesem Gewohnheitsrecht wurde zum Teil Verfassungsrang zugesprochen, was die Notwendigkeit eines verfassungsändernden Gesetzes mit den in Art. 76 WRV genannten Voraussetzungen für jede Beschränkung begründet hätte.542 Zum Teil sollte für eine Beschränkung des Diskontinuitätsprinzips aber auch entgegengerichtetes Gewohnheitsrecht,543 einfaches Recht544 oder sogar eine Geschäftsordnungsänderung des Reichstags545 genügen. Um eine besondere Begründung wurde sich dabei von keiner Seite bemüht. Wie in der Staatsrechtslehre vor 1919 hätte sich aber erneut die Frage stellen müssen, ob – insbesondere nach einer Revolution – ein Gewohnheitsrecht einer früheren Verfassung überhaupt übernommen werden konnte.546 Überzeugender ist, dass für Gewohnheitsrecht keine Notwendigkeit bestand, da sich das Diskontinuitätsprinzip wie schon im Kaiserreich aus dem verwendeten 540 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 Anm. 8; Doertenbach, Kontinuität des Gesetzgebungsweges, AöR 48 (1925), 90 (91); Gebhard, Handkommentar zur Verfassung, 1932, Art. 24 Anm. 6a; Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 1. Band, 1922, S. 410 ff.; Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 WRV Anm. 3; Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 31; Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 27. 541 So bezeichnete etwa der Abgeordneten Wilhelm Kahl das Diskontinuitätsprinzip als „parlamentarisches Gewohnheitsrecht“ (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, 1. Wahlperiode 1920, Band 357, S. 9051 B). 542 Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 WRV Anm. 3; Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 1. Band, 1922, S. 410. Ebenso Gebhard, der allerdings nur ein verfassungsänderndes Gesetz verlangte, wenn eine besondere Bestimmung zur Kontinuität in die Verfassung eingefügt werden sollte (Handkommentar zur Verfassung, 1932, Art. 24 Anm. 6b). 543 So vorrangig Gebhard, Handkommentar zur Verfassung, 1932, Art. 24 Anm. 6b. Auch Sieber verwies auf die Etablierung eines entgegenstehenden Parlamentsbrauchs durch Nichtaufnahme des Diskontinuitätsprinzips in die Geschäftsordnung (Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 27). 544 So Anschütz, der eine Geschäftsordnungsänderung gerade nicht ausreichen lassen wollte (Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 Anm. 8). Ihm folgend Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (512). 545 Triepel, Weg der Gesetzgebung, AöR 39 (1920), 456 (516 Fn. 86). 546 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 45; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 202, 208.
120 2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
Wortlaut der Weimarer Verfassung ergab.547 Zunächst einmal lassen sich Art. 27 und 35 WRV als argumentum e contrario anführen, indem diese dem Präsidium und den bereits erwähnten Ausschüssen die Möglichkeit eröffneten, zwischen Sitzungs- und Wahlperioden weiter zu tagen. Das legt den Umkehrschluss nah, dass alle anderen Reichstagsorgane zu diesen Zeitpunkten von der organisatorischen Diskontinuität erfasst wurden.548 Als weitergehende Begründung kann außerdem dienen, dass die von der Weimarer Verfassung verwendeten Begriffe „Tagung“ bzw. „Sitzungsperiode“ und „Wahlperiode“ synonym zu den schon im Kaiserreich feststehenden Begriffen „Session“ und „Legislaturperiode“ verwendet wurden. Mit der Übernahme der Begriffe ging auch unwidersprochen die Übernahme der Bedeutung einher, sodass beide Handlungsabschnitte wie im Kaiserreich auch in der Weimarer Republik so auszulegen waren, dass damit das Diskontinuitätsprinzip fest verbunden war. Dass ihnen bei der Schaffung der Weimarer Verfassung eine andere Bedeutung zu kommen sollte, ist an keiner Stelle ersichtlich.549 Vielmehr wurde die Weitergeltung des Diskontinuitätsprinzips jedenfalls für die Sitzungsperioden in der verfassungsgebenden Nationalversammlung allgemein akzeptiert.550 Hätte man dem Ende der beiden übernommenen Handlungsperioden eine veränderte Bedeutung zumessen wollen, hätte man dies deutlicher herausstellen müssen. Dabei war das Diskontinuitätsprinzip ausdrücklich mit beiden Handlungsperioden verknüpft, auch wenn der Reichstag in der Praxis auf die Schaffung von Sitzungsperioden verzichtete. Warum lediglich die Wahlperiode von „existenzieller Bedeutung für den Reichstag“ gewesen und das Diskontinuitätsprinzip deshalb in der Weimarer Republik nur hiermit verbunden sein sollte,551 ist nicht nachvollziehbar. Dem Reichstag oblag lediglich die Entscheidung über das „Ob“ der Schaffung der Sitzungsperiode, aber nicht das „Wie“ ihrer Auswirkung. Da die Weimarer Verfassung „Tagungen“ im Sinne der früheren Sessionen verwenden wollte, hätte mit dem Schluss einer solchen Tagung bzw. Sitzungsperiode auch der Schluss der Versammlung mit den bekannten diskontinuierlichen Folgen ver547 Zumindest neben Gewohnheitsrecht: Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 24 WRV Anm. 3. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 45; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 210. 548 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1919, Art. 35 Anm. 3. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 42 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 202. 549 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 46. 550 Vgl. etwa die Diskussion zum späteren Art. 24 Abs. 2 WRV im 8. Verfassungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung, Aktenstück Nr. 391, Stenographische Berichte über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 336, S. 250. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 46. 551 So Jekewitz, der eine Auslegung der Verfassung für verzichtbar hält und unmittelbar auf ungeschriebenes materielles Verfassungsrecht zur Begründung des Diskontinuitätsprinzips zurückgreifen will (Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 210 f.).
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bunden sein müssen. Insofern wären auch die Sitzungsperioden von „existenzieller Bedeutung für den Reichstag“ gewesen, hätte der Reichstag solche geschaffen. Er konnte durch die rein tatsächliche Nichtschaffung an dieser Folge nichts ändern. Indem sich damit auch die jedenfalls theoretisch existierende Diskontinuität der Sitzungsperioden direkt aus der Verfassung ergab, konnte der Reichstag diese auch nicht durch den bloßen Verzicht auf eine das Diskontinuitätsprinzip festschreibende Regelung in der erst 1922 erlassenen Geschäftsordnung beseitigen.552 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sich das Diskontinuitätsprinzip rechtlich unmittelbar aus der Verfassung herleiten ließ und entsprechend jede Durchbrechung durch ein verfassungsänderndes Gesetz erfolgen musste.
D. Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips Obwohl der Reichstag auf die Schaffung von Sitzungsperioden verzichtete und damit der Weimarer Reichstag im Vergleich zu seinen Vorgängern bereits längere Handlungszeiträume zur Verfügung hatte, weil das Diskontinuitätsprinzip erst am Ende der Wahlperiode eintrat, kam es doch auch in der Weimarer Republik zu zwei formellen Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips.553 Beide betrafen das Ende der 3. Wahlperiode 1928, welche immerhin von der Wahl im Dezember 1924554 bis zur Auflösung des Reichstags Ende März 1928555 dauerte und damit eine der längeren Wahlperioden der Weimarer Republik darstellt. Zunächst zeigt dies, dass selbst der verhältnismäßig lange Zeitraum von mehr als drei Jahren für umfangreiche Gesetzgebungsarbeiten nicht ausreichte.556 Zum anderen könnte das Fehlen späterer Durchbrechungsversuche während der kürzeren Wahlperioden des Reichstags darauf hindeuten, dass das Diskontinuitätsprinzip tatsächlich kaum eine Behinderung der Parlamentsarbeit darstellte. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die ordentliche Gesetzgebung war wegen der zersplitterten Mehrheitsverhältnisse des Reichstags so schwierig, dass es regelmäßig gar nicht zu so fortgeschrittenen Gesetzgebungsberatungen kam, die eine Durchbrechung nötig erscheinen ließen.557 Stattdessen nutzte der Reichspräsident das 552 So aber Jekewitz, der damit gleichzeitig ausschließen will, dass ein entsprechender Parlamentsbrauch oder entsprechendes Parlamentsrecht fortbestand (Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 211). 553 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 221 ff. 554 RGBl. I 1924 S. 715. 555 RGBl. I 1928 S. 136. 556 Poetzsch-Heffter nannte als Gründe für die zunehmende „Schwerfälligkeit“ etwa Verzögerungen durch den Reichswirtschaftsrat und Reichsrat, weitere Verfahrensschwierigkeiten, aber auch bereits „häufige parlamentarische Krisen“ (Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, II. Teil, in: JöR 17 (1929), S. 116). Auch Wunderlich bedauerte die Nichtverabschiedung einer Reihe bedeutenden Gesetzesvorlagen (Schlussergebnisse des alten Reichstages, DJZ 1928, Sp. 613 ff.). 557 Hillmann sprach etwa davon, dass der Reichstag „ziemlich ausgeschaltet“ gewesen sei (Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 35).
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Auflösungsrecht zunehmend als Mittel, Konflikte zwischen der Exekutive und dem Reichstag zu pausieren und die von ihm geschaffenen Notverordnungen vor einem Aufhebungsverlangen des Reichstags zu schützen.558 Die erste Durchbrechung war eine Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität. Zwar war durch die Ausschüsse für auswärtige Angelegenheiten und die Wahrung der Reichstagsrechte in Art. 35 WRV allgemein sichergestellt, dass der Reichstag auch in der Zeit, in der er nicht versammelt war, vertreten war und beraten konnte, soweit es zur Entscheidung insbesondere von auswärtigen Angelegenheiten der Mitwirkung des Parlaments bedurfte.559 Jedoch waren nur diese beiden Ausschüsse vom Eintritt der organisatorischen Diskontinuität am Ende einer Wahlperiode ausgenommen. Entsprechend musste der Reichstag einen anderen Ausschuss erst dazu ermächtigen, sollte dieser in der Zeit zwischen zwei Wahlperioden tagen. Dies geschah für einen Reichstagsausschuss zur Durchführung des landwirtschaftlichen Notprogramms. Ein verfassungsänderndes Gesetz560 ermächtigte den Ausschuss, nach der erwarteten Auflösung des Reichstags bis zum Zusammentritt seines Nachfolgers die Ausschussgeschäfte fortzuführen. Der Reichstag stimmte dem Entwurf 561 ohne Wortmeldungen mit großer Mehrheit zu.562 In der gleichen namentlichen Abstimmung wurde auch eine Durchbrechung der sachlichen Diskontinuität beschlossen. Nach der ersten Lesung des Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches und 62 Lesungen im Strafrechtsauschuss sollten die umfassenden Arbeiten nicht durch die baldige Reichstagsauflösung verloren gehen. Aus diesem Grund legt eine Gruppe um den Berliner Abgeordneten Wilhelm Kahl einen Gesetzentwurf 563 vor, welcher verhindern sollte, dass für die Entwürfe des Strafgesetzbuches und des Strafvollzuggesetzes das Gesetzgebungsverfahren noch einmal vollständig wiederholt werden musste und damit die bisherige Arbeit verloren ging.564 Tatsächlich sollte das Gesetz jedoch nicht den aktuellen Bearbeitungsstand der Strafgesetze in die neue Legis-
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Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 220. Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 221. 560 „Gesetz, betreffend die Tätigkeit eines Reichstagsausschusses bei Durchführung des landwirtschaftlichen Notprogramms“ vom 31.3.1928, RGBl. I S. 137. 561 Drucksache Nr. 4179, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, III. Wahlperiode 1924, Band 422. 562 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, III. Wahlperiode 1924, Band 395, S. 13862 B, 13868 B und C, 13873. 563 Drucksache Nr. 3999, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, III. Wahlperiode 1924, Band 421. 564 So zur Begründung der Abgeordnete Wilhelm Kahl in der ersten und zweiten Beratung des Entwurfs (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, III. Wahlperiode 1924, Band 395, S. 13355 B). Dazu auch Wunderlich, Schlussergebnisse des alten Reichstages, DJZ 1928, Sp. 613 ff. 559
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
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laturperiode überleiten. Stattdessen sollten die bisherigen Entwürfe lediglich als neue Vorlage für den neu gewählten Reichstag gelten. Damit musste insbesondere auch eine neue erste Lesung stattfinden.565 Der Berliner SPD-Abgeordnete Otto Landsberg warb für eine Zustimmung zu einer solchen Überleitung ausdrücklich aus praktischen Gründen, um mit der weiteren Bearbeitung nicht auf einen neuen Regierungsentwurf warten zu müssen, und wies darauf hin, dass damit keine Zustimmung zum bisher erarbeiten Entwurf des Strafgesetzes erteilt werde.566 Allein durch den Wegfall der Vorbereitung in der Regierung und im Reichsrat sollte eine Zeitersparnis von zwei bis drei Jahren bewirkt werden.567 Das Gesetz wurde sodann auch mit großer Mehrheit568 verabschiedet und noch vor der Auflösung des Reichstags verkündet, wobei „zur Vermeidung von Zweifeln“ festgestellt wurde, dass eine verfassungsändernde Mehrheit gegeben war.569 Obwohl dieses „Überleitungsgesetz“ 570 damit lediglich eine erneute Regierungsvorlage unter Umgehung des Reichsrates entbehrlich machte, griff es doch in die Autonomie des neuen Parlamentes ein, indem es ihm ein – wenn auch minimales – Programm vorgab. Da aber gerade das Ergebnis der Beratungen nicht festgeschrieben wurde und alle anderen Einfluss- und Initiativmöglichkeiten erhalten blieben, kann dieser Eingriff in die sachliche Diskontinuität dennoch als zulässig angesehen werden.571 Als auch in der darauffolgenden knapp zweijährigen vierten Wahlperiode die übergeleiteten Entwürfe nicht verabschiedet wurden, legte Wilhelm Kahl im Mai 1930 einen nahezu wortgleichen, zweiten Überleitungsentwurf vor, der zusätzlich eine Strafmilderungsmöglichkeit bis zum Erlass des Strafgesetzbuches vorsah.572
565 Auf diese beschränkte Wirkung hinweisend die Abgeordneten Wilhelm Kahl und Otto Landsberg, die damit auf Kritik des Abgeordneten Ottomar Geschke antworteten (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, III. Wahlperiode 1924, Band 395, S. 13353 D bzw. 13355 C und D). Auch Wunderlich, Schlussergebnisse des alten Reichstages, DJZ 1928, Sp. 613 (615 f.). 566 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, III. Wahlperiode 1924, Band 395, S. 13357 B und C. 567 Wunderlich, Schlussergebnisse des alten Reichstages, DJZ 1928, Sp. 613 (616). 568 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, III. Wahlperiode 1924, Band 395, S. 13868 D, 13873. 569 „Gesetz zur Fortführung der Strafrechtsreform“ vom 31.3.1928, RGBl. I S. 135. 570 So wurde es etwa von den Abgeordneten Wilhelm Kahl und Otto Landsberg bezeichnet (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, III. Wahlperiode 1924, Band 395, S. 13355 C und D). Auch Poetzsch-Heffter, Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, III. Teil, in: JöR 21 (1933/34), S. 194. 571 Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 34 f. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 223. 572 Drucksache Nr. 2007, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, IV. Wahlperiode 1928, Band 441.
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Dieser Entwurf fand jedoch im Reichstag keine verfassungsändernde Mehrheit. Stattdessen brachte der Abgeordnete Wilhelm Kahl mit der Fraktion der Deutschen Volkspartei den Entwurf im Stand der bisherigen Beratungen in der nächsten, fünften Wahlperiode im Februar 1931 als Reichstagsentwurf erneut ein.573 Obwohl dieser Vorgang keine formelle Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips darstellte, ging sie weiter als die bisher verabschiedeten, verfassungsändernden Gesetze, indem sie nicht bloß die unveränderte Vorlage in die neue Wahlperiode überleitete, sondern den bisherigen Stand der Beratungen in den Entwurf mitaufnahm und so abbildete. Eine echte Fortsetzung der Arbeit wurde aber auch auf diese Weise nicht erreicht. Dieser Weg stand auch mit der Weimarer Verfassung im Einklang, da sich die Fraktion lediglich die bisherige Arbeit zu eigen machte und die Rechte der anderen Verfassungsorgane unberührt blieben.574 Letztlich scheiterte die Strafrechtsreform dennoch an den schwieriger werdenden politischen Verhältnissen der Weimarer Republik.575 Vor der Zeit der Weimarer Republik war – wie dargestellt – die praktisch bedeutendste Zäsur für die parlamentarische Arbeit das Ende der Sitzungsperiode. Aus diesem Grund beschränkten sich die Durchbrechungen auf eine Überbrückung von einer Sitzungsperiode zur nächsten. Das Ende der Legislaturperiode bildete dabei stets die absolute Grenze. Eine Überleitung in die nächste Wahlperiode schien daher ausgeschlossen. Nachdem das Weimarer Parlament die weitgehende Kontrolle über seine Versammlung erlangt hatte, brauchte es jedoch mangels Sitzungsperioden keine Überleitungen innerhalb einer Wahlperiode mehr. Als die Realität aber zeigte, dass auch eine Wahlperiode unzureichend sein kann, um einzelne, umfangreiche Gesetzesvorhaben zu realisieren, stellte auch das Wahlperiodenende keine absolute Grenze mehr da. In der Tradition früherer Durchbrechungen und der hiergegen erhobenen Einwände beschränkte man sich dabei auf konkrete Gesetzesvorhaben und schuf keine generelle Überleitungsmöglichkeit. Dabei stieß der Reichstag jedoch erstmals auf das Problem, durch die Überleitung in die Souveränität eines auch personell erneuerten Reichstags einzugreifen. Dem trug man Rechnung, indem die Arbeiten anders als bei früheren Initiativen nach der Unterbrechung nicht einfach fortgesetzt werden konnten, sondern in den Stand eines Gesetzentwurfes zurückfielen. Die damit erreichte Überleitung war in ihrer Wirkung so minimal, dass es einer formellen Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips gar nicht mehr bedurfte und ein Wiederein-
573 Drucksache Nr. 395, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, V. Wahlperiode 1930, Band 448. Dazu Poetzsch-Heffter, Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, III. Teil, in: JöR 21 (1933/34), S. 194. Auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 49; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 224. 574 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 224. 575 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 49.
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
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bringen des Gesetzentwurfes durch eine Reichstagsfraktion, wobei der Stand der früheren Beratungen berücksichtigt werden konnte, sogar eine größere Erleichterung des Gesetzgebungsprozess bedeutete. Diese Entwicklung setzte sich in gleicher Weise in der Bundesrepublik fort.576
E. Parlamentarische Arbeitsperioden und das Diskontinuitätsprinzip in den Ländern der Weimarer Republik Parallel zur verfassungsgebenden Nationalversammlung des Reiches nach den revolutionären Ereignissen im November 1918 wurden auch in den Ländern entsprechende Versammlungen im Januar und Februar 1919 gewählt und einberufen. Nach eher sozialistisch orientierten Versuchen in einzelnen wenigen Ländern setzte sich so überall die parlamentarische Demokratie durch. Bei der Erarbeitung einer Landesverfassung waren in der Tendenz die südlichen Länder schneller als jene des Nordens, wobei sich einige Länder auch zu vorläufigen Regelungen entschlossen, meist um die Entwicklung im Reich abzuwarten.577 Der Verkündungszeitraum der so erarbeiteten 17 Verfassungen erstreckt sich vom 21.3. 1919 in Baden bis zum 24.5.1923 in Mecklenburg-Strelitz.578 Aufgrund des Homogenitätsgebots in Art. 17 Abs. 1 WRV stimmten die Länderverfassungen in den Grundzügen miteinander und mit der Reichsverfassung überein. Obwohl die Reichsverfassung den Ländern lediglich die republikanische Staatsform, allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime Verhältniswahlen sowie die Bindung der Regierung an den Landtag vorschrieb, wurde die verbleibende Freiheit von den Verfassungsgebern der Länder nur sehr begrenzt genutzt.579 Diese allgemeine Feststellung gilt auch für die hier besonders interessante Einteilung der Parlamentsarbeit in Handlungsabschnitte und das damit eng verbundene Diskontinuitätsprinzip. Das Parlament sollte unstreitig das zentrale Verfassungsorgan sein, dennoch ergaben sich einzelne Unterschiede bei der Länge der Wahlperiode, beim Zusammentritt und der Auflösung und insbesondere bei der Einteilung in Unterabschnitte.580
576 Zu der Praxis im Bundestag, Gesetzentwürfe aus einer vorhergehenden Legislaturperiode zu übernehmen: S. 255. 577 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 225 f. 578 Im Einzelnen: Koellreutter, Die neuen Landesverfassungen, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR, 1. Band, 1930, S. 143 f. 579 Koellreutter, Die neuen Landesverfassungen, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR, 1. Band, 1930, S. 144; Menzel, Grundlagen des Landesverfassungsrechtes, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR, 1. Band, 1930, S. 604 ff. 580 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 227.
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I. Wahlperiode Die Wahlperiode581 als Folge der regelmäßigen Erneuerung der Legitimation der Volksvertretung dauerte in neun Ländern wie im Reich vier Jahre, nach den übrigen acht Landesverfassungen drei Jahre.582 Zu den Wahlterminen wurde jeweils der gesamte Landtag bzw. die gesamte Bürgerschaft in den Hansestädten neu gewählt. Eine bloße Partialerneuerung, wie sie die freien Städte kannten, gab es nicht mehr, da sie aufgrund der geringeren Verwirklichung des Wählerwillens als reaktionär empfunden wurde.583 Unklar blieb regelmäßig, wann die Wahlperiode beginnen sollte.584 Einige Verfassungen sahen hierfür ausdrücklich den Wahltag, den Ablauf der vorherigen Wahlperiode oder einen festen Termin vor, während andere lediglich das Ende der Wahlperiode genau fixierten.585 So nannte Art. 16 der Preußischen Verfassung vom 30.11.1920 im Fall einer Auflösung den Tag der Neuwahl und bei regulärem Ablauf diesen Zeitpunkt als Beginn der Wahlperiode. Nach Art. 22 Abs. 3 der Lübeckischen Landesverfassung vom 11.4.1925 begann die Wirkung der Bürgerschaft dagegen stets am ersten Montag im Dezember. Demgegenüber traf die Bremer Verfassung vom 18.5.1920 in Art. 19 Abs. 2 die recht komplizierte Regelung, dass das Ende der Wahlperiode das Ende des zweiten, auf die Neuwahl folgenden Jahres sein sollte, soweit die Neuwahl im ersten Kalenderhalbjahr stattfand. Bei Neuwahlen im zweiten Kalenderhalbjahr sollte die Wahlperiode erst am Ende des dritten Kalenderjahres nach der Wahl folgen.586 Durch eine solche Regelung, die die regulär dreijährige Legislaturperiode im Extremfall bis zu sechs Monate verkürzen oder verlängern konnte, wurde eine parlamentslose Zeit verhindert.587 581 Die Wahlperiode wurde auch als Landtagsperiode, Landtagsdauer, Wahlzeit, Wahldauer oder Tagungsdauer bezeichnet (in Einzelnen Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 10). 582 Vier Jahre in Anhalt, Baden, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Strelitz, Lippe, Preußen, Sachsen, Württemberg; drei Jahre in Braunschweig, Bremen, Hamburg, Lübeck, Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg, Schaumburg-Lippe und Thüringen (vgl. W. Jellinek, Zusammensetzung der Landesparlamente, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR, 1. Band, 1930, S. 620). 583 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 12 f. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 227. 584 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 13. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 228. Zum besonderen Problem der ersten Einberufung nach der Wahl: Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 15 ff. 585 W. Jellinek, Zusammensetzung der Landesparlamente, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR, 1. Band, 1930, S. 620. 586 Eine ähnliche Regelung findet sich in Art. 23 Abs. 2 Lübeckische Landesverfassung vom 11.4.1925, der analog zum festen Versammlungstermin das Ende der Wahlperiode auf den ersten Montag im Dezember festsetzt. 587 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 228.
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Zum gleichen Zweck sahen die Verfassungen der Hansestädte vor, dass die alte Bürgerschaft im Fall einer Auflösung die Geschäfte bis zur Neuwahl bzw. zum Zusammentritt einer neuen Bürgerschaft fortsetzte.588 Genauso sahen die Verfassungen insbesondere der vier größten Länder ausdrücklich vor, dass die Neuwahl vor dem Ablauf der Wahlperiode des alten Parlaments vorzunehmen war.589 Das neu gewählte Parlament existierte dann zwar für kurze Zeit neben seinem Vorgänger, war in dieser Zeit aber noch kein handlungsfähiges Organ. Im Ganzen dienten diese Normen dazu, die permanente Versammlung eines Landesparlaments sicherzustellen.590 Daneben waren in den Verfassungen der anderen Länder regelmäßig Vorkehrungen getroffen, um zumindest eine dauerhafte Vertretung des Parlaments sicherzustellen, wenn dieses nicht versammelt war. Dazu wurden zum Teil ständige Ausschüsse gebildet, die auch zwischen den Parlamentsversammlungen tagen konnten,591 oder der Vorstand wurde zum Fortführen der Geschäfte in dieser Zeit ermächtigt.592 Diese Garanten für die Vertretung des Parlaments waren neben der Zeit nach dem regulären Ablauf der Wahlperiode auch zum Tätigwerden nach einer Auflösung berechtigt.593 Eine Auflösungsmöglichkeit als vorzeitige Beendigung der 588 Art. 19 Abs. 1 Satz 2 Verfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 18.5.1920; Art. 15 Abs. 2 Satz 2 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 7.1.1921; Art. 23 Abs. 1 Satz 2 Lübeckische Landesverfassung in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.4.1925. Dazu auch W. Jellinek, Zusammensetzung der Landesparlamente, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR, 1. Band, 1930, S. 621. 589 W. Jellinek, Zusammensetzung der Landesparlamente, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR, 1. Band, 1930, S. 620 f. Ebenso Art. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 7.1.1921; Art. 22 Abs. 2 Lübeckische Landesverfassung in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.4.1925. Zu den Ausnahmen: Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 15. 590 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 14. 591 So beispielsweise in § 30 Abs. 3, 4 Verfassungsurkunde des Freistaats Bayern vom 14.8.1919; Art. 30 Verfassung des Freistaates Braunschweig vom 6.1.1922; Art. 24 Abs. 4 Verfassung des Landes Lippe vom 21.12.1920; § 20 Landesgrundgesetz von Mecklenburg-Strelitz vom 23.5.1923; Art. 26 Verfassung des Freistaats Preußen vom 30.11.1920 und Art. 23 Verfassung des Freistaates Sachsen vom 1.11.1920. Nach § 47 Badische Verfassung vom 21.3.1919 sollte ein solcher Ausschuss wenigstens für die Zeit zwischen zwei in Baden weiterhin auch praktisch eingehaltenen Sitzungsperioden gewählt werden. 592 So etwa in § 34 Satz 4 Verfassung des Freistaates Mecklenburg-Schwerin vom 17.5.1920; § 12 Abs. 2 Landesgrundgesetz von Mecklenburg-Strelitz vom 23.5.1923; Art. 19 Verfassung des Freistaats Preußen vom 30.11.1920; Art. 11 Verfassung des Freistaates Sachsen vom 1.11.1920; § 18 Abs. 3 Verfassung des Landes Thüringen von 11.3. 1921 und § 18 Verfassung Württembergs vom 25.9.1919. Dagegen wird ungewöhnlicher Weise in § 59 Abs. 2 Verfassung für den Freistaat Oldenburg vom 17.6.1919 nur für die Zeit zwischen zwei Sitzungsperioden der Landtagspräsident ermächtig, während zwischen zwei Wahlperioden explizit das Innenministerium die Geschäfte fortführen sollte. 593 So etwa besonders deutlich Art. 19, 26 Verfassung des Freistaats Preußen vom 30.11.1920. Dagegen sah § 47 Abs. 2 Satz 2 Badische Verfassung explizit vor, dass der Auflösung des Landtags auch die Auflösung des Landständischen Ausschusses folgte.
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Wahlperiode fand sich in vielen Landesverfassungen, wobei die Regelungen zu den Umständen einer Parlamentsauflösung, insbesondere von wem und auf wessen Initiative sie stattfinden konnte, zum Teil erheblich variierten.594 Die Lübeckische Verfassung kannte kein Auflösungsrecht und ermöglichte dem Senat nur, nachdem ihm durch die Bürgerschaft das Vertrauen entzogen wurde, einen Volksentscheid durchzuführen, der bei Bestätigung des Senats zu Neuwahlen der Bürgerschaft führte.595 Der Verzicht auf ein Auflösungsrecht wurde mit der ohnehin kurzen Legislaturperiode und der gewichtigen Stellung der Bürgerschaft begründet.596 Letzteres führte auch dazu, dass das Auflösungsrecht nicht unmittelbar der Exekutive übertragen wurde, zumal anders als auf Reichsebene mit dem Reichspräsidenten auf Länderebene kein unmittelbar demokratisch legitimiertes Exekutivorgan vorhanden war.597 Insofern stellte Oldenburg eine gewisse Ausnahme da, wo die Landesregierung den Landtag unmittelbar auflösen konnte, wenn dieser ihr das Vertrauen entzogen hatte.598 Typischerweise wurde das Auflösungsrecht jedoch dem gesamten Wahlvolk mit verschiedenen Initiativberechtigten übertragen.599 In Baden, Bayern, Braunschweig, Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg, Schaumburg-Lippe und Thüringen konnte ein Volksentscheid über die Auflösung des Landtags lediglich durch eine Volksinitiative erfolgen. Dagegen konnte in Anhalt, Bremen, Hessen, Lippe, Sachsen und Württemberg daneben auch die Regierung eine Befragung des Volkes veranlassen, wobei in Bremen ein Drittel der Mitglieder der Bürgerschaft zustimmen mussten.600 In Hamburg und Mecklenburg-Strelitz war ein auflösender Volksentscheid überhaupt nur auf Initiative der Landesregierung möglich und mit der bloß indirekten Folge einer Neuwahl verknüpft, wenn ein Vertrauensentzug der Bürgerschaft gegenüber dem Senat oder einem von gesamten Senat ge-
594 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 236. Ein guter Überblick findet sich bei Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 52 ff. 595 Art. 14 Lübeckische Landesverfassung vom 11.4.1925. 596 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 45. 597 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 43. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 236. 598 § 40 Abs. 6 Verfassung für den Freistaat Oldenburg vom 17.6.1919; Waldeck stellte vor seinem Anschluss an Preußen eine noch auffälligere Ausnahme da, indem es der preußischen Landesregierung eine Auflösung des Waldecker Landtags einräumt (hierzu Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 46). 599 Zu den einzelnen Bedingungen: Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 40 f. 600 Vgl. Sieber, der außerdem darauf hinwies, dass nur in Anhalt, Lippe und Sachsen der Landtag daran gehindert war, der Landesregierung das Vertrauen zu entziehen und so einen auflösenden Volksentscheid zu verhindern (Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 44 f.).
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
129
stützten Senatsmitglied601 oder ein von der Landesregierung beanstandeter Landtagsbeschluss602 von der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt wurde. Die Preußische Verfassung sah schließlich ein spezielles Gremium vor, welches aus dem Ministerpräsidenten, dem Präsidenten des Landtags und demjenigen des Staatsrats bestand; dieses Gremium konnte die Auflösung unmittelbar selbst bewirken, aber auch einen Volksentscheid initiieren.603 Daneben gab es sowohl in Preußen als auch in Bayern, Braunschweig, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Sachsen und Thüringen ein Selbstauflösungsrecht des Parlaments mit der Folge von Neuwahlen als besonders strenge Umsetzung des Selbstversammlungsrechts.604 Bei allen Unterschieden im Detail einte die gemeinsame Wirkung die Auflösungsrechte in den verschiedenen Ländern der Weimarer Republik. Genau wie beim regulären Ablauf der Wahlperiode trat Diskontinuität in seinen drei Bereichen ein. Im Sinne einer personellen Diskontinuität verloren die Abgeordneten ihre Mandate, und das konkret-personelle Parlament hörte auf zu existieren.605 Dabei blieb das Parlament als abstrakt-institutionelles Organ aber permanent. Im Gegensatz dazu bewirkte die organisatorische Diskontinuität, dass mit dem Ende der Wahlperiode die Existenz der Parlamentsorgane und die Mitgliedschaft der Abgeordneten endete, soweit die Verfassung nicht eine Ausnahme getroffen hatte, wie dies etwa in den angesprochenen Fällen der ständigen Ausschüsse und der Vorstände in einigen Ländern der Fall war.606 Schließlich entfielen auch die unerledigten Parlamentsarbeiten im Sinne einer sachlichen Diskontinuität mit der Zäsur der Wahlperiode und dem Entfallen der Legitimation des bisherigen Parlaments.607 Davon betroffen waren „Vorlagen, Anträge, Anfragen, Gesuche und Beschwerden“, wie es beispielsweise Art. 25 der Hessischen Verfassung vom 12.12.1919 sogar ausdrücklich regelte und dabei diese Wirkung gleichzeitig nur auf das Ende der Wahlperiode beschränkte. Dagegen fand sich in § 96 der Geschäftsordnung des preußischen Landtags lediglich eine solche Regelung für das
601 Vgl. Art. 36 Abs. 3 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 7.1. 1921. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 237. 602 Vgl. § 22 Abs. 2 Satz 2 Landesgrundgesetz von Mecklenburg-Strelitz vom 23.5. 1923. Auch Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 45. 603 Vgl. Art. 14 Abs. 1 Verfassung des Freistaats Preußen vom 30.11.1920. Auch Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 46 ff. 604 Zu den Bedingungen: Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 38. 605 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 49 f. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 237 f. 606 Auch zu weiteren Ausnahmen: Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 238. 607 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 50. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 238.
130 2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
Tagungsende, die jedoch als argumentum a fortiori für die Übertragung erst recht auf das Ende der Legislaturperiode dienen konnte.608 Da Preußen außerdem als einziges Land609 mit dem Staatsrat ein zweites, die Interessen der Provinzen wahrnehmendes Vertretungsorgan schuf, konnte es dort – wie auf Reichsebene – zu der Situation kommen, dass der Staatsrat gegen Beschlüsse des Parlaments Einspruch einlegte und sich so das eigentlich abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren auf diese Weise verlängerte. Weil somit die Gesetzesvorlage nachträglich als unerledigt galt, wurde sie vom Diskontinuitätsprinzip erfasst, wenn der Landtag den Einspruch nicht rechtzeitig zurückweisen konnte. Das eigentlich suspensive Veto verwandelte sich dann in ein absolutes.610 Dieser Effekt war dabei jedoch lediglich eine Konsequenz aus dem Verhältnis der preußischen Verfassungsorgane. Eine wirkliche Abweichung in der Wirkung des Diskontinuitätsprinzips fand sich in Hamburg. Dort wurde danach differenziert, von wem die Vorlagen eingebracht wurden. Bei Bürgerschaftsvorlagen galt das, was in den anderen Ländern für alle Vorlagen üblich war, dass nämlich die sachliche Diskontinuität bewirkte, dass alle unerledigten Gesetzentwürfe verfielen und neu im Parlament eingebracht werden mussten, soweit hieran weiterhin ein Interesse bestand. Dagegen verfiel bei Senatsvorlagen nur die bisherige Parlamentsarbeit, sie mussten jedoch in der neuen Wahlperiode nicht noch einmal eingebracht werden. Senatsvorlagen wurden also in den Stand vor der ersten Lesung zurückversetzt, blieben aber erhalten.611 Dies wurde damit begründet, dass der Senat unabhängig von der Existenz und Arbeitsperiode der Bürgerschaft existierte und über eigene Rechte verfügte, sodass das parlamentarische Diskontinuitätsprinzip auf die Bürgerschaft beschränkt blieb und keine organexterne Wirkung entfaltete.612 Diese Ausnahme überrascht insofern, als noch im Konstitutionalismus die sachliche Diskontinuität auch als Mittel der Exekutive gesehen wurde, mittels Schließung eigene, mittlerweile überholte Gesetzentwürfe ohne formelle Rücknahme zu beseitigen. Dagegen hatte in den Hansestädten bisher eine möglichst weitgehende Kontinuität gegolten, wovon diese hamburgische Ausnahme ein Überbleibsel darstellte. In Bremen und Lübeck fand sich dagegen keine solche Interpretation des Diskontinuitätsprinzips, sondern man übernahm es im vollen Umfang mit der Total- bzw. Integralerneuerung des Parlaments von den Verfassungstraditionen der anderen Länder des Reiches.613 Im Ergebnis herrschte in den Ländern der Weimarer Re608 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 238 f., 238 Fn. 260. 609 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 226. 610 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 238 f. 611 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 239 f. 612 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 240. 613 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 241.
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
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publik jedoch Einigkeit, dass am Ende der Wahlperiode auch Diskontinuität im personellen, sachlichen und organisatorischen Sinne eintrat. II. Sitzungsperiode Die Wahlperiode bildete den einheitlichen Rahmen der Parlamentstätigkeit, jedoch war die Versammlung der Parlamente innerhalb dieses Zeitraums unterschiedlich ausgestaltet. Alle Landesparlamente hatten, so wie auch der Reichstag, ein Selbstversammlungsrecht, was in jedem Fall das Recht umfasste, den Wiederzusammentritt nach einer Unterbrechung der Parlamentstätigkeit zu bestimmen.614 Für die erste, konstituierende Sitzung trafen die meisten Verfassungen jedoch besondere Regelungen, da die Landtage unmittelbar nach einer Neuwahl noch nicht konstituiert waren und somit sich auch nicht selbst versammeln konnten. Dabei musste allerdings der bedeutenderen Stellung der Parlamente im Staatsgefüge, die insbesondere im Selbstversammlungsrecht zum Ausdruck kam, Rechnung getragen werden, indem man den Einfluss anderer Organe beschränkte.615 Wie im Reich regelten die meisten Länderverfassungen daher, dass das Parlament an einem festgelegten Tag zusammentrat, wobei die Landesregierung zum Teil einen früheren Zusammentritt verlangen konnte.616 Einige Verfassungen sahen dagegen vor, dass der Landtag zu Beginn der Wahlperiode einmalig von der Regierung innerhalb einer bestimmten Frist einberufen wurde. Lediglich Bremen, Lübeck und Mecklenburg-Schwerin trafen überhaupt keine derartigen Regelungen.617 Alle weiteren Versammlungstermine der Wahlperiode wurden dann durch ein Parlamentsorgan bestimmt. In Bremen war dies der gesamte Vorstand, sonst der Präsident, der in Lübeck „Wortführer“ hieß.618 Wie im Reich bestimmten die Verfassungen aller Länder bis auf diejenigen der Hansestädte und Braunschweigs darüber hinaus, dass einmal im Jahr das Parlament zur Verabschiedung des Haushalts zum einem bestimmten Termin oder Zeitraum zusammen zu kommen hatte.619 614 Leibholz, Zuständigkeit der Landesparlamente, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), HbDStR, 1. Band, 1930, S. 631. Zur Differenzierung des Selbstversammlungsrecht: Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 17. 615 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 17 f. 616 So in Mecklenburg-Strelitz, Preußen und Sachsen; ohne dieses Recht der Landesregierung: Baden, Braunschweig, Hessen und Württemberg. 617 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 228 f. Zu den einzelnen Regelungen: Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 20; Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 17 ff. 618 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 19 f. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 229. 619 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 20.
132 2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
Daneben konnten auch die Landesregierung, ein Teil der Abgeordneten, einzelne Landtagsauschüsse sowie in Bayern und Baden sogar die Wahlberechtigten einen Zusammentritt der Volksvertretung bewirken.620 Korrespondierend zum Selbstversammlungsrecht hatten die Landtage und Bürgerschaften das Recht, sich zu vertagen oder zu schließen. Aus diesem Recht allein folgte aber noch nicht, dass die Parlamente auf diese Weise auch Untergliederungen der Wahlperiode schufen, gab es doch in den Ländern wie im Reich eine deutliche Tendenz zur Permanenz des Parlaments.621 Dennoch bestand auf Länderebene noch mehr als auf der Reichsebene die Notwendigkeit, die Parlamentsarbeit zu unterbrechen. Diese erwuchs zum einen aus dem Mangel an Verhandlungsgegenständen und zum anderen aus dem Erfordernis der Parlamentarier, in ihre Wahlbezirke zurückzukehren.622 Unbestritten hatten die Volksvertretungen aller Länder ein Selbstvertagungsrecht, obwohl dies in einigen Verfassungstexten nicht ausdrücklich vorgesehen war. Wie nach der Weimarer Verfassung hatte die Vertagung neben der gewünschten Unterbrechung der Parlamentsarbeit jedoch keine weitergehenden, rechtlichen Folgen.623 Wie auf Reichsebene sahen die Länderverfassungen teilweise auch einen formellen Schluss der Sitzungsperioden vor, wobei dieser auch hier regelmäßig praktisch an Bedeutung verlor. Dabei lassen sich im Wesentlichen drei Gruppen identifizieren,624 die die Stadien der historischen Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips im 20. Jahrhundert im Kleinen noch einmal abbilden. Zunächst gab es die Ausgestaltung, die die Schließung in strenger Tradition des Konstitutionalismus nicht nur im Verfassungstext vorsah, sondern auch mit den insbesondere diskontinuierlichen Folgen weiterhin herbeiführte. Dann gab es die größte Gruppe der Länder, die das Schließungsrecht in ihrer Verfassung kannte, dieses jedoch wie der Reichstag in der Praxis nicht nutzte und zumindest nicht mit sachlicher Diskontinuität verband. Schließlich gab es eine Gruppe von Ländern, die die praktische Entwicklung auf Reichsebene auch schon in ihren Verfassungstexten abbildete, indem sie gänzlich auf die Unterbrechung der Wahl620 Das Verlangen unterlag ggf. Einschränkungen und war regelmäßig an den Landtagspräsidenten zu richten. Lediglich in Baden, Mecklenburg-Schwerin, MecklenburgStrelitz, Oldenburg, Sachsen und Württemberg könnte die Regierung eine solche Einberufung unmittelbar vornehmen. Zu den Möglichkeiten im Einzelnen: Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 27 ff.; Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 21 ff. 621 Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 13, 15; Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 27. 622 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 26. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 230. 623 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 28. 624 So schon Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 32.
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
133
periode durch Schließungen verzichtete und auch kein entsprechendes Recht vorsah.625 Zur ersten Gruppe gehörte nur Baden. § 26 Satz 2 der Badischen Verfassung vom 21.3.1919 sah jedoch kein parlamentarisches Schließungsrecht vor, sondern bestimmte, dass die vierjährige Wahlperiode in vier einjährige Landtagsperioden zerfiel. Nach dem Schluss einer solchen Sitzungsperiode sah die Geschäftsordnung des Badischen Landtags im Sinne einer organisatorischen und sachlichen Diskontinuität vor, dass der Vorstand neu gewählt wurde und alle nicht abgeschlossenen Arbeiten verfielen, wobei einzelne Parlamentsarbeiten ausdrücklich nach englischem Vorbild ausgenommen werden konnte, sodass eine Weiterbehandlung in der nächsten Sitzungsperiode möglich blieb.626 Daneben konnte der Landtag gem. § 45 der Verfassung die einjährigen Sitzungsperioden durch Vertagung unterbrechen.627 Als erste verabschiedete Verfassung war die Badische damit noch stark vom Konstitutionalismus geprägt und übernahm auch in der Praxis dessen strenge Untergliederung der Parlamentsarbeit.628 Die Verfassungstexte629 der zweiten Gruppe nahmen das Instrument der Schließung zwar ebenfalls auf, in der Praxis verzichteten jedoch die Vertretungsorgane auf jede Schließung oder verbanden damit keine Diskontinuität und nur vereinzelt organisatorische Diskontinuität, sofern der Schluss einer Session überhaupt beschlossen wurde. In der Praxis gab es nur in Anhalt, Bayern, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz überhaupt Schließungen. Die beiden Mecklenburger Länderparlamente verknüpften mit den seltenen Schließungen die Folge der Neuwahl des Vorstands, jedoch keinen Abbruch der Arbeiten im Sinne einer sachlichen Diskontinuität. In Mecklenburg-Schwerin wurde dieses Vorgehen damit begründet, dass der in der früheren Geschäftsordnung noch explizit enthaltene Grundsatz der sachlichen Diskontinuität nach dem Schluss der Session in der neuen Geschäftsordnung nicht übernommen wurde.630 625 Zum Ganzen: Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 32 ff. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 234 ff. 626 §§ 14, 36 GO des Badischen Landtags vom 19.11.1919, abgedruckt bei Zschucke, Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente, 1928, S. 210, 221. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 231. 627 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 32 f. 628 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 231. Dazu auch Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 13. 629 Die jeweiligen Bestimmungen der Verfassungen, die die Schließung vorsehen, werden im Einzelnen bei Sieber genannt, wobei bei Mecklenburg-Strelitz wohl nicht der genannte § 18, sondern § 11 des Landesgrundgesetz vom 23.5.1923 gemeint ist (Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 33 ff.). 630 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 32.
134 2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
Dagegen war diese Frage in Mecklenburg-Strelitz zunächst umstritten. Als der Fall einmalig relevant wurde, sprach sich der Landtag im Juli 1925 auf Anraten des Geschäftsordnungsausschusses explizit gegen den Eintritt sachlicher Diskontinuität am Ende der Sitzungsperiode aus.631 In Anhalt und Bayern waren mit dem Schluss der Sitzungsperiode dagegen gar keine diskontinuierlichen Folgen mehr verknüpft. In Anhalt stellten dies ausdrücklich Vorschriften in die Geschäftsordnung fest, nach denen der Vorstand für die gesamte Wahlperiode zu wählen war und unerledigte Gegenstände erst am Ende der Wahlperiode entfielen.632 In Bayern sah bereits § 28 Abs. 1 Satz 2 der Verfassungsurkunde vom 14.8.1919 die Wahl des Vorstands für die gesamte Wahlperiode vor, obwohl im Verfassungsentwurf zunächst lediglich die Amtszeit von einer Tagung vorgesehen war.633 Dementsprechend sah auch die Geschäftsordnung des Bayerischen Landtags vor, dass die Ausschüsse ebenfalls für die gesamte Wahlperiode gewählt werden. Dies stand in gewisser Weise im Widerspruch zu § 30 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung, der ausdrücklich Regelungen für einen einzigen, nach der Geschäftsordnung nun überflüssigen „Zwischenausschuss“ für die Zeit zwischen zwei Tagungen traf und zusätzlich daneben in Abs. 2 Satz 3 einem entsprechenden „ständigen Ausschuss“ zwischen zwei Wahlperioden vorsah.634 Dennoch leitete man aus der Einschränkung der organisatorischen Diskontinuität in der Verfassung ab, dass diese auch die sachliche Diskontinuität nur auf das Ende der Wahlperiode beschränken wollte.635 In Braunschweig, Lippe, Oldenburg, Preußen, Schaumburg-Lippe, Thüringen und Württemberg gab es wie bei den vier vorher besprochenen Ländern Verfassungsbestimmungen, die die Tagungsschließung vorsahen, jedoch wurde dieses Instrument praktisch von den Länderparlamenten nie angewendet.636 In den Verfassungen von Oldenburg und Preußen waren die Bestimmungen zum Schließungsrecht dabei streng ausgestaltet, während in den anderen Ländern bereits auf 631 Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 14; Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 32. 632 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 32 f. Anders als dort behauptet, enthält der dort zitierte § 17 der Verfassung für Anhalt vom 18.7.1919 keine Pflicht zur Neuwahl des Präsidenten nach dem Schluss einer Tagung. Ansonsten hätte diese Verpflichtung auch nicht durch eine Geschäftsordnungsänderung umgangen werden können. Insofern unkritisch folgend: Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 14 und auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 232 f. 633 Vgl. Hillmann, der darauf hinwies, dass eine Erklärung für die Änderung nicht zu finden ist (Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 20 f.). 634 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 231 f. 635 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 32; Hillmann, Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität, 1933, S. 21. 636 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 34 f.
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
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der Verfassungsebene Durchbrechungen vorgesehen waren. So sollte der Vorstand des Landtags in Braunschweig, Lippe, Thüringen und Württemberg für die gesamte Wahlperiode gewählt werden.637 Damit spricht in diesen Ländern die gleiche Argumentation wie in Bayern für eine auch sachliche Kontinuität der Sitzungsperioden, hätten die Landtage sich doch schließen wollen. In Braunschweig bestimmte § 87 der Geschäftsordnung des Landtages jedoch, dass im Fall einer Schließung sachliche Diskontinuität eintreten musste, auch wenn gem. § 1 eine solche Schließung die Ausnahme darstellen sollte.638 Die Geschäftsordnung des Preußischen Landtags schrieb in ähnlicher Weise in §§ 5 und 96 vor, dass der Schluss der Sitzungsperiode die Neuwahl des Vorstandes bzw. den Eintritt sachlicher Diskontinuität bewirkte, ließ dem Landtag in § 1 aber freie Hand, die Dauer einer solchen Sitzungsperiode zu bestimmen.639 Bei allen Unterschieden im Detail einigte die Landtage aller zuletzt beschriebenen Länder der Wunsch, möglichst kontinuierlich zu tagen, wie es der Reichstag vormachte. Im Ergebnis kam es deshalb zu keiner Schließung und somit auch nicht zum Eintritt von Diskontinuität innerhalb von Wahlperioden.640 Indem die Verfassungen der Länder der dritten Gruppe gänzlich auf das Instrument der Schließung verzichteten und sich auf Vertagungen beschränkten, waren sie damit konsequenter angesichts der deutlichen Tendenz auf Reichs- und Länderebene, die Wahlperioden möglich ununterbrochen durch diskontinuierliche Effekte zu gestalten. Hierzu gehörten neben den Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck, die wegen ihrer Tradition kontinuierlicher Bürgerschaften schon keine Schließungen kannten, die beiden Länder Hessen und Sachsen.641 Der sächsische Verfassungsentwurf sah ursprünglich noch die Einteilung der Legislaturperiode in Sessionen vor, was jedoch vom Verfassungsausschuss als mit der
637 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 34. In Braunschweig ergibt sich dies aus dem Wortlaut in § 22 Abs. 4 der Verfassung vom 6.1.1922, der vom Präsidenten des „letzten Landtags“ spricht. § 18 Abs. 3 Verfassung des Landes Thüringen von 11.3.1921 ist insofern weniger eindeutig, die Geschäftsordnung des Landtages macht aber deutlich, dass der Schluss der Tagung sowie die Neuwahl des Vorstands die Ausnahme bleiben sollen (hierzu Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 34. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 233). 638 Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 34. Zu den Geschäftsordnungsbestimmungen: Zschucke, Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente, 1928, S. 408. 639 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 234. 640 Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 14; Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 34 f. 641 Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 14; Sieber, Einberufung, Vertagung und Endigung der deutschen Landtage, 1926, S. 35 f. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 234 f.
136 2. Teil: Historische Grundlagen und Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips
veränderten Stellung des Parlaments unvereinbar verworfen wurde.642 In Art. 8 Abs. 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen vom 1.11.1920 war dementsprechend lediglich ein Vertagungsrecht des Landtags vorgesehen. Selbiges fand sich in Art. 23 Satz 2 der Hessischen Verfassung vom 12.12.1919, die in Art. 25 darüber hinaus als einziger Verfassungstext eine ausdrückliche Regelung über die sachliche Diskontinuität enthielt und dabei deren Eintritt auf das Ende der Wahlperiode beschränkte. Im Ergebnis verlor die Sitzungsperiode in der Mehrzahl der Länder ihre praktische Bedeutung, und das damit verbundene Diskontinuitätsprinzip blieb in seiner sachlichen Ausprägung für die Sitzungsperiode nur in Baden enthalten. Das erlangte Selbstversammlungsrecht schloss zwar nicht die theoretische Möglichkeit aus, dass die Parlamente der Weimarer Zeit weiterhin den Eintritt von sachlicher Diskontinuität auch am Ende von Sitzungsperioden für wünschenswert hielten,643 um etwa das parlamentarische Programm zu bereinigen, jedoch zeigt die Praxis, dass der Wunsch nach Kontinuität dominierte. Dieser Wunsch konnte aber nur im Rahmen einer sich regelmäßig erneuernden, demokratischen Legitimation erfüllt werden, sodass die Wahlperiode als verfassungsmäßig vorgegebene Handlungseinheit theoretisch wie praktisch zwingend blieb. Damit war deren Ende für alle Parlamente auch nach 1919 ein Anknüpfungspunkt für das tradierte Diskontinuitätsprinzip. Dies galt erst recht, wo dieses Ende durch Auflösung herbeigeführt wurde, war doch das Auflösungsrecht ein Relikt der im Konstitutionalismus mit dem Diskontinuitätsprinzip so eng verbundenen Fremdbestimmung des Parlaments, das nun vom Kaiser zum Volk als neuem Souverän übergegangen war. Obwohl andererseits in einigen Ländern ein Selbstauflösungsrecht als weiteste Form des Selbstversammlungsrechts und der Unabhängigkeit des Parlaments existierte, wurde der Eintritt von Diskontinuität am Ende der Wahlperiode nicht in Frage gestellt. Anders als das Selbstschließungsrecht, das schließlich zur weitestgehenden Aufgabe der Diskontinuität der Session führte, war die (Selbst-)Auflösung nur eine Form der Beendigung der Wahlperiode, die darüber hinaus als Ausnahme konzipiert war und in keinem Land die einzige Möglichkeit der Parlamentsauflösung darstellte. Die Parlamente auf Reichs- und Länderebene der Weimarer Republik hatten sich mit Ausnahme von Baden also von der Diskontinuität der Sitzungsperiode befreit. Der Eintritt von Diskontinuität am Ende der Wahlperiode blieb dennoch allgemein anerkannt. In dieser Weise erlangte dann das Diskontinuitäts-
642 Woelker, Die Verfassung des Freistaates Sachsen, 1921, S. 90 f.; ähnlich Rau, Einberufung, Vertagung und Schließung des Reichstags, 1933, S. 14. Auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 234 f. 643 So aber wohl Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 235. Er ist hier überraschend nah an der Argumentation von Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (508).
4. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Weimarer Republik
137
prinzip auch unter dem Grundgesetz Geltung, nachdem der Parlamentarismus insgesamt zunächst durch die Präsidialkabinette und schließlich die Machtergreifung der Nationalsozialisten jede Bedeutung verloren hatte.644
644 Die Länderparlamente wurden ausdrücklich durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30.1.1934 (RGBl. I S. 75) beseitigt, welches die Souveränität der Länder insgesamt aufhob. Auch der Reichstag wurde zwar noch vier Mal neu gewählt, trat aber immer seltener zusammen, war kaum als Gesetzgeber tätig und sanktionierte als Einparteienparlament nur noch die durch die Regierung unter Hitler erlassenen Vorschriften (zum Reichstag im Dritten Reich ausführlich: Hubert, Uniformierter Reichstag, 1992). Zeitgenössisch wurde diese „Beseitigung des Parlamentarismus“ durchaus positiv betont (vgl. Kluge/Krüger, Verfassung und Verwaltung im Großdeutschen Reich, 1941, S. 36 f.).
3. Teil
Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland Die deutsche Verfassungsgeschichte und insbesondere die Erfahrungen der Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur prägten die Schaffung des Grundgesetzes nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Grundgesetz wird daher zu Recht auch als „Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes“ 1 beschrieben. Diese Positionierung gegen die Diktatur und der kritisch reflektierende Rückgriff auf die eigene Parlamentstradition muss bei der Betrachtung des Diskontinuitätsprinzips unter dem Grundgesetz beachtet werden. Konsequenz hieraus ist insbesondere die Entscheidung für eine starke repräsentative Demokratie und die weitestgehende Ablehnung plebiszitärer Elemente. Das Volk als Träger der Souveränität gem. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG ist damit grundsätzlich darauf beschränkt, seinen Willen in regelmäßigen Wahlen zum Bundestag zu äußern. Die Gewählten sind gem. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG für die Legislaturperiode Repräsentanten des gesamten Volkes, aber von diesem in der Wahrnehmung der Mandate völlig unabhängig. Daraus folgt, dass das Volk an sein Votum für die Dauer der Legislatur gebunden ist und die konkrete Parlamentstätigkeit nicht dem aktuellen Volkswillen unterworfen ist. Das bedeutet, dass auch Entscheidungen getroffen werden können, die zum Zeitpunkt der Wahl nicht absehbar waren oder sogar dem Volkswillen widersprechen. Ausdruck dieser unabhängigen Stellung des Bundestages ist auch die in Art. 40 Abs. 1 GG geregelte Geschäftsordnungsautonomie. Die Verfassung enthält dagegen in der Hauptsache lediglich Grundlinien zum Geschäftsgang und zur inneren Organisation. Der Bundestag ist darüber hinaus einziger Träger des Volkswillens. Anders als der Reichspräsident der Weimarer Republik wird der Bundespräsident nämlich nicht unmittelbar durch das Volk legitimiert. Zugleich ist der Bundespräsident in seinem Auflösungsrecht stark eingeschränkt, sodass der in der Weimarer Republik regelmäßige Appell ans Wahlvolk unter dem Grundgesetz nicht möglich ist.2 Neben dem starken Parlament gesteht das Grundgesetz der Regierung ebenfalls eine starke Stellung auf Kosten der präsidialen Befugnisse zu. Zwar wählt der Bundestag gem. Art. 63 GG den Bundeskanzler. Dieser bestimmt dann je1
BVerfGE 124, 300 (328, Rn. 65). Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 52; Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2021, Rn. 820. 2
1. Kap.: Parlamentarische Arbeitsperioden als Grundlage
139
doch eigenständig die Minister, welche der Bundespräsident ernennt (Art. 64 Abs. 1 GG). Dem Bundestag ist es dann verwehrt, der Regierung einseitig das Vertrauen zu entziehen. Vielmehr muss gem. Art. 67 GG eine neue Regierung durch die Wahl eines neuen Regierungschefs auf den Weg gebracht werden, um die Amtszeit der alten Regierung zu beenden. Diese Regelung dient als Reaktion auf die Weimarer Erfahrungen dazu, die größtmögliche Regierungsstabilität zu erreichen.3 Dass die Regierung im Ergebnis aber dennoch wesentlich vom Bundestag abhängen soll, macht Art. 69 Abs. 2 GG deutlich, wonach die Amtszeit der Regierung mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages zwingend endet. 1. Kapitel
Parlamentarische Arbeitsperioden als Grundlage des Diskontinuitätsprinzips Die Wahlperiode nimmt auch bei der Betrachtung des Bundestages und insbesondere des Diskontinuitätsprinzips unter dem Grundgesetz eine zentrale Stellung ein.4 Weil der Bundestag in seinen konkreten Handlungen vom Volkswillen unabhängig ist und es für das Wahlvolk keine formale, staatsrechtliche Möglichkeit gibt, auf die Parlamentshandlungen einzuwirken, ist die Befristung dieses freien Handlungsspielraums die wesentliche, demokratische Rückbindung an den Volkswillen. Die Ablösung und Neulegitimation in regelmäßigen, im Voraus bestimmten Zeitabständen stellt daher ein zwingendes, grundlegendes Prinzip des freiheitlich, demokratischen Rechtsstaats unter dem Grundgesetz dar.5 Das Bundesverfassungsgericht spricht daher auch von einer „Herrschaft auf Zeit“.6
A. Wahlperioden als verbleibender Umbruch im immer kontinuierlicheren Parlamentsleben Um dieser Kontroll- und Legitimationsfunktion gerecht zu werden, darf die Wahlperiode nicht zu lang sein. Umgekehrt läuft eine zu kurze Legislatur der Vorstellung eines starken, repräsentativen Parlaments zuwider7 und stellt gerade 3 Vgl. Art. 68 Abs. 1 GG. Auch Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2021, Rn. 821; Hartung, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1969, S. 369; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 244. 4 Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 71. 5 BVerfGE 18, 151 (154). 6 So zuletzt BVerfG, Beschl. vom 15.12.2015 – 2 BvL 1/12 – Rn. 53. So auch Dreier, in: Dreier, GG, 2015, Art. 20 (Demokratie) Rn. 73 m.w. N. zu dieser „vielzitierten Wendung“. Ausführlich auch zur historischen Entwicklung zeitlich begrenzten Legitimation der Repräsentation: Jekewitz, Herrschaft auf Zeit, ZParl 1976, 373 ff. 7 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 246.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
mit Blick auf das Diskontinuitätsprinzip eine Behinderung der Parlamentsarbeit dar. In der Tradition der Weimarer Verfassung sieht das Grundgesetz in Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG eine vierjährige Wahlperiode vor. Bereits die Entscheidung fast aller Landesverfassungsgeber – anstelle der anfänglich vorgesehenen vierjährige – mittlerweile eine fünfjährige Wahlperiode einzuführen,8 wie sie auch beim Europaparlament gilt,9 zeigt, dass auch eine längere Wahlperiode denkbar wäre. Eine entsprechende Änderung kann der Bundestag jedoch nur für seine nächste Wahlperiode beschließen. Die aktuelle Wahlperiode kann er nicht verlängern, da er durch die letzte Wahl nur für vier Jahre legitimiert ist und sonst gegen den in Art. 79 Abs. 3 GG besonders geschützten Demokratiegrundsatz verstoßen würde.10 Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser regelmäßigen Legitimationserneuerungen ist es konsequent, dass das Grundgesetz eine Integralerneuerung vorsieht und sämtliche Abgeordnetenmandate zum Wahltag neu vergeben werden. Tatsächlich schließt die repräsentative Demokratie eine Partialerneuerung des Parlaments dennoch nicht aus,11 da in diesem Fall durch die Neubesetzung nur eines Teils der Mandate in regelmäßigen, kürzeren Abständen auch eine zumindest partielle Neulegitimation verbunden wäre. Jedoch wird der legitimierende Wählerwille durch eine Gesamterneuerung klarer zum Ausdruck gebracht und ermöglicht ein Gesamturteil über die vergangene Arbeit.12 In diesem Sinne ist der Bundestag ein periodisches Parlament und gerade kein permanentes.13 In seiner weiteren, rechtlichen Ausgestaltung ist der Bundestag dennoch durch Permanenz und Kontinuität geprägt. So vernichtet das Ende der Wahlperiode den Bundestag als abstrakt-institutionelles Organ nicht in seiner Existenz. Das Verfassungsorgan „Bundestag“ existiert permanent und ist als Institution eine ständige Einrichtung, deren Identität durch die Neuwahl ihrer Mitglieder nicht beeinflusst wird.14 Es wird in diesem Zusammenhang auch von „Organkontinuität“ gesprochen.15 Hiervon zu unterscheiden ist jedoch der Bundestag in seiner Er-
8
Zu den Wahlperioden der Länder: S. 258. Art. 14 Abs. 3 EUV. 10 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 22 [Lfg. 77 5/2016]; Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 15 Rn. 70 ff. 11 Zur Möglichkeit insbesondere auch von personeller Kontinuität unten: S. 230. A. A. Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 250. 12 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 53. 13 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 54; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 248. 14 Vgl. BVerfGE 4, 144 (152); Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 56; Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 8; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 249, 252; Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 15 Rn. 79. 15 Ausführlich zu dem Begriff bereits oben: S. 24. 9
1. Kap.: Parlamentarische Arbeitsperioden als Grundlage
141
scheinung als durch die Wahl personell konkretisiertes Organ, welches für eine Wahlperiode existiert und mit deren Ende aufhört zu bestehen. Um diese singulären, individuellen Ausprägungen der abstrakten Institution „Bundestag“ zu beschreiben, kann durchaus von ersten, zweiten, dritten usw. Bundestag gesprochen werden.16 So spricht etwa Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG von einem „neuen“ Bundestag, was nur in Abgrenzung zum „alten“ (konkret-personellen) Bundestag der vorherigen Wahlperiode verstanden werden kann. Während also der Bundestag als abstraktes Organ permanent und gerade nicht periodisch existiert, tagt er als konkret-personell legitimiertes Organ in Handlungsabschnitten in Form von Wahlperioden.17 Im Vergleich zu seinen Vorgängern hat sich die Bedeutung solcher Arbeitsperioden für den Bundestag jedoch reduziert. So tagen die konkret-personellen Bundestage jeweils während der Wahlperiode permanent, indem sich der Verfassungsgeber bewusst gegen die Schaffung von Sitzungsperioden als zweite Handlungseinheit neben der Wahlperiode entschieden hat.18 Obwohl die Schaffung von Sessionen mit den tradierten Folgen wie Verlust der Abgeordnetenimmunität und Verfall der nicht beschlossenen Vorlagen im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates angeregt wurde, wurde dieses schon in der Weimarer Republik nicht genutzte Mittel verworfen.19 Dennoch kann der Bundestag – wie der Reichstag vor ihm – seine Sitzungen vertagen. Dies führt zu einer Unterbrechung der Arbeit, aber nicht zu einem Abbruch im Sinne von Diskontinuität. Das gilt auch für längere Unterbrechungen wie die regelmäßige Sommerpause.20 Während der Wahlperiode bestimmt der Bundestag den Schluss und Wiederbeginn seiner Sitzungen gem. Art. 39 Abs. 3 Satz 1 GG selbstständig. Dieses Selbstversammlungsrecht macht den Bundestag in seinen Sitzungen – anders als noch den kaiserlichen Reichstag – von der Exekutive unabhängig, auch wenn diese vertreten durch den Bundeskanzler zumindest eine Berufung herbeiführen kann.21 16 Kloepfer spricht sehr passend von einer „permanenten Kette von ,Bundestagen’“ (Verfassungsrecht I, 2011, § 15 Rn. 73, 79 f.). Zu der Verwendung von Ordnungszahlen bereits oben: S. 24. 17 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 56; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 252. 18 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 57; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 248; Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 26 ff.; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 2 [Lfg. 77 5/2016]. 19 Vgl. Anmerkung des Abgeordneten Felix Walter (CDU) im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates (Stenographische Berichte der Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 14), der lediglich eine sehr knappe, ablehnende Erwiderung folgt (dazu Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 248). 20 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 57; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 247 f.; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 4 f. [Lfg. 77 5/2016]. 21 Vgl. Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG; Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 52; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 62 ff. [Lfg. 77 5/2016].
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
B. Übergänge zwischen den Wahlperioden bis 1976 Auch die Wahlperioden als gebliebene, zwingende Arbeitsperioden stehen zwar singulär nebeneinander, deren Beginn und Ende als Übergänge zeugen jedoch von einer ausgeprägten Permanenz des Bundestages.22 Bei der Schaffung des Grundgesetzes ging es – anders als unter den früheren Verfassungen – nicht mehr darum „Parlamentarismus in Permanenz“ durch möglichst kurze Tagungszeiten zu verhindern, sondern im Gegenteil parlamentarische Beteiligung sicherzustellen. Dazu wurde bereits im Parlamentarischen Rat basierend auf dem Herrenchiemseer Entwurf überlegt, die Legislaturperiode eines konkret-personellen Bundestages stets mit der konstituierenden Sitzung des neu gewählten Bundestages enden zu lassen.23 Um aber nicht die exakte Vorgabe von vier Jahren als Wahlperiode zu gefährden,24 nahm man in Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG a. F. die Regelung auf, dass die Wahlperiode vier Jahre nach dem ersten Zusammentritt des Bundestages endete. Der erste Zusammentritt stellte somit auch den Beginn der Wahlperiode dar.25 Der neue Bundestag musste gem. Art. 39 Abs. 1 Satz 3 GG a. F. im letzten Vierteljahr vor dem Ende der Wahlperiode gewählt werden und sollte gem. Art. 39 Abs. 2 GG a. F. spätestens 30 Tage nach der Wahl zum ersten Mal zusammentreten, jedoch in keinem Fall bevor die Wahlperiode des vorherigen Bundestages geendet hat. Art. 39 Abs. 1 und Abs. 2 GG in der bis 1976 geltenden Fassung26 lautete: (1) 1Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt. 2Seine Wahlperiode endet vier Jahre nach dem ersten Zusammentritt oder mit seiner Auflösung. 3Die Neuwahl findet im letzten Vierteljahr der Wahlperiode statt, im Falle der Auflösung spätestens nach sechzig Tagen. (2) Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl, jedoch nicht vor dem Ende der Wahlperiode des letzten Bundestages zusammen.
Damit konnte im Extremfall der neu gewählte Bundestag für drei Monate neben dem alten bestehen, ohne handlungsfähig zu sein. Auch wenn der neue Bundestag über die jüngere Legitimation verfügte, war es dem alten unbenommen,
22 Droege, Herrschaft auf Zeit, DÖV 2009, 649 (651); Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 46 ff. 23 Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 18 ff. [Lfg. 199 7/ 2019]. 24 Vgl. die Anmerkung des Abgeordneten Thomas Dehler (FDP) im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates. Dort drang bereits der Abgeordnete Heinz Renner (KPD) auf ein Wahlperiodenende erst mit dem Zusammentritt des neuen Bundestags, um eine dauerhafte Immunität der Abgeordneten sicherzustellen (Stenographische Berichte der Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 11, 391). 25 Klein weist noch darauf hin, dass vor der Änderung des Art. 39 GG auch vertreten wurde, dass der Wahltag den Beginn der Wahlperiode markiert (in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 39 Rn. 18 [Lfg. 77 5/2016]). 26 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949, BGBl. I S. 5.
1. Kap.: Parlamentarische Arbeitsperioden als Grundlage
143
seine gesamte Wahlperiode von vier Jahren zu nutzen, für die er durch seine frühere Wahl legitimiert war.27 Die festen, abgeschlossenen Legitimationszeiträume eines jeden Vertretungsorgans wurden durch das Grundgesetz somit umfangreich geregelt und konsequent umgesetzt.28 Diese Regelungen führten dazu, dass die Wahlperiode eines Bundestages zwingend endete, bevor sich ein neuer Bundestag konstituieren konnte. Zum Teil wurde deshalb vertreten, dass zwischen den Wahlperioden eine „bundestagslose Zeit“ herrsche.29 Unbestritten war, dass die Rechte in dieser Zeit nicht auf ein anderes Verfassungsorgan übergingen,30 sondern sie schlicht „verwaist“ 31 waren und vom Bundestag selbst nicht ausgeübt werden konnten.32 Von einer bundestagslose Zeit sollte dennoch nicht gesprochen werden. Zum einen kann damit nur das Fehlen eines handlungsfähigen Parlaments gemeint sein,33 da nur der konkret-personelle Bundestag im Gegensatz zur Institution mit dem Ende der Wahlperiode aufhört zu existieren. Zum anderen traf das Grundgesetz von Anfang an Vorkehrungen dafür, dass die Interessen des Bundestages wahrgenommen und vertreten werden konnten, auch wenn das Parlament selbst nicht versammelt war. Dazu sah Art. 45 GG a. F.34 den ständigen Ausschuss vor, der dazu diente, die Rechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung zwischen zwei Wahl-
27 Zur fortgesetzten Legitimation des bisherigen Parlaments und dem dennoch bestehenden „Legitimationsverlust“ in der weiterhin vorhandenen Übergangszeit: Droege, Herrschaft auf Zeit, DÖV 2009, 649 (655). Ausführlich Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 97 ff. 28 Zum Ganzen: Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 54 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 250 f.; Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 71 f. 29 Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 72; Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 46, 53. 30 Demgegenüber sah etwa § 59 Abs. 2 Verfassung für den Freistaat Oldenburg vom 17.6.1919 für die Zeit zwischen zwei Wahlperioden explizit vor, dass das Innenministerium die Geschäfte fortführen sollte; dazu auch oben: S. 127. 31 Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 73. 32 Zur Situation unter dem Grundgesetz vor der Änderung: Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 252; Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 46 ff. 33 So wohl auch Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 72 f. 34 Art. 45 GG in der Fassung bis zum 14.12.1976 lautete: (1) 1Der Bundestag bestellt einen ständigen Ausschuß, der die Rechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung zwischen zwei Wahlperioden zu wahren hat. 2Der ständige Ausschuß hat auch die Rechte eines Untersuchungsausschusses. (2) Weitergehende Befugnisse, insbesondere das Recht der Gesetzgebung, der Wahl des Bundeskanzlers und der Anklage des Bundespräsidenten stehen dem ständigen Ausschuß nicht zu.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
perioden zu wahren. Dieser Ausschuss hatte dabei die gleichen Rechte wie ein Untersuchungsausschuss, aber explizit keine weitergehenden Rechte wie etwa den Erlass von Gesetzen oder die Wahl eines Kanzlers.35 Auch die Ausschüsse für auswärtige Angelegenheiten und für Verteidigung konnten gem. Art. 45a Abs. 1 Satz 2 GG a. F.36 zwischen zwei Wahlperioden tätig werden. Außerdem ergab sich aus Art. 49 GG a. F.,37 dass auch das Präsidium in dieser Zeit aktiv werden konnte.38 Aus der Tatsache, dass der ständige Ausschuss lediglich ein einziges Mal zwischen den Wahlperioden tagte,39 könnte man dagegen den Schluss ziehen, dass dieser mangels ausreichender Kompetenzen in der Praxis nicht in der Lage war, die Rechte des Bundestages zwischen den Legislaturperioden zu sichern. Es scheint aber plausibler, dies mit den immer kürzer werdenden Zwischenintervallen40 zu erklären, sodass Sitzungen des ständigen Ausschusses gar nicht notwendig waren.41 Die Zusammenschau dieser Regelungen verdeutlicht dagegen die Intention des Verfassungsgebers, durch umfassende Regelungen in Art. 39, 45, 45a, 49 GG a. F. sicherzustellen, dass der neue Bundestag sich im Bestfall bereits einen Tag nach dem Ende der vorherigen Wahlperiode konstituieren konnte und die Rechte des Bundestages selbst während der immer kürzer werden Zwischenintervalle wahrgenommen werden konnten.42 Das Grundgesetz geht also von Anfang an von einem möglichst kontinuierlichen Übergang von einem zum anderen personell konkretisierten Bundestag aus und stellt so die permanente Existenz des abstrakt-generellen Verfassungsorgans „Bundestag“ heraus. Damit ist auch
35 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 11 f. [Lfg. 77 5/2016]; Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 47 ff. 36 Art. 45a Abs. 1 GG in der Fassung bis zum 14.12.1976 lautete: (1) 1Der Bundestag bestellt einen Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und einen Ausschuß für Verteidigung. 2Die beiden Ausschüsse werden auch zwischen zwei Wahlperioden tätig. 37 Art. 49 GG in der Fassung bis zum 14.12.1976 lautete: Für die Mitglieder des Präsidiums, des ständigen Ausschusses, des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und des Ausschusses für Verteidigung sowie für deren erste Stellvertreter gelten die Artikel 46, 47 und die Absätze 2 und 3 des Artikels 48 auch für die Zeit zwischen zwei Wahlperioden. 38 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 13 ff. [Lfg. 77 5/2016]. 39 Schindler, Datenhandbuch des Bundestages 1949 bis 1999, 1999, S. 2298. Auch Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 12 [Lfg. 77 5/2016]. 40 So betrug der Zwischenzeitraum 1953 noch 28 Tage, 1957 schon nur noch acht Tage und 1961 und 1965 nur noch einen Tag. 1969 konstituierte sich der 6. Bundestag bereits am Tag nach dem Ende der Wahlperiode des 5. Bundestages (Schindler, Datenhandbuch des Bundestages 1949 bis 1999, 1999, S. 301). 41 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 54 f.; Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 52; Schindler, Datenhandbuch des Bundestages 1949 bis 1999, 1999, S. 2298. 42 Zu den Vorschriften bis 1976, insbesondere auch hinsichtlich des Diskontinuitätsprinzips: Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 54 ff.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 250 f.
1. Kap.: Parlamentarische Arbeitsperioden als Grundlage
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ausdrücklich eine Stärkung der Stellung des Parlaments im Staatsgefüge bezweckt.43 Die kurzen Zwischenintervalle galten aber nur für den Regelfall des regulären Ablaufs der Wahlperiode. Da jedoch auch eine Auflösung des Bundestages dessen Wahlperiode gem. Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG a. F. beendete, für eine Neuwahl gem. Satz 3 höchstens 60 Tage und nach der Wahl für den ersten Zusammentritt maximal 30 Tage gem. Absatz 2 vorgesehen waren, konnte es im Fall einer Auflösung für bis zu 90 Tage kein handlungsfähiges Parlament geben. So findet sich die längste Zeitspanne eines sogenannten „Interregnums“ 44 unter der Geltung des Grundgesetztes nach der ersten Auflösung des Bundestages in der sechsten Wahlperiode, nach der es 81 Tage dauerte, bis sich der siebte Bundestag konstituierte.45
C. Abschaffung der Intervalle zwischen Wahlperioden durch eine Reform des Art. 39 GG Um die Intervalle zwischen den Wahlperioden zu beseitigen und den Bundestag in die Lage zu versetzen, seine Rechte stets selbst wahrzunehmen, wurde der Art. 39 GG im Jahr 1976 reformiert.46 Danach lautete der Art. 39 Abs. 1 und Abs. 2 GG: (1) 1Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt. 2Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages. 3Die Neuwahl findet frühestens fünfundvierzig, spätestens siebenundvierzig Monate nach Beginn der Wahlperiode statt. 4Im Falle einer Auflösung des Bundestages findet die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen statt. (2) Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen.
Nach der Reform verhindert der Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG jedes Zwischenintervall, indem seither das Ende der Wahlperiode mit dem Zusammentritt des neu gewählten Bundestages zusammenfällt. Auch im Fall einer Auflösung endet die Wahlperiode des aufgelösten Bundestages nun also erst an dem Tag, an dem sich 43 Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924 v. 9.12.1976, S. 36. 44 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 29 [Lfg. 77 5/2016]. Allgemein Creifelds/Weber (Hrsg.), Rechtswörterbuch, 2019, S. 777. 45 So löste Bundespräsident Gustav Heinemann den sechsten Bundestag am 22.9. 1972 auf und der siebte Bundestag trat am 13.12.1972 erstmals zusammen (s. auch Schindler, Datenhandbuch des Bundestages 1949 bis 1999, 1999, S. 301; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 8 [Lfg. 77 5/2016], die fälschlich von 82 bzw. 83 Tagen parlamentsloser Zeit ausgehen, indem sie den Tag der Auflösung bzw. den der konstituierenden Sitzung mitzählen). 46 Dreiunddreißigstes Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 29 und 39) vom 23.8.1976, BGBl. I S. 2382. Dazu der Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924 v. 9.12.1976, S. 34 ff. Zu den Hintergründen auch: Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 53 ff.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
sein Nachfolger konstituiert.47 Die Neuwahlen musste zunächst 45 bis 47 Monate nach Beginn der laufenden Wahlperiode stattfinden. Später wurde dieser Zeitpunkt auf 46 bis 48 Monate nach der konstituierenden Sitzung verlegt und klarstellend in Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG eingefügt, dass die vierjährige Dauer der Wahlperiode nur unter dem Vorbehalt einer früheren oder späteren Neukonstituierung des neu gewählten Bundestages gilt.48 Denn nach der letzten Änderung kann die laufende Wahlperiode theoretisch durch eine Neuwahl nach 46 Monaten und unmittelbar darauffolgende Konstituierung um zwei Monate verkürzt werden. Daneben besteht die Möglichkeit, die Wahlperiode um einen Monat zu verlängern, indem die Neuwahl erst 48 Monate nach dem Beginn der aktuellen Legislaturperiode stattfindet und bis zur konstituierenden Sitzung die höchstmögliche Frist von 30 Tagen gem. Art. 39 Abs. 2 GG ausgenutzt wird.49 Eine solche Verlängerung war unmittelbar nach der Änderung von 1976 noch nicht möglich,50 sondern eine Verkürzung war geradezu zwingend, es sei denn, die Neuwahl hätte exakt 47 Monate nach dem Beginn der auslaufenden Wahlperiode stattgefunden und man hätte die Höchstfrist von 30 Tagen bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages genutzt.51 So finden sich Verkürzungen um bis zu 60 Tage in den Wahlperioden nach der ersten aber vor der zweiten Änderung des Art. 39 GG, wohingegen von den fünf regulär abgeschlossenen Wahlperiode seit der zweiten Änderung zwei kürzer und drei länger als vier Jahre dauerten.52 47 BVerfG, Urt. v. 16.2.1983 – 2 BvE 1/83, Rn. 92 f. Auch Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 69 f.; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 2 ff. 48 Art. 39 Abs. 1 und Abs. 2 GG in der aktuellen Fassung lautet: (1) 1Der Bundestag wird vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen auf vier Jahre gewählt. 2Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages. 3Die Neuwahl findet frühestens sechsundvierzig, spätestens achtundvierzig Monate nach Beginn der Wahlperiode statt. 4Im Falle einer Auflösung des Bundestages findet die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen statt. (2) Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen. (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 39) vom 16.7.1998, BGBl. I S. 1822). 49 Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 57; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 6 [Lfg. 77 5/2016]. 50 Wenn Jekewitz auch eine Verlängerung für möglich hält, legt er wohl nicht die endgültige Fassung des Art. 39 GG nach der Änderung aus dem Jahr 1976 zugrunde (Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 251). 51 Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 57 f.; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 6 [Lfg. 77 5/2016]. Beide weisen außerdem darauf hin, dass die zweite Reform insbesondere dazu dienen sollte, das Heranrücken des Wahltermins an die Sommerferien zu verhindern und stattdessen zwecks höherer Wahlbeteiligung einen Wahltermin in der Regel zwischen September und November zu ermöglichen. 52 Im Detail wurden die Wahlperioden um folgende Anzahl von Tagen gekürzt: 8. WP = 39; 9. WP = Auflösung; 10. WP = 39; 11. WP = 60; 12. WP = 40; 13. WP = 15; dann tritt die zweite Änderung in Kraft, 14. WP = 9 Tage kürzer; 15. WP = Auflösung; 16. WP = 9 Tage länger; 17. WP = 5 Tage kürzer; 18. WP = 2 Tage länger; 19. WP = 3 Tage länger.
1. Kap.: Parlamentarische Arbeitsperioden als Grundlage
147
Darin zeigt sich zum einen, dass ein größeres Interesse daran besteht, ein permanent versammeltes Parlament zu haben, als eine starre Frist von vier Jahren einzuhalten. Hierfür sind die Abgeordneten auch bereit, eine Verkürzung ihrer Mandatszeit hinzunehmen. Zum anderen lässt sich darin aber auch eine gewisse Tendenz erkennen, die Wahlperiode zu verlängern, soweit dies möglich ist. Ein Legitimationsproblem entsteht jedoch auch bei einer Verlängerung der Wahlperiode über die vier Jahre hinaus nicht, da diese Möglichkeit von Grundgesetz gerade vorgesehen und bereits bei der Wahl bekannt und damit umfassend legitimiert ist. Dies macht der Vorbehalt in Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG besonders deutlich. Durch diese Änderungen wurde also das Interregnum vollständig abgeschafft, sodass nun neben dem abstrakten Organ auch stets ein handlungsfähiger konkretpersoneller Bundestag existiert.53 Die Möglichkeiten der Art. 45, 45a und 49 GG a. F., dass Unterorgane die parlamentarischen Rechte zwischen den Wahlperioden wahrnehmen, wurden konsequenterweise im gleichen Änderungsgesetz gestrichen.54 Zusammenfassend konnte und sollte diese Änderungen die periodischen Legitimationserneuerungen, die durch die regelmäßige Wahl eines neuen konkret-personellen Bundestages entstehen, aber nicht beseitigen. Sie zeigen aber, dass die hierdurch verursachte Unterbrechung jedenfalls in zeitlicher Hinsicht völlig beseitigt werden soll. Der Bundestag ist daher kein permanentes Parlament im Sinne einer ständigen, kontinuierlich arbeitenden Versammlung,55 allerdings existiert er abstrakt-institutionell permanent, und die Staatspraxis des Grundgesetzes reduziert die Bedeutung von Arbeitsperioden, indem die Sitzungsperioden wie schon im Weimarer Reichstag gänzlich und selbst die Unterbrechungen durch Wahlperioden zumindest in zeitlicher Hinsicht abgeschafft wurden.
D. Kaum Einfluss auf die Gestaltung der Wahlperiode Festzuhalten ist weiterhin, dass die Wahlperiode unter dem Grundgesetz im Gegensatz zu früheren Verfassungen weitgehend unabhängig von dem Willen einzelner Organe beginnt und endet. Insbesondere der noch in der Weimarer Republik mittels Auflösung regelmäßig ausgeübte Einfluss der Exekutive auf die Arbeitsperioden des Parlaments wurde fast vollständig zurückgedrängt. Bemer53 Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924 v. 9.12.1976, S. 34. So auch Dicke, in: Umbach/Clemens, 2002, Art. 39 Rn. 25; Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 57; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, GG, 2022, Art. 39 Rn. 3; Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 1 a). 54 Dreiunddreißigstes Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 29 und 39) vom 23.8.1976, BGBl. I S. 2382. Bei der Streichung wurde der nunmehr ebenfalls überflüssige Art. 54 Abs. 5 GG nicht berücksichtigt (Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 2022, Art. 54 Rn. 67 f.). 55 So überbetonend Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 251.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
kenswert ist dabei allerdings, dass der Bundestag die Wahlperiode noch weniger beeinflussen kann. Ein Selbstauflösungsrecht steht dem Bundestag nicht zu. Lediglich Art. 63 Abs. 4 Satz 3 und Art. 68 Abs. 1 GG sehen überhaupt ein Auflösungsrecht vor.56 Dieses übt der Bundespräsident in seinem Ermessen aus. Im ersten Fall kann der Bundespräsident den Kandidaten mit der relativen Mehrheit zum Bundeskanzler ernennen, und im zweiten Fall muss ein verlorenes Misstrauensvotum des Bundeskanzlers vorausgehen.57 Beide Fälle kann der Bundestag nicht selbstständig herbeiführen, sondern ist beim Sturz einer Regierung vielmehr auf das konstruktive Misstrauensvotum in Art. 67 GG verwiesen. Obwohl ein Selbstauflösungsrecht gelegentlich als „Krone der Repräsentation“, indem der Vertretungsauftrag ans Wahlvolk zurückgegeben wird, diskutiert wird, ist dies – angesichts der vorhandenen Möglichkeiten58 und als Lehre aus der Weimarer Zeit – mit dem Ziel einer größtmöglichen Stabilität abzulehnen.59 Aber auch unter regulären Bedingungen kann ein konkret-personeller Bundestag das Ende seiner Wahlperiode nicht bestimmen. Wie bereits dargestellt, endet die Wahlperiode eines Bundestags mit dem Zusammentritt des nächsten Bundestages. Das bedeutet, dass der erste Zusammentritt eines Bundestages die eigene Wahlperiode in Lauf setzt und gleichzeitig jene des alten Bundestages beendet. Das Recht, diesen Zeitpunkt zu bestimmen, steht aber nicht dem alten, sondern dem neuen Bundestag zu. Nur dieser kann kraft Selbstversammlungsrecht seine konstituierende Sitzung regeln. Dabei ist er jedoch in der Praxis mangels eigener Organe auf den Präsidenten des alten Bundestages angewiesen, welcher dieses Geschäft im Interesse des neuen Bundestages ohne Auftrag ausführt.60 Dieses Vorgehen ist allgemein anerkannt, zumal auch heute schon bei einer Nichtberufung durch den bisherigen Bundestagspräsidenten der neue Bundestag gem. Art. 39 Abs. 2 GG spätestens am 30. Tag nach der Neuwahl zusammentreten müsste. Damit hat zwar ein konkret-personeller Bundestag das Ende seiner Wahlperiode nicht in der Hand, allerdings wird dies durch den Beginn der nächsten Wahlperiode bestimmt, den formal der neue Bundestag und faktisch ein Organ des alten in der Hand hat. Über den konkreten Zeitpunkt von Beginn und Ende bestimmt also zumindest der Bundestag als abstraktes Organ und gerade nicht die Exekutive. 56
Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 63. BVerfGE 62, 1 (41 f.); Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 54; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 81 ff. [Lfg. 77 5/2016]. 58 Zum „auflösungsgerichteten“ Vertrauensantrag gem. Art. 68 GG: Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 68 Rn. 69 ff. [Lfg. 53 10/2008]. 59 Zur Diskussion um die Einführung eines Selbstauflösungsrechts: Pieper, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 68 Rn. 19 ff. 60 Dazu, insbesondere auch dass darin keine Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität liegt: S. 164. 57
1. Kap.: Parlamentarische Arbeitsperioden als Grundlage
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In diesem Licht ist auch die Frage zu entscheiden, ob der Bundeskanzler oder der Bundespräsident mit einer entsprechenden Anwendung von Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG einen früheren Zusammentritt des Bundestages verlangen können. Dies ist schon aus systematischen Gründen zu verneinen, da sich diese Regelung nur auf den Wiederzusammentritt in Abs. 3 und gerade nicht auf den ersten Zusammentritt in Abs. 2 bezieht.61 Darüber hinaus könnte die Exekutive sonst den Beginn des neuen und gleichzeitig das Ende des alten Bundestages regeln, was ihr nur ausnahmsweise in Art. 63 Abs. 3 und Art. 68 Abs. 1 GG übertragen ist.62 Weil der alte Bundestag aber bis zur Konstituierung des neuen umfassend legitimiert ist,63 bleibt auch das Recht bestehen, das Zusammentreten des bestehenden Parlaments zu verlangen. Mittelbar üben Bundesregierung und Bundespräsident dennoch Einfluss auf Beginn und Ende der Wahlperiode aus, indem der Bundespräsident gem. § 16 Satz 1 BWahlG den Wahltermin innerhalb der Frist von Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmt, welcher wiederum die 30-Tage-Frist in Abs. 2 für den ersten Zusammentritt beginnen lässt.64 Der Bundespräsident folgt bei der Bestimmung des Wahltermins regelmäßig einem Vorschlag der Bundesregierung,65 die entsprechende Anordnung bedarf jedenfalls der Gegenzeichnung gem. Art. 58 GG.66 Im Ergebnis ist der Bundestag bei der Gestaltung der Parlamentstätigkeit innerhalb der Wahlperiode dank des Selbstversammlungsrechts frei, allerdings gilt dies nur eingeschränkt für Beginn und Ende. Auf deren Bestimmung hat kein Verfassungsorgan weitgehenden Einfluss. Vielmehr gibt das Grundgesetz einen relativ engen zeitlichen Rahmen von den letzten drei Monaten der Wahlperiode plus 30 Tage vor, innerhalb dessen alle Beteiligten für einen flexiblen Übergang 61
Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 14. Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 43 [Lfg. 77 5/2016] m.w. N. 63 Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 71 ff., 170 ff. Erst in zwei Fällen wurde eine solche Sondersitzung in der Zeit zwischen der Wahl eines Bundestages und seiner Konstituierung für erforderlich gehalten, sodass der „Alt-Bundestag“ noch einmal zusammentreten musste: Erstmals zum Ende des 13. Wahlperiode auf Verlangen des Bundeskanzlers und ein weiteres Mal zum Ende der 15. Wahlperiode auf Verlangen der Regierungsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. In beiden Fällen ging es um Auslandseinsätze der Bundeswehr (zu den Wahl- und Konstituierungsdaten, sowie den angesprochenen Sondersitzungen: Feldkamp, Datenhandbuch des Bundestages seit 1990, Kapitel 1.19, S. 1, Kapitel 7.4, S. 4 und 6 (letzter Zugriff am 7.1.2022)). Daneben fanden noch zwei reguläre Plenarsitzungen in der 7. Wahlperiode nach der Wahl des 8. Bundestag am 3.10.1976 statt (zu den Daten der Wahl und der Plenarsitzungen: Schindler, Datenhandbuch des Bundestages 1949 bis 1999, 1999, S. 300, 1643 ff., 1652). 64 Zur Bestimmung des Wahltermins ausführlich: Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 31 [Lfg. 77 5/2016] Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 2 a); insbesondere auch im Vergleich zu den Bundesländern, Droege, Herrschaft auf Zeit, DÖV 2009, 649 (651 f., 653). 65 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 19. 66 Vgl. etwa Anordnung über die Bundestagswahl 2013 vom 8.2.2013, BGBl. I S. 165. 62
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
zur nächsten Wahlperiode sorgen müssen. Anders als noch der Weimarer Reichstag muss der Bundestag auch keine regelmäßigen Auflösungen fürchten. Nur ausnahmsweise und unter engen Bedingungen ist seine Auflösung und damit eine Verkürzung der auf vier Jahre angelegten Legislatur möglich. Der Bundestag kann sich weder selbst auflösen, noch steht er einer Auflösung durch die Exekutive schutzlos gegenüber. Das Grundgesetz setzt somit aufgrund des demokratischen Erfordernisses der sich regelmäßig erneuernden Legitimation Wahlperioden des Bundestages zwingend voraus, entzieht diese jedoch dem Einfluss einzelner Verfassungsorgane möglichst weitreichend. Die so geschaffene Periodizität lässt neben dem abstrakten Verfassungsorgan „Bundestag“ konkret-personelle Bundestage entstehen. Dabei existiert der abstrakte Bundestag permanent, während seine konkret-personellen Ausformungen nur für die Dauer der Wahlperiode existieren und arbeiten können. Allerdings fügen sie sich seit der Änderung von Art. 39 GG im Jahr 1976 nahtlos aneinander, sodass vom Grundgesetz im Gegensatz zu früheren Verfassungen eine Permanenz des Bundestages in den demokratischen Grenzen geradezu gewollt ist.67 Trotz dieser Veränderungen haben sich der Eintritt und die Folgen des Diskontinuitätsprinzips nicht geändert. 2. Kapitel
Auswirkungen des Diskontinuitätsprinzips im parlamentarischen Bereich Wie soeben ausgeführt, tritt das Diskontinuitätsprinzip beim Bundestag nur noch am Ende der Wahlperiode ein. Anders als bei seinen Weimarer Vorgänger verzichtet der Bundestag nicht bloß auf die Schaffung von Sitzungsperiode, sondern das Grundgesetz sieht diese überhaupt nicht vor.68 Das Diskontinuitätsprinzip umfasst hierbei im Wesentlichen die bereits bekannten und tradierten personellen, organisatorischen und sachlichen Elemente.69 Dabei ist jedoch festzuhalten, dass nicht alle Folgen des Endes der Wahlperiode eine Folge des Diskontinuitätsprinzips darstellen. Insbesondere die Unterbrechung und der Einschnitt, die mit dem Legislaturende verbunden sind, sind hier zu nennen, da bereits jede Periodizität die Parlamentsarbeit unterbricht und Dis67 Vgl. Klein, der sogar von einem „Prinzip der Permanenz des Bundestages“ spricht (in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 88 [Lfg. 77 5/2016]). Dazu auch der Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, in dem von einem „ständigen“ Verfassungsorgan gesprochen wird (BT-Drucks. 7/5924 v. 9.12.1976, S. 34 ff., 36). 68 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 2 [Lfg. 77 5/2016]. 69 Kritisch dazu alle drei Elemente zu einem einheitlichen Grundsatz zusammenzufassen: Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 23.
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
151
kontinuität in ihrer Wirkung über eine bloße Unterbrechung hinausgeht.70 Daraus folgert Belz, dass zwischen dem Ende der alten und dem Beginn der neuen Legislatur wegen der Periodizität immer ein unterbrechendes Intervall entstehe, selbst wenn das Diskontinuitätsprinzip nicht gelten würde und die Wahlperioden durch Kontinuität verbunden wären.71 Dies ist für die vor der Änderung des Art. 39 Abs. 1 GG geltende Rechtslage nachvollziehbar. Mit der Grundgesetzänderung, wonach das Ende der alten jeweils mit dem Beginn der neuen Wahlperiode zusammenfällt, wurde jedoch jedes Zwischenintervall beseitigt. Da die neue Legislatur erst mit dem Ende der alten beginnt, sind beide Zeitpunkte nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich identisch, es besteht nicht einmal eine juristische Sekunde dazwischen. Vielmehr überlappen sich die beiden Wahlperioden für eine juristische Sekunde, in der die alte abläuft und die neue schon begonnen hat.72 Aus diesem Grund lässt sich auch nicht mehr von einer Unterbrechung sprechen. Ohne die Diskontinuitätsfolgen würde von der Periodizität lediglich eine rein zeitliche Einteilung des Parlamentslebens bleiben, die keinerlei Folgen hätte, wie etwa die Einteilung in Stunden auf den Tagesablauf keinen Effekt hat. Die durch Periodizität verursachte Unterbrechung ist nicht Ausfluss des Diskontinuitätsprinzips. Weiter ist diese Unterbrechung auch nicht Voraussetzung für Diskontinuität. Die periodische Einteilung dient lediglich noch als Anknüpfungspunkt für den Eintritt von Diskontinuitätsfolgen. Erst durch das Diskontinuitätsprinzip wird eine rein zeitliche Einteilung zu einem Umbruch, der die Parlamentsarbeit, die personelle Zusammensetzung und die Organisation des Bundestags abbricht und einen umfassenden Neuanfang nötig macht. Deswegen geht die Beschreibung des Diskontinuitätsprinzips als „Grundsatz der Unterbrechung“ 73 auch gänzlich fehl. Die Diskontinuität bedeutet keine bloße Unterbrechung, sondern einen Abbruch in personeller, organisatorischer und sachlicher Hinsicht.74 Demgegenüber soll noch einmal klargestellt werden, dass die Existenz des verfassungsrechtlichen Organs „Bundestag“ kontinuierlich und vom Diskontinuitätsprinzip nicht betroffen ist, da sich die Periodizität der Wahlperioden nur auf den
70
Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 60. Belz richtet sich damit gegen den Gegensatz im Titel des Beitrags von Müller, wobei er übersieht, dass Müller wohl die Wahlperiode als Intervallierung meint und nicht das Intervall zwischen zwei Wahlperioden (Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 60 Fn. 59 gegen Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505). 72 H.-P. Schneider spricht von einer „,logischen‘ Sekunde“ (in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 7). 73 So Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (512). 74 So auch unter der aktuellen Rechtslage richtig: Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 60. 71
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Bundestag als konkret-personelles Organ bezieht.75 Die ununterbrochene Fortdauer in der Existenz wird berechtigterweise mit „Organkontinuität“ 76 beschrieben, da hierdurch gerade eine Abgrenzung zu den diskontinuierlichen Elementen erfolgt. Gemeint ist hierbei stets der Bundestag als abstrakt-institutionelles Verfassungsorgan. Soweit der Bundestag in dieser Funktion Rechtshandlungen mit Außenwirkung gegenüber Dritten vornimmt, werden diese nicht vom Diskontinuitätsprinzip berührt und bleiben über die Wahlperiode hinaus bestehen. Dies betrifft etwa Prozesshandlungen in gerichtlichen Verfahren oder Verträge mit Dritten wie Angestellten, Lieferanten oder Vermietern.77 Darin kommt die Unterscheidung zwischen sachlicher und organisatorischer Diskontinuität zum Ausdruck. Die sachliche Diskontinuität erfasst nämlich nur Beratungsgegenstände, die bisher nicht endgültig durch das Parlament entschieden wurden, mithin noch unerledigt geblieben sind. Dabei ist die Wirkung jedoch nicht auf den Bundestag beschränkt.78 Dagegen hat die organisatorische Diskontinuität keine Außenwirkung, erfasst jedoch sämtliche parlamentsinternen Entscheidungen unabhängig von der Frage, ob sie abgeschlossen und endgültig entschieden sind. Die abgeschlossenen Entscheidungen für einen Bundestagspräsidenten oder eine Geschäftsordnung werden wegen der organisatorischen Diskontinuität zum Ende der Wahlperiode aufgelöst und müssen neu getroffen werden. Während die sachliche Diskontinuität also hinsichtlich der potenziellen Betroffenen breiter angelegt ist, indem sie auch Beratungsgegenstände mit Außenwirkungen erfasst, ist die organisatorische Diskontinuität nur auf organinterne Entscheidungen und autonome Rechte des Bundestags verengt. Dafür ist sachliche Diskontinuität jedoch in ihrer Wirkung auf unerledigte Angelegenheiten beschränkt, während die organisatorische Diskontinuität einen umfassenden Verfall auch von bereits abgeschlossenen Entscheidungen bewirkt.79 Wenn also der Bundestag beispielsweise Bleistifte bei einem Dritten einkauft, bleibt dieser geschlossene Kaufvertrag unabhängig von einem möglicherweise inzwischen eingetretenen Ende der Wahlperiode bestehen. Er geht über den parlamentarischen Bereich hinaus und wird daher nicht von der organisatorischen Diskontinuität erfasst. Außerdem ist der Vertragsschluss das Resultat eines endgültig abgeschlossenen Entscheidungsprozess, sodass er schon deshalb nicht von sachlich Diskontinuität betroffen ist.
75
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 252. Ausführlich zu dem Begriff oben: S. 24. 77 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2020, Art. 39 Rn. 6; A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 394; W. G. Leisner, in: Sodan, GG, 2018, Art. 39 Rn. 3; H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 8. 78 Zu den Auswirkungen außerhalb des parlamentarischen Bereichs: S. 198 ff. 79 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 65; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke, GG, 2022, Art. 39 Rn. 5. 76
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
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A. Personelle Diskontinuität Dagegen beschreibt personelle Diskontinuität, wie sich die jeweiligen konkretpersonellen Zusammensetzungen des Bundestages in ihrer Existenz durch die Zäsur der Wahlperiode unterbrochen und damit diskontinuierlich gegenüberstehen. Für diese konkret-personellen Bundestage ist das Ende der Wahlperiode nicht bloß ein Einschnitt, sondern ein Umbruch im Sinne eines mit einem elementaren Wechsel verbundenen Einschnitts. Ein personell konkretisierter Bundestag endet oder, noch deutlicher ausgedrückt, „stirbt“ mit dem Ende der Wahlperiode und wird in derselben Sekunde80 mit der Neukonstitution und dem Beginn der nächsten Wahlperiode neu geboren.81 Innerhalb dieses Lebenszyklus von einer Wahlperiode eines einzelnen konkret-personellen Bundestages existiert dieser jedoch wiederum kontinuierlich, das heißt ohne Unterbrechungen etwa durch Schließungen. In personeller Hinsicht bedeutet das Diskontinuitätsprinzip für den Bundestag also, dass mit dem Ende der Wahlperiode alle Abgeordnetenmandate erlöschen.82 Die bisherigen Abgeordneten verlieren ihre Mitgliedschaft und scheiden aus dem Parlament aus. Damit werden ihnen die verfassungsmäßige Stellung als Repräsentant des Wahlvolkes und alle ihre Abgeordnetenprivilegien entzogen. Eindeutig ist dies für Teilhaberechte. Mit dem Ende ihrer Mitgliedschaft im Bundestag verlieren die Abgeordneten beispielsweise ihr Fragerecht nach § 105 GO-BT, aber auch die Möglichkeiten, mit einer Fraktion oder anderen Abgeordneten Vorlagen gem. § 75 GO-BT oder auch Gesetzentwürfe gem. Art. 76 Abs. 1 GG zu initiieren.83 Weniger klar ist der Zusammenhang mit der personellen Diskontinuität bei dem Verlust von Schutzrechten. Während die Immunität gem. Art. 46 Abs. 2 und 3 GG auf den Zeitraum der Wahlperiode begrenzt ist,84 wirken andere Privilegien über die Wahlperiode hinaus. So bestehen die Indemnität aus Art. 46 Abs. 1 GG oder das Zeugnisverweigerungsrecht gem. Art. 47 GG auch nach der Wahlperiode fort.85 Der Entschädigungsanspruch aus Art. 48 Abs. 3 GG wirkt gem. § 32 Abgeordnetengesetz sogar bereits vor dem Beginn der Wahlperiode und geht über deren Ende hinaus. Übergangsgelder gem. § 18 Abgeordnetenge80
Zu dieser Überlappung der Wahlperioden für eine juristische Sekunde: S. 151. Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 48 [Lfg. 77 5/2016]. 82 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 4; Klein, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 39 Rn. 49 [Lfg. 77 5/2016]. 83 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 257. 84 Butzer, Immunität im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 284 f. 85 Dicke, in: Umbach/Clemens, 2002, Art. 39 Rn. 32; Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 16; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 256 f.; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 46. 81
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
setz werden ebenfalls erst nach dem Ausscheiden, also regelmäßig erst nach dem Ende der Wahlperiode, gezahlt.86 Dies widerspricht aber nicht der Regel, dass mit dem Ende der Wahlperiode und dem Eintritt von Diskontinuität auch die Abgeordnetenrechte entfallen. Denn die Wahlperiode bleibt dennoch insofern abgeschlossen, als sie der klar abgrenzbare Anknüpfungspunkt für die Entstehung dieser Rechte ist und mit deren Ende auch das Ende und der Umfang der Wirkung feststehen. So steht mit dem Ende der Wahlperiode etwa endgültig fest, welche Äußerungen gem. Art. 46 Abs. 1 GG geschützt sind, auch wenn deren Schutz unbefristet fortbesteht. Genauso ist mit dem Ende der Wahlperiode klar erkennbar, wie lange noch ein Anspruch gem. § 32 Abs. 2 Abgeordnetengesetz auf Aufwandsentschädigung und Amtsausstattung oder gem. § 18 Abgeordnetengesetz auf Übergangsgeld besteht. Gerade durch letztere Vorschriften werden die Übergänge für den einzelnen Abgeordneten zwar finanziell abgemildert, aber die Zäsur der personellen Diskontinuität am Ende der Wahlperiode noch betont.87 Die personelle Diskontinuität bedeutet auch, dass eine Integralerneuerung durch die Wahl zum nächsten Bundestag stattfindet. Eine über die Wahlperiode hinausgehende Teilkontinuität bzw. -diskontinuität kennt der Bundestag nicht.88 Auch die stets relativ niedrige Quote neu gewählter Abgeordneter von etwa einem Drittel und die damit einhergehende hohe Zahl wiedergewählter Abgeordneter89 rechtfertigen nicht die Annahme einer personellen Teilkontinuität. Sie sind das Ergebnis der unabhängigen Wahlentscheidung der Wähler. Das Diskontinuitätsprinzip verlangt in personeller Hinsicht lediglich, dass die Mandate der Abgeordneten enden und in einer originären Entscheidung neu verteilt werden.90 Eine Wiederwahl als freie Entscheidung der Wähler bleibt daher möglich, da diese eben nicht das Mandat der wiedergewählten Abgeordneten fortsetzt oder verlängert, sondern ein neues Mandat an eine Person vergibt, die bereits das ausgelaufene Mandat innehatte.91 Damit ist der personellen Diskontinuität genüge getan.
86 Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 33. 87 So schon zur früheren Rechtslage: Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 257 f. 88 Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 72 spricht von einer Durchsetzung der personellen Diskontinuität mit einer „gewissen Härte“. 89 Sieht man von den ersten beiden Wahlperioden ab, lag der Anteil der Abgeordneten, die zuvor nicht dem Bundestag angehört haben, selbst in der 19. Wahlperiode, in der die AfD neu und die FDP wieder in den Bundestag eingezogen sind, nur bei 37,0 Prozent. Zu Beginn der 10. Wahlperiode nach der ersten Auflösung des Bundestags 1983 lag deren Anteil sogar nur bei 17,7 Prozent (dazu Schindler, Datenhandbuch des Bundestages 1949 bis 1999, 1999, S. 579 ff.; für die späteren Wahlperioden: Feldkamp, Datenhandbuch des Bundestages seit 1990, Kapitel 3.4, S. 13 (letzter Zugriff am 7.1.2022)). 90 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 256.
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
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B. Organisatorische Diskontinuität Die organisatorische Diskontinuität bedeutet für die parlamentarische Organisation des Bundestages eine vollständige Auflösung zum Ende der Wahlperiode. Zwar ist der neu gewählte Bundestag auch ohne Diskontinuitätsprinzip in seiner organisatorischen Gestaltung frei, allerdings müsste er dazu Entscheidungen seines Vorgängers zunächst aufheben. Die organisatorische Diskontinuität verhindert dagegen hinsichtlich der parlamentsinternen Organisation, dass der neue Bundestag durch Entscheidungen gebunden wird, die der alte, mit dem Ablauf der Wahlperiode nicht mehr legitimierte Bundestag getroffen hat.92 Die organisatorische Diskontinuität betrifft dabei zum einen die autonomen Rechte des Bundestages, insbesondere seine Geschäftsordnung, und zum anderen alle Unterorgane. I. Diskontinuität der autonomen Rechte des Bundestags Die organisatorische Diskontinuität der autonomen Rechte des Bundestages bedeutet insbesondere, dass die Geltung der Geschäftsordnung des Bundestags stets auf die Wahlperiode beschränkt ist.93 Das wird teilweise aber anders gesehen und vertreten, dass die Geschäftsordnung nicht vom Diskontinuitätsprinzip erfasst wird.94 Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Geschäftsordnung vom Parlament als abstrakt-institutionellen Organ beschlossen werde und deren Fortgeltung dem Einberufungs- und Konstituierungsverfahren eine klare Rechtsgrundlage geben würde. Überdies entspreche die rechtliche Fortgeltung der parlamentarischen Erwartung einer faktischen Fortgeltung.95 Die Diskontinuität der Geschäftsordnung steht dabei tatsächlich scheinbar in einem bemerkenswerten Widerspruch zur parlamentarischen Praxis. So kommt es nämlich regelmäßig vor, dass der alte Bundestag die Geschäftsordnung kurz 91 Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 37, 47. 92 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 64. 93 So ausdrücklich unter Rückgriff auf das Diskontinuitätsprinzip: BVerwGE 89, 121 (125, Rn. 31) mit Verweis auf BVerfGE 1, 144 (148), wo das Diskontinuitätsprinzip nicht explizit erwähnt wird. Ebenfalls offengelassen durch BVerfGE 91, 148 (167). Klarer: Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 329 f.; Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 81, 106; Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 64; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 40 Rn. 62 [Lfg. 85 11/2018]; Kühnreich, Selbstorganisationsrecht des Deutschen Bundestages, 1997, S. 69 ff. U. a. Brocker leitet die beschränkte Geltung der Geschäftsordnung aus der sachlichen Diskontinuität ab (in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 4); dagegen unten: S. 181. 94 Haug, Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen, 1994, S. 76 ff.; Hölscheidt, Recht der Parlamentsfraktion, 2000, S. 130 f.; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 59 ff.; Payandeh, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 7 Rn. 11. 95 Haug, Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen, 1994, S. 85 ff.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
vor dem Ende der Wahlperiode noch ändert und diese Änderung erst nach der Neuwahl in Kraft treten soll.96 Ein solcher Vorgang unterstreicht besonders deutlich, wie hoch die Erwartung ist, dass die Geschäftsordnung auch vom neuen Bundestag in der zuletzt geltenden Form übernommen wird. Eine Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip stellt diese Praxis dennoch nicht dar, da jede Übernahme auf einer freien Entscheidung des neu gewählten Parlaments beruht.97 Wie bei einer Wiederwahl eines Abgeordneten werden die Folgen des Diskontinuitätsprinzips so zwar abgemildert, aber der Grundsatz trotzdem gewahrt, indem die alte Geschäftsordnung nur durch einen freien Beschluss neu legitimiert wird und nur dadurch weitergilt. Dass ein solcher Übernahmebeschluss für nötig gehalten wird, spricht dabei gegen eine unmittelbare Fortgeltung der Geschäftsordnung. Für eine Fortgeltung der bisherigen Geschäftsordnung muss diese vom neuen Bundestag ausdrücklich oder jedenfalls stillschweigend übernommen werden.98 Schon die staatsrechtliche Praxis hat damit nicht mit dem Grundsatz gebrochen, dass die Geschäftsordnung historisch stets vom Diskontinuitätsprinzip erfasst wurde. Außerdem heißt es in Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG: „Er [der Bundestag] gibt sich eine Geschäftsordnung.“ Damit wird keine schlichte Kompetenzverteilung getroffen, sondern die Vorstellung ausgedrückt, dass sich jeder konkret-individuelle Bundestag seine eigene Geschäftsordnung schaffen soll, um seine innere Organisation und sein Verfahren selbstbestimmt zu regeln. Würde die Geschäftsordnung über die Grenze der Wahlperiode schlicht fortgelten, wäre der neue Bundestag in seiner Organisationsfreiheit eingeschränkt.99 Er könnte zwar die bisherige Geschäftsordnung ändern, wäre aber zunächst an diese gebunden. Dann könnte die aktuelle Bundestagsmehrheit, welche mit einer Niederlage bei der Neuwahl rechnet, die Geschäftsordnung mit allzu großzügigen Minderheitenrechten ausstatten und für jede Änderung die Hürde einer qualifizierten Mehrheit100 einführen. 96 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 35; Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 9 Rn. 125. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel aus der Praxis ist die Änderung der Bestimmung des Alterspräsidenten zum Ende der 18. Wahlperiode, S. 254. 97 So macht etwa BVerfGE 118, 277 (358, Rn. 288 ff.), deutlich, dass die Geschäftsordnung in der jeweils zur Abstimmung gestellten Fassung und nicht bloß die Weitergeltung der alten Geschäftsordnung beschlossen wird. 98 Diese Feststellung trifft schon BVerfGE 1, 144 (148); so auch: Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 330; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 263; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 40 Rn. 62 [Lfg. 85 11/2018]; Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 9 Rn. 125; Kühnreich, Selbstorganisationsrecht des Deutschen Bundestages, 1997, S. 68. 99 Haug lehnt eine solche „Fremdbestimmungsgefahr“ durch das Vorgängerparlament mit Hinweis auf die Änderungsmöglichkeit ab (Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen, 1994, S. 51, 78). 100 So sieht etwa Art. 32 Abs. 1 Satz 2 Verfassung des Landes Baden-Württemberg v. 11.11.1953 explizit eine Zweidrittelmehrheit für Geschäftsordnungsänderungen vor.
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
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Nach der Wahl wäre die ehemalige Mehrheit nun als Minderheit in der Lage, die Arbeit der neuen Bundestagsmehrheit erheblich zu erschweren. Dies verdeutlicht die Einschränkung, die eine schlichte Weitergeltung der Geschäftsordnung für die Freiheit des neuen Bundestages bedeuten könnte.101 Daher ist es sinnvoll, dass das Diskontinuitätsprinzip die Geltung der Verfahrensregeln auf die Wahlperiode beschränkt. Die organisatorische Diskontinuität gilt dabei aber nicht allein für die Geschäftsordnung, sondern für sämtliche autonomen Rechte102 des Bundestages. Somit verlieren auch alle sonstigen Beschlüsse, die ein Bundestag zu seinen inneren Angelegenheiten gefällt hat, ihre Wirkung. So sind etwa Beschlüsse zu Genehmigung nach Art. 46 Abs. 2 GG oder zu Aussetzungsverlangen nach Art. 46 Abs. 4 GG ebenfalls auf die Wahlperiode beschränkt. Sowie die Immunität mit dem Verlust des Mandates am Ende der Wahlperiode endet, muss auch bei einer Wiederwahl des betroffenen Abgeordneten eine neue Genehmigung erteilt werden.103 Ebenso muss die allgemeine Vorabgenehmigung für die Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete, die der Bundestag seit der 5. Wahlperiode regelmäßig erteilt, zu Beginn jeder neuen Legislatur neu beschlossen werden.104 Indem damit auch endgültige Parlamentsbeschlüsse durch die organisatorische Diskontinuität beseitigt werden, geht diese in ihrer Wirkung über die sachliche Diskontinuität hinaus.105 II. Diskontinuität der Organe des Bundestages Neben den autonomen Rechten des Bundestages erfasst die organisatorische Diskontinuität auch die Organe des Bundestages. Darüber hinaus verfällt auch die Organisationsstruktur dieser Organe, sodass zum Beispiel Fraktionsvorstände, Arbeitskreise und -gruppen ebenso wie Geschäftsordnungen von Fraktionen106 und Ausschüssen als Folge der organisatorischen Diskontinuität mit dem Ende der Wahlperiode erlöschen.
101 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 65. Diese mögliche Folge ignorierend, aber im Ergebnis zustimmend: Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 40 Rn. 63 [Lfg. 85 11/2018]. 102 Zum autonomen Parlamentsrecht: Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 40 Rn. 4 ff. [Lfg. 85 11/2018]. 103 Hierzu ausführlich: Butzer, Immunität im demokratischen Rechtsstaat, S. 280 f., 286 ff. Ebenso Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 245; Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 65; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 46 Rn. 53 [Lfg. 52 5/ 2008]. 104 Butzer, Immunität im demokratischen Rechtsstaat, S. 309 f.; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 46 Rn. 97 [Lfg. 52 5/2008]. 105 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 65. 106 Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 81, 272; Klein/Schwarz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 38 Rn. 295 [Lfg. 94 1/2021].
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Die Auswirkungen der organisatorischen Diskontinuität auf die Unterorgane unterscheiden sich je nach Art des Organs.107 Hier lassen sich die drei Typen der obligatorischen, der regelmäßigen und der einmaligen Organe identifizieren. 1. Obligatorische Organe
Die obligatorischen Organe werden bereits in der Verfassung als zwingend vorausgesetzt. Sie müssen auch in der neuen Wahlperiode geschaffen werden. Dieser Verpflichtung kann sich der Bundestag auch nicht einfach durch eine Änderung der entsprechenden Verfassungsbestimmung entziehen, da diese nicht allein in der Hand des Bundestages liegt. Zu den obligatorischen Organen zählen das Präsidium (Art. 40 GG), die Ausschüsse für die Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 45 GG), für auswärtige Angelegenheiten und für Verteidigung (Art. 45a GG), der Wehrbeauftragte108 (Art. 45b GG), der Petitionsausschuss (Art. 45c GG), das Parlamentarische Kontrollgremium109 (Art. 45d GG) und der Richterwahlausschuss110 (Art. 95 Abs. 2 GG). Der Ablauf der Wahlperiode lässt ihre Existenz als abstrakt-institutionelle Organe unberührt. Wie der Bundestag als Verfassungsorgan existieren sie permanent und damit kontinuierlich. Insofern lässt sich auch hier von einer Organ- oder organisatorischen Kontinuität sprechen.111 Soweit eine permanente Existenz abgelehnt wird, weil das Grundgesetz keine weitergehenden Vorgaben enthält und es dem Bundestag überlassen ist, insbesondere ihre Mitgliederzahl und ihr Verfahren zu regeln,112 übersieht diese Ansicht, dass das Grundgesetz selbst für den Bundestag nur vereinzelt Verfahrensvorschriften enthält und die Mitgliederzahl ebenfalls offenlässt. Für den Bundestag ist eine solche permanente Existenz aber weitgehend anerkannt.113 Des Weiteren bildet der Bundestag diese Gremien nicht neu, sondern besetzt sie nur mit neuen Mitgliedern, wie es der regelmäßige Wortlaut „wählt“, „bestellt“ und „beruft“ in Art. 40 und Art. 45 ff. GG deutlich macht. Wie beim Bundestag insgesamt führt das Ende der Wahlperiode in personeller Hinsicht nämlich dazu,
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Ausdrücklich gegen eine solche Unterscheidung Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 17. 108 Zum Wehrbeauftragten: S. 168. 109 Zu dem Parlamentarischen Kontrollgremiums und der G 10-Kommission: S. 165. 110 Zum Richterwahlausschuss: S. 175. 111 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 258 f.; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 51; H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 8. Hölscheidt spricht sehr treffend von einer „Hülle, die mit Mandatsinhabern gefüllt werden muss“ (in: Kahl/ Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 76 [Lfg. 199 7/2019]). 112 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 64. 113 So auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 56.
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
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dass alle Mitglieder ihr Mandat verlieren und die Plätze neu besetzt werden müssen.114 Nur insoweit sind auch diese Organe diskontinuierlich. Ähnlich obligatorisch sind auch jene Organe, deren Existenz von einfachgesetzlichen Regeln vorausgesetzt wird.115 Auch diese werden nicht durch die mit dem Ende der Wahlperiode verbundene organisatorische Diskontinuität beseitigt, sondern bestehen so lange fort, bis ein Bundestag die gesetzliche Grundlage beseitigt. Der Bundestag ist zwar frei darin, die gesetzliche Pflicht zur Schaffung dieser Organe zu ändern, bis dahin jedoch verpflichtet, auch die einfachgesetzlich vorgesehenen Organe zu besetzen. Für sie gilt wie für die bisher beschriebenen obligatorischen Organe, dass ihre personelle Zusammensetzung und die fachliche Arbeit diskontinuierlich sind, die Existenz des Organs als Ganzes aber kontinuierlich ist. Zu nennen ist hier etwa der Wahlprüfungsausschuss. Dieser wird nicht gem. Art. 41 GG bereits von der Verfassung, sondern lediglich in § 3 des Wahlprüfungsgesetzes vorausgesetzt. Nicht entscheidend ist, dass dieser Ausschuss auch in der Geschäftsordnung des Bundestages erwähnt wird, da diese – wie bereits gezeigt – ebenfalls von der organisatorischen Diskontinuität erfasst wird und somit für einen neu gewählten Bundestag keinerlei Bindungswirkung entfaltet.116 Das Gleiche gilt für den regelmäßig durch das jährliche Haushaltsgesetz vorausgesetzten Haushaltsausschuss. Die Schaffung solch obligatorischer Ausschüsse durchbricht das Diskontinuitätsprinzip in organisatorischer Hinsicht. Zukünftigen Bundestagen wird ein Teil ihrer Organisation bereits vorgeben. Soweit das Grundgesetz selbst entsprechende Vorgaben zu obligatorischen Organen enthält, ist dies unproblematisch. Wegen des Verfassungsrangs des Diskontinuitätsprinzips ist eine solche Durchbrechung allerdings immer dann rechtfertigungsbedürftig, wenn sie durch einfaches Recht erfolgt.117 Jedoch kommt hier gerade die unterschiedliche Wirkung von sachlicher und organisatorischer Diskontinuität zum Tragen.118 Die entsprechende einfachgesetzliche Vorgabe behält über die Wahlperiode hinaus ihre Wirkung,119 weil die sachliche Diskontinuität nur nicht abgeschlossene Verfahren erfasst. Dagegen erfasst die organisatorische Diskontinuität nur parlamentsinterne Vorgänge. Die Beispiele des Wahlprüfungsausschusses und des Haushaltsausschus114 Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 76 [Lfg. 199 7/2019]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2020, Art. 39 Rn. 5; Morlok, in: Dreier, GG, 2015, Art. 39 Rn. 24 Fn. 59. 115 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 262 f.; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 51. 116 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 262. Zur organisatorischen Diskontinuität der Geschäftsordnung unten: S. 155. 117 BVerfGE 70, 324 (362 Rn. 151). 118 Zu den unterschiedlichen Wirkungen bereits oben: S. 152. 119 Ausführlich zur Zulässigkeit eines Gesetzes als Regelungsform parlamentsinterner Angelegenheiten: Kühnreich, Selbstorganisationsrecht des Deutschen Bundestages, 1997, S. 118 ff.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
ses zeigen bereits, dass typischerweise nicht ausschließlich parlamentsinterne Aufgabenbereiche, die klar der Geschäftsordnungsautonomie zuzurechnen sind, betroffen sind.120 Überdies wurde mit der Schaffung eines Gesetzes der durch die Parlamentsautonomie bestimmte parlamentsinterne Bereich verlassen, sodass insoweit auch die organisatorische Diskontinuität die entsprechende Bindungswirkung nicht beseitigt. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die angebliche Durchbrechung nur geringfügig ist. Dem neuen Bundestag wird lediglich ein Organ vorgegeben, welches er für seine Aufgabenwahrnehmung in dem entsprechenden Bereich ohnehin sinnvollerweise einsetzen müsste. Wie erwähnt, bleibt er außerdem darin frei, die Regelung abzuschaffen oder abzuändern. Bis dahin ist lediglich die Schaffung der Ausschüsse vorgegeben. Der neue Bundestag bestimmt allein, wie und durch wen die Aufgabe des Ausschusses wahrgenommen werden. So wurde etwa die Aufgabe des obligatorischen Haushaltsausschusses zu Beginn der 18., 19. und 20. Wahlperiode zunächst einem „Hauptausschuss“ überwiesen, welchem ebenso die Aufgaben der Ausschüsse für die Angelegenheiten der Europäischen Union, auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung gem. Art. 45, 45a GG übertragen wurden.121 Ebenso obliegt die personelle Besetzung allein dem neu gewählten Bundestag. Die „alten“ Ausschüsse werden insbesondere auch nicht in der neuen Wahlperiode tätig.122 Im Ergebnis liegt somit kein Verstoß gegen das Diskontinuitätsprinzips vor. 2. Fakultative, aber regelmäßig gebildete Organe
Demgegenüber sind alle anderen Ausschüsse, die zwar nicht von der Verfassung oder einfachem Recht vorgegeben sind, aber vom Bundestag regelmäßig gebildet werden, nicht nur in ihrer personellen Zusammensetzung, sondern auch in ihrer Existenz diskontinuierlich. Dazu zählen insbesondere die missverständlich als „ständig“ 123 bezeichneten Fachausschüsse wie etwa der Rechtsaus120 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2020, Art. 40 Rn. 2. Kühnreich stellt zudem ausführlich dar, das eine einfachgesetzliche Regelung, die den Kernbereich der Geschäftsordnungsautonomie berührt, nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zulässig wäre (Selbstorganisationsrecht des Deutschen Bundestages, 1997, S. 120 f., 136 ff.). 121 Zur Einsetzung des Hauptausschusses in der aktuellen 20. Wahlperiode: BTDrucks. 20/26 v. 10.11.2021, S. 1 f.; BT-PlPr 20. WP/2. Sitzung v. 11.11.2021, S. 34A– 39A. S. auch Kämmerer, Deutschland auf dem Weg zur „Lame Duck Democracy“? – Eine kleine Systemkritik, NVwZ 2014, 29 ff.; Magiera, in: Sachs, GG, 2021, Art. 40 Rn. 16. 122 Insbesondere darin unterscheiden sie sich von den angeblichen Ausnahmen, welche unten ab S. 163 dargestellt werden. 123 Vgl. etwa § 54 Abs. 1 Satz 1 GO-BT. Hier bezieht sich „ständig“ nicht darauf, dass diese Ausschüsse ständig, also auch in der neuen Wahlperiode geschaffen werden müssen, sondern darauf, dass diese dauerhaft während der Wahlperiode und unabhängig von Sonderthemen tagen.
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
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schuss,124 aber auch die Fraktionen125 und alle weiteren Gremien, die regelmäßig gebildet werden, aber nicht vorgeschrieben sind.126 Diese fakultativen Organe sind nicht nur in ihrer personellen Zusammensetzung, sondern auch in ihrer Existenz diskontinuierlich. Das bedeutet, dass sie mit dem Ende der Wahlperiode aufhören zu existieren und sich ein neuer Bundestag vollkommen frei entscheiden kann, ob er sie auch in der neuen Wahlperiode schaffen möchte. Die regelmäßigen Organe werden also nicht nur neu besetzt, sondern tatsächlich neu gebildet. Bei ihnen verwirklicht sich die organisatorische Diskontinuität in vollem Umfang.127 3. Einmalige Organe
Die letzte Gruppe von Organen sind jene, die für die regelmäßigen Arbeiten des Bundestages nicht nötig sind, allerdings zu einzelnen Untersuchungsgegenständen oder Sachkomplexen gebildet werden. Dazu zählen in Abgrenzung zu den ständigen Ausschüssen sogenannte ad-hoc-Ausschüsse sowie die Untersuchungsausschüsse aus Art. 43 GG und Enquete-Kommissionen.128 Diese sind regelmäßig auf die Dauer einer Wahlperiode angelegt, können aber auch in der neuen Wahlperiode erneut gebildet werden. Dies wird durch § 56 Abs. 4 GO-BT beispielshaft verdeutlich, der in seinem ersten Satz den Abschlussbericht einer Enquete-Kommissionen rechtzeitig vor Ende der Wahlperiode verlangt, aber im zweiten Satz eine Fortsetzung der Kommissionsarbeit ebenfalls für möglich hält, hierfür jedoch die positive Entscheidung des Bundestages auf Grundlage eines Zwischenberichtes fordert. Indem diese Organe also als einmalige Erscheinung regelmäßig nur für eine Wahlperiode konzipiert sind, sind sie weder kontinuierlich noch diskontinuierlich, sondern das Ende der Wahlperiode bedeutet grundsätzlich ihr endgültiges Ende. Nur wenn sie ausnahmsweise auch in der neuen Wahlperiode wieder ge-
124 Typische fakultative Ausschüsse sind beispielsweise Innenausschuss, Sportausschuss, Rechtsausschuss, Finanzausschuss, Wirtschaftsausschuss, Ernährungsausschuss, Ausschuss für Arbeit und Soziales, Gesundheitsausschuss, Verkehrsausschuss, Umweltausschuss, Ausschuss für Bildung und Forschung, Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit oder Tourismusausschuss. Ein Verzeichnis der jeweiligen Ausschüsse der 12. bis 19. Wahlperiode findet sich bei Feldkamp, Datenhandbuch des Bundestages seit 1990, Kapitel 8.2, S. 1 ff. (letzter Zugriff am 7.1.2022). 125 Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 81; Klein/Schwarz, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 38 Rn. 277 [Lfg. 94 1/2021]. A. A. da Fraktionen keine Organe des Bundestags seien: Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 281. 126 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 4. 127 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 64; Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/ Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 76 [Lfg. 199 7/2019]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2020, Art. 39 Rn. 5; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 261 ff., 264; Morlok, in: Dreier, GG, 2015, Art. 39 Rn. 24; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 88. 128 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 40 Rn. 129 f. [Lfg. 85 11/2018].
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
schaffen werden, lassen sie sich als diskontinuierlich beschreiben, weil nur in diesem Fall das Legislaturende für sie nicht ihr eigenes Ende, sondern bloß einen wesentlichen Einschnitt bedeutet, vor und nach dem sie eine Existenz besitzen. In diesen Fällen ergeben sich mit Blick auf die Wirkung des Diskontinuitätsprinzips keine Unterschiede zu den regelmäßigen Organen, sodass sie in diesen Fällen sowohl in ihrer Zusammensetzung als auch in ihrer Existenz diskontinuierlich sind.129 Mit Blick auf § 56 Abs. 4 Satz 2 GO-BT ist deshalb festzuhalten, dass diese Regelung nur dazu dient, die Enquete-Kommission dazu anzuhalten, einen Zwischenbericht zu schreiben, wenn sie ihre Arbeit für nicht beendet hält. Die im zweiten Halbsatz vorgesehene Fortsetzungs- und Einstellungsentscheidung ist dabei bloß als Hinweis des bisherigen an den neuen Bundestag zu verstehen. Die Vorschrift ermächtigt den alten Bundestag nicht zur Entscheidung darüber, ob die Kommissionsarbeit tatsächlich fortgesetzt oder eingestellt wird. Eine solche Entscheidung bindet den neuen Bundestag wegen des Diskontinuitätsprinzips nicht. Der neu gewählte Bundestag ist unabhängig vom Willen seines Vorgängers legitimiert, die Kommission neu zu installieren und die Arbeit fortzusetzen. Soll die Arbeit eingestellt werden, bedarf es entgegen dem ungenauen Wortlaut der Geschäftsordnung keiner positiven Entscheidung, da die Tätigkeit der Kommission wegen der organisatorischen Diskontinuität bereits beendet ist.130 III. Ausnahme von der organisatorischen Diskontinuität für die Bundestagsverwaltung Die Verwaltung des Deutschen Bundestages unterliegt unstreitig nicht dem Diskontinuitätsprinzip.131 Dabei hat es eine gewisse Berechtigung, die Bundestagsverwaltung als Ausnahme von dem Diskontinuitätsprinzip zu beschreiben. Obwohl sie als Ausfluss der Parlamentsautonomie zur organinternen Organisationsstruktur gehört, bleibt sie vom Ende der Wahlperiode unberührt.132 Sie dient 129 So wenn auch zum Teil weniger differenziert: Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 213 f.; Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 4; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 264; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 52 [Lfg. 77 5/2016]; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 52 f. 130 Butzer, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 38 Rn. 17.3; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 44 Rn. 31 [Lfg. 76 12/2015]. 131 Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 81; Brocker, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 34 Rn. 10; Groh, in: v. Münch/ Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 22; Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 80 [Lfg. 199 7/2019]; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 2022, Art. 39 Rn. 9; Lang, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 39 Rn. 42 [Lfg. 21 9/ 2007]; Magiera, in: Sachs, GG, 2021, Art. 39 Rn. 13. 132 Brocker, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 34 Rn. 8 ff.
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nämlich nicht dem konkret-personellen Bundestag, sondern der verfassungsrechtlichen Institution Parlament.133 Auch wenn sie als Sonderbehörde der Legislative zuzurechnen ist, handelt es sich dabei im Ergebnis um eine Bundesbehörde, die Verwaltungsaufgaben im materiellen Sinn durch Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst wahrnimmt.134 Die Verwaltung erfüllt dabei politisch neutral jene Aufgaben, die unabhängig von wechselnden Mehrheiten im parlamentarischen Bereich anfallen. Es ist überdies schlichtweg zur Funktionsfähigkeit des Parlaments eine praktische Notwendigkeit, dass die Parlamentsverwaltung über Legislaturwechsel hinweg besteht, da der entsprechende Verwaltungsunterbau nicht kurzfristig zu jeder Wahlperiode neu geschaffen werden könnte. Soweit die Bundestagsverwaltung aber Verträge mit Dritten schließt, bleiben diese schon deshalb bestehen, weil die organisatorische Diskontinuität nur interne Vorgänge erfasst und die sachliche Diskontinuität nur unerledigte. Wenn die Bundestagsverwaltung also mit (zukünftigen) Mitarbeitern Verträge schließt, sind diese als Personen außerhalb des parlamentarischen Bereichs betroffen. Diese Verträge werden daher schon deshalb nicht von der Diskontinuität erfasst. Die Parlamentsverwaltung wird durch den Bundestagspräsidenten geleitet. Dieser unterliegt als Organwalter des Legislativorgans Parlament auch der organisatorischen Diskontinuität.135 Diese Diskontinuität erstreckt sich auch auf seine Stellung als Organwalter der Parlamentsverwaltung, da die Parlamentsverwaltung an sich und somit auch ihr Behördenleiter lediglich ein Annex zur Legislativfunktion des Parlaments darstellt.136 Diese diskontinuierliche Kerntätigkeit des Parlamentspräsidenten überlagert also die ansonsten kontinuierliche Verwaltungsaufgabe innerhalb der Parlamentsverwaltung. Im Übrigen stellen die mittlerweile nahtlosen Wahlperioden des Bundestages und insbesondere die Wahl des Parlamentspräsidenten unmittelbar in der konstituierenden Sitzung137 sicher, dass die Funktion als Behördenleiter der Parlamentsverwaltung stets ausgefüllt werden kann. Zu Vakanzen kommt es auch hier somit nicht. IV. Behauptete Ausnahmen von der organisatorischen Diskontinuität Es finden sich eine ganze Reihe von Regelungen, die diese beschriebene organisatorische Diskontinuität angeblich durchbrechen sollen. So existieren einige Bestimmungen, nach denen einzelne Organe nicht nur über das Ende der Wahl133 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 306; Brocker, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 34 Rn. 10. 134 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 40 Rn. 8.5; Hölscheidt, in: Kahl/ Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 80. [Lfg. 199 7/2019]. 135 Zur organisatorischen Diskontinuität für die Organe des Bundestages: S. 157. 136 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 308. 137 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 190, Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, 2018, Art. 40 Rn. 7.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
periode hinaus bis zu einer Neubesetzung bestehen bleiben, sondern auch so lange tätig werden können sollen. Während solche Regelungen vor der Änderung des Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG im Jahr 1976 noch sinnvoll waren, damit diese Organe in der Zeit des Interregnums bestehen und handlungsfähig blieben, sind sie nun überflüssig. Vielmehr erlaubt es die nun nahtlose Aneinanderreihung von konkret-personellen Bundestagen, auch die personelle Konkretisierung dieser Organe streng auf die Wahlperiode zu beschränken. Damit wäre der Vorstellung der geschlossenen Arbeitsperioden als auf die Wahlperiode zeitlich befristeten Repräsentation der Wähler und der daraus folgenden, beschränkten Legitimierung des jeweiligen Bundestags am ehesten Rechnung getragen. Andernfalls bestünden Organe in der vom alten Bundestag gewählten Besetzung bis weit in die neue Wahlperiode hinein parallel zu einem neu gewählten Bundestag und träfen möglicherweise Entscheidungen, für die nur noch der neue Bundestag legitimiert ist.138 Hierfür besteht keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung. 1. Einberufung zur konstituierenden Sitzung
Zunächst könnte in der Einberufung zur ersten, konstituierenden Sitzung eines neu gewählten Bundestages eine Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität liegen. Mangels eigener Organe werden nämlich – wie bereits angesprochen – die Abgeordneten des neuen Bundestages durch den Präsidenten des alten zu ihrer ersten Sitzung geladen.139 Zum Teil soll es Ausfluss der formellen Diskontinuität sein, dass gerade nicht der alte Bundestag eine solche Einberufung bewirken kann, sondern nur sein Präsident.140 Zwar ist es Teil des Diskontinuitätsprinzips, dass ein konkret-personeller Bundestag nicht seinen Nachfolger binden können soll, jedoch macht es dabei keinen nennenswerten Unterschied, ob diese Bindung durch das gesamte Parlament oder lediglich durch eines seiner Organe erfolgt. Dass ein solches Hinüberwirken und damit Durchbrechen der
138 Gerade hierin liegt der Unterschied zu der Bindungswirkung durch die einfachrechtliche Vorgabe einzelner obligatorischer Ausschüsse, dazu oben: S. 158. 139 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 597; Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 107; Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 14; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 42 [Lfg. 77 5/2016]. Es ist jedoch fraglich, ob dies tatsächlich (Verfassungs)Gewohnheitsrecht ist und nicht besser mit dem Organisationsparallelismus von Hatschek erklärt werden kann (Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 25 ff.). Klar ist in jedem Fall, dass es sich nicht aus § 1 Abs. 1 GO-BT ergeben kann, da die Geschäftsordnung nur für den vorherigen Bundestag Geltung entfaltet. Dagegen und für eine Fortgeltung der Geschäftsordnung: Haug, Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen, 1994, S. 85; Payandeh, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 7 Rn. 9. Zu der Bedeutung der konstituierenden Sitzung für Beginn und Ende der Wahlperiode oben: S. 148. 140 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 597; Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 14.
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
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Wahlperioden durch eine andere Regelung der Einberufung verhindert werden könnte, zeigt schon ein Blick in die Verfassung der Länder.141 So könnte der erste Zusammentritt alternativ auch durch eine klare Frist oder den Alterspräsidenten des neuen Parlaments bestimmt werden. Dann bedürfte es keines Rückgriffs auf die Organe des bisherigen Bundestages. Dennoch liegt auch in der Einberufung durch den Präsidenten des Vorgängerparlaments bei genauerer Betrachtung keine echte Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität, seit es kein Interregnum mehr zwischen den Wahlperioden gibt. Der Bundestagspräsident wird nämlich für die gesamte Wahlperiode gewählt. Diese aber läuft gem. Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages. Das heißt, dass die Wahlperiode des alten Bundestags zum Zeitpunkt der Ladung zur konstituierenden Sitzung des neuen noch nicht beendet ist und daher seine Organe auch weiterhin legitimiert sind.142 Selbst an dem Tag, sogar in dem Moment der Konstituierung ist der bisherige Präsident noch legitimiert, bis der neue Bundestag sich endgültig konstituiert hat. Das bedeutet, dass der Bundestagspräsident auf diese Weise lediglich die übertragene Aufgabe konsequent bis zum Ende der Wahlperiode wahrnimmt. Eine Durchbrechung ist damit gerade nicht gegeben. 2. Parlamentarisches Kontrollgremium
Eine weitere Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzips soll außerdem das Parlamentarische Kontrollgremium darstellen, indem § 3 Abs. 3 des Kontrollgremiumsgesetzes bestimmt, dass dieses seine Tätigkeit über das Ende der Wahlperiode hinaus fortsetzt, bis die neuen Mitglieder gewählt sind. Hieraus und weil nur so eine lückenlose Kontrolle der Nachrichtendienste möglich sei, wird nach überwiegender Ansicht gefolgert, dass das Parlamentarische Kontrollgremium nicht der organisatorischen Diskontinuität unterfällt.143 Die so geschaffene Ausnahme wäre besonders weitreichend und würde insbesondere über die Wirkung der erloschenen Überbrückungsvorschriften der Art. 45, 45a, 49 GG a. F. für das Präsidium, den ständigen Ausschuss und die Ausschüsse für auswärtige Angelegenheiten und für Verteidigung hinausgehen. Bei diesen Unterorganen ging die Ausnahme von der organisatorischen Diskontinuität nämlich nur so weit, dass deren Eintritt bis zum Beginn der neuen Wahlperiode hin141
Zu den Einberufungsvorschriften der Länder: S. 264. Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 107. 143 Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 17; Hornung, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 30 Rn. 14; Klein, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 45d Rn. 25 [Lfg. 87 3/2019]; Uerpmann-Wittzack/Edenharter, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 45d Rn. 5; Unger, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, 2018, Art. 45d Rn. 12. Skeptisch Mehde, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 45a Rn. 16. 142
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
ausgeschoben wurde.144 Die Regelung in § 3 Abs. 3 Kontrollgremiumsgesetz ermöglicht es dem vom alten Bundestag bestellten Kontrollgremium, über den Beginn der neuen Wahlperiode hinaus und damit parallel zum neuen Bundestag so lange tätig zu werden, bis die neuen Mitglieder bestellt wurden. Das führte zu Beginn der 18. Wahlperiode zu der Situation, dass zwei Abgeordnete der ausgeschiedenen FDP-Fraktion noch an Beratungen beteiligt waren.145 Es darf aber nicht übersehen werden, dass die zur Rechtfertigung angeführte Kontrollfunktion des Gremiums Ausfluss des allgemeinen Kontrollrechts des Bundestages ist und daher grundsätzlich in dessen Grenzen ausgeübt werden muss. So, wie die Mitglieder des alten Bundestages mit dem Ende der Wahlperiode ihr Mandat verlieren und ihre Tätigkeit einstellen müssen, müssen auch die Mitglieder des Kontrollgremiums ihre Mitgliedschaft verlieren und ihre Tätigkeit einstellen. Der Bundestag hat zwar die Möglichkeit, eine Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip zu schaffen, kann dies jedoch nicht durch das einfache Recht des Kontrollgremiumsgesetzes,146 da das Diskontinuitätsprinzip Verfassungsrang hat.147 Eine Ausnahme müsste folglich durch eine Verfassungsvorschrift wie Art. 45, 45a, 49 GG a. F. geschaffen werden, sodass § 3 Abs. 3 Kontrollgremiumsgesetz verfassungswidrig ist.148 Darüber hinaus greift die durch das Gremium ausgeübte Kontrolle überwiegend erst nachträglich, sodass auch eine kurzzeitige Unterbrechung der Tätigkeit deren Wirksamkeit kaum schmälert.149 Spätestens seit der Änderung des Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG im Jahr 1976 ist eine Tätigkeit über das Legislaturende hinaus nicht mehr notwendig, da das Kontrollgremium bis unmittelbar zur konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags tätig sein kann und die neuen Mitglieder direkt in dieser Sitzung bestellt werden können.150 Ein Kontrollverlust kann dann vollständig beseitigt werden. Auch die früher geltenden Ausnahmen von der organisatorischen Diskontinuität für das Präsidium und die genannten Ausschüsse
144 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 259 ff., der auch darauf hinweist, dass die Mitglieder trotzdem ihren Abgeordnetenstatus verloren. Zu den Ausnahmen: S. 144. 145 Hornung, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 30 Rn. 14. 146 So aber Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 39 Rn. 17 ohne weitere Begründung. 147 Zur rechtlichen Begründung des Diskontinuitätsprinzips als Prinzip mit Verfassungsrang: S. 217. 148 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 4.1. Ähnlich, aber weniger deutlich: Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 77 [Lfg. 199 7/ 2019]; Mehde, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 45a Rn. 16. A. A. Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 17, weil dem Diskontinuitätsprinzip kein Verfassungsrang zu komme. 149 Mehde, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 45a Rn. 16. 150 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 4.1.
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
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konnten gestrichen werden, weil die parlamentarischen Kontrollrechte nach der Änderung des Art. 39 GG nun stets durch einen konkret-personellen Bundestag wahrgenommen werden können.151 Auch für das Parlamentarische Kontrollgremium bedarf es deshalb keiner Ausnahme. Nichts anderes gilt für die vom Parlamentarischen Kontrollgremium bestellte G 10-Kommission.152 Auch für deren Mitglieder endet die Amtszeit gem. § 15 Abs. 1 Satz 4 des Artikel 10-Gesetzes mit der Neubestellung ihrer Nachfolger bzw. spätestens drei Monate nach Ablauf der Wahlperiode. Schon durch die Höchstfrist wird deutlich, dass der kontinuierliche Bestand nicht absolut gelten soll, sondern in diesem Fall lediglich mangels Zustimmung der Kommission keine neuen oder verlängerten Überwachungsmaßnahmen vollzogen werden.153 Zum Teil wird die Nichtgeltung der organisatorischen Diskontinuität damit begründet, dass die Mitglieder der G 10-Kommission keine Abgeordneten sein müssen.154 Dieses Argument kann jedoch nicht überzeugen,155 da es sich bei diesem Gremium eindeutig um ein parlamentarisches Unterorgan handelt, welches noch dazu einen Kern des Kontrollrechts des Parlaments wahrnimmt. Auch insoweit kann das Kontrollrecht des alten Bundestages nicht über dessen eigene Wahlperiode hinausgehen. Auch im Übrigen greifen für diese Kommission die für das Parlamentarische Kontrollgremium angeführten Argumente. Indem die Kommission unmittelbar zu Beginn der Wahlperiode neu konstituiert wird, ist insbesondere nach der Änderung von Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG auch ohne Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips eine kontinuierliche Aufgabenwahrnehmung möglich. § 15 Abs. 1 Satz 4 Artikel 10-Gesetz verstößt damit gegen das Diskontinuitätsprinzip. Im Ergebnis gilt auch für die personelle Zusammensetzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums und der G 10-Kommission die organisatorische Diskontinuität wie für die übrigen obligatorischen Bundestagsorgane. Für den 2016 geschaffenen Ständigen Bevollmächtigten des Parlamentarischen Kontrollgremiums gilt jedoch das Diskontinuitätsprinzip nicht, da dieser als Ministerialdirektor der Bundestagsverwaltung zu zurechnen ist.156 Der Ständige Bevollmächtigte unter151
Zu dieser Änderung: S. 147. Eine andere Meinung vertrat jedoch vor der Änderung des Art. 39 GG noch Jekewitz für die frühere Dreier-Kommission, deren Mitglieder entgegen dem damaligen Wortlaut von § 9 Abs. 3 Satz 3 G 10-Gesetz a. F. über die Wahlperiode hinaus bis zur Neubestellung im Amt bleiben sollten (Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 267). 153 B. Huber, in: Erbs/Kohlhaas, G 10, § 15 Rn. 10[Lfg. 210 9/2016]. 154 Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 79 [Lfg. 199 7/2019]. 155 Etwas anderes gilt für tatsächlich außerparlamentarische Gremien, S. 177. 156 Vgl. §§ 5a, 5b PKGrG. So wird er etwa auch gleichberechtigt mit den übrigen Abteilungen im Organisationsplan der Bundestagsverwaltung dargestellt (https://www. bundestag.de/parlament/verwaltung, letzter Zugriff am 7.1.2022). Zur Ausnahme der Bundestagsverwaltung vom Diskontinuitätsprinzip: S. 162. 152
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
stützt zwar das Kontrollgremium, nimmt aber selbst keine parlamentarische Kontrollfunktion wahr. Er wird nicht vom Bundestag gewählt, sondern auf Vorschlag des Gremiums durch den Bundestagspräsidenten ernannt. Dessen Amtszeit von fünf Jahren gem. § 5b Abs. 1 Satz 1 Kontrollgremiumsgesetz stellt aus diesem Grund keinen Verstoß gegen das Diskontinuitätsprinzip dar. 3. Gremium nach Art. 13 Abs. 6 GG
Die Ausführungen zum Parlamentarischen Kontrollgremium lassen sich auch auf das Gremium nach Art. 13 Abs. 6 GG übertragen. Dieses dient gem. Art. 13 Abs. 6 Satz 2 GG der parlamentarischen Kontrolle von Maßnahmen der Wohnraumüberwachung. § 1 Abs. 1 Satz 2 von dessen Geschäftsordnung sieht auch für dieses Gremium vor, dass dessen Auftrag erst nach „der Bestimmung des neuen Gremiums zu Beginn einer Wahlperiode“ endet. Auch in diesem Fall ist eine Tätigkeit eines „alten“ Gremiums parallel zu einem neu gewählten Bundestag möglich. Diese Ausnahme von der ansonsten für Organe des Bundestags geltenden Diskontinuität über das Ende der Wahlperiode hinaus wird mit einem effektiven Grundrechtsschutz begründet.157 Gegen die Gültigkeit einer solche Bestimmung spricht jedoch bereits, dass eine solche Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips wegen dessen Verfassungsrang nicht durch das ebenfalls selbst diskontinuierliche Innenrecht der Geschäftsordnung dieses Gremiums erfolgen kann. Überdies gibt es auch keinen verfassungsrechtlichen Grund für eine solche Ausnahme. Wie beim Parlamentarischen Kontrollgremium ist eine kontinuierliche Aufgabenwahrnehmung gewährleistet, da angesichts der nahtlosen Wahlperioden jederzeit eine Neubesetzung möglich ist. Schließlich nimmt dieses Gremium lediglich die Kontrollbefugnisse des Bundestages war, welcher es eingesetzt hat.158 Es kann daher ebenfalls seine Aufgaben nur in den Grenzen dieser Wahlperiode wahrnehmen. Eine Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzips ist daher nicht gerechtfertigt. 4. Wehrbeauftragter
Der Wehrbeauftragte ist ein in Art. 45b GG zwingend vorgesehenes (Hilfs-) Organ des Bundetages. Als obligatorisches Organ159 existiert es kontinuierlich. Im Gegensatz zu dieser Organkontinuität müsste das Diskontinuitätsprinzip allerdings bewirken, dass die personelle Besetzung und die fachliche Arbeit diskontinuierlich sind, also mit dem Ende der Wahlperiode verfallen. Wie bei den vorherigen Gremien findet sich jedoch auch beim Wehrbeauftragten eine einfachge157 Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 53. 158 BVerfGE 109, 279 (373). Auch Hermes, in: Dreier, GG, 2013, Art. 13 Rn. 106 f.; Papier, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 13 Rn. 115 [Lfg. 71 3/2014]. 159 Zu den obligatorischen Organen, insbesondere deren kontinuierlicher Existenz: S. 158.
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
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setzliche Vorschrift, die eine Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität vorsieht. So bestimmt § 14 Abs. 2 des Wehrbeauftragtengesetzes die Amtszeit des Wehrbeauftragten auf fünf Jahre. Seine Amtsdauer stelle ein „Element der Kontinuität der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte“ dar.160 In der aktuellen Praxis dient einem neu gewählten Bundestag somit über lange Zeit häufig ein Wehrbeauftragter, der noch von seinem Vorgänger gewählt wurde. Denkbar wäre sogar die Situation, dass ein Bundestag in seiner gesamten Wahlperiode keinen „eigenen“ Wehrbeauftragten berufen kann. Zwar kann jeder Bundestag den Wehrbeauftragten abberufen lassen,161 dennoch liegt § 14 Abs. 2 Wehrbeauftragtengesetz eine nicht gerechtfertigte Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität, wonach mit dem Ende der Wahlperiode auch die Amtsperiode des Wehrbeauftragten enden sollte. Zunächst ist der Wehrbeauftragte zwar der Bundestagsverwaltung organisatorisch angeschlossen.162 Da diese selbst nicht diskontinuierlich ist,163 könnte dies auch für den Wehrbeauftragten gelten. Außerdem wird die Nichtgeltung teilweise damit begründet, dass der Wehrbeauftragte das Amt nicht für eine aktuelle parlamentarische Mehrheit ausführe, sondern für den Bundestag als Verfassungsorgan.164 Obwohl diese Argumentation für solche Repräsentanten des Bundestages, die außerhalb des parlamentarischen Bereichs stehen, überzeugen kann,165 kann sie für den Wehrbeauftragten nicht gelten. Trotz gewisser Parallelen zum soeben dargestellten Ständigen Bevollmächtigten des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist der Wehrbeauftragte nicht integraler Teil der Bundestagsverwaltung, sondern unterstützt gem. Art. 45b Satz 1 GG als Hilfsorgan des Bundestages diesen unmittelbar bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle.166 Überdies nimmt der Wehrbeauftragte eine Sonderrolle im Vergleich zur Bundestagsverwaltung ein, indem er etwa haushaltsmäßige Unabhängigkeit genießt und bei der Personalbesetzung weitgehende Rechte hat.167 160 Busch, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 51 Rn. 19. 161 Vgl. § 15 Abs. 4 WBeauftrG; auch Busch, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 51 Rn. 19. 162 Boetticher, Parlamentsverwaltung, 2002, S. 71 f.; Brocker, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 34 Rn. 34. 163 Zur Bundestagsverwaltung: S. 162. 164 So Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 45b Rn. 23 [Lfg. 73 12/2014]. 165 Das gilt etwa für durch den Richterwahlausschuss gewählte Richter (unten S. 176) sowie Vertreter in außerparlamentarischen Gremien (unten S. 177). 166 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 506; Luch, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 33 Rn. 17 ff. 167 Boetticher, Parlamentsverwaltung, 2002, S. 71 f.; Brocker, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 34 Rn. 34. Vgl. etwa seine gegenüber dem Ständigen Bevollmächtigten und den übrigen Abteilungen herausgehobene Stellung im Organisationsplan der Bundestagsverwaltung (https://www.bundestag.de/parla ment/verwaltung, letzter Zugriff am 7.1.2022).
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Gerade die in der Verfassung herausgehobenen Stellung und die eigenständige Wahrnehmung dieser parlamentarischen Kernaufgabe unterscheiden den Wehrbeauftragten von der Bundestagsverwaltung im Übrigen. Er ist in seiner Funktion nicht in den behördlichen Verwaltungsaufbau eingebunden, sondern unterliegt unmittelbar den Weisungen des Bundestages und des Verteidigungsausschusses oder wird aus eigener Entscheidung tätig.168 Angesichts der engen Einbindung in die parlamentarischen Aufgaben und besonderen Organisationsstruktur unterliegt er anders als die Bundestagsverwaltung dem Diskontinuitätsprinzip. Die Legitimation des Wehrbeauftragten und sein Kontrollauftrag leiten sich vom Bundestag ab und enden damit auch, sobald die Legitimation des ihn wählenden Bundestags endet. Die bisherige Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips lässt sich vor diesem Hintergrund nicht rechtfertigen und steht damit im Widerspruch zu diesem Grundsatz mit Verfassungsrang. 5. Vermittlungsausschuss, Gemeinsamer Ausschuss und Richterwahlausschuss
Ebenfalls nicht so leicht in das beschriebene System passen der Vermittlungsausschuss aus Art. 77 Abs. 2 GG, der Gemeinsame Ausschuss gem. Art. 53a GG und der Richterwahlausschuss gem. Art. 95 Abs. 2 GG. Dies liegt daran, dass diese Organe sowohl mit Abgeordneten des Bundestages wie auch im Fall der ersten beiden Organe mit Mitgliedern des Bundesrates und beim Richterwahlausschuss mit den zuständigen Länderministern besetzt sind. Daraus ergibt sich, dass es sich weder um Organe des Bundestages noch um solche des Bundesrates handelt. Sie entstehen nicht aufgrund einer organisatorischen Entscheidung des Bundestages oder des Bundesrates, sondern ziehen ihre Legitimation direkt aus den entsprechenden Verfassungsvorschriften.169 Damit erstreckt sich die Diskontinuität des Bundestages nicht unmittelbar auf sie. Umgekehrt führt aber auch die Teilhabe des Bundesrates bzw. der Länder nicht zwingend dazu, dass diese Organe überhaupt nicht diskontinuierlich sind. Diese Organe ähneln in der Frage der Diskontinuität vielmehr den bereits auf S. 158 beschriebenen obligatorischen Organen des Bundestages. Klar ist, dass sie als abstrakt-institutionelle Organe kontinuierlich sind, da sie im Grundgesetz vorgesehen sind. Sie existieren also wie die obligatorischen Bundestagsorgane permanent. Fraglich ist nun, ob diese Organe, die gerade keine Bundestagsorgane sind, ebenfalls vom Diskontinuitätsprinzip erfasst werden. Schließlich verlieren die durch den Bundestag entsandten Mitglieder ihr Abgeordnetenmandat mit dem Ende der Wahlperiode. Das legt nahe, dass sie auch zu diesem Zeitpunkt ihr 168 Vgl. § 1 Abs. 2, Abs. 3 WBeauftrG; auch Busch, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 51 Rn. 33 f.; Luch, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 33 Rn. 18. 169 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 265.
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
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Mandat in dem gemischten Organ verlieren und somit auch das konkret-personelle Organ zu existieren aufhört. Somit würden alle Mitglieder, also auch jene des Bundesrates bzw. die Landesminister, ihre Mitgliedschaft in dem gemischten Organ mit dem Ende der Bundestagswahlperiode verlieren. Mit einer solchen personellen Diskontinuität ginge auch eine sachliche Diskontinuität in der Form einher, dass noch nicht zu Ende verhandelte Beratungsgegenstände verfielen und in den nächsten gemischten Ausschuss wieder eingebracht werden müssten, sollen sie weiterberaten werden. Gleiches könnte für eine organisatorische Diskontinuität gelten. a) Für den Vermittlungsausschuss ist dies der Fall. Es handelt sich dabei um ein gemeinsames Unter- bzw. Hilfsorgan des Bundestages und des Bundesrates.170 Obwohl der Vermittlungsausschuss in § 1 seiner Geschäftsordnung als „ständig“ bezeichnet wird, verlieren die Mitglieder des Bundestags mit dem Ende der Wahlperiode ihre Mitgliedschaft im Parlament und somit auch die Voraussetzung, Mitglied im Vermittlungsausschuss zu sein. Damit endet die Mitgliedschaft auch der übrigen Mitglieder und der jeweilig konkret-personelle Vermittlungsausschuss dieser Wahlperiode hört auf, zu existieren. Nicht abgeschlossene Vermittlungsverfahren verfallen und können vom Ausschuss der nächsten Wahlperiode nicht weitergeführt werden.171 Das ergibt sich zunächst daraus, dass der Ausschuss mit nur der Hälfte seiner Mitglieder nicht tätig werden kann, weil er insbesondere allein mit Bundesratsmitgliedern auch nicht seiner Vermittlerrolle nachkommen könnte.172 Außerdem könnte er keine Änderung an dem zu diskutierenden Gesetzentwurf vorschlagen, da der konkret-personelle Bundestag, der den ursprünglichen Gesetzentwurf beschlossen hat, diese Änderung nicht mehr annehmen kann.173 Damit das Gesetzgebungsverfahren dennoch abgeschlossen werden könnte, bliebe dem Vermittlungsausschuss nach dem Legislaturende nur die Möglichkeit, keine Änderung vorzuschlagen. Zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahren müsste dann der Bundesrat dem ursprünglichen Entwurf zustimmen oder keinen Einspruch einlegen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Vermittlungsausschuss aber nicht zu Ende beraten, da es dem Bundesrat auch so unbenommen bleibt, die Anrufung des Vermittlungsausschusses zurückzunehmen und den Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens auf diesem Weg zu ermöglichen.174
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BVerfGE 112, 118 (137) m.w. N. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 2015, Art. 77 Rn. 42; Dietlein, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 77 Rn. 26.2; Kersten in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 Rn. 78 [Lfg. 94 1/2021]. 172 Zum Zweck des Vermittlungsausschusses: Dietlein, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 77 Rn. 26. 173 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 265. 174 Zu dieser Rücknahmemöglichkeit des Bundesrats: S. 212. 171
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Im Ergebnis ist es also nicht möglich, aber auch nicht nötig, dass der Vermittlungsausschuss über die Legislaturperiode hinaus fortbesteht. Stattdessen enden mit dem Ende der Wahlperiode die aktuelle personelle Besetzung und alle nicht abgeschlossenen Verfahren im Sinne einer personellen und sachlichen Diskontinuität. Des Weiteren lässt sich aus der Tatsache, dass § 2 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses keine Amtsdauer für den Vorsitzenden vorsieht, schließen, dass die Amtsdauer als Folge einer organisatorischen Diskontinuität mit der Wahlperiode endet. Gleiches muss für Unterausschüsse gem. § 9 der Geschäftsordnung gelten. Der Vermittlungsausschuss ist damit zwar kein Organ des Bundestages, steht aber in den Diskontinuitätsfolgen jenen beschriebenen, obligatorischen Bundestagsorganen gleich.175 b) Nichts anderes gilt für den Gemeinsamen Ausschuss gem. Art. 53a GG. Obwohl es sich hierbei um ein selbstständiges Bundesorgan176 handelt, unterliegt dieses der Diskontinuität.177 Dafür spricht bereits, dass der Gemeinsame Ausschuss im Verteidigungsfall die Funktion eines Notparlaments wahrnimmt,178 sodass er trotz des Status als eigenständiges Verfassungsorgan auch vom parlamentarischen Diskontinuitätsprinzip erfasst wird. Darüber hinaus regelt § 3 seiner Geschäftsordnung, dass ein parlamentarisches Mitglied aus dem Ausschuss ausscheiden würde, sobald es seine Mitgliedschaft im Bundestag verliert. Mit dem Ende der Wahlperiode scheiden wegen der personellen Diskontinuität des Bundestags alle Abgeordneten aus dem Bundestag und folglich auch aus dem Gemeinsamen Ausschuss aus.179 Das Ausscheiden von zwei Drittel der Mitglieder stellt eine deutliche Erneuerung dar, sodass damit für den gesamten Gemeinsame Ausschuss die jeweilig konkrete, personelle Ausformung mit dem Ende der Wahlperiode endet und er seine Handlungsfähigkeit verliert. Hierin spiegelt sich eine größere Nähe zum diskontinuierlichen Bundestag als zum kontinuierlichen Bundesrat wider. Dazu im Widerspruch regelt § 2 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses allerdings ausdrücklich, dass dessen parlamentarische Mitglieder „bis zu einer erneuten Bestellung bestimmt“ werden. Es ist Sinn und Zweck einer solchen Überlappung in die nächste Wahlperiode hinein, sicherzu175
Zu den obligatorischen Bundestagsorganen: S. 158. BVerfGE 84, 304 (334 f.); Herzog/Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 53a Rn. 10 [Lfg. 92 8/2020] m. w. N. 177 Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 17; Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 76 [Lfg. 199 7/2019]; Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 (620). A. A. Herzog/Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 53a Rn. 13 [Lfg. 92 8/2020]. 178 Robbers, in: Sachs, GG, 2021, Art. 115e Rn. 1; Schmidt-Radefeldt, in: Epping/ Hillgruber, GG, 2021, Art. 115e Rn. 2. 179 Diese Folge ignorieren Herzog/Klein, wenn sie davon ausgehen, dass ein parlamentarisches Mitglied nur ausscheidet, wenn es dem neuen Bundestag nicht angehört (in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 53a Rn. 13 Fn. 3 [Lfg. 92 8/2020]). 176
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
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stellen, dass der Gemeinsame Ausschuss seine Aufgabe zu jedem Zeitpunkt wahrnehmen kann.180 Das hat zur Konsequenz, dass der Gemeinsame Ausschuss nicht nur als abstraktes Verfassungsorgan, sondern auch in seiner konkreten personellen Ausformung über die Wahlperiode hinaus in die neue Wahlperiode hineinbesteht. Diese einfache Geschäftsordnungsbestimmung geht damit über die früher verfassungsmäßig geregelten Ausnahmen in Art. 45, 45a, 49 GG a. F. hinaus. Wie im Fall des Parlamentarischen Kontrollgremiums181 ist diese Ausnahme von der organisatorischen Diskontinuität des Bundestages nach der Änderung des Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG im Jahr 1976 jedoch nicht notwendig, um eine permanente Absicherung der parlamentarischen Rechte auch im Notfall zu erreichen.182 Bereits Art. 115h Art. 1 Satz 1 GG stellt sicher, dass während des Verteidigungsfalls eine eigentlich ablaufende Wahlperiode bis sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalls verlängert werden würde. Innerhalb dieses Zeitraumes können Wahlen unter normalisierten Bedingungen abgehalten werden.183 Die Wahlperiode endet mit Ablauf der sechs Monate, also durch Zeitablauf und nicht erst mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages, wie es Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG unter gewöhnlichen Umständen vorsieht.184 Allerdings bleibt bis zu diesem Zeitpunkt der Gemeinsame Ausschuss bestehen, und auch ohne ausdrückliche Regelung ist dem Telos der Änderung des Art. 39 GG zu entnehmen, dass sich der Bundestag unmittelbar im Anschluss konstituieren soll. Sobald dies geschehen ist, ist auch die Bildung eines neuen Gemeinsamen Ausschusses möglich. § 2 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses verstößt daher gegen das verfassungsmäßige Diskontinuitätsprinzip und lässt sich auch nicht darüber rechtfertigen, dass der Gemeinsame Ausschuss stets handlungsfähig sein muss, da dieses Ziel bereits angemessen unter Einhaltung des Diskontinuitätsprinzips erreicht werden kann. Hält man dennoch eine Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip wegen der verbleibenden, minimalen Chance eines Zeitraums ohne versammelten Gemeinsamen Ausschuss für nötig, gilt darüber hinaus, dass eine solche Ausnahme wegen des Verfassungsrangs des Diskontinuitätsprinzips185 sorgfältig abgewogen werden muss und nicht allein durch die Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses erfolgen kann. Im Ergebnis ist es 180
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 266 f. Zum Parlamentarischen Kontrollgremium: S. 165. 182 Anders noch vor der Änderung: Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 266. 183 Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 115h Rn. 10 [Lfg. 77 6/2016]; Schmidt-Radefeldt, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 115h Rn. 1. 184 Schmidt-Radefeldt, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 115h Rn. 1. 185 Zur rechtlichen Begründung des Diskontinuitätsprinzips als Prinzip mit Verfassungsrang: S. 217. 181
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
deshalb überzeugender, anzunehmen, dass der Gemeinsame Ausschuss ähnlich einem Bundestagsausschuss mit dem Ende der Wahlperiode seine Mitglieder als Ausdruck einer personellen Diskontinuität verliert. Daneben tritt eine organisatorische Diskontinuität. So sieht § 7 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses vor, dass der Bundestagspräsident auch der Vorsitzende des Ausschusses ist. Da die Präsidentschaft mit der Wahlperiode endet, endet notwendigerweise damit auch der Vorsitz. Auch für die übrige Organisationsstruktur des Ausschusses gilt, dass mit dem Ausscheiden seiner Mitglieder am Legislaturende diese Organe ihre Legitimation verlieren und sie daher verfallen. In der neuen Wahlperiode kann der neue Gemeinsame Ausschuss einen neuen stellvertretenden Vorsitzenden gem. § 7 Abs. 2 seiner Geschäftsordnung wählen und sich frei entscheiden, ob er weitere Stellvertreter schafft oder auch andere Unterorgane für nötig hält. Scheinbar unvereinbar mit der hier beschriebenen organisatorischen Diskontinuität ist, dass sowohl die Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses186 als auch die Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses187 seit ihrer erstmaligen Ausfertigung zwar geändert wurden, aber sonst über die Grenzen der Wahlperioden hinweg stets fortbestanden haben. Obwohl beide Organe also nach der hier vertretenen Auffassung organisatorisch diskontinuierlich sind, sind es ihre Geschäftsordnungen nicht.188 Der Vergleich mit der Bundestagsgeschäftsordnung macht aber deutlich, dass dies keine Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip darstellt, sondern nur dessen konsequente Anwendung. Die Bundestagsgeschäftsordnung wird nur deshalb von der organisatorischen Diskontinuität erfasst, weil das neue, umfassend legitimierte Parlament seine gesamte Organisation völlig frei von seinem Vorgänger gestalten können soll. Aus diesem Grund verliert auch das vom Vorgänger geschaffene Innenrecht seine Geltung.189 Im Fall der beiden hier besprochenen Organe könnte man zwar argumentieren, dass auch diese in der Gestaltung ihres Innenrechts frei sein sollten, jedoch ist 186 Gemeinsame Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuss nach Artikel 77 GG (Vermittlungsausschuss) vom 19.4.1951, BGBl. II S. 103 ff.; zuletzt geändert durch die Bekanntmachung vom 30.4.2003, BGBl. I S. 677. 187 Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuss vom 2.6.1969, BGBl. I S. 1102 ff.; zuletzt geändert durch die Bekanntmachung vom 20.6.1993, BGBl. I S. 1500. 188 Für den Vermittlungsausschuss ist der Fortbestand der GO bis zu einer Aufhebung ausdrücklich in § 13 seiner GO geregelt (vgl. Pieper, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 40 Rn. 216). Gegen die Diskontinuität der GO des Gemeinsamen Ausschusses: Herzog/Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 53a Rn. 43 [Lfg. 92 8/2020]; Robbers, in: Sachs, GG, 2021, Art. 53a Rn. 12. A. A. Schick, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 58 Rn. 3. Für die GO des Vermittlungsausschusses: § 13. 189 Zu der Diskontinuität der autonomen Rechte oben: S. 155.
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
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ihnen diese Gestaltung schon nicht übertragen. Weder der Vermittlungsausschuss190 noch der Gemeinsame Ausschuss191 haben Geschäftsordnungsautonomie. In Art. 77 Abs. 2 Satz 2 bzw. Art. 53a Abs. 1 Satz 4 GG ist im Gegenteil jeweils vorgesehen, dass der Bundestag die Geschäftsordnung mit Zustimmung des Bundesrates erlässt. Damit können die Geschäftsordnungen schon nicht von der organisatorischen Diskontinuität dieser Organe erfasst werden. Gleichfalls begrenzt jedoch auch die Diskontinuität des Bundestages nicht die Geltungsdauer dieser Geschäftsordnungen auf die Wahlperiode. Denn zum einen stellen diese Geschäftsordnungen dieser eigenständigen Organe kein Innenrecht des Bundestags dar, sodass sie nicht von dessen organisatorischer Diskontinuität erfasst werden. Zum anderen ist das vorgeschriebene Verfahren zu deren Erlass abgeschlossen, sodass auch ein Verfall wegen sachlicher Diskontinuität ausscheidet. Es stimmt mit der Wirkung des Diskontinuitätsprinzips vielmehr genau überein, dass diese Regelungen, die wirksam durch den Bundestag beschlossenen und denen der Bundesrat zugestimmt hat, solange Wirkung entfalten, bis sie durch ein ordnungsgemäßes Verfahren geändert werden.192 Ohne die Fortgeltung seiner Geschäftsordnung wäre der Gemeinsame Ausschuss in einer neuen Wahlperiode bis zum Erlass einer neuen Geschäftsordnung auch nicht handlungsfähig.193 Gleichzeitig zeigt dies aber auch, dass es lediglich an der Bestimmung seiner Mitglieder fehlt, welche unmittelbar in der neuen Wahlperiode erfolgen kann, sodass eine Fortgeltung der personellen Zusammensetzung über die Wahlperiode hinaus auch daher nicht notwendig ist. c) Auch der Richterwahlausschuss gehört zu diesen gemischten Organen. Im Unterschied zu den vorherig behandelten Gremien besteht er jedoch weder aus Mitgliedern des Bundesrates noch des Bundestages. Die Mitglieder kraft Amtes sind die zuständigen Landesminister. Die Mitglieder kraft Wahl werden zwar vom Bundestag gewählt, müssen selbst dem Bundestag aber nicht angehören.194 Der Unterschied muss hier deshalb betont werden, weil, wenn es auf die Abgeordneteneigenschaft gar nicht ankommt, möglicherweise auch der Verlust dieser Stellung mit dem Ende der Wahlperiode nicht entscheidend für den Fortbestand des Richterwahlausschusses sein könnte. Hiermit im Einklang bestimmt § 5 Abs. 4, Abs. 5 des Richterwahlgesetzes auch, dass die Mitgliedschaft im Wahl-
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Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 Rn. 69 [Lfg. 94 1/2021]. Dörr, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 53a Rn. 16; Herzog/Klein, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 53a Rn. 41 [Lfg. 92 8/2020]; Schick, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 58 Rn. 6. 192 Zu der unterschiedlichen Wirkung von sachlicher und organisatorischer Diskontinuität oben: S. 152. 193 Herzog/Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 53a Rn. 43 [Lfg. 92 8/2020]. 194 Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 95 Rn. 8. So auch Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 95 Rn. 129 [Lfg. 86 1/2019]. 191
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
ausschuss erst durch Neuwahl durch den neu gewählten Bundestag oder Verzicht endet. Auch diese Vorschrift war dafür konzipiert, jenen Zeitraum eines Interregnums zu überbrücken, in dem die Wahlperiode des alten Bundestags bereits geendet, die des neuen aber noch nicht begonnen hat. Allerdings ist sie nach der Änderung des Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG im Jahr 1976 und der sich daraus ergebenen, nahtlosen Aneinanderreihung von Bundestagen nicht mehr nötig. Gerade im Vergleich zu den beiden vorher besprochenen Organen gibt es auch keinen Grund dafür, dass der Richterwahlausschuss stets handlungsbereit sein muss. Allein der Wunsch, eine Stelle möglichst schnell zu besetzen, kann eine Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips jedenfalls nicht rechtfertigen. Vielmehr verstößt eine solche Durchbrechung gegen die Vorstellung, dass jeder Bundestag seine Organe selbst bestimmen und personell besetzen kann. Es könnte so zu der Situation kommen, dass ein alter Wahlausschuss schon in der neuen Wahlperiode noch Entscheidungen trifft, die möglicherweise nicht mehr den Mehrheitsverhältnissen oder Interessen des neu gewählten Bundestages entsprechen. Schon aus diesem Grund muss mit der Wahlperiode des Bundestages auch die Existenz des konkret-personellen Richterwahlausschusses enden.195 Darüber hinaus sind die Abgeordneten jeweils nur für eine Legislaturperiode legitimiert. Folglich kann die hiervon abgeleitete Legitimation der Mitglieder des Wahlausschusses unabhängig davon, ob sie selbst Abgeordnete sind, nicht über diese Wahlperiode hinausgehen. Die durch die Demokratie zeitlich befristete Entscheidungsbefugnis des Parlaments setzt sich so in dem Ausschuss fort. Etwas anderes gilt für die Richter, die durch den Ausschuss selbst auf unbestimmte Zeit gewählt werden. Deren Amt ist im Sinne der Unabhängigkeit der Judikative von vornherein als nicht zeitlich befristet angelegt und ihre Legitimation entspringt damit der Wahl durch den abstrakt-institutionellen Ausschuss, nicht durch seine konkrete personelle Ausformung. Die gleiche Argumentation gilt für die inzwischen durch das Plenum des Bundestages gewählten Richter am Bundesverfassungsgericht. Indem die Existenz des Wahlausschusses also mit der Wahlperiode endet, tritt neben der personellen auch sachliche und organisatorische Diskontinuität ein. Damit müssen nicht abgeschlossene Wahlverfahren erneut durchgeführt werden, und der neue Wahlausschuss ist frei, seine Organisationsstruktur zu bestimmen. Letzteres dürfte in der Praxis allerdings kaum eine Rolle spielen, da jedenfalls der Vorsitz durch den zuständigen Bundesminister gem. § 9 des Richterwahlgesetzes festgelegt ist und bereits das Richterwahlgesetz und nicht etwa eine Geschäftsordnung das sonstige Verfahren regelt. Anders als bei den Geschäftsord195 So zumindest im Ergebnis Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 (620); a. A. Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 268, allerdings ohne Beachtung der Änderung des Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG.
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
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nungen der anderen beiden gemischten Ausschüsse wird hier schon im Namen deutlich, dass es sich nicht um selbstgesetztes Innenrecht, sondern um ein Gesetz mit Außenwirkung handelt, das als solches nicht dem Diskontinuitätsprinzip unterliegt. Zusammenfassend machen die Fälle des Vermittlungsausschusses, des Gemeinsamen Ausschusses und des Richterwahlausschusses deutlich, dass das Diskontinuitätsprinzip in Teilen über den rein parlamentarischen Bereich hinausreichen kann, die drei Organe wegen der Überschneidung in der personellen Zusammensetzung mit dem Bundestag aber auch eine Sonderrolle einnehmen. Es bleibt festzuhalten, dass nicht nur die personelle Diskontinuität des Bundestages auf die genannten Organe ausstrahlt,196 sondern diese auch sachlich und – von ihren Geschäftsordnungen abgesehen – organisatorisch diskontinuierlich sind. 6. Außerparlamentarische Gremien mit parlamentarischer Beteiligung
Schließlich könnte eine Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip bei außerparlamentarischen Gremien mit parlamentarischer Beteiligung bestehen. Als Organe von außerparlamentarischen Institutionen stellen sie keine Bundestagsorgane dar und sind daher mit dem Bundestag nicht unmittelbar institutionell verbunden.197 Regelmäßig werden nur einzelne Mitglieder durch den Bundestag bestimmt, während andere Staatsorgane wie die Bundesregierung oder der Bundesrat und sonstige gesellschaftliche Gruppen die weiteren Vertreter entsenden.198 Bei der Wirkung des parlamentarischen Diskontinuitätsprinzips auf diese außerparlamentarischen Gremien müssen zwei Fragen unterschieden werden. Zum einen ist fraglich, ob allein die parlamentarische Beteiligung an diesen Gremien durch wenige Mitglieder dazu führt, dass diese als gesamtes Gremium von der Diskontinuität des Bundestags erfasst werden. Zum anderen ist zu fragen, ob bzw. wie sich das Ende der Bundestagswahlperiode und damit der Eintritt von Diskontinuität auf die entsandten parlamentarischen Gremienmitglieder auswirken. Jekewitz meint, dass diese Organe und auch ihre parlamentarischen Mitglieder vom Diskontinuitätsprinzip überhaupt nicht berührt werden, weil die vom Bundestag in diese Gremien entsandten Mitglieder nicht wegen ihrer politisch-parlamentarischen Funktion, sondern als Vertreter der Institution Bundestag entsandt 196
Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 (619 f.). Jekewitz nennt beispielsweise den Schuldenausschuss bei der Bundesschuldenverwaltung, das Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung oder den Rundfunkrat der Deutschen Welle (Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 269). Ersteres Gremium besteht nicht mehr, dafür sind seither andere außerparlamentarische Gremien mit parlamentarischer Beteiligung hinzugekommen. Eine Liste mit weitergehenden Angaben findet sich bei Feldkamp, Datenhandbuch des Bundestages seit 1990, Kapitel 9.3, S. 1 ff. (letzter Zugriff am 7.1.2022). 198 Vgl. etwa für den Rundfunk- und Verwaltungsrat der Deutschen Welle, §§ 31, 36 DWG. 197
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
seien. In diesen Gremien nähmen sie keine Kernfunktion des Mandats oder der Parlamentsarbeit wahr.199 Obwohl diese Feststellung richtig ist, ist sie zu wenig differenziert. Für das jeweilige Gremium als Ganzes gilt, dass es vom Diskontinuitätsprinzip des Parlaments in der Tat nicht betroffen ist. Der parlamentarische Einfluss auf diese Gremien ist wesentlich geringer als bei den vorher beschriebenen gemischten Ausschüssen. Die einzelnen Mitglieder des Bundestages prägen die personelle Zusammensetzung dieser Gremien deutlich schwächer. Durch den damit einhergehenden geringen Einfluss wirkt sich das Diskontinuitätsprinzip des Bundestages weit weniger aus. Aus diesem Grund ist es allerdings auch dort anders, wo das gesamte Gremium aus Bundestagsabgeordneten200 besteht und nicht nur einzelne Mitglieder durch den Bundestag bestimmt werden. Zwar handelt es sich dann immer noch nicht um ein Bundestagsorgan, aber insofern besteht kein Unterschied zu den gemischten Organen, die, wie eben beschrieben, diskontinuierlich sind. Die volle Besetzung mit Abgeordneten nach Fraktionsstärke verdeutlicht dabei besonders, dass hier auch politisch-parlamentarische Interessen und nicht allein jene des Organs Bundestag vertreten werden.201 Dadurch ist die Nähe zum Bundestag und seinen Organen so groß, dass sich das Diskontinuitätsprinzip voll auswirkt. Mit dem Ende der Wahlperiode tritt also personelle, organisatorische und sachliche Diskontinuität ein. Die zweite Frage ist komplexer zu beantworten. Ob die einzelnen durch den Bundestag entsandten Mitglieder mit dem Ende der parlamentarischen Wahlperiode auch aus dem außerparlamentarischen Gremium ausscheiden, hängt zum einen davon ab, ob für die Gremienmitgliedschaft der Abgeordnetenstatus nötig ist, und zum anderen, ob dieser Status aufgrund einer Wiederwahl auch über die abgelaufene Wahlperiode hinaus fortbesteht. In beiden Fällen gilt, dass die einzelnen Mitglieder eben nicht den Bundestag in seiner konkreten, personellen Besetzung repräsentieren, sondern den Bundestag als Verfassungsorgan. Folglich wirkt es sich nicht aus, wenn der ursprünglich entsendende Bundestag mittlerweile durch das Ende seiner Wahlperiode seine Legitimierung verloren hat. Soweit also Mitglieder durch den Bundestag bestellt werden, diesem selbst aber nicht angehören müssen,202 vertreten diese den Bundestag als abstrakt-institutio199
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 269. Etwa das von Jekewitz genannte Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung gem. § 6 Erlass über die Bundeszentrale für politische Bildung, GMBl. 2001, S. 270 (Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 269 Fn. 133). 201 So soll etwa das Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung eine „politisch ausgewogene Haltung“ sicherstellen (§ 6 Erlass über die Bundeszentrale für politische Bildung, GMBl. 2001, S. 270). 202 Hier sind etwa wieder der Rundfunk- und Verwaltungsrat der Deutschen Welle gem. §§ 31, 36 DWG zu nennen. Ob die Mitgliedschaft im Bundestag eine Voraussetzung für die Wahl zum Mitglied eines der hier behandelten Gremien ist, lässt sich leicht in der Übersicht bei Feldkamp nachvollziehen (Datenhandbuch des Bundestages seit 200
2. Kap.: Auswirkungen im parlamentarischen Bereich
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nelles Organ für die volle Amtsperiode. In diesen Fällen wirkt sich das Diskontinuitätsprinzip auch auf die einzelnen Mitglieder nicht aus. Sieht sich ein neu gewählter Bundestag durch das bisher entsandte Mitglied nicht vertreten, hat er die Möglichkeit, dieses abzuberufen und für die restliche Amtsdauer ein neues Mitglied zu benennen.203 Das Diskontinuitätsprinzip bewirkt aber keine automatische Abberufung. Anders liegt jedoch der Fall, wenn die Mitgliedschaft in dem außerparlamentarischen Gremium an die Abgeordneteneigenschaft anknüpft.204 Weil diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt ist, wenn ein Abgeordneter am Ende der Wahlperiode aus dem Bundestag endgültig ausscheidet, scheidet er auch als Mitglieder des Gremiums aus.205 Insofern wirkt sich die personelle Diskontinuität des Bundestags auf das Gremium aus. Bei strenger Auslegung der personellen Diskontinuität müsste dies für alle parlamentarischen Gremienmitglieder gelten, da die personelle Diskontinuität bewirkt, dass alle Abgeordneten mit dem Ende der Wahlperiode ihr Mandat verlieren und dieses nur durch eine Wiederwahl erneut erlangen können. Diese Auslegung ist zwar im Einklang mit dem Diskontinuitätsprinzip, aber praxisfern, sodass man wohl bei einer Wiederwahl der entsandten Abgeordneten annehmen kann, dass diese auch ihre Arbeit in dem jeweiligen Gremium fortsetzen können. Das lässt sich zum einen damit begründen, dass durch die Regelung in Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG die wiedergewählten Abgeordneten ihren Abgeordnetenstatus nicht mehr, auch nicht kurzzeitig, verlieren, weil die alte Wahlperiode und damit ihr bisheriger Status erst mit dem Beginn der neuen Wahlperiode und ihrem neuen Mandat enden. Die nahtlose Fortsetzung der Gremienarbeit ist zum anderen auch deshalb geboten, weil sonst ein neu gewählter Bundestag zu Beginn seiner Wahlperiode zunächst diese Stellen neu besetzen müsste, obwohl die bisherigen Mitglieder ihre Arbeit ohne Weiteres fortsetzen könnten. Indem der Bundestag hierdurch unnötig blockiert wird, widerspricht eine solche strenge Auslegung des Diskontinuitätsprinzips dem Entlastungseffekt, den dieses Prinzip eigentlich erzeugen soll. Zudem ist der Eingriff in die organisatorische Freiheit des neuen Bundestags nur minimal, weil dieser weiterhin durch seine Abgeordneten vertreten wird und zum anderen eine Abrufung jederzeit möglich bleibt.206 Im Ergebnis kann damit festgehalten werden, dass eine große Nähe zum Bundestag dafür spricht, dass sich auch das Diskontinuitätsprinzip des Bundestages 1990, Kapitel 9.3, S. 1 ff. (letzter Zugriff am 7.1.2022)). Anders als der einleitende Satz vermuten lässt, finden sich in der Tabelle auch Gremien, bei denen die Abgeordneteneigenschaft für eine Wahl Voraussetzung ist. 203 Vgl. etwa § 28 DWG. 204 Etwa beim Kuratorium der Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ gem. § 6 Abs. 2 Satz 3 DHMG. 205 Vgl. etwa § 6 Abs. 3 Satz 2 DHMG. 206 Vgl. etwa § 6 Abs. 3 Satz 1 DHMG.
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auswirkt, während umgekehrt die Entsendung weniger Mitglieder, die noch dazu nicht selbst dem Bundestag angehören müssen, eher dafür spricht, dass die Gremien unabhängig von der diskontinuierlichen Wahlperiode des Bundestags bestehen. Das Diskontinuitätsprinzip schafft eine weitgehende organisatorische Freiheit des Parlaments, soll aber nicht bewirken, dass allein eine lose Verbindung von einzelnen Gremien zum Bundestag auch das Diskontinuitätsprinzip auf diese ausweitet. Hinter der Entsendung nur einzelner Gremiumsmitglieder durch den Bundestag steckt die Vorstellung, dass der Bundestag als Verfassungsorgan und nicht seine konkrete personelle Zusammensetzung vertreten wird. Daher kann es ausnahmsweise gerechtfertigt sein, dass wiedergewählte Abgeordnete die Gremienarbeit unabhängig vom Ende der Wahlperiode und ohne erneute Entsendung fortsetzen, obwohl damit eine organisatorische Entscheidung eines Bundestages über seine Wahlperiode hinaus bestehen bleibt. Allzu leicht sollte mit diesen Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips jedoch nicht umgegangen werden, um dieses Prinzip und die dadurch geschaffenen klaren Abgrenzungen der Wahlperiode nicht zu sehr aufzuweichen.
C. Sachliche Diskontinuität In sachlicher Hinsicht bedeutet das Diskontinuitätsprinzip, dass mit dem Legislaturende alle unerledigten parlamentarischen Beratungsgegenstände wie Gesetzentwürfe, Anträge und Anfragen verfallen und als erledigt gelten. Der konkret-personelle neue Bundestag muss also nicht zunächst Altlasten seines Vorgängers abarbeiten, sondern kann sich nur mit aktuellen und in der Regel eigenen Vorlagen beschäftigen. Wann eine Vorlage noch unerledigt ist, bestimmt sich danach, ob der Bundestag alles Notwendige für den Abschluss des Verfahrens veranlasst hat. Hierfür sind die Verfahrensvorschriften des Grundgesetzes und vor allem der Geschäftsordnung des Bundestags maßgeblich.207 Besondere Bedeutung erlangt das Diskontinuitätsprinzip bei Gesetzentwürfen unabhängig davon, ob sie von der Bundesregierung, dem Bundesrat oder aus der Mitte des Parlaments stammen.208 Sobald ein Entwurf der in Art. 76 Abs. 1 GG genannten Initiativberechtigen in den Bereich des Bundestages gelangt ist, wird er vom parlamentarischen Diskontinuitätsprinzip erfasst, sollte er zum Ende der Wahlperiode den parlamentarischen Bereich noch nicht endgültig verlassen haben. Das Gesetzesinitiativrecht korrespondiert zwar mit der Pflicht, sich mit dem Gesetzesvorhaben zu befassen. Da nicht abschließend behandelte Entwürfe aber der sachlichen Diskontinuität anheimfallen können, besteht dagegen keine Pflicht, über sämtliche Entwürfe innerhalb der Wahlperiode abschließend zu ent207
Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 62. Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 62; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 53 f. [Lfg. 77 5/2016]. Ausführlich zu den Auswirkungen des Diskontinuitätsprinzips auf Vorlagen der Bundesregierung und des Bundesrates: S. 198. 208
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scheiden.209 Die Initiativberechtigten haben daher kein Recht auf Schutz vor den Folgen der sachlichen Diskontinuität.210 Die begrenzte Geltungsdauer der parlamentarischen Geschäftsordnung ist dagegen kein Ausfluss der sachlichen Diskontinuität,211 sondern, wie bereits beschrieben, eine Folge der organisatorischen Diskontinuität.212 Anderenfalls würde ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Diskontinuitätsfolgen verkannt, wonach sachliche Diskontinuität nur unerledigte Vorgänge erfasst, während die organisatorische Diskontinuität nur parlamentsinterne, dafür auch abgeschlossene Vorgänge einschließt.213 Die Geschäftsordnung – genau wie die weitere parlamentarische Organisation in Ausschüsse und sonstige Unterorgane – wurde vom aktuell zuständigen, konkreten Bundestag aber bereits beschlossen. Sie ist insoweit endgültig, als sie so lange Geltung behält, bis sie vom gleichen Bundestag geändert oder eben von der organisatorischen Diskontinuität am Ende der Wahlperiode erfasst wird. I. Sachliche Diskontinuität der Kontrollrechte des Bundestags Von der sachlichen Diskontinuität erfasst werden aber nicht nur Rechtsetzungsakte, sondern ebenso alle sonstigen Vorlagen im Sinne des § 75 GO-BT sowie Fragen einzelner Abgeordneter gem. § 105 GO-BT an die Bundesregierung. So kann die Bundesregierung auf diese Fragen oder auf Große und Kleine Anfragen nach dem Ende der Wahlperiode antworten, muss dies aber wegen des Diskontinuitätsprinzips nicht mehr.214 Da der neue Bundestag diese Anfragen aber unmittelbar erneut stellen kann, entsteht kein Kontrolldefizit.215
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BVerfGE 145, 348 (360, Rn. 37). Dietlein, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 76 Rn. 42. 211 So aber Brocker, der den von ihm synonym verwendeten Begriff „materielle Diskontinuität“ wählt (in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 7; ders. in: Epping/ Hillgruber, GG, 2021, Art. 40 Rn. 31). Ebenso Magiera, in: Sachs, GG, 2021, Art. 40 Rn. 22. Auch Dicke unterscheidet nicht zwischen sachlicher und organisatorischer Diskontinuität und ordnet die organisatorischen Folgen der sachlichen Diskontinuität zu (in: Umbach/Clemens, 2002, Art. 39 Rn. 33). Ähnlich Austermann/Waldhoff, die diese Folge zunächst unter personeller Diskontinuität beschreiben, sie im Weiteren aber scheinbar doch zur sachlichen Diskontinuität zählen (Parlamentsrecht, 2020, Rn. 81, 106, 241). 212 Zum Entfallen der Geschäftsordnung in Folge der organisatorischen Diskontinuität: S. 155. 213 Zu dieser Unterscheidung: S. 152. 214 Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 87 [Lfg. 199 7/2019]; Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (693); Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 271 f.; Lechleitner, Reichweite des Diskontinuitätsgrundsatzes, 2015, S. 17. A. A. wohl Bahlmann, Grundsatz der Diskontinuität, MVDA 1965, 189 (190); Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 62, 65. 215 Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 87 [Lfg. 199 7/2019]. 210
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Gleiches gilt für die Aufforderung an die Bundesregierung, zu einem bestimmten Thema Bericht zu erstatten.216 Dabei muss zum einen zwischen dem erstatteten Bericht und der noch unbeantworteten Aufforderung unterschieden werden. Zum anderen kommt es darauf an, wie die Aufforderung erfolgt. Ein einmal erstatteter Bericht, den der Bundestag lediglich zur Kenntnis nehmen muss, wird von der sachlichen Diskontinuität nicht berührt, da er keines Parlamentsbeschlusses bedarf. Der Bericht ist endgültig in der Welt und wird auch durch das Diskontinuitätsprinzip nicht wieder vernichtet. Dagegen verfällt eine Überweisung des Berichts an einen Ausschuss ebenso wie gegebenenfalls erfolgte Beratungen zum Ende einer Wahlperiode, da sich insoweit der Grundsatz der sachlichen Diskontinuität manifestiert und diese unerledigten Verhandlungsgegenstände beseitigt.217 Es steht dem neuen Bundestag allerdings frei, den bereits erstatteten Bericht ebenfalls an einen seiner Ausschüsse zur Beratung zu überweisen.218 Dabei kann er auch bisherige Beratungsergebnisse berücksichtigen. Beruht die Aufforderung an die Bundesregierung, einen Bericht zu erstatten, auf einer gesetzlichen Grundlage, wird diese – wie alle Gesetze, die den parlamentarischen Bereich verlassen haben – von der sachlichen Diskontinuität nicht erfasst. Die Bundesregierung bleibt also auch nach dem Ende der Wahlperiode verpflichtet, den typischerweise dann regelmäßig wiederkehrenden Bericht dem dann aktuellen Bundestag zu erstatten.219 Beruht die Aufforderung zu einem Bericht jedoch lediglich auf einem Parlamentsbeschluss, wird dieser zum Ende der Wahlperiode von der sachlichen Diskontinuität erfasst.220 Zwar verlässt die Anfrage den parlamentarischen Bereich, um durch die Bundesregierung beantwortet zu werden, allerdings muss sie in diesen auch zwingend wieder zurückkehren, wenn der Bundestagspräsident die Antwort erhält.221 Weil sich also die Mitglieder des Bundestags noch nicht abschließend mit dem Gegenstand beschäftigt haben, gilt auch hier, dass alle unerledigten Verfahren wegen der sachlichen Diskonti216 Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (694); Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 297: Lechleitner, Reichweite des Diskontinuitätsgrundsatzes, 2015, S. 15. 217 Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 90, der dies jedoch auf die personelle Diskontinuität stützt. 218 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 296; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 90. 219 Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (694); Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 90. 220 Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (694); Lechleitner, Reichweite des Diskontinuitätsgrundsatzes, 2015, S. 18 f.; insofern zu undifferenziert a. A. Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 88 f. [Lfg. 199 7/2019]; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 90. 221 Große Anfragen werden dabei sogar regelmäßig auf die Tagesordnung gesetzt; vgl. § 101 Satz 1 GO-BT. Der Bundestagspräsident ist dabei das Bindeglied; vgl. §§ 101, 104 Abs. 2 GO-BT sowie die zu § 105 GO-BT erlassen Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen.
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nuität mit dem Ablauf der Wahlperiode als erledigt gelten. Es gibt dann keinen die Bundesregierung bindenden Beschluss mehr, aber sie bleibt frei, den Bericht dennoch zu erstatten.222 Hierin wird schon deutlich, dass die sachliche Diskontinuität neben der Gesetzgebung, auch die Regierungskontrolle und sämtliche sonstigen Handlungsrechte des Bundestags betrifft.223 So ist der Verfall eines Untersuchungsausschusses am Wahlperiodenende ebenso nicht allein Folge der organisatorischen Diskontinuität, sondern die nicht abgeschlossene Ausschussarbeit gilt auch wegen der sachlichen Diskontinuität der parlamentarischen Kontrollrechte als erledigt. Der neue Bundestag muss nicht nur den Ausschuss erneut einsetzen, sondern dieser muss auch die Ermittlungen seines Vorgängers wiederholen.224 Auch bei nicht abgeschlossenen Wahlprüfungs- und Immunitätsverfahren gilt, dass diese mit dem Ende der Wahlperiode verfallen und als erledigt gelten.225 Wegen der organisatorischen Diskontinuität fällt nicht nur der regelmäßig gebildete Ausschuss für Wahlprüfung und Immunität weg, sondern aufgrund der sachlichen Diskontinuität auch dessen unerledigte Verfahren. Insoweit bestehen keine Unterschiede zu den Verhandlungsgegenständen der sonstigen Ausschüsse. In beiden Fällen ergibt sich diese Erledigungswirkung zusätzlich daraus, dass mit dem Ablauf der Wahlperiode die Verfahren ihr Ziel nicht mehr erreichen können. Das Wahlprüfungsverfahren gem. Art. 41 Abs. 1 Satz 1 GG kann nicht mehr erfolgreich sein, weil der konkrete Bundestag, dessen Zusammensetzung und Wahl nach den Grundsätzen des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG und den hierzu ergangenen Wahlgesetzen überprüft werden soll, mit dem Ablauf der Wahlperiode nicht mehr existiert. Damit fehlt das Bedürfnis für eine solche Überprüfung. Gleiches muss für Mandatsprüfungsverfahren gem. Art. 41 Abs. 1 Satz 2 GG gelten, nachdem alle Mandate dieses Bundestages ausgelaufen sind.226 Mit dem Ablauf der Mandate verlieren auch Verfahren zur Aufhebung der Immunität oder zur Genehmigung gem. § 50 Abs. 3 StPO ihren Grund, da die Immunität der Abgeordneten durch das Ausscheiden aus dem Bundestag endet. Die bisherigen Verfahren werden gegenstandslos und durch die sachliche Diskontinuität beseitigt. Im Fall einer Wiederwahl erneuert sich allerdings der Immunitätsschutz, und es bedarf konsequenterweise auch der Einleitung eines neuen Verfahrens.227 222 Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (694); Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 297. 223 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 271 f. 224 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 290; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 88. In der Praxis lässt sich diese weitreichende Folge des Diskontinuitätsprinzips dadurch abmildern, dass man bisherige Ermittlungsergebnisse nutzt, um den Untersuchungsgegenstand präziser zu fassen. 225 Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 90 [Lfg. 199 7/2019]; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 89 f. 226 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 293 f. 227 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 294.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Der Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses bewirkt ebenfalls, dass sich eine Beschwerde gem. Art. 41 Abs. 2 GG vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Wahlprüfungsentscheidung des Bundestages mit dem Ende der Wahlperiode erledigt.228 Hierbei handelt es sich jedoch nur um eine indirekte Folge des Diskontinuitätsprinzips. Dieses bewirkt zwar, dass der konkrete Bundestag wegfällt, sodass ein Einwirken auf dessen Zusammensetzung in Folge der Wahlbeschwerde ausscheiden muss, die Unzulässigkeit der Wahlbeschwerde folgt dann aber allein aus dem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis. In der Regel ist es vielmehr so, dass eine wirksam durch den Bundestag oder Teile seiner Mitglieder vorgenommene Prozesshandlung unabhängig vom Diskontinuitätsprinzip fortbesteht. Eine einmal gegebene Zulässigkeit bleibt vom Eintritt der Diskontinuität unbeeinflusst.229 Darin kommt die Organkontinuität des Bundestags zum Ausdruck.230 Sobald ein Verfahren wirksam eingeleitet wurde und damit den parlamentarischen Bereich verlassen hat, entfaltet das Diskontinuitätsprinzip hierauf keine Wirkung mehr. Es ist folglich keine Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip, dass andere Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht auch nach dem Ablauf der Wahlperiode fortgesetzt werden, obwohl der Bundestag (oder eines seiner Organe) an dem Verfahren beteiligt sind. Entscheidend ist, ob der Bundestag einen abschließenden Beschluss gefasst und das Verfahren den parlamentarischen Bereich verlassen hat. Nicht abgeschlossene, innerparlamentarische Verfahren werden dagegen von der sachlichen Diskontinuität erfasst. Sie gelten als erledigt und müssen neu begonnen werden, wenn an ihnen in der neuen Wahlperiode ebenfalls ein Interesse besteht. Sobald der Bundestag jedoch alles Nötige für den Fortgang des Verfahrens beschlossen hat, läuft das restliche Verfahren außerhalb des parlamentarischen Bereichs ab, entfaltet Außenwirkung und wird von dem Diskontinuitätsprinzip nicht mehr erfasst. Verdeutlichen lässt sich dies an der Präsidentenanklage gem. Art. 61 GG. Der Antrag auf Erhebung der Anklage muss von einem Viertel der Bundestagsmitglieder gestellt werden und wirkt allein parlamentsintern. Auch der Beschluss durch zwei Drittel der Abgeordneten, die Anklage auch tatsächlich zu erheben, entfaltet noch keine Außenwirkung. Erst durch die tatsächliche Erhebung ent-
228 BVerfGE 22, 277 (280); siehe auch Jekewitz, Einfluss des Endes der Wahlperiode, DÖV 1976, 657 f. 229 BVerfGE 4, 144 (152) zum Organstreitverfahren; 79, 311 (327) zur abstrakten Normenkontrolle. Zum Ganzen: Wernsmann, Diskontinuität des Parlaments im verfassungsrechtlichen Organstreit, JURA 2000, 344 (345). 230 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2020, Art. 39 Rn. 6; Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 15 Rn. 79. So jedenfalls zum Organstreitverfahren: Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 63 Rn. 81 [Lfg. 49 6/2016]; Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 9.
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zieht sich das Verfahren den Folgen der Diskontinuität, da es sich rechtlich verselbstständigt. Das Bundesverfassungsgericht ist dann Herr des Verfahrens.231 Alle Verfahrensschritte bis zur Klageerhebung verfallen somit am Ende der Wahlperiode, während nach der Erhebung der Klage das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht auch nach dem Ende der Wahlperiode fortläuft.232 Gleiches gilt etwa für das objektive Verfahren der abstrakten Normenkontrolle, selbst wenn ein Viertel der Mitglieder des Bundestags dieses angestoßen und die Antragsteller ihre Mitgliedschaft im Bundestag verloren haben.233 Der Antragsteller gibt allein den Anstoß zur gerichtlichen Kontrolle in einem objektiven Verfahren.234 Das Verfahren wird deshalb unabhängig vom Antragsteller über das Ende der Wahlperiode hinaus fortgesetzt. Ebenso wenig führt das Diskontinuitätsprinzip zur Unzulässigkeit eines Organstreits mit dem Bundestag oder eines seiner Teile als Antragsteller oder -gegner am Ende der Wahlperiode.235 Auch hier gilt, dass eine wirksam vorgenommene Prozesshandlung unabhängig vom Legislaturende fortbesteht.236 Würde der Eintritt von Diskontinuität mit dem Ablauf der Wahlperiode zwingend den Verfall bzw. die Unzulässigkeit eines anhängigen Organstreitverfahrens mit parlamentarischer Beteiligung bewirken, wäre ein solches Verfahren in der Zeit vor dem Ende der Legislaturperiode stets folgenlos. In dieser Zeit könnten die Rechte des Parlaments oder seiner Teile verletzt werden, umgekehrt könnte aber auch der Bundestag Rechte anderer Verfassungsorgane missachten. Bevor das Bundesverfassungsgericht urteilen könnte, hätte der Eintritt von Diskontinuität mit Ablauf der Legislatur zur Unzulässigkeit des Verfahrens geführt. Dies würde Prozessverschleppung belohnen.237 231 Pieper, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 61 Rn. 5.1; Wernsmann, Diskontinuität des Parlaments im verfassungsrechtlichen Organstreit, JURA 2000, 344 (345). 232 Vgl. § 51 BVerfGG. Dazu Maunz, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 51 Rn. 3 [Lfg. 4 10/1976]. So auch Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 490 Fn. 299; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 292 f.; Jekewitz, Einfluss des Endes der Wahlperiode, DÖV 1976, 657 (660). 233 BVerfGE 79, 311 (327). 234 BVerfGE 68, 346 (351). 235 Wernsmann, Diskontinuität des Parlaments im verfassungsrechtlichen Organstreit, JURA 2000, 344 (345 ff.). Ebenso Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 82. A. A. wohl Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 293; Jekewitz, Einfluss des Endes der Wahlperiode, DÖV 1976, 657 (659 f.). 236 Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 63 Rn. 81 [Lfg. 46 6/ 2016]; Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 9; Wernsmann, Diskontinuität des Parlaments im verfassungsrechtlichen Organstreit, JURA 2000, 344 (345). 237 Wernsmann, Diskontinuität des Parlaments im verfassungsrechtlichen Organstreit, JURA 2000, 344 (347). Ebenso Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 91 [Lfg. 199 7/2019]; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 82; Morlok, in: Dreier, GG, 2015, Art. 39 Rn. 25.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Eine andere Frage ist, ob nach dem Wahlperiodenende die Unzulässigkeit dennoch dadurch eintritt, dass die Parteifähigkeit oder das Rechtsschutzbedürfnis durch den Wegfall des konkret-personellen Organs erlischt. Die Parteifähigkeit besteht fort, da es auf den Zeitpunkt der Antragstellung ankommt.238 Darüber hinaus wird die Parteifähigkeit des Bundestags als abstrakt-institutionelles Organ vom Diskontinuitätsprinzip gerade nicht berührt. Dieser und nicht der untergegangene konkret-personelle Bundestag ist Partei des Verfahrens und von der Rechtskraft unmittelbar betroffen.239 Wie bei der Wahlprüfungsbeschwerde kann jedoch das Rechtsschutzbedürfnis für ein Organstreitverfahren entfallen, sobald die Wahlperiode endet. Scheidet eine Fraktion beispielsweise mit dem Ablauf der Legislaturperiode aus dem Bundestag aus, wird regelmäßig das Rechtsschutzinteresse fehlen, da sich eine Verletzung der fraktionellen Rechte nicht wiederholen kann.240 Dies genügt für eine Unzulässigkeit des Organstreits allerdings noch nicht, da auch objektiv kein öffentliches Interesse an der Streitentscheidung bestehen darf. Ein solches besteht insbesondere, wenn durch die Entscheidung eine verfassungsrechtliche Streitfrage geklärt und somit weitere, ähnliche Organstreitverfahren vermieden werden können.241 Das Ausscheiden des Antragstellers reicht also nicht. Vielmehr tritt neben die Verteidigung subjektiver Rechte auch eine objektiv-rechtliche Funktion des Organstreits.242 Zur Wahrung dieser Funktion darf die Unzulässigkeit eines Organstreits mit parlamentarischer Beteiligung keine automatische Folge des Diskontinuitätsprinzips sein. Mit Ablauf der Wahlperiode kann daher das Rechtsschutzbedürfnis entfallen, dies ist aber keine zwingende, sondern nur eine mittelbare Folge des Diskontinuitätsprinzips. Im Ergebnis werden auch alle Handlungen, mittels derer der Bundestag seine Kontrollfunktion wahrnimmt, vom Diskontinuitätsprinzip erfasst. Soweit diese Handlungen nicht abschließend vom Bundestag behandelt wurden und somit den parlamentarischen Bereich nicht endgültig verlassen haben, verfallen sie mit Ab238
BVerfGE 4, 144 (152). Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 63 Rn. 81 [Lfg. 46 6/ 2016]; Wernsmann, Diskontinuität des Parlaments im verfassungsrechtlichen Organstreit, JURA 2000, 344 (345). A. A. Jekewitz, Einfluss des Endes der Wahlperiode, DÖV 1976, 657 (659 f.). 240 Gleiches gilt beim endgültigen Ausscheiden eines Abgeordneten; vgl. BVerfGE 87, 207 (209); Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 64 Rn. 98 [Lfg. 50 1/2017]. 241 Wernsmann, Diskontinuität des Parlaments im verfassungsrechtlichen Organstreit, JURA 2000, 344 (346 f.). So wohl auch Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 84. 242 Vgl. Wernsmann, der in Fn. 36 eine allgemeine Tendenz erkennt, den Antragsteller darauf zu beschränken, den Anstoß für eine gerichtliche Kontrolle in einem objektiven Verfahren zu geben (Diskontinuität des Parlaments im verfassungsrechtlichen Organstreit, JURA 2000, 344 (346)). A. A. Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 293. 239
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lauf der Wahlperiode. Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht stellen insoweit keine Ausnahme dar. Sobald ein Verfahren anhängig ist, fällt es nicht mehr in die parlamentarische Sphäre und bleibt regelmäßig auch über das Ende der Legislatur hinaus bestehen. Die Entscheidung fällt gegenüber dem Bundestag als abstrakt-institutionelles Organ. II. Ausnahmen von der sachlichen Diskontinuität Anders als die organisatorischen und auch personellen Folgen des Diskontinuitätsprinzips ist die sachliche Diskontinuität in § 125 GO-BT niedergelegt. Diese Regelung ist dabei bereits angesprochenen Regelungen aus der Zeit des Reichstags im Kaiserreich und des Preußischen Abgeordnetenhauses nachgebildet. Anders als frühere Geschäftsordnungen nimmt jene des Bundestages Petitionen und Vorlagen, die keine Beschlüsse bedürfen, explizit von der sachlichen Diskontinuität aus.243 Für letztere ergibt sich dies bereits aus der Überlegung, dass durch solche Vorlagen der neu gewählte Bundestag gerade nicht belastet oder gebunden werden kann, weil überhaupt kein Beschluss notwendig ist.244 Dazu zählen insbesondere Entschließungsanträge und Berichte, die dem Bundestag von der Bundesregierung oder anderen Einrichtung erstattet werden.245 Ist der Bericht beim Bundestag eingegangen, hat die berichterstattende Stelle ihre Pflicht getan. Nach Ablauf der Wahlperiode ist sie nicht zur erneuten Einbringung verpflichtet, auch wenn der vorherige Bundestag den Bericht nicht offiziell zur Kenntnis genommen hat. Dem neuen Bundestag steht es frei, sich mit dem Bericht aus der alten Legislatur zu beschäftigen und ihn an seine Ausschüsse weiterzuleiten. Eine bereits vorherige Weiterleitung durch seinen Vorgänger verfällt und entfaltet keine Bindungswirkung für ihn.246 Wenn die Berichterstattungspflicht auf der anderen Seite vor Ende der Wahlperiode noch nicht erfüllt wurde, bleibt diese nur bestehen, soweit sie auf einer gesetzlichen Pflicht beruht. Folgt sie dagegen aus einem einfachen Parlamentsbeschluss, entfällt diese Grundlage nach Eintritt der sachlichen Dis243 Zuvor fand sich die Regelung in § 126 GO-BT. Einen Überblick über ähnliche Regelung in den Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente findet sich bei Güth/ Kretschmer, Geschäftsordnungen deutscher Parlamente, 1968, Paragraph 125. 244 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 5; Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (693); Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 296. 245 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 57 [Lfg. 77 5/2016]. Nicht dazu gehören jedoch die von Klein genannten Fragen einzelner Abgeordneter an die Bundesregierung. Diese unterliegen als Kontrollrechte des Bundestags der sachlichen Diskontinuität, dazu S. 181. Andernfalls käme man zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass die Bundesregierung eine Große Anfrage nicht mehr beantworten müsste, die Einzelfragen einzelner Abgeordneter, die möglicherweise mittlerweile sogar aus dem Parlament ausgeschieden sind, aber schon. 246 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 296 f.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
kontinuität und somit auch die Berichtspflichten. Hier ergeben sich keine Unterschiede zu Großen Anfragen und den sonstigen Kontrollrechten des Bundestags gegenüber der Bundesregierung.247 Der Grund, warum Petitionen eine Ausnahme von der sachlichen Diskontinuität bilden, ist umstritten. Klar ist nur, dass sie sich allein aus § 125 GO-BT nicht ergeben kann, da eine Einschränkung des Verfassungsgrundsatzes der Diskontinuität nicht durch die parlamentarische Geschäftsordnung erfolgen kann.248 Zum Teil wird als Begründung angeführt, dass eingebrachte Petitionen sich an den Bundestag als abstrakt-institutionelles Organ richten und nicht an den konkretpersonellen Bundestag.249 Für das Verfassungsorgan gilt aber Organkontinuität, sodass danach einmal eingebrachte, aber vor dem Ende der Wahlperiode nicht erledigte Petitionen weiterbehandelt und nicht erneut eingebracht werden müssen.250 Dagegen spricht, dass bereits im Kaiserreich der Adressat der Petition das Parlament war,251 aber erst unter dem Grundgesetz Petitionen von der Wirkung des Diskontinuitätsprinzips (ausdrücklich durch Geschäftsordnungsbestimmung) ausgenommen worden sind. Davor galten Petitionen wie die anderen nicht beschlossenen Beratungsgegenstände am Ende der Handlungsperiode als erledigt und waren in den die sachliche Diskontinuität regelnden Geschäftsordnungsbestimmungen sogar explizit genannt.252 Deshalb ist die Auffassung überzeugender, welche die Ausnahme des Diskontinuitätsprinzips mit dem Wesen des Petitionsrechts als Grundrecht in Art. 17 GG begründet, der keine Einschränkbarkeit vorsieht.253 Hiergegen lässt sich jedoch wiederum anführen, dass dennoch eine
247 Zu den Kontrollrechten: S. 181. So auch Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (694); Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 297. 248 Zur rechtlichen Begründung des Diskontinuitätsprinzips als Prinzip mit Verfassungsrang: S. 217. 249 Bahlmann, Grundsatz der Diskontinuität, MVDA 1965, 189 (190); Dicke, in: Umbach/Clemens, 2002, Art. 39 Rn. 34; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 295; Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 90 [Lfg. 199 7/2019]; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 17 Rn. 109 [Lfg. 94 1/2021]; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 57 [Lfg. 77 5/2016]; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 89 f.; Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 4 d) a); Troßmann, GO-BT, 1977, § 126 Rn. 3.4; Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (165). 250 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 45c Rn. 4; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 48, 57 [Lfg. 77 5/2016]. Dagegen Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 62. 251 Vgl. Art. 23 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871. 252 Die Notwendigkeit einer Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips wurde 1850 in Preußen insbesondere auch mit Blick auf Petitionen begründet: S. 51. Zu den Problemen des Petitionsrechts im Kaiserreich: Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 17 Rn. 15 [Lfg. 94 1/2021]. 253 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 212, 460; Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 62 f.; Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV
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Einschränkung durch verfassungsimmanente Schranken in Betracht käme.254 Als solche könnte das Diskontinuitätsprinzip dienen. Folglich handelt es sich bei der Ausnahme für Petitionen in § 125 GO-BT um einen Ausdruck eines verfassungsrechtlichen Ausgleichs zwischen Petitionsrecht und Diskontinuitätsprinzip. Dennoch wäre es nicht verfassungswidrig, auch Petitionen durch das Diskontinuitätsprinzip zu erfassen.255 Das Argument für die allgemeine Diskontinuität, dass Beratungsgegenstände ihre Aktualität verlieren, trifft auch auf Petitionen zu. Sie können, sowie etwa Gesetzentwürfe, durch die Wahl eines neuen Bundestags ihre Behandlungsbedürftigkeit einbüßen, sodass es wünschenswert sein könnte, dass unerledigte Petitionen mit dem Ende der Legislatur verfallen. Bleiben sie aktuell, wäre es den Petenten wie Gesetzesinitiatoren auch zumutbar, sie erneut einzubringen, da eben nicht die Vorarbeiten der Petenten verfallen, sondern lediglich die gegebenenfalls bereits vollzogene parlamentarische Behandlung. Zwingend ist die Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip für Petitionen also nicht, wie auch der Blick auf die bereits angesprochenen früheren Ausgestaltungen zeigt. Dennoch ist es verfassungsrechtlich zulässig und angesichts der erwähnten historischen Erfahrungen zu seiner effektiven Durchsetzung gegebenenfalls sogar geboten, dass dem Petitionsgrundrecht Vorrang vor der absoluten Geltung des Diskontinuitätsprinzips eingeräumt wird, wie es die Ausnahme der § 125 GO-BT vorsieht.256 Schließlich ist noch fraglich, wie weit diese Ausnahme reicht. Zunächst ist festzuhalten, dass vom Diskontinuitätsprinzip nur die Petitionen selbst ausgenommen sein können, während der Petitionsausschuss an sich wie die sonstigen Organe des Bundestags der organisatorischen Diskontinuität unterliegt.257 Aller1973, 689 (693); Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 70; Michael, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 78. Ähnlich auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 295; Klein, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 57 [Lfg. 77 5/2016]; Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (165), die sowohl den Charakter als Grundrecht als auch die Adressierung an das abstrakte Verfassungsorgan als Gründe für die Ausnahme nennen. 254 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 17 Rn. 115 [Lfg. 94 1/2021]. 255 So aber Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 63. Die von ihm als verfassungswidrig genannten Geschäftsordnungsbestimmungen gelten so nicht mehr. § 116 Abs. 2 GO des Hessischen Landtags nimmt Petitionen vom Diskontinuitätsprinzip ausdrücklich aus. Anders § 92 GO des Berliner Abgeordnetenhauses, der weiterhin keine explizite Ausnahme vorsieht, aber durch die Ausnahmeregelung in § 13 Petitionsgesetz entsprechend ergänzt wird. 256 Entsprechende Ausnahmen sind auch in anderen Ländern wie Italien, Polen, Portugal, Slowenien, Spanien und Tschechien üblich (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Prinzip der Diskontinuität in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU, WD 3 – 014/07, 2007, S. 4). 257 Der Würzburger Abgeordnete Paul Alois Lehrieder (CSU) ist insofern ungenau, wenn er davon spricht, dass „der Petitionsausschuss nicht der sogenannten Diskontinui-
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dings ist zu fragen, ob die liegengebliebenen Petitionen nahtlos weiterberaten werden können oder lediglich die erneute Einbringung der Petition entfällt, die Beratungen aber von Neuem beginnen müssen. Für die erste Ansicht spricht, dass allein der Verzicht auf eine erneute Einbringung durch den Petenten bereits ausreicht, um die Bescheidung und damit die Wahrung der Rechte des Petenten aus Art. 17 GG zu sichern. Außerdem könnte eine schlichte Weiterberatungsmöglichkeit dazu führen, dass der neue Bundestag bzw. sein Petitionsausschuss zumindest partiell an den Willen seiner Vorgänger gebunden wäre. Für eine nahtlose Weiterberatungsmöglichkeit spricht aber, dass der neue Bundestag die Geschäftsordnung und damit auch die Ausnahmeregelung in § 125 regelmäßig übernimmt. Nur aus diesem Grund kommt überhaupt eine Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip zustande. Mit der Übernahme akzeptiert er dann aber auch die partielle Bindung seines Petitionsausschusses an den bisherigen Beratungsstand. Es ist also nicht der vorherige Ausschuss, der seinen Nachfolger bindet; vielmehr bindet der neue Bundestag seinen eigenen Ausschuss. Außerdem steht es dem neuen Petitionsausschuss auch frei, die bisherigen Beratungsergebnisse durch eigene Vorstellungen zu ersetzen. Auch der Wortlaut der Regelung in § 125 GO-BT lässt eine Weiterberatung zu, indem dort schlicht eine Ausnahme von der sonst umfassenden Erledigungswirkung formuliert ist.258 Wenn Petitionen am Ende der Wahlperiode nicht als erledigt gelten, bleiben sie in ihrem aktuellen Beratungsstand erhalten und werden danach fortgesetzt. So entspricht die Weiterberatung auch der gängigen Praxis.259 Im Ergebnis bildet die Petition jedoch die Ausnahme von der Regel, dass alle nicht erledigten Verhandlungsgegenstände mit dem Ende der Wahlperiode aufgrund der sachlichen Diskontinuität verfallen. Die verfallenden Gegenstände können zwar in der neuen Legislaturperiode erneut eingebracht werden. In diesem Fall beginnt der parlamentarische Prozess jedoch von Neuem. Damit bildet die sachliche Diskontinuität den Schlussstein des Diskontinuitätsprinzips, welches für die personelle Zusammensetzung, die parlamentarische Organisation und Arbeit eine Zäsur darstellt, die die alte von der neuen Wahlperiode trennt. Das ist gemeint, wenn Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG vom „neuen“ Bundestag spricht. tät unterliegt“, sodann aber von einem neu zusammengesetzten Ausschuss spricht (BTPlPr 18. WP/36. Sitzung v. 22.5.2014, S. 3053D). Dazu auch Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 45c Rn. 4. 258 Noch deutlicher formuliert es § 116 Abs. 2 GO des Hessischen Landtags, der tatsächlich von „weiter beraten“ spricht; vergleichbar auch § 15 Petitionsgesetz der Bremischen Bürgerschaft. Ähnlich wie für den Bundestag formuliert auch § 21 Satz 2 GO des Niedersächsischen Landtags, dass Eingaben in die nächste Wahlperiode „übernommen“ werden. Etwas anderes gilt für §§ 13 der Petitionsgesetze von Berlin und Brandenburg, nach denen für die unerledigten Petitionen lediglich der erneute Eingang fingiert ist. 259 Dazu etwa die Ausführungen des Abgeordneten Lehrieder, BT-PlPr 18. WP/ 36. Sitzung v. 22.5.2014, S. 3053D. Auch Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 45c Rn. 4.
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Das Diskontinuitätsprinzip stellt damit eine tradierte parlamentarische Regelung dar, die auch für den Bundestag des Grundgesetzes Geltung entfaltet. 3. Kapitel
Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für andere Verfassungsorgane Wenn auch im Detail umstritten, ist die Geltung des Diskontinuitätsprinzips für den parlamentarischen Bereich im Allgemeinen weithin anerkannt. Bei der Frage, ob und inwieweit das Diskontinuitätsprinzip auch außerhalb des Bundestages Anwendung findet, ist allgemein festzustellen, dass der Diskontinuitätsgrundsatz schon historisch stets auf das Parlament als Repräsentationsorgan beschränkt war. Auch unter dem Grundgesetz fehlen Anhaltspunkte, die auf eine Erweiterung auf andere Verfassungsorgane wie etwa den Bundesrat oder die Bundesregierung hindeuten.260 Um diese allgemeine Feststellung zu sichern, lohnt sich jedoch ein Blick ins Detail. So zeigt sich etwa, dass die für das jeweilige Organ geltende Periodizität zur Begründung des Diskontinuitätsprinzips nicht ausreichend ist. Der Vergleich mit den weiteren Verfassungsorganen liefert so wichtige Erkenntnisse auch für die Geltung des Diskontinuitätsprinzips für den Bundestag.
A. Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für den Bundesrat Dass das Diskontinuitätsprinzip für den Bundesrat keine unmittelbare Wirkung entfaltet, lässt sich zunächst damit begründen, dass der Bundesrat ein föderatives Organ ist, welches außerhalb des parlamentarischen Bereichs steht.261 Es handelt sich beim Bundesrat gerade nicht um eine gleichwertige zweite Parlamentskammer.262 Allein der Charakter als föderatives, außerparlamentarisches Organ kann allerdings die Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für den Bundesrat nicht erklären. Der Bundesrat nimmt in gewissem Maß die Funktion einer zweiten Kammer mit insbesondere legislativen Befugnissen wahr263, und das Diskonti260
BVerfGE 91, 148 (167); Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 57 f. Anders als hier ist dies für Jekewitz „der entscheidene Grund“ (Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 254). 262 BVerfGE 37, 363 (380). Umfassend, auch im Kontext zu vergleichbaren Organen anderer Länder: Eith/Siewert, Das „unechte“ Unikat: der Deutsche Bundesrat, in Riescher u. a. (Hrsg.), Zweite Kammern, 2010, S. 97 ff. So auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 58; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 254. Offener Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 49 ff. Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 280 Fn. 65. 263 Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 49 ff. 261
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nuitätsprinzip wurde zumindest auch dafür entwickelt, den Abschluss eines solchen Gesetzgebungsprozesses final herbeizuführen.264 Folglich bedarf es einer weitergehenden Begründung, warum der Bundesrat in der Verfassungspraxis ein Gesetzgebungsverfahren noch abschließen kann, nachdem der Entwurf den Bundestag verlassen und dessen Legislaturperiode geendet hat. Eine solche Begründung liefert das Grundgesetz, welches den Bundesrat nicht nur als föderatives, außerparlamentarisches, sondern auch als permanentes Verfassungsorgan konzipiert. Mangels Periodizität fehlt es folglich an einem Anknüpfungspunkt und damit einer Voraussetzung für Diskontinuität.265 Die Länderkammer kennt keine eigenständige Wahlperiode, da ihre Mitglieder gem. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GG von den Landesregierungen bestellt werden und Mitglieder eben dieser Regierung sein müssen. Seine personelle Zusammensetzung ändert sich nur, wenn einzelne Bundesratsmitglieder abberufen werden oder eine Regierungsumbildung insbesondere nach Neuwahlen in einem Land zum Verlust der Mitgliedschaft in der Landesregierung und damit auch im Bundesrat führt. Eine Gesamterneuerung kennt der Bundesrat nicht.266 Selbst wenn sämtliche Länderparlamente und -regierungen zu einem gemeinsamen Zeitpunkt gewählt würden, hätte die Wahlperiode keinen unmittelbaren Einfluss auf die Mitgliedschaft im Bundesrat, da die Mitgliedschaft in der Landesregierung und die Bestellung durch diese als Zwischenakt weiterhin von einem solchen gemeinsamen Wahltermin unabhängig wären. Auch eine Umbildung der Regierung oder die Abberufung und Neubestellung bliebe dann weiterhin während der gemeinsamen Wahlperiode stets möglich.267 Die Wahltermine in den Ländern haben nach der Konzeption des Grundgesetzes also in keinem Fall direkten Einfluss auf die Zusammensetzung des Bundesrates. Auch die Wahlperiode des Bundestages lässt sich nicht auf den Bundesrat übertragen, da das Grundgesetz die Länderkammer gerade nicht als zweite Parlamentskammer konzipiert hat. In Ländern mit einem Zwei-Kammer-System gibt die Wahlperiode einer Kammer typischerweise die gemeinsame Arbeitsperiode vor, an deren Ende Diskontinuität eintritt. So stellt die zweijährige Wahlperiode des Repräsentantenhauses der USA zugleich die Arbeitsperiode des Kongresses insgesamt dar, der daneben noch aus dem Senat besteht, welcher sich alle zwei Jahre nur um Drittel seiner Mitglieder erneuert. Eine solche Ausgestaltung sieht 264
Zur ursprünglichen Begründung im englischen Parlamentsrecht: S. 37. Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 253; Müller-Terpitz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 51 Rn. 49 [Lfg, 84 8/2018]; Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 15, 17, 160 ff. 266 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 58; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 253; Müller-Terpitz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 50 Rn. 51 [Lfg. 80 6/2017], Art. 51 Rn. 11, 13 [Lfg. 84 8/2018]; Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 15. 267 Müller-Terpitz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 51 Rn. 28 ff. [Lfg. 84 8/2018]. 265
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das Grundgesetz nicht vor, sodass der Ablauf der Wahlperiode des Bundestags den Bundesrat – wie schon festgestellt – unberührt lässt.268 Auch die Tatsache, dass der Bundesrat gem. § 3 seiner Geschäftsordnung ein Geschäftsjahr vom 1. November bis zum 31. Oktober des folgenden Jahres kennt, schafft alleine nicht die für den Eintritt von Diskontinuität notwendige Periodizität.269 Eine gewisse organisatorische Diskontinuität ist zwar darin zu erkennen, dass die Amtsperioden des Präsidenten, seiner Vizepräsidenten, der Schriftführer, der Vorsitzenden der Ausschüsse sowie des Vorsitzenden der Europakammer und seiner Stellvertreter gem. §§ 5, 10, 12, 45c GO-BR auf ein Jahr beschränkt sind. Dies wird in § 12 Abs. 3 und § 45c Abs. 3 noch dadurch abgesichert, dass bei einem frühzeitigen Ausscheiden ein Nachfolger nur für den Rest der laufenden Amtszeit gewählt werden kann. Dennoch dient die Regelung eines Geschäftsjahres eher der Strukturierung der Arbeit des Bundesrates. Dafür spricht, dass die Regelung in § 3 erst mit der Neufassung der Geschäftsordnung 1966 eingeführt wurde, während die ursprüngliche Fassung von 1950 keine entsprechende Regelung vorsah.270 Gegen eine zu starke Betonung der Bedeutung des Geschäftsjahres spricht auch, dass sich lediglich die Vorschriften zur Wahl der Schriftführer und der Ausschussvorsitzenden ausdrücklich auf das Geschäftsjahr beziehen, während beispielsweise der Bundesratspräsident schlicht „auf ein Jahr“ 271 gewählt wird.272 In § 5 Abs. 2 GO-BR findet sich auch nur der Hinweis, dass bei einer vorzeitigen Beendigung des Amtes des Präsidenten oder des Vizepräsidenten eine Nachwahl innerhalb von vier Wochen stattfinden muss. Eine Beschränkung auf das laufende Geschäftsjahr ist weder dort noch in Art. 52 GG vorgesehen. Damit wäre auch eine Amtszeit des Präsidenten unabhängig vom Geschäftsjahr theoretisch möglich.273 Schließlich betrifft das Geschäftsjahr also nur wenige Organe und diese auch keineswegs in einheitlicher Weise, sodass schon hier von keiner organisatorischen Diskontinuität gesprochen werden kann. Diese zeitliche Vorgabe stellt vielmehr lediglich einen Orientierungspunkt für die Amtsperiode dieser Untergliederungen dar. Insbesondere hat das Geschäftsjahr auf andere Organe oder auf die Mitglieder des 268
Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 58. Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 254; Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (509), Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, III § 3 GO Rn. 3; Sträter, Diskontinuität des Bundestages und der Bundesrat, DÖV 1973, 521. 270 Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, III § 3 GO Rn. 2. 271 Art. 52 Abs. 1 GG; ebenso „für ein Jahr“ gem. § 5 Abs. 1 GO-BR. 272 Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, III § 3 GO Rn. 3. 273 Praktisch beschränkt der Bundesrat die Amtsdauer bei einer Nachwahl typischerweise auf das laufende Geschäftsjahr. Dazu und der Frage, ob diese Praxis im Widerspruch zu Art. 52 Abs. 1 GG steht: Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, III § 5 GO Rn. 5, 16 ff. 269
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Bundesrates keinen Einfluss. So zeigt sich, dass das Geschäftsjahr eine gewisse zeitliche Gliederung schafft, allerdings gerade keine geschlossene Arbeitsperiode darstellen soll. Der Bundesrat ist im Ergebnis ein permanentes Organ in dem Sinne, dass er nicht nur als Verfassungsorgan wie der Bundestag permanent existiert, sondern anders als der Bundestag auch darüber hinaus permanent tagen kann.274 Als „immerwährendes Bundesorgan“ unterliegt auch die Geschäftsordnung des Bundesrates keiner Diskontinuität, sondern gilt bis zu einem Änderungsbeschluss fort.275 Mangels zeitlicher Unterbrechung sind auch Überbrückungsregelungen überflüssig. Der Verzicht auf mit Art. 45, 45a, 49 GG a. F. vergleichbare Regelungen, die zur Wahrung der Rechte des Bundestages zwischen den Wahlperioden zu Beginn der Bundesrepublik noch nötig waren, unterstreicht die Konzeption des Bundesrates als permanent handlungsfähiges Organ weiter.276 Die Permanenz der Tagung und der personellen Zusammensetzung sowie das Fehlen von regelmäßigen, einheitlichen Zeitpunkten der Legitimationserneuerung durch Wahlen sind deutliche Unterschiede des Bundesrates zum Bundestag und widersprechen dem Eintritt jeglicher Diskontinuitätselemente in personeller, organisatorischer und sachlicher Hinsicht.
B. Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für die Bundesregierung Für die Bundesregierung ist die Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips weniger eindeutig. Anders als der Bundesrat kennt die Bundesregierung Periodizität, indem der Bundestag gem. Art. 63 Abs. 1 GG zumindest den Bundeskanzler wählt, welcher wiederum die restlichen Regierungsmitglieder gem. Art. 64 Abs. 1 GG vorschlägt. Somit unterliegt auch die Bundesregierung insgesamt einheitlichen, demokratischen Legitimationsintervallen ähnlich jenen des Bundestages, deren Wirkung ebenfalls nach einer gewissen Zeit auslaufen muss. So endet gem. Art. 69 Abs. 2 GG auch die Amtszeit des Bundeskanzlers und der Bundesminister in jedem Fall mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages.277 An diesen Zeitpunkt ließe sich der Eintritt von Diskontinuität also leicht knüpfen. Gerade die regelmäßigen personellen Wechsel, die mit diesem Zeitpunkt des Zusammentritts eines neu gewählten Bundestages und damit auch dem Ende der Amtszeit 274 Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 15. Weniger differenziert, aber im Ergebnis ebenso: Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 58; Müller-Terpitz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 51 Rn. 49 [Lfg, 84 8/2018]. 275 Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 65 Rn. 111 [Lfg. 53 10/2008]; Müller-Terpitz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 52 Rn. 28 [Lfg, 87 3/2019]. 276 Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 39 Rn. 3. 277 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 59; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 254 f.
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der alten Regierung einhergehen, ließen sich als Teile einer personellen Diskontinuität bewerten. Auch für die Geschäftsordnung der Bundesregierung wird daher vertreten, dass diese dem Grundsatz der Diskontinuität unterfällt.278 Dem ist jedoch das Bundesverfassungsgericht mit dem Hinweis auf die historische Beschränktheit des Diskontinuitätsprinzips auf das Parlament und mit dem weiteren Argument entgegengetreten, dass auch bei Fortgeltung der Geschäftsordnung eine verbotene Bindung der neuen Regierung hinsichtlich des Innenrechts nicht zu befürchten sei, da jede neue Regierung die Geschäftsordnung jederzeit ändern könne.279 Zumindest das letzte Argument könnte so aber auch für die Geschäftsordnung des Bundestages gelten.280 Tatsächlich führt die Fortgeltung der bisherigen Geschäftsordnung zunächst zu einer Bindung der neuen Bundesregierung in ihrer Autonomie. Allerdings ist im Fall der Regierungsgeschäftsordnung die davon ausgehende Gefahr deutlich geringer als im Fall des Bundestags. Denn die bei der Geschäftsordnung des Bundestages beschriebene Situation, dass eine scheidende Parlamentsmehrheit angesichts der drohenden Wahlniederlage weitgehende Minderheitenrechte schafft und diese vor einer Änderung durch die neue Mehrheit durch entsprechende Hürden schützt, besteht so für die Regierung nicht. Unlösbare Spannungen, wie sie zwischen Regierungsmehrheit und Opposition im Bundestag entstehen und die eine schnelle Änderung unliebsamer Geschäftsordnungsbestimmungen unmöglichen machen könnten, sind innerhalb der Bundesregierung nicht zu befürchten. Schon aus diesem Grund ist die die Legitimation in zeitlicher Hinsicht begrenzende Wirkung des Diskontinuitätsprinzips für die Bundesregierung nicht nötig. Darüber hinaus wird nur der Bundeskanzler als ein wichtiges, aber eben nur ein einzelnes Regierungsmitglied gewählt, während die übrigen Mitglieder, ohne dass es einer vorherigen Wahl bedürfte, ernannt werden. Dies und die ohnehin bloß über den Bundestag abgeleitete demokratische Legitimation zeigt die geringere Bedeutung der Legitimationsschübe für die Bundesregierung. Auch insgesamt lässt das Grundgesetz der Amtsperiode der Bundesregierung keine große Bedeutung zu kommen. Das zeigt sich zum einen darin, dass sie in keiner Weise so klar bestimmt und abgrenzt ist wie die Wahlperiode des Bundestages. So enthält das Grundgesetz keine Bestimmung darüber, innerhalb welcher Frist eine Regierung zu bilden ist.281 Ebenso steht es dem Bundestag, – wenn auch unter den erhöhten Bedingungen des Art. 67 GG – frei, einen neuen Bun278 Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 65 Rn. 111 [Lfg. 53 10/2008]. BVerwGE 89, 121 (125, Rn. 31) legt das zumindest nahe, ohne es abschließend zu entscheiden. Ebenso Epping, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 65 Rn. 20. 279 BVerfGE 91, 148 (167). 280 Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 65 Rn. 111 [Lfg. 53 10/2008]. 281 Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 63 Rn. 16, 50 [Lfg. 52 5/2008].
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deskanzler zu wählen und damit jederzeit innerhalb der Wahlperiode die Neubildung der Regierung zu bewirken. Gleichfalls endet die Amtsperiode der gesamten Bundesregierung gem. Art. 69 Abs. 2 GG mit jeder Erledigung des Amtes des Bundeskanzlers. Eine solche kann von außen etwa durch Tod oder Verlust des passiven Wahlrechts des Kanzlers, aber auch von innen durch den Regierungschef selbst, etwa durch einen Rücktritt, herbeigeführt werden.282 Art. 69 Abs. 2 GG stellt daher im Ergebnis eher eine Art Höchstgrenze („endigt in jedem Fall“) für die Dauer der Amtsperiode dar.283 Eine solch freie, unbestimmte Gestaltung der Amtsperiode steht im Gegensatz zu den klar abgegrenzten Wahlperioden des Bundestags,284 die eine wesentliche Begründung für das Diskontinuitätsprinzip sind. Gegen eine starke Gewichtung der Amtsperiode der Bundesregierung spricht auch, dass das Grundgesetz zwar deren freie Gestaltung zulässt, umgekehrt aber sicherstellt, dass eine kontinuierliche Wahrnehmung der Regierungsgeschäfte gesichert ist. Eine Abwahl des Bundeskanzlers durch den Bundestag ist nur durch die Wahl eines neuen Bundeskanzlers mittels konstruktiven Misstrauensvotums aus Art. 67 GG möglich. Art. 69 Abs. 2 GG stellt sicher, dass die Amtszeit der Bundesregierung erst endet, wenn bereits ein neuer Bundestag versammelt ist und somit ein neuer Kanzler gewählt werden kann. Dennoch entstünde typischerweise eine Lücke, da ein neu gewählter Bundestag zwar zusammentritt und somit die Bundesregierung gem. Art. 69 Abs. 2 GG aus dem Amt scheidet, allerdings dennoch nicht unmittelbar ein neuer Bundeskanzler gewählt werden kann. Da nämlich der Bundestag gem. Art. 39 Abs. 2 GG 30 Tage nach der Wahl zusammentreten muss, die Koalitionsverhandlungen bis zu diesem Zeitpunkt allerdings regelmäßig nicht abgeschlossen sind, bedarf es einer „geschäftsführenden Regierung“.285 Daher schafft Art. 69 Abs. 3 GG die Möglichkeit, dass in diesem Fall oder auch bei sonstigen Erledigungsgründen bis zur Ernennung eines Nachfolgers die Regierungsgeschäfte von der bisherigen Regierung weitergeführt werden können.
282 Zu den Erledigungsgründen: Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art, 67 Rn. 2 ff., Art. 69 Rn. 39 [Lfg. 53 10/2008]. 283 Für Regierungen, für die wie ursprünglich im Saarland eine vergleichbare Regelung fehlt, bedeutet dies damit auch, dass die Regierung das Parlament „überlebt“, d. h. über die parlamentarische Wahlperiode hinaus unbeschränkt im Amt bleibt (dazu Knies, Kontinuität der Regierung?, JuS 1975, 420 (422 ff.)). 284 Zur Wahlperiode und deren Abgrenzung oben: S. 139. 285 In der 19. Wahlperiode fand die Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin erst in der 19. Bundestagssitzung im März 2018, also etwa ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl, statt (BT-PlPr 19. WP/19. Sitzung v. 14.3.2018, S. 1595A ff.). Auch wenn die Regierungsbildung damit ungewöhnlich lange dauerte, wurde Angela Merkel 2013 ebenfalls erst in der 4. Sitzung der 18. Legislaturperiode des Bundestags als Kanzlerin gewählt (BT-PlPr 18. WP/4. Sitzung v. 17.12.2013, S. 229C ff.).
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Diese Weiterführungsbefugnis umfasst dabei sämtliche Regierungsbefugnisse286 und übersteigt damit die früher zur Sicherung der parlamentarischen Rechte nötigen Überbrückungsvorschriften für den Bundestag in Art. 45, 45a und 49 GG a. F. deutlich.287 Konkret bedeutet dies etwa auch, dass Parlamentarische Staatssekretäre auch dann im Amt bleiben, wenn sie ihr Mandat im Bundestag zum Ende der Wahlperiode verloren haben.288 Die Regelung einer geschäftsführenden Bundesregierung unterstreicht, dass mehr noch als das Parlament die Regierung als Spitze der Verwaltung in besonderem Maße in der Lage sein muss, ihre Aufgaben möglichst ununterbrochen wahrzunehmen.289 Kontinuität ist somit das Ziel. Neben der historischen, auf das Parlament beschränkten Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips spricht also auch die Ausgestaltung der Regierung im Grundgesetz gegen die Ausdehnung des Grundsatzes auf diese. Obwohl Amtsperioden vorgesehen sind, sind diese in ihrer Bedeutung nur sehr schwach und gerade nicht geschlossen konzipiert, während eine kontinuierliche Wahrnehmung der Regierungsgeschäfte im Gegenteil als besonders gewichtig herausgestellt wird.
C. Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für den Bundespräsidenten Ähnlich wie die Bundesregierung kennt der Bundespräsident eine Periodizität in Form einer Amtsdauer von fünf Jahren gem. Art. 54 Abs. 2 GG. Diese unterscheidet sich dadurch von jener der Bundesregierung, dass sie klar umrissen ist. Dies spricht für die Geschlossenheit der Arbeitsperiode, welche für das Diskontinuitätsprinzip notwendig ist. Allerdings ist die Amtsperiode unabhängig von der Wahlperiode des Bundestages angelegt. Dieses Absetzen von dem tiefen Einschnitt am Ende der Wahlperiode deutet darauf hin, dass das Amt des Staatsoberhauptes gerade kontinuierlich angelegt ist.290 Darüber hinaus wäre es widersprüchlich, dass das Grundgesetz mit Blick auf die Erfahrungen der Weimarer Republik zwar das Amt des Bundespräsidenten schwächer und weniger auf die
286 Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 69 Rn. 60 [Lfg. 53 10/2008]; Pieper, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 69 Rn. 8. 287 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 59. 288 § 4 Satz 2 ParlStG. Dazu Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 74 [Lfg. 199 7/2019]; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 49. 289 Kämmerer verweist etwa auf eine „Funktionskontinuität in der Gubernative“ (in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 69 Rn. 30). In ähnlicher Weise verwendet auch Epping den Begriff des „Kontinuitätsprinzips“ (in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 69 Rn. 27). 290 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 255; Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (509).
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Person des Amtsinhabers konzipiert,291 um dann dem Wechsel der Person eine solche Bedeutung beizumessen, wie sie eine organisatorische und sachliche Diskontinuität bedeuten würde. Auch existieren für den Bundespräsidenten keine Unterorgane, die einer neuen Legitimation nach einem Amtswechsel bedürften. Daneben entstünde durch den Eintritt von sachlicher Diskontinuität auch kein Effektivitätsgewinn, da im Fall des Bundespräsidenten mehr dafür spricht, dass dieser als Einzelperson anders als der Bundestag die liegengebliebenen Verfahren ohne Schwierigkeiten aufarbeiten und deren Schicksal entscheiden kann. Vielmehr würde der Verfall von Gesetzentwürfen, die zur Ausfertigung beim Bundespräsidenten liegen, eine reine Behinderung des Gesetzgebungsprozesses darstellen. Zusammenfassend sprechen weder die Praxis noch theoretische Überlegungen dafür, dass der Bundespräsident unmittelbar vom Diskontinuitätsprinzip betroffen ist.
D. Die Bundesversammlung als Sonderfall Die Bundesversammlung wird in Angrenzung zu den soeben beschriebenen Verfassungsorganen regelmäßig als nichtständiges Verfassungsorgan beschrieben.292 Schon diese Bezeichnung legt eine gewisse Diskontinuität nah. Sie setzt sich aus den Abgeordneten des Bundestags und der gleichen Anzahl von den Länderparlamenten entsandten Wahlleuten zusammen293 und ihre einzige Aufgabe ist die Wahl des Bundespräsidenten.294 Sie ist in zeitlicher Hinsicht auf die Erfüllung dieser Aufgabe beschränkt, indem sie gem. § 9 Abs. 5 BPräsWahlG beendet wird, sobald der Gewählte die Wahl angenommen hat.295 Tat291 Waldhoff, „Weimar“ als Argument, JuS 2019, 737 (740). Ähnlich Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2021, Rn. 820. 292 Arnauld, in: von Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 54 Rn. 22; Butzer, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 2022, Art. 54 Rn. 39; Fritz, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 54 Rn. 206 [Lfg. 178 4/2016]; Nettesheim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, 2005, § 63 Rn. 1; Nierhaus/Brinktrine, in: Sachs, GG, 2021, Art. 39 Rn. 11; Stern, Staatsrecht, 1980, § 29 I 1. Ebenso weist Herzog auf die fehlende Permanenz hin (in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 54 Rn. 29 [Lfg. 54 1/2009]). 293 Braun, Die Bundesversammlung, 1993, S. 90 ff.; Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke, GG, 2022, Art. 54 Rn. 49; Nettesheim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, 2005, § 63 Rn. 4 ff.; Stern, Staatsrecht, 1980, § 29 I 1, 3 a), II 1. 294 Arnauld, in: von Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 54 Rn. 22; Fritz, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 54 Rn. 206 f. [Lfg. 178 4/2016]; Herzog, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 54 Rn. 29 [Lfg. 54 1/2009]; Nettesheim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, 2005, § 63 Rn. 1; Stern, Staatsrecht, 1980, § 29 I 1. 295 Bereits die Vereidigung der oder des Gewählten findet nicht mehr vor der Bundesversammlung statt, sondern später gem. Art. 56 GG vor den Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates, siehe etwa Braun, Die Bundesversammlung, 1993, S. 97 f.; Nettesheim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, 2005, § 63 Rn. 15; Stern, Staatsrecht, 1980, § 29 II 3. Nicht überzeugend ist es, wenn Herzog meint, die Bundesversammlung könne auch für die gesamte Dauer einer Wahlperiode gewählt werden (in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 54 Rn. 29 [Lfg. 54 1/2009]). Es ist schon nicht ersichtlich, welche Wahlperiode für eine solche andauernde Bundesversammlung ent-
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sächlich ähnelt die Bundesversammlung somit noch stärker als der Bundestag den frühen parlamentarischen Versammlungen, die punktuell, anlassbezogen zusammenkamen und unmittelbar wieder auseinandertraten, sobald ihr Zweck erreicht war. Damit liegt im Fall der Bundesversammlung eine geschlossene Handlungsperiode als Voraussetzung für Diskontinuität offensichtlich vor. Bereits die Darstellung der anderen Verfassungsorgane hat aber deutlich gemacht, dass zumindest der schlichte personelle Wechsel zwar im Sinne einer personellen Diskontinuität interpretiert werden könnte, aber nicht ausreicht, um die Bundesversammlung im Ergebnis insgesamt als diskontinuierlich zu beschreiben. So fehlt es bereits an einer organisatorischen Diskontinuität. Der Präsident des Bundestags leitet gem. § 8 Satz 1 BPräsWahlG die Sitzungen und Geschäfte der Bundesversammlung. Wesentliche weitere eigene Organe hat die Bundesversammlung nicht.296 Darüber hinaus sieht das Grundgesetz keine Geschäftsordnungsautonomie für die Bundesversammlung vor.297 Grundsätzlich findet die Geschäftsordnung des Bundestages auch in der Bundesversammlung Anwendung.298 Von der einfachgesetzlich vorgesehenen Möglichkeit sich eine eigene Geschäftsordnung zu geben, wurde zunächst kein Gebrauch gemacht.299 Auch, soweit sich die Bundesversammlungen zuletzt eine „eigene Geschäftsordnung“ gegeben habe, bestand diese regelmäßig lediglich aus einem Verweis auf die Geschäftsordnung des Bundestages mit minimalen Anpassungen.300 Eine echte Organstruktur, die im Sinne einer organisatorischen Diskontinuität mit dem Ende der Bundesversammlung verfallen könnte, ist darin nicht zu erkennen. Wichtiger ist jedoch, dass es bei der Bundesversammlung sachliche Diskontinuität nicht geben kann. Da die Bundesversammlung erst dann beendet wird, wenn sie ihre Aufgabe der Wahl des Bundespräsidenten erfüllt hat, kann es schon denklogisch am Ende ihrer Arbeitsperiode keine unerledigten Verhandlungsgegenstände geben. Es ist also ausgeschlossen, dass eine spätere Bundesversammlung die Arbeit einer früheren im Sinne einer sachlichen Kontinuität fort-
scheiden sein sollte. Darüber hinaus erlauben die regelmäßigen Verschiebungen zumindest bei den durch die Ländervertretungen gewählten Mitglieder keine solche Dauermandatierung (ähnlich Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 2022, Art. 54 Rn. 57). 296 Zu den Möglichkeiten der organisatorischen Unterstützung bei der Durchführung der Bundesversammlung: Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 2022, Art. 54 Rn. 63, 70. 297 BVerfGE 136, 277, Rn. 101 f.; Heun, in: Dreier, GG, 2015, Art. 54 Rn. 32; Nierhaus/Brinktrine, in: Sachs, GG, 2021, Art. 39 Rn. 16. Zweifelnd Arnauld, in: von Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 54 Rn. 32. 298 Vgl. § 8 Satz 1 BPräsWahlG. 299 Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 54 Rn. 25 [Lfg. 54 1/2009]. 300 BVerfGE 136, 277, Rn. 62, 101 f.; Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 2022, Art. 54 Rn. 69; Heun, in: Dreier, GG, 2015, Art. 54 Rn. 32.
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setzt.301 Wenn es aber keine Möglichkeit für Kontinuität gibt, kann es auch keine Diskontinuität geben.302 Im Ergebnis lässt sich lediglich der personelle Wechsel zwischen den einzelnen konkret-personellen Bundesversammlungen als diskontinuierlich beschreiben. Dagegen schafft sie sich regelmäßig keine wesentliche eigene Organisationsstruktur, die diskontinuierlich oder kontinuierlich sein könnte. Auch eine sachliche Diskontinuität kann es für die Bundesversammlung wegen ihres beschränkten, alles bestimmenden Versammlungszwecks der Wahl des Bundespräsidenten nicht geben. Indem die Bundesversammlung damit weder als kontinuierlich noch diskontinuierlich beschrieben werden kann, stellt sie insoweit einen Sonderfall gegenüber den übrigen Verfassungsorgane dar.
E. Auswirkungen des Diskontinuitätsprinzips außerhalb des parlamentarischen Bereichs Obwohl das Diskontinuitätsprinzip im Ergebnis auf den Bundestag beschränkt ist, jedenfalls für den Bundesrat, die Bundesregierung und den Bundespräsidenten keine unmittelbare Wirkung entfaltet, ist damit nicht gesagt, dass diese von dem Grundsatz gänzlich unbeeinflusst sind.303 Die vielfältigen Verschränkungen insbesondere im Bereich der legislativen Aufgaben führen vielmehr zwingend dazu, dass auch die Länderkammer und die Regierung von diskontinuierlichen Folgen zumindest mittelbar betroffen sind. Am deutlichsten wird dies dadurch, dass ins Parlament eingebrachte Gesetzesinitiativen unabhängig von ihrer Herkunft am Ende der Wahlperiode des Bundestages verfallen, soweit sie noch nicht erfolgreich den parlamentarischen Bereich wieder verlassen haben. Hat also der Bundestag über einen Entwurf des Bundesrates oder der Bundesregierung noch nicht endgültig Beschluss gefasst, gelten diese wegen der sachlichen Diskontinuität ebenso als erledigt, wie es für Entwürfe aus der Mitte des Bundestages der Fall ist.304 Soweit weiterhin Interesse an 301 So bereits gegen eine Fortsetzung der Arbeit durch dieselbe Bundesversammlung: Arnauld, in: von Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 54 Rn. 30; Heun, in: Dreier, GG, 2015, Art. 54 Rn. 36; Nettesheim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, 2005, § 63 Rn. 15. 302 Ein ähnlicher Gedanke findet sich bei Belz, der damit die Vorstellung einer personellen Diskontinuität mit Blick auf den Bundestag ablehnt (Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 60), dagegen und zu der Berechtigung, von einer personellen Diskontinuität zu sprechen, siehe S. 20. 303 Jekewitz, der gerade auch die Auswirkung im Verhältnis zum Bundesverfassungsgericht beschreibt (Einfluss des Endes der Wahlperiode, DÖV 1976, 657). 304 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 62; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 53 f. [Lfg. 77 5/2016]; Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 161. Weniger deutlich: Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 4; Dietlein, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 76 Rn. 43; Kersten, in:
3. Kap.: Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für andere Verfassungsorgane 201
deren Erlass besteht, müssen die Gesetzentwürfe erneut eingebracht werden.305 Keineswegs beschränkt sich die Wirkung des Diskontinuitätsprinzips bei Regierungs- und Bundesratsentwürfen darauf, lediglich die bereits stattgefundene parlamentarische Arbeit hieran verfallen zu lassen, sodass sie auch im neuen Bundestag als eingebracht gelten und erneut behandelt werden müssen.306 Schon historisch waren stets alle Gesetzentwürfe unabhängig von ihrem Initiator vom Diskontinuitätsprinzip betroffen, zumal die Initiativen zunächst stets vom Monarchen eingebracht wurden und die Parlamente das Recht zu eigenen Gesetzentwürfen erst bekamen, als das Diskontinuitätsprinzip bereits gemeinhin akzeptiert war.307 Zum anderen wird häufig das Interesse an den Gesetzentwürfen nach einer Bundestagswahl entfallen sein, sei es, weil die bisherige Regierungsmehrheit abgewählt wurde oder sich die Koalitionen, die Mehrheitsverhältnisse oder die Prioritäten geändert haben. Gerade solche in den Einbringungszustand zurückversetzte Gesetzentwürfe, an deren Verabschiedung möglicherweise kein Interesse mehr besteht, würden Altlasten darstellen, die das Diskontinuitätsprinzip gerade verhindern will. Schließlich wäre es eine Benachteiligung von Parlamentsentwürfen, wenn nur die Entwürfe aus der Mitte des Bundestages vollständig verfallen, während die Regierungs- und Bundesratsentwürfe lediglich zurückversetzt werden, aber auch im neuen Bundestag bereits zu Beginn der Wahlperiode als eingebracht gelten würden. Eine solche Benachteiligung der Parlamentsentwürfe wäre angesichts der gestiegenen Bedeutung des Parlaments kaum zu rechtfertigen. Damit ist im Ergebnis festzuhalten, dass die sachliche Diskontinuität für sämtliche beim Bundestag eingebrachte, nicht verabschiedete Gesetzentwürfe gleichermaßen gilt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Einbringung ist die Übergabe des Entwurfes an den Bundestagspräsidenten.308 Auf der anderen Seite hat ein Gesetzentwurf den parlamentarischen Bereich verlassen, wenn der Bundestag alles für seine Verabschiedung Nötige getan hat. Daraus ergibt sich die Frage,
Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 76 Rn. 116 [Lfg. 86 1/2019]. A. A. vertritt Michael, der sich ohne weitere Nachweise auf der Seite der „inzwischen herrschenden Auffassung“ sieht, aber die absolute Mindermeinung bildet. Er beruft sich auf eine Änderung der Praxis ab der 13. Wahlperiode, übersieht dabei jedoch, dass es dabei lediglich um die Frage geht, ob Regierungsvorlagen, die noch nicht beim Bundestag eingebracht wurden, vom Diskontinuitätsprinzip erfasst werden (in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 70 ff.; dazu sogleich S. 202). 305 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 6; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 17; Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 161. 306 So aber Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 75 f. 307 Hierzu oben die historische Entwicklung: S. 28 ff., insbesondere S. 53. 308 Dietlein, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 76 Rn. 43; Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 161.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
welche Auswirkungen das Ende der Legislaturperiode des Bundestages auf die Gesetzgebungsschritte vor und nach der Behandlung im Bundestag hat. Dieses Problem stellte sich bereits in ähnlicher Weise in der Weimarer Republik.309 I. Vorverfahren Die wesentlichen Verfahrensschritte vor der Einbringung eines Gesetzentwurfes in den Bundestag sind zunächst das organinterne Verfahren, um den Inhalt und die Einbringung eines Gesetzentwurfes zu beschließen, und im Anschluss daran das föderale Stellungnahmeverfahren gem. Art. 76 Abs. 2 und Abs. 3 GG.310 Nach Art. 76 Abs. 2 GG sind Vorlagen der Bundesregierung zunächst dem Bundesrat zur Stellungnahme zuzuleiten. In ähnlicher Weise muss die Bundesregierung bei Vorlagen des Bundesrates erst die Möglichkeit bekommen, ihre Auffassung darzulegen, indem Art. 76 Abs. 3 GG vorsieht, dass Bundesratsvorlagen durch die Bundesregierung dem Bundestag zugeleitet werden und der Bundesrat sie nicht direkt dem Bundestag zuleiten darf.311 Fraglich ist nun, ob und ggf. in welchen Fällen solche außerparlamentarischen Gesetzgebungsschritte wiederholt werden müssen, soll ein wegen sachlicher Diskontinuität verfallener Gesetzentwurf erneut beim Bundestag eingebracht werden. Hier müssen zwei Konstellationen unterschieden werden. Gesetzentwürfe, die bereits im Parlament eingebracht wurden, sind von jenen zu unterscheiden, bei denen die Legislaturperiode zu Ende ging, bevor sie ins Parlament eingebracht wurden.312 Welche Folgen es für bereits abgelaufene Verfahrensschritte hat, wenn die Legislaturperiode vor Einbringung ins Parlament zu Ende ging, wurde bisher im Wesentlichen mit Blick auf das Vorverfahren von Regierungsentwürfen diskutiert.313 Die Regierung kann nämlich das Vorverfahren durchführen und nach der
309 Zur außerparlamentarischen Auswirkung des Diskontinuitätsprinzips in der Weimarer Republik: S. 109 ff. 310 Zum föderalen Stellungnahmeverfahren: Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 76 Rn. 1 ff. [Lfg. 86 1/2019]; Pieper, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 40 Rn. 43 ff. 311 Zu der strittigen Frage eines eigenständigen Zuleitungsrechts des Bundesrates überzeugend: Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 76 Rn. 107 f. [Lfg. 86 1/ 2019]. 312 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 210 f.; Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 69; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 15 f., 22. Gegen eine solche Unterscheidung Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 281; Schweiger, Diskontinuität der Legislaturperioden, DÖV 1954, 161 (163). 313 Ausführlich Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 162 ff.; Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 257 ff.
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Stellungnahme des Bundesrats frei entscheiden, ob (und wann) sie den Entwurf beim Bundestag auch tatsächlich einbringt.314 Dagegen trifft sie im Fall einer Bundesratsvorlage die Pflicht, diese gem. Art. 76 Abs. 3 Satz 1 GG grundsätzlich nach sechs Wochen dem Bundestag zuzuleiten.315 Der hier relevante Zeitraum ist im Fall von Bundesratsentwürfen anders als bei Regierungsentwürfen also klar bestimmt und überschaubar. Für Bundesratsvorlagen ist es daher auch kaum praxisrelevant, dass die Wahlperiode endet, bevor sie weitergeleitet wurden. Selbst im Fall einer Auflösung dürfte die Frist eines begonnenen Verfahrens abgelaufen sein, bevor sich ein neuer Bundestag konstituieren konnte. Auch Gesetzgebungsverfahren, die bereits mit Blick auf die neue Wahlperiode – aber vor deren Beginn – durch den Bundesrat initiiert wurden, wird es wohl nicht geben,316 da der Bundesrat immer darauf vertrauen müsste, dass die Bundesregierung den Entwurf nicht schon vor der neuen Wahlperiode, dann aber an den alten Bundestag weiterleitet. Dennoch gilt sowohl für Bundesrats- wie auch für Regierungsentwürfe, dass sie vom Eintritt des Diskontinuitätsprinzips am Ende der Legislaturperiode nicht berührt werden, wenn sie noch im Vorverfahren stecken oder jedenfalls dem Bundestag noch nicht zugeleitet wurden.317 Zum Teil wird dagegen vertreten, dass auch schon in diesem Fall eine Wiederholung des Vorverfahrens zwingend ist. Diese noch in der Weimarer Republik herrschende, aber bereits dort nicht mit dem Diskontinuitätsprinzip erklärbare Meinung318 wird damit begründet, dass die Stellungnahme mit Blick auf einen konkret-personellen Bundestag abgegeben
314 Vgl. Fiedler, der insbesondere auch das Recht der Bundesregierung eigene Initiativen zurückzunehmen oder aufzuspalten darlegt („Aufspaltung“ von Gesetzentwürfen, ZRP 1977, 9 (11)). Ebenso Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 2015, Art. 77 Rn. 44, 75; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 76 Rn. 30. Dagegen und die freie Einbringungsmöglichkeit durch die Bundesregierung im Allgemeinen: Pestalozza, Ausspaltung des Bundesrates, ZRP 1976, 153 (154 f.). Zumindest kritisch zu einer verzögerten Weiterleitung: Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 76 Rn. 152. 315 Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 76 Rn. 99, 107 [Lfg. 86 1/2019]. 316 Das meint Bundesratsinitiativen, die bereits der Bundesregierung zur Stellungnahme weitergeleitet wurden. Initiativen des Bundesrates, die intern bereits in einer früheren Wahlperiode behandelt wurden, aber für die erst in einer neu beginnenden Wahlperiode das Gesetzgebungsverfahren initiiert werden soll, gibt es durchaus. In der Spitze wurden 40 Gesetzesanträge von Ländern bereits in der 12. Wahlperiode dem Bundesrat zugeleitet, welche aber trotz des Beginns der 13. Wahlperiode in dieser weiterbehandelt wurden. In der 17. und 18. Wahlperiode gab es allerdings nur noch eine bzw. vier solcher Vorlagen (vgl. Feldkamp, Datenhandbuch des Bundestages seit 1990, Kapitel 10.1, S. 2 (letzter Zugriff am 7.1.2022)). 317 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 69 f.; Brüning, in: Kahl/Waldhoff/ Walter, BK-GG, Art. 76 Rn. 177 [Lfg. 180 8/2016]; Dietlein, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 76 Rn. 44; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 76 Rn. 116 [Lfg. 86 1/2019]; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 58 [Lfg. 77 5/2016]. 318 Zur außerparlamentarischen Auswirkung des Diskontinuitätsprinzips in der Weimarer Republik oben: S. 109.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
werde, welcher nach dem Ende der Wahlperiode nicht mehr existiere.319 Diese Sichtweise stützt sich darauf, dass die Vorlage „zunächst“ gem. Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG dem Bundesrat zuzuleiten ist, mithin also der jeweils konkrete Bundestag eigentlicher Adressat ist.320 Darüber hinaus veränderten sich die politischen Verhältnisse regelmäßig durch die Wahl, sodass sich auch die zum Zeitpunkt der Stellungnahme herrschenden Motive und Vorstellungen typischerweise verändert hätten. Schließlich soll die Neuwahl des Parlaments als höchstes Verfassungsorgan und Ausdruck der Volkssouveränität die übrigen Organe schlicht „verfassungsrechtlich“ daran hindern, das Vorverfahren fortzusetzen.321 Tatsächlich war eine solche Wiederholung auch gängige Staatspraxis, seit der Bundesrat gegenüber der Bundesregierung das 1953 zunächst praktizierte direkte Einbringen in den Bundestag ohne erneutes Vorverfahren gerügt hatte.322 Eine entsprechende Praxis weist jedoch nicht zwingend auf eine Rechtspflicht zur Wiederholung hin. Die Bundesregierung hat stets die Auffassung vertreten, dass eine erneute Einbringung unnötig sei und die entsprechende Forderung des Bundesrates lediglich aus Rücksichtnahme akzeptiert.323 So bringt die Bundesregierung seit dem Übergang von der 12. auf die 13. Legislaturperiode entsprechende Vorlagen abweichend von der vorherigen Praxis direkt beim Bundestag ein, ohne dass dies vom Bundesrat gerügt wird.324 Der Bundesrat stimmt nunmehr bei verfallenen Vorlagen, die in der abgelaufenen Legislatur nicht im Bundestag eingebracht wurden, ebenfalls der Rechtsauffassung 319 Grewe, Betrachtungen, DVBl 1954, 114 (115); Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 286; Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 f. (622); Leinemann/Berrisch, Die parlamentarische Diskontinuität, FA 2005, 229 (230); Schweiger, Diskontinuität der Legislaturperioden, DÖV 1954, 161 (163); Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 169. Ähnlich Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 78. 320 Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 (622). 321 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 281 f.; Schweiger, Diskontinuität der Legislaturperioden, DÖV 1954, 161 (163). 322 Zu dieser Staatspraxis und deren Probleme insbesondere nach der Bundestagsauflösung 1972: Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 282 ff.; Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 ff.; Sträter, Diskontinuität des Bundestages und der Bundesrat, DÖV 1973, 521 (522); Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 162; Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 263 ff. 323 Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 280 Fn. 265 f. 324 Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 16; Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 268. Reuter hält dieses Vorgehen nur deshalb für möglich, weil diese Bundesratsbeschlüsse ausdrücklich ohne „Adressierung“ erfolgen, sodass der Bundesrat der Bundesregierung die Entscheidung überlasse, in welchen Bundestag die Vorlagen einzubringen sind (Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 167).
3. Kap.: Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für andere Verfassungsorgane 205
zu, dass diese dem Bundesrat nicht erneut zugeleitet werden müssen.325 Auch Regierungsvorlagen, die dem Bundesrat in einer vorherigen Wahlperiode zur Stellungnahme übermittelt wurden, zu denen der Bundesrat aber erst nach deren Ablauf Stellung genommen hat, werden durch die Regierung unmittelbar in den neuen Bundestag eingebracht.326 Darüber hinaus kann der politische Zusammenhang einer Stellungnahme als Begründung nicht entscheidend sein, da sich dieser auch innerhalb einer Wahlperiode ändern kann.327 In diesen Fällen wird aber auch kein neues Vorverfahren nötig. Der Bundesrat hat vielmehr über Art. 43 Abs. 2 GG eine ausreichende Möglichkeit, dem Bundestag seine veränderte Ansicht deutlich zu machen.328 Überdies gewichtet die Gegenansicht nicht ausreichend, dass diese Vorlagen den parlamentarischen Bereich noch nicht berührt haben. Das Diskontinuitätsprinzip entfaltet jedoch, wie bereits dargestellt, nur für den Bundestag unmittelbare Wirkung.329 Gerade darauf weist ja auch die Verwendung des Wortes „zunächst“ in Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG hin. Die Vorlage erreicht den Bundestag gerade noch nicht. Schließlich sprechen rein praktische Gründe gegen eine solche Überdehnung des Diskontinuitätsprinzips. Sie würde dazu führen, dass sowohl die Bundesregierung als auch der Bundesrat gegen Ende der Wahlperiode keine Vorbereitungen für zukünftige Gesetzesvorhaben mehr treffen könnten, obwohl sie im Gegensatz zum Bundestag insgesamt als kontinuierliche Organe ausgestaltet sind. Aus diesem Grund sind auch die Schritte des Gesetzgebungsverfahrens anderer Verfassungsorgane, die sogar noch vor dem Vorverfahren liegen, nicht zu wiederholen.330 Beschließen die Bundesregierung oder der Bundesrat nach ihren Geschäftsordnungen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, bleibt dieser Beschluss vom Diskontinuitätsprinzip unberührt, solange der Entwurf nicht ins Parlament eingebracht wird. Eine neue Bundesregierung oder ein veränderter Bundesrat kann das Verfahren also ohne erneuten Beschluss oder sonstige Verfahrensschritte vorantreiben, weil diese Verfassungsorgane in ihren Handlungen – anders als der Bundestag – kontinuierlich sind. Entspricht dies nicht mehr den aktuellen Zielen, be325 Vgl. Winands, der den Gesamtvorgang damals in den Akten des Bundeskanzleramtes dokumentiert hat (Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 267 f.). 326 Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (692). Dies ebenfalls anerkennend Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 (619); Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 167. 327 Dietlein, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 76 Rn. 44. 328 Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (692); Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 270. 329 Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (691 f.) 330 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 58 [Lfg. 77 5/2016]; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 17.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
darf es eines Rücknahmebeschlusses, der allerdings auch konkludent gefasst werden kann, indem das Verfahren schlicht nicht weiterverfolgt wird. Im Ergebnis kann ein Gesetzgebungsverfahren, welches den parlamentarischen Bereich noch nicht erreicht hat, also unberührt vom Diskontinuitätsprinzip fortgesetzt werden und muss nach Ende der Legislaturperiode des Bundestages jedenfalls nicht wegen des Diskontinuitätsprinzips von Neuem begonnen werden. Damit ist nicht gesagt, dass nicht andere Gründe wie etwa politische Überlegungen331 für eine erneuerte Abstimmung organintern und zwischen Bundesrat und Bundesregierung sprechen.332 Anders ist es, wenn die Vorlage tatsächlich in den Bundestag eingebracht wurde.333 In diesem Fall gilt der Entwurf als erledigt. Dies hat dieselbe Konsequenz, wie wenn er vom Bundestag abgelehnt worden wäre. Das Verfahren ist also beendet und muss, soweit es weiterhin im Interesse der Verfahrensparteien liegt, von vorne beginnen. Das bedeutet, dass zwar der alte Entwurf wieder aufgegriffen werden darf, allerdings muss er noch einmal nach der jeweiligen Geschäftsordnung beschlossen werden und insbesondere das Vorverfahren erneut durchlaufen.334 II. Verfahren zum Zustandekommen von Gesetzen Indem die auf den parlamentarischen Bereich beschränkte Wirkung des Diskontinuitätsprinzips beachtet wird, lassen sich auch die Fälle konsequent lösen, in denen der Gesetzentwurf den Bundestag bereits verlassen hat, jedoch das Gesetzgebungsverfahren vor dem Ende der Legislaturperiode noch nicht erfolgreich abgeschlossen wurde. Dies betrifft in erster Linie den Einspruch und die Zustimmung des Bundesrates gem. Art. 77 Abs. 2a, Abs. 3 und Abs. 4 GG und die Ausfertigung und Verkündung gem. Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG. In diesem Zusammenhang sei noch einmal daran erinnert, dass zwar bereits im englischen Staatsrecht, welches die Wirkung des Diskontinuitätsprinzips und die Differenzierung von Schließung und Vertagung erst entwickelt hat, eine Beschränkung auf den parlamentarischen Bereich vorgenommen wurde, dabei der Monarch als „King in Par331 Brüning, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 76 Rn. 179 [Lfg. 180 8/2016]; Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (692 f.). 332 Die Praxis des Weimarer Reichsrats seine Zustimmung auf die aktuelle Wahlperiode zu beschränken (vgl. oben S. 111), stellt für den Bundesrat allerdings keine Option dar, weil dieser lediglich ein Recht zur Stellungnahme hat, die keine zwingende Voraussetzung für den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens darstellt. Mit anderen Argumenten Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 286. 333 Zu Vorlagen des Bundesrates und der Bundesregierung, die in den Bundestag eingebracht wurden: S. 198. 334 Grewe, Betrachtungen, DVBl 1954, 114 (115), Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 260 f., 272 ff., die auch auf entsprechende Fälle hinweisen, in denen die Bundesregierung das Diskontinuitätsprinzip zu Beginn der Bundesrepublik nicht einhielt.
3. Kap.: Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für andere Verfassungsorgane 207
liament“ und dessen Sanktionsmöglichkeit aber ebenfalls hierdurch beschränkt wurden. Der König sollte als Teil des Parlaments, bevor er eine Parlamentsperiode endgültig beendete, dazu gezwungen sein, im Angesicht des versammelten Parlaments zu entscheiden, ob er ein Gesetz sanktionierte und in Kraft treten ließ.335 Auf die Wirkung der sachlichen Diskontinuität unter dem Grundgesetz übertragen, bedeutete dies, dass alle Gesetzesvorlagen erfasst würden, deren Gesetzgebungsprozess mit dem Ende der Wahlperiode noch nicht endgültig bis zur Verkündung abgeschlossen wären. Die genannten Gesetzgebungsschritte könnten von Bundesrat und Bundespräsident also nicht mehr vorgenommen werden. Als die deutschen Staaten im 19. Jahrhundert jedoch das englische System in diesem Bereich übernahmen, passte es nicht zu den monarchischen Vorstellungen, dass der König bestimmte Befugnisse nur als Teil des Parlaments ausüben können sollte. Indem man die Beschränkung des Diskontinuitätsprinzips auf das Parlament übernahm, die Figur des „King in Parliament“ aber als unpassend ablehnte, wurde die zeitliche Beschränkung der Sanktionsmöglichkeit durch das Diskontinuitätsprinzip nicht übernommen.336 In der Folge wurde nur noch die Beschränkung der unmittelbaren Wirkung des Diskontinuitätsprinzips auf das Parlament betont und eine zeitliche Eingrenzung für die Zustimmung des Staatsoberhauptes oder einer Länderkammer stets abgelehnt. Eine Änderung dieser tradierten Interpretation des Diskontinuitätsprinzips unter dem Grundgesetz lässt sich nicht erkennen, sodass auch für die genannten Handlungsschritte des Bundesrats und des Bundespräsidenten zu prüfen ist, ob die Gesetzesvorlage den parlamentarischen Bereich endgültig verlassen hat.337 1. Ausfertigung und Verkündung nach Art. 82 GG
Für zustande gekommene Gesetze im Sinne des Art. 82 GG ist dies in jedem Fall zu bejahen. Das Verfahren ist abgeschlossen, und der Bundestag muss sich mit der beschlossenen Vorlage nicht mehr beschäftigen. Der Bundespräsident kann und muss also ein verfassungskonformes Gesetz auch ausfertigen und verkünden, auch wenn seit dem Zustandekommen die Legislaturperiode geendet hat.338 Gleiches gilt für die Gegenzeichnung der Bundesregierung. Dies könnte theoretisch dazu führen, dass bereits eine neu gewählte Regierung ein Gesetz der
335 Zu dieser wichtigen Motivation des englischen Parlaments bei der Einführung des Diskontinuitätsprinzips oben: S. 33 ff.; insbesondere S. 37. 336 Zu der Übernahme des Diskontinuitätsprinzips oben: S. 42 ff. 337 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 211; Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 68. 338 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 68; Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (691); Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 279; Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (510); Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (513).
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
vergangenen Legislaturperiode gegenzeichnet.339 Dies ist angesichts der kontinuierlichen, nicht durch das Diskontinuitätsprinzip unterbrochenen Arbeit der Regierung jedoch nur konsequent. Für die angesprochenen Handlungen sind zwar keine Fristen bestimmt,340 nähmen die Organe sie jedoch unberechtigterweise nicht vor, könnte ein Organstreitverfahren gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG eingeleitet werden, mittels dessen der Bundestag vor dem Ende der Wahlperiode341 oder auch der neu gewählte Bundestag für seinen konkret-personellen Vorgänger eine Überprüfung verlangen kann, da die Rechte des Bundestages als abstrakt-institutionelles Organ verletzt wurden.342 2. Verfahren bei Gesetzesbeschlüssen nach Art. 77 GG
Komplexer ist die Wirkung des Diskontinuitätsprinzips auf Vorlagen, die vom Bundestag beschlossen wurden, aber noch nicht die Verfahrensschritte nach Art. 77 GG durchlaufen haben. Diese Schritte finden zunächst außerhalb des parlamentarischen Bereichs statt, da der Bundestagsbeschluss grundsätzlich der letzte Schritt ist, den das Parlament tun muss, damit das Gesetz zustande kommt. Das Diskontinuitätsprinzip bewirkt also zunächst nicht den Verfall solcher Vorlagen im Sinne einer sachlichen Diskontinuität. Auch wenn die Wahlperiode inzwischen abgelaufen ist, kann der Bundesrat der Vorlage zustimmen oder auf einen Einspruch verzichten.343 In diesen Fällen ist das Gesetz gem. Art. 78 GG zustande gekommen und das Diskontinuitätsprinzip kann keine Auswirkungen mehr auf dieses haben. Das Diskontinuitätsprinzip bewirkt also keine Befristung der Zustimmungsmöglichkeit des Bundesrats auf die Wahlperiode.344 Erst der 1994 eingeführte 339
Eine Pflicht zur Gegenzeichnung besteht in jedem Fall nur bei Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs (auch zur Funktion der Gegenzeichnung: Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82 Rn. 91 ff., insbesondere 104 [Lfg. 73 12/2014]). 340 Für die Gegenzeichnung: Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82 Rn. 107 [Lfg. 73 12/2014]. Für die Ausfertigung: Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82 Rn. 225 [Lfg. 73 12/2014]. Für die Verkündung: Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82 Rn. 250 [Lfg. 73 12/2014]. 341 So für den Fall der verzögerten Gegenzeichnung: Butzer, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 82 Rn. 109 [Lfg. 73 12/2014]. 342 So ist wohl auch Bethge zu verstehen, auch wenn er sich vorrangig mit bereits anhängigen Verfahren beschäftigt (in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 63 Rn. 80 f. [Lfg. 49 6/2016]). 343 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 68 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 273 f.; Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (509); Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 28 ff.; Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 172. 344 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 211; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 2015, Art. 77 Rn. 17; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 30. So aber noch vor Einführung des Art. 77 Abs. 2a GG Belz,
3. Kap.: Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für andere Verfassungsorgane 209
Art. 77 Abs. 2a GG verlangt ausdrücklich die Zustimmungsentscheidung „in angemessener Frist“ zu treffen.345 Ruft der Bundesrat jedoch den Vermittlungsausschuss an, muss bei der Frage, ob die Vorlage wegen der sachlichen Diskontinuität verfällt, genau unterschieden werden, in welchem Stadium sich das fortgesetzte Gesetzgebungsverfahren zum Zeitpunkt des Legislaturperiodenendes befindet und ob noch eine parlamentarische Handlung für das Zustandekommen des Gesetzes notwendig ist. Der Vermittlungsausschuss ist dabei kein Organ des Bundestages, aber ein Teil seiner Mitglieder sind Bundestagsabgeordnete346 und unterliegen als solche am Ende der Wahlperiode der personellen Diskontinuität, sodass auch der Vermittlungsausschuss als Ganzes mittelbar von der organisatorischen Diskontinuität des Bundestages erfasst wird.347 Das bedeutet, dass die Anrufung des Vermittlungsausschusses dazu führt, dass die Vorlage mit der Überleitung zum Vermittlungsausschuss wieder in den parlamentarischen Bereich hineintritt und von der sachlichen Diskontinuität am Wahlperiodenende erfasst werden kann. Die Vorlage verfällt also in jedem Fall, wenn der Ausschuss angerufen wird, nachdem die Wahlperiode bereits zu Ende gegangen ist. Für ein solches Vermittlungsverlangen hat der Bundesrat gem. Art. 77 Abs. 2 Satz 1 GG eine dreiwöchige Frist.348 Aber auch die Bundesregierung kann gem. Art. 77 Abs. 2 Satz 4 GG bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen den Vermittlungsausschuss anrufen. Sie muss dies zwar in „angemessener Frist“ tun, jedoch ist sie nicht an die Drei-Wochen-Frist gebunden.349 Nach dem Ende der Wahlperiode haben also sowohl der Bundesrat als auch die Bundesregierung die Möglichkeit, allein durch die Anrufung des Vermittlungsausschusses ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz zu verhindern. Das Gleiche gilt, wenn die Wahlperiode endet, noch bevor das Vermittlungsverfahren abgeschlossen worden ist. Ohne die Mitglieder des Bundestages, die wegen des Diskontinuitätsprinzips ihr Mandat verloren haben, kann der Ausschuss das Verfahren nicht beenden.350 Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 68 f.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 274. 345 Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 Rn. 105 [Lfg. 94 1/2021]; Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 172. 346 Gem. § 1 GOVA sind dies 16 von 32 Mitgliedern (Kersten, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 77 Rn. 35 [Lfg. 94 1/2021]). 347 Dazu S. 171. Wie hier Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 69; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 Rn. 78 [Lfg. 94 1/2021]. 348 Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 Rn. 51 [Lfg. 94 1/2021]. 349 Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 Rn. 58, 65 [Lfg. 94 1/2021]. 350 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 69; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 275; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 Rn. 78 [Lfg. 94 1/2021]; Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 2007, II Art. 50 GG Rn. 172. A. A. wohl Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (510).
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Das Gesetz ist in diesem Fall endgültig gescheitert. Es bedarf keines Einspruchs durch den Bundesrat mehr.351 Zum einen befindet sich die Vorlage während des Vermittlungsverfahrens im parlamentarischen Bereich und verfällt schon deshalb durch den Eintritt des Diskontinuitätsprinzips ohne weiteren Einspruch. Zum anderen verlangt Art. 77 Abs. 3 Satz 1 GG eine Beendigung des Vermittlungsverfahrens. Dem steht der Abbruch durch den Eintritt von Diskontinuität auch nicht gleich, wie ein Blick auf Art. 77 Abs. 3 Satz 2 GG zeigt, da die dort genannten Möglichkeiten des Fristbeginns durch den Abbruch nicht mehr eintreten können. Wenn der Bundesrat eine im Vermittlungsausschuss befindliche Vorlage vor dem Eintritt des Diskontinuitätsprinzips retten will, bleibt ihm aber die Möglichkeit, den Vermittlungsantrag rechtzeitig zurückzunehmen.352 Wurde das Vermittlungsverfahren dagegen erfolgreich beendet, kommt es auf das Ergebnis an. Schlägt der Ausschuss eine Änderung des Gesetzesbeschlusses vor, bedarf es gem. Art. 77 Abs. 2 Satz 5 GG eines erneuten Beschlusses des Bundestages. Endet die Legislatur vorher, wird der gesamte Entwurf von der sachlichen Diskontinuität erfasst. Wenn der Bundestag den Änderungsvorschlag aber noch vor Ende der Wahlperiode durch einen Beschluss annehmen oder ablehnen kann, obliegt es dem Bundesrat, über eine Zustimmung bzw. einen Einspruch zu entscheiden. Das Gleiche gilt, wenn der Vermittlungsausschuss keine Änderung vorschlägt, sodass ein erneuter Beschluss des Bundestages nicht notwendig wird. In beiden Fällen hat die Vorlage den parlamentarischen Bereich rechtzeitig wieder verlassen, sodass das Gesetz ohne eine weitere Handlung des Bundestages zustande kommen kann. Verweigert der Bundesrat dagegen seine Zustimmung, ist das Gesetz unabhängig vom Diskontinuitätsprinzip gescheitert. Erteilt er die Zustimmung oder erhebt er keinen Einspruch, ist das Gesetz zustande gekommen. Erhebt er dagegen Einspruch, tritt die Vorlage ein letztes Mal in den parlamentarischen Bereich ein, indem Art. 77 Abs. 4 GG dem Bundestag die Möglichkeit gibt, den Einspruch zurückzuweisen. Solange, bis der Bundestag einen solchen Beschluss gefasst hat, kann die Vorlage von der sachlichen Diskontinuität erfasst werden. Erst dann, aber dafür nun endgültig, hat das Parlament alles für das Zustandekommen des Gesetzes Notwendige getan. Das Diskontinuitätsprinzip hat nun keinen Einfluss mehr auf das Gesetz. Insgesamt zeigt sich, dass der Bundesrat und – in dem beschriebenen Fall – auch die Bundesregierung in der Endphase des Gesetzgebungsprozesses durch geschicktes Ausnutzen der auf die Wahlperiode beschränkten Legitimation des Bundestages die Möglichkeit haben, Gesetze zu verhindern, obwohl diese eine
351 352
So aber Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 69. Zu dieser Rücknahmemöglichkeit unten: S. 212.
3. Kap.: Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für andere Verfassungsorgane 211
parlamentarische Mehrheit gefunden haben.353 Diese Möglichkeit ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut der Verfassung, jedoch mittelbar hieraus, indem sie aus der Kombination von der Wirkung des Diskontinuitätsprinzips und den Mitteln resultiert, die das Grundgesetz in Art. 77 für Bundesrat und Bundesregierung vorsieht. Nach dieser Betrachtung sorgt das Diskontinuitätsprinzip so für weitere Optionen der Bundesregierung und vor allem des Bundesrates. Obwohl Einspruchsgesetze nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, kann kurz vor dem Ende einer Wahlperiode ein Einspruch und bei hohem Zeitdruck sogar die bloße Anrufung des Vermittlungsausschusses (auch durch die Bundesregierung) zu einem absoluten Veto werden.354 In dieser Situation kann sich der Bundestag zu Kompromissen genötigt sehen, die er nicht eingehen würde, wenn genug Zeit wäre, um das gesamte Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen und einen etwaigen Einspruch gem. Art. 77 Abs. 5 GG zurückzuweisen. Obwohl wichtig ist, erneut zu betonen, dass das Diskontinuitätsprinzip für den Bundesrat und die Bundesregierung keine unmittelbare Wirkung entfaltet, zeigen sich also dennoch mittelbare Auswirkungen, die die Durchsetzungsfähigkeit dieser Organe gegenüber dem Bundestag erhöhen. Dieser Effekt wird außerdem dadurch verstärkt, dass üblicherweise zum Ende der Wahlperiode eine besonders große Zahl von Gesetzen beschlossen wird.355 Auf der anderen Seite darf jedoch nicht übersehen werden, dass das Diskontinuitätsprinzip im Zeitraum vor dem Ende der Legislaturperiode den Bundesrat auch einschränken kann. In Fällen, in denen er die beschlossene Gesetzesvorlage grundsätzlich für nötig und begrüßenswert hält, aber in einzelnen Bereichen auf eine Änderung in einem gründlich durchgeführten Vermittlungsverfahren dringen könnte, muss er sorgfältig abwägen, ob er von diesem Recht Gebrauch machen will. Bei besonders großem Zeitdruck bleibt dann nur, die beschlossene Vorlage als Ganzes zu akzeptieren oder die eigentlich auch aus Sicht der Länder nötige und sinnvolle Vorlage gänzlich zu verwerfen und in der neuen Legislaturperiode von vorne zu beginnen.356 Diese Drucksituation kann der Bundestag dabei auch 353 Leinemann/Berrisch, Die parlamentarische Diskontinuität, FA 2005, 229; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 31. 354 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 276; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 28 f., 36 f. 355 Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 31. 356 Zu einem bayerischen Beispielsfall zu Beginn der Bundesrepublik: Schweiger, Diskontinuität der Legislaturperioden, DÖV 1954, 161 ff. Auch H. Schneider mahnt an, dass der Bundesrat zu einer solchen Abwägung gezwungen sein kann, auch wenn der zeitliche Druck auf den Bundesrat in dem von ihm erwähnten Fall des Finanzänderungsgesetzes 1967 nicht durch das Diskontinuitätsprinzip erzeugt wurde (Niedergang des Gesetzgebungsverfahrens, in: Ritterspach/Geiger (Hrsg.), FS für Gebhard Müller, 1970, S. 429).
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
absichtlich herbeiführen, sodass diese zwar mittelbare, aber einschränkende Wirkung des Diskontinuitätsprinzips für den Bundesrat hier mit einer Erweiterung der Durchsetzungsmöglichkeiten des Bundestages einhergeht. Als Handlungsoption bleibt dem Bundesrat dann regelmäßig nur, den Vermittlungsausschuss anzurufen bzw. den Einspruch einzulegen und, sollte keine rechtzeitige Einigung erzielt werden können, diese Maßnahme schließlich doch zurückzunehmen, um die Vorlage vor dem Verfall durch die sachliche Diskontinuität zu retten. Eine solche Rücknahme wirkt ex tunc und wäre folglich auch denkbar, nachdem die Wahlperiode bereits ausgelaufen ist.357 Aufgrund der Rückwirkungsfiktion wäre die Vorlage in diesem Fall gar nicht wieder in den parlamentarischen Bereich eingetreten und könnte somit vom Eintritt des Diskontinuitätsprinzips nicht erfasst werden. Fraglich ist dann jedoch, wie lange eine solche Rücknahme möglich ist. Unter gewöhnlichen Umständen bleiben dem Bundesrat für die Rücknahme eines Vermittlungsantrags bis zu einer Entscheidung des Vermittlungsausschusses,358 und für die Rücknahme eines Einspruchs hat er bis zu einem zurückweisenden Beschluss des Bundestages gem. Art. 77 Abs. 4 GG359 Zeit. Beide Ereignisse können jedoch nach dem Ende der Wahlperiode nicht mehr eintreten, sodass der Bundesrat in diesen Fällen über die Rücknahme frei entscheiden könnte, ohne an eine Frist gebunden zu sein. Die ursprünglichen Fristen aus Art. 77 Abs. 2 und Abs. 3 GG lassen sich nicht einfach übertragen, da diese Fristen auch unter gewöhnlichen Umständen nicht für eine solche Rücknahmeentscheidung gelten würden und keine vergleichbare Interessenlage vorliegt. Denkbar wäre zwar, das Ende der Wahlperiode als Grenze für eine entsprechende Rücknahme zu sehen, da dies auch am ehesten der ursprünglichen Idee des Diskontinuitätsprinzips entspricht, nach der das englische Parlament zum Ende einer Session endgültig Gewissheit darüber erlangen wollte, ob der Gesetzentwurf durch die Zustimmung des Königs wirksam werden würde. Allerdings wurde diese Vorstellung von Anfang an nicht ins deutsche Recht übernommen. Auch sonst lässt sich eine solche zeitliche Beschränkung des Rücknahmerechts des Bundesrates nicht mit dem Diskontinuitätsprinzip erklären. Wenn der Bundesrat alle sonstigen Handlungen wie das Einlegen eines Einspruchs auch nach
357 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 276; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 29 f. 358 Zur Rücknahme des Vermittlungsantrags: Dietlein, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 78 Rn. 8, 12.1; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 78 Rn. 13 [Lfg. 94 1/2021]; Kokott, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 77 Rn. 155 [Lfg. 167 5/2014]. 359 Zur Rücknahme des Einspruchs gem. Art. 78 Var. 4 GG: Dietlein, in: Epping/ Hillgruber, GG, 2021, Art. 78 Rn. 12; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 78 Rn. 11 [Lfg. 94 1/2021].
3. Kap.: Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für andere Verfassungsorgane 213
dem Ende der Wahlperiode vollziehen kann, wäre es nicht zu erklären, warum die Rücknahme eines solchen Einspruchs oder die Rücknahme eines Beschlusses der Anrufung des Vermittlungsausschusses als actus contrarius nicht mehr nach dem Wahlperiodenende erfolgen kann. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass der Bundesrat auch noch Wochen oder Monate nach dem Ende der Wahlperiode eine solche Handlung zurücknehmen könnte, um ein eigentlich bereits gescheitertes Gesetz der letzten Wahlperiode mitten in der Legislaturperiode eines neuen Bundestages doch noch zustande kommen zu lassen. Eine zeitliche Begrenzung ergibt sich jedoch nicht aus dem Diskontinuitätsprinzip, sondern gegebenenfalls aus dem Grundsatz der Organtreue.360 Aus der gleichen Überlegung folgt, dass der Bundesrat nach dem Ende der Wahlperiode nicht beliebig zwischen Einlegung und Rücknahme beispielsweise eines Einspruchs wechseln kann. Wenn die Wahlperiode beendet ist und der Bundesrat seine Ablehnung eines Gesetzentwurfes durch Einspruch und Anrufung des Vermittlungsausschusses zu diesem Zeitpunkt zum Ausdruck bringt, ist das Gesetz vielmehr endgültig gescheitert. Nimmt er eine solche Handlung nach dem Ende der Wahlperiode zurück, ist hierin seine finale Zustimmung zu sehen und das Gesetz ist zustande gekommen. 3. Zustimmung der Bundesregierung nach Art. 113 GG
Ähnlich den soeben beschriebenen Verfahren verlangt Art. 113 Abs. 1 GG für finanzwirksame Gesetze eine Zustimmung der Bundesregierung.361 Die Zustimmung kann wie alle anderen Handlungen außerhalb des Parlaments noch nach dem Ende der Wahlperiode erteilt werden. Wird sie verweigert, scheitert das Gesetz schon hieran und nicht am Diskontinuitätsprinzip. Darüber hinaus sieht Art. 113 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 GG ein Aussetzungsverlangen vor, mittels dessen der Gesetzgebungsprozess um bis zu sechs Wochen verzögert werden kann. Damit kann die Regierung verhindern, dass ein Gesetzentwurf rechtzeitig vor Eintritt der sachlichen Diskontinuität den parlamentarischen Bereich verlässt.362 Außerdem kann sie gem. Art. 113 Abs. 2 GG auch einen erneuten Parlamentsbeschluss verlangen und so einen bereits beschlossenen Entwurf zurück in den parlamentarischen Wirkbereich des Diskontinuitätsprinzips befördern, wo er mit dem Ende der Wahlperiode verfällt. Damit eröffnet sich sogar die – allerdings eher theoretische – Möglichkeit, dass eine auf neue Mehrheiten gestützte neue Regierung ein vom alten Bundestag wirksam beschlossenes Gesetz doch noch verhindert.363 Art. 113 GG hat trotz seiner nach dem Wortlaut fundamentalen
360 Zu dem Grundsatz: Schenke, Verfassungsorgantreue, 1977, passim; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 20 Rn. 225. 361 Zum Ganzen: Kube, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 113 Rn. 1 ff. [Lfg. 95 7/ 2021]; Reimer, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 113 Rn. 1 ff. 362 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 277. 363 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 278.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Bedeutung kaum praktische Bedeutung,364 stellt aber eine weitere Möglichkeit dar, wie das Diskontinuitätsprinzip genutzt werden kann, um unliebsame Gesetze zu verhindern, ohne die Zustimmung ausdrücklich zu verweigern. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Geltung des Diskontinuitätsprinzips nicht zur Folge hat, dass der gesamte Gesetzgebungsprozess innerhalb einer Wahlperiode ablaufen muss. Vielmehr können sämtliche Gesetzgebungsschritte auch nach dem Ende der Wahlperiode durchgeführt werden, solange sie nicht die Mitwirkung des Bundestags voraussetzen.365 Die sonstigen Verfassungsorgane können also weiterhin an einem vom Bundestag beschlossenen Gesetzentwurf arbeiten, indem etwa der Bundesrat oder im Fall von Art. 113 GG die Regierung dem Entwurf zustimmt oder der Bundespräsident das Gesetz ausfertigt und verkündet. So kann ein Gesetzgebungsprozess auch noch nach dem Ende der Wahlperiode abgeschlossen werden. Umgekehrt kann das Verfahren aber beispielsweise auch durch einen rechtzeitigen Einspruch noch zu diesem Zeitpunkt zum Scheitern gebracht werden. Eventuelle Reaktionen des Bundestages wie etwa die Zurückweisung eines Einspruchs können von diesem nämlich wegen des Diskontinuitätsprinzips nur innerhalb der Wahlperiode vorgenommen werden, in der auch der Gesetzesbeschluss getroffen wurde. Ein Mittel, welches im Regelfall den Gesetzgebungsprozess nur verzögern kann, wirkt dann in Kombination mit dem Diskontinuitätsprinzip wie ein absolutes Veto. III. Rechtsverordnungen Schließlich kann die Wirksamkeit von Rechtsverordnungen durch dem mit dem Ende der Legislaturperiode einhergehenden Eintritt von Diskontinuität beeinträchtigt werden, obwohl der Erlass von Rechtsverordnungen gem. Art. 80 ff. GG in den Bereich der Exekutive und damit den außerparlamentarischen Bereich fällt. Das betrifft Rechtsverordnungen, zu deren Inkrafttreten es eine parlamentarische Mitwirkung bedarf, da sich der Bundestag für ihren Erlass Zustimmungsund Änderungsvorbehalte eingeräumt hat.366 Wenn dem Bundestag die Verordnung für die Mitwirkungshandlung zugeleitet wurde, diese jedoch noch nicht vorgenommen wurde, befindet sich der Rechtsverordnungsentwurf ausnahmsweise im parlamentarischen Bereich. Wenn die Verordnung zum Zeitpunkt des
364 Kube, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 113 Rn. 4 [Lfg. 95 7/2021]; Reimer, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 113 Rn. 8 f. Dazu kritisch Schultz, Blick in die Zeit, MDR 1965, 718 (720). 365 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 68; Brüning, in: Kahl/Waldhoff/ Walter, BK-GG, Art. 76 Rn. 175 [Lfg. 180 8/2016]; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 2007, § 102 Rn. 41. 366 Zur generellen Zulässigkeit solcher Mitwirkungsvorbehalte: Remmert, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 80 Rn. 102 ff. [Lfg. 70 12/2013]; Uhle, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 80 Rn. 54 ff.
3. Kap.: Nichtgeltung des Diskontinuitätsprinzips für andere Verfassungsorgane 215
Endes der Legislatur noch nicht abschließend vom Parlament behandelt wurde, wird der Entwurf von der sachlichen Diskontinuität erfasst und verfällt.367 Die neugebildete Bundesregierung kann aber, soweit sie an der Rechtsverordnung festhalten will, den Entwurf in der neuen Wahlperiode noch einmal dem Bundestag zur Zustimmung vorlegen. Dieses Recht steht auch der gem. Art. 69 Abs. 3 GG geschäftsführenden Bundesregierung zu.368 Dabei wird jedoch stets nur der Entwurf einer Rechtsverordnung erfasst. Eine Rechtsverordnung an sich wird dagegen nach ihrem Inkrafttreten nicht vom Diskontinuitätsprinzip erfasst. Das gilt insbesondere auch für Rechtsverordnungen, deren Ermächtigungsgrundlage dem Bundestag einen Aufhebungsvorbehalt einräumt.369 Sie entfalten direkt nach Erlass durch die Exekutive so lange Wirkung, wie der Bundestag von seinem Aufhebungsrecht keinen Gebrauch macht. Gemeint ist hier der Bundestag als abstraktes Verfassungsorgan, sodass auch nach dem Ende der Wahlperiode des konkreten, zur Zeit des Erlasses der Verordnung versammelten Bundestages jeder neu legitimierte Bundestag eine Aufhebung verlangen kann.370 Anders als Rechtsverordnungen mit Zustimmungs- und Änderungsvorbehalt müssen jene mit einem bloßem Aufhebungsvorbehalt nicht, bevor sie wirksam werden, im Parlament eingebracht werden und können damit auch nicht vom Diskontinuitätsprinzip erfasst werden. Es handelt es sich hierbei also nicht um eine „Ausnahme von der Regel der Diskontinuität“, 371 sondern deren konsequente, auf den parlamentarischen Bereich beschränkte Anwendung. Damit lässt sich feststellen, dass der Erlass von Rechtsverordnungen als Aufgabe der Exekutive allgemein nicht vom Diskontinuitätsprinzip erfasst wird. Das Verfahren kann über zwei Wahlperioden hinweg ablaufen und daher auch durch zwei unterschiedliche Regierungskabinette betrieben werden. Gleichfalls kann eine gegebenenfalls notwendige Zustimmung des Bundesrates unabhängig vom Auslaufen der Legislaturperiode erteilt werden.372 Lediglich die parlamentarischen Handlungen, die nur ausnahmsweise aufgrund des Zustimmungs- oder Änderungsvorbehalts notwendig werden, finden als Ausfluss der ursprünglichen Regelungskompetenz des Bundestags im Bereich des Parlaments statt. Nur in dieser
367 Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 83 [Lfg. 199 7/2019]; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 289; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 89. 368 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 55 [Lfg. 77 5/2016]. 369 Etwas missverständlich: Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 55 [Lfg. 77 5/2016]. Wie hier Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 89; Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 4 b) b). 370 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 290. 371 So aber Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 55 [Lfg. 77 5/2016]. 372 Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (693); Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 288.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Phase handelt es sich bei der Vorlage einer Rechtsverordnung um einen Parlamentsgegenstand, der von der sachlichen Diskontinuität erfasst werden kann. Somit bestätigt die Betrachtung auch dieses Bereichs exekutiver bzw. gubernativer Rechtssetzung, dass sich das Diskontinuitätsprinzip nicht auf die Bundesregierung oder deren Handeln erstreckt, sondern dieser Grundsatz auf das Parlament beschränkt ist. Im Ergebnis lässt sich damit klar festhalten, dass lediglich die Zusammensetzung, die Organisation und die Verhandlungsgegenstände des Bundestages vom Diskontinuitätsprinzip betroffen sind. Die Bundesregierung und der Bundesrat müssen zwar zum Teil mittelbare Auswirkungen in Kauf nehmen, unterliegen selbst aber nicht dem Rhythmus von Abbruch und Neubeginn, sondern einer Kontinuität, die über die auch für den Bundestag geltende Organkontinuität hinausgeht. Dass das Diskontinuitätsprinzip im Übrigen nur für den Bundestag selbst gilt, obwohl sich zeitlich begrenzte Arbeits- und Legitimationsperioden auch bei den weiteren beschriebenen Verfassungsorganen finden, macht bereits deutlich, dass weder die schlichte Periodizität noch die zeitlich begrenzte Legitimation als Begründung für die Geltung des Diskontinuitätsprinzips für den Bundestag ausreichen. Wie im folgenden Teil ausführlich dargestellt wird, schafft erst die tradierte Vorstellung von der Geschlossenheit der parlamentarischen Handlungsperiode die Grundlage für das Diskontinuitätsprinzip. 4. Kapitel
Begründung des Diskontinuitätsprinzips Nach allem bisher Gesagten lässt sich festhalten, dass das Diskontinuitätsprinzip auch unter dem Grundgesetz Geltung entfaltet. Darüber hinaus gilt es nur für den parlamentarischen Bereich, wenn auch die übrigen Verfassungsorgane wie beschrieben indirekt davon betroffen sein können. Neben der rein rechtlichen Betrachtung mit einem Fokus auf die Rechtsgrundlage finden sich in der historischen Diskussion um das Diskontinuitätsprinzip auch stets politische Begründungen. Wie schon in der Weimarer Republik373 stellt sich etwa die Frage, warum das angeblich monarchische Prinzip auch unter einer demokratischen Verfassung gelten sollte und wie in der Bundesrepublik diese Einschränkung der parlamentarischen Arbeit politisch gerechtfertigt und wahrgenommen wird. Sowohl bei der nun folgenden rechtlichen Begründung als auch bei der anschließenden politischen Begründung liegt der Fokus auf der Frage, wie die sachliche Diskontinuität als Eingriff in die parlamentarische Arbeit zu rechtfertigen ist.
373 Zur Begründung des Diskontinuitätsprinzips in der Weimarer Republik oben: S. 114.
4. Kap.: Begründung des Diskontinuitätsprinzips
217
A. Rechtsgrundlage Nachdem das Diskontinuitätsprinzip allgemein anerkannt ist, soll zunächst dargestellt werden, wo es seine Rechtsgrundlage findet. Die Diskussion des Geltungsgrundes des Diskontinuitätsprinzips verläuft ähnlich zu den bereits aufgezeigten entsprechenden Überlegungen im deutschen Kaiserreich374 und in der Weimarer Republik.375 Auch im Grundgesetz wird das Diskontinuitätsprinzip als Begriff nicht erwähnt. Lediglich die Wirkung der sachlichen Diskontinuität wird in § 125 GO-BT explizit beschrieben. Die knappe Normierung scheint, einerseits im starken Kontrast zur allgemeinen Anerkennung des Diskontinuitätsprinzips in der Staatspraxis und der staatsrechtlichen Literatur zu stehen. Andererseits belegt das Fehlen von detaillierten Vorgaben aber auch die unumstrittene Geltung des Diskontinuitätsprinzips. Umso überraschender ist es, dass sich kaum um eine fundierte, rechtliche Begründung bemüht wird.376 Regelmäßig finden sich nur kurze Ausführungen, die sich mit widerstreitenden Begründungsansätzen kaum377 bis gar nicht378 auseinandersetzen. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass diese Begründungsschwierigkeiten lediglich die sachliche Diskontinuität betreffen,379 wie überhaupt die sachliche Diskontinuität regelmäßig den meisten Platz bei der Darstellung des Diskontinuitätsprinzips einnimmt.380 Da jedoch das Diskontinuitätsprinzip als 374
Zur rechtlichen Begründung im Kaiserreich oben: S. 84. Zur rechtlichen Begründung in der Weimarer Republik oben: S. 119. 376 Grewe spricht beispielsweise gar vom „Axiom der deutschen Staatsrechtslehre“ (Betrachtungen, DVBl 1954, 114). Ähnlich Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 (620); Leinemann/Berrisch, Die parlamentarische Diskontinuität, FA 2005, 229; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 8. 377 Vgl. dazu etwa Hilf, Unterbrechung der Diskontinuität, ZaöRV 1967, 742 (746); Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 61 [Lfg. 77 5/2016]; Pernice, Diskontinuität und Europäisches Recht, in: Gaitanides u. a. (Hrsg.), Europa und seine Verfassung, S. 147 f.; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 88. 378 Vgl. dazu etwa Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 3 ff.; Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 14; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2020, Art. 39 Rn. 5; Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 94 [Lfg. 199 7/2019]; Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 15 Rn. 78; Lang, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 39 Rn. 40, 43 [Lfg. 21 9/2007]; Magiera, in: Sachs, GG, 2021, Art. 39 Rn. 16; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, GG, 2022, Art. 39 Rn. 4; Schliesky, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, 2018, Art. 39 Rn. 15. 379 Vgl. dazu etwa Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 61 [Lfg. 77 5/ 2016]; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 24, 34. 380 Vgl. dazu allein diese Arbeit. Zum Teil wird der gesamte Grundsatz auch ausschließlich mit sachlicher Diskontinuität gleichgesetzt (etwa Schweiger, Diskontinuität der Legislaturperioden, DÖV 1954, 161 ff.; Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 257 ff.; Wolfensberger, Diskontinuität der Parlamente, 1923, S. 1. Ähnlich Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 7). 375
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
ein einheitliches Prinzip zu betrachten ist, welches lediglich Ausprägungen in personeller, organisatorischer und sachlicher Hinsicht aufweist, ist es nur konsequent, eine einheitliche rechtliche Begründung zu finden. Das Diskontinuitätsprinzip leitet sich nach der hier vertretenen Auffassung als Ganzes aus dem Wortlaut des Grundgesetzes ab. Alle anderen Begründungsansätze greifen sodann zu kurz oder sind jedenfalls nicht nötig.381 Nur vereinzelt finden sich Stimmen, die die Geltung des sachlichen Diskontinuitätsprinzips unter dem Grundgesetz im Gegensatz zu der sonstigen breiten Anerkennung verneinen.382 Müller383 begründet die Nichtgeltung damit, dass das Diskontinuitätsprinzip im monarchischen Konstitutionalismus auf die Eindämmung des Parlamentarismus gerichtet gewesen sei. Indem bereits der Weimarer Reichstag mit dem gewonnenen Selbstversammlungsrecht nicht mehr der durch das Diskontinuitätsprinzip verstärkten Fremdbestimmung unterlegen habe und zum wichtigsten Verfassungsorgan geworden sei, scheide eine Fortgeltung bereits in der Weimarer Republik und erst recht in der Bundesrepublik aus. Die gegenteilige Geschäftsordnungsbestimmung des Bundestages, die für Müller die einzige Rechtsgrundlage darstellen könne, sei folglich verfassungswidrig, weil sie gegen den „grundgesetzlichen Parlamentarismus“ verstoße. Nach dieser Auffassung ist der Bundestag darin frei, bisherige Gesetzgebungsschritte zu wiederholen, hierzu aber gerade nicht verpflichtet.384 Müller ist insofern zuzustimmen, als er erkennt, dass die gesteigerte Selbstbestimmung und Permanenz des Bundestages die Anerkennung der Geltung des Diskontinuitätsprinzips in Frage stellen,385 was insbesondere bei der seither noch weitergehenden Steigerung dieser kontinuierlichen Elemente beachtenswert ist. Jedoch ignoriert er, dass die Wahlperiode als geschlossene Arbeitsperiode fortbesteht und die so geschaffene Periodizität unabhängig von Eingriffen von außen, wie sie das Kaiserreich und selbst die Weimarer Republik noch kannte, die Grundlage für den Eintritt von Diskontinuität bildet.386 Erst der übermäßige Gebrauch des Schließungsrechts führte im Konstitutionalismus dazu, dass das Diskontinuitätsprinzip gegen den Parlamentarismus missbraucht werden konnte. 381 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 66; Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 (622). 382 Zumindest skeptisch: Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 22 ff. 383 Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (508). 384 Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (508). 385 Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (508) Fn. 19a. Ähnlich Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 28 ff. 386 Dazu insbesondere die Ausführung zur Begründung des (rein theoretisch gebliebenen) Eintritts von Diskontinuität am Ende der Legislaturperiode im Kaiserreich: S. 78; sowie die Begründung der Übernahme des Diskontinuitätsprinzips in die Weimarer Republik: S. 114.
4. Kap.: Begründung des Diskontinuitätsprinzips
219
Dies wurde dadurch gesteigert, dass der Kaiser im deutschen Reich anders als der englische König nicht selbst unmittelbar durch das Diskontinuitätsprinzip betroffen war. Das Diskontinuitätsprinzip ist jedoch entgegen allen (zeitgenössischen) Behauptungen im Kern gerade kein monarchisches Prinzip. Andernfalls ließe es sich auch nicht erklären, dass dieser Grundsatz bereits zu Beginn der Weimarer Republik, aber auch der Bundesrepublik gemeinhin anerkannt war. Es hat stets an die Vorstellungen von geschlossenen, für sich stehende und konzentrierte Arbeitsperioden angeknüpft, welche bis heute jedenfalls in Form von Wahlperioden im Staatsrecht unabhängig von Konstitutionalismus oder Parlamentarismus fortbestehen. Da das Diskontinuitätsprinzip damit bereits vor der parlamentarischen Demokratie existierte, scheidet umgekehrt jedoch ebenso aus, das Diskontinuitätsprinzip unmittelbar aus dieser ableiten zu wollen.387 Gegen Müllers Ansicht und darüber hinaus auch jede Ansicht, die den Geltungsgrund der sachlichen Diskontinuität im einfachen Recht sucht, spricht, dass das Diskontinuitätsprinzip den Bundestag von seiner Pflicht entbindet, sich mit eingebrachten Gesetzesvorlagen zu beschäftigen. Ein Initiativrecht wie Art. 76 Abs. 1 GG beinhaltet, dass der Initiator verlangen kann, dass der Bundestag seinen Entwurf berät und darüber grundsätzlich Beschluss fasst.388 Aufgrund der sachlichen Diskontinuität entfällt diese Verpflichtung jedoch zum Ende der Wahlperiode. Dies bedeutet, neben dem Eingriff in das Initiativrecht des Bundesrats und der Bundesregierung, auch eine Beschränkung des verfassungsrechtlichen Status der Abgeordneten, soweit sie einen Entwurf aus der Mitte des Bundestages einbringen. Ein solcher Eingriff in Verfassungsrechte kann nur durch einen Rechtssatz erfolgen, der ebenfalls Verfassungsrang hat.389 Damit wird deutlich, dass die sachliche Diskontinuität nicht allein durch die entsprechende Geschäftsordnungsbestimmung begründbar ist.390 Neben dem Verstoß gegen die Verfassung geht sie außerdem über die inneren Angelegenheiten, die durch die Geschäftsordnung geregelt werden können, hinaus, indem sie auch die Rechte des Bundesrates und der Bundesregierung ein387 So aber Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 94 [Lfg. 199 7/2019]; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 335. 388 BVerfGE 1, 144 (153). Zu dem sich daraus ergebenen Verhältnis zum Diskontinuitätsprinzip auch: NWVerfGH, NVwZ-RR 2000, 265 (267). 389 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 67. 390 So aber Müller, der auf § 126 GO-BT als Vorgängervorschrift zu § 125 GO-BT als Rechtsgrundlage verweist, so dann aber wie beschrieben die Geltung der sachlichen Diskontinuität gänzlich ablehnt (Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (508)). Ebenfalls skeptisch: Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 24, 34, 43, 70. Auch A. Leisner will „volle sachliche Diskontinuität“ nur aus der Geschäftsordnung ableiten, meint damit aber ein umfassendes Verbot verfallene Entwürfe überhaupt wieder aufzugreifen (Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 403), was sich so nicht aus dem Diskontinuitätsprinzip ableiten lässt.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
schränkt. Wer dem Diskontinuitätsprinzip also den Verfassungsrang abspricht, verneint dessen Geltung insgesamt.391 Die breite Anerkennung der Geltung der sachlichen Diskontinuität mindestens seit den sich nach dem Zeitalter des Absolutismus entwickelnden Parlamenten führt zu der immer noch herrschenden Meinung, dass es sich dabei um ein wie auch immer geartetes Gewohnheitsrecht handeln müsse.392 Soweit es sich dabei um Gewohnheitsrecht mit einfachem Gesetzesrang handeln soll,393 stößt dies auf die soeben beschriebenen Schwierigkeiten des Verstoßes gegen das Initiativrecht aus Art. 76 Abs. 1 GG. Der Rückzug auf ein Gewohnheitsrecht mit Verfassungsrang war dagegen schon in der Weimarer Republik problematisch, ist aber unter dem Grundgesetz wegen des besonderen Schutzes aus Art. 79 GG besonders schwer zu begründen. In jedem Fall ist ungeschriebenes Verfassungsrecht nur dann denkbar, wenn der gewonnene Rechtssatz nicht mit der geschriebenen Verfassung im Widerspruch steht. Jedoch ist selbst für solche Ergänzungen wenig Raum.394 Im Fall des Diskontinuitätsprinzips passt die Annahme von Gewohnheitsrecht jedoch schon deshalb nicht, weil die Geltung dieses Grundsatzes von Anfang an anerkannt war.395 Eine unmittelbare Anknüpfung an die parlamentarische Staatspraxis der Weimarer Republik bedarf wegen der Zäsur durch den Nationalsozialismus aber der weiteren Begründung.396
391 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 67 f. Insofern wenn auch mit etwas anderer Begründung konsequent: Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (508). 392 Für Verfassungsgewohnheitsrecht etwa Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 80; Haug, Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen, 1994, S. 62 f.; 75 f.; Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (690, 692); Magiera, in: Sachs, GG, 2021, Art. 39 Rn. 16; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2020, Art. 39 Rn. 5; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 61 [Lfg. 77 5/2016]; Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 15 Rn. 78; Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 76; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 2007, § 102 Rn. 43; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, GG, 2022, Art. 39 Rn. 4; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 39 Rn. 15; Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 4 a); Sträter, Diskontinuität des Bundestages und der Bundesrat, DÖV 1973, 521; Troßmann, GO-BT, 1977, § 126 Rn. 2. So wohl auch, aber zumindest für die sachliche Diskontinuität ablehnend: Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 209 f.; Lang, in: Friauf/ Höfling, GG, Art. 39 Rn. 40, 43 [Lfg. 21 9/2007]. 393 Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 14, 17; Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (162). Ähnlich Scheuner, der außerdem von einem Rechtssatz des einfachen Parlamentsrechts spricht, der sich auf die personelle Diskontinuität stützt (Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (512)). 394 Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 30 [Lfg. 72 7/2014]. Zum vorkonstitutionellen Gewohnheitsrecht auch: Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, 1972, S. 81 ff. 395 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 66. 396 Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, 1972, S. 82 f.
4. Kap.: Begründung des Diskontinuitätsprinzips
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Eine solche Konstruktion ist zur Begründung des Diskontinuitätsprinzips auch nicht nötig. Jekewitz397 zeigt diese Schwierigkeiten bei der Begründung mit Gewohnheitsrecht ebenfalls auf und nimmt – ohne einen solchen Rückgriff hierauf ausdrücklich abzulehnen – „ungeschriebenes materielles Verfassungsrecht“ als Rechtsgrund an. Dabei leitet er das Diskontinuitätsprinzip aus der Entscheidung des Grundgesetzes für die parlamentarische Demokratie, insbesondere Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 und Art. 39 Abs. 1 GG, ab. Das Diskontinuitätsprinzip ist jedoch weder Gewohnheitsrecht noch sonst ungeschriebenes Verfassungsrecht. Die personelle, organisatorische und sachliche Diskontinuität lässt sich als Ganzes unmittelbar aus dem Wortlaut der Verfassung ableiten.398 Für die personelle Diskontinuität ergibt sich dies schon aus der Befristung der Wahlperiode auf vier Jahre in Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG. Nach dem Ablauf dieser Zeit verfallen die Mandate und müssen neu besetzt werden.399 Weniger klar ist die Begründung der organisatorischen und sachlichen Diskontinuität. Zum Teil wird auch vertreten, dass sich aus der insoweit klar geregelten personelle Diskontinuität die beiden anderen Aspekte ergeben.400 Diese Ansicht steht allerdings im Widerspruch zu der Tatsache, dass historisch lediglich das Ende der Wahlperiode zum Eintritt von personeller Diskontinuität führte, während das Ende der für das Diskontinuitätsprinzip zunächst praktisch bedeutsameren Sitzungsperiode nur die organisatorische und sachliche Diskontinuität bewirkte.401 Würde der Rest des Diskontinuitätsprinzips aus der personellen Diskontinuität folgen, wäre eine solche Konstellation nicht zu erklären.
397 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 327 ff., insbesondere 335 f. 398 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 66; Lechleitner, Reichweite des Diskontinuitätsgrundsatzes, 2015, S. 7; Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 (621); Leinemann/Berrisch, Die parlamentarische Diskontinuität, FA 2005, 229 f.; A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 399; Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 70 f.; Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, 1972, S. 85 f. Ohne weitere Begründung ausdrücklich ablehnend Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 4 a). 399 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 209; Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 81; Haug, Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen, 1994, S. 75; Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 93 [Lfg. 199 7/2019]; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 49 [Lfg. 77 5/2016]; A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 399. 400 Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 75; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 88; Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (512); Troßmann, GO-BT, 1977, § 126 Rn. 1. Ebenfalls in diese Richtung: Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 327 f. Dagegen ausdrücklich Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 209. 401 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 60.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Zumindest Scheuner402 erkennt dies und macht hier eine Verschiebung in der Begründung aus. Er will die personelle Diskontinuität als Wechsel der personellen Zusammensetzung daher erst für die Zeit nach dem Wegfall der Sitzungsperioden in der Weimarer Republik als Begründung für die sachliche Diskontinuität heranziehen. Für die Zeit davor macht er als Begründung für die sachliche Diskontinuität seit den personell kaum wechselnden ständischen Versammlungen einen inneren, inhaltlichen Zusammenhang sämtlicher Vorlagen einer Sitzungsperiode aus. Dieser Zusammenhang sei jeweils durch die Schließungen durchbrochen worden, sodass die nicht behandelten Vorlagen verfallen seien. In der Tat verschob sich die Bedeutung der Arbeitsperiode in der Weimarer Republik zugunsten der Wahlperiode, weil die Sitzungsperiode faktisch weggefallen war. Dies ist deshalb bedeutend, weil vor der Zeit der Weimarer Republik Zahl und Umfang der Verhandlungsgegenstände die Dauer der Sitzungsperioden bestimmten bzw. bestimmen sollten, dagegen ab diesem Zeitpunkt die Wahlperiode den einzigen Arbeitsrahmen vorgegeben hat, innerhalb dessen der parlamentarische Handlungsbedarf erledigt werden mussten. Nach dem Wegfall der Sitzungsperioden beendete nicht mehr die aktive Handlung einer Schließung, nachdem alle Beratungsgegenstände tatsächlich oder aus der Sicht des Monarchen vermeidlich abgearbeitet wurden, die parlamentarische Arbeitsperiode, sondern ein Automatismus aufgrund des Bedürfnisses nach neuer Legitimität durch eine demokratische Wahl. Gerade diese Erneuerung der Legitimation führt aber ebenfalls zum Entstehen von abgeschlossenen Arbeitsperioden. Eben diese Arbeitsperioden bildeten stets den Anknüpfungspunkt für Diskontinuität. Damit begründet die personelle Diskontinuität, beschrieben als Wechsel der personellen Zusammensetzung, jedoch nicht direkt den Eintritt von sachlicher Diskontinuität, wie Scheuner meint, sondern der personelle Wechsel ist bloß der deutlichste Hinweis auf eine geschlossenen Arbeitsperiode. Mit dem Wegfall der Sitzungsperiode hat sich nur die Bedeutung der Wahlperiode für den Eintritt des Diskontinuitätsprinzips gesteigert. Auch vorher stellte die Legislatur eine geschlossene Arbeitsperiode dar, die mit dem Diskontinuitätsprinzip verbunden war.403 Die personelle Diskontinuität ist damit nur ein gleichrangiges, personelles Element des Diskontinuitätsprinzips. Richtigerweise begründet die durch die Notwendigkeit einer regelmäßigen Legitimationserneuerung geschaffenen, geschlossenen Arbeitsperioden den Eintritt des Diskontinuitätsprinzips sowohl in personeller, wie auch organisatorischer und sachlicher Hinsicht.404 Da die Schaffung von Wahlperioden außerdem wesentliche Voraussetzung der parlamentarischen 402 Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (512). 403 Zur Diskussion, ob die Wahlperiode schon im Kaiserreich mit dem Diskontinuitätsprinzip verknüpft war: S. 84. 404 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 3; ähnlich Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 12 f.
4. Kap.: Begründung des Diskontinuitätsprinzips
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Demokratie ist, die Jekewitz405 als entscheidende Begründung angeführten, lässt sich das Diskontinuitätsprinzip so zumindest mittelbar hierauf zurückführen. Unmittelbar kommt es für den Eintritt von Diskontinuität aber nicht auf die Legitimationserneuerung, sondern auf die Geschlossenheit der so erzeugten Wahlperiode an.406 Belege dafür, dass das Grundgesetz die Vorstellung früherer Verfassungsordnungen übernommen hat, dass die Wahlperiode als geschlossene Arbeitsperiode mit dem Diskontinuitätsprinzip verknüpft ist, finden sich in verschiedenen Grundgesetznormen. Schlüsselnorm und deshalb nicht umsonst regelmäßiger Standort der Kommentierungen407 zum Diskontinuitätsprinzip ist der schon zur Begründung der personellen Diskontinuität entscheidende Art. 39 Abs. 1 GG. Die Länge der Wahlperiode von vier Jahren spielt für die Geltung des Diskontinuitätsprinzips keine Rolle, aber das Grundgesetz schafft durch die schlichte Übernahme des Begriffs „Wahlperiode“ auch Arbeitsperioden des Parlaments. Da damit auch die Vorstellung übernommen wurde, dass diese Arbeitsperioden abgeschlossen sind und für sich stehen, spricht dies klar für die Übernahme des Diskontinuitätsprinzips. Wie die aufgezeigte historische Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips deutlich macht, war die „Wahlperiode“ nach dem bekannten, etablierten staatsrechtlichen Sprachgebrauch ein neuer, selbstständiger Arbeitsabschnitt und als solcher auch mit dem Diskontinuitätsprinzip verbunden.408 Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG unterstreicht die erzeugte Zäsur, indem dort von einem „neuen Bundestag“ die Rede ist. Der Bundestag ist in diesem Kontext nicht als ein einheitliches abstrakt-institutionelles Verfassungsorgan gemeint, sondern die Wahlperiode schafft einzelne konkret-personelle Bundestage, die getrennte, für sich zu begreifende Entscheidungsträger sind.409 Ein personell konkretisierter Bundestag verfügt insofern über eine begrenzte Lebenszeit in Form seiner eigenen Wahlperiode. Für die Übernahme der Vorstellung von geschlossenen Arbeitsperioden spricht ebenfalls, dass die frühere Praxis des Diskontinuitätsprinzips auch im Parlamen405
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 335. Anders als die Legitimationserneuerung ist diese Geschlossenheit kein wesentlicher Bestandteil des Demokratieprinzips, vgl. unten S. 230. 407 Vgl. etwa Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 3 ff.; Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 14 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2020, Art. 39 Rn. 5; Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 64 ff. [Lfg. 199 7/2019]; Lang, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 39 Rn. 40 ff. [Lfg. 21 9/2007]; Magiera, in: Sachs, GG, 2021, Art. 39 Rn. 11; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 48 ff. [Lfg. 77 5/2016]; Morlok, in: Dreier, GG, 2015, Art. 39 Rn. 22 ff.; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, GG, 2022, Art. 39 Rn. 4; H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 6 ff.; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 39 Rn. 13 ff. 408 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 61; A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 396 f. 409 Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 39 Rn. 3. 406
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
tarischen Rat präsent war. In der Diskussion im Hauptausschuss um die Einführung von Sitzungsperioden wurde unwidersprochen anerkannt, dass diese mit einem Verfall sämtlicher unerledigter Verhandlungsgegenstände und der Neukonstitution des Präsidiums verknüpft sein würden.410 Wenn also allgemein akzeptiert wurde, dass am Ende einer solchen Unterperiode des Bundestags sachliche und organisatorische Diskontinuität eintreten würde, musste dies erst recht für die Wahlperiode gelten.411 Hätte man das Diskontinuitätsprinzip, was ja bereits in vorherigen Verfassungsordnungen allgemein anerkannt war, beseitigen wollen, müssten sich hierfür Belege in den Beratungen zur Verfassung oder wenigstens zum Erlass der ersten Geschäftsordnung finden. Dies ist jedoch nicht der Fall, sodass im Umkehrschluss davon auszugehen ist, dass die Diskontinuität der Wahlperiode unausgesprochen mitgedacht wurde. Das Diskontinuitätsprinzip war so anerkannt, dass es keiner weiteren Normierung neben der Festlegung einer Wahlperiode brauchte. Allein mit der Übernahme der Wahlperiode, aufgeladen mit der hergebrachten Bedeutung, übernahm man also auch das Diskontinuitätsprinzip ins Grundgesetz. Dass die Wahlperioden geschlossen und singulär nebeneinanderstehen sollten, wird etwa auch dadurch deutlich, dass Art. 39 Abs. 2 GG a. F. explizit regelte, dass die Wahlperiode des Bundestages nicht vor dem Ende der vorangegangenen Wahlperiode beginnen konnte. Auch heute noch findet sich in Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG die klare Regelung, dass mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages die letzte Wahlperiode endet. Damit sind die einzelnen Wahlperioden zwar nahtlos aneinandergerückt, allerdings stehen sie immer noch abgeschlossen nebeneinander.412 Auch die durch diese Aneinanderreihung überflüssig gewordenen Überbrückungsvorschriften in Art. 45, 45a und 49 GG standen in der Tradition, die die parlamentarischen Arbeitsperioden als abgeschlossen betrachtet, indem dort die Ausnahmen von diesem Grundsatz geregelt wurden. Alle dort nicht geregelten Organe mussten ihre Tätigkeit mit dem Ende der Wahlperiode endgültig einstellen. Für eine Durchbrechung der geschlossenen Wahlperiode bedurfte es also einer expliziten Ausnahme durch die Verfassung. Daneben deuten die heutigen Vorschriften in Art. 45 ff. GG über die Organe, die der Bundestag zwingend schaffen muss, gleichfalls darauf hin, dass alle sonstigen Parlamentsorgane mit dem Ende der Wahlperiode auch ihr Ende finden und vom neuen Bundestag neu geschaffen werden müssen, sollte dieser sie weiterhin für notwendig erachten. 410 So sprach der Vorsitzende des Hauptausschusses Carlo Schmid (SPD) von „in sich geschlossenen Sitzungsperioden“, ähnlich die Äußerung des Abgeordneten Felix Walter (CDU) im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates (Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 14; so auch Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 61). 411 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 61. 412 Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924 v. 9.12.1976, S. 37.
4. Kap.: Begründung des Diskontinuitätsprinzips
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Art. 45 ff. GG stellen folglich Ausnahmen von der sonst freien Gestaltung des Bundestages bezüglich seiner Organisationsstruktur dar. In gleicher Weise spricht Art. 40 Abs. 1 GG für eine organisatorische Diskontinuität. Nicht nur ist die Vorschrift fast wortgleich mit Art. 26 WRV, was für sich schon dafür spricht, dass die in der Weimarer Zeit unbestritten geltende organisatorische Diskontinuität auch unter dem Grundgesetz fortgelten soll. Darüber hinaus sprechen aber auch die Formulierungen, der Bundestag wähle seinen Präsidenten und gebe sich eine Geschäftsordnung, dafür, dass damit nicht allein eine Kompetenzregel zwischen den Verfassungsorganen getroffen, sondern die Vorstellung ausgedrückt wurde, dass jeder konkret-individuelle Bundestag sein eigenes Präsidium wählen und seine eigene Geschäftsordnung schaffen soll. Damit wird klar, dass auch die organisatorische Diskontinuität in den Normen des Grundgesetzes ihren Niederschlag gefunden hat. Für die sachliche Diskontinuität ist diese Deutung zwar nicht ganz so eindeutig, jedoch ergibt die Gesamtschau auch hier ein klares Bild. So findet sich bereits in der Geschäftsordnung des ersten Bundestages in § 126 eine Regelung, welche die sachliche Diskontinuität vorsieht.413 Schon hieraus ergibt sich ein deutlicher Hinweis auf die herrschende Vorstellung von der Wahlperiode als abgeschlossene Arbeitsperiode. Aber auch der Verfassungsgeber hat bereits die auch in sachlicher Hinsicht in sich geschlossenen Arbeitsperioden in das Grundgesetz übernommen, indem er die mit dem Diskontinuitätsprinzip verbundene Begrifflichkeit der Wahlperiode verwendet und gleichzeitig die Geschlossenheit dieser Arbeitsperiode auch durch die genannten Hinweise auf die personelle und organisatorische Diskontinuität untermauert. Die Auslegung der angesprochenen Normen ergibt im Ergebnis in Bezug auf das Diskontinuitätsprinzip Fortgeltung dieses tradierten Grundprinzips unmittelbar aus dem Grundgesetz. So lässt sich auch leicht erklären, warum das Diskontinuitätsprinzip von Anfang an anerkannt war, ohne auf die problematische Konstruktion eines Verfassungsgewohnheitsrechts zurückzugreifen zu müssen. Der Geschäftsordnungsnorm kommt dann nur noch deklaratorische Wirkung zu.414 Im Ergebnis kann das Diskontinuitätsprinzip aktuell also Verfassungsrang beanspruchen, weil der Verfassungsgeber und die spätere Staatspraxis Wahlperioden im Einklang mit der bisherigen deutschen Verfassungstradition stets als abgeschlossene Arbeitsperioden angesehen haben und auch das Grundgesetz, insbesondere Art. 39, dementsprechend zu interpretieren ist. Daraus folgt, dass eine Einschränkung oder gar Beseitigung dieses Grundsatzes die Vorgaben von Art. 79 Grundsatz für eine Verfassungsänderung erfüllen muss.415 413 Vgl. die Bekanntmachung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom 28.1.1952, BGBl. II S. 389 ff., 402. 414 Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität, JZ 1973, 618 (622). 415 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 63.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
B. Kein zwingendes Verfassungsprinzip Angesichts der breiten Anerkennung selbst nach den tiefgreifenden historischen Umbrüchen und der dabei teilweise oberflächlichen Auseinandersetzung mit Begründungsansätzen für das Diskontinuitätsprinzips liegt es nahe, zu vermuten, dass es sich dabei schlicht um ein zwingendes Prinzip handelt. Wenn Diskontinuität stets mit jedem Parlament verbunden ist, wäre seine Geltung geradezu selbsterklärend und bedürfte keiner expliziten weiteren Rechtfertigung. Es könnte sich dabei sogar um ein unveränderliches Verfassungsprinzip handeln. Wie in den vorherigen Ausführungen zur Rechtsgrundlage gezeigt, ist das Diskontinuitätsprinzip eine Folge der Geschlossenheit der Wahlperioden. Da diese Wahlperioden wiederum eine Folge der Notwendigkeit von sich regelmäßig erneuernder Legitimation durch das Volk als Souverän sind, stellt sich die Frage, ob das Diskontinuitätsprinzip ein Teil des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 2 GG darstellt.416 Wie erwähnt, begründet insbesondere Jekewitz417 die Geltung des Diskontinuitätsprinzip auch unmittelbar mit der „Entscheidung der Verfassung für die parlamentarische Demokratie“ und nennt Art. 20 Abs. 2, Art. 38 und Art. 39 Abs. 1 GG als Rechtsgrundlage. Als Ausfluss des Demokratieprinzips könnte das Diskontinuitätsprinzip vor einer Reform durch die Ewigkeitsgarantie in Art. 79 Abs. 3 GG geschützt sein. Allerdings ist nicht jede Änderung des Demokratieprinzips dem verfassungsändernden Gesetzgeber entzogen. Solange eine Gesamtwürdigung eine ausreichende Verwirklichung der in Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Strukturelemente ergibt, sind auch „völlige Systemwechsel in der Staatsorganisation“ denkbar.418 Unabhängig vom Schutzumfang der Ewigkeitsgarantie ist das Diskontinuitätsprinzip dennoch kein geschützter Grundsatz eines demokratischen Rechtsstaats.419 I. Kein striktes Verbot des „Hinüberwirkens“ Die begrenzte Legitimation jedes konkret-personellen Bundestags auf „seine“ vierjährige Wahlperiode420 führt dazu, dass es dem jeweiligen Bundestag grund416 Etwa BVerfG, Beschl. vom 15.12.2015 – 2 BvL 1/12 – Rn. 53 deutet auf eine entsprechende Wechselwirkung hin, ohne näher auf das Diskontinuitätsprinzip einzugehen. In diese Richtung argumentiert auch Schliesky, der aber erkennt, dass dies (unmittelbar) nur für die personelle und gerade nicht sachliche Diskontinuität gilt (in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 39 Rn. 15, 18). 417 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 335. 418 So Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 79 Rn. 63 [Lfg. 72 7/2014]. Ähnlich Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (512); Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 100. 419 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 66. Zumindest für sachliche Diskontinuität so auch A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 402; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 25 f.
4. Kap.: Begründung des Diskontinuitätsprinzips
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sätzlich verwehrt bleibt, zukünftige Entscheidungen, für die nur sein Nachfolger legitimiert ist, vorwegzunehmen oder diesem aufzudrängen.421 Die so geschaffene Periodizität mit der Vorstellung von abgeschlossenen Legitimations- und Handlungseinheiten ist damit – wie bereits dargestellt – der Grund für Diskontinuität, spricht aber nicht gegen jede Fortführung von bereits durch einen früheren Bundestag getroffenen Entscheidungen. Ein neu gewählter Bundestag kann diese Entscheidungen wiederaufgreifen und ihnen damit neue Legitimität verleihen.422 Auch sonst folgt aus der Vorstellung der abgeschlossenen Legitimations- und Handlungsperiode kein „absolutes verfassungsrechtliches Verbot des Hinüberwirkens“ in dem Sinn, dass ein Parlament das Programm des nächsten nicht beeinflussen darf.423 Erstens scheidet ein solches Verbot als Begründung für sachlichen Diskontinuität schon aus, da es nicht erklären kann, warum ein Gesetzentwurf, sobald er in den Bundestag eingebracht ist und unabhängig von der Frage, ob er in irgendeiner Weise bereits beraten wurde, zum Ende der Wahlperiode verfallen sollte. Ohne Behandlung durch den bisherigen Bundestag kann sich auch kein „Hinüberwirken“ im Sinne einer präjudiziellen Wirkung ergeben.424 Insbesondere in früheren Diskussionen des Diskontinuitätsprinzips wurde der angeblich zwingend Eintritt von Diskontinuität darüber hinaus gerne damit beschrieben, dass ein Gesetz keine „zwei Väter“ haben könne.425 Will man in die-
420 Zur Wahlperiode als Rahmen für Legitimation des Bundestags und Grundlage des Diskontinuitätsprinzips oben: S. 139. 421 So auch Belz und Jekewitz, die in ihrer Argumentation zu weitgehend jede Beeinflussung oder Vorprägung ausschließen wollen (Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 51; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 247). Deshalb genauer: Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (690); Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 38. 422 Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (690); in diesem Sinne auch Bahlmann, Grundsatz der Diskontinuität, MVDA 1965, 189 (190); Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 2007, § 102 Rn. 43. 423 So aber Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 74 f.; Kochsiek, Alt-Bundestag, 2002, S. 76; Lechleitner, Reichweite des Diskontinuitätsgrundsatzes, 2015, S. 7, 15. Ähnlich auch Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 14; Morlok, in: Dreier, GG, 2015, Art. 39 Rn. 22; Schweiger, Diskontinuität der Legislaturperioden, DÖV 1954, 161 (162 f.); Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 4. Dagegen nennt Hilf das „Hinüberwirken (. . .) bedenklich“, weist aber in Fn. 66 daraufhin, dass jedes Parlament in gewissem Umfang in nachfolgende Legislaturperioden hinüberwirkt (Unterbrechung der Diskontinuität, ZaöRV 1967, 742 (756)). 424 Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (691). 425 Vgl. Hilf, Unterbrechung der Diskontinuität, ZaöRV 1967, 742 (747); Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 39 Rn. 18; Schweiger, Diskontinuität der Legislaturperioden, DÖV 1954, 161 (161, 163). Zumindest kritisch Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 211.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
sem etwas merkwürdig anmutenden biologischen Bild bleiben,426 überzeugt diese Vorstellung schon deshalb nicht, weil der Bundestag zwar verschiedene, personelle Ausformungen hat, allerdings als einheitliches abstraktes Verfassungsorgan trotzdem als ein einziger „Vater“ angesehen werden kann.427 Verengt man die Betrachtungsweise auf die einzelnen konkret-personellen Bundestage, hat ein Gesetz, welches in unterschiedlichen Wahlperioden beraten wurde, selbst dann nur einen „Vater“, da der letzte und abschließende Parlamentsbeschluss, der den Gesetzentwurf als beschlossenes Gesetz in die Welt bringt, auch nur von einem konkreten Bundestag getroffen werden kann.428 Der parlamentarische Schaffensprozess (man könnte noch bildhafter auch vom „Zeugungsakt“ 429 sprechen) endet eben erst mit diesem letzten Beschluss, der sowohl unmittelbar nach den Lesungen im Bundestag als auch erst nach Ablauf des Vermittlungsverfahrens durch die Zustimmung zu einem Vermittlungsvorschlag oder der erfolgreichen Zurückweisung eines Bundesratseinspruches erfolgen kann. Zweitens lässt sich ein solches angeblich verbotenes „Hinüberwirken“ deshalb nicht erkennen, weil einzelne Entscheidungen zwangsläufig bereits so unmittelbar wirken, dass ein neu gewählter Bundestag sie zurücknehmen, aber wegen ihrer faktischen, sozialen und politischen Wirkung nicht vollständig revidieren kann. So wurde bereits dargestellt, dass der Bundestag seine eigene Wahlperiode zwar nicht verlängern kann, eine Veränderung der Wahlperiode für die Zukunft aber möglich ist.430 Schon hieran wird deutlich, dass ein konkret-personeller Bundestag den abstrakten zeitlichen Handlungsrahmen seines Nachfolgers wesentlich beeinflussen kann. Daneben kann auch eine Anpassung weiterer Vorgaben weitreichende Auswirkung auf die Beschaffenheit und Arbeit des zukünftigen Parlaments, seiner Mitglieder und Organe haben. Solche Effekte sind beispielsweise bei Änderungen des Wahlgesetzes, des Parteiengesetzes und des Abgeordnetengesetzes zwingend, sodass sich ein „Hinüberwirken“ gar nicht verhindern lässt.431 Überdies bindet der Bundestag zum Teil seine Nachfolger, indem er obligatorische Ausschüsse durch einfachgesetzliche Regelungen vorgibt.432 426 Besonders kritisch Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (162 f.). 427 Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 36. 428 A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 400; Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (508); Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 4 a). 429 Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505 (508). 430 Zur Möglichkeit des Bundestages die Wahlperiode zu verlängern oben: S. 139. 431 Vgl. die Aufzählung solcher Regelungsgebiete, in denen ein Bundestag seine Nachfolger durch einfachgesetzliche Regelungen bindet: Kretschmer, in: Schneider/ Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 9 Rn. 38. 432 Zu den obligatorischen Organen oben: S. 158.
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Aber auch bei Fragen, die weniger eng mit dem Parlament verknüpft sind, ist die parlamentarische Arbeit zunehmend von Wahlperioden übergreifenden, langfristigen Entwicklungen wie Staatsschulden, Renten-, Gesundheits- und Klimapolitik und der europäischen Integration geprägt.433 Insofern wirkt ein Parlament in weiteren Wahlperioden fort und prägt bzw. beeinflusst mittelbar auch die Willensbildung des nächsten. Drittens führt selbst ein solch „Hinüberwirken“ nicht zu einer Vorgreiflichkeit, die den neuen Bundestag in seiner Entscheidungsfreiheit einschränkt und durch ein angebliches Verbot gerade verhindert werden soll. Auch bei Fortbestand der parlamentarischen Organisation und der nicht abgeschlossenen Beratungsgegenständen über die Grenzen einer Wahlperiode hinweg, bliebe der neue Bundestag darin frei, eigene Entscheidungen zu fällen. Er kann etwa eigene parlamentsinterne Regelungen oder Organe schaffen und damit die bisherige Organisationsstruktur (konkludent) abschaffen. Auch hinsichtlich übernommener Beratungsgegenstände steht es ihm frei, deren fortgesetzten Beratung zu beschließen oder den Gegenstand zu verwerfen. Erst wenn der neu gewählte Bundestag durch die Vielzahl der liegengebliebenen Vorlagen kein eigenes Programm mehr verwirklichen könnte, wäre er gehindert, seinen durch die Wahl erteilten Auftrag zu erfüllen. Der Verlust einer solchen Responsivität ist jedoch nicht zu befürchten. Zum einen würde mit der Übernahme der Entwürfe kein Zwang einhergehen, diese zeitnah und vorranging zu beraten. Aus diesem Grund bliebe der Bundestag weiterhin frei, seinem eigenen Gestaltungswillen zu folgen.434 Dem dadurch zu erwartenden Berg liegengebliebener Vorlagen ließe sich zum anderen ohne Schwierigkeiten durch eine erleichterte Beschlussfassung begegnen. Beispielsweise könnten aus der abgelaufenen Legislatur übernommene Entwürfe ohne weitere Aussprachen oder Beratungen mittels einfachen Beschlusses verworfen werden. Denkbar ist auch eine konkludente Ablehnung, wenn sich nicht innerhalb einer gewissen Frist ein Unterstützerquorum im neuen Bundestag findet. Weder die Nichtbehandlung noch die erleichterte Verwerfung solcher Entwürfe würden dabei das Recht der Initiatoren stärker einschränken, als dies das Diskontinuitätsprinzip bereits tut. Vielmehr würde die Fortgeltung der Entwürfe das Initiativrecht stärken, indem jede Initiative mit einer (konkludenten) Entscheidung abgeschlossen werden würde. Das Diskontinuitätsprinzip nimmt eine Entscheidung für eine Verwerfung des Bisherigen lediglich in allen Fällen vorweg und schränkt den Bundestag so bereits zu Beginn seiner Legitimationsperiode ein.435 433 Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 38. 434 Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 100. 435 Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (690); Jekewitz, Einfluss des Endes der Wahlperiode, DÖV 1976, 657 (661).
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
II. Alternativen zur Geschlossenheit der Wahlperiode Das Diskontinuitätsprinzip folgt zwar aus der Geschlossenheit der Wahlperiode, allerdings ist nur die Wahlperiode als Folge der zwingenden regelmäßigen Erneuerung der Legitimation des Parlaments durch das Volk vom Demokratieprinzip erfasst. Die Abschaffung von Wahlen und damit auch Wahlperioden ließe sich nicht mit dem Demokratieprinzip vereinen.436 Diese Wahlperiode muss jedoch nicht zwingend geschlossen sein. Eine weniger starke Zäsur wäre denkbar, indem man die Übergänge kontinuierlicher gestaltete. Ohne geschlossene Arbeitsperioden wäre aber das Diskontinuitätsprinzip nicht oder jedenfalls ohne ausdrückliche Normierung im Grundgesetz nur sehr schwer begründbar. Kontinuität als Gegensatz zur Geschlossenheit ließe sich somit ohne Verletzung des Demokratieprinzips sowohl in personeller, organisatorischer und sachlicher Hinsicht verwirklichen. In personeller Hinsicht scheidet wegen der Bedeutung der regelmäßigen Legitimationsschube für die Demokratie eine vollständige Kontinuität aus. Die Rückbindung jeder Staatsgewalt an das Volk sowie deren Ausübung durch Wahlen gem. Art. 20 Abs. 2 GG setzt im Wesentlichen nur regelmäßige Wahlen unter Beachtung der Wahlrechtsgrundsätze voraus. Bei deren Ausgestaltung auch durch einfaches Gesetz ist der Gesetzgeber dagegen freier.437 Als kontinuierlichere Ausgestaltung des Wahlrechts käme beispielsweise eine Formulierung in Betracht, die den bisherigen Inhabern von Direktmandaten ihr Mandat so lange sichert, bis ein anderer Bewerber bei einer Wahl mehr Stimmen bekommt. Diese Formulierung würde faktisch wenig ändern, da weiterhin der Bewerber mit den meisten Stimmen die Wahl gewinnen würde, dennoch würde personelle Kontinuität deutlich stärker betont. Die relativ geringe Verletzung der Gleichheit der Wahlbewerber könnte dadurch gerechtfertigt werden, dass die Erfahrung der bisherigen Mandatsinhaber die Funktionsfähigkeit des Parlaments sichert. Auch das vom US-amerikanischen Senat her bekannte Wahlsystem, wonach alle zwei Jahre jeweils ein Drittel der Mitglieder für sechs Amtsjahre gewählt werden, bricht eine einzelne geschlossene Wahlperiode so weit auf und schafft große Kontinuität.438 Übertragen auf den Bundestag könnte beispielsweise alle zwei Jahre eine Hälfte der Abgeordneten für vier Jahre gewählt werden. Dadurch würde ein konkret-personeller Bundestag nur noch für eine Arbeitsperiode von zwei Jahre bestehen. Noch dazu würde die Hälfte seiner Abgeordneten auch im 436
Magiera, in: Sachs, GG, 2021, Art. 39 Rn. 3. Butzer, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 38 Rn. 53, 114. 438 Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 15 Rn. 71. Zum Wahlsystem: Haas, Zweite Kammer erster Klasse: der US-Senat, in Riescher u a. (Hrsg.), Zweite Kammern, 2010, S. 32 ff. Ein ähnliches Modell gab es in den Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck (dazu S. 56) und war auch im Saarland vorgesehen (dazu Knies, Kontinuität der Regierung?, JuS 1975, 420 (424)). 437
4. Kap.: Begründung des Diskontinuitätsprinzips
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kommenden Parlament vertreten sein, sodass diese Arbeitsperiode nicht mehr als geschlossen beschrieben werden könnte. Das sind nur Beispiele: Es ist eine Vielzahl weiterer Varianten denkbar, die die bisherige Abgeschlossenheit der Wahlperioden auflösen und stärker personell kontinuierliche Elemente zulassen würden. Das soll lediglich zeigen, dass es Alternativen zur personellen Diskontinuität gibt. Gleiches gilt für die organisatorische Diskontinuität. Hier wäre stärkere Kontinuität besonders leicht umzusetzen, da schon heute in der Praxis die Parlamentsorganisation stark kontinuierlich ist.439 Sowohl die Unterorgane als auch die Geschäftsordnung werden in der Regel ohne große Änderungen vom Vorgängerparlament übernommen. Einzelne Organe des Bundestages wie die Ausschüsse in Art. 45 ff. GG sind schon heute verfassungsrechtlich vorgeschrieben und in ihrer Existenz kontinuierlich. Ebenso existieren obligatorische Organe, die einfachgesetzliche vorgesehen sind.440 Der Eingriff in die Organisationsfreiheit des Bundestages wäre gering, wenn dieser sämtliche Organe seines Vorgängers übernehmen müsste, diese aber weiterhin jederzeit abschaffen bzw. umgestalten könnte. Ebenso birgt die Fortgeltung der Geschäftsordnung zwar gewisse Missbrauchsgefahren, denen jedoch etwa durch erleichterte Änderungsmöglichkeiten ausreichend begegnet werden könnte. Etwaiger Missbrauch wird darüber hinaus auch dadurch verhindert, dass eine fortgeltende Geschäftsordnung weiterhin mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Demokratieprinzip, im Einklang stehen müsste. Schließlich lässt sich im Bereich der Parlamentsorganisation die Geschlossenheit der Wahlperiode beispielsweise außerdem dadurch aufbrechen, dass die Amtszeiten des Präsidiums den historischen Vorbildern folgend etwa auf ein Jahr verkürzt werden. Verbunden mit den, durch die soeben angesprochenen personellen Teilerneuerungen, dann zweijährigen Arbeitsperioden müsste die Wahlperiode als geschlossene Einheit wohl als aufgelöst gelten. Für das Diskontinuitätsprinzip wäre dann kein Raum. Noch weniger einschneidend als die bisher beschriebenen Umgestaltungen, aber ebenso leicht vorstellbar, wäre die Möglichkeit des Bundestags, entgegen der bisherigen sachlichen Diskontinuität eingebrachte Gesetzentwürfe auch abschließend zu beraten und darüber Beschluss zu fassen, selbst wenn sie aus einer früheren Wahlperiode stammen. Dass dem ein angebliches „Verbot des Hinüberwirkens“ nicht entgegensteht, wurde bereits ausgeführt. Darüber hinaus gibt es kein stichhaltiges Argument, warum nicht zwei Bundestage an einem Gesetz arbeiten können sollten. Es macht praktisch keinen Unterschied, ob ein Bundestag sich entschließt, die Vorarbeiten seines Vorgängers schlicht fortzusetzen, oder ob 439 Zu der regelmäßigen Übernahme der organisatorischen Organisation unten: S. 252. 440 Zu den obligatorischen Organen oben: S. 158.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
diese formell verfallen und die vorherigen Beratungsergebnisse mittels eines neuen Entwurfs sowie eines beschleunigten Verfahrens unter Ausnutzung sämtlicher prozeduraler Spielräume erreicht werden.441 Äußerlich ist in letzterem Fall zwar die sachliche Diskontinuität gewahrt, tatsächlich werden aber in beiden Fällen die Folgen des Diskontinuitätsprinzips vergleichbar umgangen. Die aufgezeigten Beispiele sind dabei teilweise willkürlich gewählt und ließen sich beliebig variieren. Festzuhalten bleibt, dass das Diskontinuitätsprinzip weder in personeller noch in organisatorischer und sachlicher Hinsicht zwingend ist. Das Diskontinuitätsprinzip setzt zwar die geschlossene Wahlperiode voraus. Dagegen setzt das Demokratieprinzip lediglich die Wahlperiode, jedoch nicht deren Geschlossenheit voraus. Da also die Geschlossenheit für die Demokratie nicht notwendig ist, ist es auch das Diskontinuitätsprinzip nicht. Auch ein angebliches Verbot des „Hinüberwirkens“ darf nicht so absolut verstanden werden, dass es jeden Einfluss eines Bundestages auf seinen Nachfolger und dessen Programm verbietet. Im Ergebnis ist das Diskontinuitätsprinzip daher kein Bestandteil des Demokratieprinzips und kein zwingendes Verfassungsprinzip, sodass es auch nicht von der Ewigkeitsgarantie in Art. 79 Abs. 3 GG geschützt wird.
C. Wiederholte Verschiebung in der Begründung des Diskontinuitätsprinzips Wenn das Diskontinuitätsprinzips also kein zwingendes Verfassungsrecht ist, stellt sich die Frage, aus welchem Grund auch das Grundgesetz der langen Verfassungstradition folgend das Diskontinuitätsprinzip übernommen hat. Dabei ist eine wiederholte Verschiebung in der Begründung des Diskontinuitätsprinzips zu erkennen. I. Überkommene historische Begründungsansätze Gerade die Rechtfertigungen für das Diskontinuitätsprinzip, die auf bestimmten historischen Vorstellungen fußen, lassen sich heute nicht mehr halten. Der ursprüngliche Grund des englischen Parlaments, die Auswirkungen des Diskontinuitätsprinzips zu akzeptieren, ging bereits bei der ersten Übertragung dieses Prinzips in das deutsche Staatsrecht unter. Das Diskontinuitätsprinzip diente in England gerade dazu, die Fälligkeit von Diäten sowie eine finale Entscheidung über ein Gesetzesvorhaben herbeizuführen, indem die königliche Gesetzessanktion vor dem Schluss der Parlamentsperiode erteilt werden musste und so stärker unter die parlamentarische Kontrolle gestellt wurde.442 Da der „King in Parliament“ dem deutschen Staatsrecht jedoch fremd gewesen ist, führte die Beschrän-
441 442
Zu der aktuellen Praxis: S. 251. Zu dieser historischen Begründung in England oben: S. 37.
4. Kap.: Begründung des Diskontinuitätsprinzips
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kung des Diskontinuitätsprinzips auf den parlamentarischen Bereich im Gegenteil dazu, dass sich die Wirkung eines königlichen Eingriffs in die parlamentarische Arbeitsperiode und damit die Kontrolle des Monarchen über das Parlament dank des Diskontinuitätsprinzips verstärkte. Wie bereits gezeigt, gilt diese Beschränkung auch unter dem Grundgesetz und führt dazu, dass entgegen der ursprünglichen Intention die sonstigen Verfassungsorgane einen Gesetzgebungsprozess in verschiedenen Fallkonstellationen noch abschließen können, selbst wenn der beschließende konkret-personelle Bundestag schon nicht mehr existiert. Den finalen Abschluss des Gesetzgebungsprozesses unter die Kontrolle des Parlaments zu stellen, scheidet als Begründung für das Diskontinuitätsprinzip folglich aus. Indem das Diskontinuitätsprinzip aus England über den Umweg über Frankreich übernommen, dabei aber ein wesentlicher Teil der Begründung abgelehnt wurde, kam es zur ersten Verschiebung in der Begründung des Diskontinuitätsprinzips. Aber die in den konstitutionellen Monarchien herrschende Überzeugung, das Diskontinuitätsprinzip diene dazu, den „Parlamentarismus in Permanenz“ 443 zu verhindern, konnte schon in der Demokratie der Weimarer Republik nicht mehr überzeugen. Das gilt auch, wenn man anerkennt, dass in Weimar mit dem Reichspräsidenten noch ein Ersatzmonarch existierte, der die Arbeitsperioden des Parlaments mittels Auflösung erheblich beeinflussen konnte und dies in der Praxis im Einklang mit einer verbreiteten Skepsis gegenüber dem Parlamentarismus auch regelmäßig tat.444 Solche Eingriffe in die parlamentarischen Arbeitsperioden von außen und selbst von innen sind dem Grundgesetz weitgehend fremd und unterliegen, soweit sie wie im Fall der Vertrauensfragen gem. Art. 68 GG überhaupt vorgesehen sind, erheblichen Hürden. Indem die Wahlperiode als einziger verbleibender Anknüpfungspunkt für den Eintritt von Diskontinuität der Beeinflussung durch den Bundestag und die übrigen Staatsorgane weitgehend entzogen ist, lässt sich dieses Prinzip nicht mehr so leicht als Mittel mit einer politischen Zweckrichtung einsetzen. Dieser Wandel kann dabei nicht genug betont werden und stellt eine zweite Verschiebung in der Begründung des Diskontinuitätsprinzips dar. Das Diskontinuitätsprinzip war jedenfalls im deutschen Staatsrecht auch immer ein Mittel, um ein unliebsames Parlament in seiner Arbeit zu behindern. Das galt selbst für die Weimarer Republik, wo jede Wahlperiode durch Auflösung beendet und auf diesem Weg Diskontinuität herbeigeführt wurde. Unter dem Grundgesetz ist der Eintritt von Diskontinuität dagegen grundsätzlich Folge des rein zeitlichen, unbeeinflussten Ablaufs der Wahlperiode. Obwohl es damit kein Organ mehr in der Hand hat, das Ende der Wahlperiode und damit den Eintritt von Diskontinuität herbeizuführen, bedeutet dies nicht, dass der unbeeinflussbare drohende Eintritt 443 444
Zu dieser politischen Begründung im Kaiserreich oben: S. 80. Zur politischen Begründung in der Weimarer Republik oben: S. 114.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
nicht als Drohkulisse zu politischen Zwecken eingesetzt werden kann. Diese Möglichkeit ist aber nur ein Nebenprodukt und nach keiner Ansicht der Telos des Diskontinuitätsprinzips. II. Pragmatische Begründung Die Fortgeltung des Diskontinuitätsprinzips lässt sich im modernen Parlamentsrecht also nicht mehr mit den vorrangigen historischen Begründungsansätzen erklären. Insbesondere die Vorstellung, dass eine mächtige Exekutive eine permanente Parlamentsarbeit verhindern will, passt nicht zu einem modernen Parlament. Im Gegenteil sieht das Grundgesetz nahtlos aneinander gereihte Wahlperioden der Bundestage vor. Jeder Moment, in dem der Bundestag nicht versammelt ist, beruht daher auf einer eigenständigen Entscheidung des Parlaments.445 Wie gezeigt, sind die diskontinuierlichen Eingriffe in das parlamentarische Leben genauso wenig eine zwingende Voraussetzung der Demokratie. Dass das Diskontinuitätsprinzip dennoch über alle politischen Umbrüche hinweg fort gilt, lässt sich auf zwei Gründe zurückführen. Zum einen handelt es sich dabei um ein über lange Zeit tradiertes Prinzip im Parlamentsrecht. Die Übernahme nach starken gesellschaftlichen Umbrüchen etwa vom Kaiserreich zur Weimarer Republik und von der nationalsozialistischen Diktatur zur Bundesrepublik erfolgte dabei – wie ausführlich dargestellt – weitgehend unkritisch und ohne umfangreiche Rechtfertigung. Das Diskontinuitätsprinzip schien dabei schon immer zu gelten, sodass eine Fortgeltung nicht in Frage gestellt wurde. Zum anderen hatte sich das Diskontinuitätsprinzip bewährt, was zweifellos gleichfalls die relativ unkritische Übernahme über alle Umbrüche hinweg erklärt. Auch wenn – wie gezeigt – Diskontinuität keine zwingende Voraussetzung für eine Demokratie im Sinn des Art. 20 GG ist, ist eine kontinuierlichere Gestaltung ebenso wenig zwingend.446 Das Diskontinuitätsprinzip schlicht beizubehalten, war dabei stets die einfachste, unkomplizierteste Variante. Denn auf der einen Seite erzeugt das Diskontinuitätsprinzip nicht solch große, negative Effekte, dass ein besonders großer Reformdruck entstand. Insbesondere während großer verfassungsrechtlicher Umwälzungen standen regelmäßig dringendere Punkte im Fokus. Auf der anderen Seite bringt das Diskontinuitätsprinzip auch positive Effekte mit sich, sodass seine Fortgeltung durchaus vorteilhaft war. Dabei sind die positiven und negativen Auswirkungen typischerweise zwei Seiten derselben Medaille.
445 Neben urlaubsbedingten Unterbrechungen wie insbesondere der Sommerpause ergeben sich in der Praxis regelmäßig Arbeitsunterbrechungen vor dem Ende und nach dem Beginn einer Wahlperiode. Diese sind jedoch gerade keine Folge des Diskontinuitätsprinzips, dazu auch unten: S. 242. 446 Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (512).
4. Kap.: Begründung des Diskontinuitätsprinzips
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1. Abbrucheffekt
Der prägnanteste Effekt des Diskontinuitätsprinzips ist sein Abbrucheffekt, der je nach Betrachtungsweise als Bereinigung oder Zerstörung447 wahrgenommen werden kann. Dieser Abbrucheffekt betrifft dabei alle drei Bereiche des Diskontinuitätsprinzips, gilt also in personeller, organisatorischer und sachlicher Hinsicht. Durch die personelle Diskontinuität handelt es sich bei jeder Wahl stets um eine vollständige Neulegitimation. Auch bisherigen Mandatsträgern wird ihr Mandat vollständig entzogen, und sie müssen dieses mit der Wahl neu erlangen. Eine Wiederwahl bedeutet nicht die Fortsetzung oder Bestätigung der bisherigen Legitimation, sondern schafft eine vollkommen neue. Daran ändert auch die hohe Wiederwahlquote nichts, da diesem theoretisch vollkommenen Abbruch in personeller Hinsicht rein praktische Effekte gegenüberstehen, die eine stärkere Kontinuität erzeugen.448 Denn wenn keine Wiederwahl erfolgt, bedeutet personelle Diskontinuität eben auch immer den Verlust von parlamentarischer Erfahrung, Wissen um die Prozesse, Vertrautheit mit den Abläufen und Verbindungen innerhalb des Parlaments und mit den weiteren Staatsorganen. All diese Vorteile dienen der Funktionsfähigkeit des Parlaments. Nicht nur theoretische, sondern auch praktische personelle Diskontinuität in der Form, dass sämtliche Mandate mit unerfahrenen Neulingen besetzt werden, würde zu einer zumindest kurzfristigen Lähmung der Parlamentsarbeit führen. Umgekehrt erlaubt die freie Vergabe sämtlicher Mandate zu einem einzigen Wahltermin eine ungebundene Entscheidung des Souveräns darüber, welche politischen Ideen, aber eben auch wessen Wissen, Erfahrung und Kenntnis auch im neuen Parlament gewünscht sind. So schafft personelle Diskontinuität zumindest theoretisch Chancengleichheit und erlaubt den Einzug von neuen Ideen ohne Vorbelastung. Ebenso sichert der organisatorische Abbruch die Freiheit eines neu gewählten Parlaments. Indem ein neu gewähltes Parlament sich eine eigene organisatorische Struktur und Geschäftsordnung geben kann, kann es vollkommen frei und ohne Bindung durch seinen Vorgänger eigene Ziele umsetzen. Zu dieser Freiheit gehört entgegen dem eigentlich Abbrucheffekt auch die teilweise oder sogar weitestgehende Übernahme dessen, was sich beim Vorgängerparlament bereits bewährt hat. Dennoch darf die Bedeutung der organisatorischen Diskontinuität nicht unterschätzt werden. Zwar entspricht es der Üblichkeit Organisationsstruk-
447 Hilf weist etwa darauf hin, dass frühere Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips auch damit begründet wurden, Druckkosten zu sparen, indem die bisherigen Vorlagen weiterberaten und nicht erneut ins Parlament eingebracht werden mussten (Unterbrechung der Diskontinuität, ZaöRV 1967, 742 (747, 754)). Aus heutiger Sicht sicher keine entscheidende Überlegung, aber eine gute Illustration einer als unnötig empfundenen Zerstörung, die man sich nicht leisten konnte. 448 Zu den kontinuierlichen Effekten in der Praxis: S. 251.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
tur und Geschäftsordnung zu Beginn der Wahlperiode zu übernehmen;449 in Zeiten großer Umbrüche oder soweit die bisherigen Vorbilder sich nicht bewährt haben, entstehen dank des Diskontinuitätsprinzips aber keine Hürden für eine Anpassung. Wie dargestellt, wird so beispielsweise verhindert, dass eine scheidende Regierungsmehrheit im Angesicht einer Wahlniederlage weitreichende Minderheitenrechte in der Geschäftsordnung installiert und deren Änderung durch hohe Mehrheitserfordernisse auszuschließen versucht. Für weniger etablierte Strukturen, die sich wie Untersuchungsausschüsse und Enquete-Kommissionen mit aktuellen, häufig singulären Ereignissen beschäftigen, bewirkt die organisatorische Diskontinuität außerdem, dass sich ein neues Parlament aktiv für eine Fortsetzung entscheiden muss. Auf der einen Seite befreit das Diskontinuitätsprinzip damit die Agenda von überholten Themen, auf der anderen Seite können beachtenswerte Vorarbeiten vernichtet werden, weil ihnen nach der Wahl die politische Unterstützung fehlt oder sie für eine neue Mehrheit sogar unbequem sind. Hierin deckt sich der Effekt der organisatorischen mit der sachlichen Diskontinuität. In gleicher Weise bewirkt letztere, dass der Beginn der Wahlperiode von überholten, nicht mehr aktuellen Gesetzentwürfen frei ist, während der Eintritt auch zur Vernichtung bereits in der abgelaufenen Wahlperiode geleisteten Vorarbeiten führen kann.450 Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass das Diskontinuitätsprinzip den Bundestag insofern einerseits einschränkt, indem es die unmittelbare Übernahme von vorhandene Vorarbeiten verhindert, aber ihn gleichzeitig auch von der Fortsetzung eines ungeliebten Programms befreit.451 Diese bereits früh anerkannte bereinigende Wirkung ist dann umso gewichtiger, wenn sich die politischen Verhältnisse stark verändert haben, sodass eine Fortsetzung liegengebliebener Verhandlungsgegenstände ohnehin nicht sehr wahrscheinlich ist. Der neue Bundestag bleibt davon verschont, festgefahrene Diskussion wieder aufnehmen zu müssen, was die gesamte politische Atmosphäre reinigt.452 Die Diskontinuität erleichtert es einer neuen Parlamentsmehrheit un449
Zu der regelmäßigen Übernahme der organisatorischen Struktur: S. 252. Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 68; Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (512 f.); Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (162). 451 Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Kontinuität, DÖV 1973, 689 (690); Jekewitz, Einfluss des Endes der Wahlperiode, DÖV 1976, 657 (661); A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 401; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 40; Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 4 a). 452 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 72; Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (513); Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924 v. 9.12.1976, S. 37; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 32, 41. 450
4. Kap.: Begründung des Diskontinuitätsprinzips
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mittelbar zu Beginn der Wahlperiode gestalterisch tätig zu werden.453 Selbst wenn die Mehrheit mit einer Wahl nicht (vollständig) wechselt, werden Kontroversen zu einzelnen Vorhaben beseitigt und so Verhandlungen zum künftigen Regierungsprogramm für die neue Wahlperiode innerhalb einer Koalition und selbst einer Partei entlastet.454 Ebenso wurde die Möglichkeit einer Einführung von sachlicher Diskontinuität auf der Ebene der Europäischen Union gerade damit begründet, dass auf diese Weise liegengebliebene Gesetzentwürfe beseitigt werden.455 Aus politischer Sicht ist daher der Bereinigungseffekt der entscheidende Grund für die Beibehaltung von sachlicher Diskontinuität.456 Das gilt besonders, da die sachliche, ebenso wenig wie die organisatorische Diskontinuität den endgültigen „Tod“ für die Verhandlungsgegenstände, Gremien und Entwürfe bedeuten muss. Das Parlament ist auch frei darin, diese wiederzubeleben und in seine eigene Agenda aufzunehmen. Im Ergebnis bedeutet Diskontinuität in personeller, organisatorischer und sachlicher Hinsicht, dass Abgeordnete, Strukturen und Handlungsgegenstände sich erneut bewähren müssen, sollen sie auch in der neuen Wahlperiode ein Teil des Parlaments sein. Wenn sie nicht mehr dem politischen Willen des Souveräns bzw. seiner neu gewählten Repräsentanten entsprechen, werden sie dagegen ausgeschlossen. Das Diskontinuitätsprinzip beseitigt allzu starre Strukturen und schafft die notwendige Flexibilität.457 Aus diesem Grund spricht Belz sogar von „einem für die parlamentarische Praxis unentbehrlichen Prinzip“.458 Diese sehr positive Betrachtungsweise ist jedoch nur angesichts der weitgehenden „Möglichkeiten zur Überwindung der Nachteile der Diskontinuität“ gerechtfertigt.459 Denn die mit der Diskontinuität zwangsläufig verbundenen Verluste an Erfahrung, Strukturen oder Vorarbeiten werden erst durch kontinuierliche Handlungsstrategien, die sich auf der praktischen Ebene entwickelt haben, deutlich abgemildert.
453 Brüning, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 76 Rn. 176 [Lfg. 180 8/2016]; Ingold, Recht der Opposition, 2015, S. 311; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 52 [Lfg. 77 5/2016]; Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 7 Rn. 63. 454 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 325. 455 Diese Forderung wurde unter anderem von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft erhoben (dazu Sierck/Robbe/Sinnokrot; Bessere Rechtssetzung, 2006, S. 11 (letzter Zugriff am 7.1.2022)). Ähnlich auch Herzog/Gerken; Europa entmachtet uns, Welt 2007 (letzter Zugriff am 7.1.2022). Ausführlich zum Diskontinuitätsprinzip auf europäischer Ebene: Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht. 456 Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924 v. 9.12.1976, S. 37. Auch Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 52 [Lfg. 77 5/2016]; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 2007, § 102 Rn. 43. 457 Ähnlich Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 74. 458 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 71. 459 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 72, 70. Dazu auch unten S. 251.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland 2. Konzentrationseffekt
Unter anderem wegen des beschriebenen umfassenden Abbrucheffekts führt das Diskontinuitätsprinzip außerdem zu einer Konzentration der personellen Zusammensetzung, der Organisationsstruktur und der parlamentarischen Arbeit auf eine Wahlperiode. Sämtliche dieser Aspekte des parlamentarischen Lebens werden in einer Wahlperiode für jeweils eine einzelne, geschlossene Handlungsperiode fest verbunden. Mit Recht wird daher davon gesprochen, dass der Bundestag mit der Wahl nicht nur neu legitimiert, sondern auch neu konstituiert wird, ohne dass man dabei die stark kontinuierlichen Effekte ignorieren darf.460 Indem alle personellen, organisatorischen und sachlichen Umbrüche gleichzeitig eintreten, erhöht sich überdies die Bedeutung von Wahlperioden, welche eigentlich lediglich einen personellen Wechsel als Folge der notwendigen regelmäßigen Neulegitimationen verlangen.461 Die Wahlperiode wird zum maßgeblichen Zeitrahmen beispielsweise für die Geltung der Geschäftsordnung von Parlament und Fraktionen, die Amtsperiode des Präsidiums oder das Bestehen von und die Mitgliedschaft in Parlamentsausschüssen. Weil das Diskontinuitätsprinzip so auch die maximale Lebensdauer von Gesetzentwürfen vorgibt, werden alle parlamentarischen Gesetzesarbeiten auf diese einzelne Wahlperiode konzentriert. Das Diskontinuitätsprinzip führt den Parlamentariern so deutlich vor Augen, dass ihr eigenes Mandat auf die Wahlperiode beschränkt ist, aber auch begonnene Gesetzgebungsarbeiten in diesem Zeitrahmen zu Ende gebracht werden müssen.462 Gerade zum Ende einer Wahlperiode entsteht so eine Konzentration auf Gesetzentwürfe, die als besonders bedeutend erachtet werden. Das kann ihnen den vielleicht entscheidenden Impuls geben und deren Verabschiedung beschleunigen.463 Kehrseite einer solchen Konzentration und Beschleunigung ist, dass neue Entwürfe kaum noch erfolgsversprechend eingebracht werden können und weniger priorisierte Entwürfe keine Beachtung mehr finden. Außerdem lässt sich die notwendige Beschleunigungswirkung regelmäßig nur auf Kosten der gesetzgeberischen Sorgfalt und reduzierter Beteiligungsmöglichkeiten erzielen.464 Eine ver460 Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924 v. 9.12.1976, S. 37. 461 Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 37. 462 Brüning, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 76 Rn. 176 [Lfg. 180 8/2016]; Magiera, in: Sachs, GG, 2021, Art. 39 Rn. 15 f. 463 So Schorn, die auch auf besonders langlebige Initiativen auf europäischer Ebene hinweist, wo es keine sachliche Diskontinuität gibt (Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 31 f., 77 ff.). 464 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 212; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 59 [Lfg. 77 5/2016]; Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505; H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 8; Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (163). H. Schneider, Niedergang des Gesetzgebungsverfahrens, in: Ritterspach/Geiger (Hrsg.), FS für Geb-
4. Kap.: Begründung des Diskontinuitätsprinzips
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gleichbare Wirkung entsteht auch mit Blick auf die parlamentarischen Ausschüsse, insbesondere die Untersuchungsausschüsse. Auch diese konzentrieren sich auf besondere relevante Aspekte ihres Untersuchungsgegenstandes, während weniger bedeutende wegen der drohenden Diskontinuität nicht vollständig ausermittelt werden können. Dieser Konzentrationseffekt bewirkt, dass die so entstehenden, die Grundlage für das Diskontinuitätsprinzip bildenden geschlossenen Zeitrahmen in Form von Wahlperioden voneinander separiert werden. Die Konzentration auf einen einzelnen Zeitrahmen macht diesen individuell wahrnehmbar. Das Diskontinuitätsprinzip schafft einen klaren Bruch zwischen den Wahlperioden, indem es ein hartes Ende der vorhergehenden und einen unbelasteten Neustart der nachfolgenden Legislatur erzeugt. Jede Wahlperiode steht dabei einzeln für sich und das „Leben“ eines konkret-personellen Bundestages. Jeder dieser Bundestage hat seine eigene personelle Zusammensetzung, seine eigene Organisationsstruktur mit Geschäftsordnung und Ausschüssen und sein eigenes Arbeitsprogramm. Indem alle diese Bereiche einheitlich durch Diskontinuität getrennt werden und nicht in einzelnen Teilbereichen Kontinuität herrscht, entstehen einheitliche, klar abgrenzbare, einfach nachvollziehbare Zeitfenster. Damit lässt sich die Verantwortlichkeit auch klar den Abgeordneten zuordnen.465 So ist stets auch für Außenstehende klar, dass mit der personellen Erneuerung zum Ende einer Wahlperiode auch die Organisation und das Arbeitsprogramm erneuert werden. Indem alle drei Aspekte durch das Diskontinuitätsprinzip zu einem einheitlichen Zeitpunkt des Wahlperiodenübergangs verbunden werden, wird die Bedeutung und Wahrnehmung dieses Übergangs erhöht. Dieser Übergangszeitpunkt ist zwar bereits in der Schaffung von Wahlperioden angelegt, wird aber durch das Diskontinuitätsprinzip erst richtig betont. Das gilt umso mehr, seitdem die Wahlperioden nahtlos aneinander gereiht werden. Die Wahlperioden schaffen lediglich eine rein zeitliche Einteilung, die erst durch die diskontinuierlichen Effekte ihre Bedeutung erlangt. Wenn die Wahlperioden die Stundeneinteilung eines Tages sind, ist das Diskontinuitätsprinzip der Glockenschlag als deren wahrnehmbare Folge. Dieser Glockenschlag ist umso wichtiger, je stärker gewichtige kontinuierliche Elemente die parlamentarische Praxis prägen.466 Das Diskontinuitätsprinzip insbesondere in sachlicher Hinsicht enthält angesichts hoher Wiederwahlquoten und weitgehender organisatorischer Kontinuität die stete Erinnerung, dass es einen neuen Wählerauftrag für eine neue Legislatur gibt.
hard Müller, 1970, S. 421 ff. Hölscheidt/Menzenbach weisen darauf hin, dass der Gesetzgeber keine verfassungsrechtliche Pflicht zu „anspruchsvoller Gesetzgebung“ hat (Gesetz ist das Ziel, DÖV 2008, 139 ff.). 465 Brüning, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 76 Rn. 176 [Lfg. 180 8/2016]; Magiera, in: Sachs, GG, 2021, Art. 39 Rn. 15. 466 Zu den Abschwächungen der Diskontinuitätsfolgen: S. 251.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Im Ergebnis ist das Diskontinuitätsprinzip seit den Ständeversammlungen des Heiligen Römischen Reichs mit diesen Effekten verbunden. Im Laufe der Entwicklung bis zum heutigen Bundestag kam es dabei zu den beiden beschriebenen Verschiebungen in der Begründung des Diskontinuitätsprinzips. Diese Begründungsansätze sind spätestens seit der Übernahme des Prinzips in das Grundgesetz überholt. Die Wirkung eines Abbruchs und einer Konzentration auf die jeweilige Arbeitsperiode blieben jedoch erhalten und können weiterhin als Rechtfertigung für die Geltung des Diskontinuitätsprinzips dienen. Zwar wirkt der Abbrucheffekt sowohl positiv als auch negativ. Jedoch überwiegt in der Wahrnehmung der am Parlamentsleben Beteiligten die positive Bereinigungswirkung. Dies lässt sich insbesondere auch damit erklären, dass diese potenziell zerstörende Wirkung in der Praxis – wie sogleich ausgeführt wird – durch verschiedene kontinuierliche Effekte abgemildert wird. Dagegen hat der Konzentrationseffekt keine vergleichbaren negativen Auswirkungen. Für das jeweils konkretpersonelle Parlament wird ein fester Rahmen geschaffen, der die Wahrnehmung der Wahlperiode in Zeiten immer kontinuierlicherer Parlamentsarbeit erhöht und eine klare Zuordnung der Verantwortlichkeit erlaubt. Insofern ist der Konzentrationseffekt positiv zu betrachten und rechtfertigt zusammen mit der durch den Abbrucheffekt geschaffenen Bereinigungswirkung weiterhin die Geltung des Diskontinuitätsprinzips. 5. Kapitel
Das Diskontinuitätsprinzip in der Praxis Nach den theoretischen Grundlagen soll nun dargestellt werden, wie das Diskontinuitätsprinzip in der Praxis wahrgenommen wird und das parlamentarische Leben beeinflusst. Hier zeigt sich, dass die praktischen Auswirkungen insbesondere der sachlichen Diskontinuität nicht überschätzt werden dürfen.467 Zwar ist das theoretische Potenzial für tiefgreifende Eingriffe in den parlamentarischen Geschäftsbetrieb durch das Diskontinuitätsprinzip aus Sicht seiner historischen Ursprünge groß, in der modernen Praxis hat sich dieser Effekt jedoch dramatisch reduziert. Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen werden die Wahlperioden lediglich in fortlaufende, kontinuierliche Sitzungstage und nicht mehr in abgeschlossene, diskontinuierliche Sitzungsperioden unterteilt. Dadurch entstehen längere Arbeitszeiträume und damit auch weniger Abbrüche aufgrund des Diskontinuitätsprinzips. Mit dem geringen Effekt geht auch eine geringere Wahrnehmung des Prinzips als Ganzes einher. Zum anderen haben sich die Beteiligten in der Praxis des parlamentarischen Betriebs sehr gut mit dem Prinzip arrangiert und wissen dieses für sich zu nutzen.
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Dazu etwa Bahlmann, Grundsatz der Diskontinuität, MVDA 1965, 189 (191).
5. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Praxis
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A. Starke Wahrnehmung der personell-diskontinuierlichen Effekte Wegen der unmittelbar persönlichen Auswirkungen der personellen Diskontinuität wird diese typischerweise von den Abgeordneten besonders deutlich wahrgenommen. Der Verlust des Mandates und der damit im Regelfall verbundene Wunsch einer Wiederwahl führt typischerweise bereits zu Beginn eines Wahljahres zu Nervosität und Bangen bei einzelnen Abgeordneten. In jedem Fall stellt das Ende der Wahlperiode einen starken Einschnitt im Leben der Abgeordneten dar, indem die weitere Tätigkeit aber auch etwa Übergangsgelder von diesem Moment abhängen. Interessant ist auch, dass typischerweise mit der Anzahl der absolvierten Wahlperioden das Gewicht des Abgeordneten, insbesondere in der eigenen Fraktion, steigt. Auch die Zugehörigkeitsdauer wird üblicherweise in Wahlperioden und nicht in Jahren angegeben. Eine überstandene Wiederwahl wird als Auszeichnung wahrgenommen. So schielen die Abgeordneten gerne auf die sogenannten „Kürschner Sternchen“, die traditionell in Kürschners Volkshandbuch die Anzahl der absolvierten Wahlperioden verdeutlichen.468 Auch bei der Anstellung von Mitarbeitern der Abgeordneten und für die Fraktionen wirkt die Wahlperiode als begrenzender Rahmen.469 Deren Verträge sind selbst im Fall von Fraktionsmitarbeitern in der Regel auf die aktuelle Wahlperiode befristet,470 um auf ein schlechteres Wahlergebnis reagieren zu können. Dabei dient das Diskontinuitätsprinzip in der Praxis tatsächlich regelmäßig als Begründung für die Befristung.471 Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Gerade die großen Fraktionen haben so große Mitarbeiterstäbe,472 dass es hier auch einen personellen Kern gibt, der längerfristig oder unbefristet angestellt ist. Für 468 Interview des Verfassers mit Dr. Philipp Austermann als Regierungsdirektor in der Bundestagsverwaltung im Sekretariat PD 4 – Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung am 21.9.2016. 469 Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 70, 72 [Lfg. 199 7/ 2019] Waldhoff, in: Austermann/Schmahl, AbgG, 2016, § 54 Rn. 19; Koch, Arbeitsverträge der Mitarbeiter von Fraktionen, NZA 1998, 1160. Ähnlich Dicke, in: Umbach/ Clemens, 2002, Art. 39 Rn. 33 Fn. 19. 470 Jekewitz, Personal der Parlamentsfraktionen, ZParl 1995, 395 (422); Koch, Arbeitsverträge der Mitarbeiter von Fraktionen, NZA 1998, 1160 (1161); Lontzek, in: Austermann/Schmahl, AbgG, 2016, § 46 Rn. 10; Waldhoff, in: Austermann/Schmahl, AbgG, 2016, § 54 Rn. 19. 471 Zum Diskontinuitätsprinzip als sachlicher Grund für eine Befristung: BAG, Urt. v. 26.8.1998 – 7 AZR 257/97 –, juris. Dazu auch Lontzek, in: Austermann/Schmahl, AbgG, 2016, § 46 Rn. 10. 472 Zu den Mitarbeiterzahlen: Feldkamp, Datenhandbuch des Bundestages seit 1990, Kapitel 5.9, S. 1 f. (letzter Zugriff am 7.1.2022); auch Klein/Krings, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 17 Rn. 45; Lontzek, in: Austermann/Schmahl, AbgG, 2016, § 46 Rn. 7.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
diese Mitarbeiter übernimmt dann die neue Fraktion als Nachfolgefraktion gem. § 62 Abs. 7 des Abgeordnetengesetzes diese Verträge.473 Das verdeutlicht den selektiven Einsatz des Diskontinuitätsprinzips. In der Praxis wird das gesamte Diskontinuitätsprinzip zum Teil nur als Folge der personellen Diskontinuität wahrgenommen. Auf der anderen Seite wird die personelle Diskontinuität nicht immer als Teil des Diskontinuitätsprinzips wahrgenommen.474 Die mit der Neuwahl verbundene Aufregung und deren öffentliche Wahrnehmung verdeckt in diesem Zusammenhang, dass der eigentliche zeitliche Umbruch erst das Ende der alten und der Beginn der neuen Wahlperiode darstellen. Dass der bisherige Bundestag auch nach dem Wahltermin seines Nachfolgers weiterhin bis zum letzten Tag seiner Wahlperiode vollumfassend legitimiert und handlungsfähig ist, spielt in der Praxis kaum eine Rolle. Lediglich in drei Wahlperiode ist bisher ein scheidender Bundestag noch einmal zusammengekommen, obwohl bereits sein Nachfolger gewählt war.475 Während ein scheidender Bundestag für die letzten Monate seiner Legislatur typischerweise keine neuen Initiativen ergreift,476 beginnt auch die Zeit des neuen Bundestags häufig mit einer Phase deutlich reduzierter Aktivität.477 So werden etwa Ausschüsse während der Koalitionsverhandlungen regelmäßig noch nicht besetzt, um die Ergebnisse der Regierungsbildung bei der Ausschussbesetzung berücksichtigen zu können. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass es sich
473 Koch, Arbeitsverträge der Mitarbeiter von Fraktionen, NZA 1998, 1160 (1161); Waldhoff, in: Austermann/Schmahl, AbgG, 2016, § 54 Rn. 18. 474 Gegen die vereinzelt in der Literatur vertretene Meinung, dass schon in der Theorie personelle Diskontinuität kein Teil des Diskontinuitätsprinzips sein soll, S. 20. 475 In der 7. Wahlperiode fanden noch zwei reguläre Sitzungen nach der Wahl des 8. Bundestag am 3.10.1976 statt, nachdem klar war, dass die bisherige sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt fortgesetzt werden konnte (zu den Daten der Wahl und der Plenarsitzungen: Schindler, Datenhandbuch des Bundestages 1949 bis 1999, 1999, S. 300, 1643 ff., 1652). In den anderen beiden Fällen ging es um eine Sondersitzung zu einem Auslandseinsatz der Bundeswehr, nämlich zum Ende der 13. Wahlperiode am 16.10.1998, um die Zustimmung zu Luftoperationen im Rahmen des Kosovo-Konflikts zu geben, sowie zum Ende der 15. Wahlperiode am 28.9.2005, um einer Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes zu zustimmen (zu den Wahl- und Konstituierungsdaten seit der 12. Wahlperiode, sowie den angesprochenen Sondersitzungen, Feldkamp, Datenhandbuch des Bundestages seit 1990, Kapitel 1.19, S. 1, Kapitel 7.4, S. 4 und 6 (letzter Zugriff am 7.1.2022). 476 Vgl. etwa für die zuletzt abgelaufene 19. Wahlperiode: Freudenberg, Ladenschluss der Legislative, ZRP 2021, 105. 477 Schultz, Blick in die Zeit, MDR 1965, 718 (719). Hölscheidt spricht etwa davon, dass es dauert bis „die Bundestagsmaschinerie rund läuft“. Deshalb und wegen der reduzierten Aktivität zum Legislaturende geht er von einem Zeitraum von zwei bis zweieinhalb Jahren aus, in dem der Bundestag in der Praxis vollfunktionsfähig ist (in: Kahl/ Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 47 f. [Lfg. 199 7/2019]). Ähnlich Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 51 Rn. 2 ff.
5. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Praxis
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dabei zwar um eine faktische Selbstentmachtung des Parlaments handelt,478 diese erhebliche zeitliche Unterbrechung der parlamentarischen Arbeit jedoch gerade nicht Ausfluss des Diskontinuitätsprinzips ist. Entgegen der praktischen Ausfüllung sind die Abgeordneten vom ersten bis zum letzten Tag der Legislatur vollumfassend legitimiert. Dieses faktisch eingelegte „Interregnum“ führt unabhängig von den diskontinuierlichen Effekten zu einer verstärkten Wahrnehmung der Zäsur zwischen den Wahlperioden.
B. Drucksituation durch sachliche Diskontinuität Wer außerhalb des parlamentarischen Betriebs steht, könnte vermuten, dass die sachliche Diskontinuität auch heute noch den stärksten praktischen Effekt hat. Es wird immer wieder angenommen, dass gerade aufwendige Gesetzesvorlagen so viel Zeit im Gesetzgebungsprozess benötigen, dass für deren Verabschiedung selbst eine vollständige Wahlperiode nicht ausreichend sei.479 Dem liegt jedenfalls teilweise auch die Vorstellung zugrunde, dass dringend benötigte Gesetzesvorgaben am Ende der Wahlperiode durch das Diskontinuitätsprinzip der Wirkung eines Fallbeils gleich unnötigerweise beseitigt werden.480 Es geht jedoch fehl zu glauben, dass das Diskontinuitätsprinzip dafür verantwortlich ist, dass am Legislaturende übrig gebliebene Gesetzentwürfen nicht mehr verabschiedet werden.481 Vielmehr zeichnet sich für jene Gesetzesvorlagen, die vom Diskontinuitätsprinzip erfasst werden, regelmäßig bereits vor dem Ende der Wahlperiode ab, dass diese keine Chance haben, verabschiedet zu werden.482 Es stellt sich in diesen Fällen häufig im Beratungsprozess heraus, dass die erforderlichen Mehrhei478 Zur insofern besonders auffälligen Zeit nach der Wahl des 18. Bundestags im Herbst 2013: Kämmerer, Deutschland auf dem Weg zur „Lame Duck Democracy“? – Eine kleine Systemkritik, NVwZ 2014, 29 ff. 479 Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 68; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 2007, § 102 Rn. 42; H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 8; Schultz, Blick in die Zeit, MDR 1965, 718. 480 Besonders kritisch Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (162). Ähnlich Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 2007, § 102 Rn. 42. Immerhin haben sich etwa in der 7. bis 12. Wahlperiode, für die es entsprechende Daten gibt, 11,9 bis 27,5 Prozent der Vorlagen allein durch Ablauf der Wahlperiode erledigt. Zwar bildet den Höchstwert die 9. Wahlperiode, welche durch Auflösung beendet wurde, sodass man eine Vielzahl an verfallenen Entwürfen erwartet, allerdings liegt die Quote in der 10. und 11. Wahlperiode ebenfalls bei hohen 17,2 bzw. 18,9 Prozent (vgl. Schindler, Datenhandbuch des Bundestages 1949 bis 1999, 1999, S. 2394 f.). 481 Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 40 Rn. 30, 68; Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 94 [Lfg. 199 7/ 2019]; Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 4 f). 482 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 72; Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 40 Rn. 30; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 34. Vgl. etwa für die zuletzt abgelaufene 19. Wahlperiode: Freudenberg, Ladenschluss der Legislative, ZRP 2021, 105.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
ten nicht vorhanden sind. Zum Teil sind bei Entwürfen politischen Mehrheiten von vornherein aber auch unwahrscheinlich, sodass der Initiator ebenfalls nicht mit der Verabschiedung rechnet, sondern lediglich mit der Einbringung ein Signal an den politischen Gegner oder die Wähler senden möchte. In beiden Fällen wäre auch bei einem Fortbestand der Entwürfe über die Wahlperiode hinweg in der Regel nicht mit einer Verabschiedung zu rechnen. Der Arbeitsaufwand, der durch das Diskontinuitätsprinzip endgültig vernichtet wird, ist bereits vorher als fruchtlos zu betrachten. Das Ende der Wahlperiode „beerdigt“ also nur, was ohnehin schon „tot“ ist. Das Gesetzesvorhaben, welches von einer Mehrheit gerne noch schnell erlassen werden soll, aber aus formalen Gründen im Gesetzgebungsprozess hängt und nun durch das Fallbeil der Diskontinuität beendet wird, gibt es in der Praxis nur in sehr seltenen Fällen. Der Grund hierfür liegt schlicht darin, dass Gesetzesvorhaben, deren Verabschiedung von einer Mehrheit gewollt wird, auch innerhalb kürzester Zeit verabschiedet werden können. Die parlamentarische Beratung eines Gesetzes braucht selbst mit umfassender und gründlicher Behandlung lediglich zwei Monate. In Extremfällen lässt sich aber auch ein Gesetz in zwei Tagen durch den Bundestag und seine Ausschüsse bringen.483 Selbst das gesamte Gesetzgebungsverfahren bis zur Verkündigung lässt sich innerhalb einer Woche organisieren.484 Im regulären Gesetzesbetrieb sorgt insbesondere die Möglichkeit, Reden zu Protokoll geben zu können,485 dafür, dass auch in den Plenarsitzungen vor dem Ende der Legislatur, die sehr dichte Tagesordnungen haben, eine Vielzahl von liegengebliebenen Gesetzgebungsverfahren in kürzester Zeit noch abgeschlossen werden können, wenn hierfür Mehrheiten vorhanden sind.486
483 Vgl. etwa das Gesetz zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld während der Corona-Krise, welches am 12.3.2020 als Entwurf vorgelegt und am nächsten Tag in erster, zweiter und dritter Lesung vom Bundestag und anschließend vom Bundesrat beschlossen wurde (dazu http://dipbt.bundes tag.de/extrakt/ba/WP19/2601/260149.html (letzter Zugriff am 7.1.2022)). Zu früheren Beispielen und sich daraus ergebenden Problemen Kirn, Umgehung des Bundesrates, ZRP 1974, 1 ff. 484 Hölscheidt/Menzenbach stellen beispielhaft ein solches Gesetzgebungsverfahren dar und nennen übliche Beschleunigungsmöglichkeiten (Gesetz ist das Ziel, DÖV 2008, 139 (143 f.)). Kokott weist auf das Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz (WFStG) hin, welches den gesamten Gesetzgebungsprozess sogar an einem einzigen Tag durchlaufen hat (in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 77 Rn. 54 [Lfg. 167 5/2014]). 485 § 78 Abs. 6 GO-BT. 486 Interview des Verfassers mit Dr. Philipp Austermann als Regierungsdirektor in der Bundestagsverwaltung im Sekretariat PD 4 – Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung am 21.9.2016. Schorn spricht etwa von „Aktionismus“ (Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 31, 35). Kritischer Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 22; H. Schneider, Niedergang des Gesetzgebungsverfahrens, in: Ritterspach/ Geiger (Hrsg.), FS für Gebhard Müller, 1970, S. 421.
5. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Praxis
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Daraus ergibt sich jedoch auch eine gewisse Drucksituation, soweit eine Vorlage noch verabschiedet werden soll. Diesen Druck können die verschiedenen Beteiligten am Gesetzgebungsprozess in unterschiedlicher Weise für sich nutzen. Zu beachten ist jedoch, dass nicht allein durch den drohenden Eintritt von Diskontinuität zum Ende der Wahlperiode Handlungsdruck auf die Beteiligten erzeugt wird. Indem sich die Mehrheiten und Themensetzungen in einer neuen Legislaturperiode typischerweise ändern, besteht schon aus diesem Grund ein Interesse, bisherige Vorhaben noch in der laufenden Legislatur abzuschließen.487 Das Diskontinuitätsprinzip verdichtet hier die bloße Unsicherheit zu einer Gewissheit. Es führt den Beteiligten somit besonders klar vor Augen, dass mit dem Ende der Legislatur der Verfall der nicht verabschiedeten Vorlagen in jedem Fall bevorsteht. Die Oppositionsfraktionen können dieses Mittel indes nur eingeschränkt nutzen. Zwar kann die Opposition mit bloßen Verzögerungen Vorhaben insbesondere der Regierung verhindern.488 Das Diskontinuitätsprinzip lässt sich in der Praxis jedoch nicht als Oppositionsrecht beschreiben, weil der Opposition als Verzögerungsmöglichkeit nur sehr begrenzte Mittel bleiben. Für das Plenum kann hier insbesondere die Beschlussfähigkeitsrüge genannt werden. In den Ausschüssen stellt die Opposition zum Teil die Ausschussvorsitzenden, welche Einfluss auf die Erledigung der Ausschussarbeit haben,489 und sie kann überdies eine Anhörung von Sachverständigen verlangen.490 Nur wenn die Regierungsfraktionen nicht mit einer solchen Forderung rechnen, laufen sie überhaupt Gefahr, dass eine Vorlage wegen des Diskontinuitätsprinzips scheitert. Aus diesem Grund werden Anhörungen bei entsprechend knappen Gesetzgebungsverfahren regelmäßig bereits von den Regierungsfraktionen angesetzt, um so der Opposition zuvorzukommen. Die Regierungsfraktionen können sich in der Regel mit ihrer parlamentarischen Mehrheit durchsetzen, wenn es nötig ist. Indem sie die Herrschaft über die Tagungsordnung haben und diese auch noch zu Beginn von Ausschusssitzungen ändern können, bestimmen sie, welche Gesetzgebungsverfahren rechtzeitig voranschreiten und welche liegen bleiben.491 Insbesondere bei einer Auflösung des Parlaments reichen die Mittel der Opposition jedoch aus, den Beschluss zahlreicher Gesetze bis zum endgültigen Abschluss der Wahlperiode zu verhindern.492 In dieser Sondersituation zwingt das Diskontinuitätsprinzip die Regie487
Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 212. H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 8. 489 Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 34 f. 490 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 23 Rn. 36 ff., 52, 60. 491 Interview des Verfassers mit Dr. Philipp Austermann als Regierungsdirektor in der Bundestagsverwaltung im Sekretariat PD 4 – Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung am 21.9.2016. 492 Leinemann/Berrisch, Die parlamentarische Diskontinuität, FA 2005, 229. 488
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
rung eindrücklich dazu, sich bei der verbliebenen Parlamentsarbeit auf aus ihrer Sicht besonders dringliche Entwürfe zu konzentrieren. Das Diskontinuitätsprinzip kann überdies innerhalb einer Regierungskoalition als Druckmittel genutzt werden. Gerade zum Ende der Legislaturperiode kann allein die Drohung eines Koalitionspartners, eine Vorlage nicht mehr voranzutreiben und zu unterstützen, dazu führen, dass der andere Partner zu einem Kompromiss bereit ist, um die Vorlage zu retten. Dieses Druckpotenzial kann dabei für die Durchsetzung eigener Ziele innerhalb der verzögerten Vorlage, aber auch bei nicht verbundenen, sachfremden Vorlagen genutzt werden. Da die Möglichkeit für beide Koalitionsfraktionen besteht, führt es zum Ende der Legislatur dazu, dass die verbliebenen Vorlagen priorisiert werden. Zentrale Anliegen können noch verabschiedet werden, während für andere Vorlagen deutlich wird, dass ihnen der Rückhalt fehlt. So erzeugt das Diskontinuitätsprinzip Druck auf die Beteiligten, bezüglich einer lang liegengebliebenen Vorlage eine Einigung zu erzielen oder das Vorhaben als gescheitert zu akzeptieren. Dieser Druck ist in manchen Fällen der möglicherweise nötige, letzte Impuls für eine Verabschiedung.493 Auch die übrigen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten, insbesondere der Bundesrat, können die Drucksituation durch den drohenden Eintritt von sachlicher Diskontinuität dafür nutzen, eigene Interesse durchzusetzen und Kompromisse zu erzielen, indem sie mit einer Verzögerung des Gesetzgebungsverfahrens drohen. Umgekehrt kann der Bundestag durch eine Verabschiedung von Gesetzentwürfen kurz vor Ende der Legislatur, den Bundesrat dazu zwingen, Gesetze als Ganzes zu akzeptieren, die sonst im Vermittlungsverfahren in Details noch im Interesse der Länder hätten verändert werden können.494
C. Bereinigungswirkung durch sachliche Diskontinuität Indem die sachliche Diskontinuität Druck auf die Beteiligten ausübt, Kompromisse zu akzeptieren und die Gesetzentwürfe, für die dies nicht gelingt, beseitigt, wird eine bereinigende Wirkung erzeugt. Ohne die Belastung durch liegengebliebene, bereits politisch aufgeladene Vorlagen kann der neu gewählte Bundestag ausloten, für welche Anliegen es aktuell parlamentarische Mehrheiten gibt. In der Praxis hat sich der Politikbetrieb in gewisser Weise darauf eingerichtet, dass nicht alle Vorlagen zwingend abgelehnt oder verabschiedet werden müssen.495
493 So Schorn, die auch auf besonders langlebige Initiativen auf europäischer Ebene hinweist, wo es keine sachliche Diskontinuität gibt (Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 31 f., 77 ff.). 494 Ausführlicher zu diesem Wechselspiel: S. 211. 495 Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 80; Hilf, Unterbrechung der Diskontinuität, ZaöRV 1967, 742 (747).
5. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Praxis
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So ist das Diskontinuitätsprinzip in der Praxis eher eine Möglichkeit der Regierungsfraktionen, Oppositionsentwürfe, ohne diese klar ablehnen zu müssen, zu beseitigen.496 Da diese aber ohnehin keine Mehrheit finden würden, wird es aus Effektivitätsgründen für sinnvoll erachtet, diese zunächst hinauszuzögern, bis sie sich durch das Diskontinuitätsprinzip erledigen. Dies hat den Vorteil, dass eine öffentliche Diskussion oder Positionierung regelmäßig vermieden werden kann. So kann etwa verhindert werden, dass ein Entwurf überhaupt zur Beratung oder Verabschiedung auf die Tagesordnung gesetzt wird.497 Daneben eignen sich besonders Verzögerungen in der Ausschussberatung.498 Gegen eine solche Verzögerung in der Ausschussberatung können sich die Oppositionsfraktionen zwar nach zehn Sitzungswochen dadurch wehren, dass sie von den jeweiligen Ausschüssen einen Zwischenbericht gem. § 62 Abs. 2 GO-BT verlangen.499 Dabei handelt es sich aber um ein stumpfes Schwert, da die Ausschussmehrheit eine Verzögerung einer Vorlage regelmäßig leicht mit dringlicheren Verhandlungen erklären kann. Beispielhaft seien hier drei inhaltsgleiche Gesetzentwürfe zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare in der 18. Wahlperiode genannt.500 Diese wurden sowohl im Plenum als auch im Rechtsausschuss immer wieder behandelt, jedoch fehlte es stets an einer erforderlichen Mehrheit, insbesondere weil die Regierungsfraktionen der CDU/CSU und der SPD unterschiedliche Positionen vertraten. In der Folge wurde ein Beschluss hierüber in knapp vier Jahren 25-mal vertagt. Ein hiergegen eingereichter Antrag der Bundestagesfraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ziel, einen finalen Beschluss im Rechtsausschuss zu erreichen, wurde vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt, da eine Priorisierung Aufgabe des Parlaments sei und aus dem Gesetzesinitiativrecht gerade keine Pflicht folge, über Gesetzesvorhaben abschließend zu entscheiden, sondern ein Verfall in Folge des Diskontinuitätsprinzips vielmehr hinzunehmen sei.501 Die Oppositionsfraktion kann die sachliche Diskontinuität jedoch politisch auch für sich nutzen. Das lässt sich beispielsweise daran beobachten, dass die 496 Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 33. Kloepfer spricht von einem „sanfte(n) Erwürgen“ (Verfassungsrecht I, 2011, § 7 Rn. 63). 497 Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 33. 498 Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 34. 499 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 23 Rn. 70. 500 Zu der Entwicklung des Gesetzesvorhabens: Lorenz, Keine Mehrheit, keine Bundestags-Abstimmung, LTO 2017 (letzter Zugriff am 7.1.2022). Ausführlich zum Sachverhalt: BVerfGE 145, 348 (350, Rn. 2 ff.). 501 BVerfGE 145, 348 (360, Rn. 37).
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Oppositionsfraktionen nicht nur im Wahlkampf am Ende der Wahlperiode sondern auch bereits zu Beginn eine Vielzahl502 an Anträgen einbringen, deren Erfolgsaussichten von vornherein sehr gering sind.503 Diese Vorlagen lassen sich als „Schaufenstergesetze“ bezeichnen, da sie Gestaltungswillen demonstrieren sollen, ohne dass eine realistische Chance auf Verabschiedung besteht.504 Es ist von Anfang an klar, dass sie im Lauf der Wahlperiode nicht mehr weiterverfolgt werden sollen. Das heißt ganz praktisch, dass die initiierenden Fraktionen gar nicht verlangen, diese Vorlage überhaupt auf die Tagesordnung des Bundestags oder der Ausschüsse zu setzen.505 Solche (frühen) Vorlagen sind zum Teil politisch so einseitig und überspitzt, dass es auch bei deren Fortbestand über das Wahlperiodenende hinaus regelmäßig unmöglich sein wird, für deren Verabschiedung Mehrheiten zu finden, selbst wenn die einbringende Fraktion inzwischen von der Oppositions- auf die Regierungsbank gewechselt wäre.506 Würden diese Vorlagen im Sinne einer sachlichen Kontinuität in die neue Legislatur hinübergenommen werden, wären die Fraktionen in diesen Fällen zu öffentlichen Änderungsanträgen oder gar Rücknahmebeschlüssen gezwungen. Insofern sind die Fraktionen dankbar für das Diskontinuitätsprinzip, welches eine unauffällige Rückzugsmöglichkeit bietet507 und erlaubt, dass bei einer Wiedereinbringung in der neuen Wahlperiode nötige Änderungen bereits berücksichtigt sind. So werden Zugeständnisse, die durch die Koalitionsbildung nötig werden, in der Öffentlichkeit nicht als politische Niederlagen gebrandmarkt. Darüber hinaus würden die ohnehin häufig schwierigen Koalitionsverhandlungen weiter erschwert, weil sich bei deren Fortbestand auch über das Schicksal jeder Vorlage geeinigt werden müsste. Es ist daher eine große Stärke des Diskontinuitätsprinzips, dass die politische Atmosphäre gereinigt und der Raum für Kompromisse möglichst offen gehalten wird.508 502 Beispielsweise stammten von insgesamt 148 Initiativen des Bundestages in der 18. Wahlperiode mit 86 Vorlagen 58,1 % von den Oppositionsparteien Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke (52 bzw. 29 sowie 5 gemeinsame, vgl. Feldkamp, Datenhandbuch des Bundestages seit 1990, Kapitel 10.1, S. 2 f. (letzter Zugriff am 7.1.2022)). 503 Generell haben Vorlagen, die allein von einer Oppositionsfraktion initiiert werden, keine Chance verabschiedet zu werden. Von der 12. bis 18. Wahlperiode gibt kein einziges verkündetes Gesetz, welches ohne Beteiligung zumindest einer Regierungsfraktion initiiert wurde (vgl. Feldkamp, Datenhandbuch des Bundestages seit 1990, Kapitel 10.1, S. 7 f. (letzter Zugriff am 7.1.2022)). 504 Ähnlich Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 502; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 24 f. 505 § 20 Abs. 4 GO-BT eröffnet dem Antragsteller ein solches Recht drei Wochen nach Verteilung der Drucksache. 506 Interview des Verfassers mit Dr. Philipp Austermann als Regierungsdirektor in der Bundestagsverwaltung im Sekretariat PD 4 – Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung am 21.9.2016. 507 H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 8; Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 1 f). 508 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 72; Scheuner, Vom Nutzen der Diskontinuität zwischen den Legislaturperioden, DÖV 1965, 510 (513); Schlussbericht
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Dieser Bereinigungseffekt beschränkt sich jedoch in seiner Wirkung nicht nur auf den organinternen Bereich des Bundestages. Neben Oppositionsvorlagen mit geringen Erfolgsaussichten betrifft dieser Effekt insgesamt Vorlagen aller Initiativberechtigten, die ihre Aktualität eingebüßt haben und die vom Initiator nicht mehr weiterverfolgt werden sollen. Dabei wirkt das Diskontinuitätsprinzip in zwei Richtungen. Zum einen ermöglicht es dem Bundestag Initiativen, zu denen er sich nicht klar positionieren will, einfach liegenzulassen. Mit dem Ende der Wahlperiode werden sie von der sachlichen Diskontinuität erfasst und gelten als erledigt. Gerade Bundesratsinitiativen sind von einem solchen „Verschleppen“ regelmäßig betroffen.509 In diesen Fällen nutzt der Bundestag die Bereinigungswirkung gegenüber anderen Verfassungsorganen. Zum anderen ermöglicht es die sachliche Diskontinuität auch dem Bundesrat und der Bundesregierung,510 Entwürfe, die unbequem geworden sind, ohne viel Aufsehen in der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen.511 Das kann Entwürfe betreffen, an deren Zielrichtung überhaupt nicht mehr festgehalten werden soll oder die in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht mehr dem Willen der Initiatoren entsprechen, beispielsweise weil diese aus dem Wunsch Tatkraft zu demonstrieren, vorschnell erarbeitet wurden. Indem das Diskontinuitätsprinzip diese Vorlagen beseitigt, führt es zu einem Effektivitätsgewinn. Insofern wird das Diskontinuitätsprinzip auch von der Parlamentsverwaltung begrüßt.512 Besonders deutlich wird der Vorteil des Diskontinuitätsprinzips beim Ausscheiden einer Fraktion513 wie etwa im Fall der FDP zum Ende der 17. Wahlpeder Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924 v. 9.12.1976, S. 37; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 32, 41. 509 So die Bremer Justizsenatorin Schilling, Beschlüsse der virtuellen Herbst-Justizministerkonferenz, Beck-aktuell 2020 (letzter Zugriff am 7.1.2022). Dazu der Beschluss zu Top 8 Föderalismus in der Praxis der 91. Justizministerkonferenz am 26./27.11.2020 (abrufbar unter https://www.justiz.bremen.de/detail.php?gsid=bremen51.c.15475.de (letzter Zugriff am 7.1.2022)). Zwischen 2013 und 2019 wurden 19 von insgesamt 100 Gesetzentwürfen des Bundesrats im Bundestag überhaupt beraten, während es 2019 zwei von 21 Gesetzentwürfen waren (Kaufmann, Länder sind genervt vom BMJV, LTO 2020 (letzter Zugriff am 7.1.2022)). 510 So dürfte nur ein sehr kleiner Teil der rund 40 Regierungsvorlagen pro Wahlperiode zwischen der 12. bis 18. Wahlperiode, die nicht Gesetz geworden sind, tatsächlich abgelehnt worden sein, während die deutliche Mehrzahl durch sachliche Diskontinuität abgeräumt wurde. Es erklärt auch den erkennbaren Ausreißer von 75 Vorlagen in der 15. Wahlperiode, die durch Auflösung beendet wurde (zu den Zahlen Feldkamp, Datenhandbuch des Bundestages seit 1990, Kapitel 10.1, S. 8 (letzter Zugriff am 7.1.2022)). 511 Stern, Staatsrecht, 1980, § 26 III 1 f). 512 Interview des Verfassers mit Dr. Philipp Austermann als Regierungsdirektor in der Bundestagsverwaltung im Sekretariat PD 4 – Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung am 21.9.2016. 513 Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 80. So selbst Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 66.
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riode auf Bundesebene. Da die ursprünglich initiierende Fraktion keinen Nachfolger im neu gewählten Parlament hatte, könnten in der letzten Legislatur eingebrachte Entwürfe nicht mehr zurückgenommen werden. Bei geltender sachlicher Kontinuität wäre deshalb das Parlament gezwungen, die Vorlagen zu Ende zu verhandeln, wo sie schließlich grundsätzlich abgelehnt werden würden. Zwar ließen sich Wege zur Beschleunigung auch unter diesen Bedingungen finden, dennoch wird der Sinn des Diskontinuitätsprinzips untermauert.
D. Diskontinuierliche Praxis und organisatorische Diskontinuität In organisatorischer Hinsicht zeigt sich, dass die Folgen des Diskontinuitätsprinzips durch die obligatorischen Organe, die ständigen Ausschüsse und die regelhafte Übernahme der Geschäftsordnung besonders stark abgemildert werden.514 Dennoch lassen sich sowohl die Drucksituation als auch die Bereinigungswirkung, die soeben zur sachlichen Diskontinuität beschrieben wurden, so zumindest auch bei den Sonderausschüssen beobachten. Zum Ende der Wahlperiode entsteht Druck, die Ausschussarbeit abzuschließen.515 Hiervon kann ein entscheidender Impuls ausgehen, wenn die Arbeit zuvor an Priorität verloren hat und ins Stocken geraten ist. Mit dem Ende der Wahlperiode hören diese Parlamentsorgane dann im Grundsatz auf zu existieren. Grundsätzlich ist es deshalb wie bei unliebsamen Gesetzentwürfen möglich, dass die Arbeit eines Ausschusses so lange verzögert wird, bis sich dessen Existenz durch Diskontinuität erledigt.516 Allerdings legen die Ausschüsse regelmäßig zum Ende der Wahlperiode einen Bericht vor, mit welchem sie selbst sicherstellen können, dass die geleistete Arbeit die gewünschte öffentliche Aufmerksamkeit bekommt. Zwar besteht die Gefahr, dass ein solcher Bericht im Wahlkampf untergeht, umgekehrt ist das Interesse hieran gerade wegen der anstehenden Wahl möglicherweise aber auch besonders hoch. In der neuen Wahlperiode muss sich das Parlament aber bewusst dafür entscheiden, einen Ausschuss erneut zu diesem Thema einzusetzen. Dadurch wird sichergestellt, dass das Ausschussthema weiterhin aktuell gehalten wird.517 Im 514 Zu der regelmäßigen Übernahme der organisatorischen Organisation sogleich: S. 252. 515 Für Enquete-Kommissionen ist dies sogar grundsätzlich in § 56 Abs. 4 Satz 1 GO-BT vorgeschrieben. 516 Brocker, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 31 Rn. 71. 517 Ein Negativbeispiel bildet hier der Untersuchungsausschuss des Nordrhein-Westfälischen Landtags zum Fall des Attentats auf dem Berliner Breitscheidplatz. Dieser wurde bereits in der 16. Wahlperiode eingesetzt. Nach der Wahl drei Monate später erfolgte zwar auch in der 17. Wahlperiode eine erneute Einsetzung zu dem Thema, allerdings hatte das politische und mediale Interesse in der Zwischenzeit deutlich abge-
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Ergebnis ist das neu gewählte Parlament frei darin, seine eigenen Schwerpunkte zu setzen und nicht an die Themensetzung seines Vorgängers gebunden.
E. Abschwächung der Diskontinuitätsfolgen Die Auswirkungen des Diskontinuitätsprinzips in der Praxis werden auch dadurch reduziert, dass sich eine Reihe von pragmatischen Möglichkeiten herausgebildet hat, um diskontinuierliche Effekte abzumildern.518 Diese sorgen dafür, dass die Wahlperioden durch kontinuierliche Elemente verbunden werden.519 Neben schon in der Theorie angelegten Kontinuitätseffekten wie der Organkontinuität des abstrakt-institutionellen Parlaments lassen sich aus der Praxis folgende Abschwächungen der Diskontinuitätsfolgen beschreiben. I. Hohe Wiederwahlquoten Die Folgen von personeller Diskontinuität werden in einem ganz erheblichen Umfang dadurch abgeschwächt, dass es – wie erwähnt – die Möglichkeit einer Wiederwahl der Abgeordneten gibt und die Quote von Abgeordneten, die dem Bundestag erstmals angehören, in den letzten Wahlperioden immer unter 40 Prozent lag.520 Die absolute Mehrzahl der Abgeordneten verfügt also bereits über Erfahrung bei der Arbeit im Bundestag und kann diese fortsetzen. Das zeigt, dass die Bekanntheit und die parlamentarische Erfahrung von bisherigen Mandatsinhabern ein Vorteil sein können, wenn es darum geht, Wählerstimmen, aber vor allem auch vermeintlich sichere Wahlkreise und die vorderen Listenplätze einer Partei zu gewinnen. Dieser Wissensvorsprung um die parlamentarischen Abläufe und Vertrautheit mit diesen sichern gerade am Wahlperiodenanfang die Funktionsfähigkeit des Parlaments von Beginn an. Würde personelle Diskontinuität in allen Fällen den dauerhaften Verlust des Mandats zum Ende der Wahlperiode bedeuten und jeder personell-konkrete Bundestag sich vollständig von seinem Vorgänger unterschieden, würde der Verlust an Erfahrung dramatische Effekte haben und eine erhebliche Belastung gerade zum Beginn einer jeden neuen Wahlperiode bedeuten. nommen (van Laak/Küpper, Immer noch viel Arbeit für die Untersuchungsausschüsse, Deutschland Funk 2018 (letzter Zugriff am 7.1.2022)). 518 Brüning, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 76 Rn. 176 [Lfg. 180 8/2016]; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 59 [Lfg. 77 5/2016]; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 2007, § 102 Rn. 42; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 92; Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 38 ff. 519 Michael spricht insofern zu Recht von einem „Mischmodell“ (in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 34). 520 Feldkamp, Datenhandbuch des Bundestages seit 1990, Kapitel 3.4, S. 13 (letzter Zugriff am 7.1.2022).
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Das Diskontinuitätsprinzip eröffnet zwar die Möglichkeit eines solch harten Einschnitts,521 die Praxis hat jedoch gezeigt, dass der Wunsch nach einem gewissen Maß an personeller Kontinuität beim Souverän vorherrscht. II. Übernahme der organisatorischen Struktur Eine deutliche Tendenz zur organisatorischen Kontinuität lässt sich außerdem daraus ableiten, dass das neu gewählte Parlament typischerweise die organisatorische Struktur seines Vorgängers übernimmt. Zum einen betrifft dies die Struktur der Ausschüsse und Fraktionen. So verliert eine Fraktion nach § 62 Abs. 1 Nr. 3 Abgeordnetengesetz mit dem Ende der Wahlperiode ihre Rechtsstellung. Eine Liquidation, die etwa beim Erlöschen des Fraktionsstatus oder Auflösung der Fraktion zwingend vorgesehen ist, kann aber verhindert werden, indem sich innerhalb von 30 Tagen nach dem Beginn der Wahlperiode eine Nachfolgefraktion bildet.522 Erst durch diesen formellen Akt wird die neue Fraktion zum Rechtsnachfolger der alten. Damit wird zwar einerseits die durch das Diskontinuitätsprinzip verursachte Unterbrechung unterstrichen.523 Die Fortsetzung ist formell gerade kein Automatismus. Gleichzeitig stellt die Rechtsnachfolge doch den praktischen Regelfall dar,524 der nur in seltenen Ausnahmefällen wie der Liquidation der FDP-Fraktion mit deren Ausscheiden aus dem Bundestag zum Ende der 17. Wahlperiode praktisch relevant wird. Da sich Fraktionen darüber hinaus bereits vor dem ersten Zusammentritt des Bundestags konstituieren und damit die „neue“ und die „alte“ Fraktion parallel existieren können, stellen sie insgesamt ein verbindendes Element der Kontinuität dar.525 Auch im Übrigen gilt, dass, soweit parlamentarische Unterorgane nicht durch die Verfassung oder einfaches Gesetz vorgeschrieben sind, jeder Bundestag darin frei ist, welche Organe er für seine Arbeit schafft bzw. gerade nicht schafft. Dennoch hat es sich in der Praxis bewährt, dass die Ausschüsse die Ressorts der Regierung widerspiegeln526 und bestimmte Kernthemen fortlaufend beraten werden 521 Michael meint sogar, damit könnte eine „Illusion“ eines Neuanfangs beim Wähler geweckt werden (in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 38). 522 § 62 Abs. 7 AbgG, der sich wie der gesamte § 62 AbgG mit dem bis zum 19.10.2021 geltenden § 54 AbgG inhaltlich vollkommen deckt (vgl. Gesetz zur Verbesserung der Transparenzregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages und zur Anhebung des Strafrahmens des § 108e des Strafgesetzbuches vom 8.10.2021, BGBl. I S. 1877). Zu der „faktischen Kontinuität in vermögensrechtlicher Hinsicht“: Waldhoff, in: Austermann/Schmahl, AbgG, 2016, § 54 Rn. 7 f., 18. 523 Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 72 [Lfg. 199 7/2019]. 524 Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 57. 525 Jekewitz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 37 Rn. 41. 526 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 40 Rn. 128 [Lfg. 85 11/2018].
5. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Praxis
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müssen, sodass typische Ausschüsse mit leicht unterschiedlichem Zuschnitt auch in der neuen Wahlperiode stets neu gebildet werden.527 Ein ähnlicher Übernahmereflex besteht bezüglich der Geschäftsordnungen des Parlaments und dessen Teilgliederungen. Auch deren Existenz ist zwar auf die laufende Wahlperiode beschränkt, dennoch werden sie zu Beginn einer neuen Wahlperiode regelmäßig in weiten Teilen durch die gerade konstituierten Organe übernommen. Änderungen werden dabei also typischerweise nicht unmittelbar vorgenommen, sondern zur Beratung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.528 Dieses Vorgehen ist auch nötig, da insbesondere bedeutende Änderungen sich nur schwerlich bereits zu Beginn einer Wahlperiode beschlussfähig vorbereitet lassen. Es gibt zwar im Bundestag durchaus den Wunsch, die bisherige Geschäftsordnung unmittelbar in der konstituierenden Sitzung anzupassen, was auch damit begründet wird, dass der Bundestag in diesem Zeitpunkt frei darüber entscheiden könne und die Möglichkeit für einen „Neustart“ bestünde.529 Im Ergebnis wird jedoch im Grundsatz die Weitergeltung der bisherigen Geschäftsordnung beschlossen, und etwaige Änderungsanträge werden an den Ältestenrat überwiesen, damit sich die Abgeordneten ausreichend darauf vorbereiten können.530 Kleinere Anpassungen bleiben jedoch möglich. So beschloss der 19. Bundestag die Weitergeltung der bisherigen Geschäftsordnung, wobei der entsprechend angenommene Antrag explizit darauf hinwies, dass § 126a GO-BT „mit Ablauf der 18. Wahlperiode entfallen ist“.531 Tatsächlich war natürlich die gesamte Geschäftsordnung wegen der organisatorischen Diskontinuität mit dem Ablauf der Wahlperiode entfallen, die erwähnte Norm sollte jedoch bereits nach dem Willen des 18. Bundestages nur bis zum Ende der Wahlperiode zur Stärkung der Oppositionsrechte gelten.532 Indem der neue Bundestag die Geschäftsordnung mit Aus-
527
Zu den fakultativen Ausschüssen und typischen Beispielen: S. 160. Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 46 [Lfg. 77 5/2016]; Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 61. 529 Etwa die Änderungsanträge in der konstituierenden Sitzung des 19. Bundestages und die hier aufgegriffene Begründung des SPD-Antrags durch den Thüringer Abgeordneten Carsten Schneider, BT-PlPr 19. WP/1. Sitzung v. 24.10.2017, S. 4C–12A und 5D. 530 So das Ergebnis der Beratung zu Beginn der 19. Wahlperiode und die Begründung des Abgeordneten Michael Grosse-Brömer (CDU), BT-PlPr 19. WP/1. Sitzung, S. 11C–12A und 8A–B. 531 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Weitergeltung des Geschäftsordnungsrechts, BT-Drucks. 19/1, S. 1 v. 24.10.2017. 532 Hintergrund der Norm war, dass die Oppositionsfraktionen im Bundestag lediglich knapp 20 Prozent der Mandate auf sich vereinen konnten, wesentliche Kontrollrechte wie die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses aber 25 Prozent verlangen. Deshalb sah bereits der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD eine Stärkung der Minderheitenrechte vor (dazu die Parlamentsdebatte, BT-PlPr 18. WP/26. Sitzung v. 3.4.2014, S. 2065B–2083A, 2087B. Zu dem gesamten Problemkomplex Minderheitenrechte und große Koalition: Ingold, Oppositionsrechte stärken?, ZRP 2016, 143 ff.; 528
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
nahme der bereits durch seinen Vorgänger „befristeten“ Norm übernimmt, zeigt sich besonders deutlich, dass entgegen der Geltung des Diskontinuitätsprinzips die Geschäftsordnung in der Praxis faktisch so fort gilt, wie es der bisherige Bundestag vorgesehen hat. Ferner unterstreicht die Tatsache, dass eine „Befristung“ trotz der organisatorischen Diskontinuität für notwendig gehalten wurde, dass der bisherige Bundestag eine Übernahme der bestehenden Geschäftsordnung eindeutig erwartet. Dies geht so weit, dass ein scheidender Bundestag auch noch kurz vor Legislaturende gelegentlich eine Geschäftsordnungsänderung beschließt, obwohl diese ihre eigentliche Wirkung erst in der nächsten Wahlperiode entfalten kann.533 Zum Ende der 8. Wahlperiode wurde etwa eine große „Gesamtreform“ der Geschäftsordnung beschlossen, um diese unter anderem an den veränderten Art. 39 GG anzupassen und so dem neuen Bundestag unmittelbar überarbeitete Verfahrensregeln zur Verfügung zu stellen.534 Ein besonders eindrückliches Beispiel für diese Übernahmepraxis findet sich außerdem zum Ende der 18. Wahlperiode. Noch im Monat der letzten planmäßigen Sitzung der Legislaturperiode änderte der Bundestag § 1 Abs. 2 GO-BT dahingehend, dass der Alterspräsident, welcher die Parlamentsgeschäfte bis zur Wahl eines Präsidenten führt und insbesondere die konstituierende Sitzung eröffnet, nicht mehr nach Lebensalter, sondern nach Dauer der Zugehörigkeit zum Bundestag bestimmt werden soll.535 Dieses Vorgehen zeigt besonders deutlich, dass die Geschäftsordnung vom Parlament keineswegs stets als diskontinuierlich angesehen wird. Zum einen wird dies durch die Änderung kurz vor dem Ende der Wahlperiode unterstrichen. Noch deutlicher wird die Übernahmeerwartung aber dadurch betont, dass die Bestimmung ohnehin mit der Konstituierung eine Situation betraf, die denklogisch schon nicht mehr in derselben Wahlperiode eintreten konnte. Zum anderen entfaltete die geänderte Regelung auch keinerlei Wirkung. Weil nämlich die Geschäftsordnung der organisatorischen Diskontinuität unterliegt, ist sie zu Beginn der Wahlperiode nicht mehr wirksam. Darüber hinaus ist sie auch zum Zeitpunkt, in dem die Person des Alterspräsidenten bestimmt wird, noch nicht wirksam, da der Beschluss zur Übernahme der bisherigen Geschäftsordnung erst unter dessen grundlegend zu Oppositionsrechten: Ingold, Recht der Opposition, 2015, insbesondere S. 209 ff., 245 ff., 303 ff., 557 f.). 533 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 35; Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 9 Rn. 125. 534 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 35. 535 Bekanntmachung zur Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom 12.7.2017, BGBl. I S. 1877. Hintergrund dieser Änderung war die Befürchtung andernfalls als kommenden Alterspräsidenten einen Abgeordneten der AfD-Fraktion akzeptieren zu müssen; dazu: Koalition verhindert möglichen Alterspräsidenten der AfD (Zeit Online 2017 (letzter Zugriff am 7.1.2022)).
5. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Praxis
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Leitung getroffen wird.536 Stattdessen kommt es wegen der praktischen Notwendigkeit eines Eröffnungsverfahrens und als Ausdruck einer ständigen parlamentarischen Übung zu einer konkludenten, zunächst vorläufigen Übernahme der bisherigen Geschäftsordnung,537 die dennoch die Möglichkeit für Änderungsanträge offen hält.538 Im Ergebnis zeigt sich, dass die rein praktische Bewährung der allgemein anerkannten Geschäftsordnung die theoretische Diskontinuität weitestgehend aushebelt. So erscheint es auch wenig sinnvoll, das „Rad“ zu Beginn einer jeden Wahlperiode neu zu erfinden. III. Beschleunigungsmöglichkeiten „übernommener“ Gesetzentwürfe Dass die sachlichen Diskontinuitätsfolgen nicht so stark wahrgenommen werden, liegt schließlich insbesondere daran, dass verfallene Gesetzentwürfe auch in der neuen Wahlperiode verhältnismäßig schnell wieder auf den vorherigen Stand gebracht werden können. Soweit es hierfür politische Mehrheiten gibt, verhindert die sachliche Diskontinuität nicht, dass ein Entwurf wieder in den Bundestag eingebracht werden kann. So stellt das Kanzleramt etwa zum Ende der Wahlperiode eine sogenannte „Diskontinuitätsliste“ zusammen und fragte die Ressorts ab, welche Regierungsvorlagen aus fachlicher Sicht weiterverfolgt werden sollen, um so eine möglichst zügige Entscheidung darüber zu erreichen, ob dies auch politisch gewollt ist.539 Der Bundesrat verzichtet überdies bei Regierungsvorlagen, zu denen er bereits in der vorherigen Legislaturperiode Stellung genommen hat, darauf, die ihm zustehende Frist nach Art. 76 Abs. 2 GG voll auszuschöpfen, indem er insbesondere Ausschussberatungen nur auf ausdrückliches Verlangen eines Landes erneut durchführt. Üblicherweise wird die Regierungsvorlage in der bisherigen Fassung wieder aufgegriffen, auch wenn hieran bereits Änderungsvorschläge akzeptiert wurden, sodass die bisherige Stellungnahme des Bundesrats sowie die Gegenäußerung der Bundesregierung hierzu ebenfalls übernommen werden können.540 536 Dazu exemplarisch das Plenarprotokoll des Bundestages, für den die Geschäftsordnungsänderung gedacht war: BT-PlPr 19. WP/1. Sitzung v. 24.10.2017, S. 1A–12A. 537 So der Alterspräsident des 19. Bundestags Hermann Otto Solms (FDP), BT-PlPr 19. WP/1. Sitzung v. 24.10.2017, S. 1A–1C. Ebenso Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 107; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 70. Für die Fortgeltung der Geschäftsordnung: Haug, Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen, 1994, S. 75 ff.; Payandeh, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 7 Rn. 11. 538 So schlug die AfD-Fraktion, gegen die sich die hier diskutierte Geschäftsordnungsänderung im Wesentlichen richten sollte, stattdessen die Wahl eines Versammlungsleiters vor und bezog sich dabei explizit auch auf das Diskontinuitätsprinzip (BTDrucks. 19/4 v. 24.10.2017, S. 1 f.). 539 Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 275 f. 540 Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 277 f.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Aus dem gleichen Grund sammelt der Bundesrat seine wegen der Diskontinuität verfallenen Entwürfe und beschließt diese in einem vereinfachten Verfahren in der bisherigen Fassung.541 Außerdem können Beschleunigungsmöglichkeiten genutzt werden, die auch in anderen Zusammenhängen eingesetzt werden. Beispielsweise kann ein Gesetzentwurf der ursprünglich vom Bundesrat oder der Bundesregierung initiiert wurde, in der neuen Wahlperiode durch eine Fraktion unmittelbar in den Bundestag eingebracht werden, wodurch das Vorverfahren gem. Art. 76 GG entfällt.542 Jedenfalls bei der Übernahme von Vorlagen aus einer früheren Wahlperiode liegt in diesem Vorgehen auch keine erhebliche Verkürzung der Rechte des Bundesrates, weil dieser in diesen Fällen bereits Gelegenheit hatte, zu dem Entwurf Stellung zu nehmen.543 Auch in den Ausschussberatungen des Bundestages steht es dem Ausschuss frei, in der vorangegangenen Legislaturperiode erzielte Ergebnisse aufzunehmen und sich diese zu eigen zu machen, anstatt eigene umfassende Beratungen durchzuführen. In gleicher Weise können Lesungen für bereits früher beratene Entwürfe verkürzt oder gänzlich weggelassen werden. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass diese Verkürzungen stets auf der Autonomie des neu konstituierten Parlaments fußen. Es besteht für einen Bundestag, dessen Wahlperiode abläuft, keine Möglichkeit, seinen Nachfolger zu einem solchen Vorgehen zu verpflichten. Im Ergebnis lässt sich aber festhalten, dass die sachliche Diskontinuität in der parlamentarischen Praxis keine große Hürde darstellt.544 Zum einen werden Gesetzentwürfe, die von einer Mehrheit getragen werden, fast immer noch rechtzeitig vor dem Ende der Wahlperiode erlassen. Zum anderen sind auch solche Entwürfe, die durch die sachliche Diskontinuität erfasst wurden, nicht endgültig verloren, sondern können bei fortbestehendem Regelungsinteresse wieder in den Bundestag eingebracht und dort unter gegebenenfalls erleichterten Bedingungen beraten werden. Zwar beginnt die Arbeit in der neuen Wahlperiode formal bei Null, jedoch lassen sich Vorarbeiten leicht übernehmen, sodass hier zügig der vorherige Beratungsstand erreicht werden 541 Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 281. 542 Zu dieser umstrittenen Praxis m.w. N.: Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 76 Rn. 113 [Lfg. 86 1/2019]; Schenke, Verfassungsorgantreue, 1977, S. 94 ff.; Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 278 ff. Kirn spricht etwa von einem „bekannten Verfahrenstrick“ (Umgehung des Bundesrates, ZRP 1974, 1 (2)). Ebenso kritisch Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 79 f. 543 Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 39; Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 279. 544 Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 95 [Lfg. 199 7/2019]; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 91; Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924 v. 9.12.1976, S. 37.
5. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in der Praxis
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kann. Soweit darin die Gefahr erblickt wird, dass es für eine Wiederholung an Elan fehlen und die vorantreibenden Kräfte stattdessen resignieren könnten,545 wird verkannt, dass es gerade die Stärke des Diskontinuitätsprinzips ist, Entwürfe zu bereinigen, denen diese notwendige Unterstützung fehlt. In der wiederholenden Übernahme besteht jedoch die Gefahr, dass durch die eilige Wiederholung „lediglich“ der Formalien des Gesetzgebungsprozesses546 eine generelle Geringschätzung gegenüber dem formellen Gesetzgebungsprozess an sich ausgedrückt wird. Die beschleunigten Verfahrensschritte, die man nur lapidar durchgeht, um die Formalien einzuhalten, während man zügig den Beratungsstand eines wegen sachlicher Diskontinuität verfallenen Gesetzes erreichen will, stellt deren Bedeutung und Sinnhaftigkeit für den Gesetzgebungsprozess im Allgemeinen in Frage.547 Statt sie als Garant einer möglichst sorgfältigen Gesetzgebung zu sehen, werden einzelne Schritte nur als Hürden betrachtet, die es auch bei allen anderen Gesetzentwürfen möglichst schnell zu überspringen gilt. Das kann aber nicht im Sinn einer sorgfältigen parlamentarischen Arbeit sein. Auch neu gewählte Abgeordnete dürften sich durch dieses zwar immerhin durch eine parlamentarische Mehrheit legitimierte Vorgehen in Teilen überfahren fühlen.548 Zu Recht wird außerdem hinsichtlich der Wiedereinbringung einer Regierungsvorlage aus der Mitte des Bundestages darauf hingewiesen, dass die Abgeordneten zwar grundsätzlich die Zielrichtung der Vorlage unterstützen, aber sich ihre konkrete Umsetzung in dem Entwurf insgesamt nicht zu eigen machen wollen. Wegen dieses Dilemmas wurde in der Vergangenheit der Entwurf zwar durch Abgeordnete eingebracht, welche sich jedoch gleichzeitig von dessen Inhalt distanzierten.549 Das zeigt die Schwächen dieser prozeduralen Beschleunigungsmög545 So etwa Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 68. 546 So Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 71. 547 Besonders kritisch Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (163). 548 H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 8. 549 So sprach etwa der Abgeordnete Matthias Hoogen (CDU) als Vorsitzender des Rechtsausschusses in der 8. Sitzung der 4. Wahlperiode davon, dass die Einbringung des verfallenden Regierungsentwurfs zur Änderung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes durch alle Fraktion deshalb erfolgt sei, um „die ,Ochsentour‘ (. . .) Bundesrat – Bundesregierung – Bundestag – Erste Lesung“ zu vermeiden, erklärte dabei aber ausdrücklich, dass die Fraktionen „sich mit dem Inhalt des Gesetzentwurfs nicht identifizieren, sondern ihn lediglich einbringen, um dem geschäftsordnungsmäßigen Erfordernis zu genügen“ (BT-PlPr 4. WP/8. Sitzung v. 13.12.1961, S. 170C und D). Ähnlich die Abgeordnete Emmy Diemer-Nicolaus (FDP) ebenfalls zu einem Gesetzesentwurf zur Großen Strafrechtsreform in der 5. Wahlperiode (BT-PlPr 5. WP/14. Sitzung v. 13.1.1966, S. 546C). Vgl. auch Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 79; H.-P. Schneider, in: Denninger u. a., GG, 2002, Art. 39 Rn. 8; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 39 Rn. 18; Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (163).
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
lichkeit deutlich auf. Umgekehrt wird aber auch darauf hingewiesen, dass eine öffentliche Diskussion im Zusammenhang mit einer Wahl einen verfallenen Entwurf reifen lassen kann, sodass die erneute Aufnahme auch die Chance beinhaltet, diesen kritisch zu überarbeiten und anzupassen.550 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich vielfältige praktische Möglichkeiten entwickelt haben, die auch bei der Geltung des Diskontinuitätsprinzips dessen Auswirkungen abschwächen und starke kontinuierliche Effekte erzeugen. Dabei beziehen die am Parlamentsbetrieb Beteiligten die Diskontinuitätswirkung durchaus in ihre strategischen Überlegungen ein und wissen diese für sich zu nutzen. 6. Kapitel
Das Diskontinuitätsprinzip in den Ländern der Bundesrepublik Die aufgezeigte breite Anerkenntnis der Geltung des Diskontinuitätsprinzips spiegelt sich auch darin wider, dass sich dieser Grundsatz in allen 16 Ländern der Bundesrepublik findet. Trotz zum Teil unterschiedlicher Regelungen gleichen die Auswirkungen des Diskontinuitätsprinzips in den Ländern jenen des Bundes, weil sich die Länderverfassungen untereinander und im Vergleich zum Grundgesetz in den für das Diskontinuitätsprinzip entscheidenden Punkten stark ähneln. Auch die Länder sind repräsentative Demokratien, in denen das Volk zwar der Souverän ist, dessen wesentliche Entscheidung jedoch die Wahl von Repräsentanten für das Landesparlament darstellt. In den Händen der so gewählten Volksvertretung liegt dann die Wahl und Kontrolle der Exekutive sowie die Gesetzgebung. Auch wenn auf Länderebene mehr plebiszitäre Elemente zur Verfügung stehen als auf Bundesebene,551 sind dies nur Korrektur- und Ergänzungsmöglichkeiten, während die Entscheidungskompetenz im Regelfall den Parlamenten zusteht und diese bei den einzelnen Entscheidungen vom (vermeintlichen) Volkswillen frei sind. Um dennoch sicherzustellen, dass die Abgeordneten Repräsentanten des Volks sind, kann den Länderparlamenten diese Herrschaft nur auf Zeit übertragen werden, sodass regelmäßige Erneuerungen des Parlaments zwingend sind. Sowohl die Landtage, wie auch die Bürgerschaften von Bremen und Hamburg wie auch das Abgeordnetenhaus von Berlin sehen daher Wahlperioden vor, an deren Beginn und Ende jeweils eine Gesamterneuerung steht.552 Eine Erneuerung von nur einem Teil der Abgeordnetenschaft, für die es zumindest in den 550 551 552
Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 351 f. Vgl. etwa Art. 48, 50 HmbVerf. Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 298.
6. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in den Ländern der Bundesrepublik
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Hansestädten historische Vorbilder gibt,553 ist für keines der Länderparlamente vorgesehen. Während alle Verfassungen bis auf zwei zunächst eine vierjährige Wahlperiode vorsahen,554 hat sich das Verhältnis nun mehr als umgekehrt und 15 der 16 Landesverfassungen bestimmen eine fünfjährige Wahlperiode ihrer Parlamente.555 Im Einklang mit der gewachsenen Bedeutung und der Interpretation auf Bundesebene müssen die so geschaffenen Wahlperioden ebenfalls als geschlossene parlamentarische Arbeitsperioden gesehen werden. Gerade das gleichzeitige Auslaufen aller Mandate zum Ende der Wahlperiode lässt in sich geschlossene Arbeitsperioden entstehen. Daraus, dass also jedes konkret-personelle Parlament mit seiner begrenzten Wahlperiode für sich steht, erklärt sich, warum neben dem Verfall der Mandate, auch die Organisationsstruktur in weiten Teilen und die unerledigt gebliebenen Verhandlungsgegenstände mit dem Ende des jeweiligen Parlaments ebenfalls enden. Die Einteilung des Parlamentslebens in feste, vorbestimmte, geschlossene Perioden bildet also auch auf Landesebene den Anknüpfungspunkt für den Eintritt des Diskontinuitätsprinzips in personeller, organisatorischer und sachlicher Hinsicht.
A. Abschluss der Wahlperiode Interessant ist der Blick auf die Länderverfassungen vor allem deshalb, weil sie sich in der Normierung dieser geschlossenen Arbeitsperioden als Grundlage für das Diskontinuitätsprinzip im Vergleich zum Grundgesetz unterscheiden, in der Praxis aber zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Dabei zeichnen die Unterschiede der Verfassungen auch die historische Entwicklung der Normierungen zu Arbeitsperioden seit der Weimarer Verfassung bis zum aktuellen Grundgesetz und möglicherweise darüber hinaus auf. Die bereits angesprochene Tendenz der Länderverfassungen zur fünfjährigen Wahlperiode ist ein entsprechender Hinweis. Entscheidend für das Diskontinuitätsprinzip sind aber im Grundsatz die Übergänge von einer Arbeitsperiode zur nächsten, insbesondere die Frage, ob es zu parlamentsfreien Zeiten kommt oder ob die Ausgestaltung den nahtlosen Übergängen im Bund ähnelt. Dabei lassen sich im Wesentlichen zwei Gruppen von Länderverfassungen ausmachen: Zum einen jene Verfassungen, die dem Grundgesetz folgend solche Zeiten eines Interregnums ausschließen, indem sie normieren, dass mit dem ersten Zusammentritt der Volksvertretung nicht nur die neue Wahlperiode beginnt, sondern die Wahlperiode des letzten, personell-konkreten Parlaments zu diesem 553
Zu der historischen Partialerneuerung in den Hansestädten: S. 55. Ausnahmen waren Nordrhein-Westfalen und das Saarland; vgl. Jekewitz, der auch die Entwicklung in beiden Ländern nachzeichnet (Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 298 ff.). 555 Ausnahme mit vier Jahren bildet nur noch der Stadtstaat Bremen; vgl. Art. 75 BremVerf. 554
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Zeitpunkt ebenfalls endet. Damit gleichen diese Länderverfassungen der Regelung in Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG. Gerade die Verfassungen der Länder, die im Zuge der Wiedervereinigung zur Bundesrepublik hinzugekommen sind,556 aber auch Länder mit Verfassungsreformen aus dieser Zeit,557 übernehmen dabei das Vorbild des Grundgesetzes und schaffen parlamentslose Zeiten ab.558 Hier hängt das Legislaturende des alten Landtags vom Beginn der neuen Wahlperiode ab. Bei der anderen, zweiten Gruppe muss dagegen erst die alte Wahlperiode ablaufen, bevor die neue beginnen kann.559 Interessanterweise finden sich jedoch auch in diesen Länderverfassungen Vorläufer für die Regelung in Art. 39 GG, wobei hier eine umgekehrte Formulierung verwendet wird, indem die Wahlperiode regelmäßig beginnt, sobald die alte abgelaufen ist.560 Indem nach der für die erste Gruppe typischen Formulierung die Wahlperiode des alten Parlaments erst in dem Moment endet, in dem die Wahlperiode des nächsten Parlaments beginnt, kommt es dort für eine juristische Sekunde zur Überlappung der Wahlperioden. Bei der anderen Formulierung läuft die Wahlperiode dagegen ab und eine juristische Sekunde später beginnt die neue. Die ältere Formulierung hat dabei den Nachteil, dass zwar die Wahlperiode unmittelbar beginnt, jedoch ein erster Zusammentritt des Landtags und damit auch der Beginn der Handlungsfähigkeit noch aussteht. In beiden Fällen folgt jedoch eine Wahlperiode nahtlos der anderen, wodurch auch auf Länderebene parlamentsfreie Zeiträume unter regulären Bedingungen
556 Art. 54 Abs. 5 Satz 1 BlnVerf, Art. 27 Abs. 1 Satz 2 MVVerf, Art. 44 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf, Art. 43 Abs. 1 Satz 2 LSAVerf und Art. 50 Abs. 3 Satz 1 ThürVerf ähneln dabei Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG besonders. Zumindest inhaltlich ähnlich auch Art. 62 Abs. 4 Satz 2 BdgVerf. 557 Bereits 1979 wird die Saarländische Verfassung so reformiert, dass gem. Art. 67 Abs. 1 Satz 2 der erste Zusammentritt eines neuen Landtags selbst im Fall der Auflösung des alten die vorherige Wahlperiode beendet (Gesetz vom 4.7.1979 ABl. S. 650). Die Hamburger Verfassung vollzog eine entsprechende Änderung in zwei Stufen, indem Art. 10 Abs. 1 HmbVerf 1982 so geändert wurde, dass die Wahlperiode der alten Bürgerschaft mit dem Zusammentritt der neuen endet (Gesetz vom 19.5.1982 GVBl. S. 117 f.). Ab 1996 galt dies auch im Fall einer Auflösung (Gesetz vom 20.6.1996 GVBl. S. 129). Auch die 1993 erlassene Verfassung Niedersachsens sieht in Art. 9 Abs. 1 Satz 2 eine solche Regelung vor. Später folgten weitere Länder wie etwa Art. 16 Abs. 1 Satz 2 BayVerf; Art. 67 Abs. 1 Satz 1 RhPfVerf oder zunächst Art. 13 Abs. 1 Satz 2 SHVerf a. F. später Art. 19 Abs. 1 Satz 2 SHVerf. Zuletzt auch der durch Gesetz vom 25.10.2016 (GVBl. S. 860) neugefasste Art. 34 NRWVerf. 558 Droege, Herrschaft auf Zeit, DÖV 2009, 649 (653). 559 Art. 30 Abs. 1 Satz 2 BWVerf; Art. 81 BremVerf und Art. 82 HessVerf. 560 So schon Art. 30 Abs. 1 Satz 2 BWVerf und Art. 82 HessVerf. Die gleiche Regelung fand sich auch in Art. 6 Abs. 1 der vorläufigen Niedersächsischen Verfassung, die bis 1993 in Kraft blieb. Ausnahme ist die Bremische Verfassung, die den Beginn der Wahlperiode nicht eindeutig regelt. Nach Art. 81 BremVerf muss der erste Zusammentritt der Bürgerschaft lediglich einen Monat nach dem Beginn der Wahlperiode erfolgen.
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vollständig verschwinden. Die Folgen von Diskontinuität werden somit stark gemildert, weil ein konkret-personelles Parlament mit seinen Abgeordneten, Organen und Verfahrensregeln regelmäßig bis unmittelbar zum Antritt seines Nachfolgers seine Verhandlungsgegenstände bearbeiten kann. Jene Verfassungen der zweiten Gruppe, bei denen der Ablauf der Wahlperiode eine neue beginnen lässt, müssen jedoch zusätzlich durch spezielle Ausschüsse sicherstellen, dass die Volksvertretung wenigstens in dieser Form repräsentiert wird, bis das Plenum zum ersten Mal in der neuen Wahlperiode zusammentritt.561 Die Zeiträume, in denen keine parlamentarische Arbeit wegen der rechtlichen Vorgaben stattfinden kann, werden so minimiert. Die Wirkung des Diskontinuitätsprinzips verschwindet jedoch nicht, denn das nachfolgende Landesparlament kann zwar seinen Vorgänger als Vorbild nehmen und identische Strukturen schaffen und liegengebliebene Gegenstände erneut aufgreifen, jedoch bedarf es dazu stets einer erneuten Willensbildung. Die vorherigen Strukturen und Verhandlungsgegenstände werden also nicht automatisch übernommen und können auch bei nahtlosen Wahlperioden nicht nahtlos fortgesetzt werden. Auch aus praktischen Gründen bleiben Zeiträume bestehen, in denen keine parlamentarischen Arbeiten erledigt werden, sei es wegen des Wahlkampfes, sei es, weil eine sich verzögernde Regierungsbildung auch die Bildung und Besetzung von parlamentarischen Gremien verzögert. In jedem Fall gilt auch für die Länderparlamente, dass erst durch das Diskontinuitätsprinzip das reguläre Ende der Wahlperiode ein Einschnitt ist, der einen Abbruch alles Vorherigen bedeutet. Die bisherigen Ausführungen beschreiben jedoch lediglich den regulären Ablauf einer Wahlperiode. Deutlich vielfältiger wird das Bild im Fall einer Parlamentsauflösung. Anders als auf Bundesebene kennen sämtliche Landesverfassungen neben verschiedenen anderen Konstellationen562 auch ein Selbstauflösungsrecht der Volksvertretung.563 Dies soll auch bei der Betrachtung des Diskontinuitätsprinzips berücksichtigt werden. Fraglich ist dabei stets, ob das Parlament unmittelbar mit der Auflösungsentscheidung seine Handlungsfähigkeit verliert und damit Diskontinuität eintritt oder ob dies erst zu einem späteren Zeitpunkt der Fall ist. Einzelne Verfassungen sehen im Fall einer vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode eine Vertretung des aufgelösten Parlaments durch Haupt- oder Zwischen561 So sehen Art. 36 BWVerf und Art. 93 HessVerf explizit die Bestellung eines ständigen Ausschusses auch für die Zeit zwischen Ende der Wahlperiode und Zusammentritt des neuen Landtags vor. Ausnahme bildet auch hier Bremen. 562 Dazu etwa Art. 43 BWVerf; Art. 17 BayVerf; Art. 76 BremVerf; Art. 69 SaarVerf; Art. 43 Abs. 1 SHVerf. 563 Mielke, in: Butzer/Epping u. a. (Hrsg.), HannKommNV, 2021, Art. 10 Rn. 5 ff. Auch Groh, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 39 Rn. 9; Pieper, in: Epping/Hillgruber, GG, 2021, Art. 68 Rn. 22.
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
ausschüsse vor.564 Indem diese Ausschüsse nach einer Auflösung565 bis zum ersten Zusammentritt eines neuen Landtags die Rechte der Volksvertretung wahrnehmen, wird implizit deutlich, dass das Parlament selbst hierzu nicht mehr in der Lage ist. Den historischen Vorbildern folgend bedeutet die (Selbst-)Auflösung des Parlaments gleichzeitig also das sofortige Ende der Wahlperiode. Damit tritt in diesen Ländern auch bereits zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich personelle, organisatorische und sachliche Diskontinuität ein. Lediglich die Zwischenausschüsse agieren als Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip über das Legislaturende hinaus bis zum ersten Zusammentritt des neuen Landtags. In Baden-Württemberg und Hessen kann die Tätigkeit des Zwischenausschusses sogar bis in die neue Wahlperiode, nämlich bis zum ersten Zusammentritt des neuen Landtags, hineinreichen, da die neue Wahlperiode regulär bereits mit dem Ablauf der alten und im Fall einer Auflösung mit der Neuwahl des neuen Landtags beginnt.566 Hierin liegt eine deutliche Durchbrechung der grundsätzlichen Abgeschlossenheit der Wahlperioden und damit des Diskontinuitätsprinzips. Die Regelung in Art. 12 Abs. 4 der Hamburger Verfassung geht dabei nur scheinbar noch weiter, indem dort explizit geregelt ist, dass die gesamte Bürgerschaft die Geschäfte bis zur ersten Sitzung der neuen Bürgerschaft fortführt. Anders als in den zuvor beschriebenen Verfassungen ist dies jedoch nicht so zu verstehen, dass der Auflösungsbeschluss die Wahlperiode unmittelbar beendet und sämtliche nachfolgenden Tätigkeiten der gesamten Bürgerschaft bis zum Zusammentritt der nächsten eine Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips darstellen. Vielmehr gilt auch in diesem Fall Art. 10 Abs. 2 Satz 2 der Hamburger Verfassung, wonach die Wahlperiode erst mit dem Zusammentritt der neuen Bürgerschaft endet.567 Konsequent spricht die Hamburger Verfassung deshalb nicht von „Auflösung“ sondern vom Beschluss zur „vorzeitige[n] Beendigung der Wahlperiode“.568 Ein solcher Beschluss bewirkt kein sofortiges Auseinandertreten der Vertretung, sondern verkürzt die reguläre Wahlperiode, bis eine neu gewählte Bürgerschaft zusammentritt.
564 So Art. 36 Abs. 1 BWVerf; Art. 26 Abs. 1 BayVerf; Art. 93 HessVerf und Art. 92 RhPfVerf. In Nordrhein-Westfalen wurde eine entsprechende Regelung in Art. 40 NRWVerf a. F. erst durch Gesetz vom 25.10.2016 (GVBl. S. 860) abgeschafft. 565 In Art. 92 RhPfVerf ist ein Zwischenausschuss überhaupt nur noch für die Zeit nach einer Auflösung vorgesehen. 566 Art. 30 Abs. 1 Satz 2, Art. 36 Abs. 1 BWVerf und Art. 82, Art. 93 Abs. 1 HessVerf. 567 Eine frühere Fassung enthielt daneben noch die Möglichkeit einer Beendigung der Wahlperiode durch „Auflösung“. Das Wort „Auflösung“ wurde durch Sechstes Gesetz zur Änderung der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 20.6.1996 (GVBl. S. 129) im gesamten Verfassungstext jedoch gestrichen, sodass deutlich wird, dass die Wahlperiode nun in allen Fällen erst mit dem Zusammentritt der neuen Bürgerschaft endet. 568 Vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 1 HmbVerf.
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Gleiches gilt auch für die übrigen Länderverfassungen. Dass die Wahlperiode nicht mit der Parlamentsauflösung, sondern erst der allgemeinen Regelung folgend mit dem Zusammentritt des neu gewählten Landtags endet, wird in den Verfassungen Nordrhein-Westfalens, des Saarlands und Sachsens explizit klargestellt.569 Nichts anderes kann für die Verfassungen gelten, in denen zwar eine solche ausdrückliche Regel fehlt, aber allgemein normiert ist, dass die Wahlperiode erst mit dem ersten Zusammentritt des Nachfolgers endet.570 Die oben erwähnte Regelung, nach der die Wahlperiode in manchen Ländern bereits läuft, bevor der Landtag sich in seiner ersten Sitzung konstituiert hat, zeigt zwar, dass allein die (weiterhin) laufende Wahlperiode noch nicht bedeutet, dass der Landtag versammelt und handlungsfähig ist. Jedenfalls aus historischer Betrachtung und vom Wortlaut „Auflösung“ ausgehend ließe sich ein sofortiges Auseinandertreten des Parlaments trotz weiterlaufender Wahlperiode begründen. Schon das Wortlautargument überzeugt aber dort nicht, wo wie in Hamburg statt einer Selbstauflösung des Parlaments eine vorzeitige Beendigung der Wahlperiode vorgesehen ist.571 Statt einer unmittelbaren Auflösung eröffnet die neue Begrifflichkeit die Möglichkeit eines Beschlusses, der erst zeitlich verzögert wirksam wird. Ebenso spricht die Systematik dafür, dass in den übrigen Ländern ohne Zwischenausschüsse die Wahlperiode nicht unmittelbar mit der Entscheidung für eine Auflösung bzw. vorzeitige Beendigung endet. Zum Teil findet sich die Regelung zum Legislaturende mit (besonderen) Regelungen zur Auflösung im gleichen Artikel, ohne dass ein abweichendes Ende in diesen Fällen vorgesehen ist.572 Gerade diese räumliche Nähe ließe eine Sonderregelung erwarten. Wegen der besonderen Bedeutung des Endes der Wahlperiode für die Frage, wann das konkret-individuelle Parlament seine Handlungsfähigkeit einbüßt, müsste eine Ausnahme von der allgemeinen Regel im Fall einer Auflösung ausdrücklich normiert sein.573 Spiegelbildlich normiert Art. 81 der Bremer Verfassung allgemein, dass die Bürgerschaft einen Monat nach dem Ablauf der Wahlperiode der vorherigen Bürgerschaft zusammentritt, ohne für eine vorzeitige Beendigung der Legislatur etwas Abweichendes zu regeln. Da aber für die Neuwahl nach einem 569 Art. 34 Satz 2 NRWVerf; Art. 67 Abs. 1 SaarVerf und Art. 44 Abs. 1 Satz 2 und 3 SachsVerf. 570 So in Art. 54 Abs. 5 BlnVerf; Art. 62 Abs. 4 Satz 2 BdgVerf; Art. 27 Abs. 1 Satz 2 MVVerf; Art. 9 Abs. 1 Satz 2 NdsVerf; Art. 43 Satz 2 LSAVerf; Art. 19 Abs. 1 Satz 2 SHVerf und Art. 50 Abs. 3 ThüVerf. 571 Art. 54 BlnVerf; Art. 76 BremVerf; Art. 27 Abs. 2 MVVerf, Art. 60 LSAVerf und Art. 19 Abs. 2, 43 Abs. 1 SHVerf. 572 Art. 54 BlnVerf; Art. 62 BdgVerf; Art. 27 MVVerf; Art. 9 NdsVerf; Art. 43 LSAVerf; Art. 19 SHVerf und Art. 50 ThüVerf. 573 Eine solche Regelung findet sich in Art. 82 HessVerf. Ähnliche Vorschriften kannten auch die Verfassungen von Hamburg und des Saarlands (Art. 10 Abs. 1 Satz 2 HmbVerf in der Fassung vor 1996; Art. 69 SaarVerf in der Fassung vor 1979).
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Verkürzungsbeschluss ausdrücklich eine Frist von maximal 70 Tagen vorgesehen ist,574 kann auch hier der Beschluss nicht das unmittelbare Ende der Wahlperiode bedeuten. Auch in diesen Ländern endet demnach die Wahlperiode nicht unmittelbar mit dem Beschluss über die Auflösung bzw. Verkürzung. Allerdings fehlt ihnen die Regelung in Art. 12 Abs. 4 der Hamburger Verfassung, nach der der Landtag bis zum Legislaturende die Geschäfte fortführt. Darüber hinaus sind Haupt- bzw. Zwischenausschüsse, die die Rechte der Volksvertretung wahrnehmen, nicht vorgesehen. Weil also andernfalls die Rechte der Volksvertretung nach einem Beschluss zur vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode vakant blieben, muss das Parlament selbst bis zum Ende der Wahlperiode voll handlungsfähig bleiben. Es erscheint insbesondere, wenn sich die Verfassungen sogar im Wortlaut von der ursprünglich so antiparlamentarischen Idee der Auflösung emanzipiert haben, nicht plausibel, dass in diesen Ländern dennoch eine parlamentsfreie Zeit möglich sein soll. Sinn und Zweck des Selbstauflösungsrechts ist lediglich, die Möglichkeit zu eröffnen, die Wahlperiode in besonderen Fällen als Akt der Selbstbestimmung zu verkürzen, und gerade nicht sich dabei selbst handlungsunfähig zu machen und auf die Wahrnehmung parlamentarischer Rechte zu verzichten. Dies wird nur erreicht, indem die Volksvertretung für die gesamte Wahlperiode bis zum absoluten Ende handlungsfähig bleibt. So wird es auch für den Bundestag vertreten, obwohl das Grundgesetz weiterhin in Art. 63 Abs. 4 Satz 3 GG und Art. 68 GG von „Auflösung“ spricht.575 Anders als in den Ländern mit den oben angesprochenen Zwischenausschüssen gilt daher nach den übrigen Länderverfassungen, dass die Abgeordneten ihre Mandate so lange wahrnehmen können und das Parlament damit in vollem Umfang handlungs- und beschlussfähig bleibt, solange die Wahlperiode andauert. Erst mit deren Ende tritt Diskontinuität ein.
B. Beginn der Wahlperiode Wie gezeigt, hängt der Abschluss der alten Wahlperiode regelmäßig unmittelbar mit dem Beginn der neuen Wahlperiode zusammen. In denjenigen Ländern, in denen die Wahlperiode des Vorgängerparlaments erst endet, wenn der Nachfolger zusammengetreten ist, kommt der Konstituierung eine entscheidende Bedeutung zu. Dabei hat sich eine beachtenswerte Vielzahl an unterschiedlichen Wegen entwickelt, diesen ersten Zusammentritt zu organisieren. Zunächst enthält beispielsweise die Verfassung von Bayern überhaupt keine Regelung zur Zuständigkeit für die Einberufung der ersten Sitzung einer neuen 574 575
Art. 76 Abs. 3 BremVerf. Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 88 [Lfg. 77 5/2016].
6. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in den Ländern der Bundesrepublik
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Legislatur, sondern sieht lediglich eine lose Frist vor.576 Nach Verfassungen anderer Länder lädt der Präsident des alten Parlaments die neuen Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung des Nachfolgeparlaments,577 sodass sich ein Gleichlauf zum Bundestag ergibt.578 In ähnlicher Weise wird in Bremen der gesamte, bisherige Vorstand tätig.579 In anderen Fällen gibt es eine starre Frist, nach deren Ablauf das Parlament zusammentritt, ohne dass es der formellen Ladung zwingend bedürfte.580 Schließlich bestehen Regelungen, nach denen der Alterspräsident des neuen Parlaments auch zur konstituierenden Sitzung lädt.581 Während in den letzten beiden genannten Fällen die neue Vertretung nicht auf die Mitwirkung der alten angewiesen ist, wirkt in den anderen Fällen ein Organ des alten Parlaments in die Wahlperiode des neuen hinein. Die Abgeschlossenheit der Wahlperiode, welche das Fundament für das Diskontinuitätsprinzip bildet, wird also in diesen Fällen stets durchbrochen. Eine ausdrückliche Ausnahmeregelung vom Diskontinuitätsprinzip ist aber immer dort lässlich, wo das entsprechende Organ auch bis zu diesem Zeitpunkt legitimiert ist. Die Wirkung der Abgeordnetenladung tritt nämlich bereits zum Zeitpunkt der ablaufenden Wahlperiode ein, für die das bisherige Parlamentsorgan weiterhin umfassend legitimiert ist. Nur in den Ländern, in denen die Möglichkeit besteht, dass die alte Wahlperiode (ausnahmsweise) bereits zu Ende gegangen ist, bevor das neue Parlament zusammengetreten ist, bedarf es einer expliziten Ausnahme vom Verfassungsgrundsatz der Diskontinuität. Eine solche Ausnahmeregelung ist etwa in Art. 20 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung und Art. 85 Abs. 2 der Verfassung von Rheinland-Pfalz geregelt, welche vorsehen, dass die Präsidien die Geschäfte bis zum Zusammentritt des neuen Landtags fortführen. In Bremen fehlt dagegen eine ausdrückliche Vorschrift, die den Vorstand ermächtigt, auch nach dem Ende der Wahlperiode tätig zu werden, um etwa die neue Bürgerschaft einzuberufen. Nicht ausreichend ist eine Vorschrift in der Geschäftsordnung des jeweiligen Landesparlaments,582 da diese wegen der organi-
576
Art. 16 Abs. 2 BayVerf. Dies ist etwa in der Verfassungen Hamburgs, Niedersachsens und NordrheinWestfalens ausdrücklich vorgesehen (Art. 12 Abs. 3 HmbVerf, Art. 21 Abs. 3 Satz 1 NdsVerf; Art. 37 Abs. 1 Satz 2 NRWVerf). 578 Zur Ladung zur konstituierenden Sitzung des Bundestages: S. 164. 579 Art. 81 Satz 2 BremVerf. 580 Dies ist etwa in Art. 83 Abs. 2 HessVerf vorgesehen. 581 Dies ist etwa in der Verfassung von Sachsen vorgesehen (Art. 44 Abs. 3 Satz 2 SachsVerf). Eine vergleichbare Regelung in Art. 30 Abs. 3 Satz 2 BWVerf wurde im April 2022 ersatzlos gestrichen. 582 Wie etwa § 2 Abs. 1 Satz 1 der GO für den Bayerischen Landtag. Wo die Wahlperiode aber zwingend bis zur Konstituierung des neuen Parlaments fortgesetzt wird, ist dieser Rückgriff weniger problematisch, da dort die parlamentarische Geschäftsordnung so lange in Kraft bleibt und den bisherigen Präsidenten entsprechend legitimiert. Das gilt auch bei § 1 Abs. 1 der GO des Bundestages. 577
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
satorischen Diskontinuität am Ende der Wahlperiode ihre Wirksamkeit verliert. Wegen des Verfassungsrangs des Diskontinuitätsprinzips muss auch dessen Durchbrechung durch Verfassungsrecht gerechtfertigt sein. Angesichts der Parallelität der Länderverfassungen ist dies mit einem Rückgriff auf den Hatschek’schen Grundsatz des Organisationsparallelismus problemlos möglich.583 Zusammenfassend zeigt sich, dass die Abgeschlossenheit der Wahlperiode nicht in allen Ländern streng durchgehalten wird. Eine Ausnahme von Diskontinuitätsprinzip ist jedoch in der Regel auch dann nicht notwendig, eben weil die konkret-personellen Parlamente regelmäßig nahtlos aneinander gereiht werden. Zwischenzeiten, in denen die Organe des vorherigen Parlaments wegen des Diskontinuitätsprinzips eigentlich nicht tätig werden könnten, fallen so weitgehend weg. Da jedoch eine solche Durchbrechung der Abgeschlossenheit der Wahlperiode unnötig ist, ist es erstrebenswert, ein neu gewähltes Parlament in die Lage zu versetzen, sich aus eigener Kraft zu konstituieren.
C. Unterteilung der Wahlperiode Im Unterschied zur Bundesebene, auf der die einzelnen Sitzungen eine Wahlperiode ausfüllen, aber eine Unterteilung in Sitzungsperioden nicht vorgesehen ist, sind in verschiedenen Landesverfassungen Sitzungsperioden noch angelegt. Explizit erwähnt wird der Begriff „Sitzungsperiode“ nur noch in der Hessischen Verfassung.584 Diese verwendet dazu synonym den Begriff „Tagung“,585 den auch die Bayerische Verfassung kennt.586 Der für den Eintritt von Diskontinuität historisch so wichtige, formelle Schluss einer solchen Arbeitsperiode findet ebenfalls in diesen Verfassungen Erwähnung. Solch einen Schluss, der mehrere Sitzungstermine bündelt und formell beendet, kennen auch noch die Verfassungen von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen, ohne jedoch eine zeitliche Gliederung in „Tagungen“ oder „Sitzungsperioden“ explizit vorzusehen.587 Dabei ist hervorzuheben, dass diese Begrifflichkeiten zu Untergliederungen einer Wahlperiode nicht einheitlich in den verschiedenen Verfassungstraditionen der Länder gebraucht wurden und werden. So verwendete Art. 36 der Verfassung von Nordrhein-Westfalen bis 2016 „Tagung“ gleichbedeutend mit „Sitzung“ 588 in dem Sinn, dass einzelne Sitzungs- bzw. Tagungstermine die Wahlperiode ausfüllen, aber keine zeitliche Untergliederung der Wahlperiode vorgesehen ist. Auch 583 Vgl. Hatschek, Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 25 ff. Alternativ ließe sich auch auf Verfassungsgewohnheitsrecht abstellen. 584 Art. 83 Abs. 4, 96 HessVerf. 585 Art. 83 Abs. 4 HessVerf. 586 Art. 17 Abs. 3, 20 Abs. 2, 26 Abs. 1, 28 Abs. 1 und 3 BayVerf. Art. 36 NRWVerf. 587 Art. 30 Abs. 4 BWVerf; Art. 83 Abs. 4 RhPfVerf und Art. 44 Abs. 4 SächsVerf. 588 Geändert durch Gesetz vom 25.10.2016 (GVBl. S. 860).
6. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in den Ländern der Bundesrepublik
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dass bis zum gleichen Jahr die Bremische Verfassung in Art. 95 den Begriff „Sitzungsperiode“ vorsah,589 lässt sich eher damit erklären, dass der Wortlaut von Art. 37 WRV weitestgehend übernommen wurde. An keiner anderen Stelle in der Verfassung Bremens fand sich eine Andeutung, dass die Bürgerschaft die Wahlperiode weiter untergliedern sollte. Darüber hinaus fand die Möglichkeit, eine Sitzungsperiode zu schließen, ebenfalls keine Erwähnung. Daher galt hier, dass mit „Sitzungsperiode“ abweichend von der Hessischen Verfassung und dem historischen Gebrauch die gesamte Wahlperiode gemeint war. Entscheidend für den Eintritt von Diskontinuität ist mithin nicht die verwendete Begrifflichkeit für die Unterteilung der Wahlperiode, sondern deren Ausgestaltung in der parlamentarischen Praxis. Für Verfassungen, in denen – wie in den meisten Ländern – auf einen formellen Schluss verzichtet wird, ist klar, dass es keine diskontinuierlichen Effekte während der Wahlperiode geben soll. In den Verfassungen von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsens ist dagegen explizit vom Schluss einer solchen Arbeitsperiode die Rede, sodass zu erwarten wäre, dass ein solcher Schluss auch mit organisatorischer und sachlicher Diskontinuität verbunden ist, da der Schluss einer Sitzungsperiode historisch immer auch mit entsprechenden Diskontinuitätsfolgen verbunden war. So sehen als Ausnahme von einer solchen organisatorischen Diskontinuität auch Art. 20 Abs. 2 und Art. 26 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung vor, dass für die Zeit zwischen zwei Tagungen das Präsidium die Geschäfte fortführt und ein Zwischenausschuss die Rechte des Landtags wahrnimmt.590 Dennoch gibt es auch gegenteilige Anzeichen. Die Verfassungen von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen verzichten nicht nur an dieser Stelle auf eine Regelung für die Folgen eines Schlusses einer Sitzungsperiode. Zwar findet sich in den Verfassungen von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ein Zwischenausschuss, der jedoch nicht für die Wahrnehmung der Rechte des Landtags für die Zeit zwischen zwei Unterperioden, sondern nur für die Zeit nach dem Ende der Wahlperiode591 bzw. nach einer Landtagsauflösung592 bestimmt ist. In gleicher Weise sichern diese beiden Verfassungen genau wie die Sächsische Verfassung den Abgeordneten Immunität für die gesamte Wahlperiode zu,593 obwohl historisch etwa beim Weimarer Reichstag594 und auch in aktuellen Länderverfassungen595 der Schluss einer Sitzungsperiode auch den Verlust der Immunität der 589
Geändert durch Gesetz vom 20.12.2016 (GVBl. S. 904). Ähnliche Regelungen finden sich auch in Art. 85 und 93 HessVerf. 591 Art. 36 BWVerf. 592 Art. 92 RhPfVerf. 593 Art. 37, 38 BWVerf; Art. 94 RhPfVerf; Art. 55 SächsVerf. 594 Art. 37 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919. 595 Die Reichstagsregelung in Art. 37 WRV nachahmend sehen Art. 28 BayVerf und Art. 96 HessVerf Immunität nur während der Tagung bzw. Sitzungsperiode vor. 590
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3. Teil: Das Diskontinuitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland
Abgeordneten zur Folge hat und dies ein Hauptargument für den Verzicht des Reichstags auf eine solche formelle Schließung einer Sitzungsperiode war.596 Da außerdem weder die Verfassung von Baden-Württemberg noch von Rheinland-Pfalz noch von Sachsen „Sitzungsperioden“ und „Tagungen“ erwähnen, sprechen gute Argumente dafür, dass die Bedeutung von „Schluss“ sich zumindest in diesen drei Ländern von der strengen, formellen Beendigung eines längeren Zeitabschnitts gewandelt hat und nun lediglich das selbstbestimmte Ende einer Sitzung meint. Ein solcher Bedeutungswandel wird insbesondere durch die Entwicklung in Rheinland-Pfalz unterstützt. Hier sah der Verfassungstext zunächst synonym „Tagungen“ 597 und „Sitzungsperiode[n]“ 598 vor, mit deren Schluss die Landtagsabgeordneten ihre Immunität verloren und ein Zwischenausschuss zur Wahrung der Landtagsrechte aktiv wurde.599 1991 wurden jedoch beide Begriffe aus dem gesamten Verfassungstext gestrichen und der „Schluß der Tagung“ des Landtags in Art. 83 Abs. 6 der alten Fassung der Verfassung von Rheinland-Pfalz zum „Schluß (. . .) seiner Sitzungen“ ersetzt.600 Den Widerspruch zwischen dem Verzicht auf die Benennung von zeitlichen Untergliederungen der Wahlperiode im Verfassungswortlaut und der Beibehaltung eines Schlusses ist nur durch einen entsprechenden Bedeutungswandel sinnvoll zu begründen. So ist auch zu erklären, warum selbst die erst nach der Wiedervereinigung geschaffene Verfassung Sachsens ein solches Schließungsrecht in Art. 44 Abs. 4 Satz 1 dem Landtag überträgt. Aber selbst wenn man den Schluss weiterhin im historischen Sinne einer Bündelung und formellen Beendigung mehrerer Parlamentssitzungen versteht, wie dies jedenfalls für Bayern und Hessen der Fall ist, hat dieser jedoch in keinem der Länder eine praktische Bedeutung. Da die Landtage frei darin sind, einen entsprechenden Beschluss zu treffen, verzichten sie in der Praxis darauf und umgehen damit in der gleichen Weise wie der Weimarer Reichstag601 eine Einteilung der Wahlperiode in Unterperioden. Damit gibt es in keinem Landesparlament, unabhängig davon, ob die Verfassungen Sitzungsperioden, Tagungen, einen Schluss oder nichts dergleichen vorsehen, eine diskontinuierliche Zäsur während der Wahlperiode. Vielmehr tritt in allen Ländern Diskontinuität erst am Ende der Wahlperiode ein.
596 Zu dem Verzicht auf die Schaffung von Sitzungsperioden im Weimarer Reichstag: S. 104. 597 Art. 83 Abs. 6, 92 RhPfVerf a. F. 598 Art. 94 Abs. 1 und 3 RhPfVerf a. F. 599 Dazu Art. 92 und 94 RhPfVerf a. F. 600 Dreißigstes Landesgesetz zur Änderung der Verfassung für Rheinland-Pfalz (Gesetz zur Bereinigung der Landesverfassung) vom 15.3.1991, GVBl. S. 73 ff. 601 Zu dem Verzicht auf die Schaffung von Sitzungsperioden im Weimarer Reichstag: S. 104.
6. Kap.: Das Diskontinuitätsprinzip in den Ländern der Bundesrepublik
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Im Ergebnis zeigt der Vergleich der verschiedenen Länderverfassungen, dass das Diskontinuitätsprinzip und seine Folgen gemeinhin akzeptiert sind. Auffällig ist dabei, dass sich die parlamentarische Praxis in dieser Hinsicht über alle Ländergrenzen hinweg gleicht, obwohl die verfassungsrechtlichen Vorschriften zum Teil sehr unterschiedliche Voraussetzungen bieten. Daraus lässt sich ableiten, dass auch hier eine klare Tendenz dazu besteht, ein Parlament zu schaffen, welches dauerhaft handlungsfähig und präsent ist. Auf Länderebene wird dieser Effekt durch die in der Regel fünfjährige Wahlperiode noch verstärkt, da somit Unterbrechungen mit größeren zeitlichen Abständen erfolgen.
4. Teil
Reformansätze zum Diskontinuitätsprinzip Das Diskontinuitätsprinzip wird – wie schon erwähnt – in der Literatur regelmäßig schlicht beschrieben, ohne dass eine vertiefte Auseinandersetzung stattfindet. Wo dies jedoch passiert, mündet dies in der Regel in einem Reformvorschlag.1 Dass das Diskontinuitätsprinzip kein zwingendes Recht darstellt, wurde bereits aufgezeigt.2 Die starken kontinuierlichen Effekte, die sich als Reaktion auf die zumindest in der Theorie tiefgreifende Wirkung des Diskontinuitätsprinzips entwickelt haben, stellen umgekehrt die Frage, inwieweit das Diskontinuitätsprinzip reformiert werden sollte. Der aus der fehlenden Normierung resultierenden vagen Vorstellung von den diskontinuierlichen Effekten könnte ebenso im Rahmen einer Reform begegnet werden. 1. Kapitel
Vollständige Kontinuität Eine bloß theoretisch anzudenkende Möglichkeit besteht in der Schaffung von vollständiger Kontinuität. Es könnte sowohl personelle, organisatorische wie auch sachliche Kontinuität geschaffen werden. Alternativ ließen sich lediglich einzelne der drei Teilbereiche des Diskontinuitätsprinzips kontinuierlich gestalten. Vorteil einer kontinuierlicheren Ausgestaltung wäre zum einen der vollständige Erhalt des Bisherigen. Zum anderen erhöht Kontinuität die Stabilität des parlamentarischen Systems, da der Umbruch zum Ende einer Wahlperiode weniger einschneidend wäre. Die bewährte Organisationsstruktur inklusive der Geschäftsordnung würde fortgelten, liegengebliebene Gesetzentwürfe unmittelbar fortgesetzt und Wissen und Erfahrung um die parlamentarischen Abläufe durch kontinuierliche Mandate gesichert werden. Besonders bei personeller Kontinuität wird jedoch ein Konflikt mit dem Demokratieprinzip offenkundig. Wenn nicht mehr das Ende der Legislatur auch das 1 Etwa Bahlmann, Grundsatz der Diskontinuität, MVDA 1965, 189 (194 f.); A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 402; Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 83; Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (165 ff.). Interessanterweise führt dies bei Schorn zum Vorschlag zur Einführung einer Diskontinuitätsregelung auf europäischer Ebene (Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 147). 2 Dazu, dass das Diskontinuitätsprinzip kein zwingendes Verfassungsprinzip ist: S. 226.
1. Kap.: Vollständige Kontinuität
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Ende des Abgeordnetenmandats bedeuten würde, fiele die durch Wahlen gewährleistete Rückbindung der Parlamentarier an das Volk als Souverän weg. Denkbare Wege, um eine solche Rückbindung zu erreichen,3 wären kompliziert und hätten eine Reihe von Nachteilen.4 Bereits die Praxis zeigt jedoch, dass angesichts hoher Wiederwahlquoten nicht befürchtet werden muss, dass durch den Wechsel der Legislaturperioden so viel parlamentarische Erfahrung verloren geht, dass die Parlamentsarbeit zu Beginn der Wahlperiode vollständig ins Stocken gerät. Dabei erlaubt die einheitliche Wahl sämtlicher Parlamentssitze auch eine differenziertere Entscheidung des Souveräns darüber, wie stark er Erfahrung und Stabilität auf der einen Seite gegenüber neuen Personen und politischen Ideen auf der anderen Seite gewichtet. Dagegen scheint eine organisatorische Kontinuität schon eher sinnvoll. So blieben Organe und Geschäftsordnung über den Wechsel der Legislaturperiode erhalten. Diese müssten durch den neuen Bundestag nur mit neuem Leben befüllt werden. Änderungen könnten bei Bedarf im Laufe der Zeit vorgenommen und so gewährleistet werden, dass die Organisationsstruktur stets den aktuellen Anforderungen entspricht. Klarer Vorteil der Fortgeltung der Geschäftsordnung des Bundestages über die Grenzen der Wahlperioden hinaus wäre, dass bereits für die konstituierende Sitzung ein Regelwerk für deren Ablauf vorhanden wäre. Ob eine solche Reform dagegen nötig ist, scheint schon angesichts der Praxis fraglich, die bisherige Struktur zu übernehmen. So enthält die Geschäftsordnung bereits in § 1 GO-BT Regelungen zur Konstituierung. Diese sind zwar für den neuen Bundestag wegen der organisatorischen Diskontinuität nicht unmittelbar bindend, jedoch eine klare Orientierung zur bisherigen Parlamentspraxis. Das Diskontinuitätsprinzip bietet zu jeder neuen Wahlperiode auch stets die Chance, die bisherige Geschäftsordnung und allgemein die Organisationsstruktur zu hinterfragen. Ein neuer Bundestag kann sich ganz frei seine eigene innere Ordnung geben. Das verhindert auch die Gefahr, dass eine neu gewählte Parlamentsmehrheit durch weitreichende Minderheitenrechte gepaart mit hohen Änderungserfordernissen, die noch eine Vorgängermehrheit erlassen hat, blockiert wird. Besonders mit Blick auf Untersuchungsausschüsse und Enquete-Kommissionen führt diese Bewährungsprobe ferner dazu, dass zum einen Druck entsteht, die Aus3 Beispiele für eine solche Rückbindung wären anstelle von einheitlichen Wahlen eine Art konstruktives Misstrauensvotum, bei dem der bisherige Abgeordnete so lange sein Mandat behält, bis er abgewählt und durch einen neuen ersetzt wird. Denkbar wäre auch die Vergabe von lediglich einem Teil der Mandate in zeitlich entsprechend versetzten Wahlen in regelmäßigen Abständen; zu alternativen Ausgestaltungen: S. 226. 4 Nachteil einer lediglich punktuellen Neuvergabe der Mandate wäre, dass sich verändernde Mehrheiten in der Bevölkerung stets nur punktuell in das Parlament übertragen würden. Außerdem wären geringere Wahlbeteiligungen zu befürchten, weil die Vergabe lediglich einzelner Mandate weniger Aufmerksamkeit und Gewicht in der Öffentlichkeit bekommen und als weniger bedeutend wahrgenommen werden würde. Ferner droht eine weitere Verkomplizierung des Wahlsystems.
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4. Teil: Reformansätze zum Diskontinuitätsprinzip
schussarbeit möglichst umfassend noch in der alten Wahlperiode zu bewältigen und dass zum anderen nicht schon der Beginn einer neuen Legislatur durch veraltete, irrelevante Themen belastet wird.5 Gleiches gilt auch für die Wirkung der sachlichen Diskontinuität. Zwar entstünde durch Kontinuität die Möglichkeit, Gesetzentwürfe und deren zum Teil umfangreiche Vorarbeiten vor dem Verfall infolge des Diskontinuitätsprinzips zu retten. Dadurch würden aber ebenso Gesetzentwürfe fortbestehen, die ihre Aktualität bereits eingebüßt hätten und auf keine relevante Unterstützung bauen könnten. Dieser Druck zum Ende der Wahlperiode kann gerade in einem festgefahrenen Gesetzgebungsprozess der entscheidende Impuls sein, um doch noch eine Verabschiedung zu erreichen. Auch wenn dieser Erfolg in Teilen zu Lasten eines sorgfältigen Gesetzgebungsverfahrens gehen kann, würde dieser Effekt nicht durch die Abschaffung von sachlicher Diskontinuität verhindern werden. Denn die veränderten, unbekannten Mehrheitsverhältnisse nach einer Wahl würden weiterhin dazu führen, dass eigene Entwürfe noch mit den aktuellen Mehrheiten „durchgepeitscht“ werden.6 Insgesamt zeigt sich, dass vollständige Kontinuität die befreiende Wirkung des Diskontinuitätsprinzips aufheben würde. Weil eben die theoretisch weitreichende Diskontinuität durch große praktische Kontinuität gemildert wird,7 nach der all jenes Bewährte und weiterhin Aktuelle wieder aufleben kann, entsteht eine außerordentliche Flexibilität. Auch bei vollständiger Kontinuität würden sich wohl zügig praktische Mechanismen entwickelt, um all jenes, was sich nicht bewährt hat, nicht mehr aktuell oder relevant ist und bisher dem Diskontinuitätsprinzip zum Opfer fällt, zu beseitigen. Kontinuität würde – bildhaft gesprochen – den Erhalt des bisherigen parlamentarischen Gebäudes mit anschließender Renovierung bedeuten, während Diskontinuität eben vollständigen Abbruch und Wiederaufbau mit den besten bisherigen Teilen verlangt. Damit wären die Effekte zwar umgedreht, aber nichts gewonnen. Die Demokratie lebt aber davon, dass in regelmäßigen Schüben, ein neuer „Hausherr“ bestellt wird, der frei darin ist, den Willen des Souveräns umzusetzen. Genau diese Freiheit sichert das Diskontinuitätsprinzip. 2. Kapitel
Sachliche (Teil-)Kontinuität Während eine Reform hin zu einer vollständigen Kontinuität eine rein theoretische Überlegung ist, zeigt die Geschichte, dass das größte praktische Bedürfnis für eine Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips im Bereich der sachlichen 5
Zu den praktischen diskontinuierlichen Folgen für diese Organe: S. 250. Zu der durch sachliche Diskontinuität geschaffene Drucksituation und Bereinigungswirkung: S. 243, 246. 7 Zu der Abschwächung der Diskontinuitätsfolgen in der Praxis: S. 251. 6
2. Kap.: Sachliche (Teil-)Kontinuität
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Diskontinuität bestand. Grund dafür waren häufig strafrechtliche Gesetzesinitiativen.8 Das Diskontinuitätsprinzip schafft einen Zeitrahmen für Gesetzgebungsvorhaben von lediglich einer Wahlperiode, welche vier Jahre andauert und noch dazu durch Zeiten mit reduzierter Aktivität gerade zu Beginn und dem Ende der Legislatur sowie Parlamentsferien wie die Sommerpause unterbrochen wird. Diese zeitliche Begrenzung stellt eine Herausforderung für die Verabschiedung von komplexen Gesetzgebungsverfahren, die man als „großen Wurf“ bezeichnen kann, dar.9 So wird von einigen auch die vielfach diskutierte Verlängerung der Wahlperiode regelmäßig damit begründet, die Zahl der durch Diskontinuität verfallenden Entwürfe zu reduzieren10 bzw. den Zeitraum für Gesetzgebungsarbeit zu verlängern.11 Zu Beginn einer Wahlperiode bleibt zwar regelmäßig genug Zeit für die Umsetzung auch von komplexen Vorhaben, allerdings muss sich zunächst eine neue Regierung und damit auch eine Regierungsmehrheit im Bundestag finden. Diese unsicheren Zeiten eigenen sich kaum dafür, Entwürfe in den Bundestag einzubringen, insbesondere da die deutliche Mehrheit der Gesetzentwürfe Regierungsinitiativen sind.12 Darüber hinaus müssten die Gesetzentwürfe bereits in der abgelaufenen Wahlperiode vorbereitet werden, um sie so frühzeitig einbringen zu können. Haben sich die neue Regierung und die sie unterstützenden Fraktionen gefunden, legen die ersten Regierungsentwürfe zunächst einen Fokus auf das neue Regierungsprogramm, um schnell Handlungsfähigkeit zu dokumentieren. Notwendige, aber aufwendige Entwürfe, die bisher in den Schubladen der Ministerien liegen, eignen sich dafür nicht. Das gilt besonders, wenn die Regierungs-
8 Zu früheren Durchbrechungen für Strafrechtsreformen etwa: S. 90 und 121. Dazu und insbesondere auch zur Diskussion zur großen Strafrechtsreform in der Bundesrepublik: Bahlmann, Grundsatz der Diskontinuität, MVDA 1965, 189 (191 ff.). 9 Hilf, Unterbrechung der Diskontinuität, ZaöRV 1967, 742 (747); Kube, Zehn Thesen für Demokratie und Reformfähigkeit in Deutschland, ZRP 2004, 52 (53); Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 91; Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (163). 10 Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924 v. 9.12.1976, S. 38, 47. Ähnlich Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 212. 11 Kube, Zehn Thesen für Demokratie und Reformfähigkeit in Deutschland, ZRP 2004, 52 (53); Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, 2012, Art. 39 Rn. 5; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 51 Rn. 4. 12 In der 18. Wahlperiode beispielsweise waren 72,0 Prozent der beim Bundestag eingebrachten Gesetzesvorhaben Regierungsvorlagen (526 von insgesamt 731). Rechnet man die 53 Vorlagen der Regierungsfraktionen hinzu, ergibt sich sogar ein Wert von 79,2 Prozent. Obwohl dieser Wert besonders hoch ist, zeigt sich auch in früheren Wahlperioden, dass stets die deutliche Mehrzahl der Vorlagen durch die Regierung oder die sie tragenden Fraktionen eingebracht wurden. Noch deutlicher wird das Bild, wenn man auf die Vorlagen blickt, die am Ende auch verabschiedet werden (vgl. Feldkamp, Datenhandbuch des Bundestages seit 1990, Kapitel 10.1, S. 4 ff. (letzter Zugriff am 7.1. 2022)).
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4. Teil: Reformansätze zum Diskontinuitätsprinzip
mehrheiten wechseln, aber gleichfalls wenn nur eine neue Ministeriumsspitze bestellt wird. Erst wenn dieses erste Programm abgearbeitet ist, bleibt Zeit und Aufmerksamkeit für Gesetzesvorhaben, die vollständige Reformen und kein bloßes Stückwerk auf den Weg bringen sollen. Je nach Komplexität, Beratungsbedarf, politischer Unterstützung und öffentlicher Aufmerksamkeit bleiben dann drei Handlungsoptionen. Zum einen kann der Gesetzgebungsprozess ordnungsgemäß und mit der notwendigen Ausführlichkeit, insbesondere mit Blick auf Anhörungen und Einbindung von Experten und Berücksichtigung von Details, noch rechtzeitig vor Eintritt von sachlicher Diskontinuität ablaufen. Das sollte der Regelfall sein, verlangt aber, dass die Beteiligten dem Vorhaben eine gewisse Priorität einräumen. Wenn diese Priorisierung nicht von Anfang an vorhanden ist, kann ein Gesetzentwurf auch noch rechtzeitig verabschiedet werden, wenn man das Verfahren beschleunigt. Eine solche Beschleunigung wird regelmäßig zu Lasten der Gesetzgebungsqualität gehen.13 So besteht auch bei sorgfältig vorbereiteten Entwürfen bei jeder Anpassung im Gesetzgebungsprozess die Gefahr von handwerklichen Fehlern wie falsche Verweise, zu weitreichende oder auch unzureichende Ausnahmen, sprachliche Schwächen und vor allem ungewollte Konsequenzen, da nicht alle Auswirkungen bedacht wurden. Je komplexer das Vorhaben ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass solche Fehler passieren und im beschleunigten Verfahren nicht mehr auffallen und korrigiert werden können. Als dritte Option wird daher – gerade bei sehr komplexen Vorhaben, die tiefgreifende Reformen bewirken sollen – ab einem gewisse Zeitpunkt in der Wahlperiode, der Entwurf gar nicht mehr angefasst und auf die nächste Wahlperiode verschoben. Wenn es sich dabei um Lebensbereiche handelt, die in der Öffentlichkeit keine Aufmerksamkeit erfahren und mit denen auch ein politischer Gewinn kaum zu verbuchen ist, wird der Gesetzgeber immer wieder davon absehen, entsprechende Regelungen zu erlassen. Um zu vermeiden, dass Vorhaben immer wieder verschoben oder aber unter Zeitdruck durch das Gesetzgebungsverfahren „gepeitscht“ werden, sollte über Wege nachgedacht werden, die Folgen der sachlichen Diskontinuität aufzuweichen.
A. Befristung von Gesetzesinitiativen Die Einführung von sachlicher Kontinuität verhindert zwar die beschriebenen Probleme, lässt jedoch überhaupt keinen Verabschiedungsdruck entstehen und birgt die Gefahr, dass überalterte Entwürfe endlos fortbestehen. Dem könnte
13 Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 59 [Lfg. 77 5/2016]; Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, DÖV 1965, 505; Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (163 f.).
2. Kap.: Sachliche (Teil-)Kontinuität
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etwa mit einer individuellen Befristung jedes Entwurfs begegnet werden.14 Würde bei einer Gesetzesinitiative ab dem Moment, in dem sie in den Bundestag eingebracht wurde, eine Frist von vier Jahren laufen, bestünde zu jedem beliebigen Zeitpunkt innerhalb der Wahlperiode die Möglichkeit, Entwürfe zu initiieren, ohne befürchten zu müssen, dass wegen des Diskontinuitätsprinzips entweder auf ein zeitsensibles Verfahren zurückgegriffen werden muss oder alle Vorarbeiten durch den Eintritt von Diskontinuität verloren gehen. Gleichzeitig würde ein nahendes Fristende Druck auf die Beteiligten ausüben und letztendlich dazu führen, dass Entwürfe, die dauerhaft keine Mehrheit finden, nicht endlos fortexistieren. Die Frist könnte dabei auch länger als vier Jahre gewählt werden, um so komplexen Vorhaben gerecht zu werden, ohne die Rückbindung der Abgeordneten an das Wahlvolk durch eine längere Wahlperiode zu reduzieren. Denkbar wäre dann sogar, dass eine bisherige Oppositionsfraktion einen Entwurf in einer Legislatur vorlegt, den sie nach einer erfolgreichen Wahl als Regierungsfraktion verabschiedet. Dieses Beispiel zeigt aber bereits auch die Nachteile dieses Vorschlags. Denn die individuelle Befristung träte nur neben den weiterhin sehr relevanten Zeitrahmen, der durch die Wahlperiode vorgegeben ist. Gesetzesvorlagen würden weiterhin möglichst vor dem Ende der Legislatur verabschiedet werden, um aktuelle Mehrheiten auszunutzen. Dagegen dürften in der alten Legislatur eingebrachte Entwürfe sehr selten zu den durch die Wahl geformten Mehrheiten passen. Regierungskoalitionen verlangen in der Regel Kompromisse, die dann eingearbeitet werden müssten oder sogar einen neuen Entwurf notwendig machen. Selbst bei dem – aktuell eher rein theoretisch bestehenden – Fall einer Regierung, die von lediglich einer Partei getragen wird, werden deren parlamentarische Vertreter in der Regel nicht bloß das „abnicken“ wollen, was in der alten Wahlperiode eingebracht wurde. Schließlich hätte die individuelle Befristung den Nachteil, dass jede Initiative ein unterschiedliches Fristende hätte. Das macht es komplizierter, den Überblick darüber zu behalten, bis wann ein Entwurf endgültig verabschiedet sein muss. Der so entscheidende, letzte Impuls für die Verabschiedung der individuellen Vorlage droht dann unterzugehen. Dieser Nachteil wird dadurch gesteigert, dass es auch weiterhin die Zeiten geben würde, in denen das parlamentarische Leben weitgehend stillsteht.15 Liegt die Frist für die Verabschiedung des individuellen Entwurfs besonders unglücklich, blieben so womöglich besonders wenige aktive Parlamentstage.
14 Ähnlich für die Erweiterung von sachlicher Diskontinuität auf europäischer Ebene: Schorn, Grundsatz der Diskontinuität im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 116. 15 Zu diesen typischen Zeiten zu Beginn und Ende einer Wahlperiode: Hölscheidt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 39 Rn. 47 f. [Lfg. 199 7/2019]; Schultz, Blick in die Zeit, MDR 1965, 718 (719).
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4. Teil: Reformansätze zum Diskontinuitätsprinzip
Um dem zu begegnen, ließe sich eine solche Befristungslösung auch variieren, indem man die Verabschiedung innerhalb der Wahlperiode als Regelfall beibehält, aber für zu diesem Zeitpunkt noch nicht verabschiedete Entwürfe eine Frist für deren Verabschiedung innerhalb der neuen Wahlperiode einräumt. Auch hier wäre jedoch zu erwarten, dass die Entwürfe mit Mehrheiten noch vor dem Ende der Wahlperiode verabschiedet werden, während die übrig gebliebenen Entwürfe auch in der neuen Wahlperiode kaum eine Mehrheit finden werden. Im Ergebnis entstünden durch eine Befristung keine so wesentlichen Vorteile gegenüber der Beibehaltung der sachlichen Diskontinuität, dass eine entsprechende Reform erstrebenswert wäre. Die Nachteile des Diskontinuitätsprinzips würden nur durch andere Nachteile ersetzt.
B. Generelle Kontinuität nur bei bestimmten Arten von Gesetzesinitiativen Um die sachliche Diskontinuität aufzuweichen, könnte neben einer Befristung auch an eine Ausnahme für bestimmte Arten von Gesetzesinitiativen gedacht werden. Dies soll etwa für Haushaltsgesetze gelten, da diese stets zeitkritisch und deshalb besonders betroffen sind, wenn sie durch sachliche Diskontinuität zum Legislaturende verfallen und dadurch verzögert werden. Dabei wird vorrangig das Haushaltsgesetz für das Jahr 1972 anführt, welches wegen der sich während der Wahlperiode ändernden Mehrheiten und nach der Bundestagsauflösung in diesem Jahr erst im Dezember 1972 überhaupt verabschiedet werden konnte.16 Dabei handelt es sich jedoch um eine absolute Ausnahmekonstellation. Zum einen ist die Kontinuität des Haushaltsgesetzes nur dann sinnvoll, wenn die Regierungsmehrheit sich – wie im Jahr 1972 – nicht ändert. Andernfalls ist nicht zu erwarten, dass die neue Regierungsmehrheit den Entwurf ihrer Vorgängerin übernimmt. Zum anderen handelt es sich beim Haushaltsgesetz um ein so bedeutendes Gesetz, dass eine Regierungsmehrheit dieses unter gewöhnlichen Umständen selbst in relativ kurzer Zeit noch vor dem Ende der Wahlperiode bis zur endgültigen Verabschiedung bringen wollen wird, selbst wenn hierfür besondere Anstrengung nötig sein sollten. Wenn hierzu bereits die Mehrheiten nicht vorhanden sind, ist schon nicht ersichtlich, warum der Entwurf über das Ende der Wahlperiode hinaus kontinuierlich fortbestehen sollte. Schließlich ist gerade beim Haushaltsgesetz die Gefahr besonders groß, dass dessen ursprünglicher Entwurf nach dem Wahlperiodenwechsel auf veralteten Zahlen basiert,17 sodass eine durch das Diskontinuitätsprinzip erzwungene Einbringung eines neuen Entwurfs zur Aktualisierung genutzt werden könnte. Das 16
Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (164 ff.). Darauf weist selbst Versteyl hin (Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (164)). 17
2. Kap.: Sachliche (Teil-)Kontinuität
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Diskontinuitätsprinzip dient gerade dazu, Entwürfe zu beseitigen, die ihre Aktualität eingebüßt haben, sodass eine Durchbrechung hier kontraproduktiv wäre. Jedoch kämen nationale Umsetzungsakte von EU-Richtlinien für eine generelle Kontinuität über Wahlperioden hinweg in Betracht.18 Da sich aus den Europäischen Verträgen eine Pflicht der Mitgliedsstaaten zur Umsetzung in nationales Recht innerhalb der gesetzten Frist ergibt,19 ist es in diesen Fällen zwingend, dass ein entsprechendes Gesetzgebungsvorhaben zur Umsetzung auch in einer neuen Wahlperiode wieder aufgenommen werden muss, soweit es in der vorherigen nicht abgeschlossen werden konnte. Wegen der Umsetzungspflicht, insbesondere auch wegen deren Fristgebundenheit, erscheint es daher sinnvoll, eine generelle Regelung einzuführen, die es für Entwürfe von entsprechenden Umsetzungsgesetzen erlaubt, diese nahtlos auch nach einem Legislaturperiodenwechsel weiterzuberaten. Dafür spricht außerdem, dass der Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung von Richtlinien ohnehin stark eingeschränkt ist.20 Überdies wird zu Recht darauf hingewiesen, dass ohnehin der demokratische Zurechnungs- und Legitimationszusammenhang in diesen Fällen gestört ist, da bei der Erlassentscheidung auf europäischer Ebene die nationalen Interessen durch die (Bundes-)Regierungen vertreten werden und gerade nicht durch die nationalen Parlamente.21 Dieses Problem wird dadurch verschärft, dass zwischen europäischer Entscheidung und nationalem Umsetzungsakt regelmäßig eine große Zeitspanne liegt. Sowohl die Mitwirkung der Bundesregierung auf EUEbene als auch die Umsetzungsentscheidung sind dann zwar durch den Bundestag legitimiert, jedoch nicht zwingend durch den gleichen konkret-personellen Bundestag.22 Als Argument für eine kontinuierliche Zusammenarbeit in diesen Fällen durch verschiedene konkret-personelle Bundestage über die Wahlperiodengrenzen hinweg ließe sich daher anführen, dass diese die übergreifende parlamentarische Verantwortung besser abbilden würde. Durch eine solche Ausnahmevorschrift entstünden in jedem Fall Abgrenzungsschwierigkeiten, wenn der Entwurf nicht allein die ursprüngliche EU-Richtlinie 18 Eine solche Ausnahme kennt etwa das finnische Recht (vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Prinzip der Diskontinuität in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU, WD 3 – 014/07, 2007, S. 14 (letzter Zugriff am 7.1. 2022)). 19 Art. 288 Abs. 3 AEUV; zur Umsetzungspflicht: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), AEUV, Art. 288 Rn. 114–117 [Lfg. 48 8/2012]. 20 Pernice, Diskontinuität und Europäisches Recht, in: Gaitanides u. a. (Hrsg.), Europa und seine Verfassung, S. 152. Ähnlich Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 41. 21 Pernice, Diskontinuität und Europäisches Recht, in: Gaitanides u. a. (Hrsg.), Europa und seine Verfassung, S. 150 f. 22 Pernice, Diskontinuität und Europäisches Recht, in: Gaitanides u. a. (Hrsg.), Europa und seine Verfassung, S. 152 f.
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4. Teil: Reformansätze zum Diskontinuitätsprinzip
in deutsches Recht umsetzen soll, sondern gleichzeitig Randbereiche oder verwandte Rechtsmaterien mitgeregelt werden sollen. Auch wenn sich die Reichweite der Ausnahme von der sachlichen Diskontinuität mit der Zeit und der juristischen Methodik bestimmen lassen wird, stößt sie darüber hinaus im Wesentlichen auf zwei Bedenken. Zum einen besteht zwar eine Umsetzungspflicht, allerdings bleibt es den nationalen Gesetzgebern überlassen, wie eine solche im Detail erfolgen soll. Ein solches Umsetzungsgesetz stellt trotz aller Vorgaben also kein politisches Neutrum dar, das ohne Interessen, fast mechanisch, unabhängig von Politikvorstellungen und konkreten Mehrheiten, umgesetzt wird. Wäre nämlich der Umsetzungsakt im Wesentlichen vorgegeben und wären die nationalen Parlamente ausschließlich zu einem „Abnicken“ verdammt, wäre eine Umsetzung in kürzester Frist vollkommen unproblematisch. Es verbleibt daher im Gegenteil ein zum Teil erheblicher Spielraum, der vom Gesetzgeber noch genutzt werden kann. Daher gilt auch bei diesen Gesetzen, dass eine aktuelle Regierungsmehrheit einen solchen nach ihren Vorstellungen gestalteten Entwurf regelmäßig noch vor dem Ende der Wahlperiode erlassen wollen wird, solange sie noch die erforderliche Mehrheit hierfür relativ sicher hat. Damit entstünde kein Gewinn durch eine solche Ausnahme. Zum anderen bestünde die Gefahr, dass Entwürfe zu unliebsamen Richtlinien etwa auf Druck der europäischen Partner zwar in den Bundestag eingebracht werden, aber deren Behandlung in dem Wissen, dass diese auch noch in der neuen Wahlperiode – dann unter gegebenenfalls anderen Mehrheiten – umgesetzt werden können, immer weiter hinausgezögert werden.23 Die durch das Diskontinuitätsprinzip erzeugte Drucksituation24 würde aufgelöst. Zudem könnte der neue Bundestag in die Zwickmühle geraten, den alten Entwurf doch zu verwerfen, weil er die eigenen Vorstellungen nicht widerspiegelt, oder diesen notgedrungen mit Blick auf eine nahende Umsetzungsfrist weiter beraten zu müssen. Mit einer Beschleunigung des Umsetzungsprozesses wäre daher kaum zu rechnen. Darüber hinaus wäre dann zu erwarten, dass die politische Verantwortung für das Umsetzungsgesetz zwischen der erstberatenden und der letztlich verabschiedenden Parlamentsmehrheit hin und hergeschoben wird und das schon jetzt bestehende Problem der fehlenden politischen Zurechenbarkeit weiter verschärft werden würde. Während sich aktuell lediglich die Erlassentscheidung und der Umsetzungsakt bei ihrer (mittelbaren) Legitimation auf jeweils unterschiedliche Parlamente stützen können, würde dann die Verantwortung auch für die Umsetzungsentscheidung weiterzersplittert. Ein Mehrwert ist daher auch in dieser Hinsicht nicht zu erwarten. 23 Pernice weist auf diesen „Kuckucksei-Effekt“ bereits im bestehenden System hin (Diskontinuität und Europäisches Recht, in: Gaitanides u. a. (Hrsg.), Europa und seine Verfassung, S. 153). 24 Zu dieser Drucksituation oben: S. 243.
2. Kap.: Sachliche (Teil-)Kontinuität
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Zusammenfassend wäre auch eine solche Ausnahmevorschrift mit einem sehr geringen Gewinn verbunden und eröffnete gleichzeitig die Möglichkeit zum Missbrauch, sodass sie im Ergebnis abzulehnen ist.
C. Kontinuität einzelner Gesetzesinitiativen Schließlich könnte sachliche Teilkontinuität geschaffen werden, indem dem scheidenden Bundestag ermöglicht wird, einzelne Gesetzgebungsvorhaben an seinen Nachfolger zur weiteren Behandlung und Verabschiedung zu übergeben.25 Immer dort, wo viel Gesetzgebungsarbeit bereits in einen Entwurf geflossen ist, diese Arbeit aber durch das Diskontinuitätsprinzip zerstört zu werden droht, könnte dieser Verlust durch eine solche Durchbrechung verhindert werden.26 Wenn dabei für die Überleitung eines einzelnen Gesetzes, die Verfassung geändert wird, unterstreicht diese Verfassungsänderung die Bedeutung der Durchbrechung und damit des Diskontinuitätsprinzips an sich.27 Durch ein solch verfassungsänderndes Gesetz wurde etwa 1966 in RheinlandPfalz ein Gesetz für eine Verwaltungsreform in die nächste Wahlperiode übergeleitet, da eine rechtzeitige Verabschiedung aufgrund des Umfangs nicht mehr gewährleistet werden konnte und gleichzeitig erwartet wurde, dass die Wiederherstellung der bisherigen Beratungsergebnisse etwa ein halbes Jahr dauern würde.28 Dieser Vorgang wurde insbesondere dafür kritisiert, dass hier ein Vorgänger-Landtag seinen Nachfolger zu einer bestimmten Handlung verpflichtete und dadurch die Verantwortung für das Vorhaben verwischt wurde.29 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass ein verfassungsändernder Gesetzgeber nachfolgende Parlamente stets in gewisser Weise bindet und sich diese mit entsprechenden Mehrheiten solchen Verpflichtungen auch wieder entziehen können. Gewichtiger ist, dass dem neuen Landtag keine Verabschiedungspflicht aufgebürdet 25 Eine solche Möglichkeit besteht etwa für den schwedischen Riksdag, wobei eine parlamentarischer Normenkontrollausschuss diese Regelung wegen der damit verbundenen Arbeitsbelastung kritisiert und deren Abschaffung vorgeschlagen hat (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Prinzip der Diskontinuität in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU, WD 3 – 014/07, 2007, S. 19 (letzter Zugriff am 7.1.2022)). 26 Vgl. Maassen, der diese Möglichkeit etwa nur für Initiativen des Bundesrats und der Bundesregierung eröffnen will (Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 80 ff.). Ähnlich Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (166 f.). 27 Hilf, Unterbrechung der Diskontinuität, ZaöRV 1967, 742 (755). Kritisch zu dieser „ad-hoc-Verfassungsänderung“: Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (165). 28 Ausführlich dazu Hilf, Unterbrechung der Diskontinuität, ZaöRV 1967, 742 ff.; Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 339 ff., 343. 29 Hilf, Unterbrechung der Diskontinuität, ZaöRV 1967, 742 (756); Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 344. Ähnlich Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (165).
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4. Teil: Reformansätze zum Diskontinuitätsprinzip
wird, sondern lediglich eine Verhandlungspflicht hinsichtlich eines einzelnen Gesetzesvorhabens. Schon der Umfang der Pflicht und der Eingriff in seine Freiheit sind mithin nicht gravierend, da der neue Landtag den Gesetzentwurf auch schlicht ablehnen kann. Gleichfalls stand es der neuen rheinland-pfälzischen Landesregierung frei, einen abweichenden Entwurf einzubringen.30 Da eine auf den Einzelfall zugeschnittene Verfassungsänderung bedenklich, jedenfalls aber nicht sehr praktikabel erscheint,31 wäre auch denkbar, diese Durchbrechung zu erweitern und eine generelle Regelung ins Grundgesetz einzufügen, um Gesetzentwürfe in die neue Wahlperiode überzuleiten. Daneben gibt es den Vorschlag von Michael, § 125 GO-BT so zu ergänzen, dass für einzelne (insbesondere fraktionsübergreifende) Vorlagen bereits von „vornherein“ die sachliche Diskontinuität ausgeschlossen wird32 oder jedenfalls eine Überleitung einzelner Vorlagen über einen Beschluss im Einzelfall nach § 126 GO-BT oder über eine generelle Überleitungsregelung in § 125 GO-BT ermöglicht wird.33 Da jedoch das Diskontinuitätsprinzip Verfassungsrang hat,34 kann dieses nicht durch eine einfache Geschäftsordnungsbestimmung durchbrochen werden. Gegen die Schaffung einer generellen Möglichkeit einer solchen Überleitung für beliebige Gesetzentwürfe spricht im Übrigen bereits, dass eine solche Situation äußerst selten eintreten dürfte. Denn entweder befindet sich der Entwurf noch in einem so frühen Arbeitsstand, dass dessen Vernichtung durch sachliche Diskontinuität keinen so wesentlichen Verlust darstellt. Oder er ist für die aktuelle Bundestagsmehrheit so bedeutend und so weit fortgeschritten, dass sie ihn noch mit allen Mitteln verabschieden wird. Selbst wenn die aktuelle Regierungsmehrheit mit relativ hoher Sicherheit vorhersehen kann, auch nach der Wahl die Mehrheit zu stellen, muss sie immer befürchten, dass es durch die Wahl neuer Abgeordneter zu einer weniger sicheren Mehrheit käme, die bisherige Verhandlungsergebnisse im Gesetzgebungsverfahren obsolet werden lassen könnte. Es ist daher kaum vorstellbar, dass ein Bundestag ein aufwendiges Gesetzgebungsvorhaben in einem weit fortgeschrittenen Stadium nicht mehr selbst beschließt, weil er die vage Hoffnung hat, dass sein Nachfolger sich zu einer Weiterberatung entschlösse und vor allem das Vorhaben letztlich auch vollende. 30 So im Ergebnis auch Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 345. 31 Hilf, Unterbrechung der Diskontinuität, ZaöRV 1967, 742 (755); Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (165). 32 Michael, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 67. 33 Vgl. Michael, für den dieser Vorschlag nur möglich ist, da er den Verfassungsrang der sachlichen Diskontinuität ablehnt und eine Dauergeltung der Geschäftsordnung annimmt (in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 69, 81). 34 Zur Rechtsgrundlage des Diskontinuitätsprinzips im Grundgesetz: S. 217.
2. Kap.: Sachliche (Teil-)Kontinuität
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Bei dem Vorschlag der Ergänzung der Geschäftsordnung wird diese Unsicherheit noch dadurch gesteigert, dass bereits bei Einbringung eine Entscheidung zur Durchbrechung des Diskontinuitätsprinzips vorgesehen ist. Wenn Initiativen bereits in einem so frühen Stadium als besonders bedeutend erkannt werden, werden diese typischerweise auch die nötige Unterstützung haben, um innerhalb der Wahlperiode verabschiedet zu werden. Das gilt besonders, wenn die Vorlage auf einer fraktionsübergreifenden Initiative beruht. Ferner müsste – auch hinsichtlich einer individuellen Überleitung nur eines einzelnen Gesetzentwurfes – die Bindungswirkung eines solchen Beschlusses hinterfragt werden, soweit ihn der scheidende Bundestag treffen soll. Solange es sich dabei lediglich um eine Art Hinweis auf besonders erhaltenswerte Entwürfe handelt, eröffnet dies dem neuen Bundestag lediglich eine Möglichkeit zur Weiterberatung. Diese kann er mit seiner Mehrheit ergreifen und somit erneut demokratisch legitimieren, ist aber nicht dazu verpflichtet.35 In diesem Fall würde der Gesetzgebungsprozess außerdem regulär ablaufen, sodass insofern kein unmittelbarer Vorteil entstünde. Das Bedürfnis einer beschleunigten Übernahme würde also fortbestehen. Soll ein solcher Beschluss dem neuen Bundestag dagegen nicht nur die Möglichkeit zur Weiterberatung eröffnen, sondern diesen zur Behandlung der Entwürfe (unter Beachtung der bisherigen Vorarbeiten) zwingen, würde ein beachtenswerter Eingriff in die Souveränität des neu gewählten Bundestages erfolgen. Mit dem Beginn seiner Wahlperiode ist der neue Bundestag das einzig legitimierte Parlament, sodass eine Bindung durch seinen Vorgänger, dessen Wahlperiode und damit auch Legitimation gerade geendet hat, ausscheiden muss.36 Dennoch ist die davon ausgehende Gefahr nicht zu überschätzen. Eine Blockade des neuen Bundestages durch Entwürfe, die sein Vorgänger auf ihn übertragen hat, ist nicht zu befürchten. Zum einen ist nicht zu erwarten, dass der scheidende Bundestag seine Aktivitäten zum Ende der Wahlperiode darauf verwendet, eine erhebliche Anzahl von Entwürfen an seinen Nachfolger überzuleiten, anstatt sie selbst final zu beraten und zu verabschieden, solange er dies noch selbst kann. Zum anderen bliebe dem neuen Bundestag immer noch die Möglichkeit, die Entwürfe in einem Sammelbeschluss abzulehnen und sodann sein eigenes Programm umzusetzen. Auch hier zeigt sich, dass ein echter Mehrwert durch eine Teilkontinuität nicht geschaffen werden kann. Im Ergebnis handelt es sich bei allen Ideen zur sach-
35 Zur Normierung einer Möglichkeit zu einem solchen souveränen Weiterberatungsbeschluss des neuen Bundestages: S. 283. 36 Bahlmann, Grundsatz der Diskontinuität, MVDA 1965, 189 (194); Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 81 f.
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4. Teil: Reformansätze zum Diskontinuitätsprinzip
lichen Teilkontinuität um theoretisch denkbare Reformen, deren praktischer Nutzen äußerst zweifelhaft ist, die aber mit absehbaren Nachteilen verbunden sind. 3. Kapitel
Normierung des Diskontinuitätsprinzips A. Normierung des Prinzips Das Ergebnis aller Reformüberlegungen und auch dieser Arbeit als Ganzes sollte die explizite Normierung des Diskontinuitätsprinzips sein. Zwar lässt sich dieses althergebrachte Prinzip, das mit der Entwicklung des Parlamentarismus stets verbunden war, auch heute bereits aus dem Grundgesetz herauslesen,37 jedoch wird dies der Bedeutung des Diskontinuitätsprinzips nicht gerecht. Obwohl der Grundsatz der Diskontinuität kein zwingendes Verfassungsrecht ist,38 hat es sich in der Praxis doch bewährt. Insbesondere die Tatsache, dass das Diskontinuitätsprinzip die Wahlperiode zu einem klar abgrenzbaren Paket verschnürt, welches neben der Legitimation seiner Mandatsträger auch die Organisationsstruktur und die inhaltliche Arbeit umfasst, schafft eine für jeden leicht nachvollziehbare Ordnung, deren Wert in einer Demokratie nicht unterschätzt werden darf. Genau diese Klarheit verdient dabei auch das Diskontinuitätsprinzip, sodass es unmittelbar im Grundgesetz verankert werden sollte. Ein hierfür zu schaffender Art. 39 Abs. 1 Satz 4 GG könnte etwa lauten: „Am Ende der Wahlperiode eines jeden Bundestages erlöschen seine Organisationsstruktur, die Mitgliedschaften der Abgeordneten und nicht verabschiedete Vorlagen.“
Dabei ist auf eine möglichst knappe, prägnante Formulierung zu achten. Da die Normierung lediglich den bisherigen Sachstand verschriftlichen soll, bleibt der mit dem Diskontinuitätsprinzip verbundene theoretische Hintergrund erhalten, ohne ihn in seiner Gesamtheit in den Verfassungstext pressen zu müssen. Gleichzeitig wären alle drei Ausprägungen des Diskontinuitätsprinzips gebündelt und klargestellt, dass es sich dabei um ein grundlegendes Prinzip mit Verfassungsrang handelt. Die damit herausgestellte Bedeutung ist dazu geeignet, sich dem schleichenden Trend der steten Verkontinuierlichung der Demokratie entgegenzustellen. In Zeiten, in denen Bundestage stets präsent sind, nahezu permanent tagen, sich ihre Wahlperioden nahtlos aneinanderreihen und ein hoher Anteil der Mandate an bisherige Abgeordnete vergeben werden, ist es umso wichtiger, daran zu erinnern, dass jeder Bundestag nur eine sehr begrenzte Legitimation vom Souverän erhalten hat, als dessen Repräsentant er in dieser Zeit dienen darf. 37 Zu der hier vertretenen Rechtsgrundlage des modernen Diskontinuitätsprinzip: S. 221. 38 Dazu, dass das Diskontinuitätsprinzip kein zwingendes Verfassungsprinzip ist: S. 226.
3. Kap.: Normierung des Diskontinuitätsprinzips
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Wenn sich für die Normierung eine verfassungsändernde Mehrheit im Parlament fände, setzte dies außerdem ein überdeutliches Zeichen, dass es sich beim Diskontinuitätsprinzip um ein parlamentarisches Prinzip handelt.
B. Normierung einer erleichterten Wiedereinbringungsmöglichkeit Neben der Normierung des eigentlichen Diskontinuitätsprinzips ist jedoch auch anzuerkennen, dass es in Einzelfällen ein Interesse daran geben kann, Gesetzentwürfe, die wegen des Diskontinuitätsprinzips zum Ende der letzten Wahlperiode verfallen sind, trotzdem in der neuen Legislatur weiterzuberaten. Hier hat sich in der Praxis ein informeller Weg der Wiedereinbringung etabliert.39 Dieser befriedigt zwar aktuell weitgehend das ausnahmsweise bestehende Bedürfnis, verfallende Gesetzentwürfe in eine neue Legislaturperiode überzuleiten,40 ermöglicht jedoch keine unmittelbare Weiterberatung, ohne den formalen Gesetzgebungsprozess in kritikwürdiger Weise zu überspringen. Eine Normierung bietet hier die Chance, die Wiedereinbringung zu formalisieren und zu legitimieren. § 125 GO-BT könnte daher etwa um folgenden zweiten Absatz ergänzt werden: „(2) Vorlagen, die nach Absatz 141 als erledigt gelten, können durch einen Beschluss des Bundestages in der neuen Wahlperiode in den Stand zurückversetzt werden, welchen sie zum Ende der letzten Wahlperiode hatten.“
Systematisch ähnlich enthält Art. 240 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments in Abs. 1 eine Normierung der sachlichen Diskontinuität42 und in Abs. 2 die folgende Wiedereinbringungsregelung: „Zu Beginn jeder Wahlperiode entscheidet die Konferenz der Präsidenten über die mit Gründen versehenen Anträge der Ausschüsse des Parlaments sowie der anderen Organe, die Prüfung der unerledigten Angelegenheiten von vorn zu beginnen oder fortzusetzen.“ 43
Auch nach § 53 Abs. 5 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft können einzelne nicht abgeschlossene Vorlagen durch die neue Bürger39
Zu dieser Übernahmepraxis: S. 255. Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 280 Fn. 65. 41 Absatz 1 würde den bisherigen Text des § 125 GO-BT umfassen, welche die sachliche Diskontinuität schon bisher verschriftlicht. 42 Mit dieser Regelung wird dennoch keine Diskontinuität geschaffen, wie sie unter dem Grundgesetz gilt. Insbesondere entfaltet sie keine Wirkung gegenüber den übrigen Gemeinschaftsorganen, da dies über das Selbstorganisationsrecht des Europäischen Parlaments hinausginge. In der Praxis werden Gesetzesverfahren auch in der neuen Wahlperiode weitergeführt (Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), EUV, Art. 14 Rn. 79 [Lfg. 71 8/2020]). 43 Art. 240 Abs. 2 GO des Europäischen Parlaments der 9. Wahlperiode vom Dezember 2019. 40
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4. Teil: Reformansätze zum Diskontinuitätsprinzip
schaft „von ihren Ausschüssen ohne Wiederholung der bisherigen Beratungen fortgeführt werden, sofern die entsprechenden Vorlagen innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Wahlperiode erneut eingebracht werden“.44 Diese Regelung wurde bereits als Vorbild für den Bundestag vorgeschlagen.45 In diese Richtung gingen auch bereits Überlegungen, ein viertes Initiativrecht zu schaffen, wonach bisherige Entwürfe auch in der nächsten Legislatur als wirksame Gesetzesinitiativen anerkannt werden sollten. So wurde etwa vorgeschlagen, Art. 76 Abs. 4 GG um ein weiteres Initiativrecht zu ergänzen, wonach der neu gewählte Bundestag vom seinem Vorgänger nicht verabschiedete Entwürfe weiterberaten kann, wenn er dies mit einfacher46 oder qualifizierter47 Mehrheit beschließt. Im Detail umstritten, wurden die Vorschläge allerdings nie umgesetzt.48 Auch in Slowenien existiert eine Möglichkeit, nach der die Regierung für verfallene Regierungsvorlagen und Abgeordnete für Abgeordnetenvorlagen die Weiterberatung innerhalb von 30 Tagen in der neuen Legislaturperiode verlangen können.49 Für eine solche Möglichkeit spricht, dass diese den bestehenden Umweg in Form der Beschleunigungsmöglichkeiten für „übernommene“ Gesetzentwürfe ersetzen und die darin teilweise zum Ausdruck kommende geringe Wertschätzung gegenüber dem Gesetzgebungsprozess im Allgemeinen50 beseitigen könnte. Die Schaffung einer formellen Wiedereinbringungsmöglichkeit hat dabei den Vorteil, dass die üblichen Verfahrensschritte zwar ebenfalls ausgelassen werden, dies aber auf die besondere Situation der verfallenen Vorlagen begrenzt wird. Es ist dann nicht mehr nötig, den bisherigen Stand durch Missachtung des üblichen Verfahrens zu erreichen, was bisher das förmliche Gesetzgebungsverfahren insgesamt entwertet hat. Bisher wird es nämlich in diesen Fällen als eine Ansammlung von lästigen Schritten dargestellt, die es möglichst schnell zu überspringen gilt, wo44
§ 53 Abs. 5 GO der Hamburgischen Bürgerschaft vom 1.4.2020. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 148. 46 Bahlmann, Grundsatz der Diskontinuität, MVDA 1965, 189 (194 f.); A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 402; Schäfer, Der Bundestag, 1982, S. 91. Auch Hilf, Unterbrechung der Diskontinuität, ZaöRV 1967, 742, auch gegen die Forderung nach einer Zweidrittelmehrheit für solche Initiativen. Ebenso Winands, Behandlung unerledigter Gesetzentwürfe, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 280 Fn. 65. 47 Maassen, Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 80, 83 Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (166 f.). 48 Jekewitz, Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, 1977, S. 347 ff. 49 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Prinzip der Diskontinuität in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU, WD 3 – 014/07, 2007, S. 20 (letzter Zugriff am 7.1.2022). 50 Zu den Beschleunigungsmöglichkeiten für „übernommene“ Gesetzentwürfe, aber auch der daran bestehenden Kritik: S. 255. 45
3. Kap.: Normierung des Diskontinuitätsprinzips
285
raus die Gefahr entsteht, dass die Gesetzgebungsschritte im Allgemeinen nicht als Garant für gute Gesetzgebung, sondern als unnötige Einengung und vernachlässigbar betrachtet werden. Darüber hinaus würde damit der Bundestag auch formell in die Lage versetzt werden, einen Gesetzentwurf, der eine parlamentarische Mehrheit gefunden hat, aber nach Verabschiedung bis zur Verkündung durch einen anderen Verfahrensbeteiligten blockiert wurde, möglichst schnell erneut auf den Weg zu bringen. Es verträgt sich nämlich nicht mit der Interpretation des Diskontinuitätsprinzips als parlamentarisches Prinzip, wenn etwa der Bundesrat durch Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Ende der Wahlperiode aus einem Einspruchsgesetz ein Zustimmungsgesetz machen kann. Auf der anderen Seite mildert es die Problematik ab, dass die Länderkammer einen Gesetzentwurf wegen des nahenden Legislaturendes sanktionieren muss, obwohl sie eigentlich zumindest einzelne Veränderungen im Vermittlungsverfahren erreichen wollen würde.51 Schließlich würde eine Normierung einer solchen Wiedereinbringungsmöglichkeit diese auch deutlich ins Bewusstsein des Parlaments rücken, sodass zu erwarten ist, dass häufiger darüber nachgedacht wird, ob es verfallene Vorlagen der letzten Legislatur gibt, die sich hierfür eignen. Hierdurch wird der durch die sachliche Diskontinuität verursachte Verlust auf ein absolutes Minimum reduziert. Gleichzeitig beseitigt die Regelung aber nicht den Druck, zum Ende einer Wahlperiode einzelne Vorlagen durch einen Kompromiss vor dem Verfall zu retten. Der Wechsel der Wahlperiode erzeugt eine solche Unsicherheit hinsichtlich der zukünftigen Mehrheitsverhältnisse, dass ein planloses Aufschieben nicht zu erwarten ist. Wenn sich jedoch zwischen den Beteiligten Kompromisse abzeichnen, die eine Verabschiedung in der neuen Wahlperiode sichern, eröffnet die Regelung einen Weg, diese Kompromisse auch praktisch umzusetzen. Wegen der niedrigeren Hürden ist es vorzugswürdig, die vorgeschlagene Norm in die Geschäftsordnung wie beim Europäischen Parlament oder der Hamburgischen Bürgerschaft und nicht ins Grundgesetz einzufügen. Während im Grundgesetz zum Gesetzgebungsverfahren innerhalb des Bundestages nur Einzelheiten geregelt sind, enthält die Geschäftsordnung die detaillierteren Verfahrensregeln.52 Eine verfassungsrechtliche Normierung ist auch nicht notwendig, da keine Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip geschaffen, sondern lediglich das bereits übliche Verfahren formalisiert wird. Auch mit Blick auf die Initiativberechtigten aus Art. 76 Abs. 1 GG ist keine Erweiterung nötig, da die hier vorgeschlagene Wiedereinbringung „aus der Mitte des Bundestages“ initiiert werden würde.
51 Zur Wirkung der Diskontinuität in diesem Stadium des Gesetzgebungsprozesses: S. 206. 52 Belz, Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 70 f.
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4. Teil: Reformansätze zum Diskontinuitätsprinzip
In Abgrenzung zum Überleitungsbeschluss nach dem Vorbild von RheinlandPfalz aus dem Jahr 196653 ist überdies wichtig festzuhalten, dass das neue Parlament eine Weiterberatung beschließt und nicht das vorherige Parlament seinen Nachfolger zur Weiterberatung verpflichtet.54 Es entsteht folglich kein Legitimationsproblem. Indem der neue Bundestag aus freien Stücken und in voller Souveränität einen eigentlich verfallenen Gesetzentwurf wieder aufgreift, bestehen keine Bedenken hinsichtlich einer problematischen Bindung des neuen Bundestages durch seinen nicht mehr legitimierten Vorgänger. Schon aus diesem Grund ist ein Beschluss durch eine Parlamentsmehrheit notwendig und insbesondere einer Entscheidung bloß eines Parlamentsorgans – wie bei der europäischen Norm die Konferenz der Präsidenten oder gar einzelner Abgeordneter wie in Slowenien – vorzuziehen. Denkbar wäre zwar, auch anderen Beteiligten am Gesetzgebungsprozess wie beispielsweise parlamentarischen Ausschüssen, einzelnen Fraktionen, der Bundesregierung oder dem Bundesrat zu ermöglichen, eine solche Wiedereinbringungsmöglichkeit zu nutzen. Dagegen spricht aber, dass bei einer zu niedrigen Hürde der Bereinigungseffekt durch sachliche Diskontinuität bedeutend gemindert wird. Es bestünde die Gefahr, dass Entwürfe, die das Parlament bewusst hat verfallen lassen, immer wiederbelebt werden, obwohl diese auch in der neuen Legislatur absehbar keine Mehrheit finden werden. Dass dieser offene Konflikt vermieden wird, ist aber gerade eine Stärke des Diskontinuitätsprinzips, da so der Raum für Kompromisse in der neuen Legislatur möglichst großzügig erhalten bleibt. Es bleibt den Initiativberechtigten jedoch weiterhin die Möglichkeit, den verfallenen Entwurf erneut formell in den Bundestag einzubringen, allerdings beginnt in diesem Fall das Verfahren von vorne. Aus diesem Grund bedarf es überdies keiner alternativen Formulierung, die wie bei Art. 240 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments ermöglicht, „von vorne zu beginnen“. Eine Beschränkung nur auf bestimmte Vorlagen, etwa hinsichtlich des ursprünglichen Initiators,55 bedarf es nicht, da erhaltenswerte Vorarbeiten davon unabhängig entstehen können.56 Bei aktuell etablierten Möglichkeiten zur Übernahme von verfallenen Entwürfen wird ebenfalls keine solche Unterscheidung getroffen, sodass dieser Behelfsweg nur so generell ersetzt werden kann. Auch eine Befristung der formalisierten Wiedereinbringungsmöglichkeit, wie sie die hamburgische oder slowenische Regelung vorsieht, sollte für den Bundes53
Zu einer entsprechenden Überleitungsmöglichkeit des alten Parlaments: S. 279. Zu diesem Unterschied in Abgrenzung zu einer entsprechenden Möglichkeit in Belgien: Hilf, Unterbrechung der Diskontinuität, ZaöRV 1967, 742 (756 f.). 55 So Maassen, der die Möglichkeit nur für Regierungs- und Bundesratsentwürfe eröffnen will, um hier das Vorverfahren zu vermeiden (Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, in: Kugelmeier (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme, 1966, S. 80 f.). 56 Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität, DVBl 1973, 161 (166). 54
3. Kap.: Normierung des Diskontinuitätsprinzips
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tag nicht übernommen werden. Selbst eine Dreimonatsfrist erscheint für den Bundestag bereits zu kurz, da in dieser Zeit zu Beginn einer Wahlperiode typischerweise zunächst andere Prioritäten gesetzt werden. Auch eine längere Frist erscheint aber nicht nötig, da ohnehin zu erwarten ist, dass von der Regelung typischerweise eher zu Beginn der Wahlperiode Gebrauch gemacht werden würde. Außerdem begrenzt die vorgeschlagene Regelung einen solchen Antrag bereits auf die neue Wahlperiode, indem sie auf diese bzw. die abgelaufene Wahlperiode Bezug nimmt. Ein entsprechender Antrag in der übernächsten Wahlperiode ist bereits denklogisch ausgeschlossen, da es in der dann abgelaufenen Wahlperiode keine Vorlage und keinen Verfahrensstand gibt, der wiederhergestellt werden könnte. Denkbar wären jedoch wiederholte Wiedereinbringungen, wenn eine Vorlage auch nach der ersten Wiedereinbringung in der weiteren Wahlperiode nicht endgültig beschlossen wurde. Zum einen dürfte es sich dabei jedoch eher um einen theoretischen Fall handeln, und zum anderen ergäbe sich die Rechtfertigung für solche Wiedereinbringungsketten aus den wiederholten Parlamentsbeschlüssen. Wenn die Wiedereinbringung einer Vorlage gleich mehrmals eine parlamentarische Mehrheit findet, dokumentiert dies das Bedürfnis an deren Verabschiedung, dem die Regelung somit Rechnung trägt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Nachteile der verschiedenen Reformvorschläge ihren Nutzen überwiegen. Das liegt insbesondere daran, dass sich die parlamentarische Praxis an das Diskontinuitätsprinzip innerhalb seiner langen Entwicklung so angepasst hat, dass dessen negative Auswirkungen wenig ins Gewicht fallen. Es ist daher wünschenswert, wenn dieser praktische Umgang gerade mit der sachlichen Diskontinuität durch Normierung auch formell anerkannt wird. In gleicher Weise verdient es das Diskontinuitätsprinzip, unmittelbar in den Verfassungstext aufgenommen zu werden. Beides würde zu einem bewussteren Umgang mit der Diskontinuität als Ausdruck der demokratischen Legitimation auf Zeit angesichts einer stetigen Verkontinuierlichung der parlamentarischen Praxis beitragen.
5. Teil
Fazit Das Diskontinuitätsprinzip ist ein Relikt aus längst vergangenen Tagen. In moderne Zeiten, die durch dauerhafte Erreichbarkeit und Präsenz sowie den Wunsch möglichst hoher Effizienz geprägt sind, scheint es nicht zu passen, ein Parlament im vollen Lauf auszubremsen, alles auf Null zu setzen und von vorne zu beginnen. Dennoch erlöschen weiterhin mit dem Ende der Wahlperiode die Mandate aller Abgeordneten. Die übrig gebliebenen Vorlagen verfallen. Die Geschäftsordnung und die sonstige Organisationsstruktur, die sich über die zurückliegende Legislatur eingespielt und etabliert haben, verlieren ihre Gültigkeit, nur damit der neue Bundestag freie Hand und Raum für die eigene Verwirklichung hat. Diese Freiheit nutzt er, um die gleichen alten Strukturen wiederzubeleben. Aber das kann nicht überraschen, schließlich besteht er doch auch mehrheitlich aus den alten Mandatsträgern. Welchen Sinn und welche Berechtigung können dann solch tiefgreifende Umbrüche überhaupt noch haben? 1. Kapitel
Diskontinuität als Urzustand Historisch betrachtet ist die Antwort auf diese Frage einleuchtend. Die Ständeversammlungen als frühe Vorläufer des heutigen Bundestags waren gerade nicht dauerhaft versammelt. Jede Versammlung stand hinsichtlich ihrer personellen Zusammensetzung, der notwendigen Organisationsstruktur und ihrer Verhandlungsgegenstände für sich allein, unabhängig und frei von ihren Vorgängern und Nachfolgern. Lediglich die Tatsache, dass jede Versammlung als abstraktes Organ im gesellschaftlich-politischen Machtgefüge eine verwandte Position einnahm, schuf eine Verbindung zwischen den einzelnen Ausformungen. Die jeweiligen konkreten Versammlungen traten zusammen, wenn sie gebraucht wurden, was typischerweise der Fall war, wenn neue Finanzquellen erschlossen werden sollten. Waren der ursprüngliche Zweck der Zusammenkunft und bei dieser Gelegenheit mitbehandelte Verhandlungsgegenstände abgearbeitet, wurde die Versammlung geschlossen, und man trat wieder auseinander. Über die Gegenstände, die übrig blieben, weil sie nicht verabschiedet wurden, konnte keine Einigung erzielt werden, sodass es nur logisch war, dass diese Gegenstände im Sinne einer sachlichen Diskontinuität als erledigt galten. Überdies war der Zeitpunkt des nächsten Zusammentritts ungewiss. „Parlamentslose“ Zeiten waren daher die Re-
1. Kap.: Diskontinuität als Urzustand
289
gel und konnten sehr lange dauern. Daher fand schon aus rein praktischen Gründen die nächste Versammlung für sich eine eigene Ordnung und beschäftigte sich nur mit den Dingen, die ihr neu vorlegt wurden. Diskontinuität zwischen den Versammlungen war damit sozusagen der Urzustand. Diskontinuität bedeutete dabei bereits einen umfassenden Abbruch, sodass personelle, organisatorische und sachliche Diskontinuität schon zu diesem Zeitpunkt verbunden waren und in Teilen aufeinander aufbauten. Die weitere Entwicklung schuf zwar ein stärker ausdifferenziertes Prinzip, welches unterschiedlich stark in den einzelnen Teilbereichen ausgeprägt war, insbesondere traten nicht mehr alle Aspekte stets zeitgleich ein. Dennoch blieben sie Auswirkungen eines einzigen Diskontinuitätsprinzips, dessen Grundlage teilweise unterschiedliche, jedoch immer geschlossene Arbeitsperioden bildeten. Kontinuität über die Grenzen einzelner Versammlungen hinweg entwickelte sich erst später. Das englische Parlament erkämpfte sich das Recht regelmäßiger, meist jährlicher Zusammenkünfte, die keine isolierten singulären Ereignisse mehr darstellten. Endete eine Zusammenkunft nicht mit einer Auflösung, sondern aus anderen Gründen, stand einer Weiterberatung in der nächsten Zusammenkunft nichts im Weg. Auflösungen waren regelmäßig vor allem dann nötig, wenn eine unüberwindbare Blockade zwischen den Interessen durchbrochen werden sollte. Somit galt im Fall einer Auflösung weiterhin, dass alle Beratungsgegenstände entweder erledigt waren, weil sie verabschiedet wurden oder weil keine Einigung absehbar war. Wurde die Zusammenkunft jedoch nicht durch eine Auflösung beendet, waren diese Beratungen eben nicht erledigt. Eine Weiterberatung in Form von sachlicher Kontinuität zwischen den Zusammenkünften ergab dann Sinn. Anders als bei den Ständeversammlungen wurde dabei die Frage von personeller Kontinuität bzw. Diskontinuität bedeutend. Es lag im offensichtlichen Interesse der einmal gewählten Parlamentarier, sich nicht vor jeder Zusammenkunft zur Wahl stellen zu müssen. Analog zur Entwicklung in sachlicher Hinsicht fand eine Neuwahl nur noch statt, wenn die Versammlung aufgelöst wurde. Somit war die personelle und sachliche Diskontinuität zwischen den Zusammenkünften, für die sich nun der Name „Session“ etablierte, teilweise aufgehoben. Die Krone nutzte dieses System jedoch, um offene Beratungen zu Angelegenheiten, an denen sie kein Interesse hatte, in die nächste Session zu schieben, ohne die Umstände und politische Unruhe von Wahlen fürchten zu müssen. Sachliche Kontinuität hatte sich damit in der Praxis nicht im Sinne des Parlaments bewährt. Deshalb erkämpften sich die Parlamentarier den Anspruch, dass alle offenen Beratungen innerhalb einer Session zu behandeln waren. Durch den Beratungsanspruch verlängerten sich jedoch die Sessionen, weil sich unerledigte Beratungsgegenstände ansammelten und mit fortschreitender Session weiter neue hinzukamen. In der Folge konnten die Abgeordneten nicht in ihre Wahlkreise zu-
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5. Teil: Fazit
rückkehren und, was regelmäßig wohl ebenfalls eine gewichtige Rolle spielte, bekamen keine Diäten. Um deshalb den sich verlängernden Sessionen zu begegnen, führte man wieder sachliche Diskontinuität ein. Der König hatte danach das Recht, die Session zu beenden, und musste innerhalb dieser selbstgesetzten Grenzen Gesetzesakte sanktionieren. Worüber zum Sessionsende keine Einigung erzielt werden konnte, verfiel im Grundsatz. Ausnahmsweise konnte die wiedereingeführte sachliche Diskontinuität durchbrochen werden. Um diesen harten Abbruch aber nicht jedes Mal herbeiführen zu müssen, wenn aus unterschiedlichen Gründen das Bedürfnis bestand, eine Session zu unterbrechen, etablierte sich zusätzlich das Instrument der Vertagung, welches gerade nicht mit sachlicher Diskontinuität verbunden war. Das Vertagungsrecht stand dabei auch nicht dem König, sondern einzig und allein dem Parlament selbst zu. So wurde verhindert, dass der König sich einem Konflikt mit dem Parlament entzog. Wenn er Beratungen verhindern wollte, musste er das gesamte Parlament schließen und konnte es nicht lediglich vertagen. Die Krone musste daher sorgfältig abwägen, wann sie zu diesem Mittel greifen wollte. In sachlicher Hinsicht bildete das Diskontinuitätsprinzip also im Kern ein parlamentarisches Prinzip, um bei personeller Kontinuität einfach zu unterscheiden, ob sich der Zweck der Zusammenkunft bereits erfüllt hatte oder noch Beratungsbedarf und die Chance auf eine Einigung bestanden. Dies bildete auch das entscheidende Kriterium für die Länge einer Session. Indem das Recht zur Schließung und Auflösung in der Hand des Monarchen lag und zwischen den Sessionen grundsätzlich personelle Kontinuität herrschte, hätte der König ein (ihm gewogenes) Parlament beliebig für eine Session nach der anderen zusammenrufen können, ohne dass er Wahlen befürchten musste. Um dennoch eine Rückbindung an den Willen des Wahlvolkes zu erreichen, bedurfte es daher einer weiteren Grenze für die Arbeitsperioden des Parlaments. So wurden in England um 1700 die Wahlperioden geschaffen, welche zunächst nach drei und später nach sieben Jahren die Existenz eines konkret-individuellen Parlaments zwingend beendeten, indem den Abgeordneten im Sinne einer personellen Diskontinuität ihre Mandate endgültig entzogen wurden. Erstmals erfolgte damit unabhängig vom Willen der Beteiligten und damit auch unabhängig vom aktuellen Beratungsbedarf der durch sachliche Diskontinuität ausgelöste Abbruch der Parlamentsarbeit. Diese Form der Beendigung durch reinen Zeitablauf wurde aber durch den regelmäßig vorher verfügten Schluss der Session überlagert, sodass die Bedeutung der Wahlperiode deutlich hinter jener der Session zurückstand. Grundsätzlich griff sachliche Diskontinuität immer dann, wenn (der Monarch der Meinung war, dass) alles gesagt war.
2. Kap.: Diskontinuitätsprinzip auch im Interesse der deutschen Fürsten
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2. Kapitel
Übernahme des Diskontinuitätsprinzips auch im Interesse der deutschen Fürsten Zum Teil mit einem Umweg über Frankreich übernahmen auch die sich entwickelnden deutschen Parlamente der Neuzeit dieses System. Es lag auch hier im Interesse der Parlamente, Gegenstände, über die keine Einigung erzielt werden konnte, zu einem bestimmten Zeitpunkt abzuräumen. Da die Beratungsgegenstände ohnehin durch die monarchische Exekutive vorgegeben wurden, war auch der Eingriff in die Rechte des Parlaments gering, wenn mittels Schließung das endgültige Ende aller Beratungen erzwungen wurde. Bei der Übernahme erfolgten jedoch zwei Anpassungen, die den ursprünglichen Zweck des Diskontinuitätsprinzips deutlich schwächten. Zum einen ließen die deutschen Fürsten die sachliche Diskontinuität nicht für sich gelten. Anders als die englischen Monarchen konnten sie Gesetze noch nach dem Schluss bzw. der Auflösung des Parlaments sanktionieren. Überspitzt gesagt, konnte ein deutscher Fürst das Parlament versammeln, Gesetze innerhalb kürzester Zeit durchpeitschen und dann die Parlamentarier wieder nach Hause schicken, um sich in Ruhe und ohne Kontrolle durch ein zumeist in seiner Residenzstadt versammeltes Parlament zu überlegen, ob die Gesetze in der beschlossenen Form weiterhin in seinem Interesse waren. Die englische Vorstellung, dass ein einmal ausgehandelter Kompromiss zwischen Legislative und Exekutive beide Seiten bindet, war den deutschen Monarchien fremd. Damit verlor das Diskontinuitätsprinzip aber einen gewichtigen Teil seiner proparlamentarischen Ausprägung. Zum anderen entzogen die starken Monarchen der deutschen Staaten ihren Parlamenten die Vertagungsmöglichkeit und beanspruchten das Recht zu einer Parlamentsvertagung neben dem Schließungs- und Auflösungsrecht für sich. Wollte der englische Monarch sein Parlament ruhigstellen, musste er hinnehmen, dass alle Gesetze, die er noch nicht sanktioniert hatte, mit seinem Eingriff ebenfalls verloren gingen. Die deutschen Fürsten konnten das Parlament auch schlicht vertagen, sich so dessen Kontrolle eine Zeit lang entziehen und anschließend die nahtlose Fortsetzung der Beratungen der Gesetze verlangen. Das Vertagungsrecht konnte dabei wie eine Verwarnung eingesetzt werden, um unliebsame Beratungen zu beenden und dem Willen Ausdruck zu verleihen, eigene Interessen notfalls auch mit weiteren Mitteln durchzusetzen. Die beiden deutlichen Nachteile des Diskontinuitätsprinzips, die für den englischen Monarchen eine sorgfältigere Abwägung eines Eingriffs nötig machten, galten für die deutschen Fürsten bis einschließlich der Zeit des deutschen Kaisers nicht. Damit kam es zu der ersten Verschiebung in der Begründung des Diskontinuitätsprinzips. So ist die starke Wahrnehmung des Diskontinuitätsprinzips als monarchisches Prinzip zu erklären. Diese deutsche Tradition, das Diskontinuitätsprinzip mit ei-
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5. Teil: Fazit
nem exekutiven Eingriff zu verknüpfen, endet erst mit dem Bundestag. Selbst für den Weimarer Reichstag, der das Schließungsrecht für sich selbst erkämpft hat, um dann in der Praxis gänzlich darauf zu verzichten, war nämlich das Diskontinuitätsprinzip weniger ein parlamentarisches Prinzip, sondern durch den extensiven Gebrauch des Auslösungsrechts des direkt gewählten Reichspräsidenten vielmehr ein präsidiales und doch demokratisches. 3. Kapitel
Positive Effekte und praktische Abmilderungsmöglichkeiten sichern diskontinuierliche Tradition Festzuhalten bleibt aber, dass das Diskontinuitätsprinzip immer zumindest auch im Interesse des Parlaments fortbestand. Andernfalls ließe sich nicht erklären, wie es die tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Umbrüche überdauern konnte. Wurde das Diskontinuitätsprinzip in den deutschen Staaten zunächst noch zur Abwehr eines Parlamentarismus in Permanenz verwendet, entspricht dies nicht mehr der heutigen Vorstellung eines starken, handlungsfähigen Parlaments als zentrales Verfassungsorgan des Grundgesetzes. Der Bundestag ist ein permanentes Parlament. Dem Diskontinuitätsprinzip fällt dabei aber die Aufgabe zu, einen einheitlichen Parlamentarismus in Permanenz zu verhindern. Durch das Diskontinuitätsprinzip führt das Ende einer Wahlperiode dazu, dass alles Bisherige aufgelöst wird und das neu gewählte Parlament aus der Asche seines Vorgängers einem Phönix gleich entsteigt. Es ist jedoch wichtig hervorzuheben, dass es sich dabei zumindest in der theoretischen Konzeption weniger um eine Wiedergeburt in dem Sinne handelt, dass das alte Parlament kurzzeitig verstorben ist und nun schlicht wiederbelebt wird. Vielmehr entsteht ein anderes, gänzlich neues Parlament, dem zwar gewisse Strukturen vorgegeben sind, aber das im Grundsatz völlig frei ist. Um im Bild zu bleiben, entsteht wieder ein Phönix, aber wie dieser aussieht, welche Federn er trägt und wohin er fliegt, bleibt ihm allein überlassen. So bildet jedes konkret-individuelle Parlament eine separate, für sich stehende Erscheinung. Diese Einzelparlamente stellen dann zusammen in ihrer Gesamtheit das abstrakt-institutionelle Verfassungsorgan Parlament dar. Im Einzelnen führt dieser Abbrucheffekt dazu, dass sämtliche Abgeordnetenmandate mit dem Ende der Wahlperiode ebenfalls enden. Gleiches gilt für die Gültigkeit der Geschäftsordnung und der gesamten Organisationsstruktur. Sämtliche Organe und Unterorgane wie das Parlamentspräsidium, Ausschüsse, aber auch Fraktionen und deren Gremien verlieren ihre Mitglieder und auch ihre Existenz, soweit sie nicht verfassungs- oder einfachrechtlich vorgegeben sind. Schließlich bedeutet das Legislaturende ebenfalls den Abbruch jeder Arbeit an allen Vorlagen, die den parlamentarischen Bereich noch nicht verlassen haben. Diese Einschränkung bedeutet gleichzeitig, dass jene Ent-
4. Kap.: Tendenz zur Kontinuität durch einen pragmatischen Umgang
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würfe, zu deren Verabschiedung lediglich Maßnahmen durch andere Verfassungsorgane nötig sind, weiterhin in Kraft treten können. Der Abbruch der sachlichen Arbeit, um der neuen Versammlung einen unbelasteten Neustart zu ermöglichen, war auch historisch stets eine wichtige Begründung für das Diskontinuitätsprinzip. Da der Schluss einer Arbeitsperiode jedoch bis in die Weimarer Zeit typischerweise Folge einer bewussten Entscheidung war, stand dabei zumeist die Beseitigung von solchen Verhandlungsgegenständen im Fokus, für die sich keine Einigung abzeichnete. Dieser Effekt wird heute eher dadurch erreicht, dass entsprechende Gegenstände immer weiter bis zum Ende der Wahlperiode verschoben werden. So wird weiterhin eine offene Konfrontation vermieden, was neben dem positiven Effekt einer befriedenden Wirkung auch die negativen Folgen von mangelnder politischer Auseinandersetzung mit sich bringt. Als weitere positiv wahrgenommene Auswirkung des Diskontinuitätsprinzips ist der Konzentrationseffekt zu nennen. Zunächst erzeugt die Begrenzung auf eine Wahlperiode einen Handlungsdruck, Vorlagen noch rechtzeitig vor deren Ende zu verabschieden. So erhöht sich die Konzentration auf die wesentlichen Entwürfe und Untersuchungsgegenstände, je näher das Ende rückt. Gleichzeitig wird durch ein einheitliches Ende jeder Wahlperiode in personeller, organisatorischer und sachlicher Hinsicht eine einzige, zentrale Arbeitsperiode geschaffen. Dadurch wird eine hohe Rechenschaftspflicht bewirkt. Die für eine Wahlperiode gewählten Abgeordneten können ihre Arbeitsstruktur und ihr Programm für diese Zeit frei erschaffen und sind mithin auch in besonderem Maß dafür verantwortlich. Dabei erhöht auch die Konzentration auf eine Wahlperiode deren Bedeutung in der Wahrnehmung der Wähler. Eine Wahl, nach der sämtliche Mandate, aber auch alle Posten in Ausschüssen und sonstigen Organen neu besetzt werden, ist zwangsläufig bedeutender, als würde nur ein Teil der Mandate erneuert und nur einzelne Posten ausgetauscht werden. In gleicher Weise erhöht das Diskontinuitätsprinzip die Bedeutung der einzelnen Wahlperiode in der Wahrnehmung der Abgeordneten. Indem diese beiden Effekte von Konzentration und Bereinigung die Fortgeltung des Diskontinuitätsprinzips auch für den Bundestag rechtfertigen, zeigt sich eine erneute Verschiebung in der Begründung. 4. Kapitel
Tendenz zur Kontinuität insbesondere durch einen pragmatischen Umgang Neben diesen positiven Effekten lässt sich die Fortgeltung des Diskontinuitätsprinzips über alle Umbrüche hinweg schließlich auch damit erklären, dass dieses Prinzip in der Praxis regelmäßig keine tiefgreifenden negativen Auswirkungen mehr entfaltet und die Parlamente einen pragmatischen Umgang damit gefunden haben. Hohe Wiederwahlquoten von Abgeordneten lassen praktisch nicht befürchten, dass Wissen und Erfahrung um die parlamentarische Arbeit in einem
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5. Teil: Fazit
übermäßigen Umfang beim Wahlperiodenübergang verloren gehen. Die Legislaturdauer erlaubt unter gewöhnlichen Umständen auch die sorgfältige Arbeit an umfangreichen Gesetzesvorhaben und die Behandlung sonstiger Gegenstände etwa in Enquete-Kommissionen oder Untersuchungsausschüssen. Des Weiteren ermöglichen bewährte parlamentarische Übungen auch die Umsetzung sehr kurzfristiger Gesetzgebungsprozesse insbesondere zum Ende der Wahlperiode. Darüber hinaus ging die Selbstbehauptung der Parlamente mit einer Tendenz zu regelmäßigeren, längeren und stärker kontinuierlichen Versammlungen einher. Ihren Höhepunkt fand diese Tendenz zur Kontinuität mit der Reform des Art. 39 GG, indem dieser in seiner aktuellen Fassung in Abs. 3 Satz 2 vorgibt, dass sich die Wahlperioden für eine juristische Sekunde überlappen. Damit ist eine Unterbrechung vollständig beseitigt, was unterstreicht, dass Grundlage für das Diskontinuitätsprinzip gerade nicht eine zeitliche Unterbrechung ist. Gleichzeitig ist dadurch eine Grenze erreicht, mit der jeder weitere Schritt in Richtung parlamentarischer Kontinuität nur auf Kosten eines zumindest indirekten Eingriffs in das Diskontinuitätsprinzip möglich ist. Ein solcher Eingriff liegt etwa vor, wenn eigentlich verfallene Gesetzentwürfe in der neuen Wahlperiode wieder aufgegriffen, erneut ins Parlament eingebracht und dabei Beratungsergebnisse der früheren Legislatur ebenfalls übernommen werden. In gleicher Weise helfen die verfassungsmäßig vorgegebenen, aber auch die etablierten und durch einen neuen Bundestag regelmäßig übernommenen Organisationsstrukturen, unmittelbar zu Beginn einer Wahlperiode die nötige Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. Im Zusammenspiel mit den gewünschten Effekten des Diskontinuitätsprinzips gab es deshalb nie einen Grund, ein so lang bestehendes, allseits als fundamental empfundenes Prinzip abzuschaffen. 5. Kapitel
Kein zwingendes Prinzip Dabei spielt auch eine Rolle, dass das Diskontinuitätsprinzip so eng mit dem Demokratieprinzip verknüpft zu sein scheint, dass jede Aufweichung des ersten als Angriff auf das zweite Grundprinzip gedeutet würde. Beide sind jedoch nicht untrennbar miteinander verbunden. Richtig ist, dass das Diskontinuitätsprinzip historisch zunächst mit der Session, aber auch und heute vor allem mit der Wahlperiode verbunden ist. In demokratischen Systemen, in denen die Arbeitsperioden des Parlaments stets als geschlossene Abschnitte gedacht werden, ist das Diskontinuitätsprinzip untrennbar mit der Wahlperiode verbunden. Genau diese Geschlossenheit der Arbeitsperioden entspricht der deutschen Verfassungstradition, sodass die Übernahme der Begrifflichkeit und der inhärenten Bedeutung und des damit verbundenen theoretischen Konzepts noch heute die Rechtsgrundlage für das Diskontinuitätsprinzip im Grundgesetz bildet. Dort wo das Grundgesetz von „Wahlperiode“ spricht, ist angesichts des tradierten Verständnisses immer auch
5. Kap.: Kein zwingendes Prinzip
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„durch Diskontinuität getrennte, in sich geschlossene Wahlperiode“ gemeint. Daneben lassen sich weitere Anknüpfungspunkte als Hinweise auf die Geltung des Diskontinuitätsprinzips im Wortlaut des Grundgesetzes finden, entscheidend ist jedoch, dass die Wahlperiode stets für sich gedacht wurde und wird. Wegen der Auswirkungen, die das Diskontinuitätsprinzip trotz der Beschränkung auf den parlamentarischen Bereich über diesen hinaus entfaltet, muss es sich dabei auch um ein Verfassungsprinzip handeln. Weil Wahlperioden als Produkt regelmäßiger Legitimationserneuerungen durch Wahlen unerlässlich für die Demokratie sind, entsteht ferner der Eindruck, das Diskontinuitätsprinzip wäre dies ebenfalls. Zum einen gibt es ein angeblich aus der begrenzten Legitimation eines konkret-personellen Bundestag fließendes Verbot des „Hinüberwirkens“ in die Wahlperiode seines Nachfolgers zumindest in absoluter Form jedoch nicht. In der Praxis kommt es immer wieder zwangsläufig dazu, dass ein Bundestag den nächsten bindet, indem er etwa Regelung für (zukünftige) Abgeordnete oder Wahlen schafft oder schlicht auf Grund von langfristigen faktischen Auswirkungen. Darüber hinaus besteht nicht die Gefahr, dass ein neuer Bundestag so weit in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt ist, dass er seinen eigenen durch die Wahl erteilten Auftrag nicht mehr erfüllen kann. Der neue Bundestag ist selbst so umfassend legitimiert, dass er „Altlasten“ seines Vorgängers auch ohne Diskontinuität leicht beseitigen kann. Zum anderen müssen die Wahlperioden nicht zwangsläufig absolut geschlossen gedacht werden, wie der Blick auf die Bürgerschaften der Freien Städte des Deutschen Bundes, den United States Congress oder etwa das Europäische Parlament zeigt. Völlig ausgeschlossen ist, dass die mit personeller Diskontinuität verbundene Erneuerung der Abgeordnetenmandate vollständig aufgegeben wird, ohne die Demokratie preiszugeben. Aber die ersten beiden genannten Beispiele zeigen, dass eine personelle Teilerneuerung ohne Weiteres möglich ist. Durch die so geschaffene personelle Teilkontinuität wird die Geschlossenheit der Arbeitsperioden bereits aufgeweicht. Darüber hinaus wäre ein System denkbar, bei dem Abgeordnete unbefristet gewählt werden und sich lediglich in regelmäßigen Wahlen gegen Herausforderer verteidigen müssen. Statt personelle Diskontinuität, die durch eine Wiederwahl überwunden werden kann, würde dann personelle Kontinuität gelten, die durch eine Abwahl beendet werden kann. Obwohl damit die Bedeutung der Wahl vollständig umgekehrt wäre, wäre der Eingriff doch nur minimal und ohne Weiteres mit einer Sicherung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments durch erfahrene Abgeordnete leicht zu rechtfertigen. Angesichts der Wiederwahlquoten könnte man sogar den Eindruck bekommen, dass dieses System in der Praxis bereits gilt. In jedem Fall zeigt sich, dass die durch das Diskontinuitätsprinzip bewirkte personelle „Erneuerung“ nicht alternativlos ist. Noch viel niedriger sind die Hürden, wollte man sachliche oder organisatorische Diskontinuität abschaffen. Das Grundgesetz selbst gibt bereits einen organi-
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5. Teil: Fazit
satorischen Rahmen vor, und in der Praxis ändert sich dieser kaum von Wahlperiode zu Wahlperiode. Auch in sachlicher Hinsicht macht es keinen fundamentalen Unterschied, ob ein Bundestag entweder die Arbeiten seines Vorgängers übernimmt und unter Ausnutzung sämtlicher Beschleunigungsmöglichkeiten den bisherigen Stand wiederherstellt oder ob die Entwürfe schlicht fortgelten und weiterberaten werden können. Das Europäische Parlament beweist, dass sich darin ein unzulässiger Eingriff in das Demokratieprinzip nicht erkennen lässt, solange keine Pflicht zu einer Weiterberatung einem neu gewählten Parlament ein Programm aufzwingt, das es an der Umsetzung seines eigenen Programms hindert. Geschlossenheit ist mithin keine Grundvoraussetzung für eine Wahlperiode, sodass es sich beim Diskontinuitätsprinzip auch nicht um ein für eine Demokratie zwingendes Prinzip handelt. 6. Kapitel
Reformierung durch Normierung Zum Schluss der Betrachtung des Diskontinuitätsprinzips bleibt eine gewisse Ambivalenz festzuhalten. Einerseits handelt es sich dabei um ein althergebrachtes, tradiertes Prinzip, welches eng mit der Entwicklung des Parlamentarismus verbunden ist. Es prägt das Verfassungswesen auch heute noch ganz wesentlich. Andererseits führt es ein Schattendasein in dem Sinne, dass es an fundierter Auseinandersetzung mit diesem Prinzip fehlt. Als allgemein anerkanntes Faktum wird es als Teil der Verfassungstradition akzeptiert, ohne ausgesprochene Befürworter und Kritiker gleichermaßen hervorzubringen. Es ist keineswegs so, dass es sich dabei um ein kaum bekanntes Nischenprinzip handelt. Es wirkt schlicht so, als hätte man sich in staatsrechtlicher Theorie und Praxis darauf geeinigt, dass das Diskontinuitätsprinzip schon immer da war und schon aus diesem Grund kein Anlass für eine vertiefte Auseinandersetzung oder gar eine Veränderung besteht. Obwohl diese Ansicht eine gewisse Berechtigung für sich beanspruchen kann, indem auch diese Arbeit die lange, beachtenswerte Entwicklung des Diskontinuitätsprinzips aufzeigt und im Ergebnis keine umfassende Reform vorschlägt, ist dies für dieses wichtige Prinzip nicht angemessen. Zwar sind es Wahlen und die damit verbundenen Legislaturperioden als Garanten für regelmäßige Legitimationserneuerungen, die das Demokratieprinzip ausfüllen und nicht hinweggedacht werden können. Dennoch ist es erst das Diskontinuitätsprinzip, das dem Ende der Wahlperiode die Bedeutung eines umfassenden, tiefgreifenden Wechsels verleiht. Das ernüchternde Ergebnis dieser Betrachtung des Diskontinuitätsprinzips könnte also lauten, dass es sich dabei um ein tradiertes Prinzip handelt, was zwar nicht fundamental für die Demokratie ist, aber doch durchaus positive Effekte hat und auf das sich die Beteiligten überdies eingerichtet haben, sodass kein Handlungsbedarf besteht. Dies wird dem Diskontinuitätsprinzip jedoch ebenfalls nicht
6. Kap.: Reformierung durch Normierung
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gerecht. Zwar erscheint eine umfassende Reform, die das parlamentarische Leben noch stärker kontinuierlich gestaltet, nicht notwendig, dennoch verdient es das Diskontinuitätsprinzip, normiert zu werden. Zum einen handelt es sich dabei um eine Verfassungstradition, die bis zu den Ständeversammlungen zurückreicht und tiefgreifende gesellschaftliche und personelle Umbrüche überstanden hat. Schon deshalb handelt es sich um einen Wert, den das staatsrechtliche Normengefüge angemessen reflektieren sollte. Zum anderen darf der Effekt, den das Diskontinuitätsprinzip auch in der heutigen Parlamentspraxis hat, nicht unterschätzt werden. Der dadurch erzeugte Abbruch ist so umfassend, dass er das Parlament zum Ende jeder Wahlperiode grundlegend berührt. Durch eine Normierung würde diese regelmäßige Umwälzung in einer besonderen Klarheit bewusst hervorgehoben und zum Ausdruck gebracht, dass eine große parlamentarische Mehrheit diese weiterhin unterstützt. Durch das Diskontinuitätsprinzip werden klar abgrenzbare Perioden für jedes konkret-individuelle Parlament geschaffen, für die es gegenüber dem Souverän Verantwortung übernehmen muss. Dieser kann sodann mit seiner Wahlentscheidung zum Ausdruck bringen, wie zufrieden er mit der parlamentarischen Arbeit ist. Zwar ist nur die Wahlperiode für die Demokratie wesentlich, aber erst das Diskontinuitätsprinzip gibt ihr ihre volle Bedeutung und sorgt für besondere Aufmerksamkeit zu ihrem Ende und ihrem Neubeginn. Das Diskontinuitätsprinzip ist eine Erinnerung daran, dass jedes demokratische Parlament nur über eine begrenzte Legitimation verfügt. In politisch stabilen Zeiten lassen sich die tatsächlichen praktischen Effekte des Diskontinuitätsprinzips gut eingrenzen. Bei größeren politischen Umwälzungen könnte ein aus dem Wunsch nach stärkerer Kontinuität geborener Angriff auf das Diskontinuitätsprinzip jedoch als Feigenblatt für einen fundamentaleren Angriff auf die Demokratie dienen. Das gilt umso mehr, je konturenloser das Diskontinuitätsprinzip bleibt. Dem ist durch eine klare, prägnante Normierung entgegenzutreten. Diese Arbeit stellt hierzu einen Vorschlag dar.
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Stichwortverzeichnis Abbrucheffekt 235 Abgeordnetenentschädigung 36, 38, 92, 153, 290 Abgeordnetenrechte 74, 153 Adjournment siehe Vertagung des Parlaments Alterspräsident 165, 254, 262 Anfragen, Große und Kleine siehe Kontrollrechte Arbeitsperiode, parlamentarische siehe – Auflösung des Parlaments – Berufung des Parlaments – Eröffnung des Parlaments – Geschlossenheit der parlamentarischen Arbeitsperiode – Interregnum – Konstituierung – Limitation – Prorogation – Schluss des Parlaments – Session – Sessionsabschnitte – Tagungen – Vertagung des Parlaments – Wahlperiode Auflösung des Parlaments – Bundesrepublik Deutschland 138, 145, 148, 245, 261 – Deutscher Bund 44, 55 – Deutsches Kaiserreich 66, 75, 88 – England 35, 40 – Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 30 – Weimarer Republik 101, 107, 117, 127, 136 Außerparlamentarische Gremien mit parlamentarischer Beteiligung 177
Begründung des Diskontinuitätsprinzips – Bundesrepublik Deutschland 216, 232 – Deutsches Kaiserreich 77, 84 – England 36 – Verschiebung in der Begründung 42, 114, 232 – Weimarer Republik 114, 119 Bereinigungswirkung – Bundesrepublik Deutschland 236, 246, 250 – Deutsches Kaiserreich 83 – Weimarer Republik 117 Berichtspflichten 182, 187 Berufung des Parlaments – Bundesrepublik Deutschland 141, 148, 164 – Deutscher Bund 44 – Deutsches Kaiserreich 62 – England 34 – Frankreich 41 – Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 29 – Weimarer Republik 103 Bundesakte 43, 55 Bundespräsident 138, 148, 149, 184, 197 Bundesrat – Bundesrepublik Deutschland 170, 172, 191, 200, 209, 249 – Deutsches Kaiserreich 60, 69, 85 Bundesregierung 138, 149, 182, 194, 200, 209, 213, 215, 249 Bundesrepublik Deutschland 138 Bundestag 138 Bundestagspräsident 148, 152, 163, 164, 174, 199, 201, 225 Bundestagsverwaltung 162, 167, 169
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Stichwortverzeichnis
Bundesverfassungsgericht 176, 184, 195, 247 Bundesversammlung 198
– Deutsches Kaiserreich 90 – England 37 – Weimarer Republik 121
Demokratieprinzip 140, 221, 226, 230, 258, 270, 294 Deutscher Bund 42, 55 Deutsches Kaiserreich 59 Diäten siehe Abgeordnetenentschädigung Diskontinuität, formelle 19, 22 Diskontinuität, organisatorische bzw. institutionelle 22 – Abgrenzung zur sachlichen Diskontinuität 152, 159, 175, 181 – Bundesrepublik Deutschland 155, 250, 252, 259 – Deutscher Bund 44, 47, 57 – Deutsches Kaiserreich 74, 92, 96 – Weimarer Republik 108, 122, 129 Diskontinuität, personelle 19, 22 – Bundesrepublik Deutschland 153, 241, 251, 259 – Deutscher Bund 45, 57 – Deutsches Kaiserreich 74, 75 – England 35 – Weimarer Republik 108, 117, 129 Diskontinuität, sachliche bzw. materielle 26 – Abgrenzung zur sachlichen Diskontinuität 152, 159, 175, 181 – Bundesrepublik Deutschland 180, 243, 246, 255, 259 – Deutscher Bund 44, 47, 51, 56 – Deutsches Kaiserreich 68, 91 – England 37 – Weimarer Republik 108, 110, 122, 129 Dissolution siehe Auflösung des Parlaments Drucksituation 211, 245, 278 Durchbrechungen des Diskontinuitätsprinzips – Bundesrepublik Deutschland 162, 187 – Deutscher Bund 46, 59
England siehe Vereinigtes Königreich Enquete-Kommission siehe Organe des Bundestages Eröffnung des Parlaments 30, 44, 62, 79 Europäische Union 13, 16, 237, 277, 283 Ewigkeitsgarantie 226 Fraktionen 157, 161, 186, 241, 249, 252 Frankreich 40 Freie Städte 55, 126, 130, 135, 259 Funktionsfähigkeit des Parlaments 163, 230, 235, 251 Gegenzeichnung 102, 207 Gemeinsamer Ausschuss 170, 172 Geschäftsordnung, parlamentarische – Abgrenzung zu Geschäftsordnungen anderer Organe 174, 176, 199 – Beispiel für Organisationsparallelismus 88 – Bundesrepublik Deutschland 138, 155, 225, 231, 253, 271 – Deutscher Bund 44 – Deutsches Kaiserreich 75 – Weimarer Republik 108 Geschlossenheit der parlamentarischen Arbeitsperiode – Bundesrepublik Deutschland 143, 154, 164, 194, 197, 223, 227, 230, 238, 259 – Deutscher Bund 51 – Deutsches Kaiserreich 78, 89 – England 34 – Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 32 – Weimarer Republik 116, 120 Gesetzgebungsverfahren – Ausfertigung 207
Stichwortverzeichnis – Beschleunigungsmöglichkeiten 53, 82, 124, 255, 274, 283 – Einspruch 100, 112, 130, 206, 210 – Initiativrecht 45, 53, 69, 82, 100, 180, 200, 219, 247, 283 – royal assent 37 – Sanktion 37, 46, 69, 83 – Vermittlungsverfahren 209 – Vorverfahren 69, 110, 202 – Zustimmung 70, 206, 208, 213 Gewohnheitsrecht 72, 86, 119, 220 Grundsatz der Diskontinuität 19 Hamburg 21, 55, 130, 262, 283 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 29 Herrschaft auf Zeit 139, 258, 282 Homogenitätsgebot 125, 258 Immunität 67, 105, 118, 141, 153, 157, 183, 267 Initiativrecht siehe Gesetzgebungsverfahren Interregnum 24 – Bundesrepublik Deutschland 142, 144, 145, 151, 164, 165, 176, 243, 259 – Weimarer Republik 109, 127 Kaiser – Deutsches Kaiserreichs 62, 65, 78 – Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 29, 31 Koalition 237, 242, 246, 248, 275 Konstituierung – Bundesrepublik Deutschland 148, 164, 252, 264, 271 – Weimarer Republik 103, 131 Konstitutionalismus 41, 52, 74, 78, 87, 115 Kontinuität 18, 20, 31, 270, 282, 293 – Bundesrepublik Deutschland 139, 169, 197, 199, 216, 230, 239, 251 – Deutsches Kaiserreich 67 – Freie Städte des deutschen Bundes 56
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– Weimarer Republik 106, 130 Kontrollrechte 166, 181 Konzentrationseffekt 238 Kulturkampf 70 Landtage bzw. Länderparlamente – Bundesrepublik 192, 198, 258 – Deutscher Bund 44 – Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 30 – Weimarer Republik 125 Legislaturperiode siehe Wahlperiode Limitation 30 Mandat – Erlöschen des Mandats 20, 40, 61, 75, 79, 108, 129, 140, 153, 170, 179, 197, 235, 241 – Mandatsprüfungsverfahren 183 – Teil bzw. Partialerneuerung und Totalbzw. Integralerneuerung 21, 56, 126, 140, 154, 258, 271 – Unabhängigkeit des Mandats 138 Nationalversammlung 99, 104 Naturrecht 87 Norddeutscher Bund 59, 88 Normenkontrolle, abstrakte 185 Normierung des Diskontinuitätsprinzips 282 – Bundesrepublik Deutschland 217, 225 – Deutsches Kaiserreich 68, 84 – Preußen 51 – Weimarer Republik 114 Opposition 245, 247, 253, 275 Organ-Diskontinuität siehe organisatorische Diskontinuität Organe des Bundestages – Enquete-Kommission 161, 271 – fakultative 160, 252 – G 10-Kommission 167 – Gremium nach Art. 13 Abs. 6 GG 168
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Stichwortverzeichnis
– Haushaltsausschuss 159 – obligatorische 158, 252 – Parlamentarisches Kontrollgremium 158, 165 – Petitionsausschuss 158, 189 – Richterwahlausschuss 158, 170, 175 – Untersuchungsausschuss 25, 161, 183, 238, 250, 271 – Wahlprüfungsausschuss 159 – Wehrbeauftragter 158, 168 Organisationsparallelismus 87, 266 Organ-Kontinuität 23 – Bundesrepublik Deutschland 140, 151, 158, 184 – Deutscher Bund 43, 57 – Deutsches Kaiserreich 61 – England 34 – Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 32 – Weimarer Republik 107, 109, 129 Organstreit 184, 208 Parlamentarischer Rat 141, 223 Parlamentarisches Kontrollgremium siehe Organe des Bundestages Periodizität 66, 115, 150, 192, 194, 197 Petitionen 36, 51, 188 Petitionsausschuss siehe Organe des Bundestages Präsidentenanklage 184 Präsidium – Bundesrepublik Deutschland 25, 144, 158, 225, 231, 265, 267 – Deutscher Bund 44 – Deutsches Kaiserreich 67, 75 – Weimarer Republik 108, 115, 131 Preußen 44, 50, 69, 129 Prorogation des Parlaments 13, 30, 35, 37, 39, 41 Prozesshandlungen 152, 184 Rechtsverordnungen 214 Reform von Art. 39 GG 15, 145, 254
Reichsabschied 30 Reichsjustizgesetze 93 Reichsleitung 69, 73, 81, 95 Reichspräsident 99, 100, 117, 121 Reichsrat 99, 110, 112 Reichsregierung 100, 102, 110 Reichstag – Deutsches Kaiserreich 60 – Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 29 – Weimarer Republik 99 Responsivität 229, 295 Richterwahl und Richterwahlausschuss siehe Organe des Bundestages Schluss des Parlaments – Bundesrepublik Deutschland 266 – Deutscher Bund 44, 55 – Deutsches Kaiserreich 62, 63, 68, 79, 88 – England 39 – Frankreich 41 – Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 30 – Weimarer Republik 103, 108, 117, 132 Selbstversammlungsrecht des Parlaments – Bundesrepublik Deutschland 141, 148 – Deutscher Bund 43 – Deutsches Kaiserreich 62 – Frankreich 40 – Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 29, 30 – Weimarer Republik 103, 106, 131 Senat der freien Städte 55 Session bzw. Sitzungsperiode – Bundesrepublik Deutschland 141, 266 – Deutsches Kaiserreich 61, 89 – England 36 – Weimarer Republik 101, 104, 115, 120, 131 Sessionsabschnitte 64 Ständeversammlung 29, 47, 288 Tagungen 64, 101, 104, 120, 266
Stichwortverzeichnis United States Senate 21, 192, 230 Untersuchungsausschuss siehe Organe des Bundestages Verbot des „Hinüberwirkens“ 164, 226 Vereinigtes Königreich 13, 33 – Brexit 13 – House of Commons 13, 34 – House of Lords 13, 34 – King in Parliament 34 – parliamentary sovereignty 14 – royal assent 37 Vermittlungsausschuss 170, 209 Vertagung des Parlaments – Bundesrepublik Deutschland 141, 266 – Deutscher Bund 44, 45, 55 – Deutsches Kaiserreich 62, 64, 66, 80 – England 37, 39 – Frankreich 40, 41 – Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 30 – Weimarer Republik 103, 106, 108, 132 Verteidigungsfall 173 Verträge mit Dritten 152, 163 Volksentscheid 100, 112, 128, 138 Vorverfahren siehe Gesetzgebungsverfahren
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Wahlperiode – Bundesrepublik Deutschland 139, 145, 238, 259 – Deutsches Kaiserreich 60, 75, 89 – England 38 – Weimarer Republik 101, 120, 126 Wahlprüfung 159, 183, 186 Wahltag 60, 101, 126 Wehrbeauftragter siehe Organe des Bundestages Weimarer Republik 98 Wiederwahl 20, 154, 235, 241, 251 Wiener Kongress 43 Wortlautauslegung 88, 119, 218 Württemberg 31, 47 Zwischenausschüsse als Durchbrechung der organisatorischen Diskontinuität – Bundesrepublik Deutschland 143, 261, 267 – Deutscher Bund 48 – Deutsches Kaiserreich 92, 97 – Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 31 – Weimarer Republik 108, 115, 122, 127, 134 Zwischenintervall siehe Interregnum