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German Pages 390 Year 2016
Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel
Band 195
Das Al Qaida-Sanktionsregime als Ausübung supranationaler Kompetenzen durch den Sicherheitsrat
Von
John Beuren
Duncker & Humblot · Berlin
JOHN BEUREN
Das Al Qaida-Sanktionsregime als Ausübung supranationaler Kompetenzen durch den Sicherheitsrat
Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel In der Nachfolge von Jost Delbrück herausgegeben von Andreas von Arnauld, Nele Matz-Lück und K e r s t i n O d e n d a h l Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht
195
Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Christine Chinkin London School of Economics
Eibe H. Riedel Universität Mannheim
James Crawford International Court of Justice, The Hague
Allan Rosas Court of Justice of the European Union, Luxemburg
Lori F. Damrosch Columbia University, New York
Bruno Simma Iran International States Claims Tribunal, The Hague
Vera Gowlland-Debbas † Graduate Institute of International Studies, Geneva Rainer Hofmann Johann Wolfgang GoetheUniversität, Frankfurt a.M. Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis
Daniel Thürer Universität Zürich Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit, Heidelberg
Das Al Qaida-Sanktionsregime als Ausübung supranationaler Kompetenzen durch den Sicherheitsrat
Von
John Beuren
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich V – Rechtswissenschaft – der Universität Trier hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.
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© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 978-3-428-14835-6 (Print) ISBN 978-3-428-54835-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84835-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Februar 2015 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. In Reaktion auf die neuen Entwicklungen terroristischer Bedrohungen – insbesondere das Erstarken des sog. „Islamischen Staates“ – und die darauf folgende Anpassung der Sanktionsinstrumentarien der Vereinten Nationen wurde die Arbeit vor der Veröffentlichung einer umfassenden Aktualisierung unterzogen. Gesetzesänderungen und Rechtsprechung konnten bis August 2015 berücksichtigt werden. Galt die Sanktionierung nicht-staatlicher Akteure durch die Vereinten Nationen noch vor ein paar Jahren als Alleinstellungsmerkmal des Al Qaida-Sanktionsregimes, sehen mittlerweile alle aktiven Sanktionsregime entsprechende Maßnahmen vor. Das Al Qaida-Sanktionsregime fungiert in dieser Hinsicht als „standard setter“, weshalb es über seinen unmittelbaren Regelungsbereich hinaus von grundlegender Bedeutung für die Vereinten Nationen ist und auch auf absehbare Zeit bleiben wird. Dies weckte mein Interesse an dem Thema und ich freue mich, dass mein Doktorvater, Herr Prof. Dr. Alexander Proelß, dieses mit mir teilte. Ich danke ihm herzlich für das große Engagement, mit welchem er die Arbeit betreute, und seine ansteckend positive Art, die während des gesamten Zeitraums Motivation für mich war. Ein besonderer Dank gilt auch Frau Prof. Dr. Kerstin Odendahl, die mit der Veranstaltung des Doktorandenseminars im schönen Sehlendorf einen wertvollen Gedankenaustausch ermöglichte, das Zweitgutachten zu dieser Arbeit verfasste und selbige für die Aufnahme in die Schriftenreihe des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht vorschlug. Der Initiative von Prof. Dr. Kerstin Odendahl habe ich es zudem zu verdanken, dass die Veröffentlichung der Arbeit mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss der Gesellschaft zur Förderung von Forschung und Lehre am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht bedacht wurde. Für große ideelle und finanzielle Unterstützung bin ich auch der Heinrich-Böll-Stiftung dankbar, die mir mit der Aufnahme in ihr Promotionsstipendienprogramm ideale Bedingungen für dieses Forschungsprojekt bot. Die vielen Diskussionen mit Vertretern unterschiedlicher Disziplinen in den Arbeitsgemeinschaften der Stiftung eröffneten mir einen hilfreichen Perspektivwechsel und waren mit ausschlaggebend für den in dieser Arbeit gewählten rechtstheoretischen Ansatz. Ich freue mich zudem sehr über die Auszeichnung des Kieler Doctores Iuris e.V. mit dem Preis für hervorragende Leistungen im Promotionsjahr 2015.
2
Vorwort
Von ganzem Herzen bedanke ich mich bei meiner Ehefrau, die viel Zeit in das Korrekturlesen investierte, mir beratend zur Seite stand und mich auch darüber hinaus stets bedingungslos unterstützte. Ihr ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im Februar 2016
John Beuren
Inhaltsübersicht 1. Teil Einleitung
17
A. „Global War on Terrorism“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Die Vereinten Nationen als supranationale Organisation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 C. Gegenstand und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Teil Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
25
A. Die gezielten Sanktionen des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Teil Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
290
A. Problemaufriss: Die demokratischen Herausforderungen an die Ausübung supranationaler Hoheitsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 B. Die Rechtfertigung von Hoheitsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 C. Die demokratischen Defizite des Al Qaida-Sanktionsregimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 D. Inklusivität und Publizität als Voraussetzungen eines umfassenden Rechtfertigungsdiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 4. Teil Ein Reformvorschlag
316
A. Die Rechtssetzungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
4
Inhaltsübersicht
B. Das „listing“-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 C. Die Rechtsfolgenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 D. Die Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 E. Die Rechtsschutzebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 5. Teil Schlussbetrachtung
365
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einleitung A. „Global War on Terrorism“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Die Vereinten Nationen als supranationale Organisation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 C. Gegenstand und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2. Teil Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
25
A. Die gezielten Sanktionen des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Historische Entwicklung und juristischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Das Taliban- und Al Qaida-Sanktionsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Der Sanktionsausschuss und seine Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Die Neuausrichtung des Sanktionsregimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Die Entwicklung bis Ende 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 aa) Das „listing“-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 bb) Überwachung der Implementierung und Aktualisierung der Konsolidierten Liste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 cc) Das „de listing“-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 (1) Die Koordinierungsstelle („focal point“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (2) Die Ombudsperson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Die aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 aa) Resolutionen 1988 (2011), 2082 (2012) und 2160 (2014) . . . . . . . . . . 54 (1) Ausnahmeregelungen für Beteiligte am Friedens- und Aussöhnungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (2) Das „listing“-Verfahren des Taliban-Sanktionsregimes . . . . . . . . . 57 (3) Das „de listing“-Verfahren des Taliban-Sanktionsregimes . . . . . . . 58 bb) Resolutionen 1989 (2011), 2083 (2012) und 2161 (2014) . . . . . . . . . . 60 (1) Das „listing“-Verfahren des Al Qaida-Sanktionsregimes . . . . . . . . 60 (2) Das „de listing“-Verfahren des Al Qaida-Sanktionsregimes . . . . . . 62
6
Inhaltsverzeichnis (3) Das neue Verfahren zu den Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . 69 (4) Der „ focal point“ als Kontaktstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (5) Das Al Qaida-Sanktionsregime und der IS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (6) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 III. Ergebnis und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 I. Die Natur der Maßnahmen gegen Al Qaida und ihre Verbündeten . . . . . . . . . . . 76 1. Die Feststellung der Friedensbedrohung als (quasi-)legislativer Akt . . . . . . . 77 2. Die Definition des Tatbestandes nach dem „associated with“-Test als legislativer Akt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Die Anweisung zur umfassenden Verhinderung der Zurverfügungstellung finanzieller Vermögenswerte und wirtschaftlicher Ressourcen zugunsten der Sanktionsadressaten als abstrakt-generelle Verbotsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4. Die Wahrnehmung individualrechtsbezogener, (quasi-)justizieller Kompetenzen im Rahmen des „listing“- und des „de listing“-Verfahrens . . . . . . . . . 79 5. Das Al Qaida-Sanktionsregime als supranationales Regelungsregime . . . . . . 80 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 II. Rechtsfortbildung als Vertragsänderung oder Akt der Auslegung . . . . . . . . . . . . 82 III. Die Befugnisse des Sicherheitsrats und das Al Qaida-Sanktionsregime . . . . . . . 85 1. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Die durch das Al Qaida-Sanktionsregime begründeten Rechtsverhältnisse . . . 85 a) Die erste Dimension: Das Rechtsverhältnis zu den Staaten . . . . . . . . . . . . 86 b) Die zweite Dimension: Das Rechtverhältnis zu den Sanktionsadressaten . 87 aa) Das Individuum als Völkerrechtssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (1) Das Individuum als Träger von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (a) Die Rechtszuweisung durch Menschenrechtskonventionen . . . 88 (b) Die Rechtszuweisung durch allgemeines Völkerrecht . . . . . . . 90 (aa) Völkergewohnheitsrecht und ein verändertes Verständnis von staatlicher Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (bb) Das Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (2) Das Individuum als Träger von Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (3) Exkurs: Die Rechtsstellung von Volksgruppen, Vereinigungen und Körperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (4) Das 1267-Sanktionsregime und die Rechtsstellung der Taliban, Al Qaidas und mit ihnen verbundenen Individuen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Die Befugnisse des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta . . . . . . . 103 a) Formelle Beteiligungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 aa) Die Teilnahme der Streitparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Inhaltsverzeichnis
7
bb) Die Teilnahme „besonders betroffener“ Nichtmitglieder . . . . . . . . . . . 107 (1) Die Beiladung nach Art. 31 UN-Charta als Ermessensentscheidung des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (2) Folgen des Verstoßes gegen Art. 31 UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . 114 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Die tatbestandlichen Eingriffsvoraussetzungen des Art. 39 UN-Charta . . . 115 aa) Isolierte Auslegung des Art. 39 UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (1) Die Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (2) Die Friedensbedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (a) Der Begriff des Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (b) Die Bedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 bb) Systematische Auslegung unter Berücksichtigung der Ziele und Zwecke der UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (1) Die Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (a) Die Feststellung nach Art. 39 UN-Charta als Ermessenstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (aa) Der Sicherheitsrat als politisches Organ . . . . . . . . . . . . . . . 124 (a) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (b) Eigene Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (bb) Die Aufgabenverteilung zwischen Sicherheitsrat und Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (a) Das System kollektiver Sicherheit und die Stellung des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (b) Das System kollektiver Sicherheit und die Stellung der Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 (c) Die Aufgabenverteilung und die Regelung von Kollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (cc) (Quasi-)legislative Resolutionen des Sicherheitsrats und der Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Mitgliedstaaten (Erste Dimension) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (dd) (Quasi-)legislative Resolutionen des Sicherheitsrates und das Individualrecht auf Teilnahme an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten (Zweite Dimension) . . . . . . . . 150 (ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (b) Die Feststellung nach Art. 39 UN-Charta als Befugnis zur authentischen Auslegung der Eingriffsvoraussetzungen . . . . . . . . 157 (c) Die Feststellung nach Art. 39 UN-Charta als Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
8
Inhaltsverzeichnis (2) Die Friedensbedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (a) Der Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (aa) Bedrohung des negativen oder des positiven Friedens? . . . 162 (bb) Die Weite des Friedensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (cc) Die Auslegung durch die Gemeinschaft der Mitgliedstaaten 166 (b) Die Bedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (aa) Die Nähe der Bedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (bb) Privatakteure als Subjekte der Bedrohung . . . . . . . . . . . . . 168 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 cc) Die Praxis als Ausdruck übereinstimmender Auslegung . . . . . . . . . . . 172 dd) Ergebnis zur Tatbestandseite des Art. 39 UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . 176 c) Die Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 aa) Die UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (1) Rechtsbindung im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten (Erste Dimension) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (a) Die Beziehung staatlichen Verfassungsrechts zu dem Recht der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (aa) Die Rechtsprechung in der Sache Kadi unter Berücksichtigung des Kooperationsgebots im Mehrebenensystem . . . 184 (a) Das erste Urteil des EuG in der Sache Kadi . . . . . . . . 184 (b) Das erste Urteil des EuGH in der Sache Kadi . . . . . . 186 (c) Das zweite Urteil des EuG in der Sache Kadi . . . . . . 193 (d) Der Schlussantrag des Generalanwalts . . . . . . . . . . . . 193 (e) Das zweite Urteil des EuGH in der Sache Kadi . . . . . 202 (f) Der Fall Kadi vor dem United States District Court for the District of Columbia und der Ombudsperson . . . . 206 (g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (bb) Der Maßstab innerstaatlicher Rechtsordnungen . . . . . . . . . 207 (b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (2) Rechtsbindung im Verhältnis zu den Sanktionsadressaten (Zweite Dimension) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Über die Mitgliedstaaten vermittelte Bindung an Menschenrechtskonventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 cc) Bindung an das Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 dd) Bindung an allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 ee) Bindung an zwingendes Völkerrecht (ius cogens) . . . . . . . . . . . . . . . . 229 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 d) Die Einrichtung (quasi-)gerichtlicher Instanzen als Maßnahme nach Kapitel VII? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
Inhaltsverzeichnis
9
4. Die Vereinbarkeit des Al Qaida-Sanktionsregimes mit den Menschenrechten. 234 a) Das Recht auf Leben (Art. 6 Abs. 1 IPbpR; Art. 3 AEMR) . . . . . . . . . . . . 235 b) Das Recht auf Freizügigkeit (Art. 12 Abs. 2 IPbpR; Art. 13 Abs. 2 1. Alt. AEMR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 aa) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 bb) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (1) Gesetzliche Eingriffsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (2) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 (3) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Das Recht auf Privat- und Familienleben (Art. 17 IPbpR; Art. 12 AEMR) 243 aa) Das Recht auf Familie (Art. 17 Abs. 1, 1. HS IPbpR; Art. 12 Satz 1, 1. HS AEMR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 (1) Eingriff durch Finanzsanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 (2) Eingriff durch Reisebeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 bb) Beeinträchtigung der Ehre und des Rufes durch Aufnahme in die Liste 247 d) Das Recht auf Eigentum (Art. 17 AEMR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 aa) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 bb) Art des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 cc) Eingriffsrechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 e) Das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 18 IPbpR; Art. 18 AEMR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 f) Die Verfahrensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 aa) Art des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 bb) Inhalt der Verfahrensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (1) Die Verteidigungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (a) Inkenntnissetzung über die Vorwürfe und das Verfahren . . . . . 261 (b) Recht auf rechtliches Gehör und das Prinzip der Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (aa) Zugang zu Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (bb) Recht auf rechtliches Gehör und das Verfahren der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (2) Das Recht auf effektive Kontrolle durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (a) Das Ombudsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (b) Verfahren auf nationaler und untergeordneter supranationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (3) Öffentlichkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 g) Einschränkung der Menschenrechte aufgrund einer Notstandssituation? . . 284 h) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
10
Inhaltsverzeichnis 5. Folgen nach dem Kooperationsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
3. Teil Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
290
A. Problemaufriss: Die demokratischen Herausforderungen an die Ausübung supranationaler Hoheitsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 B. Die Rechtfertigung von Hoheitsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 I. Demokratie als Rechtfertigungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 II. Die demokratischen Herausforderungen an die Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . 299 1. Die Einbettung von Rechtsprechungsorganen in gewaltenteilige Systeme mit demokratisch legitimierter Legislative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 2. Die Umsetzungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 C. Die demokratischen Defizite des Al Qaida-Sanktionsregimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 I. Die Rechtsetzungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 II. Die Umsetzungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 III. Das „de listing“-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 D. Inklusivität und Publizität als Voraussetzungen eines umfassenden Rechtfertigungsdiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
4. Teil Ein Reformvorschlag
316
A. Die Rechtssetzungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 I. Inklusivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 1. Die Beteiligung weiterer Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 a) Die Beteiligung nach Art. 31 UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 b) Die Beteiligung im Verlauf der Geltungsdauer des Regimes . . . . . . . . . . . 322 2. Die Beteiligung der normunterworfenen Individuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 II. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 B. Das „listing“-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 I. Die Konkretisierung des „listing“-Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 II. Einheitliche Begründungs- und Beweiswürdigungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 III. Bekanntgabe der Identität des „designating state“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
Inhaltsverzeichnis
11
IV. Zeitliche Beschränkung für die Geltung der Sanktionen („sunset clause“) und qualifizierte Anforderungen an die Aktualisierung des „listings“ . . . . . . . . . . . . 335 V. Regelung zum Umgang mit vertraulichen Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 VI. Regelung zur Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 VII. Das Abstimmungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 C. Die Rechtsfolgenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 I. Einschränkung des Betroffenenkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 II. Einschränkung des Anwendungsbereichs des Finanzembargos . . . . . . . . . . . . . . 342 D. Die Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 E. Die Rechtsschutzebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 I. Die Wahl der Rechtsschutzinstanz und die Modalitäten ihres Mandats . . . . . . . 345 II. Die Beweislastregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 III. Die Verfahren vor der Rechtsschutzinstanz und ihre Kompetenz zur effektiven Abhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 1. „De listing“-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 2. Verfahren zu Ausnahmen nach dem Sanktionsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 3. Feststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 4. Entschädigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 5. Die Punktprobe nach dem Maßstab des Kompetenzgefüges der UN-Charta . 351 IV. Der Gang der Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 1. Erste Phase: Schriftliches Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 a) Zulässigkeit der Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 aa) Antrag auf „de listing“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 bb) Antrag auf Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 cc) Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 dd) Antrag auf Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 b) Schriftliche Stellungnahmen der Parteien und Zusammentragen von Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 2. Zweite Phase: Das Beweiserhebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 a) Kontradiktorisches Beweiserhebungsverfahren in Gegenwart der Parteien. 354 aa) Das reguläre Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 bb) Das in camara-Verfahren und der Einsatz von special advocates . . . . 355 b) Dauer des Beweiserhebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 3. Dritte Phase: Das Entscheidungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 V. Das Prinzip der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 1. Öffentlichkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 2. Öffentliche Verkündung der Rechtssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 VI. Rechtlicher Beistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 VII. Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
12
Inhaltsverzeichnis VIII. Austausch zwischen „de listing“-Instanz und den Gerichten der Mitgliedstaaten 362 IX. Erweiterung des Mandats auf alle gezielten Sanktionsregime des Sicherheitsrats 363
5. Teil Schlussbetrachtung
365
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Abkürzungsverzeichnis AA a.a.O. ABl. ACMR Adv. Op. AEMR AEUV AJCL AJIL Allg. AMRK AnnIDI AöR ARSP Austr.YIL AVR Bd. Berkl.JIL BGBl. BJ Brook.JIL BR BVerfGE BYIL CDU CEPS CJIL CJTL CML Rev. CSU CTITF CYIL Ders. Dies. Diss. Op. DVBl. DVR ebd. ECCHR ECOSOC
African Affairs am angegebenen Ort Amtsblatt Arabische Charta der Menschenrechte Advisory Opinion Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union American Journal of Comparative Law American Journal of International Law Allgemein(es) Amerikanische Menschenrechtskonvention Annuaire de l’Institut de droit international Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Australian Year Book of International Law Archiv des Völkerrechts Band Berkeley Journal of International Law Bundesgesetzblatt Betrifft Justiz Brooklyn Journal of International Law Bundesrepublik Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts British Yearbook of International Law Christlich Demokratische Union Centre for European Policy Studies Chinese Journal of International Law Columbia Journal of Transnational Law Common Market Law Review Christlich Soziale Union Counter-Terrorism Implementation Task Force Canadian Yearbook of International Law Derselbe Dieselbe(n) Dissenting Opinion Deutsches Verwaltungsblatt Demokratische Volksrepublik ebendort European Centre for Constitutional and Human Rights Economic and Social Council
14 EG EHRR EJIL EPIL et al. EU EuG EuGH EuGRZ EuR EurJCrimPolRes EUV FAZ Fn. FS GLJ GOBT GV HAFOS HarvardNSJ HILJ HM HRC HRQ Hrsg. HS IAGMR ICISS ICJ ICTY ICTR IGH I&CLQ IJCL IJLI ILC ILR Int’l J Int’l Sec. IOLR IPbpR IPwskR IR ISAF ISI JCMS JICJ JuS
Abkürzungsverzeichnis Europäische Gemeinschaft Essex Human Rights Review European Journal of International Law Encyclopedia of Public International Law et alii, et aliae, at alia (lateinisch für „und andere“) Europäische Union Gericht erster Instanz der Europäischen Union Gerichtshof der Europäischen Union Europäische Grundrechte – Zeitschrift Europarecht European Journal on Criminal Policy and Research Vertrag über die Europäische Union Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote Festschrift German Law Journal Geschäftsordnung des Bundestages Generalversammlung der Vereinten Nationen Hamburger Forschungsberichte zur Sozialpsychologie Harvard National Security Journal Harvard International Law Journal Her Majesty’s Human Rights Committee Human Rights Quarterly Herausgeber Halbsatz Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte International Commission on Intervention and State Sovereignty International Court of Justice International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia International Criminal Tribunal for Rwanda Internationaler Gerichtshof International and Comparative Law Quarterly International Journal of Constitutional Law International Journal of Legal Information International Law Commission Iowa Law Review International Journal International Security International Organizations Law Review Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Islamische Republik International Security Assistance Force Inter-Services Intelligence Journal of Common Market Studies Journal of International Criminal Justice Juristische Schulung
Abkürzungsverzeichnis KJ lit. LJIL Ls. max. m. E. MJIL MJIL&T MPEPIL MPYUNL NILR NJIL NJW N.N. NStZ NStZ-RR NYIL NYUAnn.Surv.Am.L. NYUJInt.L&Pol. QIL Riv. di dir. int. Rn. sc. Sep. Op. s. o. SR StGB STLP s. u. u. a. UN UNCIO UNTS USA u. U. VerwR VfZ VGR VJIL VJTL VR China VN VVDStRL VwGO WIPO WirtPsych WT WTO
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Kritische Justiz litera (Buchstaben in Satzungen) Leiden Journal of International Law Leitsatz maximal meines Erachtens Michigan Journal of International Law Maryland Journal of International Law and Trade May Planck Encyclopedia of Public International Law Max Planck Yearbook of United Nations Law Netherlands International Law Review Nordic Journal of International Law Neue Juristische Wochenschrift Nomen nominandum (lateinisch für „noch zu nennender Name“) Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungsreport Netherlands Yearbook of International Law New York University Annual Survey of American Law New York University Journal of International Law & Politics Questions of International Law Rivista di diritto internazionale Randnummer silicet (lateinisch für „nämlich“; „gemeint ist“) Separate Opinion siehe oben Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Strafgesetzbuch Studies in Transnational Legal Policy siehe unten unter anderem United Nations The United Nations Conference on International Organization United Nations Treaty Series United States of America unter Umständen Verwaltungsrecht Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Völkergewohnheitsrecht Virginia Journal of International Law Vanderbilt Journal of Transnational Law Volksrepublik China Vereinte Nationen Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung World Intellectual Property Organization Wirtschaftspsychologie World Today World Trade Organization
16 WVK WVK II YILC YLJ ZaöRV ZEuS ZGewPol ZIB ZIS ZRP
Abkürzungsverzeichnis Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen Yearbook of the International Law Commission Yale Law Journal Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei Zeitschrift für Internationale Beziehungen Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für Rechtspolitik
1. Teil
Einleitung A. „Global War on Terrorism“ Es dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass die Bedrohung durch transnational agierende Terrororganisationen wie Al Qaida auch über 13 Jahre nach den Anschlägen des 11. September 2001 noch als eine der größten Herausforderungen der internationalen Gemeinschaft zu betrachten ist. Dass sie nach wie vor in der Lage sind, auch in der westlichen Welt Operationen auszuführen, führte der Angriff auf die Redaktion der Sartirezeitschrift Charlie Hebdo noch einmal schmerzlich vor Augen.1 Über die Frage, wie auf solche Erscheinungsformen angemessen zu reagieren ist, wird dagegen weiterhin lebhaft gestritten. Dieser Konflikt überträgt sich auch auf das Recht, das letztlich der Gradmesser für die Zulässigkeit der Mittel sein soll. Die Spanne der in dieser Debatte vertretenen Meinungen könnte breiter kaum sein. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Position des ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush und seiner Regierung zuteil, die im September 2001 den „global war on terrorism“ ausrief,2 in der Folge gegen vermeintliche Anhänger der islamistischen Terrororganisation Al Qaida an verschiedenen Orten auf der Welt mit äußerst repressiven Mitteln vorging3 und in langjährige militärische Auseinandersetzungen mit „Schurkenstaaten“ eintrat,4 denen eine Verbindung zum internatio-
1 Die Attentäter bekannten sich zur Organisation Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel, einem Ableger Al Qaidas, von der sie zuvor in Trainingscamps ausgebildet wurden, 17. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2015/441, Ziff. 11. Allerdings ist bisher nicht bekannt, ob die Kernorganisation Al Qaidas selbst in die Planung oder Ausführung des Anschlags eingebunden war, ebd., Ziff. 6. 2 Vgl. dazu die Rede von Bush am 20. September 2001 vor dem Kongress (abrufbar unter: http://georgewbush-whitehouse.archives.gov/infocus/bushrecord/documents/Selected_Spee ches_George_W_Bush.pdf, dort S. 67. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 3 Vgl. dazu etwa den Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2006, S. 272 – 274 (abrufbar unter: http://www.amnesty.org/en/library/asset/POL10/001/2006/en/59ad70c9-d4 6f-11dd-8743-d305bea2b2c7/pol100012006en.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 4 Vgl. zur Intervention in Afghanistan die Rede von Bush vom 7. Oktober 2001 und zur Intervention im Irak dessen Rede vom 29. März 2003 (jeweils abrufbar unter: http://georgew bush-whitehouse.archives.gov/infocus/bushrecord/documents/Selected_Speeches_George_W_ Bush.pdf, dort S. 75 ff.; 175 ff.. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Zu dem Vorgehen ebnete der Kongress dem US-Präsidenten mit Erlass der Joint Resolution unter dem Namen „Authorization for Use of Military Force“, 115 Stat. 224 (2001), den Weg.
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1. Teil: Einleitung
nalen Terrorismus nachgesagt wurde.5 Sinnbildlich für das harsche Vorgehen der Vereinigten Staaten gegen den internationalen Terrorismus steht das Gefangenenlager in Guantanamo Bay, das eigens für die Anhänger Al Qaidas eingerichtet wurde. Entgegen der Ankündigung des Nachfolgers im Amt des US-Präsidenten, Barack Obama, sind dort noch immer Häftlinge interniert.6 Sie wurden größtenteils weder formell angeklagt, noch erhielten sie die Möglichkeit, sich gegen ihre Inhaftierung vor einem Gericht zur Wehr zu setzen.7 Die unter der Bezeichnung „erweiterte Verhörmethoden“ firmierenden Folterpraktiken, die in der Amtszeit von George W. Bush bei Häftlingen zur Anwendung gekommen sein sollen, sind hinlänglich bekannt.8 Während Barack Obama vor nunmehr zwei Jahren eine Wende ankündigte, indem er erklärte; den „Krieg“ gegen Al Qaida beenden zu wollen, verteidigt er auch weiterhin Mittel, die, wie die gezielte Tötung von Terroristen mit bewaffneten Flugdrohnen, politisch und rechtlich äußerst umstritten sind.9 Diese Mittel sollen auch zukünftig – wenn auch unter strengeren Bedingungen – eingesetzt werden.10 Nachdem der internationale Terrorismus – nicht zuletzt durch die Expansion des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) – seine ungeminderte Gefährlichkeit in jüngster Vergangenheit wiederholt unter Beweis gestellt hat, ist mit einem grundlegenden Umdenken in der Verfolgungsstrategie in absehbarer Zeit nicht zu rech5 Eine aktuelle Liste dieser Staaten findet sich auf der Internetseite des US Department of State (abrufbar unter: http://www.state.gov/j/ct/list/c14151.htm. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 6 Vgl. dazu den Bericht von Amnesty International aus den Jahren 2014/2015, S. 394 (abrufbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/pol10/0001/2015/en/. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 7 Bericht von Amnesty International aus den Jahren 2014/2015, S. 394 (abrufbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/pol10/0001/2015/en/. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 8 Vgl. dazu nur den Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2006, S. 273 (abrufbar unter: http://www.amnesty.org/en/library/asset/POL10/001/2006/en/59ad70c9-d46f-11dd-8743 -d305bea2b2c7/pol100012006en.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Barack Obama räumte den Einsatz von Folterpraktiken nun auch offiziell ein, vgl. dazu den Bericht von Amnesty International aus den Jahren 2014/2015, S. 393 (abrufbar unter: https://www.amnesty. org/en/documents/pol10/0001/2015/en/. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 9 Vgl. nur den Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2013, S. 465 f. (abrufbar unter: http://files.amnesty.org/air13/AmnestyInternational_AnnualReport2013_complete_de. pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Kritik an der Praxis gezielter Tötungen übte u. a. auch der Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions, Philip Alston, in seiner Studie vom 28. Mai 2010 für den Menschenrechtsrat, UN Doc. A/HCR/14/24/Add.6. und sehr ausführlich ders., HarvardNSJ, 2/2 (2011), S. 283 ff. 10 Vgl. dazu die Rede Obamas vom 23. Mai 2013 an der National Defense University (abrufbar unter: http://www.whitehouse.gov/the-press-office/2013/05/23/remarks-president-na tional-defense-university) und seine Hinweise zum weiteren Vorgehen zusammengefasst als Fact Sheet: U.S. Policy Standards and Procedures fort he Use of Force in Counterterrorism Operations Outside the United States and Areas of Active Hostilities (abrufbar unter: https:// www.whitehouse.gov/the-press-office/2013/05/23/fact-sheet-us-policy-standards-and-procedu res-use-force-counterterrorism. Beide Seiten wurden zuletzt besucht am 12. August 2015).
A. „Global War on Terrorism“
19
nen.11 Das Selbstverständnis, mit dem die Vereinigten Staaten ihre Maßnahmen ungeachtet der rechtlichen Kritik vollziehen, deutet darauf hin, dass dem geltenden Völkerrecht offenbar die Fähigkeit abgesprochen wird, auf die neuen Bedrohungsszenarien befriedigende Antworten zu geben. Es drängt sich dabei die Frage auf, welche Rolle die Vereinten Nationen in dieser Situation spielen können. Sie sind wie das Völkerrecht mit dem Problem konfrontiert, dass sie nicht auf entsprechende Konfliktlagen zugeschnitten sind. Die Gründungsmütter und -väter der Vereinten Nationen hatten offensichtlich nicht im Sinn, dass nicht-staatliche Akteure einmal in der Lage dazu sein werden, Staaten in ihren Grundfesten zu bedrohen. Dementsprechend war ein Vorgehen gegen Privatakteure auf Grundlage der UN-Charta ursprünglich auch nicht vorgesehen.12 Allerdings bieten die Vereinten Nationen, indem sie fast die gesamte Staatengemeinschaft in sich vereinen und in der Lage dazu sind, allgemein bindende Maßnahmen zu beschließen, einen einmaligen Rahmen, um eine konzertierte Reaktion auf den internationalen Terrorismus voranzutreiben. Dies wurde von den im Sicherheitsrat vertretenen Staaten erkannt, die mit Erlass des 1267-Sanktionsregimes (in der Folge auch Al Qaida-Sanktionsregime) Maßnahmen gegen die Mitglieder und Verbündeten Al Qaidas erließen und damit zugleich den Handlungsspielraum der Vereinten Nationen in beispielloser Weise ausweiteten.13 An diese Entwicklung schlossen die Maßnahmen gegen die mittlerweile besonders in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückte Terrororganisation des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) an. Dessen Rolle ist in diesem Zusammenhang indes insofern als ambivalent zu bezeichnen, als dass er sich seinem Selbstverständnis als „Staat“ entsprechend in das klassische völkerrechtliche Akteurenfeld einodnen ließe. Auf Agressionen von Staaten ist das Friedenssicherungssystem der Vereinten Nationen bekanntlich ausgerichtet.14 Der IS wird von ihnen allerdings nicht wie ein Staat behandelt, dem etwa ein Existenzrecht zuzugestehen wäre. Hervorgegangen aus dem Regionalableger Al Qaidas im Irak15 wird der IS vielmehr auch als private Terrororganisation angesehen und dem Al QaidaSanktionsregime unterstellt.16 Die Bedeutung des Al Qaida-Sanktionsregimes für die internationale Sicherheitsarchitektur kann damit als unvermindert groß bezeichnet
11
Vgl. dazu die Rede Obamas während des Summit on Countering Violent Extremism vom 19. Februar 2015 (abrufbar unter: https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2015/02/19/re marks-president-summit-countering-violent-extremism-february-19-2015. Zuletzt besucht am 12. August 2015), bei der er ankündigte, auch in Zukunft in anderen Ländern wie Afghanistan, dem Jemen oder Somalia gegen Al Qaida vorzugehen. 12 Vgl. Fassbender, UN-Reform und kollektive Sicherheit, S. 16. 13 Vgl. dazu auch Krisch, The Rise and Fall of Collective Security, S. 890 – 893. 14 Vgl. dazu etwa Fassbender, UN-Reform und kollektive Sicherheit, S. 16. 15 Vgl. dazu UN Doc. S/2014/815, Ziff. 2. 16 Darauf ausdrücklich hinweisend: Fünfter Absatz der Präambel zu S/RES/2070 (2014). Gesetzestechnisch ergibt sich dies aus S/RES/2161 (2014), Ziff. 2 lit. c.
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1. Teil: Einleitung
werden.17 Die Maßnahmen werden durch zusätzliche legislative Akte des Sicherheitsrats ergänzt,18 welche die Mitgliedstaaten zur Anpassung ihres Strafrechts verpflichten;19 einem jener Bereiche, die vom BVerfG im Lissabon-Urteil noch zum Kernbestand staatlicher Regelungshoheit erklärt wurden.20 Dies unterstreicht, in welch sensiblem Spannungsfeld sich die Vereinten Nationen bei ihrer Neuausrichtung bewegen.
B. Die Vereinten Nationen als supranationale Organisation? Mit dem Vorgehen gegen die Mitglieder und Verbündeten Al Qaidas haben die Vereinten Nationen ihre Wandelungsfähigkeit unter Beweis gestellt und konnten einen drohenden Bedeutungsverlust abwenden. Aus juristischer Perspektive stellt sich die Frage, wie die Ausweitung des potentiellen Adressatenkreises restriktiver Maßnahmen des Sicherheitsrats in Rechtsbegriffe übersetzt werden kann, um daran anknüpfend eine Bewertung dieser Entwicklung abgeben zu können. Der Erlass von Maßnahmen, die unmittelbar in die Rechtssphäre von Individuen eingreifen, ist grundsätzlich den Staaten vorbehalten,21 während durch zwischenstaatliche Verträge gegründete internationale Organisationen, wie die Vereinten Nationen, prinzipiell darauf beschränkt sind, die Rechtsbeziehungen von Staaten untereinander auszugestalten.22 Die wohl prominenteste Ausnahme stellt die Europäische Union dar, die unter Durchgriff auf die nationalen Rechtsordnungen auch Privatakteure unmittelbar berechtigen und verpflichten kann,23 weshalb sie zur Abgrenzung als „supranationale Organisation“ bezeichnet wird.24 Da der Sicherheitsrat in Durchbrechung des alten Paradigmas mit dem Al Qaida-Sanktionsregime ebenfalls Maßnahmen gegen Privatakteure beschließt, wird sein Handeln unter 17 Der Sicherheitsrat bezeichnete es erst kürzlich im vierten Abs. zu S/RES/2199 (2015) als ein Schlüsselinstrument im Kampf gegen den Terrorismus. 18 Weitere legislative Maßnahmen vollzog der Sicherheitsrat bereits zuvor mit S/RES/1373 (2001) und S/RES/1540 (2004). 19 S/RES/2178 (2014), Ziff. 6 und S/RES/2199 (2015), Ziff. 11. 20 BVerfGE 123, 267, 359 f. Das BVerfG hat eine Übertragung von Hoheitsrechten auf supranationale Organisationen (hier der EU) in diesem Bereich nicht ausgeschlossen, stellt jedoch einschränkend klar: „in diesem grundrechtsbedeutsamen Bereich [darf dies] nur für bestimmte grenzüberschreitende Sachverhalte unter restriktiven Voraussetzungen zu einer Harmonisierung führen; dabei müssen grundsätzlich substantielle mitgliedstaatliche Handlungsfreiräume erhalten bleiben“ (BVerfGE 123, 267, 360). 21 Vgl. Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 8. 22 Vgl. Schmalenbach, in: Wolfrum, MPEPIL, International Organizations or Institutions: General Aspects, Rn. 16, 74 – 76 (Stand: Juli 2014). 23 Vgl. Art. 288 Abs. 2 und 4 AEUV. 24 Frenz, Europarecht, S. 1 f.; Schmalenbach, in: Wolfrum, MPEPIL, International Organizations or Institutions: General Aspects, Rn. 16, 18 (Stand: Juli 2014).
C. Gegenstand und Ziel der Arbeit
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diesem Rechtsbegriff diskutiert und im Einzelnen noch näher herausgearbeitet.25 Dabei wird in enger Auslegung unter „supranationaler Kompetenz“ die Fähigkeit einer durch zwischenstaatlichen Gründungsakt entstandenen Organisation bezeichnet, Rechte und Pflichten von Individuen unmittelbar zu begründen und dabei auf einen (Anwendungs-)Vorrang vor dem staatlichen Recht zurückzugreifen.26 Mit dem Beitritt zu einer supranationalen Organisation übertragen die Staaten eine Kompetenz, die zum Kernbereich ihrer Souveränität zählt. Dadurch tritt eine supranationale Organisation in ein komplexes Beziehungsgeflecht sowohl zu ihren Mitgliedstaaten wie auch zu den unmittelbar betroffenen Individuen. So stellt sich die Frage, an welchen Maßstäben sie sich bei der Einwirkung auf den Einzelnen orientieren muss, und inwieweit jeder in seinem Recht zur souveränen Ausgestaltung der Rechtsposition der ihm personell und territorial zugeordneten Bevölkerung beschnittene Staat einen Anspruch darauf erheben kann, bei der Bestimmung mitzureden. Unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten stellt sich zudem die Frage, wie sich der Erlass von Sanktionsregimen mit Indivualrechtsrelevanz durch eine zwischenstaatliche Organisation gegenüber den betroffenen Normadressaten selbst legitimieren lässt. Wie im Rahmen der Europäischen Union müssen nunmehr auch die Vereinten Nationen und ihre Mitgliedstaaten neben der Frage, wie sich die abgegebenen Kompetenzen „verrechtlich(en)“ lassen, auch der Frage stellen, wie sie sich „demokratisch verrechtlich(en)“ lassen.27 In diesem Spannungsfeld werden sie sich behaupten müssen; dies nicht zuletzt angesichts der Proliferation individualgerichteter Sanktionsregime, für die das Al Qaida-Sanktionsregime als „standard setter“28 dient.
C. Gegenstand und Ziel der Arbeit Der einzelne Staat ist immer weniger dazu in der Lage, die wesentlichen Lebensbereiche alleine zu regeln. Insbesondere drohen sich Privatakteure mit einem transnationalen Aktionsradius der staatlichen Ordnungsmacht zu entziehen. Die Verlagerung von Kompetenzen auf die internationale Ebene ist ein Mittel, auf das voraussichtlich zukünftig in noch größerem Ausmaß zurückgegriffen werden wird, um dieser Situation zu begegnen. Als einzige internationale Organisation, die fast die gesamte Staatengemeinschaft vereint, sind die Vereinten Nationen prädestiniert dafür, eine tragende Rolle in dieser Entwicklung zu spielen. Supranationale Durchgriffe auf die Rechtsstellung von Einzelpersonen unterstehen jedoch besonderen Legitimitatsanforderungen. Sie greifen in die Regelungshoheit der Staaten ein 25
Insbesondere im 2. Teil, B., I., 5. Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. 01. 2010 – 2 BvR 2253/06, 1. Ls. Zur Anwendung auf die EU: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 1, Rn. 65. 27 Vgl. in Bezug auf die EU: Habermas, Europa am Scheideweg. 28 13. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2012/968, Ziff. 9. 26
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1. Teil: Einleitung
und begründen ein Rechte- und Pflichtenverhältnis zu den nicht-staatlichen Adressaten der Maßnahmen. Da die Vereinten Nationen über keine eigenen Mittel zur Durchsetzung ihrer Beschlüsse verfügen, sind sie besonders darauf angewiesen, dass sie von den zur Umsetzung verpflichteten Staaten und Privatakteuren mitgetragen werden. Das Ziel der Arbeit ist es, sich mit dieser Problemlage auseinanderzusetzen und darauf aufbauend für die Praxis verwertbare Empfehlungen zu erarbeiten. Konkret werden dazu die Kriterien für die Ausübung supranationaler Kompetenzen durch den Sicherheitsrat herausgestellt und am Beispiel des Al QaidaSanktionsregimes diskutiert. Mit dem Al Qaida-Sanktionsregime hat der Sicherheitsart in präzedenzloser Weise auf die Rechtsstellung des Einzelnen durchgegriffen, weshalb es sich als Untersuchungsgegenstand besonders eignet. Die Untersuchungen bieten die Grundlage für einen eigenen Vorschlag zur Reform des Regimes, der darauf ausgerichtet ist, auch für die Ausgestaltung weiterer individualgerichteter Sanktionsregime herangezogen werden zu können.
D. Gang der Untersuchung Im 2. Teil wird zunächst die Rechtslage, die mit dem sich stetig fortentwickelnden Al Qaida-Sanktionsregime geschaffen wurde, dargestellt und in den Kontext der bisherigen Sanktionspolitik des Sicherheitsrats gerückt (A.). Im Fokus der Untersuchung steht das zuletzt mit Resolution 2161 (2014) reformierte Individualrechtsschutzsystem, welches den nicht-staatlichen Sanktionsadressaten des Regimes bereit steht, um sich gegen ihre Sanktionierung zu wehren. Eine entsprechende Möglichkeit hat es bis dato auf UN-Ebene nicht gegeben. Im Anschluss wird das Al Qaida-Sanktionsregime einer umfassenden rechtlichen Untersuchung unterzogen (2. Teil, B.). Nachdem zunächst die Natur des Sanktionsregimes näher diskutiert und als Ausübung supranationaler Hoheitsgewalt gekennzeichnet wird, sollen die Rechtsbindungen herausgearbeitet werden, denen der Sicherheitsrat bei der Wahrnehmung entsprechender Kompetenzen unterliegt. Dazu wird in einer Zwischenüberlegung der Frage nachgegangen, zu welchen Akteuren der Sicherheitsrat überhaupt in Rechtsverhältnisse eintritt, aus denen etwaige Rechtsbindungen erwachsen könnten. Zum einen werden durch die Maßnahmen die Staaten verpflichtet, denen die Umsetzung der Sanktionen des Sicherheitsrats obliegt (Art. 25, 48 Abs. 2 UN-Charta). Zum anderen sind die nicht-staatlichen Akteure das Ziel der Sanktionen. Ob der Sicherheitsrat zu Letzteren überhaupt eine Rechtsbeziehung begründen kann, hängt wiederum von der noch nicht abschließend geklärten Frage nach der Völkerrechtssubjektivität des Individuums ab, der unter Berücksichtigung der aktuellen Völkerrechtsentwicklung nachgegangen wird. In der anschließenden Untersuchung der Befugnisnormen des Sicherheitsrats soll schließlich geklärt werden, ob ihm überhaupt supranationale Kompetenzen zuzuschreiben sind (2. Teil, B., III., 3., a) und b)). Mit der Ausweitung der Durch-
D. Gang der Untersuchung
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griffsrechte des Sicherheitsrats wird das Ungleichgewicht zwischen der kleinen, in ihm vertretenen Gruppe von Staaten und den restlichen UN-Mitgliedstaaten zusätzlich vertieft und das institutionelle Gefüge der UN-Charta droht unterwandert zu werden. Eine Kompensationsmöglichkeit zeigt jedoch die UN-Charta auf, die in besonderen Fällen eine stärkere Einbindung der übrigen UN-Mitgliedstaaten in das Entscheidungsverfahren des Sicherheitsrats ermöglicht, welche beim Erlass individualgerichteter Sanktionsregime nach der hier vertretenen Auffassung auch grundsätzlich zu fordern ist. Auf Rechtsfolgenebene gilt es zu klären, ob der Sicherheitsrat an Menschenrechte gebunden ist und bejahendenfalls, an welchen Maßstab (2. Teil, B., III., 3., c)). Die Prüfung nimmt besonders das Souveränitätsrecht der Staaten in den Blick, das beim supranationalen Durchgriff des Sicherheitsrats auf die Rechtsstellung des Einzelnen einen erheblichen Eingriff erfährt. Es bietet einen Hinweis für die Individualrechtsbindung des Sicherheitsrats. Weiterhin wird das besondere Verhältnis untersucht, das zwischen den Vereinten Nationen und ihren Mitgliedstaaten begründet wurde, und dessen Bedeutung für individualgerichtete Sanktionsregime. Zudem lassen sich auch aus dem Rechtsverhältnis, das zu den sanktionsbetroffenen Privatakteuren selbst begründet wurde, Schlüsse auf den Handlungsspielraum des Sicherheitsrats ziehen. Dies bietet die Grundlage für die ausgiebige Kontrolle der Menschenrechtskonformität des Al Qaida-Sanktionsregimes (2. Teil, B., III., 4.). Den neuralgischen Punkt bildet dabei das auf UN-Ebene eingerichtete Individualrechtsschutzsystem, das für die Sanktionspraxis des Sicherheitsrats ein Novum darstellt. Die Untersuchung schließt ab mit einer Auseinandersetzung der Art der durch Al Qaida und ihre Verbündeten begründeten Bedrohungslage, um die Frage beanworten zu können, ob das Bestehen einer fortwährenden Notstandslage anzunehmen ist, die die (teilweise) Suspension der Menschenrechte der Betroffenen rechtfertigen könnte. Aus dem Ergebnis der Rechtmäßigkeitskontrolle lassen sich schließlich Folgen für die Beistandspflicht der Mitgliedstaaten ableiten. Im 3. Teil werden die demokratischen Herausforderungen in den Blick genommen, denen die Vereinten Nationen bei der Ausübung supranationaler Kompetenzen unterstehen (A. – C.). Dabei wird ein diskurstheoretischer Demokratiebegriff zur Grundlage genommen, nachdem Demokratie als eine besondere Praxis der Rechtfertigung verstanden wird. Sowohl auf Rechtssetzungs- wie auf Rechtsanwendungsebene des Al Qaida-Sanktionsregimes werden qualifizierte Rechtfertigungspflichten identifiziert, denen der Sicherheitsrat gegenüber den nicht-staatlichen Normadressaten unterliegt. Die Vereinten Nationen sind bekanntlich nicht durch demokratische Wahlen der normunterworfenen Individuen legitimiert. Es können jedoch Möglichkeiten der Kompensation des mit der Abgabe von Kompetenzen an supranationale Organisationen drohenden demokratischen Defizits ausgemacht werden (D.), die schließlich für den eigenen Ausgestaltungsvorschlag verwertet werden sollen.
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1. Teil: Einleitung
Auf Grundlage der beiden vorangegangenen Teile 2 und 3 erfolgt im 4. Teil die Ausarbeitung eines umfassenden Reformvorschlags für das Al Qaida-Sanktionsregime. Als Ausgangspunkt dient das bestehende System samt Individualrechtsschutzverfahren, das jedoch erheblich weiterentwickelt wird. Der Ausgestaltungsvorschlag ließe sich ohne Weiteres zeitnah umsetzen, und er bewegt sich in den Grenzen des geltenden Primärrechts der UN-Charta. In den Schlussbetrachtungen des 5. Teils wird ein Ausblick unternommen, wie die Vereinten Nationen zukünftig den Legitimitätsanforderungen gerecht werden können, denen sie mit dem Erlass supranationaler Regime ausgesetzt sind. Langfristig wird mit zunehmender Regulierungstiefe eine Anpassung der UN-Charta wohl unerlässlich sein. Da aber noch nicht abzusehen ist, ob und wann ein politischer Konsens zwischen den entscheidungstragenden Akteuren insoweit erzielt werden kann, werden Übergangslösungen wie das in dieser Arbeit vorgeschlagene Modell voraussichtlich noch länger eine große Bedeutung spielen.
2. Teil
Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes Die unmittelbare Befassung mit Individuen widerspricht dem traditionellen Paradigma des Völkerrechts. Als zwischenstaatliche Rechtsordnung regelt es vielmehr das Verhalten von Staaten als „originäre“ Völkerrechtssubjekte.1 Diese sind Träger aller Rechte und Pflichten und verfügen aus eigener Machtvollkommenheit über die Fähigkeit zur Rechtssetzung im völkerrechtlichen Verkehr. Sie werden auch als „geborene“ Völkerrechtssubjekte bezeichnet und gelten als „Herren“ des Völkerrechts. Nur wer sich selbst zweckbestimmt eine Rechtsordnung gibt, kann Subjekt sein. Eine bloß vermittelte Rechts- und Pflichtengewährung begründet dagegen eine Objekteigenschaft, wie es nach dem vorgestellten Völkerrechtsparadigma auf Individuen zutrifft. Diese spielen nach überkommener Vorstellung bloß als Angehörige eines Staates eine Rolle, die allenfalls durch Rechtsreflexe, vermittelt über diplomatischen Schutz des Heimatstaates, begünstigt werden (sog. Mediatisierung).2 Beachtet man, dass im Jahre 1648 mit den Verträgen zum Westfälischen Frieden, der oft zitierten Geburtsstunde des Völkerrechts,3 eine vom Volk abgeleitete Legitimierung der Hoheitsgewalt noch fern lag, so verwundert dies nicht. Die Zeit war noch wesentlich geprägt von den herrschaftlich organisierten Gemeinwesen, in denen die Fürsten als einzige Souveräne Rechtssubjekte der Beziehungen zwischen Herrschaftsverbänden waren.4 Erst mit der von der Idee der Aufklärung angestoßenen Wende von der Fürstensouveränität zur Volkssouveränität gewann der Staat als Verbandseinheit Rechtspersönlichkeit; es kam zur Annäherung des zuvor als eigenständige Persönlichkeit begriffenen, abgetrennten Herrschaftsgebildes und der Gesellschaft.5 Auf nationalstaatlicher Ebene setzte sich zu dieser Zeit verbreitet die Überzeugung von der originären Rechtssubjektivität des Individuums durch, nach
1
Vgl. nur Herdegen, Völkerrecht, S. 70; Brownlie, Principles of Public Int. Law, S. 3. Vgl. auch zum Hintergrund des durch den Bedeutungsgewinn des Rechtspositivisums begünstigten Etatismus ab dem 18. Jahrhundert, Peters, Jenseits der Menschenrechte, S. 8 ff. 2 Näheres dazu unten: 2. Teil, B., III., 2., b), aa). 3 Vgl. nur: Preiser, in: Wolfrum, MPEPIL, History of International Law, Ancient Times to 1648, Rn. 82 (Stand: August 2008); Grote, in: Wolfrum, MPEPIL, Westphalian System, Rn. 1 ff. (Stand: Juni 2006); Hobe, Völkerrecht, S. 39. 4 Vgl. Müller, Zum Primat der juristischen Person, S. 176; Peters, in: Wolfrum, MPEPIL, Treaty-Making Power, Rn. 1 (Stand: März 2009). 5 Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, S. 568.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
welcher es allein der Mensch sei, der legitime Hoheitsgewalt zu vermitteln vermöge.6 Dieser rechtsphilosophische, vernunftrechtlich geprägte Hintergrund bildet bis heute die Grundlage aller freiheitlichen Verfassungsstaaten. Die damit verbundenen Konsequenzen haben auf völkerrechtlicher Ebene jedoch nur sporadisch Eingang gefunden.7 Dennoch ist in der Entwicklungsgeschichte des Völkerrechts eine stetige Verwässerung des alten, rein staatsorientierten Paradigmas zu verzeichnen. So sind mit den internationalen Organisationen neue Völkerrechtssubjekte hinzugetreten, die mit ihrer rechtlichen Eigenständigkeit jedenfalls dem Anschein nach dem Dogma der äußeren Souveränität der Staaten widerstreiten. Aber auch deren innere Souveränität blieb nicht unangetastet. Indem die Rechtstellungen von Individuen und einheitlich fassbaren Menschengruppen immer stärkere Ausgestaltung durch völkerrechtliche Bestimmungen erfuhren, zeichnete sich eine für die Entwicklung des Völkerrechts entscheidende Tendenz ab: die Entstehung neuer Völkerrechtssubjekte8 und eine demokratietheoretisch ambivalente Entwicklung neuer Formen von „global governance“.9 Besonders hervorzuheben ist dabei die Kodifizierung von Menschenrechten,10 die vereinzelt bereits als Kernbestand einer sich entwickelnden Völkerrechtsverfassung angesehen werden.11 Diese Entwicklung wird entscheidend von der Wissenschaft und einem zumindest im Ansatz gemeinsam gewachsenen Menschenbild beeinflusst. Die zunehmende Verrechtlichung ist aber zugleich Reaktion auf die globalisierte Lebenswirklichkeit. Insbesondere der staatliche Grenzen überwindende wirtschaftliche Austauschprozess von Waren, Dienstleistungen und Kapital provoziert eine Internationalisierung in (wirtschafts-)politischen und rechtlichen Bereichen.12 Gleiches gilt für die Intensivierung der kulturellen und informationellen Interaktion und die nur gemeinsam zu bewältigenden Herausforderungen des Umweltschutzes und der Pandemien als Erscheinungsformen, die den Rahmen der staatlichen Ord6 Vgl. dazu: Lillich, Sovereignty and Humanity, S. 406 ff.; Müller, Zum Primat der juristischen Person, S. 176 ff.; Hobe, Völkerrecht, S. 166 f. und an späterer Stelle (2. Teil, B., III., 2., b), aa), (1), (b)). 7 Obwohl diese Theorie auch in der modernen Völkerrechtslehre bereits früh diskutiert wurden, vgl. dazu Hobe, Völkerrecht, S. 166 f. m.w.N. Peters, Jenseits der Menschenrechte, S. 381, stellt mit Blick auf das nationale Recht fest, dass eine „Art positiviertes Naturrecht der originären Rechtsfähigkeit des Menschen […] vorzuliegen [scheine].“ 8 Vgl. dazu Ipsen, in: ders., Völkerrecht, S. 3 f. Näheres dazu: 2. Teil, B., III., 2., b), aa). 9 Zu den Erscheinungsformen von „global governance“ vgl. Zangl/Zürn, Make Law, Not War, S. 13 ff. und die Ausführungen in den anschließenden Kapiteln. 10 s. z. B. die EMRK, die Banjul Charta, die Arabische Menschenrechtscharta und die AMRK auf regionaler Ebene sowie den IPbpR und den IPwskR auf überregionaler Ebene. Näheres dazu im 2. Teil, B., III., 2., b), aa), (1), (a). 11 Schild, Menschenrechte als Fundament einer Weltverfassung, S. 165 f. 12 Dies mündet zumeist in einer funktional-sektoriellen Fragmentierung von relativ autarken Bezugssystemen, die ihren ganz eigenen Rationalitäten folgen. Vgl. zu den Erscheinungsformen dieser Entwicklung: Teubner, ZaöRV 63 (2003), S. 1 ff.; Fischer-Lescano/ Teubner, Fragmentierung des Weltrechts, S. 37 ff.; Peters, Global Constitutionalism in a Nutshell, S. 545; Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 68.
2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
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nung im Sinne des ursprünglichen Verständnisses transzendieren.13 In den meisten Bereichen übernimmt die internationale Politik dabei keine gestaltende Rolle, sondern sie begleitet die Entwicklung – wie im Fall des internationalen Terrorismus – allenfalls reaktiv.14 Zum Teil sind ebensolche Prozesse der „Entgrenzung der Staatenwelt“15 aber auch von den staatlichen Akteuren politisch gewollt, wie beispielsweise durch die gesellschaftsrechtlich ermöglichte Vergemeinschaftung in privaten Organisationen deutlich wird.16 Die oft unreguliert und transnational agierenden Privatakteure verursachen eine zunehmende Abhängigkeit zwischen den Staaten und begründen gleichzeitig ein gemeinsames Regulierungsbedürfnis. Das größte Ausmaß an Verflechtung hat im Rahmen der zwischenstaatlichen Koordinierung auf Ebene der EU stattgefunden,17 die wohl als Pilotprojekt in Fragen der Integrationsfähigkeit angesehen werden kann.18 An anderer Stelle verstärkt das Aufeinanderstoßen verschiedener Kulturkreise und Lebenswirklichkeiten in Verbindung mit erlebten Ungerechtigkeiten aber auch das Bedürfnis nach Identitätswahrung und Abgrenzung. Laut sozialpsychologischen Studien führen Missstände in einigen Gesellschaften wie die mangelnde Möglichkeit politischer Teilhabe, (global-)strukturelle Ungerechtigkeiten und als perspektivlos wahrgenommene Lebensumstände als Erscheinungsformen makrosozialen Stresses zu einem Gefühl des Bedrohtseins, woraufhin sich die Betroffenen Erklärungen suchen, die weitestgehend mit ihrem Selbstbild zu vereinbaren sind.19 Ferner „attribuieren“ sie „external“, d. h. sie geben die Verantwortung für ihre Situation Umständen, die sie selbst nicht beeinflussen können, oder anderen Personen.20 Entsprechende Ausgangslagen in Teilen der muslimischen Welt boten dem islamistisch-fundamentalistischen Terrornetzwerk Al Qaida (Die Basis) den Nährboden mittels religiöser Fanatisierung und einer ideologisch begründeten Anmaßung von Deutungshoheit das erhöhte Bedürfnis nach starker Werteorientierung zur Identitätssicherung aufzugreifen und der Lebensphilosophie der als Bedrohung wahrge-
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Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 13 ff. Teubner, ZaöRV 63 (2003), S. 11. 15 Brock/Albert, ZIB 2/1995, S. 259 ff. 16 Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 64. 17 So sind der EU durch die Mitgliedstaaten in einigen Regelungsbereichen ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen übertragen worden (Art. 2 Abs. 1 AEUV) und sie kann einzelne EU-Bürger mittels Verordnung und Beschluss unmittelbar berechtigen und verpflichten (Art. 288 AEUV). Mit dem Europäischen Parlament, dessen Mitglieder in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl gewählt werden (Art. 14 Abs. 3 EUV), ist den EUBürgern ein gemeinsamer Willensrepräsentant gegeben, dem auch legislative Kompetenzen eingeräumt wurden (Art. 14 Abs. 1 EUV). 18 Zu den Grenzen der Integrationsfähigkeit vgl. BVerfGE, 123, 267, 267 f. (3. Leitsatz; „Lissabon-Urteil“). 19 Witte, WirtPsych 4/2001, S. 245 ff. 20 Witte, WirtPsych 4/2001, S. 245 ff. 14
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
nommenen westlichen Welt entgegenzustellen.21 Dieser so personifizierten Außengruppe – den „Feinden des Islam“22 – gegenübergestellt wird ein intergruppales Verhalten entwickelt, das moralische Maßstäbe herabsetzen und zur Radikalisierung Einzelner führen konnte.23 Mangels Plattform zur diskursiven Auseinandersetzung haben reformerische Ansätze in den Regionen, in denen der islamistisch-fundamentalistische Terrorismus seine ideologische Basis findet, meist keine Möglichkeit der Entfaltung.24 Die sich formierenden terroristischen Netzwerke füllen mit ihrer hetzerischen Polemik die dadurch aufkommende Lücke und entwickeln mit einer klaren Botschaft insbesondere für die einer Radikalisierung anfälligeren jungen Menschen besondere Anziehungskraft. Es sind jedoch auch Angehörige privilegierter Klassen und Bürger der sich als gesellschaftlich offen bezeichnenden Demokratien in den Kreis der Terroristen gerückt,25 womit die Frage aufgeworfen wird, ob sich diese Staaten wirklich durch die hervorgehobene Offenheit auszeichnen oder die Grenze ihrer Integrationsfähigkeit bereits überschritten ist. Außerdem fragt sich, ob in den internationalen Beziehungen ausreichend Sensibilität für das Bedürfnis nach selbstbestimmter Entwicklung anderer Völker aufgebracht wird, oder ob nicht vielmehr die Schaffung von einseitiger Abhängigkeit ein klassenübergreifendes Abwehrverhalten in benachteiligen Gesellschaften provoziert. Zum Bruch der Macht der als Feinde begriffenen Zivilisationen und Staaten bedienen sich die Terrornetzwerke aller erdenklichen Mittel und fühlen sich an keinerlei Gesetze gebunden, bis auf diejenigen des „Heiligen Kriegs“, des „Djihad“, der in ihren Augen sogar verheerende Anschläge des Ausmaßes des 11. September 2001 auf verschiedene USamerikanische Einrichtungen rechtfertigte,26 denen knapp 3.000 Menschen zum Opfer fielen27 und damit kennzeichnend für das besondere Gefährdungspotential des internationalen Terrorismus sind. Der Aktionsradius der Netzwerke ist nicht ein21
Vgl. grundsätzlich zu dem Entstehen terroristischer Strömungen die Ausführungen des ehemaligen Generalsekretärs der VN, Kofi Annan, in seinem Bericht „Uniting against terrorism: recommendations for a global counter-terrorism strategy“, UN Doc. A/60/825, Ziff. 32 ff. 22 Vgl. mit Bezug auf die Begründungsmuster der Anhänger der sog. „Sauerland-Gruppe“, Logvinov, ZGewPol 1/2010, S. 4. 23 Vgl. zu der Wirkweise entsprechender Zusammenhänge grundlegend: Witte, WirtPsych 4/2001, S. 245. Ebenso: Kofi Annan, UN Doc. A/60/825, Ziff. 22 ff. 24 Nehm, NJW 2002, S. 2668 f.; Kofi Annan, UN Doc. A/60/825, Ziff. 32 ff. 25 Für besondere Aufmerksamkeit haben in Deutschland die im Jahr 2007 gefassten Mitglieder der sog. „Sauerland-Gruppe“ gesorgt, die in Deutschland sozialisiert wurden und sich der Islamischen Djihad-Union zugehörig fühlten, welche mit Al Qaida in Verbindung gebracht wird, Logvinov, ZGewPol 1/2010, S. 4 ff. Ende 2014 kam das Monitoring-Team des Al QaidaSanktionsausschusses zu dem Ergebnis, dass sich mittlerweile über 25.000 ausländische Kämpfer aus mehr als 100 Herkunftsländern Al Qaida und mit ihr verbundener Gruppierungen – insbesondere dem IS – angeschlossen hätten, UN Doc. S/2015/358, S. 3. 26 Eine Analyse der die angewendete Gewalt rechtfertigenden Rhetorik Al Qaidas bieten Witte/Halverscheid, HAFOS 70 (2006). 27 Vgl. dazu die Internetseite der „Tagesschau“ (abrufbar unter: http://www.tagesschau.de/ ausland/gedenkennineleven100.html. Zuletzt besucht am 12. August 2015).
2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
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grenzbar und sie operieren im Rahmen eines losen Organisationsverbands, der weder strikte Hierarchien noch klare Befehlsstrukturen erkennen lässt. Al Qaida bildet dabei zwar das ideologische Zentrum und bietet mittels ausbilderischer und logistischer Hilfestellung eine gemeinsame Plattform für die unterschiedlichen islamistisch-fundamentalistischen Gruppierungen, jedoch agieren diese weitgehend autark und beschränken ihr Tätigkeitsfeld teilweise auch auf regional abgrenzbare Konfliktherde. Nicht zuletzt durch den Tod ihres Anführers Osama bin Laden28 scheint die Kernorganisation Al Qaidas mittlerweile an Einfluss verloren zu haben, wobei mit ihr in Verbindung stehenden Gruppen wie Boko Haram und dem wohl prominentesten Beispiel des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) ein in den letzten Jahren erheblich gestiegenes Gefährdungspotential zuzusprechen ist.29 Die Transnationalität des Aktionsraums sowie die absolutistischen Ziele der Al Qaida und ihrer Verbündeten sind jedoch sinnbildlich für die mit der „Entgrenzung der Staatenwelt“30 korrespondierende Entgrenzung der Bedrohungsszenarien.31 Darin spiegelt sich auch auf diesem Feld die erwähnte Transzendierung der traditionellen staatlichen Ordnung wider, wodurch sich die Großmächte dazu veranlasst sahen, ihre Konzentration wieder stärker auf die Vereinten Nationen zu richten, um der veränderten Bedrohungslage Herr zu werden.32 Mittels Neuausrichtung des Sanktionsinstrumentariums versuchte man eine Handhabe für den von nicht einheitlich fassbaren Privatakteuren ausgehenden Terrorismus zu schaffen. So nimmt der Sicherheitsrat mittlerweile wie selbstverständlich legislative Kompetenzen für sich in Anspruch.33 Zudem wird mittels zielgerichteter Handels-, Finanz- und Reisesanktionen gegen verantwortliche Privatpersonen versucht, der neuen Gefährdungslage
28 s. dazu den Kommentar des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 02. Mai 2011, UN Doc. S/PRST/2011/9. 29 s. dazu bereits vor dem Tod bin Ladens die Analyse des 1267-Monitoring Teams im elften Bericht an den Sicherheitsrat vom 22. Februar 2011, UN Doc. S/2011/245, Ziff. 5 ff. Im 17. Bericht vom 16. Juni 2015 wurde ein weiter schwindender Einfluss Al Qaidas diagnostiziert, UN Doc. S/2015/441, Ziff. 6. Zur Bedrohung durch die mit Al Qaida verbundenen Gruppen wie IS und Boko Haram: ebd., Ziff. 7 ff. und UN Doc. S/2014/815. 30 Brock/Albert, ZIB 2/1995, S. 259 ff. 31 Ähnlich: Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 f. 32 Neben der hier primär behandelten Resolution 1276 vom 15. Oktober 1999 mitsamt Folgeresolutionen, die sich gegen vom Sicherheitsrat bestimmte Angehörige der Al Qaida, der Taliban und ihre Verbündeten richtet, ist noch die weniger als drei Wochen nach den Anschlägen des 11. September 2001 erlassene Resolution 1373 zu erwähnen, die die Staaten zur Vornahme wirksamer Maßnahmen gegen eigens auszumachende Terroristen verpflichtet. In Reaktion auf den Machtzuwachs des IS wurden die Mitgliedstaaten mit Erlass von Resolution 2178 vom 24. September 2014 zudem zur Anpassung ihres Strafrechts verpflichtet, ebd. Ziff. 6, und Resolution 2199 (2015), Ziff. 11. s. ferner die „Weltweite Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus“ (A/RES/60/288). Vgl. auch bereits Alvarez, IJLI 31 (2003), S. 238. 33 s. z. B. S/RES/1373 (2001), S/RES/1540 (2004), S/RES/2178 (2014) und S/RES/2199 (2015), Ziff. 11. Näheres dazu unten.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
zu begegnen.34 Ein Individualrechtsschutz gegen die Maßnahmen des Sicherheitsrats entwickelt sich hingegen nur reaktiv, wodurch die Frage aufgeworfen werden muss, ob die Grundfeste des freiheitlichen Verfassungsstaates von den verantwortlichen Staatsvertretern mittlerweile zu Gunsten einer Sicherheitsobrigkeit aufgegeben wurden.
A. Die gezielten Sanktionen des Sicherheitsrats Es wurde schnell deutlich, dass Zwangsmaßnahmen, die ganze Bevölkerungen in Kollektivhaftung nehmen, zur Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit wenig geeignet sind.35 Aufgrund der Lähmung des Sicherheitsrats zu Zeiten des Kalten Krieges entflammte aber erst nach 1990 eine Diskussion über die Frage, wie man die nun regelmäßiger zur Anwendung kommenden Sanktionen des Sicherheitsrats „intelligenter“ ausrichten könnte.36 Zunächst waren es die verheerenden Umstände für die Zivilbevölkerung als typische Folge kollektiver Zwangsmaßnahmen, die Anlass zu Kritik gaben.37 Daneben erwiesen sich die rein staatsgerichteten Maßnahmen als wenig effektiv. So wussten die Machthaber den zunehmenden Druck auf die Bevölkerung oft auszunutzen, um diese hinter sich zu scharen und die Internationale Gemeinschaft als Instrument verschwörerischer Kräfte darzustellen.38 Die Schwächsten litten regelmäßig am meisten unter dem Zusammenbruch der realen Wirtschaft,39 wohingegen sich der Schwarzmarkt massiv ausweitete, was die Eliten wiederum zu ihrer Bereicherung auszunutzen verstanden.40 Zudem haben kollektive Wirtschaftssanktionen in der Regel auch ungewollte Nebenfolgen für Handels34 Das Konzept solcher zielgerichteten Sanktionen („smart sanctions“) wurde insbesondere im Rahmen des sog. Interlaken-Prozesses in der Schweiz in den Jahren 1998 und 1999 entworfen. Die Abschlussdokumente der Expertenseminare sind im Internet einsehbar (abrufbar unter http://www.seco.admin.ch/themen/00513/00620/00639/00641/index.html?lang=de. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 35 Vgl. dazu die Ausführungen in dem ersten Bericht des Expertenseminars betreffend gezielte Sanktionen in Interlaken/Schweiz (17. – 19. März 1998), S. 18 („Interlaken I“) zu Finanzsanktionen (abrufbar unter: http://www.seco.admin.ch/themen/00513/00620/00639/ 00641/index.html?lang=de. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Ebenso Reinisch, AJIL 95 (2001), S. 851 f. 36 Vgl. zur Entwicklung Wagner, ZaöRV 2003, S. 893 ff. 37 Interlaken I, S. 12 ff. (abrufbar unter http://www.seco.admin.ch/themen/00513/00620/ 00639/00641/index.html?lang=de. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 38 Reinisch, AJIL 95 (2001), S. 851 f. 39 So stieg u. a. bedingt durch die Verschlechterung der Versorgungslage im medizinischen Bereich die Kindersterblichkeitsrate im Irak in Folge der UN-Sanktionen (S/RES/661 (1990)) laut Bericht der auf Initiative des Sicherheitsrats eingerichteten Kommission zur Untersuchung der humanitären Situation im Irak (UN Doc. S/1999/100) von 64/1.000 Geburten im Jahr 1990 auf 129/1.000 im Jahr 1995, UN Doc. S/1999/356, Anhang 2, Ziff. 18. 40 Vgl. dazu die Analyse von Mack/Khan, UN Sanctions: a Glass Half Full?, S. 158 zu den UN-Sanktionen gegen den Irak.
A. Die gezielten Sanktionen des Sicherheitsrats
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partner des betroffenen Staates.41 Mit dem Mittel der gezielten Sanktionierung verantwortlicher Entscheidungsträger wollte man Kollateralschäden vermeiden und zugleich die Effektivität der Maßnahmen steigern. So nachvollziehbar diese Neuausrichtung im Grundsatz auch erscheint, so bleibt doch zu klären, was es rechtlich bedeutet, wenn sich nunmehr „Private im Fadenkreuz des Sicherheitsrats“42 wiederfinden.43 Es wird dabei die Frage nach der Menschenrechtskonformität der Maßnahmen des Sicherheitsrats aufgeworfen; eine Frage, die bereits in der Phase der kollektiven Wirtschaftssanktionen diskutiert wurde und mit der unmittelbaren Sanktionierung von Individuen durch ihren richtungsweisenden institutionellen Bedeutungsumfang44 eine zusätzliche Brisanz erfährt.
I. Historische Entwicklung und juristischer Hintergrund Die Gründungsmütter und -väter der Vereinten Nationen werden an die Möglichkeit eines unmittelbaren Vorgehens des Sicherheitsrats gegen Einzelpersonen nicht gedacht haben.45 Die Gründungkonferenz der Vereinten Nationen in San Francisco stand vielmehr unter dem Eindruck der schrecklichen Erfahrungen in den großen zwischenstaatlichen Konflikten der vorangegangenen Weltkriege.46 Adressaten der Maßnahmen sollten die Staaten sein, von denen eine Gefährdung für Sicherheit und Frieden der Weltgemeinschaft erwartet wurde.47 Dass es einmal Einzelpersonen und Personengruppen sein würden, die den Weltfrieden bedrohen, wurde offenbar nicht in Betracht gezogen. Noch in der Entwicklungsphase der gezielten Sanktionen beschränkte man sich auf Staatenvertreter und deren Angehörige 41
So haben in Reaktion auf die mit Resolution 661 vom 6. August 1990 gegen den Irak gerichteten Wirtschaftssanktionen 21 Staaten den Sicherheitsrat um Konsultation gebeten, um die Folgen der wirtschaftlichen Probleme zu erörtern (vgl. Art. 50 UN-Charta). Ihr gesamter wirtschaftlicher Schaden wurde bis zum 8. November 1993 auf 30 Milliarden US-$ beziffert (UN Doc. S/26705, S. 10 ff.). Im Anschluss wurden Ausnahmen zum Embargo zugelassen und ein Kompensationsfonds eingerichtet (S/RES/986 (1995)). 42 Fremuth, VN 3/2009, S. 111 ff. 43 Cameron, NJIL 72 (2003), S. 159, beschreibt diese Entwicklung als „qualitative change in Security Council sanctions policy“. 44 van den Herik, LJIL 20 (2007), S. 799. 45 Fassbender, AöR 132 (2007), S. 269; Wolfrum, La contrôle juridictionnel des décisions du Conseil de Sécurité (ONU), S. 52. 46 Khan, in: Simma et al., UN-Charter, Drafting History, Rn. 3. Vgl. auch den ersten Absatz der Präambel zur UN Charta: „We the peoples of the United Nations determined to save succeeding generations from the scourge of war, which twice in our lifetime has brought untold sorrow to mankind […]“. 47 So auch Kelsens Interpretation der UN-Charta, der davon ausging, dass diese keine individuelle, sondern nur kollektive Verantwortlichkeit konstituiere. Dies im Gegensatz zu dem Vier-Mächte-Abkommen vom 8. August 1945, in dem er allerdings kein Indiz für eine Kehrtwende im Völkerrecht erblickte, Kelsen, ILR 31 (1946), S. 523.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
oder auf Personengruppen, die auf einen Staatsumbruch abzielen, als mögliche Sanktionsadressaten.48 Das weist daraufhin, dass zu diesem Zeitpunkt eine Art weltinnenrechtliches Vorgehen des Sicherheitsrats noch nicht in Betracht gezogen wurde. Auffällig ist, dass sich in der Sanktionspraxis des Sicherheitsrats trotz oben beschriebener Ausrichtung des UN-Systems keine Einheitlichkeit feststellen lässt. Ein Vorgehen gegen Individuen wurde begünstigt durch eine weite Auslegung der Kompetenzen des Sicherheitsrats und wegen der erkannten Notwendigkeit der gezielteren Ausrichtung auch schnell vollzogen, ohne dass die Frage nach der Richtungsbestimmung des Völkerrechts und dessen Regelungszweck für die Entscheidungsträger von entscheidender Bedeutung zu sein schien. Die mit dem Eingriff in staatliche Kompetenzbereiche zwangsläufig aufkommenden Konflikte blieben lange Zeit ohne Konsequenz, bis sich die Maßnahmen auch gegen Bürger von Rechtsstaaten richteten, die auf dem Grundsatz der originären Rechtssubjektivität des Individuums fußen. Mit dem Aufeinanderstoßen von vernunftrechtlich geprägten nationalen Rechtsordnungen auf der einen und der sich in seiner paradigmatischen Ausrichtung uneinheitlich transformierenden Weltrechtsordnung auf der anderen Seite wurden Kompatibilitätsmängel dann letztlich offenbar.49 Ein Blick auf die Sanktionspraxis des Sicherheitsrats verdeutlicht den an vordergründig pragmatisch erscheinenden Erwägungen ausgerichteten Entscheidungsfindungsprozess des Sicherheitsrats. Schon die ersten UN-Sanktionen richteten sich trotz entgegenstehender Absicht der Gründungsmütter und -väter nicht gegen einen (anerkannten) Staat, sondern gegen das rassistische Minderheitsregime unter der Führung von Ian Smith in Rhodesien.50 In der ehemaligen Kolonie des Vereinigten Königreichs gelang es einer weißen Minderheit, trotz krasser numerischer Unterlegenheit die Staatsgewalt an sich zu ziehen, und unter Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung sich faktisch von der Kontrolle der Kolonialmacht zu enteisen. Der Sicherheitsrat rief ausdrücklich dazu auf, das Minderheitenregime nicht anzuerkennen,51 obwohl es faktische Hoheitsgewalt in einem abgrenzbaren Gebiet über eine identifizierbare Bevölkerung ausübte. Im stark von dem Willen der Staaten geprägten Völkerrecht wird einem Gebilde, das nach Meinung der Staatengemeinschaft entweder noch nicht oder nicht mehr die volle Qualität eines Staates innehat, der Status eines de facto-Regimes zugeschrieben, obwohl der Anerkennung als Staat nach der herrschenden Dreiele-
48 Interlaken I, S. 10, in dem die Staatenbezogenheit deutlich wird (abrufbar unter: http:// www.seco.admin.ch/themen/00513/00620/00639/00641/index.html?lang=de. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 49 Zu Rechtskollisionen im fragmentierten Weltrecht vgl. Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts, S. 37 ff. 50 S/RES/216 (1965), Ziff. 1. 51 S/RES/216 (1965), Ziff. 2.
A. Die gezielten Sanktionen des Sicherheitsrats
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mentenlehre52 bloß deklaratorischer Charakter zukommt.53 Die Wirksamkeit der Maßnahmen gegen das Regime war umstritten und führte jedenfalls nicht zu dem gewünscht schnellen Regierungssturz.54 Erst mit der blutig erkämpften Übernahme durch verschiedene Befreiungsbewegungen kam es zum Machtwechsel.55 Im Rahmen der Diskussionen über die Maßnahmen wurde jedoch deutlich, dass man ein Vorgehen gegen Individualpersonen und Personengruppen nicht mehr gänzlich ausschloss,56 auch wenn eine Entterritorialisierung der Sanktionsregime noch fern lag. Dies wurde auch an den übrigen Sanktionsregimen deutlich, die sich entweder gegen nicht-staatliche Parteien richteten, welche beabsichtigten, die Staatsgewalt an sich zu reißen, und regional begrenzt tätig wurden, oder gegen die Mitglieder von de facto-Regimen.57 Zum Teil wurden die zu sanktionierenden Personengruppen pauschal benannt und teilweise erfolgte eine konkrete Bestimmung von Individuen in einer Liste. Eine territoriale Entbindung erfolgte allerdings bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Klassische Kollektivsanktionen gegen Staaten gab es zwar in über zehn Fällen,58 jedoch war auch dabei das Vorgehen nur selten auf solche beschränkt. Regelmäßig wurden die Sanktionsregime durch Maßnahmen gegen Individuen zumindest ergänzt.59 Diese Ausrichtung hatte mehrere Gründe. Zum einen waren innerstaatliche Konflikte regelmäßig mit ausschlaggebend für das Tätigwerden des Sicherheits-
52 Der Dreielementenlehre zufolge kommt einem Gebilde dann Staatsqualität zu, wenn die Elemente Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt vorliegen, vgl. dazu grundlegend: Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 183. Art. 1 der Montevideo-Konvention benennt als zusätzliche Voraussetzung die Fähigkeit, in Beziehung mit anderen Staaten zu treten. 53 Vgl. zu diesem Spannungsverhältnis auch Frowein, in: Wolfrum, MPEPIL, De FactoRegime, Rn. 2 (Stand: März 2013). 54 s. zum Meinungsstreit Minter/Schmidt, AA 87 (1988), S. 207 ff., die eine ausführliche Analyse liefern und die Sanktionen als mit ursächlich für den Regimesturz anerkennen. 55 Minter/Schmidt, AA 87 (1988), S. 233 führen die Eskalation des Konflikts auch darauf zurück, dass das Smith-Regime in Folge der Sanktionen die wirtschaftlichen Belastungen des innerstaatlichen Konflikts mit den Aufständischen nicht mehr tragen konnte. 56 Higgins, WT 23 (1967), S. 105. 57 Vgl. dazu ausführlich: Birkhäuser, Sanktionen des Sicherheitsrats gegen Individuen, S. 53 ff. 58 Vgl. u. a. folgende Resolutionen: Südafrika: S/RES/418 (1977); Irak: S/RES/661 (1990); Libyen: S/RES/748 (1992); Ruanda: S/RES/918 (1994); Sudan: S/RES/1054 (1996); Sierra Leone: S/RES/1132 (1997); Äthiopien/Eritrea: S/RES/1298 (2000); Liberia: S/RES/1343 (2001); Côte d’Ivoire: S/RES/1572 (2004); DR Kongo: S/RES/1596 (2005); DVR Nord-Korea: S/RES/1718 (2006); IR Iran: S/RES/1737 (2006); Somalia: S/RES/1814 (2008); Libyen: S/ RES/1970 (2011); Zentralafrikanische Republik: S/RES/2127 (2013). 59 Vgl. u. a. S/RES/1572 (2004), Ziff. 9, 11; S/RES/1596 (2005), Ziff. 14 f.; S/RES/1718 (2006), Ziff. 8 lit. d, e; S/RES/1737 (2006), Ziff. 10 i.V.m. Anhang lit. c; S/RES/1814 (2008), Ziff. 6; S/RES/1973 (2011), Ziff. 19, 22 i.V.m. S/RES/1970 (2011), Ziff. 15 ff., 19 ff.; S/RES/ 2048 (2012), Ziff. 6 – 8; S/RES/2140 (2014), Ziff. 11, 15 und S/RES/2216 (2015), Ziff. 14; S/ RES/2196 (2015), Ziff. 4, 7; S/RES/2206 (2015), Ziff. 9, 12.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
rats.60 Die gezielte Sanktionierung eines Aggressors kann in diesen Fällen naturgemäß mittels kollektiver Zwangsmaßnahmen kaum effektiv erfolgen. Zum anderen geriet der Sicherheitsrat angesichts der bereits erwähnten Folgen solcher Maßnahmen für die Zivilbevölkerung und Drittstaaten stark unter Druck. Zur Umsetzung der Individualsanktionen setzt der Sicherheitsrat in der Regel Sanktionskomitees als Nebenorgane ein, denen die Aufgabe zukommt, die zu sanktionierenden natürlichen und juristischen Personen zu bestimmen und gegebenenfalls über Ausnahmen zu entscheiden.61 Allen zurzeit aktiven Sanktionskomitees kommt zumindest auch die Aufgabe zu, Listen zu führen, auf denen zu sanktionierende Einzelpersonen und Körperschaften bestimmt sind. Die Frage nach der Menschenrechtskonformität dieser Praxis wurde im Rahmen der begleitenden Debatte allenfalls am Rande behandelt.62 Das lag zum einen an der verhältnismäßig einfachen Bestimmung der Adressaten der Maßnahmen – wie Regierungsmitglieder und deren Angehörige – und damit an der relativ geringen Fehlerquote.63 Zudem wurde dem Schutz der Menschenrechte von Tyrannen und Kriegsverbrechern nicht die größte Aufmerksamkeit zuteil, wenn es darum ging, Genozide und andere Formen unerträglicher Gewalt zu beenden.64 Der Mangel an der Gewährleistung adäquater Rechtsschutzgarantien wurde auch nicht von den Gerichten in den Heimatstaaten der Zielpersonen hinreichend aufgedeckt, in denen die meist prekäre Situation auch kaum erwarten ließ, dass von einer ihre Aufgabe unabhängig ausübenden Gerichtsbarkeit eine entscheidende Strahlkraft hätte ausgehen können. Der Sicherheitsrat sah sich aus eigenem Antrieb nicht dazu veranlasst, an dieser Situation etwas zu ändern. Insbesondere die prozessualen Menschenrechte65 fanden wenig
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So z. B. im Falle Libyens (S/RES/1970 (2011)), Somalias (S/RES/1814 (2008)), der DR Kongo (S/RES/1596 (2005)), Côte d’Ivoire (S/RES/1572 (2004)) und der Zentralafrikanischen Republik ((S/RES/2127 (2013)). 61 Folgende Sanktionskomitees sind zurzeit aktiv: das 751 (1992) und 1907 (2009)Sanktionskomitee für Somalia und Eritrea; das 1518 (2003)-Sanktionskomitee für den Irak und Kuwait; das 1521 (2003)-Sanktionskomitee für Liberia; das 1533 (2004)-Sanktionskomitee für die DR Kongo; das 1572 (2004)-Sanktionskomitee für Côte d’Ivoire; das 1591 (2005)-Sanktionskomitee für den Sudan; das 1636 (2005)-Sanktionskomitee für den Libanon; das 1718 (2006)-Sanktionskomitee für die DVR Nord-Korea; das 1737 (2006)-Sanktionskomitee für die IR Iran; das 1970 (2011)-Sanktionskomitee für Libyen; das 2048 (2012)-Sanktionskomitee für Guinea-Bissau, das 2127 (2013)-Sanktionskomitee für die Zentralafrikanische Republik, das 2140 (2014)-Sanktionskomitee für den Jemen, das 2206 (2015)-Sanktionskomitee für den Südsudan, das Taliban-Sanktionskomitee und das Al Qaida-Sanktionskomitee. Näheres zu den Aufgaben und der Funktionsweise der Sanktionskomitees: Schaller, VN 4/2005, S. 133 f. 62 Biersteker/Eckert, in: dies., 1st Update of the Watson Report, S. 6 mit Verweis auf die Rede eines Mitglieds des UN-Sekretariats im Rahmen eines Workshops über gezielte Sanktionen im Mai 2003, in der es klarstellt: „the issue of individual human rights was not thought through at the outset“. 63 Rosand, AJIL 98 (2004), S. 749. 64 Biersteker/Eckert, in: dies., 1st Update of the Watson Report, S. 6. 65 So z. B. Art. 14 und 15 IPbpR.
A. Die gezielten Sanktionen des Sicherheitsrats
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Beachtung. Es gab zwar vereinzelte Entwicklungsansätze eines „de-listing“-Verfahrens, doch blieben diese sehr rudimentär ausgeprägt.66 Bewegung kam in den Entwicklungsprozess des Individualrechtsschutzes an anderer Stelle. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung entwickelte der Sicherheitsrat ein präzedenzloses Sanktionsregime, um unmittelbar gegen transnational agierende Terroristen vorzugehen. Mit dem entgrenzten Aktionsraum der Zielpersonen und deren globaler Verteilung kam es dazu, dass auch Bürger von mit einem ausgeprägten Rechtsschutz ausgestatteten Rechtsstaaten ins Visier des Sicherheitsrats gerieten. Dabei kam es zum ersten Mal zu Konflikten mit (supra-)nationalen Gerichten,67 die so den weiteren Ausbau des Individualrechtsschutzes auf Ebene der Vereinten Nationen wesentlich mit anstießen.68 Dabei spielt das sogenannte 1267Sanktionsregime (in der Folge auch Al Qaida-Sanktionsregime) eine Vorreiterrolle in Fragen der Entwicklung eines Individualrechtsschutzes und des Anwendungsspielraums. Es soll deshalb im Mittelpunkt der Erörterung stehen.
II. Das Taliban- und Al Qaida-Sanktionsregime Die Situation in Afghanistan wurde bereits weit vor dem ersten Tätigwerden des Sicherheitsrats als bedrohlich empfunden.69 Als es dann vermehrt zu Terroranschlägen kam, die auf das insbesondere von Afghanistan aus operierende Terrornetzwerk Al Qaida zurückgeführt wurden,70 griffen die in erster Linie betroffenen Vereinigten Staaten zunächst zu dem Mittel gezielter Luftangriffe71 und unilateraler 66 So waren in der ersten Version der Richtlinien über die Arbeitsweise des 1572-Sanktionskomitees für Côte d‘Ivoire vom 13. Juni 2005 Bestimmungen für die Streichung von Gelisteten zu finden. Diese folgten im Wesentlichen den damaligen Bestimmungen des 1267Sanktionskomitees und beschränkten sich zunächst auf ein diplomatisches Rechtschutzverfahren. Anschließend wurde ein sog. „focal point“ eingerichtet. Siehe dazu die Ausführungen zum Taliban- und Al Qaida-Sanktionsregime. 67 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008; dem folgend: EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010 und nochmals bestätigt durch EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013; EuG, Abdulbasit Abdulrahim gg. Rat und Kommission, T-127/09 RENV vom 14. Januar 2015. Vgl. ebenso: Canadian Federal Court, Abdelrazik gg. Kanada, 2009 FC 580, vom 4. Juni 2009; UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010; Schweizer Bundesgericht, Nada gg. SECO, Staatssekretariat für Wirtschaft, 1 A.45/2007/daa, vom 14. November 2007; Tribunal de première instance de Bruxelles, Sayadi & Vinck gg. Belgien, 4th Ch., vom 11. Februar 2005. 68 Vgl. etwa die Präambel der S/RES/1822 (2008). 69 S/RES/1076 (1996), Ziff. 5. 70 u. a. kam es zu Anschlägen auf verschiedene US-Militäreinrichtungen und die Botschaften in Nairobi und Daressalam. 71 Vgl. dazu die Online-Ausgabe der New York Times vom 21. August 1998 (abrufbar unter: http://www.nytimes.com/1998/08/21/world/us-fury-2-continents-protagonist-man-with-missi on-takes-us-far-flung-sites.html?pagewanted=1. Zuletzt besucht am 12. August 2015).
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Sanktionen.72 Auf Initiative der USA wurde dann auch der Sicherheitsrat tätig, wobei er seine Maßnahmen auf Kapitel VII der UN-Charta stützte.73 Mit Resolution 1267 vom 15. Oktober 1999 verurteilte der Sicherheitsrat die Unterstützung Osama bin Ladens durch die Taliban und die anhaltende Nutzung afghanischen Gebiets zum Zwecke der Beherbergung und Ausbildung von Terroristen.74 Damit verbunden war die Aufforderung, Osama bin Laden ohne weitere Verzögerung auszuliefern.75 Da dieser nicht nachgekommen wurde, trat ein umfassendes, zeitlich unbegrenztes Flugund Finanzembargo gegen die Taliban76 in Kraft.77 Die islamistisch-fundamentalistische Gruppierung der Taliban, zu dieser Zeit weithin als de facto-Regime Afghanistans angesehen,78 wurde damit zugleich zum direkten Verpflichtungs- und Sanktionsadressaten.79 In der Europäischen Union erfolgte die Umsetzung zum 14. Februar 2000 mit der EG-Verordnung 337/2000. Bis zum 4. April 2000 konnte der Eingang von 50 Berichten von UN-Mitgliedstaaten über die Durchführung der Maßnahmen verzeichnet werden.80 Trotz der anfangs eher schleppend verlaufenden Implementierung wurde an dem eingeschlagenen Kurs festgehalten.81 Im Anschluss 72
Vgl. dazu die Ausführungen von Birkhäuser, Sanktionen des Sicherheitsrats gegen Individuen, S. 150 f. 73 Zur Zulässigkeit dieses Vorgehens ausführlich im 2. Teil, B. 74 Präambel der S/RES/1267 (1999). 75 S/RES/1267 (1999), Ziff. 2. Dabei sollte die Auslieferung an eine Nation erfolgen, in der er angeklagt wurde. Ein Auslieferungsersuchen hatten die USA schon vor dem Erlass der Resolution gestellt. Zudem hatten sie eine Zusammenfassung der Anklage an alle Mitglieder des Sicherheitsrats verteilen lassen, UN Doc. S/1999/1021. 76 S/RES/1267 (1999), Ziff. 4 lit. a, b, davon erfasst sind alle Finanzmittel, die den Taliban direkt oder indirekt zugutekommen. 77 Den Taliban wurde bis zum 14. November 1999 Zeit gegeben, der Forderung nachzukommen, danach waren die Mitgliedstaaten dazu angehalten, die Maßnahmen der Ziff. 4 zu ergreifen, S/RES/1267 (1999), Ziff. 3. 78 Wolfrum/Philipp, MPYUNL 6 (2002), S. 581 ff.; Wahl, Rechtsschutz gegen Individualsanktionen, S. 44 m.w.N. Die nach Beendigung der sowjetischen Besatzung des Landes eingesetzte Regierung zerbrach schnell unter den anhaltenden Kämpfen verschiedener Mujaheddin-Gruppen. Die Taliban konnten in der Folge mit Hilfe der Unterstützung des pakistanischen Geheimdienstes ISI und Teilen des pakistanischen Militärs den Großteil des Landes unter ihre Kontrolle bringen (dies prangerte der nicht den Taliban zugehörige Vertreter Afghanistans Farhâdi in seiner Rede vor dem Sicherheitsrat am 5. Juni 2001 an und forderte ein intensiveres Vorgehen der Vereinten Nationen, UN Doc. S/PV.4325, S. 15 ff.). Ab Mitte der 90er Jahre konnte von einer effektiven Staatsgewalt gesprochen werden, Birkhäuser, Sanktionen des Sicherheitsrats gegen Individuen, S. 150 f. m.w.N. 79 Zur Unterscheidung s. Wahl, Rechtsschutz gegen Individualsanktionen, S. 43. 80 Die Berichterstattung sollte einen Monat nach der geforderten Implementierung erfolgen, S/RES/1267 (1999), Ziff. 10. UN Doc. S/2000/282 enthält die Liste der bis zum 4. April 2000 beim 1267-Sanktionsausschuss eingegangenen Berichte. 81 Den nur schleppend verlaufenden Prozess kritisierte der damalige Vorsitzende des 1267Sanktionsausschusses, Herr Valdivieso, noch am 15. Juni 2001 in der öffentlichen Sitzung des Sicherheitsrats, also kurz vor den verheerenden Terroranschlägen des 11. September, UN Doc. S/PV.4325, S. 4.
A. Die gezielten Sanktionen des Sicherheitsrats
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an die Anschläge des 11. September 2001 erfuhr die Bereitschaft zur Kooperation mit dem Sanktionsregime und zur Umsetzung der Maßnahmen neuen Antrieb.82 Schon zuvor wurde das Sanktionsregime mit Resolution 1333 vom 12. Dezember 2000 entscheidend ergänzt. Dieser Prozess wurde mit Resolution 1390 vom 16. Januar 2002 weiter verfolgt. Die Resolutionen sehen die Anweisung vor, neben den Finanzmitteln der Taliban auch solche von Osama bin Laden, der Al Qaida und mit ihnen verbundener Einzelpersonen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen einzufrieren,83 sowie ein Waffenembargo84 und umfassende Reisebeschränkungen.85 Zur Durchsetzung letzterer wurden die Mitgliedstaaten dazu angehalten, die Ein- und Durchreise oben genannter Personen, Gruppierungen und Körperschaften durch eigenes Staatsgebiet zu unterbinden. Auch hierbei handelte es sich um zeitlich unbegrenzte Zwangsmaßnahmen. Damit entterritorialisierte sich der Anwendungsbereich des Sanktionsregimes vollends, indem er sich nunmehr auf das global operierende Al Qaida-Netzwerk erstreckte.86 Durch die Aufnahme assoziierter Personen und Gruppierungen erfuhr er zudem eine entscheidende Erweiterung. 1. Der Sanktionsausschuss und seine Aufgaben Zur Durchführung der Bestimmungen bedient sich der Sicherheitsrat eines mit Resolution 1267 (1999) eigens dazu eingesetzten Sanktionsausschusses,87 welcher in seiner Arbeit durch das sog. Monitoring Team unterstützt wird, das in erster Linie die Implementierung der Zwangsmaßnahmen kontrollieren soll.88 Bei dem Sanktionsausschuss handelt es sich um ein Nebenorgan des Sicherheitsrats im Sinne des Art. 29 UN-Charta, welches mit Vertretern aller Sicherheitsratsmitglieder besetzt ist
82 In kurzer Zeit wurden mehr als 200 Namen – die meisten auf Vorschlag der USA – auf der Liste ergänzt. Dies geschah in der Regel, ohne dass die einzelnen Anträge besonders hinterfragt wurden. Dazu: Rosand, AJIL 98 (2004), S. 749 m.w.N. 83 S/RES/1333 (2000), Ziff. 8 lit. c; S/RES/1390 (2002), Ziff. 2 lit. a. 84 S/RES/1333 (2000), Ziff. 5 von der zunächst nur die Taliban betroffen waren; S/RES/ 1390 (2002), Ziff. 2 lit. c, die sich auch auf Osama bin Laden, Al Qaida und assoziierte Personen und Körperschaften erstreckt. 85 S/RES/1390 (2002), Ziff. 2 lit. b. 86 Prost, Fair Process and the Security Council, S. 411, beschreibt dies als die „innovative and unique features“ des Regimes. 87 Zu den Grenzen der Delegation von Aufgaben des Sicherheitsrats an Sanktionsausschüsse: Peters, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 25, Rn. 21. Vor diesem Hintergrund im Hinblick auf den mit S/RES/1267 (1999), Ziff. 6 eingesetztem Sanktionsasschuss kritisch: Hudson, Berkl.JIL 25 (2007), S. 209. Die Übertragung von Kompetenzen an Sanktionsausschüsse darf indes mittlerweile als rechtlich anerkannte Praxis gelten, Wolfrum, La contrôle juridictionnel des décisions du Conseil de Sécurité (ONU), S. 13 f. 88 S/RES/1526 (2004), Ziff. 6 mit Verweis auf die Anlage. Erweitert wurde dessen Aufgabenbereich mit S/RES/1822 (2008), Ziff. 39 mit Verweis auf die Anlage. Näheres zum Mandat, zur Besetzung und zur Arbeitsweise des Monitoring Teams im 2. Teil, A., II., 2., a), bb).
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
und im Konsens beschließt.89 Der Ausschuss soll dem Sicherheitsrat regelmäßig Bericht über aktuelle Entwicklungen erstatten,90 Informationen von Mitgliedstaaten einholen, um auf deren Grundlage u. a. die Flugzeuge und Finanzmittel zu bestimmen, die von dem Embargo erfasst sein sollen,91 und über Ausnahmen entscheiden, die für die Sanktionen vorgesehen sind.92 Resolution 1267 (1999) nennt insoweit ausdrücklich das Nachgehen religiöser Verpflichtungen wie die große Pilgerfahrt, die Haddsch, sowie im Einzelfall aus humanitären Gründen zu gewährende Ausnahmen.93 Angesichts der Schwere der von den Betroffenen hinzunehmenden Einschränkungen wurden anschließend diese Ausnahmen erweitert. Zum einen bestimmt Resolution 1390 (2002), dass Reisebeschränkungen nicht gelten, wenn sie der Ausführung von Gerichtsprozessen entgegenstehen, oder der Ausschuss bestimmt, dass die Ein- oder Durchreise im Einzelfall gerechtfertigt ist.94 Entscheidender ist in dieser Hinsicht jedoch Resolution 1452 vom 20. Dezember 2002. Sie sieht vor, dass von den betreffenden Staaten zu benennende Ausnahmen von den Finanzsanktionen für Grundausgaben wie Nahrung, Medikamente und sonstige laufende Kosten und auch für Rechtsberatung gewährt werden können, wenn sie ihre Absicht zuvor dem Ausschuss notifiziert haben und dieser binnen achtundvierzig Stunden nicht widerspricht.95 Ähnliches gilt für die Deckung nicht weiter spezifizierter außerordentlicher Ausgaben, zu denen eine Freigabe von Finanzmitteln allerdings einer ausdrücklichen Genehmigung des Ausschusses bedarf.96 Was unter solchen Ausgaben zu verstehen ist, wird nicht klar, da weder die Arbeitsrichtlinien 89 S/RES/1267 (1999), Ziff. 6; Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work, Ziff. 1 lit. b, Ziff. 4 lit. a (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/commit tees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Auch Taliban und Al Qaida- oder 1267-Sanktionsausschuss genannt. Damit kommt jedem der 15 Mitglieder ein Vetorecht zu. 90 S/RES/1267 (1999), Ziff. 6 lit. c, d. 91 S/RES/1267 (1999), Ziff. 6 lit. a, b, e. 92 S/RES/1267 (1999), Ziff. 6 lit. f i.V.m. Ziff. 4. 93 S/RES/1267 (1999), Ziff. 4 lit. a, b. Von den Ausnahmen wurde schon früh reger Gebrauch gemacht. So genehmigte der Sanktionsausschuss am 4. Februar 2000 die Ausreise von 12.000 afghanischen Pilgern zum Nachgehen der Haddsch unter strengen Auflagen und der damit verbundenen Freigabe von Finanzmitteln, vgl. Ziff. 14 ff. des ersten Berichts des Ausschusses, UN Doc. S/2000/1254, nach S/RES/1267 (1999), Ziff. 6, lit. c, d. Die Ausnahmeregelung der Ziff. 4 lit. b wurde durch die Bestimmungen der Resolution 1452 (2002) ersetzt und trat mit ihrer Verabschiedung außer Kraft, S/RES/1452 (2002), Ziff. 4; ferner: S/RES/1333 (2002) Ziff. 16 lit. c. 94 S/RES/1390 (2002), Ziff. 2 lit. b. Ebenso nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 1 lit. b. Die Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work, Ziff. 12 lit. o (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015) nennen u. a. die Evakuierung im Notfall und aus höherer Gewalt. Der Ausschuss hat in entsprechenden Fällen innerhalb einer Frist von 24 Stunden zu entscheiden. 95 S/RES/1452 (2002), Ziff. 1 lit. a; die Frist wurde später auf drei Arbeitstage verlängert, s. S/RES/1735 (2006), Ziff. 15. Dies spricht nicht für ein transparentes Entscheidungsverfahren, das die Herausbildung objektiver Kriterien und ihre Beurteilung ermöglichen könnte. 96 S/RES/1452 (2002), Ziff. 1 lit. b.
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des Sanktionsausschusses dazu näheren Aufschluss geben,97 noch die Entscheidungen in der Sache öffentlich begründet werden.98 Für untergeordnete Bereiche, etwa der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen, die bereits vor Erfassung der betreffenden Konten durch die einschlägigen Resolutionen entstanden sind, können die Staaten autonom über Freigaben entscheiden.99 Auch wenn die Arbeitsrichtlinien des Sanktionsausschusses mittlerweile klarstellende Erläuterungen zu den Ausnahmen betreffend die Reiseembargos vorsehen,100 so wurde der auch bereits vom Monitoring Team erhobenen Aufforderung zur Schaffung eines transparenteren Entscheidungsverfahrens,101 das die objektive Beurteilung der angewandten Kriterien ermöglichte, bisher noch nicht nachgekommen. Dies wäre jedoch insbesondere für Ausnahmen zu den Finanzsanktionen angebracht.102 Die bedeutendste Aufgabe kommt dem Sanktionsausschuss bei der Zielausrichtung der Sanktionen zu. Er bestimmt die nach Maßgabe der Resolutionen zu sanktionierenden Personen und nimmt sie in die sog. Konsolidierte Liste auf.103 Ursprünglich geschah dieses „listing“ auf bloßen „Zuruf“104 der Mitgliedstaaten, sofern es zu keinem Widerspruch eines Ausschussmitglieds kam („no-objection procedure“).105 Klare Maßstäbe, nach welchen sich beurteilen ließ, wann eine Person gelistet werden sollte, bestanden nicht; es ließ sich nicht eindeutig sagen, wann jemand als mit den Taliban, der Al Qaida oder Osama bin Laden verbunden bezeichnet werden konnte. Die Betroffenen kamen in der Regel auf Grundlage von
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s. dazu Ziff. 11 der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines. pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 98 s. zur üblichen Berichterstattung beispielhaft den Arbeitsbericht des Sanktionsausschusses für das Jahr 2011, UN Doc. S/2012/305, Ziff. 16 f. 99 S/RES/1452 (2002), Ziff. 2 i.V.m. Ziff. 3 lit. b. 100 s. Ziff. 12 der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 101 So im elften Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2011/245, Ziff. 57. 102 Der Ausschuss hat nach S/RES/1452 (2002), Ziff. 3 lit. a eine Liste derjenigen Staaten zu führen, die ihre Absicht angezeigt haben, bei Umsetzung der Sanktionen die Ausnahmen nach Ziff. 1 lit. a anzuwenden, und bei denen der Ausschuss keine abschlägige Entscheidung getroffen hat. Liechtenstein beantragte die Offenlegung der Liste für alle restlichen Mitgliedstaaten, was der Ausschuss allerdings ablehnte (UN Doc. S/2006/22, Ziff. 10). Zur rechtlichen Bewertung im 2. Teil, B. 103 S/RES/1267 (1999), Ziff. 4, Ziff. 6 lit. e; S/RES/1333 (2000) Ziff. 8 lit. c, Ziff. 16 lit. b. Ende 2010 erfasste die Konsolidierte Liste 485 Eintragungen, vgl. Bericht über die Aktivitäten des Ausschusses in 2010, UN Doc. S/2010/685, Anhang, Ziff. 16. 104 Albin, ZRP 3/2004, S. 72. 105 S/RES/1333 (2000), Ziff. 8 lit. c i.V.m. den Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Version vom 07. November 2002). Vgl. auch Fremuth, VN 3/2009, S. 113.
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ihnen nicht zugänglichen Geheimdienstinformationen auf die Liste, ohne dass sie über den Vorgang informiert, geschweige denn dazu angehört wurden.106 Diese unbefriedigende Situation für die ins „Visier des Sicherheitsrats“107 geratenen Personen wurde durch die auch sonst intransparente und oft ineffiziente Arbeitsweise des Ausschusses noch verschärft,108 nicht zuletzt bedingt durch das – nicht zwingend vorgeschriebene – Konsensverfahren, nach welchem der Ausschuss seine Entscheidungen trifft.109 Insbesondere für eine von dem Betroffenen begehrte Streichung von der Liste – dem sog. „de-listing“ – hatte dies schwere Folgen. Nicht nur, dass er keine Möglichkeit hatte, unmittelbar gegen die Listung vorzugehen, sondern auf diplomatischen Schutz seines Heimat- oder Aufenthaltsstaates angewiesen war; der Erfolg hing u. a. von der Gunst desjenigen Ausschussmitglieds ab, welches die Listung eigens initiiert hatte;110 sie waren Kläger und Richter in einer Person.111 Verschärft wurde diese Situation dadurch, dass der Betroffene mit selbst zu beschaffenden Informationen nachzuweisen hatte, dass er kein Mitglied oder Verbündeter der Taliban oder Al Qaida war, ohne Auskunft über die ihn belastenden Umstände zu haben.112 Ein Beweis, der, wie es der kanadische Richter Roussel Zinn beschreibt, wohl ebenso schwer zu führen ist, wie dass „Elfen und Kobolde nicht existieren“.113 Der Antrag wurde zudem auf der Grundlage politischer Erwägungen beschieden. Auch hier fehlten rechtliche Maßstäbe, was den Vorwurf der Unvereinbarkeit des Verfahrens mit menschenrechtlichen Mindeststandards – insbeson-
106 Vgl. beispielhaft zur früheren Verfahrensweise des Taliban und Al Qaida-Sanktionsregimes den Fall von Nabil Sayadi und Patricia Vinck, die im Jahr 2003 in die Liste aufgenommen wurden, ohne sie über die ihnen zur Last gelegten Umstände zu informieren (vgl. dazu die Sachverhaltsschilderung des HRC vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/ 2006, Rn. 2.1 ff.). 107 Fremuth, VN 3/2009, S. 111. 108 Zur Arbeitsweise der Sanktionsausschüsse vgl. Schaller, VN 4/2005, S. 133. 109 Ziff. 4 lit. a der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 110 s. dazu die Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 10. April 2003). 111 Canadian Federal Court, Abdelrazik gg. Kanada, 2009 FC 580, vom 4. Juni 2009; UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 51. 112 Die Entscheidung über die Aufnahme wird in nicht-öffentlicher Sitzung beschlossen, Ziff. 3 lit. b der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Erst zu einem späteren Zeitpunkt wurden die Staaten zur zusammenfassenden Begründung des belastenden Tatsachenvortrags angehalten (s. im Anschluss). 113 Canadian Federal Court, Abdelrazik gg. Kanada, 2009 FC 580, vom 4. Juni 2009; UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 53.
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dere solchen prozessualer Art – immer lauter werden ließ.114 Dass diese Verfahrensweise zudem geeignet war, missliebige Personen, wie etwa politische Opponenten, mit der bloßen Unterstellung terroristischer Aktivitäten aus dem Verkehr zu ziehen, liegt auf der Hand.115 2. Die Neuausrichtung des Sanktionsregimes Diese Missstände veranlassten den Sicherheitsrat dazu, das „listing“- und „de listing“-Verfahren zu reformieren und für mehr Transparenz zu sorgen. a) Die Entwicklung bis Ende 2009 aa) Das „listing“-Verfahren Am 15. Juli 2005 erließ der Sicherheitsrat die Resolution 1617, in der er Hinweise darauf gab, wann eine sanktionierbare Verbindung zu Al Qaida, Osama bin Laden oder den Taliban anzunehmen sei,116 um einheitliche Maßstäbe für mehr Rechtssicherheit im „listing“-Verfahren zu formulieren („associated with“-Test). Auch wenn diese Kriterien immer noch einen erheblichen Ermessensspielraum gewährten – einen wohl zu großen117 – und erst zu einem Zeitpunkt erlassen wurden, zu dem 114
Vgl. beispielhaft die Kritik an dem Sanktionsregime vor der Neuausrichtung von Schaller, VN 4/2005, S. 134 f.; Albin, ZRP 3/2004, S. 71 ff.; Alvarez, IJLI 31 (2003), S. 238 ff.; Cameron, NJIL 72 (2003), S. 159 ff. Anders hingegen Meerpohl, Individualsanktionen des SR, der einem „realistischen“ Ansatz folgt, S. 247 ff. 115 Vgl. dazu: Alvarez, IJLI 31 (2003), S. 246. 116 S/RES/1617 (2005), Ziff. 2. 117 van den Herik, LJIL 20 (2007), S. 805. So heißt es in S/RES/1617 (2005): „The Security Council (…) 2. Further decides that acts or activities indicating that an individual, group, undertaking, or entity is „associated with“ Al-Qaida, Usama bin Laden or the Taliban include: – participating in the financing, planning, facilitating, preparing, or perpetrating of acts or activities by, in conjunction with, under the name of, on behalf of, or in support of; – supplying, selling or transferring arms and related material to; – recruiting for; or – otherwise supporting acts or activities of; Al-Qaida, Usama bin Laden or the Taliban, or any cell, affiliate, splinter group or derivative thereof; 3. Further decides that any undertaking or entity owned or controlled, directly or indirectly, by, or otherwise supporting, such an individual, group, undertaking or entity associated with AlQaida, Usama bin Laden or the Taliban shall be eligible for designation.“ Mit S/RES/2083 (2012), Ziff. 3 wurde der Regelungsbereich der letztgenannte Bestimmung nochmals erweitert, die nunmehr lautet: „3. Confirms that any i n d i v u d u a l , g r o u p , undertaking or entity e i t h e r owned or controlled, directly or indirectly, by, or otherwise supporting, […]“. (die betreffenden Hervorhebungen wurden ergänzt). Näheres zur Bewertung dieser Bestimmungen an späterer Stelle.
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bereits eine Vielzahl von Listungen vollzogen war,118 so war auf diesem Wege ein erster Schritt zu mehr Klarheit und Einheitlichkeit im „listing“-Verfahren getan.119 Der Gefahr der missbräuchlichen Berufung auf terroristische Aktivitäten zur Sanktionierung missliebiger Widersacher konnte so Einhalt geboten werden. Ferner kommt der Resolution eine gewisse Appellfunktion zu, die den Bereich sanktionierbaren Verhaltens klarer absteckt.120 Zumindest aus der Anfangsphase des Sanktionsregimes wurde berichtet, dass die Initiative einiger Mitglieder des Sicherheitsrats, Beweise zur Begründung ihrer Listungsanträge vorzulegen, insbesondere von den Vereinigten Staaten kritisch betrachtet wurde, während sie ansonsten große Unterstützung fand.121 Mit Resolutionen 1617 (2005) und 1526 vom 30. Januar 2004 wurde dieser Missstand erstmals aufgegriffen, indem den eine Listung beantragenden Staaten aufgegeben wurde, der genauen Identifizierung dienende Angaben und weitere Hintergrundinformationen aufzunehmen, die die Verbindung des Betroffenen zu den Terroristen aufzeigen sollen,122 sowie eine Falldarstellung zur Antragsbegründung vorzulegen.123 Diese Neuerung schien auch nach Bekanntwerden von Fällen, in denen Unbeteiligte auf Grund von Namensverwechselungen von den Sanktionen erfasst wurden, überaus notwendig.124 Verbunden mit der in den genannten Resolutionen unverbindlich formulierten Aufforderung an die Staaten, die gelisteten Personen nach Möglichkeit über die gegen sie verhängten Maßnahmen, das Verfahren des „listing“- sowie „de listing“-Prozesses und die möglichen Ausnahmen aus humanitären Gründen zu informieren,125 kam man auch dem Bedürfnis nach mehr Transparenz einen Schritt näher. Mit Resolution 1735 vom 22. Dezember 2006 wurde dieser Prozess weiter verfolgt. So wurde aus der unverbindlichen Bittstellung die Forderung zur Benachrichtigung der Betroffenen mit samt Preisgabe oben beschriebener Informationen.126 Diesen sollte nun auch noch eine Kopie desjenigen Abschnitts der Fall118
Kritisch dazu van den Herik, LJIL 20 (2007), S. 805. Es wurde in der Folge auch weiter spezifiziert, was unter „den Taliban, Al Qaida und ihren Verbündeten zugutekommenden Finanzmitteln“ zu verstehen ist, die einzufrieren sind. So legt S/RES/1822 (2008), Ziff. 4 fest, dass davon u. a. solche erfasst sind, die für das Bereitstellen von Webhosting oder damit zusammenhängenden Diensten zugunsten der zu listenden Individuen und Unternehmen genutzt werden. Gleiches gilt seit S/RES/1904 (2009), Ziff. 5 für Lösegelder, die an Sanktionsadressaten gezahlt werden. 120 Auf Initiative Deutschlands, Schwedens und der Schweiz erstelltes White Paper, Biersteker/Eckert, in: dies., Watson Report, S. 8. 121 van Ginkel, The Practice of the United Nations in Combating Terrorism, S. 342. 122 S/RES/1526 (2004), Ziff. 17. 123 S/RES/1617 (2005), Ziff. 4. 124 Vgl. dazu die Ausführungen des Sanktionsausschusses in dem Bericht über seine Arbeit im Jahr 2003, UN Doc. S/2004/281, Ziff. 15. 125 S/RES/1526 (2004), Ziff. 18; S/RES/1617 (2005), Ziff. 5. 126 S/RES/1735 (2006), Ziff. 11: „calls upon“ als schärfere, aber noch immer unverbindliche Formulierung. Anschließend weiter verschärft durch S/RES/1822 (2008), Ziff. 17: „Demands that Member States (…) take all possible measures to notify or inform (…)“. 119
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darstellung zugefügt werden, der vom „designating state“ zur Veröffentlichung freigegeben wird.127 Die Falldarstellungen werden seit Resolution 1822 vom 30. Juni 2008 in gekürzter Fassung auch auf der Internetseite des Sanktionsausschusses geführt128 und sollen nunmehr klaren Vorgaben entsprechen; so werden Angaben von spezifischen Informationen über die Person, die Art der Informationen sowie Nachweise und Dokumente zu den geäußerten Verdachtsmomenten eingefordert.129 Es ist außerdem ein Musterformular ausgearbeitet worden, das von den Mitgliedstaaten zur Beantragung der Aufnahme in die Liste genutzt werden soll und oben genannte Informationen einfordert, um „Klarheit und Einheitlichkeit (…) zu gewährleisten“.130 Im Idealfall verfügt der Gelistete nun über all jene Informationen, die er braucht, um sich gegen eine gezielte Sanktion zu wehren. Was aber trotz des nicht zu verkennenden Fortschritts ins Auge fällt, ist, dass es immer noch in der Hand der Staaten liegt, welche Informationen, auf denen die Listung fußt, preisgegeben werden und dem Betroffenen zugänglich sind. bb) Überwachung der Implementierung und Aktualisierung der Konsolidierten Liste Im Rahmen der Neuausrichtung wurde auch Wert auf die weitere Effektuierung des Sanktionsregimes gelegt. Da die Verantwortung für die Implementierung der Maßnahmen bei den Mitgliedstaaten liegt, konzentrierte man sich insbesondere auf den „für alle Parteien gewinnbringenden, wechselseitigen Austausch“.131 Resolution 1735 (2006) legt den Parteien zu diesem Zwecke nahe, Vertreter der Mitgliedstaaten zu entsenden132 und ausgewählte Länder durch Mitglieder des Ausschusses besuchen zu lassen,133 um so für eine bessere Koordinierung zu sorgen. Eine wesentliche Rolle bei der Überwachung der Umsetzung des Sanktionsregimes kommt dem auf Vor-
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Es soll ferner bestimmt werden, welche Informationen interessierten Staaten auf Anfrage vorgelegt werden können, S/RES/1735 (2006), Ziff. 10 i.V.m. Ziff. 6. 128 Vgl. S/RES/1822 (2008), Ziff. 13 (abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/12 67. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Mit Hilfe des Monitoring Teams und in Abstimmung mit den vorschlagenden Staaten sollen die vor Erlass der Resolution erfolgten Eintragungen durch genannte Informationen ergänzt werden. 129 S/RES/1735 (2006), Ziff. 5, 10. 130 S/RES/1735 (2006), Ziff. 7 i.V.m. Anlage I. Ein Musterformular wurde im Dezember 2009 erstellt und ist auf der Webseite des Sanktionsausschusses verfügbar (abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/sfl_ind_basic.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Es ist gem. S/RES/1822 (2008), Ziff. 14 laufend zu aktualisieren. 131 So der damalige Vorsitzende des Sanktionsausschusses, Herr Verbeke, in der Sitzung des Sicherheitsrats vom 14. November 2007, UN Doc. S/PV.5779, S. 4. 132 S/RES/1735 (2006), Ziff. 29. 133 S/RES/1735 (2006), Ziff. 30.
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schlag eines Expertengremiums eingerichteten Monitoring Team zu.134 Dessen Mitglieder sind ausgewiesene Spezialisten auf einschlägigem Gebiet und wurden vom Generalsekretär ernannt.135 Dem unter der Leitung des Sanktionsausschusses agierenden Monitoring Team kommt u. a. die Aufgabe zu, regelmäßig Bericht zu erstatten, Empfehlungen abzugeben und gegebenenfalls Fallstudien durchzuführen. Zudem sind Treffen mit Vertretern des Privatsektors – z. B. solchen der Finanzinstitutionen – abzuhalten, um Möglichkeiten der praktischen Umsetzung der Maßnahmen zu erörtern.136 Zur Erfüllung dieser Aufgaben und der Erstellung analytischer Zusammenfassungen betreffend die Implementierungsfortschritte der Mitgliedstaaten sind – gegebenenfalls gemeinsam mit den Mitgliedern des Sanktionsausschusses anzutretende – Reisen in ausgewählte Länder vorgesehen.137 In seiner Arbeit hat das Monitoring Team eng mit dem Executive Directorate des Counter Terrorism Committee („CTED“) und der Sachverständigengruppe des Ausschusses nach Resolution 1540 (2004) zusammen zu arbeiten, um Konvergenzbereiche zu ermitteln und Synergieeffekte stärker zu nutzen,138 wofür die Counter-Terrorism Implementation Task Force („CTITF“) einen entsprechenden Rahmen bieten soll.139 Daneben soll ein enger Kontakt zur International Criminal Police Organization („INTERPOL“) gehalten werden, um den Sanktionsausschuss mit besseren Instrumenten zur Erfüllung seines Mandats auszustatten und die Mitgliedstaaten bei der Identifizierung der betroffenen Individuen und Unternehmen zu unterstützen.140
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Das Monitoring Team wurde auf Anraten eines Expertenausschusses ins Leben gerufen, der mit Ziff. 15 lit. a der Resolution 1333 eigerichtet wurde, um seinerseits Vorschläge zur besseren Überwachung der Embargos zu machen, UN Doc. S/2001/511. 135 S/RES/1526 (2004), Ziff. 6, 7. 136 Anlage zu S/RES/1822 (2008), lit. q. 137 Anlage zu S/RES/1526 (2004). Das Monitoring Team sah sich auf Grund der weiten Interpretation seiner Kompetenzen und der ohne Koordinierung mit dem 1267-Sanktionsausschuss wahrgenommenen Aufgabenfelder kritischen Stimmen ausgesetzt, vgl. Rosand, AJIL 98 (2004), S. 753 f. m.w.N. 138 S/RES/1822 (2008), Ziff. 35 ff., sowie in der Anlage zu selbiger Resolution, lit. d ff. 139 Vgl. die Ausführungen des Vorsitzenden des 1373-Ausschusses, Herrn Vilovic, im Rahmen der gemeinsamen Berichterstattung der gem. Resolutionen 1267, 1373 und 1540 eingerichteten Komitees, UN Doc. S/PV.6217, S. 2 ff. Allein bis zum 13. November 2009 haben das 1267-Monitoring Team und das Counter-Terrorism-Committee 15 gemeinsame Reisen in ausgewählte Länder veranstaltet. Zudem soll Kontakt zur Financial Action Task Force und anderen Internationalen Organisationen wie der International Air Transport Association (IATA), der International Civil Aviation Organization (ICAO) und der World Customs Organization (WCO) gehalten werden, S/RES/2161 (2014), Ziff. 75 und in der Anlange I, lit. y. 140 S/RES/1617 (2005), Ziff. 8; Anlage zu S/RES/1822 (2008), lit. s; S/RES/1988 (2011), Ziff. 11. So wird von INTERPOL eine „special notice“ über die global gesicherte Kooperationsplattform für die internationale polizeiliche Zusammenarbeit versendet, um alle rechtsdurchsetzenden Autoritäten ihrer Mitgliedstaaten auf die vom Sanktionsausschuss bestimmten Sanktionsadressaten aufmerksam zu machen. Zudem versorgt INTERPOL den Ausschuss und das Monitoring Team mit zusätzlichen Nenndaten über die gelisteten Individuen, Unternehmen und Einrichtungen, und hilft bei der Aufarbeitung zusätzlicher Informationen zu den Betrof-
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Mittlerweile wurden für Adressaten individualgerichteter UN-Sanktionen spezielle INTERPOL-UN Security Council Special Notices eingeführt.141 An der Fülle der vorgesehenen Maßnahmen wird deutlich, welch hohen Stellenwert man der Terrorismusbekämpfung im Rahmen des UN-Systems beimisst. Die aufwendigen und kostenintensiven Konsultationen142 der stark besetzten Expertengruppen143 stehen der sonst eher bescheidenen finanziellen Ausstattung der Vereinten Nationen entgegen. Wenn es aber darum geht, ein adäquates Rechtsschutzsystem einzurichten, zeigen sich die Mitgliedstaaten eher zurückhaltend. Das Taliban und Al Qaida-Sanktionsregime räumt Sicherheitserwägungen offenbar Priorität sowohl gegenüber strukturell-konstitutionellen Fragen, als auch gegenüber den Menschenrechten der Betroffenen ein.144 Auch die Maßnahmen, die eine Streichung von der Liste begünstigen, scheinen im Wesentlichen von einem damit einhergehenden Gewinn für die Effektuierung des Sanktionsregimes angetrieben zu sein.145 Darauf weisen die Beratungen im Vorfeld des Erlasses der Resolution 1822 (2008) hin, mit der eine turnusmäßige Überprüfung der gesamten Konsolidierten Liste eingeführt wurde. Bis zum 30. Juni 2010 wurde planmäßig ein erster Überprüfungszyklus abgeschlossen146 und soll im Anschluss jährlich für alle seit mindestens drei Jahren
fenen (Resolution No AG-2005-RES-05, Nr. 1 lit. a – e vom 19. bis 22. September 2005 der Generalversammlung der INTERPOL). 141 Vgl. Anlage I zu S/RES/2161 (2014), lit. bb. 142 Allein das Monitoring Team hat bis zum 29. Oktober 2014 229 Reisen in unterschiedliche Staaten veranstaltet, sich daneben mit etlichen Geheimdiensten und Expertengruppen wie dem CTED und der mit Resolution 1540 eingerichteten Expertengruppe getroffen, UN. Doc. S/2014/770, Ziff. 79 – 82. 143 Zunächst waren zwei Expertengruppen zur Überwachung der Maßnahmen mit einer Gesamtstärke von bis zu 20 Personen vorgesehen, die zum Teil zur analytischen Überwachung (ein Team mit bis zu fünf Mitgliedern) und zum Teil zur Unterstützung bei der Umsetzung der Maßnahmen direkt in Afghanistan und den Anrainerstaaten (ein Team mit bis zu 15 Mitgliedern) tätig werden sollten, S/RES/1363 (2001), Ziff. 4. Zur Einsetzung letzterer Gruppe kam es allerdings aufgrund der veränderten Sicherheitslage nach dem Beginn des Militäreinsatzes gegen die Taliban und Al Qaida in Afghanistan im Oktober 2001 nicht, UN Doc. S/2002/65, S. 3. Mittlerweile unterstützt das erstmalig mit S/RES/1526 (2004), Ziff. 6 eingesetzte achtköpfige Monitoring Team den Ausschuss bei seiner Arbeit, das seinerseits durch neun Mitarbeiter der Vereinten Nationen unterstützt wird (UN Doc. S/2014/770, Ziff. 78. Die jährlichen Kosten werden mit insgesamt 4,4 Millionen US-Dollar angegeben (ebd.)). 144 Diese Feststellung beschränkt sich nicht auf das Taliban und Al Qaida-Sanktionsregime, sondern ist für das ganze UN-System kennzeichnend, vgl. Koskenniemi, EJIL 6 (1995), S. 336. 145 Zu dem im Wesentlichen von der Befürchtung der Unterminierung des Systems kollektiver Sicherheit durch die (mittelbare) rechtliche Prüfung der Maßnahmen des Sicherheitsrats durch (supra-)nationale Gerichte angetriebenen Ausbau des „de listing“-Verfahrens an späterer Stelle. Vgl. dazu die Ausführungen der Repräsentantin der Schweiz, Heidi Grau, in der öffentlichen Sitzung des Sicherheitsrats am 13. November 2009, UN Doc. S/PV.6217, S. 28. Ebenso: Tladi/Taylor, CJIL 10 (2011), S. 776. 146 S/RES/1822 (2008), Ziff. 25.
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auf der Liste aufgeführten Namen wiederholt werden.147 Der damalige Vorsitzende des Taliban und Al Qaida-Sanktionsausschusses, Johan Verbeke, stellte in der öffentlichen Sitzung des Sicherheitsrats vom 14. 11. 2007 fest: „The completeness and accuracy of the 1267 Committee’s consolidated list are essential for the effectiveness of the sanctions measures.“148
Er veranschaulichte in der letzten öffentlichen Sitzung des Sicherheitsrats vor Erlass der Resolution 1822 vom 06. Mai 2008 die Motivation zur Einführung der Neuerungen: „Our common objective should be to have a dynamic list reflecting the evolution of the thread imposed by Al Qaida and the Taliban.“149
So sollten u. a. bereits verstorbene Individuen, die immer noch auf der Liste geführt werden, ausgemacht und gestrichen werden.150 Daneben hat die Einführung der turnusmäßigen Überprüfungen aber auch für noch lebende Akteure eine bedeutende Verbesserung mit sich gebracht, die tatsächlich von den Zwangsmaßnahmen betroffenen sind. So sichert Resolution 1822 (2008) eine unabhängig von einzelstaatlicher Initiative einzuleitende Überprüfung der Listungen.151 Insgesamt führte die Überprüfung zur Streichung von insgesamt 24 Individuen und 21 Unternehmen152 und dazu, dass die Informationen zu knapp 400 Einträgen ergänzt werden konnten.153 cc) Das „de listing“-Verfahren Bewegung war aber auch in den Reformprozess des „de listing“-Verfahrens gekommen. Im Rahmen der begleitenden Diskussionen wurde das Bedürfnis nach der 147 S/RES/1822 (2008), Ziff. 25 f. Der Aufgabenbereich wurde mit S/RES/1904 (2009), Ziff. 28 ff. und nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 66 lit. a und Ziff. 67 noch erweitert. u. a. ist nunmehr jedes Jahr eine Liste all jener Namen zu erstellen, die nicht die erforderlichen Identifizierungsangaben enthalten, damit der Sanktionsausschuss diese gegebenenfalls streicht. 148 UN Doc. S/PV.5779, S. 3. 149 UN Doc. S/PV.5886, S. 6. 150 s. dazu: S/RES/1822 (2008), Ziff. 22. Das Monitoring Team soll dem Ausschuss nunmehr jedes Jahr eine Liste mit mutmaßlich verstorbenen Personen und Unternehmen, die nicht mehr bestehen, mitsamt bestätigendem Informationsmaterial zukommen lassen. Der Ausschuss hat dann über die Streichung zu befinden, S/RES/2161 (2014), Ziff. 66 lit. a, b und Ziff. 67. Vor der Überprüfung nach Resolution 1822 vermutete das Monitoring Team, dass 30 gelistete Personen tot seien, UN Doc. S/2010/497, Ziff. 48. Nach der Überprüfung am 30. Juli 2010 strich der Ausschuss acht mutmaßlich verstorbene Personen und drei Unternehmen, die nicht mehr bestanden, von der Liste, UN Doc. S/2010/685, Ziff. 8. 151 Der Ausschuss leitet zu diesem Zwecke die betreffenden Namen an die Heimats- und Aufenthaltsstaaten und den die Aufnahme betriebenen Staat weiter, S/RES/1822 (2008), Ziff. 25 und nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 67 lit. d. 152 UN Doc. S/2011/245, S. 5. 153 UN Doc. S/2011/245, S. 9, Ziff. 10.
A. Die gezielten Sanktionen des Sicherheitsrats
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Einhaltung verfahrensrechtlicher Standards stärker betont. Besonderes Gewicht kam der Abschlusserklärung des 2005 World Summit zu, in dem die Generalversammlung den Sicherheitsrat zur Einrichtung eines fairen und klaren Verfahrens für Adressaten zielgerichteter Sanktionen anmahnte.154 (1) Die Koordinierungsstelle („focal point“) Mit Resolution 1730 vom 19. Dezember 2006 wurde auf Vorschlag Frankreichs155 zunächst eine Koordinierungsstelle („focal point“) innerhalb des Sekretariats zur Entgegennahme von Listenstreichungsanträgen eingerichtet, welche als Anlaufstelle für Antragsteller aller aktiven Sanktionskomitees bestimmt war.156 War es den Betroffenen bis dato nur möglich, über ihren Aufenthalts- oder Heimatsstaat eine Streichung von der Sanktionsliste zu verfolgen,157 so konnten sie sich nun auch unmittelbar an die UN-Ebene wenden. Die Koordinierungsstelle sollte einen Antrag nach Eingang zwecks Unterrichtung und/oder Stellungnahme an den Heimat- und Aufenthaltsstaat weiterleiten, sowie an denjenigen Staat, auf dessen Initiative die Aufnahme in die Liste zurückging.158 Dem Antragenden waren eine Eingangsbestätigung und Informationen über den allgemeinen Verfahrensablauf der Antragsbearbeitung zu übermittelt.159 Dieser gestaltete sich wie folgt: Sollte nach Antragseingang der Heimats- oder Aufenthaltsstaat eine Empfehlung zur Streichung von der Liste abgeben wollen, so war er dazu angehalten, zunächst den für die Listung verantwortlichen Staat direkt oder über die Koordinierungsstelle zu konsultieren.160 Kam es nach den Konsultationen zu einer Empfehlung der Streichung, so wurde diese dem Vorsitzenden des Sanktionsausschusses zugeleitet, welcher den Listenstreichungsantrag daraufhin auf die Tagesordnung des Ausschusses zu setzten hatte.161 Lehnte hingegen eine der konsultierten Regierungen den Antrag ab, so wurde er dem Ausschuss bloß mit der Aufforderung an die sonstigen Mitglieder zur Verfügung gestellt, die konsultierten Staaten mit den Antrag unterstützenden Informationen zu versorgen, sofern vorhanden.162 Lehnten die zunächst befassten Staaten den Antrag weiterhin ab, so kam es zu keiner Befassung im Ausschuss; der Antrag war gescheitert. Anders war es im Falle der Untätigkeit der zunächst konsultierten Staaten. Hatten sich diese über einen Zeitraum von drei Monaten nach Antragseingang nicht für 154
A/RES/60/1, Ziff. 109. Vgl. UN Doc. S/PV.5474, S. 18. 156 S/RES/1730 (2006), Ziff. 1, 2. Damit verdeutlicht sich wiederum die Bedeutung des Sanktionsregimes für die Entwicklung des gesamten UN-Systems. 157 Vgl. dazu im vorangegangenen Punkt 1. 158 Anlage der S/RES/1730 (2006), Ziff. 5. 159 Anlage der S/RES/1730 (2006), Ziff. 4. 160 Anlage der S/RES/1730 (2006), Ziff. 5. 161 Anlage der S/RES/1730 (2006), Ziff. 6 lit. a. 162 Anlage der S/RES/1730 (2006), Ziff. 6 lit. b. 155
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Vorgehen entscheiden können und auch nicht um eine längere Frist zur Überprüfung des Antrags ersucht, so wurde dieser von der Koordinierungsstelle dem Ausschuss zugeleitet. Damit verbunden war die Möglichkeit eines jeden Ausschussmitglieds, nach vorangehender Besprechung mit dem die Listung betriebenen Staat eine Empfehlung zur Streichung auszusprechen, mit der Folge der Befassung des Ausschusses mit der Frage. Kam dem jedoch innerhalb eines weiteren Monats keines der Mitglieder nach, so galt der Antrag als abgelehnt.163 Die Möglichkeit der Betroffenen, selbst ein Listenstreichungsverfahren anzustoßen, ohne auf eine staatliche Mitwirkung angewiesen zu sein, bereitete den Weg zu einem strukturellen Wandel des Sanktionsregimes, indem es dem Individuum unmittelbaren Zugang eröffnete. Eine grundsätzliche Abkehr vom alten Paradigma bedeutete dies jedoch nicht. Die für die Ausbildung eines hinreichenden Rechtsschutzes nach Vorbild nationalstaatlicher Gerichtsbarkeiten bedeutende Aufgabe der unabhängigen Untersuchung eines Falles wurde von ihr nicht erfüllt.164 Ihre Aufgabe erschöpfte sich vielmehr in verwaltender Tätigkeit, indem sie Informationen und Anträge entgegennahm und weiterleitete.165 Dem Bedürfnis des Gelisteten nach Gewährung rechtlichen Gehörs wurde nicht nachgekommen, und die Entscheidung über eine Streichung kam noch immer den Staatsvertretern zu, die – zumindest auch – ein politisches Mandat tragen. Dabei reichte die bloße Untätigkeit der Ausschussmitglieder aus, um den Antrag scheitern zu lassen.166 Zudem entschied zunächst der anzeigende Staat im Rahmen einer Vorprüfung über die Weiterleitung und damit die Befassung des Ausschusses mit dem Antrag; er war somit Kläger und Richter zugleich.167 Die Einrichtung dieses Verfahrens ließ die Kritiker nicht verstummen, da es neben der Eröffnung unmittelbaren Zugangs für den Einzelnen keine entscheidenden Veränderungen zu dem ursprünglichen, diplomatischen Rechtsschutzverfahren vorsah.168 (2) Die Ombudsperson Am 17. Dezember 2009 erließ der Sicherheitsrat sodann einstimmig die Resolution 1904 und läutete damit eine Neustrukturierung des Individualrechtsschutzsystems gegen gezielte Sanktionen des Sicherheitsrats ein. Dem Generalsekretär kam die Aufgabe zu, eine zur Entgegennahme von Streichungsersuchen der gelisteten Individuen und Unternehmen zuständige Ombudsperson zu ernennen, die sich 163
Anlage der S/RES/1730 (2006), Ziff. 6 lit. c. Feinäugle, ZRP 3/2007, S. 77. 165 Tladi/Taylor, CJIL 10 (2011), S. 781: „the institution of the Focal Point amounted to little more than the creation of a post office“. 166 Vgl. dazu: Anlage der S/RES/1730 (2006), Ziff. 6 lit. c. 167 Fremuth, VN 3/2009, S. 114. 168 Die beschriebenen „de listing“-Verfahren haben bis 11. März 2010 zur Streichung von 58 Namen geführt. Änderungen der Sanktionsliste werden im Internet dokumentiert (abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pressreleases.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 164
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durch ausgewiesene Kompetenz auf einschlägigem Gebiet sowie Unabhängigkeit und Unparteilichkeit auszeichnen sollte.169 Knapp sieben Monate nach Resolutionserlass kam es zur Ernennung von Kimberly Prost zur Ombudsperson und zur Einrichtung ihres Büros,170 wodurch sie die Funktion der Koordinierungsstelle ersetzte. Die Koordinierungsstelle bleibt für Listenstreichungsanträge anderer Sanktionsregime zuständig171 und sollte später auch im Rahmen des 1267-Sanktionsregimes wieder an Bedeutung zurückerlangen.172 Die Möglichkeit, eine Streichung auf dem Wege des diplomatischen Rechtsschutzes zu verfolgen, bleibt davon unberührt.173 Damit hat ein Vorschlag Eingang in die Verfahrenswirklichkeit des Sanktionsregimes gefunden, den ursprünglich Dänemark eingebracht hatte,174 und der in der Wissenschaft bereits im Vorwege diskutiert wurde.175 Mit Resolution 1904 (2009) wurden der Ombudsperson zunächst für einen Anfangszeitraum von 18 Monaten ab Resolutionserlass Aufgaben im Rahmen des Sanktionsregimes zugewiesen.176 Ihr Mandat wurde nach Ablauf der 18 Monate mit Resolution 1989 (2011) verlängert, wobei die Bestimmungen der Resolution 1904 (2009) vorbehaltlich einzelner Erweiterungen und Veränderungen übernommen wurden (s. u.). Technisch betrachtet wurden dabei die mit Resolution 1904 (2009) definierten Inhaltsbestimmungen ihres Mandats mit Zeitablauf durch im Wesentlichen gleichlautende Regelungen ersetzt.177 Seit Resolution 1904 (2009) ist die Ombudsperson die zentrale Figur im „de listing“-Verfahren des Sanktionsregimes. Mit Eingang eines Antrags auf „de listing“ durch einen Sanktionsadressaten wird eine zweimonatige Phase zur Sammlung von Informationen eingeleitet.178 Die Ombudsperson hat daraufhin dem Antragsteller den Erhalt zu bestätigen und ihn über den allgemeinen Verfahrensablauf der Antragsbearbeitung zu unterrichten, wobei auch konkrete Fragen zu beantworten sind.179 Als eine Hauptaufgabe während des Anfangsstadiums ihrer Amtszeit anerkannte sie das Bedürfnis, im Rahmen des ihr durch die Resolution gewährten Gestaltungsspielraums einheitliche Standards für den Verfahrensablauf zu formulieren, um eine 169
S/RES/1904 (2009), Ziff. 20. Pressemitteilung des Sicherheitsrats vom 7. Juni 2010, UN Doc. SC/9947. 171 S/RES/1904 (2009), Ziff. 21. 172 Siehe dazu die Ausführungen im Anschluss. 173 S/RES/1904 (2009), Ziff. 22. Die Ombudsperson ist nicht für Streichungsanträge von Mitgliedstaaten zuständig, vgl. Anlage II zu S/RES/2161 (2014). 174 Vierter Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2006/154, Ziff. 46. 175 Biersteker/Eckert, in: dies., Watson Report, S. 48 f. 176 S/RES/1904 (2009), Ziff. 20. 177 S/RES/1989 (2011), Ziff. 21. 178 Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 1 – 4. Die Phase der Informationssammlung konnte einmalig um bis zu zwei Monate verlängert werden, sofern Bedarf angezeigt wurde, Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 4. Mit Resolution 1989 kam es zu einer neuen Fristenregelung (s. u.). 179 Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 1 lit. a – c. 170
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beständige und objektive Verfahrensweise zu gewährleisten.180 So bearbeitete Kimberly Prost die eingereichten Anträge beispielsweise vertraulich, es sei denn, der Antragsteller entscheidet sich dazu, die Anfrage öffentlich bekannt zu geben.181 Bis jetzt hat sich nur ein Betroffener, Herr Abu Sufian Al-Salamabi Muhammed Ahmed Abd Al-Razziq (Abousfian Abdelrazik), dazu bereit erklärt, seine Identität während des Vefarhrens öffentlich bekannt zu geben.182 In den anderen Fällen werden ausschließlich generelle Informationen über den Stand des Verfahrens zur öffentlichen Einsicht freigegeben, die keinen Rückschluss auf den Antragenden zulassen. Nur wenn ein Streichungsersuchen positiv beschieden wird, werden der Name des Antragstellers und die „de listing“-Entscheidung des Ausschusses auf der Internetseite des Büros der Ombudsperson veröffentlicht.183 Diese Verfahrensweise ist durch die relevanten Resolutionen nicht vorgegeben, sondern stellt eine selbstauferlegte Regel durch die Ombudsperson dar. Sofern der Antrag auf die entscheidungserheblichen Kriterien des „associated with“-Tests eingeht und es sich nicht um einen wiederholten Antrag ohne Zusatzinformationen handelt,184 ist er umgehend an das Monitoring Team, die Ausschussmitglieder sowie alle anderen betroffenen sowie zweckmäßig zu unterrichtenden Staaten und Organe der Vereinten Nationen weiterzuleiten.185 Auf der Webseite des Büros der Ombudsperson sind stichwortartig die Punkte aufgelistet, zu denen in dem Antrag Stellung genommen werden sollte.186 Eine besondere Form ist jedoch nicht vorgegeben. Mit dem Weiterleiten des Antrags ist die Bitte zur Offenlegung aller den Streichungsantrag berührenden Zusatzinformationen innerhalb von zwei Monaten verbunden, woraufhin sich die Ombudsperson in einen Austausch mit den Staaten begeben kann, um ihre Meinungen über das Streichungsbegehren und zur Weiterleitung an den Antragsteller gedachte Informationen, Fragen und
180 UN Doc. S/2011/29, Ziff. 4. Siehe zur Verfahrensweise die Ausführungen auf der Website (abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ombudsperson/procedure.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 181 UN Doc. S/2011/29, Ziff. 19. 182 Vgl. dazu auf der Webseite des Büros der Ombudsperson (abrufbar unter: http://www.un. org/en/sc/ombudsperson/status.shtml#footnode1. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 183 Einsehbar auf der Website der Ombudsperson (abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ ombudsperson/status.shtml#footnote1. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 184 Unter einem „wiederholten Antrag“ versteht die Ombudsperson lediglich solche, die einen von ihr bereits einmal behandelten Fall betreffen. Anträge, die von demselben Betroffenen vorher bereits bei dem „focal point“ oder auf anderem Wege gestellt wurden, werden als Erstanfrage behandelt (vgl. dazu die Ausführungen auf der Webseite des Büros der Ombudsperson (abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ombudsperson/procedure.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015)). 185 Andernfalls wird der Antrag an den Antragsteller zurückverwiesen, Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 1 lit. d, e, 2, 3. 186 Abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ombudsperson/procedure.shtml (zuletzt besucht am 12. August 2015).
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Bitten einzuholen.187 Geheime Informationen finden dabei in Resolution 1904 (2009) noch keine besondere Erwähnung.188 In der Praxis hat Frau Prost von Beginn an auch den Zugang zu solchen Informationen erbeten.189 In enger Zusammenarbeit mit dem Monitoring Team hat sich die Ombudsperson schließlich auf Grundlage des gesammelten Materials ein umfassendes Bild von dem Fall zu machen. Dafür holt sie bei diesem Bewertungen über die vom Antragsteller gelieferten Informationen ein und kann ebenfalls einen Austausch zwischen dem Monitoring Team und dem Antragenden vorbereiten, indem sie zu diesem Zweck an diesen gerichtete Fragen und Informationsersuchen zusammenstellt.190 Der Prozess der Informationsgewinnung findet seinen Abschluss in der Vorlage eines schriftlichen Berichts vor dem Ausschuss durch die Ombudsperson,191 wodurch zugleich die erste Phase des vom Betroffenen angestoßenen „de listing“-Verfahrens beendet wird. Es folgt eine zweimonatige Phase des Dialogs, in der die Ombudsperson als Moderatorin fungiert. An dessen Ende soll ein mit Hilfe des Monitoring Teams erarbeiteter „Umfassender Bericht“ stehen.192 Ein Dialog mit dem Antragsteller kann davon eingeschlossen sein. Laut Resolution ist dies davon abhängig, ob die Ombudsperson entweder eigene Fragen an den Antragsteller richtet oder die beteiligten Staaten und das Monitoring Team in der ersten Phase um die vermittelte Kontaktaufnahme gebeten haben, die nunmehr Raum für ihren Vollzug bekommt.193 Von Beginn an hat sich die Ombudsperson im Rahmen des Dialogs auch mit den Antragstellern zwecks persönlicher Befragung getroffen, wenn sie dies für sinnvoll erachtete,194 obwohl dies in Resolution 1904 (2009) noch nicht ausdrücklich vorgesehen war.195 Der letztlich zu erstellende „Umfassende Bericht“ sollte nach Resolution 1904 (2009) ausschließlich das Tätigkeitsfeld der Moderatorin im konkreten Fall beschreiben, die gesammelten Informationen gegebenenfalls unter Angabe der Quellen zusammenfassen und auf Grundlage ihrer Analyse und weiterer Beobachtungen die entscheidenden Argumente darlegen.196 Eine bindende Entscheidung oder zumindest eine empfehlende Stellungnahme der Ombudsperson zur Bescheidung des Antrags
187
Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 2. Vgl. zur weiteren Entwicklung die Ausführungen an späterer Stelle. 189 UN Doc. S/2011/29, Ziff. 33 ff. 190 Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 3. 191 Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 4. 192 Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 5, 7. Auch diese Phase kann einmalig um bis zu zwei Monate verlängert werden. 193 Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 6 lit. a, b. 194 So bereits ersten Fall, UN Doc. S/2011/29, Ziff. 31. 195 Seit Anlage II der S/RES/1989 (2011), Ziff. 6 lit. c, ist nun auch rechtlich vorgesehen, dass es nach Möglichkeit zu einem Treffen kommen soll. 196 Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 7. 188
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war bis dato nicht vorgesehen.197 Letzteres wurde insbesondere von Mitgliedern der informellen „Gruppe gleichgesinnter Staaten“ vorgeschlagen, die es sich zur Aufgabe genommen hat, die Entwicklung im Rahmen der Individualsanktionen an rechtsstaatlichen Maßstäben auszurichten198 und war auch regelmäßig Teil der die Institution Ombudsperson behandelnden Vorschläge aus der Wissenschaft.199 Im Lichte einer weiten Auslegung ihres Mandats verband Frau Prost mit ihrem Auftrag aber von Anfang an die Kompetenz, dem Ausschuss bei der Vorstellung des Berichts ihre Meinung darüber mitzuteilen, ob die zugrundeliegenden Informationen nach Lage der Dinge für die Aufnahme in die Liste ausreichend wären. Durch diese „Überprüfung“ des belastenden Materials sah sie die Bedingungen eines rechtsstaatlichen Verfahrens in dieser von ihr als unkonventionell bezeichneten Weise als erfüllt an.200 Faktisch lieferte sie damit schon im Rahmen des 1904-Verfahrens eine Empfehlung über den Antrag auf Grundlage der ihr vorgelegten Informationen, zumal der Ausschuss dazu angehalten ist, diejenigen Betroffenen von der Liste zu streichen, die nicht mehr die Kriterien zur Aufnahme in die Liste erfüllen.201 Die dritte und letzte Phase betrifft die Behandlung des Listenstreichungsantrags im Ausschuss, für die wiederum zwei Monate Zeit vorgesehen sind. Nach Übermittlung des „Umfassenden Berichts“ an die Ausschussmitglieder haben sie 30 Tage Zeit, diesen durchzusehen, bis er zwecks Verhandlung auf die Tagesordnung des Ausschusses gesetzt wird.202 Letztere wird durch eine persönliche Vorstellung des Berichts durch die Ombudsperson eingeleitet und schließt mit einer im Konsens zu treffenden Entscheidung über den Streichungsantrag ab, womit jedem Mitgliedstaat ein Vetorecht zugestanden wird.203 Wird der Antrag positiv beschieden, so kommt es zur umgehenden Streichung von der Liste und gleichzeitiger Benachrichtigung des Betroffenen durch die Ombudsperson.204 Eine Begründung für die positive Bescheidung eines Antrags durch den Ausschuss war zunächst nicht vorgesehen, ob-
197 Vgl. zur Entwicklung in diesem kontrovers verhandelten Punkt die Ausführungen an späterer Stelle. 198 Vgl. dazu die Erklärung des Repräsentanten Costa Ricas, Jorge Urbina, der auch als Sprecher der „Gruppe gleichgesinnter Staaten“ fungierte, UN Doc. S/PV.6247, S. 3. Die Gruppe bestand zu dieser Zeit aus den Staaten Costa Rica, Belgien, Deutschland, Dänemark, Finnland, Liechtenstein, Niederlande, Norwegen, Schweden und der Schweiz. 199 Vgl. z. B. Biersteker/Eckert, in: dies., Watson Report, S. 45. 200 So in ihrem Redebeitrag während des 41. Treffens des Council of Europe Committee of Legal Advisors on Public International Law (CAHDI) am 18. März 2011 in Straßburg (abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ombudsperson/pdfs/CAHDI_remarks_18.03.2011_E.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 201 S/RES/1735 (2006), Ziff. 14 und ähnlich S/RES/1904 (2009), Ziff. 22. 202 Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 8, 9. 203 Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 10 i.V.m. den Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work, Ziff. 4 lit. a (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/ sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 204 Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 11.
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wohl gerade hieraus wichtige Erkenntnisse für die Auslegung der Bestimmungen des Sanktionsregimes zu gewinnen wären.205 Stimmt eines der Ausschussmitglieder nicht zu, so wird dem Antrag nicht stattgeben, worüber der Betroffene ebenso in einem Schreiben der Ombudsperson zu informieren ist. Dieses beinhaltet die veröffentlichungsfähigen Informationen zu dem konkreten Verfahren und „gegebenenfalls“ – und dies ist eine entscheidende Neuerung – ein die Entscheidung des Ausschusses erläuternder Beschluss samt aktualisierter Zusammenfassung der Listungsgründe.206 Vor Erlass dieser Bestimmung konnten die betreffenden Staaten einer Streichung von der Liste ohne Angabe von Gründen widersprechen. Eingeschränkt ist der Aufruf zur Übermittlung der eine Ablehnung begründenden Sachinformationen allerdings durch die zu beachtende Vertraulichkeit gekennzeichneten Materials,207 das im sensiblen Bereich der Terrorismusbekämpfung gewiss von besonderer Bedeutung ist. Auch wenn die anschließenden Beratungen im Ausschuss und die Beschlussfassung grundsätzlich in geheimer Sitzung erfolgen,208 dem Antragenden also möglicherweise entscheidende Informationen verschlossen bleiben, steigert das neue Verfahren die Transparenz des „de listing“-Prozesses.209 In den ersten beiden von der Ombudsperson behandelten Fällen war der Anteil zurückbehaltener Informationen an dem erbetenen Material nicht entscheidend. Dennoch hob Kimberly Prost das Bedürfnis nach einer einheitlichen Regelung zur Behandlung der Frage nach dem Umgang mit geheimen Informationen hervor, da sie befürchtete, in Zukunft regelmäßig mit ebensolchen Fällen befasst zu sein.210 Sie sollte Recht behalten, weshalb der Umgang mit solchem Material noch weiter für Diskussionen sorgte.211 Das mit Resolution 1904 (2009) eingesetzte Büro der Ombudsperson stellt ein Novum für individualgerichtete Sanktionsregime des Sicherheitsrats dar. Alle Bedenken konnten auf diesem Wege allerdings noch nicht ausgeräumt werden.
205 Dies bemängelte Frau Kimberly Prost in ihrem ersten Bericht an den Sicherheitsrat, UN Doc. S/2011/29, Ziff. 50. Seit S/RES/2083 (2012), Anlage II, Ziff. 14, ist auch eine positive Entscheidung zu begründen. 206 S/RES/1904 (2009), Ziff. 25 i.V.m. Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 12, 13. 207 Anlage II der S/RES/1904 (2009), Ziff. 14. 208 In öffentlicher Sitzung tagt der Ausschuss nur nach Beschluss, Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work, Ziff. 3 lit. b (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 209 Dies betont auch der Ständige Vertreter Österreichs bei den Vereinten Nationen, Thomas Mayr-Harting, als damaliger Vorsitzender des Sicherheitsrats in seiner Erklärung zum Erlass der Resolution 1904 (2009), UN Doc. S/PV.6247, S. 2. 210 Vgl. dazu den Redebeitrag CAHDI (abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ombudsper son/pdfs/CAHDI_remarks_18.03.2011_E.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Weiteres zur aktuellen Praxis im anschließenden Punkt b). 211 Vgl. dazu im folgenden Punkt b).
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b) Die aktuelle Rechtslage Trotz stetiger Anpassung des Sanktionsinstrumentariums ließ der Reformdruck zum weiteren Ausbau des Individualrechtsschutzes nicht nach,212 weshalb in diesem Bereich weitere Rechtsnovellierungen folgen sollten. Darüber hinaus sahen sich die Sicherheitsratsmitglieder durch die veränderte Situation in Afghanistan und die Differenziertheit der Bedrohungsszenarien dazu veranlasst, das Sanktionsregime neu zu strukturieren. Am 17. Juni 2011 wurde als Element zur stufenweisen Umsetzung eines umfassenden politischen Ansatzes213 das Taliban- und Al Qaida Sanktionsregime mit den jeweils einstimmig erlassenen214 Resolutionen 1988 (2011) und 1989 (2011) schließlich aufgespalten.215 Es wird nunmehr unterschieden zwischen der Bedrohung für den Weltfrieden, die von der Situation in Afghanistan ausgeht,216 und der Bedrohung durch Erscheinungsformen des territorial nicht eingrenzbaren Terrorismus, hier ausgehend von Al Qaida.217 Es erfolgt entsprechend eine gesonderte Sanktionierung durch zwei unterschiedliche Regime, die beide auf den vorangegangenen Resolutionen aufbauen. Sie wurden zunächst am 17. Dezember 2012 durch Resolutionen 2082 bzw. 2083 und zuletzt am 17. Juli 2014 durch Resolutionen 2160 bzw. 2161 ergänzt. aa) Resolutionen 1988 (2011), 2082 (2012) und 2160 (2014) Im Zentrum der internationalen Afghanistanpolitik stand die Unterstützung des auf der Petersberger Konferenz vom 5. Dezember 2001218 eingeleiteten und durch die
212 Vgl. nur die folgende Gerichtsentscheidungen, die sich zumindest kritisch mit dem Sanktionsregime auseinandersetzten: EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008; dem folgend: EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010; und anschließend nochmals der EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013; Canadian Federal Court, Abdelrazik gg. Kanada, 2009 FC 580, vom 4. Juni 2009, 2009 FC 580, vom 4. Juni 2009; UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010; Schweizer Bundesgericht, Nada gg. SECO, Staatssekretariat für Wirtschaft, 1 A.45/2007/daa, vom 14. November 2007 und EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012; Tribunal de première instance de Bruxelles, Sayadi & Vinck gg. Belgien, 4th Ch., vom 11. Februar 2005. Zum Einfluss der Entscheidungen europäischer Gerichte auf den Reformprozess vgl. Heupel, EurJCrimPolRes 18 (2012), S. 324 ff. 213 Siehe dazu die folgenden Ausführungen. 214 UN Doc. S/PV.6557, S. 2. 215 Vgl. zum Verhandlungsprozess im Sicherheitsrat Tladi/Taylor, CJIL 10 (2011), S. 782 ff. 216 Präambel zu S/RES/1988 (2011). 217 Präambel zu S/RES/1989 (2011). 218 Eine deutsche Übersetzung des Abschlussabkommens ist im Internet einsehbar (abrufbar unter: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/400792/publicationFile/4 538/VereinbarungAfg.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015).
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Londoner Konferenz vom 28. Januar 2010219 sowie die Kabuler Konferenz vom 20. Juli 2010220 und die Bonner Konferenz vom 5. Dezember 2011221 fortgesetzten Prozesses zur schrittweisen Übernahme von Verantwortung eigener Angelegenheiten durch afghanische Institutionen.222 An diesen Prozess wurde mit der Konferenz vom 8. Juli 2012 in Tokio und der Konferenz vom 4. Dezember 2014 in London angeknüpft.223 Der dabei als vorausgesetzt anerkannte staatstragende nationale Konsens wird durch ein Programm zur nationalen Aussöhnung und Wiedereingliederung zu generieren versucht, welcher u. a. die Möglichkeit zur Rehabilitierung von Mitgliedern der Taliban und ihren Unterstützern miteinschließt.224 Es wird den entsprechenden Bemühungen der afghanischen Regierung großes Vertrauen geschenkt, in der Hoffnung, dass es auf diese Weise zu einer selbsttragenden Konsolidierung komme.225 In dem Abschlussabkommen der Afghanistankonferenz von Kabul wurde der Eintritt der afghanischen Regierung in den Entscheidungsprozess betreffend Anträge zur Streichung der Sanktionsadressaten von der Konsoldierten Liste des 1267-Sanktionsregimes ausdrücklich als ein wichtiger Teil dieses Prozesses benannt.226 Man erhofft sich dadurch offenbar, beiden miteinander in Verbindung stehenden Zielen einen Schritt näher zu kommen; der Behauptung/Begründung der afghanischen Souveränität durch schrittweise Rückverlagerung von Entschei219 Eine deutsche Übersetzung des Abschlussabkommens ist im Internet einsehbar (abrufbar unter: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/343834/publicationFile/3 753/100128-communique.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 220 Eine deutsche Übersetzung des Abschlussabkommens ist im Internet einsehbar (abrufbar unter: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/343830/publicationFile/4 8495/100720-Kommunique-Kabul.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 221 Eine deutsche Übersetzung des Abschlussabkommens ist im Internet einsehbar (abrufbar unter: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/604278/publicationFile/1 62864/Konferenzschlussfolgerungen_-_Internationale_Afghanistan-Konferenz_Bonn_2011_ deutsch.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 222 Vgl. auch die Absätze 5 und 6 der Präambel zu S/RES/1988 (2011), sowie die Präambel zu S/RES/1974 (2011), mit der das Mandat der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) verlängert und neu ausgerichtet wurde. Im Zentrum steht die Aufgabe, der afghanischen Regierung „auf ihrem Weg zur Übernahme der Führungsverantwortung entsprechend dem Prozess von Kabul behilflich zu sein“ (S/RES/1974 (2011), Ziff. 4 in der Übersetzung des Deutschen Übersetzungsdienstes bei den Vereinten Nationen. Vgl. zur näheren Bestimmung ihres Aufgabenbereichs die Ziff. 5 und 6 der S/RES/1974 (2011)). 223 Die Abschlussdokumente sind im Internet einsehbar (abrufbar unter: http://www.mofa. go.jp/region/middle_e/afghanistan/tokyo_conference_2012/tokyo_declaration_en1.html bzw. unter: https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/383205/ The-London-Conference-on-Afghanistan-Communique.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 224 s. Absätze 7, 9, 11, 14, 17 und 18 der Präambel zu S/RES/1988 (2011) sowie Ziff. 2 im Abschlussabkommen der Afghanistan-Konferenz in Kabul vom 20. Juli 2010. 225 Vgl. dazu die Ausführungen des ständigen Vertreters Deutschlands bei den Vereinten Nationen, Botschafters und Vorsitzenden des 1267 Sanktionsregimes, Peter Wittig, nach Erlass der Resolutionen 1988 und 1989 am 17. Juni 2011, UN Doc. S/PV.6557, S. 2 f. 226 Ziff. 15 im Abschlussabkommen der Afghanistan-Konferenz in Kabul vom 20. Juli 2010.
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dungskompetenzen an die Regierung und der Beteiligung aller Gesellschaftsgruppen an einem als notwendig erkannten politischen Konsolidierungsprozess.227 Diese Forderung griff auch das Monitoring Team in seinem elften Bericht an den Sanktionsausschuss vom 22. Februar 2011 auf228 und regte an, die auf der Sanktionsliste geführten Anhänger der Taliban anders zu behandeln als diejenigen Al Qaidas.229 Es schilderte, mit welchen Schwierigkeiten Gelistete konfrontiert sind, die in Afghanistan politisch tätig werden wollen; sie können ohne die Erlaubnis des Sanktionsausschusses weder Gelder verwalten, effektive Staatsmacht ausüben, Kontakt zu Unterstützern suchen, ohne dass diese Gefahr laufen, ebenfalls auf die Liste zu kommen, noch das Land verlassen.230 Mit Resolution 1988 (2011) wurden die Abschnitte A („Mit den Taliban assoziierte Individuen“) und B („Mit den Taliban assoziierte Unternehmen, Körperschaften und andere Gruppen“) aus der Konsolidierten Liste des 1267-Sanktionsregimes in eine von dem neu eingesetzten 1988-Sanktionsregime zu verwaltende Liste (in der Folge: „Taliban-Sanktionsliste“) übertragen.231 Ein die Besetzung des Sicherheitsrats widerspiegelnder Taliban-Sanktionsausschuss ist nun für die Verwaltung der Liste zuständig, also insbesondere für die Bestimmung der Sanktionsadressaten aus den Reihen der Taliban mitsamt ihrer Verbündeten und für deren Streichung von der Liste.232 An der Art der umzusetzenden Restriktionen hat sich dagegen nichts verändert.233 Das 1267-Monitoring Team sollte das Komitee zunächst für eine Phase von 18 Monaten bei der Erfüllung des Mandats unterstützen, mitunter dadurch, dass es regelmäßig Informationen über den Status der Gelisteten zusammenstellt, um zu sichern, dass die Sanktionsliste ansprechend die von den Taliban und ihren Verbündeten ausgehende Gefahr widerspiegelt.234 Das Mandat wurde zuletzt mit Resolution 2160 (2014) um 30 Monate verlängert235 und erweitert. 227
In diesem Sinne u. a. Absatz 5 der Präambel zu S/RES/1988 (2011). UN Doc. S/2011/245, S. 5. Die Empfehlungen des Monitoring Teams haben auch an anderer Stelle Eingang in das Sanktionsregime gefunden (s. u.). 229 UN Doc. S/2011/245, S. 10 ff., Ziff. 16 ff. 230 UN Doc. S/2011/245, S. 10, Ziff. 13. 231 S/RES/1988 (2011), Ziff. 1, 2. 232 S/RES/1988 (2011), Ziff. 30 i.V.m. Ziff. 1. Ferner hat es Netzwerke zu bilden, um die angemessene Implementierung der Maßnahmen zu überprüfen, und nimmt hinsichtlich des ausgegliederten Teils im Wesentlichen die Aufgaben des 1267-Sanktionsauschusses wahr, vgl. dazu im Einzelnen S/RES/1988 (2011), Ziff. 30 lit. a – p. 233 Vgl. dazu S/RES/1988 (2011), Ziff. 1 lit. a – c und nunmehr S/RES/2160 (2014), Ziff. 1 lit. a – c; Finanzmittel sind einzufrieren, es sind Reisebeschränkungen aufzuerlegen und es ist ein Waffenembargo umzusetzen. Vgl. zu den Spezifizierungen der einzufrierenden Finanzmittel bereits oben. 234 S/RES/1988 (2011), Ziff. 25 lit. a – c. Desweiteren soll es nützliche Informationen von beteiligten Akteuren sammeln und Konsultationen mit ihnen organisieren, sowie weitere ihm von dem Sanktionsausschuss aufgetragenen Aufgaben wahrnehmen, S/RES/1988 (2011), Ziff. 31 i.V.m. lit. a – v des Anhangs. 235 Gerechnet ab Juni 2015, S/RES/2082 (2012), Ziff. 43. 228
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Nunmehr soll es im Rahmen des „listing“- und „de listing“-Verfahrens dem Ausschuss, der afghanischen Regierung und weiteren im Einzelfall relevanten Staaten Vorschläge zur Aufnahme sowie Streichung von Namen liefern.236 (1) Ausnahmeregelungen für Beteiligte am Friedensund Aussöhnungsprozess Dem Problem, dass die UN-Sanktionen die Eingliederung von Taliban in den Friedens- und Aussöhnungsprozess entgegenstehen könnten, wurde versucht, über besondere Ausnahmeregelungen zumindest ansatzweise entgegenzutreten. Danach können Sanktionsadressaten, die sich in den afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess einbringen wollen und dazu zu ausgewählten Sitzungen ins Ausland reisen müssen, auf Antrag der afghanischen Regierung durch den Sanktionsausschuss Ausnahmen zu den Reisebeschränkungen erteilt bekommen.237 Davon bleibt die Möglichkeit der Staaten unberührt, Ausnahmen nach Resolutionen 1452 (2002) und 1735 (2006) zu beantragen.238 Ein unmittelbarer Zugang zum entscheidungskompetenten Sanktionsausschuss ist indes nicht eröffnet. (2) Das „listing“-Verfahren des Taliban-Sanktionsregimes Die UN-Mitgliedstaaten und insbesondere die afghanische Regierung sind dazu aufgerufen, dem Taliban-Sanktionsausschuss Namen von Verbündeten der Taliban zwecks Ergänzung auf der Sanktionsliste zu nennen.239 Die Kriterien, nach denen sich eine sanktionsbewehrte Verbindung bemisst, folgen dem bereits mit Resolution 1617 (2005) eingeführten „associated-with“ Test unter Beschränkung auf die Taliban.240 Hintergrundmotiv der Sanktionierung bildet nunmehr die nicht näher spezifizierte „Bedrohung für den Frieden, die Stabilität und Sicherheit Afghanistans“.241 Der „listing“-Tatbestand erstreckte sich nach Resolution 1988 (2011) auch auf alle anderen Parteien und ihre Verbündeten, die eine Bedrohung für die Stabilität und Sicherheit Afghanistans darstellen.242 Diese problematische Ausweitung des Tatbestandes243 wurde mit Resolution 2082 (2012) allerdings wieder revidiert, womit sich das Regime nunmehr auf die Taliban beschränkt. 236
Anlage zu S/RES/2160 (2014), lit. k. S/RES/2160 (2014), Ziff. 13 und 14. 238 S/RES/2160 (2014), Ziff. 12. 239 S/RES/2160 (2014), Ziff. 16. 240 S/RES/2160 (2014), Ziff. 16 i.V.m. Ziff. 2 und die hinsichtlich der Bemessungsregeln gleichlautende S/RES/1617 (2005), Ziff. 2. Vgl. zu den im Anschluss an Resolution 1617 erfolgten Spezifizierungen der einzufrierenden Finanzmittel bereits oben. Für das mit S/RES/ 1989 (2011) eingeführte Al Qaida-Sanktionsregime (s. u.) gilt Selbiges, vgl. Ziff. 12 i.V.m. 4. 241 S/RES/2160 (2014), Ziff. 1. 242 S/RES/1988 (2011), Ziff. 6. 243 Vgl. auch die Kritik von Tladi/Taylor, CJIL 10 (2011), S. 786, insobesondere an dem Hintergrundmotiv der Sanktionierung, die sich damit noch nicht auflösen konnte. 237
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Zur Umsetzung der schrittweisen Übergabe von Verantwortung wird die afghanische Regierung in das „listing“-Verfahren stärker eingebunden.244 So werden die eine Listung beantragenden Staaten dazu aufgerufen, sich vor der Vorlage des Antrags bei dem Sanktionsausschuss mit der afghanischen Regierung zu beraten und – sofern angebracht – Ratschläge von der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) einzuholen.245 (3) Das „de listing“-Verfahren des Taliban-Sanktionsregimes Eine noch wichtigere Rolle spielen die afghanischen Autoritäten nun im Rahmen des „de listing“-Prozesses. Die Staaten sollen die bei dem entscheidungskompetenten Taliban-Sanktionsausschuss einzureichenden Streichungsanträge mit der Regierung Afghanistans abstimmen, um eine Koordinierung mit dem afghanischen Friedens- und Aussöhnungsprozess zu gewährleisten.246 Die gesellschaftliche Rehabilitierung steht allen Afghanen offen, die den Bedingungen des Versöhnungsprogramms der afghanischen Regierung entsprechen,247 d. h. jeder Form der Gewalt abschwören, keine Verbindung zu internationalen Terrororganisationen pflegen und die afghanische Verfassung respektieren, mitsamt der darin verbürgten Frauen- und Minderheitenrechte.248 Anträge, die sich auf eine Aussöhnung berufen, sollen möglichst eine durch die afghanische Regierung übermittelte Bestätigung des von der Regierung Hamid Karzai eingesetzten Hohen Friedensrats über den Status der Aussöhnung bzw., bei einer Aussöhnung im Rahmen des Vorläuferprogramms zur Stärkung des Friedens, die Aussöhnung bestätigenden Unterlagen, sowie Kontaktund Adressdaten beinhalten.249 Um diesen Prozess nicht unnötig durch eine weitere Sanktionierung zu unterminieren, sollen Streichungsanträge für Personen, die diese Kriterien erfüllen, von nun an besondere Berücksichtigung erfahren.250 Sie spielten 244 Allgemein zur Kooperation mit der afghanischen Regierung: S/RES/2160 (2014), Ziff. 40 – 42. 245 S/RES/2160 (2014), Ziff. 23. Das Mandat der UNAMA wurde bereits durch S/RES/ 1974, Ziff. 5 lit. c vom 22. März 2011 entsprechend ausgerichtet, die die Bedeutung der vernetzten Zusammenarbeit für den Friedens- und Aussöhnungsprozess ebenfalls hervorhob, vgl. außerdem Ziff. 11 und 38 derselben Resolution. 246 S/RES/2160 (2014), Ziff. 26. 247 Vgl. zum Versöhnungsprogramm Ziff. 13 der Abschlusserklärung zur AfghanistanKonferenz in London vom 28. Januar 2010. 248 Absatz 10 der Präambel zu S/RES/2160 (2014). 249 S/RES/2160 (2014), Ziff. 28 lit. a. Die afghanische Regierung soll jährlich Bericht über den Status der als „ausgesöhnt“ gemeldeten Personen erstatten, S/RES/2160 (2014), Ziff. 30, 2. HS. Besonders sensibel soll darauf geachtete werden, ob die rehabilitierten Personen sanktionsbewehrte Handlungen wiederaufnehmen, um sie ggf. wieder zu listen, S/RES/2160 (2014), Ziff. 31. 250 S/RES/2160 (2014), Ziff. 25. Zumal noch drei Mitglieder des Hohen Friedensrates zum 22. Februar 2011 auf der 1267-Sanktionsliste geführt wurden, war mit unabhängigen Bewertungen durch diesen schwerlich zu rechnen. Der Hohe Friedensrat hat durch die Tötung seines ehemaligen Vorsitzenden und früheren Präsidenten Afghanistans, Burhanuddin Rabbani, einen
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in der Praxis bereits vor Erlass der Resolution 1988 (2011) bei der Beurteilung von „de listing“-Anträgen eine entscheidende Rolle251 und stützen sich nun auch auf eine Rechtsgrundlage. Außerdem wird der Taliban-Sanktionsausschuss dazu angewiesen, alle Betroffenen, die die Listungskriterien des „associated with“-Test nicht mehr erfüllen, schnellstmöglich eigeninitiativ von der Taliban-Sanktionsliste zu streichen.252 Die UNAMA soll die Kooperation zwischen der afghanischen Regierung und dem Sanktionsausschuss befördern, um einen hinreichenden Informationsaustausch zwecks ansprechender Beurteilung von Streichungsanträgen zu gewährleisten.253 Anträge zur Streichung von Personen, die vor 2002 Positionen im Regime der Taliban innehatten und die Listungskriterien nicht mehr erfüllen, sollen nach Möglichkeit eine bestätigende Mitteilung der afghanischen Regierung über deren Abkehr von friedensbedrohenden Handlungen sowie ihre Kontakt- und Adressdaten beinhalten.254 Der Sanktionsausschuss ist seit Resolution 2082 (2012) zudem dazu aufgerufen, bei Bedarf Repräsentanten der afghanischen Regierung einzuladen, sofern ein von ihr eingereichter „listing“- oder „de listing“-Antrag in Streit steht.255 Die entscheidendste Wendung für den Individualrechtsschutz auf UN-Ebene bedeutete allerdings die Rückkehr zu dem mit Resolution 1730 (2006) eingeführten System des „focal point“.256 Betroffene, die unabhängig von der Unterstützung eines Mitgliedstaates ihre Streichung betreiben wollen, müssen sich wieder an diesen wenden. Damit wurde dem Mandat der Ombudsperson die Bearbeitung der Fälle des Taliban-Sanktionsregimes entzogen. Dass die mit der Einrichtung ihres Büros einhergegangenen Errungschaften für den Individualrechtsschutz nun für die Taliban und ihre Verbündeten nicht mehr gelten sollten, stieß auch unter den Mitgliedern des Sicherheitsrats auf Kritik.257 Ob das praktische Auswirkungen für die Aufgabenwahrnehmung der Ombudsperson hat, ist jedoch fraglich, zumal alle elf Streichungsanträge, die bis zu dem Tag des Erlasses von Resolution 1988 (2011) bei ihr weiteren Rückschlag erlebt, vgl. dazu die Erklärung auf der Bonn Konferenz vom 05. Dezember 2011, Rn. 17 (abrufbar unter: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/ 604278/publicationFile/162864/Konferenzschlussfolgerungen_-_Internationale_AfghanistanKonferenz_Bonn_2011_deutsch.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 251 UN Doc. S/2011/245, S. 10, Ziff. 14. 252 S/RES/2160 (2014), Ziff. 25, 1. HS. Dazu soll es regelmäßige Überprüfungen der Liste geben, bei denen das Monitoring Team unterstützend tätig werden soll, S/RES/2160 (2014), Ziff. 43 i.V.m. lit. b des Anhangs. 253 S/RES/2160 (2014), Ziff. 28. 254 S/RES/2160 (2014), Ziff. 28 lit. b. 255 S/RES/2082 (2012), Ziff. 24 und nunmehr S/RES/2160 (2014), Ziff. 29. 256 S/RES/1988 (2011), Ziff. 20 und nunmehr S/RES/2160 (2014), Ziff. 27. 257 So der Ständige Vertreter Portugals bei den Vereinten Nationen, José Filipe Mendes Moraes Cabral, in der öffentlichen Sitzung des Sicherheitsrats vom 17. Juni 2011, UN Doc. S/ PV.6557, S. 5. Tladi/Taylor, CJIL 10 (2011), S. 785, stellen fest: „from a due process perspective, Resolution 1988 takes a significant step back from Resolution 1904“. Vgl. zu den verfahrensrechtlichen Mängeln auch EGMR, Kammer, Al-Dulimi and Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. Novemeber 2013, Rn. 118 ff.
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eingereicht wurden, von Individuen und Unternehmen stammten, die unter das heutige Al Qaida-Sanktionsregime fielen.258 bb) Resolutionen 1989 (2011), 2083 (2012) und 2161 (2014) Mit Resolutionen 1989 (2011), 2083 (2012) und 2161 (2014) hebt der Sicherheitsrat zum wiederholten Male die Bedeutung der vom Terrorismus ausgehenden Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit hervor und verurteilt ihn in all seinen Formen und unabhängig von den verfolgten Zielen.259 Besondere Erwähnung finden die terroristischen Akte Al Qaidas, gegen die sich die betreffenden Resolutionen richten.260 Die Abschnitte C („Mit Al Qaida verbundene Individuen“) und D („Mit Al Qaida verbunden Einrichtungen und andere Gruppen und Unternehmen“) der Konsolidierten Liste werden nunmehr in der „Al QaidaSanktionsliste“ geführt, die fortan bestimmt, gegen wen die bereits mit Resolutionen 1333 (2000) und 1390 (2002) verhängten Maßnahmen vorzunehmen sind.261 Sie wird von dem Al Qaida-Sanktionsausschuss verwaltet und folgt im Wesentlichen der Verfahrenslogik des 1267-Sanktionregimes.262 (1) Das „listing“-Verfahren des Al Qaida-Sanktionsregimes Das „listing“-Verfahren wurde mit Erlass der Resolution 1989 (2011) leicht modifiziert, wodurch eine im Vorfeld bereits von verschiedener Seite angemahnte Neuerung in etwas abgewandelter Form Einzug in die Verfahrenswirklichkeit des Al Qaida-Sanktionsregimes gefunden hat. So forderte Kimberly Prost in ihrem ersten Bericht an den Sicherheitsrat vom 21. Januar 2011, dass es ihr nach Bedarf ermöglicht werden solle, den Sanktionsadressaten Auskunft darüber zu geben, welcher Staat die Aufnahme in die Liste initiiert habe, damit er sich ansprechend gegen die Vorwürfe verteidigen könne.263 Die Offenlegung sollte ihrem Vorschlag nach auch anderen betroffenen Staaten gegenüber erfolgen können, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, sich gegebenenfalls mit dem anzeigenden Staat in Verbindung zu setzen, um den Informationsstand zu dem betreffenden Fall zu ergänzen.264 Sie rügte aus258 Siehe dazu den Status der Verfahren auf der Website des Büros der Ombudsperson (abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ombudsperson/status.shtml#footnote1. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 259 Absätze 2 und 18 der Präambel zu S/RES/1989 (2011), Absätze 2 und 18 der Präambel zu S/RES/2083 (2012) und Absätze 2 und 22 der Präambel zu S/RES/2161 (2014). Achte bereits Absatz 6 der Präambel zu S/RES/1455 (2003) mit Verweis auf Resolutionen 1368 (2001), 1438 (2002), 1440 (2002), 1450 (2002). 260 S/RES/1989 (2011), a.a.O.; S/RES/2083 (2012), a.a.O; S/RES/2161 (2014), a.a.O. 261 S/RES/1989 (2011), Ziff. 1 und 2; S/RES/1333 (2000), Ziff. 8 lit. c; S/RES/1390 (2002), Ziff. 1 und 2. 262 S/RES/1989 (2011), Ziff. 12 ff. 263 UN Doc. S/2011/29, Ziff. 51 f. 264 UN Doc. S/2011/29, Ziff. 51 f.
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drücklich den Umstand, dass die Bekanntgabe der Identität nach alter Rechtslage im Ermessen der Staaten lag.265 Ihrem Vorschlag schloss sich die „Gruppe gleichgesinnter Staaten“ in einem am 06. April 2011 veröffentlichten Reformpapier an.266 Der Sicherheitsrat reagierte auf diesen Aufruf, indem er in Resolution 1989 (2011) den Staaten „eindringlich nahelegte“, ihren Status als anzeigender Staat bei der Beantragung einer Aufnahme in die Liste preiszugeben.267 Die geforderte Verbindlichkeit kommt der Aufforderung allerdings nicht zu. Seit Resolution 2083 (2012) müssen anzeigende Staaten nunmehr explizit kundtun, wenn ihre Identität nicht preisgegeben werden darf.268 Ferner hat zeitgleich mit der Aufnahme eines Namens in die Sanktionsliste die Veröffentlichung relevanter Informationen samt zusammenfassender Falldarstellung auf der Webseite des Ausschusses zu erfolgen.269 Im Anschluss soll das Sekretariat innerhalb von drei Arbeitstagen eine Anzeige an die Ständige Vertretung des Heimatstaates und des mutmaßlichen Aufenthaltsstaates senden,270 woraufhin die Ombudsperson den Betroffenen über seine Aufnahme in die Sanktionsliste informiert, sofern die Adresse bekannt ist.271 Mit Resolution 2161 (2014) ist auch dem Monitoring Team im Rahmen des „listing“- sowie des „de listing“-Verfahrens eine besondere Bedeutung zuteil geworden. So soll es den Ausschuss und die betroffenen Mitgliedstaaten nunmehr konsultieren, wenn nach seiner Ansicht Namen auf die Sanktionsiste aufgenommen oder gestrichen werden sollen.272 Damit ist ein weiterer, bedeutender Institutionalisierungsschritt getan, da das Regime nun entscheidend von der Initiative der Staaten entkoppelt wurde. Wollen sie gegen eine Empfehlung des im Bereich der Terrorismusbekämpfung erfahrenen Monitoring Teams abstimmen, können sie unter einen nicht unerheblichen Rechtfertigungsdruck geraten.
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UN Doc. S/2011/29, Ziff. 51. Siehe dort II. A. 2 (abrufbar unter: http://www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/ attachments/22759.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Nochmals hervorgehoben von dem Ständigen Vertreter Costa Ricas bei den Vereinten Nationen, Eduardo Ulibarri, in der öffentlichen Sitzung zur Unterredung der Nebenorgane des Sicherheitsrats vom 16. Mai 2011 als Sprecher der „Gruppe gleichgesinnter Staaten“, die zu diesem Zeitpunkt neben Costa Rica noch Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Deutschland, Liechtenstein, die Niederlande, Norwegen, Schweden und die Schweiz einschloss, UN Doc. S/PV.6536, S. 28. 267 S/RES/1989 (2011), Ziff. 14. 268 S/RES/2083 (2012), Ziff. 12 und nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 33. 269 S/RES/2161 (2014), Ziff. 36. Seit Resolution 2161 (2014) sollen die Falldarstellungen nun in angemessener Zeit in allen offiziellen UN-Sprachen veröffentlicht werden, Ziff. 39 3. HS. 270 S/RES/2161 (2014), Ziff. 39 1. HS. S/RES/1735 (2006), Ziff. 10 sah für das 1267Sanktionsregime noch eine Frist von zwei Wochen zur Benachrichtigung relevanter Staaten vor. 271 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 20 lit. b. So bereits in Anlage II zu S/RES/1904 (2009), Ziff. 15 lit. b. 272 Anlage I zu S/RES/2161 (2014), lit. k. 266
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(2) Das „de listing“-Verfahren des Al Qaida-Sanktionsregimes Die bedeutendsten Fortschritte versprach Resolution 1989 (2011) und an sie anknüpfend die Resolutionen 2083 (2012) und 2161 (2014) jedoch durch die Novellierung des „de listing“-Verfahrens. Das Mandat der Ombudsperson wurde teilweise umgestaltet, durch den Ausbau der Kapazitäten ihres Büros gestärkt und um zunächst weitere 18 Monate verlängert.273 Seit Resolution 2083 vom 17. Dezember 2012 beträgt ihre Mandatszeit nunmehr 30 Monate.274 Nach insgesamt fünf Jahren trat Kimberly Prost am 14. Juli 2015 aus ihrem Amt und wurde durch Catherine Marchi-Uhel abglöst die ihre Arbeit am 27. Juli 2015 aufnahm.275 Diese übernimmt die Zuständigkeit zur Entgegennahme von Streichungsersuchen von Sanktionsadressaten, die mit Al Qaida in Verbindung gebracht werden. Für Angehörige und Verbündete der Taliban ist die Ombudsperson seit dem 17. Juni 2011 hingegen nicht mehr zuständig (s. o.). Folgende Veränderungen in der Verfahrensweise zur Begutachtung eines Streichungsersuchens sind vorgesehen: Zum einen erstreckt sich die Phase zum Zusammentragen der notwendigen Informationen nun auf einen Zeitraum von vier Monaten.276 Sie kann durch die Ombudsperson verkürzt277 oder bei entsprechendem Bedarf auf Seiten der Mitgliedstaaten nochmals um bis zu zwei Monate verlängert werden.278 Die notwendige Effektivität des Verfahrens ist davon abhängig, dass die Staaten zügig auf Informationsersuchen reagieren. Nur wenn die Staaten die geforderten Informationen zeitnah liefern, kann die Ombudsperson diese in den Dialog mit dem Antragsteller einbringen und im „Umfassenden Bericht“ verwerten. Hierbei ist es laut Kimberly Prost wiederholt zu Problemen gekommen.279 Seit Resolution 2083 (2012) werden die Staaten dazu aufgerufen, Informationsersuchen der Ombudsperson zeitnah nachzukommen.280 Außerdem hat die Ombudsperson dem Ausschuss nunmehr zu berichten, wenn sie mit einem Unwillen zur Kooperation auf Seiten der Staaten zu kämpfen hat.281 Man erhofft auf diese Weise offenbar den politischen Druck und damit die Effektivität des Verfahrens steigern zu können. Die betreffenden Mitgliedstaaten werden auch im Rahmen des „de listing“Prozesses dazu angehalten, der Ombudsperson die Erlaubnis zu erteilen, dem An273
S/RES/1989 (2011), Ziff. 21 ff. S/RES/2083 (2012), Ziff. 19. Mit S/RES/2161 (2014), Ziff. 41 wurde das Mandat bereits im Vorwege, gerechnet vom Zeitpunkt des Ablaufs des Mandats im Juni 2015 an, um weitere 30 Monate verlängert. 275 UN Doc. S/2015/534. 276 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 1 ff. 277 Sofern kein von der Ombudsperson konsultierter „designating State“ gegen die beantragte Streichung von der Liste einen Einwand erhabt, Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 3. 278 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 5 S. 2. 279 UN Doc. S/2012/49, Ziff. 40. 280 S/RES/2083 (2012), Ziff. 23 und nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 47. 281 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 5. 274
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tragenden Auskunft über die Identität desjenigen Staates zu geben, der die Aufnahme in die Liste vorgeschlagen hat.282 Ob die Staaten dem nachkommen, liegt jedoch in ihrem Ermessen. Darüber hinaus werden sie nachdrücklich dazu aufgefordert, die Ombudsperson mit allen sachdienlichen Informationen auszustatten, gegebenenfalls auch mit vertraulichen Informationen, wobei sich die Ombudsperson an alle von dem vorlegenden Staat erteilten Vertraulichkeitsauflagen zu halten hat.283 Die Offenlegung vertraulicher Informationen, die im sensiblen Bereich der Terrorismusbekämpfung von besonderer Bedeutung sind, ist damit erstmals ausdrücklich angemahnt. Es handelt sich allerdings bloß um eine unverbindliche Forderung, die nur dann wirklich fruchtbar wäre, wenn eine gerichtsähnliche Instanz für den Fall, dass die offengelegten Informationen allein einen Verbleib auf der Sanktionsliste nicht rechtfertigen könnten, dem Streichungsersuchen eigenständig abzuhelfen in der Lage wäre.284 Dass diesem Bedürfnis auch mit Erlass von Resolutionen 1989 (2011), 2083 (2012) und 2161 (2014) nicht gänzlich nachgekommen wurde, wird sich noch zeigen. Die für den Regelfall auf einen Zeitraum von zwei Monaten angesetzte Phase des Dialogs kann nunmehr auch abgekürzt werden, wenn die Ombudsperson dies für angebracht hält.285 Sie wurde auch inhaltlich leicht reformiert. Unter der Bedingung der vorherigen Zustimmung des betroffenen Staates kann die Ombudsperson in den Phasen der Informationszusammenfassung und des Dialogs nun die zur Verfügung gestellten Informationen samt Stellungnahme des Staates zu dem jeweiligen Streichungsersuchen mit anderen maßgeblichen Staaten teilen.286 Eine entsprechende Offenlegung zugunsten des Antragstellers ist hingegen nicht vorgesehen. In der Praxis leitet die Ombudsperson die veröffentlichungsfähigen Informationen aber an den Antragsteller weiter und gibt ihm die Möglichkeit, darauf schriftlich zu antworten.287 Allgemein lässt sich zu den Neuerungen betreffend die Offenlegung der Informationen feststellen, dass sie stets unter dem Vorbehalt einzelstaatlicher Genehmigung stehen. Ihr Souveränitätsanspruch wird auch durch die neu hinzugefügte Aufforderung an die Ombudsperson unterstrichen, im Rahmen der Phase des Dialogs den Meinungen sowohl des vormals die Aufnahme initiierenden Staates als auch derjenigen Staaten besondere Aufmerksamkeit zu schenken, die von den die Aufnahme begründenden Handlungen und Verbindungen des Antragstellers besonders berührt waren.288 Gleichwohl ist zu konstatieren, dass die neuen Regelungen dazu geeignet sein können, auf die Staaten einen erhöhten politischen Druck zur Offenlegung relevanter Informationen auszuüben, der im Ergebnis eine Fallbewertung auf 282
S/RES/2161 (2014), Ziff. 53. S/RES/2161 (2014), Ziff. 47. 284 Ausführlicher zur rechtlichen Beurteilung des Sanktionsregimes im 2. Teil, B., III. 285 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 6. Sie kann wie bisher bei Bedarf auch auf vier Monate ausgedehnt werden. 286 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 7 lit. f. 287 UN Doc. S/2011/29, Ziff. 23. 288 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 7 lit. h. 283
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Grundlage einer umfassenden Sachverhaltsanalyse zulassen könnte.289 Zur weiteren Sachverhaltsaufklärung ist nun auch ausdrücklich vorgesehen, dass die Ombudsperson sich möglichst mit dem Antragsteller treffen soll, um einen persönlichen Dialog zu führen.290 Die bedeutendsten Neuerungen sind für die Phase der entscheidungstragenden Diskussionen im Sanktionsausschuss und die Verfassung des für diese die Grundlage bietenden „Umfassenden Berichts“ vorgesehen. Sollte die Ombudsperson bisher lediglich eine Darstellung der die Streichung von der Liste begründenden Argumente enthalten, so ist er seit Resolution 1989 (2011) auch ausdrücklich durch eine nicht unmittelbar bindende Empfehlung an den Ausschuss zu ergänzen.291 Damit wurde gesetzlich festgehalten, was zuvor über die umfassende Auswertung der Informationen durch die Ombudsperson bereits Praxis war (s. o.).292 Das nachfolgende, im Wesentlichen wiederum auf einen Vorschlag des Monitoring Teams293 zurückgehende Verfahren enthält demgegenüber auch praktisch relevante Veränderungen für das Regime. Nach Übermittlung des in allen offiziellen Sprachen der Vereinten Nationen abzufassenden Berichts an die Ausschussmitglieder haben diese fortan nur noch 15 Tage Zeit, um diesen einzusehen, bis er zwecks Verhandlung auf die Tagesordnung des Ausschusses gesetzt wird.294 Die Verhandlungen sollen spätestens 30 Tage nach der erstmaligen Übermittlung des Berichts an die Ausschussmitglieder abgeschlossen sein.295 Anschließend kann die Ombudsperson ihre Empfehlung allen relevanten Staaten mitteilen.296 Empfiehlt die Ombudsperson den Verbleib auf der Sanktionsliste, so wird das Streichungsersuchen abgelehnt, es sei denn, ein Ausschussmitglied schließt sich dem Antrag des Sanktionsadressaten an, mit der Folge, dass der Ausschuss im Konsens über die Streichung zu entscheiden hat.297 Empfiehlt die Ombudsperson dem Ausschuss hingegen, die Streichung von der Liste zu erwägen, so kommt eine Verfahrensregelung zur Geltung, die mitunter als sog. „sunset clause“ bezeichnet wird.298 Unter letzterer versteht man allgemein eine 289
s. dazu die in diesem Punkt folgende Bewertung. Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 7 lit. c. Dies wurde von der Ombudsperson bereits unter dem alten Regime praktiziert (s. o.). 291 S/RES/1989 (2011), Ziff. 21 und nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 41. s. zu der vorangegangenen Praxis bereits die Ausführungen zu Resolution 1904 (2009). 292 Das Monitoring Team monierte zuvor die mangelnde Anerkennung dieser Praxis der Ombudsperson durch Gerichte und Kritiker, UN Doc. S/2011/245, S. 15 f., Ziff. 33, 37. 293 UN Doc. S/2011/245, S. 16, Ziff. 40 ff. 294 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 9. 295 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 11. 296 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 12. 297 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 14. 298 So der Ständige Vertreter des Vereinigten Königreichs bei den Vereinten Nationen, Sir Mark Justin Lyall Grant, in der öffentlichen Sitzung des Sicherheitsrats am 17. Juni 2011, UN Doc. S/PV.6557, S. 6. 290
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Regelung, die bestimmt, dass eine Maßnahme ihre Wirkung zu einem bestimmten Datum oder sonstigem Ereignis verliert, sofern sie nicht im Wege eines ordentlichen Entscheidungsverfahrens aktualisiert wird.299 Zwar entält das anschließende Verfahren nun eine selbstexekutierenden Bestimmung. So ist vorgesehen, dass es zur Streichung kommt, wenn der Ausschuss nicht innerhalb von 60 Tagen nach Abschluss der Verhandlung im Konsens entgegen der Empfehlung der Ombudsperson für den Verbleib auf der Sanktionsliste stimmt, also aktiv für die weitere Sanktionierung eintritt.300 Allerdings steht diese Regelung unter der weiteren Maßgabe, dass in den Fällen, in denen kein entsprechender Konsens zustande kommt, die Entscheidung, ob der Antragsteller von der Liste gestrichen werden soll, auf Antrag eines einzelnen Ausschussmitglieds an den Sicherheitsrat weiterzuleiten ist, der innerhalb einer weiteren Frist von 60 Tagen über die Frage entscheiden soll.301 Erst wenn dieser mit der Mehrheit seiner Stimmen unter Einschluss seiner fünf ständigen Mitglieder für die Streichung stimmt, wird dem Antrag abgeholfen (Art. 27 Abs. 3 i.V.m. 25 UN-Charta). Durch Umkehr der zu entscheidenden Fragestellung genügt auf Ebene des Sicherheitsrats das Veto eines ständigen Mitglieds, um den Antrag scheitern zu lassen. Verfügt ein ständiges Mitglied über belastende Informationen, die es nicht mit den anderen Ausschussmitgliedern geschweige denn mit dem Antragsteller oder der Ombudsperson zu teilen bereit ist, so kann es ohne jeglichem Begründungszwang zu unterliegen302 durch Verweisung und Einlegung des Vetos dafür sorgen, dass der Antragsteller auf der Liste verbleibt, selbst wenn die Ombudsperson und alle anderen Ausschuss- und Sicherheitsratsmitglieder für eine Streichung von der Liste eintreten. Ob überhaupt belastende Informationen vorliegen, wird in diesen Fällen letztlich nicht aufzuklären sein. Um eine „sunset clause“ – verstanden als eine Norm, die das Erfordernis der Durchführung des regulären „listing“-Verfahrens zur Voraussetzung macht, um eine
299
Barak-Erez, AJCL 57 (2009), S. 893 f. S/RES/2161 (2014), Ziff. 43, 1. HS; Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 15, 1. HS. Die Frist kann im Einzelfall auch verkürzt werden, S/RES/2161 (2014), Ziff. 44. Es gilt in diesem Verfahren das sog. „no objection-procedure“, d. h. wenn innerhalb von max. zehn Werktagen nicht gegen einen der Empfehlung der Ombudsperson widersprechenden Antrag eines Mitgliedstaates gerichtet auf den Verbleib auf der Liste ein Einwand erklärt wird, gilt er als angenommen, Ziff. 4 lit. c, 7 lit. f der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guide lines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 301 S/RES/2161 (2014), Ziff. 43, 2. HS; Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 15, 2. HS. 302 S/RES/2161 (2014), Ziff. 58, 2. HS weist zwar die Ausschussmitglieder in allgemeiner Form an, ihre Einwände gegen Streichungsanträge zu begründen, jedoch wendet der Sanktionsausschuss diese Regelung nicht auf das Ombudsverfahren, sondern nur auf Streichungsanträge an, die von Staaten eingereicht wurden, vgl. Ziff. 7 lit. i, v der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un. org/sc/committees /1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Weiteres dazu im 3. Teil, C., III. 300
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fortwährende Sanktionierung zu bewirken – handelt es sich demnach nicht.303 Zumal auch schon vor Erlass von Resolution 1989 (2011) die Möglichkeit bestand, Entscheidungen an den Sicherheitsrat zu verweisen, sofern kein Konsens zu erreichen war,304 sind die Verfahrensänderungen insofern überschaubar. Ein weiteres Defizit besteht darin, dass der Ombudsperson keine Kriterien vorgegeben werden, nach denen sie einen Antrag auf „de listing“ zu bewerten hat. Zumal den Antragenden auch kein bindender Anspruch auf Streichung durch den Sanktionsausschuss bei Erfüllung besonderer Voraussetzungen zusteht, an denen sich die Ombudsperson zur Formulierung ihrer Empfehlung orientieren könnte, ist es ihr auch nur im begrenzten Umfang möglich, Einheitlichkeit und damit Rechtssicherheit im „de listing“-Verfahren zu verwirklichen. Die Resolutionen legen den Schluss nahe, dass sich die Ombudsperson an den Kriterien für die Aufnahme in die Liste zu halten hat, um für einen Antragenden, der diese nicht mehr erfüllt, die Streichung zu empfehlen.305 Die Entscheidung über eine Aufnahme in die Liste ist allerdings dem Ausschuss überlassen, der diese in nicht-öffentlichen Sitzungen anhand nicht-bindender Kriterien, die sehr offen formuliert sind, trifft.306 Im Wissen dieser Umstände307 hat sich die Ombudsperson, um ihrem Vorhaben zu mehr Einheitlichkeit im „de listing“-Prozess dennoch einen Schritt näher zu kommen,308 selbst Standards zur Auswertung der ihr im Einzelfall zugeleiteten Informationen formuliert. Demnach richtet sie ihr Urteil danach aus, ob das belastende Material ausreichend ist, um eine begründete und glaubwürdige Grundlage zur Rechtfertigung eines weiteren Verbleibs auf der Liste darzustellen.309 Auf diese Weise sei die notwendige Flexibilität zur Beurteilung der aus ganz unterschiedlichen Quellen stammenden Informationen unterschiedlichster Art gegeben. Ferner böten die Kriterien der Begründetheit und der Glaubhaftigkeit die nötige rationale Basis für das „listing“, die ausreichend verlässlich sei, um eine Sanktionierung zu rechtfer-
303
Zur Unterscheidung einer „echten“, ein reguläres Entscheidungsverfahren erfordernden „sunset clause“ im Gegensatz zu einer „unechten“, bloß ein vereinfachtes Verfahren zur Aktualisierung vorschreibenden „sunset clause“ am Beispiel britischer Gesetzgebung: House of Lords and House of Commons, Joint Committee on Human Rights, Counter-Terrorism Policy and Human Rights: Prosecution and Pre-Charge Detention (24ter Bericht der Sitzung 2005 – 2006), Rn. 165 f. (abrufbar unter: http://www.publications.parliament.uk/pa/jt200506/jtselect/ jtrights/240/240.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 304 Ziff. 4 lit. a der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work vom 26. Januar 2011. 305 Durch S/RES/1735 (2006), Ziff. 14 ist dies für die Entscheidung des Ausschusses allerdings auch nur als einer von mehreren möglichen Gründen genannt, die er bei der Beurteilung eines Streichungsersuchens „berücksichtigen kann“. Vgl. auch S/RES/2161 (2014), Ziff. 54. 306 s. bereits oben: 2. Teil, A., II., 2. a), aa). 307 UN Doc. S/2011/447, Anhang III, Ziff. 6 ff. 308 Dies erfolgte auf die Ankündigung in ihrem ersten Bericht an den Sicherheitsrat vom 21. Januar 2011, UN Doc. S/2011/29, Ziff. 25. 309 UN Doc. S/2011/447, Anhang III, Ziff. 16.
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tigen.310 Dabei untersucht sie nicht die Frage, ob die ursprüngliche Aufnahme in die Liste nach entsprechenden Kriterien gerechtfertigt war, sondern ob der weitere Verbleib pro futuro auf Grundlage aller zum Zeitpunkt des Streichungsantrags verfügbaren Informationen aufrechterhalten werden sollte.311 Diese Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes ist seit Resolution 2083 (2012) ausdrücklich vorgeschrieben;312 eine Rechtskontrolle der „listing“-Entscheidungen des Ausschusses findet demnach nicht statt. Im Falle der Ablehnung des Bescheides soll der Ausschuss der Ombudsperson unter Angabe der Gründe einschließlich weiterer sachdienlicher Informationen sowie einer aktualisierten Version der zusammenfassenden Falldarstellung seine Entscheidung mitteilen.313 In der Praxis verfuhr der Ausschuss auch im Falle der Annahme eines Antrags in dieser Form;314 seit Resolution 2083 (2012) ist dies rechtlich vorgesehen.315 Die Ombudsperson leitet die Unterlagen und zusätzliche veröffentlichungsfähige Sachinformationen weiter an den Antragsteller, wobei sie sich soweit es möglich ist auf den Umfassenden Bericht stützen kann.316 Der Begründungs- und Informationsappell ist zwar nicht zwingend, jedoch ist er schärfer formuliert als noch in Resolution 1904 (2009), die einen solchen ausdrücklich unter die Bedingung stellte, dass die Staaten eine entsprechende Auskunft für angemessen hielten.317 Auch weiterhin wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Ombudsperson bei allen Kontakten mit dem Antragsteller die Geheimhaltung der Ausschussberatungen und der unter Geheimhaltungspflicht erfolgten Unterredungen mit den Mitgliedstaaten zu beachten hat.318 Die Fristenregelung gilt entsprechend im Falle eines Streichungsantrags durch den- oder diejenigen Staaten, die die Aufnahme in die Sanktionsliste vormals be310
UN Doc. S/2011/447, Anhang III, Ziff. 17. UN Doc. S/2011/447, Anhang III, Ziff. 8. 312 Anlage II zu S/RES/2083 (2012), Ziff. 7 lit. c, Satz 2 und nunmehr Anlage II zu S/RES/ 2161 (2014), Ziff. 8 lit. c, Satz 2. 313 Anlage II zu S/RES/1989 (2011), Ziff. 13 und nunmehr Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 16, wonach dem Ausschuss nunmehr eine Frist von 60 Tagen dafür eingeräumt ist. Der Ausschuss wird zudem dazu aufgefordert, die Gründe zur Ablehnung eines Antrags mit anderen relevanten Staaten sowie mit nationalen und regionalen Gerichtshöfen zu teilen, wenn dies angebracht ist, S/RES/1989 (2011), Ziff. 33, letzter HS und nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 58, letzter HS. 314 UN Doc. S/2012/49, Ziff. 47. 315 Anlage II zu S/RES/2083 (2012), Ziff. 14 und nunmehr Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 16. 316 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 17. Seit Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 13, kann die Ombudsperson auch den mit Antragsteller in einer besonderen Beziehung stehenden Staaten nach Erlaubnis des Ausschusses und etwaig für notwendig erachteten Streichungen den Umfassenden Bericht zukommen lassen. Diese haben den Bericht streng vertraulich zu behandeln. 317 Anlage II zu S/RES/1904 (2009), Ziff. 12. 318 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 18. 311
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
antragt haben.319 Gegen einen solchen Streichungsantrag können ebenfalls Einwände von Ausschussmitgliedern erhoben werden, die dann – im Gegensatz zum Ombudsverfahren – zur Begründung gegenüber dem Ausschuss verpflichtet sind.320 Es gibt allerdings keine Kriterien, denen die Begründung gerecht werden müsste, und eine Rechtsfolge für nicht überzeugende Gründe ist nicht vorgesehen. Der Einwand hat Erfolg, wenn er die einstimmige Unterstützung des Ausschusses erfährt, mit der Maßgabe, dass für den Fall, dass ein solcher nicht zustande kommt, die Entscheidung entsprechend oben beschriebenem Verfahren auf Antrag eines Ausschussmitglieds an den Sicherheitsrat verwiesen wird.321 Die Fristenregelung gilt nicht, wenn andere Mitgliedstaaten als derjenige oder diejenigen, die die Aufnahme in die Liste ursprünglich bewirkt haben, eine Streichung beantragen. Ein entsprechender Antrag soll innerhalb von zehn Tagen im Modus des „no-objection procedure“ vom Ausschuss entschieden werden.322 Der zu begründende Einwand eines Ausschussmitglieds genügt, um den Antrag scheitern zu lassen.323 Insgesamt kann das über die Ombudsperson eingeleitete Verfahren damit bis zu 15 Monate dauern. Die Regelung, dass kein Fall vorbehaltlich außergewöhnlicher Umstände im Einzelfall länger als sechs Monate vor dem Ausschuss anhängig sein soll,324 wird sich im Rahmen des „de listing“-Verfahrens nur auf die Verhandlung von Streichungsersuchen im Rahmen der Entscheidungsphase beziehen, für die ohnehin nur 90 Tage vorgesehen sind. Welchen Mehrwert die neuen Verfahrensregeln den Antragstellern effektiv bieten können, hängt wesentlich von der noch auszuwertenden Praxis325 des Ausschusses ab, insbesondere davon, ob den Empfehlungen der Ombudsperson gefolgt wird. Nur in diesen Fällen würde eine Fallbewertung von einem nicht im „listing“-Verfahren selbst beteiligtem Akteur zur Grundlage genommen, die sich zudem auf tatsächlich 319
S/RES/2161 (2014), Ziff. 50. Nach Ziff. 51 kann die 60 Tages-Frist im Einzelfall verkürzt werden. 320 S/RES/2161 (2014), Ziff. 58, 2. HS; Ziff. 7 lit. v der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/commit tees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Die Gründe sollen ggfs. an betreffende Staaten sowie nationale und regionale Gerichte und Stellen weitergeleitet werden. 321 S/RES/2161 (2014), Ziff. 50. Haben vormals mehrere Staaten die Aufnahme in die Liste beantragt, muss zwischen ihnen Konsens herrschen, ebd., Ziff. 52. 322 Ziff. 7 lit. e und f der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines. pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 323 Vgl. Ziff. 7 lit. i und j der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guide lines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 324 S/RES/2161 (2014), Ziff. 28. 325 Dazu im 2. Teil, B., III., 4., f).
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vorliegende Informationen stützt, die anhand rechtlicher Kriterien analysiert werden. Ob damit den Rechten der Betroffenen abgeholfen wäre, wird allerdings noch näher zu untersuchen sein. (3) Das neue Verfahren zu den Ausnahmeregelungen Die bedeutendsten Neuerungen, die Resolution 2083 (2012) dem Al QaidaSanktionsregime beschert hat, betreffen die Ausnahmeregelungen. Erstens wird materiell ein neuer Ausnahmetatbestand eingeführt. Zuvor waren die Antragsteller im „de listing“-Verfahren vor die kuriose Situation gestellt, dass im Rahmen des Dialogs zwischen ihnen und der Ombudsperson zwar möglichst ein persönliches Treffen arrangiert werden sollte,326 erstere jedoch aufgrund der Reisebeschränkungen daran gehindert sein konnten, wenn die Ombudsperson ihrersetis den Antragsteller nicht an dessen Aufenthaltsort aufsuchen konnte. Resolution 2083 (2012) sieht vor, dass, beschschränkt auf die Dauer und den Zweck eines Treffens, der Ausschuss auf Anfrage der Ombudsperson in Absprache mit dem Antragsteller über die Erteilung von Ausnahmen zum Reiseembargo und seit Resolution 2161 (2014) auch zum Finanzembargo327 beraten solle, unter der Maßgabe, dass sowohl die Transit- als auch die Zielstaaten keinen Einspruch erheben.328 Damit ist bereits der Grundsatz aufgehoben, nach dem allein Staaten Ausnahmen zu dem Sanktionsregime beantragen können,329 welcher große Zweifel an der Fairness des Verfahrens aufkommen ließ: Waren die betreffenden Staaten nämlich nicht willens oder aus Kapazitätsgründen damit überfordert, für die Betroffenen einzutreten, so waren die vorgesehenen Ausnahmeregelungen für letztere wertlos. In dieser Hinsicht zeitigt Resolution 2083 (2012) einen entscheidenden Paradigmenwechsel. Zweitens – und dies ist zweifelsohne die bedeutendste Neuerung in dieser Hinsicht – ist es den Sanktionsadressaten nunmehr möglich, selbst über den mit Resolution 1730 (2006) eingerichteten „focal point“ Ausnahmeanträge bei dem Sanktionsausschuss einzureichen.330 Für Ausnahmen zu den Finanzsanktionen ist ein Antrag zuvor noch dem Ansässigkeitsstaat zur Überprüfung vorzulegen331 und Ausnahmen zu den Reisesanktionen können durch den Sanktionsausschuss nur mit Erlaubnis der betroffenen Transit- und Zielstaaten erteilt werden.332 Die Entscheidung des Ausschusses ist dem jeweiligen Antragsteller über den „focal point“ zu übermitteln,333 ohne sie jedoch begründen zu müssen. 326
Anlage II zu S/RES/1989 (2011), Ziff. 6 lit. c. S/RES/2161 (2014), Ziff. 61. 328 S/RES/2083 (2012), Ziff. 36 und nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 61. 329 Vgl. noch Ziff. 11 lit. a und Ziff. 12 lit. b der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 30. November 2011). 330 S/RES/2083 (2012), Ziff. 37 und nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 62. Das diplomatische Verfahren bleibt daneben weiterhin bestehen, S/RES/2161 (2014), Ziff. 9. 331 S/RES/2161 (2014), Ziff. 62 lit. a. 332 S/RES/2161 (2014), Ziff. 62 lit. b. 333 S/RES/2161 (2014), Ziff. 62 lit. a, b jeweils der letzte HS. 327
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Bisher hat der direkte Zugang zum Sanktionskomitee nicht zu einer wesentlichen Veränderung geführt. Zurzeit werden lediglich 32 Sanktionsadressaten Ausnahmen gewährt.334 Im Zeitraum von 2003 – 2014 gab es insgesamt 148 Anfragen zu Ausnahmen zu den Finanzsanktionen.335 Dies sagt zugleich einiges über die Umsetzung des Sanktionsregimes aus.336 Die im Hinblick auf die übrigen Sanktionsadressaten suggestiv gestellte Frage des Monitoring Teams ist deshalb berechtigt: „How do they eat?“337 Wenngleich also noch kein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Ausnahmen zu den Sanktionen besteht und eine einheitliche Bescheidung der Anträge nicht gewährleistet ist, nicht zuletzt weil dem Ausschuss eine Begründung seiner Entscheidungen nicht abverlangt wird, haben Resolutionen 2083 (2012) und 2161 (2014) für die Betroffenen einen entscheidenden Mehrwert: Durch den unmittelbaren Zugang zum Sanktionsausschuss ist ihre Abhängigkeit von den jeweils relevanten Staaten zumindest herabgesetzt. (4) Der „focal point“ als Kontaktstelle Mit Resolution 2161 (2014) sind dem „focal point“ noch weitere Aufgaben zugewiesen worden. Ehemalige Sanktionsadressaten, die mittlerweile von der Liste gestrichen wurden, können nunmehr über den „focal point“ mit dem Ausschuss kommunizieren.338 Dies wurde notwendig, nachdem einige Staaten ihre Sanktionen gegen Adressaten nicht aufhoben, obwohl diese erfolgreich das „de listing“-Verfahren durchlaufen waren.339 Zudem leitet der „focal point“ nun Beschwerden von Personen an den Ausschuss weiter, die vorbringen, irrtümlicherweise – etwa auf Grund von Namensverwechselungen – von den Sanktionen des Regimes betroffen zu sein.340 (5) Das Al Qaida-Sanktionsregime und der IS Es ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass der IS als Splittergruppe Al Qaidas ebenfalls dem Al Qaida-Sanktionsregime unterworfen ist.341 Dies hob der Sicherheitsrat in Resolution 2170 (2014) noch einmal ausdrücklich hervor.342 334
17. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2015/441, Ziff. 55. 17. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2015/441, Ziff. 55. 336 17. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2015/441, Ziff. 56. 337 17. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2015/441, Ziff. 55. 338 S/RES/2161 (2014), Ziff. 63 lit. a. 339 Siebter Bericht der Ombudsperson, UN Doc. S/2014/73, Ziff. 63. 340 S/RES/2161 (2014), Ziff. 63 lit. b. Der Ausschuss hat auf dieses Vorbringen innerhalb von 60 Tagen zu antworten, ebd., Ziff. 64. 341 Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 2 lit. c. 342 Abs. 5 der Präambel zu S/RES/2170 (2014). Der Maßnahmenkatalog gegen den IS wird zusätzlich durch S/RES/2178 (2014) und S/RES/2199 (2015) ergänzt. 335
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Während Al Qaida und der IS in ihrer grundideologischen Haltung auch weiterhin übereinstimmen sollen, trennten sich die Organisationen im Februar 2014 voneinander, was im Wesentlichen auf Führungsstreitigkeiten und Differenzen über das strategische Vorgehen zurückgeführt wird.343 Der Anführer des IS, Abu Bakr alBaghdadi, wollte sein Operationsgebiet nicht auf den Irak beschränken, so wie es Aiman al-Zawahiri, der Nachfolger Osama bin Ladens in der Führungsposition bei Al Qaida, vorgesehen hatte.344 Der IS expandierte in der Folge sehr schnell, wobei er insbesondere von der Rekrutierung ausländischer Kämpfer profitierte. Er befehligt mittlerweile geschätzte 20.000 – 30.000 Kämpfer,345 die große Teile Syriens und des Irak unter ihre Kontrolle gebracht haben, bereits in weiteren Staaten des Nahen Ostens aktiv sind346 und ihre Macht zunächst auf die Länder des östlichen Mittelmeerraums auszuweiten planen.347 Im Gegensatz zu anderen radikal-islamistischen Gruppierungen baut der IS in dem von ihm besetzten Kerngebiet staatsähnliche Verwaltungsstrukturen sowie ein Justizwesen auf, welches gemeinsam mit einer Sittenpolizei – hisbah – über die Einhaltung einer fundamentalistischen Lesart der Scharia, des islamischen Rechts, wachen soll.348 Die Kämpfer sollen zudem von einem eigens für sie eingerichteten Sozialsystem profitieren.349 Am 29. Juni 2014 rief Abu Bakr al-Baghdadi ein Kalifat aus und benannte sich selbst zum Kalifen, womit er sich nicht bloß zum Nachfolger und Stellvertreter des Propheten Mohammed erklärte und seither den Führungsanspruch für die gesamte muslimische Welt beansprucht, sondern zugleich eine Verbindungslinie zu den ersten islamistischen Staatsvisionen zog.350 Die unterschiedliche strategische Ausrichtung der beiden Gruppierungen stand der Einbindung der IS in das Al Qaida-Sanktionsregime nicht entgegen. Es bestehen auch weiterhin Verbindungslinien zwischen Al Qaida und dem IS. Zudem hat sich nicht zuletzt mit dem Monitoring Team eine Institution mit viel Erfahrung im Bereich 343 UN Doc. S/2014/815, Ziff. 11. Zur Strategie von Al Qaida im Irak und ihrer Nachfolgeorganisation, dem IS, gehört es etwa, gezielte Angriffe auf Schiiten im Irak und ihre Heiligtümer auszuführen, um sie gegen die sunnitische Bevölkerung aufzubringen und auf diese Weise das Land weiter zu destabilisieren. Die Kernorganisation Al Qaidas unter Osama bin Laden verurteilte die Gewaltakte gegen Schiiten, Röhrich, Die Politisierung des Islam, S. 30. 344 Röhrich, Die Politisierung des Islam, S. 31. 345 UN Doc. S/2014/815, Ziff. 14 (Stand: November 2014). 346 Übersichten sind abrufbar unter: http://www.nytimes.com/interactive/2015/05/21/world/ middleeast/how-isis-expands.html und unter: http://www.tagesschau.de/ausland/is-ideologie-1 01.html (zuletzt besucht am 12. August 2015). 347 Röhrich, Die Politisierung des Islam, S. 33. 348 UN. Doc. S/2014/815, Ziff. 17. Vgl. zur Anwendung der Scharia durch den IS: http:// www.tagesschau.de/ausland/is-ideologie-101.html und http://www.igfm.de/scharia/ (zuletzt besucht am 12. August 2015). 349 UN. Doc. S/2014/815, Ziff. 17. 350 Vgl. dazu Röhrich, Die Politisierung des Islam, S. 33 f. und UN Doc. S/2014/815, Ziff. 12 ff.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
der Terrorismusbekämpfung etabliert, auf deren Fachwissen auch im Falle des IS zurückgegriffen werden kann. Der IS stellt im Gegensatz zu seinem Selbstverständnis auch (noch) keinen Staat im völkerrechtlichen Sinne dar, was andernfalls für eine Ausgliederung aus dem Al Qaida-Sanktionsregime hätte sprechen können, aber auch dann nicht zwingend wäre. Ein Staat zeichnet sich mitunter dadurch aus, dass sich die ausgeübte Staatsgewalt hinreichend gefestigt hat. Dies setzt eine gewisse Dauerhaftigkeit voraus und die Gewissheit, dass die Staatsgewalt nicht in absehbarer Zeit von einer anderen Macht wieder übernommen werden wird.351 Der IS ist jedoch dauerhaft Angriffen sowohl von Truppen der syrischen und der irakischen Armee, als auch von Luftstreitkräften einer Allianz der Vereinigten Staaten mit mehreren weiteren arabischen Staaten ausgesetzt.352 Dabei kommt es stetig zu Gebietszugewinnen- und verlusten.353 Der IS kann in dem von ihm kontrollierten Kerngebiet allenfalls als de facto-Regime angesehen werden.354 Zu dem gleichen Ergebnis kommt man, wenn man nur solche Einheiten als Staaten anerkennen will, die weitere Eigenschaften wie die Anerkennung grundlegender Menschenrechte und des Gewaltverbots erfüllen.355 Die gemeinsamen Werte der Weltgemeinschaft scheint der IS gerade zu bekämpfen. Der religiöse Wertebezug, den sich der IS bereits über seine Eigenbezeichnung setzt, kann angesichts seiner menschenverachtenden Praktiken nur als pervertierendes Etikett bezeichnet werden. Wie Ban Ki-moon treffend äußerte: „They should more fittingly be called the Un-Islamic Non-State.“356 (6) Zwischenergebnis Der Sicherheitsrat hat über einen Zeitraum von nunmehr über 16 Jahren ein komplexes und differenziertes Sanktionsregime entwickelt. In Sachen Individualrechtsschutz auf Ebene der Vereinten Nationen steht nun das separat verwaltete Al Qaida-Sanktionsregime im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die zuletzt eingeführten Veränderungen im „de listing“-Prozess sind zu einem großen Teil allerdings eher theoretischer Art. Dies mag seinen Ursprung darin haben, dass das Monitoring Team – dessen Empfehlungen und Bewertungen der Ausschuss wie schon in der Vergangenheit regelmäßig, so auch mit Erlass von Resolution 1989 (2011) in wesentlichen Punkten gefolgt ist – das mit Resolution 1904 (2009) eingeführte 351
Vgl. Crawford, in: Wolfrum, MPEPIL, State, Rn. 42 (Stand: Januar 2011). Vgl. dazu auch Janik, Wie der „Islamische Staat“ unser Staatsdenken in Frage stellt, der für einen qualifizierten Staatsbegriff eintritt. 352 Vgl. dazu nur die Berichte in der New York Times (Stand: 14. Juli 2015): http://www.ny times.com/2015/07/14/world/middleeast/iraq-begins-military-operation-to-drive-isis-fromanbar.html?hp&action=click&pgtype=Homepage&module=second-column-region®ion= top-news&WT.nav=top-news. 353 Vgl. dazu etwa den 17. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. 2015/441, Ziff. 8. 354 Vgl. zu de facto-Regimen bereits im 2. Teil, A., I. 355 So etwa Janik, Wie der „Islamische Staat“ unser Staatsdenken in Frage stellt. 356 UN Doc. S/PV.7272, S. 3.
A. Die gezielten Sanktionen des Sicherheitsrats
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Rechtsschutzverfahren nicht ausreichend gewürdigt sah. Es ging davon aus, dass die Kritiker, die sich zu einem Zeitpunkt äußerten, zu dem sich die Arbeit der Ombudsperson noch nicht bewehren konnte, das Potential dieser Einrichtung verkannt hätten. Entsprechend wurden mit Resolution 1989 (2011) eine Reihe von Vorschriften aufgenommen, die praktisch bereits unter dem Vorgängerregime zur Geltung kamen, in der Hoffnung es würde jetzt verstanden und als menschenrechtskonform akzeptiert.357 Die mit Resolution 2083 (2012) eingeführte, als „sunset clause“ bezeichnete Regelung kann den Sanktionsausschuss dazu nötigen, bereits seine „listing“-Entscheidungen schlüssig zu begründen, jedoch ändert dies noch nichts an der Letztentscheidungskompetenz des Sicherheitsrats.
III. Ergebnis und Stellungnahme Die Ausgestaltung der Rechtsposition des Einzelnen nimmt eine stetige Entwicklung und scheint noch nicht beendet zu sein.358 Das Al Qaida-Sanktionsregime spielt in diesem Rahmen eine nicht unbedeutende Rolle. Der Ausbau eines Individualrechtsschutzes gegen die gezielten Sanktionen des Sicherheitsrats vollzieht sich jedoch sehr zögerlich. Auffällig ist dabei, dass die mit der mangelnden Ausgestaltung des prozessualen Rechtsschutzes einhergehenden Implementierungsprobleme auf staatlicher Ebene offensichtlich eher Anstoß zum weiteren Ausbau bieten als grundsätzliche rechtliche Bedenken.359 Diese Feststellung lässt sich allerdings nicht auf die Ebene der Vereinten Nationen beschränken, sondern ist für das Völkerrecht im Allgemeinen kennzeichnend. Die weitgehende Anerkennung des universellen Geltungsanspruchs von Menschenrechten korrespondiert nicht mit der Ausgestaltung effektiver Durchsetzungsmechanismen.360 Das führt zu der bisher vernachlässigten Erörterung der Maßstäbe, welche für das Recht im entstaatlichten Kontext Orientierung bieten sollen.361 Die Konfrontation von auf vorpositiven Werten fußenden verfassungsrechtlichen Ordnungen mit transnationalen Bedrohungsszenarien offenbart im Rahmen der neu ausgerichteten Sanktionsregime den Mangel an Kompatibilität der ineinandergreifenden Rechtssysteme. Für die Bestimmung der gebotenen Balance zwischen Sicherheit und Freiheit kommt es im globalen Mehrebenensystem aber entscheidend darauf an, nach welchem Bezugssystem sich die weitere Entwicklung richtet, da sie aufgrund der bestehenden Interdependenzen nur einheitlich erfolgen kann.362 Dies wird im Bereich der auf verantwortungsteilige Kooperation angewiesenen Terrorismusbekämpfung besonders deutlich. Mit großer 357
UN Doc. S/2011/245, S. 5, 16, Ziff. 38. Ausführlich dazu im 2. Teil, B., III., 2., b), aa). 359 Vgl. auch de Wet, Human Rights Considerations and the Enforcement of Targeted Sanctions in Europe, S. 170. 360 Art. 34 EMRK blieb bisher eine Ausnahme. 361 Kadelbach, ZaöRV 64 (2004), S. 5 f. 362 Bruha/Claaszen, Sicherheit und Freiheit, S. 84 f. 358
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Aufmerksamkeit ist deshalb die auf nationalstaatlicher Ebene zu verzeichnende Tendenz zu Zweckrationalität bei der Rechtfertigung von Menschenrechtseingriffen zu verfolgen, die in der Orientierung an einem gemeinsamen Minimalstandard zu münden scheint.363 Es drängen sich für die weitere Untersuchung folgende Fragestellungen auf: Bedingt die Notwendigkeit der effektiven Terrorismusbekämpfung auf globaler Ebene eine Notwendigkeit zum Verzicht auf wesentliche Freiheitsrechte oder bildet nicht vielmehr die Freiheit den Rahmen legitimer Sicherheitsgewährung?364 Mit anderen Worten: Verstehen wir das Völkerrecht als eine herrschaftliche Rechtsordnung mit einem überrechtlich agierenden Sicherheitsrat im Sinne Thomas Hobbes’ Leviathan oder als eine Weltrechtsordnung, die ihren Geltungsgrund in der Menschheit findet?365
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen In Teil II soll eine umfassende rechtliche Würdigung des Sanktionsregimes folgen, wobei das mit Resolution 1989 (2011) verselbständigte Al Qaida-Sanktionsregime den Prüfungsgegenstand bildet, da mit ihm auffällige Besonderheiten verbunden sind. So hat die Entwicklung des Individualrechtsschutzes auf UN-Ebene mit der Einrichtung des Büros der Ombudsperson eine präzedenzlose Ausprägung erfahren. Ferner richtet sich das Regime gegen ein nicht mit einer Staatsmacht in Verbindung zu bringendes Netzwerk. Dadurch werden jeweils besondere Fragen aufgeworfen. In einer Vorüberlegung soll zunächst eine grobe rechtliche Einordnung der Maßnahmen des Sicherheitsrats im Wege einer heuristischen Betrachtung erfolgen (Teil II, A. und B.), um den Rahmen der anschließenden Rechtmäßigkeitsprüfung abstecken zu können. Dazu wird zunächst überprüft, welche Natur den Maßnahmen gegen Al Qaida und ihre Verbündeten zuzuschreiben ist. Daneben wird die Frage aufgeworfen, ob das Vorgehen des Sicherheitsrates noch auf Basis einer Auslegung der UN-Charta oder nur auf Grundlage einer Vertragserweiterung rechtlich möglich erscheint. Auch wenn eine endgültige Antwort erst die anschließende Untersuchung erbringen wird, dienen die Vorerwägungen dazu, um das Ausmaß der vom Sicherheitsrat in Anspruch genommenen Kompetenzen vorab zu skizzieren. Sie umreißen damit also die Frage, die es zu beantworten gilt: ob dem Sicherheitsrat entsprechende Kompetenzen rechtlich überhaupt zugewiesen sind oder ob er mit Einrichtung des Al Qaida-Sanktionsregimes ultra vires, also außerhalb seiner Befugnisse, gehandelt hat (Teil II, C., 3. und 4.).
363
Kadelbach, ZaöRV 64 (2004), S. 7. Dies erinnert an die schon fast inflationär gebrauchte Fragestellung: Kennt Not kein Gebot? 365 Bruha/Claaszen, Sicherheit und Freiheit, S. 86. 364
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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Die mitgliedsstaatlichen Implementierungsmaßnahmen wurden bereits von nationalen,366 supranationalen367 und internationalen368 Gerichten sowie im Fall Sayadi & Vinck369 zusätzlich vom Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen als (individual-)rechtswidrig kritisiert. Die Gerichtsurteile befassen sich zum Teil mit strukturellen Fragen des Sanktionsregimes und zum Teil mit der Umsetzungsebene. Wie die Untersuchung zeigen wird, betreffen sie damit entweder den Verantwortungsbereich des Sicherheitsrats oder den der Mitgliedstaaten. Aus diesem Grund haben sie eine unterschiedlich große Bedeutung für die folgende Untersuchung, die sich in erster Linie auf die Beurteilung der Entscheidungen auf Ebene der Vereinten Nationen konzentriert. Die wesentlichen Argumente der Rechtsprechung werden im Rahmen der rechtlichen Würdigung aufgegriffen. Von politischer Seite geriet der Sicherheitsrat ebenfalls unter Druck. So hat die Parlamentarische Versammlung des Europarats in Resolution 1597 vom 23. Januar 2008 befunden, dass die Ausgestaltung der individualgerichteten Sanktionsregime des Sicherheitsrats nicht annähernd den Minimalstandards der betroffenen Menschenrechte gerecht werde.370 Der Schweizer Ständerat371 und der Schweizer Nationalrat372 haben sogar eine Motion angenommen, nach der die Schweiz die Umsetzung von Sanktionen gegen Individuen der Vereinten Nationen im Einzelfall unter bestimmten Bedingungen verweigern soll, die lauten: (1) Die betroffene Person wird seit mehr als drei Jahren auf einer Sanktionsliste geführt, ohne vor Gericht gestellt worden zu sein; (2) sie hatte keine Möglichkeit, die Aufnahme in die Liste von einer unabhängigen Instanz prüfen zu lassen; (3) vor keiner Justizbehörde wurde gegen sie Anklage erhoben; und (4) wurde seit der Aufnahme kein neues belastendes Material vorgebracht.373 Die Kritik und die Vorschläge zur menschenrechtskonformen Aus366
Canadian Federal Court, Abdelrazik gg. Kanada, 2009 FC 580, vom 4. Juni 2009; UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010; Tribunal de première instance de Bruxelles, Sayadi & Vinck gg. Belgien, 4th Ch., vom 11. Februar 2005. 367 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C415/05 P vom 3. September 2008; ihm folgend: EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010; EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren) und wiederum der EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013. 368 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012. 369 HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/ 1472/2006. 370 Ziff. 6. Die Parlamentarische Versammlung formulierte in Ziff. 5 die ihrer Meinung nach einzuhaltenden Minimalstandards. 371 Motion 09.3719 vom 8. September 2009 (abrufbar unter: http://www.parlament.ch/ab/ frameset/d/s/4811/306539/d_s_4811_306539_306688.htm. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 372 Motion 09.3719 vom 4. März 2010 (abrufbar unter: http://www.parlament.ch/ab/frame set/ d/n/4813/320207/d_n_4813_320207_320286.htm. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 373 Motion 09.3719, Ziff. 1 (abrufbar unter: http://www.parlament.ch/D/Suche/Seiten/ge schaefte.aspx?gesch_id=20093719. Zuletzt besucht am 12. August 2015).
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
gestaltung individualgerichteter Sanktionsregime werden an gegebener Stelle diskutiert.
I. Die Natur der Maßnahmen gegen Al Qaida und ihre Verbündeten Wie oben bereits ausgeführt, handelt es sich bei den Sanktionsadressaten um in ein nicht-staatliches, transnational agierendes Netzwerk eingegliederte Individuen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen mitsamt ihren Verbündeten. Zu ihrer Bestimmung hat der Sicherheitsrat einen Sanktionsausschuss als Nebenorgan (Art. 29 UN-Charta) eingerichtet, der zu diesem Zweck eine Sanktionsliste führt. Als Medium zur Umsetzung der Maßnahmen dienen dem Sicherheitsrat die nationalen bzw. supranationalen Rechtssysteme und Exekutivorgane. Dabei lassen die obligatorisch angeordneten (Art. 25 UN-Charta) Finanz-, Reise- und Waffenembargos mit ihren ausdifferenzierten Vorgaben den Staaten kaum einen Ausgestaltungsspielraum.374 Gerade die Feststellung des Tatbestandes nach dem „associated with“-Test ist allein dem Sanktionsausschuss überlassen, der auf dieser Grundlage die für die Mitgliedstaaten bindende Entscheidung darüber trifft, gegen wen die Sanktionen primär zu richten sind. Die vom Sicherheitsrat angeordneten Maßnahmen greifen unmittelbar in die Rechtssphäre der Sanktionsadressaten ein, indem sie u. a. ihre Eigentumsposition375 und ihre Fortbewegungsfreiheit376 einschränken.377 Auch wenn es die Staaten sind, die die einschneidenden Maßnahmen letztendlich umzusetzen haben, sind es demnach die Vereinten Nationen, denen die Maßnahmen dem Grunde nach zuzurechnen sind.378 Zur Beantwortung der Frage, ob die Vornahme entspre374
Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 1. Vgl. aber auch EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 180, 195 ff., der den Staaten einen Ermessensspielraum bei der Umsetzung zuschreibt. 375 Vgl. Art. 17 AEMR. 376 Vgl. Art. 13 AEMR. 377 Vgl. zu sonstigen betroffenen Rechtspositionen an späterer Stelle. 378 Vgl. in diesem Sinne de Búrca, HILJ 51 (2010), S. 9: „[…] it seems inaccurate to say that the primary responsibility for harm caused when a wrongly-listed person’s property is sequestered lies with the state that implements a mandatory Security Council resolution, rather than with the Security Council that wrongly named the person as a terrorist and mandated the sequestration.“ Davon ausgenommen warden kann hingegen die autonome Entscheidung eines Staates, einen Antrag auf Aufnahme in die Sanktionsliste zu stellen, Wolfrum, La contrôle juridictionnel des décisions du Conseil de Sécurité (ONU), S. 73. Das daran anschließende „listing“ ist dagegen den Vereinten Nationen zuzurechnen (vgl. Art. 6 Draft Articles on the responsibility of international organizations (2011)). Dies hat auch hinsichtlich der Umsetzung der Sanktionen zumindest insoweit zu gelten, als ihnen kein wesentlicher Interpretations- oder Ermessensspielraum zuzuschreiben ist. Dies trifft auf weite Teile der Umsetzungsbefehle zu (eine Ausnahme ist etwa die tatbestandsimmanente Schranke zum Reiseembargo für Grenzübertritte, die im Rahmen eines Gerichtsverfahrens „notwendig“ sind), a.A. Wolfrum, La contrôle juridictionnel des décisions du Conseil de Sécurité (ONU), S. 74.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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chender Maßnahmen von den Befugnisnormen des Sicherheitsrats gedeckt ist, wird zu klären sein, welchen Charakter ihnen jeweils zuzuschreiben ist. 1. Die Feststellung der Friedensbedrohung als (quasi-)legislativer Akt Indem der Sicherheitsrat Individuen und Körperschaften zu potentiellen Subjekten der Bedrohung des Weltfriedens erklärt, gegen die er sich vorbehält, in der Folge Zwangsmaßnahmen zu verordnen, wird negativ eine individualgerichtete, abstrakt-generelle Verbotsnorm, gerichtet auf die Unterlassung friedensbedrohender Handlungen, mitgesetzt.379 Der internationale Terrorismus wurde allgemein zu einer Bedrohung des Friedens erklärt,380 wodurch Individuen, Vereinigungen von Individuen und Körperschaften nunmehr damit rechnen müssen, bei Beteiligung an oder Unterstützung von internationalen Terrornetzwerken wie Al Qaida ins Visier des Sicherheitsrats zu geraten. Die auf diese Weise den privaten Akteuren einseitig auferlegten Verhaltenspflichten werden im Falle ihrer Nichterfüllung in Gestalt der durch die Sicherheitsratsresolutionen bestimmten Sanktionen gegen ihren Willen durchgesetzt.381 Bereits die Feststellung der Friedensbedrohung durch Privatakteure scheint damit (quasi-)legislativer Natur zu sein. Es wird sich zeigen, ob sich diese vorläufige Einordnung nach einer umfassenden Auslegung der Befugnisnormen des Sicherheitsrats erhärtet. 2. Die Definition des Tatbestandes nach dem „associated with“-Test als legislativer Akt Ähnliches gilt für die weitere Spezifizierung der Akteure, die nach dem Al QaidaSanktionsregime eine Bedrohung des Friedens darstellen. Neben den Mitgliedern des Terrornetzwerkes sind auch ihre Unterstützer auf die Sanktionsliste aufzunehmen und mit restriktiven Maßnahmen zu belegen. Mit dem sehr weit gefassten „associated with“-Test setzt der Sicherheitsrat selbst die Kriterien, nach denen eine Unterstützung Al Qaidas anzunehmen sein soll. Die sanktionsbewehrten Handlungen werden abstrakt beschrieben und richten sich an einen unbegrenzten Adressatenkreis.382 Den entsprechenden Bestimmungen des Sicherheitsrats wird damit ebenfalls ein legislativer Charakter zuzuschreiben sein.
379
Vgl. dazu auch: Bruha/Bortfeld, VN 5/2001, S. 163; Bruha, AVR 40 (2002), S. 391 f.; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 196 f.; Cameron, NJIL 72 (2003), S. 170 f. Die Ansicht von Eckert, Die Rolle nichtstaatlicher Akteure, S. 208, die Maßnahmen würden nur die Mitgliedstaaten und nicht die zu sanktionierenden Personen verpflichten, ist abzulehnen. 380 s. zuletzt in der Präambel zu S/RES/2161 (2014). 381 Vgl. auch Schaller, VN 4/2005, S. 132. 382 Ebenso in Bezug auf die Verordnungen der EU zur Umsetzung der Sicherheitsratsresolutionen: EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 242.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
3. Die Anweisung zur umfassenden Verhinderung der Zurverfügungstellung finanzieller Vermögenswerte und wirtschaftlicher Ressourcen zugunsten der Sanktionsadressaten als abstrakt-generelle Verbotsnorm Im Falle des Al Qaida-Sanktionsregimes sind nicht allein die auf der Sanktionsliste aufgeführten Akteure – d. h. Mitglieder und Unterstützer des Netzwerks – betroffen. So haben die Mitgliedstaaten auf Umsetzungsebene dafür zu sorgen, dass keinerlei Gelder, finanzielle Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen von ihren Staatsangehörigen oder von in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Personen direkt oder indirekt zugunsten der Mitglieder oder Verbündeten Al Qaidas zur Verfügung gestellt werden.383 Dies hat etwa im Fall M et al. dazu geführt, dass den Ehegatten von Sanktionsadressaten die Auszahlung von Sozialleistungen mit dem Hinweis darauf verweigert wurde, letztere würden sonst in den Genuss eines mittelbaren finanziellen Vorteils kommen; die Gelder könnten schließlich teilweise zur Zahlung von Waren oder Dienstleistungen verwendet werden, die von den auf der Sanktionsliste geführten Personen konsumiert werden bzw. ihnen zugutekommen.384 Letztlich entschied der EuGH jedoch, dass Sozialleistungen nicht von der betreffenden EU-Verordnung Nr. 881/2002 in der durch Verordnung Nr. 561/2003 geänderten Fassung, die der Umsetzung der Sicherheitsratsresolution 1390 (2002) dient, umfasst seien, da diese Mittel kaum zur Unterstützung terroristischer Tätigkeiten dienen könnten; sie seien schließlich „sorgfältig so bemessen […], dass sie nur die notwendigsten Bedürfnisse der Betroffenen decken.“385 Neben der Zielsetzung des Sanktionsregimes hat der EuGH zur Begründung seiner Auslegung der betreffenden Verordnung auch den Grundsatz der Rechtssicherheit hervorgehoben, nach dem eine grundrechtseinschränkende Verordnung klar und bestimmt zu sein habe.386 Würde die betreffende Verordnung nun auch in dreiseitigen Fallgestaltungen der Überweisung von Geldern an eine nicht auf der Sanktionsliste geführten Person entgegenstehen, allein weil sie mit einem primären Sanktionsadressaten eine mehr oder weniger enge Beziehungen unterhalte, dann sei die Gefahr einer unzulässigen Rechtsunsicherheit gegeben.387 Letztere Begründung ist allerdings nicht Teil des Urteilstenors. Endgültig ist damit also noch nicht geklärt, ob in eindeutiger gelagerten Fällen die Überweisung von Mitteln an Ehegatten und sonstigen zu den Sanktionsadressaten in einer Beziehung stehenden Personen, die es nahelegt, dass die Sanktionsadressaten einen indirekten Vorteil aus der Überweisung ziehen werden, von der Verordnung erfasst bleiben, insoweit sie die Schwelle des Notwendigsten überschreiten und potentiell zur Finanzierung terroristischer Handlungen in 383
S/RES/2161 (2014), Ziff. 1 lit. a. Vgl. dazu House of Lords, M et al., [2008] UKHL 26, Entscheidung vom 30. April 2008 (Vorlagefrage); EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren). 385 EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren), 2. Ls. 386 EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren), Rn. 65. 387 EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren), Rn. 66. 384
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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Frage kommen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass Angehörige von Sanktionsadressaten auch in Zukunft mit erheblichen Eingriffen in ihre Rechtspositionen rechnen müssen. Ein weiteres Beispiel, wie Drittbetroffene in ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit beschnitten werden können, stellt der Fall Möllendorf und MöllendorfNiehuus dar. Das zuständige Grundbuchamt verweigerte die von den Klägerinnen geforderte Eigentumsumschreibung ihres Grundstücks im Grundbuch in Erfüllung eines notariell beurkundeten Kaufvertrags zugunsten einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, von der ein Gesellschafter auf der Al Qaida-Sanktionsliste geführt wurde.388 Der EuGH bestätigte, dass die betreffende Verordnung einer Eigentumsumschreibung entgegenstehe, selbst wenn der Abschluss des Grundstückskaufvertrags und die Auflassungserklärung vor dem Zeitpunkt der Aufnahme des Erwerbers in die Sanktionsliste erfolgt seien.389 Nach deutschem Recht waren die Verkäuferinnen in der Folge zur Rückzahlung des Kaufpreises wegen nachträglicher Unmöglichkeit nach §§ 346 Abs. 1, 326 Abs. 1 und 4, 275 Abs. 1 und 3 BGB verpflichtet.390 Die Fälle illustrieren, dass einer unbegrenzten Anzahl Drittbetroffener die Möglichkeit genommen wird, mit den primären Sanktionsadressaten in irgendeine Art wirtschaftlicher Beziehung zu treten, die die Verfügung materieller Werte an letztere miteinschließt, zumindest insofern diese potentiell zur Verfolgung terroristischer Ziele eingesetzt werden können.391 Auf Rechtsfolgenebene definiert der Sicherheitsrat also einen abstrakten Sachverhalt, der auf eine unbestimmte Anzahl von Fällen Anwendung findet; er nimmt damit auch auf dieser Ebene legislative Kompetenzen für sich in Anspruch, indem er negativ ein sehr weitgehendes, allgemeines Verbot zur direkten und indirekten Zurverfügungstellung von Vermögenswerten jeder Art zugunsten der primären Sanktionsadressaten regelt. 4. Die Wahrnehmung individualrechtsbezogener, (quasi-)justizieller Kompetenzen im Rahmen des „listing“- und des „de listing“-Verfahrens Im Rahmen des „listing“-Verfahrens entscheidet der Al Qaida-Sanktionsausschuss auf Grundlage ihm vorgelegter Informationen an der Linie von Rechtssätzen über den Eingriff in Individualrechtspositionen. Mit der Einrichtung eines Individualrechtschutzverfahrens, nach dem verbindlich über den weiteren Verbleib auf der 388 Vgl. EuGH, Möllendorf & Möllendorf-Niehuus, C-117/06, Urteil vom 11. Oktober 2007 (Vorlageverfahren). 389 Vgl. EuGH, Möllendorf & Möllendorf-Niehuus, C-117/06, Urteil vom 11. Oktober 2007 (Vorlageverfahren), Rn. 80. 390 Vgl. EuGH, Möllendorf & Möllendorf-Niehuus, C-117/06, Urteil vom 11. Oktober 2007 (Vorlageverfahren), Rn. 36. 391 Letztere Einschränkung betonend: EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren), Rn. 54.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Sanktionsliste entschieden wird, werden unter der Autorität des Sicherheitsrats zudem (quasi-)gerichtliche Funktionen wahrgenommen.392 Die eingesetzten Organe entscheiden auf Grundlage der vom Sicherheitsrat eigens erlassenen Rechtsregeln über die Rechtmäßigkeit der von ihnen selbst vollzogenen Anwendung auf den Einzelfall. Sie handeln damit als Richter in eigener Sache. Mit der Veröffentlichung der Liste mutmaßlicher Anhänger und Verbündeter Al Qaidas im Internet greift der Sanktionsausschuss zudem unmittelbar in die Rechte der Betroffenen ein. 5. Das Al Qaida-Sanktionsregime als supranationales Regelungsregime Die Befugnis zum Ergreifen individualgerichteter Maßnahmen eines solchen Ausmaßes wird traditionell allein dem Staat zugeschrieben,393 der als Souverän über die Ausgestaltung seines Rechtssystems gilt und dem es deshalb obliegt, mittels seiner Hoheitsgewalt die Rechtsstellung der ihm personell und territorial zugeordneten Privatpersonen autonom zu bestimmen und gegebenenfalls mit Zwangsmitteln durchzusetzen.394 Mit Durchgriff von Seiten des Sicherheitsrates auf die Rechtsstellung Privater nimmt er für sich einen Teil dieser Hoheitsgewalt in Anspruch395 und erlässt verpflichtende Normen, die Individuen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit treffen.396 Dabei kann er sich auf den zwingenden Charakter seiner Maßnahmen (Art. 25 UN-Charta) und einen Anwendungsvorrang des UN-Rechts vor anderen internationalen Verträgen (Art. 103 UN-Charta) berufen. Die Mitgliedstaaten sind zur Durchführung der Maßnahmen, d. h. zur Inkorporation der Sanktionen in ihre Rechtsordnungen verpflichtet (Art. 25 und 48 Abs. 2 UN-Charta). Völkerrechtlich betrachtet genießen die bindenden Resolutionen zudem einen prinzipiellen Anwendungsvorrang vor dem innerstaatlichen Recht. Nach Art. 27 WVK können sich die Parteien eines völkerrechtlichen Vertrages ihren sich daraus erwachsenen Pflichten nicht mit Hinweis auf entgegenstehendes innerstaatliches Recht entziehen, was auch für Verpflichtungen aus Gründungsurkunden internationaler Organisationen gilt (vgl. Art. 5 WVK). Nach Art. 2 Abs. 1 lit. j WVK II zählen zu den Vorschriften einer Internationalen Organisation neben der Gründungsurkunde auch die auf ihrer Grundlage ergangenen 392
de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 354; Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 275, 294 ff.; Bianchi, EJIL 17 (2006), S. 906; Scheinin, Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, UN Doc. A/65/258, Ziff. 52. Vgl. auch Gutherie, NYUAnn.Surv.Am.L. 60 (2004), S. 496; Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 274. 393 Vgl. auch Uruena, IOLR 4 (2007), S. 327. 394 Vgl. Fassbender, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 3 ff. 395 In Anlehnung an den von Bogdandy/Dann/Goldmann, Völkerrecht als öffentliches Recht, S. 234 f. (der Artikel wurde bereits zuvor abgedruckt in GLJ 9 (2008), S. 1375 ff.) definierten Begriff der öffentlichen Gewalt, wird Hoheitsgewalt verstanden als die Rechtsmacht, die rechtliche oder tatsächliche Situation anderer Aktuere zu gestalten. 396 Vgl. auch Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 43 f.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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Resolutionen. Die WVK II ist zwar bislang noch nicht in Kraft getreten,397 jedoch wird das gleiche Verständnis auch der WVK zu Grunde gelegt.398 Die WVK ist auf die UN-Charta nicht unmittelbar anwendbar, da die UN-Charta vor der WVK in Kraft getreten ist (vgl. Art. 4 WVK),399 Art. 27 WVK reflektiert allerdings allgemeines Völkergewohnheitsrecht.400 Wie der StIGH bereits feststellte, soll die völkergewohnheitsrechtliche Vorrangregel auch für das Verhältnis zu innerstaatlichem Verfassungsrecht gelten.401 Auch wenn tatsächlich die wenigsten staatlichen Rechtsordnungen ihre Verfassungen den Entscheidungen internationaler Organisationen unterordnen,402 beansprucht der Sicherheitsrat für seine Resolutionen Vorrang gegenüber jeglichen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts.403 In Kombination mit der Individualgerichtetheit der Sanktionen kumuliert dies zu einer Kompetenzfülle, die bei überstaatlichen Organisationen bisher kaum wahrzunehmen ist. Eine Ausnahme zum Primat der Staaten zur Ausübung individualgerichteter Hoheitsgewalt stellt die Europäische Union dar, die sich durch ein besonders hohes Maß an rechtlicher und politischer Integration auszeichnet und – dies wird als ihr wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu herkömmlichen internationalen Organisationen beschrieben404 – unter Durchgriff der nationalen Rechtsordnungen Privatakteure unmittelbar berechtigen und verpflichten kann.405 Diese bis dato präzedenzlos gebliebene Eigenschaft wird begrifflich mit dem Attribut „supranational“ gekennzeichnet. Mit Einrichtung des Al Qaida-Sanktionsregimes nimmt nun auch der Sicherheitsrat supranationale Kompetenzen für sich in Anspruch.406 397
Stand: 12. August 2015. Der aktuelle Ratifikationsstand ist abrufbar unter https://trea ties.un.org. 398 Vgl. Schmalenbach, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT Commentary, Art. 5, Rn. 15. 399 Die UN-Charta ist nach Hinterlegung der notwendigen Ratifikationsurkunden gem. Art. 110 Abs. 3 am 24. Oktober 1945 in Kraft getreten (vgl. UNCIO XV, S. 335 ff.), die WVK gem. Art. 84 Abs. 1 am 27. Januar 1980 (UNTS Bd. 1155, S. 331). 400 IGH, Certain Questions of Mutual Assistance in Criminal Matters (Dschibuti gg. Frankreich), ICJ Rep. 2008, S. 49. 401 StIGH, Treatment of Polish Nationals and Other Persons of Polish Origin or Speech in the Danzig Territory, Adv. Op., Serie A./B. Nr. 44 (1932), S. 24. Vgl. auch m.w.N. Schmalenbach, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT Commentary, Art. 27, Rn. 9, 19 und Schaus, in: Corten/Klein, VCTL Commentary, Art. 27 (Convention of 1969), Rn. 6. 402 Nollkaemper, EJIL 20 (2009), S. 864. Gleichwohl kommt es kaum vor, dass staatliche Gerichte Resolutionen des Sichereheitsrats im Konflikt mit verfassungsrechtlich verbürgten Individualrechten unangewendet lassen, vgl. dazu ebd., S. 865. 403 Peters, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 25, Rn. 30. So auch noch das EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 181 – 182 (damals noch EG). 404 Frenz, Europarecht, S. 1 f. 405 Vgl. Art. 288 Abs. 2 und 4 AEUV. 406 Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 461; Ginsborg/Scheinin, EHRR 8 (2011), S. 9; Föh, Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 144; von Arnauld, EuR 2/2013, S. 237; Scheinin, Zurück zur Post-9/11-Panik? Siehe bereits zuvor Mégret/Hoffmann, HRQ 25 (2003), S. 315. Vgl. zu den Voraussetzungen im Einzelnen bereits im 1. Teil, B.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
6. Zwischenergebnis Der Sicherheitsrat nimmt im Rahmen des Al Qaida-Sanktionsregimes Kompetenzen wahr, die nach einer heuristischen Betrachtung ihrer Natur nach traditionell den Staaten vorbehalten sind. Den Präzedenzfall der Ausübung individualgerichteter Hoheitsgewalt eines entsprechenden Ausmaßes auf internationaler Ebene bildet die Europäische Union, die aus diesem Grund in Abgrenzung zu herkömmlichen internationalen Organisationen das Attribut „supranational“ trägt. Die Vereinten Nationen nähern sich dieser Konzeption mit Einrichtung des Al Qaida-Sanktionsregimes nun offenbar an.
II. Rechtsfortbildung als Vertragsänderung oder Akt der Auslegung Mit dem supranationalen Vorgehen gegen private Akteure hat sich der Sicherheitsrat neue Handlungsfelder im Rahmen des Kapitels VII der UN-Charta („Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“) erschlossen.407 Zur Einordnung dieser Rechtsfortbildung muss zunächst geklärt werden, ob die Entscheidungen des Sicherheitsrats überhaupt justiziabel sind. Bejaht man dies zumindest im Grundsatz, stellt sich die weitere Frage, ob sich die Entscheidungen im Rahmen einer möglichen Auslegung seiner Kompetenzen bewegen oder er neue, ihm durch die UN-Charta nicht zugewiesene Kompetenzen in Anspruch nimmt. Im letzteren Fall würde es sich um eine faktische Vertragserweiterung, also um einen Akt der Rechtssetzung, handeln, der ein Vertragsänderungsverfahren notwendig gemacht hätte.408 Eine randscharfe Abgrenzung zwischen Akten der Rechtsanwendung – unter die auch eine extensive Auslegung zu subsumieren wäre – und der Rechtssetzung – die in Form der Vertragserweiterung ein besonderes formales Verfahren voraussetzt – wird jedoch kaum in jedem Fall zu ziehen sein.409 Dies ist mitunter Folge der auf die UN-Charta anerkanntermaßen anzuwendenden Methode der dynamischen Auslegung, nach welcher der Vertragsinhalt einem stetigen Prozess der Anpassung an neue Gegebenheiten nach dem Willen der Vertragsparteien unterworfen ist.410 Die ursprünglichen Erwartungen, die 407
S. 10.
Gutherie, NYUAnn.Surv.Am.L. 60 (2004), S. 497. Ähnlich de Búrca, HILJ 51 (2010),
408 Zur Abgrenzung: Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 21, 215. Vgl. zu den Grenzen der Auslegung: Herdegen, Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UN-Charta, S. 111 und Zimmermann/Elberling, VN 3/2004, S. 75 f., für die die Inanspruchnahme legislativer Kompetenzen durch den Sicherheitsrat die Grenzen der Auslegung übersteigt. 409 Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 28. Vgl. auch von Bogdandy/Venzke, ZaöRV 70 (2010), S. 16; Wolfrum, in: ders., MPEPIL, Sources of International Law, Rn. 46 (Stand: Mai 2011); Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 282. 410 Ausführlich dazu unten unter III., 3.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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die unterzeichnenden Kräfte mit dem Vertrag verbunden hatten, spielen nach der dynamischen Konzeption eine eher untergeordnete Rolle. Mit verminderter Bedeutung statischer Elemente der Auslegung fällt es aber schwer, einen Fixpunkt für die Einordnung einer Feststellung nach Art. 39 UN-Charta und der daran anschließenden Beschlüsse zu bestimmen. Wenngleich die Grenzen zwischen Rechtsanwendung und Rechtssetzung demnach verwischen können, sollte an der Unterscheidung grundsätzlich festgehalten werden. Dies ist nicht zuletzt deshalb zu fordern, weil die Bestimmungen des Art. 108 UN-Charta andernfalls unterlaufen werden könnten. Jedenfalls werden an die Kompetenzen des handelnden Organs bei einer extensiven Auslegung desto höhere Voraussetzungen zu stellen sein, je mehr sie an eine Vertragserweiterung heranreicht.411 Auch bei der extensiven Auslegung handelt es sich um einen Akt der Rechtsfortbildung, der zumindest im Fall der Fortwirkung (quasi-)legislativen Charakter trägt.412 Es kann bei der Untersuchung deshalb zu Überschneidungen zu der Frage kommen, ob dem Sicherheitsrat eine allgemeine Legislativkompetenz zuzusprechen ist.413 Nach einer vordergründigen Betrachtung am Maßstab der ursprünglichen Konzeption der UN-Charta liegt die Einordnung des Sicherheitsrates, von Al Qaida und ihren Verbündeten gehe eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit aus, zumindest sehr nahe an einer Vertragserweiterung. Dies gilt auch für das zeitlich und territorial unbeschränkte Vorgehen gegen Individualpersonen und die Einrichtung eines Individualrechtsschutzsystems auf Ebene der Vereinten Nationen.414 Die Abwehr von Gefahren durch Einzelpersonen liegt traditionell im Aufgabenbereich nationaler Behörden (s. o.), während die Vereinten Nationen in 411 Vgl. auch Herdegen, Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UN-Charta, S. 112 f. Näheres dazu unten. 412 Vgl. zur extensiven Auslegung des Sicherheitsrats im Rahmen der Terrorismusbekämpfung auch Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 283: „[This] is indeed juris-generative: new law and a new form of law-making have emerged.“ 413 Sie wurde insbesondere im Zusammenhang mit der Einrichtung des ICTY (S/RES/827 (1993)), mit der an die Mitgliedstaaten gerichteten Verpflichtung zum Vorgehen gegen den internationalen Terrorismus (S/RES/1373 (2001)) und mit den gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen gerichteten Maßnahmen nach S/RES/1540 (2004) diskutiert. Vgl. aus der umfangreichen Literatur dazu nur: Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats; Wolfrum, Der Kampf gegen eine Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, S. 873; Peters, LJIL 19 (2006), S. 589; Talmon, AJIL 99 (2005), S. 175 ff.; Zimmermann/Elberling, VN 3/2004, S. 71 ff.; Bruha, AVR 40 (2002), S. 392; Arangio-Ruiz, Riv. di dir. int. 83 (2000), S. 609 ff.; de Búrca, HILJ 51 (2010), S. 9; Wagner, ZaöRV 2003, S. 879 ff. 414 Der ehemalige Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, Martin Scheinin, bezweifelt deshalb auch, dass sich das 1267-Sanktionsregime seit der mit S/RES/1390 (2002) einhergehenden zeitlichen und örtlichen Entgrenzung und aufgrund seines gerichtlichen oder quasi-gerichtlichen Charakters noch innerhalb der Kompetenzen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII bewege, UN Doc. A/65/258, Ziff. 52. Vgl dazu auch: Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 278 – 283, die dabei die Frage der Legalität weitgehend ausklammert, aber den Vorwurf der Illegitimität erhebt.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Reaktion auf die „Geißel“ zweier Weltkriege415 primär zur Abwehr zwischenstaatlicher Konflikte eingerichtet wurden.416 Daneben ist auch eine Fortwirkung der Feststellung gegeben, die ein Merkmal für eine über den Einzelfall hinaus geltende Vertragserweiterung sein kann. So weist der Sicherheitsrat mit der Bekräftigung, „dass der Terrorismus in allen seinen Arten und Erscheinungsformen eine der schwersten Bedrohungen des Friedens und der Sicherheit“417 darstelle, darauf hin, dass über den Fall Al Qaidas hinaus auch andere terroristische Vereinigungen mit einer entsprechenden Sanktionierung zu rechnen haben. Dies bestätigte sich in Resolution 1373 vom 28. September 2001, mit der der Sicherheitsrat auf Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta die Staaten dazu aufrief, Maßnahmen gegen alle Anhänger und Unterstützer des internationalen Terrorismus zu ergreifen.418 Ebenso steht es mit der Verurteilung der Bombenanschläge auf Personenzüge in Madrid vom 11. März 2004, die vom Sicherheitsrat in Resolution 1530 (2004) vom selben Tag zunächst der baskischen Untergrundorganisation Euskadi Ta Akatasuna (ETA) zugerechnet wurden. In Ziffer eins des operativen Teils bewertete er die Anschläge, wie jeden Akt des Terrorismus, als Bedrohung des Friedens und der Sicherheit. Ausdrücklich weist Kapitel VII der UN-Charta dem Sicherheitsrat auch nicht die Kompetenz zu, gerichtsähnliche Funktionen zu erfüllen. Er ist für solche Aufgaben auch nicht ausgestattet.419 Der Sicherheitsrat soll vielmehr schnell und effektiv eingreifen, um zumindest vorläufig eine Befriedung kritischer Situationen zu bewirken.420 Die Aufgabe, endgültig über völkerrechtliche Rechte und Pflichten zu bestimmen, obliegt dagegen dem IGH als Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen (Art. 92 Satz 1 UN-Charta). Damit spricht auch die Aufgabenverteilung der UN-Charta dafür, dass die mit Einrichtung des Al Qaida-Sanktionsregimes beanspruchten Kompetenzen eine erweiternde Vertragsänderung erforderlich gemacht hätten. In einer umfassenden rechtlichen Analyse wird der Einordnungsfrage weiter nachzugehen sein, um darauf aufbauend die Anforderungen an entsprechende Akte der Rechtsfortbildung bestimmen und die Frage nach ihrer Beachtung durch den Sicherheitsrat im Fall des Al Qaida-Sanktionsregimes beantworten zu können.
415
s. dazu den ersten Satz der Präambel zur UN-Charta. Die Antragsteller vor dem HRC im Fall Sayadi & Vinck gg. Belgien vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006, Rn. 5.6, kommen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Sicherheitsrat mit der Feststellung nach Art. 39 UN-Charta seine Kompetenzen überschritten habe. 417 So zuletzt im zweiten Abs. der Präambel zu S/RES/2161 (2014) 418 S/RES/1373 (2001), Ziff. 1 – 3. 419 Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 300. 420 Vgl. dazu ausführlich im nachfolgenden Punkt 3., b), bb), (1), (a), (bb). 416
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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III. Die Befugnisse des Sicherheitsrats und das Al Qaida-Sanktionsregime 1. Gang der Untersuchung Im Anschluss folgt eine rechtliche Analyse des Al Qaida-Sanktionsregimes. Dabei wird zunächst die Frage behandelt, welche Rechtsbeziehungen durch das Sanktionsregime begründet wurden, aus denen sich gegebenenfalls besondere Rechtsbeachtungspflichten ableiten lassen. Im Anschluss folgt eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Feststellung des Sicherheitsrates nach Art. 39 UN-Charta, nach der Al Qaida eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstelle. Dabei wird es auch besonders darum gehen, die Natur der Feststellungsbefugnis des Sicherheitsrates zu bestimmen, um den Rahmen der Justiziabilität abstecken zu können. Letztlich wird untersucht, ob, und wenn ja, inwieweit der Sicherheitsrat Rechtsbindungen bei der Festsetzung von Sanktionen unterliegt. Diese Untersuchung bildet die Grundlage, um im Anschluss die Anordnung der gegen Al Qaida und ihre Verbündeten gerichteten Maßnahmen auf ihre Rechtskonformität hin zu überprüfen und auf etwaig diagnostizierte Rechtsmängel im Rahmen des eigenen Ausgestaltungsvorschlags einzugehen. 2. Die durch das Al Qaida-Sanktionsregime begründeten Rechtsverhältnisse Die Untersuchung der Rechtmäßigkeit des Al Qaida-Sanktionsregimes hängt wesentlich von dem Umfang bestehender Rechtsbindungen ab, denen der Sicherheitsrat möglicherweise unterliegt. Letztere können sich im Fall von Individualsanktionen aus chartaimmanenten Befugnisgrenzen, wie aus dem Verhältnis der UNOrgane zueinander, und aus den Handlungsspielraum absteckenden Kompetenznormen des Sicherheitsrats ergeben. Zudem sind von den Maßnahmen unterschiedliche Akteure betroffen, zu denen der Sicherheitsrat jeweils in Verhältnis tritt, wodurch gegebenenfalls die Beachtung von gegenseitig bindenden Rechten und Pflichten erforderlich wird. So verpflichtet der Sicherheitsrat zum einen die Staaten zur Vornahme restriktiver Maßnahmen.421 Zum anderen bestimmt er selbst auf Grundlage eigens definierter Maßstäbe die zu sanktionierenden Individuen und Körperschaften.422 Dabei sind die Staaten zur Umsetzung der Sanktionen zuständig und verpflichtet (Art. 25 und 48 Abs. 2 UN-Charta), wobei ihnen kaum ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Art der zu vollziehenden Maßnahmen und kein Ermessenspielraum bei der Bestimmung der zu sanktionierenden Akteure eingeräumt wird; der Sicherheitsrat bedient sich ihrer als Medium zum „quasi-unmittelbaren“423 Durchgriff auf Individuen und Körperschaften. Es soll deshalb untersucht werden, welche Auswirkungen die Praxis des Sicherheitsrats auf die 421 422 423
S/RES/2161 (2014), Ziff. 1. S/RES/2161 (2014), Ziff. 2, 30 ff. Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 17.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Rechtsstellung der betroffenen Parteien hat und ob für die anschließende Untersuchung der Rechtmäßigkeit der UN-Maßnahmen an gebotener Stelle eine Differenzierung nach Rechtsverhältnissen zur Erörterung der sich aus diesen jeweils möglicherweise ergebenden Rechtsbeachtungsgeboten möglich und sinnvoll ist. Zumal die Rechtsstellung privater Akteure im Völkerrecht nicht abschließend geklärt ist,424 interessiert besonders die Beziehungsebene zwischen dem Sicherheitsrat und den Sanktionsadressaten. Spricht man dem Individuum nämlich jede Rechte- und Pflichtenträgerschaft im Völkerrecht, d. h. jede Völkerrechtssubjektivität ab, so erübrigt sich eine Untersuchung, ob in dieser Beziehung von dem Sicherheitsrat Rechte und Pflichten zu beachten sind, mit der Folge, dass sich eine Rechtsbindung allenfalls aus dem Verhältnis zu den Staaten ergeben könnte, die die betroffenen Individuen und Körperschaften dann allenfalls mittelbar begünstigen würden.425 Zudem kann sich die Darstellung der Rechtsstellung des Individuums im Völkerrecht dazu eignen, um gegebenenfalls zu erkennende Entwicklungen letztlich im Rahmen des eigenen Ausgestaltungsvorschlags angemessen zu würdigen und zu bewerten.426 a) Die erste Dimension: Das Rechtsverhältnis zu den Staaten Zuletzt hat der Sicherheitsrat mit Ziff. 1 der Resolution 2161 (2014) beschlossen, dass alle Staaten Finanzsanktionen sowie Reise- und Waffenembargos gegen die vom Sanktionsausschuss bestimmten Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen zu ergreifen haben. Dabei bleiben die Staaten für die Umsetzung der Sanktionen zuständig. Sie sind allerdings durch die autoritative Wirkung der Beschlüsse zur entsprechenden Wahrnehmung ihrer Kompetenzen verpflichtet (Art. 25 und 48 Abs. 2 UN-Charta). Auf diese Weise gestaltet der Sicherheitsrat sein Rechtsverhältnis zu den Staaten wie auch mittelbar das Rechtsverhältnis der Staaten zu den Sanktionsadressaten und greift so in nationale Regelungskompetenzen ein.427 Hieran verdeutlicht sich die Mehrebenenstruktur des Al Qaida-Sanktionsregimes, die durch das Entstehen mannigfaltiger Rechte- und Pflichtenbeziehungen gekenn424 Vgl. aus der Literatur nur: Peters, Jenseits der Menschenrechte; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, S. 308 ff.; Herdegen, Völkerrecht, S. 107 ff.; Doehring, Völkerrecht, S. 109 ff.; Kau, in: Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, S. 139 ff.; Dixon/McCorquodale/Williams, Cases and Materials on Int. Law, S. 150 ff.; Brownlie, Principles of Public Int. Law, S. 121; Hobe, Völkerrecht, S. 166 ff.; ders., Individuals and Groups as Global Actors, S. 115 ff.; Franck, Individuals and Groups of Individuals as Subjects of Int. Law, S. 97 ff.; Oellers-Frahm, Die Entscheidung des IGH im Fall LaGrand, S. 21 ff.; Seidl, AVR 38 (2000), S. 32 ff.; Bothe, Durchsetzung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts – ein Paradigmenwechsel?, S. 115 ff.; Grzeszick, AVR 43 (2005), S. 312 ff.; Clapham, EJIL 21 (2010), S. 25 ff.; Gaja, EJIL 21 (2010), S. 11 ff. 425 So im Ergebnis: Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 75 ff.; 101 ff. 426 Auf die Notwendigkeit entsprechender Vorüberlegungen verweist auch Ciampi, Security Targeted Sanctions and Human Rights, S. 99. 427 Vgl. zur Tiefe des Eingriffs in die innerstaatliche Regelungshoheit Hudson, Berkl.JIL 25 (2007), S. 210.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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zeichnet ist. Die Staaten haben eine herausragende Bedeutung in der Völkerrechtsordnung, zumal sie die wesentlichen Akteure bei der Fortentwicklung des Völkerrechts sind.428 Als so bezeichnete originäre Völkerrechtssubjekte429 nehmen sie eine Rechtsstellung gegenüber den internationalen Organisationen ein, aus der sich auch eine Rechtsbindung des Sicherheitsrats ableiten könnte. Inwieweit das zutrifft, wird zu untersuchen sein. b) Die zweite Dimension: Das Rechtverhältnis zu den Sanktionsadressaten Ob daneben auch ein Rechtsverhältnis zu den Sanktionsadressaten selbst besteht, das gegebenenfalls eine Bindung des Sicherheitsrats begründen könnte, bedarf hingegen einer eingehenderen Betrachtung. Diese Frage lässt sich deshalb nicht ohne weiteres beantworten, weil es nach wie vor eine in Wissenschaft430 und Praxis431 nicht ins letzte Detail geklärte Frage ist, ob private Akteure und dabei speziell das Individuum im Völkerrecht überhaupt als Träger von Rechten und Pflichten und damit als Rechtssubjekt betrachtet werden kann und bejahendenfalls, in welchem Umfang. Eine Darstellung des aktuellen Standes der völkerrechtlichen Stellung des Individuums soll der Erörterung dienen, ob sich insoweit ein kohärentes Gefüge herausgebildet hat, das für die Beurteilung eines gegebenenfalls bestehenden Rechte- und Pflichtenverhältnisses zum Sicherheitsrat hilfreich sein könnte. Die durch Resolution 1267 (1999) mitsamt Folgeresolutionen verfolgte Praxis wird im Rahmen dieses Kontextes zu bewerten sein. aa) Das Individuum als Völkerrechtssubjekt Die Zuordnung von Individualrechten und -pflichten im Völkerrecht kann unterschiedlich begründet sein. Zum einen ist dies durch von dem Heimatstaat eingegangene völkerrechtliche Verträge denkbar und zum anderen durch eine Zuordnung, die unabhängig von der jeweiligen Staatszugehörigkeit durch allgemeines Völkerrecht erfolgt. In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob das Individuum direkt berechtigt oder verpflichtet werden soll und damit tatsächlich als Rechtssubjekt 428 Rechtssätze ergeben sich gem. IGH-Statut im Wesentlichen aus zwischenstaatlichen Übereinkünften, dem Staatengewohnheitsrecht und aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Staaten (Art. 38 Abs. 1 lit. a – c). Nur Staaten können Mitglied der Vereinten Nationen sein (Art. 3 und 4 UN-Charta), den Sicherheitsrat konsultieren (Art. 35 UN-Charta) und als Parteien vor dem IGH auftreten (Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut). 429 Herdegen, Völkerrecht, S. 70. 430 s. die Verweise in Fn. 424. 431 Vgl. nur: BGH, Urteil vom 2. November 2006, Az.: III ZR 190/05, Rn. 7 f.; BGH, Beschluss vom 7. November 2001-5 StR 116/01; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2011-4 StR 643/ 10; BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. September 2006-2 BvR 2115/01, 2 BvR 348/03; IGH, LaGrand (Deutschland gg. USA), ICJ Rep. 2001, S. 466 ff.; IGH, Avena (Mexiko gg. USA), ICJ Rep. 2004, S. 35 f.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
verstanden wird, oder ob es nicht vielmehr als Objekt einer Rechts- und Pflichtenzuweisung an die Staaten anzusehen ist, denen es in diesem Fall obliegt, die Belange des Individuums zu vermitteln (sog. Mediatisierung).432 Die Rechtsstellung des Individuums wird oft im Rahmen völkervertraglicher Verbürgungen diskutiert, weshalb gewisse Zuweisungskriterien in diesem Rahmen bereits formuliert wurden. Zumal es hier gerade um die Frage geht, ob allgemeine Regeln definiert sind, nach denen sich bemessen ließe, wann von einer unmittelbaren Zuweisung von Rechten und Pflichten gesprochen werden kann, soll eingangs in gebotener Kürze auf das Vertragsrecht eingegangen werden, auch wenn die Vereinten Nationen selbst keinen völkerrechtlichen Verträgen wie Menschenrechtspakten beigetreten sind, die sie unmittelbar binden könnten. (1) Das Individuum als Träger von Rechten Zunächst wird untersucht, ob das Individuum im Völkerrecht als Träger von Rechten auftritt. (a) Die Rechtszuweisung durch Menschenrechtskonventionen Im Falle völkervertraglicher Verpflichtungen zwischen Staaten, gerichtet auf Begünstigungen Einzelner, tritt eine Individualrechtszuweisung zum einen im Sinne eines „Rechtsreflexes“ ein, so wenn ein Staat einem Menschenrechtspakt beitritt und sich auf diese Weise im Außenverhältnis gegenüber den übrigen Vertragsstaaten verpflichtet, dem Einzelnen durch nationalstaatliche Regelungen bestimmte materielle Rechte einzuräumen. Es fragt sich, ob auf diese Weise nur ein Rechtsverhältnis zwischen den Unterzeichnerstaaten entsteht, sich also auch nur diese im Falle eines Verstoßes in ihren Rechten verletzt fühlen können, oder letzteres zumindest auch für die betroffenen Individuen gilt. Zu nennen sind hier auf Ebene der Regionalorganisationen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die Afrikanische Charta der Menschenrechte (Banjul Charta),433 die Arabische Charta der Menschenrechte, die Amerikanische Menschenrechtskonvention (AMRK) sowie auf überregionaler Ebene der Internationale Pakt für bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)434 und der Internationale Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR)435. Dabei hob sich die EMRK durch die Bereitstellung eines Individualrechtschutzverfahrens zur Durchsetzung der von ihr statuierten Menschenrechtsverbürgungen (Art. 34 EMRK), die auch gegenüber dem eigenen Staat geltend gemacht werden können, zunächst von den übrigen genannten Völkerrechtsverträgen ab.436 Auf diese Weise ist es Individuen möglich, die Einhaltung 432
s. dazu auch Herdegen, Völkerrecht, S. 107 und Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, S. 308. UNTS, Registration No. I-26363. 434 UNTS, Registration No. I-14668. 435 UNTS, Registration No. I-14531. 436 Art. 44 AMRK bietet mittlerweile Individuen die Möglichkeit, eine Beschwerde auch ohne Zustimmung des Heimatstaates vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission 433
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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materieller Begünstigungen des Völkerrechts in einem geregelten völkerrechtlichen Verfahren unabhängig von diplomatischem Beistand des Heimatstaates zu erstreiten.437 Einige Stimmen in der Literatur machen die Zuweisung materieller Individualrechte von einer entsprechenden Durchsetzbarkeit auf völkerrechtlicher Ebene abhängig: Nur in diesen Fällen werde der „qualitative Sprung“ zur Überwindung der Vermittlerrolle des Staates zwischen Individuum und Völkerrecht getan, so dass ihm allenfalls eine „(sehr) partielle“ Völkerrechtssubjektivität zukomme.438 Zu bedenken ist dabei allerdings, dass auch dann die Zuordnung einer so verstandenen partiellen Rechtssubjektivität nur solange besteht, wie der Heimatstaat sich der Gerichtsbarkeit unterwirft, womit sie in diesem Sinne ebenfalls „reflexartig“ ist.439 Ein Blick auf die Formulierungen der Menschenrechtskonventionen lässt die restriktiv gedeutete Rechtszuweisung zweifelhaft erscheinen. So zielen sie erkennbar darauf ab, den Einzelnen Rechte zuzuweisen, was insbesondere in der regelmäßig erfolgenden Bezugnahme auf die angeborene Würde und Gleichheit des Menschen und Unveräußerlichkeit seiner Rechte als vorpositive Grundlage der Menschenrechte verdeutlicht wird,440 die ihrer Konzeption nach also immer und im Verhältnis zu jeder Hoheitsgewalt ausübenden Institution Geltung beanspruchen; „Die Menschenrechte sind danach als genuine Begünstigungen des Einzelnen aufzufassen“.441 Selbst wenn es Staaten obliegt, Konventionsrechte Einzelner gegenüber einem Vertragsbrecher völkerrechtlich geltend zu machen, so sind die Rechte materiell zumindest auch dem betroffenen Individuum zuzuordnen.442 Vergleichbare Rechtsverhältnisse sind mit der notwendigen Vertretung z. B. bei Minderjährigen oder unter Betreuung gestellter Personen aus dem innerstaatlichen Recht bekannt, ohne dass man den Betroffenen deshalb absprechen würde, materieller Rechtsinhaber zu sein.443 Dieses Ergebnis wird durch die Entscheidungen des IGH in den Sachen LaGrand444 sowie Avena445 gegen die durch einen Unterzeichnerstaat begangene Verletzung der AMRK einzulegen. Vgl. ferner Art. 1 des ersten Fakultativprotokolls zum IPbpR. 437 Seidl, AVR 38 (2000), S. 33. 438 Seidl, AVR 38 (2000), S. 33, 36. Ebenso: Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, S. 309 f.; Grzeszick, AVR 43 (2005), S. 341 f. 439 Vgl. dazu Cassese, International Law, S. 146 und Peters, Jenseits der Menschenrechte, S. 361 ff., 369 f. 440 So der gemeinsame Abs. 1 der Präambeln zu IPwskR und IPbpR. Ebenso: Abs. 1 der UN-Konvention zur Verhütung von Folter. Ähnlich Art. 5 Banjul-Charta: „Every individual shall have the right to the respect of the dignity inherent in a human being and to the recognition of his legal status.“ Ferner: Abs. 2 der Präambel zur AMRK: „Recognizing that the essential rights of man are not derived from one’s being a national of a certain state, but are based upon attributes of the human personality […]“. 441 BGH, Urteil vom 02. 11. 2006, Az.: III ZR 190/05, Rn. 7. Vgl. auch Doehring, Völkerrecht, S. 111; Clapham, EJIL 21 (2010), S. 28 f.; Hobe, Völkerrecht, S. 406. 442 Ebenso in Bezug auf Art. 36 WÜK: IAGMR, Breard, Advisory Opinion, OC-16/99, Gutachten vom 1. Oktober 1999, Ziff. 80. 443 Doehring, Völkerrecht, S. 112. Ebenso: Cassese, International Law, S. 145 f. 444 IGH, LaGrand (Deutschland gg. USA), ICJ Rep. 2001, S. 494. 445 IGH, Avena (Mexiko gg. USA), ICJ Rep. 2004, S. 35 f.
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gestützt, in denen er Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK ein subjektives Recht mit Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut entnimmt, welcher vorschreibt, dass festgenommene, inhaftierte oder anderweitig ihrer Freiheit beraubte Ausländer unverzüglich über ihre Rechte auf konsularischen Beistand von den Behörden des Empfangsstaates zu unterrichten sind.446 Unter Berufung auf die Entscheidungen des IGH folgen auch das BVerfG447 und der BGH448 dieser individualrechtsbegründenden Deutung, obwohl die WÜK dem Einzelnen keine prozessuale Durchsetzungsmöglichkeit eröffnet. Es kann davon gesprochen werden, dass mit dem Abschluss von Menschenrechtskonventionen der Anerkennung der einem jeden Menschen zugeordneten Rechte Ausdruck verliehen werden sollte. Die durch die Konventionen selbst begründete Rechtszuweisung beschränkt sich dabei positiv-rechtlich allerdings auf den jeweiligen Geltungsbereich, wodurch dem Einzelnen eine partielle Völkerrechtssubjektivität zuteil wird. Dies gilt auch in den Fällen, in denen dem Einzelnen keine eigenen Durchsetzungsmöglichkeiten eingeräumt sind. (b) Die Rechtszuweisung durch allgemeines Völkerrecht (aa) Völkergewohnheitsrecht und ein verändertes Verständnis von staatlicher Souveränität Neben der partiell eingeräumten Rechtssubjektivität durch völkerrechtliche Verträge hat sich ein von der Selbstverpflichtung der Staaten entkoppelter Bestand an Individuen begünstigenden Normen im Völkerrecht herausgebildet, der eine allgemeine Geltung beansprucht.449 Ohne dass damit schon die Frage beantwortet wäre, ob diese auch dem Einzelnen direkt Rechte zuweisen, ist heute jedenfalls die Meinung herrschend, dass es zu der von einer allgemeinen Übung getragenen Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft gehöre, dass zumindest ein Kernbestand an Menschenrechten allgemeinverbindlich sei und deshalb als Völkergewohnheitsrecht einen Teil des allgemeinen Völkerrechts ausmache.450 So stellt die Herbeiführung einer internationalen Zusammenarbeit zur Förderung und Festigung der Achtung der 446 Vgl. hierzu: Oellers-Frahm, Die Entscheidung des IGH im Fall LaGrand, S. 21 ff., die diese Rechtsprechung als Meilenstein bezeichnet. Ebenso bereits zuvor: IAGMR, Breard, Advisory Opinion, OC-16/99, Urteil vom 1. Oktober 1999, Ziff. 80 ff., der dem Art. 36 WÜK nicht nur ein subjektives Recht entnimmt, sondern als Teil des menschenrechtlichen Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 14 IPbpR versteht, Ziff. 110 ff. Zu beiden Fragen kritisch: Grzeszick, AVR 43 (2005), S. 332 ff. 447 BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. September 2006-2 BvR 2115/01, 2 BvR 348/03. 448 BGH, Beschluss vom 7. November 2001-5 StR 116/01; ders., Beschluss vom 7. Juni 2011-4 StR 643/10. 449 Vgl. dazu: Hobe, Völkerrecht, S. 403 ff.; Cassese, International Law, S. 144 ff. 450 IGH, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgisches Königreich gg. Spanien), ICJ Rep. 1970, S. 32. Aus der Literatur beispielhaft dazu: Hobe, Völkerrecht, S. 403 ff.; Meron, Human Rights as Customary Law, S. 79 ff.; Cassese, International Law, S. 144 ff.
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Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion eines der Ziele der Vereinten Nationen dar,451 die nahezu die gesamte Staatengemeinschaft vereinigen. Als entscheidender Markierungspunkt ist ferner der Erlass der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) durch die Generalversammlung zu bewerten,452 welche einen gemeinsamen Menschenrechtskatalog formuliert, der direkt und unabhängig von einer nationalstaatlichen Ratifizierung auf die Ausgestaltung von Individualrechten abzielt. Zwar hat die Resolution keine formalbindende Wirkung, jedoch reflektiert sie aufgrund ihrer großen Unterstützung eine breite Rechtsüberzeugung,453 weshalb ihr bei der völkergewohnheitsrechtlichen Entwicklung der Menschenrechte eine entscheidende Rolle zugeschrieben wird.454 Durch die ebenfalls erfolgende Bezugnahme auf den vorpositiven und allgemeinen Geltungsanspruch der Menschenrechte legt sie außerdem den Schluss nahe, dass dem Individuum allgemein – d. h. auch auf Ebene des Völkerrechts – und unmittelbar Rechte zugeordnet werden sollen.455 Dies spiegelt sich auch in der Praxis des Sicherheitsrates wider, der die Menschenrechte unabhängig von einer staatlichen Vertragsbindung für verbindlich erklärt und nunmehr einen Hinweis auf ein verändertes Verständnis von Völkerrechtssubjektivität gibt. Nachdem der Sicherheitsrat zögerlich damit begann, im Namen des Menschenrechtsschutzes unter Durchbrechung der äußeren Souveränität von Staaten Interventionen zu mandatieren456 und so auch im Rahmen der Güterabwägung die vorrangige und allgemeine Geltung der Individualrechte zu unterstreichen,457 könnten gerade die jüngeren Entwicklungen einen Durchbruch symbolisieren. In Bezug genommen wird hier das maßgeblich von der International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS)458 entwickelte und von der Generalversammlung im 2005 World Summit459 anerkannte Konzept der „responsibility to 451
Art. 1 Ziff. 3 UN-Charta. Vgl. ferner Art. 55 lit. c UN-Charta. A/RES/217 vom 10. Dezember 1948. 453 Ähnlich auch: Evans/Sahnoun et al., The Responsibility to Protect, Ziff. 2.16: „[It] embodies the moral code, political consensus and legal synthesis of human rights“. 454 Hobe, Völkerrecht, S. 408. Völkergewohnheitsrecht entsteht durch eine allgemeine, als Recht anerkannte Staatenpraxis, Art. 38 Abs. 1, lit. b) IGH-Statut, s. bereits oben. 455 So heißt es im ersten Satz der Präambel: „[The] recognition of the inherent dignity and of the equal and inalienable rights of all members of the human family is the foundation of freedom, justice and peace in the world, […]“ und weiter in Art. 1: „All human beings are born free and equal in dignity and rights“. 456 Zur Begründung der Friedensbedrohung in Somalia wurde erstmals auf das „Ausmaß der menschlichen Tragödie“ verwiesen (S/RES/794 (1992)). Im Falle Somalias kam allerdings der Umstand hinzu, dass keine funktionierende Staatsmacht mehr bestand, was als zusätzlicher friedensbedrohender Faktor durch destabilisierende Effekte für die gesamte Region gewertet werden könnte. 457 Deng et al., Sovereignty as Responsibility, Vorwort, S. xv und S. 8. 458 Evans/Sahnoun et al., The Responsibility to Protect. 459 A/RES/60/1, Ziff. 138 ff. Dabei wurde allerdings auch das Bedürfnis hervorgehoben, dass die Generalversammlung das Konzept der „responsibility to protect“ noch weiter zu prüfen habe, Ziff. 139. Daran anschließend erstellte Generalsekretär Ban Ki-Moon am 12. Januar 2009 452
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protect“ mitsamt seiner rechtstheoretischen Begründung. Danach verbindet sich mit staatlicher Souveränität die Verantwortung zum Schutze der unter ihrer Personalund Gebietshoheit stehenden Bevölkerung. Kann oder will ein Staat dieser Verantwortung – auch mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft – nicht nachkommen, und kommt es so zu schweren Menschenrechtsverletzungen oder Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, so kann die Staatengemeinschaft im Sinne einer subsidiären Schutzverantwortung460 zum Schutze der betroffenen Bevölkerung zivile oder im äußersten Fall auch militärische Maßnahmen im Einklang mit der UN-Charta ergreifen.461 Begründet wird dieses Konzept mit einem veränderten Verständnis von Staatssouveränität, die demnach nicht mehr bloß ein funktionales Ordnungsprinzip der internationalen Beziehungen darstelle, sondern zugleich die Anerkennung der gleichen Würde, der eigenen Identität und Freiheit und damit der individuellen und kollektiven Selbstbestimmung der in den Staaten lebenden Menschen widerspiegle.462 Der sich daraus ableitende Normativsatz umfasst sowohl das Recht der Menschen auf autonome Gestaltung und Selbstkonstituierung innerhalb des Staates als Rechtsverband als auch ein Abwehrrecht gegen äußere Einmischung.463 Die Souveränität der Staaten als Eckpfeiler ihrer Rechtssubjektivität464 wird diesem Verständnis nach also erst von den unter ihrer Hoheitsgewalt stehenden Individuen abgeleitet, gerechtfertigt und begründet, welche mit angeborenen und unveräußerlichen Rechten ausgestattet die „raison d’être“465 eines jeden Rechtssystems bildeten,466 mit anderen Worten: von der genuinen oder originären einen Bericht über die Umsetzung der „responsibility to protect“ (A/63/677), über den sich die Generalversammlung auseinandersetzte, um zu beschließen auch weiterhin mit der Sache befasst zu bleiben (A/RES/63/308 vom 7. Oktober 2009). Daran schloss Ban Ki-Moon mit einem Bericht vom 14. Juli 2010 über Früherkennung, Einschätzung und die „responsibility to protect“ an (A/64/864). 460 Merkel, ZIS 10/2011, S. 776. 461 Evans/Sahnoun et al., The Responsibility to Protect, S. XI. 462 Vgl. Evans/Sahnoun et al., The Responsibility to Protect, Ziff. 1.32. Ähnlich: Deng et al., im Vorwort, S. xviii, zu „Sovereignty as Responsibility“, die dieses Verständnis von Souveränität entscheidend geprägt hat. Der Mitautor Francis M. Deng wurde 2007 zum Sonderberater der Vereinten Nationen zur Verhütung von Genozid im Range eines Untergeneralsekretärs ernannt. Vgl. ferner: Nolte, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 2 Ziff. 7, Rn. 5. Der Begriff „Selbstbestimmung“ wird hier verstanden als die Fähigkeit jedes Einzelnen, für sich oder in Vereinigung mit anderen für die Gruppe selbst gesetzgebend zu sein. 463 Merkel, ZIS 10/2011, S. 778. 464 Zur historischen Diskussion: Mosler, ZaöRV 22 (1962), S. 7 ff. 465 Lillich, Sovereignty and Humanity, S. 406 f., der fortfährt: „the protection and development of the human dignity of the individual“ sollte deshalb die elementare Funktion des Völkerrechts sein, d. h. „to maximize benefits not for States but for the individual.“ 466 Grundlegend dazu: Deng et al., Sovereignty as Responsibility, S. 4 ff.; Merkel, ZIS 10/ 2011, S. 778. Vgl. auch Kofi Annan: „The Charter, after all, was issued in the name of ,the peoples‘, not the governments, of the United Nations. Its aim is not only to preserve international peace – vitally important though that is – but also ,to reaffirm faith in fundamental human rights, in the dignity and worth of the human person‘. T h e C h a r t e r p r o t e c t s t h e s o v e r e i g n t y o f p e o p l e s . It was never meant as a license for governments to trample
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Rechtssubjektivität des Individuums.467 Dies impliziert, dass Staaten aus dem Souveränitätsprinzip nicht nur berechtigt sind, sondern auch in doppelter Hinsicht in Verantwortung stehen: „externally – to respect the sovereignty of other states and internally, to respect the dignity and basic rights of all the peoples within the states.“468 Die ICISS ging bereits 2001 davon aus, dass „[in] international human rights covenants, in UN practice, and in state practice itself, sovereignty is now understood as embracing this dual responsibility. Sovereignty as responsibility has become the minimum content of good international citizenship.“469 Die staatlichen Autoritäten sind in Bezug auf Menschenrechte demnach sowohl gegenüber den betroffenen Individuen als auch gegenüber der Staatengemeinschaft völkerrechtlich verpflichtet.470 Letzteres entspricht der Rechtsprechung des IGH, der im Barcelona Traction-Fall die Menschenrechte zu erga omnes-Verpflichtungen erklärte, d. h. zu Normen des Völkerrechts, bei deren Verstoß sich jeder andere Staat in seinen Rechten verletzt fühlen kann.471 Die unmittelbare Rechtsbeziehung zu den Individuen berücksichtigte er jedoch nicht, was in dieser Beschränkung jedenfalls nicht mit dem theoretisch begründeten Verständnis des Individuums als autonomen Rechtsträger mit letzter Legitimationshoheit zu vereinbaren wäre. Nachdem der Sicherheitsrat in Resolution 1674 zum Schutze der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten vom 28. April 2006 bereits die „responsibility to protect“ aufgegriffen hatte, wurde am 17. März 2011 mit Resolution 1973 erstmalig ein Militäreinsatz auf Grundlage entsprechender Begründung beschlossen, um auf massive Menschenrechtsverletzungen des libyschen Regimes gegen die eigene Bevölkerung zu reagieren.472 Es ist wohl zu früh, um eine Aussage darüber treffen zu können, ob das Institut der „responsibility to portect“ sich dauerhaft als Norm des Völkerrechts etablieren wird,473 zumal die Intervention in Libyen auch Kritik ausgesetzt war.474 on human rights and human dignity. Sovereignty implies responsibility, not just power.“ (UN. Doc. SG/SM/66613, Pressemitteilung vom 26. Juni 1998; Hervorhebungen ergänzt). Ähnlich: ders., In larger freedom: towards development, security and human rights for all, Bericht vom 21. März 2005, Ziff. 127 ff. Die „responsibility to protect“ zielt letztlich auf die „Integration von Souveränität und Menschenrechten“ ab und stellt nicht die eine über die anderen, Luck, VN 2/2008, S. 52. 467 Vgl. dazu: Müller, Zum Primat der juristischen Person, S. 177 f.; Hobe, Völkerrecht, S. 166 f. 468 Evans/Sahnoun et al., The Responsibility to Protect, Ziff. 1.35. 469 Evans/Sahnoun et al., The Responsibility to Protect, Ziff. 1.35. 470 Vgl. A/59/565, Ziff. 201. 471 IGH, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgisches Königreich gg. Spanien), ICJ Rep. 1970, S. 32. 472 Vgl. dazu die Präambel zu S/RES/1973 (2011). 473 Davon geht das vom ehemaligen Generalsekretär Kofi Annan eingesetzte High Panel on Threats, Challenges and Change in ihrem im Auftrag erstellten Bericht „A more secure world: our shared responsibility“ offenbar aus, wenn es erklärt: „We endorse the emerging norm that there is a collective international responsibility to protect“, UN Doc. A/59/565, Ziff. 203. Ebenso: Kofi Annan, In larger freedom, UN Doc. A/59/2005, Ziff. 135. Zurückhaltender dagegen Ban Ki-Moon, SG/SM/11182 (Pressemitteilung vom 25. September 2007), der sie gleich
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Zudem fragt sich, ob damit im stark staatenorientierten Völkerrecht zugleich die obige rechtstheoretische Begründung mit entsprechend verändertem Verständnis der Rechtsstellung des Individuums als mit anerkannt gelten kann. Zwar hat sich ein Bestand an Rechten des Individuums herausgebildet, der Staaten verselbständigt von ihrem jeweiligen Willen bindet, jedoch kommt Einzelnen keine Gestaltungsmacht in Form einer Rechtssetzungsbefugnis zu; insofern gilt im Völkerrecht nach wie vor ein „Primat juristischer Personen“.475 Zu konstatieren bleibt dennoch, dass die Anerkennung des Individuums als Träger von Rechten in einer Reihe mit der individualrechtsbegründenden Deutung von Völkerrechtsverträgen und – wie sich unmittelbar anschließend zeigen wird – mit der Praxis der Vereinten Nationen zur individuellen Aburteilung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit steht. (bb) Das Völkerstrafrecht In Anknüpfung an die Nachkriegspraxis der Kriegsverbrechertribunale von Nürnberg und des Internationalen Militärgerichtshofs für den Fernen Osten hat der Sicherheitsrat auf Grundlage des Kapitels VII der UN-Charta die internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien476 und Ruanda477 eingerichtet, um schwerste Völkerrechtsverbrechen wie Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit individuell abzuurteilen.478 Auf diese Weise werden den Angeklagten neben der individuellen Verantwortlichkeit für Völkerrechtsverbrechen479 auch Prozessrechte unmittelbar zugewiesen und damit ihre Rechtstellung direkt durch Normen des Völkerrechts ausgestaltet, ohne dass es dazu des Mediums innerstaatlicher Rechtssysteme bedürfte.480 Dies spiegelt sich auch in dem im Auftrag des Sicherheitsrats481 erstellten Bericht des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan zur Ausgestaltung des internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien wider, dessen darin beinhaltetes Statut in der Folge für das Tribunal übernommen wurde. Unter dem Titel „Rights of the accused“ anerkannte er das Individuum als Träger von Rechten und stellte fest: „It is axiomatic that the International Tribunal must fully respect internationally recognized standards regarding der hier verwendeten Terminologie als Konzept beschreibt, das noch einer echten Etablierung bedürfe. Vgl. dazu den VN-Sonderberater für die „responsibility to protect“, Edward Luck, VN 2008/2, S. 52 m.w.N. 474 So z. B. Merkel, ZIS 10/2011, S. 771 ff., der das Konzept der „responsibility to protect“ aber grundsätzlich befürwortet. 475 Müller, Zum Primat der juristischen Person, S. 176 ff. 476 S/RES/808 (1993), Ziff. 1; S/RES/827 (1993), Ziff. 2. 477 S/RES/955 (1994). 478 Art. 1 ff. Updated Statute of the ICTY (abrufbar unter: http://www.icty.org/x/file/Le gal%20Library/Statute/statute_sept09_en.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Ebenso: Art. 1 ff. Updated Statute of the ICTR (abrufbar unter: http://www.unictr.org/sites/unictr.org/ files/legal-library/100131_Statute_en_fr_0.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 479 Näher dazu im Anschluss. 480 Vgl. dazu Cassese, International Law, S. 144 ff. 481 Vgl. S/RES/808 (1993), Ziff. 2.
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the rights of the accused at all stages of its proceedings“, um den Umfang der den Angeklagten zugeordneten völkerrechtlichen Prozessrechte wie folgt zu bestimmen: „In the view of the Secretary-General, such internationally recognized standards are, in particular, contained in article 14 of the International Covenant on Civil and Political Rights.“482 Entsprechend werden den Angeklagten das Recht auf ein faires Verfahren gewährt, das u. a. einen Anspruch auf Gleichheit vor dem Gericht,483 auf rechtliches Gehör,484 die Vermutung der Unschuld bis zum Beweis des Gegenteils,485 Waffengleichheit zwischen dem Ankläger und dem Beschuldigten,486 das Recht auf ein schnelles Verfahren,487 das Recht auf rechtlichen Beistand,488 ein Aussageverweigerungsrecht,489 die Unabhängigkeit der Richter,490 einen effektiven Rechtsschutz491 sowie die Möglichkeit, das Urteil von einem höheren Gericht nachprüfen zu lassen492 und die Grundsätze ne bis in idem493, nullum crimen sine lege sowie nulla poena sine lege494 miteinschließt. Den vorläufigen Höhepunkt hat die Entwicklung des Völkerstrafrechts schließlich durch die Verabschiedung des Rome Statute of the International Criminal Court 482
UN Doc. S/25704, Ziff. 106. Art. 21, Ziff. 1 Updated Statute of the ICTY; Ebenso: Art. 20, Ziff. 1 Updated Statute of the ICTR; Art. 17, Ziff. 1 Statute of the Special Court for Sierra Leone (abrufbar unter: http:// www.rscsl.org/Documents/scsl-statute.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 484 Art. 21, Ziff. 2 Updated Statute of the ICTY; Ebenso: Art. 20, Ziff. 2 Updated Statute of the ICTR; Art. 17, Ziff. 2 Statute of the Special Court for Sierra Leone. 485 Art. 21, Ziff. 3 Updated Statute of the ICTY; Ebenso: Art. 20, Ziff. 3 Updated Statute of the ICTR; Art. 17, Ziff. 3 Statute of the Special Court for Sierra Leone. 486 Art. 21, Ziff. 4 lit. a, b, e, f Updated Statute of the ICTY; Ebenso: Art. 20, Ziff. 4 lit. a, b, e, f Updated Statute of the ICTR; Art. 17, Ziff. 4 lit. a, b, e, f Statute of the Special Court for Sierra Leone. 487 Art. 21, Ziff. 4 lit. c Updated Statute of the ICTY; Ebenso: Art. 20, Ziff. 4 lit. c Updated Statute of the ICTR; Art. 17, Ziff. 4 lit. c Statute of the Special Court for Sierra Leone. 488 Art. 21, Ziff. 4 lit. d Updated Statute of the ICTY; Ebenso: Art. 20, Ziff. 4 lit. d Updated Statute of the ICTR; Art. 17, Ziff. 4 lit. d Statute of the Special Court for Sierra Leone. 489 Art. 21, Ziff. 4 lit. g Updated Statute of the ICTY; Ebenso: Art. 20, Ziff. 4 lit. g Updated Statute of the ICTR; Art. 17, Ziff. 4 lit. g Statute of the Special Court for Sierra Leone. 490 Art. 12, 13, 13 bis, 13 ter, 13 quarter, Updated Statute of the ICTY. Ebenso: Art. 11, 12, 12 bis, 12 ter, 12 quater Updated Statute of the ICTR; Art. 12 f. Statute of the Special Court for Sierra Leone. 491 Art. 23 Updated Statute of the ICTY. Ebenso: Art. 22 Updated Statute of the ICTR; Art. 18 Statute of the Special Court for Sierra Leone. 492 Art. 25 f. Updated Statute of the ICTY. Ebenso: Art. 24 f. Updated Statute of the ICTR; Art. 20 f. Statute of the Special Court for Sierra Leone. 493 Art. 10 Updated Statute of the ICTY, Art. 9 Updated Statute of the ICTR; Art. 9 Statute of the Special Court for Sierra Leone. 494 Art. 1 – 5 Updated Statute of the ICTY, zur Beschränkung der Zuständigkeit des Gerichts ratione materiae auf unstreitige Normen des Völkergewohnheitsrechts, um dem Grundsatz des nullum crimen sine lege zu entsprechen, vgl. den Bericht des Generalsekretär vgl. UN Doc. S/ 25704, Ziff. 34. Ebenso: Art. 1 – 4 Updated Statute of the ICTR; Art. 1 – 5 Statute of the Special Court for Sierra Leone. 483
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(Römisches Statut)495 am 17. Juli 1998 und dessen Inkrafttreten am 1. Juli 2002 nach der dazu nötigen Hinterlegung der 60. Ratifikationsurkunde erreicht.496 Im Gegensatz zu den auf Grundlage von Resolutionen des Sicherheitsrats geschaffenen ad hocGerichtshöfen für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda geht die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) also auf einen internationalen Vertrag zurück, dem mittlerweile 123 Staaten und damit die Mehrheit der Staatengemeinschaft beigetreten sind.497 Der universellen Gerichtsbarkeit des IStGH steht in ihrer völkervertraglichen Begründung typenspezifisch entgegen, dass sie alternativ von dem Staat, auf dessen Hoheitsgebiet das fragliche Verhalten stattgefunden hat (Art. 12 Abs. 2 lit. a Römisches Statut) oder dessen Staatsangehöriger des Verbrechens beschuldigt wird (Abs. 2 lit. b), allgemein oder zumindest im Einzelfall anerkannt sein muss (Abs. 2 und 3). Damit vermittelt sich auch hier die Völkerrechtssubjektivität des Individuums in gewisser Weise durch die Nationalstaaten, wenngleich eine Aburteilung auch unabhängig von einer heimatstaatlichen Ratifizierung erfolgen kann (Art. 12 Abs. 2 lit. a Römisches Statut). Der Umstand, dass damit grundsätzlich jeder Einzelne von der internationalen Gerichtsbarkeit betroffen sein kann und die abzuurteilenden Delikte sowie die eingeräumten Prozessrechte gerade auf Grund ihres allgemeinen völkerrechtlichen Geltungsanspruchs in das Römische Statut aufgenommen wurden, spricht dafür, dass selbige einen Teil der einem jeden Individuum durch Völkerrecht zugeordneten Rechte und Pflichten reflektieren. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in dem Rechtssatz der nullum crimen sine lege wider, der eine individuelle Verantwortlichkeit begründende Norm des Völkerstrafrechts voraussetzt, die zum Zeitpunkt der Tat auch dann für jedes Individuum in Geltung gestanden haben muss, wenn sie bis dato keine Entsprechung im nationalstaatlichen Rechtssystem gefunden hat.498 Zum Umfang der den Beschuldigten zugewiesenen Prozessrechte verweist die International Law Commission (ILC), die von der Generalversammlung zur Erarbeitung von Rechtsentwürfen zur Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshof beauftragt wurde499 und das Römische Statut mit seinen Arbeiten wesentlich prägte,500 ebenfalls auf Art. 14 und 15 IPbpR, die 495
UN Doc. A/Conf. 183/9. Vgl. dort Art. 126. 497 Stand: 12. August 2015. Der aktuelle Ratifikationsstand ist im Internet einsehbar (abrufbar unter: http://www.icc-cpi.int/en_menus/asp/states%20parties/Pages/the%20states%20par ties%20to%20the%20rome%20statute.aspx. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Wichtige Großmächte wie die USA und die VR China aber auch Israel sind dem Statut bislang jedoch nicht beigetreten. 498 Siehe hierzu das Memorandum des damaligen Präsidenten des Sondertribunals für das ehemalige Jugoslawien, Antonio Cassese, adressiert an das vorbereitende Komitee zur Einrichtung eines IStGH vom 22. März 1996 betreffend die Frage der allgemeinen Legalität, S. 11 ff. (abrufbar unter: http://www.legal-tools.org/uploads/tx_ltpdb/doc21136.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 499 A/RES/44/39, Ziff. 1. 500 Vgl. zur Entstehung: Final Act of the UN Diplomatic Conference of Plenipotetiaries on the Establishment of an International Criminal Court, UN Doc. A/CONF.183/13 (Vol. I), S. 67 ff. 496
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fundamentale Prinzipien des Strafrecht als „allgemeinen Standard“ des Völkerrechts widerspiegelten.501 Ähnlich steht es mit dem hybriden Sondergerichtshof für Sierra Leone502 und den hybriden Außerordentlichen Kammern in Kambodscha,503 welche jeweils auf bilaterale Verträge zwischen den jeweiligen Regierungen und den Vereinten Nationen zurückgehen und zur Aburteilung massiver Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des humanitären Völkerrechts eingerichtet wurden.504 Die Einsetzung der kambodschanischen Kammern wurde durch Resolution 57/228 der Generalversammlung vom 18. Dezember 2002 mitinitiiert, welche darin sichergestellt wissen wollte, „that the Extraordinary Chambers exercise their jurisdiction in accordance with international standards of justice, fairness and due process of law, as set out in articles 14 and 15 of the International Covenant on Civil and Political Rights“.505 Schließlich ist noch das durch Resolution 1757 des Sicherheitsrats vom 30. Mai 2007 eingerichtete hybride Sondertribunal für den Libanon zu erwähnen, das in erster Linie der Verfolgung und Aburteilung der Attentäter des ehemaligen Ministerprä-
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UN Doc. A/48/10, S. 119 ff. Anhang 2 zu UN Doc. S/2002/246. So war es vom Sicherheitsrat in S/RES/1315 (2000) auch beabsichtigt. Das Gericht ist sowohl mit sierra-leonischen als auch mit internationalen Richtern besetzt, Art. 2 Ziff. 2 des Anhangs 2 zu UN Doc. S/2002/246. Durch das Statut des Gerichts werden den Beschuldigten die o.g. Prozessrechte eingeräumt (abrufbar unter: http:// www.rscsl.org/Documents/scsl-statute.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Es deckt sich insofern mit den Statuten des ICTYund des ICTR, vgl. Art. 1 – 5, 9, 12, 17 f., 20 f. Statute of the Special Court for Sierra Leone. Vgl. auch die Präambel zu S/RES1315 (2000): „persons who commit or authorize serious violations of international humanitarian law are i n d i v i d u a l l y responsible and accountable for those violations and that the international community will exert every effort to bring those responsible to justice i n a c c o r d a n c e w i t h international standards of justice, fairness and due process of l a w “ und in Bezug auf den Sondergerichtshof für Sierra Leone unter Betonung der „importance of ensuring the impartiality, independence and credibility of the process, in particular with regard to the status of the judges and the prosecutors“, Ziff. 4. 503 Der Vertrag ist im Internet einsehbar (abrufbar unter: http://www.eccc.gov.kh/sites/de fault/files/legal-documents/Agreement_between_UN_and_RGC.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Die Kammern sind sowohl mit kambodschanischen als auch mit internationalen Richtern besetzt, Art. 2 des Vertrages. Vgl. zu den Prozessrechten insb. Art. 21 Internal Rules of the Extraordinary Chamber (abrufbar unter: http://www.eccc.gov.kh/sites/default/files/ legal-documents/ECCC%20Internal%20Rules%20%28Rev.8%29%20English.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015 2013). 504 Vgl. dazu Art. 1 ff. Statute of the Special Court for Sierra Leone; neuer Art. 3 gem. Law to Amend the 2001 Law on the Establishment of the Extraordinary Chambers (abrufbar unter: http://www.eccc.gov.kh/sites/default/files/legal-documents/Kram_and_KR_Law_amend ments_27_Oct_2004_-_Eng.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 505 A/RES/57/228, Ziff. 4 lit. a. Ziff. 13 des Vertrages zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung Kambodschas schreibt entsprechend der Resolution der Generalversammlung den Kammern vor, dass „[the] rights of the accused enshrined in Articles 14 and 15 of the 1966 International Covenant on Civil and Political Rights shall be respected throughout the trial process.“ 502
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sidenten Rafiq al-Hariri dienen soll.506 Zwar urteilt es nur auf Grundlage libanesischen Rechts,507 allerdings räumt es den Angeklagten den oben genannten prozessualen Rechte entsprechende Gewährleistungen aus dem innerstaatlichen Recht ein.508 Im Rahmen des Völkerstrafrechts werden den Betroffenen also stets Prozessrechte zugewiesen. Maßgebend für den Umfang der Rechtsgewährung wird in der Regel etwas untechnisch auf den sich in Art. 14 und 15 IpbpR widerspiegelnden „internationalen Standard“ verwiesen. Es wird offenbar davon ausgegangen, dass diese Normen, die als Bestandteil eines zwischenstaatlichen Vertrages formaljuristisch auf die Bindung von Staaten ausgelegt sind, paralleles allgemeines Völkerrecht reflektierten, wodurch auch die Vereinten Nationen mitsamt Sicherheitsrat gebunden seien.509 Festzuhalten ist jedenfalls, dass die betroffenen Individuen als Träger von nicht abgeleiteten Prozessrechten anerkannt werden, welche stets im Rahmen eines gegen sie angestrengten Verfahrens zur Geltung kommen. Damit hebt sich das Völkerstrafrecht in zweifacher Weise von konventionellen menschenrechtsverbürgenden Verträgen zwischen Staaten ab, indem es erstens jedem potentiell Betroffenen unabhängig von staatlicher Mediatisierung Rechte allgemein zuspricht und zweitens durch Zurverfügungstellung einer Durchsetzungsmöglichkeit seines Anspruchs auf menschenwürdige Behandlung Rechte personal zuordnet. (2) Das Individuum als Träger von Pflichten Wie die oben skizzierte Entwicklung internationaler Straftatbestände besonders deutlich macht, wird Individuen heute die Fähigkeit zugesprochen, fundamentale Werte der Weltgemeinschaft zu verletzen. Auf diese Weise in den Fokus der internationalen Aufmerksamkeit gerückt, wurde dem Einzelnen für die Verletzung der diese gemeinsamen Werte schützenden Völkerrechtsnormen individuell die Verantwortung zugesprochen.510 Damit ist zugleich ein an das Individuum gerichtetes Achtungsgebot internationalen Rechts verbunden, welches für jedes Mitglied der Weltbevölkerung gleichsam verpflichtend gilt; das Individuum trägt damit internationale Pflichten, welche die nationalstaatlichen Gehorsamspflichten des Einzelstaates transzendieren.511 Wie sich aus der Appellfunktion der Normen des 506 Art. 1 Statute of the Special Tribunal for Lebanon (Anhang 2 zu S/RES/1757 (2007)). Die Einrichtung des Tribunals gründet auf einen Vertrag mit der libanesichen Regierung (Anhang 1 zu S/RES/1757 (2007)). Es ist sowohl mit libanesischen als auch mit internationalen Richtern besetzt, Art. 2 Ziff. 3 des 1. Anhangs. 507 Art. 2 Statute of the Special Tribunal for Lebanon. 508 Art. 5, Art. 9, Art. 15 f., Art. 20 f., Art. 26 f. Statute of the Special Tribunal for Lebanon. 509 Vgl. die bereits oben zitierten Aussagen Kofi Annans in: UN Doc. S/25704, Ziff. 106. Ähnlich: Gowlland-Debbas, Int’l J 65 (2009 – 2010), S. 135, die die Resolutionen des Sicherheitsrats dahingehend deutet, dass er selbst nicht gegen allgemein anerkannte Völkerrechtsprinzipien verstoßen möchte. 510 Vgl. nur Art. 7 Updated Statute of the ICTY; Art. 25 Römisches Statut. 511 Cassese, International Law, S. 144 f. m.w.N.
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Völkerstrafrechts ergibt, bestehen individuelle Pflichten zur Beachtung der Normen des Kriegsrechts, sowie solcher, die auch in Friedenszeiten gelten, wie die tatbestandliche Erfassung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und das Verbrechen der Aggression512 aufzeigt. Daneben wird diskutiert, ob auch der Terrorismus als eigenständiges Völkerrechtsverbrechen anzusehen ist.513 Festzuhalten bleibt, dass dem Individuum mittlerweile zahlreiche Pflichten unmittelbar vom Völkerrecht auferlegt sind, für welche es eine individuelle Verantwortlichkeit trifft. (3) Exkurs: Die Rechtsstellung von Volksgruppen, Vereinigungen und Körperschaften Neben Individuen sind auch Menschengruppen und sonstigen nichtstaatlichen Vereinigungen und Körperschaften Adressaten von Rechten und Pflichten im Völkerrecht geworden, von denen hier nur einzelne erwähnt werden sollen.514 So werden Volksgruppen ein völkerrechtliches Selbstbestimmungsrecht515 und Minderheitenrechte516 auch gegenüber dem Territorialhoheit ausübenden Staat eingeräumt. Beispielhaft kann hier auf die „Declaration on the Rights of Indigenous People“ der Generalversammlung vom 13. September 2007 verwiesen werden, die sowohl die Individualrechte von Angehörigen indigener Völker auf freie Entfaltung der jeweils eigenen Identität (individuelle Selbstbestimmung) sowie das Recht auf kollektive Selbstbestimmung mit anderen als Volksgruppe anerkennt.517 Daneben ist die partielle Völkerrechtssubjektivität von Verbandseinheiten, denen keine volle Staatsqualität zugeschrieben werden kann, dabei gleichwohl keiner fremden Souveränität untergeordnet sind und tatsächliche Herrschaft über ein mehr oder weniger klar bestimmtes Territorium ausüben, als sogenannten de facto-Regimen, anerkannt.518 Hintergrund ist, dass eine solche über ein Gebiet und der auf ihr lebenden Bevölkerung herrschende Einheit nicht als „völkerrechtliches Nullum“
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Vgl. Art. 5 Abs. 1, lit. a – d Römisches Statut. Befürwortend: Cassese, International Law, S. 144 f.; ders., EJIL 12 (2001), S. 994 ff.; ders., JICJ 4 (2006), S. 933 ff. Ebenso: Special Tribunal for Lebanon, Interlocutory Decision on the Applicable Law, STL-11-01/I vom 16. Februar 2011, Ziff. 102. Ablehnend: Kirsch/ Oehmichen, ZIS 10/2011, S. 800 ff. 514 Neben den im Anschluss aufgeführten nichtstaatlichen Adressaten von Rechten und Pflichten und Staatenverbindungen wie internationale Organisationen werden noch weitere Einheiten als partielle Völkerrechtssubjekte angesehen, die hier nicht im Einzelnen erwähnt werden können, vgl. dazu Hobe, Völkerrecht, S. 154 ff. 515 Vgl. Art. 1 Ziff. 2 UN-Charta. 516 Vgl. z. B. Art. 27 IPbpR. 517 A/RES/61/295. 518 Vgl. dazu: Frowein, in: Wolfrum, MPEPIL, De Facto Regime, Rn. 1 ff. (Stand: März 2013); Hobe, Völkerrecht, S. 175 ff. 513
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angesehen werden kann.519 Ihr werden Rechte und Pflichten zuteil, darunter der Schutz und die Pflichten aus Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta.520 Vor der Militärintervention Ende 2001 wurden die Taliban weitgehend als de facto-Regime Afghanistans angesehen.521 Schließlich wurde vom ECOSOC der Vereinten Nationen auch transnational tätigen Unternehmen die Verpflichtung zur Beachtung von Menschenrechten zugewiesen.522 Zwar hat die Resolution keinen unmittelbar bindenden Charakter.523 Die in ihr enthaltene Anerkennung der partiellen Völkerrechtssubjektivität transnationaler Unternehmen wird gleichwohl von Teilen der Wissenschaft befürwortet524 und durch die vielen internationalen Verträge und Resolutionen, in denen ihnen Rechte und Pflichten zugewiesen werden, zusätzlich bestätigt.525 Neben Staaten treten demnach Individuen wie auch Volksgruppen, Vereinigungen und Körperschaften als Träger von Rechten und Pflichten im Völkerrecht auf, wenngleich ersteren die wesentliche Gestaltungsmacht verbleibt, welche nicht zuletzt für die Ausprägung ihrer Sonderstellung kennzeichnend ist. (4) Das 1267-Sanktionsregime und die Rechtsstellung der Taliban, Al Qaidas und mit ihnen verbundenen Individuen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen Mit Erlass von Resolution 1267 (1999) richtete sich der Sicherheitsrat zunächst direkt an die Taliban, indem er ihre Unterstützung Osama bin Ladens und die Beherbergung und Ausbildung von Terroristen auf afghanischem Gebiet verurteilte und sie anwies, Maßnahmen zu ergreifen, die dies in Zukunft verhindern können, und namentlich Osama bin Laden auszuliefern.526 Nachdem der Aufforderung zur Beendigung des verurteilten Verhaltens nicht Folge geleistet wurde, wurden von den Mitgliedstaaten umzusetzende Sanktionen gegen die Taliban verhängt527 und an519
Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, S. 384. Vgl. auch Wolfrum/Philipp, MPYUNL 6 (2002), S. 581 ff. 520 Wolfrum/Philipp, MPYUNL 6 (2002), S. 583. 521 Wolfrum/Philipp, MPYUNL 6 (2002), S. 581 ff.; Wahl, Rechtsschutz gegen Individualsanktionen, S. 44 m.w.N.; Birkhäuser, Sanktionen des Sicherheitsrats gegen Individuen, S. 150 ff. m.w.N. Vgl. bereits oben 2. Teil, A., II. 522 UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2003/12/Rev.2 vom 26. August 2003. 523 s. Art. 62 Abs. 2 UN-Charta. 524 Emmerich-Fritsche, AVR 45 (2007), S. 542 f. Kinley/Tadaki, VJIL 44 (2004), S. 944 ff. In der Tendenz ebenso: Hobe, Völkerrecht, S. 165. 525 In der Präambel zu E/CN.4/Sub.2/2003/12/Rev.2 wird eine Vielzahl entsprechender Verträge und Resolutionen aufgezählt, u. a. die Declaration on the Right and Responsibility of Individuals, Groups and Organs of Society to Promote and Protect Universally Recognized Human Rights and Fundamental Freedoms, A/RES/53/144 (vgl. insb. Art. 18 Ziff. 2) und die International Convention on Civil Liability for Oil Polution Damage, (vgl. z. B. Art. III). 526 Präambel und Ziff. 1 f. der S/RES/1267 (1999). 527 S/RES/1267 (1999), Ziff. 3 f.
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schließend aufgrund anhaltender Nichtbeachtung noch ausgeweitet.528 Die Taliban waren mithin direkte Verpflichtungs- und Sanktionsadressaten.529 Zumal sich die Maßnahmen auf Personen einer Vereinigung beschränkten, der eine Herrschaftsgewalt über das afghanische Territorium zugeschrieben wurde, stellte dies noch keine eindeutige Abweichung vom Staatsbezug des Völkerrechts dar. Sie trat aber zu dem Zeitpunkt ein, als auch Osama bin Laden und das ihm zugerechnete, transnational agierende Terrornetzwerk Al Qaida mitsamt ihrer Verbündeten von Sanktionen erfasst wurden.530 Diese Entterritorialisierung der Maßnahmen kennzeichnet den ersten Schritt einer Anpassung des „Maßnahmenköchers“ auf den Wandel der Bedrohungsszenarien und rückt den transnationalen Konflikt zwischen den sich gegenüberstehenden Parteien in Form einer nicht-staatlichen Terrororganisation auf der einen Seite und den bedrohten Staaten auf der anderen Seite in den Blickpunkt.531 Sowohl die Terrornetzwerke als solche wie auch die mit ihnen in Verbindung gebrachten und autonom vom Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats bestimmten Einzelpersonen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen wurden auf diese Weise verpflichtet zur Unterlassung friedensbedrohenden Verhaltens und zum Ziel einschneidender Maßnahmen, ohne dass sie dazu mit einer Staatsgewalt in Beziehung gebracht werden mussten.532 Damit scheint sich das völkerrechtliche Verbot friedensbedrohenden Verhaltens nun mitunter auch unmittelbar an Individuen zu richten.533 Dies verdeutlicht nun auch die unter Verweis auf Kapitel VII der UN-Charta erlassene Resolution 2178 (2014), in welcher alle ausländischen terroristischen Kämpfer unmittelbar dazu aufgefordert werden, ihre Waffen niederzulegen und alle terroristischen Handlungen und die Teilnahme an bewaffneten Konflikten zu beenden.534 Entscheidend ist daneben auch die Ausgestaltung des „de listing“-Verfahrens. Nachdem zunächst ein rein diplomatisches Verfahren vorgesehen war, das ganz im 528
S/RES/1333 (2000), Ziff. 5. Vgl. bereits oben unter 2. Teil, A., II. Wahl, Rechtsschutz gegen Individualsanktionen, S. 43. Die sanktionsbewehrte Verpflichtung Einzelner war auch im Rahmen des Vorgehens gegen Libyen zu verzeichnen. Während zunächst die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet wurden, den ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen und Schiffs- und Fluggesellschaften die Lieferung von Waffen und sonstigem waffenfähigen Material an die libysch-arabische Volks-Jamahiria und die Vermittlung von Exporten von dieser zu verbieten (S/RES/1970 (2011), Ziff. 9 lit. f), sollten diejenigen von dem Sanktionsausschuss zu bestimmenden Einzelpersonen, die gegen diese von den Staaten umzusetzenden Verbote verstoßen haben, in der Folge mit Individualsanktionen belegt werden (S/RES/1973 (2011), Ziff. 23 i.V.m. 15 ff., 19 ff.). 530 S/RES/1333 (2000), Ziff. 8 lit. c. 531 Bruha, AVR 40 (2002), S. 390. 532 Bruha, AVR 40 (2002), S. 392; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 197. Vgl. dazu bereits oben: 2. Teil, B., I. 533 Ursprünglich sollte sich das Verbot friedensbedrohenden Verhaltens bzw. das „Friedensgebot“ der UN-Charta nur an Staaten richten, vgl. dazu die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., a), bb). s. auch Lailach, Die Wahrung des Weltfriedens, S. 168. Ausführlich zur unmittelbaren Betroffenheit der Individuen im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (2). 534 S/RES/2178 (2014), Ziff. 1. 529
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Stile des traditionellen Paradigmas des Völkerrechts die Betroffenen mediatisierte, weist der Sicherheitsrat den Sanktionsadressaten des Al Qaida-Sanktionsregimes nun unmittelbar besondere prozessuale Verteidigungsmöglichkeiten auf UN-Ebene zu.535 Dabei gehen die Mitglieder des Sicherheitsrats davon aus, dass es sich bei den Sanktionen nicht um Maßnahmen punitiven Charakters handelt, sondern um präventive Schutzmaßnahmen zur Gefahrenabwehr.536 Obwohl nicht sichergestellt ist, dass sich die Vertreter der Mitgliedstaaten im Sicherheitsrat immer an juristischen Termini orientieren, kann davon ausgegangen werden, dass sie auf diese Weise den menschenrechtlich in der Regel geforderten verschärften Anforderungen an das Rechtsschutzniveau im Strafverfahren537 aus dem Weg gehen wollten. Der Sicherheitsrat weist selbst auf die Notwendigkeit zur Beachtung der im Kampf gegen den Terrorismus einschlägigen Menschenrechte hin538 und unterstreicht dies für die Ausgestaltung des Individualrechtsschutzes, indem er seine Absicht hervorhebt, „to continue efforts to ensure that procedures are fair and clear“.539 Die Gewährung dieses Rechtsschutzstandards zeigt wiederum einen Fall staatenunabhängiger und damit allgemeiner Begünstigungen des Individuums im Stile einer personalen Rechtszuordnung im Völkerrecht. Die Adressaten des Al Qaida-Sanktionsregimes sind demnach als Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten und damit als partielle Völkerrechtssubjekte in Beziehung zum Sicherheitsrat identifiziert.540 bb) Zwischenergebnis Individuen genießen im Völkerrecht immer größere Beachtung und der ihnen sowohl grundsätzlich wie fallspezifisch zugeordnete Bestand an Rechten und Pflichten hat eine beachtliche Ausweitung erfahren. Neben den besonders im Rahmen des Völkerstrafrechts entwickelten individuell verpflichtenden Verantwortlichkeiten wurden im Rahmen der Terrorismusbekämpfung Netzwerke und ihre 535
s. dazu bereits oben unter: 2. Teil, A., II., 2. Vgl. zuletzt S/RES/2161 (2014), Ziff. 45. 537 Vgl. exemplarisch die Differenzierungen in Art. 14 und 15 IPbpR. 538 Abs. 5 der Präambel zu S/RES/2161 (2014). 539 Abs. 12 der Präambel zu S/RES/2161 (2014). Explizit auf das Bedürfnis der Menschenrechtskonformität der Sanktionen ging der Vertreter der Niederlande im Sicherheitsrat als Sprecher der „Gruppe gleichgesinnter Staaten“, Herman Schaper, ein, UN. Doc. S/PV.6217 (Resumption 1), S. 7. Vgl. auch die Aussage des ehemaligen Ausschussvorsitzenden César Fernando Mayoral: „We must also fully respect human rights“, was er als moralische Verpflichtung ansah, ohne auf ein entsprechendes Rechtsgebot einzugehen, UN Doc. S/PV.5601, S. 5. Der Sicherheitsrat selbst erkennt nunmehr auch die Notwendigkeit an, den Kampf gegen den Terrorismus im Einklang mit den einschlägigen Menschenrechten zu führen, vgl. Abs. 5 der Präambel zu S/RES/2161 (2014). 540 Ebenso: Bruha, AVR 40 (2002), S. 392; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 197; Pellet/ Miron, in: Wolfrum, MPEPIL, Sanctions, Rn. 37 (Stand: August 2013). An diesen Punkt wird mit weiteren Erläuterungen im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (2), angeknüpft. 536
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individuellen Akteure zu Adressaten des sich aus der UN-Charta ergebenden Verbots friedensbedrohenden Verhaltens.541 Während zugunsten der von überstaatlichen Institutionen Betroffenen im Bereich des Strafrechts ausnahmslos die von Art. 14 und 15 IPbpR geforderten Rechtsgewährleistungen als Ausdruck des „internationalen Standards“ einer angemessenen Ausgestaltung prozessualer Verteidigungsmöglichkeiten zur Anwendung gebracht werden, wurde im Rahmen des 1267- und dem daran anschließenden Al Qaida-Sanktionsregime ein prozessualer Rechtsschutz eigener Art entwickelt, der den Kriterien eines „fairen und klaren Verfahrens“ entsprechen soll.542 Ob es sich dabei um eine menschenrechtskonforme Verfahrensausgestaltung handelt, wird im Anschluss erörtert. Wie aus den obigen Ausführungen hervorgeht, werden dem Individuum und sonstigen privaten Akteuren durch allgemeines Völkerrecht Rechte und Pflichten direkt zugewiesen, wobei noch zu klären sein wird, ob dadurch auch der Sicherheitsrat gegenüber dem Einzelnen rechtsverpflichtet ist. c) Zwischenergebnis Es erscheint sinnvoll zu sein, im Rahmen der rechtlichen Prüfung des Sanktionsregimes an gebotener Stelle neben dem Verhältnis zu den Staaten auch die sich zu den Sanktionsadressaten herausgebildete Rechtsbeziehung daraufhin zu untersuchen, ob etwaige, gegenseitig bindende Rechte und Pflichten ausreichende Beachtung gefunden haben. 3. Die Befugnisse des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta Nachdem festgestellt wurde, dass sich mit dem Al Qaida-Sanktionsregime Rechtsverhältnisse sowohl zu den Staaten als auch zu den Sanktionsadressaten als (partiellen) Völkerrechtssubjekten herausgebildet haben, wird untersucht, ob die Maßnahmen des Sicherheitsrats von den Befugnisnormen der UN-Charta gedeckt sind. Zur Sanktionierung der Mitglieder und Verbündeten von Al Qaida beruft sich der UN-Sicherheitsrat auf Kapitel VII der UN-Charta.543 Stellt er eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung fest, so liegt es bei ihm zu 541 Es wird im Rahmen der Überprüfung der Tatbestandsmerkmale des Art. 39 UN-Charta noch erörtert, ob Terroristen tatsächlich als unmittelbare Subjekte einer Bedrohung des internationalen Friedens angesehen werden, vgl. dazu die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (2). 542 Offenbar sollte mit dieser Formulierung der Standard der Art. 14 und 15 IPbpR bewusst umgangen werden (vgl. dazu auch die Ausführungen von Föh, Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 232). Mittlerweile anerkennt der Sicherheitsrat aber selbst die Notwendigkeit zur Einhaltung von Menschenrechten, vgl. den fünften Abs. der Präambel zu S/ RES/2161 (2014), der allerdings nur von „einschlägigen“ Menschenrechten spricht und damit offen lässt, welchen Standard er für anwendbar hält. 543 So zuletzt in der Präambel zu S/RES/2161 (2014).
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beschließen, welche Maßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu treffen sind (Art. 39 UN-Charta). Der Maßnahmenkatalog reicht von Empfehlungen (Art. 39 UN-Charta) über gewaltlose Sanktionen (Art. 41 UN-Charta) bis hin zu Militärsanktionen (Art. 42 UN-Charta). Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge bemisst sich nach Art. 31 – 33 WVK. Die Vorschriften sind sachlich auch auf Gründungsverträge internationaler Organisationen und damit auf die UN-Charta anwendbar (Art. 5 WVK). Da die 1980 in Geltung getretene WVK aber nicht rückwirkend gilt (Art. 4 WVK), kann sie nicht unmittelbar auf die UN-Charta angewendet werden. Wie der IGH anerkannt hat, reflektieren die Auslegungsregeln der WVK jedoch paralleles Völkergewohnheitsrecht.544 Mittelbar gelten sie damit auch für die Interpretation der UN-Charta.545 Nach Art. 31 Abs. 1 WVK ist ein Vertrag „nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen“. Der Wortlaut, die Systematik und die teleologische Auslegung bilden damit die primären Auslegungsmittel. Dabei sind u. a. spätere Übereinkünfte der Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrages oder die Anwendung seiner Bestimmung und die eine Übereinstimmung über die Auslegung reflektierende Anwendung des Vertrages zu berücksichtigen (Art. 31 Abs. 3 WVK). Damit ist auch die Beweglichkeit des Vertragswerkes zur Anpassung an veränderte Gegebenheiten gesichert. Dies hat bereits dazu geführt, dass einzelne Bestimmungen der UN-Charta mittlerweile in einer Weise erweiternd ausgelegt werden, die mit dem Wortlaut schwer zu vereinbaren ist. Besonders deutlich wird dies an der Auslegung des Art. 27 Abs. 3 UN-Charta, nach welchem substantielle Fragen betreffende Beschlüsse des Sicherheitsrates der „Zustimmung von neun Mitgliedern einschließlich sämtlicher ständiger Mitglieder“ bedürfen. Nach der vom IGH in seinem Namibia-Gutachten als rechtskonform bestätigten Praxis, kommt ein Beschluss auch dann verfahrensgerecht zustande, wenn keines der ständigen Mitglieder eine Gegenstimme erhebt, also auch bei Enthaltung oder Abwesenheit.546 Der Rahmen einer möglichen Rechtsfortbildung durch spätere Übung als Ausdruck übereinstimmender Auslegung wird also relativ weit gezogen. Mittel historischer Auslegung, wie vorbereitende Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses als Elemente statischer Betrachtung, sind nach Art. 32 WVK hingegen nur subsidiär heranzuziehen.
544 Vgl. z. B. IGH, Territorial Dispute (Libysch-Arabische Dschamahirija gg. Tschad), ICJ Rep. 1994, S. 21 f. 545 Kadelbach, in: Simma et al., UN-Charter, „Interpretation“, Rn. 8. 546 IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding S/RES/276 (1970), Adv. Op., ICJ Rep. 1971, S. 22.
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a) Formelle Beteiligungsvoraussetzungen Grundsätzlich sind zur Beteiligung an den Verhandlungen des Sicherheitsrats nur seine 15 Mitglieder berechtigt. Anderes gilt bei Verhandlungen über zwischenstaatliche Konflikte für die Streitparteien sowie für truppenstellende Staaten bei Entscheidungen über den Einsatz ihrer Einheiten; ihnen ist nach Art. 32 bzw. 44 UN-Charta die Teilnahme an Sitzungen des Sicherheitsrats zu ermöglichen, auch wenn sie nicht zu seinen Mitgliedern zählen, im letzteren Fall sogar mit der Berechtigung zur Stimmabgabe. Einen potentiell weiteren Anwendungsbereich hat Art. 31 UN-Charta, der lautet: „Any Member of the United Nations which is not a member of the Security Council may participate, without vote, in the discussion of any question brought before the Security Council whenever the latter considers that the interests of that Member are specially affected.“
Es muss im Einzelnen geklärt werden, welchen Verplichtungen der Sicherheitsrat beim Erlass der Resolutionen zum Al Qaida-Sanktionsregime einschließlich aller zuvor gemeinsam ergangenen Resolutionen zu den Taliban (in der Folge 1267Sanktionsregime) aus diesen Bestimmungen unterlag und ob er diese einhielt. Dazu wird auch die Frage zu beantworten sein, ob sich aus den Vorschriften auch Rechte für Staaten ableiten lassen, auf deren Einhaltung sie gegenüber dem Sicherheitsrat einen Anspruch haben. Letztlich ist gegebenenfalls darzulegen, welche Konsequenzen eine Nichteinhaltung von Beteiligungsvorschriften für die Resolutionen hat. Außer Betracht kann die in der Praxis ohnehin irrelevante547 Regelung des Art. 44 UN-Charta bleiben, da hier keine Bereitstellung von Truppen zur Debatte steht. aa) Die Teilnahme der Streitparteien Zunächst wurde ein mögliches Vorgehen gegen die Taliban und die vom Staatsgebiet Afghanistans aus operierende Organsisation Al Qaidas im Kontext des Afghanistanskonflikts behandelt.548 Damals wurde Pakistan vorgeworfen, zur Destabilisierung Afghanistans beizutragen, da es den Taliban militärische Unterstützung geliefert und sogar eigene Truppen in den Konflikt entsendet habe.549 Dies hätte gegebenenfalls einen Verstoß gegen das Gewalt- und Interventionsverbot bedeutet haben können550 und damit eine Streitigkeit im Sinne des Art. 32 UN-Charta be547 Reinisch/Novak, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 44, Rn. 1. Es ist bisher nämlich nicht zu einem von Art. 44 UN-Charta vorausgesetzten Abschluss von Sonderabkommen nach Art. 43 UN-Charta gekommen, s. Krisch, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 43, Rn. 10. 548 Vgl. die Sitzung vom 27. August 1999 (UN Doc. S/PV.4039). 549 Vgl. dazu die Vorwürfe des afghanischen Vertreters, Abdullah Abdullah, UN Doc. S/ PV.4039, S. 5. 550 Vgl. dazu A/RES/2625 (XXV), Ziff. 1, 9. Abs. („Friendly Relations Declaration“). Dabei muss freilich berücksichtigt werden, dass die Taliban zu diesem Zeitpunkt bereits als de
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gründet.551 Der Konflikt wurde im Sicherheitsrat allerdings nicht offziell als eine zwischenstaatliche Streitigkeit zwischen diesen Parteien im Sinne des Kapitel VI behandelt, obwohl die Generalversammlung die Einmischung externer Kräfte in den Konflikt bereits verurteilt und sie zur Einstellung militärischer Unterstützung für die kämpfenden Einheiten aufgerufen hatte.552 An der Sitzung des Sicherheitsrats vom 27. August 1999, die knapp zwei Monate vor Erlass der Resolution 1267 (1999) stattfand, konnten dennoch die Vertreter beider Staaten teilnehmen, die sich dabei mit langen Wortbeiträgen an der Debatte beteiligten.553 Die Beiladung geschah allerdings nicht ausdrücklich mit Verweis auf Art. 32 UN-Charta, sondern gemäß der gängigen Praxis554 mit Verweis auf die „relevanten Vorschriften der Charta und Rule 37 der Provisional Rules of Procedure des Sicherheitsrats“,555 die in ihrer hier relevanten ersten Alternative fast wortgleich den Art. 31 UN-Charta umsetzt. Auf diese Weise wird vermieden, dass eine Beiladung nach Art. 32 UN-Charta implizit die Feststellung einer Streitigkeit zwischen Staaten bedeutet, woran aus Gründen der diplomatischen Beziehungen und des Verhandlungserfolgs durchaus ein Interesse bestehen kann. Zur Sitzung vom 15. Oktober 1999, bei welcher Resolution 1267 (1999) verabschiedet wurde, wurde Pakistan nicht geladen.556 Gleiches gilt für alle weiteren Debatten zu den Folgeresolutionen des Regimes.557 Dabei muss berückfacto-Regime weitgehend anerkannt waren (vgl. etwa die Äußerungen des malaysichen Vertreters, Hasmy Agam, in der Sitzung zum Erlass von Resolution 1267 (1999), UN Doc. S/ PV.4051, S. 3 f., und die Ausfürhungen im vorangegangenen Punkt A., II.), wodurch ihre Unterstützung rechtlich u. U. anders zu bewerten war. Auf weitere Ausführungen zu dieser Frage soll an dieser Stelle verzichtet werden. 551 Zum Begriff der Streitigkeit vgl. Tomuschat, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 2 Ziff. 3, Rn. 27. 552 A/RES/53/203 A, Ziff. 6 vom 12. Februar 1999. 553 s. UN Doc. S/PV.4039, S. 5 – 8 (Afghanistan) und UN Doc. S/PV.4039 (Resumption 1), S. 21 – 23 (Pakistan). 554 Vgl. etwa UN Doc. S/PV.4950, S. 2 in der Sitzung vom 22. April 2004 im Vorlauf zum Erlass von Resolution 1540. Vgl. zur Praxis Dolzer/Kreuter-Kirchhof, in: Simma et al., UNCharter, Art. 32, Rn. 4. 555 UN Doc. S/PV.4039, S. 2. 556 s. UN Doc. S/PV.4051, S. 2. 557 Vgl. die Sitzung vom 19. Dezember 2000 zum Erlass von Resolution 1333, UN Doc. S/ PV.4251; die Sitzung vom 30. Juli 2001 zum Erlass von Resolution 1363, UN Doc. S/PV.4352; die Sitzung vom 28. September 2001 zum Erlass von Resolution 1373, UN Doc. S/PV.4385; die Sitzung vom 16. Januar 2002 zum Erlass von Resolution 1390, UN Doc. S/PV.4452; die Sitzung vom 20. Dezember 2002 zum Erlass von Resolution 1452, UN Doc. S/PV.4678; die Sitzung vom 29. Juli 2005 zum Erlass von Resolution 1617, UN Doc. S/PV.5244; die Sitzung vom 14. September 2005 zum Erlass von Resolution 1624, UN Doc. S/PV.5261; die Sitzung vom 8. August 2006 zum Erlass von Resolution 1699, UN Doc. S/PV.5507; die Sitzung vom 19. Dezember 2006 zum Erlass von Resolution 1730, UN Doc. S/PV.5599; die Sitzung vom 22. Dezember 2006 zum Erlass von Resolution 1735, UN Doc. S/PV.5609; die Sitzung vom 30. Juni 2008 zum Erlass von Resolution 1822, UN Doc. S/PV.5928; die Sitzung vom 17. Dezember 2009 zum Erlass von Resolution 1904, UN Doc. S/PV.6247; die Sitzung vom 17. Juni 2011 zum Erlass von Resolutionen 1988 und 1989, UN Doc. S/PV.6557; die Sitzung vom 17. Juni 2014 zum Erlasse von Resolutionen 2160 und 2161, UN Doc. S/PV.7198. In den
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sichtigt werden, dass die Beteiligung Pakistans in den Konflikt nicht offiziell bestätigt wurde und dass Pakistan eine militärische Unterstützung einer der in Afghanistan kämpfenden Lager auch stets abstritt.558 Eine mögliche Beteiligung Pakistans am afghanischen Konflikt spielte für die gezielten Sanktionen gegen die Taliban auch keine Rolle. Dies gilt auch für die Sanktionen, die anschließend gegen Al Qaida gerichtet waren und nunmehr in ein eigenes Regime übertragen wurden. Der Sicherheitsrat bezweckte mit seinem Vorgehen von Anbeginn insbesondere die Abwehr der von dem internationalen Terrornetzwerk Al Qaidas ausgehenden Bedrohung für die gesamte Weltgemeinschaft, durch welche Anschläge überall zu erwarten waren, auch wenn zunächst nur die Taliban Adressaten der Sanktionen waren. Im Fokus stand das Ziel, die Auslieferung Osama bin Ladens zu bewirken, wozu die Taliban verpflichtet wurden.559 Die mit Resolution 1267 (1999) verhängten Sanktionen wären zu beenden gewesen, wenn sie dieser Verpflichtung nachgekommen wären.560 Es ging bei dem Sanktionsregime also nicht primär um die Beendigung eines Konflikts zwischen Afghanistan und Pakistan, sondern darum, der Bedrohung durch Al Qaida, die von afghanischem Staatsgebiet aus operierte, zu begegnen. Danach war der Sicherheitsrat auch nicht dazu verpflichtet Pakistan an seinen Sitzungen zum Sanktionsregime als Streipartei nach Art. 32 UN-Charta zu beteiligen. bb) Die Teilnahme „besonders betroffener“ Nichtmitglieder Sieht der Sicherheitsrat die Interessen weiterer, nicht in ihm vertretener Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen im Einzelfall als „besonders betroffen“ an, so können diese nach Art. 31 UN-Charta an seinen Debatten ohne Stimmrecht teilnehmen. Die Vertreter Afghanistans und der Islamischen Republik Irans wurden auf dieser Grundlage zur Teilnahme an der Sitzung eingeladen, bei welcher es zum Erlass von Resolution 1267 (1999) kam.561 Da die Taliban zu dieser Zeit einen Großteil des afghanischen Staatsgebiets besetzt hielten und kurz zuvor das Generalkonsulat der Islamischen Republik Irans in Mazar-i-Sherif eingenommen wurde, wobei einer ihrer Diplomaten zu Tode kam,562 war eine „besondere Betroffenheit“ dieser Staaten unzweifelhaft gegeben. Es soll die Frage geklärt werden, ob daneben auch die Teilnahme weiterer Staaten immer und allein deshalb in Betracht kommt, wenn diese durch beabsichtigte Regulierungsmaßnahmen erhebliche Eingriffe in Jahren 2003 – 2004 und 2012 – 2013 besetzte Pakistan einen Platz als nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrats. 558 Vgl. UN Doc. S/PV.4039 (Resumption 1), S. 22 f. 559 S/RES/1214 (1998), Ziff. 13, die sich noch auf alle angeklagten Terroristen bezog und S/RES/1267 (1999), Ziff. 2 mit direktem Verweis auf Osama bin Laden. 560 S/RES/1267 (1999), Ziff. 14. 561 s. UN Doc. S/PV.4051, S. 2. 562 Vgl. die Verurteilung dieser Taten im dritten Absatz der Präambel zu S/RES/1267 (1999).
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
ihre Rechte zu erwarten haben, weil sie zum Erlass und zur Durchsetzung restriktiver Maßnahmen gegen Teile der ihnen territorial oder personell zugeordneten Bevölkerung verpflichtet werden. Seitdem gezielte Sanktionen mit Resolution 1390 (2002) auch direkt gegen die Mitglieder und Unterstützer der nicht-staatlichen und transnational vernetzten Organisation Al Qaidas umzusetzen sind,563 trifft dies auf die gesamte Staatengemeinschaft zu. Der Wortlaut von Art. 31 UN-Charta legt den Schluss nahe, dass er nur bei einem vergleichsweise hohen Grad an Betroffenheit zur Anwendung kommen soll.564 Da die Resolutionen des 1267-Sanktionsregimes unterschiedslos von allen Staaten umgesetzt werden müssen, kann allein unter diesem Aspekt bei keinem Staat eine „besondere Betroffenheit“ in einem so verstandenen Sinne attestiert werden. Der Sicherheitsrat hat jedoch ein weites Verständnis vom Anwendungsbereich der Norm und ihm scheint es dabei offenbar nicht auf einen relativen Grad der Betroffenheit anzukommen.565 Bereits im Jahr 1994 verschrieb sich der Sicherheitsrat dazu, öfter zu einem möglichst frühen Zeitpunkt der Verhandlung einer Sache „offene Sitzungen“ zu veranstalten, um die Transparenz seiner Arbeit zu erhöhen.566 Im Verfolg dieser Maxime lud er in unregelmäßigen Abständen alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dazu ein, auf ihren Antrag hin an Debatten zu verschiedenen Grundsatzfragen, aber auch zur Diskussion spezifischer Sanktionsregime teilzunehmen (sog. „offene Sitzungen“567). Unter anderem wurden mehrere offene Sitzungen zur Anpassung der Arbeitsweise des Sicherheitsrats selbst abgehalten.568 Auch im Vorlauf zum Erlass von Resolution 1267 (1999) veranstaltete er eine offene Sitzung, an der insgesamt 28 Staaten teilnahmen.569 Auf Grundlage von Rule 39 der Provisional Rules of Procedure des Sicherheitsrats, die auch die Beiladung nicht-staatlicher Akteure ermöglicht, beteiligten sich daneben noch der Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen für politische Angelegenheiten und der ständige Beobachter der Organisation der islamischen Konferenz bei den Vereinten Nationen570 an der Debatte.571 Ein Resolutionsentwurf war dabei allerdings nicht Gegenstand der Diskussionen. Im Kontext legislativer Entscheidungen wurde im Laufe der Zeit ebenfalls die Notwendigkeit der Öffnung des Verfahrens erkannt. Nachdem der Sicherheitsrat Resolution 1373 (2001), mit der alle Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, restriktive Maßnahmen gegen von ihnen selbst auszumachende Terroristen und ihre Unterstützer zu ergreifen572 und die damit einen 563
Ziff. 2. „Specially affected“, „particulièrement affectés“, „afectados de manera especial“. 565 Vgl. zur Praxis Dolzer/Kreuter-Kirchhof, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 31, Rn. 18. 566 UN Doc. S/PRST/1994/81 vom 16. Dezember 1994. 567 UN Doc. S/2010/507, Ziff. 36 lit. (a), (iii), a. 568 So etwa am 26. November 2012, UN Doc. S/PV.6870. Vgl. zuvor nur die Sitzungen vom 30. November 2011, UN Doc. S/PV.6672, und vom 22. April 2010, UN Doc. S/PV.6300. 569 Sitzung vom 27. August 1999, UN Doc. S/PV.4039, S. 2. 570 Heute die Organisation für islamische Zusammenarbeit. 571 UN Doc. S/PV.4039, S. 2, 10. 572 S/RES/1373 (2001), Ziff. 1 f. 564
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abstrakt-generellen Regelungsgehalt aufweist, noch ohne vorangehende offene Debatte in einer rein formell öffentlichen Sitzung im Kreis seiner 15 Mitglieder des Sicherheitsrats verabschiedet wurde,573 gestaltete er das Verfahren zum Erlass von Resolution 1540 (2004) bereits deutlich inklusiver. Nach Resolution 1540 (2004) haben alle Mitgliedstaaten jede Form der Unterstützung von nichtstaatlichen Akteuren, die in Herstellungs-, Vertriebs- oder Erwerbskreisläufe nuklearer, chemischer oder biologischer Waffen eingebunden sind, zu unterlassen und darüber hinaus geeignete legislative Maßnahmen vorzunehmen und Kontrollvorkehrungen einzurichten, um die Aktivitäten dieser Akteure zu unterbinden.574 Auch sie legt damit allgemeinverbindlich eine Rechtsfolge für eine unbestimmte Anzahl von Sachverhalten fest. Sechs Tage vor Erlass von Resolution 1540 (2004) kam es zu einer offenen Sitzung unter Teilnahme von insgesamt 51 Staaten575 und im Vorfeld zu dieser Sitzung wurden bereits Resolutionsentwürfe in Umlauf gebracht,576 wodurch es den auf Grundlage von Art. 31 UN-Charta beigeladenen Staaten möglich war, zu konkreten Regelungsvorhaben Stellung zu nehmen. Dies kann von entscheidender Bedeutung sein, wenn den beigeladenen Staaten die Möglichkeit eröffnet werden soll, mit ihren Beiträgen tatsächlich Einfluss auf die zukünftige Rechtslage nehmen zu können. Andernfalls drohen sich die Diskussionen nämlich in einem leeren Raum zu bewegen. An diese Praxis knüpfte der Sicherheitsrat wiederum im Rahmen der Terrorismusbekämpfung mit Erlass von Resolution 2178 (2014) vom 24. September 2014 an, die in Reaktion auf den erheblichen Zulauf ausländischer Kämpfer zum IS erging und ebefalls legislativen Charakter aufweist.577 Darin werden alle Staaten dazu verpflichtet, Gesetze zu erlassen, die die Ausreise von Personen zum Zwecke der Beteiligung an terroristischen Handlungen, die Hilfe zur Finanzierung einer solchen Reise sowie ihre Organisation oder sonstige Erleichterung (wie die Anwerbung von Kämpfern) strafrechtlich zu ahnden.578 Mit Resolution 2199 vom 12. Februar 2015 bekräftigte der Sicherheitsrat ferner, dass die unter Strafe zu stellende Unterstützung von terroristischen Akten auch durch den Handel mit Al Qaida oder ihren Verbün-
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Sitzung vom 28. September 2001, UN Doc. S/PV.4385. S/RES/1540 (2004), Ziff. 1 – 3. 575 Sitzung vom 22. April 2004, UN Doc. S/PV.4950. Die Sitzung zur Verabschiedung von Resolution 1540 (2004) selbst erfolgte aber wiederum nur unter Teilnahme der Sicherheitsratsmitglieder; Sitzung vom 28. April 2004, UN Doc. S/PV.4956. 576 Vgl. zum Ablauf: Datan, Security Council Resolution 1540: WMD And Non-State Trafficking. 577 Vgl. Scheinin, Zurück zur Post-9/11-Panik? Für Marxsen, Resolution 2178 und ihre Auswirkungen auf die Bundesrepublik, handelte der Sicherheitsrat dabei außerhalb seines Kompetenzrahmens. 578 S/RES/2178 (2014), Ziff. 6. Zur Missbrauchsanfälligkeit der Resolution vgl. Scheinin, Zurück zur Post-9/11-Panik?; Payandeh, ZRP 8/2014, S. 242; Marxsen, Resolution 2178 und ihre Auswirkungen auf die Bundesrepublik. In Bezug auf S/RES/1373 (2001) bereits Wagner, ZaöRV 2003, S. 903. 574
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
deten mit natürlichen Ressourcen wie insbesondere Öl erfolgen kann,579 womit der Kreis der mit Strafe zu belegenen Handlungen empfindlich ausgeweitet wurde. Initiator der Resolution 2178 (2014) waren wiederum die USA, die diesmal um eine starke Einbindung aller Mitglieder der UN bemüht waren. Bereits drei Wochen im Vorlauf ließen sie über den Generalsekretär ein Konzeptpapier mit den wesentlichen Grundlinien ihres Vorschlags an alle Mitgliedstaaten der UN weiterleiten.580 In den Wochen bis zum Erlass der Resolution erfolgten Diskussionen unter Beteiligung einer großen Anzahl von Staaten, die nicht im Sicherheitsrat vertreten sind. Letztlich haben sich 104 Staaten an der Ausarbeitung des Resolutionestextes als Sponsoren beteiligt, was die zweithöchste Zahl in der Geschichte der UN bedeutet.581 Den höchsten Wert von 134 Sponsoren zeichnete die eine Woche zuvor verabschiedete Resolution 2177 (2014),582 mit der die Ebola-Epedemie in Afrika zu einer Bedrohung des Friedens erklärt wurde,583 was ebenfalls als Akt extensiver Auslegung der UNCharta mit (quasi-)legislativem Charakter verstanden werden kann. In der zunehmenden Bereitschaft zur Einbeziehung aller UN-Mitgliedstaaten lässt sich ein Mentalitätswandel ablesen. Um die Bedeutung der Angelegenheit noch zu unterstreichen, wurde zur Verabschiedung der Resolution 2178 (2014) ein Gipfeltreffen des Sicherheitsrats einberufen, wozu es in dieser Form bis dahin erst fünf Mal kam.584 Unter Vorsitz Barack Obamas meldeten sich Vertreter von insgesamt 45 Mitgliedstaaten zu Wort (darunter viele Staats- und Regierungschefs), um sich zu der Resolution zu äußern, nachdem sie zuvor bereits von den Sicherheitsratsmitgliedern einstimmig angenommen wurde.585 Der Sicherheitsrat hat damit anerkannt, dass die Veranstaltung einer offenen Sitzung nach Art. 31 UN-Charta gerechtfertigt sein kann, wenn er legislative Maßnahmen erlässt. Die liberale Praxis des Sicherheitsrats ist unter dem Gesichtspunkt zu bewerten, dass die Beteiligungsmöglichkeiten sowohl der Funktionalität des Sicherheitsrats dienen sollen, indem sie ihm die Möglichkeit eröffnen, zusätzliche Informationen für seine Entscheidungen heranzuziehen, wie auch dem legitimen Interesse der Nichtmitglieder, gehört zu werden.586 Ist der Sicherheitsrat auf die Umsetzung seiner Maßnahmen durch alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen angewiesen, stehen die Interessen des Sicherheitsrats und die Interessen der Staaten in einem Komplementärverhältnis zueinander. In diesen Fällen ist die effektive Umsetzung nämlich von einem „compliance pull“ abhängig, der nur auf den Legi579
S/RES/2199 (2015), Ziff. 11. UN Doc. S/2014/648. 581 Highlights of Security Council Practice 2014, S. 8 (abrufbar unter http://www.un.org/en/ sc/inc/pages/pdf/highlights/2014.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 582 Highlights of Security Council Practice 2014, S. 8 (abrufbar unter http://www.un.org/en/ sc/inc/pages/pdf/highlights/2014.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 583 Fünfter Absatz zu S/RES/2177 (2014). 584 UN Doc. S/PV.7272, S. 3. 585 Vgl. UN Doc. S/PV.7272. 586 Vgl. Dolzer/Kreuter-Kirchhof, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 31, Rn. 17. 580
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timitätsüberzeugungen der verpflichteten Staaten gründen kann.587 Dazu kann eine Beiladung nach Art. 31 UN-Charta einen wichtigen Beitrag liefern. Der Vertreter der Schweiz, Herr Paul Seger, bezeichnet die Öffnung des Verfahrens als „win-winSituation“ für den Sicherheitsrat und die restlichen Mitglieder der Vereinten Nationen und fährt fort: „We believe that better interaction between the Security Council and the wider membership would result in better decisions and more efficient and effective work on the part of the Council. Its actions would be better prepared, better understood, better supported politically and better implemented. In short, better interaction is necessary and beneficial to the United Nations as a whole.“588
Ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis besteht auch dann, wenn der Sicherheitsrat seine Eingriffskompetenzen besonders extensiv auslegt und damit in (quasi-) legislativer Manier das Verbot friedensbedrohenden Verhaltens auf nichtstaatliche Akteure ausweitet. Ebenso steht es, wenn er gezielte Individualsanktionen nach abstrakt-generellen Kriterien verhängt, die sich an alle Individuen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und ihrem Aufenthaltsort richten. Zum einen werden allen Staaten auf diese Weise weitgehende und rechtlich nicht unumstrittene sowie administrativ anspruchsvolle Umsetzungspflichten auferlegt, und zum anderen wird in ihr Recht auf autonome Gestaltung ihrer Rechtsbeziehung zu der ihnen zugeordneten Bevölkerung eingegriffen. Diese Eingriffe haben eine Tiefe, wie sie mit dem Erlass legislativer Maßnahmen nach dem Vorbild der Resolutionen 1540 (2004) und 2178 (2014) zumindest vergleichbar sind. Eine Beiladung aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen käme nach der hier vertretenen Auslegung jedenfalls seit Erlass der Resolution 1390 (2002) in Betracht. Es wurden jedoch keine offenen Sitzungen veranstaltet, bei denen Resolutionsentwürfe zum 1267-Sanktionsregime zur Diskussion standen. Dagegen werden Sitzungen unter Beteiligung weiterer Staaten nach Art. 31 UN-Charta regelmäßig zu allgemeinen Fragen der Terrorismusbekämpfung589 und zur Berichterstattung über die Arbeit der Sanktionsausschüsse590 abgehalten, wobei die Staatenvertreter ihre Bedenken und Vorschläge zur Ausgestaltung der Regime äußern können. In diesen Foren werden aber keine konkreten Resolutionsentwürfe eingebracht und zur Diskussion gestellt, womit die nach Art. 31 UN-Charta beigeladenen Staaten auch nicht das ihnen nach Rule 38 der Provisional Rules of Procedure des Sicherheitsrats grundsätzlich zugeschriebene Recht zur Einbringung eigener Entwürfe ausüben können. Ihre Einflussmöglichkeiten sind damit sehr begrenzt. Eine nach Art. 31 UN-Charta mögliche Beiladung 587 Vgl. mit Bezug auf die Umsetzungsmaßnahmen der EU Heupel, EurJCrimPolRes 18 (2012), S. 326. 588 Sitzung der Generalversammlung vom 16. Mai 2012, UN Doc. A/66/PV.108, S. 2. 589 Vgl. nur die Sitzungen vom 15. Januar 2013, UN Doc. S/PV.6900 und vom 9. Dezember 2008, UN Doc. S/PV.6034. 590 Vgl. nur die Sitzungen vom 10. Mai 2012, UN Doc. S/PV.6767, vom 14. November 2011, UN Doc. S/PV.6658 und vom 16. Mai 2011, UN Doc. S/PV.6536.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
ist jedenfalls nicht im Rahmen der direkten Verhandlungen von Resolutionen des 1267-Sanktionsregimes erfolgt. (1) Die Beiladung nach Art. 31 UN-Charta als Ermessensentscheidung des Sicherheitsrats Wie oben festgestellt wurde, kommt die Anwendung des Art. 31 UN-Charta im Falle des 1267-Sanktionsregimes grundsätzlich in Betracht. Wie es in Art. 31 UN-Charta heißt, „können“ die als besonders betroffen anerkannten Staaten danach an den Sitzungen des Sicherheitsrats teilnehmen („may participate“, „podra participar“, „peut participer“). Ob dem Sicherheitsrat dadurch ein Ermessen bei der Entscheidung über die Beiladung zukommt, selbst wenn er bereits grundsätzlich eine „besondere Betroffenheit“ weiterer Staaten in einem konkreten Fall anerkannt hat, braucht hier nicht weiter diskutiert zu werden, da ihm jedenfalls durch die Zuweisung der alleinigen Befugnis über das Ob der Feststellung einer entsprechenden Betroffenheit eine Ermessensbefugnis zuzuschreiben ist. Zu klären gilt es jedoch, ob der Sicherheitsrat bei der Ausübung dieses ihm durch die Norm eingeräumten Ermessens rechtlich in irgendeiner Form gebunden ist. Mehrere Autoren fordern, dass der Sicherheitsrat beim Erlass legislativer Resolutionen die zur Umsetzung verpflichteten Staaten zur Teilnahme an den Verhandlungen einladen sollte.591 Auch aus den Reihen der Mitgliedstaaten wurde auf die Notwendigkeit ihrer Beteiligung in solchen Fällen hingewiesen. So erklärte der Vertreter Costa Ricas, Herr Bernd H. Niehaus Quesada, im Anschluss an den kritisierten Verlauf des Verfahrens zum Erlass von Resolution 1373 (2001): „[F]or the first time in history, the Security Council enacted legislation for the rest of the international community. […] Resolution 1373 (2001) demonstrates the broad powers of the Security Council. In exercising its powers, however, the Council must act responsibly. In accordance with the provisions of the Charter, the Security Council acts on behalf of all Member States of the United Nations. Its members, whether permanent or elected, represent equally all States Members of the Organization and they are, therefore, responsible to them. That is why it is essential for the Council to hold transparent and effective consultations with the other members of the international community when it adopts measures of far-reaching importance.“592
Nachdem sich die Beteiligungspraxis des Sicherheitsrats anschließend weiter liberalisierte,593 honorierte der Vertreter der Phillipinen, Herr Lauro L. Baja, Jr., die Veranstaltung der offenen Sitzung vor Erlass der Resolution 1540 (2004): „My delegation appreciates […] the timelines of this open debate and the value of listening to the views of the general membership, who would be implementing the resolution. Those 591
Talmon, AJIL 99 (2005), S. 186; Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 293; Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 193; Dolzer/Kreuter-Kirchhof, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 31, Rn. 23. 592 Sitzung der Generalversammlung vom 15. Oktober 2001, UN Doc. A/56/PV.25, S. 3. 593 Vgl. zur Entwicklung Talmon, AJIL 99 (2005), S. 186 f.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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who are bound should be heard. This is an essential element of a transparent and democratic process, and is the best to proceed on a resolution that demands legislative actions and executive measures from the [193] Members of the United Nations.“594
Diese Einlassungen stützten die Annahme, nach der sich das Ermessen des Sicherheitsrats in Folge der notwendigen Rückbindung seiner Entscheidungen auf den Willen aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen reduziert habe und er deshalb beim Erlass besonders weitreichender und einschneidender Resolutionen zur Beiladung nach Art. 31 UN-Charta verpflichtet sei.595 Diese Interpretation ist jedoch dann Zweifeln ausgesetzt, wenn man die Regelung primär nach funktionellen Kriterien auslegt, ihre Anwendung also in erster Linie davon abhängig macht, ob der Sicherheitsrat die Beiladung weiterer Staaten als notwendig oder zumindest hilfreich für die umfassende Erörterung der Sachlage und die Sicherstellung der effektiven Umsetzung erachtet. Diese Einschätzung ist nämlich allein dem Sicherheitsrat zuzuschreiben. Eine solche Auslegung wäre allerdings zu eng und wird dem weiteren Zweck der Bestimmung nicht gerecht. Danach ist die Möglichkeit der Beteiligung auch als Kompensation für die verbindliche Wirkung der Entscheidungen des Sicherheitsrats anzusehen596 und damit als Ausdruck des Souveränitätsanspruchs der nicht im Sicherheitsrat vertretenen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Nach diesem können die Staaten grundsätzlich nur solchen Verpflichtungen unterworfen werden, die auf ihren Willen zurückführbar sind.597 Zur Intervention in zwischenstaatlichen Konflikten haben die Staaten dem Sicherheitsrat die Hoheitsgewalt zur verbindlichen Entscheidung zweifellos übertragen. Die Anhörung der Konfliktparteien ist dabei über Art. 32 UN-Charta gesichert. Die Kompetenz zum Erlass legislativer Maßnahmen, durch welche alle Mitgliedstaaten weitreichenden Verpflichtungen unterworfen werden, war ihm ursprünglich jedoch nicht zugedacht worden.598 Kommt den nicht im Sicherheitsrat vertretenen Staaten schon kein Stimmrecht zu, so sollten sie zumindest die Möglichkeit erhalten, sich im Vorfeld zum Erlass allgemeinverpflichtender Maßnahmen zu äußern und sich mit eigenen Vorschlägen einbringen zu können. Dies führt dazu, dass sich die Ermessensbefugnis des Sicherheitsrats beim Erlass von Resolutionen mit abstrakt-generellem Regelungsgehalt und einer allgemeinen Verpflichtung zur Umsetzung individualgerichteter Sanktionen – vorbehaltlich ihm sind entsprechende Kompetenzen überhaupt zuzusprechen – angesichts der Tiefe des Eingriffs in die mitgliedstaatlichen Sou594
UN Doc. S/PV.4950, S. 2 (damals waren noch 191 Staaten Mitglied der Vereinten Nationen). Vgl. zu weiteren Einlassungen von Staatenvertretern in diese Richtung Talmon, AJIL 99 (2005), S. 187 f. 595 So Talmon, AJIL 99 (2005), S. 186 und ihm folgend Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 193 und Dolzer/Kreuter-Kirchhof, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 31, Rn. 23. 596 Vgl. Dolzer/Kreuter-Kirchhof, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 31, Rn. 17. 597 Zur Bedeutung, Geschichte und zum philosophischen Hintergrund: Fassbender, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 3. 598 Dazu bereits im vorangegangenen Punkt II.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
veränitätsrechte zu einer gebundenen Entscheidung zur Beiladung aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen verdichtet, sofern nicht die Notwendigkeit eines schnellen Handelns im Einzelfall entgegensteht. Eine besondere Dringlichkeit ist beim 1267-Sanktionsregime heute jedenfalls nicht mehr gegeben. Die entscheidenden Verhandlungen über konkrete Resolutionsentwürfe zum Al Qaida-Sanktionsregime wurden hinter verschlossenen Türen und zum Teil sogar nur im Kreis der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats geführt. In den abschließenden öffentlichen Sitzungen fanden zumeist nur noch rein formelle Abstimmungen ohne vorangehende Debatte statt.599 Dieses Verfahren wird nicht den legitimen Ansprüchen der übrigen Staaten gerecht. Entsprechend der mittlerweile wahrnehmbaren Tendenzen zur Öffnung des Verhandungsprozesses wäre eine Betiligung aller Mitgliedstaaten geboten. (2) Folgen des Verstoßes gegen Art. 31 UN-Charta Letztlich muss geklärt werden, welche Folgen das Unterlassen der nach Art. 31 UN-Charta gebotenen Beiladung nach sich zieht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Gründungsmütter- und väter der UN-Charta dem Art. 31 UN-Charta eine solch hohe Bedeutung zugemessen haben, dass die von ihm vorgesehenen Mindestgarantien durch ihren primärrechtlichen Status der Dispositionsbefugnis des Sicherheitsrats über die Ausgestaltung seines Verfahrens, die ihm nach Art. 30 UN-Charta grundsätzlich zugewiesen ist, enthoben wurden.600 In diesem Rahmen ist jedoch auch die nachfolgende Praxis der gesamten Mitgliedschaft der Vereinten Nationen zu berücksichtigen. Ihr gemeinsamer Wille ist letztlich der Bezugspunkt, nach welchem sich die rechtliche Beurteilung zu bemessen hat. In der grundsätzlichen Akzeptanz des Al Qaida-Sanktionsregimes verdeutlicht sich, dass sie dem Sicherheitsrat in diesem Bereich die Kompetenz zum Durchgriff auf Individuen zugestehen. Damit haben sie die Praxis in ihrer Grundausrichtung nachträglich legalisiert. Bis zur Feststellung dieser Akzeptanz waren die Resolutionen des Sicherheitsrats allerdings schwebend rechtswidrig.601
599 Vgl. etwa den Verlauf zum Erlass von Resolution 1989 (2011) nach dem Erfahrungsbericht von Dire Tladi und Gillian Taylor, CJIL 10 (2011), S. 784 f. In der Sitzung zum Abschluss von Resolution 1989 (2011) vom 17. Juni 2011 hat es nach der Abstimmung noch von Mitgliedern des Sicherheitsrats Wortbeiträge gegeben, vgl. UN Doc. S/PV.6557. Nichtmitglieder waren nicht an der Sitzung beteiligt. Selbst die nachträgliche Debatte im Kreis der Sicherheitsratsmitglieder ist nicht die Regel, vgl. etwa die Sitzung zum Erlass von Resolution 2083 vom 17. Dezember 2012, UN Doc. S/PV.6890 und die Sitzung zum Erlass von Resolution 2161 vom 17. Juni 2014, UN Doc. S/PV.7198. 600 Dolzer/Kreuter-Kirchhof, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 31, Rn. 31. 601 Vgl. auch Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 192, der aus der mangelnden Beteiligung nach Art. 31 UN-Charta nicht auf die Rechtswidrigkeit der Resolutionen schließen möchte.
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cc) Zwischenergebnis Der Sicherheitsrat ist den formellen Beteiligungsvoraussetzungen des Art. 31 UN-Charta beim Erlass der Resolutionen des 1267-Sanktionsregimes nicht gerecht geworden. Damit sind sie einem Legitimationsdefizit ausgesetzt. Der damit zugleich einhergehende rechtliche Mangel wurde jedoch mit der dem Sanktionsregime zu Teil gewordenen allgemeinen Unterstützung durch die Staatengemeinschaft nachträglich geheilt. b) Die tatbestandlichen Eingriffsvoraussetzungen des Art. 39 UN-Charta Art. 39 UN-Charta lautet: „The Security Council shall determine the existence of any threat to the peace, breach of the peace, or act of aggression and shall make recommendations, or decide what measures shall be taken in accordance with Articles 41 and 42, to maintain or restore international peace and security.“
Aus der Norm lässt sich eine Systematik im Kapitel VII der UN-Charta nachvollziehen. Danach muss zunächst die notwendige Bedingung der Feststellung einer Situation nach Art. 39 UN-Charta bestehen (Tatbestand), woraufhin sich dem Sicherheitsrat ein weiter Handlungsspielraum eröffnet (Rechtsfolge).602 Bevor der Sicherheitsrat die gegen Al Qaida und ihre Verbündeten zu richtenden Sanktionen verhängte, stellte er entsprechend fest, dass eine von selbigen ausgehende Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bestehe.603 Mit der Annahme einer Friedensbedrohung beruft er sich auf das erste der drei vom Tatbestand des Art. 39 UN-Charta vorgesehenen „Eingriffsszenarien“604, das damit den Gegenstand dieser Untersuchung darstellt. Zumal die Begriffe des Art. 39 UN-Charta in der UNCharta nicht definiert sind, ist für die rechtliche Beurteilung dieser folgenreichen Feststellung entscheidend, welcher Natur die Feststellungskompetenz des Sicherheitsrats ist und wonach sich das ausfüllungsbedürftige Merkmal der Friedensbedrohung bemessen lässt. Die h. M. in der Literatur weist dem Sicherheitsrat bei der Feststellung nach Art. 39 UN-Charta ein weites „Ermessen“ bzw. einen erheblichen „Beurteilungsspielraum“ zu, wobei in der Regel offen bleibt, welche Befugnisse damit konkret verbunden sein sollen;605 Im Gegensatz zum deutschen Verwal602 Gill, NYIL 26 (1995), S. 39; Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrats, S. 6 f.; Gowlland-Debbas, I&CLQ 43 (1994), S. 61 ff. 603 Präambel zu S/RES/2161 (2014). 604 Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrats, S. 5. 605 Oosthuizen, LJIL 12 (1999), S. 554 f.; Akande, I&CLQ 46 (1997), S. 315; Gill, NYIL 26 (1995), S. 42.; Gowlland-Debbas, I&CLQ 43 (1994), S. 61; Kelsen, The Law of the UN, S. 294; Gordon, MJIL 15 (1994), S. 563 f.; Bowett, EJIL 5 (1994), S. 94. Schweigman, The Authority of the Security Council, S. 186. I. E. ebenso: Tomuschat, CML Rev. 43 (2006), S. 550 f.; Payandeh, ZaöRV 66 (2006), S. 45, der sich dieser „allgemeinen Ansicht“ anzuschließen scheint. s. auch ICTR, Prosecutor gg. Kanyabaschi, ICTR-96-15-T, ICTR Trial Chamber Decision on
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
tungsrecht, das zwischen den Begriffen des Ermessenstatbestandes, des Beurteilungsspielraums und des unbestimmten Rechtsbegriffs qua abgrenzender Inhaltsbestimmungen unterscheidet, kann ihnen im Völkerrecht nämlich kein entsprechend klar umrissener Bedeutungsgehalt zugeordnet werden.606 Dabei ist es für die Beurteilung der Kompetenzweite des Sicherheitsrats im Rahmen des Kapitels VII aber gerade entscheidend zu untersuchen, ob und wenn ja, welche rechtlichen Maßstäbe er bei der Feststellung einer Situation nach Art. 39 UN-Charta zu beachten hat, zumal dies die zu überschreitende Schwelle zur Autorisierung restriktiver Maßnahmen bildet. Eine Entscheidungshoheit des Sicherheitsrats kommt in verschiedener Weise in Betracht: Denkbar ist die Zuordnung einer Kompetenz zur autoritativen Inhaltsbestimmung unbestimmter Tatbestandsmerkmale (Konkretisierungsbefugnis), eine Einschätzungsprärogative bei beurteilungsoffen formulierten Tatbestandmerkmalen (Beurteilungsspielraum) sowie eine Wahlfreiheit über das „Ob“ der Feststellung bei Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen (Ermessen zur Feststellung) und über den Inhalt des Tatbestandes (Ermessen auf Tatbestandsebene). Die Entscheidungen wären dann rechtlich allenfalls eingeschränkt überprüfbar. Am weitreichendsten wären die Befugnisse des Sicherheitsrats bei der Annahme eines Ermessens auf Tatbestandsebene, da es ihm dann möglich wäre, seine Eingriffsvoraussetzungen selbst zu bestimmen.607 Ihm stünde es dann offen, jede beliebige konkrete oder abstrakte Situation zu einer Friedensstörung i.S.d. Art. 39 UN-Charta zu erklären, womit ihm die Befugnis eingeräumt wäre, bei jeder Entscheidung für die Zukunft neues Recht zu setzen, also (quasi-)legislativ tätig zu werden. Das Fehlen einer allgemeinen Lehre über Ermessens-, Beurteilungs- und Konkretisierungsspielräume politischer Organe im Völkerrecht erfordert neben der Auslegung nach dem Wortlaut eine systematische Auslegung im Kontext der UN-Charta.608 Zunächst soll eine the Defence Motion on Jurisdiction, 18. Juni 1997, Rn. 19 ff. Ähnlich Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 80 f., der eine Bindung des Sicherheitsrats an die UN-Charta bei der Feststellung nach Art. 39 UN-Charta anerkennt (ebenso: ICTY, Prosecutor gg. Dusko Tadic, IT94-1, Decision of the Appeals Chamber on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Rn. 29) – ohne die praktischen Folgen näher zu beschreiben –, die Entscheidung aber für nicht justiziabel hält. s. auch Meerpohl, Individualsanktionen des Sicherheitsrats, S. 95 ff., der die begriffliche Inhaltsbestimmung in erster Linie von der rechtskonstitutiven Praxis abhängig macht und dem Sicherheitsrat eine „autonome Konkretisierungskompetenz“ hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale des Art. 39 UN-Charta zuschreibt. Kritisch zur Praxis des Sicherheitsrats als Rechtsquelle: Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 56 f. 606 Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrats, S. 9. Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 189 ff. und Lorinser, Bindende Resolutionen des Sicherheitsrats, S. 37 unternehmen deshalb eine differenzierendere Betrachtung. 607 Vgl. Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 189. 608 In diesem Sinne entschied der IGH, als er darüber zu befinden hatte, ob Art. 28 lit. a IMCO, der der Versammlung der Inter-Governmental Maritime Consultative Organization die Aufgabe zuschreibt, die 14 Mitgliedsstaaten des maritimen Sicherheitskomitees zu wählen, wobei mindestens die acht größten Schifffahrtsnationen vertreten sein sollen, ein Ermessen einräumt. Er befand, dass dies nur im Kontext der Satzung auszulegen sei und lehnte die Einräumung eines Ermessens letztendlich ab, ICJ Rep. 1960, S. 158 ff. Ebenso mit Verweis
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isolierte Auslegung des Art. 39 UN-Charta erfolgen, um zu erörtern, ob daraus Schlüsse auf die Natur einer Feststellung des Sicherheitsrates gezogen werden können und ob sich die Gefährdung durch Al Qaida unter die Tatbestandsmerkmale der Norm subsumieren lassen, vorerst ohne sie in Verhältnis zu den übrigen Bestimmungen der UN-Charta zu stellen (aa)). Anschließend erfolgt eine Auseinandersetzung mit der politischen Natur des Sicherheitsrats, die gegen die Justiziabilität seiner Entscheidungen vorgebracht wird (bb), (1), (a), (aa)). Sie könnte die Annahme eines Ermessens auf Tatbestandsebene stützen. Im Rahmen einer Prüfung der Aufgabenverteilung zwischen den beiden „politischen Organen“ der Vereinten Nationen, dem Sicherheitsrat und der Generalversammlung, wird erörtert, ob sich aus diesem Verhältnis gegebenenfalls Grenzen für die Feststellungsbefugnis nach Art. 39 UN-Charta ergeben (bb), (1), (a), (bb)). Selbiges erfolgt nach einer Untersuchung der Rechtsbeziehung des Sicherheitsrats zu den Staaten und den betroffenen Individuen (bb), (1), (a), (cc) und (dd)). Schließlich wird die Bedeutung und Kompetenz zur dynamischen Interpretation (bb), (1), (b) und bb), (2)) und der praxisorientierten Auslegung (cc)) der UN-Charta zu bewerten sein. Dabei wird sich ergeben, wie das von transnational agierenden Terroristen ausgehende Bedrohungsszenarium rechtlich zu bewerten ist. aa) Isolierte Auslegung des Art. 39 UN-Charta Das für diesen Fall entscheidende Tatbestandsmerkmal des Art. 39 UN-Charta ist die „Friedensbedrohung“, welche der Sicherheitsrat „feststellt“. Es werden bei der folgenden Untersuchung in erster Linie Englisch, Französisch und Spanisch als drei der fünf authentischen Vertragssprachen herangezogen.609 (1) Die Feststellung Inwieweit dem Sicherheitsrat eine nicht-justiziable Feststellungskompetenz im Rahmen des Art. 39 UN-Charta zukommt, lässt sich aus einer isolierten Betrachtung der Norm kaum entnehmen. Dennoch schließen manche aus der Deutungsoffenheit des Begriffs der „Friedensbedrohung“ (s. u.) und dem weiteren Wortlaut der Norm, wonach der Sicherheitsrat eine Situation des Art. 39 UN-Charta „feststellt“, auf ein konstruktivistisches Wirklichkeitsverständnis, d. h. eine konstitutive Wirkung der Einordnung.610 Wie sich aus dem authentischen französischen Text ergibt, liegt aber die Annahme nahe, dass der Akt des „Feststellens“ eher deklaratorischer Art sein soll, wodurch also eine Situation nicht autoritativ qualifiziert wird, sondern jedenfalls in seinen äußeren Konturen objektiv bewertbar bleibt und sich der Sicherheitsrat auf das zitierte Urteil des IGH bereits Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 196. 609 Vgl. Art. 111 UN-Charta. Im Rahmen der Auslegung des Begriffs „Feststellen“ wird zudem auf den Bedeutungsumfang des russischen Begriffs zurückgegriffen (s. u.). 610 Krisch, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 39, Rn. 4; Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 80.
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damit die Eingriffsvoraussetzungen nicht gänzlich selbst schaffen kann.611 Der Wortlaut allein gibt allerdings keinen endgültigen Aufschluss über die Weite der Feststellungskompetenz. Dagegen spricht die Systematik des Art. 39 UN-Charta dafür, dass dem Sicherheitsrat nicht die Kompetenz zukommt, nach freiem Belieben jede erdenkliche Situation als Bedrohung des Friedens qualifizieren zu können. Ihm ist schließlich durch Art. 39 UN-Charta die Kompetenz zur Autorisierung restriktiver Maßnahmen bei Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale enumerativ zugewiesen, um die Aufgabe der Friedenswahrung nach Art. 24 UN-Charta zu erfüllen: Es ist gerade nicht vorgesehen, dass der Sicherheitsrat bei Vorliegen der Mehrheitsverhältnisse des Art. 27 Abs. 3 UN-Charta in der Lage sein soll, nach Belieben zu verfahren. Die isolierte Auslegung spricht also dafür, dass sich der Sicherheitsrat bei einer Feststellung nach Art. 39 UN-Charta an Rechtssätze zu halten hat, auf die die allgemeinen Auslegungsmethoden Anwendung finden. (2) Die Friedensbedrohung Ferner soll untersucht werden, ob der internationale Terrorismus, wie er von Al Qaida und ihren Verbündeten verübt wird, vom begrifflichen Bedeutungsumfang einer „Friedensbedrohung“ nach Art. 39 UN-Charta erfasst ist. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen dem geschützten Rechtsgut des „Friedens“ und dem Zustand der „Bedrohung“. (a) Der Begriff des Friedens Nach allgemeinem Sprachgebrauch kann der Begriff „Frieden“ sowohl negativ, als Abwesenheit von gewaltsam ausgetragenen Konflikten, als auch positiv, im Sinne einer „umfassende[n] und dauerhafte[n] Rechtsordnung und Lebensform, bei der Wohl und Wohlstand der Bürger und Bürgerinnen oberste Ziele sind“, beschrieben werden.612 Nach letzterem Verständnis wird der Begriff positiv definiert und umfasst neben der Abwesenheit von Gewalt auch Elemente wie wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit sowie den Schutz von Menschenrechten.613 Zumal Al Qaida und ihre Verbündeten mit einer Vielzahl von Gewaltaktionen das Wohl vieler Menschen beeinträchtigten oder sie sogar töteten, sind ihre Aktivitäten sowohl von einem engen 611 In den authentischen englischen, spanischen und russischen Texten heißt es „determine“, „determinará“ bzw. „_`aVUV\pVc“, was sowohl eine deklaratorische Feststellung wie auch eine autoritative Bestimmung oder Festlegung bezeichnen kann. Der ebenfalls authentische franzo¨sische Text spricht dagegen von „constater“, was sprachlich mit einem deklaratorischen Akt zu verbinden ist und damit eine klarstellende Funktion fu¨r die Deutung der Texte in den o.g. Vertragssprachen haben kann. Ebenso: Schilling, AVR 33 (1995), S. 83. 612 So im Lexikon der Bundeszentrale für politische Bildung (abrufbar unter: http://www. bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=VEPP0M. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 613 Grundlegend zum positiven und zum negativen Friedensbegriff bereits: Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch den Sicherheitsrat, S. 70, 82 ff.; Lailach, Die Wahrung des Weltfriedens, S. 27 ff.
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wie von einem weiten Bedeutungsumfang nach obigem Verständnis gedeckt. Auffallend ist jedoch, dass Art. 39 UN-Charta den Frieden im Tatbestand zunächst alleinstehend nennt („threat to the peace“) und später auf Rechtsfolgenseite mit dem Zusatz „international“ verbindet („decide what measures shall be taken in accordance with Articles 41 and 42, to maintain or restore i n t e r n a t i o n a l peace and security“). Daraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass der Sicherheitsrat jede Bedrohung des Wohls von Menschen auf Ebene des Tatbestandes feststellen kann, aber auf Rechtsfolgenseite nur Maßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstellung des internationalen, d. h. des zwischenstaatlichen Friedens beschließen soll; eine sinnige Systematik ergibt sich für Art. 39 UN-Charta nur dann, wenn sich die Bedrohung und die späteren Schutzmaßnahmen auf ein und dasselbe Rechtsgut beziehen. Danach hat sich auch die Feststellung auf eine Bedrohung des internationalen Friedens zu beziehen und das Ausbleiben dieses Zusatzes im ersten Halbsatz ist einer Ungenauigkeit in der Formulierung zuzurechnen.614 Unter Zugrundelegung der positiven Begriffsbestimmung wäre damit die zwischenstaatliche Rechtsordnung – das Völkerrecht –, indem es dem Wohl der Menschen dient, das geschützte Rechtsgut.615 Legt man hingegen ein engeres Verständnis vom Friedensbegriff zugrunde, dann könnte man darunter auch allein die Abwesenheit von Gewalt zwischen Staaten verstehen.616 Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Feststellung zum Vorgehen gegen Al Qaida könnten dann bei einer genauen Betrachtung der Resolution 2161 (2014) aufkommen. Hatte der Sicherheitsrat in Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) die Anschläge vom 11. September 2001 wie jede Handlung des internationalen Terrorismus zu einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erklärt,617 verwendete er zuletzt in Resolution 2161 (2014) eine noch weitere Formulierung und „erinnerte“ daran, dass der Terrorismus allgemein in all seinen Arten und Erscheinungsformen zu einer der schwersten Bedrohungen für Frieden und Sicherheit zu zählen sei.618 Es ist auffällig, dass der Sicherheitsrat nunmehr jede Form des Terrorismus und nicht mehr bloß den internationalen Terrorismus verurteilt, der den Frieden allgemein und nicht explizit nur den internationalen Frieden bedrohe. Ob dies ein Hinweis darauf sein kann, dass auch terroristische Handlungen ohne jeglichen grenzüberschreitenden Bezug vom Sicherheitsrat als Friedensbedrohung angesehen werden, kann jedoch offen bleiben: Er stellt Al Qaida zwar als eine Erscheinungsform dieses allgemeinen Terrorismus dar, jedoch stützte er seine Maßnahmen dann auf die von Al Qaida ausgehende Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit.619 Dies ließe sich auch 614 I. E. ebenso: Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 167; Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch den Sicherheitsrat, S. 69 f.; Arntz, Der Begriff der Friedensbedrohung, S. 62 f. 615 I. E. ähnlich: Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrats, S. 15. 616 So Arntz, Der Begriff der Friedensbedrohung, S. 64 f. 617 Dritter Absatz der Präambel zu S/RES/1373 (2001); S/RES/1368 (2001), Ziff. 1. 618 Zweiter Absatz der Präambel zu S/RES/2161 (2014). 619 Abs. 22 der Präambel zu S/RES/2161 (2014).
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mit einem negativen Friedensbegriff vereinbaren, zumal die terroristischen Aktivitäten Al Qaidas und ihrer Verbündeten, wie sich zunächst im Fall Afghanistans und nun im Fall des vom IS beherrschten Grenzgebiets zwischen dem Irak und Syrien zeigt, auch zu gewaltsam ausgetragenen Konflikten zwischen Staaten führen können.620 Dass nicht zwingend Al Qaida, sondern auch die bei Ausbruch des zwischenstaatlichen Konflikts ihnen Unterschlupf bietenden Taliban als de facto-Regime Afghanistans als legitimes Zurechnungsobjekt der sich auf das Selbstverteidigungsrecht berufenden intervenierenden Kräfte gedient haben könnten,621 spielt bei der Frage der Betroffenheit des Friedens nach wörtlicher Auslegung keine Rolle. (b) Die Bedrohung Unter einer „Bedrohung“ kann allgemeinsprachlich die ernste Gefahr des künftigen Eintritts eines unerwünschten Ereignisses verstanden werden. Im Falle des Art. 39 UN-Charta besteht dies in einer Störung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit.622 Indem die Feststellung der Bedrohung notwendig eine Einschätzung über künftige Geschehensabläufe umfasst, ist sie wesentlich durch eine Prognose des Sicherheitsrates gekennzeichnet. Nach vordergründiger Betrachtung ließe sich das von Al Qaida und ihren Verbündeten ausgehende Gefährdungspotential problemlos unter diese Formel subsumieren: Wie das Netzwerk in der Vergangenheit unter Beweis gestellt hat, ist es dazu in der Lage mit seinen Anschlägen menschliches Leid erheblichen Ausmaßes und den Ausbruch zwischenstaatlicher Konflikte zumindest mit zu verursachen. Bei Zugrundelegung des negativen Friedensbegriffs ist allerdings zu beachten, dass eine Störung des Friedens nur durch einen mit militärischen Mitteln ausgetragenen Konflikt zwischen Staaten ausgelöst werden könnte,623 mit der Folge, dass der Frieden unmittelbar auch nur von Staaten bedroht werden könnte und nicht von privaten Akteuren. Dies ließe sich jedoch ohne Weiteres auch auf Konflikte von Staaten mit de facto-Regimen ausweiten, für und gegen die ebenfalls das Gewaltverbot gilt.624 Spricht man dem IS diesen Status zu, 620
Ebenso bereits de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 172. Vgl. zu dieser sehr umstrittenen Frage nur: Eckert, Die Rolle nichtstaatlicher Akteure, S. 208 ff.; Deiseroth, BJ 99 (2009), S. 144; Proulx, Berkl.JIL 23 (2005), S. 615 ff., insb. S. 634 ff.; Bruha, AVR 40 (2002), S. 389 f.; Franck, AJIL 95 (2001), S. 840; Santori, The Security Council’s (Broad) Interpretation of the Notion of the Threat to Peace in Counterterrorism, S. 90 ff.. Vgl. auch die Präambel zu S/RES/1267 (1999), in der es der Sicherheitsrat verurteilt, dass die Taliban Osama bin Laden und Al Qaida Zuflucht gewähren. Vgl. ferner die unmittelbar im Anschluss an die Terroranschläge vom 11. September 2001 ergangene Resolution 1368, in deren Präambel der Sicherheitsrat das Selbstverteidigungsrecht hervorhebt, um dann in Ziff. 3 an die Staaten zu appellieren „to work together urgently to bring to justice the perpetrators, organizers and sponsors of these terrorists attacks and stresses that those responsible for aiding, supporting or harbouring the perpetrators, organizers and sponsors of these acts will be held accountable“. 622 Lailach, Die Wahrung des Weltfriedens, S. 186. 623 So etwa Schilling, AVR 33 (1995), S. 89 f. 624 Frowein, in: Wolfrum, MPEPIL, De Facto Regime, Rn. 4 – 7 (Stand: März 2013). 621
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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was zumindest bei länger anhaltender Besetzung des irakisch-syrischen Grenzgebiets zu erfolgen hätte, wäre eine Bedrohung eindeutig gegeben. Aber auch im Fall der Kernorganisation Al Qaidas ließe sich dies unter Zugrundelegung einer Wortlautauslegung begründen, da Art. 39 UN-Charta gerade nicht zwischen mittelbarer und unmittelbarer Bedrohung differenziert.625 Ferner spielt es danach keine Rolle, ob die Gefährdung von einem anerkannten Zurechnungsobjekt des Völkerrechts ausgeht, womit die – oben bereits bejahte626 – Frage nach der Völkerrechtssubjektivität des Netzwerkes für diesen Punkt auch offenbleiben könnte. Eine isolierte Betrachtung des Art. 39 UN-Charta spricht bis hierher nicht gegen eine Kompetenz des Sicherheitsrates zum Vorgehen gegen Anhänger und Verbündete Al Qaidas. Zweifel treten aber wiederum bei einem näheren Blick auf die Systematik der Resolution 2161 (2014) auf. So werden in Resolution 2161 (2014) zunächst der internationale Terrorismus und dann mit ihm Al Qaida – charakterisiert als eine Erscheinungsform dieses Phänomens – per se als Friedensbedrohung gekennzeichnet.627 Dabei könnten nun zwei Auffälligkeiten Anlass dazu geben, die Resolution 2161 (2014) als nicht von Art. 39 UN-Charta gedeckt anzusehen. Zunächst ist die Art der von terroristischen Vereinigungen wie Al Qaida ausgehenden Gefährdung für den Frieden zu untersuchen. Sie entspringt zum einen der Organisationsstruktur des Netzwerkes mit seiner arbeitsteiligen Spezialisierung, in der sich typischerweise eine gruppenspezifische Eigendynamik entwickeln kann (objektive Gefährlichkeit). Zum anderen folgt sie aus den Mitteln der Organisation, die auf die Ausübung von in Art, Ausmaß und Zahl im Einzelnen noch unbestimmten Terrorakten ausgerichtet sind. Sie können zur Destabilisierung ganzer Staatsverbände und letztlich sogar zum Ausbruch eines zwischenstaatlichen Konflikts führen. Es besteht also eine erhöhte allgemeine Gefährlichkeit aus dem Vereinigen zu einer terroristischen Gruppe, das in Anlehnung an die deutsche Strafrechtsterminologie als abstrakter Gefährdungstatbestand bezeichnet werden kann.628 Mit dieser Klassifizierung unterscheidet sich die in der Präambel zu Resolution 2161 (2014) erfolgte Begründung der Friedensbedrohung von denen der Resolutionen 1373 (2001) und 1368 (2001), die ebenfalls den internationalen Terrorismus verurteilten, aber bei Feststellung der Bedrohung noch Bezug auf konkrete terroristische Aktivitäten nahmen.629 Wie aus den durch Resolution 1373 (2001) verordneten Maßnahmen 625
Vgl. auch Gowlland-Debbas, I&CLQ 43 (1994), S. 61; Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 167 f. 626 2. Teil, B., III., 2., b), aa), (4). 627 Vgl. Absätze zwei und 22 der Präambel zu S/RES/2161 (2014). 628 Vgl. zur Organisationsstruktur Al Qaidas und Einordnung nach deutschem Strafrecht als terroristische Vereinigung i.S.d. § 129 a, b StGB als abstraktem Gefährdungsdelikt die Rspr.: BGH NJW 2009, S. 3456 ff.; BGH NStZ-RR 2011, S. 176. Aus der Literatur: Sieber, NStZ 2009, S. 361. 629 So lautet S/RES/1368 (2001), Ziff. 1: „Unequivocally condemns in the strongest terms the horrifying terrorist attacks which took place on 11 September 2001 […] and regards such
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hervorgeht, konnte sich der Sicherheitsrat allerdings auch in diesem Fall nur auf eine abstrakte Gefährdung bezogen haben;630 er zielte mittels an die Staaten gerichteter Verpflichtungen zur Umsetzung restriktiver Maßnahmen gegen von ihnen selbst auszumachender Anhänger des internationalen Terrorismus ebenfalls präventiv auf die Abwehr von im Einzelnen noch unbestimmten Terrorakten.631 Es stellt sich die Frage, ob die Abwehr abstrakt gefährdender Situationen noch von dem Wortlaut des Art. 39 UN-Charta gedeckt ist. Das Tatbestandsmerkmal einer Bedrohung lässt für sich die Subsumtion sowohl konkret wie auch abstrakt gefährdender Situationen zu. Ein Vergleich zu den Merkmalen des Friedensbruchs und der Angriffshandlungen zeigt jedoch, dass sich letztere jeweils auf eine Störung des Friedens im Einzelfall beziehen. Ein systematisches Argument könnte also dahingehend lauten, dass dies auch für eine Bedrohung zu gelten habe.632 Im Ergebnis vertritt diese Ansicht der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für die Wahrung und den Schutz von Menschenrechten und grundlegenden Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus, Martin Scheinin, nach dessen Auffassung der Sicherheitsrat seine Zwangsbefugnisse allein zur Bekämpfung einer spezifischen und konkreten Situation einsetzen solle, die eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstelle.633 Er kommt entsprechend zu dem Ergebnis, dass das Vorliegen einer Bedrohung in diesem Sinne durch Al Qaida und damit die Rechtmäßigkeit der Feststellung des Sicherheitsrats nach Kapitel VII anzuzweifeln sei.634 Zumindest nach einer isolierten Betrachtung des Art. 39 UN-Charta ist diese Auslegung allerdings nicht zwingend, zumal es sich bei den Eingriffstatbeständen jeweils um eigenständige Merkmale handelt, die als solche auch unabhängig voneinander zu bewerten sind.635 Dabei erfordert die Feststellung der Bedrohung zwingend eine prognostische Entscheidung, die jedenfalls zu einem gewissen Maße immer nur abstrakt beschrieben werden kann.636 Im Gegensatz beispielweise zur Befürchtung eines konkreten Anschlags ist das Maß an Abstraktheit im Falle der Gefährdung durch das Vereinigen in einer terroristischen Organisation oder ihrer Unterstützung allerdings ungleich höher, weshalb auch hier eine Differenzierung denkbar wäre. Eine solche lässt sich acts, like any act of international terrorism, as a threat to international peace and security.“ Ebenso im dritten Absatz der Präambel zu S/RES/1373 (2001). 630 Ebenso Santori, The Security Council’s (Broad) Interpretation of the Notion of the Threat to Peace in Counter-terrorism, S. 95 f. 631 Vgl. S/RES/1373 (2001), Ziff. 1 – 3. 632 Ähnlich: Zimmermann/Elberling, VN 3/2004, S. 72. 633 Scheinin, UN Doc. A/65/258, Ziff. 52; Ginsborg/Scheinin, EHRR 8 (2011), S. 8 f. Ähnlich Santori, The Security Council’s (Broad) Interpretation of the Notion of the Threat to Peace in Counter-terrorism, S. 105: „A threat to the peace should correspond to a real, concrete and specific emergency situation that the Council must address as quickly as possible.“ 634 Scheinin, UN Doc. A/65/258, Ziff. 52. 635 Ebenso: Wolfrum, Der Kampf gegen eine Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, S. 874. 636 So auch Wolfrum, Der Kampf gegen eine Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, S. 874.
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Art. 39 UN-Charta bei einer isolierten Auslegung allerdings nicht entnehmen. Es lassen sich damit bis hierher auch abstrakt gefährdende Situationen unter Art. 39 UN-Charta subsumieren, unabhängig davon, inwieweit sich die Gefährdung bereits verdichtet hat. Von der Gefährdung, die abstrakt auf das Schutzgut „Frieden“ ausstrahlt, ist die Gefahrenquelle als Zustand zu unterscheiden. Diesen kann man ebenfalls als ein abstraktes Phänomen beschreiben, z. B. indem er unter Begriffe wie „der internationale Terrorismus“ oder „die Vereinigung in terroristischen Organisationen“ gefasst wird.637 Ob das Vorgehen gegen solche, nach deutschem öffentlichen Recht als abstrakte Gefahren bezeichneten Zustände,638 von Art. 39 UN-Charta umfasst ist,639 muss hier jedoch nicht entschieden werden; in Resolution 2161 (2014) manifestiert sich das Phänomen des internationalen Terrorismus in einem konkreten Einzelfall, nämlich in der Organisationstruktur Al Qaidas, das sich zur Verfolgung seiner Ziele der Ausübung terroristischer Aktivitäten bedient. Dem steht auch nicht der Einwand entgegen, durch die tatbestandliche Offenheit der sanktionsbewährten Unterstützungshandlungen640 könnte die von Al Qaida ausgehende Bedrohung nicht mehr als konkrete, sondern ebenfalls nur als abstrakte Gefahr bezeichnet werden, die sich letztlich mit der allgemeinen Bedrohung durch den internationalen Terrorismus decke:641 Das Netzwerk Al Qaidas stellt sich als eine hinreichend spezifizierbare, nicht rein hypothetische Gefahrenquelle dar, das trotz durch Verfolgungsdruck ausgelöster Anpassungen im Rahmen seiner Steuerungs-, Mobilisierungs- und Koordinationsweisen hierarchisch strukturiert ist, wodurch ihm Attentate als Organisation zugerechnet werden können.642 Die Weite der Kriterien, nach denen Individuen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen in die Liste aufgenommen werden können, wird hier als eine Frage des menschenrechtlich geforderten Bestimmtheitsgrades des „listing“-Tatbestandes behandelt und spielt für die Konkretisierbarkeit der Gefahrenquelle noch keine Rolle. Dagegen kann auch nicht die an 637 Vgl. dazu: Santori, The Security Council’s (Broad) Interpretation of the Notion of the Threat to Peace in Counter-terrorism, S. 96; Aston, ZaöRV 62 (2002), S. 277 ff.; Talmon, AJIL 99 (2005), S. 180. 638 Allgemein dazu: Voßkuhle, JuS 2007, S. 908 f. 639 Dies bejahend: Frenzel, Sekundärrechtsetzungsakte internationaler Organisationen, S. 66 m.w.N. 640 Vgl. zum sog. „associated with“-Test die Ausführungen im 2. Teil, A., II., 2., a), aa). 641 So aber Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 223 f. 642 BGH NJW 2009, S. 3448 f.; BGH NStZ-RR 2011, S. 176. Vgl. aber auch den elften Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2011/245, Ziff. 5 ff., in dem beschrieben wird, wie sich einzelne Regionalorganisationen, wie die Al Qaida im islamischen Maghreb, weitgehend verselbständigt von der alten Führungsgarde Al Qaidas organisieren und Anschläge ausführen. Dabei versuchen sie teilweise rein regionale Interessen durchzusetzen. Gleichwohl bekennen sie sich zu dem Netzwerk, in das sie operationell eingegliedert sind, und von dem sie Unterstützung empfangen. Vgl. zu den Voraussetzungen des Art. 39 UN-Charta an die Friedensbedrohung am Beispiel des Terrorismus auch Santori, The Security Council’s (Broad) Interpretation of the Notion of the Threat to Peace in Counter-terrorism, S. 105.
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den Anfang von Resolution 2161 (2014) gestellte Feststellung angeführt werden, der Terrorismus bedrohe generell den Frieden, da diese rein deklaratorischer Art ist und sich hier in der Organisationsstruktur Al Qaidas hinreichend konkretisiert. Unter isolierter Betrachtung des Art. 39 UN-Charta lässt sich die von Al Qaida und ihren Verbündeten ausgehende Gefahr unter den Begriff der Bedrohung fassen. (3) Zwischenergebnis Die Feststellung des Sicherheitsrates, Al Qaida und ihre Verbündeten stellten eine Bedrohung des Friedens dar, ist nach isolierter Betrachtung des Art. 39 UN-Charta also zulässig. bb) Systematische Auslegung unter Berücksichtigung der Ziele und Zwecke der UN-Charta In einem nächsten Schritt wird untersucht, ob das obige Ergebnis auch einer systematischen Auslegung unter Berücksichtigung der Ziele und Zwecke der UNCharta standhält. (1) Die Feststellung Zunächst wird auf den Einwand des politischen Charakters des Sicherheitsrats eingegangen, der gegen die materielle Justiziabilität seiner Entscheidungen vorgebracht wird. Sollte der Einwand begründet sein, so ließe sich daraus im äußersten Fall ein uneingeschränktes Ermessens des Sicherheitsrats auf Tatbestandsebene ableiten, das im Ergebnis einer Legislativbefugnis gleichkäme. Im Anschluss soll untersucht werden, in welchem Zusammenhang die Befugnisse des Sicherheitsrates nach Kapitel VII zu den übrigen Bestimmungen der UN-Charta stehen und ob eine etwaige Abgrenzung von Aufgabenbereichen zwischen den politischen Organen der Vereinten Nationen Aufschluss über die Weite der Entscheidungshoheit des Sicherheitsrates bei einer Feststellung nach Art. 39 UN-Charta geben kann. Anschließend wird untersucht, inwieweit die Wahrnehmung (quasi-)legislativer Befugnisse durch den Sicherheitsrat mit dem Souveränitätsanspruch der Mitgliedstaaten und einem etwaig bestehenden Individualrecht auf Teilnahme an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten zu vereinbaren ist. Schließlich wird überprüft, wer zur authentischen Auslegung des Begriffs der Friedensbedrohung berufen ist. (a) Die Feststellung nach Art. 39 UN-Charta als Ermessenstatbestand (aa) Der Sicherheitsrat als politisches Organ Für die Annahme eines Ermessens im weiten Sinne könnte die „politische Natur“ des Sicherheitsrates sprechen, sofern sie eine Autorität zur nichtjustiziablen Inhaltsbestimmung der Tatbestandsmerkmale des Art. 39 UN-Charta begründet.
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(a) Die Rechtsprechung Der „politische Charakter“ des Sicherheitsrates wird seit jeher gegen die rechtliche Überprüfbarkeit seiner Entscheidungen angebracht.643 Die Frage wurde auch bereits im Zusammenhang mit mehreren Entscheidungen internationaler Gerichte aufgeworfen.644 Diverse Streitparteien haben ähnliche Einwände gegen die Zulässigkeit von Verfahren vor dem IGH erhoben; dieser solle keine politischen Fragen klären, sondern sich ausschließlich mit ihm unterbreiteten Rechtssachen befassen (vgl. Art. 96 Abs. 1 UN-Charta; Art. 65 Abs. 1 IGH-Statut).645 Im Kern greift die Kritik die Auffassung auf, dass originär politische Entscheidungen einer juristischen Beurteilung schlechterdings verschlossen blieben646 und ist damit, abgesehen von den durch die Parteien in Bezug genommenen Prozessregeln des IGH-Statuts, auch für die hier behandelte Frage der materiellen Justiziabilität von Bedeutung. Die Bedeutung des Distinktionsmerkmals politisch/rechtlich hob der Gerichtshof in diesem Bezugsrahmen bereits hervor. So erklärte er beispielsweise im Certain Expenses-Gutachten im Rahmen der Erörterung der sich nach Art. 65 Abs. 1 IGH-Statut zu bemessenden Zulässigkeit seiner Befassung mit der ihm vorgelegten Anfrage zur Auslegung von Art. 17 Abs. 2 UN-Charta, dass, „[if] a question is not a legal one, the Court has no discretion in the matter; it must decline to give the opinion requested“, um sich nach Abwägung dennoch für zuständig zu
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Kelsen, The Law of the UN, S. 294, unterstreicht seine Ansicht mit der bekannten Formel: „The purpose of the enforcement action under Article 39 is not: to maintain or restore the law, but to maintain, or restore peace, which is not necessarily identical with the law“, die er allgemein mit der „general tendency which prevailed in drafting the Charter; the predominance of the political over the legal approach“, begründet, S. 735. Eine Möglichkeit einer Rechtskontrolle ebenfalls ablehnend: Oosthuizen, LJIL 12 (1999), S. 549 ff.; Gill, NYIL 26 (1995), S. 64: „[T]he Council’s discretionary powers under Article 39 are not bound by legal considerations“. 644 Vgl. zu den zahlreichen Stimmen aus der Literatur nur: Alvarez, AJIL 90 (1996), S. 2.; Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 87 ff.; Herdegen, VJTL 27 (1994), S. 138; Reisman, AJIL 87 (1993), S. 90; Evans, MJIL&T 18 (1994), S. 65; de Wet, NILR 67 (2000), S. 204; dies., The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 43; Reinisch, AJIL 95 (2001), S. 855; Oosthuizen, LJIL 12 (1999), S. 549; Akande, I&CLQ 46 (1997), S. 309; Gill, NYIL 26 (1995), S. 34. 645 So die Vertreter Südafrikas im „Namibia“-Fall, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding SC Res. 276 (1970), Adv. Op., ICJ Rep. 1971, S. 23; der USA im „Nicaragua“-Fall, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua gg. USA), ICJ Rep. 1984, S. 431 f.; die Vertreter der Türkei im „Ägäis“-Fall, Aegean Sea Continental Shelf, ICJ Rep. 1978, S. 13; im Fall der „Israelischen Mauer“, Legal Consequences of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Adv. Op., ICJ Rep. 2004, S. 155; ähnlich die Vertreter des Iran im „Diplomaten“-Fall, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran, ICJ Rep. 1979 S. 19. Vgl. auch Art. 36 Abs. 1, Art. 65 Abs. 1 IGH-Statut, nach denen der IGH zur Erörterung von „Rechtsfragen“ zuständig ist. 646 Ausführlich dazu: Evans, MJIL&T 18 (1994), S. 65 ff.; Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 87 ff.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
erklären.647 Es drängt sich dabei die Frage auf, wie er auch hätte anders entscheiden können, zumal die Interpretation der von ihm zu untersuchenden Rechtssätze der UN-Charta (Art. 38 Abs. 1 lit. a IGH-Statut) regelmäßig auch eine politische Bedeutung hat; „[in] the nature of things it could not be otherwise“.648 Ähnlich zurückweisend reagierte der Gerichtshof im Aegean Sea-Urteil auf den Einwand der politischen Natur zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen.649 Der IGH betonte in seinem Nicaragua-Urteil außerdem, dass die Zuweisung der Hauptverantwortung zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit an den Sicherheitsrat nach Art. 24 Abs. 1 UN-Charta der Wahrnehmung seiner rechtsprechenden Funktion bei friedensrelevanten Fragen nicht entgegenstehe, denn „[the] Charter […] does not confer exclusive responsibility upon the Security Council for the purpose. While in Article 12 there is a provision for a clear demarcation of functions between the General Assembly and the Security Council, […], there is no similar provision anywhere in the Charter with respect to the Security Council and the Court. The Council has functions of a political nature assigned to it, whereas the Court exercises purely judicial functions. Both organs can therefore perform their separate but complementary functions with respect to the same events.“650
Auch, wenn damit die Frage der Folgen miteinander konfligierender Entscheidungen der beiden Organe offen bleibt, lässt sich feststellen, dass „[…] the Court has never shied away from a case brought before it merely because it had political implications […]“.651
647 IGH, Certain expenses of the United Nations, Adv. Op., ICJ Rep. 1962, S. 155 f. Vgl. auch IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa), Sep. Op. De Castro, ICJ. Rep. 1971, S. 170: „Refusal to give an opinion is admissible only if the question addressed to the Court is essentially political or non-legal, for it would seem that the determining factor is the positive one of ,legal-ness‘ and not the negative one of political motivation.“ 648 IGH, Certain expenses of the United Nations, Adv. Op., ICJ Rep. 1962, S. 155. 649 IGH, Agean Sea Continental Shelf Case (Griechenland gg. Türkei), ICJ Rep. 1978, S. 13. 650 IGH, Military and Paramilitary Activities in and Against Nicaragua (Nicaragua gg. USA), ICJ Rep. 1984, S. 434 f. Ähnlich bereits im Certain Expenses-Gutachten zum Verhältnis zur Generalversammlung, ICJ Rep. 1962, S. 163: „The responsibility conferred is ,primary‘, not exclusive.“ 651 IGH, Military and Paramilitary Activities in and Against Nicaragua (Nicaragua gg. USA), ICJ Rep. 1984, S. 435. Bereits in Admission of a State to the UN, Adv. Op., ICJ Rep. 1948, S. 64, betonte der IGH, dass „[t]he political character of an organ cannot release it from the observance of the treaty provisions established by the Charter when they constitute limitations on its powers or criteria for its judgment.“ Weitere Beispiele aus der Jurisdiktion des IGH bieten: West Sahara, Adv. Op., ICJ Rep. 1975, S. 18; Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Adv. Op., ICJ Rep. 1996, S. 234; Legal Consequences of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Adv. Op., ICJ Rep. 2004, S. 155. Vereinzelt gebliebene Gegenmeinungen, wie die Diss. Op. Oda, ICJ Rep. 1986, S. 219 ff., hatten bisher keinen Einfluss auf die Entscheidungen des Gerichts.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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Mit der spezielleren Frage danach, ob auch Maßnahmen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII materiell-rechtlich überprüft werden können, hat sich der IGH bisher bloß indirekt beschäftigen müssen. So kam es im Namibia-Fall, in dem die rechtlichen Konsequenzen eines Verstoßes gegen eine auf Kapitel VII basierenden Resolution des Sicherheitsrats zu untersuchen waren, auf ihre Verbindlichkeit für die Staaten und damit auf ihre Rechtsgültigkeit an.652 In seiner Separate Opinion nahm sich Richter Frederico de Castro den „Questions concerning the Validity of Resolutions“ von Generalversammlung und Sicherheitsrat an und beschäftigte sich mit ihrer Justiziabilität.653 Dabei wog er zwei sich gegenüberstehende Prinzipien miteinander ab. Zum einen gelte es die von der Charta vorgesehene „division of powers“ zu berücksichtigen, welche sich dadurch kennzeichne, dass jedem Organ im Rahmen des jeweiligen Zuständigkeitsbereichs souveräne Kompetenzen eingeräumt seien. Ihnen sei es deshalb möglich, die Normen der Charta verbis et factis zu interpretieren, was die jeweils anderen Organe zu respektieren hätten, sofern damit kein Eingriff in deren Zuständigkeitsbereiche verbunden sei. Demgegenüber stehe das Prinzip der „legal-ness“, wonach ein Organ der Rechtspflege wie der IGH nicht eine offenkundig rechtsungültige Resolution stützen dürfe. Eintreten könne dieser Fall bei einem Verstoß gegen allgemeine Rechtsprinzipien oder die Vorschriften der Charta, etwa wenn die betreffende Resolution nicht die notwendige Stimmenmehrheit erhalten habe oder einen „excès de pouvoir“ manifestiere, so z. B. wenn der von ihr behandelte Gegenstand keinen Bezug zu den Zielen der Vereinten Nationen aufweise.654 Unter dem Strich bestehe also eine Vermutung zugunsten der Gültigkeit von Rechtsakten der anderen UN-Organe, gleichwohl ließen sich die Maßnahmen des Sicherheitsrats auf ihre Rechtsgültigkeit hin überprüfen.655 Der IGH folgte in seiner
652
IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding SC Res. 276 (1970), Adv. Op., ICJ Rep. 1971, S. 16 ff. Die Differenzierung zwischen Rechtsgültigkeit und Rechtswidrigkeit ist dem deutschen Juristen aus dem Verwaltungsrecht bekannt, welches unterschiedliche Rechtfolgen an sie knüpft. Die Frage der Gültigkeit von Rechtsakten betrifft demnach ihre rechtliche Existenz, die vorausgesetzt ist, damit ein solcher Akt überhaupt eine rechtliche Bindungswirkung entfalten kann. Während die Rechtswidrigkeit bei Normen ihre Rechtsungültigkeit oder Nichtigkeit nach sich zieht (Nichtigkeitsdogma als Folge des Rechtsstaatsprinzips), gilt dies bei Verwaltungsakten nur im Falle der Nichterfüllung grundlegender Bestandsvoraussetzungen, d. h. wenn der Rechtsakt überhaupt nicht zustande gekommen ist oder offensichtlich an schweren Rechtsfehlern leidet, vgl. J. Ipsen, Allg. VerwR, S. 161 ff.; Bull/Mehde, Allg. VerwR, S. 317. 653 IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding SC Res. 276 (1970), Sep. Op. De Castro, ICJ Rep. 1971, S. 180 ff. 654 IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding SC Res. 276 (1970), Sep. Op. De Castro, ICJ Rep. 1971, S. 180 mit Verweis auf Certain Expenses, Sep. Op. Morelli, ICJ Rep. 1962, S. 223. 655 IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding SC Res. 276 (1970), Sep. Op. De Castro, ICJ Rep. 1971, S. 181. Ähnlich: IGH, Certain expenses of the United Nations, Adv. Op., ICJ Rep. 1962, S. 168.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Bemessung dieser Abwägung im Wesentlichen und kam nach Prüfung der betreffenden Resolution in seiner Advisory Opinion zu dem Ergebnis, „that the decisions made by the Security Council (…) were adopted in conformity with the purposes and principles of the Charter and in accordance with its Articles 24 and 25. The decisions are consequently binding on all States Members of the United Nations, which are thus under obligation to accept and carry them out.“656
Der IGH unterzog Entscheidungen des Sicherheitsrats also bereits einer materiellrechtlichen Kontrolle, ohne dabei jedoch in die Situation gekommen zu sein, sich offen gegen den Sicherheitsrat stellen zu müssen.657 Dies gilt auch für das ICTY, das die Möglichkeit der Überprüfbarkeit von Sicherheitsratsresolutionen anerkannte und die Rechtsgültigkeit der eigenen Einrichtung bestätigte, die es unterschiedslos – im Gegensatz zur einschränkenden Überprüfung des IGH im Namibia-Fall (s. o.) – von ihrer Rechtmäßigkeit abhängig machte.658 Es nahm eine umfassende materiell-rechtliche Untersuchung am Maßstab der Vorschriften des Kapitel VII der UN-Charta vor, die es einzeln auslegte und dabei die Weite seiner eigenen Prüfungskompetenz absteckte. Dabei hob es hervor, dass dem Sicherheitsrat zwar ein weites „Ermessen“ im Rahmen des Kapitel VII zukomme, dieses jedoch keinesfalls unbegrenzt sei und sich zumindest im Rahmen äußerer Rechtsgrenzen zu bewegen habe:659 „In any case, neither the text nor the spirit of the Charter conceives of the Security Council as legibus solutus (unbound by law)“.660
Im Fall Al Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz hatte sich darüberhinaus eine Kammer des EGMR der Frage gestellt, ob das 1518-Sanktionsregime, welches gezielte Sanktionen gegen Einzelpersonen vorsieht, mit der EMRK zu vereinbaren sei.661 Es befand, dass den Staaten bei der Umsetzung kein Spielraum
656 IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding SC Res. 276 (1970), Adv. Op., ICJ Rep. 1971, S. 53. 657 Reinisch, IOLR 6 (2009), S. 259. 658 Prosecutor gg. Tadic, IT-94-1, Decision on the Defence Motion on Jurisdiction, 10. August 1995, Rn. 4; Prosecutor gg. Tadic, IT-94-1, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Rn. 10, der den Einwand der „political question“ und „non-justiciable disputes“ als Relikte sehr alter Schiedsgerichtsvereinbarungen bezeichnete und zurückwies, Rn. 24. Dieser Einschätzung im Wesentlichen folgend: Prosecutor gg. Kanyabaschi, ICTR-96-15-T, ICTR Trial Chamber Decision on the Defence Motion on Jurisdiction, 18. Juni 1997, Rn. 7 ff. 659 Prosecutor gg. Tadic, IT-94-1, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Rn. 29, 32. 660 Prosecutor gg. Tadic, IT-94-1, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Rn. 28. 661 EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013. Näheres zu diesem Fall im 2. Teil, B., III., 3., c), bb).
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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zustehe,662 und überprüfte schließlich die Regelungen des Regimes – insbesondere solche zum „de listing“-Verfahren – am Maßstab der Konvention.663 Das Gericht stellte einen klaren Verstoß gegen EMRK fest.664 Auch in Reaktion auf die hier in Frage stehenden gezielten Sanktionen gegen Al Qaida und die Taliban wurde bereits die Frage nach der materiellen Justiziabilität von Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrats behandelt, wobei sich diesmal (supra-) nationale Gerichte ihrer annahmen. Das EuG verweigerte im ersten Fall Kadi gg. Rat der EU zunächst die inzidente Rechtmäßigkeitskontrolle der Sicherheitsresolutionen durch Prüfung der sie umsetzenden EU-Verordnung mit Verweis auf die Vorrangregeln des Völkerrechts,665 bejahte dann aber die Bindung des Sicherheitsrats an das Völkerrecht und die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen,666 um die Resolutionen letztlich doch mittelbar rechtlich zu untersuchen, jedoch beschränkt auf den Maßstab des ius cogens, „verstanden als internationaler ordre public“.667 Auch wenn die Richter dabei keine Verletzung der in Frage stehenden Rechte des Betroffenen erkennen konnten, machten sie – trotz systematischer Unklarheiten668 – deutlich, dass sie die Resolutionen sehr wohl für materiell-rechtlich überprüfbar hielten.669 In der nächsten Instanz unterstrich der EuGH dann die Selbständigkeit der EU-Rechtsordnung und erklärte sich kompetent zur Kontrolle der die Resolution umsetzenden Verordnung am Maßstab der Unionsgrundrechte;670 die Resolution des Sicherheitsrats überlasse es schließlich den Mitgliedstaaten, die Maßnahmen nach den Modalitäten der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen umzusetzen.671 Wenn die nahezu inhaltsgleiche Verordnung aber einer materiell-rechtlichen Kontrolle un662
EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013, Rn 117. 663 EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013, Rn 118 – 121. 664 EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013, Rn 118 – 121. 665 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 209 ff. (damals noch EG). 666 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 229 (damals noch EG). 667 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 226 ff. (damals noch EG). 668 de Búrca, HILJ 51 (2010), S. 20 f. Näheres dazu an späterer Stelle. 669 Vgl. dazu auch von Arnauld, AVR 44 (2006), S. 213. 670 EuGH, in den verbundenen Rechtssachen Kadi und Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 278 ff. Dem schloss sich das EuG schließlich an, das sich mit dem Fall Kadi mit Urteil vom 30. September 2010 nochmals zu befassen hatte, Kadi gg. Kommission, T-85/09, Rn. 112 ff. Ähnlich der UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 81 f.: „[…] the regime to which [the appellant] has been subjected has deprived him of access to an effective remedy“. Näheres dazu unten. 671 EuGH, in den verbundenen Rechtssachen Kadi und Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 298.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
terworfen werden kann, dann wird dies unabhängig von prozessualen Fragen der Zuständigkeit auch für die Resolutionen des Sicherheitsrats gelten; mittelbar ist dies über die inzidente Prüfung schließlich schon geschehen. Der kanadische Federal Court in Person des Richters Russel Zinn schreckte dann auch nicht davor zurück, in der Sache Abdelrazik gg. Kanada seine Ansicht über die Vereinbarkeit des Sanktionsregimes mit dem allgemeinen Völkerrecht zu unterstreichen, und es „as a denial of basic legal remedies and as untenable under the principles of international human rights“ zu kennzeichnen.672 Es ist bemerkenswert, dass sich mangels einer effektiven gerichtlichen Kontrolle des Sicherheitsrats auf Ebene der Vereinten Nationen nunmehr die (supra-)nationalen Gerichte dazu aufgerufen fühlen, die Maßnahmen auch am allgemeinen Völkerrecht zu messen, nachdem es seit Jahren äußerst kontrovers diskutiert wird, ob zumindest dem IGH als Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen eine solche Kompetenz zuzusprechen ist.673 Bezeichnenderweise geschah dies in Folge des Eingriffs in eine Regelungsmaterie, die üblicherweise den Staaten zugeordnet wird.674 Es bleibt festzuhalten, dass die Gerichte in aller Regel nicht vor einer – zumindest inzidenten – Rechtskontrolle zurückweichen, obwohl der Sicherheitsrat als ein „politisches Organ“ gilt. (b) Eigene Bewertung Befasst man sich auf einer grundsätzlichen Ebene mit dem Einwand mangelnder Justiziabilität politischer Entscheidungen, so drängt sich zunächst die Frage auf, worin ihre besondere Qualität liegen soll, die einer materiell-rechtlichen Kontrolle entgegenstehen könnte. Zieht man vergleichend die Entscheidungen anderer politischer Organe wie nationaler Parlamente oder Regierungen heran, ist festzustellen, dass auch diese Wertentscheidungen treffen, mitunter Gefahren abschätzen und die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit finden müssen; sie unterliegen dennoch rechtlichen Beschränkungen, und die von ihnen getragenen Entscheidungen können zumindest auf ihre Vereinbarkeit mit äußeren Rechtsgrenzen von nationalen und/ oder von internationalen Gerichten überprüft werden. Ihre Eigenschaft als politische Organe spricht also für sich jedenfalls nicht für einen vollumfänglichen Ausschluss der Justiziabilität ihrer Entscheidungen. Bardo Fassbender stellt in diesem Sinne treffend fest: 672 Canadian Federal Court, Abdelrazik gg. Kanada, 2009 FC 580, vom 4. Juni 2009, 2009 FC 580, Rn. 51. 673 Vgl. nur: de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 25 ff.; dies., NILR 67 (2000), S. 181 ff.; Schweigman, The Authority of the Security Council, S. 205 ff.; Alvarez, AJIL 90 (1996), S. 1 ff.; Akande, I&CLQ 46 (1997), S. 309 ff.; Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 1 ff.; Evans, MJIL&T 18 (1994), S. 21 ff.; zur Rechtskontrolle durch (supra-)nationale Gerichte: Reinisch, IOLR 6 (2009), S. 257 ff. 674 Dazu auch: Reinisch, IOLR 6 (2009), S. 261 ff.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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„The governments of member states are also political organs but no one would deny that they are nevertheless obliged to respect the international human rights commitments accepted by their states. In the same way as governments, the members of the Security Council can seek legal advice.“675
Dies kann allenfalls in Grenzen bei Zuweisung eines gerichtlich nur begrenzt überprüfbaren Ermessens oder Beurteilungsspielraums der Fall sein, was für Art. 39 UN-Charta noch zu prüfen sein wird. Dass sich der Sicherheitsrat von anderen politischen Organen in einer Weise unterscheiden soll, die einer materiellrechtlichen Überprüfung seiner Resolutionen allein wegen seiner Natur grundsätzlich im Wege steht, ist nicht ersichtlich. Dies ergibt sich auch nicht aus dem ihm zugewiesenen Aufgabenbereich. So wird an dem zweifellos justiziablen Gewaltverbot deutlich, dass davon grundsätzlich auch nicht die Vornahme völkerrechtlich relevanter Zwangsmaßnahmen ausgeschlossen ist. Die Argumentationsweise zeigt Verbindungslinien zu der im amerikanischen Staatsrecht geltenden „Political Question Doctrine“, die der Justiziabilität von Entscheidungen der Regierung und des Gesetzgebers in bestimmten Bereichen entgegensteht.676 Teile der Literatur greifen auf sie zurück und versuchen sie auf das System der Vereinten Nationen anzuwenden.677 Die Theorie stellt in erster Linie auf den eine Form der „Separation of Powers“ verbürgenden konstitutionellen Kontext ab, in den die rechtsprechenden Organe eingebettet sind,678 und könnte damit in erster Linie einer Rechtskontrolle durch den IGH entgegengehalten werden. Es ist zu untersuchen, inwieweit sie auch generell gegen eine materielle Justiziabilität vorgebracht werden kann. Es verbietet sich in dieser Hinsicht eine direkte Analogie zu staatlichen Verfassungsstrukturen: Die UN-Charta konstituiert eine Organisationsstruktur sui generis zur gemeinsamen Ausübung von Hoheitsgewalt, bei der die Übertragbarkeit von Staatsrechtstheorien stets Ausgangslagen, Zielrichtungen und zumindest partiell eine rechtliche Verfasstheit erfordert, die vergleichbar sind. Zunächst fällt auf, dass bereits die spezifischen Bedingungen bei den (verfassungsgebenden) Gründungsakten jeweils eine eigene Bewertung erfordern. Auf der einen Seite steht der konstituierende Akt natürlicher Personen, der jedenfalls in der Tradition der Theorie des Gesellschaftsvertrags idealtypisch die Überwindung eines rechtlosen Naturzustandes bewirkt, in dem allenfalls moralische aber keine formaljuristischen Gebote gelten.679 Demgegenüber haben sich zur Gründung der 675 Fassbender, The Role for Human Rights in the Decision-making Process of the Security Council, S. 92. 676 Dazu grundlegend: US Supreme Court, Marbury gg. Madison, U.S. 5 (1803), S. 137 ff.; US Supreme Court, Baker gg. Carr, U.S. 369 (1962), S. 186 ff. 677 Evans, MJIL&T 18, S. 68 ff.; de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 43 ff. 678 US Supreme Court, Baker gg. Carr, U.S. 369 (1962), S. 210. 679 Grundlegend dazu: Hobbes, Vom Menschen Vom Bürger, S. 75 ff. England mit seinem über Jahrhunderte fortlaufend entwickelten Verfassungsrecht kann indes als geschichtliches
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Vereinten Nationen staatliche Rechtsverbände zusammengeschlossen, die bereits bestimmten Völkerrechtspflichten unterworfen waren, um effizient gemeinsame Ziele nach Grundsätzen zu verfolgen, welche größtenteils aus dem bestehenden Rechtssystem inkorporiert wurden. Dabei übertrugen die Mitgliedstaaten dem Sicherheitsrat nicht die Befugnis außerhalb des Rechts (legibus solutus) zu agieren, sondern delegierten vermittels eines völkerrechtlichen Vertrages als Rechtsakt bestimmte Rechte und Pflichten auf ihn.680 Es erscheint auch fraglich zu sein, ob einem Organ überhaupt Befugnisse übertragen werden können, die den Delegierenden selbst nicht zustehen.681 So ist der Aufgabenbereich der Friedenswahrung in das normative System der Vereinten Nationen eingebettet, das fundamentale Normen der Staatengemeinschaft benennt, für deren Wahrung sie Organe einsetzt und ihnen entsprechende Aufgaben und spezifische Kompetenzen zuordnet.682 Die fundamentalen Normen der Staatengemeinschaft, die sich in den Zielen und Grundsätzen der Charta wiederspiegeln, bilden die Geschäftsgrundlage, nach der sich ihre Mitglieder der Autorität des Sicherheitsrats untergeordnet haben. Eine Überschreitung dieser rechtlichen Markierungspunkte würde die mit Verabschiedung der UN-Charta verfolgte Zielrichtung konterkarieren: So würden die Vereinten Nationen, die sich auch die Förderung der Achtung der Menschenrechte zur Aufgabe genommen haben (Art. 1 Ziff. 3, Art. 55 lit. c UN-Charta), ihr Ziel offensichtlich verfehlen, wenn sie Mechanismen institutionalisierten, die dauerhaft gegen selbige verstießen. Eine neokonstruktivistische Sichtweise, die davon ausgeht, dass die Mitglieder der Staatengemeinschaft mit dem Sicherheitsrat ein Organ eingesetzt hätten, dessen Handlungen an keinerlei rechtlichen Maßstäben zu messen wären, ist deshalb abzulehnen.683 Im demokratischen Verfassungsstaat ist die Anwendung der „Political Question Doctrine“ mitunter dann begründet, wenn es sich um Wertefragen handelt, die raGegenbeispiel zu einem „constitutional big bang“ als Folge revolutionärer Umstürze dienen, vgl. dazu: Peters, LJIL 19 (2006), S. 584 f. 680 Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrats, S. 9. Ebenso: ICTY, Prosecutor gg. Tadic, IT-94-1, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Rn. 28. Ähnlich auch Fassbender, CJTL 36 (1998), S. 696, der dabei wiederum auf eine verfassungsrechtliche Begründungsweise zurückgreift. 681 Verneinend: Reinisch, AJIL 95 (2001), S. 858: „Nemo plus iuris transfere potest quam ipse habet“. 682 von Arnauld, EuR 2/2013, S. 237; de Wet, NILR 67 (2000), S. 190 ff.; ICTY, Prosecutor gg. Tadic, IT-94-1, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Rn. 28. Das Kapitel VII bestimmt schließlich nicht, dass der Sicherheitsrat bei Vorliegen der Mehrheitsverhältnisse des Art. 27 Abs. 3 UN-Charta nach Belieben verfahren kann, sondern es bestimmt vielmehr, nach welchem Verfahren vorzugehen ist, um die Aufgabe der Friedenswahrung nach Art. 24 UN-Charta zu erfüllen. Näheres zur Aufgabenverteilung im Anschluss. 683 Sicherlich hat der Abschluss der UN-Charta das allgemeine Völkerrecht in Teilen verändert und weiterentwickelt, was im Einzelnen zu untersuchen sein wird. Er hat es allerdings nicht obsolet gemacht und die Staaten konnten mit Gründung der Vereinten Nationen die Bindung an das allgemeine Völkerrecht auch nicht umgehen.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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tione materiae vom Parlament als Zentrum kollektiver Willensbildung zu entscheiden sind. Ebenso verhält es sich in Hinsicht auf Beurteilungsspielräume und Ermessenstatbeständen auf Seiten der Exekutive, wenn etwa ein besonderer Sachverstand einer Behörde gefragt ist.684 Die dabei getroffenen Entscheidungen öffnen sich einer juristischen Bewertung in der Regel nur bedingt. Gleichwohl ist das den „politischen Organen“ verfassungsrechtlich eingeräumte Ermessen nicht uneingeschränkt, sondern gilt im Rahmen äußerer Rechtsgrenzen (Rechtsstaatsprinzip; Rule of Law).685 Betrachtet man die Situation auf Ebene der Vereinten Nationen, zeigt sich, dass das „Ob“ einer Feststellung in das Ermessen des Sicherheitsrates gestellt ist, wenn eine Situation nach Art. 39 UN-Charta besteht. Daraufhin kann er bestimmen, wie nach den Art. 41 ff. UN-Charta zu verfahren ist. Dem Sicherheitsrat kommt dagegen gerade nicht aus der Natur der Sache die Aufgabe zu, über gemeinsame Wertefragen allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen, über die er eine juristisch nicht zu ersetzende Deutungshoheit genießen würde, wie es etwa bei der autoritativen Inhaltsbestimmungen von Rechtssätzen der Fall wäre.686 Eine Entscheidungsprärogative ist ihm allenfalls bei der Sachverhaltsbeurteilung, der Folgeabschätzung und der Auswahl zulässiger Maßnahmen zuzuweisen. Sie müssen dabei aber auf eine anerkannte Situation nach Art. 39 UN-Charta gerichtet sein. Diese Differenzierung muss als Ausgangspunkt zur Beurteilung der Resolutionen des Sicherheitsrates dienen. Letztlich könnte angeführt werden, dass das System kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen gerade darauf angewiesen ist, dass es von den mächtigsten Kräften getragen wird. Das erfordert, dass der Sicherheitsrat auch Maßnahmen gegen von diesen Mächten als Bedrohung wahrgenommene Umstände ergreifen kann, damit sie nicht aus dem System ausschären und stattdessen unilateral tätig werden, worunter wiederum die Autorität der Vereinten Nationen leiden könnte. Es würde dann tatsächlich um schlichte Machtinteressen gehen, die aufeinander zugeführt erst die Funktionalität des Systems sicherstellen, mit der Folge, dass auch die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 39 UN-Charta nicht von rechtlichen Faktoren abhängig gemacht werden könnte. Dem kann allerdings entgegengehalten werden, dass das System kollektiver Sicherheit daneben auch von der Unterstützung der übrigen Mitgliedstaaten abhängig ist, was sich insbesondere in der Notwendigkeit der Befolgung der vom Sicherheitsrat angeordneten Maßnahmen deutlich macht. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist dafür ein gutes Beispiel: Die Effektivität des Reise-, Finanz- und Waffenembargos gegen die Mitglieder Al Qaidas und ihre Verbündeten hängt entscheidend davon ab, dass alle Mitgliedstaaten sie umsetzen. Spiegelt eine vom Sicherheitsrat vorgenommene Rechtsfortbildung nicht den übereinstimmenden Willen der Staatengemeinschaft wider, dann kann der Sicherheitsrat einen Legitimitätsverlust erleiden, der die Staaten zur Weigerung der 684 Ausführlich zum Anwendungsbereich der Doktrin im US-Recht: US Supreme Court, Baker gg. Carr, U.S. 369 (1962), S. 211 ff. Vgl. dazu auch Krieger, DVBl. 23 (2009), S. 1469 f. 685 Ebenso: US Supreme Court, Baker gg. Carr, U.S. 369 (1962), S. 230 ff. 686 Näheres dazu im Anschluss. Anders offenbar Herdegen, VJTL 27 (1994), S. 153 f.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Durchführung seiner Beschlüsse motivieren könnte. Unter diesem Aspekt erscheint es naheliegend, dass der Sicherheitsrat in seiner Entscheidungskompetenz insoweit eingeschränkt ist, als dass eine Friedensbedrohung jedenfalls nur dann vorliegen kann, wenn eine Störung eines Rechtsguts zu befürchten ist, das von der Staatengemeinschaft als Ganzer als essentiell für das friedliche Zusammenleben der Völker angesehen wird. (c) Zwischenergebnis Weder die Rechtsprechung noch die UN-Charta stützen die Annahme, dass aus dem politischen Charakter des Sicherheitsrats eine absolute materielle Injustiziabilität seiner Entscheidungen abzuleiten wäre. Der Untersuchung ist zu entnehmen, dass dem Sicherheitsrat eine Kompetenz zum Eingreifen allein in den Grenzen dessen zugewiesen wurde, wie sie dem Rechtsakt der Übertragung von Hoheitsgewalt zu entnehmen ist;687 im Falle einer Feststellung nach Art. 39 UN-Charta also nur bei Vorliegen der klar bezeichneten Eingriffstatbestände, die im Wege der juristischen Auslegungsmethode inhaltlich zu bestimmen sind. Hinsichtlich einer allgemeinverbindlichen Entscheidung über Wertefragen in Form (quasi-)legislativen Tätigwerdens steht ihm nicht kraft Natur der Sache ein eigenes Hoheitsrecht zu. Die Untersuchung spricht also gegen die Annahme eines Ermessens bei einer Feststellung nach Art. 39 UN-Charta. Eine Ausnahme gilt allein für das „Ob“ einer Feststellung des Sicherheitsrats bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des Art. 39 UN-Charta. Es wurde bewusst der rechtlich nicht zu ersetzenden Entscheidung der Sicherheitsratsmitglieder überlassen, ob sie in diesem Fall ein Eingreifen auch mit ihren Partikularinteressen vereinbaren können. Insofern genießt der Sicherheitsrat ein Ermessen. (bb) Die Aufgabenverteilung zwischen Sicherheitsrat und Generalversammlung Der UN-Charta wird mitunter Verfassungscharakter zugesprochen,688 den Bardo Fassbender grundsätzlich auf die von ihr eingerichtete „spezifische Form der Ver687
IGH, Admission of a State tot he United Nations (Charter, Art.4), Adv. Op., ICJ Rep. 1948, S. 64. Ebenso: Herdegen, VJTL 27 (1994), S. 154 ff. Vgl. auch über die Lehre von der Rechtssouveränität, nach der jede natürliche oder Rechtsperson „nur insofern Rechte und Befugnisse, nur insofern Autorität [hat], als es aus einer positiven Rechtsordnung hervorgeht“, Krabbe, Die Lehre der Rechtssouveränität, S. 5. 688 Vgl. nur: Vallat, BYIL 29 (1952), S. 66; de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 94 ff.; Fassbender, CJTL 36 (1998), S. 568 ff.; ders., Grund und Grenzen der konstitutionellen Idee im Völkerrecht, S. 73 ff.; ders., The UN-Charter as Constitution, S. 1; Petculescu, NILR 52 (2005), S. 171 f. Für Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 59, § 75; Verdross, Die Quellen des universellen Völkerrechts, S. 20 ist eine materielle völkerrechtliche Verfassung in Gestalt eines Normenkanons durch einen ursprünglichen „formlosen Konsens“ entstanden. Nachdem mittlerweile fast alle Staaten den Vereinten Nationen beigetreten sind, habe die UN-Charta, die das Verfassungsrecht nahezu vollständig kodifiziert habe, formellen Verfassungsrang erlangt. Fassbender: CJTL 36 (1998), S. 541 ff, 568 ff.; Fassben-
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rechtlichung öffentlichen Handelns“ als ein allgemeines verfassungsrechtliches Wesensmerkmal zurückführt.689 Daraus könnten sich konkrete Vorgaben für die Ausübung der den UN-Organen zugesprochenen Kompetenzen ergeben.690 Während er vor nunmehr über zehn Jahren eine „terminological confusion“ in der Verwendung des Verfassungsbegriffs im Völkerrecht feststellen musste,691 haben sich mittlerweile zahlreiche Stimmen in der Literatur einem weiten Verständnis desselben angeschlossen. Zumeist werden zur Begründung einer entsprechenden Einordnung der UN-Charta hervorgehoben, dass ihr eine vorrangige Geltung (Art. 103 UN-Charta) zukommt, wodurch sich die Staaten obersten gemeinsamen Werten untergeordnet haben692 und, um diese durchzusetzen, eine institutionalisierte Struktur geschaffen wurde,693 in der ständige Organe zur Erfüllung bestimmter Aufgaben nach vorgeschriebenen Regeln eingesetzt sind. Ohne sich in einer ähnlichen Form begrifflich festlegen zu wollen, wird anerkannt, dass die UN-Charta eine besondere Stellung unter den internationalen Verträgen einnimmt,694 was im Rahmen der Auslegung an gegebener Stelle besonders zu berücksichtigen sein wird. Um ihr Kompetenzgefüge näher zu erörtern, wird einleitend die Funktion des Sicherheitsrats in Beziehung zu den anderen Organen der Vereinten Nationen695 und ihren Aufgabenbereichen gesetzt. Im Fokus steht dabei das Verhältnis des Sicherheitsrats zur Generalversammlung. Das Verhältnis zum Internationalen Gerichtshof folgt an späterer Stelle, wenn es um die Beurteilung des bereits eingerichteten Individualrechtschutzsystems im Rahmen des Al Qaida-Sanktionsregimes geht.
der, Grund und Grenzen der konstitutionellen Idee im Völkerrecht, S. 76 ff. Peters, LJIL 19 (2006), S. 586 f., 598 und Tomuschat, AVR 33 (1995), S. 7, sehen die Verfassung der „internationalen Gemeinschaft“ nicht als vollständig durch die Charta kodifiziert an. Vgl. auch Halberstam/Stein, CML Rev. 46 (2009), S. 24 ff., die eine „constitutional absorption“ prophezeien, d. h., dass sich im Falle der Wahrnehmung traditionell staatlicher Aufgaben durch die Vereinten Nationen durch die Integration mitgliedstaatlicher Verfassungsprinzipien eine VNspezifische Verfassungsstruktur entwickeln werde. Am Verfassungsrang zweifelnd: Herdegen, VJTL 27 (1994), S. 150 ff. 689 Fassbender, Grund und Grenzen der konstitutionellen Idee im Völkerrecht, S. 88. 690 Vgl. auch de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 94 ff. 691 Fassbender, CJTL 36 (1998), S. 552. 692 Fassbender, CJTL 36 (1998), S. 577; ders., The UN-Charter as Constitution, S. 103 f.; de Wet, NILR 67 (2000), S. 193; dies., The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 99; Dupuy, MPYUNL 1 (1997), S. 12; Macdonald, Aust.YIL 20 (1999), S. 213. 693 Fassbender, CJTL 36 (1998), S. 574; ders., The UN-Charter as Constitution, S. 94 f.; de Wet, NILR 67 (2000), S. 190, 194 ff.; dies., The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 94, 109 ff.; Schweigman, The Authority of the Security Council, S. 14; Dupuy, MPYUNL 1 (1997), S. 19; Macdonald, Aust.YIL 20 (1999), S. 209. 694 Grundsätzlich dazu: Fassbender, CJTL 36 (1998), S. 593 ff.; de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 92 ff. 695 s. dazu Art. 7 UN-Charta.
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(a) Das System kollektiver Sicherheit und die Stellung des Sicherheitsrats Das Friedenssicherungssystem der Vereinten Nationen fußt im Wesentlichen auf zwei Säulen: zum einen auf dem an die Mitgliedstaaten gerichteten Verbot der Erstanwendung von Gewalt (Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta) und zum anderen auf der einem innerhalb oder außerhalb des Systems auftretenden Aggressor gegenübergestellten „kollektiven Macht der rechtstreuen Mitglieder“.696 Insoweit spiegelt die UN-Charta die Grundkonzeption kollektiver Sicherheitssysteme wider, die den „klassischen“ zwischenstaatlichen Konflikt ins Zentrum stellt.697 Zum obersten Ziel der Staatengemeinschaft wurde die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erhoben,698 wodurch die Unterzeichnerstaaten zugleich den Kern ihres partiellen Wertekonsenses kennzeichneten und dessen absoluten Geltungsanspruch unterstrichen. Die Hauptverantwortung zur Friedenswahrung wurde auf die Organisation übertragen und damit vergemeinschaftet.699 Idealtypisch soll in Systemen kollektiver Sicherheit auf jedes friedensgefährdende bzw. -brechende (staatliche)700 Vorgehen automatisiert eine konzertierte Maßnahme der übrigen Mitglieder folgen.701 Dabei hängt die Effektivität des Systems mitentscheidend von einer entsprechenden institutionellen Verbürgung ab, zumal den Mitgliedstaaten die Gewissheit gegeben werden muss, dass ihre Sicherheit im Falle rechtstreuen – insbesondere das Gewaltverbot achtenden – Verhaltens und der Verfolgung der gemeinsamen sicherheitsrelevanten Ziele – wie etwa der Abrüstung – gewährleistet ist.702 Die Völkerbundsatzung als Vorgängervereinbarung der UN-Charta703 überließ die Feststellung sanktionsbewehrten Verhaltens und damit die Auslegung des unbestimmten Friedensbegriffs im Wesentlichen den Einzelstaaten, die zum sofortigen Einschreiten angehalten waren. Ihr gemeinsames Handeln sollten sie anschließend im Rat des Völkerbundes im Konsens ausrichten.704 Ein automatisiertes Einschreiten 696 Hobe, Völkerrecht, S. 269. Vgl. ferner Heintschel, in: Ipsen, Völkerrecht, S. 1102; Koskenniemi, MJIL 17 (1995 – 1996), S. 456 f.; Weiler, in: Encyclopedia of the UN, S. 76. 697 Fassbender, UN-Reform und kollektive Sicherheit, S. 16. 698 Dies geht nicht zuletzt aus der systematischen Stellung der Zielsetzung in Art. 1 Ziff. 1 UN-Charta hervor, Doehring, Völkerrecht, S. 201. 699 Brownlie, Principles of Public Int. Law, S. 706. 700 Die Vereinten Nationen sollten der Konzeption nach nur gegen Staaten vorgehen können, Doehring, Völkerrecht, S. 202. 701 Koskenniemi, MJIL 17 (1995 – 1996), S. 456 f.; Betts, Int’l Sec. 17:1 (1992), S. 16; Mearsheimer, Int’l Sec. 19:3 (1994 – 1995), S. 29 ff. 702 Mearsheimer, Int’l Sec. 19:3 (1994 – 1995), S. 30; grundsätzlicher: Koskenniemi, EJIL 6 (1995), S. 329. 703 Auch wenn die Völkerbundsatzung und die UN-Charta in dem Zeitraum vom 24. Oktober 1945 bis zum 18. April 1946 formell gleichzeitig in Kraft waren, übernahmen die Vereinten Nationen die Rolle des Völkerbundes als Organisation mit universellem Geltungsanspruch zur Wahrung des Friedens. 704 Zum Einstimmigkeitserfordernis: Art. 5 Abs. 1 der Völkerbundsatzung. Art. 16 Abs. 1 wies die Bundesmitglieder dazu an, unverzüglich auf eigene Initiative hin jeden Aggressor mit Sanktionen zu belegen. Im Anschluss hatte der Rat Empfehlungen zum weiteren Vorgehen
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der Staatengemeinschaft konnte auf diese Weise nicht gewährleistet werden, da es zu stark davon abhing, dass es die militärisch mächtigsten Akteure mit ihren Partikularinteressen vereinbaren konnten, zunächst eigeninitiativ tätig zu werden.705 Das gegenseitige Vertrauen in ein rechtskonformes Verhalten, das eigentlich mithilfe des Völkerbundes hätte gewährleistet werden sollen, war mangels eines institutionalisierten Diskurses über das Vorliegen der die Zwangsmaßnahmen rechtfertigenden Voraussetzungen, das auf ein objektives Ergebnis hätte zuführen können, also bereits eine Bedingung seines Gelingens.706 Nachdem der Völkerbund den Zweiten Weltkrieg nicht hatte verhindern können, entschloss man sich dazu, im neu geschaffenen Gefüge der Vereinten Nationen ein mit eigenen zwangsbewehrten Kompetenzen ausgestattetes Organ, den Sicherheitsrat, einzusetzen, um den Einzelstaaten die Entscheidungsbefugnis über den Einsatz von Gewalt weitgehend zu entziehen.707 Die Unterzeichnerstaaten übertrugen dem Sicherheitsrat die „Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“, „(u)m ein schnelles und wirksames Handeln der Vereinten Nationen zu gewährleisten“ (Art. 24 Abs. 1 UN-Charta), wofür auf Seiten der Mitgliedstaaten ein nicht unerheblicher Souveränitätsverlust in Kauf genommen wurde.708 In Kapitel VII sind dem Sicherheitsrat die weitreichendsten Kompetenzen zur Wahrnehmung seiner Verantwortung eingeräumt worden, die im äußersten Fall die Autorisierung militärischer Gewalt einschließen können (Art. 42 UN-Charta). Die vom Sicherheitsrat autorisierten kollektiven Zwangsmaßnahmen und das (eingeschränkte)709 Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta bilden damit die einzigen Ausnahmen zu dem ansonsten umfassenden Gewaltverbot.710 Darin verdeutlicht sich die Motivation der
abzugeben, Art. 16 Abs. 2. Bindende Entscheidungen konnte der Rat in diesem Rahmen nicht treffen. 705 Vallat, BYIL 29 (1952), S. 64 f. Ein Beispiel bietet der italienische Angriff auf Äthiopien (damaliges Kaiserreich Abessinien) von 1935 bis 1936, auf den zunächst zwar Sanktionen und eine Verurteilung Italiens durch den Völkerbund folgten, diese sich jedoch als wirkungslos herausstellten. Im Sinne eines stabilden europäischen Kontinents verzichteten die damals einflussreichsten Mächte des Völkerbundes, das Vereinigte Königreich und Frankreich, auf weitere Sanktionen, und die Eroberung und Annexion Äthiopiens wurde bereits kurz nach Kriegsende anerkannt. Vgl. dazu: Mattioli, VfZ 3/2003, S. 333 ff. 706 Für Mearsheimer, Int’l Sec. 19:3 (1994 – 1995), S. 30 ff. ist dies schlechterdings charakteristisch für kollektive Sicherheitssysteme. 707 Zur historischen Entwicklung vgl. Vallat, BYIL 29 (1952), S. 65. 708 Vgl. dazu: Mearsheimer, Int’l Sec. 19:3 (1994 – 1995), S. 32. Dies stellt im Völkerrecht einen präzedenzlosen Vorgang dar, Kirsch, in: Simma et al., UN-Charter, Vor Art. 39, Rn. 5. 709 Eine Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht ist nur möglich, bis der Sicherheitsrat seinerseits die zur Wahrung des Weltfriedens erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, Art. 51 S. 1 2. HS UN-Charta. 710 Zur normativen Infragestellung des Gewaltverbots durch den Versuch der Ausweitung des Selbstverteidigungsrechts und das Institut der unilateralen humanitären Intervention vgl. Fassbender, UN Reform und kollektive Sicherheit, S. 15 f., 20; ders., EuGRZ 31 (2004), S. 241 ff.
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Urheberinnen und Urheber der Charta zur Minimierung einzelstaatlicher Gewalt711 und zugleich das mit der Konzentration der Entscheidungsbefugnisse konstituierte Gewaltmonopol des Sicherheitsrats.712 Bekanntlich setzt sich der Sicherheitsrat aus fünf ständigen und zehn in Zweijahreszyklen neu zu wählenden, nichtständigen Mitgliedern zusammen (Art. 23 Abs. 1 und 2 UN-Charta).713 Die Privilegierung durch ständige Mitgliedschaften folgt den tatsächlichen Machtverhältnissen nach dem Zweiten Weltkrieg, weshalb der Sicherheitsrat nicht als ein für die Weltgemeinschaft repräsentatives Organ gelten kann. Das Ungleichgewicht wird durch das Wahlverfahren des Rats zusätzlich vertieft. So bedürfen Beschlüsse, die nicht allein Verfahrensfragen betreffen, einer Mehrheit im Rat, die die Unterstützung aller fünf ständigen Mitglieder erfährt (Art. 27 Abs. 2 und 3 UN-Charta).714 Damit wurde einem als Vorbedingung für ein funktionierendes System kollektiver Sicherheit erkannten Erfordernis Rechnung getragen: der Konfrontation eines potentiellen Aggressors mit der von den stärksten Kräften getragenen überwältigenden Macht der übrigen Mitgliedstaaten.715 Seine Zusammensetzung und das Wahlverfahren wären hingegen nicht zu rechtfertigen gewesen, wenn ihm neben seinen „exekutiven“ Kompetenzen auch die normative Aufgabe zur autoritativen Entscheidung über gemeinsame Wertefragen zugeschrieben worden wäre;716 dem Sicherheitsrat kommt also in erster Linie die Aufgabe zur Anwendung abstrakter Normen auf einzelne Situationen zu.717 Aufgrund der Erfahrungen der Weltkriege sah man es indes als unausweichlich an, dass ein mit der nötigen Machtfülle ausgestattetes Organ effektiv und in seinem Handlungsspielraum möglichst unbeschränkt für die Friedenswahrung würde eintreten können.718 Zumal die Charta keinem anderen Organ ausdrücklich ein Kontroll- oder Mitspracherecht hinsichtlich der Autorisierung von Maßnahmen nach Kapitel VII zuweist, ist es auch der Sicherheitsrat selbst, der im Einzelfall die eigene Kompetenzfülle in diesem 711
Delbrück, in: Bernhardt, EPIL I, S. 648 f. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 307. 713 Ständige Mitglieder sind die USA, die Russländische Föderation als Rechtsnachfolgerin der Sozialistischen Sowjetunion, die VR China, Frankreich und das Vereinigte Königreich Großbritannien (Art. 23 Abs. 1 UN-Charta). 714 Sog. „Vetorecht“ bei substanziellen Entscheidungen. In der Praxis wird eine Entscheidung zu der Frage, ob es sich bei einer Sache um eine bloße Verfahrensfrage handelt, als substanziell angesehen und erfordert damit die Zustimmung aller ständigen Mitglieder (sog. „doppeltes Vetorecht“), Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 131. 715 Delbrück, in: Bernhardt, EPIL I, S. 652; Gill, NYIL 26 (1995), S. 128; Vallat, BYIL 29 (1952), S. 65. Ebenso der Vertreter der Sowjetunion, Andrei Andrejewitsch Gromyko, auf der Abschlusssitzung der Konferenz in San Francisco, UNCIO I, S. 664 f., Doc. 1209 P/19. 716 Koskenniemi, EJIL 6 (1995), S. 344. Vgl. auch Payandeh, Internationales Gemeinschaftsrecht, S. 323 f. 717 Zimmermann/Elberling, VN 2004 3/2004, S. 72. 718 Dies kennzeichnete Wilhelm Munthe Morgenstierne, der Präsident der Kommission III auf der Gründungskonferenz in San Francisco, als gemeinsame Überzeugung der Staaten, UNCIO XI, S. 13, Doc. 943 III/5. 712
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Rahmen bestimmt.719 Dem Sicherheitsrat kommt damit die uneingeschränkte Autorität720 über „exekutive“ friedenswahrende Zwangsmaßnahmen zu (sog. „hard power“).721 Die Notwendigkeit einer politischen Übereinkunft durch die Sicherheitsratsmitglieder und der Mangel an Einklagbarkeit zur Wahrnehmung seiner Hauptverantwortung zur Friedenswahrung zeigt jedoch, dass auch im Rahmen des Friedenssicherungssystems der UN-Charta keine echte Rechtspflicht zum Handeln etabliert werden sollte,722 die u. U. ein automatisiertes Tätigwerden hätte gewährleisten können. (b) Das System kollektiver Sicherheit und die Stellung der Generalversammlung Der Autorität des Sicherheitsrats zur Durchsetzung des Friedensgebots steht konzeptionell die weitreichende Kompetenz der Generalversammlung zur Erörterung aller in den Rahmen der Charta fallenden Fragen und Angelegenheiten gegenüber, zu denen sie Empfehlungen an die Mitgliedstaaten und den Sicherheitsrat richten kann (Art. 10 UN-Charta). Dies erfasst u. a. die Themenbereiche Wirtschaft, Soziales und Menschenrechte, zu deren Befassung ihr der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) zur Seite gestellt wurde (Art. 13 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 i.V.m. Kapiteln IX und X UN-Charta), aber auch die „allgemeinen Grundsätze der Zusammenarbeit zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ (Art. 11 UN-Charta). Nach Art. 13 Abs. 1 lit. a UN-Charta kann sie darüber hinaus Empfehlungen abgeben, „um die fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts […] zu begünstigen“. Damit ist der Generalversammlung die Kompetenz zugewiesen, zumindest unverbindliche abstrakt-generelle Beschlüsse zur Friedenssicherung zu erlassen, die auf eine Rechtsfortbildung abzielen. Dies korrespondiert mit ihrer Repräsentativfunktion und ihrem deliberativen Beschlussverfahren. In der Generalversammlung sind alle Mitgliedstaaten mit gleichem Rede- und Wahlrecht vertreten (Art. 9 Abs. 1, 18 Abs. 1 UN-Charta, Rule 68 S. 2 Rules of Procedure of the General Assembly). Sie eignet sich damit strukturell am ehesten dazu, einen gemeinsamen Wertekanon der Staatengemeinschaft zu reflektieren und zu generieren
719 Dazu: Herdegen, VJTL 27 (1994), S. 152 ff. Dies ist kennzeichnend für alle Organe der Vereinten Nationen, Koskenniemi, EJIL 6 (1995), S. 344 f.; Vallat, BYIL 29 (1952), S. 67; Bianchi, EJIL 17 (2006), S. 910; Fassbender, CJTL 36 (1998), S. 598; de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 102. 720 Dies wurde durch den IGH für bindende Entscheidungen zur Vornahme von Zwangsmaßnahmen bestätigt, ders., Certain expenses of the United Nations, Adv. Op., ICJ Rep. 1962,S. 163. Zu den Kompetenzen der Generalversammlung im Rahmen der Friedenswahrung vgl. die anschließenden Ausführungen. 721 Wilhelm Munthe Morgenstierne beschrieb den Sicherheitsrat auch als exekutives Organ der Vereinten Nationen, UNCIO XI, S. 13, Doc. 943 III/5. Stassen verglich die Funktion des Sicherheitsrats mit der eines „policeman“, UNCIO VI, S. 29, Doc. 1006 I/6. Ebenso: Koskenniemi, EJIL 6 (1995), S. 344; Happold, LJIL 16 (2003), S. 600. 722 Gill, NYIL 26 (1995), S. 40 f.; Krisch, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 39, Rn. 5.
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und so das Zentrum ihrer politischen Willensbildung zu bilden.723 Die grundsätzlich öffentlich abzuhaltenden Sitzungen724 sorgen für die durch einen allgemeinen Rechtfertigungsdruck bedingte Rückbindung ihrer Entscheidungen zur Weltöffentlichkeit.725 Dass den von der Generalversammlung in der Regel mit der Mehrheit der Stimmen zu beschließenden Resolutionen (Art. 18 Abs. 2 und 3 UN-Charta)726 keine (formal-)bindende Wirkung eingeräumt wurde,727 macht jedoch deutlich, dass sie nicht die Rolle eines Weltparlaments einnehmen sollte.728 Dies wäre auch schwer damit zu vereinbaren, dass die Delegierten den Weisungen ihrer jeweiligen Regierung unterstehen und nicht als unabhängige Vertreter einer „Weltbürgerschaft“ fungieren. Der Generalversammlung wird deshalb auch nur eine allenfalls eingeschränkte rechtliche Funktion zugesprochen; sie nehme nach der UN-Charta eher eine politische Rolle als kritisches „Gewissen der Menschheit“ ein.729 Der durch einstimmig erlassene Resolutionen repräsentierte gemeinsame Wille der Staatengemeinschaft kann allerdings über andere Völkerrechtsquellen – wie dem Völkergewohnheitsrecht – mittelbar zu Rechtskraft erstarken und zudem als Ausdruck der Auslegung der UN-Charta durch die Vertragsparteien dienen.730 In diesem Sinne stellte die Generalversammlung in Resolution 3232 (XXIX) vom 12. November 1974 fest,
723 Vgl. die Berichterstattung von den Verhandlungen der Kommission II auf der Gründungskonferenz durch Ricardo Alfaro, der den amerikanischen Vertreter Senator Arthur H. Vandenberg mit den Worten zitiert: „The General Assembly (…) will be (…) the ‘town meeting of the world’“, UNICIO I, S. 621, Doc. 1210 P/20. Damit wird die Generalversammlung konzeptionell in eine Linie mit den innerstaatlichen Zentren demokratischer Willensbildung gestellt. Andere beschreiben sie als das „Zentralorgan“ (Klein/Schmahl, in: Simma et al., UNCharter, Art. 10, Rn. 1), „Repräsentativorgan“ (ICTY, Prosecutor gg. Dusko Tadic, IT-94-1, Decision of the Appeals Chamber on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Rn. 44) oder „Haupt-Deliberativorgan“ (a more secure world: our shared responsibility – Report of the High-level Panel on Threats, Challenges and Change, UN Doc. A/59/565, Ziff. 242) der Vereinten Nationen. 724 Rule 60 Rules of Procedure of the General Assembly. 725 UNICIO I, S. 621, Doc. 1210 P/20. 726 Unter anderem bedürfen „Empfehlungen hinsichtlich der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ einer Zweidrittelmehrheit, Art. 18 Abs. 2 UN-Charta. 727 Sie kann lediglich „Empfehlungen“ an die Mitgliedstaaten oder den Sicherheitsrat richten (Art. 10 2. HS UN-Charta). Diese binden die Mitgliedstaaten jedenfalls nicht unmittelbar, Klein/Schmahl, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 10, Rn. 47. 728 Die Frage, ob die Generalversammlung mit der Kompetenz ausgestattet werden soll, Gesetze zu erlassen, die nach einer Bestätigung durch den Sicherheitsrat bindende Wirkung entfalten sollten, wurde mit einer Mehrheit von 26 zu einer Stimme abgelehnt, UNICIO IX, S. 70, Doc. 507 II/2/22. Sepúlveda, GYIL 33 (1990), S. 432 ff. räumt ihr dennoch eine „quasilegislative“ Funktion ein. 729 Kelsen, The Law of the UN, S. 199 f. 730 Die Frage nach der rechtlichen Bedeutung der Auslegung der UN-Charta durch die Mitgliedstaaten wird an späterer Stelle noch ausführlich behandelt, vgl. 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (b).
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„that the development of international law may be reflected, inter alia, by declarations and resolutions of the General Assembly which may to that extend be taken into consideration by the International Court of Justice“.731
(c) Die Aufgabenverteilung und die Regelung von Kollisionen Die Grundkonzeption der UN-Charta spricht für eine klare Aufgabenzuteilung für die Behandlung abstrakter Sachverhalte. Zu ihrer Befassung ist der Generalversammlung ausdrücklich die Befugnis zugeordnet, wozu sie in allen Bereichen – u. a. zu Fragen der Friedenssicherung – generelle Beschlüsse unverbindlicher Art erlassen kann, die auch auf eine Rechtsfortbildung gerichtet sein können. Der Sicherheitsrat ist dagegen vornehmlich auf die effektive Durchsetzung des Friedenszieles, d. h. auf die Rechtsanwendung beschränkt.732 Diese Abgrenzung scheint mit der vom IGH grundsätzlich akzeptierten733 Selbstauslegung der Grenzen eigener Befugnisse durch die UN-Organe in Konflikt geraten zu können.734 Werden Situationen von den Sicherheitsratsmitgliedern als bedrohlich für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit angesehen, die sich wie die Bedrohung durch den internationalen nichtstaatlichen Terrorismus von der traditionellen Vorstellung internationaler Konfliktlagen unterscheiden, überschreitet er mit der Neudefinition des Friedensbegriffs die Rolle eines reinen „Ausführungsorgans“ und trifft Wertentscheidungen.735 Wie Martii Koskenniemi herausstellt, liegt ein entscheidender Punkt der Problematik darin, dass man Begriffe wie Sicherheit und Ordnung gerade nicht unabhängig von
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Abs. 8 der Präambel. Näheres dazu unten. Vallat, BYIL 29 (1952), S. 64, 78; Koskenniemi, EJIL 6 (1995), S. 337; Bianchi, EJIL 17 (2006), S. 910; de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 110 ff.; Zimmermann/Elberling, VN 2004 3/2004, S. 71 f.; Happold, LJIL 16 (2003), S. 600 f.; Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 195 ff.; Payandeh, Internationales Gemeinschaftsrecht, S. 319 ff.; ICTY, Prosecutor gg. Dusko Tadic, IT-94-1, Decision of the Appeals Chamber on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Rn. 28. Die Aufgabenverteilung hebt auch der Berichterstatter der Kommission III/3, Herr Joseph Paul-Boncour, hervor, UNICIO XI, S. 14 f., Doc. 943 III/5. Eine Ausnahme bildet Art. 26 UN-Charta, nach dem dem Sicherheitsrat die Aufgabe übertragen wurde, „Pläne auszuarbeiten, die den Mitgliedstaaten zwecks Errichtung eines Systems der Rüstungsregelung vorzulegen sind.“ Dabei kann es sich um Vorlagen handeln, die auf eine abstrakt-generelle Geltung abzielen. Sie sind aber letztlich noch von den Mitgliedstaaten zu ratifizieren. 733 Schon in seinem Gutachten zur Competence of Assembly regarding admission to the United Nations berücksichtigte der IGH bei Auslegung der durch Art. 4 UN-Charta zugeteilten Zuständigkeiten die Interpretation durch die Organe selbst, ICJ Rep. 1950, S. 9. Daran anschließend: IGH, Certain expenses of the United Nations, Adv. Op., ICJ Rep. 1962, S. 157. 734 Zu den rechtlichen Grenzen dieser limitierten „Kompetenz-Kompetenzen“ (Herdegen, VJTL 27 (1994), S. 154) im Anschluss. 735 Metaphorisch beschreibt Koskenniemi, EJIL 6 (1995), S. 348 die Auswirkungen einer materiellen Inhaltsbestimmung des Friedensbegriffs durch den Sicherheitsrat so: „The police are ransacking the temple, searching for criminals and those it calls terrorists.“ Vgl. auch: Ebd., S. 344 f. Vgl. in Bezug auf frühere Entwicklungen der Sicherheitsratspraxis: Bruha/Krajewski, VN 1/1998, S. 13. 732
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normativen Gerechtigkeitsfragen behandeln kann.736 Die Entscheidung zur Wahrung dieser Institutionen sowie die Inhaltsbestimmung ihrer Begriffe sind vielmehr selbst normative Akte; „[they create] an axiological system with a normative premise“.737 Es erscheint deshalb eine konzeptionelle Diskontinuität darin zu bestehen, dass es die UN-Charta nach vordergründiger Betrachtung allein in das Ermessen des Sicherheitsrats zu stellen scheint, was unter den normativen Begriffen des Friedens und der internationalen Sicherheit i.S.d. Art. 39 UN-Charta zu verstehen ist. Die Annahme einer besonders weitreichenden Auslegungshoheit des Sicherheitsrats wird von Stellungnahmen einiger Staatenvertreter während der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen in San Francisco unterstützt. Sie sind als subsidiäre Mittel der Auslegung zu berücksichtigen, wenn sich aus den primären Auslegungsmethoden kein eindeutiger Schluss ableiten lässt (Art. 32 lit. a UN-Charta). Die Gründungsdokumente weisen darauf hin, dass man zur Lösung des Konflikts zwischen effektivem Handeln einerseits und dem Bedürfnis nach souveränitätswahrender Mitbestimmung der übrigen Mitglieder bei der materiellen Inhaltsbestimmung des Friedensbegriffs andererseits – soweit dieser in seinen Ausmaßen überhaupt erkannt wurde – auf eine weitreichende Entscheidungshoheit des Sicherheitsrats setzte, damit dieser zumindest vorläufig738 für klare Verhältnisse sorgen kann. So wurden Vorschläge, denen zufolge die Generalversammlung Mitspracherechte bei dem Erlass von Maßnahmen nach Kapitel VII erhalten sollte, mit großer Mehrheit abgelehnt.739 Es wurde befürchtet, dass etwa bei einem Ratifikationserfordernis durch die Generalversammlung ein schnelles und effektives Einschreiten nicht hätte gewährleistet werden können.740 Auch wurde hervorgehoben, dass die Belange der Generalversammlung, repräsentiert durch die von ihr gewählten nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, schließlich schon Eingang in den Entscheidungsprozess finden würden.741 Ob die Befugnisse aber tatsächlich so weitreichend sind, dass sie den Erlass (quasi-)legislativer Beschlüsse umfassen, erfordert eine nähere Betrachtung der Systematik der Aufgabenverteilung und der Kollisionsregeln.742 Dem Sicherheitsrat kommt ein Primat zur Wahrung oder Wiederherstellung des Friedens im Einzelfall zu. Nimmt er in einer Streitigkeit oder Situation seine diesbezüglichen Aufgaben wahr, so darf die Generalversammlung vorbehaltlich eines Ersuchens des Sicher736
Koskenniemi, EJIL 6 (1995), S. 328 ff. Koskenniemi, EJIL 6 (1995), S. 329. 738 Vgl. dazu: Krisch, in: Simma et al., UN-Charter, Vor Art. 39, Rn. 18. 739 UNCIO XII, S. 325 ff., Doc. 355 III/3/15. Ein Überblick über einige Änderungsvorschläge findet sich in UNCIO XI, S. 766 ff., Doc. 360 III/1/16. 740 Vgl. die Aussagen des Berichterstatters der Kommission III/3, Joseph Paul-Boncour, UNCIO XI, S. 14, Doc. 943 III/5. 741 Dies sei laut Joseph Paul-Boncour die Meinung der meisten Staatenvertreter gewesen, die sich zu der Angelegenheit geäußert haben, UNCIO XI, S. 14, Doc. 943 III/5. 742 Vgl. zu dem Folgenden ausführlich Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 195 ff. 737
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heitsrats keine Empfehlungen zu dem konkreten Fall abgeben (Art. 12 UN-Charta).743 Die Möglichkeit von Kompetenzkonflikten wurde also für die Behandlung konkreter Situationen nach Art. 39 UN-Charta erkannt und geregelt.744 Eine Regelung für Fälle der Kollision bei legislativen Maßnahmen, seien sie verbindlicher oder unverbindlicher Natur, gibt es hingegen nicht. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass der Sicherheitsrat nach Kapitel VII uneingeschränkt zum Erlass abstrakt-genereller Maßnahmen befugt sein soll, selbst wenn die Generalversammlung ihre Kompetenzen in dem gleichen Regelungsbereich bereits wahrnimmt. Es könnte aber auch darauf hindeuten, dass dem Sicherheitsrat nach Kapitel VII der UN-Charta schlicht keine Kompetenz zum Erlass (quasi-)legislativer Beschlüsse zukommt, weshalb die Einführung einer Kollisionsregel entbehrlich war. Die mit der Abgrenzung von Aufgaben- und Kompetenzbereichen in der UN-Charta im Allgemeinen verfolgte Intention spricht für letztere Annahme.745 So soll Art. 12 UN-Charta verhindern, dass die Generalversammlung zu Fragen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit Empfehlungen in konkreten Situationen beschließt, die den Entscheidungen des Sicherheitsrates entgegenstehen.746 Bestärkt durch die Repräsentativfunktion der Generalversammlung könnten sich einzelne Staaten in der Folge dazu veranlasst sehen, sich entgegen Art. 25 UN-Charta bindenden Beschlüssen des Sicherheitsrates zu widersetzen. Auch das Fehlen von Kollisionsregeln an anderer Stelle ist zu erklären. Im Bereich der Rüstungsregelung kommen sowohl der Generalversammlung (Art. 11 Abs. 1 UN-Charta) als auch dem Sicherheitsrat (Art. 26 UN-Charta) Aufgaben zu. Art. 26 UN-Charta sieht vor, dass der Sicherheitsrat den Mitgliedern der Vereinten Nationen Pläne zwecks Errichtung eines Systems der Rüstungsregelung vorlegen soll. Dabei handelt es sich um nicht bindende Vorlagen, die von den Staaten in der Folge noch zu ratifizieren wären, womit der Sicherheitsrat in diesem Fall auf eine Kooperation mit den Mitgliedern der 743
Die Generalversammlung interpretiert die Einschränkung des Art. 12 UN-Charta aber ausgesprochen restriktiv und sieht sich auch kompetent dazu, den Mitgliedstaaten die Vornahme von Kollektivmaßnahmen zu empfehlen, „if the Security Council, because of a lack of unanimity of the permanent members, fails to exercise its primary responsibility for the maintenance of international peace and security in any case where there appears to be a threat to the peace, breach of the peace, or act of aggression“ (A/RES/377 (V), Ziff. 1 vom 3. November 1950 („Uniting for Peace“-Resolution)), vgl. dazu IGH, Certain Expenses of the United Nations, Adv. Op., ICJ Rep. 1962, S. 162 ff.; ders., Legal Consequences of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Adv. Op., ICJ Rep. 2004, S. 148 ff. Kritisch zu den einzelnen Aspekten der „Uniting for Peace“-Resolution: Klein/Schmahl, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 12, Rn. 12 – 16; Ipsen, in: ders., Völkerrecht, S. 248. Vgl. auch Binder, in: Wolfrum, MPEPIL, Uniting for Peace Resolution (1950), Rn. 25 m.w.N. (Stand: Juni 2013). In seinem Bericht zur Umsetzung der „responsibility to protect“ hat der UN-Generalsekretär die Generalversammlung unter den Voraussetzungen der „Uniting for Peace“-Resolution bereits dazu ermutigt, den Mitgliedstaaten die Umsetzung von vornehmlich individualgerichteten Sanktionen zu empfehlen, UN Doc. A/63/677, Ziff. 57 vom 12. Januar 2009. 744 Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 199. 745 Vgl. Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 201. 746 Klein/Schmahl, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 12, Rn. 1.
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Vereinten Nationen angewiesen wäre.747 Deshalb ist auch nachvollziehbar, warum eine Einschränkung der Kompetenzen der Generalversammlung in diesem Bereich nicht vorgesehen ist: Eine Autorität des Sicherheitsrats zur Durchsetzung von Maßnahmen gegen den Willen von Staaten, die durch entgegenstehende Entscheidungen der Generalversammlung hätte untergraben werden können, besteht im Bereich von Rüstungsangelegenheiten gerade nicht.748 Vielmehr kann eine von der Generalversammlung repräsentierte Mehrheitsmeinung der Staatengemeinschaft dem Sicherheitsrat sogar dazu dienen, die Erfolgsaussichten der Umsetzung eines von ihm beabsichtigten Vorschlags zur Rüstungsregelung zu eruieren. Die parallelen Zuständigkeiten können hier also als ein Komplementärverhältnis verstanden werden, weshalb auf eine Kollisionsregel nach dem Vorbild des Art. 12 Abs. 1 UN-Charta verzichtet werden konnte. Bei einem Erlass abstrakt-genereller Beschlüsse nach Kapitel VII ist das anders. Auf eine Rechtsentwicklung zielende Empfehlungen der Generalversammlung könnten in diesem Bereich durchaus im Gegensatz zu bindenden legislativen Resolutionen des Sicherheitsrats stehen, mit der Folge einer drohenden Untergrabung seiner Autorität. Ein solcher Fall bestünde etwa beim Al Qaida-Sanktionsregime, wenn die Generalversammlung in einer seiner Resolutionen eine Terrorismusdefiniton lieferte, die nicht mit der Praxis des Sicherheitsrats zu vereinbaren wäre. Dies lässt den Schluss zu, dass der Sicherheitsrat im Bereich der Rechtsentwicklung schlicht keine Kompetenzen haben sollte,749 so dass auch eine parallele Befassung mit gleichen Zusammenhängen nach dieser Konzeption nicht drohen konnte.750 Das Bedürfnis einer Kollisionsregel im Bereich der Rechtsentwicklung zum Schutze der Autorität des Sicherheitsrates wäre andernfalls notwendig gewesen. Dieses Ergebnis drückt sich auch in der Systematik der Art. 10 und 11 UN-Charta aus.751 Die allgemeine Regelung des Art. 10 UN-Charta und die spezifische Regelung des Art. 11 Abs. 2 UN-Charta weisen der Generalversammlung die Befugnis zu, eigeninitiativ bzw. auf Anfrage hin zu allen konkreten sowie abstrakten Sachverhalten Empfehlungen abzugeben, die in den Bereich der Friedenssicherung fallen. Einem drohenden Konflikt zu Resolutionen des Sicherheitsrats in konkreten Situationen wurde mit ausdrücklichen Verweisen auf Art. 12 UN-Charta in Art. 10, 2. HS und Art. 11 Satz 1, 2. HS UN-Charta begegnet. Art. 11 Abs. 1 UN-Charta, der der Generalversammlung die Kompetenz zum Erlass von Empfehlungen zu den „allgemeinen Grundsätzen der Zusammenarbeit zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ zuweist, steht hingegen unter keinem Vorbehalt. Zumal die spezifischen Kompetenzen in Art. 11 Abs. 1 UN-Charta von den allgemeinen Kompetenzen des Art. 10 UN-Charta bereits 747
Vgl. dazu Talmon, AJIL 99 (2005), S. 183. Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 199. 749 Harper, NYUJInt.L&Pol. 27 (1994), S. 153 f. und Zimmermann/Elberling, VN 3/2004, S. 72 kommen aus einem Umkehrschluss zu Art. 13 Abs. 1 lit. a UN-Charta zu demselben Ergebnis. 750 Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 201. 751 Vgl. Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 200 f. 748
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umfasst sind,752 sollte die Möglichkeit zum Erlass von Empfehlungen zu allgemeinen Grundsätzen der Friedenssicherung mit der separaten Regelung des Art. 11 Abs. 1 UN-Charta offenbar bewusst den Einschränkungen des Art. 12 UN-Charta entzogen werden. Dies weist ebenfalls darauf hin, dass mit einem direkten Konflikt in diesem Bereich nicht gerechnet wurde, da der Sicherheitsrat auf die Rechtsanwendung beschränkt bleiben sollte.753 Befasst sich der Sicherheitsrat etwa mit der von Al Qaida ausgehenden Friedensbedrohung, steht es der Generalversammlung gleichwohl offen, parallel allgemeine Prinzipien zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu formulieren. Die Aufgabenverteilung spricht also gegen eine allgemeine Legislativbefugnis des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta. Manche Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass sich aus dem Kompetenzgefüge der UN-Charta bloß eine sachliche Einschränkung beim Erlass abstrakt-genereller Normen für den Sicherheitsrat ergebe: Diese müssten sich lediglich auf eine Friedensbedrohung beziehen.754 Dabei läuft man allerdings Gefahr zu übersehen, dass es in diesem Rahmen, wie dargelegt, bedeutend auf die Weite der Befugnis zur Feststellung einer Situation nach Art. 39 UN-Charta ankommt. Wäre dem Sicherheitsrat bei einer Feststellung nach Art. 39 UN-Charta freies Ermessen zuzuschreiben, dann wäre er gerade dazu befähigt, jedes denkbare abstrakte Phänomen als Friedensbedrohung zu qualifizieren,755 womit die sachliche Eingrenzung wieder obsolet würde.756 Es widerspräche jedoch der Konzeption der Vereinten Nationen, wenn der Sicherheitsrat mangels rechtlicher Schranken bei der Feststellung nach Art. 39 UN-Charta faktisch als Weltgesetzgeber fungieren könnte; die Vereinten Nationen wären dann der „Superstaat“, der sie niemals werden sollten.757 (d) Zwischenergebnis Eine Untersuchung am Maßstab der Aufgabenabgrenzung der UN-Charta kommt zu dem Ergebnis, dass dem Sicherheitsrat kein Ermessen bei der Feststellung nach Art. 39 UN-Charta zukommt, da es im Ergebnis einer sachlich ungebundenen Legislativkompetenz gleichkommen würde. 752
Vgl. Klein/Schmahl, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 10, Rn. 9. Vgl. auch Klein/Schmahl, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 11, Rn. 3; Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 201. 754 Wagner, ZaöRV 2003, S. 913, der von einer „Notfallgesetzgebung“ spricht; Talmon, AJIL 99 (2005), S. 182 f. Ebenso Frenzen, Sekundärrechtsetzungsakte internationaler Organisationen, S. 70 m.w.N., der dabei allerdings einen negativen Friedensbegriff zugrunde legt. 755 An S/RES/2177 (2014), in der der Sicherheitsrat die Ebola-Epidemie in Afrika zu einer Bedrohung des Friedens erklärte (Abs. 5 der Präambel), zeigt sich nochmals, dass er sich von einem eingrenzbaren, negativen Friedensbegriff bereits weit entfernt hat. 756 Wagner, ZaöRV 2003, S. 911 ff. stellt bei der Auslegung der Kompenznormen zumindest auch auf den sich in der Praxis ausdrückenden Willen der Mitgliedstaaten ab. 757 de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 142. Vgl. auch Happold, LJIL 16 (2003), S. 601 gegen die Befugnis der Generalversammlung zum Erlass bindender abstrakt-genereller Gesetze. 753
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(cc) (Quasi-)legislative Resolutionen des Sicherheitsrats und der Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Mitgliedstaaten (Erste Dimension) Eine Begrenzung der Feststellungshoheit im Rahmen des Art. 39 UN-Charta könnte sich zudem aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta) ergeben, an die der Sicherheitsrat bei Wahrnehmung seiner Kompetenzen nach Kapitel VII gebunden ist (Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta). Souveränität bedeutet Selbstbestimmung über die Ausgestaltung des eigenen Rechtssystems (innere Souveränität) in Unabhängigkeit von anderen Akteuren (äußere Souveränität).758 Das Prinzip erfährt durch die Übertragung der Kompetenz zum Erlass bindender Entscheidungen auf den Sicherheitsrat und die Privilegierung der ständigen Mitglieder bereits eine – selbstauferlegte – Relativierung. Durch die zunehmende Verrechtlichung der internationalen Beziehungen steht die staatliche Souveränität zudem in einem veränderten Kontext als noch bei Gründung der Vereinten Nationen. Man kann sagen, dass die Souveränität als Gestaltungsmacht insoweit besteht, wie sie vom Völkerrecht eingeräumt ist.759 Zum einen sind den Staaten durch das Völkerrecht Pflichten auferlegt, die sie in ihrer Handlungsfreiheit einschränken. Zum anderen sichert es mit der Inkorporation ihrer Rechte gerade erst ihre Gestaltungsmöglichkeiten. Das heißt nicht, dass die Staaten bloß über abgeleitete Rechte verfügen. Mit Hinweis auf den die Handlungsmacht einschränkenden Kontext des zunehmend ausdifferenzierten Völkerrechts und der Formulierung in Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta, der nicht von Souveränität, sondern nur von „souveräner Gleichheit“ spricht, verstanden als Gleichheit der Staaten unter der Autorität des Völkerrechts, wird diese Meinung aber von Teilen der Wissenschaft vertreten.760 Auf der souveränen Gleichheit gründend, ist es – zumindest idealtypisch – aber gerade der gemeinsame Wille der Staatengemeinschaft, dem die Gestaltungsmacht über die Weiterentwicklung des Völkerrechts zukommt;761 der originäre Anspruch auf Selbstregulierung ist dem staatlichen Souveränitätsrecht damit prinzipiell inhärent.762 Reinhard Merkel schreibt in diesem Sinne: „Die internationale Ordnung konstituiert sich nicht durch eine prinzipiell 758
Vgl. zum historischen und philosophischen Hintergrund des Souveränitätsrechts: Fassbender, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 3. Vgl. auch Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 8, 26. 759 Bruha/Krajewski, VN 1/1998, S. 15 und bereits zuvor Kelsen, YLJ 53 (1944), S. 208. 760 Kelsen, YLJ 53 (1944), S. 208; Fassbender, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 49. Kritisch zu dieser monistisch-subordinativ geprägten Auslegung von Art. 2 Ziffer 1 UN-Charta: Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 45 – 48. Vgl. aber auch BVerfGE 123, 267, 346, im „Lissabon-Urteil“ zum Souveränitätsverständnis des Grundgesetzes: „Das Grundgesetz löst sich von einer selbstgenügsamen und selbstherrlichen Vorstellung souveräner Staatlichkeit und kehrt zu einer Sicht auf die Einzelstaatsgewalt zurück, die Souveränität als ,völkerrechtlich geordnete und gebundene Freiheit‘ auffasst.“ Nur durch selbstbindendes Zusammenwirken sei ein gestaltender Einfluss in der zunehmend vernetzten Gesellschaft zu gewinnen. 761 Harper, NYUJInt.L&Pol. 27 (1994), S. 151. 762 Vgl. dazu Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 67, 278.
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überlegene Macht, sondern allein durch das Verhalten der individuellen Rechtssubjekte selber, sei es über Verträge, sei es über die als regelhaft akzeptierte Praxis der Staaten untereinander“, um bildhaft abzuschließen: „eine Symphonie von Normen, gespielt von einem Orchester ohne Dirigenten.“763 Dies lässt sich an Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut festmachen, der die vom IGH anzuwendenden Rechtssätze bestimmt. Zu ergänzen wäre noch die Rechtsquelle der allgemeinen Rechtsgrundsätze, deren Entwicklung ebenso auf den Willen der Staaten zurückgeht.764 Die Resolutionen des Sicherheitsrates sind dagegen (folgerichtig) nicht als Rechtsquelle aufgeführt. Gestaltet der Sicherheitsrat aber wie im Rahmen des Al Qaida-Sanktionsregimes einseitig und zeitlich unbeschränkt das Verhältnis der Mitgliedstaaten zu der ihnen zugeordneten Bevölkerung, wird in die innere Souveränität der Staaten eingegriffen; der Sicherheitsrat nimmt supranationale Kompetenzen in Anspruch. Durch die Erweiterung des Verbots friedensbedrohenden Verhaltens auf Individuen wird zudem der staatliche Anspruch im Rahmen der Völkerrechtsgenese berührt.765 Für eine weite Kompetenz des Sicherheitsrats könnte sprechen, dass sich die Mitgliedstaaten mit Unterzeichnung der UN-Charta seiner Autorität untergeordnet haben (Art. 25 UN-Charta). Wird der Sicherheitsrat nach Kapitel VII der UN-Charta tätig, erlässt er auch zwangsläufig Normen, die als „sekundäres Vertragsrecht“ grundsätzlich vom Konsens der Unterzeichnerstaaten mitgetragen werden.766 Das sagt aber noch nichts darüber aus, inwieweit er zur Inhaltsbestimmungen des Tatbestandes des Art. 39 UN-Charta berufen ist, auf die die Maßnahmen nach Kapitel VII sachlich rekurrieren. Ebensowenig ist damit die Frage beantwortet, wie weitgehend die Befugnis zur Rechtssetzung auf Rechtsfolgenebene ausgestaltet sein soll. Die Kompetenz zum Erlass von Einzelfallnormen bei zu befürchtenden oder bereits ausgebrochenen Gewaltkonflikten zwischen Staaten ist zweifelsfrei von den Mitgliedstaaten auf den Sicherheitsrat übertragen worden. Ob aber darüber hinaus der weitaus größere Souveränitätseingriff durch Erlass zeitlich unbeschränkter, individualgerichteter Normen ermöglicht werden sollte, ist fraglich. Art. 25 UN-Charta, in dem es heißt „Die Mitglieder der Vereinten Nationen kommen überein, die Beschlüsse des Sicherheitsrats […] anzunehmen und durchzuführen“, kann auch so verstanden werden, dass sich die Legitimität der bindenden Wirkung von Beschlüssen des Sicherheitsrates erst daraus begründet, dass sie auf den freien Willen der Mitgliedstaaten zurückgeführt werden können. Auch Befürworter einer Legislativkompetenz des Sicherheitsrates begrenzen diese deshalb insoweit, als dass sie sachlich beschränkt sein müsse und nur für und gegen Mitgliedstaaten gelten
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Merkel, ZIS 10/2011, S. 775. Art. 38 Abs. 1 lit. c). Die in lit. d) genannten richterlichen Entscheidungen und Lehrmeinungen der fähigsten Völkerrechtler stellen dagegen sogenannte Rechterkenntnisquellen dar, die als Hilfsquelle bei der inhaltlichen Erkenntnis von Normen dienen. 765 Vgl. dazu kritisch: Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 277. 766 Ähnlich: Fassbender, CJTL 36 (1998), S. 574; Talmon, AJIL 99 (2005), S. 179 und ihm folgend Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 232. 764
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könne.767 Dies setzt aber voraus, dass Konsens darüber besteht, auf welche Grundsätze die Maßnahmen sachlich rekurrieren, in diesem Fall also einen Konsens über den Begriff der Friedensbedrohung. Auch Art. 31 UN-Charta zeigt, dass das Bedürfnis gesehen wurde, dass Normen, die vom Sicherheitsrat erlassen werden, auf den Willen der betroffenen Staaten zurückgehen. Danach kann der Sicherheitsrat solche UN-Mitgliedstaaten, die nicht in ihm vertreten sind, zur Teilnehme an seinen Debatten einladen, wenn er ihre Interessen als besonders betroffen ansieht. Gestaltet der Sicherheitsrat nun aber die Rechtsordnung mit Auswirkungen für und gegen alle Staat neu, so ist im Gegensatz zu den üblichen Maßnahmen der punktuellen Krisenintervention jeder Staat in seinen Rechten betroffen. Sowohl die Entwicklung des Völkerrechts als auch die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse zu der eigenen Bevölkerung gehören zu den Kardinalrechten der Staaten. Wäre es dem Sicherheitsrat möglich, sachlich unbegrenzt legislativ tätig zu werden, dann wäre der Grundsatz der Souveränität mit Unterzeichnung der UNCharta weitgehend aufgehoben und nicht bloß eingeschränkt worden.768 Jede Ausübung von Hoheitsgewalt auf überstaatlicher Ebene muss also im Einzelfall auf den Willen der Mitgliedstaaten zurückzubeziehen sein;769 sie bleiben dauerhaft die „Herren der Verträge“, wie es das BVerfG für das Verhältnis der Mitgliedstaaten zur Europäischen Union herausgestellt hat.770 Dies ist gerade für besonders intensive Eingriffe in die Regelungshoheit der Staaten zu fordern, wie bei einem supranationalen Durchgriff auf die Rechtsstellung des Einzelnen.771 Eine überstaatliche Institution kann immer nur über eine abgeleitete und damit sachlich begrenzte Autonomie verfügen.772 Dies steht der Begründung einer Kompetenz-Kompetenz entgegen,773 d. h. die Vereinten Nationen können für sich selbst keine neuen Zu767
So Talmon, AJIL 99 (2005), S. 179, 182 f. I. E. ebenso: Happold, LJIL 16 (2003), S. 610. Dies auch befürchtend: Aston, ZaöRV 62 (2002), S. 281. Vgl. ferner Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch den Sicherheitsrat, S. 200 ff., 213 f., der zufolge jede Form der „Weltgesetzgebung“ ohne oder gegen den Willen der Staaten das Prinzip der souveränen Gleichheit letztlich aufheben würde. Ähnlich: Harper, NYUJInt.L&Pol. 27 (1994), S. 151. 769 Ebenso der IGH, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict, Adv. Op., ICJ Rep. 1996, S. 78. 770 BVerfGE 123, 267, 349 („Lissabon-Urteil“). 771 BVerfGE 123, 267, 348 f.: „Die Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union oder andere zwischenstaatliche Einrichtungen erlaubt eine Verlagerung von politischer Herrschaft auf internationale Organisationen. Die Ermächtigung, supranationale Zuständigkeiten auszuüben, stammt allerdings von den Mitgliedstaaten einer solchen Einrichtung. Sie bleiben deshalb dauerhaft die Herren der Verträge.“ 772 BVerfG, BVerfGE 123, 267, 348 f. Vgl. auch Orakhelashvili, MPYUNL 11 (2007), S. 147. Mit Bezug auf die Kompetenzen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII ebenso: Fassbender, CJTL 36 (1998), S. 574. 773 Ebenso der IGH, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict, ICJ Rep. 1996, S. 78. 768
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ständigkeiten begründen.774 Ihre Kompetenz speist sich aus einer – um noch eine terminologische Anleihe aus dem Europarecht zu nehmen – begrenzten Einzelermächtigung durch die souveränen Mitgliedstaaten, wie sie sich aus den Gründungsdokumenten ergibt. Im Recht der Europäischen Union ist dieser Grundsatz ausdrücklich verankert (vgl. Art. 5 EUV).775 Er kann aber auf jede hoheitsausübende überstaatliche Institution übertragen werden, da er der Souveränität der Mitgliedstaaten entspringt.776 So vertritt auch der IGH dieses Prinzip im Grundsatz und bezieht es auf alle internationalen Organisationen. In seinem Nuklearwaffen-Gutachten führt er aus: „international organizations are subjects of international law which do not, unlike States, possess a general competence. International organizations are governed by the ,principle of speciality‘, that is to say, they are invested by the States which create them with powers, the limits of which are a function of the common interests whose promotion those States entrust to them.“777
Damit betont er in einem größeren Maße die Ausrichtung am Ziel und Zweck des Vertrages. An anderer Stelle räumt er ein: „purposes are broad indeed“, um einschränkend fortzufahren, dass „neither they nor the powers conferred to effectuate them are unlimited. Save as they have entrusted the Organization with the attainment of these common ends, the Member States retain their freedom of action.“778
774
Ebenso: Krisch, in: Simma et al., UN-Charter, Vor Art. 39, Rn. 38. I. E. ebenso: Herdegen, VJTL 27 (1994), S. 154. 775 Im „Maastricht-Urteil“ zu den europäischen Verträgen hatte sich das BVerfG zur Sicherung dieses Grundsatzes vorbehalten, die Einhaltung der Grenzen der den europäischen Organen eingeräumten Hoheitsbefugnisse letztverbindlich zu überprüfen, BVerfGE 89, 155, 156 (5. Leitsatz). Dieses Prüfungsrecht hat es zuletzt im „Lissabon-Urteil“ noch einmal bekräftigt, BVerfGE 123, 267, 268 (4. Leitsatz). 776 Fassbender, UN-Charter as Constitution, S. 134, sieht diesen Grundsatz weniger als Ausfluss des Souveränitätsprinzips, sondern als Folge des konstitutionellen Charakters der UNCharta an. Pernice, The Global Dimension of Multilevel Constitutionalism, S. 995, setzt ebenfalls voraus, dass legislative Kompetenzen überstaatlicher Institutionen immer inhaltlich klar bestimmt und sachlich begrenzt sind. Die Mitgliedstaaten sollten bei der Übertragung von Hoheitsrechten den Willen ihrer Bürger repräsentieren und Voraussetzung ihrer Mitgliedschaft sollte sein, dass sie demokratisch organisiert sind, auf dem Rechtsstaatsprinzip gründen und die international anerkannten Menschenrechte achten. 777 IGH, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict, ICJ Rep. 1996, S. 78 und weiter auf S. 79: „The powers conferred on international organizations are normally the subject of an express statement in their constituent instruments.“ Das Prinzip wird auch als „principle of attributed power“ oder „principle of conferred power“ bezeichnet, vgl. Blokker, in: Wolfrum, MPEPIL, International Organizations or Institutions, Implied Powers, Rn. 1 (Stand: April 2009); Reinisch, AJIL 95 (2001), S. 858. 778 IGH, Certain expenses of the United Nations, Adv. Op., ICJ Rep. 1962, S. 168.
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Dadurch wird die Notwendigkeit einer zielorientierten Anpassungsfähigkeit der einzelnen durch die Gründungsverträge zugewiesenen Kompetenznormen betont, die freilich gegeben sein muss,779 aber zugleich nicht grenzenlos sein kann. Zwischen dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und den Auslegungsmethoden nach Sinn und Zweck des Vertrages entsteht also notwendigerweise ein Spannungsverhältnis.780 Letztere eröffnen – ebenso wie die praxisorientierte Auslegung – die Möglichkeit einer dynamischen Interpretation des Gründungsvertrages und sichert so seine Anpassungsfähigkeit als „living instrument“.781 Ausfluss der teleologischen Interpretation ist zum einen der Grundsatz der Abrundungskompetenz (effet utile), wonach Verträge möglichst so auszulegen sind, wie es die effektive Verwirklichung der Ziele erfordert.782 Daneben sind den Organen internationaler Organisationen solche Kompetenzen zuzuschreiben, die für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben essentiell notwendig sind, auch wenn sie nicht ausdrücklich im Vertrag stehen (implied powers).783 Inwiefern das Vorgehen des Sicherheitsrates gegen Al Qaida und ihre Verbündeten nach einer teleologischen Auslegung von den Befugnissen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII umfasst ist, muss noch geklärt werden. Die äußere Grenze einer extensiven Auslegung bildet die Schwelle der Vertragserweiterung, die ein Änderungsverfahren nach Art. 108 UN-Charta nötig macht.784 Ein Ermessen im weiten Sinne auf Tatbestandsebene wird durch den Souveränitätsanspruch der Mitgliedstaaten jedenfalls ausgeschlossen. Der Sicherheitsrat ist in erster Linie dazu berufen, den konkreten Sachverhalt zu bewerten. Zur Begründung seiner Handlungsoptionen nach Kapitel VII muss die Auswertung dann jedoch eine Friedensbedrohung nahelegen, so wie sie nach wörtlicher, systematischer, teleologischer und praxisorientierter Auslegung zu ermitteln ist. (dd) (Quasi-)legislative Resolutionen des Sicherheitsrates und das Individualrecht auf Teilnahme an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten (Zweite Dimension) Ein (quasi-)legislatives Tätigwerden durch Erweiterung des Verbots friedensbedrohenden Verhaltens auf nicht-staatliche Akteure könnte zudem mit einem etwaig bestehenden Individualrecht des Völkerrechts auf demokratische Mitbestimmung in öffentlichen Angelegenheiten in Konflikt stehen. Danach müsste sich jede Hoheitsausübung auf den freien Willen der Normadressaten rückbeziehen lassen. 779
Dies anerkennt auch das BVerfG, BVerfGE 123, 267, 351 f. („Lissabon-Urteil“). BVerfGE 123, 267, 352 („Lissabon-Urteil“). 781 Wagner, ZaöRV 2003, S. 908 f. kommt vor diesem Hintergrund zu dem Schluss, dass S/RES/1373 (2001) von den Art. 39 ff. UN-Charta gedeckt sei. 782 Herdegen, in: Wolfrum, MPEPIL, Interpretation in International Law, Rn. 30 (Stand: März 2013). 783 IGH, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the UN, Adv. Op., ICJ Rep. 1949, S. 182 f. Beide Prinzipien sind auch im EU-Recht anerkannt, vgl. BVerfGE 123, 267, 351 f. („Lissabon-Urteil“). 784 So auch das BVerfG für die EU, BVerGE 89, 155, 156 (6. Leitsatz; „Maastricht-Urteil“). 780
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Die von der Hoheitsausübung des Sicherheitsrates betroffenen Individuen waren bei dem Rechtssetzungsprozess aber nicht als eigenständiges Legitimationssubjekt repräsentiert, sondern allenfalls als Bürger ihres Heimatstaates durch die Regierungsvertreter. Die Annahme eines entsprechenden Demokratievorbehalts gegen die Inanspruchnahme supranationaler Kompetenzen durch den Sicherheitsrat setzt zwei Bedingungen voraus: Zum einen müsste sich ein solches Individualrecht aus der UNCharta oder den allgemeinen Bestimmungen des Völkerrechts ableiten lassen und zum anderen müsste der Sicherheitsrat daran gebunden sein. Die UN-Charta selbst erklärt in Art. 1 Ziff. 2 den Schutz der Selbstbestimmung der Völker zu einem ihrer Ziele, unter das auch ein Recht auf demokratische Selbstbestimmung subsumiert werden könnte.785 Allerding ist dieses, auch wenn es sich aus dem Recht auf individuelle Selbstbestimmung ableiten lässt,786 in der UNCharta allein als Kollektivrecht ausgestaltet und zielt für sich nicht darauf ab, dem Einzelnen Rechte zuzuweisen. Dagegen könnte aber die Zielsetzung der Vereinten Nationen zur Förderung und Festigung der Achtung vor den Menschenrechten in Art. 1 Ziff. 3 UN-Charta eine entsprechende Individualrechtszuweisung bedeuten.787 Dies setzt voraus, dass im Völkerrecht ein Individualanspruch auf demokratische Mitbestimmung als allgemeinverbindliches Menschenrecht anerkannt ist. Thomas M. Franck ging bereits im Jahre 1992 davon aus, dass es im Völkerrecht sowohl normativ als auch gewohnheitsmäßig anerkannt sei, dass sich die notwendige Legitimität von Hoheitsgewalt allein von dem freien Willen der Normadressaten ableiten lasse.788 Dieses Prinzip liegt auch Art. 25 IPbpR zugrunde, der die Vertragsstaaten zum Abhalten von „echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen“ verpflichtet, „bei denen die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleistet ist“ und jeder Staatsbürger selbst wählen und gewählt werden kann.789 Ähnlich bestimmt Art. 21 Nr. 3 AEMR, dass „[d]er Wille des Volkes […] die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt [bildet]“, welcher durch „regelmäßige, unverfälschte, allgemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe oder einem gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen [muss]“. Im Falle quasi-legislativen Tätigwerdens des Sicherheitsrates, bei dem die Rechtsstellung von Individuen durch Auferlegung von Verhaltensregeln wie 785 Vgl. Franck, STLP 26 (1994), S. 77: „Self-determination postulates the right of a people organized in an established territory to determine its collective political destiny in a democratic fashion and is therefore at the core of the democratic entitlement.“ 786 Diesen Zusammenhang zieht auch Art. 55 UN-Charta, indem er zur Verwirklichung der Selbstbestimmung der Völker es den Vereinten Nationen zur Aufgabe macht, die „allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion“ zu fördern (lit. c). 787 Vgl. auch den in der vorangehenden Fn. zitierten Art. 55 lit. c UN-Charta. 788 Franck, AJIL 86 (1992), S. 46 f. 789 Franck, STLP 26 (1994), S. 79, meint, diese Norm reflektiere paralleles Völkergewohnheitsrecht.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
im Falle des Al Qaida-Sanktionsregimes unmittelbar ausgestaltet wird, nimmt er öffentliche Hoheitsrechte wahr. Dem demokratischen Prinzip entsprechend müsste er die betroffenen Individuen unmittelbar oder über Willensrepräsentanten an der Rechtsgenese beteiligen. Auch der Sicherheitsrat hat bereits die Geltung des Rechts auf demokratische Mitbestimmung hervorgehoben. In Resolution 841 vom 16. Juni 1993 verurteilte er, dass Haitis demokratisch gewählte Regierung von Präsident Jean-Bertrand Aristide nach einem Militärcoup trotz entsprechenden Bemühungen der internationalen Gemeinschaft nicht wieder eingesetzt wurde.790 Die für die dann erfolgte Autorisierung von Zwangsmaßnahmen erforderliche Feststellung einer Bedrohung des internationalen Friedens stützte er allerdings auch auf einen zu befürchtenden grenzüberschreitenden Flüchtlingsstrom infolge der politischen Unruhen.791 Zudem bekräftigte er, dass es sich um „einzigartige und außergewöhnliche Umstände“ gehandelt habe, die ein Eingreifen rechtfertigten.792 Das ließ darauf schließen, dass er auf diese Weise eine Präzedenzwirkung verhindern wollte. Haiti blieb jedoch nicht der letzte Fall, in dem sich der Sicherheitsrat mit den Folgen der Nichtanerkennung einer demokratischen Wahlentscheidung des Volkes durch Machthaber beschäftigte. Nachdem aus den Präsidentschaftswahlen in der Elfenbeinküste im Jahr 2010 Alassane Ouattara als Sieger hervorging, weigerte sich der bisherige Machthaber Laurent Gbagbo, seine Ämter abzugeben. Der Sicherheitsrat forderte daraufhin in einer unter Kapitel VII beschlossenen Resolution alle ivorischen Parteien zur Anerkennung der Wahl Ouattaras als neuen Präsidenten auf.793 Nachdem Laurent Gbagbo sich mit gewaltsamen Mitteln gegen die Aufgabe der Präsidentschaft wehrte, erließ der Sicherheitsrat anschließend Individualsanktionen gegen ihn und seine Gefolgsleute.794 In der Elfenbeinküste war bereits zuvor ein Sanktionsregime aktiv795 und die Unruhen in der Elfenebinküste haben sich in Reaktion auf den Wahlausgang erheblich ausgweitet und verschärft. Laurent Gbagbo wird insbesondere vorgeworfen, in dieser Zeit Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben,796 die den Friedensprozess entgegenwirken und damit isoliert betrachtet zur Begründung einer Friedensbedrohung dienen könnten. Nach seiner Festnahme wurde Laurent Gbagbo an den IStGH ausgeliefert, vor dem er sich nunmehr verantworten muss.797 Es wird dennoch deutlich, dass der Sicherheitsrat in der Nichtanerkennung von demokratischen Wahlergebnissen zumindest einen wesenltichen Aspekt sieht, der zu einer Störung des Friedens beitragen kann. 790
Abs. 10 der Präambel zu S/RES/841 (1993). Abs. 11 der Präambel zu S/RES/841 (1993). 792 Abs. 14 der Präambel zu S/RES/841 (1993). 793 S/RES/1962 (2010), Ziff. 1. Dies war jedoch nicht die erste Kapitel VII-Resolution, die im Rahmen des Konflikts erlassen wurde. 794 S/RES/1975 (2011), Ziff. 12 i.V.m. mit der Anlage zur Resolution. 795 Das Regime nach S/RES/1572 (2004). 796 Vgl. IStGH, Pre-Trial Chamber III, ICC-02/11, Haftbefehl vom 23. November 2011. 797 Vgl. dazu das Verfahren unter der Nummer ICC-02/11 – 01/15. 791
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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Selbst wenn man das Bestehen eines völkerrechtlichen Individualrechts auf demokratische Mitbestimmung als begründet ansieht, fällt allerdings auf, dass es primär auf eine Bindung der Staaten und nicht der überstaatlichen Organisationen abzuzielen scheint. Dies entspricht auch dem traditionellen Bild des Staates als primären Individualrechtsverpflichteten,798 das für demokratische Mitbestimmungsrechte noch durch den demokratietheoretischen Idealtypus des Nationalstaates als Willensrepräsentant einer politischen Gemeinschaft und Ausdruck ihrer kollektiven Selbstbestimmung unterstrichen wird. Erst der relative Grundkonsens ihrer Mitglieder legitimiere den Einsatz demokratiefunktionaler Verfahrensregeln wie etwa der Mehrheitsregel.799 Ob wir uns auf globaler Ebene bereits als eine solche von gegenseitigen Bindungen getragene politische Gemeinschaft von gleichberechtigten „Weltbürgern“800 verstehen, ist jedoch fraglich. Wenngleich auch das Bedürfnis nach vorkonstitutionell begründeter, relativer Homogenität einer zur demokratischen Selbstbestimmung berufenen Gemeinschaft mit guten Gründen bestritten werden kann,801 bleibt letztlich zu prüfen, ob sich formal-juristisch bereits ein überstaatliche Institutionen bindendes Individualrecht auf demokratische Mitbestimmung herausgebildet hat, das dann greift, wenn sie in quasi-staatlicher Manier Hoheitsgewalt unmittelbar gegen Individuen ausüben. Als Beispiel für die Anerkennung eines doppelten Legitimationsbedürfnisses in Fällen, in denen durch supranationale Regulierung neben Staaten auch Individuen als Adressaten von Normen unmittelbar berechtigt und verpflichtet werden, könnte die EU dienen, indem sie den Bürgern Partizipationsmöglichkeiten auf überstaatlicher Ebene in bisher nicht gekanntem Ausmaß einräumt.802 Die Würdigung des Einzelnen als „unmittelbares Rechtssubjekt“ im EU-Recht wird auch als ihr „qualitatives Alleinstellungsmerkmal“ im Völkerrecht bezeichnet.803 Indem auch der Sicherheitsrat die Rechtsstellung des Einzelnen nunmehr unmittelbar ausgestaltet, nähert er sich dieser Konzeption an, was ein Bedürfnis entsprechender demokratischer Mitbestimmungsrechte nach sich ziehen könnte. Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass die EU, in der über Verordnungen und Beschlüsse nach Art. 288 Abs. 2 und 4 AEUV die Möglichkeit der auf Individuen unmittelbar durchgreifenden Rechtssetzung ausdrücklich vorgesehen ist, insoweit noch eine besondere Stellung einnimmt. Im Unionsrecht soll das Prinzip der repräsentativen Demokratie über zwei Legitimationsstränge verwirklicht werden: Im Europäischen Rat sind die Staats- und 798
Vgl. dazu Mégret/Hoffmann, HRQ 25 (2003), S. 320. Vgl. dazu: Krisch, EJIL 17 (2006), S. 253. 800 Vgl. aber auch Pernice, The Global Dimension of Multilevel Constitutionalism, S. 1005, der die Lösung in der Anerkennung der Vielfalt erblickt. 801 Schmalz-Bruns, ZIB 2/1999, S. 192 ff.; Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 296 f. 802 Vgl. zum spezifisch europäischen Demokratiekonzept: Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 2 EUV, Rn. 22. 803 Frenz, Europarecht, S. 1 f. 799
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Regierungschefs sowie im Rat die Ressortchefs der Regierungen der Mitgliedstaaten vertreten, während das Europäische Parlament als „unmittelbares“ Vertretungsorgan der Unionsbürger fungieren soll (Art. 10 Abs. 1 und 2 EUV). Mit Erweiterung der EU-Kompetenzen ging eine Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments einher, das seit dem Vertrag von Lissabon eine größere Rolle im Rahmen der Rechtssetzung spielt. Dies ist als Versuch zu werten, der EU eine größere demokratische Legitimität zu verleihen.804 So stellt das sog. Mitentscheidungsverfahren als „ordentliches Gesetzgebungsverfahren“ mittlerweile den Regelfall dar (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 EUV i.V.m. Art. 294 AEUV). Dabei kommt dem Europäischen Parlament zusammen mit dem Rat hinsichtlich eines von der Europäischen Kommission unterbreiteten Gesetzgebungsvorschlags ein Abänderungs- und Vetorecht zu. Über ein gesetzgeberisches Initiativrecht verfügt es allerdings nicht. Als Mittel der unmittelbaren Demokratie dient den Unionsbürgern daneben noch die Bürgerinitiative, mit der sie die Kommission zur Ausarbeitung von Rechtssetzungsvorschlägen auffordern kann (Art. 11 Abs. 4 EUV i.V.m. Art. 24 AEUV). Die Einordnung dieser Entwicklung für das allgemeine Völkerrecht erfordert freilich die Berücksichtigung der besonderen Entstehungsgeschichte und Natur der EU als Regionalorganisation, die mit ihrem hohen Maß an rechtlicher und politischer Integration zwar unterhalb der Schwelle eigener Staatlichkeit liegt, aber weit mehr ist als ein loser Staatenbund. Zudem muss die konkrete Ausgestaltung der Partizipationsrechte näher untersucht werden, um zu erörtern, ob Individuen auf EU-Ebene unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit tatsächlich als Subjekte demokratischer Legitimation anerkannt werden. Das BVerfG kennzeichnet die EU mit dem Begriff des Staatenverbundes, welcher sich durch „eine enge, auf Dauer angelegte Verbindung souverän bleibender Staaten [auszeichnet], die auf vertraglicher Grundlage öffentliche Gewalt ausübt, deren Grundordnung jedoch allein der Verfügung der Mitgliedstaaten unterliegt und in der die Völker – das heißt die staatsangehörigen Bürger – der Mitgliedstaaten die Subjekte demokratischer Legitimation bleiben.“805 Auch die Gestaltungsmacht des Europäischen Parlaments ist also auf den Rahmen des von den souveränen Staaten – als Repräsentanten der einzelnen europäischen Völker – konsensual im Wege der begrenzten Einzelermächtigung übertragenen Kompetenzen beschränkt (vgl. Art. 5 EUV) und damit bloß abgeleitet. Das BVerfG spricht beim Europäischen Parlament zudem nur von einem „unmittelbar von den Unionsbürgern gewählte[n] Vertretungsorgan der Völker“806 – so wie es noch in Art. 189 Abs. 1 EGV von Nizza ausdrücklich bezeichnet war – und nicht von einem Vertretungsorgan der Unionsbürger selbst. Diese Bewertung wird darauf zurückgeführt, dass die EU nicht über ein eigenes, originäres Staatsvolk verfüge, „das als sich selbst verfassendes Rechts-
804 805 806
Vgl. zu diesem Vorhaben Abs. 8 der Präambel zum EUV. BVerfGE 123, 267, 267 (1. Leitsatz; „Lissabon-Urteil“; Hervorhebungen ergänzt). BVerfGE 123, 267, 368 („Lissabon-Urteil“).
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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subjekt zur eigenen Selbstbestimmung berufen wäre“.807 Für die Frage der Anerkennung eines Rechts auf demokratische Mitbestimmung bei der Ausübung supranationaler Hoheitsgewalt betrifft dies einen entscheidenden Punkt, zumal die Unionsbürger nur dann als selbständiges Subjekt demokratischer Legitimation angesehen werden können, wenn ihnen die staatsunabhängige Fähigkeit zur kollektiven Willensbildung zugesprochen wird und sich dies rechtlich über die Wahl- und Entscheidungsverfahren ausdrückt. Dagegen spricht bereits, dass sich die zur Wahl berechtigende Unionsbürgerschaft (Art. 20 Abs. 2 lit. b AEUV) von der Staatszugehörigkeit der Mitgliedstaaten ableitet (Art. 9 Satz 2 EUV). Darüber hinaus knüpft die degressiv proportionale Stimmgewichtung bei der Wahl zum Europäischen Parlament nicht an die Gleichheit der Unionsbürger an (Art. 9 EUV), sondern an ihre Staatsangehörigkeit (Art. 14 Abs. 2 EUV). Auf der anderen Seite geht aus dem Mandat der Abgeordneten hervor, dass sie gerade als unabhängige Repräsentanten der Unionsbürger fungieren sollen (Art. 10 Abs. 2, Art. 14 Abs. 2 EUV). Dieses Verständnis wird dadurch gestützt, dass jeder Unionsbürger in dem Mitgliedstaat seines Wohnsitzes unabhängig davon das aktive und passive Wahlrecht innehat, ob er Staatsangehöriger dieses Mitgliedstaates ist (Art. 22 Abs. 2 AEUV). Zudem organisieren sich die einzelnen Abgeordneten innerhalb des Parlaments nicht an der Linie von Staatszugehörigkeiten, sondern vertreten gemeinsame Interessen in multinationalen Fraktionen. Die politischen Parteien auf europäischer Ebene haben zudem den Auftrag „zur Herausbildung eines europäischen Bewusstseins und zum Ausdruck des Willens der Bürgerinnen und Bürger der Union“ beizutragen (Art. 10 Abs. 4 EUV). Dieses normative Leitbild der unmittelbar durch die Unionsbürger gewählten Vertretung stellt letztlich einen neuen, auf die Repräsentation der Normadressaten gerichteten Ansatz demokratischer Legitimation supranationaler Hoheitsgewalt dar, auch wenn er nicht entsprechend dem Prinzip der Wahlgleichheit ins Recht übersetzt wurde.808 In dem Wahlverfahren äußert sich das Bestreben, über den Weg eines Ausgleichs zwischen demokratischen Grundsätzen und dem völkerrechtlichen Prinzip der Staatengleichheit dem besonderen Charakter der EU als supranationaler Organisation gerecht zu werden.809 Der Prozess der europäischen Einigung und Integration stellt jedoch ein Novum dar, bei dem selbst noch Zweifel daran bestehen, ob die Unionsbürger als selbständige Subjekte demokratischer Legitimation von EU-Sekundärrecht gelten können. Dabei wird die Art und das Ausmaß der Demokratisierung supranationaler Entscheidungsprozesse auf besondere Kontextbedingungen rückbezogen, die nicht auf globaler Ebene unterstellt werden können und auch weiteren Integrations-
807
BVerfGE 123, 267, 404 („Lissabon-Urteil“). Nach BVerfGE 123, 267, 380, könne der Vertrag von Lissabon auf der Ebene des Rechts gerade deshalb aber kein grundlegend neues Leitbild setzen („Lissabon-Urteil“). 809 Arndt, ZaöRV (2008), S. 251. Vgl. aber auch Neyer, JCMS 48 (2010), S. 905, der aus der Berücksichtigung des Prinzips der Staatengleichheit schließt: „The EU thus is not undemocratic by mistake but deliberately violates one of the constituting principles of democracy“. 808
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
schritten auf EU-Ebene Grenzen zu setzen scheinen.810 Es kann aus dem europäischen Integrationsprozess also nicht der Schluss gezogen werden, dass die Ausübung von individualgerichteter Hoheitsgewalt durch internationale Organisationen auf globaler Ebene demokratische Mitbestimmungsrechte zwingend voraussetzen würde. Legt man die Erklärungen des BVerfG zugrunde, dann ergeben sich eher Zweifel sowohl an der Möglichkeit einer demokratischen Selbstbestimmung auf überstaatlicher Ebene zum jetzigen Zeitpunkt, sowie an der Vereinbarkeit entsprechender Prozesse mit dem Prinzip staatlicher Souveränität. Das doppelte Legitimationsbedürfnis wurde aber auch auf UN-Ebene u. a. in Person des ehemaligen Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali gesehen. Bereits im Jahr 1996 diagnostizierte er in seiner Agenda for Democratization: „International society is both a society of States and a society of individual persons“.811 Aufgrund größer werdenden Einflusses transnational agierender nichtstaatlicher Akteure, wie Individuen, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen, sah er es zwecks Demokratisierung der „internationalen“ Beziehungen als geboten an, die Vereinten Nationen noch mehr für die globale Zivilgesellschaft zu öffnen.812 Allerdings stößt insbesondere die von ihm vorgeschlagene Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen auf Kritik, da sie eine Repräsentation der globalen Zivilgesellschaft mangels demokratischer Legitmation nicht leisten könnten.813 Die in der Agenda von Boutros-Ghali sich ausdrückenden Anforderungen an die Legitimität von Maßnahmen der Vereinten Nationen sind jedenfalls nicht Ausdruck einer allgemeinen Rechtsüberzeugung. Letztendlich ist festzuhalten, dass trotz wahrnehmbarer Tendenzen zur größeren Beteiligung von betroffenen Individuen an Entscheidungsprozessen auf suprana810
Hatje, EuR-Beiheft 2010, S. 131 f., kritisiert, dass gerade durch die Grenzziehung des BVerfG für eine weitere Parlamentarisierung das Problem der demokratischen Legitimität der EU verschärft werde. Dabei geht er leider nicht darauf ein, dass es das BVerfG als Bedingung für die Herausbildung eines zur Selbstbestimmung berufenen – also zur eigenen demokratischen Legitimation fähigen – Volkes ansieht, dass es durch Verbindungen kultureller und normativer Art geprägt sein müsse, die dem geltenden Vertragsrecht vorausliegen. Allein aus diesen könne eine nicht von mitgliedstaatlicher Zugehörigkeit abgeleitete und damit vom ursprünglichen Willen der Unionsbürger getragene Verfassung entstehen, vgl. BVerfGE 123, 267, 404 („Lissabon-Urteil“). 811 UN Doc. A/51/761, Ziff. 62. 812 UN Doc. A/51/761, Ziff. 105. Dies wird ebenso in dem von Kofi Annan in Auftrag gegebenen Bericht „We the peoples: civil society, the United Nations and global governance“ des Panel of Eminent Persons on United Nations – Civil Society Relations angeregt, UN Doc. A/ 58/817, S. 18 f. Ebenso bei Ausübung von Hoheitsgewalt gegenüber Individuen durch überstaatliche Einrichtungen: Pernice, The Global Dimension of Multilevel Constitutionalism, S. 995. 813 Vgl. nur Anderson, Brook.JIL 36 (2011), S. 890. Dagegen meint Rittberger, Legitimes Weltregieren durch inklusive, multipartistische Institutionen?, S. 274, dass durch die mit der Partizipation zivilgesellschaftlicher Organisationen einhergehende Erweiterung der „im Politikentwicklungsprozess involvierten Interessen und Wertvorstellungen“ die „Partizipationsund Repräsentationslücke“ zumindest kleiner werde (Hervorhebung im Original).
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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tionaler Ebene die Staaten noch ein Primat im Bereich der Rechtsgenese genießen. Ein Recht auf demokratische Mitbestimmung hat sich auf dieser Ebene noch nicht endgültig durchgesetzt, weshalb die Frage der Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrates bis hierhin noch nicht beantwortet werden muss. (ee) Zwischenergebnis Die politische Natur des Sicherheitsrats lässt nicht den Schluss zu, dass er bei der Feststellung einer Situation nach Art. 39 UN-Charta ein Ermessen auf Tatbestandsebene genießen würde. Sowohl die Aufgabenverteilung wie auch der Souveränitätsanspruch der Mitgliedstaaten sprechen sogar eindeutig gegen die Annahme einer entsprechenden Ermessensbefugnis, da sie quasi eine sachlich unbeschränkte Legislativbefugnis bedeuten würde. Eine Ausnahme gilt allein für das „Ob“ einer Feststellung des Sicherheitsrats bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des Art. 39 UN-Charta. Insofern genießt der Sicherheitsrat ein Ermessen. Ein Individualrecht auf demokratische Mitbestimmung bei der Ausübung individualgerichteter Hoheitsgewalt durch supranationale Kompetenzen ausübende Organisationen, das ebenfalls einem Ermessen des Sicherheitsrats entgegengehalten werden könnte, hat sich im Völkerrecht dagegen noch nicht herausgebildet. (b) Die Feststellung nach Art. 39 UN-Charta als Befugnis zur authentischen Auslegung der Eingriffsvoraussetzungen Ein weitreichender Spielraum bei der Feststellung einer Situation nach Art. 39 UN-Charta wäre dem Sicherheitsrat auch dann gegeben, wenn ihm die Befugnis zur authentischen Auslegung der Eingriffsvoraussetzungen zuzusprechen wäre. Die Interpretation des Sicherheitsrats müsste sich dann an den Grenzen der juristischen Auslegungsmethoden des Art. 31 – 33 WÜK ausrichten, es wäre ihm aber vorbehalten, den Inhalt der Normen verbindlich festzustellen. Die Frage nach der Befugnis zur authentischen Auslegung wäre dann geklärt, wenn die Aufgabe einem Organ der Rechtspflege ausdrücklich zugewiesen wäre. Dem infrage kommenden IGH als Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen (Art. 92 UN-Charta) wurde diese Befugnis nicht zuteil, weshalb er es – wie oben bereits ausgeführt814 – den Organen weitgehend selbst überlässt, ihre eigenen Kompetenzen auszulegen.815 Wie sich aus dem principle of conferred powers ergeben hat, kann sich daraus jedoch keine Kompetenz-Kompetenz begründen.816 Ein Verweis auf die Grundsätze der effet utile oder der implied powers kann im Falle des Art. 39 UN-Charta auch nicht zur Begründung einer weiten Feststellungskompetenz des Sicherheitsrates herangezogen werden. Die Befugnisnormen sind danach zwar im Zweifel so auszulegen, wie es der Verwirklichung der gemeinsamen Ziele und 814
Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (a). Vgl. nur IGH, Certain expenses of the United Nations, Adv. Op., ICJ Rep. 1962, S. 168. 816 Vgl. dazu die Ausführungen im vorangegangenen Punkt (a), (cc). 815
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Zwecke am dienlichsten ist, bzw. es sind ihm dem Gründungsvertrag nicht unmittelbar zu entnehmende „inhärente“ Kompetenzen zuzuschreiben, wenn dies zur Zielverwirklichung notwendig erscheint. Es ließe sich also nachvollziehen, ob etwa eine erweiternde Auslegung der Kompetenzen auf die Verwirklichung eines anerkannten Ziels gerichtet wäre. Nun betrifft die Feststellungskompetenz des Sicherheitsrates aber gerade die Auslegung des Begriffs des Friedens, der zugleich das oberste Ziel der Vereinten Nationen darstellt (vgl. Art. 1 Ziff. 1 UN-Charta).817 Ein Verweis auf den Grundsatz der effet utile oder der implied powers führt demnach nicht weiter, sondern endet in einem Zirkelschluss. Überließe man dem Sicherheitsrat dennoch die Auslegungshoheit, so könnten die in ihm vertretenen 15 Mitgliedstaaten über den Inhalt des obersten Ziels der Organisation disponieren. Die Bestimmung der Ziele und Zwecke der Vereinten Nationen obliegt aber naturgemäß allen Vertragsparteien.818 Dies steht in einer Linie mit der Rechtsauffassung des Berichterstatters des Komitees IV/2 auf der Gründungskompetenz in San Francisco, der über die Auslegung der gemeinsamen Ziele und Zwecke hinaus auch die letzte Auslegungshoheit aller Kompetenznormen der UN-Organe der Gemeinschaft der Mitgliedstaaten überwies. Er führt aus: „It is to be understood, of course, that if an interpretation made by an organ of the Organization or by a committee of jurists is not generally acceptable it will be without binding force. In such circumstances, or in cases where it is desired to establish an authoritative interpretation as a precedent for the future, it may be necessary to embody the interpretation in an amendment to the Charter. This may always be accomplished by recourse to the procedure provided for amendment.“819
Den Mitgliedstaaten obliegt es im Wege der dynamischen Auslegung den Zielen der UN-Charta über die Jahre ihres Bestehens einen an neue Gegebenheiten ange-
817 Darauf weist bereits die systematische Stellung hin. I. E. ebenso IGH, Certain expenses of the United Nations, Adv. Op., ICJ Rep. 1962, S. 168. Vgl. auch Goodrich/Hambro/Simons, UN-Charter, S. 25 f. 818 Im Grundsatz gilt nach Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK darüber hinaus, dass die Mitgliedstaaten zur authentischen Auslegung aller Bestimmungen der von ihnen abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge berufen sind. Vgl. auch Herdegen, in: Wolfrum, MPEPIL, Interpretation in International Law, Rn. 3 (Stand: März 2013); Skubiszewski, Remarks on the Interpretation of the UN-Charter, S. 898; Tzanakopoulos, Transparency in the Security Council, S. 377. Nach Schilling, AVR 33 (1995), S. 101 f., kommt der Staatengemeinschaft ex post die Entscheidungshoheit über die Rechtmäßigkeit der Sicherheitsratsbeschlüsse zu. Fassbender, The UN-Charter as Constitution, S. 135, geht davon aus, dass die internationale Gemeinschaft als Ganze zur Auslegung der Normen der UN-Charta berufen sei. Dazu zählt er neben den Staaten alle anderen Subjekte des Völkerrechts. Blokker, in: Wolfrum, MPEPIL, International Organizations or Institutions, Implied Powers, Rn. 9 (Stand: April 2009), vertritt bei Fehlen eines zur authentischen Interpretation berufenen juristischen Organs für Fragen der ergänzenden Vertragsauslegung die Ansicht, dass „powers can only be implied if this is generally accepted by the members.“. Dies muss umso mehr gelten, wenn es um die Auslegung des Vertragszweckes selbst geht. 819 UNCIO XIII, S. 709, Doc. 933.IV/2/42 (2).
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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passten Inhalt zu geben.820 Dies sichert ihre Anpassungsfähigkeit auch dann, wenn sie nicht von einer entsprechenden Praxis getragen ist. Der Begriff des Friedens wie er in der UN-Charta erfasst ist, steht einer weiten Interpretation offen. So wird in Art. 1 Ziff. 2 und 3, Art. 55 und 73 UN-Charta anerkannt, dass die Verwirklichung besonderer Begleitumstände mit dem Zielzustand eines umfassenden Friedens notwendig verbunden sind,821 wenngleich sie noch als Elemente eines nicht klar konturierten „Typus“ vom positiven Frieden angelegt sind.822 Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass der Begriff des Friedens in Art. 39 UN-Charta schlicht ein anderer, nämlich engerer sei, als der in Art. 1 Ziff. 1 UN-Charta, und einer Entwicklung nicht offen stehe. Dagegen spricht jedoch bereits der gleiche Wortlaut der Artikel („maintain international peace and security“). Zudem würden die durch die UN-Charta institutionalisierten Handlungsoptionen zur Durchsetzung der zum obersten gemeinsamen Ziel erklärten Friedenswahrung und -sicherung nicht mit der dynamischen Entwicklung der sonstigen UNCharta schritthalten können. Dies widerspricht der Eigenschaft der UN-Charta als living instrument und würde sie dann doch unfähig zur notwendigen Anpassung an neue Gegebenheiten machen. Die Staatengemeinschaft sollte jedenfalls in der Lage dazu sein, den Begriff des Friedens, so wie er nach Art. 39 UN-Charta im Falle einer Störung zum Eingreifen des Sicherheitsrates ermächtigt, in den Grenzen des juristischen Auslegungskanons neu zu interpretieren. Die Elemente des positiven Friedens sind als politisches Programm angelegt, das in erster Linie den Deliberativorganen der Vereinten Nationen zur Gestaltung überlassen ist.823 In diesen sind alle Mitgliedstaaten mit gleicher Stimmberechtigung vertreten.824 Über konsensual verabschiedete Resolutionen drücken sich ihre Werte und Rechtsvorstellungen aus, weshalb sie als Ausdruck authentischer Auslegung der Staatengemeinschaft betrachtet werden können.825 Auf diese Weise kann der Friedensbegriff über seinen negativen Kerngehalt hinaus erweitert werden. Daraus ergibt sich ein Kooperationsverhältnis zwischen den Organen der Vereinten Nationen im
820 Vgl. zur Eigenschaft der UN-Charta als „living instrument“: Fassbender, CJTL 36 (1998), S. 594 f.; ders., The UN-Charter as Constitution, S. 130 f.; de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 100 ff. 821 Wolfrum, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 1, Rn. 9. 822 Randelzhofer, Der normative Gehalt des Friedensbegriffs, S. 27, 30. 823 Vgl. nur Art. 10, 11, 13, 60 und 63 UN-Charta für die Generalversammlung und den ECOSOC. 824 Art. 18 Abs. 1 UN Charta für die Generalversammlung und Art. 67 Abs. 1 UN-Charta für den ECOSOC. 825 Kunig, in: Wolfrum, MPEPIL, Interpretation of UN-Charter, Rn. 5 (Stand: September 2006); Lailach, Die Wahrung des Weltfriedens, S. 38. Ähnlich: Schilling, AVR 33 (1995), S. 102, nach dem sich das Urteil der Staatengemeinschaft über die Rechtmäßigkeit der Resolutionen des Sicherheitsrates am ehesten in der Generalversammlung ausdrücke. Eingeschränkt zustimmend: Kadelbach, in: Simma et al., UN-Charter, „Interpretation“, Rn. 52.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Rahmen der Friedenssicherung.826 Der Sicherheitsrat legt in jedem Einzelfall seine Kompetenznormen aus und, sofern die Annahme gerechtfertigt ist, dass seine Maßnahmen der Verwirklichung der gemeinsamen Ziele der Staatengemeinschaft dienen, gilt die Vermutung, dass er nicht ultra vires gehandelt hat.827 Im Falle der Auslegung des Friedensbegriffs beschränkt sich seine Kompetenz auf eine Konkretisierungsbefugnis, bei deren Ausübung er daran gebunden ist, der allgemeinen Rechtsüberzeugung der Mitgliedstaaten Ausdruck zu verleihen,828 wie sie sich in den Resolutionen der Generalversammlung widerspiegeln kann. Das Kooperationsverhältnis ist auch in der Aufgabenverteilung der UN-Charta im Bereich der Friedenssicherung angelegt. So kann die Generalversammlung zu den „allgemeinen Grundsätzen der Zusammenarbeit zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ auch dann Beschlüsse erlassen, wenn der Sicherheitsrat gerade mit einer Situation befasst ist, für die die Beschlüsse von Bedeutung sind (Art. 11 Abs. 1 UN-Charta).829 Der Sicherheitsrat ist zur Durchsetzung seiner Resolutionen auf die Umsetzung der Mitgliedstaaten angewiesen. Würden die vom Sicherheitsrat erlassenen Handlungsvorgaben aufgrund einer gegensätzlichen Resolution der Generalversammlung als illegitim angesehen werden, dann drohten sie nicht den notwendigen „compliance pull“ entwickeln zu können.830 Gerade im Rahmen des Al Qaida-Sanktionsregimes spielt die Bereitschaft zur Umsetzung der Resolutionen eine besonders wichtige Rolle. Die Generalversammlung nimmt ihre parallele Zuständigkeit bei der Terrorismusbekämpfung bereits wahr und bekräftig ihre Autorität für die weitere Ausrichtung in der von ihr vorgelegten „United Nations Global Counter-Terrorism Strategy“:
826 I. E. ähnlich: Harper, NYUJInt.L&Pol. 27 (1994), S. 154 und Happold, LJIL 16 (2003), S. 608, die vorschlagen, dass legislative Maßnahmen durch ein Zusammenspiel des Sicherheitsrates und der Generalversammlung vollzogen werden sollten. 827 IGH, Certain expenses of the United Nations, Adv. Op., ICJ Rep. 1962, S. 168. 828 Ähnlich: Herdegen, Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UN-Charta, S. 111: „Den Stellenwert einer autoritativen Konkretisierung im Sinne einer Rechtsfortbildung kann die dynamische Normanwendung durch den Sicherheitsrat dann gewinnen, wenn sie die ausdrückliche oder stillschweigende Anerkennung der anderen Hauptorgane und der Mehrheit der Mitgliedstaaten findet.“ In diese Richtung auch Harper, NYUJInt.L&Pol. 27 (1994), S. 151 f. Fassbender, The UN-Charter as Constitution, S. 135, fordert wiederum die Berücksichtigung aller Meinungen in der internationalen Gemeinschaft. 829 Ausführlich dazu bereits im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (b), (cc). 830 Harper, NYUJInt.L&Pol. 27 (1994), S. 152. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Bianchi, EJIL 17 (2006), S. 887: „the ultimate test of the legitimacy of the SC’s action remains the level of acceptance of its practice by the UN Member States.“ Vgl. aber auch Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrats, S. 15, der einen Gestaltungsspielraum des Sicherheitsrates bei der Konkretisierung von Normen des Kapitels VII befürwortet, weil sie „die Bindungskraft von Resolutionen des Sicherheitsrates gegen Einwände [schützen], welche sich auf Zweifel an der ,richtigen‘ Tatbestandauslegung oder Sachverhaltswürdigung gründen.“ Ähnlich, unter Würdigung des Bedürfnisses der Legitimität der Entscheidungen des Sicherheitsrats, ders., Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UN-Charta, S. 119.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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„[The General Assembly…] recalling the pivotal role of the General Assembly in following up the implementation and the updating of the [Global Counter-Terrorism] Strategy, […], convinced that the General Assembly is the competent organ, with universal membership, to address the issue of international terrorism […].“831
Dem Sicherheitsrat kommt nicht die Kompetenz zur authentischen Auslegung der Eingriffstatbestände des Art. 39 UN-Charta zu. Sie liegt bei der Gemeinschaft der Mitgliedstaaten. Gleichwohl obliegt es dem Sicherheitsrat, in jedem Einzelfall eine Situation unter die Begriffe der Norm zu subsumieren. Auf diese Weise konkretisiert er die Norm, wobei er von einer allgemeinen Akzeptanz durch die Mitgliedstaaten abhängt, die ihre Rechtsansichten über Resolutionen der Generalversammlung ausdrücken kann. (c) Die Feststellung nach Art. 39 UN-Charta als Beurteilungsspielraum Ist etwa für die faktische Folgenabschätzung einer Situation ein besonderer Sachverstand erforderlich, kann einem Organ ein Beurteilungsspielraum eröffnet sein.832 Die Qualifikation einer Situation als Friedensbedrohung erfordert eine prognostische Abschätzung über den zu erwartenden Geschehensablauf im Vorfeld zu einem Friedensbruch. Es obliegt dem Sicherheitsrat zu bewerten, ob eine konkrete Situation voraussichtlich in einem Bruch des Friedens, wie er nach allgemeiner Ansicht der Mitgliedstaaten zu definieren ist, münden wird, sofern die internationale Gemeinschaft nicht einschreitet. Dabei müssen regelmäßig sowohl Kausalitätsketten als auch politische Gemengelagen bewertet werden. Zu diesem Zweck ist dem Sicherheitsrat in Art. 34 UN-Charta ausdrücklich ein Untersuchungsrecht bereits zu einem frühen Stadium eingeräumt worden. Es gilt eine Vermutung der Angemessenheit einer Prognose des Sicherheitsrats, die allein dann widerlegt sein kann, wenn sie offensichtlich unbegründet erscheint. Einschränkungen gibt es allenfalls hinsichtlich der notwendigen zeitlichen Nähe, mit der ein Bruch des Friedens zu rechnen ist, was im Rahmen der weiteren Prüfung noch zu klären sein wird.833 Bei der Feststellung einer Friedensbedrohung nach Art. 39 UN-Charta kommt dem Sicherheitsrat also ein Beurteilungsspielraum bei der Folgenabschätzung konkreter Situationen zu, die eine Prärogative bei der Bewertung von Sachverhaltsumständen miteinschließt. (d) Zwischenergebnis Aus der Aufgabenverteilung in der UN-Charta lässt sich der Schluss ziehen, dass dem Sicherheitsrat jedenfalls kein unbeschränktes Ermessen auf Tatbestandsebene zukommt. Dies wäre auch nicht mit dem Prinzip staatlicher Souveränität zu ver831
Präambel zu A/RES/66/282. Die Strategie wird alle zwei Jahre überprüft und ggfs. neu ausgerichtet. 832 Vgl. rechtsvergleichend zu den Grenzen richterlicher Jurisdiktionsansprüche bei sicherheitspolitischen Entscheidungen: Krieger, DVBl. 23 (2009), S. 1469 f. 833 Vgl. im folgenden Punkt (2), (b), (aa).
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
einbaren, aus dem sich der Grundsatz begrenzter Einzelermächtigung ableitet. Danach muss sich jede Hoheitsausübung auf internationaler Ebene sachlich auf den Willen der Mitgliedstaaten rückbeziehen, indem sie sich aus einer ausdrücklichen Kompetenzzuweisung ableitet. Dagegen kommt ihm ein Ermessen über das „Ob“ einer Feststellung bei Vorliegen einer Situation nach Art. 39 UN-Charta zu. Es handelt sich bei den Tatbestandsmerkmalen des Art. 39 UN-Charta also um Rechtsbegriffe, auf die die allgemeinen Auslegungsregeln Anwendung finden. Die Kompetenz zur authentischen Auslegung liegt bei der Gemeinschaft der Mitgliedstaaten. Dem Sicherheitsrat kann demnach allein eine Konkretisierungsbefugnis zugesprochen werden, die den Erlass sekundären Vertragsrechts bei der Feststellung einer Situation nach Art. 39 UN-Charta umfasst, aber ratione materiae auf die von den Mitgliedstaaten in ihren Grundzügen getragenen Inhalte der Tatbestandsmerkmale begrenzt ist.834 Ein Beurteilungsspielraum ist dem Sicherheitsrat bei der Feststellung einer Friedensbedrohung hinsichtlich der Folgenabschätzung einer konkreten Situation zuzusprechen. (2) Die Friedensbedrohung (a) Der Frieden (aa) Bedrohung des negativen oder des positiven Friedens? Auch im Rahmen einer systematischen und teleologischen Auslegung des Art. 39 UN-Charta stellt sich die Frage nach der Weite des Friedensbegriffs. Da aus der isolierten Betrachtung des Art. 39 UN-Charta keine Aussage über die Weite des Friedensbegriffs getroffen werden konnte, musste die Frage bis dahin noch offen bleiben.835 Bei einer vordergründigen Betrachtung konnte sie das auch. So kann man darauf verweisen, dass der Frieden dadurch betroffen sei, dass sich bedroht fühlende Staaten dazu veranlasst sehen könnten, gegen Terroristen in anderen Staaten bzw. gegen den Terroristen Zuflucht gewährende Staaten selbst vorzugehen. Auch das gezielte Vorgehen gegen eine Terrororganisation in anderen Staaten ohne oder gegen ihren Willen etwa mittels Geheimdienstoperationen oder Drohnenangriffen kann das Gewaltverbot als normativen Kern des Friedensbegriffs verletzen. Zu solchen grenzüberschreitenden Operationen kommt es nicht zuletzt seit dem Erstarken des IS, der Gebiete unter seiner Kontrolle hat, die sich über die irakisch-syrische Grenze erstrecken. Die jeweiligen staatlichen Einheiten machen im Rahmen ihrer Operationen gegen den IS keinen Halt vor faktisch nicht mehr existenten Grenzen. Wie bereits erwähnt, sind darüber hinaus de facto-Regime durch das Gewaltverbot selbst berechtigt und verpflichtet,836 womit zumindest in Bezug auf den IS ohne Weiteres von einer Bedrohung des Friedens auszugehen ist. Auch die – im Anschluss noch zu 834 Vgl. Fassbender, CJTL 36 (1998), S. 574; Herdegen, Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UN-Charta, S. 111. 835 Vgl. 2. Teil, B., III., 3., b), aa), (2), (a). 836 2. Teil, B., III., 3., b), aa), (2), (b).
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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diskutierenden837 – Anforderungen an die Unmittelbarkeit der Bedrohung wären insoweit gegeben, da sich die Parteien in einem anhaltenden Konfliktzustand befinden. Die Resolution 2161 (2012) weist allerdings darauf hin, dass das Schutzgut des Friedens mit weiteren Werten verbunden wird, deren Schutz bei Al Qaida und den anderen Organisationen primär von Relevanz sind. So werden unmittelbar im Anschluss an die Feststellung, dass der Terrorismus „in all seinen Arten und Erscheinungsformen eine der schwersten Bedrohungen des Friedens und der Sicherheit darstellt“, Al Qaida und ihre Verbündeten unmissverständlich „für die vielfachen kriminellen Terrorakte [verurteilt], die von ihr fortlaufend begangen werden mit dem Ziel, den Tod unschuldiger Zivilpersonen und anderer Opfer sowie die Zerstörung von Sachwerten zu verursachen und die Stabilität nachhaltig zu untergraben“.838 Anschließend nimmt der Sicherheitsrat dann „mit Besorgnis Kenntnis […] von der anhaltenden Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, die von der Al-Qaida und den anderen mit ihr verbundenen Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen nach wie vor ausgeht“.839 Legt man einen engen Friedensbegriff zugrunde, dann kann von den Terroristen und ihren Verbündeten – mit Ausnahme des IS – nur eine mittelbare Bedrohung ausgehen. Dem Sicherheitsrat kommt es aber anscheinend nicht allein auf die Abwehr eines befürchteten zwischenstaatlichen Konfliktes an, sondern insbesondere auch auf den Schutz von Zivilpersonen, Sachwerten und der Stabilität von Staaten, den er offenbar mit dem Friedensbegriff verbindet. Diese Werte können auch von Individuen unmittelbar bedroht sein, was erklären würde, dass allein die Terroristen und nicht auch die vermeintlich zu militärischen Einsätzen neigenden Staaten von Resolution 2161 (2014) mit der Friedensstörung in Zusammenhang gebracht werden. Diese Frage soll hier erörtert werden, nicht zuletzt um endgültig klären zu können, ob Individuen tatsächlich als unmittelbare Subjekte einer Friedensbedrohung betrachtet werden. Eine Ausweitung des Friedensbegriffs und eine daran anschließenden Erweiterung des Kreises potentieller Bedrohungssubjekte läge auf einer Linie mit der Entwicklung des Völkerstrafrechts, wonach Individuen die Fähigkeit zugesprochen wird, gemeinsame Werte der internationalen Gemeinschaft zu verletzen.840 Sie würde zudem die Veränderung der Bedrohungsszenarien anerkennen, denen die internationale Gemeinschaft heute tatsächlich ausgesetzt ist. Auf diese Weise würde das Völkerrecht schließlich seiner Aufgabe gerecht, durch Fortentwicklung den veränderten Lebenssachverhalten Rechnung zu tragen und „die Beziehungen zwischen allen wesentlichen Akteure auf eine rechtliche Basis zu stellen“.841 Letzterem rechtspolitischen Argument schließt sich offenbar das vom ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan ins Leben berufene High-level Panel on Threats, 837 838 839 840 841
s. in diesem Punkt III., 3., b), bb), (2), (b), (aa). Abs. 2 der Präambel zu S/RES/2161 (2014). Abs. 22 der Präambel zu S/RES/2161 (2014). Ausführlich dazu oben im 2. Teil, B., III., 2., b), aa), (2). Bruha, AVR 40 (2002), S. 390 m.w.N.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Challenges and Change an. In dessen Bericht „A more secure world: Our shared responsibility“ weist es darauf hin, dass im Gegensatz zum Jahr 1945 „the biggest security threats we face now, and in the decades ahead, go far beyond States waging aggressive war. They extend to […] terrorism; and transnational organized crime. The threats are from non-State actors as well as States, and to human security as well as State security.“842
Vor diesem Hintergrund würdigen sie das Vorgehen des Sicherheitsrates auf Grundlage von Art. 39 UN-Charta im Rahmen der Terrorismusbekämpfung.843 Der Wertung, dass es hier nicht mehr primär um die Abwehr zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen gehen kann, erscheint zunächst schlüssig. Das Festhalten an den auf alte Konfliktformationen angepassten Argumentationsmustern wirkt konstruiert und wird der wirklichen Bedrohungslage nicht gerecht.844 (bb) Die Weite des Friedensbegriffs Es muss also erörtert werden, ob die durch den internationalen Terrorismus primär betroffenen Schutzgüter nach systematischer und teleologischer Auslegung vom Friedensbegriff des Art. 39 UN-Charta erfasst sind. Zu nennen sind insbesondere der Schutz der Menschenrechte, die innere Stabilität der Staaten, die diese Rechte in erster Linie gewährleisten, die rule of law und die Selbstbestimmung der Völker, die durch die gezielt betriebene Verängstigung der Menschen und Zerstörung von demokratischen Strukturen erheblich beeinträchtigt wird.845 Man kann in der UN-Charta sowohl Argumente für einen engen, negativ zu definierenden, wie auch für einen weiten Friedensbegriff finden. Ein systematisches Argument für ein enges Friedensverständnis liegt bereits in der Grundkonzeption kollektiver Sicherheitssysteme begründet, deren Kernanliegen die Abwehr zwischenstaatlicher Konflikte darstellt.846 Ein wesentlicher Garant dafür ist Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta, der die Androhung oder Anwendung von Gewalt zwischen Staaten verbietet und im engen Zusammenhang mit dem Friedensbegriff des Art. 39 UN-Charta steht.847 Daneben sind die Mittel zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten des Kapitels VI, die dem Entstehen einer Friedensbedrohung
842
UN Doc. A/59/565, Synopsis, 1. Abs. UN Doc. A/59/565, Ziff. 151 – 153. 844 Bruha, AVR 40 (2002), S. 390 f. 845 s. dazu auch das High-level Panel on Threats, Challenges and Change, UN Doc. A/59/ 565, Ziff. 145, sowie die Generalversammlung in ihrer Resolution zur „United Nations Global Counter-Terrorism Strategy“, 7. Abs. der Präambel zu A/RES/60/288. 846 s. dazu bereits im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (a), (bb). Ebenso: Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 216. 847 Für Arntz, Der Begriff der Friedensbedrohung, S. 64, liegt eine Friedensbedrohung nur dann vor, wenn die ernste Gefahr eines Verstoßes gegen das Gewaltverbot besteht. 843
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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vorbeugen sollen, auf zwischenstaatliche Konflikte zugeschnitten.848 Auf der anderen Seite wird der Frieden an mehreren Stellen aber auch mit substantiellen Werten in Verbindung gebracht (vgl. Art. 1 Ziff. 2 und 3, Art. 55 und Art. 73 UN-Charta). Die Systematik der UN-Charta spricht insgesamt allerdings für eine enge Auslegung des Friedensbegriffs.849 Dieser statischen Interpretation der UN-Charta kann eine Auslegung am Sinn und Zweck entgegengestellt werden, die eine dynamische Anpassung an veränderte Gegebenheiten erlaubt. Dieser Auslegungsmethode kommt angesichts der zum Gründungsjahr 1945 grundlegend veränderten Bedrohungsszenarien eine immer größere Bedeutung zu. Über die teleologische Auslegung finden mit Zielen verbundene Wertvorstellungen Eingang in die Anwendung von Gründungsverträgen internationaler Organisationen, die nicht immer ein absolut geltendes Urteil im Sinne von richtig oder falsch zulassen.850 So könnte man unter Verweis auf den ersten Satz der Präambel zur UN-Charta, der die Entschlossenheit zur Bewahrung künftiger Generationen vor der „Geißel des Krieges“ hervorhebt, auf eine auf die Abwendung zwischenstaatlicher bewaffneter Konflikte gerichtete Zielrichtung schließen, die letztlich auch auf den Friedensbegriff ausstrahle.851 Daneben dient ein enges Friedensverständnis auch der Konturierung der Eingriffsvoraussetzungen des Art. 39 UN-Charta, die andernfalls mangels eindeutiger Kriterien nur schwer zu leisten wäre.852 Der Sicherheitsrat ist auch nicht dafür ausgestattet, alle sozio-ökonomischen Missstände auszuräumen, die mit einem positiven Friedensbegriff verbunden werden könnten.853 Seiner Verantwortung aus Art. 24 UN-Charta könnte er dann kaum gerecht werden. Auf der anderen Seite wird die Einschränkung auf den zwischenstaatlichen Krieg unter Hinweis auf die historischen Umstände bei der Gründung der Vereinten Nationen relativiert. Ihre Gründungsmütter und -väter standen schließlich unter dem Eindruck der Schreckensbilder zweier Weltkriege. Es ist zu bezweifeln, dass man die „Völker der Vereinten Nationen“ der Geißel des internationalen Terrorismus ohne Schutz durch die Vereinten Nationen ausgeliefert hätte, wenn schon damals das heutige Ausmaß dieser Bedrohung erahnt worden wäre.854 Die Auswirkungen des 848 Vgl. dazu aber auch Pellet, in: Wolfrum, MPEPIL, Peaceful Settlement of International Disputes, Rn. 25 ff. (Stand: August 2013). 849 I. E. ebenso: Herdegen, Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UN-Charta, S. 113. 850 Pollux, BYIL 23 (1946), S. 67 f. Ähnlich: ILC, Draft Articles on the Law of Treaties with commentaries (1966), YILC 2 (1966), S. 218: „[…] the interpretation of documents is to some extent an art, not an exact science.“ 851 Randelzhofer, Der normative Gehalt des Friedensbegriffs, S. 33. 852 de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 142; Arntz, Der Begriff der Friedensbedrohung, S. 52. 853 de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 139. 854 Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 215. Vgl. auch Krajewski, KJ 2001, S. 370 f.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Terrorismus reichen zumindest an die Geißel von Kriegen heran und ihnen kann ebenfalls nur effektiv mittels einer internationalen Zusammenarbeit begegnet werden. Bereits die folgenden Absätze der Präambel unterstreichen die Bedeutung von Werten wie Menschenrechte, Gerechtigkeit sowie sozialer Fortschritt und eine Verbesserung der Lebensbedingungen. Ihre Verwirklichung ist durch Terroranschläge des Ausmaßes, wie Al Qaida sie regelmäßig verübt, stark bedroht. Außerdem können ganze Staaten von ihnen in ihrer Existenz gefährdet sein. Die Staaten sollten gerade vor solchen existentiellen Bedrohungen über das mit dem Friedensbegriff eng verbundene Gewaltverbot geschützt werden. Ein Ergebnis mit absolutem Geltungsanspruch wird im Wege der teleologischen Auslegung allerdings nicht zu finden sein. (cc) Die Auslegung durch die Gemeinschaft der Mitgliedstaaten Es ist demnach zu prüfen, ob die von Al Qaida primär gefährdeten Werte wie die Menschenrechte, die Sicherheit der Staaten und die Selbstbestimmung der Völker von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen als vom Friedensbegriff des Art. 39 UN-Charta umfasst anerkannt sind. Eine entscheidende Erweiterung hat der Friedensbegriff des Art. 39 UN-Charta in Folge des vermehrten Auftretens innerstaatlicher Konflikte genommen, mit denen regelmäßig systematische Menschenrechtsverletzungen einhergingen. So hat die Generalversammlung die violent disintegration of states als Bedrohung des Friedens anerkannt und zugleich festgestellt, dass sich die große Mehrheit der Konflikte mittlerweile innerhalb von Staaten abspiele.855 Die Auflösung von Staatlichkeit steht letztlich auch der Wahrnehmung kollektiver Selbstbestimmung entgegen. Spätestens mit Anerkennung der „responsibility to protect“ zählt die Gemeinschaft der UNMitgliedstaaten zudem einen Kernbestand an Menschenrechten zum Inhalt des Friedensbegriffs.856 Sicherlich geht mit schwersten Menschenrechtsverletzungen auch regelmäßig eine Destabilisierung der gesamten Region z. B. durch das Entstehen großer Flüchtlingsbewegungen in umliegende Staaten einher, wodurch auch der „negative Frieden“ berührt werden kann. Jedoch werden diese Umstände zur Begründung des Konzeptes der „responsibility to protect“ gerade nicht in Bezug genommen, sondern die Menschenrechtsverletzungen selbst bilden die Grundlage für ein Einschreiten nach Kapitel VII. Daneben hat die Generalversammlung den Terrorismus selbst als eine Geißel bezeichnet857 und damit die gleiche Formel verwandt, wie sie in der Präambel der UN-Charta für den Krieg genutzt wird. Da die Präambel zur Deutung des Friedensbegriffs herangezogen werden kann, weist die Formulierung darauf hin, dass die 855
Präambel zu A/RES/53/71. Vgl. A/RES/60/1, Ziff. 138 f. sowie die Ausführungen an obiger Stelle (2. Teil, B., III., 2., b), aa), (1), (b), (aa)). 857 Präambel zu A/RES/65/34. 856
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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durch terroristische Anschläge bedrohten Güter heute ebenfalls als vom Friedensbegriff umfasster Wert anerkannt sind.858 Die von Akten des internationalen Terrorismus primär betroffenen Werte gelten nach erweiternder Auslegung der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen demnach als Teil des Friedensbegriffs des Art. 39 UN-Charta. (b) Die Bedrohung Ferner ist zu prüfen, ob nach einer systematischen und teleologischen Auslegung die von Al Qaida und ihren Verbündeten ausgehende Gefährdung als Bedrohung im Sinne von Art. 39 UN-Charta angesehen werden kann. (aa) Die Nähe der Bedrohung Wie bereits festgestellt wurde, kann eine auf das Schutzgut Frieden ausstrahlende Gefährdung im Falle einer prognostischen Entscheidung zu einem bestimmten Grad immer nur abstrakt gegeben sein. Das muss auch im Rahmen einer systematischen Auslegung berücksichtigt werden.859 Es lässt aber noch die Frage danach unbeantwortet, ob nicht dennoch eine gewisse zeitliche Nähe des befürchteten Friedensbruchs vorauszusetzen ist, und ob dieser nicht auch in seiner erwarteten Erscheinungsform zumindest konkretisierbar sein muss. Ein Vergleich des Kapitels VII mit Kapitel VI der UN-Charta, welches die friedliche Beilegung von Streitigkeiten regelt, gibt dazu einen Hinweis. So bestimmt Art. 33 Abs. 1 UN-Charta, dass sich „die Parteien einer Streitigkeit, deren Fortdauer geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden“, um eine friedliche Beilegung im beiderseitigem Einvernehmen zu bemühen haben. Dem Sicherheitsrat steht es nach Art. 34 UN-Charta offen, in solchen Situationen Untersuchungen einzuleiten und nach Art. 36 Abs. 1 UN-Charta Empfehlungen an die Parteien abzugeben. Dies spricht für ein Stufenverhältnis. Eine Situation, die einer Bedrohung des Friedens vorgelagert ist, aber potentiell zu einer solchen führen kann, fällt danach unter Kapitel VI der UN-Charta. Die Eingriffsmöglichkeiten des Sicherheitsrates sind in diesem Rahmen dem noch nicht gegenwärtig bedrohlichen Zustand entsprechend moderat. Verschärft sich die Situation und ist die Bedrohungslage damit akut, fällt sie zumindest auch860 unter Kapitel VII. In letzterem Fall ist dem Sicherheitsrat dann die Befugnis zur verbindlichen Anordnung weitreichender Maßnahmen zugewiesen, um einem Ausbruch des Konflikts notfalls auch gegen den Willen der Streitparteien 858
Vgl. dazu auch Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, S. 2, 216. Dies schließt einen gewissen Spielraum des Sicherheitsrats bei der Würdigung nicht völlig aufgeklärter Sachverhalte oder ungewisser Prognosen mit ein, Herdegen, Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UN-Charta, S. 118. 860 Die Kapitel VI und VII stehen nicht zwingend in einem Exklusivitätsverhältnis. Es besteht kein Grund, dem Sicherheitsrat im Falle einer akuten Bedrohung die Möglichkeit zur friedlichen Streitbeilegung zu verschließen, wenn er die Mechanismen des Kapitels VI für geeignet hält, um den Ausbruchs eines Konfliktes zu verhindern, Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 234. 859
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
verhindern zu können. Daneben steht dem Sicherheitsrat nach Kapitel VII auch die Möglichkeit offen, wie nach Kapitel VI nichtbindende Empfehlungen auszusprechen. Würden sich die Tatbestandsvoraussetzungen nun aber decken, dann wäre Kapitel VI letztlich überflüssig.861 Dagegen spricht nicht zuletzt der differenziert ausgestaltete Kompetenzrahmen des Sicherheitsrates im Rahmen der friedlichen Streitbeilegung,862 über den er sich andernfalls immer hinwegsetzen könnte.863 Auch dies spricht dafür, dass an eine Bedrohung im Sinne des Art. 39 UN-Charta höhere Voraussetzungen zu stellen sind. Nach der Konzeption der UN-Charta muss sich die von einer konkreten Situation ausgehende Gefährdung für den Frieden demnach hinreichend verdichtet haben, um als Bedrohung im Sinne des Art. 39 UN-Charta gelten zu können. Eine nähere Eingrenzung der zu erfüllenden Kriterien ist einer systematischen Auslegung allerdings nicht zu entnehmen.864 Stellt man allein auf die Gefahr ab, dass es in naher Zukunft zu weiteren Terrorakten durch Al Qaida oder ihre Verbündeten kommen könnte, kann unzweifelhaft von einer unmittelbaren Bedrohung gesprochen werden. Al Qaida und ihre Splittergruppen verüben in regelmäßigen Abständen Anschläge und es ist jederzeit mit neuen Gewalttaten zu rechnen. Darüber hinaus sind auch zurzeit mit Al Qaida verbundene Einheiten in anhaltenden Kämpfen in mehreren Staaten verwickelt. Würde man einen negativen Friedensbegriff zugrunde legen, dann wäre dies – mit Ausnahme der Bedrohung durch den IS865 – allerdings weniger eindeutig. Angesichts der im Antiterrorkampf zum Einsatz kommenden Mittel wie Drohnenangriffen und gezielten geheimdienstlichen Operationen, wodurch bereits ein Verstoß gegen das Gewaltverbot eintreten kann, kann aber wohl auch in diesen Fällen von einer hinreichenden Verdichtung der Bedrohungslage ausgegangen werden. (bb) Privatakteure als Subjekte der Bedrohung Es stellt sich jedoch abschließend die Frage, ob die Bedrohung des Friedens nach einer systematischen und teleologischen Auslegung von privaten Akteuren ausgehen kann. Das Sanktionsregime orientiert sich in erster Linie an Al Qaida und weiteren Gruppierungen, die im Gegensatz zum IS noch keine Adressaten des Gewaltverbots sind. Die Frage bleibt damit für das Sanktionsregime von besonderer Relevanz. Dies gilt auch für die Stellung des Einzelnen im Völkerrecht allgemein, da sich das Verbot friedensbedrohenden Verhaltens der UN-Charta – wie oben bereits erwogen866 – dann auch unmittelbar an Individuen richten würde. Sie bildeten in diesem Fall ein potentielles Subjekt der Bedrohung. Sollte eine unmittelbare Bedrohung durch In861 862 863 864 865 866
Arntz, Der Begriff der Friedensbedrohung, S. 48. Vgl. Art. 36 Abs. 2 und 3 sowie Art. 37 und 38 UN-Charta. Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 234. Ebenso Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 235. Vgl. bereits im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (2), (a), (aa). 2. Teil, B., III., 2., b), aa), (4).
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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dividuen jedoch nach einer systematischen und teleologischen Auslegung ausgeschlossen sein, dann würden die im Terrornetzwerk der Al Qaida organisierten Privatpersonen allein als Objekt der Maßnahmen des Sicherheitsrates in Erscheinung treten. Eine Betrachtung der Systematik der UN-Charta spricht gegen die Möglichkeit einer unmittelbaren Bedrohung durch Privatakteure. So sind Systeme kollektiver Sicherheit – wie oben bereits dargestellt867 – auf die Abwehr staatlicher Aggressionen ausgerichtet. Die Mittel, die den Frieden sichern sollen und die den Vereinten Nationen zur Friedenswahrung an die Hand gegeben wurden, zielen erkennbar auf die Abwehr staatlicher Bedrohungen ab (vgl. etwa Art. 2 Ziff. 4, Kapitel VI).868 Eine teleologische Auslegung ließe hingegen die Annahme zu, dass auch Individuen in Betracht kommen den Frieden unmittelbar zu bedrohen. Dabei kann in weiten Teilen auf die Diskussionen über die Weite des Friedensbegriffs verwiesen werden. Rein tatsächlich können die vom positiven Friedensbegriff umfassten Werte wie die Menschenrechte oder die Stabilität und Integrität von Staaten nämlich unmittelbar durch Privatakteure gefährdet werden. Die Bedrohung erfordert zudem ein entschiedenes multilaterales Vorgehen, dessen Umsetzung auf eine Durchsetzungskraft angewiesen ist, wie sie dem Sicherheitsrat nach Art. 25 UN-Charta zugewiesen ist.869 Auf eine entsprechende Deutung verweisen auch die Ausführungen des Highlevel Panel on Threats, Challenges and Change, wenn es feststellt, dass „[t]he security threats we face now […] are from non-State actors as well as States“.870 Auch wenn „Sicherheitsbedrohungen“ nicht gleichbedeutend mit dem rechtstechnischen Begriff der „Friedensbedrohung“ sein müssen, wird deutlich, dass sie heute Privatakteuren ein vergleichbares Bedrohungspotential wie den Staaten zuschreiben. Zumal sie dafür plädieren, dass die Vereinten Nationen den veränderten Umständen Rechnung tragen,871 wäre die Anerkennung der Tatsache, dass die im Fokus stehenden Rechtsgüter („human security as well as State security“872) als Teil des veränderten Friedensbegriffs auch unmittelbar von Privatakteuren bedroht sein können, nur folgerichtig. Nur dann kann sichergestellt werden, dass sich den Vereinten Nationen die gesamten Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Erst durch die rechtliche Fassung der Beziehungen aller wesentlichen Akteure kann das Völkerrecht seiner Ordnungsfunktion gerecht werden,873 das durch die Konfrontation mit neuen Bedrohungsszenarien großen Herausforderungen ausgesetzt ist. Dies schließt 867
Im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (a), (bb). So im Ergebnis die Ankläger vor dem HRC im Fall Sayadi & Vinck gg. Belgien vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006, Rn. 5.6. 869 Vgl. auch den siebten und achten Abs. der Präambel zu S/RES/2161 (2014). 870 UN Doc. A/59/565, Synopsis, 1. Abs. 871 UN Doc. A/59/565, S. 6. 872 UN Doc. A/59/565, S. 6. 873 Bruha, AVR 40 (2002), S. 390; Kotzur, AVR 40 (2002), S. 472. 868
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
ein, dass sich das Verbot friedensbedrohenden Verhaltens direkt an Individuen richtet und sich somit ihre partielle Völkerrechtssubjektivität erweitert. Die differenzierte und zeitlich unbegrenzte Ausgestaltung der Rechtsstellung von Individuen weist darauf hin, dass der Sicherheitsrat die Rechtssubjektivität der Individuen in diesem Bereich ebenfalls anerkannt hat. Jede Einzelperson muss bei Unterstützung des Terrornetzwerkes unabhängig von seiner Staatszugehörigkeit eine Sanktionierung befürchten, womit negativ die Verpflichtung zum Unterlassen solchen Verhaltens mitgeregelt wurde. Zudem ist jedem Betroffenen zugleich das Recht zur Einleitung eines „de listing“-Prozesses direkt zugewiesen. Gegen die Anerkennung der Rechtssubjektivität kann auch nicht eingewandt werden, dass Al Qaida und ihre Verbündeten weder willens noch fähig sind, völkerrechtlichen Pflichten nachzugehen, sie sich also nicht als Teil der internationalen Gemeinschaft erweisen würden.874 Dieser Wille konnte auch den Taliban nicht zugesprochen werden, wenngleich sie als de facto-Regime875 zweifellos zur unmittelbaren Bedrohung des Friedens befähigt waren und deshalb partielle Völkerrechtssubjektivität innehatten. Daneben drücken sich über das Völkerstrafrecht bereits Individualverpflichtungen aus, die als Ausdruck einer gemeinsamen Werteordnung der internationalen Gemeinschaft anerkannt sind. Terroranschläge eines großen Ausmaßes können bereits unter den Straftatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit subsumiert werden.876 Zudem hat die Beschwerdekammer des Sondertribunals für den Libanon unter Vorsitz Antonio Casseses – entsprechend seiner bereits zuvor vertretenen Rechtsauffassung877 – den Terrorismus in Abwesenheit eines bewaffneten Konflikts zu einem völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Tatbestand des Völkerstrafrechts erklärt.878 Es ist also bereits eine durch das Völkerstrafrecht unmittelbar dem Einzelnen zugewiesene Unterlassenspflicht anerkannt, die inhaltlich mit dem aus Art. 39 UN-Charta entspringendem Verbot friedensbedrohenden Verhaltens durch Mitgliedschaft oder Unterstützung einer internationalen Terrororganisation zumindest weitgehend übereinstimmt. Insofern ist das Individuum schon als Völkerrechtssubjekt anerkannt. Die Annahme, dass das Individuum ebenfalls als Subjekt der Bedrohung des Friedens in Erscheinung tritt, würde zu dieser Entwicklung letztlich aufschließen. Eine teleologische Auslegung lässt demnach die Annahme zu, dass von Privatakteuren eine unmittelbare Bedrohung des Friedens ausgehen kann. Die Ausdifferenzierung der „listing“-Kriterien wäre dann von der – ratione materiae 874
So aber Eckert, Die Rolle nichtstaatlicher Akteure, S. 206 f. Vgl. dazu Wolfrum/Philipp, MPUNYB 6 (2002), S. 582 f. So wurden die Taliban ausdrücklich vom Sicherheitsrat zur Auslieferung Osama bin Ladens und zum Unterlassen der Beherbergung von Al Qaida verpflichtet, was auf ihre Subjektstellung verweist. Auch Eckert, Die Rolle nichtstaatlicher Akteure, S. 17 f. schreibt de facto-Regimen Völkerrechtssubjektivität zu. 876 Krajewski, KJ 2001, S. 356 f. 877 Cassese, JICJ 4 (2006), S. 933. 878 Prosecutor gg. Ayyash et al., Appeals Chamber, Interlocutory Decision on the applicable law: terrorism, conspiracy, homicide, perpetration, culmulative charging, STL-11-01/I vom 16. Februar 2011, Rn. 85. Ablehnend: Kirsch/Oehmichen, ZIS 10/2011, S. 803 ff. 875
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auf eine Friedensbedrohung begrenzten – Befugnis des Sicherheitsrats zum Erlass von Sekundärrecht nach Kapitel VII879 umfasst. Es bleibt zu klären, ob diese Deutung auch von der authentischen Auslegung durch die Mitgliedstaaten getragen wird. Dagegen spricht zunächst die Kennzeichnung terroristischer Anschläge durch die Generalversammlung als kriminelle Akte,880 was darauf hindeuten könnte, dass die Terroristen allein den nationalen Strafgerichtsbarkeiten unterliegen sollen. Dem widerspricht allerdings das Ergebnis der obigen Ausführungen, nämlich dass die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder jedenfalls die von Terroristen verübten Anschläge dem Einzelnen auch nach Völkerstrafrecht, also völkerrechtlich, verboten sind. Allein der Umstand, dass sie strafrechtlich zu ahnden sind, heißt außerdem noch nicht, dass sie nicht auch gegen das Verbot friedensbedrohenden Verhaltens verstoßen können. Für die Deutung, dass die unmittelbare Bedrohung für den internationalen Frieden von den Staaten ausgeht, kann jedoch sprechen, dass sie aufgefordert werden, den Terrorismus nicht zu unterstützen.881 Die Terroristen selbst werden hingegen nicht direkt angesprochen. Dem ist jedoch die umfassende Formel entgegen zu halten, mit der die Generalversammlung den internationalen Terrorismus zu einer Bedrohung des internationalen Friedens erklärt: „[The General Assembly] reiterates its strong and unequivocal condemnation of terrorism in all its forms and manifestations, committed by whomever, wherever and for whatever purposes, as it constitutes one of the most serious threats to international peace and security“.882
Daraus geht zunächst hervor, dass es nicht darauf ankommt, ob es zu einer staatlichen Verwicklung in die Terrorakte im Sinne einer Unterstützung oder eines „harboring“ der terroristischen Vereinigung kommt, wie es etwa ursprünglich im Falle Afghanistans durch die Taliban der Fall war. Zum anderen lässt die Weite der Formulierung vermuten, dass es offenbar auch nicht darum geht, ob in der Folge eine zwischenstaatliche Auseinandersetzung oder ein sonstiger Verstoß eines Staates gegen das Friedensgebot der UN-Charta droht. Zweifel könnten jedoch dadurch aufkommen, dass international bisher noch keine Einigkeit über die Definition des Terrorismus besteht.883 Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass eine konsensual rechtserweiternde Auslegung nicht beabsichtigt, zumal es sich hier um den konkreten Fall der Bedrohung durch Al Qaida handelt. 879
Fassbender, CJTL 36 (1998), S. 574. A/RES/56/88, Ziff. 1. Ebenso: A/RES/65/34, Ziff. 1, 4, 10. 881 A/RES/56/88, Ziff. 5. Ebenso: A/RES/65/34, Ziff. 7. 882 A/RES/66/282, Ziff. 1. 883 Vgl. dazu den Report of the Eminent Jurists Panel on Terrorism, Counter-terrorism and Human Rights, Assessing Damage, Urging Action, Genf 2009, S. 7. Einen Definitionsversuch unternimmt etwa Wagner, ZaöRV 2003, S. 882 ff. 880
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Weitere Aufschlüsse dazu wird die sich aus der Unterstützung der Praxis des Sicherheitsrates hervorgehende Übereinstimmung der Mitgliedstaaten über die Auslegung der UN-Charta bringen. (3) Zwischenergebnis Nach einer systematischen Auslegung steht dem Sicherheitsrat auf Tatbestandsebene kein Ermessen im weiten Sinne zu. Das Souveränitätsprinzip spricht eher dafür, dass die Befugnisnormen des Sicherheitsrates eng auszulegen sind. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes stellt auch die von Al Qaida und ihren Verbündeten ausgehende Gefährdung keine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit i.S.d. Art. 39 UN-Charta dar. Demgegenüber zeigt eine von den Mitgliedstaaten getragene rechtsfortbildende Auslegung, dass die von internationalen Terrororganisationen primär betroffenen Rechtsgüter mittlerweile unter den Friedensbegriff subsumiert werden. Sie weist auch darauf hin, dass Privatakteure als unmittelbares Subjekt einer Bedrohung i.S.d. Art. 39 UN-Charta betrachtet werden können. Näheres muss sich aus der Praxis ergeben, aus der die Übereinstimmung der Mitgliedstaaten über die Auslegung der UN-Charta hervorgeht (Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK). cc) Die Praxis als Ausdruck übereinstimmender Auslegung Nach Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK ist für die Inhaltsbestimmung von Vertragsnormen „jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages [zu berücksichtigen], aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht“. Die Organe der Vereinten Nationen sind dazu berufen, den Vertrag im Einzelfall anzuwenden. Im Rahmen des Kapitels VII ist es der Sicherheitsrat, der eine Friedensbedrohung feststellt und in der Folge vorschreibt, welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Im Gefüge der Vereinten Nationen entwickelt die Organpraxis als solche eine besondere Indizwirkung für die Auslegung der UN-Charta,884 was zur Behauptung ihrer Autorität auch einzufordern ist.885 Als Praxis eines nur mit fünfzehn Mitgliedern besetzten Organs reflektieren die Resolutionen des Sicherheitsrates aber nicht zwingend die übereinstimmende Auslegung aller Vertragsparteien, sondern allenfalls der in ihm vertretenen Staaten.886 Sie wird deshalb nicht als eigene Auslegungsquelle dienen können, ohne dass sie von einer Anerkennung der Mitgliedstaaten getragen wird, wenngleich sich ihre Rechtsüberzeugung im Einzelfall auch über einen stillschweigenden Konsens äußern kann.887 Man käme ansonsten 884
Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 143 f., 153. Vgl. auch Fassbender, The UN-Charter as Constitution, S. 135, der die Befugnis zur (nicht-authentischen) Interpretation aus der ihnen übertragenen Verantwortung entnimmt. 886 Skubiszewski, Remarks on the Interpretation of the UN-Charter, S. 896. 887 Vgl. dazu Herdegen, VJTL 27 (1994), S. 155; die rechtsfortbildende Praxis trägt damit gewisse Ähnlichkeit zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht. Zu den Anforderungen an 885
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auch zu dem absurden Ergebnis, dass man zur Bewertung der Rechtmäßigkeit einer Praxis selbstreferentiell wiederum auf die Praxis verweisen müsste. Die Grenzen politischer Macht lassen sich aber nie allein aus der Praxis bestimmen.888 Der Sicherheitsrat ist schließlich nur mit sachlich beschränkten Kompetenzen ausgestattet worden und nicht mit der Befugnis, sein eigenes Recht zu setzen. So stellte der IGH im Namibia-Fall zur Beurteilung der Zulässigkeit der weiten Auslegung des Art. 27 Ziff. 3 UN-Charta durch den Sicherheitsrat auch auf die (stillschweigende) Anerkennung durch die Mitgliedstaaten ab.889 Es ist die Praxis des Sicherheitsrates also dahingehend zu untersuchen, ob von nichtstaatlichen Netzwerken ausgeübte Terroranschläge selbst als Friedensbedrohung betrachtet werden und damit in terroristische Vereinigungen eingegliederte Individuen als Subjekte der Bedrohung in Frage kommen. Die Praxis müsste von einer übereinstimmenden Rechtsüberzeugung der Mitgliedstaaten getragen sein. Der Sicherheitsrat hat sich bereits vor Erlass der Resolution 1267 (1999) mit terroristischen Bedrohungen befasst und in diesem Zusammenhang Maßnahmen nach Kapitel VII beschlossen. Eine Bedrohung des internationalen Friedens hat er dabei aber nicht unmittelbar mit terroristischen Anschlägen begründet. Dies gilt sowohl für die Verurteilung des Anschlags auf ein ziviles Flugzeug der Pan Am über der schottischen Stadt Lockerbie, wie im Fall des gescheiterten Mordanschlags auf den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak. In beiden Fällen forderte er die Auslieferung der Tatverdächtigen durch den jeweiligen Aufenthaltsstaat (im ersten Fall durch Libyen890 und im zweiten Fall durch den Sudan891). Erst die Nichtbefolgung der Aufforderung wertete der Sicherheitsrat jeweils als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, woraufhin er Maßnahmen nach Kapitel VII beschloss.892 In beiden Fällen kam noch der Umstand hinzu, dass staatliche Autoritäten verdächtigt wurden, die Anschläge autorisiert oder gefördert zu haben.893 Es handelte sich also um Fälle von state-sponsored terrorism, die als Verstoß gegen das Gewaltverbot auch unter dem herkömmlichen Verständnis als Friedensbedrodie Akzeptanz: ders., Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UN-Charta, S. 112. Zur Schwierigkeit der Einordnung des Konsensbegriffs im Bereich der Vertragsanwendung vgl. Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 144 ff. 888 de Wet, NILR 67 (2000), S. 203; dies., The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 120; Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 55 f. 889 IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Adv. Op., ICJ Rep. 1971, S. 22. Zum grds. Erfordernis der allgemeinen Akzeptanz bei der Vertragsauslegung durch die Organe der Vereinten Nationen: de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 103 f.; Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrats, S. 14. 890 5. Abs. der Präambel zu S/RES/731 (1992) und operative Ziff. 3. 891 S/RES/1044 (1996), Ziff. 4 lit. a. 892 Vgl. zu Sudan den 10. Abs. der Präambel zu S/RES/1054 (1996) und zu Libyen den 7. Abs. der Präambel zu S/RES/748 (1992). 893 Vgl zu dem Fall Libyen den 6. Abs. der Präambel zu S/RES/731 (1992) und im Fall des Sudan S/RES/1044 (1996), Ziff. 4 lit. b.
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hung einzuordnen waren.894 Auf einem ähnlichen Begründungszusammenhang beruhte ursprünglich die Einrichtung des 1267-Sanktionsregimes. Zunächst verurteilte der Sicherheitsrat Terroranschläge auf US-amerikanische Botschaften in Nairobi und Dar-es-Salaam,895 die auf Osama bin Laden und Al Qaida zurückgeführt wurden.896 Die Unterdrückung des internationalen Terrorismus stufte er dabei als wesentlich für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ein.897 Die Taliban wurden dazu aufgefordert, die Unterstützung von Terroristen zu unterlassen und die Verantwortlichen der Anschläge auszuliefern.898 Die Nichtbefolgung dieser Aufforderung wertete der Sicherheitsrat wiederum als Bedrohung des internationalen Friedens und adressierte Sanktionen auf Grundlage von Kapitel VII gegen die Taliban.899 Der Sicherheitsrat orientierte sich in diesem Konflikt zumindest insofern an den herkömmlichen Argumentationsmustern zur Begründung einer Situation nach Art. 39 UN-Charta, als dass er sich nicht primär auf das private Terrornetzwerk und dessen Anschläge bezog. Das Terrornetzwerk selbst war noch nicht Sanktionsadressat und die unmittelbare Bedrohung wurde offenbar dem de facto-Regime zugeschrieben. Dies änderte sich allerdings nach den Terroranschlägen des 11. September 2001. Bereits am Folgetag erklärte der Sicherheitsrat in Ziffer 1 des operativen Teils der Resolution 1368 (2001): „[The Security Council] unequivocally condemns in the strongest terms the horrifying terrorist attacks which took place on 11 September 2001 in New York, Washington, D.C. and Pennsylvania and regards such acts, like any act of international terrorism, as a threat to international peace and security“.900
Der Sicherheitsrat qualifiziert also offenbar den Terroranschlag selbst als Bedrohung und nicht einen Fall von state-sponsored terrorism oder einen zu erwartenden Bruch des Gewaltverbots durch einen zurückschlagenden Staat.901 Zumal zu diesem Zeitpunkt die Hintergründe der Tat noch nicht klar waren, hätte die Verwicklung eines Staates auch allenfalls unterstellt werden können.902 Der sich im 894 s. dazu Ziff. 1, Abs. 9 der „Friendly Relations Declaration“ der Generalversammlung (Anhang der Resolution Nr. 2625 (XXV) vom 24. Oktober 1970), die Ausdruck von Völkergewohnheitsrecht darstellt (so der IGH im Nicaragua-Fall, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua gg. USA), ICJ Rep. 1986, S. 100). 895 S/RES/1189 (1998), Ziff. 1, vom 13. August 1998. 896 Vgl. dazu Abs. 7 der Präambel zu S/RES/1267 (1999). 897 3. Abs. der Präambel zu S/RES/1189 (1998). 898 S/RES/1193 (1998), Ziff. 15; S/RES/1214 (1998), Ziff. 13, in der dazu aufgefordert wird, dazu beizutragen, dass alle angeklagten Terroristen vor Gericht gestellt werden können. Die USA ersuchten die Taliban um Überstellung der Verantwortlichen für die Attentate auf die US-amerikanischen Botschaften, UN Doc. S/1999/1021. 899 8. Abs. der Präambel zu S/RES/1267 (1999) und operative Ziff. 1 – 4. 900 Hervorhebungen hinzugefügt. 901 Ebenso: Santori, The Security Council’s (Broad) Interpretation of the Notion of the Threat to Peace in Counter-terrorism, S. 96. 902 Vgl. dazu Bruha, AVR 40 (2002), S. 391.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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Wortlaut spiegelnde Paradigmenwechsel deutete sich auch schon zuvor in der Entwicklung des 1267-Sanktionsregimes an, das den Fokus mit Resolution 1333 vom 19. Dezember 2000 bereits auf die primäre Gefahrenquelle des Terrornetzwerkes Al Qaida richtete, indem er ihre Anhänger neben den Taliban in einem eigenen Abschnitt der Sanktionsliste aufnahm.903 Anders als die Taliban wurden Osama bin Laden und die Al Qaida in der Resolution allerdings nicht direkt angesprochen und etwa zu einem bestimmten Verhalten aufgefordert. Mit der Trennung des Al Qaida und Taliban-Sanktionsregimes durch Resolution 1989 (2011) wird aber nochmals unterstrichen, dass die vom internationalen Terrorismus ausgehende Gefahr als eigenständiges Bedrohungsszenario angesehen wird.904 Aus der Formulierung „mit Besorgnis Kenntnis nehmend von der anhaltenden Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, die von Al Qaida […] ausgeht“ wird deutlich, dass der Sicherheitsrat die Bedrohung unmittelbar auf Al Qaida zurückführt.905 Al Qaida wird damit als verantwortliches Subjekt der Zurechnung einer Bedrohungslage i.S.d. Art. 39 UN-Charta anerkannt. Für die Anerkennung von Privatakteuren als Subjekte unmittelbarer Bedrohung spricht auch die mit Resolution 2178 (2014) erfolgte direkte Ansprache ausländischer terroristischer Kämpfer durch den Sicherheitsrat. Darin ruft er sie auf, ihre Waffen nierderzulegen und alle terroristischen Handlungen und ihre Beteiligung an bewaffneten Konflikten einzustellen.906 Die Praxis des Sicherheitsrates weist also darauf hin, dass vom Friedensbegriff auch Werte erfasst sind, die über seinen negativen Kerngehalt hinausgehen. Diese können auch unmittelbar von in terroristischen Vereinigungen eingegliederten Individuen und ihren Verbündeten bedroht werden. Damit übertrug der Sicherheitsrat die bereits mit dem Völkerstrafrecht vollzogene Anerkennung, dass Individuen heute der völkerrechtlichen Pflicht zur Achtung der gemeinsamen Grundwerte der internationalen Gemeinschaft unterstehen, partiell auch auf den Bereich der Friedenssicherung nach Kapitel VII der UN-Charta. Die Praxis des Sicherheitsrates wird von den Mitgliedstaaten getragen und kann damit als Ausdruck rechtfortbildender Auslegung betrachtet werden. So haben sie – repräsentiert in der Generalversammlung – die Resolutionen des Sicherheitsrates betreffend Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch Terrorakte wiederholt unterstützend gewürdigt.907 Zur Anerkennung des insofern betroffenen positiven Friedens kann auf die obigen Ausführungen im Rahmen der teleologischen Auslegung verwiesen werden. 903
S/RES/1333 (2000), Ziff. 8 lit. c. S/RES/1988 (2011) und S/RES/1989 (2011). Vgl. dazu bereits die Ausführungen im 2. Teil, A., II., 2., b). 905 Vgl. auch den 18. Abs. der Präambel zu S/RES/1989 (2011), in dem der Sicherheitsrat Al Qaida für die diversen Anschläge direkt verurteilt. 906 S/RES/2178 (2014), Ziff. 1. 907 Vgl. etwa den 7. Abs. der Präambel zu A/RES/65/34; 4. Abs. der Präambel zu A/RES/60/ 288, („The United Nations Global Counter-Terrorism Strategy“). 904
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
dd) Ergebnis zur Tatbestandseite des Art. 39 UN-Charta Nach rechtsfortbildender Auslegung durch die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind die durch Al Qaida und ihre Verbündeten primär gefährdeten Werte als Teil des Friedensbegriffs anerkannt. Der so verstandene Frieden kann auch von in internationale Terrornetzwerke eingegliederten Individuen unmittelbar bedroht werden. Es kann nunmehr als ebenfalls anerkannt gelten, dass sich das Verbot friedensbedrohenden Verhaltens aus der UN-Charta auch an den Einzelnen richtet. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfortbildung, die durch eine dynamische Vertragsauslegung gewonnen werden konnte. Die Feststellung des Sicherheitsrates in Resolution 2161 (2014) und den Vorgängerresolutionen entsprach dieser Auslegung und war damit rechtmäßig. c) Die Rechtsfolgenseite Nachdem der Sicherheitsrat eine Situation nach Art. 39 UN-Charta festgestellt hat, kann er Sanktionen verhängen. Der Sicherheitsrat hat zur Anordnung der Maßnahmen gegen Al Qaida und ihre Verbündeten eine Rechtsgrundlage nicht explizit benannt, sondern allgemein auf seine Befugnisse aus Kapitel VII verwiesen.908 Die Mitgliedstaaten werden zur Umsetzung von Finanz-, Reise- und Waffenembargos gegen das Terrornetzwerk und seine Verbündeten verpflichtet. Dabei handelt es sich um nicht bloß vorläufige Zwangsmaßnahmen unterhalb der Schwelle von Militärsanktionen. Solche fallen grundsätzlich unter Art. 41 UN-Charta, der in nicht abschließender Aufzählung mitunter die Unterbrechung von Wirtschaftsbeziehungen, Verkehrsmöglichkeiten und den Abbruch diplomatischer Beziehungen als mögliche Sanktionsmittel vorsieht. Zunächst stellt sich die Frage, ob auch die Anordnung von Maßnahmen gegen Individuen von Art. 41 UN-Charta umfasst sein kann. Zwar richten sich die Maßnahmen unmittelbar nur an die Mitgliedstaaten, die zum Erlass der Individualsanktionen verpflichtet werden. Ziel der Maßnahmen sind aber Al Qaida und ihre Verbündeten. Die innerstaatlichen Rechtssysteme dienen nur als Medium zur Umsetzung der Sanktionen, um auf die Individuen und Körperschaften durchzugreifen. Sie stellen damit die eigentlichen Adressaten der Maßnahmen dar. Ein Vorgehen gegen Individuen ist mit dem Wortlaut des Art. 41 UN-Charta vereinbar. Zudem wurde der Kreis potentieller Friedensbedroher im Wege rechtsfortbildender Auslegung erweitert. Es ist dann folgerichtig, wenn der Sicherheitsrat auch dazu in die Lage versetzt wird, gegen die primäre Gefahrenquelle vorzugehen.909 Die mit der Erweiterung des Kreises möglicher Subjekte einer Friedensbedrohung korrespondierende Erweiterung des Handlungsspielraums nach Kapitel VII wird auch von den Staaten getragen, die die Maßnahmen des Sicherheitsrats grundsätzlich unterstützen.910 Mittlerweile kann es als allgemein anerkannt 908 909 910
So in der Präambel zu S/RES/2161 (2014). Daran zweifelt Martin Scheinin, UN Doc. A/65/258, Ziff. 52. Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (2).
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gelten, dass der Sicherheitsrat auf Grundlage von Art. 41 UN-Charta auch Sanktionen gegen Individuen verhängen kann, wie er es in mehrjähriger Praxis bereits vollzieht.911 Wie im Fall des Al Qaida-Sanktionsregimes konkretisiert er zugleich die individualgerichteten Verbote, indem er abstrakt-generelle Kriterien für die Bestimmung der Sanktionsadressaten aufstellt und darüber hinaus Dritten Beschränkungen auferlegt, die mit den Sanktionsadressaten in einer wirtschaftlichen Beziehung stehen.912 Dieses Vorgehen ist als Befugnis zum (quasi-)legislativen Erlass von sachlich auf die Friedensbedrohung begrenztem, sekundärem Vertragsrecht von den Kompetenzen des Sicherheitsrats grundsätzlich gedeckt,913 wobei er wiederum zur Beachtung des Willens der Staatengemeinschaft verpflichtet ist.914 Die auf diesem Wege vollzogene, quasi-legislative Konkretisierung ist mittlerweile allgemeine Praxis des Sicherheitsrats und wird von den Mitgliedstaaten akzeptiert.915 Ebenso verhält es sich mit weiterführenden Verboten, die sich an Dritte richten.916 Einschränkend fordert die in der Generalversammlung vertretene Staatengemeinschaft den Sicherheitsrat bei der Ausgestaltung seiner Sanktionsregime aber direkt auf „to ensure that fair and clear procedures exist for placing individuals and entities on the sanctions lists and for removing them, as well as for granting humanitarian exemptions.“917
Den Verlautbarungen der Sicherheitsratsmitglieder lässt sich entnehmen, dass sie die zentrale Rolle der Generalversammlung in diesem Bereich anerkennen und ihre Resolutionen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen. Gerade im Rahmen des 1267-Sanktionsregimes haben sie dem Vernehmen nach den weiteren Reformprozess mit angestoßen. So hat der damalige Vorsitzende des 1267-Sanktionsausschusses, César Fernando Mayoral, die Einrichtung des „focal point“ durch Resolution 1730 vom 19. Dezember 2006, der den Betroffenen erstmalig einen unmittelbaren Zugang zu einem Sanktionsausschuss der Vereinten Nationen öffnete, folgendermaßen begründet: „[…] We must also fully respect human rights. I believe that to be a moral imperative, reaffirmed in the Outcome document of the 2005 Summit and in the United Nations Global Strategy against Terrorism.“918
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Vgl. dazu bereits die Ausführungen im 2. Teil, A., I. Vgl. im 2. Teil, B., I., 2. und 3. 913 Fassbender, CJTL 36 (1998), S. 574; Talmon, AJIL 99 (2005), S. 179. 914 Vgl. Harper, NYUJInt.L&Pol. 27 (1994), S. 151 – 154 und die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (a), (cc). 915 Vgl. nur die Sanktionsregime für Guinea-Bissau (S/RES/2048 (2012), Ziff. 6 – 8), die DR Kongo (S/RES/1857 (2008), Ziff. 4) und die Elfenbeinküste (S/RES/1727 (2006), Ziff. 12), die ähnlich wie das Al Qaida-Sanktionsregime die Kriterien zur Aufnahme in die entsprechenden Sanktionslisten näher konkretisieren. 916 Vgl. nur für die DR Kongo S/RES/1807 (2008), Ziff. 1. 917 A/RES/60/1, Ziff. 109. 918 UN Doc. S/PV.5601, S. 5. 912
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Wenngleich die Sicherheitsratsmitglieder sich also offenbar nicht unmittelbar durch den sich in der Resolution der Generalversammlung spiegelnden gemeinsamen Willen der Staatengemeinschaft gebunden fühlten, sondern durch das von der Resolution reflektierte „moralische Gebot“, ist ihnen eine besondere Bedeutung im Rahmen der Auslegung zur Inhaltsbestimmung der zulässigen Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII zuzuschreiben. Woraus sich diese näher herleitet, wird in der folgenden Untersuchung zu den Rechtsbindungen des Sicherheitsrats noch klarer herausgestellt. aa) Die UN-Charta Die Organe der Vereinten Nationen verfügen nur insoweit über Rechte und Pflichten, wie sie ihnen von den Mitgliedstaaten übertragen wurden. Ihr Gründungsdokument begründet und begrenzt damit den Handlungsspielraum des Sicherheitsrates gleichermaßen. Dies ergibt sich bereits aus dem principle of conferred power.919 Eine Bindung des Sicherheitsrates an die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen sieht die UN-Charta selbst vor (Art. 2 und Art. 24 Abs. 2).920 Aus der Charta können sich sowohl Rechtsbindungen aus dem Verhältnis zu den Mitgliedstaaten wie zu den Sanktionsadressaten ergeben. (1) Rechtsbindung im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten (Erste Dimension) (a) Die Beziehung staatlichen Verfassungsrechts zu dem Recht der Vereinten Nationen Indem der Sicherheitsrat die Rechtsstellung von Individuen ausgestaltet, nimmt er supranationale Kompetenzen für sich in Anspruch.921 Insofern besteht eine Parallele zur Europäischen Union, die den Prototypen einer supranationalen Organisation darstellt.922 Es liegt deshalb nahe, bei der Suche nach Rechtsmaßstäben zur Bewertung rechtsformübergreifender Regulierung in vertikaler Richtung das EU-Recht nach verallgemeinerungsfähigen Anhaltspunkten zu untersuchen. Insbesondere in dieser Hinsicht hat die Europäische Union eine bedeutende Entwicklung genommen, die in ihrer Entstehung ebenfalls eine auffällige Parallele zum Al Qaida-Sanktionsregime aufweist. Nachdem sich das BVerfG dafür zuständig erklärt hatte, Maßnahmen der EU-Organe solange auf ihre rechtliche Vereinbarkeit mit den nationalen Grundrechten zu überprüfen, bis die Europäische Union einen den deutschen Grundrechten im Wesentlichen gleich zu achtenden Individualrechtsschutzstandard sicherte, haben sich die Unionsorgane zur Achtung eines entsprechenden 919
Siehe bereits: 2. Teil, B., III., b), bb), (1), (a), (cc). Vgl. dazu auch ICTY, Prosecutor gg. Dusko Tadic, IT-94-1, Decision of the Appeals Chamber on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, vom 2. Oktober 1995, Rn. 28. 921 Vgl. dazu einführend im 2. Teil, B., I. 922 Vgl. Frenz, Europarecht, S. 1 f. 920
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Niveaus verpflichtet und dazu u. a. auf die gemeinsame Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten verwiesen, an die sie sich mittelbar gebunden fühlen.923 Es stellt sich die Frage, ob diese von der unteren Ebene vermittelte Rechtsbindung auch für das Al Qaida-Sanktionsregime zu gelten hat, das sich ebenfalls durch eine Mehrebenenstruktur auszeichnet.924 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Europäische Union hinsichtlich der Tiefe supranationaler Regulierung einen Sonderfall darstellt. Aufgrund ihrer regionalen Begrenzung und der Rückbindung zu gemeinsamen Werten925 kann die Begründung ihrer rechtlichen Fundamente nicht ohne Weiteres auf die Weltgemeinschaft übertragen werden. Bardo Fassbender schreibt dem Recht der Europäischen Union dennoch für alle supranational tätig werdenden Organisationen eine Vorbildfunktion zu: „considering the degree to which the EC/EU has been a model for other regional organizations, particularly in Latin America and in Africa, it is justifiable to say that EC/EU law can be regarded as a precedent which in the future will serve as a guide or pattern in analogous cases of direct ,governmental‘ action taken by international organizations vis-àvis individuals.“926
Der Aspekt der über die Verfassungstraditionen vermittelten Bindung an einen dem innerstaatlichen Niveau im Wesentlichen gleich zu achtenden Grundrechtsstandard leitet sich nach dem hier vertretenen Verständnis aus dem Gebot des Respekts vor der staatlichen Souveränität verstanden als Anerkennung der rechtlichen und politischen Selbstbestimmung der in den Staaten lebenden Gemeinschaften ab.927 Das diesem Konzept zugrundeliegende Souveränitätsverständnis wird heute allgemein anerkannt, wenngleich auch dieses seinen Ursprung in der westlichen Rechtstradition genommen hat.928 Danach erscheint es aber durchaus möglich zu sein, eine über den Souveränitätsanspruch vermittelte Bindung an ein äquivalentes Grundrechtsniveau grundsätzlich im Falle supranationaler Durchgriffe auf die Rechtsstellung des Einzelnen abzuleiten, sofern dem im Einzelfall nicht die Struktur und die Eingriffskompetenzen der Organisation entgegenstehen. Dies erfordert eine nähere Untersuchung der UN-Charta. 923
Ausführlich dazu im folgenden Punkt aa). Bejahend: Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 462 f. und ihm folgend: Föh, Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 243. Ähnlich: Halberstam/Stein, CML Rev. 46 (2009), S. 24. 925 Vgl. etwa den 3. Abs. der Präambel zum EUV, der lautet: „schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie die Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben“. 926 Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 465. 927 Vgl. zu diesem Souveränitätsverständnis bereits die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 2., b), aa), (1), (b), (aa). Vgl. auch Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 10: „sovereignty is not only a legal concept; it is also a political one: autonomy of a sovereign state has to mean internal political self-determination of the political community.“ und an anderer Stelle (S. 26): „Sovereignty implies political and legal self-determination.“ 928 Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 26. 924
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Die Befugnis des Sicherheitsrates zur Ausübung von Hoheitsgewalt leitet sich ebenso wie die Rechtspersönlichkeit der Vereinten Nationen (Art. 104 UN-Charta) von ihren Mitgliedstaaten ab. Die Vereinten Nationen sind den Mitgliedstaaten nicht übergeordnet;929 diesen muss prinzipiell die Verfügungsgewalt über ihre eigene rechtliche Verfasstheit und die der Vereinten Nationen verbleiben. Der Sicherheitsrat hat bei der Wahrnehmung seiner Kompetenzen aus Kapitel VII die Souveränität der Mitgliedstaaten zu achten (Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta).930 Im Zusammenspiel mit dem diesen Grundsatz näher ausgestaltenden Verbot zur Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten aus Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta kann eine Pflicht zur Achtung ihrer Verfassungsidentität abgeleitet werden.931 Mit der Zielrichtung zur Förderung der Menschenrechte und der Selbstbestimmung der Völker (Art. 1 Ziff. 2 und 3 UN-Charta) nimmt die UN-Charta darüber hinaus selbst Verfassungsprinzipien der Mitgliedstaaten auf.932 Auf der anderen Seite wurde dem Sicherheitsrat die Befugnis übertragen, in die Souveränitätsrechte der Mitgliedstaaten mit Maßnahmen nach Kapitel VII einzugreifen. Dies drückt sich in der Einschränkung der domain reservé für die Anwendung von Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrats durch Art. 2 Ziff. 7, 2. HS UN-Charta aus. Sie ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die zwingenden Maßnahmen ursprünglich nur zeitlich begrenzte Eingriffe in die inneren Angelegenheiten von Staaten nach sich ziehen sollten.933 Als Ausnahmevorschrift ist sie eng auszulegen und nicht analogiefähig. Es kann daraus also nicht der Schluss gezogen werden, der Sicherheitsrat sollte sich mit Kapitel VII auch tiefgreifend und zeitlich unbeschränkt über die Regelungshoheit aller Mitgliedstaaten in dem Verhältnis zu der ihnen zugeordneten Bevölkerung hinwegsetzen können.934 Der Vorsatz der Vereinten Nationen, im Verfolgen ihres 929
Schilling, AVR 33 (1995), S. 101. Vgl. dazu Bruha/Krajewski, VN 1/1998, S. 15, die die Souveränität der Staaten wie ein „Grundrecht der Staaten“ auffassen. Eingriffe des Sicherheitsrates in die Souveränität der Staaten müssten deshalb gerechtfertigt sein. Vgl. auch IGH-Richter Gerald Fritzmaurice, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Adv. Op., Diss. Op., ICJ Rep. 1971, S. 294, der über das Prinzip territorialer Souveränität spricht: „This is a principle of international law that is well-established as any there can be, – and the SC is as much subject to it (for the United Nations itself a subject of international law) as any of its individual member States are.“ 931 Vgl. zum Zusammenhang der VN-Grundsätze und dem näheren Inhalt: Nolte, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 2 Ziff. 7, Rn. 2 ff.; Schilling, AVR 33 (1995), S. 84. 932 Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 462 stellt mit Verweis auf Art. 1 UN-Charta und der anschließenden Entwicklung fest: „there is an increasingly broader basis for referring to the constitutional traditions and values common to the Member States of the United Nations as a source of UN law.“ 933 Vgl. Krisch, in: Simma et al., UN-Charter, Vor Art. 39, Rn. 18; Arangio-Ruiz, Riv. di dir. int. 83 (2000), S. 629 f. m.w.N. 934 Schilling, AVR 33 (1995), S. 84 m.w.N., führt ferner an: „[Der] hohe Rang des Souveränitätsprinzips gestattet es nicht, eine weitreichende Aushöhlung des Grundsatzes aufgrund einer Ausnahmebestimmung zu einer Bestimmung über seine Ausgestaltung anzunehmen. 930
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
181
obersten Zieles der Friedenssicherung nach dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Mitgliedstaaten zu handeln,935 wäre eine leere Worthülse, wenn die Souveränitätsrechte dem Sicherheitsrat gänzlich zur Disposition überlassen worden wären.936 Das notwendige Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis nach einem weiten Handlungsspielraum des Sicherheitsrates zur Erfüllung seiner Verantwortung für den Frieden (Art. 24 Abs. 1 UN-Charta) und dem Anspruch staatlicher Souveränität erfordert also einen „schonenden Ausgleich“.937 Zugleich darf dabei nicht verkannt werden, dass neue Bedrohungen auch eine veränderte Vorgehensweise notwendig machen können, wie an dem Beispiel der Terrorismusbekämpfung deutlich wird. Dies wurde auch von den Mitgliedstaaten anerkannt, die im Wege rechtsfortbildender Auslegung die Befugnisse des Sicherheitsrates erweitert haben.938 Ebensowenig, wie ein absolutes Verbot zur supranationalen Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen den Mitgliedstaaten und der ihnen zugeordneten Bevölkerung den Anforderungen einer zunehmenden Interdependenz im Mehrebenensystem der Weltrechtsordnung gerecht wird, können diese eine grenzenlose Suspension staatlicher Souveränitätsansprüche rechtfertigen. Auch Art. 103 UN-Charta kann nicht dafür herangezogen werden, um die auf Grundlage der UNCharta erlassenen Resolutionen im Verhältnis zu den Grundwerten staatlicher Verfassungen höher zu gewichten, da die Vorschrift nur im Falle widersprechender Verpflichtungen aus internationalen Verträgen den Bestimmungen der UN-Charta Vorrang einräumt.939 Das Völkerrecht ist keine hierarchische, sondern eine heterarchische Ordnung, in der der Anspruch jeder politischen Gemeinschaft sich selbst zu regieren eines ihrer Fundamente bildet.940 Ein Monismus nach dem Vorbild der Reinen Rechtslehre Hans Kelsens941 muss demnach der Anerkennung eines Vielmehr muß der Grundsatz im Sinne einer Wechselwirkung seinerseits den Anwendungsbereich der Ausnahme begrenzen.“ A.A. offenbar: Gill, NYIL 26 (1995), S. 62. 935 Vgl. Art. 2 Satz 1 UN-Charta. Ebenso: Schilling, AVR 33 (1995), S. 70: „[…] beide Rechtsgüter, Friedenssicherung und Souveränität, [sind] gleichermaßen zu verwirklichen.“ 936 A.A. Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 210 und offenbar auch Oosthuizen, LJIL 12 (1999), S. 553. 937 Schilling, AVR 33 (1995), S. 77. 938 s. dazu ausführlich im 2. Teil, B., III., 3., b). 939 Vgl. UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 11. 940 Vgl. auch de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 194. Darauf weist auch die systematische Stellung des Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta hin, nach dem die Souveränität der Mitgliedstaaten als erster Grundsatz der Vereinten Nationen genannt wird. Vgl. zur Bedeutung für die Vereinten Nationen auch Nolte, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 2 Ziff. 7, Rn. 2. 941 Nach Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 196, liegt der Geltungsgrund einer jeden Rechtsnorm in der jeweils höheren Norm. Aus dieser isolierten Betrachtung ergebe sich ein Normgefüge im Stile eines monistischen Stufenbaus, an dessen Ende eine vorpositive Grundnorm stehe, die als „transzendental-logische Voraussetzung“ bezeichnet wird und es erlaube, den subjektiven Sinn eines verfassungsgebenden und verfassungsgemäßen Aktes als objektiven Sinn, als objektiv gültige Rechtsnorm zu deuten (S. 204). Höchste Norm des positiven Rechts
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Rechtspluralismus bei der notwendigen Abstimmung ineinandergreifender Rechtsordnungen weichen;942 das Verhältnis zwischen Völkerrecht und staatlicher Rechtsordnung kann nicht als „Einbahnstraße“ verstanden werden, nach welcher nationales Verfassungsrecht dem Anpassungsdruck von Regulierungsvorgaben des Sicherheitsrates in vertikaler Richtung einseitig unterworfen wäre: „Vielmehr wächst im Mehrebenensystem umgekehrt auch den verfassungsrechtlich begründeten (mitglied)staatlichen Rechtsschutzformen eine völkerrechtliche Dimension im Hinblick auf den Grundrechtsschutz in und gegenüber internationalen Organisationen zu. Der souveräne Nationalstaat wandelt sich in einen vielfach rechtlich gebundenen, aber auch in einen rechtliche Bindungen aus einem in andere Regime weiterleitenden Mitgliedstaat.“943 Die Einbindung in das System kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen gebietet also sowohl von den Mitgliedstaaten wie auch von den Organen der Vereinten Nationen gegenseitige Loyalität, insbesondere im konfliktträchtigen Fall rechtsformübergreifender Regulierung. Bei der Frage, nach welchen Maßstäben sich die rechtliche Bewertung grundrechtsintensiver Maßnahmen zu richten hat, ist den staatlichen Ordnungen gegenüber dem internationalen Recht konzeptionell der Vorrang einzuräumen, in denen sich idealtypisch die Mitglieder einer politischen Gemeinschaft in gegenseitiger Selbstverpflichtung einen Kanon grundlegender Rechte und Pflichten formuliert haben. Die Ausgestaltung der Rechtsposition des Einzelnen, insbesondere wenn es um sensible Eingriffe in Grundrechte geht, zählt damit traditionell zu den Grundfesten staatlicher Ordnung, also letztlich zum Kernbestand ihrer Verfassungshoheit. Im Verhältnis zur Europäischen Union hat das BVerfG sie entsprechend als Teil der „integrationsfesten Verfassungsidentität“ gekennzeichnet.944 Bei Wahrnehmung supranationaler Kompetenzen unterliegt auch der Sicherheitsrat dem Gebot zur Achtung der Grundrechte des Einzelnen als Zeugnis der Konstitutionalisierungsleistungen der in den Staaten organisierten Gemeinschaften,945 welches auch als Prinzip der Organisationstreue gegenüber den Mitgliedstaaten bezeichnet werden
sei das Völkergewohnheitsrecht (S. 222), aus dem sich damit auch die staatlichen Rechtsordnungen ableiteten. 942 von Bogdandy, IJCL 6 (2008), S. 397, der später klarstellt, dass „[t]he concept of legal pluralism does not imply a strict separation between legal regimes. Rather, it promotes the insight that there is an interaction among the different legal orders. […] any given constitution does not set up a normative u n i v e r s u m anymore but is, rather, an element in a normative p l u r i v e r s u m “ (S. 401, Hervorhebungen im Original). Vgl. auch Orakhelashvili, MPYUNL 11 (2007), S. 180; Cohen, Globalization and Sovereignty, S. ix. 943 Walter, AöR 129 (2004), S. 77 (Hervorhebungen im Original). 944 BVerfGE 123, 267, 353 („Lissabon-Urteil“). 945 Vgl. auch UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 75; Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 463: „the United Nations shall respect fundamental rights, […], as they result from the constitutional traditions common to the Member States, as general principles of the UN law.“
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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kann.946 Aufgrund der Unterschiedlichkeit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen kann es dabei zu Konflikten bei der Gestaltung eines gemeinsamen Regelungsansatzes kommen. Da kein Mitgliedstaat das Recht für sich beanspruchen kann, den anderen den Inhalt der Ausgestaltung einseitig zu diktieren,947 muss sich der Anspruch auf Achtung der Verfassungsidentitäten darauf reduzieren, dass der Sicherheitsrat zum Ausgleich verpflichtet wird. Der von ihm formulierte Inhalt des Rechtsverhältnisses der Staaten zu der ihnen jeweils zugeordneten Bevölkerung muss darauf gerichtet sein, möglichst weitgehend in Einklang mit den jeweils relevanten Bestimmungen der staatlichen Rechtsordnungen gebracht zu werden und sich ihren Maßstäben annähern. Das Achtungsgebot richtet sich also in Beziehung zu den Staaten in der hier beschriebenen Ausrichtung am Maßstab ihrer Souveränität nicht auf die völkerrechtlichen Menschenrechte sondern auf die innerstaatlichen Grundrechte.948 Indem der Sicherheitsrat unter Bezugnahme auf gegen Individualsanktionen gerichtete Verfahren vor mitgliedstaatlichen Gerichten bekundet, weitere Anstrengungen zur fairen und klaren Gestaltung des Individualrechtsschutzes unternehmen zu wollen, weist er auch auf seinen Kooperationswillen hin.949 Der Ansatz sucht einen Ausgleich zwischen einer strikten Trennung zwischen der völkerrechtlichen und der staatlichen Rechtsebene (Dualismus) und einem monistischen Verständnis mit hierarchischer Struktur. Er wird dem real bestehenden und durch das Souveränitätsrecht geschützten Rechtspluralismus gerecht. Auf der anderen Seite ermöglicht er eine rechtliche Einbindung staatlicher Rechtsordnungen in supranationale Systeme kollektiver Sicherheit unter Anerkennung gemeinsamer Normen und Ziele.950 Ein auf diese Weise geforderter Ausgleich ist aber nur dann möglich, wenn die Mitgliedstaaten einen relativen Grundkonsens über Inhalt und Schutz der betroffenen Rechtspositionen aufzeigen.951
946 Vgl. dazu Walter, AöR 129 (2004), S. 76 f., der sich allerdings auf eine Pflicht zur Berücksichtigung des Rechtsschutzstandards aus internationalen Menschenrechtspakten beschränkt. Sie lässt sich aber auf Vorgaben aus nationalem Verfassungsrecht erweitern. I. E. ähnlich: Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 101 ff., der den Ansatz auf die Hoheitsausübung durch den Sicherheitsrat anwendet und als Prinzip der UN-Treue bezeichnet. 947 Vgl. Krisch, EJIL 17 (2006), S. 249. Zur Grundrechtsgebundenheit deutscher Außenpolitik beim individualrechtsrelevanten Abschluss völkerrechtlicher Verträge ebenso: Waldhoff, Die innerstaatlichen Grundrechte als Maßstab der Außenpolitik?, S. 61. 948 Zur Unterscheidung: Waldhoff, Die innerstaatlichen Grundrechte als Maßstab der Außenpolitik?, S. 73 ff. 949 Abs. 12 der Präambel zu S/RES/2161 (2014). 950 de Búrca, HILJ 51 (2010), S. 39, folgt einem ähnlichen Ansatz und bezeichnet ihn als „soft constitutionalist approach“. 951 Generalanwalt Poiares Maduro, Schlussanträge zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 44.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
(aa) Die Rechtsprechung in der Sache Kadi unter Berücksichtigung des Kooperationsgebots im Mehrebenensystem Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsprechung in der Sache des saudischen Staatsangehörigen Yassin Abdullah Kadi kritisch zu bewerten. Herr Kadi wurde am 17. Oktober 2001 auf die Sanktionsliste des 1267-Sanktionsregimes aufgenommen.952 Laut der Zusammenfassung der Gründe, die zur Rechtfertigung seiner Aufnahme in die Sanktionsliste diente, wurde ihm unter anderem vorgeworfen, Gründungsmitglied und bis 1992 operativer Leiter der Muwafak-Foundation gewesen zu sein, die ihrerseits enge Verbindungen zu Osama bin Laden unterhalten und sich 2001 Al Qaida angeschlossen haben soll.953 Herr Kadi ging vor europäischen und US-amerikanischen Gerichten, wie auch im Rechtsschutzverfahren auf UN-Ebene gegen die Sanktionierung seiner Person vor. Am 5. Oktober 2012 wurde er schließlich nach erfolgreichem Durchlauf des Ombudsverfahrens von der Sanktionsliste gestrichen.954 Insgesamt entschieden die Unionsgerichte vier Mal in der Sache Kadi.955 Bei Beurteilung der Rechtsprechung wird die Rechtsordnung der Europäischen Union wie eine innerstaatliche Rechtsordnung behandelt, zumal sie die Verfassungsprinzipien der Mitgliedstaaten aufnimmt und in einem Kooperationsverhältnis mit ihnen wahrt.956 Die Unionsgerichte sind mit der – typischerweise staatlichen Gerichten zukommenden Aufgabe – der Grundrechtskontrolle von mittlerweile über eine erhebliche Regulierungstiefe verfügenden EU-Rechtsakte betraut. Die Souveränität wird hiernach in seiner Eigenschaft als vom Menschen her gedachtes Ordnungsinstrument behandelt,957 in welcher ihr ein legitimer Anspruch auf Selbstbehauptung gegen Falle völkerrechtlich induzierter Regulierungsdurchgriffe zuzusprechen ist. (a) Das erste Urteil des EuG in der Sache Kadi Das erste Urteil des EuG in der Sache Kadi erging am 21. September.958 Herr Kadi wandte sich gegen die zur Umsetzung der Sanktionsbeschlüsse des Sicherheitsrats erlassenen EU-Verordnungen, da er sich durch diese in seinen Grundrechten verletzt 952
Vgl. UN Doc. SC/10785. Die Zusammenfassung ist wiedergegeben in EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 50. 954 Vgl. UN Doc. SC/10785. 955 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005; EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008; EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010; EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013. 956 Ähnlich: von Bogdandy, IJCL 6 (2008), S. 399. Zur besonderen Natur der Unionsrechtsordnung: Generalanwalt Maduro, Schlussanträge zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 21 m.w.N. und Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 294. 957 Kotzur, EuGRZ 41 (2014), S. 591 m.w.N. 958 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005. 953
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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fühlte.959 Damit war das EuG zunächst mit der Frage konfrontiert, welchen Prüfungsgegenstand es einer Untersuchung überhaupt unterstellen sollte. In Frage kamen die Resolutionen des Sicherheitsrats und die auf ihrer Grundlage erlassenen Entscheidungen des Sanktionsausschusses sowie die gegen Herrn Kadi vorgenommenen EU-Maßnahmen, wie sie durch den Umsetzungsbefehl der UN-Ebene inhaltlich bereits determiniert waren. Das EuG sprach sich nicht die Kompetenz zu, die Resolutionen des Sicherheitsrats auf ihre Rechtmäßigkeit am Maßstab der EUGrundrechte hin zu überprüfen.960 Selbiges habe in Hinblick auf die materielle Rechtmäßigkeit auch hinsichtlich der zur Umsetzung dienenden EU-Verordnung zu gelten. Zum einen seien die EU-Grundrechte u. a. in Folge der Kollisionsregel des Art. 103 UN-Charta gegenüber den aus der UN-Charta erwachsenen Verpflichtungen untergeordnet.961 Dies gelte nach einem sich in Art. 27 WVK ausdrückenden Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts auch für die Bestimmungen innerstaatlicher Rechtsordnungen.962 Zum anderen würde mit der materiellen Rechtmäßigkeitskontrolle der EU-Verordnung inzident auch eine Überprüfung der betreffenden Resolutionen des Sicherheitsrats einhergehen,963 was sowohl mit Bestimmungen aus der UN-Charta und des Völkerrechts als auch mit solchen des Unionsrechts unvereinbar sei.964 Eine bedeutsame Ausnahme zu dieser Jurisdiktionssperre sah das EuG jedoch im Hinblick auf die Normen des zwingenden Völkerrechts, des ius cogens, „verstanden als internationaler ordre public, der für alle Völkerrechtssubjekte einschließlich der Organe der [Vereinten Nationen] gilt und von dem nicht abgewichen werden darf.“965 Verstießen die Resolutionen des Sicherheitsrats gegen diese zwingenden Bestimmungen, so könnten sie nämlich keine Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten entfalten.966 Einen Verstoß gegen ius cogens, zu dem er neben einem Kernbestand der prozessualen Menschenrechte interessanterweise auch das Eigentumsrecht zählte,967 konnte das EuG allerdings nicht erkennen.968 Er wies die 959
EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 59. Vormals noch EG. 960 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 225. 961 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 183. Nach Art. 25 UN-Charta erstrecke sich der Vorrang auch auf die Resolutionen des Sicherheitsrats, ebd., Rn. 184. 962 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 182. 963 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 215. 964 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 223 f. Kritisch dazu De Sena/Vitucci, EJIL 20 (2009), S. 201 f., die die Entscheidung auf eine Wertentscheidung des Gerichts zugunsten der durch die UN betriebenen Terrorismusbekämpfung und zulasten der EU-Grundreche zurückführen. Das Gericht habe damit „im Namen“ der UN-Rechtsordnung gehandelt, ebd., S. 210. 965 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 226. 966 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 230. 967 Vgl. EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 234 – 252. 968 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 292.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Klage von Herrn Kadi dementsprechend ab.969 Das Urteil lässt deutlich ein monistisches Verständnis der völkerrechtlichen Ordnung erkennen, nach welchem das Unionsrecht dem Subordninationsanspruch des UN-Rechts unterfällt. Dieser Ansatz widerspricht den zuvor dargestellten Grundsätzen, die nach der hier vertretenen Ansicht zur Regulierung von Normenkonflikten im Falle eines supranationalen Durchgriffs leitend sein sollten, da die konkurrierenden Geltungsansprüche nationalen Verfassungsrechts einseitig untergeordnet werden. (b) Das erste Urteil des EuGH in der Sache Kadi Eine andere Linie verfolgte der in nächster Instanz angerufene EuGH.970 In der Bewertung der rechtsformübergreifenden Regulierung wies der Gerichtshof richtigerweise darauf hin, dass die Grundlagen der Europäischen Union wie die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie und der Achtung vor den Menschenrechten sowie die Grundfreiheiten durch den Sicherheitsrat nicht in Frage gestellt werden dürften.971 Zweifelhaft ist allerdings die weitere Begründung des Urteils. Der Gerichtshof betont, dass er nicht dazu befugt sei, die Resolutionen des Sicherheitsrates selbst auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, und zwar – im Gegensatz zur Ansicht der Vorinstanz972 – auch nicht inzident in Bezug auf ihre Vereinbarkeit mit ius cogens.973 Dies gelte aber nicht für den die Resolution umsetzenden Rechtsakt der Union.974 Aufgrund der Autonomie der EU-Rechtsordnung habe eine „grundsätzlich umfassende“ Rechtmäßigkeitskontrolle sämtlicher Unionsakte am Maßstab der EUGrundrechte zu erfolgen.975 Durch das Verwerfen eines Umsetzungsaktes – wie in diesem Fall geschehen – werde der völkerrechtliche Vorrang der Resolution nicht in Frage gestellt.976 Letzterer Ansatz ist zu formalistisch und deshalb verkürzt. Die 969
EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 292. EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008. 971 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 285, 303 f. Aufgenommen von EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 119. 972 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 226. Ebenso Schweizer Bundesgericht, Nada gg. SECO, Staatssekretariat für Wirtschaft, 1 A.45/ 2007/daa, vom 14. November 2007, Rn. 7. 973 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 287. 974 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 286. 975 Vgl. EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 281 – 284, 326. 976 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 288. Einen weniger strengen Dualismus verfolgte noch Generalanwalt Poiares Maduro in seinem Schlussantrag zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 22: „[Die Eigenständigkeit der Unionsrechtsordnung] bedeutet nicht, dass die eigene Rechtsordnung der Gemeinschaft und die Völkerrechtsordnung wie Schiffe in der Nacht aneinander vorbeisegeln, ohne voneinander Notiz zu nehmen.“ Er trat in der Folge dafür 970
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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Vorgaben aus der Resolution gestehen den Mitgliedstaaten nämlich kaum einen Freiraum bei der Umsetzung zu, was eine besondere Berücksichtigung erfordert. In der Regel wird den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ein Ermessenspielraum bei der Ausgestaltung der Umsetzungsakte überlassen, der es erlaubt, diese Maßnahmen den staatlichen Verantwortungsträgern weitgehend zuzurechnen und sie damit zum Gegenstand von Verfahren vor staatlichen Gerichten zu machen, ohne die Autorität des Sicherheitsrats zu berühren. Ein Beispiel hierfür bietet Resolution 1373 (2001), nach welcher die Staaten dazu verpflichtet werden, eigenständig Maßnahmen gegen den Terrorismus zu ergreifen.977 Die Bestimmung der Sanktionsadressaten sowie die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens bleiben dabei den Mitgliedstaaten vorbehalten, was es ihnen erlaubt, die Umsetzungsakte am Maßstab ihrer nationalstaatlichen Individualrechtsbestimmungen auszurichten. Nach dem Al Qaida-Sanktionsregime sind dagegen sowohl das „listing“- sowie das „de listing“Verfahren bereits geregelt. Ebenso wird die Bestimmung der Sanktionsadressaten autonom auf UN-Ebene vollzogen. An die betreffenden Entscheidungen sind die Mitgliedstaaten gebunden, die sie inhaltsgleich in nationalstaatliches Recht zu übertragen haben.978 Werden diese UN-determinierten Umsetzungsmaßnahmen nun zum Gegenstand einer Rechtmäßigkeitskontrolle vor (supra-)nationalstaatlichen Gerichten, so werden indirekt die Entscheidungen der UN-Organe auf ihre Vereinbarkeit mit der nationalstaatlichen bzw. supranationalstaatlichen Rechtsordnung überprüft,979 wie das EuG in der Vorinstanz noch richtigerweise feststellte.980 Ihre Anwendung wird im Falle befundener Rechtsmängel verhindert. Tritt ein solcher Fall durch ein Urteil eines Unionsgerichts ein, wird dem völkerrechtlichen Vorrang von Entscheidungen der UN-Organe innerhalb der Unionsrechtsordnung faktisch die Geltung genommen981 und die Mitgliedstaaten sind an der Umsetzung gehindert, zu der sie nach Art. 25 und 48 Abs. 2 UN-Charta prinzipiell verpflichtet wären. Der EuGH betont selbst, dass sich die Effektivität der gerichtlichen Kontrolle u. a. auch auf die Begründung zur Aufnahme in die Konsolidierte Liste erstrecken müsse.982 ein, dass sich der Gerichtshof einer Beschränkung seiner Jurisdiktion nicht grundsätzlich verschließen solle. 977 S/RES/1373 (2001), Ziff. 1 – 3. 978 Vgl. dazu ebenso Tzanakopoulos, The Solange Argument as a Justification for Disobeying the Security Council in the Kadi Judgments, S. 123 ff. 979 Ebenso Tzanakopoulos, The Solange Argument as a Justification for Disobeying the Security Council in the Kadi Judgments, S. 124. 980 EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 215 f. 981 Ebenso: von Arnauld, AVR 44 (2006), S. 207, 209. Vgl. auch: van den Herik/Schrijver, in: Biersteker/Eckert, 1st Update of the Watson Report, S. 18. Ebenso die Ansicht der Kommission und der als Streithelfer beigetretenen Regierungen im zweiten Kadi-Urteil des EuG, das das Gewicht dieses und weiterer Rechtsargumente einräumt, eine dem vorangegangenen Urteil des EuGH in der Sache Kadi widersprechende juristische Bewertung mit Hinweis auf die hierarchische Organisation der Gerichte aber unterlässt, EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 118, 121. 982 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 336.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Diese findet aber im Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats statt, der in der Regel in geschlossener Sitzung tagt,983 also gerade außerhalb des Einfluss- und Einsichtsbereichs der Unionsorgane. Allein auf Rechtsfolgenseite, etwa bei der Entscheidung über Ausnahmeregelungen oder bei der Bestimmung der konkret zu blockierenden Finanzströme, ist den Staaten ein gewisser Entscheidungsspielraum durch das Sanktionsregime eingeräumt worden. Insoweit kann eine Rechtskontrolle durch Gerichte auf Umsetzungsebene erfolgen, ohne dass die Autorität des Sicherheitsrats berührt würde. Darüber hinaus hängt die Rechtmäßigkeit der Umsetzungsakte aber untrennbar mit der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Al Qaida-Sanktionsregimes und der Anwendung der Listungskriterien zusammen.984 Damit erscheint allein im Rahmen eines Kooperationsverhältnisses eine Lösung des Mehrebenenkonflikts möglich zu sein, nach der der Sicherheitsrat die Individualrechte wahrt, so dass es sich für die nationalen und supranationalen Gerichte auf unterer Ebene rechtfertigt, sich ihrer Jurisdiktion zu enthalten, insoweit in der Sache die autonom auf UN-Ebene getroffenen Entscheidungen im Streit stehen. Indem der Gerichtshof die Autonomie der EU-Rechtsordnung unterstreicht, weisen die zitierten Einlassungen des Gerichtshofs isoliert betrachtet aber auf ein streng dualistisches Grundverständnis hin.985 Dies würde in letzter Konsequenz das Herausbilden eines gemeinsamen Rechtsschutzstandards unmöglich machen. Ein rigider Dualismus steht zumindest in einem Spannungsverhältnis mit der Verpflichtung der UN-Mitgliedstaaten, der Organisation zur Erfüllung ihrer Aufgaben Beistand zu leisten.986 Ebenso, wie die Vereinten Nationen den Mitgliedstaaten gegenüber in der Pflicht stehen ihre Verfassungsprinzipien zu achten, haben die Mitgliedstaaten den Vereinten Nationen eine Kooperationsoffenheit entgegenzubringen, damit letztere den gemeinsamen Zielen effektiv nachgehen können. Dies ist beim gezielten Vorgehen gegen Al Qaida und ihre Verbündeten nicht möglich, wenn der Gerichtshof sich einer funktionalen Verschränkung im Rahmen des Rechtsschutzes gänzlich verschließen würde. Zudem würde auf diese Weise missachtet, dass die auf UN-Ebene eingerichtete Instanz besser dazu in der Lage sein wird, die anzuwendenden Rechtsnormen im Lichte des mit dem Sanktionsregime verfolgten Ziels auszulegen, dem sie
983 Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work, Ziff. 3 lit. b (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 984 Vgl. dazu das Schweizer Bundesgericht, Nada gg. SECO, Staatssekretariat für Wirtschaft, 1 A.45/2007/daa, vom 14. November 2007, Rn. 8.3: „Die Situation [d. h. der Verstoß gegen das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz] kann nur durch die Einführung eines wirksamen Kontrollmechanismus auf Ebene der Vereinten Nationen behoben werden.“ Ebenso: Krieger, DVBl. 23 (2009), S. 1475. 985 Vgl. dazu auch de Wet, CJIL 12 (2013), S. 791; De Sena/Vitucci, EJIL 20 (2009), S. 222. 986 Art. 2 Ziff. 5 UN-Charta. Vgl. auch Art. 25 und 48 UN-Charta. Ebenfalls kritisch: Krieger, DVBl. 23 (2009), S. 1473. Vgl. aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts: Fassbender, AöR 132 (2007), S. 275.
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schließlich selbst zu dienen verpflichtet ist.987 Dies steht in Verbindung mit der wichtigen rechtskonkretisierenden Aufgabe von Rechtsprechungsinstanzen, die effektiv ohnehin nur zu erfüllen ist, wenn ein einheitlicher Rechtsrahmen zur Grundlage genommen wird, was nicht gewährleistet ist, wenn die mitgliedstaatlichen Gerichte auf ihrem umfassenden Jurisdiktionsanspruch beharren und sich nach dem Vorbild des EuGH bei der Rechtsanwendung in erster Linie an dem Kontext ihrer (staatlichen) Rechtsordnung orientieren. Die einheitliche Anwendung der Normen des Sanktionsregimes kann letztlich nur dann sicher gewährleistet werden, wenn es nicht zu einer Zersplitterung der Rechtsprechung nach Staaten kommt. Eine Verpflichtung der mitgliedstaatlichen Rechtspflegeorgane, sich einer funktionalen Verschränkung nicht kompromisslos zu verweigern, kann auch aus dem Rechtsgedanken des Art. 105 Abs. 1 UN-Charta abgeleitet werden. Dort heißt es: „The Organization shall enjoy in the territory of each of its Members such privileges and immunities as are necessary for the fulfilment of its purposes.“
Art. 105 Abs. 1 UN-Charta umfasst insbesondere die Pflicht zur Enthaltung der Jurisdiktion über Akte der Organisation.988 Zwar sind die mitgliedstaatlichen Umsetzungsmaßnahmen den Vereinten Nationen nicht unmittelbar zuzurechnen.989 Wie bereits hervorgehoben wurde, gehen die „listing“-Entscheidungen aber auf eine autonome Entschließung des Sanktionsausschusses zurück. Steht nun die Rechtmäßigkeit der Aufnahme in die Sanktionsliste vor einem staatlichen oder supranationalen Gericht auf unterer Ebene in Streit, so wird der Sache nach die Entscheidung des Ausschusses angegriffen. Wie bereits dem Wortlaut des Art. 105 UN-Charta zu entnehmen ist, ist der Umfang der Vorrechte und Immunitäten, die den Vereinten Nationen einzuräumen sind, nach funktionellen Kriterien zu bemessen.990 Danach erscheint es sachgerecht zu sein, den Vereinten Nationen grundsätzlich das Vorrecht zuzuschreiben, dass auch die staatlichen Maßnahmen grundsätzlich und insoweit von 987 Vgl. in diesem Sinne auch die Kritik von Proelß, Grenzen der Zuständigkeit der Unionsorgane am Beispiel von ,Erika III‘, S. 163 f., an der Betonung der Autonomie der Unionsrechtsordnung durch den EuGH bei Jurisdiktionskonflikten mit Schiedsgerichten, die auf Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages eingerichtet wurden, dem ein oder mehrere EUMitgliedstaaten beigetreten sind. Zur politischen Dimension eines „überzogenen Verständnisses der Autonomie der Unionsrechtsordnung“, ebd., S. 174 f. 988 Vgl. Möldner, in: Wolfrum, MPEPIL, International Organizations or Institutions, Privileges and Immunities, Rn. 1 (Stand: Mai 2011). Der EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 288, hielt den Grundsatz der Immunität der Vereinten Nationen für eine immanente Schranke des Rechts auf Zugang zu einem Gericht. 989 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 314. Nach De Sena/Vitucci, EJIL 20 (2009), S. 218, sind die Maßnahmen den UN zuzurechnen, wenn den Staaten bei der Umsetzung von Sicherheitsratsresolutionen kein Ermessen zukommt. 990 Vgl. auch Berufungsgericht in Den Haag, Mütter von Srebrenica gg. Niederlande & UN, 200.022.151/01, Urteil vom 30. März 2010, Rn. 4.5 und 5.7; Möldner, in: Wolfrum, MPEPIL, International Organizations or Institutions, Privileges and Immunities, Rn. 12 (Stand: Mai 2011).
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der Jurisdiktion ihrer Gerichte zu entheben sind, als dass sie der inhaltsgleichen Umsetzung eines Rechtsbefehls (vgl. Art. 25 und 48 Abs. 2 UN-Charta) dienen, der keinen staatlichen Ermessensspielraum offenlässt.991 Die Jurisdiktion über die UNdeterminierten Sanktionsentscheidungen könnte der Verwirklichung des mit den Maßnahmen verfolgten Friedensziels entgegenstehen, da die einheitliche Umsetzung der Maßnahmen nicht mehr gewährleistet wäre. Wie der EGMR in den Fällen Beer & Regan gg. Deutschland992 und Waite & Kennedy gg. Deutschland993 sowie das Berufungsgericht von Den Haag im Fall Mütter von Srebrenica gg. die Niederlande & die Vereinten Nationen994 hervorgehoben haben, kann eine Ausnahme der grundsätzlichen Jurisdiktionssperre allenfalls dann gelten, wenn außergewöhnliche Umstände die Annahme rechtfertigen, dass im Einzelfall die Berufung auf die Immunität außer Verhältnis zu den Folgen steht. Zu den Zielen der Vereinten Nationen gehört neben der Friedenswahrung auch die Förderung der Achtung vor dem Schutz der Menschenrechte (Art. 1 Ziff. 3 UN-Charta). Sind obligatorisch angeordnete Maßnahmen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta nun offenkundig unvereinbar mit Menschenrechten, wird letzteres Ziel der Organisation verfehlt. Richten sich im Rahmen des Al Qaida-Sanktionsregimes die Maßnahmen zudem fälschlicherweise gegen einen Akteur, der weder Mitglied der Terrororganisation ist, noch diese in sonst sanktionsbewehrter Weise unterstützt, dann kann die Immunität im Einzelfall auch nicht mit Hinweis auf den Zweck der Friedenssicherung gerechtfertigt werden. Eine entscheidende Bedeutung kommt deshalb der Frage zu, ob den Betroffenen alternative Verfahren auf UN-Ebene zuteil werden, die ihnen einen effektiven Rechtsschutz ermöglichen.995 Ist dies nicht der Fall, wird in den Kernbereich der prozessualen Menschenrechte eingegriffen, was außer Verhältnis zu dem mit der Immunität verfolgten Ziel stünde.996 Wird das Individualrechtsschutzverfahren auf UN-Ebene allgemeinen Menschenrechtsstandards hingegen gerecht, so bleibt es bei der Pflicht der Gerichte auf unterer Ebene, sich ihrer Jurisdiktion zu enthalten, aber nur solange, bis der Schutzstandard unterschritten wird: Dann können sie sich auf eine Reservekompetenz berufen und ihr Jurisdiktionsanspruch ist wiederum uneingeschränkt eröffnet. 991 Vgl. dazu auch Cameron, The ECHR, Due Process and UN Security Council CounterTerrorism Sanctions, S. 14 f. 992 EGMR, Große Kammer, Beer & Regan gg. Deutschland, 28934/95, Urteil vom 18. Februar 1999, Rn. 49. 993 EGMR, Große Kammer, Waite & Kennedy gg. Deutschland, 26083/94, Urteil vom 18. Februar 1999, Rn. 59. 994 Berufungsgericht in Den Haag, Mütter von Srebrenica gg. Niederlande & UN, 200.022.151/01, Urteil vom 30. März 2010, Rn. 5.7. 995 EGMR, Große Kammer, Beer & Regan gg. Deutschland, 28934/95, Urteil vom 18. Februar 1999, Rn. 58; EGMR, Große Kammer, Waite & Kennedy gg. Deutschland, 26083/ 94, Urteil vom 18. Februar 1999, Rn. 68. 996 Vgl. EGMR, Große Kammer, Beer & Regan gg. Deutschland, 28934/95, Urteil vom 18. Februar 1999, Rn. 49, 57 f.; EGMR, Große Kammer, Waite & Kennedy gg. Deutschland, 26083/94, Urteil vom 18. Februar 1999, Rn. 59, 67 f.
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Neben den oben zitierten Einlassungen des EuGH in der Sache Kadi, die isoliert betrachtet auf ein kompromisslos dualistisches Grundverständnis hinzuweisen scheinen, traf er aber auch Aussagen, die dahingehend gedeutet werden können, dass er sich einer funktionalen Verschränkung im Rahmen des Individualrechtsschutzes gegenüber den Vereinten Nationen nicht grundsätzlich verschließen wollte. Er hatte sich mit dem Einwand beschäftigen müssen, die EU-Organe müssten sich aus Respekt gegenüber den Vereinten Nationen ihrer Jurisdiktion enthalten, solange der Sicherheitsrat ein System vorsehe, welchem es den Betroffenen ermögliche, gehört zu werden.997 Der Gerichtshof wies dieses Vorbringen mit der Begründung zurück, dass das damals geltende Verfahren offenkundig nicht den Garantien eines gerichtlichen Rechtsschutzes gerecht geworden sei, weshalb eine Enthaltung, die eine erheblich Abweichung vom europarechtlich vorgesehenen System des gerichtlichen Rechtsschutzes bedeuten würde, nicht gerechtfertigt werden könne.998 In diesem Sinne kann auch der bereits zitierte Passus ausgelegt werden, indem der EuGH feststellte, dass eine „grundsätzlich umfassende“ Kontrolle sämtlicher Umsetzungsakte zu erfolgen habe.999 Damit erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Gerichtshof auf eine intensive rechtliche Kontrolle verzichtet, sofern der Sicherheitsrat ein den EU-Grundrechten gleichzuachtendes Individualrechtsschutzsystem einrichtet.1000 Eindeutiger und umfassender lässt sich ein Ansatz einer entsprechenden Kooperationsoffenheit dem Schlussantrag des Generalanwalts Poiares Maduro in derselben Rechtssache entnehmen, indem er die Notwendigkeit einer funktionalen Verschränkung von Rechtsschutzsystemen im Mehrebenensystem anerkennt, aber zugleich den Vorbehalt eines im Wesentlichen gleichen Rechtsschutzstandards betont. Er führt aus:
997 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 318 f. 998 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 322. Dabei bezog er sich auf den focal point, der damals noch zur Entgegennahme von de listing-Anträgen im Rahmen des 1267-Sanktionsregimes zuständig war. 999 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 326. 1000 Vgl. de Wet, Human Rights Considerations and the Enforcement of Targeted Sanctions in Europe, S. 170; Kokott/Sobotta, EJIL 23 (2012), S. 1019. Nach De Sena/Vitucci, EJIL 20 (2009), S. 224, stelle der EuGH nur vordergründig auf formale Kriterien ab. Aus den Urtelsgründen ließe sich eine abwägende Wertentscheidung herauslesen, die anders hätte ausfallen können, wenn ein hinreichender Individualrechtsschutz auf UN-Ebene gewährt worden wäre. Ähnlich Ginsborg/Scheinin, EHRR 8 (2011), S. 14, die davon sprechen, dass der EuGH eine Art „Solange“-Situation durch seine Begründung kreiert habe. Ebenso Nollkaemper, EJIL 20 (2009), S. 863; von Arnauld, EuR 2/2013, S. 239; Tzanakopoulos, The Solange Argument as a Justification for Disobeying the Security Council in the Kadi Judgments, S. 129. Zweifel daran äußert de Búrca, HILJ 51 (2010), S. 25. In den Augen von Halberstam/Stein, CML Rev. 46 (2009), S. 60 f. gehe aus den Formulierungen des Gerichtshof sogar hervor, dass er eine Kooperationsoffenheit offenbar kategorisch habe ausschließen wollen.
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„In einer immer enger verflochtenen Welt werden sich die unterschiedlichen Rechtsordnungen um eine Unterbringung ihrer gegenseitigen Zuständigkeitsansprüche zu bemühen haben.“1001
Deshalb könne der Gerichtshof „nicht immer ein Monopol für die Entscheidung über den Ausgleich grundlegender Interessen für sich in Anspruch nehmen.“1002 Er müsse deshalb möglichst „die Autorität von Organen wie dem Sicherheitsrat anerkennen, die nach einer anderen Rechtsordnung als seiner eigenen eingerichtet worden sind und die diese Interessen mitunter besser abzuwägen vermögen. Der Gerichtshof darf jedoch nicht aus Rücksicht gegenüber den Ansichten anderer Organe den Grundwerten den Rücken kehren, die der [Unionsrechtsordnung] zugrunde liegen und zu deren Schutz er verpflichtet ist. Respekt gegenüber anderen Organen ist nur dann sinnvoll, wenn er auf einem gemeinsamen Verständnis dieser Werte und einem gegenseitigen Willen, sie zu schützen, aufbaut.“1003
In diesem Fall sei das Recht auf effektiven Rechtsschutz erheblich beeinträchtigt,1004 womit die Grundwerte der Europäischen Union in einer Weise betroffen seien, die den gerichtlichen Rechtsschutz durch den Gerichtshof einforderten.1005 Wesentlich ist dabei, dass er zugleich betont: „Hätte es auf Ebene der Vereinten Nationen einen genuinen und effektiven Mechanismus gerichtlicher Kontrolle durch eine unabhängige Instanz gegeben, hätte dies die Gemeinschaft vielleicht von ihrer Pflicht entbinden können, eine gerichtliche Kontrolle der in der [Unionsrechtsordnung] geltenden Umsetzungsmaßnahmen zu ermöglichen.“1006
Damit stimmt der Generalanwalt weitgehend mit der „Solange“-Rechtsprechung des BVerfG überein, welches sich damals mit der Frage zu beschäftigen hatte, ob Rechtsakte der Europäischen Union durch die deutsche Gerichtsbarkeit am Maßstab innerstaatlicher Grundrechte zu messen sind.1007 Die Entscheidung behandelte also ebenfalls den Konflikt von staatlichen Verfassungsnormen mit Verpflichtungen durch Organisationen mit supranationalen Kompetenzen.1008 Das BVerfG erklärte sich zunächst noch dafür zuständig, Akte der Europäischen Union auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten des Grundgesetzes hin zu überprüfen, solange auf europäischer Ebene kein diesen Rechten adäquater Rechtsschutz bestehe („Solange I“-Entscheidung).1009 Als sich in den Augen des Gerichts ein 1001
Schlussantrag zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 44. Schlussantrag zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 44. 1003 Schlussantrag zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 44. Vormals „Gemeinschaftsrechtsordnung“. 1004 Schlussantrag zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 51. 1005 Schlussantrag zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 52, 54. 1006 Schlussantrag zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 54. Vormals „Gemeinschaftsrechtsordnung“. 1007 BVerfGE 37, 271; BVerfGE 73, 339. 1008 de Búrca, HILJ 51 (2010), S. 43. 1009 BVerfGE 37, 271. 1002
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entsprechender Rechtsschutz herausgebildet hatte, entschied es schließlich, sich seiner Jurisdiktion zu enthalten, solange die Europäische Union und dabei insbesondere die europäische Gerichtsbarkeit einen Grundrechtsschutz gewährleiste, der dem des deutschen Grundgesetzes im Wesentlichen gleichzuachten sei („Solange II“-Entscheidung).1010 (c) Das zweite Urteil des EuG in der Sache Kadi Nachdem es trotz der im Sinne Herrn Kadis getroffenen Entscheidung des EuGH nicht zu einer Aufhebung der Sanktionen gekommen war, wandte er sich wiederum an das EuG.1011 Dieses wertete die bereits erwähnten Einlassungen des EuGH zum Verhältnis der EU-Rechtsordnung zu den Resolutionen des Sicherheitsrats offensichtlich auch im Sinne der „Solange“-Rechtsprechung des BVerfG, wenn es feststellte, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Prüfung am Maßstab der EU-Grundrechte jedenfalls „solange“ zu erfolgen habe, wie „die vom Sanktionsausschuss geschaffenen Überprüfungsverfahren offenkundig nicht die Garantien eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes bieten“.1012 Dabei beschäftigte sich das Gericht in einem obiter dictum auch bereits mit dem durch Resolution 1904 (2009) eingerichteten Ombudsverfahren. Auch dieses ginge noch nicht adäquat auf die Individualrechte der Betroffenen ein, um eine Enthaltung der Jurisdiktion europäischer Gerichte rechtfertigen zu können.1013 (d) Der Schlussantrag des Generalanwalts Gegen die Entscheidung des EuG legten diesmal der Rat, die Kommission und das Vereinigte Königreich Rechtsmittel ein.1014 Am 19. März 2013 erging der Schlussantrag des Generalanwalts Ives Bot.1015 Dieser hielt die Entscheidung des EuG aus mehrerlei Gründen für rechtsfehlerhaft und regte an, das Urteil aufzuheben und die Klage von Herrn Kadi abzuweisen.1016 Dabei ging Ives Bot auch auf das Verhältnis der konfligierenden Rechtsordnungen zueinander ein. Zunächst betonte er im Sinne der Rechtsprechung des EuGH, dass wegen der „Verfassungsgarantie“ des Uni1010
BVerfGE 73, 339, 340, 2. Leitsatz. EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010. 1012 EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 127 (Hervorhebungen ergänzt). Auch nach Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 460 f., könnten die Lehren aus dem EU-Recht vorbildhaft für die Beurteilung einer über die mitgliedstaatlichen Verfassungstraditionen vermittelten Rechtsbindung des Sicherheitsrat an Individualrechte bei der Vornahme supranationaler Handlungsformen mit unmittelbarer Wirkung für den Einzelnen sein. 1013 Vgl. EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 128. Vgl. auch UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 78. 1014 Verbundene Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P. 1015 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013. 1016 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 129. Zu einigen der vermeintlichen Rechtsfehler sogleich. 1011
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onsrechts auch die zur Umsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrats dienenden EU-Verordnungen für die Unionsgerichte justiziabel seien.1017 Jedoch erfordere die gebotene Achtung der bindenden Normen des Völkerrechts eine Anpassung der Modalitäten der Rechtskontrolle.1018 Dabei ging er davon aus, dass der Gerichtshof, indem er eine „grundsätzlich umfassende“ Kontrolle der Maßnahmen der Unionsorgane für geboten erklärte, nicht den „Intensitätsgrad“ der Kontrolle gemeint haben könne.1019 Vielmehr sei es ihm in Abgrenzung zum ersten Urteil des EuG in der Sache Kadi darum gegangen herauszustellen, dass alle Akte der Unionsorgane – inklusive solcher, die der Umsetzung einer Resolution des Sicherheitsrats dienen – einer Kontrolle im Hinblick auf die EU-Grundrechte – und nicht allein im Hinblick auf die Normen des ius cogens – zu unterziehen seien, wobei dies sowohl auf Fragen der formellen wie der materielle Rechtmäßigkeit zutreffe.1020 Er führte mehrere Gründe dafür auf, warum die Unionsgerichte aus seiner Sicht im Fall des Al Qaida-Sanktionsregimes jedoch teilweise den Grad der Intensität der Rechtmäßigkeitskontrolle senken müssten. Das EuG hatte u. a. aus der Einlassung des EuGH, wonach sich die Kontrolle insbesondere auch auf die Rechtmäßigkeit der Begründung des angefochtenen Rechtsakts erstrecken müsse, den Schluss gezogen, dass die „umfassende Kontrolle“ auch die Beweise und Angaben zu umfassen habe, auf denen die gegen den Betroffenen angebrachten Vorwürfe gründen.1021 Der Generalanwalt zweifelte dagegen prinzipiell daran, dass eine Überprüfung spezifischer Beweise im Rahmen der Terrorismusbekämpfung angezeigt sei.1022 Ferner stellte er suggestiv die Frage, „[ob den Unionsgerichten etwa] die Analysen und die Quellen der Nachrichtendienste vorgelegt werden [sollen]?“.1023 Der diesbezügliche Standpunkt des Generalanwalts verdeutlicht sich bereits mit einem Blick auf grundsätzliche Ausführungen, die er zu den besonderen Herausforderungen machte, welche seiner Ansicht nach im „Kampf gegen den Terrorismus“ besonders berücksichtigt werden müssten. Dort heißt es: „Der unvorhersehbare Charakter und die zerstörerische Wirkung von terroristischen Handlungen zwingt die öffentliche Gewalt, alle denkbaren Vorbeugungsmaßnahmen zu
1017 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 44 – 52, insbesondere Rn. 49. 1018 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 51 f. 1019 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 60. 1020 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 59. 1021 EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 135. 1022 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 66. 1023 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 66.
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treffen. Aus diesem Blickwinkel genießt der Schutz der Informationsmittel und -quellen absoluten Vorrang. […]“1024
Während er anschließend einräumte, dass sich demokratisch verfasste Staaten deshalb nicht dazu verleiten lassen dürften, ihre „Grundprinzipen aufzugeben oder zu verleugnen“, zu denen er auch den Rechtsstaat zählte, sieht er im „Kampf gegen den Terrorismus“ allerdings die Veranlassung, diese Prinzipien „zu verändern, um sie zu bewahren“.1025 Auf diese Weise schien Ives Bot das Vorliegen einer Notstandssituation andeuten zu wollen, die in Einzelfällen ein Herabsenken des üblichen Schutzniveaus der Individualrechte rechtfertigen kann.1026 Welche spezifischen Anforderungen die prozessualen Menschenrechte in diesem Kontext an ein Verfahren stellen, wird noch zu beantworten sein. Jedenfalls hatte sich der EuGH in seinem Urteil nicht dazu veranlasst gesehen, den Schutzstandard der Grundrechte grundlegend herabzusenken. Zwar hat der Gerichtshof anerkannt, dass es im Rahmen der Terrorismusbekämpfung zwingende Gründe der Sicherheit oder Gestaltung der internationalen Beziehungen geben könne, die abweichend vom üblichen Schutzstandard einer Mitteilung spezifischer Gründe an die Betroffenen entgegenstehen könnten.1027 Jedoch müssten in diesen Fällen besondere Techniken zur Anwendung kommen, „die es ermöglichen, die legitimen Sicherheitsinteressen in Bezug auf die Art und die Quellen der Informationen, die beim Erlass des betreffenden Rechtsakts berücksichtigt worden sind, auf der einen und das Erfordernis, dem Einzelnen hinreichende Verfahrensgarantien zu gewähren, auf der anderen Seite zum Ausgleich zu bringen.“1028 Dazu verwies der EuGH auf die Rechtsprechung des EGMR in der Sache Chahal gg. Vereinigtes Königreich, der seinerseits zu dem Schluss kam, „that the use of confidential material may be unavoidable where national security is at stake“, um jedoch einschränkend fortzuverfahren: „[t]his does not mean, however, that the national authorities can be free from effective control by the domestic courts whenever they chose to assert that national security and terrorism are involved.“1029 Vielmehr verweist er ebenfalls auf Techniken, die es ermöglichten, die gegenläufigen Belange miteinander in Ausgleich zu bringen. Auf diese Passage im Urteil des EuGH nahm der Generalanwalt ebenfalls Bezug, nur zog er daraus Schlüsse, die die vom EuGH beabsichtigte Botschaft verkehren.1030 Seiner Ansicht nach liege eine 1024 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 5. 1025 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 6. 1026 Vgl. etwa Art. 4 IPbpR. 1027 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 342. 1028 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 344. 1029 Vgl. EGMR, Große Kammer, Chahal gg. Vereinigtes Königreich, 22414/93, Urteil vom 15. November 1996, Rn. 130 – 133. 1030 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 77.
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„Technik“ zu der danach zu fordernden Beteiligung der Unionsrichter am Ausgleich zwischen der Terrorismusbekämpfung und den Grundrechten darin, dass sie die Intensität ihrer Kontrolle an die gegebenen Umstände „anpasst“, was im Ergebnis heißt: dass er sie absenkt.1031 Der EuGH hatte mit seinen Ausführungen aber gerade das Gegenteil zu begründen versucht. Für ihn sollen die in Bezug genommen „Techniken“ gerade einen hohen Standard der Verfahrensrechte sichern, denn „[w]as die Beachtung des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes angeht, bedeutet [der im Ausnahmefall gerechtfertigte Verschluss spezifischer Informationen vor dem Betroffenen nicht], dass Restriktionen, wie sie mit der streitigen Verordnung verhängt worden sind, jeder Kontrolle durch den Gemeinschaftsrichter entzogen sind, sobald erklärt wird, dass der diese Restriktionen anordnende Rechtsakt Fragen der nationalen Sicherheit und des Terrorismus berühre.“1032
Als mögliche „Techniken“ nannte der EGMR in dem in Bezug genommenen Fall Chahal gg. Vereinigtes Königreich1033 ein Verfahren nach kanadischem Vorbild, bei dem zunächst ein unabhängiger Richter das gesamte Material sichtet, um eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Verschluss einzelner Beweisstücke vor dem Betroffenen gerechtfertigt werden kann.1034 Bei der Erhebung derjenigen Beweismittel, die danach gegenüber dem Betroffenen unter Verschluss bleiben sollen, ist ein sicherheitsgeprüfter Anwalt bereit zu stellen, der die Beweise auswertet und dabei etwa Zeugen vernimmt, um das Gericht darin zu unterstützen, die Stichhaltigkeit der erhobenen Vorwürfe zu überprüfen.1035 Anschließend ist dem Betroffenen in einem in camara-Verfahren eine Falldarstellung vorzulegen, die – soweit es danach möglich ist – den Fall zusammenfasst.1036 In diesem Rahmen ist ihm – gegebenenfalls mit Unterstützung eines rechtlichen Vertreters – die Möglichkeit einzuräumen, auch eigene Beweise vorzubringen.1037 Ein Verzicht auf eine eingehende Untersuchung des Falls durch den Unionsrichter, wie es der Generalanwalt als mögliche „Technik“ beschrieb, würde dem Ansinnen des EuGH nach einer solch grundrechtsensiblen Form der Verfahrensausgestaltung diametral widersprechen; zumindest dann, wenn nicht auf UN-Ebene ein adäquates Verfahren vorgesehen ist. 1031 Vgl. Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 77. 1032 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, 343. 1033 EGMR, Große Kammer, Chahal gg. Vereinigtes Königreich, 22414/93, Urteil vom 15. November 1996, Rn. 131 i.V.m. Rn. 144. 1034 EGMR, Große Kammer, Chahal gg. Vereinigtes Königreich, 22414/93, Urteil vom 15. November 1996, Rn. 131 i.V.m. Rn. 144. 1035 EGMR, Große Kammer, Chahal gg. Vereinigtes Königreich, 22414/93, Urteil vom 15. November 1996, Rn. 131 i.V.m. Rn. 144. 1036 EGMR, Große Kammer, Chahal gg. Vereinigtes Königreich, 22414/93, Urteil vom 15. November 1996, Rn. 131 i.V.m. Rn. 144. 1037 EGMR, Große Kammer, Chahal gg. Vereinigtes Königreich, 22414/93, Urteil vom 15. November 1996, Rn. 131 i.V.m. Rn. 144.
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Ives Bot verwies ferner auf den Wortlaut der Formel des EuGH, nach der die Kontrolle „grundsätzlich umfassend“ zu erfolgen habe, um in Abgrenzung zur Auslegung des EuG die seiner Ansicht nach zu fordernde Einschränkung der Kontrollintensität zu begründen.1038 Er führte aus, dass selbst wenn sich der EuGH mit der Formel auf den Grad der Intensität habe beziehen wollen, ergebe sich gerade aus dem Wortlaut – dabei verweist er insbesondere auf das Wort „grundsätzlich“ – die Möglichkeit von Ausnahmen, um fortzufahren: „Wenn es […] einen Bereich gibt, in dem eine Ausnahme gerechtfertigt ist, so ist es […] der Bereich des Kampfs gegen den Terrorismus, zu dem – insbesondere unter dem Gesichtspunkt der weltweiten Koordination – auch dessen Verhinderung gehört.“1039
Damit widersprach der Generalanwalt aber gerade der Linie des EuGH, der sich nicht dazu veranlasst gesehen hatte, den Grad der Intensität der Rechtskontrolle vor diesem Hintergrund herabzusetzen. Den Umfang der Rechtskontrolle hatte er ebenso wenig eingeschränkt. Vielmehr erklärte er sich ausgiebig zu den Anforderungen an das Verfahren, die der Erlass von entsprechenden Individualsanktionen nach seinem Verständnis voraussetze.1040 Diese entsprechen dem üblichen Niveau.1041 Dagegen hielt er das auf UN-Ebene vorgesehene Verfahren zumindest zum damaligen Zeitpunkt für offenkundig unzureichend; auch unter Berücksichtigung der „besonderen Umstände“ der Terrorismusbekämpfung.1042 Ausschlaggebend für die Notwendigkeit einer Beschränkung der Intensität der Rechtskontrolle waren für Ives Bot insgesamt fünf Punkte: Erstens hebt er die präventive Natur der Sanktionen hervor; des Weiteren den internationalen Kontext, dem das Sanktionsregime inhärent sei; ferner die bereits erwähnte Notwendigkeit, die Anforderungen des „Kampfes gegen den Terrorismus“ mit dem Grundrechtsschutz einem Ausgleich zuzuführen; die politische Natur der Beschlüsse des Al Qaida-Sanktionsausschusses; und schließlich die Berücksichtigung der Reformfortschritte, die der Sicherheitsrat im Hinblick auf das Sanktionsregime insbesondere seit der Entscheidung des EuGH im Jahr 2008 vollzogen habe.1043 Hier werden nur die Kriterien seiner Begründung näher betrachtet, die sich direkt aus der Mehrebenenproblematik ergeben, d. h. die Kriterien der Internationalität und der Notwendigkeit zur Anerkennung der Fortschritte, die auf UN-Ebene bereits erreicht wurden (Kriterien zwei und fünf). 1038
Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 61. 1039 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 61. 1040 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 336 – 353. 1041 Zu dem erforderlichen Standard im Anschluss. 1042 Vgl. EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 322. 1043 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 67.
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Hinsichtlich des Kriteriums der Internationalität verwies Ives Bot insbesondere auf die dem Sicherheitsrat zukommende Hauptverantwortung im Rahmen der Friedenssicherung sowie die mit Abschluss der UN-Charta von den Mitgliedstaaten übernommenen Verpflichtungen, wozu er sich auf Ausführungen des EuGH bezog.1044 Wenngleich der EuGH nicht den Schluss gezogen habe, dass eine Rechtmäßigkeitskontrolle der Umsetzungsakte deshalb ausgeschlossen sei, könne der internationale Kontext in seinen Augen aber eine Anpassung rechtfertigen.1045 So verbiete es die Autorität des Sicherheitsrats grundsätzlich, dass die Unionsorgane ihre Beurteilung hinsichtlich der Begründetheit der beschlossenen Sanktionen durch eine eigene ersetzen.1046 Es komme letztlich darauf an, „die Hauptverantwortung des Sicherheitsrats in dem in Rede stehenden Bereich nicht zu unterhöhlen und aus der Union keine Berufungs- oder Überprüfungsinstanz für die Entscheidungen des Sanktionsausschusses zu machen.“1047
Es könne ferner nicht außer Acht gelassen werden, dass das Verfahren zentralisiert auf Ebene der Vereinten Nationen geregelt sei und die der Begründung dienenden Informationen und Beweise allein und in der Regel vertraulich durch den Sanktionsausschuss ausgewertet werden sollten.1048 Sie sollten den Unionsorganen gerade nicht offengelegt werden.1049 Danach hielt er es für angebracht, den „Kampf gegen den Terrorismus“ und den „optimalen Schutz der Grundrechte“ durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen zu bewirken, die im Ergebnis zu einer Rechtskontrolle geringerer Intensität durch die Unionsgerichte führen müsse.1050 Diese Forderung stehe seiner Ansicht nach nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH.1051 Nach der hier vertretenen Auffassung ist eine Bereitschaft zu einer verstärkten Zusammenarbeit der Rechtsschutzorgane der verschiedenen Ebenen, die im Ergebnis auf einen Verzicht einer „intensiven“ Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit durch die Unionsgerichte hinauslaufen würde, durchaus notwendig. 1044 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 69 unter Verweis auf EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 291, 293 f., 296. 1045 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 70. 1046 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 71. 1047 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 71. 1048 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 75. 1049 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 75. 1050 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 76. 1051 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 76.
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Sie entspringt naturgemäß auch dem internationalen Kontext, in den das Sanktionsregime eingebettet ist. Jedoch steht die Pflicht der Unionsgerichte zum Verzicht auf eine durchgehend „intensive“ Rechtskontrolle unter dem Vorbehalt, dass durch die letztlich primär zuständige UN-Ebene ein adäquates Individualrechtsschutzniveau gewährleistet wird. Für sich allein kann das Kriterium der Internationalität den Verzicht auf eine Kontrolle hoher Intensität durch die Unionsgerichte nicht rechtfertigen. Diese Ansicht wird auch vom EuGH geteilt, der seinen Rechtsprechungsanspruch andernfalls bereits in seinem Urteil in der Sache Kadi hätte einschränken können. Anlassbezogen stellt der internationale Kontext – oder konkreter: der supranationale Durchgriff auf die Rechtsstellung des Einzelnen – vielmehr eine notwendige Bedingung zur funktionalen Verschränkung der Rechtsprechungsorgane im Rahmen des Individualrechtsschutzes dar. Hinreichende Bedingung für die Unionsgerichte, um ihre Verpflichtungen aus der „Verfassungsgarantie“ im Rahmen eines Kooperationsverhältnisses mit der UNEbene auszuüben, ist jedoch, dass der Sicherheitsrat einen adäquaten Individualrechtsschutz einrichtet. Dieses Verhältnis der verschiedenen Kriterien zueinander stellte Ives Bot nicht heraus. Er deutete es offenbar als eine kumulative Beziehung (gleichwertiger) Faktoren, die in ihrer Summe eine Zurückhaltung der Unionsgerichte gebieten würde. Dies verwundert nicht zuletzt deshalb, weil die weiteren Kriterien dogmatisch ganz anders zu verorten sind. Jedenfalls lässt sich so erklären, warum er es im Zusammenspiel mit den übrigen Faktoren offenbar bereits für ausreichend hielt, dass das Verfahren auf UN-Ebene nicht mehr nur als „rein diplomatisch und zwischenstaatlich“ zu qualifizieren sei, um eine Einschränkung des Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Unionsgerichte zu verlangen.1052 Dabei müsse auch das Vertrauen zwischen der Union und den Vereinten Nationen berücksichtigt werden, das dadurch gerechtfertigt sei, dass sich beide Organisationen dem Schutz der Menschenrechte verschrieben hätten.1053 Wenngleich sich daraus keine „Blankovollmacht“ für den Sanktionsausschuss ergebe, gebe es für die Unionsrichter keinen Anlass mehr für eine strenge Prüfung der Begründetheit, wenn das Verfahren auf UN-Ebene die Annahme rechtfertige, dass die Gründe für die Aufnahme in die Sanktionsliste durch ausreichend Beweise gestützt werden.1054 Dies sei seit Einrichtung des Büros der Ombudsperson jedenfalls der Fall.1055 Beide Argumente sind zweifelhaft. Nachdem das Sanktionsregime durch die Unionsgerichte nun zum wiederholten Mal als offenkundig unvereinbar mit den Grundsätzen des effektiven Rechtsschutzes gebrandmarkt wurde, kann das beschworene Vertrauen wohl mitt1052 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 82. 1053 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 85. 1054 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 85 ff. 1055 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 82, 87.
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lerweile als erschüttert gelten. Die sehr oberflächliche Untersuchung des Verfahrens auf UN-Ebene durch Ives Bot kann zudem kaum als Basis für die Annahme dienen, die Verteidigungsrechte seien hinreichend gewahrt. Schließlich kam Ives Bot zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit eine „normale Kontrolle“ zu erfolgen habe, wohingegen die materielle Rechtmäßigkeit bloß „beschränkt“ kontrolliert werden solle.1056 Danach habe der Unionsrichter „streng“ zu prüfen, ob die der Umsetzung der Sicherheitsratsresolution dienende Verordnung im Einklang mit den Verteidigungsrechten erlassen worden sei.1057 Die Anforderungen an die Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit durch den Unionsrichter konkretisiert er wie folgt: „Er muss insbesondere prüfen, ob dem Betroffenen die Gründe für die Eintragung mitgeteilt worden sind, ob diese Gründe für eine sachdienliche Verteidigung ausreichen, ob er gegenüber der Kommission hat Stellung nehmen können und ob die Kommission diese hinreichend berücksichtigt hat.“1058
Entscheidend sei letztlich, ob es dem Betroffenen ermöglicht werde, die gegen ihn vorgebrachte Begründung bei der Kommission zu beanstanden, und zu prüfen, ob diese die Stellungnahme und gegebenenfalls neu vorgelegte Beweise sorgfältig untersucht.1059 Es müssten dem Betroffenen danach aber nicht zwingend alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Punkte mitgeteilt werden.1060 Zudem gehe die Begründungpflicht nicht soweit, als den Unionsorganen auferlegt werden könne, bei dem Sanktionsausschuss alle Beweise einzuholen, um sie dem Betroffenen zur Überprüfung und Stellungnahme zu übermitteln.1061 Dies gelte insbesondere deshalb, weil die Kontrollintensität hinsichtlich der materiellen Rechtmäßigkeit zu beschränken sei.1062 Der Wert einer solchen „strengen“ Überprüfung ist damit äußerst begrenzt. Die Informationen, welche die Kommission an die Betroffenen weiterleitet, muss sie in der Regel selbst von dem Sanktionsausschuss einholen. Da sich der Betroffene auch unmittelbar an die UN-Ebene wenden kann, bietet ihm das Verfahren über die Kommission insofern keinen Mehrwert. Zudem erscheint es fraglich, ob die durch die Kommission beim Sanktionsausschuss eingeholten Informationen 1056 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 95. 1057 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 98. 1058 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 98. 1059 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 100 ff. 1060 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 100. 1061 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 103. 1062 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 104.
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umfangreicher ausfallen werden als die Falldarstellung, die den Sanktionsadressaten ohnehin nach ihrer Aufnahme in die Sanktionsliste zuzuschicken ist.1063 Von besonderer Bedeutung für die Verteidigungsrechte der Betroffenen ist zudem gerade die Auswertung der Beweismittel, die etwa die Möglichkeit einschließt, selbst Belastungszeugen zu befragen. Bleiben die Betroffenen aber im Unklaren über die Quelle der gegen sie vorgebrachten Vorwürfe, dann wird es ihnen häufig schwer fallen, diese zu entkräften. Die von Ives Bot hervorgehobene „klassische dialektische Beziehung“ zwischen der Kontrolle der formellen und der materiellen Rechtmäßigkeit, nach der eine Verschärfung der verfahrensrechtlichen Anforderungen die Vermutung der materiellen Rechtmäßigkeit verstärke, weshalb es für den Richter in diesem Fall gerechtfertigt sei, letztere zurückhaltend zu überprüfen,1064 kommt angesichts der vom Generalanwalt angesetzten niedrigen Kontrollmaßstäbe allenfalls eingeschränkt zur Geltung; die materielle Rechtmäßigkeit ist nicht hinreichend indiziert, da durch das vorgeschlagene Verfahren der Unionsorgane gerade nicht abgesichert ist, dass Vorwürfe mit Beweisen unterlegt sind, die der Betroffenen selbst überprüfen und gegebenenfalls widerlegen kann. Ein nach diesen Grundsätzen eingeschränktes Rechtsschutzverfahren kann – wie Ives Bot anschließend selber hervorhob1065 – vielmehr nur den Charakter einer Ausfallkompetenz tragen. Nach Ansicht des Generalanwalts sollten die Unionsrichter im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeitsprüfung dann auch darauf beschränkt sein, die Tatsachenfeststellung, die rechtliche Würdigung des Falles sowie die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen auf offensichtliche Fehler seitens des Sanktionsausschusses zu überprüfen.1066 Ein solches System des kooperativen Zusammenwirkens wäre jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn ein „strenger“ Kontrollmaßstab hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit der Maßnahmen, das heißt, hinsichtlich der den Betroffenen auf UNEbene eingeräumten Verfahrensrechte angelegt würde, da die materielle Rechtmäßigkeit in einem solch aufgabenteiligen Mehrebenensystem, wie es durch das Al Qaida-Sanktionsregime eingerichtet wurde, naturgemäß erst dann vermutet werden kann, wenn der eingeforderte hohe Anspruch an die Verfahrensausgestaltung auf derjenigen Ebene eingehalten wird, die für die Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit die primäre Zuständigkeit beansprucht. Wie bereits dargelegt, ergibt sich aus der Würdigung des Individualrechtsschutzsystems der UN-Ebene, wie sie der Generalanwalt vorgenommen hat, indes nicht hinreichend, dass dies der Fall ist. Der Einordnung des Generalanwalts, derzufolge sich eine Einschränkung der Rechtskontrolle durch die Unionsgerichte auf den Grad der Intensität und nicht auf den Umfang erstrecken solle, ist dagegen nachvollziehbar, sofern sichergestellt ist, 1063
Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 40. Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 96 f. 1065 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 106. 1066 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 107. 1064
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dass auf UN-Ebene ein adäquater Rechtsschutz gewährleistet wird. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass den staatlichen sowie den Unionsgerichten auch für den Fall, dass der Sicherheitsrat diesen Rechtsschutzstandard gewährleistet, eine Reservekompetenz verbleibt, nach der sich ihr Untersuchungsanspruch wieder vollständig begründet, wenn der Sicherheitsrat den erforderlichen Standard im Laufe der Zeit wieder bedeutend unterschreitet. Nach oben Gesagtem sollte den Unionsgerichten darüber hinaus die Kompetenz verbleiben, die Entscheidungen des Sanktionsausschusses auf offensichtliche Fehlbewertungen der materiellen Rechtmäßigkeit zu überprüfen. (e) Das zweite Urteil des EuGH in der Sache Kadi Am 18. Juli 2013 erging sodann das zweite Urteil des EuGH in der Sache Kadi.1067 Der Gerichtshof befasste sich darin zunächst mit der Frage der Justiziabilität der zur Umsetzung der Sicherheitsratsresolutionen dienenden EU-Rechtsakte.1068 Er stellte bereits am Anfang klar, dass sich hinsichtlich der Gründe, auf die er in seinem ersten Urteil seine Ablehnung ihrer Nichtjustiziabilität stützte, keine Entwicklung ergeben habe, die eine Neubewertung dieser Entscheidung rechtfertigen könnte.1069 In dem in Bezug genommenen Abschnitt der Entscheidungsgründe aus dem ersten Urteil des Gerichtshofs in der Sache Kadi hatte er eine Nichtjustiziabilität unter anderem mit dem Hinweis darauf für nicht rechtfertigungsfähig abgelehnt, dass das Individualrechtsschutzsystem auf UN-Ebene zum damaligen Zeitpunkt offenkundig nicht den Garantien eines gerichtlichen Rechtsschutzes gerecht geworden sei.1070 Auch jetzt entspreche es noch nicht diesen Voraussetzungen.1071 Dies lässt zunächst die Frage, ob der Gerichtshof die Umsetzungsakte der Union dann für nicht justiziabel hält, wenn auf UN-Ebene ein adäquates Individualrechtsschutzsystem eingerichtet wird, noch immer offen. In den folgenden Ausführungen wurde der Gerichtshof dann jedoch deutlicher. Er stellte fest, dass „Unionsrechtsakten, mit denen auf völkerrechtlicher Ebene beschlossene restriktive Maßnahmen umgesetzt werden, keine Nichtjustiziabilität zuzubilligen ist[.] […] [D]ie Achtung, die die Unionsorgane den Organen der Vereinten Nationen entgegenzubringen haben, [darf] nicht zur Folge haben […], dass eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit derartiger
1067
2013. 1068
EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli
Vgl. EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 60 ff. 1069 Vgl. EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 66. 1070 Vgl. EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 66 mit Verweis u. a. auf EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 322. 1071 Vgl. EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 133 und die folgenden Ausführungen.
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Unionsrechtsakte im Hinblick auf die Grundrechte als Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts unterbleibt.“1072
Damit scheint er eine Nichtjustiziabilität der EU-Umsetzungsmaßnahmen kategorisch auszuschließen.1073 Auch nach der hier vertretenen Auffassung wäre eine Nichtjustiziabilität nicht angezeigt. Vielmehr wären die Unionsgerichte – wie alle anderen Gerichte, die auf Ebene der UN-Mitgliedstaaten grundsätzlich zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit entsprechend restriktiver Maßnahmen berufen sind – für den Fall, dass auf UN-Ebene ein adäquates Individualrechtsschutzniveau gewährleistet ist, im Sinne einer Reservekompentenz darauf reduziert, zu überprüfen, dass dieses Niveau nicht bedeutend unterschritten wird, und dass die Entscheidungen in materieller Hinsicht nicht offenkundig rechtsfehlerhaft sind. Fällt die UN-Ebene in dieser Hinsicht aus, begründet sich der Jurisdiktionsanspruch der Unionsgerichte wieder uneingeschränkt. Es wäre demnach der Intensitätsgrad der Rechtmäßigkeitskontrolle betroffen. Eingehend auf die Frage nach der Intensität der gerichtlichen Kontrolle der EUUmsetzungsakte durch die Unionsgerichte beschränkte sich der EuGH auf einen kurzen Verweis auf sein erstes Urteil in dieser Sache, nachdem die Unionsgerichte aufgrund der ihnen durch die EU-Verträge zugewiesenen Befugnisse eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Union im Hinblick auf die EU-Grundrechte gewährleisten müssten.1074 Dies gelte auch für den Fall, dass die Maßnahmen eine Resolution des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta umsetzen.1075 In seinem ersten Urteil in der Sache Kadi hatte der Gerichtshof den ungeminderten Grad der von ihm ausgeübten Kontrollintensität – wie bereits die Ablehnung einer Nichtjustiziabilität der Unionsakte – unter anderem mit dem Hinweis darauf begründet, dass die UN-Ebene bislang kein adäquates Rechtsschutzsystem vorsehe.1076 Der Gerichtshof kam trotz der eingeführten Neuerungen im Al Qaida-Sanktionsregime auch diesmal zu dem Schluss, dass es noch immer nicht die Gewähr für einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz biete.1077 Deshalb sei es umso unerlässlicher, dass die Unionsgerichte eine umfas-
1072 EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 67. 1073 Vgl. dazu auch Hollenberg, LJIL 28 (2015), S. 58. 1074 EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 97. 1075 EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 97. 1076 Vgl. EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 326 und die vorangehenden Rn. des Urteils, insbesondere Rn. 322 – 325. 1077 EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 133.
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sende Kontrolle der Rechtmäßigkeit der EU-Umsetzungsakte durchführen.1078 Damit widerspricht er im Ergebnis der Auffasung des Generalanwalts, der sich für eine Einschränkung des Jurisdiktionsanspruchs der Unionsgerichte ausgesprochen hatte.1079 Das Urteil des Gerichtshofs steht in einer Linie mit seiner vorangegangenen Rechtsprechung. Eine eindeutige Stellungnahme zur Möglichkeit einer funktionalen Rechtsschutzverschränkung in der beschriebenen Form und unter den beschriebenen Voraussetzungen ließ er auch diesmal vermissen.1080 Eine solche wäre jedoch wünschenswert gewesen.1081 Hätte der EuGH einen deutlicheren Hinweis auf eine grundsätzlich bestehende Kooperationsbereitschaft in diesem Sinne gegeben, hätte dies einen stärkeren Anreiz für den Sicherheitsrat zum weiteren Ausbau des Individualrechtsschutzes bedeuten können, der dem Reformprozess voraussichtlich einen zusätzlichen Antrieb verschafft hätte. Der EuGH konkretisierte sodann den Umfang der von ihm durchzuführenden Rechtskontrolle. Danach habe er die Form und die Zuständigkeit einschließlich der Geeignetheit der Rechtsgrundlage zu untersuchen sowie die Einhaltung der Verteidigungsrechte und die Begründung der Maßnahmen, die hinreichend präzise die Grundlage der Entscheidung aufführen müsse.1082 Zusätzlich habe er eine Überprüfung derjenigen Tatsachen vorzunehmen, die der Begründung zugrundeliegen, wozu der Unionsrichter gegebenenfalls von der zuständigen Unionsbehörde die vertraulichen oder nicht vertraulichen Informationen oder Beweise anfordern müsse.1083 Die Beweislast für das Vorliegen des sanktionsbewehrten Verhaltens des Betroffenen trage nämlich die Unionsbehörde.1084 Der Unionsrichter könne nur diejenigen Gründe aus der Begründung des Santionsausschusses als Entscheidungsgrundlage heranziehen, die entweder nach den Einlassungen der Parteien oder anhand von vorgelegten Informationen oder Beweisen als hinreichend stichhaltig anzusehen seien.1085 Werden Informationen oder Beweise an den Unionsrichter übermittelt, müsse er diese auf ihre inhaltliche Richtigkeit und ihre Beweiskraft anhand der Umstände des Einzelfalls und im Lichte etwaiger dazu abgegebener 1078
EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 133. 1079 Vgl. dazu im vorangegangenen Punkt (d). 1080 Tzanakopoulos, The Solange Argument as a Justification for Disobeying the Security Council in the Kadi Judgments, S. 131 interpretiert die Ausführungen des EuGH dagegen als klares Bekenntnis zum „Solange“-Ansatz. Es bliebe jedoch die Frage offen, warum er nicht eine eindeutige Sprache wählte, wie es das EuG in seinem zweiten Urteil in der Sache Kadi tat. 1081 Ebenso: Feinäugle, AJIL 107 (2013), S. 883. 1082 EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 117 – 119. 1083 EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 120. 1084 EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 121. 1085 Vgl. EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 122 f.
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205
Stellungnahmen, insbesondere der betroffenen Person, prüfen.1086 Dies setzt voraus, dass den Sanktionsadressaten grundsätzlich auch selbst die Untersuchung der Informationen und Beweise ermöglicht wird. Ein Verschluss könne ihnen gegenüber nur in Ausnahmefällen erfolgen, wenn zwingende Erwägungen der Sicherheit oder der Gestaltung der internationalen Beziehungen der Union oder ihrer Mitgliedstaaten einer Offenlegung entgegenstünden.1087 In diesen Fällen habe der Unionsrichter Techniken anzuwenden, um die Sicherheitsinteressen gegenüber den Verfahrensrechten des Sanktionsadressaten zum Ausgleich zu bringen.1088 Dem Unionsrichter könne die Geheimhaltungsbedürftigkeit oder Vertraulichkeit von Informationen und Beweisen nicht entgegengehalten werden.1089 Während die Implementierung des Al Qaida-Sanktionsregimes in der EU durch die Rechtsprechung des EuGH also theoretisch nicht ausgeschlossen wird, setzt er den Unionsorganen Hürden bei der Umsetzung, die sie in der Praxis nur schwer werden überwinden können. So sind sie darauf angewiesen, dass ihnen der Al QaidaSanktionsausschuss die der „listing“-Entscheidung zugrundeliegenden Informationen oder Beweise zukommen lässt, die häufig vertraulicher Natur sind. Zumal der Sanktionsausschuss nicht notwendig Einblick in dieses Material nehmen muss, um die Aufnahme in die Sanktionsliste anzuordnen,1090 ist jedoch nicht sichergestellt, dass er im Einzelfall selbst darauf Zugriff hat. Der Sanktionsausschuss kann die ihm übermittelten, vertraulichen Informationen auch nicht ohne Zustimmung des betreffenden Staates weiterleiten, weshalb die Umsetzung der Individualsanktionen in der EU entscheidend von der Kooperationsbereitschaft anderer Staaten abhängen wird. Diese Situation steht dem Zweck entgegen, der mit der Einrichtung des Sanktionsregimes auf UN-Ebene verbunden ist, nämlich eine einheitliche Umsetzung dadurch zu bewirken, dass die Hoheit über die Frage, wer im Einzelfall einer Sanktion unterworfen wird, allein dem Sanktionsausschuss übertragen werden sollte.1091 Eine aufgabenteilige Kooperation zwischen der UN- und der EU-Ebene wird vor diesem Hintergrund unumgänglich sein. Letztlich befand der EuGH, dass keine der Herrn Kadi belastenden Behauptungen aus der Falldarstellung des Sanktionsausschusses die Vornahme restriktiver Maßnahmen durch die EU rechtfertigen konnte, entweder weil sie nicht hinreichend begründet wurden oder weil notwendige Informationen oder Beweise nicht vorge1086 EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 124. 1087 EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 125. 1088 EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 125. 1089 EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 125. 1090 Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 30. 1091 Vgl. auch de Wet, CJIL 12 (2013), S. 799; Feinäugle, AJIL 107 (2013), S. 882.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
bracht wurden, die den EuGH von der Stichhaltigkeit der Vorwürfe hätten überzeugen können.1092 Die Rechtsmittel wurden dementsprechend zurückgewiesen.1093 Am 14. Januar 2015 erging wiederum ein Urteil des EuG, das sich mit dem Al Qaida-Sanktionsregime befasste.1094 Wie in den Kadi-Fällen wandte sich ein Adressat des Regimes gegen die zur Umsetzung der Sanktionen dienenden EURechtsakte, in diesem Fall Herr Abdulbasit Abdulrahim. In seiner Entscheidung wendete das EuG den durch den EuGH entworfenen Prüfungsmaßstab an1095 und kam auch diesmal zu dem Ergebnis, dass keine hinreichenden Informationen oder Beweise durch die EU-Institutionen vorgebracht wurden, um zumindest einen der erhobenen Vorwürfe zu untermauern.1096 Der EuG kassierte daruafhin die betreffende Verordnung, soweit sie den Kläger betraf.1097 (f) Der Fall Kadi vor dem United States District Court for the District of Columbia und der Ombudsperson In Bezug auf den Fall Kadi ist noch zu ergänzen, dass Herr Kadi zwischenzeitlich auch in den Vereinigten Staaten gerichtlich gegen restriktive Maßnahmen vorgegangen ist, denen er ebenfalls wegen angeblicher Verbindungen zu Al Qaida ausgesetzt wurde.1098 Dabei handelt es sich um Sanktionen wie das Einfrieren von Konten, die auf Grundlage der noch von George W. Bush erlassenen Ausführungsverordnung 13,224 zum International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) verhängt wurden, welcher dem Präsidenten der Vereinigten Staaten nach Ausrufen einer Notstandssituation in Reaktion auf außerordentliche Bedrohungen ausländischen Ursprungs u. a. das Recht einräumt, Individualsanktionen zu veranlassen.1099 Auf dieser Grundlage wurde autonom durch die Vereinigten Staaten eine Sanktionsliste für Mitglieder und Verbündete Al Qaidas erstellt, die sich nach ganz ähnlichen Kriterien bemisst, wie nach dem „associated with“-Test des Sicherheitsrats.1100 Das Gericht wies die Klage von Herrn Kadi nach einer ausgiebigen Sach1092 EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 163. 1093 EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 168. 1094 EuG, Abdulbasit Abdulrahim gg. Rat und Kommission, T-127/09 RENV vom 14. Januar 2015. 1095 EuG, Abdulbasit Abdulrahim gg. Rat und Kommission, T-127/09 RENV vom 14. Januar 2015, Rn. 62 – 70. 1096 EuG, Abdulbasit Abdulrahim gg. Rat und Kommission, T-127/09 RENV vom 14. Januar 2015, Rn. 71 – 97. 1097 EuG, Abdulbasit Abdulrahim gg. Rat und Kommission, T-127/09 RENV vom 14. Januar 2015, erster Leitsatz. 1098 Vgl. United States District Court for the District of Columbia, Kadi gg. Geithner et al., Memorandum Opinion, 09-0108 vom 19. März 2012. 1099 Vgl. United States Code, Title 50, Chapter 35, §§ 1701 f. 1100 Vgl. Executive Order 13,224, Sec. 1, d).
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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verhaltswürdigung ab, da die vorgelegten Informationen in ihrer Gesamtheit ausreichend für die Annahme gewesen seien, dass Herr Kadi in einer sanktionsbewehrten Verbindung zu Al Qaida stehe.1101 Dabei wertete es neben den nicht unter Verschluss stehenden Unterlagen auch die geheimen Informationen aus, welche ihm gemäß dem IEEPA1102 ex parte und in camara vorgelegt werden konnten.1103 Wie bereits erwähnt, konnte Herr Kadi nach Abschluss eines erfolgreichen Ombudsverfahrens am 5. Oktober 2012 aber die Streichung von der Sanktionsliste des Al Qadia-Sanktionsregimes bewirken.1104 Da weder die Empfehlungen der Ombudsperson noch die „de listing“-Entscheidungen des Sanktionsausschusses öffentlich erläutert werden, ist über die Gründe nichts weiter bekannt. (g) Zwischenergebnis Während der EuGH gegenüber dem Sicherheitsrat richtigerweise betont, dass die Grundwerte der EU, zu denen er u. a. die EU-Grundrechte zählt, nicht dem Subordinationsanspruch des UN-Rechts weichen müssen, wäre eine noch eindeutigere Aussage zu der Frage, ob eine funktionale Rechtsschutzverschränkung unter Beschränkung seines eigenen Jurisdiktionsanspruchs unter bestimmten Bedingungen mit dem EU-Recht zu vereinbaren wäre, wünschenswert gewesen. Eine funktionale Rechtsschutzverschränkung ist Voraussetzung für die einheitliche und effektive Umsetzbarkeit der Individualsanktionsregime der Vereinten Nationen. Aus dem Prinzip der Organisationstreue sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, sich einer entsprechend aufgabenteiligen Zusammenarbeit nicht gänzlich zu verschließen. (bb) Der Maßstab innerstaatlicher Rechtsordnungen Es bleibt zu klären, inwiefern sich aus dem Anspruch der Staaten auf Achtung ihrer Verfassungsprinzipien eine Rechtsbindung ableiten lässt, die insoweit konturiert ist, als man ihr klare Vorgaben für den Handlungsspielraum des Sicherheitsrates entnehmen könnte. Zunächst scheint dies angesichts der Rechtspluralität schwer möglich zu sein. Nach obigem Ergebnis hat jeder Staat auf Grund seines Souveränitätsrechts einen Anspruch darauf, dass der Sicherheitsrat im Falle supranationaler Regulierung der Rechtsstellung des Einzelnen einen Individualrechtsschutzstandard sicherstellt, der dem eigenen staatlichen Niveau im Wesentlichen gleich zu achten ist. „Im Wesentlich gleich“ bedeutet in qualitativer Hinsicht „gleichwertig“, nicht hingegen „identisch“. Die Staaten unterliegen aus dem Kooperationsgebot der Verpflichtung, sich einer Integration in ein System aufgabenteiligen Rechtsschutzes nicht zu verschließen. Damit ließe es sich nicht vereinbaren, wenn jeder Staat darauf 1101 Vgl. United States District Court for the District of Columbia, Kadi gg. Geithner et al., Memorandum Opinion, 09-0108 vom 19. März 2012, S. 33. 1102 § 1702 lit. c, der zugleich klarstellt: „This subsection does not confer or imply any right to judicial review.“ 1103 Vgl. United States District Court for the District of Columbia, Kadi gg. Geithner et al., Memorandum Opinion, 09-0108 vom 19. März 2012, S. 2, 33. 1104 Vgl. UN Doc. SC/10785.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
bestehen könnte, dass die in seinem Rechtssystem entwickelte Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes mitsamt der durch die jeweilgen Rechtsprechungsorgane entwickelten Kasuistik deckungsgleich auf Ebene der Vereinten Nationen abgebildetet werden müsste. Auf der anderen Seite ergibt sich aus dem Anspruch jedes Staates auf Achtung eines dem innerstaatlichen Niveau zumindest „gleichwertigen“ Individualrechtsschutzes, dass es nicht ausreichend sein kann, wenn auf der UN-Ebene bloß ein Mindeststandard zu Grunde gelegt würde. Bei der Suche nach einem Maßstab für einen Individualrechtsschutz, der diese Ansprüche erfüllt, drängt sich der IPbpR auf, der auf einen universellen Schutz von Grundrechten durch die Staaten angelegt ist und bereits im Zuge der durch die Vereinten Nationen selbst gestalteten bzw. begleiteten Entwicklung der Strafverfahrensordnungen auf internationaler Ebene als „internationaler Standard“ zum Maßstab herangezogen wurde.1105 Der IPbpR reflektiert einen Standard, den die Großzahl der Staaten anerkennt. Bis heute sind 168 Staaten dem IPbpR als Vertragsparteien beigetreten und 74 davon haben ihn ratifiziert.1106 Man kann davon sprechen, dass die Bestimmungen des IPbpR im Wesentlichen Ausdruck ihrer Vorstellungen über die Ausgestaltung individueller Rechtspositionen im sensiblen Bereich der Grundrechte sind. Die Gruppe der Vertragsstaaten ist auf der ganzen Welt verteilt, schließt unterschiedliche Rechtstraditionen mit ein und spiegelt damit nicht allein die Überzeugungen eines bestimmten Kultur- und Rechtskreises wider. Letztlich darf es der IPbpR nicht bloß bei einem Mindestmaß grundrechtlicher Verbürgungen belassen, sondern muss einen allgemeinen Standard formulieren, der dem der UN-Mitgliedstaaten gleich zu achten ist. Hinsichtlich des durch die Individualsanktionen betroffenen Eigentumsrechts können insoweit Zweifel aufkommen, da es im IPbpR keinen ausdrücklichen Schutz erfährt. Allerdings hat sich mittelbar über Art. 26 IPbpR ein Schutz vor diskriminierenden Eingriffen in das Eigentum entwickelt.1107 Inwiefern es durch das Al Qaida-Sanktionsregime zu Eingriffen in das Eigentum kommt, die eine Entscheidung über das diesbezügliche Rechtsschutzniveau notwendig macht, wird noch zu überprüfen sein. Ein effektiver Schutz des Eigentumsrechts ist zudem eng verbunden mit der Möglichkeit, die Rechtfertigung eines Eingriffs im Wege eines effektiven Rechtsschutzverfahrens überprüfen lassen zu können.1108 Die Frage wird deshalb im Rahmen der rechtlichen Würdigung des Sanktionsregimes noch einmal näher behandelt werden. Daneben kann davon gesprochen werden, dass die ausdifferenzierten Regeln des IPbpR mehr als nur ein Mindestmaß grundrechtlicher Verbürgungen für die hier betroffenen Rechte vorsehen. Der IPbpR kann damit als Standard 1105
Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 2., b), aa), (1), (b), (bb). Stand: 12. August 2015. Abrufbar unter: http://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx? src=TREATY&mtdsg_no=IV-4&chapter=4&lang=en. 1107 Vgl. dazu Matiss, Terrorismusbekämpfung und menschenrechtlicher Eigentumsschutz, S. 303 ff. 1108 Vgl. dazu Generalanwalt Poiares Maduro in seinem Schlussantrag zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 47. 1106
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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herangezogen werden. Die Prüfung soll sich an der Linie seines Maßstabs orientieren. In Einzelfällen wird ergänzend auf andere Menschenrechtsverträge zurückgegriffen werden, sofern sie einen Hinweis zur Klärung einzelner Fragen liefern können. (b) Zwischenergebnis Das Verhältnis der Mitgliedstaaten zu den Vereinten Nationen ist geprägt von dem Gebot gegenseitiger Loyalität. Sowie der Sicherheitsrat zum Respekt vor den Grundwerten der einzelstaatlichen Verfassungen aufgerufen ist, stehen die Mitgliedstaaten in der Pflicht, sich einer funktionalen Verschränkung der Rechtsordnungen zur Wahrung gemeinsamer Werte nicht grundsätzlich zu verschließen. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung ist dies nicht zuletzt deshalb geboten, weil die dem Sicherheitsrat die legitimatorische Grundlage bietende rechtfortbildende Auslegung gerade auf den Willen der Mitgliedstaaten zurückgeht (was freilich auch zu fordern war). Der Sicherheitsrat hat sich bei der Ausgestaltung der Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus gleichwohl an den Verfassungsbestimmungen der Mitgliedstaaten zu orientieren. Dabei kann die IPbpR – vorbehaltlich des Eigentumsschutzes – als Ausdruck eines Rechtschutzstandards gelten, der für den Sicherheitsrat bei der Ausgestaltung von gegen Individuen gerichteter Sanktionsregime maßgebend sein soll. (2) Rechtsbindung im Verhältnis zu den Sanktionsadressaten (Zweite Dimension) Es ist ferner zu prüfen, ob der Sicherheitsrat aus der UN-Charta auch unmittelbar den Sanktionsadressaten gegenüber zur Beachtung von Rechten verpflichtet ist. Zwei Rechtsverweise könnten auf eine unmittelbare Menschenrechtsbindung schließen lassen. Gemäß Art. 24 Abs. 2 UN-Charta hat der Sicherheitsrat im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zu handeln. Nach Art. 1 Ziff. 1 UN-Charta setzen sich die Vereinten Nationen das Ziel, Friedensbedrohungen zu verhüten und zu beseitigen, Friedensbrüche zu unterdrücken und „internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen“.1109 Die Menschenrechte sind als Teil des allgemeinen Völkerrechts anerkannt,1110 womit sich der Sicherheitsrat an diese halten muss. Bei einer näheren Betrachtung von Art. 1 Ziff. 1 UN-Charta ergibt sich jedoch, dass sich der Bezug zu den Völkerrechtsgrundsätzen allein auf die Befugnisse des Sicherheitsrats zur friedlichen Streitbeilegung nach Kapitel VI bezieht. Für die Befugnisse nach Kapitel VII gibt es hingegen keinen entsprechenden Verweis. Das Vorliegen 1109 1110
Hervorhebungen ergänzt. Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 2., b), aa), (1), (b).
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
einer Regelungslücke kann ausgeschlossen werden, da das Bedürfnis einer rechtlichen Domestizierung durch die UN-Charta offensichtlich erkannt wurde. Im Umkehrschluss deutet dies darauf hin, dass Maßnahmen nach Kapitel VII einer Bindung an das allgemeine Völkerrecht also gerade nicht unterliegen sollten.1111 Dieses Ergebnis steht in einer Linie mit dem Ansinnen der Gründungsmütter und -väter der Vereinten Nationen, dem Sicherheitsrat einen möglichst weiten Handlungsspielraum zu verschaffen, damit er schnell und effektiv zur Abwendung und Auflösung von Friedensbrüchen einschreiten kann, ohne zuvor eine wohlmöglich zeitintensive rechtliche Untersuchung durchführen zu müssen.1112 Das Wahlverfahren stellt sicher, dass die Maßnahmen des Sicherheitsrates von den stärksten Mächten getragen werden, wodurch die schnelle und effektive Durchsetzung gewährleistet werden sollte.1113 Ein Zeitraum der Rechtslosigkeit war also im Idealfall nur kurzfristig zu erwarten gewesen. Aus dieser Perspektive schien es deshalb auszureichen, das auf eine nachhaltige Lösung ausgerichtete Streitbeilegungsverfahren von Rechtsmaßstäben leiten zu lassen, um langfristig dem Recht Geltung zu verschaffen.1114 Die Situation gestaltet sich heute jedoch grundlegend anders. Zum Kreis potentieller Friedensstörer werden mittlerweile auch Privatakteure gezählt, womit sie zum Adressaten des Verbots friedensbedrohenden Verhaltens avanciert sind. Ihre Rechtstellung wird damit dauerhaft ausgestaltet. Das Verbot wird mittels gezielter und zeitlich unbegrenzter Maßnahmen durchgesetzt. Damit können die Trennlinien zwischen Sicherheit und Recht immer weniger aufrechterhalten werden.1115 Das Streitbeilegungsverfahren nach Kapitel VI, in dem die Grundsätze des Völkerrechts leitende Maßstäbe bilden, ist nicht auf die Einbindung von Gefahren durch Individuen ausgerichtet. Man könnte deshalb die Meinung vertreten, dass das Ausmaß der Rechtsbindung mit diesen auf Grundlage einer extensiven Auslegung der befugnisbegründenden Normen erfolgten Anpassungsstrategien korrektiv schritthalten müsse.1116 Demnach wäre der Sicherheitsrat aus der UN-Charta zumindest dann an das allgemeine Völkerrecht gebunden, wenn er langfristig die Rechtsstellung Einzelner ausgestaltet. Eine entsprechende Auslegung würde dem Wortlaut der Art. 1 Ziff. 1, 24 Abs. 2, 39 ff. UN-Charta jedenfalls nicht entgegenstehen. Sie würde auch berücksichtigen, dass Ausnahmevorschriften wie die Entbindung des Sicherheitsrats 1111
So Oosthuizen, LJIL 12 (1999), S. 552 f. Vgl. dazu bereits die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (a), (aa). 1113 Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (a), (aa). 1114 Vgl. dazu auch Krisch, in: Simma et al., UN-Charter, Vor Art. 39, Rn. 18. 1115 Vgl. auch Gowlland-Debbas, Int’l J 65 (2009 – 2010), S. 129. 1116 I. E. ebenso: Chesterman, The UN Security Council and the Rule of Law, Rn. 3 und Empfehlungen 1 und 2; Gowlland-Debbas, Int’l J 65 (2009 – 2010), S. 129. Vgl. auch Mégret/ Hoffmann, HRQ 25 (2003), S. 341, die eine Menschenrechtsbindung dann annehmen, wenn der Sicherheitsrat effektiv „Kontrolle“ über Individuen ausübt. Ähnlich: Fassbender, The Role for Human Rights in the Decision-making Process of the Security Council, S. 82. Vgl. ferner den ehemaligen Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, Martin Scheinin, in seinem Bericht an die Generalversammlung, UN Doc. A/65/258, Ziff. 17. 1112
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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vom allgemeinen Völkerrecht eng auszulegen sind. Sie war in der Annahme eingeführt worden, er würde auf Grundlage des Kapitel VII nur zeitlich begrenzt zur Unterbindung zwischenstaatlicher Konflikte tätig werden. Es könnte darüber hinaus nur auf diese Weise gesichert werden, dass der Sicherheitsrat nicht die Rolle eines Weltgesetzgebers einnimmt, die ihm nie zukommen sollte.1117 Das Ergebnis dieser dynamischen Auslegung müsste freilich von dem Willen der Gemeinschaft der Mitgliedstaaten getragen sein, die zur authentischen Interpretation der UN-Charta berufen ist.1118 Im 2005 World-Summit haben die Mitgliedstaaten zunächst allgemein anerkannt, dass „international cooperation to fight terrorism must be conducted in conformity with international law“,1119 um an späterer Stelle den Sicherheitsrat unter konkretem Bezug zu Individualsanktionen aufzurufen, „to ensure that fair and clear procedures exist for placing individuals and entities on sanctions lists and for removing them, as well as for granting humanitarian exemptions.“1120 Dieses Ergebnis wurde durch die Generalversammlung in der Declaration of the High-level Meeting on the Rule of Law at the National and International Levels vom 30. November 2012 nochmals bestätigt. Dort heißt es: „We recognize that the rule of law applies to all States equally, and to international organizations, including the United Nations and its principle organs, and that respect for and promotion of the rule of law and justice should guide all of their activities and accord predictability and legitimacy to their actions.“1121
Zudem stellte sie zur Bedeutung des Gerichtswesens fest: „We are convinced that the independence of the judicial system, together with its impartiality and integrity, is an essential prerequisite for upholding the rule of law.“1122 1117
Vgl. dazu bereits die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (a). Vgl. zur Kompetenz der authentischen Vertragsauslegung bereits die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1). 1119 A/RES/60/1, Ziff. 85. Im 3. Bericht der deutschen Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ vom 15. Juni 2010 heißt es auf S. 25 f.: „Die unbedingte Verpflichtung zur Wahrung der Menschenrechte und die Bindung an rechtstaatliche Normen auch bei der Verfolgung von schwerer Kriminalität hat für Deutschland eine herausgehobene Bedeutung. […] Im Bereich der Terrorismusbekämpfung stellen die Vereinten Nationen das zentrale Forum dar. Die Bundesregierung unterstützt die vorbehaltlose Ratifizierung […] aller […] einschlägiger Sicherheitsratsresolutionen (v. a. Res. 1373 (2001) sowie Res. 1267 (1999) ff. […]). Das neue Mandat (erneut für 18 Monate) sieht substantielle Verfahrensänderungen vor, die die Aussicht auf höheren Schutz von Verfahrensgrundrechten bei der Listung/Entlistung verbessern. […] Die Bundesregierung hält dies für einen wichtigen Fortschritt und wird sich auch weiterhin für eine Verbesserung im Rechtsschutz einsetzen, um so die Legitimität, Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Regimes zu stärken.“ (abrufbar unter: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/serv let/contentblob/384190/publicationFile/44790/Aktionsplan-Bericht3-de.pdf;jsessionid=832D4 9AD6743DB6AEDD9F6EA319854A5. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 1120 A/RES/60/1, Ziff. 109. 1121 A/RES/67/1, Ziff. 2. 1122 A/RES/67/1, Ziff. 13. 1118
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Um schließlich im Hinblick auf die individualgerichteten Sanktionsregime wieder an den Sicherheitsrat zu appelieren, „that fair and clear procedures are maintained and further developed“,1123 womit das anhaltende Reformbedürfnis nochmals besondere Betonung fand. Auch der Human Rights Council rief den Sicherheitsrat zur Achtung der Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus auf.1124 Dieser reagierte jedenfalls seinen Bekundungen nach positiv auf diese Mahnungen und hebt das Bedürfnis hervor, dass die Maßnahmen gegen Friedensbedrohungen durch Terroristen im Einklang mit der UN-Charta und dem Völkerrecht, einschließlich der einschlägigen Menschenrechte, stehen müssten.1125 Der Sicherheitsrat hatte auch zuvor in Durchbrechung des alten Paradigmas den inneren Zusammenhang von Recht und Friedenssicherung anerkannt.1126 So hat er mit Einrichtung internationaler Tribunale zur Aburteilung schwerster Menschenrechtsverletzungen auf Grundlage des Kapitels VII die Bedeutung der Rechtsgeltung für die Wahrung des Friedens ausdrücklich hervorgehoben.1127 Die Interdependenz dieser beiden Werte beschrieb die Vertreterin Indiens, Frau Preneet Kaur, auf der öffentlichen Sitzung des Sicherheitsrats vom 17. Oktober 2012 treffend, bei der es um die Stärkung der rule of law bei der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ging: „Peace and Justice are intertwined. There is no peace without justice and there is no justice without peace. To be just implies acting in accordance with the rule of law. A coherent application of the rule of law at all levels of governance is a precondition of avoiding conflicts and ensuring peace and justice. This apllies to both international and national affairs.“1128
Für die Ausgestaltung gerichtlicher Verfahren durch den Sicherheitsrat wurde das Rechtsschutzniveau des IPbpR als „internationaler Standard“ zum Maßstab genommen.1129 Es ist mittlerweile durch die Organe wie durch die Mitgliedstaaten anerkannt, dass zumindest solche Maßnahmen nach Kapitel VII, die langfristig auf die Rechtsstellung des Einzelnen einwirken, mit den Menschenrechten als Teil des allgemeinen Völkerrechts in Übereinstimmung zu stehen haben. Eine zweite Argumentationslinie, die für eine rechtliche Bindung gegenüber den Sanktionsadressaten aus der UN-Charta streitet, verweist auf Art. 1 Ziff. 3, 55 lit. c UN-Charta. Danach setzen sich die Vereinten Nationen das Ziel, eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um die Achtung vor den Menschenrechten zu fördern und zu festigen. An diese Ziele ist der Sicherheitsrat wiederum über Art. 24 Abs. 2 UN-Charta gebunden. Die Vorschriften sind jedoch offensicht1123 1124 1125 1126 1127 1128 1129
A/RES/67/1, Ziff. 29. A/HRC/RES/2005/80, Ziff. 11. Fünfter Abs. der Präambel zu S/RES/2161 (2014). Vgl. dazu Gowlland-Debbas, Int’l J 65 (2009 – 2010), S. 129 f. s. nur zur Begründung des ICTY: 9. Abs. der Präambel zu S/RES/808 (1993). UN Doc. S/PV.6849, S. 10. Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 2., b), aa), (1), (b), (bb).
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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lich nicht darauf gerichtet, die Organe der Vereinten Nationen unmittelbar durch menschenrechtliche Verpflichtungen zu binden. Die Vereinten Nationen sollten vielmehr dazu beitragen, dass die Mitgliedstaaten ihr Handeln am Maßstab der Menschenrechte ausrichten. Dies korrespondiert mit der den Vereinten Nationen ursprünglich zugewiesenen Rolle einer rein zwischenstaatlichen Organisation, die mit Individuen nicht in Rechtsverhältnisse tritt.1130 Wie dargestellt wurde, hat sich das Bild mittlerweile grundlegend gewandelt.1131 Die Meinung, die Organe der Vereinten Nationen müssten ihre Maßnahmen nicht nach Art. 1 Ziff. 3, 24 Abs. 2 UN-Charta an Menschenrechten messen lassen, kann vor diesem Hintergrund nicht überzeugen. Eine am Ziel und Zweck der UN-Charta ausgerichtete Auslegung weist deshalb darauf hin, dass der Sicherheitsrat aus Art. 1 Ziff. 3, 24 Abs. 2 UN-Charta auch selbst menschenrechtsverpflichtet ist.1132 Es ist wohl kaum zu bestreiten, dass die Organisation ihr Ziel, die Achtung vor den Menschenrechten zu fördern und zu festigen, verfehlen würde, wenn sie selbst Regime dauerhaft institutionalisierte, die mit selbigen unvereinbar wären. Diese Auslegung wird von der Gemeinschaft der Mitgliedstaaten geteilt (s. o.). Ebenso steht es mit dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, der in der Sitzung zum Erlass von Resolution 2178 (2014) die Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats ausdrücklich aus den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta ableitete: „Through our collectiv efforts, we must ensure that all counter-terrorism actions and policies are consistent with international human rights and humanitarian law. As the custodian of the Charter of the United Nations, I want to emphasize that all measures must be fully in line with the goals and values and principles of the United Nations.“1133
Mit Erlass der AEMR zielte die Generalversammlung laut Präambel darauf ab, auf ein gemeinsames Verständnis der Menschenrechte und Grundfreiheiten hinzuwirken, zu deren Verwirklichung sich die Staaten mit Unterzeichnung der UN-Charta verpflichtet haben.1134 Sie kann deshalb als Ausdruck des gemeinsamen Verständnisses dieser Verpflichtungen herangezogen werden.1135
1130
Vgl. im 2. Teil, B., I. Vgl. im 2. Teil, B., I. 1132 I. E. ebenso: Reinisch, AJIL 95 (2001), S. 857; Scheinin, UN Doc. A/65/258, Ziff. 17; Mégret/Hoffmann, HRQ 25 (2003), S. 317 f.; Orakhelashvili, MPYUNL 11 (2007), S. 176; Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 446; ders., The Role for Human Rights in the Decision-making Process of the Security Council, S. 82; Hudson, Berkl.JIL 25 (2007), S. 210 f.; Stein, Too „Smart“ for Legal Protection?, S. 1529 f. 1133 UN Doc. S/PV.7272, S. 3. 1134 Res. 217 A (III) vom 10. Dezember 1948. 1135 Ebenso: Scheinin, UN Doc. A/65/258, Ziff. 17; Simma/Alston, Austr.JIL 12 (1988 – 1989), S. 107. Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 473 und ders., The Role for Human Rights in the Decision-making Process of the Security Council, S. 82 verweist zusätzlich auf den IPbpR. De Sena/Vitucci, EJIL 20 (2009), S. 213, stellen allein auf den IPbpR und den IPwskR ab. 1131
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
(3) Zwischenergebnis Aus der UN-Charta ist der Sicherheitsrat sowohl im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten wie auch im Verhältnis zu den Sanktionsadressaten zur Achtung von Grundrechten bzw. Menschenrechten verpflichtet. Als allgemeiner Regelungsstandard staatlichen Verfassungsrechts kann das Rechtsschutzniveau des IPbpR maßgebend herangezogen werden. Als Ausdruck eines gemeinsamen Verständnisses der unmittelbaren Menschenrechtsverpflichtungen der UN-Charta dient die AEMR und über den Verweis auf die Regeln des allgemeinen Völkerrechts der IPbpR als „allgemeiner Standard“. bb) Über die Mitgliedstaaten vermittelte Bindung an Menschenrechtskonventionen Die Vereinten Nationen sind nicht Partei von Menschenrechtskonventionen und können deshalb auch nicht unmittelbar durch diese gebunden sein. In Betracht kommt jedoch eine mittelbare Bindung über die UN-Mitgliedstaaten, die ihrerseits durch Vertragsrecht zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet sind.1136 Verneint man eine mittelbare Bindung, dann kann es zu Normenkonflikten kommen.1137 Wäre es den Vereinten Nationen nämlich möglich, sich über die vertraglichen Verpflichtungen ihrer Mitglieder hinwegzusetzen, dann könnten diese keine Gewähr für ihre Einhaltung mehr leisten, sofern man die Vorrangwirkung des Art. 103 UN-Charta auch gegenüber Menschenrechtskonventionen gelten lässt.1138 Zumal das Zeitalter der Globalisierung vermehrt die Verlagerung von Kompetenzen auf internationale und supranationale Organisationen erforderlich machen wird, würde eine Verwässerung der Konventionsrechte drohen. Zudem könnten auf diese Weise die Staaten versucht sein, ihren Verpflichtungen durch eine Verlagerung von Verantwortlichkeiten auf eine höhere Ebene zu entgehen.1139 Die gegen den internationalen Terrorismus gerichteten Sanktionsregime bieten ein anschauliches Beispiel dafür, wie entsprechende Anreize entstehen können. Nach 1136 Vgl. zur parallelen Diskussion über die Frage, ob die EU über ihre Mitgliedstaaten an Pflichten aus völkerrechtlichen Verträgen gebunden ist, denen sie selbst nicht als Partei angehört: Proelß, Grenzen der Zuständigkeit der Unionsorgane am Beispiel von ,Erika III‘, S. 148 – 164. 1137 Vgl. dazu auch de Wet, CJIL 12 (2013), S. 799. 1138 Letzteres verneinend: Orakhelashvili, MPYUNL 11 (2007), S. 189 f. Ebenso zumindest für die unter der Regie der UN entstandenen Konventionen: Stein, Too „Smart“ for Legal Protection?, S. 1529 f. Einschränkend: Ciampi, Security Council Targeted Sanctions and Human Rights, S. 104. 1139 Nach Art. 61 der Draft Articles on the responsibility of international organizations (2011) der ILC ist allerdings auch in diesen Fällen dem Staat die Verantwortung für eine konventionswidrige Maßnahme der internationalen Organisation jedenfalls dann zuzuweisen, wenn er auf diese Weise absichtlich seinen Verpflichtungen entgehen will (vgl. Ziff. 2 der Kommentierung zu Art. 61). Allerdings bestimmt Art. 67, dass die Regeln der UN-Charta von den Draft Articles on the responsibility of international organizations (2011) unberührt bleiben.
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Resolution 1373 (2001) stehen die UN-Mitgliedstaaten in der Pflicht, selbständig gegen Terroristen und ihre Verbündeten vorzugehen. Aufgrund des eigenen Entscheidungsspielraums bei der Festlegung der Sanktionsadressaten ist es ohne Weiteres möglich, ihnen für ihr Auswahlermessen die Verantwortung zuzuschreiben. Sie müssen dann gegebenenfalls volle Rechenschaft für die Führung der Sanktionslisten vor internationalen Menschenrechtsgerichtshöfen ablegen. Im Falle von Al Qaida ist es für die Mitgliedstaaten deshalb einladend, dass sie den Erlass von Individualsanktionen über das Al Qaida-Sanktionsregime initiieren können, indem sie dem Sanktionsausschuss die Aufnahme einer Person oder Körperschaft vorschlagen. Kommt der Sanktionsausschuss dem Vorbringen des Staates nach, ist die Listung mit der folgenden Sanktionierung primär den Vereinten Nationen zuzurechnen. Selbst wenn man annimmt, dass die Parteien von Menschenrechtsverträgen auch in ihrem Abstimmungsverhalten in internationalen Organisationen an die konventionsrechtlichen Vorgaben gebunden seien,1140 wäre nicht gesichert, dass eine konventionswidrige Ausübung ihres UN-Mitgliedschaftsrechts auch zutage treten würde; der Sanktionsausschuss tagt in der Regel in geschlossener Sitzung. Daneben wäre der Mitgliedstaat nach Resolution 2161 (2014) nicht dazu verpflichtet, sich als derjenige Staat zu erkennen zu geben, der die Listung beantragt hat.1141 Auf diese Weise könnte der Betroffene in seinem Versuch, ein konventionswidriges Abstimmungsverhalten nachzuweisen, vor unlösbare Herausforderungen gestellt sein. Er müsste gegebenenfalls gegen alle konventionsrechtlich gebundenen Mitglieder des Sanktionsausschusses klagen und durch ein Rechtsprechungsorgan einen Anspruch auf Offenlegung des Abstimmungsverhaltens zugesprochen bekommen. Eine Aussicht auf Erfolg, etwa in Form einer Freigabe von Finanzwerten, bestünde auch dann allenfalls in dem Fall, dass der entgegen seinen Verpflichtungen aus einer Menschenrechtskonvention abstimmende Staat auch die betreffenden Vermögen eingefroren hat. Ansonsten liefe das Ansinnen fehl. Der Fall Mohammed al-Ghabra1142 macht deutlich, dass eine entsprechende Praxis nicht ausgeschlossen werden kann. Er wurde von dem britischen Foreign and Commonwealth Office im Dezember 2006 darüber in Kenntnis gesetzt, dass das 1267-Sanktionsregime ihn auf die Konsolidierte Liste gesetzt habe, weshalb seine Vermögenswerte einzufrieren seien.1143 Über den Umstand hingegen, dass die Aufnahme in die Liste auf die Initiative Großbritanniens zurückging, wurde er zunächst nicht informiert.1144 Dieses Vorgehen wird in der Literatur mit den Worten kommentiert: 1140
So Schilling, ZaöRV 64 (2004), S. 349; De Sena/Vitucci, EJIL 20 (2009), S. 228. Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 33 und 53. 1142 Im Urteil als G bezeichnet, UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 1. 1143 Vgl. UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 33. 1144 Vgl. UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 33. 1141
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„There appears here a transparent use of the Security Council as a venue through which to wash national executive decisions which otherwise would be subject to judicial control of their vulnerability to court supervision in the interest of the individual.“1145
Unter isolierter Betrachtung der Konfliktregel des Art. 103 UN-Charta erscheint eine Umgehung der Konventionsbindung auf diese Weise durchaus möglich zu sein. Danach haben die Verpflichtungen aus der UN-Charta, unter die auch Vorgaben aus bindenden Resolutionen des Sicherheitsrats zu fassen sind (Art. 25 UN-Charta),1146 im Konfliktfall Vorrang vor Verpflichtungen aus anderen völkerrechtlichen Verträgen. Der Wortlaut des Art. 103 UN-Charta, der nicht zwischen verschiedenen Typen völkervertraglicher Verpflichtungen differenziert, umfasst auch Konflikte mit Menschenrechtskonventionen.1147 Entsprechend hielt das britische House of Lords die EMRK im Fall Al Jedda unter Verweis auf Art. 103 UN-Charta für nachgeordnet, da es einen Widerspruch zu einer Resolution des Sicherheitsrates erkannt hatte.1148 Bei dem Kläger handelte es sich um einen Briten irakischer Herkunft, der während des Irakkriegs von US-amerikanischen Soldaten festgenommen und anschließend für einen Zeitraum von über drei Jahren in einem von britischen Truppen geführten Militärgefängnis in Basra inhaftiert wurde.1149 Durch Sicherheitsratsresolutionen 1511 vom 16. Oktober 2003 und 1546 vom 8. Juni 2004, die multinationale Streitmächte unter Einschluss Großbritanniens zur Vornahme aller notwendigen Maßnahmen zur Friedenswahrung autorisierten,1150 seien die britischen Truppen i.S.v. Art. 103 UN-Charta verpflichtet worden,1151 so dass der Rechtsschutzstandard der EMRK zumindest keine volle Geltungskraft beanspruchen könne.1152 1145 Guild, EU Counter Terrorism Action, S. 7. Ebenfalls zitiert von Sullivan/Hayes, Blacklisted: Targeted Sanctions, preemptive security and fundamental rights, S. 66. 1146 IGH, Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montrael Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyen gg. Vereinigtes Königreich), Order, ICJ Rep. 1992, S. 15; ILC, Fragmentation of international law: difficulties arising from the diversification and expansion of international law, Report of the Study Group of the ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, S. 168 f. 1147 Vgl. House of Lords, Al Jedda gg. Secretary of State for Defence, UKHL 58, vom 12. Dezember 2007, Rn. 35. 1148 House of Lords, Al Jedda gg. Secretary of State for Defence, UKHL 58, vom 12. Dezember 2007, Rn. 39. Anders hingegen das HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006, Rn. 10.6, zum Verhältnis zum IPbpR, das sich dafür zuständig erklärte „to consider the compatibility with the Covenant of the national measures taken to implement a resolution of the United Nations Security Council. It is the duty of the Committee, as guarantor of the rights protected by the Covenant, to consider to what extent the obligations imposed on the State party by the Security Council resolutions may justify the infringement of the [rights protected by the Covenant]“. 1149 EGMR, Große Kammer, Al Jedda gg. UK, 27021/08, Urteil vom 7. Juli 2011, Rn. 10. 1150 S/RES/1511 (2003), Ziff. 13; S/RES/1546 (2004), Ziff. 10. 1151 Vgl. dazu House of Lords, Al Jedda gg. Secretary of State for Defence, UKHL 58, vom 12. Dezember 2007, Rn. 34. 1152 Vgl. dazu Lord Bingham, House of Lords, Al Jedda gg. Secretary of State for Defence, UKHL 58, vom 12. Dezember 2007, Rn. 39: „the UK may lawfully, where it is necessary for
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Die im Anschluss angerufene Grand Chamber des EGMR hielt in seinem Urteil vom 7. Juli 2011 die EMRK hingegen für anwendbar, wobei er eine Entscheidung zur Vorrangwirkung des Art. 103 UN-Charta im Konfliktfall mit der EMRK vermeiden konnte. Es habe in diesem Fall nämlich schlicht keinen Konflikt gegeben, da die Streitkräfte Großbritanniens durch eine Autorisierung zur Wahrung von Sicherheit und Stabilität im Irak beizutragen, gerade nicht zu einem bestimmten Verhalten wie der Inhaftierung auf unbestimmte Zeit ohne Anklage verpflichtet worden sei.1153 Dies ist überzeugend, zumal Großbritannien sowohl bei der Wahl der Mittel als auch bei der Ausgestaltung einen Ermessenspielraum hatte, der eine Orientierung der Umsetzungsmaßnahmen an den Regeln der EMRK zweifellos ermöglicht hätte.1154 Daneben machte der EGMR zur Frage nach der Bedeutung von Menschenrechtskonventionen für die Auslegung von Resolutionen des Sicherheitsrates Ausführungen, die auch Rückschlüsse auf sein Verständnis vom Verhältnis der Befugnisse des Sicherheitsrates zu entsprechenden Verträgen erlauben. Sie beziehen sich damit auf eine Frage, die einem möglichen Normenkonflikt bereits vorgelagert ist. Vor dem Hintergrund der den Sicherheitsrat bindenden Zielsetzung der Vereinten Nationen, eine internationale Zusammenarbeit zur Förderung und Festigung der Menschenrechte herbeizuführen (Art. 1 Ziff. 3, 24 Abs. 2 UN-Charta), geht der Gerichtshof davon aus, dass „in interpreting its resolutions, there must be a presumption that the Security Council does not intend to impose any obligation on Member States to breach fundamental principles of human rights. In the event of any ambiguity in the terms of a Security Council Resolution, the Court must therefore choose the interpretation which is most in harmony with the requirements of the Convention and which avoids any conflict of obligations. In the light of the United Nations’ important role in promoting and encouraging respect for human rights it is to be expected that clear and explicit language would be used were the Security Council to intend States to take particular measures which conflict with their obligations under international human rights law.“1155 imperative reasons of security, exercise the power to detain authorised by UNSCR 1546 and successive resolutions, but must ensure that the detainee’s rights under article 5 [EMRK] are not infringed to any extent than is inherent in such detention.“ 1153 EGMR, Große Kammer, Al Jedda gg. UK, 27021/08, Urteil vom 7. Juli 2011, Rn. 109. 1154 Nach der Rspr. des EGMR stehen die Mitgliedstaaten für die Einhaltung der Konventionsrechte bei der Umsetzung von Verpflichtungen, die ihnen durch internationale Organisationen auferlegt werden, insoweit in direkter Verantwortung, als dass ihnen ein Ermessensspielraum eingeräumt ist, vgl. nur EGMR, Große Kammer, Bosphorus Airlines gg. Irland, 45036/98, Urteil vom 30. Juni 2005, Rn. 157. 1155 EGMR, Große Kammer, Al Jedda gg. UK, 27021/08, Urteil vom 7. Juli 2011, Rn. 102. Vgl. ebenfalls mit Bezug auf Art. 1 Ziff. 3, 24, Abs. 2 UN-Charta, Sir Nigel Rodley, Concurring Opinion, HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/ 1472/2006, S. 36: „[T]he Charter wording strongly suggests that the first interpretation criterion is that there should be a presumption that the Security Council did not intend that actions taken pursuant to its resolutions should violate human rights.“ Nach Auswertung der Rechtsprechung der europäischen Gerichte in Fällen des blacklistings kommt de Wet, Human Rights Considerations and the Enforcement of Targeted Sanctions in Europe, S. 169, zu dem Schluss:
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Nach dem EGMR soll also allein in klar bezeichneten Einzelfällen davon auszugehen sein, dass der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten dazu verpflichten will, sich entgegen den Vorgaben aus Menschenrechtskonventionen zu verhalten. Ein solcher soll im Fall des Al Qaida-Sanktionsregimes vorliegen, wie der EGMR im Fall Nada gg. Schweiz mit Urteil vom 12. September 2012 festgestellt hat.1156 Dabei verweist er zum einen auf die ausdrückliche Verpflichtung der Staaten, die Ein- und Durchreise der Sanktionsadressaten zu unterbinden, die dazu geeignet sei, gegen Menschenrechte zu verstoßen.1157 Noch eindeutiger geht dies aus Resolutionen 1267 vom 15. Oktober 1999 und 1333 vom 19. Dezember 2000 hervor, in denen der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten und sonstige beteiligte Organisationen dazu auffordert, ungeachtet anderweitiger völkerrechtlicher Verpflichtungen etwa aus internationalen Übereinkünften, streng in Übereinstimmung mit den Vorgaben aus den Resolutionen zu handeln.1158 Es scheint so, als sei sich der Sicherheitsrat darüber im Klaren gewesen, dass die Staaten bei der Umsetzung seiner Resolutionen u. a. in Konflikt mit Menschenrechtskonventionen kommen können, und als habe er bewusst einen diesen Standard nicht einhaltenden Individualrechtseingriff in Kauf genommen. Wie Richter Giorgio Malinverni in seiner Separate Opinion zum Nada-Urteil feststellte, bleibt damit eine Frage aber noch unbeantwortet: „Was the Security Council entitled to act in that manner?“1159 Der EGMR vermied, sich dazu einzulassen, und beschränkte sich auf die Bewertung der Akte, die der Schweiz aufgrund eines verbleibenden Ermessensspielraums bei der Umsetzung unmittelbar zuzurechnen seien.1160 Denkt man die vom EGMR oben wörtlich zitierten Überlegungen weiter, so ist der Einfluss von Menschenrechtskonventionen auf den Sicherheitsrat aber nicht allein auf die Auslegung der von ihm erlassenen Resolutionen begrenzt, sondern erstreckt sich bereits auf die Kompetenzen des Sicherheitsrats nach der UN-Charta. Nach den vom EGMR zur Begründung der menschenrechtskonformen Auslegung von Sicherheitsratsresolutionen angeführten Art. 1 Ziff. 3 und 24 Abs. 2 UN-Charta hat der Sicherheitsrat bei der Erfüllung seiner Pflichten im Einklang mit dem Ziel der „[…] there is a tendency to interpret Security Council decisions pertaining to sanctions in a human rights-friendly manner – mostly with reference to domestic human rights obligations.“ 1156 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 172. 1157 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 172. Vgl. S/RES/1390 (2002), Ziff. 2 lit. b. 1158 S/RES/1267 (1999), Ziff. 7; S/RES/1333 (2000), Ziff. 17. Vgl. auch EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 172. Vgl. dazu ferner: Gutherie, NYUAnn.Surv.Am.L. 60 (2004), S. 514 ff. 1159 Giorgio Malinverni, Concurring Opinion, EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 14. 1160 Vgl. zum Ermessensspielraum mit zweifehafter Begründung: EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 175 – 180, 184. Dazu de Wet, CJIL 12 (2013), S. 806 f.
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Vereinten Nationen zur Herbeiführung einer auf der Achtung der Menschenrechte gründenden internationalen Zusammenarbeit zu handeln. Um die internationale Staatengemeinschaft zum Schutz der Menschenrechte zu verpflichten, haben die Vereinten Nationen die internationalen Menschenrechtspakte ausgehandelt und zur Unterzeichnung sowie Ratifikation geöffnet.1161 Sie sind Ausdruck der Bemühungen der Organisation, ihrem Ziel aus Art. 1 Ziff. 3 UN-Charta nachzukommen.1162 Zwingt der Sicherheitsrat nun aber die Mitgliedstaaten, zur Umsetzung seiner Resolutionen die Geltung der Menschenrechte zu suspendieren, zu deren Schutz sie sich durch die Konventionen verpflichtet haben, so konterkariert er dieses Ziel offenkundig. Dies ist nur zu verhindern, wenn er Rücksicht auf ihre Menschenrechtsverpflichtungen nimmt, wie sie sich in den Konventionen ausdrücken.1163 Im Umkehrschluss kann den Ausführungen des EGMR also die Annahme eines sich über Art. 1 Ziff. 3, 24 Abs. 2 UN-Charta vermittelnden Gebots des Sicherheitsrates zur Achtung der sich in Menschenrechtskonventionen ausdrückenden Bemühungen der Mitgliedstaaten zur Herbeiführung einer auf der Achtung der Menschenrechte gründenden internationalen Zusammenarbeit entnommen werden.1164 Zu berücksichtigen bleibt allerdings, dass die Wahrung des Friedens ebenfalls ein Ziel der Vereinten Nationen darstellt (Art. 1 Ziff. 1 UN-Charta). Stehen zwei Ziele im Einzelfall im Konflikt zueinander, sind sie so weit wie möglich im Wege einer praktischen Konkordanz miteinander in Ausgleich zu bringen.1165 Dabei ist die besondere Bedeutung des Friedensziels zu beachten. Der Sicherheitsrat ist deshalb insoweit dazu verpflichtet, seine Maßnahmen im Einklang mit dem Standard internationaler Menschenrechtsverträge auszugestalten, als ihm dadurch nicht das effektive Vorgehen gegen Al Qaida unmöglich gemacht wird. Inwiefern in dieser Hinsicht überhaupt ein Konflikt besteht, wird noch zu prüfen sein.1166 Damit kommt Menschenrechtsverträgen eine besondere Stellung für die Auslegung der Kompetenzen des Sicherheitsrats zu. Sie äußert sich auch darin, dass durch die Verträge nach richtiger Auslegung nicht allein zwischen den Vertragsstaaten Rechte und Pflichten begründet werden, sondern auch im Verhältnis zu den Individuen als Völkerrechtssubjekten.1167 Das doppelte Verpflichtungsverhältnis spiegelt 1161
Vgl. die Präambel zu A/RES/2200 (XXI) und Ziff. 1. Vgl. Abs. 1 der Präambel zu A/RES/2200 (XXI). 1163 Ähnlich: Stein, Too „Smart“ for Legal Protection?, S. 1529 f. 1164 Ähnlich Sir Nigel Rodley, Concurring Opinion, HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006, S. 36, der die Bindekraft dieses Gebots aber nicht soweit auslegt, als es dem Sicherheitsrat dadurch unmöglich wäre, Resolutionen zu erlassen, die eine Verletzung von Rechten aus Menschenrechtskonventionen erforderten. 1165 Wolfrum, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 1, Rn. 5. 1166 Der IPbpR sieht für besondere Fälle des Notstandes die Möglichkeit der Suspension bestimmter Menschenrechtsverpflichtungen vor. In diesem Rahmen wird eine Abwägung der vermeintlich widerstreitenden Ziele vorzunehmen sein, vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 4., g). 1167 Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 2., b), aa), (1), (a). 1162
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sich mitunter darin wider, dass die konventionsrechtliche Bindung der Staaten nicht von der Einhaltung des Vertrages durch andere Vertragsstaaten abhängt, sondern im Verhältnis zu den Individuen fortbesteht. Die verbürgten Individualrechte sind zudem auf die Ewigkeit angelegt und gelten zumindest in ihrem Kernbestand als indisponibel. Die Staaten stehen den Individuen gegenüber in der Pflicht zur Wahrung der Menschenrechte. Damit würde es sich nicht vertragen, wenn sie durch die Gründung einer internationalen Organisation umgangen werden könnten.1168 In diesem Sinne entschied der EGMR, als er sich im Fall Bosphorus mit der Frage der mitgliedstaatlichen Verantwortung nach der EMRK bei der Umsetzung von Vorgaben supranationaler und internationaler Organisationen befasste.1169 Während der EGMR die Verlagerung von Kompetenzen auf eine höhere Ebene grundsätzlich für vereinbar mit der EMRK hält, entlässt er die Vertragsstaaten aufgrund ihres zwingenden Charakters nicht aus der konventionsrechtlichen Verantwortung, weshalb für ihre Akte zur Umsetzung der Regulierungsvorgaben auch weiterhin grundsätzlich der Maßstab der EMRK gelte.1170 Die Übertragung von Hoheitsrechten sei zulässig, solange die überstaatliche Organisation ein im Wesentlichen gleich zu achtendes Individualrechtsschutzniveau garantiere, wobei die allein bei offenkundiger Missachtung des Konventionsrechtsstandards widerlegte Vermutung gelte,
1168 Vgl. dazu auch das Berufungsgericht in Den Haag, Mütter von Srebrenica gg. Niederlande & UN, 200.022.151/01, Urteil vom 30. März 2010, Rn. 5.5: „The Court of Appeal is of the opinion that [Article 103 UN-Charter] was not intended to allow the Charter to just set aside like that fundamental rights recognized by the international (customary) law or in international conventions [like the ECHR]. The development of international law since 1945, the year the Charter was signed, has not stopped and shows an increasing attention for and recognition of fundamental rights, that cannot be ignored by the Court of Appeal.“ 1169 In diesem Fall ging es um die Beschlagnahme eines Flugzeugs auf Grundlage einer EUVerordnung (Nr. 990/93; vormals EG), die wiederum zur Umsetzung einer Resolution des Sicherheitsrats (S/RES/820 (1993)) diente, EGMR, Große Kammer, Bosphorus Airlines gg. Irland, 45036/98, Urteil vom 30. Juni 2005, Rn. 19 ff. Der Gerichtshof reduzierte seine Schlüsse dabei aber ausdrücklich nicht allein auf das Verhältnis zur EU, sondern beschrieb das Verhältnis zu supranationalen und internationalen Organisationen im Allgemeinen, vgl. ebd., Rn. 152. Entsprechend hat er sich auch im Fall Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 168 ff., in dem es um die Beziehung zum Al Qaida-Sankionsregime ging, auf diese Grundsätze bezogen. Ausdrücklich betonte er ihre Anwendbarkeit auf das Verhältnis zur UN nun im Fall Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. Novemeber 2013, Rn. 114, 116. Vgl. in diesem Sinne auch Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 460 f., der davon ausgeht, dass die Entwicklung des europäischen Rechts in diesem Feld auch für die Vereinten Nationen wegweisend sein könne, zumal sie nunmehr ebenfalls zu Formen „supranationaler“ Gesetzgebung mit unmittelbaren Auswirkungen auf Individuen greifen würden. 1170 EGMR, Große Kammer, Bosphorus Airlines gg. Irland, 45036/98, Urteil vom 30. Juni 2005, Rn. 152 – 154; ders., Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 168; ders., Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013, Rn. 114. Ebenso: Ciampi, Security Council Targeted Sanctions and Human Rights, S. 104.
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dass die Staaten bei der Umsetzung der aus der Mitgliedschaft der Organisation erwachsenen Verpflichtungen nicht gegen die EMRK verstießen.1171 Der EGMR vermied es zunächst, UN-Sanktionsregime einer entsprechenden Gleichwertigkeitsprüfung zu unterziehen und sich zu den Konsequenzen einzulassen, die aus einer Unterschreitung des geforderten Rechtsschutzniveaus zu ziehen wären. Mit dem Urteil im Fall Al Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz stellte sich nun eine Kammer dieser Frage.1172 Dabei ging es um den irakischen Staatsangehörigen Khalaf M. Al Dulimi, der Leiter des Finanzstabs des irkischen Geheimdienstes im Regime Saddam Husseins gewesen sein soll.1173 Als solcher geriet er in den Fokus des Sicherheitsrats, der nach der Invasion des Iraks in Kuwait die Staaten u. a. zum Einfrieren von Geldern hoher Beamter des Regimes und der von ihnen kontrollierten Gesellschaften verpflichtete,1174 um anschließend die Einziehung dieser Mittel anzuordnen, welche in den Entwicklungsfonds für den Irak fließen sollten.1175 Wie im Fall des Al Qaida-Sanktionsregimes werden die Sanktionsadressaten auf einer Sanktionsliste geführt.1176 Sie können sich seit Erlass von Resolution 1730 (2006) direkt an den „focal point“ wenden, um ein Streichungsbegehren beim Sanktionskomitee anzubringen.1177 Bis zur Entscheidung der Kammer in Sektion 2 des EGMR wurde die Konfiszierung der Gelder ausgesetzt.1178 Alle Versuche von Herrn Al Dulimi, von den schweizer Behörden und Gerichten sowie dem Sanktionskomitee eine Freigabe der Gelder zu erwirken, schlugen fehl.1179 Anders als im Fall Nada gg. Schweiz,1180 in welchem es um das Al Qaida-Sanktionsregime ging, stellte die Kammer in diesem Fall fest, dass den Staaten bei der Umsetzung der Maßnahmen kein Ermessensspielraum zukomme, welcher eine
1171 EGMR, Große Kammer, Bosphorus Airlines gg. Irland, 45036/98, Urteil vom 30. Juni 2005, Rn. 155 f. Vgl. auch ders. Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013, Rn. 114. 1172 EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013. 1173 Vgl. EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013, Rn. 10. 1174 S/RES/661 (1990), Ziff. 4, S/RES/670 (1990), Ziff. 9 und daran anschließend S/RES/ 1483 (2003), Ziff. 23. 1175 S/RES/1483 (2003), Ziff. 23. 1176 S/RES/1518 (2003), Ziff. 1 (vgl. zuvor bereits S/RES/661 (1990), Ziff. 6). 1177 S/RES/1730 (2006), Ziff. 1, 2. 1178 EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013, Rn. 42, 44. 1179 EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013, Rn. 20 – 39. Mit Ausnahme von Geldern, die zur Zahlung von Anwälten gebraucht wurden, ebd. Rn. 40 f. 1180 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 175 – 180.
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konventionskonforme Ausgestaltung hätte ermöglichen können.1181 Sie kam zu dem Ergebnis, dass es sich um einen Fall handle, in welchem die Gleichwertigkeitsprüfung insbesondere im Hinblick auf die Verfahrensrechte negativ ausfalle.1182 Aus diesem Grund nahm sie eine materielle Prüfung des Falles vor und stellte eine Verletzung des Rechts auf Zugang zum Gericht fest, da die Institutionen auf UNEbene dem Anspruch nicht gerecht würden und die schweizer Gerichte die Sanktionen mit Hinweis auf den Vorrang der Resolutionen keiner rechtlichen Überprüfung unterzogen.1183 Die Kammer fügte hinzu, dass die Betroffenen solange dazu berechtigt sein sollten, die Sanktionen von staatlichen Gerichten überprüfen zu lassen, bis auf UN-Ebene ein adäquates Rechtsschutzsystem eingerichtet worden sei.1184 Das erste Mal hat der EGMR damit einem Mitgliedstaat eine Konventionsverletzung in einem Fall zum Vorwurf gemacht, in welchem er selber feststellte, dass der Sicherheitsrat den Staaten keinen Raum zu einer konventionskonformen Ausgestaltung gelassen habe. Damit ist die Kammer in einen offenen Konflikt mit den Sicherheitsrat getreten. Es wäre zu wünschen gewesen, dass sie sich in diesem Zuge zu der Kollisionsregel des Art. 103 UN-Charta eingelassen hätte.1185 Nun bleibt es abzuwarten, wie die Große Kammer, welcher der Fall am 14. April 2014 vorgelegt wurde,1186 entscheiden wird. Gemäß der in der Bosphours-Entscheidung entwickelten Formel verlagert sich die Pflicht Mitgliedstaaten aus der Konvention bereits auf den Moment der Gründung supranationaler und internationaler Organisationen.1187 Bei der Abtretung von Hoheitsrechten müssen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Organisation einen dem Standard der EMRK gleichwertigen Rechtsschutz sicherstellt.1188 Der Akt der Hoheitsübertragung ist vor dem Hintergrund dieser Verpflichtung auszulegen. Es gilt die Vermutung, dass die Staaten eine internationale Organisation nur in einem konventionsverträglichen Maß mit Kompetenzen ausstatten wollen. Zumal supra1181 Vgl. EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013, Rn 117. 1182 EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013, Rn 118 – 121. 1183 EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013, Rn. 118 – 120, 134. 1184 EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26. November 2013, Rn. 134. Kritisch zur Übertragbarkeit der „Solange“-Formel auf das Verhältnis zum Sicherheitsrat Arcari, QIL 6 (2014), S. 40 f. 1185 Vgl. dazu EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Diss. Op. Sajó, S. 63 f. und Diss. Op. Lorenzen, Raimondi, Jocˇ iene˙ , S. 67 f. Kritisch ebenfalls: Arcari, QIL 6 (2014), S. 31 – 36; Künzli, Die Schweiz im Sandwich zwischen New York und Strassburg. 1186 Vgl. dazu die Presseerklärung vom 16. April 2014, EGMR, 105 (2014). 1187 Ausführlich zu den Verpflichtungen der Vertragsstaaten nach der EMRK bei Erlass und Umsetzung gezielter UN-Sanktionen Cameron, The ECHR, Due Process and UN Security Council Counter-Terrorism Sanctions, S. 23 ff., insb. 26 ff. 1188 Vgl. Walter, AöR 129 (2004), S. 62.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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nationale und internationale Organisationen immer nur so viele Kompetenzen innehaben, wie ihnen vermittels eines Rechtaktes übertragen wurden (principle of conferred powers), werden die konventionsrechtlichen Befugnisgrenzen in der Regel mit übergeben.1189 Es kommt für die Bestimmung der durch Auslegung zu ermittelnden konventionsbedingten Begrenzung der übertragenen Befugnisse also grundsätzlich darauf an, ob die Staaten bei Gründung einer supranationalen oder internationalen Organisation bereits konventionsrechtlichen Verpflichtungen unterlagen. Dies war bei den Vereinten Nationen nicht der Fall, da die relevanten Menschenrechtkonventionen erst später in Kraft traten.1190 Eine vermittelte Konventionsbindung des Sicherheitsrates kann demnach nicht ab initio bestanden haben. Wie der EGMR angedeutet hat, erlauben Art. 1 Ziff. 3, 24 Abs. 2 UN-Charta allerdings auch eine dynamische Anpassung seiner Befugnisse, als Folge des gebotenen Respekts vor dem mitgliedstaatlichen Beitrag zur Verwirklichung von auf der Achtung der Menschenrechte gründenden internationalen Beziehungen. Dafür spricht darüber hinaus das bereits hergeleitete Gebot zur gegenseitigen Loyalität, welches das Verhältnis der Vereinten Nationen zu den Mitgliedstaaten prägt.1191 Es wird für die Achtung vor konventionsrechtlichen Vorgaben durch den in der Präambel der UN-Charta bekräftigten Vorsatz unterstrichen, „Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können“. Daneben kommt der Gemeinschaft der Mitgliedstaaten die Kompetenz zur authentischen Auslegung der UN-Charta zu.1192 Es besteht die Vermutung, dass sie die Befugnisgrenzen der UN-Organe an den Linien ihrer Verpflichtungen aus den Konventionen ausrichten. Dieses Ergebnis wird von dem Willen der Mitgliedstaaten getragen, wie er sich in Resolution 66/282 vom 12. Juli 2012 der Generalversammlung zur „United Nations Global Counter-Terrorism Strategy“ widerspiegelt: „The General Assembly, […] Recognizing that international cooperation and any measures taken by Member States to prevent and combat terrorism must fully comply with their obligations under international law, including the Charter of the United Nations, in particular the purposes and principles thereof, and relevant international conventions and protocols, in particular human rights law, refugee law and international humanitarian law.“1193
Daran anschließend ruft die Generalversammlung alle am Kampf gegen den Terrorismus beteiligten Einheiten der Vereinten Nationen dazu auf, „to continue to 1189
Vgl. auch Reinisch, AJIL 95 (2001), S. 858. Die UN-Charta trat am 26. Juni 1945 in Kraft und dagegen die EMRK am 15. Dezember 1953, die AMRK am 18. Juli 1968, der IPbpR am 23. März 1976, die Banjul-Charta am 21. Oktober 1986, die ACMR am 15. März 2008. 1191 Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 3., c), aa), (1), (a). 1192 Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1). 1193 Abs. 4 der Präambel zu A/RES/64/297 (Hervorhebungen ergänzt). Ebenso in Abs. 7 der Präambel zu S/RES/2178 (2014). 1190
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
facilitate the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms, as well as due process and the rule of law, while countering terrorism“.1194 Es wird hier also nicht die unmittelbare Menschenrechtsbindung der Vereinten Nationen selbst betont, sondern ihre Verantwortung gegenüber den Mitgliedstaaten, keine Maßnahmen zu erlassen, die mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten – insbesondere solchen aus Menschenrechtskonventionen – unvereinbar wären. Letztlich kommt es auch hier auf eine praktische Konkordanz an, um den sich gegenüberstehenden Interessen der internationalen Zusammenarbeit auf Ebene der Vereinten Nationen wie dem lückenlosen Menschenrechtsschutz auf Konventionsebene, die jeweils legitime Belange darstellen, einem Ausgleich zuzuführen. Der EGMR verfolgt einem der „Solange“-Rechtsprechung des BVerfG entsprechenden Ansatz und befindet, dass „State action taken in compliance with such obligations [those arising from the membership of an international organisation] is justified as long as the relevant organisation is considered to protect fundamental rights, as regards both the substantive guarantees offered and the mechanisms controlling their observance, in a manner which can be considered at least equivalent to that for which the Convention provides.“1195
Gleichzeitig betont er, dass es bei dem Ausgleich nicht auf die Beanspruchung von Maximalpositionen ankommen könne und stellt entsprechend klar: „By ,equivalent‘ the Court means ,comparable‘; any requirement that the organisation’s protection be ,identical‘ could run counter to the interest of international cooperation pursued“,1196
um sich im Anschluss aber die Letztentscheidungskompetenz vorzubehalten: „However, any such finding of equivalence could not be final and would be susceptible to review in the light of any relevant change in fundamental rights protection.“1197
Letztlich erfordert die mittelbare Konventionsbindung des Sicherheitsrats – ähnlich wie bei dem Gebot zur Achtung der innerstaatlichen Grundrechte als Ausdruck souveräner Konstitutionalisierungsleistungen der Mitgliedstaaten – dessen Orientierung an einem gemeinsamen Rechtsschutzstandard. Auch hier bietet sich aus bereits genannten Gründen der IPbpR an.1198 An dessen Rechtsschutzstandard hat sich der Sicherheitsrat als Folge der über die Mitgliedstaaten vermittelten Bindung an Menschenrechtskonventionen zu orientieren.
1194
A/RES/66/282, Ziff. 9. EGMR, Große Kammer, Bosphorus Airlines gg. Irland, 45036/98, Urteil vom 30. Juni 2005, Rn. 155. 1196 EGMR, Große Kammer, Bosphorus Airlines gg. Irland, 45036/98, Urteil vom 30. Juni 2005, Rn. 155. 1197 EGMR, Große Kammer, Bosphorus Airlines gg. Irland, 45036/98, Urteil vom 30. Juni 2005, Rn. 155. 1198 Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., c), aa), (1), (a), (bb). 1195
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
225
cc) Bindung an das Völkergewohnheitsrecht Zudem könnte der Sicherheitsrat an das Völkergewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung (Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut), gebunden sein. Die Menschenrechte sind als Teil des Völkergewohnheitsrechts anerkannt.1199 Für eine völkergewohnheitsrechtliche Bindung des Sicherheitsrats spricht wiederum das Prinzip der conferred powers. Der Sicherheitsrat verfügt nur über die Kompetenzen, die ihm vermittels eines Rechtsakts übertragen wurden. Der Akt zur Abtretung von Kompetenzen durch die Mitgliedstaaten ist im Zweifel so auszulegen, wie es mit ihren staatlichen Verpflichtungen nach dem allgemeinen Völkerrecht vereinbar ist. Zwar weist das Völkergewohnheitsrecht nicht notwendig zwingenden Charakter auf. Zudem sollte der Sicherheitsrat ursprünglich gerade nicht dazu verpflichtet sein, überprüfen zu müssen, welcher der beteiligten Akteure rechtmäßig und welcher rechtswidrig gehandelt hat, um davon die Ausrichtung seiner Maßnahmen abhängig zu machen. Er sollte vielmehr schnell und effektiv der Friedensbedrohung ein Ende machen. Die Vorzeichen haben sich mittlerweile aber grundlegend geändert. Der Zweifel spricht dafür, dass der Sicherheitsrat bei Maßnahmen, die seinem ursprünglich zugedachten Kompetenzrahmen überschreiten, nicht von den Verpflichtungen des Gewohnheitsrechts entbunden sein sollte. Darüber hinaus wird von August Reinisch angeführt: „Since international organizations are constituted by the common will of states through the act of transferring powers to them, the resulting legal creatures cannot acquire more powers than their creators: Nemo plus iuris transfere potest quam ipse habet.“1200
Die Theorie erscheint auf den ersten Blick überzeugend.1201 Berücksichtigt man die herausragende Stellung der Vereinten Nationen und betrachtet die Kompetenzen des Sicherheitsrats genauer, so kommen jedoch Zweifel auf. Das prominenteste Beispiel, das dieser allgemein gefassten Formel entgegenzustehen scheint, ist die Befugnis des Sicherheitsrats zum Erlass zwingender Maßnahmen, die im äußersten Fall den Einsatz von Waffengewalt auch unabhängig vom Vorliegen einer Situation der Selbstverteidigung miteinschließen können. Damit kommen ihm Befugnisse zu, über die jeder Einzelstaat allein gerade nicht verfügt. August Reinisch kann also nicht die Befugnisse jedes Einzelstaates meinen, sondern vielmehr die Befugnisse der Staaten als Gemeinschaft. In gegenseitiger Selbstverpflichtung haben sie einer Beschränkung ihrer Souveränitätsrechte zugestimmt und die Autorität des Sicherheitsrates anerkannt. Dies war ihnen möglich, da sie über ihre eigene Souveränität
1199
Vgl. dazu bereits die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 2., b), aa), (1), (b), (aa). Reinisch, AJIL 95 (2001), S. 858. In diesem Sinne auch Hudson, Berkl.JIL 25 (2007), S. 212 f. 1201 Zur Kritik an dieser sog. „Hypothekentheorie“ vgl. Tomuschat, CML Rev.43 (2006), S. 543; Neudorfer, ZaöRV 69 (2009), S. 986; Osteneck, Die Umsetzung von Wirtschaftssanktionen durch die EG, S. 224 ff. und dieser folgend Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 94 f. 1200
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
disponieren können.1202 Anders steht es hingegen mit den Rechten von Individuen. Die Staaten sind ihnen in ihrer Eigenschaft als Völkerrechtsubjekte gegenüber verpflichtet, alle Maßnahmen, und damit auch die Übertragung von Hoheitsrechten auf eine internationale Organisation, von den Maßstäben der Menschenrechte leiten zu lassen. Sie dürfen also nicht einseitig über die dieses Rechtsverhältnis bestimmenden Rechte und Pflichten verfügen. Es kann bis hierhin die Frage offenbleiben, ob es ihnen aus diesem Verhältnis auch rechtlich unmöglich ist, eine internationale Organisation zu gründen, die an die völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Menschenrechte nicht gebunden ist: Ihnen ist es jedenfalls rechtlich verboten. Dies weist darauf hin, dass die dem Sicherheitsrat übertragenen Hoheitsakte nicht die Kompetenz zur Missachtung ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungen als Teil des Völkergewohnheitsrechts miteinschließen sollten.1203 Auch unter Zugrundelegung eines anderen Blickwinkels kommt man zum Ergebnis einer völkergewohnheitsrechtlichen Bindung des Sicherheitsrats. Als Einheit die ihre Rechtspersönlichkeit aus dem Völkerrecht bezieht, unterliegen die Vereinten Nationen und mit ihnen ihre Organe den Normen des Völkerrechts.1204 Dazu gehören u. a. die Rechte von Individuen als Völkerrechtssubjekten. Gegen eine Bindung an Menschenrechte als Teil des Völkergewohnheitsrechts kann auch nicht eingewendet werden, dass nur diejenigen gewohnheitsrechtlichen Regelungen für und gegen die Vereinten Nationen gelten können, an deren Entstehung sie selbst teilgenommen haben.1205 Die völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung der Menschenrechte geht nämlich wesentlich auf die Vereinten Nationen zurück und dabei insbesondere auf den Erlass der AEMR.1206 Zweifel treten allerdings auf, da die völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Menschenrechte ursprünglich auf eine Bindung der Staaten abzielten. Dies gilt auch für die Bestimmungen der AEMR. Bardo Fassbender erkennt allerdings eine Tendenz der Ausweitung des völkergewohnheitsrechtlichen Regelungsrahmens insoweit, als auch internationale Organisationen im Falle der 1202 Art. 2 Ziff. 6 UN-Charta ist vor diesem Hintergrund freilich kritisch zu betrachten, vgl. dazu auch Peters, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 25, Rn. 32 f. Nach Ansicht von Talmon, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 2 Ziff. 6, Rn. 75, sind die entsprechenden Regelungen der UNCharta mittlerweile völkergewohnheitsrechtlich anerkannt und entfalten deshalb Wirkung für und gegen Nichtmitglieder der Vereinten Nationen. 1203 Auch die Annahme, die Vorrangregel des Art. 103 UN-Charta ordne über den Wortlaut der Norm auch die Regeln des Völkergewohnheitsrechts den Verpflichtungen aus der UNCharta unter, kann diesem Schluss nicht entgegenstehen (so i.E. aber Schweigman, The Authority of the Security Council, S. 195 f.). Es geht hier nämlich nicht um einen Konflikt auf Rechtsfolgenebene, sondern um die vorgelagerte Befugnisebene, Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 89 f. 1204 Vgl. auch die Ausführungen des IGH, Interpretation of the Agreement of 25 March 1951 between the WHO and Egypt, Adv. Op., ICJ Rep. 1980, S. 89 f.: „International organizations are subjects of international law and, as such, are bound by any obligations incumbent upon them under general rules of international law.“ Ebenfalls zitiert von: Reinisch, AJIL 95 (2001), S. 858. Ebenso: Scheinin, UN Doc. A/65/258, Ziff. 17. 1205 So aber Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 89. 1206 A/RES/217 vom 10. Dezember 1948.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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Ausübung von individualgerichteter Hoheitsgewalt an die Grundsätze des fairen Verfahrens gebunden seien.1207 Zu diesem Ergebnis gelangt man auch, wenn man die rechtliche Perspektive wechselt. Es stellt sich im Falle der Menschenrechte nämlich nicht primär die Frage, wer gebunden wird. Es wurden durch Völkergewohnheitsrecht nämlich nicht bloß Pflichten der Staaten, sondern auch „unveräußerliche“ Rechte der Individuen begründet. Ihrer Logik nach gelten Menschenrechte gegenüber jeder Form von Hoheitsgewalt, gleich von welcher öffentlichen Institution sie ausgeübt wird.1208 Auf den Versuch einer klaren Konturierung der völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Menschenrechte kann hier verzichtet werden,1209 da das Ausmaß der Rechtsbindung jedenfalls nicht den Regelungsmaßstab der AEMR und des IPbpR übertreffen wird, an den der Sicherheitsrat ohnehin schon gebunden ist. dd) Bindung an allgemeine Rechtsgrundsätze Ferner könnte der Sicherheitsrat durch die als Völkerrechtsquelle anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze gebunden sein (vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. c UN-Charta). Darunter versteht man solche Rechtsgrundsätze, die Teil der großen Mehrheit innerstaatlicher Rechtsysteme sind und sich mit Problemlagen befassen, die analog im Völkerrecht bestehen.1210 Sie werden nicht zwingend deckungsgleich übernommen, sondern finden als Prinzipien Eingang in das Völkerrecht.1211 Die Rechte des Einzelnen sind jedenfalls in Gestalt fundamentaler Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze weitgehend anerkannt.1212 Bardo Fassbender zählt explizit das Recht auf ein faires Verfahren dazu.1213 Erika de Wet verzeichnet zudem eine Tendenz zur Entstehung eines Prinzips der Rechtskontrolle.1214 Soweit es um die Überprüfung von Resolutionen des Sicherheitsrats durch den IGH geht, zweifelt sie jedoch daran, dass es allein auf Grundlage allgemeiner Rechtsgrundsätze übertragen werden
1207
Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 445. Vgl. auch Kadelbach/Kleinlein, AVR 44 (2006), S. 262. 1209 Vgl. zu entsprechenden Versuchen bereits die Verweise bei Simma/Alston, Austr.JIL 12 (1988 – 1989), S. 93 f. 1210 Hobe, Völkerrecht, S. 216. Sie können aber auch auf internationaler Ebene zur Entstehung gekommen sein, Simma/Alston, Austr.YIL 12 (1988 – 1989), S. 102; Kadelbach/ Kleinlein, AVR 44 (2006), S. 255 m.w.N. 1211 Vgl. dazu Kadelbach/Kleinlein, AVR 44 (2006), S. 262. 1212 Vgl. IGH, South West Africa (Liberia gg. Südafrika), Diss. Op. Tanaka, ICJ Rep. 1966, S. 298; Simma/Alston, Austr.YIL 12 (1988 – 1989), S. 107; Kadelbach/Kleinlein, AVR 44 (2006), S. 256; Fassbender, The Role for Human Rights in the Decision-making Process of the Security Council, S. 81. 1213 Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 444. 1214 de Wet, NILR 67 (2000), S. 208; dies., The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 127. 1208
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
könne.1215 Inwiefern die Organisationsstruktur der Vereinten Nationen gegen eine rechtliche Überprüfung von Resolutionen des Sicherheitsrats spricht, muss hier nicht entschieden werden. Hier geht es um die Übertragbarkeit von Individualrechtsnormen auf den Sicherheitsrat. Die rechtliche Überprüfung der individuellen Entscheidung muss nämlich nicht zwingend die Kontrolle der Resolution des Sicherheitsrats nach sich ziehen, sondern kann sich gegebenenfalls darauf reduzieren, die Entscheidung des Sanktionsausschusses zur Aufnahme in die Sanktionsliste auf ihre Übereinstimmung mit den listing-Kriterien zu untersuchen.1216 Der notwendige Rahmen der Prüfungskompetenz eines Rechtsprechungsorgans wird noch zu erörtern sein. Zunächst ist von Bedeutung, ob die Rechtsgrundsätze eine Problemlage erfassen, die analog auf völkerrechtlicher Ebene besteht. Dies ist der Fall, da es hier um den Schutz des Einzelnen gegen hoheitliche Akte geht, den die Grundrechte bezwecken.1217 In diesem Rahmen können auch Lehren aus der Entwicklung des Europarechts gezogen werden. Der EuGH hat in Reaktion auf den unmittelbaren Durchgriff supranationaler Entscheidungen auf die Rechtsposition des Einzelnen einen Individualrechtsschutzstandard entwickelt und zur Begründung auf allgemeine Rechtsgrundsätze verwiesen, wie sie den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten zu entnehmen sind.1218 Mittlerweile sind die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen in das europäische Vertragsrecht aufgenommen worden (Art. 6 Abs. 3 EUV). Die Grundrechte in ihrer Form als Rechtsprinzipien stellen als Ausdruck universell anerkannter Werte „objektive Grundsatznormen“ dar, die gegenüber jeglicher Form von Hoheitsgewalt Geltung beanspruchen.1219 Sie strahlen deshalb auch auf andere supranational tätig werdende Organisationen wie die Vereinten Nationen aus.1220 Zumal die allgemeinen Rechtsgrundsätze wie das Gewohnheitsrecht Teil des allgemeinen Völkerrechts sind, kann ferner auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Die Vereinten Nationen und damit der Sicherheitsrat sind demnach auch an allgemeine Rechtsgrundsätze gebunden. Zu ihnen zählen zumindest die fundamentalen Menschenrechte. Auf den Versuch einer näheren Konturierung kann hier ebenfalls verzichtet werden, da ihr Rechtsschutzniveau zumindest von dem Standard der AEMR und des IPbpR umfasst wird. An diesem hat sich der Sicherheitsrat jedenfalls zu orientieren.
1215
S. 128. 1216
de Wet, NILR 67 (2000), S. 209; dies., The Chapter VII Powers of the Security Council,
Vgl. Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 477. Vg. Fassbender, The Role for Human Rights in the Decision-making Process of the Security Council, S. 81. 1218 Vgl. insbesondere EuGH, Firma Nold gg. Kommission, 4/73 vom 14. Mai 1974, Rn. 13. Vgl. auch bereits EuGH, Stauder gg. Stadt Ulm, C-29/69 vom 12. November 1969, Rn. 7. 1219 Kadelbach/Kleinlein, AVR 44 (2006), S. 262. 1220 Vgl. auch Kadelbach/Kleinlein, AVR 44 (2006), S. 256; Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 445. 1217
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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ee) Bindung an zwingendes Völkerrecht (ius cogens) Aus Vorstehendem ergibt sich bereits, dass der Sicherheitsrat auch an die Normen des zwingenden Völkerrechts (ius cogens) gebunden ist. Das ius cogens stellt keine eigene Rechtsquelle dar. Vielmehr handelt es sich dabei um Normen, die aus unterschiedlichen Rechtsquellen i.S.d Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut entspringen können,1221 die jedoch ein gemeinsames Merkmal eint. Eine Norm mit ius cogensCharakter zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass sie „von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch spätere Normen des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann“ (Art. 53 Satz 2 WVK). Auch wenn eine klare Inhaltsbestimmung des ius cogens schwerfällt,1222 werden zu ihm zumindest das Gewaltverbot, das Selbstbestimmungsrecht, die grundlegenden Menschenrechte, der Kernbestand des humanitären Völkerrechts und die mit letzterem korrespondierenden Regeln des Völkerstrafrechts gezählt.1223 Jeder mit zwingenden Normen im Widerspruch stehende Vertrag ist nichtig, gleich ob die Norm vor oder nach Abschluss des Vertrages zustande gekommen ist.1224 Dies hat auch Folgen für Akte, die auf Grundlage eines Vertrages erlassen wurden und gegen ius cogens verstoßen: Sie können für die Vertragsstaaten nicht verpflichtend sein.1225 Als internationaler Vertrag unterliegen auch die UN-Charta und damit die durch sie eingesetzten Organe dieser Beschränkung.1226 Gegen die Bindung des Sicherheitsrats an ius cogens wird angeführt, dass der UN-Charta aufgrund ihrer herausgehobenen Rolle als „universelle und für nahezu alle Staaten unabdingbare Organisationsordnung der internationalen Gemeinschaft“ dem zwingenden Völkerrecht im Rang nicht nachstehe.1227 Dem ist zugutezuhalten, dass die UN-Charta viele Vorschriften des ius cogens aufnimmt und mit Kapitel VII eine wichtige Ausnahme zum Gewaltverbot enthält. Die Ausnahme gilt jedoch allein deshalb, da sie allgemeine Anerkennung genießt. Der Inhalt des ius cogens spiegelt sich damit bloß in den Regeln der UN-Charta wider. Die Ausnahme kann darüber hinaus nicht auf das übrige ius cogens wie die grundlegenden Menschenrechte übertragen wer1221
Vgl. nur Petculescu, NILR 52 (2005), S. 173. Auf Grund ihrer Unbestimmtheit hält Oosthuizen, LJIL 12 (1999), S. 559, die Regeln des ius cogens für unbrauchbar, um als Grenze der Kompetenzen des Sicherheitsrats zu dienen. 1223 Hobe, Völkerrecht, S. 219; de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 191 m.w.N.; Petculescu, NILR 52 (2005), S. 173. 1224 Art. 53 Satz 1, Art. 64 WVK. 1225 Vgl. EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 230; de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 188; Orakhelashvili, MPYUNL 11 (2007), S. 178. 1226 Ganz h.M., vgl. nur: EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 226.; de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 188; Petculescu, NILR 52 (2005), S. 173; Orakhelashvili, MPYUNL 11 (2007), S. 177; Reinisch, AJIL 95 (2001), S. 859; Hudson, Berkl.JIL 25 (2007), S. 212 f. 1227 Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 273. 1222
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
den, wie dem in den Resolutionen der Generalversammlung zum Ausdruck kommenden Willen der Staatengemeinschaft zu entnehmen ist.1228 Es fragt sich allerdings, ob die im Rahmen des Al Qaida-Sanktionsregimes betroffenen Individualrechte auch vom zwingenden Völkerrecht umfasst sind. Zur Vereinbarkeit der Sanktionen mit ius cogens hat sich das EuG in seiner ersten Entscheidung im Fall Kadi geäußert. Zunächst erklärte das Gericht, dass der Sicherheitsrat an die Regeln des Völkerrechts und die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen gebunden sei, weshalb man annehmen könne, dass das zwingende Völkerrecht eine Grenze für die Bindungswirkung der Sicherheitsratsresolutionen darstelle.1229 Es prüfte die Maßnahmen zur Umsetzung der Resolutionen entsprechend der Rüge des Klägers auf ihre Vereinbarkeit mit den Rechten auf Eigentum, auf rechtliches Gehör und effektive gerichtliche Kontrolle. Dabei ließ es eine Herleitung des zwingenden Charakters dieser Normen allerdings vermissen und beschränkte sich darauf festzustellen, dass die Sanktionen jedenfalls nicht gegen den Maßstab zwingenden Völkerrechts verstoßen hätten.1230 Man könnte dies so interpretieren, als hätte das Gericht die Frage, ob die geprüften Rechte tatsächlich zum ius cogens zu zählen sind, auf diesem Wege offen lassen wollen.1231 Eine eindeutige Aussage darüber, ob die betroffenen Rechte überhaupt Teil des zwingenden Völkerrechts sind und wenn ja, wie sie inhaltlich genau ausgestaltet sind, lässt sich dem Urteil jedenfalls nicht entnehmen. Andere wiederum bezeichnen zumindest diejenigen Menschenrechte als zwingendes Völkerrecht, die nach Art. 4 Abs. 1 und 2 IPbpR auch im Falle eines öffentlichen Notstandes nicht außer Kraft gesetzt werden dürfen.1232 Darunter fallen weder das Recht auf Eigentum, noch die Rechte auf rechtliches Gehör und effektive gerichtliche Kontrolle.1233 Zumal das nach zwingendem Völkerrecht einzuhaltende Rechtsschutzniveau jedenfalls unterhalb des Maßstabs der AEMR und des IPbpR verbleibt, kann auf den Versuch einer näheren Inhaltsbestimmung letztlich aber auch an dieser Stelle verzichtet werden.
1228
Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 3., c). EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 229 f. 1230 Vgl. für das Recht auf Eigentum: EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 242, 252, für das Recht auf rechtliches Gehör: Rn. 276 und zum Recht auf effektive gerichtliche Kontrolle: Rn. 291. Kritisch dazu de Búrca, HILJ 51 (2010), S. 21; Tomuschat, CML Rev. 43 (2006), S. 547. 1231 So führte es zum Eigentumsrecht aus: „Thus, in so far as respect for the right to property must be regarded as forming part of the mandatory rules of general international law, it is only an arbitrary deprivation of that right that might, in any case, be regarded as contrary to jus cogens“. EuG, Kadi gg. Rat und Kommission, T-315/01 vom 21. September 2005, Rn. 242. 1232 Petculescu, NILR 52 (2005), S. 173 m.w.N. 1233 I. E. ebenso EGMR, Kammer, Al-Dulimi und Montana Management Inc. gg. Schweiz, 5809/08, Diss. Op. Sajó, S. 64 f. Vgl. allerdings einschränkend zur Möglichkeit der Derogation von Verfahrensrechten im Notstandsfall die Ausführungen im folgenden Punkt 4., g). 1229
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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ff) Zwischenergebnis Der Sicherheitsrat unterliegt bei dem Erlass von Individualsanktionen einer Rechtsbindung. Im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten ist er zur Achtung eines ihren innerstaatlichen Rechtsschutzniveaus gleich zu achtenden Standards verpflichtet, so wie er sich in den Vorschriften der IPbpR ausdrückt. Eine Rechtsbindung entsprechenden Ausmaßes vermittelt sich über die mitgliedstaatlichen Verpflichtungen aus Menschenrechtskonventionen. Aus dem Rechtsverhältnis zu den Sanktionsadressaten ist er aus der UN-Charta zur Achtung der Menschenrechte gemäß dem Rechtsschutzniveau der AEMR bzw. aus dem Verweis auf das allgemeine Völkerrecht, des Niveaus des IPbpR verpflichtet. d) Die Einrichtung (quasi-)gerichtlicher Instanzen als Maßnahme nach Kapitel VII? Eine weitere Einschränkung könnte sich für den Sicherheitsrat aus seinem politischen Charakter ergeben, der schwer vereinbar mit der Übernahme (quasi-)justizieller Kompetenzen zu stehen scheint. Ursprünglich war dem Sicherheitsrat nicht zugedacht worden, endgültig über Rechte und Pflichten von Streitparteien entscheiden zu können. Er sollte vielmehr zeitlich begrenzt einschreiten, um eine Störung des Friedens schnell aufzulösen.1234 Es ist deshalb fraglich, ob die Einrichtung (quasi-)gerichtlicher Spruchkörper wie die Berufung der Ombudsperson und der Sanktionsausschuss mögliche Maßnahmen nach Art. 41 UN-Charta darstellen können.1235 Dies gilt umso mehr, da sie über Fälle von Individuen entscheiden. In der Literatur wird vertreten, dass eine (quasi-)justizielle Festlegung von Rechten durch den Sicherheitsrat nur in Ausnahmefällen erfolgen dürfe, bloß von vorläufiger Natur sein könne, und sich auf eine bestimmte Situation zu beschränken habe.1236 Der Sanktionsausschuss des Al Qaida-Sanktionsregimes stellt im Rahmen eines institutionalisierten „lisiting“-Verfahrens anhand von Rechtssätzen die Verbindung von Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen zu Al Qaida verbindlich fest, was als Rechtfertigungsgrundlage der anschließenden Einschränkungen ihrer Rechte dient. Er entscheidet bereits auf dieser Ebene über die Rechte und Pflichten der Betroffenen. Zwar sind die Maßnahmen im Grundsatz als vorläufige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr konzipiert. Aufgrund ihrer zeitlichen Unbeschränktheit sehen sich die Betroffenen aber für einen unabsehbaren Zeitraum Eingriffen in ihre Rechte ausgesetzt. Es kann deshalb schwerlich noch von Maßnahmen vorläufiger Natur gesprochen werden. Die abstrakten Kriterien zur Begründung einer Aufnahme in die 1234
Vgl. Krisch, in: Simma et al., UN-Charter, Vor Art. 39, Rn. 18. Ginsborg/Scheinin, EHRR 8 (2011), S. 9. Nach Harper, NYUJInt.L&Pol. 27 (1994), S. 140, ist die Inanspruchnahme justizieller Kompetenzen nicht von Art. 41 UN-Charta gedeckt. Vgl. dazu auch de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 352 – 357. 1236 Krisch, in: Simma, UN-Charter, Vor Art. 39, Rn. 30 und dieser Ansicht folgend: Ginsborg/Scheinin, EHRR 8 (2011), S. 9; Scheinin, UN Doc. A/65/258, Ziff. 52. 1235
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Sanktionsliste richten sich an einen unbestimmten Adressatenkreis und sind damit nicht auf eine bestimmte Situation begrenzt. Ähnliches gilt für das reguläre „de listing“-Verfahren, in dem die Ombudsperson und der Sanktionsausschuss nach rechtlichen Kriterien über die Angemessenheit des weiteren Verbleibs von Antragstellern auf der Sanktionsliste befinden. Sie nehmen damit Aufgaben wahr, die in ähnlicher Form auf nationalstaatlicher Ebene den Verwaltungsgerichten zugeschrieben werden. Dieses Modell war Vorbild für alle individualgerichteten Sanktionsregime, wobei jeder Ausschuss anhand eigener Kriterien entscheidet und für die Entgegennahme von „de listing“-Anträgen in den übrigen Sanktionsregimen der „focal point“ anstatt der Ombudsperson zuständig ist.1237 Entsprechende Verfahren stellen damit mittlerweile die gängige Praxis dar. Die Aufgabenverteilung zwischen dem Sicherheitsrat und dem IGH lässt Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beanspruchung dieser (quasi-)justiziellen Kompetenzen aufkommen. Während der Sicherheitsrat primär auf exekutive Aufgaben beschränkt ist, kommt dem IGH die Rolle des Hauptrechtsprechungsorgans der Vereinten Nationen zu (Art. 92 UN-Charta). Grundsätzlich wird deshalb zu fordern sein, dass der Sicherheitsrat Rechtsfragen an den IGH überweist.1238 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass letzterer nicht zur Entgegennahme von Individualbeschwerden zuständig ist (vgl. Art. 35 i.V.m. Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut). In dieser Hinsicht besteht also kein unmittelbarer Kompetenzkonflikt. Darüber hinaus entscheiden die Sanktionsausschüsse primär auf Grundlage der vom Sicherheitsrat jeweils festgelegten Kriterien, weshalb auch in der Regel nicht mit divergierenden Entscheidungen im Hinblick auf die Auslegung von allgemeinem Völkerrecht gerechnet werden muss. Die Einrichtung von zur Entscheidung über Individualrechte berufenen Instanzen durch den Sicherheitsrat ist auch kein neues Phänomen. So hat der Sicherheitsrat mit den internationalen Strafgerichtshöfen für das ehemalige Jugoslawien1239 (ICTY) und Ruanda1240 (ICTR) zwei Organe geschaffen, die originär juristische Aufgaben wahrnehmen und verbindliche Entscheidungen über individuelle Verantwortlichkeit nach Normen des Strafrechts treffen. Mit der Rechtmäßigkeit dieser Praxis hat sich der ICTY selbst befasst. Dabei stellte er fest, dass der Sicherheitsrat grundsätzlich nicht über justizielle Kompetenzen verfüge.1241 Er könne eigene justizielle Kompetenzen deshalb auch nicht auf ein anderes Organ delegieren.1242 Dies hindere ihn aber nicht daran, unabhängige Rechtsprechungsorgane einzusetzen, sofern dies zur
1237
Vgl. S/RES/1904 (2009), Ziff. 21. Harper, NYUJInt.L&Pol. 27 (1994), S. 142. 1239 S/RES/808 (1993), Ziff. 1; S/RES/827 (1993), Ziff. 2. 1240 S/RES/955 (1994). 1241 ICTY, Prosecutor gg. Dusko Tadic, IT-94-1, Decision of the Appeals Chamber on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Rn. 37. 1242 ICTY, Prosecutor gg. Dusko Tadic, IT-94-1, Decision of the Appeals Chamber on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Rn. 37 f. 1238
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit von Nutzen sei.1243 Diese Argumentation kann wohl kaum zur Rechtfertigung der Begründung justizieller Kompetenzen auf Seiten der Ausschüsse individualgerichteter Sanktionsregime dienen. Die Sanktionsausschüsse spiegeln in ihrer Besetzung den Sicherheitsrat wider. Es kann deshalb nicht davon gesprochen werden, dass die Ausschüsse unabhängig vom Sicherheitsrat entscheiden. Letzterer nimmt also selbst (quasi-)justizielle Kompetenzen wahr. Dies gilt zumindest dann, wenn der Sicherheitsrat wie im Falle des Al Qaida-Sanktionsregimes auf Vorlage zur letztinstanzlichen Entscheidung über „de listing“-Anträge berufen ist.1244 Die Mitglieder der Sanktionsausschüsse tragen wie die Mitglieder im Sicherheitsrat politische Mandate ihrer Heimatstaaten, was sich nicht mit dem Anspruch an juristische Spruchkörper verträgt. Wie Keith Harper dazu im Rahmen einer Analyse systemischer Legitimität herausstellt, folgt die Dissonanz zwischen juristischen und politischen Entscheidungen aus den verschiedenen Funktionen von Recht und Politik: „the former ,regulat[es] … conduct,‘ while the latter ,strive[s] to maximize the power of [a] nation-state […] through whatever means are available […] including the violation of rules of conduct, the validity of which the former purportedly claims‘.“1245
Erika de Wet vertritt vor diesem Hintergrund die Ansicht, dass das Vorgehen gegen Individuen nach dem Al Qaida-Sanktionsregime erfordere, dass nach dem Vorbild des ICTY und des ICTR ein unabhängiger, unparteiischer und fairer Justizkörper einzusetzen sei, der über die Aufnahme sowie die Streichung von der Sanktionsliste entscheidet.1246 Damit trägt sie dem Umstand Rechnung, dass es nicht in den Kompetenzbereich des Sicherheitsrats fällt, selbst über juristische Fragen verbindlich zu entscheiden. Abseits davon kann heute als allgemein anerkannt gelten, dass der Sicherheitsrat auf Grundlage von Kapitel VII zur Einrichtung unabhängiger Rechtspruchkörper als Unterorgane nach Art. 29 UN-Charta befugt ist, die zur Entscheidung über Rechte und Pflichten von Individuen berufen sind.1247 Ob die Ombudsperson diesem Anspruch gerecht wird, wird im Rahmen der anschließenden Prüfung am Maßstab der Menschenrechte näher nachgegangen.
1243
ICTY, Prosecutor gg. Dusko Tadic, IT-94-1, Decision of the Appeals Chamber on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Rn. 38. Dies scheint im Widerspruch zu dem Grundsatz des „Nemo plus iuris transfere potest quam ipse habet“ zu stehen, vgl. dazu Reinisch, AJIL 95 (2001), S. 858, und einschränkend die Ausführungen im vorangegangenen Punkt cc). 1244 S/RES/2161 (2014), Ziff. 43 und 50. 1245 Harper, NYUJInt.L&Pol. 27 (1994), S. 133 f. mit Zitat von Kahng, Law, Politics, and the SC, S. 1. 1246 de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 354 – 357. 1247 Diese Möglichkeit anerkennt auch Harper, NYUJInt.L&Pol. 27 (1994), S. 142 f.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
e) Zwischenergebnis Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben in rechtsfortbildender Auslegung den Friedensbegriff und den Adressatenkreis des Verbots friedensbedrohenden Verhaltens der UN-Charta erweitert. In internationale Terrornetzwerke eingegliederte Individuen und ihre Verbündeten können den Frieden unmittelbar bedrohen. Die entsprechende Feststellung des Sicherheitsrats stimmt mit dieser Auslegung überein und ist deshalb rechtmäßig. Auch ein Vorgehen gegen Individuen mit dem Mittel gezielter Sanktionen ist von seinen Kompetenzen gedeckt. Bei der Ausübung der Befugnisse nach Kapitel VII unterliegt der Sicherheitsrat Rechtsbindungen. Für die hier behandelte Frage nach den zu beachtenden Individualrechten ergibt sich eine Bindung an den Maßstäben des IPbpR aus dem Verhältnis zu den Mitgliedstaaten und eine Bindung an den Maßstäben der AEMR bzw. des IPbpR aus dem Verhältnis zu den Sanktionsadressaten. Letztlich ergeben sich Einschränkungen bei der Inanspruchnahme justizieller Kompetenzen. Dem Sicherheitsrat ist selbst nicht die Befugnis zuzusprechen, in (quasi-)gerichtlicher Manier verbindlich über die Rechte und Pflichten von Individuen zu entscheiden. Anders steht es hingegen mit der Einrichtung unabhängiger Rechtspruchkörper als Unterorgane nach Art. 29 UN-Charta. Sind sie zur Wahrung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit von Nutzen, so können sie auf Grundlage von Kapitel VII eingesetzt werden. Daraus ergibt sich bereits, dass die Eingliederung des Sanktionsausschusses und des Sicherheitsrats selbst in den Entscheidungvorgang des „de listing“-Verfahrens nicht von den Kompetenzen nach Kapitel VII gedeckt ist. Zumal die Voraussetzungen an ein auf Grundlage von Kapitel VII einsetzbaren Rechtspruchkörper in den Kriterien der Verfahrensrechte aufgehen, wird auf die folgende Untersuchung verwiesen.1248 4. Die Vereinbarkeit des Al Qaida-Sanktionsregimes mit den Menschenrechten Schließlich muss überprüft werden, ob die Sanktionen gegen Al Qaida und ihre Verbündeten mit den Menschenrechten vereinbar sind, an die der Sicherheitsrat bei der Umsetzung seiner Befugnisse nach Kapitel VII gebunden ist. Die Umsetzung der Maßnahmen und damit die unmittelbar individualrechtseinschränkenden Akte obliegen zwar den Mitgliedstaaten. Die Ausgestaltung des Regimes und die verbindliche Entscheidung zur Vornahme der Maßnahmen trifft allerdings der Sicherheitsrat bzw. der Sanktionsausschuss als sein Unterorgan. Die Maßnahmen sind danach primär dem Sicherheitsrat zuzurechnen. Von den Sanktionen betroffen sein können das Recht auf Leben (Art. 6 Abs. 1 IPbpR; Art. 3 AEMR), das Recht auf Gewissensund Religionsfreiheit (Art. 18, 27 IPbpR; Art. 18 AEMR), das Recht auf Freizügigkeit (Art. 12 Abs. 2 IPbpR; Art. 13 Abs. 2 AEMR), das Recht auf Privat1248
Im folgenden Punkt 4., f).
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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und Familienleben (Art. 17 IPbpR; Art. 12 AEMR), das Recht auf Eigentum (Art. 17 AEMR) und die prozessualen Menschenrechte (Art. 14, 15 IPbpR; Art. 8, 10, 11 AEMR). a) Das Recht auf Leben (Art. 6 Abs. 1 IPbpR; Art. 3 AEMR) Nach Art. 6 Abs. 1 IPbpR hat jeder Mensch ein angeborenes Recht auf Leben, das es gesetzlich zu schützen gilt. Eine Gefährdung des Lebens durch den Vollzug der Maßnahmen wäre allenfalls dann denkbar, wenn den Betroffenen etwa durch das Einfrieren von Vermögenswerten die Lebensgrundlage entzogen würde. Resolution 1452 (2002) sieht vor, dass die Sanktionen nicht auf Grundausgaben, wie etwa für Nahrungsmittel, die Bezahlung von Wohnraum und Medikamente sowie medizinische Behandlungen, anzuwenden sind, mit der Maßgabe, dass der oder die betreffenden Staaten dem Ausschuss die Absicht zur Freigabe der Vermögenswerte zuvor angezeigt haben und letzterer dem Ansinnen nicht binnen drei Arbeitstagen im Konsens widerspricht.1249 Bei sofortiger Umsetzung der Ausnahmeregelung droht den Sanktionsadressaten kein Entzug der Lebensgrundlage.1250 Seit Resolution 2083 (2012) können die Sanktionsadressaten sich nunmehr über den „focal point“ auch selbst an den Sanktionsausschuss wenden, der dann im regulären Verfahren entscheidet.1251 Diese Neuerung ist für die Sicherung des Rechts auf Leben von entscheidender Bedeutung. Verwehrte zuvor ein Staat einem Betroffenen diplomatische Unterstützung, hatten sie auch keinen Zugriff mehr auf Vermögenswerte, die sie zur Deckung der notwendigsten Ausgaben benötigten. Dem dritten Bericht der Ombudsperson ist zu entnehmen, dass die Beantragung von Ausnahmen jedenfalls bei denjenigen Sanktionsadressaten, die über ihr Büro eine Streichung von der Sanktionsliste beantragt haben, schon regelmäßig zu Problemen geführt hatte.1252 Sie wies darauf hin, dass insbesondere bei Staaten mit schwachen Kapazitäten die Aussichten auf eine Freigabe von Vermögenswerten gemäß den Ausnahmeregelungen gering seien.1253 Das Monitoring Team beklagte wiederholt, dass von den Staaten kaum Gebrauch von dem regulären Verfahren zu den Ausnahmeregelungen gemacht wurde,1254 sich die Betroffenen also in den Regel die notwendigsten Mittel zur Lebensführung auf illegale Weise außerhalb des Regelungsregimes beschaffen oder die 1249
S/RES/1452 (2002), Ziff. 1 lit. a (die noch eine Widerspruchsfrist von 48 Stunden vorsah. Diese wurde mit S/RES/1735 (2006), Ziff. 15 verlängert). Die Sanktionsadressaten sind bei Aufnahme in die Sanktionsliste über die Möglichkeit zur Beantragung von Ausnahmen zu informieren, S/RES/2161 (2014), Ziff. 40. 1250 So i.E. Schweizer Bundesgericht Nada gg. SECO, Staatssekretariat für Wirtschaft, 1 A.45/2007/daa, vom 14. November 2007, Rn. 7.4; Meyer, ZEuS 10 (2007), S. 16. 1251 S/RES/2083 (2012), Ziff. 37 und nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 62. 1252 UN Doc. S/2012/49, Ziff. 51. 1253 UN Doc. S/2012/49, Ziff. 51. 1254 So im elften Bericht (UN Doc. S/2011/245, Ziff. 57) und zuletzt im zwölften Bericht, UN Doc. S/2012/729, Ziff. 54.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Staaten über Ausnahmen entgegen den Vorgaben eigenständig entschieden.1255 Von der Abhängigkeit im Rahmen des Antragsverfahrens wurden die Sanktionsadressaten nun befreit, wenngleich sie noch darauf angewiesen sind, dass die Staaten die von dem Sanktionsausschuss gewährten Ausnahmen auch tatsächlich umsetzen. Kommt es bei der gewährten Freigabe zu Problemen sind sie an die mitgliedstaatlichen Gerichte verwiesen. Trotz der bedeutenden Fortschritte zu den Ausnahmeregelungen des Sanktionsregimes bestehen jedoch weiterhin Bedenken hinsichtlich des Entscheidungsverfahrens des Ausschuss. Den Betroffenen wird nicht die Möglichkeit geboten, persönlich vorzusprechen. Da Resolutionen 2083 (2012) und 2161 (2014) keine formalen Bedingungen an die Individualanträge stellt und die Arbeitsrichtlinien des Sanktionsausschusses noch nicht an die neue Rechtslage angepasst wurden,1256 bleibt zunächst offen, ob die Betroffenen ihre Anträge begründen können und der Ausschuss dies im Rahmen der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen hat. Auf welcher Bemessungsgrundlage der Ausschuss tatsächlich entscheidet, ist aufgrund des intransparenten Verfahrens ohnehin nicht zu erfahren. Der Ausschuss tagt in geschlossener Sitzung.1257 Zwar hat er eine Statistik über diejenigen Staaten zu führen, die ihre Absicht angezeigt haben, bei Umsetzung der Sanktionen die Ausnahmen für Grundausgaben anzuwenden, und bei denen der Ausschuss keine abschlägige Entscheidung getroffen hat.1258 Einer von Liechtenstein beantragten Offenlegung dieser Statistik für die im Sicherheitsrat nicht vertretenen Mitgliedstaaten widersprach der Ausschuss jedoch.1259 Die Ablehnung eines Antrags muss zudem nicht begründet werden. Es wird lediglich der Antragsteller – Staat bzw. Sanktionsadressat – über die Entscheidung in Kenntnis gesetzt.1260 Wenngleich die Ausnahmevorschriften nicht zuletzt im Lichte der herausragenden Bedeutung des Rechts auf Leben,1261 die bei ihrer Auslegung zu berücksichtigen sein wird, kaum Ermessensspielraum zulassen, kann damit nicht sicher gesagt werden, ob sie auch konsequent umgesetzt werden. Eine rechtliche Überprüfung findet nicht statt. Zudem werden finanzielle Mittel zum Erwerb lebensnotwendiger Güter sofort gebraucht. Wie die Antragsteller in der Zeit auskommen sollen, in der ihr Antrag beschieden
1255
Zu Letzterem, UN Doc. S/2011/245, Ziff. 57. Stand: 12. August 2015. 1257 Bereits im elften Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2011/245, Ziff. 57, wird gefordert, das Verfahren transparenter zu gestalten. Vgl. zur mangelnden Transparenz des Verfahrens auch im Bereich der „außerordentlichen Ausgaben“ bereits die Ausführungen im 2. Teil, A., II., 1. 1258 S/RES/1452 (2002), Ziff. 3 lit. a. 1259 UN Doc. S/2006/22, Ziff. 10. 1260 S/RES/2161 (2014), Ziff. 62; Ziff. 11 lit. a, c der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/commit tees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 1261 Vgl. CCPR General Comment No. 6 (30. April 1982), Rn. 1. 1256
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wird, wurde offenbar nicht bedacht.1262 Ein entsprechendes Verfahren wird in den seltesten Fällen noch am selben Tag abgeschlossen sein. Festzuhalten ist aber letztlich, dass die Sanktionen gegen Al Qaida und ihre Verbündeten bei sofortiger Umsetzung der vorgesehenen Ausnahmeregelungen nicht das durch Art. 6 Abs. 1 IPbpR und Art. 3 AEMR geschützte Recht auf Leben verletzen. Die mangelnde Transparenz des Verfahrens und der Mangel an rechtlicher Abhilfe ist gleichwohl kritisch zu betrachten. b) Das Recht auf Freizügigkeit (Art. 12 Abs. 2 IPbpR; Art. 13 Abs. 2 1. Alt. AEMR) aa) Eingriff in den Schutzbereich Art. 12 Abs. 2 IPbpR und Art. 13 Abs. 2 1. Alt. AEMR räumen jedem das Recht ein, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen. Damit korrespondiert allerdings nicht das Recht, in jedes Land eigener Wahl einreisen zu können, zumal es nach anerkanntem Völkerrecht jedem Staat offensteht, die Einreise von Ausländern zu kontrollieren.1263 Die Resolutionen des Sicherheitsrats gebieten dem jeweiligen Heimat- oder Aufenthaltsstaat des Gelisteten nicht, die Ausreise zu untersagen, und greifen damit nicht unmittelbar in den Schutzbereich des Rechts auf Freizügigkeit ein. Indem es allerdings allen anderen Staaten verboten ist, den auf der Sanktionsliste erfassten Individuen die Ein- und Durchreise zu gestatten, werden die Sanktionsadressaten de facto auch daran gehindert, aus ihrem eigenen Land auszureisen. Wie der Menschenrechtsausschuss im Fall Sayadi & Vinck gg. Belgien festgestellt hat, wird auch durch ein solch indirektes Ausreiseverbot in den Schutzbereich des Rechts auf Freizügigkeit eingegriffen.1264 Besonders drastisch formulierte der UK Supreme Court im Fall Ahmed et al. gg. HM Treasury die Auswirkungen der Sanktionen, die die Sanktionsadressaten zu quasi-Gefangenen der Staaten machten.1265 bb) Rechtfertigung Eingriffe in Art. 12 Abs. 2 IPbpR und Art. 13 Abs. 2 AEMR unterstehen einem Rechtfertigungsbedürfnis in Form eines qualifizierten Gesetzesvorbehalts. Dies ergibt sich für die AEMR aus der Generalnorm des Art. 29 Abs. 2, der für alle Rechte der AEMR gilt, und für den IPbpR aus Art. 12 Abs. 3. Demnach müssen die Maßnahmen auf ein Gesetz gestützt sein, das den Schutz bestimmter enumerativ ge1262
Kühne, ZRP 8/2013, S. 244. Vgl. EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 164. Vgl. auch CCPR General Comment No. 27 (2. November 1999), Rn. 8. 1264 HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Entscheidung vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006, Rn. 10.5. 1265 UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 60. 1263
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
nannter Werte bezweckt, wie etwa der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der Rechte anderer.1266 Die ergriffenen Maßnahmen müssen ferner geeignet sowie erforderlich sein, um den Zweck zu erfüllen, und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Eingriff in das Recht auf Freizügigkeit stehen.1267 (1) Gesetzliche Eingriffsgrundlage Der Gesetzesbegriff ist weit auszulegen1268 und umfasst neben Parlamentsgesetzen auch unmittelbar geltendes Völkerrecht.1269 Abhängig von den nationalen Rechtsordnungen gelten die Resolutionen des Sicherheitsrats unmittelbar oder müssen von den Staaten in gleichlautende Bestimmungen übertragen werden. Der Eingriff stützt sich jedenfalls auf ein Gesetz im Sinne der Art. 12 Abs. 3 IPbpR und Art. 29 Abs. 2 AEMR. Darüber hinaus wird an das einschränkende Gesetz noch das qualifizierte Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit gestellt.1270 Möglichen Adressaten der restriktiven Maßnahmen muss der Eingriff vorhersehbar sein,1271 damit der Einzelne die Folgen seines Handelns abschätzen kann.1272 Die General Comments des Menschenrechtsausschusses spezifizieren diese Voraussetzungen folgendermaßen: „The laws authorizing the application of restrictions should use precise criteria and may not confer unfettered discretion on those charged with their execution.“1273
Ob der zur Sanktionierung ermächtigende Tatbestand des Al Qaida-Sanktionsregimes diesem Maßstab gerecht wird, ist fraglich.1274 Dem zugrundeliegenden Gesetz müssten sich nach den benannten Kriterien alle wesentlichen Handlungsvorgaben für den Sanktionsausschuss entnehmen lassen, dem folgerichtig ein Ermessensspielraum auf Seiten des Sanktionsausschusses entgegenstehen würde. Grundsätzlich werden die Anforderungen an die Regelungsdichte der Rechts1266 Der Begriff der öffentlichen Sicherheit ist zwar nicht in Art. 29 Abs. 2 AEMR genannt, wird aber von dem Schutz des allgemeinen Wohles in einer demokratischen Gesellschaft erfasst, Opsahl/Dimitrijevic, in: Alfredsson/Eide, AEMR, Art. 29, S. 636. 1267 Vgl. für den IPbpR CCPR General Comment No. 27 (2. November 1999), Rn. 14, sowie Nowak, IPbpR, Art. 12, Rn. 36, und für die AEMR Opsahl/Dimitrijevic, in: Alfredsson/Eide, AEMR, Art. 29, S. 645. 1268 Vgl. für Art. 29 Abs. 2 AEMR Opsahl/Dimitrijevic, in: Alfredsson/Eide, AEMR, Art. 29, S. 636, 643. 1269 Vgl. zur EMRK Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 8, Rn. 100. Der IPbpR setzt gleiche Maßstäbe an den Gesetzesbegriff wie die EMRK, Nowak, IPbpR, Art. 12, Rn. 29. 1270 Nowak, IPbpR, Art. 12, Rn. 29 f. Vgl. entsprechend im EU-Recht: EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren), Rn. 65. 1271 Nowak, IPbpR, Art. 12, Rn. 29 f.; Opsahl/Dimitrijevic, in: Alfredsson/Eide, AEMR, Art. 29, S. 645. 1272 EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren), Rn. 65. 1273 CCPR General Comment No. 27 (2. November 1999), Rn. 13. 1274 Vgl. dazu die Kritik von van den Herik, LJIL 20 (2007), S. 805 und Ciampi, Security Council Targeted Sanctions and Human Rights, S. 106.
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grundlage proportional zu der Eingriffsintensität bestimmt: Je tiefer in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen wird, desto höher sind die Anforderungen an den Bestimmtheitsgrad des zugrundeliegenden Gesetzes.1275 Angesichts der umfassenden und zeitlich unbeschränkten Restriktionen, denen die Adressaten der Sanktionen ausgesetzt sind, sind entsprechend hohe Voraussetzungen an die Eingriffsgesetze zu stellen. Bereits die offene Organisationsstruktur Al Qaidas könnte insofern Zweifel wecken, da es schwerfällt, klar zu bestimmen, wann eine Mitgliedschaft in der Al Qaida überhaupt begründet sein soll. Wie an anderer Stelle hervorgehoben wurde, stellt sich Al Qaida aber trotz ihrer Struktur als eine hinreichend spezifizierbare Gruppierung dar, die als eigenständiges Zurechnungsobjekt betrachtet werden kann.1276 Problematischer ist, trotz der Bemühungen zur näheren Konkretisierung,1277 der Bestimmtheitsgrad des weiteren „listing“-Tatbestandes, nachdem eine Verbundenheit mit der Terrororganisation zu bemessen ist.1278 Sie ist nach dem „associated with“-Test zu bewerten, der zunächst Regelbeispiele für Handlungen und Aktivitäten aufführt, die eine sanktionsbewehrte Verbindung zu dem Netzwerk anzeigen sollen. Danach sind die Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen als verbunden mit Al Qaida anzusehen, die sich an der „Finanzierung, Planung, Erleichterung, Vorbereitung oder Begehung von Handlungen oder Aktivitäten durch, zusammen mit, unter dem Namen oder im Namen oder zur Unterstützung der Al Qaida oder einer ihrer Zellen, Unterorganisationen, Splitterungen oder Ableger [beteiligen]“.1279 Als weitere Unterstützungshandlungen werden die „Lieferung, der Verkauf oder die Weitergabe von Rüstungsgütern und sonstigem Wehrmaterial“ an das Netzwerk und ihre Verbündeten sowie „die Rekrutierung“ zu ihren Gunsten benannt.1280 Der Test schließt ab mit einem Auffangtatbestand, nachdem auch „die sonstige Unterstützung ihrer Handlungen oder Aktivitäten“ eine Sanktionierung nach sich ziehen soll.1281 Mit Resolution 1735 (2006) wurden die Merkmale der Finanzierung und sonstigen Unterstützung näher umrissen, indem die Überlassung der Früchte aus dem unerlaubten Anbau und Verkehr von Suchtstoffen und ihren Vorläuferstoffen aus Afghanistan als Fallbeispiel gekennzeichnet wurde.1282 Dieser Punkt soll dazu dienen, die trotz erfolgter Konkretisierung ver1275
Vgl. etwa BVerfGE 83, 130, 145. Vgl. dazu bereits die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., b), aa), (2), (b). 1277 Vgl. dazu bereits im 2. Teil, A., II., 2., a), aa). 1278 Vgl. dazu die Kritik von van den Herik, LJIL 20 (2007), S. 805. 1279 S/RES/2161 (2014), Ziff. 2 lit. a. 1280 S/RES/2161 (2014), Ziff. 2 lit. b und c. 1281 S/RES/2161 (2014), Ziff. 2 lit. c. 1282 S/RES/1735 (2006), Ziff. 12. Eine Klarstellung erfolgte auch mit S/RES/2161 (2014), Ziff. 6, dass von den Sanktionen auch all diejenigen Finanzwerte erfasst sein sollen, die in irgendeiner Form von einem Sanktionsadressaten zum Zwecke einer Reise genutzt werden können. Zur Freigabe solcher Mittel sei stets das Ausnahmeverfahren durchzuführen. Dies stellt jedoch keine eingrenzende Konkretisierung dar, sondern unterstreicht vielmehr die besondere Weite des Tatbestandes. Es ist auch sonst festzustellen, dass der Sicherheitsrat in erster Linie die Staaten an die Weite des Tatbestandes erinnern möchte, indem er in seinen Resolutionen 1276
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bleibende Schwierigkeit der Bewertung von auf Al Qaida gerichteten Handlungen zu veranschaulichen. Soll beispielsweise ein Bauer in einem von Al Qaida oder ihren Verbündeten weitgehend kontrollierten Gebiet in die Liste aufgenommen werden, wenn er auf Geheiß der Organisation seine Felder mit Mohn bestellt und einen Teil der Erträge abgibt, um Gewaltakten gegen sich oder seine Familie zu entgehen? Der Umstand, dass der Anbau von Mohnpflanzen zur Herstellung von illegal gehandelten Suchtstoffen für sich schon eine völkerrechtlich geächtete Aktivität darstellt,1283 soll hier außer Betracht bleiben, da er nicht allein für eine Sanktionierung nach dem Al Qaida-Sanktionsregime ausschlaggebend sein kann, zumal es nicht zu dessen primären Aufgabenbereich gehört, die Bedrohung des Weltfriedens durch den Anbau von Drogen zu bekämpfen. Dem Wortlaut der betreffenden Regelungen zufolge fiele der Bauer unter den Tatbestand, gleich ob er die sanktionsbewehrte Handlung im Wissen und Wollen der Unterstützung des Terrornetzwerkes ausübt. Angesichts der Schwere des mit der Aufnahme in die Sanktionsliste verbundenen Eingriffs in die Menschenrechte wird zumindest zu fordern sein, dass der Betroffene zumindest im Wissen der Unterstützung gehandelt hat.1284 Ansonsten könnte der Eingriff wohl nicht mehr als verhältnismäßig betrachtet werden. Darüber hinaus erscheint es auch kaum vertretbar, jemandem, der bei Zurückweisung einer Aufforderung von der terroristischen Vereinigung zur Überlassung von geldwerten Mitteln mit gegen ihn oder seine Familie oder sonst nahestehende Personen gerichteten Gewaltakten rechnen muss, zeitlich unbegrenzt den umfassenden Sanktionen des Sicherheitsrats auszusetzen. Eine Grenze zu Fällen reinen Opportunismus bei der Überlassung von Mitteln an Al Qaida zu ziehen, bei denen eine Aufnahme in die Liste wohl gerechtfertigt wäre, erfordert eine Argumentation, die sich streng an etablierten rechtlichen Maßstäben orientiert. Unter diesen Voraussetzungen würde auch der äußerst weit formulierte Auffangtatbestand der „sonstigen Unterstützung“ Al Qaidas und ihrer Verbündeten den Anforderungen an ein einschränkendes Gesetz genügen können. Sie stehen einem gewissen Maß an tatbestandlicher Offenheit nicht notausdrücklich zusätzliche Sachverhalte benennt, die unter das Regime fallen sollen. So stellte er in S/RES/2178 (2014), Ziff. 8 klar, dass u. a. auch die Unterstützung über Informations- und Kommunikationstechnologien wie dem Internet und soziale Medien sanktionsbewehrt sind. In S/RES/2199 (2015), Ziff. 1 wies er ferner darauf hin, dass dies auch für den Handel mit Al Qaida und ihren Verbündeten mit Ressourcen wie insbesondere Öl gilt. Ziff. 2 der Resolution erweitert den Anwendungsbereich darüber hinaus auch auf den indirekten Handel und die indirekte Zuverfügungstellung von ökonomischen Ressourcen. Vgl. zudem S/RES/2199 (2015), Ziff. 3 ff. 1283 Vgl. dazu die Single Convention on Narcotic Drugs of 1961 as amended by the 1972 Protocol, Art. 24 Ziff. 1 lit. b. 1284 A.A.: United States District Court for the District of Columbia, Kadi gg. Geithner et al., Memorandum Opinion, 09-0108 vom 19. März 2012, S. 23, 62 – 65, indem es den Einwand von Herrn Kadi zurückwies, der in der Ausführungsbestimmung 13,224 verwendete Term „otherwise aossciated with“ sei zu unbestimmt, um einen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen, „because no showing of knowledge or intent that the support or services were directed to a designated entity is required.“ Unberücksichtigt bleiben darf jedoch nicht, dass die Bestimmungen als Notstandsmaßnahmen erlassen worden sind.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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wendig entgegen, das auch erforderlich ist, um es dem Sanktionsausschuss zu ermöglichen, ausreichend flexibel auf veränderte Umstände reagieren zu können. Die Handlungen oder Aktivitäten werden in ihrem Gewicht den in der Resolution vorangehend genannten Regelbeispielen nahekommen müssen, damit eine Sanktionierung gerechtfertigt werden kann. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass die Tatbestandsmerkmale objektive Gründe für ein „listing“ darstellen, womit sie grundsätzlich rechtlich überprüfbar sind; die Einführung von Regelbeispielen und der Versuch der näheren Konturierung wäre andernfalls nicht zu erklären. Die Bewertung der Befugnisse des Ausschusses im „listing“-Verfahren des Sanktionsregimes und damit die Frage, ob er nach den Voraussetzungen an die Eingriffsgrundlage ein unzulässiges „unbegrenztes Ermessen“ zur Beurteilung der sanktionsbewehrten Tatbestandsmerkmale genießt, erfordert zusätzlich aber eine Bewertung im Kontext des gesamten Regelungsregimes.1285 Ein entscheidender Punkt liegt in der rechtlichen Kontrollmöglichkeit seiner Entscheidungen. In Rechtsstaaten wird eine solche typischerweise durch unabhängige Gerichte ausgeübt, um eine „Selbstprogrammierung“ exekutiver Organe zu verhindern.1286 Im Al Qaida-Sanktionsregime bündelt sich dagegen sowohl Exekutivmacht wie auch die Kompetenz, über „de listing“-Anträge verbindlich zu entscheiden, im Sanktionsausschuss (abgesehen von der in Ausnahmefällen begründeten letztinstanzlichen Zuständigkeit des Sicherheitsrats).1287 Dabei wird nicht überprüft, ob der Ausschuss seine Entscheidung zur Aufnahme in die Liste auch tatsächlich von den „listing“-Kriterien abhängig gemacht hat.1288 Auch kann er einen weiteren Verbleib auf der Liste bewirken, ohne seine Entscheidung an Rechtmaßstäben ausrichten, geschweige denn kontingente Bemessungsregeln anwenden zu müssen.1289 Eine Tendenzen zur Verselbständigung einfangende, „harte“ Rechtskontrolle ist demnach nicht gegeben. Damit kommt dem Ausschuss faktisch die Möglichkeit zu, den Inhalt der „listing“Kriterien in jedem Einzelfall neu zu bestimmen, womit seine Befugnis dem Grunde nach über eine reine Konkretisierungsbefugnis hinausgeht und einem Ermessen auf Tatbestandsebene zumindest nahekommt. Dies ist im Hinblick auf die Anforderungen an eine gesetzliche Eingriffsgrundlage problematisch. Angesichts der Tiefe des mit einer Aufnahme in die Liste einhergehenden Eingriffs in die Menschenrechte wird die Befugnisweite des Ausschusses zur Beurteilung der Tatbestandsmerkmale
1285 Vgl. zur Begriffsabgrenzung zwischen einer Konkretisierungsbefugnis, einem Beurteilungsspielraum und einem Ermessen die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., b). Die Abgrenzung erfordert eine umfassende Bewertung im Kontext des gesamten Regelungsregimes. 1286 Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 213. 1287 Vgl. dazu S/RES/2161 (2014), Ziff. 43 und 50. 1288 Es wird nur geprüft, ob ein weiterer Verbleib auf der Liste auf Basis des Informationsstandes zurzeit des „de listing“-Antrags gerechtfertigt erscheint, vgl. dazu UN Doc. S/2011/ 447/, Anhang III, Ziff. 8 und nun auch Ziff. 8 lit. c Satz 2 der Anlage II zu S/RES/2161 (2014), die sich zwar auf das Mandat der Ombudsperson bezieht, aber auch für die Entscheidungsgrundlage des Ausschusses maßgebend ist. 1289 Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 43.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
im Zusammenspiel mit der Offenheit der Tatbestandsmerkmale den Anforderungen an ein einschränkendes Gesetz nicht gerecht. (2) Legitimer Zweck Die dem Sanktionsregime zugrundeliegenden Resolutionen des Sicherheitsrats müssten ferner auf eines der in Art. 12 Abs. 3 IPbpR bzw. Art. 29 Abs. 2 AEMR enumerativ genannten Ziele gerichtet sein. Die beabsichtigte Abwehr der von Al Qaida ausgehenden Friedensbedrohung stellt als Vorgehen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein legitimes Ziel in diesem Sinne dar.1290 (3) Verhältnismäßigkeit Nach dem Verhältnismäßigkeitsmaßstab müssen die Reisebeschränkungen geeignet sein, die von Al Qaida ausgehende Bedrohung zumindest einzudämmen. Folgt man dem elften Bericht des Monitoring Teams, könnten insofern Zweifel aufkommen. Zwar hebt es würdigend hervor, dass die Verpflichtungen der Staaten zur Verhinderung von Grenzübergängen der Taliban, Al Qaida und ihrer Verbündeten zu einer Verschärfung der Sicherheitsbestimmungen geführt hätten, wie der Einführung biometrischer Pässe und strengerer Visabestimmungen.1291 Jedoch sei in jüngerer Vergangenheit kein Fall eines verhinderten Grenzübergangs von Sanktionsadressaten gemeldet worden,1292 obwohl viele der betreffenden Personen laut Berichten noch immer regelmäßig Grenzen passierten.1293 Dies betreffe insbesondere die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan.1294 Dass die Mitgliedstaaten entgegen ihrer Verpflichtung nach Art. 25 und 48 Abs. 2 UN-Charta die Sanktionen nicht effektiv umsetzen, kann aber nicht dagegen vorgebracht werden, dass sich die Maßnahmen, so wie sie vorgeschrieben sind, grundsätzlich dazu eignen, die von Al Qaida und ihren Verbündeten ausgehende Bedrohung zumindest einzudämmen. Zudem müssen die Maßnahmen jeweils individuell gerechtfertigt werden können. Greift die Reisebeschränkung gegen einen Anhänger oder Verbündeten Al Qaidas, dann ist sie dazu geeignet, ihn an besonders gefährlichen Anschlägen auf den grenzüberschreitenden Flugverkehr zu hindern und etwa Trainingslager im Ausland zu besuchen. Auch die anderweitige Koordinierung des Netzwerks wird auf diese Weise erheblich erschwert. Ein gleich effektives Mittel, das weniger stark in den Schutzbereich der Freizügigkeit eingreift, ist nicht ersichtlich. Die herausragende Bedeutung des Schutzes des Weltfriedens kann zudem äußerst tiefe Eingriffe in die Rechtsposition des Einzelnen rechtfertigen. Die Beschränkung der Reisefreiheit für Mitglieder und Unterstützer Al Qaidas ist vor diesem Hintergrund angemessen. Die 1290 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 174. 1291 UN Doc. S/2011/245, Ziff. 58. 1292 UN Doc. S/2011/245, Ziff. 58. 1293 UN Doc. S/2011/245, Ziff. 1. 1294 UN Doc. S/2011/245, Ziff. 1.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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vorgesehenen Ausnahmen sind dazu geeignet, eine unangemessene Schwere im Einzelfall zu verhindern.1295 cc) Ergebnis Die Reisebeschränkungen durch das Al Qaida-Sanktionsregime verstoßen demnach gegen das Recht auf Freizügigkeit, da sie nicht auf einer Rechtsgrundlage basieren, die den Anforderungen an ein einschränkendes Gesetz entsprechen. Sie verfolgen dagegen ein legitimes Ziel und sind ansonsten verhältnismäßig. c) Das Recht auf Privat- und Familienleben (Art. 17 IPbpR; Art. 12 AEMR) Eine Verletzung des Rechts auf Privat- und Familienleben in Folge der Sanktionierung durch das 1267-Sanktionsregime wurde bereits von mehreren Betroffenen vor Gerichten bzw. dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen beklagt.1296 Die Normen schützen vor willkürlichen und rechtswidrigen Eingriffen in das Privatleben, die Familie, die Wohnung, den Schriftverkehr und vor Beeinträchtigungen der Ehre und des Rufes (Art. 17 Abs. 1 IPbpR; Art. 12 Satz 1 AEMR). Daneben hat jedermann ein positives Recht auf rechtlichen Schutz gegen entsprechende Eingriffe und Beeinträchtigungen (Art. 17 Abs. 2 IPbpR; Art. 12 Satz 2 AEMR). Durch das Sanktionsregime könnte es zu Eingriffen in das Recht auf Familie und Beeinträchtigungen der Ehre und des Rufes kommen. aa) Das Recht auf Familie (Art. 17 Abs. 1, 1. HS IPbpR; Art. 12 Satz 1, 1. HS AEMR) (1) Eingriff durch Finanzsanktionen Ein Eingriff in das Recht auf Familie wäre etwa dann anzunehmen, wenn die Finanzsanktionen der Familie des Sanktionsadressaten die Lebensgrundlage entziehen würden, wodurch die Familienbeziehungen in der Folge Schaden nehmen könnten.1297 Wie der UK Supreme Court hervorhob, können die Auswirkungen der Sanktionen auf die Adressaten und ihre Familien verheerend sein.1298 Bei konse1295
Vgl. S/RES/1390 (2002), Ziff. 2 lit. b. EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 3; UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 40; HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Entscheidung vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006, Rn. 3.1. 1297 Meyer, ZEuS 10 (2007), S. 18. Ciampi, Security Council Targeted Sanctions and Human Rights, S. 103, geht davon aus, dass bereits die bloße Aufnahme in eine Sanktionsliste des Sicherheitsrats einen Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben bedeute. 1298 UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 60. 1296
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
quenter Umsetzung der Ausnahmevorschriften ist der Entzug der Lebensgrundlage allerdings nicht zu befürchten.1299 Mit einem besonderen Fall hatten sich das britische House of Lords1300 und im Rahmen eines anschließenden Vorabentscheidungsverfahrens auch der EuGH1301 zu beschäftigen. Die Ehefrauen von Sanktionsadressaten hatten geklagt, nachdem die Zahlungen von Sozialleistungen auf ihre Konten eingestellt wurden. Die Verwaltung berief sich dazu auf Art. 2.2 der EU-Verordnung 881/2002, mit der Ziff. 2 lit. a der Resolution 1390 (2002) umgesetzt wurde, und in der es heißt, dass „no funds shall be made available, directly or indirectly, to, or for the benefit of, a natural or legal person, group or entity designated by the Sanctions Committee and listed in Annex I, so as to enable that person, group or entity to obtain funds, goods or services.“
Das Einfrieren von Zahlungen an die Ehegatten von Sanktionsadressaten mit der Begründung, letztere könnten durch diese einen indirekten Nutzen in Form von Sachleistungen erlangen, ist zweifellos dazu geeignet, erhebliche Störungen des Familienlebens zu provozieren. Die Ehegatten könnten sich in entsprechenden Fällen dazu gezwungen sehen, ihren Partner zu verlassen, um eine Auszahlung zu bewirken. Der EuGH hat allerdings entschieden, dass im Lichte des Zweckes der Sicherheitsratsresolution durch die EU-Verordnungen allein verhindert werden solle, dass gelistete Personen „Zugriff auf wirtschaftliche Ressourcen und Finanzmittel gleich welcher Art haben, die sie zur Unterstützung terroristischer Tätigkeiten einsetzen könnten.“1302 Nur entsprechende Wirtschaftsgüter und solche, die zu diesen umgewandelt werden könnten, seien deshalb einzufrieren.1303 Eine entsprechende Zweckentfremdung der in Streit stehenden Sozialleistungen sei aber nicht zu befürchten, da sie gerade so bemessen seien, dass sie allein die notwendigsten Bedürfnisse der Familie deckten.1304 Die Auszahlung von Sozialleistungen fiele demnach nicht unter Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 881/2002.1305 Damit blieb zunächst die Frage offen, wie es um Zahlungen steht, die über den Betrag hinausgehen, der zur Bestreitung des Lebensunterhalts unbedingt notwendig ist. Folgt man der weiteren Begründung des EuGH, können aber auch diese nicht von der Verordnung erfasst sein. Wie der Gerichtshof nämlich richtigerweise hervorhebt, genügt die Verordnung nicht den Bestimmtheitsanforderungen, um auf ihrer Grundlage einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff wie das Einfrieren von Konten zu stützen (s. o.). Dies gilt insbesondere bei dreiseitigen Fallkonstellationen, „in denen Gelder nicht einer be1299
Siehe dazu die obigen Ausführungen zum Recht auf Leben in Punkt a). Vgl. nur House of Lords, M et al., [2008] UKHL 26, Entscheidung vom 30. April 2008 (Vorlagefrage). 1301 EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren). 1302 EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren), Rn. 54 (Hervorhebungen ergänzt). 1303 EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren), Rn. 56. 1304 EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren), Rn. 61. 1305 EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren), Rn. 63. 1300
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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nannten Person, sondern einer anderen Person direkt oder indirekt zur Verfügung gestellt werden, mit der die benannte Person mehr oder weniger enge Beziehungen unterhält, und in denen die benannte Person aus diesen Geldern indirekt einen gewissen Nutzen zieht.“1306 Die gesetzliche Grundlage muss so klar und bestimmt sein, dass „die Betroffenen und auch Dritte wie die Sozialversicherungsträger im Ausgangsverfahren ihre Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und sich entsprechend darauf einstellen können.“1307 Die Verordnung kann demnach nicht die Zahlungen an Ehegatten erfassen, weil sonst die Gefahr der Rechtsunsicherheit besteht, die umso weniger zulässig erscheint, „als sich in solchen Situationen jedenfalls die Frage stellt, ob der besondere Nutzen, der einer benannten Person von der Person, der die Gelder zur Verfügung gestellt worden sind, verschafft wird, von den restriktiven Maßnahmen des Art. 2 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 881/2002 erfasst werden kann.“1308 Da die Bestimmungen der Sicherheitsratsresolutionen, deren Umsetzung mit der EU-Verordnung bezweckt war, ebenso unbestimmt sind,1309 lässt sich die Beurteilung auf sie übertragen. Ein Einfrieren von Zahlungen an Ehegatten kann demnach nicht auf die benannten Rechtsvorschriften gestützt werden, weshalb bei rechtskonformer Umsetzung auch kein Eingriff in das Recht auf Familie zu befürchten ist. Werden die Zahlungen dennoch eingefroren, so ist der Eingriff aufgrund mangelnder Bestimmtheit der Eingriffsgrundlage nicht gerechtfertigt. (2) Eingriff durch Reisebeschränkungen Ein Eingriff in das Recht auf Familie kommt in den Fällen in Betracht, in denen ein Sanktionsadressat nicht mit seiner Familie zusammenleben kann, weil ihm die Einreise durch den Staat ihres Aufenthalts verboten wird.1310 Es ist jedoch anerkannt, dass es Staaten völkerrechtlich gestattet ist, die Einreise von Ausländern in ihr Hoheitsgebiet zu kontrollieren und die Menschenrechtskataloge als solche kein Recht zur Einreise in ein bestimmtes Land umfassen.1311 Eine Verweigerung der Einoder Durchreise aufgrund des Sanktionsregimes stellt damit in der Regel keinen „willkürlichen oder rechtswidrigen“ Eingriff im Sinne der Art. 17 Abs. 1 IPbpR und Art. 12 Satz 1 AEMR dar. Dies kann allenfalls in besonderen Konstellationen anders 1306
EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren), Rn. 66. EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren), Rn. 65. Zu einer näheren Konkretisierung eignen sich auch die vom Sanktionsausschuss herausgegebenen Begriffserklärungen zum Finanzembargo kaum (Stand: 24. Februar 2015. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/usefulpapers.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 1308 EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren), Rn. 67. 1309 In Ziff. 2 lit. a, S/RES/1390 (2002) heißt es: „[…] ensure that [no] funds, financial assets or economic resources are made available, directly or indirectly, for […][the benefit of persons listed on the sanctions list], by their nationals or by any persons within their territory“. 1310 HRC, Aumeeruddy-Cziffra et al. gg. Mauritius, Entscheidung vom 4. April 1981, UN Doc. CCPR/C/12/D/35/1978, Rn. 9.2 (b) 2 (i) 3. 1311 Für den IPbpR Nowak, IPbpR, Art. 17, Rn. 35; Ebenso für die EMRK: EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 164. 1307
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zu bewerten sein, wie im Fall Nada gg. Schweiz, den zunächst das Schweizer Bundesgericht und anschließend der EGMR zu entscheiden hatte.1312 Herr Nada lebt seit 1970 in der von Schweizer Staatsgebiet eingeschlossenen italienischen Enklave Campione, die sich auf eine Gesamtfläche von lediglich 1,6 km2 erstreckt.1313 Über einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren wurde es ihm von den Schweizer Behörden mit Verweis auf das Sanktionsregime untersagt, das Schweizer Staatsgebiet zu durchqueren, wodurch er in diesem Zeitraum praktisch unter Hausarrest stand.1314 Die damit einhergehenden Schwierigkeiten, den Kontakt zu Freunden und Familie zu erhalten, bewertet der EGMR als einen Eingriff in das Recht auf Familie.1315 Das Gericht nahm an, dass den schweizerischen Behörden bei der Umsetzung der Sanktionen ein begrenzter Ermessensspielraum verblieben sei, der es ihnen erlaubt habe, die Reisesanktionen gegen Herrn Nada zu beschränken.1316 Der Eingriff sei der Schweiz deshalb zuzurechnen gewesen. Die Behörden hätten die außerordentliche Situation, der Herr Nada gegenübergestanden habe, und den Umstand, dass Ermittlungsverfahren durch schweizerische und italienische Behörden bereits 2005 erwiesen hätten, dass Verdächtigungen Herrn Nadas zur Verwicklung in Aktivitäten des internationalen Terrorismus eindeutig unbegründet gewesen seien,1317 nicht ausreichend berücksichtigt.1318 Vor diesem Hintergrund sei der Eingriff unverhältnismäßig gewesen.1319 In der Regel wird ein „willkürlicher oder rechtswidriger“ Eingriff in das Recht auf Familie durch die Reisebeschränkungen nicht anzunehmen sein. Wie der Fall Nada allerdings zeigt, erfordert eine Bewertung immer eine genaue Betrachtung der besonderen Umstände des Einzelfalles.
1312
Schweizer Bundesgericht, Nada gg. SECO, Staatssekretariat für Wirtschaft, 1 A.45/ 2007/daa, vom 14. November 2007; EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012. 1313 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 11. 1314 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 165. 1315 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 165. Erschwerend kam hinzu, dass es Herrn Nada trotz schlechter gesundheitlicher Verfassung nicht erlaubt wurde, notwendigen Arztbesuchen außerhalb der Enklave nachzugehen, wodurch zudem ein Eingriff in sein Recht auf Privatleben anzunehmen war. Über Anträge auf Ausnahmen nach dem Sanktionsregime wurde äußerst restriktiv befunden, ebd., Rn. 14, 27, 165. 1316 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012., Rn. 180. 1317 Vgl. EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 187. 1318 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 195. 1319 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 198.
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bb) Beeinträchtigung der Ehre und des Rufes durch Aufnahme in die Liste Mit Aufnahme in die öffentlich einsehbare Sanktionsliste des Al Qaida-Sanktionsregimes werden die Sanktionsadressaten typischerweise als Terroristen bzw. Verbündete des Terrornetzwerkes gekennzeichnet. Dies kann negative Auswirkungen auf ihre Ehre und ihren Ruf haben.1320 Sofern die Sanktionsadressaten tatsächlich Mitglieder oder Verbündete Al Qaidas sind, ist die Aufnahme ihrer Namen nicht als „rechtswidrige“ Beeinträchtigung ihrer Ehre und ihres Rufes anzusehen. Ist dem Einzelnen wie im Fall Sayadi & Vinck gg. Belgien jedoch keine Verbindung zu Al Qaida nachzuweisen, so liegt ein Rechtsverstoß vor, sofern er dennoch auf der Liste geführt wird.1321 Die Vereinbarkeit der Maßnahmen mit den Rechten aus Art. 17 Abs. 1 2. HS IPbpR und Art. 12 Satz 1 2. HS AEMR ist damit eng mit der Ausgestaltung des „listing“ und „de listing“-Verfahrens verbunden. Diese wird im nachfolgenden Punkt g) näher untersucht. d) Das Recht auf Eigentum (Art. 17 AEMR) aa) Prüfungsmaßstab Das Recht auf Eigentum wird durch den IPbpR nicht gesondert geschützt. Über Art. 26 IPbpR hat der Menschenrechtsauschuss allerdings einen Schutz gegen Enteignungen und das Ausbleiben einer Restitution entwickelt, wenn sie auf eine unzulässige Diskriminierung zurückgehen.1322 Ausdrücklich wird das Eigentumsrecht in Art. 17 AEMR anerkannt, nach dem jeder [das Recht hat], sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen Eigentum innezuhaben“ (Abs. 1). Nach Abs. 2 ist der willkürliche Eigentumsentzug verboten. Nach dem völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Eigentumsschutz im Fremdenrecht haben sich ebenfalls Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit einer Enteignung herausgebildet. Danach darf einem Ausländer sein Eigentum nur dann entzogen werden, wenn es im öffentlichen Interesse liegt, nicht diskriminierend wirkt und er für die Enteignung eine Entschädigung erhält.1323 Nach der sog. Hull-Formel ist die Entschädigung unverzüglich,
1320
HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Entscheidung vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006, Rn. 10.12; Ciampi, Security Council Targeted Sanctions and Human Rights, S. 103. Die öffentliche Stigmatisierung kann im äußersten Fall existenzvernichtend sein, Kotzur, EuGRZ 41 (2014), S. 589 f. 1321 HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Entscheidung vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006, Rn. 10.13. 1322 HCR, Simunek gg. Tschechische Republik, Entscheidung vom 19. Juli 1995, UN Doc. CCPR/C/54/D/516/1992, Rn. 11.3; HRC, Adam gg. Tschechische Republik, Entscheidung vom 23. Juli 1996, UN Doc. CCPR/C/57/D/586/1994, Rn. 12.2. 1323 Kriebaum/Reinisch, in: Wolfrum, MPEPIL, Property, Right to, International Protection, Rn. 2 (Stand: Juli 2009).
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effektiv und adäquat zu leisten.1324 Die regionalen Menschenrechtskataloge sehen für Enteignungen ähnliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen vor. Sie müssen stets dem öffentlichen Interesse dienen1325 und dürfen nur im Einklang mit den Gesetzen1326 bzw. aufgrund eines Gesetzes1327 erfolgen. Das erste Zusatzprotokoll zur EMRK sieht darüber hinaus auch besondere Anforderungen für die Regelung der Eigentumsnutzung vor, die danach auf Grundlage eines Gesetzes zulässig ist, wenn sie im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung von Steuer-, Abgabenoder Strafzahlungen erforderlich ist.1328 Das sich aus der Souveränität der Staaten ableitende Gebot zur Gewährung eines ihren Grundrechtsverbürgungen im Wesentlichen gleich zu achtenden Menschenrechtsschutzes durch überstaatliche Organe gebietet eine Orientierung an einem vergleichsweise hohen Schutzniveau zur Bestimmung des Prüfungsmaßstabs.1329 Sowohl der IPbpR als auch die AEMR stellen geringere Voraussetzungen an die Eingriffe in das Eigentum, als es für die meisten regionalen Menschenrechtskataloge der Fall ist. In letzteren spiegelt sich ebenfalls ein Grundrechtverständnis der Staaten wider, wie es in den verschiedenen Regionen jeweils zum Maßstab genommen wird. Den höchsten Standard setzt insofern das erste Zusatzprotokoll der EMRK, das an eine Enteignung qualifizierte Rechtmäßigkeitserfordernisse stellt und auch für die Regelung der Eigentumsnutzung besondere Voraussetzungen definiert. Es wird deshalb untersucht, ob das Sanktionsregime einen diesem Schutzniveau im Wesentlichen gleich zu achtenden Individualrechtsschutz gewährleistet. bb) Art des Eingriffs Das Einfrieren von Konten nach dem Al Qaida-Sanktionsregime stellt ohne Zweifel einen Eigentumseingriff dar.1330 Sanktionsadressaten wird die Nutzung, der Erhalt und der Zugang zu jeder Form von finanziellen Vermögenswerten und sonstigen wirtschaftlichen Ressourcen verwehrt,1331 es sei denn, es werden im Einzelfall Ausnahmen bewilligt.1332 Ob der Eingriff als eine Eigentumsnutzung oder eine Enteignung zu qualifizieren ist, erfordert dagegen eine nähere Betrachtung. Das Einfrieren von Vermögenswerten ist als präventive Maßnahme gegen Bedrohungen 1324
Hobe, Völkerrecht, S. 390. Nach Art. 1 Abs. 1 EMRK 1. ZP muss eine Enteignung durch das öffentliche Interesse sogar verlangt werden. 1326 Art. 14 Banjul Charta; Art. 31 Satz 2 Arabische Menschenrechtscharta. 1327 Art. 1 Abs. 1 EMRK 1. ZP; Art. 21 Abs. 1 und 2 AMRK. 1328 Art. 1 Abs. 2 EMRK 1. ZP. 1329 Vgl. dazu bereits die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., c), aa), (1), (a), (bb). 1330 Generalanwalt Poiares Maduro, Schlussanträge zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 47; Ciampi, Security Council Targeted Sanctions and Human Rights, S. 103. 1331 S/RES/2161 (2014), Ziff. 1 lit. a. 1332 Vgl. dazu S/RES/1452 (2002), Ziff. 1 und 2. 1325
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des Friedens konzipiert und damit grundsätzlich auf einen für die Dauer der Bedrohung begrenzten Zeitraum beschränkt. Die Maßnahmen sind der Sache nach also nicht auf einen Eingriff in die Substanz des Eigentums angelegt, sondern stellen bloß eine Regelung der Eigentumsnutzung im Sinne von Art. 1 Abs. 2 EMRK 1. ZP dar.1333 Die Grenzen zwischen einer Eigentumsnutzung und einer Enteignung sind indes fließend. Je länger Vermögenswerte eingefroren bleiben, desto mehr ist auch die Substanz des Eigentums betroffen.1334 Das EuG hat entsprechend in seiner zweiten Entscheidung zum Fall Kadi Zweifel daran geäußert, dass die Maßnahmen noch als Regelung über die Nutzung des Eigentums eingestuft werden können, da die Vermögenswerte des Klägers zu dem Zeitpunkt seit fast zehn Jahre eingefroren waren.1335 Er ließ die Frage am Ende offen.1336 Werden Vermögenswerte über einen so langen Zeitraum eingefroren, so werden die Sanktionen jedenfalls dann als enteignungsgleiche Eingriffe nach Art. 1 Abs. 1 EMRK 1. ZP zu bewerten sein, sofern der Betroffene keine effektive Möglichkeit hat, die Angemessenheit der weiteren Sanktionierung überprüfen zu lassen und auf diesem Wege eine Freigabe durch eine Abkehr von Al Qaida selber zu bewirken. cc) Eingriffsrechtfertigung Die Weite des Eigentumsrechts muss mit Rücksicht auf seine gesellschaftliche Funktion bewertet werden.1337 Die Eigentumsnutzung kann entsprechend eingeschränkt werden, sofern dies gesetzlich vorgesehen ist, im Einklang mit dem Allgemeininteresse steht und im Verhältnis zu dem verfolgten Ziel angemessen erscheint.1338 Besonders gewichtig ist dabei die Intensität entsprechend umfassender und unbefristeter Eigentumseingriffe, die für die Betroffenen trotz der Ausnahmeregelungen „potentiell vernichtend“ sind.1339 Angesichts der besonderen Bedeutung der Friedenswahrung, zu deren Zweck die Maßnahmen erlassen wurden, können jedoch auch sehr einschneidende Eingriffe in das Eigentum gerechtfertigt werden.1340 Vorausgesetzt ist gleichwohl, dass die Maßnahmen zur Erreichung des verfolgten Zwecks überhaupt geeignet sind. Es bestehen noch immer erhebliche Zweifel an der 1333 Vgl. EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 358. 1334 Cameron, The ECHR, Due Process and UN Security Council Counter-Terrorism Sanctions, S. 16; Gutherie, NYUAnn.Surv.Am.L. 60 (2004), S. 502. 1335 EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 150. 1336 EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 150. 1337 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 355. 1338 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 360. 1339 Generalanwalt Poiares Maduro, Schlussanträge zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 47. 1340 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 361.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Effektivität des Al Qaida-Sanktionsregimes als Mittel zur Blockade der Finanzzufuhr für das Terrornetzwerk. Sowohl die Taliban als auch Al Qaida verfügen laut Monitoring Team noch immer über beträchtliche Finanzmittel, die aus kaum nachzuvollziehenden Quellen wie Spenden, Lösegeldern, der illegalen Erhebung von Steuern, dem Vertrieb von Rauschmitteln und aus sonstiger Geschäftstätigkeit entspringen.1341 Eine Finanzquelle des IS stellt zudem der Handel mit Öl dar, das sie aus den von ihnen besetzten Gebieten fördern. Darauf reagierte der Sicherheitsrat mit Erlass von Resolution 2199 (2015) in der er u. a. hervorhebt, dass auch der Ölhandel mit Anhängern des IS eine nach dem Al Qaida-Sanktionsregime sanktionsbewehrte Handlung darstellt.1342 Hinzu kommt, dass der Finanzsektor bisher laut Berichten regelmäßig mit der Umsetzung des Finanzembargos überfordert gewesen sei, da die Identifizierungsangaben auf der Sanktionsliste häufig zu unbestimmt seien, um die Sanktionsadressaten und die ihnen zuzuordnenden Konten zweifelsfrei ausmachen zu können.1343 Dabei werden die Geldtransfers ohnehin zumeist unter Umgehung des konventionellen Bankensektors abgewickelt; eine Praxis, die sich laut Monitoring Group (der Vorgängerinstitution des Monitoring Teams)1344 bereits Anfang 2002 abzeichnete.1345 Alternative Arten von Finanztransaktionen wie das hawala – ein traditionelles Finanzsystem arabischer Herkunft, bei dem über zwischengeschaltete Vertrauenspersonen Geldsummen ausgetauscht werden, ohne dass sich die Geschäftspartner identifizieren oder Auskunft über die Herkunft des Geldes geben müssen1346 –, stehen ebenso außerhalb des Wirkungsbereichs der Finanzembargos wie der kaum zu kontrollierende Einsatz von Geldboten.1347 Das Monitoring Team fordert seit 2009 die Regulierung des hawala-Systems.1348 Eine Kontrolle wird auch für den Gebrauch von Überweisungsmöglichkeiten via Handy gefordert,1349 sowie für den Geldtransfer von gemeinnützigen Organisationen, bei denen das Risiko eines Missbrauchs zugunsten von Al Qaida oder der Taliban gesehen wird.1350 Selbst aus dem Verteidigungsetat der USA sollen erhebliche Summen mittelbar an die Taliban geflossen sein. Es wird davon ausgegangen, dass afghanische Transportunternehmen, die im Auftrag des Pentagons die amerikanischen ISAF-Stützpunkte ver1341
UN Doc. S/2011/245, Ziff. 47 ff. S/RES/2199 (2015), Ziff. 1. 1343 UN Doc. S/2011/245, Ziff. 56. Dem soll mit der Aufforderung an die Staaten zum verstärkten Austausch zusätzlicher Informationen wie Fotos und biometrischer Daten der Sanktionsadressaten abgeholfen werden, vgl. etwa S/RES/2161 (2014), Ziff. 65. 1344 Mandatiert durch S/RES/1363 (2001), Ziff. 4 lit. a und ersetzt durch das Monitoring Team mit S/RES/1526 (2004), Ziff. 6. 1345 UN Doc. S/2002/541, S. 3. 1346 Maimbo, The money exchange dealers of Kabul, S. 1 ff. 1347 UN Doc. S/2011/245, Ziff. 54. 1348 Die Vereinigten Arabischen Emirate werden für ihre entsprechenden Bemühungen gelobt, UN Doc. S/2009/245, Ziff. 63. Zur Entwicklung siehe UN Doc. S/2011/245, Ziff. 51. 1349 UN Doc. S/2011/245, Ziff. 55. 1350 UN Doc. S/2011/245, Ziff. 52 f. In S/RES/2161 (2014), Ziff. 12 werden die Staaten nun auch explizit aufgefordert, entsprechende Finanzierungsströme auszutrocknen. 1342
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sorgten, bis Ende Juli 2011 Zahlungen in Höhe von 2,16 Milliarden US-Dollar als Schutzgeld an die Taliban geleistet haben. Ein Teil der Auftragsvergütung floss demnach zur Sicherung freien Geleits auf den Transitstrecken in die Hände der Aufständischen.1351 Obgleich die Expertengruppe einräumt, dass die Finanzsanktionen kaum noch zu zusätzlichen Kontosperrungen führen, preist sie aber ihren Einfluss als Mittel zur Abschreckung potentieller Financiers von Al Qaida und den Taliban.1352 Unter dem Gesichtspunkt des Ziels der Finanzsanktionen, Al Qaida von den Mitteln abzuschneiden, die sie zur Begehung von Anschlägen benötigen, lassen die Untersuchungen des Monitoring Teams aber weitere Zweifel an der Effektivität des Sanktionsregimes aufkommen.1353 Es ist danach nicht davon zu sprechen, dass es den Taliban und der Al Qaida an Waffen oder sonstigem militärischem Gerät fehlen würde, was auch auf eine unzureichende Umsetzung des Waffenembargos schließen lässt.1354 Zumal Sprengsätze mit geringem finanziellem Aufwand aus frei erhältlichem Material selbst hergestellt werden können,1355 steht der Nutzen des Finanz- und Waffenembargos insofern grundsätzlich in Frage.1356 Auf der anderen Seite wird davon berichtet, dass Al Qaida-Führer den Umstand beklagen, dass einige Terroristen aufgrund mangelnden Zugangs zu Finanzmitteln keinen Beitrag zum Djihad erbringen könnten, und sie sind offenbar in ihrem Aktionsradius eingeschränkt, da sie befürchten, dass Geheimdienste mittels Informationen von Finanzinstitutionen auf ihre Spur kommen.1357 Es ist auch nicht auszuschließen, dass ein Mitglied oder Verbündeter Al Qaidas Mittel von regulären Bankkonten zur Finanzierung von Terroranschlägen nutzt, wenn ihm dies möglich ist. Wenngleich die Maßnahmen also nicht ausreichen, um Al Qaida vollständig die Fähigkeit zu nehmen, an Finanzmittel zu kommen und Anschläge auszuüben, so sind sie zumindest dazu geeignet, das operative Geschäft des Netzwerks zu erschweren. Trotz verbleibender Zweifel an der Effektivität der Sanktionen können sie deshalb als grundsätzlich rechtfertigungsfähig bezeichnet werden. Dies steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass sich die Maßnahmen tatsächlich gegen die richtigen Akteure richten. Sie müssen nämlich 1351
FAZ vom 26. Juli 2011, S. 5. UN Doc. S/2011/245, Ziff. 9. 1353 Eine umfassende Analyse der Effektivität gezielter Sanktionen bietet erstmals Biersteker/Eckert/Tourinho/Hudáková, The Effectiveness of United Nations Targeted Sanctions. 1354 Siehe die Erklärung des Ausschuss vom 17 August 2009 (S/2009/427, Ziff. 27) und den darauf bezugnehmenden elften Bericht des Monitoring Teams (S/2011/245, Ziff. 65). 1355 Allerdings führt die Herstellung durch unerfahrene Konstrukteure offenbar nur selten zum Erfolg, UN Doc. S/2011/245, Ziff. 67 ff. 1356 Mit S/RES/2161 (2014), Ziff. 14, werden die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, eine erhöhte Aufmerksamkeit in der eignen Bevölkerung zu erzeugen, um zu verhindern, dass Al Qaida und ihre Verbündeten in den Besitz der Komponenten zum Bau von Sprengsätzen kommen. Dies allein wird aber kaum zu einer substantiellen Verbeserung der Sicherheitslage führen. 1357 UN Doc. S/2009/502, Ziff. 58. 1352
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nicht bloß abstrakt, sondern in jedem Einzelfall gerechtfertigt werden können.1358 Jeder Betroffene muss die Möglichkeit haben, sein Anliegen angemessen vorbringen zu können, nicht zuletzt weil die Sanktionen ohne zeitliche Beschränkung erlassen wurden und damit unabsehbar lange gelten.1359 Die Frage der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist demnach untrennbar mit der Ausgestaltung des Individualrechtsschutzverfahrens verbunden. Wird dies nicht einem allgemeinen Standard gerecht, so liegt auch eine Verletzung des Eigentumsrechts vor. e) Das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 18 IPbpR; Art. 18 AEMR) Anzudenken ist ferner ein Eingriff in das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses umfasst neben dem Recht, eine Religion oder Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen (negative Komponente, Art. 18 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. IPbpR; Art. 18 2. HS, 1. Alt. AEMR) auch das Recht, sie allein oder in Gemeinschaft auszuüben und sich zu diesem Zwecke mit anderen zusammenzuschließen (Art. 18 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. i.V.m. Art. 22 Abs. 1 IPbpR; Art. 18 i.V.m. Art. 20 AEMR).1360 Vorausgesetzt, man folgt dem Selbstverständnis Al Qaidas und versteht das Netzwerk als Gemeinschaft mit religiös motivierten Zielen, so wäre mit der Sanktionierung der Mitgliedschaft und Unterstützung an einen Eingriff in die Freiheit zur Bildung religiöser Gemeinschaften zu denken.1361 Ein solcher wäre aber jedenfalls gerechtfertigt. Der durch die Sicherheitsratsresolutionen vorgesehene Eingriff wird den qualifizierten Gesetzesvorbehalten für Eingriffe in die Freiheit zur gemeinschaftlichen Religionsausübung nach Art. 18 Abs. 3, Art. 22 Abs. 2 IPbpR und Art. 29 Abs. 2 AEMR gerecht. Abgesehen von dem Mangel an Bestimmtheit, stützen sich die Eingriffe auf eine zulässige Rechtsgrundlage.1362 Die 1358 Generalanwalt Poiares Maduro, Schlussanträge zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 47; Cameron, The ECHR, Due Process and UN Security Council CounterTerrorism Sanctions, S. 18. 1359 Generalanwalt Poiares Maduro, Schlussanträge zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 47; EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 369 f. und ihm folgend der EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 192 f. 1360 Vgl. zu Letzterem Walter, in: Wolfrum, MPEPIL, Religion or Belief, Freedom of, International Protection, Rn. 23 (Stand: Januar 2008). 1361 Der Vorwurf der Verletzung der Religionsfreiheit wurde sowohl vor dem HRC im Fall Sayadi & Vinck gg. Belgien vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006, Rn. 3.12, angebracht, wie vor dem EGMR, im Fall Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 3. Beide Vorbringen wurden aber als zu unsubstantiiert zurückgewiesen, HRC, a.a.O., Rn. 7.5; EGMR, a.a.O., Rn. 236. Dabei bedienten sich die Parteien allerdings anderer Begründungen, indem sie die Verhinderung des Zugangs zu einer Moschee als Folge des Reiseembargos (HRC, a.a.O., Rn. 3.12) bzw. die Sanktionierung der Finanzierung von islamischen Wohltätigkeitsorganisationen anprangerten (EGMR, a.a.O., Rn. 3). Dagegen wurde eine Mitgliedschaft oder sonstige Unterstützung Al Qaidas gerade bestritten. 1362 Vgl. dazu die Ausführungen im vorangegangenen Punkt b), bb), (1).
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beabsichtigte Abwehr der von Al Qaida ausgehenden Friedensbedrohung ist als Vorgehen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein legitimes Ziel im Sinne der Art. 18 Abs. 3 IPbpR und Art. 29 Abs. 2 AEMR. Auch unter Zugrundelegung des Verhältnismäßigkeitsmaßstabs ist der Eingriff zweifelsfrei gerechtfertigt. Dafür spricht auch Art. 29 Abs. 3 AEMR, nach dem die Rechte der AEMR keinesfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen ausgeübt werden dürfen. Dies ist bei Mitgliedern und Unterstützern Al Qaidas aber gerade der Fall, da sie eine Bedrohung des Friedens darstellt. Die Sanktionierung der Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung mit den beschriebenen Mitteln ist vor diesem Hintergrund angemessen, auch wenn sie sich als religiöse Gemeinschaft versteht. Das Recht auf Religionsfreiheit kann allerdings noch unter einem anderen Aspekt von Bedeutung sein, nämlich wenn es um die Gewährung von Ausnahmen zu den Sanktionen geht. Infolge der Reisebeschränkungen etwa, können Gläubige daran gehindert werden, ihren religiösen Bräuchen nachzugehen. In Resolution 1267 (1999) waren Ausnahmen ausdrücklich vorgesehen, wenn die Sanktionsadressaten auf Pilgerfahrt gehen wollten.1363 Die Regelungen wurden ersetzt durch eine Entscheidung des Ausschusses im Einzelfall.1364 Eine Freigabe erfordert den Konsens der Ausschussmitglieder. Bei dieser Einzelfallentscheidung werden religiöse Beweggründe auch zu berücksichtigen sein,1365 jedoch ist dies nicht mehr durch einen ausdrücklichen Verweis in den Resolutionen sondern allein durch die Strahlkraft des Rechts auf Gewissens- und Glaubensfreiheit auf ihre Auslegung geboten. Da die Entscheidungen nicht begründungspflichtig sind, kann jedoch nicht nachvollzogen werden, ob das Recht auf Religionsfreiheit tatsächlich Einfluss gewinnt. Das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit ist demnach nicht verletzt. Die mangelnde Transparenz des Verfahrens zur Gewährung von Ausnahmen und die Verwehrung einer rechtlichen Überprüfung der entsprechenden Entscheidungen durch eine unabhängige Instanz sind jedoch für die Ausübung des Rechts auf Religionsfreiheit von Bedeutung. f) Die Verfahrensrechte Die Verfahrensrechte sichern dem Einzelnen die Möglichkeit, eigene Anliegen vorzubringen und damit nicht zum Objekt staatlichen oder privaten Handelns zu werden. Sie stellen deshalb fundamentale Rechte zur Wahrung der Subjektstellung und damit der Würde des Einzelnen dar und bilden darüber hinaus erst die Voraussetzung zur effektiven Geltendmachung der übrigen Menschenrechte.1366 Ver1363
Ziff. 4 lit. a S/RES/1267 (1999). Zuletzt S/RES/2161 (2014), Ziff. 1 lit. b. 1365 Auf die Möglichkeit zur Beantragung von Ausnahmen zur Erfüllung religiöser Verpflichtungen weist auch das Monitoring Team hin, UN Doc. S/2012/729, Ziff. 57. 1366 Vgl. auch Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 448. 1364
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fahrensrechte sind sowohl durch den IPbpR als durch die AEMR geschützt, wobei für das Ausmaß des Schutzniveaus jeweils ausschlaggebend ist, welcher Art das betreffende Verfahren ist. aa) Art des Verfahrens Der IPbpR wie auch die AEMR fordern in strafrechtlichen Verfahren besondere Rechte für die Betroffenen. So kommen sie in den Genuss der Unschuldsvermutung (Art. 14 Abs. 2 IPbpR; Art. 11 Abs. 1 AEMR) und des Grundsatzes nulla poena sine lege (Art. 15 Abs. 1 IPbpR; Art. 11 Abs. 2 AEMR). Der IPbpR sichert daneben noch weitere Verfahrensgarantien (Art. 14 Abs. 3, 5, 6 und 7 IPbpR). Grundlegende Verfahrensrechte sind durch die AEMR in allen anderen Fällen von Grundrechtseingriffen (Art. 8 und 10) und den IPbpR in Streitigkeiten über „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 („suit at law“)) vorgesehen. Zudem bestimmt Art. 2 Abs. 3 IPbpR, dass gegen jede Verletzung der Rechte aus dem Pakt eine wirksame Beschwerde möglich sein muss. Für den Umfang der den Betroffenen zugutekommenden Verfahrensrechte kommt es also auf die Art des Verfahrens an, welche wiederum entscheidend von der Art der streitbefangenen Sache abhängt. Der Sicherheitsrat selbst hebt den präventiven Charakter der Maßnahmen hervor, die unabhängig von strafrechtlichen Normen des innerstaatlichen Rechts zu beurteilen seien.1367 Dieser Ansicht wollte der Sicherheitsrat mit Erlass von Resolution 2161 (2014) offenbar nochmal Nachdruck verleihen, indem er den entsprechenden Passus von der Präambel in den operativen Teil übertrug.1368 Die Bezeichnung einer Maßnahme allein begründet aber noch nicht ihre bewertungsrelevante Eigenschaft. Daneben sind insbesondere die Natur und Intensität des hoheitsrechtlichen Eingriffs entscheidend.1369 Die umfassenden und zeitlich unbeschränkten Eingriffe in die Rechtssphäre der Sanktionsadressaten erreichen eine Qualität, die für sich eine Einordnung in den strafrechtlichen Bereich rechtfertigen könnte.1370 Das EuG hob in 1367
So zuletzt in S/RES/2161 (2014), Ziff. 45. S/RES/2161 (2014), Ziff. 45. Die Regelung ist allerdings nicht auf das einseitige Setzen von Recht gerichtet. 1369 Vgl. HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Entscheidung vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006, Rn. 10.11; Nowak, IPbpR, Art. 14, Rn. 21. Zur gleichlautenden Regelung der „strafrechtlichen Anklage“ in Art. 6 Abs. 1 EMRK vgl. EGMR, Kammer, Lauko gg. Slovakai, 26138/95, Urteil vom 2. September 1998, Rn. 56. Danach sind die Kriterien alternativ und nicht kumulativ zu bewerten. Vgl. zur EMRK ferner Peukert, in: Frowein/ Peukert, EMRK, Art. 6, Rn. 26. Die Rspr. des EGMR kann als Hinweis zur Auslegung herangezogen werden (de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 353), wenngleich der HRC die autonome Auslegung der Begriffe des IPbpR hervorhebt, a.a.O. 1370 So i.E.: Scheinin, Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, UN Doc. A/63/223, Ziff. 16; Ginsborg/ Scheinin, EHRR 8 (2011), S. 15; Zgonec-Rozˇej, EHRR 8 (2011), S. 76; Bianchi, EJIL 17 (2006), S. 905; de Wet, The Chapter VII Powers of the Security Council, S. 353. 1368
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seinem zweiten Urteil in der Sache Kadi insbesondere die lange Dauer des Eingriffs hervor, der im Fall des Klägers fast zehn Jahre andauerte.1371 Es stelle sich nunmehr die Frage, ob angesichts dieses unter Zugrundelegung des Maßstabs eines Menschenlebens als beträchtlich zu bewertenden Zeitraums nicht mittlerweile von einer Maßnahme punitiven Charakters gesprochen werden müsse.1372 Die zeitliche Unbestimmtheit der Sanktionierung kommt aber auch unabhängig von der Dauer der Sanktionen im Einzelfall deshalb besonders schwer zum Tragen, weil die Betroffenen – wie die weitere Prüfung aufzeigen wird – kein Recht auf „de listing“ haben.1373 Zudem greifen die Sanktionen besonders tief in die einzelnen materiellen Rechtspositionen der Betroffenen ein.1374 Die Sanktionsadressaten verlieren bei effektiver Umsetzung des Regimes jeglichen Zugriff auf materielle Werte, die über das absolut Notwendigste hinausgehen, können sich nicht mehr frei über Grenzen bewegen und erleiden durch die öffentliche Einsehbarkeit der Sanktionsliste eine Stigmatisierung, die es ihnen regelmäßig schwer machen wird, weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Eine „strafrechtliche Anklage“ ist daneben auch dann begründet, wenn der Betroffene aufgrund des in Frage stehenden Delikts Sanktionen ausgesetzt werden sollte, die grundsätzlich dem Strafrecht zuzuordnen sind.1375 Das Verbrechen des Terrorismus wird zum Teil bereits als völkergewohnheitsrechtlich anerkannter Tatbestand des Völkerstrafrechts angesehen.1376 Der Sicherheitsrat selbst bekräftigt, dass alle terroristischen Handlungen kriminell seien,1377 und verpflichtet die Staaten dazu, Akte des Terrorismus als schwere Straftaten nach ihrem innerstaatlichen Recht zu qualifizieren und auch ihre Finanzierung oder sonstige Unterstützung unter Strafe zu stellen.1378 In einem Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 werden die EU-Mitgliedstaaten u. a. dazu verpflichtet, das Anführen einer terroristischen Vereinigung und die Beteiligung an ihren Handlungen ein1371
EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 150. EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 150. Vgl. dazu auch die Diskussion um die Abgrenzung von Eingriffen in die Eigentumsnutzung zu Fällen der Enteignung im vorangegangenen Punkt d). 1373 Vgl. Scheinin, Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, UN Doc. A/63/223, Ziff. 16. 1374 Vgl. dazu auch die Beschreibungen der Sanktionen als „potentiell vernichtend“ durch Generalanwalt Poiares Maduro, Schlussanträge zur Rechtssache C-402/05 P vom 16. Januar 2008, Rn. 47 und als „quasi-Gefangenschaft“ mit „verheerenden“ Folgen für die Betroffenen und ihre Familien durch den UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 60, 192. 1375 EGMR, Plenarsitzung, Lutz gg. Deutschland, 9912/82, Urteil vom 25. August 1987, Rn. 55. Ähnlich Nowak, IPbpR, Art. 14, Rn. 21. 1376 Prosecutor gg. Ayyash et al., Appeals Chamber, Interlocutory Decision on the applicable law: terrorism, conspiracy, homicide, perpetration, culmults ative charging, STL-1101/I vom 16. Februar 2011, Rn. 85. Ablehnend: Kirsch/Oehmichen, ZIS 10/2011, S. 803 ff. 1377 Zweiter Abs. der Präambel zu S/RES/2161 (2014). 1378 S/RES/1373 (2001), Ziff. 1 lit. b; Ziff. 2 lit. e. 1372
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schließlich der „Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Tätigkeit mit dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den strafbaren Handlungen der terroristischen Vereinigung beiträgt“, als Straftatbestände in ihre Rechtssysteme aufzunehmen.1379 In Deutschland wurde der Beschluss mit Änderung von §§ 129 a und b StGB umgesetzt.1380 Danach sind u. a. die Gründung, Mitgliedschaft und Unterstützung terroristischer Vereinigungen unter Strafe gestellt.1381 Zudem verlangt nun Resolution 2178 (2014) den Erlass von Gesetzen, die die Ausreise von Personen zum Zwecke der Beteiligung an terroristischen Handlungen, die Hilfe zur Finanzierung einer solchen Reise sowie ihre Organisation oder sonstige Erleichterung (wie die Anwerbung von Kämpfern) unter Strafe stellen.1382 Die Vorgaben wurden durch den deutschen Gesetzgeber mit Änderung und Ergänzung des § 89 a StGB sowie Einführung des § 89 c StGB umgesetzt.1383 Der BGH hat Al Qaida als eine terroristische Vereinigung im Sinne des StGB anerkannt,1384 womit die Aufnahme eines unter der Jurisdiktion der deutschen Gerichtsbarkeit fallenden Betroffenen auf die Sanktionsliste des Al Qaida-Sanktionsregimes den Ausgangspunkt für strafrechtliche Ermittlungen nationaler Behörden bilden kann. Das „listing“ des Sanktionsausschusses kann auch vor diesem Hintergrund als eine „strafrechtliche Anklage“ im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPbpR gewertet werden, selbst wenn es nicht offiziell als solche deklariert ist. So hat der EGMR entschieden, dass „a criminal charge […] may in some instances take the form of other measures which carry the implication of such an allegation and which likewise substantially affect the situation of the suspect.“1385
Gleichwohl wäre das Regime eine eigenartige Form eines strafrechtlichen Verfahrens.1386 So zielt es darauf ab, zukünftige Terrorakte dadurch zu verhindern, dass Al Qaida die dazu notwendigen Ressourcen genommen werden. Betroffene sollen prinzipiell nur solange auf der Liste aufgeführt werden, wie sie eine Bedrohung 1379 Art. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (2002/475/JI), ABl. der EG, L 164/4-5. 1380 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze (22. Dezember 2003), BGBl. I, S. 2836. 1381 Vgl. insbesondere § 129 a Abs. 1, 2 und 5 StGB. 1382 S/RES/2178 (2014), Ziff. 6. 1383 Gesetz zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (12. Juni 2015), BGBl. I, S. 926. Zuvor bereits kritisch zur Notwendigkeit einer Anpassung des deutschen Strafrechts in Reaktion auf Erlass von Resolution 2178 (2014) Payandeh, ZPR 8/2014, S. 242 f. 1384 BGH NJW 2009, S. 3456 ff.; BGH NStZ-RR 2011, S. 176. 1385 EGMR, Kammer, Foti et al. gg. Italien, 7604/76, Urteil vom 10. Dezember 1982, Rn. 52. Ähnlich und ebenfalls den EGMR an dieser Stelle zitierend Bianchi, EJIL 17 (2006), S. 906. Vgl. ebenso Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6, Rn. 41 f. 1386 Cameron, The ECHR, Due Process and UN Security Council Counter-Terrorism Sanctions, S. 10.
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darstellen. Haben sie alle Verbindungen zu Al Qaida getrennt, sollen sie von der Liste gestrichen werden, auch wenn ihre vorangegangenen Aktivitäten nach dem Vergeltungsaspekt noch eine längere Sanktionierung rechtfertigen würden. Die Sanktionen tragen damit erkennbar keinen Strafzweck, sondern sind als präventive Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu qualifizieren.1387 In diesem Sinne stellen Walter Kälin und Yuji Iwasawa in ihrer Individual Opinion im Fall Sayadi & Vinck gg. Belgien vor dem Menschenrechtsausschuss treffend fest: „While it is true that freezing of the authors’ financial assets is part of the fight against terrorism, this measure clearly does not serve the purpose of sanctioning the authors for their allegedly illegal behavior but rather aims at preventing them from continuing their alleged support of terrorist activities, and thus is of administrative character.“1388
Sollte das Sanktionsregime die zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen der Betroffenen berühren („rights and obligations in a suit at law“), hätten sie nach Art. 14 Abs. 1 IPbpR dennoch Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz. Auch wenn dies nach Art. 8 AEMR aufgrund der erfolgten Eingriffe in die Menschenrechte auch für rein administrative Maßnahmen zu fordern ist, soll der Frage nach der Einordnung nach dem IPbpR an dieser Stelle nachgegangen werden. Aus der Praxis des Menschenrechtsausschusses lässt sich nur bedingt ein einheitlicher Maßstab bestimmen.1389 Im Fall Y.L. gg. Kanada befand der Ausschuss zwar, dass „the concept of a ,suit of law‘ or its equivalent in the other language texts is based on the nature of the right in question rather than on the status of one of the parties (governmental, parastatal, or autonomous statutory entities)“,1390
um dann aber mit der Feststellung abzuschließen, dass „each communication must be examined in the light of its particular features.“1391 Wenngleich der Menschenrechtsausschuss den autonomen Bedeutungsgehalt der Begriffe des Paktes hervor1387 I. E. ebenso: HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Entscheidung vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006, Rn. 10.11; dritter Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2005/572, Ziff. 40; van den Herik/Schrijver, in: Biersteker/Eckert, Watson Report, S. 13; Meyer, ZEuS 10 (2007), S. 19 f.; Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 478. Zu diesem Ergebnis wohl auch tendierend: Cameron, The ECHR, Due Process and UN Security Council Counter-Terrorism Sanctions, S. 10. 1388 HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Entscheidung vom 29. Dezember 2008, Individual opinion (partly dissenting) of Committee members Mr. Walter Kälin and Mr. Yuji Iwasawa, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006, S. 28. 1389 Joseph/Castan, IPbpR, Art. 14, Rn. 14.09 ff., die einen Überblick über die Rspr. liefern. 1390 HRC, Y.L. gg. Kanada, Entscheidung vom 8. April 1986, UN Doc. CCPR/C/27/D/112/ 1981, Rn. 9.2. (Streit um eine Berufsunfähigkeitsrente eines ehemaligen Militärs – i.E. bejaht). Ebenso: HRC, Casanovas gg. Frankreich, Entscheidung vom 10. August 1994, UN Doc. CCPR/C/51/D/441/1990, Rn. 5.2. (Abberufung aus dem Beamtenstatus – i.E. bejaht); HRC, Kolanowski gg. Polen, Entscheidung vom 29. August 2003, UN Doc. CCPR/C/78/D/837/1998, Rn. 6.4. (Zurückweisung eines Antrags auf Beförderung eines Polizisten – i.E. abgelehnt). 1391 HRC, Y.L. gg. Kanada, Entscheidung vom 8. April 1986, UN Doc. CCPR/C/27/D/112/ 1981, Rn. 9.2.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
hob,1392 kann die Rechtsprechung des EGMR zumindest als Anhaltspunkt für die nähere Bestimmung herangezogen werden,1393 zumal sich zumindest der französische Text des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPbpR mit dem in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK in diesem Punkt gleichen („droits et obligations de caractère civil“).1394 Zu den zivilen Rechten sind danach u. a. das Recht auf Eigentum,1395 das Recht auf Familien- und Privatleben sowie der Ehre und des Rufes1396 anzusehen. In diese Rechte der Sanktionsadressaten wird mit den Maßnahmen eingegriffen (s. o.). Dabei muss das Verfahren entscheidend für den Bestand des betroffenen Rechts sein.1397 Dies ist wohl auch nach den General Comments des Menschenrechtsausschusses zu Art. 14 IPbpR zu fordern, die als Beispiel für die Betroffenheit „zivilrechtlicher Ansprüche“ eine administrativ verfügte Wegnahme privaten Eigentums nennen („taking of private property“).1398 Zumal eine Entscheidung immer nur im Kontext der besonderen Umständen des Einfalls getroffen werden kann, wird der Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPbpR aber nicht allein bei Enteignungen eröffnet sein. Vorläufige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr lösen aber wohl wie bei Art. 6 Abs. 1 EMRK grundsätzlich nicht den Anwendungsbereich aus, es sei denn, sie nehmen die Hauptsache zumindest in Teilen vorweg.1399 Sollen Maßnahmen etwa nur einen Zustand vorläufig sichern, so erscheint es auch nachvollziehbar, dass bereits verdachtsbasierte Entscheidungen auf einer ersten Stufe zulässig sind, sofern der Fall dadurch noch nicht abschließend bewertet ist. Nach dem Al Qaida-Sanktionsregime sind die Maßnahmen jedoch nicht allein vorläufiger Natur mit der Aussicht auf eine endgültige rechtliche Überprüfung. Vielmehr gelten sie zeitlich unbegrenzt und müssen bloß in regelmäßigen Abständen wieder aktualisiert werden.1400 Eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der einzelnen Sanktionsentscheidungen findet dagegen nicht statt. Auch im Rahmen des „de listing“-Verfahrens wird nicht etwa die Rechtmäßigkeit der Aufnahme in die Liste überprüft, sondern allein darüber entschieden, ob ein weiterer Verbleib auf der Liste auf Grundlage der aktuellen Sachlage noch angebracht erscheint.1401 Die „listing“-Entscheidungen stellen deshalb zugleich 1392
HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Entscheidung vom 29. Dezember 2008, Rn. 10.11. Nowak, IPbpR, Art. 14, Rn. 16. 1394 Im Gegensatz zu den englischen Versionen. In Art 6 Abs. 1 Satz 1 EGMR heißt es „civil rights and obligations“. 1395 EGMR, Plenarsitzung, Sporrong & Lönnroth gg. Schweden, 7152/75, Urteil vom 23. September 1982, Rn. 79. 1396 EGMR, Kammer, Zollmann gg.Vereinigtes Königreich, 62902/00, Entscheidung vom 27. November 2003, S. 13. 1397 EGMR, Kammer, Pauger gg. Österreich, 16717/90, Urteil vom 28. Mai 1997, Rn. 46. 1398 CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 16. 1399 Vgl. EGMR, Kammer, Markass Car Hire Ltd. gg. Zypern, 51591/99, Urteil vom 6. November 2002, Rn. 32 ff. 1400 S/RES/1822 (2008), Ziff. 25 f. 1401 Vgl. für die Praxis nach dem Ombudsverfahren nach alter Rechtslage: UN Doc. S/2011/ 447, Anhang III, Ziff. 8. Seit Anlage II zu S/RES/2083 (2012), Ziff. 7 lit. c und nunmehr Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 8 lit. c, ist dies auch rechtlich fixiert. 1393
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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eine Entscheidung in der Hauptsache dar.1402 Damit wäre der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK jedenfalls eröffnet.1403 Davon ging wohl der Menschenrechtsausschuss auch für Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPbpR in der Sache Sayadi & Vinck gg. Belgien aus. Während er den Sanktionen eine strafrechtliche Natur ausdrücklich absprach,1404 prüfte er dennoch eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPbpR, was den Schluss zulässt, dass er stillschweigend von einer Betroffenheit der „zivilrechtlichen Ansprüche“ des Klägers ausging.1405 Er beschränkte sich bei seiner Beurteilung jedoch auf die Verpflichtungen Belgiens unter dem IPbpR.1406 Da die Kläger vor dem Brüsseler Gericht Erster Instanz eine Verfügung gegen Belgien erzwingen konnten, der die zuständigen Stellen dazu verpflichtete, beim Al QaidaSanktionsausschuss ein „de listing“-Antrag zu stellen, befand der Menschenrechtsausschuss, dass Belgien in den Grenzen seiner Jurisdiktion seinen Verpflichtungen nachgekommen sei.1407 Der Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPbpR ist jedenfalls eröffnet.1408 bb) Inhalt der Verfahrensrechte Im Vollzug des 2005 World Summit Outcome, in dem die Generalversammlung den Sicherheitsrat dazu aufrief, „faire und klare“ Verfahren für individualgerichtete Sanktionsregime zu entwickeln,1409 gab das Office of Legal Affairs eine Studie bei Bardo Fassbender zu den rechtlichen Implikationen in dieser Sache in Auftrag.1410 Anschließend formulierte der damalige Generalsekretär Kofi Annan in einem an den Vorsitzenden des Sicherheitsrats gerichteten non-paper vier Minimalstandards, die im „listing“ und „de listing“-Verfahren eingehalten werden sollten: Erstens das Recht aller Sanktionsadressaten, über die gegen sie gerichteten Maßnahmen und den Fall informiert zu werden; zweitens das Recht, von der entscheidungsrelevanten Stelle in einem schriftlichen Verfahren in angemessener Zeit gehört zu werden; drittens das Recht auf Überprüfung des Falles durch ein effektives Überprüfungs1402 Ebenso: Meyer, ZEuS 10 (2007), S. 19; Cameron, The ECHR, Due Process and UN Security Council Counter-Terrorism Sanctions, S. 12. 1403 Cameron, The ECHR, Due Process and UN Security Council Counter-Terrorism Sanctions, S. 11; Meyer, ZEuS 10 (2007), S. 18; Bianchi, EJIL 17 (2006), S. 907. Unsicher: van den Herik/Schrijver, in: Biersteker/Eckert, Watson Report, S. 14. 1404 HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Entscheidung vom 29. Dezember 2008, Rn. 10.11. 1405 HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Entscheidung vom 29. Dezember 2008, Rn. 10.9. 1406 HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Entscheidung vom 29. Dezember 2008, Rn. 10.9. 1407 HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Entscheidung vom 29. Dezember 2008, Rn. 10.9. 1408 Wiederum unsicher van den Herik/Schrijver, in: Biersteker/Eckert, Watson Report, S. 11 f. 1409 A/RES/60/1, Ziff. 109. 1410 Vgl. UN Doc. A/60/430, Ziff. 20. Die Studie wurde anschließend als Artikel veröffentlicht: Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 437 ff.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
verfahren; und viertens die regelmäßige Überprüfung individualgerichteter Sanktionen durch den Sicherheitsrat.1411 Damit entsprach er weitestgehend den Ergebnissen der Studie, legte allerdings weniger strenge Anforderungen an das Recht zur Überprüfung des Falles („right to review“).1412 Während die Studie für die Betroffenen ein Recht auf Überprüfung vor einer unparteiischen, bereits im Vorfeld eingerichteten Institution einfordert, spricht der Generalsekretär bloß von einem Recht auf Überprüfung durch ein effektives Überprüfungsverfahren.1413 Kimberly Prost bewertete das Potential des Sanktionsregimes am Maßstab der vom Generalsekretär formulierten Anforderungen und kam zu dem Schluss, dass das Büro der Ombudsperson den Anforderungen an ein faires und klares Verfahren in diesem spezifischen Kontext genügen könne.1414 In ihrem vierten Arbeitsbericht vom 30. Juli 2012 bestätigte sie sodann, dass die Praxis erwiesen habe, dass das Verfahren den Anforderungen gerecht geworden sei.1415 Ob zum einen der zugrundegelegte Maßstab den verfahrensrechtlichen Anforderungen gerecht wird, wie er sich aus Art. 14 Abs. 1 IPbpR und Art. 8 und 10 AEMR ergibt, und ob die mit dem Al QaidaSanktionsregime bestimmten Regeln zum „listing“ und „de listing“ vor diesem Hintergrund den Voraussetzungen eines fairen Verfahrens entsprechen, wird zu prüfen sein. Auf die Argumente Kimberly Prosts wird dabei gesondert eingegangen. Ist der Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 1 IPbpR eröffnet, haben alle Betroffenen gleichen Anspruch darauf, dass über ihre Rechte „durch ein zuständiges, unabhängiges, unparteiisches und auf Gesetz beruhendes Gericht in billiger Weise und öffentlich verhandelt wird.“1416 Das Urteil ist öffentlich zu verkünden (Art. 14 Abs. 1 Satz 3, 2. HS IPbpR). (1) Die Verteidigungsrechte Aus Art. 14 IPbpR folgt der Anspruch auf ein faires Verfahren. Alle am Verfahren beteiligten Parteien müssen danach in nicht diskriminierender Weise Gelegenheit dazu bekommen, alle Beweise vorbringen zu können, die für ihren jeweiligen Anspruch entscheidend sind, und sich in voller Kenntnis des sie belastenden Materials
1411 Der Inhalt wurde auf der öffentlichen Sitzung des Sicherheitsrats vom 22. Juni 2006 vom Legal Council, Herrn Nicholas Michel, wiedergegeben, UN Doc. S/PV.5474, S. 5. 1412 Vgl. Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 447. 1413 Vgl. Fassbender, IOLR 3 (2006), S. 438. Ähnlich wie Bardo Fassbender Sullivan/ Hayes, Blacklisted: Targeted Sanctions, preemptive security and fundamental rights, S. 27, in dem als Minimalstandards benannt werden: „the right to be informed […] the right to be heard […] the right to judicial review and an effective remedy“ (Hervorhebungen im Original). Vgl. zum Rechtsschutzstandard auch de Wet, Human Rights Considerations and the Enforcement of Targeted Sanctions in Europe, S. 147 ff. 1414 Prost, Fair Process and the Security Council, S. 423. Die Bewertung basierte noch auf der Rechtslage nach Erlass von Resolution 1904 (2009). 1415 UN Doc. S/2012/590, Ziff. 30. 1416 Ähnlich Art. 8 und 10 AEMR.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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zu allen Umständen äußern können, die für die Entscheidung eventuell von Bedeutung sind.1417 (a) Inkenntnissetzung über die Vorwürfe und das Verfahren Die Möglichkeit einer angemessenen Verteidigung setzt auf einer ersten Ebene voraus, dass jeder Sanktionsadressat über die ihm vorgeworfenen Umstände sowie die Verfahrensweise des Regimes in Kenntnis gesetzt wird. Bis zur Aufnahme in die Liste werden die Sanktionsadressaten weder über die Gründe informiert, noch werden sie zu dem Fall angehört. Eine Anhörung wie auch eine Übermittlung der ausschlaggebenden Gründe im Vorfeld des Inkrafttretens der Sanktionen würde auch dem Zweck der Maßnahmen zuwiderlaufen. Die Betroffenen könnten versucht sein, etwa relevante Vermögenswerte dem Zugriff des Sicherheitsrats noch vor Erlass der Sanktionen zu entziehen.1418 Die Effektivität der Sanktionen ist also ganz wesentlich von einem Überraschungseffekt abhängig. Es kann von den zuständigen Organen deshalb nicht verlangt werden, mit den Betroffenen vor der Entscheidung zur Aufnahme in die Liste in Kontakt zu treten.1419 Um den Sanktionsadressaten aber die Möglichkeit zu geben, sich bestmöglich und effektiv gegen die Maßnahmen wehren zu können, müssen sie alsbald nach der Aufnahme über die Art und Reichweite der verhängten Sanktionen sowie die sie belastenden Vorwürfe informiert werden.1420 Das Sanktionsregime sieht vor, dass die Sanktionsadressaten sowohl durch die Ombudsperson als auch durch die Mitgliedstaaten zeitnah nach der Aufnahme in die Liste zu benachrichtigen sind.1421 Letztere sollen der Benachrichtigung zusätzlich die Zusammenfassung der Gründe für das „listing“ und Informationen zu den damit verbundenen Folgen sowie der Verfahrensweise des „de listing“-Verfahrens und der Beantragung von Ausnahmen beifügen.1422 Wenngleich diese Vorgaben vielen Betroffenen in der Praxis keinen Mehrwert bringen, da in den seltensten Fällen Adressen mit dem Antrag auf Aufnahme eingereicht werden oder die entsprechenden Angaben unzureichend detailliert sind,1423 wird daraus die Bemühung deutlich, dem Anspruch der Betroffenen zu entsprechen. Neuaufnahmen in die Sanktionsliste 1417
Vgl. zu Art. 6 Abs. 1 EMRK: EGMR, Kammer, Mantovanelli gg. Frankreich, 21497/ 93, Urteil vom 18. März 1997, Rn. 33. Vgl. zum Prinzip der Waffengleichheit Nowak, IPbpR, Art. 14, Rn. 29. 1418 Vgl. dazu auch Hollenberg, LJIL 28 (2015), S. 66. 1419 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 338 – 341. Kritisch ist dagegen Ciampi, Security Council Targeted Sanctions and Human Rights, S. 108. 1420 Fassbender, IOLR 2 (2006), S. 476; EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 336 f. 1421 S/RES/1822 (2008), Ziff. 17; Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 20 lit. b. 1422 S/RES/1822 (2008), Ziff. 17. 1423 Vgl. bereits den ersten Bericht der Ombudsperson an den Sicherheitsrat, UN Doc. S/2011/29, Ziff. 36. Die Situation hat sich in der Folge nicht verbessert, wie aus dem zweiten (UN Doc. S/2011/447, Ziff. 30), dem dritten (UN Doc. S/2012/49, Ziff. 31) und dem vierten (UN Doc. S/2012/590, Ziff. 25) Bericht hervorgeht.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
mitsamt Falldarstellungen sind auch im Internet zu veröffentlichen,1424 weshalb sich zumindest theoretisch auch diejenigen informieren können, die nicht von den Organen zu erreichen waren. Freilich setzt dies voraus, dass die Betroffenen Kenntnis von dem Sanktionsregime haben, was nicht zwingend der Fall sein muss. Zudem wurde die Pflicht zur Inkenntnissetzung der Betroffenen erst zu einem Zeitpunkt erhoben, als bereits etliche natürliche und juristische Personen auf der Liste aufgeführt waren. Frau Prost erkannte die Notwendigkeit, das Büro der Ombudsperson weiter bekannt zu machen,1425 weshalb sie in der Anfangsphase u. a. eine Reihe von Interviews gab, an mehreren Tagungen teilnahm1426 und an all diejenigen Betroffenen Anzeigen über den Status ihrer Eintragung auf der Liste versendete, die bereits vor ihrer Nominierung von dem Ausschuss zu Sanktionsadressaten bestimmt wurden, vorausgesetzt ihre Adressen waren bekannt.1427 Zumal Terroristen in der Regel versuchen werden, unentdeckt zu bleiben, ist es nicht verwunderlich, dass nicht alle Adressen der Sanktionsadressaten ausgemacht werden können. Diejenigen hingegen, die nicht mit Al Qaida in Verbindung stehen und damit fälschlicherweise in die Liste aufgenommen wurden, haben keinen Grund unterzutauchen. Es ist in ihren Fällen deshalb wahrscheinlicher, dass Adressen ausgemacht werden können. Gerade für die unberechtigterweise mit Al Qaida in Verbindung gebrachten Sanktionsadressaten ist das „de listing“-Verfahren und damit eine Aufklärung über die Vorwürfe auch von besonderer Bedeutung. Der Umstand allein, dass nur in seltenen Fällen eine Benachrichtigung samt erläuternden Informationen zugestellt werden kann, spricht für sich also nicht gegen die Geeignetheit der Bestimmungen des Sanktionsregimes, um dem Anspruch der Betroffenen auf unverzügliche Inkenntnissetzung gerecht zu werden. Von den Staaten kann nicht mehr verlangt werden, als die größtmöglichen Anstrengungen zu unternehmen, um aktuelle Kontaktdaten der Sanktionsadressaten herauszufinden und diese mit einem Antrag auf Aufnahme in die Sanktionsliste einzureichen. Die Angaben werden seit Resolution 1735 (2006)1428 in dem Standard-Formular abgefragt, das zur Beantragung der Aufnahme in die Sanktionsliste zu verwenden ist.1429 Die UN-Organe haben damit bedeutende Aufwendungen unternommen, um dem Anspruch der Betroffenen auf unverzügliche Inkenntnissetzung nachzukommen. Kritisch zu bewerten ist jedoch, dass die Falldarstellungen bloß in den fünf Amtssprachen der Vereinten Nationen verfasst werden, die sicherlich nicht von allen Sanktionsadressaten verstanden werden. Ist es 1424
Vgl. dazu S/RES/2161 (2014), Ziff. 39. Dies erklärte sie zu einem Hauptziel ihrer ersten Aktivitäten im Amt, UN Doc. S/2011/ 29, Ziff. 4. Zu ihren Aktivitäten im Verfolg dieser Ankündigung, UN Doc. S/2011/447, Ziff. 6 f. 1426 s. zu den weiteren Aktivitäten der Ombudsperson UN Doc. S/2011/29, Ziff. 8 ff. und UN Doc. S/2012/590, Ziff. 16. 1427 Diese erreichten die Betroffenen aber auch nur in seltenen Fällen, UN Doc. S/2011/29, Ziff. 40. Zu neueren Entwicklung, die keine Verbesserungen zeitigte, vgl. UN Doc. S/2012/49, Ziff. 32. 1428 S/RES/1735 (2006), Ziff. 7. 1429 Das Formular ist im Internet einsehbar (abrufbar unter: http://www.un.org/sc/commit tees/1267/pdf/sfl_ind_basic.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 1425
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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einem Betroffenen nicht ohne Weiteres möglich, den Text in eine ihm verständliche Sprache zu übersetzen, kann ihm die Falldarstellung kaum weiterhelfen. (b) Recht auf rechtliches Gehör und das Prinzip der Waffengleichheit Als wesentlicher Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren gilt das Prinzip der Waffengleichheit, nach dem beiden Seiten die gleiche Möglichkeit einzuräumen ist, ihre Ansichten darzulegen und auf alle von der jeweils anderen Partei vorgebrachten Argumente und Beweise eingehen zu können, um sie gegebenenfalls zu entkräften.1430 Damit ist es eng verbunden mit dem Recht auf rechtliches Gehör, dessen näherer Inhalt sich aus der folgenden Untersuchung ergibt. (aa) Zugang zu Informationen Entscheidend ist zunächst, dass die zur Verfügung gestellten Informationen die Betroffenen in die Lage versetzen, sich ansprechend gegen den Vorwurf der Mitgliedschaft oder Unterstützung Al Qaidas verteidigen zu können.1431 Wie der EuG in seinem zweiten Urteil in der Sache Kadi mit Bezug auf die Rechtsprechung des EMRK klargestellt hat, ist grundsätzlich das gesamte belastende Material offenzulegen.1432 Ebenso steht es mit den entlastenden Informationen, die der Anklage zur Verfügung stehen.1433 Die betreffenden Resolutionen des Al Qaida-Sanktionsregimes sehen vor, dass die Sanktionsadressaten mit Aufnahme in die Liste über die entsprechenden Gründe in Kenntnis gesetzt werden sowie eine Falldarstellung erhalten sollen,1434 für die besondere Anforderungen bestehen.1435 Die Weitergabe spezifischer Informationen unterliegt allerdings dem Vorbehalt staatlicher Zustimmung. Kennzeichnen sie bestimmte Informationen als geheim, so werden sie den Betrof1430 Vgl. nur HRC, Äärelä & Näkkäläjärvi gg. Finnland, Entscheidung vom 7. November 2001, CCPR/C/73/D/779/1997, Rn. 7.4; EGMR, Große Kammer, Jasper gg. Vereinigtes Königreich, 27052/95, Urteil vom 16. Februar 2000, Rn. 51. 1431 Vgl. zur Bedeutung der Transparenz bei primär verdachtsbasierten Sanktionsentscheidungen mit Bezug auf die Kadi-Rspr. des EuGH, Kotzur, EuGRZ 41 (2014), S. 593 ff. 1432 EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 176 mit Bezug auf EGMR, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 218 – 224. 1433 Vgl. nur EGMR, Große Kammer, Edwards & Lewis gg. Vereinigtes Königreich, 39647/ 98 und 40461/98, Urteil vom 27. Oktober 2004, Rn. 46. 1434 S/RES/1735 (2006), Ziff. 11: „calls upon“ als schärfere, aber noch immer unverbindliche Formulierung. Anschließend weiter verschärft durch S/RES/1822 (2008), Ziff. 17: „Demands that Member States (…) take all possible measures to notify or inform (…)“. 1435 Vgl. S/RES/1735 (2006), Ziff. 5, 10. Danach soll die Falldarstellung „möglichst viele Einzelheiten über die Grundlage(n) für die Aufnahme in die Liste enthalten, darunter i) spezifische Informationen zur Stützung der Feststellung, dass die Person oder Einrichtung den genannten Kriterien entspricht, ii) Angaben über die Art der Informationen und iii) Nachweise oder Dokumente, die beigebracht werden können; die Staaten sollen Einzelheiten über jedwede Verbindung zwischen der Person oder Einrichtung, deren Aufnahme beantragt wird, und gegenwärtig in der Liste verzeichneten Personen und Einrichtungen angeben“.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
fenen nicht übermittelt.1436 Wenn die betreffenden Staaten einer Aufdeckung ihrer Identität widersprechen, erfahren die Sanktionsadressaten zudem nicht, welcher Staat die Aufnahme in die Liste initiiert hat.1437 Damit bleibt es denkbar, dass den Sanktionsadressaten im Einzelfall auch Informationen vorenthalten bleiben, die für ihre Verteidigung von essentieller Bedeutung sein können. Erfährt ein Betroffener nicht, worauf die gegen ihn gerichteten Vorwürfe gründen, kann er sie kaum entkräften. Ein Verschluss der Identität des antragstellenden Staates wirkt zusätzlich erschwerend. Hinzu kommt, dass in den Falldarstellungen allein die pauschale Angabe vermerkt ist, der Betroffene sei mit Al Qaida im Sinne der geltenden Resolutionen verbunden, ohne dass ein Verweis auf ein spezifisches Regelbeispiel des associated with-Tests erfolgt.1438 Sie können deshalb nicht immer ausmachen, ob ihnen etwa die Mitgliedschaft, die Finanzierung oder die sonstige Unterstützung Al Qaidas, einer ihrer Zellen, Unterorganisationen, Splittergruppen oder Ableger vorgeworfen wird.1439 Eine effektive Verteidigung kann unter solchen Umständen gegebenenfalls unmöglich sein. Im Rahmen der Phase zur Sammlung von Informationen im „de listing“-Verfahren sind partiell weitergehende Bestimmungen vorgesehen. Von besonderer Bedeutung ist die Ankündigung Kimberly Prosts, sie werde sich auch eigeninitiativ um die weitere Aufklärung des Falles bemühen und dazu Informationen etwa aus vorangegangenen Gerichtsverfahren sammeln, sowie Pressemitteilungen und Internetseiten auswerten und zudem Individuen identifizieren, die zusätzliche Informationen beitragen können.1440 Wenngleich fraglich erscheint, ob die Kapazitäten ihres Büros umfangreiche Ermittlungstätigkeiten überhaupt erlauben – sie kann dabei durch das Monitoring Team unterstützt werden1441 –, scheint dies die Antragsteller zumindest etwas von der Abhängigkeit zur Kooperationsbereitschaft der Staaten zu lösen. Ähnlich wie beim „listing“-Verfahren hängt die Qualität des Ombudsverfahrens dennoch in erster Linie davon ab, dass sich die Mitgliedstaaten dazu bereit erklären, ihr Wissen zu teilen. Sie werden zwar eindringlich dazu aufgerufen, im Rahmen der Phase zur Informationssammlung der Ombudsperson alle relevanten Informationen – sofern angemessen, einschließlich vertraulicher Informationen – zeitnah offenzulegen.1442 Einer Verpflichtung unterstehen sie jedoch 1436
Vgl. S/RES/1735 (2006), Ziff. 10 i.V.m. Ziff. 6. Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 33. Diese Regelung bedeutet bereits einen Fortschritt. Zuvor war eine Zustimmung der Aufdeckung ihrer Identität vonnöten. Vgl. dazu bereits die Ausführungen im 2. Teil, A., II., 2., b), bb), (1). 1438 Vgl. dazu die Falldarstellungen auf der Website des Ausschuss (abrufbar unter: http:// www.un.org/sc/committees/1267/individuals_associated_with_Al-Qaida.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Vgl. dazu auch die entsprechende Rüge des Klägers in EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 157. 1439 Vgl. zuletzt S/RES/2161 (2014), Ziff. 2. 1440 Prost, Fair Process and the Security Council, S. 419. 1441 Anlage I zu S/RES/2161 (2014), lit b. 1442 Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 47. 1437
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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nicht. Da die Ombudsperson auch in dem Fall, in dem sie die vorgelegten Informationen nach ihren eigenen Maßstäben für unzureichend hält, um eine weitere Sanktionierung zu rechtfertigen, keine Befugnis hat, eine Streichung verbindlich anzuordnen, sind die Staaten zunächst nicht unter einen besonderen Druck zur Offenlegung relevanter Informationen gestellt.1443 Damit ist rechtlich nicht abgesichert, dass die Betroffenen in die Lage versetzt werden, sich auf Grundlage eines umfassenden Wissens über die ihnen vorgeworfenen Umstände effektiv verteidigen zu können. Während Kimberly Prost einräumt, dass ihr keine Kompetenz zukommt, die Mitgliedstaaten dazu zu zwingen, Informationen an sie und die Antragsteller weiterzuleiten, betont sie drei Faktoren, die in ihren Augen ihren Anfragen einen besonderen Nachdruck verleihen.1444 Sie verweist darauf, dass erstens die Aufforderung zur Übermittlung von Informationen in einer nach Kapitel VII der UN-Charta erlassenen und damit für die Staaten bindenden Resolution erfolgt sei; Informationslücken in dem von ihr abschließend zu erstellenden Bericht dem Sanktionsausschuss zudem offenbar würden und; drittens die Ombudsperson im Rahmen ihrer halbjährlichen Berichte an den Sicherheitsrat auch die Kooperationsbereitschaft der Staaten schildere.1445 Dazu stellt sie fest: „If the process functions in an optimum way, this will provide a real opportunity for petitioners to ,know‘ the case against them, leading to a meaningful opportunity for a response to that case.“1446
Sie schien danach selbst noch unsicher bei der Bewertung des Mehrwerts des Ombudsverfahrens für die Antragsteller zu sein. Daneben sind aber auch die von ihr vorgebrachten Argumente Zweifeln ausgesetzt. So läuft der Hinweis auf die Natur der Resolutionen als Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta leer, da sich ihre Bindungswirkung zwar auf die Umsetzung individualgerichteter Sanktionen, aber gerade nicht auf die Preisgabe von Informationen erstrecken.1447 Dass die drohende Offenlegung von Informationslücken in dem „Umfassenden Bericht“ für sich die Staaten unter eine besondere Erklärungsnot bringen soll, ist auch nicht ersichtlich. Der Sanktionsausschuss tagt in geschlossener Sitzung, und die „Umfassenden Berichte“ der Ombudsperson werden nicht veröffentlicht, weshalb ein öffentlicher 1443 Dies hat bereits zu Komplikationen geführt (vgl. UN Doc. S/2013/452, Ziff. 33 f.). In einem Fall wurden wesentliche Informationen zu einem solch späten Zeitpunkt von den Staaten eingereicht, dass sie vor Erstellung des Umfassenden Berichts dem Antragsteller nicht zur Verfügung gestellt werden konnten (ebd.). Er konnte sich dementsprechend zu den darin enthaltenen Vorwürfen vor Abschluss des Verfahrens nicht einlassen, was eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör bedeutet. Sein Streichungsantrag wurde letztlich abgelehnt (ebd.). Der Antragsteller wurde von der Ombudsperson auf die Möglichkeit zur Einreichung eines neuen Antrags hingewiesen (ebd.). 1444 Prost, Fair Process and the Security Council, S. 419. 1445 Prost, Fair Process and the Security Council, S. 419. 1446 Prost, Fair Process and the Security Council, S. 420. 1447 Die betreffende Ziff. 47 der S/RES/2161 (2014) lautet: „The Security Council […] Strongly urges Member States to provide all relevant information to the Ombudsperson, including providing any relevant confidential information, where appropriate, […].“
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Rechtfertigungsdruck jedenfalls nicht zu befürchten ist. Die betreffenden Staaten müssten sich wie vor Einführung des Ombudsverfahrens allein im Sanktionsausschuss rechtfertigen, einem Gremium, in dem die Berufung auf staatliche Geheimhaltungsinteressen noch immer als legitimer Grund zur Vorenthaltung auch entscheidungserheblicher Informationen anerkannt zu sein scheint. Demgegenüber kann in Kombination mit der durch Resolution 1989 (2011) eingeführten triggerFunktion des „Umfassenden Berichts“ für „de listing“-Anträge der Druck auf die Staaten steigen, dem Aufruf zur Offenlegung aller relevanten Informationen nachzukommen.1448 Werden sie der Ombudsperson nicht zugeleitet, so kann sie ihre Empfehlung nicht von ihnen abhängig machen. Hält sie die Informationslage nicht für „ausreichend“, um eine „begründete“ und „glaubwürdige“ Grundlage für einen weiteren Verbleib auf der Liste darzustellen,1449 so empfiehlt sie die Streichung, der ein Ausschussmitglied dann entgegentreten müsste, um sie zu verhindern. Auch der letzte Punkt kann als allgemeine Triebfeder für die Staaten gesehen werden, um sich möglichst kooperativ zu zeigen. Stellt die Ombudsperson in ihren halbjährig zu veröffentlichenden Berichten den Staaten insofern ein schlechtes Zeugnis aus, so könnten dies die nationalen und supranationalen Gerichte auf unterer Ebene als einen Hinweis dafür deuten, dass das Ombudsverfahren dem Recht auf rechtliches Gehör nicht gerecht wird, um mit dieser Begründung ihre Jurisdiktion über die staatlichen Umsetzungsakte zu bewahren. Dies wäre insbesondere dann zu befürchten, wenn in solchen Fällen der Ausschuss bzw. in nächster Instanz der Sicherheitsrat regelmäßig im Widerspruch zu Empfehlungen der Ombudsperson Anträge auf „de listing“ zurückweist.1450 Auch die Fachöffentlichkeit könnte sich in der Folge dazu berufen fühlen, die Menschenrechtskritik an dem Sanktionsregime aufrecht zu erhalten. Trotz der daraus sicherlich erwachsenden Motivation auf Seiten der Staaten, Informationen zu teilen, ist festzustellen, dass rechtlich nicht abgesichert ist, dass die Betroffenen bzw. ihre rechtlichen Vertreter volle Einsicht in das belastende Material bekommen.1451 Dies wird besonders deutlich bei einem Blick auf die Regelungen, die den Umgang mit geheimen Informationen betreffen. Wie Kimberly Prost richtigerweise feststellt, hat dieser Punkt entscheidenden Einfluss auf die Frage, ob das Verfahren im Einzelfall als fair bezeichnet werden kann.1452 Wenngleich anzuerkennen ist, dass das Büro der Ombudsperson für kooperationswillige Staaten eine institutionalisierte Basis zum Umgang mit geheimem Material geschaffen hat, in dessen Rahmen sich mittlerweile 15 Staaten zu einer Vereinbarung, ein Staat zu einem Vertragsschluss und ein weiterer Staat zu einem Informationsaustausch auf 1448 Diesen Umstand konnte Kimberly Prost in dem betreffenden Artikel noch nicht berücksichtigen, da dieser noch auf Grundlage der mit S/RES/1904 (2009) eingeführten Rechtslage geschrieben wurde. Anschließend betonte sie auch diesen Punkt, UN Doc. S/2012/ 49, Ziff. 41. 1449 Vgl. zu diesen selbstauferlegten Kriterien: UN Doc. S/2011/447, Anhang III, Ziff. 16. 1450 Vgl. dazu auch Scheinin/Ginsborg, EHRR 8 (2011), S. 13. 1451 Vgl. dazu die Kritik von Tladi/Taylor, CJIL 10 (2011), S. 788 f. 1452 Prost, Fair Process and the Security Council, S. 420.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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einer ad hoc-Basis über die vertrauliche Nutzung von geheimen Informationen mit der Ombudsperson bewegen ließen,1453 ändert dies zunächst nichts daran, dass die Betroffenen in der Regel keinen Zugang zu diesen Informationen erhalten werden. Die Ombudsperson ist nämlich an alle Vertraulichkeitsauflagen gebunden, die ihr die Staaten auferlegen.1454 Vertrauliche Informationen dürfen von der Ombudsperson nur aufgedeckt werden, wenn ihr eine ausdrückliche Genehmigung dazu schriftlich von dem betreffenden Staat eingeräumt wird.1455 Es liegt also weiterhin im Ermessen der Staaten darüber zu entscheiden, zu welchen Informationen die Betroffenen und die Ombudsperson Zugang bekommen.1456 Dies hat in der Praxis bereits dazu geführt, dass entscheidende Fragen von der Ombudsperson nicht aufgeklärt werden konnten.1457 Nach etwa zwei Jahren Erfahrungen in ihrer Position beschreibt Kimberly Prost die Herausforderungen betreffend den Zugang zu geheimen Informationen noch immer als „pressing and significant“.1458 Ein partieller Verschluss von Informationen gegenüber den Antragstellern muss allerdings nicht schlechthin gegen die Rechtmäßigkeit des Verfahrens sprechen. Nach der Rechtsprechung des EGMR kann es selbst im Strafverfahren in besonderen Fällen gerechtfertigt sein, dass dem Angeklagten kein unmittelbarer Zugang zu einzelnen belastenden Beweismitteln eröffnet wird, sofern dies aus gewichtigen Gründen des öffentlichen Interesses geboten erscheint, etwa wenn die nationale Sicherheit bedroht ist, die Notwendigkeit zur Geheimhaltung bestimmter Ermittlungsmethoden der Sicherheitsbehörden besteht oder der Schutz grundlegender Rechte anderer Personen dies erforderlich macht.1459 Ein solches öffentliches Interesse wird im Rahmen der internationalen Terrorismusbekämpfung regelmäßig 1453
Vgl. dazu auf der Webseite der Ombudsperson (Stand: 12. August 2015. Abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ombudsperson/accessinfo.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 1454 Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 47. 1455 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 7 lit. g. 1456 Kritisch dazu auch der Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, Ben Emmerson, in seiner Untersuchung zur Menschenrechtskonformität des Al Qaida-Sanktionsregimes, UN Doc. A/67/ 396, Ziff. 39 f. 1457 Vgl. UN Doc. S/2011/447, Ziff. 40 f.; UN Doc. S/2012/49, Ziff. 18; UN Doc. S/2012/ 590, Ziff. 13. 1458 UN Doc. S/2012/590, Ziff. 12. Diese Feststellung der Ombudsperson greift auch Emmerson, UN Doc. A/67/396, Ziff. 38, im Rahmen seiner rechtlichen Analyse des Al QaidaSanktionsregimes auf, um schließlich zu dem Ergebnis zu kommen, dass das bestehende Verfahren nicht den menschenrechtlichen Anforderungen entspreche. Dies verdeutlicht wiederum, dass die Veröffentlichung der Berichte der Ombudsperson tatsächlich das Potential haben kann, Druck auf die Staaten auszuüben. 1459 EGMR, Kammer, Doorson gg. Niederlande, 20524/92, Urteil vom 26. März 1996, Rn. 70; ders., Große Kammer, Jasper gg. Vereinigtes Königreich, 27052/95, Urteil vom 16. Februar 2000, Rn. 52; ders., Große Kammer, Edwards & Lewis gg. Vereinigtes Königreich, 39647/98 und 40461/98, Urteil vom 27. Oktober 2004, Rn. 46; ders., Große Kammer, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 205 m.w.N.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
gegeben sein, sei es, weil es um den Schutz von Informanten geht oder sonst die Praktiken von Geheimdiensten für internationale Terrornetzwerke nachzuvollziehen wären. Dann ist jedoch eine institutionelle Absicherung bereit zu stellen, die dafür Gewähr bietet, dass sowohl vor wie auch während des Verfahrens von unabhängiger Seite beurteilt wird, ob der Verschluss von Beweisen noch mit den Grundsätzen des fairen Verfahrens zu vereinbaren ist, wie eine Sichtung des geheimen Materials ex parte durch einen unabhängigen Richter, der im Rahmen einer Abwägung beurteilt, ob das öffentliche Interesse den Ansprüchen des Betroffenen im Einzelfall tatsächlich überwiegt.1460 Ein Verschluss ist dann grundsätzlich nicht mehr zu rechtfertigen, wenn die entsprechenden Informationen eine Grundlage für die Anklage bilden oder für den Ausgang des Verfahrens von entscheidender Bedeutung sein können.1461 Angesichts der Tiefe der Grundrechtseingriffe durch die zeitlich unbeschränkten Sanktionen, die insofern mit Maßnahmen punitiven Charakters vergleichbar sind, kann dieser Maßstab auch auf das Al Qaida-Sanktionsregime übertragen werden.1462 Den Antragstellern müssen so viele Beweise und sonstige belastende Materialien offen gelegt werden, wie es mit der öffentlichen Sicherheit und dem Schutz grundlegender Rechte anderer noch zu vereinbaren ist.1463 Sollte eine vollständige Offenlegung danach nicht möglich sein, ist im Sinne der Rechtsprechung des EGMR im Fall A et al. zu fordern, dass Mechanismen eingerichtet werden, die allen Antragstellern auf eine alternative Weise die Möglichkeit sichern, sich gegen alle Vorwürfe effektiv zu verteidigen.1464 Diesen Maßstab zugrundegelegt, kann das „de listing“-Verfahren nicht als ausreichend betrachtet werden, um die Rechte der Betroffenen ansprechend zu wahren. Die Entscheidung der Frage, welche Informationen preisgegeben werden, liegt allein bei den Mitgliedstaaten. Allein sie wägen im Einzelfall ab, ob eine Geheimhaltung von Informationen vor den An1460 Vgl. dazu EGMR, Große Kammer, Jasper gg. Vereinigtes Königreich, 27052/95, Urteil vom 16. Februar 2000, Rn. 54 – 56. 1461 Vgl. nur EGMR, Kammer, Doorson gg. Niederlande, 20524/92, Urteil vom 26. März 1996, Rn. 76; ders., Große Kammer, Edwards & Lewis gg. Vereinigtes Königreich, 39647/98 und 40461/98, Urteil vom 27. Oktober 2004, Rn. 46. 1462 Ebenso: Cameron, The ECHR, Due Process and UN Security Council Counter-Terrorism Sanctions, S. 13. Vgl. auch Emmerson, UN Doc. A/67/396, Ziff. 57. Vgl. zur graduellen Anhebung der Voraussetzungen an das Verfahren in Abhängigkeit zur Tiefe des Grundrechtseingriffs auch: EGMR, Große Kammer, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 217. 1463 EGMR, Große Kammer, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 218. 1464 EGMR, Große Kammer, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 218. Der EGMR anerkennt etwa, dass die Einsetzung von zur Vertraulichkeit verpflichteten special advocates, die die Informationen sichten und die Rechte ihrer Klienten geltend machen, eine Möglichkeit darstelle, um das Geheimhaltungsinteresse und die Verfahrensrechte der Betroffenen miteinander in Konkordanz zu bringen, ebd., Rn. 220. Näheres dazu unten. Vgl. auch EGMR, Kammer, van Mechelen gg. Niederlande, 21363/93, 21364/ 93, 21427/93 und 22056/93, Urteil vom 23. April 1997, Rn. 58, nach dem ein strenger Verhältnismäßigkeitsmaßstab bei der Beschränkung der Verteidigungsrechte anzulegen sei, der es erfordere, dass immer das mildeste verfügbare Mittel zur Anwendung komme.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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tragstellern gerechtfertigt ist. Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Ombudsperson auf Basis einer Vereinbarung Einsicht in geheimes Material gewährt wird.1465 Zumal die Mitgliedstaaten zugleich Partei im „de listing“-Verfahrens sind, erfüllen sie offenkundig nicht die Voraussetzung der Unabhängigkeit. Ein Mechanismus, der es ermöglicht, den Betroffenen eine Verteidigungsmöglichkeit zu bieten, wenn sie aus Sicherheitsgründen selbst keinen Einblick in die geheimen Informationen bekommen können, ist auch nicht vorgesehen. Wie Lisa Ginsborg und Martin Scheinin aufzeigen, lässt die Verfahrensweise des Regimes einen politischen Lösungsweg offen, um Situationen zu vermeiden, in denen eine Entscheidung im „listing“ oder im „de listing“-Verfahren im Wesentlichen auf Grundlage von geheimen Informationen getroffenen wird. Sie rufen die europäischen Mitgliedstaaten des Sanktionsausschusses dazu auf, Anträge auf Aufnahme in die Liste abzulehnen bzw. auf Streichung nicht im Widerspruch zu Empfehlungen der Ombudsperson zu verwerfen, bei denen sich die betreffenden Staaten nicht zu einer Öffnung der zugrundelegenden Informationen bereit erklären.1466 Das rechtliche Defizit, dass eine verbindliche Vorgabe zum Umgang mit geheimen Informationen noch nicht in der Ordnung des Sanktionsregimes Eingang gefunden hat, lässt dies allerdings unberührt. Da ein Anspruch der Betroffenen auf angemessenen Zugang zu den entscheidungstragenden Gründen nicht rechtlich abgesichert ist, ist das Al Qaida-Sanktionsregime mit dem Recht auf ein faires Verfahren nicht zu vereinbaren. (bb) Recht auf rechtliches Gehör und das Verfahren der Beweisführung Das Recht auf ein faires Verfahren erfordert, dass die Betroffenen in die Situation versetzt werden, sich gegen alle Vorwürfe effektiv verteidigen zu können. Dies kann auch eine mündliche Anhörung der Betroffenen erforderlich machen, wie es der EGMR etwa für Haftsachen entschieden hat.1467 Im Ombudsverfahren ist eine Phase des Dialogs zwischen den Parteien vorgesehen, der auch den Austausch mit dem Antragsteller einschließen kann.1468 Ob der Antragsteller in den Dialog mit eingeschlossen wird, ist nach den Regeln des Sanktionsregimes jedoch davon abhängig, ob die Ombudsperson entweder eigene Fragen an den Antragsteller richtet oder die 1465 Prost, Fair Process and the Security Council, S. 420, ist hingegen der Meinung, dass in solchen Fällen durch diese eigene Form der ex parte-Einsicht in geheimes Material ein Niveau prozeduraler Fairness erreicht würde, dass mit verwaltungsrechtlichen Verfahren auf nationaler und regionaler Ebene verglichen werden könnte. 1466 Scheinin/Ginsborg, EHRR 8 (2011), S. 18 f. Auf diese Weise sollen die europäischen Gerichte in die Lage versetzt werden, die Rechtmäßigkeit der Umsetzungsmaßnahmen zu überprüfen. Das Wahlverhalten der europäischen Ausschussmitglieder habe sich entsprechend an den Kriterien der europäischen Rechtsprechung zum Umgang mit vertraulichen Informationen zu orientieren. 1467 EGMR, Große Kammer, Nikolova gg. Bulgarien, 31195/96, Urteil vom 25. März 1999, Rn. 58; ders., Große Kammer, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 204. 1468 Anlage II der S/RES/2161 (2014), Ziff. 6.
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
beteiligten Staaten oder das Monitoring Team in der ersten Phase um die vermittelte Kontaktaufnahme gebeten haben, die nunmehr Raum für ihren Vollzug bekommt.1469 Den Resolutionen ist nicht zu entnehmen, ob dem Antragsteller die im Rahmen des „de listing“-Verfahrens gesammelten Informationen übermittelt werden können und er die Möglichkeit erhalten soll, sich zu diesen zu äußern. Die konkrete Verwirklichung hängt deshalb entscheidend von der Interpretation des Mandats durch die Ombudsperson ab. Unter Verweis auf die erklärte Bestrebung des Sicherheitsrats zur Gewährleistung eines fairen und klaren „listing“- und „de listng“-Verfahrens1470 verfolgte Kimberly Prost nach eigenem Bekunden eine weite Auslegung ihres Kompetenzbereichs und ließ die zusammengetragenen Informationen – mit Ausnahme der vertraulichen Auskünfte – im Rahmen der Phase eins – zur Sammlung von Informationen – sowie der Phase zwei – des Dialogs – dem Antragsteller zukommen, der darauf schriftlich oder mündlich antworten kann.1471 Nach Möglichkeit soll sich die Ombudsperson auch mit dem Antragsteller zur persönlichen Anhörung treffen.1472 Ob zudem Anfragen des Antragstellers z. B. zwecks Aufklärung des ihm vorgeworfenen Sachverhalts an die Ausschussmitglieder weitergeleitet werden, blieb zunächst jedoch unklar, wenngleich der Resolutionstext dies vermuten ließ.1473 Auf schriftliche Anfrage des Verfasserns hin äußerte sich Kimberly Prost zu der Frage und erklärte, dass sie dies für unangemessen halte. Gleichwohl achte sie aufmerksam darauf, dass alle Antworten und Erklärungen des Antragstellers zu den vorgelegten Fragen und sämtliche Informationen der Staaten im Rahmen der Vorstellung des „Umfassenden Berichts“ dem Ausschuss mitgeteilt werden. Die Fragen der Antragsteller bezögen sich in der Regel auf die Sachverhaltsdarstellungen der Staaten und deckten sich in diesen Fällen ohnehin mit den Fragen, die die Ombudsperson mit der Vorlage des Berichts vor dem Ausschuss aufwirft.1474 Die eigens auferlegte Praxis der Ombudsperson sichert den Antragstellern im Idealfall die Möglichkeit, sich zu allen belastenden Umständen gegebenenfalls auch mündlich zu äußern. Ein entsprechender Rechtsanspruch besteht jedoch nicht. Daneben bestehen Zweifeln an der Rechtskonformität des Beweiserhebungsverfahrens. Als Anhaltspunkt wird wieder die Rechtsprechung des EGMR in Strafsachen herangezogen, die auf Grund der vergleichbaren Ausgangslage, der sich die Betroffenen 1469 Anlage II der S/RES/2161 (2014), Ziff. 2 lit. b i.V.m. Ziff. 7 lit. a bzw. Ziff. 4 lit. c i.V.m. Ziff. 7 lit. a. 1470 Absatz 9 der Präambel zu S/RES/1904 (2009). 1471 UN Doc. S/2011/29, Ziff. 23. 1472 So bereits im ersten Fall, UN Doc. S/2011/29, Ziff. 31, obwohl nach früherer Rechtslage nicht ausdrücklich vorgesehen. Seit Anlage II zu S/RES/1989 (2011), Ziff. 6 lit. c, ist dies normiert. 1473 Vgl. die dies offensichtlich unterstellende Anlage II der S/RES/1989 (2011), Ziff. 6 lit. e, wo es heißt: „[The Ombudsperson] shall coordinate with States, the Committee and the Monitoring Team regarding a n y f u r t h e r i n q u i r i e s o f , or response to, the petitioner“ (die Hervorhebungen wurden ergänzt). 1474 Siehe auch UN Doc. S/2011/29, Ziff. 23 und zum Abschluss der Phase Zwei Anlage II der S/RES/2161 (2014), Ziff. 8.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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gegenübersehen, einen Hinweis für die Bewertung des Sanktionsregimes liefern kann. Danach sind grundsätzlich alle belastenden Beweise in Gegenwart des Betroffenen einzubringen, um ihm die Möglichkeit zu geben, sie zu entkräften.1475 Dies schließt mitunter ein, dass eine angemessene Verfahrensmöglichkeit bereitgestellt wird, nach der Zeugen der Gegenseite während ihrer Vernehmung oder zu einem späteren Zeitpunkt befragt und ihre Einlassungen gegebenenfalls widerlegt werden können.1476 Die Versagung einer entsprechenden Möglichkeit kennzeichnet auch der Menschenrechtsausschuss als unvereinbar mit den „grundlegenden Standards“ eines fairen Verfahrens.1477 Das Al Qaida-Sanktionsregime sieht kein kontradiktorisches Beweiserhebungsverfahren in Gegenwart der Parteien vor. Hinzu kommt, dass die Staaten nicht verbindlich dazu verpflichtet sind, ihre Quellen wie etwa die Namen ihrer Zeugen anzugeben. Es wird den Antragstellern deshalb in der Regel auch nicht möglich sein, die Zeugen der anklagenden Staaten anzuhören und gegebenenfalls ihre Glaubwürdigkeit zu hinterfragen. Unter diesen Voraussetzungen ist es für die Antragsteller schwierig oder gar unmöglich, die von Staatsseite angebrachten Vorwürfe zu entkräften. Freilich muss berücksichtigt werden, dass regelmäßig ein gesteigertes Bedürfnis auf Seiten der Zeugen bestehen wird, unerkannt zu bleiben, welchem nach objektiver Abwägung gegenüber dem Anspruch der Antragsteller auf Befragung unter Umständen Vorrang einzuräumen ist. Um die erforderliche Objektivität sicherzustellen, muss die Abwägung allerdings von einem unabhängigen Organ der Rechtspflege vorgenommen werden und, sofern das Interesse nach Anonymität höher zu gewichten ist, sind adäquate Mechanismen zur Kompensation zur Verfügung zu stellen.1478 Aber selbst wenn letztere eingerichtet sind, wird sich die Ablehnung eines „de listing“-Antrags grundsätzlich nicht allein oder zu einem entscheidenden Maße auf Aussagen eines Zeugen stützen können, der von dem Antragsteller oder seinem rechtlichen Vertreter nicht befragt werden konnte.1479 Ist
1475 Vgl. nur EGMR, Kammer, van Mechelen gg. Niederlande, 21363/93, 21364/93, 21427/ 93 und 22056/93, Urteil vom 23. April 1997, Rn. 51; ders., Kammer, Haas gg. Deutschland, 73047/01, Entscheidung vom 17. November 2005; ders., Große Kammer, Al-Khawaja & Tahery gg. Vereinigtes Königreich, 26766/05 und 22228/06, Urteil vom 15. Dezember 2011, Rn. 118; ders., Kammer, Fa˛frowicz gg. Polen, 43609/07, Urteil vom 17. April 2012, Rn. 53. 1476 Ebd. 1477 CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 23. 1478 EGMR, Kammer, Doorson gg. Niederlande, 20524/92, Urteil vom 26. März 1996, Rn. 72; ders., Kammer, van Mechelen gg. Niederlande, 21363/93, 21364/93, 21427/93 und 22056/93, Urteil vom 23. April 1997, Rn. 54. Vgl. auch bereits unter vorangegangenem Punkt (aa). 1479 Vgl. zur sog. „sole or decisive rule“ aus der älteren Rspr. des EGMR: ders., Kammer, Doorson gg. Niederlande, 20524/92, Urteil vom 26. März 1996, Rn. 76; ders., Kammer, van Mechelen gg. Niederlande, 21363/93, 21364/93, 21427/93 und 22056/93, Urteil vom 23. April 1997, Rn. 55; ders., Kammer, Haas gg. Deutschland, 73047/01, Entscheidung vom 17. November 2005. In Al-Khawaja & Tahery gg. Vereinigtes Königreich, 26766/05 und 22228/06, Urteil vom 15. Dezember 2011, Rn. 147, hat der EGMR entschieden, dass die „sole or decisive rule“ keine absolute Geltung beanspruche, sondern unter besonderen Umständen eingeschränkt
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dies im Einzelfall nicht zu verhindern, so müssen Ausgleichsmechanismen bestehen, die eine faire und angemessene Überprüfung der Verlässlichkeit der Zeugenaussage erlauben.1480 Danach wäre eine Ablehnung eines Antrags auf „de listing“ allein dann auf Grundlage eines entsprechenden Zeugenbeweises zulässig, wenn er unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Fallentscheidung als ausreichend verlässlich bewertet werden kann.1481 Die Sanktionsadressaten haben keinen Anspruch darauf, die von den Staaten vorgebrachten Beweise zu überprüfen. Kompensationsverfahren sind ebenso wenig vorgesehen. Die Staaten sind nach dem Sanktionsregime nicht einmal dazu verpflichtet, ihre Vorwürfe überhaupt mit Beweisen zu belegen. Insofern bleibt das Al Qaida-Sanktionsregime deutlich hinter den geforderten Standards eines fairen Verfahrens zurück.1482 (2) Das Recht auf effektive Kontrolle durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht Von besonderer Bedeutung für das Recht auf ein faires Verfahren sind schließlich die Natur und die Mandatsausgestaltung der entscheidungskompetenten Organe des „de listing“-Verfahrens. Im Fokus der Untersuchung steht das Ombudsverfahren. Das diplomatische „de listing“-Verfahren verfolgt die Logik der Mediatisierung. Dabei sind die prozessualen Rechte den Sanktionsadressaten nicht direkt zuzuordnen,1483 weshalb es offenkundig nicht dem subjektiven Anspruch auf ein faires Verfahren genügen kann. Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPbpR und Art. 10 AEMR ist über die Rechte der Sanktionsadressaten durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht zu entscheiden. Es kommt dabei nicht auf die Bezeichnung der eingesetzten Instanz an, sondern insbesondere auf die Ausgestaltung ihres Mandats.1484 Das Organ muss nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPbpR darüber hinaus auf „Gesetz beruhen“. Im Ombudsverfahren des Al Qaida-Sanktionsregimes kommt bis zu drei Instanzen die Aufgabe zu, sich mit einem „de listing“-Antrag zu befassen. Zunächst nimmt die Ombudsperson den Antrag eines Betroffenen entgegen, zu dem sie eine Entscheidungsempfehlung abgibt. Anschließend ist der Sanktionsausschuss und in letzter Instanz gegebenenwerden könne (vgl. dazu die folgenden Ausführungen). Daran anschließend: ders., Kammer, Fa˛frowicz gg. Polen, 43609/07, Urteil vom 17. April 2012, Rn. 54 f. 1480 EGMR, Große Kammer, Al-Khawaja & Tahery gg. Vereinigtes Königreich, 26766/05 und 22228/06, Urteil vom 15. Dezember 2011, Rn. 147; ders. Kammer, Fa˛frowicz gg. Polen, 43609/07, Urteil vom 17. April 2012, Rn. 55. 1481 In diesem Sinne der EGMR, a.a.O. 1482 So i.E. ebenfalls der EuG, Kadi gg. Kommission, T-85/09 vom 30. September 2010, Rn. 128, mit Bezug auf das Verfahren nach Resolution 1904 (2009), das sich in den wesentlichen Punkten nicht von dem jetzigen Verfahren unterscheidet. 1483 Ausführlich zur Zuordnung subjektiver Rechte und Pflichten im Völkerrecht im 2. Teil, B., III., 2., b), aa). 1484 CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 18; Lehtimaja/Pellonpää, in: Alfredsson/Eide, AEMR, Art. 10, S. 227 f.
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falls der Sicherheitsrat mit der Sache befasst. Die Mehrebenenstruktur des Sanktionsregimes bringt es zudem mit sich, dass auch die mitgliedstaatlichen Gerichte und supranationalen Gerichte auf regionaler Ebene einen Fall prüfen können, da die Maßnahmen noch der Implementierung bedürfen. Jedenfalls für die auf UN-Ebene eingesetzten Organe besteht mit den zugrundeliegenden Resolutionen bzw. im Fall des Sicherheitsrats mit der UN-Charta eine Rechtsgrundlage. (a) Das Ombudsverfahren Im Fokus der Bemühungen des Sicherheitsrats zur Einrichtung eines menschenrechtskonformen Individualrechtsschutzsystems gegen gezielte Sanktionen steht die Einrichtung des Büros der Ombudsperson. Der Generalsekretär wurde gebeten, die mit Resolution 1904 (2009) geschaffene Position mit einer „namhaften Person von hohem sittlichen Ansehen [zu besetzen], die sich durch Unparteilichkeit und Integrität auszeichne[n]“ sollte.1485 Es sind keine Zweifel daran aufgekommen, dass Kimberly Prost die ihr vorgelegten Fälle allein auf Grundlage ihrer eigenen Beurteilung der Sach- und Rechtslage unparteiisch behandelte.1486 Dafür sprechen auch die eigens auferlegten Regeln zur Beurteilung der Frage, ob belastende Informationen als „ausreichende“ Rechtfertigungsgrundlage für einen weiteren Verbleib auf der Sanktionsliste gelten können, die sich mit den Kriterien der „Begründetheit“ und der „Glaubwürdigkeit“ an objektiven Parametern orientieren.1487 Das subjektiv bedingte Element der Interpretation des Mandats kann aber nicht allein ausschlaggebend für ihre Unabhängigkeit i.S.d. des Gesetzes sein, wenngleich es auch dazu beiträgt, dass ein entsprechender äußere Anschein gewährleistet wird, der ebenfalls von Bedeutung ist.1488 Es kommt zudem darauf an, ob das Mandat so ausgestaltet ist, dass strukturell eine Unabhängigkeit von der Legislative und der Exekutive verbürgt ist.1489 Dies lässt sich unter anderem daran bemessen, auf welche Weise sie gewählt wurde, auf welchen Zeitraum ihre Amtszeit angelegt ist und ob institutionelle Vorkehrungen gegen äußere Beeinflussung vorgesehen sind.1490 Die Benennung der Ombudsperson durch den Generalsekretär erscheint danach unproblematisch,1491 da er ansonsten nicht in die Entscheidungsabläufe des Sanktionskomitees eingebunden ist. Zweifel könnten allerdings insofern aufkommen, als er sie „in enger Abstimmung mit dem Ausschuss“ vorzunehmen hatte.1492 Zudem ist der 1485 1486 1487 1488
Rn. 71. 1489
S/RES/1904 (2009), Ziff. 20. Ebenso: Emmerson, UN Doc. A/67/396, Ziff. 32. Vgl. UN Doc. S/2011/447, Anhang III, Ziff. 16. Vgl. dazu EGMR, Große Kammer, Incal gg. Türkei, 22678/93, Urteil vom 9. Juni 1998,
Emmerson, UN Doc. A/67/396, Ziff. 34. EGMR, Kammer, Findlay gg. Vereinigtes Königreich, 22107/93, Urteil vom 25. Februar 1997, Rn. 73; ders., Große Kammer, Incal gg. Türkei, 22678/93, Urteil vom 9. Juni 1998, Rn. 65; CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 19. 1491 So Biersteker/Eckert, in: dies., 2nd Update of the Watson Report, S. 23. 1492 S/RES/1904 (2009), Ziff. 20. 1490
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Generalsekretär selbst ein Verwaltungsorgan, das zur eigenen Wiederwahl darauf angewiesen, dass ihn der Sicherheitsrat vorschlägt (Art. 97 UN-Charta). Der Generalsekretär ist selbst also nicht vom Sicherheitsrat unabhängig, weshalb das Wahlverfahren der Ombudsperson zumindest nicht als idealtypisch bezeichnet werden kann. Es bleibt gleichwohl anzuerkennen, dass die Benennung durch den Generalsekretär zumindest einen gewissen Abstand zum Sanktionsregime sicherstellt. Sollte der weitere institutionelle Rahmen eine ausreichende Unabhängigkeit der Ombudsperson gewährleisten, wird das Wahlverfahren allein nicht die Unvereinbarkeit mit dem Recht der Betroffenen auf einen unabhängigen Richter begründen. Bereits die zeitliche Beschränkung ihres Mandats lässt daran jedoch Zweifel aufkommen. Während die Sanktionen von unbegrenzter Dauer sind, war die Ombudsperson nach Resolutionen 1904 (2009) und 1989 (2011) darauf angewiesen, dass der Sicherheitsrat ihr Mandat nach jeweils 18 Monaten verlängern würde.1493 Wären die Mitglieder des Sicherheitsrats mit der Amtsführung der Ombudsperson nicht zufrieden gewesen, hätte ihre Untätigkeit ausgereicht, um sie nach diesen Zeiträumen jeweils abzusetzen. Nachdem auf dieses Problem bereits hingewiesen wurde,1494 hat der Sicherheitsrat seit Resolution 2083 (2012) ein längeres Intervall von 30 Monaten ab dem 17. Dezember 2012 vorgesehen.1495 Ob damit dem vorausgesetzten Anspruch an die Unabhängigkeit des Richters Genüge getan ist, ist aber immer noch fraglich. So hat der EGMR schon im Falle einer Amtszeit von vier Jahren mit der Möglichkeit zur Wiederwahl insofern Zweifel erhoben.1496 Erschwerend kommt hinzu, dass es dem Sicherheitsrat offen steht, auch während der Laufzeit des Mandats durch Erlass einer neuen Resolution die Ombudsperson bereits vorzeitig abzusetzen, ohne dass er dazu besondere Gründe anführen müsste. Eine kritische Haltung gegenüber den Ausschussmitgliedern ist deshalb mit der Gefahr verbunden, das Amt zu verlieren, was sich nicht mit dem Anspruch an „Unabhängigkeit“ vereinbaren lässt.1497 Ein strukturelles Defizit stellt zudem die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses der Ombudsperson dar. Dieses basiert auf einem Beratungsvertrag,1498 der eine Beschäftigung von maximal fünf Jahren vorsieht, welche nachträglich auf das Amt der Ombudsperson angewendet wurde.1499 Nach Ablauf von fünf Jahren Amtszeit musste Kimberly Prost ihren Posten abgeben, obwohl sie darauf hinwies, dass eine 1493
S/RES/1904 (2009), Ziff. 20; S/RES/1989 (2011), Ziff. 21. Emmerson, UN Doc. A/67/396, Ziff. 36. 1495 S/RES/2083 (2012), Ziff. 19. S/RES/2161 (2014) vom 17. Juni 2014 sah eine vorzeitige Verlängerung um weitere 30 Monate ab Auslaufen des geltenden Mandats im Juni 2015 vor, Ziff. 41. Die von Ben Emmerson vorgeschlagene Mandatslaufzeit von nicht weniger als drei Jahren (UN Doc. A/67/396, Ziff. 36) wäre damit eingehalten worden. 1496 EGMR, Große Kammer, Incal gg. Türkei, 22678/93, Urteil vom 9. Juni 1998, Rn. 68. 1497 Vgl. dazu CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 20. 1498 Vgl. dazu das Input paper der Group of Like-Minded States on Targeted Sanctions vom 14. April 2014, UN Doc. S/2014/286, S. 5. 1499 Vgl. UN Doc. S/2015/533, Ziff. 73. 1494
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kurzfristige Verlängerung ihres Arbeitsverhältnisses für die Fairness noch anhängiger Verfahren wichtig gewesen wäre.1500 Dadurch wird deutlich, dass die in den Resolutionen des Sicherheitsrats festgesetzten Mandatslaufzeiten nicht personenbezogen sind, sondern sich auf das Amt selbst beziehen. Die Arbeit der Ombudsperson untersteht der Aufsicht des Generalsekretärs, der bescheinigen soll, ob sie „bestimmten Voraussetzungen“ gerecht wird, um die Zahlung des monatlichen Lohns autorisieren zu können.1501 Im Fall der Ombudsperson soll diese Aufgabe von der Security Council Affairs Division ausgeübt werden.1502 Wie Kimberly Prost dazu anmerkt: „Accordingly, the perfomance of the Ombudsperson is subject to an evaluation with reference to undefined ,conditions‘ by unidentified officials within the Division of the United Nations responsible to support and assist the Security Council and the Al-Qaida Sanctions Committee, including with respect to the imposition, enforcement and implementation of the sanctions. These are the very bodies in relation to which the Ombudsperson must maintain independence.“1503
Bis vor Kurzem unterstanden die Mitarbeiter des Büros der Ombudsperson sogar der Aufsicht des Sekretärs des Al Qaida-Sanktionsregimes.1504 Kimberly Prost betont richtigerweise, dass diese Situation mit der ihr zugedachten unabhängigen Rolle und Funktion nicht zu vereinbaren sei.1505 Mindestens ebenso schwer ins Gewicht fällt die Verteilung der Entscheidungsgewalt im „de listing“-Verfahren. Hält die Ombudsperson einen Antrag auf „de listing“ für begründet, ist sie dazu berufen, dem Ausschuss eine Empfehlung auf Streichung auszusprechen, die dann zu Rechtskraft erstarkt, wenn der Ausschuss nicht innerhalb von 60 Tagen im Konsens widerspricht.1506 Besteht Uneinigkeit im Ausschuss, dann kann jedes Mitglied auf Antrag die Frage zur Entscheidung an den Sicherheitsrat weiterleiten.1507 In diesem Fall hat ein „de listing“-Antrag nur Erfolg, wenn der Sicherheitsrat mit der Mehrheit seiner Stimmen unter Einschluss aller ständigen Mitglieder für die Streichung stimmt; letzteren kommt also ein Vetorecht zu (vgl. Art. 27 UN-Charta).1508 Wird ein „de listing“-Antrag im Widerspruch zur Empfehlung der Ombudsperson abgelehnt, so geht die Entscheidung auf Organe 1500
UN Doc. S/2015/533, Ziff. 74 ff. Vgl. UN Doc. S/2015/533, Ziff. 61. 1502 UN Doc. S/2015/533, Ziff. 61. 1503 UN Doc. S/2015/533, Ziff. 62. 1504 UN Doc. S/2015/533, Ziff. 65. 1505 UN Doc. S/2015/533, Ziff. 61. Sie beschreibt dies als die aktuell schwerwiegendste Bedrohung für das Ombudsverfahren, ebd., Ziff. 99. Vgl. auch die Kritik der „Gruppe gleichgesinnter Staaten“, UN Doc. S/2014/286, S. 5. 1506 S/RES/2161 (2014), Ziff. 43. 1507 S/RES/2161 (2014), Ziff. 43. 1508 S/RES/2161 (2014), Ziff. 43. Kritisch zu diesem Verfahren auch Tladi/Taylor, CJIL 10 (2011), S. 788, die aber den politischen Druck auf die Entscheidungsträger bei Überweisung an den Sicherheitsrat begrüßen. 1501
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
zurück, die eindeutig nicht den Anspruch an ein unabhängiges und unparteiisches Gericht erfüllen. Der Sanktionsausschuss scheidet als unabhängiges Gericht bereits deshalb aus, weil er zugleich Ankläger im Rahmen des „listing“-Verfahrens ist. Zudem ist nicht auszuschließen, dass seine Mitglieder wie diejenigen des Sicherheitsrats bei der Entscheidung zumindest auch von politischen Motiven getrieben sind, was sich schwerlich mit dem Anspruch an Unparteilichkeit verträgt.1509 Die Praxis scheint jedoch die Funktionalität des Ombudsverfahrens unter Beweis zu stellen. Bis zum 21. Juli 2012 hat der Sanktionsausschuss in keinem Fall der Empfehlung der Ombudsperson widersprochen, was sie zusammen mit den sonstigen Erfahrungen aus der Praxis im neuen „de listing“-Prozess zu dem Schluss verleitet, dass es den fundamentalen Prinzipien eines fairen Verfahrens bisher gerecht geworden sei.1510 Diese Einschätzung ist wohl im Lichte ihres herabgesetzten Anspruchs an das Recht auf ein faires Verfahren zu bewerten, nach dem sie angesichts des „einzigartigen Kontextes“ des Sanktionsregimes bereits einen „effektiven Überprüfungsmechanismus“ als ausreichend betrachtet.1511 Denn, wie der Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, Ben Emmerson, in seinem Bericht zur Vereinbarkeit des Al Qaida-Sanktionsregimes mit den Menschenrechten unter Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR feststellt: „The ,very existence‘ of an executive power to overturn the decision of a quasi-judicial body is sufficient to deprive that body of the necessary ,appearance‘ of independence however infrequently such a power is exercised, and irrespective of whether its exercise was, or even could have been, at issue in any particular case.“1512
In diesem Sinne stellt auch der Menschenrechtsausschuss fest, dass es unvereinbar mit dem Verständnis von einem unabhängigen Gericht sei, wenn ein Organ der Exekutive Weisungen an die Richter erteilen oder ihre Entscheidungen kontrollieren könne.1513 Eine Kontrollbefugnis ist dem Sanktionsausschuss und in letzter Instanz dem Sicherheitsrat vorbehalten, denen allein die Kompetenz zum Erlass von ver1509
Nowak, IPbpR, Art. 14, Rn. 27. UN Doc. S/2012/590, Ziff. 30. 1511 Prost, Fair Process and the Security Council, S. 422 f. Diesen Maßstab halten offenbar auch Biersteker/Eckert, in: dies., 2nd Update of the Watson Report, S. 25, für ausreichend, die das Verfahren zwar als „unvollkommen“ bezeichnen, aber ihm mit Verweis auf noch unveröffentlichte Berichte des Monitoring Teams zugutehalten, es komme „as close as meeting the calls for an independent and binding review mechanism as seems possible“. Vgl. auch die Ausführungen unter vorangegangenem Punkt bb). 1512 UN Doc. A/67/396, Ziff. 34. Vgl. dazu EGMR, Kammer, Bryan gg. Vereinigtes Königreich, 19178/91, Urteil vom 22. November 1995, Rn. 38. Ähnlich: ders., Kammer, Findlay gg. Vereinigtes Königreich, 22107/93, Urteil vom 25. Februar 1997, Rn. 77, wonach die Notwendigkeit der Bestätigung oder Ratifizierung eines Urteils durch ein Organ der Exekutive zur Erlangung von Rechtskraft unvereinbar mit dem anerkannten Prinzip sei, nach dem die Kompetenz zum Erlass einer verbindlichen Entscheidung, die nicht mehr von einem nichtjustiziellen Organ verändert werden könne, dem Rechtsbegriffs des „Gerichts“ inhärent sei. 1513 CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 19. 1510
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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bindlichen Entscheidungen eingeräumt ist. Die Praxis zeigt, dass die Derogationsbefugnis auch nicht nur einen rein theoretischen Fall beschreibt. Mindestens einmal stand der Sanktionsausschuss laut Medienberichten kurz vor der Ablehnung einer auf Streichung gerichteten Empfehlung der Ombudsperson. Im Fall Saad Rashed Mohammad Al-Faqih1514 und dem von ihm geführten Movement for Reform in Arabia1515, stimmten demnach elf Staaten gegen die Empfehlung der Ombudsperson, während sich nur vier für die Streichung aussprachen.1516 Zu einem Antrag auf Verweis an den Sicherheitsrat ist es jedoch nicht gekommen. Während bisher also die Fallbewertungen der Ombudsperson die Grundlage für den Ausgang der „de listing“Verfahren boten,1517 bleiben die weiterhin bestehenden strukturellen Missstände des Ombudsverfahren deutlich erkennbar.1518 Die auf UN-Ebene vorgesehenen Individualrechtsschutzverfahren genügen damit nicht den Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht. (b) Verfahren auf nationaler und untergeordneter supranationaler Ebene Den Betroffenen steht daneben noch die Möglichkeit offen, sich vor nationalen oder auf regionaler Ebene eingerichteten, supranationalen Gerichten gegen die Sanktionen zur Wehr zu setzen. Dabei kann das klägerische Begehren darauf gerichtet sein, die Aufnahme seiner Person auf die Sanktionsliste für rechtswidrig zu erklären. Daneben kann ein Kläger auch die Implementierung der Sanktionen angreifen, die den Staaten obliegt. Die Verfahren erfordern eine jeweils eigene Betrachtung. Beruft sich ein auf der Sanktionsliste geführter Kläger darauf, dass er in keiner sanktionsbewehrten Verbindung zu Al Qaida stehe, greift er implizit die „listing“Entscheidung des Sanktionsausschusses an (Tatbestandsebene). Diese ist nach den einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats zu bewerten, die dem Ausschuss einen erheblichen Ermessensspielraum einräumen. Gerichte auf nationaler oder regionaler Ebene können die Entscheidungen deshalb nicht ersetzen, was aber nicht ausschließen muss, dass sie die „listing“-Entscheidungen zumindest auf offenkundige Fehlbewertungen des Sachverhalts oder der rechtlichen Bewertung hin überprüfen können. Wie der EuGH in der Sache Kadi jedoch hervorgehoben hat, setzt dies voraus, dass sowohl die Kläger wie auch das mit der Sache befasste Gericht in die Lage versetzt werden, die Begründung der Aufnahme in die Liste nachzuvoll-
1514
Vormalige Listenkennung: QI.A.181.04. Vormalige Listenkennung: QE.M.120.05. 1516 Vgl. dazu den Pressebericht im Internet (abrufbar unter: http://www.reuters.com/arti cle/2012/07/02/us-un-sanctions-saudi-idUSBRE86100D20120702. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Für weitere Presseberichte zu „de listing“-Verfahren s. Biersteker/Eckert, in: dies., 2nd Update of the Watson Report, S. 19 f. 1517 UN Doc. S/2015/533, Ziff. 31. 1518 Emmerson, UN Doc. A/67/396, Ziff. 34. 1515
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
ziehen.1519 Ob ihnen dies ermöglicht wird, hängt wiederum davon ab, ob sie Einblick in die entscheidungsrelevanten Informationen bekommen, womit das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz eng in Verbindung mit den Verteidigungsrechten steht.1520 Wie sich bereits ergeben hat, ist verfahrensrechtlich nicht gesichert, dass die Sanktionsadressaten von dem Sanktionsausschuss über alle belastenden Informationen in Kenntnis gesetzt werden.1521 Darauf sind aber auch die Gerichte angewiesen, zumal sie selbst keine Informationsansprüche nach dem Sanktionsregime haben. Zudem können die bereits mit der Aufnahme in die öffentlich einsehbare Sanktionsliste einhergehenden Eingriffe in die Ehre und den Ruf der Betroffenen durch die Gerichte ohnehin nicht behoben werden.1522 Sie können deshalb keinen effektiven Rechtsschutz garantieren.1523 Auf Umsetzungsebene bestehen jedoch auch Bereiche, die von dem Entscheidungsverhalten der Staaten bestimmt sind, das ihnen entsprechend zugerechnet werden kann. Sie sind dazu verpflichtet, die Vorgaben aus den Sicherheitsresolutionen in ihre Rechtsordnungen zu implementieren und die Sanktionen durchzusetzen. Nationale und regionale Gerichte können insoweit effektiven Rechtsschutz gewährleisten, wie die Umsetzung auf eine autonome, d. h. nicht von der UN-Ebene zwingend vorgeschriebene Entscheidung der mitgliedstaatlichen Autoritäten zurückgeht. Dies kommt etwa in den Fällen in Betracht, in denen sie tiefer in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen, als es nach dem Sanktionsregime notwendig ist. Ebenso steht es, wenn die ergriffenen Maßnahmen nicht von dem mitgliedstaatlichen Gesetz gerechtfertigt werden, das zur Umsetzung der UN-Sanktionen dient. Als Beispiel kann der Fall Abdelrazik gg. Kanada1524 dienen, in dem es dem Kläger kanadischer Staatangehörigkeit durch die Behörden seines Heimatstaates mit Berufung auf das Al Qaida-Sanktionsregime verwehrt wurde, nach Kanada einzureisen, obwohl die Reisesanktionen ausdrücklich nicht auf die Ein- oder Ausreise eigener Staatsangehöriger Anwendung finden.1525 Der kanadische Federal Court sah 1519
EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 336 f. 1520 EuGH, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008, Rn. 349 i.V.m. 336 f. 1521 Vgl. dazu die Ausführungen in vorangegangenem Punkt (1). 1522 Ciampi, Security Council Targeted Sanctions and Human Rights, S. 117. 1523 I. E. ebenso der EuGH im Fall Kadi, Kadi & Al Barakaat International Foundation gg. Rat der EU, C-402/05 P und C-415/05 P vom 3. September 2008. Gutherie, NYUAnn.Surv.Am.L. 60 (2004), S. 535 – 540, plädiert dennoch dafür, den mitgliedstaatlichen Gerichten die Überprüfung der „listing“-Entscheidungen zu überlassen, wobei es dem Sicherheitsrat obliegen solle, die Minimalstandards der Verfahren zu formulieren. Die Gerichte sollten über ein kooperatives Rechtshilfesystem dafür sorgen, dass die Berücksichtigung geheimer Informationen, die in den Händen von anderen Staaten lägen, die sie nicht zu teilen bereit seien, dadurch gesichert werden solle, dass jeweils die Gerichte der mit den Informationen bestückten Staaten dafür zuständig seien, die Beweise aufzunehmen und die Auswertung mitzuteilen. 1524 Canadian Federal Court, Abdelrazik gg. Kanada, 2009 FC 580, vom 4. Juni 2009. 1525 Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 1 lit. b.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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eine Verletzung des Rechts des Klägers auf Einreise in sein Heimatland gemäß Art. 6 der Canadian Charter of Rights and Freedoms und verpflichtete die Behörden dazu, alles Notwendige zu tun, um die Rückführung zu ermöglichen.1526 Ähnliches gilt in den Bereichen, in denen den Staaten bei der Umsetzung der Maßnahmen ein Ermessensspielraum eingeräumt ist. Nach der UN-Charta sind die Staaten nicht dazu verpflichtet, die Resolutionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII auf eine bestimmte Art umzusetzen.1527 In der Regel ist es deshalb den Staaten überlassen, welche konkreten Maßnahmen sie treffen, um sie in innerstaatliches Recht zu überführen.1528 Die Staaten müssen allerdings sicherstellen, dass die Zielvorgaben erfüllt werden, die für sie verbindlich sind.1529 Ihnen ist es in den Grenzen der durch die Resolutionen verbindlich angeordneten Vorgaben möglich, die Ausgestaltung der Umsetzungsmaßnahmen an der Linie der sie bindenden Individualrechte auszurichten. Nach der Rechtsprechung des EGMR sind die Vertragsstaaten entsprechend einem allgemeinen, in der internationalen Spruchpraxis und Wissenschaft anerkannten Prinzip grundsätzlich zu einer Harmonisierung der Konventionsrechte mit anderen völkerrechtlichen Verbindlichkeiten verpflichtet.1530 Es stellt sich die Frage, inwiefern den Staaten nach den Regelungen des Al QaidaSanktionsregimes ein Ermessen bei der Umsetzung der Sanktionen zuzuschreiben ist, bei dessen Ausübung sie durch die Menschenrechte gebunden werden.1531 Sollten sie ihr gebundenes Ermessen nicht menschenrechtskonform ausüben, so können die staatlichen und auf regionaler Ebene eingerichteten supranationalen Gerichte Abhilfe schaffen. Wie die Situation im Falle eines nicht zu behebenden Normenkonflikts zwischen den Vorgaben der Resolutionen und den Menschenrechten zu bewerten ist, soll zunächst außen vor bleiben.1532 Nach hier bisher vertretener Ansicht ist den Staaten durch das Sanktionsregime ein äußerst geringer Ermessensspielraum eingeräumt worden. Die betreffenden Resolutionen konstituieren sehr weitgehende und ausdifferenzierte Vorgaben hinsichtlich der Gestalt der zu ergreifenden Maßnahmen. Es sind etwa Konten einzufrieren und Grenzübergänge zu verhindern; diese Anordnungen scheinen jedenfalls kaum einen Spielraum bei der Umsetzung offen zu lassen. Grundsätzlich anders sieht dies aber offenbar der EGMR, wie seinem Urteil 1526 Zusammenfassend zu Beginn des Urteils des Canadian Federal Court, Abdelrazik gg. Kanada, 2009 FC 580, Urteil vom 4. Juni 2009. 1527 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 176. 1528 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 176. 1529 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 176. 1530 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 170. 1531 Vgl. EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 185. 1532 Vgl. dazu bereits ausführlich im vorangegangenen Punkt 3., c), aa), (1), (a), (aa).
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im Fall Nada gg. Schweiz zu entnehmen ist. Herrn Nada wurde durch die Schweiz in Vollzug des Al Qaida-Sanktionsregimes die Ein- und Durchreise verweigert, weshalb der Kläger erhebliche Schwierigkeiten hatte, Kontakt zu Familie und Bekannten zu pflegen und notwendigen Arztbesuchen nachzugehen.1533 Wie bereits erwähnt, sah sich der Kläger der besonderen Situation ausgesetzt, dass er als Einwohner der von Schweizer Staatsgebiet umschlossenen italienischen Enklave Campione durch das Reiseverbot praktisch unter Hausarrest gestellt wurde.1534 Der EGMR kam zu dem Ergebnis, dass die Schweiz bei der Umsetzung der Maßnahmen dem Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens nicht ausreichend Rechnung getragen habe.1535 Zur Begründung bemühte der Gerichtshof zwei Argumentationslinien. Zum einen kritisierte er, dass die Schweiz nicht alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft habe, um den Sanktionsausschuss zu einer Lockerung der Sanktionen oder darüber hinaus zu einer Streichung von der Sanktionsliste zu bewegen.1536 Obwohl dieses Fehlverhalten für sich schon einen Verstoß gegen die Verpflichtungen aus der EMRK hätte begründen können, unterstrich der Gerichtshof aber noch den seiner Meinung nach bestehenden Ermessensspielraum der Staaten bei der Umsetzung der Sanktionen, den die Schweiz im Lichte der Vorgaben aus der Konvention hätte ausüben müssen.1537 Dazu verweist der Gerichtshof zunächst auf die Regelung zu den Reisesanktionen,1538 die lautet: „The Security Council […] 2. Decides that all States shall take the following measures with respect to […] members of the Al-Qaida organization […] and other individuals, groups, undertakings and entities associated with them, as referred to in [the sanctions list]; (b) Prevent the entry into or the transit through their territories of these individuals, provided that […] this paragraph shall not apply where entry or transit is necessary for the fulfillment of a judicial process or the Committee determines on a case by case basis only that entry or transit is justified.“1539
Durch die immanente Schranke der Reisesanktionen ist den Staaten die Entscheidung zugewiesen, wann eine Ein- oder Durchreise für die Teilnahme an einem Gerichtsverfahren „notwendig“ sein soll. Sie gilt hingegen nicht, wenn es den Betroffenen um die Pflege sozialer Kontakte oder den Besuch von Ärzten geht. Dieser 1533 Vgl. EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 149. 1534 Siehe bereits die Ausführungen im vorangegangenen Punkt c), aa), (2). 1535 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 197. 1536 Vgl. EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 188, 193 f. 1537 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 175, 180, 195. Vgl. dazu auch de Wet, CJIL 12 (2013), S. 806 f. 1538 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 177. 1539 S/RES/1390 (2002), Ziff. 2 lit. b (Hervorhebungen ergänzt). Mit gleichem Regelungsgehalt nunmehr: S/RES/2161 (2014), Ziff. 1 lit. b.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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Bestimmung lässt sich demnach kein Ermessensspielraum für die Staaten entnehmen, der es den Schweizer Behörden ermöglicht hätte, die Konventionsrechte so zu berücksichtigen, dass sie dem Begehren Herrn Nadas auf Grenzübertritt zu diesem Zweck selbstständig hätte abhelfen können. Vielmehr ist die Entscheidung über den Erlass von Ausnahmen aus ebensolchen Gründen ausdrücklich dem Sanktionsausschuss zugewiesen.1540 Der Verweis des Gerichtshofs auf die Regelung läuft also leer. Er beruft sich schließlich auf eine weitere Norm, aus der er einen Ermessensspielraum abzuleiten versucht.1541 Dort heißt es: „The Security Council […] 8. Urges all States to take immediate steps to enforce and strengthen through legislative enactments or administrative measures, where appropriate, the measures imposed under domestic laws or regulations […]“1542
Wie der EGMR richtigerweise feststellt, kommt den Staaten also eine „gewisse Flexibilität in der Art der Implementierung“ der Sanktionen zu.1543 Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob es der Schweiz dadurch möglich gewesen wäre, dem Recht des Klägers zur Achtung seines Privat- und Familienlebens gerecht zu werden. Der Gerichtshof geht ganz offensichtlich davon aus, zumal er das Bestehen eines staatlichen Ermessensspielraums allein unter dieser Fragestellung untersuchte.1544 Aus dem Wortlaut der Norm weist er den Staaten anscheinend ein umfassendes Vorbehaltsrecht gegen die Durchsetzung der Individualsanktionen zu, sofern sie diese im Einzelfall für nicht „angebracht“ halten. Jedenfalls scheint er den Schluss zu ziehen, dass die Vertragsstaaten die Vorgaben aus dem Sanktionsregime nur insoweit nach innerstaatlichem Recht ausführen müssten, als im konkreten Fall die Rechte nach der Konvention gewahrt bleiben. Dies könnte sehr weitreichende Folgen für die Effektivität des Sanktionsregimes haben, zumal dann die einheitliche Umsetzung durch die Staaten nicht mehr gesichert wäre. Für die Annahme, dass der Gerichtshof einem entsprechenden Verständnis anhängt, spricht auch dessen Hinweis auf Beschlüsse des Schweizer Ständerats und des Schweizer Nationalrats, durch die er sich in seiner Rechtsansicht bestärkt sieht.1545 Darin wird der Bundesrat dazu beauftragt, dem Sicherheitsrat mitzuteilen, dass die Individualsanktionen gegen Al Qaida und ihre Verbündeten in Einzelfällen unter bestimmten sich aus Menschenrechtserwägungen begründenden Bedingungen durch Schweizer Behörden nicht mehr umge-
1540
S/RES/2161 (2014), Ziff. 62 lit. b. EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 178. 1542 S/RES/1390 (2002), Ziff. 8 (Hervorhebungen ergänzt). 1543 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 178. 1544 Vgl. EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 175. 1545 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 179. 1541
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setzt werden.1546 Der Gerichtshof meinte aufgrund dieser Deutung des Verpflichtungscharakters des Sanktionsregimes der Frage nach der Hierarchie zwischen EMRK und UN-Charta entgehen zu können.1547 Letztlich kommt er zu dem Ergebnis, dass die Schweiz nicht alle Anstrengungen unternommen habe, um die Verpflichtungen miteinander in Ausgleich zu bringen.1548 Es ergeben sich indes erhebliche Zweifel an der Wortlautauslegung der betreffenden Resolution durch den Gerichtshof. Nach der betreffenden Norm haben die Staaten zwar die Wahl, welche Mittel sie zur Durchsetzung und Stärkung der Sanktionen heranziehen. Wie die Richter Bratza, Nicolaou und Yudkivska in ihrer Joint Concurring Opinion aber richtigerweise feststellen: „[T]hose words certainly do not suggest that any latitude was granted so far as concerned the obligations on States to give full effect to the [sanctions as imposed by] paragraph 2 of the resolution.“1549
Die Bestimmung ist nämlich im Kontext des gesamten Sanktionsregimes auszulegen. Danach sind die Staaten gerade verbindlich zur Umsetzung der Sanktionen verpflichtet. Die Reisebeschränkungen sind zweifelsfrei darauf gerichtet, den Grenzübertritt der Sanktionsadressaten zu verhindern. Abgesehen von der immanenten Schranke der Reisebeschränkungen kann allein der Sanktionsausschuss Ausnahmen zu diesem kategorischen Verbot erteilen. Vor diesem Hintergrund kann die Auslegung der Ziffer 8 aus Resolution 1390 (2002) nur zu dem Ergebnis führen, dass sie anerkennt, dass in Abhängigkeit der Besonderheiten der verschiedenen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unterschiedliche Maßnahmen vonnöten sein können, um den Sanktionen volle Geltungskraft zu verleihen. Ein umfassender Ermessensspielraum auf Seiten der Staaten, der den Betroffenen einen effektiven Rechtsschutz gegen die Umsetzung der Sanktionen sichern würde, ist den Resolutionen entgegen der Ansicht des EGMR jedoch nicht zu entnehmen. (3) Öffentlichkeit des Verfahrens Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPbpR und Art. 10 AEMR müssen alle zivil- und strafrechtlichen Verfahren grundsätzlich mündlich und öffentlich abgehalten werden.1550 Der Grundsatz der Öffentlichkeit sichert die Transparenz des Verfahrens und 1546
Motion 09.3719 vom 8. September 2009 (abrufbar unter: http://www.parlament.ch/ab/ frameset/d/s/4811/306539/d_s_4811_306539_306688.htm. Zuletzt besucht am 12. August 2015); Motion 09.3719 vom 4. März 2010 (abrufbar unter: http://www.parlament.ch/ab/frame set/d/n/4813/320207/d_n_4813_320207_320286.htm. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 1547 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 197. 1548 EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 197. 1549 Joint Concurring Opinion of Judges Bratza, Nicolaou and Yudkivska zu EGMR, Große Kammer, Nada gg. Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12. September 2012, Rn. 6. Ebenso Concurring Opinion of Judge Malinverni zu demselben Urteil, Rn. 4. 1550 CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 28.
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dient damit sowohl den Interessen des in seinen Rechten Betroffenen wie denen der Gesellschaft.1551 Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 3 IPbpR darf die Öffentlichkeit in besonderen Fällen während des ganzen oder eines Teils der Verhandlung ausgeschlossen werden, wie etwa „aus Gründen der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung (ordre public) oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft“. Auch für Art. 10 AEMR ist anerkannt, dass es Ausnahmen zum Grundsatz der Öffentlichkeit geben muss, auch wenn dies nicht ausdrücklich vorgesehen ist.1552 Im „de listing“-Verfahren des Al Qaida-Sanktionsregimes wird es durchaus Fälle geben, in denen der Ausschluss der Öffentlichkeit nach diesen Kriterien gerechtfertigt werden könnte. Dies wird aber nicht für jedes Verfahren und nicht für die gesamte Dauer gelten. Die reguläre Verfahrensordnung des Regimes sieht in keiner Phase die Möglichkeit vor, dass die Öffentlichkeit den „de listing“-Prozess verfolgen kann: im Rahmen des Ombudsverfahrens ist bloß ein Informationsaustausch ohne öffentliche Verhandlung vorgesehen,1553 den Antragsteller vernimmt sie allenfalls im Beisein seines rechtlichen Vertreters,1554 und der Sanktionsausschuss tagt in der Regel in geschlossener Sitzung.1555 Das Verfahren genügt damit offenkundig nicht dem Grundsatz der Öffentlichkeit. Selbst wenn im Einzelfall der Ausschluss der Öffentlichkeit in einem zivil- oder strafrechtlichen Prozess gerechtfertigt sein sollte, muss das Urteil nach Art. 14 Abs. 1 letzter HS IPbpR öffentlich verkündet werden. Dies umfasst neben dem Tenor auch die Urteilsgründe und Ausführungen zu den entscheidungsrelevanten Beweisen.1556 Nur zum Schutze Jugendlicher und in Familiensachen sind Ausnahmen möglich. Am Ende des Ombudsverfahrens hat der Sanktionsausschuss zwecks Weiterleitung an den Antragsteller seine Entscheidung zu begründen und gegebenenfalls mit zusätzlichen entscheidungsrelevanten Informationen zu versehen.1557 Im Falle der Ablehnung eines „de listing“-Antrags durch den Sanktionsausschuss soll die Ombudsperson zusätzlich in einem Brief an den Antragsteller weitestmöglich den Verlauf des Verfahrens und die von der Ombudsperson in Phase zwei gesammelten, veröffentlichungsfähigen Informationen beschreiben, wobei sie sich auf ihren „Umfassenden Bericht“ stützen soll.1558 Eine Öffnung dieser Dokumente für die allgemeine Öffentlichkeit ist nicht vorgesehen. Auf der Internetseite des Büros
1551
CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 28. Lethimaja/Pellonpää, in: Alfredsson/Eide, AEMR, Art. 10. 1553 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 1 – 8. 1554 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 7 lit. c. Vgl. zur Praxis der Ombudsperson ihren vierten Bericht an den Sicherheitsrat vom 30. Juli 2012, UN Doc. S/2012/590, Ziff. 10. 1555 Ziff. 3 lit. b der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines. pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 1556 CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 29. 1557 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 16. 1558 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 17 lit. b. 1552
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
der Ombudsperson ist nur der Ausgang der von ihr behandelten Fälle einzusehen.1559 Allein eine im Anschluss an ein zurückgewiesenes „de listing“-Verfahren gegebenenfalls aktualisierte Zusammenfassung der „listing“-Gründe ist auf der Internetseite des Ausschusses einsehbar.1560 Auch insofern bleibt das Al Qaida-Sanktionsregime hinter den Anforderungen an den Grundsatz der Öffentlichkeit zurück. cc) Zwischenergebnis Das Al Qaida-Sanktionsregime räumt den Betroffenen weder adäquate Verteidigungsrechte ein, noch gewährt es ihnen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in einem öffentlichen Verfahren. g) Einschränkung der Menschenrechte aufgrund einer Notstandssituation? Die diagnostizierten Einschränkungen der Menschenrechte durch das Sanktionsregime wären dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn ihre Geltung auf zulässige Weise suspendiert würde. Nach Art. 4 IPbpR wäre dies dann möglich, wenn Al Qaida und ihre Verbündeten eine Notstandssituation verursachen, durch die „das Leben der Nation“ einer Bedrohung ausgesetzt wäre. Im Falle eines unauflöslichen Konflikts zwischen dem Schutz essentieller Interessen eines Staates oder der internationalen Gemeinschaft und ihren rechtlichen Verpflichtungen können letztere unter strikten Bedingungen gegebenenfalls außer Kraft gesetzt werden.1561 Als allgemeiner Grundsatz hat dieses Prinzip völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung erlangt.1562 Ausgenommen sind im Rahmen der Menschenrechte nach Art. 4 Abs. 2 IPbpR lediglich einige „notstandsfeste“ Werte, bei denen eine Derogation unter keinen Umständen gerechtfertigt werden kann. Im Falle des Al Qaida-Sanktionsregimes käme eine Suspension der betroffenen Rechte auf Freizügigkeit, Privatund Familienleben, Eigentum und auf ein faires Verfahren in Betracht (Art. 4 Abs. 2 IPbpR). Dies gilt allerdings nur in dem Umfang, den die Lage unbedingt erfordert, sofern die Maßnahmen nicht im Widerspruch zu sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen stehen und dies in nicht diskriminierender Weise geschieht (vgl. Art. 4 Abs. 1 IPbpR). Die Voraussetzungen des Art. 4 IPbpR erfordern auch dann Beachtung, wenn man davon ausgeht, dass sich die Staatengemeinschaft in
1559 Abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ombudsperson/status.shtml (zuletzt besucht am 12. August 2015). 1560 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 16 i.V.m. Ziff. 5 lit. a, b der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un. org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 1561 Vgl. dazu den ILC, Draft articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, with commentaries, UN Doc. A/56/10, Art. 25, Ziff. 2. 1562 Vgl. Riedel, ZaöRV 68 (2008), S. 4.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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einem permanenten Kriegszustand mit Al Qaida befindet.1563 Die prozeduralen Erfordernisse des Art. 4 Abs. 3 IPbpR sollen hier außer Betracht bleiben. Als Notstand bezeichnet man im Allgemeinen eine außergewöhnliche Krisensituation, die die ganze Bevölkerung betrifft und eine manifeste Bedrohung für das organisierte Leben der Gesellschaft darstellt.1564 Sie muss bereits anhalten oder unmittelbar bevorstehen.1565 Dies wird bei einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit regelmäßig der Fall sein, für die ähnliche Voraussetzungen gelten;1566 Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta stellen schließlich selbst „Notfallmaßnahmen“ dar.1567 Als Al Qaida in den Fokus der Sanktionspolitik der Vereinten Nationen rückte, insbesondere kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf die USA, musste jederzeit und überall damit gerechnet werden, dass es zu weiteren Gewaltakten kommen würde. Diese Befürchtung hat sich im Nachhinein als richtig erwiesen, und die Terrororganisation hat es vermocht, die Stabilität ganzer Staaten zu erschüttern.1568 Zweifel könnten dennoch insofern aufkommen, als der Zeitpunkt der zukünftig zu befürchtenden Rechtsgutverletzungen kaum zu konkretisieren ist. Es kann damit nicht immer sicher vorausgesagt werden, ob ein Anschlag tatsächlich unmittelbar bevorsteht, was eine Notstandslage aber eigentlich voraussetzt.1569 Dies ist der Eigenart der terroristischen Bedrohung allerdings immanent, die es bei der Bewertung der Situation zu berücksichtigen gilt. Terroristische Anschläge werden in der Regel ohne Vorwarnung verübt, weshalb es in den seltensten Fällen möglich sein wird, den genauen Zeitpunkt ihres Eintritts zu bestimmen.1570 Wie der EGMR festgestellt hat, kann das Kriterium der „Unmittelbarkeit“ nicht so eng ausgelegt werden, dass den betroffenen Staaten oder in diesem Fall der internationalen Gemeinschaft zuzumuten wäre, solange zu warten, bis es zu einer Katastrophe kommt, um erst dann angemessene Maßnahmen vornehmen zu können.1571 Er sah im Fall A et al. gg. Vereinigtes Königreich deshalb auch keine Fehlbewertung der Lage durch die britischen Autoritäten, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf Einrichtungen in den USA auch Großbritannien in einer 1563
Vgl. CCPR General Comment No. 29 (31. August 2001), Rn. 3. Vgl. aus der Rspr. des EGMR zu Art. 15 EMRK: ders., Kammer, Lawless gg. Irland (Nr. 3), 332/57, Urteil vom 1. Juli 1961, Rn. 28; ders., Große Kammer, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 176. 1565 Vgl. dazu EGMR, Große Kammer, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 176 m.w.N. 1566 Vgl. dazu ausführlich im vorangegangenen Punkt 3., b). 1567 Bianchi, EJIL 17 (2006), S. 891. 1568 Vgl. dazu die Ausführungen im vorangegangenen Punkt 3., b). 1569 Vgl. dazu die Bewertung von Lord Hope in House of Lords, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, [2004] UKHL 56, Urteil vom 16. Dezember 2004, Rn. 119, für die Situation des Vereinigten Königreiches. 1570 Lord Hope in House of Lords, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, [2004] UKHL 56, Urteil vom 16. Dezember 2004, Rn. 119. 1571 EGMR, Große Kammer, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 177. 1564
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
durch die Terrororganisation Al Qaida verursachten Notstandslage sahen.1572 Auch die USA stützen ihre Anti-Terrormaßnahmen auf eine Notstandslage.1573 Diese Bewertung trifft auch für die internationale Ebene zu. Al Qaida ist eine transnational vernetzte Organisation mit einem territorial nicht eingrenzbaren Aktionsradius. Es ist jederzeit damit zu rechnen, dass es zu weiteren Anschlägen kommt. Die Ziele Al Qaidas sind auf einen Umsturz des von der Staatengemeinschaft getragenen Wertesystems gerichtet, und ihre noch immer bestehende Durchschlagskraft zeugt von der existentiellen Gefahr, die sie für viele Staaten und ganze Regionen darstellt. Der Sicherheitsrat hätte sich demnach nach dem 11. September 2001 bei Einrichtung des Individualsanktionsregimes auf eine Notstandssituation berufen können.1574 An der Bedrohungslage hat sich bis heute nichts geändert, so dass eine Neubewertung nicht angezeigt ist. Mit dem IS und der Al Nusra-Front1575 ist zudem eine mit Al Qaida verbundene Organisation in einen dauerhaften bewaffneten Konflikt eingebunden. Es kann also zweifelsohne von einer anhaltenden Krisensituation gesprochen werden. Dass die Bedrohung seit nunmehr über 13. Jahren anhält, scheint deshalb auch nicht per se gegen das fortdauernde Bestehen eines Notstandes sprechen zu müssen,1576 zumal sich die Situation in der letzten Zeit sogar noch verschärft hat. Jedoch könnte mit fortschreitender Dauer der Notstandsfall entgegen seiner Natur von der Ausnahme zur Regel werden.1577 Die Frage kann letztlich jedoch offen bleiben, denn die zeitliche Dimension erfordert zumindest Berücksichtigung auf Rechtsfolgenseite.1578 Maßnahmen dürfen nämlich auch in einer Notstandssituation nur insoweit eine Derogation von menschenrechtlichen Verbürgungen nach sich ziehen, wie es die Zwangslage unbedingt erfordert (Art. 4 Abs. 1 IPbpR).1579 Die Eigenart der terroristischen Bedrohung darf trotz ihrer Latenz, die eine besondere Spannungslage und Angst zu verbreiten in der Lage ist, nicht zum Anlass genommen werden, um über die 1572 EGMR, Große Kammer, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 181. 1573 Vgl. United States Code, Title 50, Chapter 35 i.V.m. der Ausführungsverordnung 13, 224 für gezielte Sanktionen gegen Al Qaida. 1574 In diese Richtung ebenfalls tendierend HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Individual Opinion of Sir Nigel Rodley (concurring) zur Entscheidung vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006. A.A. Bianchi, EJIL 17 (2006), S. 892; Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 137. 1575 Listenkennung QDE.137. 1576 In diesem Sinne der EGMR im Fall A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 178, obwohl die terroristische Bedrohung durch Al Qaida schon einige Jahre anhielt. A.A. Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 137; Kretzmer, in: Wolfrum, MPEPIL, State of Emergency, Rn. 4 (Stand: Februar 2008). 1577 So ist nicht auszuschließen, dass der internationale Terrorismus für immer eine Bedrohung darstellen wird. Die Maßnahmen sind entsprechend auf Ewigkeit angelegt, Cameron, The ECHR, Due Process and UN Security Council Counter-Terrorism Sanctions, S. 20; Tladi/ Taylor, CJIL 10 (2011), S. 772. 1578 So auch EGMR, Große Kammer, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 178. 1579 Vgl. dazu CCPR General Comment No. 29 (31. August 2001), Rn. 4 f.
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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Maßen die Geltung von Individualrechten zu suspendieren; die Zulässigkeit einer Derogation unterliegt einem strengen Verhältnismäßigkeitserfordernis.1580 Mit diesem ist es grundsätzlich nicht zu vereinbaren, wenn Notstandsmaßnahmen dauerhaft angelegt sind.1581 Es lässt sich auch mit der besonderen Art der Bedrohung nicht begründen, warum nach nunmehr über 13. Jahren noch immer kein Individualrechtsschutzsystem eingerichtet werden konnte, das den Verfahrensrechten der Betroffenen gerecht wird. Ebenso muss die besondere Bedeutung der Verfahrensrechte für die weiteren Rechte der Betroffenen berücksichtigt werden. Zwar zählen Art. 14 und Art. 2 Abs. 3 IPbpR nicht zu den notstandsfesten Rechten. Jedoch leitet der Menschenrechtsausschuss aus dem Legalitäts- und Rechtsstaatsprinzip ab, dass ein Kernbestand an Verfahrensrechten selbst in einer Notstandssituation zu gelten habe.1582 So ist es allen Rechten des Paktes und damit auch den notstandsfesten Rechten inhärent, dass sie die Möglichkeit voraussetzen, wirksam durchgesetzt werden zu können, was in der Regel von der vollen Geltung der Verfahrensrechte abhängt.1583 Beantragt ein Betroffener etwa Ausnahmen zu dem Sanktionsregime, um eine partielle Freigabe von Vermögenswerten für die nötigsten Ausgaben zur Lebensführung zu bewirken, auf die er nach Art. 6 IPbpR als notstandsfestem Recht einen Anspruch hat, sind ihm alle Verfahrensrechte zu sichern.1584 Wie sich aus obiger Untersuchung ergeben hat, ist dies jedoch nicht der Fall. Das Verfahren zur Beantragung von Ausnahmen bleibt sogar deutlich hinter dem Ombudsverfahren im „de listing“-Prozess zurück, das seinerseits schon nicht den verfahrensrechtlichen Anforderungen genügt. Selbst wenn man sich auf das Fortbestehen einer Notstandslage stützen sollte, ließe sich damit nicht die zeitlich unbeschränkte Suspension menschenrechtlicher Verbürgungen rechtfertigen, wie sie mit der Einrichtung des Al Qaida-Sanktionsregimes einhergegangen ist. h) Zwischenergebnis Das Al Qaida-Sanktionsregime ist trotz stetiger Weiterentwicklung noch immer nicht mit den Menschenrechten zu vereinbaren. Zum einen werden die Regelungen des Regimes nicht den Bestimmtheitsanforderungen gerecht, die menschenrechtseinschränkende Gesetze zu erfüllen haben. Ein besonderes Defizit verbleibt zudem 1580
CCPR General Comment No. 29 (31. August 2001), Rn. 4 f. CCPR General Comment No. 29 (31. August 2001), Rn. 2; HRC, Sayadi & Vinck gg. Belgien, Individual Opinion of Sir Nigel Rodley (concurring) zur Entscheidung vom 29. Dezember 2008, UN Doc. CCPR/C/94/D/1472/2006. 1582 CCPR General Comment No. 29 (31. August 2001), Rn. 16. 1583 CCPR General Comment No. 29 (31. August 2001), Rn. 15; ders., General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 6. Vgl. auch Cameron, The ECHR, Due Process and UN Security Council Counter-Terrorism Sanctions, S. 21. 1584 Cameron, The ECHR, Due Process and UN Security Council Counter-Terrorism Sanctions, S. 21. 1581
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2. Teil: Legalität des Al Qaida-Sanktionsregimes
hinsichtlich der Ausgestaltung des Verfahrens, das nicht den prozessualen Menschenrechten gerecht wird. Dies hat auch Auswirkungen auf die sonstigen Rechte, in die mit der Sanktionierung eingegriffen wird. Zwar ist der Eingriff in diese Positionen grundsätzlich rechtfertigungsfähig. Jedoch setzt dies im Einzelfall voraus, dass es sich tatsächlich um ein Mitglied oder einen Verbündeten Al Qaidas handelt. Mangels effektiven Rechtsschutzes ist nicht gesichert, dass die Betroffenen dies wirksam überprüfen lassen können. Die Menschenrechtskonformität der UNSanktionsregime – insbesondere im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit den Verfahresrechten – spielt nach den Erfahrungen der Ombudsperson eine bedeutende Rolle für ihre effektive Umsetzung. Danach berichteten bereits mehrere Verantwortliche in den Mitgliedstaaten über Schwierigkeiten juristischer und politischer Art, denen sie bei der Umsetzung von gezielten Saktionen ausgesetzt seien, wenn die betreffenden Regime den Sanktionsadressaten nicht den Zugang zu belastenden Informationen sichern und kein Zugang zu einer unabhängige Instanz gewährt wird.1585 5. Folgen nach dem Kooperationsgebot Es wurde das Gebot zur beiderseitigen Kooperation herausgearbeitet, das sowohl die Vereinten Nationen als auch die Mitgliedstaaten im Falle rechtsformübergreifender Regulierung mittels supranationalen Durchgriffs des Sicherheitsrats auf die Rechtsstellung des Einzelnen zur gegenseitigen Rücksicht verpflichtet.1586 Der Sicherheitsrat hat aufgrund des Souveränitätsanspruchs der Mitgliedstaaten ihre Grundrechtsverbürgungen als Maßstab für die Ausgestaltung des Regelungsregimes zu berücksichtigen.1587 Auf der anderen Seite sind die mitgliedstaatlichen Gerichte dazu verpflichtet, sich ihrer Jurisdiktion über UN-determinierte Umsetzungsakte zu enthalten, sofern und solange der Sicherheitsrat einen Individualrechtsschutz sicherstellt, der dem staatlichen Niveau im Wesentlichen gleich zu achten ist.1588 Ist dies nicht der Fall, so begründet sich nach ihrer Reservekompetenz der Anspruch der Rechtskontrolle.1589 Dies ist beim Al Qaida-Sanktionsregime trotz des langen Entwicklungsprozesses noch immer der Fall, wie die rechtliche Untersuchung ergeben hat. Das Sanktionsregime wird nicht den als Mindeststandard formulierten Anforderungen an ein faires Verfahren gerecht, geschweige denn sichert es ein den staatlichen Rechtsordnungen im Wesentlichen gleich zu achtendes Rechtsschutz-
1585 Briefing of the Ombudsperson at the Securiy Council’s Open Debate on „Working Methods of the Security Council“: „Enhancing Due Process in Sanctions Regimes“, S. 2 f. (abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ombudsperson/pdfs/SCBriefing23Oct2014.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 1586 Vgl. im 2. Teil, B., III., 3., c), aa), (1), (a). 1587 Vgl. im 2. Teil, B., III., 3., c), aa), (1), (a). 1588 Vgl. im 2. Teil, B., III., 3., c), aa), (1), (a). 1589 Vgl. im 2. Teil, B., III., 3., c), aa), (1), (a).
B. Die rechtliche Beurteilung der gezielten Sanktionen
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niveau.1590 Der Jurisdiktionsanspruch entspringt entgegen der Ansicht des EGMR im Fall Nada gg. Schweiz nicht einem den Staaten verbleibenden umfassenden Ermessensspielraum über die Umsetzung der Sanktionen, sondern aus dem Versäumnis des Sicherheitsrats, seinen Menschenrechtsverpflichtungen zu genügen. Dadurch soll keiner „idiosynkratisch solipsistischen“ Haltung das Wort geredet werden; vielmehr wird in dieser Form der Selbstbehauptung im pluralistischen Mehrebenensystem des Völkerrechts die Möglichkeit gesehen, eine grundsätzliche Debatte über die Notwendigkeit gegenseitiger Achtung zu befördern und darüber die erforderliche Anpassung der individualgerichteten Sanktionsregime des Sicherheitsrats weiter voranzubringen.1591
1590
A.A. Krieger, DVBl. 23 (2009), S. 1475; von Arnauld, AVR 44 (2006), S. 210, die eine Enthaltung des Jurisdiktionsanspruchs bei Einhaltung eines menschenrechtlichen Mindeststandards bzw. des ius cogens-Standards verlangen. 1591 Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 300.
3. Teil
Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes Im 1. Teil wurden die Kompetenzen des Sicherheitsrats zum Vorgehen gegen nicht mit einer Staatsgewalt in Verbindung zu bringende Privatakteure untersucht, das Ausmaß der ihn dabei bindenden Rechtsvorgaben abgesteckt und an diesem Maßstab schließlich das Al Qaida-Sanktionsregime überprüft. Daraus lassen sich bereits Schlüsse für die Ausgestaltung eines letztlich zu entwerfenden Reformvorschlags ziehen. In diesem 2. Teil sollen zusätzliche Herausforderungen skizziert werden, die bei dem Entwurf berücksichtigt werden sollten. Im Al Qaida-Sanktionsregime manifestiert sich eine Form von supranationaler Hoheitsgewalt, die neben der Frage der Legalität auch diejenige der Legitimität aufwirft. Dabei steht die Rückbindung der Maßnahmen auf den Willen der Normadressaten im Mittelpunkt, weshalb dies auch als Herausforderung der demokratischen Rechtfertigung bezeichnet werden kann. Es wird die Situation des Al Qaida-Sanktionsregimes untersucht, um unter rechtsvergleichender Analyse Legitimitätsdefizite wie realisierbare Verbesserungsmöglichkeiten herauszuarbeiten. Die theoretische Grundlage bietet dafür die Diskurstheorie. Hier wird die Meinung vertreten, dass über die Öffnung und partizipative Gestaltung von Normbegründungs- und -anwendungsdiskursen in Verbindung mit einer Formalisierung der Verfahren zur Steigerung ihrer deliberativen Qualität das Legitimitätsdefizit bei der Ausübung von individualgerichteter Hoheitsgewalt durch internationale Organisationen, wenn auch nicht gänzlich behoben, so doch zumindest abgemildert werden könnte. Die „deliberative Qualität“ bemisst sich nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis danach, inwieweit es gelingt, die Verfahren in einer Weise auszugestalten, dass sie Ergebnisse hervorbringen, die von allen Beteiligten prinzipiell angenommen werden können, weil sie durch allgemein akzeptable Gründe (in der Folge auch „gute Gründe“1) gerechtfertigt werden. Die Überlegungen bieten den Ausgangspunkt für Umgestaltungsvorschläge zu individualgerichteten Sanktionsregimen des Sicherheitsrats. Dabei soll und kann hier keine umfassende Institutionentheorie entwickelt werden, die den Anspruch erhebt, als Grundlage für einen Reformvorschlag für das gesamte 1
Vgl. dazu auch Habermas, Kommunikative Rationalität und grenzüberschreitende Politik: eine Replik, S. 414 f. der unter „guten Gründen“ solche versteht, die „in Diskursen die einzige Währung darstellen, in der verständigungsorientierte und daher lernbereite Teilnehmer reziprok auf ihre Ja-/Nein-Stellungnahmen und damit auf das Ergebnis der Diskussion Einfluss nehmen können“, im Gegensatz zu „Gründen“, die „im Rahmen einer Kompromiss-Suche einen instrumentellen Einfluss auf das Ergebnis [haben], das sich letztlich nicht der Überzeugungskraft von Argumenten, sondern der Verhandlungsmacht und dem taktischen Geschick der Parteien verdankt.“
A. Problemaufriss
291
System der Vereinten Nationen dienen zu können. Es ist ohnehin nicht abzusehen, ob eine substantielle Änderung der UN-Charta in näherer Zeit die politische Unterstützung der relevanten Parteien für sich gewinnen könnte. Das Primärrecht der UNCharta bildet deshalb den Rahmen der nachfolgenden Untersuchung.
A. Problemaufriss: Die demokratischen Herausforderungen an die Ausübung supranationaler Hoheitsgewalt Die mit dem fortschreitenden Verlust an staatlicher Ordnungsmacht einhergehende Verlagerung von Kompetenzen auf überstaatliche Organisationen steht unter der Kritik, ein demokratisches Legitimationsdefizit nach sich zu ziehen.2 Die Problematik soll am Beispiel der Ausübung individualgerichteter Hoheitsgewalt durch den Sicherheitsrat verdeutlicht werden, wobei zunächst die Ebene der Rechtssetzung im Vordergrund steht. Ganz allgemein gesprochen gebietet das demokratische Prinzip, dass jede Form der Hoheitsausübung auf den Willen der Betroffenen zurückgeführt werden kann. Bei individualgerichteten Sanktionsregimen sind damit wiederum zwei Dimensionen angesprochen: Die Beziehung des Sicherheitsrats zu den Staaten und zu den Privatakteuren. Zum einen erfordert die (quasi-)legislative Rechtsfortbildung der UN-Charta, die mit der Erweiterung sowohl des Kreises potentieller Szenarien einer Friedensstörung wie auch der möglichen Sanktionsadressaten einhergegangen ist, die Rückbindung zum Willen der Gemeinschaft der souveränen Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“.3 Rechtlich ist dies gefordert, um als autoritative Auslegung der UN-Charta gelten zu können.4 Da es aber der Sicherheitsrat ist, und damit nur eine kleine Gruppe von Staaten, die im konkreten Fall eine Friedensbedrohung feststellt,5 bleibt der Beitrag der übrigen Mitgliedstaaten üblicherweise darauf beschränkt, das Vorgehen reaktiv zu bewerten oder durch beredtes Schweigen zu dulden. Zur Stärkung der Legitimationsgrundlage der Entscheidungen des Sicherheitsrats wäre es aber erstrebenswert, dass er auf einem bereits im Vorwege generierten 2
Vgl. nur Wheatley, The Democratic Legitimacy of Int. Law, S. 2 ff.; Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 275; We the peoples: civil society, the United Nations and global governance – Report of the Panel of Eminent Persons on United Nations – Civil Society Relations, UN Doc. A/58/817, Ziff. 8. 3 Vgl. dazu bereits die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (a), (cc). 4 Vgl. dazu bereits die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (b). 5 Resolutionen 1988 und 1989 wurden in informellen Sitzungen ausgearbeitet und gemeinsam am 17. Juni 2011 in einer 30-minütigen Sitzung der 15 Mitglieder des Sicherheitsrats öffentlich verabschiedet und begründet, vgl. UN Doc. S/PV.6557. Zur anderweitigen Beteiligung von Nichtmitgliedern des Sicherheitsrats an dem Ausgestaltungsprozess der Resolutionen im Anschluss. Vgl. zur Beteiligungspraxis des Sicherheitsrats Talmon, AJIL 99 (2005), S. 186.
292
3. Teil: Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
„firm consensus on the nature of today’s threats, on the obligations of broadened collective security, on the necessity of prevention, and on when and why the Council should authorize the use of force“
aufbauen könnte.6 Angesichts der veränderten Bedrohungsszenarien, die immer seltener von dem ursprünglich zugeschriebenen Regelungsgehalt der UN-Charta erfasst werden, ist zu erwarten, dass zukünftig noch öfter nach Möglichkeiten zur Anpassung der von ihr vorgesehenen Handlungsalternativen gesucht werden wird. Es wird zu klären sein, auf welche Weise eine effektive Beteiligung aller Mitgliedstaaten an Neuausrichtungen ermöglicht werden kann, die über eine nachträgliche Billigung hinausgeht. In Art. 31 sieht die UN-Charta bereits die Möglichkeit vor, im Sicherheitsrat nicht vertretenen UN-Mitgliedstaaten in Einzelfällen die Mitsprache zu ermöglichen. Wann immer der Sicherheitsrat ihre Interessen als besonders betroffen ansieht, können sie an seinen Debatten ohne Stimmrecht teilnehmen. Von (quasi-)legislativen Rechtsfortbildungen der UN-Charta, die darüber hinaus mit einem Eingriff in den inneren Regelungsbereich der Staaten verbunden ist, sind aber im Gegensatz zu den typischen Fällen der Krisenintervention alle Mitgliedstaaten in einem hohen Maße betroffen, wodurch ihre Beteiligung an entsprechenden Debatten grundsätzlich erfolgen sollte.7 Entsprechend empfahl der spanische Vertreter vor Erlass der auf die Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen gerichteten Resolution 1540 (2004), die generell-abstrakte Regelungen vorsieht,8 dass „since the Council is legislating for the entire international community, this draft resolution should preferably, […], be adopted by consensus and after consultation with non-members of the Council.“9
Neben dieser ersten Dimension, dem Rechtsverhältnis zu den Staaten, sind es Privatakteure und dabei insbesondere Individuen, auf die sich das Sanktionsregime auswirkt. Individuen sind mittlerweile Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten, deren Ausgestaltung nach dem demokratischen Prinzip auf ihren freien Willen zurückgeführt werden müsste. Indem sowohl die Staaten wie auch die Individuen, nicht als staatsangehörige Bürger sondern als Mitglieder der Weltbevölkerung – wenn man so will als „Weltbürger“ –, betroffen sind, müsste sich eine demokratische Legitimation idealtypisch, ähnlich wie es in föderalen Bundestaaten geschieht, aus einer Verbindung von (Welt-)Bürgerlegitimation und Staatenlegitimation nähren.10 Als Rechtsregel hat sich dieses Prinzip für die Ausübung von 6 Gefordert vom High-level Panel on Threats, Challenges and Change in ihrem Bericht „A more secure world: our shared responsibility“, UN Doc. A/59/565, Ziff. 248, „to increase both the effectiveness and credibility of the Security Council“. 7 Vgl. dazu bereits die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., a). 8 Vgl. S/RES/1540 (2004), Ziff. 1 – 3. 9 UN Doc. S/PV.4950, S. 7. Eine Reihe weiterer Staatenvertreter forderte in vergleichbaren Fällen, in denen die Interessen aller Mitgliedstaaten betroffen sind, ein allgemeines Mitspracherecht, vgl. dazu die Verweise bei Talmon, AJIL 99 (2005), S. 187 f. 10 Vgl. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 310.
A. Problemaufriss
293
Hoheitsgewalt durch supranationale Institutionen – mit Ausnahme der Europäischen Union11 – noch nicht in formellen demokratischen Beteiligungsformen niedergeschlagen.12 Zumal das Völkerrecht konzeptionell auch nicht darauf ausgerichtet ist, staatsähnliche Formen individualgerichteten Regierens rechtlich zu fassen, ist dies zunächst nicht verwunderlich. Insofern befindet sich das Völkerrecht in einem Transformationsprozess. Es bestehen Zweifel daran, ob demokratische Regierungsformen analog den staatlichen auf globaler Ebene überhaupt operationalisierbar sind, und die Weltgemeinschaft der Individuen weist nicht die soziokulturellen Voraussetzungen auf, die für eine politische Gemeinschaft zum Teil gefordert werden, um unter Einsatz demokratiefunktionaler Verfahren wie der Mehrheitsregel zur kollektiven Selbstbestimmung berufen zu sein.13 Der Zweck des demokratischen Prinzips liegt in der Wahrung der individuellen und kollektiven Selbstbestimmung und damit in der Anerkennung der gleichen Würde aller, nach der das Individuum nie bloß Objekt, sondern immer nur Subjekt von Hoheitsgewalt sein darf. Dieses normative Prinzip liegt den Menschenrechten zugrunde;14 an sie ist der Sicherheitsrat bei der Ausübung seiner Befugnisse gebunden.15 Versteht man staatliche Souveränität als Recht auf Anerkennung von Selbstbestimmung, das einen Anspruch auf Selbstregierung beinhaltet, so ist das demokratische Prinzip auch in diesem „Grundrecht der Staaten“16 veranlagt.17 Wie am Beispiel der internationalen Terrorismusbekämpfung deutlich wird, sind die Staaten als Garanten der Selbstbestimmung der Staatsvölker aber nicht mehr dazu in der Lage, alle wesentlichen Lebensbereiche alleine zu regeln. Durch die Wahrnehmung von originär staatlichen Aufgaben durch supranationale Institutionen verringert sich die Möglichkeit der rechtsunterworfenen Individuen zur Einflussnahme auf die Rechtsgestaltung und damit die Möglichkeit zur Selbstregierung. In ihrer Eigenschaft als staatsunabhängige Mitglieder der Weltgemeinschaft der Individuen sind sie nicht vertreten. Es wird hier auf Grundlage der gegebenen institutionellen Voraussetzungen nach Korrektiven zur Abmilderung des demokratischen Defizits gesucht. Damit sind zum einen die Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen der Rechtsbegründung bzw. der (quasi-)legislativen Rechtsfortbildung angesprochen. 11 Vgl. dazu aber auch die kritische Betrachtungsweise des BVerfG, dargestellt im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (a), (dd). 12 Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (a), (dd). 13 Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 3., b), bb), (1), (a), (dd). Zur Kritik an letzterer Voraussetzung im anschließenden Punkt B., II., 1. 14 Vgl. dazu auch Forst, Kritik der Rechtfertigungsverhältnisse, S. 54, der den gemeinsamen Grund der Menschenrechte in einem basalen moralischen Recht sieht, dem Recht auf Rechtfertigung. Der prozedurale Aspekt der Menschenrechte betone, „dass niemand einem System von Rechten und Pflichten […] unterworfen werden sollte, an deren Bestimmung er oder sie nicht als autonomes Rechtfertigungswesen partizipieren kann.“ 15 Vgl. den 2. Teil, B., III., 3., c). 16 Bruha/Krajewski, VN 1/1998, S. 15. 17 Vgl. zu diesem Verständnis staatlicher Souveränität bereits den 2. Teil, B., III., 2., b), aa), (1), (b), (aa).
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3. Teil: Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Aber auch den im Rahmen des Al Qaida-Sanktionsregimes besonders eingeforderten prozessualen Menschenrechten kommt eine entscheidende Bedeutung für die Selbstbestimmung des Einzelnen zu. Ihre Gewährleistung ist die Voraussetzung dafür, dass Individualrechtspositionen im Streitfall geltend gemacht werden können. Nur so ist den Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt, eine Rechtfertigung für Eingriffe in ihre Rechte durch hoheitliche Maßnahmen einzufordern.18 Jedoch steht auch die Einrichtung internationaler Rechtspruchkörper demokratischen Herausforderungen gegenüber.19 Wie aufgezeigt wurde, erfüllen die zur Entscheidung über „de listing“-Anträge berufenen Instanzen nicht die Eigenschaften eines Gerichts im herkömmlichen Sinne, das Unabhängigkeit und die Kompetenz zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes voraussetzt.20 Zumal sie aber dazu berufen sind, anhand von Rechtsregeln einen Fall zu prüfen, unterstehen sie ähnlichen demokratischen Herausforderungen. Sie werden deshalb unter diesem Gesichtspunkt untersucht. Die Überlegungen lassen die Frage aufkommen, ob die Ausübung individualgerichteter Hoheitsgewalt nicht zwingend auf Strukturen angewiesen ist, wie sie allein demokratisch verfasste Rechtsstaaten bieten, um als legitim betrachtet werden zu können. Die Kontexte demokratischer Rechtsstaaten sind nach gegenwärtigem Wissensstand zweifelsfrei am besten dazu geeignet, um hoheitliche Maßnahmen auf den Willen der Rechtsgemeinschaft zurückzuführen. Jedoch wird hier der Grundsatz der Selbstbestimmung nicht als eine Rechtsregel verstanden, die konkrete Ausgestaltungsvorgaben vorschreibt und nur erfüllt oder nicht erfüllt sein kann, sondern als ein Rechtsprinzip im Sinne eines Optimierungsgebots.21 Auch in demokratischen Rechtsstaaten kann politische Selbstbestimmung immer nur approximativ gewährleistet werden. Stehen sich zwei Prinzipien gegenüber, so sind sie im Rahmen einer praktischen Konkordanz zum Ausgleich zu bringen. Hier verlangt auch das Rechtsprinzip nach Geltung, nach welchem alle im jeweiligen Rechtsraum relevanten Akteure rechtlich zu fassen sind.22 Nach dem IPbpR obliegen den Vertragsstaaten zudem ebenfalls Prinzipiencharakter zuzuschreibende Schutzpflichten:23 sie haben wirksame Vorkehrungen gegen Beeinträchtigungen der Men18
Vgl. dazu Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 306. Dazu von Bogdandy/Venzke, ZaöRV 70 (2010), S. 1 ff. (in englischer Version abgedruckt in EJIL 23 (2012), S. 7 ff.). 20 Vgl. zu den Kriterien Doswald-Beck, in: Wolfrum, MPEPIL, Fair Trial, Right to, International Protection, Rn. 18 ff. m.w.N. (Stand: April 2013). 21 Die Differenzierung wird an dieser Stelle im Sinne Alexys, ARSP Beiheft 25 (1985), S. 17 f. vorgenommen, nach dem „Prinzipien Normen sind, die gebieten, daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird. Prinzipien sind also Optimierungsgebote […]“, während Regeln Normen sind, „die stets entweder nur erfüllt oder nicht erfüllt werden können.“ (Hervorhebung im Original). In diesem Sinne entnehmen manche Autoren dem Völkerrecht ein „Demokratiegebot“, s. u. a. Peters, Jenseits der Menschenrechte, S. 370 f. m.w.N. 22 Vgl. Bruha, AVR 40 (2002), S. 390. 23 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 422. 19
B. Die Rechtfertigung von Hoheitsgewalt
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schenrechte durch private Akteure wie terroristische Vereinigungen zu treffen (vgl. Art. 2 Abs. 2 IPbpR).24 Al Qaida und ihre Verbündeten gefährden Rechtsgüter, die als Grundfeste des Völkerrechts anerkannt sind; sie sind dazu Willens und in der Lage, neben anderen Individualrechtsgütern insbesondere Menschenleben und ganze Staaten in ihrer Existenz zu bedrohen. Sich transnational vernetzende Organisationen transzendieren die Regelungsmacht der Einzelstaaten, wodurch ein praktisches Bedürfnis nach koordiniertem Vorgehen auf internationaler Ebene begründet ist. Da die Geltung des demokratischen Prinzips primär von der Funktionsfähigkeit staatlicher Strukturen abhängt, kann es durch ein internationales Vorgehen sogar befördert und gesichert werden. Es wird hier also danach gefragt, ob für die Ausgestaltung eines individualgerichteten UN-Sanktionsregimes auf Basis des geltenden Primärrechts der Vereinten Nationen Mittel gefunden werden können, die eine stärkere Rückbindung an den Willen der Normunterworfenen zu sichern in der Lage sind.
B. Die Rechtfertigung von Hoheitsgewalt Um das Al Qaida-Sanktionsregime eingehender bewerten und einen eigenen Reformvorschlag formulieren zu können, soll das hier zugrunde gelegte Demokratieverständnis noch näher herausgestellt werden. Die demokratische Herausforderung wird darin gesehen, das Verfahren in einer Weise auszugestalten, dass es auf Ergebnisse zuführt, die von allen Normadressaten prinzipiell angenommen werden können, weil sie durch allgemein akzeptable Gründe allen potentiell Betroffenen gegenüber gerechtfertigt werden. Es ist nicht gesichert, dass es immer zu einem Konsens kommen wird, aber es gäbe den Betroffenen die Gewissheit, dass ihre Meinungen gehört und berücksichtigt werden und idealerweise nur dann nicht zur Geltung kommen, wenn sie durch bessere Argumente zurückgewiesen werden. Dies macht es den Parteien zumindest leichter, ein Ergebnis zu akzeptieren, auch wenn der eigenen Sicht im Einzelfall nicht gefolgt wird.25
I. Demokratie als Rechtfertigungspraxis Rainer Forst bezeichnet Demokratie als „politische Praxis der Argumentation und des Austauschs von Gründen […], in der individuelle und kollektive Perspektiven und Positionen durch deliberative Prozesse verändert 24 Marauhn, VVDStRL 74 (2015), S. 387 m.w.N., u. a. auf CCPR General Comment No. 31 (26. Mai 2004), Rn. 8. Daneben können sich entsprechende Schutzpflichten zudem aus nationalen Grundrechten und regionalen Menschenrechtspakte wie der EMRK ergeben, näher dazu Marauhn, VVDStRL 74 (2015), S. 358 ff. 25 Vgl. Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 276, 303.
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3. Teil: Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
werden können und in der nur solche Normen, Regeln oder Entscheidungen als legitim gelten, die auf eine durch Gründe gerechtfertigte, diskursiv erzeugte allgemeine Übereinstimmung zurückgehen“.26
Diese ist nicht durch vorpolitische Identitätsbindungen bedingt, die allein innerhalb der Grenzen eines Nationalstaates angenommen werden könnten.27 Notwendig ist primär die als autonome Vernunfteinsicht28 verstandene „sittliche Einsicht“29 in die Verantwortung gegenüber Anderen zur Rechtfertigung aller Handlungen, durch welche ihre Lebensgestaltung beeinflusst wird, nach den Kriterien eines offenen Diskurses unter Gleichberechtigten, wonach kein potentiell Betroffener willkürlich aus der Rechtfertigungsgemeinschaft ausgeschlossen werden darf (Kriterium der Allgemeinheit) und niemand für sich Rechte beanspruchen kann, die er anderen ohne Grund verwehrt (Kriterium der Reziprozität).30 Auf diese Weise wird ein prozedurales Verständnis von Demokratie beschrieben, in dem selbstbestimmte Akteure als Autoren ihres eigenen Rechtssystems im Mittelpunkt stehen, ohne dabei vorkonstitutionelle Bedingungen wie einen Grundkonsens über relative Vorstellungen des Guten zur Voraussetzung zu machen und ohne bestimmte Gerechtigkeitsprinzipien als herrschende Fixpunkte voranzustellen.31 Die Legitimität politischer Herrschaft bemisst sich allein danach, ob sie gerechtfertigt ist. Erforderlich ist damit zunächst, dass eine bestimmte Rechtfertigungspraxis institutionalisiert wird, verstanden als erste Praxis der politischen und sozialen Gerechtigkeit.32 Es ist also auf erster Ebene eine effektive „Grundstruktur der Rechtfertigung“ einzurichten,33 in der die Normunterworfenen selbst die Subjekte und nicht nur die Objekte der Rechtfertigung darstellen.34 Die Legitimität von Hoheitsgewalt nährt sich nach diesem Verständnis nicht allein aus der Abgabe einer Stimme, sondern aus dem zugrundeliegenden Verfahren, wenn es allen Betroffenen die Möglichkeit zur Einforderung von Rechtfertigungen eröffnet, von objektiven Regeln geleitet ist und so institutionell einen „Zwang zum
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Forst, Das Recht auf Rechtfertigung, S. 224 f. Forst, Das Recht auf Rechtfertigung, S. 256. 28 Vgl. dazu Forst, Das Recht auf Rechtfertigung, S. 55 f. Zur motivationalen Komponente: Forst, Das Recht auf Rechtfertigung, S. 42, 49 f. Bezugnehmend auf: Scanlon, What we owe to each other, S. 6, Chapter 1 und 4, anders zuvor ders., Contractualism and utilitarianism, S. 111, 116 ff. 29 Forst, Das Recht auf Rechtfertigung, S. 63. 30 Forst, Das Recht auf Rechtfertigung, S. 252, 257, 306. 31 Forst, Das Recht auf Rechtfertigung, S. 256 f. 32 Forst, Kritik der Rechtfertigungsverhältnisse, S. 15. 33 Forst, Das Recht auf Rechtfertigung, S. 354 (Hervorhebung im Original). Diese zielt auf eine vollständig diskursiv gerechtfertigte Grundstruktur die in ihrer Ausgestaltung der Institutionen selbst Ergebnis eines umfassenden Rechtfertigungsdiskurses ist, ebd. 34 Forst, Kritik der Rechtfertigungsverhältnisse, S. 15. 27
B. Die Rechtfertigung von Hoheitsgewalt
297
besseren Argument“ verbürgt.35 Während unorganisierte Diskussionsforen, wie solche der Alltagskommunikation, um zu allseits akzeptablen Ergebnissen zu kommen, mitunter darauf angewiesen sind, dass sich die Beteiligten verständigungsorientiert verhalten und nicht in erster Linie strategisch gegebenenfalls unter Ausspielung von Machtpositionen versuchen, ihre Partikularinteressen durchzusetzen, kann die Institutionalisierung formaler Verhandlungsbedingungen eine „relative Entkopplung des Kommunikationsmodus von den Einstellungen der beteiligten Aktoren“ fördern.36 Dies ist dann der Fall, wenn jedem Betroffenen prinzipiell die gleichberechtigte Möglichkeit gesichert ist, Argumente vorzutragen, die deshalb zählen, weil sie auf allgemein akzeptable Regeln, Prinzipien oder Werte rekurrieren, und zwar unabhängig davon, in welcher Absicht sie abgegeben wurden. Jedem Beteiligten ist damit jedenfalls theoretisch die Aussicht gesichert, durch Vorbringen eines überzeugenden Beitrags Einfluss auf die Entscheidungen zu gewinnen. Umgekehrt werden alle Beteiligten dazu genötigt, ihre Positionen gegen entsprechende Kritik überzeugend zu verteidigen, wodurch idealerweise ein „Wettkampf der guten Argumente“ befördert wird, der den Debatten eine hohe deliberative Qualität sichern kann. Der Einrichtung eines effektiven Individualrechtsschutzsystems kommt dabei eine wichtige Rolle zu, da es einzelfallgerecht die Belange der von den konkreten Umsetzungsakten Betroffenen aufnimmt und ihnen ihr „irreduzibles Recht auf Rechtfertigung“37 zumindest reaktiv sichert, denn „[d]ie Streitparteien partizipieren an der diskursiven Bearbeitung eines Falls, und das Gericht ist in seiner Begründung angehalten, sich mit den eingebrachten Argumenten auseinanderzusetzen.“38 Individualrechtsschutzsysteme sind typischerweise darauf ausgerichtet, formale Tatsachenfeststellungs-, Verhandlungs-, und Entscheidungsverfahren in einer Weise zu institutionalisieren, dass eingebrachte Informationen und Gründe immer und nur dann zählen, wenn sie rechtlich relevante Argumente darstellen bzw. stützen, unabhängig davon, mit welchem Motiv – etwa in strategischer Absicht – sie abgegeben werden.39 Zumal die Kriterien durch die den Sicherheitsrat bindenden Regeln der menschenrechtlichen Verfahrensrechte aufgenommen werden, wird dazu auf die positivrechtliche Prüfung verwiesen. Freilich kommt es aber auch darauf an, dass bereits die Normen, auf deren Grundlage eine Entscheidung getroffen wird, im Rahmen eines umfassenden Rechtfertigungsdiskurses zur Entstehung gekommen sind.40 35 Forst, Das Recht auf Rechtfertigung, S. 355 f.; Habermas, Kommunikative Rationalität und grenzüberschreitende Politik: eine Replik, S. 418; Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 278. 36 Habermas, Kommunikative Rationalität und grenzüberschreitende Politik: eine Replik, S. 417. 37 Forst, Kritik der Rechtfertigungsverhältnisse, S. 15. 38 Vgl. von Bogdandy/Venzke, ZaöRV 70 (2010), S. 29. 39 Habermas, Kommunikative Rationalität und grenzüberschreitende Politik: eine Replik, S. 418. 40 Vgl. Forst, Justice and democracy, S. 40.
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3. Teil: Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Grundlegende demokratische Defizite des Sanktionsregimes, die mit der Struktur des Sicherheitsrats zusammenhängen, können unterhalb der Schwelle einer umfassenden Reform der Vereinten Nationen nicht kompensiert werden. Die Zusammensetzung des Sicherheitsrats widerspricht offenkundig dem Kriterium der gleichen Repräsentation aller Normbetroffenen und das Vetorecht seiner ständigen Mitglieder verfestigt Machtverhältnisse, die in einem normativen Diskurs gerade ausgeklammert werden sollen. Die Struktur ließ sich ursprünglich dadurch rechtfertigen, dass der Sicherheitsrat primär auf die Rechtsdurchsetzung beschränkt sein sollte und ihm nicht die Aufgabe zugedacht war, individualgerichtete Maßnahmen (quasi-)legislativen Charakters zu erlassen. Auf Grund der institutionellen und rechtlichen Gegebenheiten der Vereinten Nationen wird kein dem staatlichen Niveau äquivalenter demokratischer Standard zu erreichen sein. In demokratischen Rechtsstaaten kann sich der politische Diskurs in der Regel auch auf einen belastbaren Grundkonsens stützen, der auf globaler Ebene allenfalls in Ansetzen unterstellt werden kann. Eine „Grundstruktur der Rechtfertigung“ ist die Voraussetzung dafür, dass sich gemeinsame Überzeugungen herausbilden und weiter verfestigen können. Normativ spricht nichts dagegen, auch für supranationale Maßnahmen des Sicherheitsrats eine demokratische Grundstruktur einzufordern. Es soll hier darum gehen, die formal etablierten Entscheidungsverfahren für die Perspektiven und Ansprüche der Betroffenen zu öffnen und zu sensibilisieren,41 mit dem Ziel, die Verantwortlichen dazu zu nötigen, ihre Entscheidungen in einer Weise auszugestalten, dass sie prinzipiell allen Betroffenen gegenüber gerechtfertigt werden können. Der Forderung nach qualifizierten Voraussetzungen zur diskursiven Ausgestaltung des Al Qaida-Sanktionsregimes steht – mit Ausnahme der Entscheidungen über eine Aufnahme in die Sanktionsliste – auch nicht entgegen, dass der Sicherheitsrat schnell und effektiv handeln muss. Hier handelt es sich nicht um einen typischen Fall der Krisenintervention, bei dem es auf ein besonders zügiges Einschreiten ankäme, dem umfangreiche Konsultationen entgegenstehen würden.42 Vielmehr ist die Effektivität des auf einen unbestimmten Zeitraum angelegten Regimes davon abhängig, dass es von einer breiten Unterstützung der Staaten aber auch privater Akteure – etwa dem Finanzwesen43 – getragen wird, die in die Umsetzung der Maßnahmen eingebunden werden müssen.44 Einzelne Staaten könnte der Sicherheitsrat zur Befolgung seiner Entscheidung zwingen. Sollen sie aber von der gesamten Staatengemeinschaft umgesetzt werden, so ist er auf eine Legitimitätsüberzeugung angewiesen, die einen „compliance pull“ zu bewirken in der Lage ist.45 In diesem Sinne 41
Vgl. Forst, Das Recht auf Rechtfertigung, S. 261. Vgl. Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 275 f. 43 Vgl. dazu die Ergebnisse zum Stockholm-Prozess in Wallensteen/Staibano/Eriksson, Making Targeted Sanctions Effective, S. 31 f. 44 Vgl. dazu auch Rittberger, Legitimes Weltregieren durch inklusive, multipartistische Institutionen?, S. 276. 45 Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 277. Vgl. auch Franck, Legitimacy and the democratic entitlement, S. 29: „Legitimacy, […], is the quality of a rule – or of a system of rules, or a process 42
B. Die Rechtfertigung von Hoheitsgewalt
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wird im Abschlussdokument des sog. Stockholm-Prozesses, das unter dem Titel „Making Targeted Sanctions Effective“ einen Beitrag zur konzeptionellen Ausrichtung individualgerichteter Sanktionsregime lieferte, empfohlen, jedenfalls die Unterstützung der Staaten für entsprechende Regime zu sichern, denn: „Sanctions are to be implemented by Member States. Thus, it is important that they are fully informed of the rationale of the measures, from the early stages and throughout the sanctions regime. In this way, Member States are included in the sanctions policy, which will ensure political support and maintain their ,political will‘ to implement measures. This helps to make clear that the sanctions regimes are ,owned‘ by the international community.“46
II. Die demokratischen Herausforderungen an die Rechtsanwendung Neben den sich aus dem geschilderten Demokratieverständnis bereits ergebenden Anforderungen an den Rechtssetzungsprozess, die darin bestehen, dass er auf ein Ergebnis zu richten ist, das von allen Parteien prinzipiell akzeptiert werden kann, weil es am Ende eines umfassenden Rechtfertigungsdiskurses beschlossen wurde, unterstehen auch die Organe der Rechtsanwendung demokratischen Herausforderungen. Dabei darf freilich nicht verkannt werden, dass die Vereinten Nationen einer anderen institutionellen Logik folgen als gewaltenteilig organisierte demokratische Rechtsstaaten. Es verbieten sich deshalb vereinfachte Analogien. Eine Darstellung der von einem gewaltenteiligen System demokratischer Rechtsstaaten getragenen Prinzipien soll jedoch dazu dienen, um gegebenenfalls Hinweise auf Möglichkeiten zur Kompensation etwaig bestehender Legitimationsdefizite im Al Qaida-Sanktionsregime zu gewinnen. 1. Die Einbettung von Rechtsprechungsorganen in gewaltenteilige Systeme mit demokratisch legitimierter Legislative Die demokratische Legitimität von Rechtssprüchen wird in rechtsstaatlich verfassten Demokratien über die Wahl der Richter, die Begründung ihrer Entscheidungen vor einer unbegrenzten Rechtsöffentlichkeit und die Einbettung in ein gewaltenteiliges System mit funktionsfähiger Legislative, die als Zentrum der Meinungs- und Willensbildung der Staatsbürger dient, gesichert.47 Den Staatsbürgern in for making or interpreting rules – which by its manifest fairness pulls those addressed towards voluntary compliance.“ 46 Wallensteen/Staibano/Eriksson, Making Targeted Sanctions Effective, S. iv. 47 Vgl. dazu auch Habermas, Faktizität und Geltung, S. 212 und von Bogdandy/Venzke, ZaöRV 70 (2010), S. 1 ff., die sich in ihrer Untersuchung der demokratischen Rechtfertigung von Entscheidungen internationaler Gerichte auf ersteren beziehen. Auf ihre Untersuchung wird Bezug genommen; sie dient als Ausgangspunkt für den hier zu entwickelnden Reformvorschlag für die Rechtsschutzebene.
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3. Teil: Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
ihrer Gesamtheit kommt prinzipiell ein uneingeschränkter Zugriff auf das Recht zu, während die Rechtsprechung prinzipiell auf den Modus der Rechtsanwendung beschränkt bleibt.48 Sie untersteht damit einer Kontrolle des demokratischen Souveräns, der über den Erlass neuer Gesetze jederzeit Einfluss nehmen kann.49 Diskurstheoretisch gesprochen ergibt sich dieses Erfordernis aus den Voraussetzungen für einen Legitimität erzeugenden Rechtsbegründungsprozess. Nach Jürgen Habermas bemisst sich die Legitimität von Normen „an der diskursiven Einlösbarkeit ihres normativen Geltungsanspruchs, letztlich daran, ob sie in einem rationalen Gesetzgebungsverfahren zustandegekommen sind – oder wenigstens unter pragmatischen, ethischen und moralischen Gesichtspunkten hätten gerechtfertigt werden können.“50 Da durch Rechtsbegründung alle Rechtsgenossen betroffen werden, muss sie allen gegenüber gerechtfertigt werden können.51 Die Ausgestaltung gesetzgeberischer Organe muss deshalb prinzipiell auf die Inklusion aller relevanter Gründe und Argumente der potentiell Normbetroffenen gerichtet sein.52 Über das Medium des Rechts transformiert sich der gemeinsame Wille der Normunterworfenen schließlich in administrative Macht.53 Normativ stellt das Recht die Quelle der Legitimation von Herrschaft dar und bildet die Grundlage für individuelle Rechtsansprüche, die sich aus der „Anwendung“ der Gesetze auf den Einzelfall ergeben und aus deren Einklagbarkeit „die Garantie der Rechtswege und das Prinzip der Gewährleistung eines umfassenden individuellen Rechtsschutzes“ folgt.54 Während es in Rechtsbegründungsdiskursen nur Beteiligte gibt, die sich dabei auch auf pragmatische, ethische und moralische Gründe stützen können,55 muss sich das rechtsprechende Organ für das Vorbringen der betroffenen Parteien öffnen, um dann auf Grundlage des juristischen Methodenkanons darüber zu entscheiden, welche als „gültig vorausgesetzte Norm“ einschlägig ist, woraus sich bereits argumentationslogisch eine Differenz zwischen Anwendungs- und Begründungsmodus ergibt.56 Die Justiz wird von der Gesetzgebung grundsätzlich ausgenommen und ist auf diese Weise an einer „Selbstprogrammierung“ gehindert.57 Für die Qualität des Rechtsprechungsverfahrens kommt es zudem darauf an, inwiefern es institutionell absichert, dass vorgebrachte Argumente immer und nur dann zählen, wenn sie als Rechtsargumente von Relevanz sind. Nur dann kann allen Betroffenen die Rechts-
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Habermas, Faktizität und Geltung, S. 211 f. Vgl. von Bogdandy/Venzke, ZaöRV 70 (2010), S. 20. 50 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 47. 51 Vgl. dazu Habermas, Kommunikative Rationalität und grenzüberschreitende Politik: eine Replik, S. 433 f. 52 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 210. 53 Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 187, 230 ff. 54 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 212 (Hervorhebungen im Original). 55 Vgl. zum Inhalt des Rechts: Habermas, Faktizität und Geltung, S. 188 f. 56 Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 212. 57 Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 213. 49
C. Die demokratischen Defizite des Al Qaida-Sanktionsregimes
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sicherheit verliehen werden, auf der eine allgemeine Akzeptanz des Systems gründen kann. 2. Die Umsetzungsebene Von der Rechtsbegründung ausgenommen ist ebenso die Exekutive, deren administrative Macht im Einklang mit demokratisch gesatztem Recht stehen soll (Vorrang des Gesetzes).58 Sie steht unter der Kontrolle des Gesetzgebers, dem es offensteht, die die Exekutive bindende Rechtsordnung zu gestalten und unter der Kontrolle einer unabhängigen Rechtsprechung, die die Gesetzesmäßigkeit ihrer Maßnahmen überprüft.59 Qualifizierte Anforderungen werden an die Exekutive bei Eingriffen in diejenigen Bereiche angelegt, die wesentlich für die Verwirklichung fundamentaler Rechte der Normadressaten sind: Sie sollen nur auf Grundlage eines Gesetzes erfolgen (Gesetzesvorbehalt), also auf eine Entscheidung der im Parlament vertretenen Rechtsgemeinschaft direkt zurückführbar sein.60 Um von einer Rückbindung sprechen zu können ist erforderlich, dass sich alle wesentlichen Handlungsvorgaben für die Exekutive aus dem Inhalt des zugrundeliegenden Gesetzes entnehmen lassen. Die Eingriffsintensität steht dabei in einem Proportionalitätsverhältnis zu den Anforderungen an die Regelungsdichte der Rechtsgrundlage: Je tiefer in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen wird, desto größer sind die Anforderungen an den Bestimmtheitsgrad des zugrundeliegenden Gesetzes.61
C. Die demokratischen Defizite des Al Qaida-Sanktionsregimes Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs weist das Al Qaida-Sanktionsregime erhebliche Defizite auf.
I. Die Rechtsetzungsebene Bereits das Ausbleiben der nach Art. 31 UN-Charta gebotenen Beteiligung der nicht im Sicherheitsrat vertretenen UN-Mitgliedstaaten an seinen Sitzungen zum 58
Habermars, Faktizität und Geltung, S. 213. Vgl. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 106. Vgl. zur Bedeutung der rechtlichen Abhilfe für das Rechtsstaatsprinzip Judge Russel Zinn, Canadian Federal Court, Abdelrazik gg. Kanada, 2009 FC 580, vom 4. Juni 2009, Rn. 6. 60 Vgl. für das deutsche Verfassungsrecht nur BVerfGE 33, 125, 158; BVerfGE 83, 130, 142 und nach internationalen Standards bereits die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 4. Vgl. für internationale Standards etwa den Gesetzesvorbehalt in Art. 29 Abs. 2 AEMR. 61 BVerfGE 83, 130, 145. 59
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3. Teil: Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Erlass individualgerichteter Sanktionsregime vermindert ihre Möglichkeit erheblich, sich an den Rechtssetzungsdiskursen beteiligen zu können. Die Verhandlungen über die Resolutionstexte bleiben den Sicherheitsratsmitgliedern überlassen, oftmals allein bestimmt durch die ständigen Mitglieder, wie einem Erfahrungsbericht Dire Tladis und Gillian Taylors zu entnehmen ist. Demnach gingen die Neuerungen des Regimes durch Resolution 1989 (2011) auf einen Vorschlag der Vereinigten Staaten zurück, der anschließend mit den Mitstreitern Frankreich und Großbritannien gegenüber den Vertretern der VR China und Russlands verteidigt wurde.62 Der Beitrag der übrigen Sicherheitsratsmitglieder habe sich im Wesentlichen darauf beschränkt, darüber zu verhandeln, ob die zu verabschiedenden Regelungen mit Ausdrücken wie „urge“, „request“ oder „decide“ qualifiziert werden sollten.63 Die Möglichkeit einer mittelbaren Einwirkung auf die Gestaltung des Sanktionsregimes bieten hingegen die regelmäßigen Konsultationen, die der Sanktionsausschuss64 und das Monitoring Team65 mit allen UN-Mitgliedstaaten abhalten. Dies ermöglicht es grundsätzlich allen Staaten, sich mit ihrer Kritik einzubringen und so die entscheidungskompetenten Sicherheitsratsmitglieder gegebenenfalls dazu zu bewegen, das Regime neu auszurichten. Daneben steht es der Generalversammlung offen, mittels an den Sicherheitsrat adressierter Aufforderungen zur Ausgestaltung des Regimes selbigen unter Handlungsdruck zu bringen. Er ist auf den Kooperationswillen der zur Umsetzung der Maßnahmen zuständigen Mitgliedstaaten angewiesen, auf den er nicht wird zählen können, wenn er sich ihren Forderungen langfristig widersetzt. Zudem sind Resolutionen der Generalversammlung dazu in der Lage, eine große Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, wodurch sie ihre Forderungen in einen öffentlichen Rechtfertigungsdruck transformieren kann. Da der Sicherheitsrat in der Regel alle 18 Monate das Sanktionsregime überprüft,66 ist dafür gesorgt, dass es regelmäßig zu einer Anpassung kommen kann. Der sukzessive auch durch den Druck der in der Generalversammlung vertretenen Staatengemeinschaft vorangetriebene Reformprozess ist Zeugnis für die Anpassungsfähigkeit des Regimes und die Einflussmöglichkeiten der Staatengemeinschaft, wenngleich es auch nach über zehn Jahren noch immer nicht gänzlich mit den Menschenrechten konform ist, so wie es gefordert wird.67 Für die Staatengemeinschaft besteht demnach die Möglichkeit, einen gewissen Problemdruck aufzubauen, um gegebenenfalls eine Rechtsänderung anzustoßen. Gleichwohl bestehen auch weiterhin große Defizite bei der Umsetzung der Sanktionen und der Berichtspflichten, denen die Staaten unter62
Tladi/Taylor, CJIL 10 (2011), S. 784 f. Tladi/Taylor, CJIL 10 (2011), S. 785. 64 Vgl. dazu nur den Bericht des Ausschusses über seine Aktivitäten im Jahr 2011, UN Doc. S/2012/305, Ziff. 22. 65 Vgl. zu den Aktivitäten nur den 13. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2012/968, Ziff. 84. 66 Vgl. zuletzt S/RES/2161 (2014), Ziff. 76. 67 Vgl. nur A/RES/64/297, Ziff. 7. 63
C. Die demokratischen Defizite des Al Qaida-Sanktionsregimes
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worfen wurden,68 was als ein Indiz dafür gewertet werden kann, dass sich die nicht im Sicherheitsrat vertretenen Mitgliedstaaten mit dem Regime und seinen Zielen noch nicht hinreichend identifizieren.69 Es wird zu untersuchen sein, inwieweit eine stärkere Einbindung aller Mitgliedstaaten möglich erscheint, um insofern Abhilfe zu schaffen. Für die normunterworfenen Individuen in ihrer Rolle als staatenunabhängige Akteure besteht keine institutionell verbürgte Möglichkeit, Einfluss auf die Gestaltung des Sanktionsregimes zu nehmen. Auch sind die Beteiligungsformen nationaler Parlamente, die zumindest eine Repräsentation des Willens der normunterworfenen Individuen in ihrer Eigenschaft als Staatsbürger bewirken könnten, bei der Entwicklung der immer tiefer in die Regelungskompetenzen der Staaten eingreifenden Normen des Völkerrechts mit Individualrechtsrelevanz in der Regel nicht mit regulären Gesetzgebungsverfahren zu vergleichen.70 Für völkerrechtliche Verträge und auf ihrer Grundlage erlassene Bestimmungen verdeutlicht sich dies in Deutschland an den Beteiligungsformen des Deutschen Bundestags. Zur Verhandlung des Wortlauts völkerrechtlicher Verträge werden in der Regel Unterhändler vom Auswärtigen Amt betraut71 und – sofern sie die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen – der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaft zur Zustimmung oder Mitwirkung vorgelegt (Art. 59 Abs. 2 GG). Gem. § 82 Abs. 2 GOBT sind im Bundestag Änderungsanträge zu völkerrechtlichen Verträgen nicht zulässig, wodurch die Möglichkeit zur Einflussnahme bereits entscheidend beschnitten ist. Einmal abgeschlossene Verträge sind dem Zugriff des einzelnen Staates praktisch weitgehend entzogen, und die Alles-oder-Nichts-Lösung des Rücktritts wird in der Regel auch keine echte Wahlmöglichkeit bieten.72 Dabei beruht „[d]ie grundsätzliche Zuordnung der Akte des auswärtigen Verkehrs zum Kompetenzbereich der Exekutive […] auf der Annahme, dass institutionell und auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren, und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen.“73 Eine zu starke Einbindung des Parlaments würde die Handlungsfähigkeit der Regierung zweckwidrig beschneiden.74 Auf diese Weise entsteht ein Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis 68
Vgl. dazu bereits den zweiten Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2005/83, Ziff. 43. 69 Vgl. dazu auch im Umkehrschluss zu den Äußerungen Monitoring Teams in seinem 13. Bericht, UN Doc. S/2012/968, Ziff. 27, 31. 70 Vgl. von Bogdandy/Venzke, ZaöRV 70 (2010), S. 21; Habermas, Kommunikative Rationalität und grenzüberschreitende Politik: eine Replik, S. 430 f. 71 Vgl. zum Verfahren: Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59, Rn. 72. 72 von Bogdandy/Venzke, ZaöRV 70 (2010), S. 22. 73 BVerfGE 2 BvE 4/11 vom 19. Juni 2012, Rn. 91. 74 BVerfGE 2 BvE 4/11 vom 19. Juni 2012, Rn. 91.
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3. Teil: Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
nach exekutiver Eigenverantwortung auf der einen und dem Anspruch auf Mitbestimmung seitens der Legislative auf der anderen Seite, mit dem sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines gegen die Bundesregierung angestrengten Organstreitverfahrens beschäftigen musste.75 In dem Urteil verdeutlicht das Gericht die für das deutsche Verfassungsrecht leitenden Prinzipien für das Ausmaß der einzufordernden parlamentarischen Einflussmöglichkeiten im Rahmen der auswärtigen Beziehungen. Sie geben grundsätzliche Hinweise zu dem demokratischen Anspruch an die Ausübung supranationaler Hoheitsgewalt aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts. Im zu entscheidenden Fall ging es um die Frage, zu welchem Zeitpunkt und wie umfangreich der Deutsche Bundestag beim Abschluss des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und der Vereinbarung des Euro-PlusPaktes hätte unterrichtet werden müssen.76 Dabei handelt es sich um eng mit den Institutionen und dem Recht der Europäischen Union verbundene, aber in ihrer Entstehung formal von letzterem zu unterscheidende völkerrechtliche Verträge, mit denen europäische Staats- und Regierungschefs die Staatsschulden- und Bankenkrise im Gebiet der Europäischen Währungsunion angehen wollen und die Gefahr künftiger Währungskrisen strukturell zu verringern versuchen.77 Für den rechtlichen Prüfungsrahmen ist entscheidend, ob es sich dabei um eine „Angelegenheit der Europäischen Union“ handelt. Über solche hat die Bundesregierung den Bundestag und den Bundesrat nach Art. 23 Abs. 2 GG zur Sicherung ihrer Mitwirkungsrechte umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt Bericht zu erstatten.78 Die Qualifizierung der parlamentarischen Unterrichtungsrechte gegenüber den Vorgaben des Art. 59 Abs. 2 GG geht auf den Willen zurück, die mit der europäischen Integration verbundenen Verschiebungen im nationalen Gewaltengefüge zugunsten der mitgliedstaatlichen Regierungen zu kompensieren.79 Aufgrund der Tiefe des mit der Kompetenzverschiebung auf die Europäische Union verbundenen Eingriffs in den Zuständigkeitsbereich der Legislative, mitunter durch die weitreichende Befugnis zur Begründung von Rechten und Pflichten der Bürger, wird die parlamentarische Demokratie vor große Herausforderungen gestellt.80 Um der supranationalen Rechtssetzung ausreichend demokratische Legitimation zu verleihen, sind Bundestag und Bundesrat eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung zu eröffnen.81 „Dementsprechend ist eine umso intensivere Unterrichtung geboten, je komplexer ein Vorgang ist, je tiefer er in den Zuständigkeitsbereich der Legislative eingreift und je mehr er sich einer förmlichen
75
BVerfGE 2 BvE 4/11 vom 19. Juni 2012. BVerfGE 2 BvE 4/11 vom 19. Juni 2012, Rn. 1. 77 Vgl. dazu die Pressemitteilung des BVerfG Nr. 72/2011 vom 11. November 2011. 78 Vgl zum Umfang der Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 GG, BVerfGE 2 BvE 4/ 11 vom 19. Juni 2012, Rn. 107. 79 BVerfGE 2 BvE 4/11 vom 19. Juni 2012, Rn. 96. 80 BVerfGE 2 BvE 4/11 vom 19. Juni 2012, Rn. 96. 81 BVerfGE 2 BvE 4/11 vom 19. Juni 2012, Rn. 97. 76
C. Die demokratischen Defizite des Al Qaida-Sanktionsregimes
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Beschlussfassung oder Vereinbarung annähert.“82 Unter anderem wurde der Kompensationsgedanke vom BVerfG dann auch dafür herangezogen, um Art. 23 Abs. 2 GG weit auszulegen und neben Vertragsänderungen und entsprechenden Änderungen des Primärrechts (Art. 23 Abs. 1 GG) sowie bei der Mitwirkung der Bundesregierung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 3 GG) auch solche Rechtsakte der qualifizierten Unterrichtungspflicht zu unterstellen, die in sonstiger Weise für die Entwicklung und das Handeln der Europäischen Union bedeutsam sind.83 In den übrigen Bereichen der auswärtigen Politik gilt demgegenüber weiterhin ein Vorrang der Exekutive. Entscheidungsverfahren im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Verträgen, die nicht mit der Europäischen Union in Verbindung stehen, mangelt es an entsprechenden demokratischen Kompensationsmechanismen, auch wenn sie sich wie im Falle des Al Qaida-Sanktionsregimes nicht nur auf die Rechtsstellung der Bürger durchschlagen, sondern zu tiefgreifenden Eingriffen in ihre Grundrechte führen können: Das Abstimmungsverhalten der Deutschen Bundesregierung in den Organen der Vereinten Nationen untersteht keiner qualifizierten Unterrichtungspflicht gegenüber dem Deutschen Bundestag. Dies gilt sowohl für die Wahrnehmung des Stimmrechts im Sicherheitsrat, wie für jenes in der Generalversammlung, die prinzipiell die entscheidende Rolle bei der für Individuen relevanten rechtsfortbildenden Auslegung der Bestimmung des Art. 39 UN-Charta gespielt hat.84 Dies steht der an obiger Stelle zitierten Formel des Bundesverfassungsgerichts entgegen, die das Ausmaß des parlamentarischen Unterrichtsanspruchs in Proportionalität zu der Tiefe des Eingriffs in dessen Regelungskompetenz bemisst. So müsste nach der Wesentlichkeitstheorie jeder Eingriff in grundrechtsrelevante Bereiche auf ein formelles Parlamentsgesetz zurückgeführt werden können.85 Die Sanktionen des Sicherheitsrats müssen zwar noch in nationales Recht übersetzt werden, jedoch sind die Staaten dazu nach Art. 25, 48 Abs. 2 UN-Charta völkerrechtlich – zumindest prinzipiell – verpflichtet. In der Europäischen Union wurde die unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltende Verordnung Nr. 881/2002 zur Umsetzung des Sanktionsregimes zudem durch den Rat erlassen, in der nur die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten repräsentiert sind.86 Während die Mitgliedstaaten demnach zumindest eine eingeschränkte Möglichkeit haben, sich im Rahmen eines Rechtfertigungsdiskurses mit ihren Einwänden an den Sicherheitsrat zu wenden, wird ein solcher mit Privatakteuren nicht geführt.
82 83 84 85 86
BVerfGE 2 BvE 4/11 vom 19. Juni 2012, Rn. 117. BVerfGE 2 BvE 4/11 vom 19. Juni 2012, Rn. 103. Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., b), bb). Vgl. dazu den vorangegangenen Punkt B., II., 2. Ursprünglich auf Grundlage von Art. 60, 301 und 308 EG.
306
3. Teil: Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
II. Die Umsetzungsebene Der Sanktionsausschuss sollte bei der Umsetzung des Sanktionsregimes im „listing“-Verfahren auf die Rechtsanwendung beschränkt sein. Dies gilt umso mehr, weil es um die Einschränkung von Individualrechtspositionen geht. Solche dürfen nur auf Grundlage eines hinreichend konkreten Gesetzes erfolgen, das es den potentiell normbetroffenen möglich macht, die Folgen ihres Handelns abzusehen. Zumal der Sanktionsausschuss auch keiner effektiven gerichtlichen Kontrolle unterstellt ist, die den Sanktionsausschuss zur einheitlichen Anwendung der Eingriffsnormen zwingen könnte, sind an den Bestimmtheitsgrad im Zweifel sogar höhere Anforderungen zu stellen. Wie bereits im Rahmen der positivrechtlichen Prüfung erörtert wurde, genügen die Eingriffsnormen des Al Qaida-Sanktionsregimes diesen Anforderungen nicht.87
III. Das „de listing“-Verfahren Den Rechtsschutzinstanzen des Al Qaida-Sanktionsregimes ist kein Rechtssetzungsorgan beiseite gestellt, das die von ihm erlassenen Gesetze in einem umfassenden Rechtfertigungsdiskurs gegenüber den Betroffenen legitimiert. Damit besteht auch für die Rechtsunterworfenen kein hinreichender Zugriff auf das Recht, der eine effektive Kontrolle der rechtsprechenden Organe ermöglichen würde, wenngleich die regelmäßigen Konsultationen des Sanktionsausschusses und des Monitoring Teams zumindest für die UN-Mitgliedstaaten eine wichtige Möglichkeit der Einflussnahme sichern.88 Zudem kann sich über die Wahl der über die „de listing“-Anträge entscheidenden Instanzen keine Repräsentation der Rechtsgemeinschaft vermitteln. Die Ombudsperson wird in enger Abstimmung mit dem Sanktionsausschuss vom Generalsekretär ernannt,89 womit zwar ein gewisses Maß an Unabhängigkeit gesichert ist, aber noch nicht von hinreichender Repräsentativität gesprochen werden kann. Der Sicherheitsrat und der diesen deckungsgleich abbildende Sanktionsausschuss90 setzen sich bekanntlich aus zehn nichtständigen und fünf ständigen Mitgliedern zusammen (Art. 23 Abs. 1 UN-Charta). Allein die nichtständigen Mitglieder werden von der Generalversammlung für zwei Jahre gewählt (Art. 23 Abs. 1 und 2 UN-Charta), die damit ein Mandat der in den Vereinten Nationen vertretenen Staatengemeinschaft tragen. Allerdings können Streichungsanträge in strittigen Fällen, in denen der Sanktionsausschuss eine auf die Annahme eines solchen Antrags 87
Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 4, b), bb), (1). Vgl. dazu im vorangegangenen Punkt I. 89 S/RES/1904 (2009), Ziff. 20. 90 Ziff. 1 lit. b Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 88
C. Die demokratischen Defizite des Al Qaida-Sanktionsregimes
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gerichtete Empfehlung der Ombudsperson nicht geschlossen akzeptiert, auf Antrag eines Ausschussmitglieds an den Sicherheitsrat verwiesen werden, der dann nach dem regulären Stimmverfahren, d. h. mehrheitlich, unter Einschluss der fünf Vetomächte (Art. 27 Abs. 3 UN-Charta), positiv über den Antrag befinden muss, um ihm abzuhelfen.91 Damit hängt der Erfolg eines Antrags entscheidend von der Gunst der fünf ständigen Mitglieder ab, die sich einer Wiederwahl gerade nicht stellen müssen. Die normunterworfenen Individuen finden im Wahlverfahren zudem keine Berücksichtigung. Wenngleich prinzipiell an der Abgrenzung zwischen den Modi der Rechtsanwendung und der Rechtssetzung festzuhalten ist, muss zudem berücksichtigt werden, dass sich Entscheidungen von Rechtsspruchorganen ebenso wie solche exekutiver Gewalten regelmäßig nicht in der bloßen Erkenntnis und Anwendung bestehenden Rechts erschöpfen.92 Dies würde mitunter voraussetzen, dass die Begriffe von Normsätzen einen klar umrissenen und gleichbleibenden Bedeutungsgehalt aufwiesen, was aufgrund ihres Mangels an semantischer Autonomie aber nicht der Fall ist.93 Für die „de listing“-Instanzen der UN-Sanktionsregime kommt dieser Punkt sogar schwerer zu tragen, als für nationalstaatliche Gerichte. So sind die Resolutionen des Sicherheitsrats, die ihnen die Rechtsgrundlage ihrer Entscheidungen bieten, in verschiedenen authentischen Sprachen gefasst, die die Bedeutungsfelder von Wörtern ganz verschieden abstecken können.94 Der Rechtsspruch hängt demnach immer – und im Rahmen der UN-Sanktionsregime ganz besonders – von dem Verständnis und dem Willen der rechtsprechenden Organe ab. Dazu trägt neben der Mehrzahl der authentischen Resolutionssprachen wiederum die Offenheit der anzuwendenden Rechtssätze bei, wodurch die „de listing“-Instanzen den Modus der reinen Rechtsanwendung nicht immer einhalten können. Je weiter sich die Entscheidungen dem Bereich der Rechtsbegründung annähern, desto höher sind aber die Anforderungen an ihre Legitimität: In Rechtsbegründungsdiskursen gibt es nur Beteiligte, weshalb sie allen gegenüber zu rechtfertigen sind. Eine Begründung der Entscheidungen vor der gesamten Rechtsgemeinschaft, die dazu einen Beitrag liefern könnte, findet jedoch nicht statt.95 Die Unbestimmtheit der durch das Al Qaida-Sanktionsregime geschaffenen Rechtslage erstreckt sich auch auf die Verfahrensregeln. Kimberly Prost sah sich bereits dazu veranlasst, in weiten Feldern eigene Regeln aufzustellen.96 Auf der 91
Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 43; Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 15. von Bogdandy/Venzke, ZaöRV 70 (2010), S. 11 ff.; Fischer-Lescano, Globalverfassung, S. 147 m.w.N. 93 Vgl. dazu Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 167 ff. 94 Vgl. Oksaar, ARSP 53 (1967), S. 103. 95 Die „Gruppe gleichgesinnter Staaten“ fordert zudem mehr Transparenz, damit die staatlichen, regionalen und internationalen Gerichte überhaupt in die Lage versetzt werden, um zu überprüfen, ob das Ombudsverfahren einen effektiven Rechtsbehelf bietet, UN Doc. S/2015/ 286, S. 6. 96 Vgl. dazu ausführlich bereits den 2. Teil, A., II., 2., a), cc), (2). 92
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3. Teil: Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Internetseite ihres Büros ist eine eigene Rubrik eröffnet worden, um über sie zu informieren.97 Wohl am bedeutendsten ist in dieser Hinsicht, dass ihr keine Rechtsmaßstäbe vorgegeben wurden, wie die zur Beurteilung eines „de listing“Antrags zur Verfügung stehenden Informationen bewertet werden sollen.98 Damit blieb der Ombudsperson keine andere Möglichkeit, als eigene Kriterien festzusetzen. Sie macht ihre Empfehlung seither daran fest, ob nach ihrer Ansicht zum Zeitpunkt des Antrags ausreichend belastendes Material zur Verfügung steht, um eine begründete und glaubwürdige Grundlage für den weiteren Verbleib auf der Sanktionsliste am Maßstab der „listing“-Kriterien darzustellen.99 Auf eine nähere Konturierung dieser Kriterien hat sie bewusst verzichtet, um ausreichend Flexibilität bei der Bewertung der aus ganz unterschiedlichen Quellen stammenden Informationen zu wahren.100 Anhand der eigens formulierten Bewertungsregeln hat die Ombudsperson also Regelungslücken zu einem großen Umfang durch eigene Maßstäbe ausgefüllt. Dabei hat sie sich an Grundsätzen orientiert, die allgemein als fundamental über Rechtsgrenzen hinweg akzeptiert sind, um dem rein internationalen Charakter gerecht zu werden.101 Zusammenfassend ist festzustellen, dass keine hinreichenden Ausgleichmaßnahmen dafür getroffen wurden, um den im internationalen Kontext erschwerten Bedingungen zur Gestaltung eines Rechtsschutzverfahrens, das den Legitimitätserwartungen der Normunterworfenen zu entsprechen in der Lage ist, zu begegnen. Im Anschluss sollen entsprechende Möglichkeiten aufgezeigt werden.
IV. Ergebnis Alle drei untersuchten Ebenen unterliegen demokratischen Bedenken. Insbesondere die Rechtssetzungsebene ist dabei hervorzuheben. Sie sichert nicht die nach demokratischen Gesichtspunkten zu fordernde Rückbindung zum Willen der Normunterworfenen. Dieses Defizit strahlt sowohl auf die Umsetzungs- wie auf die Rechtsprechungsebene aus. Die Machtkonzentration beim Sanktionsausschuss und dem Sicherheitsrat verhindert zudem eine dem Prinzip der „checks and balances“ äquivalente Möglichkeit gegenseitiger Kontrolle, die eine Selbstprogrammierung verhindern könnte.
97 Abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ombudsperson/approach.shtml (zuletzt besucht am 12. August 2015). 98 Vgl. dazu bereits den 2. Teil, A., II., 2., b), bb), (2). 99 UN Doc. S/2011/447, Anhang III, Ziff. 8, 16. 100 UN Doc. S/2011/447, Anhang III, Ziff. 17. 101 Anhang III zu UN Doc. S/2011/447, Ziff. 11.
D. Inklusivität/Publizität als Voraussetzung eines Rechtfertigungsdiskurses
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D. Inklusivität und Publizität als Voraussetzungen eines umfassenden Rechtfertigungsdiskurses Es wurden bereits mit Verweis auf die Diskurstheorie Kriterien herausgestellt, die zu einer Bewertung der demokratischen Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes dienten. Ihnen lässt sich zugleich ein Hinweis darauf entnehmen, wie eine partielle Kompensation der aufgezeigten Defizite möglich erscheint. Zur Steigerung der Legitimität des Sanktionsregimes wäre es nach obigen Ausführungen erforderlich, dass das Verfahren der Rechtsgenese in einen umfassenden Rechtfertigungsdiskurs überführt wird und eine fortwährende Rückbindung zum gegebenenfalls aktualisierten Willen der Rechtsgemeinschaft gesichert ist. Vorausgesetzt, das Verfahren ist inklusiv gestaltet und in einer Weise strukturiert, die den Entscheidungsträgern „gute Gründe“, d. h. allgemein-reziprok gültige Gründe, für eine Rechtfertigung zum Erlass individualrechtsrelevanter Normen abverlangt, kann es Ergebnisse begünstigen, die prinzipiell von allen Betroffenen anerkannt werden können und so die Legitimität des Sanktionsregimes erhöhen. Dies erfordert zunächst die Möglichkeit der Beteiligung der nicht im Sicherheitsrat vertretenen UNMitgliedstaaten, in deren Regelungshoheit eingegriffen wird, und die zur Umsetzung der Sanktionen verpflichtet sind.102 Aus dem Prinzip der Allgemeinheit lässt sich zudem das Erfordernis ableiten, dass auch den normunterworfenen Privatakteuren prinzipiell die Möglichkeit zu eröffnen ist, sich in den Prozess einzubringen. Ihre bloße Beteiligung kann zudem bereits dazu dienen, die deliberative Qualität der internationalen Verhandlungen zu erhöhen, indem sie dazu beitragen können, sie auf eine Verständigungsorientierung hin auszurichten.103 Während es oft die fixen Präferenzen sind, die staatliche Verhandlungspartner leiten und unter Einsatz von Machtinstrumenten durchzusetzen versuchen, sind private Akteure in der Regel mangels zur Verfügung stehender Machtinstrumente auf Ressourcen kommunikativer Vernunft, d. h. auf gute Argumente, beschränkt. Auf diese Weise fordern sie allgemein akzeptable Rechtfertigungen ein, in die die entscheidungstragenden Parteien ihre Interessen zu übersetzen genötigt werden. In Kombination mit formalen Verhandlungsmodi können sie so zu einer „relativen Entkopplung des Kommunikationsmodus“104 von partiellen Verhandlungszielen und Einzelinteressen beitragen und damit die Bedeutung kommunikativer Vernunft im Rahmen internationaler Verhandlungen aufwerten.105 Dazu trägt auch der Umstand bei, dass der Sicher102
Vgl. dazu auch Krisch, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 39, Rn. 38. Vgl. daneben zur Bedeutung der über Vertreter von Nichtregierungsorganisationen eingebrachten Expertise für die Arbeit des Sicherheitsrats, Wallensteen/Staibano/Eriksson, Making Targeted Sanctions Effective, S. 30 f. 104 Habermas, Kommunikative Rationalität und grenzüberschreitende Politik: eine Replik, S. 417, beschreibt diese Wirkweise als Folge strenger Formalisierung und Institutionalisierung, die eine vom Verhandlungsgeschick der Parteien weitgehend unabhängige Entscheidungsfindung ermöglicht. 105 Deitelhoff, Was vom Tage übrig blieb, S. 31. 103
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3. Teil: Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
heitsrat auf die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten und einiger Privatakteure angewiesen bleibt.106 Sollten die Mitglieder des Sicherheitsrats auf die im Rahmen einer öffentlichen und zumindest schwach formalisierten Auseinandersetzung eingebrachten Anliegen der Vertreter von sonstigen UN-Mitgliedstaaten und der Zivilgesellschaft nicht mit akzeptablen Gründen eingehen, müssten sie um die Implementierung und damit um die Effektivität des Systems fürchten. Wie Ian Johnstone feststellt: „The felt need to avoid this adverse judgment fuels the decisionmaking process, tipping it in the direction of more principled debate“.107 Nötig wäre demnach, dass im Rahmen einer öffentlichen und transparenten Auseinandersetzung jeder potentiell Normbetroffene – sowohl Staatenvertreter wie nichtstaatliche Akteure – zumindest theoretisch seine Argumente einbringen kann. Daneben trägt aber auch der durch ein maximales Maß an Transparenz beförderte informelle Austausch der Öffentlichkeit einen notwendigen Beitrag zur Demokratisierung bei. Zum einen ermöglicht die transparente Gestaltung des Verfahrens den nichtstaatlichen Akteuren, den Prozess zu beeinflussen, ohne direkt in den Verhandlungen beteiligt zu sein. Bereits die Aufmerksamkeit von zivilgesellschaftlichen Akteuren kann die entscheidungskompetenten Staatsvertreter dazu nötigen, die von ihnen beschlossenen Maßnahmen in einer Weise zu rechtfertigen, dass sie die Betroffenen akzeptieren können, wollen sie dem Druck öffentlicher Kritik entgehen (Ian Johnstone beschreibt dies als „Publikumseffekt“).108 Ein offenes und transparentes Verfahren kann ferner dazu dienen, eine Bereitschaft zur Begründung und Rechtfertigung zu signalisieren, die die ansonsten nur schwer zu widerlegende Unterstellung entkräften könnte, die entscheidungstragenden Parteien hätten sich alleine von ihren Partikularinteressen leiten lassen.109 Dieser Faktor kann eine wichtige Rolle für die Bereitschaft zur Unterstützung des Sanktionsregimes spielen. Das Prinzip der Öffentlichkeit nimmt in supranationalen Kontexten einen besonders hohen Stellenwert für die Legitimität des Verfahrens ein, da diese nicht in einer Weise von demokratisch legitimierten Willensvertretern getragen werden kann, wie es auf staatlicher Ebene der Fall ist.110 Der Mangel eines über Wahlen vermittelten Vertrauensvorschusses erfordert ein maximales Maß an Transparenz, damit die Rechtsgenossen nachvollziehen können, ob die getroffenen Beschlüsse von Gründen getragen werden, die sie mit ihren Ansichten prinzipiell vereinbaren können, um die Möglichkeit zu haben, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt gegebenenfalls mit 106
Tzanakopoulos, Transparency in the Security Council, S. 385, schreibt den Staaten ein Recht zur Kontrolle der Resolutionen des Sicherheitsrats zu. Zur Ausübung dieses Rechts stehe ihnen das nachgeordnete (Hilfs-)Recht auf Zugng zu Informationen zu (mit der korrespodierenden Verpflichtung des Sicherheitsrats zur transparenten Gestaltung seines Verfahrens), auf deren Grundlage der Sicherheitsrat zu seinen Entscheidungen kommt. 107 Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 307. 108 Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 305. 109 Vgl. dazu Biersteker/Eckert, in: dies., Watson Report, S. 38. 110 Vgl. ausführlich zur Transparenz der Verhandlungen im Sicherheitsrat Tzanakopoulos, Transparency in the Security Council, S. 367 ff.
D. Inklusivität/Publizität als Voraussetzung eines Rechtfertigungsdiskurses
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eigener Kritik in die öffentliche Diskussion einzusteigen und auf die Entscheidungsträger einen Problemdruck aufzubauen. An den Protesten im Zusammenhang mit dem Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (ACTA) kann verdeutlicht werden, wie sehr die durch völkerrechtlich induzierte Normen betroffene Zivilgesellschaft einen Anspruch auf ein transparentes Verfahren erhebt, das es ihnen ermöglicht, sich auf Grundlage eines maximalen Informationsstandes in die öffentliche Diskussion einzubringen.111 Das vornehmlich von einzelnen Industriestaaten ausgehandelte Abkommen war einem erheblichen Widerstand durch Teile der Zivilgesellschaft ausgesetzt, die ihren Unmut mit Großdemonstrationen, direkter Kontaktaufnahme zu Abgeordneten des Parlaments und einem Petitionsschreiben, mit welchem 2,8 Millionen Unterzeichner aus der ganzen Welt die Abgeordneten zur Ablehnung aufriefen, ihren Einfluss geltend zu machen versuchten.112 Über die großangelegte Internetpräsenz der Bündnisse gegen ACTA machten sie umfangreiche Ausführungen zu ihren Gründen der Ablehnung.113 Bereits in der Phase der Verhandlung des Abkommens wurden in der Öffentlichkeit Probleme identifiziert, einflussreich thematisiert und in einer Weise in Forderungen und Geltungsansprüche übersetzt, dass sie von Abgeordneten des Europäischen Parlament übernommen wurden114 und zu einem veränderten Verständnis des Inhalts verfahrensleitender Normen geführt haben.115 Zum einen wurde Kritik an der Umgehung etablierter multilateraler Foren wie der WIPO und der WTO erhoben, durch welche offene „demokratische Verfahren“ und Verfahrensgarantien hätten sichergestellt werden können.116 Ferner wurden die ge111 Ganz ähnliche Entwicklungen waren in der Folge während der Verhadlungen zur Vereinbarung über die Transtlantische Freihandelsabkommen (TTIP) und dem Umfassenden Wirtshcafts- und Handelsabkommen (CETA) wahrzunehmen. Vgl. entgegen der verbreiteten Kritik am Verhandlungsprozess jedoch Hoffmeister, AVR 55 (2015), S. 37 ff. Viele der nunmehr eingeführten Transparenzpraktiken gehen ebenfalls auf den Druck der Zivilgesellschaft zurück, ebd. 112 Das Abkommen wurde von der EU und den einzelnen Mitgliedstaaten, den USA, Australien, Kanda, Japan, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Singapur, Südkorea und der Schweiz ausgehandelt. Vgl. dazu den Bericht des Pressedienstes des Europäischen Parlaments vom 04. Juli 2012 (abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/news/de/pressroom/content/2012 0703IPR48247/html/Europ%C3%A4isches-Parlament-lehnt-ACTA-ab. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 113 Vgl. die Webseiten nur einiger Bündnisse (abrufbar unter: www.stopacta.de; www.internetdefenseleague.org. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 114 Vgl. dazu nur die Redebeiträge in der Plenarsitzung vom 03. Juli 2012 von Bernd Lange für die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten & Demokraten und Jan Philipp Albrecht für die Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz (abrufbar unter: http://www.europ arl.europa.eu/ep-live/de/plenary/video?debate=1341320822740. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 115 Insofern hat die Öffentlichkeit in diesem Fall ihre von Habermas, Faktizität und Geltung, S. 435 zugeschriebene Aufgabe zur Herstellung eines „Problemdrucks“ erfüllt. 116 Vgl. dazu die Webseite des Bündnisses „Stop Acta“ (abrufbar unter: http://www.stop acta.de/was-ist-akta/warum-ist-acta-umstritten/. Zuletzt besucht am 12. August 2015).
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3. Teil: Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
ringe Rechenschaftspflicht und der Verschluss der Verhandlungsdokumente angeprangert.117 Der Protest wirkte sich auf die Gestaltung des Verfahrens zur Verhandlung internationaler Übereinkünfte zwischen der Europäischen Union und Drittstaaten aus, dessen Rechtgrundlage Art. 218 AEUV bildet. Nach dessen Abs. 10 ist das Europäische Parlament in allen Phasen zur Verhandlung von Übereinkünften mit Drittländern unverzüglich und umfassend zu unterrichten. Hatte die Kommission der Öffentlichkeit und dem Parlament anfangs noch den Zugang zu Unterlagen weitgehend verwehrt,118 legte sie auf Druck des Parlaments und der Zivilgesellschaft im Verlauf des Verhandlungsprozesses höhere Maßstäbe an die Transparenz ihres Handelns und unternahm größere Bemühungen, um das Parlament zu unterrichten.119 Nach Auffassung des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres habe die Kommission die Unterrichtungsrechte aber immer noch zu eng ausgelegt, weshalb das rechtlich geforderte Maß an Transparenz unterschritten worden sei.120 So wurde moniert, dass nicht alle vorbereitenden Arbeiten öffentlich zugänglich gemacht wurden, obwohl diese nach Art. 32 WVK für internationale Übereinkünfte ein ergänzendes Auslegungsmittel darstellen.121 Am 4. Juli 2012 lehnte das Europäische Parlament das ihr vorgelegte Übereinkommen letztlich ab.122 Der Prozess verdeutlicht, wie mitunter von zivilgesellschaftlichen Akteuren erhobene Forderungen nach einer „Demokratisierung“ des Verfahrens einen Rechtfertigungsdruck ausgeübt haben, der auf die Interpretation und Umsetzung von Verfahrensregeln durch die Kommission eingewirkt hat, auch wenn selbige am Ende unter dem eingeforderten Niveau verblieb. Die protestierenden Bürger haben den Verhandlungsprozess aufgrund mangelnder Mitsprachemöglichkeiten als ungerecht empfunden und mitentscheidend dazu beigetragen, dass die politischen Akteure zu der Einsicht kamen, dass entsprechende Vertragswerke in Zukunft nicht mehr an der Öffentlichkeit vorbei verabschiedet werden können. So stellte die für die Bundesregierung verhandlungsführende Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fest: 117
Vgl. dazu die Webseite des Bündnisses „Stop Acta“ (abrufbar unter: http://www.stop acta.de/was-ist-akta/warum-ist-acta-umstritten/. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 118 Vgl. dazu die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2010 zur Transparenz und zum Stand der Verhandlungen über das ACTA, ABl. C 349 E/46 vom 22. Dezember 2010, S. 47. 119 Vgl. dazu die Ausführungen in der Stellungsnahme des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz, und Inneres vom 04. Juni 2012, Plenarsitzungsdokument A7-0204/2012 vom 22. Juni 2012, S. 17. 120 Stellungnahme des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz, und Inneres vom 04. Juni 2012, Plenarsitzungsdokument A7-0204/2012 vom 22. Juni 2012, S. 17. 121 Stellungnahme des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz, und Inneres vom 04. Juni 2012, Plenarsitzungsdokument A7-0204/2012 vom 22. Juni 2012, S. 17. Zu den Schwierigkeiten zur Offenlegung entsprechender Dokumente, die aufgrund von Restriktionen des Vertragspartners entstehen können am Beispiel des TTIP-Abkommens Hoffmeister, AVR 55 (2015), S. 39. 122 s. ABl. C 349 E/32 vom 29. November 2013, S. 552.
D. Inklusivität/Publizität als Voraussetzung eines Rechtfertigungsdiskurses
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„Wenn wir sehen, wie viele Leute es in ganz Europa gibt, die Acta nicht wollen, dann ist es richtig zu sagen: Wir betreiben das vorerst nicht weiter. Wir können doch nicht so tun, als interessierten uns die Sorgen der Menschen nicht. Das haben wir früher vielleicht getan, und das hat zur Politikverdrossenheit beigetragen. […] Ich betrachte [die europaweite Auseinandersetzung um die Freiheit des Internets] als kleinen Vorgeschmack darauf, wie das Netz und eine kritische Öffentlichkeit die Politik verändern werden und wie die Bürger an politischen Prozessen teilhaben können. […] [Wir] merken, dass wir als Regierung, Ministerin oder Abgeordnete immer öfter hinterfragt werden und eingestehen müssen, dass wir nicht immer eine Antwort haben.“123
Besonders bezeichnend ist, dass Gegenstand des Protestes unter anderem die Umsetzung von Verfahrensregeln war, die eine stärkere Rückkopplung an den Willen der Normunterworfenen gewährleisten sollen, ihnen also erst die Möglichkeit einräumen, auf Basis eines hinreichenden Informationsstandes internationale Übereinkommen kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls Forderungen an die Verhandlungsführer zu adressieren. Die Legitimitätserwartungen an Verfahren haben sich offenbar im Zuge der wachsenden Interdependenz und Verregelung auf internationaler Ebene gewandelt und zu einem erweiterten Verständnis dessen geführt, was Demokratien heute leisten müssen. Ein hohes Maß an Transparenz wird dabei als eine Bedingung für die Kompensation der mit der stärkeren Verrechtlichung der internationalen Beziehungen einhergehenden Gewaltenverschiebung von den Parlamenten auf die internationale Verhandlungen führenden Exekutiven erkannt. Der Geltungsanspruch dieser Deutung vermittelte sich in diesem Fall über öffentlich artikulierten Protest. Daneben wurde aber auch Kritik an dem materiellen Regelungsgehalt des Regimes geäußert. Mitunter wurde von Akteuren der Protestbewegung der Rahmen der Interpretationsmöglichkeiten der einzelnen Bestimmungen abgesteckt und als zu unbestimmt und potentiell zu weitreichend empfunden.124 Auch diesen Einwand griffen einige Abgeordnete des Europäischen Parlaments zur Begründung ihrer Ablehnung auf.125 Die potentiellen Gefahren für die bürgerlichen Freiheiten würden die beabsichtigten Vorteile des Übereinkommens aufwiegen.126 Auf diese Weise wirkt die Tatsache, dass manche vorbereitenden Arbeiten, die als Hilfsmittel zur 123 Interview mit der Wochenzeitung DER SPIEGEL vom 11. Juni 2012, Ausgabe 24/2012, S. 26 f. 124 Vgl. etwa auf der Webseite des Bündnisses „Stop Acta“ (abrufbar unter: http://www.stop acta.de/was-ist-akta/warum-ist-acta-umstritten/. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 125 Vgl. dazu nur den Redebeitrag in der Plenarsitzung vom 03. Juli 2012 von Jan Philipp Albrecht für die Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz (abrufbar unter: http://www. europarl.europa.eu/ep-live/de/plenary/video?debate=1341320822740. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Eine ausführliche Kritik an der Unbestimmtheit des Regelwerkes liefert der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres in seiner Stellungnahme vom 4. Juni 2012, Plenarsitzungsdokument des Europäischen Parlaments, A7-0204/2012, S. 16 ff. 126 Vgl. den Bericht des Berichterstatters im Ausschuss für internationalen Handel David Martin vom 22. Juni 2012, Plenarsitzungsdokument des Europäischen Parlaments, A7-0204/ 2012, S. 6 f.
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3. Teil: Legitimität des Al Qaida-Sanktionsregimes
Auslegung hätten herangezogen werden können, nicht offengelegt wurden, auf das Defizit der mangelnden Bestimmtheit fort, das auch in dieser Hinsicht als ein demokratisches Defizit verstanden werden kann. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass trotz der Komplexität der Regelungsmaterie mitunter eine relativ fundierte Kritik an dem Übereinkommen stattgefunden hat. Auch das Al Qaida-Sanktionsregime ist höchst ausdifferenziert. Es stellt eine komplexe Form supranationaler Hoheitsgewalt dar, bei der unterstellt werden kann, dass zu dessen Ausgestaltung nur ein Bruchteil der normunterworfenen Weltbevölkerung aktuell überhaupt eine Meinung hat. Dennoch – und das bleibt entscheidend – eröffnet die öffentliche Begründung rechtssetzender wie rechtsfortbildender Entscheidungen erst die Möglichkeit einer öffentlich-diskursiven Legitimitätsprüfung. Nur die öffentliche Debatte kann potentiell einen legitimationsstiftenden Konsens bewirken.127 Die für die Ebene der Rechtssetzung hervorgehobenen Kriterien der Öffentlichkeit und Transparenz können daneben auch die demokratische Legitimität der Entscheidungen der über „de listing“-Anträge befindenden Organe erhöhen. Werden sie „in den allgemeinen Rechtfertigungskontext öffentlicher Gewalt“ gerückt,128 so unterstehen sie ebenfalls dem besonderen Druck, ihre Entscheidungen streng an der Linie allgemein akzeptierter Normen zu rechtfertigen.129 Zudem wird auf diese Weise eine Kontinuität und damit eine Rechtssicherheit begünstigt, zumal die zur Entscheidung berufenen Organe in gleichgelagerten Folgefällen dazu genötigt wären, für eine Abweichung von ihrer Vorentscheidung einen der allgemeinen Kritik zugänglichen Begründungsaufwand zu liefern. Allein über eine öffentliche Begründung kann schließlich der Gehalt konkretisierter Normsätze auch seine volle Appellfunktion entfalten. Dies ist besonders bedeutsam für das Tatbestandsmerkmal der sanktionsbewehrten Verbindung zu oder Mitgliedschaft in Al Qaida, unter das theoretisch jede denkbare Handlung mit Bezug auf Al Qaida subsumiert werden könnte. Letztlich kann erst eine öffentliche Begründung die für rechtsergänzende, rechtsfortbildende und rechtserweiternden Entscheidungen mit abstrakt-genereller Geltungskraft aus Gründen der demokratischen Legitimität zu fordernde Rückbindung zur Rechtsgemeinschaft bewirken.
E. Ergebnis Das Al Qaida-Sanktionsregime weist erhebliche, mitunter strukturell vermittelte Legitimitätsdefizite auf. Mit Hilfe der Diskurstheorie wurden allerdings Möglichkeiten aufgezeigt, wie zumindest eine partielle Kompensation unterhalb der Schwelle einer umfassenden Änderung des Institutionengefüges der Vereinten Na127 128
S. 29. 129
Steffek, Die Legitimation internationalen Regierens, S. 178. Vgl. zu internationalen Gerichten allgemein von Bogdandy/Venzke, ZaöRV 70 (2010), Harper, NYUJInt.L&Pol. 27 (1994), S. 139.
E. Ergebnis
315
tionen umgesetzt werden kann. So sollte allen Rechtsgenossen bereits während des Prozesses der Rechtsgenese die Möglichkeit zur Einforderung von Rechtfertigungen und damit die Beteiligung an Diskussionen im Vorlauf zum Erlass von Resolutionen eröffnet werden. Sowohl für die Ebene der Rechtssetzung wie für die Ebene des „de listings“ sollten die Verfahren möglichst öffentlich und transparent gestaltet werden.
4. Teil
Ein Reformvorschlag Letztlich sollen die Ergebnisse der vorangegangenen Teile 2 und 3 für einen Reformvorschlag verwertet werden.
A. Die Rechtssetzungsebene Aus der Untersuchung im vorangegangenen 3. Teil konnte ein Grundprinzip abgeleitet werden, das für die Ausgestaltung des Verfahrens zum Erlass individualgerichteter Sanktionsregime des Sicherheitsrats mit (quasi-)legislativem Charakter leitend sein kann. Demnach ist im Vorlauf prinzipiell jedem potentiell Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, Rechtfertigungen für die Maßnahmen einzufordern. Ferner hat sich ergeben, dass das Verfahren institutionell so ausgestaltet sein sollte, dass es einen Zwang zum besseren Argument verbürgt. Das Prinzip der Publizität wurde dabei als Mittel erkannt, welches beiden Zielen zugutekommen kann.
I. Inklusivität Das Verfahren sollte prinzipiell allen Staaten wie auch der betroffenen Zivilbevölkerung die Möglichkeit eröffnen, sich in die entscheidungstragenden Verhandlungen einzubringen.1 Als Foren der Beteiligung kommen die offiziellen Sitzungen des Sicherheitsrats und informelle Debatten in Betracht. Wie über eine Kombination dieser Beteiligungsformen sowohl den nicht im Sicherheitsrat vertretenen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen wie auch Akteuren der Zivilgesellschaft die Partizipation am Rechtfertigungsdiskurs ermöglicht werden kann, zeigt das Verfahren im Vorfeld zum Erlass von Resolution 1540 vom 28. April 2004.2 Mit ihr hat der Sicherheitsrat abstrakt-generelle Normen erlassen, mit dem Ziel, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und insbesondere deren Einsatz durch nichtstaatli1
Vgl. in diesem Sinne auch Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 13; Fassbender, The Role for Human Rights in the Decision-making Process of the Security Council, S. 85. 2 Vgl. dazu mit weiteren Hintergrundinformationen zum Verfahrensablauf aus Interviews mit Staatenvertretern: Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 290. Vgl. auch: We the peoples: civil society, the United Nations and global governance – Report of the Panel of Eminent Persons on United Nations – Civil Society Relations, UN Doc. A/58/817, Ziff. 95 – 100.
A. Die Rechtssetzungsebene
317
che Akteure wie den auf der 1267-Sanktionsliste (heute Taliban- bzw. Al QaidaSanktionsliste) aufgeführten Mitgliedern und Unterstützern der Taliban und Al Qaida zu verhindern. Dazu werden die Staaten verpflichtet, jede Form der Unterstützung von nicht-staatlichen Akteuren, die in Herstellungs-, Vertriebs- oder Erwerbskreisläufe nuklearer, chemischer oder biologischer Waffen eingebunden sind, zu unterlassen und darüber hinaus geeignete legislative Maßnahmen vorzunehmen und Kontrollvorkehrungen einzurichten, um die Aktivitäten dieser Akteure zu unterbinden.3 Über den Resolutionstext traten anfangs noch allein die fünf ständigen Vertreter des Sicherheitsrats unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Verhandlung.4 Nachdem allerdings die Tragweite der Resolution mit ihrem legislativen Charakter erkannt wurde und einige Staaten erhebliche Bedenken angemeldet hatten, die sich aus dem Wissensdefizit über den Inhalt der Regelungen und den daraus entspringenden Gerüchten über die von den ständigen Mitgliedern vermeintlich verfolgten Absichten nährten, eröffnete der Sicherheitsrat im Anschluss das Verfahren für eine breite Debatte.5 Im Rahmen eines sechsmonatigen Verhandlungsprozesses bot der Sicherheitsrat sowohl den nicht in ihm vertretenen Mitgliedstaaten wie auch der Presse und einigen Nichtregierungsorganisationen die Möglichkeit, den deliberativen Prozess zu verfolgen und eigene Argumente und Bedenken zu äußern.6 Einigen Nichtregierungsorganisationen wurden bereits frühe Textentwürfe übermittelt, woraufhin diese eigene Beiträge an die Staatenvertreter verschickten und Presseerklärungen verfassten.7 Zudem wurde – wie bereits ausgeführt8 – auf Grundlage von Rule 37 der Provisional Rules of Procedure des Sicherheitsrats, der in seiner ersten Alternative fast wortgleich die Bestimmung des Art. 31 UN-Charta umsetzt, 36 im Sicherheitsrat nicht vertretenen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Teilnahme an der öffentlichen Sitzung vom 22. April 2004 ermöglicht.9 Angesichts der Tatsache, dass der Sicherheitsrat ähnlich wie beim Al Qaida-Sanktionsregime auf die effektive Umsetzung der Bestimmungen der Resolution 1540 (2004) durch die Mitgliedstaaten und damit auf ihre Unterstützung angewiesen ist, lässt sich diese Entwicklung durchaus aus pragmatischen Gründen erklären. Der Vertreter der Vereinigten Staaten, Herr James B. Cunningham, verdeutlichte diesen Hintergrund: „Because [the proliferation of weapons of mass destruction to non-State actors] and the actions we are taking today concern the entire United Nations membership, the United States and the co-sponsors have made major efforts to consult, listen and take into account the many views expressed. We share a common goal: to implement the resolution.“10 3
S/RES/1540 (2004), Ziff. 1 – 3. Kritisch dazu der Vertreter Pakistans, Herr Munir Akram, in der öffentlichen Sitzung des Sicherheitsrats vom 28. April 2004, UN Doc. S/PV.4956, S. 3. 5 Zum Ablauf und den Beweggründen: Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 290 ff. 6 Vgl. Datan, Security Council Resolution 1540: WMD And Non-State Trafficking. 7 Datan, Security Council Resolution 1540: WMD And Non-State Trafficking. 8 2. Teil, B., III., 3., a), bb), (1). 9 Vgl. UN Doc. S/PV.4950. 10 UN Doc. S/PV.4956, S. 5. 4
318
4. Teil: Ein Reformvorschlag
Das Verfahren zum Erlass von Resolutionen 2177 (2014) und 2178 (2014) zeichnet einen weiteren bemerkenswerten Schritt hin zu einer größeren Beteiligung bei der Verhandlung von Resolutionstexten. Die Resolutionen wurden von 134 (Resolution 2177 (2014)) bzw. 104 (Resolution 2178 (2014)) Sponsoren mitgetragen.11 Entsprechendes hat es zuvor noch nicht gegeben.12 Im Falle von Resoltion 2178 (2014) wurde dies auch dadurch ermöglicht, dass die Vereinigten Staaten drei Wochen vor Verabschiedung der Resolution ein Konzeptpapier an alle Mitgliedstaaten verteilen ließen, in welchem das von ihnen initiierte Vorhaben in seinen Grundzügen bereits skiziiert wurde.13 Die Beiladung nach Art. 31 UN-Charta ist bereits erforderlich, um den Ansprüchen der zur Umsetzung verpflichteten Staaten zu genügen.14 Sowohl die Öffnung der offiziellen Sitzungen des Sicherheitsrats für Nichtmitglieder wie auch der informelle Austausch mit Vertretern der Zivilgesellschaft sollen im Einzelnen näher betrachtet werden. 1. Die Beteiligung weiterer Mitgliedstaaten a) Die Beteiligung nach Art. 31 UN-Charta Im Abschlussdokument zum 2005 World Summit forderte die Generalversammlung bereits: „We recommend that the Security Council continue to adapt its working methods so as to increase the involvement of States not members of the Council in its work, as appropriate, enhance its accountability to the membership and increase the transparency of its work.“15
Die Öffnung der Sitzungen nach Art. 31 UN-Charta sind wohl die geeignetste Methode, um der geforderten Beteiligung zu entsprechen. Die effektive Beteiligung weiterer Staaten an den Verhandlungen des Sicherheitsrats setzt danach aber voraus, dass überhaupt offizielle Sitzungen im Vorlauf zum Erlass von Resolutionen abgehalten werden. Hat sich der Sicherheitsrat im Rahmen von informellen Treffen im Kreis seiner Mitglieder über einen Text geeinigt, der den übrigen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen in einer rein formellen öffentlichen Sitzung letztlich vorgesetzt wird, dann kann nicht von einem inklusiven Verfahren gesprochen werden. Um den übrigen Staaten die Möglichkeit zu bieten, sich effektiv an den entscheidungstragenden Diskussionen beteiligen zu können, sollten offene Sitzungen zu einem 11 Highlights of Security Council Practice 2014, S. 8 (abrufbar unter http://www.un.org/en/ sc/inc/pages/pdf/highlights/2014.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Vgl. dazu bereits im 2. Teil, B., III., 3., a), bb). 12 Highlights of Security Council Practice 2014, S. 8 (abrufbar unter http://www.un.org/en/ sc/inc/pages/pdf/highlights/2014.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 13 UN Doc. S/2014/648. 14 Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 3., a). 15 A/RES/60/1, Ziff. 154.
A. Die Rechtssetzungsebene
319
möglichst frühen Zeitpunkt veranstaltet werden, so wie es sich der Sicherheitsrat bereits selbst aufgegeben hat.16 Trotz wahrnehmbarer Fortschritte ist dies aber noch nicht die Regel.17 Um der Bedeutung der inklusiven Gestaltung des Verfahrens den angemessenen Stellenwert einzuräumen, Transparenz zu schaffen und auf diese Weise die effektive Umsetzung der Verfahrensneuerungen zu befördern, sollten die nachfolgenden Vorschläge in die Verfahrensordnung des Sicherheitsrats aufgenommen werden, anstatt sich wie bisher in Presseerklärungen18 und Noten des Präsidenten des Sicherheitsrats19 zu erschöpfen. Diese Änderungen würden sich auch dogmatisch in den formellen Regelungsgehalt der Security Council Rules for the Conduct of its Work einfügen. Eine Anpassung der Verfahrensordnung fordert auch die informelle Gruppe der „Small 5“ bestehend aus Costa Rica, Jordanien, Singapur, Liechtenstein und der Schweiz,20 die sich in die Debatten zur Reform des Sicherheitsrats mit prozeduralen Änderungsvorschlägen einbringt.21 Auf die Arbeit der „Small 5“ baut die nunmehr gegründete Gruppe mit dem Namen „Accountability, Coherence and Transparency“ (ACT) auf, in der sich mittlerweile 22 Staaten zusammengeschlossen haben.22 In einer partizipativ und transparent zu gestalteten Neuordnung der Arbeitsweise des Sicherheitsrats sehen auch sie eine realistisch umsetzbare Möglichkeit, um die Legitimität seiner Entscheidungen zu erhöhen, ohne dabei das Primärrecht der Vereinten Nationen ändern zu müssen.23 Am 12. März 2012 brachten die „Small 5“ dazu einen Resolutionsentwurf in der Generalversammlung ein, in dem der Sicherheitsrat zur Umsetzung mehrerer Transparenz-, Beteiligungs- und Rechenschaftspflichten aufgerufen wird.24 Der Sicherheitsrat wurde zunächst dazu aufgefordert, die auf Grundlage von Vorarbeiten der Informal Working Group on Documentation and Other Procedural Questions erstellte Note des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 26. Juli 201025 weiterzuentwickeln und über 16
Vgl. UN Doc. S/PRST/1994/81 vom 16. Dezember 1994. Vgl. dazu bereits die Darstellung zum Verfahren im Rahmen des Al Qaida-Sanktionsregimes im 2. Teil, B., III., 3., a). Zur weiteren Praxis vgl. Dolzer/Kreuter-Kirchhof, in: Simma et al., UN-Charter, Art. 31, Rn. 35. 18 Vgl. die soeben bereits erwähnte UN Doc. S/PRST/1994/81 vom 16. Dezember 1994. 19 Vgl. aus dazu nur: UN Doc. S/2010/507 vom 26. Juli 2010; UN Doc. S/2012/402 vom 5. Juni 2012; UN Doc. S/2012/922 vom 12. Dezember 2012; UN Doc. S/2012/937 vom 17. Dezember 2012. 20 UN Doc. A/66/L.42, Ziff. 15. 21 Vgl. dazu die Ausführungen auf der Internetseite der Schweiz (abrufbar unter: http:// www.eda.admin.ch/eda/en/home/topics/intorg/un/missny/wormet.html. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 22 Vgl. dazu https://www.eda.admin.ch/content/dam/eda/en/documents/topics/ACT%2 0Fact%20Sheet.pdf (zuletzt besucht am 12. August 2015). 23 Vgl. dazu die Ausführungen auf der Internetseite der Schweiz (abrufbar unter: http:// www.eda.admin.ch/eda/en/home/topics/intorg/un/missny/wormet.html. Zuletzt besucht am 12. August 2015) und Abs. 13 der Präambel zu A/66/L.42 und Ziff. 2 des operativen Teils. 24 Vgl. UN Doc. A/66/L.42, Ziff. 2. 25 UN Doc. S/2010/507. 17
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
ihre Umsetzung zu berichten.26 Unter anderem bekräftigt der Sicherheitsrat in seiner Note abermals seine Absicht, möglichst zu einem frühen Zeitpunkt der Verhandlungen offene Sitzungen zu veranstalten.27 Zusätzliche Anpassungen werden im Anhang zu dem Resolutionsentwurf der „Small 5“ empfohlen, welcher der Generalversammlung vorgelegt wurde. Bereits in dessen ersten Punkt wird eine besondere Rücksicht auf die zur Umsetzung von Sanktionen verpflichteten Staaten eingefordert. Dort heißt es: „The following measures are recommended for consideration by the Security Council in order to institutionalize and/or improve current practices: […] 1. Seeking the views of Member States, in an appropriate format, and ensuring that their ability to implement decisions is taken into account in the decision-making process of the Security Council, in particular in the context of the renewal of measures taken by the Council, and without prejudice to the need for timely action.“28
Dies setzt eine stärkere Rückkopplung zum Willen der weiteren Mitgliedstaaten voraus. Der Resolutionsentwurf wurde zunächst mehrheitlich unterstützt.29 Nachdem jedoch Unsicherheiten betreffend der formellen Voraussetzungen zum Erlass der Resolution geschürt wurden, zog die Gruppe ihren Entwurf letztlich zurück.30 Nach eigenem Bekunden wurden sie im Vorfeld zudem von Seiten der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats vehement dazu aufgefordert, die Resolution nicht zur Abstimmung zu stellen.31 Dies wird insbesondere damit zu tun haben, dass die ständigen Sicherheitsratsmitglieder in dem Entwurf dazu aufgerufen werden, im Falle der Ausübung ihres Vetorechts eine Begründung zu liefern und in Fällen der Responsibility to Protect vom Gebrauch dieses Rechts gänzlich Abstand zu nehmen.32 Die Notwendigkeit, die Ansichten weiterer Mitgliedstaaten beim Erlass von Maßnahmen durch den Sicherheitsrat einzuholen und insbesondere im Rahmen ihrer Anpassung die Fähigkeit der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen, die Maßnahmen auch umzusetzen, scheint jedenfalls von einer breiten Mehrheit getragen zu sein. Diese Aufforderung verweist gerade auf die besonderen Abhängigkeiten im Mehrebenensystem, wie sie besonders bei der Inanspruchnahme supranationaler Kom26
UN Doc. A/66/L.42, Ziff. 1. UN Doc. S/2010/507, Ziff. 28 des Anhangs. 28 UN Doc. A/66/L.42, Ziff. 1 des Anhangs. 29 Laut dem Außenministerium der Schweiz hatten sich im Vorfeld über 100 Delegationen informell dazu bereit erklärt, dem Entwurf im Falle einer Abstimmung ihre Stimme zu geben, vgl. dazu die Ausführungen auf der Webseite (abrufbar unter: http://www.eda.admin.ch/eda/en/ home/topics/intorg/un/missny/wormet.html. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 30 Vgl. UN Doc. A/66/PV.108, S. 5 f. 31 UN Doc. A/66/PV.108, S. 5. 32 UN Doc. A/66/L.42, Ziff. 19 und 20 des Anhangs. Ziff. 21, in der zur Initiierung einer Praxis aufgerufen wird, nach der eine negative Stimmabgabe nicht zwingend ein Veto im Sinne des Art. 27 Ziff. 3 UN-Charta bedeuten sollte, wurde bereits im Rahmen der vorangegangenen Verhandlungen aus dem Entwurf entfernt, vgl. dazu die Erklärung in UN Doc. A/66/PV.108, S. 3. 27
A. Die Rechtssetzungsebene
321
petenzen durch den Sicherheitsrat wahrnehmbar sind. Die Beteiligung der zur Umsetzung verpflichteten Staaten soll nach dem Vorschlag in einem „angemessenen Format“ stattfinden. Dieses bietet in erster Linie die offene Sitzung nach Art. 31 UN-Charta, wenn sie so ausgestaltet ist, dass sie den beigeladenen Staaten die Möglichkeit bietet, eigene Änderungsvorschläge einzubringen und zur Diskussion zu stellen und bestehende Regelungen zu hinterfragen, um von den Entscheidungsträgern Rechtfertigungen einfordern zu können. Deshalb sollten die Sitzungen darauf ausgerichtet sein, allen teilnehmenden Delegationen die ihnen prinzipiell durch Rule 38 der Provisional Rules of Procedure des Sicherheitsrats eingeräumte, aber in der Praxis nicht ansprechend umgesetzte Möglichkeit zu eröffnen, Vorschläge und Resolutionsentwürfe einbringen und diskutieren zu können. Ferner sollten auch die Mitglieder des Sicherheitsrats ihre Resolutionsentwürfe zu einem möglichst frühen Zeitpunkt allen Mitgliedstaaten zur Einsicht zur Verfügung stellen. Dazu werden die Mitglieder des Sicherheitsrats ohnehin genötigt sein, denn solche Entwürfe, die bereits ein inklusives Verhandlungsverfahren durchlaufen haben, in welchem auf etwaig bestehende Bedenken eingegangen werden kann, und das die Möglichkeit bietet, Änderungsvorschläge zu diskutieren und einzuarbeiten, werden sich in der Regel auf einen kaum einholbaren Legitimationsvorsprung stützen können. Sollten die Mitglieder des Sicherheitsrats entsprechend verhandelte Entwürfe anderer Staaten dennoch zurückweisen und an deren Stelle Resolutionen erlassen, die sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit nur mit den Mitgliedern des Sicherheitsrats ausgehandelt und den übrigen Staaten nicht oder erst kurz vor der Verabschiedung zur Diskussion vorgelegt haben, müssten sie eine mangelnde Bereitschaft zur Umsetzung befürchten. Dagegen zeichnet sich am Verfahren zum Erlass von Resolution 1540 (2004) die Wirkweise einer Rechtfertigungspraxis ab, die es den entscheidungstragenden Akteuren erlaubt, auf etwaig bestehende Bedenken, Missverständnisse und Zweifel der von den beabsichtigten Maßnahmen betroffenen Akteure direkt einzugehen und sie bestenfalls auszuräumen.33 So sorgte das offene Verfahren im Vorfeld dafür, dass auch diejenigen Staaten, die dem Vorhaben anfangs äußerst skeptisch gegenüber standen, die Resolution schließlich unterstützten.34 Die Beteiligung nicht stimmberechtigter Mitgliedstaaten verbunden mit der Möglichkeit, auch eigene Resolutionsentwürfe zur Abstimmung zu stellen, kann zur Steigerung der deliberativen Qualität des Verfahrens einen besonderen Beitrag leisten. Die beigeladenen Staaten sind in einem besonderen Maße darauf angewiesen, dass sie die Mitglieder des Sicherheitsrats mit guten Argumenten – d. h. solchen, die von allen vertretenen Parteien prinzipiell akzeptiert werden können – von ihren Vorschlägen überzeugen, um Einfluss auf die Entscheidungsfindung nehmen zu 33 Insbesondere Pakistan nutzte die offene Sitzung, die am 22. April 2004 und damit sechs Tage vor Erlass von Resolution 1540 (2004) stattfand, um eine Reihe von Bedenken anzumelden, vgl. UN Doc. S/PV.4950, S. 14 ff. 34 So im Fall Pakistans, als wohl schärfsten Kritiker, vgl. UN Doc. S/PV.4956, S. 3. Vgl. dazu Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 293.
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
können. Wollen die Sicherheitsratsmitglieder diesen Vorschlägen nicht folgen, sind sie ihrerseits dazu genötigt, bessere Argumente zu liefern, um die Bereitwilligkeit zur Umsetzung zu sichern. Das konstruktive Vetorecht aller zur Umsetzung verpflichteten Staaten gegen solche supranationalen Durchgriffe auf die Rechtsstellung der ihnen zugeordneten Bevölkerung, die in einem unlösbaren Konflikt zu den Grundprinzipien ihrer Verfassungen stehen,35 kann zudem förderlich für die Bereitschaft der Sicherheitsratsmitglieder zur Konsenssuche sein. Besondere Bedeutung kommt wie ausgeführt auch der Öffentlichkeit des Verfahrens zu. Deshalb sollte es zur Regel werden, dass der Sicherheitsrat die entscheidungstragenden Verhandlungen in öffentlichen Sitzungen führt, wie es nach Rule 48 der Provisional Rules of Procedure des Sicherheitsrats eigentlich auch vorgesehen ist. Treten die beteiligten Parteien nämlich erst an die Öffentlichkeit, wenn ein Ergebnis nach Abschluss informeller Verhandlungen bereits feststeht und beschränken sich die öffentlichen Sitzungen darauf, dass vorbereitete Reden gehalten werden, dann fällt es den Beteiligten leicht, sich dem öffentlichen Rechtfertigungsdruck zu entziehen, der mit der Öffnung des Verfahrens gerade bezweckt werden soll. Es soll und kann freilich nicht verhindert werden, dass sich Staatenvertreter auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit austauschen und miteinander verhandeln. Wie oben bereits ausgeführt, werden die entscheidungskompetenten Parteien aber dazu genötigt sein, ihre Entwürfe im Rahmen der öffentlichen Sitzungen zur Diskussion zu stellen, wenn es zur Regel wird, dass auch andere Staaten sich zu einem frühen Zeitpunkt in den offenen Sitzungen mit Entwürfen einbringen können. Die von der Gruppe der „Small 5“ eingeforderte Rechtfertigung durch die ständigen Sicherheitsratsmitglieder bei der Ausübung ihres Vetorechts könnte ihnen auf diese Weise aufgrund der erhöhten deliberativen Qualität des Verfahrens abgenötigt werden. b) Die Beteiligung im Verlauf der Geltungsdauer des Regimes Die Rechtsgemeinschaft muss dazu in die Lage versetzt werden, bei unbeabsichtigten Entwicklungen in der Rechtsanwendung in möglichst effektiver Weise eine Anpassung der Rechtslage anstoßen und gestalten zu können. Für die nicht im Sicherheitsrat vertretenen Staaten kann eine Zugriffsmöglichkeit auf die Rechtsentwicklung darin bestehen, dass ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, ihre Bedenken und ihre Kritik zu aktuellen Fällen der Rechtsanwendung zu äußern und auf diese Weise einen Rechtfertigungsdruck auf den Sicherheitsrat zu entfalten, der ihn zur Anpassung des Systems bewegt. Dazu dienen bereits die regelmäßigen Konsultationen mit dem Sanktionsausschuss und dem Monitoring Team, die noch näher darzustellen sind. Diese sichern auf der anderen Seite auch den Sicherheitsrats35 Tzanakopoulos, Transparency in the Security Council, S. 384, spricht den Staaten ebenfalls ein Recht zur Kontrolle der Resolutionen des Sicherheitsrats im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit der UN-Charta und dem allgemeinen Völkerrecht zu. Darunter fällt auch das Souveränitätsrecht der Staaten.
A. Die Rechtssetzungsebene
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mitgliedern die Möglichkeit, etwaig bestehenden Bedenken und Zweifel der restlichen Staatengemeinschaft zu entkräften und alle Beteiligten von der Notwendigkeit der effektiven Umsetzung zu überzeugen. Das Regime nach Resolution 1540 (2004) ist auch im Verlauf seiner Geltungsdauer hinsichtlich des Grades der Beteiligung weiterer Staaten präzedenzlos geblieben, weshalb an diesem Beispiel wiederum die Wirkweise eines solchen Prozesses näher dargestellt werden soll, um nach noch weiteren Optimierungsmöglichkeiten für das Al Qaida-Sanktionsregime zu suchen. Nachdem im Anschluss an das bereits verhältnismäßig partizipativ gestaltete Verhandlungsverfahren die Resolution 1540 (2004) einstimmig angenommen wurde,36 war dennoch eine mangelnde Bereitschaft zur Erfüllung der sich ergebenden Pflichten durch die Mitgliedstaaten zu verzeichnen. So hatten bis zum 20. April 2006 62 Staaten noch nicht ihren ersten Bericht über die Umsetzung der Maßnahmen eingereicht,37 obwohl sie bereits bis Ende Oktober 2004 dazu verpflichtet waren.38 Diesen Missstand kritisierte der Sicherheitsrat in Resolution 1810 (2008),39 forderte die betreffenden Staaten dazu auf, ohne weitere Verzögerung die Abgabe der Berichte zu veranlassen,40 und wies den mit Resolution 1540 (2004) eingesetzten Ausschuss dazu an, eine umfassende Überprüfung zum Stand der Implementierung der Maßnahmen einzuleiten.41 Der Ausschuss initiierte daraufhin eine Reihe offener Sitzungen, auf der die umfassende Überprüfung aufbauen sollte, und an der neben allen interessierten Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auch relevante Organisationen teilnehmen konnten.42 Vom 30. September bis zum 2. Oktober 2009 brachten sich über 50 Staaten sowie intergouvernementale, internationale und regionale Organisationen in die Debatte ein, die zusammengefasst in mehreren Dokumenten der Vereinten Nationen veröffentlicht wurden.43 Der Ausschuss verzeichnete eine positive Resonanz der Mitgliedstaaten auf die offenen Sitzungen, die diese Praxis auch für die Zukunft einfordern: „States welcomed the cooperative and transparent approach of the Committee, recognizing it as a key factor in raising the level of dialogue and cooperation. It was recommended that it continues working in this manner, including through the practice of organizing outreach activities and increasing its interaction with the entire membership of the United Nations, including, where appropriate, through open meetings.“44
36
Vgl. UN Doc. S/PV.4956. Vgl. dazu den Bericht des mit S/RES/1540 (2004), Ziff. 4 eingesetzten Ausschusses („1540-Ausschuss“) vom 25. April 2006, UN Doc. S/2006/257. 38 Vgl. S/RES/1540 (2004), Ziff. 4. 39 Abs. 10 der Präambel zu S/RES/1810 (2008). 40 S/RES/1810 (2008), Ziff. 2. 41 S/RES/1810 (2008), Ziff. 8. 42 Ziff. 2 lit. a des Anhangs zu UN Doc. S/2009/170. 43 UN Doc. S/AC.44/SR.25; S/AC/44.SR.26; S/AC.44.27; S/AC.44.27/Add. 1; S/AC.44.28; S/AC.44.29; S/AC.44.30. 44 Bericht des Ausschusses vom 14. September 2011, UN Doc. S/2011/579, Ziff. 21. 37
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
Daneben wurden im Zeitraum von Juli 2008 bis heute insgesamt 416 Seminare, Workshops und Konferenzen auf der ganzen Welt zu Fragen der effektiven Umsetzung von Resolution 1540 (2004) ausgetragen, an denen Staaten, internationale und regionale Organisationen sowie der 1540-Ausschuss oder zumindest einzelne seiner Mitglieder teilnahmen.45 Die Veranstaltungen wurden teilweise vom United Nations Office for Disarmament Affairs (UNODA) in Eigenregie oder in Kooperation mit dem 1540-Ausschuss oder von anderen Einrichtungen der Vereinten Nationen bzw. ihren Mitgliedstaaten und Regionalorganisationen angeboten.46 Am 8. Januar 2013 veranstaltete Österreich zudem das erste Civil Society Forum in Support of Security Council Resolution 1540 (2004), an dem über 50 Nichtregierungsorganisationen, akademische Einrichtungen, think tanks und Vertreter der Industrie teilnahmen.47 Wenngleich solche Treffen nicht primär darauf ausgelegt sind, die Anstöße der Teilnehmer zu einer Reform des Regimes zu sammeln, bieten sie die Möglichkeit, sich kritisch zu äußern und gegebenenfalls einen gewissen Problemdruck aufzubauen, der idealerweise über den Ausschuss an den Sicherheitsrat vermittelt wird. Jedenfalls werden die Teilnehmer in die Beratungen um die Umsetzung der Verpflichtungen eingebunden, womit sie mit guten Argumenten Einfluss auf die Rechtsanwendung nehmen können. Auf diese Weise können die Treffen einen wesentlichen Beitrag für die Legitimität des gesamten Regimes leisten. Die hohe Komplexität der geforderten Maßnahmen, die auf Seiten der Staaten erhebliche Kapazitäten einspannt und ein besonders know how erfordert, trägt zudem zum notwendigen Erfahrungsaustausch bei. Den Auswertungen des 1540-Ausschusses zufolge hat die Umsetzung der Maßnahmen im Zeitraum von 2008 bis 2011 nicht unwesentliche Fortschritte gemacht.48 So ist die Anzahl derjenigen Staaten, die in 30 oder weniger relevanten Regelungsbereichen Maßnahmen vorsehen, von 63 in 2008 auf 21 in 2011 zurückgegangen.49 Durchschnittlich sind im Jahr 2011 128 Maßnahmen je Staat zu verzeichnen gewesen, während es 2008 noch 93 waren.50 Zudem stieg die Anzahl der Staaten, die einen Bericht abgeliefert haben, bis Ende 2014 auf 45
Stand: 12. August 2015. Vgl. dazu die Webseite des 1540-Ausschusses (abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/1540/transparency-and-outreach/outreach-events/events.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 46 Vgl. dazu die Webseite des 1540-Ausschusses (abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/1 540/transparency-and-outreach/outreach-events/events.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 47 Vgl. die Presseerklärung der Vereinten Nationen vom 8. Januar 2013, UN Doc. DC/3408. Auch viele der übrigen Veranstaltungen sind auf eine Beteiligung von nicht-staatlichen Akteuren ausgerichtet, vgl. dazu die Webseite des 1540-Auschusses (abrufbar unter: http://www. un.org/en/sc/1540/transparency-and-outreach/outreach-events/events.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 48 Bericht des Ausschusses vom 14. September 2011, UN Doc. S/2011/579, Anhang IV. 49 Bericht des Ausschusses vom 14. September 2011, UN Doc. S/2011/579, Ziff. 30 i.V.m. Anhang IV. 50 Bericht des Ausschusses vom 14. September 2011, UN Doc. S/2011/579, Ziff. 30 i.V.m. Anhang IV.
A. Die Rechtssetzungsebene
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173.51 Alle Defizite bei der Umsetzung der Resolution 1540 (2004) konnten mit der stärkeren Einbindung der Staaten bislang nicht behoben werden. Die Entwicklung deutet aber daraufhin, dass Bemühungen zur Einbindung weiterer Staaten und zur Erläuterung der konkreten Anwendung der Regelungen eine notwendige Voraussetzung für die Wirksamkeit entsprechender Regime des Sicherheitsrats sind. Wie der Sicherheitsrat bereits bei Erlass von Resolution 1540 (2004) erwartet hatte, können einige Staaten mit den Verpflichtungen überfordert sein und sind deshalb auf Aufklärung und Unterstützung angewiesen.52 Die Erläuterung des genauen Regelungsinhalts und der Verfahrensweise, die in den Konsultationen vermittelt wird, ist aber zugleich Voraussetzung dafür, dass sich die betroffenen Staaten mit eigenen Beiträgen in die Debatte um eine mögliche Anpassung oder Reform entsprechender Regime einschalten können. Auch im Rahmen des Al Qaida-Sanktionsregimes ergeben sich Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Es wird offen angeprangert, dass auf Seiten der Mitgliedstaaten offenbar nicht der notwendige Einsatz zur Umsetzung des Regimes vorhanden sei.53 Dies äußert sich mitunter darin, dass die Staaten kaum Maßnahmen melden, die sie vornehmen, um ihren Verpflichtungen aus den Resolutionen nachzugehen.54 Um allerdings eine sichere Aussage über die Umsetzungsmoral der Staaten treffen zu können, müsste eine sehr umfangreiche Untersuchung von einer unabhängigen Instanz vorgenommen werden. Dies wird das Monitoring Team mit seiner gegenwärtigen Ausstattung nicht leisten können. Die ihm aufgegebene Berichterstattung über Fälle mangelnder Umsetzung55 kann deshalb nur unter Mithilfe der Mitgliedstaaten gelingen. Die Berichte der Staaten bieten dabei noch die verlässlichste Informationsquelle,56 auch wenn sie eigene Versäumnisse regelmäßig nicht besonders herausstellen werden. Bereits die Bereitschaft zur Berichterstattung ist jedoch nur sehr schwach ausgeprägt. Auch daraus lassen sich Schlüsse ziehen. Mit Resolution 1455 (2003) wurden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, bis spätestens Mitte April 2003 einen umfassenden Bericht über die vorgenommen Umsetzungsmaßnahmen vorzulegen.57 Anfang 2005 waren 58 Staaten dieser Aufforderung noch immer nicht nachgekommen.58 Zudem enthielten viele der vorgelegten Berichte nicht die notwendigen Informationen, um eine eingehende Evaluierung zu ermöglichen.59 Anschließend nahm der Ausschuss Abstand von weiteren Berichtspflichten großen Umfangs. Stattdessen gab er den Staaten mit Resolution 1617 (2005) auf, anhand 51 Bericht des Ausschusses zur Umsetzung von Resolution 1540 (2004) vom 31. Dezember 2014, UN Doc. S/2014/958, Ziff. 6. 52 Vgl. S/RES/1540 (2004), Ziff. 7. 53 Vgl. dazu den 13. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2012/968, Ziff. 27. 54 13. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2012/968, Ziff. 27. 55 Vgl. Anlage I zu S/RES/2161 (2014), lit. h. 56 Vgl. den vierten Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2006/154, Ziff. 114. 57 S/RES/1455 (2003), Ziff. 6. 58 Vgl. dazu den zweiten Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2005/83, Ziff. 43. 59 Zweiter Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2005/83, Ziff. 44.
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
einer Checkliste bis zum 2. März 2006 die Maßnahmen zu schildern, die sie gegen die Personen und Gesellschaften unternommen hatten, die nach dem 29. Juli 2005 neu auf die Liste aufgenommen wurden.60 Bis Ende Juli 2006 hatten lediglich 53 Staaten eine ausgefüllte Checkliste eingereicht,61 obwohl diese bewusst simpel gehalten wurde, um den Staaten keine zu großen Lasten aufzubürden.62 Auf Grund der ernüchternden Erfahrungen empfahl das Monitoring Team anschließend, es den Staaten selbst zu überlassen, ob und in welcher Form sie an den Ausschuss berichten.63 Dies ist wohl als Verlegenheitslösung zu bewerten, die die Notwendigkeit einer verfahrenstechnischen Anpassung des Regimes offenkundig macht. Ob die mangelnde Bereitschaft zur Umsetzung nun auf unzureichende Kapazitäten, mangelnde Kenntnis, rechtliche Bedenken oder politischen Unwillen zurückzuführen ist; das Monitoring Team sieht den aussichtsreichsten Weg zur Lösung des Problems darin, dass alle Mitgliedstaaten das Sanktionsregime als Ausdruck ihres eigenen Willens anerkennen können: „Throughout its mandate, the Team has believed that universal compliance is most likely achieved by building a sense of engagement and co-ownership of the sanctions regime between the Security Council and other Member States.“64
Dies wird ohne bessere Einbindung aller Mitgliedstaaten nicht möglich sein, weshalb sie an der stetigen Fortentwicklung des Regimes stärker beteiligt werden müssen. Das Monitoring Team unternimmt bereits große Aufwendungen, um einen engen Kontakt zu den Mitgliedstaaten zu unterhalten. Dazu werden Besuche bei den Mitgliedstaaten veranstaltet, um ein Verständnis darüber zu gewinnen, welchen Herausforderungen die Staaten bei der Umsetzung des Sanktionsregimes ausgesetzt sind, und welche Maßnahmen sie ergreifen, um ihren Verpflichtungen nachzukommen.65 Diese Eindrücke halfen dem Monitoring Team dabei, Reformvorschläge für das Regime zu formulieren, mit dem Ziel, dass es den Willen der Mitgliedstaaten besser widerspiegelt.66 Seit seiner ersten Ernennung im März 2004 hat das Monitoring Team 229 Reisen in verschiedene Länder durchgeführt.67 Zudem wurden u. a. in Kooperation mit diversen internationalen und regionalen Organisationen zahlreiche Schulungen auf der ganzen Welt veranstaltet und Treffen mit Vertretern von Geheim- und Sicherheitsdiensten der Mitgliedstaaten abgehalten.68 Nach den Regelungen des Regimes ist auch der Sanktionsausschuss dazu angehalten, mindestens 60
Zweiter Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2005/83, Ziff. 10. Vgl. dazu den fünften Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2006/750, Ziff. 32. 62 Vgl. dazu noch den zweiten Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2005/83, Ziff. 48 f. 63 Sechster Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2007/132, Ziff. 28. 64 13. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2012/968, Ziff. 31. 65 13. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2012/968, Ziff. 84. 66 13. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2012/968, Ziff. 84. 67 16. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2014/770, Ziff. 79. Stand: Oktober 2014. 68 16. Bericht des Monitoring Teams, UN Doc. S/2014/770, Ziff. 79 f. 61
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einmal im Jahr Konsultationen mit allen interessierten Mitgliedstaaten auszutragen.69 Dabei berichtete er in der Vergangenheit über seine Aktivitäten und stand zusammen mit dem Monitoring Team unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Rahmen einer Fragen- und Antwort-Runde zur Diskussion bereit.70 Diese Praxis bietet interessierten Staaten die Möglichkeit, direkt von den Entscheidungsträgern Erklärungen über die Anwendung der Regelungen einzufordern. Da der Ausschuss den Sicherheitsrat deckungsgleich abbildet, können sie zugleich eigene Vorschläge zur Reform des Regimes vor den richtigen Adressaten anzubringen. Diese Foren allein reichen aber offensichtlich nicht aus, um „a sense for engagement and co-ownership“ zu schaffen, der die notwendige Bereitschaft zur Umsetzung fördert. Wie der umfassenden Überprüfung des Regimes nach Resolution 1540 (2004) zu entnehmen ist, könnte zusätzlich die regelmäßige Veranstaltung öffentlicher Sitzungen nach Art. 31 UN-Charta unter Beteiligung aller interessierter Mitgliedstaaten einen positiven Beitrag leisten. Zum einen käme dabei der „Publikumseffekt“ zum Tragen.71 Ferner bietet die offene Sitzung den beigeladenen Staaten wiederum die Möglichkeit, eigene Vorschläge und Resolutionsentwürfe einzubringen und zur Diskussion zu stellen (Rule 38 der Provisional Rules of Procedure). Auf diese Möglichkeit sollten die Staaten explizit hingewiesen werden. Sie stellt die weitgehendste Form der Beteiligung für die nicht im Sicherheitsrat vertretenen Mitgliedstaaten dar und ist dazu in der Lage, die Sicherheitsratsmitglieder in einem besonderen Maße dazu zu nötigen, ihre Position mit guten Argumenten zu verteidigen. Der Sicherheitsrat hat in unregelmäßigen Abständen bereits offene Sitzungen ausgetragen, um allgemein über die Bedrohung des internationalen Terrorismus zu diskutieren.72 Dabei spielte das Al Qaida-Sanktionsregime allerdings nur am Rande eine Rolle. Der Al Qaida-Sanktionsausschuss ist dazu verpflichtet, mindestens einmal jährlich gemeinsam mit dem Counter-Terrorism Committee und dem 1540-Ausschusses mündlich Bericht über seine Arbeit zu erstatten,73 wozu üblicherweise eine öffentliche Sitzung im Kreis der Sicherheitsratsmitglieder veranstaltet wird.74 Zu diesen Sitzungen sollten alle Mitgliedstaaten eingeladen werden. Sie bieten die Möglichkeit auf aktuelle Entwicklungen der Rechtsanwendung in regelmäßigen Abständen einzugehen und die Praxis zu hinterfragen. Dass die drei Ausschüsse ihre Berichte in gemeinsamen Sitzungen präsentieren, ist auf Grund der gebotenen Kohärenz zwischen den Regimen sinnvoll. Daneben sollten bei Bedarf aber auch offene Sitzungen allein für das Al QaidaSanktionsregime veranstaltet werden, um den Mitgliedstaaten eine Plattform zu bieten, um speziell auf die Entwicklung dieses Regimes einzugehen. Wie sich aus 69
Zuletzt mit S/RES/2161 (2014), Ziff. 72. Vgl. dazu den Bericht des Ausschusses über seine Aktivitäten im Jahr 2011, UN Doc. S/2012/305, Ziff. 22. 71 Vgl. dazu bereits im 3. Teil, D. 72 Vgl. etwa am 15. Januar 2013, UN Doc. S/PV.6900 und davor am 9. Dezember 2008, UN Doc. S/PV.6034. 73 S/RES/2161 (2014), Ziff. 72. 74 Vgl. etwa am 7. Dezember 2012, UN Doc. S/PV.6881. 70
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
einem Bericht der „Gruppe gleichgesinnter Staaten“75 ableiten lässt, ist der Sicherheitsrat bisher jedoch nicht daran interessiert, kritische Stimmen im Rahmen seiner Sitzungen und derjenigen seiner Nebenorgane laut werden zu lassen. Die Gruppe wollte auf einer öffentlichen Sitzung der Sanktionsausschüsse am 16. Juni 201576 auf die Missstände in der Ausgestaltung der Arbeitsverträge der Ombudsperson und ihrer Mitarbeiter hinweisen.77 Ein Sprecher bat dementsprechend um Teilnahme an der Sitzung auf Grundlage von Art. 37 der Provisional Rules of Procedure of the Security Council.78 Entgegen der üblichen Praxis wurde ihm die Teilnahme jedoch verwehrt.79 Dies lässt sich nicht mit dem in dieser Arbeit geforderten inklusiven Verfahren vereinbaren. Ein Umdenken hin zu einer größeren Beteiligung von Nichtmitgliedern des Sicherheitsrats lässt sich in einigen Bereichen feststellen, jedoch scheint dies keine Bereitschaft zur kontroversen Auseinandersetzung mit kritischen Stimmen in der Öffentlichkeit miteinzuschließen. Letztlich sollte der 18 monatige Rhythmus zur Überprüfung des Al QaidaSanktionsregimes beibehalten bleiben, wobei gemäß dem vorangegangenen Punkt aa) zu verfahren wäre. Auf diese Weise wäre gewährleistet, dass alle Mitgliedstaaten in regelmäßigen Abständen Einfluss auf die Fortentwicklung des Regimes haben. 2. Die Beteiligung der normunterworfenen Individuen Die normativ angezeigte Beteiligung der normunterworfenen Individuen an den Verhandlungsprozessen zum Al Qaida-Sanktionsregime findet primärrechtlich keinen Niederschlag. Einige Staatenvertreter und UN-Funktionäre erkennen die Notwendigkeit der Einbindung bereits an. Darauf verweist u. a. die Veranstaltung des Civil Society Forums in Support of Security Council Resolution 1540 (2004).80 Auch der Vertreter der Schweiz, Herr Thomas Gürber, mahnte bei der offenen Sitzung des Sicherheitsrats vom 15. Januar 2013 eine größere Beteiligung der Zivilgesellschaft beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus an: „[W]e cannot content ourselves with international efforts. With the threat of terrorism becoming more widespread and networked, we must better integrate civil society in our efforts to prevent and combat terrorism. Non-governmental organizations, academia, independent research centres, religious organizations and other social networks play an essential role in advancing global counter-terrorism objectives, even without openly declaring
75
Vgl. UN Doc. S/2015/459. UN Doc. S/PV.7463. 77 UN Doc. S/2015/459, S. 3. Vgl. zu den Missständen bereits die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 4., f), bb), (2), (a). 78 UN Doc. S/2015/459, S. 3. 79 UN Doc. S/2015/459, S. 3. 80 Vgl. dazu im vorangegangenen Punkt b). 76
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it. […] We are absolutely convinced that States will be able to prevent terrorism only with the assistance of societies.“81
Dem Sicherheitsrat stehen mehrere Möglichkeiten offen, Privatakteure stärker an den Entstehungs- und Verlaufsprozess des Al Qaida-Sanktionsregimes zu beteiligen. Rule 39 seiner Provisional Rules of Procedure gibt ihm die Möglichkeit, auch Mitglieder des Sekretariats oder andere Personen zu seinen Sitzungen einzuladen. Der Sicherheitsrat sollte diese Möglichkeit nutzen, um Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen, die in einer besonderen Beziehung zu dem Sanktionsregime stehen, wie etwa solchen, die Sanktionsadressaten juristisch betreuen,82 zu den oben beschriebenen offenen Sitzungen einzuladen. Angesichts der besonderen Menschenrechtsrelevanz gezielter Sanktionen wäre auch die Teilnahme von Vertretern des Human Rights Council und des Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism auf dieser Grundlage sinnvoll.83 Diese sind zwar in ihrem Mandat nicht Teil der Zivilgesellschaft, jedoch eignen sie sich mit ihrer spezifischen Kompetenz besonders dazu, die rechtlichen Belange der Betroffenen im entscheidungstragenden Verfahren des Sicherheitsrats zu verteidigen. Daneben steht es dem Sicherheitsrat nach der sog. „Arria-Formel“ offen, nichtstaatliche Akteure zu seinen informellen Sitzungen einzuladen.84 Die regelmäßige Veranstaltung informeller Sitzungen während der Geltungsdauer des Regimes und speziell vor Erlass neuer Resolutionen könnte dazu beitragen, dass sich neben allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auch Akteure der Zivilgesellschaft in den Verhandlungsprozess einbringen. Dabei sollte es ihnen freistehen, Fragen, Kritik und Vorschläge an die entscheidungskompetenten Staatenvertreter zu richten. Prinzipiell müsste jedem potentiell betroffenen privaten oder öffentlichen Akteur die Möglichkeit eingeräumt werden, ihr Recht auf Rechtfertigung geltend zu machen. Die Konsultationen müssten in ihrer Größenordnung nicht zuletzt deshalb das überbieten, was bisher übliche Praxis des Sicherheitsrats ist. Das Civil Society Forum in Support of Security Council Resolution 1540 (2004) legt Zeugnis dafür ab, dass für den Nutzen von Konferenzen eines größeren Formats ein Bewusstsein aufzukommen scheint.85 Natürlich wird eine Begrenzung des Teilnehmerfeldes aber nicht zu vermeiden sein. Die Auswahl der teilnehmenden Akteure sollte für jedes Treffen auf 81
UN Doc. S/PV.6900 (Resumption 1), S. 29. So etwa der ECCHR, der Kamel ben Mohamed ben Ahmed Darraji (vormalige Listenkennung: QI.D.174.04.) bei dessen Bemühungen unterstützte, von der Sanktionsliste gestrichen zu werden. Vgl. dazu den Bericht im Internet (abrufbar unter: http://www.charityandsecurity. org/news/Removal_from_UN_Terrorism_Blacklist_Succeeds. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Am 7. Mai 2012 wurde er nach einem erfolgreichen Ombudsverfahren von der Sanktionsliste entfernt, vgl. UN Doc. SC/10639. 83 Vgl. auch Fassbender, The Role for Human Rights in the Decision-making Process of the Security Council, S. 96. 84 Vgl. dazu Starberock, in: Wolfrum, MPEPIL, Civil Society, Rn. 14 (Stand: März 2011). 85 Vgl. die Presseerklärung der Vereinten Nationen vom 8. Januar 2013, DC/3408. 82
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
Antrag hin im Rahmen eines transparenten, an objektiven Kriterien orientierten Verfahrens durch eine nicht in den sonstigen Entscheidungsprozess des Regimes eingebundene Instanz erfolgen. Hierfür bietet sich das Sekretariat der Vereinten Nationen an, das zur unabhängigen Auswahl angehalten wäre und frühzeitig sowie öffentlichkeitswirksam die kommenden Termine bekanntzugeben hätte. Die Veranstaltungsreihe sollte mindestens in jedem Kontinent eine Debatte vorsehen, per live stream übertragen und anschließend dokumentiert werden. Auf diese Weise wäre gesichert, dass sich auch diejenigen umfassend über den Entstehungsprozess der Resolutionen informieren können, die nicht persönlich an den Veranstaltungsreihen teilnehmen können, um sich auf dieser Grundlage im öffentlichen Raum an der diskursiven Auseinandersetzung und Abwägung der entscheidungstragenden Argumente zu beteiligen. Die Veranstaltung öffentlicher Debattenrunden im Vorlauf zu (quasi-)legislativen Resolutionen mit Individualbezug sollte auf eine institutionalisierte Basis gestellt werden, indem sie in den Verfahrensrichtlinien des Sicherheitsrats eingeht. Auf diese Weise wäre ein erster Schritt hin zur Etablierung einer Grundstruktur der Rechtfertigung getan. Ferner müsste das Verfahren in einer Weise ausgestaltet sein, die den Beteiligten die Sicherheit bietet, dass auf ihre Argumente eingegangen wird und diese idealerweise nur durch bessere Argumente zurückgewiesen werden können. Dafür bietet sich die Einsetzung eines Moderators an, der nach den Grundsätzen einer Verfahrensordnung die Beiträge sammelt und direkt an die Vertreter der Sicherheitsratsmitglieder weiterleitet. Den Staatenvertretern wäre es auf diese Weise erheblich erschwert, sich ihrer Rechtfertigungspflicht zu entziehen, da sie sonst Gefahr liefen, die Legitimitätserwartungen der Öffentlichkeit zu enttäuschen. Darüber hinaus wären sie dazu genötigt, den vorgebrachten Einwänden mit besseren Argumenten zu begegnen, um die Unterstützung eigener Vorschläge zu sichern.
II. Ergebnis Zur Einbindung weiterer Mitgliedstaaten in das Al Qaida-Sanktionsregime sollten frühzeitig vor Erlass neuer Resolutionen offene Sitzungen veranstaltet werden. Daneben würde die Öffnung der Sitzungen zur Berichterstattung des Ausschusses den weiteren Mitgliedstaaten die Möglichkeit bieten, den Prozess der Rechtsanwendung kritisch zu begleiten. Zudem sollten in regelmäßigen Abständen öffentliche Veranstaltungsreihen unter Teilnahme von Vertretern der Sicherheitsratsmitglieder und Akteuren der Zivilgesellschaft veranstaltet werden, insbesondere im Vorlauf zum Erlass neuer Resolutionen.
B. Das „listing“-Verfahren
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B. Das „listing“-Verfahren Auch auf Ebene des „listing“ sind Defizite festgestellt worden, zu denen ebenfalls Ausgestaltungsmöglichkeiten aufgezeigt werden sollen. Zumal die folgenden Reformvorschläge nicht aus einem umfassenden Rechtfertigungsdiskurs entsprungen sind, müssten diese idealerweise nach oben dargestelltem Modell noch verhandelt werden. Daraus ergibt sich auch, dass die Änderungen nicht allein über eine Anpassung der Verfahrensrichtlinien des unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagenden Sanktionsausschusses in das Regime eingespeist werden sollten, sondern vermittels des Erlasses einer aus den Debattenreihen entspringenden Resolution des Sicherheitsrats.
I. Die Konkretisierung des „listing“-Tatbestandes Aus der positivrechtlichen Prüfung hat sich ergeben, dass die „listing“-Kriterien zu unbestimmt sind, weshalb zweifelhaft erscheint, ob auf ihrer Grundlage die auf die Aufnahme in die Sanktionsliste folgenden Eingriffe in Individualrechtspositionen gerechtfertigt werden können.86 Die Situation wird dadurch verschärft, dass die „listing“-Entscheidungen keiner Rechtskontrolle unterliegen, wodurch es dem Sanktionsausschuss faktisch möglich ist, den Inhalt des Tatbestandes in jedem Einzelfall neu zu bestimmen.87 Die daraus erwachsene „ermessensähnliche“ Kompetenz ist jedenfalls nicht mit dem Anspruch an ein einschränkendes Gesetz zu vereinbaren.88 Die Frage der rechtlichen Kontrolle der „listing“-Entscheidungen wird an späterer Stelle näher diskutiert, weshalb hier allein der Grad der Bestimmtheit behandelt werden soll. Der bereits zwecks Konkretisierung eingeführte „associated with“-Test lautet wie folgt:89 „The Security Council […] 2. Reaffirms that acts or activities indicating that an individual, group, undertaking or entity is associated with Al-Qaida include: (a) Participating in the financing, planning, facilitating, preparing, or perpetrating of acts or activities by, in conjunction with, under the name of, on behalf of, or in support of; (b) Supplying, selling or transferring arms and related material to; (c) Recruiting for; or otherwise supporting acts or activities of Al-Qaida or any cell, affiliate, splinter group or derivative thereof“.90 86
Vgl. dazu ausführlich im 2. Teil, B., III., 4., b), bb), (1). Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 4., b), bb), (1). 88 Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 4., b), bb), (1). 89 Die Änderungsvorschläge beziehen sich allesamt auf die Nummerierung und Regelung gemäß der zuletzt zum Al Qaida-Sanktionsregime erlassenen Resolution 2161 vom 17. Juni 2014. 90 So zuletzt in S/RES/2161 (2014), Ziff. 2. 87
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
Ferner heißt es: „The Security Council […] 3. Confirms that any individual, group, undertaking or entity either owned or controlled, directly or indirectly, by, or otherwise supporting, any individual, group, undertaking or entity associated with Al-Qaida, including on the Al-Qaida Sanctions List, shall be eligible for designation“.91
Der Tatbestand stellt nicht darauf ab, ob die Unterstützungshandlung mit der Absicht getätigt wird, Al Qaidas Ziele zu befördern, oder ob sie zumindest im Wissen dieses Umstands erfolgt. Aus einem Vergleich zu Resolution 2178 (2014), die sich mit dem Problem der ausländischen terroristischen Kämpfer befasst, lässt sich vielmehr schließen, dass offenbar auch die unvorsätzliche Unterstützung nach dem Al Qaida-Sanktionsregime sanktionsbewehrt sein soll. Im Gegensatz zu Resolution 2161 (2014) heißt es in Resolution 2178 (2014) ausdrücklich, dass die Staaten die im Einzelnen aufgezählten Formen der vorsätzlichen Unterstützung der Reise von ausländischen terroristischen Kämpfern nach ihren Gesetzen unter Strafe stellen sollen.92 Wäre im Falle des Al Qaida-Sanktionsregimes eine entsprechende Tatbestandseinschränkung beabsichtigt gewesen, so wäre zu erwarten, dass diese ebenfalls ausrücklich geregelt worden wäre. Zumal dieselbe Formel für das Al Qaida-Sanktionsregime seit Jahren unverändert wiederverwendet wird, kann auch nicht von einer bloßen Ungenauigkeit ausgegangen werden. Danach könnte etwa eine Bank, die im Unwissen der Umstände auf Veranlassung eine Überweisung zugunsten einer bis dato unerkannt als Unterstützerorganisation Al Qaidas operierenden Einrichtung ausführt, unter den „listing“-Tatbestand nach Ziffer 2 lit. a subsumiert werden, da sie an der „Finanzierung“ des Terrornetzwerkes „beteiligt“ war.93 Nach Ziffer 3 könnten auch alle ihre Tochtergesellschaften und alle Personen, die die Bank „in sonstiger Weise unterstützen“, also etwa finanzieren – was bereits mit der Eröffnung eines Kontos gegeben wäre –, zur Aufnahme in die Sanktionsliste vorgeschlagen werden. Letztlich könnte sich niemand mehr sicher sein, ob er nicht in irgendeiner potentiell sanktionsbewehrten Beziehung zu dem terroristischen Netzwerk steht. Es ist deshalb zu fordern, dass nur solche Handlungen die Aufnahme in die Sanktionsliste begründen können, die mit dem Vorsatz – d. h. zumindest unter billigender Inkaufnahme – der Unterstützung Al Qaidas vorgenommen werden. Auf diese Weise wäre klargestellt, dass nur diejenigen auf die Sanktionsliste aufgenommen werden sollen, die in einem tatsächlichen Zusammenhang mit Al Qaida stehen, indem sie wissentlich und willentlich das Netzwerk unterstützen. Ebenso wäre gewährleistet, dass alle potentiell Betroffenen die Folgen ihres Handelns abschätzen können, was nach gegenwärtiger Rechtslage nicht der Fall ist. 91 92 93
So zuletzt in S/RES/2161 (2014), Ziff. 4. S/RES/2178 (2014), Ziff. 6 lit. b, c. Vgl. dazu auch Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 199.
B. Das „listing“-Verfahren
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Aufgrund des verbliebenden Auffangtatbestandes wäre dem Sanktionsausschuss weiterhin ausreichend Flexibilität bei der Beurteilung von Einzelfällen eingeräumt.
II. Einheitliche Begründungs- und Beweiswürdigungsregeln Damit die Betroffenen, aber auch die gesamte Rechtsgemeinschaft nachvollziehen können, auf welche Weise der Sanktionsausschuss die Tatbestandsmerkmale auslegt und sie so näher konkretisiert, bedarf es ferner einheitlicher Vorgaben zur öffentlichen Rechtfertigung seiner „listing“-Entscheidungen. Zurzeit ist es noch weitgehend den Staaten überlassen, wie sie ihrer Pflicht zur Begründung nachkommen und welche Informationen sie in die anschließend auf der Internetseite zu veröffentlichenden Falldarstellung einspeisen. Es mangelt zudem an einheitlichen Vorgaben zur Würdigung der vorgebrachten Informationen, die eine Verbindung zu Al Qaida nachweisen sollen. Nach den Arbeitsrichtlinien des Sanktionsausschusses soll er seine Entscheidung an den Kriterien des „associated with“-Tests orientieren,94 ohne dass dabei eine besondere Qualität der zugrundliegenden Beweismittel vorausgesetzt wäre. Als Bemessungsregeln bieten sich die von Kimberly Prost entwickeln Kriterien zur Prüfung von „de listing“-Anträgen an. Danach wäre es ausschlaggebend, ob ein „listing“-Antrag mit ausreichend belastendem Material untermauert wurde, um eine begründete und glaubwürdige Grundlage für die Annahme zu bieten, dass der Betroffene eine sanktionsbewehrten Verbindung zu Al Qaida unterhält.95 Für die erste „listing“-Entscheidung, bei der ein schnelles Eingreifen gefragt sein kann, bieten diese Bemessungsregeln eine angemessen flexible Handhabe zur Bewertung der Informationen und geben den Betroffenen zugleich die Sicherheit, dass sie nicht willkürlich in die Liste aufgenommen werden.96 Es wäre nach diesen Kriterien auch ein primär verdachtsbasierter Antrag ausreichend, um eine Aufnahme zu rechtfertigen, sofern der Verdacht sich aus der ex ante-Sicht des Ausschusses hinreichend verdichtet hat.97 Dies steht jedoch unter der Prämisse, dass die Betroffenen die Möglichkeit zur effektiven rechtlichen Abhilfe bekommen und ein Verdacht allein – auch wenn er durch besondere Vorgaben qualifiziert ist – nicht als Grundlage für zeitlich unbeschränkte Eingriffe in ihre Rechte dient.98
94
Ziff. 6 lit. e der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 95 Vgl. UN Doc. S/2011/447, Anhang III, Ziff. 16. 96 Vgl. auch die Begründung Kimberly Prosts, UN Doc. S/2011/447, Anhang III, Ziff. 17. 97 In Abgrenzung zum „bloßen Verdacht“, der auch nach der Erläuterung der Formel durch Kimberly Prost ebenso wenig ausreicht, wie die Berufung auf unverifizierte Behauptungen, UN Doc. S/2011/447, Anhang III, Ziff. 14. 98 Zur zeitlichen Beschränkung der Geltungsdauer der Sanktionen im anschließenden Punkt IV.
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
Weiterhin ist zu fordern, dass die zu veröffentlichenden Falldarstellungen das konkrete Regelbeispiel benennen, das nach dem „associated with“-Test die Verbindung des Betroffenen zu Al Qaida anzeigen soll und die Entscheidungen streng an dessen Linien begründen. Bisher erfolgt ein pauschaler Verweis auf Gruppen von „listing“-Kriterien, der nicht immer einen Rückschluss auf das im Einzelfall einschlägige Tatbestandsmerkmal zulässt.99 Auf diese Weise könnte den Betroffenen verdeutlicht werden, welche konkreten Verhaltensänderungen sie aus dem Fadenkreuz des Sanktionsausschusses entheben könnten. Ferner könnte dies zur näheren Konkretisierung der Merkmale beitragen, an die sich der Ausschuss in Folgefällen zu richten hätte, möchte er nicht dem Vorwurf ausgesetzt sein, nach unterschiedlichem Maß zu urteilen. Die qualifizierten Rechtfertigungsvorgaben könnten dazu beitragen, dass sich der Ausschuss gemäß seiner Funktion als Organ der Rechtsanwendung streng an den ihn bindenden Rechtssätzen orientiert. Letztlich würde erst im Wege der entsprechend vollzogenen Konkretisierung die Appellfunktion des Tatbestandes in seiner Gänze die gesamte Rechtsgemeinschaft erreichen. Aber auch der Erhalt einer entsprechend gestalteten Falldarstellung ermöglicht es den Betroffenen nur dann, ihre Verteidigungsrechte effektiv wahrzunehmen, wenn sie in einer Sprache verfasst ist, deren sie mächtig sind.100 Nicht jeder Sanktionsadressat wird zumindest eine der fünf offiziellen Amtssprachen der Vereinten Nationen sprechen bzw. dazu in der Lage sein, die Falldarstellung übersetzten zu lassen. Für strafrechtliche Verfahren sieht Art. 14 Abs. 3 lit. a IPbpR vor, dass jeder Angeklagte „unverzüglich und im einzelnen in einer ihm verständlichen Sprache über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Anklage zu unterrichten“ ist. Auch für die Adressaten des Al Qaida-Sanktionsregimes sollte ein entsprechender Anspruch eingeräumt werden. Danach sollte sowohl die Falldarstellung als auch die Schilderung der mit der Aufnahme in die Sanktionsliste verbundenen Konsequenzen sowie der Verfahrensweise des Sanktionsregimes dem Betroffenen unverzüglich und in einer ihm verständlichen Sprache zugeschickt werden und auf der Webseite des Ausschusses veröffentlicht werden. Die Zusendung sollte der Sanktionsausschuss selbst übernehmen, damit sie nicht mehr von dem Willen und den Kapazitäten der einzelnen Staaten abhängig sind, die zurzeit noch zur Benachrichtigung der Sanktionsadressaten zuständig sind.101
III. Bekanntgabe der Identität des „designating state“ Als weiteres Hindernis für die Verteidigung der Betroffenen wurde herausgestellt, dass es im Ermessen desjenigen Staates liegt, der eine Aufnahme in die Sankti99 Vgl. dazu auf der Webseite des Ausschusses (abrufbar unter: http://www.un.org/sc/com mittees/1267/narrative.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 100 Vgl. dazu bereits im 2. Teil, B., III., 4., f), bb), (1), (a). 101 S/RES/2161 (2014), Ziff. 40.
B. Das „listing“-Verfahren
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onsliste mittels „listing“-Antrags initiiert hat („designating state“), ob dem Betroffenen dessen Identität offengelegt wird.102 Seit Resolution 2083 (2012) müssen die Staaten einer Lüftung ihrer Identität zwar ausdrücklich widersprechen,103 jedoch müssen sie dazu keinerlei Begründung liefern. Ist dies der Fall, dann kann es den Betroffenen zumindest erheblich erschwert fallen, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen.104 Jedem Sanktionsadressaten sollte deshalb die Identität des „designating state“ offengelegt werden.105 Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, dass sich der betroffene Staat auf diese Weise einer erhöhten Bedrohung etwa durch Vergeltungsschläge ausgesetzt sehen könnte, woraus eine Zurückhaltung bei der Beantragung neuer Namen auf die Liste zu erwarten sei. Wäre dies der Fall, dann wäre das Regelungsregime nach Resolution 1373 (2001), nach welchem die Mitgliedstaaten zur selbstständigen Umsetzung individualgerichteter Sanktionen gegen Anhänger des internationalen Terrorismus verpflichtet sind, bereits grundsätzlichen Effektivitätsbedenken ausgesetzt. Vielmehr bietet das Al Qaida-Sanktionsregime den Staaten einen bedenklichen Anreiz, um gegen vermeintliche Mitglieder und Verbündete Al Qaidas vorzugehen, gegen die nach den Maßstäben innerstaatlicher Rechtsordnungen zur Rechtfertigung entsprechender Maßnahmen nicht ausreichend (verwertbares) belastendes Material vorliegt, um auf diese Weise einer rechtlichen Überprüfung durch (supra-)nationale Gericht zu entgehen.106
IV. Zeitliche Beschränkung für die Geltung der Sanktionen („sunset clause“) und qualifizierte Anforderungen an die Aktualisierung des „listings“ Wie den obigen Ausführungen bereits zu entnehmen ist,107 ließe sich insbesondere in Fällen einer primär verdachtsbasierten Aufnahme eines Betroffenen auf die Sanktionsliste ein zeitlich unbeschränkter Eingriff in dessen Rechte nicht rechtfertigen.108 Durch die unbegrenzte Geltungsdauer sind Sanktionen zudem als besonders einschneidend zu bewerten, so dass sie nur noch schwer von punitiven Maßnahmen abzugrenzen sind. Dies hat sowohl Folgen für die Frage des einzuhaltenden 102
Dazu im 2. Teil, B., III., 4., f), bb), (1), (b), (aa). S/RES/2083 (2012), Ziff. 12 und nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 33. 104 Vgl. dazu ergänzend die Ausführungen zum Fall Mohammed al-Ghabras, UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G. gg. HM Treasury, UKSC 2 & 5, vom 27. Januar 2010, Rn. 33, im 2. Teil, B., III., 3., c), bb). 105 Ebenso der Vertreter Österreichs, Martin Saydik, in seiner Rolle als Sprecher der „Gruppe gleichgesinnter Staaten“ in der offenen Sitzung vom 10. Mai 2012, UN Doc. S/PV.6767, S. 29. 106 Vgl. zu dieser Problematik auch die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 3., c), bb). 107 Vgl. dazu im vorangegangenen Punkt II. 108 Vgl. zu den Vor- und Nachteilen zeitlicher Beschränkungen von Sanktionen den Security Council Report – Special Research Report ,UN Sanctions‘ vom 25. November 2013, S. 6. 103
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
Schutzniveaus der Verfahrensrechte, als auch des Rechts auf Eigentum. Die Maßnahmen sollten deshalb zunächst nur für sechs Monate gelten. Nach diesem Zeitraum würden die Sanktionen automatisch aufgehoben, es sei denn der Sanktionsausschuss führt erneut ein reguläres „listing“-Verfahren durch („echte sunset clause“). Eine solche zweite „listing“-Entscheidung kann allerdings nicht mehr auf Grundlage eines bloßen Verdachts gerechtfertigt werden, da kein Erfordernis nach schnellem und überraschendem Eingreifen mehr gegeben ist. Zudem greifen die Sanktionen mit zunehmender Geltungsdauer immer tiefer in die Rechte der Adressaten ein, weshalb immer höhere Voraussetzungen an die Rechtfertigung zu stellen sind. Die Erneuerung einer „listing“-Entscheidung sollte deshalb nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie von einer hinreichenden Beweislage getragen wird, d. h. die Beweislage keine begründeten Zweifel an der Richtigkeit der Annahme offenlassen, dass der betroffene Sanktionsadressat tatsächlich die „listing“-Kriterien erfüllt. Durch die zeitliche Begrenzung der regulären Geltungsdauer wäre der präventive Charakter des Sanktionsregimes hervorgehoben und den Betroffenen wäre die Sicherheit geboten, dass sie nicht auf einer unsicheren Beweislage unbefristet den Sanktionen ausgeliefert wären.
V. Regelung zum Umgang mit vertraulichen Informationen Wie das Al Qaida-Sanktionsregime verdeutlicht, verwischen im Rahmen der internationalen Terrorismusbekämpfung der Post 9/11-Ära immer mehr die Trennlinien zwischen den idealtypischen Aufgabenbereichen der primär zu präventiven Zwecken eingesetzten Geheimdienstorgane, die regelmäßig auf einen bloßen Verdacht hin zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr greifen müssen, und den auf Beweise angewiesenen Strafermittlungsbehörden, denen es obliegt, zurückliegende Ereignisse aufzuklären.109 Dies ist auch Folge der mit punitiven Maßnahmen vergleichbaren Tiefe der Individualrechtseingriffe, denen die Sanktionsadressaten ausgesetzt sind. Trotz der präventiven Ausrichtung des Sanktionsregimes ist der Sanktionsausschuss nämlich dazu gezwungen, die Sanktionsentscheidungen langfristig durch eine gesicherte Beweislage zu stützen, auch wenn dies die in die internationale Terrorismusbekämpfung eingebundenden Geheimdienste, zu deren typischen Aufgaben nicht die an verfahrensrechtlichen Maßstäben auszurichtende Beweissicherung zu zählen ist, vor besondere Herausforderungen stellen mag.110 Einen Ausgleich der sich gegenüberstehenden Paradigmen schafft die oben vorgeschlagene Staffelung des zu fordernden Beweisniveaus, nach welcher ein erstes Vorgehen auch auf einen begründeten Verdacht hin gerechtfertigt werden kann, und erst eine nach Ende der 109 Vgl. auch Roach, The eroding distinction between intelligence and evidence, S. 51 ff., 62 f. Vgl. zur Problematik der Vorverlagerung der Strafbarkeit, welche diese Problematik verschärft: Marxsen, Resolution 2178 und ihre Auswirkungen auf die Bundesrepublik. 110 Vgl. zu dieser Problematik im Rahmen der Terrorismusbekämpfung: Roach, The eroding distinction between intelligence and evidence, S. 57.
B. Das „listing“-Verfahren
337
sechsmonatigen Geltungsdauer angestrebte Aktualisierung der „listing“-Entscheidung zwingend von einer hinreichenden Beweislage abhängig zu machen ist.111 Im Rahmen der rechtlichen Prüfung wurde der Umstand beanstandet, dass es nach geltender Rechtslage den Staaten überlassen bleibt, belastende Informationen als vertraulich zu kennzeichnen und sie auf diese Weise aus den Falldarstellungen auszunehmen, die den Sanktionsadressaten mit Aufnahme in die Liste zugeschickt werden.112 Weder gibt es Kriterien, an denen sich die Staaten bei einer solchen Entscheidung orientieren müssten, noch wird von ihnen eine Rechtfertigung für die Zurückhaltung von Informationen abverlangt. Dies ist nicht mit dem Recht der Betroffenen auf umfängliche Bekanntgabe des für und gegen sie vorliegenden Materials zu vereinbaren.113 In Ausnahmefällen kann unter besonderen Bedingungen der Verschluss einzelner Informationen durchaus gerechtfertigt sein.114 Der Rechtsprechung des EGMR115 folgend sollte dies aber nur dann der Fall sein, wenn der Verschluss von Informationen zum Schutz grundlegender Rechte anderer Personen oder aus Gründen der nationalen Sicherheit etwa zur Geheimhaltung bestimmter Ermittlungsmethoden unbedingt erforderlich ist. Grundsätzlich ist eine Geheimhaltung jedoch nicht mehr zu rechtfertigen, wenn die entsprechenden Informationen eine Grundlage für die Anklage bilden oder für den Ausgang des Verfahrens möglicherweise von entscheidender Bedeutung sind.116 Sollte dies im Ausnahmefall nicht zu vermeiden sein, muss zumindest im Rahmen des „de listing“-Verfahrens die Sicherheit gegeben sein, dass die Betroffenen über besondere Mechanismen dennoch in die Lage versetzt werden, sich effektiv verteidigen zu können.117 Die Feststellung über das Vorliegen eines den Verschluss einzelner Informationen rechtfertigenden 111
Zum Schutzniveau im „de listing“-Verfahren an späterer Stelle. Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 32. 113 Dazu im 2. Teil, B., III., 4., f), bb), (1), (b), (aa). Vgl. auch Ciampi, Security Council Targeted Sanctions and Human Rights, S. 139: „Until […] minimum evidentiary requirements are set at the stage of listing, no review mechanism, whatever its independence and expertise, will ever result in real and effective protection of the human rights of individuals and entities targeted by UN sanctions.“ 114 In ihrem letzten Bericht an den Sicherheitsrat schlägt Kimberly Prost vor, die Ombudsperson solle die Entscheidungshoheit über die Weitergabe von Informationen erhalten. Nur in Ausnahmefällen solle der Sanktionsausschuss oder der Sicherheitsrat die Entscheidung an sich ziehen können, UN Doc. S/2015/533, Ziff. 45. 115 EGMR, Kammer, Doorson gg. Niederlande, 20524/92, Urteil vom 26. März 1996, Rn. 70; ders., Große Kammer, Jasper gg. Vereinigtes Königreich, 27052/95, Urteil vom 16. Februar 2000, Rn. 52; ders., Große Kammer, Edwards & Lewis gg. Vereinigtes Königreich, 39647/98 und 40461/98, Urteil vom 27. Oktober 2004, Rn. 46; ders., Große Kammer, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 205 m.w.N. 116 Vgl. nur EGMR, Kammer, Doorson gg. Niederlande, 20524/92, Urteil vom 26. März 1996, Rn. 76; ders., Große Kammer, Edwards & Lewis gg. Vereinigtes Königreich, 39647/98 und 40461/98, Urteil vom 27. Oktober 2004, Rn. 46. 117 EGMR, Große Kammer, Al-Khawaja & Tahery gg. Vereinigtes Königreich, 26766/05 und 22228/06, Urteil vom 15. Dezember 2011, Rn. 147; ders., Kammer, Fa˛frowicz gg. Polen, 43609/07, Urteil vom 17. April 2012, Rn. 55. 112
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
Ausnahmefalles kann ferner nicht bei den Staaten selbst verbleiben, sondern muss von einer unabhängigen Stelle vorgenommen werden, die zu beurteilen hat, ob das Geheimhaltungsinteresse dem Anspruch des Betroffenen tatsächlich überwiegt.118 Für diese Aufgabe bietet sich das noch weiter zu reformierende Büro der Ombudsperson an, das als Organ der Rechtspflege bereits vor oder parallel zum „listing“-Verfahren einzuschalten wäre, um ex parte über die Angemessenheit der Geheimhaltung einzelner Informationen verbindlich zu entscheiden. Auf Antrag sollte den betreffenden Staatenvertretern gegebenenfalls mit Unterstützung von Geheimdienstmitarbeitern die Möglichkeit der Begründung des Geheimhaltungserfordernisses in geschlossener Sitzung vor der Ombudsperson gegeben werden (in camara-Verfahren). Die Staatenvertreter hätten dabei klarzustellen, ob eine Geheimhaltung allein gegenüber dem Sanktionsadressaten oder zusätzlich gegenüber dem Sanktionsausschuss erfolgen soll. Die Begründung hätte sich an den bereits genannten Bemessungskriterien zu orientieren, nach denen sich ein Verschluss allein dann rechtfertigen ließe, wenn der Schutz grundlegender Rechte anderer Personen oder die nationale Sicherheit dies unbedingt erfordern. Auf diese Weise wäre gewährleistet, dass allein anerkannte Rechtsargumente eine Geheimhaltung rechtfertigen könnten, in die die Staatenvertreter andersartige Hintergrundmotive zu übersetzen hätten. Aber auch bei Berücksichtigung dieser Überprüfungsmechanismen kann die Geheimhaltung einzelner Informationen Auswirkungen auf die Möglichkeit zur Verteidigung der Sanktionsadressaten haben, da sie nicht in die volle Kenntnis des Falles gesetzt werden. Auf die Möglichkeit eines Ausgleichs weisen Bestimmungen des kanadischen Verfahrensrechts hin. Nach dem Canada Evidence Act können Richter nach der Erhebung und Auswertung von geheimen Informationen im Rahmen von ex parte und in camara durchgeführten Verfahren und nach Abwägung der sich widerstreitenden Interessen neben der Offenlegung aller Informationen als ausgleichende Maßnahmen – unter den von ihnen jeweils als angemessen empfundenen Bedingungen – u. a. auch die zusammenfassende Offenlegung der Informationen anordnen.119 Nach diesem Vorbild sollte die Rechtsschutzinstanz den sich aus den geheimen Informationen ergebenden Sachverhalt – soweit möglich – in einer Weise zusammenfassen und in die Falldarstellung einpflegen, dass die Sanktionsadressaten eine Gegendarstellung liefern können, jedoch keine Gefahr für die durch die Geheimhaltung geschützten Güter droht. Dem „designating state“ stünde es im Falle eines durch die Ombudsperson negativ beschiedenen Antrags auf Geheimhaltung offen, den „listing“-Antrag zurückzuziehen bzw. ihn gar nicht erst bei dem Ausschuss einzureichen und so die Veröffentlichung der Informationen zu verhindern.
118
Ciampi, Security Council Targeted Sanctions and Human Rights, S. 139. Vgl. dazu auch EGMR, Große Kammer, Jasper gg. Vereinigtes Königreich, 27052/95, Urteil vom 16. Februar 2000, Rn. 54 – 56, und bereits die Ausführungen im 2. Teil, B., III., 4., f), bb), (1), (b), (aa). 119 Section 38.06 (2) Canada Evidence Act.
B. Das „listing“-Verfahren
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VI. Regelung zur Beweisführung Ein bisher bloß am Rande diskutierter Punkt betrifft die Frage danach, welche Mittel überhaupt als zulässig anerkannt werden sollten, um als Beweis für die Verbindung oder Mitgliedschaft eines Betroffenen zu Al Qaida dienen zu können. Bislang sieht das Sanktionsregime dazu keinerlei Regelungen vor. Nach Resolution 1735 (2006) sind die Staaten allein dazu angehalten, ihren Antrag mit spezifischen Informationen und unterstützenden Dokumenten zu untermauern, wobei auch die Natur der Informationen zu bezeichnen ist.120 Die Informationen müssen aber weder selbst vorgelegt werden, noch müssen sie eine bestimmte Qualität aufweisen oder nach rechtsstaatlichen Standards erhoben worden sein.121 Danach würde etwa eine unter Folter erpresste Auskunft als zulässige Grundlage dienen können, um eine Aufnahme auf die Sanktionsliste zu rechtfertigen. Die Studie von Ben Emmerson zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Kampf gegen den Terrorismus kommt zu der alarmierenden Vermutung, dass unter Folter gewonnene Informationen bereits als Grundlage für die Aufnahme in die Sanktionsliste dienten.122 Dies würde einen flagranten Verstoß gegen das Folterverbot123 und das Recht auf ein faires Verfahren bedeuten.124 Es ist deshalb äußerst bedenklich, dass Kimberly Prost die Berücksichtigung entsprechend gewonnener Informationen zur Bewertung von „de listing“-Anträgen nicht zwingend ausschließen möchte.125 Problematisch ist ferner, dass auch vage Informationen als hinreichend betrachtet werden können, um ein „listing“ zu bewirken. Es wäre noch nicht einmal zwingend notwendig, dass überhaupt irgendwelche Beweismittel vorgelegt werden, womit sogar die unverifizierte Behauptung eines Staatenvertreters, ihm lägen Informationen vor, die nahelegten, dass ein Betroffener mit Al Qaida verbunden sei, ausreichen kann.126 Die Vernehmung von Zeugen ist nicht vorgesehen, obwohl das Mittel der mündlichen Anhörung gerade von entscheidender Bedeutung zur Überprüfung des Wahrheitsgehalts einer Aussage sein kann. Eine persönliche Zusammenkunft mit dem Sanktionsadressaten wird erst im „de listing“-Verfahren mit der Ombudsperson empfohlen.127 Die Europäische Union versuchte in Reaktion auf das Urteil des EuGH in der Sache Kadi, dem Recht auf rechtliches Gehör dadurch gerecht zu werden, dass sie mit Verordnung Nr. 1286/2009 vom 22. Dezember 2009 das bisherige Verfahren insoweit ergänzte, als sie den neu auf die Liste aufgenommenen Sanktionsadressaten, 120
S/RES/1735 (2006), Ziff. 5. Kritisch dazu auch Tzanakopoulos, Transparency in the Security Council, S. 373. 122 UN Doc. A/67/396, Ziff. 47. 123 Vgl. Art. 15 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (UNTS, Registration No. 24841). 124 Vgl. CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 6. 125 UN Doc. A/67/396, Ziff. 46. 126 Vgl. Wolfrum, La contrôle juridictionnel des décisions du Conseil de Sécurité (ONU), S. 40. 127 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 7 lit. c. 121
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
die sich in ihrem Hoheitsgebiet befinden, „unverzüglich“ die „Gelegenheit zur Stellungnahme“ einräumt, welche dem Ausschuss mitsamt einer Bewertung der Kommission anschließend übermittelt wird.128 Dieses Verfahren ist durch das Sanktionsregime jedoch nicht vorgeschrieben, und es eröffnet den Betroffenen nicht die Möglichkeit, persönlich vor den letztlich entscheidungskompetenten Mitgliedern des Ausschuss vorzusprechen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die zulässigen Beweismittel durch eine nicht abschließende Aufzählung spezifiziert werden sollten und ausdrücklich neben Sachbeweisen – etwa Urkunden, Video- und Tonaufnahmen, Protokolle und Berichte – auch Personenbeweise – etwa durch die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen – umfassen sollten. Den Sanktionsadressaten sollte unmittelbar nach Aufnahme in die Sanktionsliste stets die Möglichkeit eingeräumt werden, im Rahmen einer Anhörung persönlich zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Eine langfristige Sanktionierung – d. h. eine solche, die über sechs Monate andauert – auf Basis von Indizien sollte bloß in Einzelfällen gerechtfertigt sein, wenn alle Möglichkeiten des Beweises erschöpft sind und dennoch kein begründeter Zweifel daran besteht, dass der Betroffene in einer sanktionsbewehrten Beziehung zu Al Qaida steht. Alle Beweise sollten im Ausschuss selbst vorgelegt und ausgewertet werden, also nicht allein aufgrund der Auswertung eines einzelnen Ausschussmitglieds zur Grundlage genommen werden. Zudem sollten Beweismittel dann als unzulässig verworfen werden, wenn die Annahme gerechtfertigt ist,129 dass sie unter Verletzung international anerkannter Menschenrechte gewonnen wurden und dadurch erhebliche Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit bestehen oder ihre Zulassung im Widerspruch zu den Grundsätzen eines fairen Verfahrens stehen würde.130 Letzteres träfe etwa auf die Verwertung von unter Folter gewonnener Informationen zu.131
VII. Das Abstimmungsverfahren „Listing“-Entscheidungen des Sanktionsausschusses werden im Wege des „no objection-procedure“ getroffen. Ein eingebrachter Antrag ist bereits bei Untätigkeit der Ausschussmitglieder nach spätestens zehn Tagen positiv beschieden.132 Dies kann eine bedenkliche Hemmschwelle für diejenigen Staaten darstellen, die Zweifel an der Begründetheit eines „listing“-Antrags haben. Sie müssen sich aktiv gegen den Antrag wenden und die Fallbewertung des Antragstellers offen in Zweifel ziehen, worauf zugunsten guter diplomatischer Beziehungen gegebenenfalls verzichtet 128
Mit der Verordnung neu eingeführter Art. 7 a, Abs. 2 und 3. Dazu Emmerson, UN Doc. A/67/396, Ziff. 49 m.w.N. 130 In Anlehnung an Art. 69 Ziff. 7 des Römischen Statuts. 131 Vgl. CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 6. 132 Ziff. 6 lit. n, Ziff. 4 lit. c der Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guide lines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 129
C. Die Rechtsfolgenebene
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werden könnte. Auf diese Weise wird eine unkritische Haltung privilegiert. Bereits die oben vorgeschlagenen Beweisführungs- und Beweiswürdigungsregeln können dazu dienen, die entscheidungsrelevanten Debatten in einen qualifizierten Rechtsdiskurs zu überführen, in dem reine Machtfaktoren eine weniger große Rolle spielen. Danach ist das gesamte entscheidungsrelevante Material grundsätzlich dem Sanktionsausschuss vorzulegen, der eine positive Bewertung des Antrags von einer qualifizierten Beweislage abhängig zu machen hat. Ein ablehnender Staat könnte auf gemeinsam anerkannte und klar konturierte Rechtsregeln verweisen, was leichter fällt, als einen Antrag im Kontext einer unbestimmten Rechtslage zurückzuweisen, die den Staaten einen erheblichen Ermessensspielraum lässt. Eine Änderung der Regelungen zum Stimmverfahren, nach dem der Ausschuss einen Antrag positiv im Konsens beschließen muss, könnte zusätzlich dazu dienen, den Antragstellern einen größeren Rechtfertigungsdruck aufzuerlegen, da sie darauf angewiesen wären, dass sich die (übrigen)133 Mitglieder des Ausschusses ihrer Fallbewertung ausdrücklich anschließen.
C. Die Rechtsfolgenebene I. Einschränkung des Betroffenenkreises Der Fall M et al. hat aufgezeigt, dass von den Finanzsanktionen nicht allein die auf der Sanktionsliste geführten Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen in ihren Rechten betroffen sein können.134 So sind die Mitgliedstaaten u. a. dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass von ihren Staatsangehörigen und auf ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Personen den auf der Sanktionsliste geführten Mitgliedern und Verbündeten Al Qaidas weder direkt noch indirekt Gelder, finanzielle Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.135 Dies hat in dem benannten Fall dazu geführt, dass britische Behörden die Zahlung von Sozialleistungen an die Ehefrauen von auf der Liste geführten Sanktionsadressaten eingestellt hatten, mit der Begründung, die Beträge könnten letzteren indirekt zugutekommen.136 Wie der EuGH entschieden hat, genügt die zur Umsetzung des Sanktionsregimes erlassene Verordnung – wie die ihr zugrundeliegende Resolution – nicht den Bestimmtheitsanforderungen, die vorausgesetzt sind, um auf ihrer Grundlage Eingriffe in fundamentale Rechte Drittbetroffener zu rechtfertigen.137 Der Gerichtshof hatte nach Auslegung der betreffenden Regelungen im 133
Auch Nichtmitglieder können „listing“-Anträge einreichen, S/RES/2161 (2014), Ziff. 30. 134 House of Lords, M et al., [2008] UKHL 26, Entscheidung vom 30. April 2008 (Vorlagefrage) und EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010 (Vorlageverfahren). 135 S/RES/2161 (2014), Ziff. 1 lit. a. 136 EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010, Rn. 23 – 25 (Vorlageverfahren). 137 Vgl. dazu ausführlich im 2. Teil, B., III., 4., c), aa), (1).
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
Lichte des Sinns und Zwecks des Sanktionsregimes festgestellt, dass die auf der Liste geführten Sanktionsadressaten allein am Zugriff solcher Mittel gehindert werden sollen, die sie „zur Unterstützung terroristischer Tätigkeiten einsetzen könnten.“138 Lässt jemand aber einem Sanktionsadressaten finanzielle Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen zukommen, die zur Finanzierung terroristischer Aktivitäten geeignet sind, dann ist er ohnehin nach dem „associated with“-Test selbst auf die Sanktionsliste aufzunehmen.139 Ein Einfrieren würde sich dann auf eine geeignete Rechtsgrundlage stützen, vorausgesetzt die Resolutionen machten ein vorsätzlich auf Al Qaida gerichtetes Handeln zur Voraussetzung für die Aufnahme in die Sanktionsliste.140 Handelt die betreffende Person dagegen ohne Vorsatz, dann wäre ein hoheitlicher Eingriff in ihre Rechte unverhältnismäßig. Sind allein Zuwendungen betroffen, die sich weder direkt noch indirekt zur Finanzierung terroristischer Tätigkeiten eignen, wäre ein Einfrieren nach teleologischer Auslegung der Resolutionen nicht vom Sanktionsregime gedeckt. Vor diesem Hintergrund ist kein Grund ersichtlich, warum an der Regelung überhaupt noch festgehalten werden sollte; sie sollte gestrichen werden.
II. Einschränkung des Anwendungsbereichs des Finanzembargos Mit Aufnahme in die Sanktionsliste sind zunächst alle finanziellen Vermögenswerte und wirtschaftliche Ressourcen der Betroffenen einzufrieren.141 Die Resolutionen stellen in einem gesonderten Punkt zusätzlich klar, dass damit finanzielle und wirtschaftliche Ressourcen „aller Art“ gemeint sein sollen.142 Zwar sind von den Sanktionen solche finanziellen Vermögenswerte und wirtschaftlichen Ressourcen ausgenommen, die zur Bestreitung der notwendigsten Ausgaben notwendig sind, jedoch haben die Betroffenen bzw. die betreffenden Staaten zuvor einen Antrag auf Freigabe bei dem Sanktionsausschuss einzureichen, dem die Letztentscheidungskomeptenz zukommt.143 Ein wesentlicher Fortschritt ist zweifelsohne, dass die Betroffenen sich seit Resolution 2083 (2012) nunmehr über den „focal point“ auch direkt an die UN-Ebene richten können und nicht mehr auf die Gunst der betreffenden Staaten angewiesen sind. Dass sie aber überhaupt noch davon abhängen, dass der Sanktionsausschuss ihre Anträge positiv bescheidet, stellt ein nicht unproble138
EuGH, M et al., C-340/08, Urteil vom 29. April 2010, Rn. 54 (Vorlageverfahren). Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 2 lit. a. 140 Dazu im vorangegangenen Punkt B., I. 141 S/RES/2161 (2014), Ziff. 1 lit. a. 142 So zuletzt in S/RES/2161 (2014), Ziff. 5. Einer näheren Erläuterung dienen die Begriffserklärungen des Sanktionsausschusses, die in nicht abschließender Aufzählung einige Beispielsfälle nennen (Stand: 24. Februar 2015. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/commit tees/1267/usefulpapers.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 143 S/RES/1452 (2002), Ziff. 1 lit. a; S/RES/2161 (2014), Ziff. 62 lit. a. 139
D. Die Ausnahmeregelungen
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matisches Hindernis dar. Finanzielle Mittel für notwendige Ausgaben werden gegebenenfalls sofort benötigt,144 während der Ausschuss bei Anträgen, die ihm von den Betroffenen selbst über den focal point zugeleitet werden, keine Frist einhalten muss.145 Ob und in welchem Zeitraum die Staaten einen Antrag an den Sanktionsausschuss stellen, ist ihnen überlassen. Der Ausschuss hat seine Entscheidung weder an rechtlichen Maßstäben zu messen, noch muss er eine Begründung für seine Entscheidung liefern. Rechtliche Abhilfe bleibt den Sanktionsadressaten verwehrt. Damit ist nicht gesichert, dass die Betroffenen tatsächlich und schnell Zugang zu den notwendigen finanziellen Vermögenswerten bekommen, auf die sie einen Anspruch haben. Diese Probleme ließen sich vermeiden, wenn von vornherein solche Werte den Sanktionen entzogen wären, die die Betroffenen unbedingt zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts brauchen. Von den eingefrorenen Konten sollte deshalb jeden Monat ein in der Höhe an sozialen Sicherungsleistungen orientierter Betrag den Sanktionsadressaten freigestellt werden, außer es liegen Informationen vor, die einen Hinweis darauf geben, dass der Betroffene aus anderen Quellen seinen Lebensunterhalt sichert und das zur Verfügung gestellte Guthaben zu terroristischen Zwecken verwenden könnte.
D. Die Ausnahmeregelungen Die Ausnahmeregelungen zum Sanktionsregime können von besonderer Bedeutung für die Rechte der Sanktionsadressaten sein. Positiv hervorzuheben ist, dass es den Sanktionsadressaten seit Resolution 2083 (2012) auch möglich ist, sich über den „focal point“ selbst an den Sanktionsausschuss zu wenden, um Ausnahmen zu beantragen.146 Problematisch bleibt allerdings die weiterhin bestehende Intransparenz des Verfahrens. Die Entscheidungen des Ausschusses müssen nicht begründet werden. Der Antragsteller ist lediglich über die Entscheidung des Ausschusses zu informieren.147 Dies sollte geändert werden. Die öffentliche Begründung der Entscheidungen an der Linie der Ausnahmekriterien könnte dazu dienen, das Handeln des Ausschusses nachvollziehbar zu machen und so die Legitimität des Regimes erhöhen.
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Darauf weist zu Recht auch Kühne, ZRP 8/2013, S. 244, hin. Vgl. S/RES/2161 (2014), Ziff. 62 lit. a. 146 S/RES/2083 (2012), Ziff. 37 und nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 62. Kimberly Prost empfiehlt, der Ombudsperson die Zuständigkeit zur Entscheidung über Ausnahmen zu übertragen, UN Doc. S/2015/533, Ziff. 50 f. Eine Beteiligung der Ombudsperson wäre allerdings eher auf Rechtsschutzebene sinnvoll, vgl. dazu im 4. Teil, E., IV., 1., a), bb). 147 S/RES/2083 (2012), Ziff. 37 und nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 62. 145
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
E. Die Rechtsschutzebene Besonderer Reformbedarf wurde für die Rechtsschutzebene festgestellt. Effektiver Rechtsschutz könnte sowohl dezentral von den nationalen Gerichten wie auch von einer Instanz auf UN-Ebene – wie dem Büro der Ombudsperson – gewährleistet werden. Für eine „Dezentralisierung“ der rechtlichen Überprüfung spräche, dass es auf dem ersten Blick unwahrscheinlich erscheint, dass die Sicherheitsratsmitglieder sich selbst verbindlich dazu verpflichten werden, ihre Geheimdienstinformationen mit einer UN-Instanz wie der Ombudsperson zu teilen.148 Der Druck, dem sie dadurch ausgesetzt sind, dass (supra-)nationale Gerichte bei unveränderter Rechtslage die Umsetzungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten mit Hinweis auf die Verletzung von Verfahrensrechten auch in Zukunft zu verwerfen drohen, könnte sie jedoch zu entsprechenden Selbstverpflichtungen veranlassen. Die Fortentwicklung des Sanktionsregimes zeigt, dass Gerichtsentscheidungen Antrieb für weitreichende Reformen sein können. Darüber hinaus haben sich bereits mehrere Mitgliedstaaten mittlerweile dazu bereit erklärt, ihre Geheimdienstinformationen mit der Ombudsperson zu teilen.149 Gegen die Zuweisung der primären Überprüfungskompetenz auf die Ebene der mitgliedstaatlichen Gerichte spricht, dass diese zur Ausübung ihrer Rechtsprechungskompetenz ebenfalls auf den Zugang zu belastenden Informationen angewiesen wären. Vorschläge, die diesem Problem dadurch zu begegnen versuchen, dass allein die Gerichte desjenigen Staates, der die Aufnahme in die Liste ursprünglich veranlasst hat (und deshalb i. d. R. selbst über die belastenden Informationen verfügt), verblindlich über den Verbleib des Sanktionsadressaten entscheiden sollen, würden an rechtlichen Widerständen scheitern. Die Gerichte aller Mitgliedstaaten müssten sich in diesem Fall dazu bereit erklären, in ein aufgabenteiliges Rechtsschutzsystem eingebunden zu werden. Sie müssten sich ihrer Jurisdiktion jeweils enthalten, wenn die Aufnahme in die Sanktionsliste durch einen fremden Staat initiiert wurde, was insbesondere im Falle des EuGH kaum zu erwarten sein dürfte. Der EuGH dürfte solchen Modellen gegenüber wenig aufgeschlossen sein, wie nicht zuletzt im Rahmen der Kadi-Rechtsprechung deutlich zutage trat.150 Mit seiner Bereitschaft zu einer entsprechenden Einbindung wäre allenfalls dann zu rechnen, wenn derjenige Staat, der im Einzelfall die Aufnahme eines Namens in die Sanktionslisten vorschlägt (d. h. potentiell alle Staaten), selbst ein Rechtsschutzsystem vorsähe, das einem menschenrechtlichen Standard genügte, der demjenigen der
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So Hollenberg, LJIL 28 (2015), S. 63. Vgl. http://www.un.org/en/sc/ombudsperson/accessinfo.shtml (zuletzt besucht am 12. August 2015). 150 Ausführlich dazu im 2. Teil, B., III., 3., c), aa), (1), (a), (aa). 149
E. Die Rechtsschutzebene
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Unionsrechtsordnung mindestens gleichzuachten wäre.151 Eine Vielzahl der UNMitgliedstaaten wird diesem Standard bislang jedoch gerade nicht gerecht, womit sie als mögliche Partner in einem aufgabenteiligen Rechtsschutzsystem zumindest aus europäischer Sicht ausfallen müssten. Ein weiteres Problem würde durch die zu erwartenden Unterschiede in der Auslegung der anzuwendenden Normen des Sanktionsregimes durch die Gerichte entstehen. Die Kriterien zur Aufnahme in die Sanktionsliste sind sehr offen formuliert und gewähren einen weiten Auslegungsspielraum. Kämen die mitgliedstaatlichen Gerichte bei der Bestimmung der Auslegungsgrenzen zu unterschiedlichen Auffassungen, dann wäre die einheitliche Umsetzung des Regimes nicht mehr gewährleistet. Angesichts dieser Situation erscheint die Weiterentwicklung des bereits bestehenden Systems größere Aussicht darauf zu haben, politisch und rechtlich durchsetzbar zu sein. Gleichzeitig könnte der Schutz der Rechte der Sanktionsadressaten auf diese Weise besser gesichert werden, da er lediglich von der Reform eines Rechtschutzsystems, nämlcih des Ombudsverfahrens abhinge. Der folgende Vorschlag zur Reform des de listing-Verfahrens konzentriert sich aus diesen Gründen auf eine Anpassung des bestehenden Rechtsschutzverfahrens auf UN-Ebene.
I. Die Wahl der Rechtsschutzinstanz und die Modalitäten ihres Mandats Als Mittel zur Steigerung der Repräsentativität der Entscheidungen von Rechtsspruchinstanzen wurde die Wahl ihrer Mitglieder ausgemacht. Dabei sollen der Sanktionsausschuss und der Sicherheitsrat außen vor bleiben, da ihnen nach den Untersuchungen im Rahmen eines menschenrechtskonform auszugestaltendem Rechtsschutzsystems keine Entscheidungskompetenzen mehr zuzusprechen wären. Die Mitglieder des entscheidungskompetenten Organs sollten jedenfalls von einem unabhängigen Gremium gewählt werden, in welchem möglichst Repräsentanten der gesamten Rechtsgemeinschaft vertreten sind. Unter den Organen der Vereinten Nationen bietet die Generalversammlung die größte Repräsentativität. In ihr sind alle Mitgliedstaaten mit gleichem Stimmrecht vertreten (Art. 9 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 UN-Charta). Eine Repräsentation der betroffenen Zivilgesellschaft durch frei gewählte Willensrepräsentanten wird dagegen nicht zu erreichen sein. Die stimmrechtslose Beteiligung von Organisationen der Zivilgesellschaft kann jedoch dazu dienen, dass kritische Meinungen die begleitenden Verhandlungen befruchten. In einer öffentlichen Vorstellung der durch die Mitgliedstaaten vorgeschlagenen Kandidaten in der Generalversammlung sollten sie ihre Meinungen zu ihnen äußern 151 Dies dürfte auch für weitere Gerichte gelten, die auf Ebene der UN-Mitgliedstaaten grds. zur Überprüfung der Umsetzungsmaßnahmen berufen wären.
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
und Fragen an sie richten können. Die Mitglieder des Rechtsschutzorgans sollten von der Generalversammlung für einen Mindestzeitraum von fünf Jahren ohne die Möglichkeit der Wiederwahl ernannt werden.152 Durch das Wahlverfahren wäre ihre Unabhängigkeit von Sicherheitsrat und Sanktionsausschuss gewährleistet. Der Ausschluss einer Wiederwahl würde die Sicherheit bieten, dass die Mitglieder der Rechtsschutzorgane allein ihrem Gewissen unterworfen wären, da sie keinen Vorteil durch die Gunst der Mitgliedstaaten zu erwarten hätten. Eine Mandatsdauer von fünf Jahren böte ihnen zudem die Möglichkeit, die Rechtsprechungspraxis zu prägen. Ein Entzug des Mandats sollte nur in absoluten Ausnahmefällen bei schwerwiegendem Fehlverhalten oder offensichtlicher Unfähigkeit möglich sein.153 Ein Amtsenthebungsverfahren hätte zudem die Grundsätze eines fairen Verfahrens zu achten.154 Ein Verfahren könnte auf Antrag des Sekretariats oder hilfsweise der Generalversammlung vor einem ad hoc von der Generalversammlung zu berufendem Panel eingeleitet werden, das in der Sache unabhängig zu verhandeln und eigenständig zu entscheiden hätte. Auf diese Weise wäre wiederum eine ausreichende Distanz zum Sanktionsregime gesichert. Die Initiativbefugnisse des Sekretariats würde zudem eine rasche Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens ermöglichen.
II. Die Beweislastregeln Den geltenden Regeln des Sanktionsregimes zum „de listing“-Verfahren ist nicht zu entnehmen, nach welchen Kriterien ein weiterer Verbleib auf der Sanktionsliste gerechtfertigt sein soll. Das Verfahren legt zudem den Antragstellern die Last auf, Informationen als Gegenbeweis zu den Vorwürfen vorbringen zu müssen, ohne dass gesichert ist, dass sie volle Kenntnis über das sie belastenden Material erhalten. Nach den Arbeitsrichtlinien des Sanktionsausschusses etwa sollen die Staaten, die einen „de listing“-Antrag stellen, möglichst mit Beweisen gestützte Erklärungen dafür liefern, warum der Betroffene nicht mehr mit Al Qaida verbunden ist.155 Dies wird schwer fallen, wenn eine Verbindung zu Al Qaida niemals bestanden hat. Der Canadian Federal Court stellte im Fall Adelrazik dazu fest:
152 Ebenso hinsichtlich der Mandatsdauer und dem Ausschluss der Wiederwahl die „Gruppe gleichgesinnter Staaten“, UN Doc. A/62/891-S/2008/428, S. 5. Für eine unbeschränkte Geltungsdauer tritt die Vertreterin Schwedens, Signe Burgstaller, auf der öffentlichen Sitzung zur Arbeitsweise des Sicherheitsrats vom 26. November 2012 ein, UN Doc. S/PV.6870 (Resumption 1), S. 7. 153 Vgl. CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 20. 154 CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 20. 155 Ziff. 7 lit. d Guidelines of the Committee for the Conduct of Its Work (Stand: 15. April 2013. Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Vormals wurde eine entsprechende Begründung auch von den Sanktionsadressaten gefordert, die sich über den „focal point“ direkt beim Sanktionsausschuss um eine Streichung von der Liste bemüht haben.
E. Die Rechtsschutzebene
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„It is difficult to see what information any petitioner could provide to prove a negative, i. e. to prove that he or she is not associated with Al-Qaida. One cannot prove that fairies and goblins do not exist any more than Mr. Abdelrazik or any other person can prove that they are not an Al-Qaida associate. […] The 1267 Committee regime is, […], a situation for a listed person not unlike that of Josef K. in Kafkas’s The Trial, who awakens one morning and, for reasons never revealed to him or the reader, is arrested and prosecuted for an unspecified crime.“156
Mittlerweile sind auf der Internetseite des Ausschusses Falldarstellungen mit zunehmender Qualität abrufbar,157 wodurch es den Betroffenen nunmehr zumindest möglich ist, auf einzelne Vorwürfe direkt einzugehen. Über den Ursprung der Informationen haben die Betroffenen jedoch keine Kenntnis, und sie können auch nicht sicher davon ausgehen, dass allein die veröffentlichten Informationen als Grundlage für das „listing“ dienten. Eine Rechtfertigung für eine Streichung von der Sanktionsliste zu liefern wird deshalb gegebenenfalls unmöglich sein. Aber auch auf der Internetseite des Büros der Ombudsperson werden die Antragsteller dazu aufgefordert, dem „de listing“-Antrag eine Stellungnahme zu den Gründen ihres Antrags und der Rechtfertigung ihrer Streichung von der Liste beizufügen.158 Darin soll auf alle ihm in der Listeneintragung oder der Falldarstellung vorgeworfenen Umstände eingegangen werden.159 Sollte der Antragsteller zusätzlich über Informationen verfügen oder eine Vermutung haben, aus welchen Gründen er auf die Sanktionsliste aufgenommen wurde, sollten diese zusammen mit betreffenden Erläuterungen und Argumenten ebenfalls in den Antrag aufgenommen werden.160 Nach den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens kann von den Betroffenen aber kaum zu erwarten sein, dass sie gegebenenfalls darüber spekulieren, warum der Ausschuss der Annahme sein könnte, dass sie in Verbindung mit Al Qaida stehen, um auf die Vermutung mit entkräftenden Argumenten und Beweisen zu antworten und dadurch eventuell die Aufmerksamkeit auf Umstände zu richten, die sie zusätzlich belasten. Daran lässt sich ablesen, dass die Beweislast eindeutig beim Ausschuss verortet werden muss.161 Dieser sollte jedenfalls im „de listing“-Verfahren dazu verpflichtet sein, die Verbindung des Betroffenen zu Al Qaida hinreichend zu beweisen. Wenn 156 Canadian Federal Court, Abdelrazik gg. Kanada, 2009 FC 580, Urteil vom 4. Juni 2009, Rn. 53. Damals richtete sich die wortgleiche Aufforderung auch noch an die Sanktionsadressaten, die über den „focal point“ direkt bei der UN-Ebene ein „de listing“ beantragen konnten. 157 Abrufbar unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/narrative.shtml (zuletzt besucht am 12. August 2015). 158 Abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ombudsperson/application.shtml (zuletzt besucht am 12. August 2015). 159 Vgl. dazu auf der Webseite der Ombudsperson (abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ ombudsperson/application.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 160 Vgl. dazu auf der Webseite der Ombudsperson (abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ ombudsperson/application.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015). 161 Auch der EuGH, Kadi gg. Kommission u. a., C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P vom 18. Juli 2013, Rn. 121, sieht die Beweislast bei den öffentlichen Stellen, wobei er sich bei der hier zitierten Stelle auf die Unionsorgane bezog.
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
danach nicht ohne begründete Zweifel davon auszugehen ist, dass eine sanktionsbewehrte Verbindung besteht, ist der Antragsteller von der Sanktionsliste zu streichen.162 Indizien sollten nur in Ausnahmefällen ausreichen, wenn sie trotz ihres mangelnden Beweiswertes keinen Zweifel daran offen lassen, dass der Betroffene die „listing“-Kriterien erfüllt.
III. Die Verfahren vor der Rechtsschutzinstanz und ihre Kompetenz zur effektiven Abhilfe Die vorgeschlagenen Beweislastregeln entfalten jedoch nur dann ihre beabsichtigte Wirkung, sofern das Rechtsschutzorgan dazu befugt ist, einem Antrag eigenständig abzuhelfen, wenn die erforderlichen Beweise von Seiten des Ausschusses nicht geführt werden. Diese Befugnis kommt der Ombudsperson bislang nicht zu, was wohl das größte Defizit an ihrem Mandat darstellt. Zudem überprüft die Ombudsperson nicht die Rechtmäßigkeit der „listing“-Entscheidungen des Sanktionsausschusses, sondern gibt nur eine Empfehlung zu der Frage ab, ob pro futuro ein weiterer Verbleib des Antragstellers auf der Sanktionsliste gerechtfertigt erscheint.163 Dies ist nicht mit dem Anspruch der Betroffenen auf wirksame Beschwerde gegen Menschenrechtsverletzungen, die bei einer Sanktionierung in Folge einer unbegründeten Aufnahme in die Liste gegeben sind, zu vereinbaren (vgl. Art. 2 Ziff. 3 lit. a IPbpR). Der Menschenrechtsausschuss leitet aus der Gesamtkonzeption des IPbpR zudem einen generellen Anspruch auf „Entschädigung“ für Opfer von Verletzungen der Rechte aus dem Pakt ab.164 Auch einen solchen sieht das Sanktionsregime nicht vor. Danach müsste die Rechtsschutzinstanz in Abhängigkeit zum klägerischen Begehren drei verschiedene Verfahren bereitstellen. 1. „De listing“-Verfahren In einem „de listing“-Verfahren hätte sie verbindlich zu entscheiden, ob auf Grundlage der gegenwärtigen Beweislage ein weiterer Verbleib auf der Sanktionsliste gerechtfertigt ist.165 Kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Beweislage nicht hinreichend ist, um ohne begründeten Zweifel davon ausgehen zu können, dass der Antragsteller noch immer in einer sanktionsbewehrten Verbindung zu Al Qaida steht, 162
Ben Emmerson schlägt einen Prüfungsmaßstab vor, der darauf abstellt, ob es (a) wahrscheinlicher ist, dass die betroffene Person mit Al Qaida verbunden ist, als dass sie es nicht ist und (b), ob die Sanktionierung der betroffenen Person ein verhältnismäßiger Eingriff in ihre fundamentalen Rechte darstellt, UN Doc. A/67/396, Ziff. 57. 163 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 8 lit. c. 164 CCPR General Comment No. 31 (26. Mai 2004), Rn. 16. Da eine Verletzung der Rechte aus dem Pakt immer ein rechtswidriges Handeln des Ausschusses voraussetzt, würde in der Terminologie des deutschen öffentlichen Rechts von Schadensersatz gesprochen werden. 165 So auch die „Gruppe gleichgesinnter Staaten“, UN Doc. S/2014/286, S. 8.
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so müsste es automatisch zur Streichung des Antragstellers von der Sanktionsliste kommen. Dem Sanktionsausschuss und dem Sicherheitsrat kämen keine Entscheidungsbefugnisse mehr im Rahmen des „de listing“-Verfahrens zu. 2. Verfahren zu Ausnahmen nach dem Sanktionsregime Die Rechte der Sanktionsadressaten können auf die Entscheidungen des Sanktionsausschusses über die Genehmigungen von Ausnahmen in einer Weise einwirken, dass sich sein Ermessen auf Null reduziert. Ist ein Sanktionsadressat etwa auf die ärztliche Behandlung durch einen sich im Ausland befindenden Spezialisten lebensnotwendig angewiesen, so wäre der Ausschuss dazu verpflichtet, einen Antrag auf Ausnahme zu den Reisesanktionen positiv zu bescheiden. Kommt er dem Antrag nicht nach, so wird eine Verletzung des Rechts auf Leben anzunehmen sein. Aus den Verfahrensrechten wiederum leitet sich ein Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gegen entsprechende Verletzungen der Rechte der Sanktionsadressaten ab. Ihnen wäre demnach ein Verfahren bereitzustellen, mit dem sie gänzlich oder partiell abschlägige Entscheidungen des Sanktionsausschusses zu Anträgen auf Ausnahmen zu dem Sanktionsregime angreifen können und an dessen Ende die Rechtsschutzinstanz eigenständig eine Ausnahme anordnen kann. Die Sanktionsadressaten müssten darlegen, warum der Sanktionsausschuss in ihrem Fall eine Ausnahme zum Sanktionsregime hätte gewähren müssen. 3. Feststellungsverfahren Ferner müsste die Rechtsschutzinstanz für die Sanktionsadressaten ein Verfahren einrichten, mit welchem sie die Rechtmäßigkeit der sie betreffenden „listing“Entscheidungen des Ausschusses überprüfen kann (Feststellungsverfahren). Der Prüfungsmaßstab müsste sich danach richten, ob die Rechtmäßigkeit einer erstmaligen Aufnahme in die Liste oder einer Aktualisierung in Streit steht, die alle sechs Monate nach der Aufnahme jeweils nach den Stimmregeln des ordentlichen „listing“-Verfahrens erfolgen kann. Die Rechtsschutzinstanz müsste sich nämlich nach dem Maßstab richten, an dem der Ausschuss bei der jeweiligen Entscheidung gebunden ist. Im ersten Fall wäre also zu überprüfen, ob die dem Sanktionsausschuss ursprünglich vorliegenden Informationen ausreichend waren, um eine begründete und glaubwürdige Grundlage für ein „listing“ zu bieten.166 Wird hingegen die Aktualisierung einer „listing“-Entscheidung rechtlich angegangen, ist der qualifizierte Maßstab anzulegen, der das Vorliegen einer hinreichenden Beweislage vorauszusetzt.167 Ein Verfahren sollte auch zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen des Ausschusses zu Ausnahmeregelungen möglich sein, wenn ein Interesse 166 167
Vgl. zu diesem Maßstab bereits die Ausführungen im vorangegangenen Punkt B., II. Vgl. dazu im vorangegangenen Punkt B., IV.
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
an der Gewährung nicht mehr aktuell ist, aber ein Rehabilitationsinteresse besteht. Dies wäre etwa der Fall, wenn die abschlägige Entscheidung einen erheblichen Verstoß gegen die Menschenrechte des Betroffenen bedeutete und/oder ein materieller oder immaterieller Schaden eingetreten ist, der im Wege eines Entschädigungsverfahrens eingeklagt werden soll. 4. Entschädigungsverfahren Letztlich muss den Betroffenen die Möglichkeit geboten werden, Entschädigung für eine erlittene Verletzung ihrer Rechte verlangen und notfalls einklagen zu können. Als mögliche Entschädigungsformen kommt neben der Restitution, der Rehabilitation und dem Ersatz auch die Folgenbeseitigung in Betracht.168 Nicht zuletzt durch die öffentliche Einsehbarkeit der Sanktionsliste können die Betroffenen negative Auswirkungen auf ihre Ehre und ihren Ruf erleiden.169 Stellt sich die Aufnahme in die Sanktionsliste oder die Aktualisierung eines „listings“ als rechtsfehlerhaft dar, so sollte deshalb eine klarstellende Benachrichtigung auf der Internetseite des Ausschusses veröffentlicht werden, aus der sowohl hervorgeht, dass der Betroffene keinerlei sanktionsbewehrte Verbindung zu Al Qaida unterhält oder unterhalten hat, sowie, dass die „listing“- bzw. die Aktualisierungsentscheidung des Ausschuss rechtswidrig war. Eine öffentliche Benachrichtigung über die fehlerhafte Annahme der Verbindung eines Betroffenen zu Al Qaida sollte auch erfolgen, wenn der Ausschuss auf Grund eines begründeten Verdachts eine Aufnahme in die Liste zwar rechtskonform betrieben hat, die nachfolgenden Untersuchungen allerdings zu dem Ergebnis kommen, dass ein sanktionsbewehrtes Verhalten nicht hinreichend zu beweisen ist. Sie hätte sich auf die Feststellung zu beschränken, dass trotz der zunächst bestehenden Vermutung des Ausschusses eine Verbindung des Betroffenen zu Al Qaida im Sinne des Sanktionsregimes nicht ohne begründete Zweifel angenommen werden könne. Daneben kann das Verfahren insbesondere auf materielle Entschädigung gehen. Dies kommt etwa in Betracht, wenn durch das rechtswidrige Einfrieren von Konten gewinnbringende Geschäftsabschlüsse unterbleiben mussten oder bei der Versagung von Ausnahmen zu den Sanktionen Schäden entstanden sind. Das Entschädigungsverfahren wäre in der Regel mit einem Feststellungsverfahren zu verbinden. Im Gegensatz zum anspruchsbegründenden Tatbestand, wenn er nach dem Feststellungsverfahren die Rechtmäßigkeit einer „listing“-Entscheidung des Ausschusses betrifft, wäre die Beweislast hinsichtlich des anspruchsausfüllenden Tatbestandes, der die Frage des Vorliegens und der Höhe des Entschädigungsinteresses betrifft, bei dem Antragsteller anzusiedeln.
168 169
Vgl. CCPR General Comment No. 31 (26. Mai 2004), Rn. 16. Dazu im 2. Teil, B., III., 4., c), bb).
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5. Die Punktprobe nach dem Maßstab des Kompetenzgefüges der UN-Charta Die Zuweisung der Kompetenz zur letztverbindlichen Entscheidung über Rechte und Pflichten der Sanktionsadressaten an eine unabhängige Instanz steht im Einklang mit den befugnisbegründenden Normen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UNCharta. Wie sich ergeben hat, ist der Sicherheitsrat nicht dazu befugt, selbst justizielle Aufgaben wahrzunehmen.170 Dies hindert ihn jedoch nicht daran, unabhängige Rechtsspruchinstanzen einzurichten, sofern dies förderlich für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit ist.171 Diesen Erfordernissen wird das vorgeschlagene Modell gerecht, nach dem der Sicherheitsrat und der Sanktionsausschuss nicht mehr in die endgültige Entscheidung über die Rechte und Pflichten der Sanktionsadressaten eingebunden wären. Den vom Sanktionsausschuss auf „listing“-Ebene getroffenen Entscheidungen ist mittels der Möglichkeit zur nachträglichen Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit die Endgültigkeit genommen, und über „de listing“Entscheidungen entscheidet nach diesem Vorschlag eine unabhängige Rechtsschutzinstanz. Zudem würde die Rechtsschutzinstanz nicht damit beauftragt werden, die Resolutionen des Sicherheitsrats selbst auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Die Frage der Zulässigkeit einer solchen gerichtlichen Prüfung muss hier also nicht diskutiert werden.
IV. Der Gang der Verfahren In Anlehnung an den bestehenden dreiteiligen Verfahrensgang des Ombudsverfahrens wird in der Folge ein Verfahren entwickelt, das als Grundlage für alle vier nach diesem Reformvorschlag einzurichtenden Verfahrenstypen dienen soll. 1. Erste Phase: Schriftliches Vorverfahren a) Zulässigkeit der Anträge Die Rechtsschutzinstanz kann auf Antrag ein Verfahren eröffnen. Antragsbefugt sind aktuelle oder ehemalige Sanktionsadressaten. Sind von einem Verfahren mehrere Antragsteller gleich betroffen, so sollten ihre Verfahren zusammen verhandelt werden können, sofern dies nach Ansicht der Rechtsschutzinstanz zweckmäßig erscheint. In der Praxis ist die Ombudsperson bereits in dieser Weise vorgegangen.172 Denkbar ist dies zum Beispiel, wenn eine 170
Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 3., d). Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 3., d). 172 Der Webseite der Ombudsperson (abrufbar unter: http://www.un.org/en/sc/ombudsper son/status.shtml. Zuletzt besucht am 12. August 2015) ist etwa zu entnehmen, dass die 171
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
Einzelperson für sich und für eine Körperschaft, der sie als Geschäftsführerin vorsteht, Anträge auf „de listing“ stellt, und als wesentlicher Grund für beide Eintragungen in die Sanktionsliste von Seiten des Ausschusses angeführt wird, dass die Körperschaft Gelder für Al Qaida gesammelt habe. Erweist sich ein Antrag als unzulässig, so sollte er an den oder die Antragsteller mit Hinweis auf den bzw. die Zulässigkeitsmängel zurückgeschickt werden. aa) Antrag auf „de listing“ Bereits ein unbegründeter Erstantrag auf „de listing“ bei der Rechtsschutzinstanz sollte ausreichen, um ein Verfahren einzuleiten. Nach dem hier vertretenen Ansatz ist dem Sanktionsausschuss die Beweislast auferlegt, im Einzelfall zu beweisen, dass ein Sanktionsadressat eine sanktionsbewehrte Verbindung zu Al Qaida unterhält.173 Jedem Betroffenen kommt das Recht zu, von einem unabhängigen Richter nachprüfen zu lassen, ob ein weiterer Verbleib auf der Sanktionsliste gerechtfertigt ist. Allein das auf die Streichung von der Liste gerichtete Rechtsschutzbegehren wäre demnach zu benennen, um eine Überprüfung zu initiieren. Handelt es sich dagegen um einen wiederholten Antrag auf „de listing“, nachdem ein oder mehrere Anträge zuvor bereits durch Verfahren vor der Rechtsschutzinstanz zurückgewiesen wurden, so müsste der Antragsteller einen begründeten Hinweis darauf geben, dass die vormals nachgewiesene Verbindung zu Al Qaida mittlerweile nicht mehr besteht.174 bb) Antrag auf Ausnahmen Hat sich ein Sanktionsadressat beim Sanktionsausschuss vergeblich darum bemüht, dass ihm Ausnahmen zu den Sanktionen gewährt werden, so sollte ihm der Weg vor die Rechtsschutzinstanz ebenfalls offenstehen. Der Antrag müsste darauf gerichtet sein, dass die Rechtsschutzinstanz dem Begehren auf Erteilung von Ausnahmen eigenständig abhilft. Es wären die konkreten Ausnahmen zu benennen, die erteilt werden sollen und die entsprechenden abschlägigen Entscheidungen des Sanktionsausschusses. Der Antrag müsste begründet werden und sich dabei an den einschlägigen Ausnahmekriterien orientieren. Ist der Antrag nicht offensichtlich unbegründet, so ist das Verfahren zu eröffnen.
„de listing“-Anträge von Ahmed Ali Nur Jim’ale (vormalige Listenkennung QI.J.41.01.) und 23 Unternehmen gemeinsam verhandelt wurden. 173 Vgl. dazu im vorangegangenen Punkt II. 174 In diesem Sinne bereits in Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 1 lit. e.
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cc) Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit Strebt ein Antragsteller die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer „listing“Entscheidung des Ausschusses an, so müsste er bestimmen, ob sich das Verfahren auf die Entscheidung zur Erstaufnahme in die Sanktionsliste, auf eine der nachfolgenden Aktualisierungsentscheidungen, eine Entscheidung über Ausnahmen zum Sanktionsregime oder auf mehrere bzw. sämtliche ihn betreffenden Entscheidungen des Sanktionsausschusses beziehen soll. Werden mehrere Entscheidungen des Ausschusses angegriffen, sollten sie in einem gemeinsamen Verfahren verhandelt werden. Ein Feststellungsinteresse muss angegeben werden, das aber bereits bei einem bestehenden Rehabilitationsinteresse anzunehmen sein wird. Der Antrag müsste auf die Erklärungen des Ausschusses in der angegangenen Sache eingehen. Ist der Antrag nicht offensichtlich unbegründet, so ist das Verfahren zu eröffnen. dd) Antrag auf Entschädigung Ist ein Antrag gerichtet auf Entschädigung für eine oder mehrere rechtswidrige Entscheidung(en) des Sanktionsausschusses, so müsste der Antragsteller die angegriffene(n) Entscheidung(en) bezeichnen. Ferner müsste er darlegen und gegebenenfalls beweisen, inwiefern ihm durch die rechtswidrigen Maßnahmen des Sanktionsausschusses ein Entschädigungsinteresse erwachsen ist sowie Art und Höhe der geforderten Entschädigung. Ein Antrag auf Entschädigung wird in der Regel mit einem Feststellungsantrag zu verbinden sein. b) Schriftliche Stellungnahmen der Parteien und Zusammentragen von Informationen Entspricht ein Antrag den Zulässigkeitskriterien, so sollte die Rechtsschutzinstanz wie in Phase eins – zur Sammlung von Informationen – gemäß der geltenden Rechtslage den Antrag an den Ausschuss und alle relevanten Staaten und Einheiten der Vereinten Nationen weiterleiten.175 Alle Parteien sollten dazu aufgefordert werden, der Rechtsschutzinstanz alle ihnen vorliegenden, im Beweiserhebungsverfahren verwertbaren Informationen zu übermitteln, die für die Fallentscheidung von Bedeutung sein könnten. Insbesondere die Unterstützung des Monitoring Teams kann in diesem Rahmen hilfreich sein. In Ergänzung zum bestehenden Verfahren sollten dem Antragsteller und dem Sanktionsausschuss zudem die Möglichkeit gegeben werden, schriftlich zu dem Fall Stellung zu nehmen und auf die Beweise hinzuweisen, die ihr Vorbringen stützen und im Rahmen des Beweiserhebungsverfahrens vorgebracht werden können.176 Auf diese Weise könnte sich die Rechtsschutzinstanz bereits im Vorwege ein Bild zu dem Fall machen. Zusätzlich würde das 175
Vgl. Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 2. Darüber hinaus wird sich an das bestehende Verfahren nach Anlage II zu S/RES/2083 (2012), Ziff. 2 – 4 orientiert. 176
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
schriftliche Vorverfahren dem Interesse des Antragstellers dienen, sich bestmöglich auf das Verfahren vorbereiten zu können. Dazu kann auch eine Zusammenfassung des Informationsstandes und der Stellungahmen nach Abschluss des Vorverfahrens dienen, die dem Antragsteller und dem Sanktionsausschuss zuzuschicken wäre. In der Praxis lässt die Ombudsperson die zusammengetragenen Informationen den Antragstellern bereits zukommen.177 Dies sollte auch rechtlich festgeschrieben werden, ergänzt durch die Übersendung der schriftlichen Stellungnahmen an beide Parteien. Damit würde die erste Phase des Verfahrens zum Ende kommen, die als schriftliches Vorverfahren umtituliert wurde, um dem veränderten Charakter Ausdruck zu verleihen. 2. Zweite Phase: Das Beweiserhebungsverfahren Die geltende Phase zwei sieht zwar einen Dialog vor, in den der Antragsteller mit einbezogen werden kann.178 Einen Anspruch hat er darauf jedoch nicht. Weder in dieser noch in einer anderen Phase des geltenden „de listing“-Verfahrens ist zudem vorgesehen, dass die Antragsteller für oder gegen sie eingebrachte Beweismittel selbst untersuchen können. Beweise müssen von den Staaten nicht einmal im Sanktionsausschuss vorgelegt werden, um als Entscheidungsgrundlage dienen zu können. Dies ist nicht mit den Verfahrensrechten der Betroffenen zu vereinbaren. Diese erfordern sowohl einen Zugang zu Informationen als auch ein Beweiserhebungsverfahren in Gegenwart der Parteien.179 Im Rahmen eines entsprechend als Phase zwei einzurichtenden Verfahrens sollten grundsätzlich alle Beweise, die für die Fallentscheidung voraussichtlich von Bedeutung sind, in Gegenwart der Parteien erhoben werden. Der Rechtsschutzinstanz käme die Aufgabe zu, zu bestimmen, welche Beweise nach diesem Kriterium im Einzelfall geführt werden müssen. In jedem Fall sollte dem Antragsteller ein Anspruch darauf zugesichert werden, selbst vorsprechen zu können. a) Kontradiktorisches Beweiserhebungsverfahren in Gegenwart der Parteien aa) Das reguläre Verfahren Die menschenrechtlichen Verfahrensrechte erfordern, dass grundsätzlich sämtliche belastenden und entlastenden Beweise in Gegenwart der Parteien einzubringen sind, um den Antragstellern die Möglichkeit zu geben, sie kritisch begutachten und gegebenenfalls entkräften zu können.180 Dies erfordert u. a., dass die Antragsteller 177 178 179 180
UN Doc. S/2011/29, Ziff. 23. Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 6. Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 4., f), bb), (1), (b), (bb). Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 4., f), bb), (1), (b), (bb).
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oder ihre rechtlichen Vertreter die Zeugen der Gegenpartei persönlich befragen können.181 Den Sanktionsadressaten ist zudem das gleiche Recht einzuräumen, Gegenbeweise vorzubringen. Als Beweismittel sollten wie bereits auf „listing“Ebene182 sowohl Sach- als auch Personenbeweise statthaft sein. Wiederum wäre klarzustellen, dass Beweismittel dann als unzulässig zu verwerfen wären, wenn angenommen werden kann, dass sie unter Verletzung international anerkannter Menschenrechte gewonnen wurden und dadurch erhebliche Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit bestehen oder ihre Zulassung im Widerspruch zu den Grundsätzen eines fairen Verfahrens stehen würde.183 Diese Grundsätze haben für alle Verfahren vor der Rechtsschutzinstanz zu gelten. bb) Das in camara-Verfahren und der Einsatz von special advocates In Ausnahmefällen kann die Rechtsschutzinstanz jedoch die Geheimhaltung einzelner Beweise vor dem Sanktionsadressaten und der Öffentlichkeit für gerechtfertigt erklären. Nach dem Vorbild des Vorschlags für das „listing“-Verfahren sollte über solche Fälle auf Antrag eines Ausschussmitglieds in geschlossener Sitzung verhandelt werden (in camara-Verfahren).184 Dies darf aber nicht dazu führen, dass dem Betroffenen die Möglichkeit genommen wird, sich effektiv zu verteidigen.185 Insbesondere wenn der Vorwurf der sanktionsbewehrten Verbindung zu Al Qaida allein oder zu einem entscheidenden Maße auf unter Verschluss gehaltenen Informationen beruht, muss ein Verfahren eingerichtet werden, das sicherstellt, dass die Rechte der Betroffenen ansprechend zur Geltung gebracht werden.186 Ein Mechanismus muss also die Sicherheitsinteressen der Öffentlichkeit sowie die Rechte Dritter in ein ausgewogenes Verhältnis zu den Verteidigungsrechten der Sanktionsadressaten bringen. Einen möglichen Umgang mit solchen Fällen zeigen Verfahrensregeln auf, die insbesondere in einigen Ländern des Commonwealth zur Anwendung kommen, um einen ansprechenden Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu finden.187 So wird etwa nach dem Canada Evidence Act der von der Geheimhaltung betroffenen Partei einer gerichtlichen Auseinandersetzung die Möglichkeit eröffnet, in einem in camara-Verfahren bereits parallel zum Entscheidungsverfahren zu der Geheimhaltung einzelner Informationen ex parte vor
181
Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 4., f), bb), (1), (b), (bb). s. dazu im vorangegangenen Punkt B., VI. 183 s. dazu im vorangegangenen Punkt B., VI. 184 s. dazu im vorangegangenen Punkt B., V. In ähnlicher Weise verfahren die Unionsgerichte, vgl. dazu etwa EUGH, Bank Melli Iran gg. Rat der EU, T-35/10 und T-7/11 vom 6. September 2013, Rn. 96 f. Zum in camara-Verfahren in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit vgl. § 99 Abs. 2 VwGO. 185 Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 4., f), bb), (1), (b), (bb). 186 Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 4., f), bb), (1), (b), (bb). 187 Vgl. dazu Roach, The eroding distinction between intelligence and evidence, S. 60 f. 182
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
dem Richter eine Stellungnahme abzugeben.188 Auf diese Weise kann die Notwendigkeit der Offenlegung der Informationen für die effektive Verteidigung begründet werden.189 Das ex parte-Verfahren trägt dem Umstand Rechnung, dass die Betroffenen gegebenenfalls ein Interesse daran haben können, den Gegenstand und die Details ihrer Verteidigungsstrategie nicht offenzulegen.190 Eine entsprechende Möglichkeit sollte auch den Antragstellern vor der Rechtsschutzinstanz des Sanktionsregimes eröffnet werden. Ist aber auch dann im Ausnahmefall nicht zu verhindern, dass aus sicherheitspolitischen Gründen einzelne Beweise nur in nichtöffentlicher Sitzung unter Ausschluss des Antragstellers eingebracht und ausgewertet werden, sollte auf ihren Antrag hin ein durch die Rechtsschutzinstanz ausgesuchter und sicherheitsgeprüfter special advocate an den Verhandlungen beteiligt werden können, um die Rechte des Antragstellers zu vertreten.191 Ihnen würde die Aufgabe zukommen, die Zeugen des Sanktionsausschusses zu befragen, die Sachbeweise zu sichten und dabei für die Interessen des Antragstellers einzustehen. Anschließend sollten die in diesem Verfahren gesammelten Beweise, soweit es aus sicherheitspolitischen Gründen vertretbar ist, in Form einer in Kooperation mit den staatlichen Sicherheitsbehörden zu erstellenden Zusammenfassung,192 die keine Rückschlüsse auf die sensiblen Informationen wie etwa die Namen gefährdeter Zeugen zulässt, dem Antragsteller zur Verfügung gestellt werden.193 Nachdem dem special advocate zum ersten Mal Einblick in geheime Informationen gewährt wurde, sollte er nicht mehr persönlich mit dem Sanktionsadressaten oder seinem rechtlichen Vertreter in Kontakt treten dürfen, um eine Weitergabe der Informationen in jedem Fall zu verhindern, es sei denn die Rechtsschutzinstanz erteilt dazu gegebenenfalls unter Benennung besonderer Bedingungen eine ausdrückliche Genehmigung. Al188
Section 38.11 (2) Canada Evidence Act. Vgl. Canada Federal Court, Toronto Star Newspapers Ltd. & Kassim Mohamed gg. Her Majesty the Queen in Right of Canada, 2007 FC 128, Entscheidung vom 5. Februar 2007, Rn. 37. 190 Canada Federal Court, Toronto Star Newspapers Ltd. & Kassim Mohamed gg. Her Majesty the Queen in Right of Canada, 2007 FC 128, Entscheidung vom 5. Februar 2007, Rn. 37. 191 Vgl. EGMR, Große Kammer, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 220: „The Court […] considers that [a] special advocate could perform an important role in counterbalancing the lack of full disclosure and the lack of a full, open, adversarial hearing“. Vgl. auch Canada Federal Court, The Attorney General of Canada gg. Mohammad Momin Khawaja, 2007 FC 463, Entscheidung vom 30. April 2007, Rn. 57 (zur Einsetzung eines juristischen Sachverständigen (amicus curiae), der in ähnlicher Funktion tätig wird). 192 Sollten die Sicherheitsbehörden zu der Ansicht kommen, dass auch die Weiterleitung einer auf diesem Wege erstellten Zusammenfassung ein nicht tragfähiges Sicherheitsrisiko darstellen würde, stünde es ihnen offen, die Beweise in dieser Phase noch zurück zu ziehen. Die Rechtsschutzinstanz könnte ihre Entscheidung dann allerdings nicht auf diese Beweise stützen. Vgl. zu dieser Problematik auch Hollenberg, LJIL 28 (2015), S. 61. 193 Vgl. zu einem entsprechenden Verfahren im Recht Großbritanniens: EGMR, Große Kammer, Chahal gg. Vereinigtes Königreich, 22414/93, Urteil vom 15. November 1996, Rn. 144. 189
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lerdings sollte der Betroffene die Möglichkeit erhalten, nach Überprüfung der Zusammenfassung der geheimen Beweise einen Antrag bei der Rechtsschutzinstanz einzureichen, um die in camara erfolgte Beweisaufnahme unter Beteiligung des special advocate gegebenenfalls nochmals zu eröffnen. Dem Antrag wäre stattzugeben, sofern die Annahme gerechtfertigt ist, dass durch neue Informationen, die der Betroffene in Reaktion auf die ihm vorgelegte Zusammenfassung der geheimen Beweise vorbringt, eine erneute Überprüfung aller oder einzelner Beweise wie etwa eine neuerliche Vernehmung eines Zeugen notwendig wird. Wird dem Antrag stattgegeben, so ist dem Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, dem special advocate Instruktionen für das wiedereröffnete Verfahren schriftlich zu erteilen, ohne dass dieser seinerseits Erklärungen gegenüber dem Antragsteller erteilen könnte (außer es liegt wiederum eine ausdrücklichen Genehmigung der Rechtsschutzinstanz gegebenenfalls unter Benennung besonderer Bedingungen vor). Die Möglichkeit der Wiedereröffnung des Verfahrens ist deshalb notwendig, weil ein special advocate seine Aufgabe regelmäßig nur dann effektiv wahrnehmen kann, wenn er von dem Betroffenen eine Stellungnahme zu den ihn belastenden Informationen erhält und diese im Verfahren verwerten kann.194 Dieser Mechanismus würde zum einen gewährleisten, dass eine Weitergabe der Informationen, die unter einem besonderen Geheimhaltungsinteresse stehen ausgeschlossen werden kann, und zum anderen senkt es die negativen Folgen des ex parte-Verfahrens für die Prozessrechte der Betroffenen, indem diesen – soweit es einzurichten ist – die Möglichkeit geboten wird, auf die vorgebrachten Beweise reagieren zu können.195 b) Dauer des Beweiserhebungsverfahrens Die nach geltender Rechtslage vorgesehene Phase ist auf einen regulären Zeitraum von zwei Monaten angelegt.196 Nach dem hier vertretenen Reformvorschlag bildet die Phase zwei den Kern des Verhandlungsverfahrens und sieht umfangreiche Konsultationen der Parteien und Dritter vor. Für die Phase zwei sollte deshalb ein Zeitraum von vier Monaten veranschlagt werden, mit der Möglichkeit, ihn um zwei Monate zu verlängern, sofern die Rechtsschutzinstanz dies für notwendig erachtet. Hält sie weniger Zeit für ausreichend, so sollte sie den Zeitraum auch abkürzen können.
194
Vgl. EGMR, Große Kammer, A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 220. 195 Vgl. auch die Bewertung zu ähnlich ausgestalteten Verfahren: Canada Federal Court, The Attorney General of Canada gg. Mohammad Momin Khawaja, 2007 FC 463, Entscheidung vom 30. April 2007, Rn. 57; EGMR, Große Kammer, Chahal gg. Vereinigtes Königreich, 22414/93, Urteil vom 15. November 1996, Rn. 131; ders., A et al. gg. Vereinigtes Königreich, 3455/05, Urteil vom 19. Februar 2009, Rn. 220. Vgl. zum Ausgleich der wiederstreitenden Interessen durch „security-cleared counsel“ auch Roach, The eroding distinction between intelligence and evidence, S. 61. 196 Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 6.
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3. Dritte Phase: Das Entscheidungsverfahren Bedeutende Veränderungen sind auch für das Entscheidungsverfahren vonnöten. Sowohl die Verfahrensrechte der Antragsteller197 als auch die Kompetenzzuweisung nach der UN-Charta198 verbieten es, dass der Sicherheitsrat oder sein Sanktionsausschuss in das Verfahren zur Entscheidung über die Anträge eingebunden werden. Demnach sollte – wie bereits hervorgehoben – allein der unabhängigen Rechtsschutzinstanz die Kompetenz zur verbindlichen Entscheidung über die eingereichten Anträge zuzusprechen sein.199 Sie sollte ihnen eigenständig abhelfen oder sie zurückweisen können. Kommt sie im Entschädigungsverfahren zu dem Ergebnis, dass dem Grunde nach ein Anspruch besteht, aber in einer geringeren Höhe als beantragt, sollte ihr die Befugnis zukommen, dem Antragsteller auch einen verminderten Anspruch zusprechen zu können. Ähnlich sollte ihr im Verfahren zur Gewährung von Ausnahmen die Möglichkeit offen stehen, das Bestehen eines Anspruchs grundsätzlich als gegeben zu erklären, jedoch gegebenenfalls in geringerem Umfang als beantragt. Die Rechtsschutzinstanz sollte jeweils nicht später als zwei Monate nach Abschluss des Beweiserhebungsverfahrens das Urteil verkünden.
V. Das Prinzip der Öffentlichkeit 1. Öffentlichkeit des Verfahrens Die Bedeutung des Prinzips der Öffentlichkeit für die Legitimität des Sanktionsregimes wurde bereits besonders herausgestellt.200 Dies gilt auch für die Rechtsschutzebene, die mit einem hohen Maß an Transparenz zur Steigerung des in sie gelegten Vertrauens der Rechtsgemeinschaft beitragen kann.201 Nach Art. 14 Abs. 1 IPbpR und Art. 10 AEMR haben die Sanktionsadressaten einen Anspruch auf ein öffentliches Verfahren. Bloß in Ausnahmefällen kann die Öffentlichkeit und die Presse für einen Teil oder das gesamte Verfahren ausgeschlossen werden und zwar allein „[a]us Gründen der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung (ordre pubilc) oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft oder wenn es im Interesse des Privatlebens der Parteien erforderlich ist oder – soweit dies nach Auffassung des Gerichts unbedingt erforderlich ist – unter besonderen Umständen, in denen die Öffentlichkeit des Verfahrens die Interessen der Gerechtigkeit beeinträchtigen würde“ (Art. 14 Abs. 1 Satz 3 IPbpR). Der Rechtsschutzinstanz sollte die alleinige Kompetenz zur verbindlichen Feststellung eines solchen Falles zukommen, um eine unabhängige Entscheidung zu sichern. Von dem Grundsatz der Öffent197 198 199 200 201
Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 4., f), bb), (2), (a). Vgl. dazu im 2. Teil, B., III., 3., d). Vgl. dazu im vorangegangenen Punkt III. Vgl. dazu im 3. Teil, D. So das Monitoring Team in seinem elften Bericht, UN Doc. S/2011/245, Ziff. 38.
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lichkeit auszunehmen ist jedenfalls das auf Antrag der Staaten zu eröffnende Entscheidungsverfahren betreffend die Geheimhaltung vertraulicher Informationen und das kontradiktorische Beweiserhebungsverfahren über entsprechende Informationen (in camara-Verfahren). 2. Öffentliche Verkündung der Rechtssprüche Nach geltender Rechtslage werden die Empfehlungen der Ombudsperson und die im „Umfassenden Bericht“ darzulegenden, tragenden Gründe weder veröffentlicht noch an den Antragsteller weitergeleitet. Die Ombudsperson hat dem Betroffenen im Falle der Ablehnung seines „de listing“-Antrags durch den Sanktionsausschuss nur – soweit möglich – die veröffentlichungsfähigen Fakten darzulegen, die sie während des Verfahrens sammeln konnte.202 Zwar kann sie sich dabei auf ihren „Umfassenden Bericht“ beziehen,203 jedoch ändert dies nichts daran, dass ihre eigene Bewertung nicht in die Benachrichtigung aufzunehmen ist. Das Monitoring Team schlägt eine Veröffentlichung des „Umfassenden Berichts“ der Ombudsperson zumindest in den Fällen vor, in denen sie einen weiteren Verbleib auf der Sanktionsliste empfiehlt.204 In ihrem zehnten Bericht bemängelte Kimberly Prost zum wiederholten Mal, dass ihr nicht die Möglichkeit eingeräumt wurde, dem Antragsteller und der Öffentlichkeit ihre Empfehlung mitteilen zu können.205 Sie stellt dazu fest: „[T]his remains the most significant fair process lacuna in the context of the Ombudsperson.“206
Mit Resolution 2083 (2012) ist der Sicherheitsrat zumindest zum Teil diesen Forderungen entgegengekommen. Die Ombudsperson kann nunmehr allen relevanten Staaten ihre Empfehlung mitteilen, nachdem der Ausschuss seine Beratungen über ihren „Umfassenden Bericht“ beendet hat.207 Diese Bestimmungen werden aber noch immer nicht den Anforderungen der Verfahrensgarantien gerecht. Die öffentliche Verkündung des Urteils ist nach Art. 14 Abs. 1 letzter HS IPbpR ein nur in Jugend- und Familiensachen einschränkbare Voraussetzung für ein faires Verfahren. Dabei umfasst die Veröffentlichungspflicht auch die den Urteilsspruch tragende Begründung208 und muss gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit ausgeübt wer202
Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 17 lit. b. Anlage II zu S/RES/2161 (2014), Ziff. 17 lit. b. 204 UN Doc. S/2012/729, Ziff. 35. 205 UN Doc. S/2015/533, Ziff. 39, mit Verweis auf vorherige Berichte. Seit Anlage II zu S/RES/2083 (2012), Ziff. 11, kann sie zumindest relevante Staaten von ihrer Empfehlung unterrichten. Auch die „Gruppe gleichgesinnter Staaten“ fordert die Veröffentlichung der Berichte, UN Doc. S/2015/286, S. 6 ff. 206 UN Doc. S/2015/533, Ziff. 39. Vgl. dazu auch die Ausführungen im 3. Teil, D. 207 Anlage II, Ziff. 11 zu S/RES/2083 (2012) und nunmehr Anlage II, Ziff. 12 zu S/RES/ 2161 (2014). 208 CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 29. 203
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
den. Die Rechtsschutzinstanz sollte ihre Entscheidungen an der Linie der bereits dargestellten Kriterien öffentlich begründen, wobei allein die als geheim gekennzeichneten Informationen ausgespart werden können. Das Urteil mitsamt Urteilsgründen sollte auf ihrer Internetseite abgerufen werden können. Zum Schutze ihrer Persönlichkeitsrechte sollte den Antragstellern die Entscheidung darüber verbleiben, ob in den öffentlichen Versionen der Urteile ihre Identität bekanntgegeben wird.
VI. Rechtlicher Beistand Bereits das bestehende Verfahren ist sehr ausdifferenziert und für einen juristischen Laien nicht unmittelbar nachvollziehbar. Zudem erfordert die Bewertung belastender Informationen und der Versuch diese zu widerlegen juristischen Sachverstand, der bei den Sanktionsadressaten nicht notwendig vorausgesetzt werden kann. Dennoch ist knapp die Hälfte der Antragsteller nicht juristisch vertreten.209 Wird das Sanktionsregime in der hier vorgeschlagenen Weise menschenrechtskonform ausgestaltet, dann steigt sogar noch der Anspruch an den juristischen Sachverstand der Antragsteller. Danach ist etwa ein kontradiktorisches Verfahren der Beweisführung einzuführen,210 bei welchem den Betroffenen die effektive Geltendmachung ihrer Rechte in den meisten Fällen nur mit Hilfe eines Anwalts möglich sein wird. Für strafrechtliche Verfahren gewährt Art. 14 Abs. 3 lit. d IPbpR jedem Angeklagten ausdrücklich das Recht zu, sich durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen. Fehlen dem Angeklagten die Mittel, um einen Verteidiger zu bezahlen, so hat er Anspruch darauf, dass ihm unentgeltlich einer zur Verfügung gestellt wird, sofern dies im „Interesse der Rechtspflege erforderlich ist“. Der Menschenrechtsausschuss ruft aber auch dazu auf, in nicht-strafrechtlichen Verfahren unentgeltlichen Rechtsbeistand zur Verfügung zu stellen.211 In manchen Fällen könne sich aus dem Recht auf Gleichheit vor dem Gericht in Verbindung mit dem Recht auf effektiven Rechtsschutz sogar ein zwingender Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand ergeben.212 Nach Resolution 1452 (2002) können die betreffenden Staaten nach Bedarf den Sanktionsadressaten Gelder freigeben, wenn sie der Bezahlung angemessener Honorare für rechtliche Dienste dienen und der Sanktionsausschuss keine abschlägige Entscheidung trifft.213 Mittellosen Personen hilft diese Regelung freilich wenig. Angesichts des „quasi-strafrechtlichen“214 209
UN Doc. S/2015/533, Ziff. 28. s. dazu im vorangegangenen Punkt IV., 2. 211 CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 10. 212 CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 10. Als Beispielsfall wird aufgeführt, dass ein zum Tode Verurteilter die verfassungsrechtliche Überprüfung von Unregelmäßigkeiten im strafrechtlichen Verfahren anstrebt, ihm aber die Mittel fehlen, um einen rechtlichen Beistand bezahlen zu können. 213 S/RES/1452 (2002), Ziff. 1 lit. a. 214 So Emmerson, UN Doc. A/67/396, Ziff. 55. 210
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Charakters der Sanktionen215 und des juristisch anspruchsvollen Aufwands, den die Betroffenen betreiben müssen, um gegen die Entscheidungen des Sanktionsausschusses vorzugehen, sollte auch das Regime einen Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand gewährleisten, wenn die Kosten nicht aus eigenen Mitteln gedeckt werden können.216
VII. Übersetzung Das Recht auf ein faires Verfahren fordert, dass die Betroffenen in die Lage versetzt werden, sich effektiv verteidigen zu können. Dies setzt zunächst voraus, dass die Falldarstellung, die den Sanktionsadressaten mit Aufnahme in die Liste zugeschickt wird, in einer Sprache verfasst ist, die sie verstehen.217 Ähnliches ist auf Ebene der Rechtsschutzverfahren zu fordern. Die Betroffenen müssen in den Verfahren vor der Rechtsschutzinstanz die Einlassungen aller Beteiligten verstehen und auf sie in einer Sprache reagieren können, die sie ausreichend gut beherrschen. Dies kann die Beteiligung von Dolmetschern an dem Verfahren erforderlich machen. Nach Art. 14 Abs. 3 lit. f IPbpR können Angeklagte in einem Strafprozess die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers verlangen. Dies wird nach dem Grundsatz der Waffengleichheit auch für die Rechtsschutzverfahren des Sanktionsregimes zu fordern sein, da sonst nicht zu gewährleisten ist, dass sich die Betroffenen in gleicher Weise in das Verfahren einbringen können.218 Nachdem die Ombudsperson auf die Notwendigkeit hingewiesen hatte, dass die von ihr gesammelten Unterlagen in eine Sprache übersetzt werden müssten, die die Antragsteller verstehen, und dass in Einzelfällen ein Dolmetscher für die persönlichen Gespräche mit ihnen nötig sein könne, die sie in der Phase des Dialogs möglichst führen soll,219 forderte der Sicherheitsrat den Generalsekretär in Resolution 2083 (2012) u. a. dazu auf, das Büro der Ombudsperson mit den notwendigen Mitteln für Übersetzungsaufgaben auszustatten.220 Damit ist der Sicherheitsrat den Bedürfnissen der Antragsteller bereits einen bedeutenden Schritt entgegen gekommen. Ein sie unmittelbar berechtigender Anspruch auf einen Dolmetscher bzw. auf eine Übersetzung der belasenden Informationen besteht jedoch nicht. Da sich ein entsprechender Anspruch aber aus dem Recht auf ein faires Verfahren ableitet, kommt ihm Individualrechtscharakter zu. Dies sollte sich auch in den Resolutionen des Sicherheitsrats widerspiegeln. 215
Vgl. dazu bereits im 2. Teil, B., III., 4., f), aa). Ebenso Emmerson, UN Doc. A/67/396, Ziff. 52. 217 Dazu bereits im vorangegangenen Punkt B., II. 218 Vgl. zur Übertragung dieses Grundsatzes auf zivilrechtliche Prozesse: CCPR General Comment No. 32 (23. August 2007), Rn. 13. 219 UN Doc. S/2012/590, Ziff. 54 – 56. 220 S/RES/2083, Ziff. 22 und nunmehr S/RES/2161 (2014), Ziff. 46. 216
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
Die Ombudsperson lässt den Antragstellern im „de listing“-Verfahren im Anschluss an die erste Phase die zusammengetragenen Informationen zukommen, damit sie darauf schriftlich oder mündlich antworten können, obwohl dies nach geltender Rechtslage nicht vorgesehen ist.221 Nach dem hier entwickelten Reformvorschlag sollten die Antragsteller in allen Verfahren vor der Rechtsschutzinstanz einen Anspruch auf entsprechende Vorlage haben.222 Die zusammengetragenen Informationen sollten in einer dem Antragsteller verständlichen Sprache verfasst sein. Selbiges gilt für alle entscheidungsrelevanten Unterlagen, die im Verlauf des Beweiserhebungsverfahrens vorgelegt werden. Im Beweiserhebungsverfahren sollten den Antragstellern nach Bedarf zudem Dolmetscher zur Seite gestellt werden. Schließlich müssten die Urteile der Rechtsschutzinstanz für die Antragsteller gegebenenfalls übersetzt werden.
VIII. Austausch zwischen „de listing“-Instanz und den Gerichten der Mitgliedstaaten Es sind sowohl die Individuen wie auch die Mitglieder der Staatengemeinschaft an den Rechtfertigungsdiskursen auf verschiedenen Ebenen des Sanktionsregimes zu beteiligen. Die Initiierung eines öffentlichen Rechtfertigungsdiskurses im Vorfeld zum Erlass neuer Resolutionen des Sicherheitsrats kann ihnen eine Beteiligung sichern. Daneben bietet sich ein Austausch zwischen der Rechtspruchinstanz der UNEbene und den Gerichten der staatlichen Ebene als Hüter der Rechtsüberzeugungen ihrer jeweiligen Rechtsgemeinschaften an, über die ein von den Prinzipien der beide Ebenen bindenden Organisationstreue geleiteter Rechtfertigungsdiskurs gestaltet werden könnte. Der Legitimationsstrang verläuft von der unteren zur oberen Ebene, woraus sich eine bei den staatlichen Gerichten verbleibende Reservekompetenz begründet, die zum Tragen kommt, wenn die Vereinten Nationen den Staaten Verpflichtungen auferlegen, die im unvereinbaren Widerspruch zu ihren jeweiligen Verfassungsprinzipien stehen. Auf diese Weise ist den Staaten ein Mittel an die Hand gegeben, mit denen sie ihren Anspruch auf Achtung der Identität ihres Rechtssystems sicherstellen können, wodurch zugleich die Organe der Vereinten Nationen zur Rücksicht bewegt werden, wollen sie das Ausscheren einzelner Staaten verhindern. In der Praxis muss die Rechtsschutzinstanz der UN-Ebene insbesondere darauf Acht geben, dass sie ein Individualrechtsschutzniveau sicherstellt, das demjenigen der Mitgliedstaaten im Wesentlichen gleich zu achten ist. Ein institutionalisierter Rechtsdiskurs mit den relevanten Gerichten der staatlichen Ebene könnte dazu dienen, dass sie regelmäßig Rückmeldung erhält und auf mit verfassungsrechtlichen Vorgaben der Mitgliedstaaten inkompatiblen Entwicklungstendenzen ihrer Rechtsspruchpraxis reagieren kann, um die Ausübung der Reservekompetenz zu verhin221 222
UN Doc. S/2011/29, Ziff. 23. s. im vorangegangenen Punkt IV., 1.
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dern. Die Ombudsperson hat laut ihren Berichten bereits Diskussionen über das „de listing“-Verfahren mit Richtern nationaler, regionaler und internationaler Gerichte geführt.223 Wird ein entsprechender Austausch auf eine institutionelle Grundlage gestellt, die absichert, dass sich grundsätzlich jede relevante Rechtsschutzinstanz der Mitgliedstaaten mit ihren Bedenken einbringen kann, kann die Gefahr eines Normenkonflikts zusätzlich verringert werden.
IX. Erweiterung des Mandats auf alle gezielten Sanktionsregime des Sicherheitsrats Mit dem Al Qaida-Sanktionsregime hat der Sicherheitsrat in bisher nicht gekanntem Ausmaß die Rechtsstellung von Individuen unmittelbar ausgestaltet. Er erlässt jedoch auch in anderen Regimen individualgerichtete Normen und verhängt gezielte Sanktionen. Dadurch tritt er auch in diesen Kontexten mit Individuen in ein Rechtsverhältnis, aus welchem er durch ihre Menschenrechte verpflichtet wird. Danach muss er für jeden Betroffenen gezielter Sanktionen unter anderem ein Individualrechtsschutzsystem bereitstellen, das dem hier entwickelten Verfahren im Wesentlichen gleich zu achten ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Adressaten der anderen Sanktionsregime werden noch immer an den „focal point“ verwiesen, wenn sie selbstständig eine Streichung von einer der Sanktionslisten beantragen wollen.224 Dieses Verfahren bleibt noch weiter hinter dem menschenrechtlich geforderten Niveau zurück als das Ombudsverfahren. Im Gegensatz zum Al Qaida-Sanktionsregime sind die anderen Sanktionsregime bislang noch nicht unter einen besonderen Druck zum Ausbau des Individualrechtsschutzes gekommen. Dies ist offensichtlich der Grund, weshalb sie kein äquivalentes Rechtsschutzverfahren vorsehen. Eine prinzipiengeleitete Begründung ist für dieses Rechtsschutzgefälle jedoch nicht zu finden.225 Jeder Sanktionsadressat hat das gleiche Recht auf die Achtung seiner Rechte, gleich von welchem Sanktionsregime er betroffen ist. Richtigerweise fordern aus diesem Grund sowohl mehrere Staatenvertreter226 als auch Wissenschaft223
Vgl. nur UN Doc. S/2012/49, Ziff. 28 und UN Doc. S/2012/590, Ziff. 22. Vgl. S/RES/1730 (2006), Ziff. 2. 225 Vgl. dazu den Vertreter Österreichs, Martin Saydik, in seiner Rolle als Sprecher der „Gruppe gleichgesinnter Staaten“ auf der offenen Sitzung vom 10. Mai 2012, UN Doc. S/PV.6767, S. 30: „That inequality of due process lacks justifications“. Vgl. auch die Ombudsperson in ihrem Briefing der Mitgliedstaaten zur Vorbereitung auf die öffentliche Sitzung vom 23. Oktober 2014: „[…] on a principled basis, there is no evident rationale as to why an independent review mechanism is made available to one set of individuals facing targeted sanctions but not to others“ (abrufbar unter http://www.un.org/en/sc/ombudsperson/pdfs/SCBrie fing23Oct2014.pdf. Zuletzt besucht am 12. August 2015). Ebenso wiederum die „Gruppe gleichgesinnter Staaten“, UN Doc. S/2015/286, S. 9. 226 Vgl. nur den Vertreter Deutschlands, Peter Wittig, im Namen der „Gruppe gleichgesinnter Staaten“ in der öffentlichen Sitzung des Sicherheitsrats vom 7. Dezember 2012, UN Doc. S/PV.6881, S. 4; die Vertreterin Schwedens, Signe Burgstaller, in der öffentlichen Sitzung 224
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4. Teil: Ein Reformvorschlag
ler,227 dass sich das Mandat der Ombudsperson auf alle Regime erstreckt, die Individualsanktionen vorsehen. Entsprechendes wäre auch für das Mandat der hier entwickelten Rechtsschutzinstanz zu fordern. Dieses müsste dafür in einer eigenen Resolution festgehalten werden.
des Sicherheitsrats vom 26. November 2012, UN Doc. S/PV.6870 (Resumption 1), S. 7; in diese Richtung auch der Vertreter Pakistans, Raza Bashir Tarar, in derselben Sitzung, UN Doc. S/PV.6870, S. 12. 227 Biersteker/Eckert, in: dies., 2nd Update of the Watson Report, S. 25.
5. Teil
Schlussbetrachtung Mit Einrichtung des Al Qaida-Sanktionsregimes hat sich der Sicherheitsrat neue Handlungsfelder eröffnet. Indem er abstrakt-generelle Verhaltensregeln für Privatakteure aufstellt, zu deren Durchsetzung er die Mitgliedstaaten verpflichtet, nimmt er weitreichende supranationale Kompetenzen für sich in Anspruch, die ihm ursprünglich nicht zugedacht gewesen sind. Dieser Prozess vollzog sich im Wege einer rechtsfortbildenden Auslegung der UN-Charta, die nahe an der Grenze zu einer Vertragserweiterung verlief, die ein Verfahren nach Art. 108 UN-Charta notwendig gemacht hätte. Diese Arbeit hat sich zunächst mit der Frage beschäftigt, welche rechtlichen Voraussetzungen an den Erlass solch (quasi-)legislativer Maßnahmen zu stellen sind, der grundsätzlich der Staatengemeinschaft als Ganzer vorbehalten ist. Besondere Beachtung beansprucht dabei das Souveränitätsrecht der Staaten, denen trotz der im Zuge der Globalisierung zunehmenden Einbindung in völkerrechtliche Regelungsregime und der damit häufig verbundenen Verlagerung von Kompetenzen auf überstaatliche Organisationen eine prinzipielle Autonomie zuzusichern ist, da sie als Garanten politischer Selbstbestimmung jedenfalls in absehbarer Zeit nicht zu ersetzen sein werden. Damit wird dem Sicherheitsrat beim Erlass (quasi-)legislativer Beschlüsse eine besondere Rücksichtnahme auf den Willen der gesamten Staatengemeinschaft abverlangt. Die Umstände des 11. September 2001 erlaubten es den Mitgliedern des Sicherheitsrats, die kritische Ausweitung des Sanktionsregimes1 zunächst alleine voranzutreiben, da sie sich zumindest in der Grundausrichtung der breiten Unterstützung der Staatengemeinschaft sicher sein konnten. Unter anderem lässt die in Teilen wenig ausgeprägte Berichts- und Umsetzungsmoral der Mitgliedstaaten aber die Annahme zu, dass sie alle nunmehr stärker in die Sanktionspolitik einzubinden sind. Auch an der andauernden Kritik an dem noch immer nicht menschenrechtskonform ausgestalteten Individualrechtsschutzsystem verdeutlicht sich, dass die nicht im Sicherheitsrat vertretenen Staaten einen Anspruch darauf erheben, sich mit ihren Ansichten bei der weiteren Ausrichtung einbringen zu können. Die Praxis des Sicherheitsrats ist für die Vereinten Nationen, die selbst von ihren Mitgliedstaaten die uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte einfordern, zudem zu einem Glaubwürdigkeitsproblem geworden. Das in dieser Arbeit entwickelte Verfahren erlaubt es der gesamten Staatengemeinschaft, Rechtfertigungen einzufordern und so Einfluss auf die Entscheidungsträger nehmen zu kön1 Diese war insbesondere mit der Erweiterung auf Al Qaida verbunden (vgl. dazu erstmals S/RES/1390 (2002)).
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5. Teil: Schlussbetrachtung
nen.2 Es wäre der geeignetste Weg, die Identifikation mit dem Sanktionsregime auf Seiten der Mitgliedstaaten zu erhöhen und damit ihre Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für seinen Erfolg sicherzustellen. Die Abhängigkeit des Sicherheitsrats vom Umsetzungswillen der Mitgliedstaaten stellt ein wichtiges Vehikel dar, um den Sicherheitsrat zur Kooperation mit ihnen zu bewegen. Da der Sicherheitsrat mit dem Erlass supranationaler Maßnahmen auch mit Individuen in eine Rechtsbeziehung eintritt, ist er auch unmittelbar ihnen gegenüber zur Rechtfertigung verpflichtet. Während ein Individualrechtsschutzverfahren nunmehr eingerichtet ist (wenn auch defizitär ausgestaltet), findet die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit den Normbetroffenen auf Rechtssetzungsebene keinen Niederschlag im positiven Recht. Dies verwundert auch nicht, zumal die UNCharta primär auf die Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen Staaten ausgerichtet ist. Eine Formalisierung des Verfahrens sowie dessen Öffnung für Privatakteure und weitgehende Transparenzregeln, die in dieser Arbeit vorgeschlagen werden, sollen einen Beitrag dazu leisten, dass sich auch die nicht-staatlichen Normadressaten an den relevanten Diskussionen beteiligen können und den Entscheidungsträgern allgemein-reziprok gültige Rechtfertigungen für ihre Maßnahmen abverlangt werden, wodurch – so die Annahme – die Belange der betroffenen Individuen wie die Achtung der Menschenrechte einen größeren Stellenwert einnehmen würden. Diese Arbeit versucht, eine Möglichkeit aufzuzeigen, wie durch eine Änderung des Verfahrens unterhalb der Schwelle einer Reform der UN-Charta den steigenden Legitimitätsanforderungen begegnet werden kann. Wie schwierig es bereits ist, Änderungen dieser Form durchzusetzen, verdeutlicht sich an dem Scheitern eines ähnlichen Versuchs der „Small 5“.3 Stein des Anstoßes wird bei dem Vorschlag der „Small 5“ jedoch insbesondere gewesen sein, dass sie die ständigen Mitglieder u. a. dazu bewegen wollten, den Einsatz ihres Vetorechts zu beschränken.4 Der vorliegende Vorschlag kommt ohne einen entsprechenden Ansatz aus, weshalb er voraussichtlich auch nicht mit einer Gegenwehr entsprechenden Ausmaßes konfrontiert wäre. Dies kann eine Anpassung der UN-Charta freilich nicht ersetzen, die mittel- bis langfristig unumgänglich sein wird, wenn die Vereinten Nationen den steigenden Herausforderungen der Globalisierung, denen der einzelne Staat alleine nicht mehr gewachsen ist, begegnen wollen, ohne dem Vorwurf mangelnder Legitimität ausgesetzt zu sein. Es ist jedoch noch nicht zu erkennen, dass eine substantielle Än2 Vgl. auch Powell, The United Nations Security Council, terrorism and the rule of law, S. 42: „[T]he Council needs to be in an ongoing process of engagement and justification with the broader community. The level of justification the Council has hitherto offered for its legislation has been negligible. It has relied instead on a largely unstated premise that any action it takes in the name of anti-terrorism is automatically legitimate. This premise no longer holds.“ 3 Vgl. UN Doc. A/66/L.42. 4 UN Doc. A/66/L.42, Ziff. 19 und 20 des Anhangs.
5. Teil: Schlussbetrachtung
367
derung in absehbarer Zeit die Unterstützung der relevanten Parteien erhalten wird. Die Ungleichheit zwischen den UN-Mitgliedstaaten, die mit der Einräumung des Vetorechts an die ständigen Sicherheitsratsmitglieder einhergegangen ist, vertieft sich derweil noch weiter. Dem Sicherheitsrat waren die Vorrechte nach Kapitel VII zur Überwindung von Krisensituationen eingeräumt worden, wozu ihm ursprünglich nur das Mittel zeitlich beschränkter Einzelfallmaßnahmen zugeschrieben wurde. Mittlerweile greift er zeitlich unbeschränkt mit abstrakt-generellen Bestimmungen in das Rechtsverhältnis der UN-Mitgliedstaaten zu ihren Bevölkerungen ein, wodurch ihre Souveränität zusätzliche Einschränkungen erheblichen Ausmaßes erfährt. Die (quasi-)legislative Rechtsfortbildung der UN-Charta wiegt besonders schwer, da ihre Anpassung, die eine größere Beteiligung der übrigen Mitgliedstaaten beim Erlass entsprechender Beschlüsse zur Voraussetzung machen könnte, wiederum entscheidend vom Willen der ständigen Sicherheitsratsmitglieder abhängt. Nach Art. 108 UN-Charta setzt das Inkrafttreten einer Änderung nämlich neben einer Zweidrittelmehrheit in der Generalversammlung voraus, dass sie auch von allen ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats ratifiziert werden.5 Die übrigen Mitgliedstaaten sollten deshalb besonders darauf drängen, dass der Sicherheitsrat beim Erlass (quasi-)legislativer Resolutionen mit ihnen in Diskussionen eintritt und ihre Ansichten und Bedenken berücksichtigt. Eine besondere Bedeutung kommt auch den (supra-)nationalen Gerichten bei der Kontrolle der Umsetzungsmaßnahmen zu. Wie der EuGH in seiner Kadi-Entscheidung sollten sie sich dazu verpflichtet fühlen, die Entwicklung der UN-Ebene kritisch zu verfolgen und gegebenenfalls als Streiter für die Grundrechte ihrer Bevölkerungen einzutreten. Wie sich gezeigt hat, entwickelt die Kritik von Gerichten einen besonderen Reformdruck auf den Sicherheitsrat. Auf diesem Weg fordern sie effektiv die Achtung der Grundüberzeugungen ihrer Rechtsgemeinschaften ein und können den Sicherheitsrat dazu bewegen, mit den Staaten als den Subjekten seiner Gesetzgebung in Interaktion zu treten, um nach Anpassungsmöglichkeiten zu suchen, die für alle Seiten akzeptabel sind.6 Mittelbar können die Gerichte auf diese Weise einen bedeutenden Beitrag zur Steigerung der Legitimität des Sanktionsregimes leisten; ihnen kommt ein konstruktives Vetorecht gegen die Umsetzung von Maßnahmen des Sicherheitsrats zu, die die Rechte der betroffenen Individuen nicht adäquat berücksichtigen. Wie Generalanwalt Ives Bot es in seinem Schlussantrag in der Sache Kadi betont hat, sollte der EuGH die Verbesserungen im Individualrechtsschutzsystem auf UN-Ebene, die entscheidend auf seine kritische Haltung zurückgehen, in zukünftigen Entscheidungen über die eigene Kontrollintensität nicht unberücksichtigt lassen.7 Jedoch sollte er bei der Beurteilung der Fortschritte in qualitativer Hinsicht nicht von den Maßstäben abrücken, die er auch an das Handeln 5
Vgl. dazu auch die Kritik von Cohen, Globalization and Sovereignty, S. 278 – 281. Powell, The United Nations Security Council, terrorism and the rule of law, S. 40. Vgl. zur Rolle des EuGH im politischen Prozess auch Heupel, EurJCrimPolRes 18 (2012), S. 311 ff. 7 Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 83. 6
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5. Teil: Schlussbetrachtung
der Unionsorgane anlegt.8 Bestehen die (supra-)nationalen Gerichte nämlich nicht darauf, dass der Sicherheitsrat seiner Verpflichtung gerecht wird, einen ihren Standards im Wesentlichen gleich zu achtenden Individualrechtsschutz zu gewährleisten, um eine Einschränkung ihres Jurisdiktionsanspruchs zu rechtfertigen, wäre er kaum dazu veranlasst, den Reformprozess weiter voranzutreiben; sie würden die disziplinierende Wirkung ihres konstruktiven Vetorechts nicht ausreichend zur Geltung bringen. Auf der anderen Seite ist das Verhältnis der Vereinten Nationen zu ihren Mitgliedstaaten geprägt von einem Kooperationsgebot, das die (supra-)nationalen Gerichte nach der hier vertretenen Meinung dazu verpflichtet, eine funktionale Verschränkung des Rechtsschutzes mit der UN-Ebene zu ermöglichen, wenn gleichwertige Standards sichergestellt sind. Der Sicherheitsrat hätte ihnen gegenüber in diesem Fall einen Anspruch darauf, dass sie die Intensität der eigenen Rechtskontrolle einschränken. Diese Aussicht sollte ihn dazu motivieren, den Reformprozess weiter zu verfolgen. Gleichwohl kann man sich nicht der Illusion hingeben, dass die gebotenen Anpassungen zeitnah in einem umfassenden Reformakt durchzusetzen wäre. Wie der politische Prozess bisher zeigt, versuchen die entscheidungstragenden Kräfte nur jeweils diejenigen Entwicklungsschritte umzusetzen, die sie für absolut notwendig erachten, um die größten rechtlichen Widerstände gegen die Implementierung des Regimes zu umgehen. Auf dem Weg zu einem System, wie es in dieser Arbeit aufgezeigt wird, sind die Staatenvertreter und die Gerichte zu einem verantwortungsvollen, vom Kooperationsgedanken geleiteteten Verhalten angehalten. Im Sinne einer effektiven Terrorismusbekämpfung sollten sie eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Al Qaida-Sanktionsregime betreiben und gleichzeitig den Reformdruck aufrechterhalten. Ein möglicher Weg zur Gestaltung der weiteren Transformationsphase könnte auf Seiten der Gerichte darin bestehen, die Sanktionsadressaten im Falle eines Streichungsbegehrens zunächst auf das Ombudsverfahren zu erweisen, da dies im Vergleich zu den wesentlich langwierigeren Verfahren vor (supra-)nationalen Gerichten einen schnelleren und einfacheren Weg darstellen kann, um eine Streichung zu erreichen.9 Das Ombudsverfahren wäre demnach wie ein vorgeschaltetes Verwaltungsverfahren zu behandeln, dessen Abschluss als eine Prozessvoraussetzung des anschließenden Gerichtsverfahrens angesehen werden könnte. Wenn dieses Verfahren erfolglos bleibt, ist es Aufgabe des jeweiligen (supra-)nationalen Gerichts, die Sanktionen entsprechend dem Vorgehen des EuGH im Fall Kadi am Maßstab der listing-Kriterien zu überprüfen.10 Es wird dann we8 Anders aber der Generalanwalt, Ives Bot, Schlussantrag zu den verbundenen Rechtssachen C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P vom 19. März 2013, Rn. 87. 9 Ähnlich von Arnauld, EuR 2/2013, S. 246. 10 Dagegen schlägt von Arnauld, EuR 2/2013, S. 245 f., vor, die Gerichte sollten nur eine subsidiäre Kontrolle ausüben, „[s]olange sich die vorhandenen rechtsstaatlichen Defizite im Verfahren [vor der Ombudsperson] nicht auswirken“. Dies sei im Rahmen ihrer subsidiären Rechtskontrolle jeweils zu untersuchen. Wie aufgezeigt erfüllt die Ombudsperson jedoch bereits aufgrund der verbleibenden Letztentscheidungskompetenz des Sicherheitsrats nicht die
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sentlich darauf ankommen, ob dem Gericht ausreichend Informationen zur Verfügung gestellt werden, um die Stichhaltigkeit der angebrachten Vorwürfe zu untersuchen. Auf diese Weise sind alle beteilgten Staaten zum einen dazu veranlasst, das Ombudsverfahren durch ihre Mitwirkung menschenrechtssensitiv zu gestalten, um abweichende Entscheidungen in darauf folgenden Gerichtsverfahren zu vermeiden. Zum anderen läge es an ihnen, über den Austausch von Informationen die anschließend berufenen Gerichte in die Lage zu versetzen, auf Grundlage einer hinreichenden Beweislage über den Fall zu entscheiden. Dadurch würde dem Rechtsschutzinteresse der Sanktionsadressaten ausreichend Rechnung getragen. Die Ausgestaltung des vom Sicherheitsrat gewährleisteten Individualrechtsschutzsystems spielt in zweierlei Hinsicht eine bedeutende Rolle bei der Beurteilung des Sanktionsregimes. Zum einen hängt von ihr die Menschenrechtskonformität, also die Rechtmäßigkeit des Regimes entscheidend ab. Zum anderen hat die Ausgestaltung des Individualrechtsschutzsystems aber auch Einfluss auf die Legitimität des Regimes. Zwingt es nämlich den Sanktionsausschuss dazu, seine Entscheidungen streng an der Linie von Rechtssätzen zu begründen und mit hinreichenden Beweisen zu unterfüttern, kann es gewährleisten, dass den Betroffenen eine Rechtfertigung für Eingriffe in ihre Rechte geliefert wird. Der Sicherheitsrat sollte deshalb einen hohen Anspruch an die Ausgestaltung des Individualrechtsschutzsystems anlegen. Diesem wird er bislang nicht gerecht.
Voraussetzungen, die an ein unabhängiges und unparteiisches Gericht zu stellen sind. Die Defizite wirken sich demnach zwangsläufig in jedem Verfahren aus.
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Stichwortverzeichnis Al Dulimi-Rechtsprechung 128, 221 Ausnahmen zum Sanktionsregime 38, 57, 69, 235, 243 f., 253, 282, 287, 343, 349 f., 352, 358 Beurteilungsspielraum 116, 131, 161 Beweisführungsregeln 42, 194, 204, 263, 267, 269, 333, 336, 339, 346, 348 – 350, 352 – 354, 357 Diskurstheorie
290, 309
Entschädigungsverfahren 247, 348, 350, 353, 358 Ermessen der Staaten bei Umsetzung des Regimes 61, 63, 85, 246, 267, 279 f., 289, 334 Ermessen des Sanktionsausschusses 41, 238, 331, 349 Ermessen des Sicherheitsrats 112, 115, 124 ex parte-Verfahren 207, 268, 338, 355 Feststellungsverfahren 349 Focal point 47, 59, 69 f., 221, 232, 235, 342 f., 363 Frieden – Bedrohung 77, 115, 120, 167 – Begriff 118, 162 Gewaltenteilung
299
in camra-Verfahren 196, 207, 338, 355, 359 Individuum als Völkerrechtssubjekt 87 Informationen – vertrauliche 40, 51, 67, 205, 207, 263 f., 267, 270, 336, 344, 355, 359 f. – Zugang zu ~ 263 Inklusivität 309, 316 Kadi-Rechtsprechung 129, 184, 230, 249, 255, 263, 277, 339, 344, 367 Kooperationsgebot 184, 207, 288, 368
Legislativkompetenz des Sicherheitsrats 20, 29, 77 – 79, 83, 107, 116, 124, 142, 145 f., 150, 298, 317 Nada-Rechtsprechung 289 Notstand 284
218, 221, 246, 280,
Ombudsperson 48, 59, 231, 273, 306, 338, 344, 348, 351, 354, 359, 361, 363 f. Publizität
309, 358
Recht auf Eigentum 247 Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit 252 Recht auf Leben 235 Recht auf Privat- und Familienleben 243 Recht auf rechtlichen Beistand 360 Rechtsbindung des Sicherheitsrats 103 Sayadi & Vinck-Fall 237, 247, 257, 259 Special advocate 355 Sunset clause 64, 335 Supranational, die UN als supranationale Organisation 20 Supranationalität – Befugnis des Sicherheitsrats 178 – das Al Qaida-Sanktionsregime als supranationales Regelungsregime 80 – demokratische Rechtfertigung 291 Verfahrensrechte 253 – Öffentlichkeit des Verfahrens 282 – Prinzip der Waffengleichheit 263 – Recht auf effektive gerichtliche Kontrolle 272 – Recht auf Inkenntnissetzung 261 – Recht auf rechtliches Gehör 263 Völkerstrafrecht 94, 163, 170, 229, 255