Das Christentum: Entgangene Zukunftsmöglichkeiten und gegenwärtige Realitäten 9783161623226, 9783161623882, 3161623223

Der Preisträger des Dr. Leopold Lucas-Preises 2019, der britische Theologe und Kirchenhistoriker Diarmaid MacCulloch, is

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German Pages 126 [127] Year 2023

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Diarmaid MacCulloch — Das Christentum: Entgangene Zukunftsmöglichkeiten und gegenwärtige Realitäten / Christianity: Lost Futures and Present Realities
Anmerkungen/Notes
Michael Tilly — Ansprache bei der Verleihung des Dr. Leopold Lucas-Preises 2019 / Address at the Award Ceremony of the 2019 Dr. Leopold Lucas Prize
Anmerkungen/Notes
Die bisherigen Preisträger
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Das Christentum: Entgangene Zukunftsmöglichkeiten und gegenwärtige Realitäten
 9783161623226, 9783161623882, 3161623223

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Lucas-Preis 2019

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Das Christentum Entgangene Zukunftsmöglichkeiten und gegenwärtige Realitäten von

Diarmaid MacCulloch Übersetzungen von

Daniel Schumann Herausgegeben von

Michael Tilly

Mohr Siebeck

Diarmaid MacCulloch, geboren 1951; Professor emeritus für Kirchengeschichte an der University of Oxford sowie Fellow Emeritus am St Cross College und Fellow an der Campion Hall.

ISBN 978-3-16-162322-6 / eISBN 978-3-16-162388-2 DOI 10.1628/978-3-16-162388-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Bembo gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

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Inhalt Diarmaid MacCulloch Das Christentum: Entgangene Zukunftsmöglichkeiten und gegenwärtige Realitäten / Christianity: Lost Futures and Present Realities Seite 6 Anmerkungen/Notes Seite 82 Michael Tilly Ansprache bei der Verleihung des Dr. Leo­pold Lucas-Preises 2019 / Address at the Award Ceremony of the 2019 Dr. Leo­pold Lucas Prize Seite 92 Anmerkungen/Notes Seite 120 Die bisherigen Preisträger Seite 125

Christianity Lost Futures and Present Realities by

Diarmaid MacCulloch

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Das Christentum Entgangene Zukunftsmöglichkeiten und gegenwärtige Realitäten von

Diarmaid MacCulloch

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hat a great pleasure and honour it is to be with you all, and to join such a distinguished cast of previous lecturers to celebrate the memory of Dr Leopold Lucas. Dr Lucas stood for all that is best in our shared European culture of scholarship. He explored the relations between Judaism and Christianity over two millennia: a long and troubled history that all of us need to remember and understand if we are to do better in the future. Like countless others, Leopold Lucas was caught up in the explosion of hatred and madness that stained the name of Europe in the twentieth century. His very positive response was to become involved in one of the most remarkable scholarly projects of the terrible years in the 1940s: a five-volume history of the Jews in Europe, a project led by his great contemporary Dr Leo Baeck, in defiance of the Nazis’ attempt to dehumanise and disempower all those of Jewish descent. This work was a symbol of hope and trust: a declaration of confidence by a group of brave individuals that, after the Hitler regime had been defeated and liberation restored to their country and to this whole continent, there would be people to

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s ist mir eine große Freude und Ehre, bei Ihnen allen zu sein und gemeinsam mit einer so bedeutenden Gruppe vorheriger Redner das Andenken an Dr. Leopold Lucas zu feiern. Herr Dr. Lucas stand für all das, was in unserer gemeinsamen europäischen Kultur der Gelehrsamkeit das Beste ist. Er untersuchte die Beziehungen zwischen Judentum und Christentum über zwei Jahrtausende hinweg: eine lange und bewegte Geschichte, an die wir uns alle erinnern und die wir verstehen müssen, wenn wir in Zukunft besser handeln wollen. Wie zahllose andere wurde auch Leopold Lucas von der Welle des Hasses und des Wahnsinns erfasst, die den Namen Europas im zwanzigsten Jahrhundert beschmutzte. Seine überaus positive Reaktion war indes die Beteiligung an einem der bemerkenswertesten wissenschaftlichen Projekte der 1940er Schreckensjahre: eine fünfbändige Geschichte der Juden in Europa, ein Projekt, das von seinem bedeutenden Zeitgenossen Dr. Leo Baeck geleitet wurde, um dem Versuch der Nazis zu trotzen, alle Menschen jüdischer Abstammung zu entmenschlichen und zu entmachten. Dieses Werk war ein Symbol der Hoffnung und des Vertrauens: eine Vertrauenserklärung einer Gruppe mutiger Menschen, die ihrerseits darauf vertrauten,

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read and understand what had happened before, who could then act on their knowledge to make a better future. Dr Lucas became a victim of Nazi murder; but his achievement remains an inspiration to all of us, of many faiths and none, to seek a better understanding of what it means to embrace a common humanity.

In my own more limited and distinctly less heroic fashion, I have devoted much of my career in scholarship and research to seeking an honest and transparent view of the Christian past, in order that Christianity may know itself better and do better in the future. As a young man I started my career in academic history with something as restricted in scope as only an academic doctoral thesis can be: a micro-study of Reformation politics in one English county, Suffolk, for fifty years of the sixteenth century.1 Well, we all have to start somewhere; and from Elizabethan Suffolk, the only way is onwards and outwards. Over the next forty years, I have steadily moved the boundaries further and further, until with ultimate hubris, in 2009 I published a book on the whole history of Christianity, everywhere.2 Out of the book came a six-part television series for the BBC, which was great fun to make, and ranged over travels in

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dass es nach dem Sieg über das Hitler-Regime und der Wiederherstellung der Freiheit in ihrem Land und auf dem ganzen Kontinent Menschen geben würde, die lesen und verstehen würden, was zuvor geschehen war, und die dann auf der Grundlage ihres Wissens handeln könnten, um eine bessere Zukunft zu schaffen. Dr. Lucas wurde ein Opfer des Naziregimes, aber seine Leistung bleibt eine andauernde Inspiration für uns alle, ob wir nun gläubig sind oder nicht, um ein besseres Verständnis davon zu erlangen, was es bedeutet, eine umfassende Humanität zu verwirklichen. Auf meine eigene, eher begrenzte und deutlich weniger heldenhafte Art und Weise habe ich einen Großteil meiner Laufbahn in Wissenschaft und Forschung der Suche nach einem aufrichtigen und transparenten Blick auf die christliche Vergangenheit gewidmet, damit das Christentum sich selbst besser kennen lerne und in Zukunft besser handeln könne. Als junger Mann begann ich meine Laufbahn in der Geschichtswissenschaft mit einer Arbeit, die in ihrem Umfang so begrenzt war, wie es nur eine akademische Doktorarbeit sein kann: eine Mikrostudie über die Reformationspolitik in einer englischen Grafschaft, Suffolk, während eines Zeitraums von fünfzig Jahren im sechzehnten Jahrhundert.1 Nun, irgendwo müssen wir alle anfangen; und vom elisabethanischen Suffolk aus führt der einzige Weg nach vorn und nach außen. Im Laufe der nächsten vierzig Jahre habe ich diese Grenzen immer weiter verschoben, bis

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twenty-one countries in the making of it.3 We were able to include consideration of Christianity as it had evolved from south-west Asia into the continent’s furthest eastern reaches, as well as following its more obvious developments in Europe, North Africa and the Americas. It is that hubristic agenda that I wish to explore with you briefly here tonight: a journey through human experience which has built a worldwide faith over two millennia.

As I was writing and filming, I was often asked whether the book and the series were going to have a theme; TV directors in particular love a theme, especially if it is very simple and yet manages to sound brand-new and controversial. I was tempted mischievously to ask ›Does Birmingham have a theme?‹ – but that might have annoyed those funding my projects. Yes, there was a theme, as much as the city of Birmingham has a theme: variety. Christianity is like one of those creatures in science fiction that can shape-shift at will. That is the characteristic that Christianity shares with all successful major world faiths; beyond whatever is their basic core, they are shape-shifters, which is why they have endured so

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ich 2009 in maßloser Überheblichkeit ein Buch über die gesamte Geschichte des weltweiten Christentums veröffentlichte.2 Aus dem Buch entstand eine sechs­ teilige Fernsehserie für die BBC, deren Produktion sehr viel Freude gemacht hat und für die ich einundzwanzig Länder bereist habe.3 Wir konnten die Entwicklung des Christentums von Südwestasien bis in den äußersten Osten des Kontinents berücksichtigen, aber auch seine offensichtlicheren Entwicklungen in Europa, Nordafrika und Amerika verfolgen. Es ist dieses vermessene Programm, das ich heute Abend mit Ihnen kurz erkunden möchte: eine Reise durch die menschliche Erfahrung, die über zwei Jahrtausende hinweg einen weltweiten Glauben hervorgebracht hat. Während des Schreibens und der Dreharbeiten wurde ich oft gefragt, ob das Buch und die Serie ein übergreifendes Thema haben würden. Fernsehregisseure lieben ein Thema vor allem dann, wenn es sehr einfach ist und dennoch brandneu und kontrovers klingt. Ich war versucht, schelmisch zurückzufragen: »Hat Birmingham ein Thema?« – aber das hätte die Geldgeber meiner Projekte vielleicht verärgert. Ja, es gab ein Thema, so wie die Stadt Birmingham ein Thema hat: Es ist die Vielfalt. Das Christentum ist wie eine dieser Kreaturen aus Science-Fiction-Filmen, die ihre Gestalt nach Belieben verändern können. Das ist die Eigenschaft, die das Christentum mit allen erfolgreichen großen Weltreligionen gemein-

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long. They can flourish in new contexts and utterly different societies, without withering away. Christians do not like being reminded of this shape-shifting, particularly those who are in charge of the various religious institutions which call themselves Churches, but that is the reality, and it has been so from the beginning. The word ›Catholic‹, which has overtones of doctrinal uniformity as well as of universality, only appears in Christianity some half-century or more after the life of Christ; and nowhere does that word appear in the Bible.4

You may remember the American academic Sa­ muel P. Huntington, who was very influential in the political discourse of the U.S. during the years of George W. Bush’s presidency, in the first decade of this century. In his writing, Huntington spoke of a ›clash of civilisations‹, suggesting in particular that this was the destined relationship of Christianity and Islam.5 This ›clash of civilisations‹ idea was among the beliefs that helped to create the strategy behind President Bush’s invasion of Iraq in 2003, as well as lurking behind the otherwise incoherent pronouncements of a later American President whom I will not name. What dangerous nonsense it is! Such is the inner diversity within two great world faiths like Christianity and Islam that it makes no sense to

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sam hat; über ihren grundlegenden Kern hinaus sind sie formwandlungsfähig, weshalb sie so lange überdauert haben. Sie können in neuen Kontexten und völlig anderen Gesellschaften gedeihen, ohne dabei zu verkümmern. Die Christen werden nicht so gern an diese Wandlungsfähigkeit erinnert, vor allem nicht diejenigen, die die verschiedenen religiösen Institutionen leiten, die sich Kirchen nennen, aber das ist die Realität und sie war es von Anfang an. Das Wort »katholisch«, das sowohl für Einheitlichkeit in der Lehre als auch für Universalität steht, taucht im Christentum erst ein gutes halbes Jahrhundert oder mehr nach dem Leben Christi auf; nirgendwo in der Bibel kommt dieses Wort indes vor.4 Vielleicht erinnern Sie sich an den amerikanischen Wissenschaftler Samuel P. Huntington, der in den Jahren, in denen George W. Bush Präsident war, im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, großen Einfluss auf den politischen Diskurs in den USA hatte. Huntington sprach in seinen Schriften von einem clash of civilisations (»Zusammenprall der Gesellschaften«), wobei er die Auffassung vertrat, dass es sich dabei insbesondere um eine das Christentum und den Islam betreffende Beziehung handele.5 Diese Idee des clash of civilisations gehörte zu den Überzeugungen, die dazu beitrugen, die Strategie hinter Präsident Bushs Invasion in den Irak im Jahr 2003 zu entwickeln, und die sich auch hinter den ansonsten inkohärenten Äuße­rungen eines späteren amerikanischen Prä-

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talk about a single Christian or Islamic civilisation. They contain within themselves a marvellous variety, and a diverse babble of competing voices. It will be better for the mental health of the followers of the great religions if they come to recognise this diversity as a virtue and not as a vice, an opportunity and not a threat.

What is Christianity? In essence, it is a personality cult. I have sometimes been criticised for saying so, by those who consider the phrase to be flippant, but to see Christianity as a personality cult seems to me perfectly justifiable. I use the word ›person‹ in its common modern sense in English, which has moved quite some way from the Latin meaning of ›persona‹ as ›theatrical mask‹, and indeed on through the theological description of the Christian Trinity as ›three consubstantial persons‹. Employing the commonly-­ understood modern usage, at the centre of the Christian message is an individual person, Jesus. His story is set in time and in a particular place, where his parents gave him a very ordinary Jewish name, ­Jeshua, in memory of the great liberator of the Hebrews who had led them into the Promised Land. Interestingly, Christians do their best to disguise this relationship

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sidenten verbargen, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte. Was für ein gefährlicher Unfug das doch ist! Die innere Vielfalt zweier großer Weltreligionen wie dem Christentum und dem Islam ist so groß, dass es keinen Sinn ergibt, von einer einzigen christlichen oder islamischen Gesellschaft zu sprechen. Beide enthalten in sich eine wunderbare Vielfalt und ein buntes Durcheinander konkurrierender Stimmen. Es sollte für die geistige Gesundheit der Anhänger der großen Religionen zuträglicher sein, wenn sie diese Vielfalt als Tugend und nicht als Laster, als Chance und nicht als Bedrohung erkennen. Was ist das Christentum? Im Grunde genommen ist es ein Personenkult. Ich bin manchmal dafür kritisiert worden, dass ich das gesagt habe. Meine Kritiker halten diesen Ausdruck für leichtfertig, aber das Christentum als Personenkult zu betrachten, scheint mir vollkommen gerechtfertigt. Ich verwende das Wort »Person« in seiner gängigen modernen Bedeutung im Englischen, die sich von der lateinischen Bedeutung von persona als »theatralische Maske« bis hin zur theologischen Beschreibung der christlichen Dreifaltigkeit als »drei wesensgleiche Personen« ziemlich weit entfernt hat. Im Zentrum der christlichen Botschaft steht nach dem heutigen Sprachgebrauch eine einzelne Person, Jesus. Seine Geschichte handelt in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort, wo seine Eltern ihm einen ganz gewöhnlichen jüdischen Namen gaben, nämlich Jeschua, in Erinne-

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between the two, by emphasising a manu­factured difference from the name of the original liberating hero, both in their biblical texts and in their common conversation. For instance, the first liberator is called Joshua in English, Josua in German.

As the second J­ eshua embarked on a public min­ istry of proclamation and healing, his followers quickly came to believe that their prophet was also the Messiah, the Anointed One whom Jews had historically expected. Since the main Christian language rapidly changed from being Aramaic to the koine Greek of Mediterranean market-places, Christians translated that Hebrew word Messiah into a Greek equivalent, Christos. It is easy to mistake the name Jesus Christ for a modern name and surname, just as I am named Diarmaid MacCulloch. Yet we need to remember that Jesus Christ is not a name but a theological statement: he is Joshua, who is the Anointed One, the liberator who has been chosen by God. Jesus Christ would have been unimaginable, in a literal sense, without the Jewish history behind him.

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rung an den großen Befreier der Hebräer, der sie in das Gelobte Land geführt hatte. Interessanterweise tun die Christen ihr Bestes, um diese Beziehung zwischen den beiden zu verschleiern, indem sie sowohl in ihren biblischen Texten als auch in ihrem allgemeinen Sprachgebrauch einen fabrizierten Unterschied zum Namen des ursprünglichen Befreiungshelden betonen. Zum Beispiel heißt der erste Befreier im Englischen Joshua und im Deutschen Josua. Als der zweite Jeschua seinen öffentlichen Verkündigungs- und Heilungsdienst antrat, kamen seine Anhänger schnell zu der Überzeugung, dass ihr Prophet auch der Messias sei, der Gesalbte, den die Juden seit jeher erwartet hatten. Da die christliche Hauptsprache schnell vom Aramäischen zum Koine-Griechischen der mediterranen Marktplätze wechselte, übersetzten die Christen das hebräische Wort Messias in das griechische Äquivalent Christos. Es ist leicht, den Namen Jesus Christus mit einem modernen Vornamen und Nachnamen zu verwechseln, so wie ich Diarmaid MacCulloch heiße. Doch wir müssen uns daran erinnern, dass Jesus Christus kein Name ist, sondern eine theologische Aussage: Er ist Josua, der Gesalbte, der von Gott erwählte Befreier. Jesus Christus wäre ohne die jüdische Geschichte, die hinter ihm steht, im wahrsten Sinne des Wortes unvorstellbar gewesen.

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That is why I chose a teasing sub-title for my book on the history of Christianity: ›the first THREE thousand years.‹ Part of the story is more than a thousand previous years of Jewish history. And story builds on story. From the first century of the Christian era, Christians have believed in this Jewish Jeshua ­­ as an aspect of the God who was, is and ever shall be, yet who at the same time is a human being set in historic time. The first specifically Christian literature was a set of ­stories about how Jesus died. These are the ›Passion narratives‹ which are now embedded in the Four Gospels Matthew, Mark, Luke and John. These Gospels are themselves a set of ­­stories seeking to throw different spotlights on the God who was made man: expositions intended to show how barely more than thirty years of a human life have a cosmic resonance for all time and beyond. Christians also believe that they can meet with this human being in as real a fashion as the disciples who walked with him in Galilee and saw him die on the Cross. They tell ­stories about themselves on the basis of these ­stories from the past.

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Als ich mein Buch über die Geschichte des Christentums schrieb, gab ich ihm deshalb einen provokativen Untertitel: the first THREE thousand years (»Die ersten Dreitausend Jahre«). Ein Teil dieser Geschichte besteht aus mehr als tausend Jahren jüdischer Vorgeschichte. Und Geschichte baut auf Geschichte auf. Seit dem ersten Jahrhundert der christlichen Ära glauben die Christen an diesen jüdischen Jeschua als einen Aspekt des Gottes, der war, der ist und der immer sein wird, der aber zugleich ein Mensch in historischer Zeit ist. Die erste spezifisch christliche Literatur bestand in einer Reihe von Geschichten über den Tod Jesu. Dies sind die »Passionsgeschichten«, die heute in den vier Evangelien des Matthäus, Markus, Lukas und Johannes enthalten sind. Diese Evangelien sind selbst eine Reihe von Geschichten, die versuchen, verschiedene Schlaglichter auf den menschgewordenen Gott zu werfen: Darstellungen, die zeigen sollen, wie kaum mehr als dreißig Jahre eines menschlichen Lebens eine kosmische Resonanz für alle Zeit und darüber hinaus haben. Christen glauben auch, dass sie diesem Menschen so real begegnen können wie die Jünger, die mit ihm in Galiläa unterwegs waren und ihn am Kreuz sterben sahen. Sie erzählen Geschichten über sich selbst auf der Grundlage dieser Geschichten aus der Vergangenheit.

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The diverse strands of early Christianity which told the earliest ­stories were marginal offshoots of Judaism, whose founder Jesus left no known written works. We have no record of him writing, with the exception of some doodles in the dirt as he contemplated a difficult situation, in a story now to be found in John’s Gospel.6 Instead, we have records of the words his followers heard, and some of them are rather surprising and uncomfortable. Jesus seems to have maintained that the trumpet would sound for the end of time very soon.7 In a major break with the culture of funerary observance around him, Jesus told his followers to leave the dead to bury their dead.8 Why would one write anything down, let alone spend time burying the dead, with such urgency looming?

Yet remarkably quickly the Messiah’s followers disagreed with him, and questioned the idea that history was about to end. Most obviously, they collected and preserved s­tories about the founder into what are now the four Gospels, to pass them on to the next generation of believers. Then about sixty years after his death they went on to survive a major crisis of confidence, when the Last Days predicted by Jesus had not arrived, by the end of the first century of

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Die verschiedenen Strömungen des frühen Christentums, die die frühesten Geschichten erzählten, waren marginale Ableger des Judentums, dessen Gründer Jesus keine bekannten schriftlichen Werke hinterließ. Wir haben zwar keine schriftlichen Aufzeichnungen von ihm, mit Ausnahme einiger Kritzeleien im Dreck, als er über eine schwierige Situation nachdachte, in einer Geschichte, die jetzt im Johannesevangelium zu finden ist.6 Stattdessen haben wir aber Aufzeichnungen über die Worte, die seine Anhänger hörten, und einige von ihnen sind ziemlich überraschend und unbequem. Jesus scheint behauptet zu haben, dass die Posaune für das Ende der Zeit sehr bald ertönen würde.7 In einem großen Bruch mit der Kultur der Bestattungspraxis um ihn herum sagte Jesus seinen Anhängern, sie sollten die Toten ihre Toten begraben lassen.8 Warum sollte man etwas aufschreiben, geschweige denn Zeit damit verbringen, die Toten zu begraben, wenn eine solche Dringlichkeit droht? Doch bemerkenswert schnell waren die Anhänger des Messias anderer Meinung als er und stellten die Vorstellung vom Ende der Geschichte in Frage. Offensichtlich sammelten und bewahrten sie die Geschichten über den Gründer in den vier Evangelien, um sie an die nächste Generation von Gläubigen weiterzugeben. Etwa sechzig Jahre nach seinem Tod überlebten sie dann eine große Vertrauenskrise, als die von Jesus vorhergesagte Endzeit nicht eingetrof-

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the Common Era. Much changed for the Christian movement in that crisis. It was perhaps one of the greatest turning-points in the Christian story, which shaped Christianity into a very different institution from that left by its founder or even by its second founder, Paul of Tarsus. This moment was the first of Christianity’s lost futures.9 Yet we know very little about the debates and discussions during that first crisis because Christians have said much less about disappointment in their sacred books than did the Jews before them.

A basic element in the shape-shifting character of Christianity is the instability which comes from its two-fold ancestry. Far from being simply the pristine, innovative teachings of Jesus Christ, it draws on two much more ancient cultural well-springs: Greece and Israel. The story must begin among both the ancient Greeks and the Jews, in two distinct if interweaving strands. That is another dimension of my book title: A History of Christianity: the first three thousand years: not one but two thousand-year hi­ stories, Greek and Jewish, march side by side up to the birth of Jesus. The first generations of Christians were Jews who lived in a world shaped by Greek elite culture; probably even Jesus himself could speak a bit of bad market-place Greek alongside his native Ara-

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fen war, und zwar am Ende des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung. In dieser Krise änderte sich viel für die christliche Bewegung. Es war vielleicht einer der größten Wendepunkte in der Geschichte des Christentums, der es in eine ganz andere Institution verwandelte, als sie von ihrem Gründer oder sogar von ihrem zweiten Gründer, Paulus von Tarsus, hinterlassen wurde. Dieser Moment war die erste der entgangenen Zukunftsmöglichkeiten des Christentums.9 Dennoch wissen wir nur sehr wenig über die Debatten und Kontroversen während dieser ersten Krise, da die Christen in ihren heiligen Büchern viel weniger über Enttäuschungen berichtet haben als die Juden vor ihnen. Ein grundlegendes Element des sich wandelnden Charakters des Christentums ist die Instabilität, die sich aus seiner zweifachen Herkunft ergibt. Weit davon entfernt, einfach nur die ursprüngliche, innovative Lehre Jesu Christi zu sein, schöpft es aus zwei viel älteren kulturellen Ursprüngen: Griechenland und Israel. Die Geschichte muss darum sowohl bei den alten Griechen als auch bei den Juden beginnen, in zwei unterschiedlichen, aber miteinander verwobenen Strängen. Das ist eine weitere Dimension des Titels meines Buches: A History of Christianity: The First Three Thousand Years: nicht eine, sondern zwei tausendjährige Geschichten, griechische und jüdische, die Seite an Seite bis zur Geburt Jesu verlaufen. Die ersten Generationen von Christen waren Juden,

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maic language. Now two cultures offered Christians two entirely opposed visions of God – both of which must be incorporated into Christian proclamation.

Greeks and Jews had both decided independently that their own people and their own culture had a uniquely privileged place in the world’s history. The exceptional cultural achievements of the ancient Greeks – art, drama, philosophy, science – gave them some good reason to believe this. It is more surprising that the constant experience of misfortune and destruction did not kill the Jews’ faith in their own destiny. Instead, it drove Judaism to conceive its God not simply as all-powerful, but passionately concerned with the Jews’ response to him, a passion that would explain their trials. Their God was passionate in anger as well as love towards them: this God had walked with the first man and woman in the cool of the evening in the Garden of Eden, judged the transgression of Adam and Eve, and cursed the serpent who had prompted their wrongdoing.10 This was a very personal God, whom nevertheless the Jews increasingly saw through their troubled history as a God for all humanity.

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die in einer von der griechischen Elitekultur geprägten Welt lebten; wahrscheinlich konnte sogar Jesus selbst neben seiner Muttersprache Aramäisch ein rudimentäres Marktgriechisch sprechen. Nun boten zwei Kulturen den Christen zwei völlig gegensätzliche Vorstellungen von Gott – die beide in die christliche Verkündigung einfließen mussten. Griechen und Juden hatten beide unabhängig voneinander beschlossen, dass ihr eigenes Volk und ihre eigene Kultur einen einzigartig privilegierten Platz in der Weltgeschichte einnehmen. Die außergewöhnlichen kulturellen Errungenschaften der alten Griechen – Kunst, Schauspiel, Philosophie, Wissenschaft – gaben ihnen einen guten Grund, dies zu glauben. Erstaunlicher ist jedoch, dass die ständige Erfahrung von Unglück und Zerstörung den zuversichtlichen Blick der Juden auf ihr eigenes Schicksal nicht zerstörte. Stattdessen trieb es das Judentum dazu, seinen Gott nicht einfach als allmächtig zu begreifen, sondern als leidenschaftlich besorgt über die Reaktion der Juden auf ihn – eine Leidenschaft, die alle ihre Prüfungen erklären würde. Ihr Gott war leidenschaftlich im Zorn, aber auch in der Liebe zu ihnen: Dieser Gott war mit dem ersten Mann und der ersten Frau in der Kühle des Abends im Garten Eden spazieren gegangen, hatte die Übertretung Adams und Evas verurteilt und die Schlange verflucht, die sie zu ihrem Fehlverhalten angestiftet hatte.10 Dies war ein sehr persönlicher Gott, den die

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This Jewish God was very different from the supreme deity who emerged from Greek philosophy in the thought of Plato. The Greek divine being was the unifying principle behind all the pantheon of gods of Olympus. The Platonic God was all-perfect, and therefore by definition he was immune to change, for perfection cannot change. Therefore, he was without passions, for by their nature, passions imply change. It was even difficult to see how such a supreme being could have created the world of change and imperfection in which we live: surely that creator was at best an image of the Supreme Soul, a craftsman or artificer (demiourgos, from which comes the English term ›Demiurge‹).11 This Platonic version of creation did not feature any painful confrontation between creator and creature in a garden, freighted with cosmic implications.

Now we see the contrast of the Jewish and the Greek vision of ultimate divinity – one God who was all passion, one God who was above all passions. As Christians contemplated the crucifixion of their Lord, they came to make an astonishing claim about

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Juden im Laufe ihrer bewegten Geschichte jedoch zunehmend als einen Gott für die gesamte Menschheit verstanden. Dieser jüdische Gott unterschied sich stark von der höchsten Gottheit, die aus der griechischen Philosophie im Denken Platons hervorging. Das griechische göttliche Wesen war das einigende Prinzip hinter dem gesamten Götterpantheon des Olymp. Der platonische Gott war allvollkommen und daher per Definition immun gegen alle Veränderungen, denn Vollkommenheit kann sich nicht ändern. Daher war er auch ohne Leidenschaften, denn Leidenschaften implizieren ihrer Natur nach Veränderung. Es war sogar schwer zu erkennen, wie ein solches höchstes Wesen die Welt des Wandels und der Unvollkommenheit, in der wir leben, hätte erschaffen können: Sicher war dieser Schöpfer bestenfalls ein Abbild der Höchsten Seele, ein Handwerker oder Kunsthandwerker (demiourgos, von dem der englische Begriff »demiurge« stammt).11 In dieser platonischen Version der Schöpfung gab es keine schmerzhafte Konfrontation zwischen Schöpfer und Geschöpf in einem Garten, die mit kosmischen Implikationen verbunden war. Jetzt sehen wir den Gegensatz zwischen der jüdischen und der griechischen Vision der ultimativen Göttlichkeit – ein Gott, der alle Leidenschaften in sich vereinte, ein Gott, der über allen Leidenschaften stand. Als die Christen über die Kreuzigung ih-

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their Jesus Christ, that he was also God. That in itself was troubling enough for them and those around them. But then these people of Jewish heritage in a Greek world must ask the question ›Which God is Jesus? Jewish or Greek?‹ They had to try to fit together those two culturally irreconcilable visions of God. The history of the early Church for five centuries thereafter was a story of quarrels about how to undertake the reconciliation. The results of those five centuries have never been and can never be a stable answer to an unending question.

My first job in writing a history of Christianity, therefore, was to convey this foundation struggle within Christian faith. A second background task was to fully show the reader what it means to say that Christianity is a global religion. Most Christians alive in the world today are Catholics or Protestants: together more than eighty per cent of all Christians, if you lump the Mormons (the Church of Latter-Day Saints) in with them. Another ten per cent call themselves Orthodox, with some other local label attached – Greek Orthodox, Russian Orthodox, Romanian Orthodox and so on. That does not leave much over, as even my schoolboy arithmetic tells me.

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res Herrn nachdachten, stellten sie eine erstaunliche Behauptung über ihren Jesus Christus auf, nämlich dass er auch Gott war. Das war an sich schon beunruhigend genug für sie und ihre Umgebung. Aber dann mussten sich diese Menschen jüdischer Herkunft in einer griechischen Welt die Frage stellen: »Was für ein Gott ist Jesus? Jüdisch oder griechisch?« Sie mussten versuchen, diese beiden kulturell unvereinbaren Vorstellungen von Gott miteinander in Einklang zu bringen. Die Geschichte der frühen Kirche war während fünf Jahrhunderten eine Geschichte von Streitigkeiten darüber, wie man diese Versöhnung bewerkstelligen könnte. Die Ergebnisse dieser fünf Jahrhunderte vermochten nicht und waren auch nie im Stande dazu, eine stabile Antwort auf eine bleibende Frage zu liefern. Meine erste Aufgabe beim Schreiben einer Geschichte des Christentums war es daher, diesen Kampf um die Grundlagen des christlichen Glaubens zu vermitteln. Eine zweite Hintergrundaufgabe bestand darin, dem Leser zu zeigen, was es bedeutet, dass das Christentum eine globale Religion ist. Die meisten Christen, die heute auf der Welt leben, sind Katholiken oder Protestanten: zusammen mehr als achtzig Prozent aller Christen, wenn man die Mormonen (die Kirche der Heiligen der Letzten Tage) dazuzählt. Weitere zehn Prozent bezeichnen sich als orthodox, mit irgendeiner anderen lokalen Bezeichnung – griechisch-orthodox, russisch-orthodox, ru-

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But that sliver of alternative Christianity left over, the remaining few per-cents after adding up all the Christianities I have just catalogued, was once the future of the Church. It is the ancient Christianity of Africa and Asia, which flourishes still in Ethiopia and India, finds an uneasy place in national life in Egypt and Syria, hangs on for dear life elsewhere, or finds exile in North America or Australasia, from Montreal to Melbourne. That is a lost future of Christianity, and I was determined to give it its due by telling its story before all the others.

So in both my book and the TV series that accompanied it, I reversed the normal priorities of Christian historical story-telling, and pursued my tale first in the east, not the west. Because most Christians now are Catholics or Protestants, they give priority to their story, which is the story of the ­Western, Latin-­ speaking Church: once so marginal, so provincial, so unsophisticated in its thinking. In the sixteenth century this Western Church split down the m ­ iddle, in what one side called a Reformation, but even then, the sixteenth-century Reformation split was in effect an argument about the thought of one Latin theologian who had lived a thousand years before: a

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mänisch-orthodox und so weiter. Da bleibt nicht mehr viel übrig, wie mir sogar mein kleines Einmaleins sagt. Aber dieser Bruchteil des alternativen Christentums, der verbleibt, die wenigen Prozente, die übrig bleiben, wenn man alle Christentümer, die ich gerade aufgezählt habe, zusammenzählt, war einmal die Zukunft der Kirche. Es ist das alte Christentum Afrikas und Asiens, das in Äthiopien und Indien immer noch blüht, das in Ägypten und Syrien einen unsicheren Platz im nationalen Leben einnimmt, das anderswo um sein Leben kämpft oder in Nordamerika oder Australasien, von Montreal bis Melbourne, im Exil lebt. Auch das ist eine entgangene Zukunftsmöglichkeit des Christentums, und ich war entschlossen, ihr den gebührenden Platz einzuräumen, indem ich ihre Geschichte vor allen anderen erzählte. Deshalb habe ich sowohl in meinem Buch als auch in der dazugehörigen Fernsehserie die üblichen Prioritäten der christlichen Geschichtserzählung umgekehrt und meine Geschichte zuerst im Osten und nicht im Westen angesiedelt. Da die meisten Christen heute Katholiken oder Protestanten sind, geben sie ihrer eigenen Geschichte den Vorrang, nämlich der Geschichte der westlichen, lateinisch sprechenden Kirche, die einst so marginal, so provinziell, so ungebildet in ihrem Denken war. Im 16. Jahrhundert spaltete sich diese westliche Kirche in ihrer Mitte, was die eine Seite als Reformation bezeichnete. Aber auch so war die Reformation des 16. Jahrhunderts in Wirk-

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North African Bishop called Augustine of Hippo (354–430). Both Protestants and Catholics claimed different parts of his legacy, and sought his authority: the Reformation was a battle within the mind of Au­gustine. He is the single most important theologian that the Western Church has produced, and he dominates its story for good or ill.12 In A History of Christianity, you would expect to meet him quite early on, but you do not. You have to wait for three hundred pages into the text, which is almost a third of the way in.

That was not forgetfulness on my part. I wanted to emphasise how unimportant Augustine was for most Christians in the Christian past. For the Orthodox, he is irrelevant. For the ancient Churches to the east and the south of the Orthodox, he is simply unknown. There is a reason for that. By the time Augustine was a bishop in the Church in the early fourth century CE, those other Churches of Asia and Africa had decided what they believed Christianity to be. Soon after Augustine’s death, they decided to reject what the Roman Emperor told them. In the year 451, the Roman Emperor Marcian (reigned 450–57), or rather his wife Pulcheria, a lady with whom it was unwise to mess, called a Council of Bishops to a town called Chalcedon, which is very near the im-

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lichkeit ein Streit über das Denken eines lateinischen Theologen, der tausend Jahre zuvor gelebt hatte: eines nordafrikanischen Bischofs namens Augustinus von Hippo (354–430). Sowohl die Protestanten als auch die Katholiken beanspruchten verschiedene Teile seines Erbes und machten Gebrauch von seiner Autorität. Die Reformation war ein Kampf um das Denken des Augustinus. Er ist der wichtigste Theologe, den die westliche Kirche hervorgebracht hat, und er dominiert ihre Geschichte, im Guten wie im Schlechten.12 In A History of Christianity würde man erwarten, ihm schon recht früh zu begegnen, aber das ist nicht der Fall. Man muss bis zu dreihundert Seiten warten, also fast ein Drittel des Textes. Das war aber keine Nachlässigkeit meinerseits. Ich wollte vielmehr betonen, wie unbedeutend Augustinus für die meisten Christen in der christlichen Vergangenheit war. Für die Orthodoxen ist er irrelevant. Für die alten Kirchen östlich und südlich der Orthodoxen Kirche ist er schlichtweg unbekannt. Hierfür gibt es einen Grund. Zu der Zeit, als Augustinus im frühen vierten Jahrhundert n. Chr. Bischof einer Kirche war, hatten die anderen Kirchen ­Asiens und Afrikas bereits entschieden, was sie für das wahre Christentum hielten. Bald nach Augustinus’ Tod beschlossen sie, das abzulehnen, was der römische Kaiser ihnen sagte. Im Jahr 451 berief der römische Kaiser Marcian (reg. 450–57) bzw. seine Frau ­Pulcheria, eine Dame, mit der man sich besser nicht

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perial capital Constantinople, eastwards on the Asia coast over the Bosphorus strait. Nowadays, you can reach it from Constantinople in forty minutes or so on a slow Bosphorus ferry (as we did when we filmed there). The exact distance is significant: it is no coincidence that Chalcedon was within easy reach of the imperial palace troops. At the same time, it was just too far away for an angry mob to arrive from the city without warning. There were high stakes to play for.13

The issue at the Council of Chalcedon was a complicated argument about the nature of Jesus Christ: the balance between Jesus the man and Christ the divine Son of God. The imperial government was desperately concerned with this because the arguments about it threatened to split the Eastern Roman Empire in two. So the Emperor and Pulcheria offered the Bishops a deal which was a deliberate compromise: steam-rolling a settlement through the middle of the opposing sides. At the centre of their settlement was what has come to be known as the Chalcedonian Definition of the Natures of Christ. It is what Catholics, Protestants and Orthodox alike traditionally believe about this matter, which is after all, at the heart of Christian belief.

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anlegen sollte, ein Bischofskonzil in eine Stadt namens Chalcedon ein, die ganz in der Nähe der kaiserlichen Hauptstadt Konstantinopel liegt, östlich an der asiatischen Küste über den Bosporus. Heutzutage kann man sie von Konstantinopel aus in etwa vierzig Minuten mit einer langsamen Bosporus-Fähre erreichen (wie wir es taten, als wir dort filmten). Die genaue Entfernung ist bezeichnend: Es ist kein Zufall, dass Chalcedon für die kaiserlichen Palasttruppen leicht zu erreichen war. Gleichzeitig war es einfach zu weit entfernt, als dass ein wütender Mob ohne Vorwarnung aus der Stadt hätte kommen können. Es stand zu viel auf dem Spiel.13 Auf dem Konzil von Chalcedon ging es um einen komplizierten Streit über die Natur Jesu Christi: das Gleichgewicht zwischen Jesus, dem Menschen, und Christus, dem göttlichen Gottessohn. Die kaiserliche Regierung war sehr besorgt, weil die Aus­ einandersetzungen in dieser Angelegenheit das Oströmische Reich in zwei Teile zu spalten drohten. Also boten der Kaiser und Pulcheria den Bischöfen eine Übereinkunft an, die ein bewusster Kompromiss war: eine alles niederwalzende Einigung zwischen den gegnerischen Seiten. Im Mittelpunkt dieser Einigung stand das, was als die chalcedonensische Definition des Wesens Christi bekannt geworden ist. Es ist das, was Katholiken, Protestanten und Orthodoxe gleichermaßen klassischerweise über diese An-

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In the traditional reading of the history of Christianity, the Council of Chalcedon of 451 has usually been seen as the culmination of the Early Church’s story. That is, it is the sort of tidy denouement that Agatha Christie’s great Belgian detective Hercule Poirot stages in the country-house drawing-room, where after all the complications of the Early Church plot, the truth is revealed, and then the TV credits roll. In the Oxford Faculty of Theology in which I have had the honour to teach, there was once an introductory examination paper for undergraduates on the early history of the Church, which was informally and irreverently known as ›From the Garden of Eden to the Council of Chalcedon‹. Yet the conventional story of triumph is an illusion. Chalcedon was a catastrophe, a disaster. Fully two-thirds of Christian Churches refused to sign up to it, partly because they did not trust the Emperor to do theology. Because it was a compromise, those who rejected it were on either wing, so they detested each other as much as they detested the Emperor’s Church, and actually, as I discovered in the Middle East back in 2008, many of them then still did. Maybe recent external misfortunes have lessened that mutual bitterness; I hope so.

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gelegenheit glauben, die ja das Herzstück des christlichen Glaubens ist. In der traditionellen Lesart der Geschichte des Christentums wird das Konzil von Chalcedon im Jahr 451 gewöhnlich als der Höhepunkt der Geschichte der Alten Kirche angesehen. Das heißt, es ist die Art von eleganter Auflösung, die Agatha Christies großer belgischer Detektiv Hercule Poirot im Salon des Landhauses inszeniert, wo nach all den Komplikationen des Plots der Alten Kirche die Wahrheit enthüllt wird und dann der Abspann läuft. An der theologischen Fakultät in Oxford, an der ich die Ehre hatte zu lehren, gab es einmal eine einführende Prüfungsarbeit für Studenten über die frühe Geschichte der Kirche, die informell und recht ehrfurchtslos als »From the Garden of Eden to the Council of Chalcedon« (»Vom Garten Eden bis zum Konzil von Chalcedon«) bezeichnet wurde. Doch die herkömmliche Triumphgeschichte ist eine Illusion. Chalcedon war eine Katastrophe, ein Desaster. Zwei Drittel der christlichen Kirchen verweigerten ihre Unterschrift, auch weil sie dem Kaiser nicht zutrauten, Theologie zu betreiben. Da es sich um einen Kompromiss handelte, standen diejenigen, die ihn ablehnten, auf beiden Flügeln, so dass sie sich auch gegenseitig genauso verabscheuten wie die Kirche des Kaisers, und tatsächlich, wie ich 2008 im Nahen Osten feststellen musste, taten das viele von ihnen damals wie heute. Vielleicht haben die jüngs-

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So these refuseniks founded their own Churches, led by their own bishops; their language of worship and theology moved from the Greek of the Empire to their own languages, Syriac, Coptic, Ge’ez, Armenian and more. Their snooty enemies in the Emperor’s Church gave them condescending names, ›Nestorians‹ and ›Monophysites‹, and because those names are condescending, it is best to avoid using them in discussing Christian history. This means using clumsy labels instead, but at least these rebel Christians might just find such labels acceptable: Dyophysites for ›Nestorians‹ and Miaphysites for ›Monophysites‹. Yet they themselves would simply call themselves Orthodox. To the people we Wester­ ners call Orthodox, they were and are Unorthodox. Nevertheless, they are still with us. Once it seemed as if they and not the Church of the Emperor would be the future. Instead, history has favoured the min­ ority group at Chalcedon, and the Emperor’s Church has descended into Roman Catholicism, Protestantism, and Orthodoxy alike.

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ten äußeren Schicksalsschläge diese gegenseitige Verbitterung gemildert; ich will es hoffen. So gründeten diese Querköpfe ihre eigenen Kirchen, die von ihren eigenen Bischöfen geleitet wurden; ihre Sprache des Gottesdienstes und der Theologie wechselte vom Griechischen des Reiches zu ihren eigenen Sprachen, Syrisch, Koptisch, Ge‘ez, Armenisch und anderen. Ihre hochnäsigen Gegner in der kaiserlichen Kirche gaben ihnen herablassende Namen wie »Nestorianer« und »Monophysiten«, und weil diese Namen herablassend sind, ist es am besten, sie bei der Erörterung der christlichen Geschichte generell zu vermeiden. Das bedeutet zwar, dass man stattdessen schwerfällige Bezeichnungen verwenden muss, aber diese rebellischen Christen könnten diese Bezeichnungen zumindest gerade noch akzeptabel finden: Dyophysiten für »Nestorianer« und Miaphysiten für »Monophysiten«. Sie selbst würden sich jedoch einfach orthodox nennen. Für die Menschen, die wir im Westen orthodox nennen, waren und sind sie unorthodox. Dennoch sind sie immer noch unter uns. Einst schien es, als ob sie und nicht die Kirche des Kaisers die Zukunft sein würden. Stattdessen hat die Geschichte die Minderheit in Chalcedon begünstigt, und die Kirche des Kaisers entwickelte sich zum römischen Katholizismus, zum Protestantismus und zur Orthodoxie gleichermaßen.

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Why this unforeseeable outcome? The reason that most Christians have virtually forgotten the refuseniks of Chalcedon is that a huge historical accident caught them up and in the end nearly destroyed them: in the seventh and eighth centuries CE, the entirely unexpected eruption of yet another monotheism from the Middle East. Islam was cousin to Judaism and Christianity and it cannot be imagined without them, but Islam’s assumption was that it replaced or fulfilled the partial visions of these earlier expressions of monotheistic faith (just as Christianity has traditionally seen itself as replacing Judaism). Over the next centuries, the rulers of east and central Asia and North Africa came to be Muslims, who steadily marginalised their Christian subjects.

At first it was not so. The Dyophysite and Syriac Church of the East turned itself into a think-tank for the greatest Muslim monarchs, in Abbasid Baghdad. It had all the intellectual equipment the Arab Muslim rulers needed to access the wisdom of the past, for the very good reason that Dyophysite Christianity was so used to arguing with fellow-Christians about the natures of Christ. For that purpose, it had translated Greek philosophy and theology into its own Syriac language, and now it could pass this wisdom on to Islam, and via Islam, eventually to us in the West.

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Warum dieser unvorhersehbare Ausgang? Der Grund dafür, dass die meisten Christen die Verweigerer von Chalcedon so gut wie vergessen haben, liegt darin, dass ein großer historischer Vorfall sie einholte und am Ende fast vernichtete: der völlig unerwartete Aufbruch eines weiteren Monotheismus aus dem Nahen Osten im siebten und achten Jahrhundert n. Chr. Der Islam ist zwar mit dem Judentum und dem Christentum verwandt und ohne sie nicht vorstellbar, aber er ging davon aus, dass er die partiellen Visionen dieser früheren Ausdrucksformen des monotheistischen Glaubens ersetzte oder erfüllte (so wie das Christentum sich klassischerweise als Ersatz für das Judentum gesehen hat). Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurden die Herrscher Ost- und Zentralasiens und Nordafrikas zu Muslimen, die ihre christlichen Untertanen immer mehr an den Rand drängten. Zunächst war das nicht der Fall. Die dyophysitische und syrische Kirche des Ostens verwandelte sich im abbasidischen Bagdad in eine Denkfabrik für die mächtigsten muslimischen Monarchen. Sie verfügte über das gesamte intellektuelle Rüstzeug, das die arabisch-muslimischen Herrscher benötigten, um sich Zugang zur Weisheit der Vergangenheit zu verschaffen, und zwar aus dem guten Grund, dass die dyophysitische Christenheit es gewohnt war, mit ihren Mitchristen über die Natur Christi zu streiten. Zu diesem Zweck hatte sie die griechische Philosophie

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Without the Church of the East, we Westerners would not have regained our access to much Greek philosophy, or even got to know about what we call Arabic numerals – which are actually a borrowing from India, borrowed by a Dyophysite Christian scholar.14

What was more, the Syriac Church of the Middle East became the Church of the Far East. It reached as far as China. Outside the ancient imperial capital now called Xi’an (in the past Chang’an), in the heart of the Chinese countryside, one can stand in the precinct of a Christian monastery from the seventh century, still called by the Chinese phrase for the Roman Empire, Ta Qin.15 It is possible that there might be similar experiences on offer in Korea, and even in Kyoto in Japan, later transformed as was Ta Qin into Buddhist temples and shrines. In the eighth and ninth centuries CE, Patriarch Timothy I of the Church of the East (Patriarch 780–823) may have held the allegiance of just as many of the world’s Christian faithful as the Latin-speaking Bishop of Rome, far to his west.

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und Theologie in ihre eigene syrische Sprache übersetzt, und nun konnte sie diese Weisheit an den Islam weitergeben, über dessen Vermittlung sie schließlich auch zu uns im Westen gelangte. Ohne die Kirche des Ostens hätten wir im Westen keinen Zugang zur griechischen Philosophie zurückgewonnen und nicht einmal etwas über die so genannten arabischen Zahlen erfahren, die in Wirklichkeit eine Entlehnung aus Indien sind, welche von einem dyophysitischen christlichen Gelehrten übernommen wurde.14 Darüber hinaus wurde die syrische Kirche des Nahen Ostens zur Kirche des Fernen Ostens. Sie reichte bis nach China. Außerhalb der alten kaiserlichen Hauptstadt, die heute Xi’an (früher Chang’an) heißt, kann man im Herzen der chinesischen Landschaft auf dem Gelände eines christlichen Klosters aus dem siebten Jahrhundert stehen, das immer noch mit dem chinesischen Ausdruck für das Römische Reich, Ta Qin, bezeichnet wird.15 Es ist möglich, dass man in Korea und sogar in Kyoto in Japan, das später wie Ta Qin in buddhistische Tempel und Schreine umgewandelt wurde, ähnliche Erfahrungen machen kann. Im achten und neunten Jahrhundert n. Chr. scheint der Ostkirchenpatriarch Timotheus I. (Patriarch 780–823) die Loyalität von ebenso vielen christlichen Gläubigen der Welt genossen haben wie der lateinisch sprechende Bischof von Rom, weit im Westen.

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What is fascinating about the Church of the East is that it could nowhere impose the Christian story by force. It was facing age-old, sophisticated cultures, who were frankly not that interested in its message, and virtually never did the Church of the East persuade a monarch to adopt its faith officially. ­Syriac Christians had to decide what was good and essential about their beliefs, and what was just an optional extra. They had to listen to what the other religions were saying. Something else was important about those who carried their faith eastwards: they were Syrians, the great merchant people of the M ­ iddle East, who travelled eastwards to trade, along the Silk Route and down into India. Merchants do not har­ angue their audience: they entertain, they h­ aggle, they aim to please, they aim to do a deal. It was the same with the Christianity they brought: they looked for what was good in other faiths, and they did deals. They found their Christ when they looked at Buddhism or Daoism or Confucianism. Their faith was a series of bargains for their God. Christianity could learn that lesson afresh in the modern age.16

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Das Faszinierende an der Kirche des Ostens ist, dass sie die christliche Botschaft nirgendwo mit Gewalt durchsetzen konnte. Sie hatte es mit uralten, hochentwickelten Kulturen zu tun, die offen gesagt nicht sonderlich an ihrer Botschaft interessiert waren. Außerdem hat die Kirche des Ostens praktisch nie einen Monarchen dazu überredet, ihren Glauben offiziell anzunehmen. Die syrischen Christen mussten entscheiden, was an ihrem Glauben gut und wesentlich war und was nur ein optionales Extra darstellte. Sie mussten sich anhören, was die anderen Religionen sagten. Für diejenigen, die ihren Glauben nach Osten trugen, war aber noch etwas anderes von hoher Bedeutung: Sie waren Syrer, ein großes Handelsvolk des Nahen Ostens, das in den Orient reiste, um Handel zu treiben, entlang der Seidenstraße und bis nach Indien. Kaufleute halten keine Reden an ihr Publikum: sie unterhalten, sie feilschen, sie wollen gefallen, sie wollen ein Geschäft machen. Und so war es auch mit dem Christentum, das sie mitbrachten: Sie suchten das Gute in anderen Religionen und machten Geschäfte. Sie fanden ihren Christus auch dort, wo sie den Buddhismus, den Daoismus oder den Konfuzianismus betrachteten. Ihr Glaube war eine Reihe von Geschäften zugunsten ihres Gottes. Das Christentum könnte diese Lektion in der Neuzeit durchaus neu lernen.16

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But steadily, bit by bit, this future of Christianity was eroded. Plague, massacre, victimisation by mad or bad monarchs. Islam faced all these disasters too, but in the worst times, the historical balance just tipped so that Islam found more powerful friends in Asia than the Christians. So, Bishops in Tibet found no successors, and monasteries in Mongolia crumb­led into dust. Into the vacuum stepped other Christians: in particular the Bishop of Rome, the Pope. I called the section of my History of Christianity which did eventually catch up with the Latin theologian Augustine of Hippo ›the unpredictable rise of Rome‹ (some may hear an echo of Bertholt Brecht’s ›Re­sistible Rise of Arturo Ui‹). There was nothing inevitable about the modern papacy, and the claims that it makes for its special authority have only been remotely plau­ sible for about half of the Church’s history. The early Church looked to five patriarchs, not one, and there is still another Pope in Alexandria. It has not been good for the spiritual health of the Church to look to a single leader, however much it helped to pack the pews throughout the world in the last century.

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Doch nach und nach wurde diese Zukunft des Christentums ausgehöhlt: Pest, Massaker, Schikanen durch wahnsinnige oder bösartige Monarchen. Auch der Islam hatte mit all diesen Katastrophen zu kämpfen, aber in den schlimmsten Zeiten kippte das historische Gleichgewicht, so dass der Islam in Asien mächtigere Freunde fand als die Christen. So fanden die Bischöfe in Tibet keine Nachfolger, und die Klöster in der Mongolei zerfielen zu Staub. In dieses Vakuum traten andere Christen, insbesondere der Bischof von Rom, der Papst. Ich habe den Abschnitt meiner History of Christianity, der schließlich den lateinischen Theologen Augustinus von Hippo einholte, »the unpredictable rise of Rome« (»den unvorhersehbaren Aufstieg Roms«) genannt (manch einer mag darin ein Echo von Bertolt Brechts »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« vernehmen). Das moderne Papsttum war keineswegs unvermeidlich, und die besonderen Autoritätsansprüche, die es erhebt, sind erst seit etwa der Hälfte der Kirchengeschichte halbwegs plausibel. Die frühe Kirche schaute zu fünf Patriarchen auf, nicht zu einem, und es gibt immer noch einen Papst in Alexandria. Es war nicht förderlich für die geistige Gesundheit der Kirche, auf einen einzigen Führer zu schauen, so sehr es auch dazu beigetragen hat, die Kirchenbänke in der ganzen Welt auch im vergangenen Jahrhundert zu füllen.

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The reality is that there has never been one single Christian Church. Christianity has a neurotic obsession with unity, a unity it has never possessed. Given its global scale and its constant encounter with a vast variety of cultures, it would be better off celebrating diversity. The fascination of Christianity is the sheer variety of identities which Christians have constructed on the abstract foundation of God becoming human in Jesus Christ. In my historical work, I want to help remind it of the ways in which it has changed, and how it has accommodated itself to historical circumstances.

One very telling example of that accommodation is the changing nature of Christian attitudes to ­slavery. Slavery is taken for granted in the Bible, even if it is not always considered to be a good thing, at least for oneself. It was present in virtually every Christian-dominated society, just as it had been in the pre-Christian world. Then, just as slavery atrophied in Western Europe in the fifteenth and sixteenth centuries, the promotion and practice of slavery became big business for Christian maritime empires, both Catholic and Protestant; and there was no great impulse from the biblical text to stop it. Slave owners in the Deep South in the nineteenth-century United States were perfectly entitled to look to the Bible to

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Die Realität ist, dass es zu keiner Zeit nur eine einzige christliche Kirche gegeben hat. Das Christentum ist geradezu neurotisch von einer Einheit besessen, die es nie gegeben hat. In Anbetracht seiner globalen Ausdehnung und der ständigen Begegnung mit einer großen Vielfalt von Kulturen wäre es wohl besser, die Vielfalt zu feiern. Die Faszination des Christentums liegt gerade in dieser Vielfalt der Identitäten, die Christen auf der abstrakten Grundlage der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus aufgebaut haben. Mit meiner historischen Arbeit möchte ich dazu beitragen, das Christentum an die Art und Weise zu erinnern, wie es sich stets verändert hat und wie es dabei sich immer wieder an die historischen Umstände angepasst hat. Ein sehr aufschlussreiches Beispiel für dieses Entgegenkommen ist der Wandel der christlichen Einstellung zur Sklaverei. Die Sklaverei wird in der Bibel als selbstverständlich angesehen, auch wenn sie nicht immer als etwas Gutes betrachtet wird, zumindest nicht für einen selbst. Sie war in praktisch jeder christlich geprägten Gesellschaft vorhanden, genau wie in der vorchristlichen Welt. Während die Sklaverei in Westeuropa im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert verschwand, wurde die Förderung und Ausübung der Sklaverei zu einem großen Geschäft für die christlichen Seereiche, sowohl für die katholischen als auch für die protestantischen Herrscher, und der biblische Text gab keinen großen An-

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justify the possession of slaves, and they were right to be surprised and angry that other Christians passionately disagreed with them, to the extent of facing down their bid for political self-expression by using military force (1861–65). In fact, it is in only three Christian centuries out of twenty Christian centuries that Churches have come round to saying that ­slavery is thoroughly bad in all circumstances.17

Now, Christians take this for granted. They do not realise the huge moral revolution that has taken place to get to where they are now on this subject, and how much effort it took some maverick souls over a couple of centuries between 1700 and 1870 to persuade fellow Christians that this was the only way to think about slavery. They need to see that this can be true of other moral issues as well, and you will hardly need me to point out to you that even though we are still fighting to exterminate slavery, those current moral arguments chiefly centre on gender and sexuality.

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stoß, dies zu unterbinden. Im 19. Jahrhundert nahmen sich die Sklavenhalter im tiefen Süden der Vereinigten Staaten von Amerika durchaus das Recht, sich auf die Bibel zu berufen, um ihren Sklavenbesitz zu rechtfertigen, und sie waren zu Recht überrascht und verärgert, dass andere Christen ihnen hier leidenschaftlich widersprachen, und zwar bis zu dem Punkt, an dem sie ihr Streben nach politischer Selbstverwirklichung mit militärischer Gewalt bekämpften (1861–65). Tatsächlich sind die Kirchen erst in drei von zwanzig christlichen Jahrhunderten zu der Überzeugung gelangt, dass Sklaverei unter allen Umständen schlecht ist, und zwar durch und durch.17 Christen halten dies für selbstverständlich. Sie sind sich nicht bewusst, welch gewaltige moralische Revolution stattgefunden hat, um in dieser Frage dorthin zu gelangen, wo wir heute stehen, und wie viel Mühe es einige Querdenker über Jahrhunderte hinweg, zwischen 1700 und 1870, gekostet hat, ihre Mitchristen davon zu überzeugen, dass dies die einzige Möglichkeit sein darf, über die Sklaverei zu denken. Sie müssen erkennen, dass dies auch im Hinblick auf andere moralische Fragen zutreffen kann, und ich muss wohl kaum darauf hinweisen, dass wir zwar immer noch für die Abschaffung der Sklaverei kämpfen, sich diese moralischen Kontroversen aber gegenwärtig vor allem auf die Bereiche Gender und Sexualität konzentrieren.

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At the present day, many conservative evangelical Christians refuse to accept the new configurations of human sexuality that have emerged in an astonishingly short recent span of human history: no more than a few decades. It all has happened very fast, one has to admit. It is never easy to accept rapid change, and it is also sensible to take a cool look at what it means. First came the open acceptance of same-sex sexual relations and then in the last ten years, an equally sudden assertion of transgender decisions by individuals, and of non-binary sexuality as a working identity for many human beings.

Conservative Evangelicals oppose these changes in the name of faithfulness to the Bible. Yet in the eighteenth and nineteenth centuries a crucial minority of Evangelicals successfully campaigned for the abolition of slavery, in defiance of that same Bible, in which there is a clear and consistent acceptance of the permanent existence of slavery. The same Evangelicals who proclaim Biblical certainties are proud of an achievement which defied Biblical certainties. The historical parallel may not make conservative Evangelicals change their minds about same-sex relationships or trans issues, but it should at least give them pause.

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Heutzutage weigern sich viele konservative evangelikale Christen, die neuen Wahrnehmungen der menschlichen Sexualität zu akzeptieren, welche in einer erstaunlich kurzen Zeitspanne der Menschheitsgeschichte entstanden sind: kaum mehr als ein paar Jahrzehnte. Man muss zugeben, dass dies alles sehr schnell gegangen ist. Es ist nie leicht, sehr schnelle Veränderungen zu akzeptieren, und es ist durchaus vernünftig, einen kühlen Blick darauf zu werfen, was sie bedeuten. Zuerst kam die offene Akzeptanz gleichgeschlechtlicher sexueller Beziehungen und dann, in den letzten zehn Jahren, eine geradezu schlagartige Durchsetzung von individueller Geschlechtswahrnehmung und nicht-binärer Sexualität als tragende Identitätskonzepte für viele Menschen. Konservative Evangelikale lehnen diese Änderungen im Namen der Bibeltreue ab. Doch im 18. und 19. Jahrhundert setzte sich gerade die entscheidende Minderheit der Evangelikalen erfolgreich für die Abschaffung der Sklaverei ein, und zwar unter Missachtung eben dieser Bibel, in der die dauerhafte Existenz der Sklaverei eindeutig und konsequent akzeptiert wird. Dieselben Evangelikalen, die biblische Gewissheiten verkünden, sind also stolz auf eine Errungenschaft, die sich über biblische Gewissheiten hinwegsetzt. Diese historische Parallele wird konservative Evangelikale vielleicht nicht dazu bringen, ihre Meinung über gleichgeschlechtliche Beziehun-

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The Christian U-turn on slavery is one hopefully conclusive example of how a proper understanding of the Christian past can help make sense of its present and its future.18 In the last forty years, religion has thrust itself back into the consciousness even of secular Europe, after a moment in the mid-twentieth century when religion seemed a quaint relic of the past, ready to disappear into irrelevance. When I was an undergraduate at Cambridge University fifty years ago, the future of religion was commonly yoked in academic discussion to the word ›secularisation‹: that was the way forward for the society in which I lived. But in 1977 the U.S. elected the first born-again Christian president (Jimmy Carter), in 1978 came a Counter-Reformation Pope (John Paul II), and in 1979 ayatollahs seized control of the Iranian Revolution. I could extend the chronology year by year into a relentless succession of events, but you are all familiar with them, and could do it yourself.

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gen oder über Fragen der Transsexualität zu ändern, aber sie sollte sie zumindest innehalten und nachdenken lassen. Die christliche Kehrtwende in der Frage der Sklaverei ist ein, so hoffe ich doch, besonders schlüssiges Beispiel dafür, wie ein angemessenes Verständnis der christlichen Vergangenheit dazu beitragen kann, die Gegenwart und die Zukunft des Christentums zu verstehen.18 In den letzten vierzig Jahren hat sich das Thema Religion wieder in das Bewusstsein selbst des säkularen Europa gedrängt, nachdem es in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts wie ein seltsames Relikt der Vergangenheit aussah, bereit, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Als ich vor fünfzig Jahren an der Universität Cambridge studierte, wurde die Zukunft der Religion in der akademischen Diskussion üblicherweise mit dem Wort »Säkularisierung« in Verbindung gebracht: Das war für die Gesellschaft, in der ich damals lebte, der Weg in die Zukunft. Aber 1977 wählten die USA den ersten wiedergeborenen christlichen Präsidenten (Jimmy Carter), 1978 kam ein Papst der Gegenreformation (Johannes Paul II.), und 1979 übernahmen die Aya­ tollahs die Kontrolle über die iranische Revolution. Ich könnte diese Chronologie Jahr für Jahr zu einer ununterbrochenen Abfolge von Ereignissen ausweiten, aber Sie sind alle damit vertraut und könnten es selbst tun.

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Europe, far from setting the pattern for the world in secularisation, has proved to be the exception to the world-wide self-assertion of religion and emphatic religious identity. I neither deplore nor celebrate this development. What I demand is that historians take religion seriously. One or another form of religion matters desperately to the overwhelming majority of human beings alive, and if historians ignore that plain fact, they are ignoring reality.

Yet there are consequences of this profound worldwide shift that need to be confronted and, when necessary, resisted. When I emphasise the diversity and the unexpected, crabwise evolution of Christianity, or indeed of any religious system, it is because I am infuriated and indeed terrified by the awful tidy-­ mindedness of dogmatic belief. One of the most unattractive features of a certain sort of religious outlook is its insistence that it represents the only true or authentic face of the religion of which it is a part, and its frequent resort to violence to suppress any opposition.

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Europa erweist sich, obgleich weit davon entfernt, hinsichtlich der Säkularisierung ein Vorbild für die Welt zu sein, als eine Ausnahme vom weltweiten Streben nach Selbstbehauptung durch Religion und betont religiöser Identität. Ich kann diese Entwicklung weder beklagen noch feiern. Was ich hingegen fordere, ist, dass Historiker Religionen ernst nehmen. Die eine oder andere Form von Religion ist für die überwältigende Mehrheit der lebenden Menschen von entscheidender Bedeutung, und wenn Historiker diese schlichte Tatsache ignorieren, dann gehen sie an der Realität vorbei. Dennoch hat dieser tiefgreifende weltweite Wandel Folgen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen und denen wir, wenn nötig, auch widerstehen müssen. Wenn ich die Vielfalt und die unvorhersehbare, eben nicht gradlinige Entwicklung des Christentums, ja jedes religiösen Systems betone, dann deshalb, weil mich die furchtbare Borniertheit des dogmatischen Glaubens so wütend macht und geradezu erschrecken läßt. Die beiden unattraktivsten Merkmale einer bestimmten Art von religiöser Anschauung sind ihr Beharren darauf, dass gerade sie das einzig wahre oder authentische Gesicht der Religion darstellt, die sie verkörpert, und der verbreitete Rückgriff auf Gewalt, um jegliche Opposition gegen sie zu unterdrücken.

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Of course, this is not the exclusive property of religion. Nicolas-Sébastien de Chamfort was a sardonic and in the end despairing contemporary observer of the French Revolution. More than once he commented that the Jacobin slogan ›Fraternity or death‹ might more accurately be understood as ›Be my brother or I’ll kill you.‹19 We could read the frequently dreadful history of the world after the French Revolution in terms of the tidy-mindedness of certain pathological forms of the European and North American Enlightenment, which in many other ways is a great historical gift to human consciousness. There is a common human pathology of dogmatism, religious or non-religious – and it is based on pride. I think that the most plausible doctrine of Christianity is original sin, and at the root of all sin is pride. The historian’s prophecy is against pride. Pride is also the target of the court jester. I’m not sure that the historian and the court jester are that far apart, and I certainly don’t want them to be.

Pride goes hand in hand with worldly power. For around fifteen hundred years from the time of the Roman Emperor Constantine I (reigned 306–337 CE), many Christian churches enjoyed power, for

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Natürlich ist dies nicht ausschließlich ein Merkmal der Religion. Nicolas-Sébastien de Chamfort war ein bissiger und letztlich verzweifelter zeitgenössischer Beobachter der Französischen Revolution. Mehr als einmal bemerkte er, dass die jakobinische Parole »Brüderlichkeit oder Tod« zuweilen eher als »Willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein« verstanden worden sei.19 Wir könnten die immer wieder furchtbar verlaufende Weltgeschichte nach der Französischen Revolution als Ausdruck der sturen Durchsetzung bestimmter pathologischer Formen der europäischen und nordamerikanischen Aufklärung lesen, die in vielen anderen Bereichen ein großes historisches Geschenk an das menschliche Bewusstsein ist. Es gibt eine gemeinsame menschliche Pathologie des Dogmatismus, sei er religiös oder nicht religiös – und sie basiert auf Stolz. Ich meine, dass die plausibelste Lehre des Christentums die Erbsünde ist, und die Wurzel aller Sünden ist der Stolz. Die Prophezeiung des Historikers richtet sich gegen den Stolz. Der Stolz ist auch die Zielscheibe des Hofnarren. Ich bin mir nicht sicher, ob der Historiker und der Hofnarr so weit voneinander entfernt sind, und eigentlich sollten sie es auch gar nicht sein. Stolz geht Hand in Hand mit weltlicher Macht. Etwa fünfzehnhundert Jahre lang, seit der Zeit des römischen Kaisers Konstantin I. (Regierungszeit 306–337 n. Chr.), genossen viele christliche Kirchen

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good or ill, in partnership with worldly powers.20 That has decisively shaped the nature of the dominant modern forms of Christianity. We have already noted how by contrast, the non-Chalcedonian Churches of Asia very rarely had that experience of power, being habitually either at odds with Christian monarchs holding different beliefs, or under the control of rulers with an entirely different religious outlook. In the course of time, this powerlessness likewise came to be the experience of Chalcedonian Orthodox Christianity, once so much the organising principle of the Christian Empire ruling the eastern Me­ di­terranean and the Balkans. Chalcedonian Orthodox Christians once had total power in the Byzantine Empire, but then they lost it to the Seljuk Turks and their Ottoman successors. More and more Orthodox Christians came to live in minority status in a period of more than half a millennium. The Orthodox in the Mediterranean and the Balkans have not forgotten; the memory still shapes their identity. In the modern world, it is of great significance that the Orthodox were sheltered from experiencing the ­Western Enlightenment by their isolation under the Ottomans. Their full encounter with the Enlightenment is really yet to come; only now has it begun, particularly in the European democracy of Greece and beyond Eu-

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Macht, zum Guten wie zum Schlechten, in Partnerschaft mit weltlichen Herrschern.20 Dies hat das Wesen der gegenwärtig vorherrschenden Formen des Christentums entscheidend geprägt. Wir haben bereits festgestellt, dass die nicht-chalcedonensischen Kirchen Asiens diese Machterfahrung nur sehr selten gemacht haben, da sie gewöhnlich entweder mit andersgläubigen christlichen Monarchen im Streit lagen oder unter der Kontrolle von Herrschern standen, die eine völlig andere religiöse Einstellung h ­ atten. Im Laufe der Zeit wurde diese Ohnmacht, auf der das organisatorische Grundprinzip des im östlichen Mittelmeerraum und auf dem Balkan herrschenden christlichen Reiches beruhte, auch vom chalcedonensisch-orthodoxen Christentum erfahren. Die chalcedonensisch-orthodoxen Christen hatten einst die totale Macht im byzantinischen Reich, die sie dann aber an die Seldschuken und ihre osmanischen Nachfolger verloren. In einem Zeitraum von mehr als einem halben Jahrtausend gerieten immer mehr orthodoxe Christen in die Minderheit. Die Orthodoxen im Mittelmeerraum und auf dem Balkan haben das nicht vergessen; ihre Erinnerung prägt noch immer ihre Identität. In der modernen Welt ist es von großer Bedeutung, dass diese orthodoxen Kirchen durch ihre Isolation unter den Osmanen von der westlichen Aufklärung abgeschirmt waren. Ihre vollständige Begegnung mit der Aufklärung steht ei-

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rope, in the Orthodox diaspora through the Western democratic world.21 Power and then its catastrophic loss was also the experience of Orthodoxy in Russia, which had been given its distinctive identity and sense of self-worth under the Patriarchate of Moscow set up by the Tsar in 1589. For more than three centuries after that, the Church’s life was increasingly under the direction of the autocracy of the Romanov Tsars, its independent voice in the Patriarchate eliminated and its governance in the hands of imperial politicians. Then for around sixty years from 1917, the Russian Orthodox Church underwent one of the most prolonged and relentless persecutions in Christian history, for religion was tarnished in the eyes of the Bolsheviks by those centuries of service to the Tsars.

Since the fall of the Soviet Union, the Russian Orthodox story has turned into one of the most extraordinary reaffirmations of Christianity in its long history. One element in Orthodox survival under Soviet persecution was undoubtedly its fierce grip on Orthodox tradition in liturgy and theology, the only way in which it could survive until better times. Yet when better times came, what was its reaction going

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gentlich noch aus; sie hat erst jetzt begonnen, vor allem in der europäischen Demokratie Griechenlands und über Europa hinaus, in der orthodoxen Diaspora in der westlichen demokratischen Welt.21 Der Besitz von Macht und ihr katastrophaler Verlust waren auch die Erfahrung der orthodoxen Kirche in Russland, die unter dem 1589 vom Zaren errichteten Moskauer Patriarchat ihre unverwechselbare Identität und ihr Selbstwertgefühl erhalten hatte. Danach stand das Leben der Kirche mehr als drei Jahrhunderte lang unter dem zunehmenden Einfluss der autokratisch regierenden Romanow-Zaren; ihre unabhängige Stimme im Patriarchat wurde abgeschafft und ihre Leitung lag in den Händen der zaristischen Politiker. Seit 1917 wurde die russisch-orthodoxe Kirche dann etwa sechzig Jahre lang einer der längsten und unerbittlichsten Verfolgungen in der Geschichte des Christentums unterworfen, denn die Religion galt in den Augen der Bolschewiki als durch ihre jahrhundertelange Gefolgschaft gegenüber den Zaren befleckt. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich die Geschichte der russischen Orthodoxie zu einer der außergewöhnlichsten Bekräftigungen des Christentums in seiner langen Geschichte entwickelt. Ein Element für das Überleben der Orthodoxie unter der sowjetischen Verfolgung war zweifellos ihr unnachgiebiges Festhalten an der orthodoxen Tradition in Liturgie und Theologie, denn nur so konnte

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to be? Where would the Patriarchate of the Russian Orthodox Church restored after the Revolution in 1917 place itself in the world after 1991? A century before, in the last years of the Tsarist regime and in the confused few months before the full Bolshevik takeover, some Russian Orthodox theologians and leaders were beginning to recognise that the Enlightenment posed as many challenges and even opportunities for Orthodoxy as for Western Christianity, and they saw that the Enlightenment challenge would have to be faced with more than blanket denunciation.

One of the mistakes made by the Bolsheviks in the early years of the Revolution had been to allow some of the most interesting and creative theologians of the late Tsarist Church to leave Russia unchallenged. Out of this community of exiles came theologians who sought to make sense of their experience of the West while remaining faithful to a dynamic version of Orthodox tradition.22 Two of the most prominent names were Alexander Schmemann and John Meyendorff. Would the newly-liberated hierarchy hearken to such explorations after 1990? It was perhaps inevitable that they would not.

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sie bis zum Beginn besserer Zeiten überleben. Doch wie würde sie reagieren, wenn diese besseren Zeiten kämen? Wo würde das nach der Revolution von 1917 wiederhergestellte Patriarchat der Russisch-Orthodoxen Kirche nach 1991 seinen Platz in der Welt finden? Ein Jahrhundert zuvor, in den letzten Jahren des Zarenregimes und in den monatelangen Wirren vor der vollständigen Machtübernahme durch die Bolschewiki, begannen einige russisch-orthodoxe Theologen und Kirchenführer zu erkennen, dass die Aufklärung für die Orthodoxie ebenso viele Herausforderungen und sogar Chancen bereithielt wie für das westliche Christentum, und sie sahen, dass der Herausforderung der Aufklärung mit mehr begegnet werden musste als nur mit einer pauschalen Verurteilung. Einer der Fehler, den die Bolschewiki in den ersten Jahren der Revolution begangen hatten, bestand darin, dass sie einigen der interessantesten und kreativsten Theologen der spätzaristischen Kirche erlaubten, Russland unbehelligt zu verlassen. Aus dieser Gemeinschaft von Exilanten gingen Theologen hervor, die nun versuchten, ihre Erfahrungen mit dem Westen zu verarbeiten und zugleich einer dynamischen Version der orthodoxen Tradition treu zu bleiben.22 Zwei der prominentesten Gestalten waren zum Beispiel Alexander Schmemann und John Meyendorff. Würde die neu befreite Hierarchie nach 1990 auf

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At one extreme was one of the most confrontational of the Russian Orthodox bishops, Nikon of Ekaterinburg, who on two occasions in 1994 and 1998 organised the burning of books by Orthodox writers of whose questioning spirit he did not approve; Schmemann and Meyendorff were among the writers he targeted. Bishop Nikon was eventually dismissed and sent to punitive isolation, though there were more lurid charges against him than burning theology.23 Meanwhile, the Moscow Patriarchate has decisively thrown itself behind the nationalist agenda of Vladimir Putin, becoming a tool for Russian nationalism allied with a relentless promotion of what it claims as the traditional model of ›family‹. It has put itself on a collision course with the Oecumenical Patriarch Bartholomew in Istanbul, in an effort to seize the leadership of the Orthodox world. Its role in providing aid and comfort for the Putin invasion of the sovereign nation of Ukraine in 2022 is unhappily all too familiar. This was the wrong lesson learned. As the Moscow Patriarchate regained an honoured place in the court of the powers of this world, it was led to a high mountain like Jesus in his Gospel temptations, and it was promised all that lay before it, if only it would

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solche Erkundungen hören? Es war vielleicht unvermeidlich, dass sie es nicht tun würde. Ein Extrem verkörperte Nikon von Jekaterinburg, einer der konfrontativsten russisch-orthodoxen Bischöfe, der 1994 und 1998 zweimal die Verbrennung von Büchern orthodoxer Autoren organisierte, deren kritisch hinterfragenden Geist er nicht guthieß. Schmemann und Meyendorff gehörten zu den Autoren, die er ins Visier nahm. Bischof Nikon wurde schließlich entlassen und nur in die Strafisolation geschickt, obwohl ihm mehr als nur das Verbrennen theologischer Werke vorgeworfen wurde.23 In der Zwischenzeit hat sich das Moskauer Patriarchat entschlossen hinter die nationalistische Agenda von Wladimir Putin gestellt und ist zu einem Werkzeug des russischen Nationalismus geworden, verbunden mit einer unnachgiebigen Förderung dessen, was es als das traditionelle Modell der »Familie« bezeichnet. Es hat sich zudem auf einen Kollisionskurs mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus in Istanbul begeben, um die Führung der orthodoxen Welt an sich zu reißen. Seine Rolle bei der Unterstützung des Einmarsches von Putin in die souveräne Ukraine im Jahr 2022 ist leider nur allzu bekannt. Es wurden die falschen Lehren gezogen. Als das Moskauer Patriarchat wieder einen ehrenvollen Platz am Hof der Mächte dieser Welt erlangte, wurde es wie Jesus in den Versuchungserzählungen des Evangeliums auf einen hohen Berg geführt und man ver-

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worship the tempter. Unlike its Lord, the Church yielded to temptation. Now Russian Orthodox ­leaders, quite apart from their enthusiastic denun­ ciation of those who are not of ›traditional sexuality‹, persecute believers both outside and inside Christianity. They support the harassment of Muslims in central Asia, and they encourage the brutal and illegal treatment of Protestants, Jehovah’s Witnesses and Orthodox dissidents in the Russian Republic.24

In another hemisphere, great numbers of Evangelical Protestant Americans yielded to the same temptation by voting for the 45th incumbent of the White House because he promised them their version of high honour and power, in an America ›made great again‹. Their continued widespread blind support for him, encompassing their condoning of the cult of violence that led to the storming of the Capitol on 6 January 2021, shows that they too have failed the test of the high mountain. All such Christians would do well to remember the words of a brave dissident Polish Roman Catholic priest, Fr Jerzy Popiełusko (1947–1984), in one of the addresses which in 1984 led to his brutal murder at the hands of Communist Poland’s secret police: ›An idea which needs rifles to survive dies of its own accord‹.25

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sprach ihm alles, was vor ihm lag, wenn es nur den Verführer anbeten würde. Im Gegensatz zu ihrem Herrn hat die Kirche der Versuchung nachgegeben. Heute verfolgen russisch-orthodoxe Kirchenführer gläubige Menschen außerhalb und innerhalb des Christentums, einmal ganz abgesehen von ihrer geradezu besessenen Verurteilung und Verfolgung von allem, was nicht »traditioneller« Sexualität entspricht. Sie unterstützen Schikanen gegen Muslime in Zen­ tral­asien und fördern die brutale und illegale Behandlung von Protestanten, Zeugen Jehovas und orthodoxen Dissidenten in der Russischen Republik.24 In der anderen Hemisphäre sind sehr viele evangelikal-protestantische Amerikaner der gleichen Versuchung erlegen und haben für den 45. Amtsinhaber im Weißen Haus gestimmt, weil er ihnen ihre Version von hoher Ehre und Macht in einem Amerika »made great again« (»wieder großartig gemachten Amerika«) versprach. Ihre anhaltende und weit verbreitete blinde Unterstützung ihm gegenüber, einschließlich ihrer Duldung des Gewaltkults, der zur Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 führte, zeigt, dass auch sie die Prüfung des hohen Berges nicht bestanden haben. Alle diese Christen täten gut daran, sich an die Worte eines mutigen polnischen römisch-katholischen Dissidentenpriesters, Pater Jerzy Popiełusko (1947–1984), zu erinnern, die 1984 zu seiner brutalen Ermordung durch die kommunistisch-polnische Geheimpolizei führten: »Eine Idee,

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Throughout the world, there continue to be contests for power between and within the Churches, which reflect the bitter cultural wars within Christianity and in wider society. Most of the traditional Churches in the Western tradition have witnessed such battles; the main issue that stands out again and again is that of sexuality, not something that much divided Christian Churches in past centuries. Ameri­ can Southern Baptists and the ›continuing‹ Presbyterian Church of Australia are among the Churches which have both experienced determined and largely successful attempts by conservatives to take over institutional control in their decision-making bodies; elsewhere there have been schisms (as in the United Methodist Church of the U.S.). The worldwide Roman Catholic Church witnesses a continuing battle over which Catholics are the true heirs of the Second Vatican Council of 1962–65.

It is not surprising that the frighteningly rapid changes in society and the Church have provoked such strong reactions, which in fact extend beyond Christianity to all major world faiths. Throughout the world at the present day, the most easily-heard tone in religion (not just Christianity) is of a generally

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die Gewehre braucht, um zu überleben, stirbt von selbst.«25 Überall auf der Welt gibt es gegenwärtig Kontro­ versen zwischen und innerhalb der Kirchen, in denen sich die heftigen Kulturkämpfe innerhalb des Christentums und der Gesamtgesellschaft widerspiegeln. In den meisten traditionellen Kirchen in der westlichen Tradition finden solche Kämpfe statt; das Hauptthema, das dabei immer wieder hervorsticht, ist die menschliche Sexualität, ein Thema, das die christlichen Kirchen in den vergangenen Jahrhunderten kaum gespalten hat. Die amerikanischen Southern Baptists und die »fortbestehende« Presbyterianische Kirche von Australien gehören zu den Kirchen, die beide entschlossene und weitgehend erfolgreiche Versuche von Konservativen erlebt haben, die institutionelle Kontrolle in ihren Entscheidungsgremien zu übernehmen; anderswo kam es zu Spaltungen (wie in der United Methodist Church of the USA). Die weltweite römisch-katholische Kirche ist Zeuge eines anhaltenden Kampfes darüber, welche Katholiken die wahren Erben des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1962–65 sind. Es ist nicht verwunderlich, dass die erschreckend schnellen Veränderungen in der Gesellschaft und in der Kirche so starke Reaktionen hervorgerufen haben, die über das Christentum hinaus auf alle großen Weltreligionen übergreifen. Überall auf der Welt ist heute in der Religion (nicht nur im Christentum) ein

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angry conservatism. Why? I would assume that the anger centres on the profound shift in gender roles in societies across the world. The dominance of men has traditionally been given a religious significance which religious traditions have validated, including in their sacred scriptures. Over fifty years a set of hammer blows has appeared to these assumptions: the new equality claimed and frequently gained by women; the unashamed visibility of same-sex ­couples and now of transgender people.

Conservative anger thus embodies the hurt of heterosexual men at cultural shifts which threaten to marginalise them and deprive them of dignity, hege­ mony or even usefulness – and this does not merely include heterosexual men already in positions of leadership, but those who in traditional cultural systems would expect to inherit leadership. That fuels conservatisms which in a borrowing from Christianity have been labelled ›fundamentalism‹. Socio­ logists of religion have observed that the most extreme forms of conservatism to be found in modern world religions are especially attractive to ›literate but jobless, unmarried male youths marginalized and disenfranchised by the juggernaut of modernity‹ – in other words, those whom modernity has created, only to fail to offer them any worthwhile pur-

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allgemeiner zorniger Konservatismus zu hören. Aber warum? Ich würde vermuten, dass die Wut auf die tiefgreifende Veränderung der Geschlechterrollen in den Gesellschaften der Welt zurückzuführen ist. Der Vorherrschaft der Männer wurde traditionell eine religiöse Bedeutung beigemessen, die die religiösen Traditionen auch in ihren heiligen Schriften bekräftigt haben. In den letzten fünfzig Jahren hat es eine Reihe von Hammerschlägen gegen diese Annahmen gegeben: die neue Gleichberechtigung, die von Frauen gefordert und häufig auch erreicht wurde; die öffentliche Sichtbarkeit von gleichgeschlechtlichen Paaren und jetzt auch von Transgender-Personen. Die konservative Wut verkörpert somit die Verletzung heterosexueller Männer angesichts kultureller Veränderungen, die sie an den Rand zu drängen drohen und sie ihrer Würde, ihrer Hegemonie oder sogar ihres Nutzens berauben – und damit sind nicht nur heterosexuelle Männer gemeint, die bereits Führungspositionen innehaben, sondern auch diejenigen, die in traditionellen kulturellen Systemen erwarten, dass sie diese Positionen in Zukunft übernehmen. Das nährt eine Form des Konservatismus, der in Anlehnung an das Christentum als »Fundamentalismus« bezeichnet werden kann. Religionssoziologen haben beobachtet, dass die extremsten Formen des Konservatismus, die in den modernen Weltreligionen zu finden sind, besonders attraktiv sind für »literate but jobless, unmarried male youths marginalized and di-

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pose.26 There are many frightened male leaders ready to channel their anger into short-term gains of power and ­success.

It is depressing that so many Christianities are still entwined with the politics of the powerful. Yet it is surely inevitable that any potential source of power will fascinate fallen humanity. Religion is as likely to bring a sword as peace. The writers of Genesis who composed the story of Cain and Abel [Genesis 4.1–18] showed wisdom when they told how the first act of worship of God was immediately followed by the first murder. Nevertheless, the lesson of the story at the heart of Christianity is that weakness in the hands of God is more powerful than the apparent power of God. This is the lesson that Martin ­Luther taught in his ›theology of the Cross‹: a loving God becomes weak and apparently foolish to save his people. ­Luther set this against a ›theology of glory‹, which revels in human wisdom and human achievement. With Luther’s usual love of paradox, he proclaimed that ›The theologian of glory calls evil good and good evil. The theologian of the cross calls the thing what it actually is.‹27

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senfranchised by the juggernaut of modernity« (»gebildete, aber arbeitslose, unverheiratete männliche Jugendliche, die vom Moloch der Moderne an den Rand gedrängt und entrechtet wurden«) – mit anderen Worten, für diejenigen, die die Moderne geschaffen hat, nur um ihnen kein sinnvolles Ziel zu bieten.26 Es gibt viele verängstigte männliche Anführer, die bereit sind, ihre Wut in kurzfristige Macht- und Erfolgsgewinne zu kanalisieren. Es ist deprimierend, dass so viele Christentümer immer noch mit der Politik der Mächtigen verflochten sind. Doch es ist wohl unvermeidlich, dass jede potenzielle Machtquelle die gefallene Menschheit fasziniert. Religion kann ebenso gut das Schwert wie den Frieden bringen. Die Schreiber des Buches Genesis, die die Geschichte von Kain und Abel (Genesis 4,1–18) verfassten, bewiesen Weisheit, als sie erzählten, wie auf die erste Anbetung Gottes sofort der erste Mord folgte. Dennoch ist die Lektion dieser Geschichte im Herzen des Christentums, dass Schwäche in den Händen Gottes mächtiger ist als die scheinbare Macht Gottes. Dies ist die Lektion, die Martin Luther in seiner »Theologie des Kreuzes« lehrte: Ein liebender Gott wird schwach und scheinbar töricht, um sein Volk zu retten. Luther stellte dies einer »Theologie der Herrlichkeit« gegenüber, die in menschlicher Weisheit und menschlicher Leistung schwelgt. Mit Luthers üblicher Liebe zum Paradox verkündete er: »Der Theologe der Herrlichkeit nennt

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In the last half-century, we have seen a steep decline in church attendance in the traditional institutions of what was once called Christendom: the societies which were shaped by the historic Churches of Europe, both Catholic and Protestant, and now in North America too. In Christendom, Christianity once ruled in its various forms, with only a constrained Jewish minority as a visible alternative. Now, these Churches face the job of making sense of their loss of power. Conservative Christians often sneer at the weak liberalism of Churches where the pews are empty and the message of an Enlightenment Christianity does its best to avoid strident simplicities. Martin Luther’s insight may be the best riposte to this condescension. When Protestant megachurch pastors led prayer breakfasts at Donald Trump’s White House or Pentecostalists trooped out to vote for Jair Bolsonaro’s vengeful authoritarianism in Brazil; when Roman Catholic cardinals dined with South American dictators; when the Patriarch of Moscow accepts his latest honour from President Putin: here is Luther’s theologian of glory, spouting the theology of glory. That is not where the Cross is to be found.

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das Böse gut und das Gute böse. Der Theologe des Kreuzes nennt die Sache, wie sie wirklich ist.«27 Im letzten halben Jahrhundert haben wir einen starken Rückgang des Kirchenbesuchs in den traditionellen Institutionen dessen erlebt, was einmal als die Christenheit bezeichnet wurde: die Gesellschaften, die von den katholischen und protestantischen historischen Kirchen in Europa und jetzt auch in Nordamerika geprägt wurden. In der Christenheit herrschte einst das Christentum in seinen verschiedenen Formen, mit nur einer beschränkten jüdischen Minderheit als sichtbare Alternative. Jetzt stehen diese Kirchen vor der Aufgabe, ihrem Machtverlust einen Sinn zu geben. Konservative Christen spotten oft über den schwachen Liberalismus von Kirchen, in denen die Kirchenbänke leer sind und die Botschaft eines aufklärerischen Christentums alles tut, um krasse Vereinfachungen zu vermeiden. Martin Luthers Einsicht ist vielleicht die beste Antwort auf diese herablassende Haltung. Wenn protestantische Megakirchenpastoren Gebetsfrühstücke in Donald Trumps Weißem Haus veranstalten oder Pfingstler für Jair Bolsonaros rachsüchtigen Autoritarismus in Brasilien stimmen; wenn römisch-katholische Kardinäle mit südamerikanischen Diktatoren dinieren; wenn der Patriarch von Moskau seine neueste Ehrung von Präsident Putin entgegennimmt: Hier ist das, was Luther Theologe der Herrlichkeit nennt, die

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In the end, the value of church history, and the reason why I have spent most of my career exploring and teaching it, lies in its compulsion to ask quest­ ions, whether inconvenient or not. The asking of questions is the essence of religion. Once long ago, I spent a festive evening with a wise Dominican monk, Herbert McCabe OP, one of the greatest authorities on Thomas Aquinas before his sadly early death. Towards the end of our conversation, after much enjoyable argument, Herbert said, musingly, ›I don’t believe God is the answer: God is the question‹.

I am sure that Fr McCabe was saying something very important there about the present and future of Christianity, and indeed of all religion. Answers close down any further discussion; they are the full stop at the end of a sentence. But a question needs a different punctuation, a question mark – and a question mark needs something to follow it: maybe many things to follow. The question is an open, living thing: eternal, perhaps, in its openness. And if Christian Churches go on asking questions, they will never die.

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die Theologie der Herrlichkeit verkündet. Aber hier ist das Kreuz nicht zu finden. Letztendlich liegt der Wert der Kirchengeschichte und der Grund, warum ich den größten Teil meiner beruflichen Laufbahn damit verbracht habe, sie zu erforschen und zu lehren, in ihrem Anspruch, Fragen zu stellen, auch wenn sie unbequem sind. Das Stellen von Fragen ist die Essenz der Religion. Vor langer Zeit verbrachte ich einmal, vor seinem leider vorzeitigen Tod, einen festlichen Abend mit einem weisen Dominikanermönch, Herbert McCabe OP, einem der größten Kenner von Thomas von Aquin. Gegen Ende unseres Gesprächs, nach vielen unterhaltsamen Diskussionen, sagte Herbert nachdenklich: »Ich glaube nicht, dass Gott die Antwort ist: Gott ist die Frage.« Ich bin mir sicher, dass Pater McCabe damit etwas sehr Wichtiges über die Gegenwart und Zukunft des Christentums und auch über die Gegenwart und Zukunft aller Religionen gesagt hat. Antworten beenden jede weitere Diskussion; sie sind der Punkt am Ende eines Satzes. Aber eine Frage braucht eine andere Interpunktion, ein Fragezeichen – und ein Fragezeichen braucht etwas, das darauf folgt: vielleicht viele Dinge, die darauf folgen. Die Frage ist ein offenes, lebendiges Ding: vielleicht ewig in ihrer Offenheit. Und wenn die christlichen Kirchen weiterhin Fragen stellen, dann werden sie niemals sterben.

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Notes 1  Diarmaid MacCulloch, ›Power, privilege and the county community: county politics in Elizabethan Suffolk‹: Cambridge University Ph.D. thesis, 1977. This was the basis for a monograph with a wider time-frame but the same geographical limits: Suffolk and the Tudors: politics and religion in an English County 1500–1600 (Oxford: University Press, 1986). 2  Diarmaid MacCulloch, A History of Christianity: the first three thousand years (London: Allen Lane, 2009; published in the USA as Christianity: the first three thousand years (New York: Viking, 2010). 3  A History of Christianity (six-part documentary series, BBC4/ BBC2, 2009/10/11): https://www.bbc.co.uk/programmes/b00ntrqh/ episodes/guide. 4  On the early second-century use of ›Catholic‹ by Ignatius of Antioch, see William R. Schoedel, Ignatius of Antioch: a commentary on the letters of Ignatius of Antioch (Philadelphia, PA: Fortress, 1985), 238, 243–44. 5  Samuel P. Huntington, ›The Clash of Civilisations?‹, Foreign Affairs 72 (1993), 22–49: this was the article that inspired Huntington’s book-length treatment of his thesis, The Clash of Civilisations: and the Remaking of World Order (New York: Simon and Shuster, 1996). For pointed critiques of the thesis from contrasting disciplines, see Amartya Sen, ›Democracy as a Universal Value‹, Journal of Democracy 10 (1999), 3–17, and comment by Timothy Garton Ash, History of the Present: essays, sketches and despatches from Europe in the 1990s (London: Penguin, 2000), 350, 379, 388–389, 394, 429–30. 6  John 7:53–8:11. It is ironic that this one recorded instance of Jesus writing is to be found in one of the most textually insecure portions of John’s Gospel. The great Johannine commentator Charles K. Barrett expands on his blunt comment that ›It is certain that this narrative is not an original part of the Gospel‹, and considers that its original placing was in Luke (Charles K. Barrett, The Gospel according to St John: an introduction with commentary and notes on the Greek text, 2d edn London: SPCK, 1978, 589–91). There are possible explanations of what Jesus’s action signified in terms of Deuteronomic and

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Anmerkungen 1  Diarmaid MacCulloch, ›Power, privilege and the county community: county politics in Elizabethan Suffolk‹: Cambridge University Ph.D. thesis, 1977. Dies war die Grundlage für eine Monografie mit einem größeren zeitlichen Rahmen, aber denselben geografischen Grenzen: Suffolk and the Tudors: politics and religion in an English County 1500–1600 (Oxford: Oxford University Press, 1986). 2  Diarmaid MacCulloch, A History of Christianity: the first three thousand years (London: Allen Lane, 2009); veröffentlicht in den USA als Christianity: The First Three Thousand Years (New York: Viking, 2010). 3  A History of Christianity (sechsteilige Dokumentarserie, BBC4/BBC2, 2009/10/11): https://www.bbc.co.uk/programmes/ b00ntrqh/episodes/guide. 4  Zur Verwendung des Begriffs »katholisch« durch Ignatius von Antiochien zu Beginn des zweiten Jahrhunderts, siehe William R. Schoedel, Ignatius of Antioch: a commentary on the letters of Ignatius of Antioch (Philadelphia, PA: Fortress, 1985), 238, 243–44. 5  Samuel P. Huntington, ›The Clash of Civilisations?‹, Foreign Affairs 72 (1993), 22–49: Dies war der Artikel, der Huntington zu seinem Buch inspirierte, The Clash of Civilisations: and the Remak­ ing of World Order (New York: Simon and Shuster, 1996). Für eine pointierte Kritik an seinem Buch aus unterschiedlichen Disziplinen, siehe Amartya Sen, ›Democracy as a Universal Value‹, Journal of Democracy 10 (1999), 3–17, und den Kommentar von Timothy Garton Ash, History of the Present: essays, sketches and despatches from Europe in the 1990s (London: Penguin, 2000), 350, 379, 388–389, 394, 429–30. 6  Joh 7,53–8,11. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass dieses eine aufgezeichnete Beispiel für das Schreiben Jesu in einem der textlich unsichersten Teile des Johannesevangeliums zu finden ist. Der große johanneische Kommentator Charles K. Barrett präzisiert seinen unumwundenen Kommentar, dass »it is certain that this narrative is not an original part of the Gospel« (»es sicher ist, dass diese Erzählung kein

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Roman law, but Barrett equally bluntly dismisses them as ›fruitless … ­[ Jesus’s] action was simply a studied refusal to pronounce judgement‹ (ibid., 592). 7  Matthew 24:31: a rare direct echo of Jesus’s teachings is to be found in the authentic epistles of Paul, I Corinthians 15:52 and I Thessalonians 4:16, which also speak of the trumpet sounding. For judicious comment on these passages, see Ed P. Sanders, Jesus and Judaism (London: SCM Press, 1985), 143–46. 8  Matthew 8:22: a saying not found in the other Gospels. 9  I describe some of the consequences of this first Christian ›Great Disappointment‹ in Ch. 5 of my Christianity: the first three thousand years, ›Boundaries defined (50CE-300)‹. 10  Genesis 3. 11  Robert G. Bury (ed.), Plato: with an English translation VII: Timaeus; Cleitophon; Critias; Menexenus; Epistles (London and Cambridge, MA: Loeb, 1961), 50–3, 176–79 [Timaeus XXVIIIa –XXIXd; LXVIIIe – LXIXc]. 12  For summary discussion of Augustine’s effect on the West and its sixteenth-century Reformation, see Diarmaid MacCulloch, Reformation: Europe’s House Divided 1490–1700 (London: Allen Lane, 2003), 106–15, ›The Shadow of Augustine‹. My whole book, however, might be considered as variations on an Augustinian theme. In the mid-twentieth century, the American Reformed Protestant theologian Benjamin B. Warfield put my point in a slightly more refined form, observing that ›[t]he Reformation, inwardly considered, was just the ultimate triumph of Augustine’s doctrine of grace over Augustine’s doctrine of the Church‹ – Benjamin B. Warfield, Calvin and Augustine (Phi­ladelphia, PA: Presbyterian and Reformed Publishing Company, 1956), 332. 13  I provide a summary narrative on the background of theological controversy after the Council of Nicaea (325 CE) and the subsequent dynamics of the Council of Chalcedon in MacCulloch, A History of Christianity, 215–28. 14 A splendid and beautifully-presented treatment of the achievements and geographical spread of the dyophysite Church of the East is Christoph Baumer, The Church of the East: an illustrated history of Assyrian Christianity (London and New York: I.B. Tauris,

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ursprünglicher Teil des Evangeliums ist«), und vertritt die Ansicht, dass sie ursprünglich bei Lukas zu finden war (Charles K. Barrett, The Gospel According to St John: An Introduction with Commentary and Notes on the Greek Text, 2. Aufl., London: SPCK, 1978, 589–91). Es gibt mögliche Erklärungen dafür, was Jesu Handeln in Bezug auf das deuteronomische und römische Recht bedeutete, aber Barrett weist sie ebenso unverblümt als »fruitless« (»fruchtlos«) zurück. »[Jesus’s] action was simply a studied refusal to pronounce judgement« (»[Jesu] Handeln war einfach eine studierte Weigerung, ein Urteil zu fällen«) (ebd., 592). 7  Mt 24,31: Ein seltenes direktes Echo der Lehren Jesu findet sich in den authentischen Paulusbriefen (1. Kor 15,52 und 1. Thess 4,16), in denen ebenfalls vom Ertönen der Posaune die Rede ist. Für einen fundierten Kommentar zu diesen Passagen, siehe Ed P. Sanders, Jesus and Judaism (London: SCM Press, 1985), 143–46. 8  Mt 8,22: ein Spruch, der in den anderen Evangelien nicht vorkommt. 9  Ich beschreibe einige der Folgen dieser ersten christlichen »Großen Enttäuschung« in Kap. 5 meines Buches Christianity: the first three thousand years, ›Boundaries defined (50CE-300)‹. 10  Gen 3. 11  Robert G. Bury (Hg.), Plato: with an English translation VII: Timaeus; Cleitophon; Critias; Menexenus; Epistles (London and Cambridge, MA: Loeb, 1961), 50–3, 176–79 [Timaeus XXVIIIa – XXIXd; LXVIIIe – LXIXc]. 12  Für eine zusammenfassende Erörterung der Wirkung von Augustinus auf das Abendland und seine Reformation im sechzehnten Jahrhundert siehe Diarmaid MacCulloch, Reformation: Eu­rope’s House Divided 1490–1700 (London: Allen Lane, 2003), 106–15, ›The Shadow of Augustine‹. Mein ganzes Buch könnte jedoch als Variation eines augustinischen Themas betrachtet werden. In der Mitte des 20. Jahrhunderts formulierte der amerikanische reformiert-protestantische Theologe Benjamin B. Warfield meinen Standpunkt in etwas verfeinerter Form, indem er feststellte, dass »[t] he Reformation, inwardly considered, was just the ultimate triumph of Au­gustine’s doctrine of grace over Augustine’s doctrine of the Church« (»[d]ie Reformation, innerlich betrachtet, war nur der end-

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2006). Another fine summary history is Philip Jenkins, The Lost ­History of Christianity: the thousand-year golden age of the Church in the Middle East, Africa, and Asia – and how it died (New York: HarperCollins, 2008). 15  The medieval pagoda which is the central feature of the site at Ta Qin may be of Christian construction. Alas, the whole site which I visited in April 2008 has since been enthusiastically and expensively subjected to a drastic ›Christian‹ reordering, with no sense of historical restoration. 16  For important texts from the cultural milieu of Dyophysite Chinese Christianity, see the presentation in Martin Palmer, The ­Jesus Sutras: rediscovering the lost religion of Taoist Christianity (London: Piatkus, 2001), though see the useful cautionary critique by Erica C.D. Hunter, Buddhist Studies Review 20 (2003), 112–17. 17  I discuss the case of slavery and the embarrassments that it has caused Western Christianity in Diarmaid MacCulloch, Silence: a Christian History (London: Allen Lane, 2013), 212–16, 225, 235–6. 18  Another would be the complete about-turn in Christian attitudes to usury (the taking of interest on money), which I will not consider on this occasion. 19  Pierre R. Auguis (ed.), Oeuvres Complètes de Chamfort (5 vols, Paris: Chez Chaumerot Jeune, 1824) I, ›Notice Historique sur la Vie et les Écrits de Chamfort‹, ix: ›Indigné de la prostitution qu’ils avaient faite du doux nom de fraternité, il traduisait cette inscription tracée sur tous les murs, Fraternité ou la mort, par celle-ci: Sois mon frère ou je te tue. Il disait: La fraternité de ces gens-là est celle de Caïn et d’Abel.’ 20  For two excellent recent studies of this period of ›Christendom‹, see Judith Herrin, The formation of Christendom (Princeton, NJ: Princeton University Press, with new introduction, 2022), and P ­ eter Heather, Christendom: the triumph of a religion (Penguin: Allen Lane, 2022). 21  A remarkable case in point is a recent publication of essays on the subject of sexuality, same-sex relations in particular, from a gathering of Orthodox theologians mainly based beyond traditional Orthodox frontiers: Thomas Arentzen, Ashley M. Purpura and ­Aristotle Papanikolaou (eds.), Orthodox Tradition and human sex­uality

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gültige Triumph der augustinischen Gnadenlehre über die augustinische Lehre von der Kirche«) – Benjamin B. Warfield, Calvin and Augustine (Phi­ladelphia, PA: Presbyterian and Reformed Publishing Company, 1956), 332. 13  Ich gebe einen zusammenfassenden Überblick über den Hintergrund der theologischen Kontroverse nach dem Konzil von Nicäa (325 n. Chr.) und die anschließende Dynamik des Konzils von Chalcedon in MacCulloch, A History of Christianity, 215–28. 14  Die Errungenschaften und die geografische Ausbreitung der dyophysitischen Kirche des Ostens werden in hervorragender Weise dargestellt in Christoph Baumer, The Church of the East: an il­lustrated history of Assyrian Christianity (London and New York: I.B. Tauris, 2006). Eine weitere gute Zusammenfassung ihrer Geschichte ist Philip Jenkins, The Lost History of Christianity: the ­thousand-year golden age of the Church in the Middle East, Africa, and Asia – and how it died (New York: HarperCollins, 2008). 15  Die mittelalterliche Pagode, die den Mittelpunkt der Stätte von Ta Qin bildet, könnte ein christliches Bauwerk sein. Leider wurde die gesamte Stätte, die ich im April 2008 besuchte, seither mit großem Eifer und großem Aufwand einer drastischen »christlichen« Neuordnung unterzogen, ohne jeden Sinn für eine historische Restaurierung. 16  Zu wichtigen Texten aus dem kulturellen Milieu des dyophysitischen chinesischen Christentums siehe die Darstellung in Martin Palmer, The Jesus Sutras: Rediscovering the Lost Religion of Taoist Christianity (London: Piatkus, 2001). Siehe jedoch auch die nützliche und doch warnende Kritik von Erica C.D. Hunter, Buddhist Studies Review 20 (2003), 112–17. 17  Ich behandle den Fall der Sklaverei und die Peinlichkeiten, die sie dem westlichen Christentum bereitet hat, in Diarmaid MacCulloch, Silence: a Christian History (London: Allen Lane, 2013), 212–16, 225, 235–6. 18  Eine andere wäre die völlige Kehrtwende in der christlichen Haltung zum Wucher (der Verzinsung von Geld), auf die ich hier nicht eingehen will. 19  Pierre R. Auguis (Hg.), Oeuvres Complètes de Chamfort (5 Bde., Paris: Chez Chaumerot Jeune, 1824) I, ›Notice Historique

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(New York: Fordham University Press, 2022). Particularly notable is the warmly-expressed Foreword by Metropolitan Ambrosius of Helsinki, x–xi, which emphasises that ›The Finnish Orthodox Episcopal Synod did not oppose [successive parliamentary legislation on same-sex unions and marriage] because we understand that it is not within our purview to regulate the diverse ­models of common life for people who are not Orthodox … In Nordic countries we share fundamental convictions concerning culture and equal opportunities for everyone. We also share many views on how to endorse and support human rights as regards such contemporary issues as sexuality‹. 22  A classic study of this emigration and its origins is Nicolas Zer­nov, The Russian religious renaissance of the twentieth century (London: Darton, Longman and Todd, 1963), esp. Ch. 9. 23  John Binns, An Introduction to the Christian Orthodox Churches (Cambridge: Cambridge University Press, 2002), 238. 24  The organisation Forum 18, defending ›the right to believe, to worship and witness; the right to change one’s belief or religion; the right to join together and express one’s belief‹, meticulously documents abuses of those rights not just in the Russian Republic but in former republics of the Soviet Union. Their work can be followed via https://www.forum18.org/. 25  Sermon of 1982, qu. in Bruno Chenu et al. (eds.), The Book of Christian Martyrs (London: SCM Press, 1990), 211. 26  Brenda E. Brasher, Encyclopedia of fundamentalism (New York and London: Routledge, 2001), 18, and cf. ibid., xvii, 16–17, 292– 93. Cf. the unbuttoned comment from one well-informed historian (backed up by the Evangelical politician Jerry Falwell) that a fundamentalist is ›an evangelical who is angry about something‹: George M. Marsden, Understanding fundamentalism and evangelicalism (Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1991), 1. 27  Article 21 of the propositions for the Heidelberg Disputation, 1518: ›Theologus gloriae dicit malum bonum et bonum malum, Theo­logus crucis dicit id quod res est‹. D. Martin Luthers Werke (Wei­ marer Ausgabe: Weimar, 1883 sq.), I 354.21–22; expounded at ibid. 362.20–33. For useful theological commentary on the context of this

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sur la Vie et les Écrits de Chamfort‹, ix: ›Indigné de la prostitution qu’ils a­ vaient faite du doux nom de fraternité, il traduisait cette inscription tracée sur tous les murs, Fraternité ou la mort, par celle-ci: Sois mon frère ou je te tue. Il disait: La fraternité de ces gens-là est celle de Caïn et d’Abel.‹ 20  Zwei ausgezeichnete neuere Studien über diese Periode des »Christentums« sind Judith Herrin, The formation of Christendom (Princeton, NJ: Princeton University Press, with new introduction, 2022), und Peter Heather, Christendom: the triumph of a religion (Penguin: Allen Lane, 2022). 21  Ein bemerkenswerter Fall ist eine kürzlich erschienene Veröffentlichung von Aufsätzen zum Thema Sexualität, insbesondere zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen, die von einer Gruppe orthodoxer Theologen verfasst wurde, die hauptsächlich jenseits der traditionellen orthodoxen Grenzen tätig sind: Thomas Arentzen, Ashley M. Purpura and Aristotle Papanikolaou (Hg.), Orthodox Tradition and human sexuality (New York: Fordham University Press, 2022). Besonders bemerkenswert ist das empathische Vorwort von Me­tro­ polit Ambrosius von Helsinki, x–xi, in dem er betont, dass »the Finnish Orthodox Episcopal Synod did not oppose [successive parliamentary legislation on same-sex unions and marriage] because we understand that it is not within our purview to regulate the diverse models of common life for people who are not Orthodox … In Nordic countries we share fundamental convictions concerning culture and equal opportunities for everyone. We also share many views on how to endorse and support human rights as regards such contemporary issues as sexuality« (»Die fin­nische orthodoxe Bischofssynode hat sich nicht gegen [die aufeinanderfolgenden parlamentarischen Gesetze über gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Ehen] ausgesprochen, weil wir verstehen, dass es nicht in unsere Zuständigkeit fällt, die verschiedenen Modelle des gemeinsamen Lebens für Menschen zu regeln, die nicht orthodox sind … In den nordischen Ländern teilen wir grundlegende Überzeugungen in Bezug auf Kultur und Chancengleichheit für alle. Wir teilen auch viele Ansichten darüber, wie man die Menschenrechte in Bezug auf zeitgenössische Themen wie Sexualität unterstützen und fördern kann«).

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famous phrase, see Alister E. McGrath, Luther’s Theology of the Cross (Oxford: Basil Blackwell, 1985), 148–51, and Philip Watson, Let God be God! An interpretation of the theology of Martin Luther (London: Epworth Press, 1947), Ch. 4.

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22  Eine klassische Studie über diese Emigration und ihre Ursprünge ist Nicolas Zernov, The Russian religious renaissance of the twentieth century (London: Darton, Longman and Todd, 1963), v. a. Kap. 9. 23  John Binns, An Introduction to the Christian Orthodox Churches (Cambridge: Cambridge University Press, 2002), 238. 24  Die Organisation Forum 18, die sich für »the right to believe, to worship and witness; the right to change one’s belief or religion; the right to join together and express one’s belief« (»das Recht zu glauben, zu verehren und zu bezeugen; das Recht, seinen Glauben oder seine Religion zu wechseln; das Recht, sich zusammenzuschließen und seinen Glauben auszudrücken«) einsetzt, dokumentiert akribisch den Missbrauch dieser Rechte nicht nur in der Russischen Republik, sondern in den ehemaligen Republiken der Sowjetunion. Ihre Arbeit kann verfolgt werden über https://www.forum18.org/. 25  Predigt von 1982, in: Bruno Chenu u. a. (Hg.), The Book of Christian Martyrs (London: SCM Press, 1990), 211. 26  Brenda E. Brasher, Encyclopedia of Fundamentalism (New York and London: Routledge, 2001), 18, und vgl. ebd., xvii, 16– 17, 292–93. Vgl. die unverblümte Bemerkung eines gut informierten Historikers (unterstützt durch den evangelikalen Politiker Jerry Falwell), ein Fundamentalist sei »an evangelical who is angry about something« (»ein Evangelikaler ist, der über etwas verärgert ist«): George M. Marsden, Understanding fundamentalism and evangeli­ calism (Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1991), 1. 27  Artikel 21 der Propositionen für die Heidelberger Disputation 1518: »Theologus gloriae dicit malum bonum et bonum malum, Theologus crucis dicit id quod res est.« D. Martin Luthers Werke (Weimarer Ausgabe: Weimar, 1883 sq.), I 354.21–22; erläutert ebd. 362.20–33. Ein nützlicher theologischer Kommentar zum Kontext dieses berühmten Satzes findet sich bei Alister E. McGrath, Luther’s Theology of the Cross (Oxford: Basil Blackwell, 1985), 148–51, und Philip Watson, Let God be God! An interpretation of the theology of Martin Luther (London: Epworth Press, 1947), Kap. 4.

Address at the Award Ceremony of the 2019 Dr. Leo­pold Lucas Prize by

Michael Tilly

Ansprache bei der Verleihung des Dr. Leo­pold Lucas-Preises 2019 von

Michael Tilly

H

onorary Senator Dr. Lucas, Magnificence, Spectabiles, dear colleagues, ladies and gent­ le­men, but above all: honored laureates of today, Sir Diarmaid MacCulloch and Dr. des. Alexa von Winn­ing!

It is an extraordinary honor and at the same time a great pleasure for me to welcome you all to this ceremony on behalf of the Eberhard Karls University and its Faculty of Protestant Theology. The Dr. Leopold Lucas Prize for 2019 and Dr. Leopold Lucas Young Academics Prize will be presented today. The Dr. Leopold Lucas Prize was endowed in 1972 by the Consul General and later Honorary Se­ nator of the University Dr. Franz D. Lucas in honorable memory of his father, the impressively learned rabbi, historian and scientific organizer Dr. Leopold Lucas, who was born 100 years earlier, on September 18, 1872, in Marburg an der Lahn and perished in Theresienstadt. The renowned award has been granted since 1974 by the Faculty of Protestant Theology in Tübingen for special scientific achievements in the fields of both theologies, historical humanities and philosophy, which have contributed in a special

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erehrter Herr Ehrensenator Dr. Lucas, Magnifizenz, Spectabiles, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, vor allem aber: Sehr geehrte Preisträger des heutigen Tages, Sir Diarmaid MacCulloch und Frau Dr. des. ­Alexa von Winning! Es ist mir eine außerordentliche Ehre und zugleich eine große Freude, Sie alle im Namen der Eberhard Karls Universität und ihrer Evangelisch-theologischen Fakultät zu dieser Feierstunde willkommen zu heißen. Überreicht werden heute der Dr. Leopold Lucas-Preis für das Jahr 2019 sowie der gleichnamige Nachwuchswissenschaftler-Preis. Gestiftet wurde der Dr. Leopold Lucas-Preis 1972 von dem Generalkonsul und späteren Ehrensenator der Universität Dr. Franz D. Lucas zum ehrenden Gedenken an seinen 100 Jahre zuvor, am 18. September 1872, in Marburg an der Lahn geborenen und in Theresienstadt umgekommenen Vater, den beeindruckend gelehrten Rabbiner, Historiker und Wissenschaftsorganisator Dr. Leopold Lucas. Der renommierte Preis wird seit 1974 von der Tübinger Evangelisch-theologischen Fakultät für besondere wissenschaftliche Leistungen auf den Gebieten der beiden Theologien, der historischen Geisteswissen-

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Address at the Award Ceremony

way to promote understanding between people and peoples and to spread the enlightened idea of tolerance in public discourse. »For Jews, education is not just what we know. It’s who we are.«1 With this quote by the British Grand Rabbi Sir Jonathan Sacks, I would like to introduce my remarks on a period of recent German history and focus my following reflections on a special place, namely the »Lehranstalt – ehemals Hochschule – für die Wissenschaft des Judentums« in Berlin during the years 1933–1942. During these years, the Lehranstalt was the academic home of many outstanding Jewish scholars, prominent among them the historian and Glogau rabbi Dr. Leopold Lucas.

The Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin was opened on May 6, 1872,2 and its founding members included such prominent scholars as the eminent Reform Rabbi Abraham Geiger,3 the writer and scholar Ludwig Philippson,4 and the physician Salomon Neumann.5 In 1907, the Hochschule was able to move into its own building at what was then Artilleriestraße 146 in Berlin-Mitte on land donated to the Hochschule in 1894. Compared to the conservative Jewish Theological Seminary in Breslau, which had

Ansprache bei der Verleihung

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schaft und der Philosophie vergeben, welche im öffentlichen Diskurs in besonderer Weise zu einer Verständigung zwischen Menschen und Völkern sowie zu einer Verbreitung des aufgeklärten Toleranzgedankens beigetragen haben. »Erziehung und Bildung bedeutet für Juden nicht lediglich, was sie wissen und wie sie lernen, sondern schlicht, wer sie sind.«1 Mit diesem Diktum des britischen Großrabbiners Sir Jonathan Sacks möchte ich meine Ausführungen zu einem Abschnitt der jüngeren deutschen Geschichte einleiten und meine nun folgende Betrachtung dabei auf einen besonderen Ort fokussieren, nämlich auf die Berliner »Lehranstalt – ehemals Hochschule – für die Wissenschaft des Judentums« während der Jahre 1933–1942, die während dieser Jahre die akademische Heimat zahlreicher herausragender jüdischer Gelehrter war, auch die akademische Heimat des Historikers und Glogauer Rabbiners Dr. Leopold Lucas. Eröffnet wurde die Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums am 6. Mai 1872.2 Zu ihren Gründungsmitgliedern gehörten so prominente Wissenschaftler wie der bedeutende Reformrabbiner Abraham Geiger,3 der Schriftsteller und Gelehrte Ludwig Philippson4 und der Mediziner Salomon Neumann5. Im Jahre 1907 konnte die Hochschule auf einem ihr 1894 geschenkten Grundstück ein eigenes Gebäude in der damaligen Artilleriestraße 146 in Berlin-Mitte beziehen. Im Vergleich

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already opened in 1854, the Hochschule in Berlin was considered a liberal educational institution. Its declared goal was to be a free place of enlightened Jewish research and teaching. Here the science of Judaism was to be cultivated, maintained, educated, and disseminated. The scope of teaching during the Weimar period can be compared to a smaller university department today: for example, the number of regular students in the summer semester of 1932 totaled 155, including 27 women.7 The university’s library contained approximately 55,000 volumes during that semester.8 During this remarkably successful period of the Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in the years of the Weimar Republic, German Jews were to be found everywhere in business, science and culture. Never before had there been a more diverse, vibrant, and religiously and culturally differentiated Jewish life in Germany. At the same time, the misanthropic sentiments of National Socialism began to spread throughout the country. The acceptance by large sections of the German population of the racist anti-Jewish ideology that had emerged in the nineteenth century prepared the ground for the success of the works of anti-Semitic agitators, German nationalist activists, and nation-

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zu dem bereits 1854 eröffneten konservativen Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau galt die Berliner Hochschule als eine liberale Ausbildungsstätte. Ihr erklärtes Ziel bestand darin, eine freie Stätte der aufgeklärten jüdischen Forschung und Lehre zu sein. Hier sollte die Wissenschaft des Judentums gepflegt, erhalten fortgebildet und verbreitet werden. Der Umfang des Lehrbetriebs während der Weimarer Zeit lässt sich mit einem kleineren heutigen universitären Fachbereich vergleichen: So betrug die Zahl der ordentlichen Hörer im Sommersemester 1932 insgesamt 155, darunter 27 Frauen.7 Die Bibliothek der Hochschule umfasste während dieses Semesters ca. 55 000 Bände.8 Während dieser bemerkenswert erfolgreichen Periode der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in den Jahren der Weimarer Republik waren deutsche Juden überall in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur anzutreffen. Nie zuvor gab es ein vielfältigeres, lebendigeres und religiös wie kulturell differenzierteres jüdisches Leben in Deutschland. Zugleich begann sich die menschenfeindliche Gesinnung des Nationalsozialismus überall im Land auszubreiten. Durch die Akzeptanz der im 19. Jahrhundert entstandenen rassistischen judenfeindlichen Ideologie in großen Teilen der deutschen Bevölkerung wurde der Boden bereitet für den Erfolg der Werke antisemitischer Agitatoren, deutschnationaler Aktivisten

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alist esoterics, which had already been of direct importance in the planning and justification of National Socialist terror since the 1920s. The public instrumentalization and dissemination of this popular delusional ideology by the National Socialists began in 1933 with the dismissal of Jews from the civil service and universities, their exclusion from cultural life, and a Reich-wide boycott of Jewish businesses. The Nuremberg Laws of 1935 excluded Jews from Reich citizenship. Mistreatment, social degradation, and dispossession of Jews followed. There was the closure of all Jewish stores and craft businesses and, during the November pogroms of 1938, the organized and directed destruction of synagogues. At the Wannsee Conference on January 20, 1942, the »Final Solution« of the Jewish question was formally decided.9 The National Socialists‹ and their partisans‹ hatred towards Jews finally culminated in the mass deportation and industrially organized murder of approximately 6 million Jews in Germany and in the countries occupied by Germany.

The devastating effects of the National Socialist regime’s seizure of power soon affected the Berlin Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. As early as June 24, 1933, the Hochschule was demoted by official order to the status of »Lehranstalt,«10 which re-

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und nationalistischer Esoteriker, die bereits seit den zwanziger Jahren für die Planung und Begründung des nationalsozialistischen Terrors von unmittelbarer Bedeutung waren. Die öffentliche Instrumentalisierung und Verbreitung dieser populären Wahn­ ideologie durch die Nationalsozialisten begann 1933 mit der Entlassung von Juden aus dem Staatsdienst und aus den Universitäten, ihrem Ausschluss aus dem Kulturleben und einem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte. Die Nürnberger Gesetze von 1935 schlossen Juden von der Reichsbürgerschaft aus. Es folgten Misshandlung, gesellschaftliche Degradierung und Enteignung von Juden. Es kam zur Schließung aller jüdischer Läden und Handwerksbetriebe und während der Novemberpogrome 1938 zur organisierten und gelenkten Zerstörung von Synagogen. Auf der Wannseekonferenz wurde am 20. Januar 1942 die »Endlösung« der Judenfrage formal beschlossen.9 Der Judenhass der Nationalsozialisten und ihrer Parteigänger mündete schließlich in die massenhafte Verschleppung und industriell organisierte Ermordung von ca. 6 Millionen Juden in Deutschland und in den von Deutschland okkupierten Ländern. Die verheerenden Auswirkungen der Machtergreifung des nationalsozialistischen Regimes wirkte sich bald auch auf die Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums aus. Bereits am 24. Juni 1933 wurde die Hochschule auf behördliche Anord-

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sumed its old designation between 1883 and 1922, but was now primarily intended to signal its inferiority to a »genuine, German« university. In the malignant diction of the corresponding order, it was said that its teaching was now merely tolerated, for it did not fulfill any task desired by the state.11 Despite the adverse circumstances, it was nevertheless requested that teaching be maintained. In 1935, the teaching institution was expanded as Arbeitskreis für allgemeine wissenschaftliche Vorlesungen (»working group for general scientific lectures«).12 The auditorium now consisted of Jewish students from various disciplines, who as »non-Aryans« were all excluded from further study at German universities and only a few of whom were able to continue their studies abroad. At the same time, the Arbeitskreis offered opportunities for academic activity to Jewish scholars who had been expelled from the universities and were now unemployed. Examples include the physician, sociologist, and national economist Franz Oppenheimer,13 the philosopher and important representative of phenomenology Fritz Kaufmann,14 the classicist and orientalist Franz Rosenthal,15 and the prominent ancient historian Eugen Täubler.16 In 1937, the Lehranstalt, which now had a total of 141 students enrolled, was also deprived of its status as a statutory body, which now threatened its

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nung zur »Lehranstalt« degradiert,10 was zwar ihre alte Bezeichnung zwischen 1883 bis 1922 wieder aufnahm, aber nun in erster Linie ihre Minderwertigkeit gegenüber einer »echten, deutschen« Hochschule signalisieren sollte. In der malignen Diktion der entsprechenden Anordnung hieß es, ihr Lehrbetrieb sei nunmehr nur noch geduldet, denn er erfülle keine staatlich gewünschte Aufgabe.11 Trotz der widrigen Umstände ersuchte man dennoch, den Lehrbetrieb aufrecht zu erhalten. Im Jahre 1935 wurde die Lehranstalt als »Arbeitskreis für allgemeine wissenschaftliche Vorlesungen« erweitert.12 Das Auditorium bestand nunmehr aus jüdischen Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen, die als »Nichtarier« allesamt vom weiteren Studium an deutschen Universitäten ausgeschlossen waren und von denen nur die wenigsten ihr Studium im Ausland weiterführen konnten. Zugleich bot der »Arbeitskreis« Möglichkeiten der akademischen Betätigung für von den Universitäten verwiesene und nunmehr stellungslose jüdische Gelehrte. Beispielhaft zu nennen sind hier der Arzt, Soziologe und Nationalökonom Franz Oppenheimer,13 der Philosoph und bedeutende Vertreter der Phänomenologie Fritz Kaufmann,14 der Altertumswissenschaftler und Orientalist Franz Rosenthal15 sowie der prominente Althistoriker Eugen Täubler.16 Im Jahre 1937 wurde der Lehranstalt, an der nun insgesamt 141 Studenten eingeschrieben waren, auch ihr Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts

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very existence.17 The November pogroms of the following year led to the mistreatment and imprisonment of numerous students and lecturers as well. Their release from imprisonment in jails and concentration camps often happened only upon presentation of exit visas. Notwithstanding this deportation and forced departure of a considerable part of its aca­ demic teaching staff, the Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums resumed teaching as early as January 1939, which was now also supplemented by the necessary possibility of taking the Abitur examination at the Lehranstalt.18 The liberal rabbi and philosopher Leo Baeck19 and the philologist and historian Ismar Elbogen20 were the main guarantors of personal continuity in these difficult times. In view of the outbreak of war in 1939, the relocation of the teaching institution to England was soon discussed. It failed mainly because of the refusal of the former field rabbi Leo Baeck to leave his homeland Germany in the face of the unleashed Nazi terror.

In the summer semester of 1940, the now sixty-­ seven-year-old Glogau rabbi Dr. Leopold Lucas received a lectureship in ancient and medieval history at the Berlin Lehranstalt as successor to Eugen Täubler,21 who managed to emigrate just in time to the U.S.A., where he soon became a professor at the

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entzogen, was ihre Fortexistenz nunmehr im Kern bedrohte.17 Die Novemberpogrome des folgenden Jahres führten zur Misshandlung und Inhaftierung auch zahlreicher Studenten und Dozenten. Ihre Entlassung aus der Haft in Gefängnissen und Konzen­ trationslagern geschah oftmals nur unter Vorlage von Ausreisevisa. Unbeschadet dieser Verschleppung und erzwungenen Ausreise eines beträchtlichen Teils ihres akademischen Lehrpersonals nahm die Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums schon im Januar 1939 wieder den Lehrbetrieb auf, der nunmehr auch durch die notwendig gewordene Möglichkeit ergänzt wurde, hier die Abiturprüfung abzulegen.18 Garanten der personalen Kontinuität in diesen beschwerlichen Zeiten waren vor allem der liberale Rabbiner und Philosoph Leo Baeck19 und der Philologe und Historiker Ismar Elbogen20. Angesichts des Kriegsausbruchs im Jahre 1939 wurde bald der Umzug der Lehranstalt nach England diskutiert. Er scheiterte vor allem an der Weigerung des ehemaligen Feldrabbiners Leo Baeck, seine Heimat Deutschland im Angesicht des entfesselten Naziterrors zu verlassen. Im Sommersemester 1940 erhielt der nunmehr 67-jährige Glogauer Rabbiner Dr. Leopold Lucas eine Dozentenstelle für Alte und mittelalterliche Geschichte an der Berliner Lehranstalt als Nachfolger Eugen Täublers21, dem es gelang, gerade noch rechtzeitig in die U.S.A. zu emigrieren, wo er bald Profes-

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Hebrew Union College in Cincinnati. Besides him, only Leo Baeck taught midrash, homiletics, and history of religion, Julius Lewkowitz Jewish philosophy of religion and Manfred Gross biblical studies, Heinrich Gescheit Talmud, and Ernst Grumach philosophy.22 For Lucas, who was born on September 18, 1872, this teaching activity took place in a thoroughly familiar environment, since he himself had studied at the Hochschule für die Wissenschaft des Judentums for twelve semesters from 1892 to 1898 and successfully completed his studies with the rabbinical diploma.23 Until the deportations and the confiscation of the building in Artilleriestraße at the end of 1941, the number of regular students was about a dozen; the number of guest students, however, was many times higher.24 On July 19, 1942, Bernhard Rust, the National Socialist Reich Minister for Science, Education, and Public Instruction decreed the closure of all Jewish schools and teaching institutions in Germany.25 Of particular interest is the final note of the decree: »Von einer Veröffentlichung dieses Erlasses ist abzusehen«26 (»Publication of this decree is to be refrained from«). The institution was now closed and its valuable inventory was confiscated. The library was presumably transferred to the Reich Security Main Office along with the furnishings. On December 17, 1942, Leo-

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sor am Hebrew Union College in Cincinnati wurde. Neben ihm unterrichteten nur noch Leo Baeck Mi­ drasch, Homiletik und Religionsgeschichte, Julius Lewkowitz jüdische Religionsphilosophie und Manfred Gross Bibelwissenschaft, Heinrich Gescheit Talmud und Ernst Grumach Philosphie.22 Für den am 18. September 1872 geborenen »Doktorrabbiner« Lucas fand diese Lehrtätigkeit in einer durchaus vertrauten Umgebung statt, hatte er doch von 1892– 1898 selbst zwölf Semester an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums studiert und dieses Studium erfolgreich mit der Erlangung des Rabbinerdiploms abgeschlossen.23 Bis zu den Deportationen und der Beschlagnahme des Gebäudes der Lehranstalt in der Artilleriestraße gegen Ende des Jahres 1941 betrug die Zahl seiner ordentlichen Hörer etwa ein Dutzend; die Zahl der Gasthörer war indes um ein Vielfaches höher.24 Am 19. Juli 1942 verfügte Bernhard Rust, der nationalsozialistische Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, die Schließung sämtlicher jüdischer Schulen und Lehranstalten in Deutschland.25 Besonders interessant ist der Schlussvermerk der Verfügung: »Von einer Veröffentlichung dieses Erlasses ist abzusehen.«26 Die Einrichtung wurde nun geschlossen und das wertvolle Inventar beschlagnahmt. Die Bibliothek wurde vermutlich zusammen mit den Einrichtungsgegenständen an das Reichssicherheitshauptamt überwiesen. Am 17. De-

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pold and his wife Dorothea Lucas were deported to the Theresienstadt concentration camp. Before that, he managed to burn numerous documents and ma­ nu­scripts in the educational institution so that they would not fall into the hands of the Gestapo. On September 12, 1943, Leopold Lucas succumbed to pneumonia in the Theresienstadt concentration camp. Dorothea Lucas was taken to Auschwitz in 1944 with 18,000 other prisoners and murdered there. Berlin’s Artilleriestraße was renamed Tucholskystraße after the end of World War II. Of the staff of the former Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, only Leo Baeck and Ernst Grumach survived the war. »For Jews, education is not just what we know. It’s who we are.« At this point, I pay my deep respect to those scientists who, even in the face of the omnipresent barbarism of the Nazis and also in the face of the factual threat to life and limb, persisted in maintaining teaching at the Berlin Hochschule. They demonstrated in an impressive way that stupidity, hatred, and violence are capable of causing immeasurable harm, but will never succeed in wringing down that which makes our human civilization possible: education, training, steadfastness, courage, and, above all, active charitable love.

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zember 1942 wurden Leopold und seine Frau Dorothea Lucas in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt. Zuvor gelang es ihm noch, zahlreiche Dokumente und Manuskripte in der Lehranstalt zu verbrennen, damit sie nicht der Gestapo in die Hände fielen. Am 12. September 1943 erlag Leopold Lucas im KZ Theresienstadt einer Lungenentzündung. Dorothea Lucas wurde im Jahre 1944 mit 18.000 anderen Inhaftierten nach Auschwitz verbracht und dort ermordet. Die Berliner Artilleriestraße wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Tucholskystraße umbenannt. Vom Kollegium der ehemaligen Hochschule für die Wissenschaft des Judentums überlebten nur Leo Baeck und Ernst Grumach den Krieg. »Erziehung und Bildung bedeutet für Juden nicht lediglich, was sie wissen und wie sie lernen, sondern schlicht, wer sie sind.« Ich zolle an dieser Stelle meinen tiefen Respekt denjenigen Wissenschaftlern, die auch angesichts der allgegenwärtigen Barbarei der Nazis und auch angesichts der faktischen Bedrohung von Leib und Leben daran festhielten, den Lehrbetrieb an der Berliner Hochschule aufrechtzuerhalten und in beeindruckender Weise unter Beweis zu stellen, dass Dummheit, Hass und Gewalt zwar unermessliches Unheil anzurichten vermögen, aber es niemals schaffen werden, das niederzuringen, was unsere menschliche Zivilisation ermöglicht: Erziehung und Bil-

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Special people like Dr. Leopold Lucas stood then and still stand today for these special virtues. And so it is fitting that the German scientist Rabbi Dr. Leopold Lucas should also be honored today by an academic ceremony in the course of which two outstanding laureates will be recognized for their special services to a science that is as committed to enlightenment as it is to humanity. The Dr. Leopold Lucas Young Academics Prize has been awarded since 1985. The prize is not divisible and alternates in a fixed rotation between Pro­ testant Theology, Catholic Theology, and Philosophy and History. This year, the prize is awarded to Dr. des. Alexa von Winning’s dissertation »Leaving Home: The Noble Family, Imperial Russia, and Global Orthodoxy, 1855–1936,« which was sub­ mitted as a doctoral thesis in history, supervised by Prof. Dr. Klaus Gestwa, written in English, and emphatically and unreservedly evaluated by the re­ viewers with the highest grade »summa cum laude«.27 Ms. von Winning, born on July 11, 1984, in Frankfurt/Main, studied Modern and Contemporary History and Political Science at Eberhard Karls Univer-

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dung und Standhaftigkeit und Mut und vor allem die tätige Nächstenliebe. Besondere Menschen wie Dr. Leopold Lucas standen damals und stehen auch heute noch für diese besonderen Tugenden. Und so gebührt es sich, dass der deutsche Wissenschaftler Rabbiner Dr. Leopold Lucas auch am heutigen Tag durch eine akademische Feier geehrt wird, in deren Verlauf zwei herausragende Preisträger für ihre besonderen Verdienste um eine Wissenschaft ausgezeichnet werden, die sich ebenso der Aufklärung wie der Humanität verpflichtet weiß. Seit 1985 vergeben wird der Dr. Leopold Lucas-­ Nachwuchswissenschaftlerpreis. Der Preis ist nicht teilbar und wechselt in einem festen Turnus zwischen der evangelischen Theologie, der katholischen Theologie sowie der Philosophie und Geschichtswissenschaft. In diesem Jahr ist die von Frau Dr. des. Alexa von Winning im Fach Geschichte als Dissertationsschrift eingereichte, von Prof. Dr. Klaus Gestwa betreute, in englischer Sprache abgefasste und von den Fachgutachtern nachdrücklich und einschränkungslos mit der höchsten Note »summa cum laude« bewertete Untersuchung »Leaving Home: The Noble Family, Imperial Russia, and Global Orthodoxy, 1855– 1936« auszuzeichnen.27 Frau von Winning, geb. am 11. Juli 1984 in Frankfurt/Main, studierte von 2003 bis 2010 Neuere und Neueste Geschichte sowie Politikwissenschaft an der

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sity and Kazan State University from 2003 to 2010. She worked first as a research assistant, later as a research associate, until 2017 as a scholarship holder of the Athene Program within the framework of the Tübingen Future Concept of the Excellence Initiative, and since October 2018 as an academic assistant at the Institute of East European History and Regional Studies at the University of Tübingen. Her research focuses on biographical research, the history of religion in the 19th and 20th centuries, and historical family research. Her dissertation thesis, completed in 2018, focuses on the Russian noble family of Mansurov in the context of late tsarist and early Soviet history. Alexa von Winning examines how the »highly mobile« noble families developed networks and connections that in turn contributed to the international integration of Europe. It focuses in particular on one Russian family whose members lived in Latvia, Jerusalem, and Constantinople and had different religious experiences there that continued to shape them even after their return to Russia. The reviewers praise above all the carefully researched, balanced argumentation and the never-speculative character of the work.

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Eberhard Karls Universität und der Staatlichen Universität Kazan. Sie wirkte zunächst als Wissenschaftliche Hilfskraft, später dann als Wissenschaftliche Mitarbeiterin, bis 2017 als Stipendiatin des Athene-­ Programms im Rahmen des Tübinger Zukunftskonzepts und seit Oktober 2018 als Akademische Mitarbeiterin am Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde der Universität Tübingen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Biografieforschung, die Religionsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert und die historische Familienforschung. Ihre im Jahre 2018 fertiggestellte Dissertationsschrift beschäftigt sich mit dem russischen Adelsgeschlecht der Mansurov im Kontext der spätzarischen und frühsowjetischen Geschichte. Sie untersucht, wie die »hochmobilen« Adelsfamilien Netzwerke und Verbindungen entwickelten, die ihrerseits zur internationalen Integration Europas beitrugen. Fokussiert wird dabei insbesondere eine russische Familie, deren Mitglieder in Lettland, Jerusalem und Konstantinopel lebten und dort unterschiedliche religiöse Erfahrungen machten, die sie auch nach ihrer Rückkehr nach Russland weiterhin prägten. Die Gutachten loben vor allem den sorgsam recherchierten. ausgewogen argumentierenden und niemals spekulativen Charakter der Arbeit.

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For this impressive work, I am now pleased to award you this year’s Dr. Leopold Lucas Young Academics Prize and to congratulate you most sincerely. This year’s Dr. Leopold Lucas Prize goes to Sir Diarmaid Ninian John MacCulloch. Professor Diarmaid MacCulloch, born on October 31, 1951, in Kent, England, is one of the world’s leading experts in the field of Reformation studies, which he has enriched and stimulated many times over. He has taught at Oxford University since 1995 and has been a Fellow of St Cross College and Professor of Church History since 1997. Among many other honors, he is a Fellow of the Society of Antiquaries of London (since 1978), a Fellow of the Royal Historical Society (since 1982), and a Fellow of the British Aca­ demy (since 2001), as well as co-editor of the prestigious Journal of Ecclesiastical History. On December 31, 2011, it was announced that her Majesty the Queen was knighting him for his services to scholarship. His noteworthy studies started from multiple award-winning works on English Reformation history and resulted in an innovative overall account of the history of the Reformation as a long-lasting process that plowed up the ecclesiastical, political, and social map of Europe in the years 1490–1700. This comprehensive account, which has also been available in German translation for a good decade, has perma-

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Für diese beeindruckende Arbeit darf ich ihnen nun den diesjährigen Dr. Leopold Lucas-Nachwuchswissenschaftlerpreis überreichen und Ihnen dazu herzlich gratulieren. Der diesjährige Dr. Leopold Lucas-Preis geht an Sir Diarmaid Ninian John MacCulloch. Professor Diarmaid MacCulloch, geboren am 31. Oktober 1951 im englischen Kent, gehört zu den weltweit führenden Fachleuten im Bereich der Reformationsforschung, die er vielfach bereichert und belebt hat. Seit 1995 unterrichtet er an der Oxford University, seit 1997 als Fellow of St Cross College und Professor für Kirchengeschichte. Er ist unter vielem anderen Fellow der Society of Antiquaries of London (seit 1978), Fellow der Royal Historical Society (seit 1982) und Fellow der British Academy (seit 2001) sowie Mitherausgeber des renommierten Journal of Ecclesiastical History. Am 31. Dezember 2011 wurde bekannt gegeben, dass er für seine Verdienste um die Wissenschaft zum Ritter geschlagen werde. Seine beachtenswerten Studien gingen von mehrfach preisgekrönten Arbeiten zur englischen Reformationsgeschichte aus und mündeten in eine innovative Gesamtdarstellung der Geschichte der Reformation als eines langanhaltenden Prozesses, der in den Jahren 1490–1700 die kirchliche, politische und gesellschaftliche Landkarte Europas umgepflügt hat. Diese Gesamtdarstellung, die seit gut einem Jahr-

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nently changed the perspective on the early modern period: Here, Reformation is not only a process that took hold of the entire world from the small university town of Wittenberg, but also and above all a process with multi-layered dynamics, whose be­ginn­ings lay in Spain, of all places, and the Inquisition there. European states organized themselves more tightly than in the Middle Ages and reshaped their societies along religious lines. Since this reformation process took place across denominations, early modern Europe drawn by MacCulloch is a polycentric Europe in which different forces sometimes in parallel, sometimes in opposition, advanced a modernization by which European society is still marked today. Mac Culloch thus dismisses, with great erudition and yet with a light narrative hand, conventional patterns of national historiography to which scholars have been accustomed since the nineteenth century. Thus, as a historian, he serves the very dissemination of the idea of tolerance for which the Leopold Lucas Prize was endowed. Dear Sir Diarmaid, with your recognition by the Dr. Leopold Lucas Prize, the Faculty of Protestant Theology of the Eberhard Karls University of Tü­ bingen recognizes the research work you have done on Reformation studies, which is both scientifically

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zehnt auch in deutscher Übersetzung vorliegt, hat die Perspektive auf die frühe Neuzeit nachhaltig verändert: Reformation ist hier nicht nur ein Prozess, der vom kleinen Universitätsstädtchen Wittenberg aus die ganze Welt ergriff, sondern auch und vor allem ein Vorgang mit vielschichtigen Dynamiken, dessen Anfänge ausgerechnet in Spanien und der dortigen Inquisition lagen: Die europäischen Staaten organisierten sich straffer als im Mittelalter und formten ihre Gesellschaften nach religiösen Leitlinien um. Da dieser Reformationsprozess konfessionenübergreifend erfolgte, ist das von MacCulloch gezeichnete Europa der Frühen Neuzeit ein polyzentrisches Europa, in dem unterschiedliche Kräfte manchmal parallel, manchmal gegenläufig eine Modernisierung voranbrachten, von der die europäische Gesellschaft bis heute geprägt ist. MacCulloch verabschiedet so in großer Gelehrsamkeit und doch mit leichter erzählerischer Hand herkömmliche Muster nationaler Geschichtsschreibung, an die die Forschung seit dem 19. Jahrhundert gewöhnt war. So dient er als Historiker eben jener Verbreitung des Toleranzgedankens, für die der Leopold-Lucas-Preis gestiftet wurde. Sehr geehrter, lieber Sir Diarmaid, die Evangelisch-Theologische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen würdigt mit Ihrer Auszeichnung durch den Dr. Leopold Lucas-Preis die von Ihnen geleisteten, sowohl wissenschaftlich als auch gesell-

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and socially significant, as scholarly as it is innovative. Before you honor us with your keynote speech, I would like to ask you to accept this year’s Dr. Leo­ pold Lucas Prize.

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schaftlich bedeutenden, ebenso gelehrten wie innovativen Forschungsarbeiten zur Reformationsforschung. Bevor Sie uns nun mit Ihrem Festvortrag beehren, darf Sie bitten, den diesjährigen Dr. Leopold LucasPreis in Empfang zu nehmen.

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Notes 1  Jonathan Sacks, Letters to the Next Generation: Yom Kippur Reflections, London 2009, 16. 2  Cf. Marianne Awerbuch, Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, in: Reimer Hansen, Wolfgang Ribbe (eds.), Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert: Persönlichkeiten und Institutionen (VHKB 82), Berlin 1992, 517– 551 (esp.: 531 f.); Irene Kaufmann, Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums (1872–1942) (Jüdische Miniaturen 50), Teetz, Berlin 2006, 7–9; Gábor Lengyel, Moderne Rabbinerausbildung in Deutschland und Ungarn (MJSt 26), Münster 2012, 84 f.; Christian Wiese, Art. Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, in: EJGK 3, Stuttgart, Weimar 2012, 75– 81 (esp.: 76 f.). 3  Cf. Ludwig Geiger, Abraham Geiger. Leben und Werk für ein Judentum in der Moderne, Berlin 2001. 4  Cf. Andreas Brämer, Art. Philippson, Ludwig, in: NDB 20, Berlin 2001, 397 f. 5  Cf. Gerhard Baader, Art. Neumann, Salomon, in: NDB 19, Berlin 1999, 160 f. 6  Today Tucholskystr. 9. 7  See the 49. Jahresbericht der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, Berlin 1932, 6. 8  Cf. I. Kaufmann, Hochschule, 31. 9  For a text of the Wannsee Protocol see Robert M.W. Kempner, Eichmann und Komplizen, Zürich 1961, 133–147. 10  Cf. I. Kaufmann, Hochschule, 45. 11  Cf. Chr. Wiese, Art. Hochschule, 79. 12  Cf. M. Awerbuch, Hochschule, 547. 13  Cf. Dirk Kaesler, Art. Oppenheimer, Franz, in: NDB 19, Berlin 1999, 572 f. 14  Cf. Ludwig Landgrebe, Fritz Kaufmann in Memoriam, in: ZPhF 12 (1958), 612–615. 15  Cf. Frank Griffel, Art. Rosenthal, Franz, in: NDB 22, Berlin 2005, 82 f.

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Anmerkungen 1  Jonathan Sacks, Letters to the Next Generation: Yom Kippur Reflections, London 2009, 18. 2  Vgl. Marianne Awerbuch, Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, in: Reimer Hansen, Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert: Persönlichkeiten und Institutionen (VHKB 82), Berlin 1992, 517–551 (hier: 531 f.); Irene Kaufmann, Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums (1872–1942) (Jüdische Miniaturen 50), Teetz, Berlin 2006, 7–9; Gábor Lengyel, Moderne Rabbinerausbildung in Deutschland und Ungarn (MJSt 26), Münster 2012, 84 f.; Christian Wiese, Art. Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, in: EJGK 3, Stuttgart, Weimar 2012, 75– 81 (hier: 76 f.). 3  Vgl. Ludwig Geiger, Abraham Geiger. Leben und Werk für ein Judentum in der Moderne, Berlin 2001. 4  Vgl. Andreas Brämer, Art. Philippson, Ludwig, in: NDB 20, Berlin 2001, 397 f. 5  Vgl. Gerhard Baader, Art. Neumann, Salomon, in: NDB 19, Berlin 1999, 160 f. 6  Heute Tucholskystr. 9. 7  49. Jahresbericht der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, Berlin 1932, 6. 8  Vgl. I. Kaufmann, Hochschule, 31. 9  Text des Wannsee-Protokolls bei Robert M.W. Kempner, Eichmann und Komplizen, Zürich 1961, 133–147. 10  Vgl. I. Kaufmann, Hochschule, 45. 11  Vgl. Chr. Wiese, Art. Hochschule, 79. 12  Vgl. M. Awerbuch, Hochschule, 547. 13  Vgl. Dirk Kaesler, Art. Oppenheimer, Franz, in: NDB 19, Berlin 1999, 572 f. 14  Vgl. Ludwig Landgrebe, Fritz Kaufmann in Memoriam, in: ZPhF 12 (1958), 612–615. 15  Vgl. Frank Griffel, Art. Rosenthal, Franz, in: NDB 22, Berlin 2005, 82 f.

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16  Cf. Thomas Meyer, Art. Täubler, Eugen, in: NDB 25, Berlin 2013, 759 f. 17  Cf. I. Kaufmann, Hochschule, 45 f. 18  Cf. M. Awerbuch, Hochschule, 549. 19  Cf. Maurice-Ruben Hayoun, Leo Baeck. Repräsentant des liberalen Judentums, Darmstadt 2015. 20  Cf. Jeannette Strauss Almstad, Matthias Wolfes, Art. Ismar Elbogen, in: BBKL 19, Nordhausen 2001, 221–234. 21  Cf. Th. Meyer, Art. Täubler, Eugen, 759 f. 22  Cf. Richard Fuchs, The »Hochschule für die Wissenschaft des Judentums« in the Period of Nazi Rule: Personal Recollections, in: YLBI 12 (1967), 3–31. 23  Cf. Michael Brocke et al. (eds.), Die Rabbiner im Deutschen Reich 1871–1945, vol. II, Berlin 2009, 415. 24  Cf. I. Kaufmann, Hochschule, 46 f.; Chr. Wiese, Art. Hochschule, 79 f. 25  Cf. M. Awerbuch, Hochschule, 549; G. Lengyel, Rabbinerausbildung, 96. 26 Benjamin Ortmeyer, Schicksale jüdischer Schülerinnen und Schüler während der NS-Zeit – Leerstellen deutscher Erziehungswissenschaft, Witterschlick, Bonn 1998, 26. 27  Alexa von Winning, Intimate Empire. The Mansurov Family in Russia and the Orthodox East, 1855–1936 (Oxford Studies in Modern European History), Oxford 2022.

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16  Vgl. Thomas Meyer, Art. Täubler, Eugen, in: NDB 25, Berlin 2013, 759 f. 17  Vgl. I. Kaufmann, Hochschule, 45 f. 18  Vgl. M. Awerbuch, Hochschule, 549. 19  Vgl. Maurice-Ruben Hayoun, Leo Baeck. Repräsentant des liberalen Judentums, Darmstadt 2015. 20  Vgl. Jeannette Strauss Almstad, Matthias Wolfes, Art. Ismar Elbogen, in: BBKL 19, Nordhausen 2001, 221–234. 21  Vgl. Th. Meyer, Art. Täubler, Eugen, 759 f. 22  Vgl. Richard Fuchs, The »Hochschule für die Wissenschaft des Judentums« in the Period of Nazi Rule: Personal Recollections, in: YLBI 12 (1967), 3–31. 23  Vgl. Michael Brocke u.a. (Hg.), Die Rabbiner im Deutschen Reich 1871–1945, Bd. II, Berlin 2009, 415. 24  Vgl. I. Kaufmann, Hochschule, 46 f.; Chr. Wiese, Art. Hochschule, 79 f. 25  Vgl. M. Awerbuch, Hochschule, 549; G. Lengyel, Rabbiner­ ausbildung, 96. 26  Benjamin Ortmeyer, Schicksale jüdischer Schülerinnen und Schüler während der NS-Zeit – Leerstellen deutscher Erziehungswissenschaft, Witterschlick, Bonn 1998, 26. 27  Alexa von Winning, Intimate Empire. The Mansurov Family in Russia and the Orthodox East, 1855–1936 (Oxford Studies in Modern European History), Oxford 2022.

Die bisherigen Preisträger 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

Schalom Ben-Chorin Andreas Nissen Elias Bickermann Shmuel Sambursky Kurt Scharf Eberhard Bethge Dumitru Sta˘niloae Karl Popper Karl Rahner Léopold Sédor Senghor Hans Jonas und Fritz Stern Mohamed Talbi Christoph Albrecht und Ernst Gottfried Lowenthal Tullio Vinay Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama Paul Ricœur Bruno Bettelheim Henry Chadwick Annemarie Schimmel André Chouraqui Christian Graf von Krockow Sergej Averintsev Pnina Navè-Levinson und Nathan Peter Levinson Henryk Muszy´nski Michael Walzer

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Die bisherigen Preisträger 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Steven Theodore Katz Richard von Weizsäcker Michael Theunissen Moshe Zimmermann Martin Gilbert Sadik J. Al-Azm Yosef Hayim Yerushalmi René Girard Eduard Lohse Dieter Henrich Karen Armstrong Peter L. Berger Avishai Margalit Seyla Benhabib Giorgio Agamben Peter Schäfer Angelika Neuwirth Adam Zagajewski Joachim Gauck Sarah Stroumsa und Guy G. Stroumsa