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German Pages 444 Year 2019
Studien des Zentrums Moderner Orient Herausgegeben von Ulrike Freitag
Zentrum Moderner Orient
Geisteswissenschaftliche Zentren Bertin e.V.
Brigitte Reinwald
Reisen durch den Krieg Erfahrungen und Lebensstrategien westafrikanischer Weltkriegsveteranen der französischen Kolonialarmee
Studien 18
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Klaus Schwarz Verlag Berlin
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie - detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Zentrum Moderner Orient Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V. Studien, herausgegeben von Ulrike Freitag Kirchweg 33 14129 Berlin Tel. 030/80307 228 www.zmo.de
© Klaus Schwarz Verlag Berlin Alle Rechte vorbehalten Erstauflage 1. Auflage 2005 Redaktion und Satz: Margret Liepach Einbandgestaltung: Jörg Rückmann, Berlin Abbildung: „Demba und Dupont", Friedhof Dakar-Hann (vgl. Abb. 8) Fotografie: Uta Sadji (2002). Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Fotografin. Druck: AZ Druck, Kempten Printed in Germany ISBN 3-87997-620-1 Gedruckt mit Unterstützung der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Berlin
Le Sénégalais perd son sourire et sa légende pour recouvrer son historicité Abdoulaye Ly, Mercenaires noirs. Paris 1957, S. 22
In Erinnerung an Professor Dr. Gerhard Hôpp
DANKSAGUNG
Die vorgelegte Studie geht aus einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Gruppenforschungsprojekt am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Moderner Orient in Berlin hervor. Danken möchte ich all jenen, die daran mitgewirkt haben, dass dieses Buch Gestalt annehmen konnte. Sie alle zu nennen füllte Seiten um Seiten. In Dankbarkeit verbunden bin ich insbesondere den „Akteurinnen des Wandels" vom Zentrum Moderner Orient, durch deren konstruktive Kritik mein Denken so manch klärende Richtungsänderung nahm: Katja Füllberg-Stolberg, Annemarie Hafner, Petra Heidrich, Heike Liebau, Joachim Oesterheld und Dietrich Reetz. Mein Dank geht auch an die Leitung des ZMO, Ingeborg Baldauf, Ulrike Freitag und Achim von Oppen, für Zuspruch und verständnisvolle Unterstützung. Viele Türen geöffnet und mir in zahlreichen forschungstechnischen und lebenspraktischen Angelegenheiten weitergeholfen haben mir in Ouagadougou Bakari Barro, Georges Y. Madiega, Yacouba Siribie, Mamadou Sanfo, Oberstleutnant Wagner und Frau Wagner; in Bobo-Dioulasso: Noufou Roger Ky, Bruno D. Sanou und Adama Traore, Vizepräsident der Association Unique des Anciens Combattants de Bobo-Dioulasso; in Dakar: Abdou Salam Fall, Ousseynou Faye, Uta und Amadou Sadji; in Frejus: Oberst Creuly, Oberstleutnant Massip und Madame Domenec vom CHETOM; in Rom: die Schwestern vom Istituto Ravasco und Reverend Father Ivan Page, Leiter des Archivio Generale di Missionari di Africa. Eingeschlossen seien hier Jänos Riesz, der mir freundlicherweise die Interviewmaterialien des „Tirailleurs Senegalais"-Archivs der Universität Bayreuth zur Sichtung und weiteren Bearbeitung überließ, und Nancy Ellen Lawler, die mir großzügig erlaubte, aus ihrem Datenkorpus zu zitieren. Allen Interviewpartnern in Ouagadougou, Bobo-Dioulasso, Torna und Tougan sei für ihre Offenheit und die Geduld gedankt, die sie mir entgegenbrachten. Ohne ihre Kooperation hätte diese Studie nicht entstehen können. Besonderen Dank schulde ich meinem Assistenten, Übersetzer und Interviewer Emile Adama Ky, der mit Umsicht und Taktgefühl zahl-
reiche Kontakte geknüpft und das Arbeiten im Tandem zum Vergnügen gemacht hat. Im November 2003 wurde diese Arbeit als Habilitationsschrift an der Geistes- und Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien angenommen. Allen, die mit dem Habilitationsverfahren befasst waren und mir auf vielfache Weise ihre Gastfreundschaft entgegenbrachten, sei herzlich gedankt, insbesondere Walter Schicho und Helmut Bley, ebenso Ulrike Auer, Inge Grau, Gritschi Kerl und Christian Mährdel. All denjenigen, die zur Erstellung des Datenkorpus beigetragen haben, danke ich für die Sorgfalt, Genauigkeit und Ausdauer, mit der sie jenen langwierigen Prozess der Übertragung mündlicher Zeugnisse ins Schriftliche meisterten: Émile Adama Ky, Roland Ky und Céline Kandié, Ilsemargret Luttmann, Vincent Ovaert und Yacouba Siribié. Friedhelm Hartwig, Christoph Gabler und Michael Schutz sei für die sachkundige Unterstützung bei der Anfertigung der Karten- und Bilddateien, Margret Liepach schließlich für ihre editorische Umsicht bei der Erstellung der Druckvorlage herzlich gedankt. Gerhard Höpp, mit dem mich ein gemeinsames Interesse am Thema überseeischer Kombattanten in europäischen Armeen verband und der so großzügig seine exzellenten Kenntnisse der Materie mit mir teilte, hat die Drucklegung dieses Buches nicht mehr erlebt. Daher möchte ich es seinem Andenken widmen. Für Unterstützung, Rat und Hilfe, die mir auf allen Stationen des Forschungsprozesses zuteil wurden, bin ich dankbar; die Verantwortung für den Inhalt dieser Arbeit liegt jedoch ausschließlich bei mir. Brigitte Reinwald
INHALT
Verzeichnis der Karten, Tabellen, Schemata und Abbildungen
12
Nachweis der Karten und Abbildungen
14
Verzeichnis der Abkürzungen
16
EINFÜHRUNG
19
Forschungsfelder und Problemstellung
21
Forschungsstand
28
Quellenkorpus und Aufbau der Arbeit
30
TEIL 1: IM KRIEG - TOPOGRAPHIE DER ERINNERTEN ERFAHRUNG Kapitel 1: Die Semantik der Zwänge
51
Obervolta - Territoriale Konfigurationen eines Reservoirs kolonialer Arbeitskraft
52
Das Instrumentarium der kolonialen „In-Wert-Setzung" von Arbeitskraft
56
Koloniale Zwangsarbeit, Migration und Militärdienst Motive, Optionen und Routen
65
Kapitel 2: Kriegsberichte und Reiseerinnerungen
91
Räume - Schauplätze und Landschaften
94
Militärische Einrichtungen und Transitzonen Die Front und ihr Jenseits
96 108
Orte des Gedenkens
115
Gemeinschaften - Beziehungen in umgekehrter Wahrnehmung
139
Militärische Gemeinschaften Zivile Gemeinschaften
139 175
TEIL 2: REINTEGRATION IN DEN KOLONIALEN ALLTAG Kapitel 3: Die Rückkehr ins Koloniale
225
Kapitel 4: Postmilitärische Lebensverläufe
255
Familiäre Strategien
259
Urbane Lebensstile und Innovationen
268
Kapitel 5: Was ist der Veteranen Heimatland? Politische Profile
293
Veteranen und politische Parteien „Als Gleiche und Freie"
298
Veteranen und die mère-patrie - Bindungen und Verbindlichkeiten
318
FAZIT UND AUSBLICK
351
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS 1. Archive
363
2. Mündliche und gedruckte schriftliche Quellen, audiovisuelle Zeugnisse
367
3. Wissenschaftliche Darstellungen
369
4. Elektronische Medien
385
5. Tages- und Wochenzeitungen, Zeitschriften, andere Periodika INDEX
386 387
ANHANG Schema 1 : Aufbau und Kommandostruktur der Tirailleurs Sénégalais
393
Schema 2: Ränge und Dienstgrade der französischen Infanterie
393
Itinerar eines voltaischen FFL-Kombattanten
395
Verzeichnis der durchgeführten Interviews Ausgewählte Interviews
396 398
12 VERZEICHNIS DER KARTEN, TABELLEN, SCHEMATA U N D ABBILDUNGEN SEITE Karte 1 Karte 2
Tabelle 1 Tabelle 2
Das Gebiet der Kolonie Obervolta nach der Aufteilung (1933-1947)
53
Koloniale Truppenkontingente in französischen Garnisonen, 3.9.1939
97
Veteranen und Hinterbliebene von Soldaten in Obervolta, 1950-1952
256
Berufliche Profile der von uns interviewten Veteranen
265
Tabelle 3
Väter und Söhne in Uniform
267
Tabelle 4
Proportion zwischen anciens militaires und anciens combattants in Obervolta
328
Schema 1
Aufbau und Kommandostruktur der Tirailleurs Sénégalais (Anhang)
393
Ränge und Dienstgrade der französischen Infanterie (Anhang)
393
Schema 2
Abb. 1
Afrikanische Soldaten vor ihrer Abreise nach Frankreich auf der Pier des Hafens von Dakar, 1939
39
Abb. 2
Hôpital Jean-Louis, Fréjus
103
Abb. 3
„Pagode" beim Camp Robert, Fréjus
103
Abb. 4
Außenansicht der missiri von Fréjus
104
Abb. 5
Innenhof der missiri
105
Abb. 6
Pavillon der AOF, Kolonialausstellung Marseille 1922
106
13 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9
Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13
Pavillon der AOF, Kolonialausstellung ParisVincennes 1931
106
„Demba und Dupont" - Denkmal zum Ersten Weltkrieg, Dakar 1923
120
„Aux Héros de l'Armée Noire" - Denkmal für die tirailleurs soudanais im Ersten Weltkrieg, Bamako 1924
121
Denkmal für die Kämpfer aus FranzösischWestafrika im Ersten Weltkrieg, Dakar 1929
122
Denkmal für die Toten des Ersten Weltkrieges, Grand-Bassam
123
Denkmal für die gefallenen ivorischen Soldaten der Provinz N'Zi Comoé, Dimbokro, um 1925-1930
125
Denkmal für die „schwarze Armee", Fréjus-St. Raphaël 1994, Gesamtansicht
130
Abb. 14
„Demba und Dupont", die zweite? Detailansicht
131
Abb. 15
Der „Tirailleur" des Krieges 1939-1945
144
Abb. 16,
„Zwei Kreidezeichnungen eines Senegalnegers",
17
Konzentrationslager Gusen, 1944/45
Abb. 18
Kriegsveteran im Kreise seiner Familie
262
Abb. 19
Oberfeldwebel und seine Ehefrau, Founzan, Diébougou, Obervolta 1954 Ansicht des Vereinshauses der Veteranen von Bobo-Dioulasso, 1999
278
Abb. 20
156/157
314
14 NACHWEIS DER KARTEN UND ABBILDUNGEN
Karte 1: Y. Georges Madiéga: Aperçu sur l'histoire coloniale du Burkina. In La Haute-Volta coloniale. Témoignages, recherches, regards (Hg.) Gabriel Massa & Y. Georges Madiéga. Paris: Éditions Karthala 1995, S. 19. Gezeichnet von Jean C. Ki (nach Annie Duperray: La HauteVolta (Burkina Faso). In L'Afrique Occidentale au temps des Français, c. 1860-1960 (Hg.in) Catherine Coquery-Vidrovitch. Paris: Édition la Découverte 1992, S. 275). Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Karte 2: Maurice Rives & Robert Dietrich: Héros méconnus, 1914-1918, 1939-1945. Mémorial des combattants d'Afrique Noire et de Madagascar. Paris: Association française Frères d'Armes 1993, S. 120, leicht verändert. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autoren. Abb. 1: Fotografie G. Labitte, Dakar/Senegal 1944. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Institut Fondamental d'Afrique Noire (IFAN) Dakar. Abb. 2: Fotografie der Autorin (B.R.), März 1998. Abb. 3: Fotografie B.R., März 1998. Abb. 4: Fotografie B.R., März 1998. Abb. 5: Fotografie B.R., März 1998. Abb. 6: Historische Postkarte (unsigniert, undatiert, im Besitz der Autorin). Abb. 7: Lectures Pour Tous, April 1931, S. 16. Abb. 8 und 9: Historische Postkarten (Nr. 1803 und Nr. 2730 in Cartes postales de l'Afrique de l'Ouest 1895-1930. Association Images & Mémoires, UNESCO-Programm „Mémoire du Monde". Collections Philippe David und Georges Meurillon). Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Association Images & Mémoires. Abb. 10: Historische Postkarte (Édition Antoine Challah, Dakar, nicht datiert, im Besitz der Autorin). Abb. 11: Historische Postkarte (Collection L. Météyer, Grand-Bassam, um 1920. Nr. 670 in Cartes postales de l'Afrique de l'Ouest 1895-1930. Association Images & Mémoires, UNESCO-Programm „Mémoire du Monde". Collections Philippe David und Georges Meurillon). Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Association Images & Mémoires. Abb. 12: Historische Postkarte (G. Kanté, Collection Jean Rose, Abidjan, Nr. 524 in Cartes postales de l'Afrique de l'Ouest 1895-1930.
15 Association Images & Mémoires, UNESCO-Programm „Mémoire du Monde". Collections Philippe David und Georges Meurillon). Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Association Images & Mémoires. Abb. 13: Fotografie B.R., März 1998. Abb. 14: Fotografie B.R., März 1998. Abb. 15: Fotografie Cissé, Dakar/Senegal (undatiert). Abgedruckt auch in Tropiques Juni 1957, S. 4. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des IFAN Dakar. Abb. 16 und 17: Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (AMM, F/9b/3/5, Freizeitgestaltung, verbotene Zeichnungen). Zeichner unbekannt. Der Porträtierte war Häftling in Mauthausen und Gusen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Archivleitung der KZGedenkstätte Mauthausen und des Bundesministeriums für Inneres der Republik Österreich. Abb. 18: Fotografie Cissé, Dakar/Senegal, undatiert). Abdruck mit freundlicher Genehmigung des IFAN Dakar. Abb. 19: Fotografie Adandé, Founzan, Diébougou/Haute Volta 12.04.1954. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des IFAN Dakar. Abb. 20: Fotografie B.R., März 1999.
16 VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN
AGMA AEF AHC ANS AOF CAOM CEFA CFAO CFCI CHETOM CMIDOM CNRST EET EFORTOM
EFORTDM EMPA ENFOM FFI FFL FIDES GG GRPF MDV MTM
Archivio Generale di Missionari di Africa, Rom Afrique Équatoriale Française - Französisch-Zentralafrika Archives du Haut-Commissariat, Bobo-Dioulasso Archives Nationales du Sénégal, Dakar Afrique Occidentale Française - Französisch-Westafrika Centre des Archives d'Outre-Mer, Aix-en-Provence Comité d'Études Franco-Africain (Vorläuferorganisation des RDA) Compagnie Française pour l'Afrique Occidentale (französische Handelsgesellschaft) Compagnie Française de la Côte d'Ivoire (id.) Centre d'Histoire et d'Études des Troupes d'Outre-Mer, Fréjus Centre Militaire d'Information et de Documentation, Versailles (dessen Bestände befinden sich heute in Fréjus, siehe CHETOM) Centre National de la Recherche Scientifique et Technologique, Ouagadougou École des Enfants de Troupe École de Formation des Officiers Ressortissants des Territoires d'Outre-Mer (ab 1959 École de Formation des Officiers du Régime Transitoire des Troupes d'OutreMer) École de Formation des Officiers du Régime Transitoire des Troupes de Marine (ab 1959) École Militaire Préparatoire Africaine École Nationale de la France d'Outre-Mer Forces Françaises de l'Intérieur, Résistance Forces Françaises Libres Fonds d'Investissement pour le Développement Économique et Social des territoires d'outre-mer Gouverneur Général Gouvernement Provisoire de la République Française (Oktober 1944-November 1946) Mouvement Démocratique Voltaïque (voltaische Partei, gegründet 1956) Musée des Troupes de Marine, Fréjus
17 PCF PDCI POW PSEMA RAC RDA RIC RICM RMIC RPF RTS SAA SCOA SHAT TOE UDSR UV
Parti Communiste Français Parti Démocratique de la Côte d'Ivoire (ivorische Partei, gegründet 1946) Prisoner of War Parti Social d'Éducation des Masses Africaines (Nachfolgepartei der Union Voltaïque, gegründet 1954) Régiment d'Artillerie Coloniale Rassemblement Démocratique Africain (westafrikanische überregionale Partei, gegründet 1946) Régiment d'Infanterie Coloniale Régiment d'Infanterie Coloniale Mixte Régiment de Mitrailleurs d'Infanterie Coloniale Rassemblement du Peuple Français Régiment des Tirailleurs Sénégalais Syndicat Agricole Africain (ivorische Vorläuferorganisation des RDA) Société Commerciale Ouest Africaine (französische Handelsgesellschaft) Service Historique de l'Armée de Terre, Paris-Vincennes Théâtres d'Opérations Extérieurs (Überseeische Kriegseinsätze) Union Démocratique et Sociale de la Résistance (französische Partei, Vorläuferin des Parti Socialiste Français) Union Voltaïque (voltaische Partei, gegründet 1946)
Auf die Wiedergabe der im Französischen üblichen gepunkteten Form von Abkürzungen (wie: A.O.F.) wurde im gesamten Text verzichtet.
EINFÜHRUNG Auf die Frage, wie er es aus dem Rückblick beurteile, als Soldat in der französischen Armee gedient zu haben, gab ein burkinischer Veteran folgende Antwort: „Ça m'a fait du bien, ça m'a permis de connaître des pays européens et avoir une facilité de vie ... Peut-être si j'étais pas dans l'armée, attends de voir, je serais quoi, un gros cultivateur au village, ou bien un chef cantonnier pour réparer les routes ... Mais actuellement je me sens bien ..."' Ähnliches ist vermutlich vielen aus den Erzählungen von Vätern oder Großvätern vertraut - in denen der Krieg lediglich als Rahmen dient für ein gleichsam ziviles Globetrotten, das einen Mann vor einem mittelmäßigen beruflichen und privaten Dasein bewahrt oder ihn zwischenzeitlich aus einem solchen herausgeholt habe. Die „Daheimgebliebenen" muten diese Assoziationen in der Regel befremdlich an. So auch in diesem Falle, wo besagter Veteran bekundete, zwischen 1951 und 1953 in Kambodscha im Indochina- und von 1959 bis 1961 im Algerienkrieg eingesetzt gewesen zu sein. Dass im Titel dieser Studie das vermeintlich „zivile" Moment aufgegriffen wird, steht für die Bemühungen, sich einem klassischen Stoff der (kolonialen) Militärgeschichte aus sozial- und kulturhistorischer Perspektive zu nähern. Eng damit verbunden ist der zweite - alltagsgeschichtliche - Beweggrund, danach zu fragen, wie afrikanische Soldaten der französischen Armee ihre Kriegs- und Nachkriegserfahrungen verarbeiteten und welche Spuren dies in ihrer späteren Lebensgestaltung, ihren beruflichen, sozialen, politischen und kulturellen Aktivitäten, hinterlassen hat. Die hier vorgelegte Arbeit geht zurück auf ein zweijähriges Forschungsprojekt, das zwischen 1998 und 2000 am Berliner Zentrum Moderner Orient im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprogramms „Abgrenzung und Aneignung im Prozeß der Globalisierung: Asien, Afrika und Europa seit dem 18. Jahrhundert" durchgeführt wurde. Dort war es eingebettet in das Gruppenforschungsprojekt „Akteure des Wandels. Konflikt und Synthese orientalischer und okzidentaler Kulturen in Lebensläufen und Gruppenbildern", das sich auf Gruppen und Personen aus Afrika und Südasien konzentrierte, die im Kontext der imperialen Moderne als Intermediäre zwischen den
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Einführung
Kulturen hervorgetreten sind, d.h. lokale Wandlungsprozesse mitgestalteten, welche wiederum auf die globale Moderne zurückwirkten. Das Forschungsprojekt befasst sich mit Lebensstrategien und Gruppenprofilen westafrikanischer Kriegsveteranen der französischen Armee im Untersuchungszeitraum vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur staatlichen Unabhängigkeit Französisch-Westafrikas (1960-1962). Bei diesen Männern handelt es sich um eine Generation der Tirailleurs Sénégalais („Senegalschützen"), mehrere hunderttausend Afrikaner aus Frankreichs west- und zentralafrikanischen Kolonien, die in die französische Marineinfanterie eingezogen wurden und in beiden Weltkriegen, den daran anschließenden Kolonialkriegen in Indochina und Algerien sowie zur Aufstandsbekämpfung in Madagaskar, Tunesien, Marokko, Mauretanien, Niger und Kamerun zum Einsatz kamen. Mit dieser gruppenbiographischen Untersuchung, die sich auf Lebensberichte von Veteranen aus der ehemaligen Kolonie Obervolta (heute Burkina Faso)2 und Archivforschungen stützt, soll ermittelt werden, wie sich deren transkulturelle Wahrnehmungen und Erfahrungen im Verlauf ihrer Armeezeit auf ihre spätere zivile Lebensgestaltung im engeren familiären und weiteren sozialen und politischen Umfeld niedergeschlagen haben. Gefragt wird darüber hinaus - im Einklang mit den Untersuchungszielen des Gruppenprojekts - nach der Funktion dieser Veteranen als „Akteure des Wandels", d.h. danach, inwieweit diese temporären - und überwiegend zur „Reise in den Krieg" gezwungenen - Migranten später unmittelbar oder mittelbar als Intermediäre zwischen ihrer Herkunftsgesellschaft und dem Norden/Westen gewirkt haben. Erste Ergebnisse dieser Untersuchung wurden bereits an anderer Stelle veröffentlicht (siehe Reinwald 2000 und 2001). Über die Fragestellung des Forschungsprojektes hinaus wird es hier zum einen unternommen, die Erfahrungen afrikanischer Soldaten der französischen Armee in den breiteren historischen Kontext der Auseinandersetzung westafrikanischer Bevölkerungen mit dem hegemonialen Projekt europäischer Kolonisation einzuordnen, d.h. zu zeigen, in welchem Umfang der Zweite Weltkrieg eine Zäsur hinsichtlich der Wahrnehmung und Verarbeitung kolonialer Abhängigkeitsverhältnisse darstellte, wie aus dem Zwang zur Teilnahme am Krieg, vermittelt durch die konkrete „Anschauung" der im Kriegs-
Einführung
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verlauf geschwächten und besiegten Metropole und die eigenen Leistungen zu ihrer „Befreiung", Forderungen nach Teilhabe, nach Gleichstellung und Freisetzung erwachsen sind. Obgleich dieser Prozess in den kolonialen Territorien Frankreichs durch sehr unterschiedliche Ausdrucksformen und Eskalationsstufen gekennzeichnet war, so hatten parlamentarische Bewegungen, Arbeitskämpfe, Unruhen, Aufstände und bewaffnete Befreiungsbewegungen doch eines gemein: sie trugen in jedem Falle dazu bei, so meine Hypothese, das hegemoniale Projekt französischer Kolonisation von innen her zu „dekonstruieren". Zum zweiten werden die aus dem „Unternehmen afrikanische Armee Frankreichs" erwachsenen transkulturellen Biographien voltaischer Veteranen näher betrachtet. Welche Bedeutung hatte die räumliche und mentale „Grenzüberschreitung" für ihre Identitätskonstruktionen und Visionen des „Selbst" und des „Anderen", und wie drückte sich dies in ihrem Alltagshandeln, ihren Konsummustern und symbolischen Praktiken aus? Hier geht es vor allem darum, die Konsequenzen eines vielschichtigen kulturellen Austausches auszuloten, als den man diese Begegnungen zwischen afrikanischen Soldaten und dem „Rest der Welt" auch bezeichnen könnte, Begegnungen, deren Schauplätze und Konfliktlinien, wie noch näher ausgeführt wird, sowohl im räumlichen wie auch im interaktiven Sinne jenseits der Achse Metropole-Kolonie liegen. Forschungsfelder und Problemstellung In den beiden von Europa zu verantwortenden „großen" Kriegen des 20. Jahrhunderts kam das Phänomen des universal soldier, um den in der Protestbewegung der 1960er Jahre gegen den Vietnamkrieg berühmt gewordenen Songtitel aufzugreifen, in bis dahin ungekanntem Ausmaß zum Tragen. Der Kriegseinsatz von Afrikanern, sowohl nordafrikanischer als auch subsaharischer Herkunft - aber auch von Männern aus Indien, Fernost und Zentralasien - , aufseiten der französischen, britischen sowie der türkischen, russischen oder deutschen Armeen3 könnte als typische Erscheinungsform der Globalisierung verstanden werden. Wenn auch unter diesem Aspekt bislang kaum diskutiert, manifestierte sich hier die von Giddens beschriebene - und als qualitativ neuartiges Phänomen der
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Einführung
„Spätmodernität" gewertete - „immer dichtere und schnellere, tendenziell den gesamten Erdball umspannende Verflechtung zwischen lokal und räumlich weit entfernten Strukturen, Prozessen und Ereignissen" (Giddens 1990: 64), für die technische und infrastrukturelle Entwicklungen sowie geopolitische Machtverhältnisse um die Wende zum 20. Jahrhundert die Grundlage geschaffen haben. Das heißt, entscheidende Verbesserungen im Transport-, Verkehrs- und Kommunikationswesen einerseits, die europäische Verfügung über koloniale Territorien und deren materielle und menschliche Ressourcen andererseits waren Voraussetzungen für die massenhafte „Nutzung" kolonialer Bevölkerungen zu Kriegszwecken (Höpp & Reinwald 2000: 5), was sowohl die „Frontverwendung" von Männern wie auch die den Kolonisierten allgemein abgeforderten „Kriegsanstrengungen" hinsichtlich der Nahrungsmittel- und Rohstoffproduktion betrifft. Der hier aufscheinende Konnex zwischen Globalisierung und Macht, oder anders formuliert: die Asymmetrie globaler Verflechtungen, ist konstitutiv für die Geschichte der afrikanischen Soldaten in Diensten der französischen Armee, mit der sich diese Studie auseinandersetzt. Als roter Faden zieht sie sich durch sämtliche Stadien dieser Geschichte, angefangen von der Gründung der ersten Einheiten der Tirailleurs Sénégalais in den 1860er Jahren zum Zwecke ihrer Verwendung als Hilfstruppen Frankreichs bei der kolonialen Eroberung und „Befriedung" der annektierten Territorien in Nord- und Westafrika sowie Madagaskars, über ihre Fronteinsätze während der Weltkriege bis hin zu ihrer Indienstnahme für die letztlich erfolglose Bekämpfung der antikolonialen Befreiungsbewegungen in Indochina und auf dem afrikanischen Kontinent. Den Endpunkt dieser Geschichte markiert die mit der Erlangung nationalstaatlicher Unabhängigkeit der französischen Kolonien West- und Zentralafrikas verbundene Auflösung dieser Einheiten der Kolonialarmee ab 1960 und die Rückgliederung der Soldaten ins Zivilleben bzw. deren partielle Überführung in die neu gegründeten Nationalarmeen. So betrachtet böte diese Geschichte afrikanischer Einheiten der französischen Armee Stoff für ein weiteres Kapitel klassischer - hier französischer - Kolonialgeschichte in Afrika, das sich in Bezug setzen ließe zu strukturell vergleichbaren „Geschichten" im britischen, belgischen und deutschen Kolonialreich. Dies bedeutete, auszugehen vom Konzept des
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Kolonialismus als einem „coherent set of practices and discourses intented to dominate conquered people while maintaining their distinctiveness" (Cooper 1997: 409) und die koloniale Dichotomie zwischen Eroberern und Eroberten gleichsam fortzuschreiben. Eine solche Herangehensweise begäbe sich darüber hinaus der Möglichkeit, die verschiedenen in das Unternehmen „afrikanische Armee" verwobenen und konkurrierenden „Sozialisationsagenturen" auf Seiten der Metropole - französische Regierung, Armee, Kolonialadministration - zu identifizieren, und wäre mit Blick auf die afrikanischen Soldaten selbst unmittelbar mit der Frage ihrer Zuordnung konfrontiert: Sollte man sie der Kategorie der Opfer der Kolonisation zuschlagen oder sie als koloniale Mittäter, als Söldner und Handlanger des Imperiums identifizieren? Die Unhaltbarkeit solch verengender Auffassungen von Geschichte und Auswirkungen europäischer Expansion und Kolonisation ist innerhalb der letzten Dekade in theoretischen Debatten und Forschungsschwerpunktprogrammen deutlich hervorgehoben worden. Auf der Ebene des Diskurses wurde die „imperiale Moderne" dekonstruiert und dezentriert und im Paradigma der postcoloniality retrospektiv in einem neuen Bedeutungszusammenhang aufgehoben, der von den Erfahrungen und dem Umgang der (post)kolonialen Subjekte mit hegemonialen Produktions-, Macht- und Wissenssystemen auszugehen verspricht.4 Auch historische Fallstudien zu „Transformationen der europäischen Expansion" richteten ihre Aufmerksamkeit nunmehr auf die „kognitive Interaktion europäischer mit außereuropäischen Gesellschaften",5 d.h. auf „Formen des gegenseitigen Austausches, der Verflechtung und Kommunikation, die nicht in einem simplen Aktions-Reaktions-Schema aufgehen" (Eckert & Krüger 1998: 1). Gleiches galt für das im Berliner Zentrum Moderner Orient betriebene interdisziplinäre Forschungsprogramm „Abgrenzung und Aneignung im Prozess der Globalisierung: Asien, Afrika und Europa seit dem 18. Jahrhundert", aus dem diese Studie hervorgeht. Hier konzentrierte man sich auf die interkulturellen Schnittflächen und Bruchlinien des globalen Wandels und hob somit auf die Wechselseitigkeit, Gegenläufigkeit und die interaktiven Verflechtungen dieses von Nord-Süd-Machtverhältnissen überformten historischen Prozesses ab (vgl. Fürtig 2001).
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Einführung
In diesen Zusammenhang ist auch das mit dieser Studie verfolgte Anliegen einzuordnen, die „Innenseite" des kolonialen Unternehmens „afrikanische Armee" näher zu betrachten, d.h. sie als Beziehungsgeschichte zu thematisieren. Als Beitrag zur historischen Afrikaforschung basiert sie auf zwei methodologischen Voraussetzungen. Zum einen greife ich die Anregung Frederick Coopers auf, Kolonialismus als eine „Serie hegemonialer Projekte" zu konzipieren, deren Umsetzung „Kolonisatoren in Beziehungen mit indigenen Eliten und Untergebenen brachte, deren Elemente sich auf jedem Schritt entlang des Weges gegenseitig überformten" (Cooper 1997: 409, meine Übersetzung). Die Dynamik dieser durch wechselseitige, aber ungleiche Beziehungen gekennzeichneten und untrennbar mit der Ausübung von Macht, aber auch mit der (multi)perspektivischen Wahrnehmung, Erfahrung und Verarbeitung von Machtverhältnissen verknüpften Geschichte der Kolonisation bestimmt sich nicht gemäß „objektive(r) Ablaufsnotwendigkeiten" (Medick 1989: 64), sondern bemisst sich an den Auseinandersetzungen mit hegemonialen Projekten seitens aller in sie verwobenen Akteurinnen. Cooper plädiert dafür, die Geschichte der Kolonisation in Afrika darauf hin zu untersuchen, in welchem Maße die Beteiligten, „Kollaborateure" wie „Widerständler" gleichermaßen, solche hegemonialen Projekte in Folge „untergruben" (Cooper 1997: 409). Dies bedeutet nicht nur zu zeigen, [...] that social movements that used and engaged the institutions and ideologies of institutions imported by colonizers could be as important challengers of colonial power as those that steadfastly resisted their blandishments (ebd.) sondern auch die Geschichtsmächtigkeit dieser interaktiven Verflechtung zu begreifen: Colonial regimes changed the way that they deployed power and articulated legitimacy in response to such pressures, and this redeployment defined new terms in which power was articulated and contested (ebd.). Damit aber kommt man der Lösung einer grundlegenden methodischen Schwierigkeit näher, vor die sich sozialhistorische Untersuchungen allgemein gestellt sehen, die „Doppelkonstruktion historischer Prozesse [...], die komplexe wechselseitige Beziehung zwischen umfassenden Strukturen und der Praxis der .Subjekte', zwischen Lebens-, Produktions- und Herr-
Einflihrung
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schaftsverhältnissen und den Erfahrungen und Verhaltensweisen der Betroffenen" zu erfassen und darzustellen (Medick 1989: 50). Eine zweite methodologische Erwägung betrifft die Achse MetropoleKolonie. Wenn in diesem Zusammenhang auf das Postulat der Globalisierung Bezug genommen wird, so geschieht dies nicht in der Absicht, der Debatte um einen umstrittenen Begriff (vgl. Featherstone, Lash & Robertson 1995) eine weitere Fußnote anzufügen. Ich nutze hier vielmehr die Idee einer multiplen Vernetzung, um die in dieser Studie thematisierten räumlichen, geopolitischen und mentalen Grenzüberschreitungen angemessener beschreiben zu können und um somit über die einer „Nationalgeschichtsschreibung" verpflichtete dichotome Herangehensweise hinauszugelangen, welche ausschließlich die „präferentiellen" Beziehungen zwischen einer europäischen „Muttermacht" und ihrer „zugehörigen" kolonialen Peripherie untersucht und damit blind wird für „those circuits of knowledge and communication that took other routes than those shaped by the metropole-colony axis alone" (Cooper & Stoler 1997: 28). Wie eingangs erwähnt, wird Globalisierung gemeinhin als Paradigma spätmoderner oder postkolonialer sozialer Ausdrucksverhältnisse gefasst. Cooper & Stoler weisen zu Recht darauf hin, dass darin eine Verkürzung liegt, insofern eine Gegenwart globaler Verflechtungen und fragmentierter gesellschaftlicher Beziehungen „implizit oder explizit einer kolonialen Welt räumlicher und kultureller Begrenzung entgegengesetzt wird" (ebd.: 33, meine Übersetzung). Dies sei eventuell darauf zurückzuführen, that we have taken the categories of colonial archives - organized around specific colonial powers, their territorial units, and their maps of subject cultures - too literally, and our colonial historiography has missed much of the dynamics of colonial history, including the circuits of ideas and people, colonizers and colonized, within and among empires (ebd.: 33/34). Ausgehend von der Einsicht, dass sich „in kolonialen Dichotomien (...) nur ein Teil der Realität widerspiegelt, in der Menschen lebten" (ebd.: 34, meine Übersetzung), handelt es sich in dieser Studie also auch darum, die Bedeutung verschiedener - transregionaler, transkultureller, mentaler und virtueller - Netzwerke herauszuarbeiten, in die afrikanische Soldaten und Kriegsveteranen verwoben waren. Diese Netzwerke haben, so meine The-
Einführung
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se, für die Konstitution von Wir-Gemeinschaften sowie für die Weitergabe von Wissen und Erfahrungen - auch im intergenerationellen Sinne - eine wichtige Rolle gespielt. Die banale Feststellung, dass die meisten afrikanischen Weltkriegssoldaten im Verlauf ihrer Karriere die Strecke zwischen Metropole und Kolonie in beiden Richtungen zurückgelegt bzw. sich - räumlich wie mental gesehen - in „Kontaktzonen" (Pratt 1992) bewegt haben, die abseits dieser Achse liegen, führt schließlich zur Frage, wie sich dies mittelfristig auf ihre Wahrnehmungs- und Handlungsweisen niedergeschlagen hat. Wie veränderten sich Repräsentationen des „Selbst" und des „Anderen" in Folge multipler interaktiver Verflechtungen - von und mit Afrikanern, Europäern und Amerikanern, Männern und Frauen, Militärangehörigen und Zivilistinnen, Befehlshabern und -empfängern etc.? Wie wurde die „Metropole" - Frankreich/Europa - aus der Perspektive dieser „Reisenden durch den Krieg" wahrgenommen, und welche „Bilder" haben sie nach ihrer Rückkehr weitergegeben? Auch in diesem Punkt gilt der oben formulierte Vorbehalt gegenüber binären Konstruktionen: Wie im Fortgang der Studie gezeigt werden soll, sind die durch Wechselseitigkeit und Gegenläufigkeit geprägten Selbstund Fremdrepräsentationen afrikanischer Kriegsheimkehrer nicht einfach als Ergebnis (westlicher) Akkulturation und/oder (afrikanischer) Dekulturation, sondern als Ausdrucksformen eines transkulturellen Übertragungsund Übersetzungsprozesses zu verstehen.6 Dabei werden die jeweils der anderen Kultur „entliehenen" Elemente „den Bedürfnissen des Entleihenden angepasst, es findet also eine doppelte Bewegung von De- und Rekontextualisierung statt" (Burke 2000: 13). Diese vollzieht sich wohlgemerkt in einem mehrschichtigen, d.h. durch die Dialektik von Einbindung und Ausgrenzung bestimmten und von Zuschreibungen der Differenz - race j
und class - durchzogenen gesellschaftlichen „Kräftefeld". Als sozialanthropologisches Konzept im engeren Sinne beschreibt Transkulturation, „how subordinated or marginal groups select and invent from materials transmitted to them by a dominant or metropolitan culture" (Pratt 1992: 6). Um nun das unter diesen Bedingungen freigesetzte kulturelle Potential zu deuten, ist es hilfreich, de Certeau's Ausführungen über die „Künste des Handelns" heranzuziehen. Ihm zufolge drückt sich in die-
Einflihrung
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sem schöpferischen Prozess nicht etwa eine (individualistische) Gegenkultur aus. Hier findet vielmehr ein taktischer „Umgang" mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen und etablierten Deutungsmustern seitens marginalisierter Nicht-Kulturproduzenten statt, wie de Certeau am Beispiel des „Gebrauchs", den indianische Bevölkerungen von der spanischen Kolonisation gemacht haben, zu zeigen sucht: [...] même soumis, voire consentants, souvent ces Indiens utilisaient les lois, les pratiques ou les représentations qui leur étaient imposées par la force ou par la séduction à d'autres fins que celles des conquérants; ils en faisaient autre chose: ils les subvertissaient du dedans - non pas en les repoussant ou en les transformant (cela arrivait aussi) mais par cent manières de les employer au service des règles, de coutumes ou de convictions étrangères à la colonisation qu'ils ne pouvaient pas fuir. Ils métaphorisaient l'ordre dominant: ils le faisaient fonctionner sur un autre régistre. [...] Ils le détournaient sans le quitter (de Certeau [1980] 1990: 54). Wie dieses „faire avec", das listige, trickreiche Erschließen von Spielräumen, die taktisch motivierte Zweckentfremdung sozialer Praktiken, die von Macht überformt sind, sich im Alltagshandeln burkinischer Weltkriegsveteranen artikuliert und einen spezifischen Lebensstil dieser Gruppe markiert, wird in dieser Studie am Beispiel ihrer postmilitärischen Lebensverläufe, der sich in ihnen manifestierenden familiären Strategien, Kulturund Konsummuster zum einen und der politischen Aktivitäten von Veteranen zum anderen thematisiert. Zu prüfen ist dabei insbesondere, ob die Hypothese eines permanenten Grenzgängertums zwischen verschiedenen, in Veränderung begriffenen Lebenswelten, das sich in multiplen Identitätskonstruktionen und heterogenen Handlungs- und Verhaltensorientierungen verkörpert (vgl. Reinwald 2001: 223), nicht besser geeignet ist, um die Dynamik gesellschaftlicher Transformationsprozesse auf der Ebene der Akteurinnen umfassender zu beschreiben, als es das Paradigma des cultural broker vermag. Um so mehr als, wie mir scheint, die Idee des Pendeins, der Hin- und Herbewegung zwischen verschiedenen Polen die - gelebtem Leben eigene - permanente Spannung zwischen Faktischem und Möglichem
ebenso
wie
deren
momentane
Aufhebung
durch
Alltags-
inszenierungen, kulturelle Praxen und Konsummuster der Subjekte umfasst.
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Forschungsstand
Q
Die aktive „afrikanische Armee Frankreichs" ist insbesondere bezüglich der Weltkriege relativ gut erforscht. Für diesen Zeitraum liegen mehrere instruktive Gesamtdarstellungen aus militärhistorischer (Clayton 1988; Rives & Dietrich 1993) wie auch sozialgeschichtlicher Perspektive (Balesi 1979; Michel 1982; Echenberg 1991) vor, in denen insbesondere die Funktionen und die Stellung afrikanischer Soldaten, ihre Arbeitsbereiche und Fronteinsätze, ihre Demobilisierung und Rückführung in die Herkunftsterritorien thematisiert werden. Vor allem für den Ersten Weltkrieg wurden auch die Auswirkungen der massiven Zwangsrekrutierungen in den Kolonien sowie Widerstandsformen afrikanischer Zivilbevölkerungen untersucht (Michel 1982, d'Almeida-Topor 1973, §aul & Royer 2001). Im von Riesz & Schultz (1989) herausgegebenen Sammelband findet eine Auseinandersetzung mit dem Thema aus literaturwissenschaftlicher Perspektive statt, die aber in mehrfacher Hinsicht von großem historiographischem Interesse ist, insofern Bild- und Textmaterialien aus der Zeit der Rheinlandbesetzung eingetragen werden. Darüber hinaus ist in den letzten Jahren eine Reihe von Fallstudien entstanden, die sich mit der Geschichte einzelner Tirailleurs-Kontingente beschäftigen und die den Kriegserfahrungen und -erinnerungen der Soldaten breitere Aufmerksamkeit widmen, so Valensky (1995) den madagassischen und Lunn (1999) den senegalesischen Soldaten im Ersten Weltkrieg sowie Lawler (1992) für den Zweiten Weltkrieg, deren Arbeit auf einem umfangreichen Datenkorpus aus Interviews mit ivorischen Kombattanten basiert. Demgegenüber - und bedingt durch z. T. recht lange Sperrfristen französischer Archive für militärrelevante Materialien - ist die Periode der anschließenden Kolonialkriege thematisch weitaus weniger erschlossen. Abgesehen von Claytons vorzüglicher militärhistorischer Analyse der Dekolonisationskriege in Indochina und Algerien (1994, siehe auch Clayton 1999: 18-35), liegen hierfür bislang lediglich die Arbeiten von Tronchon (1986) über die madagassische Aufstandsbewegung 1947/48 (siehe auch Weigert 1996: 9-21) und von Bodin (1997; 2000) über den Indochinakrieg vor.
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Ein Gefälle lässt sich auch im Hinblick auf das weniger spektakuläre zivile „Nachleben" der ehemaligen Soldaten feststellen, das bis auf wenige Ausnahmen erst in allerjüngster Zeit größere Beachtung zu finden beginnt. Gesonderte Erwähnung verdient die in vielerlei Hinsicht nicht zu übertreffende Studie von Myron Echenberg (1991), der das Referenz werk für sämtliche Stadien der Geschichte der Tirailleurs Sénégalais aus sozialhistorischer Perspektive vorgelegt hat. Er rekonstruiert Aufbau und Funktionen der Interessenverbände der Anciens Combattants, die Beziehungen von Veteranen zu den politischen Parteien der westafrikanischen Dekolonisationsbewegung sowie ihren - letztlich vergeblichen - Kampf um materielle Gleichstellung mit metropolitanen Weltkriegsveteranen. Zu nennen ist - aufgrund vieler Parallelen zu den Ergebnissen meiner Regionalstudie - auch Grätz (2000), der soziale und politische Netzwerke von Veteranen in Nord-Benin untersucht hat. Alle weiteren in diesem Zusammenhang vorliegenden Arbeiten sind unveröffentlichte akademische Qualifikationsschriften, so insbesondere die vorzügliche zweibändige Magisterarbeit von Luciani (1991/92),9 die auf einer sorgfältigen Auswertung von Archivquellen zur materiellen und sozialen Situation westafrikanischer Veteranen des Zweiten Weltkriegs basiert, und die Dissertationsschrift von Gregory Mann (2000) über malische Kriegsveteranen.10 Alle letztgenannten Arbeiten tragen dazu bei, die Forschungslücke zu schließen, auf die Echenberg hingewiesen hat: das fast vollständige Fehlen historischer Daten, auf deren Grundlage Lebensverläufe westafrikanischer Veteranen, aber auch diejenigen von Seeleuten, Dockern, Eisenbahnern etc., rekonstruiert werden könnten. Genauer gesagt, geben Kolonialarchive zwar durchaus gewissen Einblick in politische Aktivitäten dieser subalternen Gruppen; für ihr Privatleben sowie ihre sozialen und wirtschaftlichen Belange hat sich die französische Kolonialadministration in der Regel allerdings kaum interessiert (Echenberg 1991: 126). Folgerichtig lässt sich diese - nicht nur im Kontext afrikanischer Gesellschaften zu beklagende „Leerstelle" nur „auffüllen", wenn man sich den Subjekten dieser Geschichte selbst zuwendet. Im Falle afrikanischer Veteranen der französischen Armee ist dies erst sehr spät erfolgt,11 so dass insbesondere die Generation der Teilnehmer am Ersten Weltkrieg von der oral history kaum mehr erfasst werden konnte (siehe aber Lunn 1999).
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Dass es sich bei der Entscheidung, mit Quellen und Methoden der oral history zu arbeiten, allerdings nicht einfach darum handelt, einem durch das Fehlen schriftlicher Quellen verursachten Notstand abzuhelfen, ist in der zum Teil recht scharf geführten Debatte um den historiographischen 12 „Wert" mündlicher Zeugnisse klar geworden. In ihrem Lichte wirft sich nicht nur die grundsätzliche Frage nach der Perspektivität historischer schriftlich wie mündlich überlieferter - Quellen auf, sondern auch die nach der Subjektivität, Standort- und Zeitgebundenheit historischer Forschung selbst. Mit diesen beiden Fragen beschäftigt sich nun der letzte Abschnitt dieser Einführung. Quellenkorpus und Aufbau der Arbeit Mit der Zielsetzung dieser Arbeit, die Verarbeitung von Erlebnissen und Erfahrungen einer subalternen sozialen Gruppe zu untersuchen, die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen hat, ist bereits eine Vorauswahl getroffen worden, was die „Materialien" betrifft, die Aufschluss über Lebensverläufe und -Strategien geben können. Kernstück der historiographischen Analyse sind die im Frühjahr 1999 zusammengetragenen Lebensberichte von vierzig burkinischen Veteranen des Zweiten Weltkriegs sowie von in Indochina und Algerien eingesetzten Männern. Bei ihnen handelt sich um narrative und situationsflexible, d.h. nicht-standardisierte, auf qualitative Datenerhebung (Erzählungen) abzielende Interviews, die meisten von ihnen auf ausdrücklichen Wunsch der Gesprächspartner in französischer Sprache.13 Dieser Datenkorpus wird erweitert um neun verfilmte Interviews, die eine Forschergruppe der Universität Bayreuth 1987 in Senegal aufgenommen hat. Zum Vergleich herangezogen werden auch die transkribierten Texte der 109 von Nancy Lawler 1985/86 in Cöte d'Ivoire durchgeführten Interviews.14 Es liegt auf der Hand, dass sich auf der Grundlage erzählter Lebensgeschichten, wie sie hier vorliegen, nicht Geschichte rekonstruieren lässt, „wie sie wirklich war", was im Übrigen auch nicht beabsichtigt ist. In den Gesprächen wurde der Interviewerin natürlich auch nicht das ganze Leben dargeboten, sondern lediglich ein begrenzter Einblick in Erlebtes und im Prozess des Erinnerns Vergegenwärtigtes, d.h. Gestaltetes, gewährt. In
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welchem Maße das soziale Konstrukt Biographie dennoch Chancen bietet, „dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft näher zu kommen", legt Gabriele Rosenthal dar: [...] Biographie als soziales Gebilde [konstituiert] sowohl soziale Wirklichkeit als auch Erfahrungs- und Erlebniswelten der Subjekte und [affirmiert und transformiert sich] in dem dialektischen Verhältnis von lebensgeschichtlichen Erlebnissen und Erfahrungen und gesellschaftlich angebotenen Mustern ständig neu [...] In der .biographischen Selbstrepräsentation' finden wir nicht nur Zugang zum lebensgeschichtlichen Prozeß der Internalisierung der sozialen Welt im Laufe der Sozialisation, sondern auch zur Einordnung der biographischen Erfahrungen in den Wissensvorrat und damit zur Konstitution von Erfahrungsmustern [...] (Rosenthal 1995: 12 f.). In der erzählten Lebensgeschichte wird nicht einfach in der Vergangenheit Erlebtes, wie auch immer eingeschränkt, dargeboten. Sie lässt sich andererseits aber auch nicht auf ein Deutungsmuster aus der Gegenwart der Erzählerinnen reduzieren. Hier ist vielmehr von einer wechselseitigen Durchdringung auszugehen, sowohl was die Ebene der Zeit als auch die Ebenen des Ereignisses, Erlebnisses und der Darbietung betrifft. Das heißt, es muss zum einen gesehen werden, „daß sich sowohl das Vergangene aus der Gegenwart und der antizipierten Zukunft konstituiert als auch die Gegenwart aus dem Vergangenen und dem Zukünftigen" (ebd.: 17). Zum anderen gehen Ereignetes, Erlebtes und Erzähltes ineinander über, d.h. Die erzählte Lebensgeschichte konstituiert sich wechselseitig aus dem sich dem Bewußtsein in der Erlebnissituation Darbietenden [...] und dem Akt der Wahrnehmung [...], aus den aus dem Gedächtnis vorstellig werdenden und gestalthaft sedimentierten Erlebnissen [...] und dem Akt der Zuwendung in der Gegenwart des Erzählens (ebd.: 20). Bei der Interpretation erzählter Lebensgeschichte und somit im weiteren Sinne bei der Verwendung biographisch erhobener Daten als historischen Quellen ist also zu berücksichtigen, dass sich die Sinnhaftigkeit einzelner Teile einer biographischen Selbstrepräsentation nur in ihrer Beziehung zum jeweils dargebotenen Gesamt„text" erschließen lässt (ebd.: 22) und dass die biographische Selbstrepräsentation kein historisches „Rohmaterial" liefert, sondern ein organisierter und gestalteter „Text" ist. Eine Analyse erzählter Lebensgeschichte muss den Gestaltungsprozess bei der Prä-
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sentation und die Gestaltetheit der zeitlichen und thematischen Verknüpfungen thematisieren (ebd.: 23). Dies bedeutet auch zu berücksichtigen, dass Erinnerungen durch spätere Erlebnisse, Gespräche mit anderen überformt sowie zur Klärung der eigenen Rolle im gesellschaftlichen Umfeld und in der Geschichte zum Teil intentional verändert werden.15 Der eng gesteckte zeitliche Rahmen des Forschungsaufenthaltes erlaubte es nicht, eine zweite Interviewrunde mit den betreffenden Veteranen anzuschließen, was insbesondere einer Vertiefung und Problematisierung „schwieriger" Gesprächsthemen förderlich gewesen wäre. Zeitknappheit verhinderte es auch, über die unmittelbare Zielgruppe hinausgehende Kontakte z.B. zu Ehefrauen und Kindern von Veteranen zu knüpfen, deren Zeugnisse die hier zugrunde gelegten Selbstporträts in vielerlei Hinsicht kontextualisiert, d.h. ergänzt, korrigiert oder ihnen andere Farbgebungen verliehen hätten. Eingedenk dieser Vorbehalte lassen sich auf der Grundlage der Lebensberichte voltaischer/burkinischer Veteranen Prozesse der Erfahrung und Aneignung von Geschichte auf der Mikroebene rekonstruieren. Die so gewonnenen Daten werden dann in einem weiteren Schritt mit - zumeist schriftlichen - Zeugnissen „anderer" kontrastiert und mit Hilfe der Ergebnisse der Archivforschung16 im historischen Kontext der 1930er bis 1960er Jahre diskutiert, wie die folgende Übersicht des Aufbaus der Arbeit zeigt. Im ersten Kapitel über die Semantik der Zwänge wird die französische Rekrutierungspraxis in den afrikanischen Kolonien vor dem Hintergrund des indigenat dargestellt und damit verdeutlicht, wie sich der Militärdienst in den Zusammenhang der kolonialen „In-Wert-Setzung" natürlicher und menschlicher Ressourcen einordnete. Die Erfahrung von Zwang und Gewalt setzte sich auf Seiten der Rekruten auch innerhalb der Armee fort, wo sie weiterhin einer nach Hautfarbe und politischem Status als koloniale Untertanen unterscheidenden Behandlung ausgesetzt waren, dennoch aber unter bestimmten Bedingungen über Aufstiegschancen verfügten. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Erinnerungen von Veteranen an Landschaften und Orte ihrer „Reise durch den Krieg" sowie an die in diesem Zusammenhang geknüpften Beziehungen. Hier geht es kaum um Kriegsverläufe und „Schlachtenberichte", sondern vielmehr darum, wie Wahrnehmungen und Erfahrungen von Räumen sowie von Begegnungen
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mit „anderen" - Franzosen und Französinnen, Deutschen, ( A f r o a m e rikanern, Afrikanern etc. - dargestellt, welche Wir-Gemeinschaften identifiziert werden und wie sich daran eine Ausdifferenzierung von Selbst- und Fremdwahrnehmungen verdeutlicht. Diese Analyse basiert im Wesentlichen auf den mündlichen Lebensberichten burkinischer, senegalesischer und ivorischer Veteranen des Zweiten Weltkriegs; ergänzt um schriftliche Memoiren afrikanischer Soldaten und Offiziere, Erfahrungsberichte französischer Offiziere, welche Tirailleurs-Einheiten befehligten, und das schriftliche Zeugnis einer Französin, die als marraine (Patin) und RotKreuz-Delegierte enge Kontakte zu afrikanischen Soldaten und Kriegsgefangenen unterhielt. Die im ersten und zweiten Kapitel rekonstruierten Handlungs- und Verhaltensmodi sowie Selbst- und Fremdrepräsentationen werden im zweiten Teil der Arbeit wieder aufgenommen, der sich mit der Reintegration in den spätkolonialen Alltag und mit postmilitärischen Lebensverläufen auseinandersetzt. Sie bilden gewissermaßen den „Wissensvorrat", den sich die temporären Migranten im Zuge ihrer „Reise durch den Krieg" auf dem Wege des Erfahrungslernens angeeignet haben und mit dem sie in der Folge zum einen auf ihre nähere familiäre und weitere soziale Umgebung einwirkten, mit dem sie zum anderen aber auch versuchten, ihre Kriegserfahrungen zu bewältigen und sich einen ihnen „angemessenen" Platz in einer Situation des Übergangs zu sichern. In den Kapiteln drei, vier und fünf werden die verschiedenen Aspekte dieses komplexen Prozesses transkultureller Übertragung und Übersetzung sowie der Selbstzusammensetzung (bricolage) thematisiert. Zunächst werden im dritten Kapitel Demobilisierung und Repatriierung der Kombattanten diskutiert, die sich bei sehr vielen Veteranen bis heute mit dem Massaker im Übergangslager von Thiaroye bei Dakar 1944 verbinden. Das Augenmerk gilt dabei insbesondere den ehemaligen Kriegsgefangenen der Deutschen, deren Rückkehr ins Koloniale durch singuläre politische Aktivitäten gekennzeichnet war. Das vierte Kapitel zeigt Veteranen als have beens, die ihren Wissensvorsprung und ihre Weitläufigkeit geltend gemacht und als Vorreiter für Urbane Lebensstile, Kulturpraktiken und Konsummuster gewirkt haben. Es zeigt sie aber auch als statusbewusste soziale Aufsteiger, die zum einen auf
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„traditionelle" Verhaltens- und Wertmuster zurückgriffen, um sich zu reintegrieren, zum anderen mit dem Engagement für die Schulbildung ihrer Söhne und Töchter eine nachhaltige Investition in die Zukunft getätigt haben. Das fünfte Kapitel thematisiert, wie westafrikanische Veteranen im spätkolonialen Kontext der 1940er und 1950er Jahre nicht nur zu Adressaten für Wahlkampagnen und Massenveranstaltungen seitens politischer Parteien und Gewerkschaften geworden, sondern auch selbst als politische Interessengruppe in Erscheinung getreten sind, welche ihre Forderungen nach politischer Mitbestimmung und Freisetzung von kolonialen Zwängen ausagierte. Aufgrund ihrer konfligierenden Loyalitätsverpflichtungen gegenüber Frankreich, seiner Armee und einem werdenden Staat mit ungewissen Konturen - sowie ihrer ungeklärten Renten- und Pensionsansprüche wurden sie dabei zu einer potentiell einflussreichen, aber auch in gleichem Maße beeinflussbaren Gruppe. Auf vergleichbare Weise waren Veteranen auch in die Beziehungen zwischen Bevölkerung, lokalen Machtträgern und Kolonialverwaltung verflochten und lassen sich demzufolge in wechselnden Rollen als Intermediäre und Schlichter, Parteigänger sowohl der einen wie der anderen Seite oder auch als Anwärter auf eine eigene Position im Machtgefüge wieder finden. Wie oben bereits angemerkt, ist es nicht Zielsetzung dieser Arbeit, eine Verlaufs- oder Ereignisgeschichte des Zweiten Weltkriegs aus der Perspektive westafrikanischer Soldaten zu schreiben. Leserinnen seien diesbezüglich auf die entsprechenden Kapitel in Echenbergs Gesamtdarstellung (Echenberg 1991: 70-104) verwiesen. Hier handelt sich vielmehr darum, Erinnerungen voltaischer Kriegsveteranen zu kontextualisieren, d.h. die im Prozess des Erinnerns thematisierten individuellen und Gruppenerfahrungen ihrer Reise durch den Krieg (Teil I) bzw. ihres spätkolonialen Alltags (Teil II) zu rekonstruieren. Während sich die Darstellung dabei soweit wie möglich an der raumzeitlichen Abfolge orientiert, also den Weg der Männer in die Armee, ihre Dienstzeit, Kriegseinsätze, Rückkehr, Demobilisierung sowie ihr postmilitärisches Zivilleben nachzeichnet, so sind die Voraussetzungen für eine gruppenbiographische Studie im engeren Sinne indes nicht gegeben. Das heißt, die Quellenlage erlaubt es nicht (mehr), die Erfahrungen einer bestimmten Gruppe von Soldaten etwa
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desselben Jahrgangs, aus derselben Kolonie oder Region zu rekonstruieren. Dargestellt werden können also jeweils nur Arten von Erfahrungen, individuelle Erfahrungen und Erinnerungen ehemaliger Soldaten aus verschiedenen Gruppen, auf deren Grundlage dann eine breitere Deutung versucht wird. Ist es also grundsätzlich nicht möglich, die Geschichte einer spezifischen Gruppe von Soldaten zu erzählen, so lassen sich die hier präsentierten, aus verschiedenen Datensammlungen zusammengetragenen Zeugnisse gleichwohl gewichten und in einen Sinnzusammenhang stellen. Dieser erschließt sich in der Zusammenschau der aufeinander folgenden Kapitel dieser Arbeit, mit der gewissermaßen ein Kreis geschlagen, eine über verschiedene Stationen wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrende Bewegung nachgezeichnet wird. Gilt die Aufmerksamkeit zunächst dem Herkunftsmilieu der Rekruten im kolonialen Obervolta (Kapitel 1), so weitet sich der Blick dann auf westafrikanische Angehörige des multikulturellen Mikrokosmos der französischen Armee, deren Parcours über verschiedene Stationen in Übersee (Kapitel 2) bis zur Rückkehr in die Kolonie er verfolgt (Kapitel 3), um sich schließlich wieder auf voltaische Kriegsteilnehmer und deren postmilitärische Aktivitäten zu verengen (Kapitel 4 und 5). Um der fragmentarischen Datenbasis, der Pluralität von Akteuren, Schauplätzen und Abläufen Rechnung zu tragen, wurde auf der Ebene der Darstellung weitgehend auf die - die Einheit von Raum, Zeit und Handlung postulierende - historische Erzählung verzichtet und stattdessen die Montage als Strukturprinzip dieser Arbeit gewählt. Um jedoch den Weg der afrikanischen Soldaten, ihre „Reise durch den Krieg" leichter nachvollziehbar zu machen sowie die Äußerungen von Veteranen stärker in ihren unmittelbaren Zusammenhang zu rücken, soll folgender Überblick über die Geschichte der Regimenter der Tirailleurs Sénégalais und die Stationen, durch die afrikanische Soldaten gegangen sind, Leserinnen vorab als „roter Faden" an die Hand gegeben werden. *
Die von General Faidherbe 1857 in der französischen Kolonie Senegal begründeten - zunächst aus etwa 500 freigekauften Sklaven bestehenden -
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afrikanischen Einheiten der „Senegalschützen" wurden bis 1912 hauptsächlich als leichtbewaffnete Infanteristen zur Eroberung, „Befriedung" und Besetzung der nord- und westafrikanischen Territorien (Senegal, Soudan, Obervolta, Marokko) sowie Madagaskars eingesetzt (Echenberg 1991: 7-24). Mit der Ausbreitung der französischen Kolonialimperiums wuchs die kosmopolitische Zusammensetzung der Regimenter der Tirailleurs Sénégalais; zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren in ihnen vornehmlich Bamanan (Bambara) aus Soudan und Moose (Mossi) aus Obervolta vertreten (Lawler 1988: 29). Diese „Freiwilligen"- bzw. Söldnerarmee, deren Gesamtstärke sich in der AOF 1904 auf etwa 9 000 belief (ebd.: 7), wurde im Zuge der 1912 verordneten partiellen Wehrpflicht für afrikanische Kolonialuntertanen in eine Konskriptionsarmee umgewandelt. Damit schuf man nicht nur die Voraussetzungen für eine quantitative Erweiterung 1914 standen rund 17 300, 1920 bereits 48 000 Westafrikaner unter französischer Fahne (ebd.) - , sondern leitete auch ein Novum ein, für das eine Reihe prominenter Militärs um Oberstleutnant Charles Mangin seit Ende des 19. Jahrhunderts geworben hatten: die vermeintlich „kriegerischen Rassen" der westafrikanischen Savanne als „Wunderwaffe" gegen die Deutschen einzusetzen (Koller 2001: 64-74, Lunn 1999b). Weitgehend ungenannt, aber gleichfalls in den RTS präsent waren auch die in der AEF - Kongo, Gabun, Tschad, Oubangui-Chari - sowie an der Somaliküste rekrutierten Soldaten.17 Mehr als 134 000 dieser aus sämtlichen subsaharischen Kolonien Frankreichs zusammengezogenen Tirailleurs Sénégalais kämpften zum Teil an vorderster Front in den Schlachten des Ersten Weltkriegs - in Flandern, an der Somme, in Verdun, an der Aisne/Chemin des Dames, in Reims, an den Dardanellen und in Mazedonien. „Senegalschützen" waren darüber hinaus auch zur Eroberung der deutschen Kolonien Togo und Kamerun eingesetzt (Rives & Dietrich 1993: 12-115). Ungefähr 30 000 von ihnen starben an der Front und in den Schützengräben oder fielen deutschem Giftgas, Lungenerkrankungen und Erfrierungen zum Opfer. Ab Oktober 1915 zog man die Afrikaner während der Wintermonate von den Fronten ab und verbrachte sie zur hivernage in die Garnisonen Fréjus und Arcachon (siehe Kapitel 2 - Militärische Einrichtungen und Transitzonen).
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Während die Präsenz afrikanischer Soldaten in den Interventionstruppen der Entente im russischen Bürgerkrieg sowie - in Umsetzung des Versailler Vertrages - als Teil der französischen Besatzungstruppen in Istrien und Südungarn kaum Aufsehen erregte, wurde die Stationierung von etwa 5000 „Senegalesen" in den linksrheinischen deutschen Gebieten in den 1920er Jahren zum Skandalon (Koller 2001: 201-205). Eine breite Koalition aus deutschnationalen, völkischen, liberalen bis hin zu sozialdemokratischen Kräften setzte die - über diplomatische Kreise weltweit verbreitete - Propagandakampagne der „Schwarzen Schmach" in Umlauf, in der vereinzelte Übergriffe von Angehörigen der Rheinlandarmee zu Horrorszenarien „aufgeblasen" und als deren Akteure mordende, vergewaltigende und das deutsche Volk systematisch verseuchende „Negerhorden" bezichtigt wurden (ebd.: 207-261; Nelson 1970; Martin 1996). Unter den verheerenden Auswirkungen dieser bis 1930 virulenten Kampagne hatten im NS-Staat zum einen die „Rheinlandbastarde" - Kinder aus Verbindungen „nicht-weißer" Besatzungssoldaten und deutscher Frauen18 sowie andere, sämtlich als „Negerbastarde" bezeichnete Afro- und Asiendeutsche zu leiden, von denen viele zwangssterilisiert und/oder in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden (Pommerin 1979; Panzacchi 1989; Bile 2005). Darüber hinaus legte diese Kampagne mit großer Wahrscheinlichkeit auch einen Grundstein für die spätere unmenschliche Behandlung afrikanischer POWs in den Stalags und Frontstalags der Deutschen (siehe Kapitel 2 - Die Front und ihr Jenseits). Ab 1919 wurde die gesetzlich verankerte allgemeine dreijährige Wehrpflicht für Afrikaner aus den französischen Kolonien zu einem Baustein der kolonialpolitischen Doktrin einer mise en valeur menschlicher und natürlicher Ressourcen. Auf der Grundlage eines auf alle Territorien der AOF angewandten Quotensystems sorgten jährliche Rekrutierungen von 10-12 000 jungen Männern für die Fortdauer der westafrikanischen Armee Frankreichs (Echenberg 1991: 47-69); in analoger Weise verfuhr man in Algerien und Marokko, in den Territorien der AEF sowie auf Madagaskar. In der Regel legten die Rekruten den Weg zur nächstgelegenen Kaserne, wo sie ihre sechsmonatige Grundausbildung zu absolvieren hatten, zu Fuß zurück; ihre Versorgung während des Transits fiel der lokalen Bevölkerung anheim.
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Die wichtigsten Garnisonen der AOF befanden sich in Kati, Kayes, Bamako (Kolonie Soudan), Abidjan (Côte d'Ivoire), Kindia (GuinéeConakry), Dakar, Saint-Louis (Sénégal) und Zinder (Niger), später ebenfalls in Ouagadougou und Bobo-Dioulasso (Haute-Volta). Über Dakar (siehe Abb. 1) wurden westafrikanische Soldaten nach Nordafrika verschifft, wo sie in der Zwischenkriegszeit u. a. in den Garnisonen von Casablanca, Rabat, Marrakesch, Meknes und Fes (Marokko), Oran, Algier, Philippeville und Biskra (Algerien), La Goulette, Tunis, Sousse, Sfax und Gabès (Tunesien) stationiert waren (Rives & Dietrich 1993: 121). In Marokko wurden Tirailleurs Sénégalais zur Niederschlagung des Aufstandes der Rif-Kabylen in den 1920er und frühen 1930er Jahren, in der Levante zur Sicherung der französischen Mandatsgebiete Libanon und Syrien eingesetzt (Clayton 1988: 106-119; Bouche 1991: 64; 92-94; 326-328). Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs belief sich die Gesamtstärke der in Nordafrika stationierten „senegalesischen" Kontingente auf drei Divisionen, d.h. auf mehr als 30 000 Mann (Rives & Dietrich 1993: 123, vgl. Schema 1: Aufbau und Kommandostruktur der RTS, im Anhang). Rund 30 000 subsaharische und madagassische Kombattanten - in sechs Tirailleurs-Regimentern und sechs Regimentern der Kolonialartillerie zusammengefasst - waren bereits in der Metropole stationiert (siehe Karte 2), als die französische Regierung am 2. September 1939 die Generalmobilmachung anordnete. Grob geschätzte 100 000 Männer wurden allein in der AOF vom Kriegsbeginn bis zur Kapitulation Frankreichs im Juni 1940 mobilisiert; etwa 75 Prozent von ihnen standen während der deutschen Offensive im Mai 1940 an der Aisne, in den Argonnen und an der Somme den deutschen Panzerdivisionen gegenüber bzw. nahmen im Juni 1940 an den verlustreichen Rückzugsgefechten an der Maas, an der Loire - und in den letzten Kriegstagen um Chartres und Lyon - teil (Echenberg 1991: 92-94; Rives & Dietrich 1993: 139-190).
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Abb. 1: Afrikanische Soldaten vor ihrer Abreise nach Frankreich auf der Pier des Hafens von Dakar, 1939
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Mehrere zehntausend Tirailleurs Sénégalais gerieten dabei in deutsche Kriegsgefangenschaft (siehe Kapitel 2 - Ausgrenzungen - Gefangenschaftserfahrungen) und wurden überwiegend in Frontstalags im nördlichen Teil Frankreichs interniert. Eine bislang nicht genau zu ermittelnde Zahl dieser POWs starben infolge außerordentlich harter Haftbedingungen oder fielen rassistisch motivierter „Spezialbehandlung" zum Opfer - nach vorsichtigen Schätzungen betrug die Gesamtzahl der 1939/40 gefallenen oder in Haft gestorbenen Afrikaner 17 500 (Echenberg 1991: 88). Insgesamt etwa 100 000 west- und zentralafrikanische Soldaten kämpften in den Verbänden der Forces Françaises Libres (FFL); 20 000 von ihnen gehörten 1944 den Alliierten Landungstruppen zur Befreiung Frankreichs und Europas vom Faschismus an (ebd.); eine unbekannte Zahl flüchtiger afrikanischer POWs aus den Frontstalags schließlich engagierte sich in den Reihen der Résistance (Forces Françaises de l'Intérieur, FFT). Subsaharische und nordafrikanische Soldaten stellten somit nicht nur zahlenmäßig das Hauptkontingent der Truppen de Gaulies,19 sondern waren an fast allen prominenten Schlachten und Landemanövern der Alliierten beteiligt - vom Feldzug zur Befreiung Äthiopiens 1940, der Einnahme von Kufra 1941 über die Feldzüge gegen das deutsche Afrikakorps in Libyen 1942 und Tunesien 1942/43, die Landungen in Korsika und Elba im Juni 1944 sowie in der Provence im August 1944 bis zu den Schlachten im Elsass und Jura von September bis November 1944 (Rives & Dietrich 1993: 196-279). Aufgrund harscher Witterungsbedingungen - so die offizielle Lesart - und innenpolitischer Erwägungen wurden die „Senegalesen" nördlich von Beifort Mitte November 1944 gegen junge französische Rekruten ausgetauscht (blanchissement). Einer kurzen Phase öffentlicher Ehrenbekundungen für die afrikanischen Befreier der mère-patrie folgte ein schleppender Prozess der Repatriierung und Demobilisierung, gekennzeichnet durch lange Aufenthalte in französischen Übergangslagern unter prekären Bedingungen. Spontane Unmutsäußerungen und Proteste gegen Ungleichbehandlung gipfelten im Dezember 1944 im Aufstand afrikanischer Kriegsheimkehrer im Transitlager von Thiaroye bei Dakar, der mit Waffengewalt niedergeschlagen wurde (Echenberg 1978, siehe im Folgenden auch Kapitel 3).
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Die Situation nach 1945 war gekennzeichnet durch die ungebrochene Kontinuität der out of ami-Einsätze afrikanischer Truppenkontingente zum einen, durch Reformierung und Professionalisierung der afrikanischen Armee Frankreichs zum anderen (Echenberg 1991: 105-126). Im unmittelbaren Anschluss an den Zweiten Weltkrieg begann die lange Serie militärischer Operationen gegen antikoloniale Bewegungen im französischen Kolonialimperium bzw. dessen Einflussgebieten: in Libanon und Syrien 1945 (Bouche 1991: 408-411), Indochina 1945-1954, Madagaskar 19471949, im Protektorat Marokko 1951-1955 (Clayton 1994: 93-108; Bouche 1991: 432-436), Algerien 1954-1962 sowie diverse Interventionen in Ka20
merun, Niger und Mauretanien 1958-1964. Im Gegensatz zu ehemaligen Weltkriegskombattanten aus Indochina, Madagaskar und Algerien, von denen sich mitunter beträchtliche Teile aufseiten der Aufstands- und Nationalbewegungen engagierten, blieben nach bisherigem Kenntnisstand die in all diesen Kriegs- und Kampfszenarien präsenten West- und Zentralafrikaner der französischen Armee loyal verbunden (vgl. Clayton 1994: 75, Maghraoui 2000: 66).21 Die Gesamtzahl der im Indochinakrieg eingesetzten subsaharischen Soldaten belief sich auf etwa 60 000, von denen 78 Prozent aus den Territorien der AOF stammten (so Bodin 1998: 123 f.).22 Grob geschätzt wurden insgesamt etwa 18 000 Soldaten zur Aufstandsbekämpfung in Madagaskar eingesetzt (Tronchon 1986: 62 ff.); der Anteil afrikanischer - nord- und westafrikanischer, komorischer und madagassischer - Truppenkontingente dürfte bei 30-40 Prozent gelegen haben.23 Rund 15 000 Männer aus Westund Zentralafrika kämpften schließlich aufseiten der französischen Armee gegen die algerische Befreiungsbewegung (Clayton 1994: 120 f.).24 Auf der Grundlage der von Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg eingeleiteten Armeereform wurden das stehende subsaharische Heer zwischen 1946 und 1960 sukzessive auf insgesamt 34 000 Mann reduziert was in etwa einem Rückgang der jährlichen Rekrutierungen von ehedem 12 000 auf durchschnittlich 4000 Soldaten entsprach - und berufliche Ausbildungsgänge sowie finanzielle Anreize geschaffen, mit denen man den Aufbau einer effizienten, modernen Truppe freiwilliger Berufssoldaten anstrebte (Echenberg 1991: 108; 112-117). Gleichzeitig hatten Afrikaner gemäß der ihnen per Verfassung der 1946 gegründeten Union Française
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garantierten Rechte erstmals die Möglichkeit, militärische Einsätze zu verweigern (ebd.: 116).25 Abgesehen davon, dass sich die Umsetzung der Reformen vor dem Hintergrund des hohen Bedarfs an Soldaten für den Indochinakrieg sehr schleppend gestaltete und im Falle der Reduzierung der Rekrutenkontingente erst ab 1955 spürbar wurde (ebd.: 110), entsprachen auch die in der „neuen" Armee erworbenen beruflichen Qualifikationen von Afrikanern nur in sehr begrenztem Umfang den Anforderungen der zivilen wie militärischen Moderne: Vergleichsweise viele verließen die Armee als Fahrer, Köche und Wachmänner; nur wenige konnten sich später als Schlosser, Mechaniker, Elektriker oder Funker eine zivile Existenz aufbauen (ebd.: 115). Hatte sich der Aufstieg in die Ränge bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs für die meisten subsaharischen Soldaten auf die Unteroffizierslaufbahn beschränkt, so sollte mit dem Aufbau eines afrikanischen Offizierkorps eine - unter dem Einfluss der Blockbildungen des Kalten Krieges als zunehmend problematischer empfundene - Lücke geschlossen werden: Noch 1946 standen, alle Einheiten der Tirailleurs Sénégalais zusammengenommen, 558 europäischen Offizieren ganze 28 afrikanische gegenüber (ebd.: 118). Unter dieser Prämisse wurden zunächst ab 1945 die in den 1920er Jahren vorrangig für die Söhne der afrikanischen Weltkriegsveteranen eingerichteten Primarschulen, die Écoles des Enfants de Troupe, zu militärischen Kadettenanstalten, Écoles Militaires Préparatoires Africaines, ausgebaut. Während die Abgänger dieser in Saint-Louis (Sénégal), Bingerville (nahe Abidjan, Côte d'Ivoire), Ouagadougou (Haute-Volta) und Kati (Soudan) befindlichen Fachschulen dank verbesserter Curricula verstärkt in die „erste Kategorie" des Unteroffizierskorps aufrückten - wo der Anteil von Afrikanern, welche dieselben Ausbildungsgänge besuchten wie ihre metropolitanen Kameraden, Mitte der 1950er Jahre bereits auf 30 Prozent angestiegen war - , erwies sich die - spät beschlossene - Afrikanisierung des Offizierkorps als weitaus schwieriger zu realisierende Option. 1956 wurde in Fréjus die École de Formation des Officiers Ressortissants des Territoires d'Outre-Mer (EFORTOM) eröffnet, die - über die staatliche Unabhängigkeit der ehemaligen afrikanischen Kolonien Frankreichs hinaus - bis Ende 1965 bestand. Ingesamt 174 Anwärter aus Franzö-
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sisch-Westafrika absolvierten hier eine zweijährige Offiziersausbildung (ebd.: 122-126). Während eine ganze Reihe der voltaischen Absolventen der EFORTOM (später EFORTDM) als aktive hohe Offiziere später die unruhige politische Geschichte des unabhängigen Staates mitgeprägt haben, markierte die im August 1960 erlangte staatliche Souveränität Obervoltas für das Gros derer „qui ont tiré ailleurs", wie sich die ehemaligen Mannschaftssoldaten mitunter scherzhaft selbst bezeichnen, das Ende ihrer militärischen Laufbahn.
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(Das hat mir gut getan, es erlaubte mir, europäische Länder kennen zu lernen und hat mir das Leben erleichtert. Wäre ich vielleicht nicht in der Armee gewesen, wer glaubt, was dann aus mir geworden wäre, ein großer Bauer im Dorf oder vielleicht ein Vorarbeiter im Straßenbau ... Aber so geht's mir heute gut ...) G.G., ehemaliger Oberfeldwebel, Jahrgang 1947, im Interview vom 16.3.1999 in Bobo-Dioulasso (Diese sowie alle folgenden Übersetzungen der Interviewtranskripte ins Deutsche wurden, soweit nicht anders angegeben, von mir besorgt). Im Februar/März 1999 habe ich in Zusammenarbeit mit Émile Adama Ky - Sohn eines Weltkriegsveteranen - , der mir als Forschungsassistent, Übersetzer und Transkribent zur Seite stand, 25 Interviews mit burkinischen Weltkriegs-, Indochina- und Algerienveteranen sowie zivilen Zeitzeugen in der Hauptstadt Ouagadougou und in BoboDioulasso im Südwesten des Landes durchgeführt. Im Mai 1999 trug Herr Ky dann weitere 18 Lebensberichte von Kriegsveteranen aus dem ländlichen Einzugsgebiet von Tougan und Torna (Westregion) zusammen (siehe Liste im Anhang). Fünf ausgewählte Interviewtranskripte sind im Anhang zu dieser Studie dokumentiert. Aus Gründen des Datenschutzes wurden alle der von uns geführten Interviews, mit Ausnahme des Gesprächs mit Professor Ki-Zerbo, anonymisiert. Ein Exemplar des vollständig transkribierten Interviewkorpus wird dem Département d'Histoire et d'Archéologie der Universität Ouagadougou übergeben. Eine vergleichende Zusammenschau dieser „Fremdeinsätze" aus sozialund kulturhistorischer Perspektive stand im Mittelpunkt der im Juni 1999 von Prof. Dr. Gerhard Höpp und mir am Zentrum Moderner Ori-
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Einführung ent organisierten Arbeitstagung „Afrikaner und Asiaten in europäischen Kriegen bis 1945". Zu Beiträgen und Diskussion siehe Höpp & Reinwald 2000. Zur Problematik dieser diskursiven „post"-Großkonzepte und den von ihnen ausgehobenen „Fallgruben" siehe McClintock 1993, die zu Recht auf die Gefahr neuerlicher linearer Betrachtungsweisen und vorschneller Generalisierung hinweist. So der Titel des hierzulande zwischen 1992 und 1998 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten multidisziplinären Großprojekts für Graduierte und Postgraduierte der Sozial- und Geisteswissenschaften, über dessen Ergebnisse mittlerweile die ersten Veröffentlichungen vorliegen. Für den Bereich afrikanischer Geschichtsforschung siehe u. a. Eckert & Krüger 1998; Wirz et al 2003. Das Konzept der Transkulturation geht auf den kubanischen Soziologen Fernando Ortiz zurück, der es in Contrapunto Cubano, seiner 1947 erschienenen Studie zur afrokubanischen Kultur, erstmals anwendete. In ihrer exemplarischen Untersuchung europäischer Reise- und Entdeckungsberichte von der Aufklärung bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bedient sich Mary Louise Pratt (1992) dieses Konzepts, um zu zeigen, wie in diesen Texten für ein europäisches Publikum der „Rest der Welt produziert" wird und wie sich die „Entdeckten" ihrerseits Genre und Repertoire aneignen, um „zurück zu schreiben". Anstatt von „Herrschaftsverhältnissen" zu sprechen, übernehme ich hier Lüdtkes Definition des „Kräftefeldes": „Das ,Kräftefeld' ermöglicht und begrenzt zugleich das Handeln derjenigen, die Herrschaft reklamieren oder praktizieren; es reguliert aber auch das Handeln derer, die sich als Beherrschte behandelt sehen [...]. Das Kräftefeld meint jene Ressourcen, die Akteure, d.h. einzelne, Kleingruppen und gesellschaftliche Klassen nutzen oder vergeben" (Lüdtke 1991: 18). Hier führe ich lediglich die zur Geschichte der Tirailleurs Sénégalais, also der subsaharischen Kontingente, erschienenen Gesamtdarstellungen und Fallstudien auf. Algerische, marokkanische und vietnamesische Einheiten bleiben dabei unberücksichtigt. Aufsätze und Beiträge in Sammelbänden, die sich mit einzelnen Aspekten befassen, werden jeweils in den folgenden Kapiteln besprochen. Les conséquences de l'appel à l'Afrique. Le devenir des anciens combattants dans l'empire colonial français 1945-1958. Aix-en-Provence (Université de Provence, Institut d'Histoire des Pays d'Outre-Mer). The Tirailleur Elsewhere: military vétérans in colonial and postcolonial Mali, 1918-1968 (Dissertationsarbeit Northwestern University Evanston). Mit dieser Studie, deren Fragestellungen sich in vielerlei
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Hinsicht mit meiner Herangehensweise decken, werde ich mich im Folgenden eingehender beschäftigen (siehe vor allem Kapitel 2 und 5). Darüber hinaus habe ich während meines Forschungsaufenthaltes in Burkina Faso im Frühjahr 1999 festgestellt, dass am Département d'Histoire et d'Archéologie der Universität Ouagadougou in den letzten Jahren mehrere ausgezeichnete Magisterarbeiten zum Thema angefertigt worden sind, in denen Archivquellen und mündliche Zeugnisse aus diversen burkinischen Regionen verarbeitet wurden, so z.B. Bayili 1986/87; Kouraogo 1989/90; Traoré 1988/89 und Sanou 1992/93. Die späte Aufmerksamkeit ist wohl in erster Linie auf das sehr negative Image zurückzuführen, welches diese Gruppe in den 1960er und 1970er Jahren hatte. Zu den „Kollaborateuren" und „Söldnern" der ehemaligen Kolonialmacht hielt eine den progressiven Kräften des nation building zugewandte Forscherinnengemeinde damals gebührenden Abstand. Siehe dazu bereits die dezidierte - allerdings vorrangig an die Arbeit mit oralen Traditionen adressierte - Warnung von Adam Jones 1990. Zur Quellenproblematik der Geschichte Westafrikas 1450-1900. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 1990, S. 135-161; sowie die grundsätzliche Kritik von Welzer (2000) an der auf Interviews gestützten Zeitzeugenforschung. Zum Konzept des narrativen Interviews, das von der mikroanalytisch ausgerichteten interpretativen Sozialforschung entwickelt wurde, siehe Schütze (1976; 1987) und Rosenthal (1995). Das „Bayreuther" Material wurde mir von Herrn Prof. Dr. Jänos Riesz freundlicherweise zur Verfügung gestellt; die Transkriptionen der ivorischen Interviews sind abgedruckt im dreibändigen Manuskript von Lawlers Dissertationsarbeit, Soldiers of Misfortune: The Tirailleurs Sénégalais of the Cote d'Ivoire in World War Two. Northwestern University Evanston 1988 (Mikroverfilmung UMI, Ann Arbor, Nr. 8823001). Für die großzügige Erlaubnis, ihr Material zu verwenden, danke ich der Verfasserin. Natürlich sind über diese textstrukturierenden Merkmale hinaus auch die erinnerter Erfahrung allgemein anhaftende Vagheit der Datierung von Erlebtem, die retrospektiven Verkürzungen und „Beschönigungen" sowie der Kontext der Interviewsituation - darunter die relative Distanz zwischen Interviewerin und Interviewten und die Standortgebundenheit - zu berücksichtigen. In den Archiven des Centre des Archives d'Outre-Mer (im folgenden CAOM) in Aix-en-Provence, die dem Musée des Troupes de Marine angeschlossenen Archivbestände des Centre d'Histoire et d'Etudes des Troupes d'Outre Mer (CHETOM) in Fréjus, den Archives Nationales
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Einführung du Sénégal (ANS) sowie im Mutterhaus der Pères Blancs, dem Archivio Generale di Missionari di Africa (AGMA) in Rom. Dieser französische katholische Orden hat u. a. im Westen und Südwesten Obervoltas seit Beginn der 1920er Jahre mehrere Missionsstationen unterhalten; eine Auswertung der jeweiligen Missionstagebücher gibt aufschlussreiche Einblicke in den gesellschaftlichen Alltag dieser Region. In Burkina Faso wurden die Archive des Centre National de la Recherche Scientifique et Technologique (CNRST) in Ouagadougou sowie die Archives du Haut-Commissariat (AHC) in Bobo-Dioulasso konsultiert. Quantitativ gesehen war die Präsenz zentralafrikanischer Soldaten in den RTS während der gesamten Zeit vergleichsweise gering. So standen z.B. den 1914-1918 insgesamt rekrutierten 165 229 Männern aus der AOF lediglich 17 910 aus der AEF gegenüber. Gründe dafür waren die weitaus niedrigere Bevölkerungsdichte sowie der allgemein schlechtere Gesundheitsstand zentralafrikanischer Bevölkerungen (vgl. Dubois 1996: 55). Obwohl die subsaharischen Einheiten der RTS einen beträchtlichen Teil der kolonialen Truppenkontingente Frankreichs stellten, sollten die zahlenmäßig noch stärkeren maghrebinischen 77railleurs-Verbände hier keinesfalls vergessen werden. Vgl. diesbezüglich den Überblick von Clayton (1988: 244-306). Zu algerischen Soldaten im Ersten Weltkrieg siehe Meynier 2000 sowie die Gesamtdarstellung von Recham 1996. Zu marokkanischen Truppenkontingenten siehe Maghraoui 2000 sowie auch dessen bislang unveröffentlichte Dissertationsschrift Moroccan Colonial Troops: History, Memory and the Culture of French Colonialism (University of California, Santa Cruz, California 2000). Über die Tirailleurs Malgaches liegt bislang lediglich die bereits genannte Untersuchung von Valensky (1995) vor. Laut Statistik belief sich die Gesamtzahl unehelicher, von Besatzungssoldaten an Rhein und Ruhr gezeugter Kinder auf 3841. Davon wurden als Väter genannt: 1851 US-Amerikaner, 989 Briten, 767 Franzosen, 199 Belgier und 15 farbige [sie!] französische Kolonialsoldaten; 20 Vaterschaften blieben unklar (Steegmans 1999: 223). Schon die außerordentlich niedrige Zahl von 15 weist darauf hin, wie selten engere Kontakte zwischen diesen Kolonialsoldaten und deutschen Frauen überhaupt vorkamen bzw. wie strikt die Kontrolle seitens des französischen Kommandos im Rheinland entgegen propagandistischer Anwürfe tatsächlich gewesen sein mochte (Schlaphoff 2001: 14). Die afrikanischen Verbände der FFL konstituierten sich zum großen Teil aus den nach dem „Debakel" vom Juni 1940 repatriierten Kombattanten, den Soldaten aus den nordafrikanischen Garnisonen sowie
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den neuen Rekruten aus Französisch-Äquatorial- und Westafrika. Während sich die AEF und Kamerun bereits im August 1940 dem „Freien Frankreich" angeschlossen hatten und Brazzaville (Kolonie Congo) zu dessen provisorischer Hauptstadt erklärt wurde, vollzog der Vichy treue Generalgouverneur der AOF, Boisson, erst am 23.11.1942 diesen Schritt. Zur Situation des französischen Kolonialimperiums während des Zweiten Weltkriegs siehe Bouche 1991: 349-374. Zu Beginn des Jahres 1943 waren mit Ausnahme Indochinas die gesamten in Übersee stationierten Kontingente der französischen Kolonialarmee aufseiten der FFL in den Krieg eingetreten (Rives & Dietrich 1993: 201). 20
Weigerts Studie über verschiedene afrikanische Guerillakriege in Afrika nach 1945 enthält ein instruktives Kapitel zur madagassischen Guerilla, in dem gezeigt wird, wie eine rural verankerte, an überkommenen sakralen und politischen Wertmustern orientierte Bewegung zum Teil von ehemaligen Unteroffizieren der französischen Armee in moderner Kriegsführung trainiert und mit Ideen nationalstaatlicher Entwicklung konfrontiert wurde (1996: 9-21). Vgl. kontrastiv dazu das Beispiel der von städtischen Intellektuellen dominierten Guerilla in Kamerun 19561961 (ebd.: 36-48). In beiden Fällen gibt Weigert überdies Anhaltspunkte zu den jeweils eingesetzten kolonialen Truppenteilen der französischen Armee.
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Zum Thema Desertion siehe auch die kürzliche erschienene, auf Interviews mit marokkanischen Überläufern im französischen Indochinakrieg basierende Studie von Delanoë (2002). Diese Gruppe setzte sich zum Teil aus Kriegsgefangenen der Viet Minh, in ihrer überwiegenden Mehrheit aber aus Männern zusammen, die aus freien Stücken, einem Aufruf des marokkanischen Nationalisten Maârouf folgend, auf die Seite der vietnamesischen Befreiungsbewegung wechselten, nach Ende des Krieges dort verblieben, Familien gründeten und erst Ende der 1970er Jahre mit Frauen und Kindern wieder nach Marokko zurückkehren konnten.
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Bodins Recherchen zufolge stellten Guineer mit rund 28 Prozent, Senegalesen mit 20 Prozent und Voltaer mit 8 Prozent die größten Gruppen der Indochinakombattanten (1998: 125). CAOM: Fond privé Moutet, 60 APOM 17 - Madagascar, Dossier 3: Documents sur la situation militaire; 60 APOM 18, Dossier 2: Rapport du commandant supérieur des troupes de Madagascar et dépendances, général Henry Casseville. Die äußerst fragmentarische Archivlage bezüglich der „Ereignisse" auf Madagaskar lässt keine genaueren Aussagen zu. Im Oktober 2002 erschien die mit Spannung erwartete erste integrale
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Untersuchung zur Geschichte der algerischen Befreiungsbewegung von Gilbert Meynier: Histoire intérieure du FLN1954-1962. Paris: Fayard. Dass in der Praxis allerdings nur wenige von ihnen davon Gebrauch gemacht zu haben scheinen, ist wahrscheinlich auf ihre Unkenntnis der Rechtslage oder Befürchtungen zurückzuführen, damit ihr berufliches Fortkommen aufs Spiel zu setzen.
KAPITEL 1
Die Semantik der Zwänge Ziel dieses Kapitels ist es, den Militär- und Kriegsdienst westafrikanischer Männer in der französischen Armee im Zusammenhang einer Geschichte der Arbeit unter kolonialen Bedingungen zu betrachten. Ihre Mobilisierung zur territorialen Erweiterung und Wahrung des Besitzstands der kolonialen mère-patrie sowie zur Verteidigung deren nationaler Integrität wird somit als Teil eines umfassenderen Prozesses begriffen, dessen Erfolg in hohem Maße von der Verfügung über die knappe Ressource Arbeitskraft abhing. Deren Schlüsselrolle im Prozess der mit der kolonialen Eroberung und Herrschaft Frankreichs über die unterworfenen Bevölkerungsgruppen in Westafrika angestrebten ,Jn-Wert-Setzung" natürlicher und humaner Ressourcen und der Installierung eines sie befördernden politischen Ordnungssystems hat insbesondere Babacar Falls Untersuchung des Systems der kolonialen Zwangsarbeit (Fall 1993) ermittelt. In den Studien von Manchuelle (1997) sowie Cordell et al (1996) zur westafrikanischen Arbeitsmigration wurden darüber hinaus demographische Konsequenzen dieser temporären und langzeitlichen Bevölkerungsverschiebungen im westafrikanischen und internationalen Kontext erforscht sowie die enge Verflechtung zwischen der kolonialstaatlich gelenkten und freiwilligen Mobilität westafrikanischer Arbeitskräfte aufgezeigt. Gestützt auf diese Untersuchungen, werden im Folgenden zunächst die territorialen (Re)konfigurationen, die aus der Politik der kolonialen Arbeitsteilung resultierten, am Beispiel der Kolonie Obervolta kurz skizziert sowie die Grundzüge der „French policies that ultimately made migrants of many burkinabé men and women" (Cordell et al 1996: 56) dargelegt. Anschließend wird erörtert, wie sich die verschiedenen Facetten dieses Systems der Zwänge - Besteuerung, Requisition von Arbeitskraft, Rekrutierungen für die Armee - aus der Perspektive von Kolonisierten darstellten und welche Optionen ihnen diesbezüglich angesichts eines mehr oder weniger engmaschigen Netzes politischer Kontrolle und rechtlicher Handhabe seitens der Kolonialadministration und der ihr kooptierten Chefferie offen
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Kapitel 1
standen. Dabei soll insbesondere gezeigt werden, dass neben der „Abstimmung mit den Füßen", d.h. Migrationen in Nachbarregionen oder britische Kolonien, der Militärdienst als vermeintlich kleineres von mehreren Übeln eine solche Option darstellte.
Obervolta - Territoriale Konfigurationen eines Reservoirs kolonialer Arbeitskraft Die mise en valeur der von Frankreich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts eroberten westafrikanischen Territorien folgte einer Doktrin der kolonialen Arbeitsteilung. Im Rahmen einer Strategie der extensiven Nutzung natürlicher und menschlicher Ressourcen wurde unterschieden zwischen - zumeist küstennahen - Gebieten, die sich für den Export orientierten Anbau von Feldfrüchten bzw. die Extraktion von Rohstoffen anboten, und einem kolonialen Hinterland, das als „Reservoir" von Arbeitskräften zur infrastrukturellen Entwicklung Französisch-Westafrikas - Bau von Telegrafennetzen, Eisenbahnlinien, Brücken, Straßen und Pisten sowie zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs in privaten Plantagenbetrieben und in agroindustriellen staatlichen Großprojekten wie dem Office du Niger fungieren sollte. In die zweite Kategorie eingeordnet wurde die „Hinterlandkolonie" Obervolta: Abgeschnitten vom Zugang zum Meer, von begrenztem landwirtschaftlichem Nutzen für die Metropole und ohne bedeutende Rohstoffvorkommen, diente dieses „marginale Territorium" (Englebert 1996: 20) als Reservoir für zivile und militärische Arbeitskräfte, welches letztlich vor allem die wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung anderer Kolonien beförderte (ebd.: 23).
Die Semantik der Zwänge
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Karte 1: Das Gebiet der Kolonie Obervolta nach der Aufteilung (1933-1947)
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Kapitel 1
Obervolta ist ein illustratives Beispiel für die aus der kolonialen Entwicklungs- und Wertschöpfungsdoktrin, ordnungspolitischen sowie budgetären Erwägungen abgeleiteten manichäischen politisch-administrativen Konzepte Frankreichs hinsichtlich seiner jeweiligen (west)afrikanischen Besitzungen. Wie ein kurzer Blick auf die bewegte Geschichte dieses kolonialen Gebildes zeigt,26 wurden seine „Marginalität" und die „In-WertSetzung" seiner vorrangigen - und in der AOF knappen - Ressource menschliche Arbeitskraft zu ausschlaggebenden Kriterien für seine raison d'être bzw. seine wechselhafte politisch-administrative Verfassung. Im Zuge der französischen „Erschließung" ab 1899 wurde das Gebiet zunächst zur - dem Generalgouverneur der AOF direkt unterstellten - Militärregion erklärt und im Oktober 1904 in die Kolonie Haut-Sénégal-Niger integriert (ebd.: 20). Angesichts der sich 1915-16 vor allem im Westen des Landes ausbreitenden Erhebung großer Bevölkerungsgruppen gegen Besteuerung, Zwangsarbeit und Aushebungen von Rekruten für die französische Armee schien es geraten, die koloniale Kontrolle zu verstärken und die Option einer wirtschaftlichen Entwicklung zu verfolgen, was schließlich am 20. Mai 1919 die Gründung der Kolonie Haute-Volta nach sich zog (ebd.: 22 f.).27 Die Fragilität dieses Territoriums, dem von Anfang an kaum Chancen zu wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Eigenfinanzierung eingeräumt wurden, bestätigte sich unter dem Eindruck des Verfalls der Rohstoffpreise im Gefolge der Weltwirtschaftskrise, von Missernten und Hungerkrisen. Hinzu kam der sich abzeichnende wachsende Bedarf an Arbeitskräften für die Kaffee- und Kakaoplantagen der Côte-d'Ivoire sowie für den agroindustriellen Anbau von Baumwolle und Reis in der Kolonie Soudan (Office du Niger), so dass Paris beschloss, die Kolonie am 5. September 1932 wieder aufzulösen und ihre Provinzen jeweils den Kolonien Soudan, Niger und Côte-d'Ivoire zuzuschlagen (ebd.: 25, siehe Karte 1).
Eine erneute Änderung des Status quo erfolgte dann bereits fünfzehn Jahre später vor dem Hintergrund der unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eingeleiteten Umstrukturierung des französischen Kolonialimperiums zur Union Française, innerhalb derer die Kolonisierten nunmehr über politische Vertretungsrechte in der französischen Nationalversammlung verfügten. Am 4. September 1947 wurde dort das Gesetz zur
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Rekonstitution Obervoltas verabschiedet und damit den Forderungen der Union pour la Défense des Intérêts de la Haute-Volta entsprochen. Mit der Stützung dieser politisch gemäßigten und zur Kooperation mit der Metropole bereiten Lobby, die sich vorrangig aus Vertretern des „Mossi-Blocks" zusammensetzte, beabsichtigte Frankreich gleichzeitig, die Partei der Dekolonisationsbewegung, den zu diesem Zeitpunkt noch der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) angegliederten Rassemblement Démocratique Africain (RDA), einzudämmen. Der RDA hatte unter der Führung des ivorischen Kaffeepflanzers, Parlamentsabgeordneten und Vorkämpfers zur Abschaffung der kolonialen Zwangsarbeit, Félix Houphouët-Boigny, eine beträchtliche Massenbasis unter der voltaischen Bevölkerung gefunden (ebd.: 28). Dies betraf insbesondere die Südwestregion mit dem städtischen Zentrum BoboDioulasso, deren vorübergehende Zugehörigkeit zur Kolonie Elfenbeinküste nicht nur zur Wiederbelebung jahrhundertealter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Austauschprozesse geführt, sondern auch die Bildung neuer politischer Netzwerke erleichtert hatte. Die ordnungspolitisch motivierte Gründung der Kolonie ex nihilo, deren externen Bedarfsanforderungen nach Arbeitskraft geschuldete vorübergehende Aufteilung sowie ihre Wiederbelebung im Kontext divergierender nationaler Projekte prägten die innenpolitische Dynamik Obervoltas weit über die letzten Jahre kolonialer Herrschaft hinaus, welche mit der staatlichen Souveränität Obervoltas am 5. August 1960 formal abgeschlossen wurde. Der Übergang zur Unabhängigkeit war gekennzeichnet durch regional stark unterschiedliche - in heftigen parteipolitischen Auseinandersetzungen ausagierte - Loyalitäten, die dann mit der bereits 1960 ergriffenen Option zur autoritären Staatsbildung mit Einparteienherrschaft und sukzessivem Ausschluss zivilgesellschaftlicher Kräfte „eingeebnet" wurden. 28 In diesem Zusammenhang ist Engleberts Argument zuzustimmen, die politische Geschichte Obervoltas/Burkina Fasos sei eindrückliches Beispiel für eine Staatsgründung ohne Nation Building: „The poor fit between the State [...] and the institutions of pre-existing societies (repressed both by the colonial and the postcolonial states) has led to a crisis of State légitimation whose conséquences have been political and economic instability"
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(ebd.: 6). Dies äußerte sich in der Folge in einer anhaltend defizienten wirtschaftlichen Entwicklung und wiederholten gewaltsamen Umbrüchen: bis 1987 haben Angehörige der hoch politisierten militärischen Streitkräfte in fünf Fällen die Staatsmacht übernommen (ebd.: 43-75). Auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht standen die ersten dreizehn Jahre staatlicher Souveränität im Zeichen der Kontinuität der unter kolonialer Herrschaft eingeleiteten Arbeitsteilung, d.h. des Exports menschlicher Arbeitskraft. Voltaische Arbeitsmigrantlnnen trugen in erheblichem Umfang zur wirtschaftlichen Prosperität des Küstenstaats Côte d'Ivoire bei (siehe Cordell et al 1996: 157-160), deren Grundlagen mit den unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg eingeleiteten wirtschaftlichen Reform- und Modernisierungsmaßnahmen auf der Basis des Fonds d'Investissement pour le Développement Économique et Social des territoires d'outre-mer (FIDES) geschaffen worden waren (siehe Mande 1995: 328-334). Das Instrumentarium der kolonialen „In-Wert-Setzung" von Arbeitskraft Die territoriale (Re)konfiguration der eroberten Gebiete bildete den strukturellen Rahmen, innerhalb dessen Frankreich die kolonialpolitische Doktrin der „In-Wert-Setzung" natürlicher und humaner Ressourcen zur Anwendung brachte. Ein Kernpunkt der politique indigène,29 die mit der Selbstverpflichtung der Kolonialmacht zur mission civilisatrice verbrämt wurde, deren utilitaristische Zielsetzungen in den einzelnen Anwendungsbereichen jedoch an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen, war die Mobilisierung „indigener" Arbeitskraft. Obwohl den jeweiligen Territorien Französisch-Westafrikas, wie hier am Beispiel der „Hinterlandkolonie" Obervolta aufgezeigt, je nach Ausgangslage unterschiedliche Funktionen in den kolonialpolitischen Regulierungsszenarien zugedacht waren, entwickelte die Kolonialmacht für die gesamte Region ein einheitliches Instrumentarium, um die verschiedenen Bevölkerungsgruppen als Arbeitskräfte im Interesse des „Kolonialwerks" heranziehen und disziplinieren zu können. Facetten dieses Systems der Zwänge waren zum einen dekretierte Arbeitsverpflichtungen - die prestations de travail - , zu deren Einhaltung die Kolonialverwaltung über außergerichtliche Sanktionsmaßnahmen verfügte,
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und die von den Kolonisierten eingeforderten direkten (Kopfsteuer) und indirekten Steuern. Letztere waren zumeist Naturalabgaben, welche von Ortschaften zur Versorgung der kolonialen Truppenkontingente entrichtet werden mussten (Cordell et al 1996: 77). Darüber hinaus entwickelte die Kolonialadministration angesichts der hohen Nachfrage nach Arbeitskräften seitens staatlicher Stellen und privater Unternehmen im Bereich der kommerziellen Land- und Plantagenwirtschaft ein System der Kontraktarbeit, welches zwar theoretisch als „freie" Lohnarbeit bezeichnet werden könnte, das jedoch aufgrund von Zwangsmechanismen bei der „Anwerbung", minimaler Entlohnung und überaus harter Arbeitsbedingungen in der Praxis lediglich eine notdürftig kaschierte Variante von Zwangsarbeit darstellte (ebd.: 69-74). Ein weiterer zwangsgeleiteter Anwendungsbereich der In-Wertsetzungs-Strategie, die „Erziehung" westafrikanischer Bevölkerungen zum Anbau von cash crops, sollte der Durchsetzung marktorientierter Agrarproduktion zum Durchbruch verhelfen und zur Eigenfinanzierung der Kolonien beitragen. Gemäß Obervoltas „Bestimmung" als Baumwolllieferant sahen sich Ortschaften landesweit zur Bestellung der champs du commandant und zur Einlieferung einer jährlichen Mindestmenge an Rohbaumwolle verpflichtet (ebd.: 81-83). Und schließlich trat ab 1912 die französische Armee als Konkurrentin zu kolonialstaatlichen und privaten Unternehmen verstärkt auf den Plan, um wehrfähige Männer für die Regimenter der Tirailleurs Sénégalais zu rekrutieren. Um ein möglichst reibungsloses Management bei der Rekrutierung von Arbeitskräften und der Steuereintreibung zu gewährleisten, richtete man eine funktionale Arbeitsteilung ein und bestellte autochthone Notabein und Chefs zu Intermediären auf Dorf- und Kantonsebene. Diese Einbindung der Chefferie in den kolonialen Verwaltungsapparat bzw. die Einrichtung des Chefamtes in segmentären Gesellschaften wurde für die Bevölkerung in vielen Fällen zum Synonym für Übergriffe, Machtmissbrauch und Nepotismus und trug langfristig entscheidend zur Verfestigung bestehender Formen
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Ungleichheit
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timationskrisen bei. Wie Fall betont, waren kollaborationsbereite und effiziente Chefs zwar unabdingbar für die Funktionsfähigkeit des Systems der
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sich jedoch die rechtliche Handhabe, die der Kolonialadministration mit dem am 30. September 1887 dekretierten - und bis zu seiner Abschaffung am 20. Februar 1946 für alle Territorien der AOF gültigen - Code de l'indigénat zur Verfügung stand (Fall 1993: 47).31 Diese vom Generalgouverneur der AOF, William Ponty, 1913 als ein „régime essentiellement d'exception" (hier zit. nach Fall ebd.) charakterisierte Machtkonzentration in den Händen des Bezirkskommandanten (ebd.: 48) berechtigte diesen dazu, in letzter Instanz Haftstrafen bis zu zwei Wochen und Geldstrafen bis zu 100 Francs zu verhängen, im Falle er sich einer Störung der öffentlichen Ordnung oder Hygiene in der Kolonie bzw. Angriffen auf seine Autorität gegenüber sah (ebd.). Diesbezüglichen Statistiken zufolge beruhten die meisten Verurteilungen im Rahmen des Code auf dem „refus d'exécuter les journées de prestations ou la mauvaise volonté mise à les faire, le refus de répondre aux convocations du commandant de cercle aux réquisitions pour les transports administratifs" (ebd.: 49). Dahinter verbarg sich in den meisten Fällen schlicht die Weigerung von Kolonisierten, den Arbeitseinsätzen Folge zu leisten, für die sie kraft alleiniger Verfügungsgewalt des jeweiligen Bezirkskommandanten requiriert werden konnten. Nach Auffassung der französischen Regierung stellten diese Arbeitseinsätze eine Art „Naturalsteuer" dar (ebd.: 201), welche die Kolonisierten als Gegenleistung für die Entwicklungsanstrengungen des Mutterlandes zu entrichten hatten. 32 Faktisch handelte es sich dabei jedoch um eine „Zusatzsteuer", insofern seit 1895 bereits die allgemeine Kopfsteuerpflicht für alle Voltaerlnnen ab dem Alter von acht Jahren galt, die ab 1903 in Geld zu begleichen war (Cordell et al 1996: 77). 33 Geregelt wurde das régime des prestations in der AOF auf der Grundlage des Generalerlasses vom 25. November 1912, demzufolge alle erwachsenen und gesunden Kolonialuntertanen männlichen Geschlechts, mit Ausnahme von Alten, Soldaten, Bezirkspolizisten, Waldhütern und Zollbediensteten, eine bestimmte Anzahl von Arbeitstagen abzuleisten hatten, deren Dauer sich je nach Kolonie von acht (Sénégal) bis zwölf (Soudan) erstreckte. Theoretisch war es untersagt, während der Zeit von Aussaat bis Ernte zu rekrutieren bzw. die Menschen mehr als fünf Kilometer entfernt von ihrem Heimatort einzusetzen, es sei denn, sie erhielten eine entsprechende Tagesration in Naturalien oder Geld (Fall 1993: 202).
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Zwischen diesen Vorgaben und der praktischen Handhabung
der
Zwangsarbeit gab es in den meisten Fällen keinerlei Übereinstimmung: Männer wurden häufig unter Missachtung von Altersgrenzen während des gesamten Jahres weit über die festgelegte Anzahl von Tagen hinaus oder über größere Entfernungen eingesetzt. Die Versorgung mit Nahrung war durchgängig prekär und hing in vielen Fällen allein vom Improvisationsgeschick „mitreisender" Ehefrauen und Köchinnen ab. Prestataires
arbei-
teten als Träger von Lasten, wozu häufig auch koloniales Verwaltungspersonal zählte. Sie transportierten unter lebensgefährlichen Umständen Rohstoffe aus Waldgebieten ab, rodeten und planierten - in Handarbeit und mit rudimentären Werkzeugen, da man den Einsatz von Maschinen für verzichtbar hielt - Trassen für Eisenbahnen, Straßen und Pisten. Darüber hinaus wurden sie auch wiederholt für unentgeltliche oder miserabel entlohnte Tätigkeiten an Privatunternehmen und/oder autochthone Notabein und Chefs „ausgeliehen". 34 Der Unterschied zwischen dem System der prestation
und der Kontraktarbeit bestand häufig lediglich in der mehr-
monatigen Dauer letzterer, wobei voltaische Kontraktarbeiter, die z.B. in Côte d'Ivoire eingesetzt waren, durchaus auch in dieser Kolonie zusätzlich zur prestation
herangezogen werden konnten. Vor diesem Hintergrund ist
es kaum verwunderlich, dass 70-80 Prozent ehemaliger Arbeitsmigranten der Jahre 1933 bis 1945, wie in mehreren Befragungen übereinstimmend ermittelt, ihre Tätigkeiten in Côte d'Ivoire schlichtweg als Zwangsarbeitseinsätze bezeichneten (Cordeil et al 1996: 102 f.). Dieser willkürlichen Nutzung indigener Arbeitskraft wurde mit dem am 26. August 1930 - unter dem Druck des Internationalen Arbeitsbüros in Genf und einer zunehmend kritischen öffentlichen Meinung in Europa erlassenen Dekret „autorisant et réglementant les réquisitions de la main d'oeuvre" zumindest insofern Einhalt geboten, als es die zwangsweise Heranziehung auf die „seuls travaux publics ou pour certaines nécessités administratives" (Fall 1993: 51) beschränkte, die Zahl der jährlichen Arbeitstage festlegte, die Rekrutierung zudem nur noch in Fällen gestattete, in denen freiwillige Arbeitskräfte nicht zur Verfügung standen, und den Requirierten die gleiche materielle Vergütung einräumte wie freien Arbeitskräften (ebd.). Weitergehende Reformen der kolonialen Zwangsarbeit, die vom Generalgouvernement der A O F unter Marcel de Coppet in Zeiten der
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französischen Volksfrontregierung eingeleitet wurden und u. a. eine Reduzierung der Arbeitstage sowie die Möglichkeit des Freikaufs vom Arbeitseinsatz durch Entrichtung einer Geldsumme vorsahen, wurden infolge des Sturzes der Regierung und der Kriegsvorbereitungen abrupt abgebrochen (ebd.: 204 f.).35 Mit dem auf Initiative von Generalgouverneur William Ponty am 07. Februar 1912 verabschiedeten Gesetz über die partielle Wehrpflicht für Kolonialuntertanen in der AOF wurde das System der kolonialen Zwangsarbeit, gestützt auf die unterscheidende Rechtsordnung des indigénat, auf den militärischen Bereich ausgedehnt. Für den Beschluss, ein jährliches Kontingent von 10 000 wehrfähigen Männern im Alter von 20 bis 28 Jahren für die Regimenter der Tirailleurs Sénégalais (RTS) einzuberufen, die sowohl in Französisch-Westafrika als auch in Übersee zum Einsatz kommen sollten, gab es mehrere Gründe. Da waren zum einen die stark rückläufigen Zahlen von „Freiwilligen", aus denen sich die RTS seit ihrer Gründung 1857 zusammengesetzt hatten,36 ein Phänomen, für das nicht zuletzt auch die infolge der wirtschaftlichen Entwicklung in der AOF gestiegene Nachfrage nach zivilen Arbeitskräften verantwortlich zeichnete (Echenberg 1991: 25). Zum zweiten verursachten der festgestellte Rückgang der Geburtenrate in Frankreich und somit die „beängstigende Abnahme der Rekrutenzahlen" (Koller 2001: 70) angesichts des erwarteten Waffengangs mit Deutschland wachsende Panik. Die allgemeine öffentliche Hysterie nutzte u. a. Charles Mangin, Oberstleutnant der Kolonialarmee und unermüdlicher Verfechter der Idee einer force noire zum Einsatz in Europa, um der Massenrekrutierung von Afrikanern zum Durchbruch zu verhelfen.37 Auch wenn die Zahl der schließlich konzedierten 10 000 Rekruten pro Jahr weit unter der von Mangin im Rahmen seiner 1912 in der AOF unternommenen Erkundungsmission -ÏO
vorgeschlagenen jährlichen Quote von 40 000 Mann blieb (ebd.: 72), so hatte das Wehrpflichtgesetz von 1912 doch die entscheidenden Weichen für den Einsatz von insgesamt rund 170 000 westafrikanischen Kolonialuntertanen im Ersten Weltkrieg gestellt (Echenberg 1991: 25). Die Rekrutierungen für die französische Armee können insofern als Intensivierung des Systems der kolonialen Zwangsarbeit charakterisiert
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werden, als sie bis 1945 nach denselben Prinzipien und unter Rückgriff auf das bereits skizzierte Instrumentarium erfolgten. Oberster Leitsatz war es, [de] faire du recrutement une affaire indigène. Ainsi, la mission de désigner et de réunir les recrues est confiée aux chefs indigènes sous la surveillance et le contrôle vigilant des administrateurs et chefs de poste. Mais avec le déclenchement du conflit, les préoccupations militaires prennent rapidement le dessus sur les précautions concernant la maind'œuvre nécessaire à l'agriculture, à l'industrie et au commerce (Fall 1993: 127). In Anbetracht der im Rahmen der zivilen Mobilmachung den Kolonisierten zwischen 1914 und 1918 abverlangten zusätzlichen Leistungen stellte die Einberufung wehrfähiger männlicher Arbeitskräfte zwar den quantitativ bedeutendsten, jedoch nicht einzigen Beitrag der Kolonien zum effort de guerre dar. Die lange Liste umfasst die Ausweitung der Markt- und Subsistenzkulturen zur Versorgung der französischen Bevölkerung und der Truppen, den verstärkten Einsatz von Zivilistinnen und Armeerekruten zur Bestellung von Feldern und zum Abtransport von Getreide, Baumwolle und Rohkautschuk, den Aufbau einer Konservenfabrik zur Verarbeitung von Rindfleisch und, nicht zu vergessen, finanzielle Zuwendungen in Höhe von 31 212 000 Francs (ebd.: 130-140). Angesichts der hohen Kriegsverluste - über zwei Millionen französische Gefallene ließen eine anhaltend negative demographische Entwicklung erwarten - und der bevorstehenden militärischen Aufgaben Frankreichs in den linksrheinischen Gebieten sowie in den ihm zugesprochenen ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika hielt die Kolonialmacht die Option „ihrer" afrikanischen Armee auch in Friedenszeiten aufrecht. Mit dem am 30Juli 1919 verabschiedeten Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht der männlichen Kolonialbevölkerung Afrikas wurde die jährliche Einberufung einer regional gestaffelten Quote von Rekruten festgeschrieben, deren mögliche Gesamtzahl auf durchschnittlich 12 000 bis 14 000 p. a. veran•JQ
schlagt. Im Zusammenhang mit den nach Kriegsende angestrebten wirtschaftlichen und infrastrukturellen Großvorhaben - allen voran das agroindustrielle Projekt des Office du Niger im Nigerbinnendelta (Kolonie Soudan), mit dem Frankreich insbesondere seine Abhängigkeit von „briti-
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scher" und US-amerikanischer Baumwolle zu überwinden beabsichtigte,40 erfolgte ab 1926 eine Verquickung der Rekrutierungen zu militärischen und zivilen Zwecken, für die das Wehrgesetz von 1919 die rechtliche Grundlage bildete: [...] une fraction du contingent sera employée pendant le temps de son service actif sur des chantiers de travaux publics au lieu de recevoir un enseignement purement militaire à la caserne ou d'être en « réserve inactive ». Ainsi les travailleurs de la deuxième portion du contingent sont des recrues tirées au sort après le prélèvement de la première portion destinée à former le corps des tirailleurs sénégalais (Fall 1993: 158). Während die ersten Kontingente dieser Arbeitssoldaten (tirailleurs-la pelle) noch ausschließlich aus den traditionellen Rekrutierungsgebieten im Süden und Südwesten der Kolonie Soudan stammten, stellten mit der Auflösung der Kolonie Obervolta ab 1932 die aus der dortigen Westregion (Bezirk Ouahigouya) abkommandierten Rekruten der zweiten Portion bald 15 Prozent des durchschnittlichen jährlichen Kontingents von rund 3 000 Männern, 1 die entweder an der Baustelle des Regulierungsstaudamms von Markala ( O f f i c e du Niger) oder zur Vervollständigung der Eisenbahnlinie Dakar - Thiès - Niger eingesetzt wurden (ebd.: 164-170). Um das Ansehen der Arbeitssoldaten in den Augen ihrer Familien und der lokalen Bevölkerung zu heben, wurden sie ebenso wie die Rekruten der ersten Portion unter militärisches Kommando gestellt, d.h. mit Uniform, Matrikelnummer und Wehrpass versehen und ihre gesamte Dienstzeit vom Zeitpunkt des Abmarsches über den Arbeitsalltag bis hin zur Entlassung aus den Arbeitsbrigaden durch militärische Appelle und Zeremonien strukturiert. Abgesehen davon, dass diese Camouflage der kolonialen Zwangsarbeit (ebd.: 163) offensichtlich weder bei den Zwangsrekrutierten noch deren Familien verfing, wie die zusammengetragenen Erlebnisberichte überzeugend nahe legen (Magasa 1978: 50-111), waren die Arbeitssoldaten auch vor dem Hintergrund der überaus harten Arbeitsbedingungen und der prekären Versorgungslage der Männer hinsichtlich Ernährung, Hygiene und medizinischer Betreuung gegenüber ihren Kameraden in der Armee benachteiligt: „soumis aux lois et règlements militaires sans bénéficier des droits connus aux tirailleurs" (Fall 1993: 163 f.).42
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Für die französische Kolonialadministration erwies sich die Verfügung über die Kontingente der Arbeitssoldaten zunächst als probates Mittel, um die oben schon erwähnte zunehmend schärfere Kritik in Europa an der Praxis der kolonialen Zwangsarbeit zu unterlaufen. So geriet Frankreich keinesfalls in Widerspruch zur 1930 vom Internationalen Arbeitsbüro in Genf verabschiedeten Konvention zur schnellstmöglichen Abschaffung der Zwangsarbeit, welche es per Gesetz vom 17. Juni 1937 ratifizierte, wurden von dieser Konvention doch per definitionem u. a. „les travaux exigés en vertu des lois sur le service militaire" ausgenommen (Rolland & Lampué 1959: 204). Diese Strategie der Militarisierung der Produktivkräfte (Fall 1993: 199) sollte sich 1946 im Gefolge der gesetzlichen Abschaffung von indigénat und kolonialer Zwangsarbeit erneut bewähren: Während die konstituierende französische Nationalversammlung per Dekret vom 22. Dezember 1945 und vom 20. Februar 1946 die koloniale Rechtsordnung des indigénat aufhob, bzw. am 11. April 1946 das Gesetz „abolissant le travail forcé ou obligatoire" verabschiedete und damit „tous moyens ou procédés de contrainte directe ou indirecte aux fins d'embaucher ou de maintenir sur les lieux de travail l'individu non consentant" unter Strafe stellte,43 griff das Hochkommissariat der AOF, unterstützt durch das französische Überseeministerium, auf die Ausnahmeregelung von 1930 zurück. Um das befürchtete Ausbleiben ziviler freiwilliger Arbeitskräfte zur Aufrechterhaltung der Großprojekte wie des Office du Niger, aber auch zur Durchführung neuer Vorhaben im Senegalflusstal oder zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur (Flughafen und Hafen von Dakar, interkontinentale transmauretanische Piste, Straße Senegal-Guinea, Verlängerung der Eisenbahnlinie Abidjan-Niger) zu kompensieren, wurde der Arbeitseinsatz der Männer der zweiten Portion schlankweg für legitim erklärt, hätte der Gesetzgeber doch im gegenteiligen Fall, so die Argumentation, anders lautende Anordnungen im Gesetz vom 11. April 1946 getroffen. 44 Dennoch war dieser anhaltenden eklatanten Verletzung elementarer Freiheitsrechte kolonisierter Bevölkerungsgruppen kein langfristiger Erfolg mehr beschieden. Unter dem Druck parteipolitischer, gewerkschaftlicher und allgemeinöffentlicher Agitation in der AOF sowie zunehmend konzertierter Widerstandsformen der Zwangsrekrutierten selbst 45 wurde
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per Erlass vom 18. November 1948 die vorzeitige Entlassung der letzten auf den verschiedenen öffentlichen Großbaustellen der AOF eingesetzten Arbeitssoldaten ab 15. Februar 1949 verfügt 46 und im selben Zeitraum der Aufbau einer militärischen Pionierabteilung innerhalb der französischen Armee projektiert. Eine eindeutige gesetzliche Regelung, d.h. eine klare Definition dessen, was als Zwangsarbeit strafrechtlich zu verfolgen ist, sowie eine Präzisierung der Sanktionen, die im Falle von Verstößen gegen das Rechtsprinzip der Freiheit von Arbeit zur Anwendung kommen, erfolgte allerdings erst im Rahmen der Verabschiedung des Code du travail d'outre-mer am 15. Dezember 1952 (Rolland & Lampue 1959: 205-207; Gonidec & Kirsch 1958; vgl. Fall 1993: 287). Die Mobilisierung kolonialer Arbeitskraft unter Rückgriff auf ordnungspolitische und durch das Regelwerk der Sondergerichtsbarkeit sanktionierte Zwangsmaßnahmen, die hier in Grundzügen dargestellt worden sind, hat Babacar Falls abschließender Bewertung zufolge zwei grundlegende Auswirkungen gezeitigt. So ist der kolonialen Zwangsarbeitzum einen eine nicht zu unterschätzende Rolle für die ausgesprochen langsame Bevölkerungszunahme innerhalb der Territorien der AOF während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zuzuschreiben (Fall 1993: 290-294). Zum zweiten hat sie als Dynamisierungsfaktor von Migration das Ungleichgewicht zwischen westafrikanischen Küsten- und Binnenlandregionen akzentuiert, einen Prozess zunehmender Mobilität von Arbeitskraft in Gang gesetzt, deren Nutzung durch kolonialstrategische Regulierungsszenarien gesteuert und, wie das Beispiel der Hinterlandkolonie Obervolta zeigt, durch territoriale Rekonfigurationen intensiviert werden sollte. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich Obervolta ab 1932 zum bedeutendsten „foyer migratoire" in Westafrika, ein Trend, der auch nach der Abschaffung der kolonialen Zwangsarbeit über die 1950er Jahre hinweg ungebrochen anhielt und dessen Kontinuität im nationalstaatlichen Rahmen bis heute zu konstatieren ist (ebd.: 295). Obervolta/Burkina Faso ließe sich somit als eindrückliches Beispiel dafür heranziehen, wie die koloniale Zwangsarbeit als „Bestandteil einer außenorientierten Strategie dazu beigetragen hat, die Interdependenzbeziehungen zwischen den verschiedenen Regionen Westafrikas zu verfestigen" (ebd., meine Übersetzung) - ein historisches Erbe aus der franzö-
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sischen Kolonialzeit, dessen Wirkungspotential sich seit einigen Jahren in Cöte d'Ivoire erneut in überaus virulenter Form entfaltet und in gewalttätige gesellschaftliche Auseinandersetzungen um die reduktionistische Definition von Staatsbürgerschaft gemäß des Konzepts der ivorite einmündete. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, sind die aus den temporären und langfristigen Arbeitsmigrationen voltaischer Bevölkerungsgruppen resultierenden umfangreichen demographischen Verschiebungen jedoch nicht einfach nur Resultat einer monokausalen Entwicklung, wie sie im Rahmen der französischen In-Wert-Setzungsstrategie und der regionalen Arbeitsteilung in den kolonialen Territorien implantiert wurde und in Folge die ungleichen wirtschaftlichen Voraussetzungen der verschiedenen Regionen Westafrikas zementiert hat, wie Fall argumentiert (ebd.). Sie müssen vielmehr, so meine Hypothese, als Ergebnis eines weitaus komplexeren Prozesses begriffen werden, der durch die Dynamisierung einer bereits existierenden bzw. sich in Auseinandersetzung mit kolonialen Zwängen weiter beschleunigenden (inter)regionalen Mobilität von Arbeitskraft gekennzeichnet ist. In diesem Prozess bestimmt sich das Wirkungspotential der verschiedenen Varianten kolonialer Zwangsarbeitais das eines Katalysators von Migrationsprozessen, nicht jedoch als das eines omnipotenten Systems der Zwänge, dem nicht zu entrinnen gewesen wäre, wie die geographischen Zielorte voltaischer Migrantinnen sowie die ihrer Entscheidung zur Mobilität jeweils zugrunde liegenden Fluchtmotive, Überlebensstrategien und anderen Optionen verdeutlichen.
Koloniale Zwangsarbeit, Migration und Militärdienst - Motive, Optionen und Routen Degg ma Sanou. Moytul ma yonu ray bi degg ma, dee nyow na Dee nyow na, Ndiaye, dee nyow na, moytuloo ray bi. (Hör mir zu, Sanou. Meide die Eisenbahnschienen, der Tod kommt [von dort], hörst du mir zu, der Tod kommt Wenn der Tod kommt, Ndiaye, wenn er kommt, werde ich die Schienen nicht meiden.)47 Die erhöhte Mobilität menschlicher Arbeitskraft, die gewissermaßen zur historischen Determinante der Entwicklung Obervoltas in seinen ver-
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schiedenen territorialen Konfigurationen wurde, ist, so mein Argument, als Resultante eng miteinander verwobener zwangsgeleiteter und freiwilliger Migrationsprozesse zu verstehen. Motivstrukturen, Optionen und Routen voltaischer Migrantinnen, wie sie im Folgenden erörtert werden, können uns in diesem Zusammenhang Aufschluss darüber geben, wie voltaische Bevölkerungsgruppen versucht haben, „Kontrolle über ein System zu gewinnen, das ihnen vom Kolonialstaat aufgezwungen wurde" (Cordeil et al 1996: 105, meine Übersetzung), wenngleich ihre jeweiligen Handlungsspielräume angesichts der im vorangehenden Abschnitt bereits skizzierten politischen und rechtlichen Kontroll- und Repressionsmechanismen eng begrenzt waren. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass die auf dem Mythos vom vermeintlich unerschöpflichen Arbeitskräftereservoir Obervolta beruhende und insbesondere während der 1920er Jahre unter Gouverneur Hesling rücksichtslos vorangetriebene „In-Wert-Setzung des Humankapitals" selbst innerhalb der französischen Kolonialbehörden Kritik hervorrief. So wies der Generalinspektor der services sanitaires et médicaux der AOF, Sorel, bereits im Titel seines im Oktober 1931 vorgelegten Berichts „sur le danger proche de dépopulation que font courir à l'Afrique occidentale française des recrutements excessifs et mal repartis" auf die akute Gefahr eines Bevölkerungsrückgangs hin, von deren Vorzeichen er sich im Rahmen einer Untersuchungstournee selbst hatte überzeugen können. Über den allgemein alarmierenden Gesundheitsstand unter der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung der von ihm bereisten Kolonien Côte d'Ivoire und Haute-Volta hinaus konstatierte Sorel u. a. einen effektiven Bevölkerungsrückgang von 12 Prozent im Bezirk von Kong-Korhogo im Norden der Kolonie Côte d'Ivoire. Dort waren seinen Ermittlungen zufolge in den Jahren 1928 bis 1930 insgesamt 17 406 Männer, d.h. 22 Prozent einer Gesamtbevölkerung von 79 000 Menschen, als Kontraktarbeiter rekrutiert worden, von denen lediglich 7693, d.h. 45 Prozent lebend nach Hause zurückgekehrt waren (Rapport 1931: 6 f.). Eine beträchtliche Anzahl Letzterer sei jedoch anschließend an den Folgen ihrer Überbeanspruchung gestorben (ebd.: 7). Ebenso erschütternd lesen sich Sorels nüchterne Ausführungen bezüglich voltaischer Arbeitsrekruten:
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En 1929-1930, un contingent de 9000 hommes a été envoyé par la Volta pour les chantiers du chemin de fer de la Côte d'Ivoire: mortalité 442 hommes, toujours sans compter le déchet des travailleurs qui après passage à l'infirmerie et amélioration de leur état (je dis amélioration car guéris on les eut repris pour le travail) sont revenus diminués dans leur colonie d'origine. Au dernier recrutement toujours pour les chantiers du chemin de fer de la Côte d'Ivoire sur 7 017 recrutés 5 814 seulement (dont 375 cuisinières) sont arrivés au lieu de travail. Du 9 décembre 1930 au 13 mars 1931, en effet 203 hommes ont déserté, 46 sont morts et un déchet de 950 a été éliminé à l'arrivée (ebd.: 8). Von Sorels unter sorgfältiger Abwägung aller Faktoren an die zuständigen Stellen herangetragenen dringenden Empfehlung, bezüglich der Arbeitsrekrutierungen in der AOF einen durchschnittlichen Richtwert von 1 bis 1,25 Prozent der Gesamtbevölkerung nicht zu überschreiten und dabei die jährlichen Rekrutierungen für die Armee in Höhe von etwa 10 000 Mann zu berücksichtigen, waren diese zum Zeitpunkt der Abfassung seines Berichts weit entfernt: Die durchschnittliche Gesamtzahl der „abgeschöpften" zivilen und militärischen Arbeitskraft in der Kolonie Obervolta belief sich, seinen Angaben zufolge, im Zeitraum von 1928 bis 1930 auf etwa 39 000 Personen - statt der von Sorel angesichts einer geschätzten Gesamtbevölkerung von drei Millionen für vertretbar gehaltenen 28 000 (ebd.: 9). Eine vergleichbar alarmierende Bilanz des „Ausblutens" der voltaischen Bevölkerung zog auch der ehemalige Gouverneur von Soudan, Robert Delavignette, im Rahmen einer detaillierten Bestandsaufnahme der zwischen 1920 und 1930 aktenkundig gewordenen Arbeitsrekrutierungen: „[...] on peut dire que [...] près de 189 000 hommes valides, dans la force de l'âge, représentant le meilleur vingtième de la population, ont été arrachés à la famille, au mariage, au village, au champ". 49 Nun sind zwar derart hohe Bevölkerungszahlen, wie sie auch Sorel seinem Bericht zugrunde legte, mit äußerster Vorsicht zu behandeln, da sie auf groben Schätzungen beruhten und überdies, wie im Falle Obervoltas, aus kolonialstrategischen Gründen häufig nach oben „korrigiert" wurden ein Verfahren, an dem nicht zuletzt auch die mit der Steuereintreibung befassten Kantonschefs aus Eigeninteresse mitwirkten. Abgesehen davon erhalten wir durch das Zeugnis des Gesundheitsinspektors jedoch auf-
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schlussreiche Einblicke in die Semantik der Zwänge, d.h. die nachhaltigen Auswirkungen der zwangsgeleiteten Arbeitsmigration auf Alltags- und Lebensverhältnisse voltaischer Bevölkerungen in den 1920er Jahren. So erfahren wir u. a., dass zwar die wirtschaftlich aktive männliche Bevölkerung vom System der Kontraktarbeit hauptsächlich betroffen war, jedoch auch als Köchinnen beschäftigte Frauen migrierten, wobei Sorels Angaben zufolge eine Frau auf etwa 20 bis 25 Männer gekommen sein dürfte.50 Darüber hinaus informieren uns Sorels nüchterne Zahlen über die einzige den Kontraktarbeitern offene Option, den harschen Arbeits- und Lebensbedingungen auf den Baustellen anders denn als schwerkranke Männer zu entkommen, die Desertion. Für Babacar Fall, der dieses Phänomen am Beispiel der militärischen Arbeitsbrigaden des Office du Niger untersucht und für 1929 bis 1933 eine Desertionsrate von bis zu 20 Prozent festgestellt hat (Fall 1993: 192-198), artikulierte sich in den Fluchtversuchen die einzig mögliche Form passiven und individuellen Widerstands seitens der bis an die Grenzen ihrer physischen Leistungsfähigkeit ausgebeuteten Arbeiter. Eine darüber hinaus gehende Entwicklung organisierter Formen von Protest oder Arbeitskampf wurde durch die „Atomisierung" der Produktionsverhältnisse infolge der ständig wechselnden Zusammensetzung der Arbeitskontingente und das repressive Encadrement in den Lagern stark erschwert (ebd.: 198). Sicher ist jedoch eines: die Erfahrungen der Kontraktarbeiter, ob Deserteure oder nicht, zirkulierten innerhalb der Bevölkerung und trugen auf ihre Weise dazu bei, dass Flucht in den 1920er Jahren zu einer vielfach genutzten Präventivoption wurde. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hatten sich Bewohnerinnen voltaischer Ortschaften, vor allem junge Männer, dem Zugriff der Kolonialadministration in Form von Steuereintreibung, Rekrutierungen zur Zwangsarbeit und Feldbestellung durch vorübergehende Flucht in benachbarte Bezirke zu entziehen versucht (Cordeil et al 1996: 83). Im Zuge der Befestigung kolonialer Herrschaft und zunehmend wirksamer interner Kontrollmechanismen sowie in Anbetracht steigender Steuerlast und der ab 1912 sowohl für den zivilen wie den militärischen Bereich intensivierten Rekrutierungen von Arbeitskraft trat die internationale - temporäre wie langfristige - Migration an die Stelle solcher kurzzeitigen Ausweichmanö-
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ver: „Crossing the boundary into British Africa was a logical extension of the tried-and-true method of local flight, as well as a more successful strategy for avoiding colonial authority" (ebd.). 51 Als Vertreter der angesichts des raschen Zuwachses und der Verstetigung dieses „Exodus" zunehmend beunruhigten französischen Kolonialverwaltung konstatierte Henri Labouret 1930, dass sich die Zahl der voltaischen und sudanesischen Kolonialuntertanen, welche dafür optierten, „nach Kumasi zu gehen" - so das Synonym für die temporäre Arbeitsmigration junger Männer im Alter von 15 bis 25 Jahren in die britische Kolonie Gold Coast (heute Ghana) - , in weniger als 20 Jahren fast verzehnfacht hatte, d.h. von geschätzten 17 000 in 1913 auf 89 000 in 1917 und schließlich auf 160 000 in 1929 gestiegen war (Labouret 1930: 244). 52 Sie waren in sämtlichen Tätigkeitsbereichen zu finden: Toute personne visitant la Gold Coast peut constater que les travailleurs occupés par la culture et l'industrie du cacao, par les mines d'or, de diamants, de manganèse, par les travaux publics, le port de Takoradi, les chantiers du chemin de fer, les chantiers privés est composé pour les trois quarts de sujets français venus s'engager librement à des centaines de kilomètres de chez eux (ebd.: 246). Ausschlaggebender pull-Faktor für die Migranten aus dem Norden waren nach Labouret die in Gold Coast gezahlten Löhne in Höhe von 12 bis 15 Francs pro Tag (ebd.: 247), während Kontraktarbeiter in Obervolta gerade einmal mit 2 bis 4 Francs bzw. in Côte d'Ivoire seit 1929 mit etwa 5,33 53
Francs täglich rechnen konnten (ebd.: 248). Hinzugenommen werden müssen auch die von Labouret sorgsam verschwiegenen, für voltaische Migranten wohl aber mindestens ebenso relevanten push-Faktoren der kolonialen Zwangsarbeit und Steuerlast, mit denen sie in Gold Coast entweder gar nicht bzw. in vergleichsweise abgemilderter Form konfrontiert waren. Die britische Variante der kolonialen Zwangsarbeit wurde dort 1927 abgeschafft; die erhobenen Steuern galten als vergleichsweise niedrig, eine Kopfsteuer existierte vor 1937 nicht (Cordeil et al 1996: 84). 54 Materielle Anreize und persönliche Konsumbedürfnisse, wie sie Labouret als allein ausschlaggebende Motive für die Arbeitsmigration junger Voltaer nach Gold Coast bzw. die saisonale Abwanderung ihrer sudanesischen Altersgenossen in die senegalesischen Erdnussanbaugebiete ins Feld
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führte (Labouret 1930: 249), waren, wie die sozialhistorische Migrationsforschung gezeigt hat, lediglich ein - für außen stehende Beobachter sichtbarer - Aspekt vielfach miteinander verflochtener sozialer Strategien zur Bewältigung der kolonialen Situation. Erweist sich in diesem Zusammenhang nicht nur des Kolonialbeamten Behauptung, „que ni les corvées, ni les prestations, ni surtout le service militaire ne semblent avoir d'influence sur les migrations" (ebd.: 243), als Räsonnement von bestechender kolonialer Arroganz, so ist mit großer Sicherheit auch davon auszugehen, dass die in Gold Coast und anderswo erwirtschafteten Ersparnisse eines Migranten nicht einfach nur zur Anschaffung von „pacotille" (Talmi), Kleidung, Schmuck und Geschenken an die Familienältesten (ebd.) verwendet worden sind. Das Geld der Heimkehrer diente vielmehr auch dazu, ihre eigenen sowie die Steuern anderer Familienmitglieder zu begleichen und somit Abhilfe für das drängende Problem zu schaffen, das die bis 1928 auf den stattlichen Betrag von 12 Francs pro Person angehobene Kopfsteuer für die meisten Haushalte Obervoltas darstellte (Cordell et al 1996: 78 f., 99). In einer Kolonie wie Obervolta, in der Geld nur in sehr begrenztem Umfang zirkulierte, wurde die koloniale Steuerpolitik somit nicht nur zu einem wichtigen Auslöser für Fluchtbewegungen in Regionen außerhalb französischen Einflusses, sondern provozierte auch die Entwicklung von Haushaltsstrategien, mit denen die Kolonisierten auf die wachsende Monetarisierung im kolonialen Gewand reagierten. Die Option, junge, unverheiratete Männer als freiwillige temporäre Arbeitsmigranten zu entsenden und mit Hilfe der von ihnen erwirtschafteten Ressourcen die erzwungene Einbindung in die Geldwirtschaft zu bewältigen, verstetigte sich während der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre, in deren Zusammenhang die französische Kolonialregierung sinkende Exporterlöse u. a. durch eine zeitweise Anhebung der Kopfsteuern auszugleichen versuchte (ebd.: 79). Verschiedene Untersuchungen haben unterdessen gezeigt, dass die Kopfsteuer auch nach der Abschaffung der kolonialen 1946 ein wichtiger Stimulus für die Mobilität voltaischer - mittlerweile männlicher wie weiblicher - Arbeitskraft geblieben ist (ebd.: 84). Strukturelle Zwänge und Pressionen im Zusammenhang mit der Rekrutierung von Arbeitskräften, Steuereintreibung und dem Zwangsanbau er-
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langten, wie oben bereits angeführt, ihre ganze Wirkungsmacht erst im Zusammenspiel zwischen dem Kolonialstaat und der ihm kooptierten Chefferie. Über deren Schlüsselrolle bei der Umsetzung von Maßnahmen zur kolonialen „In-Wert-Setzung" und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in der Kolonie hinaus waren es vor allem auch Eigeninteressen und individuelle Akkumulationsstrategien der Kantons- und Dorfchefs selbst, die dem Prozess der Extraktion von Arbeitskraft und Ressourcen in vielen Fällen eine besondere Schärfe verliehen. Stellvertretend für zahlreiche ähnlich gelagerte Fälle aus den 1930er Jahren sei hier folgendes, von einem für die Diözese Bobo-Dioulasso zuständigen Missionar der „Weißen Väter" im November 1936 aufgezeichnetes Beispiel für Amtsmissbrauch und Selbstbereicherung eines Kantonschefs angeführt: [...] impôt fixé par l'Administration: 8fr50 - impôt pris par le chef, pour les hommes et les garçons, même ceux de 3 ans: 15fr. pour les femmes et filles: 10fr. De plus, à Sama tous les hommes donnent en plus d'abord 5fr. puis lfr. Arachides: en plus de ce qui doit être fourni au Commandant, chaque homme doit donner au chef 1 „tin" plus une calebasse; chaque chef de famille 1 panier de 30 kg (arachides décortiquées.) Celui qui ne peut pas fournir le panier de 30 kg doit payer 30fr; celui qui ne peut pas fournir la tin doit payer 10fr.55 Vergleichbar dazu haben Dorf- bzw. Kantonschefs natürlich auch ihre Machtposition anlässlich der jährlichen Aushebungen von Rekruten ausgespielt, was sich im Endeffekt, wie Echenberg feststellt, zu Ungunsten „ruraler, weniger privilegierter Gruppen" auswirkte: „The typical recruit was a physically fit peasant youth of low status, and without traditional skills such as those of artisans, blacksmith, or trader" (Echenberg 1991: 62). Die den mobilen, in die jeweiligen Ortschaften entsandten Rekrutierungskommissionen 56 präsentierten Kohorten junger Männer waren also bereits „vorsortiert", d.h. unter Anwendung verschiedenster Selektionskriterien ausgewählt worden. Unter ihnen befanden sich u. a. junge „Rebellen", „Sozialbanditen" oder „Taugenichtse", für die sich nach Einschätzung eines Kantonschefs die Armee als „Besserungsanstalt" empfahl und deren Bereitwilligkeit, zum Militär zu gehen, mit der - zuweilen auch ihren Vätern verabreichten - Peitsche nachgeholfen wurde. Gelegentlich
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waren es aber auch Familienangehörige der bons absents - der für tauglich Befundenen, die sich ihrer Einberufung durch Flucht entzogen hatten - , mit denen die Chefs kurzerhand die Reihen auffüllten. 5 7 Ob die Einberufung zur französischen Armee nun als probate Methode der sozialen Kontrolle (Echenberg 1991: 63) angewandt wurde, sich als Ergebnis des Spiels von Allianzen zwischen Chefs und ihrer Klientel oder als persönlicher Racheakt eines Amtsinhabers oder Familienmitglieds erwies, blieb den mit der Rekrutierung beauftragten kolonialen Kommissionen aufgrund ihrer Unkenntnis der lokalen Zusammenhänge in der Regel verborgen (ebd.: 62). Auch wenn auf der Grundlage der bisher vorliegenden regionalen Studien davon ausgegangen werden kann, 58 dass in den meisten Fällen lokale Machtkonstellationen bzw. Handlungsstrategien örtlicher Interessengruppen den Ausschlag für die ,Armeekarriere" eines jungen Mannes gaben, 5
so griffen zuweilen jedoch auch französische
Kolonialbeamte auf die Rekrutierung zurück, um sich eines unbequemen „Subjektes" zu entledigen, wie das Beispiel eines unserer Interviewpartner zeigt: [...] je me suis trouvé à un moment donné à être appelé [...] je suis parti dans l'armée par la force des choses. J'ai eu des problèmes avec le chef de, avec le commandant de cercle de mon, de ma circonscription administrative [...] il disait que j'étais un peu le chef des perturbateurs de la ville [...] c'est pourquoi il veut pas me voir, il faut que j'aille dans l'armée. 60 Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass die Autoren der oben erwähnten Regionalstudien übereinstimmend zum Schluss kommen, dass die alljährlichen Rekrutierungen von der voltaischen Bevölkerung im Allgemeinen und von den jungen Männern im Besonderen als das empfunden wurden, was sie waren: eine von vielen Facetten des ihren Lebens- und Arbeitsalltag tief greifend prägenden Systems der Zwänge, der man sich allenfalls durch Flucht bzw. Migration in die britische Nachbarkolonie zu entziehen versuchen konnte. In Zahlen drückte sich diese „Abstimmung mit den Füßen" z.B. für den Bezirk von Koudougou 1931 wie folgt aus: eingezogen wurden 328 Rekruten, 11 hatten sich freiwillig zur Armee gemeldet, 871 für tauglich Befundene waren ihrer Einberufung durch
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„Flucht in den Busch" bzw. den „Exodus nach Gold Coast" zuvorgekommen. 61 In welchem Maße die Rekrutierung als Zwang erfahren wurde, evoziert die von Veteranen diesbezüglich gebrauchte französische Vokabel des „(Ein)gefangen- oder Erwischtwerdens": „Tu demandes comment est-ce que je suis devenu soldat dans l'armée française? On nous a attrapé à Tougan ici, on nous a attrapé pour trois ans [...]." 62 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch, wie die mit der Rekrutierung assoziierten Gewalt- und Ohnmachtserfahrungen in der Muttersprache artikuliert und perspektiviert werden. Befragt nach den Lexemen für „Krieg" in Wolof, merkt z.B. ein senegalesischer Veteran des Zweiten Weltkriegs Folgendes an: On l'appelle ëpp dole, ce qui signifie le plus fort, car personne n'aime la guerre, qui peut, n'y va pas. Celui qui est plus fort que toi, il t'amène où tu ne veux pas aller. Une personne qui n'a pas de connaissance, n'est pas à l'abri d'être dominé par la force. [Interviewer: Il existe aussi l'expression dawal japp. Pourquoi ce nom?] Cela veut dire cours! attrape! C'est parce qu'on a vu les plus forts envoyer leurs sujets pour qu'ils courent attraper les plus faibles. C'est comme si tu disais à celui qui est avec toi: Cours m attraper ceci ou cela! Mais celui qui est poursuivi pour être attrapé ne va pas l'appeler ainsi.63 Wie Kouraogo am Beispiel des Unterbezirks von Tougan (heutige Provinz Sourou) nachweist, war es indes nicht die im Zusammenhang mit den Rekrutierungen unmittelbar erfahrene Gewalt allein, welche junge Männer insbesondere im Zeitraum zwischen 1919 und 1930 zur Flucht vor der Armee veranlasste. Sie ließe sich vielleicht treffender als letztes Glied einer Kette von Erfahrungen des Zwangs und der Entwurzelung bezeichnen, welche die Bevölkerung dieser Region über die Jahre gesammelt hatte und die aus ihrer Sicht nun in den Rekrutierungen kulminierten (Kouraogo 1989/90: 64). Da war zunächst die auch hier noch frische Erinnerung an die gewaltsamen Rekrutierungen von 1914-1918 und die 1916 blutig niedergeschlagene Erhebung der Dörfer des Südwestens gegen die französische Kolonisation, unter der vor allem der muslimische Teil der Bevölkerung
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stark zu leiden hatte (vgl. Madiega 1981: 262-264). Hinzu kam die Ungewissheit über den Verbleib der eingezogenen Söhne, die man - im Gegensatz zu Chefs oder wohlhabenden Familien - mangels finanzieller Mittel nicht vom Militärdienst „freizukaufen" in der Lage war. Aber auch das Schicksal derer, die lebend aus dem Ersten Weltkrieg ins Dorf zurückgekehrt und von der Armee im Stich gelassen worden waren, motivierte junge Männer nur schwerlich, es ihnen gleichzutun. Abschreckend wirkten nicht zuletzt von einigen aktiven Soldaten auf Heimaturlaub begangene Vergewaltigungen und deren allgemein asoziales und brutales Verhalten, welches die Daheimgebliebenen auf die Rekrutierungen für die Armee Ursache allen Übels - zurückführten (Kouraogo 1989/90: 62-64). Wie erklärt sich vor diesem Hintergrund die ab Beginn der 1930er Jahre einsetzende „Trendwende", im Zuge derer sich auch im Unterbezirk von Tougan mehr und mehr Freiwillige zur Armee meldeten? Sicherlich entfaltete hier das Beispiel der mit gewissen Privilegien ausgestatteten Veteranen aus der ersten Generation der Langzeitverpflichteten („15jährige") seine Wirkung, waren diese doch, ihre Familienangehörigen und Nachkommen ersten Grades eingeschlossen, „im Prinzip" von der Kopfsteuerpflicht und den Arbeitseinsätzen im öffentlichen Interesse (prestations) befreit, zudem pensionsberechtigt64 und, sofern sie während ihrer Dienstzeit befördert worden waren, bei lokalen und französischen Autoritätspersonen gut angesehen (ebd.: 76). Unter diesen Gesichtspunkten mochte die Uniform jungen Männern durchaus attraktiv erscheinen, zumal sie über die materiellen Vorteile hinaus auch einen sozialen Aufstieg verhieß. In der Mehrzahl der Fälle wurden im Zeitraum von 1931 bis 1948 jedoch andere materielle und soziale Beweggründe ausschlaggebend für diesen Zuwachs an Soldaten. Deren nähere Betrachtung zeigt, dass junge Männer weniger eine explizite Entscheidung für die Armee getroffen haben, sondern ihre freiwillige Meldung vielmehr eine Notlösung oder ein Ausweichmanöver darstellte. Kouraogo weist in diesem Zusammenhang zunächst auf die Hungerperiode im Gefolge von Weltwirtschaftskrise und anhaltender Dürre im Sahel 1930-31 hin, angesichts derer die Verpflichtung zur Armee Teil einer Überlebensstrategie wurde, insofern den Familien der Freiwilligen ja eine Prämie (prime) in Höhe von 50 Francs pro Jahr des Militärdienstes zustand. Damit knüpfte man an vorkoloniale Prak-
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tiken zur Bewältigung von Hungerkrisen an, in denen die „Verpfändung" von Familienmitgliedern (mise en gage) oder deren „Verkauf als Unfreie(r)" als Maßnahmen zu Überlebenssicherung ergriffen wurden (ebd.: 71 f.). In quantitativer Hinsicht erwiesen sich jedoch die seit 1928 betriebenen und im Zuge der Auflösung Obervoltas 1932 intensivierten Rekrutierungen der „zweiten Portion" als Arbeitssoldaten (tirailleurs-la pelle) als „zugkräftigstes" Argument für die freiwillige Meldung zur regulären Armee. 65 Sich unmittelbar nach der medizinischen Untersuchung und noch vor Ziehung der Lose als engagé volontaire für mindestens vier Jahre zum Militär zu verpflichten, stellte für junge Männer neben Flucht die einzige Möglichkeit dar, dieser camouflierten Zwangsarbeit zu entkommen. Für die Armee entschieden sich insbesondere diejenigen - und das waren nicht eben wenige - , die bereits Arbeitseinsätze im Rahmen der prestations oder als Kontraktarbeiter abgeleistet hatten und sich keine Illusionen darüber machten, was sie bei den Arbeitsbrigaden erwartete. 66 Vor dem Hintergrund der Verkleinerung der kolonialen Truppenkontingente nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der 1946 erfolgten Abschaffung der kolonialen Zwangsarbeit und des unverändert hohen Arbeitskräftebedarfs für das Office du Niger erwiesen sich die für wehrtauglich befundenen Männer als letzte Arbeitsreserve, die unter Anwendung von Zwang und Verletzung internationaler Arbeitsschutzbedingungen mobilisiert werden konnte. Über die quantitative Erweiterung der „zweiten Portion" und deren systematische Ausbeutung informiert uns das erschütternde Selbstzeugnis eines unserer Interviewpartner, der 1947 zur Arbeit am Staudamm von Markala eingezogen wurde: [...] le 11 janvier 1947, on nous a recrutés ici. [...] nous étions 400. 400. Il y a eu seulement que 30 soldats. Ces 400, on nous a conduit à chose, à Nioro, Markala, pour les travaux forcés. Arrivés là-bas, on nous a cantonnés dans des, dans des maisons, maisons donc, maisons en paille donc, nous-même on a construit avant de, de commencer le travail. On nous a donné pigeasses et pioches [...] et on a creusé des trous de janvier jusqu'à en mai. [...] Et c'était très dur. Il y avait un ingénieur français, il n'a pas pitié à personne. Tu ne travailles pas, il tape! Il te tape! Si tu ne peux pas, il te tue en même temps et puis il continue. Comme ça les autres font le travail-là rapide. Et il dit celui qui...: ,Mais l'année
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Kapitel 1 suivante on demande dix contre un qui est mort. Donc c'est à vous de travailler!' [...] Nous avons travaillé dans ça-là pendant cinq mois. On était fatigué. Beaucoup de cop..., de copains sont morts là-bas. Si tu ne peux pas travailler, eh bien tu risques de ta vie. Pour celui qui est malade et qu'il ne peut pas travailler, on te soigne, mais si on vous dit que votre repos est fini, il faut aller travailler comme les autres.67
Folgerichtig ergriff er die erste sich ihm bietende Chance, seiner äußerst prekären Lage zu entkommen: [...] en mai 47, la guerre d'Indochine était chaud, très chaud même. Us sont obligés de venir nous demander des volontaires qui veulent aller en guerre. Parce que la France aujourd'hui, il manque, il manque de soldats. Ceux qui veulent n'ont qu'à sortir. Ainsi, moi aussi, j'ai dit aux, aux camarades, au lieu de rester mourir ici, je préfère aller mourir en guerre que de creuser des trous [...] tous les jours, tous nos nuits, ça revient [à] la même chose. [...] Donc, j'étais volontaire, je suis sorti.68 Dass es sich hier nicht um einen Einzelfall gehandelt hat, sondern über den „Umweg" über das Office du Niger eine ganze Reihe der insgesamt 1 017 zwischen 1946 und 1954 im Unterbezirk von Tougan rekrutierten Soldaten für den Vietnamkrieg „gewonnen" wurden, kann mit einiger Sicherheit angenommen werden (vgl. Kouraogo 1989/90: 87 f., 111). Teilt sich uns in dieser eindrücklichen Schilderung das Dilemma mit, in dem sich der vor die Entscheidung zwischen zwei tödlichen Risiken gestellte Arbeitssoldat befand, so klingt darüber hinaus auch ein Motiv an, das von verschiedenen Autoren zur Erklärung der wachsenden Akzeptanz des Militärdienstes ab dem Ende der 1920er Jahre herangezogen wird. Demnach ist die Option, in die Armee einzutreten, immer auch vor dem Hintergrund kultureller Wert- und Verhaltensmuster westafrikanischer Gesellschaften zu verstehen, die dem „Krieger" eine höhere soziale Wertigkeit beimessen als dem „Bauern", um so mehr, wenn letzterer unter entwürdigenden Bedingungen zu bestimmten Tätigkeiten gezwungen wird (vgl. Fall 1993: 196 f.; Echenberg 1991: 63 f.; Kouraogo 1989/90: 78-81). Im Falle der segmentären Gesellschaft der San (Samo), deren primäres Siedlungsgebiet im Unterbezirk von Tougan lag, lässt sich in der Tat von einem Selbstverständnis als „kriegerische Bevölkerung" sprechen, dessen Entstehungsgeschichte auf die politischen und militärischen Auseinander-
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Setzungen zwischen den Gesellschaften im Westen Obervoltas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Ihren Ruf als „kriegerische, auf Selbstverteidigung bedachte" Bevölkerung (Kouraogo 1898/90) hatten sich die San im Zuge ihrer erbitterten Gegenwehr gegen die Expansionsbestrebungen ihrer Nachbarn - der zentralisierten Monarchie der Moose und der um die Errichtung einer islamischen Theokratie kämpfenden Jihadisten der Marka - sowie gegen die Razzien der Fulbe erworben 69 und sich später mit derselben Verve 1895 bis 1897 den französischen Eroberungskolonnen unter dem Kommando von Voulet und Destenave entgegengestellt (Kambou-Ferrand 1993: 188190; §aul & Royer 2001: 64-68). Im Verlauf der antikolonialen Erhebungen von 1915/16 schließlich fanden sich die Dörfer dieser Region in unterschiedlichen Lagern wieder. Während die weitaus meisten — in Ligen zusammengeschlossenen - Ortschaften sich dem Kampf gegen die französische Kolonialmacht verschrieben hatten, führte die ausdauernde Weigerung anderer, zu den Waffen zu greifen, zu bürgerkriegsähnlichen Situationen, so u. a. im bedeutenden Dorf Torna, das seit 1913 eine Missionsstation der „Weißen Väter" beherbergte (§aul & Royer 2001: 209-212). Vor dem Hintergrund eines über mehr als zwei Generationen durch militärische Auseinandersetzungen geprägten Alltags liegt es nahe, dass kriegerisch konnotierte Männlichkeitsmuster gesellschaftlich valorisiert und im historischen Längsschnitt tradiert wurden. So propagierten Kouraogos Untersuchung zufolge die ehemaligen Langzeitsoldaten der ersten Tirailleurs-Generation den Militärdienst als moyen de standing social où tout homme valide devrait nécessairement passer afin de s'octroyer une place de choix dans la société. D'ailleurs selon l'esprit collectif des Samo, servir l'armée et surtout participer à une guerre de grande envergure, exigeait certaines endurances que seuls les hommes braves et courageux pouvaient supporter. Face à une telle conception, la recrue [...] devenait aux yeux de la population un héros et à ce titre on lui devait respect et honneur si toutefois elle avait la chance de revenir au pays (Kouraogo 1989/90: 77). Während es sich aus der Perspektive der Bevölkerung um eine Aktualisierung und Rehabilitierung „eigener" soziokultureller Wertmuster und Männlichkeitsentwürfe handelte, die in gewisser Weise auch als Gegenentwurf bzw. Strategie zur Bewältigung ihres „beherrschten" Alltags ver-
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standen werden können, waren die „kriegerischen" Merkmale bestimmter afrikanischer Gesellschaften auch im Repertoire von Kolonial- und Militärverwaltung zu finden, wo sie als ethnofunktionale Selektionskriterien 70
der „Kriegerischen-Rassen-Doktrin" gehandhabt wurden. Deren Geburt aus dem Geiste paternalistisch und rassistisch motivierter Fremdzuschreibungen verhinderte aber die wechselseitige Übertragung und „Tradierung" solcher Wert- und Verhaltensmuster keineswegs, wie Echenberg betont: „Thus, it did not take long before recruitment patterns became selfreinforcing, as did French assumptions become self-fulfilling, as to which communities were the ,most warlike', or made the ,best' soldiers" (1991: 63). Obwohl Selbst- und Fremdzuschreibungen in Bezug auf das, was als „kriegerische" Prädisposition gelten konnte, also sehr unterschiedlich konnotiert waren, haben diese Schemata nicht nur Rekrutierungspraktiken der Europäer und Resonanzmuster der avisierten Bevölkerungsgruppen geprägt, sondern sich darüber hinaus im Längsschnitt auch auf die Karrieren der Männer in der Armee beträchtlich ausgewirkt. Bisherige Forschungen haben dieses Phänomen in erster Linie für die quantitativ am stärksten in der französischen Armee vertretenen Bamanan (Bambara) und Moose (Mossi) nachgewiesen und es u. a. damit in Zusammenhang gebracht, dass beide aus dicht besiedelten Regionen und zentralisierten Monarchien stammten (vgl. ebd.). Vergleichbare Entwicklungen lassen sich jedoch im Lichte der von uns erhobenen Daten auch innerhalb segmentärer Gesellschaftsformationen feststellen.71 So blickten 12 von 16 der in Tougan und Torna interviewten Veteranen - alle aus der Bevölkerungsgruppe der von den Franzosen als „très bons tirailleurs" etikettierten San - auf eine mindestens 12jährige Militärzeit inklusive diverser Beförderungen zurück; acht unter ihnen hatten sich nach eigenem Bekunden freiwillig zur Armee gemeldet.72 Man kann dies nun mit der Erklärung bewenden lassen, die San seien ebenso wie Moose, Lobi, Bobo und andere - den qua ethnischer Etikettierung in sie gesetzten Rollenerwartungen gerecht geworden. Es spricht jedoch einiges dafür, diesen Rückgriff auf eigene kämpferische Traditionen als Beispiel für den taktischen Umgang der Kolonisierten mit dem System der Zwänge zu interpretieren. So denn dem erzwungenen Dienst in
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der französischen Armee nicht mehr zu entkommen war, machte man sich ihn gewissermaßen zu seinen Bedingungen zu Eigen, indem man ihn in den „traditionellen" sozialen und kulturellen Wertekanon zu integrieren versuchte. In vergleichbarer Weise ließe sich der von Kouraogo berichtete bis zum Zweiten Weltkrieg im Unterbezirk von Tougan weit verbreitete „Brauch" deuten, vorgezogene Begräbniszeremonien für die frisch eingezogenen Rekruten zu organisieren (Kouraogo 1989/90: 149). Darin antizipierte die Gemeinschaft einerseits den mit allen denkbaren Unwägbarkeiten behafteten Aufbruch des jungen Mannes in die Armee als dessen physischen Tod, wie sich einer unserer Interviewpartner erinnerte: „[...] quand on les attrapait, ils pleuraient comme s'il y avait un décès". 73 Gleichzeitig rekurrierte sie damit auf überkommene Praktiken der kulturellen Markierung biographischer Zäsuren - den sozialen Tod des Adoleszenten - und identifizierte gewissermaßen die Armee als „Ort" der Initiation in die Welt der erwachsenen Männer: Derjenige, der lebend zurückkehrte, wurde als Held - „qui avait survécu à la mort" (ebd.) - gefeiert. In diesem Sinne lassen sich schließlich auch die oben zitierten Zeilen des „Liedes für die tapferen Männer" verstehen: Auch wenn man die tödliche Gefahr ahnt, die von den mit den Weißen gekommenen Eisenbahnschienen ausgeht, so beweist man seine Männlichkeit vor sich und anderen, indem man sie nicht meidet. Absicht dieses Kapitels war es, hinter die Kategorien zurückzugehen, unter denen die französische Militärverwaltung junge Westafrikaner im wehrfähigen Alter erfasste, und zu ermitteln, unter welchen Bedingungen ein Voltaer zu einem appelé,
bon absent
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wurde.
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass der Militärdienst weder für die jungen Männer noch für deren familiäres und dörfliches Umfeld eine präferentielle Option darstellte, sondern als eine von vielen Facetten des Systems der Zwänge wahrgenommen worden ist, das den kolonialen Alltag voltaischer (und westafrikanischer) Bevölkerungen tief greifend prägte. Während einerseits von einer direkten Koppelung ausgegangen werden kann, was die sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts entfaltende Wirkungsmacht dieses Systems und die stark zunehmende physische - zwangsgeleitete wie freiwillige - Mobilität der wirtschaftlich aktiven Bevölke-
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rungsgruppen angeht, so zeichnen sich andererseits unterschiedliche kollektive und individuelle Strategien ab, mit denen die Betreffenden versucht haben, die Situation zu bewältigen und sich Handlungsspielräume zu eröffnen. In diesem Zusammenhang entwickelte sich die freiwillige temporäre Arbeitsmigration nach Gold Coast zur markantesten Strategie voltaischer Bevölkerungsgruppen, um sich dem durch verschiedene Zwangsmaßnahmen gekennzeichneten kolonialen Zugriff auf menschliche Arbeitskraft und natürliche Ressourcen zu entziehen, das Überleben der Familiengruppe zu sichern und den Herausforderungen zunehmend monetarisierter Produktions- und Reproduktionsverhältnisse begegnen zu können. In dieser Auseinandersetzung „der Vielen" mit der kolonialen Situation begründete sich das Phänomen der zirkulären Migration (Cordeil et al. 1996), dessen weit über die Kolonialzeit hinausreichende Bedeutung für das Wirtschafts- und Sozialsystem Obervoltas/Burkina Fasos offenkundig ist. Ausgehend von der These, dass es sich bei der „Militärarbeit" um eine von mehreren Facetten des Systems der Zwänge handelt, wurde nach deren Stellenwert in Wahrnehmungsmustern und Handlungsorientierungen der Kolonisierten gefragt. Unbestritten scheint, dass die weitaus meisten ihre militärische Laufbahn unter dem Zwang der Umstände antraten und ihre Rekrutierung als eine von mehreren Spielarten des Zwangs erlebten, auch wenn sie den Militärdienst aus verschiedenen Gründen als weniger krass denn bis dahin am eigenen Leib erfahrene Varianten kolonialer Zwangsarbeit antizipiert haben mögen. Über den jeweiligen persönlichen und familiären Erfahrungszusammenhang hinaus verstärkte sich die Bereitschaft junger Männer, in die Armee einzutreten, vor allem in Krisensituationen wie den Hungerperioden, die im Gefolge der Weltwirtschaftskrise und der Dürrejahre um 1930 auftraten. Und nicht zuletzt sind diesbezüglich auch sozialpsychologische Faktoren wirksam geworden, wie etwa die Vorbildfunktion, die erfolgreiche Heimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg für junge Männer hatten, gesellschaftliche Wertmuster und Statuskategorien sowie mentale Rekonversionen des Verhältnisses Eroberer-Eroberte.
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Für einen instruktiven historischen Abriss der Kolonialperiode in Obervolta siehe Madiéga (1995a). Zur hier nicht erörterten politisch instabilen Ausgangslage des Gebietes, zum komplexen und konfliktreichen Beziehungsgeflecht zwischen zentralisierten und segmentären Gesellschaftsformationen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie deren unterschiedlichen Reaktionen auf das Vordringen der rivalisierenden Briten und Franzosen siehe die Arbeiten von Madiéga (1981) und Kambou-Ferrand (1993). Die auf ausführlichen Archivuntersuchungen aufbauende Monographie Kambou-Ferrands erbringt den Nachweis, dass Frankreich, abgesehen vom 1912 erfolgreich abgeschlossenen „Kolonialpakt" mit der MooseAristokratie, nach einem über fünfzehnjährigen Prozess militärischer Eroberung von einer faktischen Beherrschung des gesamten Territoriums weit entfernt war. Im Lichte dieser Arbeit sind die Erhebungen von 1915-16 als Teil des andauernden erbitterten Widerstands zu sehen, den die segmentären Gesellschaften im Westen und Südwesten - Marka, Gurunsi, San, Bwaba, Bobo und Lobi, der französischen Kolonialadministration und der ihr kooptierten, „importierten" Chefferie entgegensetzten. Zu Kurzdarstellungen der Erhebungen siehe Michel 1982: 100-117; Madiéga 1981: 260-265. Eine grundlegende Neubewertung der Ereignisse legen Çaul & Roy er (2001) vor, die aufgrund der Breite der Erhebungen - 1 000 Dörfer mit insgesamt etwa 800 000 Menschen und 15-20 000 bewaffnete Kämpfer - von einem antikolonialen Krieg und der größten Herausforderung sprechen, mit der Frankreich in Westafrika konfrontiert war. Ihre Analyse aller verfügbarer Archivmaterialien sowie die eingeholten mündlichen Zeugnisse legen auf eindrucksvolle Weise nahe, dass es sich hier nicht einfach um Aufstände gegen die Rekrutierungen für die französische Armee handelte, sondern um eine bewaffnete und koordinierte Erhebung mit dem Ziel, die französische Kolonialherrschaft zu beenden (ebd.: 297). Die politische Entwicklung in den 1940er und 50er Jahren wird in Kapitel 5 ausführlich dargestellt. Zu den verschiedenen Stadien der französischen Kolonialpolitik vom Kolonialpakt zur politique d'association und zum 1921 von Kolonialminister Albert Sarraut vorgelegten Programm der mise en valeur des colonies françaises siehe Bouche 1991: 149-273. Vgl. auch die Überblicksdarstellung in Reinwald 1995: 252-259. Diese Erosion ist nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, dass das Einkommen der Chefs zum größten Teil erfolgsabhängig war, d.h. sich
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Kapitel 1 am Steueraufkommen und Gratifikationen der Kolonialverwaltung bezüglich der Rekrutierungen von Arbeitskräften bemaß, was eine generalisierte „Auspressung" der Bevölkerung nach sich zog. Die zunehmende Virulenz dieser Krisen und offene Infragestellung lokaler Machtverhältnisse im Kontext der gesellschaftlichen Aufbruchstimmung der 1940er und 50er Jahre sowie der Anteil afrikanischer Kriegs Veteranen an dieser Entwicklung werden in Kapitel 5 erörtert. In Ergänzung zu diesem auf die ruralen Gebiete der AOF angewandten Dekret galt, zunächst für die Städte der Kolonie Senegal und ab 1923 für alle Urbanen Einzugsgebiete der AOF, die gesetzliche Verordnung zur „Unterdrückung des Vagabundentums". Ihr zufolge galt jede/r ohne Nachweis einer Wohnung oder im Besitz eines Arbeitsbuches Angetroffene als Vagabund/in, der/die zu Arbeiten auf öffentlichen Baustellen, in Werften oder im Transportbereich, allerdings gegen Entlohnung, herangezogen werden konnte. Die Kolonialverwaltung betrachtete dieses Dekret nicht zuletzt als probates Mittel zur Eindämmung der wachsenden LandStadt-Migration (Fall 1993: 49 f.). Zum bislang wenig beachteten Zusammenhang zwischen kolonialer Zwangsarbeit und Urbanisierung siehe Fourchard 2003. Fourchard weist am Beispiel von Ouagadougou und BoboDioulasso nach, dass bis zu 50 000 - mehr oder weniger auf der Basis von Zwang mobilisierte - Arbeitskräfte pro Jahr zur infrastrukturellen Entwicklung und zum Bau der europäischen Quartiere in den beiden Städten herangezogen wurden. Dieser Logik folgend entrichtete die Bevölkerung der quatre communes Dakar, Rufisque, Goree und Saint-Louis, die sich im Besitz der Bürgerrechte befand, ihren Beitrag in Form einer Geldsumme. Ausgenommen davon waren lediglich Militärangehörige und ihre Familien sowie Behinderte. Ab 1937 wurde das Mindestalter auf vierzehn Jahre heraufgesetzt (Cordeil et al. 1996: 77). Erlebnisberichte aus verschiedenen Regionen der AOF legen übereinstimmend Zeugnis von diesen menschenverachtenden Arbeitsumständen ab, darunter die von Magasa (1978) zusammengetragenen Erinnerungen ehemaliger Zwangsarbeiter des Office du Niger im kolonialen Sudan (Mali), die von Diallo (1995) durchgeführte Befragung der Bewohnerinnen der Provinz Wubritenga nördlich von Ouagadougou und die Lebensberichte der von Lawler (1988) interviewten ivorischen Kriegsveteranen, in denen die Erfahrung der kolonialen Zwangsarbeit immer wieder thematisiert wird. Fall weist indes darauf hin, dass sich durch den Freikauf zwar die unmittelbare physische Ausbeutung verringerte, dass nunmehr jedoch erstmals auch Frauen und nomadisierende Bevölkerungen als Arbeits-
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Pflichtige galten (Fall 1993: 224 f.). Abgesehen davon stellte natürlich auch die Beschaffung der Geldsumme ein Problem dar, das häufig nur durch zusätzliche Arbeitsaktivitäten zu bewältigen war. Zur Problematik der „Freiwilligkeit" der den RTS bis zum Ersten Weltkrieg angehörenden ehemaligen Sklaven und anlässlich der kolonialen Eroberungskriege unterworfenen Bevölkerungsgruppen siehe ausführlich Echenberg 1991: 7-26. Das politische und militärische Profil des im Ersten Weltkrieg zum General beförderten Mangin war durch dessen lothringischen Hintergrund, das durch die Niederlage von 1871 erzwungene Exil seiner Familie und seine lebenslange Verbundenheit mit der Kolonialarmee - er hatte u. a. an der Eroberung des Westsudans (Mali) und an der gescheiterten Faschoda-Expedition teilgenommen - gleichermaßen geprägt (vgl. Echenberg 1991: 28 f.). In der Schrift La Force Noire (1910) präsentierte er seine Vorstellungen über Schwarzafrika als „unerschöpfliches" Menschenreservoir und der spezifischen - rassenbiologisch und kulturhistorisch begründeten - Eignung von Afrikanern zum Kriegshandwerk. Ebenso wie die um Mangin versammelte französische Lobby zur Massenrekrutierung von Afrikanern hatten entsprechende Kreise in Großbritannien bereits zu Beginn des 19. Jahrhundert erfolgreich die massive Verwendung indischer Kolonialtruppen propagiert (vgl. dazu Koller 2001: 79-81). Zur Doktrin der „Kriegerischen Rassen", mit der solcherlei Vorstellungen „wissenschaftlich" untermauert und die Verwendung kolonialer Truppen im Ersten Weltkrieg auf britischer und französischer Seite legitimiert wurde, siehe Martin (2000: insbes. 2127) sowie Lunn (1999b), der die Fronteinsätze westafrikanischer Männer auf der Grundlage dieses Klassifikationssystems untersucht und eine überdurchschnittlich hohe Todesrate unter den als „Schocktruppen" ausgewählten „kriegerischen Typen" feststellt. Die Festlegung erfolgte auf Drängen von Generalgouverneur Ponty, der, obgleich zu den Befürwortern der force noire gehörend, die jährliche Quote von 10 000 Rekruten als absolute Obergrenze für die „Abschöpfung" von Arbeitskraft einschätzte, jenseits derer er die Durchführung der wirtschaftlichen und infrastrukturellen Entwicklungsprojekte in Westafrika grundsätzlich gefährdet sah (siehe Fall 1993: 126). Zu dieser auf äußerst unzureichenden demographischen Schätzungen der Gesamtbevölkerung der AOF basierenden und anhand von fünf nicht weniger fragwürdigen Variablen errechneten Quote siehe Echenberg 1991: 47-64. Wie Echenberg feststellt, wurden bei der Ermittlung dieser Quote insbesondere die Anzahl von Frauen im gebärfähigen Alter sowie der proportionale Anteil von Frauen und Männern an der je-
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Kapitel 1 weiligen Gesamtbevölkerung einer Region vollständig ignoriert (ebd.: 50 f.). Zu den auf der Grundlage jener „Rechenkunst" von den Kolonien und ihren Bezirken zwischen 1920 und 1947 durchschnittlich abgeforderten jährlichen Rekrutenzahlen siehe die von Echenberg erstellten Schemata (ebd.: 53-57). Zur Geschichte des Office du Niger, der mit diesem Projekt angestrebten intensiven Nutzung natürlicher und menschlicher Ressourcen sowie den Auseinandersetzungen zwischen den daran beteiligten staatlichen Institutionen und privatwirtschaftlichen Unternehmen siehe Roberts 1995 und Roberts 1996: 118-144; 223-248. Für eine detaillierte Untersuchung der Arbeitsorganisation auf den jeweiligen Großbaustellen des Office, der Arbeits- und Lebensbedingungen der dort eingesetzten „zweiten Portion" afrikanischer Rekruten sowie der zweifelhaften Rentabilität dieser Zwangsarbeitskräfte, deren Desertionsraten und Widerstandsformen vgl. auch Fall 1993: 161-199 und die oben bereits erwähnten Zeugnisse in Magasa 1978. Siehe auch Morabito 2003, demzufolge die bereits ab 1929 avisierte Auflösung der Kolonie Haute-Volta in enger Korrelation zur Arbeitskräftebeschaffung für das Office stand. Fall weist diesbezüglich zu Recht auf den Kumulationseffekt hin, der auf die durchschnittlich zwei bis dreijährige Verpflichtung jener Arbeitssoldaten zurückzufuhren ist. Auf dieser Grundlage muss für die Jahre 1932-34 von etwa 6 000 Arbeitern unter militärischem Kommando, für 1938 von 3 500, für 1940-42 von 7-8 000 ausgegangen werden, bevor zwischen 1943 und 1945 die Gesamtzahlen schließlich von 6 000 auf 5 000 zurückgingen (Fall 1993: 170 sowie Diagramme Nr. 9 und 10, ebd.: 168 f.). Mit einer Ausnahme allerdings: im Gegensatz zu den Soldaten der ersten Portion wurden die ebenfalls für drei Jahre verpflichteten tirailleurs-la pelle in der Regel nach 22 Monaten Arbeit auf den Eisenbahnbaustellen, bzw. 24 Monaten beim Office du Niger in die Freiheit entlassen (Fall 1993: 164). Loi n° 46 du 11 avril 1946 abolissant le travail forcé ou obligatoire: Journal Officiel de l'Afrique occidentale française n° 2223 du 4 mai 1946, S. 547. Zur Auseinandersetzung um die Abschaffung der kolonialen Zwangsarbeit in der AOF, ihren politischen und sozialen Implikationen siehe im Folgenden Kapitel 5. ANS K 374, V 26, Deuxième portion et loi du 11 avril 1946, Dakar 17.05.1946, hier zitiert nach Fall 1993: 283. Wie aus einem Inspektionsbericht des Vorsitzenden des Ausschusses zur Industrieplanung in den Kolonien im Überseeministerium, Jacobson, hervorgeht, sollten neben der Beibehaltung der Arbeitspflicht für die zweite Portion weitere Maßnahmen ergriffen werden, um den Arbeitskräfte"schwund" im
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staatlichen und privaten Wirtschaftssektor zu verhindern. Dazu zählten z.B. Sonderrechte für das Hochkommissariat, weiterhin Arbeitskräfte im Sinne des „öffentlichen Interesses" requirieren zu dürfen, Lohnanhebungen für Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, das Wecken von Konsumbedürfnissen durch die Steigerung des Warenangebots, aber auch die Einrichtung von Kinos (!) und die Sicherung der Nahrungsversorgung. CAOM: Fonds Moutet (APOM 19, Dossier 3b - Resumé de l'exposé présenté à la Commission du Plan d'Industrialisation des Colonies, le 27 mai 1945 [sic! 1946] par Monsieur Jacobson). Hatte sich deren Protest gegen die unerträglichen Arbeits- und Lebensverhältnisse lange Jahre in hohen Desertionsraten oder spontanen Arbeitsniederlegungen artikuliert, so verliehen sie ab 1945 durch organisierte Streiks ihren Forderungen Nachdruck, als Militärangehörige behandelt zu werden, d.h. als Pioniereinheiten der Armee zu dienen, die in Rechten und Pflichten ihren weißen Kameraden gleichgestellt waren (vgl. dazu Fall 1993: 284-286). ANS K 260, V 26: Note pour M le Haut-Commissaire au sujet de l'emploi de la 2e portion du contingent, Dakar 05.01.1949, hier zitiert nach Fall 1993: 287. Ali Sène, senegalesischer Veteran des Zweiten Weltkriegs, Dorf bei Sébikotane, 30.05.1987. Verfilmtes Interview, durchgeführt von Manfred Prinz und Alioune Dione in Wolof. Transkription und Übersetzung dieser Passage B.R., Filmaufnahme VHS, Original im „Tirailleurs Sénégalais"-Archiv der Universität Bayreuth). Auf die Frage der Interviewer, ob er Kriegslieder oder Gedichte kenne, rezitierte Sène diese Zeilen eines, so er selbst, „Liedes für die (tapferen) Männer", die er anschließend auf Anforderung der Interviewer auch sang. Während die erste Zeile des Wechselgesangs Sanou vor den Eisenbahnschienen warnt, weil von da die Weißen - und mit ihnen der Tod - kommen, ist dessen Erwiderung zu deuten als: „Ich meide die Schienen nicht, wenn der Tod kommt, werde ich (als Held) sterben." ANS 21 G 54, V 17 (Notes, migrations, exodes 1935). Rapport Sorel, Dakar 12.10.1931. Für die freundliche Überlassung dieses Dossiers danke ich Dr. Laurence Marfaing. Zitate und Verweise aus diesem Dokument sind, soweit nicht anders vermerkt, durch die jeweils in Klammern angegebenen Seitenzahlen gekennzeichnet. Robert Delavignette: Service africain, Paris: Gallimard 1946, S. 183, hier zitiert nach Mande 1995: 320. Vgl. dazu die Angaben des Historikers Raymond Gervais, der für die Periode von 1920 bis 1932 von 13 5000 voltaischen Arbeitsmigranten jährlich ausgeht, von denen die meisten in Côte d'Ivoire eingesetzt wurden (Population et politiques agricoles colonia-
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Kapitel 1 les dans le Mossi, 1919-1940, Dissertationsarbeit, Université Paris VII, 1990,3 Bände, Bd. 2, Tabelle 2, hier zit. nach Cordell et al 1996: 71). Die Geschlechterverhältnisse im System der kolonialen Zwangs- und Kontraktarbeit sind bislang kaum erforscht. Einige wenige Angaben zu den vom Office du Niger engagierten Köchinnen - dort kam eine Frau auf 25 Männer - und deren Entlohnung (1,50 Francs pro Mann und Monat) macht Fall (1993: 172, 179). Laut Fourchard waren etwa ein Drittel der Urbanen Zwangsarbeiterinnen bzw. der temporär verpflichteten „freiwilligen" Arbeitskräfte in Ouagadougou und Bobo-Dioulasso Frauen. Er weist in diesem Zusammenhang auf die geschlechtsspezifische Aufgabenteilung und das Lohngefälle hin: Frauen erhielten in der Regel nur knapp die Hälfte des den Männern zugestandenen Lohns (Fourchard 2003: 1412 f.). Zur Geschichte voltaischer Migrantinnen im kolonialen und postkolonialen Kontext siehe Cordell et al 1996: 231-285 sowie, zum Vergleich männlicher und weiblicher Migrationsstrategien und geschlechterspezifischer Arbeitsbereiche, ebd.: 287-328. Eine vergleichbare, von der Kolonie Soudan ausgehende freiwillige männliche Arbeitsmigration in Richtung Senegal, das navetanat (von Wolof nawet: Regenzeit), gewann im selben Zeitraum an Breite. Die navetanes verdingten sich als saisonale Arbeitskräfte bei den Bauern in der Region Siin-Saalum, wo der exportorientierte Anbau von Erdnüssen ab den frühen 1920er Jahren stark zunahm. Zur Geschichte des navetanat siehe Philippe David: Les navetanes. Histoire des migrants saisonniers de l'arachide en Sénégambie des origines a nos jours. Dakar: Nouvelles Editions Africaines 1980. Den engen Zusammenhang zwischen kolonialer Zwangsarbeit und navetanat thematisiert Manchuelle 1997:147-178. Labourets aus diversen britischen Quellen zusammengetragene Zahlen sollten hier lediglich als grobe Anhaltspunkte für den quantitativen Umfang der freiwilligen Migration aus Obervolta bzw. Soudan verstanden werden. Auf die große Schwankungsbreite innerhalb des Zahlenmaterials, mit dem Briten und Franzosen jeweils hantierten, weist auch Mandes Untersuchung der voltaischen Migrationsströme im Zeitraum von 1919 bis 1960 hin. Letzterer gelangt auf der Grundlage französischer Archivquellen zu abweichenden Zahlen folgender Größenordnung, voltaische Migranten nach Gold Coast betreffend: 100-150 000 in 1924, 30-60 000 für 1929-1932,4050 000 in 1938 und 130 000 in 1951 (Mande 1995: 335). Dies entspricht in etwa den Angaben in Cordell et al (1996: 100), denen zufolge sich der durchschnittliche Monatslohn eines Migrationsarbeiters in Gold Coast in 1928 auf 270 Francs, in Côte d'Ivoire dagegen lediglich auf 39 Francs belief. Die Flucht vor hohen Steuern und Rekrutierungen zur kolonialen
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Zwangsarbeit sowie materielle Anreize wurden denn auch von temporären und langfristigen voltaischen Migrantinnen in Gold Coast explizit als Beweggründe für ihren vorübergehenden oder definitiven Weggang aus der französischen Kolonie genannt, wie Cordeil et al (1996: insbesondere 8284) mit Verweis auf diverse Fallstudien zum Thema betonen. Tagebuch der Missionsstation von Bobo-Dioulasso, Eintragung vom 25.11.1936, S. 249. In: Diaires de Bobo-Dioulasso-Ville, Bd. 2, 3.10.1934-31.12.1937 (Archivio Generale di Missionari di Africa, Rom, im Folgenden AGMA). In den ersten beiden Bänden dieser Tagebücher (Bd. 1: 20.1.1928, Datum der Gründung der Missionsstation 1.10.1934) sowie in den ersten beiden Bänden der Diaires der 1931 gegründeten Station von Tounouma (7.2.1931-29.8.1946) häufen sich die Eintragungen zu den Themen Zwangsarbeit, Amtsmissbrauch von Chefs und Fluchtversuche von Arbeitsrekruten. Aus den Aufzeichnungen geht auch hervor, dass die avisierten Gruppen häufig bei den Missionaren Fürsprache suchten. Tounouma ist ein Stadtteil von BoboDioulasso. Gemäß des Wehrpflichtgesetzes von 1919 setzten sich diese Kommissionen, welche über die Tauglichkeit der jungen Männer zu befinden hatten, aus einem Kolonialoffizier, dem französischen Bezirkskommandanten, einem Armeearzt und diversen Hilfskräften aus Armee und ziviler Verwaltung zusammen (Echenberg 1991: 51). So geschehen im Kanton von Garango im Südosten Obervoltas während der Amtszeit von Naaba Saaga, einem ehemaligen sergent der TS und Kantonschef von 1928-1965, welcher der französischen Armee auf diese Weise einen enormen Zuwachs an Rekruten aus dieser Region bescherte (Traore 1988/89: 27 f., 53-63). Dieselben Praktiken weist Kouraogo (1989/90: 93 f.) für den Unterbezirk von Tougan nach. Der Terminus bons absents, eine Verkürzung von bons pour le Service, mais absents, ging ab den 1920er Jahren in die Alltagssprache ein. Siehe in Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Traore die Vergleichsstudie von Bayili über die Rekrutierungen im Gebiet der Lela (Kanton von Koudougou). Er führt die hohe Zahl von bons absents in dieser segmentären Gesellschaft auf vergleichbar harsche Praktiken der dort von der Kolonialadministration eingesetzten Moose-Chefs zurück (Bayili 1986/87: 53-58). Zu denselben Schlussfolgerungen kommt auch Kouraogo für den Unterbezirk von Tougan für die Periode 1920-1930 (Kouraogo 1989/90: 62-72). Was die Bestrebungen politisch einflussreicher und statusbewusster Familien durchaus einschloss, mindestens einen Sohn zur Armee zu schicken, um seine späteren Chancen auf das Amt eines Chefs zu erhö-
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Kapitel 1 hen und somit ihren Status als „traditionelle" Elite abzusichern (Echenberg 1991: 63). N.O., Jahrgang 1936, Ouagadougou 02.10.1999. Siehe auch die Memoiren des ehemaligen Staatspräsidenten Sangoulé Lamizana, in denen er detailliert beschreibt, wie er seinerzeit infolge eines administrativen Handstreichs von einem Augenblick auf den anderen zum Tirailleur Sénégalais gemacht wurde (Lamizana 1999a: 47-56). Dieselbe Methode wurde noch zwanzig Jahre später - und in diesem Fall auf Veranlassung eines senegalesischen Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung - bei einem anderen unserer Interviewpartner angewandt. Er galt als „Hitzkopf, dessen politischen Einfluss auf die Jugend - er war im RDA aktiv - man durch die gewaltsame Einberufung in die Armee zu unterbinden versuchte (H.T., Jahrgang 1955, Ouagadougou 01.03.1999). Rapport annuel du cercle de Koudougou 1931. Recrutement et affaire militaire I (A), CNRST Ouagadougou, hier zit. nach Bayili 1986/87: 55. K.D., Jahrgang 1936, Tougan 17.05.1999. Mit diesem Begriff bezeichneten ihre Rekrutierung auch folgende unserer Interviewpartner: S.B., Jahrgang 1951, Bobo-Dioulasso-Accartville 19.03.1999; K.K., Jahrgang 1951, Toma 14.05.1999; D.D., Jahrgang 1949, Toma 14.05.1999. Im sonstigen Wortgebrauch der Veteranen taucht „attraper" lediglich noch in Bezug auf den „Feind" auf, so z.B.: „[...] on a attrapé le Aleman [...]" (O.D., Jahrgang 1937, Tougan 16.05.1999). Moussa Faye, Jahrgang 1942, Gandigal (Petite Côte/Senegal) 26.06.1987 (verfilmtes Interview, durchgeführt von Manfred Prinz und Alioune Dione in Wolof. Transkription und Ubersetzung ins Französische Aziz Hane. Filmaufnahme VHS, Original im „Tirailleurs Sénégalais"-Archiv der Universität Bayreuth). Übereinstimmend damit auch die Erklärungen des Veteranen Ali Sène (im Interview vom 30.05.1987, siehe Anm. 22), für den dawal japp im weiteren Sinne auch die „Versklavung des Schwächeren durch den Mächtigeren" bezeichnet. Ob sich dieses semantische Feld nur auf den „Krieg der Weißen" bezieht oder eine generelle Definition von Krieg aus der Perspektive der „einfachen Leute" darstellt, muss hier mangels Möglichkeit zur Nachfrage leider offen bleiben. „Im Prinzip", da nach dem Dekret vom 14.01.1918 Veteranen zwar nicht mehr unter den Code de l'indigénat fielen, die Praxis jedoch durch zahlreiche Ungereimtheiten und Spitzfindigkeiten gekennzeichnet war. So waren lediglich „15jährige" und Kriegsversehrte sowie deren Familien von Arbeitseinsätzen (prestations) befreit, wiederum aber nach wie vor kopfsteuerpflichtig (Kouraogo 1989/90: 141 f.). Zur Prob-
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lematik der Pensionen und Renten siehe im Folgenden Kapitel 5. Wie oben bereits erwähnt, wurden die Bezirke von Tougan und Ouahigouya 1932 der Kolonie Soudan zugeschlagen und fortan als präferentielles Arbeitskräftereservoir für das Office du Niger betrachtet. Vgl. hierzu die Statements ivorischer Veteranen in Lawler 1988, darunter vor allem folgende: „We were all ,volunteers'. There were many who did join because of forced labor. They knew that after you did your military service, there would be no more forced labor. You were free" (Ouanlo Silue, Sinematiali/Korhogo 28.01.1986, S. 864). „The canton chief was cruel. If you weren't taken for military service you would leave directly for forced labor - to pull the wood" (Gmbale Soro, Jahrgang 1937, Dossemekaha/Korhogo 24.02.1986, S. 961). „I wanted to be a soldier. I had already done forced labor - really forced. My father had done it as well - he was soundly beaten. He suffered much. After military service, they leave you alone. If you're not dead, you are free" (Gabriel Moyehi, Jahrgang 1947, Man 12.03.1986, S. 1008). Die ursprünglich in Französisch bzw. in lokalen Sprachen von Lawler durchgeführten Interviews wurden sämtlich ins Englische übersetzt. S.T., ehemaliger sergent-chef Jahrgang 1947, Tougan 16.05.1999. Ebd. Auch wenn ihm im Laufe seiner militärischen Laufbahn kaum eine Front erspart bleiben sollte - zwischen 1947 und 1954 kämpfte er nach eigenem Bekunden in Nordvietnam, 1957/58 in Südalgerien, 1958 schließlich sechs Monate in Kamerun gegen die Guerilla der UPC - und er weder die Gräuel des Krieges noch Schikanen und Benachteiligungen seitens seiner Vorgesetzten in seiner Schilderung ausklammert, so kommt er doch zum Schluss, dass seine seinerzeit getroffene Entscheidung für die Armee eine „gute Sache" gewesen sei. Zum historischen Hintergrund und zu Konfliktlinien dieser politischen Hegemonialkämpfe im Vorfeld der kolonialen Eroberung siehe den Überblick von Kambou-Ferrand 1993:121-128 sowie, zur Organisation des Widerstands der San gegen den jihad der Marka, die detaillierte Analyse von Echenberg 1969. Ursprünglich von britischen Militärs in Indien Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt, wurde das koloniale Konstrukt der „KriegerischenRassen-Doktrin" später nach Afrika „exportiert", wo es ab 1860 bei der Begründung der Royal West African Frontier Force (RWAFF) in Nigeria und Gold Coast sowie der King's African Rifles-Einhtiten (KAR) in Ost- und Zentralafrika zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Anwendung kam. Für einen Überblick siehe Killingray 1999: 14-16 sowie Killingray 1989: 175-180 zur „Hausaisierung" der westafrikanischen Truppen. Parsons weist am Beispiel der KAR nach, wie die Doktrin in der
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Kapitel 1 Praxis ordnungspolitischen oder rekrutierungspraktischen Erfordernissen angepasst, d.h. sowohl „kriegerischen" wie „nicht-kriegerischen" Bevölkerungen übergestülpt wurde (1999: 53-103). Zum ethnofunktionalen Faktor siehe auch das militärsoziologische Grundlagenwerk von Enloe (1980), die am Beispiel des Gurkha-Syndroms (nach den ersten nepalesischen Einheiten, welche die britische Armee ab 1816 in ihren Dienst stellte) das Verhältnis von Ethnizität und Militärpolitik analysiert. Ob die britische und französische Variante der Doktrin unabhängig voneinander entwickelt wurden oder ob es sich um eine Übernahme des britischen „Originals" durch französische Armeekreise handelte, wurde meines Wissens bislang nicht untersucht. In dieselbe Richtung deuten auch die militärischen Biographien der drei Lobi unter den von Lawler in Cöte d'Ivoire interviewten Veteranen (das Siedlungsgebiet dieser segmentären Gesellschaft gehörte zwischen 1932 und 1947 zur Kolonie Cöte d'Ivoire): zwei von ihnen waren Freiwillige, alle drei blickten auf eine 15jährige Dienstzeit zurück und waren zum Teil mehrfach befördert worden (siehe Interview Nr. 33 in Lawler 1988: 704-707, Nr. 90 in ebd.: 1071-1076 sowie Nr. 91 in ebd.: 1077-1079). Diese Beobachtung lässt sich durch die von Marc Hanke in 2001 durchgeführte Mikrostudie unter Indochina- und Algerienveteranen in Diebougou im Südwesten Burkina Fasos stützen. Alle zehn Interviewten, sämtlich Angehörige der segmentären Gesellschaften der Dagara und Birifor - von den Franzosen unter dem Etikett „Lobi" subsumiert - , waren Langzeitsoldaten und zum großen Teil in den Rang von Unteroffizieren aufgestiegen (Hanke 2002: 4 f.). Vergleichbare Lebensläufe ließen sich darüber hinaus vermutlich auch innerhalb anderer segmentärer Gruppen des Südwestens wie Bobo Fing, Bwa (Bobo-Oule), Turka etc. finden. Entsprechende Studien stehen allerdings noch aus. Interviews in Tougan und Torna 14.-17.05.1999. Acht von zwölf Langzeitsoldaten hatten 15 Jahre und länger gedient; fünf von diesen zwölf waren Veteranen des Zweiten Weltkriegs. Unter den acht Freiwilligen befanden sich drei Veteranen des Zweiten Weltkriegs. Unter Berücksichtigung der schmalen Datenbasis lässt sich ein Zuwachs an Freiwilligen und Langzeitsoldaten ab den Jahrgängen 1944 konstatieren, was auf einen sich verstärkenden Trend hindeutet, den Armeedienst als berufliche Option in Erwägung zu ziehen. Als besonders markantes Beispiel für einen Langzeitsoldaten sei hier auch General Sangoule Lamizana, ebenfalls San aus Tougan, Veteran der französischen Armee und Staatspräsident Obervoltas (1967-1980) angeführt. Siehe seine Kurzbiographie in Englebert 1996:46-48. K.D., Jahrgang 1936, Tougan 17.05.1999.
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Kriegsberichte und Reiseerinnerungen
Das folgende Kapitel thematisiert Erinnerungen westafrikanischer Weltkriegsveteranen an ihre „Reise durch den Krieg", an die verschiedenen Orte, an denen sie sich in diesem Zusammenhang aufhielten, und an die dabei geknüpften Beziehungen innerhalb der eigenen militärischen Verbände, zu benachbarten und „feindlichen" Einheiten sowie zur Zivilbevölkerung. Untersuchungsgegenstand sind also nicht die in den Lebensberichten dargebotenen Narrationen von Kriegsverläufen und der Verwicklung der Erzähler in dieselben. Betrachtet werden vielmehr die im Prozess des Erinnerns (re)konstruierte Topographie von „Frankreich", von der „Front", vom „Lager" zum einen, die Zugehörigkeit zu den in diesen Erfahrungs- und Begegnungsräumen gebildeten - vertikal und horizontal strukturierten - sozialen und ideellen Wir-Gemeinschaften zum anderen. Wie im Fortgang der Arbeit noch näher auszuführen ist, waren solche WirGemeinschaften und die ihnen zugrunde liegenden Prozesse der Integration und Exklusion, bedingt durch den Kriegsverlauf, aber auch durch die politischen Entwicklungen in der Nachkriegszeit starken Veränderungen unterworfen; Gleiches gilt für die persönliche Positionierung all derjenigen, die ihnen angehör(t)en, und ihre Wahrnehmungen des „Selbst" und des „Anderen". Im Bemühen, diese historisch amorphen und mit unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladenen Gemeinschaften zu perspektivieren, werden die Selbstzeugnisse ehemaliger afrikanischer Soldaten in Beziehung gesetzt zu Berichten französischer Militärangehöriger, welche Tirailleurs-Einheiten befehligt haben, sowie zu den wenigen vorliegenden Zeugnissen französischer Zivilpersonen. Bestandteile der Topographie der Erfahrung afrikanischer Soldaten sind einerseits Kasernen und diverse „Lager" - militärische Trainings- und Ausbildungscamps der französischen Armee in West- und Nordafrika sowie in Frankreich, Kriegsgefangenenlager der Deutschen in Nord-
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frankreich, aber auch in Deutschland, die von Alliierten und französischer Armee nach Kriegsende für afrikanische Soldaten eingerichteten Auffangund Repatriierungslager in Südfrankreich bzw. in Großbritannien1 - Hospitäler, Friedhöfe und Gedenkstätten, die „Front" und ihr - öffentliches wie privates - Jenseits, also Straßen, Gasthäuser, Bordelle und Bars sowie Privatwohnungen der Zivilbevölkerung andererseits. Diese physischen und sozialen Räume haben sich afrikanische Soldaten sowohl angeeignet als auch sich an sie angepasst. Das heißt, sie haben sich gewissermaßen in diese „Landschaften" eingeschrieben, sie mit Bedeutung aufgeladen, interpretiert und dabei Spuren hinterlassen, ein Prozess, dem nach Gregory Mann „eine machtvolle Spannung" innewohnte, insofern die französische Militärverwaltung in Bezug auf eben jene Räume häufig „andere Visionen" hatte, insbesondere was Disziplin, „Rassen" und Geschlechter übergreifende Beziehungen anbelangte (Mann 2000: 50 f.). Gleichzeitig schrieben sich die Strukturen dieser Räume und die in ihnen gemachten Erfahrungen dauerhaft in die Körper der Soldaten ein, so dass sie selbst aus diesem Prozess verändert hervorgingen. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf ihre Integration in den Mikrokosmos Armee und die Verinnerlichung seines Regelwerks - minimierte Bewegungsfreiheit, sanktionierte Handlungsspielräume und minutiös organisierte Tagesabläufe sondern auch für die - wie hier argumentiert wird, langfristig ungleich folgenreicheren - liminalen Erfahrungen der Männer während ihrer Kampfeinsätze, ihrer Zeit in den „Lagern" sowie im Zusammenhang ihrer jenseits der Armee eingegangenen Beziehungen. Ebenso wie sich aus der Vielzahl der „Orte", an die sich die Veteranen erinnern und die für sie eine biographische Bedeutung erlangt haben, eine topographische Karte „ihres" Frankreich bzw. „ihrer" Reiserouten ergibt, so fügen sich die verschiedenen - flüchtigen wie stabilen - Gemeinschaften, durch die sie mit ihrem „Zuhause" verbunden, in die sie mehr oder weniger gezwungenermaßen integriert waren bzw. denen sie sich aus verschiedenen Beweggründen anschlössen, zu einem komplexen Netzwerk. Es ist durch multiple und häufig einander widerstreitende Verpflichtungen und Loyalitäten gekennzeichnet, welche über die aktive Militärzeit hinaus für die Lebensstrategien und Handlungsorientierungen der Veteranen von Bedeutung geblieben sind.
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In Anlehnung an James Clifford (1997) begreift Gregory Mann die aufeinander folgenden Generationen der Tirailleurs als „Mitglieder einer idiosynkratischen 'traveling culture'", für die ein festes „Zuhause" - im physischen wie normativen Sinne - nicht mehr existierte (Mann 2000: 46). Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die „15jährigen", die Langzeitsoldaten, und deren offensichtliche Entfremdung von ihrem Herkunftsmilieu, sondern hebt darauf ab, die Geschichte der westafrikanischen Soldaten im historischen Kräftefeld gesellschaftlicher Unfreiheit und der durch koloniale Expansion und Zwangsarbeit ausgelösten Bevölkerungsbewegungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu betrachten: For the soldier of the First World War, ,home' was often neither where he came from (cercle of recruitment) nor the place to which he would return. For ex-slaves, it may have been an imaginary place, a lost moment, or West African village hundreds of kilometers from the site where he had entered the ranks. For others, one of the meanings of home was the garrison itself, as in the West African settlements in Morocco, where women and children were integrated into barracks life. By 1940, ,home' was more likely to be the place from which the soldier was recruited, except in areas of intense migrant labor, in which case the conscript was still likely to be a stranger (ebd.). Diese Feststellung gilt ungeachtet dessen, dass in vielen Fällen die Beziehungen im engeren familiären und weiteren dörflichen Zusammenhang fortbestanden und die Soldaten nicht zuletzt durch Korrespondenz und Geldanweisungen den Kontakt mehr oder weniger halten konnten. Wie noch gezeigt wird, erhielt dieses „Zuhause" jedoch im Zuge fortgesetzter Abwesenheit den Stellenwert eines „Zuhause" unter vielen, bzw. versuchten die Abwesenden seinen Verlust durch neue Bindungen auszugleichen. 2 Oder wie Mann argumentiert, die verschiedenen mental konzipierten Räume und Gemeinschaften, in denen sich die Soldaten bewegten bzw. an denen sie teilhatten, seien ihnen auf die eine oder andere Weise zum „home away from home" geworden (ebd.). Wie die Untersuchung der multiplen Beziehungen innerhalb dieser Räume und Gemeinschaften aus der Perspektive westafrikanischer Veteranen - und derjenigen ihrer französischen Vorgesetzten - jedoch auch zeigen soll, sind in diesem Prozess nicht nur militärische Wir-Gemeinschaften entstanden, aus denen sich bis heute andauernde frankoafrikanische Patronage-Klientelbeziehungen speisen
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(Mann 2000: 70 ff.); gemeinsame liminale Erfahrungen afrikanischer und metropolitaner Soldaten - an der Front und in der Kriegsgefangenschaft lösten aufseiten der Afrikaner auch mentale Grenzüberschreitungen aus, die auf ihre Weise langfristig zur Erosion kolonialer Mythen beitrugen. Eine vergleichbare Wirkung konnten Beziehungen zu französischen Zivilpersonen, insbesondere Liebesbeziehungen und angestrebte Lebenspartnerschaften mit Französinnen, entfalten, insofern in ihnen kolonial determinierte Körper- und „Rassen"grenzen überschritten wurden. Aus Gründen der besseren Darstellbarkeit werden im Folgenden Räume und Gemeinschaften gesondert betrachtet und somit ein komplexer gleichzeitiger Prozess des Bewegt-Werdens und der Bewegung im Raum und der in ihm geknüpften Beziehungsgeflechte in zwei analytische Stränge zerlegt. „Raum" bezeichnet hier ein Wirkungsfeld, durchzogen von - sich vielfach überlagernden und in enger Wechselwirkung stehenden - materiellen (Raum der Dinge), sozialen (Raum der Akteure) und symbolischen (Raum der Deutungen) Vektoren (vgl. Ecker & Langthaler & Neubauer 2001: 5).
Räume - Schauplätze und Landschaften Fokus dieses Abschnitts ist die retrospektive mentale Aneignung von Orten und Räumen - man könnte auch sagen: die geographische Kontextualisierung erinnerter Erfahrung - seitens westafrikanischer Weltkriegsveteranen, auf deren Grundlage eine aus multiplen individuellen, sich partiell überschneidenden „Routen" und „Knotenpunkten" zusammengesetzte Topographie erinnerter Landschaften des Krieges entsteht. Die damit unmittelbar aufgeworfene Frage nach „Gedächtnisorten" bzw. nach Formen und Dynamik kollektiven Erinnerns ist Gegenstand langjähriger wissenschaftlicher Kontroversen, von denen hier insbesondere die kritische Auseinandersetzung mit dem von der Forschergruppe um Pierre Nora entwickelten Makrokonzept des kollektiven Gedächtnisses interessiert.3 Das Bedeutungsfeld von Orten/Schauplätzen, die für westafrikanische Kriegsveteranen im Prozess des Erinnerns und Aktualisierens vergangener Erfahrungen zu „Gedächtnisorten" geworden sind, soll hier nicht in einem kollektiven - gesellschaftlichen oder nationalen - Bezugsrahmen aufgehoben
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werden, wie ihn Pierre Nora für die lieux de mémoire konzipiert, in denen sich „das Gedächtnis der Nation Frankreich in besonderem Maße kondensiert, verkörpert oder kristallisiert hat" (Nora 1998: 7). 4 Mein Augenmerk richtet sich vielmehr auf den Prozess der relationalen Anordnung von Personen und „Orten", d.h. ich untersuche die mentale Aneignung von Orten/Schauplätzen, materiellen, sozialen und symbolischen Räumen seitens der Veteranen als Ausdruck eines Bewegt-Werdens und einer Bewegung innerhalb eines kolonial und militärisch strukturierten, von Inklusion und Exklusion geprägten Kräftefeldes. Wie im Folgenden am Beispiel militärischer Einrichtungen und Transitzonen, der Front und ihres Jenseits sowie Orten des Gedenkens erörtert werden soll, vollzieht sich diese „Besetzung" von Orten und Räumen im Spannungsverhältnis zwischen der Reproduktion der vorgefundenen Ordnung und deren potentieller Transformation. Kollektives Erinnern wird hier verstanden als durch die Positionierung mehrerer - durch gemeinsame Erfahrungen und enge soziale Beziehungen miteinander verbundener - Subjekte an ein und demselben „Ort" generierter Prozess. In der Zirkulation von individuellen Erinnerungen innerhalb dieser sozialen Bezugsgruppe konstituiert sich nun
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Gedächtnis" als „matrix of interwoven individual memories. It has no existence without them, but the components of individual memory intersect and create a kind of pattern with an existence of its own" (Winter & Sivan 1999: 28). 5 Diese „small-scale agents" stellen eine Schlüsselgruppe dar, insofern die von ihnen geleistete Erinnerungsarbeit „den Raum zwischen individuellem Gedächtnis und der von gesellschaftlichen und politischen Führungsgruppen choreographierten nationalen Inszenierung des kollektiven Gedächtnisses einnimmt" (Winter 1999: 41, meine Übersetzung). Winters Ansatz, kollektives Erinnern als einen sozial vermittelten und von lokalen, kommunalen oder familiären Akteursgruppen getragenen Prozess zu begreifen und folglich deren jeweilige Narrative zum Gegenstand der Untersuchung zu machen, 6 schafft einen wichtigen Ausgangspunkt, was die Erforschung konkurrierender oder dissidenter Formen des Erinnerns zum einen, der Übergänge zwischen fließenden, d.h. auch flüchtigen, und verfestigten, institutionalisierten Erinnerungen sowie der diesem Prozess zugrunde liegenden Machtkonstellationen zum anderen betrifft.
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Indem das von Winter & Sivan vorgeschlagene prozess- und handlungsorientierte Konzept gewissermaßen die lieux de mémoire wieder an die milieux de mémoire rückbindet, gelangt es über Noras dichotome Konstruktion von „Gedächtnis" und „Geschichte" hinaus, welche auf einem unilinearen eurozentrierten Verständnis von Modernisierungsprozessen aufruht. Gemäß Noras Postulat, die Existenz von lieux de mémoire verdanke sich grundsätzlich dem Verschwinden der milieux de mémoire (Nora 1998: 11), wäre z.B. eine Veteranenrunde letztlich eine Residualkategorie des bereits untergegangenen „echten, sozialen und unberührten Gedächtnis(ses), dessen Modell die so genannten primitiven oder archaischen Gesellschaften repräsentierten" (ebd.: 12). Als Residuen zeichneten sich demnach auch deren Repräsentationen von „Orten" und „Schauplätzen" aus, welche in der Konfrontation mit der wirkungsmächtigen Geschichte sukzessive ihre Legitimation verlören (ebd.: 14) und deren Verfallsdatum allenfalls dadurch hinauszuzögern wäre, dass sich die betreffenden Subjekte an Gedächtnisorten „festkrallten".7 Wie schnell eine solch „idealistische" - von gesellschaftlichen Kontexten, Interaktionen und materiellen Bedingungen abgeschnittene - „Vision" (Winter & Sivan 1999: 31) von „Gedächtnislandschaften" allerdings in Erklärungsnot geraten kann, zeigt nicht zuletzt das Beispiel der gegenwärtig in Frankreich aufbrechenden öffentlichen Erinnerungsarbeit am Algerienkrieg. Militärische Einrichtungen und Transitzonen Zeichnete man ein Bewegungsdiagramm zu jedem der auf Karte 2 verzeichneten regulären Truppenstandorte, deren Kasernen, Depots und Krankenhäuser westafrikanische Weltkriegssoldaten im historischen Längsschnitt passiert haben, so erhielte man für die Garnisonsstadt Fréjus nahe der Côte d'Azur ein dicht gewirktes Netz sich überkreuzender Linien.8 Vom Kriegswinter 1915/16 an hat die fortgesetzte Präsenz westafrikanischer Truppenkontingente die Geschichte dieses militärischen Standorts mitgeschrieben und ihm darüber hinaus eine spezifische Prägung als sozialer und mit unterschiedlichen Konnotationen aufgeladener symbolischer Raum verliehen, so dass man Fréjus zu Recht als „Virtual outpost of West Africa in the Var" (Mann 2000: 54) charakterisieren kann.9
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BELGIEN DEUTSCHLAND
ARMELKANAL
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Karte 2: Koloniale Truppenkontingente in französischen Garnisonen, Stand: 3.9.1939 1 er R.I.C.: Cherbourg 2 e : Brest 3 e : Rochefort 23 e : Paris R.I.C.M.: Aix-en-Provence 41 e R.M.I.C.: Sarrai be 1 er R.I.C.: Libourne 2 e : Nîmes 3 e : Joigny 10e: Rueil-Malmaison 11e: Lorient 12e: Agen
Régiments de Tirailleurs 4 e R.T.S: Toulon 8 e : Toulon 12e: La Rochelle 14e : Mont-de-Marsan 16e : Montauban 24 e : Perpignan
Sénégalais:
42 e Bat. Mitraill. Malgaches: Pamiers 52 e Bat. Mitraill. Indochinois: Carcassonne 20 Bataillons d'Infanterie Européens 18 Bataillons d'Infanterie Sénégalais 1 Bataillon d'Infanterie Malgache 1 Bataillon d'Infanterie Indochinois
Insgesamt sechs Regimenter der Kolonialinfanterie (RIC und RICM), sechs Regimenter der Tirailleurs Sénégalais (RTS), ein Regiment MG-Schützen der Kolonialinfanterie (RMIC), sechs Regimenter der Kolonialartillerie (RAC), zwei Bataillone koloniale MG-Schützen.
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„Notre Côte d'Azur, elle est toute noire de nègres, pechère!" Solche Töne des Bedauerns, wie sie hier dem typischen Pariser Touristen von einem Boulevardmagazin in den Mund gelegt wurden (Sabattier 1917: 301), mögen oft zu hören gewesen sein, als Fréjus ab 1915 in rasantem Tempo von einer beschaulichen mediterranen Sommerfrische in ein riesiges militärisches Winterlager für koloniale Truppenkontingente umgewandelt wurde. Ad hibernam: Mit der vom französischen Kriegsminister, General Gallieni, getroffenen Anordnung, die Afrikaner während der Wintermonate von der Nord- und Ostfront abzuziehen und für sie ein „Transit- und Erholungszentrum" (N.N. 1974: 17) in den Außenbezirken von Fréjus zu errichten, reagierte der französische Generalstab auf die Erfahrungen im ersten Kriegswinter (Echenberg 1991: 35). Um die durch die deutsche Offensive sowie zahlreiche Fälle von Erfrierungen und Lungenkrankheiten stark gesunkene „Kampfmoral" afrikanischer Mannschaften wieder zu beleben, schickte man sie also von Oktober bis März zur hivernage10 nach Fréjus oder in das nahe dem Badeort Arcachon an der Atlantikküste gegründete Camp du CourneauDas Programm für die „Fronturlauber" bestand aus Exerzierübungen, Märschen, Kampftraining und Sprachunterricht. Aufgrund seiner strategisch und logistisch günstigen Nähe zu den Häfen von Marseille und Toulon wurde Fréjus in der Folge zum wichtigsten französischen Depot, Transit-, Trainings- und Ausbildungszentrum für überseeische Truppen ausgebaut, welches seine Bedeutung über die beiden Weltkriege hinaus auch für „nos campagnes outre-mer: Levant, Maroc, Indochine et Afrique du Nord" (N.N. 1974: 17) behalten sollte. 12 Bereits im Sommer 1916 wurden hier 20 000 frisch aus der AOF eingetroffene Soldaten auf ihre Kampftauglichkeit geprüft, um anschließend entweder an die Front geschickt oder in Etappenbataillonen zusammen13
gefasst zu werden. Letztere bildeten ein véritables „réservoir de Sénégalais", das im Bedarfsfalle u. a. der Rüstungsindustrie zur Verfügung stand. 14 Mit der 1919 abgeschlossenen provisorischen Installation des riesigen um Fréjus und Saint-Raphaël gelegten Komplexes der camps du sud-est war, um auf den oben erwähnten verblüfften Pariser Saisongast zurück-
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zukommen, im Handumdrehen aus einem „friedlichen Flecken" eine mit „lakritzfarbenen" exotischen Gestalten bevölkerte kriegerische Landschaft geworden (Sabattier 1917: 301, meine Übersetzung). Über die vergleichsweise rasch bewältigten infrastrukturellen und militärtechnischen Herausforderungen hinaus sah sich die Armeeführung angesichts einer derartigen Konzentration multikolonialer Kontingente jedoch auch vor eine kulturelle Aufgabe gestellt: Loin de former une succession de mondes cloisonnés, Africains, Malgaches, Indochinois et même pour un temps, Nord-Africains, devaient, tout en conservant leurs traditions et coutumes, constituer, sous le signe de l'ancre de marine, le patrimoine de la Coloniale de Fréjus (N.N. 1974: 17). Diese Selbstverpflichtung zur Schaffung einer frankoafrikanischen militärischen Kultur war implizit damit verbunden, ein allzu tiefes Eintauchen der kolonialen Subjekte in den nicht-militärischen Alltag, und damit nicht zuletzt vertrauliche Beziehungen zur französischen Zivilbevölkerung, zu verhindern, wie eine scharfsinnige Zeitgenossin anmerkte: Pour éviter d'aussi regrettables aberrations sentimentales, l'autorité militaire a décidé de supprimer ses concurrents. Les blessés et les malades sénégalais sont désormais parqués à Fréjus dans des étables sales, en planches ou en briques, mais bien défendues contre toute contamination française. Cela s'appelle de la résénégalisation comme qui dirait de la récatéchisation dans la peur (Cousturier 1920: 214 f.). Diese Zeilen spielen auf ein vom leitenden Militärarzt und ehemaligen Kolonialoffizier Charles Maclaud entwickeltes Segregationskonzept an, mit dem westafrikanische Rekonvaleszenten den für sie schädlichen europäischen Einflüssen entzogen und sukzessive wieder in ihr „sudanesisches" Kulturmilieu rückgeführt werden sollten (Mann 2000: 63 f.). Laut Maclaud waren Hege und Pflege durch weibliches Krankenpersonal und marraines - Patinnen aus der französischen Zivilbevölkerung, welche die Kranken besuchten, sie mit Geschenken und persönlicher Zuwendung bedachten dem mentalen Gleichgewicht der Westafrikaner besonders abträglich. Daneben galt es, die Promiskuität zwischen metropolitanen und kolonialen Kranken, aber auch die Vermischung von Patienten unterschiedlicher kolonialer Herkunft zu vermeiden. Gemäß Maclauds Vorstellungen wurden
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zwischen 1915 und 1918 Hospitäler für verschiedene koloniale Großgruppen in Frejus, Saint-Raphael und Menton eingerichtet; das Bestreben, einen rein männlichen, nach Möglichkeit ethnisch korrespondierenden Pflegedienst einzurichten, ließ sich aus Personalmangel jedoch nicht verwirklichen (ebd.).15 In Frejus schlug sich diese Idee einer Geschlechterund ethnisch segregierten medizinischen Infrastruktur im Bau von insgesamt vier kolonialen Militärkrankenhäusern - darunter ein „senegalesisches" und ein „annamitisches" - nieder.16 Jenes der Herstellung und Festschreibung von „Andersartigkeit" zugrunde liegende Konzept der kulturellen Differenz wurde auch bei der Schaffung einer religiösen Infrastruktur für die kolonialen Kontingente wirksam. Deren steinerne Überreste verleihen Frejus bis heute ein gewisses exotisches Flair: die 1917 von „indochinesischen" Soldaten des 4. RIC errichtete buddhistische Pagode Hong-Hien, inspiriert von der „traditionellen vietnamesischen Architektur" und eingerahmt von einem stattlichen Garten, bestückt mit „exotischen" Pflanzen, Statuen von Drachen und weißen Elefanten, ein zweites, später entstandenes - ebenfalls als „Pagode" bezeichnetes, jedoch säkulares - Gebäude „indochinesischen" Zuschnitts, dessen Eingang prächtige Fresken schmücken (N.N. 1974: 25; siehe Abb. 3), und schließlich die von „Senegalschützen" gebaute, 1928 fertig gestellte sudanesische Moschee. Die missiri17 (siehe Abb. 4 und 5) wurde als verkleinerter Nachbau der Großen Moschee von Djenne (Mali) entworfen, im Gegensatz zu jener allerdings nicht in Holz-Lehmbauweise, sondern als Betonkonstruktion ausgeführt und rötlich-ockerfarben angestrichen.18 In diesem Entwurf manifestierte sich der von Architekten und kolonialen Verwaltungsbeamten in der AOF imaginierte „neo-sudanesische" Baustil (Mann 2000: 65), der klassische Architekturformen der westafrikanischen Savanne aufgriff und in zahlreichen Bauwerken der Kolonialära zitierte.19 Im Rahmen der Kolonialausstellungen wurde er nach Frankreich „exportiert", wo ihn ein breites Publikum als 10
Repräsentation der AOF schlechthin rezipierte (siehe Abb. 6 und 7). Mit der auf Initiative des Kommandeurs der camps du sud-est und unter Beteiligung des Generalgouvernements der AOF errichteten missiri sollte den religiösen Bedürfnissen der Muslime unter den westafrikanischen Soldaten Rechnung getragen werden (Mann 2000: 65). Für Marc Michel
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ist dieser Bau ebenso wie die während des Ersten Weltkrieges für nordafrikanische Truppen eingerichteten Moscheen von Paris und Nogent-surMarne Ausdruck religionspolitischer Erwägungen der französischen Armeeführung. Durch aktive Toleranz und „Einrahmung" muslimischer Glaubenspraktiken - Nahrungsvorschriften, Gebetszeiten und Feste im religiösen Jahreszyklus - suchte man sich die Träger dieser als gesellschaftliche Ordnungskraft erkannten Offenbarungsreligion zu kooptieren und orientierte sich damit an der seit Beginn des 20. Jahrhunderts verfolgten kolonialen Strategie der präferentiellen Behandlung des Islam (Michel 1995: 300, 308). 21 Ob die missiri von Fréjus nun den Zuspruch der westafrikanischen 22
Muslime fand, in welchem Zeitraum dort tatsächlich Gebete abgehalten wurden und wie gut sie besucht waren, lässt sich mangels Archivquellen nicht ermitteln. Dass zudem keiner der von uns interviewten Veteranen diese Moschee von sich aus erwähnte, bzw. ihre höflich-gleichgültige Reaktion auf die ihnen hiervon gezeigten Fotografien ließe eher auf eine schwache Resonanz schließen, etwa vergleichbar derjenigen, die Gilbert Meynier unter nordafrikanischen Soldaten bezüglich der Moschee von Nogent-sur-Marne feststellte: Les militaires français se sont étonnés du manque d'assiduité des Musulmans à la mosquée et ont jugé l'investissement religieux finalement assez peu rentable. Les sentiments à l'égard de cette religion apportée sur un plateau, comme l'étaient le couscous ou le tabac à mâcher, et visiblement destiné, elle aussi, à .améliorer l'ordinaire', ont été tièdes: on avait l'impression que les Français en faisaient trop (Meynier 2000: 39). Meynier zufolge impliziert dies jedoch keineswegs, die Ernsthaftigkeit, mit der die Betreffenden ihren Glauben praktizierten, in Zweifel zu ziehen. Ihrer Korrespondenz ist vielmehr zu entnehmen, dass selbst während der Fronteinsätze die Ortung der Gebetsrichtung und die Beschaffung vorschriftsmäßig geschlachteter Tiere sie alles andere als gleichgültig ließen (ebd.: 49, Anm. 5). Dem Argument, dass dem „eigenen Antrieb" in Glaubensfragen in diesem Zusammenhang eine ausschlaggebende Bedeutung zukam (ebd.: 39), ist mit Blick auf die Stellungnahmen der von uns interviewten Veteranen des Zweiten Weltkriegs und der Jahrgänge 1946 bis
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1959 nicht nur grundsätzlich zuzustimmen. Letztere legen darüber hinaus nahe, dass muslimische Soldaten die Ausübung ihres Glaubens als ihre Angelegenheit betrachteten, womit sie ihrerseits den Anspruch verbanden, sich in einer Gemeinschaft ihres Vertrauens zusammenzufinden und unter der Anleitung eines aus ihrer Mitte bestimmten Vorbeters, der in der Regel auch die Tiere schlachtete, zu praktizieren.23 Diese Gemeinschaft konstituierte sich also gewissermaßen „jenseits" des offiziellen - und in ihren Augen nicht zuletzt von Ungläubigen für sie eingerichteten - Gebetsortes. Mann zufolge drückt sich in der Idee der résénégalisation und deren Umsetzung in der medizinischen und religiösen Infrastruktur das Bestreben der französischen Militärführung aus, „to control travel as a process of displacement and to make it a process of replacement, in which the traveler returns to the ,same' place he left" (Mann 2000: 65, Hervorh. im Orig.). Sein weiterführendes Argument, mit dem in dieser Vision verkörperten Entwurf von „Vergangenheit" und „Zukunft", miteinander verbunden durch den roten Faden der so hergestellten „Heimat", sei eine innovative frankoafrikanische Kultur geschaffen worden, die nicht mehr weder „Frankreich" noch „Afrika" noch eine hybride Mischung aus beiden war (ebd.), klingt bestechend. Ob diese Vision von den afrikanischen Soldaten so ohne weiteres geteilt wurde, scheint vor dem Hintergrund divergenter Auffassungen, was den Zweck des „Reisens" und die einem „Ort" wie Fréjus beigemessene Bedeutung betrifft, jedoch fraglich. Den meisten unserer Interviewpartner, Veteranen des Zweiten Weltkriegs und der nachfolgenden Kolonialkriege, ist Fréjus in erster Linie als Ort, an dem „man lernte, wie man Krieg macht" , bzw. als wichtige Transitstation, von der aus man zu seinem ersten Kriegseinsatz aufbrach, in Erinnerung geblieben.24 Manchen gilt Fréjus darüber hinaus als Ort des Wissenserwerbs und des beruflichen Fortkommens allgemein, haben sie doch gerade hier Französisch gelernt und Kurse absolviert, die ihren Aufstieg in einen höheren Dienstgrad ermöglichten. 5 Und nicht zuletzt, so ein anderer, bekam man in Marseille oder Fréjus eine Idee davon, wie es in Frankreich war: C'était vraiment [lacht vor Vergnügen, B.R.] bon quoi! C'était bon, il y a liberté, bon euh vraiment, on reçoit les gens. [...]Tu veux aller quelque part, tu ne connais pas, on t'explique et on te dirige [...] il y avait des relations avec des camarades français. Mmhmm! Des fois même, bien même, on se promène ensemble, même en ville!26
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Abb. 3: „Pagode" beim Camp Robert, Fréjus
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Abb. 4: Außenansicht der missiri von Frejus
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Abb. 5: Innenhof der missiri
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Abb. 7: Pavillon der AOF, Kolonialausstellung Paris-Vincennes 1931
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Wie bei allen Reisenden war auch bei einem Gutteil der afrikanischen Soldaten - hatten sie erst einmal ihre Ängste vor dem Ungewissen, das sie erwarten mochte, und die Seekrankheit während der Schiffspassage hinter sich gelassen - , die Neugier auf das unbekannte Land und seine Bewohnerinnen stärker als - oder zumindest ebenso stark wie - das Bedürfnis, sich „zu Hause" zu fühlen: How did things work over there? To see the country of the French that was already good. We left for France, but we didn't know what was waiting for us. A country that you don't know - you can't know what it is going to be like. You can think - but it's not the reality. We got to France and stayed there for two years. After the two years, when we were getting to come back, you went to buy clothes to faire la jeunesse ici.21 Gelegenheiten, sich die neue Umgebung anzueignen und Kontakte zu knüpfen, boten sich jenseits des minutiös reglementierten Kasernenalltags, so z.B. beim sonntäglichen Ausgang, anlässlich dessen die Soldaten (alkoholische) Getränke besorgten, sich in der Stadt zusammenfanden, gemeinsam sangen und tanzten, sich dabei von französischen Kameraden bewundern und fotografieren ließen und mit ihnen unter Umständen gemeinsam die Bars frequentierten, wo sie allerdings, wie ein Veteran anmerkt, an 28
getrennten Tischen tranken. Auf den Umstand, dass sich Kontakte zwischen Einheimischen und Afrikanern oftmals über den Ladentisch knüpften, verweist bereits die auf März 1918 datierte Anekdote Cousturiers über den Ausflug einer Gruppe afrikanischer Soldaten ins provençalische Hinterland. Dass es den „Pionieren" der „schwarzen Zivilisation" letztendlich gelang, die verschreckten „Indigenen" des kleinen Fleckens Cogolin aus der Reserve zu locken, sei auf die Freundlichkeit der „Eindringlinge" und die vielen Geldscheine, mit denen sie winkten, zurückzuführen gewesen: „Quelques vieillards, gardiens des traditions, et quelques hommes munis de solides principes se retranchèrent, mais les femmes proclamèrent la paix. Toutes les marchandes avaient ouvert leurs portes" (Cousturier 1920: 167). Kaufkraft und spezifische Konsumbedürfnisse afrikanischer Soldaten trugen auch in Fréjus nicht nur dazu bei, dass der örtliche Einzelhandel prosperierte, sondern zogen auch Vertreter diverser Berufszweige, Westafrikaner wie
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Franzosen, in die Stadt. Deren Weichbild wurde während des Zweiten Weltkriegs durch die wachsende Präsenz von ambulanten Händlern, Fotografen, Marabuts und die Aktivitäten eines - insbesondere ab 1944 florierenden Schwarzmarktes für Nahrungsmittel und Kleidung stark geprägt (vgl. Mann 2000: 52 f.). Obwohl detaillierte Untersuchungen über die wirtschaftlichen und sozialen Netzwerke der verschiedenen, in diesem kosmopolitanen „noman's-land" (ebd.: 52) operierenden Akteure noch ausstehen, kann mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden, dass westafrikanische Soldaten in ihnen eine weit aktivere Rolle spielten, als sie ihnen bei der Herstellung einer „sudanesischen Heimatkultur" zugestanden worden ist. In diesem Sinne lässt sich auch sagen, dass sie sich den Urbanen Raum einer Garnisonsstadt wie Fréjus seinerzeit auf ihre eigene Art und Weise angeeignet und - unter den Bedingungen ihrer eingeschränkten Bewegungsfreiheit - mitgestaltet haben. Wie die in der Erinnerung von Veteranen aufgehobenen Bilder dieser materiellen und symbolischen Besetzung darüber hinaus zeigen, brachten die Soldaten durchaus eigene Souvenirs an dieses Stück Frankreich zurück. Die Front und ihr Jenseits Ma classe est de 1939. Le 8 août 39. [...] Je dis les guerres que j'ai fait maintenant [...] Ça commencé en 42, Casablanca. Lui [l'Américain, B.R.] il a emmené le matériel là maintenant. [...] on est quitté à Casablanca, ils ont descend, on appelle Morocco [s/c/]. Ils ont descend attraper. Maintenant, on part le Tunis. [...] Tunis. Il y a l'Allemand làbas. Après monter Algérie. [...] Algérie, on attrape Allemand là-bas. [...] Maintenant on prend le bateau, on monte à Corse. [...] son capitale, on appelle Ajaccio. [...] Oui, oui. Il y a beaucoup de montagnes là-bas. On attrape Allemand là-bas. On partit encore dans le bateau aller attaquer les Italiens. [...] Après d'autres races, Espagnol. [...] On attrapait déjà d'autre pays on appelait Sarenaigne [Sardaigne, B.R.]. [...] Après on part au Belgique [s/c/]. [—] On quittait là-bas, monter maintenant en France. [...] On commençait tirer. Tulon, Tulon [Toulon, B.R.]. [...] On a commencé là-bas, on attrapait Allemand. Et puis on continuait maintenant jusqu'à Belfort. [...] C'est la fin des pays maintenant avec Allemagne.29
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Die reihende Aufzählung der verschiedenen Stationen des Kampfgeschehens, an dem man teilhatte, ist eine durchgängig zu beobachtende memotechnische Praxis, mit der Veteranen ihre „Reise durch den Krieg" evozieren. Ebenso wie die vielen Lebensberichten unaufgefordert voran geschickte Angabe von classe (Jahr und Tag des Einzugs) und matricule (militärische Personenkennziffer) gehören diese knappen raumzeitlichen Auskünfte zum Standardrepertoire, mit dem sich die Veteranen der orts30
und geschehensunkundigen Interviewerin gegenüber „ausweisen". In diesem Prozess räumlichen Erinnerns markiert der Erzähler seine einstige Verwicklung in dramatisches Kriegsgeschehen, indem er sie mit bestimmten Orten/Schauplätzen kausal/funktional verknüpft („Ich war zuerst an diesem, dann an jenem und an allen aufeinander folgenden Orten, um die Deutschen zu bekämpfen"). Die genannten Toponyme fungieren dabei in zweifacher Hinsicht als „Gedächtnisorte".31 Sie sind Erinnerungsstützen, die in ihrer Gesamtheit einen „extrinsischen Kontext" schaffen, welcher es dem Erzähler ermöglicht, sich seine damalige „Reiseroute" zu vergegenwärtigen (vgl. Winter & Sivan 1999: 14 f.). Diese Toponyme lädt der Erzähler nun mit unterschiedlichen Bedeutungen auf, indem er sie entweder als schlichte Punkte auf seiner individuellen, d.h. nach Maßgabe seiner - ihm im Moment des Erinnerns noch zugänglichen - Erfahrungen gezeichneten Landkarte einträgt oder aber als Knotenpunkte markiert, indem er sich über längere Zeiträume erstreckende Erlebnissequenzen im 32 Rückblick an eben diesen Orten zusammenzieht und verdichtet. Im oben angeführten Beispiel werden beide Modi erkennbar: Der Erzähler rekonstruiert eine persönliche Landkarte seiner Kriegsbeteiligung,33 auf der er die von ihm genannten Orte und Regionen als Schauplätze „(d)es guerres que j'ai fait" hervorhebt. Durch knappe Annotationen weist er diesen Toponymen eine spezifische Bedeutung als Wendepunkte im Kriegsgeschehen zu, die sich Außenstehenden allerdings nicht ohne weiteres erschließt. In Anlehnung an Hynes' Auswertung schriftlicher Kriegserinnerungen von Militärangehörigen sehe ich hierin ein für Kriegsnarrati ve charakteristisches Merkmal kodierten Sprechens: Der Erzähler knüpft gewissermaßen an einen Dialog mit Eingeweihten an, d.h. mit denjenigen, die seine persönliche Äußerung mit eigenen Erinnerungen
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verknüpfen und somit als Einzige deren Bedeutung verstehen können (Hynes 1999: 220). Sinn und Kontext indexikalischer Äußerungen wie „on commençait tirer. Tulon" oder „Beifort. C'est la fin des pays maintenant avec l'Allemagne", erschließen sich ad hoc lediglich denjenigen, die auf der Seite alliierter Truppenkontingente an einer der Landungen in der Provence teilnahmen bzw. während des Vormarsches der Alliierten im eisigen Kriegswinter 1944 in den Vogesen gegen französische Soldaten ausgetauscht worden sind.34 Diese primäre soziale Bezugsgruppe lässt sich um die Kriegsteilnehmer erweitern, welche zwar nicht selbst in Toulon und Beifort dabei gewesen, denen die mit diesen Orten verknüpften Kriegsnarrative jedoch vertraut sind, insofern sie an deren Auffrischung im Rahmen informeller Gesprächsrunden von Veteranen im Laufe der letzten Jahrzehnte teilhatten. Im Unterschied zum Gros der Veteranen, denen die evozierten „Orte" lediglich als Stationen des Kampfgeschehens, an dem sie seinerzeit beteiligt waren, bzw. als Etappen- oder Rückzugsorte im Gedächtnis geblieben 35
sind, lassen sich bei einigen wenigen darüber hinaus gehende Assoziationen feststellen. An ihnen werden vor allem sozialisationsbedingte Unterschiede im Wahrnehmungs- und Ausdrucksvermögen von Veteranen deutlich. So fühlt sich Joseph Conombo, ein voltaischer Angehöriger des Sanitätskorps und Absolvent der Dakarer École William Ponty, anlässlich seiner Rheinüberquerung im April 1945 in den Geschichtsunterricht an der Hauptschule von Ouagadougou zurückversetzt, „quand il nous fallait connaître (dans le détail!) la géographie physique, humaine et économique de chaque grand fleuve français! Ce n'est plus une leçon, c'est la réalité! Je me retrouve sur ce Rhin, qui tant de fois a fait et défait l'histoire de l'Europe [...]" (Conombo 1989: 86). Auch die „Schöne Blaue Donau" war ihm aus seiner Kindheit schon aus Liedern und Legenden vertraut, bevor er ihrer nun als Besatzungssoldat mit eigenen Augen ansichtig wurde (ebd.: 91). Was er damals, „petit broussard africain que j'étais", sich allerdings nie hätte träumen lassen: „Les lieux sont là, bien réels, et c'est nous qui devenons les ACTEURS DE L'HISTOIRE [...]" (ebd., Hervorh. im Orig.). Dieses - in seinem expliziten thematischen Bezug einzigartige - Statement spricht für sich: In der physischen, sozialen und symbolischen
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„Besetzung" des geographischen und historischen Raumes erfährt sich der voltaische Kolonialuntertan Joseph Conombo als handelndes Subjekt von Geschichte. In wechselnden Rollen erkundet und inventarisiert er diesen Raum - als neutraler Kriegsberichterstatter, welcher die Auswirkungen der Kriegshandlungen dokumentiert (ebd.: 89 f.), als Chronist der siegreichen Armee (ebd.: 88), als Tourist, der u. a. das Straßburger Münster besichtigt, sich mit den Besonderheiten elsässischer Fachwerkbauten vertraut macht (ebd.: 82 f.) und an den Naturschönheiten des Schwarzwaldes ergötzt (ebd.: 90), und schließlich als an materieller Kultur, Verhaltens- und Denkweisen der „Einheimischen" interessierter Ethnologe (ebd.: 67, 73 und 92 f.).36 Nun ist Joseph Conombos integrative - „raumgreifende" - Aneignung der Front und ihres zivilen Jenseits sicherlich in mehrfacher Hinsicht ein Ausnahmebeispiel: als Angehöriger der 9. Division d'Infanterie Coloniale und zum médecin-chef seiner Kompanie befördert, dem in wiederholten Fällen auch die ärztliche Versorgung der französischen und deutschen Zivilbevölkerung oblag, verfügte er über einen ungleich größeren Aktionsradius als die meisten anderen afrikanischen Soldaten. Seine Erinnerungen weisen ihn darüber hinaus als Intellektuellen aus, der aufgrund seiner Sprachkenntnisse direkt mit den Einheimischen kommunizieren konnte und seine Wahrnehmungen und Erfahrungen mit Hilfe seines schulisch und akademisch erworbenen Wissens einordnet, bewertet und entsprechend artikuliert. Während also die Ortsbeschreibungen bei der Masse der Veteranen auf der Aktualisierung ihres Erfahrungswissens beruhen, lässt sich bei Conombo eine reflexive Verknüpfung von textuellem Strukturwissen und kontextuellem Erfahrungswissen konstatieren. Für mehrere Zehntausende afrikanischer Soldaten waren monate- bis jahrelange Aufenthalte in Lagern integrale Bestandteile „ihres" Krieges. Für eine ganze Reihe von ihnen wiederholte und verdichtete sich die lebensgeschichtlich einschneidende Erfahrung von Gefangenschaft und Internierung in besonderer Weise: Im Anschluss an ihre Gefangennahme wurden sie vorübergehend in eines der Kriegsgefangenenlager im Reichsgebiet (Stalags) deportiert,37 mehrere Jahre in einem Frontstalag innerhalb der besetzten Zone Frankreichs interniert, nach der Befreiung Frankreichs in ein französisches Durchgangslager für zu repatriierende Soldaten
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verbracht, schließlich nach Nord- oder Westafrika eingeschifft und nach einem mehr oder wenigen kurzen Aufenthalt im Übergangslager von Thiaroye bei Dakar demobilisiert und in ihre Herkunftsgebiete entlassen. Jedes dieser Lager konnte für den Gefangenen - und ist es für einen Teil der Insassen tatsächlich auch geworden - zur Endstation werden. Und diejenigen, die alle Stationen in Folge überlebten, haben im Extremfall sechs bis sieben Jahre ihres Lebens auf diese Weise verbracht. Hier handelt es sich unbestritten um verschiedene „Typen" von Lagern, mit deren Einrichtung jeweils unterschiedliche Zwecke verbunden waren und die je eigene Funktionen im Kriegs- und Nachkriegszusammenhang erfüllten. Gibt es also in struktureller und historischer Hinsicht durchaus berechtigte Vorbehalte, alle diese Formen von Lagerunterbringung unter dem Phänotyp des „Lagers" zu subsumieren, in dem Bauman die extreme Ausdrucksform der Moderne im 20. Jahrhundert erkennt (Bauman 1998),38 so haben sie als Orte liminaler Erfahrung für die Lagerinsassen dennoch eine Totalität gewonnen, die sich in den singulären dichten Beschreibungen von Überlebenden mitteilt: Nous, on nous a emmené d'envers un marigot-là, on nous a emmené làbas où ils ont fait le fil de fer pour que nous, on rentre là-bas. Il y avait un marigot là. Il n'y a rien dedans. Nous allons crever de faim. On n'a pas de manger, on n'a rien. On voyait, si on voyait des rhizomes qui sortent comme des salades sauvages, nous on mange ça, on mange des fleurs aussi. [...] on sait pas comment faire, nous sommes fatigués, nous sommes là, il y a beaucoup de morts, eh! [...] [B.R.: Mmhmm. C'était en France?] C'était en France. Où on a fait le fil, le fil barbelé-là, ils ont mis quelque chose, des fusils en haut. [...] Ils ont mis quelques-uns en haut avec des fusils. Si quelqu'un bouge, on le tire. [...] Allemand, il veut que je suis mort. [...]
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C'est un vaste village de boue et de branchages, un village crucifié par deux fosses de pestilences. Haines et faims y fermentent dans la torpeur d'un été mortel. C'est un grand village qu'encercle l'immobile hargne des barbelés Un 4grand village sous la tyrannie de quatre mitrailleuses ombrageuses. [-] 0
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Ob es sich nun, wie im ersten Beispiel, um die persönliche Schilderung des langen leidvollen Lageraufenthaltes eines von vielen ehemaligen POWs41 oder um Senghors literarisch gestaltete Erfahrung des Lagers handelt: für beide verkörpert sich im Frontstalag42 der vollständige Abschluss vom Humanen, die Allgegenwart von Willkür und gewaltsamem - sofortigen oder aufgeschobenen - Tod. Dieser nicht als Knoten-, sondern als Endpunkt erfahrene Ort wird nicht geographisch situiert: im ersten Falle, weil die Erinnerung des ehemaligen Häftlings versagt - oder man ihm nie mitgeteilt hat, wo er sich genau befand - im zweiten, weil der Dichter darauf verzichtet, um die Totalität des Lagers zum Ausdruck zu bringen. In gewissem Sinne anonymisierte auch die Wehrmachtskommandantur die Kriegsgefangenenlager, indem sie sie lediglich durch ein dreistelliges Nummernsystem kennzeichnete. „Étant un homme pris dans la main de, de l'autre, vraiment c'est mauvais. On était obligé chacun de nous, il n'y a pas question des officiers, pas question des gradés et rien. On passait, passait, les bras en l'air" - das bei der Gefangennahme erlebte völlige Ausgeliefertsein, der abrupte Verlust selbst minimaler Bewegungsfreiheit, der Entzug zeitlicher, räumlicher und sozialer Orientierungspunkte werden im Lager systematisch und alltäglich zur Anwendung gebracht, um den Widerstand und den Lebenswillen der Häftlinge zu brechen: „Enfin chacun se disait quand il va mourir". Mit der Institutionalisierung ihrer Willkür in Misshandlungen und Todesdrohungen führen ihnen ihre „Überwältiger" vor Augen, dass ihr Leben nichts mehr wert sei: „On nous a laissé comme ça, comme on laisse des chiffons comme ça-là."43 Die Frontstalags waren keine Lager, in denen die systematische Vernichtung von Menschen auf industrielle Weise betrieben wurde. Sehr wohl aber handelte es sich bei ihnen um Orte rassenideologisch und sadistisch motivierter Misshandlung, Folter und Tötung „schwarzer" und „farbiger" Kriegsgefangener durch Angehörige der Wehrmacht und SS, die damit gegen sämtliche Garantien der Genfer Konvention verstießen 44 Die Zeugnisse von Überlebenden verweisen auf fließende Übergänge zum System der Konzentrationslager: die Aussonderung nach biologisch-rassischen Merkmalen diente als Legitimationsgrundlage für Menschenversuche, Kastrationen und andere Verstümmelungen, systematische Aushungerung
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und Unterbringung in Kälte, Regen und Schnee ausgesetzten Verschlagen und Baracken, Verweigerung ärztlicher Versorgung, willkürliche Exekutionen, Verrichtung von Schwerstarbeit. 45 Wie im Fortgang dieses Kapitels noch gezeigt wird, hat sich die Situation afrikanischer POWs im Verlauf des Krieges und vor dem Hintergrund geostrategischer Pläne der Deutschen - in einigen Frontstalags graduell, in anderen deutlich - verbessert. In diesem Zusammenhang ergaben sich für einige Gefangene Freiräume, die zum Überleben aller genutzt werden konnten, wie ein Beispiel aus dem Frontstalag 121 von Epinal zeigt: There a German officer took me as his boy. There were two of us. We were on his small farm and we served the officers. The Germans gave us diplomas - certificates for our work. They gave us names. They called me Bibo and my friend Jambo. Names of slaves, but we were slaves. But they gave us food and a good certificate. We brought all the food we could to our comrades. All we could get. We ate well - so did our comrades.46 In der Schilderung dieses ehemaligen POW teilt sich darüber hinaus ein Aspekt der mentalen Verarbeitung liminaler Erfahrungen im Lager mit, der uns insbesondere in Selbstzeugnissen von Überlebenden der Konzentrationslager begegnet: Ehemalige Häftlinge beschreiben und „erklären" die Zerstörung oder Beschädigung ihrer Persönlichkeit im Rückgriff auf die historische Metapher des „Sklaven". In dieser Selbstzuschreibung objektiviert sich persönlich widerfahrenes - schlechthin unbeschreibliches - Leid, indem ihm ein kommunizierbarer Name verliehen, ein Synonym gefunden wird. Während sich der oben zitierte POW diesbezüglich auf eine knappe Anspielung auf die ihm und seinem Kameraden aufgezwungenen Sklavennamen beschränkt, wird in den beiden folgenden Zeugnissen einer französischen Deportierten und eines senegalesischen Tirailleur eine Identifikation mit den im transatlantischen Sklavenhandel Verschleppten vollzogen: [...] quand j'ai été arrêté, j'avais 18 ans. Je connaissais peu l'histoire des Noirs et de la déportation à Gorée. Et puis après la guerre, j'ai réfléchi tout ce qu'il y a été dans l'histoire de l'humanité, des crimes contre l'humanité, là, c'est là j'ai découvert la situation des Noirs enlevés justement pour un profit économique, regroupés par la force, enchaînés et qui partaient de Gorée. Et vraiment je me suis sentie très proche de
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ces femmes et de ces enfants, voyez, qui partaient là enchaînés. Car c'était une main-d'œuvre considérée comme des esclaves. Enfin ils étaient esclaves et nous, on a aussi été traités comme des esclaves.47 L'île qu'on voit là-bas, c'est l'île de Gorée. C'est là qu'on embarquait les esclaves pour la France, l'Europe, l'Amérique et tout ça. Alors les bastonnades, les coups de pied et la mort. Et ceux qui ont pas pu partir, on les laisse là. Alors moi, j'ai passé pareil dans le camp de concentration. C'était la mort, ou vivre ou mourir. Alors on a passé la même chose comme nos ancêtres. Nos ancêtres sont passés par là et nous, on a passé la même chose.48 Obwohl sich ihre Wege vermutlich nie gekreuzt haben, „transportieren" diese beiden Überlebenden ihre Leidenserfahrungen über Geschlechter-, kulturelle und ethnische Grenzen hinweg an einen gemeinsamen symbolischen Ort: die vor Dakar gelegene Insel Gorée. Ihre Wahl fällt auf einen historischen Schauplatz, der als „Erinnerungsort" ebenso tief verankert wie „neu erfunden" ist, wie Coquery-Vidrovitch betont (1999a: 382). Ungeachtet dessen, dass Gorée als Umschlagplatz des transatlantischen Sklavenhandels von vergleichsweise untergeordneter historischer Bedeutung war und sein - bei Besucherinnen aus aller Welt starke Emotionen auslösendes - „Sklavenhaus" aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Zeit nach der Abolition datiert, gilt diese Insel, und nicht etwa Saint-Louis, über das z.B. im 17. Jahrhundert 80 Prozent der senegambischen Sklavenexporte abgewickelt wurden (ebd.: 382 f.), als „Erinnerungsdepot" für das millionenfache Leid der von der afrikanischen Westküste Verschleppten und deren Nachfahren schlechthin. Das in diesem „Ort" geborgene - und jenseits faktischer historischer Verläufe wirksame - Potential, mit dem eine virtuelle und in die Zukunft offene Genealogie der Opfer und Trauernden generiert wird, „nutzen" in gewissem Sinne auch die beiden hier angeführten Zeugnisse. 49
Orte des Gedenkens Denkmäler und Gedenkstätten für die „Helden" und Opfer der beiden Weltkriege sind ein in Europa allgegenwärtiges Phänomen politisch, sozial, religiös und ästhetisch motivierter Sinngebung, mit deren Materialisierung unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges begonnen
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worden ist. Standorte, architektonische Formen und Semiotik dieser visuellen Zeugnisse des Gedenkens variieren je nach „kulturellen Normen und religiösen Traditionen" der „nationalen Gemeinschaften" (Winter 1995: 78), in deren „Auftrag" und für deren Erinnerungs- und Trauerarbeit sie errichtet wurden. Angeregt durch Jay Winter, der die Denkmäler des Ersten Weltkrieges als „foci of the rituals, rhetoric, and ceremonies of bereavement" (1995: 78-116) untersucht und damit einen bislang wissenschaftlich wenig beachteten Aspekt ihrer Bedeutung ins Licht gerückt hat, werden im Folgenden zunächst einige steinerne bzw. bronzene Landschaftszeichen der beiden großen Kriege, welche afrikanische Soldaten der französischen Armee visualisieren, präsentiert und kontextualisiert. An jenen Stätten wurde „offizielles Gedenken" (mémoire officielle, Michel 1990: 145) vollzogen, die kolonial generierte firankoafrikanische (Militär)Gemeinschaft periodisch zelebriert und virtuell erneuert. In die unter staatlicher Regie an „denkwürdigen" Tagen wie dem „14. Juli", dem „11. November" und - seit 1945 - dem „18. Juni" inszenierten Zeremonien waren sowohl aktive afrikanische Soldaten wie auch Veteranen als Mitwirkende an Militärparaden und Kranzniederlegungen eingebunden. Auch wenn sie sich von dieser „célébration par l'État des moments considérés comme fondateurs de l'idéologie nationale" (ebd.) durchaus angesprochen fühlen konnten (und es im Übrigen durch ihre Teilnahme an entsprechenden Festlichkeiten bis heute tun), so haben sie, so mein Argument, darüber hinaus in eigener Regie Orte der Erinnerung, der Trauer und der Auflehnung konstituiert, mit denen sie jene ,Rücken" besetzten, welche das offizielle Zeremoniell explizit oder implizit ließ, bzw. solche Orte mit Bedeutung aufluden, die aufgrund ihres dissidenten Potentials staatlicherseits tabuisiert wurden. Die bis heute in nahezu jeder kleineren oder größeren Ortschaft Frankreichs an zentralen öffentlichen Plätzen und Friedhöfen anzutreffenden monuments aux morts sind weitestgehend den militärischen und zivilen Opfern des Ersten Weltkrieges gewidmet und bilden - insofern sie denn Soldaten darstellen - , den Typus des poilu weißer Hautfarbe als Repräsentanten „unserer Kinder", „unserer Toten" ab.51 Weitaus weniger zahlreich, jedoch häufig an prominenten Schauplätzen des Kriegsgeschehens errichtet, sind die in der Zwischenkriegszeit aufgestellten Denkmäler, in denen 52 u. a. der Angehörigen der kolonialen Truppen Frankreichs gedacht wird.
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Die meisten von ihnen zeichnen sich durch einen kriegerisch-pathetischen Duktus aus, der in baulicher und gestalterischer Hinsicht - die stringent vertikale Ausrichtung der Personengruppen, unterstrichen durch gen Himmel gereckte Hände, Fackeln oder Gewehre und die Simulation von Vorwärtsbewegung - vermittelt wird. Dieses gemeinsame Merkmal, das sich auch an den in Französisch-Westafrika aufgestellten Denkmälern beobachten lässt, kann im Lichte von Winters bedenkenswerter Feststellung, französische Denkmäler des „Großen Krieges" seien im Unterschied zu den im angelsächsischen, deutschen oder österreichischen Raum verbreiteten heroisierenden Kriegerdenkmälern in einer Kultur des „Leidens und des Opfers" verankert (Winter 1995: 78),53 durchaus als Indikator für eine intentionale Abweichung von dieser Tradition gedeutet werden: Sie bilden nicht die für die mère-patrie gefallenen Afrikaner oder die um sie trauernden Familienangehörigen ab, sondern visualisieren und überhöhen den Beitrag der - erfolgreich in Dienst genommenen - kolonialen force noire zum siegreichen Ausgang des Krieges oder allenfalls die Kampfgemeinschaft französischer und afrikanischer Soldaten. Diese Monumente, in denen sich französisches Gedenken also auf eine spezifische Weise materialisiert, lassen sich drei Perioden zuordnen: „le temps où la France se vivait grande (1918-1950), puis celle des temps troublés, des tentatives et des ruptures (1950-1970-1975), enfin celle d'un temps où la mémoire est réutilisée de manière plurielle (depuis 1975)" (Barcellini 1997: 113 f.). Von der ungebrochenen Tradition des „Großen Frankreich" künd(et)e das 1923 in Dakar - auf dem von der École de Médecine und dem Palais du Grand Conseil de l'AOF umschlossenen Platz - errichtete Denkmal „A la gloire des Troupes noires et aux créateurs disparus de l'AOF' (so die Inschrift), von der Bevölkerung kurz und bündig „Demba et Dupont" getauft (siehe Umschlag und Abb. 8).54 Das weitere „Schicksal" dieser Figurengruppe verdient eine ausführlichere Erwähnung, lassen sich an ihm doch so manche politische Konjunkturwechsel ablesen. Ab 1956 sahen sich „Demba und Dupont" dem anstelle des Palais errichteten Gebäude der Assemblée Nationale de l'Union Française (heute: senegalesische Nationalversammlung) auf der Place Soweto gegenüber, bevor sie im August 1983 schließlich einem anderen Paar weichen mussten: Die - ebenfalls umbenannte - Place Soweto ziert seit dieser Zeit die Skulptur eines Mannes und einer Frau, welche die senegalesische Unabhängigkeit oder - einer
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unbestätigten mündlichen Auskunft zufolge - „Le Sénégal en vie" symbolisieren. Nachdem der ursprüngliche Plan, den beiden Soldaten auf dem Gelände des Militärcamps „Dial Diop" eine neue Heimstätte zu geben, am Widerstand des Generalstabs gegen die Präsenz einer solch „kolonialen" Statue scheiterte, transferierte man „Demba und Dupont" schließlich zum katholischen Friedhof im Stadtteil Hann. Dort wachten sie, von ihrem Sockel gehoben, über die Toten der Abteilung des so genannten cimetière de Gorée, bevor sie Ende August 2004 überraschend wieder einen Platz im Rampenlicht erhielten. Auf Anordnung der senegalesischen Regierung, die den 23. August, Jahrestag der Befreiung Toulons durch das 6. Regiment der Tirailleurs Sénégalais, als Journée du Tirailleur zum neuen nationalen Feiertag erhob, fanden die beiden nunmehr auf dem Bahnhofsvorplatz von Dakar, der frisch getauften Place du Tirailleur, eine neue Bleibe.55 Im Januar 1924 wurde im Stadtzentrum von Bamako das Monument „Aux Héros de l'Armée Noire" (siehe Abb. 9) enthüllt. Ein auf dem Sockel dieser Bronzegruppe angebrachtes Medaillon zeigt den französischen General Archinard, auf dessen Initiative der Bau zurückging.56 Während dieses Ehrenmal der bewegten spät- und postkolonialen Geschichte Soudans/Malis standhielt und heute eine Verkehrsinsel auf der Place de la Liberté schmückt, wurde seine ebenfalls in 1924 in Reims feierlich eingeweihte Nachbildung 1940 von den deutschen Truppen zerstört (Rives & Dietrich 1993: 115).57 Als letztes seiner Art und ob seiner räumlichen Dimensionen wahrhaft überwältigendes - wenn auch ästhetisch fragwürdiges - Monument ist schließlich das 1929 auf der damaligen Place Protêt, der heutigen Place de l'Indépendance, im Stadtzentrum von Dakar enthüllte Memorial „Aux Morts de la Grande Guerre" zu nennen (siehe Abb. IO).58 Es beschwört die frankoafrikanische Waffenbrüderschaft schlechthin, wie bereits seine Inschrift belegt: ,A tous les Combattants Européens et Indigènes partis de l'Ouest Africain Français 1914-1918". Die beiden einander zugewandten Soldaten, von denen der linke als Afrikaner zu erkennen ist, reichen sich die rechte Hand und bilden somit einen Grundbaustein der Grande France, die hier in Gestalt der AOF triumphierend zu sich gefunden hat, wie der die Figurengruppe überspannende, auf massiven Pfeilern ruhende voluminöse Bogen nahe legt. Die in den vorgenannten Denkmälern ausgeklammerten Konnotationen von Trauer und Tröstung im zivilen Gewand klingen in zwei - gestalterisch sehr unterschiedlichen - Monumenten in der Kolonie Côte d'Ivoire
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an: Das vermutlich bereits während des Ersten Weltkrieges eingeweihte „Monument aux Morts de la Cöte d'Ivoire" in Grand-Bassam (siehe Abb. 11) wird von einer allegorischen - Blumen streuenden (?) - Frauengestalt in der Art der „Marianne" gekrönt. Ihretröstende Geste erweist sich als ambivalent: Zwar schließt sie die rund 300 ivorischen Tirailleurs ein, deren Namen neben denjenigen der französischen Gefallenen auf dem Sockel eingemeißelt wurden,59 überantwortet sie jedoch - metaphorisch gesprochen - einer genuin französischen ideellen Trauergemeinde. Den „indigenen" Gegenpol zu dieser metropolitan konnotierten Verköiperung von Verlust und Trauer bildet das in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre in Dimbokro errichtete „Monument des Tirailleurs du N'Zi Comoe morts pour la France" (siehe Abb. 12). Bauliche Anlage und skulpturale Gestaltung unterscheiden sich grundsätzlich von allen mir diesbezüglich bekannten Kriegsdenkmälern und legen den Schluss einer - mangels Informationen vorerst nur zu vermutenden - afrikanischen Autorenschaft bzw. einer weitgehenden Partizipation der lokalen Bevölkerung im Hinblick auf seine Planung und Errichtung nahe.60 Kernstück dieses Denkmals ist eine aus Natursteinen (?) grob gefügte, dreigliedrige, an einen Phallus erinnernde Säule, deren Bauteile - Sockel, Mittelteil und Spitze - durch zwei jeweils mit kleinen Maskenskulpturen besetzte Schreiben voneinander getrennt sind. Auf dem von weiblichen .Atlanten" getragenen oberen Aufsatz lässt sich eine von drei oder vier „Laternen" umgebene sitzende menschliche Figur erahnen, deren angewinkelte Beine und erhobene Arme ein kranzförmiges Gebilde halten. Im Unterschied zu Denkmälern französischer Bauart lässt dieses Monument jegliche militärische und/oder „nationale" Konnotation vermissen. Die Verwendung einer spezifischen - männliche und weibliche Elemente gleichermaßen visualisierenden - Symbolsprache legt darüber hinaus zumindest nahe, dass es eher für diejenigen errichtet wurde, welche tagtäglich diesen Standort frequentierten, denn als Ort „offiziellen", d.h. nationalen Gedenkens. Und nicht zuletzt wirkt es im Vergleich zu den vorgenannten Denkmälern aufgrund der sichtbaren Textur der verwendeten Baumaterialien und der intentionalen „Begrünung" weitaus weniger als Fremdkörper denn diese bzw. vermittelt gar den Eindruck einer „organischen" Einbettung in die nähere Umgebung des Standorts.
Kapitel 2
Abb. 8: „Demba und Dupont" - Denkmal zum Ersten Weltkrieg, Dakar 1923
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Abb. 9: „Aux Héros de l'Armée Noire" - Denkmal für die tirailleurs soudanais im Ersten Weltkrieg, Bamako 1924
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Abb. 10: Denkmal für die Kämpfer aus Französisch-Westafrika im Ersten Weltkrieg, Dakar 1929
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Abb. 11: Denkmal für die Toten des Ersten Weltkrieges, Grand-Bassam
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Während die vorgenannten Denkmäler in Dakar, Bamako oder Grand-Bassam mehreren Generationen afrikanischer Rekruten, Soldaten und Veteranen von der Anschauung her jeweils bekannt gewesen dürften, sind die meisten der nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten - und insgesamt weit weniger zahlreichen - Monumente und Gedenkstätten wohl kaum jemandem von ihnen je zu Augen gekommen. Dies beruht in erster Linie darauf, dass sie sich fast sämtlich in Frankreich befinden, wo sie als kommunale Landschaftsmarken eine von der nationalen Politik des souvenir de la Grande Guerre zu unterscheidende Tradition des Gedenkens verkörpern. Das weitgehende Fehlen eigener Denkmäler für die gefallenen Angehörigen der französischen Armee im Zweiten Weltkrieg gründet sich auf de Gaulles Anordnung, neue Monumente nur noch in Erinnerung an die Résistance aufzustellen - ein auf höchster staatlicher Ebene vollzogener Bruch mit dem soldatischen Denkmalskult des Ersten Krieges, der, wie Koselleck betont, von der Konstruktion einer „neue(n) nationale(n) Homogenität" motiviert war. Sie reichte von den Kommunisten bis zu den Konservativen, soweit sie an der Widerstandsbewegung teilgenommen hatten. Der Totenkult wurde also in den Dienst der neugegründeten 4. Republik gestellt, zentralistisch gesteuert, aber gleichwohl getragen von allen Franzosen, die sich von der Vergangenheitslast des Pétain-Regimes zu befreien suchten (Koselleck 2000: 284). Mit dieser ikonographischen Substitution des Soldaten durch den Widerstandskämpfer wurde nicht nur der französischen Nachkriegsgesellschaft ein Gemeinschaft stiftender und exkulpierender politischer Gründungsmythos angeboten, sondern auch, so meine These, eine entscheidende Weiche für die künftigen deutsch-französischen Beziehungen gestellt: Indem man den französischen Soldaten aus dem öffentlichen Erinnerungsraum verbannte, okkultierte man gewissermaßen auch sein „Anderes", den deutschen Soldaten, um an dessen Stelle den Erfüllungsgehilfen des Terrorregimes der Nazis zu setzen, auch dies ein Akt nationaler Exkulpation, welche im Folgenden zum vade mecum bilateraler Annäherung und Versöhnung wurde.
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Abb. 12: Denkmal für die gefallenen ivorischen Soldaten der Provinz N'Zi Comoe, Dimbokro, um 1925-1930
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Von einer auf unmittelbarer Zeugenschaft basierenden divergenten Lesart des Zweiten Weltkrieges künden jedoch die wenigen innerhalb der ersten Dekade nach Kriegsende errichteten und dem Gedenken an koloniale Truppen der französischen Armee gewidmeten Monumente. Vornehmlich auf Initiative von Stadtverwaltungen, Veteranenvereinen oder Bürgerinnen jener Lokalitäten errichtet, in denen Wehrmachts- und SS-Einheiten Massaker an kolonialen Angehörigen der französischen Armee begangen hatten, rufen diese in Größe und Ausstattung häufig eher bescheidenen Stelen, Gedenksteine oder tafeln die rassistisch motivierte Barbarei des Kriegsgegners ins Gedächtnis und betonen gleichzeitig den Beitrag afrikanischer und asiatischer Soldaten zur Verteidigung und Befreiung Frankreichs.61 Das bedeutendste dieser Denkmäler ist die 1947 eingeweihte Nekropole von Chasselay-Montluzin, einem Ort in der Nähe von Lyon, wo am 20. Juni 1940 eine SS-Panzerdivision 212 gefangen genommene „Senegalesen" massakriert und die Toten zum Teil bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt hatte.62 Innerhalb der Einfriedung der im „neo-sudanesischen" Stil errichteten und in ihrer roten Ockerfarbe an westafrikanische Lehmbauten erinnernden tata sénégalais befinden sich die Gräber von 188 westafrikanischen Soldaten, von denen 150 namentlich identifiziert werden konnten. Die Existenz dieser tata verdankte sich ausschließlich dem Engagement eines Einzelnen, J. Marchiani, Generalsekretär des Office du Rhône des mutilés, anciens combattants et victimes de guerre. Dass der französische Staat in diesem wie in allen anderen Fällen, die postume Ehrung afrikanischer Soldaten betreffend, jahrelanges „Schweigen" walten ließ, nahm Barcellini zufolge bereits das Scheitern der Union Française und die Brüche des Dekolonisationsprozesses vorweg. Mehr als eine Dekade sollte vergehen, bevor zwischen 1959 und 1965 - im Angesicht der sich abzeichnenden irreversiblen Auflösung des Kolonialreiches - wieder offiziell der Truppen des „Großen Frankreich" gedacht wurde (Barcellini 1997: 131-134). Dies materialisierte sich u. a. in der Aufstellung eines Gedenksteins in Airaines an der Somme, mit dem 1965 die Erschießung des gefangen genommenen gabunesischen Hauptmanns Charles N'Tchoréré - Träger des Verdienstkreuzes der französischen Ehrenlegion - durch einen deutschen Panzeroffizier ins Gedächtnis gerufen wurde.64 Eine zweite im selben Städtchen errichtete Stele „zur Erinnerung an 1200
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ruhmreiche Tote des 35. Régiment d'Infanterie Coloniale Mixte Sénégalais" soll den „Passanten" daran erinnern, dass sie „brüderlich vereint gefallen (sind), damit du Franzose bleiben kannst".65 Sollten die Gedenksteine von Airaines ebenso wie andere im Verlauf der 1960er Jahre aufgestellte Denkmäler die Periode der Umbrüche gleichsam vergessen machen (ebd.: 133), so zeugten sie darüber hinaus auch von einer öffentlich demonstrierten Erleichterung seitens der im Rückzug begriffenen kolonialen Metropole darüber, dass sich - nach dem Debakel von Indochina und Algerien - zumindest die (meisten) subsaharischen Staaten im Werden nicht gegen sie gekehrt hatten, „que l'indépendance n'a pas porté atteinte à nos sentiments réciproques: nous reconnaissons la valeur exemplaire des sacrifices faits et nous savons combien ils ont scellé nos amitiés (,..)".66 Das damit demonstrierte Bestreben, Versäumtes symbolisch nachzuholen und afrikanische Gesellschaften auf die neue frankoafrikanische Partnerschaft einzuschwören, erscheint jedoch im Rückblick als gar geringer Preis und entbehrt nicht eines gewissen Zynismus, berücksichtigt man, dass im selben Zeitraum kraft des Gesetzes zur „Einfrierung" von Renten, Pensionen und Entschädigungszahlungen (siehe im Folgenden Kapitel 5) die Diskriminierung afrikanischer Veteranen gegenüber ihren metropolitanen Kameraden fortgeschrieben wurde. Vom Recycling der mémoire combattante - bzw. ihrer „réutilisation plurielle" (ebd.: 134) - künden auch die seit 1975 in Fréjus, dem „lieu central de cette fraternité recherchée" (ebd.: 136), errichteten Denkmäler und Nekropolen, welche dem Gedenken der verschiedenen Kontingente der Coloniale gewidmet sind.67 Der Standort ist unzweifelhaft vorzüglich gewählt, schwingt darin - über die Anknüpfung an die oben bereits skizzierte historische Bedeutung der Garnisonsstadt Fréjus hinaus - doch auch eine höchst aktuelle, die Kontinuität der Tradition der Coloniale unter neuen Vorzeichen fortsetzende Verbindung zur heute hier stationierten „schnellen Eingreiftruppe" der Infanterie de Marine mit.68 Die diese jüngste (und letzte?) Periode offiziellen Gedenkens der kolonialen Truppen charakterisierenden verschiedenen Unterströmungen und deren historische, tagespolitische und ikonographische Anleihen spiegeln sich in dem am 1. September 1994 - dem 55. Jahrestag des deutschen Angriffs auf Polen vom französischen Verteidigungsminister und Bürgermeister von Fréjus,
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François Léotard, an der Strandpromenade von Fréjus-St.Raphaël eingeweihten „Mémorial de l'armée noire" (siehe Abb. 13 und 14). Von seinen Urhebern, der Association des Amis du Musée des Troupes de Marine, als Rekonstruktion an neuem Standort des von der Wehrmacht 1940 zerstörten Denkmals von Reims (1924) konzipiert (ebd.: 139), zitiert es auf der vorderen Gedenktafel das auf der Stele von Airaines 1965 angebrachte Memento an den „Passanten", diesmal allerdings mit dem Namen des Autors, Léopold Sédar Senghor, versehen. Es handelt sich somit um eine späte symbolische „Heimholung" der Afrikaner, welcher angesichts der ablaufenden Lebenszeit der meisten von ihnen ein stark nostalgischer Zug innewohnt, in den neu gestalteten öffentlichen Erinnerungsraum von Fréjus, das fortan als Geschichts-Container - oder Endlagerstätte - alle der Aufbewahrung für wert befundenen Bestandteile des frankokolonialen Erbes im militärischen Gewand birgt. Man beachte in diesem Zusammenhang die Innovationen gegenüber dem Denkmal von Bamako/Reims, aus denen sich partielle Bedeutungsverschiebungen ablesen lassen. Aus der Harmonie der vordem zu einem Block „verschweißten" Figurengruppe ist eine in Auflösung begriffene, in fünf Einzelfiguren zersprengte Situation geworden, aus dem die vordem betonte Geschlossenheit und Energie fast vollständig gewichen ist. Dem französischen Soldaten eignet als einzigem der fünf eine aufrechte, ungebrochene Haltung. Obgleich im Gegensatz zu seinem „Vorgänger" nicht mehr von den Afrikanern eingerahmt, sondern am äußeren rechten Rand der Gruppe positioniert, erscheint er durch die ihn optisch verlängernde Regimentsfahne als alle anderen überragende, zentrale Figur der Gruppe. Diese Konnotation des Souveränen und Aktiven unterstreicht noch die Geste des zu ihm aufschauenden, chéchia tragenden Tirailleur (siehe Detailansicht in Abb. 14). Demgegenüber symbolisieren die Gesten der Afrikaner Verzweiflung, Verlassenheit und Verwirrung (äußere linke Figur), die Suche nach Orientierung (mittlere Figur), Schmerz und Gebrochenheit, aber auch kameradschaftliche Tröstung (beide Figuren vorne). Über die hier materialisierte, die paternalistische Haltung des kolonialen Frankreich gegenüber seinen afrikanischen Soldaten ungebrochen kolportierende dichotome Sichtweise hinaus ist dieses Denkmal durch eine ambivalente Unentschiedenheit charakterisiert. Sie betrifft zum einen die Objekte des Gedenkens, die
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„schwarzen Soldaten", denen sie allenfalls ein nostalgisch verbrämtes Schuldbewusstsein entgegenzubringen scheint (vgl. Mann 2000: 279). Zum anderen teilt sich aber auch eine gewisse Unbeweglichkeit mit, was die Heranführung der visualisierten gemeinsamen Vergangenheit an Gegenwart oder Zukunft betrifft, bleiben doch die in der Gesamtkomposition wie in den einzelnen Figuren ausformulierten Brechungen in der Geste „eingefroren", ohne dass ihnen ein zukunftsweisender oder zumindest tröstender Kontrapunkt gesetzt würde. Es sei denn, man betrachte den französischen Soldaten als eben solchen! Das, was die hier in Bronze gegossene retrospektive Integration der Afrikaner in den öffentlichen Erinnerungsraum offen lässt, erschließt sich durch einen Blick auf den Rand des Denkmals und den Kontext seiner Einweihung. In beiden Fällen werden „Aussagen" über die „fraternité adaptée aux indépendances" (Barcellini 1997: 139) getroffen und damit die von Frankreich gewünschte Gestaltung gegenwärtiger und zukünftiger frankoafrikanischer Beziehungen skizziert. So figuriert zum einen der Name Senghors - ausgewiesen durch seine multiplen Funktionen als ehemaliger Tirailleur, frankophoner Intellektueller und erstes afrikanisches Mitglied der Académie Française sowie Staatschef - nicht von ungefähr unter dem Memento: „L'ancien Président de la République sénégalaise semble désormais s'imposer comme l'intercesseur entre le temps colonial et le temps de l'Afrique indépendante" (ebd.: 140). Zum anderen nahm Verteidigungsminister Léotard vor den bei der Zeremonie anwesenden Repräsentanten siebzehn afrikanischer Staaten sowie deren Militârattachés das Gedenken der afrikanischen kolonialen Truppen in den Dienst für die zu erneuernde frankoafrikanische „Schicksalsgemeinschaft", deren Verteidigung Frankreich als Selbstverpflichtung begreife. Um dann im nächsten Atemzug die wenige Tage zuvor beendete, von unabhängigen Beobachtern stark kritisierte Operation Turquoise,69 ins erdenklich beste Licht gerückt, in diese Tradition einzureihen: La tragédie du Rwanda nous a permis d'être à nouveau côte à côte, comme nous l'étions il y a cinquante ans, au service d'une cause qui a rassemblé nos énergies: sauver des vies, protéger des enfants, porter la paix, rétablir la confiance. Forts de cette solidarité dans l'engagement et dans l'action, j'ai la conviction que les Africains sont en mesure de prendre eux-mêmes en main les destinées d'un continent où la France entend rester active et attentive, dans la confiance et dans la fraternité.70
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Abb. 13: Denkmal für die „schwarze Armee", Fréjus-St. Raphaël 1994, Gesamtansicht
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Abb. 14: „Demba und Dupont", die zweite? Detailansicht
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An diesem Punkt lässt sich, um nur davon zu sprechen, ein intertextueller Bezug zum französischen Soldaten der Denkmalsgruppe herstellen und somit die oben angedeutete Vermutung seiner ungebrochenen richtungweisenden Funktion bestärken.71 Ungeachtet ihrer zeitlichen Entstehung, ihrer unterschiedlichen Standorte und jeweiligen ikonographischen Realisierung lassen sich alle hier präsentierten Monumente und Gedenkstätten - sieht man eventuell vom Denkmal in Dimbokro/Côte d'Ivoire ab - im übergeordneten Sinne als Ausdruck einer exklusiv französischen Erinnerungspolitik deuten, „dont les acteurs sont éminemment hexagonaux par leurs racines" (ebd.: 147). Dies bedeutet auch, dass die mit ihnen verbundenen Aktivitäten und Diskurse durch eine unzweifelhaft französische Urheber- und Autorenschaft gekennzeichnet waren (und sind). Eine — zumindest durch physische Mitwirkung an Zeremonien und Jahrestagen erzielte - Teilhabe der aufeinander folgenden Generationen westafrikanischer Soldaten und Veteranen an dieser Konstruktion von „Orten" offiziellen Gedenkens steht außer Frage. Was nun aber ihre diesbezügliche Rezeptivität betrifft, ob ihre Haltung durch „Unwissenheit, Desinteresse, Absicht der Vereinnahmung, Verinnerlichung des kolonialen Diskurses oder seine Reinterpretation" (Michel 1990: 154, meine Übersetzung) geprägt war, unter welchen Voraussetzungen sich diese Dispositionen gar verändert haben mögen, lässt sich mangels Quellen, diese Adressatengruppe betreffend, nur schwer ermitteln.72 Gewiss ist diesbezüglich jedenfalls, dass westafrikanische Veteranen des Zweiten Weltkriegs jenen Zeremonien Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre wiederholt absichtlich ferngeblieben sind, um ihrem Protest gegen die Diskriminierung in der Rentenfrage Ausdruck zu verleihen (siehe 5 - Veteranen und die mère-patrie). Obwohl die Datenbasis sehr schmal ist, was die von Veteranen selbst ins Gespräch gebrachten „Orte" des Gedenkens betrifft, so erlauben die wenigen diesbezüglich zusammengetragenen mündlichen wie schriftlichen Äußerungen doch den vorsichtigen Schluss, dass für sie die Erde, welche ihre gefallenen Kameraden birgt, ob nun durch Gräber gekennzeichnet oder nicht, ein Denkmal im weitesten Sinne darstellt. Ihr neigen sie sich in Gedanken zu, um ihrer Trauer um den Verlust von Freunden und Fami-
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lienangehörigen Ausdruck zu verleihen und gleichzeitig die Verbindung zu den Toten aufrecht zu halten, wie das emphatische Memento Joseph Conombos verdeutlicht: Sur la route du retour, de la mer ensoleillée aux bords glacés du RHIN, nos morts jalonnent le long parcours. Mort [sic/] de l'Ile d'ELBE, dans leur cimetière marin, sous le ciel de lumière. Morts de TOULON, fraternellement mêlés à ceux dont ils aidèrent à libérer le sol ancestral. Morts du JURA, dormant au flanc de la montagne, où le noir des sapins, tranchant sur la neige blanche, associe la nature à notre deuil. Morts pour l'ALSACE enfin, qui, eux, connurent la joie suprême de revoir, de premiers, la plus chère de nos provinces. A vous tous, ô nos morts, nous conservons notre fidélité! Vos ombres restent avec nous. [...] (Conombo 1989: 140). Analog zu der oben beschriebenen topographischen Karte der Landschaften des Krieges werden hier die letzten Ruhestätten afrikanischer Soldaten aufgezählt und ihrem Sterben im Nachhinein eine Bedeutung, ein Sinn verliehen. Die in französischer Erde Bestatteten zeugen, einer großen, über das gesamte Territorium verbreiteten Landschaftsmarke gleich, von der engen und unauflöslichen Verbindung, die seinerzeit durch die Verdienste afrikanischer Soldaten um die Befreiung Frankreichs geknüpft worden ist. Sie werden gleichsam, um die folgende Äußerung eines Interviewpartners zu paraphrasieren, als Bausteine eines von Toten und Überlebenden konstituierten, an diese Verbindung gemahnenden imaginären Denkmals verstanden: Les anciens combattants restent, restent et resteront euh, si vous voulez, le trait d'union entre [...] la France et nos États devenus indépendants. Les anciens combattants ont laissé un souvenir ... ineffaçable. Parce que beaucoup d'entre, d'entre nous dorment dans des cimetières [...] euh avec la croix en bois en France. Si vous allez dans n'importe quel village en France, s'il y a un cimetière militaire, il y a des Noirs. [...] Des Africains hein! Alors, depuis 14-18 jusqu'à, jusqu'à 39-45, il y en a! Alors, nous restons donc un trait d'union [...].73 Den topos der Erde hatte bereits Léopold Senghor in mehreren zwischen 1938 und 1945 entstandenen Gedichten des Zyklus „Hosties noires" litera-
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risch bearbeitet, ihm dort aber eine Konnotation verliehen, die — bar jedes versöhnlichen Optimismus und nicht an die (Über)lebenden, sondern an die der „Erde" Überantworteten gerichtet - einen Erinnerungsraum konstituiert, der durch Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit geprägt ist. In elegischer Trauer und bitterer Anklage prangert der Dichter das Schicksal der unzähligen Namenlosen, von der Kolonialmacht Instrumentalisierten an. Er gedenkt der Toten, an deren Opfer sich niemand erinnern wird: [-.] On fleurit les tombes, on réchauffe le Soldat Inconnu. Vous mes frères obscurs, personne ne vous nomme. On promet cinq cent mille de vos enfants à la gloire des futurs morts, on les remercie d'avance futurs morts obscurs Die Schwarze schände! Écoutez-moi, Tirailleurs sénégalais, dans la solitude de la terre noire et de la mort [...]74 Und begreift alle bisherigen und künftig zu erwartenden Gefallenen in den Opferzyklus ein, den Frankreich zum Gedeih und Erhalt des Imperiums durchführt:
[...] - Mais je sais bien que le sang de mes frères rougira de nouveau l'Orient jaune sur les bords de l'Océan Pacifique que violent tempêtes et haines Je sais bien que ce sang est la libation printanière dont les GrandPublicains depuis septante années engraissent les terres d'Empire
Noch stärker stellt Senghor die Legitimation der Herrschaft über Leben und Tod der kolonialen Untertanen an anderer Stelle in Frage. Die Schützengräben des Ersten Weltkriegs in Nordfrankreich und die Schauplätze kolonialer Zwangsarbeit im westafrikanischen Sahel werden ihm zu zwei Betrachtungsebenen einer unteilbaren Geschichte. Beider Erde zeugt vom Ausmaß und der Bitternis des Leidens und Sterbens für die Ziele anderer.
[...]
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Il se penche, et la plaine apocalyptique est labourée de tranchées, où pourrissent les morts comme des semences infécondes Il se penche sur de hauts tumulus de solitude. Et au-delà, la plaine soudanaise que dessèchent le Vent d'Est et les maîtres nordiques du Temps Et les belles routes noires luisantes que bordent les sables, rien que les sables les impôts les corvées les chicottes [...] Il se penche sur une seconde plaine saturée des chéchias et de sang, sur une seconde plaine altérée d'amour comme d'une pluie amicale Et c'est jusqu'à la fusion parallèle, la si fatale succession des plaines et des plaintes silencieusement. [...f 6 Senghors Gedichtzyklus „Schwarze Hostien" ist motiviert vom Impuls, die afrikanischen Gefallenen nicht in die Vergessenheit absinken zu lassen, ihr Gedenken nicht „Ministern" und „Generälen" noch „verächtlichen Lobreden" zu überlassen, mit denen sie „flüchtig eingegraben" werden, und ihr in Frankreich allgegenwärtiges Zerrbild mit „Banania-Gelächter" zu zerreißen. 77 In diesem Zusammenhang ruft der „Waffen- und Blutsbruder" (Senghor 1990: 55) die Erde als Zeugin für das Opfer dieser Männer an, welche ihr Leben für Frankreich und dessen befreite Zukunft gegeben haben. Im Aufbegehren gegen das stillschweigende Hinnehmen dieses Opfers und den Unwillen, den afrikanischen Soldaten die ihnen gebührende Ehre zu erweisen, weist er der Erde, in der die Toten liegen, selbst den Status eines ihnen andernorts versagt bleibenden „Denkmals" zu. In der ebenfalls in den Zyklus aufgenommenen, unmittelbar nach den „Ereignissen" im Übergangslager von Thiaroye bei Dakar entstandenen Totenklage (Tyaroye in ebd.: 90-91) adressiert sich Senghor an die Opfer des am 1. Dezember 1944 mit Waffengewalt niedergeschlagenen Aufstandes von 1280 westafrikanischen Soldaten, bei denen es sich um das erste Kontingent repatriierter ehemaliger Kriegsgefangener der Deutschen handelte. Auslöser für diesen wohl schwerwiegendsten und folgenreichsten Vorfall im Rahmen der Démobilisation afrikanischer Weltkriegsteilnehmer waren die Weigerung der Armee-Kommandantur der AOF, den Soldaten
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vor ihrer Rückkehr in die Heimatregionen den noch ausstehenden Sold für die Zeit ihrer Gefangenschaft sowie eine - ihnen bereits in Frankreich 78
zugesagte - Demobilisierungsprämie auszuzahlen, und der angesichts beträchtlicher Summen, welche die ehemaligen POWs teils mit sich führten, geäußerte Verdacht, es handele sich um illegal erworbenes Geld. Nachdem sich die Männer daraufhin geschlossen ihrem Abtransport in die jeweiligen Kolonien widersetzten und zur Bekräftigung ihrer Forderungen den Oberbefehlshaber der Streitkräfte des Militärbezirks von Dakar, General Dagnan, vorübergehend am Verlassen des Lagers hinderten, wurde das Lager in der Nacht zum 1. Dezember 1944 von einem Sonderkommando der Tirailleurs Sénégalais aus Saint-Louis und der Gendarmerie von Dakar umstellt, welche im Morgengrauen das Feuer eröffneten. Dabei kamen 35 Repatriierte ums Leben, weitere 35 trugen schwere Verletzungen davon. Von den 34 „Rädelsführern", die im März 1945 wegen „Meuterei" vom französischen Militärgericht zu Haftstrafen von einem bis zu zehn Jahren verurteilt worden waren, starben fünf im Gefängnis, bevor öffentlicher Druck, die Übernahme des Falls durch den sozialistischen Abgeordneten und Rechtsanwalt Lamine Guèye und die politische Lobbyarbeit Léopold Senghors, ebenfalls Abgeordneter der SFTO in der französischen Nationalversammlung, im Juni 1947 schließlich eine Amnestie für die Verurteilten erzwangen.79 Von den Beteiligten selbst nach ihrer Rückkehr in die Heimatkolonien überall in Französisch-Westafrika verbreitet und nach Aufhebung der Zensur 1947 von den verschiedenen Zeitungen in Französisch-Westafrika anlässlich der Debatte um die Amnestie dokumentiert (Echenberg 1978: 123), haben sich die Vorgänge als „Massaker" von Thiaroye fest ins kollektive Bewusstsein afrikanischer Kriegsveteranen, aber auch einer schockierten afrikanischen Zivilbevölkerung eingegraben - als Signal für die nicht mehr hinzunehmende gewalttätige Willkür der Kolonialmacht, ebenso wie für die Legitimität der Forderungen von Veteranen nach Gleichbehandlung mit ihren metropolitanen Kameraden. Der nachhaltigen Wirksamkeit dieses Signals tat auch die nachträgliche moralische Verurteilung der „Aufständischen" und der Aufruf zum Gehorsam des geistlichen Oberhaupts der Tijani-Bruderschaft, Seydou Nourou Tall, keinen Abbruch (ebd.: 121).
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Trotz der Briefzensur innerhalb der Armee verbreiteten sich die Nachrichten über die Ereignisse von Thiaroye in Windeseile auch innerhalb der Alliierten Truppeneinheiten, wie sich ein Interviewpartner, seinerzeit „mit de Gaulle vor Beifort", auch nach mehr als 50 Jahren noch immer merklich erregt, erinnert: Nous mêmes, on nous parlait de ça en France [...] C'est les prisonniers là qui sont tués comme ça. Premiers prisonniers quoi, prisonniers qu'on amenait là pour venir qu'on a tué. [...] L'argent, ils nous ont fatigués comme ça. Ceux qui sont retournés ici, ils veulent retourner, c'est tout. C'est comme ça. Les Français à Thiaroye là-bas, alors à cause des gens sont là bavés. D'autres se lèvent matin de bonne heure pour faire cabinet à Thiaroye. Ils ont tiré. Ils ont couru à rentrer à l'intérieur [...] Maintenant tout est à plat. C'est en bois ... [inaudible, B.R.] Tous allés. 80 Statements dieser Art, die von der - immer noch virulenten - mentalen Präsenz des Ortes im Veteranenmilieu zeugen, ließen sich wohl überall im frankophonen Afrika einholen: Wohl kaum ein afrikanischer Veteran der französischen Armee, der sich auf die bloße Nennung des Namens Thiaroye hin nicht auf Anhieb aufgefordert fühlte, eine ihm von einem „Onkel", „Bruder" oder sonstigen Nahestehenden überlieferte Version mitzuteilen!
Darüber hinaus gab es unmittelbar im Anschluss an die Er-
eignisse jedoch auch Initiativen, den Militärfriedhof von Thiaroye, wo die 82
Erschossenen vermeintlich begraben wurden,
als Gedenkstätte zu konsti-
tuieren. Echenberg verweist in diesem Zusammenhang auf eine von Vertretern
der
antikolonialen
westafrikanischen
politischen
Sammlungs-
bewegung RDA, der kommunistischen Gewerkschaften und diverser Veteranenvereine für den 19. Februar 1950 - dem Internationalen Tag des Kampfes
gegen
den
Kolonialismus
-
geplanten
Kundgebung
mit
Kranzniederlegung im Friedhof. Mit ihr war intendiert, das Gedenken an Thiaroye als Symbol kolonialer Repression in der Öffentlichkeit wach zu halten. Das auf dem Fuße folgende Verbot dieser Kundgebung und die Umstellung des Friedhofes durch bewaffnete europäische Soldaten zwang die Initiatoren, auf das Kriegsdenkmal im Dakarer Stadtzentrum (siehe Abb. 10) auszuweichen (Echenberg 1978: 123 f.). Diesem ersten Versuch folgten weitere, z.B. im Rahmen des Referendums von 1958 um den Verbleib in der französischen Union, ohne dass, wie Echenberg betont,
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Thiaroye indes zu einem jährlich zeremoniell erneuerten Ereignis oder der Friedhof zu einem „Märtyrerschrein" geworden wäre (ebd.: 124). Was allerdings in Anlehnung an Coquery-Vidrovitchs Beobachtungen nicht ausschließt, dass dieser Ort in seinem diskreten Abseits bis heute seine Bedeutung entfaltet: „l'endroit était si bien entretenu qu'il apparaissait manifestement comme un lieu de mémoire caché" (1999a: 382).83 Ein musikalisches Denkmal setzte der guineische Komponist und Sänger Keïta Fodeba den Toten von Thiaroyemit seinem Stück „Douga" (Conombo) 1989: 100). Lag es an der Sprache - der Text war in Maninka - oder an der Person Fodebas, der sich als Begründer der ersten westafrikanischen Folklore- und Balletttruppe mit zahlreichen Auftritten ab 1949 großer Beliebtheit beim französischen Publikum erfreute, dass diese Hommage von den Kolonialbehörden nie als solche identifiziert wurde? Wie dem auch sei, „Douga" gehörte wie viele andere Kompositionen Fodebas z.B. zum Schallplattenfundus von Radio France-Asie, das während des Indochinakriegs zwei Mal wöchentlich Wunschkonzerte für die afrikanischen Soldaten, verbunden mit deren Grußbotschaften nach Hause, ausstrahlte.84 *
Ausgehend vom hier unternommenen Versuch, erinnerte Wahrnehmungen und Erfahrungen westafrikanischer Veteranen in die Beschreibung von „Orten" und „Räumen" des Krieges einzutragen, lassen sich zwei Feststellungen im Hinblick auf die „Konstruktionsgeschichte" dieser Orte und Räume treffen. Zum einen wurde deutlich, in welchem Maße das Bedeutungsfeld von Orten/Schauplätzen jeweils bestimmt wird von „Praktiken, in die der einzelne Akteur eingeübt ist", seinen an diesen Orten gesammelten Erfahrungen und Beständen praktischen Wissens, was ihn wiederum „in einem bestimmten Kontext die Dinge in einer bestimmten Weise sehen und entsprechend auf sie achten läßt" (Hörning 1999: 90). Aus dem spannungsgeladenen Wechselspiel zwischen diesen populären Gedächtnispraktiken der „Reisenden durch den Krieg" und den machtvollen Diskursen, die auf sie einwirkten, resultieren, Vexierbildern gleich, perspektivische Ansichten einer Landschaft, die einander partiell überlagern, jedoch nicht zur Deckung gebracht werden können.
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Anhand der hier skizzierten voneinander abweichenden oder konkurrierenden Repräsentationen lassen sich darüber hinaus die „konstruierten und umstrittenen Historizitäten" (Clifford 1997: 25, meine Übersetzung) materieller, sozialer und symbolischer Orte und Räume demonstrieren. In diesem Zusammenhang sind insbesondere auch Formen und Dynamismen subalterner raumzeitlicher Orientierungen deutlich geworden - sei es, dass sich westafrikanische Soldaten physisch wie mental jenseits der eigens für sie eingerichteten home zone in Fréjus bewegten, ehemalige POWs darum ringen, ihre Lagererfahrungen in eine mitteilbare Form zu gießen, oder sich das Gedenken von Veteranen an Orten jenseits offizieller Denkmalarchitektur artikuliert. Gemeinschaften - Beziehungen in umgekehrter Wahrnehmung Militärische Gemeinschaften Ebenso wie für ihre Vorgängergeneration war der militärische Korpus in seinen verschiedenen operationeilen Formationen - équipe, groupe, section, compagnie, bataillon, régiment — auch für die afrikanischen Soldaten des Zweiten Weltkrieges die primäre Identifikations- und Referenzeinheit. Ebenso wie jene wurden auch sie im Rahmen ihrer militärischen Sozialisation auf deren oberste Werte, Kohäsion und Loyalität, eingeschworen. Allerdings blieb ihnen die vollständige Integration versagt, insofern ihre primordiale „Andersartigkeit" als kolonisierte „Indigene" im Unterschied zu metropolitanen und assimilierten Soldaten fortgeschrieben und markiert wurde. Die unterscheidende Behandlung innerhalb der Einheiten manifestierte sich u. a. in einem von den Veteranen späterhin immer wieder thematisierten latenten Spannungsverhältnis, das sich im Kasernenalltag mitunter in Verstößen gegen die Disziplin entlud, was in Situationen extremer Belastung bis hin zur kollektiven Befehlsverweigerung oder Meuterei reichen konnte. Im Unterschied zur strikten Ségrégation gegenüber metropolitanen Truppenteilen und der Abschottung von Tirailleurs-Einheiten gegenüber der französischen Zivilbevölkerung während des Ersten Weltkrieges (Lunn 1999: 105 f., 163-173) weiteten sich die Kontaktmöglichkeiten afrikanischer Soldaten durch den Kriegsverlauf ab 1940/41 jedoch bedeutend
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aus. Dies galt insbesondere für diejenigen, welche in die Forces Françaises de Libération de Gaulies, die britische oder die US-Armee eingebunden wurden oder aufseiten der Résistance in den Untergrund gegangen waren, aber auch für die afrikanischen Kriegsgefangenen der Deutschen, welche in der Regel als Zwangsarbeiter in französischen Fabriken oder in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. Diese Erweiterung des militärischen wie zivilen - Bezugsrahmens wurde afrikanischen Soldaten zum Anlass, ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung auszudifferenzieren, und hat einigen unter ihnen, so meine These, gewissermaßen die Mittel an die Hand gegeben, das ihrem zweitklassigen Status zugrunde liegende koloniale Dilemma sowie rassistisch motivierte Diskriminierung kognitiv zu bearbeiten. Militärische Gemeinschaften aus der Perspektive afrikanischer Veteranen Hierarchische Kategorien und Konfigurationen Im Gegensatz zu der im vorangegangenen Kapitel diskutierten Semantik der Zwänge, welche die Erinnerungen von Veteranen an ihre Rekrutierung und Integration in die Armee prägt, thematisierten die meisten unserer Interviewpartner ihre Stellung innerhalb der militärischen Einheiten in Frankreich, Nordafrika oder anderswo kaum oder beließen es allenfalls bei sehr allgemeinen Andeutungen. Betonen die einen, alles sei sehr hart 85
gewesen und sie hätten sehr gelitten, so stellen andere wiederum ihr Verhältnis als ungetrübt dar86 bzw. erklären das harmonische Verhältnis mit ihren französischen Kameraden als grundlegend für ihre spätere Karriere.87 Für diese nachträgliche Verneinung, aber auch das „beredte Schweigen" über Spannungen innerhalb der Einheiten lassen sich vielerlei Gründe finden. Abgesehen davon, dass sich hier, wie oben angedeutet, eine erfolgreiche militärische Sozialisation widerspiegelt, mögen viele Soldaten den Alltag innerhalb der Armee, verglichen mit der Willkürbehandlung durch Kantonschefs und koloniales Verwaltungspersonal, weitaus weniger problematisch empfunden haben. Hinzu kam der Umstand, dass die meisten vollständig auf die Armee angewiesen blieben, befanden sie sich doch zum ersten Mal in ihrem Leben in einem ihnen völlig fremden Land, ohne oder mit lediglich rudimentären sprachlichen Verständigungs-
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möglichkeiten ausgestattet und in den überwiegenden Fällen in Unkenntnis über die vor ihnen liegenden Herausforderungen gelassen. Vor diesem Hintergrund ist durchaus denkbar, dass sich für die - sich ihrer damaligen Abhängigkeit erinnernden - Veteranen eine indirekte oder explizite Infragestellung ihres einzigen Bezugs- und Orientierungsrahmens und somit auch der sie befehligenden Offiziere verbietet. Fast alle der über hundert von Nancy Lawler interviewten ivorischen Veteranen verneinten zwar ausdrücklich, jemals mit rassistischen Vorurteilen oder Diskriminierung seitens französischer Zivilistinnen oder Militärangehöriger konfrontiert gewesen zu sein (Lawler 1988: 129). Auf das Thema der Gleichbehandlung mit ihren weißen Kameraden angesprochen, berichteten sie jedoch detailliert über unterschiedliche und getrennt eingenommene Nahrung, das Verbot für Afrikaner, Wein zu trinken, und das eklatante Gefälle zwischen ihrem und deren Sold (ebd.: 130 88
f.). Diese als Demütigung empfundene Unterscheidung kulminiert schließlich in der Reflexion über die negative Besetzung der Gruppenbezeichnung Tirailleurs: I spent eight months in France. No, we were not treated the same as the white soldiers. In those days they called us Tirailleurs Sénégalais. Even a corporal could call you by yelling: Tirailleur. [...] No, we didn't like it. Because a tirailleur is not the same as a soldier. It's someone who closes his eyes when he shoots. That's where the name came from. Being called a tirailleur, was not an honor if you understood French.89 Die kognitive Bearbeitung dieses Themas der sichtbaren Ungleichbehandlung afrikanischer Soldaten äußert sich bis heute in sehr unterschiedlichen Formen, sowohl in Veteranenkreisen wie in der breiteren Öffentlichkeit. Dies reicht von den z.B. in Burkina Faso kursierenden humoristischen Sprachspielen über ceux qui ont tiré ailleurs bis hin zu den von Veteranen selbst immer wieder erörterten Merkmalen ihres zweitklassigen Status innerhalb der Einheiten. In diesem Zusammenhang kommt der eigens für afrikanische Soldaten entworfenen „orientalisch" inspirierten Tirailleur-Uniiorm mit der chéchia, dem roten Fez (siehe Abb. 15), breitem roten Flanellgürtel und Wickelgamaschen (vgl. auch Abb. 1) anhaltend starke symbolische Bedeutung zu. 90
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Sie steht nicht nur für ihre Herabwürdigung im engeren militärischen Sinne, sondern gilt ihnen im Nachhinein auch als Zeichen ihrer kolonialen „Knechtschaft". Vor diesem Hintergrund gewinnt der Uniform Wechsel derjenigen, die bei ihrer Eingliederung in die Truppen der Alliierten USUniformen bekamen, eine über die Armee hinausreichende Tragweite, insofern er für sie gleichzeitig eine Befreiung vom kolonialen Stigma impliziert. Oder, wie es ein Interviewpartner, der diesbezüglich de Gaulle persönlich die verdienstvolle Initiative zuspricht, mit seinen Worten ausdrückt: Que de Gaulle il n'a qu'a dit: ,L'armée français, l'armée africain. Bon, ne dis pas euh tirailleurs! Tirailleurs ça c'est fini, ici c'est content. [...] Alors tirailleur, c'est un, une chose que je n'aime que tu as ramassée du pays [...] Nous avec tirailleurs Africains maintenant, on dit soldat, 91 soldat africain, soldat français [...] on est égal. Schärfte sich die Wahrnehmung solcher Formen unterscheidender Behandlung in der Armee beim Großteil der Soldaten, die es zumeist aus dem ruralen Milieu der „Hinterlandkolonien" Soudan, Guinea, Côte d'Ivoire an die Kriegsschauplätze verschlagen hatte, also gewissermaßen im Prozess konkreter Anschauung und eigenen Erlebens, so ist bei der Gruppe derjenigen, die schon vor ihrem Militärdienst mehr oder weniger eng mit dem französischen Milieu in der AOF in Berührung gekommen waren, von anderen mentalen Dispositionen und Erwartungshaltungen auszugehen: (...) Eh, on s'est toujours considéré avant dans l'armée comme Français d'où ailleurs beaucoup de camarades qui se sont donnés volontaires, qui se sont engagés pour aller dans l'armée française. [M.P.: Même ceux qui n'étaient pas nés dans les quatre communes?] Même ceux qui n'étaient pas nés dans les quatre communes. Tous se croyaient Français. Aussitôt arrivés dans l'armée, il y en a qui ont commencé à voir qu'il y régnait la ségrégation. Ségrégation en commençant à prendre l'alimentation, pour l'accoutrement, hein, c'était affiché. On disait carrément, vous et pas vous. Et ceux qui servaient comme Français à part entière s'imposaient. Il fallait qu'ils s'imposent pour qu'on reconnaisse de droit les Français authentiques. Cela, ce sont ceux des quatre communes. D'où souvent il y avait des petites histoires. Ça, pour vous le dire franchement et le plus ouvert, on cache rien, [rit] Et par la
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suite, pendant la guerre ça allait parce que ... on était utile. Très utile. Et après la guerre très malheureusement, on a senti qu'on ne voulait que ces servitudes données.92 In seiner Antwort auf die Frage, welche Bilanz er aus seiner Erfahrung des Krieges ziehe, thematisiert dieser senegalesische Veteran Gemütszustände und Bewusstseinsprozesse afrikanischer Soldaten vor dem historischen Hintergrund frankosenegalesischer Beziehungen. Hier argumentiert ein selbstbewusster ehemaliger Kombattant des Corps Expéditionnaire Français, der seine „Feuertaufe" im Kampf gegen Rommels Afrikakorps in Tunesien erhielt, der 5. US-Armee in Italien angehörte und die Schlacht um Monte Cassino überlebte, an der Landung der Alliierten in der Provence teilnahm, das Elsass mitbefreite und im Februar 1945 im Schwarzwald schließlich abgelöst wurde. 93 Dies gilt es ebenso zu berücksichtigen wie den Umstand, dass er zwar aus dem Urbanen Milieu Senegals, Frankreichs ältester afrikanischer Kolonie, stammte, aber im Unterschied zu den Rekruten aus den quatre communes Dakar, Gorée, Rufisque und Saint-Louis keine Bürgerrechte besaß, die ihm eine Gleichstellung mit französischen Soldaten garantiert hätten,94 sondern als sujet, kolonialer Untertan, seinen Militärdienst als Tirailleur abzuleisten hatte. Ob nun die von ihm angeführten Beweggründe für die freiwillige Verpflichtung in der französischen Armee eher ein retrospektives Deutungsmuster sind denn einem von senegalesischen Rekruten generell geteilten Gefühl der Zugehörigkeit zu Frankreich entsprangen, sei dahin gestellt. Seine Äußerungen lassen jedoch erkennen, wie sich die über die groben Kategorien Hautfarbe und koloniale Herkunft hinausgehende fein gegliederte Abstufung zwischen Schwarzen „erster" und „zweiter Klasse" auf Gruppenbildungsprozesse innerhalb der Einheiten auswirkte. So führte das von ihm geschilderte role taking entlang der vorgezeichneten Linien wiederholt zu Zusammenstößen, die vor allem in Situationen extremer Belastung auftraten. 95
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Abb. 15: Der „Tirailleur" des Krieges 1939-1945
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Einen solchen, 1945 im Repatriierungslager von Nantes blutig ausgetragenen Konflikt kolportiert der ivorische Veteran Aoussi Eba, der vor seinem Eintritt in die Armee Lehrer in der Kolonie Côte d'Ivoire gewesen war: While we were at Nantes, there were soldiers from the West Indies who really spoke French. Generally the men from here didn't speak French. They called us niggers {nègres). They set up an ambush for our men. The tirailleurs came out of their barracks to go to town. When they came back, the West Indians surrounded us. They killed three of our men. The others returned and told the story. They said that the West Indians were armed while we were not. That night our men found the killers and they were dead the next morning. There was a captain - a West Indian - a teacher. I went to see him - to try to to stop all this. He said, ,but you are an African'. I replied, but you are a teacher. How can you permit this happen? The next morning we buried our dead. They did the same. If it weren't for the police, there would have been another battle. It was really the effects of war. To kill had become an easy thing to do.96 Geht man davon aus, was wahrscheinlich ist, dass es sich bei den „Westindern" um Schwarze gehandelt hat, dann illustriert der hier berichtete Vorfall - einem Fallbeispiel gleich - den von Fanon analysierten Inferioritätskomplex kolonial-rassistischen Zuschnitts (vgl. Fanon [1952] 1980), insofern die Antillaner die ihnen in die Epidermis eingeschriebene Geschichte ihrer Diskriminierung in ein upgrading zu Lasten der Afrikaner umzumünzen versuchten. Darüber hinaus verweist er auf die ambivalente Situation der afrikanischen évolués innerhalb der Armee. Obwohl in der Regel nicht im Besitz von Bürgerrechten, hatte die Gruppe derer, die vor ihrer Einziehung eine der höheren Bildungseinrichtungen in der AOF durchlaufen hatten, im zivilen Alltag gewisse Vorrechte genossen bzw. sich als Intellektuelle - Lehrer, Ärzte und koloniale Verwaltungsangestellte — den Status von Intermediären zwischen einheimischer Bevölkerung und französischer Kolonialmacht erworben. Sie musste es in besonderem Maße empören, dass sie ihren ehemaligen senegalesischen Mitschülern, Kommilitonen und Kollegen aus den quatre communes nunmehr als koloniale Untertanen gegenüber standen, welche die TirailleurUniform zu tragen und alle daraus erwachsenden Nachteile hinzunehmen
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hatten, wie es der schon erwähnte Voltaer Joseph Conombo, der kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges an der École de Médecine in Dakar sein Examen als Arzt abgelegt hatte, beklagt: Nous, nous serons sergents-infirmiers « indigènes » à 48 francs par quinzaine et nos deux autres camarades « citoyens » de même grade à 500 francs par quinzaine! [...] Par faveur, le sergent-infirmier, médecin auxiliaire, mange à l'ordinaire du soldat français, alors que nos deux camarades « citoyens » mangent au mess des sous-officiers! Parlez-moi de justice! Il n'y a pas de règlement à invoquer et personne n'y peut rien (Conombo 1989: 41).97 Noch drastischer stellte sich die Situation des oben bereits zitierten ivorischen Lehrers dar, dessen Musterungspapiere ihn als illettré auswiesen, ein Schicksal, das er mit 34 anderen Lehrern aus seiner Einheit teilte und welches nach seiner Darstellung darauf zurückzuführen war, dass Rekruten aus dem ruralen oder kleinstädtischen Umfeld diesen Vermerk ohne näheres Ansehen der Person generell erhielten. Erst seine Befehlsverweigerung im Ausbildungslager von Bouaké führte zur Aufdeckung des Sachverhaltes, was ihn im Folgenden nicht nur dazu berechtigte, Bürodienst zu tun, sondern auch - für Tirailleurs in der Regel nicht vorgesehen - Schuhe zu tragen (Eba in Lawler 1988: 1143 f.)! Berücksichtigt man die hier geschilderten - und über die funktionale Hierarchie im engeren militärischen Sinne hinausgehenden - Barrieren zwischen metropolitanen und afrikanischen, resp. schwarzen Soldaten verschiedener „Kategorien" und trägt man überdies dem Umstand Rechnung, dass die sprachlichen Verständigungsmöglichkeiten zwischen Afrikanern und Französisch-Sprechern in der Regel begrenzt waren, so ist daraus nicht zwangsläufig abzuleiten, dass es keinen freundschaftlichen Umgang innerhalb der Einheiten gegeben hätte. Inwieweit dieser im Armeealltag jedoch über die von afrikanischen Veteranen allgemein als kameradschaftliches Verhältnis charakterisierten Beziehungen hinausgegangen ist, sieht man einmal von wenigen persönlichen Freundschaften QQ
ab, bleibt fraglich. Erwähnt werden gemeinsames Trinken m Bars, sportliche Wettkämpfe zwischen Kompanien und Plaudereien: „If he [the white] was an old comrade, you'd discuss things a bit, but for serious talks, real things, how could we express ourselves? [...] But if you discuss things
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too much - you end up with trouble. It's better not to discuss things too much." Andere erklären schlichtweg: „It was a friendship born out of war 100 only, not a profound relationship - not at all." Wie unter bestimmten Voraussetzungen solche beiderseitigen Vorbehalte überwunden worden sind, wird im nächsten Abschnitt gezeigt. Wie die interethnischen Beziehungen unter Afrikanern in den Einheiten zu bewerten sind, ist in der Forschungsliteratur umstritten. Nancy Lawler kommt auf der Basis ihrer Untersuchungen zum Schluss, dass sich im Verlauf des Zweiten Weltkriegs proto-nationale Identitäten bei den ivorischen Kombattanten entwickelten und die multiethnische Zusammensetzung der Tirailleurs-Regimenter darüber hinaus panafrikanische Bewusstseinsprozesse unter Westafrikanern angeregt habe (1988: 533 f.). Demgegenüber geht Gregory Mann davon aus, dass die Pluralität im Hinblick auf Sprachen, Kulturen und gesellschaftliche Vorstellungen der jeweiligen ethnischen Gruppen zwangsläufig zu Spannungen und Konflikten führte. Zu deren Untersuchung sei es allerdings nicht nur notwendig, zwischen den verschiedenen Etappen der Geschichte der afrikanischen Kontingente zu differenzieren, sondern auch interne Dynamismen wie Mehrheits-/Minderheitsverhältnisse zu berücksichtigen, die sich aus den jeweils repräsentierten Gruppen gemeinsamer linguistischer und geographischer Provenienz ergaben. Seinen - indes nicht näher ausgeführten Angaben zufolge sind gewalttätig ausgetragene Konflikte zwischen westund zentralafrikanischen Soldaten während des Zweiten Weltkriegs häufiger aufgetreten (2000: 48 f.). Die von mir erhobenen Daten lassen diesbezüglich keine abschließende Bewertung zu. Weniger in der Absicht einer allgemeinen Einschätzung, Selbst- und Fremdwahrnehmungen unter den Afrikanern betreffend, denn im Bemühen, an einem konkreten Beispiel die Reaktionen derer zu dokumentieren, die als Unteroffiziere gewissermaßen die Bindeglieder zwischen Soldaten verschiedener geographischer Herkunft darstellten, sei hier folgendes Gesprächsprotokoll angefügt. Meine Frage nach den „Mischungsverhältnissen" in den Einheiten stieß auf ausgesprochen lebhaften Zuspruch aller drei Teilnehmer eines Gruppeninterviews. Nachdem mir nun alle möglichen darin vertretenen west- und zentralafrikanischen Bevölkerungsgruppen unter französischer oder englischer Herrschaft zuge-
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rufen worden waren, folgte ein bekräftigendes „On était tous d'accord", seitens eines ehemaligen Feldwebels, der ab 1943 in den FFL einen solchen multiethnischen Zug (section) geführt hatte. Welche Sprache gesprochen worden sei? Jeweils zwei, Französisch und Bambara, Englisch und Hausa. Verwirrung meinerseits: Die französischen Offiziere haben also auch Bambara gesprochen? Die einen ja, die anderen nicht, die meisten eher nicht. Anhaltendes Unverständnis meinerseits. Bis besagter Feldwebel erklärte: „II y a deux langues internationales pour nous les Africains, deux langues, c'était le Bambara ou bien le Haoussa. Voilà, c'étaient les deux langues dans le temps passé, c'est avec ça là, qu'on collabore ensemble. Entre eux." 101 Zu einem späteren Zeitpunkt und angeregt durch meine Bemerkung, letztendlich seien ja vielleicht doch gar nicht so viele Senegalesen, sondern mehr Malier in der Armee gewesen, griff ein ehemaliger Oberfeldwebel den Faden wieder auf: Dans les carnets de guerre, c'est dit que nous sommes des Sénégalais. Nous ne sommes pas Sénégalais, non, non. Nous sommes Tchad. Nous sommes Sara. Oui. C'est des hommes qu'il faut quand même connaître conduire. Ah moi, j'ai une, en Indochine, j'ai commandé une compagnie, c'étaient des Sara seulement, Sara là. Mais quand on nous monte à Beyrouth, eux ils sont aptes! Ils savent où. « Allez, en avant! » [...] Les soldats tchadiens. Ce sont des bravo, tous des bravos!102 Mit einem gewissen Pragmatismus wird hier zum einen darauf hingewiesen, dass ein erhebliches sprachliches Verständigungsproblem gelöst werden musste und dass dabei insbesondere afrikanische Unteroffiziere eine wichtige Mittlerrolle als bilaterale Übersetzer innehatten. Darüber hinaus bemaß sich die Kohäsion multiethnischer Einheiten selbstverständlich auch daran, wie im zweiten Statement elegant betont, inwieweit sich eben diese Unteroffiziere ihrer Funktion als Intermediäre oder „glue which held a unit together" (Mann 2000: 47) in diesem Punkt gewachsen zeigten. Entgrenzungen - Kampferfahrungen Nous étions tous sur le même pied d'égalité au feu. [...] Alors que aux moments de combat les balles tuaient tout le monde, sans distinction. Il n'y a pas question que ça c'est un Africain, ça c'est un Européen.103
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Stellungnahmen dieser Art gehören zum Standardrepertoire fast aller afrikanischen Veteranen. In ihnen wird die gemeinsam bewältigte liminale Erfahrung des Kampfes beschworen, in der Klassen- und Rassenunterschiede gleichsam aufgehoben scheinen. Dass es sich beim gemeinsamen „Blutopfer" um ein universelles Grundmuster soldatischer Gruppenidentifikation handelt, das Überlebende und Gefallene einschließt, muss hier nicht eigens betont werden (vgl. Keegan 1976). Wenn afrikanische Veteranen der französischen Armee sich auf diesen loyalen Zusammenhalt in extremis beziehen, so nicht in erster Linie, um die tiefe Verbundenheit, die sie gegenüber allen Kampfgefährten innerhalb ihrer Verbände empfunden haben mögen, zu bekräftigen. Die von ihnen beschworene, durch gemeinsamen Kampf und gemeinsames Sterben faktisch hergestellte Gleichheit dient ihnen vielmehr als Argumentationshilfe, insofern sie ihre Forderungen nach Gleichstellung mit ihren metropolitanen Kameraden legitimiert, was Entschädigungszahlungen und Renten betrifft (siehe dazu im Folgenden 5 - Veteranen und die mère-patrie). Zwar bemüht in diesem Zusammenhang auch so mancher afrikanische Weltkriegsveteran die frankoafrikanische „Waffenbruderschaft" 104 als Gemeinschaft stiftende Figur; es darf jedoch bezweifelt werden, ob sie für die meisten Kombattanten tatsächlich die ausschlaggebende Bedeutung hatte, wie im Nachhinein so gern betont. Mir scheint hier vielmehr das Argument eines Interviewpartners bedenkenswert, es habe für die Soldaten, zum Dienst gezwungene wie Freiwillige, näher liegende, da sie selbst betreffende Beweggründe bzw. Zwänge gegeben, ihr Leben zu riskieren: En fait, c'est la chair à canon. En réalité, c'était la chair à canon. On fait, excusez-moi le terme, à l'époque, quand on revoit un peu l'histoire de la France, on fait appel aux autres troupes blanches quand les troupes africaines ont fini de nettoyer le terrain [...] Mais en ce moment, quand les troupes sont engagées, en ce moment-là, l'Africain ne pense pas comme ça. Lui il pense, il a un honneur, une dignité aussi. On l'a engagé là, il ne doit pas retourner en arrière. Il ne regarde pas le Français. Il regarde ses camarades qui sont avec lui sur le champ de bataille. C'est-à-dire en ce moment autrui se commencent à se regarder. Si il y a un qui recule, un jour quand on est assis pour causer, on va dire que lui là est une femme. Il y a ça qui a beaucoup prédominé. Et pour qu'on ne puisse pas dire telle race, les races se contrôlent. Est-ce que vous voyez? C'est banal, c'est banal comme fait. [...] Maintenant quand
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nous sommes tous ensemble, chacun ne veut pas être coi vis-à-vis de son camarade, tout le monde a honte. Voilà. Personne ne veut être le dernier. Tout le monde la (le) voit, ce qui fait que le choc est dur. Et ils sont prêts à se faire tuer pour l'honneur et la dignité.105 Die Herausforderung wäre somit eine andere, Tapferkeit vor dem Feind und Todesverachtung also Ausdruck einer Bewährungsprobe vor den eigenen Leuten, in der es sich für den Einzelnen vor allem darum handelt, sein Gesicht nicht zu verlieren. So paradox es klingen mag: Diese Stellungnahme rehabilitiert den afrikanischen Kombattanten, indem sie ihn entheroisiert, d.h. vom Ballast kolonial und rassistisch motivierter Zuschreibungen befreit. Statt eines infantilen, für seine mère-patrie allzeit zum Sterben bereiten Tirailleur tritt uns hier ein Akteur entgegen, dessen Handeln von eigenen Vorstellungen, seine männliche Ehre und Würde betreffend, geleitet ist, auch wenn ihn dies letzten Endes weder davor bewahrt hat, als „Kanonenfutter" zu dienen, noch sich dessen bewusst zu werden, wie derselbe Interviewpartner einleitend bemerkt. Joe Lunn zeigt, wie diese Männlichkeitsentwürfe insbesondere während des Ersten Weltkrieges in der Doktrin der „Kriegerischen Rassen" funktionalisiert worden sind und welch hohen Preis die als Schocktruppen eingesetzten afrikanischen Soldaten diesbezüglich zu zahlen hatten (Lunn 1999b).106 Weniger um Entgrenzung als um in mehrfacher Hinsicht vollzogene Grenzüberschreitungen handelt es sich im Falle derjenigen, die aufseiten der FFL in den Alliierten Truppenverbänden gekämpft haben. Wie im vorangegangenen Abschnitt vereinzelt angedeutet, sind die Argumentationsmuster dieser Gruppe sehr stark vom Thema der Gleichheit geprägt. Den Übergang in eine andere Statusgruppe markiert in diesem Zusammenhang der Uniformwechsel, der für die Veteranen das Symbol einer lange überfälligen Anerkennung ihrer Gleichheit innerhalb der Kampfverbände ist. Die einen betrachten, wie bereits erwähnt, de Gaulle als Urheber ihrer Rehabilitierung, die anderen erweisen diesbezüglich den US-Amerikanern ihre Reverenz: „Thanks to the Americans, we are men today. The French were all right - because de Gaulle liberated us, but we love the Americans more."107 Des afrikanischen Soldaten neue Kleider schmeichelten seinem Selbstwertgefühl, wurden zum Gegenstand so 108 manch amüsanter Verwechslungsgeschichte, verschafften ihm zuweilen
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aber auch die Möglichkeit, unerkannterweise sein Mütchen an französischen Soldaten zu kühlen. Sind die Darstellungen ehemaliger FFL-Kombattanten auch durch ein gehörig Maß an retrospektiver Selbstidealisierung geprägt, 110 so mindert dies nicht ihren Wert als Zeugnisse eines durch gemeinsame Kampferfahrungen und den alltäglichen Umgang mit Franzosen - Militärs wie Zivilpersonen - gewachsenen Selbstbewusstseins. Auch wenn die meisten in Unkenntnis über die Hintergründe des französischen Debakels von 1940 gelassen wurden und sich die Ursachen für ihren Uniformwechsel und die zwischen den FFL de Gaulies, Großbritannien und USA geschlossene Allianz bis heute auf ihre Weise zusammenreimen: 111 Aus ihren Berichten geht klar hervor, dass sie durch ihre Fronterlebnisse eine neue Einschätzung ihrer selbst und der Franzosen gewannen. Sie verloren nach und nach ihre Furcht vor ihnen, indem sie lernten, Stärken und Schwächen, Fehlentscheidungen und Fehltritte befehlshabender Offiziere auszumachen, und französische Kameraden erlebten, die sich aus Angst davor drückten, in vorderster Linie zu kämpfen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle hat dabei ihr Zusammentreffen mit den US-Soldaten gespielt, eine Begegnung, die sie veranlasste, ihre bis dahin auf dem Wege der Erfahrung gewonnenen Einsichten neu zu kontextualisieren. Auffällig ist der in den Schilderungen angestellte Vergleich, der immer zugunsten der amerikanischen Soldaten - weißen wie schwarzen - ausfällt. Sei es im Hinblick auf deren waffentechnische Überlegenheit, ihr als ausgesprochen unkompliziert empfundenes Verhalten gegenüber Afrikanern 112 oder ihre moralische Integrität: I had an experience in France. We arrived and there were two kinds of food - African and European. An American black, a captain, came to visit us at our camp. He was with a French captain. The American tasted the African food and then told the French captain to taste it. The captain said: ,No, I don't eat that', and then he slapped the American in the face. He was replaced and that was the finish of the two kitchens.113 Von der Einschätzung, die Amerikaner seien sowohl als Freunde wie als Vorgesetzte in jeder Hinsicht den Franzosen vorzuziehen gewesen, 114 ist es für manche nur ein Schritt zu behaupten, letzten Endes seien lediglich Amerikaner und Afrikaner die wahren Tirailleurs gewesen. 115
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Bei aller positiven Bewertung der amerikanischen Soldaten bleiben die Veteranen unentschieden, was ihre Beurteilung der Stellung von Afroamerikanern innerhalb der Verbände angeht. Sie verleihen ihrem damaligen Staunen über deren Existenz Ausdruck und räumen dabei ein, nichts über den transatlantischen Sklavenhandel gewusst zu haben: I saw one of them who looked like a Korhogolese. I spoke to him, but when he didn't understand me, I knew he was not from Korhogo. We didn't know where they came from [Brief mini-history of African slave trade provided, N.L.] Slaves eh. The elders used to speak of slaves and Samory, but not about things before that.116 Aufgrund der Sprachbarriere, aber auch vor dem Hintergrund, dass afrikanische Soldaten bemerkenswerterweise zwar in angloamerikanische Verbände integriert wurden, die Afroamerikaner dagegen in streng getrennten Einheiten verblieben, hatten Afrikaner wohl kaum die Möglichkeit, engere Kontakte mit Letzteren zu knüpfen. 117 Ob sie sich nun aus diesem Grund eines abschließenden Kommentars enthalten, was die von ihnen durchaus beobachtete „Rassen"-Segregation innerhalb des US-Korps betrifft, oder ob sie dies, wie Lawler annimmt, für ein weiteres Beispiel europäischer „Besonderheiten" hielten (Lawler 1988: 443), lässt sich nicht eindeutig sagen. Einige versäumen es hingegen nicht, darauf hinzuweisen, dass es für Afroamerikaner seinerzeit Aufstiegs- und Spezialisierungsmöglichkeiten innerhalb der US-Armee gegeben habe, die ihnen selbst in der französischen Armee vorenthalten wurden.118 Hier liegt sehr wahrscheinlich einer der Ausgangspunkte für die späterhin von den meisten Veteranen geteilte Überzeugung, mit Hilfe von Bildung und unter Nutzung aller gebotenen Chancen über das ihnen als kolonialen Untertanen vorbestimmte Los von Arbeitern und Infanteristen hinausgelangen zu können (Lawler 1988: 447). Fühlen sich ehemalige afrikanische FFL-Kombattanten aufgrund ihrer Beteiligung an den Landungen der Alliierten auf Korsika, Elba und in der Provence, an deren Seite sie einen militärischen Erfolg nach dem anderen errungen haben, als Kosmopoliten, so steht dies für sie nicht im Widerspruch zur Verehrung General de Gaulles. Der um ihn gerankte Persönlichkeitskult (Mann 2000: 47), der Lawler zufolge unter den westafrikanischen
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Soldaten, die in der Levante stationiert waren, seinen Ausgang nahm, hat die Zeit bis heute unbeschadet überdauert: [...] either still in the army celebrating the liberation of France, at home in their villages hearing some vague rumors of the Brazzaville Conference, and finally the struggle for independence, these tirailleurs, regardless of their general feelings about French colonial rule, the army, or their subsequent fading from public view in the newly independent African states, remember De Gaulle as the symbol of their youth, their glory and their sacrifice (Lawler 1988: 318 f.). Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass viele Weltkriegsveteranen ihm persönlich begegnet sein wollen. Einige verbinden dies nachdrücklich damit, er habe ihnen damals das Leben gerettet, als er im Oktober/November 1944 den Abzug der etwa 20 000 Afrikaner aus den Divisionen de Lattre's aus ihren Stellungen in den verschneiten und vereisten Vogesen anordnete. 119 Diese politisch motivierte Maßnahme, die als blanchissement (auch blanchiment) in die Annalen eingegangen ist, muss im Zusammenhang mit den Bemühungen de Gaulles gesehen werden, junge metropolitane Rekruten des Jahrgangs 1943 sowie die häufig kommunistisch geführten Widerstandskämpfer der Résistance an der Befreiung Frankreichs zu beteiligen (Echenberg 1991: 98 f.). Obwohl Echenbergs Argument nicht ganz von der Hand zu weisen ist, afrikanische Soldaten seien somit um ihren verdienten Anteil am Sieg gebracht worden, bleibt doch festzuhalten, dass die überwiegende Mehrheit der Betroffenen ihren Abzug enthusiastisch begrüßten (siehe Lawler 1992: 178-180; Conombo 1989: 66-68). 120 Ausgrenzungen - Gefangenschaftserfahrungen Zwischen 20 000 und 48 000 afrikanische Soldaten der französischen Armee sind während des Zweiten Weltkriegs von den Deutschen gefangen genommen worden, die meisten von ihnen zwischen Mai und Juni 1940.121 Keine genauen Zahlen sind bislang bekannt, was die bei ihrer Gefangennahme erschossenen oder in den Lagern gestorbenen Afrikaner betrifft. In der Regel verblieben afrikanische Kriegsgefangene in den von Deutschen besetzten Gebieten, wo sie in etwa 28 überwiegend in Nord-, Nordwestund Ostfrankreich, aber auch in Belgien und den Niederlanden eingerichteten Frontstammlagern (Frontstalag) - in den meisten Fällen strikt
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getrennt von französischen Gefangenen - untergebracht wurden (Akpo 1998: 46 und ebd.: Karte der Frontstalags in Frankreich). Trotz der mit der Einrichtung der Frontstalags verbundenen Strategie des OKW, afrikanische Kriegsgefangene - angeblich wegen der von ihnen ausgehenden 123
Seuchengefahr - vom Reich entfernt zu halten, wurden mehrere tausend vorübergehend in deutsche Kriegsgefangenenlager (Stalags) verbracht.124 Den aus verschiedenen Quellen zusammengetragenen Hinweisen zufolge befanden sich afrikanische POWs in den125Stalags von Villingen, Limburg, Ziegenhain, Kassel, Fritzlar, Hemer, Neu Versen, Alten126 grabow, Neubrandenburg, Luckenwalde, Fürstenberg, Hoyerswerda, Stargard,127 Stablack (Ostpreußen) (ebd.; Martin 1999: 76), Moos128 129 burg/Isar und Sandbostel bei Bremervörde. Kaum erforscht sind bisher Zahlen und Schicksale derjenigen afrikanischen POWs, die in deutsche Konzentrationslager verschleppt wurden.130 Aus Selbstzeugnissen von Überlebenden, die der ivorische Journalist und Regisseur Serge Bile interviewte, erfahren wir, dass sich im Hamburger KZ Neuengamme neun bis zehn „Schwarze" - Zivilisten wie Militärangehörige - befanden, darunter auch die beiden senegalesischen Soldaten Sidi Camara und Dominique Mendy. Mendy verdankt nach eigenem Bekunden sein Überleben der Entscheidung, „den Dummen zu spielen" und somit sämtliche Rassenklischees der Lagerleitung zu bedienen. Als Kalfaktor rang er dem Personal Seife und Brot ab und rettete damit seine Mithäftlinge vor dem Verhungern. Für seine Verdienste erhielt der von der Folter schwer Gezeichnete später das Kreuz der französischen Ehrenlegion (Bile 1995 und 2005; vgl. Martin 1999: 90 f. und Kasse 2000). Die deutsche Wehrmacht zog die afrikanischen Frontstalag-Gefangenen in Arbeitskommandos (AK) zur militärischen Zwangsarbeit in den Rüstungsfabriken heran; andere wurden französischen Landwirten als Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt oder in der Forstwirtschaft eingesetzt. Im Februar 1943 verfügte das Oberkommando der Wehrmacht zum Ausgleich der schweren Verluste an der Ostfront den Abzug der deutschen Wachmannschaften und übertrug französischen Militärangehörigen die Lagerverwaltung (Rives & Dietrich 1993: 284 f.). Viele Afrikaner mögen in diesem Zusammenhang die Gefühle geteilt haben, die ein Leutnant von den Antillen im Frontstalag von Nancy in einem Brief äußerte: „II est amer
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d'être prisonnier de guerre et d'avoir en partie, des Français comme gardiens et douloureux de sentir les effets d'une telle distinction [...] Je suis antillais, puis-je dire que je suis français?" 131 Obwohl das Untertauchen für Afrikaner ungleich schwieriger war als für ihre französischen Kameraden, weisen verschiedene Quellen auf eine » -l'y
nicht unerhebliche Zahl von Fluchtversuchen aus ihren Reihen hin. Wie vielen afrikanischen POWs nun genau die Flucht gelang, welche unter ihnen über die Netzwerke der Résistance in die freie Zone geleitet wurden, wie groß der Anteil derer war, welche sich den französischen Widerstandsgruppen anschlössen, ist bisher unbekannt. 133 Die wenigen bisher zusammengetragenen Zeugnisse von Überlebenden der Frontstalags 134 sind erschütternde Dokumente. Aus ihnen sprechen der Schock, den Massenerschießungen ihrer Kameraden bei der Gefangennahme - „Neger in eine Reihe, Franzosen in die andere" - beigewohnt zu haben, die ständige Angst, wegen nichtiger Anlässe oder aus Willkür gequält oder umgebracht zu werden - „nur weil man Afrikaner war" - , die Angst, verrückt zu werden, bis zur völligen Erschöpfung arbeiten zu müssen, ständig Hunger und Kälte ausgesetzt zu sein, keine medizinische Versorgung zu bekommen, in geschlossenen Eisenbahnwaggons mit unbe135 kanntem Ziel abtransportiert zu werden. Wie Echenberg (1991: 94-96) ausführt, müssen die Erschießungen und die ausgesprochen grausame und gegen die Genfer Konvention verstoßende Behandlung afrikanischer POWs durch Wehrmacht und SS vor dem historischen Hintergrund des von Franzosen wie Deutschen geführten rassistisch-kolonialen Diskurses gesehen werden, der den massiven Einsatz der force noire während des Ersten Weltkriegs begleitete. Die von beiden Seiten genährten Rassenstereotypen, denen zufolge die afrikanischen Kontingente, die „Wunderwaffe" der Franzosen, aus kannibalistischen und Macheten schwingenden Wilden, bar jeglicher soldatischer Ehrenkodizes, bestanden, mündeten angesichts der starken afrikanischen Komponente in den französischen Besatzungstruppen im Rheinland ab 1920 in die deutsche Propagandahetze gegen die „Schwarze Schande" ein (siehe Koller 2001).
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Abb. 16/17: „Zwei Kreidezeichnungen eines Senegalnegers", Konzentrationslager Gusen, 1944/45
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Abb. 17
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In Form einer mehrjährigen - erfolgreich in der deutschen, aber auch britischen Öffentlichkeit verbreiteten - Pressekampagne verliehen hier völkische - und frühe faschistische - Interessengruppen imaginären kollektiven Bedrohungsängsten die Gestalt des sexuell hyperaktiven Vergewaltigers deutscher Frauen und die Reinrassigkeit des deutschen Volkes verseuchenden schwarzen Monsters - mit dem Frankreich ein geschlagenes Volk zutiefst demütigte. Diesen abstrusen massenpsychologischen Manipulationen kann eine nachhaltige Wirkung auf beiden Seiten bescheinigt werden: Sie prägten nicht nur die allgemeine Einstellung deutscher Teilnehmer am Westfeldzug gegenüber den Afrikanern - die, wie die von Echenberg (1991: 94) und Martin (1999: 77-79, 82) herangezogenen Dokumente belegen, von der Generalität zu „äußerster Härte" angehalten wurden - sondern wirkte auch auf afrikanische Soldaten zurück, die - wohl nicht zuletzt aufgrund der von ihren französischen Kameraden kolportierten Gnadenlosigkeit der Deutschen - erbitterten Widerstand bis zum Letzten leisteten. 136 Aber auch ihre Narbentätowierungen 137 und diverse „Wandersagen", die über sie im Umlauf waren, haben in diesem Zusammenhang ihre Wirkung entfaltet. Sichtlich empörte Veteranen berichten über den ihnen unterstellten Trieb zu Leichenfledderei und Kannibalismus oder auch über die Mär von ihrer Unsterblichkeit: Bien sûr que le Noir meurt! C'étaient les Blancs eux-mêmes, qui disaient que le Noir ne meurt pas et qu'il ne ressentait pas non plus la faim, car il mâchait du bois vert. Il s'agit-là du cure-dent que j'ai ici et que j'utilise pour blanchir mes dents. Pour diminuer l'héroïsme de l'homme noir, le Blanc racontait qu'à cause du cure-dent qu'il met dans la bouche, il ne meurt pas jusqu'au lendemain. Le Blanc inventait ça et beaucoup d'autres choses. Parce que c'étaient des Noirs qui ont fait presque toute leur guerre. 138 Wie die bisher dokumentierten Fälle zeigen, wurden Kriegsverbrechen an Afrikanern und Afroamerikanern während der Kampfhandlungen und anlässlich der Gefangennahme sowohl von SS-Divisionen wie auch regulären Wehrmachtseinheiten begangen (Echenberg 1991: 94 f., 166-169; Martin 1999: 77-81; Conombo 1989: 175-182), was in der sadistischen „Sonderbehandlung"
schwarzer
Kombattanten
in
den
Stalags
und
Frontstalags lediglich seine grausame Fortsetzung fand. Parallel dazu sind jedoch auch zumindest für einige Lager vorübergehende Verbesserungen
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der Lage afrikanischer Gefangener dokumentiert. So konnten ab Mitte Mai 1941 Delegationen des Internationalen Roten Kreuzes nunmehr die Frontstalags besuchen, um die medizinische Notversorgung von Afrikanern durch französische Ärzte sowie den Briefverkehr mit ihren Angehörigen zu organisieren; die Vichy-Regierung richtete einen Gefangenenhilfsdienst ein, unter dessen Ägide Lebensmittelpakete der französischen Zivilbevölkerung an die Gefangenen verteilt und marraines, französische Patinnen, an die Männer vermittelt wurden (vgl. auch Lawler 1988: 270278). Über diesen überraschenden Wandel und seine Beweggründe machen sich ehemalige POWs ihre eigenen Gedanken, so der Senegalese Cheikh Oumar, der seit 1940 im Frontstalag Abbéville in Nordfrankreich einsaß: [...] j'étais prisonnier. Gardé par des Allemands. Pendant deux ans et demi, trois ans, on peut dire. Et, il fut un moment, où ces gens-là vraiment ont changé de mentalité. On savait pas pourquoi ils changeaient de mentalité à cette époque-là, les Allemands [...] Et pendant tout le temps que nous devions rester là, quelque temps après on devenait vraiment familier, huh, on sentait que ces gens-là, c'étaient pas, c'étaient très certainement leur vision, pouvoir occuper une fois notre pays qu'il fallait changer de mentalité, pourquoi nous convaincre comme quoi ils étaient des hommes vraiment gentils. [...] On sentait, c'était en fin de cette opération qui devenait fructueuse, vraiment, puisque on ne préconisait pas, [pause] qu'on devient des amis, des camarades, et il y en a même parmi nous qui apprenaient l'Allemand à cette époque-là. Pour mieux nous comprendre.139 Die Vermutungen Oumars, die Deutschen hätten systematisch versucht, Afrikaner für den nationalsozialistischen Kolonialrevisionismus - ihre „Vision eines ,mittelafrikanischen Ergänzungsraumes'" (Martin 1999: 84) - zu instrumentalisieren, werden durch Zeugnisse anderer POWs bestätigt: Lorsque j'étais à Breslau, des cours d'allemand ont été institués dans le camp, d'abord facultatifs, puis pour ceux qui „ne comprenaient pas" qu'il valait mieux s'inscrire des rationnements sur la nourriture se sont faits sentir, et il fallait suivre les cours. Les Allemands déclaraient „Lorsque nous aurons gagné la guerre, vous nous servirez de dolmetscher (interprètes) au Sénégal où nous irons." J'ai ainsi appris l'allemand plusieurs mois.140
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In diesem Zusammenhang weist Peter Martin auch auf Planungen aus dem Berliner SS-Hauptamt vom Sommer 1944 hin, unter Vermittlung des senegalesischen Kollaborateurs „Prinz" Kane afrikanische Kriegsgefangene zur Bekämpfung der FFT (Forces Françaises de l'Intérieur, Résistance) einzusetzen (Martin 1999: 87 f.). Ob und in welchem Ausmaß solche Propagandastrategien bei den Afrikanern gegriffen haben, lässt sich bislang nicht sicher sagen. Sicher ist jedoch, dass sich ehemalige POWs bereits aufgrund ihrer Deutschkenntnisse, so begrenzt sie in der Regel auch waren, und ihrer während der Gefangenschaft verdienten Löhne unmittelbar nach der Befreiung schweren Verdächtigungen vonseiten der französischen Militärbehörden ausgesetzt sahen, sie seien zu Agenten der Deutschen ausgebildet worden. 141 Über die von allen Gefangenen geteilten traumatischen Erfahrungen hinaus löste der Lageraufenthalt bei einigen Männern einen tief greifenden Bewusstwerdungsprozess aus, der ihr Selbstverständnis revolutioniert hat. Die diesbezüglichen Ausführungen des senegalesischen Veteranen und späteren Vorsitzenden der Association des Anciens Combattants et Prisonniers de Guerre du Sénégal 1939-1945, Doudou Diallo, gehören nach meiner Einschätzung zu den bemerkenswertesten Zeugnissen aus der Gruppe der Kriegsgefangenen und sollen daher integral wiedergegeben werden: Quand nous avons été fait prisonniers, Français et noirs, tous, nous étions traités sur le même pied d'égalité, les rangs étaient les mêmes, nous étions là, la queue leu leu, alors un officier français, ou le deuxième soldat sénégalais était derrière, eh, ben, chacun avait sa gamelle, et alors, la pomme de terre qui était servi aux Sénégalais, était servi aux Français, alors, donc, alors, on sentait tout de suite l'égalité des faits parce qu'on est tous prisonniers. On traitait l'homme sur le même pied d'égalité. Donc, si nous nous pensions, comme nous étions inférieurs à genre ou à peau, aujourd'hui nous sommes l'égal à genre et à peau parce que nous sommes tous traités sur le même pied d'égalité. Donc nous sommes maintenant les esclaves, les captifs des empereurs. Donc, mon nom, ce n'est pas péjoratif. [...] Qu'il s'agisse des Nègres ou des Français. Nous sommes, nous étions tous, dans les camps de captivité, donc nous étions des captifs allemands. Alors donc, les Allemands nous traitaient sur le même pied d'égalité. Donc, nous nous rendions compte donc que ces gens-là, ces Français-là, étaient comme nous [...]
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les Allemands nous ont jamais colonisé, c'est pour cette raison, parce que c'est pas notre infériorité technique, technologique que nous avons été évidemment et colonisés et traités en sous-hommes. [...] J'ai dit toujours que la guerre m'avait ouvert les yeux, on nous avait ouvert les yeux, mais c'est ça l'ouverture, ça nous avait ouvert les yeux parce que nous avons vu en France que la France que nous croyaient [«'c.'] et les Français que nous croyaient [sic/] invincibles, eh ben, c'était un mythe. Eh ben, la France a été battue, vaincue, occupée, son sol était foulé par comme on l'appelait, c'est pas trop méchant l'expression, la botte allemande. Mais on s'est dit à ce moment, c'était une certaine supériorité de l'Allemagne sur la France. Alors, c'était donc que les Allemands étaient devenus nos maîtres. Donc nous tous, c'est pour ça, je dis que nous avons été traités, ils ont été traités comme des esclaves. Comme nous, nous avions été traités ici, avant d'être allés en France, comme des esclaves.142 In einem Analogieschluss assoziiert Diallo das Lager als Ort des Entzugs elementarer Freiheitsrechte mit seiner Situation als Kolonisierter. Seine Erkenntnis, Kolonisation sei keine Manifestation kongenialer Superiorität/Inferiorität, sondern basiere wie das Lager auf der gewaltsamen Unterwerfung von Menschen unter ein gewaltförmiges System, wurde ihm zum Ausgangspunkt, für seine und anderer Befreiung zu kämpfen. Vor diesem Hintergrund habe er sich auch, wie er an anderer Stelle ausführt, einer Zelle der FFI angeschlossen, nächtens Sabotageakte durchgeführt und nach der Landung der US-Truppen in der Normandie schließlich an der Selbstbefreiung „seines" Frontstalag mitgewirkt (Diallo in Riesz & Schultz 1989: 261 f.). Seine aus diesen Aktivitäten und Erfahrungen abgeleiteten irreversiblen Überzeugungen und Forderungen gleicher Rechte für Kolonialsoldaten brachten Doudou Diallo nach dem Krieg zunächst die Anklage wegen „Mitanführerschaft zur Meuterei" im Übergangslager von Thiaroye und eine eineinhalbjährige Gefängnishaft ein. Unbeirrt verfocht er als langjähriger Vorsitzender des senegalesischen Veteranenverbandes dieselben Handlungsmaximen im Kampf um die Gleichstellung afrikanischer Soldaten mit ihren metropolitanen Kameraden in der Rentenfrage. Doudou Diallo, der vor seiner Einberufung zum Militär weder in gebildeten Kreisen verkehrte noch einer politischen Gruppierung in Senegal angehörte, wäre somit der Idealtypus einer Veteranenelite, mit denen die Vertreter der politischen Dekolonisationsparteien die Kooperation suchten,
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weil man sie, wie der Historiker Joseph Ki-Zerbo argumentiert, „als Intellektuelle betrachten [konnte], welche jedoch auf dem Wege praktischer Erfahrung zum geistigen Verständnis gelangt sind". 143 Dem entsprächen dann allerdings sehr viele aus dieser Gruppe der ehemaligen Kriegsgefangenen, wie Diallo selbst anmerkt: Les prisonniers de guerre, c'était quelque chose d'extraordinaire! Nous n'étions pas tous dans le même camp. [...] Nous étions réparti dans toute la France. Et un vent avait soufflé partout. Personnellement, j'ai été surpris par ce mouvement de revendication, son ampleur! On s'est dit, nous avons traversé des difficultés, nous avons surmonté des obstacles, les Blancs et les Noirs se sont côtoyés pendant des années, par conséquent, chacun savait de quel bois l'autre se chauffait. L'égalité était, par conséquent, quelque chose de normal. (Diallo in Riesz & Schultz 1989: 262). Auch wenn nicht alle sich der Zusammenhänge so klar bewusst gewesen sein mögen bzw. sie dies nicht gleichermaßen artikulieren können, so bedeutet das nicht, dass sie Gleichheit nicht als ihr elementares Recht empfunden hätten: „ [...] we were the same as them, but the whites could not accept the fact that Africans are equal to them. We couldn't manifest this but we knew." 144 Die militärische Gemeinschaft aus der Perspektive französischer Offiziere Ob in Form weit ausholender persönlicher Kriegsmemoiren oder romantisierender Gesamtdarstellungen über Nos Sénégalais145 - schriftliche Zeugnisse, in denen ethnische Charakteristika afrikanischer Weltkriegssoldaten, ihre Kampftauglichkeit und häufig auch ihre unverbrüchliche Loyalität aus der Perspektive metropolitaner Militärangehöriger, insbesondere aus den höheren Offiziersrängen, geschildert werden, sind Legion. Da sie in der überwiegenden Anzahl der Fälle jedoch eher als Illustrationen des französischen Diskurses über die Verdienste der Coloniale (Kolonialarmee) im Rahmen der mission civilisatrice bzw. deren Anteil an der Befreiung Frankreichs einzuschätzen sind, erweisen sie sich für das hier verfolgte Anliegen, auf historischer Erfahrung beruhende Perzeptionen des „Selbst" und des „Anderen" innerhalb dieser Armee in umgekehrter Perspektive zu rekonstruieren, als wenig aussagekräftig. Deshalb greife ich hier auf Berichte junger Offiziere zurück, die auf dem alltäglichen Umgang, den sie
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als Kompanieführer mit afrikanischen Soldaten gepflegt haben, basieren. Im Unterschied zu den mündlich erhobenen Daten, auf denen der vorangehende Abschnitt basiert, handelt es sich hier um schriftliche Zeugnisse, die nicht aus der Retrospektive, sondern in enger zeitlicher Nähe zu den berichteten Ereignissen verfasst wurden und anders kontextualisiert sind als die Narrationen von Veteranen. Ihre Verfasser waren Schüler der École Nationale de la France d'Outre-Mer, ENFOM, und Anwärter für die höhere Laufbahn in der französischen Kolonialadministration, die das Thema „Afrikanische Soldaten" für ihre mémoires, Abschlussarbeiten, frei gewählt haben. Zum Thema wurden an der ENFOM insgesamt sieben mémoires angefertigt, alle am Ende des Schuljahres 1945/46.146 Sämtliche Arbeiten wurden benotet und kommentiert. Zwei der hier herangezogenen Texte beschäftigen sich mit den Beziehungen zwischen dem französischen Offizier und seiner afrikanischen Kompanie; der dritte erörtert „Geisteshaltung" und „Mentalität der afrikanischen Truppen" in den Jahren 1944/45. Aktuellen Anlass zu dieser Arbeit gaben zahlreiche Zwischenfälle und Schlägereien zwischen afrikanischen und französischen Soldaten sowie Zivilpersonen in den Garnisonsstädten, Plünderungen von Geschäften sowie Unruhen in den französischen Sammel- und Repatriierungslagern, die Anfang Dezember 1944 in der „Meuterei" im Übergangslager von Thiaroye bei Dakar eskalierten (siehe im Folgenden auch in Kapitel 3).
Vater und Freund? Louis Domissy,147 ein französischer Leutnant, der sich von Vichy über Spanien nach Tunesien abgesetzt hatte, bekam im Oktober 1943 in Cap Bon das Kommando über eine bunt zusammen gewürfelte Gruppe von 40 Soldaten - die meisten von ihnen Tschader, einige Kameruner, Gabuner, Guineer, zwei „Zabrama" sowie je ein „Wolof", „Mossi", „Haussa" und Gambianer - übertragen, die er auf die Landung innerhalb der Alliierten Truppen in Italien vorbereiten sollte. Abgesehen von diesen kurzen Angaben, verzichtet er im Fortgang seiner Arbeit vollständig auf die Darstellung militärischer Details und Abläufe und gibt uns stattdessen, wie sein Lehrer anmerkt, „le fruit de ses réflexions sur ses hommes", d.h. er
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konzentriert sich auf die Beschreibung ziviler Aspekte des Kompaniealltags und seine Aktivitäten, diese „heterogene Ansammlung" zu einem „homogenen Block" zu verschmelzen (10). Domissy's Text ist „kein Marschtagebuch", so der Kommentar des Lehrers, sondern ein gefühlsbetonter Besinnungsaufsatz über einen Prozess der Annäherung an Menschen, deren Verhaltensweisen und Gemütszustände dem Verfasser bei Dienstantritt ebenso fremd waren wie der „langage-tirailleur", die stark Nominalphrasen geprägte Verkehrssprache innerhalb der RTS-Einheiten, eine „caricature de Français qui a cependant des règles bien définis et qui s'apprend très vite" (2).148 Im Hinblick auf seine Selbstwahrnehmung und sein Rollenverständnis oszilliert er zwischen dem Ethnologen, der sich „40 noirs-échantillons" (25) gegenüber gestellt sieht und die Männer zunächst nach „affinités raciales ou religieuses" (3) zu gruppieren versucht, dem väterlichen Freund, dem seine Männer Liebe und Vertrauen entgegenbringen (16), der sie tröstet, ihnen ihre Briefe von zuhause vorliest (18), der Namen, Herkunft und familiäre Situation eines jeden einzelnen kennt (17), dem Chef, der die physischen und psychischen Kapazitäten seiner Männer einschätzen kann (14), der seine Aufgabe ernst nimmt, sie zu guten und nützlichen Soldaten auszubilden (26), kollektive Krisen innerhalb der Truppe zu meistern versteht (19), dem Kolonialadministrator in spe, der die repatriierten Kombattanten als wertvolle Hilfskräfte an seiner Seite sieht (25) und dem Menschen, der sich über Geschenke freut, stolz und gerührt ist, wenn man um ihn weint (24). Von den Themen, die in diesem Aufsatz behandelt werden, erweisen sich insbesondere zwei von Interesse für die vorliegende Arbeit, Domissy's Perzeption „seiner" Afrikaner und die von ihm und „seinen Männern" gemeinsam produzierte „afrikanische militärische Kultur" der Truppe. Der Offizier ist fasziniert von diesen ihm Fremden, mit denen er engere Beziehungen eingeht. Er rationalisiert seine Begeisterung, indem er sie in ein ethnologisches Interesse umwandelt und seine Gegenüber zu inventarisieren und zu klassifizieren versucht (3-6). Hinter diesem objektivierenden Blick scheinen Facetten seines geheimen Begehrens auf, etwa wenn er seine - nie offen gezeigte - Vorliebe für die Tschader eingesteht: „[...] j'appréciais la noblesse de leur caractère, leur magnifique anatomie
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qu'accompagnait si bien l'aspect un peu farouche de leur visage, rendu encore plus impressionnant par des cicatrices latérales et frontales en arc de cercle" (4). Seine Faszination gilt vor allem den Sara, „une belle race qui n'a pas perdu tous ses caractères naturels et primitifs" (7) und die sich - zu seiner großen Zufriedenheit - von der euphorischen Begeisterung der anderen Männer für die Afroamerikaner kaum anstecken lassen (8). Im Gegensatz zu diesen stark überhöhten Darstellungen fühlt sich Domissy, als er seine Männer beim Baden und beim Training (11, 12) beobachtet, von der körperlichen Schönheit seiner Männer sehr viel unmittelbarer angesprochen, was seinen Ausführungen einen homoerotischen Unterton verleiht: „Ceux qui n'étaient pas insensibles à la beauté des formes admiraient avec moi l'harmonie des ces vivantes statues de bronze aux hanches étroites, au large thorax, et dont les muscles longs s'inséraient par de fines attaches sur des articulations déliées" (14). Neben diesen Männlichkeitsbildern finden sich aber auch Anklänge an das Schema der Infantilisierung des afrikanischen Soldaten, so anlässlich einer Verteilung von Kolanüssen, von den Männern entgegengenommen mit einem „enthousiasme d'enfants qui ont trouvé dans le jardin, après le passage des cloches des nids d'œufs en chocolats!" (12). Um dem tiefen Eindruck entgegenzuwirken, den die afroamerikanischen Soldaten auf seine Männer machen und sie zur Nachahmung der lässigen Haltung und chicen Aufmachung animieren (8), verfällt er auf die - von seinen Männern begeistert aufgenommene - Idee, einen „Wettbewerb um die Herstellung des besten Tam-Tams" zu initiieren. Man ahnt es - die Sara wurden Sieger (9, 10). Den krönenden Abschluss bildet ein nächtliches méchoui (Hammelspießbraten), verbunden mit der Aufführung von Tänzen zum Klang der Tam-Tams - „Spectacle inoubliable par sa rudesse, par sa vérité, par sa couleur" (10) In dieser Zelebrierung einer afrikanisierten militärischen Kultur formiert sich eine dauerhafte Gemeinschaft „d'un même corps, sous une seule direction" (15), in die der Offizier nun nicht mehr qua seiner hierarchischen Stellung, sondern als Initiator des Unternehmens einbezogen wird (15). Auch wenn hinsichtlich Domissy's Überzeugung, „seine Männer" hätten sich ihm fortan vorbehaltlos geöffnet (16), Zweifel angebracht sind,149 so treffen seine Reflexionen über die Bedeutung dieser kohäsiven Gemein-
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schaft als einem „home away from home" (Mann 2000: 46) durchaus den Kern: „Iis en arrivèrent très vite à parler de la section comme un Français de la Métropole parle de son quartier, de son village ou de sa ville. Un peu perdus au sein d'une machine de guerre énorme, il était réconfortant pour eux de se raccrocher à quelque chose de concret, à quelque chose qui fût ramené à une mesure humaine" (15). Insgesamt erweist sich Domissy's Aufsatz als illustratives Beispiel der „Herstellung" einer aus diversen Versatzstücken zusammengesetzten frankoafrikanischen Militärkultur, welche nach der Auflösung der Tirailleurs-Regimenter als imaginäre Gemeinschaft fortwirken sollte. Im Unterschied zum Neuling in Sachen Afrikakunde, der Domissy war, handelt es sich bei Piozin, Absolvent der französischen Militärakademie von St. Cyr, um einen Offizier der Kolonialinfanterie, der vor seinen Kampfeinsätzen mehrere Jahre in der Kolonie Gabun stationiert gewesen ist.150 Er analysiert seine Beziehungen mit afrikanischen Mannschaftssoldaten „in Friedens- und Kriegszeiten" (1) vor dem Hintergrund des durch den Kriegsverlauf ausgelösten mehrfachen politischen und militärischen Paradigmenwechsels. Seine Ausführungen zeigen ihn als pragmatischen Skeptiker, bar jeder romantischen oder idealisierenden Anwandlung, sowohl was die kolonialen Verhältnisse als auch die Kriegsführung betrifft. Zwar ist seine Diktion deutlich geprägt durch schematische Wertmuster und Stereotypen seiner Zeit, was die Zuordnung von „Zivilisation" und „Wildnis", Superiorität und Inferiorität und Vorstellungen einer nachholenden Entwicklung afrikanischer Bevölkerungen im Prozess der französischen Kolonisation betrifft. Aufgrund der scharfsinnigen Beobachtungen seines Verfassers ist dieser Aufsatz als historisches Zeugnis dennoch relevant, wie z.B. seine Einsichten bezüglich der Rekrutierungen in Gabun 1939 zeigen. Ihm wird dabei bewusst, dass der Tirailleur, in dem der Offizier aufgrund seiner eigenen Ignoranz und Berufsblindheit ein Wesen einer neuen, der „militärischen Rasse" zu erkennen glaubte (3), nur „eine Fiktion" (4) ist, nachdem er den Rekruten in seinem familiären und sozialen Milieu gesehen hat, den Jäger vom Landwirt und vom ehemaligen Missionsschüler unterscheiden lernt und sich fragt, wieso das livret militaire immer nur den Vermerk „Bauer" trägt (5). Mehr noch:
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L'officier se rend compte aussi que le futur tirailleur qui, demain se fera trouer la peau est souvent le pauvre type du village, sans protection ni chance; que les éléments capables sont conservés soigneusement par l'administration, la mission, la mine ou le village; que tout concourt à faire de l'indigène un déraciné: la paperasse administrative, la négligence de l'interprète et surtout l'ignorance de l'indigène, lequel ne se doute pas que demain il sera isolé de ses camarades, dans un monde inconnu, avec des blancs inconnus pour qui, seul le ,papier' a de la valeur (5). Ähnlich illusionslos schildert er die äußerst schwierige militärische und didaktische Aufgabe, vor die er sich als Offizier der FFL in Nordafrika gestellt sah, seine an den modernen Krieg keineswegs adaptierten Soldaten in einen Kampf zu führen, dessen Grundlagen und Strategien er sich selbst erst noch aneignen musste (7). Mit derselben Nüchternheit widerlegt er in diesem Zusammenhang auch gängige idealistische Vorstellungen, den Patriotismus der Afrikaner betreffend: „II ne croit pas d'avoir réussi à accrocher l'enthousiasme du tirailleur pour cette bagarre dont il rêvait de faire une croisade; il n'a pas pu trouver dans cette âme, par une étude acharnée, un idéal qui soit un idéal de noir et non une transposition de son patriotisme de blanc" (ebd.). Von daher überrascht es nicht, dass auch der Kampf selbst seiner heroischen Konnotationen entkleidet wird: „Et, à ,l'heure H ' , l'un tirant l'autre, ils bondirent en avant, également inconscients, également inhumains. Le péril de la mort aura fait que le civilisé et le sauvage auront désormais les mêmes réflexes: ceux de la bête. Désormais, plus de blanc ni de noir: pour la première fois une égalité terrible devant la mort. Une seule pensée dans les deux têtes: tuer" (10). Der Verfasser ist jedoch zu sehr Militär, um sich und „seinen Männern" den Siegerlorbeer nicht doch noch aufzusetzen: „[...] ses tirailleurs le regardent avec d'autres yeux: n'est-il pas le chef victorieux? Ils se sent entouré de plus de confiance; de nouveaux liens se sont créés entre ses hommes et lui. [...] Et par dessus des races et les civilisations, il se sent le frère du noir qui vient de l'égaler dans le même mépris de la mort. [...] Pour la première fois, ils ont senti en eux quelque chose de commun [...]" (ebd.). Ebenso wie Domissy beschwört auch Piozin in überschwänglichen Wendungen 1 5 1 die Truppe als kohäsive, Rassen übergreifende Gemeinschaft, deren Initialzündung er jedoch im Unterschied zu ersterem - und in
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Übereinstimmung mit den Aussagen afrikanischer Veteranen — auf die kollektive Bewältigung liminaler Erfahrungen zurückführt. Wie Domissy fühlt sich auch der ansonsten emotional zurückhaltende Piozin dieser Gemeinschaft, in die er sich integral einbezogen fühlt, moralisch tief verpflichtet. In Anbetracht dessen verbittern ihn der wenig enthusiastische Empfang, der den 77rai7/ewrs-Regimentern im August 1944 von Frankreich bereitet worden sei (14), der schleppende Verlauf des blanchissement 152 (15) und die unwürdigen Bedingungen, unter denen die Afrikaner mit 153
Erfrierungen von der Front in den Vogesen abgezogen werden (16). Er steigert dies noch: Angesichts desillusionierender Erfahrungen im befreiten Frankreich, „dont une partie est compromise, dont l'autre partie est déjà au proie aux luttes [sic/] politiques" (15) sieht der Offizier diese militärische Gemeinschaft als einzige Brücke zu einem „home away from home": „II se sent plus étranger dans son propre pays qu'au milieu des soi-disant sauvages de la brousse. Il étouffe. Il n'aspire plus qu'à repartir dans ces rudes contrées que la civilisation n'a pas encore corrompues, où les sentiments ont gardé leur pureté originelle" (16). Solche Reflexionen bilden aber auch eine „textuelle" Brücke zum Hauptargument, das Piozin seinen Beobachtungen unterlegt und das seinen Aufsatz in gesamter Länge durchzieht. Von Station zu Station - Kriegsbeginn, Waffenstillstand, Vichy, Nordafrikafeldzug, Landung und Befreiung von Frankreich - wohnen die afrikanischen Soldaten als - zunächst stumme, aber sukzessiv beredtere - Zeugen dem Niedergang des „prestige du blanc" bei. Der Offizier kann es weder verhindern, dass seine Männer im Juni 1940 die berechtigte Frage stellen, wo und wer denn nun der Feind sei (2),154 dass sie in Nordafrika zerlumpten und hungernden französischen Zivilistinnen begegnen, die sie um Almosen anbetteln, dass weiße Frauen für eine Büchse corned beef mit ihnen ins Bett gehen (12) und sie schließlich in Frankreich auf Soldaten treffen, denen die Befreiung ihres Landes weit weniger zu bedeuten scheint, als man eigentlich annehmen müsste (14 f.). Auf der Grundlage dieses „Gesichtsverlustes" antizipiert er eine mit der Rückkehr der Kombattanten sich in Afrika ausbreitende „neue Mentalität" (17) der Bevölkerungen, „qui attend la récompense pour les services rendus [...] qui se sent des droits parce que le blanc a manqué quelquefois à ses devoirs" (17).
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Die Einschätzung Piozins, durch die Kriegsbeteiligung von Afrikanern sei eine neue Ära - die der Kolonisierten und ihrer Forderungen nach Gleichstellung angebrochen, lässt sich in zweifacher Hinsicht interpretieren. Zunächst auf der Ebene seines Aufsatzes, wo für ihn daraus die moralisch verpflichtende Aufgabe erwächst, im Dienste des Gemeinwohls und auf dem Wege gegenseitigen Verständnisses mit den Bevölkerungen für den gesellschaftlichen Fortschritt Afrikas zusammen zu arbeiten. Darüber hinaus befindet er sich, was den politischen Diskurs betrifft, in „guter Gesellschaft" mit britischen und US-amerikanischen Regierungsvertretern, welche mit der Rückkehr hunderttausender - auf Kriegsschauplätzen weltweit eingesetzter - afrikanischer Soldaten das Ende ihrer Imperien heraufdämmern sahen.155 Vergleichbare Befürchtungen kursierten auch in Frankreich, wie im Folgenden anhand eines weiteren „Schulaufsatzes" näher erörtert wird. Neue afrikanische Mentalitäten Fernand Poujoulat, der sich dem handschriftlichen Vermerk seines Lehrers zufolge durch „praktische Kenntnis der schwarzen Truppen" auszeichnete,156 untersucht die Unruhen unter den afrikanischen Soldaten nach ihrer Entlassung aus den kämpfenden Einheiten im Zeitraum 1944/1945, die nach seiner Überzeugung auf veränderte Einstellungen der Afrikaner gegenüber den Franzosen im Verlauf des Krieges, aber auch auf eine neue Selbsteinschätzung dieser Gruppe zurückzuführen sind. Seine Beobachtungen lassen sich in sechs Punkten zusammenfassen: Erstens habe der afrikanische Soldat die Überzeugung gewonnen, dass ihn das Erlernen der französischen Sprache aus seiner Inferiorität gegenüber dem Weißen befreit. Er habe fleißig Französisch und Zeitung lesen gelernt und könne Briefe in alle Welt schreiben. Er habe sich aber auch ansonsten bemüht, als Kellner in der Messe, als Offiziersbursche und Bürogehilfe in die Nähe des Weißen zu kommen bzw. in die nächste Stufe aufzusteigen, indem er Stellen übernahm, die bis dahin Weißen vorbehalten waren - als Koch, Chauffeur, Schlosser, Schuster, Telefonist und Krankenpfleger (5 f.). Zweitens habe er in Nordafrika gelernt, zwischen „Arabern" - FastWeißen - und Europäern zu unterscheiden, und dabei habe sich einerseits
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die schon alte Verachtung des Schwarzen durch den Araber und umgekehrt bestätigt. Andererseits habe er hier auch seine Schüchternheit gegenüber Weißen generell abgelegt (7 f.). Seither strenge sich der afrikanische Soldat an, den Weißen in Sachen Bekleidung nachzuahmen, „sehe man doch mit Erstaunen Senegalesen schwarze Sonnenbrillen mit weißem Gestell tragen" (9). Nach der Ausgabe amerikanischer Uniformen an die algerischen Soldaten der Division Leclerc seien die Proteste der Afrikaner gegen die chéchia und den roten Gürtel nicht mehr abgerissen — auch sie wollten unbedingt das Käppi und den weißen Gürtel tragen. Von diesem Aufbegehren zeugten auch mehrere Zwischenfälle zwischen „Senegalesen" und den originaires der quatre communes, deren Arroganz und Verachtung sie nicht mehr hinzunehmen bereit gewesen seien (9). Doch hätten sie sich ansonsten noch ohne Schwierigkeiten der französischen Autorität gebeugt, die ihnen auferlegten Verbote wie das Alkoholverbot und die Unterschiede im Sold nicht reklamiert (10). Drittens habe sich dies aber spätestens in Frankreich grundsätzlich geändert. Durch seine Kontakte mit der französischen Zivilbevölkerung, insbesondere den „wenig respektablen Elementen" habe sich beim afrikanischen Soldaten ein Gefühl der Gleichheit, wenn nicht gar der Überlegenheit eingestellt. Daran seien aber auch die „vernünftigen Elemente" der französischen Bevölkerung schuld - sie hätten ihn schließlich an ihren Tisch gebeten, ihm Wein zu trinken gegeben, ihn für seine militärischen Leistungen gelobt und mit ihm das Thema der Menschenrechte erörtert. Dazu komme die Bewunderung und Sympathie der Frauen (11 f.) - all dies habe ihm seine ungleiche Behandlung innerhalb der Armee umso deutlicher vor Augen geführt: das Alkoholtabu, das Verbot, sich Soldat zu nennen, die fehlende Messe für afrikanische Unteroffiziere und ihr um so vieles niedrigerer Sold (12). Fazit: der afrikanische Soldat fordere die Gleichheit ein, wie sie innerhalb der FFI und, wie er glaube, auch in der US-amerikanischen Armee bestehe (13). Viertens dürfe der Einfluss, den die Afroamerikaner auf die „Unsrigen" ausgeübt haben, keinesfalls unterschätzt werden. Im Kontakt mit ihnen habe der Afrikaner den Eindruck gewonnen, sie seien den Weißen gleichgestellt. Ihre Segregation innerhalb des Armeekorps sei ihm nicht bewusst geworden, wohl aber der Umstand nicht entgangen, dass sie fast alle ein
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Foto von Félix Éboué, dem schwarzen Generalgouverneur Französisch157 Zentralafrikas, bei sich gehabt hätten (13). Dazu komme die von den Afroamerikanern seit den 1930er Jahren in Afrika verbreitete Propaganda des „Africa for the Africans", der Einfluss der Führer der „Pan-NegerBewegung" Marcus Garvey und W.E.B. Du Bois und die revolutionären Aufrufe des Pan-Afrikanischen Kongresses von Manchester 1945. Von alle dem hätten die évolués - die Entwickelten, Gebildeten unter den Soldaten - Kenntnis, die sie dann wiederum unter den Truppen verbreiteten (20 f.). Fünftens seien insbesondere die ehemaligen afrikanischen Kriegsgefangenen nach ihrer anfangs menschenverachtenden Behandlung von den immer siegessicheren - Deutschen als vorzügliche „Propagandaelemente" für die künftigen Kolonien des Reiches erkannt und „umgedreht" worden (16). Durch bessere Versorgung, leichtere Arbeit, die Repatriierung einiger Kontingente, Deutschkurse und sehr hohe Gefangenenlöhne hätten es die Deutschen schließlich geschafft, das Prestige Frankreichs unter den leichtgläubigen Afrikanern gründlich zu erschüttern (18). Allein die Niederlage der Wehrmacht habe dies mit einem Schlag wieder zunichte gemacht, mit dem Ergebnis, dass der Weiße158nun generell jegliches Ansehen bei den Gefangenen verloren habe (17). Sechstens befinde sich die überwiegende Mehrzahl der Soldaten seit Herbst 1944 in den Kasernen und Lagerbaracken im Süden Frankreichs, wo sie ohne Uniform, ohne ausreichendes Essen und ohne Aussicht auf baldige Repatriierung in Untätigkeit verharrten (17 f.). Unter dem Einfluss der ehemaligen Kriegsgefangenen der Deutschen kämen sie zusehends dahin, ihren Unmut in Protesten und Demonstrationen öffentlich zu äußern (18). Verzögerungen bei der Repatriierung, die auf infrastrukturelle Engpässe zurückgingen, würden als bewusste Schikane der Franzosen angesehen.159 Sogar die Unteroffiziere, die als einzige der allgemeinen Missstimmung entgegenarbeiten könnten, hätten sich mit den Mannschaften solidarisiert. Der Verfall der Sitten in den Kasernen und Lagern sei allgegenwärtig: die Schwarzmarkt-Aktivitäten blühten; statt sich nützlich zu machen, säßen die zu Repatriierenden in tagelangen Palavern zusammen, kaum einer trage mehr die chéchia, fast alle aber Schirmmützen oder passe-montagnes1 und selbst beim Grüßen, wenn dies überhaupt noch getan werde, zeige sich die Animosität gegenüber französischen Vorge-
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setzten. Die zu Repatriierenden agierten als Propagandisten gegenüber neu eingezogenen „Senegalesen", so dass deren Disziplin spürbar nachlasse, die Neuen das Militärtraining und Dienstleistungen verweigerten und all dies zeige, dass Vertrauen und Respekt gegenüber der militärischen Autorität in den Rückkehrerkontingenten grundlegend erschüttert seien und Ausläufer davon bereits andere Einheiten erreicht hätten (19). Aus diesen Beobachtungen und Feststellungen zieht der Verfasser den Schluss, dass „der Tirailleur tatsächlich die Gewissheit gewonnen hat, dass das Prestige der Weißen nichts als ein Mythos sei, und dass er fordert, in absoluter Gleichheit zum Europäer behandelt zu werden" (19, meine Übersetzung). Eine Übertragung auf die Kolonien sei zu befürchten; dort könne es insbesondere in Verbindung mit den panafrikanischen Aktivitäten der Afroamerikaner zu einer ernsthaften Bedrohung des französischen Kolonialwerkes kommen (20). Zur Bekräftigung seiner Argumentation fügt Poujoulat seiner Arbeit die Kopie eines zweiseitigen Beschwerdebriefes bei, den nach seinen Angaben die Insassen einiger Repatriierungslager (u. a. Fréjus, Nîmes und Marseille) am 21. September 1945 an den französischen Regierungschef geschrieben haben. 161 Dieses Dokument ist bemerkenswert. Die Schreiber, deren Identität anonym bleibt, beschreiben nicht nur minutiös die katastrophalen Bedingungen, unter denen die Soldaten in den Lagern leben, sondern lassen auch keinen Zweifel daran, wie sie ihre Behandlung beurteilen. Polemisch, mit beißendem Sarkasmus attackieren sie den französischen Paternalismus: Notre patience est à bout de force, et les conditions que nous ne méritons pas nous rendent quelquefois violents ou désobéissants. Les autorités immédiates qui prétendent avoir tout droit sur nous, étant donné que nous leur servons d'esclaves nous punissent très sévèrement sans chercher à nous comprendre (Anhang: 1). Sie kehren den diskursiven „Spieß" einfach um und richten ihn als polemische Waffe gegen ihre „Zivilisatoren": Nous envions le sort des .Sauvages' dont nous descendons et qui pouvaient vivre dans la forêt vierge sans vermine pour leur bouffer le Corps [sic/]. En effet nous les envions aujourd'hui, nous, que la civilisation Française a fait de nous des esclaves sous une autre forme, nous
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qu'on a habillés de loques pouilleuses, abandonnés sans reconnaissance dans ce climat hostile, sans confort pour le supporter. Nous regrettons les larmes aux yeux le doux moment que le soi-disant sauvage nègre parcourait en paix la forêt d'Afrique, armé de lance, à la recherche de sa nourriture qui pullulait derrière sa hutte. Inutile de vous signaler ce que nous mangeons. Les justes peuvent se donner une idée de la nourriture du soldat en ce temps qu'on ne touche plus les fameux ,BEANS' américains (ebd.: 2). Und so geht es weiter bis zum letzten Satz: „Et tout cela parce que nous sommes Noirs?" (ebd.). Dieser aller Wahrscheinlichkeit nach von einer Gruppe (senegalesischer?) évolués verfasste Brief, in dem sich die im Laufe eines potentiell siebenjährigen Dienstes unter französischer Fahne angestauten Frustrationen entladen, bringt das zum Ausdruck, was die meisten afrikanischen Mannschaftssoldaten 1944 bis 1946 in den Repatriierungslagern empfunden haben mögen. Wie im Folgenden noch gezeigt wird, haben eine Reihe von ihnen mangels Möglichkeiten oder Fähigkeiten, diese zu artikulieren und/oder Gehör bei den französischen Vorgesetzten zu finden, dann den Weg der Befehlsverweigerung eingeschlagen. *
Am Ende dieses Abschnitts ist festzuhalten, dass Poujoulats Einschätzungen - und damit diejenigen französischer Offiziere, welche die Stimmung unter „ihren Männern" im direkten Umgang „messen" konnten - mit den oben genannten Befürchtungen britischer und US-amerikanischer Regierungsvertreter übereinstimmen. Sicher ist auch, dass dieser am Verhalten der afrikanischen Rückkehrer aufgehängte antizipierte Kontrollverlust in den Kolonien, wie Furedi argumentiert, dort den Geist des Nationalismus überhaupt erst geweckt hat (Furedi 1999: 194). Unter welchen Bedingungen Kriegsveteranen sich in dieser Hinsicht tatsächlich als diejenigen erwiesen, die man in der Metropole so fürchtete, wird im Fortgang der Arbeit noch thematisiert (siehe Kapitel 5 - Veteranen und politische Parteien). Aus der Gegenüberstellung von Erinnerungen westafrikanischer Weltkriegsveteranen an ihren Militär- und Kriegsdienst und den unmittelbar nach Kriegsende verfassten Erfahrungsberichten französischer Offiziere, in denen letztere ihre Perzeptionen und Reflexionen bezüglich „ihrer Män-
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ner" zum Ausdruck gebracht haben, schält sich - als gemeinsamer Bezugspunkt - die militärische Gemeinschaft als vielschichtiges und ambivalentes psycho-soziales Konstrukt mit hohem imaginärem Anteil heraus. Hat sich in diesem Prozess eine frankoafrikanische Wir-Gruppe mit eigenen Traditionen und einer gegenseitig empfundenen moralischen Verpflichtung gebildet, so sind aber gleichzeitig die Zentrifugalkräfte deutlich geworden, die eine — von den französischen Offizieren postulierte Verschmelzung zu einem homogenen Block dauerhaft verhindert haben. Auffällig ist, dass die Veteranen ihre Ungleichbehandlung im hierarchisch strukturierten Mikrokosmos Armee in der Erinnerung keineswegs eingeebnet haben, sondern - auf sehr unterschiedlichem Artikulationsniveau - deren in der Kolonialsituation begründeten Ursachen nachgehen und die auf ihre Zugehörigkeit zu diversen Zufalls- oder Schicksalsgemeinschaften, seien es Truppenverbände der Alliierten oder Kriegsgefangenengruppen, zurückzuführende Pluralität ihrer Erfahrungen als ausschlaggebende Wendepunkte für einen individuellen und kollektiven Bewusstwerdungsprozess erkennen. Versetzt man diesen Wissensund Erkenntniszuwachs gewissermaßen in die Zeit seiner Entstehung zurück, wie dies hier anhand der Erfahrungsberichte von Offizieren versucht wurde, so stellt man fest, dass die Gegenseite aufgrund ihrer Verstrickung in koloniale und rassistische Schemata größtenteils unfähig war, diese kognitiven Prozesse zu begreifen und daraus entsprechende Handlungsorientierungen abzuleiten. Nun ist der - im Folgenden noch näher zu untersuchende - repressive Umgang mit den aus den kämpfenden Einheiten entlassenen oder aus deutscher Kriegsgefangenschaft befreiten Afrikaner sicherlich nicht einfach nur als Folge dieses interkulturellen Missverständnisses zu werten, sondern muss in den breiteren historischen Zusammenhang der 1940er Jahre eingeordnet werden. Dieser ist gekennzeichnet durch die wirtschaftlich und infrastrukturell desolate Lage Frankreichs am Ende des Krieges und durch geostrategische Verschiebungen im Weltmaßstab. Vor deren Hintergrund erklärt sich Frankreichs ungebrochene koloniale Option als Kompensation seiner Niederlage gegen Deutschland und der Demütigungen der VichyPeriode im Kleinen, als Behauptung seines Weltmachtstatus angesichts der angloamerikanischen Dominanz im Großen. Ist es nun, makrogeschichtlich
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betrachtet, nicht von der Hand zu weisen, dass die afrikanischen Soldaten der französischen Armee lediglich als Bauern auf dem Schachbrett der Weltgeschichte hin und her geschoben wurden, so hat die in diesem Abschnitt unternommene Rekonstruktion der Innenseite dieses Prozesses gezeigt, dass diese Bauern sich nicht nur ihrer dabei gebrachten Opfer bewusst geworden sind, sondern aus der Schachpartie durchaus ihre eigenen Schlüsse gezogen haben. Zivile Gemeinschaften Jenseits des militärischen Bezugsrahmens kam es im Verlauf des Aufenthaltes afrikanischer Soldaten in Übersee aus verschiedenen Anlässen immer wieder zu alltäglichen Berührungen, aber auch engeren Kontakten mit Angehörigen der Zivilbevölkerung: die Regimenter der Tirailleurs Sénégalais defilierten auf Straßen und Plätzen französischer - und später während des Vormarsches alliierter Truppen auch deutscher - Lokalitäten, Soldaten lernten französische Familien kennen, welche sie in ihrer Freizeit besuchten, bei denen sie einquartiert waren oder mit denen sie gemeinsam im Untergrund kämpften. Afrikanische Kriegsgefangene und Verletzte wurden von Angehörigen des Roten Kreuzes betreut bzw. von französischem Krankenhauspersonal gepflegt. Eine Art präferentielle Beziehung stellte schließlich das - von Veteranen durchweg positiv erinnerte - Patenschaftsverhältnis dar, das die Soldaten mit ihren marraines unterhielten, Frauen, welche sich bei den Militärbehörden hatten anlisten lassen, um Frontsoldaten und Kriegsgefangenen Briefe zu schreiben und Pakete zu schicken, Verletzte in den Krankenhäusern zu betreuen, mit ihnen Ausflüge zu unternehmen und somit allgemein dazu beitrugen, die Stimmung der Männer aufzuhellen und sie über ihre fortgesetzte Abwesenheit von Heim und Herd hinwegzutrösten. Waren diese Patenschaften in der Regel platonische Beziehungen, so haben sich darüber hinaus auch verschiedentlich Liebesbeziehungen zwischen afrikanischen Soldaten und Französinnen entwickelt, die allerdings - von den Kolonialbehörden in der Regel ablehnend beurteilt - nur geringe Chancen hatten, in eine binationale Ehe einzumünden. Auch wenn diese sehr unterschiedlichen zivilen Beziehungen mangels entsprechender Zeugnisse nur schwierig zu dokumentieren sind, so legen
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die im Folgenden herangezogenen Erinnerungen doch nahe, dass sie für manche afrikanische Soldaten zum wichtigen Korrektiv wurden, was ihre Kenntnisse über und Beziehungen zu Europäerinnen betraf, die sich bis dahin doch fast ausschließlich ihrem in der Regel durch Distanz und Furcht geprägten Umgang mit „Kolonialfranzosen" verdankt hatten. Ob aufseiten ihrer französischen Bezugspartnerinnen von vergleichbaren mentalen Prozessen ausgegangen werden kann, lässt sich aufgrund der diesbezüglich noch dürftigeren Quellenlage nicht sagen. Die wenigen vorliegenden Dokumente lassen allerdings auf eine wachsende Vertrautheit zwischen den Geschlechtern unterschiedlicher Hautfarbe schließen, ein Sachverhalt, der insbesondere auch mit Blick auf das in der Kolonie stark tabuisierte Bild der „weißen Frau" bemerkenswert ist. Als Afrikaner in Europa In seinen 1974 verfassten „Kriegserinnerungen eines Senegalschützen" widmet der voltaische sergent infirmier Joseph Conombo auch seinen Bekanntschaften und Freundschaften mit französischen Zivilistinnen breiten Raum. Seine Zugehörigkeit zum alliierten Truppenverband, ausgezeichnete Französischkenntnisse und seine wiederholt in Anspruch genommenen medizinischen Fähigkeiten162 dürften ihm in diesem Zusammenhang sicherlich wichtige Brücken gebaut haben. Weitere Anknüpfungspunkte sind seine Neugierde am „Land" und denjenigen, die es bestellen, sowie sein Interesse, die in der Kolonialschule so gepriesene „gute französische Erde" nunmehr selbst in Augenschein nehmen und sich von ihrer Beschaffenheit überzeugen zu wollen (Conombo 1989: 65 f.). In diesem Prozess schwindet der „Mythos" mehr und mehr, um einer vom tagtäglichen Kontakt inspirierten Sympathie und Bewunderung für die ländliche Bevölkerung Platz zu machen, aus der in seinem Falle einige langjährige tiefe Freundschaften erwachsen sollten (ebd.: 66). Conombo singt das Lob der guten Kost - „fromages de gruyère, du bon pain, des lapins, et des fromages frais" - gegen die man bereitwillig seine „rations américaines" eintauscht (ebd.: 67), und stimmt eine Eloge über die „bonnes mamans de France" an, à qui bon nombre d'entre nous, devrons leur vie car ils ignorent encore comment parer aux dangers de l'hiver en Europe ... Ce sont elles qui, la
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plupart du temps, nous ont porté secours: gâteaux, biscuits, pull-over, infusions chaudes la nuit et même le petit verre de sec, la quetsch ou le schnaps, les grogs chauds du rhum, le chauffage près de du poêle de famille, etc. Les femmes de France, surtout les femmes âgées, ont toujours eu une attention délicate et leur apitoiement vis-à-vis des troupes africaines dont les conditions de vie étaient si dures nous a été d'un grand secours (ebd.: 64). Mehr noch, gegenseitiges Vertrauen, Offenheit und Sympathie zwischen seiner Einheit und den französischen Familien wird für den afrikanischen Soldaten zum überlebensnotwendigen moralischen Gegengewicht zum unbeschreiblichen Horror des Krieges: „C'est insupportable! La fréquence de telles scènes finit par anéantir tout sentiment. Il s'agit de tuer, pour ne pas être tué. Quelles responsabilité [sic/]!" (ebd.: 70). Conombo beschreibt die Annäherung beider Seiten als gegenseitige Tuchfühlung, deren Triebkraft das neugierige Staunen ist. Verwundert er sich bei der Christmette in einem elsässischen Dorf über die „Negerle"Figur, die sich bei Münzeinwurf mit artigem Kopfnicken bedankt, so sorgt die Anwesenheit eines echten „Negers" unter den deutschsprachigen Kirchgängerinnen ihrerseits für spürbare Unruhe, die sich erst im Verlauf einiger Tage der Gewöhnung in Sympathie verwandelt (ebd.: 73). Straßburg überrascht den Soldaten mit seinem „germanischen" Charakter, den er in Architektur, Sauberkeit und Ernsthaftigkeit seiner Bewohnerinnen zu erkennen glaubt. Letzteres wird ihm schließlich zum Anlass, seine Einschätzungen über die Deutschen zu korrigieren, die er als Antifaschist mit den Nazis sämtlich über einen Kamm geschoren hatte (ebd.: 82 f.). Mit der Rheinüberquerung sieht man ihn in wechselnden Rollen: als erfolgreichen Invasor, dessen Einheit sich nach der Eroberung von Karlsruhe im dortigen Finanzamt von deutschen Gefangenen ein festliches Menü auftragen lässt (ebd.: 88), als Reisenden, der schockiert über die zerbombte Universitätsstadt Freiburg und deren heruntergekommene Bewohnerinnen berichtet, aber auch in der landschaftlichen Schönheit von Schwarzwald und Bodensee schwelgt (ebd.: 89 f.), in Donaueschingen ein Akkordeon und ein Tafelservice aus Fayence erwirbt, das er später anlässlich seiner Hochzeit benutzen wird (ebd.: 94), als Besatzer, der sich mit den bizarren kulinarischen Gewohnheiten seiner Quartiersleute vertraut macht (ebd.: 92) und schließlich als Arzt, dem der Kontakt zu seinen
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Patientinnen die Gelegenheit gibt, die „deutsche Seele" jenseits der ideologischen Verblendung der Deutschen durch die Nazipropaganda „zu entdecken" (ebd.: 93). Dieses Bemühen um Verstehen wurde ihm nach eigenem Bekunden späterhin zum Movens, als Mitglied einer französischen Parlamentariergruppe für die deutsch-französische Aussöhnung einzutreten (ebd.: 83). Im Gegensatz zu Conombo, dessen Kriegsmemoiren insgesamt stark von der auktorialen Erzählhaltung des Politikers und Staatsmannes geprägt sind, der er nach Kriegsende geworden und im unabhängigen Obervolta lange Zeit geblieben ist, 163 haben sich die von mir interviewten Weltkriegsveteranen kaum über ihre Beziehungen zu französischen, deutschen oder anderen Zivilistinnen geäußert. Ob sie nun tatsächlich über weniger intensive Kontakte verfügten als der Mediziner, ob ihnen dieser Aspekt ihrer Kriegserfahrungen im Nachhinein weniger bedeutend schien als die von ihnen in der Regel minutiös aufgelisteten - einzelnen Einsatzorte, oder ob schließlich ihre Erinnerungen daran im Laufe von immerhin mehr als fünfzig Jahren verblasst sind, sei hier dahingestellt. Die mündlichen Zeugnisse der wenigen senegalesischen, ivorischen und burkinischen Veteranen, die sich überhaupt zu diesem Thema geäußert haben, stimmen jedoch im Kern mit Conombos Stellungnahmen und Beobachtungen überein. Bei weitem die größte Aufmerksamkeit widmen insbesondere die ehemaligen POWs ihren französischen Patinnen: [...] Parce que les ... dames françaises, les dames vraiment s'occupaient beaucoup du sort des prisonniers de guerre africains. Donc cette amabilité et cette générosité qui étaient les leurs, est à souligner. Parce que quand elles savaient qu'on était coupé de notre famille et aucune correspondance, il y en avaient qui sont restés quatre ans sans nouvelles de leurs familles. Alors il fallait se créer une famille en France, une famille française, du moins une dame française qui, oui, vous envoie des colis, qui vous écrit des correspondances pour essayer de ..., de nous remonter le moral. 164 Über dieses System der marrainage
hinaus, das die französische Armee-
führung bereits während des Ersten Weltkriegs initiiert hatte, um Kombattanten ohne Familienanhang ein „mentales Zuhause" zu geben, bemühten sich auch diverse gemeinnützige Vereine und die katholische Kirche um afrikanische Soldaten, so die Jeunesse de l'Empire Français, die 1940 ein
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Tirailleurs-Bataillon adoptierte und mit Geschenkpaketen versorgte (Lawler 1988: 125). Das Ordenshaus der Peres du Saint-Esprit im Pariser Vorort Chevilly richtete eine Pension ein, wo afrikanische Soldaten in zentral geheizten Einzelzimmern ihre Freizeit verbringen und von wo aus sie auch an organisierten Besichtigungstouren in die Hauptstadt teilnehmen konnten (ebd.). Selbstverständlich wurden alle diese karitativen Initiativen von der französischen, aber auch frankosenegalesischen Presse eifrig vermerkt, so dass die Leserschaft in Metropole und Kolonie sich vom Wohlergehen der Afrikaner und deren „präferentieller Behandlung" überzeugen konnte (ebd.: 126).165 Hinsichtlich der ivorischen Kombattanten stellt Lawler fest, Art und Qualität der Kontakte zwischen ivorischen Soldaten und französischen Zivilpersonen seien sehr unterschiedlicher Natur und vor allem auch stark davon abhängig gewesen, in welchem Maße die Afrikaner über „nichtmilitärische" Französischkenntnisse verfügten (ebd.: 132). Bei den meisten ihrer Interviewten habe sich der Kontakt auf Bar-Bekanntschaften beschränkt, kaum einer sei je bei einer französischen Familie zu Gast gewesen.166 Da weder die ivorischen noch die von uns interviewten burkinischen Veteranen sich sehr beredt gezeigt haben, was ihre Bekanntschaften mit Französinnen jenseits der zumeist mütterlich konnotierten marrainage betrifft, lassen sich von ihrer Seite Umfang und Bedeutung der von ihnen damals eingegangenen Liebesbeziehungen oder beabsichtigten Lebenspartnerschaften nicht ermessen. Abgesehen davon, dass es den großenteils polygynen Ehemännern und mehrfachen Groß- bzw. Urgroßvätern vielleicht nicht angeraten schien, ihre „Jugendsünden" in der Fremde vor der Interviewerin auszubreiten, wäre hier auf die paternalistisch motivierten Vorbehalte hinzuweisen, die das französische Offizierskorps unter den Mannschaften in Umlauf setzte, um die Aufnahme intimer Beziehungen zwischen Afrikanern und Französinnen einzudämmen: „ (...) suspecting that many of the women the tirailleurs met outside the camp were prostitutes, interested only in taking money from the men" (ebd.: 133). Ohne in Abrede stellen zu wollen, dass solcherart Warnungen bei einem Teil der Soldaten auf fruchtbaren Boden gefallen sind, wie Lawler (ebd.) ausführt und am konkreten Beispiel belegt, kann insbesondere mit Blick auf die aktenkundig gewordenen Liaisons jedoch auch
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argumentiert werden, dass sich längst nicht alle davon haben abhalten lassen, Partnerschaften einzugehen. Französinnen und afrikanische Soldaten - eine präferentielle Beziehung? Die angeblich grenzenlose Sympathie vieler Französinnen für die afrikanischen Soldaten weckte bei zeitgenössischen Beobachtern gemischte Gefühle, wie sie auch in folgenden ironisch gefärbten Schilderungen eines Briefschreibers zum Ausdruck kommen, der über mögliche koloniale Folgeprobleme orakelte: Si vous voyez la fête que les femmes - pas toutes - , ont fait aux nègres, ils n'en croient ni leurs yeux ni leurs oreilles; on les embrasse, on les invite à dîner! Il en y a un à l'hôpital ici. Il s'appelle Saloum [Name schwer leserlich, B.R.] ... je ne sais pas comment quand le temps lui dure et qu'il trouve le menu insuffisant, il s'en va chez Mme Léon Nicolas sans se gêner, et il est toujours très bien reçu. Quand on vous les rendra vous ne pourrez plus rien en faire. Marthe sera obligée d'embrasser et de cajoler son boy pour qu'il obéisse [...]167 Hauptauslöser für Sympathie und Hinwendung der weiblichen Bevölkerung gegenüber afrikanischen Soldaten waren in erster Linie Mitleid und Fürsorge, hier geweckt durch die schlechte Verfassung der vom harten Kriegswinter 1944/45 stark mitgenommenen afrikanischen Soldaten, in anderen Fällen durch das Leid der Kriegsgefangenen in den Frontstalags. Darüber hinaus bereitete auch das gemeinsame Engagement im Untergrund den Boden für die Aufnahme engerer - nicht zwingend sexueller - Beziehungen. Wie stark sich Frauen vor diesem Hintergrund für das Wohlergehen von Afrikanern verantwortlich fühlten, zeigt sich etwa am Brief einer Arbeiterwitwe und marraine an den französischen Kolonialminister, in dem sie für die sofortige Repatriierung kranker Soldaten plädiert: Monsieur, Veuillez m'excuser de prendre votre temps c'est pour vous demander une grâce pour tous. Monsieur, serait-il assez aimable de demander à Monsieur le Ministre des Colonies s'il pourrais [sic!] avoir des avions pour rapatrier les pauvres malades indigènes qui restent encore à l'Hôpital Colonial de Pierrefeu dans le Var, car il y avait bien un avion pour le traître LAVAL et beaucoup comme lui donc. Monsieur, j'ai mon petit filleul de guerre Jean Ediké qui était à Rennes depuis début
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1941, tombé malade en 1943, et je vois encore l'hiver arrivé [sic/] pour ces petits gâs [sic/] là, et j'ai peur pour eux et lui qu'il ne revoie pas a [sic/] chère maman et papa, et sa femme chérie lui qu'il aime tant. Marié chez lui 3 mois et parti en 1937 pour servir en France, je fais ce que je peux pour le soutenir, mais la maladie peut et sera un jour plus forte que nos colis peut être et surtout si cher. Monsieur je compte sur vous et Merci votre dévouée Mme Vve Larcher 168 Dieser Brief bestätigt die Existenz eines kommunikativen Austauschs zwischen Patin und „Schützling", im Ergebnis dessen sie ihn über seine Funktion als Soldat hinaus als Mensch - in Gestalt des liebenden Ehemanns und Sohnes - wahrnimmt und für dessen Wohlbefinden sie sich engagiert. Bei aller guten Absicht der von aufrichtiger (Für)Sorge inspirierten Witwe zeichnet sich dieses Dokument jedoch durch eine gewisse Ambivalenz aus: Im Motiv der Verkindlichung des Schutzbefohlenen zeigen sich Parallelen zur latenten - am Beispiel der Haltung französischer Offiziere bereits thematisierten -
Verstrickung in paternalistische Schemata, die hier
gleichsam in ihrer mütterlichen Ausprägung erscheinen. 169 Aufschlüsse über Qualität und Nachhaltigkeit der im Krieg geknüpften binationalen Liebesbeziehungen lassen sich anhand des in den Dakarer Archiven gesammelten Briefwechsels zwischen Französinnen oder ihren afrikanischen Gefährten mit französischen Regierungsvertretern oder dem Generalgouvernement der A O F gewinnen. 170 Im Mittelpunkt der Korrespondenz steht zumeist die Bitte der Frauen, ihre repatriierten „Verlobten", 171 „Ehemänner" und/oder Väter ihrer Kinder ausfindig zu machen, ihnen die Ausreise in die jeweilige Kolonie bzw. ihren Gefährten die Rückkehr nach Frankreich zu gestatten. Obwohl die Behörden jenen binationalen Partnerschaften nicht gerade enthusiastisch gegenüberstanden, wurde diesen Wünschen nach Familienzusammenführung in einigen Fällen durchaus entsprochen, dabei allerdings der Umzug des afrikanischen Partners nach Frankreich zur Grundbedingung für die Genehmigung gemacht. Getragen von der Überzeugung, „qu'un indigène de la brousse ne peut pas amener chez lui une femme européenne à moins qu'on estime désirable d'apprendre aux françaises ce qu'est la vie en commun avec un ancien tirailleur", 172 hielt man eine Kohabitation in der Kolonie für eine Französin aufgrund des
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zumutbar und überdies dazu angetan, das Ansehen Frankreichs herabzusetzen. Und plädierte gewissermaßen für das „kleinere Übel", die wenigen Afrikaner, welche bereits eine rechtsgültige Ehe mit Französinnen eingegangen waren, in die Metropole zurückzuholen. Eine rasche Gewöhnung der ehemaligen Soldaten an ihre neuen Lebensumstände in Frankreich erachtete man als vergleichsweise unproblematisch, zumal man davon ausging, dass die Sozialabteilung des Kolonialministeriums ihnen 173 einen Arbeitsplatz besorgen könne. Diesem generellen Vorbehalt gaben in mehreren Fällen die bei den kolonialen Bezirksverwaltern über die Kandidaten eingeholten Auskünfte weitere Nahrung, so dass dem Ansinnen von Französinnen, ihre repatriierten Partner zuhause zu besuchen bzw. sich am Heimatort ihres (künftigen) afrikanischen Ehemanns niederzulassen, in der Regel wenig Aussicht auf Erfolg beschieden war. So wie nach Aktenlage nicht eindeutig zu beurteilen ist, ob es sich hier um klare Willensbekundungen der Betreffenden selbst handelte oder ob die Bezirksverwalter bei deren Formulierung mitunter „nachhalfen", so lassen die hier dokumentierten Fälle lediglich den Schluss zu, dass die zwischen Französinnen und afrikanischen Soldaten eingegangenen Liebesbeziehungen von sehr unterschiedlicher Qualität gewesen sein dürften. Welchen Stellenwert die Betreffenden ihnen aus dem zeitlichen und räumlichen Abstand nun beimaßen und wie ernsthaft sie eine dauerhafte Bindung anstrebten, hing von einer Reihe von Faktoren ab. In diesem Zusammenhang zeugt die Korrespondenz zunächst von einer deutlichen Präferenz aufseiten der Französinnen, ihr Leben an der Seite ihres afrikanischen Gefährten in den Kolonien fortsetzen zu wollen. Ihre Absichten haben seinerzeit sogar eine gewisse - wenngleich auf dem Wege des Hörensagens übersteigerte - öffentliche Verbreitung gefunden: Laut einer aus „gut" unterrichteter „europäischer Quelle" den Staatssicherheitsbehörden Anfang 1947 zugetragenen Information kursierte „in einheimischen Kreisen" das Gerücht, zahlreiche heiratswillige Europäerinnen seien auf dem Wege in die Kolonie Senegal und man könne sich als potentieller Ehekandidat registrieren lassen, vorausgesetzt, man verfüge über ein monatliches Mindesteinkommen von 3 000 Francs. In Erwartung dessen hätten eine Reihe Männer bereits ihre Partnerinnen verlassen, um sich mit einer Weißen liieren zu können.174
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Was nun die Beweggründe der Frauen betrifft, so scheinen über die affektive Komponente hinaus sowohl materielle Erwägungen unterschiedlichster Natur als auch - und dies galt vor allem für Frauen, die Kinder aus der Verbindung mit afrikanischen Soldaten erwarteten - Reflexionen über die Auswirkungen ihrer Liaison auf ihr gesellschaftliches Ansehen eine wichtige Rolle gespielt zu haben. So erhoffte sich eine Antragstellerin von der Aufrechterhaltung der Beziehung unter anderem eine bessere Versorgung mit knappen Konsumgütern wie Kaffee, Kakao und Zucker und versäumte nicht, darauf hinzuweisen, dass sowohl ihr ivorischer „Verlobter" wie auch sie ohne Ansehen der Hautfarbe ihre Pflicht fürs Vaterland getan und nunmehr ein Recht darauf hätten, „ihre Interessen wahrnehmen zu 1 können". Eine andere beteuerte, ihre prekäre Lage in der Nachkriegszeit, „sans famille et sans ressources", zwinge sie dazu, ihr Glück an der Seite ihres „Ehemanns" in der Kolonie zu versuchen.176 Bei anderen Frauen wiederum kann davon ausgegangen werden, dass ihre Schwangerschaft sie zur Ausreise bewog, wie es sich ex negativo am Beispiel der Ehefrau eines Franzosen zeigt, die ein Kind von einem ivorischen Soldaten zur Welt brachte und fortan mit der Furcht vor Entdeckung ihrer Liaison leben musste.177 Dass vermutlich eine Reihe von Frauen mit diesem Dilemma konfrontiert waren bzw. mit den Sanktionen ihrer näheren familiären und weiteren sozialen Umgebung zu rechnen hatten, bestätigen zwei Aktenvermerke von 1946 über die Einrichtung eines Hilfsfonds für Französinnen mit Kindern, die einer Verbindung mit afrikanischen Soldaten entstammten. An diesem Fonds beteiligte sich auch das Generalgouvernement der AOF mit einer Finanzzuweisung.178 Bei den Stellungnahmen der afrikanischen Partner handelt es sich, wie bereits angemerkt, nicht um Quellen aus erster Hand, sondern um von den mit den jeweiligen Fällen befassten Kolonialadministratoren gefilterte Auskünfte und „Willenserklärungen". Vorbehaltlich dessen zeichnen die hier dokumentierten Fälle ein heterogenes Bild von der Haltung der Männer gegenüber ihren französischen Gefährtinnen. Beteuerten die einen ihre „ernsthaften Absichten" und ihr Bestreben nach rechtlicher Legitimierung der Beziehungen,179 so distanzierten sich andere davon mit dem Argument, es habe sich lediglich um vorübergehende Gelegenheitsbekanntschaften 180 mit Frauen von zweifelhaftem Ruf gehandelt. Mitunter stellte sich auch
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heraus, dass die Betreffenden vor Ort bereits mit Afrikanerinnen verhei181 ratet waren und zum Teil mehrere Kinder hatten oder dass ein Heiratswilliger und praktizierender Muslim sich seinem strenggläubigen - und die Ehe mit einer Europäerin keinesfalls billigenden - Vater beugte und letztendlich auf sein Vorhaben verzichtete. 182 Und schließlich scheinen auch aufseiten der Männer materielle Erwägungen eine nicht unwesentliche Rolle gespielt zu haben, was die Aufrechterhaltung ihrer Beziehungen anging, wie folgender Brief einer Französin an einen ehemaligen senegalesischen POW nahe legt: ... Si je t'envois tout ton argent la demande que nous avons faite pour le départ d'Elvira peut très bien aboutir au moment ou nous n'y penserons pas et ou il faudra payer rapidement... C'est devant ton insistance à avoir cet argent par la lettre que tu as fait écrire le 24 août [sic/] que je t'ai envoyé 5.000 francs, Elvira a 2000 frs et elle va essayer d'économiser 3.000 frs pour compléter.... Je tiens à te dire qu'au reçu de ton télégramme, et, à la pensée que tu ne désirais plus qu'Elvira te rejoigne, ta petite fiancée a pleuré. Heureusement le petit mot que tu as ajouté sur la lettre du 24 août nous chargeant de lui dire que tu ne l'oublierai [s/c/] jamais l'a un peu rassurée.... Ah! nos enfants sénégalais semblent avoir le coeur bien leger et l'oubli facile. Enfin je veux croire encore que tu aimes toujours Elvira et que tu l'attends avec autant d'impatience qu'elle même est impatiente de te rejoindre. J'espère que ma lettre te trouvera bien rétabli, faisant bien ton métier de gendarme, et que gagnant bien ta vie tu régleras tes dettes et que la question d'argent s'arrangera....183 Auch wenn die hier zusammengetragenen Dokumente viele Fragen offen lassen, was mittel- und langfristige Verläufe jener binationalen Liebesverhältnisse und Lebenspartnerschaften betrifft, so werfen sie doch ein Licht auf die Alltagsseite interkultureller Geschlechterbeziehungen, ihre Möglichkeiten und Begrenzungen. Sie bergen durchaus das Potential eines Rassen- und Kolonialgrenzen überschreitenden vertrauten Umgangs von Männern und Frauen, einer individuellen Annäherung, im Zuge derer stilisierende Zuschreibungen des/der „Anderen" überwunden werden konnten. Wie bei allen „Geschichten, die das Leben schreibt", garantierte dies gleichwohl nicht deren guten Ausgang, zeugen die hier diskutierten Beispiele im Gegenteil von der Kontingenz dieser affektiven Beziehungen zwischen afrikanischen Soldaten und Französinnen, deren Flüchtigkeit,
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Veränderlichkeit, Beeinflussbarkeit und Instrumentalisierung. Auch wenn im Einzelnen dahingestellt bleiben muss, ob die zumeist in liminalen Situationen angebahnten Liaisons ordnungspolitischem Kalkül metropolitaner und kolonialer Behörden geopfert wurden oder ob sich ihre Aufrechterhaltung mit den lebensweltlichen Verhältnissen, in welche die Repatriierten wieder eintauchten, nicht vereinbaren ließ, so mindert dies nicht ihre Bedeutung als (eine weitere) Wir-Gemeinschaft, die auf ihre Weise dazu beitrug, koloniale Rassen- und Geschlechtermythen zumindest temporär - aufzuweichen. Noblesse d'Afrique - der afrikanische Soldat als moralische Figur Als Mitglied einer französischen Kommission, der die Inspektion der Frontstalags in Nordostfrankreich oblag, engagierte sich die französische Anthropologin Hélène de Gobineau während des Zweiten Weltkrieges für die Verbesserung der Lagerbedingungen afrikanischer POWs, die Betreuung der in Pariser Hospitäler evakuierten schwerkranken Häftlinge und die Unterstützung derer, denen die Flucht aus den Lagern gelungen war. Ihre Begegnungen und Bekanntschaften mit diesen Männern thematisierte sie in ihrem 1946 erschienenen Tatsachenroman Noblesse d'Afrique, einer Sammlung von dreizehn „Anekdoten", mit denen die Autorin beabsichtigte zu zeigen, „ce que nous aurons pu, nous aussi, apprendre au contact des noirs, pendant cette longue guerre: la noblesse des sentiments, la bonté solidaire, la pudeur, la patience" (de Gobineau 1946: 32). De Gobineaus Buch ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Es stellt eine einzigartige zeitgenössische Quelle dar, was die Haftbedingungen afrikanischer Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg, Fluchtwege und Verbindungen zum französischen Untergrund und das Leben der untergetauchten Lagerflüchtlinge in Paris betrifft. Über diese Informationen aus erster Hand hinaus gibt es Aufschluss über Verhaltensorientierungen und Wertschätzungen derjenigen, die aufgrund ihres täglichen Umgangs mit afrikanischen Soldaten für sich in Anspruch nehmen konnten, „de savoir sur eux beaucoup plus que le reporter pressé, qui traverse leur pays, impatient de tout visiter, beaucoup plus que bien des colons, dont l'intérêt est de croire à l'infériorité de ces hommes, pour calmer leur conscience" (ebd.: 9) und die de Gobineau als Zeuginnen für ihre Ausführungen
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benennt: Krankenpflegerinnen und Patinnen (ebd.: 10). Und schließlich kann es auch als ethnologische Fallstudie gelesen werden, die sich argumentativ vor allem auf afrikakundliche Abhandlungen des hohen Kolonialbeamten und Wissenschaftlers Maurice Delafosse stützt, aus denen die Autorin im Vorwort längere Passagen zitiert (ebd.: 16-19; 24 f.).184 Die der Autorin attestierte Vertrautheit mit Französisch-Westafrika (Echenberg 1991: 97) sowie die akademische „Traditionslinie" DelafosseFrobenius-Hardy, in die sie sich einreiht, bilden den Verständnishintergrund für de Gobineaus im Vorwort artikulierte Bemühungen, den Tirailleur zu rehabilitieren, einer ignoranten französischen Bevölkerung vor Augen zu führen, dass er nicht als „großes Kind" zu behandeln ist, sondern als Repräsentant einer „aristokratischen Tradition" bäuerlichen Zuschnitts (de Gobineau 1946: 20), deren moralischem Wertekanon er sich 1 zutiefst verpflichtet fühlt. Vertreter einer intakten, edlen, aber isolierten Zivilisation also, der, Delafosse zufolge, die natürliche Barriere der Sahara über die Jahrtausende den Anschluss an den Fortschritt verwehrte (ebd.: 18). Sie zu bewahren sei jedoch angesichts des unwiderstehlichen Drangs der Afrikaner nach Wissen zum einen und der Abhängigkeit der Weißen von afrikanischen Territorien und indigener Hilfe zum anderen unmöglich geworden (ebd.: 30). De Gobineaus Plädoyer für die Bildung rückt sie in die Nähe der Befürworter der mission civilisatrice, deren Bestreben es ist, afrikanische Gesellschaften auf dem Wege der nachholenden Entwicklung zu verständigen Juniorpartnern des Kolonialwerks auszubilden: „il faut les éduquer, échanger notre savoir contre leur force neuve et riche (...) A ce moment-là, nous nous serons fait d'eux des amis, ce qui est autrement puissant qu'une soumission camouflant la révolte" (ebd.: 31). Um der Autorin gerecht zu werden, ist ihr allerdings zu konzedieren, dass sie diesen Bildungsauftrag als humanitäre Aufgabe begreift, von der sie sich im Ergebnis die Überwindung (wirtschaftlicher) Ausbeutung von Afrikanern (ebd.: 30) und des - von den Europäern erfundenen und kultivierten - Minderwertigkeitskomplexes erhofft (ebd.: 31). Diese Präliminarien bilden das kognitive Gerüst für die „Anekdoten", mit denen de Gobineau ihre Botschaft illustriert. Und eben diesem - zeitgebundenen - Bekenntnis der Autorin zur aufgeklärten „besseren" Kolo-
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nisation ist es wohl geschuldet, dass ihre Situationsbeschreibungen und Charakterstudien einzelner Soldaten trotz aller empirischen Sättigung den heutigen Betrachter als Ausdruck eines „odd tale of success" anmuten (Echenberg 1991: 97). Mit anderen Worten: de Gobineau präsentiert diskursiv modellierte Lebensgeschichten, deren Protagonisten sie als moralische Figuren einsetzt, um ihre Leserschaft bezüglich deren Haltung und Wertschätzung gegenüber Afrikanerinnen eines Besseren zu belehren: Da sind zunächst die Erzählungen, die von der Caritas, Opferbereitschaft und Solidarität afrikanischer Soldaten mit der französischen Zivilbevölkerung künden. Allen voran die Geschichte des Feldwebels Amadou Sarr, der aus einem Frontstalag in Meurthe-et-Moselle den Widerstand der dörflichen Bevölkerung gegen die Deutschen organisiert und einem jungen Bauern das Leben rettet, indem er ihm sein Amulett vermacht. Letzterer entkommt als einziger dem Massaker, das die Wehrmacht zur Vergeltung an den Zivilistinnen, dem Feldwebel und seinen 30 Männern verübt („La Hache", de Gobineau 1946: 33-48). Oder die Episode im Pariser Gare de Lyon, wo es im Juni 1940 zu einem Massenansturm rückkehrender Frontsoldaten und ziviler Flüchtlinge aus der Provinz kommt. De Gobineau, die dort die Truppenteile mit Getränken und Nahrung versorgt, beobachtet einen „jungen Senegalesen", der sich der verzweifelten Flüchtlinge erbarmt, indem er seine Milchrationen an die Kinder verteilt („L'exode", ebd.: 84-90). Das Pendant zu dieser Geschichte bildet das Porträt einer eleganten Dame aus der Pariser Oberschicht, die sich in der Rolle der marraine gefällt und Caritas übt, um ihr Selbstwertgefühl zu nähren („Le bol de lait", ebd.: 109-113). Eine zweite Gruppe stellen die Lehrstücke in Sachen Herzensangelegenheiten dar. Hier zeigt sich z.B. der Tirailleur Zoungrana einer französischen Gelegenheitsprostituierten moralisch weit überlegen, die ihm in nicht unbeträchtlichem Umfang Geld und Naturalien abverlangt hat, um ihn dann schließlich um sein Vergnügen zu betrügen. Als diese „mademoiselle plaisir", von ihm und seinen Kameraden deswegen zur Rede gestellt - „C'est ça civilisation?" - nach Ausflüchten sucht, überlässt er ihr Geld und Verantwortlichkeit für ihr verwerfliches Handeln: „tu peux garder, c'est cadeau: il restera lourd pour ton cœur" („Civilisation", ebd.: 55-65). Douramadou - „beau tirailleur", „pauvre prisonnier" - aus Niger,
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Ehemann einer leichtlebigen Blonden, wächst über sich selbst hinaus, verzeiht ihr die Fehltritte in seiner Abwesenheit und zeugt mit ihr zum guten Schluss einen „fast schwarzen" Sohn („La femme légère", ebd.: 80-83). Da wäre noch Tanga, einer von fünf POWs, denen eine Französin zur Flucht aus dem Frontstalag verholfen hat. Er beweist seinen Großmut, indem er seine - gutherzige aber unansehnliche - Retterin ehelicht und damit nicht nur auf die Erfüllung seines drängenden Wunsches nach Rückkehr in die Heimat verzichtet, sondern auch die moralische Schuld seiner Kameraden ihr gegenüber abträgt („Tanga l'évadé", ebd.: 98-108). Weitere drei Episoden kreisen um Rekonvaleszenz, Sterben und Tod von Afrikanern im Pariser Militärkrankenhaus Val de Grâce. Sie zeigen Zamba, der sich aus Heimweh vom Dach in den Tod stürzt („Rien de plus", ebd.: 49-54), zwei unzertrennliche guineische Tuberkulosekranke, deren einer seinen sterbenden Kameraden „mit der Zärtlichkeit einer Frau" bis zum Schluss pflegt („Les ciseaux", ebd.: 66-71), den würdevollen Umgang der afrikanischen Krankenhausinsassen mit Sterben, Tod und Begräbnis („Autour de la mort d'Idrissa", ebd.: 114-133). Religiöse Überzeugungen, afrikanische Verhaltenskodizes und traditionelle Wissenssysteme sind Gegenstand der restlichen vier Erzählungen. Hier schildert die amüsierte Autorin den Wettlauf katholischer Nonnen und eines jungen „protestantischen Apostels" um die Seelen der wenigen noch unentschiedenen Tirailleurs, die sich wohl geneigt zeigen, aus Gefälligkeit gegenüber „Madame blanche" oder um eines schönen Taufgeschenkes willen auf die Sache einzugehen, den Preis für ihre Konversion jedoch pragmatisch abwägen. Nichts zu machen dagegen bei den Muslimen, „qui se détournent à leur vue. Les mêmes qui refusent d'entrer à Notre-Dame, au cours de nos païennes promenades dans le plus beau Paris" (ebd.: 72). Als Musterbeispiel tiefer Frömmigkeit wird schließlich der „grand malade" Kourouma vorgestellt: er provoziert wiederholt seine Strafverlegung, um endlich ungestört seine fünf Gebete verrichten zu können („Trop de dieux", ebd.: 72-79). Ein Besuch im Zoo von Vincennes gibt Anlass, die Vorzüge traditioneller afrikanischer Naturheilmethoden zu erörtern („Tout scepticisme est une paresse", ebd.: 91-97). An der Überreaktion des französischen Feldwebels hinsichtlich einer beim Fußballspiel im Krankenhaushof eingeworfenen Fensterscheibe entzündet sich eine handfeste Dis-
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kussion um Strafe und Vergeltung à l'africaine: die dem „Missetäter" verpasste Ohrfeige wird als kollektive Ehrverletzung aufgefasst und mit einer gemeinsam verabreichten tüchtigen Tracht Prügel gesühnt. Nicht genug damit, stellt sich die gesamte Equipe nach vollzogener Reparation dem vorgesetzten médecin-chef und gibt ihm anheim, sie alle oder keinen dafür zu strafen („Palabre", ebd.: 134-139). Den Band beschließen zwei mündliche Überlieferungen, welche der Verfasserin von Saer, dem „Gelehrten" unter „ihren Schwarzen" schlechthin, 186 dargebracht wurden. „Die Legende von den vier starken Männern" (ebd.: 140-163) fungiert als Gleichnis, mit dem der afrikanische Soldat und de Gobineau, die sich gleichsam zu seinem Sprachrohr macht - den Europäern, die ihn gering schätzen, im Rekurs auf seine Geschichte eine Lehre erteilt: Petite femme, quand les hommes blancs te diront, selon leur coutume: les noirs sont des enfants à l'esprit mobile, alors souviens-toi de l'histoire des quatre hommes forts. Et pense combien il nous faut être forts pour être toujours vivants, alors que nous sommes si souvent faussement jugés (ebd.: 155). Saers Auseinandersetzung mit dem Algerier Ahmed, 187 den er daran hindert, eine Biene zu töten, wird zum Erzählanlass für das zweite Gleichnis, das von der moralischen Überlegenheit des Afrikaners kündet. Dass jener schon vor langer Zeit den gegenseitigen Nutzen der Symbiose zwischen Mensch und Biene erkannt hat, autorisiert ihn, dem Europäer die Konsequenzen seines unverantwortlichen Handelns vor Augen zu führen: Vois-tu, petite femme, si quelqu'un prend, il faut aussi qu'il donne: alors chacun reste le cœur en paix. Mais l'homme fort croit toujours qu'il peut prendre beaucoup et donner peu. Dans sa colère d'homme fort il détruit la ruche, mais il est bien forcé de reconnaître qu'il ne sait pas faire le miel. Dans tous les mondes, l'amour apporte l'abondance et la haine une sèche misère (ebd.: 163). Dieser letzten Episode kommt in zweierlei Hinsicht eine Schlüsselstellung im Gesamttext zu: In den „Geschichten in der Geschichte" wird die den vorangehenden Schilderungen unterlegte Botschaft auf der Ebene symbolischen Sprechens verdichtet und überhöht. Darüber hinaus verstärkt der vorgenommene Sprecherwechsel - ein „edler" Repräsentant des verkann-
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ten „schwarzen Adels" adressiert sich direkt an die französische Leserschaft - die appellative, auf die Veränderung von Einstellungen und Verhaltensweisen gerichtete Wirkungsabsicht der Autorin, welche sie in den beiden aus den Überlieferungen gezogenen „Lehren" gleichsam auf den Punkt bringt. Diese lesen sich wie Kondensate einer allgemeinen Überzeugung und mentalen Haltung, die in liberalen und linken Kreisen der französischen Gesellschaft, angestoßen durch die Begegnung mit afrikanischen Soldaten im Ersten Weltkrieg, kursierte: Cet esprit est notamment caractérisé par la croyance selon laquelle le monde occidental ne trouverait son salut qu'en prenant exemple sur le naturel de ,l'âme noire' et aussi par la tendance à considérer le problème colonial comme un problème purement humain que seul un ,humanisme franco-africain' viendrait à résoudre (Midiohouan 1989: 141).188 De Gobineaus Typisierung und Stilisierung der Protagonisten sowie deren „Indienstnahme" für die Vermittlung der „guten Botschaft" verdeutlichen, dass Noblesse d'Afrique nicht einfach als Dokument gelesen werden kann, das gelebte Erfahrung afrikanischer Soldaten wiedergibt, sondern dass sein eigentliches sujet die kritische Reflexion des Zivilisations-Diskurses ist, die in ihren Wahrnehmungen des „Anderen" indes dem kolonialen Blick verhaftet bleibt, der sich hier im Faszinosum des um so vieles edleren, da unverbildeten „Anderen" manifestiert.189 In diesem Zusammenhang teilt de Gobineau die humane Gesinnung und das vom direkten Umgang mit afrikanischen Soldaten inspirierte aufrichtige Engagement für diese Gruppe einer Lucie Cousturier und eines Jean-Richard Bloch.190 Aber ebenso wenig wie diese beiden Autorinnen zieht sie das Kolonialwerk selbst in Zweifel bzw. stellt sich ihr die Frage nach der Selbstbestimmung ihrer Protagonisten jenseits der von ihr konstruierten frankoafrikanischen Schicksalsgemeinschaft.
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Im Oktober 1944 wurden etwa 400 afrikanische Soldaten zeitweise in das Camp Monshire bei Liverpool „verbracht", um die Übergangslager an der Côte d'Azur (Fréjus, St. Raphaël, Menton und Marseille) zu entlasten, wo es angesichts der großen Zahl der zu Repatriierenden und einer auf die Knappheit von Transportschiffen zurückzuführenden Verweildauer der Männer von bis zu zwei Jahren zu starken Versorgungsengpässen gekommen war (Echenberg 1991: 100; Lawler 1992: 194). Da die Soldaten, wie im vorangegangenen Kapitel bereits erörtert, als temporäre Migranten nur eine von vielen in diesem Zeitraum in Bewegung gesetzten kolonisierten Bevölkerungsgruppen in Westafrika waren, lassen sich vergleichbare Prozesse auch unter den zur kolonialen Zwangsarbeit im Eisenbahn- und Straßenbau Verschickten und den aus mehr oder weniger freien Stücken migrierten Saisonarbeiterinnen in Gold Coast und Côte d'Ivoire feststellen. Zu diesbezüglichen Zeugnissen siehe Mariko 1980: 40-76. Kélétigui Mariko, ein ehemaliger infirmier vétérinaire der französischen Kolonialverwaltung in Soudan, führte zwischen 1953 und 1956 eine Umfrage unter 500 jungen Männern und Frauen der Region Ansongo (Nigerbogen) durch, die in Kumasi (Gold Coast) gearbeitet hatten, und hielt die Ergebnisse u. a. in Form von 15 kurzen Autobiographien fest. Siehe dazu vor allem die Kritik von Winter & Sivan (1999: 25-27) an Noras sehr allgemein gefasstem, „national" konnotierten Verständnis kollektiver Erinnerung und, so der explizite Vorwurf, der „Frenchness" seines stark am französischen Diskurs um Kultur und Zivilisation ausgerichteten Konzepts. Zur Diskussion um Gedächtnisschichten, Erinnerungskulturen und deren wissenschaftliche Untersuchung siehe insbesondere die Beiträge von Jan Assmann, Aleida Assmann, Lucian Hölscher und Lutz Niethammer in Kristin Platt & Mihran Dabag (Hg.) Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten. Opladen: Leske + Büdlich 1995; sowie Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München: C.H. Beck 1999. Noras Konzeption liegt auch dem jüngst erschienenen dreibändigen Sammelwerk Deutsche Erinnerungsorte (hg. von Etienne François & Hagen Schulze, München: C.H. Beck 2001) zugrunde. In dieser „.Topographie' deutscher Erinnerung" werden jene „Orte" thematisiert, die zu „Kristallisationspunkten des kollektiven Gedächtnisses" der Deutschen geworden sind (Zitate aus dem Umschlagtext).
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Kapitel 2 Mit dieser Definition schließen sich Winter & Sivan Roger Bastides Kritik am Halbwachs'sehen Modell an, das von den Vertretern der französischen Mentalitätengeschichte übernommen wurde. Ohne die soziale Gebundenheit individuellen Erinnerns grundsätzlich anzuzweifeln, weist Bastide den Begriff des kollektiven Gedächtnisses als einer eigenständigen und überindividuellen Größe zurück. Er bestimmt es als ständig im Fluss befindliches „Endprodukt" von Austauschbeziehungen zwischen Individuen innerhalb einer sozialen Referenzeinheit. Zur Diskussion von Dürkheims, Halbwachs' und Bastides Ansätzen siehe Winter & Sivan 1999: 19-29. Wie dieser Ansatz einer social agency empirisch fruchtbar gemacht werden kann, zeigen die durchaus kontroversen Beiträge im von Winter & Sivan (1999) herausgegebenen Sammelband, in denen Kriegserinnerungen und Erinnerungsarbeit militärischer wie ziviler Akteurs- und Opfergruppen - in einem zeitlich wie regional weit gefassten Rahmen untersucht werden. Auf dem Konzept der social agency basiert auch Winters Monographie, Sites of Memory, sites of mourning: the Great War in European cultural history. Cambridge: Cambridge University Press 1995. Vgl. Ecker & Langthaler & Neubauer (2001: 6). In dieser empirischen Fallstudie werden Gedächtnispraktiken in einem österreichischen Dorf untersucht und dabei Noras Konfrontationsmodell und Aleida Assmanns Komplementaritätsmodell (1999) einer kritischen Prüfung unterzogen. Dabei stellt sich heraus, dass beide Konzepte der Dynamik des Wechselspiels zwischen populärer Erinnerung und machtvollen Diskursen, welche die Auseinandersetzungen und Aushandlungsprozesse der Interviewten um Geschichtsbilder kennzeichnet, nur eingeschränkt Rechnung tragen. Frejus bietet sich hier aufgrund einer vergleichsweise dichten Datenbasis für eine exemplarische Erörterung an. Vergleichbare Prozesse ließen sich jedoch am Beispiel weniger prominenter Garnisonen in Frankreich oder bedeutender nordafrikanischer Standorte, wie z.B. Algier, Fes oder Sfax, skizzieren. Da die Geschichte Letzterer auf den Beginn des 20. Jahrhunderts - und damit auf koloniale Expansionsfeldzüge - zurückreicht und die Interaktionen zwischen Franzosen, Afrikanerinnen und der marokkanischen, algerischen bzw. tunesischen Bevölkerung hier ihre eigene Dynamik entfalteten, wäre eine diesbezügliche historische Aufarbeitung von großem Interesse. Frejus liegt im Departement Var. Ob diese Stadt auch für indochinesische und madagassische Soldaten eine vergleichbare Bedeutung hatte, ist bislang nicht untersucht worden. Gegebenenfalls ließe sich Frejus,
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wie Mann argumentiert, dann gar als „truly global cultural site" bezeichnen (ebd.: Anm. 101). Ein Terminus mit überaus interessanter Etymologie: Die aus dem Lateinischen abgeleitete primäre Bedeutung von Hivernage ist „Überwinterung", „etwas winterfest machen". Vermutlich auf den maritimen Wortgebrauch („in der schlechten Saison einen Hafen anlaufen") geht die „tropikalisierte" Form zurück, welche sich im Zuge der französischen Expansion u. a. auch in Westafrika allgemein verbreitet hat und bis heute die niederschlagsreichen und überaus heißen Monate der Regenzeit bezeichnet (die zudem für Gebiete der nördlichen Halbkugel mit den europäischen Sommermonaten zusammenfallen). Einen afrikanischen Soldaten zur hivernage nach Fréjus zu schicken, gewinnt vor diesem Hintergrund einen - durchaus beabsichtigten? - Hintersinn, suggeriert es ihm doch eine vorübergehende Heimkehr in „vertraute Gefilde". Zur „Afrikanisierung" der Umgebung der Tirailleurs Sénégalais siehe im Folgenden noch ausführlicher. Aus diesem zweiten großen, im April 1916 eingerichteten „Winterlager" sollte jedoch eine - bis heute nicht genau bekannte - größere Zahl von Afrikanern nie wieder zurückkehren. Die vermutlich aufgrund unzureichender sanitärer Verhältnisse und dürftiger medizinischer Versorgung an Lungenentzündung Gestorbenen wurden in einem Sammelgrab beigesetzt, das die sterblichen Überreste von insgesamt 940 anonymen Soldaten, zum großen Teil aus West- sowie Zentralafrika und Madagaskar, aber auch einer Reihe russischer Kombattanten, enthält. Die Anfang der 1990er Jahre in den Rang einer nationalen Nekropole erhobene Grabstätte sowie ein Gedenkstein für die „für Frankreich gestorbenen" Afrikaner sind die letzten sichtbaren Überreste des Lagers. Die Tradition der Coloniale, wie die französische Marineinfanterie allgemein bezeichnet wurde, ist indes bis heute bewahrt geblieben, insofern Fréjus nach wie vor die u. a. im Shaba-Konflikt, in Tschad und Rwanda eingesetzten Spezial-Eingreiftruppen beherbergt. Als Sitz der von 1956 bis 1965 dort betriebenen Ecole de Formation des Officiers Ressortissants des Territoires d'Outre-Mer, EFORTOM (später EFORTDM), hat Fréjus auch eine wichtige Rolle bei der „Afrikanisierung" der Kommandostrukturen der ehemaligen RTS gespielt. Siehe dazu Echenberg 1991: 117-126. CHETOM 15 H 135: Note sur les transformations qu'ont subies les formations Coloniales depuis le début de la campagne en France et aux Colonies 1914-1918 (verfasst 1919), S. 12. Ebd., S. 23. Den Angaben zufolge wurden sechs solcher Bataillone (etwa 1 200 Mann) im November 1917 abkommandiert. Ein anderes,
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Kapitel 2 unter derselben Signatur eingeordnetes Dossier (Les corps coloniaux pendant la guerre, S. 42 f.) benennt als Einsatzorte: Munitionsfabriken in Montluçon, Vincennes und Moulin, Sprengstofffabriken in Toulouse, St. Chamas und Sorgues, das pyrotechnische Werk in Toulouse sowie die staatliche Eisenbahngesellschaft in Lyon. Siehe dazu auch Manns detaillierte Beschreibung des von Maclaud geleiteten „Senegalesen"-Hospitals (hôpital n° 52) von Menton, das einem „sudanesischen Dorf' glich, in dessen Gestaltung der Korridore die einzelnen Kolonien reproduziert wurden und dessen Hinweisschilder jeweils in Französisch, 77raf7/e«r-Französisch und Bamanankan beschriftet waren (ebd. 63 f.). Interessanterweise findet die außergewöhnliche Ausstattung keinerlei Erwähnung in der Autobiographie von Bakary Diallo ([1926] 1985), der als Kriegsverletzter längere Zeit in diesem Krankenhaus untergebracht war (vgl. das Kapitel „Menton" ebd.: 124-142). Zum Phänomen der marraines siehe im Folgenden „Französinnen und afrikanische Soldaten - eine präferentielle Beziehung?" Letztere (hôpital n° 66 und n° 67) befanden sich in unmittelbarer Nähe des heute dem Erdboden gleichgemachten Camp Gallieni. Bei meinem Besuch im Frühjahr 1998 konnte ich - vermutlich letzte- Fotografien des einzigen noch erhaltenen kolonialen Militärkrankenhauses von Fréjus machen. Das hôpital Jean-Louis (siehe Abb. 2) ist selbst schon ein „Nachfolgermodell" der 1930er Jahre (auf dem Gelände des ursprünglichen hôpital n° 88). Die Informationen zu Fréjus' militärmedizinischer Infrastruktur habe ich der Homepage der Association de Santé Nationale d'Outre-Mer entnommen. Dieses Lehnwort (mandinka, auch misiiri, misidi) aus dem arabischen masgid (kleine Moschee) bezeichnet die „Moschee um die Ecke" oder Stadtteilmoschee, im Unterschied zu jâameng, (mandinka, auch jaamang, jaama) aus arabisch gämi°a Haupt- oder Freitagsmoschee (Mötsch 1994: 82, 91). Welcher Architekt die Moschee von Fréjus entworfen und wer ihr diesen Namen gegeben hat, ließ sich nicht ermitteln. Sofern nicht anders vermerkt, stammen die baulichen Informationen zur missiri von Fréjus sowie zur Pagode Hong-Hien, die gegenwärtig als buddhistische Kultstätte von vietnamesischen Migrantinnen des Departements Var genutzt wird, aus (die zitierten und von mir ins Deutsche übersetzten Stellen eingeschlossen). Auch die Große Moschee von Djenné war ein Neubau, der zwischen 1905 bis 1907 an der Stelle der vorherigen Moschee entstand. Der Grad
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kolonialer Einflussnahme auf deren bauliche Gestaltung wird in der Forschung kontrovers beurteilt. Zu gegensätzlichen Positionen siehe Bourgeois 1989 und Gruner 1990, der zufolge keine „direkte Bauhilfe der Franzosen in Djenne" nachweisbar ist (ebd.: 96). „Neo-sudanesisch" inspiriert waren nicht nur zahlreiche zivile Gebäude in der AOF wie Schulen, Museen, Krankenhäuser und Verwaltungsgebäude sondern insbesondere auch Kasernen und Gedenkstätten. Siehe im Folgenden auch „Orte des Gedenkens". Zur Bedeutung der französischen Kolonialausstellungen als exotistische In-Wert-Setzung der kolonialen Aktion siehe Blanchard & Bancel & Gervereau 1993. Die Ausstellung von 1931 in Paris-Vincennes markierte in diesem Zusammenhang den Höhepunkt imperialer Propaganda (Blanchard & Bancel & Lemaire 2001; siehe vor allem auch die zahlreichen diesem Artikel beigegebenen Reproduktionen von Ausstellungsplakaten). Nach meinem Recherchestand ist Michels (ebd.: 300, Anm. 18) Datierung der missiri von Frejus auf 1916 jedoch mit Sicherheit auszuschließen (vgl. auch Mann 2000: 62, Anm. 127). Da die Masse aller westafrikanischen Soldaten aus den Territorien Soudan, Obervolta, Guinea und Senegal stammte, handelte es sich dabei zumindest nominell um die überwiegende Mehrheit der Mannschaften überhaupt. Für die hauptsächlich madagassischen Christen stand die katholische Kirche im Stadtzentrum von Frejus zur Verfügung (Mann 2000: 65). Ein zugegeben „spätes Beispiel" ist T.K., Soldat de 1° classe, Jahrgang 1954, Bobo-Dioulasso-Accartville 23.3.1999, der als Lastwagenfahrer in der Armee arbeitete und das Amt eines Vorbeters und rituellen Schlachters bekleidete. So explizit L.D., Jahrgang 1952, Ouagadougou 5.3.1999; G.D., Jahrgang 1952, Bobo-Dioulasso-Accartville 19.3.1999; S.B., Jahrgang 1951, Bobo-Dioulasso-Accartville 19.3.1999, der zunächst sechs Monate in Bordeaux und später noch einmal für sechs Monate in Frejus verbracht hat; L.Y., Jahrgang 1946, Tougan, 16.5.1999; S.T., Jahrgang 1947, Tougan 16.5.1999; J.B., Jahrgang 1940, Tougan 17.5.1999; P.K., Jahrgang 1949, Tougan 17.5.1999 (Bordeaux und Frejus). G.D., Jahrgang 1952, Bobo-Dioulasso-Accartville 19.3.1999; J.B., Jahrgang 1938, Tougan 17.5.1999; B.Z., Jahrgang 1953, BoboDioulasso 18.3.1999; vergleichbar damit auch G.Z., Jahrgang 1930 Bobo-Dioulasso-Accartville 16.3.1999, für den Perpignan dieser, so wörtlich, „Ort der Chancen" wurde. B.Z., Jahrgang 1953, Bobo-Dioulasso 18.3.1999, dessen Erlebnisse
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Kapitel 2 allerdings auf 1956 datieren. Somongo Sora, Jahrgang 1937, POW, Kogotonkaha/Korhogo, 19.2.1986 (in Lawler 1988: 952, Hervorh. im Orig.). Im selben Tenor äußert sich Ouanlo Silue, Sinematiali/Korhogo, 28.1.1986 (ebd.: 865). Yessongui Sekongo (etwa Jahrgang 1935/36), Kakologo/Korhogo, 3.2.1986 (in Lawler 1988: 891 f.). S.Y., ehem. Brigadier d'Artillerie, Jahrgang 1939, Bobo-DioulassoAccartville, 19.3.1999. Eine andere Version stellt das hier im Anhang wiedergegebene Itinerar eines anderen Veteranen dar, auf dem dieser seine verschiedenen Einsatzorte als Angehöriger der Alliierten Truppen aufgelistet und somit die Stationen seiner, Abenteuer" festgehalten hat. Etwa zwei Drittel der von uns befragten Veteranen haben eine vergleichbar detaillierte Auflistung ihrer Einsatzorte als Einstieg ins Interview gewählt, so dass das hier zitierte Beispiel als eines unter vielen gelesen werden kann. Mit dieser Verwendung greife ich Noras Begriff der lieux de mémoire in seiner allgemeinen Bestimmung auf. Ausgehend von der Einsicht, dass sich „das Gedächtnis [...] an Orte (klammert) wie die Geschichte an Ereignisse" (Nora 1998: 38), lässt sich eine unabgeschlossene Vielzahl möglicher Gedächtnisorte „im materiellen, symbolischen und funktionalen Sinn" (ebd.: 32) denken. Ausschlaggebend für die Bedeutungsdichte jener Orte wird dabei ihre jeweilige Verknüpfung mit der Dramatik der Ereignisse, ihrer Einmaligkeit und ihrer Einschätzung als Wendepunkte des Geschehens (vgl. Winter & Sivan 1999: 12). Höchst unwahrscheinlich ist, dass „Belgien" tatsächlich auf seiner „Route" lag, oder dass er an einer militärischen Aktion gegen „Spanier" beteiligt war. Solche Erwähnungen wie auch die approximative oder vage Bezeichnung anderer geographischer loci deutet eher auf Überformung seiner Erinnerungen durch später eingeflossene Informationen (Interpolation) oder auf den Versuch, fragmentarische, lediglich auf dem Wege des Hörensagens erworbene Wissensbestände einzustreuen. Die Ablösung afrikanischer Kontingente vor Beifort und ihre Verbringung in den Süden Frankreichs im November 1944 ist als blanchissement in den militärischen Wortschatz eingegangen. Siehe dazu im Folgenden „Entgrenzungen - Kampferfahrungen". Dabei werden die Namen von Städten oder Regionen häufig approximativ oder lautmalerisch wiedergegeben, was nicht zuletzt darauf schließen lässt, dass die Betreffenden weder zum Zeitpunkt des Geschehens noch später ihre Routen auf Landkarten verfolgen konnten. Diese Aspekte werden ebenso wie Conombos Beziehungen zur elsäs-
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sischen und deutschen Zivilbevölkerung im Folgenden näher betrachtet. Eine bisher unbekannte Zahl gefangener afrikanischer Soldaten, insbesondere Angehörige der FFL oder FFI, wurden direkt in Konzentrationslager deportiert. Siehe dazu „Ausgrenzungen - Gefangenschaft". Baumans These vom „Jahrhundert der Lager" zufolge verkörpert sich im „Lager" - von den Internierungs- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten über die sowjetischen Gulags bis hin zu „Gastarbeiter"-, Asyl- und Abschiebelagem - die moderne vernunftgeleitete „Normalität" in ihren extremen, aber logischen Formen der totalen Herrschaft über, der absoluten Kontrolle und Disziplinierung von Menschen. Zur kritischen Rezeption seiner Argumente siehe die Beiträge in iz3w 1999: 21-34, insbesondere die Stellungnahme des Historikers Ulrich Herbert (ebd.: 25-27). Z.T., Jahrgang 1938, Kriegsgefangener der Deutschen von Juni 1940 bis Mai 1945, Bobo-Dioulasso-Accartville 19.3.1999. Z.T. erinnert sich nicht an die genaue geographische Lage des Frontstalag. Léopold Sédar Senghor, Kriegsgefangener der Deutschen von Mai 1940 bis November 1941 (Auszug aus dem Gedicht Camp 1940, geschrieben im Frontstalag 230 von Poitiers, in Senghor 1990: 75). In der Tat brachte Z.T., von dessen Gefangenschaft ich nichts ahnte, als ich sein Gehöft betrat, seine Erfahrungen im Frontstalag unaufgefordert und sehr detailliert zur Sprache. Siehe das vollständige Interview mit ihm im Anhang. Zu Kriegsgefangenschaft, Verhältnissen in den Frontstalags und Bewusstseinsprozessen von POWs siehe im Folgenden ausführlich „Ausgrenzungen - Gefangenschaftserfahrungen". Zitate aus dem Bericht von T.B., Jahrgang 1935, ehemaliger Kriegsgefangener der Italiener in Tunesien, Bobo-Dioulasso-Accartville 16.3.1999. Seine Erinnerungen weisen darauf hin, dass die inhumane Behandlung afrikanischer POWs keine exklusiv deutsche „Spezialität" war. Mit Ausnahme Japans und der Sowjetunion hatten alle am Zweiten Weltkrieg beteiligten Staaten die auf der Haager Landkriegsordnung von 1907 basierende Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen (1929) für gültig erklärt und sich damit verpflichtet, die Gefangenen menschlich und in „Beziehung auf Nahrung, Unterkunft und Kleidung auf demselben Fuße zu behandeln wie die Truppe der Regierung, die sie gefangengenommen hat". Dies schloss das Verbot ein, sie zu „unerträglichen und gefährlichen Arbeiten zu verwenden" (hier im Wortlaut zitiert nach ). Über die Berichte der von uns interviewten Veteranen hinaus dokumentieren dies insbesondere folgende Interviews in Lawler (1988): Torna Sokongo, Guiembe/Korhogo, 21.1.1986, dem bei der Gefangennahme durch Hiebe mit dem Gewehrkolben ein Rückenwirbel gebrochen wurde (ebd.: 841); Gmbale Soro, Dossemekaha/Korhogo, 24.2.1986, demzufolge überlebende POWs aufgrund ihrer schrecklichen Erlebnisse „gefährlich" wurden (ebd.: 967); Fe Lia, Man 12.3.1986, dem die Deutschen sämtliche Zähne ausbrachen und der mit ansah, wie anderen die Augen herausgeschnitten worden sind (ebd.: 1013); Ehouman Adou, Vitre II, Grand Bassam, 7.5.1986, der ins Stalag nach Deutschland deportiert wurde und Massenerschießungen von Afrikanern beiwohnte, die erst durch die Intervention eines „deutschen Generals, der vor dem Krieg in Bassam (Côte d'Ivoire) gewesen war", beendet wurden (ebd.: 1154 f.). Übereinstimmend damit sind die Erklärungen ehemaliger afrikanischer POWs in ANS 2 D 23, V 28 (Prisonniers de guerre, sous-dossier Renseignements) und die von Martin (1999) herangezogenen Zeugnisse. Émile Dagba, Jahrgang 1938, Lebleko/Sassandra 10.5.1986 (in Lawler 1988: 1161). Marie-Josée Chombart-Delauwe in Bilé 1995. In seiner filmischen Dokumentation Noirs dans les camps nazis hat der Journalist und Regisseur Serge Bilé Selbstzeugnisse französischer, karibischer, afrikanischer und afrodeutscher KZ-Überlebender zusammengetragen. Zum Film siehe Akpo (1997). Siehe nunmehr auch Bilés auf der Grundlage seiner filmischen Dokumentation verfasste Monographie (2005). Dominique Mendy in Bilé 1995. Dieser ehemalige Kriegsfreiwillige und Angehörige der Résistance wurde 1944 in Bordeaux denunziert, von der Gestapo verhaftet und nach schweren Folterungen als politischer Häftling ins Konzentrationslager Neuengamme deportiert. Zum Zeitpunkt des Interviews lebte der 86jährige in Dakar. Zu seinem Schicksal siehe auch im Folgenden „Ausgrenzungen - Gefangenschaftserfahrungen". Zu einem weiteren Aspekt der „Sklaven"-Metapher vgl. im Folgenden die Erinnerungen des ehemaligen POW Doudou Diallo. Dieses Datum bezieht sich auf den Jahrestag des Appells an das „Freie Frankreich", mit dem de Gaulle 1940 aus dem Londoner Exil die Bildung des „provisorischen National-Komitees der Freien Franzosen" verkündete. Für die Präponderanz des Ersten Weltkriegs spricht in diesem Zusammenhang auch, dass die Totenlisten auf jenen Denkmälern häufig um
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die Namen von Gefallenen oder toten Zivilistinnen des Zweiten Weltkriegs ergänzt wurden und diese somit keinen eigenen Gedenkstein erhielten. Nach Koselleck wurden diese Zusatztafeln gleichsam in einen bereits bestehenden - und nunmehr die Kontinuität beider Kriege betonenden - Erinnerungsraum integriert (2000: 283). Eine Ausnahme bilden jedoch die im Gedenken an Massaker und andere Kriegsverbrechen von Wehrmacht und SS aufgestellten Denkmäler, von denen zwei, der Gedenkstein in Airaines an der Somme und die tata von Chasselay-Montluzin, afrikanischen Soldaten gewidmet sind. Sie werden im Folgenden noch besprochen. Zu französischen Standorten dieser Denkmäler siehe Barcellini 1997, die meines Wissens bisher einzige Untersuchung zum Thema. Die im Folgenden präsentierten Monumente stellen eine Auswahl dar und werden lediglich unter den für die vorliegende Arbeit interessierenden Aspekten der Erinnerungskultur betrachtet. Eine systematische Inventarisierung, die auch die in AOF und AEF errichteten, inzwischen weitgehend wieder entfernten Denkmäler berücksichtigt, steht noch aus. Vgl. jedoch Kosellecks stärker differenzierenden Ansatz, demzufolge diese Denkmäler - unterhalb der nationalen Ebene - immer auch die in den verschiedenen Lokalitäten dominierenden sozialen und politischen Strukturen abbilden und stabilisieren (Koselleck 2000: 281 f.). . Auch Senghor stellt in seinem im April 1940 verfassten Gedicht „Prière des Tirailleurs Sénégalais" (Senghor 1990: 71) einen Bezug zwischen diesen beiden Namen und dem Denkmal her. Ungeklärt ist, bei wem die Urheberschaft liegt. Für die Hinweise zur „Odyssee" von Demba und Dupont danke ich herzlich Prof.es Dr. Uta und Amadou Sadji (Dakar), Prof. Dr. Ousseynou Faye (Dakar) und Dr. Laurence Marfaing (Hamburg), die das Paar im Juli 2002 in Hann aufspürten und fotografierten. Zur Zeremonie der ersten Journée du Tirailleur siehe das Dossier „Honneur aux anciens combattants africains" in der senegalesischen Tageszeitung Le Soleil, Ausgabe vom 23.08.2004 . Vgl. diesbezüglich auch das von der französischen Menschenrechtsliga, Sektion Toulon, am 26.08.2004 erstellte Dossier in . Diese Informationen sind der Website entnommen. Ihr zufolge wurde die Bronzegruppe von Moreau-Vauthier entworfen. Zum Engagement für das Denkmal seitens Archinards, einem Pionier der kolonialen Eroberung Soudans, siehe auch Mann 2000: 129 f.
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Kapitel 2 Wie die in Rives & Dietrich (ebd.) wiedergegebene historische Postkarte belegt, unterschied sich das Denkmal von Reims von seinem Original in Bamako lediglich durch die auf den beiden vorderen Sockelpfeilern angebrachten Inschriften und Daten („Verdun, Alsace, Chemindes-Dames, Champagne, Reims, Château-Thierry, Aisne"; „1857" - für das Jahr der Gründung der Tirailleurs-Regimenter - und „1924"). 1963 wurden eine „monolithische" Stele am ursprünglichen Standort und 1996 schließlich eine an die Zerstörung erinnernde Gedenktafel angebracht (Barcellini 1997: 132 f.; 151 f.). ANS 17 G 329, V 126 (Fonds du Gouvernement Général de l'AOF), hier zit. nach Coquery-Vidrovitch 1999a: 379. Den Zeitpunkt, an dem dieses Denkmal entfernt wurde, konnte ich nicht ermitteln; sein Mittelteil mit den beiden Soldatenfiguren befindet sich heute ebenfalls in einer Ecke des katholischen Friedhofs von Dakar-Hann (siehe Anm. 55). Für die Recherche und fotografische Dokumentation danke ich Prof.es Amadou und Uta Sadji. Den Hinweis auf die Namensinschriften gibt Xavier Ricou . Über die hier wiedergegebene Reproduktion einer historischen Postkarte hinaus liegen mir bislang keine weiteren Angaben über dieses bemerkenswerte Denkmal vor. Mangels Informationen lässt sich hier also auch keine Aussage darüber treffen, ob und für welche Zielgruppe es eine Funktion als Ort der Trauer und des Gedenkens einnahm. Zu Standorten und Beschreibungen dieser Denkmäler siehe Barcellini 1997: 128-131 und Serge Barcellini & Annette Wieviorka: Passant, souviens-toi. Les lieux du souvenir de la Seconde Guerre mondiale en France. Paris: Pion 1995. Zum Massaker von Chasselay siehe Echenberg 1991: 167-169 und Claude Gérard: Le combat de Chasselay in Conombo 1989: 175-184. Fotografien des Memorials befinden sich ebenfalls in Conombo (ebd.: Illustrationen außerhalb des Textes 104/105). Für Hinweise auf Berichte ziviler Augenzeugen und überlebender Militärangehöriger sowie weitere Fotos der Nekropole siehe die Website von Mémoire Net . Tata (wolof, mandinka? fula?): Befestigung, Fort. Mit dieser Namensgebung wurde explizit an die Tradition „afrikanischen Kriegertums" angeknüpft. Ironischerweise erlangten die tata im 19. Jahrhundert ihre Bedeutung als Befestigungsanlagen muslimischer Widerstandskämpfer gegen die französische Expansion. Zu den Hintergründen der Erschießung siehe Echenberg 1991: 166 f. und Barcellini 1997: 133 f. sowie Anmerkung 13 (ebd.). Barcellini
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weist in diesem Zusammenhang auf die nachträgliche Okkultierung der Todesumstände N'Tchorérés hin, insofern man es vorzog, ihn auf der Gedenktafel als „heldenhaft Gestorbenen", nicht aber als Opfer einer rassistischen Mordtat zu bezeichnen. Man schonte hier, so Barcellini weiter, deutsche Befindlichkeiten zugunsten sich stabilisierender bilateraler Beziehungen (ebd.: 134). So der Wortlaut auf der Gedenkstele (deutsche Übersetzung B.R.). Fotografien dieses sowie des Denkmals für Hauptmann N'Tchoréré befinden sich in Echenberg 1991: 167 und 168. So der Präfekt des Departements Marne in seiner Rede im Oktober 1963 anlässlich der Einweihung der Gedenkstele von Reims am Standort des von der Wehrmacht zerstörten Denkmals von 1924 (siehe dazu oben), hier zit. nach Barcellini 1997: 133). Neben dem im Folgenden näher beschriebenen „Mémorial de l'armée noire" am Strand von Fréjus-St.Raphaël handelt es sich um das im Juni 1983 auf dem Gelände des ehemaligen camp Gallieni, in unmittelbarer Nachbarschaft der Pagode Hong-Hien eingeweihte ,.Mémorial national aux morts d'Indochine" (siehe Barcellini 1997: 137), und die dahinter errichtete, 1993 von Präsident Mitterand eingeweihte Nekropole „Mémorial des guerres en Indochine", welche die sterblichen Überreste von annähernd 30 000, in Vietnam 1986/1987 exhumierten Gefallenen der französischen Armee (aus den Kriegen 1940-1945 und 1946-1954) enthält (siehe dazu ebd.: 137-139). Eine Fotografie der Nekropole befindet sich in . Dieses französische Pendant der US-amerikanischen marines hat sich insbesondere durch Interventionen u. a. in Tschad, der kongolesischen Shaba-Provinz und zuletzt im Rahmen der Operation Turquoise 1994 in Rwanda ausgezeichnet. Auf seine Weise trägt auch das 1965 aus Paris auf das Gelände der ehemaligen camps du sud-est transferierte und 1981 im Neubau eröffnete Musée des Troupes de Marine zur symbolischen Bestärkung der historischen Traditionslinie der französischen Marineinfanterie bei. Siehe dazu Barcellini 1997: 136 f. und Massip 1983: 116-199, Oberstleutnant und ehemaliger Direktor des Museums, der die Gründungsgeschichte und die Bestände des Museums detailliert beschreibt. Die enge Verknüpfung des von der französischen Regierung als humanitäre Mission bezeichneten Militäreinsatzes mit der Sicherung „traditioneller" geostrategi scher Einflusssphären Frankreichs in Zentralafrika ist mittlerweile in mehreren wissenschaftlichen Arbeiten nachgewiesen worden. Siehe diesbezüglich insbesondere Gérard Prunier: The Rwanda Crisis (1959-1994). History ofa Genocide. London: Hurst & Co. 1995.
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Kapitel 2 Alison Des Forges: Leave None to Teil the Story: Genocide in Rwanda. New York: Human Rights Watch 1999. Ristow & Wendler (1998: 171182) haben Ablauf und Hintergründe dieser Operation instruktiv zusammengefasst. Rede zur Enthüllung des Denkmals von Frejus-St. Raphael, 1.9.1994, hier zit. nach Barcellini 1997: 140 f. Zu weiteren innerhalb der Periode des „Recycling" und der multiplen Aneignung des Gedenkens entstandenen Monumenten und Gedenksteinen siehe Barcellini 1997: 141-152. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch die im November 1996 von französischen Menschenrechtsorganisationen und der durch die Besetzung der Pariser Kirche Saint-Bernard im August 1996 bekannt gewordenen Bewegung der sans papiers veranstaltete Zeremonie in der tata von ChasselayMontluzin (ebd.: 152). Damit wurde eine weitere Traditionslinie begründet, im Rahmen derer afrikanische Kriegstote und Veteranen gewissermaßen als Zeugen für den Kampf gegen Fremdenhass, Marginalisierung und Ausgrenzung ihrer „Kinder und Enkel" aufgerufen werden. In sie reiht sich auch explizit der malische Historiker Kamian ein, der mit seiner auf umfangreichem Archivstudium basierenden Studie die Verdienste malischer Soldaten in den beiden Weltkriegen dem Vergessen entreißen und die diesbezügliche Ambivalenz der französischen Politik dokumentieren will (Kamian 2001: 13 f.). Michels hinsichtlich der Zeremonien der Zwischenkriegszeit getroffene Einschätzung, die seltenen schriftlichen, zumeist indirekten oder journalistischen Quellen bezögen sich in der Regel auf die hauchdünne städtische und gebildete Elite (Michel 1990: 154), trifft auch für spätere Perioden zu. Hinzu kommt, dass alle nach dem Zweiten Weltkrieg neu errichteten Denkmäler außerhalb des Gesichtskreises afrikanischer Soldaten und Veteranen blieben, es sei denn, sie besuchten sie - wie Conombo - auf eigene Initiative. Wie Barcellini (1997: 147) ausführt, vollzog die französische Regierung im Verlauf der letzten 40 Jahre einen deutlichen Wechsel, was die Einladung afrikanischer Delegationen zu Jahrestagen betrifft. Bestanden diese zu Zeiten de Gaulles vornehmlich aus Kriegsveteranen, so empfing man spätestens zu Beginn der 1990er Jahre nur noch Staatschefs. Das vollständige Fehlen afrikanischer Veteranen sowie die Versäumnisse, deren Rolle im Zweiten Weltkrieg betreffend, anlässlich des 30. Jahrestages der Befreiung Frankreich im August 1974 bewog übrigens Joseph Conombo nach eigenem Bekunden zur Abfassung seiner Kriegsmemoiren (Conombo 1989: 15 f.). Als ich zumindest im Falle des Denkmals von Frejus eine „Gegenüberstellung" versuchte, beschränkte
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sich die Resonanz der burkinischen Veteranen, denen ich die beiden hier abgebildeten Fotografien zeigte, auf ein höfliches Nicken oder ein beiläufiges „Ah bon!" N.O, Jahrgang 1936, Ouagadougou 2.10.1999. Aux Tirailleurs sénégalais morts pour la France in Senghor 1990: 6365, 64. Dieses Gedicht datiert auf 1938. Prière de paix in ebd.: 92-96, 92. Dieses Gedicht datiert auf Januar 1945. Désespoir d'un volontaire libre in ebd.: 66-68, 67. Dieses Gedicht ist nicht datiert, jedoch wahrscheinlich im Rahmen von Senghors Einberufung zur Armee im April 1940 entstanden. So im ,Poème liminaire", dem auf April 1940 datierten Eingangsgedicht zu den Hosties Noires: „Je ne laisserai pas la parole aux ministres, et pas aux généraux. Je ne laisserai pas - non! - les louanges de mépris vous enterrer furtivement. [...] Mais je déchirerai les rires banania sur tous les murs de France. [...]" (Ebd.: 55). Banania ist ein Kakaogetränk, das auf Werbeplakaten ab dem Ersten Weltkrieg mit der Figur eines breit lachenden Tirailleur beworben wurde. Dieses Zerrbild des afrikanischen Soldaten wurde kritischen Intellektuellen fortan zum Synonym dieser spezifischen Form kolonialer Ausbeutung von Afrikanerinnen. Siehe auch Ly 1957: 22. Den repatriierten ehemaligen afrikanischen POWs war vom französischen Kolonialministerium mit Schreiben vom 30.10.1944 die Nachzahlung des Solds, eine Demobilisationsprämie von 500 Francs sowie ein Satz ziviler Kleidung zugesprochen wurden (Rundschreiben Nr. 632/AP 2, GG AOF an Gouverneure der Kolonien der AOF vom 25.11.1944 und Kopie der Depesche Nr. 391/DP, Kolonialminister an GG AOF vom 31.10.1944 in ANS 2 D 29, V 28 - Démobilisation, Rapatriement, état d'esprit d'anciens tirailleurs). Kernpunkt ihrer Forderungen war jedoch die einmalige Haftentschädigungszahlung in Höhe von 5 000 Francs, die ehemaligen französischen POWs zugestanden wurde. Laut Angaben von Doudou Diallo, der diesem Kontingent der Kriegsheimkehrer angehörte, fühlten sich die darüber informierten afrikanischen POWs ihrerseits ebenfalls dazu berechtigt, diese Summe einzufordern. Sie verständigten sich bereits im Übergangslager von Morlaix darauf und äußerten bereits dort ihren Unmut über die französische Taktik, sie mit der Auszahlung auf ihre Rückkehr nach Westafrika zu vertrösten (Doudou Diallo, Dakar 16.4.1987; verfilmtes Interview, durchgeführt von Manfred Prinz und Papa Samba Diop, Transkription B.R., Filmaufnahme VHS, Original im „Tirailleurs Sénégalais"-Archiv der Universität Bayreuth). Zur eingehenden
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Kapitel 2 Betrachtung der Hintergründe siehe Kapitel 3. Aufgearbeitet wurden die Ereignisse von Thiaroye, deren genauer Hergang aufgrund einer hundertjährigen Sperre der relevanten Archivdokumente, insbesondere der Prozessunterlagen, bislang nicht zweifelsfrei rekonstruiert werden kann, von Echenberg 1978 und 1991: 101103; sowie, aus der Perspektive von Beteiligten und Augenzeugen, von Diallo 1983 (der im Folgenden präsentierte senegalesische Veteran, der als Rädelsführer verurteilt wurde) und Deffon 1983 (ein Arzt aus Porto Novo/Benin, der verletzte Lagerinsassen behandelte). Die Sichtweise der Kolonialadministration gibt ein nicht signierter und undatierter, frühestens Ende 1946 entstandener, vertraulicher Bericht der Abteilung für Politische Angelegenheiten im Generalgouvernement der AOF wider (Sur les incidents de Thiaroye, 1er Décembre 1944 in ANS 4 D 72, V 100: Anciens Prisonniers de Guerre et déportés, anciens combattants). M.D., Sergent, Jahrgang 1938, Ouagadougou 5.3.1999. Dieses Statement ist Teil einer lebhaften, stark emotionalen Diskussion, die das Thema unter den während der Interviews anwesenden zehn Personen, Veteranen verschiedener Generationen auslöste. Das Gespräch kreiste um verschiedene Versionen des Hergangs, Gründe für die Erschießung und die Bekräftigung der Legitimität der Forderungen der ,Aufständischen". Diese mündliche Tradition erhielt einen belebenden Schub, nachdem „Le Camp de Thiaroye" des senegalesischen Schriftstellers und Regisseurs Ousmane Sembène (1988) in die Kinos kam. Im Wesentlichen auf Erlebnisberichten damals Beteiligter basierend, tradierte dieser Spielfilm auch die in diesen Berichten enthaltenen Vagheiten, Widersprüche und Ungereimtheiten, und augenscheinlich wirkte er im Folgenden wiederum auf die Narrative von Veteranen zurück. Dieses Gemisch aus Faktionen und Fiktionen auf filmischer wie außerfilmischer Ebene, z.B. im Hinblick auf Forderungen der Lagerinsassen und die Umstände, die zur Eskalation der Ereignisse führten, wird sich solange nicht entwirren lassen, wie die Gerichtsprotokolle unter Verschluss bleiben. Harrow (1995) kritisiert den Regisseur zu Recht dafür, die Zusammensetzung des Sonderkommandos, dessen Mannschaften ja aus Afrikanern bestanden, okkultiert und damit die Ambivalenz und Komplexität dieser militärischen Intervention unzulässig reduziert zu haben. Ob dieser entlang der Straße von Dakar nach Rufisque gelegene Begräbnisort mit seinen 202 anonymen Gräbern, welcher der Historikerin Coquery-Vidrovitch zu Beginn der 1970er Jahre von zwei Augenzeugen der Ereignisse gezeigt wurde, die letzte Ruhestätte der Opfer ist (Coquery-Vidrovitch 1999a: 381 f.; vgl. Deffon 1983), lässt sich nicht
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mit letzter Sicherheit sagen. Dies stimmt mit den Angaben des seinerzeit als „Rädelsführer" verurteilten Ex-POW Doudou Diallo überein. Auch er gab zu bedenken, es sei ungewiss, ob die Toten dort bestattet wurden, oder in einem Massengrab verscharrt sind. Man betrachte den Friedhof aber als Gedenkstätte, zu der man sich von Zeit zu Zeit begebe, um zu beten (Interview vom 16.4.1987). Im Anschluss an die öffentlichkeitswirksame Geste des senegalesischen Staatspräsidenten Abdoulaye Wade, der am Vorabend der ersten Journée du Tirailleur am 22. August 2004 dort einen Kranz zum Gedenken an die Opfer des Massakers niederlegte, kann allerdings vermutet werden, dass der Friedhof fortan in die nationalen Gedächtnisorte eingereiht wird. In dieselbe Richtung weisen die Worte des Bedauerns, die der von der französischen Regierung zu den Feierlichkeiten des 23. August entsandte ehemalige Minister PierreAndré Wiltzer für das „tragische und schockierende Ereignis" fand (vgl. den Bericht in ). ANS 4 D 76, V 100 - Combattants africains en Indochine 1948-1955, Dossier: Émissions Radio, Disques combattants africains en Indochine 1951-54, Brief Chef de cabinet militaire du Haut-Commissariat AOF, Villard, an Général de Brigade aérienne, commandant l'air en AOF, Dakar, 10.6.1953, und Brief Villard an Société Phillips, Dakar, 19.6.1953. Letzterer enthält eine, auf der Grundlage von Musikwünschen afrikanischer Indochinakombattanten, angefertigte Bestellliste für Schallplatten für Radio France-Asie, darunter auch „Douga". Über Radio Dakar wurde die Sendung „Disque des Auditeurs" in der AOF verbreitet. Amadou Sadji erinnerte sich sehr gut an die bei der Dakarer Bevölkerung sehr beliebten Wunschkonzerte, die sein Vater, der Schriftsteller Abdoulaye Sadji, moderierte (mündliche Auskunft von Prof. Dr. Amadou Sadji, Dakar, Dezember 1999). Eine französische Fassung des vermutlich 1949 komponierten „Douga" (von maninka: Geier, ein auf die Herrscher des Mali-Reiches zurückgeführter sakraler Tanz, dessen Ausführung Helden vorbehalten ist) erschien 1958 unter dem Titel „Aube africaine" (abgedruckt in Kesteloot 1967: 169-172). Siehe dazu auch Wynchank 2002. Fodeba, enger Vertrauter Sekou Tourés und späterer guineischer Innen-, Verteidigungs- und Sicherheitsminister, der u. a. für den Aufbau des berüchtigten Todescamps von Boiro verantwortlich war, wurde dort 1969 im Auftrag Tourés ermordet (zur Kurzbiographie Fodebas siehe chttp:// www.guinee.net/bibliotheque/literature/fodeba/aube/postface.html>). So z.B. Y.D., Jahrgang 1939, Torna 14.5.1999: „[...] je connais tout, que je souffre, [...] je connais tout ça [lange Pause]". Vgl. auch D.D.,
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Kapitel 2 Jahrgang 1949, Torna 14.5.1999: „L'armée ne m'a rien donné comme profit, plutôt la souffrance. [...] On a trop souffert. Il y a des gens qui ont beaucoup souffert [...]" und M.T., Jahrgang 1944, Tougan 17.5.1999: „Moi-même c'est dur [...] C'est dur, c'est un peu dur. En tout cas j'étais pour les extrêmes [...] C'est la vie dure là-bas [...] Ouais, c'est la vie dure." Wie J.B., Jahrgang 1940, Tougan 17.5.1999: „Pour moi, [...] l'armée était bien. [E.K.: Mais comment?] Parce ce que quand, quand on a, quand on a travaillé [...] alors avec leurs, avec les compagnies là, [...] ça, le commande est très bien, oui." N.O., Jahrgang 1936, Ouagadougou, 2.10.1999: „Donc j'étais en parfaite harmonie avec euh mes camarades et avec euh, sinon je ne serais pas, je n'aurais pas gravé les échelons pour devenir euh, par la suite, capitaine au titre de l'armée française et ensuite chef de bataillon [...] Donc j'étais en parfaite harmonie, en parfaite euh, avec mes camarades, beaucoup de camarades." Übereinstimmend dazu äußerten sich auch unsere Interviewpartner, so bezüglich der nicht eingehaltenen Weinverordnung, z.B. M.D., Jahrgang 1938, Ouagadougou 5.3.1999 und Y.K., Jahrgang 1937 im selben Interview, der als damaliger Unteroffizier „seine" Männer eigentlich vom Trinken hätte abhalten sollen; er erwähnt auch die unterschiedlichen Uniformen von Afrikanern und Franzosen. Alphonse Togba, Jahrgang 1949, Man 18.3.1986 (in Lawler 1988: 1054). Diese Uniform stellt eine an das europäische Klima angepasste Variante der Aufmachung der ersten afrikanischen Schützen unter Faidherbes Kommando, deren verschiedene Versatzstücke sie als idealtypisches Abbild des französischen kolonialen Imaginären erscheinen lassen. Der Fez war den Mützen abgeschaut, welche die Kabylen in Algerien um 1830 getragen hatten und wurde zusammen mit der „orientalischen" weiten Pluderhose und dem mit Posamenten und Messingknöpfen besetzten Oberteil unter dem Zweiten Empire zur Uniform maghrebinischer und westafrikanischer Truppen im Dienste Frankreichs (Informationen aus der Uniformabteilung des Musée des Troupes de Marine, Fréjus). Im Original kann sie noch heute, leicht abgeändert, bei den senegalesischen Wachposten am Präsidentenpalast in Dakar bewundert werden. J.B., Jahrgang 1938, Tougan 17.5.1999. Vergleichbar euphorisch äußern sich zum Uniformwechsel auch andere Kombattanten der FFL, so Y.K., Jahrgang 1937, Ouagadougou 5.3.1999; T.G., Jahrgang 1934 im selben Interview, und G.Z., Jahrgang 1930, Bobo-Dioulasso
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16.3.1999. Mamadou Watt, Jahrgang 1940, zum Zeitpunkt des Interviews Generalsekretär der Fédération Nationale des Anciens Combattants du Sénégal, Dakar 29.4.1987 (verfilmtes Gruppeninterview mit drei Veteranen, Mamadou Watt, Cheikh Oumar und Doudou Diallo, durchgeführt von Manfred Prinz [M.P.] und Papa Samba Diop [P.D.], Transkription B.R., Filmaufnahme VHS, Original im Archiv der Universität Bayreuth). Ebd. Die Zusammenfassung seiner militärischen Karriere sowie alle folgenden Ausführungen zur Person basieren auf Mamadou Watts eigenen Angaben. Die 1915/16 vollzogene Integration der Rekruten aus den quatre communes in die regulären metropolitanen Einheiten geht auf die Initiative des senegalesischen Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung, Biaise Diagne, zurück. Siehe dazu Echenberg 1991: 44 f. Einen Einblick in die vergleichsweise unproblematische Kohabitation zwischen metropolitanen und senegalesischen Soldaten, wenn auch im Rückblick vermutlich geschönt, gibt die Stellungnahme eines originaire, also ehemaligen Bürgers aus Saint-Louis: „Eh, il y avait longtemps qu'on vivait avec ces Français ici, avant d'aller en France. Nous étions dans les mêmes cantonnements, dans les mêmes casernes. On vivait comme des frères. Quand nous sommes allés maintenant en France ils nous ont accueillis avec enthousiastes, enthousiasme. Ils nous prenaient comme les leurs" (Cheikh Oumar, Jahrgang 1935, Dakar 29.4.1987, im selben Interview, siehe Anmerkung 92). Wie die originaires aus den quatre communes genossen auch die Soldaten schwarzer Hautfarbe aus den französischen Übersee-Departements Martinique und Guadeloupe Bürgerrechte, was sich im Armeealltag nach übereinstimmenden Aussagen afrikanischer Veteranen in einem entsprechenden Superioritätsdenken manifestierte und u. a. im Juli 1945 in einer schweren Schlägerei zwischen Antillanem und Afrikanern eskalierte, welche einen Toten und 19 Verletzte forderte (Fernand Poujoulat, Évolution de la mentalité des tirailleurs Sénégalais au cours de la guerre 1939-1945, Mémoire de l'École Nationale de la France d'Outre Mer, ENFOM, 1945/46. In: CAOM 3 Ecol/56/9, S. 2). Aoussi Eba, Jahrgang 1942, Grand Bassam 5.5.1986 (in Lawler 1988: 1147 f.; auch abgedruckt in Lawler 1992: 190). Zahlreiche Erinnerungen an seine Degradierung zum Tirailleur durchziehen die Autobiographie Conombos, angefangen von der Episode der Einkleidung mit der verhassten „Sklaven"-Uniform (1989: 34-37), der sich die Rekruten in einem vergeblichen Akt der Rebellion zu entledigen suchen, über Schikanierung des afrikanischen Sanitätskorps in der
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Kapitel 2 marokkanischen Garnison, die ihn und seine Kameraden an den Rand der Desertion brachten (ebd.: 47-50), bis hin zur Ablehnung seines Gesuchs, sich nach Kriegsende an der Faculté de Médecine in Paris zu immatrikulieren, da sein Dakarer Diplom in Frankreich nicht anerkannt wurde (ebd.: 98-103). Ein solches Beispiel ist ein von Lawler interviewter ehemaliger Kämpfer der Résistance, der sich 1944 als Freiwilliger - und einfacher Soldat - zum 8. Regiment der Tirailleurs Sénégalais (RTS) meldete und dort eine enge Freundschaft mit einem nigrischen Soldaten schloss, der in seinem Elternhaus ein und ausging (Gérard Faivre, Paris 23.7.1986, in Lawler 1988: 1189-1194). Sein biographischer Hintergrund und die von ihm genannten Motive zum Eintritt ins RTS, allen voran die außergewöhnliche Tapferkeit der Afrikaner, verdeutlichen die solchen Freundschaften zugrunde liegende persönliche Komponente. Alphonse Dionkla, Jahrgang 1939, Podiagouiné/Man, 13.3.1986 (in Lawler 1988: 1029). Djirigue Soro, Jahrgang 1932, M'Bala/Korhogo, 10.12.1985 (in Lawler 1988: 710). Was die von mir geführten Interviews betrifft, so haben sich die Weltkriegsveteranen über sehr allgemeine Feststellungen hinaus nicht zu diesem Thema geäußert, die Indochina- und Algerienveteranen allerdings die Freundschaften zwischen Afrikanern und Franzosen sehr positiv hervorgehoben. Dies erklärt sich vor dem Hintergrund veränderter politischer Rahmenbedingungen der 1950er Jahre und steht in engem Zusammenhang mit der Restrukturierung der frankoafrikanischen Kontingente, wie sie auch Echenberg (1991: 105-126) thematisiert. T.G., Jahrgang 1934, Ouagadougou 5.3.1999 (im Gruppeninterview). Y.K., Jahrgang 1937, Ouagadougou, 5.3.1999 (im selben Gruppeninterview). Er bezieht sich hier auf seine Teilnahme im Indochinakrieg 1947-49. B.S., Jahrgang 1949, Indochina-Veteran, Bobo-Dioulasso 10.3.1999. So N.O., Jahrgang 1936, Ouagadougou 2.10.1999: „ [...] il y a eu cette fraternité d'armes qui, qui reste entre Français et nous. Tous nos camarades français qui se, qui se sont battus, qui avec nous, qui avec nous ont fait la guerre, hein, pour la liberté de demain, mais ces gens-là, nous resterons des amis pour toujours." H.T., Jahrgang 1955, Ouagadougou 1.3.1999. Was nicht bedeutet, dass diese Doktrin auf 1914-18 beschränkt geblieben ist. Noch 1957 lag dem politischen Vierteljahresbericht für die Kolonie Obervolta ein mehrseitiges „Rasseninventarium" bei, in dem die verschiedenen „Rassen" innerhalb der AOF einzeln aufgelistet, ihre
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jeweilige Stammes- und Religionszugehörigkeit, Wohnformen, Kleidung, Narbentätowierungen sowie - in der gesonderten Spalte „Charakteristika" - ihre militärische Performanz detailliert vermerkt sind (Inventaire des Races in: CAOM, Affaires politiques, Carton 2245, Dossier 4: Notice sur la Haute-Volta). Zur Forschungskontroverse um die „Kanonenfutter"-These siehe Martin (1997: 57-65). Yéo Mohoua, Jahrgang 1938, Pangarikaha/Korhogo 15.11.1985 (in Lawler 1988: 624). Eine weitere Variante liefert Namongo Ouattara, Jahrgang 1942, Korhogo 16.2.1986: „At Alexandria, the English said that the dress of the tirailleur was a slave's uniform - with the chekkia and the khaki. They collected all our uniforms and bumed them. They gave us English uniforms" (ebd.: 804). Conombo spricht in diesem Zusammenhang von einer „Metamorphose" (1989: 53). „Les habitants du Var affamés, les cheveux ébouriffés nous avaient abordés près des fontaines publiques, à Hyères et au Cogolin, en nous réclamant du chewing gum, du chocolat, du fromage, tout en essayant de parler anglais: ils nous prenaient pour des Américains!" (Conombo 1989: 62). So Y.K., Jahrgang 1937, Ouagadougou 5.3.1999, der diese tatkräftige Revanche aber für moralisch verwerflich hält: „II y a certaines qui cassaient pour faire comme Américain; ils frappent les Français. Vous voyez, les soldats, les soldats français. Comme on a habillé Américain. C'est comme ça, il y a pas distinction. S'il a trouvé Français, il frappe." Dies zeigt sich insbesondere an den Selbstdarstellungen in Lawler (1992: 172-174). Eine gängige Sichtweise ivorischer und voltaischer Veteranen ist es, den Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte, General MauriceGustave Gamelin, für die französische Niederlage 1940 verantwortlich zu machen (vgl. Lawler 1988: 151-154; Echenberg 1991: 93). Er gilt ihnen als „Verräter", dessen Mutter eine Deutsche gewesen sei (so auch J.B., Jahrgang 1938, Tougan 17.5.1999; K.D., Jahrgang 1936, Tougan 17.5.1999, demzufolge fast das gesamte französische Offizierkorps deutsche Väter oder Mütter hatte). Die Ursprünge dieser „mündlichen Überlieferung" sind unklar. Meine Ergebnisse bestätigen indes die Feststellung Lawlers, sie habe sich vor allem unter den an der Maas eingesetzten Afrikanern und späteren Kriegsgefangenen der Deutschen verbreitet. Ähnliche „Wandersagen" kursieren im Hinblick auf die Allianzen zwischen den FFL, Großbritannien und den USA, die sich Veteranen mangels besserer Informationen genealogisch erklären: „De Gaulle's mother was English and his maternal uncle was American. That's why the English and the Americans helped the French" (Navaga
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Kapitel 2 Ouattara, Siliekaha/Korhogo 7.11.1985, in Lawler 1988: 598). „The Americans are simple - not complicated. They are not like the others. They didn't think they were superior to the Senegalese"(Kouhouna Yeo, Jahrgang 1942, Blakbokaha/Korhogo 18.2.1986, in Lawler 1988: 931). Aoussi Eba, Jahrgang 1942, Grand Bassam (in Lawler 1988: 1146). Neben den von mir interviewten ehemaligen FFL-Kombattanten (so insbesondere die oben erwähnten T.G., Jahrgang 1934, und Y.K., Jahrgang 1937, beide Ouagadougou 5.3.1999) gilt dies vor allem für eine Reihe der ivorischen Veteranen (siehe insbesondere Interview 15 in Lawler 1988: 613; Interview 46, ebd.: 812; Interview 52, ebd.: 848). Silue Dietimba, Jahrgang 1941, Morovine/Korhogo, 14.11.1985 (in Lawler 1988: 612). Siliouenissougui Silue, Jahrgang 1941, Guiembe/Korhogo 4.2.1986 (in Lawler 1988: 912). Ebenso Tuo Mahan (Jahrgang 1937, Guiembe/Korhogo 15.1.1986): „It was the first time I had seen Blacks who spoke English. I didn't know there were Blacks in America" (ebd.: 785). Diese strikte Trennung afrikanischer und afroamerikanischer Einheiten basierte, wie Furedi (1999: 187-191) anmerkt, auf Antizipationen einer „rassensolidarischen" Verbrüderung afrikanischer und afroamerikanischer Soldaten, die in britischen und US-amerikanischen Regierungskreisen ab 1942 verstärkt kursierten. Insbesondere Washington zeigte sich besorgt über die wenig „rassenbewusste" Haltung Frankreichs und befürchtete eine Kontaminierung der Afroamerikaner durch die Handvoll „of Paris-educated Africans". Die diesbezügliche offizielle Haltung Frankreichs ist meines Wissens bislang nicht untersucht worden, ebenso wenig wie die vor dem Hintergrund der Rassentrennung in den USA nicht weniger problematisch erscheinende Kohabitation von Angloamerikanern und Afrikanern in den Alliierten Verbänden. Zum Standpunkt französischer Offiziere der FFL siehe den nächsten Abschnitt. „C'est les mêmes. Pour conduire les chars. Les noirs conduit. Pour conduire l'avion. Les noirs conduit l'avion. Ainsi. Il n'y a pas d'histoire" (Y.K., Ouagadougou 5.3.1999). Ein anderer bestärkt dies: „Pour conduire, nous c'étaient pas les mêmes" (M.D., ebd.). Vgl. dazu auch Aoussi Eba: „We were at Marseille with them. We were proud of them - pilots, officers" (in Lawler 1988: 1147). So auch die von uns Interviewten Z.T., Jahrgang 1938, BoboDioulasso-Accartville 19.3.1999, unmittelbar nach seiner Befreiung aus fast fünfjähriger Kriegsgefangenschaft; M.D., Jahrgang 1938, Ouagadougou 5.3.1999, und S.Y., Jahrgang 1939, Bobo-Dioulasso-
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Accartville 19.3.1939, im Zusammenhang mit der Ablösung von Afrikanern in Beifort; O.D., Jahrgang 1937, Tougan 16.5.1999, kurz nach der Befreiung von Paris; und J.B., Jahrgang 1938, Tougan 17.5.1999, im Zusammenhang mit seinem Uniformwechsel. Diejenigen, die wie der ivorische citoyen, Philippe Yace, den Abzug verweigerten und freiwillig den Dienst fortsetzten, taten dies vorwiegend aus Statusgründen (siehe Lawler 1992: 180; vgl. Echenberg 1991: 99 und 193, Anm. 56). Die Schätzungen gehen hier weit auseinander. Während Echenberg von 15 bis 16 000 afrikanischen Kriegsgefangenen der Deutschen ausgeht (1991: 88), nennt Lawler die hohe Zahl von 48 000 und bezieht sich dabei auf die Angaben in SHAT, Centre de Documentation, sowie CMIDOM, Carton Guerre 1939-45, dossier TI 1P INTCI 100 (Lawler 1988: 263). Denselben Quellen zufolge befanden sich unter ihnen etwa 12 000 Ivorer (die Voltaer, deren Provinzen Cöte d'Ivoire zugeschlagen worden waren, eingeschlossen), 9 000 Madagassen und 1 500 Zentralafrikaner). Mann (2000: 54, Anm. 103) verweist auf ein Dokument der Vichy-Regierung vom 21.07.1941 an die deutschen Militärbehörden (in SHAT 2P85), in dem von 20 000 „Senegalesen" die Rede ist. Wie Mann zu Recht feststellt, schließen diese Zahlen einander nicht zwangsläufig aus, berücksichtigt man die unmittelbar nach der französischen Kapitulation durchgeführten Massenerschießungen von Afrikanern und geht, den Berichten von Überlebenden zufolge, von einer überdurchschnittlich hohen Sterberate unter den afrikanischen Gefangenen aus. Nach Rives & Dietrich (1993: 284) befanden sich Ende 1941 noch 15 777 afrikanische Kriegsgefangene in den rund 20 Frontstalags in Nord- und Ostfrankreich. Die Gesamtzahl der Frontstalags in Frankreich belief sich auf rund 80 (vgl. Liste in . Dies steht offensichtlich in engem Zusammenhang mit der im Rahmen der Rheinlandbesetzung eingeleiteten Propandahetze der „Schwarzen Schande", die von den Nationalsozialisten ideologisch ausgeschlachtet worden ist, u. a. 1937 in die Sterilisierung der „Rheinlandbastarde" einmündete und mit Beginn des Westfeldzugs von Goebbels wieder belebt wurde. Siehe Koller (2001: 347-360). Akpo hat in den offiziellen Listen, welche das Oberkommando der Wehrmacht dem Pariser Centre national d' information sur les prisonniers de guerre 1940 zur Verfügung stellte, 3 800 Soldaten aus der AOF namentlich identifiziert. Diese Dokumente können nach Angaben der Autorin im BDIC der Universität Paris X (Nanterre) eingesehen werden (Akpo 1998: 49, Anm. 3). Die von Lawler unter
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Kapitel 2 Bezugnahme auf französische Quellen angegebene Zahl von 16 000 vorübergehend in deutschen Lagern untergebrachten Tirailleurs (1988: 268) scheint überhöht. Sie ist wahrscheinlich dem Umstand geschuldet, dass nord- und westafrikanische Soldaten unterschiedslos als „Farbige" bezeichnet wurden. Die Chronik des 1939 eingerichteten Hemeraner Stalag Via enthält einige wenige Informationen über die Gruppe afrikanischer Kriegsgefangener. Siehe . Krüger zufolge (1990: 17) befanden sich zwischen Mai und Juli 1940 im Stalag II in Neubrandenburg 2 572 Angehörige der französischen Armee aus den Kolonialgebieten. Dass Afrikaner nur vorübergehend in deutschen Lagern verblieben, bestätigt auch Uwe Mai am Beispiel des Stalag III A in Luckenwalde (Mai 1999: 147-156). Von grob geschätzten 4 000 „farbigen" Gefangenen befanden sich dort nach November 1940 noch 500 Schwarzafrikaner, an denen wahrscheinlich tropenmedizinische Versuche durchgeführt worden sind. Aus diesem Lager wurden Ende 1941 300 Afrikaner, die kurz vor ihrem Abtransport nach Südfrankreich standen, stattdessen als Statisten für die UfA-Produktion Germanin - ein Spielfilm über die Entdeckung eines Impfstoffes gegen die Schlafkrankheit mit Luis Trenker in der Hauptrolle - zum Dreh nach Italien verbracht (zum Film siehe auch Martin 1999: 86 f.). Was anschließend mit ihnen geschah, ist unbekannt. Laut einer von Mai beigegebenen Statistik des Reichsarbeitsministeriums (in BundesarchivMA, RW 19/2141) befanden sich im Juli 1940 in 20 der 44 zu diesem Zeitpunkt belegten Stalags im Reichsgebiet insgesamt 28 722 „farbige Gefangene" (ebd.: 148). Ihre Herkunft ist nicht aufgeschlüsselt; es dürfte sich also um Nord- und Schwarzafrikaner aus den französischen, englischen und belgischen Kolonien gehandelt haben. Weitere Beispiele der „Verwendung" afrikanischer POWs für filmische Zwecke nennen Echenberg (1991: 96, unter der Regie von Feldmarschall Rommel) und Koller (2001: 356, für den Nazi-Propagandafilm „Sieg im Westen" von 1941). Nach Martin diente das Stalag von Stargard/Pommern bis Ende 1940 als eigens für tropenmedizinische Versuche an afrikanischen POWs eingerichtetes Sonderlager (1999: 85). Wie Martin u. a. anhand von Vemehmungsprotokollen der US-Armee nachweist, sollten die in Frankreich (z.B. im Krankenhaus Saint-Médard bei Bordeaux) und Deutschland von renommierten deutschen Ärzten an Afrikanern durchgeführten tropenmedizinischen Humanversuche die Wiederbesetzung von Kolonialgebieten vorbereiten (ebd.: 84 f.). Mehrere Fotografien afrikanischer Insassen des Stalag Vlla können einge-
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sehen werden in . Faltblatt zur Ausstellung „Besondere Kennzeichen: Neger" - Schwarze im NS-Staat. Die von Peter Martin konzipierte und in Kooperation mit dem Kölner NS-Dokumentationszentrum durchgeführte Ausstellung (8.11.2002-23.2.2003) präsentierte vielfältige weitere Quellen über afrikanische POWs in deutschen Lagern. Siehe dazu auch den jüngst erschienenen Sammelband zur Ausstellung (Martin & Alonzo 2004). Vereinzelte Hinweise auf afrikanische Häftlinge erhielt 1994 Gesine Krüger auf ihre an diverse KZ-Gedenkstätten gerichtete Anfrage, darunter auf eine größere Zahl afrikanischer Soldaten aus den französischen Kolonien, die ab 1940 in neun der fünfzehn Emslager eingeliefert worden seien (Auskunft Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager, Papenburg vom 8.2.1994). Die Gedenkstätte Mauthausen übersandte Kopien zweier im KZ Gusen von einem unbekannten Zeichner 1944/45 angefertigter „Kreidezeichnungen eines Senegalnegers", der Häftling in Mauthausen und Gusen war. Für den Einblick in die Korrespondenz und die freundliche Überlassung der Zeichnungen (siehe Abb. 16 und 17) danke ich Prof. Dr. Gesine Krüger.
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Leutnant Gernet im Brief vom 25.06.1943, hier zit. n. Akpo 1998: 49. Dokumentiert nicht zuletzt durch die vom Internationalen Roten Kreuz ausgefertigten Totenscheine mit dem Vermerk „Auf der Flucht erschossen" in ANS 2 D 25, V 28 (Prisonniers de Guerre, Croix Rouge). Dieses Dossier enthält etwa 30 Reproduktionen von Totenscheinen ab dem Jahr 1943, von denen rund 2/3 diesen Vermerk tragen. Da es nicht klassifiziert ist, lassen sich daraus keine Schlüsse auf quantitative Repräsentativität ableiten. Der von Rives & Dietrich (1993: 285) zitierte Bericht einer Delegation der Vichy-Regierung vom 26.03.1941 nennt eine monatliche Fluchtrate aus den für Kolonialsoldaten reservierten Frontstalags (F.St.) wie Le Mans (F.St. 203) von 50, Rennes (F.St. 133 A) von 15, bzw. Angoulême (F.St. 184) von 60 seit Gründung des Lagers.
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Das entsprechende Kapitel von Rives & Dietrich (1993: 281-305) enthält jedoch verschiedene biographische Kurzporträts afrikanischer Angehöriger der Résistance. Neben den von uns bzw. der Bayreuther Forschungsgruppe zusammengetragenen Selbstzeugnissen ehemaliger voltaischer und senegalesischer POWs sind dies vor allem die von Lawler (1988: 263-298; 1992: 93-116) dokumentierten Interviews sowie die Erlebnisberichte in Killingray (1996: 181-204). Siehe auch Janet Vaillants Biographie von Léopold S. Senghor (1990: 166-180), der bei seiner Gefangennahme im Mai 1940 wie alle Schwarzen aus seiner Einheit sofort an die Wand
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Kapitel 2 gestellt und in letzter Minute durch einen französischen Offizier vor dem Erschießen gerettet wurde. Senghor verbrachte 18 Monate in verschiedenen Frontstalags, zuletzt in Poitiers, wo die meisten seiner den afrikanischen Soldaten gewidmeten Gedichte der „Hosties noires" (Senghor 1990: 55-96) entstanden. Auf Hélène de Gobineaus Erinnerungen an afrikanische POWs (1946) wird im Folgenden näher eingegangen. So übereinstimmend die drei ehemaligen POWs unter unseren Interviewpartnern: T.B., Jahrgang 1935, Bobo-Dioulasso-Accartville 16.3.1999, der in Gabès (Tunesien) Kriegsgefangener der Italiener war und dessen Erlebnisse ihn fast den Verstand gekostet hätten; Z.T., Jahrgang 1938, Bobo-Dioulasso-Accartville 19.3.1999, fast fünf Jahre in deutscher Kriegsgefangenschaft, der trotz einer schweren Fußverletzung gearbeitet hat, aus Angst erschossen zu werden, kurz vor Kriegsende in einem Eisenbahnwaggon bis kurz vor Berlin transportiert und dort von der US-Armee befreit wurde; er sah noch in Paris ehemalige Mitgefangene „mit dem Brot in der Hand" sterben; O.D., Jahrgang 1937, Tougan 16.05.1999, der nach viereinhalbjähriger Lagerhaft in die Wälder floh, wo ihn Résistance-Kâmpfer versorgten und in ihre Gruppe aufnahmen. Ihre Schilderungen bestätigen die auf Spitzelberichten und Befragungen von ehemaligen Gefangenen basierenden geheimen renseignements, welche die französische Kolonialverwaltung 1941-42 anlässlich der Rückkehr aus der Haft entlassener POWs nach Westafrika einholen ließ (ANS 2 D 23, V 28 - Prisonniers de guerre indigènes). Für die verheerenden Auswirkungen dieses komplexen Geflechts von Zuschreibungen und Rollenübernahme gibt es zahlreiche Beispiele. In die kollektive Erinnerung eingegangen sind insbesondere das Massaker einer SS-Panzerdivision an 212 Soldaten des 25. RTS in ChasselayMontluzin in der Nähe von Lyon am 17. Juni 1940 (siehe Echenberg 1991: 166-169; Conombo 1989: 175-184) und die Erschießung des Hauptmanns Charles N'Tchoréré bei Gefangennahme durch einen deutschen Panzeroffizier in Airaines (siehe Echenberg 1991: 166 f.). Laut de Gobineau sind voltaische Soldaten aufgrund ihrer Gesichtstätowierungen zur besonderen Zielschiebe geworden: „Les Mossis furent les plus sacrifiés, car ils ont, finement creusés sur leur visage, ces jolis dessins qui les font ressembler à une poterie d'art; les Allemands ont cru qu'ils étaient les plus sauvages et la peur les a saisis" (1946: 11). Moussa Faye, Jahrgang 1942, Gandigal (Senegal) 26.6.1987 (verfilmtes Interview in Wolof, durchgeführt von Manfred Prinz und Alioune Dione, französische Übersetzung Aziz Hane, Filmaufnahme VHS, Ori-
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ginal im Archiv der Universität Bayreuth). Einige geben an, die Deutschen hätten in den Lagern Experimente durchgeführt, um zu prüfen, ob Afrikaner unsterblich seien, und deswegen so viele von ihnen umgebracht (so Interview 56 in Lawler 1988: 872). Zur Leichenfledderei und -Verstümmelung siehe z.B. Interview 62 (ebd.: 914), Interview 67 (ebd.: 942) und Interview 75 (ebd.: 994). Im Interview vom 29.4.1987 in Dakar (Gruppeninterview, durchgeführt von Manfred Prinz und Papa Samba Diop, Transkription B.R., Filmaufnahme VHS, Original im Archiv der Universität Bayreuth). Über Reste von Deutschkenntnissen verfügen eine Reihe ehemaliger POWs, unter ihnen auch Z.T., der mich mit der Frage begrüßte: „Frau oder Fräulein?", nachdem ich ihm gesagt hatte, ich käme aus Berlin (BoboDioulasso 19.3.1999). Senghor, so berichtet seine Biographin, lernte im Frontstalag Deutsch und las Goethes Faust und Iphigenie im Original (Vaillant 1990: 176). Protokollierte Erklärung des ehemaligen POW Francis Mc Donald, genannt Magdonel Sénégal, Rufisque/Sénégal, 18.6.1942 in ANS 2 D 23, V 28 (Prisonniers de guerre indigènes, sous-dossier renseignements). Im Dossier befindet sich eine zweite damit übereinstimmende Erklärung (Sergent Amadou Diouf, Rufisque 19.3.1942). Der Betreffende spricht von Deutschkursen im Frontstalag von Epinal, erklärt jedoch, die évolués unter den POWs hätten sich von dieser Propaganda nicht beeindrucken lassen. In der Tat hatten sich eine Reihe von ihnen gegen Lohn als „Burschen" bei deutschen Unteroffizieren oder Offizieren verdingt. Und: Laut besonderer Anordnung Nr. 266, Absatz 12 des Befehlshabers NWFrankreich stand „farbigen Kriegsgefangenen", die bei der Truppe oder deutschen Dienststellen beschäftigt waren, ein Tageslohn von 10,00 Francs zu, zuzüglich einer Leistungszulage von bis zu 20 % der ortsüblichen Löhne für besonders „tüchtige und zuverlässige Kgf." (Abschrift der Verordnung, St. Germain, 18.09.1943, RH 49, 67 in BundesarchivMilitärarchiv Freiburg/Br.). Für die freundliche Überlassung dieses Dokuments danke ich Professor Dr. Gerhard Höpp. Zu den Verdächtigungen und Anschuldigungen siehe im Folgenden auch Kapitel 3. Doudou Diallo, Jahrgang 1938, Dakar, im Interview vom 29.4.1987 (siehe Anm. 139). Zu weiteren Angaben, Herrn Diallos Kriegsgefangenschaft und Aktivitäten in der Résistance betreffend, siehe den Auszug aus dem ersten, mit ihm am 16.4.1987 durchgeführten Interview in Riesz & Schultz 1989: 261-264. („... on pouvait les considérer comme des intellectuels, mais qui sont arrivés à la compréhension intellectuelle par la pratique."). So Ki-Zerbo
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Kapitel 2 im Interview vom 22.2.1999 in Ouagadougou. Tuo Ouana, Jahrgang 1925, Kolokaha/Korhogo 22.11.1985 (in Lawler 1988: 660). So z.B. im Wortlaut Maurice Dutreb: Nos Sénégalais pendant la Grande Guerre. Metz: Éditions des Voix Lorraines 1922. Vgl. auch die sich schon im Titel manifestierenden „besitzanzeigenden" Konnotationen in den Werken von Duboc 1939 (Les Sénégalais au service de la France) und de Boisboissel 1954 (Peaux noires, cœurs blancs). Der „Bildungs"roman La Randonnée de Samba Diouf von Tharaud & Tharaud ([1922] 1927) war ein Verkaufsschlager der 1920er und 30er Jahre. Bei der Lektüre dieser Lehr- und Wanderjahre eines senegalesischen Soldaten sträuben sich einem heute ob der holzschnittartigen Charakterisierung des naiven Protagonisten und der Verwendung sämtlicher, damals in Europa kursierenden Rassenklischees die Haare. In den Folgejahren wurde dieses Thema nicht mehr aufgegriffen. Alle Arbeiten befinden sich in den französischen Überseearchiven in Aixen-Provence (CAOM) im Bestand Fonds Ministériels - ENFOMmémoires. Vier von ihnen - Georges Pujol: Nos soldats noirs d'aujourd'hui (3ecol/56, Dossier 10, 46 Seiten); Paul Ladhuie: État d'esprit des troupes noires consécutif à la guerre 1939-1944 (3ecol/53, Dossier 9, 59 Seiten); Pierre Simonet: L'esprit Free French (F.F.L. 1945/46) (3ecol/59, Dossier 27, 17 Seiten); Roger Maylié: Vie et évolution du Sara dans un Bataillon de marche de 1940 à 1945 (3ecol/59, Dossier 5) - werden hier nicht berücksichtigt. Pujols mémoire wirkt aufgrund der hohen Übereinstimmung mit Poujoulats Arbeit wie „abgeschrieben"; Simonet gibt nur marginale Informationen über afrikanische Soldaten; Mayliés Aufsatz bezieht sich ausschließlich auf tschadische Soldaten. Die Arbeit von Ladhuie ist von Interesse, was die Beschreibung der im Zuge der Repatriierung aufgetretenen Unruhen und insbesondere die Ereignisse im Übergangslager von Thiaroye betrifft, und wird daher in Kapitel 3 herangezogen. Diese und alle weiteren Angaben sind, soweit nicht anders vermerkt, dem mémoire von Louis Domissy, Quelques soldats africains, entnommen (in CAOM, Fonds Ministériels 3ecol/51, Dossier 8, 27 Seiten, jeweilige Seitenzahlen in Klammern). Zum français-tirailleur oder petit nègre, wie diese lingua franca auch genannt wurde, siehe Manfred Prinz (1989: 239-259). Zur Sprachenvielfalt in den RTS und der Bedeutung von Bamanankan (Bambara) vgl. auch Reinwald (2001: 209 f.) und Echenberg (1991: 15; 113-115). Er selbst widerlegt dies an anderer Stelle seines Aufsatzes, wo er gesteht, die Hintergründe für schwere persönliche Krisen seiner Männer
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seien ihm verschlossen geblieben, bzw. ihre Kameraden hätten sie ihm nicht vermittelt. Dabei handelte es sich um einen Vergewaltigungsversuch eines Kameruners an einem 11jährigen italienischen Mädchen und den Suizid eines anderen Soldaten (20-22). Frédéric Piozin: Etats d'âme de l'officier colonial avant et pendant la guerre 39-45 (in CAOM, Fonds Ministériels ENFOM 3/ecol/59, Dossier 18, 17 Seiten). Alle folgenden Angaben sind seinem Aufsatz entnommen (jeweilige Seitenangaben in Klammern). „Ce n'est donc plus comme blanc que l'officier exercera son autorité mais comme homme. Il n'y a plus de races mais une volonté à laquelle obéissent d'autres volontés. La supériorité du chef ne sera plus liée à la couleur de sa peau mais à ses qualités d'homme. [...] Les rapports sont plus simples, plus confiants (13). L'officier sent que de plus en plus le contact des races devra être orienté vers une collaboration constante" (14). Seinen Ausführungen zufolge gab es bei der Einberufung metropolitaner Rekruten des Jahrgangs 1943, welche die Afrikaner im Jura und in den Vogesen ablösen sollten, große Schwierigkeiten. Die jungen Männer hätten sich nicht nur sehr zögerlich gemeldet; auch ihr Enthusiasmus habe sich sehr in Grenzen gehalten; ein Teil sei schließlich sofort wieder nach Hause zurückgekehrt, als es um die Überschreitung der Rheingrenze ging (15). „L'officier assiste impuissant à cette énorme injustice. Ainsi, il aura tiré le noir de sa brousse ,de gré ou de force', l'aura déraciné, instruit pour une guerre impensable, mené dans un combat de quatre ans contre un ennemi qui, malgré tout n'est pas le sien, et sur la terre même où ce même tirailleur pouvait escompter la suprême récompense ... une fiche d'évacuation ,pieds gelés'!" (16). Was angesichts der Tatsache wenig verwunderlich ist, dass Gabun, das sich als eines der ersten kolonialen Territorien auf die Seite de Gaulles stellte, zu diesem Zeitpunkt Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen zwischen den „beiden Frankreich" war. Siehe dazu den instruktiven Aufsatz von Furedi (1999: 179-197), demzufolge sich insbesondere in Großbritannien die Antizipation eines umfassenden Kontrollverlustes über seine afrikanischen Kolonien und das Erstarken nationalistischer Bewegungen an der Gruppe der demobilisierten Soldaten festmachte. Vgl. auch obige Anmerkung 117. Fernand Poujoulat: Evolution de la mentalité des tirailleurs sénégalais au cours de la guerre 1939-1945 (in CAOM, Fonds Ministériels ENFOM 3/ecol/56, Dossier 9, 21 Seiten und 2-seitiger Anhang). Wie in den vorangehenden Aufsätzen sind die folgenden Angaben, soweit
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Kapitel 2 nicht anders vermerkt, seinem Text entnommen (Seitenangaben in Klammern). Im Falle dieser Arbeit kennen wir auch den kommentierenden Lehrer: Oberst Boisseau, Leiter der Abteilung für militärische Angelegenheiten im französischen Kolonialministerium. Félix Eboué stammte von den französischen Antillen. In der Tat wurde die Gruppe der ehemaligen POWs bei ihrer Rückkehr nach Afrika intensiver geheimdienstlicher Überwachung unterzogen. Näheres dazu in Kapitel 3. Poujoulat war zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch nicht klar, dass manche Kontingente bis zu zwei Jahren in den Übergangslagern in Frankreich auf ihre Verschiffung warteten. Dies ist eine Strickmütze mit integriertem Halsbündchen, die lediglich das Gesicht freilässt. Leider ist es mir nicht gelungen, dieses Dokument im Original oder eine Abschrift davon bzw. eine diesbezügliche Aktennotiz in den jeweiligen Beständen über die Repatriierungslager in den Archiven aufzufinden, so dass Authentizität und Verfasserschaft letzten Endes fraglich bleiben. Unklar ist auch, ob die Beschwerde ihren Adressaten je erreicht hat. In Illfurth bei Mulhouse richtete er einen kleinen Rot-Kreuz-Posten ein, übernahm die ärztliche Notversorgung der Bevölkerung und stand u. a. einer Elsässerin bei der Entbindung bei (Conombo 1989: 77 f.). Seine Vita weist ihn aus als Vertreter der Union Voltaïque in der Versammlung der Französischen Union (1948), als Abgeordneten der französischen Nationalversammlung (1951) und als Staatssekretär des Inneren im Kabinett von Mendes-France (1954). Im Dezember 1954 gründete er die PSEMA (Parti Social d'Education des Masses Africaines), wurde 1959 Vizepräsident der Nationalversammlung Obervoltas und Bürgermeister von Ouagadougou (1959-1965). Von 1971 bis 1974 war er Abgeordneter der voltaischen Nationalversammlung und von 1978 bis 1980 schließlich Premierminister und Regierungschef unter General Lamizana, die durch den Putsch des Obersten Saye Zerbo im November 1980 gestürzt wurde (Conombo 1989: 196 ff.). Doudou Diallo, Dakar 29.4.1987 (Gruppeninterview, durchgeführt von Manfred Prinz und Papa Samba Diop, Transkription B.R., Filmaufnahme VHS, Original im Archiv der Universität Bayreuth). Ein ivorischer Veteran und ehemaliger POW schildert Beginn und Verlauf einer solchen Patenschaft: „I had a girlfriend in France. She went to the office and took my name and number. At the end of each month she would send me a little package - with a shirt and some biscuits. After the war I saw her. I arranged it myself. I asked where the village was
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and got some leave and went and saw her. I showed her my name and my number and then she knew it was me. She was very pleased to see me. Yes, I sent her letters. I still have her photograph." (Gmbale Soro, Jahrgang 1937, Dossemekaha/Korhogo 24.2.1986, in Lawler 1988: 968). Lawlers Informationen stammen u. a. aus der in Dakar erscheinenden „Paris-Dakar" (Ausgaben vom 12.1. und 6.5.1940). In Anlehnung an die sich auf den Ersten Weltkrieg beziehenden Memoiren von Bakary Diallo ([1926] 1985) ließe sich folgern, dass sich gerade durch den Familienanschluss die Französischkenntnisse der Soldaten erheblich verbessert haben dürften. Auszug aus einem - von der Postzensurstelle der AOF vorübergehend beschlagnahmten - Brief vom 9.2.1945. Verfasser war ein gewisser Guilbaud aus Villefranche/Rhöne, Adressatin eine Französin in BoboDioulasso/Obervolta. In: ANS 4 D 61, V 89 (Dossier: Mariages des tirailleurs, mariages avec des européennes 1945-46). Undatiert, vermutlich Anfang September 1945. In: ANS 4 D 61, V 89 (Sous-dossier Côte d'Ivoire). Die Absenderin ist die Mutter der im Folgenden noch erwähnten Marie Larcher. Ob sich diese Schemata auch in Liebesbeziehungen und Lebenspartnerschaften manifestierten, lässt sich mangels entsprechender Zeugnisse hier nicht ermitteln. Dieser etwa 200 Seiten umfassende Bestand von Briefen und Aktennotizen bezüglich aller Territorien der AOF befindet sich in ANS 4 D 61, V 89 (Dossier: Mariages des tirailleurs, Mariages avec des européennes 1945-46). Dahinter verbergen sich so unterschiedliche Beweggründe wie z.B. die Beschwerde einer Arbeiterin im Druckbereich und Widerstandsangehörige aus Rennes, dass ihr „Verlobter", ein Ivorer aus Agboville, den sie als POW adoptiert hatte, angeblich keine Versorgungspakete schicken dürfe (Brief Marie Larcher an französischen Kolonialminister vom 2.9.1945); die Bitte einer Frau aus Nîmes, die ein Kind von einem senegalesischen Soldaten erwartete, ihr dessen Aufenthaltsort zu nennen (Brief Yvette Lagarrigue vom 20.2.1946); das Gesuch einer Witwe beim französischen Konsul in Conakry, Erkundigungen über einen guineischen Unteroffizier einzuholen, der ihre Tochter heiraten will (Briefe Madame Gilles vom 12.5. und 25.7.1945) oder auch das Verlangen einer nach ihren Angaben mit einem Senegalesen Verheirateten aus Fréjus-SaintRaphaël, zu erfahren, was ihr „Mann" denn in Bezug auf ihre gemeinsame Zukunft zu unternehmen gedenke (Brief Madame N'Dour an Hochkommissar und Generalgouvemeur der AOF vom 5.12.1946). Ebd., Direction de la Surété Générale, Nr. 611 D.S./e: Lavallée,
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Kapitel 2 Directeur p.i. de la Sûrété Générale an Directeur Général des Affaires Politiques, Administratives et Sociales, Dakar, 26.6.1945 (vertraulich). Ebd., Gouverneur Soudan Nr. 469 SG/APA: Calvet an Direction Générale Affaires Politiques, 13.6.1945 (vertraulich). Hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Ehepartner für die Sicherung des materiellen Auskommens bewiesen die Behörden eine gewisse Flexibilität. So wurde einerseits das Gesuch einer Frau aus Tarascon hinsichtlich der Rückkehr ihres Dakarer Lebensgefährten unter Verweis auf dessen zu erwartende Fähigkeit, Frau und Kindern ein - ihnen ansonsten im Nachkriegsfrankreich versagt bleibendes - Auskommen zu bieten, positiv beschieden (Korrespondenz Jeannette Loubaud - GG AOF vom April 1946). Andererseits zeigte man sich aber auch geneigt, ein von einer Französin beigebrachtes Beherbergungs- und Versorgungszertifikat als Garantie ihrer „Loyalität" und ihres „Engagements" für das Gelingen dieser Ehe zu akzeptieren (Korrespondenz Louise Therond, Nîmes - Generalgouvernement AOF, August/September 1946). Ebd., Renseignement du 28 janvier 1947 au sujet du rumeur publique (Sous-dossier Direction de la Sûrété Générale). Ebd., Brief Marie Larcher, Rennes, an französischen Kolonialminister vom 2.9.1945 (Sous-dossier Côte d'Ivoire). Ebd., Brief Mme N'Dour, Saint-Raphaël, an Hochkommissar und Generalgouverneur AOF vom 5.12.1946 (Sous-dossier Sénégal). Ebd., so berichtet im Brief einer Patin aus Pontivy an ihren ivorischen Schützling vom 11.3.1945. Da diese Mitteilung von der Zensur beschlagnahmt wurde, hat der Vater des Kindes allerdings wahrscheinlich nie von dessen Existenz erfahren (Sous-dossier Côte d'Ivoire). Ebd., Direction Générale des Finances Nr. 7114/FI-A: Note Cauet pour Directeur Général des Affaires Politiques, Administratives et Sociales, Dakar 30.8.1946; Direction Générale des Affaires Politiques, Administratives et Sociales Nr. 1913 AP/2: Note Robin (i.V.) pour Directeur Général Finances, Dakar 14.10.1946. Diese Zuwendung belief sich laut Vermerk auf 100 000 Francs CFA. Ebd., so bekundet von einem Dakarer Tischler mit fließenden Französischkenntnissen in Wort und Schrift; „il désire retourner à Nîmes le plus tôt possible afin de retrouver Mme. Louise THEROND qu'il veut épouser."(Renseignements 6.9.1946 - KOUROUMA Adama, im Anhang zum Brief Nr. 193/AG Délégué Gouverneur Sénégal, Dakar, an Generalgouverneur AOF, 16.9.1946). Dasselbe galt für einen originaire aus Saint Louis, der um die Ausstellung eines Transportscheins für seine französische Ehefrau und deren siebenjährigen Sohn ersuchte (Brief KEITA Abdou an Generalgouverneur AOF vom 26.7.1946;
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beide Schriftstücke befinden sich im sous-dossier Sénégal). Ebd. So die Auskunft des angeblichen „Ehemanns" von Madame N'Dour, der bestritt, jemals mit ihr - einer Prostituierten, die mit ihm seinerzeit ihre Freizeit verbracht habe - , verheiratet gewesen zu sein und auf ein Wiedersehen keinen Wert legte (Nr. 46 C/SU: Gouverneur Sénégal an Generalgouverneur AOF, Saint-Louis vom 23.1.1947, vertraulich). Ebd. Aktenkundig wurden hier drei Fälle, darunter der eines in Saint Louis verheirateten Maliers, der angab, er habe den entsprechenden Reiseantrag für seine Gefährtin und ihre Mutter nur auf deren Drängen hin gestellt (Nr. 458 C/SU: Gouverneur Sénégal an Direction Générale Affaires Politiques, Saint-Louis 23.8.1946, vertraulich). Nr. 2699 DS/2: Directeur Surété Générale AOF an Directeur Général Affaires Politiques, Administratives et Sociales, Dakar 6.9.1945 (ein in Bouake/Côte d'Ivoire lebender Senegalese). Nr. 60 APS/I: Gouverneur Côte d'Ivoire an Generalgouverneur AOF, Abidjan, 2.2.1946 (der ivorische Verlobte von Marie Larcher, Ehemann und Vater dreier Kinder). Ebd., Nr. 8890 AP/2: Generalgouverneur AOF an Ministre de la France d'Outre-Mer, Dakar 18.11.1946. Ebd., Mme Renault, Orleans, an Amadou So, Louga, Sénégal, 16.9.1945. Es handelt sich um einen von der Zensurstelle angefertigten Auszug. Laut Vermerk wurde der Brief nach Prüfung zugestellt (Dokument Nr. 2471, sous-dossier Sénégal). So in extenso aus dessen 1922 erschienenen kommentierten Sammlung mündlicher Überlieferungen L'âme nègre (Paris: Rieder). Maurice Delafosse (1978-1926) war studierter Ethnologe, Historiker, Sprachwissenschaftler und Mitinitiator der 1916 gegründeten wissenschaftlichen Zeitschrift Bulletin du Comité d'Etudes Historiques et Scientifiques de l'Afrique Occidentale Française. Sie veröffentlichte großenteils von Angehörigen der Kolonialverwaltung und Amateuren unternommene - Forschungsarbeiten zu Geschichte, Geographie, Archäologie und Ethnologie Französisch-Westafrikas. Nachfolger von Delafosse als leitender Redakteur wurde übrigens Georges Hardy, Inspektor des Unterrichtswesens in AOF und Verfechter der mission civilisatrice, auf dessen Werk Nos grands problèmes coloniaux de Gobineau hier auch rekurriert. Zur Produktion und Aufbereitung von Wissen sowie zur Entstehung der französischen Sozialwissenschaften bezüglich Afrikas siehe Pondopoulo (1997). Folgerichtig erblickt sie im „Mamadou encanaillé, chauffeur de taxi à Dakar, la casquette sur l'œil" sein entwurzeltes, da urbanisiertes Gegenstück (ebd.).
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De Gobineau porträtiert ihn als geistige und menschliche Ausnahmeerscheinung schlechthin: „Saer était bien différent de tous mes autres noirs. Il portait sa hauteur avec grâce, il vous tenait à distance en souriant et il se mêlait à sa bonne éducation une pointe d'ironie [...] Il était cultivé, je dirais même lettré, pourtant il se disait paysan comme les autres. [...] Je ne pus jamais savoir où il avait appris à écrire aussi parfaitement le français que l'arabe. Il se servait également de ses deux mains pour tracer avec une incroyable rapidité une calligraphie frémissante et claire. Par jeu, il écrivait en même temps la même phrase de la main droite en français, de la main gauche en musulman [...] Saer lisait beaucoup. Bien que souriant à tout le monde, il vivait en marge même de ses camérades d'Afrique et ne leur parlait qu'aux repas. Parmi les volumes de la bibilothèque [sic], il choisissait lui-même, sans se laisser guider, le plus souvent des poèmes ou des classiques [•••]" (ebd.: 140 f.). Dessen wenig schmeichelhaftes Porträt zeigt ihn als pockennarbigen, gelbgesichtigen und emotional unbeherrschten Jäger, der sich obendrein, da er die Szene vorzeitig verlässt, Saers Erzählung verschließt (ebd.: 156). Midiohouans Feststellung bezieht sich insbesondere auf Jean-Richard Bloch, den Linksintellektuellen und seit 1938 Parteimitglied des PCF, der als Unterstützer von René Maran (Verfasser des in Frankreich stark umstrittenen, 1921 mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Romans Batouala) und Herausgeber der Autobiographie des Tirailleur Bakary Diallo (Force-Bonté, 1926) hervorgetreten war (Midiohouan 1989: 136141). Bloch war zudem eng befreundet mit Lucie Cousturier, die als marraine in Fréjus afrikanische Soldaten, darunter den besagten Bakary Diallo, betreute und ihre Erlebnisse in einem Roman verarbeitete (Cousturier 1920). Sie kann als Vorläuferin Hélène de Gobineaus bezeichnet werden, insofern es ihr Anliegen war, „de créer en France un courant en faveur de l'homme noir qu'elle jugeait capable - comme l'Abbé Grégoire - de s'élever à une haute culture, à la culture telle que la concevait le colonisateur, par le biais de l'éducation ou de l'école" (Midiohouan 1989: 138). Über Verbreitung und Rezeption dieses Werkes im Frankreich der Nachkriegsjahre habe ich bislang keine Hinweise finden können. Dieser enge Bezug lässt sich auch durch eine vergleichende Lektüre von Noblesse d'Afrique mit den literarischen Bearbeitungen des Themas afrikanische Soldaten von Cousturier (1920; 1925) und Bloch (Premières journées en Rufisque, Paris: Sagittaire 1926) erhärten, insofern zahlreiche Parallelen und intertextuelle Bezüge zwischen den drei Autorinnen festgestellt werden können. Siehe dazu Midiohouan (1989:136 f.).
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Die Rückkehr ins Koloniale „ [...] ne l'oublions jamais: sans l'Empire, la France ne serait aujourd'hui qu'un pays libéré. Grâce à son Empire la France est un pays vainqueur." 1 Mit diesem berühmt gewordenen Ausspruch brachte Gaston Monnerville, der spätere Präsident des Rates der Republik, unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Selbstverständnis einer Nation auf den Punkt, die unter allen Umständen gewillt war, die „Struktur ihres kolonialen Imperiums in leicht modifizierter Form beizubehalten" (Betts 1998: 26, meine Übersetzung). Frankreichs Bestreben, an seinen überseeischen Besitzungen festzuhalten und diese mit Hilfe seiner kolonialen Truppen zu sichern, fungierte zum einen als Kompensation der Niederlage gegen Deutschland und der Demütigungen der Vichy-Periode: „The bitterness of 1940 led, predictably, to a post-war wish to put the clock back to the pre-1939 era, and a belief in respect to empire that victor nations had every right to retain them" (Clayton 1994: 3). Handelte es sich im europäischen Kontext um eine Bewältigung der unmittelbaren Vergangenheit, so implizierte dies im globalen Zusammenhang, den antizipierten Statusverlust abzuwenden, wie er für „alle traditionellen europäischen Großmächte" mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg manifest geworden war (Betts 1998: 21). Frankreichs Festhalten am Imperium wäre somit auch als Versuch zu verstehen, sich als global player in einer angloamerikanisch dominierten geostrategischen Neuordnung zu behaupten, zumal die politischen Aktivitäten der Vereinigten Staaten in Nordafrika sowie Großbritanniens in Syrien und Libanon das Erstarken der dortigen Nationalbewegungen beförderten. Folgt man diesem Argument, so sind letztlich französische Großmachtinteressen und die militärischen Verbindungen zum und innerhalb des französischen Imperiums, kaum jedoch wirtschaftliche Faktoren, ausschlaggebend für diesen unbedingten Willen zur Aufrechterhaltung des Kolonialreiches gewesen (Clayton 1994: 7).
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Kapital 3
Diese ungebrochene koloniale Option steckte den Rahmen ab für die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Paris und den Bevölkerungen der überseeischen Territorien: In der Verfassung der 1946 gegründeten Union Française wurde die „unauflösliche Einheit" der Union postuliert und damit jeglicher über eine begrenzte lokale Autonomie hinausgehenden Bestrebung zur Unabhängigkeit eine Absage erteilt.2 An diesem starren Arrangement, dessen Entwurf auf die Konferenz von Brazzaville (30.1.8.2.1944) zurückging, sollte Frankreich - ungeachtet der heftigen Erschütterungen, die ihm durch die antikolonialen und nationalen Bewegungen auf Madagaskar, in Indochina und Algerien sukzessive beigebracht wurden schließlich bis zum Ende der 4. Republik 1958 festhalten. Entgegen späteren Auslegungen war es nicht Zielsetzung der Konferenz von Brazzaville, einen Dekolonisierungsprozess in Afrika einzuleiten (Bouche 1991: 378). Die Agenda der Teilnehmer an dieser Zusammenkunft - Gouverneure der Kolonien der AOF, AEF und Madagaskar sowie Statthalter, Delegierte und Regierungsbeobachter aus Algerien, Tunesien und Marokko3 - sah vielmehr vor, auf der Grundlage des föderativen Gedankens „konstitutionelle, politische und wirtschaftliche Reformen für die kolonialen Besitzungen Frankreichs unter gleichzeitiger Beibehaltung und Stärkung ihrer Verbindungen zur Metropole" (Shipway 1996: 43, meine Übersetzung) zu beraten, ohne dass Vertreter der betreffenden Bevölkerungen indes zu den Debatten hinzugezogen worden wären. Inspiriert vom alten Traum eines „vereinigten Frankreich der hundert Millionen" und durchdrungen von der Idee eines „humanitären Kolonialismus" (Bouche 1991: 390), kreisten die Empfehlungen von Brazzaville in erster Linie um sozialpolitische Fragen, d.h. um den Ausbau des Schul- und Gesundheitswesens im subsaharischen Afrika, die Abschaffung von indigénat und Zwangsarbeit, die Befreiung afrikanischer Frauen von Zwangsverheiratung und polygamer Ehe sowie eine künftige Gleichstellung „indigener" Beamter und staatlicher Angestellter mit ihren metropolitanen Kolleginnen. Darüber hinaus wurden die Aufstellung eines wirtschaftlichen Entwicklungsplans für die Gesamtheit der Kolonien und die Umsetzung politischer Vertretungsrechte der „indigenen" Bevölkerungen postuliert. Letztere sollten das allgemeine aktive und passive Wahlrecht erhalten und im Rahmen eines Zweikammerwahlverfahrens ihre eigenen
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Repräsentanten für die Volksvertretungen auf der Ebene der Kolonien bestimmen - und schließlich auch ihrerseits Abgeordnete nach Paris in die verfassungsgebende Versammlung entsenden (ebd.: 390 f.). Weniger die Inhalte des Reformpakets als der „Geist" von Brazzaville lösten in der Folge aufseiten afrikanischer Politiker helle Empörung aus. Stellvertretend für viele hielt Léopold Senghor am 1. Mai 1945 ein flammendes Plädoyer zur „Verteidigung Schwarzafrikas". 4 In ihm verwahrte er sich vor allem gegen die in Brazzaville vorgenommene Einteilung der französischen Territorien in verschiedene Kategorien, mit der deren jeweiligem „Entwicklungsstand" Rechnung getragen werden sollte: Car on se prépare à faire, au sein de la communauté française, une large part aux colonies et aux protectorats, ceux-ci devant être des « pays fédérés » et ceux-là des « départements extérieurs ». [...] exception faite pour l'Afrique noire, qui constituera des « territoires » sous « tutelle ». C'est tout juste si l'on n'appellera pas les futurs - anciens - colonisés à légiférer à sa place sur ses propres affaires. En un mot, les NégroAfricains continueront à être sous la « domination » des Métropolitains et des non-Africains (Senghor 1945: 237 f.). Die diesem Entwicklungsvorbehalt zugrunde liegende simplifizierende Auffassung eines unilinearen - am europäischen Vorbild ausgerichteten zivilisatorischen Fortschreitens, so Senghor weiter, sei schlichtweg falsch und illegitim: Nous pouvons dire, dès maintenant, que c'est leur qualité d'humains qui confère des droits aux hommes, non leur qualité d'« évolués », de « civilisés ». C'est l'absence de ce fondement qui fait la fragilité de l'édifice de Brazzaville (ebd.: 240). Der an die afrikanischen Bevölkerungen gerichteten Aufforderung zur Mitarbeit an einer Neuschaffung Frankreichs „qui soit à la mesure de l'Homme et de l'universel" (ebd.: 247) seien diese durchaus bereit nachzukommen, allerdings nur unter der Maßgabe einer unabdingbaren Voraussetzung: „Nous ne sommes pas des séparatistes, mais nous voulons l'égalité dans la cité" (ebd.). 5 Senghors vehemente Einforderung der Gleichstellung ist vor dem Hintergrund der anhaltenden Weigerung der französischen Übergangsregierung (GPRF) zu verstehen, das von der Mehrheit der Monnerville-
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Kommission6 unterstützte Prinzip einer einheitlichen Repräsentation aller Bürgerinnen im künftigen Staat anzuerkennen. An Stelle dessen beharrte man für die afrikanischen Territorien auf dem „Zweiklassensystem" des double collège, demzufolge die Wählerschaft in citoyens - also Überseefranzosen und Bürger der quatre communes in Senegal - und non-citoyens - ehemalige Kolonialuntertanen - aufgegliedert wurde. Dieses System, auf dessen Grundlage schließlich die ersten Wahlen zur französischen verfassungsgebenden Versammlung im Oktober 1945 durchgeführt wurden, schrieb die grundlegende Benachteiligung von Afrikanern auf mehreren Ebenen fort. So gab es keine einheitliche Wahlliste; beide Wählergruppen bestimmten ihre jeweils eigenen Abgeordneten; die Hälfte der vergleichsweise niedrigen Zahl von 63 Deputierten aus den überseeischen Territorien (von insgesamt 585 Mitgliedern der verfassungsgebenden Versammlung) wurden von der Gruppe der „Bürger" gewählt; die Mehrheit der „NichtBürger" blieb vom Wahlrecht weiterhin ausgeschlossen (Bouche 1991: 394 f.; Vaillant 1990: 198).7 Um die Legitimität der von ihm vorgetragenen Forderung auf Gleichbehandlung aller Angehörigen der französischen Union zu untermauern, verweist Senghor zum einen die vorgebliche Primitivität afrikanischer Gesellschaftsformationen ins Reich bourgeoiser Mythen paternalistischen Zuschnitts, die er anhand einer längeren Ausführung über die vielfältigen Äußerungsformen einer weit zurückreichenden Geschichte afrikanischer Zivilisation entkräftet (ebd.: 242-247). Zum zweiten - und im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit von ungleich größerem Interesse - hebt er auf die „unleugbaren" Verdienste afrikanischer Soldaten und Zivilbevölkerungen für die Befreiung Frankreichs ab (ebd.: 240 f.), ein Themenstrang, dessen Signifikanz durch die eingangs abgedruckte Widmung („A la mémoire des Tirailleurs Sénégalais morts pour la dignité de l'homme", ebd.: 237) noch verstärkt wird. Eben jene Verdienste, welche die Reformideen von Brazzaville überhaupt erst motiviert hätten (ebd.: 240), entgelte Frankreich bislang jedoch mit „unvorstellbarer rassischer Diskriminierung": on rétablissait l'inégalité dans les soldes des coloniaux — et les NégroAfricains étaient parmi les moins favorisés. Ils se plaignirent de cela et de bien d'autres choses encore. En réponse, on employa contre eux la
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force - c'est un euphémisme - et on les traita comme de vulgaires collaborateurs. On alla jusqu'à les accuser d'être « gangrené par la propagande nazie » ! (ebd.: 239). Wie stark der Verfasser dieser Zeilen unter dem Eindruck der Ereignisse in den französischen Repatriierungslagern und im Übergangslager von Thiaroye im Dezember 1944 argumentiert, macht seine unmittelbar folgende Einlassung deutlich: „II y a des noms qui, depuis lors, sonnent le glas dans les consciences négro-africaines: Morlaix! Mont-de-Marsan! Versailles! Tiaroye! ..." (ebd.). Unmissverständlich aber auch, für wen die Totenglocke läutet: Le « Bon Nègre » est mort; les paternalistes doivent en faire leur deuil. C'est la poule aux œufs d'or qu'ils ont tuée. Trois siècle de traite, un siècle d'occupation n'ont pas pu nous avilir, tous les catéchismes enseignés - et les rationalistes ne sont pas les moins impérialistes - n'ont pas pu nous faire croire à notre infériorité. Nous voulons une coopération dans la dignité et l'honneur, sans quoi ce ne serait que « kollaboration », à la vichyssoise. Nous sommes rassasiés de bonnes paroles jusqu'à la nausée - de sympathie méprisante; ce qu'il nous faut ce sont des actes de justice (ebd.: 247, Hervorh. i. Orig.). Den Text beschließt eine Liste praktischer Anwendungsbereiche, anhand derer der Verfasser seine programmatische Forderung nach Gleichstellung in folgenden Punkten konkretisiert: die Erweiterung der deklarierten Menschenrechte um die der „Völker und Rassen", das Zugeständnis an afrikanische Gesellschaften, ihre im Prozess kolonialer Herrschaft obsolet gewordenen gewohnheitsrechtlichen Institutionen selbst zu reformieren, anstatt sich weiterhin auf sie zu stützen, die Einrichtung beschlussfähiger anstelle lediglich beratender - Volksvertretungen auf der Ebene von Kolonie und Föderation, den Ausbau des Höheren Bildungswesens inklusive der Gründung von Universitäten in allen ehemaligen Kolonien, den gleichberechtigten Zugang bei gleicher Entlohnung von „Autochthonen" zu allen administrativen Ämtern, die Verankerung eines einheitlichen, auf alle Angehörigen der Union anzuwendenden Rechtssystems sowie die Abschaffung des Code de l'indigénat und jeglicher Form von Zwangsarbeit (ebd.: 247 f.). Bei Senghors Verteidigungsrede handelt es sich um ein in mehrfacher Hinsicht aufschlussreiches Zeugnis der unmittelbaren Nachkriegszeit. Hin-
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ter ihrem kämpferischen kompromisslosen Ton, der als exemplarisch für die Radikalisierung westafrikanischer Intellektueller ob Frankreichs Obstruktionspolitik hinsichtlich des empowerment der überseeischen Territorien gelten kann, zeichnet sich die „Zweiheit" als die Generation derer, die den Übergang zwischen Kolonialherrschaft und Selbstbestimmung im Verlauf der folgenden Dekade gestalten und vollziehen sollten, prägender Grundzug ab.8 „Zweiheit" meint ihre Perzeption von Nation als frankoafrikanischem Gemeinschaftsprojekt und ihr damit verbundenes Bestreben, von der ehemaligen Kolonialmacht anerkannt und respektiert zu werden. Jener - sich in Senghors politischer Biographie par excellence verkörpernden - „Zweiheit" blieb diese Generation verhaftet, und um ihretwillen sollte sie von der nächsten scharf kritisiert werden. Im Anschluss an Coopers bezüglich der westafrikanischen Arbeiterbewegung der 1940er und 1950er Jahre aufgeworfenes Argument erschöpfte sich diese „Zweiheit" allerdings nicht in einer wie immer gearteten Affirmation des hegemonialen kolonialen Projekts, sondern wäre treffender, so meine Hypothese, als spezifischer Ausdruck des Versuchs westafrikanischer Eliten zu begreifen, sich „des (hegemonialen) Diskurses zu bemächtigen". Sie griffen ihn auf, unterliefen ihn aber schließlich dadurch, dass sie „eine Sprache des social engineering in eine der Berechtigung (entitlement) umwandelten und damit Staatsbeamte bei deren verzweifelter Hoffnung packten, Afrikaner möchten sich in vorhersehbarer Weise verhalten und davon ausgehen, dass Löhne und Sozialleistungen nach europäischem Modell bestimmt werden sollten" (Cooper 1997: 416, meine Übersetzung). Dieses interaktive Moment der Verhandlungsführung inklusive der in ihm transportierten divergierenden Konnotationen von „Fortschritt" und „Nation" anzuerkennen impliziert, wie Cooper weiter ausführt, Vorstellungen eines Automatismus hinsichtlich eines von afrikanischen Eliten und sozialen Bewegungen verfolgten „natürlichen" Nationalismus ad acta zu legen (ebd.: 406, 420) und stattdessen von einer die 1940er und frühen 1950er Jahre prägenden „kreativen und befähigenden" Spannung auszugehen, wie sie sich in konkurrierenden Aktivitäten und Mobilisierungsformen verschiedener Akteure - afrikanische politische Eliten und metropolitane Repräsentanten einerseits, Eliten und multiplen sozialen und politischen Netzwerken angehörende Bevölkerungsgruppen in
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der Spätkolonie andererseits - entfaltet habe. Dieser unabgeschlossene Prozess sei erst später seiner Dynamik beraubt worden: „when ,nationbuilding' became a State project and national identity was held to subsume all other forms of affiliation, that tension was pushed from the arena of politics" (ebd.: 426). Aus der Perspektive der Metropole lässt sich die französische Kolonialpolitik nach 1945 - und damit das Projekt der Französischen Union - als dem unilinearen Verständnis von Fortschritt nach dem Vorbild Europas geschuldeter Versuch beschreiben, mit den Mitteln vorsichtiger politischer Kooptation „ausgewählter" Repräsentanten „indigener" Bevölkerungen und gradueller Reformierung der Produktions- und Reproduktionsverhältnisse in den überseeischen Territorien die Kontrolle zu behalten bzw. da wiederzuerlangen, wo sie zu erodieren schien, und somit das „hegemoniale Projekt in eine universalistische Sprache eingebettet" (ebd.: 416) abzusichern. Demgegenüber stellten die afrikanischen Verhandlungsführer, wie wir am Beispiel von Senghors „Verteidigungsrede" gesehen haben, die zu begründende Union in einen grundsätzlich anderen Legitimationszusammenhang: Ausgehend von der Reziprozität der von beiden Seiten einzutragenden Leistungen und Vergütungen, warfen sie die diesbezüglich bereits von Afrikanerinnen erbrachten Verdienste in die Waagschale und nahmen damit die Metropole in die Pflicht, ihren Teil zu einer Föderation beizusteuern, „die wir aufhören werden, Empire' zu nennen" (Senghor 1945: 237, meine Übersetzung).9 Von derselben Grundüberzeugung geleitet waren auch die afrikanischen Kriegsheimkehrer, die bei Senghor als Unterpfand für die Reziprozität schlechthin erscheinen. Ihre mehrjährigen Erfahrungen in der Armee, auf den Schlachtfeldern und/oder in den Lagern hatten bei ihnen nicht nur die Gewissheit reifen lassen, für Frankreich gewissermaßen in Vorleistung getreten zu sein, sondern auch ihr Wahrnehmungsvermögen geschärft, was die ihnen zustehenden Rechte sowie die Gegenleistungen, welche sie billigerweise von Frankreich erwarten durften, betraf. Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt worden ist, konnte sich dieser Erkenntniszuwachs auf sehr unterschiedliche Weise vollziehen, und längst nicht alle Soldaten/Veteranen waren gleichermaßen in der Lage, diesen Prozess in all seinen Konsequenzen zu reflektieren bzw. zu artikulieren.
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Eine grundlegende Erfahrung jedoch teilten alle: Hatten sie die Armee zum einen als ein weiteres fein abgestuftes System von Über- und Unterordnung von innen her kennen gelernt und die Tragweite unterscheidender Behandlung am eigenen Leibe gespürt, so wurden sie andererseits aber auch dessen gewahr, dass es sich in einigen für sie wesentlichen Punkten vom kolonialen System zuhause unterschied. Vorausgesetzt, sie hatten sich seine obersten Wertmaßstäbe - Disziplin, Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten, Kameradschaftsgeist und „tapfere Bewährung" in Kampfhandlungen - zu eigen gemacht, konnten sie sich mit einiger Berechtigung vor Willkürakten und Schikanen seitens ihrer Vorgesetzten sicher fühlen bzw. damit rechnen, dass solche sanktioniert würden. Überdies zollte ihnen die Armee Anerkennung für ihre Leistungen, indem sie ihnen Auszeichnungen verlieh, sie beförderte und ihnen, im Gegensatz zu den in der Kolonie Verbliebenen, berufliche Aufstiegsmöglichkeiten bot, auch wenn sich diese später für die weitaus meisten von sehr begrenztem Nutzen erweisen sollten, wie wir im Folgenden noch sehen werden. Welchen Einfluss die Armeesozialisation
auf die
Persönlichkeits-
entwicklung und Stärkung des Selbstbewusstseins von Afrikanern ausübte, dokumentieren mehrere von militärischen Dienststellen ab Ende der 1940er Jahre in Auftrag gegebene Untersuchungen, von denen man sich Aufschlüsse über „Geisteshaltung" und Loyalität aktiver und ehemaliger Soldaten erhoffte. Abgesehen vom unvermeidlichen paternalistischen Duktus, der allen diesen Berichten eigen ist, vermitteln diese zeitnahen Quellen wertvolle Informationen über die Generation der Kombattanten des Zweiten Weltkriegs. So auch die von einem Offizier der Kolonialinfanterie verfasste detaillierte Schilderung der verschiedenen Stationen, welche der afrikanische Durchschnittssoldat im Verlauf seiner Dienstzeit durchlaufen hat, die mit folgendem Resümee abschließt: Il aura acquis le sens de la responsabilité, du devoir, et dans un certain ordre d'idées, surtout s'il est gradé, du bien public, tout en ayant ancré dans son esprit une haute conception de sa propre valeur et des droits qu'il s'est acquis par son service. Et c'est alors que, démobilisé, il rentrera dans ses foyers. 10 Jener gelassene Ton, mit dem hier afrikanischen Soldaten ein gestärktes aus der Überzeugung, sich um Frankreich verdient gemacht zu haben, ab-
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geleitetes - Selbstwertgefühl bescheinigt wird, wäre allerdings noch acht Jahre zuvor undenkbar gewesen. Dabei hatten aufmerksame Beobachter aus französischen Armeekreisen damals die zum Teil erheblichen Bewusstseinsveränderungen aufseiten afrikanischer Weltkriegskombattanten durchaus registriert und, wie im vorangehenden Kapitel gezeigt, nach Erklärungen für deren „veränderte Mentalitäten" gesucht, ohne indes den entscheidenden Anteil anzuerkennen, der diesbezüglich insbesondere den Leidenserfahrungen der POWs zukam (Echenberg 1991: 103). Die oben thematisierten Selbstzeugnisse von Veteranen legen überdies nahe, dass liminale Erfahrungen und Traumata verschiedenster Art - Hunger, Folter und Zwangsarbeit in den Kriegsgefangenenlagern der Deutschen, das Engagement in der Résistance sowie die Beteiligung an den Operationen der Alliierten in Italien, der Provence und in Ostfrankreich den Ausschlag für jene mentalen Grenzüberschreitungen geben konnten, im Zuge derer die Männer eine für sie unumkehrbare Gewissheit als Gleiche - in Rechten und Pflichten - erwarben. Diese auf dem Weg der Erfahrung gewonnene Gewissheit wurde ihnen, so mein Argument, fortan zum handlungsleitenden Movens: Um der Einforderung der Gleichheit willen waren sie bereit, Befehle zu verweigern, Gesetze zu übertreten und Aufstände zu initiieren, wie anhand der im Folgenden näher betrachteten Vorfälle im Kontext der Repatriierung und Demobilisierung afrikanischer Truppenkontingente 1944/45 gezeigt werden soll. Am Umgang französischer Militär- und Zivilbehörden mit diesem Aufbegehren sowie deren diesbezüglich vorgebrachten Erklärungen wiederum wird, so meine ich, nicht nur eine andere „Lesart" der Vorfälle deutlich. Sie werfen auch ein Licht auf die Rationalisierungsmuster, mit denen die - auf eine Mischung von kriegsbedingten Sachzwängen und Befangenheit in kolonialen Denkmustern zurückzuführende - Option, jenes Aufbegehren im Keim zu ersticken, legitimiert werden sollte. In den ab Herbst 1944 dokumentierten Zusammenstößen zwischen ehemaligen POWs und von der Front abgezogenen afrikanischen Kombattanten mit Angehörigen anderer Truppeneinheiten, militärischen und polizeilichen Ordnungskräften sowie Zivilpersonen entluden sich Aggressionen und Frustrationen der afrikanischen rapatriables, die unter miserablen Bedingungen in französischen Militärcamps und Behelfslagern, zum
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Teil auch in ehemaligen Gefangenenbaracken, untergebracht waren. Dort litten die mangels Transportmöglichkeiten zu monatelangem untätigem Warten sich selbst überlassenen Männer unter akutem Nahrungsmangel und dem von ihnen allgemein als Symbol ihrer erneuten Erniedrigung empfundenen Verlust ihrer Ausrüstung und vor allem auch darunter, dass ihnen die US-amerikanischen oder britischen Uniformen abgenommen worden waren: [...] pour assurer le ,blanchiment' de la 9ème D.I.C. pour n'en citer qu'un cas, une seule collection d'effets fut laissé au tirailleur et encore c'était la plus mauvaise. Quant aux prisonniers libérés, en dépit des efforts accomplis par le Ministère des Prisonniers et Déportés, leur état de dénuement était presque total (Ladhuie Mémoire ENFOM 1945/46: 24 f.). Die mit der Leitung der verschiedenen Lager betrauten französischen Offiziere waren von der Situation in der Regel überfordert, da zahlenmäßig unterrepräsentiert und im Umgang mit afrikanischen Truppen völlig unerfahren (ebd.: 27 f.; siehe auch Mann 2000: 157 f.). Angesichts der Gleichgültigkeit, mit der die Kommandoebene den wiederholten Beschwerden der Männer bestenfalls begegnete, verwundert es kaum, dass die in den ersten Kontingenten der auf ihre Repatriierung Wartenden besonders zahlreich vertretenen ehemaligen POWs und Angehörigen der FFL - so der ersten Division Motorisée d'Infanterie und der 9. Division d'Infanterie Coloniale - , vielerorts die Initiative ergriffen. Aufgrund ihrer Aktivitäten als Beschwerdeführer, Koordinatoren von Protestaktionen und Organisatoren von Lager übergreifenden Informationsnetzwerken wurden sie bald als die „am weitesten entwickelten Elemente" gefürchtet, von denen eine allgemeine „Kontaminierung" afrikanischer Soldaten auszugehen drohte (ebd.: 20). Als weiteren destabilisierenden Faktor, der die Aufrechterhaltung der Autoritätskette gefährdete, führt Mann (2000: 158) die „Degradierung" einer - bislang nicht näher zu beziffernden - Anzahl westafrikanischer Soldaten an, die vormals als Offiziere in den FF1 gekämpft hatten und nunmehr auf ihre vorherigen Ränge zurückgestuft wurden. Alles zusammengenommen - Unerfahrenheit und Überforderung der einen, eklatante Versorgungslage, Unmut und Unrechtsbewusstsein der anderen - trug zur
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Entstehung einer explosiven Gemengelage bei, deren mögliche Entspannung angesichts anhaltender Kämpfe und sich weiterhin verknappender Ressourcen in diesem letzten Kriegswinter nicht absehbar schien. Vordergründig betrachtet, entzündeten sich die rund 15 im Zusammenhang der Repatriierung und Demobilisierung in Frankreich 1944/45 aktenkundig gewordenen Zwischenfälle 11 in der Regel an der äußerst mangelhaften Versorgung mit Nahrung und Kleidung, der schlechten Unterbringung, Verboten des Verkaufs von Alkoholika an afrikanische Soldaten, an Auseinandersetzungen um Frauen sowie an der Weigerung der Militärbehörden, ausstehenden Sold und Haftentschädigung auszuzahlen (Echenberg 1991: 100). Aus der eingehenden Lektüre der jeweiligen Ereignisse und deren Ausdeutung seitens französischer Behörden und der in die Konflikte involvierten Soldaten selbst geht jedoch hervor, dass über praktische Alltagsprobleme und Versorgungsengpässe hinaus in den meisten Fällen physische Übergriffe auf afrikanische Soldaten seitens französischer Armeeangehöriger bzw. Äußerungen „rassischer" Geringschätzung die Signale für Auflehnung und Befehlsverweigerung gaben (ebd.). Für den vermeintlich abrupten Sinneswandel der Soldaten und die um sich greifende Indisziplin der Truppe bemühten französische Militär- und Zivilbehörden ihrerseits eine Reihe von Erklärungen, darunter insbesondere „den Wechsel des Kommandos, den Einfluss des metropolitanen Milieus und der ausländischen Propaganda" (Ladhuie Mémoire ENFOM 1945/46: 27, meine Übersetzung, siehe auch Echenberg 1991: 102). In diesem Zusammenhang konzedierte ein hellsichtiger Beobachter wie der des Sympathisantentums mit den Afrikanern unverdächtige Schüler der ENFOM, Paul Ladhuie, 12 der Bewegung der Unzufriedenen durchaus einen gewissen Organisationsgrad und wies auf die Gefahr ihrer potentiellen Ausbreitung hin: Il serait même facile d'établir une .échelle' de ce mécontentement: doléances continuelles - refus d'obéissance - invectives personnelles d'abord, puis mettant ,racialement' le blanc en cause - molestages de personnes - emploi des armes; et dans chaque branche, chacune est de plus en plus généralisée. Il ne faut d'ailleurs point s'y méprendre, l'esprit du noir est trop communautaire pour qu'une menace lâchée au hasard par un tirailleur dénote non pas son état d'esprit individuel mais bien celui de son unité toute entière. Trop d'officiers ne l'ont pas vu ou
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par l'impuissance n'ont pas voulu le voir (Ladhuie Mémoire ENFOM 1945/46: 20). Nun war die These, die deutsche Propaganda sei bei einem Teil der afrikanischen Soldaten und POWs auf fruchtbaren Boden gefallen, ja nicht neu, sondern bereits anlässlich der Repatriierungen im Anschluss an das „Debakel" 1940 in Umlauf gesetzt worden, und es waren entsprechende Warnungen an westafrikanische Kolonialbeamte ausgegeben worden, die Kriegsheimkehrer besonderer Überwachung zu unterziehen.13 Ob die Verfechter dieser These zu irgendeinem Zeitpunkt eine solche Infiltrierung in größerem Umfang für wahrscheinlich hielten, sei dahingestellt. Sicher ist, dass die Propagandavorwürfe neben der vorgeblich negativen Beeinflussung der Afrikaner durch das metropolitane - insbesondere weibliche Milieu ab Herbst 1944 als vorgezeigte Gründe in Frankreich und den französischen Territorien zirkulierten und, durch zahlreiche Gerüchte verstärkt, dazu beitrugen, dass die eigentlichen - und im Kern, wie man mit großer Sicherheit annehmen kann, nicht als Kampfansage gegen Armee oder Kolonialverwaltung gerichteten - Anliegen der ehemaligen POWs und Frontkämpfer hinter diesem verzerrten Bild weitgehend verschwanden. Unter dieser Prämisse lässt sich auch die Eskalation der im vorangehenden Kapitel erörterten Ereignisse im Übergangslager von Thiaroye Ende November/Anfang Dezember 1944 in einem neuen Licht betrachten. Da, wie schon erwähnt, Hergang, nähere Umstände und Zielsetzungen der „Meuterei" aufgrund der Archivsperre bislang nicht zweifelsfrei rekonstruiert werden können, müssen diesbezüglich aufgeworfene Forschungskontroversen vorerst offen bleiben. Dies betrifft z.B. den Organisationsgrad der Aufständischen sowie die Frage, ob es sich in Thiaroye um eine geplante oder weitestgehend spontane Aktion gehandelt hat, deren Dynamik sich erst angesichts der unnachgiebigen Haltung des militärischen Kommandos und der Zivilbehörden entfaltete.14 Eines scheint jedoch sicher: Spätestens im Angesicht der „Meuterei" mussten militärische und zivile Behörden damit rechnen, dass sich Unmut und Aufbegehren der Kriegsheimkehrer fortan weder in vereinzelten, spontanen Aktionen erschöpfen noch sich deren Forderungen weiterhin mit gängigen paternalistisch verbrämten Vertröstungsstrategien in Schach halten lassen würden. Geht man nun davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt für französische Be-
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hörden aus verschiedenen - kriegsbedingten wie kolonialpolitischen Erwägungen ein Eingehen auf die Forderungen afrikanischer Soldaten und Veteranen nach Gleichstellung mit ihren metropolitanen Kameraden völlig ausgeschlossen war, so erscheint die Option durchaus folgerichtig, die „Meuterei" durch Einsatz militärischer Gewalt umgehend zu beenden und die Beteiligten - nicht zuletzt auch mit Blick auf die nähere und weitere Umgebung der „Meuterer" - als Agenten im Dienste des Feindes zu desavouieren. Auf die Umsetzung dieses Strategems verweisen zunächst die von Ladhuie zusammengetragenen „Belege" für die systematische Infiltrierung afrikanischer POWs mit deutscher Propaganda in den Frontstalags. Mit Maßnahmen wie der Verbesserung der Nahrungsrationen und Arbeitsbedingungen für die Mannschaften, der den évolués unter den POWs eingeräumten Vorrechte und Deutschkurse oder der Freilassung einzelner Gefangener, die man als aus der Haft Entwichene in Frankreich eingeschleust habe, hätten die Deutschen versucht, sich „Sympathisanten zu verschaffen und sie glauben zu machen, der globale Umbruch stehe unmittelbar bevor" (Ladhuie Mémoire ENFOM 1945/46: 32, meine Übersetzung). Jene Einflüsse aber seien während der Vorfälle in Thiaroye offen zu Tage getreten: De nombreux documents de propagande allemande rédigés en arabe, heureusement littéraire, furent saisis. Le tirailleur Carimou Sylla,15 nommé ,marabut' fit un salut hitlérien impeccable à la fin d'une confrontation. Multiples furent les photos saisies montrant des prisonniers noirs et leurs gardiens allemands en des poses amicales. L'une d'elles est même signée ,en souvenir de ton gardien -1-8-42 Joseph A.B'. Les nombreuses invectives des mutins de Tiaroye [s/c/] sont symptomatiques. ,Race finie' revient très fréquemment. La duplicité allemande a pu se donner libre cours: sur le caporal Habibou Antoine, qui vivait à Paris depuis le 21-8-43, et prétendait s'être évadé, une fouille fait découvrir un ordre de libération au titre de ,Togolais' (ebd.). Zwar räumt der Verfasser ein, der Umfang dieser Propaganda sei nur schwer zu messen, die arabischen Dokumente für die meisten Ex-POWs wohl unverständlich, behauptet dann aber im gleichen Atemzug, es sei dennoch „kaum verwunderlich, jenen als Anführern der schwersten Meutereien wieder zu begegnen" (ebd.: 33, meine Übersetzung).
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Verglichen mit den gewichtigen - nicht überprüfbaren - Anschuldigungen, die im Rahmen der diskursiven Strategie, die Aufständischen zu Erfüllungsgehilfen deutscher Faschisten zu stempeln, erhoben wurden, erscheinen zwei weitere ins Feld geführte Unterstellungen von minderer Bedeutung. So zum einen die - auch von Poujoulat aufgeworfene - Mutmaßung potentieller Verbindungen zu afroamerikanischen Kreisen, hätten doch die Meuterer in Thiaroye sehr häufig und mit Bewunderung von den in Rechten, Sold und Prämien den weißen Amerikanern angeblich gleichgestellten schwarzen Amerikanern gesprochen und gebe es darüber hinaus für Dakar Hinweise auf zahlreiche Kontakte zwischen ehemaligen POWs und afrikanischen Hilfskräften der Marine und amerikanischen Soldaten. Zwar sei eine Fraternisierung angesichts der arroganten Haltung der Afroamerikaner, die sich ganz als Parvenüs gebärdeten [sie/], wenig wahrscheinlich, aber immerhin habe ein an die Adresse der Alliierten gerichtetes Flugblatt - mit dem Signum „poor negroes" und dem Appell „Remember Abraham Lincoln and Miss Stowe" versehen - in diesem Zusammenhang für beträchtliche Unruhe bei den „Indigenen" gesorgt, hätten sie doch an eine unmittelbar bevorstehende Intervention der Amerikaner geglaubt und seien sehr enttäuscht gewesen, dass diese ausblieb (ebd.: 33 f.). Diese „Wandersage" ist allerdings nicht so sehr aus der Luft gegriffen, wie es im ersten Moment erscheinen könnte. Sie transportiert einerseits eine spezifisch französische Variante der „imperialen Panik", ausgelöst durch die kriegsbedingte angloamerikanische Präsenz in Nordafrika, Dakar und der AEF16 sowie die bis Ende 1946 andauernde Stationierung britischer Truppenkontingente auf Madagaskar (Tronchon 1986: 22 f.). Andererseits verbreiteten sich, diversen politischen Monatsberichten aus den Jahren 1944 bis 1946 zufolge, in verschiedenen ivorischen Städten insbesondere von „senegalesischen évolués" geschürte Gerüchte, die Franzosen hätten einer Übernahme der Kolonie durch die Vereinigten Staaten zugestimmt. Und schließlich beklagten Bezirkskommandanten seit 1943 die Massenabwanderungen ivorischer Kolonialuntertanen nach Ghana und Liberia, die nicht nur vor Zwangsarbeit und Rekrutierungen für die französische Armee flohen, sondern zum Teil auch in die britische Armee einzutreten beabsichtigten (Lawler 1988: 385 f.).17
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Mit dem zweiten inkriminierenden „Beweismittel" wird schließlich die These vom negativen Einfluss des metropolitanen Milieus auf die afrikanischen Soldaten ausgekleidet. Vermutlich weiß sich der Verfasser hier im Einklang mit vielen, beschränkt er sich doch auf die knappe Mitteilung, man habe bei den Meuterern „119 lettres d'ordre intime de la part des Françaises ,esseulées'" beschlagnahmt und müsse sich angesichts dessen künftig nicht mehr darüber wundern, „si des mots peu flatteurs pour la femme blanche reviennent comme un leit-motiv dans leurs paroles lorsqu'ils sont en colère". Ob dieser Verletzung des Tabus der „weißen Frau" schlagen die Wellen der moralischen Empörung hoch: „Et combien le résultat est contraire à celui qu'on doit obtenir!" (ebd.: 31). Von hier aus wird dann in einem weiteren Schritt die Rückkehrwilligkeit der - sich vom Leben in den Metropolen angezogen fühlenden - Afrikaner generell in Zweifel gezogen: Der Impetus, mit dem die Aufständischen von Thiaroye auf Auszahlung ihres Restsoldes und Umtausch der bei sich geführten Geldsummen noch vor dem Rücktransport in die Heimat bestanden, beruhe darauf, dass sie vorgehabt hätten, in Frankreich zu bleiben bzw. sich in Dakar niederzulassen (ebd.: 41, Anm. 1; 45). Ob es sich bei dieser Äußerung lediglich um eine weitere Unterstellung handelt, mit der für koloniale Subjekte „inakzeptable" Verhaltensorientierungen angeprangert werden sollten, oder ob die Männer tatsächlich Pläne in diese Richtung verfolgten, lässt sich auf der Basis des eingesehenen Quellenmaterials nicht eindeutig klären. Denkbar wäre eine solche Option immerhin für die von de Gobineau beschriebenen Haftentlassenen, welche sich teilweise über längere Zeit in Paris oder anderen französischen Großstädten in der Illegalität durchgeschlagen hatten und/oder mit Französinnen liiert waren. Ein den Ausführungen Ladhuies vergleichbarer, besorgter bis alarmierter Tenor über die Aufsässigkeit und Unberechenbarkeit der afrikanischen Kriegsheimkehrer sowie dieselben diesbezüglich herangezogenen „Erklärungen" charakterisiert auch mehr oder weniger alle Verlautbarungen des Pariser Kolonialministeriums sowie des Generalgouvernements der AOF, die zwischen Oktober 1944 und Ende 1945 zum Thema Repatriierung und Demobilisierung zirkulierten. Symptomatisch für diese Dokumente ist darüber hinaus der Umstand, dass sich die Behördenvertreter
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ebenso wenig wie Ladhuie mit dem Kern der Problematik, den Forderungen der Repatriierten nach Gleichbehandlung mit ihren metropolitanen Kameraden, auseinandersetzten. Bereits im Rundschreiben an die Gouverneure der AOF, mit dem Generalgouverneur Pierre Cournarie am 25. November 1944 die Ankunft des ersten Kontingents ehemaliger POWs und Frontkämpfer - der späteren „Meuterer" von Thiaroye - ankündigte, wurden diese als „certains avantages d'ordre matériel" hingestellt, ein Ansinnen, das den Empfängern dieses Schreibens schon insofern abwegig erschienen sein mag, als einige Abschnitte zuvor mit Nachdruck darauf hin gewiesen wurde, que presque tous les ex-prisonniers déjà arrivés à Dakar sont possesseurs de sommes d'argent importantes (plusieurs milliers de francs, en moyenne, et parfois plusieurs dizaines de milliers de francs).18 Keine Erwähnung findet dabei sowohl die potentielle Herkunft dieser Summen, bei denen es sich, wie bereits erwähnt, vermutlich größtenteils um die während der Kriegsgefangenschaft erhaltenen Löhne handelte (siehe 2 - Ausgrenzungen, vgl. Echenberg 1978: 114),19 als auch, wie damit weiter zu verfahren sei. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang lediglich darauf, die Armeeleitung sei mit der Auszahlung von ausstehendem Sold und Demobilisierungsprämien betraut; letztere beliefen sich laut Anordnung des französischen Kolonialministeriums auf eine einmalige Zahlung von 500 Francs pro Mann.20 Ausgespart bleibt im Schreiben des Generalgouverneurs allerdings auch, dass die Männer entgegen der ministeriellen Anweisung, ihnen bereits in Frankreich 25 Prozent ihres Restsoldes auszuzahlen, bis dahin nichts erhalten hatten und - für sie noch gewichtiger - dass man kurzerhand entschieden hatte, die französischen Ex-POWs zugesprochene Haftentschädigung in Höhe von 5000 Francs - auch dies ein Beschluss, von dem sie bereits in den Übergangslagern wussten - , nicht auf Afrikaner anzuwenden. Dies zweierlei Maß wurde knapp zwei Wochen nach der Niederschlagung des Aufstandes von Thiaroye - nicht ohne den unvermeidlichen paternalistischen Unterton - damit legitimiert, eine Zuerkennung weiterer finanzieller Vergünstigungen habe keine nennenswerte moralische Wirkung auf das künftige Benehmen dieser Männer und entbehre
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überdies angesichts der beträchtlichen bereits in ihrem Besitz befindlichen Summen jeglicher Grundlage. 21 Ein Schreiben, das der für die Niederschlagung des Aufstandes von Thiaroye verantwortlich zeichnende Oberbefehlshaber der Streitkräfte der AOF, General de Boisboissel, Anfang Dezember 1944 an den Generalgou22
verneur der AOF richtete, deutet darauf hin, dass mit der Aufnahme von Verhandlungen über die Forderungen der Männer in der Tat einen Präzedenzfall geschaffen, d.h. die Legitimität der unterscheidenden rechtlichen Behandlung afrikanischer und metropolitaner Soldaten in Frage gestellt worden wäre. 23 Ohne Umschweife begründet der Militär die Verweigerung der Haftentschädigung und sonstiger „Vergünstigungen" in drei Punkten: kein Dekret sehe die Anwendung dieser per Gesetz nur Franzosen bzw. naturalisierten Franzosen zustehenden Rücklagen auf „indigene" Armeeangehörige vor, durch ihre Indisziplin hätten die Afrikaner ohnehin jeglichen Anspruch darauf bereits im Vorfeld verwirkt und überdies seien die negativen Auswirkungen nicht zu übersehen, welche der Finanzwirtschaft der AOF daraus erwüchsen, dass jene „einfachen Wesen" solch bedeutende Summen in Umlauf brächten. Die militärische Beendigung des Aufstandes von Thiaroye löste unmittelbar und mittelfristig eine Reihe verschiedener Reaktionen und Maßnahmen auf französischer Seite aus. Da es sich bei den Männern noch um Armeeangehörige handelte, welche erst nach Ankunft in ihren Heimatterritorien demobilisiert werden sollten und - wie verschiedentlich betont sich noch im Besitz von Waffen befanden, waren das militärische Kommando der Aktion und der Schießbefehl formal nicht zu beanstanden. Die sich unmittelbar anschließende Warnung des Generalgouverneurs der AOF vor jeglichem weiteren - wie auch immer motivierten - Einsatz von Gewalt sowie seine Anordnung an die Gouverneure der verschiedenen Kolonien, afrikanische Kriegsheimkehrer, insbesondere die Ex-POWs unter ihnen, strenger Überwachung zu unterziehen und die Reaktionen der Bevölkerung auf die Geschehnisse in Thiaroye zu vermelden, 24 zeugt jedoch von den Befürchtungen der Kolonialbehörden, Thiaroye könne den Auftakt zu einer generellen Destabilisierung der Lage gegeben haben. Ob sich hier allerdings bereits ein politischer Klimawechsel abzuzeichnen begann, wie Echenberg argumentiert (1991: 103), ist nach meiner Einschätzung in Fra-
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ge zu stellen. Lehnte doch eben jener Generalgouverneur auch weiterhin jegliches Zugeständnis im Hinblick auf Forderungen nach Erhöhung der Renten für afrikanische Veteranen ab (ebd.) und wurde der Generalverdacht gegenüber den Ex-POWs auch im Folgenden aufrechterhalten: En ce qui concerne les militaires et anciens militaires, il faut distinguer les rapatriés ex-prisonniers de guerre qui ont été impressionnés par les mesures de répression prises en Décembre 1944 à la suite de la mutinerie de Tiaroye, mais dont la mentalité est toujours suspecte et la troupe elle-même, dont l'attitude au cours de la même affaire a été parfaitement loyale; les ordres des Chefs ont été exécutés sans hésitation, quand il a été nécessaire de sévir.25 Diese Information des militärischen Geheimdienstes vom Frühjahr 1945 weist auf einen weiteren sensiblen Aspekt der Problematik hin, angesichts dessen eine Politik der Eindämmung gegenüber aufsässigen Kriegsheimkehrern bei gleichzeitigem Verzicht auf nackte Gewalt geboten schien. Auf dem Spiel stand also mittelfristig nicht nur die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in den Kolonien, sondern auch die Loyalität der aktiven afrikanischen Soldaten, die in diesem Zeitraum im Maghreb, in Syrien und Libanon und ab Anfang 1946 in Indochina stationiert waren, ohne jene zu vergessen, die ihren Garnisonsdienst in der AOF verrichteten, in Frankreich zur Bewachung deutscher Kriegsgefangener 26 oder in den Docks von Toulon zur Überwachung des Warenumschlags abgestellt waren (Ladhuie Mémoire ENFOM 1945/46: 29) bzw. während der Arbeitskämpfe 1947/48 u. a. in Nizza als Streikbrecher eingesetzt wurden (Clayton 1994: 5 f., Echenberg 1991: 106). Und nicht zuletzt stellten auch die bis 1946 in Frankreich aufrechterhaltenen Transitlager wie der in Fréjus befindliche Centre de Transition des Troupes Indigènes Coloniales neuralgische Punkte dar: gekennzeichnet durch die Kohabitation von Ex-POWs, ehemaligen FFT- und FFL-Kombattanten aus AOF, Madagaskar und Indochina wurde dieses Camp zwischen Oktober 1945 und April 1946 zum Schauplatz wiederholter Befehlsverweigerungen, Arbeitsniederlegungen und Hungerstreiks der vietnamesischen Tirailleurs, die darin ihre Unterstützung der Nationalbewegung des Viet Minh zum Ausdruck brachten. Hinweise auf Nachahmung bzw. Solidarisierungsprozesse seitens afrikanischer und madagassischer Insassen finden sich jedoch nicht.27
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Obgleich mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass sich die Nachrichten über die Geschehnisse in Thiaroye - auch innerhalb der aktiven Einheiten - rasch verbreiteten und, wie an anderer Stelle bereits erwähnt, bis heute feststellbare Schockwellen aussandten, kam es weder unter den dort eingesetzten Tirailleurs zu Befehlsverweigerungen oder Sympathiebekundungen mit den Aufständischen, noch scheint es im unmittelbaren Zusammenhang damit oder späterhin deswegen Disziplinprobleme mit afrikanischen Truppen in Übersee gegeben zu haben. Lag dies darin begründet, dass der Aufstand als „Meuterei" klassifiziert wurde, oder wirkten die blutige Repression und die anschließenden Prozesse vor dem Militärgericht abschreckend genug? Oder blieb der Aufstand gar, wie Mann (2000: 160) argumentiert, auf materielle Forderungen beschränkt und entbehrte somit einer eigentlich politischen Dimension, was überhaupt erst eine Plattform für die Mobilisierung anderer Interessengruppen aus den kolonisierten Bevölkerungen hätte schaffen können. Manns Warnung, die Implikationen von Thiaroye nicht zu überschätzen, ist insoweit berechtigt, als es sich bei den Akteuren von Thiaroye - entgegen späteren Stilisierungen — weder um eine antikoloniale Avantgarde gehandelt hat noch von den Ereignissen etwa eine unmittelbare Signalwirkung in Hinblick auf die Radikalisierung westafrikanischer Bevölkerungen ausgegangen ist. Dennoch markiert Thiaroye, so meine These, in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur. Wie im Folgenden auf der Grundlage von Zeugnissen aus den Reihen der Beteiligten bzw. derjenigen, die unmittelbar Kenntnis von den Ereignissen erlangten, gezeigt werden soll, verfestigten sich unter dem Eindruck der Geschehnisse zum einen die durch den Kriegsverlauf bei den Männern ausgelösten Bewusstwerdungsprozesse. Dies bestärkte sie nicht nur in ihrer Gewissheit, Frankreich habe - nun erst recht - eine Schuld ihnen gegenüber abzutragen, sondern verlieh auch ihren Vorstellungen von der frankoafrikanischen Militärgemeinschaft, der sie sich nach wie vor zugehörig fühlten, schärfere Konturen, ja erlaubte ihnen, Umfang und Verbindlichkeit der französischen Verpflichtungen präziser zu formulieren. 28 Indem diese Vorstellungen über die Gruppe der Beteiligten hinaus Verbreitung fanden und, wie das Beispiel der Senghor'sehen Verteidigungsrede verdeutlicht, in den politischen Diskurs eingespeist wurden, ließe sich schließlich davon sprechen, dass die Ereignisse von Thiaroye den politi-
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sehen Aushandlungsprozessen in der spätkolonialen Phase eine spezifische Kontur verliehen haben. Der dem besagten Kontingent von Thiaroye angehörende Ex-POW und Résistance-Kâmpfer Doudou Diallo, dessen Gefangenschaftserfahrungen bereits im vorangegangenen Kapitel thematisiert worden sind, wurde nach eigenen Angaben in der Morgendämmerung des 1. Dezember 1944 bei der Rückkehr ins Lager - er hatte die Nacht bei Verwandten verbracht - verhaftet. Ein heftiger Wortwechsel mit den wachhabenden französischen Offizieren, die ihm den Zutritt ins Camp verweigerten, wo die militärische Operation in vollem Gange war, brachte ihn in den Verdacht, einer der „Rädelsführer" der Revolte zu sein. Seine späteren Stellungnahmen belegen in der Tat, dass er sich mit den Forderungen der Aufständischen identifizierte, das Recht auf ihrer Seite sah, so bereits im unmittelbaren Zusammenhang mit den Vorfällen, als man ihn gefesselt ins Lager zurückbrachte und sich seiner angesichts der Toten fassungslosen Frage nach den Gründen ein weiterer Wortwechsel mit dem Chef der Eskorte, einem Oberfeldwebel namens Le Rouge, entspann: Il me dit: „Mais ces gens là n'ont pas peur de mourir. Toute à l'heure au carrefour vous avez dit que vous avez vu la mort devant vous cent fois sans trembler. Eux aussi ils n'ont pas peur. Ils ont trouvé la mort là." J'ai dit: „Bon, ils n'ont fait que leur devoir."29 Die Unbeirrbarkeit, mit der er fortan an dieser Überzeugung festhielt, welche ihm später dann als Präsidenten des senegalesischen Veteranenverbandes zum Motor seines Engagements für die Gleichberechtigung wurde, verkörpert sich auch in seiner prägnanten Antwort auf die Frage des Interviewers nach der Qualität der Beziehungen afrikanischer Veteranen zu Frankreich: Nous avons un contentieux avec la France. C'est sur les problèmes de droit puisque c'est eux qui nous avaient conduits à subir le sort que vous connaissez à Thiaroye. C'est toujours les mêmes problèmes qui nous opposent à la France, ce sont les problèmes de droit. Nous avons toujours considéré que nous nous sommes battus à côté de nos camarades français sur de divers champs de bataille et les droits doivent d'être les mêmes étant donné que les balles, la balle qui tue ne fait pas distinction entre le blanc et le noir.30
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Nach Darstellung des - oben ebenfalls bereits präsentierten - ehemaligen FFL-Kombattanten Mamadou Watt, der im Dezember 1944 in Frankreich noch auf ein Transportschiff nach Dakar wartete, habe die Nachricht von den Ereignissen in Thiaroye unter all jenen, die in derselben Lage waren wie er, Ungeduld und Verbitterung weiter geschürt. Und: „on n'a jamais pensé que l'ingratitude de la France irait jusqu'à ce plan." 31 Sein Kamerad, der bereits 1943 aus deutscher Kriegsgefangenschaft entlassene und nach Dakar zurückgekehrte Cheikh Oumar, erinnert sich, man habe damals sofort erfahren, worum es sich handele, und überall darüber diskutiert, sei aber wegen der strengen Abriegelung der gesamten Umgebung nicht bis zum Camp gelangt, von wo man nur die Schüsse gehört habe. Und: „On voyait beaucoup de troupes qui étaient en alerte, qui dépendaient de la France. Pour rejoindre, croyant certainement la population allait se soulever lors de ce massacre-là." Überlebende aus dem Lager aber hätten ihnen hinterher erzählt, man habe doch nur das ihnen von Rechts wegen zustehende und bei Ankunft in Dakar versprochene Geld gefordert. 32 An seine gemischten Gefühle bei der Ankunft in Dakar im Januar 1946 erinnert sich schließlich auch der voltaische FFL-Kombattant und médecin indigène Joseph Conombo. Fast genau ein Jahr und ein Monat sei seit dem Drama verstrichen gewesen, die „Geschichte noch in aller Munde". Die „durch nichts zu entschuldigende Erschießung" habe eine „schwer zu verheilende Wunde" gerissen, einen „unauslöschlichen Schandfleck" hinterlassen: „Dommage pour cette fraternité d'armes que nos anciens de 14-18 et les combattants de 39-45 avaient su faire naître entre noirs et blancs!" (Conombo 1989: 100, meine Übersetzung). Seine ob des kategorischen Verbots, sich bereits in Frankreich demobilisieren zu lassen, um an der 33
medizinischen Fakultät in Paris studieren zu können, ohnehin schon getrübte Stimmung sank noch tiefer, als er bei Verlassen des Schiffes des militärischen Kommandos ansichtig wurde, welches sie mit Gewehren im Anschlag empfing. Die Ankömmlinge wurden zur „Desinfektion" ihres Gepäcks eskortiert und während eines ganzen Vormittags „wie Gefangene" bewacht, bevor man sie nach Thiaroye brachte. Von dort verteilte man sie noch in der Nacht auf Lastwagen oder setzte sie in Züge Richtung Heimat, so dass sich am nächsten Morgen von ursprünglich 600 Männern nur noch
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knapp 100 im Lager befanden (ebd.: 101). Offensichtlich hatte die französische Kommandoleitung ihre Lektion gelernt.34 Inzwischen gewann aber auch die Bewegung zur Rehabilitation der „Meuterer" an Breite, was in Anlehnung an diesbezügliche Stellungnahmen von Doudou Diallo maßgeblich darauf zurückzuführen sein könnte, dass die Beteiligten selbst ihre Forderungen an Interessenverbände und afrikanische Abgeordnete des französischen Parlaments herantrugen. Diallos Schilderungen illustrieren auf eindrückliche Weise, wie mit der Aufnahme politischer Lobbyarbeit auf mehreren Ebenen schließlich die Freilassung und Amnestierung der Häftlinge erreicht werden konnte. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Frühsommer 1946 sei es ihm gelungen, die Unterstützung der Dakarer Sektion der am 7. Oktober 1945 gegründeten Association des Anciens Combattants et Victimes de Guerre de l'AOF, AACVGAOF, zu gewinnen, welche ihrerseits in dieser Sache an den französischen Dachverband, die Fédération Nationale des Anciens Combattants et Victimes des deux Guerres herangetreten sei. Parallel dazu habe die Verbindung zu Lamine Guèye, der ihn ebenso wie die anderen Angeklagten als Anwalt vertrat, und zu Léopold Senghor, dem Abgeordneten der - so Diallo wörtlich -Tirailleurs und indigènes, auch insofern eine wichtige Rolle gespielt, als durch deren Vermittlung eine gemeinsame Audienz beim französischen Staatspräsidenten Vincent Auriol und dem Minister für das überseeische Frankreich, Marius Moutet, zustande gekommen sei, anlässlich derer Hergang und Hintergründe des Geschehens frei heraus dargestellt werden konnten. Im unmittelbaren Anschluss an diesen Empfang seien dann Maßnahmen zur Amnestie der Männer von Thiaroye eingeleitet worden.35 Diallo selbst tritt möglichen Einwänden, hier werde aus der Perspektive eines damaligen Akteurs eine späte Erfolgsgeschichte der Männer von Thiaroye konstruiert, entgegen, indem er von den im Vorfeld der Audienz vor allem von älteren Veteranen aufgeworfenen heftigen Einwänden berichtet, es sei nicht opportun, mit solchen politischen Forderungen an die Repräsentanten Frankreichs heranzutreten. Erst seine - von der Gruppe der „jüngeren" Veteranen unterstützte - Drohung, den Empfang zu sabotieren, habe den Weg dahin letztlich frei gemacht. Keinen Zweifel lässt er im Übrigen auch daran, dass mit der im Juni 1947 von Staatspräsident Auriol
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unterzeichneten Amnestie nur ein partieller Erfolg erzielt wurde. Abgesehen davon, dass man über das weitere Schicksal der unmittelbar nach ihrer Freilassung in die Heimatkolonien verbrachten Männer nichts mehr erfahren habe, seien mit Ausnahme der erfolgten Auszahlung des Restsoldes keine ihrer weitergehenden Forderungen erfüllt worden. Außer Frage steht auch, dass alle seinerzeit aktiven Lobbygruppen auf ihre Weise und unter Maßgabe ihrer jeweiligen Interessen beim Zustandekommen der Amnestie mitgewirkt haben, angefangen bei der unter Initiative Senghors von den afrikanischen Vertretern in der verfassungsgebenden Versammlung geführten Kampagne für ein Amnestiegesetz (Echenberg 1978: 122 f.) über diesbezüglich von der Sektion Dakar-Rufisque der AACVGAOF bei Übersee-Minister Moutet unternommenen Vorstöße zur Begnadigung 36 bis hin - wenn man so will - zu der Ende 1946 erfolgten Ablösung von General de Boisboissel als Oberkommandierender der Streitkräfte in der AOF (ebd.: 123). Und sicherlich ist dabei auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die hier erwähnten Interessengruppen, um mit Echenberg (1991: 103) zu sprechen, vor dem Hintergrund der veränderten strukturellen Ausgangslage ein Jahr nach Ende des Krieges und im Rahmen der im November 1946 gegründeten 4. Republik über ungleich bessere Voraussetzungen zur Verhandlung verfügten, als es noch Ende 1944 der Fall gewesen war. *
In den im Zusammenhang mit der Repatriierung der ersten Kontingente afrikanischer Frontkämpfer und Ex-POWs aufgetretenen Vorfällen zeichneten sich, wie in einem Brennglas gebündelt, bereits die Hauptlinien der Auseinandersetzungen ab, wie sie in den folgenden fünfzehn Jahren um das politische Gemeinwesen frankoafrikanischer Prägung im Allgemeinen und um die Stellung afrikanischer Veteranen innerhalb der frankoafrikanischen Militärgemeinschaft im Besonderen geführt werden sollten. Einzelne Aspekte dieser Auseinandersetzung werden im fünften Kapitel näher betrachtet. Wie die Gegenüberstellung der von den Konfliktparteien jeweils herangezogenen Erklärungsmuster für Unruhe und Aufbegehren unter den Kriegsheimkehrern gezeigt hat, waren Wahrnehmung und Bewertung die-
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ser Ereignisse untrennbar mit den Positionen verknüpft, welche die Kontrahenten im kolonialen Kräftefeld einnahmen, was auch potentielle künftige - im Sinne von wünschenswerten - Positionen einschloss. Unter dieser Prämisse wurden die Forderungen der Soldaten, die hinter den Zwischenfällen in französischen Übergangslagern, insbesondere im Lager von Thiaroye, standen, aufseiten metropolitaner und kolonialer Behörden delegitimiert, ungeachtet dessen, ob man sie nun als punktuelle Störungen oder Vorzeichen für eine drohende politische Destabilisierung der Lage in den Kolonien interpretierte. Demgegenüber ordneten die Protagonisten jener Aktionen ihr Aufbegehren in einen durch Meriten und Reziprozität gekennzeichneten Legitimationszusammenhang ein, dessen Gültigkeit weder sie noch die Primäroder Sekundärzeugen der Geschehnisse bis heute in Frage stellen.37 Dies implizierte eine Grenzüberschreitung in mehrfacher Hinsicht. Als Armeeangehörige stellten sie sich außerhalb des dual strukturierten Systems von Befehl und Gehorsam und hatten als „Meuterer" entsprechende Sanktionen zu gewärtigen. Als Kolonialuntertanen betraten sie die Arena der politique, für sie gleichbedeutend damit, Auseinandersetzungen mit den Kolonialbehörden zu führen, Forderungen erheben und gegebenenfalls durchsetzen zu können bzw. Anschlüsse an Interessengruppen und politische Parteien zu suchen, welche ihr Anliegen vertreten (siehe im Folgenden 5 - Veteranen und politische Parteien).
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Gaston Monnerville in Journal Officiel, Assemblée Consultative Provisoire (JOACP) 39,15.5.1945, S. 1049, hiert zit. n. Shipway 1996: 88. Zu den hier nicht näher auszuführenden Kompetenzen, welche den jeweiligen Territorien der Union durch die Verfassung von 1946 in abgestufter Form zugebilligt worden sind, siehe Shipway 1996: 43-46 und Clayton 1994: 14 f. Unter Berücksichtigung der Lage Indochinas - unter Vichy treuer Verwaltung und stark von Japan bedrängt - begrenzten sich die Zuständigkeiten der Konferenz auf die Erörterung der Zukunft des subsaharischen Afrika (vgl. Bouche 1991: 380-382; 390). Zur Rolle de Gaulles bei der
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Konferenz siehe auch Bourgi 1980: 112-127. „Défense de l'Afrique Noire" wurde in der Julinummer der Zeitschrift Esprit abgedruckt, im direkten Anschluss an die ebenso flammende, vom ehemaligen Gouverneur der Kolonie Soudan und Direktor der ENFOM, Robert Delavignette, verfasste - und Senghor gewidmete Eloge für die Union Française (Delavignette 1945). Diese Abfolge dürfte wohl kaum zufälliger Natur gewesen sein, wie die zahlreichen intertextuellen Bezüge zwischen den beiden Beiträgen zeigen. Bei aufmerksamer Lektüre wird deutlich, wie Senghor Punkt für Punkt Delavignettes euphorisierende Darstellung dekonstruiert und deren unterschwelligen patemalistischen Duktus entlarvt, indem er sie mit Fakten und Wahrnehmungen aus der „Kolonie" konfrontiert. Diese im Original hervorgehobene Forderung kennzeichnet Senghor als Zitat aus einer - von ihm nicht namentlich genannten - senegalesischen Zeitung. Zusammen mit dem Dahomeer Souri Migan Apithy gehörte Senghor dieser Kommission an, welche der im Oktober 1944 gebildeten französischen Übergangsregierung von Charles de Gaulle (Gouvernement Provisoire de la République Française, GRPF) beratend zur Seite stand. Aus Enttäuschung über das Scheitern des einheitlichen Wahlrechts trat Senghor im Frühsommer 1945 aus der Kommission aus (Vaillant 1990: 198). Zur GPRF siehe Bouche 1991: 392-394. Laut Anordnung vom 22.8.1945 wurde eine in zwölf Kategorien unterteilte Liste erstellt, auf deren Grundlage die Wahlberechtigten aus der Gruppe der non-citoyens zu ermitteln waren. Dazu gehörten u. a. Angestellte und Beamte der Kolonialadministration, évolués, d.h. Absolventen der höheren Bildungseinrichtungen in der AOF und Kriegsveteranen. Die heftig umstrittene Frage der Wahlberechtigung von Frauen Französinnen wie Bürgerinnen der quatre communes, für weibliche Nicht-Bürgerinnen stellte sich dieses Problem gar nicht erst - löste im Sommer 1945 einen Eklat aus. Dank des Einsatzes verschiedener politischer und Frauenrechtsgruppen wurde schließlich ein doppelter Kompromiss getroffen, das den Französinnen in der Metropole im Februar 1945 erstmals zugestandene Wahlrecht auf die Bürgerinnen der AOF und Togo ausgedehnt. Zur Auseinandersetzung um das Frauenwahlrecht in der AOF siehe Lacroix & Mbaye 1976. Den Begriff der „Zweiheit" verwenden Jeanneney & Beuchot (1997), deren brillante filmische Biographie Senghors mich zu den folgenden Ausführungen inspirierte. Auf der Basis von historischem Filmmaterial und Interviews mit verschiedenen Zeitgenossen Senghors, darunter sein ehemaliger Premierminister Mamadou Dia, Magatte Lo (ehem. Minis-
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Kapital 3 ter) sein politischer Kontrahent Majhemout Diop und Pierre Messmer, zeichnen die Autoren ein prägnantes und kritisches Porträt dieses vielschichtigen und ambivalenten Intellektuellen, Politikers und Staatsmanns und werfen damit gleichzeitig ein Schlaglicht auf verbindende Elemente wie Konfliktlinien zwischen den Protagonisten dieser Generation des Übergangs, ihre widerstreitenden Projekte der künftigen Nation und die beiden ersten Dekaden nach der Unabhängigkeit Senegals. Dieser Abriss beschreibt die historische Ausgangslage unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Wie sich die Positionen innerhalb des politischen Spektrums der AOF im Verlauf der 1940 und 1950er Jahre weiterentwickelten, wird im fünften Kapitel eingehender erörtert. Capitaine Louis Copère, Le problème des anciens combattants en Afrique noire. Importance de leur rôle politique et social. Le problème des réserves, o. O., o. J., um 1953 [Centre Militaire d'Information et de Spécialisation pour l'Outre-Mer, ANS bibliothèque et documentation], S. 8. Poujoulat (Évolution de la mentalité des tirailleurs Sénégalais .... in: CAOM, 3 Ecol/56/9) listet u. a. auf: den Überfall auf eine Bäckerei in Cherbourg im November 1944, Übergriffe auf die Zivilbevölkerung in England im November 44 (hier handelt es wahrscheinlich um Ereignisse, die im Zusammenhang mit der „Zwischenlagerung" von 400 afrikanischen Repatriierungsfähigen im Camp von Monshire bei Liverpool standen; siehe dazu Echenberg 1991: 100), Meutereien in Hyères, Toulon, La Valette und Trier (ebenfalls im November 44), Meutereien und Plünderungen in Mont-de-Marsan, Agen und Agde im Januar 1945, eine Schlägerei zwischen Antillanern und „Senegalesen" mit einem Toten und 19 Verletzten im Juli 45 sowie eine drei Todesopfer fordernde Auseinandersetzung zwischen „Senegalesen", einer Militärpatrouille und der örtlichen Gendarmerie in Fréjus im August 1945 (höchstwahrscheinlich identisch mit dem von Echenberg erwähnten Aufstand von 300 „Senegalesen" in St. Raphaël, dessen Niederschlagung zwei Zivilisten das Leben kostete, ebd.: 103). Zu erwähnen sind hier auch die schwerwiegenden Vorfälle im Sammellager von Morlaix, wo im Dezember 1944 das Feuer auf afrikanische Soldaten eröffnet wurde, was 17 Schwerverletzte unter ihnen forderte (erwähnt von Paul Ladhuie, Etat d'esprit des troupes noires consécutif à la guerre 1939-1944, Mémoire ENFOM, 1945/46, in: CAOM 3 Ecol/53/9, S. 9 f.). Ladhuies Abschlussarbeit für die ENFOM stellt ebenso wie diejenige Poujoulats vor dem Hintergrund der für den Zeitraum vom Herbst 1944 bis Kriegsende ausgesprochen dürftigen Quellenlage eine wertvolle Informationsquelle für die Vorfalle in den Übergangslagern dar. Da ihm
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nach eigenem Bekunden für deren Abfassung u. a. Dokumente aus verschiedenen Abteilungen des französischen Überseeministeriums zur Verfügung standen, ist anzunehmen, dass sein Aufsatz nicht nur seine persönliche Sichtweise der Dinge widerspiegelt. Tatsächlich schrieb das Generalgouvernement der AOF die vollständige Verantwortung für die im Oktober und November 1940 aufgetretenen Zwischenfälle in Kankan, Kindia (Guinea) und Dédougou (Obervolta bzw. Côte d'Ivoire), seinerzeit den afrikanischen Kriegsheimkehrern zu. Siehe dazu Echenberg 1978: 112 f. und, für eine detaillierte Erörterung der Ereignisse von Kindia, Mann 2000: 150 f. Zumindest in diesem Fall waren eindeutig die chaotischen Umstände der Rückführung von Kombattanten, deren lange Wartezeiten im Lager von Kindia und die ungeklärte Frage des ausstehenden Soldes Auslöser der Unruhen, welche dann durch die Verhängung drakonischer Strafen sanktioniert wurden. Während Echenberg (1978: 125) von einem „geplanten und vorbedachten" Ausstand spricht, der im Sinne eines Arbeitskampfes verstanden werden sollte, beurteilt Mann (2000: 160) die „Meuterei" zwar nicht als eine isolierte, aber dennoch weitgehend spontane Aktion, motiviert durch rein materielle Belange der Heimkehrer, die erst im Nachhinein durch die Intervention senegalesischer politischer Aktivisten eine politische Dimension erhalten habe. Die Frage, ob diffamierende Unterstellung oder Indiz für die Infiltrierung, ist in diesem Falle besonders interessant, wurde der aus Guinea oder Soudan stammende Karimou Sylla in den uns zugänglichen Berichten über die Ereignisse doch als besonders militanter „Meuterer" bezeichnet (Echenberg 1978: 117). Ob es sich um den Kopf der Aufständischen handelte, wie Kamian angibt (2001: 330), lässt sich nicht sagen. Wie Echenberg weiter ausführt, waren unter den 18 verurteilten „Rädelsführern" sechs Guineer, vier Malier, zwei Voltaer, zwei Ivorer, drei Senegalesen und ein Dahomeer; wobei lediglich die vier Letzteren aus dem städtischen Milieu stammten (Echenberg 1978: 117). Bestätigt durch einen vertraulichen Bericht des französischen Kolonialministers Paul Giacobbi an die Gouverneure der AOF vom 20.10.1945 (hier zit. nach Lawler 1988: 386). Ein prominentes Beispiel für einen solchen Flüchtling ist der aus der Kolonie Niger stammende Hama Kim, der in Kano in die Royal West African Frontier Force eintrat und später hoher Offizier in der nigerianischen Armee wurde. Zu seiner Biographie siehe Graham 1985. ANS 2 D 29, V 28 (Démobilisation, rapatriement, état d'esprit des anciens tirailleurs 1941-1948): Circulaire GG AOF, 25.11.1944, Be-
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Kapital 3 treff: Rapatriement des tirailleurs anciens prisonniers de guerre. Echenberg weist zu Recht darauf hin, dass 20 000 Francs 1944 in jeder Hinsicht eine beachtliche Summe darstellten, deren Besitz in 1976 umgerechnet etwa 1 800 DM gleichgekommen wäre. Der durchschnittliche Jahreslohn eines westafrikanischen Lohnarbeiters lag vor 1945 bei etwa 1 920 Francs. Eine Reihe von Männern erwirtschafteten vor ihrem Abtransport nach Dakar größere Summen durch Schwarzmarktaktivitäten, indem sie z.B. US-amerikanische Zigaretten, Schokolade und Uniformen umsetzten (siehe Lawler 1988: 474). Ebd.: Dépêche ministérielle, 31.10.1944, Ministre des colonies an GG AOF, Betreff: Rapatriement en A.O.F. des tirailleurs anciens prisonniers de guerre. Die im selben Schreiben angeordnete Ausstattung jedes Repatriierten mit einer Garnitur Zivilkleidung wurde wahrscheinlich mangels Ressourcen nicht durchgeführt, den Heimkehrern vielmehr die Uniform, welche sie bei Ankunft in Dakar trugen, überlassen. Ebd.: Vertrauliches Schreiben GG AOF an Ministre des colonies, 13.12.1944, und Rundschreiben GG AOF an Gouverneure AOF, 14.12.1944. Im etwa 1946 angefertigten Bericht über den Hergang der Ereignisse war der Streitgegenstand völlig in den Hintergrund gerückt. Hier wird nur noch von einer von den Männern geforderten ominösen „prime d'arrivée" in Höhe von 5 000 Francs gesprochen und dass man nicht wisse, wer ihnen diesbezüglich Hoffnung gemacht habe, sie nach ihrer Ankunft in Dakar zu erhalten (ANS 4 D 72, V 100: Sur les incidents de Thiaroye, undatiertes, unsigniertes Schriftstück mit dem Vermerk „vertraulich"). ANS 4 D 68, V 89: Lettre Général de corps d'armée, de Boisboissel, commandant supérieur des troupes de l'AOF an GG AOF, 8.12.1944, Betreff: attribution d'une pécule aux militaires indigènes ex-prisonniers et rapatriés. Im Wortlaut wiedergegeben in Kamian 2001: 326. Selbst wenn man die faktischen materiellen und logistischen Engpässe sowie das administrative Chaos, das Ende 1944 geherrscht haben mag, in Anrechnung bringt, dürfte dieses Problem kolonialen wie metropolitanen Entscheidungsträgem mehr oder weniger klar vor Augen gestanden haben. ANS 2 D 29, V 28: Lettre GG AOF an Ministre des colonies, 07.12.1944, und circulaire GG AOF an Gouverneure der AOF, 14.12.1944. ANS 5 D 203, V 100: Bulletin de renseignments 1944-45. Hier: Bulletin Nr. 16/22.-28.3.1945. Dieses geheimdienstliche Bulletin wurde vom Generalstab der Verteidigung, Abteilung Afrika, in Algier wöchentlich herausgegeben; in ihm wurden alle Vorfälle notiert, welche Fragen der
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inneren und äußeren Sicherheit berührten. Derselbe Tenor herrscht jedoch auch in den von der Kolonialadministration in Auftrag gegebenen zivilen Spitzelberichten aus verschiedenen Territorien der AOF und lässt sich hier bis 1946-47 beobachten. Eine größere Anzahl dieser „renseignements", deren früheste auf die Vichyzeit datieren, befinden sich in ANS 2 D 29, V 28. Auf die in 1946/47 erhobenen Informationen wird im Rahmen der politischen Aktivitäten von Veteranen (siehe 5. Kapitel) näher eingegangen. Der senegalesische Veteran Moussa Faye war ein Jahr lang in Monte Carlo und neun Monate in Ayen (Agen?) zur Bewachung von Gefangenen eingesetzt (M.F., Jahrgang 1942, Gandigal 26.6.1987, im Interview mit Manfred Prinz und Alioune Dione, Original in Wolof, französische Übersetzung Aziz Hane, Filmaufnahme VHS, Original im Archiv der Universität Bayreuth). Ebenso der Ivorer Tuo Nanzegue (Jahrgang 1934, Ex-POW, Takplaha/Korhogo 18.2.1986 in Lawler 1988: 946), der allerdings anmerkt, man habe sie später davon entbunden, aus Furcht, sie könnten sich für das ihnen zugefügte Unrecht revanchieren. Zum entsprechenden Befehl des Oberkommandos siehe auch Lawler 1988: 465 f. CHETOM 16 H (vorübergehende Klassifizierung), Dossier: Journal de Marche du Centre de Transition Nr. 4, 1.4.1943-16.7.1946. Die Bezeichnung dieses Lagers wurde zwischen 1943 und 1946 mehrfach geändert. Damit greife ich einen Gedankengang auf, den Mann bezüglich der in den Praktiken und Monumenten öffentlichen Gedenkens deutlich werdenden konkurrierenden Auffassungen von der frankoafrikanischen Militärgemeinschaft formuliert (2000: 128). Verfilmtes Interview mit Doudou Diallo, Dakar 16.4.1987, durchgeführt von Manfred Prinz und Papa Samba Diop (Transkription B.R., Filmaufnahme VHS, Original im Archiv der Universität Bayreuth). Diese sowie alle hier folgenden Stellungnahmen Diallos sind nicht im veröffentlichten Auszug (Riesz & Schultz 1989: 261-264) enthalten. Doudou Diallo im Gruppeninterview vom 29.4.1987 in Dakar (durchgeführt von Manfred Prinz und Papa Samba Diop, Transkription B.R., Filmaufnahme VHS, Original im Archiv der Universität Bayreuth). Mamadou Watt im selben Interview. Er kehrte erst nach Kriegsende nach Dakar zurück. Cheikh Oumar im selben Interview. Mit diesem Statement übernimmt er ohne Abstriche die Version der Aufständischen, der zufolge die leeren Versprechungen der Franzosen damals eigentlicher Auslöser der Eskalation waren. Man habe die Männer von einer Station zur nächsten
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Kapital 3 immer wieder vertröstet und ihnen schließlich zugesichert, sie erhielten „ihr ganzes Geld" in Dakar. Wie mehrere seine Kameraden aus den Sanitätseinheiten hatte er den Plan verfolgt, mit dem französischen Abschluss später als Arzt praktizieren zu können - sein Dakarer Diplom berechtigte ihn dazu nicht (Conombo 1989: 99 f.). Für den Sanitätsoffizier Conombo hatte die Sache allerdings noch ein unangenehmes Nachspiel. Er bestand auf einem Gespräch mit dem Direktor des Service de Santé der AOF, dem er seine Bitte um eine Rückkehr nach Frankreich zum Studium vortrug. Sie wurde ihm nicht nur abschlägig beschieden, sondern auch zum Anlass genommen, ihm seine früheren Verstöße gegen die Armeedisziplin erneut vorzuhalten. Als „Hitzkopf' und „meneur anti-Français" schob man ihn schließlich nach Ouagadougou ab (Conombo 1989: 102 f.). Doudou Diallo im Interview vom 16.4.1987. Diese Audienz fand im Rahmen eines Staatsbesuchs von Auriol und Moutet in der AOF statt. ANS 4 D 72, V 100 - Anciens combattants 1947, Dossier: Fédération des Anciens Combattants et Victimes de Guerre de l'AOF, Rapport de l'Assemblée Générale du 18 mai 1947, S. 13 f. Keine Zweifel an der Legitimität des Aufstandes hatten z.B. auch die beiden von mir am 5.3.1999 in Ouagadougou interviewten Veteranen des Indochina- bzw. Algerienkriegs, L.D. und R.K., die ihre Gedanken über die Hintergründe des Geschehens von Thiaroye zum Ausdruck brachten. So L.D.: „Les gens sont fatigués avec vous. Maintenant ils ont eu la chance, ils ne sont pas morts à la guerre. Maintenant ils veulent partir chez eux et puis vous les tuez? [R.K.: Sans droit.] Sans droit. Parce que ils réclament leurs droits."
KAPITEL 4
Postmilitärische Lebensverläufe Nos compatriotes qui sont dans les villages aujourd'hui, c'est pas des compatriotes comme nous parce que nous, avec l'attitude qu'on a vue dans l'armée là, ça nous a rendu service et vraiment on est toujours en actif par rapport à nos confrères qui sont aux villages. Ce que nous, on peut faire aujourd'hui, eux ils peuvent pas le faire. Donc c'est grâce à l'attitude de l'armée. Vraiment ça nous rend un ... grand service. Voilà!1 Die Wiedereingliederung ins zivile Leben unter kolonialen Bedingungen stellte die Kriegsheimkehrer vor zahlreiche Probleme verschiedenster Art, denen sie mit der Entwicklung diverser Strategien begegnet sind, um sich wieder zurecht zu finden, einen Status zu erringen, den sie ihren Lebensumständen für angemessen hielten, und auf deren Grundlage sie Optionen auf die Zukunft aufnahmen. Inwiefern sich ihre Lebensweisen und Verhaltensmaßstäbe, wie in der oben angeführten Selbstbeschreibung eines ehemaligen Oberfeldwebels und Vétérans des Indochina- und Algerienkriegs postuliert, von denjenigen der Daheimgebliebenen unterschieden haben und in welchem Maße sich darin ein weitergehendes soziales und kulturelles Wirkungspotential entfaltete, wird im Folgenden diskutiert. Einen ungefähren Anhaltspunkt zur zahlenmäßigen Stärke voltaischer Veteranen sowie der Hinterbliebenen von Soldaten der beiden Weltkriege gibt die nachfolgende Aufstellung, die auf den bis 1952 von den französischen Militärbehörden bearbeiteten und positiv beschiedenen Ansprüchen auf Pensions-, Renten- und Entschädigungszahlungen für ehemalige Soldaten bzw. deren Rechtsnachfolgerinnen basiert. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die - hier in den beiden letzten Zeilen der Liste aufgeführten - sehr hohen Zahlen der seinerzeit noch in Bearbeitung befindlichen bzw. noch nicht untersuchten Fälle. Bezieht man diese mit ein, so ergibt sich für die Kolonie Obervolta im Zeitraum 1950-52 eine geschätzte Gesamtzahl von etwa 56 878 Veteranen bzw. Hinterbliebenen von Soldaten (Summe der schattierten Felder, vgl. Echenberg 1991: 160, Tabelle 9.2). 2
256
Kapitel 4
Tabelle 1: Veteranen und Hinterbliebene von Soldaten in Obervolta, 1952 Kategorien
1914-1918 & TOE
Familien von Gefallenen, Vermissten & verstorbenen Pensionsempfängern
Gesamt
26 031 (Liger 1950)
Anciens Militaires'
Anciens Combattants
1939-1945
1950-
5010 (Liger 1950)
1401 (OAC 1952, inkl. Kombattanten im Ruhestand) 4
8405 (1952, Echenberg 1991))
1524 (Liger 1950)
Ex-POWs
1875 (OAC 1952)
Kriegsinvaliden
959 (OAC 1952)
Kriegswaisen (inkl. „Waisen der Nation'')
369 (OAC 1952)
Witwen
82 (OAC 1952)
Eltern verstorbener Soldaten
296 (OAC 1952)
noch in Bearbeitung befindliche Fälle
14 833 (Liger 1950)
noch nicht untersuchte Fälle (geschätzt)
9480 (Liger 1950)
Quellen: CAOM äff pol 2217, B 9, Chemise 3, Rapports Office des Anciens Combattants de l'AOF et du Togo, Rapport annuel 1952; CAOM äff pol 2219, Chemise 4, „Mission Liger", Rapport d'ensemble, Dakar 20.5.1950 (bilan de prospection concernant l'ensemble des Territoires de l'AOF au 15 mai 1950); Echenberg 1991: 128, Tabelle 8.1, und ebd.: 160, Tabelle 9.2. In diesem Zusammenhang ist schließlich auch auf die äußerst niedrigen Zahlen der Hinterbliebenen (Witwen, Waisen, Eltern von Soldaten) hinzuweisen, die dem Jahresbericht 1952 des Office des Anciens Combattants et Victimes de Guerre de l'AOF et du Togo (hier gekennzeichnet als OAC 1952) entnommen sind. Wie in verschiedenen Berichten des Office seinerzeit schon angemerkt, betrafen diese nur einen sehr geringen Teil der ent-
Postmilitärische
Lebensverläufe
257
sprechenden Personengruppen, was zum einen auf die Unkenntnis der großen Mehrheit hinsichtlich ihrer potentiellen Rechtsansprüche, zum anderen aber auch auf die für die Betroffenen undurchschaubaren administrativen Erfordernisse sowie die äußerst schleppende Bearbeitung der Dossiers zurückzuführen war 5 (siehe auch 5 — Veteranen und die merepatrie). Ebenso schwierig wie eine präzise numerische Erfassung erweist sich die auf das verfügbare Archivmaterial gestützte Rekonstruktion des Privat- und Familienlebens westafrikanischer Veteranen. Militärische und zivile Behörden interessierten sich, wie im folgenden Kapitel noch zu zeigen ist, in erster Linie für die politische Relevanz dieser Gruppe, die man sich als loyale Garanten der kolonialen Ordnung zu erhalten suchte und deren Mobilisierungspotential hinsichtlich der Zersetzung staatlicher und lokaler Autorität man gleichzeitig fürchtete. In vergleichbarer Weise durch strategische Interessen und ideologische Vorbehalte überformte Gruppenporträts erhalten wir auch aus den Quellenmaterialien westafrikanischer Parteien und Bewegungen der Dekolonisation, deren Repräsentanten die Veteranen als Massenbasis politischen Protestes und Wählerpotential zur Umsetzung der Unabhängigkeitsbestrebungen fokussierten. Und schließlich treten uns in den Schriften und Korrespondenzen der katholischen Mission ehemalige Soldaten mal als Vorreiter christlicher Lebensführung und Multiplikatoren zivilisatorischer Werte, mal als brutale Störer frommer Lebensart entgegen. In all ihrer Ambivalenz und Uneinheitlichkeit geben diese Porträts durchaus Aufschluss über Lebensstrategien von Veteranen, insofern sie belegen, wie sich die von verschiedener Seite Umworbenen bis zu einem gewissen Grad empfänglich für die in sie gesetzten Hoffnungen und Verhaltensanforderungen zeigten bzw. die ihnen angebotenen Interessenbündnisse für die Bewältigung ihrer mit der Wiedereingliederung ins zivile Leben verbundenen materiellen und sozialen Probleme nutzten. Aber ebenso wenig, wie die Veteranen willens bzw. in der Lage waren, die Distanz, die sich im Zuge ihrer Abwesenheit und ihrer „fremden" Erfahrungen zwischen sie und ihre Familien geschoben hatte, zu überspringen und umstandslos in ihrem Herkunftsmilieu aufzugehen, so sehr enttäuschten sie durch ihre praktische Lebensführung und ihren „Eigensinn" häufig auch solche weit gespannten politischen und sozialen Erwartungen bzw. betrie-
258
Kapitel 4
ben Lebens- und Zukunftsplanung auf ihre eigene Weise, wie aus den verschiedenen Lebensberichten hervorgeht. Obgleich diese Eigenzeugnisse wertvolle Korrektive der von Projektionen und Stereotypen gekennzeichneten externen Quellen darstellen, sind sie aufgrund ihrer - gelebtes und in der Erinnerung überdies mehrfach gefiltertes Leben allgemein kennzeichnende - Kontingenz nur bedingt verallgemeinerbar. Wie bereits in früheren Bearbeitungen der Thematik festgestellt (siehe Reinwald 2000: 240 und 2001: 210 f.), lassen sich angesichts multipler Identitätskonstruktionen und sehr heterogener, sich in ein und derselben Person vereinigende Handlungs- und Verhaltensorientierungen, sowohl was die Bereiche Ehe und Familie als auch weiterreichende soziale und politische Aktivitäten von Veteranen betrifft, lediglich Tendenzen und Facetten aufzeigen, aus denen ich auf einen bestimmten, sich von dem anderer sozialer Gruppen unterscheidenden Lebensstil des ancien combattant schließe. Dass sich dahinter individuell äußerst unterschiedlich ausgeprägte persönliche Biographien verbergen können, mag bereits die Lektüre der im Anhang beigegebenen Interviewtranskripte zeigen.6 Eingedenk der Mikrountersuchungen eigenen - und auch im vorliegenden Falle zutreffenden - Problematik, aus einer vom Umfang her begrenzten und heterogenen Datenlage zu generalisierenden Aussagen zu gelangen, können die folgenden Ausführungen keine die Kolonie Obervolta als Ganzes betreffende Gültigkeit beanspruchen, sondern lediglich Auskunft über Lebensverläufe verschiedener Jahrgänge von Veteranen im städtischen Milieu von Bobo-Dioulasso im Südwesten sowie im semiurbanen Umfeld der Lokalitäten Torna und Tougan im Westen der Kolonie geben. Im Gegensatz zu meinen früheren Bearbeitungen zum Thema Privat- und Familienleben voltaischer Kriegsveteranen, die sich noch fast ausschließlich auf Lebensberichte ehemaliger Soldaten und anderer Augenzeugen stützten, ist es nunmehr dank der inzwischen erschienenen hervorragenden Studie zur kolonialen Stadtentwicklung von Ouagadougou und Bobo-Dioulasso von Fourchard (2001), erstmals möglich, diese Ergebnisse in einen größeren strukturellen Zusammenhang einzuordnen. Damit ist bereits der „rote Faden" genannt, an dem sich dieses Kapitel orientiert, die Attraktivität, welche das Urbane auf Kriegsheimkehrer ausübte und sie dazu bewog, sich als „Neubürger" an städtische Lebensweisen
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259
anzupassen, ein Integrationsprozess, der gleichzeitig durch die materielle und symbolische Umformung städtischer Lebensräume gemäß der Bedürfnisse, informellen und intentionalen Lebensstrategien dieser Gruppe gekennzeichnet war.
Familiäre Strategien In Übereinstimmung mit den Untersuchungsergebnissen anderer Autoren (Echenberg 1991: 135-139; Lawler 1992: 244 f., Mann 2000: 206 ff.) trifft es auch auf die meisten der von uns befragten Veteranen zu, dass sie nach ihrer Entlassung aus der Armee zunächst in ihre Heimatorte zurückgekehrt sind. Als Motive dafür nennen sie ihre engen familiären Bindungen und Verpflichtungen gegenüber Eltern und jüngeren Geschwistern bzw. in einigen Fällen auch die während ihrer Abwesenheit für sie arrangierten Verlobungen oder Ehen. Zwar betonen die meisten, auch auf Nachfragen, ihre eigene Heimkehr und familiäre Wiedereingliederung sei ohne größere Probleme verlaufen, wissen aber mitunter von anderen zu erzählen, denen man zuhause „alle Schwierigkeiten dieser Welt" bereitet habe. 7 Manche aber begnügen sich nicht mit diskreten Andeutungen, sondern berichten offen über ihre Abrechnung mit Dorfchefs, unter denen ihre Familie während ihrer Abwesenheit zu leiden hatten,8 oder über heftige Konflikte mit den Eltern wegen der für sie in absentia arrangierten Heirat. 9 Die Vermutung, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle gehandelt haben dürfte, wird durch die Lektüre der Missionstagebücher der Pères Blancs bestätigt. In ihnen finden sich insbesondere für die Jahre 1946 bis 1949 zahlreiche Eintragungen über die Verwicklung von Veteranen, aber auch aktiver Soldaten, in familiäre Auseinandersetzungen: über diejenigen, die ihre mittlerweile ihren Brüdern zugesprochenen Bräute oder Ehefrauen zurückzuerobern versuchten, jene, die im Gegenteil eine Auflösung ihrer Ehe anstrebten, oder gar solche, die, sehr zum Missfallen der katholischen Missionare, eine Zweit- oder Drittehe eingehen wollten und sich dabei bevorzugt um junge Frauen bemühten, welche die sixa, eine Art christliche Elementar- und Haushaltsschule für Mädchen, besuchten und als Katechumenen oder Getaufte für die Mission selbst von hohem Wert waren. 10 Den Berichten der - in diesen Angelegenheiten nicht unbefangenen - Mis-
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Kapitel 4
sionare zufolge wurden die Veteranen und Soldaten in der Verfolgung ihrer Anliegen schnell handgreiflich bzw. setzten von Anfang an auf Selbstjustiz, um sich ihr Recht zu verschaffen. Eine erste - ikonographische - Antwort auf die Frage, welche Selbstbilder die Männer in diesem Zusammenhang wohl entwickelt haben bzw. wie sie selbst gesehen werden mochten, gibt ein in den Archiven des Dakarer IFAN aufbewahrtes - undatiertes - Porträt, das wahrscheinlich vermutlich im Verlauf der 1950er Jahre aufgenommen worden ist (siehe Abb. 18)." Ein Veteran präsentiert sich dem Fotografen „im Kreise seiner Familie", so der Originaltitel, d.h. vermutlich flankiert von seinen beiden, ebenfalls sitzenden Ehefrauen sowie einer Reihe von Kindern und Jugendlichen. Die von ihm für den Fototermin angelegte Kleidung - Hemd, Hose, Krawatte und mehrere angeheftete Orden - weisen ihn deutlich als Angehörigen der Armee aus. Ein besonderes Flair verleiht ihm darüber hinaus der weiße Tropenhelm, ein Accessoire, das bis in die 1940er Jahre hinein lediglich „Kolonialfranzosen" und afrikanische évolués getragen haben und mit dessen Aneignung er seinen Status als Weitgereister und „Fremder" markiert, wenn nicht gar als Symbol seiner Zugehörigkeit zu einer höheren sozialen Statusgruppe verstanden haben will. Wie dem auch sei, die sich über diese Aufnahme mitteilende Selbstinszenierung und auch vom Fotografen durch den Bildaufbau unterstützte - Zentrierung auf die Person des Protagonisten ist, so meine ich, unverkennbar. Elemente und Versatzstücke der in dieser Momentaufnahme gespiegelten Selbstrepräsentation lassen sich im Alltagsleben von Veteranen auf mehreren Ebenen wieder finden. So stellt z.B. die unter Veteranen weit verbreitete - von Missionaren und Kolonialadministratoren als Rückfall in die „Sitten und Gebräuche der traditionellen Gesellschaft" beklagte - Tendenz, polygyne Ehen einzugehen, einen markanten Aspekt ihrer Lebensplanung dar. Dies gilt auch für fast alle unserer Interviewpartner: Mit Ausnahme der Christen unter ihnen12 haben Veteranen des Zweiten Weltkriegs wie jüngere Jahrgänge, Muslime wie „Animisten", Mannschaftssoldaten wie Unteroffiziere und Offiziere, Landwirte wie Angestellte der Kolonialadministration, im Durchschnitt drei bis vier Ehefrauen genommen. Während uns die meisten Männer nicht über ihre Beweggründe informierten und sich lediglich darauf beschränkten, die Anzahl ihrer Ehe-
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Lebensverläufe
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Partnerinnen und Kinder zu Protokoll zu geben, gaben immerhin einige unaufgefordert weitergehende Kommentare dazu ab. So T.B., für dessen Familienplanung religiöse Maximen und persönliche Karriereerwägungen gleichermaßen eine Rolle spielten: Vous savez que en Afrique ici, nous qui se dit [disent, B.R.] musulmans, on peut se marier jusqu'à quatre, mais ne pas dépasser. C'est une limite indépassable. Bon, je me suis marié à quatre femmes et tout va bien. Et tous ces mariages là, je les ai faits après ma libération de service militaire. Quand j'étais dans l'armée, je me suis marié. Mais comme je comptais être, n'est-ce pas, officier dans l'armée, mon idée était ça: la mort ou officier. Vous voyez, si j'étais même volontaire pour l'Indochine, c'était pour cela. Bon, seulement quand j'avais ma première femme, quand je suis descendu, comme j'avais l'idée d'être, n'est-ce pas, enfin, grade supérieur, j'ai renvoyé cette femme. 13 Ob T.B. seine erste Ehe damals schlichtweg als unvereinbar mit seinen Karriereplänen erachtete oder seiner Gattin das - angesichts diskriminierender Renten- und Versorgungsbestimmungen für Hinterbliebene afrikanischer Soldaten noch Ende der 1940er Jahre wenig beneidenswerte Los einer Kriegerwitwe ersparen wollte, wird auch aus seinen weiteren Ausführungen nicht klar ersichtlich. Jedoch spricht auch in seinem Falle einiges für die oben erwähnte, in den Missionstagebüchern seinerzeit häufiger zur Sprache gekommene Strategie des upgrading, mit der aktive Soldaten wie Veteranen versuchten, ihrem „neuen" beruflichen und gesellschaftlichen Status durch eine adäquate eheliche Liaison Ausdruck zu verleihen bzw. sich eine entsprechende Option offen zu halten. Um einen etwas anders gelagerten Fall handelt es sich bei folgendem Indochinaveteran, der uns die Bedeutung der Mehrfachehe für die Reintegration des Soldaten/Veteranen nach längerer Abwesenheit vor Augen führt. In erster Ehe mit einer Mauretanierin verheiratet, die er im Rahmen seiner dortigen Stationierung kennen gelernt hatte und mit der 1964 nach Obervolta zurückkehrte, ging er anschließend zwei weitere Ehen mit Frauen „seiner Rasse" ein, wie er selbst sagt.
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Abb. 18: Kriegsveteran im Kreise seiner Familie
Kapitel
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Das Gros der von uns Interviewten, Weltkriegs- wie Indochina- und Algerienveteranen, haben eigenen Angaben zufolge relativ spät, d.h. erst nach der Entlassung aus der Armee, geheiratet oder aber zu diesem Zeitpunkt eine bereits bestehende und von den Familienältesten arrangierte Ehe um selbst gewählte Partnerinnen „aufgestockt". Während sich der generell verzögerte Eintritt in die Ehe mit dem Zusammenwirken biographischer und konjunktureller Faktoren - Lebensalter zum Zeitpunkt der Einziehung, fortgesetzte Abwesenheit durch Kriegsverläufe, freiwillige Verpflichtung etc. - erklären lässt, sind die von den Männern selbst vorgenommenen ReArrangements, wie ich meine, Ausdruck ihrer familiären Strategien. In der persönlichen Wahl ihrer Ehefrauen und dem damit häufig verbundenen Umzug in die Stadt artikulieren sich zunächst ihre Versuche, sich von den überkommenen familiären Instanzen der Entscheidungsfindung abzusetzen. Dass sie sich nun in ihrem Autonomiebestreben nicht am Modell der europäischen Kernfamilie orientierten, sondern polygyne Großfamilien gründeten, ließe sich, salopp gesprochen, als doppelter Schachzug deuten. Zum einen machten sie sich das mit jeder Eheschließung geknüpfte Netz von Allianzen zwischen verschiedenen Familiengruppen zu Nutzen und erhöhten somit ihre Chancen zur Reintegration. Zum anderen demonstrierten sie aber auch ihren Anspruch auf ein soziales upgrading, indem sie auf ein Familienmodell zurückgriffen, das angesichts der damit verbundenen Versorgungspflichten für Ehepartnerinnen und Nachkommen überhaupt nur unter Einsatz größerer Geldmittel realisierbar und deswegen bis dahin den Angehörigen der gesellschaftlichen Elite - einheimischen Chefs, hohen Beamten des Kolonialapparates und religiösen Würdenträgern vorbehalten geblieben war. Viel spricht dafür, dass die Veteranen hier eine bewusste Investition getätigt haben, insofern sie ihre Ersparnisse, Entschädigungszahlungen und Pensionen einsetzten, um sich einen Status zu „erkaufen" bzw. zu versuchen, sich als Quereinsteiger in eine höhere Statusgruppe wieder in die „traditionelle" Gesellschaft einzugliedern. Ob nun bewusste Strategie oder nicht, das mit der Polygynie verknüpfte soziale Prestige eines Mannes dürfte auch dem Bedürfnis von Veteranen sich als virile, potente Gesellschaftsmitglieder zu inszenieren, allemal entgegengekommen sein.
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Kapitel 4
In beruflicher Hinsicht blieb der Handlungsspielraum für die meisten sehr begrenzt, d.h. für die große Mehrheit der ehemaligen Soldaten hat es keine Alternative zur Rückkehr nach „Haus und H o f , d.h. zur Wiederaufnahme ihrer landwirtschaftlichen Aktivitäten gegeben. Nur schätzungsweise etwa 10 Prozent aller Weltkriegsheimkehrer im gesamten Französisch-Westafrika dürften in den Genuss einer der von Militärbehörden und Kolonialverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg für Veteranen reservierten Arbeitsstellen gelangt sein (Echenberg 1991: 138). Während des Armeedienstes erworbene Zusatzqualifikationen - und vor allem Französischkenntnisse - waren entscheidende Kriterien dafür, ob sie nun, wie die meisten ehemaligen Mannschaftssoldaten, als plantons für Botendienste und Hilfsarbeiten in verschiedenen Bereichen der Kolonialverwaltung beschäftigt wurden oder auf eine Anstellung als Chauffeur, Mechaniker, Buchhalter, Übersetzer, Krankenpfleger oder Veterinärassistent hoffen konnten. Ehemalige Sergeanten oder Feldwebel - in der Regel Langzeitverpflichtete, die bereits innerhalb der Armee mehrere Beförderungsstufen genommen hatten - , bildeten vielerorts den Grundstock für örtliche Polizeikräfte, sei es als gardes de cercle (Bezirkspolizisten) oder als gardes forestiers (Waldhüter). So setzte sich z.B. die im Zuge der „Wiedererstehung" der Kolonie Obervolta 1948 neu konstituierte, 134 Mann starke Polizeitruppe von Ouagadougou sämtlich aus ehemaligen voltaischen „Karriere-Soldaten" zusammen (Echenberg 1991: 134). Obwohl diese aus den Angaben der von uns interviewten Veteranen erstellte Liste ihrer beruflichen Aktivitäten weder im Hinblick auf die Jahrgänge noch auf die regionale Verteilung der Beteiligten Repräsentativität beanspruchen kann,15 lassen sich aus ihr doch bestimmte Trends ablesen. So ist zum einen eine grobe Übereinstimmung ihrer „Karrieren" mit dem oben skizzierten Gesamtbild festzustellen: Von insgesamt 40 Befragten sind 19 nach ihrer Entlassung aus der Armee in die Landwirtschaft zurückgekehrt, fünf erhielten eine Anstellung als Chauffeur, Polizist oder Gardist, neun verblieben als Berufssoldaten bis zur Pensionierung in der französischen bzw. wurden nach der staatlichen Unabhängigkeit in die voltaische Armee überführt. Unter den fünfen, denen der Aufstieg ins Offizierskorps gelang, befanden sich der ehemalige Oberkommandierende der voltaischen Streitkräfte und spätere Staatspräsident Sangoule Lamizana
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Lebensverläufe
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sowie ein für die Versorgung der voltaischen Truppen zuständiger Generalstabsoffizier und späterer Wirtschafts- und Entwicklungsminister des Landes. Ein Veteran eröffnete ein Geschäft für den Verkauf von Kleinkrafträdern und Ersatzteilen, ein weiterer betrieb zeitweilig einen Stand auf einem der Abendmärkte von Bobo-Dioulasso. Einer wurde Arbeiter beim Ölkonzern AGIP in Cöte d'Ivoire, und einer beendete seine berufliche Laufbahn als Angestellter und Ausbilder im Wasser- und Forstwesen. Tabelle 2: Berufliche Profile der von uns interviewten Beruf, Arbeitsbereich (WK 2/1945 ff.) Landwirtschaft
Ouagadougou (7) (4/3)
BoboDioulasso (16) (4/12)
1
4
Chauffeur Polizei
Keine Angaben
Tougan (12) (8/4) 11
1 2
1
1
Wasser- und Forstwesen Händler, Geschäftsinhaber Armee (Offiziere/Unteroffiziere) Minister, Staatspräsident
Toma (5) (1/4) 3
1 1
Republikgarde
Arbeiter
Veteranen16
1 (+1 vorübergeh.) 1 4(2/2)
5 (1/4)
2 1
2
Erläuterungen: WK 2 = Zahl der Weltkriegsveteranen; 1945 ff. = Zahl späterer Jahrgänge Darüber hinaus zeigen sich markante Unterschiede, was berufliche Optionen und Gruppenprofile von Veteranen im ländlichen und semi-urbanen Bereich (Tougan, Torna) und im Einzugsgebiet der Städte Ouagadougou und Bobo-Dioulasso betrifft. So gaben, von einer Ausnahme abgesehen, alle Befragten aus Tougan und Torna - in ihrer überwiegenden Mehrheit Langzeitverpflichtete, welche 15 Jahre und mehr in der französischen Armee waren - , nicht nur an, nach ihrer Entlassung aus der Armee Landwirtschaft betrieben zu haben; sie erklärten darüber hinaus, dazu direkt in
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ihre Heimatorte zurückgekehrt und bis auf den heutigen Tag dort auch geblieben zu sein. Demgegenüber zeichnen sich die postmilitärischen Biographien der Befragten in Bobo-Dioulasso und Ouagadougou sowohl hinsichtlich beruflicher Aktivitäten als auch räumlicher Mobilität durch starke Differenzierungen aus. In dieser Gruppe sind nicht nur sämtliche Berufsfelder vertreten; die überwiegende Mehrheit der Interviewten gab darüber hinaus auch an, sich zwar vorübergehend in ihrem Heimatdorf aufgehalten, es dann aber vorgezogen zu haben, in der Stadt zu leben. Abgesehen von denjenigen, welche ihr Beruf zu wiederholtem Ortswechsel veranlasste, erklärte das Gros der Befragten, sich wegen der schulischen und beruflichen Zukunft ihrer Kinder zum Umzug in die Stadt entschlossen zu haben: C'est à cause des enfants. J'ai eu beaucoup d'enfants. Alors, les enfants, si j'amène ça au village là-bas, il peut avoir, il peut pas avoir le savoir qu'il peut avoir en restant ici. Donc, j'ai préféré rester en ville-là pour que, pour pousser mes enfants, arrivent quand même à suivre l'école, [B.R.: C'est ça.] parce que au village là-bas, si tu vas les amener là-bas, donc celui qui, qui se connaît un peu à l'école, il sait qu'au lieu de rester dans une situation, on peut quand même pousser, qu'on peut améliorer son sort. C'est pour ça que je ne les ai pas amenés. Voilà. C'est pour l'éducation de mes enfants. Mais Dieu merci, aujourd'hui, même celui qui n'a pas pu avoir la place, mais quand même il sait parler français, il sait écrire pour se défendre. [B.R.: Mmhmm.] Il arrive à faire sa vie.17 Nun gehen zwar nicht alle so weit wie dieser Veteran, der die schulische Ausbildung der Kinder von ehemaligen Soldaten als kategorischen Imperativ begreift: „Mais nous qui ont fait l'armée, quand même, on a vu l'extérieur quand même. Un ancien combattant qui n'envoie pas ses en18
fants à l'école, bien lui, il n'a rien vu, il n'a rien suivi." Dennoch erklären alle Befragten - die aufs Land zurückgekehrten eingeschlossen - mit Nachdruck, alles dafür getan zu haben, damit ihre Söhne und Töchter zumindest die Grundschule besuchen. In den Motiven, die sie dafür angeben, klingen häufig Erinnerungen an ihren eigenen Lebensweg an: Sei es, dass sie ihren Kindern zu einem besseren Start verhelfen wollten, als sie ihn selbst gehabt hatten, 19 sei es, dass sie dies als Teil einer Strategie begriffen, ihre Kinder einem familiären Milieu zu entziehen, mit dem sie sich nicht mehr identifizieren konnten bzw. das sie als rückschrittlich oder als unvereinbar mit den Anforderungen betrachteten, welche in Zukunft auf ihre
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Kinder zukommen würden, oder sei es, dass sie der Schulbildung für die künftige Entwicklung ihres Landes einen so hohen Stellenwert einräumten, dass sie dafür bereit waren, in eine politische Partei einzutreten. 21 Dieses - angesichts ihrer zahlreichen Nachkommenschaft für die Veteranen mit beträchtlichem finanziellem Aufwand verbundene - Engagement ist umso bemerkenswerter, als die meisten Voltaer bis in die 1940er Jahre mit allen Mitteln versucht hatten, ihre Kinder vor den von der Kolonialadministration eingerichteten Schulen zu „schützen", und dies nicht zuletzt aufgrund der rabiaten Einschulungskampagnen, die sie in den Augen der Bevölkerung in die Nähe von Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierung rückte (Kargougou 1995; Compaore 1995a und 1995b). Können die Veteranen also in diesem Punkt als Avantgarde eingeschätzt werden, welche nicht nur die Zeichen der Zeit erkannt hatte, sondern durch ihr Vorbild auch einen Sinneswandel in ihrer Umgebung mitbewirkte, was die Bedeutung von Schulbildung für das gesellschaftliche Fortkommen anbelangte, so lässt sich ihnen im Rückblick darüber hinaus bescheinigen, dass sich ihre Investition in die Zukunft mittelfristig „ausgezahlt" hat, gehören die Kinder ehemaliger Soldaten als mittlere und leitende Verwaltungsangestellte, Lehrerinnen, Krankenpfleger und -schwestern in der Regel heute dem gebildeten Mittelstand in Burkina Faso an bzw. hoffen als Kolleg- oder Studienabgänger auf eine künftige Anstellung. 22 Tabelle 3: Väter und Söhne in Uniform Ouagadougou (7)
Selbst Sohn, Neffe, Enkel eines Soldaten Armeekarriere gewünscht Armeekarriere absolviert
WK 2 1 1
1945 ff. 1
BoboDioulasso (16) WK 1945 2 ff. 2 1
Toma (5) WK 2
Tougan (12)
1945ff. WK 2 1
1945 ff.
5
2
2
5
3
2
2
1
Erläuterungen: WK 2 = Weltkriegsveteranen, 1945 ff. = Veteranen späterer Jahrgänge
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Wie obige, aus den Statements unserer Interviewpartner erstellte Tabelle zeigt, hätten eine ganze Reihe von ihnen, vor allem aus der Gruppe der Indochina- und Algerienveteranen, es gerne gesehen bzw. haben sich stark gewünscht, dass ihre Söhne ebenfalls in die Armee eintreten. Dieser Wunsch realisierte sich nur in sehr wenigen Fällen, was nach ihren eigenen Angaben entweder daran lag, dass die Söhne sich für eine Armeekarriere nicht begeistern ließen oder die Aufnahmevoraussetzungen für die voltaische Armee nicht erfüllten. Abgesehen von einem einzigen Fall, in dem Großvater, Vater und Sohn der Armee angehörten, ließ sich keine familiengeschichtliche Kontinuität bezüglich des Armeedienstes erkennen.23
Urbane Lebensstile und Innovationen Mit ihrem Entschluss, sich dem familiären und dörflichen Einfluss zu entziehen und sich in der Stadt eine neue Existenz aufzubauen, haben Veteranen z.B. dem Stadtbild von Bobo-Dioulasso in mehrfacher Hinsicht eine eigene Prägung gegeben. Fourchards Untersuchungen zufolge ließen sich bereits nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zahlreiche Veteranen in Bobo nieder, anstatt in ihre Dörfer zurückzukehren. Sie siedelten sich vorzugsweise in Sikasso-Cira an, dem ersten parzellierten Viertel am Südrand der Stadt, in dem ansonsten mehrheitlich Angestellte und Ordnungskräfte der Kolonialverwaltung, „Schulabgänger" sowie aktive Soldaten wohnten. Ausschlaggebende Gründe für die Veteranen, sich hier eine etwa 50 x 50 Meter große Parzelle zuteilen zu lassen, war die günstige Lage zwischen dem Militärcamp, in dem ihre noch aktiven Kameraden Dienst taten, dem Markt sowie der Gebäude der Bezirksverwaltung, wo einige von ihnen als plantons arbeiteten (Fourchard 2001: 161 f.). 1929 gründeten ehemalige, im Zuge der Stadterweiterung vertriebene Bewohnerinnen des Dorfes Tounouma (ebd.: 72-74) - heute ein Innenstadtviertel Bobos - am Südostrand der Stadt das Viertel Bolomakote.24 Vermutlich war es auf die vom zuständigen Chef de Terre praktizierte einfache und abgabenfreie Zuweisung von Terrain zurückzuführen, dass sich hier in der Folge neben zahlreichen zivilen Migrantinnen auch Veteranen der Zwischenkriegszeit und des Zweiten Weltkrieges bevorzugt niedergelassen haben. Auf einen regelrechten Schub an diesbezüglichen Neu-
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Zugängen verweisen die Zahlen in den Archiven des Bezirks von BoboDioulasso: von den für das Jahr 1946 insgesamt ausgewiesenen 620 aus der Armee entlassenen Soldaten siedelten sich alleine 300 in der Stadt Bobo an (ebd.: 168 f.). Obgleich sich nicht ermitteln lässt, wie viele davon sich für Bolomakoté entschieden - das Viertel wurde erst 1955 parzelliert - , kann von einer großen Anziehungskraft ausgegangen werden, welche dieses Viertel gerade für die Heimkehrer aus dem Zweiten Weltkrieg hatte: „La faiblesse de l'autorité coutumière fut sans doute déterminante pour ce groupe que l'armée avait affranchi des anciennes hiérarchies coutumières" (ebd.: 169). Während der ersten Dekade nach dem Zweiten Weltkrieg war die Stadtentwicklung Bobo-Dioulassos durch einen beträchtlichen Bevölkerungszuwachs gekennzeichnet; die Einwohnerzahl stieg von geschätzten 28 000 in 1945 auf etwa 40 000 Menschen in 1955 (ebd.: 372, annexe 2). Um die damit einhergehende Nachfrage nach Baugrundstücken befriedigen zu 25
können, wurde im Westen der Stadt Anfang 1955 das Neubaugebiet Accartville ausgewiesen. Dort erwarben neben Eisenbahnern der Linie Régie Abidjan-Niger (RAN) insbesondere auch Veteranen des Indochina- und Algerienkriegs in größerem Umfang Parzellen und errichteten Häuser nach ihren Vorstellungen. 26 Dabei hätten sie, so informiert uns der Zeitzeuge Monseigneur Anselme Sanon, vor allem die von einem Pater der Pères Blancs initiierte Bauweise des demi-dur [sic! semi-dur] aufgegriffen, was ihren Bauten im Gegensatz zu 27überkommenen Lehmbautechniken eine größere Dauerhaftigkeit verlieh. Wie sich am Beispiel von S.T.'s gescheitertem Projekt indes zeigt, war der Weg zum Eigenheim mitunter alles andere als eben: Moi je vais demander acheter une concession, c'était à 80 000 Francs. Eh bon. Il fallait attendre une semaine quand on veut. Quand on fait un chèque. A ce temps, à Bobo, il n'y avait pas de chèque, à Ouagadougou seulement. [Emile Ky: Oui.] Quand on fait le chèque, il faut attendre. (...) J'étais d'accord avec le gars, il croyait que j'avais ..., j'espère seulement une place. Il m'a donné le permis. Et je leur ai dit d'attendre samedi après-midi, après-midi, samedi après-midi pour lui remettre l'argent. Effectivement samedi après-midi, le chèque est venu. C'était 80 000 Francs. Je suis allé pour payer. Le gars m'a attendu. Aïwa! Il a trouvé que je ne suis pas là. C'était 400 000 Francs, pas 80 000. 400
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000. Or, le gars donnait ça à un autre. L'après-midi, je suis arrivé, il dit: „Bon, c'est un sous-officier qui a acheté ça!" En espèces parce que lui, il avait besoin de l'argent. (...) L'argent reste. Je n'ai pas pu acheter quelque chose.28 Im Gegensatz zu dem in Verfolgung seines Bauvorhabens weitgehend auf sich allein gestellten und übervorteilten S.T. befanden sich diejenigen Soldaten und Veteranen, welche ihre Guthaben seit Beginn der 1950er Jahre bei den Pères Blancs deponiert hatten, in einer ungleich besseren Ausgangslage. Und auch die Mission konnte sich nicht beschweren: „Les militaires qui ont des gros dépôts (10 millions) nous laissent volontiers 5 % à leur retour. Dans l'ensemble le placement de cette somme et les retours ont doublé notre budget annuel."29 Mit einiger Verzögerung begann sich schließlich 1958 auch die Bezirksverwaltung für die Bauvorhaben zu interessieren: „... um zu verhindern, dass die häufig beträchtlichen Ersparnisse der aus dem Krieg zurückgekehrten Soldaten sich im Abgrund familiärer Begierden auf immer verlieren", kündigte sie an, den vielfach an sie herangetragenen Wünschen von Veteranen zu entsprechen und die Bauherren durch Einrichtung von Sparkonten und Gewährung von Darlehen zu 30
unterstutzen. Die militärische Infrastruktur der Stadt Bobo-Dioulasso, die damit verbundene starke Truppenpräsenz sowie die große Anzahl von Veteranen beider Weltkriege haben während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur die Urbanisierung vorangetrieben und einen regelrechten Bauboom entfacht, sondern auch entscheidend zur Entwicklung einer spezifischen Freizeitkultur beigetragen, die sich durch verschiedene Formen „männlicher Geselligkeit" (Fourchard 2001: 205) und Konsummuster auszeichnete. Deren wichtigste Lokalitäten, Bars und cabarets, befanden sich in den oben bereits genannten Stadtteilen Sikasso-Cira und Bolomakoté sowie ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zunehmend auch im Neubauviertel Accartville. Davon deutlich abgesetzt waren die vor allem im Stadtzentrum konzentrierten und fast ausschließlich von „Kolonialfranzosen" sowie Angehörigen des höheren Offizierskorps frequentierten Clubs, Restaurants und Cafés, Orte „exklusiver europäischer Geselligkeit" (siehe ebd.: 199-205), die hier nicht weiter zu erörtern sind.
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Wie Fourchard feststellt, traten cabarets und Bars im Laufe der 1920er Jahre mehr und mehr an die Stelle der Märkte, was Formen und Praktiken von Geselligkeit anging. Die drei Märkte Bobo-Dioulassos, der Vieh-, der Sklaven- und insbesondere der täglich abgehaltene Lebensmittelmarkt, bis dahin die öffentlichen Treffpunkte für ein breites Publikum aller sozialen Schichten schlechthin, wurden u. a. auch von Kriegs Veteranen stark frequentiert. Dort konnte man Nachrichten austauschen, Frauen treffen, sich beim dolo, dem von Frauen aus dem Umland gebrauten und hier ausgeschenkten Hirsebier, amüsieren, aber sich auch in Szene setzen, Streit vom Zaun brechen und so manche Schlägerei ausfechten (ebd.: 196). Diesem Ambiente wurde ab 1926 mit restriktiven städtischen Verordnungen ein Ende bereitet. Um die Aktivitäten von „Indigenen" in europäischen Vierteln zu kontrollieren und die Ségrégation zwischen einem europäischen Stadtzentrum und peripheren afrikanischen Vierteln durchzusetzen, verbot man zunächst Ausschank und Konsum von dolo auf dem - inmitten der französischen Wohnquartiere gelegenen - zentralen Lebensmittelmarkt. 1927 reglementierte man dann die als „indigene Lärmbelästigung" empfundenen Versammlungen, Festivitäten und Zeremonien mit „Tam-Tam" für das gesamte Stadtgebiet von Bobo, und schließlich verhängte man ab 1929 eine nächtliche Ausgangssperre für Indigene, wonach es der afrikanischen Bevölkerung untersagt war, das Stadtzentrum nach 19 Uhr zu betreten (ebd.: 197 f.). Unter diesen Voraussetzungen wurden Ausschank und Konsum von dolo, musikalische Präsentationen sowie damit verbundene Aktivitäten der Entspannung und des Amüsements vollständig auf die in den afrikanischen Vierteln von Bobo betriebenen cabarets verlagert. Eines der ersten seiner Art war wahrscheinlich der von der berühmten „Prinzessin" Guimbi Ouattara seit den frühen 1890er Jahren unterhaltene Treffpunkt für reisende Kaufleute aus Kong, Djenné und Katsina sowie für die sofa, Krieger aus den Garnisonen der beiden rivalisierenden herrschenden Klans von Sia (Sya) - so der ursprüngliche Name der Stadt vor Einnahme durch die Franzosen 1897 (Hébert 1995: 521, Fourchard 2001: 194).31 1959 zählte die städtische Polizei insgesamt 130 cabarets in Bobo-Dioulasso, allein 40 davon in Bolomakoté (Fourchard 2001: 205 f.). Ihre große Beliebtheit war wohl nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, dass sie der Kundschaft im
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Gegensatz zu den Märkten eine ungezwungene, vor indiskreten Blicken geschützte Umgebung boten, in der Männer und Frauen miteinander Umgang pflegen sowie Musliminnen Alkoholika konsumieren konnten, was sich für eine Gesellschaft im Übergang zum Islam von nicht geringer Bedeutung erwies (ebd.: 194). Wie sich insbesondere am Viertel Bolomakote zeigt, handelte es sich bei den cabarets um in mehrfacher Hinsicht militärisch konnotierte Orte männlicher Geselligkeit und weiblichen Wirtschaftens. Das familiäre Anwesen war Wohnort, Produktionsstätte, Ausschank und Treffpunkt zugleich. Betrieben wurden die cabarets von den Ehefrauen der Veteranen, die während der Woche dolo brauten; die sich vor allem an den Wochenenden zahlreich einfindende Kundschaft bestand vorwiegend aus gardes de cercle sowie aktiven Soldaten des nahe gelegenen Militärcamps von Bobo, mit denen die Veteranen in regem Austausch standen, aber auch Bewohnerinnen aus anderen Stadtvierteln, die den Kontakt zu den seinerzeit aus Tounouma Vertriebenen gehalten hatten (ebd.: 208 f.). Zur Unterhaltung erklang Live-Musik mit Balafon. „Solange das Balafon ertönt, ist der dolo noch lange nicht zu Ende" wurde laut eines Zeitzeugen zur stehenden Redewendung jener Jahre. Er erinnert sich jedoch auch daran, dass damals das Abspielen von Schallplatten in Mode kam, welche die Veteranen vom Ausland mitgebracht hatten. Im Repertoire war nach dem Zweiten Weltkrieg „arabische" Musik, nach dem Indochinakrieg mehr und mehr abgelöst von kubanischen Rhythmen, die sich auch anlässlich der bald jedes Wochenende abgehaltenen Bälle allgemeiner Beliebtheit erfreuten. 32 Jene cabarets gibt es in Bobo-Dioulasso ebenso wie in kleineren Ortschaften der Umgebung bis heute, wobei sie mittlerweile fast ausschließlich bevorzugte Nachbarschaftstreffs für Veteranen sind, die hier ihre Kriegserinnerungen auffrischen und Neuigkeiten austauschen. 33 Als Orten der Geselligkeit für alle städtischen „Neubürger" kam den cabarets eine wichtige Integrationsfunktion für alle diejenigen zu, die sich im Übergang von einem bäuerlich geprägten Milieu in eine unübersichtliche und ihnen mangels materieller Ressourcen und beruflicher Qualifizierung in mehrfacher Hinsicht verschlossene Stadtlandschaft befanden. Obwohl Bolomakote in den späten 1940er und 1950er Jahren vielleicht den Anschein erweckte, einen ruralen Charakter beibehalten zu haben (Four-
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chard 2001: 208), so war das Viertel jedoch keinesfalls mehr von ruralen Rhythmen bestimmt. Unter der „Anleitung" von Kriegsveteranen und ihren Ehefrauen ließ sich hier z.B. der - bisher nicht geläufige Unterschied zwischen Arbeitszeit und Freizeit lernen sowie eine Freizeitkultur pflegen, bei der man dolo jeden Tag zu sich nehmen konnte, statt wie bisher damit auf die Zeit nach der Ernte warten zu müssen. Neben den cabarets profitierten ab den 1930er Jahren auch die Alkoholausschänke und Bars von Bobo-Dioulasso von der Präsenz des seit 1900 existierenden Militärcamps, das durch die Stationierung des Détachement Motorisé Autonome n° 2 (DMA 2) ab 1946 zu einer der bedeutendsten Garnisonen der AOF ausgebaut wurde. Die meisten dieser Einrichtungen konzentrierten sich im Viertel von Sikasso-Cira - nach der oben erwähnten Zählung von 1960 befanden sich hier 11 der insgesamt 27 Bars, welche vor allem europäische Alkoholika wie Wein und Bier ausschenkten. Es scheint, dass auch die benachbarte katholische Mission in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit erblickte, ihr Budget aufzubessern. 1928 eröffneten die Pères Blancs eine Bierbrauerei, mit deren Einnahmen das Missionswerk finanziert werden sollte. Über nähere Informationen über die Vertriebswege der Missionare verfügen wir indes nicht.34 Als Hauptlieferanten der Bars fungierten vor allem die am Ort vertretenen französischen Handelsgesellschaften SCOA, CFAO und CFCI, die hier algerischen Wein von minderer Qualität, Bier sowie Softdrinks umschlugen (Sanou 1996: 55, Fourchard 2001: 207). Über den seit 1934 fertig gestellten Eisenbahnanschluss Abidjan-Bobo-Dioulasso erreichte auch das nach den Angaben unseres Zeitzeugen von den Soldaten allgemein favorisierte in Elfenbeinküste à la française gebraute Bier seine Abnehmer. 35 Die Klientel der Bars bestand vornehmlich aus aktiven - metropolitanen wie afrikanischen - Mannschaftssoldaten sowie afrikanischen Angestellten der Kolonialbehörden und Handelshäuser. Auch bei diesen Einrichtungen, deren bekannteste der Lion d'or in unmittelbarer Nähe des Camps war, handelte es sich um - allabendlich frequentierte - Orte vorwiegend männlicher Geselligkeit und - bis zu einem gewissen Grad weiblichen Wirtschaftens, allerdings unter dem Vorbehalt, dass ein Besuch dort gewisse pekuniäre Ressourcen voraussetzte und Frauen auf spezifi-
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sehe Dienstleistungen als Prostituierte, Kellnerinnen und Geschäftsführerinnen festgelegt waren (vgl. ebd.: 206 f.). Über ihre Rolle bei der Einführung populärer Formen von Freizeitgestaltung hinaus setzten Veteranen auch Maßstäbe, was die Verbreitung von Gebrauchs- und Luxusgütern sowie neuer Konsumgewohnheiten im Alltag anbelangte. Der starke Eindruck, den die von einzelnen Weltkriegsveteranen mitgebrachten Nähmaschinen, Fahrräder und Kleidungsstücke hinterließen, weckte allerseits Bedürfnisse danach, solche modernen Gegenstände zu besitzen. Wie rasch sich entsprechende Konsumwünsche und Erwartungshaltungen unter den Daheimgebliebenen verbreiteten, zeigt sich u. a. daran, dass jene Güter bald zur „Grundausstattung" der Heimkehrer gehörten. Repatriierte Indochina-Kämpfer durften z.B. folgende Waren zollfrei einführen: 20 Meter Stoff, zwei bis drei Paar Schuhe, zwei Regenoder Sonnenschirme, einen Fotoapparat, ein Fahrrad, einen Schallplattenspieler, eine Handtasche sowie einen Teppich.36 Dass die Veteranen zudem ihre während der Armeezeit erworbenen Gewohnheiten beibehielten, also in größerem Umfang alkoholische Getränke konsumierten und für ihre Familien importierte Kleidung und Schuhe kauften, erfreute nicht nur französische und libanesische Handelshäuser in Ouagadougou oder Bobo-Dioulasso, sondern weckte allgemein das Bedürfnis der Daheimgebliebenen, es ihnen gleich zu tun,37 ein Phänomen, das nicht auf die Stadt begrenzt blieb, sondern sich letztlich überall da verbreitete, wo sich Vete38
ranen niederließen. So sehr die Veteranen als Konsumenten in Erscheinung traten und mit ihrer Kaufkraft den Handel ankurbelten, so wenig Neigung zeigten sie wiederum, selbst geschäftliche Aktivitäten zu entwickeln, wie schon die von uns für Bobo-Dioulasso, Tougan und Torna erhobenen Daten zeigen (siehe Tabelle 2). Zum selben Schluss gelangen auch Ganne & Ouedraogo in ihrer Studie über die Entwicklung von städtischen Handelsstrukturen und -netzwerken in Ouahigouya. Sie stellen allerdings fest, dass Veteranen mittelfristig durchaus die dortigen Kleinhandelsstrukturen gefördert haben, insofern eine Reihe von ihnen diesbezüglich als Kreditgeber für Familienangehörige wie Cousins oder jüngere Brüder aufgetreten sind (Ganne & Ouedraogo 1996: 217 f.). Was sie davon abgehalten haben mag, selbst ins Geschäft einzusteigen? Triftig erscheint folgende, von einem Interview-
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partner ungefragt abgegebene Erklärung: „ ... moi je ne peux pas faire le 39
commerce, moi je connais pas commerce, je sais pas l'écriture." Die rasante Veränderung der Konsumgewohnheiten war auch der Mission nicht entgangen, deren Vertreter schon Mitte der 1950er Jahre die Auswirkungen der um sich greifenden „Genusssucht" der Bevölkerung in der Diözese beklagten: On ne peut plus et on ne veut plus être pauvre. Jadis, en de vastes régions du diocèse, personne n'avait d'habits; les feuilles d'arbre fraîches, satisfaisaient également la coquetterie et la pudeur. Actuellement on s'habille; il faut une bicyclette et d'autres objets devenus nécessaires. Il faut donc se procurer le budget familial correspondant à ces nouvelles dépenses. Aussi s'expatrie-t-on pour trouver ailleurs l'argent que la culture des produits vivriers ne procurerait pas; d'où les exodes lointains et durables et cela à un âge et à une époque de l'année où devrait s'enseigner le catéchisme.40 Die Missionare, welche die „Zeichen der Zeit" auf ihre Weise deuteten, sahen in der auch in den Dörfern zunehmenden „Instabilität" der Sozialstruktur und der um sich greifenden materiellen Orientierung der Bevölkerung eine ernsthafte Bedrohung ihres schwierigen Werkes. Sehr zu ihrem Leidwesen wurde ihnen durch die temporären Arbeitsmigrationen junger Männer und Frauen nach Côte d'Ivoire und Gold Coast, welche durch die geschilderten materiellen Anreize nach dem Zweiten Weltkrieg neuen Auftrieb erhielten, auch noch ihre vorrangige Adressatengruppe entzogen. Wie sie allerdings richtig erkannt hatten, waren die Hauptmotive für den „Exodus" nun nicht mehr die Flucht vor Zwangsarbeit und Rekrutierung für die Armee. Vielmehr zogen die Migrantinnen nunmehr aus, um ihr Bedürfnis nach Teilhabe an einer sich modernisierenden Gesellschaft finanzieren zu können. Dies galt in gewisser Weise auch für diejenigen, die sich beginnend mit den 1950er Jahren dafür entschieden, in die Armee einzutreten. Auch wenn mehrere der von uns interviewten Indochina- und Algerienveteranen diesbezüglich angaben, sie hätten damit dem Vorbild ihrer Onkel und Großväter nacheifern wollen, 42 so lässt sich in ihren selbstbewussten Schilderungen jedoch auch eine veränderte Einstellung zum Militärdienst selbst erkennen: Die Betreffenden begriffen ihn eher als „Job", von dem sie sich materielle Ressourcen und Prestigegewinn hinsichtlich ihrer Umgebung
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versprachen. Aus diesen Gründen zeigten sich vor allem junge Männer aus Obervolta und Guinea, nicht aber jene aus prosperierenden Territorien wie Senegal oder Cöte d'Ivoire, sehr empfänglich für die auf berufliches Fortkommen abhebenden Anwerbungskampagnen der französischen Armeeführung der 1950er Jahre (vgl. Echenberg 1991: 112-117). Jenem sich wandelnden Selbstverständnis verleihen auch die fotografischen Porträts jener Zeit Ausdruck, insofern hier selbstbewusste Männer mit einer gewissen Lässigkeit vor der Kamera erscheinen.43 In dieser Hinsicht fällt die hier wiedergegebene, auf 1954 datierende Aufnahme eines voltaischen sergent-chef und seiner Ehefrau (siehe Abb. 19 und vgl. Abb. 18) vor allem durch zwei Details als bemerkenswertes Zeitdokument auf: zum einen durch die Kombination aus Alltagskleidung und Uniformbestandteilen, von denen lediglich das Käppi den Porträtierten als Unteroffizier ausweist; zum anderen durch die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Ehepartner „auf gleicher Höhe" - und äußerst ungewöhnlich: als Paar - dem Fotografen präsentieren. Sowohl der Verzicht auf das volle „Ornat" wie die hier „zur Schau" gestellte Liaison zwischen Mann und Frau können als Attribute einer individualisierten, sich als modern verstehenden Selbstrepräsentation gedeutet werden. Nicht alle Erscheinungsformen des von den Veteranen mit vorangetriebenen Modernisierungsprozesses waren den Missionaren indes so unlieb, wie es in der oben angeführten Stellungnahme den Anschein hat. So begrüßten sie es als Zivilisationsschub, dass die Bewohnerinnen der Dörfer des Südens und Südwestens ihre „Blätter" und Penishüllen ablegten und sich mehr und mehr in den von den Kriegsheimkehrern propagierten Baumwollgewändern zeigten.44 Den Erinnerungen von Zeitzeugen zufolge wurde auch die Herrenmode in den Städten nach dem Zweiten Weltkrieg in weiten Teilen von Veteranen inspiriert, insofern sie eine Symbiose militärischer Versatzstücke wie Uniformjacken, Käppis und - von der USArmee übernommene - schwarz verspiegelte Sonnenbrillen mit kolonialen Accessoires wie Tropenhelmen (siehe auch Abb. 18) und dem traditionell muslimischen boubou kreierten. Höhepunkte waren die alljährlichen Aufmärsche zum 14. Juli sowie die militärischen Gedenktage, an denen die Anciens Combattants - bestückt mit sämtlichen Orden - sich der Öffentlichkeit als stattliche, stets einwand-
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frei gekleidete Männer präsentierten und damit ein Image pflegten, für das zunächst General de Gaulle das Vorbild lieferte und das ab Ende der 1940er Jahre dann mit den Figuren der Repräsentanten des RDA, Félix Houphouët-Boigny und Daniel Ouezzin Coulibaly, zu einem neuen Idealtypus „verschmolzen" wurde. 45 Verglichen mit den stark individualisierten und bewegten Lebensverläufen der von uns interviewten Veteranen aus Bobo-Dioulasso suggerieren die Lebensberichte der Veteranen von Tougan und Torna eine gewisse Gleichförmigkeit ihres postmilitärischen Alltags. Immer wieder bekunden die nach ihrer Entlassung aus der Armee zumeist unverzüglich ins Dorf oder in die Kleinstadt Zurückgekehrten und bis heute dort Gebliebenen, für sie habe sich kaum etwas geändert, sie seien halt wieder Bauern geworden und lediglich die Pension, sofern sie sie denn überhaupt bekamen, habe ihnen das Leben etwas erleichtert. 46 Auch auf explizite Nachfrage weisen sie etwaige Konflikte im engeren familiären oder weiteren sozialen Umfeld vehement zurück. Dies mag zum einen mit der Diskretion zusammenhängen, die sie gegenüber dem Interviewer - und um einem Öffentlichwerden ihrer persönlichen Ansichten vorzubeugen - für angebracht halten: „Mais on doit pas tout raconter. Normalement je dois, je dois être l'exemplaire [...] dans mon village."
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Zum anderen könnte es aber
auch darauf verweisen, dass Arenen und Formen der Auseinandersetzung hier andere waren als in den Städten, denn eine vollständige Absetzung von der Großfamilie war aus wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Gründen in der Regel nicht denkbar. Auch wenn sich die Befragten wenig beredt gezeigt haben, uns über die Artikulation innerfamiliärer Konflikte zu informieren, so können wir doch im Vorgriff auf die in den Berichten der kolonialen Bezirksverwaltung und Mission zahlreich dokumentierten Auseinandersetzungen zwischen ehemaligen Soldaten und lokalen Amtsinhabern (siehe Kapitel 5) zumindest annehmen, dass sich die Veteranen auch nicht immer widerspruchslos in die Schiedssprüche der Familienältesten fügten.
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Abb. 19: Oberfeldwebel und seine Ehefrau, Founzan, Diebougou, Obervolta 1954
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Wie oben schon verschiedentlich angeklungen, lassen sich im Punkte familiärer Strategien keine grundsätzlichen Unterschiede zu den „Bobolesen" feststellen; auch die Veteranen von Tougan und Torna favorisierten die Polygynie, und auch sie bekundeten übereinstimmend ihr Engagement für die Einschulung ihrer Kinder, Jungen wie Mädchen. Gerade durch die Einsicht in die Bedeutung der Schulbildung hätten sie sich sicherlich von der großen Masse der Bevölkerung unterschieden, so die Einschätzung des dazu befragten Historikers Joseph Ki-Zerbo, der selbst in Torna geboren ist und den Gang der Dinge in der Region über Jahre mit großem Interesse verfolgt hat. Doch seien ansonsten von dieser Gruppe kaum Impulse für eine nachhaltige Entwicklung ausgegangen. Ki-Zerbo beklagt insbesondere die Verschleuderung der - angesichts der hohen „Dichte" an Veteranen beträchtlichen - Ressourcen durch reichlichen Alkoholgenuss und die eingegangenen Mehrfachehen, weist allerdings auch auf den Initiativgeist einzelner Veteranen sowie auf generelle Versäumnisse hin, die Kapitalbildung im ruralen Milieu zu fördern: [...] certains se sont construits des maisons, au point de vue investissement durable, faire des vergers, faire des plantations [...] certains ont fait du coton par exemple. Mais beaucoup n'ont fait que consommer leurs revenus. [...] Il y a eu, je pense peut-être des milliards, qui sont venus dans notre région [...] qui auraient pu être investis autrement, s'il y avait eu un système d'épargne et d'investissement. Mais malheureusement, on ne voit pas tellement les traces.48 Diese Argumentation scheint zwingend, vergegenwärtigt man sich zum einen die oben für Bobo-Dioulasso dargestellten strukturellen Schwierigkeiten, mit denen Veteranen konfrontiert waren, wollten sie bauen. Wie sich zum anderen am Beispiel der im nächsten Kapitel noch zu erörternden Einrichtungen und Aktivitäten zeigen lässt, die unter der Leitung des französischen Offiziers Dorange im Bezirk von Ouahigouya ab Beginn der 1950er Jahre in die Wege geleitet wurden, waren Veteranen unter bestimmten Voraussetzungen durchaus für nachhaltige Entwicklungsprojekte zu gewinnen. Und nicht zuletzt gibt es einzelne Beispiele für von Veteranen generierte lokale Entwicklungsprozesse. So ist es laut Kouraogos Befragungen insbesondere den Bemühungen von Veteranen geschuldet, dass die Bevöl-
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kerung im Unterbezirk von Tougan in den 1950er Jahren ihren - in den langen Jahren des Zwangs gefestigten - Widerstand gegenüber dem Baumwollanbau aufgab. Den aufgeführten Zeugnissen zufolge gingen sie dabei nicht nur mit gutem Beispiel voran und richteten selbst Baumwollfelder ein, sondern überzeugten ihre skeptische Umgebung auch vom daraus zu ziehenden Nutzen (Kouraogo 1989/90: 154 f.). Und: so unscheinbar und unspektakulär sich sonstige von Veteranen praktizierte landwirtschaftliche und hygienische Neuerungen ausnehmen mögen, wie Trinkwasser zu filtern, neue Feldfrüchte anzubauen und Zugtiere zum Pflügen zu verwenden,49 so sind auch sie Ausdruck des von Ki-Zerbo genannten Initiativgeistes. *
Die in diesem Kapitel skizzierten Lebensverläufe und Verhaltensorientierungen können als Indikatoren für eine spezifische Lebensweise betrachtet werden, mit der die Veteranen versucht haben, die Distanz zwischen den Lebensumständen, aus denen sie aufgebrochen, und dem Neuen, mit dem sie während ihrer Armeezeit konfrontiert waren und das sie sich in Teilen angeeignet hatten, zu überbrücken. Dieser Prozess scheint im städtischen Umfeld sehr stark geprägt durch eine Tendenz zur Autonomisierung und Individualisierung von Lebensentwürfen einerseits und durch eine „Monetarisierung" des täglichen Lebens andererseits. Wie eng diese Phänomene miteinander verknüpft sind, zeigt sich nicht zuletzt an den Investitionen in die „materielle Kultur" und den Konsumgewohnheiten von Veteranen. Sie ließen Geld zirkulieren, um sich und ihren Familien ein von der Großfamilie unabhängiges und angenehmeres Leben zu bereiten, aber auch um sich als Neuankömmlinge, die sie sowohl im räumlichen Sinne wie auch im Hinblick auf die soziale Schichtung der Gesellschaft waren, einen Status aufzubauen und zu erhalten. Wenn auch davon ausgegangen werden kann, dass Veteranen auf dem Land und im kleinstädtischen Milieu anders gelagerte Arrangements zwischen den Lebenswelten, in denen sie sich bewegten, treffen mussten, so haben sie doch im Grundsatz dieselben familiären Strategien verfolgt und
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in vergleichbarer Weise neue Kultur- und Konsummuster in ihr Umfeld eingetragen. In der Tat wäre es, mit Ki-Zerbo gesprochen, fragwürdig, ausgehend von den oben skizzierten familiären Strategien, Investitionen und der Propagierung neuer Kulturmuster und Konsumgewohnheiten, den Kriegsveteranen nachträglich die Rolle von Geburtshelfern einer nachhaltigen lokalen und regionalen Entwicklung auf den Leib zu schreiben. Dem standen, wie ich meine, nicht nur die strukturellen, eine Partizipation der Bevölkerungen am Entwicklungsprozess weitgehend ausschließenden Rahmenbedingungen in der Spätkolonie entgegen. Auch die Verhaltensorientierungen und Lebenspläne der Veteranen selbst ließen sich nur schwerlich dahingehend interpretieren. Aus den Lebensberichten treten uns vielmehr „Unternehmer" auf eigene Rechnung entgegen, angetrieben von eigenen oder das Fortkommen ihrer Kinder betreffenden existenziellen materiellen Bedürfnissen und dem Interesse nach Statussicherung und -Verbesserung. Über das primäre - und ihrer teilweise langjährigen Abwesenheit geschuldete - Bestreben, (wieder) zu Fuß zu fassen in einer Situation des Übergangs, sich als have beens gegenüber den Daheimgebliebenen zu inszenieren, verkörpert sich in den familiären Strategien und Urbanen Lebensstilen aber auch eine Entwicklungsanstrengung durchaus eigener Prägung, von der mittelfristig über die Gruppe der Veteranen hinausgehende Impulse für soziale und kulturelle Innovationen ausgegangen sind. Ob in expliziter Wirkungsabsicht oder durch ihre bloße Existenz als permanente Grenzgänger zwischen verschiedenen Lebenswelten haben Veteranen als Vorbilder und „Trendsetter" für urbane Konsumgewohnheiten und Lebensweisen oder als „Entwicklungshelfer" für eine künftige bildungsorientierte Mittelschicht Veränderungen und Neuerungen in den gesellschaftlichen Alltag der Spätkolonie eingetragen. Dass das Privat-, Familien- und Alltagsleben von Kriegsheimkehrern, von dem hier lediglich einige Facetten exemplarisch herausgearbeitet worden sind, in zahlreichen Fällen durch physische und psychische Kriegsverletzungen der Männer zum Teil stark beeinträchtigt war, liegt auf der Hand. Körperliche Behinderungen, aber auch unbewältigte traumatische Erfahrungen an der Front, während der Kriegsgefangenschaft sowie viel-
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fältige Probleme, sich im engeren Familien- oder weiteren sozialen Umfeld wieder einzugliedern, sowie der in dieser Gruppe verbreitete Alkoholismus haben das Ihre dazu beigetragen, dass Männer die ihnen zur Disposition stehenden, wie auch immer bescheidenen Ressourcen nicht „gewinnbringend" einzusetzen vermochten bzw. aufgrund verschiedener Einbrüche heute als bettlägerige verelendete erschöpfte „Männer außer Gefecht" 5 ihr Dasein fristen. Im Lichte der hier skizzierten Lebensverläufe wäre es jedoch bei den wenigsten von ihnen, wie ich meine, angebracht, sie einfach nur als gescheiterte Existenzen zu bezeichnen, vergleichbar denen, die uns in zahlreichen belletristischen und filmischen Bearbeitungen in Gestalt des deregulierten, d.h. verrückten ehemaligen Tirailleur entgegentreten. 51
Anmerkungen 1
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(„Unsere Landsleute heute hier in den Dörfern sind nicht so [solche Landsleute] wie wir, denn diese Einstellung, die wir in der Armee dort entdeckten, die war uns nützlich, und wir sind, im Vergleich zu unseren Kollegen in den Dörfern wirklich immer aktiv. Das, was wir heute in der Lage sind zu machen, das können sie nicht. Also das verdanken wir der Einstellung der Armee. Das hat uns wirklich einen ... großen Dienst erwiesen. Da haben Sie's!") B.S., Jahrgang 1949, Bobo-Dioulasso 10.3.1999. Der besseren Verständlichkeit halber werden die Aussagen der Interviewten in diesem und dem folgenden Kapitel auch in deutscher Fassung wiedergegeben. Sofem nicht anders vermerkt, handelt es sich dabei um meine Ubersetzung. Zahlen und Schätzungen für 1950 basieren auf den Angaben des französischen Offiziers Henri Liger, der zwischen 1948 und 1950 alle Territorien der AOF bereiste, um die Rechtsansprüche von Veteranen bzw. deren Rechtsnachfolgerinnen zu klären. Auf Verlauf und Ergebnisse seiner Erkundungsmission werde ich im fünften Kapitel näher eingehen. Siehe dort auch Tabelle 4 zur Entwicklung der Gesamtzahlen von Veteranen verschiedener Kategorien im zeitlichen Längsschnitt. Die Unterscheidung der Veteranen nach Kategorien geht auf die französische militärische Nomenklatur zurück. Das Gros von ihnen waren anciens militaires. So wurden ehemalige Soldaten bezeichnet, die zumindest ihre dreijährige Wehrpflicht abgeleistet hatten. Darunter fielen
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auch diejenigen, die sich für zehn, fünfzehn oder mehr Jahre freiwillig verpflichtet hatten. Als ancien combattant mit Rechtsanspruch auf eine kleine diesbezügliche Pension galt nur, wer 90 aufeinander folgende Tage Fronterfahrung nachweisen konnte bzw. mindestens sechs Monate nachweislich in Kriegsgefangenschaft verbracht hatte oder schwer kriegsbeschädigt war. Nur anerkannte ehemalige Kombattanten besaßen einen Ausweis, der ihnen gleichzeitig die Mitgliedschaft in einer Sektion der Association des Anciens Combattants et Victimes des Deux Guerres sicherte. Zu diesem Gefälle und den Auseinandersetzungen um Pensionen, Renten und Entschädigungszahlungen siehe im Folgenden 5 - Veteranen und die mère-patrie. Diese vergleichsweise niedrige Zahl beruht darauf, dass Ligers Aufgabe zunächst darin bestand, die bis dahin weitgehend ungeklärten Rechtsansprüche von Veteranen des Ersten Weltkriegs festzustellen, und die Bearbeitung der Belange von Veteranen des Zweiten Weltkrieges erst ab Mitte der 1950er Jahre einsetzte. Ich habe mich dennoch entschieden, die „frühen" Zahlen anzugeben, da in den Statistiken ab 1953 auch Veteranen des Indochinakrieges vertreten sind, ohne dass dies im Einzelnen differenziert würde. So z.B. in den Jahresberichten für 1950 und 1951. In: CAOM, Fonds Ministériels, äff pol 2217, Dossier B 9 (AOF et Togo Administration Générale, Anciens Combattants, Offices locaux 1946-1958). Eine Alternative zur hier gewählten Dokumentation und Interpretation von Lebens Verläufen ist das Film- und Buchprojekt von Fiéloux & Lombard (1989), die, ausgehend von den mit der Kamera begleiteten Begräbniszeremonien für einen Veteranen und späteren Kantonschef der Lobi im Südwesten von Burkina Faso, die Stationen des Lebenswegs dieses Mannes rekonstruieren und sich dabei auf fotografisches, filmisches Material zum einen, auf Interviews mit Familienangehörigen - Ehefrauen und Kindern des Gestorbenen - zum anderen, stützen. Den beiden Autoren gelingt es dabei auf beeindruckende Weise, die vielfältigen Facetten eines Lebens aufzuzeigen, das durch Landwirtschaft, Jagd, die große Polygynie (der Betreffende hatte über 20 Ehefrauen), soziale Reformideen und Vermittlung der Traditionen (Einschulung der Kinder des Kantons, Funktion als juge coutumier) gleichermaßen geprägt war. So wörtlich B.S., Jahrgang 1949, Bobo-Dioulasso 10.3.1999. G.Z., Jahrgang 1930, Bobo-Dioulasso 16.3.1999, der nach über 15jähriger Abwesenheit den Chef seines Dorfes dafür ins Gefängnis gebracht hatte und darauf hin seinem Heimatort den Rücken kehrte. R.D., Jahrgang 1948, Bobo-Dioulasso 23.3.1999, der sich sofort wieder
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Kapitel 4 scheiden ließ und seine zweite Ehefrau später selbst auswählte. AGMA: Diaires de Tounouma Bd. 2, April 1938-29.8.1946 und Bd. 3, 10.9.1946-20.7.1954. Tounouma ist ein Ortsteil von Bobo-Dioulasso. Die Mängel der hier wiedergegebenen Abbildung, besonders der ungünstig gewählte, d.h. auf die Hauptperson zentrierte, die übrigen Personen teilweise fragmentierende Ausschnitt, gehen auf das Original zurück. Auf den der Fotografie beigegebenen Informationen ist als Autor lediglich Cissé-Dakar vermerkt; weder der genaue Zeitpunkt noch der Ort der Aufnahme ließen sich ermitteln. Wie bei anderen Aufnahmen dieser Serie (siehe Abb. 15) könnte es sich auch hier um eine fotografische Reproduktion einer etwa in einer Zeitschrift abgedruckten Aufnahme handeln. Aber siehe S.B., dessen Name ihn als christlich Getauften ausweist (Jahrgang 1951, Bobo-Dioulasso-Accartville 19.3.1999). Er machte uns im Verlauf des Interviews auf seine vier - in diverse Arbeiten auf dem Gehöft vertiefte - Ehefrauen aufmerksam und zog sich schließlich mit der Erklärung aus der .Affäre", für die Armee zähle nur die „Hauptfrau", also seine erste Gattin, die anderen drei jedoch nicht. („Sie wissen, wir hier in Afrika, die wir uns Muslime nennen, können bis zu vier Frauen, aber nicht mehr, heiraten. Diese Grenze kann nicht überschritten werden. Also habe ich vier Frauen geheiratet, und alles geht gut. Und alle diese Ehen habe ich nach meiner Entlassung aus dem Militärdienst geschlossen. Ich hatte geheiratet, als ich in der Armee war. Doch [damals] plante ich, Offizier zu werden, das war meine Idee: sterben oder Offizier werden. Und sehen Sie, deswegen meldete ich mich sogar freiwillig für Indochina. Nun hatte ich aber schon meine erste Frau. Als ich wieder hierher kam und letztendlich die Idee hatte, nicht wahr, einen höheren Grad zu erwerben, da habe ich diese Frau wieder weggeschickt.") T.B., Jahrgang 1935, Bobo-Dioulasso-Accartville 16.3.1999. G.D., Jahrgang 1952, Bobo-Dioulasso-Accartville 19.3.1999. Wie ich mich selbst überzeugen konnte, bestehen alle drei Verbindungen bis heute; die erste Gattin stellte mir G.D. darüber hinaus persönlich vor. Nicht alle binationalen Lebenspartnerschaften waren indes erfolgreich, worauf das Beispiel eines weiteren Indochinaveteranen, des oben schon erwähnten R.D. (Jahrgang 1948, Bobo-Dioulasso-Accartville 23.3.1999), hindeutet. Sein Vorhaben, die Liaison mit einer Vietnamesin fortzusetzen, scheiterte an der von seinen Eltern zwischenzeitlich zuhause arrangierten Ehe, in die er sich allerdings nur kurze Zeit fügte. Wie oben bereits erwähnt, waren unter den von uns Interviewten sowohl Veteranen des Zweiten Weltkrieges wie auch ehemalige in den
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nachfolgenden Kolonialkriegen eingesetzte Soldaten. Regional - und zahlenmäßig sehr ungleich - repräsentiert sind hier lediglich die Hauptstadt Ouagadougou, der Westen (Tougan, Toma) und Südwesten (Einzugsgebiet von Bobo-Dioulasso) von Burkina Faso. Hinter den Ortsangaben in Klammern jeweils angegeben ist die Gesamtzahl der dort Befragten. Aufgrund von Mehrfachnennungen, berufliche Aktivitäten betreffend, sind die Einzelangaben nicht mit dieser Gesamtzahl identisch. („Das war wegen der Kinder. Ich habe sehr viele Kinder. Hätte ich sie nun dort im Dorf gelassen, dann hätten sie, dann hätten sie nicht das lernen können, was man hier in der Stadt lernen kann. Also habe ich es vorgezogen, hier in der Stadt zu bleiben, um, um meine Kinder dazu zu bringen, in die Schule zu gehen. [B.R.: Ach so.] Denn wenn du sie im Dorf da unten lässt, jeder, der sich ein bisschen mit der Schule auskennt, weiß, dass man, statt sich mit einem Umstand abzufinden, doch etwas tun kann, um seine Lage zu verbessern. Deswegen habe ich sie nicht dort im Dorf gelassen. So war das also, wegen der Ausbildung meiner Kinder. Aber Gott sei Dank ist das heute so, dass auch wenn jemand keine Stelle bekommen hat, wenn er wenigstens ein bisschen Französisch kann, wenn er schreiben kann, sich zu helfen weiß. (B.R.: Mmhmm.) Der kommt also mit seinem Leben zurecht.") B.S., Jahrgang 1949, Bobo-Dioulasso 10.3.1999. Übereinstimmend damit: T.B, Jahrgang 1935, Bobo-Dioulasso 16.3.1999; G.Z., Jahrgang 1930, BoboDioulasso 16.3.1999; G.G., Jahrgang 1947, Bobo-Dioulasso 16.3.1999; B.Z., Jahrgang 1953, Bobo-Dioulasso 18.3.1999; S.B., Jahrgang 1951, Bobo-Dioulasso 19.3.1999; R.D., Jahrgang 1948, Bobo-Dioulasso 23.3.1999; Y.T., Jahrgang 1956, Bobo-Dioulasso 23.3.1999; B.T., Jahrgang 1953, Bobo-Dioulasso 24.3.1999. („Aber immerhin haben wir, die wir in der Armee waren, ja doch etwas von der Welt gesehen. Ein Veteran, der dann seine Kinder nicht in die Schule schickt, also der, der hat nichts gesehen, der hat nichts gelernt.") B.S., Jahrgang 1949, Bobo-Dioulasso 10.3.1999. So G.G., Jahrgang 1947, Bobo-Dioulasso 16.3.1999: „II faut qu'ils soient civils. Quand je dis ça, qu'on les amène pour des, c'est ça qu'ils doivent être privilégiés, nous, notre sacrifice actuel, c'est de voir nos enfants arriver à des procédés que nous on n'a pas pu." („Aus ihnen sollten zivilisierte Leute werden. Wenn ich das sage, dass man sie da hin bringt, dann meine ich, dass sie privilegiert sein sollen, wir haben uns eigentlich dafür aufgeopfert, unseren Kindern Möglichkeiten zu geben, die wir selbst nicht hatten.") Im gleichen Sinne Y.K., Jahrgang 1937, Ouagadougou 5.3.1999.
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Kapitel 4 So G.G., der das dörfliche Milieu insgesamt als „sauvage" (unzivilisiert, wild) bezeichnet; Y.T., Jahrgang 1956, Bobo-Dioulasso 23.3.1999, der erklärt, er habe zahlreiche Auseinandersetzungen mit den Alten seiner Familie wegen der coutume (etwa „traditionelle Sitten und Gebräuche") geführt, die für ihn nicht mehr akzeptabel waren und die er seinen Kindern ersparen wollte; oder T.B., Jahrgang 1935, BoboDioulasso 16.3.1999, der sich nach eigenem Bekunden entscheiden musste, ob er den Anforderungen eines Lebens in der ländlichen Großfamilie nachkommen oder seinen Kindern ermöglichen wollte, ihre Zukunft zu meistern. So P.K., Jahrgang 1949, Tougan 17.5.1999: „Oui, si j'ai choisi ce parti, c'est pour d'avenir des enfants ... Parce que les enfants l'école, c'est leur avenir ... C'est pour ça que je suis dans le M.L.N. ..." („Ja, wenn ich mich für diese Partei entschieden habe, dann war wegen der Zukunft der Kinder ... Denn für die Kinder bedeutet die Schule ihre Zukunft ... Und aus diesem Grund bin ich im MLN ...") Die von Joseph Ki-Zerbo 1958 mitbegründete sozialistische Partei des Mouvement de Libération Nationale verfocht nicht nur eine stringente Politik der Ablösung von Frankreich und des föderativen Zusammenschlusses afrikanischer Staaten, sondern setzte sich insbesondere auch für eine effiziente Schul- und Bildungspolitik ein. Diese Berufsangaben basieren auf den Aussagen der Veteranen selbst. Soweit mir bekannt, wurde dieses Phänomen des sozialen Aufstiegs der Nachkommen von Veteranen im frankophonen Westafrika bislang nicht systematisch untersucht. Zu vergleichbaren Ergebnissen im Falle von Benin siehe Grätz in Höpp & Reinwald 2000: 266 ff. Dies betrifft J.B., Jahrgang 1938, Tougan 17.5.1999, der, als Sohn eines Berufssoldaten in Marrakesch aufgewachsen, sich gegen den ausdrücklichen Willen seines Vaters freiwillig zur Armee meldete und dessen einer Sohn acht Jahre in der voltaischen Armee gewesen ist. Nomen est Omen! Bolomakoté (von jula: M'bolomakote) bedeutet: „Ich habe keine (andere) Wahl" (siehe Fourchard 2001: 74). Fourchard (2001: 171 f.) weist in diesem Zusammenhang nach, wie das Bestreben, sich als Inhaber eines Grundstücks registrieren zu lassen, im Verlauf der 1950er Jahre fast die gesamte Stadtbevölkerung erfasste. Bereits 1950 wurden mehr als 300, 1955 schließlich 2 500 Anträge auf den Erwerb einer Parzelle in Bobo gestellt. Dieser Ansturm auf Bodentitel überforderte nicht nur die städtischen Verwaltungskräfte; die Nachfrage überstieg auch bei weitem die bereits ausgewiesenen Bodenressourcen und bewirkte einen regen Parallelhandel mit Parzellen und Bodentiteln.
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Namenspatron für dieses Viertel war der seinerzeitige Bürgermeister Max Accart. Im Diaire de Bobo-Dioulasso-Ville (Nr. V - 1.1.19474.10.1955, AGMA) wird Accartville im Eintrag vom 9.3.1955 erwähnt als „nouveau quartier qui débute derrière la gare". Die meisten der in Bobo-Dioulasso interviewten Veteranen haben hier bzw. im später daran angeschlossenen Secteur 21 gebaut (B.S., Jahrgang 1949, T.B., Jahrgang 1935, G.Z., Jahrgang 1930, G.G., Jahrgang 1947, Z.T., Jahrgang 1938, B.K., Jahrgang 1956, G.D., Jahrgang 1952, S.Y., Jahrgang 1939, S.B., Jahrgang 1951, R.D., Jahrgang 1948, und T.K., Jahrgang 1954, im Secteur 21: G.K., Jahrgang 1948, und Y.T., Jahrgang 1956).
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Anselme Sanon, Erzbischof der Diözese von Bobo-Dioulasso im Interview vom 22.3.1999 (Bobo-Dioulasso, Gedächtnisprotokoll). Die laut Monseigneur Sanon 1947 erstmals erprobte Neuerung bestand darin, den Latent als Zement zur Gießung des Fundaments zu benutzen und darauf die Lehmziegel der Region zu setzen, welche dann wiederum mit Lateritzement verputzt wurden, was den Häusern eine rötliche Farbe verleiht. Diese Bauweise hat sich in der Folge in der Stadt weit verbreitet. („Ich bin hingegangen, um ein Grundstück zu erwerben, es sollte 80 000 Francs kosten. Nun gut. Wollte man das, musste man eine Woche warten, weil man per Scheck bezahlen sollte. Damals gab es in Bobo keine Schecks. Nur in Ouagadougou. [E.K.: Ja.] Man musste warten, bis der Scheck kam. [...] Wir waren uns einig, der Typ und ich, er glaubte, dass ich ..., ich wollte nur eine Parzelle. Er hat mir die Erlaubnis {permis urbain d'habiter: städtischer Wohnberechtigungsschein, B.R.) gegeben. Und ich habe ihnen gesagt, sie sollen bis Samstagnachmittag warten, dann würde ich ihm das Geld geben. Und wirklich kam der Scheck am Samstagnachmittag an. Er lautete auf 80 000 Francs. Ich bin also hingegangen, um zu bezahlen. Der Typ hat auf mich gewartet. Da war ich nun. Er hätte gedacht, ich käme nicht mehr. Und es kostete 400 000 Francs, nicht 80 000. 400 000. Der Typ hatte es (in der Zwischenzeit) einem anderen verkauft. Als ich am Nachmittag ankam, sagte er: ,Gut, das hat ein Unteroffizier gekauft! ' In bar, weil er Geld gebraucht hatte. [...] Das Geld ist heute noch da. Ich habe nichts anderes kaufen können.") S.T., Jahrgang 1947, Tougan 16.5.1999. S.T.'s Bauprojekt lässt sich auf etwa 1958 datieren. Vermutlich handelte es sich bei der von ihm genannten Summe um 80 000 Francs CFA, was einem Gegenwert von umgerechnet 1 600 FF (etwa 244 ) entspricht. Erworben wurden in diesem Zusammenhang lediglich die Nutzungsrechte (iconcession provisoire), definitive Eigentumsrechte am Boden bedurften einer gesonderten Antragsprozedur (vgl. Fourchard 2001: 170).
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Kapitel 4 AGMA: Diaire de Bobo-Dioulasso-Ville V - 1.1.1947-4.10.1955, Eintrag vom 16.6.1954, S. 662. Auch die Station von Tounouma (AGMA: Diaire de Tounouma, 10.9.1946-20.7.1954, handschriftliches Exemplar, ohne Seitenzählung) verzeichnet ein solches Depot in Höhe von sieben Millionen Francs (Eintrag vom 13.7.1953). („... pour éviter que ne se diluent en pure perte dans le gouffre des appétits familiaux les économies souvent substantielles réalisées par les militaires retour de campagne.") AHC: Commandant de Cercle de BoboDioulasso, Bulletins mensuels de renseignement, Dossier: Fiches 1958, Nr. 22 - Habitat africain, juin 1958. Diese Maßnahme blieb offensichtlich nicht auf die Stadt begrenzt, sondern erstreckte sich auch auf Bauvorhaben in Dörfern (Chef de Subdivision de Houndé, Bulletin mensuel de renseignement, 12 juin 1958, in ebd.). Die Etymologie des Namens Sia ist umstritten. Eine populäre Überlieferung führt ihn auf eine gleichnamige i/o/o-Brauerin und Betreiberin eines cabarets zurück, deren Hirsebier von so guter Qualität war, dass es Kunden aus der ganzen Umgebung anzog und somit ihr Name zum Synonym für den Ort wurde. Weniger profan ist die von Sanou (1996: 120) bevorzugte Ableitung als Diminutiv von siaara (maninka, bamanankan: Friede, Glück). So die Erinnerungen von Monseigneur Anselme Sanon (BoboDioulasso 22.3.1999). Er teilte in diesem Zusammenhang die interessante Beobachtung mit, die Veteranen seien diejenigen gewesen, die das seit der Invasion der Dioula aus Kenedougou in Bobo verfemte Balafon wieder populär gemacht hätten. Ein solches cabaret habe ich während meines Interviews mit S.B. im Stadtteil Accartville kennen gelernt. In einer Ecke des Gehöfts befand sich die „Brauanlage", die von zwei seiner vier Ehefrauen bedient wurde. Unter einer provisorischen Dachplane saßen bereits am frühen Nachmittag alte Kriegskameraden in feucht-fröhlicher Stimmung beieinander, darunter auch einer, den ich am Vormittag im Viertel interviewt hatte. AGMA: Cahier des Missionaires de la Préfecture Apostolique de BoboDioulasso 5.2.1928-23.9.1960. Protokoll der Sitzung vom 8.7.1928 (Tagesordnungspunkt Œuvres-Exploitation: „II est entendu que la brasserie doit dans la mesure du possible fournir le nécessaire Le surplus, si besoin est, sera complété par la Procure. Bien que n'ayant une seule caisse, l'Économe tiendra un compte à fait des recettes ,Bières' et des dépenses .Exploitation'." Monseigneur Sanon (Bobo-Dioulasso 22.3.1999). Von einer vergleichbar gut organisierten logistischen Infrastruktur konnte Ouagadougou
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zunächst nur träumen. Erst im Anschluss an dessen Anbindung an die Eisenbahn 1954 ließen sich hier Handelsgesellschaften in größerem Umfang nieder (siehe Fourchard 2001: 205). ANS 10 N/305 (Colonie du Sénégal, Cabinet du Gouverneur, Bureau Militaire: Avis de mutations, réservistes, correspondance relatifs à la campagne d'Indochine): Cercle du Bas-Sénégal, Subdivision de SaintLouis, Note Nr. 79 vom 11.1.1952, bezugnehmend auf: Note de Service du Commandant Supérieur des Forces Armées de la Zone AOF-Togo, Etat-Major, Général Nyo, Dakar 8.12.1951. Monseigneur Sanon erinnert sich daran, dass die Caves Girondins, ein französischer Weinimporthandel in Bobo-Dioulasso, in den frühen 1950er Jahren ihren Absatz erheblich steigern konnten und der Inhaber eines französischen Handelshauses etwa um 1950 der erste Millionär in Bobo war. Die Veteranen wurden insbesondere um ihre Fahrräder beneidet, so dass die Kolonialadministration bereits 1949 die Schullehrer offiziell mit solchen ausstattete (Bobo-Dioulasso 22.3.1999). Für den Unterbezirk von Tougan siehe dazu Kouraogo (1989/90: 150). Mein Forschungsassistent, selbst Sohn eines Weltkriegsveteranen aus dem ländlichen Torna, teilte mir diesbezüglich mit, seine Familie habe sich im Hinblick auf Lebenshaltung, Kleidungs- und Konsumgewohnheiten von anderen abgehoben und er selbst sei insbesondere als Grundschüler sehr stolz auf seinen Anzug aus Khakistoff und seine Lederschuhe gewesen (Emile Adama Ky, Ouagadougou 26.2.1999, Gedächtnisprotokoll). („Ich kann kein Geschäft aufmachen, ich kenne mich im Handel nicht aus, ich kann nicht schreiben.") B.K., Jahrgang 1956, Bobo-DioulasssoAccartville 19.3.1999. Im gleichen Sinne, wiewohl mit einer ordentlichen Prise Selbstinszenierung unterlegt, äußert sich auch T.B. (BoboDioulasso-Accartville 16.3.1999), der sich seinerzeit mit Händen und Füßen gegen die Versuche eines französischen Offiziers wehrte, ihn im Handel unterzubringen: „Okay, pour être un bon commerçant quelque fois il faut savoir mentir, en tant que militaire gradé, je peux pas." AGMA: Société des Missionnaires d'Afrique (Pères Blancs), Rapport annuel, Nr. 46/1955-56, S. 282. Ebd. Dies kommt insbesondere im Rapport annuel, Nr. 47/1956-57, S. 266-68, zum Ausdruck, wo stagnierende Katechumenenzahlen, ein merklicher Rückgang der Teilnehmerinnen an der Sonntagsmesse und die zunehmende Gleichgültigkeit der Katholikinnen gegenüber ihren Nächsten beklagt werden. Zur hier nicht weiter zu verfolgenden Geschichte der Implantation und Expansion der katholischen Mission in Obervolta, ihrer regionalen Infrastruktur, Evangelisierungsstrategien,
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Kapitel 4 Bildungs- und Sozialeinrichtungen, Interaktion mit kolonialen Agenturen, Chefferie sowie den Auseinandersetzungen der Pères Blancs mit überkommenen religiösen Weltbildern und Praktiken siehe die Dissertationsarbeit von Abbé Sandwidé (1999). Vgl. auch die knappe, aber brillant recherchierte Erörterung der „religiösen Feste und Territorien" in Ouagadougou und Bobo-Dioulasso von Fourchard (2001: 215-244). So G.G., Jahrgang 1947, Bobo-Dioulasso 16.3.1999, der bei seinem Großvater, Soldat des Ersten Weltkriegs, aufwuchs; L.S. (Jahrgang 1950, Bobo-Dioulasso 10.3.1999), dessen Militärkarriere allerdings durch den Besuch der École des Enfants de Troupe bereits vorgezeichnet war; G.D. (Jahrgang 1952, Bobo-Dioulasso 19.3.1999), dessen Onkel, ein Soldat des Zweiten Weltkriegs, ihn zur Armee geschickt hat; B.T. (Jahrgang 1953, Bobo-Dioulasso 24.3.1999), dessen Motive ein wenig anders gelagert waren, insofern er seinen Altersgenossen, die bereits die Uniform trugen, nicht nachstehen wollte. Wie bei Abb. 18 handelt es wahrscheinlich auch bei Abb. 19 um eine vom Porträtierten selbst in Auftrag gegebene Aufnahme, bei der wir sogar über Datums- und Ortsangabe verfügen. AGMA: Diaire de Tounouma, 10.9.1946-20.7.1954, Eintrag vom 20.2.1948 (handschriftliches Exemplar ohne Seitenzählung). Sowohl M.S. (Jahrgang 1955, Ouagadougou 1.3.1999) als auch Monseigneur Sanon (Bobo-Dioulasso 22.3.1999) führen diese Veränderungen auf das Werk von Veteranen zurück. Anselme Sanon, Bobo-Dioulasso 22.3.1999. Der ivorische Arzt, Kakaopflanzer, Parteigründer und afrikanische Abgeordnete der französischen verfassungsgebenden Versammlung Félix Houphouët-Boigny, eine - inzwischen stark umstrittene - politische Persönlichkeit der westafrikanischen Dekolonisationsbewegung, war insbesondere durch seine erfolgreiche Initiative zur Abschaffung der kolonialen Zwangsarbeit bei der Bevölkerung im Südwesten Obervoltas zur charismatischen Figur geworden. Nach der Rekonstitution Obervoltas im September 1947 gelang es dem Voltaer Daniel Ouezzin Coulibaly aus dem Schatten dieses „Volkstribuns" zu treten. Er galt als besonnener und brillanter Politiker, der den RDA aus der Isolation herausführte, in die diese Partei durch die unerbittliche Verfolgung durch die Kolonialadministration geraten war. Zur ambivalenten Rolle Houphouëts in der Dekolonisationsbewegung siehe Tiémoko Coulibaly, Elites « évoluées » et populations « indigènes » en Côte d'Ivoire pendant la colonisation (1946-1960), Paris 1997 (unveröffentlichte Dissertation Universität Paris I Panthéon-Sorbonne). So K.K., Jahrgang 1951, Toma 14.5.1999; T.D., Jahrgang 1950, Toma
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14.5.1999; Y.D., Jahrgang 1939, Toma 14.5.1999; D.D., Jahrgang 1949, Toma 14.5.1999; Z.I., Jahrgang 1955, Torna 14.5.1999; L.Y., Jahrgang 1946, Tougan 16.5.1999; O.D., Jahrgang 1937, Tougan 16.5.1999; J.B., Jahrgang 1940, Tougan 17.5.1999; M.T., Jahrgang 1944, Tougan 17.5.1999; N.T., Jahrgang 1944, Tougan 17.5.1999; P.K., Jahrgang 1949, Tougan 17.5.1999. Demgegenüber jedoch S.T., der den festen Wunsch hatte, in Bobo-Dioulasso zu bleiben, nach seinem gescheiterten Bauprojekt dann aber in die Kleinstadt Tougan umzog; I.G., Jahrgang 1932, Tougan 16.5.1999, der nach sechs in seinem Heimatdorf verbrachten Jahren ebenfalls beschloss, nach Tougan umzuziehen und K.D., Jahrgang 1936, Tougan 17.5.1999, der nach der Entlassung aus der Armee feststellte, er sei für die Landwirtschaft „verloren". Er arbeitete in Ouagadougou zunächst als planton und trat nach der Unabhängigkeit in die garde républicaine ein, wo er es bis zum Feldwebel brachte. Nach der Pensionierung kehrte jedoch auch er nach Hause zurück. („Man darf nicht alles erzählen. Normalerweise muss ich in meinem Dorf ein Vorbild sein.") A.T., Jahrgang 1947, Tougan 17.5.1999. Joseph Ki-Zerbo, Ouagadougou 22.2.1999. H.T., Jahrgang 1955, Ouagadougou 1.3.1999; S.T. (Jahrgang 1947, Tougan 16.5.1999) berichtet von seinen Versuchsfeldern und seiner culture attelée, ein absolutes Novum in dieser Region, wo die Bauern dem Pflügen mit Zugtieren lange Zeit sehr ablehnend gegenüberstanden. So die Selbstbeschreibung von G.Z., Bobo-Dioulasso-Accartville 16.3.1999: „(...) tu t'es déplacée venir vers nous, les personnes hors combat, des personnes qui sont inutiles présentement." Aus der Fülle afrikanischer Romane, Novellen und Spielfilme, in denen der Veteran als déréglé, fou du village und/oder Alkoholiker figuriert, seien hier nur genannt: Sarzan (Verballhornung von Sergent) von Birago Diop (1961: 173-187), verfilmt durch Momar Thiam (1963), der zum Vatermörder werdende Indochina- und Algerienveteran Tanor Ngoné Diob in Véhi dosane von Ousmane Sembène (1966: 19-109), der verrückte Veteran in L'aventure ambiguë von Cheikh Hamidou Kane (1962), die Figur des „Dieudonné dit Verdun", Veteran des Ersten Weltkriegs in Morts pour la France von Doumbi-Fakoly (1983) sowie „Pays", der psychisch kranke ehemalige POW im Camp de Thiaroye (Sembène & Sow 1988) sowie der Veteran, Alkoholiker und letzte Gefährte des scheiternden Protagonisten in Tableau ferraille (Sène Absa 1996). Hinzuzuzählen wäre auch der brillante satirische Roman von Ahmadou Kourouma (1998), der die Porträts der megalomanen ehema-
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ligen Tirailleurs und Staatschefs Eyadéma und Bokassa zeichnet. Kourouma war selbst Indochinaveteran. Zur Untersuchung des Motivs des wahnsinnigen Kriegsheimkehrers, das sich auch durch zahlreiche belletristische und dokumentarische Werke der französischen Kolonialliteratur zieht, siehe Riesz (1997).
KAPITEL 5 Was ist der Veteranen Heimatland? Politische Profile Fokus dieses Kapitels ist der Versuch einer politischen Standortbestimmung voltaischer Weltkriegsveteranen im Spannungsfeld (spät)kolonialer Machtverhältnisse und sich verändernder politischer Binnenkonfigurationen innerhalb eines durch die Forderungen der Beherrschten nach Partizipation am politischen Entscheidungsprozess zu Konzessionen gezwungenen Empire. Nun lässt sich zwar im Hinblick auf die - grob gesprochen - letzten fünfzehn Jahre französischer Kolonialherrschaft durchaus von einer - durch den Zweiten Weltkrieg dynamisierten - Zeitenwende sprechen, welche auch von den Kolonisierten durchaus als solche wahrgenommen worden ist. Sprechen doch z.B. auch die von uns interviewten Veteranen verschiedentlich vom Beginn (des Zeitalters) der politique, um die sich in verschiedenen Bereichen ab 1944 manifestierenden Auseinandersetzungen und Verhandlungen über die künftige Gestalt des politischen Gemeinwesens zu markieren. Die potentiellen Richtungen der jeweils angestrebten Veränderungen und die konkurrierenden Zielsetzungen der in diese Prozesse verwobenen politischen Akteurinnen wären jedoch, wie im vorangehenden Kapitel bereits angedeutet, mit dem klassischen „Dreischritt" Kolonialherrschaft - Unabhängigkeitsbewegung - nationale Souveränität nur unzureichend erfasst. Dies impliziert eo ipso auch, Standardnarrative über die politische Bedeutung der Veteranen des Zweiten Weltkrieges zu hinterfragen - ein Argument, das in zweierlei Hinsicht Gültigkeit beansprucht, d.h. sowohl in „Gründungsmythen" afrikanischer Nationalstaaten kursierende als auch über Forschungsliteratur transportierte Einschätzungen meint. Demnach stellte es, wie Mann überzeugend darlegt, eine Verkürzung dar, etwa zu postulieren, der Zweite Weltkrieg habe „Afrika die Unabhängigkeit gebracht", und die Veteranen dieses Krieges hätten gewissermaßen als „Vorhut der nationalistischen Parteien" die „Unabhängigkeit errungen" (2000: 142, meine Übersetzung), eine Sichtweise, die sich indes nicht zuletzt auch deswegen so lange halten konnte, weil sie durch entspre-
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chende Stellungnahmen vonseiten der Veteranen selbst immer wieder unterfüttert worden ist (und wird). Aber auch die in militär- und sozialhistorischen Studien immer wieder vorgetragene - mal in die eine, mal in die andere Richtung beantwortete - Frage, ob Kriegsveteranen und aktiven Soldaten denn nun politische Bedeutung in nationalen Bewegungen beizumessen sei (ebd.),1 ist in gewissem Sinne Ausdruck einer reduktionistischen Sichtweise, insofern hier vom Endpunkt, dem letztlich konstituierten Nationalstaat, her argumentiert wird, ohne dass die Komplexität der dem fait accompli vorausgegangenen Prozesse und der in ihnen zur Disposition stehenden heterogenen und widerstreitenden Projekte von „Nation" in jedem Fall angemessen berücksichtigt würde. Einen Weg aus diesem Dilemma weist Manns Vorschlag, sich vom binär strukturierten Kausalitätsschema Kolonie - Nationalstaat abzulösen und die komplexe Gemengelage näher in den Blick zu nehmen, die sich aus der Konfrontation von Diskursen und Aktivitäten der verschiedenen Akteurinnen - Repräsentanten westafrikanischer politischer Parteien, Gewerkschaftsführer, Veteranen und Vertreter der französischen Kolonialadministration - ergab (ebd.: 143). Dies impliziert des Weiteren, Veteranen in diesem Geflecht widerstreitender Interessen zu positionieren, sie als „Akteure und Beobachter" (ebd.) politischer Auseinandersetzungen und Manöver sichtbar zu machen sowie sie in ihren wechselnden Allianzen und ihren aus gegensätzlichen Loyalitätsverpflichtungen resultierenden ambivalenten Handlungsorientierungen zu zeigen. Ebenso wie im Falle der im vorangehenden Kapitel skizzierten privaten Lebensverläufe ist auch im Hinblick auf die hier zu erörternden politischen Profile von stark heterogenen und sich unter dem Einfluss politischer Konjunkturwechsel im spätkolonialen wie postkolonialen Zusammenhang zum Teil erheblich verändernden Haltungen von Veteranen auszugehen. Vor diesem Hintergrund können die im Folgenden dargestellten Untersuchungsergebnisse keine allgemeine, d.h. für die gesamte Gruppe voltaischer Veteranen des Zweiten Weltkriegs zutreffende Antwort auf die Frage nach deren politischem Wirkungspotential geben, sondern lediglich verschiedene Facetten eines solchen Potentials aufzeigen, das, so mein Argument, auf dem gemeinsamen Erfahrungshintergrund dieser „Reisenden durch den Krieg" beruht.
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Der Umstand, dass Veteranen in den bewegten 1940er und 1950er Jahren überhaupt aus der Anonymität der Vielen herausgetreten und als politische Interessengruppe in der Öffentlichkeit erschienen sind, ist auf den „Erfahrungs- und Wissensvorrat" zurückzuführen, den sich die Betreffenden während ihres Militärdienstes angeeignet hatten, und der sie dazu bewog, Position zu beziehen. Ki-Zerbo ruft diesbezüglich in Erinnerung, dass die in der Mehrzahl aus „einfachen" ländlichen Verhältnissen stammenden Rekruten im Zeitraum von 1930 bis 1946 zu den wenigen Afrikanern gehörten bzw. die Einzigen ihres Milieus überhaupt waren, die das „Mutterland" aus eigener Anschauung kennen lernen konnten. Dass sie Erfahrungen mit Europa gesammelt hatten, über die nicht einmal afrikanische Beamte und Angestellte der Kolonialverwaltung verfügten, verlieh ihnen gegenüber den Daheimgebliebenen „eine gewisse Vorrangstellung, eine gewisse Bildung" 2 . Was nun die Beschaffenheit dieser Bildung angeht, so lässt sich vor dem Hintergrund ihrer oben beschriebenen untergeordneten Stellung innerhalb der Armee und der unterscheidenden Behandlung, der sie dort als Kolonialuntertanen ausgesetzt waren, davon ausgehen, dass sie Kenntnisse und Fähigkeiten weitestgehend auf dem Wege von Imitation und Erfahrungslernen erworben haben, sieht man einmal von denjenigen ab, die im Rahmen von Unteroffizierlehrgängen Sprachkenntnisse und Allgemeinwissen verbessern konnten (vgl. Echenberg 1991: 112-117). Blieb dieses Erfahrungswissen umständehalber in vielerlei Hinsicht lückenhaft und begrenzt, so hatte die Grenzüberschreitung doch grundsätzlich das Potential dieser Männer aktiviert, Situationen, Handlungs- und Verhaltensweisen vergleichen und beurteilen zu können, und ihnen somit das Rüstzeug an die Hand gegeben, sich nach der Rückkehr in die Kolonie aktiv in die gesellschaftliche Auseinandersetzung einzuschalten und, wie am Beispiel der „Meuterer" von Thiaroye bereits gezeigt wurde, ihr an der Front und in den Kriegsgefangenenlagern erworbenes Anrecht auf Gleichbehandlung einzufordern. Für diejenigen unter den Veteranen, welche aus ihren Erfahrungen weitergehende politische Forderungen ableiteten und mit Stellungnahmen und Aktivitäten auf ihre Landsleute einwirkten, prägt Ki-Zerbo den Begriff der „Intellektuellen, welche (jedoch) auf dem Wege praktischer Erfahrung zum geistigen Verständnis gelangt sind" 3 . Ki-Zerbo erkennt Veteranen prinzipiell den Status einer politischen Elite zu, die für
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die Emanzipation und die „wahre" Unabhängigkeit Afrikas kämpfte - der von ihm mitbegründete MLN gehörte 1958 zu den wenigen Parteien, die gegen den Verbleib in der Französischen Gemeinschaft votierten - , formuliert aber gleichzeitig zwei Vorbehalte. So weist er zum einen eine automatische Korrelation zwischen militärischem Rang, Bewusstseinsbildung und Zugehörigkeit zu dieser Elite ausdrücklich zurück. Zum anderen habe es sich bei dieser Elite nur um eine Minderheit gehandelt; die meisten Veteranen seien in einer äußerst zwiespältigen, aus unterschiedlichen Rollenerwartungen und Verhaltensanforderungen erwachsenen Situation verfangen geblieben: Mais il est évident aussi qu'on a tout fait pour les maintenir proche du système avec les associations d'anciens combattants qui étaient reçus spécialement, en entretenant aussi le mythe, la légende, la gloire militaire etc. Tout ça c'était assez ambigu. A qui ça servait: à la gloire de la France ou aux intérêts de l'Afrique ?5 Beim Versuch, die Rolle ehemaliger Soldaten in den politischen Auseinandersetzungen der späten 1940er und 1950er Jahre näher zu bestimmen und insbesondere ihr Selbstverständnis zu ermitteln, erhält man in der Tat abhängig von den jeweils konsultierten Quellen äußerst widersprüchliche Informationen, die auf eine komplexe Gemengelage widerstreitender Interessen zurückzuführen sind. Afrikanische Veteranen des Zweiten Weltkriegs wurden von verschiedenen politischen Interessengruppen stark umworben, angefangen von Regierungsvertretern, die vor allem angesichts der ungelösten Disparitäten in der Rentenfrage darüber besorgt waren, ob und wie lange Veteranen noch die „französische Karte" spielten, über Kolonialadministratoren, welche sie sich als Schlüsselgruppe für die Aufrechterhaltung geordneter Abläufe im politischen und Verwaltungsalltag zu kooptieren versuchten, hohe Offiziere der französischen Armee, die sich vor allem für den Einfluss der Ehemaligen auf die Disposition der Jungen, sich für die anstehenden Feldzüge anwerben zu lassen, interessierten, bis hin zu Repräsentanten der neu gegründeten westafrikanischen Parteien in ihrem Bestreben nach Mobilisierung der Bevölkerungen für den Kampf um politische Partizipation und Dekolonialisierung. Und schließlich gibt das Material auch vereinzelte Hinweise darauf, dass Veteranen selbst bestimmte persönliche Strategien und Gruppeninteressen verfolgten, die sich nicht
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in jedem Falle mit den Erwartungshaltungen deckten, die von anderen an sie herangetragen worden sind. Alle in diesen Kampf um Gefolgschaft und Loyalität der Veteranen involvierten Interessengruppen waren sich dessen bewusst, dass nur derjenige Terraingewinne zu erzielen in der Lage war, dem es gelang, sich ihrer ungelösten materiellen und sozialen Belange überzeugend anzunehmen, und der darüber hinaus ihrem spezifischen Selbstverständnis als korporierte Gruppe Rechnung trug, die um Anerkennung ihrer Opfer und Verdienste rang. Es handelte sich also im Kern darum, durch die Wahl geeigneter Mittel und Formen der „Ansprache" ein bestehendes PatronageKlientelverhältnis zu festigen (Mann 2000: 143) bzw. ein neues zu installieren - ein Prozess, dessen Dynamik und Virulenz zunächst einmal der jeweils verfolgten strategischen Zielsetzung der Kontrahenten geschuldet war. Erblickten - grob gesprochen - Repräsentanten der Metropole und der Kolonialadministration in ihnen generell „loyale Gefolgsleute", die sich allerdings gelegentlich als „Stimmvieh" einheimischer politischer Propagandeure missbrauchen ließen, so galten sie Letzteren eben deswegen, d.h. in ihrer Funktion als Wählerpotential und Massenbasis für Protestkundgebungen, als strategisch wichtige gesellschaftliche Gruppe, sowohl was die Stärkung ihrer Verhandlungsposition gegenüber der Kolonialmacht als auch den potentiellen internen Machtzugewinn gegenüber politischen Rivalen in den kolonialen Territorien selbst anging. Ausgehend von den strategischen Zielsetzungen der jeweiligen Interessengruppen bzw. den Kollisionen, die sich zwischen diesen Gruppen in Verfolgung ihrer Interessen ergeben haben, werden im Folgenden die multiplen politischen Bindungen ausgeleuchtet, die voltaische Veteranen im Untersuchungszeitraum eingegangen sind, und die Dilemmata herausgearbeitet, mit denen sie in ihren wechselnden Rollen als Adressaten und Aktivisten politischer Bewegungen, loyale Gewährsleute der mère-patrie, Anwärter auf staatliche Versorgungsleistungen und - nicht zu vergessen Bewerber um Ämter und Titel konfrontiert waren.
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Veteranen und politische Parteien - „Als Gleiche und Freie" [...] D'une façon générale, la formule 'un noir vaut un blanc' connaît un succès grandissant et les indigènes se montrent pointilleux dans son application.6 Quand l'indépendance a déclenché (sic!), alors beaucoup veut (sic!) être libres, avoir la liberté. Parce que il y avait des travaux forcés. Bon, dès que l'on te trouve, bon, avec ta femme, ou bien ta mère. On amène ta femme ou elle ne sait pas où tu t'en vas.(...) Sinon, en principe, au point de vue, vue humain, mais on était dans l'armée française, ça vaut mieux, parce que là-bas il s'est passé de tout et tout et tout. Mais on était fatigué. Parce que les gens, on les mettait de côté, on fait tout un tas de tralala, on les envoie aux travaux forcés sans, sans faire, sans salaires et tout ça là. Voyez, c'était dangereux. Alors donc, quand la guerre d'indépendance a éclaté, tout le monde était fier de ça.7 Diese beiden Zitate konturieren die allgemeine politische Aufbruchstimmung, von der breite Teile der Bevölkerungen in den französischen Kolonien Westafrikas unmittelbar nach Kriegsende erfasst waren. Während sich die Bewohnerinnen der Metropole anschickten, die Befreiung ihres Landes zu feiern und zur Normalität eines zwar noch über längere Zeit von Entbehrungen gekennzeichneten, aber freien Alltags jenseits von Vichy zurückzukehren, schien aus der Perspektive der Kolonisierten die Zeit gekommen, sich nunmehr das nehmen zu müssen, was man auch weiterhin gewillt schien ihnen vorzuenthalten. Zudem mögen ihnen, wie oben bereits angeklungen, nicht zuletzt die Ereignisse von Thiaroye nachhaltig demonstriert haben, dass sich trotz der ihnen abverlangten erhöhten „Kriegsanstrengungen" und der Verdienste ihrer Väter, Söhne und Brüder um die Befreiung Frankreichs keine Veränderungen im System der Zwänge abzeichneten. Vor diesem Hintergrund machten sie vielerorts ihrem Unrechtsempfinden Luft und begehrten auf unterschiedlichste Weise unter dem Slogan fanga bana - fanga wè - panga vo (etwa: Le forcement est finie - Il n'y a plus la force) gegen die anhaltende koloniale Präsenz auf: Leur réaction immédiate fut d'adhérer massivement au RDA et de revenir à l'organisation précoloniale. Dans plusieurs villages, les populations refusent de payer l'impôt, retirent les enfants des écoles, reprennent le mariage coutumier et se détournent de l'Évangile, les missionnaires étant désormais mal vus, pour avoir remis en cause les coutumes
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et notamment celles qui ne sont pas conformes à l'esprit de l'Évangile (Sanou & Konaté 1995: 56). Diese auf die Dörfer des Südwestens der Kolonie Obervolta bezogenen Beobachtungen aus dem Umfeld der Pères Blancs8 deuten darauf hin, dass sich die Protestbewegung zunächst in vielfältigen spontanen und lokal begrenzten Aktionen der Bevölkerung artikulierte und mehr oder weniger gegen alles, was als Zwang empfunden wurde, gerichtet sein konnte, angefangen von Steuerboykott und Arbeitsverweigerung über die Leerung der gemäß Verfügung der Bezirkskommandanten zwangsweise anzulegenden - dörflichen Vorratsspeicher bis hin zum beklagten „Abfall vom Evangelium". Kaum verwunderlich, dass die Dorfbevölkerungen, die unter der im Zuge des effort de guerre verschärften kolonialen Zwangsarbeit besonders gelitten hatten, die von der politischen Sammlungsbewegung RDA initiierte Kampagne zur Abschaffung der kolonialen Zwangsarbeit begeistert begrüßten und in dem ivorischen Arzt, Kakaopflanzer und chef traditionnel Félix Houphouët-Boigny, der den entsprechenden Gesetzesentwurf in seiner Funktion als Abgeordneter in die verfassungsgebende Versammlung in Paris eingebracht hatte, ihren „Retter" sahen. Stieg Houphouët nach der erfolgreichen Verabschiedung des Gesetzes am 11. April 1946 allgemein zum „Symbol der Freiheit und seine Partei zur Massenpartei" auf (Sanou & Konaté 1995: 56), so erlangte er damit gleichfalls hohes Ansehen bei einem Großteil der Veteranen.9 Wie im ersten Kapitel dargestellt, hatten doch auch sie im Rahmen der Zwangsarbeitseinsätze (prestations de travail) und/oder als Kontraktarbeiter einschlägige Erfahrungen gesammelt bzw. sich damals nicht selten zur Armee gemeldet, in der Annahme, damit das kleinere von zwei Übeln zu wählen. Hinzu kam, dass die Kriegsheimkehrer, die geglaubt hatten, ihre Familien seien aufgrund ihrer Dienste für Frankreich von Zwangsarbeiten und Schikanierung durch Dorf- und Kantonschefs verschont geblieben, sich häufig vom Gegenteil überzeugen mussten.10 Die Kampagne zur Abschaffung der kolonialen Zwangsarbeit ist im Kontext der wirtschaftlichen Modernisierungs- und Reformbewegung zu verstehen, mit der sich 1944 ein breites Interessenbündnis aus ivorischen Kaffee- und Kakaoproduzenten, personell weitgehend identisch mit bedeu-
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tenden Inhabern der traditionellen Chefwürde, sowie ivorischen Intellektuellen und Politikern gegen die Prädominanz französischer Plantagenbesitzer und ihre wirtschaftliche Diskriminierung erhob. Kernforderung der Bewegung war die vollständige Aufhebung aller Formen kolonialer Zwangs- und Kontraktarbeit, von der - gemäß entsprechenden Verordnungen der französischen Regierung - ausschließlich europäische Plantagenbesitzer profitierten. Autochthone Pflanzer waren ungeachtet der Größe ihrer Plantagen nicht nur von der Nutznießung dieses Arbeitskräftesystems ausgeschlossen, sondern zudem mit dessen Folgen, der Knappheit an freien Arbeiterinnen, konfrontiert. Mit Unterstützung des Gouverneurs der Côte d'Ivoire, André Latrille (1943-1947), der seinerseits in der Freisetzung afrikanischer Produktivkräfte und der Abschaffung des Zwangsarbeitssystems die Grundlagen für die ökonomische Prosperität der Kolonie sah, hatten sieben große Kaffee- und Kakaoplantagenbesitzer, darunter Houphouët-Boigny, am 3. September 1944 - im Anschluss an die in der Konferenz von Brazzaville verfügte Zulassung nicht-politischer afrikanischer Gewerkschaften und Vereinigungen - das Syndicat Agricole Africain (SAA) gegründet. Aus diesem Zusammenschluss ging im April 1946 die erste politische Partei der Kolonie, der Parti Démocratique de la Côte d'Ivoire (PDCI), hervor, Kern des unter der Führung von HouphouëtBoigny und seinem voltaischen Pendant Ouezzin Coulibaly im Oktober desselben Jahres in Bamako gegründeten überregionalen Rassemblement Démocratique Africain (Lawler 1992: 208-210). Die - allem Anschein nach aus pragmatischen Erwägungen 1946 vollzogene und bis 1950 aufrechterhaltene - Affiliierung mit dem PCF trug dem RDA sowie seinen Anhängern die unerbittliche Verfolgung seitens der Kolonialverwaltung ein, die unter anderem auch, wie im Folgenden noch erörtert wird, auf sympathisierende Veteranen ausgeweitet worden ist." Die in den Anfangsjahren überwältigende Popularität des RDA, der bereits in 1948 etwa 700 000 Parteimitglieder verzeichnete (Thompson & Adloff 1958: 85), ließe sich vielleicht am besten damit erklären, dass er mit der offiziell erklärten radikalen Zielsetzung, die Ausbeutung durch die Weißen zu beenden und Gleichberechtigung für Afrikanerinnen in allen Bereichen herzustellen, eine Plattform bereitstellte, auf der sich sowohl wirtschaftlich aufstrebende ivorische Agrarunternehmer und chefs tradi-
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tionnels, politisch ambitionierte westafrikanische Intellektuelle als auch die vielen wieder finden konnten, denen es um ihre existentielle Freiheit und Gleichstellung im Sinne einer Aufhebung der alle Facetten ihres Alltags bis dahin bestimmenden Zwänge ging. Dies galt in besonderem Maße auch für die Veteranen des Zweiten Weltkrieges, deren Forderungen nach Gleichstellung mit ihren metropolitanen Kameraden in Fragen der Entschädigungs- und Rentenzahlungen von Frankreich bis dahin unberücksichtigt geblieben waren und nunmehr Eingang in die Agenda des RDA fanden, aber auch von anderen Parteien wie der von Senghor 1948 mitbegründeten überregionalen gemäßigten Gruppierung der Indépendants d'Outre-Mer, IOM, oder des ebenfalls 1948 von Senghor gegründeten Bloc Démocratique Sénégalais, BDS, aufgegriffen wurden (siehe dazu Echenberg 1991: 148-153). Ohne die in der Folge aufgetretenen teils heftigen politischen Kontroversen zwischen der afrikanischen Partei neuen Typs, als die sich der RDA in öffentlichen Auftritten präsentierte, und den „gemäßigten", aus den afrikanischen Flügeln der französischen Section Française de 1'Internationale Ouvrière (SFIO) hervorgegangenen Organisationen an dieser Stelle weiter ausleuchten zu wollen,12 sei hier nur darauf hingewiesen, dass der Verhandlung der „Rentenfrage" bezüglich afrikanischer Veteranen zwischen 1947 und 1958 hohe Priorität in den parlamentarischen Aktivitäten der afrikanischen Abgeordneten der französischen Nationalversammlung, ohne Ansehen der jeweiligen Parteizugehörigkeit, zukam. Dies schlug sich u. a. darin nieder, dass sie zu dieser Problematik allein während der ersten Legislaturperiode (1947-1951) über zwanzig Gesetzesvorschläge einbrachten und in großer Zahl im Rentenausschuss, der commission de pensions, vertreten waren (Guillemin 1958: 864 f.). Dass es sich hier um eine Allianz handelte, welche die Interessen beider Seiten bediente, liegt auf der Hand. Für die Parteien waren die Veteranen als Zielgruppe politischer Mobilisierung von besonderer Bedeutung, insofern Frankreich ihnen das Wahlrecht zuerkannt hatte, ein Sachverhalt, der den Kandidaten Houphouët-Boigny vom Bloc Africain, Vorläufer des RDA, bereits im Oktober 1945 anlässlich der Wahlen afrikanischer Abgeordneter für die französische verfassungsgebende Versammlung zum Sieg getragen hatte:
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Parmi les candidats des non-citoyens, vient en tête de liste le Baoulé Auphouette [sic/], médecin, partisans [sic/] de puissantes réformes (...) Par ici, les anciens soldats et les chefs de village avaient voté en bloc pour le Baoulé (...) On redoute à Bobo (les Visages Pâles) des émeutes ou mouvements populaires, résultat des élections. Une espèce de groupement, le Bloc Africain, reconnu officiellement, qui a poussé Auphouette, reçoit des quantités d'adhésion, on demande aux adhérents 180 Fr et on leur promet qu'ils ne paieront ni impôt, ni versement à la Prévoyance, ni travail forcé. (,..)13 Diese zeitgenössische „Wahlbeobachtung" aus der Feder der Pères Blancs von Bobo-Dioulasso beschreibt Hintergründe und Akteure, die den Anlass dafür gaben, dass Bobo-Dioulasso, eine Stadt mit etwa 28 000 Einwohnerinnen, fortan zu einer Bastion des RDA und aus diesem Grunde zur Überwachungszone Nr. 1 wegen „kommunistischer Umtriebe" erklärt wurde. Die schätzungsweise 5000 Wahlberechtigten beider collèges setzten sich aus 1500 Bürgerinnen, der große Rest der non-citoyens überwiegend aus anciens combattants und Notabein zusammen; 14 letztere hatten aus genannten Gründen Houphouët den Vorrang vor dem Kandidaten des „Mossi-Blocks", einem Repräsentanten der Moose-Monarchie, gegeben (siehe auch Englebert 1996: 27). Auch auf außerparlamentarischem Wege erfuhr die Bewegung, die in Bobo-Dioulasso von der dort im August 1945 gegründeten Sektion des Comité d'Études Franco-Africain (CEFA) organisiert und koordiniert wurde, enormen Zulauf. Sehr zur Beunruhigung der Kolonialadministration präsentierten sich allein im Laufe des Monats Dezember 1945 täglich zwischen 50 und 100 neue Anwärter auf die Mitgliedschaft im CEFA, die sowohl aus der Stadt als auch dem ländlichen Einzugsgebiet des gesamten Verwaltungsbezirks von Bobo-Dioulasso stammten, so dass die Zahl der Mitglieder von etwa 250 im September 1945 auf insgesamt 8210 im Januar 1946 anstieg. Die Mitgliedskarten, auf die auch das obige Zitat anspielt, konnten dann ab Juni 1946 in Parteikarten für den PDCI „umgetauscht" werden (Fourchard 2001: 321 f.). Im Gegensatz zu anderen in der AOF aktiven Vorläuferorganisationen des RDA waren es in der bobolesischen Sektion des CEFA nicht die évolués - Repräsentanten der modernen westafrikanischen Intelligentsia - , sondern die ansässigen - in ihrer überwiegenden Mehrheit der muslimischen
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Reformbewegung zugeneigten - großen westafrikanischen Händler und Transportunternehmer, 15 welche die im Werden begriffene Massenpartei encadrierten, ihre Anwesen zur Vorbereitung und Durchführung von Kundgebungen sowie Parteitreffen zur Verfügung stellten (ebd.: 321, 324326) und somit zu den Intermediären des politischen Modernisierungsprozesses in der Stadt wurden: Les liens entre les députés ivoiriens Houphouët-Boigny et Ouezzin Coulibaly, les paysans et citadins du cercle de Bobo-Dioulasso étaient assurés essentiellement par ces quelques commerçants. Ceux-ci s'appuyaient sur tout le réseau dioula et commerçant de la ville et de la région et sur leur grande influence sur les paysans de la région (ebd.: 322). Ähnlich wie im oben skizzierten Falle des SAA, des Vorläufers der PDCI in Côte d'Ivoire, war die Dynamik der Parteibildung also auch im Bezirk von Bobo-Dioulasso durch die Präponderanz der wirtschaftlich aktiven, an der Prosperität ihrer Unternehmen interessierten einheimischen „Bourgeoisie" gekennzeichnet, die zudem in weiten Teilen personell identisch mit der lokalen Notabilität war. Statt „kommunistische Agitation" zu betreiben und sich als „gefügiges Instrument der Kominform [s/c/]" zu gebärden, wie ihr von Repräsentanten der Metropole vorgeworfen, 17 verfocht diese Bewegung ein durchaus modérâtes politisches Programm, in dem bezeichnenderweise nicht die Rede von staatlicher Unabhängigkeit war, sondern die Forderung nach Gleichstellung der afrikanischen Bevölkerung in arbeitsrechtlicher (Aufhebung der Zwangsarbeit, gleicher Lohn für gleiche Arbeit), wirtschaftlicher (Abschaffung der Privilegien für französische Unternehmer), politischer (Abschaffung der zwei Wählerkammern), sozialer und kultureller Hinsicht (Gesundheitsversorgung und Schulbildung) artikuliert wurde. Diese Indikatoren eines gemäßigten parteipolitischen Profils verschwanden in der Folge nicht nur hinter dem von der Kolonialadministration im Vollzug ihrer „Säuberungskampagne" aufgebauten Popanz, sondern wurden auch von der zeitgenössischen Forschung noch geflissentlich ignoriert, die mit der Gründung des RDA im Oktober 1946 die „jakobinische Phase der Revolution" angebrochen sah (Thompson & Adloff 1958: 84). Wenn überhaupt in solchen Kategorien zu sprechen ist, dann kündigte sich seinerzeit
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allenfalls die erste, girondistische, von den „Besitzbürgern" getragene Phase der Revolution an, in deren Basisforderungen sich nicht nur die vielen Besitzlosen - noch berücksichtigt fühlten, sondern die in gewisser Weise auch ein Kooperationsangebot an die Metropole enthielten, das mit den Interessen einer an der Modernisierung ihrer überseeischen Gebiete ausge18 richteten Metropole durchaus kompatibel gewesen wäre. Stattdessen setzten die Repräsentanten Frankreichs den Kurs auf Konfrontation und wandten die letztlich erfolgreiche Strategie des divide et impera an, um die voltaische West- und Südwestregion dem „Zugriff" der „dictature baoulé", so eines ihre Synonyme für den RDA, 19 zu entreißen. Wichtiger Bestandteil dieser Strategie war die Instrumentalisierung der in jenen Jahren gegründeten rivalisierenden Parteien, wie einer der Hauptprotagonisten, Houphouët-Boigny, aus dem Rückblick rekapitulierte: „A l'incompréhension, on a même ajouté une féroce et aveugle répression dans laquelle furent mêlés des adversaires politiques qui croyaient pouvoir bâtir une précaire fortune politique sur la ruine qu'ils espéraient définitive du RDA." 20 Unter dieser Prämisse wurde die Union Voltaïque (UV), eine im März 1946 unter der Schirmherrschaft des Mogho-Naba und unter dem Einfluss der katholischen Mission in Ouagadougou gegründete politische Formation regionalen und ethnischen Zuschnitts - sie repräsentierte in Programmatik und Anhängerschaft die Bevölkerungsgruppe der Moose (Mossi) - , systematisch auf dem gesamten Territorium Obervoltas verankert, eine Intervention, mit der auch, wie ein scharfsichtiger Berichterstatter aus dem Pariser Büro für Politische Angelegenheiten später erkannte, der politische Willensbildungsprozess der Bevölkerung des Südwestens an der Basis blockiert werden sollte: On assiste alors à l'organisation, par l'administration, de l'Union Voltaïque dans toute [s/c/] le territoire, dans le but de substituer ce parti au RDA dans les régions où il existait et de l'empêcher de s'implanter dans les régions où il n'avait pas encore pénétré. En fait, l'Union Voltaïque allait se superposer purement et simplement à la structure de la société mossie et en pays Bobo se situer en face du RDA d'une manière très artificielle. Ce type de parti est caractérisé par cette réflexion d'un administrateur, qui, au lendemain d'une élection, rendant compte que 'tout s'était passé
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très régulièrement', concluait ainsi: 'La masse africaine a écouté le Chef... les électeurs choisissaient le bulletin qu'avait pris le Chef.' 21 Mit der im September 1947 verfügten Rekonstitution der Kolonie Obervolta setzte die Kolonialadministration gewissermaßen einen territorialen Schlusspunkt unter das strategische Manöver, mit dem einerseits die Interessen der Union Voltaïque bedient und andererseits der Südwesten von den politisch „heißen" Zentren in der Elfenbeinküste abgetrennt wurde. Dort spitzten sich die Auseinandersetzungen zu und wurden erstmals auf die Straßen getragen, so im Januar 1949, wo mit großen landesweiten Demonstrationen, an denen sich auch viele Kriegsveteranen beteiligten, gegen die Repressionsmaßnahmen der Kolonialverwaltung gegenüber Mitgliedern des RDA protestiert wurde, oder im Januar 1950, wo im Verlauf weiterer Kundgebungen mehrere Demonstranten getötet wurden und wo die ersten Befehlsverweigerungen aufseiten der aktiven ivorischen Soldaten aus Elfenbeinküste zu konstatieren waren.22 Auch wenn sich im Vergleich dazu die Situation im Südwesten Obervoltas mittelfristig weitaus weniger dramatisch entwickelte und sich hier darüber hinaus mit der Person des voltaischen Repräsentanten des RDA, Daniel Ouezzin Coulibaly, ein anderer, weniger verbalradikal polarisierender denn um Ausgleich widerstreitender Interessen zugunsten der res publica bemühter politischer Führungsstil durchsetzte, 23 so blieb die Lage jedoch auch hier bis 1956 durch den von der Administration erklärten „Kalten Krieg" gekennzeichnet. Dessen hauptsächlicher Austragungsort war die Stadt Bobo-Dioulasso, Zentrum einer Protest- und Dissidentenbewegung, die sich zunehmend in öffentlichen Aktionen artikulierte und innerhalb derer das Interessenbündnis von Veteranen und dem RDA eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte.24 Alle Faktoren zusammengenommen - die Unzufriedenheit der Demobilisierten über ihre ungerechte Behandlung seitens der französischen Armee, ihre Feststellung, dass sich während ihrer Abwesenheit nichts in der Kolonie zum Besseren verändert hatte, aber auch ihr während der Militärzeit gewachsenes Selbstbewusstsein und Gerechtigkeitsempfinden - , überrascht es nicht, die Veteranen in den ersten Reihen einer Bevölkerung zu finden, deren lang aufgestaute Verbitterung über vielfältige Formen der Unterdrückung und Benachteiligung sich nunmehr auf verschiedenste Weise entlud. Fourchard weist zu Recht darauf hin, dass es bei den diver-
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sen im Bezirk von Bobo-Dioulasso zwischen 1945 und 1950 verzeichneten Aktionen „der Straße" - egal, ob sie nun spontan auftraten oder vom RDA organisiert wurden - , nicht darum ging, die koloniale Ordnung umzustürzen (Fourchard 2001: 345), sondern dass sich in ihnen das Bedürfnis Bahn brach, mit der von der Kolonialadministration gedeckten Willkürherrschaft der Kantonschefs aufzuräumen, gegen die Arroganz der weißen Arbeitgeber in den Handelsgesellschaften und Privatunternehmen zu protestieren oder gegen eine ausschließlich an den Interessen von Kolonialadministration und Chefferie ausgerichtete Justiz aufzustehen. In all diesen Aktivitäten verkörperte sich ein Drang nach Gerechtigkeit, gekoppelt mit der Bereitschaft zur Selbstjustiz, wie er sich z.B. im Schrei einer aufgebrachten Menge in Bobo im August 1949 an die Adresse der ihrer Meinung zu permissiven Polizeikräfte artikulierte: „Si vous ne nous faites pas justice, nous le ferons nous-mêmes!"25 Ein solcher - von Veteranen angeführter - Akt von Selbstjustiz war der im September 1946 von 2000 Bewohnerinnen verschiedener Dörfer des Kantons von Séguédougou verübte bewaffnete Überfall auf den Kantonschef in Kourouma, gegen den in Bobo-Dioulasso seit Mai desselben Jahres bereits eine Klage wegen anhaltender Rekrutierung seiner Untergebenen zur Zwangsarbeit und der Entführung von Frauen anhängig war, augenscheinlich aber verschleppt wurde. Mit der „direkten Aktion", die sechs Menschenleben kosten und 258 Bauern ins Gefängnis von Bobo bringen sollte, beabsichtigten die Angreifer nach Angaben des Berichterstatters der katholischen Mission, „enlever le mil emmagasiné l'an dernier au nom de l'adminisitration [s/c/] et encore stocké dans les greniers du chef, lui enlever argent et femmes et tuer le chef lui-même"26. Naheliegenderweise vermutete auch dieser Berichterstatter die Hintermänner des Überfalls im Kreise der üblichen Verdächtigen. Was er indes nicht erwähnte: die anschließende Verhaftung der Bauern löste eine breite Solidarisierungswelle unter den Bobolesinnen aus und verstärkte deren Vorbehalte und Ablehnung gegenüber Polizei, Justiz und Kolonialverwaltung (Fourchard 2001: 330). Mehr noch: Als im Dezember desselben Jahres 400 Beschäftigte der Handelsgesellschaft SCOA infolge einer willkürlichen Entlassung zweier Kollegen in den Ausstand traten und sieben von ihnen aufgrund einer Kla-
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ge der SCOA verhaftet wurden, führte dies die bis dahin größte öffentliche Kundgebung in Bobo-Dioulasso herbei: 1000 bis 2000 Menschen - die Quellenangaben variieren - versammelten sich vor dem Palais de Justice, um die bedingungslose Freilassung der Inhaftierten zu fordern. Um einem gleichzeitigen, an alle Beschäftigten und Hausangestellten der Europäerinnen gerichteten Aufruf zur Arbeitsniederlegung Nachdruck zu verleihen, verschafften sich mit Stöcken und gerüchteweise sogar mit Macheten bewaffnete Gruppen Zutritt in die Häuser der Europäerinnen. Die aufgeheizte Stimmung der Menge drückte sich in Beschimpfungen und Belästigungen von Europäerinnen aus und drohte angesichts der vom Friedensrichter verhängten - vergleichsweise moderaten - Gefängnis- und Geldstrafen zu eskalieren. Auf Anfrage des Richters wurden ein MG-Geschützwagen und ein Lastwagen mit Soldaten an den Ort des Geschehens geschickt, „um Angst zu machen". Über den weiteren Verlauf und die Deeskalation der Krise gibt es verschiedene Versionen. Folgen wir unserem Berichterstatter von der Mission: Les tirailleurs sont hués. Eux sourient et disent: « Ne vous en faites pas, nous sommes tous frères, nous ne vous ferons aucun mal. » L'adujant [sic!] qui les commande ne peut obtenir qu'ils descendent de la voiture. L'auto repart sous la risée des gens. Le Député Ouezzen [sic! Ouezzin Coulibaly, B.R.] arrive sur les lieux, [...] va trouver le Juge, en sort et veut parler à la foule, l'inviter à se retirer. Rien! Quelques uns crient: « Nous nous retirerons quand on aura délivré notre camarade ! » ... Il insiste: « Vous me faites honte, vous m'avez choisi pour régler vos affaires, et vous me refusez mon intervention. Faites-moi confiance, j'arrangerai votre affaire. » Quelqu'un crie: « C'est vrai, on n'a qu'accepter. » Et tous se dispersent après avoir promis de reprendre le travail à 2 heures.27 Es ist ungewiss, ob der knapp verhinderte blutige Ausgang dieser öffentlichen Massenkundgebung vom Dezember 1946 nun auf die Besonnenheit und Wirkungskraft des Politikers Coulibaly zurückzuführen war oder ob die - ausschließlich in der oben zitierten Quelle dokumentierte - Befehlsverweigerung der afrikanischen Truppe hier eine Rolle bei der Deeskalation gespielt hat. 28 Nichtsdestoweniger gibt dieses Beispiel Aufschluss darüber, wie ein banaler Arbeitskonflikt mangels Einrichtungen der Aushandlung und Schlichtung in einen latenten Protest der vielen ein-
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gespeist und von da aus zum Aufruhr wurde, in dem sich eine die Dämme der kolonialen Ordnung brechende Eigendynamik entfalten konnte (vgl. Fourchard 2001: 332 f.). Wie bereits oben am Beispiel der Ereignisse von Thiaroye argumentiert wurde, ging die sich hier manifestierende antikoloniale Physiognomie des Protestes weder ausschließlich auf das Werk politischer Agitatoren zurück, noch nahm dieser seinen Ausgang von den Rändern der Gesellschaft her, wie Fourchard überzeugend darlegt. Für seine Hauptakteure, Lohnarbeiter und Handwerker, die einem „stabilen", in den kolonialen Arbeitssektor gut integrierten Milieu entstammten und sich auf die ihnen nunmehr verbürgten Rechte der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit beriefen, wurden „wilde Streiks [somit] zum einzigen Mittel des Dialogs zwischen Personal und europäischen Unternehmern, welche der geringsten Verhandlung feindlich gegenüberstanden" (ebd.: 331 f., meine Übersetzung). Dass er nicht auf die verhältnismäßig kleine Gruppe der Lohnbeschäftigten begrenzt blieb, war einer Mobilisierung geschuldet, innerhalb derer Beziehungen und Netzwerke der „kleinen Leute" auf der Ebene von Freundschaft, Nachbarschaft und Wohnviertel erfolgreich aktiviert wurden (ebd.: 333). Nicht alle der für den Zeitraum 1945-1950 recht zahlreich belegten „direkten Aktionen" und Kundgebungen waren durch einen vergleichbaren politischen Impetus charakterisiert. Die Quellen legen darüber hinaus nahe, dass sie den daran beteiligten Veteranen überdies nicht selten zum Vorwand wurden, um persönliche Rechnungen mit Dorf- und Kantonschefs, aber auch mit Vertretern der katholischen Mission, zu begleichen.29 Was nun aber Prozesse der politischen Willensbildung im engeren Sinne angeht, so kam auch die Kolonialadministration nicht umhin, dem RDA für die gesamte Südwestregion Obervoltas eine erfolgreiche Mobilisierung im Milieu der Veteranen des Zweiten Weltkriegs zu bescheinigen. Insbesondere zwischen 1946 und 1952 haben die ehemaligen Soldaten durch ihre aktive Teilnahme an Demonstrationen, Kundgebungen und Parteiversammlungen, als Wähler und Mitglieder diese Partei entscheidend gestärkt. Im Übrigen dürfte es ihrem militärischen Selbstverständnis durchaus geschmeichelt haben, wenn die Partei sie darüber hinaus für spezielle Aufgaben rekrutierte, so in Bobo-Dioulasso, wo ab 1947 etwa 50 mit Fahrrädern ausgestattete Veteranen als Ordnungskräfte des RDA ihren
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Dienst aufnahmen. Sie begleiteten Demonstrationen, mobilisierten Bewohnerinnen der Stadt und der umliegenden Dörfer für Kundgebungen, hielten als Kuriere den „Funkkontakt" zwischen dem Sitz der Zentrale und den Unterabteilungen in den Vierteln aufrecht und bildeten Eskorten anlässlich offizieller Besuche der RDA-Prominenz in der Stadt (Fourchard 2001: 340). Wie die Lokaladministration durchaus richtig erkannte, erklärte sich der Erfolg des RDA bei der Bevölkerung in der Region - und somit auch bei den Veteranen - in erster Linie damit, dass ihm die Verdrängung unliebsamer Kantonschefs zugeschrieben wurde. Was diese Partei darüber hinaus für Veteranen anhaltend attraktiv machte, war, wie die Behörden ohne Weiteres den Spitzelberichten und Protokollen der vom Friedensgericht in Bobo-Dioulasso angestrengten Verhöre von Teilnehmern an Kundgebungen des RDA entnehmen konnten, das immer wieder bekräftigte Versprechen, sich ihrer von Frankreich verschleppten Belange in Fragen der Renten und Entschädigungszahlungen anzunehmen. 31 Für dessen Umsetzung garantierte der wichtigste Verbindungsmann zwischen der Partei und den Veteranen, der guineische Veteran Souleymane Cissé, Mitglied des RDA und langjähriger Vorsitzender der Veteranenvereinigung von BoboDioulasso, der zudem dem Kreis der oben erwähnten großen Händler der Stadt nahe stand (vgl. Fourchard 2001: 353). Unter der Ägide von Albert Mouragues, der 1948 sein Amt als erster Gouverneur der wieder belebten Kolonie Obervolta aufnahm und sich die unerbittliche Verfolgung des RDA als „verlängerten Arms des internationalen Kommunismus" auf die Fahnen geschrieben hatte (siehe Ouédraogo 1995), 32 wurde Cissé zur bête noire der Behörden, die seinen unermüdlichen und effizienten Einsatz für die Veteranen mit einer groß angelegten Verleumdungskampagne zu diskreditieren versuchten. 33 Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass Hauptmann Liger, Leiter einer von der französischen Armee eingesetzten Untersuchungskommission zur Verbesserung der Lage der Veteranen, anlässlich einer ersten Erkundungsreise durch den Südwesten Obervoltas im Herbst 1948 ein wenig schmeichelhaftes Porträt von Cissé zeichnete: A BOBO-DIOULASSO, la réunion des anciens combattants, 200 environ, n'a été marquée d'aucune manifestation antipathique. Cependant,
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il est prudent de n'en tirer aucune conclusion hâtive quand on sait que le Président de la Section Locale des Anciens Combattants de BOBO, est 'Commissaire Général à la Propagande R.D.A.' pour la région de Bobo-Dioulasso, que c'est un homme très actif, très agissant & très dangereux, se signalant par l'âpreté de ses revendications et de ses critiques à l'égard de la FRANCE, que son activité a abouti à faire démissionner, en mai dernier, 2 Européens du Bureau de la Section d'Anciens Combattants que depuis le rapatriement récent du dernier européen du bureau il agit encore plus aisément auprès des Anciens Combattants qu'il soumet entièrement à son influence.34 Die Zweifel von Gouverneur Mouragues an der Loyalität des „militärischen Elements" in Bobo-Dioulasso waren indes nicht ganz unbegründet, wie sich in der Folge nicht nur an den sehr deutlichen an die Armee gerichteten Missfallensbekundungen zeigte, die Liger seitens der Veteranen in den Dörfern des Südwestens entgegenschlugen; die ehemaligen Soldaten gaben ihm darüber hinaus auch unmissverständlich zu verstehen, der RDA kümmere sich schon um ihre Angelegenheiten, er möge sich an ihren Parteisekretär Houphouët wenden, der allein führe hier das Kommando und werde ihm schon sagen, wie er seine Arbeit zu verrichten habe. 35 Dass dies nicht nur verbalradikale Bekundungen waren, bewiesen die geschlossen hinter ihrem Vorsitzenden Cissé stehenden Veteranen des Bezirks auch auf andere Weise. Zum Zeichen ihres Protestes, der sich auch gegen die Rekonstitution der Kolonie Obervolta und die „künstliche" Prädominanz der UV richtete, blieben die anciens combattants während des ganzen Jahres 1948 den Festivitäten und Aufmärschen zum 18. Juni (Londoner Appell de Gaulles), zum 14. Juli etc. fern; im Dezember 1948 schließlich weigerte sich die gesamte städtische Bevölkerung, die Visite des französischen Überseeministers Coste-Floret mit der üblichen Aufreihung entlang der Hauptarterie der Stadt zu begehen (Fourchard 2001: 310). Protest lautete darüber hinaus auch die Devise der Veteranen, als sich die Bezirksverwaltung anschickte, ihre Association auszuhebein, indem sie im Juli 1949 eine Parallelorganisation, die Amicale des Anciens Combattants, aus der Taufe hob, als deren Vorsitzender Leutnant Joseph Niandegue Ouattara, ein der Union Voltaïque und der katholischen Mission nahe stehender Veteran, figurierte. In einer handstreichartigen Aktion sollte Cissé im Dezember 1949 abgesetzt und Ouattara zum Präsidenten der As-
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sociation Unique des Anciens Combattants de Bobo-Dioulasso ausgerufen werden. Doch die „Basis" verweigerte diesem Eingriff in ihre Angelegenheiten ihre Akzeptanz, wie nicht zuletzt das überwältigende Abstimmungsergebnis von 1800 gegen 17 Stimmen zugunsten von Cissé eindrucksvoll demonstrierte. Und dies, obwohl die Amicale - von der Administration finanziell unterstützt - mit der Einrichtung einer Kooperative, in der sich Veteranen zu moderaten Preisen mit Waren des täglichen Bedarfs eindecken konnten, sowie mit Zuwendungen an bedürftige und kriegsversehrte Veteranen für sich geworben hatte. Ebenso wenig beeindruckt zeigten sich die Veteranen von der Eröffnung des Maison du Combattant, ihres Vereinshauses, auf dessen rasche Fertigstellung die Administration gedrungen hatte, in der Hoffnung, auch damit einer politischen Neuordnung der Veteranen Aufschwung zu verleihen. Das Gegenteil war der Fall: Die Betreffenden boykottierten dieses Vereinslokal und hielten ihre regelmäßigen Zusammenkünfte stattdessen in ungebrochener Tradition auf dem Anwesen von Souleymane Cissé ab, der von einer erneut eingesetzten Untersuchungskommission letztlich in aller Form rehabilitiert wurde.36 Das Vereinslokal (siehe Abb. 20) wird heutzutage allerseits gern und häufig frequentiert, wie ich im Rahmen mehrerer Besuche dort feststellen konnte; einzig der Name der auch heute noch als Association Unique des Anciens Combattants firmierenden Vereinigung von Bobo deutet auf die bewegten Auseinandersetzungen jener Jahre um die „legitime", d.h. von den Betreffenden gewollte oder ihnen „genehme" Vertretung dieser Gruppe hin. Ab etwa 1952 trat eine merkliche Beruhigung der aufgeheizten politischen Lage im Südwesten Obervoltas ein, die sich aus dem Zusammenwirken einer Reihe teils miteinander verknüpfter Faktoren erklären lässt. Auf der Ebene des voltaischen Gouvernements setzte die Ablösung von Albert Mouragues eine Zäsur: Sein Amtsnachfolger Roland Pré kennzeichnete bereits 1952 die Verfolgung des RDA als enormen Fehler, mit dem man sich der Chance begeben habe, diese Partei in die Union 37
Française zu integrieren. Für jenen - sich in der Realpolitik allerdings nur zögerlich niederschlagenden - Umdenkprozess spielten natürlich der im Oktober 1950 vom RDA vollzogene Bruch mit dem PCF und seine parlamentarische Allianz mit der von René Pleven und François Mitterand geführten Union Démo-
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cratique et Sociale de la Résistance (UDSR) eine wichtige Rolle (vgl. Englebert 1996: 29). Man mag darin nun einen markanten Richtungswechsel vom Radikalismus zur Reform (ebd.) erkennen oder ein taktisches, machtpolitisches Manöver (Coulibaly 1997), mit dem nicht zuletzt deutliche Wahlniederlagen sowie ein in verschiedenen Territorien der AOF spürbarer Schwund der Anhängerschaft aufgefangen werden sollten (Thompson & Adloff 1958: 93 f.). Für die Bevölkerungen im Südwesten, allen voran die Bewohnerinnen von Bobo-Dioulasso, markierte dies das Ende der vom RDA encadrierten „Aktionen der Straße". Erfolgsmeldungen vom Stile: „La population s'est assagie!" durchzogen die politischen Berichte der 1950er Jahre. Ob der von der Bezirksadministration mit Genugtuung konstatierte Rückzug der vielen aus der politique nun allerdings aufseiten der Betreffenden als Resultat besserer Einsicht oder als Ausdruck von Resignation zu deuten ist, sei mangels Quellen dahingestellt (vgl. Fourchard 2001: 344). Im Hinblick auf die Veteranen begann schließlich - beginnend mit der Mission Liger - eine Politik der Hinwendung zu greifen, mit der ihnen die kolonialen Agenturen auf verschiedenen Ebenen signalisierten, Frankreich habe sie nicht vergessen. Über der hier skizzierten spezifischen Konstellation und Virulenz des politischen Kräftemessens im Südwesten der Kolonie sollte allerdings nicht vergessen werden, dass die Partizipation voltaischer Weltkriegsveteranen am Prozess der politischen Willensbildung zwischen 1945 und 1960 insgesamt durch starke regionale Gegensätze geprägt war und auch im Punkte ihrer politischen Loyalität äußerst unterschiedlich zu bewerten ist, wie ein kurzer vergleichender Blick auf die Entwicklung im Zentrum sowie im Westen des Landes zeigt. So marschierten die anciens combattants des „Mossi-Plateaus", der Region um die Hauptstadt Ouagadougou, welche die zahlenmäßig bedeutendste Gruppe voltaischer Veteranen stellten, mit den Chefs, d.h. sie standen in ihrer überwiegenden Mehrheit der 1946 gegründeten Union Voltäique (ab Dezember 1954 Parti Social d'Éducation des Masses Africaines, PSEMA) nahe. Damit erwiesen sie gewissermaßen sowohl der monarchistischen Tradition, verkörpert durch den Mogho Naba, als auch der katholischen Kirche ihre Reverenz und gaben auch der Kolonialadministration insgesamt kaum Anlass, an ihrer Loyalität gegenüber der mère-patrie zu zwei-
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fein (Englebert 1996: 27-32). Einer ihrer prominentesten Repräsentanten an der Parteispitze, der FFL-Kombattant Joseph Conombo, ist uns im Fortgang dieser Arbeit verschiedentlich begegnet. Im Westen und Norden der Kolonie - vor allem in den Einzugsgebieten von Tougan und Ouahigouya - schlössen sich zwischen 1951 und 1956 viele ehemalige Soldaten dem mit dem gaullistischen Rassemblement du Peuple Français (RPF) affiliierten Mouvement Dorange (ab 1956 Mouvement Démocratique Voltaïque, MDV) an, der sich unter der Führung des französischen Offiziers Michel Dorange ihrer Belange angenommen hatte. Von allen politischen Formationen in Obervolta konnte diese Bewegung wohl die größten lang anhaltenden Erfolge bei den Veteranen verzeichnen, so dass sie bald über diese Regionen hinaus als die „Veteranenpartei" galt, ja ehemalige Soldaten als ihre treibende Kraft angesehen wurden. Die politische Karriere von Hauptmann Dorange, Absolvent der Elitenoffiziersschule von Saint-Cyr und Weltkriegsteilnehmer, nahm ihren Ausgang 1945 mit seiner Ernennung zum Beigeordneten des Bezirkskommandanten von Ouahigouya (bis 1948 Kolonie Soudan), wo er angesichts der desolaten Lage der Demobilisierten und Kriegswaisen überwiegend in Eigenregie eine Reihe humanitärer und sozialer Maßnahmen in die Wege leitete. So veranlasste er u. a. den Bau eines Waisenhauses in Ouahigouya und initiierte die Dorange Raaga, die „Märkte von Dorange", die regelmäßig überall im Bezirk abgehalten und wo Produkte des täglichen Bedarfs sowie Importwaren zu erschwinglichen Preisen - und in knappen •50
Zeiten auch auf Kredit - angeboten wurden (Sanou 1992/93: 34). Darüber hinaus unterstützte er die Veteranen in ihren Rentenforderungen gegenüber der französischen Armee, was ihm verständlicherweise die ungeteilte Sympathie in breiten Kreisen der Bevölkerung des Bezirks eintrug und bis heute nicht vergessen worden ist, wie die Stellungnahmen einer Reihe von interviewten Veteranen aus Tougan bezeugen, die sich als ehemalige Anhänger von Dorange zu erkennen geben bzw. erklären, mit ihm 39 zusammengearbeitet zu haben.
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Abb. 20: Ansicht des Vereinshauses der Veteranen von Bobo-Dioulasso, 1999
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Den Untersuchungen von Sanou zufolge beschränkte sich die Klientel von Dorange nicht auf Veteranen, sondern umfasste neben einer sehr kleinen Gruppe von évolués, Schullehrern und Verwaltungsangestellten, auch Bauern und Viehzüchter, die ebenso wie die Veteranen mit Machtmissbrauch und Übergriffen seitens der Chefs und der Kolonialadministration konfrontiert waren (ebd.). Unbestritten scheint jedoch die tragende Rolle der ehemaligen Soldaten, was die Koordination von Aktivitäten, Informationsdienste und die Mobilisierung der Wählerbasis betrifft, was aber auch alle sonstigen logistischen Aufgaben z.B. anlässlich der Märkte einschloss. Einem von Sanou interviewten Veteranen und ehemaligen Aktivisten der Dorange-Bewegung zufolge waren Abhaltung der Märkte und politische Mobilisierung gekoppelt: „Iis [les marchés, B.R.] se terminaient par un meeting dont les objectifs étaient de pouvoir haranguer les foules, de leur donner des mots d'ordre, des informations et des instructions politiques"40. Diese sehr individuelle Auslegung des Gaullismus seitens Dorange stieß auf äußerstes Missfallen der Kolonialadministration, die seine Bewegung als „parti d'intrigues et d'agitation" und aufgrund der massiven Präsenz von Veteranen in ihren Reihen als latent „paramilitärische" Gruppierung anprangerte. Ihre Prognose, die Zentrierung auf den Einen, Gründer und alleinigen Motor aller Aktivitäten, mache ihre Fragilität aus und das Ende dieser suspekten Bewegung sei absehbar, bewahrheitete sich indes nicht. 41 Im Gegenteil: Nach dem Sieg des Mouvement Dorange bei den Parlamentswahlen 1956 in der Provinz Yatenga konstituierte sich die Bewegung zur Partei, dem überregionalen MDV. Er stellte bereits 1957 sieben von zwölf Ministern der voltaischen Regierung, darunter Dorange selbst, der das Innenministerium übernahm (Ganne & Ouédraogo 1996: 219) 42 Wie im Falle der parlamentarischen Allianz zwischen RDA und PCF spricht auch hier viel dafür, dass beim vorübergehenden Anschluss an den RPF taktische und Schutzerwägungen Doranges eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben (Sanou 1992/93: 45). Zumindest lässt sich die später ins Feld geführte These nicht halten, der Mouvement Dorange habe damit die Voltaer, als wären sie etwa Franzosen, de Gaulle zuführen wollen. Dies zeigt sich insbesondere im Hinblick auf die Programmatik dieser Bewegung, die in sehr allgemeiner Form „lediglich Gerechtigkeit und
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Gleichheit für die Voltaer forderte", sich „keiner Ideologie verpflichtet erklärte" und über „keinerlei politische Theorie, geschweige denn nationalistische Zielsetzung verfügte", die aber insofern „auf die Befreiung gerichtet [war], als sie den Voltaern die Mittel für ihre Entwicklung an die Hand geben wollte" (Sanou 1992/93: 45, meine Übersetzung). 44 Eben jene Botschaft fiel bei den Adressaten auf fruchtbaren Boden, wie die enthusiastischen Bekundungen unserer Interviewpartner bestätigen: [...] parce que tous les Africains, tous les soldats africains, parce que il veut comprendre moi, ça c'est bien. [...] Ahan! Il dit à moi aussi, que tu fais une lettre à Tougan et tout ça. Il a même, il nous laisse euh sa parole, nos paroles, quoi! Ouais! 45 C'est lui qui a, c'est lui qui est fait nous l'entrer, entrer, c'est lui qui nous fait, il donnait la lumière, pendant qu'il était Ouahigouya. [...] grâce à lui chez nous on est maintenant actuellement en cotisation. [...] Voilà! Donc moi je dis que il est bien pour nous. 46 Die aus diesen Statements sprechende Anhänglichkeit an einen, der sie ernst nahm, einen ihnen zugewandten Berater, Fürsprecher und sich uneingeschränkt für ihre existentiellen Anliegen einsetzenden patron?1
die in
der Tat Anklänge an eine andere große Vaterfigur, General de Gaulle, erkennen lässt, verdeutlicht sehr gut, wie ich meine, dass sich Dorange seine Sympathien im Milieu der Veteranen nicht in erster Linie als Politiker sondern als seinen Einfluss in ihrem Sinne gebrauchender Kamerad erworben hat. Dies gilt umso mehr, als ihnen das Terrain der politique
als
äußerst schlüpfriges Betätigungsfeld erschien, von dem sie sich überdies bis heute keinerlei Nutzen erwarten: „Je n'ai pas fait de la politique car ceci ne m'aurait servi à rien, car ils bouffent entre eux sans te donner." Mit Ausnahme von Dorange, versteht sich, für den man als guter citoyen seine Stimme abgab. 48 Dann waren da noch diejenigen, die an dem ihnen während der Armeezeit eingeschärften Grundsatz, einem Militär stehe es nicht an, Politik zu treiben, unbeirrt festhielten, wie sie verschiedentlich in der ihnen eigenen Logik darlegen: Normalement [...] d'après règlement [...] un ancien combattant [...] on a dit c'est pour défendre le pays. [...] Je ne dois pas mes [sic/] engager dans la politique [...] l'état civil. Mais si en cas de besoin [...] le gou-
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vemement sait là où je suis. [...] Mais je ne dois pas mes [s/c/] axer [...] aux politiques de l'Etat. [...] Mais si il m'a besoin maintenant et je suis dans un politique-là [sic!] qui va partir? Ah donc, voilà ce que j'ai connu. 49 Auch wenn diese Selbstverpflichtung aus dem Munde eines über 70jährigen auf Anhieb seltsam anmutet: fünfzehn Jahre als Soldat Frankreichs und seine erneute Einberufung 1974/75 im Rahmen des ersten militärisch ausgetragenen Grenzkonflikts zwischen Obervolta und Mali (siehe Englebert 1996: 151, 153 f.) sind durchaus dazu angetan, jemanden die Armee als Dreh- und Angelpunkt seines Lebens empfinden zu lassen, aus dem er seine Selbstbestätigung ableitet. Andersherum formuliert dies ein anderer Langzeitsoldat: Nach so langer Zeit waren und blieben sie nun mal Soldaten und kannten sich im „Zivilen" halt einfach nicht mehr aus! 50 All jenen bot die Bewegung des französischen Offiziers Dorange auf die eine oder andere Weise eine Navigationshilfe an, auf die sie sich stützen konnten, in ihrem - großenteils vergeblichen - Bemühen, ihren Wunsch nach Freiheit und Gerechtigkeit mit ihrem Selbstverständnis als Militärs, ihrer korporierten Identität innerhalb der französischen Armee, mit ihren Beziehungen zum „zivilen" Frankreich und ihrem Verhältnis zu einem sich im Umbruch befindenden Land, dessen künftige Gestalt noch kaum zu ahnen war, in Einklang zu bringen. In diesem Punkt ist auch dem oben erwähnten Vorbehalt Ki-Zerbos zuzustimmen, lediglich einer Minderheit seien ihre Begegnungen, Auseinandersetzungen und die Widersprüche, die sie während ihrer Armeezeit hatten aushalten müssen, insofern eine Lehre gewesen, als sie in der Umbruchsituation der 1940 und 1950er Jahre ein tieferes Verständnis für Zusammenhänge und Interessenkonflikte entwickelt und begriffen hätten, was durch die anhaltende französische Präsenz für Afrika auf dem Spiel stand. Von einem solchen persönlichen und politischen Reifeprozess ist bei den meisten im Geflecht von sich einander ausschließenden Rollenerwartungen und Verhaltensanforderungen verfangenen gebliebenen Veteranen sicherlich nicht auszugehen. Diesem aus der Perspektive eines politischen Akteurs der Unabhängigkeitsbewegung und aufrechten Demokraten überzeugenden Argument lässt sich wenig entgegenhalten. Mit Blick auf die vorliegenden Lebensberichte vielleicht nur dies: Ein Prozess der persönlichen und politischen Reifung
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muss nicht zwangsläufig in parteipolitisches Engagement einmünden, sondern kann sich auch in wenig spektakulären - und für Außenstehende häufig kaum wahrnehmbaren - , darum aber nicht weniger souveränen Lösungen äußern, zu denen Einzelne z.B. in Bewältigung ihrer Grenzerfahrungen und Traumata gelangten und dank derer sie ihr späteres Leben auf ein neues Fundament zu stellen in der Lage waren. Zwei Beispiele seien hier genannt: Der frisch ernannte - und sofort wieder fristlos entlassene - Polizist, der seine Leidenserfahrungen in deutscher Kriegsgefangenschaft in die Waagschale warf und den Befehl verweigerte, einen Verhafteten krankenhausreif zu schlagen, und der zudem, um einen Schlussstrich unter die Spirale der Gewalt und des Leids zu ziehen, seine Söhne vom Militärdienst abhielt, und der RDA-Aktivist und Angestellte im Forst- und Wasserwesen, der seit seiner Gefangennahme durch italienische Truppen in Tunesien „wusste", was es heißt, anderen völlig ausgeliefert zu sein, und über diesen Erfahrungen fast den Verstand verloren hätte. Eben dieses „Wissen" hat ihm später geholfen, auf den verlorenen und gefährlichen Posten, auf die man ihn wiederholt strafversetzte, bei geistiger Gesundheit zu bleiben und unbeirrt an seinen politischen Überzeugungen festzuhalten. 51
Veteranen und die mère-patrie - Bindungen und Verbindlichkeiten L'Afrique Française est à un tournant de son histoire. Les anciens combattants Africains sont une force considérable et saine. Ils jouent «Français» et cherchent à se serrer avec les anciens combattants blancs. Evidemment les anciens combattants ne sont plus des béni oui-oui, d'où incompréhensions et remous; ce n'est pas un mal s'ils sont compris humainement. Le moment est propice à une action efficace en faveur des anciens combattants africains pour lesquels beaucoup est à faire. Cette action demande une large compréhension des Pouvoirs publics et exige que les Anciens Combattants jeunes et vieux, blancs, originaires et noirs, civils, fonctionnaires et militaires, marchent de l'avant la main dans la main, avec cohésion.52
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Zwischen Ende 1946 und Ende Juli 1950 unternahmen drei französische Offiziere - Brigadegeneral Delange, General de Larminat und Hauptmann Liger - , im Auftrag des französischen Überseeministeriums Inspektionsreisen durch die Territorien von AOF und AEF, in deren Rahmen sie Zustand und Potential der aktiven afrikanischen Kontingente des französischen Heeres sowie die Lage und „Geisteshaltung" (état d'esprit) der dor53
tigen anciens combattants untersuchten. Das in diesem Zusammenhang im Abschlussbericht von General de Larminat formulierte Desiderat, Afrikanern seien gleiche Rechte und gleiche Gratifikationen für gleiche Leistungen innerhalb der Armee zuzuerkennen und unter dieser Prämisse seien auch die Privilegien der originaires der quatre communes der Geisteshaltung der Frankreich zweifellos eng verbundenen Afrikaner sehr abträglich und fänden unter den ehemaligen sujets und frischgebackenen Bürgern der Französischen Union keinerlei Verständnis mehr, prägt in abgewandelter Form auch die Ausführungen von Delange. Dessen oben zitierter Appell für eine konzertierte Aktion von Militär- und Zivilpersonal, mit dem sein Inspektionsbericht schließt, basiert ebenfalls auf der fraglosen Überzeugung, afrikanische Veteranen seien der militärischen Wir-Gemeinschaft a priori loyal verbunden und es gelte nunmehr, ihrem gewandelten Selbstverständnis durch menschliche Behandlung zu entsprechen und diese Gemeinschaft durch effiziente materielle, infrastrukturelle, soziale und symbolische Maßnahmen überzeugend zu stärken. Die meisten der von General Delange im Einzelnen vorgelegten Pläne zur Gründung von Veteranenverbänden auf der Ebene der AOF, der Einzelterritorien und im lokalen Zusammenhang, zur Einrichtung von Vereinslokalen, zur Klärung und Abwicklung von Renten-, Pensions- und Entschädigungsansprüchen seitens der Veteranen, ihrer Witwen und Waisen, zur medizinischen Versorgung von Kriegsinvaliden, zur Bereitstellung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor, zu Rückkehrhilfen in die Landwirtschaft und ins Handwerk und, nicht zu vergessen, zur Verleihung von Orden und Verdienstmedaillen unterschiedlichster Art wurden von den Mitgliedern des mit den Veteranen der überseeischen Territorien befassten, Anfang 1947 gegründeten Koordinationsausschusses im Pariser Überseeministerium übernommen und zur Grundlage von politischen und rechtlichen Maß-
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nahmen gemacht, mit der sich Frankreich die anhaltende Loyalität und politische Gewogenheit „seiner" afrikanischer Veteranen sichern wollte.54 Während die von Regierungsvertretern, Kolonialadministratoren und Armeeangehörigen verfochtenen Bestrebungen, über die Stärkung der Patronage-Klientelbeziehungen die Veteranen politisch zu neutralisieren, bei den Adressaten im politisch „heißen" Südwesten großenteils nicht verfingen, scheint ihnen in den übrigen Landesteilen Obervoltas allgemein Erfolg beschieden gewesen zu sein. Die vergleichende Lektüre der periodischen Berichte des dem französischen Überseeministerium unterstehenden Pariser Büros für politische Angelegenheiten in den Kolonien legt diesen Eindruck zumindest nahe. Stellvertretend für viele ähnlich lautende Meldungen aus den 1950er Jahren sei hier der erste Vierteljahresbericht 1957 herangezogen, der zum Thema „Anciens combattants et anciens militaires" in Obervolta Folgendes vermerkt: La HAUTE-VOLTA est le Territoire qui fournit chaque année le plus fort pourcentage de militaires à l'Armée. Les Voltaïques fournissent des tirailleurs dévoués et courageux mais lourds. Les Boussancé et Gourounsi, Samogo et Lobi sont très portés vers le métier militaire, tandis que les Mossi sont peu volontaires à l'engagement; ils rengagent toutefois par la suite. Rentrés dans leurs foyers, les anciens militaires constituent une force importante amenant parfois quelques perturbations dans les villages en raison de leur standing de vie supérieur, des idées nouvelles qu'ils propagent et de leur indiscipline vis à vis des chefs. Ils ont gardé cependant un excellent état d'esprit et sont prêts à répondre aussitôt présent à une convocation de l'Autorité Militaire. Il suffit de voir l'enthousiasme que les détachements de l'Armée déclanchent [sic/] lors de leur passage dans les villages. Leurs droits sont maintenant en grande partie réglés et les revendications dans ce domaine de plus en plus rares. [...] Aucune remarque défavorable ne peut être faite à leur égard bien que l'embrigadement d'un certain nombre d'entre eux dans les rangs d'un parti politique les oblige à participer à des manifestations qu'ils devraient, par sagesse, éviter.55 Eher beiläufig erfahren wir aus diesem Lagebericht, dass noch 1957, d.h. im Kontext einer zehnjährigen politischen Debatte um das Selbst-
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bestimmungsrecht der Völker - akzentuiert durch die französische Niederlage im Indochinakrieg (1954) und die Verurteilung der kolonialen Doktrin bei der ersten Konferenz von Bandung (April 1955) sowie im Rahmen der UN-Konferenz vom November 1955 - in ungebrochener Kontinuität Westafrikaner für die französische Armee rekrutiert werden konnten, um die algerische Befreiungsbewegung niederzukämpfen, ohne dass sich unter den betreffenden Bevölkerungen, aufseiten politischer Parteien oder gar unter den Veteranen in Obervolta größerer Widerstand gegen ein solches Unternehmen erhoben hätte.5 Im Gegensatz zu Indochina, Madagaskar und Algerien, wo Veteranen bzw. aktive Soldaten der französischen Armee zu einer der Schlüsselgruppen der bewaffneten antikolonialen Bewegungen wurden (siehe Clayton 1994: 75 f., Maghraoui 2000: 66), ist in dieser entscheidenden Frage die von Frankreich immer wieder beschworene Ergebenheit seiner force noire in der AOF nach dem Zweiten Weltkrieg in der Tat nie ernsthaft auf die Probe gestellt worden. In andere Worte gefasst, ist es Vertretern der französischen Regierung und Kolonialadministration also gelungen, die militärische Gemeinschaft zwischen französischen Offizieren und afrikanischen Veteranen in eine PatronageKlientelbeziehung zu überführen, indem sie mit Erfolg an Textur und „Sprache" der Waffenbrüderschaft anknüpften, um die ehemaligen Soldaten als loyale Gefolgsleute zu halten bzw. zurückzugewinnen. Handelte es sich erklärtermaßen darum, Veteranen aus der Politik fernzuhalten, so war dies, nicht viel anders als aufseiten der politischen Formationen in der AOF, mit dem Bestreben gekoppelt, die Adressaten für die eigenen strategischen, d.h. ordnungspolitischen Zielsetzungen einzuspannen. Die ehemaligen Soldaten verkörperten nämlich nicht nur die historische, auf den Zweiten Weltkrieg zurückweisende - allgemein unangefochtene, da in den Dienst der Befreiung vom Nationalsozialismus gestellte - Legitimität des Unternehmens Tirailleurs Sénégalais, 1 sondern garantierten auch für dessen Akzeptanz innerhalb einer Bevölkerung, die mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, wie oben gezeigt wurde, auch das Ende der Unterwerfung gekommen sah. Die ordnungspolitische Rolle der Veteranen blieb jedoch nicht auf ihre Mithilfe bei der reibungslosen Rekrutierung militärischen Nachschubs beschränkt; die ihnen zugedachte Aufgabe war es darüber hinaus, im Alltag zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung beizutragen:
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Les Anciens Combattants constituent un élément intéressant de la population. Ils comprennent le Français, sont débrouillards et avisés, ont le sens de la hiérarchie et, grâce à cela, rendent d'utiles services dans les villages, lors des recensements, palabres, conciliations. Ils permettent d'organiser à certaines occasions un petit service d'ordre. Le Chef de Subdivision tient à se les faire présenter à chaque passage dans un village. Chacun d'eux est fier de citer ses campagnes et d'arborer ses médailles. Un mot à chacun, et une excellente ambiance est tout de suite créée. Ils constituent un élément d'ordre qu'il est impossible de négliger. (...) Pour les jeunes parfois turbulents, ils sont des conseillers, quelques fois un peu rudes, toujours écoutés. 58 Wie hier angedeutet, spielte die Armee-Sozialisation mit ihren Ordnungsund Gehorsamkeitsprinzipien eine wichtige Rolle bei den Versuchen, die Veteranen als Intermediäre der französischen Administration zu gewinnen. Förderlich hat nicht zuletzt wohl auch gewirkt, dass mit General de Gaulle eine von den Veteranen verehrte väterliche Integrationsfigur Ende der 1950er Jahre (wieder) französisches Staatsoberhaupt wurde; ihm sollte es schließlich u. a. 1958 anlässlich des Referendums für die franco-africaine
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gelingen, das Gros der afrikanischen Veteranen hinter
sich zu versammeln. Joseph Ki-Zerbo, der als politischer Aktivist und Mitbegründer des Mouvement de Libération Nationale die Unabhängigkeit der westafrikanischen Territorien verfocht, sieht diesbezüglich „Waffenbrüderschaft" und Identifikation mit der Résistance als ausschlaggebendes Movens für die loyale Gefolgschaft der Veteranen: (...) au moment du référendum de Septembre 58, 1958, il y a des anciens combattants qui ont opté pour la communauté franco-africaine. Il y en a qui étaient de grands admirateurs de de Gaulle. Oui, ils avaient servi sous les ordres de de Gaulle comme patron de la résistance française. Il y en a qui, il semble, qui étaient dans la résistance, et qui ont rallié les troupes gaullistes en Afrique (...) Eh bien, ces gens-là, l'épopée gaulliste faisait partie de leur propre épopée, de leur propre aventure.59 Daraus nun etwa abzuleiten, Veteranen hätten sich ohne weiteres in die ihnen zugedachte Aufgabe gefügt, als Hilfskräfte der Administration ihren Teil zur Aufrechterhaltung von Ruhe und innerer Ordnung beizutragen, bedeutete allerdings die politischen Eigeninteressen dieser Männer zu ver-
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kennen. 60 „The political battles of early to mid-1950s were fought locally." Die Prägnanz dieser von Mann im Rahmen seiner Regionalstudie über die Veteranen von San/Mali getroffene Feststellung (2000: 180) hat sich bereits oben am Beispiel des Bezirks von Bobo-Dioulasso deutlich gezeigt, wo die Entfaltung und Ausagierung politischer Eigeninteressen dieser Gruppe vor dem Hintergrund der beiden großen strukturellen Veränderungen im Nachkriegszusammenhang - der Zulassung von politischen Parteien und Wahlen sowie der zunehmend umstrittenen Machtposition der kooptierten Chefferie (ebd.: 180 f.) - thematisiert wurde. Wie und zu wessen Gunsten sich ehemalige Soldaten in diesen Auseinandersetzungen positionierten oder ob sie auf „eigene Rechnung" arbeiteten, hing von einer Vielzahl miteinander verknüpfter Faktoren ab. So wurden sie ja nicht nur von der Kolonialadministration, sondern auch von der Bevölkerung wegen ihrer Sprachkenntnisse sowie des ihnen in Fleisch und Blut übergegangenen Gefühls für Recht und Ordnung, Organisation und Disziplin als Intermediäre sehr geschätzt. Brach sich in vielen Fällen ihr geschärftes Unrechtsempfinden Bahn, so scheinen sie manches Mal schlichtweg Konkurrenzkämpfe mit - tatsächlich oder vorgeblich - inkompetenten Chefs ausgefochten zu haben. Aufgrund der insgesamt fragmentarischen Aktenlage und der häufig sehr verkürzten Darstellung einzelner Fälle in den Berichten der Kolonialverwaltung bleiben sowohl Hintergründe als auch genauere Abläufe solcher Konflikte oft im Dunkeln. Als gesichert kann lediglich gelten, dass Veteranen in den Nachkriegsjahren mancherorts zu Dorfchefs gewählt wurden, obwohl sie nicht den dieses Amt traditionell ausübenden Familien entstammten, und dass diese „Quereinsteiger" auch die Auseinandersetzung mit den Kantonschefs nicht gescheut haben bzw. Ambitionen hegten, deren Amt selbst zu bekleiden. Über den Erfolg solcher Unternehmungen entschieden allerdings letztlich nicht nur die von den Kontrahenten mobilisierte Anhängerschaft und die ins Feld geführten - mitunter durchaus handgreiflich unterstützten - Argumente, sondern auch die lokal sehr unterschiedlich definierten strategischen Interessen der Kolonialadministration. 61 Neben der Vergabe von Chefämtern gehörte die Aufnahme in den Conseil des Notables - ein aus Würdenträgern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammengesetztes Gremium mit beratender und juristi-
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scher Funktion - , in den Bereich der Gratifikationen, mit denen sich die Kolonialverwaltung den potentiellen lokalen Machtfaktor, den die ehemaligen Soldaten darstellten, zu kooptieren versuchte: im Bezirk von BoboDioulasso tauchen Anfang 1953 ehemalige Soldaten erstmals neben Kantons- und Dorfchefs, Schuldirektoren, Geschäftsleuten und Verwaltungsangestellten als Mitglieder des Conseil auf.62 Auf der Habenseite der Beziehung konnten die Veteranen darüber hinaus eine Reihe materieller und symbolischer Zuwendungen verbuchen. So wurden in Obervolta bis zum Beginn der 1950er Jahre insgesamt elf Vereinshäuser, Maisons du Combattant, in verschiedenen Bezirksstädten gebaut, wo sie ihre Tradition pflegen und sich als soziale Gruppe konstituieren konnten, die aber auch als Blitzableiter für ihren Unmut und Protest dienten. 3 Hinzu kamen symbolische Gratifikationen wie die Verleihung einer inflationären Menge militärischer Verdienstorden64 und die Aufmärsche anlässlich der Besuche von Regierungsvertretern und zu französischen Nationalfeiertagen, in denen die Veteranen ihren festen Platz hatten. Für die Repräsentanten von Metropole und Kolonie waren sie zudem ein „Stimmungsbarometer" für den état d'esprit der ehemaligen Soldaten, welche sie gewissermaßen in absentia zum Forum für Unmut und Protest machten. Ihr demonstratives Fernbleiben brachte so manchen prominenten Politiker in die Verlegenheit, vor gelichteten Reihen - oder besser gar nicht - aufzutreten.65 Aus der weitgehend positiven Resonanz voltaischer Veteranen auf ihre Umwerbung durch die Kolonialadministration, wie sie aus den Archivzeugnissen erkennbar wird, nun auf deren „unerschütterliche Loyalität" gegenüber Frankreich zu schließen,66 würde dem komplexen und ambivalenten Bild dieser Patronage-Klientelbeziehung nicht gerecht. Zunächst gilt es festzuhalten, dass die Loyalitätsbekundungen der Veteranen in erster Linie der Armee galten, die sie als von den Zivilbehörden zu unterscheidende Institution wahrgenommen und an der sie sich orientiert haben.67 Darüber hinaus wurde ihr Vertrauen in Frankreich mittelfristig - in vielen Fällen bis heute - in einem zentralen Punkt erschüttert: ihre rechtliche Diskriminierung in Fragen der Renten- und Entschädigungszahlungen sowie die jahrelange Verschleppung der Bearbeitung ihrer Ansprüche. Von einer effizienten praktischen Umsetzung der von der Metropole eingegangenen Verpflichtung war hier angesichts budgetärer Restriktionen
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und einer schwerfälligen bürokratischen Abwicklung nicht zu sprechen. Es kam zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten sowie sich Uber lange Jahre hinziehende - und nicht zuletzt durch unterschiedliche Rechtsauffassungen gekennzeichnete - Auseinandersetzungen zwischen Veteranen und französischen Behörden über Pensionsberechtigungen und die Ausstellung von Veteranenausweisen. Bis 1950 bestand das Hauptproblem vorwiegend in der Erfassung und Registrierung der nach ihrer Demobilisierung geographisch weit verstreuten ehemaligen Soldaten - ein Umstand, für den sowohl Personalknappheit in der Kolonialverwaltung, infrastrukturelle Unzulänglichkeiten, aber auch eine durch Rechtsunsicherheit und umständliche Verwaltungswege bedingte Verzögerung in der Bearbeitung verantwortlich waren. Beredtes Zeugnis legen in diesem Zusammenhang die Berichte des 1948 mit einer umfassenden Prospektionskampagne betrauten französischen Hauptmanns Henri Liger ab. 68 Im Verlauf seiner zweijährigen Tournee durch sämtliche Territorien Französisch-Westafrikas stellte sich heraus, dass nicht nur die Belange der Veteranen des Zweiten Weltkrieges der Bearbeitung harrten, sondern dass auch über 29 000 Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg bzw. ihren Rechtsnachfolgerinnen bis dahin keine Aufmerksamkeit geschenkt worden war. Von 264 673 Fällen, welche die Kommission Liger zur Bearbeitung aufgenommen hatte, konnten bis Ende Mai 1950 etwa 60 Prozent, d.h. 162 692 Fälle, geklärt werden; bezüglich Obervoltas lag die Klärungsrate etwas niedriger (32 565 von 56 878, d.h. 57 Prozent). 69 Dieser unermüdlichen Arbeit der Kommission Liger ist es nach Echenberg zu verdanken, dass ab Ende 1950 die Vertrauenskrise zwischen Frankreich und den westafrikanischen Veteranen sukzessive abflaute, insofern letztere zumindest den Eindruck hatten, man kümmere sich um ihre Belange (Echenberg 1991: 161). Aber: zu spät gekümmert und bis auf den heutigen Tag nicht zu einem zufrieden stellenden und gerechten Abschluss geführt! So ließe sich die bis dato immer noch akute Problematik der Renten, Pensionen und Entschädigungszahlungen für afrikanische Veteranen aller im Dienste Frankreichs geführten Kriege in Kürze zusammenfassen. [...] jusqu'à présent, la France n'a pas voulu nous donner droit. Vraiment ça nous a découragés. Alors que aux moments de combats, les balles tuaient tout le monde, sans distinction. Il n'y a pas question que
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ça c'est un Africain, ça c'est un Européen. On a renversé tout le sens, c'est le sens d'apartheid. [...] Actuellement les anciens combattants des Africains, ils meurent actuellement là par le chagrin parce que la pension ne suffit pas. Ils touchent la pension. Avant qu'ils ne touchent même pas la petite pension là, ils vont passer au crédit. Mais quand la petite pension est arrivée, ils remboursent le crédit et ils commencent encore à zéro. [...] Vraiment il y a [...] la Fédération Mondiale des Anciens Combattants qu'on lutte pour la même cause jusqu'à nos jours. Il n'y a pas eu gain de cause.70 Stellvertretend für viele bittere Klagen der von uns interviewten Veteranen, Frankreich komme bis heute seinen Pflichten ihnen gegenüber nicht nach, bringt B.S. in diesem Statement die als brennende Ungerechtigkeit empfundenen anhaltenden Disparitäten in den Renten afrikanischer und metropolitaner Veteranen zum Ausdruck. Die Ungleichbehandlung ehemaliger afrikanischer Kombattanten gegenüber ihren französischen Kameraden im Hinblick auf Alters-, Invaliditäts-, Witwen- und Waisenrenten wie auch die langjährige und zum Teil bis heute anhaltende Verschleppung in der Bearbeitung ihrer Belange durch die französischen Behörden sind jedoch nur Teil einer höchst komplexen Problematik, deren rechtliche Grundlagen und politische Dimensionen an dieser Stelle nicht in allen Details wiedergegeben werden können. Zusammengefasst seien hier lediglich die wichtigsten Entwicklungen. 71 So wurden per Dekret vom 16. Januar 1947 die Renten afrikanischer anciens combattants - Mannschaften wie Ränge - auf etwa 50 Prozent des Satzes ihrer metropolitanen Kameraden festgesetzt und den Afrikanern dieselben prozentualen Erhöhungen wie letzteren zugestanden. War diese Maßnahme - die bereits eine wesentliche Verbesserung darstellte - keineswegs dazu angetan, Unmut und Protest afrikanischer Veteranen und Politiker zu mindern, so schien sie aufseiten der französischen Regierung damals das Maximum dessen, was sie bereit war zu konzedieren. Abgesehen von der äußerst prekären Finanzlage Frankreichs nach dem Krieg sind dafür vermutlich auch Bedenken kolonialpolitischer Natur verantwortlich, wie sie etwa Robert Delavignette, damaliger Direktor des Pariser Büros für politische Angelegenheiten in den französischen Kolonien, äußerte: Nous ne pouvons appliquer brutalement ces textes [application du barème du 31 mars 1919 qui régit les pensions des anciens combattants métropolitains et nord-africains, B.R.] dans des sociétés encore dépour-
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vues d'état-civil et où la structure familiale ne ressemble en rien à la nôtre. Alors qu'au début ces modifications semblaient presque naturelles, dans la pratique des choses vous risquez de faire de l'Africain un puissant politicien par l'argent qu'il touchera et aussi un ,ramasseur de femmes' dans un pays où l'homme paie une dot pour avoir une femme. C'est très délicat.72 Wie im vorangegangenen Abschnitt bereits angeklungen, bedurfte es Jahre ausdauernder parlamentarischer und Lobbyarbeit seitens afrikanischer Abgeordneter der französischen Nationalversammlung und des Nachdrucks durch außerparlamentarische Protestaktionen, bevor am 8. August 1950 das „Gleichheitsgesetz" in Kraft trat. Dessen Verabschiedung garantierte indes keine faktische Gleichstellung in allen Punkten: [...] first the law was not applied to disabled veterans until 1952; second, a .temporary indemnity' was not extended to Africans; third, concessions on loans and cash advances were never granted to Africans; and lastly, throughout the entire colonial period the French treasury paid serving African soldiers and civil servants in CFA francs but issued their pensions in metropolitan francs, which had half the value (Echenberg 1991: 136).73 Diesen trotz seiner Unzulänglichkeiten von den Veteranen begrüßten Reformprozess bremste Frankreich schließlich mit dem Ende 1959 verabschiedeten Gesetz über die „Einfrierung" (cristallisation) der Renten. Pensionen, Renten und Unterhaltszahlungen an die Berechtigten aus der ehemaligen Union Française wurden in individuelle Entschädigungszahlungen umgewandelt, deren Höhe sich aus den zum Zeitpunkt der Umwandlung in Kraft befindlichen Tarifsätzen errechnete. 74 Dies bedeutete nicht nur, dass afrikanische Rentenempfänger/innen fortan von künftigen Erhöhungen der Bezüge abgekoppelt, sondern auch, dass diese Zahlungen künftig nicht mehr auf Witwen und Nachkommen von Veteranen übertragbar waren. Diese Umwandlung wurde in Form bilateraler Abkommen mit den westafrikanischen Staatschefs beschlossen und trat für Obervolta am 1. Februar 1962 in Kraft. Der aus den Abkommen resultierenden - die betreffenden Veteranen unterschiedlicher Herkunft zu Recht höchst willkürlich anmutende - Tarifhierarchie zufolge belief sich in 2002 z.B. die jährliche Zusatzrente für einen ehemaligen französischen Frontkämpfer auf 420,10 , während sich
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ein Senegalese in derselben Lage mit 174,60 , ein Burkinabé mit 87,50 , ein Marokkaner oder Tunesier gar mit 48,50 begnügen mussten. Einer vergleichbaren Staffelung unterliegen auch die Sätze für Invaliditätsrenten: gemessen an den 100 Prozent, die ein kriegsversehrter Franzose erhält, wurden seinem senegalesischen Pendant in 2002 lediglich 33,5 Prozent, einem Burkinabé 23,5 Prozent, einem Marokkaner oder Tunesier schließlich nur 9,3 Prozent zugestanden. 75 Über diese unterscheidende Behandlung metropolitaner und überseeischer Rentenempfänger hinaus sorgen vor allem auch die zwischenzeitlich von Frankreich vorgenommenen geringfügigen Anhebungen von Renten und Pensionen für Veteranen bestimmter, d.h. strategisch und wirtschaftlich „interessanter" Staaten wie Tschad, Senegal, Kongo oder Gabun (Chalaye 2000: 24 f.) bei den ehemaligen Soldaten der alten Hinterlandkolonien wie Mali, Niger oder Burkina Faso für anhaltende Empörung. Sie sehen darin einen weiteren Beweis für ihre in die Gegenwart verlängerte Diskriminierung kolonialen Zuschnitts, gegen die auch juristisch kaum ein Kraut gewachsen ist, haben ihre Staatsoberhäupter damals doch diesem „Kuhhandel" nicht nur zugestimmt, sondern sich - so der Vorwurf - daran auch noch persönlich bereichert. 76
Tabelle 4: Proportion zwischen anciens militaires und anciens in Obervolta
Jahr
Bezieher von Invaliden-, Witwen- und WaisenrenAnciens combattants ten, andere (POWs, médaillés)
combattants
Anciens militaires
1950 1401 (OAC 1952)
3581 (OAC 1952)
26031 (Liger 1950)
1957 7000 (geschätzt)
Keine Angaben
40 000 (geschätzt)
1963 10 601
4995
keine Angaben
1971 12 738
8125
150 000
Quellen: CAOM: äff pol 2245, Dossier 4: Notice sur la Haute-Volta (1. Trimester 1957); Sainteny 1963: 51, 53; Office National des Anciens Combattants de la Haute-Volta, Dossier mis à jour le 17 septembre 1971. In: Archives de l'Office, Ouagadougou, Tabelle 1 der vorliegenden Arbeit (siehe Kapitel 4).
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Ungleichbehandlung bzw. Benachteiligung trat und tritt jedoch nicht nur im Verhältnis von afrikanischen zu metropolitanen Veteranen auf; auch intern bestand ein auf die französische militärische Nomenklatur zurückzuführendes Gefälle, wie Tabelle 4 verdeutlicht. Der weitaus größte Teil von ihnen waren anciens militaires, ehemalige Soldaten, von denen das Gros seine dreijährige Wehrpflicht abgeleistet hatte - unter die seit ihrer Dekretierung 1912 in den Kolonien Französisch-Westafrikas alle für tauglich befundenen Männer ab 20 Jahren fielen - und ins Zivilleben, zumeist in die Landwirtschaft, zurückgekehrt war. Wer sich darüber hinaus verpflichtet hatte, wurde nach Ablauf einer Dienstzeit von 10 Jahren mit einer prime de libération abgefunden, hatte nach 15jähriger Dienstzeit dann Anspruch auf die pension proportionnelle, auch petite pension genannt, und schließlich nach 25 Jahren auf die volle oder pension d'ancienneté. Als ancien combattant mit Rechtsanspruch auf eine kleine diesbezügliche Pension galt nur, wer 90 aufeinander folgende Tage Fronterfahrung nachweisen konnte bzw. mindestens sechs Monate nachweislich in Kriegsgefangenschaft verbracht hatte oder schwer kriegsbeschädigt war. Nur anerkannte ehemalige Kombattanten besaßen einen Ausweis, der ihnen gleichzeitig die Mitgliedschaft in der jeweiligen Association des Anciens Combattants et Victimes des deux Guerres sicherte. Nur sie konnten Anspruch auf einen emploi réservé, einen der für Veteranen bereitgestellten Arbeitsplätze in der öffentlichen Verwaltung bzw. eine Weiterbeschäftigung im kolonialen Polizei-, Forst-, Post- und Krankenwesen erheben. 77 Ebenso wie Lawler (1992: 239-247), deren Intervention bei den Behörden einigen ivorischen Veteranen schließlich zu einer späten Rente verholfen hat, trafen auch wir immer wieder auf verbitterte und verzweifelte Männer, denen es aus verschiedenen Gründen bis heute nicht gelungen ist, ihre Ansprüche geltend zu machen, sei es, dass sie ihren Wehrpass verloren bzw. in deutscher Kriegsgefangenschaft abgenommen bekommen hatten, nachlässige oder ihnen schlecht gesonnene Vorgesetzte Dienstbzw. Einsatzzeiten unterschlugen, sich die geforderte Beibringung von Fotografien und Bescheinigungen aller Art für sie als unüberwindbares Hindernis erwies oder dass schließlich der mittlerweile beträchtliche zeit-
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liehe Abstand von den Ereignissen sowie physische wie psychische Beeinträchtigungen eine Klärung unmöglich machten. 78 Eine späte, aber entscheidende Wende zugunsten der noch lebenden und bereits rentenberechtigten - afrikanischen Veteranen der französischen Armee scheint sich vielleicht aber dennoch anzubahnen: Am 30. November 2001 erklärte der Conseil d'État, die höchste Instanz der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, die unterscheidende Behandlung metropolitaner und überseeischer Veteranen als unvereinbar mit der europäischen Menschenrechtskonvention und gab damit einer vom Conseil National pour les Droits des Anciens Combattants et Militaires d'Outre-Mer über mehrere Jahre und verschiedene Instanzen geführten Klage statt. 79 „Les anciens combattants entre joie et méfiance" titelte einige Tage später die senegalesische Tageszeitung Walfadjri und verlieh damit der unter Veteranen weit verbreiteten Skepsis hinsichtlich eines guten Ausgangs ihrer „Sache" Ausdruck. Sicher freue man sich auf das Geld, erlaube es einem doch endlich, „de construire une demeure décente, de prendre en charge nos enfants." Aber: Nous avons entendu sur une radio que les autorités françaises vont contacter nos chefs d'État pour les modalités de paiement de nos pensions. Certaines personnes disent attention: les anciens combattants seront mieux payés que certaines catégories de personnes. Et de se demander si cela ne va pas perturber l'équilibre déjà établi. C'est du n'importe quoi.80 In der Tat bestätigten sich schon bald Befürchtungen, die französische Regierung spiele insbesondere vor dem Hintergrund der mit der Anwendung der Angleichung der Renten und Pensionszahlungen für ehemalige überseeische Armeeangehörige der Französischen Union verbundenen Belastungen des Staatshaushaltes auf Zeit - wurden doch die zu erwartenden jährlichen Kosten auf 300 bis 460 Millionen veranschlagt, die während der letzten 40 Jahre aufgelaufenen Rückstände von 1,5 bis 1,8 Milliarden nicht eingerechnet {Libération 08.02.2002, S. 16; Math 2003: 17). Die weiteren Entwicklungen scheinen den von Veteranenverbänden und französischen Bürgerrechtsvereinigungen erhobenen Vorwürfen Recht zu geben, Frankreich wolle aus finanzlogischen Erwägungen eine Aufwertung von Renten und Pensionen zu Minimalkosten: So blieb die vom Ministerrat
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am 20. November 2002 schließlich für 2003 in Aussicht gestellten Summe von 72,5 Millionen zum einen weit hinter den Erwartungen zurück. Zudem wurden entgegen der geforderten Angleichung de facto eine an den Kriterien von Kaufkraft und Lebenshaltungsindices in den jeweiligen Staaten ausgerichtete Aufwertung der Renten- und Pensionstarife vorgenommen, rückwirkende Zahlungen auf vier Jahre begrenzt und die auf baldige Zahlung hoffenden Anwärter auf eine neue Geduldsprobe gestellt, insofern man ankündigte, jedes der 130 000 in Frage stehenden Dossiers solle einzeln bearbeitet werden.81 Ab dem 12. Mai 2004 öffneten sich schließlich auch für 7 078 burkinische Veteranen, darunter 50 über 90jährige, die Schalter der Trésorerie de France in Ouagadougou. „Der letzte Sieg der Tirailleurs", um die Schlagzeile einer der Tageszeitungen aufzugreifen, bestand sicherlich darin, dass die Rentenempfänger - rückwirkend zum 1. Januar 1999 - eine einmalige Zahlung im Umfang von fünf ihrer jeweiligen Jahresrenten entgegennehmen konnten. In den Genuss einer Einmalzahlung mit Rückwirkung zum 1. Januar 2002 kamen auch die nunmehr wieder empfangsberechtigten Witwen ehemaliger Soldaten, vorausgesetzt, die Eheschließung hatte vor dem 1. Januar 1961 stattgefunden. (L'Observateur Paalga, 10.05.2004, S. 8). Trotz des fragwürdigen, auf der Grundlage von „Kaufkraftparitäten" ermittelten Länderkoeffizienten, an dem sich die jährliche Anpassung der Zahlungen fürderhin bemessen soll und demzufolge burkinische Rentenempfängerinnen auch künftig gegenüber anderen - afrikanischen und französischen Berechtigten - benachteiligt bleiben werden, gab es an jenem 12. Mai also durchaus Anlass zur Freude und Genugtuung. Enttäuschung allerdings bei den Empfängern einer Minimalrente, die gehofft hatten, die revalorisation werde sie endlich in den Genuss einer zufrieden stellenden Alterssicherung bringen. Sie verließen die Zahlstelle in der bitteren Einsicht, dass sie auch künftig nicht mehr zu erwarten haben als eine symbolische Abgeltung ihrer Dienste für Frankreich {L'Observateur Paalga, 13.05.2004, S. 3). *
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Der hier unternommene Versuch, die verschiedenen Facetten des politischen Profils voltaischer Weltkriegsveteranen schärfer zu konturieren, hat deutlich gemacht, dass sich die in der spätkolonialen Phase geknüpften Interessenbündnisse zwischen ehemaligen Soldaten und den nach Kriegsende gegründeten politischen Parteien auf das Zusammenwirken verschiedener Faktoren zurückführen lassen, die vor dem Hintergrund spezifischer regionaler Macht- und Konfliktkonstellationen in eine kongruente politische Praxis einmünden konnten, innerhalb derer sich die Grenzen zwischen Parteiaktivisten im engeren und Adressatengruppe im weiteren Sinne temporär verwischten. Auf diesem Wege fanden die Forderungen von grob geschätzten 30 000 potentiellen voltaischen Wählern nach angemessenen Renten und rechtlicher Gleichstellung mit ihren französischen Kameraden, aber auch ihre Ansprüche auf Ablösung lokaler Amtsinhaber, deren Übergriffe sie nicht mehr hinzunehmen bereit waren, Eingang in die Agenda politischer Parteien, allen voran des RDA im Südwesten der Kolonie. Für den Erfolg politischer Parteien im Veteranenmilieu ausschlag82
gebend erwiesen sich nicht Parteiprogramme, sondern das Aufgreifen existentieller Forderungen nach Gleichheit und Gerechtigkeit, die über die Gruppe der Veteranen hinaus im Rahmen zahlreicher, von der breiten Bevölkerung getragener „Aktionen der Straße" nachhaltig artikuliert wurden, sowie die Persönlichkeit der politischen Repräsentationsfiguren (Houphouet-Boigny, Ouezzin Coulibaly, aber auch etwa Souleymane Cisse und Joseph Conombo). Eine besondere Rolle kam in dieser Hinsicht dem französischen Offizier Michel Dorange zu, der als militärische Identifikationsfigur und aufgrund des pragmatischen Profils seiner Bewegung das überwältigende Vertrauen einer Gruppe gewann, deren unerfüllte Ansprüche und Forderungen nach Mitbestimmung und Befreiung von Zwängen und Bevormundung sie zum Handeln drängten, die sich in ihrem Aufbegehren aber gleichzeitig einem vielschichtigen Loyalitätskonflikt ausgesetzt sah. Obwohl auch in den westafrikanischen Territorien nach dem Zweiten Weltkrieg eine allgemeine politische Radikalisierung einsetzte, die sich in überregionalen Streikbewegungen und anderen öffentlichen Manifestationen politischen und sozialen Protestes artikulierte, waren hier die Voraussetzungen für eine der vietnamesischen, madagassischen oder algeri-
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sehen Entwicklung vergleichbaren Eskalation bis zum Ende der französischen Kolonialherrschaft nicht gegeben. Ähnlich wie im Falle westafrikanischer Bildungseliten, deren durch assimilation und politische Kooptation gefestigte enge Bindung an Frankreich sich letztendlich als aus83
schlaggebender mäßigender Faktor erwiesen haben mag, kann auch hinsichtlich der ehemaligen Soldaten davon ausgegangen werden, dass sie im Großen und Ganzen eine System stabilisierende Rolle gespielt haben. Dass Veteranen im Großen und Ganzen der mère-patrie über die Kolonialherrschaft hinaus gewogen und loyal geblieben sind, ist einem PatronageKlientelverhältnis geschuldet, mit dem Frankreich an die korporierte Identität dieser Männer anknüpfte, die sich der frankoafrikanischen militärischen Gemeinschaft anhaltend verbunden fühlten. Diese präferentielle Beziehung ist allerdings bis heute nicht im Gleichgewicht, d.h. die den Veteranen zuerkannten Renten und Entschädigungszahlungen blieben bislang weit hinter den Forderungen der Adressatengruppe zurück, welche ihre Rechtsansprüche mit dem Ziel der Gleichbehandlung bis dato nicht durchsetzen konnte. Aufseiten der kolonialen Agenturen haben Paternalismus und „Kriegerische-Rassen-Doktrin" auch die 1950er Jahre „unbeschadet" überdauert. So unterstellte man Veteranen wie Rekruten nicht nur allgemein eine naive und mittels einfacher Sympathieerweise leicht zu gewinnende Zutraulichkeit, sondern schrieb in beharrlicher Ausdauer auch die alten Muster ihrer vermeintlich ethnisch motivierten militärischen Disposition fort. 84 Diese Verhaltens- und Wertmaßstäbe sind weder auf die Beziehungen zwischen Kolonialadministration und Veteranen bzw. Soldaten beschränkt, noch handelt es sich bei ihnen um ein rein koloniales Spezifikum. Mit Blick auf die koloniale Situation erscheinen sie als typische Äußerungsformen, die einem allgemeinen Repertoire von Verhaltens- und Werteinstellungen entstammen, welche die Beziehungen zwischen Kolonialadministration und Kolonisierten im historischen Längsschnitt geprägt haben. Wie oben gezeigt, hat die vergleichende Lektüre kolonialer Dokumente mit Kriegserinnerungen, aber auch fachspezifischen Veröffentlichungen befehlshabender französischer Offiziere in den meisten Fällen vergleichbare paternalistische Einstellungen und rassistisch motivierte Werturteile gegenüber afrikanischen Mannschaftssoldaten und (Unter)offizieren zu Tage
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gefördert. Die dabei festzustellende teilweise verblüffende
Überein-
stimmung der Sichtweisen von Armee- und Kolonialverantwortlichen deutet auf wechselseitige Übertragung und „Tradierung" dieser Wert- und Verhaltensmuster hin. 85 Innerhalb der Armee haben sich jene Stereotypien wohl nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus bestehenden Prädominanz der „weißen" Befehlsebene innerhalb der kolonialen Truppenkontingente halten können. 86 Und auch die mit den Reformen zur valorisation
des cadres africains 1955/56 eingeleitete sukzessive
Afrikanisierung des Offizierskorps der afrikanischen Armee Frankreichs, wie die RTS nunmehr genannt wurden, brachte nicht automatisch eine Veränderung von Werthaltungen mit sich. Im Gegenteil: die hier zur Anwendung gebrachte Maxime der nachholenden Entwicklung war eher dazu angetan, bestehende Schemata der vermeintlich inferioren intellektuellen 87
Kapazitäten von Afrikanern zu verfestigen denn abzubauen. Wie schon im vorangegangenen Kapitel persönlicher Lebensentwürfe und -stile konstatiert wurde, entziehen sich auch die politischen Profile voltaischer Veteranen des Zweiten Weltkriegs einer allgemeinen kategorischen
Bewertung. Weder als hehre Dekolonisationskämpfer noch als
ergebene Marschierer für die kolonialen Agenturen wären sie hinreichend beschrieben, allenfalls als Männer, die sich in der ambivalenten Konstellation der kolonialen Nachkriegszeit eingerichtet, eine in erster Linie an ihren materiellen und sozialen Belangen ausgerichtete Interessenpolitik verfolgt und sich dabei durchaus in verschiedenen politischen Lagern und in wechselnden Allianzen bewegt haben. Keiner übergeordneten politischen Zielsetzung, sondern sich selbst verpflichtet.
Anmerkungen 1
Diese Kontroverse hat sich insbesondere am Beispiel der afrikanischen Veteranen der britischen Armee entzündet. Während Killingray (1983) den ehemaligen Soldaten der West African Frontier Force in der Kolonie Gold Coast jegliche politische Wirkungsabsicht abspricht, erkennt ihnen Israel (1987 und 1992) in Anknüpfung an frühere Arbeiten (vor
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allem Schleh 1968) den Status einer protonationalen politischen Bewegung zu. Für die ostafrikanischen King's African Rifles siehe Parsons' Fallstudie zu kenianischen und malawischen Kontingenten (1999). Sie besticht durch eine weitaus differenziertere Argumentation als die vorgenannten Arbeiten, da der Autor Lebensstrategien und Handlungsorientierungen der servicemen in die Analyse einbezieht und auf dieser Grundlage zum Schluss kommt, wirtschaftliche und soziale Strategien, also das Streben nach materieller Versorgung und gesellschaftlichem Ansehen, nicht jedoch politische Zielstellungen hätten das Gruppenprofil dieser Männer ausschlaggebend geprägt. Im Vergleich dazu haben politische Orientierungen afrikanischer Veteranen der französischen Armee insgesamt nur wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit gefunden. Lawler (1992) erkennt den ivorischen anciens combattants eine wichtige Rolle in den politischen Bewegungen der 1940 und 1950er Jahre zu und schließt daraus - vorschnell, wie Thompson (1993) zu Recht anmerkt - auf ein in dieser Gruppe stark verbreitetes Nationalbewusstsein. 2 3
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Joseph Ki-Zerbo, Ouagadougou 22.2.1999. Ebd. So im Wortlaut: „Donc on pouvait les considérer comme des intellectuels, mais qui sont arrivés à la compréhension intellectuelle à travers la pratique." Ebd.: B.R.: „Cette élite, c'étaient les gradés?" J.K.: „Pas nécessairement, c'est les plus intelligents. Ceux qui avaient le mieux compris les deux systèmes, ceux qui comprenaient le mieux les fonctions et les intérêts en cause, les enjeux de la présence française en Afrique; c'est pas les plus gradés qui sont nécessairement les plus lucides." Ebd. ANS 5 D 203, V 100: Bulletin de renseignements 1944-45. Bulletin Nr. 16-22.-28.3.1945, S. 10. („Also, was die Unabhängigkeit ausgelöst hat, war, dass viele frei sein wollten, die Freiheit haben wollten. Denn es gab die Zwangsarbeit. Also das hieß, du warst dran, sobald man dich bei deiner Frau oder auch bei deiner Mutter gefunden hatte. Oder man nahm einfach deine Frau mit, wenn sie nicht wusste, wo du warst. Also vom menschlichen Standpunkt her war es in der französischen Armee besser, denn was hat man da unten [in der Elfenbeinküste, wohin die meisten Zwangsarbeiter verschickt worden waren? B.R.] nicht alles erlebt! Aber wir hatten genug davon! Denn man nahm die Leute einfach zur Seite, machte einen Haufen Schikanen und schickte sie in die Zwangsarbeit, ohne alles, ohne Lohn und all das. Sehen Sie, das war gefährlich. Als dann also der Unabhängigkeitskrieg ausbrach, waren alle sehr stolz darauf."). B.S.,
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Kapitel 5 Bobo-Dioulasso 10.3.1999. Mit dem hier erwähnten „Unabhängigkeitskrieg" meint der Interviewte mit hoher Wahrscheinlichkeit die Protestbewegungen Ende der 1940er und zu Beginn der 1950er Jahre, die, wie im Folgenden noch erörtert wird, im Südwesten der Kolonie teilweise recht virulent verliefen. Einen Befreiungskrieg hat es in Obervolta zu keinem Zeitpunkt gegeben. Die Proklamation der Republik Obervolta am 11. Dezember 1958 verlief, abgesehen vom vereitelten Putschversuch des Mogho Naba, völlig unspektakulär, ebenso wie die Erklärung der staatlichen Souveränität am 5. August 1960. Siehe dazu Englebert (1996: 32-36) sowie die Erinnerungen von General Lamizana (1999, Bd. 1: 257-261). Entsprechende Einträge in den Missionstagebüchem des Ordens verzeichnen Protestbekundungen dieser oder ähnlicher Art ab Oktober 1945 (AGMA: Diaire de Tounouma, Bd. 2, Einträge vom 10.10.1945, S. 226; und 24.11.1945, S. 230) und in gehäufter Form vor allem unmittelbar nach der Verabschiedung des Gesetzes zum Verbot der kolonialen Zwangsarbeit (ebd.: Eintrag vom 24.6.1946, S. 240; Resümee der Diaires de Niangoloko, Einträge Juli 1946, S. 14; Diaire de Toussiana, Einträge vom 11.9.1946, S. 20; und 24.12.1946, S. 22). Der enthusiastische Empfang, den Zivilbevölkerung und Veteranen ihrem „Retter" erwiesen, sowie die quasi militärische Inszenierung der verschiedenen öffentlichen Auftritte Houphouëts in Bobo-Dioulasso werden in den Missionstagebüchern der Pères Blancs detailliert beschrieben, so im Diaire de la Station de Bobo-Dioulasso, Einträge vom 28.10.1946 (Bd. IV, S. 541) und 24.10.1948 (Bd. V, S. 584); Diaire de Tounouma, Eintrag vom 16.10.1945 (Bd. II, S. 227). Und nicht immer waren sie so erfolgreich in der Ahndung solcher Vergehen wie dieser 1945 Heimgekehrte: „Quinze ans et huit mois. C'est ce que j'ai dans l'armée avant de quitter. En ce temps, mon chef de village qui a fait du mal à ma maman et à mon frère. (...) Je n'ai pas pu digérer ça. J'ai combattu cela et je l'ai fait emprisonner, le chef de village." G.Z., Bobo-Dioulasso, 16.3.1999. („15 Jahre und acht Monate hatte ich in der Armee, bevor ich den Dienst quittiert habe. Während dieser Zeit hatte der Chef meines Dorfes meiner Mutter und meinem Bruder Unrecht zugefügt. Das konnte ich nicht schlucken. Ich bin dagegen angegangen und habe ihn ins Gefängnis gebracht, den Dorfchef."). Hintergrund für die Annäherung an den PCF war vermutlich der Umstand, dass diese bis 1947 in der französischen Nationalversammlung vertretene Partei sich als einzige für die politischen Anliegen der westafrikanischen RDA-Parlamentarier offen zeigte, wie Houphouët selbst
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seinerzeit angab (Thompson & Adloff 1958: 87). Ein eher intellektueller Einfluss des PCF lässt sich innerhalb der lokalen Sektionen des Comité d'Etudes Franco-Africain (CEFA) feststellen, welche die theoretische und programmatische Parteiarbeit für den RDA leisteten und - angefangen von der Gründung des CEFA in Dakar 1944 - in allen größeren west- und zentralafrikanischen Städten existierten. Sie griffen die Tradition der noch während des Krieges in Paris und Algier ins Leben gerufenen Studiengruppen der PCF auf (ebd.: 85). Insbesondere die Sektionen von Abidjan und Bobo-Dioulasso wurden denn auch als „doktrinäre Kaderschmieden des Kommunismus" bezichtigt und unter den Gouverneuren Péchoux (Côte d'Ivoire) und Mouragues (HauteVolta) ab 1948 scharfer polizeilicher Überwachung und vielfältiger Schikane unterzogen. Die Atmosphäre der antikommunistisch inspirierten Hexenjagd à la Mac Carthy, die sich mit Frankreichs Option fürs „westliche Lager" erklären lässt, spiegelt sich in zahlreichen Schriftstücken, die seinerzeit im Umfeld der Kolonialadministration zirkulierten. So vor allem in CAOM äff pol 2263, Dossier 1: Côte d'Ivoire. Association, RDA 1948-55 ..., Chemise 1, Dokument: Origines et évolution du RDA (Verfasser anonym, Entstehungszeit etwa 1951). Zu einer ausführlichen Darstellung der Aktivitäten und innerparteilichen Entwicklungen von RDA und IOM bis 1957 siehe Thompson & Adloff 1958: 84-107; zur Parteienlandschaft in der AOF allgemein Bouche 1991: 407-461; und für die Parteienentwicklung in Obervolta Madiéga 1995b. Einen instruktiven Überblick gibt diesbezüglich auch Englebert 1996: 27-41. AGMA: Diaire de Tounouma, Einträge vom 22. und 28.10.1945, Bd. II, S. 227 und 228. Wir verfügen über keine genauen Zahlen, was die städtischen Wählerlisten zu diesem Zeitpunkt betrifft. Fourchards Recherchen zufolge wurde 1950 anlässlich einer Revision dieser Wählerlisten die Zahl der Wahlberechtigten von 5 609 auf 3 266 vermindert; Kriegsveteranen und aktive Soldaten der Garnison (DMA 2) machten jeweils zwei Drittel davon aus (Fourchard 2001: 352, Anm. 153). Bobo-Dioulassos historische Funktion als Verkehrsknotenpunkt und Handelsdrehscheibe zwischen den südlichen Waldregionen und den nördlichen Savannengebieten hatte über Jahrhunderte die Ansiedlung von großen Händlern aus dem Großraum Senegambien und dem Einzugsgebiet des alten Mali-Reiches (Soudan, Guinea und Nordregionen der Côte d'Ivoire) begünstigt, aus dem über die Zeit ein weit verzweigtes Netzwerk von „Dioula-Kaufleuten und -Kolporteuren" entstand.
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Kapitel 5 Zum hier erwähnten Zeitpunkt setzte sich diese einflussreiche Gruppe vor allem aus originaires der quatre communes in Senegal sowie aus der guineischen Region um Kankan stammenden Transportunternehmern zusammen (Fourchard 2001: 322 und dortige Anm. 28). Unter Anwesen (französisch: concession, cour) verstehe ich hier die in der Regel von einem großen Hof umgebenen und zumeist mit mehreren Häusern bebauten Grundstücke dieser Kaufleute, die Wohnsitz, Warenlager und Umschlagplatz für wirtschaftliche Transaktionen, politische und soziale Treffpunkte gleichermaßen waren (und sind). Die multiple Bedeutung dieser Händleranwesen in Bobo-Dioulasso während der Kolonialperiode hat Fourchard exzellent thematisiert. So wörtlich im o. a. Dokument „Origines et évolution du RDA", S. 6 (äff pol 2263, Dossier 1). Siehe obige Anm. 11. Zu der hier nicht weiterzuverfolgenden innerparteilichen Entwicklung des RDA und zur ambivalenten Rolle Houphouët-Boigny's im Kontext der Dekolonisationsbewegung siehe Tiémoko Coulibaly, Élites « évoluées » et populations « indigènes » en Côte d'Ivoire pendant la colonisation (1946-1960): les valeurs paradoxales d'une mobilisation politique, Paris 1997 (unveröffentlichte Dissertationsarbeit, Universität Paris I Panthéon-Sorbonne). Auf der Basis einer sorgfaltigen Untersuchung von Presseveröffentlichungen, Parlamentsprotokollen und mündlichen Zeitzeugnissen widerlegt Coulibaly das Standardnarrativ, der RDA habe eine antikoloniale, auf die staatliche Unabhängigkeit gerichtete Politik verfolgt. Zu einer vom Autor vorgelegten Zusammenfassung dieser Studie siehe Coulibaly 1997 (in Clio en Afrique 2/1997). Ebd., S. 9. Statement von Houphouët-Boigny, zu jenem Zeitpunkt beigeordneter französischer Minister für das überseeische Frankreich, anlässlich des RDA-Kongresses von Bamako 1957. Hier zit. nach CAOM äff pol 2257 Dossier 4: AOF Associations, Partis politiques africains 1950-58, Chemise 1: Notes documentaires, Notes sur les partis politiques en Haute-Volta (undatierter anonymer Bericht, etwa 1958/59, ohne Seitenzählung). Ebd. Diese Analyse ist u. a. deswegen bemerkenswert, weil sie auf den prinzipiellen Unterschied in der Artikulation politischen Willens in der voltaischen Zentralregion, dem ,^Mossi-Plateau", und im Westen und Südwesten des Landes hinweist, der auch die Dynamik der politischen Prozesse im spätkolonialen Kontext prägte. D.h. hier ist zu differenzieren zwischen einer von der „traditionellen" und zentral organisierten Moose-Aristokratie und -Chefferie encadrierten Bevölkerung, die den von den Autoritäten vorgezeichneten Pfaden folgte und den Gesell-
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schaftsformationen des Westens und Südwestens, welche sich im historischen Verlauf der Kolonisation immer gegen die „importierten" Chefs zur Wehr zu setzen versuchten. Zur detaillierten Analyse dieser Ereignisse unter Heranziehung von Berichten der damals involvierten Veteranen und aktiven Soldaten siehe Lawler 1992: 214-228. Demzufolge wurden im Januar 1950 in Bouafle drei, in Dimbokro mindestens 14 Demonstranten getötet. Allerdings zeigte sich auch hier die Wirksamkeit des „Herrsche und Teile"-Strategems, ließen sich die einheimischen Befehlsverweigerer doch ohne weiteres durch willige Rekruten aus Obervolta und Soudan ersetzen. Die Ausführungen unseres Interviewpartners G.K. (BoboDioulasso, Secteur 21, 21.3.1999) deuten diese Zusammenhänge an und verweisen vage darauf, dass ein solches entsandtes voltaisches Kontingent durch RDA-nahe Kreise im Bezirk von Bobo-Dioulasso unter Umständen an der Weiterreise nach Cöte d'Ivoire gehindert wurde. Zur Parteienentwicklung in Obervolta bis zur staatlichen Unabhängigkeit siehe Madiega (1995b: 429-448). Wie auch Fourchard in seiner vergleichenden Stadtgeschichte konstatiert, blieb es in Ouagadougou nach 1945 demgegenüber weitgehend ruhig. Dies ist, wie oben angedeutet, wohl darauf zurückzuführen, dass sich die Zielsetzungen der neu gegründeten UV mit den Interessen der Kolonialadministration weitgehend deckten und die Bevölkerung insgesamt fest im vereinten „Griff' von Chefs, UV und katholischer Mission war (vgl. Fourchard 2001: 317, 326 f.). AGMA: Diaire de Bobo-Dioulasso-Ville, Eintrag vom 2.8.1949, Bd. V, S. 595. Wobei der Vorfall, auf den diese Aufregung zurückging, indes sehr gut die Manipulierbarkeit der Menge zeigt. Auslöser der öffentlichen Unruhe war ein im Umfeld der verfeindeten Imame von Hamdallaye und Dioulassouba aufgetretener Ehebruch, der durch die vorgebliche Parteizugehörigkeit der Kontrahenten (Ehebrecher: UV, gehörnter Ehemann: RDA) eine besondere Virulenz erhielt. In der Tat schlugen sich in jenen Jahren die von der Kolonialadministration geschürten Rivalitäten zwischen RDA und UV auch im muslimischen Establishment von Bobo-Dioulasso nieder. Zu den Hintergründen der während des Ramadan 1949 (Juli 1949) eskalierenden Auseinandersetzungen zwischen den beiden Imamen siehe Fourchard 2001: 239-242. Ebd., Eintrag vom 4. Juli [!] 1946, S. 538. Siehe auch Fourchard (2001: 329 f.), der auf der Grundlage der monatlichen Polizeiberichte als wahrscheinlich korrektes Datum der Attacke den 10.-13. September angibt. Wie groß die von diesem Lokalereignis ausgelöste Besorgnis bei den zuständigen Behörden war, mag der Umstand verdeutlichen, dass
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Kapitel 5 sogar im zentralen Bulletin de renseignements des Generalstabs der Verteidigung darüber berichtet wurde (ANS 5 D 203, Bulletin de renseignements Nr. 52,24.9.-28.10.1946, S. 23). Ebd.: Eintrag vom 21.12.1946, S. 546 f. Fourchard (2001: 330 f.) gibt eine geringfügige andere, von Coulibaly selbst berichtete Version des Geschehens wieder, in der die oben angegebene Befehlsverweigerung der Soldaten allerdings nicht enthalten ist. Immerhin kann der im Januar 1947 in der Garnison von BoboDioulasso in den Dienst gestellte Détachement Motorisé Autonome 2 (DMA 2), dem verschiedene unserer Interviewpartner angehörten, als rasche Antwort der Behörden auf diese Problematik begriffen werden. Diese mit schnellen Motorfahrzeugen ausgestattet und Artillerie gestützte Einheit, die auch ein Kontingent französischer Soldaten beinhaltete, war zur Aufstandsbekämpfung vorgesehen (vgl. Fourchard 2001: 346). Aufschlussreich sind auch hier wiederum die Missionstagebücher der Pères Blancs, deren Aufzeichnungen zufolge sich handfeste Auseinandersetzungen zwischen ehemaligen Soldaten und lokalen Amtsinhabem sowie zwischen Veteranen und Missionaren in etwa die Waage hielten. Ging es im ersten Fall überwiegend um Amtsmissbrauch oder -übernähme, so entzündete sich der Streit mit der Mission fast immer, wie oben bereits erwähnt, an Verlobungs- und Eheangelegenheiten. CNRST: Série B IV/1, Cercle de Bobo-Dioulasso, Rapport politique du 2e trimestre 1949, 2.7.1949, Adm. Toulza, S. 4. Ausführlich dokumentiert ist diesbezüglich die von Houphouët-Boigny, Ouezzin Coulibaly und dem PCF-Abgeordneten Raymond Barbé geleitete öffentliche Versammlung in Banfora am 23.10.1948 (CAOM äff pol 2194, Dossier 1, incidents publiques Haute-Volta 1947-1953). Wie drastisch sich diese „Programmatik" im Einzelfalle auswirken konnte, schildert T.B. (Bobo-Dioulasso 16.3.1999), der zu diesem Zeitpunkt als Aktivist des RDA mit einer ganzen Reihe von Nachstellungen und Strafversetzungen konfrontiert war. Selbst die des Sympathisantentums mit dem RDA gewiss nicht verdächtigen Pères Blancs brachten ihre Wünsche nach einem „weniger autoritären und weniger anti-RDA" eingestellten Gouvernement zu Papier (AGMA: Diaire de BoboDioulasso-Ville, Eintrag vom 28.3.1950, Bd. V, S.604). Diese Kampagne, die über die Grenzen der Kolonie hinaus von der konservativen, von dem Franzosen Troadec geführten Dachorganisation der Veteranenvereinigungen der AOF betrieben wurde, ist in den Archiven ausführlich dokumentiert. Siehe dazu zusammenfassend Echenberg 1991: 157 f.
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CAOM: äff pol 2219, Dossier 1, Chemise 4: Mission Liger AOF 19481950, Rapport N° 174/CM en date du 25.11.1948 (Dakar) du Commandant LIGER Chef de la Mission chargée de la liquidation des droits des AC's Africains de l'AOF (tournée de documentation effectuée par le Chef de la Mission au Dahomey, Côte d'Ivoire, Haute Volta et Niger), S. 6 f. Ebd., Rapport N° 823/CM, Commandant Liger au Ministre de la FOM, Bobo-Dioulasso 10.3.1949, confidentiel, Objet: Etat d'avancement des travaux de prospection, à la date du 1 mai 1949, pour les Territoires de la Côte d'Ivoire, de la Haute-Volta, du Soudan, du Niger et du Dahomey. Exploitation des travaux émanant de la 'Mission', par les Services Administratifs de la Guinée, S. 8. Echenberg 1991: 157; Fourchard 2001: 353; CNRST Série B IV/1, Cercle de Bobo-Dioulasso, Résumé des événements du 4e trimestre 1949, Commandant de cercle Hillenweck, S. 2 f.; ANS 4 D 72, V 100, Dossier Anciens Combattants 1949, divers: Renseignements politiques Bobo-Dioulasso 25.6.1949 und 9.12.1949. CAOM: äff pol 2194, Incidents publiques Haute-Volta 1947-1953, Dossier 2: Brief Pré an Merlot, Directeur adjoint des affaires politiques FOM, 22.9.1952, persönlich. Ganne & Ouédraogo (1997: 217 f.) erwähnen diesbezüglich auch die boutiques de Walter, eine Serie kleiner Einkaufsläden, die vom gleichnamigen ehemaligen Luftwaffenpiloten - dem zweiten im Bezirk vertretenen französischen Offizier - überall in der Provinz Yatenga eröffnet wurden und in etwa das gleiche Sortiment, inklusive den von den Veteranen stark nachgefragten Wein, anboten. Es wäre noch zu klären, ob Walter ein Parallelunternehmer auf eigene Rechnung oder Intermediär von Dorange gewesen ist. So Y.D., Jahrgang 1939, Torna 14.5.1999; I.G., Jahrgang 1932, Tougan 16.5.1999; O.D., Jahrgang 1937, Tougan 16.5.1999; J.B., Jahrgang 1940, Tougan 17.5.1999; A.T., Jahrgang 1947, Tougan 17.5.1999. Ousmane Ouédraogo, Ouahigouya, März 1991 (in Sanou 1992/93: 35). AHC: Territoire de la Haute-Volta, Rapport politique 1955, partis politiques, S. 69 (nicht klassifiziert). Dorange war und blieb auch im Folgenden eine äußerst umstrittene Person. Zu seiner Rolle im politischen Geschehen Obervoltas siehe Balima 1995. So Frédéric Guirma: Comment perdre le pouvoir: le cas de Maurice Yaméogo. Paris: Éditions Chaka 1991, S. 64, hier zit. nach Ganne & Ouédraogo 1996: 218, die mit dieser Annahme übereinstimmen. („Le mouvement, de façon générale, ne demandait que plus de justice et
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Kapitel 5 d'égalité pour les Voltaïques. Il ne se réclamait d'aucune idéologie et ne disposait d'aucune théorie politique voire même nationaliste. Il était émancipateur car il voulait donner aux Voltaïques des moyens d'évolution.") („ ... weil er alle Afrikaner, alle afrikanischen Soldaten, weil er mich verstehen wollte. Das war das Gute. Jawohl! Er hat auch mir gesagt, dass ich einen Brief nach Tougan schreiben sollte und all das. Er hat uns sogar das Wort gelassen, er hat uns selbst sprechen lassen. Ja!") Y.D., Toma 14.5.1999. Der Sprecher bringt damit zum einen zum Ausdruck, dass Dorange ihn bei der Klärung seiner Rentenansprüche unterstützt hat, zum anderen, dass er die Veteranen das Wort ergreifen ließ, was auch so zu verstehen ist, dass er sie nicht wie andere Politiker für seine eigenen Zwecke instrumentalisierte. („Er, er ist es gewesen, der uns dazu gebracht hat, einzutreten, er hat uns, er hat wieder Licht gemacht [durch ihn ist es besser geworden, er hat alles aufgeklärt? B.R.], während er in Ouahigouya war. [...] Ihm haben wir es zu verdanken, dass wir heute unseren Beitrag leisten [einen funktionierenden Veteranenverein haben? B.R.]. So ist es! Also ich sage, er hat uns viel Gutes getan.") A.T., Tougan 17.5.1999. So explizit J.B., Tougan 17.5.1999: „Capitaine Dorange, c'est, c'est un, c'est notre, notre parti." E.K.: „Ah oui, [...] c'est votre parti, comment?" J.B.: „C'est lui le patron de la compagnie." („Ich bin nie in die Politik eingetreten, weil mir das nichts eingebracht hätte, denn dort teilen sie alles unter sich auf, ohne dir etwas abzugeben.") I.G., Tougan 16.5.1999, der einen Moment später zu Protokoll gibt, er habe bei den Wahlen für Dorange und dessen Kompagnon Gérard Kango Ouédraogo gestimmt. In vergleichbarer Weise äußern sich Z.I., Toma 14.5.1999; M.T., Tougan 17.5.1999; J.B., Tougan 17.5.1999; B.S., Bobo-Dioulasso 10.3.1999; R.D., Bobo-DioulassoAccartville 23.3.1999; T.K., Bobo-Dioulasso-Secteur 21, 23.3.1999. Eine Reihe der in Toma und Tougan Interviewten beantworteten die Frage nach ihrer politischen Betätigung mit einem militärisch knappen ,,Nein" und enthielten sich jeglichen weiteren Kommentars. („Normalerweise ist nach den Vorschriften ein Veteran dazu da, das Land zu verteidigen. Ich darf mich [also] nicht politisch engagieren, im Zivilen. Aber im Bedarfsfalle weiß die Regierung ja, wo ich bin. Aber ich darf mich nicht an der staatlichen Politik ausrichten. Wenn sie mich jetzt brauchen und ich bin in der Politik, wer soll dann einrücken? Also bitte, so habe ich das gelernt.") A.T., Tougan 17.5.1999. In ähnlicher Weise äußert sich auch Y.D., Toma 14.5.1999. R.D., Bobo-DioulassoAccartville 23.3.1999, erwähnt das in der Armee ausgesprochene Ver-
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bot politischer Betätigung. B.Z., Jahrgang 1953, Bobo-Dioulasso 18.3.1999: ,Alors, nous vraiment, on a l'esprit de là, à l'âge de 20 ans [...] Vraiment on a l'esprit de l'armée plus que du civil. C'est sûr, dans le civil, vous ne connaissez rien, on ne connaît rien dedans, on ne connaît rien. Mais l'armée vraiment, tout ce qu'ils nous ont dit dans l'armée c'est ça qui est rentré, c'est ça qui est resté. Voilà! Vous voyez?" (Also wir haben wirklich noch den Geist wie damals mit 20 Jahren. Wir sind wirklich in allem mehr Militärs als Zivilisten. Auf jeden Fall verstehen wir nichts vom zivilen Leben, wir kennen dort einfach nicht aus. Aber das, was man uns in der Armee beigebracht hat, das ist rein gegangen, das ist uns geblieben. So ist es, sehen Sie?"). Siehe dazu die beiden, im Anhang abgedruckten Interviews mit Z.T. (Bobo-Dioulasso 19.3.1999) und T.B. (Bobo-Dioulasso 16.3.1999). CAOM: Fond privé Moutet 60 APOM 19, Dossier 3, sous-dossier b) Rapport Delange (Rapport du Général de Brigade des Territoires Coloniale Delange sur sa mission en AOF effectué du 20 décembre 1946 au 10 mars 1947, concernant les Anciens Combattants Africains, Dakar 10.3.1947), S. 29 f. Neben Delange waren dies General de Larminat (in CAOM: äff pol 2219, Dossier 1: anciens combattants, chemise 2 - Mission d'inspection Larminat, Rapport sommaire du Général de C.A. de Larminat, Inspecteur des Forces Terrestres d'Outre-Mer sur sa mission d'Inspection en AOF et AEF effectuée du 24 novembre au 23 décembre 1946, Paris 13.1.1947, confidentiel), und Hauptmann Liger (in ebd., chemise 4 Mission Liger, AOF 1948-1950). Dessen über eine Inspektion weit hinausgehende „Mission" wird im Folgenden noch näher erörtert. Die detaillierte Untersuchung der auf den Weg gebrachten politischen und rechtlichen Verordnungen sowie die Probleme bei deren praktischer Umsetzung bildet das Kernstück der Magisterarbeit von Luciani, der diesbezüglich das in den Archiven (CAOM) verfügbare und zugängliche Material gründlich ausgewertet hat. Siehe dazu auch Echenberg 1991: 127-141, 153-159. CAOM: äff pol 2245, Dossier 4: Notice sur la Haute Volta, chapitre IX (Archives de Campagne, mise à jour 1er trimestre 1957). Zwar verurteilten Repräsentanten des RDA das französische Vorgehen in Madagaskar 1947 oder den Kolonialkrieg in Indochina wiederholt anlässlich von Parteikongressen oder öffentlichen Versammlungen wiederholt aufs Schärfste (z.B. in Banfora im Oktober 1948, wo von guerres fratricides und assassinats gesprochen wurde, die sich auch innerhalb der AOF ausbreiten könnten, wie die Redeprotokolle in
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Kapitel 5 CAOM: äff pol 2194, Dossier 1 -incidents publiques Haute-Volta 1947-1953, belegen). Meines Wissens wurde bislang jedoch nicht untersucht, in welchem Umfang die offensichtlich von Repräsentanten des PCF damit verfolgten Agitationsstrategien des politischen Kampfes auf afrikanischer Seite rezipiert und weiter getragen wurden. Eine explizite Kritik am Algerienkrieg wurde den von mir konsultierten Archiven zufolge erst nach der staatlichen Unabhängigkeit westafrikanischer Kolonien formuliert. Siehe dazu u. a. zwei Reden des damaligen senegalesischen Justizministers Gabriel d'Arboussier vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 13. und 19. Dezember 1960 (in Algérie o. J. [i960]). Hier wurde, in Überlagerung von Images aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, ein Bild des ewig treuen afrikanischen Soldaten geformt, der sich den Werten der französischen Republik (contra deutsches Kaiserund Drittes Reich) allzeit verpflichtet wusste. AHC: Carton Subdivision Centrale, Dossier: Rapport politique 1956, Subdivision Centrale, Administrateur Amiel, Bobo-Dioulasso 31.12.1956, S. 17 (nicht klassifiziert). Joseph Ki-Zerbo, Ouagadougou, 22.2.1999. Nicht einmal die Zugehörigkeit zu der von der Administration geförderten Amicale von Leutnant Niandegue Ouattara in Bobo-Dioulasso garantierte für ein derart genehmes Verhalten, wie die in den Archiven dokumentierten Aktivitäten eines Anhängers von Ouattara belegen, welche die Administration über Jahre beschäftigten: :„... l'après-midi, palabre aux villages de SAKABI et DOGONA pour la vieille querelle du marigot OUE. Le meneur est, comme l'an dernier, l'ancien sergent TOUNGO, de l'association du Lieutenant NIANDEGUE, qui, bien que déjà condamné (avec sursis) l'an dernier, persévère cette année dans une revendication sans objet ..." CNRST: Série B V-2, Adm. Morand au Gouverneur de la Haute-Volta, n° 258-sc, 28.4.1951: Tournée du mois d'avril 1951, S. 2 (21.4.1951). So berichtet der Bezirkskommandant von Bobo-Dioulasso anlässlich einer Rundreise im April 1949, dem Chef eines Dorfes und ehemaligen Feldwebel sei es gelungen, die Bevölkerung von vier Dörfern gegen den autoritätsschwachen Kantonschef aufzubringen, so dass - nach einem gescheiterten Versöhnungsversuch seinerseits - der gesamte Kanton der Überwachung bedürfe. (CNRST: Série B IV-1: Etat des tournées effectuées par l'Administrateur, Commandant le cercle pendant le mois d'avril 1949, Canton de Berefadougou). Der wohl prominenteste Fall dieser Art ereignete sich bereits 1939 im Kanton von Sourou im Westen Obervoltas, wo sich Oberleutnant Issa Boro, Veteran des Ersten
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Weltkrieges und einer der allerersten aus der Kolonialarmee hervorgegangenen voltaischen Offiziere, um das Amt des Kantonschefs bewarb. Vom französischen Gouverneur abschlägig beschieden, da Boro nicht aus einer „Chef-Familie" stammte, leitete der Offizier eine Kampagne gegen den amtierenden Chef ein und rief die Bevölkerung zum Ungehorsam auf. Er sicherte zu, im Falle seines Amtsantritts den von der Kolonialverwaltung angeordneten und von den Bauern nur widerwillig betriebenen Baumwollanbau wieder abzuschaffen und benahm sich, glaubt man den aufgebrachten Administratoren, wie ein Chef, d.h. ließ sich in der Sänfte tragen, andere seine Felder bestellen und sich wie ein Chef grüßen. Das letzte Wort behielt in seinem Fall allerdings die Kolonialverwaltung, die ihn zur Unterordnung unter die dekretierte Ordnung zwang und ein Exempel statuierte, um vergleichbar ambitionierte Veteranen zu entmutigen. Wie jedoch das Beispiel eines unserer Interviewpartner aus Tougan zeigt, der sich 1945 Boros Bewegung anschloss, um „mit all dem, Kantonschef, Dorfchef ... aufzuräumen", hat dies scheinbar kaum Wirkung getan (O.D., Tougan 16.5.1999). Zur Affäre Issa Boro siehe Kouraogo 1989/90: 151 ff. 62
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AHC: Dossier Conseil des Notables, partis politiques 1939, 1949, 1952; Commandant de Cercle de Bobo-Dioulasso, Bernadec, an Gouverneur Haute-Volta, 6.1.1953, vertraulich (nicht klassifiziert). Der Liste zufolge waren fünf von 20 Ratsmitgliedern in der Stadt Bobo-Dioulasso, vier von 14 im Unterbezirk von Houndé und zwei von 14 im Unterbezirk von Orodara anciens combattants, vom Rang des einfachen Soldaten bis zum Oberfeldwebel. Aus den jeweiligen Jahresberichten des Office National des Anciens Combattants et Victimes de la Guerre de l'A.O.F. et Togo (in CAOM: äff pol 2217, Dossier B 9: Administration Générale, Anciens Combattants, Offices locaux 1946-1958) wird zum einen der hohe ideelle Stellenwert ersichtlich, der dem Bau dieser Vereinshäuser allgemein zuerkannt wurde; zum anderen wurden dafür großzügig bemessene Kredite aus den Budgets der jeweiligen Territorien zur Verfügung gestellt. So erwähnt der Jahresbericht 1950 alleine für Obervolta eine Bewilligung von 3 Millionen Francs zum Bau von drei Vereinshäusem in Koudougou, Kaya und Nouna (zum Vergleich: das Jahresbudget für die voltaische Vertretung des Office National des Anciens Combattants betrug in 1949 485 000 Franc CFA oder umgerechnet 970 000 Francs). Die Kosten für den Bau des 1953 fertig gestellten Hauptsitzes des comité local des anciens combattants in Ouagadougou beliefen sich auf grob 10 Millionen Francs CFA (Luciani 1991/92: 151 f.). (Alle hier und in der nachstehenden Anmerkung genannten Zahlen folgen den Dokumenten. Dort sind sie teils als
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Kapitel 5 Francs, teils als Francs CFA ausgewiesen; der damals gültigen Wechselkurs war 1 FCFA = 2 FF). Für die Vergabe von médailles militaires an afrikanische Veteranen wurden z.B. in 1950 für die AOF insgesamt 1 458 924 Francs - davon 219 407 Francs für voltaische Ordensempfänger - zur Verfügung gestellt. Zum Vergleich: Im selben Jahr wurden insgesamt 338 000 Francs für Not leidende Veteranen in Obervolta aufgewendet (alle Zahlen nach dem in der vorangehenden Anmerkung genannten Jahresbericht 1950). Die im vorangegangenen Abschnitt erörterten Protestaktionen beschränkten sich nicht auf die Gruppe der „unbotmäßigen" Veteranen von Bobo-Dioulasso. Der demonstrative Boykott offizieller und zeremonieller Aufmärsche wurde allgemein zum probaten Mittel für Veteranen, ihrem Protest gegen die Ungleichbehandlung in der Frage der Entschädigungszahlungen und Renten Nachdruck zu verleihen. So kündigten die Vertreter des voltaischen Veteranenbüros in Ouagadougou im Januar 1951 per Telegramm an den französischen Staatspräsidenten ihren Boykott sämtlicher öffentlicher Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Besuch des französischen Staatssekretärs an, sollten sich Auszahlung der Invaliditätsrenten und Ausstellung der Pensionsberechtigungen weiter verzögern - und hielten Wort (CAOM äff pol 2218, Dossier 8: Pensions militaires d'ancienneté 1950/51). So explizit Thompson & Adloff 1958: 229. Vgl. dazu die Kritik von Echenberg 1991: 147 f. Vertreter der Veteranenvereine in Ouagadougou und Bobo-Dioulasso bestätigten mir, dass sie die französische Armee bis heute als primäre Ansprechpartnerin sehen, an die sie sich in allen Fragen zunächst wenden, bevor sie ihre Beschwerden und Petitionen an die französische Regierung richten. CAOM: äff pol 2219, Dossier 1, chemise 4: „Mission Liger", Rapport d'ensemble, Dakar 20.5.1950, bilan de la prospection concernant l'ensemble des Territoires de l'AOF au 15 mai 1950, n° 2.066). Er hatte im Laufe einer zweijährigen Prospektionskampagne durch FranzösischWestafrika 5 010 Veteranen des Ersten und 26 031 des Zweiten Weltkrieges erfasst und registriert, mit dem Ziel, ihre Versorgungsansprüche einer Bearbeitung zuzuführen. Seinen eigenen Angaben zufolge war es ihm nicht gelungen, sämtliche Veteranen aufzuspüren; ebenso sind die zu diesem Zeitpunkt auf Madagaskar oder Indochina stationierten Soldaten nicht berücksichtigt. Ebd. Zur zusammenfassenden Darstellung der „Mission Liger" siehe Echenberg 1991: 159 f. („Bis heute hat uns Frankreich nicht Recht geben wollen. Das hat uns
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wirklich entmutigt. Zumal während der Kämpfe die Kugeln alle gleichermaßen getötet haben, ohne einen Unterschied zu machen. Das war gar keine Frage, ob es ein Afrikaner oder ein Europäer war. Man hat die Sache völlig auf den Kopf gestellt, das bedeutet Apartheid. ... Zurzeit sterben die Veteranen unter den Afrikanern vor Kummer darüber, dass die Pension nicht reicht. Bevor sie diese kleine Pension überhaupt erhalten, müssen sie schon Kredit aufnehmen. Und wenn die kleine Pension dann endlich da ist, zahlen sie den Kredit zurück und beginnen wieder bei Null. ... Mit der [...] weltweiten Vereinigung der Veteranen kämpfen wir bis heute für die gleiche Sache. Wir haben unseren Fall [noch] nicht gewonnen.") B.S., Bobo-Dioulasso 10.3.1999. 71 72
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Diese Zusammenfassung basiert, so nicht anders angegeben, auf Echenberg 1991: 136-138 und 159-161. CAOM: äff pol 2218, Dossier 4: Commission de Coordination, Comptes-rendus, Décrets correspondance entre ministères intéressés 1947, Compte-rendu de la commission de coordination des questions intéressant les anciens combattants des territoires d'outre-mer, séance du 6 août 1947, S. 7. Diese Auszahlung in französischen Francs erwies sich indes nach dem Ende der Kolonialzeit als glückliche Fügung, insofern die Veteranen von den aufeinander folgenden Abwertungen des Franc CFA, zuletzt im Januar 1994, verschont geblieben sind. Gesetz Nr. 59-1454 vom 26.12.1959, Artikel 71, hier zitiert nach Sainteny 1963: 13. Zahlen nach Séguès & Thèves 2003: 9. So explizit B.K., Bobo-Dioulasso-Accartville 19.3.1999, der den ersten voltaischen Präsidenten, Maurice Yaméogo, als Hauptschuldigen bezichtigt. Vergleichbar äußert sich auch O.D., Tougan 16.5.1999. Zusammenfassung nach Echenberg 1991: 128 und Kouraogo 1989/90: 143. So insbesondere S.Y., Bobo-Dioulasso-Accartville 19.3.1999, der durch ein seinerzeit, wie er meint, falsch eingetragenes Geburtsjahr im Wehrpass drei Jahre verloren und damit seines Anspruchs auf volle Altersrente verlustig ging. Bereits im April 1989 hatte der von etwa 700 senegalesischen Kriegsveteranen in dieser Angelegenheit angerufene Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen festgestellt, dass der französische Gesetzgeber mit dem System der „Einfrierung" von Renten gegen Artikel 26 der Internationalen - und von Frankreich 1976 ratifizierten - Vereinbarung zum Schutz ziviler und politischer Rechte verstieß. Ungeachtet ihres rechtlich nicht bindenden Charakters bahnte diese „Verur-
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Kapitel 5 teilung" den Weg für zwei in 1994 angestrengte Klagen vor französischen Verwaltungsgerichten, denen somit Ende 2001 ein später Erfolg beschieden war. Zum Verlauf dieses Rechtsstreits siehe Slama 2003. Alioune Camara, Vorsitzender des senegalesischen Office national des anciens combattants. In: Aziz Diagne: Les anciens combattants entre joie et méfiance: Walfadjri ... L'Aurore Nr. 2926/12.12.2001, S. 2. Im selben Tenor auch Moussa Diop: Après la revalorisation de leurs retraites. Les anciens combattants entre soulagement, amertume et espoir: Sud Quotidien (senegalesische Tageszeitung), Ausgabe vom 12.12.2001, S. 2. Zur Bestandsaufnahme der französischen Presse siehe übereinstimmend B.G.: L'État a du mal à „décristalliser": Libération (französische Tageszeitung), Ausgabe vom 8.2.2002, S. 16. Sylvia Zappi: Le gouvernement cherche à revaloriser a minima les pensions des anciens combattants étrangers: Le Monde, 10.11.2002; dies.: Les associations dénoncent le plan de rattrapage des pensions des anciens combattants: Le Monde 27.11.2002 (http://www.lemonde.fr); Mohammed Boudarham: La France révise les pensions des anciens combattants des ex-colonies à partir de 2003: Libération (marokkanische Tageszeitung), 22.11.2002 (http://www.liberation.press.ma) Im Übrigen sei darauf verwiesen, dass die Programme sämtlicher in Obervolta gegründeter politischer Formationen zwischen 1946 und 1958, ungeachtet ihrer jeweiligen Ausrichtung, durch das generelle Fehlen autonomer Staats- und Gesellschaftsentwürfe (projets de société) gekennzeichnet waren. Sie fokussierten vielmehr auf den Kampf um politische Gleichheit zwischen Kolonisierten und Franzosen (Madiéga 1995b: 447). Im Mittelpunkt der französischen, vor allem im Bereich des Schulwesens umgesetzten Politik der Assimilation in den Kolonien stand die Vermittlung französischer Kultur und Lebensart an zahlenmäßig begrenzte autochthone einheimische Zielgruppen, die somit zu künftigen Intermediären des Kolonialwerks ausgebildet werden sollten. Zur Diskussion um die Wirksamkeit der Assimilation bei westafrikanischen Eliten vgl. die Beiträge in George Wesley Johnson (Hg.), Double Impact: France and Africa in the Age of Imperialism, Westport Conn. 1985. Als ein Beleg von vielen sei nur das bereits erwähnte, dem oben zitierten Vierteljahresbericht 1957 beigegebene mehrseitige „Rasseninventarium" genannt (Inventaires des Races in CAOM: äff pol 2245, Dossier 4 - Notice sur la Haute Volta). Zur Zirkulation und Rezeption dieser Muster siehe insbesondere die vom französischen Verteidigungs- und Kolonialministerium gemeinsam herausgegebene Revue des troupes coloniales (ab Januar 1948 Tropi-
Politische Profile
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ques), so z.B. Pierre Henno, De la brousse ä la caseme: Revue des troupes coloniales 284 (Januar 1947), S. 31-40. Siehe dazu Echenberg 1991: 118, Tabelle 7.4, der noch für das Jahr 1954 ein Verhältnis von 850 französischen und 23 afrikanischen Offizieren innerhalb der 34 000 Mann umfassenden stehenden RTS ausweist. Im Zuge des 1955/56 eingeleiteten Programms zur valorisation des cadres africains stieg die Zahl afrikanischer Offiziere bis 1956 auf insgesamt 68 an. Bestes Beispiel dafür ist die 1956 in Frejus eröffnete Offiziersakademie EFORTOM (später EFORTDM). In den Augen von Ausbildern war sie „das geeignete Mittel, Afrikaner ins internationale Geschehen einzuführen" (Oberstleutnant Creuly, Frejus, im Interview vom 27.3.1998), eine „Philosophie", die sich bis in den Fächerkanon und die über die einzelnen Schüler angefertigten Beurteilungsbögen hinein verfolgen lässt. H.T. (Ouagadougou 1.3.1999), hält dagegen, man habe in den Offiziersanwärtern lediglich „große Kinder" sehen wollen, die Lebens- und Armeeerfahrungen der Schüler, bei denen es sich größtenteils um ehemalige Indochina- und Algerienkombattanten - und in vielen Fällen Familienväter - handelte, völlig außer Acht gelassen.
FAZIT UND AUSBLICK Mit dem ihm eigenen feinsinnigen Humor präsentiert Amadou Hampäte Bä in seinen Memoiren zwei Ansichten der im Prozess der französischen Kolonisation in Westafrika installierten sozialen Konfiguration, welche bestehende soziale Hierarchien überformte und der gesellschaftlichen Reproduktion eine neue Dynamik verlieh. Überträgt man Hampäte Bäs Ausführungen (1994: 186 f.) in ein zeichnerisches Modell, so entsteht aus der Gegenüberstellung dieser beiden Ansichten - der offiziellen, durch koloniale Herrschaft implantierten sozialen Nomenklatur und der von Kolonisierten entworfenen, erfahrungsgesättigten Replik - eine perspektivische, auf Außen- resp. Innenwahrnehmungen basierende Darstellung des gesellschaftlichen Kräftefelds und seiner Stratifikationen.
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Lässt man einmal die in beiden Modellen übereinstimmend hermetisch vom Mittel- und Unterbau abgegrenzte „weiße" Spitze der gesellschaftlichen Pyramide außer Acht, so werden in ihnen zwei sehr unterschiedliche Entwürfe der kolonialen Gesellschaft erkennbar. Während das von Hampäte Bä so bezeichnete „offizielle" Modell „der gesellschaftlichen Gliederung" (linke Pyramide) zwei große Gruppen, die citoyens und die sujets, differenziert, innerhalb derer jeweils drei durch Hautfarbe bzw. „Zivilisationsgrad" voneinander abgegrenzte Untergruppen unterschieden werden, weist die vom „humour populaire" inspirierte „indigene" Version (rechte
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Fazit und Ausblick
Pyramide) lediglich vier, durch ihre jeweilige Nähe und Beziehung zur „weißen" Spitzengruppe charakterisierte Klassen aus: celle des blancs-blancs (ou toubabs), qui comprenait tous les Européens d'origine; celle des blancs-noirs, qui comprenait tous les indigènes petits fonctionnaires et agents de commerce lettrés en français, travaillant dans les bureaux et factureries des blancs-blancs qu'ils avaient d'ailleurs tendance à imiter; celle des nègres des blancs, qui comprenait tous les indigènes illettrés mais employés à un titre quelconque par les blancs-blancs ou les blancs-noirs (domestiques, boys, cuisiniers, etc.); enfin celle des noirs-noirs, c'est-à-dire les Africains restés pleinement eux-mêmes et constituant la majorité de la population. C'était le groupe supportant patiemment le joug du colonisateur, partout où il y avait joug à porter (ebd: 187). Unter Vorbehalt der absolut gesetzten Pigmentgrenze, die zu überschreiten auch einem blanc-noir wie Hampâté Bâ unmöglich war - „le dernier des Blancs venait toujours avant le premier des Noirs ..." (ebd.) - , lassen sich diesem indigenen Modell zufolge die ehemaligen Soldaten der französischen Armee in allen Untergruppen der kolonialen Gesellschaft wiederfinden. Wie es dazu gekommen ist, d.h. wie die „Reise durch den Krieg" zum Ausgangspunkt für Grenzüberschreitungen bzw. neue Positionierungen dieser in ihrer überwiegenden Mehrheit aus der großen Gruppe der noirs-noirs stammenden Männer wurde, hat die vorgelegte Arbeit am Beispiel von Itinerarien und Prozessverläufen einer Generation, den Veteranen des Zweiten Weltkrieges, thematisiert. Methodisch gesprochen wurden dabei beide oben schematisierten Ansichten des gesellschaftlichen Kräftefelds in den Blick genommen, da sich erst in ihrer Zusammenschau die Doppelkonstruktion historischer Prozesse erfassen und darstellen lässt, d.h. die „komplexe wechselseitige Beziehung zwischen umfassenden Strukturen und der Praxis der Subjekte" (Medick 1989: 50), zwischen außengesteuerten Modi der gesellschaftlichen hierarchisierten Kategorienbildung (siehe linke Pyramide) und den auf die Erfahrung und den Umgang mit diesen Strukturen und Modi gegründeten Wahrnehmungen und Verhaltensweisen (siehe rechte Pyramide). Untersuchungsziel dieser Studie war es zum einen, die Geschichte der afrikanischen Armee Frankreichs in den größeren Rahmen des hegemonialen Projekts der (französischen) Kolonisation einzuordnen, d.h. auch zu
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zeigen, dass sich das Unternehmen „afrikanische Armee" nicht nur als eine spezifische Variante der kolonialen In-Wert-Setzung von menschlichen Ressourcen entwickelte, sondern in ihm auch in vielfacher Weise über die spezifischen Befehls- und Gehorsamsstrukturen hinaus die asymmetrischen Beziehungen kolonialen Zuschnitts wirksam wurden. Zum anderen handelte es sich darum, Wahrnehmungen, Verhaltensorientierungen und Lebensverläufe einer Gruppe zu rekonstruieren, die durch ihre Einbindung in die Armee auf eine spezifische Weise in die Auseinandersetzung mit dem hegemonialen Projekt hineingezogen wurde, oder genauer gesagt, deren Erfahrungen in der Armee und auf der „Reise durch den Krieg" ihr zum Anlass wurden, sich mit der kolonialen Situation auf ihre Weise auseinanderzusetzen. Unter der Prämisse, dass Kolonisation als eine Erscheinungs- und Ausdrucksform von Globalisierung in Gestalt eines von NordSüd-Machtverhältnissen strukturierten historischen Prozesses zu werten ist, ging es im Einklang mit den Zielsetzungen des Forschungsprogramms, innerhalb dessen diese Studie konzipiert wurde, schließlich auch darum, die Wahrnehmung, Verarbeitung und Transformation dieses Prozesses aus der Perspektive der beherrschten Gesellschaften des Südens zu untersuchen. Zur besseren Darstellbarkeit der Ergebnisse werden im Folgenden zunächst die historischen Rahmenbedingungen, und damit die Perspektive, unter welcher der Prozess globaler Verflechtungen am Beispiel der „afrikanischen Armee" betrachtet wurde, kurz zusammengefasst, bevor in einem zweiten Schritt Prozessverläufe, d.h. Lebensstrategien und Handlungsentwürfe voltaischer Weltkriegsveteranen, rekapituliert werden. In einem dritten Schritt wird schließlich auf Übergänge und Anschlüsse für weitere Forschungen in diesem Bereich hingewiesen.
Globale Verflechtungen und Macht Bei der temporären Migration afrikanischer Männer im Kontext der beiden Weltkriege handelte es sich nicht um eine Grenzüberschreitung aus freien Stücken sondern um eine in der Regel zwangsgeleitete Bewegung von Menschen, deren Lebensalltag durch verschiedene Facetten eines Systems der Zwänge kolonialen Zuschnitts geprägt war: koloniale Zwangsarbeit,
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Fazit und Ausblick
Verankerung der Wehrpflicht für Afrikaner seit 1912, das Rechtssystem des indigenat, die Kooptation der autochthonen Chefferie als Intermediäre der Kolonialadministration. Vor diesem Hintergrund stellten sich die Rekrutierungen junger Männer für die französische Armee, aber auch die kolonisierten Bevölkerungen abverlangten Beiträge zum war effort für die Betroffenen als ein weiterer unter mehreren kolonialen Zwängen dar, dem man sich durch Taktiken des Ausweichens oder der Arbeitsmigration in die britische Nachbarkolonie Gold Coast zu entziehen suchte bzw. für das man sich allenfalls als vermeintlich kleineres von zwei Übeln entschied. Die Integration in die Armee zeichnete sich durch zwei gegenläufige Erfahrungsmuster aus, die für spätere postmilitärische Lebensverläufe und Handlungsorientierungen der Männer ausschlaggebend geworden sind. So setzte sich zum einen im Armeealltag die unterscheidende Behandlung, d.h. die von „rassischen" und kolonialstrategischen Kriterien inspirierte Diskriminierung der großen Mehrheit afrikanischer Mannschaftssoldaten ungebrochen fort. Zum anderen wirkten geteilte liminale Erfahrungen von Kampf, Tod, Verletzung und Kriegsgefangenschaft, aber auch die Integration afrikanischer Truppenkontingente in die Verbände der Alliierten im Sinne einer physischen und mentalen Entgrenzung. Die sich in diesem Prozess der potentiellen Aufhebung von Rassen-, Klassen- und Kolonialschranken ausbildende militärische Wir-Gemeinschaft (Waffenbruderschaft) wurde und wird von beiden Seiten als enge mentale Verbindung erlebt, wenn auch, wie die Untersuchung gezeigt hat, sehr unterschiedlich konnotiert. Ist sie aufseiten französischer Armeeangehöriger mehr oder weniger stark paternalistisch aufgeladen, so wurde sie westafrikanischen Veteranen zum Impuls, ihre Freisetzung von kolonialen Zwängen und ihre Gleichbehandlung mit den metropolitanen Kameraden einzufordern. Über ihre allgemeine Tragweite als globale Epochenbrüche hinaus haben die Weltkriege für (west)afrikanische Bevölkerungen eine spezifische, mit der Kolonialsituation verknüpfte Bedeutung gehabt. Zunächst einmal sind sie, was die unmittelbare Zielgruppe angeht, konstitutiv für deren Existenz geworden, d.h. durch die Kriegssituation und die - hier untersuchte - von Frankreich diesbezüglich ausgeübte koloniale Verfügungsgewalt über Ressourcen und Menschen sind Männer aus ruralen Hinterlandregionen Westafrikas zu Akteuren und Beobachtern eines glo-
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balisierenden Geschehens par excellence geworden. Dieser Krieg war für sie darüber hinaus eng mit der Erfahrung verbunden, dem Zerfall kolonialer Stärke beizuwohnen, insofern die mère-patrie ein besiegtes ohnmächtiges Land war, an dessen Wiederaufrichtung sie an der Seite der Großmächte wiederum selbst maßgeblichen Anteil hatten. Ohne der Denkfigur der „imperialen Panik" hier das Wort reden zu wollen, hat die Untersuchung doch erwiesen, dass in der von den Veteranen so bezeichneten Ära der politique ein durch den Zusammenbruch Frankreichs eingeleiteter Paradigmenwechsel seine Wirkung zu entfalten begann und sich in der Abschaffung der kolonialen Zwangsarbeit (1946) und der Ausweitung der Wahlberechtigung für kolonisierte Bevölkerungsgruppen (1946) eine Umkehr von Abhängigkeitsverhältnissen anbahnte. Dass für die Veteranen der Verlauf und das Ende des Krieges diesbezüglich weitaus tiefer greifende politische und mentale Bedeutung hatten als etwa die staatliche Unabhängigkeit Obervoltas 1960, bestätigt sich auch darin, dass sie die indépendance häufig gar nicht erwähnen, nur kursorisch streifen oder sie gar in die späten 1940er Jahre transponieren. Prozessverläufe - Ausdrucksformen und Ubersetzung
transkultureller
Übertragung
Um die Innenperspektive dieses Prozesses globaler Verflechtungen auszuleuchten, in welche westafrikanische Soldaten im Zuge ihrer „Reise durch den Krieg" hineingezogen worden sind, wurden Lebensberichte voltaischer, ivorischer und senegalesischer Weltkriegsveteranen ausgewertet und unter Heranziehung von Archiv- und persönlichen Zeugnissen „anderer" kontextualisiert und perspektiviert. Hervorstechendes Merkmal der auf dem Wege der mikroanalytischen Untersuchung rekonstruierten biographischen Gruppen- und persönlichen Profile dieser Männer ist der Niederschlag ihrer „Grenzüberschreitung" in einem permanenten „Grenzgängertum" zwischen verschiedenen, in Veränderung begriffenen Lebenswelten im spätkolonialen Zusammenhang. Gekennzeichnet durch multiple Identitätsentwürfe und heterogene, sich in ein- und derselben Person vereinigende Handlungs- und Verhaltensorientierungen, drückt sich dieses Grenzgängertum in familiären, politischen und Alltagsstrategien sowie Kulturmustern von Veteranen aus, in denen zum Teil höchst originelle
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Fazit und Ausblick
Problemlösungsmuster und Synthesen von „Altem" und „Neuem", „Eigenem" und „Fremdem" usw. erkennbar werden. Um die Auswirkungen des Transformationsprozesses, der sich bei den afrikanischen Soldaten durch die Erweiterung ihrer Erfahrungsräume, die Bewältigung liminaler Erfahrungen in Krieg und Gefangenschaft, aber auch durch Ausbau und Mehrung ihrer sozialen Beziehungen vollzogen hat, beschreiben und begrifflich fassen zu können, wurde von einem transkulturellen Übertragungs- und Übersetzungsprozess gesprochen, der sich auf allen Ebenen ihrer postmilitärischen Lebensverläufe und -Strategien manifestiert. In ihm (re)produzieren und erfinden die Kriegsheimkehrer für sich und ihr Publikum, die „Daheimgebliebenen", das, was sie sich als „ihr Frankreich", „ihren Krieg" etc. angeeignet haben. Bei dem kreativen Potential, das sie dabei entfalten, oder genauer gesagt, dem kulturellen Wissen, das sie dabei ausspielen, handelt es sich um ein aus Erfahrung gewonnenes „enacted knowledge", d.h. ein „praktische(s), oft stillschweigendeis) Wissen, das dem alltäglichen Handeln so viele Unschärfen vermittelt, das einen aber eben dadurch befähigt, die durch Unsicherheiten und Widersprüche geprägte Praxis besser zu meistern" (Hörning 1999: 100). Methodologisch gesprochen wird hier ein an de Certeau's „Künste des Handelns" ([1980] 1990) und an die Diskussion um die „Populärkultur" der Cultural Studies (vgl. Hörning 1999: 86 f.) anschließendes Konzept von Kultur als wissensunterlegter sozialer Praxis zugrunde gelegt. Ihm zufolge lässt sich kulturelles Wissen nicht auf die Aneignung und den Gebrauch fester Bestände - Güter, Medien und Symbole - eines strukturierten und normierten Bezugssystems reduzieren, sondern manifestiert sich auch und gerade in der Einlagerung, Aktualisierung und Modifizierung zahlreicher „banaler" Wissens- und Bedeutungsbestände in die alltägliche Praxis (vgl. ebd.: 87, 101). Dass wir es dabei nicht mit einer explizit subversiven, d.h. auf Zurückweisung oder Transformation einer vorgegebenen Ordnung abzielenden Gegenkultur, sondern mit einer durch Anpassung an diese Ordnung und ihr Unterlaufen, ihre Zweckentfremdung von innen her gekennzeichneten sozialen und kulturellen Praxis zu tun haben, bestätigen die hier untersuchten Lebensberichte auf vielfache Weise.
Fazit und Ausblick
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Der Mehrzahl der Kriegsheimkehrer lässt sich sicherlich keine „Mission" unterstellen, als soziale und kulturelle Modernisierer im großen Maßstab oder als antikoloniale Unabhängigkeitskämpfer wirken zu wollen und/oder gewirkt zu haben. Die meisten arbeiteten auf eigene Rechnung, um sich in ihrem Milieu wieder zurechtzufinden bzw. sich außerhalb desselben neu zu positionieren. Wie sie dabei ihren durch Unsicherheiten und Widersprüche geprägten Alltag meisterten, taktisch mit familiären und gesellschaftlichen Machtverhältnissen sowie etablierten Deutungsmustern umgegangen sind, Gelegenheiten wahrgenommen und immer wieder für Überraschungen gesorgt haben und wie sich in dieser kulturellen und sozialen Praxis ein spezifischer und bis heute erkennbarer Lebensstil des ändert combattant verkörpert, wurde in dieser Arbeit am Beispiel burkinischer Veteranen im Einzelnen herausgearbeitet. Lässt sich unter dieser Voraussetzung bei den Veteranen überhaupt noch von Intermediären oder cultural brokers sprechen, die zwischen ihrer Herkunftsgesellschaft und einer wie immer gearteten europäischen Moderne, deren Wissensbestände und Verhaltensorientierungen sie sich im Zuge ihrer „Reise" aneigneten, vermittelt, d.h. in absichtsvoller Weise auf Verhältnisse mit dem Ziel ihrer Veränderung eingewirkt haben? Ja, unter der Bedingung, dass man die binär konstruierten Analysekategorien des Mittler-Paradigmas (Akkulturation - Dekulturation, Aneignung - Abgrenzung) um eine dritte Kategorie erweitert, die ich als interpretatives Moment einer Positionsbestimmung und Selbstvergewisserung in einer Situation des Übergangs bezeichne und mit der, so mein Argument, der Umwandlung in der Aneignung auf der Basis der Selbst- und Weltsicht der Subjekte Rechnung getragen wird. Überspitzt ausgedrückt, wäre dies nichts anderes, als den beherrschten Vielen eine „Produktion des metropolitanen Restes der Welt" zu konzedieren, wie sie etwa den Reise- oder Entdeckungsberichten von Europäerinnen eignet und im einen wie im anderen Falle von Kontingenz, kulturellen Missverständnissen sowie selektiven Übersetzungs- und Übertragungspraxen auszugehen. Unter dieser Prämisse kann von einem „Wirken" der untersuchten Gruppe voltaischer/burkinischer Veteranen vor allem in folgenden Punkten ausgegangen werden: Als have beens - und einzige ihres sozialen Milieus, die in Europa waren - übersetzten diese Männer ihre Erfahrungen den
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„Daheimgebliebenen" und Nachkommen, machten ihnen gegenüber ihren Wissensvorsprung und ihre Weitläufigkeit geltend: Sie kleideten sich anders, konsumierten anders und bauten anders. Sie tätigten Investitionen in die Zukunft, indem sie sich nachhaltig für die Schulbildung ihrer Söhne und Töchter einsetzten. Damit trugen sie mittelfristig zur Verankerung neuer Wertmuster und Konsumpraktiken bei und wirkten im intergenerationellen Sinne an der Entstehung einer bildungsorientierten voltaischen/burkinischen Mittelschicht mit. Unter Einsatz ihrer während der Militärzeit erworbenen Sprachkenntnisse und Verhandlungstaktiken schalteten sie sich in Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Interessengruppen im dörflichen und städtischen Kontext ein. Hinter ihren diesbezüglichen Aktivitäten lassen sich sowohl altruistische Motive als auch strategische Absichten zur persönlichen Statusverbesserung erkennen. Ihre schwierige Reintegration ins nähere familiäre und weitere soziale Umfeld, wo sie vielfach als „Fremde" oder „Entfremdete" zurückgewiesen wurden, ist durch eine Überanpassung an „traditionelle" Normen gekennzeichnet. Ostentative Polygynie, das Bestreben, ein Chefamt zu übernehmen, Aufbau und Pflege von Netzwerken, vor allem auch innerhalb der Veteranenvereine, sind Strategien, mit denen sie als soziale Aufsteiger bzw. Quereinsteiger in mitunter höchst eigenwilligen Synthesen aus „traditionellen" und „modernen" Praktiken Allianzen schmiedeten, um sich einen ihrem Selbstverständnis angemessenen Platz und Status zu erkämpfen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen spielten dabei ihre formalen Qualifikationen - ihre militärische Karriere erwies sich im Hinblick auf späteres berufliches Fortkommen als kaum dienlich - nur eine sehr untergeordnete Rolle. Ihr „ErfolgsmodeH" basierte vielmehr auf ihrem Vermögen, Geld - wenn auch in bescheidenem Umfang -in Umlauf zu setzen, sowie auf ihrer Fähigkeit, sich in verschiedenen Milieus bewegen und agieren zu können. Auf der Grundlage ihrer ausdifferenzierten Selbst- und Fremdwahrnehmung, d.h. auch ihres „Wissens" um ihre Verdienste für die Befreiung Frankreichs wurden Weltkriegsveteranen nicht nur selbst zur politischen Interessengruppe, welche Forderungen nach Freisetzung von kolonialen Zwängen und Gleichberechtigung stellte, sondern auch zu Adressaten für Mobilisierungs- und Wahlkampagnen der nach 1945 in der AOF neu ge-
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gründeten politischen Parteien. Obwohl die Rezeptivität der Veteranen für diese „zivilen" Bewegungen insbesondere vor dem Hintergrund ihrer - bis heute nicht eingelösten - Ansprüche auf Gleichbehandlung mit metropolitanen Kameraden in Fragen der Renten- und Entschädigungszahlungen als relativ hoch und lang anhaltend eingeschätzt werden kann, ist weder von einer Interessenidentität noch von einer langfristigen Übereinstimmung politischer Zielvorstellungen auszugehen. Die politischen Profile der meisten Veteranen glichen eher denen einer politischen Klientel verschiedener Patrone, deren Verhaltensweisen und Loyalitätsbekundungen durch die jeweilige politische Konjunktur auf lokaler wie territorialer Ebene stark beeinflusst wurden, deren Allianzen keiner politischen Zukunftsvision, sondern praktischen Versorgungsansprüchen und Statuserwägungen geschuldet waren. Ob nun die Befangenheit in aus der „Waffenbrüderschaft" resultierenden frankoafrikanischen Fantasien oder etwa eine - selbst in Kreisen politischer Aktivisten der 1950er Jahre zu konstatierende - allgemein nebulöse Vorstellung, was die Gestalt des künftigen politischen Gemeinwesens betraf, den Ausschlag gegeben hat: sicher scheint, dass die Entscheidung zwischen einem sich wandelnden Imperium und einer voltaischen Nation außerhalb des Vorstellungsvermögens (nicht nur) der meisten Veteranen gelegen hat. Die Feststellung, dass es sich bei westafrikanischen Weltkriegsveteranen nicht um einen homogenen Block, sondern um eine äußerst heterogene soziale Gruppe handelt, bestätigt sich sowohl im Hinblick auf persönliche Lebensverläufe wie auf politische Profile. Inwieweit es Kriegsheimkehrern gelang, die verschiedenen Stränge ihrer Existenz zusammenzuführen, hing allgemein von einer Vielzahl von Faktoren ab, unter denen der Grad der physischen und psychischen Beeinträchtigung, eine relativ hohe Alkoholikerrate und ein mitunter wenig planvoller Umgang mit Geld als wichtigste zu nennen sind. In vergleichbarer Weise haben bestimmte Kriegs- und Gefangenschaftserlebnisse die politische und persönliche Bewusstwerdung Einzelner entscheidend geprägt, wie es das Beispiel der ehemaligen POWs deutlich zeigt. Trotz ihrer familiären, wirtschaftlichen, politischen und sozialen - mehr oder weniger erfolgreichen - Reintegration in die voltaische Gesellschaft sind die Veteranen des Zweiten Weltkriegs eine deutlich unterscheidbare
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und sich unterscheidende, in ihrer „militärischen" Alltagskultur und den von ihnen praktizierten Gemeinschaftsformen stark auf sich selbst bezogene Gruppe geblieben. „ A i n s i prend fin les aventures", notierte einer von ihnen am Ende einer Liste seiner Kriegseinsätze (siehe Dokument im Anhang). „Vorläufig", wäre ihm im Lichte der Ergebnisse dieser Studie entgegenzuhalten, denn mit der Entwicklung eines eigenwilligen Lebensstils als anciens combattants setzten die Kriegsheimkehrer das Abenteuer als selfmade men in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche fort, ja sie wurden selbst zum Symbol eines in vielerlei Hinsicht ambivalenten und unabgeschlossenen Übergangs von der Kolonie zum Nationalstaat.
Ubergänge - Desiderata
weiterer
Forschungen
Ausgehend davon, dass die noch lebenden voltaischen Veteranen des Zweiten Weltkrieges und damit eine Gruppe, die in ihrer überwiegenden Mehrzahl noch zur französischen Armee gezwungen wurde, im Mittelpunkt der Untersuchung standen, stellt diese Studie eine Momentaufnahme eines langfristigen Prozesses dar, der durch die sukzessive „Gewöhnung" von Männern ans Militär gekennzeichnet war und innerhalb dessen deutlich voneinander zu unterscheidende Stadien und Befindlichkeiten der Adressatengruppe ausgemacht werden können. Schon im ersten Vergleich der Lebensberichte von Weltkriegsveteranen und denen von Indochinaund Algerienkombattanten lassen sich prägnante Unterschiede im Hinblick auf die mit der militärischen Option verbundenen Motive und Karrieren erkennen. Unter den Nachkriegsjahrgängen befanden sich vergleichsweise viele freiwillige Zeitsoldaten, die aus materiellen Gründen und Prestigeerwägungen in die Armee eingetreten sind, dort aber - so steht zu vermuten angesichts des Charakters dieser Einsätze früher oder später mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit ihres „Tuns" konfrontiert waren. Die Biographien dieser Männer werfen darüber hinaus Fragen auf, inwieweit das „Kriegshandwerk" in Übersee für Afrikaner mittlerweile an tradition gewonnen hatte. Diese Traditionslinien im intergenerationellen Zusammenhang, d.h. auch die Langzeitwirkung von Vorbildfunktionen der Väter und Großväter zu rekonstruieren, wäre ein Fokus für weitere Untersuchungen, die angesichts der zu erwartenden sukzessiven Öffnung der betreffen-
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den Archive in einen breiteren historischen Kontext eingeordnet werden könnten. Im Rahmen einer solchen Längsschnittuntersuchung wäre insbesondere auch die Frage zu vertiefen, inwieweit die militärische Option, angefangen von den Rekrutierungen für den Ersten Weltkrieg über die in den 1950er Jahren eingeleitete „Afrikanisierung der Kommandostrukturen" bis hin zu den wiederholten Militärputschen der 1960er bis 1980er Jahre als einer der ausschlaggebenden Faktoren für die Dynamik der postkolonialen Entwicklung in Obervolta/Burkina Faso betrachtet werden kann. Für die Hypothese einer military mode of (re)production des burkinischen Staates, der immer noch tief im kolonialen System der Zwänge wurzelt, spricht nicht zuletzt die „Provenienz" der in jenen Staatsstreichen hervorgetretenen militärischen und politischen Akteure, unter denen sich eine beträchtliche Anzahl ehemaliger Algerienveteranen und Absolventen der Offiziersschule EFORTDM in Frejus befand.
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
1. Archive Centre des Archives d'Outre-Mer (CAOM), Aix-en-Provence Archive des französischen Kolonialministeriums: Fonds Ministériels Direction des Affaires politiques, insbesondere folgende Dokumente: äff pol 2217 - Administration et fonctionnement des offices des anciens combattants et victimes de guerre, Dossier B 7: mesures diverses en faveur des anciens combattants de l'AOF; Dossier B 9: AOF et Togo, administration générale, anciens combattants, offices locaux 1946-1958 äff pol 2218 - Dossier 2: Liquidation des pensions de militaires d'Outre-Mer ou de leurs ayants cause, retards et procédures, 1951-1956; Dossier 4: Commission de coordination, comptes-rendus, décrets correspondance entres ministères intéressés 1947 äff pol 2219 - Dossier 1: Mission Delange en AOF (1947), mission de Larminat en AOF et AEF (1947), missions Liger en AOF (1948-1950) äff pol 2145 - Dossier 10: AOF administration générale, historique du RDA 1948-1953 äff pol 2180 - Dossier 8: AOF administration, questions électorales, évolution du RDA, Lepoujadisme en AOF, 1951-1956 äff pol 2194- Dossier 1: Incidents publiques Haute-Volta 1947-1953 äff pol 2245 - Dossier 4: Notice sur la Haute-Volta (Archives de campagne, mise à jour 1er trimestre 1957) äff pol 2257, Dossier 4: AOF associations, partis politiques africains 1950-1958 äff pol 2263 - Dossier 1: Côte d'Ivoire. Associations, RDA 1948-1955; création de l'Union des Indépendants de la Côte d'Ivoire 1949; Dossier 6: Les partis politiques en AOF et les consultations électorales de 1945 à 1955 äff pol 2560 - Dossier 11: Forces armées. Compte-rendu du contrôle postale 1940 äff pol 2810 - Dossier 14: AOF questions sociales, pièces des anciens combattants, des réfugies et déportés
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Private Archivfonds (Fonds privés) 83 APC 5 - Musée de la France d'Outre-Mer (1740-1948) 60 APOM - Fonds Marius Moutet, insbesondere: 60 APOM/2, Dossier 4c: Note - Incidents de Tiaroye; 60 APOM/19, Dossier 3b: Divers Afrique Noire (création office des anciens combattants Dakar, Rapport du général de brigade Delange); 60 APOM/17, Dossier 3b: Documents sur la situation militaire, Dossier 3c: situation à Madagascar mars/avril 1947 Bildarchive: Fonds Iconographique (FI): Haute-Volta (vie coloniale, cultures, sociétés indigènes, Bobo-Dioulasso), Armee (Truppenfoto-grafien diverse RTS) ENFOM: Fonds Ministerieis, Mémoires de l'École Nationale de la France d'Outre-Mer, Armée
Centre d'Histoire et d'Étude des Troupes d'Outre-Mer (CHETOM), Fréjus, Musée des Troupes de Marine Zum Zeitpunkt meines Besuches (März 1998) wurden die Archivbestände des CHETOM im Zuge des Transfers der Bestände des Centre Militaire d'Information et de Documentation (CMIDOM) in Versailles gerade neu inventarisiert. Es ist davon auszugehen, dass die meisten der von mir konsultierten Dokumente inzwischen neue Aktenzeichen/Signaturen erhielten. Gesichtet habe ich im CHETOM insbesondere folgende Akten: 15 H 134, 135 und 136-„Hivernage" 1914-1918 16 H, Dossier 1: Journal de Marche du Centre de Transition n° 4 (Centre de Regroupement et de Réadaptation des Militaires Indigènes Coloniaux Rapatriables, CRRMICR) Écoles Militaires Préparatoires Africaines, EMPA - Journaux de marche de l'EMPA de Saint-Louis (Sénégal), de l'École Militaire Préparatoire Technique (EMPT) de Bingerville (Côte d'Ivoire) 1954-1962 (nicht klassifiziert) 16 H 32 - EFORTOM/EFORTDM 1956-1965 Annuaire Mémorial de l'E.F.O.R.T.D.M. 1956-1965. St. Raphaël, o. J.: Imprimérie Nouvelle.
Quellen- Literaturverzeichnis
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Archivio Generale di Missionari di Africa (AGMA), Rom (Ordensarchiv der Weißen Väter) Tagebücher (Diaires) der folgenden Missionsstationen (Jahrgänge jeweils bis einschließlich 1949 konsultiert): Bobo-Dioulasso-Ville: 20.1.1928-9.5.1955 Tounouma: 7.2.1931-1.8.1953 Niangoloko: 1941-1963 (Resümee) Toussiana: 6.5.1944-26.11.1957 Torna: 15.1.1926-22.6.1953 Tougan (Da diese Station erst 1952 gegründet wurde, erhielt ich keine Einsicht in deren Tagebuch.) Cahier de Conseil des Missionnaires de la Préfecture Apostolique de BoboDioulasso: 5.2.1928-23.9.1960 Jahresberichte: Société des Missionnaires d'Afrique (Pères Blancs): Rapports annuels, Nr. 40 (1949/50) bis 49/50 (1958-1960)
Archive in Burkina Faso Bedingt durch die wiederholten territorialen Rekonfigurationen der Kolonie Obervolta befinden sich die für die jeweiligen Regionen relevanten kolonialen Archivbestände heute nur zu einem geringen Teil in Burkina Faso (siehe dazu ausführlich Gervais 1993). Archivaufenthalte in Abidjan bzw. Bamako waren aufgrund des eng gesteckten Zeitrahmens der Forschung nicht zu realisieren. Centre National de la Recherche Scientifique et Technologique Ouagadougou
(CNRST),
Im Vergleich zu dem im Katalog (Raymond Gervais: Inventaire des Archives de la délégation nationale du CNRST, Ouagadougou, Mars 1984) ausgewiesenen relativ dichten Bestand für den Bezirk von Bobo-Dioulasso stellte sich im Februar-März 1999 heraus, dass ein beträchtlicher Teil der Akten zwischenzeitlich verschwunden bzw. gerade „nicht auffindbar" war. Konsultiert habe ich hier vor allem die Aktenfolge B II-V (Cercle de Bobo-Dioulasso: Rapports et correspondances diverses).
Quellen- und Literaturverzeichnis
366 Archives du Haut-Commissariat
(AHC),
Bobo-Dioulasso
Auch bei den hier gelagerten, ursprünglich chronologisch geordneten und klassifizierten Archivbeständen des Bezirks von Bobo-Dioulasso waren teilweise erhebliche Verlustraten zu konstatieren. Zum Zeitpunkt des Besuchs (März 1999) befand sich der gesamte Bestand in einer Phase der Neuorganisation. Gesichtet habe ich hier insbesondere periodische politische Berichte auf der Ebene der Kolonie, des Bezirks oder seiner Unterbezirke (Bobo-DioulassoVille, Houndé, Orodara) 1942-1958 (mit beträchtlichen Lücken); demographische Erhebungen, polizeiliche Führungszeugnisse der Anwärter für militärische Orden (1957/58).
Archives Nationales du Sénégal (ANS), Dakar Saliou Mbaye: Guide des archives de l'Afrique Occidentale française. Dakar 1990. Archive des ehemaligen Generalgouvernements
der AOF, vor allem:
Serie D - Affaires Militaires 2 D - Périodes de guerre: seconde guerre mondiale (Prisonniers de guerre indigènes; Croix Rouge; démobilisation; rapatriement; état d'esprit des anciens tirailleurs 1941-1948) 4 D - Personnel militaire (Officiers, avancement; mariages des tirailleurs; anciens combattants; ex-prisonniers et déportés; correspondance générale; écoles militaires: EET, EMPA 1948-1956; valorisation des cadres militaires africains) 5 D - Organisation militaire (Bulletin de renseignements 1944-1948; demandes et réclamations diverses formulées par des militaires 1943-45; Cabinet Militaire: contrôle postal et télégraphique) Serie G - Politique et administration générale 21 G - Police et sûrété (Migrations, exodes AOF 1935) gedruckte Archivdokumente:
Journal Officiel de l'AOF
Bildarchiv. Sammlung historischer Postkarten Dokumentation
und Bibliothek
Quellen- Literaturverzeichnis
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